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In den Wüsten des Mars Von Alf Tjörnsen „Da ist es wieder, Herr Professor.“ Im Observatorium der Raumstation „Terra III“ waren sämtliche Beobachtungsinstrumente auf das rotleuchtende Gestirn gerichtet, das fern im interplanetarischen Raum seine ewige Bahn um die Sonne durchlief. Wieder einmal stand der Mars im Begriff, in Erdnähe zu gelangen. In allen Sternwarten der Welt rüsteten sich die Astronomen, das Licht des noch immer von Geheimnissen umwobenen Planeten mit den raffiniertesten Apparaten zu sezieren. Gewaltige Radioteleskope waren Nacht für Nacht auf den Himmel gerichtet, um unsichtbaren Strahlungen des Mars auf die Spur zu kommen. Die modernsten Geräte hatte man jedoch auf „Terra III“ aufgestellt. Hier, im freien Weltraum, störte keine Atmosphäre die empfindlichen Messungen. Professor Hugo Wedekind, der berühmte Astrophysiker, schüttelte ungläubig den Kopf. Als er jedoch die Spannung in den Gesichtszügen seines Assistenten wahrnahm, erhob er sich von seinem Arbeitsplatz und hangelte sich vorsichtig nach dem Okularende des Neutronenteleskops hinüber. Man hatte die Achsendrehung der Station zum Stillstand gebracht, als man sie seinerzeit als Raumschiffhafen im Erde-Mond-Verkehr stillgelegt und ganz in den Dienst der Forschung gestellt hatte. So kam es, daß völlige Schwerelosigkeit in dem kosmischen Bauwerk herrschte. „Eine wahre Schnapsidee, Bärwald, dem Mars mit einem Neutronenteleskop zu Leibe zu gehen. Solch ein Instrument ist 3
allenfalls geeignet, Atombombenversuche auf der Erde zu beobachten. Um überhaupt ein Bild zu erhalten, müssen von der betreffenden Strahlungsquelle Neutronen ausgesandt werden. Hat man je davon gehört, daß ausgerechnet Mars …“ „Aber überzeugen Sie sich doch selbst, Herr Professor.“ Professor Wedekind rückte an der Brille. Er warf einen kurzen Blick auf den Fluoreszenzschirm und knurrte unwirsch. „Wer weiß, was für ein merkwürdiges Objekt Sie da eingefangen haben. Mars dürfte es auf keinen Fall sein.“ „Wenn Sie sich vielleicht durch einen Blick durch den Sucher davon überzeugen wollten, Herr Professor …“ Der Gelehrte blinzelte in das Okular des Sucherfernrohrs und stellte das Bild scharf. Im Fadenkreuz stand klar und leuchtend Mars. „Sie haben recht, Bärwald. Ein Irrtum scheint ausgeschlossen. Radioaktive Ausbrüche auf Mars – was mag das zu bedeuten haben?“ „Beachten Sie bitte die Form der Gebilde, Herr Professor.“ „Donnerwetter! Die Sache wird immer erstaunlicher. Sieht fast aus wie die Explosionspilze von H-Bomben. Natürlich kann es sich nur um eine zufällige Ähnlichkeit handeln. Wasserstoffbomben auf dem unbewohnten Mars – natürlich ist sowas lächerlich.“ „Unbekannte Objekte in 15 000 km Abstand vom Planetenrand, Sir.“ Aufgeregt meldete sich ein anderer Beobachter, der ein besonders lichtstarkes, optisches Meßinstrument bediente. „Das dürften wohl Phobos und Deimos sein, die beiden winzigen Marsmonde, die bereits Anno 1877 von Hall entdeckt worden sind.“ „Verzeihung, Herr Professor“ – die Stimme des jungen Astronomen war ganz heiser vor Aufregung – „ich sehe die beiden Monde ganz genau. Die Objekte, die ich meine, befinden sich zwischen den Monden. Ich zähle fünf – nein sechs im Ganzen.“ 4
„Moment mal, Young.“ Der Professor tastete sich vorsichtig durch den Beobachtungsraum, schnallte sich dann auf dem Sitz vor dem Meßinstrument fest. „Sie haben recht: Da bewegt sich tatsächlich etwas. Irgendwelche winzigen Körper, die im Sonnenlicht glänzen. Ich erkenne sogar ihren Schattenwurf auf einer der so seltenen Wolken in der Marsatmosphäre – mehr allerdings auch nicht. Ja, was bringen Sie uns denn, Perry?“ Tom Perry, der Stationsfunker, reichte Wedekind eine Depesche. „Von der Mount Hamilton-Radio-Sternwarte, Sir.“ Kopfschüttelnd entzifferte der Gelehrte die Meldung. „Seltsam – Mars scheint wirklich eine tolle Aktivität zu entfalten. Das hätte ich dem ‚Greis unter den Planeten’ gar nicht zugetraut.“ „Hat man auf dem Mount Hamilton neue Radiosignale aufgenommen?“ fragte Dr Bärwald. „Allerdings. Und es ist zum erstenmal gelungen, bestimmte Zeichen – kurze und lange – ähnlich wie in unserem MorseAlphabet, zu trennen. Ein schier unglaublicher Zufall …“ Die Assistenten, Bärwald und Young, hatten ihre Plätze verlassen und schauten dem Professor über die Schultern. Bärwald räusperte sich. „Mir scheint, Herr Professor, das rundet das Bild,.“ „Welches Bild denn, zum Donnerwetter? Was wollen Sie damit sagen, Bärwald?“ Professor Wedekind versuchte, die eigene Unsicherheit, in die ihn die merkwürdigen Marsbeobachtungen versetzt hatten, hinter einer Maske von Barschheit zu verbergen. Dr. Bärwald ließ sich nicht beirren. „Alles scheint mir darauf hinzudeuten, daß Mars nicht der tote, ausgetrocknete und unbelebte Himmelskörper ist, für den wir ihn bisher gehalten haben. Unsere Beobachtungskunst verfügte lediglich bisher nicht über genügend leistungsfähige Apparate, um seine wahre Natur zu erkennen.“ „Unsinn, Bärwald. Geben Sie sich nur keinen Illusionen hin. 5
Zwei Jahrhunderte intensiver Marsbeobachtung haben uns ein recht sicheres Bild von den Verhältnissen auf unserem Nachbarn im Raum vermittelt. Mars ist ein ungemein wasserarmer, kalter Planet, der wahrscheinlich niemals höhere Lebensformen beheimatet hat. Allenfalls eine primitive Vegetation – Moose, Algen und Flechten – will ich gelten lassen, und darüber hinaus gar nichts.“ „Und wie erklären Sie sich unsere letzten Beobachtungen, Herr Professor? Die ansteigende Radioaktivität, die HBombenpilze, und was wir sonst noch alles festgestellt haben?“ „Vielleicht erlebt Mars gegenwärtig eine Periode des wiedererwachenden Vulkanismus“, meinte Dr. Young. „Bekanntlich gibt es schon seit hundert Jahren eine Theorie, wonach Mars stark vulkanisch sein soll. Man will damals helle Lichtpunkte auf seiner Nachtseite wahrgenommen haben, die sich nur als Feuerberge deuten ließen. Die rätselhaften dunklen Flecken sollen nach dieser Vorstellung Ablagerungen vulkanischer Asche sein.“ „Gewiß, gewiß“, nickte der Professor. „Allerdings führe ich unsere letzten Beobachtungen auf eine andere Ursache zurück. Denken Sie an die kleinen Körper in der Nachbarschaft des Planeten, meine Herren. Ich bin überzeugt, daß es sich dabei um Planetoiden handelt, die sich in die Nähe des Mars verirrt haben und von ihm eingefangen wurden. Jetzt nähern sie sich seiner Oberfläche in immer engeren Bahnen und stürzen schließlich ab.“ „Aha – daher der Explosionspilz“ nickte Dr. Young. „Und die Funksignale vom Mars?“ „Hm – ja – verdammt komische Geschichte. Ich persönlich nehme ja an, daß sie von irgendwelchen Raumfahrzeugen stammen, die sich draußen vor den Radioteleskopen getummelt haben. Oder es handelt sich um Reflexerscheinungen irdischer Funkwellen im Weltall, die wir bisher nicht kannten. Sicher 6
wird es den Experten in der Interplanetarischen Sektion der U.N.T. * ) rasch gelingen, die wahre Herkunft der Zeichen und ihre Bedeutung zu enträtseln. – Was wollen Sie denn nun schon wieder, Perry?“ Der Funker grinste verlegen. „Verzeihung, Herr Professor. Ein Funkspruch aus Terratown …“ „Aus der schönen Hauptstadt der U.N.T.? Na, dann bin ich ja beruhigt. Ich dachte schon, der Mars …“ „Verzeihung, Sir“, sagte der Funker noch einmal. „Der Regierungssender hat uns angerufen. Präsident Ferreira läßt Sie dringend zu einer Konferenz bitten. Die Sonderrakete, die Sie abholen soll, ist bereits unterwegs.“ * Professor Wedekind war noch ganz benommen, als er die Marmortreppe zum Regierungssitz der U.N.T. hinaufstolperte, um Sekunden später in rasendem Tempo vom Lift in das 66. Stockwerk des ganz in Weiß ausgeführten Prachtbaus befördert zu werden. Vor einer knappen Stunde hatte er noch auf Raumstation „Terra III“ den Mars beobachtet. Dann hatte er sich an Bord der Zubringerrakete eingeschleust, war zur Erdoberfläche gefahren und auf dem Raketenflugplatz von Terratown, der neugegründeten Welthauptstadt in Mittelamerika, gelandet. Dort hatte schon der Düsenhubschrauber mit singendem Motor auf ihn gewartet, um ihn wenige Minuten später auf dem Landeplatz vor dem U.N.T.-Palais abzusetzen. Und jetzt, in diesem Augenblick, stand er bereits im Vorzimmer des höchsten Würdenträgers, den es im Jahre 2051 auf Erden gab. „Der Herr Präsident läßt bitten.“ Zum erstenmal in seinem Leben stand Professor Wedekind *
U.N.T. = United Nations of Terra
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dem Manne gegenüber, der seit nunmehr zehn Jahren die Geschicke des Planeten Erde lenkte. Juan Ferreira, Argentinier von Geburt und einstmals Rechtsgelehrter von Weltruf an der Universität La Plata, war ein Sechziger von schlanker, mittlerer Statur, dessen bartloses Gesicht Klugheit und menschliche Güte verriet. Er hatte maßgeblichen Anteil am Zusammenschluß aller irdischen Nationen gehabt, einem Projekt, das man einstmals für rein utopisch gehalten hatte. Das scheinbar Unmögliche war jedoch Wahrheit geworden, und die Völker der Alten und der Neuen Welt hatten eine glückliche Wahl getroffen, als sie ihr Schicksal der Führung Juan Ferreiras anvertrauten. „Herr Präsident – Sie haben mich rufen lassen“, schnaufte Professor Wedekind, noch immer völlig außer Atem. „Hier bin ich.“ „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Herr Professor. Verzeihen Sie es mir, wenn ich Ihnen Unbequemlichkeiten bereiten mußte, aber es steht wahrscheinlich viel auf dem Spiel. Gestatten Sie, daß ich Ihnen meinen Mitarbeiter, Herrn Generalmajor Shakleton, vorstelle.“ Professor Wedekind war sofort im Bilde. Wer hätte nicht das zerknitterte Gesicht Titus A. Shakletons gekannt, des Kommandeurs des Weltsicherheitsdienstes? Die Herren schüttelten sich die Hände und nahmen mit dem Präsidenten an einem großen, ovalen Eichentisch Platz, der sich an einer Längswand des großen Zimmers hinzog. Ein Sekretär stellte Erfrischungen und Zigarren zurecht und zog sich dann geräuschlos zurück. „Es handelt sich um die kommende Marsopposition“, begann der Präsident ziemlich unvermittelt. Er war dafür bekannt, daß er stets ohne Umschweife auf das Hauptthema zu sprechen kam. „Sie kommen direkt von ‚Terra III’, Herr Professor. Darf ich fragen, ob Ihnen irgendwelche neuen, interessanten Beobachtungen gelungen sind?“ Wedekind spürte ein unbehagliches Gefühl über seinen 8
Rücken laufen. Sollte man hier schon mehr wissen – hatte man womöglich schon eine voreilig gefaßte Theorie, bei der es schwierig sein würde, sie mit sachlichen Argumenten zu widerlegen? Doch der Professor nahm sich zusammen und berichtete haargenau über die letzten, rätselhaften Marsbeobachtungen seiner Assistenten. „Jetzt – ist jeder Zweifel behoben.“ Gepreßt stieß der Präsident die Worte hervor, als Wedekind geendet hatte. Seine sonst so gütigen Züge waren wie von Schrecken gelähmt. Er wechselte einen langen, bedeutungsvollen Blick mit seinem Sicherheitschef. „Darf ich fragen?“ meldete sich Wedekind schließlich unsicher. „Sie glauben doch wohl nicht im Ernst …“ „Leider doch“, erwiderte der Präsident düster. „Es ist zwar unserem Sicherheitsdienst noch nicht gelungen, die Bedeutung der Funksignale vom Mars zu enträtseln …“ „… was ihm – verzeihen Sie die Bemerkung – auch ganz gewiß nicht glücken wird …“ „Sagen Sie das nicht, Herr Professor. Soviel ist nämlich bereits klar, daß ein gewisses System in diesen Funksignalen liegt. Frage und Antwort lassen sich eindeutig unterscheiden. Die letzten Beobachtungen auf ‚Terra III’, von denen Sie uns berichteten, bestätigen den Verdacht, daß es auf Mars vernunftbegabte Wesen gibt, die über einen hohen Stand ihrer technischen Entwicklung verfügen und …“ „… und zweifellos recht wenig friedfertige Absichten verfolgen“, ließ sich Generalmajor Shakleton erstmalig vernehmen. „Die starken radioaktiven Ausbrüche deuten auf Versuche mit Atomwaffen von einer Zerstörungskraft hin, die alles in den Schatten stellt, was auf diesem Gebiet jemals auf unserer Erde geleistet wurde.“ Professor Wedekind schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Sie kennen meine Theorie darüber, Gentlemen …“ „Gewiß“, ergriff Ferreira wieder das Wort, „und es spricht 9
manches dafür. Aber es könnte auch anders sein. Was wäre zum Beispiel, wenn die unbekannten Objekte in der Nachbarschaft des Mars keine verirrten Planetoiden wären, sondern Raumfahrzeuge der Marsbewohner, Schiffe von gewaltiger Größe und Leistungsfähigkeit?“ „Dann wundert es mich nur, daß die angeblichen Marsmenschen uns nicht längst einen Besuch abgestattet haben.“ Der Präsident lächelte. „Dafür gäbe es wohl verschiedene Erklärungen. Möglicherweise haben sie erst jetzt jenen technischen Stand erreicht, der sie befähigt, mit Raketenschiffen ihren Planeten zu verlassen. Oder – was mir persönlich wahrscheinlicher vorkommt: Es fehlt ihnen der Pionier- und Eroberergeist, das ewige Drängen nach neuen Ufern, das dereinst die großen Entdecker unseres Planeten in die Ferne getrieben hat.“ „Was haben Sie eigentlich gegen die Marsmenschen, Professor?“ fragte Shakleton leicht ironisch. „Nach wissenschaftlicher Erkenntnis ist kaum damit zu rechnen, daß Lebewesen nach unserer Art auf Mars existieren.“ „Das hat man sich im Falle Venus auch eingebildet. Na, und wie sah es nachher in Wirklichkeit aus?“ „Weiß ich nicht.“ Gereizt rutschte der Gelehrte in seinem Sessel hin und her. „Habe die Expedition zwar mitgemacht, hatte aber leider nicht das Vergnügen, den Boden des Planeten zu betreten.“ * ) „Aber andere Teilnehmer sind monatelang auf Venus gewesen. Sie berichteten nach ihrer Rückkehr übereinstimmend von recht merkwürdigen Erlebnissen.“ „Sie brachten aber nur recht lückenhafte Beweise mit. Solange ich nicht mit eigenen Augen einen leibhaftigen Venusmenschen gesehen habe, glaube ich nicht an ihre Existenz. Das gleiche gilt für die sogenannten Marsbewohner.“ *
siehe UTOPIA-Kleinband 94 „Geheimauftrag Abendstern“
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„Auf jeden Fall müssen wir uns Gewißheit darüber verschaffen, was auf Mars vorgeht“, erklärte der Generalmajor energisch. „Allein die Existenz einer fremden, hochgerüsteten Macht im interplanetarischen Raum würde für die Erde eine ständige Bedrohung bedeuten. Wie Sie wissen, verfügen die U.N.T. nur über eine schwache Polizeitruppe, seitdem die allgemeine Abrüstung verwirklicht wurde. Eine Invasion aus dem Weltraum würde unabsehbare Folgen für uns haben.“ Professor Wedekind war noch immer nicht überzeugt. Die Vision, die der Sicherheitschef mit seinen Worten heraufbeschwor, ließ ihn jedoch unwillkürlich schaudern. „Es dürfte nicht leicht sein, sich diese Gewißheit zu verschaffen. Mars ist zu weit entfernt, und unsere Instrumente sind an der äußersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.“ „Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten?“ fragte Ferreira in das bedrückende Schweigen hinein. „Ich möchte nicht von einer Raumschiffexpedition sprechen, obwohl es kein Geheimnis ist, daß die Schiffe für dieses Unternehmen bereits gebaut werden. Der Augenblick ist noch nicht gekommen, und wir dürfen nicht das Leben unserer besten Raumfahrer aufs Spiel setzen. Was meinen Sie, Gentlemen?“ „Da gibt es nur eins“, meinte Shakleton. „Wir müssen selbst versuchen, mit den Marsmenschen in Verbindung zu treten. Wenn wir warten, bis sie eines Tages bei uns aufkreuzen, sind wir sowieso verraten und verkauft.“ „Und wie stellen Sie sich das praktisch vor?“ „Wir sollten ‚Terra V’ in den Dienst des Unternehmens stellen“, warf Professor Wedekind lebhaft ein. Das Interesse des Forschers war in ihm erwacht und verdrängte alle Bedenken. „Dort finden zur Zeit Versuche mit dem großen Sonnenspiegel statt. Wenn wir mit ihm Blinkzeichen zum Mars senden und vielleicht obendrein noch einen Sender von höchster Kapazität in Betrieb nehmen würden …“ 11
Präsident Ferreira atmete auf. „Das ist ein guter Vorschlag, Herr Professor. Darf ich Sie bitten, sich gleich um alles Nötige auf ‚Terra V’ zu kümmern? Ich werde veranlassen, daß das RaumfahrtDepartement Ihnen alle erforderliche Unterstützung gewährt.“ * „Ganz unter uns gesagt, was halten Sie von der ganzen Sache, Käpten?“ Der junge John Palmer, seines Zeichens Leutnant innerhalb der Raumfahrtorganisation der U.N.T., blickte seinen Chef erwartungsvoll an. Er war vor einigen Tagen zum Adjutanten Kapitän Schillingers, des weltberühmten Raumfahrtpioniers, ernannt worden, als dieser mit der technischen Durchführung des Projekts „Pythagoras“ beauftragt worden war. Jetzt hockte er am Steuer des flinken Raumtaxi und kutschierte seinen Chef in weiten Kurven um das Riesenrad der Raumstation „Terra V“ herum. „Terra V“ hatte – wie alle ihre Geschwister mit ähnlich niedriger Hausnummer – bessere Zeiten gesehen. „Passen Sie auf, Palmer. Sie rammen mir sonst den prächtigen Spiegel“, knurrte Kapitän Schillinger. „Das kostet erstens ’ne Kleinigkeit, und zweitens bringen zerbrochene Spiegel bekanntlich sieben Jahre Unglück.“ John Palmer mußte lachen. Er gehorchte jedoch und vergrößerte den Abstand von dem kostbaren Instrument. „So, wie ich Sie kenne, Käpten, versprechen Sie sich keinen großen Erfolg.“ „Das habe ich nicht gesagt …“ „Man merkt es Ihrem Gesicht aber an. Hören Sie doch, Käpten: Da dröhnt dieser entsetzliche Stationssender wieder los, daß einem schier die Trommelfelle platzen könnten. Warum diese Heinis auch ausgerechnet auf unserer Raumfahrtwelle funken müssen!“ 12
„Sie probieren es natürlich auf allen möglichen Wellen, wie Sie sich wohl denken können, Palmer. Aber ich wette, es kommt nichts dabei heraus – nicht das geringste.“ John Palmer legte das kleine Fahrzeug erneut in die Kurve. Vorsorglich vermied er es, in den gleißenden Höllenschlund des Spiegels zu schauen, der unentwegt seine Lichtsignale zum Mars sandte. „Sie halten die Energien also für zu schwach, Käpten? Der Professor hat doch alles genau berechnet und ist zu dem Schluß gekommen, daß man die Signale auf Mars wahrnehmen müßte.“ „Hahaha! Der gute Professor Wedekind – er hat in seiner Zerstreutheit das Wichtigste vergessen. Überlegen Sie doch mal, Palmer: Entweder gibt es überhaupt keine Marsbewohner, und dann ist die ganze Blinkerei und Funkerei sowieso für die Katz’. Oder sie existieren wirklich und planen eine Invasion der Erde oder ähnliche Unfreundlichkeiten. Na, und dann? Dann werden Sie sich schwer hüten, auf unsere Anfragen zu reagieren. Dann hüllen sie sich diskret in Schweigen, machen sich heimlich, still und leise auf den Weg und – sind eines schönen Tages plötzlich da.“ John Palmer spürte ein unbehagliches Gefühl. Er mußte dem Käpten recht geben. Gerade wollte er etwas erwidern, als das Getöse im Empfänger verstummte. Sekunden später meldete sich die nüchterne Stimme des Stationsfunkers von „Terra V“: „Taxi C – Achtung – bitte sofort umkehren!“ „Habe verstanden“, gab John zurück. „Was ist los?“ „Professor Wedekind wünscht Kapitän Schillinger sofort zu sprechen. Das Observatorium auf ‚Terra III’ hat neue Marsbeobachtungen gemeldet. Die unbekannten Objekte in Planetennähe haben sich plötzlich vervielfältigt. Bitte, kommen Sie sofort …“ *
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„Ich habe Sie zu mir gebeten, Herr Direktor, um weitere Schritte in der Mars-Angelegenheit mit Ihnen zu beratschlagen. Das Projekt ‚Phytagoras’ war – in seiner bisherigen Form – leider ein Schlag ins Wasser.“ Direktor Dannenberg, Chef des Raumfahrt-Departements der U.N.T., schaute den Präsidenten mit leicht ironischem Augenzwinkern an. „Eine Frage zunächst, Herr Präsident: Wie kam das Unternehmen überhaupt zu seinem klassischen Namen?“ „Den verdankt es Professor Wedekind. Er erinnerte sich daran, daß in der grauen Vorzeit der Raumfahrerei ein gescheiter Kopf auf den Gedanken verfallen war, den etwa vorhandenen Marsbewohnern den Lehrsatz des Phytagoras auf optischem Wege zu übermitteln.“ „Aha, ich verstehe: a2 plus b2 gleich c2.“ „Sehr richtig. Er folgerte, daß die Marsbewohner das verstehen müßten, sofern sie überhaupt vernunftbegabt wären, und uns nun ihrerseits Antwort schicken würden.“ „Also eine Art Vorläufer unserer heutigen ‚interplanetarischen Bilderschrift’. Glücklicherweise haben wir derart umständliche Methoden beim heutigen Stand unserer Technik nicht mehr nötig. Doch, wenn ich fragen darf, was ist nun tatsächlich bei der Sache herausgekommen? Haben die Marsianer wenigstens geantwortet?“ „Sie haben überhaupt nicht reagiert.“ „Dann existieren sie entweder überhaupt nicht, oder sie sind verteufelt unhöfliche Burschen.“ „Ich fürchte, sie existieren doch“, sagte Präsident Ferreira besorgt. „Die letzten Marsbeobachtungen waren in höchstem Maße besorgniserregend. Vor allem diese bisher nicht identifizierten Objekte in der Umgebung des Planeten machen mir Sorge“ „Soviel ich weiß“, sagte Dannenberg, „halten einige Beobachter sie für Raumschiffe. Wenn man für wahr hinnimmt, was 14
zum Beispiel Generalmajor Shakleton neulich allen Ernstes zum besten gegeben hat, dann müßte auf Mars ja geradezu ein atomarer Weltkrieg entbrannt sein.“ Juan Ferreira winkte müde ab. „Längst überholt, Herr Direktor. Nach den neuesten Beobachtungen scheint auf Mars nicht gekämpft zu werden. Vielmehr deutet alles darauf hin, daß die unidentifizierten Objekte regelrechte Übungsfahrten ausführen. ‚Terra III’ hat uns Zeitlupenfilme geschickt, die diesen Verdacht zu begründen scheinen. Und wenn es sich wirklich so verhält, wie ich befürchte – wem wird der Besuch dieser rätselhaften ‚Objekte’ dann wohl gelten?“ „Uns natürlich“, entgegnete Dannenberg prompt. „Schließlich kommt die Erde dem Mars in nächster Zeit bedenklich nahe.“ „Wir müssen Gewißheit bekommen“, rief Ferreira beinahe stöhnend. Er sprang auf und durchmaß das Zimmer mit raschen Schritten. „Wir müssen sofort etwas unternehmen.“ Unvermittelt unterbrach Juan Ferreira seine nervöse Wanderung. Er blieb vor dem Raumfahrt-Direktor stehen und griff nach seinem Rockaufschlag, als müßte er sich daran festhalten. „Wir müssen ein Raumschiff schicken, Herr Dannenberg.“ Dannenbergs Gesichtsausdruck wurde abweisend. „Ein Raumschiff zum Mars? Und noch dazu außerhalb der vorausberechneten Termine? Das ist unmöglich, Sir.“ Ferreira lächelte matt. „Ich hatte geglaubt, in unserem Zeitalter gäbe es kein ‚Unmöglich’ mehr …“ „Mein Dezernat bearbeitet zwar seit Jahren ein MarsProjekt“, fuhr der Direktor sinnend fort, „aber die Schiffe befinden sich samt und sonders noch in der Montage. Auch die vorgesehenen Triebwerke befriedigen noch nicht ganz. Ihre Erprobung läuft zur Zeit auf den Sonderprüfständen in Kalifornien. Lediglich die ‚Corona borealis’ …“ „Was ist mit ihr, Herr Dannenberg?“ 15
„Sie war von Anfang an als Flaggschiff ausersehen. Ihr Bau ist am weitesten fortgeschritten. Rein technisch müßte es möglich sein, das Schiff in zwei, spätestens drei Wochen startklar zu bekommen.“ „Dann setzen Sie alle Hebel in Bewegung, Herr Dannenberg. Je eher das Schiff fertig wird, desto besser. Setzen Sie alle verfügbaren Kräfte ein!“ Direktor Dannenberg stand auf und trat an das mächtige Fenster, das den Blick von der Höhe des 66. Stockwerkes des U.N.T.-Palastes auf die Dächer und Türme, auf Straßen und Plätze von Terratown eröffnete. Für einen Augenblick hatte er eine grauenhafte Vision: Er sah die Hauptstadt des Planeten Erde in Flammen stehen, von furchtbaren Explosionen zerrissen, sah die verzweifelten Einwohner durch die Straßenzüge irren … Und hoch über dem Chaos die gespenstischen Raumschiffe des Mars … Schaudernd drehte er sich um, ins Zimmer zurück, in dem Juan Ferrelrat noch immer wartend stand und ihn hilfesuchend anblickte. „Ich tue, was ich kann, Herr Präsident. Die ‚Corona borealis’ wird zum frühestmöglichen Termin einsatzbereit gemacht.“ * „Willkommen, Jungens! Fein, daß ihr auch mit von der Partie seid. Na ja, Wie hätte es auch anders sein können?“ Vergnügt schüttelte John Palmer den Freunden die Hand, die an der Spitze der Freiwilligen die große Luftschleuse verließen, durch die sie – von der Erde kommend – die Raumstation „Terra VII“ betreten hatten. „Hallo, John, alter Knabe!“ Kräftig schlug der blonde Frank seinem Kameraden auf die Schulter. „Hatte mir schon gedacht, dich hier zu treffen. Stimmt es eigentlich, daß du die ‚rechte Hand’ vom Käpten geworden bist?“ 16
„Wenn auch das nicht gerade“, lachte John, „so bin ich ihm immerhin als Adjutant zugeteilt.“ „Na, das ist doch dasselbe. Dann wirst du uns ja auch sagen können, wohin die Fahrt gehen soll. Kinder, Kinder – ist das eine Geheimniskrämerei! Ich war zusammen mit Reddy gerade in der Mondbasis, als uns der Ruf des Vaterlandes erreichte: ‚Freiwillige für größere Raumfahrtunternehmung gesucht. Start dann und dann, ab Station ‚Terra VII’. Zeitpunkt der Rückkehr noch unbestimmt. Die Teilnehmer erhalten Gefahrenzulagen nach Sondertarif X. Es können nur solche Bewerber berücksichtigt werden, die mindestens drei Jahre im Dienst des Raumfahrt-Departements stehen und unverheiratet sind.’ Wenn das nichts ist …“ John Palmer hob in komischer Verzweiflung die Schultern. „Du wirst es nicht glauben, Frank, aber ich habe selbst keinen blassen Dunst, wohin die Reise gehen soll. Eigentlich ist die ganze Flotte, die hier auf der Station in der Endmontage steht, ja für eine Marsexpedition gedacht, aber nach allem, was man so hört, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis die hohe Obrigkeit sich zu solch einem kühnen Unternehmen entschließt.“ „Vielleicht plant man eine neue Venusexpedition?“ „Das glaube ich nicht, Frank. Eigentlich müßte uns doch Freund Reddy, der große Astrolog, ganz genau Auskunft geben können. He, Reddy, was sagen denn deine Sterne dazu?“ Hieronymus Brosamer, der dritte im Bunde der drei gleichaltrigen Kameraden, der wegen seines flammendroten Haarschopfes kurz „Reddy“ genannt wurde, zog ein beleidigtes Gesicht. „Die Sterne lügen nicht, ihr abscheulichen Spötter. Leider hatte ich noch gar keine Zeit, das Horoskop unserer Fahrt zu berechnen.“ „Die Ausweise bitte, Gentlemen.“ Eine schwerbewaffnete Patrouille des Sicherheitsdienstes tauchte plötzlich vor den Freunden auf. Verblüfft begannen Frank und Hieronymus, in ihren Taschen zu kramen. 17
„Was für eine Krankheit ist denn bei euch ausgebrochen, John? Seit wann gibt es auf den Außenstationen Polizeiposten und Ausweiskontrollen? Hätte ich das gewußt …“ John Palmer bedeutete den Wachmännern, zu verschwinden. „Die Herren gehören zur Besatzung der ‚Corona’. Ich kenne sie persönlich.“ Und wieder zu Frank gewandt: „Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme. Sie richtet sich natürlich nur gegen Unbefugte, wie Reporter und Neugierige aller Art, die hier unerwünscht sind. Der Start der ‚Corona borealis’ soll in aller Unauffälligkeit erfolgen. Die guten Leute da unten auf der Erde erfahren überhaupt nichts davon …“ „Da wird mir direkt etwas fehlen“, lachte Frank: „Fahnen und festliche Reden und dieser ganze Haufen von speckbäuchigen Wichtigtuern, die vor Schreck in die Knie gehen, wenn die erste Startrakete gezündet wird.“ „Möchtest du uns nicht ein bißchen in der sagenhaften ‚Corona’ herumführen?“ fragte Hieronymus. „Du bekommst sie noch früh genug zu sehen, Reddy. Innerhalb der nächsten Stunden ist drüben ein jeder höchst ungern gesehen, der nicht unmittelbar mit den Startvorbereitungen zu tun hat. Das geht da zu wie in einem Bienenhaus. Der Alte ist schon fast durchgedreht. Er hat mich vorhin derart greulich angepfiffen, daß ich es für besser hielt, ihm einstweilen aus dem Wege zu gehen. Selbst der dicke Teddy ist völlig mit den Nerven am Ende und sieht aus wie der leibhaftige Mord.“ „Teddy Plum macht auch mit? Da ist ja fast die ganze VenusMannschaft wieder beisammen“, freute sich Frank. „Die Leute vom ‚Hesperos’ sind fast vollzählig wieder dabei, und eine ganze Menge neuer dazu. Auch Dr. Smith will uns wieder ärztlich betreuen, wie ich gehört habe.“ „Kann man das Schiff nicht wenigstens von außen bewundern?“ drängte Hieronymus abermals. 18
„Das ließe sich schon machen, sofern gerade ein Taxi frei ist.“ Die Freunde hatten Glück. Eine Viertelstunde später saßen sie dicht zusammengepfercht in der Kabine eines der winzigen, schnellen Raketenfahrzeuge und kurvten um den Koloß der „Corona borealis“ herum. Das Schiff, das den Namen eines der schönsten Sternbilder des Himmels, der „Krone des Nordens“ trug, wirkte mit seinen gewaltigen Kugelkabinen so wuchtig und schwerfällig, daß man sich kaum vorstellen konnte, wie seine Massen jemals in Fahrt kommen würden. „Ist der Kahn mit Neutronen-Triebwerken ausgerüstet?“ wollte Frank Wilson wissen. „Soweit ich es aus Teddy Plum, dem Chefingenieur, herausbekommen habe – ja. Übrigens sollen diese Motoren seit unserer Venusfahrt zu noch größerer Leistungsfähigkeit entwickelt worden sein.“ „Komisch“, wunderte sich Hieronymus. „Was sind denn das für seltsame Fühler, die überall aus den Bordwänden herausschauen? Sollen das Antennen sein? Das ganze Schiff sieht ja wie ein Stachelschwein aus. Gib doch mal den Feldstecher rüber, John.“ John Palmer tat ihm den Gefallen. „Das sind keine Antennen, wie du gleich sehen wirst. Es sind – Strahlengeschütze.“ „Strahlenwaffen? Und noch dazu in dieser Menge? Ja, ist die ‚Corona’ denn ein Kriegsschiff?“ John Palmer zuckte die Achseln. „Es ist eines der Geheimnisse, die diese Fahrt mit unbekanntem Ziel umgeben. Was nützt es, da viel zu fragen? Morgen um die gleiche Zeit wissen wir mehr.“ – Der Start der „Corona borealis“ zu ihrer geheimnisvollen Fahrt vollzog sich so unauffällig wie die Abfahrt eines normalen Schnellwagens im Linienverkehr auf der Erde. Am Turm der Station leuchteten farbige Signale auf. Vom Schiff aus antwortete ein Scheinwerfer im Rhythmus der Morsezeichen. 19
Dann stieg eine grünleuchtende Rakete in die Schwärze des Nachthimmels – das Startsignal … Rötliche Flammen schossen aus den Düsen der Hilfsaggregate. Langsam kam der Koloß in Fahrt, nahm Kurs auf einen fernen Punkt im Weltraum. Schneller wurde die „Corona borealis“, von Sekunde zu Sekunde schneller. Bläuliche Flammen zuckten jetzt aus dem Heck. Das Haupttriebwerk war eingeschaltet worden. Das Startmanöver hatte vorbildlich funktioniert. Nach Minuten war das entschwindende Raumschiff bereits zu einem blauweißen Stern zusammengeschrumpft, der langsam unter seinesgleichen dahinzog. Bald war er nur noch in den starken Instrumenten des Observatoriums zu erkennen. An Bord hatte Kapitän Schillinger die Besatzung im großen Gemeinschaftsraum zusammenrufen lassen, sobald das Startmanöver beendet war. Auch Professor Wedekind und sein Assistent Dr. Young waren anwesend. Sie waren im letzten Augenblick an Bord gekommen. „Ich habe euch kommen lassen“, begann der Kommandant, „um euch nun endlich das Ziel unserer Fahrt und den Zweck des Unternehmens mitzuteilen. Einige von euch werden es vielleicht schon vermutet haben. Das Ziel heißt Mars!“ „Hurra!“ brüllten die Männer wie aus einem Munde. „Zum Mars! Zum Mars …“ „Ihr werdet euch wundern, warum wir in so großer Heimlichkeit von ‚Terra VII’ abgefahren sind, warum keiner von euch einen letzten Gruß zur Erde senden durfte. Unser Bordsender hat bisher geschwiegen, und er wird nicht eher in Betrieb genommen, bis wir nach geglückter Unternehmung wieder im Anflug auf die Erde sein werden.“ Kapitän Schillinger holte tief Atem: „Ich persönlich halte nichts von dem ganzen Gerede um Marsbewohner und ihre kriegerischen Absichten. Ich bin überzeugt – und darin weiß ich mich eins mit unserem verehrten Professor –, daß alles seine 20
ganz natürliche, harmlose Bewandtnis hat. Am Ende der großen Reise werden wir, um viele Erkenntnisse reicher, zur Erde zurückkehren und unseren Mitmenschen die Gewißheit bringen, daß all ihre Sorge umsonst gewesen ist. Sollten wir jedoch wider Erwarten auf einen Gegner im Weltall stoßen, dann werden wir uns zu verteidigen wissen. Ich weiß, daß jeder von euch seine Pflicht tun wird.“ * „Im Grunde haben wir das alles schon einmal erlebt. Ich sehe kaum einen Unterschied gegenüber der Venusfahrt.“ Gelangweilt drückte sich Frank Wilson an den Fenstern des Beobachtungsraumes im Bug der „Corona borealis“ herum. „Eine Raumreise ist eben genauso wie die andere: Die Erde wird kleiner und schmilzt zu einem hellen Stern dahin. Der Zielplanet rückt unsagbar langsam heran. Und draußen ist nichts als Schwärze, Leere und tödliches Schweigen …“ „Ganz dasselbe ist es doch nicht“, lachte John Palmer. „Auf unserer letzten Fahrt leuchtete uns das Reiseziel blendend weiß entgegen. Diesmal ist es rot.“ „Wenn das alles ist …“ „Du täuschst dich, Frank. Vieles kommt mir diesmal ganz anders vor. Spürst du denn nicht die verborgene Spannung, die einem auf Schritt und Tritt an Bord begegnet – dieses ständige Lauern auf Gefahren, die urplötzlich von draußen über uns hereinbrechen könnten?“ „Du glaubst also schon ganz fest an die bösen Marsmenschen und ihre schlechten Absichten?“ „Nein, Frank, ich glaube einstweilen gar nichts. Ich versuche nur, Augen und Ohren offenzuhalten und auf der Hut zu sein. Übrigens bin ich nicht der einzige, der so denkt. Der Käpten hat nicht ohne Grund alle Stationen an Bord doppelt besetzen 21
lassen, obwohl wir erst ein Drittel des Reiseweges hinter uns haben.“ – Es war am 51. Tag der Fahrt. Noch vierzehn weitere Tage, und die „Corona borealis“ würde – den Berechnungen der Astronautiker nach – am Mars eintreffen. Wieder befand sich John Palmer auf Wache im Beobachtungsraum. Mit mäßigem Interesse verfolgte er die automatischen Registrierungen der Radiometer. Seine Gedanken waren weit fort … „Herr Leutnant! Der Mars – er spielt verrückt.“ Der Mars? John wurde jäh aus seinen Träumen gerissen. Natürlich – der Mars. „Was ist denn passiert, Lindemann?“ Der Beobachter, der das optische Projektionsgerät bediente, deutete erregt auf den Bildschirm. John erkannte im ersten Moment nichts besonderes. Doch plötzlich fuhr er zusammen. Hastig bediente er die Feineinstellung, wandte sich dann rasch nach dem Kameraden um: „Rufen Sie sofort den Professor, Lindemann.“ Schlaftrunken und sichtlich schlecht gelaunt betrat Professor Wedekind den Raum. „Warum haben Sie mich denn wecken lassen, Palmer? Haben Sie am Ende einen dritten Marsmond entdeckt? Das hätte wohl noch Zeit bis morgen gehabt.“ „Einen Marsmond, Herr Professor? Da – sehen Sie selbst.“ Der Gelehrte wischte seine Brillengläser und starrte, noch immer höchst ungnädig, auf die Projektionsfläche. Das Südpolargebiet des Planeten ragte – von der hochleistungsfähigen Optik herangeholt – weit in das Blickfeld hinein. Hell leuchtete die weiße Polkappe, an ihren Rändern zeichneten sich dunkel die Gebiete ab, die vom Schmelzwasser getränkt waren. Der Professor zeigte mit zitterndem Finger auf eine Stelle in der Nähe des Pols. „Was – ist das …?“ „Es sieht aus wie ein Vulkan“, meinte Dr. Young, der inzwischen auch erschienen war, „ein riesenhafter Vulkan am Südpol, der gewaltige Brocken aus dem Inneren herausschleudert – bis in den Weltraum hinaus …“ 22
„… wo sie sich dann zu Geschwadern formieren“, knurrte Wedekind grimmig. „Hat man sowas schon erlebt?“ Tatsächlich – die blitzenden Punkte, die von dem vermeintlichen Marsvulkan ausgestoßen wurden, hatten sich zu mehreren Formationen geordnet, die jetzt langsam über dem Pol kreisten. „Wahrscheinlich eine Folge des Magnetismus“, unternahm Dr. Young einen schwachen Erklärungsversuch. „Da – jetzt ist es vorbei.“ Die Lichtpunkte waren plötzlich abgeschwenkt und hinter der Krümmung der Planetenoberfläche verschwunden. „Schade, daß wir keinen Film aufgenommen haben. Der Käpten hätte sich sicher sehr für die Geschichte interessiert.“ „Hat er auch“, bestätigte Schillinger, und alle blickten betroffen auf, als sie den düsteren Tonfall in seinen Worten vernahmen. Unbeachtet war der Kommandant zu den anderen getreten. Jetzt starrte er wie abwesend auf das Bild des Mars. „Bitte, Doc, ändern Sie die Einstellung ein wenig. Was ist denn nur mit dem breiten Kanal los, der nordwärts durch Hellas verläuft?“ „Durch Hellas? Der war doch gestern noch gar nicht da.“ „Die Südhalbkugel des Planeten hat jetzt Frühling“, erklärte Professor Wedekind. „In dieser Jahreszeit strömt das Schmelzwasser vom Pol aus nordwärts nach dem Äquator zu. Es ist durchaus möglich, daß der Anblick des Kanalsystems, dessen wahre Natur man übrigens noch immer nicht kennt, sich von heute auf morgen vollkommen ändert.“ Dr. Young hatte das Instrument inzwischen auf eine Gegend in den mittleren südlichen Breiten des Mars eingestellt und die stärkste Vergrößerung gewählt. Eine rötlichgelbe, verschwommene Fläche breitete sich vor den Augen der Beobachter aus. Dunkel, aber ebenfalls verschwommen, zog eine gerade Linie diagonal durch das Bild. 23
„Da haben wir ja den Kanal. Hallo – da bewegt sich doch was! Bitte, Doktor, noch etwas schärfer.“ Für den Bruchteil einer Sekunde hatte es so ausgesehen, als ob ein scharfbegrenzter Schatten quer über den Kanal hinwegzöge. Eine Wolke? Der Schatten eines Mondes – oder womöglich ein Raumfahrzeug? „Ich bekomme kein vernünftiges Bild mehr“, rief Dr. Young ärgerlich. „Die ganze Umgebung des Kanals ist plötzlich unscharf geworden. Ob vielleicht ein Sandsturm …“ „Da!“ Kapitän Schillinger wies mit ausgestreckter Hand auf den Bildschirm. „Links vom Kanal, an seinem nördlichen Ende – wenn das kein künstliches Lichtsignal ist …“ Atemlos betrachteten die Männer die seltsamen Leuchtzeichen, die gestochen scharf aus dem gelblichen Einerlei der Marsoberfläche hervortraten. Professor Wedekind faßte sich zuerst. „Machen Sie eine Aufnahme, Mister Young, und bringen Sie sie nachher in meine Kabine.“ * Der Zufall wollte es, daß John Palmer allein auf Wache im Schaltraum war, und daß die Sprechfunkverbindung zum Führerstand eingeschaltet war, als Professor Wedekind eine Stunde später aufgeregt auf Kapitän Schillinger zugestürzt kam. So wurde er Ohrenzeuge eines Gesprächs, das eigentlich für niemand an Bord bestimmt war, mit Ausnahme der beiden unmittelbar Beteiligten. „Ich glaube, Käpten, wir kennen die Bedeutung der Signale.“ Schillinger grunzte mißmutig. Deutlich gab es der Lautsprecher wieder. John konnte sich das Gesicht des Kommandanten in diesem Augenblick genau vorstellen. „Sie sind also fest davon überzeugt, daß es sich bei den Leuchterscheinungen um künstliche Signale handelt?“ 24
„Allerdings, Käpten. Die geometrische Genauigkeit der Zeichen läßt keine andere Deutung zu. Die Schwierigkeit liegt nur darin, ihren wahren Sinn zu deuten.“ „Und für wen soll diese Botschaft – Ihrer Meinung nach – wohl bestimmt sein?“ „Für uns, Käpten. Es kann keinen Zweifel mehr geben: Es gibt tatsächlich intelligente Lebewesen auf Mars, und sie haben unseren Anflug entdeckt.“ „Hm – gesetzt den Fall, es wäre so: Was bedeuten die Zeichen dann? Will man uns auf diese originelle Art willkommen heißen?“ „Ganz im Gegenteil, Käpten. Die Zeichen drücken eine Warnung aus. Ich habe mich mit Dr. Young lange über ihre Bedeutung gestritten …“ „Warum haben Sie nicht das berühmte ‚Wörterbuch der interplanetarischen Bilderschrift’ zu Rate gezogen?“ John hörte von seinem Standort im Heck des Schiffes aus, wie der Professor trotz seiner Aufgeregtheit belustigt lachte. „Sie vergessen, Käpten, daß dieses Wörterbuch auf der Erde erdacht wurde. Die Bilderschrift der Marsianer verwendet natürlich Zeichen, die auf Mars entstanden sind und der fremden Welt dieses Planeten entsprungen sind. Immerhin – wir fanden einige Anhaltspunkte,.,“ „Die Botschaft, Professor! So rücken Sie doch schon damit heraus!“ John hörte ein Räuspern und das Knistern von Papier. Dann wieder die Stimme Professor Wedekinds: „Ich will Sie nicht mit der Erklärung der einzelnen Bildzeichen langweilen, Käpten. Die Nachricht lautet – in unsere Umgangssprache übertragen – ungefähr folgendermaßen: ,Die Regierung des Planeten Mars an den Befehlshaber des fremden Raumschiffes: Wir warnen Sie vor einer Fortsetzung Ihrer Fahrt. Kehren Sie sofort zum Ausgangspunkt Ihrer Reise 25
zurück. Sobald Sie die Grenzen des äußeren Verteidigungsringes überschreiten, wird Ihr Schiff der Vernichtung anheimfallen.’“ Sekundenlang herrschte Schweigen. John vernahm nichts, als das schwere Atmen der beiden Männer. Dann hörte er den Kapitän rauh auflachen. „Das ist doch blühender Unsinn, Professor. Ich bewundere Ihre Phantasie.“ „Wenn Sie es nicht ernst nehmen wollen, kann ich Sie nicht dazu zwingen, Käpten. Bedenken Sie aber bitte, daß auch Dr. Young zum gleichen Ergebnis gekommen ist. Wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen jetzt die Zeichen im einzelnen erläutern. Ich habe die Aufnahme mitgebracht.“ Die nächsten Minuten stellten Johns Wißbegier auf eine harte Probe. Er konnte der halblaut geführten Unterhaltung der beiden Männer im Führerraum nicht folgen. Schließlich ließ sich Schillinger wieder vernehmen: „Sie dürften recht haben, Professor. Das nenne ich einen Warnungsschuß vor den Bug. Unklar bleibt lediglich, was diese Marswesen mit dem ‚äußeren Verteidigungsring’ meinen.“ „Vermutlich ein militärischer Begriff von ‚lokaler’ Bedeutung. Was gedenken Sie nun zu tun, Käpten?“ Wieder vernahm John für längere Zeit kein Wort. Nur die schweren Schritte des Kommandanten klangen – durch die Lautsprecheranlage blechern verzerrt – an sein Ohr. „Ich könnte die Warnung befolgen“, sagte Schillinger schließlich langsam, „und sofort auf Gegenkurs gehen. Aber hätte ich dann meinen Auftrag restlos erfüllt? Der U.N.T.-Regierung ist wenig gedient, wenn sie weiß, daß der Erde Gefahr vom Mars droht. Wir müssen ihr ganz genau sagen können, worin die Gefahr besteht, wie stark die Marsianer gerüstet sind, und was Sie überhaupt planen.“ „Das heißt, Sie wollen die Fahrt fortsetzen, Käpten?“ 26
„Allerdings, Professor. Es bleibt beim befohlenen Kurs. Im übrigen – ich erwarte sowohl von Ihnen selbst, wie von Ihrem Assistenten, daß Sie über die Botschaft vom Mars der Mannschaft gegenüber unbedingtes Stillschweigen bewahren.“ * Die nächsten Tage vergingen für John Palmer wie in einer Art Wachtraum. Er tat seinen Dienst, wie auch sonst zu jeder Zeit, mit schlafwandlerischer Sicherheit. Aber seine Gedanken waren nicht bei der Sache. Eine Stimme klang unaufhörlich in ihm – sie wollte ihn warnen vor einer unbekannten, aber furchtbaren Gefahr. Je näher der Zielplanet heranrückte, desto deutlicher wurde die Stimme. Plötzlich spürte er, daß es Stella war, die ihn rief – über viele Millionen Meilen hinweg … John wußte, daß die „Corona borealis“ einem drohenden Verhängnis entgegeneilte. Die innere Stimme hätte es ihm auch dann gesagt, wenn er nicht zufällig das Gespräch zwischen Schillinger und dem Professor mitgehört hätte. Was konnte er tun, um der Gefahr zu begegnen? Hätte er nicht wenigstens Frank und Reddy einweihen müssen, damit sie wußten, was ihnen bevorstand? Doch der Kapitän hatte den Befehl zum Schweigen gegeben, und was für die Wissenschaftler der Expedition galt, war selbstverständlich für ihn, als Schiffsoffizier, erst recht verpflichtend. Unversehens sollte John der Entscheidung enthoben und aus allen nutzlosen Gedanken gerissen werden. Es war am Morgen des drittletzten Reisetages. Die „Corona borealis“ hatte ihre Fahrtgeschwindigkeit schon stark vermindert. Riesengroß und drohend leuchtete Mars, der „Kriegsplanet“, in Fahrtrichtung. Schon mit bloßem Auge konnte man die gröbsten Einzelheiten auf seiner Oberfläche erkennen: die Gestalt und Farbe seiner Landschaften, die weiße Kappe des Südpols, die bereits stark 27
zusammengeschmolzen war, das Netzwerk der Kanäle und hier und da einige Wolkenfelder in der dünnen Atmosphäre des Planeten. John hatte Wache im Führerraum und stand neben dem Kommandanten, der gespannt die Skalen der Instrumente verglich. Plötzlich trat Professor Wedekind ein. „Ich verstehe das nicht, Käpten. Seit Tagen schon haben wir keinen anständigen Film mehr aufnehmen können. Trotz sorgfältiger Abschirmung ist unser gesamtes fotografisches Material irgendeiner unbekannten Strahlung zum Opfer gefallen. Auch mit der visuellen Beobachtung ist es Essig. Sehen Sie sich doch nur mal diesen verdammten Planeten an.“ Unwillig über die Störung, warf Kapitän Schillinger nur einen flüchtigen Blick durchs Backbordfenster. Doch was er hier zu sehen bekam, ließ ihn augenblicklich alles andere vergessen. „Teufel noch mal – was ist denn da passiert? Haben Sie eine Erklärung für diese Erscheinung, Professor?“ John Palmer, der schnell ebenfalls ans Fenster trat, bemerkte den bedeutungsvollen Blick, das vielsagende Achselzucken, mit dem Professor Wedekind auf die Frage reagierte. Neugierig schaute John hinaus … Die riesige, rötliche Kugel des Planeten schien jegliche Form verloren zu haben. Ihre Ränder waren verwaschen. Dort, wo kurz zuvor noch gelbe und bläulichgrüne Gebiete zu sehen gewesen waren, lagerte nur noch ein verwaschener Dunst, der seltsam fluoreszierte. „Was ist mit Mars los?“ fragte Schillinger wieder. „Löst sich am Ende der ganze Planet in Wohlgefallen auf?“ „Es kam ganz plötzlich“, erklärte der Professor. „Es war, als verschwände die Planetenoberfläche unter einem milchigen Dunst.“ „Hahaha“, lachte der Kommandant, aber seine Heiterkeit wirkte nicht echt. „Die Herren Marsianer tarnen sich. Sie wollen sich von uns nicht in die Karten gucken lassen.“ 28
Der Anblick des unendlichen Lichtermeeres der fernen Fixsterne verwirrte ihn, doch plötzlich hefteten sich seine Augen an eine kleine Gruppe heller Sterne, die ihren Ort unter den anderen rasch veränderte. „Herr Kapitän! Unbekannte Objekte steuerbord voraus!“ Schillinger stürzte herbei. Im nächsten Augenblick stand er bereits vor dem Schaltbrett, das seitlich neben dem Kommandostand angebracht war. Seine Hände glitten über Hebel, Tasten und Druckkontakte. Die Räume und Gänge der „Corona borealis“ hallten wider vom Jaulen der Alarmsirenen, vom Schrillen der Klingelsignale, von lauten Kommandos und von den schweren Schritten der Besatzung, die auf ihre Gefechtsstationen eilte. Denn die Signale, die von den Klingeln gegeben wurden, die zugleich in Gestalt roter Lampen überall an den Wänden flackerten – sie hatten eine Bedeutung, die jedermann an Bord sofort begriff: „Klar Schiff zum Gefecht!“ Die Männer, die mit raschen Griffen ihre schweren Weltraumkombinationen anlegten und sich die Gurte mit den Rückstoßgeräten, den Sauerstoff-Flaschen und den Strahlenpistolen umschnallten, fühlten instinktiv: Diesmal handelte es sich nicht um irgendein Manöver, mit dem der Kommandant ein wenig Abwechslung in den öden Dienstbetrieb zu bringen hoffte. Diesmal war es blutiger Ernst … Doch wer auch der Gegner sein mochte, die Raumfahrer der „Corona“ dachten gar nicht daran, sich aus der Fassung bringen zu lassen. Sie würden ihre Pflicht tun, ganz gleich, ob daheim oder in den Tiefen des Weltraums. Der Führerraum wirkte wie der Gefechtsstand eines Kriegsschiffes bei Beginn der Schlacht. Sämtliche Posten waren inzwischen besetzt worden. Aus dem Lautsprecher klangen die Klarmeldungen der einzelnen Abteilungen und Einsatzgruppen. 29
„Schaltraum – Chefingenieur Plum und neun Mann – alles klar.“ „Hier Schleusenkammer D – Fähnrich Wilson mit Einsatzgruppen III und IV – Landungsraketen sind startklar.“ „Bugbatterie – sämtliche Strahlengeschütze klar. Erwarten Feuerbefehl.“ Mit gespanntem Ausdruck blickte Kapitän Schillinger auf die rosettenförmig angeordneten Bildschirme der Fernsehempfänger. „Scheinwerfer einschalten!“ befahl er. Im grellen Licht der starken Scheinwerfer leuchtete draußen im Raum der riesige, abenteuerlich gestaltete Rumpf eines fremdartigen Weltraumschiffs auf. Die suchenden Geisterfinger fingen ein zweites Schiff ein, ein drittes und viertes. Drüben blitzte es bös und grünlich auf. „Der Gegner eröffnet das Feuer“, meldete John Palmer so ruhig, wie es sein wild klopfendes Herz zuließ. Kapitän Schillinger gab dem Steuermann eine Kursänderung an. Er drehte sich nach Wedekind um, der sich – wachsbleich im Gesicht – an der Wand herumdrückte. „Ich rufe Sie zum Zeugen auf, Professor, daß ich nicht die Absicht hatte, mich mit den Marsianern herumzuschießen. Aber jetzt handele ich in Notwehr.“ Er hob das Mikrophon an die Lippen. „Steuerbordbatterien Anton und Berta – Schnellfeuer!“ „Schnellfeuer!“ dröhnte der Befehl der Batteriechefs aus dem Lautsprecher. Mit rasender Gewalt schleuderten die Strahlengeschütze der „Corona borealis“ ihre tödlichen Garben den Angreifern entgegen. Einer der Kolosse, offenbar das Flagschiff, glühte am Bug auf. In Sekundenschnelle griff das vernichtende Atomfeuer auf das ganze Schiff über. Eine furchtbare Detonation zerblies das Marsschiff zu Staub. Aus den Lautsprechern donnerte der Jubel der erfolgreichen Kanoniere. 30
„Gut gemacht, Jungens“, lobte Schillinger. „Der ist hinüber. Möchte wetten, daß er bei seiner Explosion noch zwei oder drei von den anderen mitgerissen hat.“ Der Kommandant schien richtig vermutet zu haben, denn das feindliche Feuer ließ spürbar nach. Einige Abteilungen meldeten leichte Treffer, die sofort provisorisch abgedichtet wurden. Im Schiffslazarett legte Dr. Smith einem verletzten Maschinisten einen Notverband an. „Sie geben es auf, Käpten. Sie hissen die weiße Fahne.“ Tatsächlich – John glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Da trieb aus der Schwärze des Raumes ein Fahrzeug der Marsianer heran – ohne Antrieb und offensichtlich im Begriff, sich der „Corona borealis“ zu ergeben. Die Waffen des Schiffes waren in den Raum hinaus gerichtet, die Schleusentüren standen weit offen, steuerbord hing eine weiße Flagge heraus. Hinter den Fenstern erkannte man Gestalten, die lebhaft mit den Armen winkten. „Das ist ja besser verlaufen, als ich befürchtet hatte“, atmete Schillinger auf. „Palmer, stellen Sie ein Prisenkommando zusammen und fahren Sie mit dem Landungsboot hinüber. Nehmen Sie Professor Wedekind mit. Er wird Ihnen die Verständigung mit den Marsleuten erleichtern.“ Froh über den glücklichen Ausgang des Kampfes und voller Unternehmungslust eilte John davon. Vor der Luftschleuse D stieß er auf Frank und Hieronymus. „Los, Jungens, macht die Rak III fertig und laßt eure Einsatztruppe an Bord gehen. Wir fahren zu dem prächtigen Marskahn hinüber, der eben beigedreht hat.“ Die Raumfahrer schlossen die Kunstglashelme und ließen sich ausschleusen. Draußen schwebte bereits das schlanke Landungsfahrzeug in geringem Abstand von der „Corona“. Schnell kletterten die Männer an Bord. John setzte sich ans Steuer und schnallte sich fest. 31
„Heckmotor – Achtung – Feuer!“ Wie ein Pfeil von der Sehne schnellte die Rak III in den Raum hinaus. John Palmer durchfuhr eine weite Kurve und näherte sich dann wieder dem gegnerischen Schiff. „Eine tolle Maschine“, staunte Frank. „Wer weiß, was für technische Wunder wir an Bord vorfinden werden.“ „Wenn wir nur keine anderen Wunder erleben“, unkte der rothaarige Hieronymus. „Mir kommt dieses Schiff absolut nicht geheuer vor. Seht doch: Sie schließen die Schleusentüren!“ „Thunderstorm! Sie werden doch nicht etwa …“ John Palmer kam nicht weiter. Der Richtungsschuß, den er instinktiv ausgelöst hatte, drückte die Landungsrakete mit einem furchtbaren Ruck aus ihrer Bahn. Die Insassen der engen Kabine ächzten und fluchten. Aber sie kamen wenigsten mit dem Leben davon … Denn plötzlich hatten die Geschütze auf der Backbordseite des Marsschiffes eine rasche Schwenkung – wie von unsichtbarer Hand gelenkt – ausgeführt. Haarscharf fuhr der Geschoßhagel an der Rak III vorbei. Ohne Johns gedankenschnelles Ausweichmanöver wäre das Fahrzeug wie ein Sieb durchlöchert worden. „Diese Schufte!“ schrie Frank Wilson. „Sie haben uns in die Falle locken wollen.“ John war noch restlos damit beschäftigt, seine außer Rand und Band geratene Landungsrakete in eine vernünftige Bahn zurückzuzwingen, als hinter ihm der Schrei eines Kameraden gellte. „Die ‚Corona’! Sie ist getroffen!“ Das irdische Raumschiff war arg mitgenommen. Riesige Lecks klafften mittschiffs und achtern in den Kugelkabinen. Aus dem Heck entströmten die Treibstoffe in dichten Dampfwolken. Im Vorschiff loderten Brände hinter den Fenstern. Langsam rotierte das Raumschiff um seine Querachse, als überschlüge es sich unausgesetzt. 32
„Die ‚Corona’ ist verloren!“ stieß John erschrocken hervor. „Sie kann jeden Augenblick explodieren.“ „Sie wehren sich noch“, rief Frank. „Backbordbatterie Cäsar feuert noch. Gib Gas, John! Wir müssen ihnen helfen.“ „Die Treibstoffe sind fast erschöpft, John.“ Beim Klang der besorgten Stimme Hieronymus Brosamers fuhr John zusammen. Die Treibstoffe – Teufel noch mal! Diese Landungsraketen hatten nur Vorräte für begrenzte Manöver an Bord, und er kurvte nun schon eine ganze Weile mit der Rak III im freien Raum umher. Höchste Zeit, zu landen, wenn er es nicht riskieren wollte, wie ein Stein auf Mars abzustürzen … „Klar zum Landungsmanöver!“ kommandierte John und griff in die Steuerung. * Am Sitz der Weltregierung in Terratown tagte seit den frühen Morgenstunden eine Geheimkonferenz. Um 4.23 Uhr Neuer Weltzeit hatte ein dringender Funkspruch von Station „Terra III“ den Präsidenten der U.N.T. aus den Federn gejagt. „Verbindung mit der ‚Corona borealis’“, hatte der Funker gemeldet „Bleiben Sie bitte am Apparat Sir. Wir kommen sofort wieder.“ Hastig hatte Juan Ferreira sich angekleidet. Nervös rannte er auf und ab, zündete eine Zigarette an der anderen an und warf die halbgerauchte achtlos ins Waschbecken. Die „Corona“ hatte sich gemeldet … Wie oft waren die Gedanken des Präsidenten in den letzten Tagen bei Kapitän Schillinger und seinen wackeren Männern gewesen. Wenn alles klar gegangen war, mußte das Schiff sein Reiseziel jetzt erreicht haben. Doch was hatte dieser Anruf zu bedeuten? Es war ausdrücklich vereinbart worden, daß Schillinger keine Funksprüche von unterwegs senden sollte. Zu leicht hätte die Nachricht von der geheimen Marsexpedition durch eine Indiskretion an die Öf33
fentlichkeit gelangen und zu den wildesten Gerüchten Anlaß geben können. Erleichtert und erwartungsvoll nahm er den Hörer ab, als das weiße Telefon auf dem Nachttisch abermals klingelte. „Hallo, Funkstelle – was hat uns Schillinger zu berichten?“ „Herr Präsident“ – die Stimme am anderen Ende klang irgendwie verklemmt – „die Verbindung mit der ‚Corona’ ist plötzlich abgerissen. Ich fürchte …“ Juan Ferreira fühlte eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen. „Was fürchten Sie? So reden Sie doch, Mann. Wollen Sie mir Schillingers Funkspruch nicht gefälligst vorlesen?“ „Selbstverständlich, Sir, nur – vielleicht wäre es besser, wenn ich ihn nicht telefonisch weitergäbe. Es könnte zu leicht jemand mithören. Ich schicke sofort einen Boten.“ Zehn Minuten später hielt der U.N.T.-Präsident den Text der Meldung in der Hand. Und von diesem Augenblick an, hatte er ihren Wortlaut unzählige Male überflogen, immer und immer wieder. Auch Generalmajor Titus A. Shakleton und Direktor Dannenberg kannten ihn bereits auswendig … Die verstümmelte Meldung, die man auf „Terra III“ von Bord der ‚Corona borealis’ aufgefangen hatte, war kurz und aufschlußreich: „… Mars nach 73 Tagen planmäßig erreicht – wurden überraschend angegriffen – Angriff abgewehrt …ndliches Raumschiff kapituliert … uns unter weißer Flagge angegriffen – schwere Treffer – Mannschaftsverluste … kämpfen bis zuletzt – warnen Erde und Menschheit vor …“ „An der Echtheit der Meldung kann kein Zweifel bestehen?“ fragte der Kommandeur des Weltsicherheitsdienstes. Direktor Dannenberg nahm dem Präsidenten die Antwort ab. „Leider nicht. Der ganze fragliche Raumsektor war während der letzten 24 Stunden völlig frei von anderen Raumfahrzeugen. Auch haben die Beobachtungsinstrumente auf ‚Terra III’ eine rege Aktivität der unidentifizierten Objekte in der 34
Nachbarschaft des Mars registriert. Die Beobachtungen lassen sich mit Schillingers Bericht gut in Einklang bringen, wenn man die rätselhaften Objekte als Raumschiffe der Marsianer deutet.“ „Diese feigen Schurken“, knirschte Shakleton grimmig. „Wir werden es ihnen heimzahlen.“ „Und wie stellen Sie sich das vor?“ fragte der Präsident bedrückt. „In diesem ‚Krieg der Welten’ sind wir von vornherein die Schwächeren.“ „Sie rechnen also bestimmt mit einer Invasion der Marsianer?“ Direktor Dannenberg fragte es mit unsicherer Stimme. Seine Rechte glitt mit fahrigen Bewegungen über die Tischplatte. Präsident Ferreira erhob sich. „Ich zweifle nicht mehr daran. Welche Möglichkeiten der Abwehr haben wir, Herr General?“ „Praktisch so gut wie gar keine. Wir könnten alles, was an Raumfahrzeugen im Bereich zwischen Erde und Mond existiert, mit Strahlengeschützen ausrüsten und sämtliche Raumstationen in Festungen verwandeln. Doch was würde es nützen? Ein Gegner, der mit überlegenen Kräften aus dem Weltall käme, könnte die Sperre im Nu durchbrechen und seine Atombombenlast an sämtlichen Schlüsselpunkten unseres Planeten abladen. – Hallo, Gentlemen, was ist denn das für ein Lärm da draußen? Sind die Marsianer am Ende schon in Terratown gelandet?“ Ein junger Offizier kam, vom Privatsekretär des Präsidenten geleitet, auf den Balkon gestürzt „In der Stadt sind Unruhen ausgebrochen, Herr Präsident. Die Bevölkerung rottet sich auf allen Plätzen zusammen. Es sind Nachrichten im Umlauf, wonach uns ein Angriff der Marsbewohner bevorstände. Vielleicht wäre es Ihnen möglich, durch ein paar beruhigende Worte einer allgemeinen Panik zu begegnen?“ Juan Ferreiras Gestalt straffte sich. Er trat an die Brüstung und winkte mit beiden Armen. In der Tiefe wurden die Massen aufmerksam. Das Geschrei wich einer fast atemlosen Stille. 35
Der Sekretär hielt Ferreira ein Mikrophon an die Lippen. Und der Präsident sprach. „Laßt euch doch nur nicht ins Bockshorn jagen. Wer spricht denn hier von Marsmenschen? Habt ihr schon mal einen gesehen? Na also, ich nämlich auch nicht. Und wenn es wirklich welche gäbe, dann hätten sie keine Gelegenheit, uns etwas zu tun. Zwischen Mars und Erde liegen nämlich selbst im günstigsten Fall noch runde 57 Millionen Kilometer. Die wollen erst mal abgelaufen sein …“ Von unten klangen Beifall und Lachen herauf. Erleichtert stellte Juan Ferreira fest, daß er den richtigen Ton gefunden hatte. * „Wenn ich nur ungefähr sagen könnte, wo wir uns überhaupt befinden“, rief John Palmer ärgerlich. „Frank – was machen die Radarpeilungen?“ „15 000 Meter Bodendistanz, weiter fallend. Verdammter Nebel! Nur gut, daß es auf Mars keine Berge gibt, die uns unversehens ins Gehege kommen könnten.“ „Trotzdem möchte ich es nicht auf eine Blindlandung ankommen lassen. Schalte mal die Infrarot-Optik ein, Reddy. Die Distanz, Frank?“ „10 400 Meter. Schau, der Nebel lichtet sich.“ Es war schier unglaublich: Wo eben noch ein trüber, undurchsichtiger Dunst gewabert hatte, herrschte im nächsten Augenblick eine fast kristallene Klarheit. Gestochen scharf glitt die Marsoberfläche unter der Landungsrakete vorbei. „Hu – nichts als Gegend“, stöhnte Frank Wilson. „Wo willst du landen, John? Wir sind bereits auf 5000 herunter.“ John deutete mit einer Kopfbewegung auf die weite, rötliche Wüstenlandschaft, die sie gerade überflogen. „Wir haben nicht 36
mehr viel Zeit, uns den schönsten Landeplatz auszusuchen. Der Sprit ist alle. Haltet euch fest, Jungens, ich gebe Bremsschüsse.“ Abgestoppt durch die Kraft der Bremsdüsen, verlor das Fahrzeug rasch an Geschwindigkeit und Höhe. In langgestrecktem Gleitflug näherte es sich dem Wüstenboden. „Leutnant, ich glaube, da drüben liegt ’ne Stadt“, rief einer der Raumfahrer aufgeregt. John Palmer wandte für einen Augenblick den Kopf zur Seite. Eine Ansammlung von zerfallenen Gebäuden, halb im roten Sand versunken, verwehte Straßenzüge, die Ruine eines Turmes … Aber weit und breit kein lebendes Wesen, nicht das geringste Anzeichen dafür, daß diese Niederlassung im Wüstensand in letzter Zeit bewohnt gewesen wäre. „Das war mal eine Stadt, Hopkins. Muß aber schon lange her gewesen sein.“ „Und diese seltsamen Felder, auf der anderen Seite, Herr Leutnant?“ „Möchte wetten, daß es dereinst Plantagen gewesen sind. Man erkennt noch die zerstörten Bewässerungsgräben und einzelne verdorrte Bäume. Auch da wird bestimmt nichts mehr zu holen sein. Gebt jetzt acht – wir landen.“ John Palmer setzte die Rakete so geschickt auf, daß es ihm auf der Erde die Anerkennung jedes Piloten eingebracht hätte. Hier, auf Mars, blieb der Versuch jedoch eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Schwerkraft, Luftkräfte und Bodenbeschaffenheit machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Das Landungsfahrzeug überschlug sich ein-, zweimal und blieb auf dem Rücken liegen. Fluchend und stöhnend befreiten sich die Männer aus den Haltegurten. Plötzlich gellte ein Schrei durch die enge Kabine: „Feuer! Es brennt im Frachtraum.“ „Frank und Reddy, kommt mit nach hinten! Alle anderen – raus mit euch!“ 37
Unsanft kämpfte sich John nach achtern durch. Als er die verklemmte Schiebetür aufriß, quoll ihm dicker Qualm entgegen. „Die Feuerlöschanlage, Frank!“ Doch der erwartete Sprühregen aus den Düsen der Anlage blieb aus. Nichts regte sich, wahrscheinlich war der Tank beim Aufprall leck geworden. „Wir wollen versuchen, mit Sand zu löschen. Los, Jungens, strengt euch gefälligst etwas an!“ Schwer keuchend in der dünnen Luft des fremden Planeten, schufteten die Raumfahrer aus Leibeskräften. Obwohl eine schneidende Kälte herrschte, waren sie bald in Schweiß gebadet. „Nur gut, daß die Anziehungskraft so niedrig ist“, meinte Frank Wilson und wischte sich mit dem Handrücken über die nasse Stirn. „Sonst hätten wir’s noch viel schwerer.“ Sie hatten die Rundfenster des Laderaumes eingeschlagen. Drei Männer schaufelten draußen den feinen, roten Sand in Falteimer und reichten sie der Löschmannschaft hinein. Aber es zeigte sich bald, daß alle Mühe umsonst war. John Palmer gab ein Pfeifsignal. „Alle Mann raus! Die Treibstoffreste können jeden Moment hochgehen. Beeilt euch!“ Die Männer verließen das umgestürzte Fahrzeug fluchtartig. Jeder riß noch irgendeinen Gegenstand an sich, der ihm gerade zwischen die Finger geriet. Plötzlich bemerkten sie, wie John Palmer auf das brennende Wrack zutrat. Er löste die Strahlenpistole aus dem Gurt und schleuderte sie in die Glut. Zu spät fiel ihm Frank in den Arm. „Bist du verrückt geworden, John? Die wertvolle Waffe! Wir sind ja völlig wehrlos ohne unsere Strahlenpistolen..,“ „Das sind wir sowieso. Oder bildest du dir im Ernst ein, wir paar Mann könnten so eine Art Privatkrieg gegen die Marsianer führen? Eine Macht, die über ganze Raumschiffgeschwader verfügt, braucht sich vor uns nicht zu fürchten.“ 38
„Gewiß, aber das ist doch kein Grund dafür, schon jetzt ‚die Flinte ins Korn zu werfen’.“ „Ich will einzig und allein vermeiden, Frank, daß die Marsianer in den Besitz unserer Strahlenwaffen kommen. Sie verfügen über Schießgewehre und Kanonen aller Art, haben Raketen und H-Bomben in jeder Ausfertigung, aber eins kennen sie offenbar nicht: die irdischen Strahlenwaffen.“ „Der Leutnant hat recht“, pflichtete ihm Hopkins bei. „Hätten die Marsmenschen während des Kampfes Strahlengeschütze eingesetzt, dann wären wir alle hinüber.“ „Unsere paar Pistolen machen sie natürlich nicht reich“, sagte John. „Aber es ist auch nicht gerade nötig, daß sie den Mechanismus kennenlernen und die Dinger nachbauen, um sie später zu allerhand grobem Unfug zu verwenden. Werft Pistolen und Munition ins Feuer, Leute. Für den äußersten Notfall bleiben euch immer noch Colts und andere Waffen.“ Einer nach dem anderen traten die zehn Mann, die außer John an Bord der Landungsrakete gewesen waren, hinzu und warfen ihre Strahlenwaffen in die Glut. Als der letzte sich seiner Bürde entledigt hatte, zerriß eine dumpfe Explosion das Heck des Fahrzeugs. Eine schwere Wolke von Qualm und Staub stieg in den glasklaren Himmel. „Das wird sie bald herbeilocken“, meinte John mit einem Blick auf den quirlenden Rauchpilz. Frank Wilson zuckte die Achseln. „Wer weiß – vielleicht sind sie auch gerade anderweitig beschäftigt und denken längst nicht mehr an uns. Ich habe einen elenden Durst nach dieser verdammten Löscharbeit. Komm, John, laß uns aufbrechen. Vielleicht haben wir Glück und finden irgendwo Wasser.“ John Palmer gab den Abmarschbefehl und ließ seine Männer mit weitem Abstand ausschwärmen. Ungefähr eine Stunde lang stampften sie durch den endlosen Wüstensand. Soweit der Blick reichte, war nichts zu sehen, das an die bescheidenste 39
Vegetation, ganz zu schweigen von einer Ansiedlung, hingedeutet hätte. Der Abend nahte. Heller traten die Sterne am Himmel hervor. Am Westhorizont stieg Phobos, einer der beiden Marsmonde, empor und begann, seinen raschen Weg unter den Sternen zu durchlaufen. „Wasser …“ Verzweifelt quälte sich der Ruf aus den vertrockneten Kehlen der erschöpften Männer. Ihr Gehen war längst nur noch ein Taumeln. Immer wieder mußte John den einen oder anderen Kameraden hochreißen, der kraft- und willenlos in den Sand gesunken war. „Wasser!“ Der gellende Aufschrei eines jungen Raumfahrers zuckte wie ein elektrischer Schlag durch die torkelnden Gestalten. Im Augenblick schien alle Lethargie überwunden. Alle drängten auf die Stelle zu, die der Kamerad ihnen mit weit ausgestrecktem Arm wies. Sekunden später umdrängten sie die Wasserstelle und labten sich in langen, gierigen Zügen. Das Wasser war kalt und ohne jeden Beigeschmack. Erst als sie sich sattgetrunken hatten, schenkten sie der Umgebung mehr Aufmerksamkeit. „Das nenne ich eine ulkige Oase“, wunderte sich Frank Wilson. Auch John ließ die Blicke erstaunt umherwandern. Das kreisrunde Wasserloch, das sauber eingefaßt und zementiert war, lag in der Mitte einer ebenfalls runden Dünengruppe, die den Platz rings umschloß. Von außen gesehen hatte sie sich kaum von der Umgebung abgehoben. Drinnen jedoch waren bunkerähnliche Öffnungen in den Hügeln zu erkennen. An einer Stelle ragte – kaum erkennbar – ein Antennenmast aus durchsichtigem Material aus dem Boden. „Scheint ein regelrechtes Fort zu sein, John. Anscheinend verlassen.“ „Das glaube ich nicht, Frank“ John Palmer verspürte plötzlich 40
ein unbehagliches Gefühl. Langsam drehte er sich um und – blickte direkt in die Mündung eines ausgewachsenen Maschinengewehrs, das aus einer der Öffnungen hervorschaute. Auf den Dünen wurde es lebendig. Als hätte der Boden sie ausgespien, wimmelten plötzlich überall die Gestalten der Marsianer herum. Schweigend richteten sie ihre Waffen auf die Raumfahrer. Der Anführer rief einen Befehl – in einer unverständlichen Sprache, die reich an O- und U-Lauten zu sein schien. Instinktiv, wie sie es in einer ähnlichen Lage auch auf der Erde getan hätten, hoben die Raumfahrer die Hände. * Die ersten Tage nach der Gefangennahme waren für die irdischen Raumfahrer alles andere als angenehm. Wohl fehlte ihnen äußerlich nicht viel. Man hatte sie in einem bequem eingerichteten, unter der Marsoberfläche gelegenen, Bauwerk untergebracht und versorgte sie reichlich mit Speise und Trank, wenn die Erdenmenschen auch den chemischen Erzeugnissen der Marsküche ein begreifliches Mißtrauen entgegenbrachten. Aber die Verhöre, denen sie sich mit kurzen Unterbrechungen ausgesetzt sahen, gingen ihnen allmählich auf die Nerven. John Palmer hatte seinen Männern noch auf dem Transport wohlweislich eingeprägt, was sie sagen durften, und was nicht. Glücklicherweise waren sie samt und sonders leidlich helle Köpfe, und so gelang es den Marsoffizieren, die sie nach allen Regeln der Kunst auszuquetschen versuchten, nicht, Nennenswertes aus ihnen herauszubekommen. Fühlte sich einer der Raumfahrer in die Enge getrieben, dann war es für ihn nicht schwer, sich hinter „sprachlichen Schwierigkeiten“ zu verbergen. Tatsächlich waren diese Schwierigkeiten nur gering. Für 41
zwei Völkerschaften, die beide auf einer technisch hohen Stufe standen, gab es genügend Anknüpfungspunkte, um die Sprache des anderen rasch zu erlernen. Besonders die Marsianer erwiesen sich als außergewöhnlich begabt in dieser Kunst. „Warum seid ihr zum Mars gekommen?“ Das war immer die erste Frage, die den Raumfahrern in den Verhören gestellt wurde. Die Antwort kam jedesmal prompt und klar: „Aus rein wissenschaftlichem Interesse.“ „Das ist nicht wahr. Ihr wolltet uns ausspionieren.“ „Warum denn nur? Wir ahnten doch gar nichts von eurer Existenz.“ „Warum habt ihr unseren Befehl zur Umkehr nicht befolgt?“ „Einen Befehl zur Umkehr? Wir haben keinen bekommen. – Oh, meint ihr etwa diese komischen Leuchterscheinungen? Wir hielten sie für vulkanische Eruptionen.“ „Was waren das für geheimnisvolle Waffen, mit denen euer Schiff ausgerüstet war?“ „Wir waren nicht anders bewaffnet als ihr. Oder habt ihr etwa irgend etwas bei uns gefunden, das ihr noch nicht kanntet?“ „Es ist allein unsere Aufgabe, Fragen zu stellen. Ihr habt nichts zu tun, als zu antworten. Wie stark ist euer Planet eigentlich gerüstet?“ „Da müßtet ihr euch schon die Mühe machen und direkt bei der Regierung der Erde anfragen“, erwiderte John, der bei dieser Frage hellhörig geworden war. „Wir wissen nichts darüber. Wir sind – wie schon erwähnt – Männer der Wissenschaft und verfolgen ausschließlich friedliche Zwecke.“ Die Vernehmenden wechselten unsichere Blicke. Waren diese Erdenbewohner wirklich so harmlos, oder verstellten sie sich nur? Mühsam unterdrückte John ein belustigtes Lächeln. Es war merkwürdig: Obwohl die Marsianer bösartig und gefährlich waren, konnte er sie doch nicht ganz ernst nehmen. 42
Schließlich gab man es auf. John und seine Kameraden wurden informiert, daß sie sich innerhalb der Stadt frei bewegen durften. Man schien sie also doch für ungefährlich zu halten. Die Grenzen der Niederlassung durften sie jedoch nicht überschreiten. – „Jetzt verstehe ich auch“, sagte Frank Wilson während eines Spazierganges, „warum wir bisher nichts von den Marsbewohnern gewußt haben. Wenn sie sich wie die Maulwürfe unter dem Boden verkriechen, können wir sie von der Erde aus natürlich nicht bemerken. Schlau sind die Burschen, das muß man ihnen lassen.“ „Es ist weniger Schlauheit als Notwehr gewesen, was sie dazu veranlaßt hat, ihre Siedlungen unter die Oberfläche ihres Planeten zu verlegen“, meinte John. „Mars ist eine kalte, trockene, beinahe wasserlose Wüste. Er wurde seinen Bewohnern mit der Zeit zu unbehaglich. Da haben sie ihre Städte dem Wüstensand überlassen und sind ein Stockwerk tiefer gezogen. Allerhand übrigens, was sie hier geleistet haben.“ Frank Wilson mußte das zugeben. „Sie sind uns technisch weit überlegen. Wenn wir nicht genau wüßten, daß wir uns in diesem Augenblick fünfzig Meter tief unter der Planetenoberfläche befänden, – wir müßten annehmen, wir wären mitten in einer hypermodernen Großstadt auf der Erde. Diese Häuser – die Schnellbahnen, die den Verkehr reibungslos abwickeln – und über allem ein künstlicher Himmel, der warmes, freundliches Tageslicht verbreitet. Alles ist bis ins Kleinste durchorganisiert und klappt wie am Schnürchen. Man sollte meinen, dieses Volk sei das glücklichste im Universum.“ „Das scheint aber nicht der Fall zu sein“, warf Hieronymus trocken ein. „Schau sie dir doch an, die Herren Marsbewohner: Grämlich und verschrumpelt sehen sie aus. Vielleicht hängt es mit der künstlichen Ernährung zusammen.“ „Sie sehen nicht nur so aus“, meinte John, „sie sind auch in43
nerlich verkrampft und unausgeglichen. Mißtrauen ist ihr Lebenselement. Wozu brauchten sie sonst eine hochgerüstete Armee zu unterhalten, wo es doch weit und breit keine Gegner gibt?“ Sie waren an einen großen, runden Platz gekommen, in dessen Mitte eine Art Bahnhof stand. Hier kreuzten sich mehrere Schnellbahnlinien. Ein Lift stellte die Verbindung mit der Oberwelt her. Wie überall in der Stadt, wurde auch hier die unsichtbare Decke von schlanken Säulen gestützt, die wie Laternenpfähle in die Höhe strebten und sich im Blau des künstlichen Himmels verloren. „Warte mal, John, was ist denn hier los? Haben die Marsianer am Ende ihren Nationalfeiertag, und wir ahnen gar nichts davon?“ Die Freunde blieben stehen und beobachteten vom Rande des Platzes aus das farbige Bild der großen Militärparade, deren Augenzeugen sie so unverhofft geworden waren. Jetzt kam aus dem Hauptportal des Gebäudes ein Uniformierter von massiger Gestalt und wahrhaft „martialischem“ Aussehen. Kommandos erschallten, die angetretenen Truppen präsentierten das Gewehr. Ein Offizier trat vor und erstattete dem Massigen Meldung. Schweigend säumte das Volk den Rand des Platzes. „Möchte mal wissen, wer dieser fette Bonze wohl ist“, brummte Frank. Er hatte gar nicht gemerkt, daß er die Marssprache verwendet hatte. Ein schlicht gekleideter Zivilist blinzelte ihn listig an. „Es ist Ludo, der Nationalheld. Die Regierung hat ihn zum Marschall befördert, nachdem er euer Raumschiff abgeschossen hatte. Mögen die ‚Geister der Tiefe’ ihn verschlingen …“ „Da stimme ich dir zu, mein Freund.“ Jovial klopfte Frank dem Marsianer auf die Schulter. Dann spuckte er im weiten Bogen aus und wandte sich zum Gehen. „Kommt, Jungens – mir wird schlecht, wenn ich dieses Walroß nur von weitem sehe.“ 44
* Die Stadt unter der Marsoberfläche bot ein ungewohntes Bild, als die Freunde auf dem Rückweg durch ihre Straßen schritten. Eigentlich hatten sie sich – müde von all den fremdartigen Eindrücken – in den nächstbesten Schnellbahnzug setzen wollen, doch zu ihrer Überraschung wies man sie ab. Einer Reihe von Stadtbewohnern ging es nicht anders. John erfuhr nur so viel, daß das gesamte Bahnnetz für Militärtransporte benötigt würde. „Die ‚Geister der Tiefe’ sollen sie holen, mit ihrer verfluchten Kriegsspielerei“, schimpfte ein junger Marsianer. Im nächsten Augenblick hatten ihn zwei Geheimpolizisten am Kragen und schleppten ihn ab. „Feine Zustände“, erboste sich Frank. Am liebsten wäre er den beiden nachgerannt und hätte ihnen ihre Beute entrissen. Nur mit Mühe konnten John und Hieronymus ihn weiterziehen. Überall in den Straßen stießen die Freunde auf motorisierte Kolonnen des gelbrot uniformierten Marsmilitärs. Die Soldaten waren feldmarschmäßig ausgerüstet und bis an die Zähne bewaffnet. Meist wurden sie in einer Art Raupenwagen befördert, die mit unglaublicher Geschwindigkeit um die Ecken jagten. „Sehr begeistert sehen die Jungens nicht aus“, lächelte Frank Wilson spöttisch. „Kommen mir eher vor, als hätten sie Tinte gesoffen.“ An einer Ecke prallten sie mit einer Gruppe von Fußgängern zusammen. Einer von ihnen nahm mit seinem gewaltigen Leibesumfang fast den ganzen Gehsteig ein. Wütend fuhr Frank ihn in der Marssprache an: „Kannst du nicht aufpassen, du häßliche Dampfwalze?!“ Doch plötzlich weiteten sich seine Augen. Er streckte die Arme weit aus und zog den Dicken begeistert an sich. 45
„Teddy Plum – ja, ist es denn möglich – Sie leben …?“ „Selbstverständlich lebe ich. Und du häßlicher Vogel? Thunderstorm – sehe ich denn recht? Palmer, Wilson und der Rotkopf! Jungens, ist das eine Freude!“ Nun drängten sich auch Teddy Plums Begleiter heran: dreizehn Mann von der „Corona borealis“, auch der Kapitän fehlte nicht. Gerührt über das unverhoffte Wiedersehen, schüttelte Schillinger den Freunden die Hand. „Wir hatten schon geglaubt, wir wären die einzigen Überlebenden …“ „Kommen Sie nur mit, Käpten“, rief John. „In unserer Unterkunft finden Sie noch acht weitere vor.“ Die acht Mann, die ihre Zeit abwechselnd mit Skatspiel und dem Nationalsport der Marsianer, einer Art Ping-Pong, verbracht hatten, begrüßten ihren Kapitän mit einem donnernden „Hoch!“ Als die Begrüßung vorbei war, und die Männer ihre Erlebnisse ausgetauscht hatten, gab Schillinger den drei Freunden einen heimlichen Wink. Zusammen mit dem Chefingenieur zogen sie sich in einen Nebenraum zurück. „Kann uns hier auch bestimmt niemand hören, Palmer?“ „Nach menschlichem Ermessen nicht, Käpten. Ich glaube, die Marsianer haben es aufgegeben. Sie halten uns wohl für harmlose Irre.“ „Also, dann hören Sie mal zu: Diese Schufte haben uns auf raffinierte Art auszuhorchen versucht, und …“ „Kennen wir, Käpten. Mit uns haben sie’s auch probiert. Es war aber ein glatter Fehlerfolg.“ „Dann bin ich beruhigt“, atmete Schillinger auf. „Je weniger die Marsianer über die Verhältnisse auf der Erde wissen, je mehr sie uns selbst für völlig ahnungslos halten, desto besser. Haben Sie die allgemeinen Mobilmachungsvorbereitungen beobachtet?“ „Gewiß, Käpten. Glauben Sie, daß es der Erde gilt?“ „Ich glaube es nicht – ich weiß es hundertprozentig sicher. 46
Durch einen Zufall habe ich Einblick in gewisse Geheimpläne erhalten. Die Regierung des Mars will die Erde erobern, um auf ihr Kolonien zu gründen.“ „Aber das ist doch eine totale Fehlkalkulation, Käpten. Unsere Erde ist gerade stark genug bevölkert …“ „Das wissen die Marsianer auf Grund ihrer Beobachtungen natürlich auch. Infolgedessen planen sie einen regelrechten Ausrottungsfeldzug gegen die Menschheit.“ John sprang auf. „Und das sagen Sie so ruhig, Käpten? Wir müssen sofort irgend etwas unternehmen …“ „Wir können im Augenblick nicht viel tun“, meinte Schillinger achselzuckend. „Es bleibt uns auch noch ein wenig Zeit. Hören Sie weiter: Die Truppen, die heute verladen wurden, werden nicht sofort nach der Erde starten. Sie sollen zunächst in geheimen Ausbildungslagern in der Wüste auf die irdischen Schwerkraftverhältnisse ‚umgeschult’ werden. Man wird sie monatelang in Zentrifugen schinden, bis sie soweit sind, daß sie das Dreifache der Marsschwere ertragen können.“ „Na ja, das braucht nicht unsere Sorge zu sein. Jedenfalls werden noch Monate vergehen, ehe die Marsflotte aufbrechen kann. Vielleicht findet sich bis dahin eine Gelegenheit, die Erde zu warnen.“ * Die Straßen der Mars-Metropole lagen im nächtlichen Schlummer. Der künstliche Himmel hatte sich im 24-StundenRhythmus verdunkelt. Es war allerdings ein anderer Himmel, als ihn die Raumfahrer von der Erde her gewohnt waren. Die Sterne schienen hier, unter der Marsoberfläche, nicht, und es herrschte auch keine völlige Dunkelheit. Dadurch, daß die Konstrukteure des künstlichen Marshimmels jeden willkürlichen Beleuchtungseffekt möglich gemacht hatten, konnte man ein 47
fahles Zwielicht hervorrufen, durch das zugleich die nächtliche Straßenbeleuchtung eingespart wurde. „Die Sache gefällt mir nicht“, flüsterte John seinen Freunden zu. „Ich hatte leider nicht einkalkuliert, daß es hier ja gar nicht richtig dunkel wird.“ „Wenigstens können wir den Weg nicht verfehlen“, tröstete ihn Frank. „Pst! ich glaube, da kommt jemand.“ Sie preßten sich in einen dämmerigen Hauseingang und hielten den Atem an. Eine schwerbewaffnete Patrouille des Marsmilitärs kam langsam die Straße herauf. Die Soldaten blieben vor dem gleichen Hauseingang stehen und schienen mißtrauisch zu lauschen. Schon glaubten die Freunde sich entdeckt, als der Patrouillenführer einen halblauten Befehl gab und mit seinen Männern weiterging. Sekunden später waren sie im Eingang einer Schnellbahnstation verschwunden. „Weiter, Jungens! Hinter der nächsten Biegung muß es schon sein.“ Lautlos wie die Schatten huschten die drei an den Hauswänden entlang. Hinter der nächsten Biegung öffnete sich ein größerer, runder Platz vor ihnen, in dessen Mitte ein flaches Gebäude stand. Aus seinem Dach ragten mehrere seltsam geformte Antennenmaste in den künstlichen Himmel. „Die Funkzentrale“, flüsterte John. „Im oberen Stockwerk scheint noch allerlei Betrieb zu herrschen.“ „Kein Wunder“, erwiderte Frank ebenso leise. „Schließlich herrscht Kriegszustand – wenn auch der Gegner noch gar nichts davon ahnt.“ „Und wenn man uns erwischt, werden wir als Spione erschossen“, fügte Hieronymus hinzu. „Angst, Reddy?“ „Quatsch nicht so dämlich! Aber sag mal, John, glaubst du denn, daß du mit dem Klapparatismus dieser Marsfunker klarkommst? Wer weiß, was die für komische Geräte haben …“ 48
„Das werden wir gleich sehen. Halte jetzt den Mund und paß auf: Dort an den Büschen entlang bis zur Verkehrsampel – dann über die Straße hinweg, und quer durch die Anlagen bis zum Hintereingang. Alles weitere findet sich dann.“ Die Wache am rückwärtigen Eingang der Funkstation kam nicht dazu, Alarm zu geben. Im Handumdrehen hatten die Freunde die drei überraschten Marsianer überwältigt und entwaffnet. Sekunden später lagen sie gefesselt und geknebelt am Boden. John Palmer schloß gewissenhaft die Tür hinter ihnen ab. „Was nun, John? Wie sollen wir uns in diesem Labyrinth zurechtfinden?“ John Palmer deutete auf eine Tafel an der Wand. Er verstand schon genug von der Marssprache und -schrift, um die Bedeutung der Zeichen zu begreifen. „Den Gang hinunter – dann die Treppe hinauf und in den linken Seitengang hinein! Die zweite Tür auf der rechten Seite – da muß die Abteilung für den interplanetarischen Funkverkehr sein.“ Geräuschlos huschten die drei Freunde durch den Gang und über die Treppenstufen. Wenig später standen sie schon vor der bezeichneten Tür. Bisher war ihnen niemand begegnet. John drückte vorsichtig die Klinke nieder. Rasch drängten sich die Freunde in den Raum, aus dem ihnen das Klappern von Morsetasten entgegentönte. An einem Tisch saßen zwei Marsianer. Der eine las mit monotoner Stimme Depeschen vor, während der andere unaufhörlich die Taste bediente. John gab den Kameraden ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Ungeduldig warteten sie, bis die Funker ihre Arbeit beendet hatten. Endlich war es soweit. Der Mann mit den Depeschen stand auf und wandte sich zur Tür. „Hands up!“ Vor lauter Aufregung dachte John gar nicht daran, daß die Marsianer kein Englisch verstanden. Doch die drohend auf sie gerichteten Pistolen, die die Freunde den Wachmännern abgenommen hatten, redeten eine unmißver49
ständliche Sprache. Ängstlich streckten die beiden die Arme in die Höhe, so hoch sie nur konnten. „Frank, Reddy – baut euch an der Tür auf und laßt niemand herein. Haltet mir zehn Minuten lang jeden Störenfried vom Leib – notfalls mit Waffengewalt.“ John Palmer stand schon vor der Sendeanlage und bediente die Schaltung. Es machte ihm keine besonderen Schwierigkeiten. Wie er schon vermutet hatte, bestand kaum ein Unterschied gegenüber ähnlichen Apparaturen auf der Erde. Schon hämmerte seine Rechte auf die Morsetaste. „Hier Besatzung der Corona borealis – wir rufen Terra – wir rufen Terra – Achtung – eine dringende Warnung …“ Das Klirren zerspringenden Glases ließ John Palmer innehalten. Die große Fensterscheibe fiel in Scherben in den Raum. In der Fensteröffnung erschienen die haßerfüllten Gesichter eines halben Dutzends von Marsianern. „Die Fenster!“ schrie Frank Wilson. „Verdammt – daß wir nicht daran gedacht haben.“ Sein Schuß peitschte durch den Raum … Einer der Marsianer schleuderte etwas herein. Instinktiv duckten sich die Freunde. Ein schwacher Knall ertönte. Es war das letzte, was die Raumfahrer vernahmen … In der nächsten Sekunde lagen sie in tiefer Bewußtlosigkeit auf dem Boden hingestreckt. Marssoldaten mit Gasmasken drangen durch Fenster und Tür in den Senderaum ein und trugen die Bewußtlosen hinaus. * „Willst du uns nicht endlich verraten, edler Scheich, wohin wir gebracht werden sollen?“ Unwillig wandte sich Frank Wilson an den Marsoffizier, der ihm gegenübersaß und ihn und seine beiden Kameraden mit 50
unverholener Feindseligkeit betrachtete. Die drei Raumfahrer waren, nachdem sie mit schmerzenden Schädeln aus ihrer tiefen Ohnmacht erwacht waren, einem kurzen Verhör unterworfen worden. Dann hatte man sie unter starker Bewachung auf die Oberfläche des Planeten hinaufbefördert, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich wenigstens von den Gefährten zu verabschieden. Sie hatten sich auf einem gigantischen Flugfeld in öder Landschaft wiedergefunden und waren sofort in ein Raketenflugzeug verfrachtet worden. Nun rasten sie einem unbekannten Ziel entgegen. Der Marsoffizier, der den Transport leitete, warf Frank einen mißtrauischen Blick zu. „Was bedeutet das: ein ‚Scheich’?“ Frank machte ein ungemein pfiffiges Gesicht. „Das erkläre ich dir, wenn du uns verrätst …“ „Von mir erfahrt ihr gar nichts. Mein Auftrag lautet lediglich, euch in das Gebiet der Verbannten zu bringen.“ „Na ja“, seufzte Frank, „von mir aus … Hoffentlich war das Ganze wenigstens nicht umsonst. Ob die Erde unseren Funkspruch aufgefangen hat?“ John zuckte die Achseln. Er war sich seiner Sache absolut nicht sicher und schalt sich nachträglich einen Narren, weil er so unüberlegt vorgegangen war. Alles war so schön eingefädelt gewesen, aber er hatte nicht daran gedacht, daß eine Galerie um den ersten Stock der Funkstation herumführte. Die Marsianer mußten auf irgendeine Weise Verdacht geschöpft haben. Sie hatten dann leichtes Spiel … „Achtung, wir landen“, kam die Stimme des Piloten aus einem verborgenen Lautsprecher. John prüfte die Sicherungsgurte und schaute aus dem Fenster. Eine endlose, rötliche Sandwüste dehnte sich in der Tiefe. Tatsächlich, das konnte nur Hellas sein. Auf einem primitiven Feldflugplatz rollte die Maschine aus. Schwerbewaffnete Marssoldaten eilten im Laufschritt heran. Ihr 51
Anführer tauschte einige Formalitäten, deren Sinn den Raumfahrern verborgen blieb, mit dem Kommandanten des Transports aus. Gleich darauf heulte der Motor des Flugzeugs wieder auf. Das schlanke Raketenprojektil schoß über die Ebene davon, eine rote Staubfahne hinter sich, erhob sich in die Luft und war in wenigen Sekunden den Blicken entschwunden. „Tja – da wären wir nun“, sagte Frank Wilson. „Ich komme mir – offen gestanden – ziemlich verraten und verkauft vor.“ Ein großes Kettenfahrzeug rumpelte heran und hielt vor der Gruppe. Der Offizier bedeutete den Freunden mit einer mürrischen Geste einzusteigen. Schwerfällig setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. Es schien ein uraltes Modell zu sein, wie es den Raumfahrern in der Hauptstadt nirgends begegnet war. Das Fahrzeug überquerte gerade eine flache Hügelkette, so daß sich der Blick auf eine weite, mit dürftiger Vegetation bedeckte Ebene eröffnete. Ein schnurgerader, breiter Kanal durchzog die Ebene von Süden nach Norden, auf beiden Seiten von gemauerten Wällen eingefaßt. An einer Stelle waren in der Ferne die Anlagen eines Stauwerks zu erkennen, von dem kleinere Kanäle im rechten Winkel zum Hauptkanal abzweigten. „Aha“, meinte Frank, „unser geheimnisvolles Exil scheint eine Art Wasserschloß zu sein.“ Doch er hatte sich getäuscht. Die Fahrt war noch nicht zu Ende. Es ging über eine flache Brücke über den Kanal, in dem das Wasser träge nordwärts floß, und dann auf leidlich guter Straße weiter in östlicher Richtung. Das Stauwerk war bereits hinter dem Horizont verschwunden, als der Wagen vor einer Reihe primitiver Baracken hielt. Sie waren aus rötlichem Naturstein erbaut und in weitem Abstand von Wachttürmen umgeben, auf denen jedoch niemand zu sehen war. „Lager 24“, brummte der Marsoffizier. „Steigt aus und meldet euch beim alten Urgo.“ Ehe die drei Freunde noch etwas erwidern konnten, kurvte 52
das altmodische Kettenfahrzeug bereits von dannen und verschwand in einer roten Staubwolke. „Grüß mir den alten Gauner Ludo und eure anderen Bonzen“, brüllte Frank Wilson hinterher, „und sag ihnen, die ‚Geister der Tiefe’ sollten sie allesamt verschlingen.“ „Da bin ich ganz deiner Meinung“, erklang eine ruhige, sonore Stimme hinter den Raumfahrern. Verblüfft fuhren die drei herum. Aus einer der Baracken waren zwei Marsianer getreten: ein rüstiger Greis mit wallendem, weißen Bart und ein junger Mann, der ungewöhnlich schlank war und klare, offene Gesichtszüge trug, wie sie die Freunde auf diesem Planeten bisher nur selten gesehen hatten. „Ich heiße Urgo“, fuhr der Alte fort und musterte die Ankömmlinge aufmerksam, aber keineswegs unfreundlich. „Dies ist mein Sohn Martio.“ John stellte sich selbst und die Kameraden vor. „Sie sind wohl der Kommandant dieses Gefangenenlagers, wenn ich recht verstanden habe?“ Urgo lachte belustigt. „Ich bin der Lagerälteste, und nichts weiter als ein Leidensgefährte von euch. Der Kommandant ist vor ein paar Tagen mit seinen Leuten abkommandiert worden. Die Regierung braucht jetzt jeden Mann für die geplante Unternehmung gegen die Erde.“ Der Alte wies auf die verlassenen Wachttürme. „Wir sind hier ganz unter uns. Offenbar hält man uns für ungefährlich. Aber der Diktator und seine Sklavenhalter sollen sich nur nicht zu früh freuen.“ „Warum hat man euch hierher verbannt?“ „Ihr sollt es bald erfahren. Tretet nun zunächst ein und erfrischt euch. Ihr werdet es nötig haben nach der langen Wüstenfahrt.“ *
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„Reizende Leute, diese Marsianer“, sagte Hieronymus verträumt. „Ich hätte nie gedacht, daß es auf diesem traurigen Planeten solche wunderbaren Wesen geben würde, wie zum Beispiel Iruna, die Schwester unseres Freundes Martio.“ „Von Iruna laß gefälligst die Finger“, fuhr Frank Wilson auf. „Ich möchte dir nicht raten, mein lieber Reddy, in fremden Revieren zu jagen.“ John Palmer maß die Freunde mit einem langen, besorgten Blick. Das hätte noch gefehlt: Da gerieten sich die beiden wegen einer schönen Marsbewohnerin in die Wolle und vergaßen darüber ganz ihre eigentliche Aufgabe. „Frank und Reddy, nun redet mal kein dummes Zeug. Wir haben schließlich genug andere Sorgen. Unsere alte Erde habt ihr wohl ganz vergessen, wie?“ „Die Erde?“ Die beiden machten dumme Gesichter. „Weißt du etwa, John, wie wir ihr nützen könnten?“ „Wir wollen mit Urgo reden. Er versprach, uns zu helfen.“ Langsam schlugen die Freunde die Richtung auf das Lager ein. Nach dem frugalen Abendessen, das jedoch den Vorzug hatte, nicht aus künstlichen Nahrungsmitteln zu bestehen, setzen sich Urgo, Martio und die drei Freunde in der Unterkunft des Alten zusammen. Die rußende Lampe, die mit einem aus den Tiefen des Planeten quellenden Öl gespeist wurde, verbreitet einen mattgelben Schein. Sie brachte beinahe einen behaglichen Schimmer in den kahlen, primitiv ausgestatteten Raum. „Ich kenne eure Sorgen“, begann Urgo nach längerem Schweigen, „und ich würde euch gern behilflich sein, meine Freunde. Ihr dürft ganz über mich und die Meinen verfügen.“ John Palmer blickte auf und sah den Alten scharf an. „Auch dann, wenn es gegen dein eigenes Volk ginge?“ Urgo lächelte traurig. „Ich weiß, daß ihr nicht die Feinde meines Volkes, seid. Das Volk des Mars ist im Grunde seines Her54
zens genauso friedliebend, wie das der Erde oder irgendeines anderen Planeten. Es sind nur die Machthaber des Mars, die keinen anderen Gedanken kennen, als Krieg und Unterdrückung.“ „Warum laßt ihr euch das gefallen?“ „Hätten wir es uns gefallen lassen, dann wären wir jetzt nicht hier, als Verbannte in der Wüste. Wir – meine Gesinnungsgenossen und ich, die ich einmal die ‚Friedenspartei’ nennen möchte –, haben uns gegen die kriegerischen Pläne der Diktatur erhoben. Gewiß, unser Planet ist in Not. Er trocknet buchstäblich aus und bietet seiner Bevölkerung keine Lebensgrundlage mehr. Aber ist das ein Grund, die Bewohner anderer Planeten mit brutaler Gewalt anzugreifen, um sie auszurotten und ihren Lebensraum zu erobern? Sollte man nicht lieber in einen friedlichen Erfahrungsaustausch mit ihnen treten, um die Not mit vereinten Kräften abzuwehren?“ „Das wäre der einzige gangbare Weg“, nickte John. „Offenbar habt ihr aber tauben Ohren gepredigt.“ Der Alte schwieg eine Weile. Seine Gedanken gingen wohl trüben Erinnerungen nach. „Wir haben es mit Eingaben und Protesten versucht, aber es war alles vergeblich. Im Verlauf einer großen Kundgebung in der Hauptstadt, auf der ich zur Bevölkerung sprach, wurden sämtliche Führer der Friedenspartei durch die Staatspolizei verhaftet. Nach einem großangelegten Scheinprozeß wurden wir mit zahlreichen Anhängern auf Lebenszeit in die Verbannung geschickt. Seitdem ist niemand mehr da, der die Diktatur an der Ausführung ihrer wahnsinnigen Pläne hindern könnte.“ „Das erste Opfer dieser teuflischen Pläne soll die Erde sein“, sagte John ernst. „Wir haben versucht, den Erdbewohnern eine Warnung zu senden, wurden aber vorzeitig überrascht und konnten unseren Plan nicht zu Ende führen. Was können wir tun, um der Erde die furchtbare Gefahr zu offenbaren, in der sie sich befindet?“ 55
In das bedrückte Schweigen polterte Franks heisere Stimme: „Schätze, daß wir gar nichts tun können. Wie sollten wir die Erde von hier aus verständigen, wo es uns an jeglichen technischen Hilfsmitteln fehlt? Nicht mal einen simplen Radioapparat hat man uns gelassen.“ „Vielleicht kann man ihr optische Zeichen geben“, schlug Martio vor. „Ich wüßte nicht, womit. Vielleicht mit Hilfe eines Taschenspiegels oder dieser trüben Petroleumfunzel?“ „Mein Sohn hat gar nicht so unrecht“, meinte Urgo bedächtig. „Auf optischem Wege müßte es gehen. Einige Wegstunden westlich von unserem Lager gibt es ein Gelände, das wie geschaffen für diese Zwecke ist. Hört zu, was ich euch zu sagen habe..,“ Die Männer steckten die Köpfe zusammen und tuschelten halblaut miteinander. Stunde um Stunde verging. Der Stand der Gestirne zeigte die Mitternacht an, als der Alte seine Gäste hinausgeleitete. „Haltet euch bei Sonnenaufgang bereit, meine Freunde. Martio und seine Gefährten werden Proviant und Geräte vorbereiten und euch geleiten. Möge euer Vorhaben von Erfolg gekrönt sein.“ * Raumstation „Terra III“ hatte Hohen Besuch. Kein geringerer als U.N.T.-Präsident Juan Ferreira war es, der an diesem Tage der Zubringerrakete entstieg und sich, nach rascher Überfahrt im Raumtaxi, in die Station einschleusen ließ. In seinem Gefolge befanden sich führende Wissenschaftler verschiedener Nationen. Auch Generalmajor Titus A. Shakleton stolzierte mit wichtiger Miene hinter dem Präsidenten her. Vor einigen Tagen hatte ein Raumschiff, das den Linien56
dienst auf der Mond-Route versah, geheimnisvolle Morsezeichen aufgefangen. Die Meldung war nach den ersten Worten abgerissen. Doch wenn man sie richtig gedeutet hatte, konnte es sich nur um ein Lebenszeichen der „Corona“-Besatzung handeln. Und dieses Lebenszeichen enthielt klar und deutlich eine Warnung an die Erde. Die Erwartung, daß weitere Meldungen folgen würden, hatte sich leider nicht erfüllt. Als jedoch vor wenigen Stunden im Palast der Weltregierung in Terratown eine chiffrierte Depesche von „Terra III“ eingelaufen war, die von merkwürdigen Beobachtungen auf Mars berichtete, hatte sich Präsident Ferreira keinen Augenblick besonnen. In aller Eile hatte er einen Stab von Experten und seinen Sicherheitschef zusammentrommeln lassen und war mit einer Sonderrakete nach „Terra III“ gestartet, um sich an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Wahrnehmungen zu überzeugen. „Sie kommen gerade im richtigen Moment, Herr Präsident“, empfing ihn Dr. Bärwald mit allen Anzeichen der Erregung. „Die Mechaniker sind soeben mit der Montage des neuen Superteleskops fertig geworden, das uns – wenn die Berechnungen stimmen – eine zehnmal stärkere Vergrößerung ermöglichen soll, als es mit den bisher besten Instrumenten möglich war.“ „Was haben Sie denn eigentlich beobachtet, Herr Doktor? Ihre Meldung war leider nicht ganz eindeutig.“ „Aus begreiflichen Gründen, Herr Präsident. Alles, was mit Mars zusammenhängt, wirkt augenblicklich allzu leicht explosiv auf die Gemüter der Menschheit. Eine kleine Unvorsichtigkeit würde womöglich schon genügen, panikartige Zustände auf der Erde auszulösen. Daraus erklärt sich meine vorsichtige Ausdrucksweise.“ „Sie haben sehr besonnen gehandelt. Aber was wurde nun tatsächlich beobachtet?“ 57
„Es handelt sich um seltsame Leuchterscheinungen auf der Nachtseite des Planeten, und zwar im westlichen Randgebiet der Landschaft Hellas.“ „Das ist mir, als Laien, natürlich kein Begriff“, lächelte der Präsident. „Haben Sie schon irgendeine Deutung dafür, Herr Doktor?“ Einer der Wissenschaftler, die mit dem Präsidenten heraufgekommen waren, mischte sich ins Gespräch: „Leuchterscheinungen auf Mars sind wahrhaftig nichts Neues, Gentlemen. Sie lassen sich leicht als Vulkanausbrüche erklären.“ „Diese Deutung halte ich für nicht akzeptabel, Herr Kollege. Die von uns beobachteten Leuchterscheinungen zeigen nämlich eine viel zu große Ausdehnung. Außerdem wandern sie allmählich weiter.“ „Dann wäre an Lavaströme oder an Gaseruptionen von großer Flächenausdehnung zu denken.“ „Warten Sie nur ab, Herr Kollege. Ah, die Mechaniker sind fertig. Darf ich Sie bitten, Gentlemen, an den Projektionsschirm zu treten? Ich korrigiere nur eben noch die Feineinstellung.“ „Thunderstorm!“ Ein Ausruf des Erstaunens kam von den Lippen des skeptischen Astronomen. In dieser Schärfe, in so phantastischer Vergrößerung hatte er Mars noch nie gesehen. Nur ein kleiner Ausschnitt aus der gesamten Planetenoberfläche hatte auf dem Bildschirm Platz. Dr. Bärwald regulierte die Einstellung so lange, bis eine mattleuchtende, graue Fläche das gesamte Gesichtsfeld ausfüllte. „Der Westteil von Hellas, Gentlemen. Die Gegend liegt in der Abenddämmerung. Geben Sie acht – gleich werden Sie die Leuchterscheinungen sehen.“ Als hätten seine Worte eine magische Wirkung über viele Millionen Meilen hinweg ausgeübt, leuchtete es schwach in der grauen Ebene auf. Die Zuschauer brachen in erstaunte Rufe aus. „Das sind nie und nimmer Vulkane, Herr Professor“, rief der 58
Präsident erregt „Sehen Sie denn nicht die symmetrische Form der Zeichen?“ „Damned! Es ist interplanetarische Bilderschrift“, sagte Generalmajor Shakleton. „Da will uns jemand was mitteilen.“ „Die Zeichen werden bereits schwächer“, rief Dr. Bärwald. „Entschuldigen Sie, Gentlemen, aber ich muß die Beobachtung abbrechen und auf Filmaufnahme umschalten.“ Der Astronom bediente einige Hebel und Schalter. Das Bild auf dem Projektionsschirm erlosch. „Ich danke Ihnen, Herr Doktor.“ Präsident Juan Ferreira atmete schwer. „Senden Sie den Film bitte zur Auswertung mit Sonderrakete an den Weltsicherheitsdienst. Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, Gentlemen, daß über alles, was Sie hier gesehen haben, strengstes Stillschweigen bewahrt werden muß?“ * Eine knappe Stunde später war Ferreira wieder in Terratown gelandet, und nach Ablauf von drei weiteren Stunden, die dem Präsidenten wie drei Ewigkeiten erschienen, ließ sich Generalmajor Shakleton bei ihm melden. Im Gesicht des Offiziers malte sich grenzenlose Bestürzung. „Haben Sie die Filme, Shakleton? Hat die Auswertung einen Sinn ergeben? So reden Sie doch schon!“ „Die Marsbewohner …“ „Die Zeichen waren nur schwach“, fuhr Shakleton fort, „und von kurzer Dauer. Meist wurden sie schnell von einem plötzlich aufkommenden Dunst verschluckt. Aber die Nachricht, die sie übermitteln sollten, ist klar und lückenlos.“ „Nun geben Sie schon her!“ Der sonst so würdige und ruhige Weltpräsident riß dem Generalmajor die Filme aus der Hand. Kopfschüttelnd drehte er die Bilder hin und her. 59
„Hier haben Sie die Übertragung der Zeichen, Sir.“ Shakleton reichte dem Präsident die Blätter. Halblaut las Ferreira vor: „Warnung an Terra – Mars bereitet Invasion vor – höchste Gefahr – setzt Erde und Außenstationen in Verteidigungszustand – warnt alle Raumschiffe..“ Shakleton räusperte sich rauh. „Herr Präsident, wir müssen handeln …“ „Sie haben recht, Shakleton. Es ist soweit. Ich erteile Ihnen unbegrenzte Vollmachten. Tun Sie Ihr Möglichstes, um die furchtbare Gefahr abzuwenden.“ Es war noch keine Viertelstunde seit dieser schicksalsschweren Konferenz vergangen, als der Apparat des Weltsicherheitsdienstes bereits auf Hochtouren lief. In seinem Dienstzimmer in Terratown stand Generalmajor Shakleton vor der großen Wandkarte des „Verteidigungsbereichs Terra“, der außer der Erde selbst auch die Mondbasis und das weitverzweigte System der irdischen Außenstationen umschloß. Sämtliche Lampen brannten, obwohl die Mittagssonne draußen auf Straßen und Plätze herniederschien. Adjutanten gingen ein und aus und erstatteten ihre Meldungen. Fernschreiber rasselten, Telefone klingelten. In Lautsprechern und auf Fernsehschirmen meldeten sich Stationen, die Tausende von Meilen weit entfernt lagen oder im Raum um die Erde kreisten. Die ganze Welt befand sich im Alarmzustand. „Hier Verteidigungssektor Australien. Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes stehen in Sydney und Canberra zum Abtransport nach ‚Terra VII’ und ‚Terra XV’ bereit. Wir erwarten weitere Befehle.“ „Achtung, Achtung – Sektor Südafrika bittet um Zuteilung zusätzlicher Flab-Raketen.“ „Hier Verteidigungssektor Alaska. Miliz ist einberufen. Erwarten Übersendung von Strahlenwaffen. Sehen Marschbefehl für reguläre Formationen entgegen.“ 60
Shakleton winkte seinen Chefadjutanten heran. „Übernehmen Sie das, Herr Major. Ich kann mich jetzt nicht um jede Einzelheit kümmern.“ Mit gewichtigen Schritten trat der Kommandeur an ein Mikrophon. „Hallo, Funkstelle, verbinden Sie mich mit der Mondbasis.“ Generalmajor Shakleton hatte in diesem Augenblick ganz besondere Sorgen. Gewiß, die Verteidigungsvorbereitungen auf der Erde selbst waren wichtig und durften nicht vernachlässigt werden, aber wichtiger war es, die Raumflotte der Marsianer bereits im Anflug abzufangen. * „Ob sie unsere Botschaft erhalten haben?“ Wie oft hatten die Freunde wohl in diesen Tagen die gleiche, bange Frage ausgesprochen, die sie voll und ganz beschäftigte, eine Frage, auf die es keine Antwort gab; denn selbst wenn die Erde versucht hätte, mit ihnen in Verbindung zu treten, so hätten sie doch keine Möglichkeit gehabt, ihre Nachrichten zu empfangen. In der Verbannung des Lagers 24 gab es weder Rundfunkempfänger, noch Fernrohre oder sonstige technische Errungenschaften, die einer interplanetarischen Verständigung hätte dienen können. Man lebte hier auf der Zivilisationsstufe der Steinzeit. Doch eines Tages kam Abwechslung in das öde Einerlei des Exils. Und diese Abwechslung fiel buchstäblich vom Himmel. Wie alltäglich, befand sich John mit den Freunden und dem jungen Martio auf einem Spaziergang in der Nähe des Lagers, als ein schrilles Heulen in den Lüften ihn aufblicken ließ. Ein großes Raketenflugzeug kurvte, von Westen kommend, über ihren Köpfen herum. Jetzt zündete der Pilot die Bremsdüsen. Rasch näherte der mächtige Vogel sich der Ebene und setzte zur Landung an. 61
„Wir bekommen Zuwachs“, sagte Frank Wilson. „Kommt, Jungens! Endlich mal ein bißchen Abwechslung. Sicher erfahren wir ‚Neues vom Kriegsschauplatz’.“ Sie setzten sich in Marsch und eilten der Landestelle zu, an der die Lagerinsassen bereits zusammenströmten. Als John die Ankömmlinge sah, hielt er überrascht inne. „Wenn das nicht unser guter, alter Teddy Plum ist …“ Es war wirklich der Chefingenieur der „Corona borealis“, der inzwischen möglicherweise noch rundlicher geworden war. Strahlend stapfte er auf die Freunde zu. „Fein, daß ich euch gefunden habe, Jungens. Ich bringe euch wichtige Neuigkeiten.“ „Teddy!“ John Palmer schüttelte dem Dicken die Hand, daß es ihm fast den Arm ausgekugelt hätte. „Wie kommst du hierher? Was hast du ausgefressen, daß dich die ‚Hohe Obrigkeit’ in die Wüste verbannt hat?“ „Hahahaha! Die Obrigkeit weiß gar nicht, wo ich stecke. Daß ich hier bin, verdanke ich allein dem braven Käpten Alangiri. Er hat den Marsbonzen ein Flugzeug geklaut und ist mit mir durchgebrannt.“ „Wo steckt denn dieser Harakiri, oder wie der Knabe heißt?“ Suchend sah Frank Wilson sich um, bis er den Marsoffizier entdeckte, der gerade von Martio einem scharfen Verhör unterzogen wurde. Der kleine Mann schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Ärgerlich fuhr Teddy Plum dazwischen. „So lassen Sie den Mann doch zufrieden. Er ist ein überzeugter Widerstandskämpfer und absolut zuverlässig. Ich verbürge mich für ihn.“ Martio warf dem Offizier einen langen, forschenden Blick zu, stellte aber keine weiteren Fragen. Schweigend nahm er ihm die Waffe ab. Er beorderte»einige seiner Gefährten als Wache an das Flugzeug und verschwand in seiner Unterkunft. – „Also – nun mal schön der Reihe nach“, mahnte John Palmer den dicken Chefingenieur, als sie abends mit Urgo und Martio 62
im Schein der trüben Ölfunzel zusammensaßen. „Was gibt es Neues in der Hauptstadt?“ „Oh, eine ganze Menge. Vor allem: Die Aktion gegen die Erde ist aufgeschoben worden, wenn auch nur um wenige Wochen. Die Konstellation der Planeten ist dann zwar für eine Überfahrt weniger günstig, aber die Marsianer hoffen, die Verzögerung durch den Einbau leistungsfähigerer Triebwerke wettzumachen. Einer ihrer Ingenieure hat da kürzlich eine tolle Erfindung gemacht …“ „Sehr interessant, Teddy – aber bleiben wir doch lieber beim Thema. Wie erklärt sich der Aufschub, von dem du sprachst?“ Der Dicke machte eine verächtliche Handbewegung. „Neunzig Prozent der sogenannten Invasionsarmee mußten vorzeitig heimgeschickt werden. Sie waren nicht ‚erdtauglich’ – haben schon in den Schwerekammern schlapp gemacht, diese Trauerklöße. Marschall Ludo hat geschäumt wie ein Rasender. Wir hofften schon, er würde die ganze Aktion ausfallen lassen. Es war aber ein Irrtum. Die Regierung hat die allgemeine Wehrpflicht proklamiert und läßt nun neue Truppen zum Einsatz gegen unsere alte Erde drillen.“ „Und weiter, Teddy?“ „Nun, eines Tages herrschte große Aufregung. Das Zentralobservatorium des Planeten meldete aufsehenerregende Beobachtungen. Die Umgebung der Erde scheint danach plötzlich in Verteidigungszustand versetzt worden zu sein. Irgendjemand muß die Erde gewarnt haben, und dieser Jemand kann sich nur auf Mars befinden.“ „Dann war es also nicht vergeblich“, atmete John auf. „Unsere Signale sind verstanden worden.“ Der Chefingenieur nickte. „Ich habe gleich an euch denken müssen, Jungens. Da wir in der Hauptstadt nicht in der Lage waren, der Erde Zeichen zu senden, kamt nur ihr als ‚Täter’ in Frage. Ihr müßt also über Mittel und Wege zur Verständigung 63
verfügen, die uns unbekannt waren. Und nun hört weiter: Es ist dem Käpten gelungen, nähere Einzelheiten über Pläne und Bewaffnung der Marsianer in Erfahrung zu bringen. Kapitän Schillinger ist überzeugt, daß die Erde keine Chance hat, wenn sie sich auf die Verteidigung beschränkt. Die Streitkräfte unseres Planeten müssen selbst zum Angriff übergehen. Entweder, die große Schlacht wird im Bereich des Mars geschlagen, oder die Erde ist hoffnungslos verloren.“ Teddy Plum nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug, in dem der heiße Marswein dampfte. Dann fuhr er eindringlich fort: „Das ist es, was wir der Erde mitteilen müssen. Je eher es geschieht, desto besser.“ „Das leuchtet mir ein“, gab John Palmer zu, „aber ich hätte gern noch gewußt, wie ihr unseren Verbannungsort erfahren habt.“ „Durch einen glücklichen Zufall, Jungens. Unser Professor machte die Bekanntschaft Kapitän Alangiris, eines famosen Knaben, der die Nase gründlich voll hat. Er gehört schon lange insgeheim zur Widerstandsbewegung und war sofort Feuer und Flamme, als er von unserem Plan erfuhr …“ „Alangiri?“ Martio warf seinem Vater einen forschenden Blick zu. „Wir müßten ihn doch eigentlich kennen.“ Der Alte schüttelte nachdenklich den Kopf. „Vielleicht gehörte er der nördlichen Sektion an, zu der wir in letzter Zeit keine Verbindung mehr hatten. Doch berichte weiter, mein Freund.“ „Unser neuer Verbündeter war sofort der Meinung, daß John und seine Kameraden nur im Lager 24 sein könnten. Alles weitere klappte vorzüglich. Es gelang Alangiri, ein Raketenflugzeug zu entführen und mich zu euch zu bringen. Doch nun erzählt mir endlich Jungens, wie ihr es zustande gebracht habt, die Erde zu verständigen.“ „Ohne unsere Freunde – Urgo, Martio und ihre Gefährten – 64
hätten wir gar nichts ausrichten können“, gab John zu. „Sie hatten die Idee, und sie gaben uns auch die Mittel in die Hand, um sie auszuführen. Im Westen von Hellas erstrecken sich ausgedehnte Plantagen, die längst aufgegeben und verwildert sind. Mit Hilfe alter Mähmaschinen, die wir in den verlassenen Siedlungen fanden, haben wir die verdorrten Pflanzen gerodet. Dann haben wir unsere ‚Ernte’ in Form von Bilderzeichen angeordnet und das Ganze zu nächtlicher Stunde in Brand gesetzt. Da das Material völlig ausgedörrt war, bekamen wir ein prächtiges Feuerwerk, das nicht durch zu starke Rauchentwicklung gestört und anscheinend einwandfrei von der Erde aus beobachtet werden konnte.“ „Eine großartige Idee – und dabei doch so einfach! Wir hatten uns schon eingebildet, ihr hättet hier irgendeinen tollen Geheimsender ausgegraben. – Hallo, Martio, was ist denn los?“ Der junge Mann war leise aufgestanden und katzengleich an die Tür geschlichen. Mit plötzlichem Ruck riß er sie auf und schaute hinaus. Kopfschüttelnd kehrte er in den Raum zurück. „Ich hätte schwören mögen, daß sich draußen jemand herumgedrückt hätte.“ „Du hast dich getäuscht, mein Sohn“, meinte Urgo. „Wer sollte uns hier belauschen? Doch zurück zu unserem Gespräch: Ihr werdet morgen erneut aufbrechen müssen, um weitere Botschaften zu senden.“ „Ich fürchte, es wird zwecklos sein“, sagte John bedrückt. „Wir würden kein Brennmaterial mehr finden, es ist alles verbraucht worden.“ Teddy Plum erblaßte. „Dann bin ich also zu spät gekommen? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“ In das ratlose Schweigen klang Martios Stimme wie eine Fanfare: „Ich weiß einen Weg! Denkt an das große Kanalstauwerk!“ „Was soll das, Martio?“ 65
„Im Stauwerk lagern große Treibstoffvorräte, die für den Antrieb der Maschinen bestimmt waren, bevor das Werk auf Atomantrieb umgestellt wurde.“ „Prächtig!“ rief John begeistert und sprang auf. „Wir brauchen also nur Gräben zu ziehen, die die Bildzeichen unserer Meldungen wiedergeben, und die Treibstoffe hineinlassen. Dann halten wir ein Zündholz daran, und schon …“ „Erst mal müssen wir den Treibstoff haben“, dämpfte Teddy Plum Johns Optimismus. „Könnte mir denken, daß die Herren im Stauwerk uns was husten werden.“ „Wir werden schon mit ihnen fertig“, lächelte Martio. Doch plötzlich wurde sein Gesicht starr. In Gedankenschnelle riß er die Pistole aus der Tasche, die er Kapitän Alangiri abgenommen hatte. Sein Schuß ließ das Fenster zersplittern … Die Raumfahrer drängten zur Tür. Draußen war nichts als die dunkle, eisige Nacht des Mars. Nur in der Ferne verhallten eilige Schritte. * Die Besatzung des Stauwerks dachte gar nicht daran, Widerstand zu leisten, als Martio mit seinen Begleitern am Vormittag des folgenden Tages unverhofft im Schaltraum der weitverzweigten Anlage auftauchte und mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe sämtlicher Schlüssel verlangte. Der Werkleiter entpuppte sich als geheimer Freund der Friedenspartei, und seine Männer – froh über die unerwartete Abwechslung ihres langweiligen Dienstes – packten bereitwillig mit an, als Martio die Treibstoffässer auf Raupenwagen verladen ließ. Schwerfällig setzte sich ein Fahrzeug nach dem anderen in Bewegung und rumpelte in die Wüste hinaus. Nach genau vorbereitetem Plan hatten John Palmer und Teddy Plum inzwischen durch Motorpflüge tiefe Gräben ausheben 66
lassen. Bald ergoß sich das trübe Marsöl in die Rinnen und füllte sie mehr und mehr aus. Immer wieder blickte John zum Himmel empor, an dem die Sonne allmählich ihren Tageslauf vollendete. Er trieb die Gefährten zur Eile an. Frank Wilson, der gerade die Axt krachend in ein gefülltes Ölfaß schmetterte, schüttelte den Kopf. „Ich verstehe deine Nervosität nicht, John, bisher hat doch alles bestens geklappt. Solange es nicht dunkel geworden ist, können wir mit unserem Feuerzauber sowieso nicht anfangen.“ „Mach weiter, Frank. Wir fangen diesmal schon bei Anbruch der Dämmerung an. Ich habe so ein verdammt ungutes Gefühl in der Magengegend.“ Der Sonnenball berührte gerade die niedrige Hügelkette am Westhorizont, als ein Raupenwagen angerattert kam. Martio sprang ab und trat auf John zu. „Alles ist in Ordnung, John. Ich habe mit deinen Freunden die Bilderzeichen noch einmal überprüft. Die Botschaft ist klar und wird von deinem Planeten verstanden werden. Die Gräben sind gefüllt. Alles wartet nur noch auf dein Zeichen.“ John atmete tief auf. „Ich danke dir, Martio.“ Er löste die Leuchtpistole vom Gürtel, die er im Stauwerk gefunden und mitgenommen hatte, und richtete sie gegen den Himmel, der sich dunkler zu färben begann. Zischend stieg die weiße Rakete in die Luft. Eine gelbliche Flamme lief die Gräben entlang, die sich an Johns Standort in spitzem Winkel schnitten. Bald loderte es hell aus den Vertiefungen. Soweit der Blick reichte, stieg ein magisches Glühen über der Wüste auf. Frank Wilson tauchte auf und nickte befriedigt. „So, das hätten wir geschafft. Schätze, damit dürfte unsere Mission auf diesem gastlichen Planeten endgültig erfüllt sein. Jetzt können wir nichts weiter tun, als abwarten und Marswein trinken, bis unsere Leute von der Erde uns abholen.“ 67
„Noch sind sie nicht hier, Frank. Freu dich nur nicht zu früh.“ „Du bist ein alter Miesmacher, John. Übrigens, was ist denn das da drüben für ein komischer Knabe? Nein, dort – neben der Düne. Was macht er da nur?“ John folgte mit den Augen der angegebenen Richtung. Da hockte tatsächlich ein Marsianer im Sand und hantierte an einem Apparat, der wie ein transportables Funkgerät aussah. John ging auf ihn zu, blieb aber nach wenigen Schritten stehen und hob lauschend den Kopf. „Ist da nicht ein Pfeifen in der Luft?“ „Ein Raketenflugzeug!“ rief Frank. „Teufel noch mal – wie mögen die Burschen nur Wind von der Sache gekriegt haben? Da – ein zweites! Eine ganze Staffel …“ „Ich weiß, wer uns verraten hat“, knirschte Martio. Mit federnden Sätzen hastete er auf den Mann zu, der noch immer an seinem Gerät arbeitete. Jetzt sprang er auf und drehte sich um, wie von einem sechsten Sinn gewarnt. „Alangiri!“ rief John erschrocken. „Er hat uns die Regierungsflugzeuge auf den Hals gehetzt.“ Der Verräter ergriff die Flucht. Er rannte um sein Leben. Martio war ihm dicht auf den Fersen. Nur wenige hundert Meter trennten die Laufenden noch von den Anlagen des Stauwerkes, als Martio plötzlich kehrt machte und in rasender Eile zurückgerannt kam. Schon von weitem vernahm John sein atemloses Rufen. „Zu den Wagen! Fort von hier!“ „Volle Deckung!“ schrie Frank Wilson. „Sie greifen an.“ Platt warfen sich die Freunde auf den Boden, als die Flugzeugstaffel über sie hinweg heulte. Der Donner einer schweren Detonation dröhnte durch die dünne Luft des Planeten. Ein Zittern lief durch den Boden. „Hurra, wir leben noch“, freute sich Frank. „Die Kerle haben vorbeigeworfen.“ 68
„Da bist du leider schwer im Irrtum. Steh auf, Frank, und lauf zum Wagen, so schnell du kannst. Sie haben den Staudamm bombardiert.“ „Teufel noch mal!“ Frank war schnell auf den Beinen. Und nun sah auch er die Bescherung … Im gemauerten Staudamm des Wasserverteilungswerks klaffte ein mächtiger Spalt, durch den sich das nasse Element in die Wüste ergoß. Jetzt erreichte die Flut den ersten Graben mit brennendem Öl. Im Nu war die ganze Wasseroberfläche von einer zusammenhängenden Schicht schwimmenden Feuers bedeckt, das unaufhaltsam näherkam. Martio stolperte heran. „Beeilt euch! Ruft die anderen zurück!“ Wieder hob John die Leuchtpistole. Er feuerte beide Läufe ab. Diesmal stiegen zwei rote Raketen in die Luft – das Signal zum sofortigen Rückzug. Einer der Marsianer, die zu Franks Gruppe gehörten, hatte den Motor des Kettenfahrzeugs schon angelassen. Hals über Kopf stürzten sich die Freunde durch die Einstiegluke in das Innere des Wagens. John warf noch einen letzten Blick zurück auf das Flammenmeer, dessen Ausläufer schon bedrohlich nahe heranleckten. Plötzlich stieß er einen Schrei aus. Auf einer flachen Bodenerhebung inmitten des brennenden Sees erkannte er einen Mann, der mit erhoben Armen hin und her taumelte. Der Mann war verloren – zu einem entsetzlichen Tode verdammt. Jetzt hatte die steigende Flut die niedere Kuppe erreicht. Das Schreien des Unglücklichen ertrank im Brausen des Wassers und der Flammen. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. „Es war Alangiri“, murmelte Martio. „Er hat das Ende gefunden, das er verdiente.“ *
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So streng die Geheimhaltungsvorschriften im „Verteidigungsbereich Terra“ auch eingehalten wurden, es ließ sich doch nicht vermeiden, daß einiges über die letzten Signale vom Mars an die Weltöffentlichkeit gelangte. Zu deutlich waren die optischen Bildzeichen diesmal gewesen. Einige mit besonders starken Instrumenten ausgerüstete Observatorien in Südafrika und in den Rocky Mountains hatten die Bilderschrift bei der Auswertung ihrer Überwachungsaufnahmen auf den Platten entdeckt. Die Wirkung auf die Allgemeinheit war verheerend. Hatte bisher ein guter, solidarischer Verteidigungsgeist in allen Ländern der U.N.T. geherrscht, so schlug die Stimmung völlig um, als man den wahren Umfang der drohenden Gefahr erfuhr. Es kam zu Demonstrationen und Massendesertionen. In allen Erdteilen kamen Regierungen ins Wanken. Handel und Verkehr gerieten ins Stocken, die Währung verfiel. Eine Flut von Eingaben und Protesten, von allen möglichen und unmöglichen Vorschlägen zur Abwendung der Gefahr, überschwemmte die Dienststellen der U.N.T. in Terratown. Fast pausenlos tagten im Regierungspalast die Ausschüsse der Experten. Wissenschaftler, Politiker und Militärs aus aller Herren Länder zerbrachen sich die Köpfe, wie man der Bedrohung aus dem Weltraum entgegentreten könnte. Doch niemand fand einen Weg. „Es gibt keine andere Lösung“, erklärte Generalmajor Shakleton zum hundertsten Male nachdrücklich, „als den Rat zu befolgen, den unsere Leute uns vom Mars in ihrer letzten Meldung übermittelt haben.“ „Ausgeschlossen“, wehrte Direktor Dannenberg ab. „Die Erde verfügt nun mal nicht über eine interplanetarische Kriegsflotte, die sie so mir nichts, dir nichts zum Mars schicken könnte.“ „Dann bringen Sie sie mit Volldampf auf die Beine! Sorgen Sie dafür, Sir, daß in allen Ihren Abteilungen mit Hochdruck 70
gearbeitet wird. Die Ingenieure und Arbeiter auf den Raumschiffwerften sollen in drei Schichten arbeiten. Stellen Sie neue Kräfte ein, soviel Sie brauchen. Lassen Sie sie schuften, bis sie umfallen …“ „Sorgen Sie lieber dafür, daß Ihre ‚Planetarische Miliz’ besser bewaffnet und ausgebildet wird“, ereiferte sich Dannenberg unfreundlich. Der Welt-Sicherheitsbeauftragte biß sich auf die Unterlippe. Dannenberg hatte ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen. Präsident Ferreira nahm ihm die Antwort ab. „Auf die Miliz dürfen wir praktisch nicht mehr zählen. Nach vertraulichen Meldungen aus allen Teilen der Welt, befindet sie sich in voller Auflösung. Nein, Herr Direktor – Mister Shakleton hat recht: Wir müssen den Rat der ‚Corona’-Mannschaft befolgen und unsere Streitkräfte in die Höhle des Löwen schicken.“ „Wie ich schon sagte, haben wir keine Schiffe, die für das Unternehmen in Frage kämen.“ „Sie haben aber doch die neun Superraumschiffe, die auf ‚Terra VII’ montiert werden. Fahrzeuge waren für eine Marsexpedition bestimmt, die …“ „… die einmal in ferner Zukunft verwirklicht werden sollte. Gewiß, Herr Präsident, aber es wäre ein frevelhafter Leichtsinn, diesen halbfertigen und ungenügend erprobten Fahrzeugen auch nur ein einziges Menschenleben anzuvertrauen.“ Der Generalmajor lachte rauh. „Nun seien Sie bloß nicht überempfindlich, Sir. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, sind eines Tages die Marsianer hier und bepflastern uns mit ihren hypermodernen Atombomben, von denen in der letzten Meldung die Rede war. Was das heißt, wird Ihnen wohl klar sein: Dann gingen die Verluste nicht mehr in die Dutzende, sondern in die Millionen und Milliarden.“ „Es ist selbstverständlich, daß wir unsere Marsflotte nur mit Freiwilligen auf den Weg schicken würden“, beendete Juan 71
Ferreira die Debatte. „Herr Direktor, sorgen Sie dafür, daß die neun Super-Raumschiffe in denkbar kürzester Frist wenigstens behelfsmäßig fertiggestellt werden. – Sie, Mister Shakleton, sorgen für die Armierung der Schiffe und für die Zusammenstellung der Besatzungen. Halten Sie mich bitte über den Fortgang der Arbeiten ständig auf dem Laufenden. Und nun – viel Erfolg, Gentlemen. Sie wissen, was auf dem Spiel steht.“ * John Palmer konnte sich später nur mühsam auf den Rückweg durch die Wüste Hellas, auf die Flucht vor dem Flammenmeer, besinnen. Er war In ein hitziges Fieber gefallen, das seine Sinne verwirrte und ihn stundenlang wild phantasieren ließ. Auf diese Ausbrüche folgten jedesmal lange Perioden völliger, stumpfer Teilnahmslosigkeit. Ratlos umstanden die Kameraden sein hartes Lager und zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie dem Kranken wohl zu helfen wäre. Was war das für eine tückische Krankheit, die John niedergezwungen hatte? Alle irdischen Erfahrungen versagten hier. War er einer unbekannten Infektion durch Marsbakterien zum Opfer gefallen? Oder hatte ihn das Übermaß an Anstrengungen und Sorgen der letzten Monate zur Strecke gebracht? Niemand wußte eine Antwort darauf. „Hätte ich doch wenigstens Dr. Smith mitgebracht, als ich zu euch kam“, jammerte der dicke Teddy Plum ein ums andere Mal. „Aber ich konnte ja schließlich nicht wissen …“ Achselzuckend schlichen sich die Kameraden davon und überließen den Kranken wieder der Aufsicht seiner schönen Pflegerin, der Tochter des alten Urgo. – John wußte nichts von dem, was um ihn vorging. In seinen qualvollen Fieberträumen waberte ein Meer von Flammen, das ihn verschlingen wollte. Er rannte und stürzte hin, raffte sich 72
wieder auf und flüchtete weiter, versengt und verdurstet – hoffnungslos … Doch dann kam der Tag, an dem die quälenden Phantasien von ihm abzulassen begannen. Er hörte wieder Stimmen, wie aus weiter Ferne, und spürte das erfrischende Getränkt, das eine hilfreiche Hand ihm einträufelte. Langsam hob er die schweren Lider. „Stella …“ Das junge Mädchen, das an seinem Lager saß, lächelte ihn an. „Ich bin nicht Stella, sondern Iruna, die Schwester deines Freundes Martio. Wie froh bin ich, daß es dir besser geht. Ich will es gleich deinen Kameraden sagen. Sie sind so voller Sorge um dich.“ Als Frank, Hieronymus und Teddy Plum atemlos herbeigeeilt kamen, war John schon wieder in tiefen Schlummer gesunken. Von nun an ging es schnell mit ihm bergauf. Seine urgesunde Natur überwand bald die letzten Nachwehen der rätselhaften Erkrankung. „Fein, daß wir wieder komplett sind“, freute sich Frank. „Du hast uns einen schönen Schreck eingejagt, mein lieber Alter.“ „Ich finde, John sieht noch ziemlich mitgenommen aus“, meinte Hieronymus. „Du hast Sorgen oder irgendeinen Kummer, mein Freund“, sagte der alte Urgo gütig. „Wenn ich dir helfen kann, soll es gern geschehen.“ John blickte ihn voll an. „Ich habe tatsächlich Sorgen. Noch weiß ich nicht, ob die Erde unsere letzte Warnung erhalten hat.“ „Wir dürfen es mit großer Gewißheit annehmen“, warf Martio ein. „Unsere Zeichen waren viel stärker, als jemals zuvor.“ „Wir haben aber nicht alles Erforderliche mitteilen können. Durch Alangiris Verrat …“ „Die ‚Geister der Tiefe’ haben ihn verschlungen“, unterbrach ihn der Alte gewichtig. „Alangiri war ein Schurke. Wir haben 73
ihm von Anfang an nicht getraut, aber leider haben wir ihn nicht aufmerksam genug beobachtet.“ „Er hat also doppeltes Spiel getrieben?“ „O nein, Alangiri hat einzig und allein im Interesse des Diktators gehandelt. Er hat sich in seinem Auftrag in das Vertrauen deiner Kameraden eingeschlichen, um herauszubekommen, auf welche Art es euch wohl gelungen sein mochte, mit der Erde in Verbindung zu treten. Mit Hilfe seines Funkgeräts verriet er unseren Plan an seine Auftraggeber. Die Regierung brauchte nur eine für diesen Zweck schon bereitstehende Staffel von Raketenflugzeugen starten zu lassen, um eure Vorbereitungen zunichte zu machen. Daß sie um Sekunden zu spät kam …“ „… war ihr persönliches Pech“, vollendete Teddy Plum. „Und ebenso war wohl nicht im Programm vorgesehen, daß ausgerechnet der tüchtige Alangiri den Tod finden mußte.“ „Konnten sich unsere Leute alle retten?“ erkundigte sich John. Martio nickte. „Es ging haarscharf am Tode vorbei, aber die Wagen hielten durch, und wir gewannen den Wettlauf mit den Flammen.“ Das Gespräch verebbte. Jeder hing seinen eigenen Erinnerungen nach. Plötzlich schlug John mit der Faust auf den Tisch, daß die Becher tanzten. „Was wir erreicht haben, genügt noch nicht. Was wird aus der irdischen Raumflotte – gesetzt den Fall, daß sie überhaupt ausgesandt wird –, wenn sie in Marsnähe aufkreuzt? Wie sollen wir den Schiffen die nötigen Fingerzeige geben? Wie sollen wir ihnen zeigen, wo die wichtigsten Rüstungszentren liegen, auf die sie ihre Angriffe zu konzentrieren hätten?“ Teddy Plum zog eine Marskarte aus der Brusttasche seiner Kombination und schleuderte sie auf den Tisch. „Da findet ihr sie eingezeichnet, die Rüstungszentren, die Befestigungen und alles, was dazugehört. Unser Käpten hat sie fein säuberlich eingezeichnet, aber seine ganze Arbeit war umsonst.“ 74
„Eine saubere Arbeit“, lobte Urgo, der sich eingehend in das Studium der Karte vertieft hatte. „Nichts ist vergeblich gewesen. Noch sehe ich Möglichkeiten, die Verständigung mit der irdischen Raumflotte aufzunehmen – sofern sie wirklich kommt.“ „Wenn sie nach unserer letzten Meldung immer noch nicht käme, wäre der Erde wirklich nicht zu helfen“, entgegnete der dicke Chefingenieur. „Aber wie stellst du dir die Verständigung vor, Urgo? Diesem Verräter Alangiri war es doch tatsächlich gelungen, das Funkgerät aus seiner Rakete auszubauen. Das ist nun hinüber – verbrannt und verschmort.“ „Aber die Rakete selbst ist uns geblieben. Martio hat sie untersucht. Sie ist noch vollkommen intakt und hat genügend Treibstoff in den Behältern, um euch zum Deimos zu bringen.“ John horchte auf. „Zum Marsmond Deimos? Was sollen wir denn da?“ „Auf Deimos befindet sich ein bedeutendes astronomisches Observatorium“, lächelte Urgo. „Ihr findet dort alles, was ihr braucht, sogar eine hochleistungsfähige Sendestation. Überlegt euch meinen Vorschlag in Ruhe. Ihr habt ja genug Zeit, bis die irdische Flotte eintrifft.“ „Überlegen?“ Der dicke Teddy sprang auf und reckte sich. „Da gibt’s nichts zu überlegen. Der Plan ist gut – goldrichtig ist er. Heute noch wird gestartet! Jetzt – sofort. Oder wollen wir wirklich warten, bis diese Burschen in der Hauptstadt sich darauf besinnen, daß Alangiris Raketenflugzeug noch immer hier im Lager 24 steht? Kommt, Jungens, macht euch fertig, bevor sie uns den prächtigen Vogel wegnehmen.“ * In nur knapp sieben Marsradien Entfernung zog der winzige Mond Deimos seine Bahn um den roten Planeten, den er in wenig 75
mehr als dreißig Stunden einmal umrundete. Mit seinen zehn Kilometern Durchmesser war er wahrhaftig ein kümmerlicher Himmelskörper. Nur wie ein heller Stern war er am Marshimmel zu erkennen. Die fünf Männer, die ihn mit Alangiris Raketenflugzeug ansteuerten, brauchten sich nicht die Mühe zu machen, ihr Reiseziel lange zu suchen. Eine bestimmte Einstellung des Richtungsschalters im Führerstand, ein Druck auf den Anlasser des Raketenmotors genügte, um das Flugzeug vom Startplatz fort in der günstigsten Bahnkurve unmittelbar ins Ziel zu steuern. „Darin seid ihr uns überlegen“, gestand John dem jungen Martio, der neben ihm auf dem bequemen Spezialsitz angeschnallt war. „Im Bereich der Erde bedeutet das Navigieren im Weltraum noch immer eine Kunst, die von den Schiffsführern in jahrlangen Kursen erlernt werden muß.“ „Ich bin überzeugt, daß sich unsere Völker in vielen Dingen gegenseitig ergänzen können“, lächelte Martio, „wenn es nur erst gelungen ist, sie auf friedlichem Wege zusammenzubringen. Doch gib acht – wir nähern uns Deimos. Wie mir scheint, ist die Luft nicht ganz rein …“ „Komische Idee, hier im Weltraum von ‚Luft’ zu reden“, knurrte Teddy Plum dazwischen. „Ich kann nirgends ein verdächtiges Raumfahrzeug entdecken“, sagte John Palmer. „Wo stecken denn eigentlich eure berühmten Weltraumgeschwader?“ „In der Nachbarschaft des Mondes Phobos und auf den künstlichen Stationen zwischen den beiden Monden. Aber irgend etwas gefällt mir nicht. Der ganze Mond wirkt wie ausgestorben.“ Deimos war keineswegs ausgestorben. Die Ankömmlinge sollten es sogleich erfahren. Ein Leuchtzeichen flammte im Führerstand der Rakete auf, aus dem Lautsprecher klang ein scharfer Befehl: „Stoppen Sie sofort! Wie kommen Sie überhaupt hierher? Bitte melden!“ 76
Martio nickte vielsagend. „Das hätten wir uns eigentlich denken können. Nachdem der Kriegszustand proklamiert wurde, hat man natürlich auch auf Deimos Truppen postiert.“ „Was sollen wir ihnen antworten, Martio?“ „Gar nichts. Wir tun, als hätten wir nichts gehört, und landen an der Rückseite des Mondes. Wenn es uns nicht gelingt, sie im ersten Ansturm zu überrumpeln, hetzen sie uns die ganze Flotte auf den Hals.“ „Dieser Deimos ist wirklich ein Zwerg unter den Satelliten“, meinte John Palmer, als sie den Himmelskörper in geringem Abstand umfuhren. „Eine ideale natürliche Außenstation. Wenn unsere Erde auch solch einen winzigen Trabanten besäße, dann wäre unsere Weltraumfahrt schon viel eher verwirklicht worden.“ Martio deutete schweigend aus dem Fenster. Auch die anderen erkannten jetzt die Anlagen des Observatoriums, die wie seltsame Vogelnester auf Vorsprüngen und in Spalten des grauen Gesteins klebten, aus dem Deimos bestand. Auf der Nachtseite des Mondes ließ Martio die Bremsdüsen aufflammen. Ein raketengetriebener Anker schoß hinüber und bohrte sich in die rissige Oberfläche des Trabanten. Eine elektrisch betriebene Winde holte das Drahtseil ein, an dem das Raketenflugzeug langsam auf den Marsmond zuglitt. „Seilt euch an und macht die Schutzanzüge dicht“, befahl John. „Und nun wollen wir uns diesen Deimos mal aus der Nähe betrachten.“ Sie verließen die Maschine durch die Luftschleuse und sprangen auf den Marssatelliten hinüber. Da der winzige Himmelskörper praktisch keine Anziehung ausübte, war an ein normales Gehen auf seiner Oberfläche nicht zu denken. Die Männer schnellten sich von einem Felsvorsprung zum nächsten und waren ängstlich darauf bedacht, nicht in den leeren Raum davonzuschweben. In ihren Helmen dröhnte es unentwegt aus den eingebauten 77
Lautsprechern: „So meldet euch doch, Leute! Wo seid ihr denn geblieben? Gebt euren Standort an! Meldet euch, oder wir eröffnen das Feuer.“ Die Freunde dachten nicht im entferntesten daran, dem Befehl nachzukommen. Eilig huschten und schwebten sie weiter. Nach einer halben Stunde hatten sie die Lichtgrenze erreicht. Jeden Augenblick mußten die Gebäude des Observatoriums auftauchen. Ehe sie sich dessen recht bewußt wurden, waren sie vor einem torähnlichem Eingang im Fels angelangt. John Palmer wartete, bis die Freunde heran waren, und bedeutete Martio durch ein Zeichen, die weitere Führung zu übernehmen. Der dunkle Gang, den sie betraten, weitete sich bald zu einer niedrigen Halle, von der nach vier Richtungen hin weitere Gänge abzweigten. Alles war von einem grünlichen, fahlen Licht matt erleuchtet. Zusammen mit dem seltsam geformten Felsmaterial und den plumpen Gestalten der Raumfahrer in ihren Schutzpanzern drängte sich unwillkürlich der Vergleich mit einer Schar von Tauchern auf dem Meeresgrund auf. Wir könnten die Schutzhelme eigentlich ablegen, dachte John und öffnete die Verschraubung. Die anderen folgten seinem Beispiel. Wie John vermutet hatte, war das Höhleninnere vollkommen gegenüber der Außenwelt isoliert und mit Atemluft gefüllt. „Wohin jetzt, Martio?“ Der junge Mann deutete auf eine Wandtafel. „Zunächst müssen wir die Funkstelle in die Hand bekommen, um vor bösen Überraschungen sicher zu sein. Sie liegt am Ende des Ganges zur Rechten.“ Die Raumfahrer entsicherten die Pistolen, die sie bei ihrer Aktion gegen das Stauwerk in Hellas erbeutet hatten, und eilten torkelnd und schwebend den langen Gang entlang. Martio stieß eine Tür auf. Wütende Stimmen und das Klappern von Morsetasten klangen den Männern entgegen. 78
Mit einem Blick hatte der Marsianer die Situation erfaßt. „Weitermachen!“ rief er dem Mann am Morseapparat zu. „Aber wenn ich etwas höre, das mir nicht gefällt, dann ist es deine letzte Meldung gewesen. Ihr anderen – zurück an die Wand, und laßt die Waffen stecken.“ Entsetzt starrten die überraschten Marsianer in die Mündungen der Pistolen. Niemand wagte, sich zu wehren. Der Mann an der Morsetaste verfärbte sich grünlich. Aber er nahm sich zusammen und gab seine Meldung zu Ende durch. Dann wurde auch er entwaffnet und in sicheren Gewahrsam gebracht. „Wo ist der Leiter des Observatoriums?“ fragte Martio scharf. Mürrisch wies ihm der gefangene Kommandant den Weg zum Arbeitsraum des Astronomen. Der Institutsleiter, ein weißhaariger Astronom, atmete auf, als Martio ihm mitteilte, daß die Besatzung des Deimos hinter Schloß und Riegel säße, und er selbst wieder Herr im eigenen Hause wäre. Der Kommandeur des Wachtkommandos hatte ihm übel mitgespielt. Die gesamten Beobachtungsgeräte waren beschlagnahmt worden, und keiner der Astronomen hatte die Arbeitsräume mehr betreten dürfen. „Das wird nun anders, Herr Professor“, versicherte John dem Leiter des Observatoriums. „Ich beanspruche für meine Kameraden und mich lediglich die Funkstation und die Genehmigung, hin und wieder eins Ihrer Fernrohre zu benutzen. Im übrigen können Sie mit Ihrem Personal wieder schalten und walten nach Herzenslust.“ – Die nächsten Wochen vergingen ohne besondere Ereignisse. Täglich zur gewohnten Zeit schickte Martio die routinemäßige Funkmeldung an die Hauptstadt ab: „Auf Deimos keine besonderen Vorkommnisse. Im Weltraum nichts Neues.“ Drei Wochen mochten vergangen sein, als John eines Nachts unsanft aus seinen Träumen gerüttelt wurde. Hieronymus stand vor ihm in der kleinen Kammer und schrie unablässig unver79
ständliches Zeug. Ärgerlich schüttelte er die Hand des Freundes ab. „Was soll das, Reddy? Bist du betrunken? Warum bist du nicht auf deinem Posten?“ „Sie kommen, John – sie kommen …“ „Thunderstorm!“ Mit einem Ruck war John Palmer hoch und griff nach der Pistole. „Gib Alarm, Reddy! Rufe die anderen! So beeile dich doch gefälligst, du Hornvieh. Wir müssen den Angriff abwehren, bevor es zu spät ist.“ „Angriff? Wer spricht denn von einem Angriff, John? Sie sind doch noch mindestens fünfzehn Millionen Meilen entfernt. Aber wir haben Funkverbindung …“ Allmählich dämmerte es John. „Du meinst doch nicht etwa – die Erde – unsere Schiffe?“ „Doch, doch: unsere Schiffe! Sie sind im Anflug auf den Mars.“ John stürzte hinaus. Er tobte durch die Gänge, riß Martio, Frank und Teddy aus den Federn, brüllte den Überraschten die Freudenbotschaft in die Ohren: „Sie kommen! Die Erde schickt eine Raumflotte. Ein paar Wochen noch, dann sind sie hier.“ – Für John Palmer und seine Kameraden begann nun der schwierigste Abschnitt ihrer Aufgabe. Natürlich war der Anflug der irdischen Fahrzeuge den Beobachtungsstellen des Mars nicht lange verborgen geblieben. An alle Stellen war sofort der Befehl ergangen, die Bewegungen der Raumflotte genauestens zu überwachen und laufend darüber ins Hauptquartier zu berichten. Auch das Observatorium auf Deimos hatte den Auftrag bekommen, ständig Positionsmeldungen der irdischen Schiffe durchzugeben. John „frisierte“ diese Positionsangaben so geschickt, daß das Hauptquartier zunächst keinen Verdacht schöpfte und die Fälschungen für bare Münze nahm. Gleichzei80
tig übermittelte John der näherkommenden Flotte durch Richtstrahler alle Einzelheiten, die sie wissen mußte, um im Bereich des Mars erfolgreich operieren zu können. Die irdischen Schiffe antworteten nicht, um John und die Seinen nicht der Gefahr einer Entdeckung auszusetzen. Dennoch setzte das kleine Häuflein unerschrockener Raumfahrer auf dem Marsmond Deimos Tag für Tag von neuem das Leben aufs Spiel. „Kinder, Kinder – wenn das nur gut geht“, sagte Teddy Plum jedesmal, wenn wieder ein Funkspruch die Station auf Deimos verlassen hatte. Und nachdrücklich schüttelte er den Kopf … * In Professor Ulano, dem Leiter des Deimos-Observatoriums, hatte John einen Wissenschaftler von besonderem Format kennengelernt, der auch im Umgang mit seinen ungebetenen Gästen stets liebenswürdig und entgegenkommend war. Die irdischen Raumfahrer hatten oft Gelegenheit, an den astronomischen Beobachtungen des mit den modernsten Mitteln ausgerüsteten Instituts teilzunehmen. Der Bereich der Planetoiden, die Wunderwelten der großen Planeten Jupiter und Saturn erschlossen sich ihren erstaunten Blicken. Bei einer dieser Beobachtungen erinnerte sich John blitzartig an seine Eindrücke bei der Ankunft der „Corona borealis“ am Mars. „Der Planet verschwand damals völlig in einem trüben Nebel, so daß jeder Einblick in seine Oberflächenmerkmale unmöglich wurde. Wie erklären Sie sich diesen Vorgang, Herr Professor.“ Professor Ulano schnaubte ärgerlich durch die Nase. „Auch so eine Verrücktheit von unseren Militärs. Durch eine bestimmte Strahlenart bringen sie die ganze Planetenatmosphäre zu einem diffusen Leuchten, das für einen Beobachter von außen alle Konturen verwischt. Wir haben schon viel Ärger durch diese 81
Festbeleuchtung gehabt, die bis zu uns herauf strahlt und uns die Aufnahmen verdirbt. Glücklicherweise gibt es ein Gegenmittel.“ John dachte an die irdische Raumflotte, die jeden Tag eintreffen konnte und unfehlbar in die gleiche, schwierige Lage kommen mußte, wie damals die unglückliche „Corona“. „Was ist das für ein Mittel, Herr Professor?“ Der Gelehrte schien die Frage nicht gehört zu haben. Aufmerksam bediente er die Justierschrauben eines großen Distanzmeßgerätes. „Das Gegenmittel? Ach so, ja – die Geschichte ist ganz einfach. Wir kamen durch einen Zufall darauf. Die Illumination klappt nämlich nur bei vollkommen trockener Luft. Wenn uns also der Zauber gar zu lästig wird, schießen wir heimlich eine Wassersprührakete ab. Sofort ist es mit den Leuchteffekten vorbei. Glücklicherweise sind uns die Herren da unten noch nicht auf die Schliche gekommen.“ John wollte gerade noch eine Frage stellen, als ein schrilles Klingelzeichen im Gang die beiden Männer aufhorchen ließ. Ein jäher Schreck durchzuckte den jungen Raumfahrer. „Alarm. Professor. Ich vermute, wir bekommen Besuch. Na ja – auf die Dauer konnte es auch gar nicht klargehen.“ In der Eingangshalle des Observatoriums stieß John auf den dicken Chefingenieur. Teddy Plum warf ihm einen Schutzhelm zu. „Schraub das Ding fest, Junge, aber etwas plötzlich! Draußen zwitschern schon die Kugeln herum. Wenn erst die Fensterscheiben zerschossen sind …“ Er hatte noch nicht ausgeredet, als eine der großen Scheiben zersprang. Ein Geschoß pfiff den Männern an den Ohren vorbei und schlug in die rückwärtige Wand. Eilig schlossen sie die Helme an. Wie von magischer Hand setzten sich die schweren Schotte in Bewegung, um die getroffene Abteilung hermetisch abzuriegeln. Aus einem Seitengang stolperte Frank Wilson hervor. Mit aller 82
Kraft stemmte er sich gegen das Schott. Hinter ihm quetschten sich Martio und Hieronymus vorbei, die ein schweres Gestell schleppten. „Um Himmels willen – was bringt ihr denn da?“ „Eine Maschinenkanone“, erklärte Frank stolz. „Wir haben sie in der Waffenkammer der Marssoldaten gefunden, die wir damals festgesetzt hatten. Los, Jungens, ans Fenster damit!“ Vorsichtig spähte John durch die zersplitterte Scheibe hinaus. „Laßt den Unsinn. Gegen diese Übermacht können wir doch nichts ausrichten. Ich zähle allein sechs Raketenschiffe in der Nähe. Dahinter kommt schon die zweite Angriffswelle – sieben, nein, neun Fahrzeuge im Großformat.“ „Das sind keine Marsschiffe“, rief Hieronymus aufgeregt. „Es ist unsere irdische Raumflotte.“ Wieder peitschte eine Geschoßgarbe herein. Zugleich füllte sich der Raum mit einem unwirklichen, fluoreszierenden Licht. „Die Marsoberfläche verschwindet“, sagte Frank, der einen raschen Blick aus einem der zerstörten Fenster riskierte. „Sie nebeln sich ein!“ „Auch das noch.“ John Palmer stürzte auf den Gang zu, in dem die Funkstation lag. Wütend hämmerte er gegen das Schott. „Wohin, John?“ „Ich muß den Schiffen eine Nachricht senden – zum letztenmal. Sie ist unbedingt lebenswichtig. Verdammt, wenn doch die elende Tür endlich nachgäbe …“ Martio eilte ihm zu Hilfe. Er drückte einen Knopf an der rechten Seite der Tür, den John in seiner Aufregung gar nicht bemerkt hatte. Langsam öffnete sich das Schott. Ein starker Luftstrom drückte die Freunde zurück. In der Halle fiel plötzlich ein kleiner Ball zu Boden, hüpfte ein paarmal in die Höhe und zersprang mit grellem Blitz. Martio preßte die Hände gegen die Brust und brach zusammen. 83
John Palmer eilte schon weiter. „Kümmert euch um Martio, Jungens. Ich bin gleich wieder da.“ In dem Augenblick, als John die Tür zur Funkstation aufriß, schleuderte ihn die Druckwelle einer gewaltigen Explosion zu Boden. Halb betäubt rutschte er zwischen umstürzenden Einrichtungsgegenständen in die entfernteste Ecke des Raumes. Das Observatorium mußte einen Volltreffer erhalten haben. Du mußt sie warnen, mahnte ihn eine innere Stimme, sie haben keine Chance, wenn du sie nicht anrufst … Mühsam rappelte er sich hoch und taumelte an den Arbeitstisch. Mechanisch bedienten seine Hände die Schaltung. Befreit atmete er auf. Die Sendeanlage war trotz des Beschusses bisher intakt geblieben. „An Raumflotte Terra“, hämmerten seine Finger, „versprüht Wasser in Marsatmosphäre – Nebel verschwindet dann sofort. Ich wiederhole …“ Doch John kam nicht mehr dazu, die Meldung ein zweites Mal durchzugeben. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte seine Rechte. Die Morsetaste zerstob ihm unter den Fingern. John spürte, wie die Atemluft aus dem beschädigten Schutzanzug entwich. Erschrocken preßte er die linke Hand auf den Riß und wandte sich zur Tür. Ein halbes Dutzend Pistolenläufe starrte ihm entgegen. John hatte den Anblick erwartet. * „Herr Kommandant, ich verlange, sofort ein Funkgespräch mit Marschall Ludo führen zu dürfen.“ Erregt redete John auf den Marsoffizier ein, der das Observatorium besetzt und John und seine Gefährten gefangengenommen hatte. Der Offizier lächelte höhnisch. „Das dürfte sich wohl erübrigen. Ich komme nämlich im Auftrag des Marschalls und werde 84
euch ihm vorführen, sobald der Alarmzustand beendet, und die feindliche Raumflotte vernichtet ist.“ Frank Wilson lachte herausfordernd. „Vernichtet? Hahahaha! Sieh dir doch die Lage da draußen mal an, großer Feldherr. Wenn mich nicht alles täuscht, werden die Erdenschiffe gleich mit dem Bombardement eures traumschönen Planeten beginnen.“ Der Kommandant schaute aus dem Fenster. Sein bleiches Gesicht wurde noch um eine Schattierung käsiger. „Was soll das heißen? Die Vernebelung versagt. Es muß Regen aufgekommen sein. Aber das ist doch unmöglich …“ „Für die Erdbewohner ist nichts unmöglich“, erklärte Frank selbstsicher. „Der Admiral unserer Raumflotte hat nur ein bißchen gezaubert. Gib acht, gleich zaubert er noch mehr.“ „Ihr wollt mich wohl bluffen? Ihr solltet ganz genau wissen, daß eure Schiffe keine Aussicht haben, davonzukommen. Selbst wenn – ja, was ist denn das?“ Der Raum, der bisher im hellen Sonnenlicht gelegen hatte, füllte sich plötzlich mit Finsternis. Frank lachte. „Was das ist? Oh, wahrscheinlich nur ein Schatten. Eins unserer Schiffe fährt gerade am Deimos vorüber und verursacht eine kleine Sonnenfinsternis.“ „Sind sie tatsächlich schon so nahe?“ Der Marsoffizier brach ab, als der Fernsprecher klingelte. „Was sagen Sie? Alarm? Jawohl, ich habe verstanden. Die Staffel greift sofort an.“ „Warten Sie doch, Mann!“ Verzweifelt fiel ihm John in den Arm. „Lassen Sie mich mit dem Marschall sprechen, ich will einen letzten Versuch machen, zu vermitteln. Der Konflikt muß auf friedlicher Ebene gelöst werden. Ein grenzenloses Blutvergießen wäre sonst die Folge.“ Der Offizier schüttelte John ab. Stur wie ein Roboter stampfte er hinaus. Gleich danach sah man die schlanken Raketenfahrzeuge seiner Staffel vor dem Fenster vorübergleiten. 85
„So, nun wären wir wieder unter uns“, atmete Teddy Plum auf. „Höchste Zeit, daß dieser widerliche Kerl verschwand. He, John, was machst du für ein misepetriges Gesicht?“ John Palmer hob hoffnungslos die Schultern. „Diese Engstirnigkeit! Jetzt kann niemand mehr den Zusammenstoß verhindern. Krieg zweier Planeten – welch ein Wahnsinn!“ „Es geht schon los“, rief Hieronymus vom Fenster her. „Alle guten Geister – welch eine Riesenübermacht die Marsianer ins Feld führen.“ Atemlos drängten sich die vier Raumfahrer ans Fenster. Überall vor dem schwarzen Firmament glitten die Geschwader des Mars mit feurigen Schweifen vorüber. In der Tiefe, auf der Planetenoberfläche, spien trichterförmige Öffnungen ständig neue Raumfahrzeuge aus. Sie wurden bis an die Grenze der Atmosphäre emporgeschleudert und entfalteten erst im freien Raum ihre eigene Antriebskraft. „Unsere neun Schiffe werden einen schweren Stand haben“, murmelte Teddy Plum bedrückt. Es schien, als sollte er recht behalten. Ein Rudel kleiner, wendiger Marsschiffe stürzte sich, aus der Schwärze des Raumes kommend, von rückwärts auf die irdische Raumflotte. Hüben und drüben blitzte es auf. Die Angreifer stoben auseinander, aber sie hatten ihre Absicht offenbar erreicht. Schwer getroffen trieb das letzte der Erdschiffe seitwärts ab. An seinem Bug glänzte in großen, roten Lettern der Name „Antarktis“. Der irdische Befehlshaber änderte jetzt seine Taktik. Er zog seine Schiffe weit auseinander. Plötzlich lösten sich von jedem der mächtigen Rümpfe zahlreiche schlanke Landungsraketen. „Nanu“, staunte Frank Wilson, „will er den Mars jetzt schon durch ‚Luftlandetruppen’ besetzen lassen? Das halte ich aber für gewagt.“ Die Landungsboote schossen davon und verschwanden hin86
ter der Krümmung des Planeten. Die Aufmerksamkeit der Beobachter wurde jetzt von den Vorgängen gefesselt, die sich in unmittelbarer Nähe der ausgeschwärmten irdischen Flotte abspielten. Von zwei Seiten näherten sich starke Marsgeschwader, die den irdischen Schiffen an Zahl um das Zehnfache überlegen sein mochten. „Teufel noch mal – jetzt nehmen sie unsere Jungens in die Zange“, knirschte Frank. „Seht doch: Sie feuern mit Raketen …“ Wie Schwärme bösartiger Insekten schoß ein Hagel von Raketen auf die Kolosse der Erdschiffe zu. Gebannt verfolgten die Freunde den Weg der todbringenden Projektile. Nach menschlichem Ermessen gab es hier kein Entrinnen mehr. Doch es kam anders. Die Raketen hatten kaum die Hälfte ihres Weges zurückgelegt, als eine unsichtbare Hand nach ihnen zu greifen schien. Sie bäumten sich auf, gingen in engen Kurven auf Gegenkurs und rasten auf die Marsschiffe zu, von denen sie vor Sekunden gestartet waren. Eine gewaltige Explosion riß die schweren Raumfahrzeuge auseinander. Die Erdschiffe nahmen sofort Fahrt auf, um dem gefährlichen Trümmerhagel zu entgehen. „Fernsteuerung – einmal anders“, rief Teddy Plum. „Bravo, Jungens, weiter so!“ Nach dieser schweren Schlappe sahen sich die Marsianer gezwungen, ihre Formationen umzugruppieren. Währenddessen beschränkten sie sich auf kleinere Aktionen. Einzeln oder paarweise pirschten sich ihre Schiffe an den irdischen Konvoy heran und nahmen ihn unter Feuer. Doch die Angegriffenen erwiderten das Feuer mit ihren überlegenen Strahlengeschützen und wehrten die Marsianer mit Leichtigkeit ab. Fern über dem Horizont des Planeten, in der Nachbarschaft des Mondes Phobos, braute sich etwas zusammen. Hunderte leuchtender Punkte – mit unbewaffnetem Auge nicht als Raumfahrzeuge zu erkennen – schwirrten scheinbar ziellos durchein87
ander, ordneten sich dann zu neuen Formationen und setzten sich langsam in Bewegung. Die irdischen Schiffe schienen keine Notiz davon zu nehmen. „Schlafen die denn?“ regte sich der dicke Teddy auf. „Wenn man ihnen doch nur einen Wink geben könnte …“ „Da sind sie wieder – unsere Landungsbote“, schrie Hieronymus und deutete nach unten. Wie aus dem Nichts waren sie plötzlich wieder aufgetaucht, die schnellen Staffeln der schlanken, silbrig glänzenden Raketenboote. In geringer Höhe rasten sie über die Marsoberfläche dahin. „An die hatten wir ja gar nicht mehr gedacht“, sagte John. „Bin gespannt, was sie im Schilde führen.“ John brauchte nicht lange zu warten. In der Tiefe zuckten plötzlich grelle Blitze auf. Brodelnd stiegen mächtige Explosionswolken himmelwärts. „Sie werfen H-Bomben ab. Die Treffer liegen genau in den Rüstungszentren, die wir ihnen angegeben haben.“ „Alles ganz gut und schön“, brummte Teddy Plum besorgt, „aber das Gros der Marsflotte rückt bedrohlich näher.“ Jetzt war man auch an Bord des irdischen Flaggschiffs, der „Europa“, aufmerksam geworden. Die acht übriggebliebenen, noch kampffähigen Schiffe wendeten langsam und richteten den Bug mit den waffenstarrenden Kugelkabinen dem Gegner entgegen. Doch bevor das erste Mündungsfeuer aufflammte, trat ein Ereignis ein, das den Kampf im Bruchteil einer Sekunde entscheiden sollte. Die Entscheidung fiel nicht im Raum, sondern auf Mars selbst; sie fiel im Lacus Solls, unter dem in großer Tiefe die Metropole des Planeten lag. Ein Lichtblitz, heller als die Sonne, blendete die Augen der Männer auf Deimos, als sie nach längerer Zeit wagten, wieder hinabzuschauen, lag die ganze Landschaft in einer bläulich gleißenden Glut, die sich allmählich nach allen Seiten ausbreitete. 88
„Sind die Jungens denn total verrückt geworden?“ entrüstete sich John. „Was ist das für eine teuflische Massenvernichtungswaffe? Wollen sie am Ende den ganzen Planeten auseinandersprengen?“ „Es ist nicht die Schuld der Erdbewohner“, kam Martios Stimme matt. Der junge Mann, noch geschwächt von seiner Verwundung, hatte sich vom Lager erhoben und sich zu den Freunden ans Fenster geschleppt. Mit entsetzen Augen starrte er in die Tiefe. „Dieses Feuer, das alles verzehrt, stammt nicht von der Erde. Der Diktator des Mars hatte es in Bomben füllen und an jener Stelle lagern lassen, um es eines Tages zur Eroberung anderer Planeten einzusetzen. Jetzt – ist es ihm selbst zum Verhängnis geworden.“ „Scheußlich“, Frank Wilson schüttelte sich. „Die Streitkräfte eures wackeren Diktators scheinen auch einigermaßen schockiert zu sein. Seht, sie geben es auf.“ „Wenn das nur nicht wieder so ein feiger Trick ist“, brummte John voller Mißtrauen. Aber es war kein Trick. Die gewaltige Armada des Mars, die sich gerade zum Angriff auf die acht irdischen Raumschiffe anschickte, geriet in Verwirrung. Deutlich sah man, wie einzelne Schiffe von ihren Besatzungen verlassen wurden, die sich in Rettungsraketen zur Planetenoberfläche hinunter flüchteten. Andere montierten ihre Bewaffnung ab und bedeuteten der irdischen Flotte, daß sie sich ergeben würden. Nur eine geringe Zahl ging auf Gegenkurs und war bald in der Schwärze des Weltraums verschwunden. Es war noch keine Stunde seit der Explosion im Lacus Solis vergangen, als ein Landungsboot der „Europa“ anlegte, um John und seine Freunde abzuholen. *
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Anderthalb Jahre waren vergangen. Für John Palmer, der auf Grund seiner Verdienste zum Captain der U.N.T.Raumfahrtorganisation avanciert war, hatten sie ein Übermaß an Arbeit gebracht, und Seinen Kameraden war es nicht anders ergangen. Sobald das Atomfeuer im Lacus Solis eingedämmt war, hatten sich Sieger und Besiegte zusammengetan, um die schweren Kriegsschäden zu beseitigen und eine neue Verwaltung auf Mars zu errichten. Die Hauptverantwortlichen für den Konflikt zwischen Erde und Mars hatte man nicht fassen können. Sowohl der Diktator selbst, wie Marschall Ludo blieben verschwunden. Waren sie im Kampf gefallen oder bei der Bombardierung des Planeten ums Leben gekommen. Niemand vermochte es zu sagen. Gestützt auf die Friedenspartei hatte der alte Urgo die Neubildung der Marsregierung übernommen. Es war ein schlimmes Erbe, das er vorgefunden hatte, aber die irdischen Raumfahrer unterstützten ihn mit Rat und Tat und halfen ihm über die erste schwere Zeit hinweg. Weitere Fachkräfte und Hilfsmittel waren bereits bei der U.N.T.-Regierung angefordert. Sie sollten bei der nächsten Marsopposition eintreffen. Die Stunde des Abschieds war gekommen. Auf dem provisorischen Flugfeld in der Nähe des einstigen Lagers 24, das Urgo zu seinem vorläufigen Regierungssitz ausgebaut hatte, standen die Landungsraketen startbereit, um die Raumfahrer an Bord ihrer Schiffe zurückzubringen. „Ich danke euch allen, meine Freunde“, sagte Urgo bewegt. „Die bösen Kräfte unseres Planeten haben euch vernichten und auslöschen wollen. Ihr aber wart die Stärkeren, und ihr habt Böses mit Gutem vergolten und ein Band des Friedens zwischen unseren Planeten geknüpft. Kommt wieder – und vergeßt uns nicht, meine Freunde. Möge eure Heimfahrt glücklich sein.“ Noch lange blickte John Palmer auf den roten Planeten zu90
rück, als er an Bord der „Europa“ der heimatlichen Erde entgegenfuhr. – Ende –
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