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Edition Akzente Herausgegeben von Michael Krüger
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Georg Franck Ökonomie der Aufmerksamkeit Ein Entwurf
Carl...
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Edition Akzente Herausgegeben von Michael Krüger
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Georg Franck Ökonomie der Aufmerksamkeit Ein Entwurf
Carl Hanser Verlag -3-
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02 01 00 99
ISBN 3-446-19348-0 Alle Rechte vorbehalten © Carl Hanser Verlag München Wien 1998 Umschlag: nach einem Entwurf von Klaus Detjen © Abbildung: Augenmodell Somso CS 20, mit freundlicher Genehmigung der Firma Marcus Sommer, Coburg Satz: Filmsatz Schröter GmbH, München Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany
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Inhalt Vorwort Einleitung Im blinden Fleck der Theorie Leib und Seele Ökonomie als Realitätsprinzip
Erstes Kapitel: Das aufmerksame Dasein und das Geschäft der Wissenschaft »Aufmerksamkeit« und »Bewußtsein« Die Wissenschaft: ein Kampf um Aufmerksamkeit Zur ökonomischen Rationalität des Forschungsbetriebs
Zweites Kapitel: Aufmerksamkeit: Die neue Währung? Blick auf die Historie der Informationsflut Die Kultur der Intentionalität Das Massengeschäft der Information Die finale Entgrenzung der Informationsflut Auf der Kippe Die neue Währung?
Drittes Kapitel: Zur Ökonomie der Selbstwertschätzung Der Wunsch nach Beachtung und die Sorge um den Selbstwert Wie erfahren wir von unserer Rolle im anderen Bewußtsein? Ökonomischer Preis und intrinsischer Wert Persönliche Wertschätzung und soziale Geltung Ansehen und Gesicht Der Markt des Ansehens Lokale Märkte und komparative Gefühle
Viertes Kapitel: Das Kapital Ruhm, Prominenz, Reputation, Prestige Der Markt der Beachtung und der Kurswert der Beachtlichkeit Gesellschaftlicher Ehrgeiz Das Gesellschaftsspiel um den Selbstwert Der Betrieb der Kultur und der Kapitalmarkt der Beachtlichkeit Der Gang an die Börse Abstimmung und Widerspruch Vom Publikations- zum Massenmedium Die Produktion der Prominenz Der Kapitalismus im Geist
Fünftes Kapitel: Attraktivität als Stil der Zeit Hohe und populäre Kultur Aura und Idol Die Kultur der Attraktivität Attraktivität als Realitätsprinzip Medienästhetik Der »attraktive« Sektor
Sechstes Kapitel: Die Wissenschaft: ein intelligentes Sozialsystem? Geistiges und beachtliches Kapital Eine ökonomische Theorie der Wissensproduktion? Soziale Intelligenz Rationalität und Moralität
Siebtes Kapitel: Moralische Eleganz Ökologischer Hedonismus Ordinärer und nobler Reichtum Der Zirkel der Abfälligkeit und der Zirkel der Wohltätigkeit Verstand und Gefühl Das Herz Unterwegs zur Selbstaufmerksamkeit Die Verantwortung der Selbstaufmerksamkeit Soziale Wohlfahrt, Logik und Ethik
Anmerkungen
Vorwort
Es gibt die Ökonomie des Tauschens und es gibt die Ökonomie des Schenkens. Wenn von Ökonomie die Rede ist, ist aber fast nur vom Tauschen und kaum je vom Schenken die Rede. Das hat etwas mit der Ökonomie selbst, vor allem aber mit jenen zu tun, die darüber reden. Das Tauschen scheint leichter verständlich als das Schenken. Das Tauschen paßt zur Vorstellung, daß beide Seiten rational ihren Vorteil verfolgen. Das Schenken sperrt sich der gängigen Vorstellung von ökonomischer Rationalität. Daran schon zeigt sich, daß der Begriff ökonomischer Rationalität enger ist als das Spektrum rationalen Handelns. Dieses Buch will das begriffliche Korsett erweitern. Trotzdem macht es keine Ausnahme von der Regel, daß viel vom Tauschen und wenig vom Schenken die Rede ist. Das ist einer seiner Mängel. Nicht nur, daß das Schenken im Fall der Zuwendung von Aufmerksamkeit eine praktisch bedeutende und für die Qualität des Zusammenlebens sogar ausschlaggebende Rolle spielt. Die Arbeit selber wäre nicht zustande gekommen ohne eine Reihe hochherziger Spenden an Aufmerksamkeit. Bereits die Idee ist eine Spende. Meine Schwester Dorothea hat sie mir überlassen. Auf dem Gebiet der Konversationsanalyse arbeitend, hatte sie vorgeschlagen, den sich selbst organisierenden Wechsel von Sprechen und Hören als Form eines stillschweigend ausgehandelten Tauschs zu beschreiben. Das knappe Gut, das jede Unterhaltung kostet und um dessen Einnahme es in jeder Unterhaltung geht, ist Aufmerksamkeit. Aus Dorotheas Vorschlag wurde ein gemeinsam verfaßter Aufsatz. So kam es, daß die Idee einer Ökonomie der Aufmerksamkeit erstmals unter dem Titel »Zwischenmenschliche Verhandlung versus intersub-
jektive Norm« in den Papieren zur Linguistik, Nr. 35 (Heft 2/1986) vorgestellt wurde. Am weiteren Gedeihen der Idee hat Kurt Scheel besonderen Anteil. Er hat das Projekt unterstützt, indem er Entwürfe durchsah, mit stets gutem Rat zur Seite stand sowie Vorüberlegungen und Vorabdrucke im Merkur erscheinen ließ. Das Projekt wäre gescheitert, hätte mich Helmut Gründer nicht aus einer verheerenden Sackgasse herausgeholt. Er hat es auf sich genommen, zwei unreife Vorversionen gründlich durchzuarbeiten und dem begriffsstutzigen Autor klarzumachen, daß er sich auf dem Holzweg befindet. Ohne diesen entschiedenen Einsatz des Freundes wäre die Arbeit nicht zustande gekommen. Das Manuskript haben Harald Atmanspacher, Ernst Peter Fischer und Egon Matzner durchgesehen und verbessert. Harald Atmanspacher hat sich ganz besonders um die Kapitel 1, 6 und 7 verdient gemacht. Weil ich den Ratschlägen nicht in allen Punkten gefolgt bin, bleiben die Versäumnisse ganz meine Schuld. Den schwierigsten Begleitpart hat Ingrid Schünemann übernommen. Nicht nur, daß sie ständig geforderte Beraterin in Stil- und Haltungsfragen war, sie mußte es auch ertragen, daß der Lebensgefährte zwar großzügigst ihre Rücksicht in Anspruch nahm, weit weniger großzügig aber im Bedanken mit Aufmerksamkeit war. Ihr ist dieses Buch zugeeignet.
Einleitung
Was ist angenehmer als die wohlwollende Zuwendung anderer Menschen, was wohliger als ihre teilnehmende Einfühlsamkeit? Was wirkt so inspirierend wie begeisterte Zuhörer, was ist so fesselnd wie das Fesseln ihrer Sinne? Was gibt es Aufregenderes als einen Saal voll gespannter Blicke, was Hinreißenderes als den Beifall, der einem entgegentost? Was schließlich kommt dem Zauber gleich, den die entzückte Zuwendung derer entfacht, von denen wir selber bezaubert sind? – Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblaßt der Reichtum neben der Prominenz. Prominente sind die Einkommensmillionäre in Sachen Aufmerksamkeit. Der Ruhm ist die schönste der irdischen Belohnungen, weil er den Status des Großverdieners an Aufmerksamkeit noch über den Tod hinaus sichert. Das Hinreißende am jubelnden Publikum ist der Schwall der zufliegenden, das Betörende am eigenen Ausüben von Faszination ist das Bad in der gebannten Aufmerksamkeit. Der Zauber, der von der Überfülle empfangener Zuwendung ausgeht, übertrifft die Magie des Geldregens. Aber wie vom Geld, so können wir von der Aufmerksamkeit nicht genug bekommen. Der Beifall kann zwar von der falschen Seite kommen, und die Seite, welche Beachtung findet, kann die falsche sein. Von Menschen aber, die wir schätzen, und für Eigenschaften, die wir uns zugute halten, kann der Zuwendung schwerlich zuviel werden. Nur auf mangelnde Aufmerksamkeit reagieren wir empfindlich. Wir halten es einfach nicht aus, keine Rolle im Seelenleben anderer zu spielen. Die Menschenseele fängt
schon an zu leiden, wenn sie keine erste Rolle in einer anderen spielt. Und sie nimmt bleibenden Schaden, wenn sie kein Mindesteinkommen an Zuwendung bezieht. Der Entzug kann sogar tödlich sein. Kinder sterben an mangelnder Zuwendung, Erwachsene erleben die Isolation als Folter. Die Seele bedarf der Zuwendung ihresgleichen wie der Leib seiner körpereigenen Morphine. So ist denn auch kein Kult über Zeiten und Völker so verbreitet wie der um die Attraktivität der eigenen Person. Nichts und niemandem huldigen die Menschen mit solcher Hingabe wie ihrer Anziehungskraft auf fremde Aufmerksamkeit. Alles Predigen wider die Gefallsucht, alles Wettern gegen die Eitelkeit blieb vergebens. Die Eitelkeit hat all die höheren Werte, in deren Namen sie verdammt wurde, glänzend überlebt. Aufklärung und Modernisierung haben ihr nur gutgetan. Die Säkularisierung hat sie befreit, statt untergraben. Je weiter Brauchtum und Religion zerfallen, um so unverhohlener rückt der gesellschaftliche Ehrgeiz ins Zentrum der Lebensinhalte. Je reicher und offener die Gesellschaft, um so offener und aufwendiger wird der Kampf um die Aufmerksamkeit ausgetragen. Nicht der sorglose Genuß, nein, die Sorge, daß die andern auch schauen, wird zum tragenden Lebensgefühl in der Wohlstandsgesellschaft. Im blinden Fleck der Theorie Es wäre eigenartig, wenn eine Gesellschaft, die der Attraktivität frönt, nicht auch der Neugier huldigen würde. Neugier und das Verlangen nach Zuwendung sind Geschwister: Sie sind die beiden freischwebenden Arten des Begehrens. Sie werden wie leibliche Bedürfnisse verspürt, haben sich aber vom physischen Anlaß des Begehrens emanzi-
piert. Sie beschäftigen die Aufmerksamkeit ohne konkreten Anlaß. Die Lust auf Neues und das Verlangen nach Zuwendung sind unermüdliche Antriebe zur Findigkeit. Gemeinsam ist ihnen der ausgesprochen erotische Einschlag; beide führen zu deprivierenden Entzugserscheinungen, wenn sie nicht befriedigt werden. Die Erfüllung beider liegt aber ganz auf der psychischen – um nicht zu sagen, mentalen – Ebene. Neugier und das Verlangen nach der Rolle im anderen Bewußtsein sind die Arten der Begehrlichkeit, die das Bewußtsein von sich aus entwickelt. Ihre Zeit ist gekommen, wenn für die leiblichen Bedürfnisse gesorgt ist. Ganz folgerecht sind sie es, die in der nachindustriellen Gesellschaft die Führungsrolle übernehmen. Die Wissensproduktion beerbt die einst dominierende Stellung der Schwerindustrie, an die Stelle des sozialen Stands und materiellen Reichtums tritt die öffentlich festgestellte Auffälligkeit. Folgerecht wird die nachindustrielle Gesellschaft als Wissensgesellschaft angesprochen, schlüssig auch, daß wir eine Hochblüte des inszenierten Auffallens und dicken Auftragens erleben. Die Wissenschaft beherrscht das Weltbild in der hochtechnisierten Zivilisation, der Kampf um die Aufmerksamkeit beherrscht deren Alltagskultur. Wir sind Zeugen einer förmlichen Explosion des Wissens und bekommen eine sprichwörtliche Flut Beachtung heischender Reize zu spüren. Wissenschaft ist die systematisch veranstaltete, professionell betriebene und arbeitsteilig organisierte Befriedigung von Neugier. Aber nicht nur. Der Wissenschaftsbetrieb ist auch eine im industriellen Maßstab organisierte Ökonomie der Wissen produzierenden Aufmerksamkeit. Die wichtigsten Produktionsmittel der Wissenschaft sind vorproduziertes Wissen und lebendige Aufmerksamkeit. Da vorproduziertes Wissen wiederum aus vorproduzier-
tem Wissen und lebendiger Aufmerksamkeit entstand, ist es letztlich immer Aufmerksamkeit, die Wissen produziert. Die Aufmerksamkeit, die Wissen produziert, ist nun aber nicht begehrt, sondern knapp. Sie wird nicht zwischenmenschlich zugewendet, sondern sachlich verwendet. Sie leistet zunächst einmal Arbeit und geht nur unter bestimmten Umständen in eine Form des Einkommens für andere über. Ganz anders die Aufmerksamkeit, deren Attraktion die Alltagskultur beherrscht. Sie ist begehrt als Einkommen. Aber sie ist begehrt nicht, weil man anderer Leute Arbeit damit kaufen könnte, sondern weil sie Zugang zu anderen Erlebnissphären verschafft. Um der Rolle willen, die die eigene Person im anderen Bewußtsein spielt, inszenieren wir die hohe Kultur der Attraktivität. Weil unser gesellschaftliches Leben auf der Bühne des anderen Bewußtseins spielt, sind Kleiderordnung, Aufmachung und die Pflege von Figur und Frisur so wichtig. Wie im Theater werden die Auftritte, auf die es ankommt, sorgsam einstudiert und wird aller nur erdenkliche Aufwand getrieben, um den richtigen Eindruck zu machen. Was neu am Zeitstil dieses Aufwands ist, ist die Professionalität und hohe Technologie der Zulieferindustrien. Mode und Kosmetik versprechen, massenhaft solche Produkte zu liefern, die einfach unwiderstehlich machen. Die Technologien der Herstellung von Attraktivität stecken hinter dem Design der Konsumgüter und brillieren in der Werbung. Die hoch technische Zivilisation ist hoch technisiert nicht nur, was die Techniken maschineller und organisatorischer Art, sondern auch, was die Technologien betrifft, mit denen Aufmerksamkeit erregt und eingefahren wird. In der hochtechnisierten Zivilisation erlebt die Aufmerksamkeit jedoch auch in ihrer Eigenschaft als Produktionsfaktor einen historisch beispiellosen Aufschwung. Als
Produktionsfaktor ist die lebendige Aufmerksamkeit eine knappe Ressource und heißt geistige Arbeit. Der Anteil der geistigen Arbeit am Sozialprodukt hat den der körperlichen in allen entwickelten Volkswirtschaften inzwischen weit überrundet. Die Aufmerksamkeit ist hier zur generell wichtigsten Quelle der Wertschöpfung geworden. Eigenartigerweise spielt sie aber so gut wie keine Rolle in der Wissenschaft von der Ökonomie. Aufmerksamkeit ist keine Kategorie der ökonomischen Theorie. Dort ist zwar viel von Entmaterialisierung, Informatisierung und Virtualisierung die Rede, die zentrale Ressource der Informationsverarbeitung kommt aber nicht zur Sprache. Auch in ihrer Eigenschaft als Einkommen kommt die Aufmerksamkeit in der theoretischen Ökonomie nicht vor. Nicht, daß nur geldwerte Einkommen zählen würden. Es finden auch psychische Formen des Einkommens Berücksichtigung. Es fehlt aber die systematische Betrachtung des Tauschs an Beachtung und der Einnahmen an Aufmerksamkeit. Weder als knappe Ressource noch als begehrtes Einkommen ist Aufmerksamkeit eine Kategorie der ökonomischen Theorie. Und wer nun glaubt, dieses Versäumnis werde in den weniger technischen Disziplinen der Sozialwissenschaft korrigiert, wird noch einmal enttäuscht. Im großen und ganzen wird man in der Literatur zur nachindustriellen Gesellschaft unter dem Stichwort Aufmerksamkeit vergeblich suchen. Nur dort, wo es intellektuell weniger anspruchsvoll zugeht, ist der organisierte Kampf um die Aufmerksamkeit das große Thema. Der Blätterwald und das Fernsehen stehen im Bann des Reichtums an Beachtung. Nichts interessiert die Massenmedien so sehr wie der Rummel um die bekannten Gesichter und die Kurswerte der Prominenz. Je schillernder das Genre, um so ausschließlicher wird das Medium zur Stätte des Kults um die Attraktivität. Es ist
die Regenbogenpresse, die das Hochamt dieses Kults zelebriert. Diesem Kult meint die ernsthafte Intellektualität nur heimlich beiwohnen zu dürfen. Natürlich ist auch sie von der Macht der Eitelkeit und von der Gier nach Publizität getrieben. Reden darüber dürfen aber nur die Klatschspalten, nicht die Wissenschaft. So nimmt denn auch die Wissenschaftstheorie das Wort Aufmerksamkeit nicht in den Mund. Alle wissen zwar, welche Rolle die Eitelkeit in der Wissenschaft spielt. Vom Wunsch, Aufsehen zu erregen, ist aber höchstens als verpöntem Laster die Rede. Daß es für die Leistungsfähigkeit des Forschungsbetriebs vielleicht entscheidend sein könnte, daß Wissenschaftler nicht nur aus Neugier forschen, sondern auch für den Lohn der Beachtung arbeiten, kommt nicht in den Sinn. Nicht einmal als produktive Ressource findet die Aufmerksamkeit Erwähnung. Die Abstinenz geht sogar so weit, daß sich die Wissenschaftstheorie nicht für die Denkökonomie interessiert. So vorrangig es für das konkrete Forschen ist, mit der knappen Aufmerksamkeit hauszuhalten und ihren Wirkungsgrad zu optimieren, so stiefmütterlich wird diese Ökonomie von der Theorie der Wissenschaft behandelt. Der erste und einzige Ansatz einer systematischen Ökonomik des Denkens ist die Wissenschaftslehre Ernst Machs geblieben.1 Sie ist inzwischen über hundert Jahre alt. Mach erblickte das entscheidende Steigerungsprinzip der Reichweite und analytischen Schärfe des Denkens in der Ökonomisierung aufmerksamer Energie. Wissenschaft bedeutet für ihn den Übergang von handwerklichen zu industriellen Verfahren der Wissensproduktion. Wissenschaftliche unterscheidet sich von der vor wissenschaftlichen Forschung durch den bewußten Umgang mit den natürlich bemessenen Kräften, durch das Vermeiden alles Überflüssigen, durch die Zerlegung großer Operationen in
kleine Schritte, von denen mindestens ein Teil mechanisierbar ist. Wiewohl es diese Art Rationalisierung war, die in der Zeit seit Mach noch einmal eine dramatische Steigerung erfuhr, fand Machs Wissenschaftslehre keine Resonanz. So folgenreich Machs Vordenken der nachklassischen Physik wurde, so folgenlos blieb seine Vorstudie zur Denkökonomik. Leib und Seele Wie kommt es zu diesem eigenartigen Schielen des wissenschaftlichen Blicks? Warum ist die beruflich neugierige Aufmerksamkeit so desinteressiert an sich selbst? Nun, das Phänomen des aufmerksamen da Seins ist das Ärgernis der wissenschaftlichen Objektivität. Es gelingt einfach nicht, diesem Phänomen mit den Mitteln objektivierender Erkenntnis beizukommen. Es ist in seinem Wesen subjektiv. Es hat keine vom erlebenden Subjekt unabhängige Existenz und keine Wirklichkeit, die empirisch oder logisch zwingend nachgewiesen werden könnte. Die Aufmerksamkeit ist so schwer zu fassen, wie sie unabdingbar für das bewußte Erleben ist. Wir wissen nicht, wie es zum Phänomen des geistesgegenwärtigen da Seins kommt. Wir wissen zwar manches über Bedingungen, die notwendig sind, um das Phänomen hervorzubringen. Wir wissen aber nicht, wie es kommt, daß unser Nervensystem, statt nur Information zu verarbeiten, auch subjektives Erleben erzeugt. Mit nichts tut sich die Wissenschaft so schwer wie mit diesem Erleben. Die Frustration geht so weit, daß es lange Zeit zum guten Ton in der Wissenschaft gehörte, das Phänomen als subjektive »Illusion« abzutun. Tatsächlich sind die Nervensysteme erlebender Wesen
die eigenartigsten Objekte, die es gibt. Sie präsentieren sich völlig unterschiedlich je danach, ob sie aus der Perspektive der dritten Person untersucht oder in der Perspektive der ersten Person erlebt werden. Aus der Perspektive der dritten Person stellen sie eine anatomische Struktur mit physiologischer Funktion, ein Konglomerat von chemischen und physikalischen Prozessen dar, deren herausragende Fähigkeit die Verarbeitung von Information ist. In der Perspektive der ersten, also derjenigen Person, die das Nervensystem ist, erscheint eine Welt, die aus Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühlen und Vorstellungen besteht, und deren sinnliche Präsenz gerade nicht auf den Aspekt der Informationsverarbeitung reduziert werden kann. Aus der Sicht der dritten Person ist das Nervensystem ein biologischer Computer. Aus der Sicht der ersten Person ist es das Zentrum einer in sinnlichen Qualitäten und als bedeutsam erlebten Welt. Die beiden Aspekte sind in unüberbrückbarer Weise getrennt. Noch kein erlebendes Wesen hat je Einblick in die Erlebnissphäre eines anderen genommen. Eben diese Inspektion wäre nun aber erforderlich, wenn die Aufmerksamkeit, auf deren Zuwendung wir subjektiv so gierig sind, Eingang in die Wissenschaft finden sollte. Für die Wissenschaft zählt allein die Perspektive der dritten Person. Das, worauf es uns an der Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen ankommt, existiert für den wissenschaftlichen Blick ganz einfach nicht. Der Wunsch nach Zuwendung ist das Verlangen, ein tatsächliches – möglichst zugeneigtes und am liebsten hingerissenes – Fühlen für uns einzunehmen. An der Existenz einer sinnlich gefühlten Qualität, die über den Aspekt der Informationsverarbeitung hinausreicht, hat der wissenschaftlich geschulte Sinn ernstlich zu zweifeln gelernt. Umgekehrt ist dieser Zweifel aus der Sicht des Verlangens nach Zuwendung absurd.
Wenn wir an unsere Rolle im anderen Bewußtsein denken, ist es eher der Aspekt der Informationsverarbeitung, der uns kalt läßt. Es ist nicht die Verarbeitung von Information, was die Eitelkeit vermißt, wenn niemand schaut. Es ist die Zuwendung der anderen Seele. Die Gefühle, aus denen heraus die Widmung der Aufmerksamkeit erfolgt, sind weniger wichtig bei der geistigen Arbeit. Gefühle sind zwar nicht unerheblich, was die Motivation der Arbeit anbelangt. Die Theorie des Produktionsfaktors Aufmerksamkeit hätte aber unter der Annahme entwickelt werden können, daß das subjektive Erleben ein bloßes Epiphänomen ist. Die Theorie hätte sich, anders gesagt, nicht auf die Frage einlassen müssen, ob das subjektive Erlebnis Einfluß auf die Informationsverarbeitung nimmt oder nur einen Begleitumstand ohne eigene Wirksamkeit darstellt. Die seelischen Qualitäten, auf die es im zwischenmenschlichen Tausch der Aufmerksamkeit so sehr ankommt, hätten auch das Machsche Programm einer Denkökonomik nicht zu Fall bringen müssen. Auch hier hätte sich die Betrachtung auf die Knappheit der psychischen Energie beschränken können. Warum nicht einmal dieser Ausweg gewählt wurde, um sich der praktisch so wichtigen und immer wichtiger werdenden Ökonomie der Aufmerksamkeit theoretisch anzunähern, bleibt eine offene Frage. Gut möglich jedoch, daß schon die Assoziation mit den seelischen Qualitäten, die im Wortklang von Aufmerksamkeit mitschwingen, zur Abschreckung hingereicht hat. Subjektiv erleben wir nicht nur die eigenen Gefühle als motivierend, sondern auch jene, die wir anderen unterstellen. Wie können andere Gefühle nun aber zu eigenen Motiven werden, wo wir zu anderen Erlebnissphären doch keinen Zugang haben? Die Frage führt zurück zu dem Kult, den wir um das Bild der eigenen Person im anderen
Bewußtsein machen. Dieser Kult ist nämlich ein Kult im ganz unmittelbaren Sinne des Worts. Kultisch ist sowohl die Hingabe als auch der Gegenstand der Verehrung. Die Gefühle, die uns im anderen Bewußtsein begegnen, sind – um es paradox auszudrücken – das Sinnlichste, das es für uns gibt, und zugleich das Übersinnliche, dem wir alle huldigen. Fremde Gefühle sind das Sinnlichste, das es für uns gibt, weil die sinnlichsten unserer Gefühle diejenigen sind, die sich auf die Gefühle anderer beziehen. Fremde Gefühle sind zugleich das konkrete Übersinnliche, weil alles, was wir spüren, empfinden, merken, vorstellen, meinen, immer nur in unserem je eigenen Bewußtsein statthat. Es gibt kein Fenster zum anderen Bewußtsein hinüber und keine Tür aus dem eigenen hinaus. Trotzdem leben wir, als ob wir ständigen Kontakt mit anderem Bewußtsein hätten. Der Kontakt von Bewußtsein zu Bewußtsein ist eine einzige Veranstaltung des Wunschdenkens. Wir sind uns des anderen Seelenlebens so sicher, weil wir es ohne die Vorstellung, eine Rolle in anderem Seelenleben zu spielen, ganz einfach nicht aushalten. Wir beziehen die unterstellten Gefühle anderer auf uns und weiden uns an ihnen, weil wir ohne diese Labsal nicht leben könnten. Wir erleben es als großes Drama, wenn wir die Zuwendung nicht bekommen, auf die wir uns einbilden nicht verzichten zu können. Nichts beschäftigt uns so sehr wie unser Selbstbild im Spiegel des anderen Bewußtseins. Wir stillen unser Verlangen aber immer nur in der eigenen Vorstellung. Wir träumen von der Starrolle im Bewußtsein derer, die in unserem eigenen Bewußtsein die Hauptrolle spielen, obwohl wir doch nie und nimmer aus dem eigenen hinauskönnen. Irgendwie scheint der Trick aber zu klappen. Wir alle tun so, als ob wir in einer Gesellschaft beseelter Wesen lebten. Der zwischenmenschliche Tausch der Auf-
merksamkeit ist zwar Magie. Er ist aber Magie, die funktioniert.
Ökonomie als Realitätsprinzip Es ist kein Wunder, daß sich die Wissenschaft mit solchem Zauber schwertut. Bei ihr muß alles mit rechten Dingen zugehen. Was in ihren Augen existieren will, muß sich auch nachweisen lassen. Nur: Ist es nicht doch verblüffend, wie gut die Magie funktioniert? Wäre es denkbar, daß sie so tadellos klappt, wenn ihre Unterstellung illusorisch wäre? Es ist ja nicht so, daß nur der positive Existenzbeweis der anderen Seele fehlt, es fehlt auch jedes Anzeichen, das gegen ihre Existenz spräche. Wo ernsthafte Zweifel am bewußten Dasein aktionsfähiger menschlicher Organismen gepflegt werden, da sind sie rein theoretischer Natur und für theoretische Zwecke künstlich erzeugt. Im zwischenmenschlichen Umgang ist die Unterstellung, daß hinter dem anderen Verhalten ein Dasein wie das eigene steckt, die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Die Unterstellung funktioniert sogar mit derart fragloser Selbstverständlichkeit, daß es schon wieder ein Wunder wäre, wenn sie nicht sachhaltig wäre. Böte nicht dieses andere Wunder den Ansatzpunkt für eine theoretische Annäherung an den Kult, den wir alle praktizieren? Wäre es nicht an der Zeit zu fragen, ob wir uns dümmer stellen, als wir sind, wenn wir die theoretische Skepsis wörtlich nehmen? Lehrt nicht sogar der Blick auf den kulturellen und wirtschaftlichen Wandel, daß die Unterstellung der Vielfalt beseelten Daseins trägt? Ja, wird diese Unterstellung durch den Wandel nicht noch einmal bekräftigt? Ohne den Glauben an die Wirklichkeit anderen Fühlens
wäre die wachsende Bedeutung des Einkommens an Aufmerksamkeit schlicht unerklärlich. Die boomenden Märkte der Eitelkeit wären Ekstasen kollektiven Wahns, wenn dieser Glaube tatsächlich bloßes Wunschdenken wäre. Wie wäre die Begeisterung zu erklären, mit der alle mitmachen, wenn außer einem selbst noch niemand erfahren hätte, wie sich die Rolle des anderen Fühlens im eigenen anfühlt? Welch anderen Grund als die Projektion des eigenen Erlebens hinter das andere Verhalten könnte es haben, daß sich die Menschen wie abgesprochen auf das seelische Einkommen stürzen, nachdem der Kampf ums physische Überleben ausgestanden ist? Die Annahme, daß dieses Einkommen nur in der Einbildung existiert, war immer schon wunderlich. Sie ist inzwischen aber regelrecht unsinnig geworden. Warum diese Unsinnigkeit also nicht im Umkehrschluß produktiv machen? Warum nicht fragen, ob es am Ende die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung selber ist, die den wissenschaftlichen Unglauben ad absurdum führt? Um dem Drängen dieser Fragen nicht vorschnell nachzugeben, muß Klarheit darüber herrschen, daß der Unglaube die Reaktion auf eine lange Leidensgeschichte intellektuellen Scheiterns ist. Es ist nicht nur die Wissenschaft im engeren Sinne, die sich mit dem Phänomen des bewußten Erlebens schwertut. Auch die Philosophie hatte mit dem seelischen Dasein seit je ihre Probleme. Wie ein roter Faden durchziehen die Versuche, dieses Daseins begrifflich habhaft zu werden, die Geschichte der abendländischen Philosophie. Nie kam es jedoch zu einer befriedigenden Lösung. Der Fall blieb unerledigt. Er ging als das sogenannte Leib-Seele-Problem in die Geistesgeschichte ein. Um diesen Fall nur noch einmal aufzurollen, müssen schon sehr triftige Gründe auftauchen. Es reichen nicht neue Tatsachen, es müssen auch neue Gesichtspunkte auf-
tauchen, die einen Zugang jenseits ausgetretener Pfade versprechen. Nur ein unerprobter Ansatz rechtfertigt den abermaligen Versuch. Legt also der gesellschaftliche Wandel, wie wir ihn erleben, einen neuen Zugang zum bewußten Erleben nahe? Das Verständnis des Wandels, das ist die erste These dieses Buchs, setzt die ausdrückliche Anerkennung des Bewußtseinsphänomens voraus. Es verlangt aber, das ist die zweite These, ein tatsächlich ungewohntes Herangehen an das Phänomen. Es verlangt genau die Art des Herangehens, die in der langen Geschichte des Leib-SeeleProblems noch nicht probiert wurde. Noch nicht wurde in dieser Geschichte ein ökonomischer Ansatz probiert. Ein solcher Ansatz, so schien es lange und so scheint es sicher auch heute noch vielen, paßt schlecht zur Empfindlichkeit und Würde des Gegenstands. Die Ökonomie wird mit dem meß- und wägbaren Aspekt des Lebens assoziiert, wogegen das aufmerksame Dasein gerade denjenigen Zug am leiblichen Dasein darstellt, der sich dem Messen und Wiegen entzieht. Trotzdem hat die Aufmerksamkeit ihre neue Bedeutung dadurch gewonnen, daß sie in den hochtechnisierten Zivilisationen als produktive Ressource und als Form des Einkommens ins Zentrum rückt. Symptomatisch für diesen Wandel ist ihre Ökonomisierung. Je knapper eine Ressource, desto wichtiger werden Gesichtspunkte des Haushaltens; je begehrter ein Einkommen, desto systematischer werden die Anstrengungen seiner Einnahme. Gewiß, die Prosa des ökonomischen Denkens paßt schlecht zu dem metaphysischen Glanz, der den Begriff der Seele umgibt. Nur: Blendet dieser Glanz nicht eher, als daß er aufhellt? Was hat die Tatsache, daß wir an mangelnder Zuwendung leiden und sogar krank werden können, mit einer abgehobenen Welt der Ideen zu tun? Wird es nicht Zeit, daß die Seele aus dem Himmel der Ideen
zurück auf den Boden der Alltäglichkeit geholt wird? Und liegt es dabei nicht am nächsten, auf die quantitativen Aspekte des bewußten Daseins zu achten? Das Charakteristische an der ökonomischen Methode ist die Unterstellung, daß die Individuen, deren Zusammenspiel untersucht wird, rational ihren Vorteil verfolgen. Je größer der Stellenwert der rationalen Vorteilsuche in einem sozialen Zusammenhang, desto besseren Erfolg verspricht die Methode. Was als vorteilhaft gilt, ist nicht irgendwie vorentschieden, sondern hängt von den Präferenzen der Beteiligten ab. Die Ökonomik faßt beobachtetes Verhalten als Lösung des Problems auf, wie mit den verfügbaren Ressourcen und eintauschbaren Gütern ein Optimum an Wunscherfüllung und Bedürfnisbefriedigung erreicht werden kann. Sie kommt zu einem Begriff gesellschaftlich objektiven Werts, indem sie das Tauschen und Weitertauschen von Gütern als dezentrale Abstimmung über ihren Wert deutet. Die theoretische Ökonomie erschließt durch diese ihre Methode ein Realitätsprinzip: Auf der individuellen Ebene existiert, was für die Bedürfnisbefriedigung von Belang ist; auf gesellschaftlicher Ebene existiert, was einen Preis hat. So befremdlich das Ansinnen eines ökonomischen Zugangs zum Seelenleben auf den ersten Blick erscheinen mag, so hartnäckig drängt sich dem zweiten Blick die Frage auf, warum die theoretische Ökonomie das Thema nicht schon längst aufgegriffen hat. Es fällt nämlich auf, daß nicht nur eine Theorie der geistigen Arbeit und speziell der Wissensproduktion fehlt, sondern daß sich die Ökonomik ganz allgemein mit der Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses schwertut. Es fehlt die Theorie der Informationsökonomie und die Ökonomik der Massenmedien. Es fehlt eine Einkommens- und Verteilungstheorie der Beachtung. Es fehlt die ökonomische Theorie des
Prestiges, der Reputation und der Prominenz. Die theoretische Ökonomie schweigt zum Wandel der Alltagskultur und zum Wandel im Streben der Wirtschaftssubjekte. Dabei wäre es ein grober Irrtum zu glauben, die Ökonomik sei auf Fragen der Geldwirtschaft und des Haushaltens mit materiellen Gütern festgelegt. Die Unterstellung rationaler Vorteilsuche bedeutet keine Vorauswahl, was die Art des Haushaltens oder die Art der getauschten Güter betrifft. Sie setzt lediglich voraus, daß die Kategorien der Wunscherfüllung und Bedürfnisbefriedigung greifen. Ob die Mittel, die dafür geeignet sind, materieller oder immaterieller Natur sind, ist sekundär. Auch die Präferenzen, die die ökonomische Methode unterstellt, sind subjektiv und von außen nicht inspizierbar. Schließlich sind Preise nicht als Geldsummen definiert, sondern als die Relationen, in den Güter welcher Art auch immer getauscht werden. Es sprechen keine Gründe a priori dagegen, die Unterstellung rationaler Vorteilsuche auf den Umgang mit der knappen eigenen und der begehrten anderen Aufmerksamkeit auszudehnen. Nur umgekehrt gilt, daß die Gangbarkeit der ökonomischen Methode noch nicht bedeutet, daß das ökonomische Realitätsprinzip trägt. Begriffe wie Knappheit und ökonomischer Wert sind nicht isoliert vom Rest der ökonomischen Begriffiichkeit belastbar. Die Möglichkeit, etwas als knapp zu bezeichnen, besagt über sein Wirklichsein noch wenig. Auch daß etwas geschätzt wird, ist noch kein Beweis für seine Existenz. Die Feststellung, daß eine Sache knapp und begehrt ist, wird erst dann zu einem Argument für ihre Wirklichkeit, wenn diese Knappheit und Wertschätzung zu Variablen einer ökonomischen Theorie geworden sind, die generell erfolgreich im Erklären von Beobachtungen ist. Der ökonomische Ansatz entwickelt Beweiskraft hinsichtlich des auf-
merksamen Daseins also erst, wenn sich der Gedanke einer Ökonomie der Aufmerksamkeit systematisch entfalten läßt. Um die Entfaltung dieses Gedankens geht es im folgenden. Es geht um die Frage nach dem Mehr an Verständnis, das die Annahme erschließt, daß nicht nur der Leib, sondern auch die Seele im Leib eine maßgebliche Rolle in unserem täglichen Leben und Zusammenleben spielen. Was folgt, ist jedoch kein ökonomischer Vorschlag zur Lösung des Leib-Seele-Problems. Es geht um das bessere Verständnis des gesellschaftlichen Zusammenspiels, in das unser individuelles Erleben eingespannt ist. Der vorliegende Entwurf bleibt aber um ein Ganzes hinter einer ökonomischen Theorie, die existentielle Beweiskraft entwickeln könnte, zurück. Es wird sich nämlich erweisen, daß der Tausch der Aufmerksamkeit sich gegen das kanonische Format einer ökonomischen Theorie sperrt. Der herkömmliche Begriff ökonomischer Rationalität ist für den rationalen Umgang mit der Aufmerksamkeit zu eng. Und nicht nur dies. Der Erfolg bei der rationalen Rekonstruktion des Umgangs mit der Aufmerksamkeit ist eine zweischneidige Sache. Der Begriff ökonomischer Rationalität, den die Analyse unterstellt, ist um ein Grundsätzliches enger als der, den der angemessene Umgang mit unserem aufmerksamen Dasein erheischt. Die Fassungskraft bewußten Erlebens ist mehr als nur ein Produktionsmittel, die Einnahme zugewandter Beachtung mehr als nur ein Mittel zur Wunscherfüllung. Die Verwendung unserer Aufmerksamkeit ist ein anderer Ausdruck dafür, was wir erleben. Die Rolle, die wir im anderen Bewußtsein spielen, ist Bestandteil unseres Selbstbilds. Der angemessene Umgang mit unserer Erlebnisfähigkeit und unserem Selbstbild läßt sich nicht auf den Bereich des Kalkulierbaren einschränken. Vielmehr bleibt
eine theoretische Ökonomie der Aufmerksamkeit selber zu eng, wenn sie sich nicht als kritische Ökonomie versteht. Sie muß kritisch in zwei Richtungen sein. Sie muß fragen, was die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit mit dem Erleben selber anstellt. Und sie muß fragen, was es genau ist, das am eingeführten Begriff ökonomischer Rationalität zu kurz greift.
Erstes Kapitel
Das aufmerksame Dasein und das Geschäft der Wissenschaft
Was ist da, wenn wir aufmerksam da sind? Die Welt, wie wir sie subjektiv erleben. Was ist das aufmerksame Dasein an und für sich? Die Präsenz des erlebenden Bewußtseins. Was trennt die Präsenz des Bewußtseins von der Welt, die es erlebt? Das ist schwer zu sagen. Daß ein Bewußtsein da ist, heißt, daß ein Merken, Spüren, Empfinden da ist und nicht vielmehr nichts. Wird alles abgezogen, was gespürt, gemerkt, empfunden wird, dann bleibt in gewissem Sinne nichts. Bliebe nun aber tatsächlich nichts, wenn alles abgezogen ist, was Gegenstand des Erlebens ist, dann wäre das Erleben selber nichts. Daß das Erleben seine eigene Wirklichkeit hat, merken wir aber daran, daß mit ihm die Welt verschwindet, wie sie für uns vorkommt. Nur in der Art und Weise des Gemerktwerdens, Gespürtwerdens, Empfundenwerdens kommt für uns – als eben aufmerksame Wesen – etwas vor. Weil wir nicht wissen, was »vorkommen« in völliger Unabhängigkeit von solchem Gewahren heißen könnte, ist es so schwer zu sagen, was von dem aufmerksamen Dasein bleibt, wenn alles abgezogen ist, was in ihm vorkommt. Erst wenn wir dies sagen könnten, könnten wir angeben, was das aufmerksame Dasein als solches ist. So ist unser aufmerksames Dasein das Vertrauteste und das Fremdeste zugleich. Es ist das Vertrauteste, weil es all unser Erleben begleitet und wir gar nicht umhin können, es intim zu kennen. Es ist das Fremdeste, weil wir es in seiner eigenen Wirklichkeit nicht fassen, es nicht wie an-
dere Dinge vor uns hinstellen können. Es entzieht sich der vorstellenden Vergegenständlichung. Wir können es nur in der Art und Weise erfahren, daß es seiner selbst inne wird. Und es kann seiner selbst nur inne werden, indem es sich seiner eigenen Geistesgegenwart vergewissert. Es kommt zu sich, indem ihm klar wird, daß es keinen von ihm selber unabhängigen Standpunkt gibt, von dem aus es betrachtet werden könnte. Seine Erfahrung besteht im Zustand der Selbstaufmerksamkeit. Um in den Zustand der Selbstaufmerksamkeit zu geraten, muß die selbstverständliche Vertrautheit, die wir mit der Präsenz unseres Bewußtseins haben, aufbrechen. Die Erfahrung dieses Aufbrechens ist unaussprechlich. Sie nimmt mystische Züge an, sobald sich das Dasein des Bewußtseins daranmacht, seiner selbst als bewußt Sein teilhaftig zu werden. Hat es überhaupt Sinn, über das aufmerksame Dasein in gewöhnlichen Worten reden zu wollen? Die Schwierigkeiten und die Unzahl der gescheiterten Anläufe sprechen eigentlich für sich. Eine skeptische Antwort ließe sich auch schon damit begründen, daß die Rede klarstellen müßte, was unter der Präsenz des Bewußtseins genau zu verstehen ist. Es gibt wenige Begriffe, deren Bestimmung sich mit solcher Hartnäckigkeit einem definitiven Ergebnis verweigert wie »Bewußtsein«. Die entschiedensten Versuche, das Dasein in seiner für sich seienden Wirklichkeit zu verstehen, verlassen die Ebene der diskursiven Rede. Sie gehen den Weg der Versenkung und Kontemplation. Sie folgen der intuitiven Verheißung, daß es kein abstraktes Nichts sein wird, welches bleibt, wenn aus dem aufmerksamen Dasein alles abgezogen ist, was in ihm vorkommt. Die Selbstaufmerksamkeit hat ihre Erfüllung in der Erfahrung, daß die Leere, zu der die Kontemplation hinfindet, eben dieses Dasein – für sich genommen – ist. Sie erfährt in diesem Zusich-Kommen, was gemeint ist, wenn gesagt
wird, daß es ein leeres Sein oder erfülltes Nichts ist, das da bleibt. Sie macht diese Erfahrung gerade nicht auf dem Weg der Selbstreflexion. Das Bewußtsein erfaßt sich darin nicht, indem es seine begrifflichen Fähigkeiten auf sich selbst anwendet. Es kommt zu sich als ein unhintergehbar Letztes. Es ist aber wiederum nicht das absolute Bewußtsein, wie es die westliche Philosophie einmal dachte, was da zu sich kommt. Es ist, mit einfachen Worten gesagt, die Seele, die in solchem Zusich-Kommen ihre Natur erfährt. Das Wort Seele ist wichtig an dieser Stelle. Es enthält den Hinweis, daß es einen intuitiven Zugang zum Da des Aufmerksamseins gibt. Wir alle wissen, wovon wir reden, wenn wir es umgangssprachlich gebrauchen. Dieses Wissen hat all den Mißbrauch des Begriffs und alle gescheiterten Versuche überstanden, die Intuition in begreifendes Denken zu übersetzen. Wir brauchen weder Philosophen noch Initiierte zu sein, um zu verstehen, worum es geht. Eine Seele in dem Sinn, wie ihn jedes Kind versteht, ist da, wo ein Merken, Spüren, Empfinden ist. Beseelt sind Wesen, deren Merken, Spüren, Empfinden sich nicht auf den Informationsgewinn reduzieren läßt, den sie aus Reizen ziehen. Dem Gebrauch des Wortes Seele entspricht die Auswahl der anderen Wesen, denen wir Beseeltheit unterstellen. Wir lassen unser intuitives Wissen um die Beseeltheit des eigenen Leibs dadurch praktisch werden, daß wir anderen Lebewesen, mit denen wir uns verwandt fühlen, ebenfalls ein Merken, Spüren, Empfinden unterstellen, das über den Aspekt der Informationsverarbeitung hinausgeht. Analogieschlüsse dieser Art gelten als unwissenschaftlich. Die Wissenschaft hat ihr selbstdefiniertes Wesen in der Bereitschaft, jederzeit den Beweis für ihre Behauptungen anzutreten. Die Rede von der Seele steht nun aber mit dem empirischen Nachweis und dem logischen Existenz-
beweis gleichermaßen auf Kriegsfuß. Mag das eigene Dasein selbstevident sein, so ist das andere doch weder als Erfahrungstatsache noch im Sinne zwingender Logik beweisbar. Die Berichte von anderem Seelenleben sind immer subjektiv. Sie bleiben den zwingenden Beleg schuldig, daß existiert, wovon die Rede ist. Schließlich gibt es immer auch konkrete Gründe, den Berichten aus dem anderen Seelenleben zu mißtrauen. Im kleinen hat die Wissenschaft mit ihrer Skepsis also recht. Ins Unrecht setzt sie sich erst, wenn sie ihr Mißtrauen bis zur ausdrücklichen Leugnung einer eigenen Wirklichkeit des Seelischen treibt. Bei dieser Leugnung setzt die folgende Argumentation an. Die These dieses ersten Kapitels ist, daß sich die Wissenschaft mit dieser Leugnung selbst keinen Gefallen tut. Sie bringt sich um die interessantesten Züge in ihrem Selbstbild, wenn sie aus ihrem Selbstverständnis alles verbannt, was mit der zwischenmenschlichen Unterstellung der Beseeltheit zusammenhängt. Die Wissenschaft ist nämlich, das soll gezeigt werden, das schon fertige Musterbeispiel einer geschlossenen Ökonomie der Aufmerksamkeit. Anhand der Wissenschaft läßt sich vorführen, wie die Unterstellung anderen Daseins trotz – ja völlig unabhängig von – allen theoretischen Unsicherheiten funktioniert. Ihr Beispiel läßt sogar besonders deutlich werden, welche Bedeutung der zwischenmenschliche Tausch der Aufmerksamkeit für deren produktive Widmung hat. Das praktische Funktionieren der Wissenschaft als immaterielle Ökonomie ist keine unwesentliche Beigabe zu ihrer Funktion. Von ihr hängt vielmehr ab, ob sie sich auch als im ökonomischen Sinn rationales Unterfangen ausweisen kann.
»Aufmerksamkeit« und »Bewußtsein« Für diesen Zugriff ist eine gewisse Klärung der Begriffiichkeit des Daseins nun allerdings unumgänglich. So hoffnungslos es wäre, »Aufmerksamkeit« und »Bewußtsein« bündig definieren zu wollen, so unverzichtbar sind diese Begriffe, wenn von den Manifestationen des Seelischen die Rede ist. Um zu verhindern, daß die Uneinheitlichkeit ihres terminologischen Gebrauchs offene Verwirrung stiftet, müssen zumindest zwei Bedeutungen unterschieden werden, die sowohl im Fall der Aufmerksamkeit als auch im Fall des Bewußtseins durcheinandergehen. Das deutsche Wort »Aufmerksamkeit« zieht zusammen, was im Englischen als ›awareness‹ und ›attention‹ auseinandergehalten ist. ›Awareness‹ ist der Zustand der wachen Achtsamkeit, ›attention‹ das gezielte Achtgeben. ›Awareness‹ meint den intransitiven Zustand des Daseins, in dem überhaupt ein Merken, Spüren, Empfinden da ist und nicht vielmehr nichts. Weil unser Merken, Spüren, Empfinden so gut wie immer – nämlich bis auf den radikal ausnehmenden Zustand der erfüllten Leere – auch transitiv auf etwas gerichtet ist, sticht der Unterschied zwischen der intransitiven und transitiven Bedeutung nicht von sich aus hervor. Die Trennlinie zwischen der rein für sich genommenen Geistesgegenwart und dem sich einem Gegenstand zuwendenden Achtgeben erscheint hier sogar als künstlich, nämlich nur analytisch zu ziehen. Die beiden Seiten überschneiden sich sogar ein Stück weit in der Wortbedeutung von ›awareness‹. ›Awareness‹ wird nämlich auch in dem Sinn gebraucht, daß die Bereitschaft zur Zuwendung besteht und ein Hintergrundwissen zur Sache aktiv ist. Eindeutig und ausschließlich transitiv ist allerdings die Bedeutung von ›attention‹. ›Attention‹ ist so klar auf das zielend gerichtete, den Gegenstand fokussierende und ihn
heraushebende Achtgeben beschränkt, daß man das Wort sachlich korrekt mit selektiver Aufnahme und zielgerichteter Verarbeitung von Information übersetzen könnte. Die Doppeldeutigkeit von »Aufmerksamkeit« wird sinnfällig, wenn man bedenkt, daß für die selektive Aufnahme und zielgerichtete Verarbeitung von Information nicht gilt, daß sie immer in Verbindung mit dem Zustand des Daseins steht. So regelmäßig das intransitive Dasein mit einem transitiven Achtgeben verbunden ist, so wenig gilt umgekehrt, daß das Achtgeben nur im Zustand des Daseins möglich wäre. Unser Nervensystem filtert ein Vielfaches mehr an Reizen aus dem physischen Geschehen um uns herum und in unserem Körper heraus, als der bewußten Wahrnehmung präsentiert wird. Es extrahiert aus diesen Reizen auch um Größenordnungen mehr an Neuigkeitswert, als es uns merken, spüren, empfinden läßt. Es arbeitet ja auch weiter, wenn wir in Gedanken ganz woanders oder überhaupt nicht da sind. Schließlich sind Dasein und Wegsein aus der Sicht der Informationsverarbeitung im Nervensystem höchstens unterschiedliche Modalitäten der Verarbeitung. Wie wenig die selektive Aufnahme von Reizen und wie wenig die zielgerichtete Extraktion von Information auf den Zustand des Daseins angewiesen ist, wird am sinnfälligsten daran, daß sie auf Maschinen übertragen werden kann. Das Paradigma der maschinellen Informationsverarbeitung ist maßgeblich für die wissenschaftliche Definition von attention. Wo in der wissenschaftlichen Psychologie von attention die Rede ist, ist awareness gerade nicht mitgemeint. Deshalb wird viel Verwirrung dadurch angerichtet, daß es sich eingebürgert hat, attention auch in diesem reduktionistischen Gebrauch mit Aufmerksamkeit zu übersetzen. Um ganz klarzustellen, daß es in der vorliegenden Abhandlung nie um Informationsverarbeitung al-
lein geht, wenn von Achtgeben und Beachtung die Rede ist, wird Aufmerksamkeit ausdrücklich in der deutschen Bedeutung des Wortes gebraucht. Mit Aufmerksamkeit sind attention und awareness stets zugleich – und zwar zugleich in ihrer Verschiedenheit – gemeint. Das Aufmerksamsein sei, ganz im Sinne des umgangssprachlichen Wortgebrauchs, als die zugewandte und zugleich wach daseiende Geistesgegenwart verstanden. Mit Aufmerksamkeit wird immer sowohl die Kapazität zu selektiver Informationsverarbeitung als auch der Zustand der Geistesgegenwart angesprochen sein. Und mit dem Zustand der Geistesgegenwart wird, um auch dies zu betonen, nie nur die Bereitschaft zur Informationsverarbeitung und das Aktiviertsein von Hintergrundwissen gemeint sein, sondern immer auch die bewußte Präsenz. Damit sind wir beim gemeinsamen Kern der Referenzen von Aufmerksamkeit und Bewußtsein angelangt. Die bewußte Präsenz ist gleichbedeutend mit dem aufmerksamen Dasein. Bewußtsein und Aufmerksamkeit konvergieren in der Bedeutung von awareness. Ihre Bedeutungen überlappen aber auch auf der mit attention angesprochenen Seite. Nur zu oft wird das Bewußtsein mit selektiver Informationsverarbeitung gleichgesetzt. Wo also liegt der Unterschied zwischen Aufmerksamkeit und Bewußtsein? Tatsächlich ist der Unterschied schwieriger herauszustellen als die Gemeinsamkeit. Der Unterschied besteht weniger in der Sache als im Kontext, in dem es üblich ist, den einen oder den anderen Begriff zu gebrauchen. Vom Bewußtsein ist es üblich zu reden, wenn die Sprache und zumal der Gebrauch des Wortes Ich eine wesentliche Rolle spielt. Von Aufmerksamkeit reden wir eher, wenn es um das selektive Wahrnehmen, um das Spüren und Erfühlen sowie um das Achtgeben auf der zwischenmenschlichen Ebene geht. Deutlich wird der Unterschied, wenn wir
die zugehörigen Ausdrücke für die Selbstbezüglichkeit vergleichen. Das Selbstbewußtsein wird wie von selbst mit begrifflicher Reflexion und der denkerischen Rekonstruktion des Selbst verbunden. Die Selbstaufmerksamkeit hingegen wird mit gesteigerten Zuständen des kontemplativen Beisich-Seins und überhaupt mit den eher begrifflosen Formen der Innenschau assoziiert. Auch diese Unterschiede im Akzent bekräftigen nun aber, daß Bewußtsein und Aufmerksamkeit nichts im Wesen Verschiedenes bezeichnen. Daß die Unterschiede keine wesentlichen sind, heißt nicht, daß sie zu vernachlässigen seien. Bewußtsein und Aufmerksamkeit sind keine austauschbaren Begriffe, weshalb sie im folgenden auch beide gebraucht werden. Allerdings ist das Bewußtsein wegen seines stärkeren Bezugs zur begrifflichen Sprache und Selbstartikulation des Ich der stärker strapazierte Begriff. Die in der wissenschaftlichen und leider auch philosophischen Debatte wenig beachtete Differenz zwischen den Bedeutungsebenen der Geistesgegenwart und der Informationsverarbeitung hat den Begriff an den Rand der Brauchbarkeit gebracht. Deshalb seien die beiden Ebenen der Bedeutung nun noch einmal auch an ihm herausgestellt. Im normalen Zustand seines wachen Daseins ist das Bewußtsein immer zugleich ein Bewußtsein von. Es ist nicht nur intransitiv bei sich, sondern auch transitiv auf etwas bezogen. Diese Grundverfassung macht den synonymen Kern von Bewußtsein und Aufmerksamkeit aus. Allerdings wird der transitive, inhaltliche Bezug beim Bewußtsein nun nicht mit Attentionalität, sondern mit Intentionalität bezeichnet. Der Unterschied zwischen attentionaler Aufmerksamkeit und intentionalem Bewußtsein entspricht dem, den wir mit der Abweichung zwischen »achten auf« und »meinen von« assoziieren. Auch hier kommt die stär-
ker auf die Sprache bezogene Bedeutung von Bewußtsein zum Tragen. Leider ist die Bezeichnung Intentionalität für den inhaltlichen Bezug des Bewußtseins aus anderen Gründen nicht sonderlich geglückt. Sie betont zu sehr die absichtsvoll hinmeinende Referenz gegenüber dem extensiven Umfang und der Deutlichkeit der Bewußtseinsinhalte. Sie lenkt von den unterschiedlichen Graden ab, in denen etwas bewußt sein kann. Sie wurde von daher zu Recht kritisiert. Es gibt nicht nur das konzentriert ausschließliche Denken an eine Sache. Zwischen der überscharfen Konzentration im Erschrecken und dem im Schatten dämmernden Hintergrundwissen kommen alle nur vorstellbaren Abstufungen vor. Der Übergang vom bewußten Vordergrund zum unbewußten Hintergrund ist (nahezu) kontinuierlich. Das tatsächliche Bewußtsein von ist stets eine bunte und laufend wechselnde Mischung aus Gehalten, die in ganz unterschiedlichen Intensitäten zugegen sind. Dieser Komplexion des Bewußtseins wird der Begriff der Intentionalität nicht gerecht. Weil er zur Bezeichnung nun aber eingeführt ist und die Nähe zur Attentionalität ja auch anklingt, sei er hier beibehalten. Das Bewußtsein von sei als intentionales Bewußtsein bezeichnet. Die Negation von bewußt im intentionalen Sinne ist unbewußt. Unbewußt ist aber nicht das einzige Gegenteil von bewußt. Es gibt auch die Negation im intransitiven Sinne des Begriffs. Das Gegenteil von bewußt im intransitiven Sinne ist bewußtlos. Im Zustand der Bewußtlosigkeit ist nicht dies oder jenes unbewußt, sondern ist das Bewußtsein als solches nicht da. Der Unterschied ist der zwischen der aufmerksamen Zuwendung und dem aufmerksamen Dasein. Im ersteren Fall sind bestimmte Erscheinungen mehr oder weniger deutlich, im letzteren ist es die Ebene des Erscheinens selber, die aufgespannt oder eingezogen ist. Im Fall, daß uns etwas unbewußt ist, existiert
die subjektiv erlebte Welt fort. Im Fall der Bewußtlosigkeit ist sie weg. Allerdings kennt nun auch das intransitive Dasein Stufen der Präsenz. Wir sind anders da, wenn wir frisch ausgeschlafen als wenn wir todmüde oder schon am Einschlafen sind. Wir sind noch einmal anders da, wenn wir träumen. Wir sind wohl gar nicht da, wenn wir im Zustand traumlosen Tiefschlafs oder in Narkose sind. Vom Bewußtsein ist effektiv nichts mehr da im Koma und schließlich im Tod. Alle diese Unterschiede sind Unterschiede in der Präsenz der Erlebnissphäre insgesamt und nicht nur solche in deren Zusammensetzung. Erst in zweiter Linie wechseln mit dem Grad der Präsenz auch die intentionalen Gehalte des Bewußtseins. Das intransitive Dasein, das da Sein der Geistesgegenwart ist ein Phänomen im eigentlichen Sinne des Worts. Es ist eine Erscheinung, die sich wirklich ereignet, die aber keine vom Geschehen ihres Erscheinens unabhängige Wirklichkeit hat. Die sich ereignende Präsenz ist nicht dasselbe wie die vonstatten gehende Repräsentation dessen, was an Inhalten in ihr vorkommt. Das intransitive Dasein darf, anders gesagt, nicht verwechselt werden mit dem, was in diesem Zustand gemerkt, gespürt, empfunden wird. Es ist das Geschehen des Merkens, Spürens, Empfindens selbst. Dieses Geschehen ist es, das statthat, wenn wir bei Bewußtsein sind, und nicht stattfindet, wenn wir bewußtlos sind. Das Bewußtsein im Sinne des Daseins dieses Phänomens sei daher phänomenales Bewußtsein genannt. Die Differenzierung der intentionalen und der phänomenalen Bedeutung ist das unabdingbare Minimum zur begrifflichen Klärung von »Bewußtsein«. Zugleich macht sie die liebe Not deutlich, die die Wissenschaft mit dem Begriff in der phänomenalen Bedeutung hat. Das Bewußtsein in der phänomenalen Bedeutung ist nun einmal nur von
innen her, in der Perspektive seines eigenen Subjekts zugänglich. Aus der Perspektive der dritten Person ist es wie vom Erdboden verschwunden. Nach außen hin erscheinen nur subjektive Berichte. Das, was die Berichte schildern, erscheint nicht. Wohl glauben wir, durch den Austausch solcher Berichte Zugang zur anderen, zur zweiten Person zu haben. Bei Licht besehen ist dieser Zugang zur zweiten Person aber nur ein Salto mortale aus der ersten heraus. Er ist nicht mehr als ein Analogieschluß vom eigenen auf das andere Erleben. Noch kein Subjekt hat je die phänomenalen Zustände eines anderen inspiziert. Alles, was für ein Bewußtsein wirklich werden will, muß in seinem eigenen Erleben vorkommen. Es führt keine Türe aus dem eigenen Bewußtsein hinaus und kein Fenster zum anderen hinüber. Das andere Bewußtsein ist immer die Projektion aus dem eigenen heraus. Unsere subjektive Erlebnissphäre ist eine fensterlose Monade. Ein jedes Bewußtsein ist eine Welt für sich. In dieser Welt kommt alles vor, was für das Bewußtsein Wirklichkeit wird. Selbst die Vorstellung der Wirklichkeit, wie sie unabhängig vom wahrnehmenden und vorstellenden Bewußtsein ist, kommt nur wieder im vorstellenden Bewußtsein vor. Das phänomenale Bewußtsein hat keinen Ausgang außer dem endgültigen des Todes. Es hat auch keinen Eingang außer dem einmaligen der Geburt. Als möglichen Zusammenhang zwischen den Monaden sah Leibniz, der Verfasser der Monadologie, nur die Allwissenheit einer höchsten, nämlich göttlichen Monade, in deren Bewußtsein alles und damit auch die Allheit der individuellen Monaden aufgehoben ist. Leibnizens Monadologie ist der kühne Entwurf einer Kosmologie, die statt der physischen Realität vom Dasein der Aufmerksamkeit als eigentlicher Wirklichkeit ausgeht. An ihr wird paradigmatisch klar, worauf die Wissenschaft
sich einlassen müßte, wenn sie das phänomenale Bewußtsein in ihr Weltbild einführen wollte. Für die Wissenschaft zählt nicht die Perspektive der ersten und auch nicht die der zweiten Person. Die Wissenschaft ist festgelegt auf die anonyme Perspektive der dritten Person. Diese Perspektive ist bei Leibniz die des allwissenden Gottes. Ist Wissenschaft also nicht geradezu gezwungen, den phänomenalen Aspekt des Bewußtseins zu leugnen? Die Antwort fiele eindeutig aus, wenn da nicht zwei Sachverhalte wären, die die Monadologie ihrerseits außer acht läßt. Der erste ist, daß die Monaden im Plural nicht nur, wie Leibniz dachte, in der Aufmerksamkeit eines allwissenden Gottes zusammenhängen. Der andere ist, daß am Zugang, den die Forscher in der gewohnten mitmenschlichen Einstellung zum anderen Bewußtsein haben, die Rationalität des Forschungsbetriebs hängt. Die Wissenschaft: ein Kampf um Aufmerksamkeit Wiewohl wir wissen, daß wir eigentlich keinen Zugang zu anderen Erlebnissphären haben, wissen wir, daß wir in der eigenen nicht allein sind. Wir hielten es in der eigenen Sphäre nämlich allein gar nicht aus. Wir bevölkern sie, noch bevor wir überhaupt lernen zu denken, in unserer Vorstellung mit bewußten anderen Wesen. Kinder, die zu diesem Bevölkern unfähig sind, erkranken im pathologischen Sinn. Die Unfähigkeit, zwischen Gegenständen zu unterscheiden, die eigenes Bewußtsein haben, und solchen, die vermutlich keines haben, macht autistisch. Menschen, die an Autismus leiden, leben in einer tatsächlich fensterlosen Monade. Für andere ist die Frage, ob und wie sie Zugang zu anderem Dasein haben, immer eine retrospektive. Sie kommen auf diese Frage überhaupt erst, wenn
die Selbstverständlichkeit des Umgangs mit anderem Bewußtsein durch ungewohnte Schwierigkeiten oder nachfragende Reflexion unterbrochen wird. Das nachträgliche Scheitern, nicht das erstmalige Glücken des Einblicks läßt aufhorchen. Gleichwohl bleibt der Einblick, den wir in fremdes Erleben nehmen, indirekt. Weder die Zuwendung der Aufmerksamkeit, die uns meint, noch die Gefühle, aus denen heraus sie erfolgt, können wir direkt erfahren. Wir können sie immer nur aus dem äußeren Verhalten erschließen. Und es ist nie auszuschließen, daß wir getäuscht werden oder eigenen Projektionen aufsitzen. Was wir aus dem anderen Verhalten herausinterpretieren, interpretieren wir zuvor hinein. Theoretisch sind daher stets Zweifel – auch und gerade Zweifel grundsätzlicher Natur – erlaubt. Welche Kriterien haben wir denn zur Überprüfung unserer Interpretation? Welche Belege haben wir für die Phänomenalität des anderen Erlebens? Welchen Unterschied würde es machen, wenn hinter dem anderen Verhalten kein sinnhaftsubjektives Erleben stecken würde? Die Fragen sind theoretisch, werden als solche aber sehr ernst genommen. Ein großer Teil der wissenschaftstheoretischen Debatte dieses Jahrhunderts dreht sich um den Status, der der sinnverstehenden Interpretation fremden Verhaltens als Form der Erkenntnis zugebilligt werden kann. Hat sie Anspruch auf wissenschaftliche Anerkennung oder ist sie im besten Fall ein kontrolliertes Raten? Darf die Erforschung des Verhaltens, das wir im alltäglichen Umgang einem gemeinten Sinne nach verstehen, einen subjektiven Innenaspekt unterstellen oder begibt sie sich damit in haltlose Spekulation? Ist die Wissenschaft dazu verdammt, den Innenaspekt zu übergehen oder darf sie ihn wenigstens in heuristischer Absicht unterstellen? Die Debatte wurde unter wechselnden Titeln geführt: Dua-
lismus von Natur- und Geisteswissenschaften, Verstehen versus Erklären, Positivismusstreit, Logik versus Psychologie der Forschung. Der einerseits ausgeschlossene und andererseits unverzichtbare Zugang zum anderen Bewußtsein zog sich wie ein roter Faden durch die Debatten. Immer wieder konnte mit derselben Stringenz gezeigt werden, daß wissenschaftliche Objektivität die Anerkennung von Phänomenen als wirklich ausschließt und daß der organisierte Forschungsbetrieb gar nicht umhin kann, Phänomene als wirklich anzuerkennen. Was diese nicht enden wollende Debatte zum Ausdruck bringt, ist der unvermittelte Sprung zwischen dem eigenen und dem anderen Erleben. Es ist da etwas, das nicht nachgewiesen werden kann, und wovon wir gleichwohl nicht Abstand nehmen können. Es ist Wunschdenken, das den Zusammenhang herstellt; das Wunschdenken herrscht aber unumschränkt. Wir alle leben mutterseelenallein in unserer Monade und leben zugleich, als ob wir überhaupt nicht allein wären. Es ist tatsächlich eine Art Gottvertrauen, das den Kosmos der Monaden zusammenhält. Nur ist es eben ein Gottvertrauen, das trägt. Es hat den gewünschten Effekt, weil alle mitmachen. Es funktioniert nach dem Muster einer perfekten Lügengeschichte: Alle tun so, als sei der Kaiser angezogen. Oder richtiger: Die Frage nach den fehlenden Kleidern hat keinen praktischen Effekt. Sie bleibt rein theoretisch. Die Wissenschaft erlaubt sich den Zweifel an der Wirklichkeit phänomenalen Bewußtseins, schottet ihn aber mit der größten Selbstverständlichkeit gegen praktische Folgen ab. Zu den im primitivsten Sinne selbstverständlichen Anforderungen an die soziale Kompetenz eines Wissenschaftlers gehört, daß er zwischen der Rolle der Versuchsperson und der Rolle des Kollegen unterscheiden kann. Der Unterschied ist nicht, daß man über den Kollegen kei-
ne Untersuchungen anstellen könnte. Der Unterschied ist, daß das Bewußtsein der Versuchsperson als inexistent behandelt werden darf, das des Kollegen aber nicht. Es geht eben nicht an, zu zweifeln, ob der Kollege überhaupt da ist. Niemand nähme den Verdacht wirklich ernst, daß es unter den Wissenschaftlern bewußtlose Zombies gibt. Hätte der Wissenschaftler nämlich kein phänomenales Bewußtsein oder wäre dieses Bewußtsein funktionslos, dann wäre er auch nicht verantwortlich für seine wissenschaftliche Leistung. Wenn der physische Organismus mit phänomenalem und ohne phänomenales Bewußtsein genau gleich funktioniert, dann kann die Person, die im Falle des Daseins dieses Bewußtseins da ist und sonst nicht, absolut nichts dafür, was da in ihrem Namen geschieht. Deshalb können nur Versuchspersonen und nicht etwa auch Wissenschaftler biologische Automaten sein. Zweifel an dieser Wahrheit würden sofort als billige Polemik zurückgewiesen. Der Wissenschaftsbetrieb ist der wandelnde Beweis für die außersinnliche Macht, die den Kosmos der Monaden zusammenhält. Und mehr noch: Er demonstriert deren magische Kraft. Die Wissenschaft ist ein einziger Tanz um die Aufmerksamkeit. Es ist nämlich keineswegs nur das eigene Staunen und die eigene Neugierde, die einen zum Wissenschaftler werden lassen. Es ist auch das Staunen, das man bei anderen Menschen zu erregen, es ist auch das Interesse, das man auf die eigene Person zu lenken hofft. Nicht die Aussicht auf ein hohes finanzielles Einkommen gibt den Ausschlag, die Forschung als Beruf zu wählen. Wenn es ein Einkommen ist, das die Berufswahl des Wissenschaftlers motiviert, dann ist es das an Aufmerksamkeit. Es gehört sogar zur Berufsehre des Forschers, daß ihm Reputation wichtiger ist als Geld. Reputation ist das konsolidierte Einkommen an kollegialer Aufmerksamkeit.
Wenn es schon nicht die göttliche Aufmerksamkeit ist, die die Wahrheitssuche des Forschers begleitet, so hat doch das Bad in der Aufmerksamkeit der Fachwelt etwas Göttliches für ein Forscherleben. Es ist diese Substanz, um die sich alles dreht. Die Aussicht auf ihren Gewinn lohnt jede Anstrengung. Sie ist das höchste der irdischen Güter. Um sie geht der tägliche Kampf im Geschäft des Forschens. Die Wahrheitssuche genügt mitnichten. Man muß publizieren. Nur wer publiziert, tritt hervor. Nur wer gut publiziert, macht Karriere. Die Publikation ist aber gerade nicht nur die Mitteilung an die Fachwelt. Die Publikation ist die Art und Weise, an ihre Aufmerksamkeit zu kommen. Darum genügt es nicht, überhaupt zu publizieren. Man muß in Zeitschriften und Schriftenreihen publizieren, die Renommee haben. Wer an renommierter Stelle publiziert, wird erstens gelesen und partizipiert zweitens an der Reputation derer, die dem Organ zu seinem Renommee verholfen haben. Man hat vom Forschungsbetrieb wenig verstanden, wenn man ihn nur als organisierte Suche nach Wahrheit begreift. Ginge es nur um die Wahrheit, wozu dann das Gezänk um die Autorenschaft, die die Debatte der Ideen und Entdeckungen so notorisch begleitet? Wozu dann das große Rennen um die Erstpublikation? Der Forschungsbetrieb zeigt noch nicht einmal sein wahres Gesicht, wenn man ihn als organisierte Produktion technisch oder pädagogisch verwertbaren Wissens ansieht. Wozu dann die Bildung von Schulen und warum die erbitterten ideologischen Grabenkämpfe? Wozu die hektische Suche nach dem Anschluß an spektakuläre Debatten? Das Bild, wie der Laden so läuft, rundet sich erst, wenn man im Forschungsbetrieb den organisierten Kampf um die Aufmerksamkeit erblickt. In die Wissenschaft fließt viel Herzblut. Sie fordert Leidenschaft für die Sache. Ohne eigenen Eros bleibt das
Denken schwach. Den Eros beflügelt die Leidenschaft für die Sache zwar auch und zunächst, aber nicht nur und nicht endlos. Es muß noch etwas hinzukommen. Zumindest muß man davon träumen können, daß auch die andern Augen machen. Selbst das Größte, was ein Mensch für sich im stillen erreicht, bleibt klein, wenn es nicht die Beachtung anderer Menschen findet. Wohl erhebt auch das stille Glück des Gelingens, aber nur kurz. Wenn ihm keine äußere Bewunderung zu Hilfe kommt, ist bald wieder alles gewöhnlich. Schon ein Achtungserfolg bringt aber Licht in den grauen Alltag des Forschern. Freilich sollte ein bißchen Bewunderung schon auch dabei sein. Bloß registrierendes Abgefertigtwerden reicht nicht. Wie die eigene Hingabe, so soll auch die Reaktion der anderen aus dem Herzen kommen. Die Gemüter sollen sich erhitzen. Begeisterung und Betroffenheit sollen sich ausbreiten. In aller Munde will man sein. Und die Münder sollen sich zerreißen. Zur ökonomischen Rationalität des Forschungsbetriebs Die seelenfremde Wissenschaft ist nicht so seelenlos, wie ihre Theorien und die Theorien über sie glauben machen. Sie hat sehr wohl mit Fragen zu tun, die die Seele bewegen. Wer träumt nicht von der Bewunderung des staunenden Publikums? Wer versteht nicht den Ehrgeiz, den dieser Traum entfacht? Wem ist der Neid ob des Erfolgs der auch nicht besseren Kollegen fremd? Wer kann die Verbitterung über die anhaltende Ungerechtigkeit nicht nachvollziehen, mit der die Fachwelt bisweilen ihre Gunst verteilt? All diese seelisch bewegenden Fragen haben engstens mit dem operativen Geschäft der Forschung zu tun. Auf der Ebene des forschungspraktischen Miteinander geht es nun einmal nicht wertfrei zu. Hier wird offen, ja
demonstrativ über Wert und Unwert gestritten. Hier wird mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit gekämpft. Hier zählen nicht nur Wahrheit, Triftigkeit und Relevanz. Hier spielt die Schau und die Verblüffung des staunenden Publikums eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hier wird Propaganda und Politik gemacht, hier spielen Intrigen und Händel unter der Hand. Hier geht es so zu, als wollte die Praxis der Forschung selber die Rolle der von ihrer Doktrin so stiefmütterlich behandelten Seele demonstrieren. In der Wissenschaftstheorie wird diese Seite des Betriebs ausgegrenzt und nach Möglichkeit verschwiegen. Sie könnte ja den hohen Anspruch der Wissenschaft an Objektivität und Rationalität untergraben. Die Wissenschaftstheorie war und ist immer noch bemüht, die subjektiven und politischen Einflüsse zu isolieren und als unmaßgeblich nachzuweisen. Sie trennt zu diesem Zweck zwischen einem Entdeckungs- und einem Rechtfertigungszusammenhang. Die menschlichen und allzu menschlichen Züge werden dem tastenden und probierenden Entdeckungszusammenhang zugerechnet. Zur Sicherung der Rationalität und Objektivität reicht es hin, wenn es im Rechtfertigungszusammenhang streng nach den Regeln der, wie Karl Popper sie benannt hat, »Logik der Forschung« zugeht. Im Rechtfertigungszusammenhang wird peinlich verlesen und nach härtesten Kriterien ausgelesen, was der Entdeckungszusammenhang liefert. Der Rechtfertigungszusammenhang begründet die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft. Im Entdeckungszusammenhang mögen chaotische und sogar irrationale Momente mitspielen, sie sind unschädlich, weil sie lediglich mit der Lieferung des Materials zu tun haben. Im Entdeckungszusammenhang mögen Verkaufsstrategien und politisches Taktieren ihre Rolle spielen. Solange über die Geltung von Theorien allein der Rechtfertigungszusam-
menhang entscheidet, kommt es auf Hygiene im Entdeckungszusammenhang eben nicht so an. Um den Kampf um die Aufmerksamkeit insgesamt zu neutralisieren, müßte sich der Schnitt zwischen Entdeckungs- und Rechtfertigungszusammenhang nun freilich messerscharf ziehen lassen. Spätestens seit Thomas Kuhns Buch über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen wächst nun aber die Zahl der Stimmen, die an der Möglichkeit dieser messerscharfen Trennung zweifeln. Sie wenden ein, daß die Zusammenhänge weder in der Praxis sauber getrennt noch analytisch scharf zu scheiden sind. Die Spitzen dieser Kritik reichen bis zum Vorschlag, den Anspruch an die Objektivität und sogar Rationalität der Wissenschaft zu relativieren. Allerdings ist von der Bereitschaft, am Ideal der Rationalität zu rütteln, nun gerade bei den Praktikern der Forschung wenig zu spüren. Die Frage, wie die unsaubere Schnittstelle eigentlich zu interpretieren sei, ist offen. Warum es also nicht umgekehrt probieren und fragen, ob der Kampf um die Aufmerksamkeit tatsächlich nur abträglich für die Rationalität der Wissenschaft ist? Ist es denn plausibel anzunehmen, daß dieselben Wissenschaftler, die bei der Prüfung vorgeschlagener Theorien so ungemein rational vorgehen, plötzlich alle Rationalität fahren lassen, wenn es um die begehrte Belohnung geht? Haben wir nicht vielleicht mit zweierlei Arten der Rationalität zu tun? Bei der Prüfung von Theorien zählen Widerspruchsfreiheit, Tatsachengerechtigkeit und Reproduzierbarkeit der Tatsachen, Reichweite, Einfachheit und Produktivität. Bei der Beschaffung von Aufmerksamkeit zählen darüber hinaus Witz, Unterhaltungswert, modischer Sitz, richtiger Stallgeruch und gute Beziehungen zu Herausgebern und Rezensenten. Im ersteren Fall zählt nur der Umgang mit Beobachtungen und Messungen; im letzteren zählt auch
der Umgang mit den Interessen anderer Menschen. Die Funktion des Verstandes im ersteren Fall ist es, aus einzelnen Messungen und scheinbar schlecht zusammenpassenden Beobachtungen ein kohärentes Bild der Wahrnehmungswelt aufzubauen. Die Funktion des Verstandes im letzteren Fall ist es, die Interessen und Bedürfnisse anderer Menschen in den Dienst der eigenen zu stellen. Dort geht es um das Geschick im Umgang mit äußeren Wahrnehmungen und beobachteten Tatsachen, hier zählt auch die Geschicklichkeit im Umgang mit den Gefühlen anderer und mit dem, was andere insgeheim denken. Wäre es also nicht sogar ein Zeichen verkürzter Rationalität, wenn das Verhalten, zu dem sie hier, und das Verhalten, zu dem sie dort anleitet, dasselbe wäre? Tatsächlich läßt sich Gesamtrationalität des Erkenntnisfortschritts nicht auf die »Logik der Forschung« beschränken. Die Logik der Forschung besagt nämlich nichts über die Verwendung knapper Ressourcen. Sie tut so, als ob Forschung nichts kosten würde. Forschung ist aber sowohl als originäre Entwicklung wie auch als Prüfung von Theorien teuer. Und sie ist nicht nur in finanzieller Hinsicht teuer. Geld ist zwar wichtig, die schlechterdings zentrale Ressource für das Forschen ist aber die Aufmerksamkeit der Forscher. Weil Forscher nicht durch Roboter ersetzt werden können, ist Aufmerksamkeit sowohl als attention wie auch als awareness gefragt. Menschen können nur dann gezielt denken und handeln, wenn sie bei Bewußtsein sind. Die Aufmerksamkeit ist nun aber sowohl als attention wie auch als awareness knapp. Der Forschungsbetrieb kann als Wissensproduktion nur dann rational organisiert sein, wenn auch die Art und Weise, wie er mit knappen Ressourcen umgeht, im Sinne des Erkenntnisfortschritts optimiert ist. Suboptimale Verwendung der forschenden Aufmerksamkeit ist Verschwendung und dem
Erkenntnisfortschritt so abträglich wie Mängel in der Methode. Wer oder was sorgt für die effiziente Verwendung der Aufmerksamkeit, die im Dienste der Forschung steht? Es gibt keine Aufseher. Die Wissenschaft muß sich selbst organisieren. Alle Erfahrung lehrt, daß die Forschung ineffizient ist, wenn sie nicht frei ist. Wenn die Forschung frei ist, zählen aber nur die individuellen Motive der Forscher. Individuelle Motive haben zweierlei Gestalt: Pflichtgefühl und Lust. Ist es Pflichtgefühl, das in der Wissenschaft für die effiziente Widmung der Aufmerksamkeit sorgt? Zweifellos spielt Pflichtgefühl in der Wissenschaft eine Rolle. Die Wissenschaft ist eine Profession, in der die Berufsehre noch etwas gilt. Das Pflichtgefühl hat nur den Nachteil, daß es nicht sonderlich inspiriert. Was wir lediglich aus Pflichtgefühl tun, ist wie Dienst nach Vorschrift. Die Lust hingegen macht gewitzt. Worauf haben Wissenschaftler Lust? Wie schon gesagt: auf die staunende Aufmerksamkeit der Fachwelt. Gegen diese Lust hat es das Pflichtgefühl schwer. Wo beide in Konflikt geraten, wird die Lust obsiegen. Heißt das, daß man Effizienz von der forschenden Aufmerksamkeit nur in dem Maß erwarten darf, in dem der Wunsch nach der Einnahme fremder Aufmerksamkeit dazu anleitet? Wer realistisch ist, sollte nichts anderes erwarten. Ist die Wissenschaft damit aber nicht doch zu partieller Irrationalität verdammt? Sie wäre es, wenn das Streben nach fremder Aufmerksamkeit davon abhielte, die eigene Aufmerksamkeit in den Dienst des kollektiven Erkenntnisfortschritts zu stellen. Warum soll das Streben nach Beachtung hier aber vom kollektiven Ziel ablenken? Der Verteilungsmechanismus der Aufmerksamkeit zwischen Forschern ist ein Markt. Die Forscher beziehungsweise die Forschergemeinschaften einer Disziplin stehen
einerseits in Konkurrenz und andererseits in einem Verhältnis wechselseitiger Zulieferung. Die Anbieter neuer Vorschläge konkurrieren um die Bereitschaft der Kollegen, ihre Produktion zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Die Kollegen nehmen das Angebot im Interesse der eigenen Produktion wahr. Es hat nun einmal keinen Sinn, Entdeckungen ein zweites Mal zu machen und verfügbare Erkenntnisse im Eigenbau zu wiederholen. Deshalb gehört auch die Wahrnehmung des Umfelds zum operativen Geschäft der Forschung. Allerdings kann nun die Aufmerksamkeit, die zu diesem Zweck ausgegeben wird, von den Anbietern als Einkommen verbucht werden. Also leitet das Streben nach der Maximierung dieses Einkommens die Anbieter von Vorschlägen dazu an, zunächst einmal das Interesse in der Fachwelt zu wecken. Das Interesse an diesem Interesse schränkt den Spielraum für Bluff und hartes Verkaufen bereits ein. Wohl mag es einmal gelingen, die kritischen Kollegen durch Imponiergehabe zu überrumpeln. Das Spiel ist nach der ersten Runde aber nicht zu Ende. Wer den Mund zu voll nimmt, handelt sich Strafpunkte für die nächsten Runden ein. Auf Wiederholung steht die härteste Strafe, die es für einen Wissenschaftler gibt: Er wird nicht mehr ernst genommen. Das ist sein Ruin. Auf dem Markt der Ideen herrscht zwar nicht vollkommene, aber effektive Konkurrenz. Die Rezipienten der Vorschläge geben ihre Aufmerksamkeit nicht nach Absprache oder Vorschrift, sondern in der ungebundenen Suche nach dem eigenen Vorteil aus. So sind es nicht Spenderlaune oder Gunst, ja nicht einmal bloße Neugier, die die Verteilung bestimmen. Die soziale Verteilung der Beachtung folgt dem Gebot des individuellen Interesses am Fortkommen. Das individuelle Fortkommen bemißt sich an der Beachtung, die ein jeder selber findet. Das
heißt nun aber, daß es im individuellen Interesse liegt, im Interesse der Kollegen zu produzieren. Die Lust auf Beachtung setzt der eigenen Laune enge Grenzen. Wer reüssieren will, muß die eigene Produktion an der Unterstützung der Produktivität anderer ausrichten. Wenn der Kampf um die Aufmerksamkeit es nun aber in das individuelle Interesse stellt, die eigene Aufmerksamkeit so zu verwenden, daß auch die Konkurrenz profitiert, dann erfüllt der Markt der Ideen die entscheidende notwendige Bedingung kollektiver Rationalität. Als hinreichende Bedingung fehlt dann nur noch, daß es in der Konkurrenz insgesamt um den Fortschritt der Erkenntnis geht. Wenn der Kampf um die kollegiale Aufmerksamkeit die individuellen Forschungsinteressen in den Dienst des kollektiven Erkenntnisinteresses stellt, woher dann der penetrante Ruch der Irrationalität, der ihn umweht? Wozu dann die Schaukämpfe und die Anrufung von Autoritäten? Wozu der Wind und das Rennen ums schnelle Glück? Recht einfach: um die raren Chancen der Beachtung nicht zu verpassen. Auch die Aufmerksamkeit, die zur Verteilung als Beachtung ansteht, ist knapp. Es ist nicht im Sinne des eigenen Fortkommens der Rezipienten, die Nachforschungen in der Literatur und die Prüfung anderer Vorschläge zu weit zu treiben. Es ist unsinnig, alles und jedes wahrzunehmen. Das Angebot ist zu groß, um die Recherche bis zum bitteren Ende zu treiben. Man muß scharf selegieren, wenn man auch noch zum originären Forschen kommen will. Also ist man, wenn man sich nicht auf allerengste Gebiete beschränkt, zu einer gewissen Oberflächlichkeit in der Rezeption verdammt. Und diese erzwungene Oberflächlichkeit auf Seiten der Rezeption bietet nun der Anbieterseite die Chancen, die auf Märkten auch sonst durch Verkaufsstrategien und Werbung genutzt werden. Weil die Aufmerksamkeit der Rezipienten so knapp ist, lohnt es
sich für die Produzenten, einen gewissen Aufwand zu treiben, um aufzufallen und sich vorzudrängeln. Die Bedeutung, die die Publikumswirksamkeit in der Forschung hat, zeigt sich noch deutlicher, wenn nach der hinreichenden Bedingung für die Übereinstimmung des individuellen Strebens nach Beachtung und der Arbeit am kollektiven Erkenntnisfortschritt gefragt wird. Bedingung für diese Übereinstimmung ist, daß die Konkurrenz der einzelnen Forscher in die Konkurrenz der Disziplinen untereinander eingespannt ist, und daß es in der Konkurrenz zwischen den Disziplinen ebenfalls um die Attraktion von Aufmerksamkeit geht. Die interdisziplinäre Konkurrenz ist nun aber effektiv. Die Disziplinen stehen ihrerseits in einem Verhältnis der Konkurrenz und wechselseitigen Zulieferung. Sie kämpfen wie die einzelnen Forscher um Reputation und gewinnen sie dadurch, daß die anderen Disziplinen etwas mit ihrem Angebot anfangen können. Von dieser Reputation hängt ihre Attraktivität für Talente und hängen ihre Chancen in der Konkurrenz um die Finanzmittel ab. Weil die Wissenschaft nun aber auch als ganze nicht isoliert, sondern in die gesamtgesellschaftliche Konkurrenz um die Aufmerksamkeit eingespannt ist, nutzt es der Reputation einer Disziplin in der interdisziplinären Konkurrenz, wenn sie auch außerhalb der Wissenschaft Beachtung findet. Sie ist in einem gewissen Maß zur PR und zur Sorge um eine gute Presse sogar verpflichtet. Ihre Produktionsbedingungen leiden, wenn sie es nicht schafft, sich in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Die Heroen einer Disziplin sind diejenigen Kollegen, die Beachtung von außerhalb einfahren. Sie sind, wie man weiß, nicht immer die besten. Nur hieße es, die Ausnahme mit der Regel zu verwechseln, wollte man daraus auf Irrationalität der Konkurrenz um Beachtung schließen. Die Unvollkommenheiten des Markts der Ideen bewegen sich
im normalen Rahmen menschlicher Unvollkommenheit. Er verstärkt diese Unvollkommenheiten nicht in dem Sinn, daß die einzelnen im kollektiven Resultat ihre individuellen Ziele nicht mehr wiedererkennen. Dafür läßt der Sachverhalt, daß der Markt der Ideen überhaupt funktioniert, von der Wissenschaft als rationaler Wissensproduktion erst reden. Die Konkurrenz um Beachtung ist es, die die individuellen Interessen ins Organisationsziel des kollektiven Erkenntnisfortschritts einspannt. Um diese Argumente zusammenzufassen: Vor dem Hintergrund des Verhältnisses von individueller und kollektiver Rationalität erscheint der Kampf um die Aufmerksamkeit in völlig neuem Licht. Er erscheint nicht mehr als das notwendige Übel, das den Anspruch an Objektivität untergräbt, sondern als notwendige Bedingung für die rationale (Selbst-) Organisation arbeitsteiliger Forschung. Das zentrale Problem dieser Organisation ist die effiziente Verwendung der dem Forschungsbetrieb insgesamt zu Diensten stehenden Aufmerksamkeit. Um dieses Organisationsziel zu implementieren, reichen die Regeln, die die Logik der Forschung expliziert, definitiv nicht hin. Also reichen diese Regeln auch nicht, um die Rationalität der Wissensproduktion zu sichern. Es muß noch etwas hinzukommen. Es muß Anreize geben, die das individuell Verlockende in den Dienst des kollektiven Erkenntnisfortschritts stellen. Das System dieser Anreize ist das Gratifikationssystem der Reputation. Reputation ist das konsolidierte Einkommen an Aufmerksamkeit seitens der Fachwelt. Um Reputation zu gewinnen, muß die Leistung zwar nicht unumstritten, sie muß mit relativer Einhelligkeit aber für der Beachtung wert gehalten werden. Zur Konsolidierung des Einkommens reicht es auch nicht, die Fachwelt in einmaliges Staunen zu versetzen. Reputation steht auf Leistungen, die zur verbindlichen Arbeitsgrundlage für die
Disziplin werden. Das Gratifikationssystem der Reputation ist das notwendige Komplement zur Logik der Forschung. Aber nicht nur. Es ist auch ein Anreizsystem von eigenen Gnaden. Es verkörpert eine Art der Belohnung, an die die sonst üblichen Gratifikationssysteme nicht herankommen. Der Reiz an der Reputation ist es nicht, daß man nur irgendwie registriert wird. Ihr Reiz ist es, eine Rolle im anderen Bewußtsein zu spielen. Die Aufmerksamkeit der Fachwelt sucht man denn auch nicht, um Gegenstand der Datenverarbeitung in anderen Nervensystemen zu werden. Man sucht sie, um eine Rolle in demjenigen anderen Bewußtsein zu spielen, das man selber für das beachtlichste hält. Der ungeheure und unersetzbare Reiz an diesem Rollenspiel ist es, sich tatsächlich in andere Welten aufgenommen und dort geschätzt, ja vielleicht sogar bewundert zu wissen. Die Wissenschaftstheorie wird unfähig bleiben, den gesellschaftlichen Erfolg des sozialen Systems Wissenschaft zu verstehen, solange sie von der motivierenden Kraft des Einkommens an Beachtung absieht. Der Erfolg, den die Wissenschaft im Maß des ihr entgegengebrachten Interesses und ihres kulturprägenden Einflusses hat, beruht keineswegs nur auf der Lieferung von technisch und pädagogisch verwertbarem Wissen. Er beruht auch – nein zunächst – auf ihrer Attraktivität für Talente und auf ihrer Kraft zur Motivierung von Spitzenleistungen. Diese Attraktivität und diese motivierende Kraft setzen ein Gratifikationssystem von entsprechender Leistungsfähigkeit voraus. Die Beschwörung idealischer Begeisterung reicht nicht. Die Gratifikationen, die sonst zur Leistungsmotivation eingesetzt werden, sind Geldeinkommen und Machtzuwachs. Beide kommen die Gesellschaft teuer zu stehen. Sie sind mit Ausbeutung und Herrschaft verbunden. Könn-
te die Wissenschaft ihre Talente nur mit Geld und Privilegien anlocken, dann wären die Kosten des Betriebs in seinem heutigen Umfang prohibitiv. Der Glücksfall, den die Reputation als Gratifikationssystem für den Forschungsbetrieb bedeutet, beschränkt sich aber noch nicht einmal darauf, daß die Rolle im anderen Bewußtsein so ungeheuer reizt. Der Forschungsbetrieb nutzt die Aufmerksamkeit, die die Forscher einander zukommen lassen, keineswegs nur zur Motivation. Sie nutzt sie zugleich zur Erledigung des operativen Geschäfts. Die Widmung der Aufmerksamkeit wird dadurch zur Schöpfung von Einkommen, daß sie für die Rezeption und Prüfung der Produktion eingesetzt wird, die die Kollegen vorlegen. Der Trick dieser Koppelung ist geradezu genial. Er bedeutet, daß für die Aufgabe des Motivierens nichts von der Aufmerksamkeit abgezweigt werden muß, die für produktive Zwecke zur Verfügung steht. Vielmehr werden durch die Einbeziehung der Rezeption fremder Produktion ins operative Geschäft die Einkommen der Kollegen stillschweigend und ohne irgendwelchen Zusatzaufwand geschöpft. Diese erzeugende und vergütende Doppelnutzung der Aufmerksamkeit überragt alles an Witz, was sich Organisationsplaner und Betriebsberater je ausgedacht haben.
Zweites Kapitel
Aufmerksamkeit: Die neue Währung?
Wir leben im Informationszeitalter und merken es daran, daß wir uns vor Information nicht mehr retten können. Nicht der überwältigende Nutzen der Information, sondern ihre nicht mehr zu bewältigende Flut charakterisiert die Epoche. Wir sind einem immer gewaltiger anwachsenden Schwall von Reizen ausgesetzt, die eigens dazu hergerichtet sind, unsere Aufmerksamkeit in Beschlag zu nehmen. Information ist nichts Festes und Fertiges, sondern der Neuigkeitswert, den wir aus Reizen ziehen. Das Besondere an den Reizen, die auf unsere Aufmerksamkeit angesetzt sind, ist, daß ihr Neuigkeitswert bewußte Zuwendung erheischt. Die Kapazität unserer Aufmerksamkeit zur Informationsverarbeitung ist organisch begrenzt. Wir sind weder datenverarbeitende Automaten, die anspruchsvolle Operationen ohne Bewußtsein erledigen, noch Götter, deren Kapazität des bewußten Gewahrens unendlich ist. Wir sind nur dann, wenn wir im phänomenalen Sinn bei Bewußtsein sind, auch zu anspruchsvoller Verarbeitung im intentionalen Sinn fähig. Unser phänomenales Bewußtsein ist nur da in den Grenzen der mit dem Wachen und Schlafen wechselnden Präsenz. Unser intentionales Bewußtsein ist sowohl von der Anzahl und Komplexität der Gegenstände, auf die wir uns konzentrieren, als auch von der Geschwindigkeit her, mit der wir sie auffassen, begreifen und einordnen können, beschränkt. Wir können uns zwar anstrengen und die Kräfte unseres Bewußtseins üben. Die
Grenzen der Fassungskraft selbst aber sind nur in Grenzen flexibel. Unsere Auffassungsgabe ist plastisch und verfügt über Reserven, die es zulassen, die normalen Kräfte auch einmal zu überziehen. Ein enthemmtes Wachstum der Reize, die auf unsere Aufmerksamkeit losgehen, läßt die Grenzen bewußter Realisierung aber irgendwann zum chronischen Engpaß werden. Die Belastungsgrenzen der Aufmerksamkeit künden sich durch typische Symptome an. Das Symptom der von zu vielen Seiten mit zu hohem Nachdruck in Anspruch genommenen Verarbeitungskapazität heißt Streß. Das Symptom der nicht mehr nachkommenden Verarbeitung heißt Hektik. Auch Streß und Hektik lassen sich aus dem zeitgenössischen Lebensgefühl nicht wegdenken. Es ist zwar nicht so, daß wir alle an den Grenzen der Belastbarkeit dahintaumeln würden. Wir alle sind aber gezwungen, mit unserer Aufmerksamkeit hauszuhalten. Niemand mit halbwegs wachen Interessen kann es sich heute noch leisten, alles im Informationsangebot wahrzunehmen, was ihn interessiert. Wir alle sind gezwungen, scharf zu selegieren und wegzulassen. Das fällt uns schwer. Lieber lassen wir uns auf zuviel ein. Dafür bezahlen wir mit Hektik und Streß. Ein anderer Ausdruck für den zunehmenden Zwang zum Haushalten mit Aufmerksamkeit ist, daß sie zur grundsätzlich knappen Ressource geworden ist. Knappheit bezeichnet die Asymmetrie zwischen der Verfügbarkeit einer Sache und ihren Verwendungsmöglichkeiten. Knapp ist eine Sache, wenn ihre interessanten, nach Realisierung rufenden Verwendungsmöglichkeiten weitergehen als ihr verfügbares Aufkommen. Diese Asymmetrie bestand bei der Aufmerksamkeit nicht immer und überall. Früher, so ist der allgemeine Eindruck, war das Leben insgesamt ruhiger und gleichförmiger. Auch heute ist das Leben noch weni-
ger aufregend und aufgeregt dort, wo sich traditionale Strukturen erhalten haben. Natürlich kommt es auch in traditionalen Gesellschaften einmal vor, daß sich die Menschen überfordert fühlen, das zu tun, was das eigene Interesse, der höhere Auftrag oder der Druck der Situation verlangen. Grund ist dann aber ein situationsspezifischer Mangel an Aufmerksamkeit und nicht das notorische Gefühl, sich mit lauter Sekundärem zu beschäftigen, weil es sich quengelnder vordrängt, frecher den Blick fängt oder raffinierter sich einschleicht als das eigentlich Wichtige. Knappheit darf nicht mit Mangel verwechselt werden. Mangel meint das Fehlen nötiger – um nicht zu sagen überlebenswichtiger – Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Die Knappheit hingegen kann schon zunehmen, wenn sich die Verwendungsmöglichkeiten der Sache vermehren. Das unentwegte Wachstum ihrer reizenden, sich interessant machenden, lohnenden und verpflichtenden Verwendungsmöglichkeiten ist das, was unsere Aufmerksamkeit als Informationsflut erlebt. Je höher die Flut steigt, um so nachdrücklicher wird die Erfordernis, mit der Aufmerksamkeit hauszuhalten. Dem Steigen der Flut wohnt die Tendenz inne, die Aufmerksamkeit in eine Rolle hineinwachsen zu lassen, die bisher das Geld spielt. Das Geld ist das immer noch wichtigste Rationierungsmittel. Seine Verfügbarkeit schneidet am schärfsten das praktisch Machbare aus dem Raum des theoretisch Möglichen aus. Geld ist chronisch knapp. Man braucht es zu allem und kann es für alles mögliche ausgeben. Es ist aber nicht dort besonders knapp, wo ein Mangel an Waren und Verdienstmöglichkeiten herrscht. Seine Knappheit wächst vielmehr mit der Fülle der Angebote. Bei zu geringem Angebot büßt das Geld seine Rationierungsfunktion sogar ein. So auch die Aufmerksamkeit. Deren rationierende Funktion kommt erst zum Tragen, wo das Verhältnis zwi-
schen den Verwendungsmöglichkeiten und dem Aufkommen asymmetrisch wird. Sobald sich diese Asymmetrie verschärft, wird aber noch etwas anderes bedeutsam. Aufmerksamkeit braucht man für nicht nur fast, sondern restlos alles, was man erleben will. Man kann Aufmerksamkeit auch für restlos alles ausgeben, was es überhaupt zu erleben gibt. Die Aufmerksamkeit übertrifft in dieser Universalität das Geld. Zugleich ist ihre Verfügbarkeit schärfer begrenzt. Ihr energetisches Aufkommen ist nahezu konstant. Deshalb existiert ein Punkt, von dem an die Aufmerksamkeit dem Geld den Rang des überlegen wichtigsten Rationierungsmittels abläuft. Blick auf die Historie der Informationsflut Die Verwendungsmöglichkeiten der Aufmerksamkeit wachsen nicht erst seit gestern. Wir erleben die späten Folgen eines schon lange anhaltenden und sich jüngst nur rasch beschleunigenden Wachstums. Die Ausbreitung der zur Attraktion hergerichteten Dinge, die Gelegenheiten zu Ablenkung und Unterhaltung, die Aufforderungen zum Unterrichtet- und Eingeweihtsein, die Zumutungen des Sich-Auskennens nehmen im Zug des wirtschaftlichen Wachstums und der kulturellen Entwicklung wie von selbst zu. Wir erleben sie als die Aufdringlichkeit des Warenangebots, als den Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien, als Aufforderung zum modischen Mitmachen, als Wunsch oder Zumutung, sich laufend fortzubilden, als wachsende Mobilität und Verstädterung, als Verdichtung der Kommunikationsnetze, als Globalisierung der Echtzeitkommunikation. Diese Expansion läßt sich inzwischen überall beobachten, wo die wirtschaftlichen und kulturellen Interessen halbwegs frei sind, sich zu entfalten. Wir haben uns so sehr an sie gewöhnt, daß wir
rasch auch im Klagen über Stagnation und Kulturstarre sind, wo wir den Eindruck ihres Nachlassens haben. So vielfältig die Gründe für dieses Wachstum im einzelnen sind, sie lassen sich auf zwei Hauptquellen zurückführen. Da ist erstens die Eigenschaft der technischen Hilfsmittel zur Verarbeitung von Information, auch den Wirkungsgrad bei der Erarbeitung von Information zu steigern. Da ist zweitens der Sachverhalt, daß das Einnehmen fremder Aufmerksamkeit mit dem Aussenden von Reizen für diese beginnt. Technische Hilfsmittel der Informationsverarbeitung gibt es so lange wie die Menschheit. Das älteste und immer noch mächtigste dieser Mittel ist die natürliche Sprache. Mit der Sprache hat sich die Evolution unserer Spezies von der Ebene biologischer Emergenz auf die Ebene der bewußten Schöpfung von Neuem verlagert. Die Sprache bewaffnet die Aufmerksamkeit mit einem so reichhaltigen Instrumentarium zur Erarbeitung, Verarbeitung, Mitteilung und Überlieferung von Information, daß wir die Steigerung des Wirkungsgrads noch nicht wirklich ermessen haben. Einen vollen Begriff vom Potential der Sprache, Neuigkeitswert zu schöpfen, könnte erst eine entwickelte Ökonomik des Denkens geben. Diese Ökonomik gibt es, wie gesagt, noch nicht. Was aber auch fehlt, ist eine umfassende Theorie der Sprache. Es gibt zwar viele Theorien zu Teilaspekten der Sprache, aber keine Theorie, die das, was Sprache ist, als solches erklären würde. Der Strom an sprachlich verfaßtem Neuigkeitswert entspringt nicht nur dem ursprünglichen, gesprochenen Gebrauch der Sprache. Hinter dem so mächtigen Anschwellen des Stroms im Lauf der Menschheitsgeschichte stecken auch Zurüstungen und Erweiterungen der Sprache. Die erste dieser Zurüstungen war die Schrift. Die Schrift ist diejenige Technologie sprachlicher Verfassung, die von
der Last des Auswendiglernens befreit. Mit der Schrift kommen zum internen Gedächtnis externe Speichermedien für sprachlich verfaßte Information hinzu. Die Erfindung der Schrift entkoppelt die Größe des kollektiv verfügbaren Kenntnis- und Wissensschatzes von den Kapazitätsgrenzen individueller Erinnerung. Zudem erschließt die Schrift Erweiterungen der Sprache im engeren Sinn. Die Schrift macht es möglich, Symbolismen zu entwickeln, mit deren Hilfe mechanische geistige Tätigkeiten nach außen verlagert werden. Die erste und immer noch wichtigste Art dieser Symbolismen war die Notation, die das mechanische Rechnen ermöglicht. Mit ihr war der Anfang zur Formalisierung geistiger Operationen gemacht. Durch Formalisierung kann die Geistesmechanik nicht nur entlastet, sondern auch verstärkt und geschärft werden. Das herausragende Beispiel ist die Mathematik. Die Mathematik stellt die folgenreichste Entäußerung, Verstärkung und Präzisierung der Geistesmechanik dar. Mit der Einführung der Schrift und den Anfängen der Mathematik waren die ersten Dämme im historischen Quellgebiet des Stroms gebrochen, den wir heute als Informationsflut erleben. Mit ihnen waren über den ursprünglich energiesparenden Effekt hinaus die Bedingungen für neuartige technische Möglichkeiten zur Steigerung des Wirkungsgrads der denkenden, kommunizierenden, Wissen nutzenden und Kenntnisse mehrenden Aufmerksamkeit geschaffen. Interessanterweise steht ihr Aufkommen in engem Zusammenhang mit den ersten Stadtbildungen. Städte sind das klassische Beispiel für die zweite Hauptquelle der Informationsflut. Mit der Bildung von Städten hatte sich eine Lebensform herausgebildet, in der sich die Menschen vor allem miteinander beschäftigen. Das Leben in der Stadt ist ein Leben mit vielen andern und in den Augen vieler anderer. Das Leben in der Stadt läßt
die Selbstdarstellung zum selbstverständlichen und selbstverständlich zentralen Lebensinhalt werden. In Städten gibt es immer etwas zu sehen. Die Menschen ziehen sich dort für andere an, zeigen her, was sie haben, treiben den erstaunlichsten Aufwand, damit die andern Augen machen. In der Stadt wird die Differenz zwischen öffentlicher Schauseite und abgeschirmter Privatsphäre zu einem Gestaltungsprinzip des Lebens. Die Schauseite – ob der Personen, Kutschen oder Gebäude – ist zum Repräsentieren. Die private Sphäre ist der Rückzugsraum hinter der Bühne. Draußen ist ständig Theater, drinnen darf man sich vom Auftritt erholen und auf das Auftreten vorbereiten. Theater ist die gezielte Produktion starker Reize. Das Leben auf der Bühne der Öffentlichkeit ist es, was urbane Formen des Lebens von vornherein aufregender und aufreizender macht als ihre Vorgänger. Das spezifische Reizklima der großen Städte ist bis heute ein Teil der Informationsflut geblieben. Zu den Faktoren, die das Reizklima zur Reizflut verstärkt haben, gehört die nahezu vollkommene Verstädterung der Gesellschaft. Ein anderer dieser Faktoren ist der Wandel der öffentlichen Sphäre zur Sphäre der Veröffentlichung. Die Veröffentlichung ist der professionell betriebene Kampf um Aufmerksamkeit. Damit dieser Kampf zum täglichen Geschäft so vieler Menschen werden konnte, mußte zur Erfindung der Schrift allerdings noch eine weitere hinzukommen. Das Geschriebene mußte massenhaft unter die Leute gebracht werden. Das wurde möglich durch die mechanische Reproduktion der Schrift. Mit der Erfindung des Buchdrucks sind wir zurück bei der ersten Quelle der Informationsflut. Die Druckerpresse war zunächst nicht mehr als ein Mittel zur Überwindung des Engpasses in der bestehenden Informationsverbreitung. Das Abschreiben von Hand kam der Nachfrage nicht mehr nach. Erst in zweiter Linie regte der Buchdruck die
Produktivität in Sachen Information auch an. Dieser sekundäre Effekt war dann aber überwältigend. Die Druckerpresse läutete die industrielle Phase der Informationsproduktion ein. Mit ihrer Einführung war auch schon der nächste Damm im historischen Vorlauf der Informationsflut gebrochen. Der ursprüngliche Zweck wurde mit einer Macht und Geschwindigkeit von der sekundären Wirkung überholt, die von nun an für alle weiteren Zurüstungen der sich und andere informierenden Aufmerksamkeit typisch werden und ständig weiter gesteigert werden sollte. Der entlastende Effekt wird durch die neu erschlossenen Möglichkeiten alsbald wettgemacht und in der Folge bis zur Unkenntlichkeit überkompensiert. Die mechanische Vervielfältigung der Schrift bedeutete auch für die andere Hauptquelle des Informationsstroms eine ungeahnte Verstärkung. Mit ihr entstanden reguläre Märkte für die literarische Produktion. Die mechanische Reproduktion ließ ein Verlagswesen aufkommen, das den Vertrieb des Geschriebenen als eigene Dienstleistung anbot und für die Erschließung eines Marktes sorgte. Bemerkenswert an der ökonomischen Realisierung der neuen technischen Möglichkeiten ist die Geschäftsidee des Publikationswesens. Das kommerzielle Ergebnis zählt hier nämlich nicht allein. Kommerziell muß sich der Verkauf nur für den Verleger lohnen. Der Autor ist mit der Aufmerksamkeit zufrieden, deren Einkommen die Auflagenhöhen und Verkaufszahlen messen. Wenn der Autor auch noch reich und wenn der Verleger selber berühmt wird, dann ist das eigentlich Surplusprofit: Es wäre zur Aufrechterhaltung des Geschäfts gar nicht nötig. Die literarische Landschaft sähe – ob im künstlerischen oder gelehrten Fach – anders als die bestehende aus, wenn die Autoren nur angeboten hätten, was kommerziellen Erfolg versprach. Die getrennte Rechnung nach einge-
nommenem Geld und eingenommener Beachtung ist die Voraussetzung literarischer Kultur. Ihretwegen lohnt sich die Anstrengung des Schreibens auch ohne pekuniäre Entlohnung. Die getrennte Rechnung ist, um es paradox auszudrücken, die Geschäftsgrundlage für den zweckfreien Dienst am Wahren und Schönen. Die eigenartige Verschränkung von Geld und Aufmerksamkeit erschließt der Beschäftigung mit Dingen, mit denen es sich nur um ihrer selbst willen zu beschäftigen lohnt, den Zugang zu einem Publikum. Was sonst Privatsache oder etwas für exklusive Zirkel bliebe, wird durch das Verlagswesen Gemeingut. Auch die Produktion für den höheren Lohn erscheint als Informationsangebot. Nur wäre in diesem Fall die kulturkritische Subsumption unter die Informationsflut verfehlt. Vielmehr gilt es festzustellen, daß die beiden Quellen der Informationsflut auch zwei Quellen der Kultur sind. Kultur ist Beschäftigung mit der Aufmerksamkeit als solcher. Es gibt keine Kultur ohne Arbeit der Aufmerksamkeit an sich selbst. Keine Kultur ohne Bildung, keine Kultur ohne die Verfeinerung des Umgangs mit der anderen Aufmerksamkeit und ohne die Beschäftigung mit der Art auskristallisierter Aufmerksamkeit, die als geistiges Kapital überliefert wird. Bildung ist die Investition von Aufmerksamkeit in sich selbst. Sie ist die Urform der Art von Zurüstungen, die den Wirkungsgrad der Er- und Verarbeitung von Information steigern. Auch die Verfeinerung des Umgangs ist mit einem Informationswachstum verbunden. Die Verfeinerung des Umgangs besteht im Erlernen des Aussendens einnehmender Reize. Bildung und Umgangsformen tragen auf ihre Weise zum Wachstum interessanter Verwendungsmöglichkeiten der Aufmerksamkeit bei. Sie kommen aber erst in Verbindung mit der Nutzung und Akkumulation geistigen Kapitals so recht zur Geltung. Geistiges Kapital besteht aus erarbeite-
tem Wissen, bewährten Methoden, beispielhaften Problemlösungen, Vorbildern für Findigkeit und Kreativität. Zu geistigem Kapital werden diejenigen Produkte geistiger Arbeit, die in die geistige Produktion wieder als Produktionsmittel eingehen. Die Bildung geistigen Kapitals ist ein anderer Ausdruck für geistige Umwegproduktion. Wie interessant und gewinnbringend es für sich genommen auch sein mag, sich mit Erkenntnissen, Erfindungen und Künsten zu beschäftigen, so ist doch das Interessanteste an ihnen der Zugewinn, den die Fassungskraft und Produktivität der eigenen Aufmerksamkeit aus der Beschäftigung mit ihnen zieht. Wissen, Methoden, beispielhafte Lösungen und Vorbilder sind für die geistige Produktion, was Maschinen, Verfahrenstechniken und technische Standards für die materielle sind. Sie sind Formen auskristallisierter toter Arbeit, die die Produktivität der lebendigen Arbeitskraft steigern. Zugleich sind sie, was von den historischen Phasen der Kultur übrigbleibt. Geistiges Kapital ist das produktive Potential des kulturellen Erbes. Die Kultur der Intentionalität Was immer wir sonst noch unter Kultur verstehen, wir verstehen auch die Veranstaltung darunter, größeren Gewinn aus der Aufmerksamkeit zu ziehen, als sie ohne besondere Zurüstung hergäbe. Gemäß der zwieschlächtigen Bedeutung von Aufmerksamkeit sind die historisch konkreten Ausformungen der Kultur in einem grundsätzlichen Sinne darin verschieden, ob sie sich stärker auf die phänomenale Eigenwirklichkeit des Erlebens oder stärker auf die intentional erlebte Wirklichkeit konzentrieren. Kulturen, die die eigene Wirklichkeit des bewußten Daseins in den Mittelpunkt stellen, sind solche der Selbstaufmerksamkeit und meditativen Praxis. Kulturen, die die gegens-
tändliche Seite des Erlebens in den Vordergrund stellen, sind solche der objektivierenden Welterfahrung und expansiven Entfaltung des Wissens. Es gibt wahrscheinlich keine Kultur, die rein dem einen oder dem anderen Typus zuzuordnen wäre; alle Kulturen kultivieren sowohl die eine wie die andere Seite des aufmerksamen Daseins. Charakteristisch ist das relative Gewicht der beiden Seiten und das besondere Verhältnis zwischen den Arten, auf die die Aufmerksamkeit sich mit sich selbst beschäftigt. Welche Seite der Erlebnisfähigkeit kultiviert wird, ist nicht nur entscheidend für das Wie, sondern auch für das Was des Erlebens. Weil die Fassungskraft der Aufmerksamkeit so beschränkt ist, hängen Art und Umfang dessen, was wir erleben können, ganz entscheidend von den eigens ausgebildeten Fähigkeiten und von dem aktivierbaren Fundus an Wissen ab. Wir erleben nicht einfach, was uns die Umwelt oder die Hintergrundtätigkeit der Assoziation präsentieren; wir erleben, worauf wir achten beziehungsweise zu achten gelernt haben. Sowohl das, was wir im stärkeren Eingehen auf die phänomenale Seite des Bewußtseins erleben, als auch das, was wir durch die Stärkung seiner Intentionalität erleben, ist kulturell erschlossen. Nicht in der tragenden Rolle, die das kulturelle Erbe überhaupt spielt, sondern in den Techniken, die bei der Steigerung der Erlebnisfähigkeit zum Zug kommen, liegt der fundamentale Unterschied zwischen den Kulturen beziehungsweise Kulturkreisen. Die meditativen Techniken sind solche des Rückzugs aus der gegenständlichen Erlebniswelt. Die Techniken der Objektivierung sind expansiv. Die Schwierigkeit des Zusich-Kommens der phänomenalen Seite des Bewußtseins liegt im Absehen von der inhaltlichen Fülle und der Zurücknahme der gegenständlichen Orientierung. Die Schwierigkeit der objektivierenden Erkenntnis liegt in der analytischen Durchdringung des
Dickichts und der umfassenden gedanklichen Synthese. Beide Wege sind beliebig anspruchsvoll und schwierig. Eine Kultur wird sich aber von Grund auf anders entwickeln, je nachdem, welchem der beiden Wege sie die Lösung der Menschheitsprobleme zu- und anvertraut. Diejenige Kultur, die sich in der Schöpfung von Neuigkeitswert verausgabt, hat sich mit aller Entschiedenheit dem Weg der Objektivierung verschrieben. Der vielleicht deutlichste Ausdruck für diese Entschiedenheit ist die Rolle, die sie der Wissenschaft einräumt. Die Wissenschaft ist nicht nur rigoros objektivierende Erkenntnis, ihr Programm schließt auch die rigorose Befreiung der Wissensproduktion von allen traditionalen Bindungen ein. Die Wissenschaft sucht keine letzte Erkenntnis und behauptet nicht, im Besitz der Wahrheit zu sein. Sie bekennt sich zur grundsätzlichen Vorläufigkeit des Wissensstandes, sie ist ihrem selbstverstandenen Wesen nach dynamisch. Ihre Zielrichtung ist die ständige Erweiterung der Geltungsbereiche und die immer weiter gehende Präzisierung der Theorien. Sie veranstaltet eine Konkurrenz von Vorschlägen zur Verbesserung, die keine Gnade mit dem Überholten kennt. An sie hat die okzidentale Kultur die Gestaltung des »offiziellen« Weltbilds und schließlich sogar die Auswahl dessen übertragen, was überhaupt als wirklich gelten darf. Die Bedeutung dieser Delegation dürfte schwer zu überschätzen sein. Ihre Folgen sind noch lange nicht abgesehen. Deutlich ist jedoch, daß sie mit einer Entfesselung geistiger Produktivkräfte einhergeht, die nur noch mit der Entfesselung der materiellen Produktivkräfte im Zug der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse vergleichbar ist. Das Prinzip der Dynamisierung ist die Vorläufigkeit des Wissens und die Vorwärtsgewandtheit des Forschens nicht allein. Das treibende Prinzip liegt in
der Struktur der Anreize und Zwänge, die von dem veranstalteten Wettbewerb der Ideen ausgehen. In der Wissenschaft wird nicht die Bewahrung des Erbes und nicht die Bewältigung vorweg definierter Prüfungen honoriert. Die Preise stehen auf schöpferische Zerstörung des Überkommenen und auf das Vollbringen des noch nicht Dagewesenen. Beachtung findet, was mit weniger Aufwand mehr erklärt als das Eingeführte. Überlegene Theorien sind einerseits umfassender und präziser, andererseits effektiver in der Nutzung der knappen Kräfte der Aufmerksamkeit. Der Fortschritt der Wissenschaft bezieht sich auf die Erkenntnis und die Produktivität der forschenden Aufmerksamkeit zugleich. Zwei der zentralen Voraussetzungen, die für die Durchsetzung wissenschaftlicher Normen des Erkennens erfüllt sein mußten, waren aufmerksamkeitsökonomischer Natur. Die erste betrifft die technische Unterstützung der Denkökonomie. Wissenschaft im Sinne experimenteller Naturforschung wurde historisch erst von dem Moment an möglich, in dem eine hinreichend leistungsfähige Mathematik für die Modellierung der Beobachtungszusammenhänge zur Verfügung stand. Die mathematische Präzisierung baut ihrerseits auf die Terminologisierung der Sprache durch deren Anwendung auf sich selbst. Die terminologische Schärfung der Begriffiichkeit und die Definition mathematischer Beschreibungssprachen stellten hochleistende Zurüstungen der Denkökonomie dar. Allerdings waren sie nur notwendig und noch nicht hinreichend für den Siegeszug der westlichen Wissenschaft. Hinreichend war das Entstehen einer kommunizierenden Gemeinschaft von Forschern. Mit kommunizierender Forschergemeinschaft ist ein funktionierender Markt der Ideen gemeint. Die zweite der aufmerksamkeitsökonomischen Voraussetzungen für die Durchsetzung wissenschaftlicher Normen der
Erkenntnis war also die, daß die theoretische Produktion marktgängig wurde. Märkte für die theoretische Produktion funktionieren, sobald ein leistungsfähiges und kostengünstiges Publikationswesen das Angebot allgemein zugänglich macht. Beide Voraussetzungen waren – ob Zufall oder nicht – in just demjenigen historischen Moment erfüllt, in dem auch die Voraussetzungen für die Industrialisierung der materiellen Produktion gegeben waren. Die Durchsetzung wissenschaftlicher Normen des Erkennens und der Einzug industrieller Produktionsweisen verliefen zeitlich parallel und unter starker Wechselwirkung. Der Siegeszug der einen schob den der anderen an und wurde von ihm geschoben. Industrialisierung und Verwissenschaftlichung zusammen stellen denn auch die nächste Stufe in der Expansion des Informationsstroms dar. Der Zustrom neuer Entdeckungen und Erkenntnisse setzt zwar eine ganz andere Art von Information frei als der wachsende Strom von Gütern und Dienstleistungen, die Übersicht über das Angebot und erst recht die Wahrnehmung der gebotenen Möglichkeiten kosten aber hier wie dort Aufmerksamkeit. Wir befinden uns auf einer neuen Stufe der Expansion, weil erstens die Breite des Angebots eine neue Größenordnung erreicht, zweitens der zeitliche Wechsel und die Dynamik der Ausweitung eine bis dahin unbekannte Beschleunigung erfährt, drittens die Verwissenschaftlichung der Produktion und die technische Umsetzung des theoretisch erschlossenen Grads an Naturbeherrschung einen eigenen Sektor der Informationsverarbeitung begründet, und schließlich die Beherrschung der technischen Zivilisation eine neue Klasse von Ansprüchen an die Aufmerksamkeit stellt. Wir befinden uns auf der Stufe, auf der die Asymmetrie zwischen dem energetischen Aufkommen und den Ansprüchen an die Aufmerksamkeit alltäglich
und für sämtliche Mitglieder der Gesellschaft spürbar wird. Die Industrialisierung beschert neuartige, bis dahin unbekannte Schübe der Verstädterung und Mobilisierung. Mit ihr tritt die kontinuierliche Veränderung an die Stelle der konsolidierenden Anpassung an das Neue. Die Mode wird zur allgegenwärtigen und schließlich alles durchdringenden Erscheinung. Der kombinierte Effekt von Verwissenschaftlichung und Industrialisierung bestand im Übergang von der sich zwar stetig, aber langsam verstärkenden Vermehrung zur lawinenartig anschwellenden Expansion interessanter und interessant gemachter Verwendungsmöglichkeiten der Aufmerksamkeit. Was als Verstärkung der Geistesmechanik, als Bewaffnung der beobachtenden Sinne und als Mechanisierung der körperlichen Arbeit begann, mündet in ein künstlich entfachtes Reizklima für die denkende, wahrnehmende und genießende Aufmerksamkeit. Die Klimaveränderung markiert einen qualitativen Wendepunkt. War Information bis dahin etwas zweifellos Wertvolles, war der Neuigkeitswert ein eindeutig positives Gut, so macht sich von nun an bemerkbar, daß Information auch einen negativen Wert annehmen kann. Das Zuviel des Neuen wird zur Belästigung, wenn es die Selektion des eigentlich Wichtigen zu überfordern beginnt. Diese drohende Überforderung ist nun aber, was das Reizklima ausmacht. Die neue Qualität besteht im heraufziehenden Konflikt zwischen Informationsökonomie und Informationsökologie. Das Massengeschäft der Information Mit der Industrialisierung wird neben den beiden Hauptquellen ein dritter Verstärker der Informationsflut aktiv.
Die Flut nimmt Ausmaße an, die weder mit der wachsenden Erarbeitungskapazität der Information erarbeitenden Aufmerksamkeit noch mit dem sich durchsetzenden Wunsch nach der Einnahme fremder Aufmerksamkeit zu erklären ist. Seit der Industrialisierung trägt auch die Geldwirtschaft – und zumal der materielle Kapitalismus – gehörig zum Sozialprodukt an Information bei. Die Informationsökonomie entwickelt sich zu einer gemischten Ökonomie der Aufmerksamkeit und des Gelds. Das Geld wird zum Hauptmotiv der neu aufkommenden Formen des Massengeschäfts mit Information. Dieses Massengeschäft hat zwei Seiten: die innerindustriellen Informationsumsätze und den Dienst am Endkunden. Die Stichworte für die wachsende Rolle der Informationsverarbeitung innerhalb der Wertschöpfung sind Tertiarisierung und Quartiarisierung der Wirtschaft. Tertiarisierung steht für den wachsenden Anteil planender, kontrollierender, verwaltender, vermittelnder, beratender, verkaufender – kurz: dienstleistender – Tätigkeiten an der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Mit Quartiarisierung wird der Vormarsch der informations- und kommunkationstechnischen Berufe bezeichnet. Das Massengeschäft mit der Information, die auf den Endkunden losgelassen wird, besteht in der bezahlten Herstellung von Attraktoren für die Lenkung und Umlenkung massenhafter Aufmerksamkeit. Die Stichwörter hier sind die Transformation der klassischen Publikationsmedien in die modernen Massenmedien und das Heranwachsen der Werbung zur eigenen Industrie. Tertiäre Dienstleistungen sind Produktionsmittel beziehungsweise Waren in der Form gewidmeter Aufmerksamkeit. Sie galten den älteren Ökonomen als unproduktiv, weil sie nichts Materielles, nichts, wovon man satt wird, herstellen. Erst die spürbare Entlastung der körperlichen Arbeit durch Maschinen und die wachsenden Ansprüche
an die Organisation von Produktion und Absatz machten klar, daß von der dienstleistenden Aufmerksamkeit sowohl ein eigener produktiver Beitrag als auch die zentrale Durchsetzungsleistung betrieblicher Rationalität ausgeht. Heute überwiegt ihr Beitrag zur Wertschöpfung den der körperlichen Arbeit in allen entwickelten Volkswirtschaften bei weitem. Längst sind nun aber auch Dienstleistungen zum Gegenstand der maschinellen Substitution menschlicher Arbeitskraft geworden. Mit der Substitution von geistiger durch elektrische Energie befaßt sich der quartäre Sektor. Computer automatisieren gewisse Teile der Geistesmechanik, ihre Vernetzung automatisiert die entsprechenden Teile des Informationsaustauschs. Die Wertschöpfung im quartären und tertiären Sektor zusammen stellt den Beitrag der Informationsverarbeitung zum geldwerten Sozialprodukt dar. Industrielle Produktionsweisen sind Produktionsweisen, die nicht nur Maschinen- und Automatenkraft, sondern auch Vorteile der Massenproduktion nutzen. Sie haben rentable Mindestgrößen und nutzen den größeren Maßstab der Produktion als eigenen Produktionsfaktor. Diese zunehmenden Skalenerträge, wie sie genannt werden, haben die Form degressiver Stückkosten. Von der Degression der Stückkosten geht ein spezifisch erhöhter Druck auf die Verbreiterung des Absatzes aus. Dieser Druck äußert sich in der Nachfrage nach Verfahren zur Bearbeitung der kaufentscheidenden Aufmerksamkeit. Die Herstellung solcher Verfahren hat sich als Werbung, PR, Produktdesign und Imagepflege etabliert. Werbung ist die als käufliche Dienstleistung angebotene, professionell betriebene Attraktion anonymer Aufmerksamkeit. Das Geld, das sie mit ihrem Verkauf als Werbefläche einnehmen, hat die Massenmedien groß gemacht. Mit der Informatisierung der Berufswelt, dem Ausufern
der Werbung und dem massenmedialen Kampf um die Aufmerksamkeit haben die Zeiten ein Ende gefunden, in denen das Leben mit überdosierter Information nur wenige Spezialisten betraf. Von nun an gehört die ständige Überforderung des Achtgebens zur Normalität. Weil Not erfinderisch macht und weil sich die Menschen an fast alles gewöhnen, lernen sie es, auch im Trommelfeuer der Attacken auf ihre Aufmerksamkeit zu leben. Fortan ist es nun aber die Beschaulichkeit, die eine Sache nur noch für Spezialisten ist. Die Penetranz und Aggressivität, mit der die Überdosis trifft, hat ein schlichtes Motiv. Es geht mittelbar um die Aufmerksamkeit, direkt aber ums Geld. Die Aufmerksamkeit ist einerseits zum wichtigsten Faktor der Geldwert schöpfenden Produktion geworden. Diese Produktion hat andererseits ein Aktivitätsniveau erreicht, auf dem im Verkauf nichts mehr ohne die Umwerbung der kaufentscheidenden Aufmerksamkeit geht. Die materielle und die immaterielle Überproduktion heizen einander wechelseitig an mit dem Erfolg, daß wir ein doppeltes Überweidungsproblem natürlich begrenzter Ressourcen haben. Die materielle Produktion macht die in der Biosphäre verkörperten Absorptions- und Regenerationskräfte zum Flaschenhals des Überlebens. Die immaterielle Produktion läßt die Kräfte, die der subjektiven Erlebnissphäre Gestalt und Qualität schenken, zu Engpaßfaktoren werden. Mißt man sie an diesem Erfolg, dann ist die gemischte Ökonomie der Aufmerksamkeit und des Geldes eine Katastrophe. Als ob ein Umweltproblem nicht reichte, wird noch ein zweites entfacht. Die industrielle Verwertung macht das Gefahrenpotential einer Wissenschaft akut, die immer tiefer in den Aufbau der Materie und in die Bausteine des Lebens vordringt. Zur Absicherung ihrer Expansion verfällt sie dann auch noch auf die Idee der großtech-
nischen Produktion von Wegwerfinformation. Je deutlicher absehbar wird, daß sich die Ausbeutungsrate der natürlichen Absorptions- und Regenerationskräfte nicht auf Dauer wird halten lassen, um so aufwendiger wird die Bearbeitung der öffentlichen Meinung und die Betörung der individuellen Konsumneigung betrieben. Der Verschmutzung der Biosphäre folgt die Eutrophierung der Erlebnissphäre. Allerdings ist diese katastrophische nun nicht die einzig mögliche Lesart der sich mischenden Ökonomien des Gelds und der Aufmerksamkeit. Das Trittfassen einer immateriellen Ökonomie auf dem angestammten Terrain der Geldwirtschaft sollte auch zu beobachten sein, wo eine Gesellschaft sich auf dem Rückzug aus der exzessiven Materialwirtschaft befindet. Es ist – bei aller Achtung vor der Lernfähigkeit der Menschen – nämlich nicht zu erwarten, daß das Streben nach materiellem Reichtum einfach so, ohne einen Ersatz für die Begierde, schwindet. Das über Jahrhunderte eingeübte und durch die Macht des Faktischen eingebleute Streben dürfte nur dann von seiner Voreingenommenheit für das Geldwerte lassen, wenn es die Überlegenheit alternativer Formen der Bereicherung entdeckt. Die hoffnungsvolle Lesart der gemischten Ökonomie wäre also die, daß sich in der wachsenden Bedeutung der Information und Attraktion auch ein Geländegewinn für eine Wirtschaftsweise abzeichnet, in der das Geld nicht mehr die erste Rolle spielt. Die finale Entgrenzung der Informationsflut Die Frage nach dem Geländegewinn einer postpekuniären Wirtschaftsweise ist spätestens seit dem Erfolg nicht mehr aus der Luft gegriffen, den der Großversuch eines alterna-
tiven Informationsmarkts unter dem Namen Internet verzeichnet. Im Internet werden nur noch die Benutzungsgebühren für die technische Infrastruktur in Geld bezahlt. Die Wahrnehmung des Informationsangebots selber ist bis auf Ausnahmen frei. Die große Mehrzahl der Informationsanbieter hat es nur noch auf die Aufmerksamkeit der Teilnehmer abgesehen. Was zählt, sind die Zahlen der Zugriffsstatisitik und die inhaltlichen Reaktionen aus dem Publikum. Weil kein Geld fließt, gilt das Internet der etablierten Geschäftswelt nicht als richtiger Markt. Allerdings hat kein Informationsmarkt je solche Wachstumsraten verbucht wie das Internet. Die Wachstumszahlen der Anbieter und erst recht der Nachfrager sind atemberaubend. Und die Netzgemeinde wehrt sich vehement dagegen, dem Internet ein allgemeinverbindliches pekuniäres Zahlungssystem einzuziehen. Es ist, als ob die technisch avancierten Sparten der Informationsökonomie auf den neuen Typ von Markt nur gewartet hätten. Endlich, so könnte die Erfolgsbotschaft des Internet gelesen werden, gibt es sowohl die Kommunikations- als auch die Transaktionstechnik, die der Informationsflut spezifisch angemessen ist. Allerdings wäre es nun verfrüht, im Siegeszug des Internet auch den Triumph einer alternativen Ökonomie zu erblicken. Erstens ist das Internet bisher nur Nebenschauplatz des Massengeschäfts, zweitens ist die Art und Weise, wie die Aufmerksamkeit als Zahlungsmittel in Internet fungiert, nicht die am höchsten entwickelte. Das atemberaubende Wachstum sollte zwar denen zu denken geben, die sich einen Markt ohne Geld nicht vorstellen können. Bevor Rückschlüsse über die Systemkonkurrenz zwischen der Geld- und der Aufmerksamkeitsökonomie gezogen werden, muß die mögliche Währungsfunktion der Aufmerksamkeit aber grundsätzlich untersucht werden.
Eines ist mit dem Erfolg des Internet klargeworden: Die klassischen aufmerksamkeitsökonomischen Quellen der Informationsflut haben die Oberhand zurückgewonnen. Die Globalisierung des Informationsangebots überwindet einen Engpaß in der Informationsverarbeitung mit der Folge, daß das Angebot in gigantischem Umfang wächst. Und es wächst nicht länger in erster, sondern nur mehr zweiter Linie aus kommerziellem Interesse. Selbst dort nämlich, wo es letztlich um Geld geht, geht es zunächst einmal darum, im Kampf um die Aufmerksamkeit zu bestehen. Es reicht nicht mehr, nur auf das Geld zu achten. Der Königsweg zum Erfolg führt über den Bekanntheitsgrad. Was könnte die Macht, mit welcher der entlastende Effekt in einen neuen Wachstumsschub mündet, besser illustrieren als die räumlichen und zeitlichen Barrieren der Informationsflut, die mit der globalen Vernetzung fallen? Die Kombination von globalisiertem Informationsangebot mit globalisierter Echtzeitkommunikation verwandelt örtliche Märkte auf einen Schlag in Weltmärkte. Was als lokale Konzentration der Angebote in den Städten begann, findet in der räumlichen Entgrenzung der Märkte seinen Abschluß. Je mehr die Vor- und Nachteile der besonderen räumlichen Lage egalisiert werden, um so härter wird auch der Kampf um zeitliche Vorsprünge. Was nicht auf der Höhe der Zeit ist, genießt auch keinen örtlichen Schutz mehr. Die Halbwertzeit der Produktdesigns und technischen Standards schrumpft schneller denn je. Mit der Zunahme des Entwicklungstempos schrumpft auch die Halbwertzeit der betreffenden Kenntnis- und Wissensstände. Noch nie war Information so leicht verderblich wie heute. Noch nie war auch das Wissen, das den Neuigkeitswert erst realisieren läßt, so kurzlebig wie heute. Die räumliche Entgrenzung der Informationsflüsse mündet in
eine Beschleunigungswelle, die die Verarbeitungskapazität a fortiori in die Zange nimmt. Dieser Zangengriff deutet auf eine neue Dimension, in der sich die Kapazität bewußter Verarbeitung von Information verknappt. Weil Information nichts Festes und Fertiges, sondern der Neuigkeitswert ist, den ein Empfänger aus Reizen beziehungsweise Signalen zieht, ist sie relativ zu einem Stand vorgängiger Informiertheit. Dieser Stand hängt neben der strukturellen Empfindlichkeit des Empfängers davon ab, was dieser aus früherem Input an Neuigkeitswert gezogen hat. Information ist eine rekursive Funktion der Zeit. Die Fassungskraft ihrer Verarbeitung ist Ausdruck der Fähigkeit, auf Unterschiede im Zustrom durch kontrollierte und für die künftige Leistung folgenreiche Veränderung des eigenen Systemzustands zu reagieren. Die Bewegung am Rande dieser Kapazität setzt die bewußte Verarbeitung einer doppelten Zumutung aus. Zum einen soll der Neuigkeitswert durch präsumptives Beiseitelassen des Allermeisten mit gleichwohl zielsicherer Findigkeit für das unerwartet Triftige herausgezogen werden. Zum anderen soll der Kenntnis- und Wissensstand für Veränderung grundsätzlich offengehalten, alle Veränderungen jedoch, die sich irgendwann nachteilig auswirken könnten, gemieden werden. Das Leiden an diesen Zumutungen wurde einmal Managerkrankheit genannt. Heute wirkt die Bezeichnung fast rührend. Managerkrank sind Leute mit schlechtem Aufmerksamkeits-Management. Sie haben noch nicht begriffen, daß die Aufmerksamkeit zu derjenigen Ressource geworden ist, nach deren Verfügbarkeit sich der Rest zu richten hat. Was ihnen fehlt, ist die rettende Distanz zu den beiden Zumutungen. Sie machen den Fehler zu meinen, die Herausforderung durch immer noch größere Anstrengung annehmen zu sollen. Mit dieser Meinung verhar-
ren sie auf schon verlorenem Posten. Es ist vergebens und wird immer absurder, der Informationsflut durch noch größeren Fleiß Herr werden zu wollen. Die Lösung liegt in der anderen Richtung. Sie liegt darin, daß man sich zunächst um die Verfassung seines aufmerksamen Daseins kümmert. Es gilt, diejenigen Kräfte zu pflegen und zu päppeln, die dort weiterhelfen, wo der geradlinige Verstand versagt. Diese intuitiven Kräfte lassen sich nicht befehlen. Sie lassen sich nur von den Randbedingungen her beeinflussen. Gilt die Sorge aber einmal den Randbedingungen der aufmerksamen Präsenz, dann behauptet sich das Aufmerksamkeits-Management bereits neben dem sachlichen. Die Aufmerksamkeit ist dann nicht mehr nur Mittel zum Zweck. Sie wird endlich als Selbstzweck behandelt. Auf der Kippe Die Zeiten sind vorbei, da Knappheit noch mit pekuniärer Kostspieligkeit gleichgesetzt werden durfte. Nicht einmal mehr im materiellen Konsum ist das Geld das ausschließliche Rationierungsmittel. Grund ist die Fülle des Angebots. Die Fülle des Angebots macht seine Wahrnehmung anstrengend. Also geht der rationale Konsument dazu über, das Angebot nur mehr oberflächlich wahrzunehmen. Sobald nun aber mit einer gewissen Oberflächlichkeit seitens der Nachfrager zu rechnen ist, wird die gezielte Attraktion von deren Aufmerksamkeit zum verpflichtenden Geschäft für die Anbieter. Wer – eben aus Gründen der Kostendegression – um Marktanteile kämpft, darf die Auswahl dessen, worin sich die Aufmerksamkeit der potentiellen Kunden verfängt, nicht mehr dem Zufall überlassen. Es wird zum geschäftlichen Gebot, sich auf das Geschäft der Lenkung dieser Aufmerksamkeit einzulassen.
Nach der klassischen Theorie des rationalen Konsumenten dürfte es die Werbung eigentlich nicht geben. Die Theorie nimmt nämlich an, daß die ökonomisch rationale Entscheidung nicht selber noch knappe Ressourcen in Anspruch nimmt. Sie macht diese Annahme, um die Kalkulierbarkeit der Entscheidung zu sichern. Wenn rationales Entscheiden selber noch knappe Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, wie soll die Verwendung dieser knappen Ressource dann selber noch rational entschieden werden? Weil die Frage in einen infiniten Regreß führt, geht die Theorie davon aus, daß sich der rationale Konsument ausschließlich von seiner Präferenz und seinem Informationsstand über Preis und Beschaffenheit des Angebots leiten läßt. Auf die Werbung hört er entweder gar nicht oder nur deswegen, weil sie die Kosten der Informationsbeschaffung senkt. Die Sache sieht nun aber ganz anders aus, wenn die Knappheit der Aufmerksamkeit eben doch eine Rolle spielt. Wenn Aufmerksamkeit knapp wird, dann ist das Achtgeben zwangsläufig selektiv. Was immer in den Sinn kommt, ist dann schon vorentschieden oder, um es noch deutlicher zu sagen, voreingenommen. Wenn jeder bewußten Entscheidung nun aber eine vorbewußte – damit intuitive beziehungsweise emotionale – Auswahl vorausgeht, dann hat die Rationalität der ökonomischen Entscheidung eine – wie immer kleine, so doch systematische – Lücke. Diese Lücke ist unbedenklich und darf vernachlässigt werden, wo Zeit und Anlaß genügen, um die Entscheidung gründlich zu überdenken. Sie gewinnt aber Bedeutung, wo die Aufmerksamkeit zu knapp wird, um es noch rational erscheinen zu lassen, die Entscheidung gründlich und in aller Ruhe zu fällen. Wo diese Knappheit spürbar und effektiv wird, ist es um die Geschlossenheit der ökonomischen Rationalität – aus selber ökonomischen Gründen –
geschehen. Die ökonomische Theorie hält aus verständlichen Gründen am Konzept der geschlossenen Rationalität fest. Der Geschäftssinn hat sich jedoch mit großer Findigkeit über die Lücke hergemacht. Er nutzt die Instabilität, um den Blick von der intuitiven beziehungsweise emotionalen Voreingenommenheit her zu lenken. Einen Begriff davon, was aus dieser Instabilität herauszuholen ist, läßt die Beobachtung machen, daß sich eine regelrechte Technologie zur Ausbeutung der Lücke in der Rationalität entwickelt hat. Die Werbung macht es inzwischen möglich, Aufmerksamkeit mit kalkulierbarem Aufwand und Erfolg für Beliebiges anzuziehen. Die Existenz der Werbung war immer schon ein Hinweis, daß an der Theorie des rationalen Konsumenten etwas nicht stimmt. Nur konnte der Hinweis gar zu unauffällig hinter idealisierenden Standardannahmen versteckt werden. Was stillschweigend mit aus dem Blick verschwand, war der relative Bedeutungsverlust des Geldes. Inzwischen ist es nun aber so weit, daß dieser Bedeutungsverlust nicht mehr zu übersehen ist. Nicht nur, daß die Werbung zur ansehnlichen Industrie und der Massenkonsum zum Konsum von Marketingprodukten geworden ist. Ohne Werbung, PR, Imagepflege und Produktdesign läuft in der Wirtschaft überhaupt nichts mehr. Man sehe sich nur um: Unsere ganze Umwelt mutiert zum Werbeträger. Wo wir stehen und gehen, stoßen wir auf Dinge, deren einziger Sinn und Zweck es ist, uns am Ärmel zu zupfen und zu sagen: schau her! Man kann der Belästigung nicht mehr entrinnen. Es sind kaum noch unkontaminierte Ecken zu finden. Ganze Landstriche sind durch Werbung verstellt. Beim Fahren, beim Reisen, wo immer ein paar Menschen vorbeikommen, geht das Gerangel um die Aufmerksamkeit schon los. Es ist keine Beruhigung und schon gar kein Ende des
Gerangels abzusehen. Vielmehr ist abzusehen, daß ihr Prinzip auf den Konsum selber immer mehr übergreift. Was Thorstein Veblen zu Beginn des Jahrhunderts noch als den »Stil der feinen Leute« beschrieben hat,2 ist längst zum Volkssport geworden: der ostentative Konsum. Waren es einst die Häuser, die man dem Namen nach kannte, die um ›conspicuous consumption‹ konkurrierten, so ist es inzwischen schwer, überhaupt noch ohne Schaueffekt zu konsumieren. Wenn es nun aber ganz normal geworden ist, um des Imponierens willen zu konsumieren, dann stellt der Konsum auch noch einmal neue Anforderungen an die Werbung. Der Konsum im Dienst der Attraktivität verlangt nach bewährten und schon vorab mit Renommee geladenen Attraktoren. Markenpflege und Produktdesign haben dann nicht mehr nur die simple Aufgabe, die Kundschaft zu überrumpeln, sondern auch die subtile, die Ware für den Blickfang spezialtauglich zu machen. Die Dinge selber müssen dann mit dem Versprechen versehen werden: Ich bin etwas ganz Besonderes und wirke unwiderstehlich. Dafür wiederum genügt es nicht, schön und auffällig zu sein. Es muß auch auffallen, daß sie auffallen. Oder anders: Der Eindruck muß eigens noch inszeniert werden, daß die Sache auf alle Eindruck machen wird. Also wird die Werbung selber schon nicht mehr nur zu dem Zweck betrieben, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Sie hat auch die hybride Aufgabe übernommen, die Konsumenten zum Blickfang herzurichten. Schon deshalb wird sie weiter expandieren. An dieser hybriden Funktion wird nun aber deutlich, daß es auch in Sachen Einkommen einen Kipppunkt zwischen der Maßgeblichkeit des Geldes und der Maßgeblichkeit der Aufmerksamkeit gibt. Es ist nicht nur die Rolle des selektiveren Rationierungsmittels, es ist auch die des begehrteren Einkom-
mens, in die die Aufmerksamkeit hineinwächst. Ungewiß ist, ob der Kippunkt schon erreicht ist. Gewiß ist aber, daß die Entwicklung noch nicht am Ende ist. Auch wer sich zurückhält beim Auszeichnen angebahnter Entwicklungslinien, tut sich schwer bei der Ausschau nach Kräften, die der Dynamik Einhalt gebieten.
Die neue Währung? Heißt das, daß die Aufmerksamkeit dabei ist, dem Geld den Rang abzulaufen? Nun, so einfach ist das nicht. Ein Wechsel der lebenspraktischen Leitwährung steht zwar an. Ein knappes Gut wird aber nicht schon dadurch zur Währung, daß es als Rationierungsmittel und Form des Einkommens sich durchsetzt. Um als Währung zu fungieren, muß es mindestens drei weiteren Anforderungen genügen. Zu seinem bemessenden und belohnenden Gebrauchswert muß erstens ein universeller Tauschwert hinzukommen. Das Gut muß, anders gesagt, marktgängig werden. Sein Tauschwert muß zweitens ein homogenes und allgemein verbindliches Maß annehmen. Es muß einen Charakter annehmen können, bei dem es nur noch aufs Quantum ankommt. Ein Gut, das zur Währung taugen soll, muß sich drittens zur Schatzfunktion eignen. Es muß sich horten und als Form des Reichtums akkumulieren lassen. Aufmerksamkeit kann man einnehmen, die eingenommene kann man aber nicht weitertauschen. Der Weitertausch ist das Prinzip, das hinter dem universellen Tauschwert steckt. Die eingenommene Aufmerksamkeit kann nicht wie Waren die Hand wechseln. Hinzu kommt, daß die äußeren Zeichen der Beachtung nur zählen, wenn sie auf etwas anderes schließen lassen. Die Signale müssen als Botschaft aus einem anderen Dasein und als Hin-
weis auf eine Rolle aufgefaßt werden, die der Empfänger dort spielt. Daraus folgt, daß es bei der Beachtung auf die Individualität und den persönlichen Charakter des aufmerksamen Daseins ankommt, welches die Beachtung schenkt. Also kann die Beachtung, um die es geht, nicht als homogenes Gut behandelt werden. Nicht einmal die Beachtung, die ein und dieselbe Person schenkt, ist homogen. Die Beachtung, die von Bewunderung hingerissen ist, zählt anders als eine, die aus bloßem Respekt gezollt wird; und diese zählt noch einmal anders als eine, die aus Feindseligkeit oder gar Abscheu herrührt. Als Beachtung nehmen wir andere Aufmerksamkeit immer in Verbindung mit einer bestimmten Wertschätzung für unsere Person ein. Also zählt auch die emotionale Qualität der Zuwendung. Wie soll nun aber ein Gut, das derart inhomogen ist, zur Währung werden? Und mehr noch: Wie soll es möglich sein, Beachtung zu horten und zu Reichtümern anzuhäufen? Der Gedanke scheint so absurd, daß die Frage kaum ernst genommen werden kann. Allerdings gilt es, nun genauer zu schauen. Aufmerksamkeit kann zwar als solche nicht weitergetauscht werden, sie kann aber sehr wohl einen Tauschwert annehmen. Ihr Tauschwert hängt unter anderem von dem Einkommen an Beachtung ab, das die beachtende Person bezieht. Zweitens ist die Aufmerksamkeit, die von prominenter Seite und in den publikumsorientierten Berufen eingenommen wird, durchaus anonym. Für den Grad der Prominenz und den Erfolg beim Publikum ist das Quantum ausschlaggebend. Wo es auf die bloße Zahl der Einzahlenden ankommt, wird die bezogene Aufmerksamkeit tatsächlich auf ein homogenes Maß reduziert. Schließlich gibt es den Reichtum an eingenommener Beachtung nicht nur in Gestalt des momentan gefeierten Publikumslieblings, sondern auch in Gestalt der gereiften Prominenz.
Irgendwie funktioniert es mit der Akkumulation also doch. So unwahrscheinlich es denn auf den ersten Blick erscheint, daß die Aufmerksamkeit Währungsfunktion annehmen könnte, so erstaunlich ist die bereits erfolgte Annäherung. Um den Tausch der Aufmerksamkeit nun eingehend zu untersuchen, ist ein Wechsel der Betrachtungsebene erforderlich. Bisher bewegten wir uns auf einer Ebene, die makroökonomisch genannt werden kann. Es ging um Aggregate wie Dienstleistungssektor, Werbung, Massenmedien, ostentativer Konsum. Die Untersuchung im Detail verlangt einen Wechsel auf die mikroökonomische Ebene. Es gilt, das Spiel des Austauschs aus der Sicht der individuellen Teilnehmer zu rekonstruieren. Es gilt, den Zusammenhang zwischen der getauschten Beachtung und der Wertschätzung herauszuarbeiten, den die Partner einander entgegenbringen beziehungsweise im Tausch der Beachtung aushandeln. Dafür muß zunächst einmal geklärt werden, worum es im Spiel »Aufmerksamkeit tauschen« eigentlich geht.
Drittes Kapitel
Zur Ökonomie der Selbstwertschätzung
Es hat keinen Sinn, die Jagd nach Aufmerksamkeit als bloße Äußerlichkeit abzutun. Wohl hat sie als Eitelkeit einen nicht unverdient schlechten Ruf. Das Verlangen nach Zuwendung kann als solches aber nichts Verwerfliches sein. Bedenklich ist die Wahllosigkeit, zu der das Verlangen hinreißt. Auch die Gier nach Beachtung ist aber keine gewöhnliche Unart. Wie das Verlangen, überhaupt eine Rolle im Seelenleben anderer zu spielen, so ist uns auch der Herzenswunsch angeboren, in dieser Rolle zu gefallen. Es ist dieser Wunsch, der so leicht in Gier ausartet. Aber noch nicht einmal er kann so einfach als Gefallsucht abgetan werden. Er ist nämlich nicht zu trennen von dem Wunsch, gut vor sich selbst dazustehen. Auch und gerade unsere Selbstwertschätzung genügt sich nicht selbst. Was wir von uns selbst halten dürfen, hängt in eminentem Maße von der Wertschätzung ab, die wir von anderen empfangen. Weil wir Wertschätzung immer in Aufmerksamkeit verpackt empfangen, hat die Unersättlichkeit des Verlangens nach Zuwendung einen guten Grund. Die Sorge um den Selbstwert ist nämlich gerade nicht verwerflich. Die höchsten und edelsten Ziele hier auf Erden lassen sich in den Auftrag zusammenfassen, diejenige Wertschätzung zu maximieren, die die eigene Person selbstkritisch und guten Gewissens für sich in Anspruch nehmen darf. Nicht erst die Eitelkeit, schon das Selbstwertgefühl hält uns an, für reichliche Beachtung unserer Person zu sorgen. Die ursprüngliche und immer noch gängigste Art und
Weise, sich Beachtung zu verschaffen, ist es, das Bedürfnis anderer nach Beachtung zu bedienen. Wir nehmen Aufmerksamkeit dafür ein, daß wir acht auf andere geben. Das Achtgeben, um beachtet zu werden, ist nun aber mehr als nur eine Beschaffungspraxis. Es ist die elementare Form der Zwischenmenschlichkeit. Unser täglicher Umgang mit anderen Menschen ist neben alldem, was er noch ist, ein fortlaufender Tausch von Beachtung. Also ist die Sorge um den Selbstwert gerade nicht nur selbstbezogen. Vielmehr macht sie uns zu sozialen Wesen im selbst- und zielbewußten Sinne des Worts. Die bewußte und gezielte Sorge um den Selbstwert läßt uns das Geben und Nehmen als ein Spiel betreiben, in dem wir eigene Aufmerksamkeit einsetzen, um an die Einsätze anderer zu kommen. Sie macht den Tausch zu einem Spiel von Angebot und Nachfrage. Dieses Spiel ist uns derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß es uns als Form der Geschäftstätigkeit selten zu Bewußtsein kommt. Der Auftrag, für reichliche Beachtung unserer Person zu sorgen, verlangt nun aber, in diesem Tauschgeschäft erfolgreich zu sein. Betrachtet man das Einkommen an Beachtung von seiner Entstehung im Austausch her, dann erscheint die Sorge um den Selbstwert als gar nicht so verschieden von der um den wirtschaftlichen Erfolg. Die Arten des Einkommens sind verschieden; die Rationalität des Beschaffens kann aber nicht völlig verschieden sein. Die Maximierung des Selbstwerts nimmt im Tausch der Beachtung die Rolle ein, die die Maximierung des Nutzens im Tausch dinglicher Güter einnimmt. Sowenig wie wir umhin können, auf optimale Bedürfnisbefriedigung und Wunscherfüllung aus zu sein, sowenig können wir umhin, möglichst gut vor uns selbst dastehen zu wollen. Man mag sogar fragen, ob die beiden Ziele nicht auf dasselbe hinauslaufen. Von der
Nutzenmaximierung als Generalziel des Lebens zu reden klingt zwar entsetzlich. Die Maximierung des Nutzens ist in der Theorie aber ganz untendenziös als die Herbeiführung desjenigen Weltzustands definiert, der von den machbaren Zuständen das Maximum an Wohlbefinden verspricht. Zum Wohlbefinden reicht materieller Wohlstand nicht. Sobald die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sind, wird es für das Wohlbefinden sogar wichtiger, wie man vor sich selbst dasteht. Das Selbst gehört mit zur Welt; ja es ist derjenige Teil der Welt, von dessen Verfassung die Vorzüglichkeit des fraglichen Weltzustands vor allem anderen abhängt. Wenn Nutzenmaximierung als Herbeiführung des vorzüglichsten der machbaren Weltzustände definiert ist, dann sollte die Maximierung der Selbstwertschätzung eigentlich eingeschlossen sein. Wenn Nutzenmaximierung die Maximierung des Selbstwerts einschlösse, dann wäre dies von entscheidendem Vorteil für unsere Untersuchung. Es hieße nämlich, daß der Tausch der Aufmerksamkeit mit den bewährten Methoden der theoretischen Ökonomie analysiert werden kann. Diesen Vorteil kann man schwer überschätzen. Es ist kein Verfahren zur Untersuchung sozialer Zusammenhänge in Sicht, das es mit der ökonomischen Modellierung an analytischer Schärfe und synthetischer Kraft aufnehmen könnte. Die Methode hat sich von der Enge ihres ursprünglichen Anwendungsgebiets längst emanzipiert. Es gibt, um nur Beispiele zu nennen, die ökonomische Theorie der Politik und des Rechts, die Spieltheorie und die Theorie der Verhandlung, die ökonomischen Theorien der Ehe und der Clubs. Die normative Ökonomie spielt inzwischen eine nicht unwesentliche Rolle in der philosophischen Ethik. Es wäre für unsere Frage nach der neuen Währung von allergrößter Bedeutung, wenn sich das Anwendungsfeld auch nach dem Tausch der Aufmerksamkeit
hin weiten ließe. Leider scheitert diese Hoffnung an einer nicht wegzudefinierenden Eigenheit der Selbstwertschätzung. Mögen die Maximierung des Nutzens und die Maximierung des Selbstwerts in einem umfassenden Begriff der Wunscherfüllung auch konvergieren, so haben sie doch unterschiedliche Quellen der Wertigkeit. Der Nutzen kennt nur einen Ursprung des Bewertens: das je eigene Werturteil. Die Selbstwertschätzung schöpft hingegen aus zweierlei Quellen: aus der unmittelbaren Selbstachtung und aus dem durch äußere Wertschätzung vermittelten Selbstwertgefühl. Die Selbstachtung ist die Instanz der Selbstkritik und des Gewissens. Das Selbstwertgefühl ist die Instanz, die die empfangene Wertschätzung in das Gefühl umsetzt, das das Selbst von sich hat. Ironischerweise ist es also nicht die größere Innerlichkeit, die den Selbstwert vom Nutzen trennt, sondern die wesentliche Äußerlichkeit einer seiner Quellen. Es ist die unmittelbare Selbstachtung, die sich der Nutzenmaximierung am ehesten einverleiben ließe. Die Selbstachtung schöpft, wie die Nutzenmaximierung, aus dem eigenen Werturteil. Ausgerechnet die der Gefallsucht so nahe Maximierung des Selbstwertgefühls ist es, die den Rahmen der Nutzenmaximierung sprengt. Sie ist es, an der die Rückführung der Selbstwert- und der Nutzenmaximierung auf eine gemeinsame Quelle des Bewertens scheitert. Am Selbstwertgefühl liegt es, daß zwar die Nutzenmaximierung als Unterfall der Selbstwertmaximierung durchgehen könnte, daß auf keinen Fall aber die Selbstwertmaximierung der Nutzenmaximierung subsumiert werden darf. Der ausschließlich in der eigenen Werthaltung begründete Maßstab des Nutzens wird in der ökonomischen Theorie eigens betont. Zu ihren Standardannahmen zählt die Unabhängigkeit der individuellen Nutzenfunktionen. Mit
der Unabhängigkeit der individuellen Nutzenfunktionen ist gemeint, daß in die Präferenzordnungen der Individuen nicht eingeht, wie die Präferenzordnungen ihrer Mitmenschen aussehen. Der Grund für die Annahme dieser Unabhängigkeit ist technischer Art. Es ist bisher nicht gelungen, das Zusammenspiel vorteilsuchender Individuen bei abhängigen Nutzenfunktionen zu modellieren. Für die Modellierung des Spiels der Selbstwertmaximierung wäre die Annahme nun aber absurd, daß es den Spielern gleichgültig ist, wie die Präferenzordnungen ihrer Mitspieler aussehen. Die Sorge um den Selbstwert schließt ein wesentliches Interesse daran ein, daß die Mitmenschen, auf die es einem ankommt, Präferenzen haben, die den eigenen entgegenkommen. Konkret bedeutet dies, daß Selbstwertmaximierer die Partner, mit denen sie Aufmerksamkeit tauschen, nicht nur nach eigener Sympathie, sondern auch nach Gegensympathie aussuchen. Es zählt nicht nur, wie hoch sie den Partner schätzen, sondern auch, wie hoch er sie schätzt. Die Abhängigkeit des Selbstwerts von fremder Wertschätzung bedeutet, daß beide Richtungen des Wertschätzens zählen. Nur die Einnahme von Aufmerksamkeit, die mit Gefühlen der Wertschätzung oder zumindest des Respekts geladen ist, mehrt das Selbstwertgefühl. Den für die Selbstwertschätzung wesentlichen Dualismus der Wertquellen kennt die ökonomische Theorie nicht. Es ist auch kein Weg zu sehen, wie er in ihren Apparat eingebaut werden könnte. Folglich können wir den Tausch der Aufmerksamkeit nicht durch einfache Übertragung bewährter Methoden rekonstruieren. Wir können nach der Währungsfunktion der Aufmerksamkeit nicht einfach fragen, indem wir an die Stelle des Geldes die Beachtung, an die Stelle ökonomischen goodwills das persönliche Ansehen, an die Stelle des Nutzens den Selbstwert setzen. Das macht die Sache schwierig. Eine alterna-
tive Methode läßt sich nicht aus dem Boden stampfen. Der Ausweg liegt in einer Art kontrastierender Rekonstruktion: kontrastierend in dem Sinn, daß das Besondere am Tausch der Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund des Bildes entwickelt wird, das die ökonomische Theorie von der Tauschwirtschaft hat.
Der Wunsch nach Beachtung und die Sorge um den Selbstwert Die Sorge um den Selbstwert und der Wunsch nach Beachtung hängen zusammen, sind aber nicht gleich. Ihr Zusammenhang ist mehrfach gebrochen. Die Sorge um den Selbstwert schließt den Wunsch nach Beachtung ein, aus dem Wunsch nach Beachtung spricht aber nicht notwendig die Sorge um den Selbstwert. Der Wunsch nach Beachtung kann auch aus bloßer Gefallsucht oder Lust am Auffallen herrühren. Nicht einmal dort, wo die Sorge um den Selbstwert das Streben nach Beachtung anleitet, ist das Verhältnis direkt. Der Zusammenhang ist durch das Streben nach äußerer Wertschätzung vermittelt. Und dieser Zusammenhang hat noch einmal zwei Zwischenglieder. Erstens kommt die äußere Wertschätzung der Selbstwertschätzung nicht direkt zugute, sondern vermittelt über die Wertschätzung, die wir selber für die Person, die uns schätzt, hegen. Zweitens reicht die Wertschätzung, die wir bei geschätzten Personen finden, nicht schon als solche hin, um unser Selbstwertgefühl zu festigen. Sie muß auch der Kritik der unmittelbaren Selbstachtung standhalten. Der Zusammenhang zwischen dem Wunsch nach Beachtung und der Sorge um den Selbstwert trägt nur in einer Richtung. In der anderen Richtung ist er nicht beanspruchbar. Der Zusammenhang ist dreifach gebrochen. Ma-
chen wir, um die Brüche zu verdeutlichen, die Probe an den fraglichen Stellen. 1. Die Selbstwertschätzung der Person knickt ein, sobald der Entzug von Beachtung eine bestimmte Schwelle überschreitet. Umgekehrt kommt die bezogene Beachtung nicht notwendig der Selbstwertschätzung zugute. Der Zusammenhang zwischen eingenommener Beachtung und empfangener Wertschätzung trägt nur einseitig in dem Sinn, daß der Genuß von Wertschätzung zwar stets mit dem Empfang von Beachtung verbunden ist, daß Beachtung aber nicht notwendig Wertschätzung einschließt. Wohl gilt, daß wir nichts wirklich schätzen, das wir nicht auch beachten. Der Umkehrschluß gilt aber nicht. Etwas zu beachten heißt nicht schon, es zu schätzen. Wir müssen auf vieles achten, was uns nicht gefällt. So hohl denn die beteuerte Wertschätzung bleibt, wenn sie nicht durch sichtbar gezollte Aufmerksamkeit erfüllt wird, so wenig darf gezollte Beachtung schon mit Wertschätzung gleichgesetzt werden. Die Beachtung kann alle möglichen Motive haben. Auch Bespitzelung beachtet genau, auch Furcht macht achtsam, auch Abwehr läßt genau hinschauen. Neid, Mißgunst, Eifersucht sind von ihrem Opfer so gefesselt wie die Liebe. Wut und Haß sind hingerissen wie Faszination. Schließlich will der Feind so genau beachtet sein wie der Freund. Wie von wahrer Freundschaft die Rede nicht sein kann, wenn die Partner nicht aufeinander achtgeben, so ist eine Feindschaft keine wirkliche, in der die Gegner einander nicht scharf im Auge behalten. 2. Selbst die Beachtung, die durch Wertschätzung motiviert ist, kann nicht umstandslos auf das Konto der Selbstwertschätzung gebucht werden. Was zählt, ist die Wertschätzung, die wir in der Beachtung durch solche Menschen erfahren, die wir unsererseits schätzen. Schätzt uns jemand, den wir unsererseits nicht schätzen, dann soll-
ten wir uns darauf gerade nichts zugute halten. Es sollte uns eher peinlich berühren und zur Überprüfung unserer Einstellung veranlassen. Jedenfalls ist es im schlechten Sinne eitel, sich in solcher Wertschätzung zu sonnen. Und es ist eitel genau deswegen, weil die Wertschätzung seitens derer, die wir nicht auch unsererseits schätzen, zur Beglaubigung der Selbstwertschätzung nicht taugt. Unsere Selbstwertschätzung darf nur wachsen, wenn wir von Menschen geliebt, verehrt, bewundert werden, die auch wir lieben, verehren, bewundern. 3. Zu einem dritten Bruch zwischen dem Wunsch nach Beachtung und der Sorge um den Selbstwert kommt es, weil auch die Wertschätzung, die wir bei geschätzten Personen finden, nur notwendig und nicht schon hinreichend ist als Stütze des Selbstwertgefühls. Unsere Selbstwertschätzung bedarf nicht nur der äußeren, sondern auch einer inneren Stütze. Innen muß sie von unmittelbarer Selbstachtung getragen werden. Die unvermittelte Selbstachtung bestimmt, wofür das Selbst sich im Spiegel seiner Selbstkritik und seines Gewissens achten darf. Sie hat das letzte Wort. Sie ist in gewissem Sinn sogar unbestechlich. Der Selbstbetrug bestraft sich selbst durch die Selbstachtung, die er kostet. Dennoch ist die Selbstachtung alles andere als unfehlbar. Der Verzicht auf absichtlichen Selbstbetrug bringt die Verlockungen des Wunschdenkens noch nicht zum Schweigen. Auch das kritische Selbstbild ist offen für Verblendung. Darum bedarf es seinerseits der äußeren Stütze. Unsere Selbstachtung ist sogar so sehr auf äußere Abstützung angewiesen, daß sie ohne Verbindung zum äußeren Dafürhalten noch nicht einmal von Einbildung zu unterscheiden wäre. Nur dadurch, daß Selbstkritik und äußere Kritik, daß Selbstachtung und äußere Wertschätzung einander ergänzen, gewinnt die Selbstwertschätzung Halt und Festigkeit. Die unvermittelte Selbst-
achtung ist in dem Sinne allerdings die Letztinstanz, daß alle äußere Wertschätzung nichts nützt, wenn das Selbstbild der eigenen Kritik und Gewissenhaftigkeit nicht standhält. Wiewohl er gebrochen ist, hat der Zusammenhang zwischen dem Wunsch nach Beachtung und der Sorge um den Selbstwert eine unverzichtbar tragende Funktion. Unser Selbstwertgefühl besteht auf der Beglaubigung durch äußere Wertschätzung; und äußere Wertschätzung gibt es nun einmal nur in geleistete Beachtung verpackt. Unser Selbstwertgefühl verlangt sogar, daß wir die Beschaffung mit größtmöglichem Geschick und mit dem Ziel betreiben, die Selbstwertschätzung so groß wie möglich wachsen zu lassen. Es gibt wahrlich weniges, von dem die Qualität unseres Lebens so entscheidend abhängt wie davon, was wir vom eigenen Selbst halten dürfen. Es ist das Streben nach Glück in seiner ersten und unmittelbaren Bedeutung, das unser rationales Handeln und Planen dem Oberziel der Maximierung der Selbstwertschätzung unterstellt. Daß die unmittelbare Selbstachtung das letzte Wort hat, lockert den Auftrag zur Beschaffung äußerer Wertschätzung nicht. Im Gegenteil. Wir sind nämlich noch nicht einmal in der Lage, ein ungestörtes Verhältnis zu uns selbst zu entwickeln, wenn wir nicht von Kind an mit Beachtung wohl versorgt werden. Wer als Kind hier darben mußte, wird wahrscheinlich sein Leben lang – auch und gerade – mit seiner Selbstachtung kämpfen. Aus gutem Grunde ist die erste Lektion, die wir hier auf Erden lernen, die, daß gut ist, was Zuwendung verschafft, und schlecht, was sie abspenstig macht. In dieser ersten Lektion lernen wir uns zu holen, was unbedingte Voraussetzung für die spätere Festigkeit des Selbstwertgefühls ist. Aber auch dann, wenn ein stabiles Selbstwertgefühl einmal aufgebaut ist, bleibt es auflaufende Bestätigung angewiesen. Die
Selbstwertschätzung wird dann nur nicht so leicht einknicken, wenn die äußere Anerkennung hinter dem inneren Anspruch zurückbleibt. Eine gewisse Robustheit ist hier entscheidend, da Diskrepanzen die Regel sind und nicht einmal im besten Falle ganz verschwinden. Im besten Fall wachsen die Ansprüche der Erfüllung nach. Bleibt andererseits die Erfüllung aus und hilft auch noch so große Anstrengung nicht, dann bleibt nur die Wahl zwischen dem Senken des eigenen Anspruchs und dem Senken des Werts, den wir auf die anerkennungsunwilligen Mitmenschen legen. Beides, die Resignation und der Hader, verursacht langwieriges Leid. Beide vergällen die Grundstimmung des Lebens. Der Auftrag, den die Selbstwertschätzung zur Beschaffung äußerer Wertschätzung erteilt, ist also ernst. Es reicht nicht, der Versündigung an der unvermittelten Selbstachtung zu widerstehen. Es gilt vielmehr, diejenige Wertschätzung in diejenige Beachtung verpackt zu gewinnen, die die Selbstwertschätzung maximieren. Wir sind angehalten, die Beachtung derjenigen Menschen zu finden, die wir unsererseits am meisten schätzen, und diese Menschen dazu zu bringen, möglichst große Sympathie und Hochachtung für unsere Person zu entwickeln. Der Auftrag, das Tauschspiel der Aufmerksamkeit erfolgreich zu spielen, zerfällt also in drei Teilprobleme. Es gilt erstens, möglichst viel und möglichst geneigte Aufmerksamkeit von denjenigen Menschen einzunehmen, die wir selbst am meisten schätzen. Es gilt zweitens, den Wert der eigenen Aufmerksamkeit in den Augen derer zu maximieren, auf die es uns ankommt. Es gilt drittens, dieses Geschäft so abzuwickeln, daß die Selbstachtung keinen Schaden nimmt. Dieses Geschäft ist von Natur aus kompliziert. Es ist um ein Grundsätzliches komplizierter als das der Nutzenma-
ximierung. Es hat, wie das Geschäft mit dem Geld, die Form eines Spiels. Das Spiel ist die Verallgemeinerung des Tauschs. Wir tauschen Aufmerksamkeit nicht einfach gegen Aufmerksamkeit, sondern setzen Aufmerksamkeit ein, um sowohl an Aufmerksamkeit als auch an Wertschätzung zu kommen. Spiele im terminologischen, spieltheoretischen Sinne des Begriffs sind Verhandlungsspiele. Wird der Tausch ausgehandelt, dann geht es nicht nach dem einfachen Schema »wie du mir, so ich dir« zu, sondern sind taktische Finessen und strategische Züge im Spiel. Das Spiel »Aufmerksamkeit tauschen« ist ein Verhandlungsspiel im eigentlichen Sinn. Wir verhandeln in aller Regel zwar nicht offen, dafür aber ständig unter der Hand. Es ist das große Spiel der stillschweigenden, impliziten Verhandlung. Wir verhandeln, indem wir uns vielsagend verhalten, in Andeutungen unsere Vorlieben und Abneigungen äußern, durch Tun und Lassen Dinge ausplaudern, durch Mitmachen Einverständnis signalisieren. Das Verhandlungsspiel, das wir beim Tauschen von Aufmerksamkeit spielen, ist – als eben typisches Spiel – sowohl taktischer als auch strategischer Natur. Es ist taktischer Natur, weil ein wesentlicher Teil des Spiels darin besteht, den Partner aus der Reserve zu locken und dazu zu bringen, Farbe zu bekennen. Es ist ein strategisches Spiel, weil wir im Tausch von Aufmerksamkeit die Zwecke des Partners zum Mittel für die Verfolgung der eigenen Zwecke machen. Wie erfahren wir von unserer Rolle im anderen Bewußtsein? Das Spielen eines Spiels, in dem wir Aufmerksamkeit
einsetzen, um an die Aufmerksamkeit und Wertschätzung des Partners zu kommen, setzt voraus, daß wir erfahren, was im Bewußtsein unseres Partners vorgeht. Aufmerksamkeit zu beziehen heißt, eine Rolle in anderem Bewußtsein zu spielen. Wir können in das andere Bewußtsein jedoch nicht hineinsehen. Wir können nicht nachsehen, wie häufig wir dort auftauchen, mit welchen Gefühlen wir dort empfangen werden, wie intensiv die Beschäftigung dort mit uns ist, vor wem uns der Vorzug und wem vor uns der Vorzug gegeben wird. Die Wertschätzung, die wir genießen, ist ein anderer Ausdruck für die Beliebtheit oder den Rang der Rolle, die wir im anderen Bewußtsein spielen. Die Bühne des Bewußtseins kennt aber keine Zuschauerplätze. Wir können, was im anderen Bewußtsein vorgeht und welche Rolle wir dort spielen, nur aus dem äußeren Verhalten der anderen Person erschließen. Von der Unterstellung des anderen Daseins zur Feststellung, was es meint und fühlt, führt nur die Deutung äußerer Anzeichen. Die beredtsten, zugleich aber auch unzuverlässigsten dieser Anzeichen sind die sprachlichen Berichte, die uns aus dem anderen Innenleben erreichen. Die wörtlich gegebenen Schilderungen und Rechtfertigungen sind so vielsagend, weil die wörtliche Sprache das reichste und präziseste Ausdrucksmedium seelischer Zustände ist. Auf die wörtlichen Berichte ist so wenig Verlaß, weil es mit Worten so einfach ist, sich zu verstellen. Worte kosten nichts. Was sie von Taten unterscheidet, ist, daß sie so wohlfeil sind. Andererseits sprechen sie viel differenzierter und nuancenreicher als Taten. Wir wären arm dran, wenn wir keine Worte hätten, um uns über seelische Belange zu verständigen. Wir wären allerdings auch arm dran, wenn die sprachliche Äußerung die einzige Informationsquelle über die andere Seele wäre.
Um die Worte nach Glaubwürdigkeit zu wägen, versuchen wir, die Begleitumstände der Äußerung und diejenigen Züge am Verhalten des Äußernden mitsprechen zu lassen, die Kosten verursachen. Erstens fragen wir nach dem allgemeinen Eindruck der Stimmigkeit und prüfen ihre Plausibilität anhand der Kenntnis, die wir von der Person, ihrer besonderen Situation und den näheren Umständen haben. Zweitens bringen wir unser implizites Wissen um die Knappheit und rationelle Verwendung der Aufmerksamkeit in Anschlag. Wir wissen nämlich, daß die Wahrscheinlichkeit, durch subjektive Berichte getäuscht zu werden, unter anderem dadurch begrenzt ist, daß es für den Äußernden nicht völlig kostenlos ist, sich zu verstellen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß sich Einstellungen und Gefühle – ja nicht selten auch Absichten und sogar Hintergedanken – unwillkürlich äußern. Verstellung bedarf der ausdrücklichen Selbstkontrolle. Ausdrückliche Selbstkontrolle kostet Aufmerksamkeit. Verstellung – ob durch Reden oder Tun – verursacht also Kosten, die die unverstellte Ehrlichkeit nicht verursacht. Deshalb ist es unter sonst gleichen Bedingungen ökonomischer, ehrlich zu sein. Das Leben wird anstrengend, wenn man nicht mehr reden kann, wie einem der Schnabel gewachsen ist, sondern ständig überlegen muß, was man wem bei welcher Gelegenheit erzählt hat. Die Verstellung kann sogar ziemlich kostspielig werden, wo ausführliche Lügengeschichten memoriert und konsistent weitergespielt werden müssen. Schließlich sind die Kosten des Risikos nicht zu unterschätzen, daß die Sache auffliegt. Das Ertapptwerden kann ruinös teuer werden, was die genossene Achtung und – nicht zuletzt – die Selbstachtung betrifft. Das Wissen, daß wir diese Kostenrechnung unterstellen dürfen, erlaubt es uns, im Fall fehlender Hinweise auf das Gegenteil von der Glaubwürdigkeit der Worte auszuge-
hen. Das ist einiges. Nur verträgt sich die Kostenrechnung mit dem Vorkommen recht vieler Situationen, in denen das Heucheln eben doch opportuner scheint als die Ehrlichkeit. Gerade die wörtlich versicherte Wertschätzung ist ein weites Feld pflichtschuldiger Lüge. Wir machten uns selbst zu Narren, schenkten wir den schönen Worten zu leicht Glauben. Allerdings läßt sich die geäußerte Wertschätzung nun noch eingehender an Taten messen. Wie schon gesagt, die noch so versicherte Wertschätzung bleibt hohl, wenn sie durch tätige Beachtung nicht belegt wird. Beachtung ist nicht so wohlfeil, wie es Worte sind. Wie wir jede eingenommene Mark und jede Minute Lebenszeit nur einmal ausgeben können, so können wir auch jeden Augenblick Aufmerksamkeit nur einmal ausgeben. Und wie niemand viel Geld und Zeit für Dinge ausgibt, die ihm nicht wichtig sind, so läßt auch niemand seine Aufmerksamkeit von Dingen in Beschlag nehmen, die in seiner Prioritätenliste nicht weit oben stehen – oder sich, durch diese Vereinnahmung, an die Spitze stellen. Mit jeder bestimmten Ausgabe – ob von Geld, Zeit oder Aufmerksamkeit – verzichten wir auf die Realisierung alternativer Möglichkeiten. Durch den Verzicht, den sie auf die Realisierung alternativer Möglichkeiten kosten, sprechen unsere Ausgaben wie ein Lügendetektor. Das Heucheln von Wertschätzung wird witzlos, wo der Beleg durch Beachtung leicht einzufordern ist. Die Verwendung unserer Aufmerksamkeit plaudert mehr aus, als tausend Worte abstreiten können. Der Gatte mag der Gattin tausendmal versichern, daß sie sein ein und alles ist; wenn er nie Zeit hat und auch den Hochzeitstag vergißt, dann gibt es eben mehr als nur das eine Alles. Realist in Sachen beteuerter Wertschätzung ist, wer ungerührt auf die geäußerte Zahlungsbereitschaft hört. Die Äußerung von Zahlungsbereitschaft ist eine offene,
ja rücksichtslos ehrliche Sprache. Es lohnt sich nicht, in ihr zu lügen. Wer in ihr lügt, zahlt drauf. Er verzichtet auf die Realisierung der eigentlich präferierten Alternative. Wir alle sprechen und verstehen diese Sprache. Durch das gleichzeitige Hören auf die Sprache der Worte und auf die Sprache der Zahlungsbereitschaft wird praktisch möglich, was theoretisch ausgeschlossen erscheint: Wir erfahren von unserer Rolle im anderen Bewußtsein. Wir erhalten den Einblick, der nötig ist, um unterrichteterweise den eigenen Selbstwert zu pflegen. Wir müssen das andere Verhalten nur ausführlich und genau genug beobachten. Die geäußerten Worte und die geäußerte Zahlungsbereitschaft enthüllen, wenn wir sie nur recht interpretieren, den Rang, den wir im anderen Bewußtsein einnehmen. Wenn wir nur unsererseits genügend achtgeben, bekommen wir auch die Wertschätzung heraus, die in die eingehandelte Aufmerksamkeit verpackt ist. Und mehr noch. Wir können uns nicht nur schlau machen, indem wir auf beide Sprachen hören, wir können uns durch das Sprechen beider auch mitteilen. Wir können durch betonte Beachtung signalisieren, daß der Wert, den wir auf die Person des Adressaten legen, weiter geht, als es opportun wäre, wörtlich zu äußern. Durch versicherte Wertschätzung können wir Vorschüsse an Beachtung an die Frau beziehungsweise an den Mann bringen, die sonst wegen mangelnder Darstellbarkeit verschenkt blieben. Die Möglichkeit, in beiden Sprachen gleichzeitig zu sprechen, öffnet Anbahnungsmöglichkeiten, die sonst blockiert blieben, läßt Feinabstimmungen zu, die bei nur einem Kanal ausgeschlossen wären, macht eine Unzahl von Absicherungsverfahren im Sinne des »Doppelt genäht hält besser« verfügbar, erweitert die Reparaturmöglichkeiten von Versäumnissen und Mißverständnissen ungemein. Das Spiel »Aufmerksamkeit tauschen« ist weder ein Rate- noch ein Blindekuhspiel.
Wir bekommen mit, ob unser Vorschuß an Beachtung die beabsichtigte Wirkung auf die Wertschätzung unserer Person hat; wir können den Tauschwert unserer Aufmerksamkeit in den Augen der anderen gezielt pflegen; wir können sehenden Auges den Wert der eingehandelten Aufmerksamkeit maximieren.
Ökonomischer Preis und intrinsischer Wert Die Offenbarung der Präferenzen durch Zahlungsbereitschaft ist ein bekanntes Theorem der theoretischen Ökonomie.3 Auch diese hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß das Werten subjektiven Ursprungs ist. Alles Werten geht zurück auf – je nachdem angenehme oder unangenehme – Gefühle. Gefühle sind aber phänomenaler Natur. Sie sind nur ihrem eigenen Subjekt zugänglich. Deshalb ist auch »Nutzen« eine durch und durch subjektive Kategorie. Nutzen ist weder empirisch meßbar noch intersubjektiv vergleichbar. Er ist ein Maß für das Potential, Bedürfnisse zu befriedigen und Wünsche zu erfüllen. Wie sollen nun aber soziale Zusammenhänge aus dem Zusammenspiel nutzenmaximierender Individuen erkärt werden, wenn Nutzen weder empirisch meßbar noch intersubjektiv vergleichbar ist? Man kann die Wünsche und Bedürfnisse ja nicht einfach abfragen. Weil Worte nichts kosten, werden die Bedürfnisse nach Erfolgsaussicht, die Wünsche nach Opportunität dargestellt. Was also tun, um die kollektiven Resultate der individuellen Vorteilsuche rational zu verstehen? Die Lösung liegt in der Interpretation der individuellen Verwendung knapper Ressourcen als Wahlhandlung und in der Interpretation der getroffenen Wahl als Offenbarung der Präferenz. Durch diese Interpretation geht die theoretische Ökono-
mie mit dem Problem um, daß alles Werten phänomenalen Ursprungs ist. Ihre herrschende neoklassische Schule baut auf eine subjektive Wertlehre. Gegenstand der ökonomischen Erklärung ist das Mengen- und Preissystem der auf Märkten getauschten Güter. Das Mengen- und das Preissystem der auf Märkten getauschten Güter sind unterschiedliche Ausdrücke des einen Sachverhalts, daß nutzenmaximierende Wirtschaftssubjekte die Güter, die sie herstellen und besitzen, so lange tauschen und weitertauschen, bis die Möglichkeiten vorteilhaften Handels erschöpft sind. Im System der in diesem Gleichgewichtszustand gehandelten Güter sind die getauschten Mengen und die sich einspielenden Preise unterschiedliche Seiten derselben Medaille. Die Preise sind nicht als Geldsummen, sondern als die Relationen definiert, in denen die Güter gegeneinander getauscht werden. Ökonomische Preise sind relative Preise. Sie werden zu gleichnamigen Summen erst dadurch, daß ein bestimmtes Gut beziehungsweise Güterbündel zum Standard gemacht wird. Der Standard ist zwar nicht zweitrangig, er ändert aber (unter den Standardannahmen) am System der Tauschrelationen nichts. Das System der relativen Preise ist das Resultat der kollektiven, nämlich durch Tausch und Weitertausch abgestimmten Bewertung der marktgängigen Güter. Die subjektiven Einzelbewertungen sind in ein gesellschaftlich objektives Wertsystem übergegangen. Auch die zwischen Menschen getauschte Aufmerksamkeit stellt ein Mengensystem dar. Wie der Tausch marktgängiger Waren, so erfolgt der Tausch der Aufmerksamkeit freiwillig, nach Maßgabe der Zahlungsbereitschaft und im Rahmen meist stillschweigender Vereinbarung. Die sich einstellenden Tauschrelationen drücken die Bereitschaft auf beiden Seiten aus, eigene Aufmerksamkeit hinzugeben, um an die Aufmerksamkeit des Partners zu
kommen. Das System der Tauschrelationen ist sozial abgestimmt in dem Sinn, daß jeder Tauschende zwischen verschiedenen potentiellen Tauschpartnern wählt. Wenn die soziale Abstimmung über den Wert eines Guts durch dessen freiwilligen und nach mehreren Seiten hin möglichen Tausch seinen Marktpreis bestimmt, was spricht dann dagegen, auch in den Relationen, in denen Aufmerksamkeit getauscht wird, ein System von Marktpreisen zu erblicken? Dagegen spricht zunächst einmal, daß sich alle Fasern des Sprachgefühls sträuben. Preise drücken Äquivalenzverhältnisse aus. Wird, wenn persönliche Wertschätzung ein Preis ist, nicht auch die Person nach Maßgabe des Äquivalenzverhältnisses austauschbar? Schlösse ein preislicher Charakter der persönlichen Wertschätzung nicht ein, daß die Individualität der geschätzten Person auf eine nur noch quantitativ besondere Größe zusammenschrumpft? Abstrahiert die Gleichsetzung der Wertschätzung mit einem Preis nicht von aller Einzigartigkeit des Bewerteten? Liefe die Gleichsetzung nicht sogar auf die Gleichbehandlung des unveräußerlich Innersten der Person mit einer veräußerbaren Ware hinaus? Die Vorstellung, daß die Wertschätzung, die meine Person genießt, einen Marktpreis darstellt, ist noch unerträglicher als die, daß meine Arbeitskraft eine Ware ist. Arbeit ist nicht das ganze Leben. Die Wertschätzung, die wir persönlich erfahren, betrifft aber die ganze Person. Sie betrifft nicht nur, was wir nach außen hin gelten; sie betrifft auch, was wir von uns selbst halten dürfen. Die Abhängigkeit unserer Selbstwertschätzung von der empfangenen Wertschätzung geht so weit, daß der preisliche Charakter der empfangenen Wertschätzung auch auf unsere Selbstwertschätzung abfärben müßte. Hätte nun aber auch die Selbstwertschätzung die Eigenschaft eines Marktprei-
ses, dann wäre das Individuum in einem wahrlich totalen Sinne vergesellschaftet. Wir wären dann bei der genauen Antithese zur monadischen Exklusivität der subjektiven Erlebnissphäre angelangt. Die Gleichsetzung des individuellen Bewußtseins mit einer ganzen Welt wäre umgeschlagen in das andere Extrem, in dem das Individuum nichts und die Gesellschaft alles ist. Man sieht hier, was auf dem Spiel steht, wenn es um die Währungsfunktion der Aufmerksamkeit geht. Zur Währung könnte die Aufmerksamkeit nämlich nur durch tatsächliche »Vermarktung« werden. Gegen die Vorstellung, daß ihr Tausch wie ein Markt funktioniert und daß ihr Wert die Eigenschaft eines regulären Marktpreises annimmt, wehren sich unsere mitmenschlichen Gefühle, unser Selbstwertgefühl und unsere Selbstachtung gleichermaßen. Wären wir gezwungen, sie als realistisch anzuerkennen, dann käme dies einer Entzauberung unseres Selbstbildes gleich, die der nicht viel nachstünde, die uns auf informationsverarbeitende Automaten reduziert. Wenn wir uns sicher sind, daß wir keine seelenlosen Zombies sind, können wir dann nicht auch wissen, daß wir im Innersten keine homines oeconomici sind? Wir können uns insofern ganz sicher sein, als der homo oeconomicus die besondere »Substanz« nicht kennt, die beseelte Lebewesen tauschen. Seine Nutzenfunktion hat, wie gesagt, keinen Platz für etwas wie den intrinsischen Wert einer Sache. Alles Werten geht von seinen eigenen Gefühlen aus. Die Aufmerksamkeit, die wir tauschen, ist nun aber aus sich selbst heraus wertend. Ihre Zuwendung erfolgt aus wertenden Gefühlen und in wertender Einstellung. Sie ist selber wohlwollend oder ablehnend, angetan oder angewidert, liebend oder hassend. Schon dieser ihr intrinsischer Wert enthebt die getauschte Aufmerksamkeit dem Vergleich mit einer Ware.
Hat die Aufmerksamkeit nun aber nicht als geistige Arbeitskraft Warencharakter? Hat ihre dienstleistende Widmung nicht einen Preis, der ganz unabhängig von den eingeschlossenen Gefühlen in Tarif- und Anstellungsverträgen geregelt ist? Die Aufmerksamkeit hat als Arbeitskraft tatsächlich Warencharakter, nur spricht dies nicht gegen ihren intrinsischen Wert, sondern dafür, daß es in Tarifund Anstellungsverträgen um etwas anderes geht als im zwischenmenschlichen Tausch von Beachtung. Die Ware Arbeitskraft wird ob der sachlichen Widmung der Aufmerksamkeit und nicht um der wertschätzenden Gefühle willen gehandelt, die sie transportiert. Das Beispiel der geistigen Arbeit macht zweierlei klar. An ihm wird erstens deutlich, daß die Immaterialität und die besondere Art ihrer Übertragung noch nicht hinreichen, um die Aufmerksamkeit vor der Behandlung als Ware zu schützen. Das Beispiel der geistigen Arbeit macht zweitens klar, daß nicht jede Art Zuwendung mit der Bestätigung persönlicher Wertschätzung zu tun hat. Die Aufmerksamkeit, die einem seitens der Steuerprüfung oder der Polizei zuteil wird, zählt nicht. Auch die in Arbeitszusammenhängen oder als Dienstleistung getauschte Beachtung zählt nur, wenn das persönliche Interesse der beachtenden an der beachteten Person überwiegt. Also zählt auch für das Verhältnis der Wertschätzung in beiden Richtungen die Tauschrelation nur derjenigen Aufmerksamkeit, die aus Interesse der jeweils anderen Person zugewandt wird. Die bloß geschäftsmäßige und in dem Sinne neutrale Beachtung, daß sie aus anderen Motiven als persönlicher Wertschätzung erfolgt, geht in die Tauschrelation, deren preislicher Charakter zur Debatte steht, gar nicht erst ein. Zur Debatte steht die Relation, in der die Aufmerksamkeit getauscht wird, die selbst am anderen interessiert, die
in Zuneigung, Freundschaft und Liebe zugetan ist, die Mitgefühl überträgt und menschliche Wärme spendet. Auch die Gesamtheit dieser Aufmerksamkeit bildet nun aber ein Mengensystem. Auch in diesem Mengensystem ist ein System von Tauschrelationen verkörpert. Es ist sogar das System dieser Tauschrelationen, daß die genaueste Auskunft über die Verteilung der mitmenschlichen Gefühle in der Gesellschaft gibt. Allerdings wäre es schlicht sinnentstellend, dieses System als ein System bloßer Äquivalenzbeziehungen zu beschreiben. Als Liebe und Freundschaft bezeichnen wir die Beziehungen, in denen das Äquivalenzdenken nicht mehr – jedenfalls nicht mehr alleine – das Sagen hat. Während ökonomische Preise nichts anderes als Äquivalenzbeziehungen ausdrücken, haben Mitgefühl und mitmenschliche Wärme ihre Qualität gerade darin, daß sie nicht nur um des Nehmens willen gegeben werden. So beschränkt sich auch der Wert der Aufmerksamkeit, durch die sie übertragen werden, nicht auf ihren Tauschwert. Was wir in Liebe und Freundschaft tauschen, sind im buchstäblichen Sinne Werte in sich. Es sind Werte, die den Menschen als solche heilig sind. Und sie sind den Menschen heilig, weil sie die höchsten der irdischen Güter verkörpern. Die höchsten irdischen Güter sind die Gefühle anderer, die unserer Person zugetan sind. Die Aufmerksamkeit, die diese Gefühle überträgt, ist in dem ganz konkreten und zugleich ungeheuerlichen Sinne ein Wert in sich, daß ihre Einnahme die Präsenz der eigenen Person in anderen, ihr an und für sich unzugänglichen Bewußtseinssphären bedeutet. Liebe und Freundschaft werden geheiligt, weil sie die intensivst erlebten und höchst willkommenen Arten der Einwohnerschaft in diesen anderen Sphären sind. Dabei sind sie in ganz uneingeschränktem ja sogar eminentem – Sinne Formen des Tausches. Der überwältigende Effekt der Einwohnerschaft im
anderen Bewußtsein beruht auf Wechselseitigkeit. Durch die Wechselseitigkeit dieser Einwohnerschaft wird die monadische Einsamkeit unseres bewußten Daseins aufgebrochen und relativiert. Ist damit die Frage nach dem preislichen Charakter der Relationen, in denen Aufmerksamkeit getauscht wird, endlich vom Tisch? Sie ist es nicht. Wohl stellt die fühlende Mitmenschlichkeit einen Bereich dar, der sich erst im Absehen von kleinlichem Äquivalenzdenken konstituiert; was wir durch Hingabe der eigenen Aufmerksamkeit einhandeln können, ist aber zu großartig, um sie einfach wegzuschenken. Es wäre ein Frevel an diesen hohen Gütern, wollten wir mit ihr nicht mindestens so sorgsam und so wohlüberlegt umgehen wie mit Geld. Diese Sorgfalt und Überlegung schließt ein, daß wir sehr wohl auf den Wert achten, den die hingegebene Aufmerksamkeit durch das Interesse an und auf der anderen Seite annimmt. Tatsächlich achten wir auf diesen anderen Wert sogar ganz genau. Es ist uns überhaupt nicht gleichgültig, von wem wir beachtet werden. Wir verteilen unsere eigene Aufmerksamkeit durchaus mit dem Ziel, den Wert der eingehandelten Aufmerksamkeit zu maximieren. Bei aller Freundschaft und Liebe – und gerade ihretwegen – achten wir auf den Tauschwert, den unsere eigene Aufmerksamkeit in den anderen Augen hat. Persönliche Wertschätzung und soziale Geltung Es wäre haarspalterisch, diesen Tauschwert keinen Preis zu nennen. Wir können es uns gar nicht leisten, auf das Äquivalenzdenken zu verzichten. Wir sind nicht nur angehalten, möglichst viel Wertschätzung in möglichst viel Beachtung verpackt einzuhandeln, sondern auch, sie von
denen einzuhandeln, auf die wir den größten Wert legen. Damit sind wir auch angehalten zu vergleichen. Im Gesamtwert, auf den es ankommt, ist der Maßstab zur Vergleichung des eigentlich Unvergleichlichen immer schon angelegt. Intrinsischer Wert und beigemessener Wert werden darin, ob uns das klar ist oder nicht, gleichnamig gemacht. Wir verrechnen die Wertschätzung, die uns entgegengebracht wird, mit der Wertschätzung, die wir selbst entgegenbringen. Damit kann nicht ausbleiben, daß wir auch die Werte, die wir verschiedenen Partnern zuordnen, miteinander vergleichen. Wie unvergleichlich das Werten in den beiden Richtungen und im Hinblick auf die Individualität unserer Partner auch immer sein mag, wir scheren es über einen Kamm. Wir stehen immer schon mit einem Bein auf der Bahn, die in die alles mit allem vergleichende Bildung von Marktpreisen mündet. Ist es also eine Illusion zu meinen, in der Sprache der Zahlungsbereitschaft sprechen zu können, ohne von der Grammatik der Marktpreisbildung Gebrauch machen zu müssen? Die Antwort liegt wieder einmal im Unterscheiden zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen. Preise sind nicht notwendig schon Marktpreise. Jede eingespielte Tauschrelation stellt einen Preis dar. Nicht jedes System eingespielter Tauschrelationen ist aber ein System von Marktpreisen. Das Besondere an Marktpreisen ist, daß die Tauschrelationen, die sie darstellen, transitiver Natur sind. Wenn die Güter x und y im Verhältnis 1:2 und die Güter y und z im Verhältnis 1:3 getauscht werden, dann werden auch die Güter x und z auf dem Markt im Verhältnis 1:6 getauscht. Diese Transitivität macht, daß Marktpreise homogene Preise sind: Sie sind nach allen Richtungen des Tauschens hin gleichwertig. Wie kommen sie zu dieser Eigenschaft? Recht einfach: Marktgängige Güter können nicht nur getauscht, sondern auch weiterge-
tauscht werden. Sie werden, wenn keine Unvollkommenheiten des Marktes im Wege stehen, so lange weitergetauscht, bis alle Preisdifferenzen für Güter gleicher Art und Güte ausgeglichen sind. Die im Marktgleichgewicht sich einstellenden Preise sind definitiv, weil ihnen – durch unterlassenes Weitertauschen – alle zustimmen. Alle Teilnehmer am Markt haben ihre Stimme – sei es durch Kaufen oder entschiedenes Nichtkaufen – abgegeben. Der Schrecken, den die Vorstellung des preislichen Charakters der persönlichen Wertschätzung verbreitet, rührt vom Bild dieses Scherbengerichts her. Marktpreise geben das Werturteil der Gesellschaft rücksichtslos wider. Wie die Sprache der Zahlungsbereitschaft, so ist die Sprache der Marktpreise unumwunden und gnadenlos. Die Abstimmenden haben keinen Grund, sich zu verstellen. Wenn durch die Zahlung von Aufmerksamkeit (anstatt von Geld) abgestimmt wird, dann sind sogar die Stimmen unter den Abstimmenden gleich verteilt. Wäre die persönliche Wertschätzung ein Marktpreis, dann gäbe es kein Schlupfloch mehr fürs Selbstwertgefühl. Die zwischenmenschliche Anerkennung ginge dann hart und unvermittelt in eine Abstimmung über die gesellschaftliche Geltung der Person über. Wir wären in dem, was wir von uns selbst halten dürfen, nicht mehr nur gesellschaftlich abhängig, sondern gesellschaftlich versklavt. Nun, ein Stück weit sind wir ja Sklaven der Gesellschaft. In gewissen Zügen ähneln sich Marktpreise und gesellschaftliche Geltung. Nur unterscheidet sich die Aufmerksamkeit, die wir tauschen, von marktgängigen Gütern doch darin, daß sie nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres – weitergetauscht werden kann. Es ist mehr als nur ihr intrinsischer Wert, wodurch sie dem Warencharaker enträt. Aufmerksamkeit können wir empfangen, aber nicht umsetzen. Wo das Weitertauschen unterbunden bleibt, ist
auch das Einspielen transitiver Tauschrelationen blockiert. Zwischen den Relationen, in denen wir Aufmerksamkeit mit unseren verschiedenen Partnern tauschen, findet kein Abgleich statt. Dieser fehlende Abgleich verhindert das Übergehen des zwischenmenschlichen Aushandelns in die soziale Abstimmung über den Tauschwert. Der Tauschwert der Aufmerksamkeit wird lediglich individuell geschätzt, nicht sozial gemessen. Wir haben mit einem Mengensystem getauschter Aufmerksamkeit, aber keinem System von Marktpreisen zu tun. Die im Mengensystem verkörperten Tauschrelationen gehen nicht in ein System gleicher Preise für persönlich gleiche Aufmerksamkeit über. Vielmehr wird die persönlich identische Aufmerksamkeit in so vielen verschiedenen Relationen getauscht, wie die Person Tauschpartner hat. Nicht der Markt, der einfache Naturalientausch ist die ökonomische Form des mitmenschlichen Tauschs der Aufmerksamkeit. Der Naturalientausch hat etwas Gemütliches, weil der durchrationalisierende Effekt der Marktpreisbildung noch nicht greift. Auch Naturalien werden in so vielen verschiedenen Relationen gegen Naturalien getauscht, wie persönliche Tauschbeziehungen existieren. Wer wieviel wovon wofür bekommt, bleibt hier von hergebrachten Bindungen, individuellen Vorlieben, besonderen Umständen und persönlichen Verhandlungspositionen abhängig. Im Naturalientausch kommt es zwar zur Bildung von Preisen, spielt sich aber noch kein einheitliches Maß für den ökonomischen Wert der Sachen ein. So kennzeichnet es den Naturalientausch, daß er noch ohne Währung vonstatten geht. Zur Ausbildung einer Währung kommt es, indem eines der Handelsgüter bevorzugt zum Zweck des Weitertauschens eingetauscht wird. Das Gut wird zum gültigen Zahlungsmittel, wenn die Bevorzugung allgemein und da-
durch besiegelt wird, daß man es eintauscht, weil die anderen es bevorzugen. Indem es sich als Zahlungsmittel durchsetzt, wird es zugleich zum verbindlichen Maßstab, mit dem der Wert tauschbarer Güter gemessen wird. Eben dieser Maßstab ist es, der im zwischenmenschlichen Tausch der Beachtung fehlt. Sein Fehlen verhindert, daß die Verschiedenheit der Wertschätzung, die meine Aufmerksamkeit von andern erfährt, in einen einfachen, sozial abgestimmten Wert kollabiert. Am Fehlen einer geeigneten Währung bricht sich die Neigung zum Äquivalenzdenken. So mag es zwar in einem jeden der Köpfe ein Preissystem für fremde Aufmerksamkeit geben, das System schaut dann aber in jedem Kopf wieder anders aus. Die verschiedenen Preissysteme existieren – in, wenn man so will, Superposition – nebeneinander, ohne daß es zum Kollaps der sozialen Messung käme. Ansehen und Gesicht Hat es angesichts dieser Heterogenität noch Sinn, die Frage nach der Währungsfunktion der Aufmerksamkeit weiterzuverfolgen? Ist die zwischenmenschliche Sphäre nicht bestens gegen die Homogenisierung geschützt, die für diese Funktion Voraussetzung wäre? Stellt die Individualität der Zuwendung, die als Aufmerksamkeit getauscht wird, nicht sogar den größtmöglichen Gegensatz zu der anonymen Gleichgültigkeit dar, die das einzelne Exemplar einer Währungseinheit kennzeichnet? Der Gegensatz ist in der Tat extrem. Aufmerksamkeit wird in so vielen ungleichen Sorten getauscht, wie da Beziehungen des Austauschs sind. Bei n Teilnehmern am Tauschgeschehen liegt diese Zahl zwischen n und nn. Die Sorten sind individuell sowohl, was die meinende, als
auch, was die gemeinte Person betrifft. Im Gegensatz zu anderen Gütern kommt es bei der getauschten Aufmerksamkeit auf diese Individualität auch an. Es kommt darauf an, von wem wir beachtet werden und aus welchen Gefühlen heraus. Ist die Aufmerksamkeit also nicht dasjenige der überhaupt getauschten Güter, das dem Geld am allerwenigsten Konkurrenz machen kann? Zwei Beobachtungen geben Anlaß zur Skepsis. Erstens nehmen wir Aufmerksamkeit nicht nur durch direktes Einhandeln, sondern auch dadurch ein, daß Dritte über uns reden. Zweitens sind die Übergänge zwischen dem unvermittelten Naturalientausch und dem geldvermittelten Warentausch gleitend. Die Aufmerksamkeit, die zum Beispiel durch Reputation zufließt, wird fast auschließlich auf indirektem Weg eingenommen. Neben dem direkt zwischenmenschlichen Tausch sind also noch andere Formen des Austauschs von Bedeutung. Das Nebeneinander direkter und indirekter Formen des Tauschs war auch und gerade für die historische Herausbildung von Märkten charakteristisch. Wenn ein für allemal ausgeschlossen sein soll, daß der Tausch der Aufmerksamkeit eine ähnliche Entwicklung nimmt, dann muß sich zeigen lassen, daß der unterbundene Weitertausch auch jede Art mittelbarer Bewertung verhindert. Ein solcher Nachweis ist aus dem einfachen Grund nicht möglich, daß Dritte als Beobachter im zweiseitigen Austausch mitspielen. Sobald wir im Austausch beobachtet werden, bekommt der zweiseitige Tausch eine öffentliche Schauseite. Es wird dann bekannt, wer uns beachtet, wer um unsere Beachtung buhlt und um wessen Beachtung wir buhlen. Nicht nur von denen, auf die wir uns beziehen, werden unsere Spielzüge dann interpretiert und unsere Präferenzen erschlossen. Es kommt zutage, was wir verdienen, ja wir finden uns, ehe wir uns versehen, einer Ein-
kommensklasse eingereiht. Mit dem Einkommen wird die soziale Wertschätzung taxiert, die unsere Person genießt. In die Taxierung geht sogar die Einkommensklasse derer ein, von denen wir Beachtung beziehen. Die Beachtung seitens der Bezieher hoher Einkommen zählt anders als die von unbekannter Seite. Alles in allem wird die von Dritten registrierte Beachtung zu dem Ansehen verrechnet, das unsere Person als Mitglied der Gesellschaft genießt. Daß Dritte ins Spiel kommen, ist unvermeidlich. Es gibt zwar das monadische Ich, es gibt aber nie nur das eine Du. Wir bleiben nicht unter uns, sobald wir überhaupt Beachtung tauschen. Es gibt immer noch andere. Die Rolle des Dritten ist persönlich nicht fixiert. Aus jedem Dritten kann ein Zweiter werden und umgekehrt. Auch ist der Wechsel vom Dritten zum Zweiten keiner von der Reservebank ins aktive Spiel. Dritte sitzen förmlich mit am Tisch, wenn wir uns zu zweit austauschen. Auf unser Ansehen achten wir nämlich auch und gerade im direkten Tausch. Wir überlegen es uns gut, ob wir uns auf Händel einlassen, die unserem Ansehen schaden könnten. Wir haben eine gleichsam natürliche Präferenz für Partner, mit denen wir uns sehen lassen können. Im zweiseitigen Tausch behalten wir sogar mehr als diesen oder jenen Dritten im Auge. Wir denken an all die andern in der Gestalt eines generalisierten Dritten, dessen Ansicht unserer Person deren gesellschaftliches Ansehen repräsentiert. Die Ansicht, die wir diesem generalisierten Dritten zuschreiben, ist bestimmend für den Geltungsanspruch, mit dem wir im zweiseitigen Tausch auftreten. Die Ansicht, die wir dem generalisierten Dritten über unsere Person zuschreiben, ist unpersönlich. Sie betrifft unsere Selbstwertschätzung aber im Kern. Sie ist der generelle Ausdruck des Selbstwertgefühls, das uns der Umgang mit anderen vermittelt, und sie verkörpert zugleich den
Geltungsanspruch, den wir glauben, im konkreten Umgang aufrechterhalten und verteidigen zu sollen. Sie hat mit der Selbstwertschätzung insgesamt, nicht nur einseitig mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Sie betrifft nämlich auch das Gesicht, das wir zu wahren haben. Dieses Gesicht ist etwas anderes als das, was rot wird, wenn es peinlich berührt ist. Es besteht im Anspruchsniveau der Selbstachtung, die aufrechtzuerhalten und durchzusetzen von der Person erwartet wird. Dieses Gesicht gehört zur Person; es gehört ihr aber nicht allein. Es wird sozial hergestellt und muß sozial unterhalten werden. Es ist ein Gemeinschaftsprodukt der an der Situation Beteiligten. Damit es gewahrt wird, muß erstens die Person selber den gesetzten Ansprüchen nachkommen und müssen zweitens die Beteiligten auf diese Ansprüche eingehen. So geht es denn auch verloren, wenn entweder die Person selber die von ihr gesetzten Ansprüche desavouiert oder die Beteiligten diese Ansprüche nicht mehr mittragen.4 Das zu wahrende Gesicht stellt die innigste Koppelung von Selbstwertschätzung und sozialer Geltung dar. An ihm wird klar, daß wir sogar für die uns nächst Stehenden nicht einfach wir selbst, sondern auch die sind, als die wir in den Augen noch vieler anderer gelten. Das Gesicht, das wir zu wahren haben, ist vom Selbst, das wir beanspruchen zu sein, nicht zu trennen. Beim Gesichtsverlust kommt immer auch ein Stück Selbst abhanden. Nur mit dem Selbst, das sein Gesicht wahrt, ist denn auch ein normaler zwischenmenschlicher Umgang möglich. Das Gesicht gehört aber dem System des Ansehens an. Es wirkt nur in die Sphäre der im engeren Sinne verstandenen Zwischenmenschlichkeit hinein. Das System des Ansehens ist der Zusammenhang, in dem die Ansichten, die die Menschen voneinander haben, in einem ungefähren und groben Sinn übereinstimmen. Diese Übereinstimmung wiederum
ist kein Zufallsprodukt. Sie ist aktiv durch Abstimmung hergestellt. Das Ansehen der Person ist ein anderer Ausdruck dafür, was und wieviel über sie geredet wird. Der Markt des Ansehens Der scheinbar so sichere Schutz, den der nicht mögliche Weitertausch der eingenommenen Beachtung vor einer sozialen Abstimmung über die Wertschätzung der Person bietet, hat offene Flanken. Nicht nur, daß Dritte beim zweiseitigen Tausch als Zaungäste und in den Hintergedanken mitspielen, die Dritten tauschen sich auch untereinander aus. Wenn sich nun aber Dritte über uns und darüber unterhalten, was von uns zu halten ist, dann kommt es doch zur sozialen Abstimmung über die Geltung unserer Person. Die Unterhaltung über Dritte ist eine gängige, vielleicht sogar die verbreitetste Form des Austauschs von Aufmerksamkeit. Über nichts unterhalten wir uns lieber als über andere Leute. Wenn wir nun aber Aufmerksamkeit tauschen, indem wir uns über andere unterhalten, stimmen wir über deren Geltung nicht nur im Sinne des Meinungstauschs ab. Wir äußern unsere Meinung dann sowohl in Worten als auch in Zahlungsbereitschaft. Es geht in dem Gespräch ja um noch anderes als darum, wovon die Rede ist. Wir tauschen nicht nur Information, sondern eben auch Aufmerksamkeit. Also geht es stillschweigend auch darum, die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners für die eigene Person einzunehmen. Der Wert dieser Aufmerksamkeit kann wichtiger werden als der Neuigkeitswert der getauschten Information. Wenn wir aber Meinungen tauschen, um dabei Beachtung zu beziehen, geraten die Meinungen unter den Druck der Anpassung an diesen Zweck.
Der Druck steigt mit dem Wert, den wir auf die Person des Partners legen. Wir werden den Partner durch abweichende Meinungen nicht einfach vor den Kopf stoßen. Zwar werden wir, wenn es denn sein muß, mit ihm streiten. Wir werden uns aber, wenn der Rückzug offensteht und keine anderen Interessen dagegensprechen, kompromißbereit zeigen. Mit dem Meinungsstreit riskieren wir eine Distanzierung der Beziehung zu unserem Gesprächspartner und damit nicht nur seine Zuwendung, sondern auch die Wertschätzung, die wir bei ihm genießen. So eigenartig es also klingen mag: Auch unser soziales Ansehen wird ausgehandelt. Es wird gar nicht so verschieden von der Relation ausgehandelt, in der wir Aufmerksamkeit direkter Weise tauschen. In beiden Fällen werden die Worte der Wertschätzung an der Bereitschaft zum Verzicht gemessen. Den wörtlichen Ausdruck der Wertschätzung für unseren direkten Partner müssen wir durch die Beachtung belegen, die wir ihm zukommen lassen. Unser wörtlicher Ausdruck der Wertschätzung für Dritte findet an der Bereitschaft seine Bewährung, eine Meinungsverschiedenheit zu riskieren und eine Quelle der Zuwendung zu verspielen. Im ersteren Fall betrifft der Verzicht die alternative Verwendung der eigenen Aufmerksamkeit, im letzteren betrifft er die Einnahme fremder. In beiden Fällen werden die sonst so wohlfeilen Worte kostspielig. Der Unterschied ist nur, daß uns der geforderte Verzicht im ersteren Fall davon abhält und im letzteren dazu verleitet, dem Gesprächspartner nach dem Mund zu reden. Die angesprochene Zahlungsbereitschaft fördert im ersteren Fall die Wahrhaftigkeit und im letzteren die Konformität der Äußerung. Das stillschweigende Aushandeln der Relation, in der wir Aufmerksamkeit mit unserem Partner tauschen, kann Nebenarme bekommen, über welche ausdrücklich das
Ansehen Unbeteiligter verhandelt wird. Die beiden Linien der Verhandlung sind in der Durchführung nicht zu trennen, im Resultat aber ganz verschieden. Im stillen verhandeln die Partner über den Tauschwert ihrer je eigenen Aufmerksamkeit, ausdrücklich verhandeln sie über den Tauschwert der Aufmerksamkeit Dritter. Nur die direkte Linie des Handels gleicht dem Naturalientausch. Die andere Linie besteht im Aushandeln einer Sache, die dem Einhandeln einer anderen dient. Bereits hier zeigt sich, daß auch im Tausch der Aufmerksamkeit direkte und indirekte Formen nebeneinander existieren. Wie im Fall dinglicher Güter gibt es Mischformen zwischen dem unvermittelten und dem vermittelten Tausch. Wie dort existieren reine und gemischte Form aber nicht einfach nebeneinander. Der direkte Tausch nimmt Einfluß auf die Meinungen, auf die sich die Partner einigen; der homogenisierende Einfluß dieser Einigung wirkt auf die Heterogenität der Relationen des unvermittelten Tauschs zurück. Einerseits nimmt das Interesse der direkten Partner an der Aufmerksamkeit des jeweils anderen Einfluß auf die Meinung der beiden über Dritte. Andererseits geht das Ansehen, das ein jeder von dritter Seite genießt, auch in die Wertschätzung ein, die die Partner füreinander hegen. Die Anpassung wirkt in beide Richtungen. Die direkten Partner passen ihre Ansicht über Dritte an die Wertschätzung füreinander an; sie passen ihre Wertschätzung füreinander aber auch an das Ansehen an, das der Partner von dritter Seite genießt. Also fragt es sich, wie weit der Tausch der Aufmerksamkeit eben doch schon zum Markt gediehen ist. Hält der Damm des nicht möglichen Weitertauschs die Flut der allseitigen Vermittlung tatsächlich auf? Faßt man den Blickwinkel eng, könnte das Bild von der Abstimmung über das Ansehen beruhigen. Es zeigt zur
einen Seite das System der getauschten Aufmerksamkeit und zur anderen den Zusammenhang der Unterhaltungen über Dritte. Das System der getauschten Aufmerksamkeit erscheint als Mengensystem, das keine einheitliche Bewertung verkörpert; der Zusammenhang der Unterhaltungen mündet in ein System relativ homogener Werte, stellt aber kein einheitliches System von Austauschrelationen dar. Die Abstimmung über das Ansehen erscheint als keine eigentliche Form des Weitertauschens. Allerdings ist diese Erscheinung nun durch die Perspektive mitbedingt. Die Sichtweise isoliert die Tauschakte in zeitlicher Hinsicht. Sie läßt außer acht, daß die Rollen des Zweiten und Dritten nicht fixiert, sondern stetem Wechsel unterworfen sind. Weil aus Dritten Zweite werden können und umgekehrt, ist von Dritten regelmäßig als gewesenen und noch künftigen Zweiten die Rede. Das Bild ändert sich noch einmal, wenn wir das Reden über Dritte unter dem Blickwinkel der Erfahrungen betrachten, die der eine oder andere Gesprächspartner mit ihnen als zweite Person gemacht hat oder noch zu machen hofft beziehungsweise fürchtet. In unserem Reden über Dritte spielt es sehr wohl eine Rolle, ob wir von ihnen auch direkt Aufmerksamkeit beziehen, und wenn, in welcher Proportion. Wir reden anders über die, die uns verwöhnen, als über die, die uns abblitzen lassen. Wir preisen unsere Anhänger und rächen uns an denen, die uns die ersehnte Zuwendung verweigern. Es ist zwar nicht so, daß wir nur über die gut reden, mit denen die Handelsbilanz positiv, und über die schlecht, mit denen sie negativ ist. Wir reagieren aber auf offene Rechnungen. Wir lassen uns von der Schuld in die Pflicht nehmen, in der wir uns fühlen, und klagen die Schulden ein, die die Schuldner nicht so recht ernst zu nehmen scheinen. Gut über andere zu reden ist eine Kompensation für nicht voll erwiderte Beachtung; schlecht
über sie zu reden ist die ultima ratio gegen Zahlungsunwilligkeit. Bereits in dieser Hinsicht zeigt sich das Reden über Dritte als ein Weitertauschen eingenommener beziehungsweise schuldig gebliebener Aufmerksamkeit. Dieser rückwärtsgewandte Ausgleich ist aber nicht der einzige. Wir nehmen auch Erwartetes vorweg und bauen für Eventualitäten vor. Wir preisen unserem Partner diejenigen an, die Grund haben, gut von uns zu reden; wir kratzen am Lack derer, die sich vermutlich abfällig über uns äußern. Im Reden über andere treiben wir Politik in eigener Sache. Wir versuchen die Gewichte so zu verteilen, wie wir glauben, daß sie dem eigenen Einkommen am besten tun. Wir suchen diejenigen zu beeindrucken, auf deren Stimme die hören, denen wir zu gefallen suchen. Wir halten uns denen gegenüber zurück, die diejenigen nicht mögen, die uns mögen. Wir treiben aktive Handelspolitik, ja wir nehmen Übertragungen vor, die man fast als direkte Formen des Weiterhandelns ansprechen kann. Wir handeln eingenommene Aufmerksamkeit weiter, wenn wir die Höhe des eigenen Einkommens herausstellen, um noch mehr Aufmerksamkeit einzunehmen. Die einschlägigen Praktiken reichen vom platten Angeben bis zum raffinierten namedropping. Wenn wir unsere Bekanntschaft einsetzen, um anderen zu imponieren, dann schmücken wir uns nicht nur mit fremden Federn, sondern spekulieren regelrecht mit ihnen. Und die Spekulation baut nicht nur Luftschlösser. Zieht der Trick, dann kann man sehr ordentlich daran verdienen. Das Reden über Dritte ist also tiefer in das Tauschsystem der Aufmerksamkeit eingelassen, als die isolierende Betrachtung der einzelnen Gesprächssituation ahnen läßt. Es bleibt nicht dabei, daß die geäußerte Meinung unter den Druck der Interessen am direkten Gesprächspartner gerät. Mit der geäußerten Meinung wird umgekehrt auch Druck
auf den Gesprächspartner ausgeübt. In diesem Druck machen sich die Erfahrungen mit und die Interessen an der Person Luft, von der die Rede ist. Wir tauschen im Reden über Dritte Aufmerksamkeit, um andere Tauschgeschäfte fortzusetzen und vorzubereiten. Die Interessen, die wir dabei verfolgen, beziehen sich weder nur auf unseren direkten Partner, noch beschränken sie sich auf den Partner und die Person, von der die Rede ist. Der gemeinsame Nenner der Interessen ist kein kleinerer als die Sorge um das eigene Einkommen an fremder – beziehungsweise um den Tauschwert der eigenen -Aufmerksamkeit. Diese Sorge kennt keine Unvergleichlichkeit der individuellen Quellen beziehbarer Aufmerksamkeit. Dabei bleibt es noch nicht einmal beim subjektiv internen Vergleich. Auch auf intersubjektiver Ebene kommt es zum effektiven Vergleich. Wir stehen durch die Bereitschaft, direkt oder indirekt für die Einnahme der besonderen anderen Aufmerksamkeit mit eigener zu bezahlen, auch für die Wertschätzung ein, die die Person, von der die Rede ist, als Ansehen genießen soll. Dieses Ansehen kommt als Nebenprodukt aus dem Zusammenhang der individuellen Tauschgeschäfte heraus, wie die Marktpreise aus dem Zusammenhang des Tauschens und Weitertauschens dinglicher Güter herauskommen. Lokale Märkte und komparative Gefühle Bevor wir auf die Entwicklung zu sprechen kommen, die die Tauschökonomie der Aufmerksamkeit in jüngerer Zeit genommen hat, gilt es festzuhalten, daß der eigentlich nicht mögliche Weitertausch die Ausbreitung marktnaher Formen des Tauschens nie wirklich unterbunden hat. Der Damm gegen die Flut der allseitigen Vermittlung hatte immer schon Löcher. Sobald Wesen, die Beachtung tau-
schen, der indirekten Rede fähig wurden, wurde das Reden über Dritte zum festen Bestandteil des Beachtungstauschs. Und sobald nun von dritten als gewesenen und/oder künftigen zweiten Personen die Rede ist, kommt es zu Formen des indirekten Tauschs, die mehr als nur oberflächliche Ähnlichkeit mit dem Weitertauschen haben. Zumindest der Teil der persönlich genossenen Wertschätzung, der auf das gesellschaftliche Ansehen zurückgeht, ist dann nur noch graduell von einem Marktpreis verschieden. Und dieser Teil ist vom Rest nicht isoliert. Das System der Relationen, in denen Aufmerksamkeit direkt getauscht wird, und das System des gesellschaftlichen Ansehens stehen in Wechselwirkung. Die Angst, daß der Selbstwert Züge eines Marktpreises annehmen könnte, kam schon immer zu spät. Der Tausch der Aufmerksamkeit hat etwas von einem Markt, seit Menschen sich über Menschen unterhalten. Seit Menschen sich über andere unterhalten, hängt die Wertschätzung, die sie genießen, nicht nur von der direkt eingehandelten Zuwendung, sondern auch vom indirekt ausgehandelten Ansehen ab. Wenn die äußere Wertschätzung in einen sozialen Abstimmungsmechanismus eingespannt ist, dann ist es auch das Selbstwertgefühl. Die Sorge um das Ansehen hat dem inneren Streben schon immer etwas Auswendiges verpaßt. Schon immer ließ sich denn auch von Entfremdung reden. Im Ansehen tritt uns eine fremde Macht gegenüber, die uns gleichwohl im Innersten berührt. Während wir es im direkten Austausch noch einigermaßen in der Hand haben, wie wir uns schlagen, können die Wege, die die Abstimmung über das Ansehen nimmt, von niemand mehr verfolgt, geschweige denn kontrolliert werden. Gleichwohl erkennen die Menschen im Ansehen den Leitstern ihres Strebens. Bei aller Annäherung des immateriellen Tauschs an die
Marktform gilt es allerdings auch, die fortwährenden Unterschiede zwischen der Ökonomie der Aufmerksamkeit und der materiellen Ökonomie im Auge zu behalten. Die Vermarktung des immateriellen Tauschs ist fern von der Totalisierung, die die Vermarktung des materiellen kennzeichnet. Für den Tausch der Aufmerksamkeit bleibt das Nebeneinander von direktem Austausch und indirektem Handel charakteristisch. Charakteristisch bleibt damit auch das Nebeneinander der Tendenzen zur Heterogenität und Homogenität. Ein kombinierter Effekt dieser entgegengesetzten Tendenzen ist die Bildung begrenzter Abstimmungskreise über das Ansehen. Durch das Gerede bilden sich Bezugsgruppen, die einerseits über die Kreise der direkten Bekanntschaft hinausreichen, andererseits aber klein bleiben im Verhältnis zur Gesellschaft als ganzer. Nur außergewöhnlicher Reichtum an Beachtung, nur Prominenz und Ruhm lassen diese charakteristische Differenz verschwinden. Für normale Einkommen ist typisch, daß eine eng begrenzte Bezugsgruppe für das Ansehen zuständig ist, deren Mitglieder wechselseitig füreinander die maßgebliche Meinung repräsentieren. Diese Bezugsgruppen stellen lokale Märkte dar. Der subjektive Ausdruck des Partikularismus sind starke Zugehörigkeitsgefühle zu und Heimatgefühle in der Bezugsgruppe. Die Homogenität innerhalb der heterogenen Gruppen erzeugt soziale Nestwärme. Die engen Bezugsgruppen bieten Schutz vor dem schattenlosen Licht, das die Preisbildung auf globalen Märkten wirft. Sie lassen diesen Schutz sogar aktiv organisieren. Ein wichtiges Bindemittel der Gruppen ist die selektive Abwehr der Maßgeblichkeit fremder Gruppenmeinungen für das Ansehen der eigenen Mitglieder. Mit den vereinten Kräften der Gruppe lassen sich ungünstige Meinungen ganz anders parieren als aus einsamer Position. Umgekehrt stärkt die
Abgrenzung nach außen den inneren Zusammenhalt der Gruppe. Die abwechslungsreiche Nischenlandschaft vernetzter Beziehungen ist die soziale Umgebung, an die unsere zwischenmenschlichen Gefühle seit je – um nicht zu sagen, von Natur aus – angepaßt sind. Dies wird deutlich, sobald wir darauf achten, daß es nicht nur die großen, vorbehaltlosen Gefühle gibt. Es gibt auch kleinere, die nicht so eindeutig und ausschließlich gerichtet sind, die den Seitenblick pflegen und zum Vergleichen neigen. So kennen wir nicht nur die unbedingte Liebe, sondern auch die bedingte Gunst, nicht nur den brennenden Haß, sondern auch die gehässige Mißgunst, nicht nur den hochfahrenden Stolz, sondern auch den hochnäsigen Dünkel, nicht nur die direkte Verachtung, sondern auch das diffuse Ressentiment, nicht nur die nagende Eifersucht, sondern auch den rechnenden Neid, nicht nur das höhere Streben, sondern auch den gesellschaftlichen Ehrgeiz. Der Unterschied zwischen den großen und kleinen Gefühlen ist nicht, daß die kleinen schwächer sein müßten. Der grundlegende Unterschied liegt in der Bezüglichkeit und Manifestation. Die großen Gefühle beziehen sich direkt auf die andere Person, die kleinen sind im Reden hinter dem Rücken in ihrem Element. Die großen Gefühle schauen nicht links und rechts, die kleinen können das Schielen nicht lassen. Die großen kennen nur das eine Du, die kleinen kennen sich im Verhältnis zwischen Ich, Du und Bezugsgruppe genau aus. Die großen Gefühle neigen zum leidenschaftlichen Bekenntnis, die kleinen toben sich aus in Klatsch und Tratsch. Wenn unser Gefühlskostüm etwas natürlich Gewachsenes ist, dann sind wir von Natur aus an das Zusammenleben in Gruppen von abwechselnd Zweiten und Dritten angepaßt. Es stimmt dann nicht, daß das soziale Verglei-
chen etwas Künstliches, unserer Natur eigentlich Fremdes wäre. Es stimmt dann vielmehr, daß wir uns seit je vergleichend, messend und an den Maßen manipulierend auf unsere Mitmenschen beziehen. Die komparativen Gefühle sind Äquivalenzdenken avant la lettre. Gunst, Mißgunst, Dünkel, Ressentiment, Neid, Ehrgeiz urteilen sehr wohl; sie nehmen genau wahr und rechnen genau. Sie stellen den Vergleich sogar an, wo die Überlegung lieber wegsehen würde. Sie eröffnen von sich aus und an der rationalen Überlegung vorbei das Gesellschaftsspiel um den Selbstwert. Sie sind prompte und durchsetzungskräftige Ratgeber in Sachen Ansehen und Gesicht. Sie sind, trotz ihres messenden Blicks, aber echte Gefühle. Sie sprechen nicht durch Schlußfolgerung und Einsicht, sondern stechen schmerzlich und peitschen durch Verlangen. Es ist ausgesprochen schwierig, ihrem Drang zu wehren. Sie überfallen uns – nur eben nicht von ungefähr. Sie lassen uns heißen Begehrens und peinigenden Vergleichs wissen, wie wir vor anderen dazustehen hätten. Die großen Gefühle stehen immer schon auf der Probe durch die kleinen. Die kleinen Gefühle nehmen das Äquivalenzdenken unter anderem darin vorweg, daß sie den Spieß umkehren, wo auf geradem Weg kein Durchkommen ist. Sie sind ihrem Wesen nach relativierend, um nicht zu sagen opportunistisch. Die Gunst verläuft nach Günstigkeit; die Mißgunst macht schlecht, woran nicht heranzukommen ist; den Dünkel macht die Gelegenheit, sich abzusetzen; das Ressentiment dreht die eigenen Unterlegenheitsgefühle nur um; im Neid tritt Bewunderung als Verachtung auf; dem gesellschaftlichen Ehrgeiz ist jeder Weg zu einem Platz an der Sonne recht. Nicht erst die kühle Berechnung, auch schon die Rührigkeit der komparativen Gefühle machen das Spiel um den Selbstwert politisch. Sie ziehen der zwischenmenschlichen
Wertschätzung taktische und strategische Momente ein. Sie gehen aber noch weiter. Sie bringen auch die Einteilung in Freund und Feind ins Spiel. Die Einteilung der Mitmenschen in Freund und Feind ist das schärfste Mittel der von Sympathie und Antipathie Relativierung, um sie im Sinne gezielter Selbstwertmaximierung zu funktionalisieren. Wir alle neigen dazu, unsere Sympathie an die empfangene Zuneigung, unsere Antipathie an die Vorbehalte, denen wir ausgesetzt sind, anzupassen. Weil der Wert der eingenommenen Aufmerksamkeit nicht nur von der Wertschätzung abhängt, die in sie verpackt ist, sondern auch von derjenigen, die der Empfänger für den Absender hegt, ist diese Anpassung der einfachste Trick, um das Einkommen aufzubessern. Die komparativen Gefühle spielen alle auf dieser Klaviatur. Allerdings läßt sich die Anpassung des eigenen Wert- und Geringschätzens an die empfangene Wert- und Geringschätzung nun nicht umstandslos auf die Ebene des indirekten Austauschs transponieren. Die direkte Anpassung reicht hier nicht, da sich die verschiedenen Partner untereinander austauschen. Die Aufwertung der Stimmen derer, die einen schätzen, und die Abwertung der Stimmen derer, die einen geringschätzen, verlangt im Fall der Abstimmung über das Ansehen eine Parteiung der Stimmkreise, Die freundlich und die unfreundlich Gesonnenen müssen aussortiert und nach Möglichkeit getrennt werden. Das wiederum bedeutet, daß man sich mit denjenigen zusammentun muß, bei denen man erstens Anerkennung findet und mit denen man zweitens das Leiden unter der Ablehnung von dritter Seite teilt. Die Patentlösung für diesen Fall ist die Politik der sauren Trauben. Man kann das Leiden unter Mißachtung und Geringschätzung auf probate Weise dadurch unterdrücken, daß man sich selbst und anderen einredet, daß diejenigen,
die einem die begehrte Zuwendung verweigern, der Wertschätzung eigentlich gar nicht wert sind. Diese Politik ist in hohem Maß koalitionsfähig. Erstens wird die Politik subjektiv um so glaubwürdiger, je mehr andere da sind, denen man die Revision einreden kann; zweitens verspricht auch das Einreden um so mehr Erfolg, je mehr Partner ansprechbar sind und je fester der Zusammenhalt in der Gruppe ist. Wo komparative Gefühle das Sagen haben, wird die Bildung abgegrenzter Bezugsgruppen selber zum Gegenstand der Abstimmung über das Ansehen. Weder verwandtschaftliche und nachbarliche Bindungen noch die ursprüngliche Verteilung von Sympathie und Antipathie reichen dann noch hin, um die Einteilung der Bezugsgruppen zu erklären. Die Art und Anzahl der Gruppen, der Grenzverlauf und die Schärfe der Abgrenzung werden dann zu endogenen Variablen des Spiels. Es gilt dann nicht länger, daß das Gefühlskostüm nur der sozialen Nischenlandschaft angepaßt ist, die Landschaft wird dann auch ihrerseits durch die Gefühle profiliert. Der Schutz, den diese Profilierung bietet, ist nun freilich eine zweischneidige Sache. In der Nestwärme der Wagenburg kann, muß es aber nicht gemütlicher sein als in der Kälte des ungeschützten Markts. Aufreibender als das Gezerre in der enthemmten Abgrenzungs- und Verfeindungspolitik kann auch das Eingespanntsein in einen anonymen Abstimmungsmechanismus kaum werden. Man mag sich sogar fragen, ob der frische Wind des ungeschützten Markts nicht das rechte Mittel gegen den muffigen Partikularismus war – und immer noch ist. Jedenfalls empfiehlt es sich, die Entwicklung des Beachtungstauschs zu derjenigen Ökonomie, die inzwischen der Geldwirtschaft Konkurrenz macht, zunächst ganz wertneutral und ohne die Unterstellung zu untersuchen, daß sie mit einem Ausver-
kauf des den Menschen Innersten einhergegangen sein müsse.
Viertes Kapitel
Das Kapital
Der stärktste Motor ökonomischer Entwicklung ist wachsender Reichtum. Wachsender materieller Reichtum ließ aus dem gelegentlichen Naturalien tausch den regelmäßigen Handel, aus dem Handel mit dem Produktionsüberschuß die Produktion für den Markt hervorgehen. Die Produktion für den Markt ist die Produktion zum Zweck des Gelderwerbs. Mit dem Gelderwerb wird der Reichtum abstrakt. Der Tausch gegen Geld bedeutet den Tausch gegen Tauschmöglichkeiten. Auch die Akkumulation von Geld ist mehr als nur die Ansammlung nützlicher Güter. Angesammeltes Geld kann »arbeiten«, wenn man es als Kapital investiert. Der Kapitalismus ist die höchstentwickelte Form der Tauschökonomie. Er macht die größten Reichtümer möglich. Die Frage, ob der Tausch der Aufmerksamkeit die voll entwickelte Stufe der Marktwirtschaft erreicht hat, läßt sich daher in der Form stellen, ob auch Beachtung zu Reichtümern akkumuliert und zu Reichtum heckendem Reichtum kapitalisiert wird. Auf den ersten Blick scheint die Akkumulation und Kapitalisierung von Beachtung ausgeschlossen. Die Beachtung, die wir genießen, beziehen wir von bestimmten Personen und schätzen wir der besonderen Gefühle wegen, aus denen die Zuwendung erfolgt. Vor allem: Wir »verzehren« sie sofort. Aufmerksamkeit existiert nur im Akt der Zuwendung beziehungsweise nur in der aktuellen Präsenz. Man kann sie nicht aufbewahren und ansammeln wie eingenommenes Geld. Wer im Mittelpunkt steht, schwimmt nicht in gehorteter Beachtung, sondern badet in
lebendiger Zuwendung. Der Gedanke einer Kapitalisierung eingenommener Aufmerksamkeit scheint auf den ersten Blick geradezu absurd. Die Absurdität schwindet allerdings beim näheren Zusehen. Sie schwindet, wenn nach der Möglichkeit tatsächlichen Reichtums an Beachtung gefragt wird. Zu tatsächlichem Reichtum an Beachtung hat es nur gebracht, wer ständig sehr viel mehr an Aufmerksamkeit einnimmt, als sie oder er selbst hingeben könnte. Reich ist nur, wer in sehr vieler Munde ist, also am Austausch zwischen Dritten tüchtig mitverdient. Wer in sehr vieler Munde ist, der bleibt auch vielen im Gedächtnis. Wer vielen Menschen im Gedächtnis ist, genießt einen hohen Bekanntheitsgrad. Der hohe Bekanntheitsgrad ist das Wahrzeichen des Reichtums an Beachtung. Dieser Bekanntheitsgrad stellt nun allerdings sehr wohl eine Form akkumulierter Beachtung dar. Das flüchtigste aller Einkommen wird im Gedächtnis der Mitmenschen verbucht und kann in dieser verbuchten Form aufgehoben und angehäuft werden. Im Bekanntheitsgrad der Person nimmt die eingenommene Beachtung, entgegen dem ursprünglichen Anschein der Unmöglichkeit, eben doch Schatzfunktion an. Der Bekanntheitsgrad der Person ist sogar noch mehr als ein Schatz. Ab einem gewissen Grad der Bekanntheit wirft der Schatz von sich aus Einkommen ab. Wer hinreichend bekannt ist, findet schon allein aufgrund des Grads seiner Bekanntheit Beachtung. Der Schatz rentiert sich. Er wirft Zinsen ab in der Form, daß seine Beachtlichkeit selber zum Faktor der Wertschöpfung wird. Die Aufmerksamkeit, die die Großverdiener in Sachen Aufmerksamkeit einnehmen, gilt nicht nur ihrer erbrachten Leistung, sondern immer auch dem Faktum ihrer Bekanntheit selbst. Auch die höheren Bekanntheitsgrade der Person sind
Formen des Reichtum heckenden Reichtums. Damit sind wir bei der Antwort auf die Frage nach der Währungsfunktion der Aufmerksamkeit angekommen. Ein Gut, dessen Reichtum sich als Kapital verzinst, erfüllt ganz unwillkürlich die im zweiten Kapitel gestellten Bedingungen. Es hat rationierende Funktion, es stellt einen universellen Tauschwert dar und hat die Eigenschaft eines homogenen Quantums angenommen. Es übernimmt Schatzfunktion, wird gehortet und zu Reichtum akkumuliert. Wir können nun zur Probe aufs Exempel übergehen. Wir können die noch weiter gehende Frage stellen, ob sich die Tauschverhältnisse der Aufmerksamkeit auch zu einem regelrechten Kapitalismus entwickelt haben. Ruhm, Prominenz, Reputation, Prestige Sobald zum direkten Tausch der Aufmerksamkeit die Unterhaltung über Dritte hinzukommt, kommt auch ein Zählwerk in Gang, welches registriert, wieviel die andern verdienen. Im Reden über Dritte ist, offen oder versteckt, immer auch die Rede davon, ob zuviel oder zu wenig Aufhebens um sie gemacht wird, ob sie die Beachtung verdienen, die sie finden, oder ob ihnen schon zuviel der Ehre zuteil wird, wenn man über sie spricht. So wenig das Reden über Dritte vom zweiseitigen Beachtungstausch zu trennen ist, so wenig sind die ausgetauschten Meinungen von Einkommensvergleichen freizuhalten. Wir vergleichen, wenn wir uns über Dritte unterhalten, ganz unwillkürlich deren Einkommen mit unserem eigenen. Und es ist nun dieser Vergleich, wo die Eitelkeit und die komparativen Gefühle in ihrem Element sind. Wir klagen, wenn wir in dem Vergleich schlecht abschneiden; wir streichen es heraus, wenn uns der Vergleich schmeichelt; wir suchen
Rückhalt für unser Gefühl, ungerecht behandelt zu werden; wir wollen, daß auch die Zweiten mitkriegen, wenn Dritte uns beachten. Sehr viel des Geredes – und jedenfalls mehr, als man ihm unmittelbar ansieht – ist ein Beurteilen der Einkommensverhältnisse. Die Taxierung ihrer Einkommensklasse spielt immer mit, wenn ausgehandelt wird, was von einer Person zu halten ist. Daß dieses Taxieren implizit geschieht, spricht gerade nicht gegen das effektive Arbeiten des Zählwerks. Die Taxierung der Einkommensklasse gehört zur Abstimmung über das Ansehen, fällt mit dieser aber nicht zusammen. Das Feststellen des Einkommens ist in einem anderen Sinne objektivierend als das Aushandeln des Ansehens. Im Aushandeln des Ansehens werden subjektive Werthaltungen im Sinne einer Preisbildung verrechnet, bei der Taxierung der Einkommensklasse werden individuelle Beobachtungen zu einem Gesamtbild zusammengetragen. Wenn Wertschätzung und Beachtung auch aufs engste zusammenhängen, ja nicht einmal unabhängig voneinander festzustellen sind, so fallen sie doch nicht zusammen. Der Bekanntheitsgrad einer Person ist etwas, das durch Beobachtung und nicht nur durch die Offenbarung von Präferenzen festgestellt wird. Es ist keine Frage des Mögens oder Nichtmögens, wie bekannt jemand ist. Es ist eine Frage des eigenen Auskennens, ob man weiß, wie bekannt diejenigen sind, die ihn oder sie kennen, wie illuster die Kreise sind, in denen sie oder er verkehrt. Daß der Bekanntheitsgrad einer Person mit höherer Objektivität feststellbar ist als ihre Beliebtheit, heißt nicht, daß die Taxierung der Aufmerksamkeitseinkünfte eine einfache Sache wäre. Schon nicht ganz – aber noch relativ – einfach ist festzustellen, wer auf wen achtet, wer wen kennt, wer mit wem Umgang pflegt. Die spezifische Komplikation bei der Taxierung stellt der Umstand dar,
daß es bei der Beachtung, die bezogen wird, nicht gleichgültig ist, von wem sie kommt. Vom Zusammenhang zwischen dem Wert der eingenommenen Aufmerksamkeit und der Wertschätzung des Empfängers für den Absender war schon ausführlich die Rede. Neben und zunächst – unabhängig von dieser persönlichen Wertung fällt aber noch ein anderer Faktor ins Gewicht. In den Buchwert der Aufmerksamkeit, die ich von jemandem beziehe, geht auch ein, wieviel die bezogene Seite ihrerseits bezieht. Die Beachtung seitens derer, die reich an Beachtung sind, zählt mehr als die Beachtung seitens derer, die unscheinbar bleiben. Wenn ein Prominenter Augen macht, dann reagiert das Zählwerk anders, als wenn irgend jemand schaut. Daß hier etwas registriert wird, das nicht einfach auf subjektives Wertlegen zurückgeht, wird deutlich, wenn wir den Blick zurück zur Machart wissenschaftlicher Reputation wenden. Wissenschaftliche Reputation ist der Gegenwartswert des Einkommens an Beachtung, das der Wissenschaftler in seiner bisherigen Karriere von kompetenten Kollegen bezogen hat. Als kompetent gelten die Kollegen, die ihrerseits Reputation genießen. Was die Beachtung seitens eines Kollegen für die eigene Reputation bringt, hängt keineswegs nur vom Tenor der Erwähnung, sondern auch und vor allem davon ab, wie bekannt der fragliche Kollege ist. Wer von prominenten Kollegen besprochen – und sei es nur ausführlich kritisiert – wird, gewinnt dadurch selbst ein Stückchen Prominenz. Selbst dort also, wo die subjektiven Momente der Bewertung offiziell keine Rolle spielen, wird die Einkommensklasse des Beachtenden auf den Buchwert der bezogenen Beachtung angerechnet. Und es verträgt sich sowohl mit dem Ziel des Erkenntnisfortschritts als auch mit der Ehre des Forschens, wenn Wissenschaftler darauf achten, an möglichst reputierter Stelle
zu publizieren und von möglichst prominenten Kollegen zitiert zu werden. Das individuelle Streben nach Reputation und der soziale Bildungsmechanismus der Prominenz sind sogar Voraussetzungen für die effiziente Allokation der forschenden Aufmerksamkeit. Die Anrechnung des Einkommens der beachtenden Person auf das Einkommen der Person, die die Beachtung bezieht, ist ökonomisch von weitreichender Bedeutung. Die Anrechnung bedeutet zunächst, daß sich der Buchwert bezogener Aufmerksamkeit ähnlich wie die Produktionskosten von Gütern berechnet, die mit Hilfe produzierter Produktionsmittel hergestellt wurden. Auf jeder Stufe der Produktion gehen nicht nur die Einkommen der unmittelbaren Produzenten, sondern auch die Einkommen der Zulieferer in die Herstellungskosten ein. Formell kommt es zu einem unendlichen Regreß. In das Einkommen der bezogenen Person gingen schon die Einkommen der Personen ein, von denen sie beachtet wurde, und auch in deren Einkommen gingen schon die Einkommen der sie Beachtenden ein usw. Der Regreß bedeutet nicht, daß der Buchwert unendlich wird, er bedeutet aber, daß in der Ökonomie der Aufmerksamkeit die Tradition eine spezifische Rolle spielt. Obwohl der Bekanntheitsgrad der Person kein erbliches Vermögen ist, gibt es auch in Sachen Beachtung alten und neuen Reichtum. Neu ist Reichtum, der auf schlicht massenhafte Beachtung zurückgeht, älter ist derjenige, der sich der Beachtung seitens besonders beachteter Personen verdankt, alt ist der Reichtum an solcher Beachtung, in die schon Generationen vielbeachteter Beachtung eingegangen sind. Je älter der Reichtum, um so distinguierter ist er. Eines der Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Abteilungen der immateriellen Ökonomie sollte daher sein, ob die Schicht ihrer Reichen eher alten oder eher neuen Reichtum verkörpert.
Daß der »Kapitalismus im Geist« insgesamt keine neue Erscheinung ist, belegen schon die Ausdrücke, die die Sprache für seine Erscheinungsformen bereithält. Die höchste Form des rentierlichen Reichtums an Beachtung ist der Ruhm. Wer berühmt ist, ist allen bekannt und wird es lange bleiben. Als Ruhm bezeichnen wir die Vermögen in der Größenordnung, die eine »ewige Rente« versprechen. Der Ruhm macht unsterblich in dem Sinne, daß der Strom der bezogenen Beachtung nie versiegt. Das Anwachsen von Kapitalen in diese Größenordnung setzt voraus, daß auch diejenigen Beachtung schenken, die nicht genau wissen oder verstehen, wofür die Beachtung ursprünglich gezollt wurde. Berühmt ist nur, wer so bekannt ist, daß die Bekanntheit für sich genommen schon hinreicht, um für fortdauernde Beachtung zu sorgen. Die dem Ruhm nächste, aber schon etwas vergänglichere Form des rentierlichen Reichtums ist die Prominenz. Mit Prominenz meinen wir weniger die einsamen Spitzen als die Klasse der Großverdiener. Die Prominenten sind die klassischen Kapitalisten in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Prominenten stellen die Klasse derjenigen Personen dar, von denen allgemein bekannt ist, wer sie sind. Der ursprüngliche Grund für die Bekanntheit ist zweitrangig. Entscheidend ist, daß sie nicht nur Großverdiener sind, sondern als Großverdiener auch ins öffentliche Bewußtsein eingegangen sind. Ein erheblicher Teil ihres Einkommen muß auf diesen öffentlichen Status zurückgehen. Wie die Besitzer von Geldkapital, so beziehen Prominente auch dann noch ein Einkommen, wenn die Quellen des ursprünglichen Einkommens versiegt sind. Durch ihren öffentlichen Status bedingt sind Prominente Bezieher massenhaft gespendeter Aufmerksamkeit. Ihr Reichtum ist im typischen Fall neu. Eben darin – und nicht nur von der Größenordnung her – unterscheidet sich die
Prominenz von der Reputation. Reputation ist Reichtum – oder genauer: Wohlhabenheit – an Beachtung, die von ihrerseits beachteten Personen gezollt wird. Im Vergleich zur Prominenz ist das Kapital, das die Reputation darstellt, spezifisch alt. Weil die Beachtung seitens ihrerseits beachteter Personen nicht so leicht in rauhen Mengen zu haben ist, bedeutet Reputation eine der Art nach zwar feine, im Umfang jedoch eher bescheidene Form des Reichtums. Wächst die Reputation, dann wächst sie eher in die Richtung des Ruhms als der Prominenz. Auch in ihren bescheidenen Formen aber muß sich die Reputation aber rentieren. Reputation hat nur, wer Beachtung auch dafür einnimmt, daß er dafür bekannt ist, in den einschlägigen Kreisen bekannt zu sein. Die unspezifische Form kapitalisierter Beachtung ist das Prestige. Das Prestige ist dem Ansehen nächst verwandt, ja es stellt den Anteil am Ansehen dar, der auf eingenommene Beachtung zurückgeht. Prestige hat, wer im Wissen oder in der Annahme beachtet wird, daß viele auf ihn achten. Um Prestige zu haben, muß man lediglich etwas über dem Durchschnitt bekannt sein. Prestige ist die Prominenz in kleiner Münze. Daß es in kleiner Form vorkommt, heißt allerdings nicht, daß das Prestige eine ausgesprochene Kleinform ist. Das Prestige kann enorm sein; es ist das Attribut alten Adels. Der Begriff des Prestiges enthält nur eben keine Bestimmtheit, was die Größenordnung und das Alter betrifft. Es ist ganz einfach das Ansehen, das der Bekanntheitsgrad verschafft. Unter das Prestige fällt auch noch derjenige Grad an Bekanntheit, der gerade hinreicht, um von sich aus Aufsehen zu erregen. Ein gewisses Prestige haben alle, die gesellschaftlich, wie man so sagt, keine Niemande sind. Trotz beziehungsweise wegen seiner fehlenden Spezifik ist das Prestige die soziologisch wichtigste Form kapitali-
sierter Aufmerksamkeit. Sie ist so unspezifisch, weil sie die ursprüngliche Form der Kapitalisierung eingenommener Aufmerksamkeit ist. Zu Prestige kommt man dadurch, daß andere sich darüber unterhalten, wem man auffällt, wen man kennt, in welchen Kreisen man verkehrt. Auch sachliche Leistungen und Errungenschaften sind prestigeträchtig; Voraussetzung ist nur, daß sie auffallen und zum Gesprächsstoff werden. Fürs Prestige bringt nur das etwas, worüber man redet. Umgekehrt bildet sich Prestige fast unwillkürlich, wo über Dritte geredet wird. Wo über Dritte geredet wird, ist nämlich fast immer die Rede auch davon, was über diese Dritten sonst geredet wird. Dieses Reden über das Reden ist die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, das dann einmal als Prestige, Reputation, Prominenz oder Ruhm Früchte trägt. Prestige, Reputation, Prominenz und Ruhm sind Formen genuinen Kapitals. Sie sind keineswegs nur, was der Soziologe Pierre Bourdieu als »symbolisches« Kapital bezeichnet.5 Symbolisches Kapital ist eine Geltung, die lediglich kapitalartige Züge trägt. Der sich rentierende Bekanntheitsgrad der Person stellt hingegen ein Kapital in dem wörtlichen Sinne dar, daß er aus akkumulierter Beachtung besteht, die sich in der Form leistungsfrei bezogener Beachtung verzinst. Der Reichtum, um den es hier geht, verschafft nicht nur soziale Geltung. Er ist ein Reichtum, der aus demselben »Stoff« besteht, wie das Einkommen, das er abwirft. Der Stock und die Zinsen sind in derselben Währung gemessen. Prestige, Reputation, Prominenz und Ruhm sind so wenig nur Formen symbolischen Kapitals wie die Währung, die ihre Größe mißt, ein Maß nur im übertragenen Sinne ist.
Der Markt der Beachtung und der Kurswert der Beachtlichkeit Das Prestige ist der Aspekt am Ansehen, der hervortritt, wenn man es unter rein quantitativen Gesichtspunkten betrachtet. Das Prestige ist hoch oder niedrig, wie eben ein Einkommen. Das Ansehen selber ist nicht bloß groß oder klein, sondern auch gut oder schlecht. Es hat außer dem quantitativen einen qualitativen Aspekt. Betrachtet man das Ansehen unter qualitativen Gesichtspunkten, dann tritt hervor, was der Ruf genannt wird. Das Ansehen, wie wir es bisher betrachtet haben, war nicht nach Prestige und Ruf differenziert. Das Ansehen ist auch nicht von vornherein differenziert, da seine Machart nicht notwendig zwischen den Aspekten unterscheidet. Das in den zweiseitigen Tausch der Aufmerksamkeit eingelassene Aushandeln dessen, was von Dritten zu halten ist, unterscheidet nur in bestimmten Fällen zwischen der Wertschätzung, die auf persönliche Zu- oder Abneigung, und derjenigen, die auf den Bekanntheitsgrad der Person zurückgeht. Zur Charakteristik der lokalen Märkte des Ansehens gehört die starke Gefühlsbetontheit des Redens über Dritte. Das Gerede in den Kreisen der persönlichen Bekanntschaft verarbeitet direkt zwischenmenschliche Erfahrungen und rechnet moralisch ab. Auch das Aushandeln der Meinung über Dritte steht zwar unter einem gewissen Druck zur Homogenisierung, dieser Druck geht aber vom Interesse am direkten Gesprächspartner aus. Wenn in dieses Interesse außer der ursprünglichen Sympathie und Antipathie auch das Interesse eingeht, das der Partner einem zeigt, so reagiert die Anpassung des eigenen Wertschätzens an die empfangene Wertschätzung doch auf die direkt eingehandelte Aufmerksamkeit. Für diese selber bleibt die individuelle Besonderheit und emotionale Fär-
bung maßgeblich. Deshalb bleibt das Gut, das auf den lokalen Märkten getauscht wird, von grundsätzlich heterogener Qualität. Das Bild ändert sich erst, wenn die Abstimmungskreise erheblich wachsen. Die Abstimmungskreise wachsen, wenn immer mehr Menschen mit immer mehr anderen zu tun haben. Sie vergrößern sich maßgeblich, wenn die Dritten, über die sich die Leute unterhalten, nicht mehr nur persönliche Bekannte sind. Wenn Meinungen über Leute ausgehandelt werden, über die man spricht, geht es nicht mehr darum, daß man persönliche Rechnungen mit denen begleicht, von denen die Rede ist. Es geht dann darum, selbst mitzureden bei einem Thema von allgemeinem Interesse. Auch dieses Mitreden ist ein Mitmachen bei der Abstimmung über das Ansehen. Auch bei ihm spielt das Interesse am und die Rücksicht auf den direkten Gesprächspartner eine bestimmende Rolle. Auch und gerade, wenn sie sich über Personen unterhalten, über die man spricht, reden die Leute einander nach dem Mund. Nur ist die Wirkung dieses Mitredens von vornherein doppelter Natur. Daß – wie auch immer – über die Person geredet wird, erhöht ihr Einkommen an Beachtung. Wie gut oder wie schlecht die Meinung ausfällt, ändert höchstens etwas an ihrem Ruf. Auch abfälliges Gerede kann das Prestige fördern, wenn nur genügend viele mitreden. Umgekehrt verpufft auch höchstes Lob nur zu leicht, wenn es nicht zum allgemeinen Gesprächsstoff wird. Was auf das Konto des Rufs gebucht wird, muß fürs Prestige nicht zu Buche schlagen, und umgekehrt. Aber nicht nur die Konten sind verschieden, auch die Regeln der Buchhaltung sind zweierlei. Als Ruf schlägt die moralische Bewertung der Lebensführung an; der Ruf verrechnet persönliche Werturteile zu einem sozialen Konsens. Beim Prestige wird individuelle Beachtung in soziale Be-
achtlichkeit umgerechnet; was zählt, ist, wieviel geredet wird, und nicht zunächst, was. Beim Ruf zählt nur das Was des Geredes; ein einziger Verdacht genügt, um ihn förmlich zu morden. Beim Prestige fällt das, was geredet wird, nur deshalb nicht völlig unter den Tisch, weil eben auch darüber geredet wird, ob die Beachtung verdient ist oder nicht, weil über den Kurswert spekuliert wird, weil auch Achtungserfolge herbeigeredet und zerredet werden können. Beim Ruf zählt die Vergangenheit nur im konservativen Sinn. Beim Prestige zählt sie als Akkumulationsphase und Alterungszeit des Kapitals. Für den Ruf hat die Zukunft keine spezielle Bedeutung. Das Prestige hingegen ist der auf einen Bestandswert umgerechnete Erwartungswert künftiger Einkommen. Ist der Ruf einmal ruiniert, dann bleibt nur die Hoffnung auf ein kurzes Gedächtnis. Vom Prestige kann man noch zehren, wenn der ursprüngliche Grund für die gesteigerte Beachtung längst vergessen ist. Beim Ruf existiert das Konto selber nur im übertragenen Sinn. Das Prestige selber ist Ausdruck eines regelrecht geführten Geschäftskontos. Der gute Ruf ist der Trost für die schlechten Geschäftsleute in Sachen Beachtung. Zu Prestige können es auch sattsam bekannte Gauner bringen, wenn sie nur ein Händchen im Geschäft der Attraktion haben. Mit der Weitung der Abstimmungskreise zerfällt das Ansehen unaufhaltsam in sein qualitatives und sein quantitatives Moment. Diese Weitung ist nun aber umgekehrt die Voraussetzung für das Anwachsen wirklichen Reichtums. Wie in der materiellen, so kann man auch in der Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht mit der eigenen »Hände« Arbeit reich werden. Man muß andere für sich arbeiten lassen. In der Tauschökonomie der Aufmerksamkeit arbeiten andere für einen, indem sie über einen reden. Wenn
man nur die Beachtung findet, die man direkt für eigene eintauscht, bleibt man arm. Nur dadurch, daß man zum Gesprächsstoff Dritter wird, kann man es zu Vermögen bringen; nur dadurch, daß man zum allgemeinen Gesprächsstoff wird, wird man reich. Zum allgemeinen Gesprächsstoff wird man, indem sich die Kreise, in denen von einem die Rede ist, entsprechend weiten. Selbst wer Umgang mit Berühmtheiten hat, schlägt Kapital daraus nur, wenn er dafür bekannt wird. Der Umgang mit bekannten Größen kann bekannt machen – aber freilich nur, wenn er seinerseits Aufsehen erregt. Wirklicher Reichtum entsteht erst, wenn eine Art Kettenreaktion einsetzt: Das Aufsehen muß die Kreise, in denen über einen geredet wird, vergrößern, und diese Vergrößerung muß ihrerseits Aufsehen erregen. An dieser Kettenreaktion wird deutlich, wie das Wachstum von Reichtum und die Entwicklung eines einheitlichen Markts einander befruchten. Mit wachsendem Reichtum differenzieren sich der quantitative und der qualitative Aspekt des Ansehens immer deutlicher aus. Nur dann, wenn der quantitative Aspekt für sich genommen Aufsehen erregt, kommt es zur effektiven Kapitalisierung des Beachtungseinkommens. Kommt es zur Kapitalisierung eingenommener Beachtung, dann werden auch Unterschiede im Tauschwert der Beachtung, die die Person zu geben hat, zu solchen der Quantität. Die Kapitalisierung hat den Effekt, daß all diejenigen persönlichen Unterschiede, die auf Einkommensunterschiede zurückgehen, quantifizierbar werden. Sie bringt mit sich nicht nur, daß der quantitative Aspekt des Ansehens als selbständige Gestalt hervortritt, sondern auch, daß das Substrat, die eingenommene Aufmerksamkeit, als homogenes Gut erscheint. Wo sich die Wertunterschiede eines getauschten Guts auf Unterschiede im Einkommen an diesem Gut und
auf Kapitalisierungseffekte zurückführen lassen, haben wir mit einem homogenen Handelsgut zu tun. Wir sehen hier im Detail, wie die Kapitalisierung und die Währungsfunktion der Aufmerksamkeit einander bedingen und ergänzen. Die Kapitalisierung beruht auf einer Buch- und Kontenführung, die eine homogene Rechnungseinheit voraussetzt. Das Rechnen mit Zins und Zinseszins definiert die Rechnungseinheit implizit als Währungseinheit. Daß die Rechnung keine Heller und Pfennige kennt, tut nichts zur Sache. Daß sie nicht mit exakten Größen, sondern nur in Größenordnungen rechnet, tut der Funktion als Währung ebenfalls keinen Abbruch. Ob die Rechnung noch funktioniert, wenn nur Größenordnungen greifbar sind, ist eine Frage des geübten Umgangs mit Vagheit. Der Umgang mit Vagheit will in der Umrechnung individueller Beachtung in soziale Beachtlichkeit aber schon deshalb geübt sein, weil weder die Meinungen, die wir über andere haben, besonders klar sind, noch die Verhandlungsergebnisse des Meinungstauschs klar und ausdrücklich festgehalten werden. Die Frage nach dem Rechnungswesen ist nicht, wie man mit unscharfen Mengen rechnet, sondern wie es möglich ist, daß ein Rechnen mit so vagen Größen zu einer so klaren Ordnung wie der des Prestiges, der Reputation, der Prominenz und der Berühmtheit führt. Die Lösung des Rätsels dieser Ordnung liegt in der ausgebildeten Ökonomie. Bei der Machart von Prestige, Reputation, Prominenz und Ruhm haben wir nämlich mit einer regelrechten Marktpreisbildung zu tun. Der Handel, aus dem der Grad der Beachtlichkeit einer Person hervorgeht, unterscheidet sich vom Aushandeln des Ansehens in überschaubaren Bekanntenkreisen sowohl in seinem anonymen Charakter als auch in der Art des Weitertauschens der eingenommenen Beachtung. Sobald der Grad allge-
meiner Bekanntheit zu zählen beginnt, wird bezogene Beachtung zunächst einmal in der Form des höheren Tauschwerts der Aufmerksamkeit des Beziehers weitergehandelt. Dieser Aufschlag wird zweitens dadurch weitergehandelt, daß die Beachtung seitens bekannter Personen auch Dritten gegenüber mehr zählt als die seitens unbekannter. Dieser reguläre Weitertausch wird drittens durch eine hybride Endstufe ergänzt. Prestige, Reputation, Prominenz und Ruhm nehmen ihre bestimmten Werte dadurch an, daß der Bekanntheitsgrad der Person als Kurswert gehandelt wird. Der Kurswert ist der Marktpreis eines Kapitals. Wenn wir über das Ansehen von Personen verhandeln, die als bekannt gelten, dann beginnen wir, ob wir wollen oder nicht, mit einer Spekulation. Einen bestimmten Bekanntheitsgrad vorauszusetzen heißt, eine Annahme darüber zu treffen, wieviel Beachtung die Person schon direkt oder in verpackter Form bezogen hat. Diese rückwärtsgewandte ergänzen wir im Aushandeln um eine vorwärtsgewandte Spekulation. Wir spekulieren, wiederum fast unwillkürlich, darüber, wie sich das Einkommen entwickeln wird: Wir verhandeln darüber, ob das Einkommen berechtigt ist oder nicht, wir machen Prophezeiungen, treiben Flüsterpropaganda, stimmen entweder in den Chor der vielen ein oder versuchen, unseren Partner für die abweichende Meinung zu gewinnen. Die Art der zweiseitigen Verhandlung ist dabei nicht anders als die über das Ansehen generell. Ist die fragliche Person nun aber bekannt und kommt es, daß wir speziell über ihren Bekanntheitsgrad verhandeln, dann geschieht mit diesem Bekanntheitsgrad, was mit Kapitalwerten an der Börse passiert. Aus der Beobachtung beziehungsweise Annahme der bisherigen Einkommensentwicklung und aus der Erwartung der künftigen wird ein Gegenwartswert ermittelt. Dieser Gegen-
wartswert ist das Größenmaß des Kapitals als solchen. Er ist es, der als der Kurswert des Prestiges, der Reputation, der Prominenz und der Berühmtheit notiert wird. Gesellschaftlicher Ehrgeiz Es gibt also den regulären Markt der Beachtung. Es gibt die regelrechte Marktpreisbildung für die Beachtlichkeit. Es gibt den Handel mit kapitaler Aufmerksamkeit, der die erwarteten Gewinne beziehungsweise Verluste in einen Kurswert überführt. Heißt das nun nicht, daß auch der Selbstwert der Person Eigenschaften eines Marktpreises verpaßt bekommt? Wieder einmal scheint die Antwort zunächst negativ. Nicht nur ein intuitiver Vorbehalt, auch folgende Gründe sprechen dagegen: Erstens hängt die Selbstwertschätzung unmittelbar von empfangener Wertschätzung und nur mittelbar von empfangener Beachtung ab. Zweitens redet bei der Selbstwertschätzung nicht nur das äußerlich vermittelte Selbstwertgefühl, sondern auch die unmittelbare Selbstachtung mit. Drittens bedeutet das Fungieren der Aufmerksamkeit als Währung nicht, daß sie in der Funktion des Zahlungsmittels aufginge. Die Zuwendung behält ihren intrinsischen Wert und ihre seelische Qualität sehr wohl, wo die Menschen einander als Menschen nahekommen und persönlich schätzen. Schließlich ist die persönliche Wertschätzung seitens derer, die auch wir persönlich schätzen, die immer noch wichtigste Nahrung unserer Selbstwertschätzung. Wieder gibt es nun aber den zweiten Blick, der das klare Nein schwanken läßt. Spielt nicht auch die Beachtung, die sie von dritter Seite beziehen, in unserer Wertschätzung für andere Personen mit? Machen Prestige und Reputation
nicht auch beliebt? Zählt nicht die Wertschätzung seitens einer prominenten oder gar berühmten Person für unser Selbstwertgefühl anders als die von nur persönlich bekannter Seite? Gewiß, es gibt Menschen, die sich vom Bekanntheitsgrad anderer überhaupt nicht beeindrucken lassen. Es gib ihrer aber wenige. Wie materieller Reichtum schon becirct, so kann erst recht der Reichtum an Beachtung betören. Er umgibt die Person mit einem Glanz, der geradezu unwiderstehlich machen kann. Es ist ein Glanz, wie ihn hinreißende Schönheit, außerordentliche Macht, begnadete Begabung und klingender Name verleihen. Oder gilt vielleicht sogar umgekehrt, daß diese Attribute so glänzen, weil aller Blicke auf ihnen ruhen? Ist ihre Aura vielleicht selber das Erstrahlen im Übermaß der Aufmerksamkeit, die auf sich zu ziehen sie bekannt sind? Die Rentierlichkeit des Reichtums an Beachtung hat den einfachen Grund, daß das Wissen um die Anziehungkraft, die die Person auf andere ausübt, ihre Attraktivität erhöht. Daß es zur Kapitalisierung eingenommener Beachtung kommt, ist Ausdruck des Sachverhalts, daß das Schauen der andern ein Grund ist, selber Augen zu machen. Der Reichtum »arbeitet« in eben dem Sinn, daß Prestige von sich aus beliebt, Reputation selber noch einmal angesehen, Prominenz als solche anziehend und Ruhm aus sich heraus unwiderstehlich macht. Wenn aller Augen auf jemanden gerichtet sind, dann muß doch etwas Besonderes an ihm sein. Wenn man es selbst noch nicht sieht, sollte man sich vielleicht anstrengen. Irgendwann muß man sich, schon um mitreden zu können, um die Person kümmern. Schließlich kann man im Abglanz des großen Kapitals selber glänzen. Die Nähe zu Prominenten ist eine üppig sprudelnde Quelle des kleineren Prestiges. Selbst solcher Abglanz schmeichelt dem Selbstwertgefühl. Um wieviel mehr muß dem Selbstwertgefühl dann
der originäre Reichtum schmeicheln! Ist schmeicheln überhaupt noch das richtige Wort? Sucht man Prestige, Reputation, Prominenz, Berühmtheit nur aus Eitelkeit? Wird der Reichtum an eingenommener Beachtung nicht auch gesucht, weil man auf seinem Weg die Selbstwertschätzung gezielt maximieren kann? Ist die Akkumulation solchen Reichtums nicht sogar der Weg, auf dem man die Selbstwertmaximierung ganz geschäftsmäßig betreiben kann? Pflegen die Großen in diesem Geschäft ihren Selbstwert nicht selbst wie einen Kurswert? Verschmilzt die Pflege dieses Kurswerts nicht mit der Sorge um den Selbstwert? Kommt es nicht immer wieder vor, daß Menschen, die vom Sockel der Publicity stürzen, nicht mehr wissen, was sie von sich selbst halten sollen? Natürlich unterbricht die Akkumulation der eingenommenen Beachtung den inneren Dialog zwischen dem Selbstwertgefühl und der Selbstachtung nicht. Natürlich berührt es die Selbstachtung, wenn der Grund des Reichtums anrüchig ist. Natürlich kostet es Selbstachtung, wenn man sich vor sich selbst – und erst recht vor anderen – krumm macht, nur um möglichst viel Aufmerksamkeit zu raffen. Natürlich bleibt es für die Selbstachtung unbehaglich, das Selbstwertgefühl als eine Art Marktpreis zu wissen. Nur hat es der Reichtum eben auch an sich, dem Einspruch der Selbstachtung Stück um Stück den Boden zu entziehen. Mit wachsendem Reichtum wird der ursprüngliche Grund der Beachtung zunehmend durch die Attraktivität, die die Beachtlichkeit von sich aus entwickelt, überdeckt. Das Einkommen, das als Zins und Zinseszins anfällt, riecht nicht mehr nach dem Ursprung. Auch’ die Verrenkungen, die man einmal unternahm, um im Mittelpunkt zu stehen, sind vergessen, wenn sich die andern krumm machen, um etwas von der beachtlich gewordenen Aufmerksamkeit zu erhaschen. Schließlich steht der intel-
lektuellen Schmerzlichkeit des Bewußtseins um den preislichen Charakter des Selbstwerts die kreatürliche Lust gegenüber, sich an Beachtung reich zu fühlen. Wer an Beachtung arm bleibt, dem bleibt die Schreckensvorstellung erspart, daß seine Selbstwertschätzung die Züge eines Marktpreises tragen könnte. Das Unternehmertum der Selbstwertschätzung löst den Naturalientausch der direkt persönlichen Zuwendung nicht einfach ab. Es schluckt auch den Kleinhandel nicht umstandslos. Der intim zwischenmenschliche Austausch und die lokalen Märkte des Ansehens bleiben bestehen. Die Schicht des regulären Marktgeschehens kommt zu den älteren Schichten nur hinzu. Der mentale Kapitalismus verfährt in dieser Hinsicht milder als sein materialistischer Vorgänger. Er zersetzt die älteren Tauschformen nicht rücksichtslos. Der Bereich, worin er unumwunden herrscht, bleibt auf das Massengeschäft beschränkt. Das Auseinandertreten von Prestige und Ruf bedeutet nicht, daß das Prestige den Ruf ablösen würde; die Differenzierung bedeutet auch nicht, daß das Ansehen in seiner undifferenzierten Form unmaßgeblich würde. Niemand wird zur Teilnahme an der Geschäftstätigkeit gezwungen, die aus der Aufmerksamkeit eine anonyme Währung macht. Was es schwierig macht, sich der Teilnahme zu verweigern, ist der Verzicht, den die Verweigerung bedeutet. Die Abstinenz stellt zwar ein Privileg für jene dar, die es nicht nötig haben, auf den Bekanntheitsgrad ihrer Bekannten zu achten. Die leider viel üblichere Form der Abstinenz ist aber die Bescheidung derer, die es sich eben nicht leisten können, darauf zu achten, daß ihre Bekannten möglichst illustren Umgang haben. Zum Kapitalisten der Beachtlichkeit muß man es erst einmal bringen. Wer es allzuweit von sich weist, seinen Selbstwert geschäftsmäßig zu maximieren, verschmäht
vielleicht nur allzu saure Trauben. Der Gedanke, daß das Selbstwertgefühl die Machart eines Marktpreises hat, ist kein schöner Gedanke, gewiß. Die Vorstellung aber, daß man das Einkommen an Beachtung maximieren kann wie Unternehmer den Profit, ist betörend. Natürlich macht das Massengeschäft die qualitativ so besondere Aufmerksamkeit gleich. Auch die Masse kann aber in eine neue Qualität umschlagen. Die Vorstellung des sich selbst mehrenden Reichtums an Beachtung muß zumindest die Ehrgeizigen faszinieren. Und tatsächlich liegt das Kriterium dafür, ob jemand an der kapitalistischen Schicht der Geschäftstätigkeit teilnimmt, nicht zunächst in seiner gesellschaftlichen Stellung, sondern in der Rolle, die der gesellschaftliche Ehrgeiz in seinem Lebensplan spielt. Nur wer völlig frei von gesellschaftlichem Ehrgeiz ist, darf mit Fug und Recht behaupten, daß seine Wertschätzung für andere Menschen von deren Bekanntheitsgrad unbeeindruckt ist. Nur solche Menschen, denen der Reichtum an Beachtung überhaupt nicht imponiert, nehmen am System der kapitalen Beachtlichkeit nicht teil. Eben dadurch nämlich, daß er Eindruck macht, verzinst sich der zugeschriebene Reichtum. Und eben die Menschen, denen der Reichtum Eindruck macht, sind auch vom Wunsch befallen, reich zu werden. Sobald man sich den Eindruck zu Herzen nimmt, keimt das Verlangen, ihn selbst zu machen. Er geht in das ein, was man von anderen hält, und er entfaltet seine Wirkung in dem, was man von anderen empfängt. Er wird, ehe man sich versieht, zum Mittel, das man im Umgang mit anderen einsetzt; und er hat sich, sobald er nur überhaupt vermerkt wird, auch schon als Zweck des Umgangs eingenistet. Sobald sich nun aber der Wunsch, durch eingenommene Beachtung zu imponieren, eingenistet hat, ist auch der gesellschaftliche Ehrgeiz schon geweckt.
Der gesellschaftliche Ehrgeiz und der mentale Kapitalismus sind gleichen Ursprungs. Ihr gemeinsamer Ursprung ist die Wirkung, die die Beachtung, die seine Person seitens Dritter bezieht, auf die Wertschätzung hat, die wir unserem Gegenüber entgegenbringen. Sobald diese Beachtung Eindruck macht, ist der Keim zu beidem gelegt. Er beginnt, das Spiel um den Selbstwert subtil zu verändern. Er läßt es erstens erheblich werden, wieviel der Partner, mit dem wir Aufmerksamkeit tauschen, sonst noch an Aufmerksamkeit bezieht. Er läßt es zu einer kognitiven Nebenbedingung erfolgreichen Spielens werden, daß die verschiedenen Bezugsquellen beachtet und das Einkommen summarisch registriert wird. Er läßt es überhaupt erst zu einem interessanten Gesprächsstoff werden, wieviel jemand an Beachtung bezieht, ob das Einkommen berechtigt ist, wie hoch das Einkommen derer ist, mit denen jemand Umgang pflegt. Der Eindruck entfaltet seine Wirkung früh und zunächst unbemerkt in der Abstimmung über das Ansehen. Er schleicht sich auch viel zu leise ein, als daß den Anfängen gewehrt werden könnte. Es ist ungeheuer schwer zu unterscheiden, ob wir jemanden ob seiner brillanten Gaben oder ob der Beachtung schätzen, die diese Gaben auf sich ziehen. Das Ferment der Beachtlichkeit ist in ganz unterschiedlichen Dosen in die zwischenmenschliche Wertschätzung eingewirkt, es dürften sich aber wenige Beispiele persönlicher Wertschätzung finden, in denen es gar nicht nachweisbar ist. So leise und unscheinbar die Anfänge, so beachtlich kann die Wirkung werden, wenn der Eindruck besprochen wird, und so klar kann schließlich die Beachtlichkeit über andere Gründe der Wertschätzung dominieren, wenn sie von sich aus Aufsehen erregt. Ob ein Prominenter gut aussehend, begabt, kompetent, originell, charmant ist, ist schon zweitrangig geworden. Er sieht gut aus, kann etwas,
hat etwas zu sagen, ist unterhaltend, findet Gehör, wird angehimmelt, weil er prominent ist. Auch Schwächen und Fehltritte zählen bei Prominenten anders als bei anderen Leuten. Ihre Schwächen werden als Enthüllungen, ihre Fehltritte als Skandale gehandelt. Von der Person, wie sie leibt und lebt, löst sich eine Art öffentlicher Institution ab, die eigene Statur und Objektivität hat. Auch diese Ablösung vollzieht sich leise und zunächst unscheinbar. Die Institution kann die Person aber förmlich hinter sich lassen und beginnen, ein Eigenleben zu führen. Die zuteil werdende Beachtung und das Aufsehen, das diese Beachtung erregt, schöpfen etwas von eigenen Gnaden. Das Geschöpf verselbständigt sich von seinem Anlaß wie ein Kunstwerk von seinem Sujet. Es wird zum Fetisch. Die eigene Objektivität der Beachtlichkeit kann so weit gehen, daß das Geschöpf das Irdische hinter sich läßt und zum Star aufsteigt. Den Star umgibt der Glanz, den das Wissen verleiht, daß unzählige andere Augen machen. Im Glanz, der einen Star umgibt, können sich denn auch andere Leute sonnen. Im Abglanz eines großen Stars kann ein ganzer Hofstaat erstrahlen. Wer es schafft, etwas von diesem Abglanz auf die eigenen Mühlen umzuleiten, kann es auch ohne eigenen Glanz zu einer glänzenden Karriere im Kapitalismus der Beachtlichkeit bringen. Das Gesellschaftsspiel um den Selbstwert Der eigene Wert der Beachtlichkeit verändert die Ökonomie der Selbstwertschätzung in einem entscheidenden Punkt. Er läßt aus dem gebrochenen Verhältnis von Beachtung und Selbstwertgefühl einen in beiden Richtungen belastbaren Zusammenhang hervorgehen. Die Beachtung mutiert vom Transportmittel und Beleg für die empfangene Wertschätzung zu einem Wert in sich. Wenn nur genü-
gend Beachtung zusammenkommt, schlägt die Quantität in eigene Wertigkeit um. Diese Wertigkeit wird zu einer Art Äquivalent zum intrinsischen Wert. Sie wird geschätzt wie die Wertschätzung, die als emotionale Färbung der Beachtung übertragen wird. Ihr Ursprung ist aber nicht Sympathie oder Antipathie, sondern das Achten darauf, worauf die anderen Leute achten. Das Selbstwertgefühl wächst, wenn so viele Leute Augen machen, daß darüber andere Leute Augen machen. Durch den sich einstellenden Selbstbezug der Beachtlichkeit wechselt die Beachtung von der bloß notwendigen zur von sich aus hinreichenden Bedingung wachsenden Selbstgefühls. Der Zusammenhang zwischen eingenommener Beachtung und Selbstwertgefühl wird direkt. Die Wirkung der umgangenen Vermittlungsstufe ist so subtil wie enorm. Subtil ist zunächst einmal die Art, wie sich das Repertoire an Spielzügen weitet. Das ehedem schon nicht einfache Problem der Wertmaximierung eingenommener Aufmerksamkeit erfährt eine weitere Binnendifferenzierung. Weiterhin besteht das Problem, möglichst viel Wertschätzung in möglichst viel Beachtung seitens derjenigen Personen gepackt zu beziehen, die man selbst am höchsten schätzt. Nur kommt nun ein weiterer Aspekt hinzu. Man kann, wie bisher, die Bekanntschaft mit Menschen, die man schätzt, suchen und vertiefen; man kann auch weiterhin die eigene Werthaltung an die empfangene Wertschätzung anpassen; man kann aber, und das ist neu, auch direkt am Tauschwert, den die eigene Aufmerksamkeit in den Augen der anderen hat, ansetzen. Man kann nämlich andere Leute von diesem Tauschwert dadurch überzeugen, daß man ihnen das Aufsehen vor Augen führt, das die eigene Person in den Augen anderer erregt. Man kann sogar bloß geliehene, auf Vorschuß gewährte Aufmerksamkeit arbeiten lassen, damit die eigenen
Pfunde wuchern. Das Problem der neuen Strategie liegt weniger bei der Auswahl der Partner als beim Startkapital und der richtigen Spekulation. Man braucht, wenn einem die Sinne und Herzen der Mitmenschen nicht einfach so zufliegen, einen gewissen Vorschuß an Beachtung, um erst einmal Achtungserfolge zu erzielen. Wenn es stimmt, daß Menschen, die angeben, mehr vom Leben haben, dann liegt der Grund hier. Die direkte Arbeit am Tauschwert der eigenen Arbeit schließt alle Arten und Weisen ein, sich mit fremden Federn zu schmücken. Ein geschicktes Händchen im Einspannen geliehener Aufmerksamkeit kann Handicaps in Herkunft und Aussehen durchaus kompensieren. Auch ärgere Scharten in der natürlichen Begabung müssen kein Hindernis sein, wenn man mit dem Startkapital aufs richtige Pferd setzt. Alle Arten des Versilberns vorgeschossener Beachtung gehören zum Repertoire. Allerdings reicht das Repertoire nun weit über die Arten persönlicher Geschicklichkeit hinaus. Will man die Erweiterung, die das Spiel um den Selbstwert durch die Differenzierung der Ansatzpunkte erfährt, nicht zu eng fassen, dann muß man das Geschäft des Leihens und Ausmünzens von Beachtung bis hin zur Genese gesellschaftlicher Institutionen verfolgen. Um die Betrachtung des Spiels um den Selbstwert auf gesellschaftliche Institutionen auszuweiten, bedarf es einer Anpassung des Begriffs beachtlichen Kapitals. Von Prestige, Reputation, Prominenz und Berühmtheit war bisher nur als Formen persönlichen Eigentums die Rede. Die Formen rentierlichen Reichtums an Beachtung sind aber nicht auf natürliche Personen beschränkt. Auch Institutionen und sogar Veranstaltungen können Prestige genießen, Reputation gewinnen und eventuell Ruhm erlangen. Allerdings paßt das Prestige nun nicht als Oberbegriff für die
persönlichen und institutionellen Formen. Der Begriff, der sich hier anbietet, ist das Renommee. Das Renommee ist der allgemeinste und hinsichtlich der Zuschreibbarkeit zugleich neutralste Begriff für den rentierlichen Reichtum an Beachtung. Unter der Ordnung des Renommees seien im folgenden daher die persönlichen und die institutionellen Formen des beachtlichen Kapitals zusammengefaßt. Der Betrieb der Kultur und der Kapitalmarkt der Beachtlichkeit Die etablierte Ordnung des Renommees deutet auf die Funktion einschlägiger Kapitalmärkte hin. Sie stellt ein System von Marktpreisen dar. Freilich können diese Marktpreise nicht vom direkten Handel mit den Kapitalien herrühren. Prestige und Reputation, Prominenz und Ruhm sind fest mit ihren Inhabern verbunden. Wenn es Kapitalmärkte für das Renommee geben soll, dann können es nur Finanzmärkte sein. Die Grundform des Finanzmarkts ist der Handel mit Krediten. Um die Funktion der Preisbildung, die hinter der etablierten Ordnung des Renommees steckt, in ihrer institutionell entwickelten Form zu studieren, sollten wir uns nach demjenigen Sozialsystem umsehen, in dem Kredite an akkumulierter Aufmerksamkeit vergeben werden. Was ist unter einem Kredit an akkumulierter Aufmerksamkeit nun aber zu verstehen? Es geht ja nicht um das Herleihen von Kapital als produziertes Produktionsmittel, sondern darum, eingenommene Aufmerksamkeit anderen zur Verfügung zu stellen. Wieder einmal könnte es Schemen, als sei diese Art Handel ausgeschlossen. Wie soll eingenommene Aufmerksamkeit weiterverliehen werden? Kurzes Nachdenken legt nahe, dort nachzusehen, wo massenhaft ge-
spendete Aufmerksamkeit zusammenkommt. Die Kapitalisierung der Beachtlichkeit ist ein Masseneffekt. Nur mit großen Mengen an Beachtung wird der Eindruck gemacht, der sich selbst trägt. Große Mengen an Beachtung kommen freilich nicht von selbst zusammen. Damit die Leute sehen, daß viele andere Leute Augen machen, müssen erst einmal viele Leute zusammenkommen. Damit viele Leute überhaupt zusammenkommen, müssen Anlässe des Zusammentreffens und müssen Anlagen bestehen, die ein großes Publikum fassen. Es überrascht nicht, daß uns die Frage nach der Genese solcher Bedingungen zu den Anfängen des Städtewesens zurückführt. Das Leben in der Stadt ist ein Zusammenleben mit vielen anderen Menschen auf engem Raum. Es ist ein Leben in den Augen vieler anderer und für die Augen vieler anderer. Charakteristisch für urbane Lebensformen ist die Differenz von öffentlicher Schauseite und geschützter Privatsphäre. Zum Wesen des Urbanen gehört aber nicht nur die Bühne der Öffentlichkeit, zu ihm gehört auch die Art von Kultur, die von einem Kulturbetrieb reden läßt. Kulturbetrieb und Urbanität gehören in ähnlicher Weise zusammen wie Marktwirtschaft und Stadtwesen. Wohl war der Kulturbetrieb in den alten und zumal ältesten Städten kultischer Art und damit gerade kein Betrieb im geschäftsmäßigen Sinn. Schon die Städte des Altertums kannten aber das Theater und sportliche Großveranstaltungen. Und schon an diesen Vorläufern des geschäftsmäßigen Kulturbetriebs lassen sich die Züge des Kreditwesens ablesen, das im geschäftsmäßigen Veranstaltungsund Veröffentlichungswesen dann formell betrieben wird. Wer die Chance bekommt, als Neuling im Theater aufzutreten, wer erstmals zum Wettkampf im vollbesetzten Stadion zugelassen wird, erhält einen Kredit an gesicherter Beachtung. Dieser Kredit ist ökonomisch formgleich dem
Startkapital, das Geldgeber Unternehmern zur Verfügung stellen. Kommt der Neuzugang beim Publikum an, dann macht nicht nur er selbst, sondern auch der Veranstalter Gewinn. Tritt der Kandidat erfolgreich auf, verbucht auch die Veranstaltung Renommee. Die Veranstalter übernehmen die Rolle der Bank, die mitverdient und deren Geschäft es ist, mit akkumulierten Einkommen neue Talente zu finanzieren. Beide Seiten profitieren voneinander. Der Profit, der dabei anfällt, ist ein Profit im genauen Sinn des Worts. Er ist der Gewinn an Beachtung über das eingesetzte Kapital an akkumulierter Beachtung. Wie der materielle Kapitalismus erst eigentlich mit dem Verleihen von Geld, so fängt der mentale erst eigentlich mit dem Verleihen akkumulierter Aufmerksamkeit an. Als kapitalistisch sollten noch nicht Verhältnisse bezeichnet werden, in denen der reinvestierte Gewinn als Produktionsmittel eingesetzt wird. Auch das abgezweigte Saatgut, auch die mit vorgeschossener Arbeitskraft hergestellten Werkzeuge, auch das mit freigestellter Aufmerksamkeit erarbeitete Wissen sind Formen des Sachkapitals. Nur berechtigen der vorsorgende Ackerbau, die Produktion mit produzierten Produktionsmitteln und die Arbeit mit geistigem Kapital noch nicht, von kapitalistischen Verhältnissen zu reden. Der Kapitalismus beginnt mit dem Zusammenspiel von Sach- und Finanzkapital. Der entscheidende Schritt ist die Reinvestition gehorteter Einkommen und das Herleihen akkumulierten Reichtums zum Zwecke fremd erarbeiteten Profits. Ein solcher Schritt wurde vollzogen beim Übergang vom gelegentlichen zum geschäftsmäßig organisierten Kulturbetrieb. Die geschäftsmäßige Organisation des Kulturbetriebs erschöpft sich nicht darin, daß Versammlungsstätten unterhalten und Einrichtungen aufrechterhalten werden, daß das Veranstaltungswesen gepflegt und Literatur ver-
legt wird, daß die Kunstkritik und der Kunsthandel florieren. Zu einem geschäftsmäßigen Kulturbetrieb gehört, daß Talente rekrutiert werden, daß Veranstaltungen in der Öffentlichkeit besprochen und gewertet werden, daß Verleger erfolgversprechende Autoren entdecken und ihnen ein Forum bieten, daß sich die Kunstkritik mit Fragen des Rangs der Werke und der Einordnung der Künstler beschäftigt, daß ein Ausstellungswesen funktioniert, in dem bekannte Institutionen ihr Renommee herleihen, um Begabungen zum Durchbruch zu verhelfen, die wiederum das künftige Renommee der Institution begründen. Wer im kulturellen Milieu Karriere machen will, braucht ein Startkapital. Aula, Laientheater oder Gesangsverein genügen als Sprungbrett nicht. Es bedarf des Vorschusses an gesicherter Beachtung von kulturell nicht nur interessierter, sondern auch kompetenter Seite. Jemand, dessen Urteil in der Sache zählt, muß aufhorchen. Um als kompetent zu gelten, muß zum Kunstsinn Reputation hinzukommen. Der Kunstverständige muß, anders gesagt, auch ein beträchtliches Einkommen an einschlägiger Beachtung beziehen. Je größer dieses Einkommen, um so größer wird das Gewicht seiner Stimme in der Sache. Freilich hat, wer solches Gewicht zugelegt hat, auch etwas zu verlieren. Die Reputation ist schnell verspielt, wenn man im Urteil kompetenter anderer Stimmen – wiederholt aufs falsche Pferd setzt. Falsche Pferde sind solche, die nicht »ziehen«, die aus dem Startkapital nichts machen. Die Reputation eines Kunstkritikers und Kulturpublizisten hängt auch und gerade davon ab, wie sich die Pferde, die er ins Rennen geschickt hat, schlagen. Für Impresarios, Verleger und Galeristen hängt auch der materielle Gewinn davon ab, wieviel Beachtung ihre Pferdchen einfahren. Hier wie dort rangieren vor den pekuniären Gesichtspunkten aber die Kurswerte der Beachtlichkeit, die für die Schützlinge notiert
werden. Der Auswahlmechanismus künstlerischer Talente und das Notierungssystem kultureller Beachtlichkeit fungieren nach dem klassischen Schema einer Börse. Zunächst wird akkumulierte Beachtung als Startkapital in Projekte beziehungsweise Karrieren investiert, die für den Investor mehr Beachtung einzuspielen versprechen, als er zunächst in Form von Renommee riskiert. Der Kurswert der gehandelten Titel hängt einerseits von dem Erwartungswert der Einkünfte ab, die die Unternehmung verspricht, andererseits vom tatsächlichen Betriebsergebnis, das in Form von Besucherzahlen, Auflagenhöhen, dem Echo in der Presse und gewonnenen Auszeichnungen kund wird. Der Erwartungswert hängt seinerseits vom Betriebsergebnis ab, rechnet dieses aber nicht umstandslos hoch. Wie an der Aktienbörse spielen Insidertips, die allgemeine Stimmung im Marktsegment und die wahrnehmbaren Avancen potenter Investoren eine Rolle. Das ganze Geschäft ist hoch spekulativ. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Spekulationen deshalb aufgehen, weil ihre Prophezeiungen sich selbst erfüllen, denn auch das Betriebsergebnis kann davon abhängen, in welchem Umfang und mit welcher Zuversicht investiert wird. Allerdings wäre es engstirnig, anzunehmen, das ganze Geschäft sei deshalb schon unsolid. Auf längere Frist neigen die Windfalleffekte zum Ausgleich. Auch wenn es stimmt, daß die Claque schon mancher Karriere auf die Sprünge geholfen hat, und daß ein Verriß bisweilen mehr als nur Strohfeuer löscht, so ist das Rangsystem, das aus dem Wabern emporsteigt, doch keineswegs zufällig.
Der Gang an die Börse Das System kulturellen Rangs spielt sich ein durch den Börsengang des Renommees. Der Kulturbetrieb ist ein Kapitalmarkt der Beachtlichkeit. An ihm wird deutlich, was es heißt, daß das Spiel um den Selbstwert zu einem Gesellschaftsspiel im eigentlichen Sinne des Wortes wird. Es bedeutet zunächst einmal, daß es auf gesamtgesellschaftlicher, nämlich auf der Ebene der Öffentlichkeit gespielt wird. Der Abstimmungskreis der persönlichen Bekanntschaft wird unmaßgeblich. Entsprechend tritt die persönliche Wertschätzung hinter sachliche Gesichtspunkte und hinter die Gesetzlichkeit eines spekulativen Marktes zurück. Das Ergebnis der Abstimmung wird im gesellschaftlichen Sinne objektiv. Das System kulturellen Rangs hat die Objektivität eines Systems von Marktpreisen, an denen einzelne mit besonderer Position zwar rütteln können, das im Grundsatz aber für alle verbindlich ist. Die Ausweitung des Spiels um den Selbstwert zu einem allgemeinen Gesellschaftsspiel ist Voraussetzung nicht nur für die öffentliche Wirksamkeit der persönlichen Produktion, sondern auch dafür, daß wirklicher Reichtum an Beachtung entsteht. Niemand wird zum Börsengang gezwungen. Es muß aber nicht der gesellschaftliche, es kann auch der Ehrgeiz in der Sache sein, der zu diesem Gang rät. Der Gang in die Öffentlichkeit hat nun aber immer auch persönliche Konsequenzen. Er bedeutet den Rückzug – wenn nicht gar Ausbruch – aus einem lokalen Abstimmungskreis über das Ansehen. Das Spiel wird in einem anderen Sinne ernst, als es bis dahin war. Es zählen von nun an weniger die zwischenmenschlichen Gefühle als sachliche Kriterien und die soziale Geschicklichkeit. Mitmenschliche Emotionalität und ökonomische Rationalität verabschieden sich voneinander. Gefühle können zwar
wieder ins Spiel kommen, aber erst auf höherer Stufe. Sie gelten dann nicht mehr dem Menschen wie dir und mir, sondern einem Idol oder einem öffentlichen Ärgernis. Den außerordentlichen Chancen, die die Vergesellschaftung des Spiels um den Selbstwert birgt, stehen Risiken gegenüber. Der Kurswert des persönlichen Kapitals an Beachtlichkeit kann hoch steigen, aber auch tief fallen. Und es sind nicht immer persönlicher Verdienst oder persönliches Verschulden, die den Ausschlag geben. Es gibt die Launen des Publikums und es tun sich neue Dimensionen des falschen Spiels auf. An den Launen des Publikums hängt fortan das Selbstgefühl. Das Parkett der Öffentlichkeit ist glatt. Es ist glatt nicht nur, weil Neider auf den Plan ruft, wer sich exponiert. Es ist glatt auch, weil das Echo des Publikums in einem so weitläufigen Netz indirekter Transaktionen besteht. Je weiter und indirekter der Beachtungstausch, um so leichter kommt es zu Formen der Selbstverstärkung des Geredes. Wer in aller Munde ist, ist auch allen möglichen Formen der Verdächtigung, des Hochjubelns, Heruntermachens, Kolportierens und Intrigierens ausgesetzt. Der Kulturbetrieb ist nur ein Ausschnitt aus dem System der Kapitalmärkte der Beachtlichkeit. Er zeigt aber paradigmatisch, wie ein allgemeiner Zusammenhang das Innerste der Beteiligten verbindet. Das System kulturellen Rangs ist auch eines des persönlichen Reichtums an Beachtung. Auch wenn es denen, die sich zum Gang in die Öffentlichkeit entschließen, nicht nur und nicht vorrangig um das Selbstwertgefühl geht, hängt ihre Selbstwertschätzung fortan vom Kurswert ihres persönlichen Kapitals ab. Der Zusammenhang ihres Wirkens tritt ihnen als fremde Macht gegenüber, obwohl sich auch dieser Zusammenhang nichts anderem als dem Zusammenwirken einzelner verdankt. Das System kulturellen Rangs ist ein Lehrbei-
spiel für die Repräsentanz eines gesellschaftlich Allgemeinen im persönlich Besonderen. Auch die neue Dimension der Risiken, die mit der Generalisierung des Spiels um den Selbstwert verbunden sind, werden am Kulturbetrieb in beispielhafter Weise deutlich. Es sind die Risiken, die mit der Funktion ungeschützter Spekulationsmärkte verbunden sind. Gegen die Fehlspekulation ist man nirgends geschützt. Die Abstimmung auf unüberschaubaren Märkten birgt nun aber auch das generelle Risiko der unlauteren Absprache bis hin zur regelrechten Korruption. Die Abstimmung wird zur Lotterie, wo das Spielen unter der Hand den insgesamt größeren Gewinn verspricht. Auch und gerade der Markt der kulturellen Beachtlichkeit funktioniert nur so gut, wie die Gewissenhaftigkeit es den Beteiligten von innen und wie die Konkurrenz es ihnen von außen her nahelegen. Das Auswahlverfahren kulturellen Rangs degeneriert, wenn sich Verkauf und öffentliche Kritik absprechen, wenn es zum Kurzschluß zwischen Werbung und Publizistik kommt. Der Kulturbetrieb funktioniert nur so gut wie die Trennung zwischen Kultur und Kommerz; die Preisbildung der Beachtlichkeit ist nur so vertrauenswürdig wie das Berufsethos von Kritikern und Kritisierten; die Selbstorganisation ist zuträglich nur in Symbiose mit einem wachsamen Publikum. Damit die Kultur blüht, muß der ganze Biotop in Ordnung sein. Wird dieser Biotop gestört, sind immer noch beachtliche Einzelleistungen möglich. Es werden dann aber Talente vergeudet, das Niveau sinkt, Erscheinungsformen des kulturellen Niedergangs machen sich breit. Zu diesem Niedergang gehört die moralische Entwertung der öffentlichen Notierung für die Selbstwertschätzung der Inhaber des beachtlichen Kapitals. Eine kulturelle ist deshalb immer auch eine persönliche und moralische
Krise. Zugleich wird deutlich, welch enorme Bedeutung dem abstimmungstechnischen Funktionieren der einschlägigen Märkte zukommt. Es liegt an den Mängeln des Abstimmungsprozesses, wenn die Beteiligten im Resultat der Abstimmung ihre Ziele nicht mehr wiedererkennen. Abstimmungen sind zwar nicht dazu da, die Wünsche aller Beteiligten zu befriedigen. Wo abgestimmt wird, gibt es auch Überstimmte. Es macht aber einen großen Unterschied, ob man das Gefühl hat, in einem fairen Spiel zu unterliegen, oder ob man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß das System verrückt spielt. Um Vertrauen in die Notierung kulturellen Rangs zu bewahren, ist es nicht nötig, die herrschende Meinung zu teilen. Worauf es aber ankommt, ist das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit und in die Fairneß des Verfahrens. Um dieses Vertrauen zu wahren, muß man die Abstimmung für sachbezogen und nachvollziehbar halten können. Es muß der Verdacht abgewehrt bleiben, daß andere als die anerkannten Kriterien und andere Gründe als die offiziellen Argumente zählen. Es muß der Eindruck vorherrschen, daß das Verdienst und nicht das Gefälligkeitsurteil zählt. Das System verträgt ein gerütteltes Maß an Abweichungen vom idealtypischen Funktionieren eines Markts; es ist robust. Es gibt aber eine Schwelle, von der an das System beginnt, sichtbar zu degenerieren: Die natürliche Autorität kapitalisierter Beachtung schwindet; das Renommee des Kulturbetriebs als solches leidet; die Aufrechten beginnen, zwischen Resignation und Rebellion zu schwanken. Abstimmung und Widerspruch Das Gesellschaftsspiel um den Selbstwert ist eine harte Sache. Es verursacht auch im besten Fall seines Funktionierens gravierende soziale Kosten. Es führt nämlich dazu,
daß ein System sozialer Klassen neben und unabhängig von dem der herkömmlichen Einkommensklassen entsteht. Wo Kapitalmärkte der Beachtlichkeit fungieren, gibt es die Klasse der ausgesprochen Reichen, die Prominenz; es gibt die Klasse der Wohlhabenden als der Schicht, die Reputation und gehobenes Prestige genießt; es gibt den Mittelstand, wo Prestige und Ruf das soziale Ansehen gleichermaßen bestimmen; es gibt eine Unterschicht, deren Merkmal es ist, daß sie beim Prestige leer ausgeht; und es gibt ein Proletariat, das nichts mehr zu verlieren hat als seine Unscheinbarkeit. Interessanterweise regt sich nun aber kaum Widerstand gegen das Kapitalverhältnis, solange keine unsauberen Machenschaften unterstellt werden. Es scheint ganz und gar vom Vertrauen in das Abstimmungsverfahren abzuhängen, ob sich die Beteiligten mit dem Resultat ihrer Abstimmung identifizieren können. Wird das Verfahren als fair empfunden, dann macht es den einzelnen offensichtlich keine Schwierigkeiten, das kollektive Ergebnis auch dann anzuerkennen, wenn sie nicht zu den Gewinnern zählen. Die Duldungsbereitschaft ist hier sogar außerordentlich. Die Menschen nehmen selbst die krassesten Ungleichheiten in Einkommen beziehungsweise Reichtum an Beachtung in Kauf, wenn sie nur Verdienst und nicht Machenschaft dahinter vermuten. Obwohl es leicht wäre, einen ausbeuterischen Charakter der Kapitalisierung zu denunzieren, scheinen die Nettozahler Gefallen daran zu finden, die Prominenz zu finanzieren. Gewiß, es gibt den Neid auf die Großverdiener, und es äußert sich Mißgunst, wenn einzelne Kurswerte zu hoch gejubelt werden. Das Murren bleibt aber vereinzelt, der Protest folgenlos, wenn das anonyme Marktgeschehen und nicht persönliche Protektion den Kurs bestimmt. Was am ungeschützten Markt sich durchsetzt, scheint ausersehen, auch von den indivi-
duellen Werthaltungen breiten Besitz zu ergreifen. Was nun aber, wenn es zu viele werden, die in der etablierten Ordnung des Renommees ihre individuellen Ziele nicht wiedererkennen? Was, wenn das Vertrauen in die Machart der offiziell notierten Kurswerte auf breiter Front einbricht? Was, wenn die Machenschaften eben doch zu fadenscheinig und ausbeuterische Züge unübersehbar werden? Wer hofft, daß die soziale Ungleichheit dann den Widerstand gegen das System hervorrufe, wird enttäuscht. Der mentale Kapitalismus ist nichts für Klassenkämpfer. Er ist ein einziges Ärgernis für Revolutionäre. In seinem Reich gibt es den organisierten Kampf ums Renommee, es kommen auch Formen der Rebellion gegen die offizielle Notierung der Kurswerte vor. Es kommt aber zu keinem Zusammenschluß der Habenichtse zum Zweck der Machtübernahme. Selbst krasseste Unterschiede und offensichtliche Manipulation treiben die zu kurz Gekommenen nicht in Fundamentalopposition. Von einer Sammelbewegung des Proletariats, das sich aufmachte, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, ist nichts zu merken. Der mentale Kapitalismus scheint als Form des Aufstands nur die Palastrevolution zu kennen. Diejenigen, die aufbegehren, sind selbst vom gesellschaftlichen Ehrgeiz getrieben. Die Verschwörer sind wild entschlossene Aufsteiger. Die Parteiungen innerhalb des Unternehmertums sind es, die einander die Kämpfe liefern. Wieder läßt sich die Eigenheit beispielhaft am Kulturbetrieb studieren. Die typische Folge des Vertrauensverlusts in die offizielle Notierung kulturellen Rangs sind Sezessionserscheinungen. Sezessionen sind Abspaltungen vom kulturellen Hauptstrom mit dem Anspruch, diesem den Rang streitig zu machen. Sie haben nichts mit der Erhebung ausgebeuteter Massen gegen ausbeuterische Cliquen
zu tun, sie sind selber eine Bereicherung des Cliquenwesens. Sie verbreiten im günstigen Fall das Angebot an kulturellen Szenen, sie fördern im schlechteren Fall die Vereinsmeierei. Ihr Nährboden sind die Machtspiele des Einund Ausschlusses, ihr Element ist die Gruppenbildung zum Zweck der Abwehr heterogener Gruppenmeinungen. Die Chance, die der Sezessionismus birgt, liegt im wachsenden Pluralismus des Kulturbetriebs; die Gefahr, die er mit sich bringt, ist der Rückfall in den Provinzialismus einander bekämpfender Kleingruppen. Wir sind, anders gesagt, bei der kulturellen Entsprechung zu den lokalen Märkten des Ansehens angelangt. Die lokalen Märkte des Ansehens bieten denen eine Chance, die von der offiziellen Notierung an den Börsen des Prestiges, der Reputation usw. übergangen werden. Auch der Schutz, den eingeschworene Bekanntenkreise vor der Maßgeblichkeit heterogener Gruppenmeinungen bieten, ist organisiert. Auch das Ansehen, das der kleine Kreis verleiht, neigt zum Anspruch, die eigentlichen Werte hochzuhalten. Hier wie dort ist das Einigeln der Zirkel die Folge und der Nährboden eines Syndikatwesens, in dem zum Zug kommt, wer die Machtspiele des Ein- und Ausschließens besser beherrscht als den Konkurrenzkampf auf dem anonymen Markt. Allerdings ist der Rückzug in den kleineren Maßstab nun die einzige Alternative zum Mitmischen bei der entwickelten Konkurrenz. Die Wahl ist ausgesprochen eng. Die Gesellschaft – beziehungsweise unser eigener Anspruch an die Gesellschaft – hat uns hart im Griff. Es gibt kein Auskommen. Nicht einmal utopische Träume versprechen Linderung. Fragt man nach der anarchistischen Alternative, dann stößt man auf bloße Eigenbrötlerei; fragt man nach einer planwirtschaftlichen, dann taucht sofort die Fratze des Großen Bruders auf. Allenfalls die Regression hinter den Protektionismus zurück
zu traditionalen, durch Brauchtum, Herrschaft und Sitte bestimmten Wertordnungen scheint auf gewisse Gemüter Reiz auszuüben. Gegen solche Starre dürfte die schmale Bewegungsfreiheit zwischen geschützter und offener Konkurrenz nun aber doch einen entscheidenden Gewinn darstellen. Immerhin ist der frische Wind des ungeschützten Markts die Rettung für alle, die den Muff in den Wagenburgen nicht ertragen und den Binnendruck der Abschottung nicht mehr aushalten. Immerhin bleibt jenen, denen dieser Wind doch zu scharf ins Gesicht bläst, der Rückzug in den Schutz der überschaubaren Bezugsgruppe. Der Mangel an grundsätzlichen Alternativen zeigt sich aber noch darin, daß der Gegensatz zwischen dem Kapitalmarkt und den kleinen Märkten so tief nicht ist. Erstens sind die Übergänge gleitend, zweitens bestehen Alternativen nur, was die Weite der Geltung und die Größenordnung des Einkommens betrifft. Weder sind sie Alternativen, was die Teilnahme am Tauschgeschehen betrifft, noch sind sie grundverschieden, was das Maß ihrer Rationalität und was ihre moralische Qualität anbelangt. Man kann zwar wirklich reich an Beachtung nur werden, wenn man sich der Abstimmung auf dem Kapitalmarkt der Beachtlichkeit stellt. Man kann es aber auch zu respektablem Einkommen bringen, wenn man sich in der überschaubaren Gruppe gut schlägt. Zudem schließen der Anspruch, in der Öffentlichkeit zu glänzen, und der Wunsch, im engeren Kreis Ansehen zu genießen, einander nicht aus. Vielmehr entlastet die Koexistenz der Ebenen vom Zwang zur eindeutigen Entscheidung für die eine oder andere. Auf beiden Ebenen kann der Einklang zwischen der kollektiven Wertordnung und der individuellen Werthaltung Lebensträume erfüllen, auf beiden Ebenen kann der Konnex zwischen dem geltenden Wertsystem und dem eigenen Werturteil denn
auch zerbrechen. Der Ausbruch aus der geschützten Enge kann für ein Lebensglück so wichtig werden wie die Zuflucht in die geschützte Nische. Wie in rationaler, so ist schließlich auch in moralischer Hinsicht die eine nicht der anderen Ebene überlegen. Auf beiden Ebenen sind die komparativen Gefühle in ihrem Element, hier wie dort betreibt die Politik der sauren Trauben das Geschäft der alltäglichen Bosheit. Die Verfehlungen auf der beachtlichen Ebene sind zwar spektakulärer. Daß sie als Skandale gehandelt werden, heißt aber nicht, daß es im großen Geschäft verruchter zugehe als im kleinen. Mit der Größe des Geschäfts wachsen gewiß auch die Verlockungen zum falschen Spiel, im Halbschatten des kleinen Geschäfts ließ sich aber von vornherein besser munkeln. Wenn die untere der oberen Ebene nicht einmal moralisch überlegen ist, ist der mentale Kapitalismus dann überhaupt eine kritische Kategorie? Ist seine Art der Kapitalisierung vielleicht um ein Grundsätzliches sauberer und legitimer als die beim Geld? Ist der pejorative Unterton, der im Begriff des mentalen Kapitalismus mitschwingt, am Ende sogar verfehlt? Eine Antwort wäre, in welchem Sinn auch immer, an dieser Stelle verfrüht. Wir sind noch nicht bei der Industrialisierung und den eigentlichen Großformen des Geschäfts mit der Aufmerksamkeit angelangt. Die Vorstellungswelt der Beispiele hat sich bisher in einer Art vorindustrieller Idylle bewegt. Die Wissenschaft und der Kulturbetrieb sind kleine, in sich geschlossene Musterökonomien. Der Handel wird hier noch im wesentlichen durch handwerkliche Publikationsmedien vermittelt. Die Technologien der Vermittlung sind Versammlungsstätte und Buchdruck. Auf dieser Stufe der technischen Entwicklung war sogar der materielle Kapitalismus noch harmlos. Um diesem in Augenhöhe seiner Hochform gegenüberzutreten, gilt es nun, zu den Verhältnissen aufzuschließen, in
denen der Gewinn an Beachtung mit derselben Professionalität und technischen Raffinesse betrieben wird wie der Geldgewinn. Vom Publikations- zum Massenmedium Beachtungs- und Geldgewinn reichen einander beim Massengeschäft mit der Aufmerksamkeit die Hand. Das eigentliche Massengeschäft mit der Aufmerksamkeit ist das der Massenmedien. Mit dem Aufkommen der Massenmedien bricht die industrielle Ära des mentalen Kapitalismus an. Dieser blieb und bleibt – vorindustriell, wo die Publikationstechniken noch handwerklich und der rentierliche Reichtum an Beachtung noch eine elitäre Angelegenheit ist. Das Geschäft mit der Aufmerksamkeit hatte seine frühindustrielle Phase in der Periode der analogen Informations- und Kommunikationstechniken. Mit Presse, Rundfunk und Tonfilm kamen erstmals die für die Geburt von Stars kritischen Mengen anonym gespendeter Aufmerksamkeit zusammen. Der Starkult machte den Anfang der Massenphänomene in der immateriellen Ökonomie. Das Geschäft der Attraktion wurde in dieser frühen Phase professionalisiert, die gezielte Jagd auf die Aufmerksamkeit des allgemeinen Publikums entwickelte sich mit der Werbung zur eigenen Industrie. Die hochindustrielle Phase hielt Einzug mit dem Fernsehen. Erst mit dem Fernsehen beginnt die zweite, eigens zur Attraktion von Aufmerksamkeit herausgebrachte Schauseite der Wirklichkeit der ersten, unvermittelt angeschauten, Konkurrenz zu machen. Erst hier wird der überwiegende Teil der frei verfügbaren, nämlich konsumierenden Aufmerksamkeit durch die Medien geschleust; erst hier beginnt sich abzuzeichnen, daß das Einkommen an Aufmerksamkeit wichtiger werden könnte als das Geldeinkommen.
Was die Medien groß gemacht hat, war allerdings mehr als die technische Reproduktion von Wort, Ton und Bild. Was die Massenmedien über das traditionelle Veranstaltungs- und Publikationswesen hinauswachsen ließ, war auch mehr als die rasant steigende Nachfrage nach Unterhaltung und Information. Was aus Publikationsmedien Massenmedien gemacht hat, das war die Geschäftsidee, dem Publikum Information anzubieten, um an seine Aufmerksamkeit zu kommen. Unter dieser Geschäftsidee wurden die technischen Möglichkeiten der Reproduktion und Multiplikation von Information erst zum Mittel, das die Märkte der Beachtung bis an die Grenzen der überhaupt bestehenden beziehungsweise verführbaren Zahlungsbereitschaft erschloß. Diese Expansion wäre den Medien als bloßen Verschiebeplätzen von Information nicht gelungen. Dazu mußten sie sich zu Kanalsystemen entwickeln, die die Erlebnissphären bei der Versorgung mit Information anzapfen, um Aufmerksamkeit aus ihnen herauszuholen. Damit den Veröffentlichungsmedien alten Stils der Durchbruch zum Massenmedium gelang, bedurfte es einer Umstellung in der Geschäftsgrundlage. Wie es Veranstalter und Verleger schon immer taten, bieten die Medien denen, die in ihnen auftreten, ein Forum. Die Medien geben in entsprechender Weise Vorschuß und fungieren wie jene als Kreditgeber. Sie warten allerdings nicht darauf, daß ihnen jemand anbietet, was sie präsentieren können, sondern nehmen die Produktion der zu präsentierenden Inhalte selbst in die Hand. Wohl arbeiten auch unabhängige Künstler und Autoren, um Beachtung zu finden. Sie verquicken ihr Streben nach Beachtung aber eng mit dem nach Selbstverwirklichung. Mit dem, was gut für die Selbstverwirklichung ist, bringt man indessen selten Massen auf die Beine. Massen bringt man zuverlässig nur dann
auf die Beine, wenn man sehr genau beachtet, was das breite Publikum lesen, sehen, hören will. Will man die Attraktion im großen Maßstab betreiben, dann muß gezielt die Sensationslust bedient, dann müssen eigens Blickfänge hergerichtet, dann müssen bewußt Ohrwürmer ausgesetzt werden. Ein Massenmedium darf nicht heikel in der Wahl der Mittel sein, mit denen es Aufmerksamkeit einfängt. Den unabhängigen Produzenten, die für den Lohn der Aufmerksamkeit arbeiten, bleibt nichts anderes übrig, als hier heikel zu sein. Als persönliches Einkommen – und so für den Selbstwert – zählt nur die Aufmerksamkeit, die man für etwas einnimmt, womit man sich persönlich identifiziert. Diese persönliche Identifikation, diese Fixierung auf den Selbstwert muß gelockert werden, wenn das Medium selber groß herauskommen soll. Gewiß, auch zur Produktion für den ermittelten Geschmack bedarf es kreativer Geister. Es bedarf aber solcher, die bereit sind zum Dienst an einer fremden Sache. Diese Bereitschaft kann nicht wieder mit Aufmerksamkeit, sondern muß mit Geld angesprochen werden. Der Kompromiß verdient denn auch sein Geld. Von den Gagen der Unterhaltungsindustrie läßt sich’s leben. Auch der Journalismus ernährt seine Leute. Vor allem, und das ist der Trick an der Mischkalkulation, läßt sich auch die Beachtung, die man im Showgeschäft und in der Publizistik verdienen kann, sehen. Nur steht in diesen Branchen die eingenommene Aufmerksamkeit in klarer Proportion zum Geldeinkommen. Und die Aufmerksamkeit, die das Auftreten in Film, Funk, Fernsehen und Presse verschafft, gilt zunächst einmal dem Medium als Institution beziehungsweise Marke. Das Renommee der Institution ist nicht mehr nur notwendige Nebenbedingung für den dauerhaften Erfolg. Die Marktpräsenz der Marke wird
zum eigentlichen Zweck der Veranstaltung. Das Medium kann gar nicht genug Aufmerksamkeit absorbieren. Es muß das breite Publikum an den regelmäßigen Konsum gewöhnen. Die Zeitung muß gelesen werden, weil es die Zeitung gibt; es muß ferngesehen werden, weil es das Fernsehen gibt. Man kann es noch schärfer formulieren: Die Blätter und die Bildschirme müssen soziale Wirklichkeit werden; sie müssen der unvermittelten Sicht der Wirklichkeit Konkurrenz machen; sie müssen sich eine feste Haushaltsstelle in den Budgets der Aufmerksamkeit erobern. Das tun sie nur, wenn das Medium zuverlässig bringt, was den Leuten gefällt. Wenn das Angebot den Geschmack trifft und wenn genügend Geld und Aufmerksamkeit darauf verwendet werden, die Leute bei der Stange zu halten, dann wächst dem Medium eine neue Qualität auch für diejenigen zu, die in ihm auftreten. Es lockt dann nicht mehr nur das Geld. Vielmehr wird das Medium dann zur Großbank, die die Millionenkredite an Beachtlichkeit vergibt. Wenn alles fernsieht, dann bedeutet die Chance, im Fernsehen aufzutreten, mehr, als ein Forum angeboten zu bekommen. Sie bedeutet, in jede Wohnstube eingelassen zu werden, um den Obolus an gespendeter Aufmerksamkeit abzuholen. Das Fernsehen erlaubt, die Präsentation der Person technisch so zu multiplizieren, daß sie mit kalkuliertem Masseneffekt an die Frau beziehungsweise an den Mann gebracht wird. Der Auftritt im Fernsehen bedeutet die Chance, mit einem Schlag reich an Beachtung zu werden. Gesicherte Auflagenhöhen und Einschaltquoten schöpfen einen Fundus an erwartbarer Aufmerksamkeit, der alle herkömmlichen Größenordnungen sprengt. Deshalb drängt alles, was von höheren Formen des gesellschaftlichen Ehrgeizes getrieben ist, ins Fernsehen. Von der Suggestivität des Abholdiensts, den das Fernse-
hen organisiert, lebt inzwischen eine ganze Klasse neuen Reichtums. Es ist die Klasse derer, die es mit dem Startkapital zur Prominenz gebracht haben. Von der Suggestivität des Abholdiensts lebt das Fernsehen auch selbst. Es lebt davon sowohl als Institution beziehungsweise Marke, die bei der direkten Attraktion mitverdient, wie auch als Bank und Börse. Gesicherte Auflagenhöhen und Einschaltquoten schöpfen einen Fundus an erwartbarer Aufmerksamkeit, über den die Anbieter frei verfügen. Die Kontrolle über die Kanäle schließt die Fähigkeit ein, die Kurswerte der persönlichen Kapitale zu notieren. Man kann es noch schärfer ausdrücken: Die offizielle Notierung des Kurswerts eines persönlichen Kapitals ist die Präsenz der Person in den Medien. Die Auflagenhöhen und Einschaltquoten belegen schwarz auf weiß das Beachtungseinkommen der präsentierten Personen. Die mediale Präsenz der Person selber, nach Dauer und Präsentationsfläche gerechnet, mißt die Investition, die das Medium einsetzt. Der Umfang dieses Einsatzes drückt den Erwartungswert der attrahierenden Kraft der Persönlichkeit für das Medium aus. Das Verhältnis dieses Erwartungswerts zum Erfolg der Attraktion ist ökonomisch kein anderes als das zwischen Aktienkurs und Betriebsergebnis. Und weil es nun zunächst dieser Erwartungswert ist, der die publizierte Präsenz der Person bestimmt, sind die Medien selber nicht nur der Umschlagplatz für das Massengeschäft mit der Aufmerksamkeit, sondern zugleich die Börse, an der die persönlichen Kapitale bewertet werden. Umgekehrt geht es im Gerangel um einen Platz in den Medien, nie nur um den erklecklichen unmittelbaren Gewinn an Beachtung, sondern stets auch um die Pflege des Kurswertes der eigenen Aufmerksamkeit. Die Pflege ihres Kurswerts ist die höchstentwickelte Form der Arbeit am Tauschwert der eigenen Aufmerksamkeit.
Die Produktion der Prominenz Die Medien haben es fertiggebracht, den härtesten Brocken der ehemaligen Luxusgüter zu popularisieren: die Prominenz. Prominent zu sein stellt eine durchaus distinguierende Eigenschaft dar. Anders als materieller Reichtum schien Prominenz eigentlich kein Massenphänomen werden zu können. Und doch: Noch nie gab es so viel Prominenz wie heute; noch nie gab es einen solchen Rummel um die bekannten Gesichter. Prominent ist nicht mehr nur, wer unterwegs ist zur Spitze des Ruhms und der Macht; es bedarf nicht mehr der hohen Geburt, der genialen Leistung oder der großen Tat. Prominent wird man heute durch standardisierte Karrieren. Am Anfang steht nicht mehr und nicht weniger, als irgendwie in die Medien zu finden. Weil es zunächst auf die Präsenz in den Medien ankommt, sollte der Auftritt am besten mit Bild und am allerbesten im Fernsehen erfolgen. Die Karriere nimmt ihre erste Hürde, wenn der Eindruck beim Publikum kommentiert, wenn der Auftritt besprochen wird. Hier beginnt der Mechanismus des Förderbands zu greifen, das den Aufstieg besorgen muß, wenn er denn klappen soll. Der Neuzugang muß sich eben für das Medium selbst auszahlen; er muß versprechen, sich günstig auf Auflagenhöhen und Einschaltquoten auszuwirken. Auflagenhöhen und Einschaltquoten messen zunächst einmal die Aufmerksamkeit, die das Medium als solches einnimmt. Sie messen auch seinen finanziellen Erfolg; und schon das finanzielle Motiv könnte hinreichen, um die Prominenz all dessen, was die Attraktivität des Mediums steigert, huckepack zu fördern. Man verpaßt aber die Pointe, wenn man den Blick auf die pekuniäre Seite beschränkt. Der finanzielle Erfolg hängt seinerseits von der Verkäuflichkeit des Mediums als Werbefläche ab. Das
Angebot an Werbefläche ist das Angebot, Aufmerksamkeit qua Dienstleistung anzuziehen. Es ist die Leistungsfähigkeit dieses Diensts, die in Auflagenhöhen und Einschaltquoten gemessen wird. Deswegen kommt die eingenommene Aufmerksamkeit auch für das Medium selber vor dem finanziellen Erfolg; deshalb wird alles, was für die Beachtung des Mediums gut ist, in ihm gefördert, herausgebracht und gepflegt. Alles, was in den Medien gefördert, herausgebracht und gepflegt wird, ist eo ipso prominent. Und siehe da: Was ist für die Aufmerksamkeitseinkünfte des Mediums das beste? Ganz einfach: möglichst viel Prominenz. Nichts sehen die Leute lieber als Gesichter, die im Hochglanz der Publicity strahlen. Kein Mittel ist zur Steigerung der Auflage probater als möglichst viel Klatsch aus der Welt der Stars. Nichts treibt die Einschaltquoten so in die Höhe wie der Starrummel selbst. Deshalb gehen schon seriöse Feuilletons dazu über, Klatschspalten einzuführen; deshalb ist es selbst in der Boulevardpresse eine Meldung wert, wenn meistzitierte Wissenschaftler ermittelt werden; deshalb sind aber auch die Fernsehstunden, in denen die ganze Familie guckt, mit Prominenz nur so gespickt. Deshalb müssen schließlich Primadonnen für das Produkt A und Fußballkaiser für das Produkt B werben – und gelten Fernseh- und Verlagsprogramme ohne bekannte Gesichter schon wieder als elitär. Nirgends zeigt sich so deutlich, was es mit der Kapitalisierung akkumulierter Aufmerksamkeit auf sich hat, wie an dem Gewinn, den die Medien aus der Prominenz schlagen. Nirgends wird schlagender bewiesen, daß nichts so sehr von einer Person einnimmt wie das Wissen, daß sie selber unglaublich viel Aufmerksamkeit einnimmt. Die Aufmerksamkeit, die die Medien umsetzen, läßt keinen Zweifel daran, daß nichts die Zahlungsbereitschaft des
Publikums mehr anspricht als der zur Schau gestellte Reichtum an Beachtung. Kein Fetisch, der die Werbefläche mit höherer Attraktivität laden könnte als die bekannten Gesichter. Die Medien müßten die Prominenz erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe; sie müßten die Kandidaten aus dem Boden stampfen, wenn sie nicht ohnehin vor der Tür drängelten. Wie man Geldkapital in Massen braucht, um das Geldverdienen als Massengeschäft zu betreiben, so benötigt man Prominente in Massen, wenn man die Attraktion von Aufmerksamkeit als Massengeschäft betreiben will. Die Lösung des Rätsels von der wunderbaren Vermehrung der Prominenz liegt in der Kapazität der Medien, die kritischen Mengen für dieses Massengeschäft einzusammeln und abzuliefern. In dieser Kapazität liegt die Lösung auch des spiegelbildlichen Rätsels: Wie konnten sich die Massenmedien trotz ihrer Abhängigkeit vom Geld zur höchsten Stufe des mentalen Kapitalismus entwickeln? Anders als die Wissenschaft und der ältere Kulturbetrieb sind die Medien keine hochsubventionierte Branche. Keine Sphäre der Aufmerksamkeitsökonomie kommt aber ohne Finanzquelle aus. Die Unternehmen der Beachtlichkeit können sich von der Geldökonomie nur auf dem einen Weg emanzipieren, daß sie sich aus den Zwängen des finanziellen Verkaufs ihrer Produktion befreien. Sie können Autonomie erlangen, indem sie Geldquellen erschließen, die ohne Mitspracherechte heteronomer Interessen fließen. Die Wissenschaft hat sich diese Autonomie errungen, der Kulturbetrieb nur halb. Die Hauptquelle der Finanzierung sind bei der Wissenschaft Steuern, der Kulturbetrieb finanziert sich zum Teil aus Subventionen, zum Teil aus dem Erlös des direkten Verkaufs der Produktion. Die Massenmedien machen sich durch die Finanzierung aus Werbeeinnahmen frei vom finanziellen Verkauf der Information, die sie auf
Blickfang schicken. Das Zentralinstitut des mentalen Kapitalismus, das private Fernsehen, finanziert sich nur noch durch den Verkauf der Dienstleistung, Aufmerksamkeit für Beliebiges einzufangen. Die Anbieter dieser Dienstleistung verfügen dann frei über die Aufmerksamkeit, die sie durch diese Finanzierung vermittelt einfangen. Sie sind frei zu entscheiden, wie die massenhaft angezogene Aufmerksamkeit verwendet wird, für welche Zwecke sie ausgegeben und – vor allem – an wen sie weitergeliehen wird. Die Anbieter können entscheiden, wieviel des kostbaren Guts gleich wieder für Werbung verheizt und wieviel in die Rekrutierung und Ausbildung von Prominenten investiert wird. Sie verfügen frei über das gesellschaftlich höchstbewertete Gut. Sie können mit Prominenz adeln, wie einst erfolgreiche Eroberer durch die Überlassung von Lehen in den Adelsstand erheben konnten. Sie sind die Königsmacher der postindustriellen Gesellschaft. Niemand, der es zu Macht und Bedeutung bringen möchte, kommt um die Medien noch herum. Und wie einst Kaiser und Könige, so können die Anbieter von Sendezeit heute ihre Macht auch noch ausbauen, indem sie die belohnten Gefolgsleute auf weitere Eroberungszüge für das Medium schicken. Der Kapitalismus im Geist Wir haben den mentalen Kapitalismus auf einer Entwicklungsstufe hier vor uns, die der industriellen Hochform des Geldkapitalismus nicht mehr nachsteht. Wir sehen, daß sich im kulturellen Überbau eine Ökonomie herausgebildet hat, die die materielle Basis nicht einfach widerspiegelt, sondern wiederholt. Wie das Geldkapital einmal die hergebrachten Ordnungen des materiellen Reichtums um-
wälzte, so wälzt der mediale Kapitalismus heute die hergebrachten Ordnungen des Renommees um. Wie die große Industrie einst ins Zentrum der gesellschaftlichen Macht rückte, so haben inzwischen die Massenmedien diese Stellung erobert. Schade, daß die alte Widerspiegelungstheorie so mausetot ist, daß sich niemand mehr über diese unverhoffte Bestätigung freuen kann. Allerdings würden sich die alten Kämpen gleich zweimal die Augen reiben. Nicht nur, daß der geistige Überbau die materielle Basis bis in Detail wiederholt, der Überbau verselbständigt sich auch noch von der Basis und macht ihr sogar den Platz streitig. Nach der Marxschen Lehre ist der geistige Überbau nur ein unselbständiger Reflex der materiellen Verhältnisse. Die Lehre beansprucht, die idealistische Weltsicht vom Kopf auf die Beine gestellt zu haben. Was machen die Verhältnisse aber? Sie stehen von sich aus kopf. Die ideelle Ökonomie ist dabei, die Führung zu übernehmen. Nicht nur, daß die Wertschöpfung der geistigen Arbeit die der körperlichen in allen entwickelten Volkswirtschaften bei weitem überrundet hat; nicht nur, daß das Einkommen an Beachtung dabei ist, dem Geldeinkommen den Rang abzulaufen; auch das Zentrum der gesellschaftlichen Macht ist im Umzug begriffen. An den Medien führt kein Weg mehr vorbei. Längst kann sich der Einfluß, der von der Hochfinanz des mentalen Kapitalismus ausgeht, an der Macht messen, die die Hochfinanz des materiellen Kapitalismus noch ausübt. Damit stellt sich die Frage nach dem ausbeuterischen Charakter des mentalen Kapitalismus neu. Die Aufmerksamkeit, die die Medien einsammeln und umverteilen, ist einseitig vom lesenden beziehungsweise zuschauenden Volk gespendet. Das Volk zahlt in Aufmerksamkeit dafür, daß die Anbieter herausfinden, was ihm gefällt. Das Verhältnis der Aufmerksamkeit, das die Anbieter ihrerseits
aufwenden, zu derjenigen, die sie dafür einnehmen, ist kraß asymmetrisch. Die Anbieter streuen Information durch technische Reproduktion, die Abnehmer entrichten für jede Kopie lebendige Aufmerksamkeit. Nur durch diese Asymmetrie kommt überhaupt die Masse der gespendeten Aufmerksamkeit zusammen, die den Reiz des Mediums für die darin Auftretenden ausmacht und die es den Medien erlaubt, eine ganze Klasse von Prominenten zu ernähren. Zwangsläufige Folge dieses asymmetrischen Tauschs ist die soziale Umverteilung der Einkommen an Aufmerksamkeit. Die Medien machen eine kleine Schicht reicher und beuten die breite Masse aus. Nicht, daß der Tausch von Information gegen Aufmerksamkeit von vornherein unfair wäre. Wenn der Tausch aber zum großen Geschäft, wenn die Dienstleistung der Attraktion im industriellen Maßstab betrieben wird, dann verschärft sich unwillkürlich das soziale Gefälle zwischen den an Beachtung Reichen und Armen. Der Einfluß, den die Medien auf das alltägliche Erleben der Massen nehmen, geht über die Inhalte und Gesichter, die sie promovieren, hinaus. Der Einfluß, der jede Programmgestaltung bestimmt und nach dessen Pfeife alle tanzen, ist die Selbstverstärkung der Beachtlichkeit. Dem, der hat, dem wird gegeben: Wer reich an Beachtung ist, wird allein deswegen reicher; wer arm an Beachtung ist, ist schon deshalb arm an Chancen. Es ist das Prinzip der Kapitalisierung in seiner reinsten Form, das die gesellschaftliche Beachtung im großen Stil und mit unerbittlicher Effektivität von Arm nach Reich umverteilt. Dennoch ist von klassenkämpferischen Aufrufen und sozialen Unruhen nichts zu hören. Obwohl der Mangel an Zuwendung so schmerzlich sein kann wie materielle Not, gibt es offenbar keinen Grund, gegen die mediale Ausbeu-
tung Widerstand zu organisieren. Vielmehr scheint’s dem Volk zu gefallen. Endlich gibt es nicht nur Brot, sondern auch Spiele im Überfluß. Gewiß, es sind da die krassesten Gegensätze zwischen dem, was die auf dem Schirm und wir hier davor an Zuwendung beziehen. Das Medium vergrößert aber nicht nur die Unterschiede, es neutralisiert sie auch. Es leitet die einwendenden und vorbehaltlichen Gefühle von den Personen ab und auf sich als das Medium um. Irgendwie geschieht es, daß wir Interesse, Sympathie und Faszination den auftretenden Personen entgegenbringen, daß wir Ablehnung, Einspruch und Empörung aber gegen das Medium erheben. Anstatt uns über das Mißverhältnis zwischen der Prominenz der Person und der Substanz ihrer Präsentation zu ärgern, finden wir das Fernsehen öd. Die Objektivität des Mediums ist von solcher Übermacht über den zwischenmenschlichen Vergleich, daß es geradezu lächerlich erschiene, mit Gefühlen wie Neid oder Eifersucht auf die ungerechtfertigte Verteilung der Aufmerksamkeit zu reagieren. Mit den Medien wird die überpersönliche Regel der Verteilung zu einem so gut wie vollkommen anonymen Mechanismus, in den alle gleichermaßen eingespannt sind, und dessen Rechnungswesen stillschweigend die Effektivität eines automatisierten Zahlungssystems annimmt Karl Marx könnte nun aber in einem anderen Sinn recht behalten. Er sprach nicht nur vom ausbeuterischen Charakter der kapitalistischen Verhältnisse, er sprach auch davon, daß alle bedeutenden Ereignisse in der Geschichte zweimal passieren, Das erste Mal kommen sie als Tragödie, das zweite Mal als Komödie vor. Der Kapitalismus des Geldes war eine Tragödie Der Kapitalismus der Aufmerksamkeit trägt zweifellos närrische Züge. Nur gehört es zur Komödie, daß die Narretei sehr ernst genommen wird.
Fünftes Kapitel
Attraktivität als Stil der Zeit
Der Kopfstand der Ökonomie läßt die Seele nicht ungerührt. Das intensive Verlangen, eine Rolle im anderen Seelenleben zu spielen, findet sich ganz neuen Möglichkeiten der Verwirklichung gegenüber. Noch nie lockten so breite Wege zu einem größeren Publikum, noch nie standen dem Geltungsdrang so vielversprechende Karrieren offen. Noch nie durfte sich die Eitelkeit so in ihrem Element fühlen, noch nie feierte der Kult um die Attraktivität vergleichbare Feste, noch nie ließ sich der Tauschwert, den die eigene Aufmerksamkeit in den Augen der anderen hat, auf so geschäftsmäßige Weise maximieren. Es wäre ein Wunder, wenn diese Erweiterung des Optionsraums, wenn dieser Schwall an Zumutungen keine Wirkung auf das Fühlen und Streben der Menschen hätte. Die kapitalistische Durchrationalisierung und die industrielle Organisation des Geschäfts mit der Aufmerksamkeit sollte sich auch und gerade diesseits der professionell veranstalteten Oberfläche bemerkbar machen. Es sollte ein Wandel des allgemeinen Geschmacks, es sollten Verschiebungen in den gewöhnlichen Relevanzordnungen, es sollte ein Stilwandel der Kultur als ganzer feststellbar sein. Hohe und populäre Kultur Im Kapitalismus der Beachtlichkeit werden die Grenzen zwischen Kultur und Kommerz neu gezogen. Der alte Gegensatz von Kultur und Ökonomie wird obsolet. Der einst
ausgrenzende Gegensatz polarisiert die Kultur inzwischen selbst. Die Kultur differenziert sich schärfer als je zuvor in eine hohe und eine populäre Sparte. Allerdings bedeutet diese Differenzierung nicht, daß eine scharfe Grenze hervorträte. Charakteristisch ist vielmehr, daß die Übergänge gleitend und die Gegensätze relativ werden. Gleichzeitig wächst der Abstand zwischen den Extremen. Die Kultur ist uneinheitlicher denn je zuvor, nicht nur, was den Pluralismus der Stile und die Vielfalt der Richtungen betrifft. Sie wird auch immer heterogener im Hinblick auf den Anspruch. Es ist nach wie vor der Anspruch, der die hohe von der populären Kultur unterscheidet. Nur: Welcher ist der Anspruch eigentlich? Hoch hinaus wollen alle, die sich zur Kultur berufen fühlen. Auch ist es keine Frage des guten oder schlechten Geschmacks, in welchem Fach man tätig ist. Schließlich kann es nicht an der Intention der Schaffenden liegen, ob hohe oder populäre Kultur herauskommt. In der Kultur zählt, wie in der Ökonomie, das Ergebnis. Der höchste Anspruch nützt nichts, wenn ihn die Rezeption nicht aufnimmt. Ist es die spürbare Rolle des Geldmotivs, das die Sparten trennt? Für dieses Unterscheidungskriterium könnten gleich drei Gründe sprechen. Erstens ist das Gewicht des Geldmotivs ein kontinuierliches Maß; es würde den gleitenden Gegensätzen und relativen Unterschieden gerecht. Zweitens wird nach gängiger Auffassung die hohe Kultur um ihrer selbst willen, die populäre hingegen für den Verkauf produziert. Drittens ist die Massenkultur das, was die Massenmedien herausbringen. Im Unterschied zum klassischen Kulturbetrieb bedienen die Massenmedien die kommerziellen Interessen völlig ungeniert. Dennoch wäre es eigenartig, wenn gerade das Geldmotiv den Aussschlag gäbe. Gerade in den Massenmedien rückt
das Geschäft mit der Beachtung in den Vordergrund. Wie im herkömmlichen Kulturbetrieb, so geht auch in den Massenmedien die Kalkulation in Aufmerksamkeit der finanziellen voraus. Zudem stimmt es nicht, daß die hohe Kultur die Sparte ist, in der generell wenig, und das populäre Fach dasjenige ist, womit generell viel Geld gemacht wird. Nicht nur, daß das hohe Fach hier entschieden nachgezogen hat, auch die Formen des kommerziellen Managements gleichen sich immer mehr an. Wenn sich der Unterschied zwischen den Sparten hält, dann sollte das trennende Maß auf der Seite der eingefahrenen Beachtung gesucht werden. Weil nicht behauptet werden kann, daß das hohe Fach nur mäßige Beachtung findet und das populäre immer massenhafte, muß der Unterschied hier freilich in etwas anderem bestehen als in der bloßen Quantität. Die Rezeptionsseite ist nicht einfach das Publikum. Zu ihr gehören auch die Fachleute und Mitproduzenten. Zu ihr gehören ferner – oder vielleicht eher zunächst – die Veranstalter, Verleger, Aussteller und Intendanten, die erst einmal herausbringen müssen, was das Publikum erreichen soll. Innerhalb dieser Fachwelt beschäftigt man sich mit der Produktion, den Dispositionen und Urteilen der Kollegen beziehungsweise Konkurrenten ähnlich wie im Wissenschaftsbetrieb. Um für kompetent zu gelten, muß man zunächst einmal in der Szene Anerkennung finden. Umgekehrt haben es alle, die in der Fachwelt für kompetent gelten, zu einem gewissen Vermögen an Beachtlichkeit gebracht. In diesem Vermögen ist nicht einfach Beachtung, sondern Beachtung, gewichtet nach Kompetenz beziehungsweise Reputation der jeweils beachtenden Person, akkumuliert. In die Beachtung, die zählt, ist Beachtung, die zählt, verschachtelt. Wenn es ein Unterschied auf der Seite der rezipierenden Aufmerksamkeit ist, der die Sparten trennt, dann ist es das Profil dieser Verschachte-
lung. Kompetent in der Herstellung und Verbreitung populärer Kultur ist, wer direkte Publikumserfolge vorweisen oder glaubhaft versprechen kann. Kompetent im hohen Fach ist nur, wer Anerkennung seitens derer findet, die ihrerseits für kompetent gelten. Auch diese Anerkennung geht letztlich auf die Aufmerksamkeit des Publikums zurück. Die Publikumserfolge, die die Kompetenz in der hohen Kultur begründen, liegen im Durchschnitt aber sehr viel weiter zurück. Die Verschachtelung stellt eine Erbfolge über viele Generationen dar. Das Durchschnittsalter der Beachtung, die die aktuelle Kompetenz begründet, ist im hohen Fach hoch, im populären gering. Die populäre Kultur ist ein Genre des Neubeginns, nicht der Auseinandersetzung mit der Tradition. Das Aller des Kapitals, das die Reputation begründet, darf nicht verwechselt werden mit dem Alter des Kapitals, das die überlieferten Werke darstellen. Die überlieferten Werke sind geistiges Kapital im Sinne verfügbaren Wissens. Sie stellen als solche noch kein beachtliches Kapital im Sinne des Renommees dar. Sie werden zu einem Kapital dieser Art auch nicht dadurch, daß sie als Bildung angeeignet werden. Angeeignete Bildung ist Humankapital, nicht schon Renommee. Auch Humankapital stellt kapitalisierte Aufmerksamkeit dar, jedoch Aufmerksamkeit, die die zuwendende Person in die (Aus-) Bildung ihrer eigenen Aufmerksamkeit investiert. Das Renommee ist die Kapitalisierungsform der von anderer Seite eingenommenen Aufmerksamkeit. Die überlieferten Werke der Kultur haben Renommee nicht, weil so viel Aufmerksamkeit in ihre Produktion und in die Bildung ihrer Rezipienten geflossen wäre, sondern weil sie so viel Beachtung bereits gefunden haben und immer noch finden. Das Renommee, das Werke der hohen Kultur genießen,
muß keineswegs höher sein als das von Schöpfungen der populären. Der kennzeichnende Unterschied liegt im Zeitprofil der Entstehung des Renommees. Dieses Profil ist im populären Fach charakteristisch flacher. Weil die zeitliche Tiefendimension weniger entwickelt ist, zählt im populären Fach der Publikumserfolg ohne Wenn und Aber. Hier gibt keine Kaste von Kulturpäpsten und Hohenpriestern den Ton an, die ihre Weihe von Vorgängern empfangen haben, die ihrerseits von Vorgängern gesegnet waren usw. Die populäre Kultur ist gerade nicht nur im historischen Alter ihrer Existenz, sondern auch in diesem spezifischen Sinne des Alters ihrer Beachtlichkeit jung. Dieser spezifische Altersunterschied und keine ungleich höhere Qualität unterscheidet das hohe Fach vom populären. Auch dann, wenn die Klassizität der hohen Kultur eine Qualität aus eigenem Recht darstellen sollte, zählt sie nur als anerkannte. Die Kraft, die hinter der Weihe der Hohenpriester steckt, ist keine höhere Macht, sondern letztlich nur wiederum die Zahlungsbereitschaft des Publikums. Dieses macht nun aber einen Unterschied zwischen altem und neuem Reichtum. Es räumt dem alten einen Vorrang ein. Es läßt zwar mit sich reden, es hört nicht nur auf die Hohenpriester. Der Markt aber fordert einen Ausgleich. Er fordert einen Zuschlag im quantitativen Umfang, wenn der neue Reichtum so viel gelten soll wie der alte. Dieser Zuschlag hat die klassische Form eines Verzinsungsfaktors. Verzinsung ist Umrechnung von Alter in Menge und umgekehrt. Der Ausgleich kommt zustande, ohne daß ihn jemand festsetzen oder bewußt manipulieren würde. Der Zins hat seinerseits die klassische Form eines Marktpreises. Es ist ein Marktzins, um den die früher eingenommene Beachtung mehr zählt als die aktuelle. Der Anteil an verzinster Beachtlichkeit in der maßgeblichen Beachtung ist der kontinuierliche Faktor, der den Unterschied zwi-
schen populärer und hoher Kultur macht. Weil sie von diesem immateriellen Zinsguthaben zehren, müssen sich die Kulturpäpste, die ihre Autorität im Volk nicht verspielen wollen, bei kommerziellen Verlockungen zurückhalten. Sie dürfen sich zumindest nicht ertappen lassen, wenn sie Dinge für geldwerte Gegenleistungen in den Tempel schleusen. Sie müssen das Bemerkenswerte hochhalten und dürfen sich nicht zu tief dem Gefälligen neigen. Dies nicht, weil das Volk das Gefällige verachten würde, sondern weil es etwas hochgehalten sehen möchte, wofür die Anstrengung des Lesens, Hörens, Begreifens lohnt. Man will wissen, was die Eingeweihten ohne Nebengedanken respektieren. Man will es wissen auch und gerade, wenn das eigene Verständnis noch nicht soweit ist. Wehe also den Gurus, wenn sie sich allzu offensichtlich für Silberlinge beugen. Sie desavouieren damit nicht nur sich selbst, sondern auch die Sache. Deshalb passen die Leute auch innerhalb der Zunft so scharf aufeinander auf. Deshalb ist die Konkurrenz der Fachleute untereinander unabdingbar für das Funktionieren des Kulturbetriebs. Deshalb ist es nun umgekehrt aber auch wieder natürlich, daß die kommerziellen Interessen zum populären Fach leichteren Zugang haben. Die größere Rolle des Geldes ist selber eine Folge der kleineren des Alters der Beachtlichkeit. Wo nur der momentane Publikumserfolg zählt, lassen sich die kommerziellen Interessen sowohl leichter einbauen wie auch leichter einspannen. Für das Geschäft der Massenattraktion braucht man kreative Geister, die ihr Talent für Geld einbringen. Über Generationen gepflegter Feinsinn würde hier mehr stören als nützen. Also ist die größere Nähe der populären Kultur zum Geld kein zusätzliches Unterscheidungskriterium, sondern eines, das im zeitlichen eingeschlossen ist.
Aura und Idol Ist es nun aber speziell das Alter des beachtlichen Kapitals, das die Sparten trennt? Ist es nicht einfach das Gewicht der Tradition, das den Unterschied macht? Tatsächlich könnte sich dem Blick auf das Alter des Kapitals dieser Eindruck aufdrängen. Es sind ja das beachtliche und das geistige Kapital gleichermaßen, die im hohen Fach spezifisch älter sind als im populären. Wozu also die Differenzierung zwischen beachtlichem und geistigem Kapital? Der Grund ist einfach. Wenn es nur das summarische Gewicht der Tradition wäre, das die Sparten scheidet, dann müßte ein Museum für Avantgarde-Kunst dem populären Fach zugerechnet werden. Die Avantgarde war die entschiedenste Abkehr von der Tradition. Avantgardistisch ist aber fast gleichlautend unpopulär. Es ist sogar ihre Traditionsfeindlichkeit, die für die anhaltende Unpopularität der Avantgarde-Kunst sorgt. An ihr zeigt sich, daß das summarische Gewicht der Tradition nicht hinreicht, um den Unterschied zwischen hoher und populärer Kultur zu erklären. Es ist nun aber das Kennzeichen des Avantgardismus, daß er das geistige Kapital der Überlieferung schmäht, die Beachtung hingegen, die alten Reichtum an Beachtung verkörpert, sucht. Er spricht zum heikelsten Kunstverstand, reagiert am empfindlichsten auf Inflationierungserscheinungen. Er verschmäht das Alte nicht als Hergebrachtes, sondern als Verbrauchtes. Er reagiert am schärfsten auf die Trivialisierung, die das Massengeschäft zwangsläufig betreibt. Er stellt die Art und Weise dar, wie der Kulturbetrieb alten Stils auf das Entstehen der Massenmedien reagiert. Wenn seine Zeit inzwischen vorüber ist, dann nicht, weil der trivialisierende Effekt des Mas-
sengeschäfts nachließe, sondern weil das Entlarven der Trivialisierung selbst inflationär geworden ist. Die hohe Kultur ist nicht die altehrwürdige, sondern die mit dem höheren Anteil an Beachtlichkeit in der Beachtung, die ihr zuteil wird. Auch ihre Affinität zum Klassischen liegt nicht am höheren Durchschnittsalter ihres geistigen Kapitals. Klassisch ist nicht das Altere als solches, klassisch wird das in die Jahre Gekommene, das der Trivialisierung widersteht, obwohl es sich auf breiter Front durchgesetzt hat. Klassisch wird, was sich trotz des schwindenden Seltenheitswerts hält. Es ist seine Widerstandskraft gegen die Inflationierung, die das Klassische vom Originellen unterscheidet. Deshalb sind die Erscheinungsformen des Klassischen auch keineswegs auf das hohe Fach beschränkt. Die Evergreens aller Sparten haben etwas Klassisches. Aber sie haben das Klassische genau deswegen, weil man sich an ihnen nicht so leicht satt liest, sieht, hört. Auf diesem indirekten Weg hat das Klassische nun doch mit dem Altehrwürdigen zu tun. Daß man es immer wieder lesen, sehen, hören kann, ist die eine Seite. Die andere ist die, daß es immer wieder gelesen, gesehen, gehört wird. Es findet Beachtung, und die Beachtung, die es findet, wird registriert. Es wird beachtlich auf seine Weise. Es wird eben auch beachtet, weil es noch immer so viel Beachtung findet. So nimmt das geistige Kapital auch seinerseits die Kapitalform der Beachtlichkeit an. Und diese hybride Attraktivität hat nun beim Kunstwerk einen besonderen Namen. Sie wird die Aura des Kunstwerks genannt. Das auratische Kunstwerk erstrahlt im Glanz, das ihm das Wissen um all die Beachtung verleiht, die es schon auf sich gezogen hat. Als Aura des Kunstwerks verehren wir die Anziehungskraft, die es auf die Aufmerksamkeit all der anderen Menschen ausübt – und zwar da-
durch ausübt, daß wir alle zusammen um die tatsächlich von unzähligen Seiten dargebrachte Aufmerksamkeit wissen. Warum nehmen nur Kunstwerke diese Aura an? Warum wird wissenschaftliches Kapital nicht auratisch? Einer der Gründe ist, daß wissenschaftliche Theorien eine spezifisch begrenzte Lebensdauer haben. Sie werden als Stand des Wissens, das sie verkörpern, nicht alt. Ihre Halbwertszeit ist kurz und wird immer kürzer. Nicht durch Trivialisierung, sondern ganz einfach durch den Erkenntnisfortschritt wird das geistige Kapital in der Wissenschaft entwertet. Es gibt alte – und es gibt auch altehrwürdige – Theorien. Sie repräsentieren in aller Regel aber schon länger nicht mehr den Stand des Wissens. Sie finden didaktische, pädagogische und historiographische Beachtung. Dabei zählen auch ästhetische Qualitäten wie Eleganz und Geschlossenheit. Allerdings sind diese Qualitäten aus der Sicht des Erkenntnisfortschritts sekundär. Sekundäre Qualitäten setzen keine Aura an. Der wohl wichtigere Grund dafür, daß Theorien keine Aura ansetzen, liegt nun aber in ihrem Nutzwert. Theorien werden aus anderen Gründen als dem interesselosen Wohlgefallen beachtet. Nur die in interesselosem Wohlgefallen hingegebene Beachtung hat die Kraft der Weihe. Es ist wie bei der Aufmerksamkeit, die wir persönlich einnehmen. Nur jene hat höheren Wert, die dem Gefallen an unserer Person entspringt. Die Beachtung, die uns aus sachlichen Gründen oder aus Zwecken zuteil wird, die uns nur mittelbar betreffen, wertet nicht auf. Weil das Kunstwerk als solches keinen anderen Zwecken dient, kann seine Attraktivität auratische Qualität annehmen. Daß die auratische Qualität diese Machart hat, mußte für die Macher im großen Geschäft mit der Attraktivität zur Herausforderung werden. Wer Massen auf die Beine brin-
gen will, kann kaum umhin, auf Mittel und Wege zum Beschwören der magischen Kraft des Wissens um die allgemeine Aufmerksamkeit zu sinnen. Es wäre doch zu dumm, wenn nur das Warten aufs Gelingen eines autonomen Kunstwerks bliebe. Immerhin klappt der Trick ja bei der Produktion der Prominenz. Wäre es nicht gelacht, wenn die geballte Kraft der kulturindustriellen Produktionsmittel es nicht auch im künstlerischen Fach vermöchte, die Prophezeiung, daß alle schauen, in die Selbsterfüllung zu treiben? – Tatsächlich, der Kraftakt gelingt. Es gibt die gezielte Produktion des Glanzes, der im Wissen um seine Unwiderstehlichkeit erstrahlt. Es ist der Glanz des Stars, es ist die Machart des Idols. Der Star ist das verkörperte Versprechen, daß aller Augen auf ihn gerichtet sind. Sein Glanz ist derjenige, in den das Wissen, daß alle schauen, taucht. Er ist keine Eigenschaft der Person, sondern wird von der Gemeinde der Schauenden verliehen. Es ist aber ein Glanz, dem sonst nichts Irdisches gleicht. Er verklärt im buchstäblichen Sinne. Er entrückt, macht zum Idol. Er ist das höchste Gut des Kultes um die Attraktivität der Person. Und er ist gleichwohl eine technische Errungenschaft der mediatisierten Präsentation. Ein Star erstrahlt im Glanz von sehr viel mehr Aufmerksamkeit, als über die Straße oder aus dem Saal bezogen werden könnte. Er strahlt im Glanz der Aufmerksamkeit, die eine Unzahl technischer Reproduktionen auf sich zieht. Erst die Techniken der Reproduktion lassen ihn überall aufgehen. Nicht umsonst ist die Urform und der Inbegriff des Stars der Filmstar. Das Kino war das erste Medium, das die zeitliche Ausführlichkeit attrahierender Darstellung mit der räumlich globalen Präsenz verbunden hat. Mit Schallplatte und Radio rückte der Popstar dem Filmstar auf die Fersen. Inzwischen sind die Models vom Laufsteg nachgerückt.
Die kulturindustrielle Erfindung des Stars war ein derart schlagender Erfolg, daß sie alsbald auch in der hohen Kultur Nachahmung fand. Inzwischen müssen auch Operndiven, Klaviervirtuosen, Erfolgsautoren und Kometen der Kunstszene nach dem Muster des Stars aufgebaut werden. Alles, was im Veranstaltungs-, Verlags- und Ausstellungswesen auch alten Stils groß herauskommen soll, muß durch massenmediale Großoffensiven in den Starhimmel geschossen werden. Das Starwesen wird sogar zum Genre der hohen Kultur. Ganz konsequent steht am Ende der Pop Art der bildende Künstler als Popstar.
Die Kultur der Attraktivität Mit der Geburt des Stars war ein neues Zeitalter angebrochen: das Zeitalter der Herstellung persönlicher Attraktivität im industriellen Maßstab. Die Kultur als Ganzes stellte sich um. Kultureller Konsum ersetzte die Pflege von Tradition und Brauchtum. Die Volkskunst starb, die Medien der technisch reproduzierbaren Kultur wurden populär. Kultureller Konsum meint nun aber mehr als nur den Kauf reproduzierter Kultur. Kultureller Konsum meint auch, daß man mit Aufmerksamkeit für industriell hergestellte Ware bezahlt. Der Starkult baut auf eine ausgetüftelte Ökonomie des Nehmens und Gebens. Erste Bedingung seiner Möglichkeit ist ein funktionierendes Sammelsystem für die zur Herstellung der Aura unabdingbare Aufmerksamkeit. Stars sind nicht nur fürs, sondern auch vom großen Publikum gemacht. Das große Publikum spendet aber Aufmerksamkeit nur, wenn es geboten bekommt, was es sehen und hören will. Herauszufinden, was das große Publikum erleben will, ist alles andere als einfach. Es fordert systemati-
sche Anstrengung, großen Einfallsreichtum und hohe Kreativität. Es müssen die verbreitetsten der geheimen Herzenswünsche erraten, es müssen Kandidaten ermittelt und aufgebaut werden, die das Versprechen glaubhaft verkörpern, einmal im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen. Der Aufwand, der hier getrieben werden muß, beschäftigt eine – zu Recht denn auch so genannte – Industrie. Selbstverständlich gibt es hier Erfolgsrezepte. Was das Publikum auch und gerade im Zeitalter des Starkults interessiert, ist zunächst einmal die Attraktivität der eigenen Person. Stars werden nicht – jedenfalls nicht nur – angehimmelt, weil die Leute Lust am Anhimmeln hätten, sondern weil sie sehen und lernen möchten, wie man es macht, zu glänzen. Idole werden nicht aus Versehen zu Vorbildern. Sie werden Vorbilder, indem sie vormachen, wie man die Blicke auf sich zieht. Es ist naiv zu glauben, die populäre Kultur sei bloß Unterhaltung. Ihr Publikum will sehr wohl gebildet werden – nur eben nicht im Sinne der alten Bildungskultur. Man will auf direktem Weg mitbekommen, wie man es macht, mit der eigenen Person groß oder eben etwas größer – herauszukommen. Nur dann, wenn sie den Wunschtraum der vielen nach mehr eigenem Glanz bedienen, können die Stars im populären Fach glänzen. Deshalb sind sie nicht unter anderem, sondern wesentlich und in jedem Fall taste leaders. Ein Star, der nicht vormacht, wie man sich gibt und aufmacht, womit man sich umgibt und in Szene setzt, was man anhat und draufhat, kann keiner werden. Als taste leaders sind sie die Volkserzieher in der Kultur der Auffälligkeit. Weil zum aufsehenerregenden Auftritt stets die richtige Aufmachung gehört, bezieht sich tasteleadership immer auch auf den Konsum an Mitteln zur Selbstdarstellung. Die Anleitung zur Arbeit an der eigenen Attraktivität besteht vor
allem anderen in der Unterweisung zur Anschaffung der Dinge, mit denen man sich umgibt, herrichtet und anzieht. Wenn sich der Kreis zwischen dem Starkult und dem Kult um die Attraktivität der eigenen Person schließt, dann hat sich auch der Kreis zwischen Massenkultur und ostentativem Konsum geschlossen. Wir haben dann nicht nur mit einer geschlossenen Alltagskultur der Attraktivität, sondern auch damit zu tun, daß jenes neue Unternehmertum des Selbstwerts zu der stilbildenden Kraft geworden ist, die den verschiedenen Sparten der Kultur und der pluralistischen Richtungsvielfalt innerhalb der Sparten einen einheitlichen Zeitstil aufdrückt. Der permanente Kampf um die Aufmerksamkeit hat filternde, ja direkt gestaltende Kraft. Er macht allem das Leben schwer, was nicht das richtige Image hat. Nicht nur, was zum Anschauen und Herzeigen gemacht ist, alles, was produziert und verkauft werden soll, muß sich in der künstlich entfachten Reizflut halten. Die Flut steigt um so höher, je mehr Dinge auftauchen, die sich darin halten. Sie besteht schließlich in nichts anderem als Dingen, die erfolgreich nach Aufmerksamkeit haschen. So hat sie eine gleichsam natürliche Tendenz, sich selbst zu verstärken. Je höher indessen die Flut steigt, um so stärker müssen die Dinge einander überschreien. Es ist wie im Bierzelt. Wenn alle schon laut reden, muß man auch selber brüllen, um noch gehört zu werden. Diese Tendenz zur Selbstverstärkung der Reizflut prägt unseren Zeitstil nicht minder, als es einst Brauchtum, Herrscherwunsch und der Kanon des Gottgeweihten taten. Sie verfügt, daß nur mehr mitreden kann, was gegen das Getöse ankommt. Sie begünstigt eine auftrumpfende Ephemerität und verfügt eine immer weiter fortschreitende Verkürzung der Halbwertszeit des noch Aktuellen. Sie bedeutet zwar nicht, daß nur mehr ankommt, was sich
aufführt. Sie hat aber bereits zur Folge, daß wir in einer Umgebung leben, die uns einerseits nicht in Ruhe läßt, die wir andererseits aber immer schon bald nicht mehr sehen können. Sie unterstützt als Stilmittel am Ende auch noch die Ruhe, die ausdrücklich gelassen wird. Dieses Stilmittel ist aber eines der ausnehmenden Weise. Der Hauptstrom ist das immer Neue, immer noch Aufregendere, immer noch näher am Rand zur Nerverei Tanzende. Ein Zeitstil, den der Kampf um die Aufmerksamkeit derart formt, muß ein inniges Verhältnis zur Erotik haben. Neben dem Neuen zählen nun einmal die Formen des anderen oder, je nach dem, eigenen – Geschlechts zu den stärksten Blickfängen. Deshalb, und keineswegs nur, weil es die Chancen von Liebesabenteuern steigert, ist es so prima, sexy zu sein. Der Kult um die Attraktivität der eigenen Person kann nicht umhin, diesen Reiz zu kultivieren. Er kennt kein schöneres Lebensgefühl als das des wandelnden Blickfangs. Konsequent, wie sie betrieben wird, macht die Stilisierung der körperlichen Attraktivität beim Anziehen und Ausstaffieren nicht halt. Der Körper selber wird geformt und gestylt. Nicht nur werden Fitneßcenter und Solarium zu üblichen Bildungsstätten gesunden Aussehens, auch das Bodybuilding und spätere Lifting werden immer üblicher für beiderlei Geschlecht. Das Ideal des jugendlichen Aussehens geht über die unverbrauchte Frische und sportliche Figur hinaus. Es ist auch und zuerst ein Ideal erotischer Attraktivität. Der Körper soll nicht nur zeigen, wie tüchtig er im sportlichen, sondern auch wie leistungsfähig er im aufreizenden Sinne ist. Was dahintersteckt, ist gerade mehr als nur Gesundheitsvorsorge und Körperertüchtigung. Ziel ist ein Körperideal, wie es die Medien pausenlos vorführen, weil es sich im Kampf um die Aufmerksamkeit des großen Publikums bewährt.
Attraktivität als Realitätsprinzip Das Angebot der Medien wächst und wächst. Was mit diesem Wachstum zunimmt, ist mehr als der Beitrag der publikumsorientierten Branchen zum Sozialprodukt und ihr Umsatz an Aufmerksamkeit. Die Expansion betrifft die zur Attraktion von Aufmerksamkeit eigens herausgegebene Seite der Wirklichkeit. Es ist nicht mehr auszuschließen, daß die aus Blättern und Bildschirmen gezogene Wirklichkeit die unvermittelt angeschaute schon dominiert. Ein maßgeblicher Teil der sozial wahrgenommenen Wirklichkeit ist im höchsten Maße synthetisch, nämlich für den Einsatz im Kampf um Beachtung eigens hergestellt. Diese Machart wird weder verleugnet noch verdrängt. Die Leute wissen um den präformierten und fiktiv durchsetzten Teil dessen, was ihnen die Medien vorsetzen. Es ist nur naiv zu glauben, Fakt und Fiktion seien so einfach voneinander zu scheiden. Wirklich ist für uns aufmerksame Wesen, was unsere Aufmerksamkeit bei sich hält. Das heißt nicht, daß wirklich für uns alles ist, was wir uns vorstellen und woran wir denken. Wir sind sehr wohl in der Lage, zwischen Wahrnehmung, Erinnerung und Vorstellung zu unterscheiden. Wir sind nur nicht so leicht in der Lage, die Erinnerung als wirkliches Geschehen und die Vorstellung als reale Macht abzustellen. Jeder Verliebte weiß um die Eigenmächtigkeit des Vorstellungsgeschehens, jeder Eifersüchtige um die Unentrinnbarkeit von Erinnerungsbildern. Diese phänomenale Schicht ist es, worin die mediale Jagd nach Aufmerksamkeit wildert. Es gibt nichts Wirklicheres als Bilder, die nicht mehr aus dem Sinn gehen. Nichts hat größere Macht über uns als das, was aufmerksame Zuwendung erzwingt. Alles, worauf wir unwillkürlich achten, hat unwillkürlich Wirkung
auf uns. Und alles, was unsere Aufmerksamkeit reizt, ist in einem höheren Grade wirklich als der Hintergrund. Wohl ist da wenig in den Medien, was nicht mehr aus dem Sinn ginge. Zum Glück herrscht auch kein Zwang zur Beachtung. Es gibt aber genügend, was anzieht, was der Bequemlichkeit entgegenkommt, was nebenbei so leicht mitzunehmen ist. Und alles, in dem sich die Aufmerksamkeit verfängt, ist zunächst einmal im subjektiven Sinne wirklich. Der Zwang, ein großes Publikum anzusprechen, ja gar ein ganzes Fernsehvolk am Schirm zu halten, prägt und formt. Alles, was in den Medien erscheint, muß durch einen hoch professionellen Formungs- und hochselektiven Prüfungsprozeß hindurch. Mit diesem Prozeß entsteht eine neue Machart der Realität, durchaus vergleichbar derjenigen die einst mit den Fabriken entstanden war. Gewiß, der neue Prozeß produziert nur Schein. Aber Schein und Substanz unterscheiden sich nicht darin, daß man letztere anfassen kann. Wir haben uns durch lange Gewohnheit darauf eingelassen, die haptisch feste, im allgemein wahrnehmbaren Sinn öffentliche Welt als die eigentliche Wirklichkeit anzusehen, die Welt der übertragenen Bilder und publizierten Ansichten hingegen als phantomhafte Scheinwelt. Wir übersehen zu oft, daß nicht das die unmittelbare Wirklichkeit ist, was wir als Ansammlung von faßlich festen Dingen wahrnehmen, sondern das, was die Aufmerksamkeit aus den Reizen macht, die unsere Empfindsamkeit anregen. Alles, was jenseits dieser elementaren Schicht der Merksamkeit zutage kommt, ist immer schon ausgewählt und unter Zutun geformt. Diese Auswahl und dieses Zutun gelten als subjektiver Anteil an der Wirklichkeitskonstitution. Sie verlieren spätestens dann aber ihren bloß subjektiven Charakter, wenn Attraktivität gezielt, mit hohem technischem Einsatz und
professionellem Können hergestellt wird. Die gezielte Herstellung von Attraktivität läßt es nicht beim Herrichten dessen, was dann die Reize wieder als äußeren Gegenstand erscheinen lassen. Sie setzt an unserer Empfindsamkeit und an den Wunschvorstellungen direkt an, die die Zuwendung und Fokussierung unserer Aufmerksamkeit lenken. Sie präsentieren nicht nur die Objekte der Begierden, sie laden die Bilder selber mit Attraktivität auf. Sie stellen eine Art Hyperrealismus für die Stielaugen her. Dieser Hyperrealismus der Darstellung kann Mängel der Wiedergabe des Originals nicht nur kompensieren, sondern auch überkompensieren. Er kann überkompensieren in dem Sinne, daß es der Replik gelingt, mehr Aufmerksamkeit aus dem Betrachter herauszuholen, als es dem Original gelänge. Je mehr Aufmerksamkeit die Bilder nun aber erobern, desto wirklicher werden sie im subjektiven Sinn. Der subjektive Eindruck wird soziologisch objektiv, sobald er sich in beträchtlichen Anzahlen von Subjekten manifestiert und zwischen diesen kommuniziert wird. Daß es gelingt, ihn bei sehr vielen Menschen zu erzeugen, ist Bedingung der Möglichkeit seiner Produktion. Die Aufladung der Bilder mit Attraktivität ist aufwendig und teuer. Nur Medien, die zugleich für seine massenhafte Verbreitung sorgen, lassen an die reguläre Herstellung des Eindrucks denken. Medienästhetik Der verbindliche Stil unserer Epoche ist die Medienästhetik. Mit Medienästhetik ist allerdings nicht gemeint, daß die Präsentationstechnik so wichtig wäre. Es kommt nicht darauf an, ob Bildschirme, Cibachrom, Beamer oder Laser zum Einsatz kommen. Die Präsentationstechniken zählen
nur insofern, als sie dem Präsentierten einen immer noch technischen Einschlag verpassen. Dieser technische Einschlag ist aber eher ein Mangel, der durch die technische Entwicklung denn auch Schritt um Schritt zurückgedrängt wird. Medienästhetik meint etwas ganz anderes als die Ästhetik, die von den Verbreitungstechniken ausgeht. Medienästhetik ist die Ästhetik der hochleistenden Attraktion. Der verbindliche Stil unserer Epoche ist eine Medienästhetik, weil alles, was öffentliche Geltung gewinnen will, entweder durch die Medien hindurch muß oder in der Konkurrenz mit der Attraktionskraft der Medien bestehen muß. Die Ästhetik, die der organisierte Kampf um die Aufmerksamkeit eines tendenziell weltweiten Publikums hervorbringt, ist weniger ein Kunst- als ein Überlebensstil. Er ist vergleichbar mit dem, der zum Beispiel der militärischen Ausrüstung ein spezifisches Aussehen verpaßt. Ganz unterschiedliche Gegenstände dienen dort sichtbar dem einen Zweck. Dieser Zweck drückt dem Arsenal seinen Stil auf. Den Stil unserer Zeit prägt nicht das Stahl-, sondern das Blitzlichtgewitter. Und es ist keineswegs nur die von den Medien selber präsentierte Kultur, die da geformt, geschliffen und fit gemacht wird. Zu den Dingen, die im Windkanal der medial entfachten Reizflut Gestalt und Aussehen annehmen, gehören auch Kleider, Autos, Architektur. Kleidung war schon immer mehr als nur Verhüllung und Warmhaltepackung. Sie symbolisiert seit je die gesellschaftliche Stellung der Person. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß Kleidung so eng mit Mode assoziiert wird. Mode ist die Gesamtveranstaltung der Nutzung von Neuigkeitswert zur Steigerung persönlicher Attraktivität. Damit die Kleidung hohes Einkommen und hohen Status signalisiert, muß sie auch modisch auf der Höhe sein. Nur ausgesprochen hoher Seltenheitswert kann von den Anfor-
derungen des modisch Aktuellen entheben. Umgekehrt hat Neuigkeit immer auch Seltenheitswert. Nur was selten ist, kann überraschen. Worauf es letztlich aber ankommt, ist das Aufsehen, das die Kleidung erregt, und die Einschätzung der Person, die sie bewirkt. Dieser Wirkung gilt die Stilisierung, von ihr geht der Zwang zur Entscheidung für einen bestimmten Stil aus. Ihretwegen ist der Konnex zwischen Mode, Werbung und Medienpräsenz so eng. Weil die Lenkung der Aufmerksamkeit ihr Sinn und Zweck ist, wachsen der Kleidungsmode durch den mediatisierten Kampf um die Aufmerksamkeit denn auch neue Formen der Symbolisierung zu. Ein Symbolismus, der durch die Medien erst so recht zum Zug kommt, ist der der Marken. Eine Marke symbolisiert etwas über Sitz, Aussehen und Preisklasse hinaus. Sie symbolisiert das Image. Die Marke gründet, wenn sie ankommt, eine Art Club. Durch die Wahl der richtigen Marken kann man gesellschaftliche Stellung auch nach dem Verschwinden der verbürgten Herkunftszeichen noch recht genau symbolisieren. Insofern ist es kein Wunder, daß Marken zum Fetisch werden. Bemerkenswert ist jedoch die Art und Weise, auf die es gelingt, Marken mit der Kraft von Fetischen zu begaben. Marken werden zu Fetischen, indem Hersteller – als juristische Personen – zu Stars aufgebaut werden. Wie können nun aber abstrakte Personen zu Fetischen aufgebaut werden? Das Geheimnis liegt in der Leistungsfähigkeit der massenmedialen Technologien zur Herstellung von Attraktivität. Um sich den rechten Begriff von dieser Leistungsfähigkeit zu machen, muß man sehen, daß es mit ihrer Hilfe sogar möglich ist, Firmenlogos eine Art Aura zu verpassen. Der Effekt ist, daß die Leute nicht nur die Kleider und Accessoires mit den richtigen Labels kaufen, sondern wie Werbeträger die Logos selber zur Schau tragen. Wie einst Helmbusch und
Wappen, so werden nun die Embleme der Nobelmarken vorgeführt. Das mag auf den ersten Blick schier unglaublich und geradezu komisch erscheinen. Beim näheren Hinsehen erscheint die Art aber ganz schlüssig, wie hier das einstige Luxusgefühl des wandelnden Blickfangs sozialisiert wird. Wie die Kleider, so wurden auch die Kutschen immer schon nach Attraktivität ausgewählt. Mit dem Wagen, mit dem man vorfährt, läßt sich auch trefflich Aufmerksamkeit einfahren. Es war mit Sicherheit nicht nur die Lust an der Mobilität, die dem Siegeszug des Automobils seine ungeheueren Ausmaße bescherte. Auch und gerade die Automarke symbolisiert die Zugehörigkeit zu einem Club. Nicht von ungefähr waren es Automobilmarken, die zu den ersten Ikonen des Markenfetischismus wurden. Allerdings ist die Automobilmarke nun gerade nicht nur als Logo ein Fetisch. Das ganze Auto wird zum Fetisch, sobald es verspricht, die richtigen Leute schauen zu machen. Das Auto bedurfte der Medien nicht, um groß herauszukommen. Das Design von Autos ist aber das Paradebeispiel dafür, wie Dinge aussehen müssen, damit sie im Reizklima des entfesselten Blickfangs gedeihen. Ganz direkt bekommt die Architektur zu spüren, was Medienästhetik eigentlich heißt. Die Architektur unterscheidet vom gewöhnlichen Bauen, daß ihre bauliche Manifestation ein Monument ihres Erbauers ist. Wie Künstler und Gelehrte, so arbeiten auch Architekten für den Lohn der Beachtung. Die Architektur ist, ob sie will oder nicht, in den öffentlichen Kampf um Beachtung involviert. Es scheint im Rückblick daher ganz folgerecht, daß es die Tauglichkeit für den Kampf um Beachtung war, die die Funktionstauglichkeit als formbildendes Prinzip abgelöst hat. Die pluralistische Vielfalt der nachmodernen Architekturstile hat den gemeinsamen Nenner, daß die Auffäl-
ligkeit wieder kultiviert wird. Wir haben inzwischen eine regelrechte Unterhaltungsarchitektur. Ob neohistoristisch, dekonstruktivistisch oder neomodern, Architektur ist wieder inszeniert. Selbst dort, wo sie sich betont zurückhaltend gibt, wird die Bescheidenheit eigens zelebriert. Mit der geheiligten Schlichtheit der Moderne ist es endgültig vorbei. Die Architektur orientiert sich an den Sehgewohnheiten, die durch die mediatisierte Informationsflut geformt werden. Sie kämpft ganz betont um Beachtung. Lediglich den Beifall von der dezidiert falschen Seite gilt es zu meiden. Ansonsten ist das Spektakuläre durchaus wieder erlaubt. Diese Großzügigkeit geht so weit, daß selbst die Ästhetik der massenmedialen Präsentationstechniken an Gebäudefassaden auftauchen darf. Architekten träumen laut von Medienfassaden, die wie überdimensionale Bildschirme funktionieren. Sprechend sind diese Träume in Hinblick auf die Faszination, die von den Medien ausgeht. Weniger interessant sind sie, was die Auffassung von Medienästhetik betrifft. Interessant ist nicht die Ästhetik, die von den Präsentationstechniken ausgeht, interessant ist die entwickelte Technologie der Attraktion. Den eigentlichen Durchbruch der Medienästhetik signalisiert in der Architektur der Umstand, daß es wichtiger geworden ist, wo die Publikation des Hauses erscheint, als wo es steht. Der »attraktive« Sektor Die Priorität der öffentlich zugänglichen vor den veröffentlichten Ansichten der Wirklichkeit besteht nur solange, wie Unterschiede der Wiedergabe sekundär gegenüber dem grundsätzlichen Unterschied zwischen Bild und Abgebildetem bleiben. Die Reproduktion wird aber konkur-
renzfähig, wenn Wiedergabequalität und Attraktivität gezielt und mit kalkulierbarem Ertrag manipulierbare Parameter werden. Die Replik kann die Wirklichkeit sogar ausstechen, wenn ihre Darstellungstechnik eine spezifisch überhöhte Ladung mit Attraktivität erlaubt. Schon dadurch, daß die massenhafte Attraktion von Aufmerksamkeit eine eigene Industrie beschäftigt, muß die veröffentlichte zu einer soziologisch erheblichen Seite der Wirklichkeit werden. Wenn sich über die industrielle Organisation hinaus auch noch ein Kredit- und Börsenwesen in der Ökonomie der Aufmerksamkeit bildet, wird ein weiterer Effekt soziologisch relevant. Es muß dann alles, was in die veröffentlichte Seite der Wirklichkeit eingehen will, eine bestimmte Mindestprofitabilität im Maß des erregten Aufsehens versprechen. Voraussetzung für das Erscheinen ist, daß eine bestimmte Proportion zwischen der investierten und einzufahrenden Aufmerksamkeit erwartet wird. Die Ermittlung dieser Art Durchschnittsrendite ist nicht die unwichtigste der Funktionen, die den Medien als Börse zukommen. Natürlich ist es schwierig, diesen Durchschnittsgewinn in Zahlen zu belegen. An der Effektivität der Börse und an der allgemeinen Regel ändert diese Schwierigkeit aber nichts. Die Logik ist auch bei unscharfen Mengen in Kraft. Und es ist nun diese Logik, die einem alten metaphysischen Prinzip zu spürbarer Realität verhilft. Es ist das Prinzip esse est percipi: Sein ist Wahrgenommenwerden. Seit den Tagen des Bischofs Berkeley, der es aufgestellt hat, wird dieses Prinzip als Spitze des Idealismus verschrien. Man mag es in der Theorie nun aber noch so scharf kritisieren, inzwischen ist ein Wirtschaftssektor mit seiner Umsetzung in alltägliche Wirklichkeit befaßt. Es ist die Herstellung des Gutes »Öffentlichkeit«, die genau nach Berkeleys Prinzip verfährt.
Der Zwang zur Mindestattraktivität und die geforderte Mindestrendite besagen erstens, daß die medial hergestellte Seite der subjektiven Erlebniswelten auch dann, wenn keine Machtverhältnisse oder persönlichen Einflüsse mitspielen, in doppelter Weise gefiltert ist. Was erscheinen soll, muß nicht nur überhaupt geeignet sein, Aufmerksamkeit in erheblichem Maße auf sich zu ziehen, es muß sich auch in einer brancheneigenen Verwertungskonkurrenz durchsetzen. Die Geschäftslogik der Medien besagt zweitens, daß beträchtliche persönliche Einkommen an Beachtung nur unter der Bedingung zustande kommen, daß auch das Medium als Medium verdient. Es kommt zu einer Verschränkung der persönlichen Einkommenschancen mit den Gewinnchancen des Mediums. Die Logik besagt drittens, daß alles, was öffentliche Erheblichkeit gewinnen will, auf der medial hergestellten Seite der subjektiven Erlebniswelten erscheinen muß. Dieser »attraktive« Sektor (wie er in Anklang zum extraktiven genannt sei) absorbiert und ersetzt die älteren Foren der Öffentlichkeit bis auf museale Reste. Eindrucksvoller Beleg für die Absorptionskraft des attraktiven Sektors ist die Politik. Es ist lange her, daß die Politik in der Öffentlichkeit nur bekanntgegeben wurde. Seit es die Medien im Sinne der Massenmedien gibt, sind sie zu den eigentlichen Foren der Politik geworden. Die Politik bezieht aus den Medien ihre Themen und will in ihnen verkauft sein. Ja mehr noch: Sie wird in den und für die Medien gemacht. Was in den Medien nicht ankommt, hat in der Politik keine Chance mehr. Deshalb haben die Politiker vor nichts so hohen Respekt wie vor den Medien. Deswegen ist mediale Präsenz und Telegenität das A und das O einer politischen Karriere. Deshalb verändern sich politische Debatten schlagartig, sobald Vertreter der Medien anwesend sind.
Auch hinter verschlossenen Türen bleiben die Medien aber mit von der Partie. Die Türen werden verschlossen, wenn es darum geht, wie man etwas – meist eben – Heikles in den Medien verkauft. Es gibt keine Politik mehr an den Medien vorbei. So muß die Politik inzwischen auch insgesamt durch jenen doppelten Filter hindurch. Die Politik muß sich erstens überhaupt für die Präsentation in den Medien eignen und sie muß sich zweitens auch noch eignen, Beachtung für das Medium einzufahren. Die medieninterne Verwertungskonkurrenz betrifft auch die Präsentation von Parteien, Programmen und Sachthemen. Das bedeutet, daß die öffentliche Debatte durch ihren Unterhaltungswert begrenzt ist. Weil von der Präsenz in den Medien schließlich der Kurswert der politischen GoodwillKapitale abhängt, kommt es zu systematisch verschwimmenden Rändern zwischen Politik und Werbung. Wie in der materiellen Ökonomie nichts mehr ohne die Dienste des attraktiven Sektors geht, so auch in der Politik. Die öffentlich überhaupt mobilisierbare Aufmerksamkeit ist professionell umkämpft und umworben. Über die Verwertungskonkurrenz innerhalb der Medien hinaus ist die Selbstdarstellung der Politik daher auch der direkten Konkurrenz mit der Werbung und dem systematischen Anreiz ausgesetzt, sich deren käuflicher Dienste zu bedienen. Ist dieser Anreiz einmal wirksam geworden, dann braucht auch die Politik das richtige Image und Design. An die Stelle der richtigen Ideologie tritt die richtige Aufmachung. Das hat weder mit Opportunismus noch sonstiger Charakterlosigkeit der Politiker zu tun. Es folgt aus den harten Zwängen der Aufmerksamkeitsökonomie. Auch – nein, eben – demokratische Politik kann sich diesen Zwängen nicht entziehen. Wir machen die eigenartige Beobachtung, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit zum Ausgang der Art syste-
matischer Zwänge geworden ist, wie sie einmal ganz den materiellen Produktionsverhältnissen zugeschrieben wurde. So phantomhaft und nebulös sie auf den ersten Blick erscheinen mag, so massiv erweist sich ihre gesellschaftliche Stellung und Funktion bei etwas näherem Zusehen. Die Verhältnisse stehen buchstäblich auf dem Kopf. Sie haben sich ganz von selber in den Kopfstand zurückbegeben, von dem aus Marx einst meinte, sie ein für allemal auf die Beine gestellt zu haben. Nicht mehr das Sein bestimmt das Bewußtsein, sondern das Bewußtsein das Sein. Und nicht nur Kultur und Politik sind von der Ökonomisierung des Bewußtseins unterwandert, sondern auch die materiellen Produktionsverhältnisse selbst.
Sechstes Kapitel
Die Wissenschaft: ein intelligentes Sozialsystem? Die Aufmerksamkeit, die wir anderen Menschen zuwenden, kann auch sachliche Dienste leisten. Als Einkommen begehrt, ist sie als Ressource knapp. In der Ökonomisierung des begehrten Einkommens besteht das Geschäft der Attraktion, in der Ökonomisierung der knappen Ressource besteht die Denk- und Wissensökonomie. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit umfaßt beide Linien der Rationalisierung. Sie unterscheidet, anders formuliert, einen attraktionsökonomischen und einen informationsökonomischen Strang. Beiden Linien der Ökonomisierung gemeinsam ist das Steigerungsprinzip der Kapitalisierung. Der Umfang des Geschäfts der Attraktion wächst mit der Akkumulation eingenommener Aufmerksamkeit und ihrer Kapitalisierung zu Renommee. Die Produktivität geistiger Arbeit wächst mit der Akkumulation sachlich gewidmeter Aufmerksamkeit und ihrer Kapitalisierung zu Wissen. Das Renommee ist es, das dem materiellen Reichtum den Rang streitig macht. Das Wissen ist zum wichtigsten Faktor sowohl der geistigen als auch der materiellen Produktion geworden. Renommee verhält sich zu Wissen, wie sich Finanzkapital zu Sachkapital verhält. Erstere sind akkumulierte Einkommen, letztere bestehen aus produzierten Produktionsmitteln. Erstere sind homogene Größen, letztere sind Ansammlungen heterogener Bestandteile. So unvollständig das Bild des materiellen Kapitalismus ohne den Dualismus von Sachkapital und Finanzkapital wäre, so unvollständig
bliebe das Bild des mentalen Kapitalismus ohne den Dualismus von geistigem Kapital und beachtlichem Kapital. Damit der Zusammenhang von geistigem und beachtlichem Kapital hervortritt, müssen drei Bedingungen erfüllt sein. Erstens muß das Produkt geistiger Arbeit in weitere Stufen geistiger Produktion eingehen, zweitens muß die geistige Produktion um der Beachtung willen geschehen und drittens muß die gefundene Beachtung ihrerseits Beachtung finden. Diese drei Bedingungen sind sowohl beim Zusammenspiel zwischen künstlerischem Schaffen und klassischem Kulturbetrieb als auch bei dem zwischen kulturindustrieller Produktion und massenmedialer Präsentation erfüllt. Das paradigmatische Beispiel für das Ineinandergreifen der Kapitalformen ist nun aber die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist von allen Abteilungen des mentalen Kapitalismus die in sich geschlossenste Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft produziert nicht nur Wissen, sondern verwertet auch die eigene Wissensproduktion; Wissenschaftler arbeiten nicht aus idealistischen, sondern aus Gründen der Karriere für den Lohn der Beachtung; Wissenschaftler wird man nicht, um reich, sondern wenn schon, dann um berühmt zu werden. Die Wissenschaft ist, mit anderen Worten, keine wesentlich gemischte Ökonomie der Aufmerksamkeit und des Gelds. Sie ist in einem viel höheren Maß autonom als die Medien. Sie definiert das Organisationsziel selbst. Niemand außerhalb der Wissensproduktion hat die Kompetenz zu bestimmen, worin der kollektive Erkenntnisfortschritt bestehen soll. Die Wissenschaft kommt, was die Marktform des fachlichen Austauschs betrifft, dem theoretischen Ideal perfekter Konkurrenz nahe. In der Geschichte des materiellen Kapitalismus waren es die Emanzipation der wirtschaftlichen von der politischen Sphäre und die Marktform der freien Konkurrenz, die zur sprichwörtli-
chen Entfesselung der Produktivkräfte führten. Ist es im mentalen Kapitalismus ebenfalls die Abschirmung von heteronomen Interessen und die Veranstaltung scharfer Konkurrenz, die hinter der sprichwörtlichen Wissensexplosion stecken? Geistiges und beachtliches Kapital Sicher ist, daß die herausragende Stellung der Wissenschaft in der nachindustriellen Gesellschaft nicht allein auf der Bedeutung beruht, die das Wissen als Produktionsfaktor gewonnen hat. Sie rührt auch von dem atemberaubenden Erfolg, der speziell den Naturwissenschaften beschieden war. Zur Erklärung der Wachstumsraten, die der autonome Forschungsbetrieb in diesem Jahrhundert verzeichnen konnte, und zur Erklärung des geradezu blinden Vertrauens, das die öffentliche Meinung in die Wissenschaft setzt, reicht es jedenfalls nicht, auf die Nachfrage nach technisch und organisatorisch verwertbarem Wissen zu verweisen. Es muß das interne Erfolgsrezept des hochspezialisierten Forschungsbetriebs hinzukommen. Die besondere gesellschaftliche Stellung der Wissenschaft wird erst klar mit der Klärung, was hinter dem erstaunlichen Wirkungsgrad der arbeitsteilig forschenden Aufmerksamkeit steckt. Ein hoher Wirkungsgrad in selbstorganisierten Bereichen der Produktion und Distribution läßt regelmäßig auf ein zielkonformes System von Anreizen schließen. Die Anreize, die die Wissenschaft zu bieten hat, sind die Befriedigung der Neugier und des Wunschs nach Beachtung. Wenn sie über etwas wie ein inneres Erfolgsrezept verfügt, dann muß es mit der Art zu tun haben, wie sie beide Anreize kombiniert. Den kollektiven Erkenntnisfortschritt
fördert das Kollektiv der Wissenschaftler nicht, wenn alle nur ihrer eigenen Neugier fröhnen. Sie müssen auch motiviert werden, im Sinne der Arbeitsteilung effektiv und möglichst effizient zu forschen. Wie im ersten Kapitel klar wurde, ist es das System der wissenschaftlichen Kommunikation, das hier Erstaunliches leistet. Es reizt an, im Sinne der Mitforscher zu forschen, indem es deren Beachtung als Belohnung nutzt. Die wissenschaftliche Kommunikation kombiniert den Austausch von Information mit dem Austausch von Beachtung. Sie stellt, anders gesagt, einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem informations- und dem attraktionsökonomischen Segment her. Einen ersten Hinweis auf die ganz außergewöhnliche Kraft, die dieser Kontakt hervorbringt, gab die Doppelnutzung der die kollegiale Produktion rezipierenden Aufmerksamkeit. Forscher, die sich mit der kollegialen Arbeit als Informationsquelle beschäftigen, lassen damit zugleich eine Einkommensquelle sprudeln. Die Verwendung der Aufmerksamkeit für die Schöpfung des begehrten Einkommens nimmt ihrer Verwendung als knappes Produktionsmittel nicht nur nichts weg, sondern stellt darüber hinaus noch einen Anreiz zur Höchstleistung in der Informationsproduktion her. Das Berufsziel des Wissenschaftlers ist die möglichst hohe Reputation. Wissenschaftler maximieren nicht einfach die bezogene Beachtung, sie müssen auch darauf achten, daß die Beachtung, die sie finden, bekannt wird. Ihre Karriere hängt von der bekannt gewordenen, zu Reputation kapitalisierten Beachtung ab. Deshalb lautet die Frage nach der Förderung des kollektiven Erkenntnisfortschritts nicht einfach, ob das Einkommen an Beachtung den richtigen Anreiz setzt, sondern, ob die Kapitalisierung des Einkommens zu Reputation die Wissensproduktion auch richtig motiviert.
Bezeichnenderweise legt der erste Blick wieder einmal eine negative Antwort nahe. Es scheint nämlich gerade nicht im Sinne des kollektiven Erkenntnisfortschritts zu sein, daß die Beachtung, die ein Wissenschaftler über die Rezeption seines Werks bezieht, zu Reputation kapitalisiert wird. Die Verzinsung der früheren Beachtung muß nichts mit dem Wert seiner aktuellen Produktion zu tun haben. Wer nur beachtet wird, weil er eben bekannt ist, bezieht ein leistungsfreies Einkommen. Deshalb ist die Aufmerksamkeit, die jemand lediglich seiner Bekanntheit wegen bezieht, seitens der Rezipienten nicht optimal alloziert. Hinzu kommt, daß der Wunsch nach kapitaler Beachtung von sich aus auf Abwege lockt. Reputation hat fließende Übergänge zur Prominenz. Vom Wunsch, nicht nur Reputation, sondern auch noch Prominenz zu gewinnen, gehen die Verlockungen zur Schau für das Publikum aus. Es ist das publikumswirksame Spektakel, das dem Markt der Ideen seine irrationalen Züge verpaßt. Von der Frage, ob die Kapitalisierung des Beachtungseinkommens funktional oder dysfunktional ist, hängt einiges ab. Nur dann nämlich, wenn der Austausch von Information gegen Beachtung die richtigen Anreize auch auf der Ebene der Kapitalformen setzt, wird die sich selbstorganisierende Wissensproduktion mit der Tendenz zur Effizienz arbeiten. Nur wenn die Wissensproduktion mit nachweislicher Tendenz zur Effizienz arbeitet, verdient sie das Vertrauen, das sie in der Gesellschaft genießt, die sich den teuren Betrieb leistet. Und nur wenn die Relation von Input und Output eine erkennbare Tendenz zu ständiger Optimierung aufweist, ist an eine Begründung der ökonomischen Rationalität des Unterfangens Wissenschaft zu denken. Ist die Kapitalisierung der eingenommenen Beachtung zu Reputation also auch auf den zweiten Blick noch dysfunktional?
Um mit dem Schielen nach der Prominenz zu beginnen: Wo Märkte sind, ist immer auch Spiel. Schau und Substanz sind nicht dadurch zu trennen, daß das Spektakel unterdrückt wird. Sie trennen sich ganz von selbst im Lauf der Zeit. Bisher war es noch immer die Substanz, die sich durchgesetzt hat. Zudem sind Schaukämpfe nicht von vornherein kontraproduktiv. Sie sind es nur dort, wo sie den Erkenntnisfortschritt tatsächlich behindern. Es wäre aber gewagt, zu behaupten, der Fortschritt ließe sich durch ihre Unterdrückung beschleunigen. Eher noch läßt sich behaupten, daß ihr Unterhaltungswert produktiv sei. Der Tanz um die wissenschaftliche Prominenz hält das Interesse des allgemeinen Publikums an der Wissenschaft wach. Das allgemeine Publikum zahlt mit seinen Steuern für die Wissenschaft. Deshalb verdient es auch, mit etwas Spektakel bei Laune gehalten zu werden. Noch einmal ganz anders sieht die Leistungsbilanz aus, was die selber informierende Funktion der Reputation betrifft. Zunächst einmal ist die Verteilung der Reputation eine unerläßliche Orientierungshilfe bei systematischem Überangebot an Information. Wer nichts liest, was keinen reputierten Autor hat, der wird zwar so manches Neue verpassen, wird sich aber auch viel Überflüssiges ersparen. Die Reputation des Autors gibt ähnlich wertvolle Hinweise wie die Reputation von Journalen, Schriftenreihen und Verlagen. Noch wichtiger als die Frage nach der Orientierung im Überangebot an Information ist nun aber die, wie der Wert wissenschaftlicher Information gemessen wird. Ohne die Messung ihres Outputs ist es überhaupt müßig, nach der Effizienz der Wissensproduktion zu fragen. Welches Maß könnte an diesen Output also gelegt werden? Der Wert wissenschaftlicher Tatsachen und Theorien besteht in ihrer semantischen und pragmatischen Informati-
on. Für semantische und pragmatische Information steht kein Maß zur Verfügung, wie die Informationstheorie es für syntaktische Information beziehungsweise für bedeutungslose Muster definiert. Niemand weiß, wie semantische, und erst recht, wie pragmatische Information auf syntaktische zu reduzieren wäre. Selbst dann jedoch, wenn diese Reduktion im Grundsatz möglich wäre, bestünde keine Hoffnung, den Informationsgehalt wissenschaftlicher Tatsachen und Theorien im Sinne der Informationstheorie messen zu können. Was die semantische Information betrifft, so verstehen nur Fachleute die Bedeutung wissenschaftlicher Hypothesen, Messungen und Theoreme. Im Falle der pragmatischen Information bemißt sich der Wert des wissenschaftlichen Outputs an seiner Eignung, als Input wieder anderer Produktion zu fungieren. Die pragmatische Information des Outputs der Wissensproduktion hat ihr inhärentes Maß in seiner Produktivität als geistiges Kapital. Für geistiges Kapital gilt wie für sachliches, daß es einen objektiven Wert dann und nur dann hat, wenn es einen Marktpreis hat. Ein Marktpreis ist objektiv in dem Sinn, daß er die in der Gesellschaft vorhandene Zahlungsbereitschaft; mißt. Wie kann der wissenschaftliche Output nun aber einen Marktpreis haben, nachdem er nicht verkauft, sondern publiziert der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird? Aus gutem Grund bezieht sich die freie Verfügung nur auf die Kenntnisnahme. Die effektive Weiterverwendung kostet eine Gebühr. Sie muß nämlich – wiederum öffentlich – bekanntgegeben werden. Die verbindliche Form dieser Bekanntgabe ist das Zitat. Das Zitat ist mehr als eine bloße Formalität. Der Zitierende äußert die Verzichtbereitschaft auf einen Teil der Aufmerksamkeit, die seine eigene Produktion verdient. Er erklärt sich damit einver-
standen, daß der betreffende Teil auf das Konto des Zitierten überwiesen wird. Das Zitat ist die Lizenz, die Überweisung ist das Entgelt für die Verwendung fremden geistigen Eigentums. Wie entsteht geistiges Eigentum an wissenschaftlichen Tatsachen und Theorien? Ganz einfach: durch Publikation. Die Publikation schöpft geistiges Eigentum. Also hat auch die Publikation selber keinesfalls nur informierenden Sinn. Sie hat auch den Sinn der Sicherung von Ansprüchen. Die Publikation sichert den Anspruch auf die Aufmerksamkeit, den die eigene Produktion als Mittel wieder anderer Produktion verdient. Wir haben einen Markt für geistiges Kapital. Wir messen die pragmatische Information des wissenschaftlichen Outputs. Gibt es nun auch ein Zählwerk, das die Häufigkeit, mit der ein Wissenschaftler zitiert wird, registriert und wiederum öffentlich bekannt macht? Ein solches Zählwerk existiert. Es ist der Science Citation Index oder kurz SCI. Im SCI werden die Zitate und Erwähnungen gesammelt, die in einem ausgewählten Kreis von Fachpublikationen vorkommen. Das Konto im SCI ist der konzise Ausdruck für die Produktivität eines Wissenschaftlers. Es mißt den Marktwert seiner Produktion an geistigem Kapital. Es mißt diesen Marktwert nun aber in der Währung des beachtlichen Kapitals. Die Sammlung der Zitate gibt nicht nur Auskunft über die Aufmerksamkeit, die ein Wissenschaftler indirekt einnimmt, sondern mißt auch direkt seine Reputation. Sie belegt, ja begründet seinen Bekanntheitsgrad. Das Konto im SCI ist damit zugleich der konzise Ausdruck für die Reputation eines Wissenschaftlers. Ein Wissenschaftler kann für den kollektiven Erkenntnisfortschritt nichts Besseres tun, als sein Konto im SCI zu füllen. Es gibt kein besseres Maß für seine Produktivität als die Sammlung der Zitate. Also besteht auch nur dann Aussicht auf ein effizientes Arbeiten der sich selbst
organisierenden Wissensproduktion, wenn es zum selbstverständlichen Berufsziel der Wissenschaftler wird, daß sie ihre Reputation maximieren. Der Wunsch nach kollegialer Beachtung reicht für sich genommen noch nicht. Es muß der Wunsch hinzukommen, auch die Kapitalform des Einkommens zu maximieren. Erst die Umsetzung des geistigen Kapitals in beachtliches Kapital unterstellt die individuelle Rationalität zuverlässig der kollektiven Rationalität. Jene negativen Effekte der Kapitalisierung weisen nun allerdings auf Nebenbedingungen der Zuverlässigkeit hin. Die Maximierung des beachtlichen Kapitals wird tatsächlich kontraproduktiv, wenn Beliebtheit beim allgemeinen Publikum wichtiger als die kollegiale Beachtung wird. Auch die Maximierung des Renommees in der Fachwelt wird kontraproduktiv, wenn es für jene zu schwer wird, Beachtung zu finden, die es noch nicht zu Beachtlichkeit gebracht haben. Schließlich gibt die Sammlung der Zitate nicht in jedem Fall zuverlässige Auskunft über die Produktivität eines Wissenschaftlers. Das Zitat sagt wenig, wo die Moral des Zitierens niedrig ist. Es ist als Maß für die pragmatische Information brauchbar nur, wo das Plagiat nicht lohnt und wo keine abgesprochenen Zitationskartelle vermutet werden müssen. Es gibt nun aber ein Mittel, das die Zuverlässigkeit in all diesen Hinsichten absichert: scharfe Konkurrenz. Wo die Konkurrenz den wissenschaftlichen Austausch beherrscht, besteht keine Gefahr, daß die Beliebtheit beim allgemeinen Publikum wichtiger wird als die Reputation unter Kollegen. Wo der Mitbewerb wachsam ist, kann es sich auch niemand leisten, nur die bekannten Kollegen wahrzunehmen. Schließlich ist Wettbewerb das beste Mittel gegen Plagiat und Absprachen. Wo die Konkurrenz wachsam und bissig ist, wird der Diebstahl an geistigem Eigentum
zu riskant. Je größer die Zahl der Mitbewerber ist, um so mühsamer wird es, Zitationskartelle abzusprechen, und um so größer wird der Anreiz für eventuelle Komplizen, sich durch Bloßstellen der Mitverschwörer zu profilieren. Eine ökonomische Theorie der Wissensproduktion? Die Bedeutung, die der Zusammenhang von Wettbewerb und Effizienz annimmt, läßt ahnen, daß wir uns auf dem Weg zu einer regulären ökonomischen Theorie der Wissensproduktion befinden. Die ökonomische Theorie ist in ihrem Element, wo kompetitive Märkte einen klaren Zusammenhang zwischen Produktivität und Belohnung herstellen. Es kommt nicht auf die sachliche Besonderheit des Produkts und nicht auf die Art der Währung an, in der die Belohnung anfällt. Es muß aber ein Produkt sein, das Tauschwert hat, und ein Standard, der die Zahlungsbereitschaft einheitlich mißt. Weil die ökonomische Theorie des fraglichen Markts in der Simulation der individuellen Entscheidungen der Marktteilnehmer besteht, muß es möglich sein, idealisierende Annahmen hinsichtlich der Marktform, der Form der Präferenzordnungen und des Stils der rationalen Entscheidung zu treffen. Die Chancen für eine ökonomische Theorie stehen günstig, wo vollkommene Konkurrenz, intersubjektiv unabhängige Präferenzordnungen und Geschlossenheit der Logik rationaler Entscheidung unterstellt werden können. Was sich im Fall der Wissensproduktion abzeichnet, ist die Haltbarkeit der ersten beiden Prämissen. Die Märkte der Ideen sind tatsächlich hoch kompetitiv. Auf ihnen steht eine sehr große Zahl von Anbietern einer sehr großen Zahl von Abnehmern gegenüber. Die Kapitalakkumulation führt weder beim geistigen noch beim beachtlichen Kapi-
tal zu marktbeherrschenden Positionen. Der Markt für geistiges Kapital ist ein Käufermarkt. Niemand ist in der Lage, das Angebot in manipulativer Weise zu verknappen. Wenn es einmal zu einer Vormachtstellung kommt, ist sie stets heftigen Kräften der Auflösung ausgesetzt. Aber auch beim beachtlichen Kapital fehlt die Möglichkeit, den Wettbewerb zu unterlaufen. Reputation kann man nicht erben. Sie kann nicht über Generationen hinweg akkumuliert werden. Alle, die über beachtliches Kapital verfügen, haben es mit des eigenen Kopfes Arbeit verdient. Deshalb fehlt sowohl die Basis für regelrecht ausbeuterische Verhältnisse als auch das dynastische Moment, das den Wettbewerb im materiellen Kapitalismus so häufig zur Farce macht. Kurz: Der Wettbewerb auf dem Markt der Ideen wird nicht immer die idealtypische Form vollkommener Konkurrenz annehmen, es gibt aber wenige realtypische Märkte, die dem Ideal näher kommen. Sogar die Interdependenz der Präferenzordnungen ist neutralisiert, wo das Berufsziel des Wissenschaftlers auf die Maximierung der Zitatensammlung reduziert ist. Sein Streben gilt dann zwar weiterhin der Einnahme kollegialer Beachtung. Ausgeschaltet ist aber dasjenige Wertmoment an der eingenommenen Aufmerksamkeit, das auf zwischenmenschliche Wertschätzung und auf das Wechselspiel persönlicher Vorlieben zurückgeht. Wissenschaftler, die ihr Konto im SCI maximieren, maximieren ein Quantum, bei dem es auf die besondere Qualität nicht mehr ankommt. Sie maximieren Zitate wie Geschäftsleute den Profit, wie Unternehmer den Wert der Firma, wie Politiker Wählerstimmen maximieren. Der SCI unterscheidet weder nach dem Tenor noch nach dem zustimmenden oder ablehnenden Wortlauf der Zitate. Die Aufmerksamkeit, die der SCI mißt, hat de facto die anonyme Homogenität einer Währung.
Wie steht es aber um die dritte Annahme, um die geschlossene Logik rationaler Entscheidung? Mit der Geschlossenheit einer Logik ist gemeint, daß sie freigehalten ist von Quellen möglicher Inkonsistenz und Unentscheidbarkeit. Die Logik rationaler Entscheidung ist geschlossen, wenn gewährleistet ist, daß die Entscheidung stets kalkulierbar bleibt. Es versteht sich, daß diese Annahme nicht so leicht aufgegeben werden kann, wenn die Entscheidung theoretisch simuliert werden soll. Ein Modell des Zusammenspiels vorteilsuchender Individuen bricht rasch zusammen, wenn deren Entscheidungsfunktionen Inkonsistenzen und Unentscheidbarkeiten bergen. Allerdings hat sich nun im zweiten Kapitel gezeigt, daß die ökonomische Rationalität der Entscheidung nicht zu schließen ist, wenn die Entscheidung selber noch knappe Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Daß die Aufmerksamkeit knapp ist, heißt, daß ihre Verwendung zwangsläufig selektiv ist. Auf etwas Bestimmtes zu achten, heißt dann immer, etwas anderes, das gleichfalls erheblich sein könnte, außer acht zu lassen. Die rationale Entscheidung setzt die immer schon rationale Vorentscheidung darüber voraus, worauf geachtet wird. Diese Voraussetzung führt in einen unendlichen Regreß. Dessen Unabschließbarkeit bedeutet, daß die Rationalität der Entscheidung dort nicht zu schließen ist, wo die Entscheidung selbst knappe Ressourcen verbraucht. Spielt diese Unabschließbarkeit eine Rolle in der Entscheidung, wie Wissenschaftler ihre Aufmerksamkeit verwenden? Die Knappheit der Aufmerksamkeit spielt zweifellos eine Rolle, wo es gilt, sich im Überangebot der Information zurechtzufinden. Wie der Konsument im Überangebot der Waren, so ist der rezipierende Wissenschaftler im Überangebot der Publikationen zu einer gewissen Oberflächlichkeit verdammt und auf ein »Händ-
chen« bei der intuitiven Vorauswahl angewiesen. Weil diese Vorauswahl nicht immer selber schon rational sein kann, ist hier die Stelle, wo die Strategien des Marketing und des suggestiven Verkaufens greifen. Spielt die offene Stelle der ökonomischen Rationalität nun aber auch in der originären Forschung eine Rolle? Gehört es nicht vielmehr zum Metier des Wissenschaftlers, die Ergebnisse der eigenen Arbeit erst nach langem Durchdenken und wiederholter selbstkritischer Prüfung unter die Leute zu bringen? Ist die Nachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidungen nicht sogar die allererste Voraussetzung für die theoretische Rationalität wissenschaftlicher Produktion? Über die Relevanz oder Irrelevanz der offenen Stelle in der Logik rationaler Entscheidung läßt sich nur vom kombinierten Effekt der methodischen Annahmen her befinden. Machen wir also die Probe. Nehmen wir an, daß alle drei Annahmen erfüllt seien. Was folgt, wenn Wissenschaftler auf einem Markt mit vollkommener Konkurrenz miteinander kommunizieren, wenn Interdependenzen zwischen subjektiven Präferenzen für ihr Verhalten tatsächlich keine Rolle spielen, und wenn sie von sich aus darauf achten, keine unkalkulierbaren Entscheidungen zu treffen? Die drei Annahmen laufen auf die eine hinaus, daß sich Forscher in der Verwendung knapper Ressourcen und in der Verfolgung ihres Berufsziels wie homines oeconomici entscheiden. Die Rationalität und Interaktionsweise des homo oeconomicus sind genau nach den Anforderungen ausgelegt, die die Modellierbarkeit des Zusammenspiels vorteilsuchender Individuen stellt. Welches Bild des Forschungsbetriebs folgt also, wenn der homo oeconomicus in die Rolle des Forschers schlüpft? Das Bild, welches folgt, ist eine interessante Karikatur. Die Annahme der vollkommenen Konkurrenz sorgt dafür, daß das Problem der Messung des wissenschaftlichen
Outputs mit akribischer Perfektion gelöst wird. Es wird korrekt und angemessen zitiert, alle Absprachen unterbleiben, es gibt keine Gefälligkeitszitate. Niemand kann es sich leisten, verfügbare Tatsachen außer acht zu lassen oder verfügbare Theorien noch einmal zu entwickeln. Das geistige Kapital unterliegt einer idealen Verwertungskonkurrenz. Seine potentielle Produktivität kommt voll zur Geltung, sofern keine andere der Annahmen solches verhindern. Die Annahme, daß sich Forscher ausschließlich und ohne Rücksicht auf die zwischenmenschliche Wertschätzung auf die Sammlung der Zitate konzentrieren, sorgt für absolute Sachlichkeit in der Forschung. Sie sorgt für die Art Unpersönlichkeit, wie die »Logik der Forschung« sie fordert. Sie schließt aus, daß Interessen, die nichts mit dem Erkenntnisfortschritt zu tun haben, in die Forschung hineinspielen. Da es kein intersubjekives Zusammenspiel subjektiver Vorlieben und Abneigungen mehr gibt, hängen die Zitate, die die eigene Produktion einfährt, ausschließlich von deren sachlicher Qualität ab. Da heteronome Interessen keine Rolle spielen, zählen tatsächlich nur noch Produktivität, Reichweite, Einfachheit, Widerspruchsfreiheit, Tatsachengerechtigkeit und Reproduzierbarkeit der Tatsachen. Alles, was nach diesen Kriterien unerheblich ist oder ihnen gar widerspricht, fällt unter den Tisch. Die Wissenschaft realisiert ihr Maximum an Autonomie. Da die Belange des anderen Bewußtseins keine Rolle spielen, werden sogar ethische Gesichtspunkte in der Forschung gegenstandslos. Weil es die Konkurrenz übernimmt, Überflüssiges gar nicht erst aufkommen zu lassen, bleiben auch Skrupel, die in Konflikt mit den Zielen des Erkenntnisfortschritts bringen könnten, von vornherein unterdrückt. Bis hierher weicht das Bild, das aus den ökonomischen Annahmen folgt, nicht von dem Ideal ab, das die Wissen-
schaftstheorie vom Forschungsbetrieb zeichnet. Könnte es also sein, daß die Wissenschaftstheorie immer schon stillschweigend unterstellt, daß sich die Forscher im Idealfall wie homines oeconomici verhalten? Der homo oeconomicus verhält sich so, daß sein Verhalten lückenlos rekonstruierbar ist. Sein Daseinszweck ist es, das Zusammenspiel rationaler Agenten in die Form eines Gleichungssystems mit vorab gesicherter Lösung zu übersetzen. Sein Verhalten muß also schlüssig aus den Anfangsbedingungen folgen. Wo nun aber alles aus den Anfangsbedingungen folgt, kann nichts Neues entstehen. Neu ist nur das Unerwartete. Wesentlich neu ist nur, was nicht absehbar war und nicht vorausberechnet werden konnte. Die Abneigung des homo oeconomicus gegen alles Unkalkulierbare macht einen Strich durch die Gleichung des ökonomischen mit dem wissenschaftstheoretischen Ideal. Seine Entscheidungen sind determiniert, denn sie müssen determinierbar sein. Das Wesentliche an der Wissensproduktion ist jedoch, daß ihr Output nicht von vornherein feststehen darf. Forscher suchen zwar nach Bestimmtem; wo man aber weiß, was herauskommt, wird etwas anderes als Forschung getrieben. Voraussagen sind in der Forschung nur als Hypothesen erlaubt, deren Funktion es wiederum ist, prinzipiell unsicher zu sein. Eine ökonomische Theorie, die diese prinzipielle Unsicherheit übergeht, kann keine Theorie der Wissensproduktion sein. So ist das Bild vom homo oeconomicus in der Forscherrolle doch nur eine Karikatur. Es ist allerdings keine schlechte. Es trifft die verbreitete Erscheinung des smarten Aufbereiters bekannter Tatsachen, der durch Umgehung von Unsicherheiten seine Karriere macht. Es zeichnet haarscharf den Typ des Forschungsbeamten, dessen Aktivität sich im Kampf für die orthodoxe Lehre und gegen die Ethikkommission erschöpft. Im Wissenschaftsbetrieb, in
dem der homo oeconomicus das Sagen hat, wurde Forschung durch Verwaltung ersetzt. Dieses Bild ist gar nicht so unrealistisch. Es hat nur eben nichts mit dem wissenschaftstheoretischen Ideal zu tun, sondern zeigt, am Zuviel welcher Art des Kalküls der administrierte Forschungsbetrieb krankt. Heißt es also, die Hoffnung auf eine Theorie der Wissensproduktion zu begraben? Ist die Begründung der ökonomischen Rationalität wissenschaftlichen Forschens eine Utopie? Sicher ist, daß diese Rationalität nicht von jenem Typ sein kann, wie ihn die ökonomische Theorie üblicherweise unterstellt. Sicher ist, daß die Logik der Entscheidung über die Verwendung der forschenden Aufmerksamkeit keine geschlossene sein kann. Sie muß eine Öffnung für den Einfall des Neuen, Unerwarteten, noch nie Dagewesenen lassen. Sie muß dem Sachverhalt Rechnung tragen, daß man den guten Forscher nicht nur am Scharfsinn, sondern auch am guten »Riecher« erkennt. Das Kalkül darf die Intuition nicht ersetzen, sondern nur nachträglich absichern und kontrollieren. Also darf der Zirkel, in den die rationale Verwendung der knappen Aufmerksamkeit verwickelt, gerade nicht unterbunden werden. Es ist dieser Zirkel, mit dem die intuitive Findigkeit ins Spiel kommt, auf die es beim Forschen so sehr ankommt. Er ist es, der Unbestimmtheit ins noch so scharfsinnige Kalkül bringt. Mit ihm öffnet sich das Einfallstor für das nicht Ausrechenbare, den Denkenden selber Überraschende. Effizient kann die Verwendung der forschenden Aufmerksamkeit nur sein, wenn sie auch diese Lücke in der Rationalität noch optimal nutzt. Es ist zuviel von einer Theorie verlangt, diese Paradoxie zu modellieren. Allerdings stellt die Voraussetzung der Determinierbarkeit nun ein schweres Handicap nicht nur für eine eventuelle Theorie der Wissensproduktion, son-
dern auch schon für das dar, was als Informationsökonomik so heftig gefordert wird. Wo nichts Neues entsteht, entsteht auch keine Information. Wo alles aus den Anfangsbedingungen folgt, steckt auch alles, was an Informativem folgen könnte, schon in den Anfangsbedingungen. Um der Entstehung von Information Rechnung zu tragen, müssen nicht determinierte oder zumindest nicht determinierbare Prozesse zugelassen werden. Es müssen Prozesse eingeführt werden, in denen es zu Instabilitäten und Bifurkationen kommen kann. Prozesse der Informationsproduktion sind nicht prognostizierbar, nicht wiederholbar und grundsätzlich irreversibel. Ohne ein Aufgeben der Unterstellung, daß ökonomische Prozesse strikt determiniert und jederzeit wiederholbar sind, wird es eine Informationsökonomik, die den Namen verdient, nicht geben. Bei allen Schwierigkeiten, die mit der Einführung nichtbestimmter Prozesse in die nun einmal bestimmende Theorie verbunden sind, wird es sich die Wirtschaftswissenschaft nicht leisten wollen – und können! – die Informationsökonomie links liegen zu lassen. Sie wird sich auf das scheinbar paradoxe Unterfangen einlassen müssen, Prozesse mit offenen Freiheitsgraden in die Theorie einzuführen. Sie wird sich diesem Unterfangen um so weniger entziehen können, als bereits eine Disziplin existiert, die die Entstehung von Neuem mit Hilfe formaler Verfahren modelliert. Gemeint ist die nichtlineare Dynamik komplexer Systeme. Es ist eine offene Frage, wie weit es gelingen wird, das Zusammenspiel von Marktteilnehmern mit Hilfe dieser Dynamik zu modellieren. Es ist aber bemerkenswert, daß sich einer der Anwendungsbereiche der nichtlinearen Dynamik komplexer Systeme Informationsdynamik nennt.6 Die Informationsdynamik ist ein Ansatz für die Beschreibung der Produktivität in Sachen Neuigkeitswert in dem Sinn, daß sie es erlaubt, die Unbestimmtheit
der erzeugenden Prozesse zu bestimmen. Sie erlaubt eine Klassifikation von Prozessen etwa danach, wie sich die Unbestimmtheit im zeitlichen Verlauf entwickelt. In diesem Zusammenhang spielt sogar der Begriff der Bedeutung eine Rolle. Wenn auch völlig offen ist, wie weit sich dieser Begriff für sozialwissenschaftliche Anwendungen eignet, so geht es in der Informationsdynamik doch um jene Art rekursiver Prozesse, die in die ökonomische Modellwelt eingeführt werden müssen, wenn Aufmerksamkeit als knappe Ressource des ökonomisch rationalen Entscheidens berücksichtigt werden soll. Hoffnungslos ist der Fall einer Theorie der Wissensproduktion also nicht. Vielmehr ist damit zu rechnen, daß die ökonomische Theorie um Teile der Aufmerksamkeitstheorie erweitert wird. Erstens wird es eine Informationsökonomik in der einen oder anderen Form geben, zweitens wird diese in der einen oder anderen Form Anleihen bei der Attraktionsökonomie machen. Die Informationsökonomik wird kaum umhin können, auf die attrahierte Aufmerksamkeit als Maß für semantische beziehungsweise pragmatische Information zurückzugreifen. Allerdings wird sich die Erweiterung strikt an den Rahmen halten, der durch jene zweite Prämisse vorgegeben ist. Es ist nämlich kein Weg zu sehen, wie die Interdependenz zwischen den Präferenzordnungen berücksichtigt werden könnte. Im Gegensatz zur Öffnung des Rationalitätsbegriffs für den Umgang mit der knappen eigenen Aufmerksamkeit ist an eine Öffnung für den Umgang mit der geschätzten anderen Aufmerksamkeit vorerst nicht zu denken. Letztere würde das Kalkül förmlich sprengen. Mit der Einbeziehung der zwischenmenschlichen Wertschätzung kommen Präferenzen für die Eigenschaften fremder Präferenzordnungen ins Kalkül. Wo mit Präferenzen für die Eigenschaften anderer Präferenzordnungen
gerechnet werden muß, tut sich abermals ein unabschließbarer Regreß auf. Muß mit Präferenzen für Eigenschaften anderer Präferenzordnungen gerechnet werden, dann muß auch mit Präferenzen für den Wert gerechnet werden, der in den anderen Präferenzordnungen auf die Eigenschaften wieder anderer Präferenzordnungen gelegt wird. Anders als der Regreß, in den die rationale Verwendung der eigenen Aufmerksamkeit verwickelt, läuft der Regreß der Interdependenz auf mehr als einen nichtverschwindenden Rest an Unbestimmtheit hinaus. Er löst eine kombinatorische Explosion aus. Die Verflechtung der Präferenzordnungen kennt – theoretisch – keine Grenzen. Meine Präferenz für das Aussehen deiner Präferenzordnung schließt nicht nur deine Präferenzen für das Aussehen der Präferenzordnungen Dritter ein, sondern möglicherweise auch Präferenzen dritten, vierten und höheren Grads an Indirektheit. Es ist zwar unrealistisch, anzunehmen, daß die Präferenzordnungen tatsächlich in dieser ausufernden Komplexität verflochten sind, denn diejenigen unserer Beziehungen, in denen indirekte Präferenzen noch zählen, sind auf wenige Menschen begrenzt. Im theoretischen Modell muß jedoch offen bleiben, wie sich diese Beziehungen – oder genauer: wie sich die Werte, die in den Beziehungen auf die Werthaltungen der jeweils anderen gelegt werden – im Lauf der Interaktion entwickeln. Es ist nicht zu sehen, wie diese Komplexität theoretisch soll kontrollierbar werden. Erst recht ist nicht zu sehen, wie die Unabschließbarkeit in der intersubjektiven Dimension gleichzeitig mit der Unbestimmtheit in der intrasubjektiven Dimension in den Griff zu bekommen sei. Die Erweiterung der ökonomischen Theorie wird sich wohl oder übel auf den unpersönlichen, versachlichten Teil der Aufmerksamkeitsökonomie beschränken. Es ist nicht damit zu rechnen, daß das Wechselspiel der zwi-
schenmenschlichen Wertschätzung und daß die Ökonomie der Selbstwertschätzung so rasch in einem Modell auftauchen werden. Wenn, dann wird die Theorie den professionellen, geschäftsmäßigen Umgang mit der Aufmerksamkeit herauspräparieren. Sie wird die Art von Einkünften herausgreifen, die von den anonymen Zählwerken erfaßt werden. Wie von selbst wird sich eine Abgrenzung jenes Teils der Aufmerksamkeitsökonomie, der mit »Wirtschaft« assoziiert wird, von demjenigen ergeben, der an Psychologie und Sozialpsychologie denken läßt. Bemerkenswerterweise folgt diese Grenzziehung jedoch keiner vorgefundenen Abgrenzung von Tätigkeitsbereichen, sondern lediglich der methodischen Ausklammerung formal nicht bewältigbarer Komplexität.
Soziale Intelligenz Der Effekt, den diese Ausklammerung für die Definition des Gegenstands der Theorie hat, ist nun allerdings schlagend. Mit der Präferenz für andere Präferenzen werden alle Vorlieben und Abneigungen ausgeklammert, die sich auf die Vorlieben und Abneigungen anderer Menschen beziehen. Mit den Vorlieben und Abneigungen, die sich auf die Vorlieben und Abneigungen anderer Menschen beziehen, fällt das gesamte Geflecht der mitmenschlichen Gefühle unter den Tisch. Die Ausklammerung der Präferenz für andere Präferenzen hat den Effekt, daß nur noch solche Gefühle in die ökonomische Bewertung eingehen, die mit den Gefühlen der Mitmenschen nichts zu tun haben. Da es subjektive Präferenzen nur gibt, wo angenehme oder unangenehme Gefühle den Vorzug geben, können Gefühle nicht überhaupt ausgeklammert werden, wo von ökonomischer Rationalität die Rede sein soll. Die Ausklammerung der Präferenz für andere Präferenzen zieht
nun aber einen scharfen Schnitt zwischen ökonomischer Rationalität und mitmenschlicher Emotionalität. Seltsamerweise reproduziert diese Rettungsaktion aus theoretischer Not genau jenen Bruch zwischen Verstand und Gefühl, der praktisch als die größte Selbstverständlichkeit gehandelt wird. Ökonomische Rationalität, so will es der common sense, hat mit mitmenschlichen Gefühlen nichts zu tun. Nicht Mitgefühl, sondern mitmenschliche Kälte gilt als rational im ökonomischen Sinne. Das Kümmern um die Gefühle anderer ist Sache der Ethik, aber nicht der Klugheit. Es wäre einer ausführlichen Untersuchung wert, wie es zu dieser Meinung kommen konnte. Der für selbstverständlich gehandelte Bruch zwischen Verstand und Gefühl versteht sich nämlich keineswegs von selbst. Wer im Umgang mit anderen Menschen auf die anderen Gefühle nicht achtet, verhält sich alles andere als klug. Die scharfe Trennung zwischen ökonomischer Rationalität und mitmenschlicher Emotionaltät ist plausibel einzig und allein aus der künstlich verengten Sicht der Nutzenmaximierung. Sobald diese theoretisch verordnete Engstirnigkeit aufgegeben wird, spielen die Gefühle anderer eine ganz entscheidende Rolle für die Verfolgung des eigenen Vorteils. Rational ist es nur für das Kunstprodukt des homo oeconomicus, auf die Gefühle anderer zu pfeifen. Dieses fiktive Wesen kennt weder Liebe noch Freundschaft, weder Symphathie noch Gunst, weder Eitelkeit noch Stolz. Was die soziale Geschicklichkeit anbelangt, ist der homo oeconomicus ein Idiot. Er fragt weder, wie er vor sich selbst, noch, wie er vor anderen dasteht. Sein Gefühlsleben ist das eines selbstzufriedenen Autisten. Menschen wie du und ich sind von anderer Art. In ihrem Fühlen spielen die Gefühle anderer eine ganz entscheidende Rolle. Ihre ganz großen wie auch ihre ganz kleinen Gefühle beziehen sich
aufs andere Fühlen. Menschen aus Fleisch und Blut sind klinisch krank, wenn sie auch nur an Anflügen von Autismus leiden. Gesunde Menschen haben ausnehmend starke Präferenzen für die Eigenschaften der Präferenzordnungen ihrer Mitmenschen. Sie wünschen sich von ganzem Herzen solche Präferenzordungen, in denen sie selbst möglichst gut dastehen. Sie müssen gut im anderen Bewußtsein dastehen, um vor sich selbst bestehen zu können. Sie sind im Grundsatz Selbstwertmaximierer und nur in Ausnahmesituationen bloße Nutzenmaximierer. Wie kommt es also, daß sich der common sense auf die artifizielle Sicht der Nutzenmaximierung kapriziert? Der Grund für diese eigenartige Verkürzung liegt in der stillschweigenden Identifikation der ökonomisch maßgeblichen Belange mit den Belangen des materiellen Reichtums und des physischen Komforts. Haben Geld und die leiblichen Bedürfnisse das Sagen, dann sind die Gefühle anderer Menschen tatsächlich zweitrangig. Die Ausklammerung der mitmenschlichen Gefühle hat umgekehrt den Effekt, die nur sachlich bezogenen Vorlieben und Abneigungen herauszupräparieren. Wer aber nimmt schon mit dem rein Sachlichen vorlieb? Wem reicht es zu seinem Glück, daß die leiblichen Bedürfnisse befriedigt werden? Wem reicht es schon, reich zu sein, ohne auch vor anderen gut dazustehen? Wer will nicht geliebt und geschätzt, gemocht und bewundert werden? Die Voreingenommenheit für den materiellen Reichtum und den physischen Komfort muß in Verbohrtheit umschlagen, damit das Wechselspiel der zwischenmenschlichen Wertschätzung tatsächlich in den Hintergrund tritt. Solche Verbohrtheit mag vorkommen, sie darf aber nicht mit einer natürlichen Einstellung verwechselt werden. Überdies ist sie auf dem Rückzug, wo sie am ehesten noch zu finden war. Der krude Materialismus ist inzwischen sogar in der Geschäftswelt out. Wä-
re es also nicht an der Zeit, den vermeinten Gegensatz von ökonomischer Rationalität und mitmenschlicher Emotionalität einer gründlichen Revision zu unterziehen? Die Revision, wie wohl sie auch motiviert sein mag, wird auf ein Bollwerk stoßen. Sie rennt, ob sie es will oder nicht, gegen das Weltbild der Wissenschaft an. Die im ökonomischen Sinn materialistische Grundeinstellung ist eine Sache. Eine andere ist die materialistische Weltsicht der Wissenschaft. Die Belange des anderen Bewußtseins haben auch und gerade in der wissenschaftlichen Weltsicht keinen Stellenwert. Der ökonomische und der wissenschaftliche Materialismus ergänzen einander auf wundersame Weise. Das – zumindest offizielle – Selbstverständnis der Wissenschaft verschlösse sich dem Gedanken seiner ökonomischen Effizienz sofort, wenn mit den Gesichtspunkten ökonomischer Rationalität zwangsläufig auch solche der mitmenschlichen Emotionalität eingeschleppt würden. Erstens darf das Gebot der Sachlichkeit nicht wanken und zweitens käme die Wissenschaft mit ihrer eigenen Ontologie in Konflikt, würde sie dem Phänomen des Fremdseelischen einen Stellenwert in ihrem Selbstverständnis einräumen. Aus wissenschaftlicher – oder genauer: aus wissenschaftstheoretischer – Sicht ist die Blindheit fürs Fremdseelische kein Makel, sondern mühsam durchgesetzte Norm. Wissenschaftstheoretisch ist die Seelenblindheit des homo oeconomicus korrekt. Entsprechend hat die Reduktion des Berufsziels des Wissenschaftlers auf das bloße Sammeln von Zitaten den nicht nur wirtschaftstheoretisch, sondern auch wissenschaftstheoretisch gewünschten Effekt. Wissenschaftler arbeiten im Sinne der Wissenschaftstheorie, wenn sie ihr Konto im SCI maximieren wie Geschäftsleute das auf der Bank. Der Wissenschaftsbetrieb läuft nach den Regeln der »Logik der Forschung«, wenn
die wissenschaftliche Kommunikation nach dem Muster vollkommener Konkurrenz verläuft. Indem sie Zitate sammeln, achten Wissenschaftler zwar irgendwie auf die Rolle, die sie im Bewußtsein der Kollegen spielen. Auf dem Konto der Zitate erscheint die eingenommene Aufmerksamkeit jedoch nur noch als abzählbares Quantum. Diese praktische Reduktion auf die Währungsfunktion hat verblüffenderweise genau denselben Effekt wie die methodische Ausklammerung des Interdependenzproblems. Auf beide Fälle, auf den praktischen wie auch auf den theoretischen, trifft es nun allerdings zu, daß die Reduktion bloß einschränkend ist. Der Blickwinkel verengt sich, der Blick selber aber entdeckt keinen Bruch. Die Reduktion legt einen Schnitt, stößt aber auf keinen Graben. Sie härtet einen fließenden Übergang zum Kontrast, begründet aber keinen fundamentalen Unterschied in der Sache. Sie verweist vielmehr indirekt auf den Zusammenhang, der zwischen ökonomischer Rationalität und mitmenschlicher Emotionalität besteht. Die methodische Reduktion klammert nur aus und führt nicht zurück. Die Karikatur des forschenden homo oeconomicus macht klar, wie weit die Reduktion der Aufmerksamkeit auf die reine Währungsfunktion von der Praxis entfernt ist. Die Ausklammerung des Interdependenzgeflechts persönlicher Vorlieben und Abneigungen bleibt künstlich auch dann, wenn Sachlichkeit im wissenschaftlichen Austausch die Regel ist. Das Bild des seelenblinden Maximierers von Zitaten bleibt karikierend auch und gerade dann, wenn dem forschenden homo oeconomicus Findigkeit und Kreativität zugestanden werden. Kurz: Der tatsächliche Graben liegt zwischen der Theorie und der Praxis der Wissenschaft. Die künstliche Polarisierung zwischen ökonomischer Rationalität und zwischenmenschlicher Emotionalität ist eine Aktion zur Rettung der Theorie. Praktisch gäbe es
keine Rationalität im attraktionsökonomischen Sinn, wenn ökonomische Rationalität und mitmenschliche Emotionalität unverträglich wären. Also wäre es auch höchst verwunderlich, wenn die scharfe Trennung eine notwendige Voraussetzung für die Effizienz der Wissensproduktion sein sollte. In Wirklichkeit ist sie denn auch weder notwendig noch hinreichend für ein effizientes Arbeiten arbeitsteiliger Forschung. Die Annahme, daß Forscher ihr Einkommen an Aufmerksamkeit ausschließlich in der Form von Zitaten maximieren, erlaubt es zwar, die Wissensproduktion mit den Mitteln der theoretischen Ökonomie anzugehen. Sie ist aber nicht notwendig zur Sicherung der Effizienz, da auch vollkommene Konkurrenz im wissenschaftlichen Austausch schon hinreicht, um Produktivität als Maßstab der Produktion durchzusetzen. Sie reicht auch nicht hin, um den kollektiven Erkenntnisfortschritt zu optimieren, denn dieser Fortschritt wird nur optimiert, wenn die Wissenschaft außer ehrgeizigen auch brillante Köpfe anzieht. Die Wissenschaft wäre sehr viel ärmer an Höchstleistungen, wenn sie nicht mit dem besonderen Anreiz kongenialer Beachtung locken könnte. Kongenial ist die Beachtung, die von Leuten mit Sinn für die Sache, also hohem Anspruch und kompetentem Urteil stammt. Es ist etwas anderes, ob man überhaupt Beachtung oder die Aufmerksamkeit von jemandem findet, mit dem das besondere Interesse und das gleiche Berufsethos verbindet. Hinter der aufopfernden Hingabe und der außerordentlichen Frustrationstoleranz, die bedeutende Leistungen in der Wissenschaft abverlangen, steckt mehr als nur Neugier und die Vorstellung eines dicken Kontos an Zitaten. Dahinter steckt auch der Wunschtraum, in jenem Bewußtsein Aufsehen zu erregen, zu dem man selber aufblickt. Es ist der besondere Vorzug der Aufmerksamkeit der Miteingeweih-
ten, der Wissenschaftler davon abhält, nach dem breiten Publikum zu schielen. Ginge es ums reine Quantum an Beachtung, dann wäre eine Karriere in der Unterhaltungsbranche oder in der Publizistik einer wissenschaftlichen Laufbahn jederzeit vorzuziehen. Nur dadurch, daß sie mit ausnehmend hoch begabter und hoch motivierter Aufmerksamkeit belohnen kann, kann die Wissenschaft über so viel begabte und motivierte Aufmerksamkeit verfügen. Die Wissenschaft ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die motivierende Kraft, die vom zwischenmenschlichen Einklang der Vorlieben und Abneigungen ausgeht. Ein realistisches Bild ihres Betriebs darf die intersubjektive Dependenz der subjektiven Präferenzen so wenig vernachlässigen, wie es jene Öffnung außer acht lassen darf, durch die das Neue einfällt. Ohne Rückgriff auf die Interdependenz der Präferenzen läßt sich noch nicht einmal das Kriterium der Effizienz an die Realität der Wissensproduktion legen. Effizient arbeitet das Kollektiv der Forscher nämlich erst dann, wenn diese aus individueller Sicht ihr Bestes geben. Auf individueller Ebene bedeutet die optimierende Verwendung der verfügbaren Aufmerksamkeit etwas ganz Besonderes. Die Fähigkeit zur optimierenden Verwendung der eigenen Aufmerksamkeit ist ein anderer Ausdruck für Intelligenz. Im uneingeschränkten Sinne effizient arbeitet ein sich selbst organisierender Betrieb arbeitsteiliger Forschung dann und nur dann, wenn es ihm gelingt, die Intelligenz der einzelnen Forscher aus der letzten Reserve zu locken. Die Intelligenz ihrer Mitglieder kann eine Organisation aus der letzten Reserve locken nur, wenn sie deren Selbstwertgefühl von der richtigen Seite her anspricht. Die richtige Seite für das Ansprechen des Selbstwertgefühls ist die, von deren wertschätzender Zuwendung es seine Stärke bezieht. Wer so kritisch, nachdenklich, sachlich be-
wandert und anspruchsvoll ist, wie es zum Metier des Forschers gehört, wird die Stärke seiner Selbstwertschätzung nur aus ihrerseits kritischer, nachdenklicher, in der Sache bewanderter und derselben Höhe des Anspruchs verpflichteter Anerkennung ziehen. Bloß anonyme Beachtung und bloß sachliche Anerkennung lohnen noch nicht jede Anstrengung. Wirklich jede Anstrengung lohnt nur die Wertschätzung seitens derer, auf die wir selbst den größten Wert legen. Eine Organisation allerdings, die über das Gratifikationssystem dieser Art Wertschätzung verfügt, hat die Chance, sogar als soziales System intelligent zu agieren. Intelligenz besteht, wie immer sie sonst noch definiert werden mag, in der Gabe zur effizienten Verwendung der verfügbaren Aufmerksamkeit. Intelligenz haben Wesen, die ihre Aufmerksamkeit nicht nur konzentriert, sondern auch überlegt verwenden können. Damit die verfügbare Aufmerksamkeit in überlegter Weise verwendet werden kann, muß die Selbstbestimmung einen Spielraum haben. Intelligenz setzt damit einen Freiheitsgrad wie jenen voraus, der sich im Regreß der selber noch rationalen Verwendung der verfügbaren Aufmerksamkeit auftut. Als in selbstbestimmter Weise optimierte ist die intelligente Verwendung von Aufmerksamkeit andererseits nicht auf das Individuum beschränkt. Auch eine Organisation, die die ihr zu Diensten stehende Aufmerksamkeit effizient im Sinne des Organisationsziels verwendet, kann nach diesem Kriterium als intelligent gelten. Weil sie über das Gratifikationssystem der kongenialen Beachtung verfügt, hat die Wissenschaft die theoretische Chance, sich im Sinne einer kollektiven Intelligenz des Fortschritts der Erkenntnis anzunehmen. Sich im Sinne einer kollektiven Intelligenz des Erkenntnisfortschritts anzunehmen bedeutet einerseits, sich dieses Fortschritts
als eines selbstbestimmten Zieles anzunehmen. Intelligent wird ein Wesen andererseits nicht schon dadurch, daß es eine vorgegebene Zielfunktion optimiert. Intelligenz besteht in der Gabe zur überlegten und damit zur autonom bestimmten Verwendung der verfügbaren Aufmerksamkeit. Über die Autonomie eines Individuums verfügt ein soziales System nun allerdings nicht. Ein soziales System hat keinen Selbstwert, den es maximieren könnte. Es ist allenfalls in der Lage, die Wertschätzung, die es in der öffentlichen Meinung genießt, zu maximieren. Damit sie ihre Wertschätzung in der öffentlichen Meinung maximiert, muß die Wissenschaft nun allerdings mehr liefern als nur technisch und organisatorisch verwertbares Wissen. Es gibt außerhalb der Wissenschaft niemanden, der kompetent wäre zu definieren, worin der kollektive Erkenntnisfortschritt bestehen soll. Also wird die Wissenschaft nur dann als intelligentes Sozialsystem gelten können, wenn ihr die Kompetenz zur Selbstdefinition ihres Organisationsziels zugetraut wird. Kann man einem Berufsstand, der sich aus kanonischen Nutzenmaximierern zusammensetzt, die Bestimmung darüber anvertrauen, worin der kollektive Erkenntnisfortschritt bestehen soll? Doch eher nicht. Der kanonische Nutzenmaximierer hat nämlich keinerlei Kompetenz in moralischen Fragen. Die Nutzenmaximierung ist moralisch neutral. Die Frage jedoch, worin der kollektive Erkenntnisfortschritt besteht, ist moralisch brisant. Die Wissenschaft dürfte als intelligentes Sozialsystem also nur dann angesprochen werden, wenn erstens ihre Mitglieder kompetent sind, moralisch zu urteilen, und wenn ihr Gratifikationssystem diese Kompetenz zweitens für die Selbstdefinition des Organisationsziels nutzbar macht. Kann man Selbstwertmaximierer Kompetenz in Sachen Moral zutrauen? Man kann es insofern, als sie keine sturen
Egoisten sind. Das Selbstwertgefühl ist abhängig von empfangener Wertschätzung. Die empfangene Wertschätzung zählt sowohl, was die Gefühle der anderen für einen, als auch, was die eigenen Gefühle für die anderen betrifft. Sobald diese Gefühle ins Spiel kommen, hört der eigene Vorteil auf, nur von den eigenen Wünschen und Abneigungen, Hoffnungen und Befürchtungen, Sehnsüchten und Ängsten abzuhängen. Der Selbstwert geht auf den intrinsischen Wert der empfangenen Wertschätzung zurück. Reden nun aber die anderen Gefühle mit, dann werden altruistische Gesichtspunkte für die Suche nach dem eigenen Vorteil erheblich. Ja mehr noch: Es kommt dann eine Intuition ins Spiel, von der gemeinhin angenommen wird, daß sie der individuellen Vorteilsuche widerspricht. Unser intuitiver Sinn – um nicht zu sagen: Scharfsinn – für das andere Spüren ist das Gewissen. Das Gewissen ist die Vertretung des anderen Spürens im eigenen. Das Gewissen spricht weder ausschließlich intellektuell noch ausschließlich emotional, es urteilt aber so scharf wie der Verstand und kann so beißen wie die Eifersucht. Sein Sprechen macht, daß die Gefühle anderer mit Sitz und Stimme in der Kabinettrunde der eigenen Gefühle vertreten sind. Diese Vertretung ist irrational aus der Sicht der Nutzenmaximierung. Sie ist aber alles andere als irrational, wo sich die Rationalität an der Fähigkeit bemißt, die dem Anspruch der Selbstwertschätzung gemäße Rolle im anderen Bewußtsein zu spielen. Wo es statt des Nutzens den Selbstwert zu maximieren gilt, wird das Gewissen zu einem unverzichtbaren Organ der sozialen Intelligenz. Wer begriffen hat, was es bedeutet, eine eigene Rolle im anderen Fühlen zu spielen, kann gar nicht umhin, das andere Fühlen im eigenen zu repräsentieren. Für sie oder ihn ist die Sorge um das andere Fühlen kein Auftrag einer abstrakten Moral, sondern eine Forderung der Klugheit.
Diese Art Klugheit reicht völlig aus, um in moralischer Hinsicht kompetent darüber zu urteilen, worin der kollektive Erkenntnisfortschritt bestehen soll. Man braucht keine christliche oder islamische oder hinduistische Ethik, um beurteilen zu können, wo das Fortschreiten im Forschen moralisch bedenklich wird. Es genügt, die Organe der sozialen Intelligenz zu derjenigen Umsicht und Urteilskraft heranzubilden, wie sie in der Wissenschaft sonst auch zum Metier gehören. Um zusammenzufassen: Die Frage nach der eigenen Intelligenz des Sozialsystems Wissenschaft wäre aus der Luft gegriffen, hätte ihr Gratifikationssystem nicht die Potenz, sowohl das Wissen als auch das Gewissen anzusprechen. Diese Potenz bedeutet umgekehrt, daß auch der Begriff der Effizienz in der Wissensproduktion so lange nur eingeschränkte Bedeutung beanspruchen kann, als er nicht auf der Höhe des Anspruchs sozialer Intelligenz formuliert ist. Soziale Intelligenz hat den Doppelsinn von sozialer Geschicklichkeit auf der individuellen und sozial verkörperter Intelligenz auf der organisatorischen Ebene. Im uneingeschränkten Sinne effizient arbeitet die Wissensproduktion erst auf dem Niveau, wo beide Bedeutungen einander voraussetzen und ergänzen – oder anders: wo bestes Wissen und bestes Gewissen zusammenfinden. Dieses hohe Ideal steht in einem unüberbrückten Gegensatz zu der reduktionistischen Einstellung, die die Wissenschaft aus methodischen Gründen dem Fremdseelischen gegenüber einnimmt. Solange dieser Gegensatz nicht irgendwie überbrückt ist, ist es verfrüht, die Wissenschaft als intelligentes Sozialsystem anzusprechen. Immerhin macht das Ideal nun aber klar, mit welch hohen Kosten der Reduktionismus für die Wissenschaft selbst verbunden ist. In der Perspektive des hohen Anspruchs an die Effizienz des Wissenschaftsbetriebs dreht sich die Beweislast um. In
dieser Perspektive wird deutlich, daß nicht nur der Einschluß der eigenen Wirklichkeit des Fremdseelischen kostspielig wäre, sondern auch der Ausschluß empfindlich teuer kommt. Für ihre reduktionistische Einstellung bezahlt die Wissenschaft mit Blindheit sowohl für ihre potentielle Intelligenz als auch für die Möglichkeit einer rationalen Ethik. Rationalität und Moralität Im Kontext der Attraktionsökonomie ist es eine Frage des Anspruchs an die Rationalität selbst, wie weit ökonomische Rationalität und mitmenschliche Emotionalität zusammenfinden. Bei einem Anspruch auf der Höhe des Wortsinns sozialer Intelligenz ist eine Trennung ausgeschlossen. Die zusammenführende Kraft des hohen Anspruchs reicht hier sogar noch weiter. Sie reicht hin, um die Trennwand zwischen Rationalität und Moralität durchlässig zu machen. Im Tausch der Aufmerksamkeit ist es gerade kein Zeichen idealtypischer Rationalität, wenn sich die Partner im idealtypischen Sinne egoistisch verhalten. Im Gegenteil. Auf der zwischenmenschlichen Ebene fährt nur gut, wer über Einfühlungsvermögen verfügt und es walten läßt, wer großzügig im Vorschießen wohlmeinender Beachtung ist, wer moralisches Vertrauen genießt. Menschen, die ihren eigenen Vorteil zu eng sehen, sind im Umgang mit anderen arme Schlucker. Die Häßlichkeit, mit welcher der sichtbare Egoismus zeichnet, mag überstrahlt werden durch gutes Aussehen oder andere Talente. Das beste aus der Beziehung zu anderen Menschen macht aber nur, wer sich auch das andere Leid und die andere Lust etwas angehen läßt. Seinen Selbstwert maximiert nur, wer sich mitfüh-
lenderweise im Geflecht der intersubjektiven Abhängigkeiten der subjektiven Vorlieben und Abneigungen zurechtfindet. Es war einer der schlechteren Ideen der abendländischen Philosophie, die Ethik als die Lehre vom Sollen zu bestimmen. Die Lehre vom Sollen behauptet, daß es Imperative gibt, die in einem Jenseits der individuellen Einsicht gründen. Die Ethik als Lehre vom Sollen erblickt in der Moral ein transzendentes Gebot und im Gewissen eine Verinnerlichungsform auswendiger Regeln. Vom Bärendienst, den ihr diese Auffassung geleistet hat, hat sich die Moral nicht wieder erholt, seitdem die Religion als die vermeintlich nötige äußere Stütze zerfallen ist. Ohne diese Auffassung wäre kaum jemand auf den Gedanken verfallen, Rationalität und Moralität in jenem scharfen Sinne zu trennen, wie er in der Folge ins allgemeine Bewußtsein eingesickert hat. Ohne diese Auffassung wäre es vielmehr natürlich gewesen, die Aufgabe der philosophischen Ethik in der rationalen Explikation der intuitiven Gabe des Gewissens zu erblicken. Das Gewissen ist kein Organ des Intellekts, es verfügt aber über eine schlagende Urteilskraft. Das Gewissen ist auch kein eigentliches Gefühl, es hat aber den sprichwörtlichen Biß. In der Präzision der Wahrnehmung und in der spontanen Sicherheit des Urteils ist es gleichen Rangs mit dem Sprachgefühl und dem ästhetischen Sinn. Unser Sprachgefühl bezieht sich gerade nicht nur auf die formale Wohlgeformtheit des Ausdrucks, sondern auch auf die inhaltliche Stimmigkeit des Gesagten; sein Urteilen ist intuitives Denken. Unser ästhetischer Sinn ist gerade nicht auf das bloße Geschmacksurteil beschränkt, sondern schließt die Kompetenz in künstlerischen und gestalterischen Urteilen ein; das Urteilen über kulturellen Rang ist ästhetisch. Das Gewissen äußert sich gerade nicht nur in
der Gewissenhaftigkeit, mit der wir unseren Pflichten nachkommen, sondern darin, daß uns die Belange desjenigen Bewußtseins kümmern, in dessen Spiegel wir unser Selbstbild betrachten; das Gewissen urteilt aus der Logik der Selbstwertschätzung. Anders als Erkenntnistheorie und ästhetische Theorie sah die Ethik keinen Grund, die vorgefundenen Gaben der Intuition rational zu ergründen. Vielmehr ist es in der Ethik üblich, das Gewissen als die »nur« psychologische Erscheinungsform des von höherer Warte gebotenen Sollens anzusehen. Ist es jedoch plausibel, die schlafwandlerische Sicherheit und die prompte Schlagkraft des Gewissens von einer bloß verinnerlichten Form auswendiger Regeln zu erwarten? Ist diese Annahme nicht so absurd wie etwa die Unterstellung, daß das Denken in der Anwendung auswendig gelernter logischer Regeln und die ästhetische Urteilskraft in der Anwendung eingetrichterter Geschmacksregeln besteht? Ist es nicht umgekehrt so, daß die Auswendigkeit der Regeln selber von ihrem bloß rekonstruierten Charakter herrührt? Vollziehen diese Regeln nicht lediglich nach, was die Intuition immer schon beherrscht? Gewiß, sowohl das Denken wie der Geschmack als auch das Gewissen können durch die Beschäftigung mit explizierten Regeln gebildet und geschärft (wenn freilich auch verbildet) werden. Die Annahme aber, daß das Gewissen nach keiner inneren Logik urteile, ist so unplausibel wie die, daß das Denken nur konventionelle Formen der Schlüssigkeit kenne und das ästhetische Urteil nur gesellschaftlich zugemuteten Regeln folge. Von den Gaben der Intuition hat wenig verstanden, wer von ihrer inneren Logik nichts versteht. Die Logik, nach der das Gewissen urteilt, ist die der Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von empfangener Wertschätzung. Wo diese Abhängigkeit be-
steht, wird es inkonsequent, der anderen Gefühle nicht zu achten. Sie können nämlich nur in dem Maße zählen, indem sie auch für wert gehalten werden. Die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls relativiert den Unterschied zwischen den eigenen und den anderen Gefühlen. Das Gewissen rächt die Verletzung derjenigen Gefühle, von denen die Selbstwertschätzung tatsächlich oder der Möglichkeit nach abhängt. Das Gewissen bedarf keiner äußeren Gebote, um aktiv zu werden. Es ist ein natürliches Organ der Selbstachtung. Es hat Sitz und Stimme in der inneren Kabinettrunde, sobald das Selbst sich schätzen mag. Die Selbstachtung gebietet: Was du nicht willst, daß man dir tu’, das füg auch keinem andern zu! Sobald der Wunsch nach Selbstwertschätzung erwacht, ist auch dieses Gebot in Kraft. Das Gewissen hält uns nicht im Namen eines höheren Sollens, sondern im Namen dessen von der Mißachtung dieses Gebots ab, was wir von uns selbst halten dürfen. Es ist die Logik der abhängigen Selbstwertschätzung, die dem Gewissen seine so prompte und schlagende Urteilskraft verleiht. Sein Biß bestätigt noch indirekt die Substantialität der Abhängigkeit. Nur folgerichtig, wenn es mit dem Entzug von Selbstwertschätzung straft. Seine Warnung läßt spüren, was auf dem Spiel steht. Seine Strafe ist furchtbar, weil sie uns zwingt, uns selbst zu verachten. Das Gewissen läßt sich ohne nachhaltige Wirkung für das Selbstgefühl nicht unterdrücken. Man kann es zwar, wie alle intuitiven Gaben, stumpf machen. Man kann es aber nicht abstumpfen, ohne die gesamte Ökonomie der Selbstwertschätzung zu stören – um nicht zu sagen: zu zerstören. Die Ökonomie der Selbstwertschätzung stellt einen Ansatz dar, der es ermöglicht, die Urteilskraft des Gewissens nach den Beispielen der intellektuellen und ästhetischen
Urteilskraft zu explizieren. Sie erlaubt nach den Gründen der Triftigkeit des Gewissensurteils und danach zu fragen, warum das Gewissen so und nicht anders spricht. Die Ökonomie der Selbstwertschätzung läßt, um es kurz und bündig zu sagen, das Projekt einer rationalen Ethik ins Auge fassen. Eine rationale Ethik ist, wessen die Wissenschaftstheorie bedarf, will sie das Unterfangen wissenschaftlicher Erkenntnis als in einem unverkürzten Sinne rational ausweisen.
Siebtes Kapitel
Moralische Eleganz
Die Moral ist eine wirkliche Macht. Es gibt das im soziologischen Sinn wirkliche Gute. Dieses wirkliche Gute setzt entscheidende Differenzen für die Qualität des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen. Unter Menschen mit moralisch hohem Standard läßt es sich gut leben, unter Menschen mit einem niederen kaum. In der Ökonomie der Aufmerksamkeit übernimmt das Niveau der allgemeinen Moral sogar die Rolle, die der Wohlstand in der materiellen spielt. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit kann nämlich nur wachsen, indem das Niveau der zwischenmenschlichen Wertschätzung steigt. Das Quantum an Aufmerksamkeit, die es in einem Gemeinwesen zu verteilen gibt, ist mehr oder weniger konstant. Es kann umverteilt, es kann aber nicht wesentlich gesteigert werden. Was gesteigert werden kann, ist der Wert, den die Menschen auf die eingenommene Aufmerksamkeit legen. Das quantitativ konstante Aufkommen kann ökonomisch wachsen, indem das Niveau der zwischenmenschlichen Wertschätzung steigt. Der knappste Ausdruck für die wirkliche Macht der Moral ist der Einfluß, den der moralische Standard des Umgangs auf die Wertschätzung nimmt, die aus dem Umgang resultiert. Ökologischer Hedonismus Moralisch ist der mentale Kapitalismus dem materiellen nicht von vornherein überlegen. Vielmehr teilt er mit dem
materiellen das soziale Klassensystem. Er steht ihm in der Rücksichtslosigkeit nicht nach, mit der die Kapitalverhältnisse durchgesetzt werden. Im massenmedialen Kampf um die Aufmerksamkeit, im professionellen Geschäft der Attraktion und im Getöse öffentlicher Schaustellung ist von einem Bewußtsein um die besonders Qualität des umkämpften Guts wenig zu spüren. Allerdings wäre das moralische Urteil Über den mentalen Kapitalismus nun verkürzt ohne die Einbeziehung des Unterschieds, den der Kampf um die Aufmerksamkeit und der Kampf ums Geld in ökologischer Hinsicht machen. Es ist ebenfalls ein moralisch begründetes Anliegen, aus der Materialschlacht gegen die – beziehungsweise gegen unsere eigene -Natur auszusteigen. Ohne natürliche Lebensgrundlage hat auch die Moral keine Grundlage. Der mentale Kapitalismus ist nun aber nur deshalb in der Lage, dem materiellen auf so breiter Front Konkurrenz zu machen, weil er derselben Geschäftsmäßigkeit und derselben Art Unternehmertum Betätigungsfelder bietet. Wenn ökologische als moralische Gründe zählen, dann ist es noch nicht einmal selbstverständlich, daß eine mehr egalitäre Verteilung der kapitalisierten Beachtung moralisch geboten ist. Anlaß zur Hoffnung auf einen Friedensschluß mit der Natur gibt die Entmaterialisierung des Wirtschaftsprozesses noch nicht. Es reicht nicht, material- und energieintensive Prozesse durch informationsintensive zu substituieren. Nicht einmal die Angleichung der Geldpreise an die ökologischen Knappheitsverhältnisse wird die Kehre ohne weitere Hilfe bewirken können. Soll wirklich an eine ökologische Umkehr des Wirtschaftens zu denken sein, dann muß sich das wirtschaftliche Streben auch von der subjektiven Seite her ändern. Das Geldverdienen darf dann nicht
länger die Hauptrolle im Leben spielen. Es ist illusorisch, diese Umorientierung von einer massenhaft einkehrenden Bereitschaft zur Abstinenz zu erwarten. Wenn es einen Ausweg aus der Fixierung aufs Materielle gibt, dann nur innerhalb der hedonistischen Grundorientierung. Es müssen dann andere als jene Zielvorstellungen in Mode kommen, die ums große Geld und den physischen Komfort kreisen. Es muß neuartige Karrieremöglichkeiten geben. Auch und gerade das ehrgeizige Streben muß dann etwas Neues zu beißen bekommen. Es müssen sich neue Realisierungschancen für das aggressive Kämpfen um große Ziele auftun. Dieser Wandel der Zielvorstellungen kann nur von einer Ökonomie kommen, die sich in Augenhöhe der alten als Alternative anbietet. Die neue Ökonomie muß die direkte Verfolgung der Ziele anbieten, die mit dem Geldverdienen schon indirekt verfolgt wurden. Sie muß den Umweg über den materiellen Aufwand als überflüssig und sogar als unelegant erscheinen lassen. Ungleich verteilter Reichtum – sei es an Geld, an Machtbefugnissen oder an Beachtung – ist leider auch ein Preis für das Angebot an Karrieren, das die Gesellschaft für Talente bereithält. Ganz unabhängig davon, ob das Angebot von den Talentiertesten auch realisiert wird, muß eine Gesellschaft Chancen für diejenigen offenhalten, die der Ehrgeiz treibt, etwas Außergewöhnliches zu leisten. Man muß sich, wenn man an den Wandel von Wertsystemen denkt, vor Augen halten, daß das historisch bei weitem verbreitetste Angebot dieser Art die Einladung zu kriegerischen Heldentaten war. Das ganze Feudalsystem gründete auf die Bereitschaft, für die höhere Ehre das Leben aufs Spiel zu setzen. Es war eine der entscheidenden Zivilisierungsleistungen des materiellen Kapitalismus, daß er Karriereziele anbieten konnte, die mit den militärischen
konkurrierten. Diese wirtschaftlich domestizierten Karriereziele sind es, die heute den Korpsgeist auf den Feldherrnhügeln im Krieg gegen die Natur bestimmen. Will man, daß dieser Krieg aufhört, dann müssen die wirtschaftlichen Ziele ernstzunehmende Konkurrenz bekommen. Vielleicht löst sich das Problem von selbst durch den Zusammenbruch der paternalistischen Wertordnung. Vielleicht aber wird es auch einmal als Zeichen der endgültigen Wende in den Geschlechterrollen in die Geschichte eingehen, daß der Reichtum an Beachtung generell wichtiger wurde als der an Geld und Macht. Es widerspräche jedenfalls allem, was wir aus der Geschichte lernen können, wollten wir annehmen, daß ein grundlegender Wertewandel ohne ein Konkurrenzangebot möglich sei, das dem wachsten, intensivst suchenden und zum Aufstieg entschlossensten Teil der Gesellschaft attraktiver erscheint als der Dienst am Hergebrachten. Ein solches Konkurrenzangebot hat zur Zeit, wenn nicht alles täuscht, nur der mentale Kapitalismus zu bieten. Die soziale Ungleichheit ist nicht nur im materiellen, sondern auch im mentalen Kapitalismus erschreckend. Die gangbare Alternative zum Kapitalismus des Geldes besteht aber nicht in der Gleichverteilung der Beachtung. Sie besteht in einem Gratifikationssystem, das auch und gerade in der möglichen Differenzierung mit dem System der Geldeinkommen mithalten kann. So nett die Vorstellung einer egalitären Verteilung der in einer Gesellschaft getauschten Beachtung auf den ersten Blick erscheinen mag, so unfreundlich erweist sich diese Vorstellung, wenn man an die Durchsetzung eines entsprechenden Verteilungsschlüssels denkt. Was würde es helfen, wenn alle das Recht hätten, einmal im Fernsehen aufzutreten, wenn nicht gleichzeitig die Vorschrift erlassen würde, daß alle zus-
chauen müssen? Die Vorstellung seiner gesellschaftlich durchgesetzten Gleichverteilung macht das alternative Einkommen nicht attraktiver, sondern entwertet es überhaupt. Das Klassensystem der Beachtlichkeit hat nichts mit Ketten zu tun, die in kollektiver Erhebung abzuschütteln wären. Es hat mit unserer Konstitution als zugleich fühlende und denkende Wesen zu tun. Es hat damit zu tun, daß wir mit Eitelkeit geschlagen beziehungsweise begabt sind. Es folgt aus dem kollektiv hochentwickelten Verstandesgebrauch im Spielen des Spiels »Aufmerksamkeit tauschen«. Dieses Spiel ist ein hartes Spiel. Es ist hart, weil es um so viel geht. Und es ist hart, weil es ein Nullsummenspiel ist, was das Quantum der zu verteilenden Aufmerksamkeit betrifft. Es brächte nun aber das größte Unglück über die Menschen, wollte man es dieser Härte wegen unterbinden. Das Spiel folgt Regeln, die niemand ausgedacht und niemand auferlegt hat. Sie sind selber Ergebnis des Spielens. Wenn es möglich sein soll, sie zu ändern, dann nur, indem die Spieler selber ihren Vorteil besser erkennen. Ordinärer und nobler Reichtum Das Fehlen einer überlegenen Alternative ist kein Grund, sich mit der kruden Form des mentalen Kapitalismus zufriedenzugeben. Krad ist die Konkurrenz um Beachtung, die nur den Tausch- beziehungsweise Kurswert der jeweils eigenen Aufmerksamkeit im Auge hat. Krud ist das System der Eitelkeit, in dem statt Geld nun eben Beachtung gescheffelt wird. Weder moralisch noch ästhetisch ist der Kapitalismus der Beachtlichkeit dem des Geldes überle-
gen, wo es rein geschäftsmäßig um Auflagenhöhen und Einschaltquoten geht, wo sich der gesellschaftliche Ehrgeiz um die Abwärme der prominenten Kapitale rangelt, wo der neue Reichtum an Beachtung im Rummel der Publicity auftrumpft. Allerdings gehört es zu den Zeichen für den hochentwickelten Stand der Aufmerksamkeitsökonomie, daß sich der beachtliche Reichtum bereits deutlich in ordinäre und verfeinerte Formen differenziert. Es ist ja nicht so, daß alle es genießen würden, in Talk-Shows vorgeführt zu werden, in Klatschspalten zu prangen und von der Regenbogenpresse hofiert zu werden. Es gibt auch jene, die auf ihr Publikum achten und unter dem Beifall von der falschen Seite leiden. Nicht alle zieht es ins Fernsehen, nicht alle träumen von der Titelseite, nicht allen ist die Bestsellerliste die Leiter zum Himmel. Manchen ist es wichtiger, von denen ein bißchen bewundert zu werden, für die sie selbst Bewunderung hegen. Nicht alle lassen sich vom Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit blenden. Es gibt auch solche, denen kritische Anerkennung wichtiger ist als der Jubel der Massen. Verfeinerung besteht beim beachtlichen Reichtum – wie sonst auch – im Luxus der Selektivität. Sie beginnt, wo die Wahllosigkeit des Buhlens um Beachtung endet. Sie ist keineswegs das Privileg derer, die sich vor Zuspruch nicht retten können. Sie hat ihren Platz, wo die Empfindlichkeit aus Gründen zunimmt, die nichts mit der Säure zu hoch hängender Trauben zu tun haben. Es sind zweierlei Triebfedern, die sie befördern: Snobismus und Adäquanz. Snobismus ist kein schlechter Ratgeber in Fragen des ihrem Wesen angemessenen Umgangs mit Aufmerksamkeit. Dieser Umgang kann gar nicht selektiv genug sein. Zugewandte Aufmerksamkeit verkörpert, als intrinsischen Wert, die Wertschätzung, die die zuwendende Person für
die adressierte hegt. Selektivität im Umgang mit empfangener Aufmerksamkeit bedeutet zunächst einmal, es mit diesem intrinsischen Wert genau zu nehmen. Es ist eine Art von Schummelei, ihn unbesehen aufs Konto der Selbstwertschätzung zu buchen. Vornehm und tadellos im Sinne der Selbstachtung ist nur, wer ihn genau mit derjenigen Wertschätzung verrechnet, die aus unabhängigen Gründen auf die Person des Absenders gelegt wird. Wer die Beachtung, die ihm oder ihr zufliegt, unbesehen in Selbstwertgefühl umsetzt, verrät, daß er oder sie auf sich selbst zu wenig hält. Dieser Mangel an Selbstachtung mag noch so verständlich sein, er hat etwas im abträglichen Sinne Gewöhnliches. Snobismus schützt vor diesem ordinären Zug. Die konsequente Spitze des Snobismus ist es, die ganze Kapitalisierung der eingenommenen Aufmerksamkeit zu verachten. Kern der Kapitalisierung ist der Effekt, daß alle schauen, weil alle anderen schauen. Die Neigung zu schauen, weil die anderen schauen, gehört nicht zu den höheren Weihen der menschlichen Natur. So sollte auch die Wertschätzung, die nur darauf beruht, daß all die anderen Wertschätzung bekunden, kein Grund sein, die Selbstwertschätzung ungeheuer wachsen zu lassen. Nichts zeichnet die gewöhnlichen Kapitalisten des Geists jedoch mehr als das sichtlich geschwollene Ego aus. Gegen diese Breitbeinigkeit ist Snobismus ein gutes Mittel. Nichts hilft gegen Überheblichkeit besser als die ÜberÜberheblichkeit. Der Snobismus allerdings leidet seinerseits an einer kleinen Ungenauigkeit. Er macht nämlich ein eigentlich moralisches Problem zu einem ästhetischen. Was den Umgang mit fremder Aufmerksamkeit vom Umgang mit allem anderen, was uns lieb und teuer ist, unterscheidet, ist die Abhängigkeit ihres Werts nicht nur von unseren eigenen, sondern auch von den Gefühlen der
anderen Seite. Genauigkeit in diesem Umgang verlangt daher Adäquanz sowohl im Sinn des eigenen als auch im Sinn des anderen Fühlens. Sie ist, anders gesagt, ein moralischer Auftrag. Die Stimme der Moral ist die Stimme, die das andere Fühlen im eigenen vertritt. Moralische Adäquanz meint, dem schlichten Sachverhalt gerecht zu werden, daß wir in unserem Dasein nicht allein und in unserem Fühlen abhängig von den Gefühlen anderer sind. Diese moralische Adäquanz deutet der Snobismus in eine nur noch ästhetische um. Er nimmt es mit dem anderen Fühlen nicht als anderer Instanz des eigenen, sondern nur in dem Vergleich genau, ob das andere auch gut genug für das eigene Fühlen ist. Snobismus ist gut als Gegengift gegen die wahllose Gier nach schmeichelhaften Gefühlen. Es schützt vor der unappetitlichen Gewohnheit, alles aufzusaugen, was nach Zuwendung aussieht. Er macht sich aber selbst einer uneleganten Nachlässigkeit schuldig. Er läßt einen Egoismus zum Vorschein kommen, der auf seine Weise ausplaudert, wie schwierig es ist, im Namen der Selbstwertschätzung mit der Abhängigkeit vom anderen Fühlen zurechtzukommen. Angemessener Umgang mit der Aufmerksamkeit anderer zählt zum Schwierigsten, was uns Menschen aufgegeben ist. Nichts fordert unsere Intelligenz so sehr wie der Umgang mit der Intelligenz anderer, nichts das Feingefühl so sehr wie der Umgang mit anderen Gefühlen, nichts den Takt so sehr wie der Umgang mit der wechselseitigen Abhängigkeit der Selbstwertschätzung. Diese Art Umgang kennt keine Patentlösungen, die ihn vereinfachen könnten, sie kennt kaum Vorteile, die nicht auch Nachteile hätten, sie kennt immer nur lokale Optima, aber so gut wie nichts, was nur lokale Bedeutung hätte. Alle, die diesen Umgang halbwegs beherrschen, sind Künstler im wahren Sinne des Worts. Sie verstehen sich
auf etwas, das sehr viel technisches und spielerisches Können voraussetzt, das aber weit über die Beherrschung einer Technik und die kompetente Anwendung von Regeln hinausgeht. In allen Künsten gibt es ein technisches Grundkönnen, das gelernt werden kann. So gibt es auch im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit Umgangsformen und Anstandsregeln, die man beigebracht bekommen und einüben kann. Nirgends in der Kunst reicht die Beherrschung des Handwerks aber schon hin. Im Umgang mit anderer Aufmerksamkeit wirkt die Förmlichkeit sehr schnell abgerichtet und seelentot. Es gibt keine Kunst ohne gewaltige Unterschiede in der Höhe des Strebens und im Grad des Gelingens. Im Umgang mit anderer Aufmerksamkeit geschieht es ganz unwillkürlich, daß sich ein bestimmtes Niveau einstellt und ein bestimmtes Format zum Tragen kommt. Daß wir uns, ob wir wollen oder nicht, in einer Kunst üben, wenn wir mit der Einnahme anderer Aufmerksamkeit befaßt sind, hat einschneidende Folgen für den Reichtum an Beachtung. Es genügt nicht, Beachtung wie Geld zu scheffeln. Man muß auch Persönlichkeit zeigen. Wer nur auf seinem Sachgebiet etwas zu bieten hat, mag reich im Sinne der Buchhaltung werden, reich im Sinne jenes Wertes, der die Prominenz dem materiellen Reichtum überlegen macht, wird sie oder er nicht. Je mehr Beachtung man bezieht, um so schärfer wird das Licht, in dem das Niveau des Umgangs mit der anderen Aufmerksamkeit erscheint. Man kann nicht im Rampenlicht stehen, ohne auch das Format auszustellen, das man füllt. Daß mit den steigenden Einkommen an Beachtung der Wunsch nach Verfeinerung einhergeht, ist alles andere als ein Zufall. Man kann den Reichtum nicht genießen, wenn das Können des Umgangs nicht mithält. Wie man den materiellen Reichtum nicht herzeigen kann, ohne Auskunft
über die Güte seines Geschmacks zu geben, so kann man das öffentliche Interesse an der eigenen Person nicht bedienen, ohne auszuplaudern, wie es um die Eleganz seiner Manieren bestellt ist. Natürlich ist auch diese Eleganz etwas, das in gewissem Umfang gelernt werden kann. Man kann sie ausbilden, wie man den Geschmack bilden kann. Nur gehört eben mehr dazu als das Einüben von Formen und Regeln. Es reicht nicht, daß der Verstand etwas kapiert. Die Intuition will gebildet werden. Dafür braucht man gute Berater, wenn man kein Naturtalent ist. Kein Wunder, daß im materiellen Wohlstand die Beratung in Geschmacksfragen zum bedeutenden und teils wichtigsten Faktor des Konsumgeschäfts wurde. Man braucht sich denn auch nicht zu wundern, wenn in der Mediengesellschaft das personality building und Publicity Coaching rasant an Bedeutung gewinnt. Auch die beste Beratung aber kann mangelnde Intuition nicht ersetzen. Sie kann der Intuition lediglich Hilfestellung geben und versuchen, deren eigener Intelligenz auf die Sprünge zu helfen. Die Intuition, die gebildet sein will, wenn der Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit Eleganz annehmen soll, ist mit Einfühlungsvermögen unvollständig beschrieben. Es geht nicht nur darum, zu merken, was im anderen Bewußtsein vor sich geht, es geht auch darum, einen Sinn für die ontologische Würde des anderen Daseins zu entwickeln. Ohne diesen Sinn bleibt das dem anderen Bewußtsein zugeschriebene Geschehen flach. Damit sich hinter den äußeren Anzeichen die Dramatik eines Seelenlebens auftut, bedarf es eines Sinns wie dessen, der aus Ölfarbe Kunst und aus Tönen Musik macht. Dieser Sinn ist in uns angelegt. Es ist derselbe Sinn, der uns zu moralischen und für das andere Dasein verantwortlichen Wesen macht. Er kann es an Urteilskraft mit dem ästhetischen Sinn leicht
aufnehmen. Das Gewissen ist schon deshalb mehr als die verinnerlichte Form auswendiger Regeln, weil seine intuitive Intelligenz viel weiter geht als alles, was an Regelwerk für den Umgang mit dem anderen Fühlen je aufgestellt wurde. Es hat mit verfaßten Geboten der Moral soviel zu tun wie Takt mit Anstandsregeln. Es berät uns auch keineswegs nur in sogenannten Gewissensfragen. Vielmehr hat es das Sagen, wenn wir uns tatsächlich taktvoll verhalten. Die Höhe seiner Intelligenz gibt das Niveau im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit vor. Ohne Gewissen wüßten wir nicht, was Erlesenheit und Vornehmheit in diesem Umgang meint. Besteht Verfeinerung im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit also in der Gewissensbildung? Ist Eleganz in diesem Umgang am Ende eine moralische Kategorie? Es wird höchste Zeit, daß unser intuitiver Sinn für das andere Dasein als Organ der Intelligenz gebildet statt nur als innere Anstandsperson respektiert wird. Und es wird höchste Zeit, die Moral selber als etwas anderes anzusehen denn als saure Pflicht. Wenn es befremdlich erscheint, von Verfeinerung als Gewissensbildung zu reden, dann kommt in dem Befremden eine tatsächliche Verkümmerung zum Ausdruck. Wenn moralische Eleganz als ein Widerspruch in sich erscheint, dann dürfte Moral mit Triebverzicht und Bußfertigkeit verwechselt werden. Was das Gewissen in seiner spontan sich rührenden Form verlangt, ist nur, daß die grundsätzliche Abhängigkeit des eigenen vom anderen Fühlen um eine ebenso grundsätzliche Verantwortung für das andere Fühlen ergänzt wird. Es bezieht seine ganze Präzision und Schlagkraft aus der sich selbst erklärenden Forderung nach dieser Symmetrie. Die Moral ist nur einfach die Handlungslogik, die die Rekonstruktion dieser Forderung ergibt. Ohne die Richtschnur, die durch die Forderung nach Symmetrie zwischen der Abhängigkeit
von und der Verantwortung für das andere Fühlen aufgespannt wird, ist nun aber nicht daran zu denken, eine höhere Gefühlskultur aufzurichten. Die Verfeinerung der Gefühlskultur trägt sich dem Reichtum an Beachtung auf, wie sich die ästhetische Verfeinerung dem materiellen Reichtum aufgetragen hatte. Wie der Unterschied von Ordinär und Fein beim materiellen Reichtum ein zunächst ästhetischer ist, ist er beim Reichtum an Beachtung ein zunächst moralischer. Ein hoher Bekanntheitsgrad trägt ordinäre Züge genau solange, wie die Abhängigkeit des zur Schau getragenen Selbstwertgefühls von der eingenommenen Beachtung penetrant vorschmeckt. Es ist nicht fein, sich im Bad der zuströmenden Aufmerksamkeit zu räkeln, ohne sichtbar auch die Verpflichtung anzunehmen, die einem aus den glücklichen Umständen erwächst. Diese Verpflichtung kann nicht zum Vorschein kommen, solange die Beachtung vorbehaltslos und gleichgültig von welcher Seite eingenommen wird. Auch Selektivität, und sei sie die heikelste, reicht noch nicht hin. Damit der Vorgeschmack der Abhängigkeit verschwindet, muß sich die Selbstachtung neben dem Selbstwertgefühl behaupten. Ein ausgewogenes Verhältnis von vermitteltem Selbstwertgefühl und unmittelbarer Selbstachtung ist nun aber ein anderer Ausdruck für die Symmetrie zwischen dem Selbstgefühl, das aus der empfangenen Beachtung gezogen wird, und der Verantwortung, mit der der Empfänger auf die Einnahme antwortet. Moralische Eleganz meint, daß dieses Verhältnis nicht nur ausgewogen ist, sondern sichtbar und in hohem Maße glückt.
Der Zirkel der Abfälligkeit und der Zirkel der Wohltätigkeit Moralische Eleganz ist kein Privileg des hohen Bekanntheitsgrads. Sie ist ganz einfach das Beste, was wir aus der Abhängigkeit unseres Selbstwertgefühls machen können. Sie ist die höchste der aus der Not geborenen Tugenden und das der Zeit gemäße Ideal der Herzensbildung. Sie ist, um es genau zu formulieren, die Art des Zurechtkommens im mehrfach gebrochenen Zusammenhang zwischen dem Wunsch nach Beachtung und der Sorge um den Selbstwert, die in keiner Weise krumm macht. In diesem aufrechten Gang besteht die Kunst des angemessenen Umgangs mit der anderen Aufmerksamkeit. Was ihn so schwierig macht, ist, daß er den gebrochenen Zusammenhang in beiden Richtungen beansprucht, während dieser nur in einer Richtung trägt. Die Sorge um den Selbstwert hält zwar an, für reichlich Beachtung zu sorgen, der Wunsch nach Beachtung ist aber der Eitelkeit hörig und nicht der Selbstachtung. Die Eitelkeit ist eine der gewöhnlichen, kunstlosen Formen der Abhängigkeit des Selbstwerts. Sie macht krumm, weil es ihr an Selbstachtung und Stolz mangelt. Aber auch Stolz ist nicht die Art der Aufrichtigkeit, die moralisch elegant ist. Dem Stolz fehlt es an Geschmeidigkeit, ihn macht hysterische Selbstachtung steif. Moralisch elegant ist die Art Aufrichtigkeit im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit, die aus Einfühlung und Verantwortung heraus die Fährnisse der Eitelkeit und des Stolzes meistert. Es wäre moralisch ausgesprochen unelegant, moralische Eleganz von denen zu fordern, die darben. Auch bei der Versorgung mit Beachtung kommt das Fressen vor der Moral. Nur heißt das nicht, daß das Leiden unter dem Mangel an Beachtung frei von moralischen Problemen
wäre. Die Probleme bleiben nur undeutlich, solange man das Wesen der Moral mit dem Gegenstand etablierter Morallehren verwechselt. Sobald man die Ethik als eine im weiteren Sinne verstandene Klugheitslehre auffaßt, wird deutlich, daß der Mangel an Beachtung mit einem eminent moralischen Problem kämpft. Er läßt nicht nur an Entzugserscheinungen leiden, er birgt auch die Gefahr einer Art Selbstverdummung. Er legitimiert nämlich eine sonst zutiefst unmoralische Finte als Notwehr. Wer gar nicht an die Beachtung kommt, auf die er nicht umhin kann aus zu sein, darf versuchen, denen die Wertschätzung zu entziehen, die sie ihm verweigern. Er darf – als Ultima ratio – sich und anderen einreden, daß die seines Verlangens nicht würdig sind, die es mißachten. Es zeugt von moralischem Hochmut, sich über diesen Selbstbetrug zu entrüsten. Die Selbstwertschätzung darf sich der Abhängigkeit von äußerer Wertschätzung mit fast allen Mitteln erwehren, bevor sie an ihr zugrunde geht. Allerdings ist die Rettung, wenn sie im Heruntermachen derer besteht, die man eigentlich schätzt, teuer erkauft. Nicht nur, daß wir hier am Ursprung der verbreitetsten Form des alltäglich Bösen stehen. Die Rettung läßt auch die Geretteten nicht ungeschoren. Erstens hat die Revision der Wertschätzung offene Grenzen zum gewöhnlichen Opportunismus der SaureTrauben-Politik, zweitens läßt sie den besten der Sinne für das Geschehen im anderen Bewußtsein verkommen. Die mögliche Revision der ursprünglich empfundenen Wertschätzung lädt dazu ein, diese überhaupt nach Opportunität zu verteilen. Der beste unserer Sinne für das Geschehen im anderen Bewußtsein ist das zähe Festhalten an der Annahme, daß es gute Gründe sind, die hinter dem äußeren Verhalten stecken. Das rettende Heruntermachen begibt sich auf eine in zweierlei Hinsicht schiefe Ebene. Erstens
neigt das Heruntermachen dazu, sich als Prophezeiung selbst zu erfüllen; zweitens neigt der Zirkel von Mißachtung und Heruntermachen zur Selbstverstärkung. Das Leiden unter zu wenig Beachtung schmerzt nicht nur, sondern entstellt auch noch. Es treibt die grundsätzlich richtige Bereitschaft zu einer gewissen Anpassung des eigenen Wertschätzens an die empfangene Beachtung in die Prostitution. Die Verkehrung des ursprünglichen Wertschätzens in angestrengtes Heruntermachen ist eine Form der Selbstvergewaltigung. Auch und gerade dann, wenn sie das Selbstwertgefühl rettet, ist sie Gift für die Selbstachtung. Sie setzt das Wertvollste aufs Spiel, das die Person selber zu geben hat. Sie entwertet die Gefühle, die die eigene Zuwendung transportiert – erst für einen selbst, dann aber, wenn sie ruchbar wird, auch in den Augen der anderen. Sie gibt im nachhinein den ablehnenden Gefühlen recht, die zu desavouieren doch ihr ganzer Sinn und Zweck ist. Aber nicht genug damit. Die willfährige Anpassung des eigenen Wertschätzens an die Opportunität stumpft auch den Sinn für das Geschehen im anderen Bewußtsein ab. Weil wir keinen direkten Einblick in die Intentionen und Motive anderer haben, sind wir darauf angewiesen, sie aus äußeren Anzeichen zu erschließen. Aus äußeren Anzeichen erschließt sich ein komplexes Innenleben nur unter der Annahme, daß das Verhalten insgesamt sinnvoll ist. Unser Sinn für das Geschehen im anderen Bewußtsein geht genau so weit, wie wir mit dieser Annahme umzugehen wissen. Wir kommen nicht weit, wenn wir bei Verständnisschwierigkeiten unseren Partner für dumm oder nicht ganz bei Sinnen verkaufen. Über eigentliche Trivialitäten kommen wir erst hinaus, wenn wir uns angewöhnen, bei anscheinender Unverständlichkeit deren Ursache nicht auf der andern Seite, sondern bei uns selbst zu suchen. Zu
subtileren Formen des Verstehens – und damit auch der Verständigung – gelangen wir nur durch zähes Festhalten an der Annahme, daß nicht die anderen, sondern wir selbst die Dümmeren sind, wenn wir nicht verstehen. Nichts schärft unseren Sinn für das Geschehen im anderen Bewußtsein so sehr wir das großzügige Vorschießen an Vertrauen in dessen Intelligenz. Auch um diese Sinnesschärfung bringt sich, wer andere heruntermacht. Er schafft sich die Ödnis selbst herbei, die sein beleidigtes Wunschdenken unterstellt. Wer sich das angewöhnt, macht sich selbst uninteressant als Tauschpartner von Aufmerksamkeit. Er gibt nachträglich der Mißachtung recht, auf die er so beleidigt reagiert. Der Zirkel von Mißachtung und Heruntermachen ist ein Teufelskreis. Er ist es, der die Armut an Beachtung ins Elend abgleiten läßt. Und man sage nicht, daß dieses Elend nicht grassiert. Man erkennt es von ferne schon an dem wegwerfenden Ton, in dem von Mitmenschen ganz generell geredet wird. Man hat ihn im Ohr, wo die anderen nur ein Pack von Idioten sind. Nimmt man die Notorik der Abfälligkeit im Reden über andere als Indikator, dann haben wir es im Kapitalismus der Beachtlichkeit mit einem sozialen Elend zu tun, das nicht nur von ferne an das erinnert, was die Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse im Materiellen mit sich brachte und bringt. Ist es nicht zynisch, angesichts dieses Elends von moralischer Eleganz zu reden? Es wäre vielleicht zynisch, wenn der moralisch elegante Umgang mit anderer Aufmerksamkeit reiner Luxus wäre. Tatsächlich stellt er aber nur die konsequente Umkehrung des herunterziehenden Umgangs dar. Der Zirkel der Selbstverstärkung kann nach beiden Seiten hin schnappen. Er läßt sich ins genaue Gegenteil des Zirkels der Abfälligkeit verkehren. Die Umkehrung fängt damit an, daß das eigene Wertschätzen in
taktischer Absicht gehoben statt gesenkt wird. Dieses Heben statt Senken ist der erste und entscheidende Schritt in Richtung Eleganz. Alle Eleganz fängt mit Großzügigkeit an. Und Großzügigkeit kann im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit weder heißen, mit der eigenen verschwenderisch umzugehen, noch, Almosen zu verteilen. Verschwendung der eigenen Aufmerksamkeit wäre ineffizient und damit von vornherein unintelligent. Milde Gaben in Sachen Zuwendung sind keine Wohltat, sondern eine Zumutung. Großzügigkeit im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit kann nur bedeuten, daß mit dem Vorschuß an zutrauender Beachtung nicht geknausert wird. In der Form dieses Vorschusses läßt sich die taktische Hebung der Wertschätzung für die andere Person ohne ungutes Verbiegen plazieren. Es tut keiner Wahrhaftigkeit des Fühlens und keiner Tadellosigkeit der Haltung Abbruch, wenn an der Unterstellung der Sinnhaftigkeit und Intelligenz des Verhaltens festgehalten wird auch dort, wo der äußere Anschein zunächst dagegen spricht. Hält man an dieser Unterstellung fest, sind die Konsequenzen außerordentlich. Es ist schwer, sich dem Charme und der Herausforderung großzügig unterstellter Intelligenz zu entziehen. Der Vorschuß an wohlmeinender Beachtung fordert nicht nur auf, sich von der besten Seite zu zeigen, er ist auch das beste Mittel, den Empfänger unter positiven Streß zu setzen. Er ist der einzige Trick, der zum harten Verkaufen der eigenen Aufmerksamkeit taugt. Er blamiert nämlich denjenigen, der die Zuvorkommenheit schnöde an sich abgleiten läßt. Wer Herzen für sich einnehmen will, sollte sich auf diesen Trick verstehen. Unsere Intuition beherrscht ihn allemal. Sie wendet ihn ohne zu fragen an, wenn wir uns verlieben. Sich zu verlieben heißt, sich in eine Orgie wohltätiger Interpretation zu stürzen. Die Liebe zeigt, welche Kräfte der Vorschuß wohlmei-
nender Beachtung entfesseln kann. Die Höhe, auf die die Euphorie trägt, wird durch einen Zirkel der Selbstverstärkung überwunden, welcher den der Abfälligkeit einfach umkehrt. Natürlich soll dies nicht heißen, daß die Alternative zur grassierenden Abfälligkeit darin zu suchen ist, daß alle einander in den Armen liegen. Die Liebe taugt nicht zur Inflation. Es wäre mehr als nur naiv, dem Elend, in das die Armut an Beachtung treibt, durch Anempfehlen von mehr Freundschaft abhelfen zu wollen. Die Gefühle der Zuneigung dürfen überhaupt nicht gegängelt und manipuliert werden. Nur umgekehrt gilt, daß es gegen die Gebote sowohl der Moral wie auch Effizienz verstößt, wenn mit den Pfunden der wohltätigen Interpretation nicht nach Kräften gewuchert wird. In dieser Hinsicht ist das öffentliche Bewußtsein keineswegs auf der Höhe der ökonomischen Möglichkeiten. Wir haben ein blühendes Kreditwesen, was die Finanzierung großer Projekte mit vorgeschossener Beachtung betrifft. Im kleinen scheint der Tausch der Aufmerksamkeit aber notorisch unterfinanziert. Unzählige der alltäglichen Tauschgeschäfte laufen schief, weil zu wenig darauf geachtet wird, wie nahe die Ursprünge der sich zum Guten und Schlechten hin selbst verstärkenden Zirkel beieinander liegen. Ungezählte Austauschbeziehungen könnten gerettet werden, wenn die Unterstellung der Sinnhaftigkeit und Schlüssigkeit des anderen Verhaltens nicht so schnell aufgegeben würde. Unzählige Chancen zur Schöpfung aufmerksamer Einkommen werden vertan, weil die Vergabe vorgeschossenen Wohlwollens aus schlechter Gewohnheit zu engstirnig erfolgt. Es bedarf keiner Sehergabe, um zu sehen, daß beim Vorschuß wohlmeinender Beachtung gerade im kleinen Kreditgeschäft gewaltige Entwicklungspotentiale schlummern. Man mag sich sogar fragen, wo das größere Prob-
lem liegt: im hochentwickelten Finanzwesen des Massengeschäfts oder in der Unterfinanzierung des alltäglichzwischenmenschlichen Tauschs. Es ist jedenfalls nicht so, daß wir nur ein Einkommensgefälle zwischen Reich und Arm haben, wir haben auch ein Rationalitätsgefälle zwischen den unterschiedlichen Maßstäben des Tauschs. Das Geschäft im großen Maßstab ist bereits hoch entwickelt und entwickelt sich dynamisch weiter. Der alltägliche Tausch stagniert, was die Wortschöpfung überhaupt und den Wirkungsgrad in Sachen Selbstwert betrifft. Gut möglich, daß eine repräsentative Analyse des Geschäftsgebarens das Bild einer regelrecht gespaltenen Ökonomie ergäbe: hier das hoch rationale, stark innovative und, gerade was neue Formen der Vorfinanzierung betrifft, kreative Massengeschäft; dort der nur fortgesetzte Verlauf der Tauschgeschäfte ohne erkennbare Annäherung der Performanz an die Chancen, die sich aus den energetischen Ressourcen und emotionalen Bereitschaftspotentialen ergäben. Könnte es nicht sein, daß den meistversprechenden Zugang zur sozialen Frage die Arbeit am Bewußtsein für diese Chancen bietet? Liegt die bessere Alternative zu Mildtätigkeit und Umverteilung vielleicht in der besseren Betriebsberatung des alltäglichen Tauschens und Haushaltens mit Aufmerksamkeit? Sollte der Appell, statt an das Mitleid, einfach an die Klugheit ergehen? Verstand und Gefühl Das wohltätige Interpretieren stellt keine besonderen Anforderungen, wo die Partner einander verstehen und zugetan sind. Die großzügig unterstellte Sinnhaftigkeit und Intelligenz ist hier das bewährte Mittel, um Verständnis durch Freundschaft und Freundschaft durch Verständnis
zu vertiefen. Anforderungen stellt die wohltätige Interpretation erst, wenn der Austausch nicht den Verlauf nimmt, den man sich vorstellt. Hier ist das Festhalten an der unterstellten Sinnhaftigkeit und Intelligenz des anderen Verhaltens zwar bestens geeignet, die Situation vor dem Kippen in einen abwärts drehenden Zirkel zu bewahren, der Vorschuß an wohlmeinender Beachtung spielt der nichtkooperativen Seite aber taktische Vorteile zu. Das zähe Festhalten an der Unterstellung kann an Dummheit grenzen. Im Extrem heißt es, die andere Backe hinzuhalten, wenn die eine geschlagen wird. Sobald es zu Störungen im Austausch der Beachtung kommt, ist die Verlockung zur Stelle, sich auf Kosten der anderen Seite schadlos zu halten. Es liegt so nahe, die Schuld beim anderen zu suchen. Auch wenn von vornherein klar ist, daß die Suche wenig bringt und als sicheren Effekt nur den einen hat, daß der Partner nachzieht, scheint sie geboten. Dabei ist nichts leichter, als sich im Tausch der Aufmerksamkeit enttäuschen zu lassen. Es gibt immer Gründe, sich den Austausch anders vorzustellen, als er tatsächlich verläuft. Auch Gründe, zurückzuschlagen, sind so leicht parat. Wer ganz schlau sein will, teilt gleich präventiv aus. Es schafft Ellenbogenfreiheit, die andern als diejenigen hinzustellen, die nicht durchblicken. Freilich ist es eine andere Frage, ob die Strategie rational ist. Ellenbogen machen nicht sympathisch. Was nützt das Drängeln, wenn man auf die wieder angewiesen sein wird, die man wegdrückt? Was nützt es überhaupt, wenn alle drücken? Das Gerangel auf der Überholspur schenkt allenfalls denen freie Fahrt, die sich auf die Konkurrenz gar nicht erst einlassen. Wenn es im individuellen Sinne rational ist, sich auf Kosten der anderen schadlos zu halten, dann gibt es noch eine andere Rationalität. Wir bekommen Wind von dieser anderen Rationalität,
wenn wir es uns – ob aus Versehen, Nonchalance oder nur einfach guter Laune – leisten, den eigenen Vorteil nicht so eng zu sehen. Es bedarf nur eines kleinen Sprungs über den eigenen Schatten. Wie ein Schatten folgt uns nämlich die Tatsache, daß es immer nur unsere eigenen Empfindungen und Gefühle sind, die unseren Vorteil bestimmen. Wir spüren ganz einfach keine anderen. Es ist nicht Verderbtheit, sondern unsere monadische Natur, die uns zu Egoisten macht. Wir sind so geschaffen. Wir können aus der eigenen Erlebnissphäre nicht heraus. Wir können gar nicht anders, als den eigenen Vorteil zu verfolgen. Den eigenen Vorteil nicht zu verfolgen hieße, gegen den Auftrag des eigenen Empfindens und Fühlens zu verstoßen. An diesem Auftrag darf, ja kann sich die Rationalität nicht versündigen. Auch wer sich umbringt, wählt die – mag sein, vermeintlich – bessere Alternative. Alle unsere Werthaltungen und Ziele gründen in letztlich eigenen Empfindungen und Gefühlen. Was bleibt, ist ein gewisser Spielraum in der Interpretation des Auftrags. Der Auftrag wechselt mit der Situationsdeutung. Und gerade, was die Situationsdeutung betrifft, gibt es im Umgang mit anderen Menschen immer Alternativen. Hier wird die Sichtweise des eigenen Vorteils mehrdeutig. Es gibt immer eine Sicht, die verlangt, daß man sich auf die Konkurrenz mit dem Vorsatz einläßt, die eigene Deutung durchzusetzen. Und es gibt immer eine andere, die es eher vorteilhaft erscheinen läßt, die Entscheidung hinauszuzögern beziehungsweise die Konkurrenz zu unterlaufen. Typisch ist allerdings auch, daß sich beide Sichtweisen nicht recht vertragen. Es bedarf eines Sprungs, eines gewissen diskontinuierlichen Schnappens, um den Stellenwert zu wechseln. Beide Sichtweisen haben es an sich, daß sie hinreichend begründet erscheinen. Beide neigen nämlich dazu, die Annahmen, von denen die Situationsdeutung
ausgeht, von sich aus zu bestätigen. Der Angriff kommt konkurrierenden Strategien der Gegenseite zuvor, das Zögern leistet entgegenkommenden Strategien Vorschub. Die eine wie die andere Wahl bekommt in dem Sinne recht, daß es aus dem Wald heraushallt, wie man in ihn hineinruft. Menschen, die ihren Vorteil forsch durchsetzen, sehen sich von strammen Egoisten umgeben. Menschen, die eher zu kooperativem Verhalten neigen, erleben ihre Mitmenschen auch eher kooperativ. Das rationale Abwägen der Strategien macht zum einen klar, daß es immer nur die eigenen Empfindungen und Gefühle sind, die wir spüren. Je genauer die Optionen abgewogen werden, um so deutlicher zeigt sich aber ein spezifischer Unterschied zwischen der einfachen Empfindung und dem bestimmten Gefühl. Empfindungen – man denke an Wohlbefinden oder Übelkeit, Euphorie oder Niedergeschlagenheit, Munterkeit oder Müdigkeit – sind rein subjektiv: Sie fühlen sich in bestimmter Weise an, beziehen sich aber auf nichts Bestimmtes. Gefühle hingegen fühlen sich nicht nur bestimmt an, sondern beziehen sich auch auf etwas Bestimmtes. Sie haben – man denke an Lust und Schmerz, Freude und Trauer, Hoffnung und Furcht – nicht nur ein Subjekt, sondern auch ein Objekt. Gefühle stellen intuitive Werturteile über ihr Objekt dar. Lust verklärt ihren Gegenstand; Weh spricht: Geh! Die zwischenmenschlichen Gefühle haben sogar ganz besondere Gegenstände. Sie beziehen sich auf ein anderes Subjekt. Daß auch die zwischenmenschlichen Gefühle immer nur eigene Gefühle sind, besagt gerade nicht, daß es nur die eigenen Gefühle sind, die den eigenen Vorteil bestimmen. Wo außer den eigenen auch noch andere Werturteile zählen, wird das Kalkül des eigenen Vorteils verwickelter, als es die Vorstellung der individuellen Vorteilsuche zunächst ahnen läßt. Was besagt es, daß ich immer nur mei-
ne eigene Lust und meinen eigenen Schmerz spüre, wenn meine Lust an deinen Blicken und mein Schmerz an deinen Lippen hängt? Auch mein Selbstwertgefühl ist immer nur mein eigenes. Es lebt aber geradezu von den Werturteilen, die die Gefühle darstellen, die andere für mich hegen. Schon deswegen nimmt das Kalkül der Selbstwertmaximierung ganz andere Grade und Formen der Komplexität an als die Nutzenmaximierung. Tatsächlich geht die Komplikation aber noch weiter. Der Zusammenhang zwischen meinem Selbstwertgefühl und den Gefühlen der Wertschätzung, die meiner Person gelten, ist dadurch gebrochen, daß auch meine Wertschätzung für die Person zählt, die die Gefühle für mich hegt. Diese meine Gefühle fallen, wie die des andern, nicht vom Himmel. Sie mögen in spontaner Sympathie oder Antipathie ihren Ursprung haben. Sie sind aber – als Werturteile eben – nicht einfach irrational. Sie hängen ab von unserer Interpretation des anderen Verhaltens und von der Erfahrung, die wir aufgrund dieser Interpretation machen. Wo die Gefühle persönlicher Wertschätzung eine Rolle spielen, kommen unwillkürlich Momente der Selbsterfüllung ins Spiel. Das Ziel der Selbstwertmaximierung läßt hier eine grundsätzliche Auswahl an rationalen Strategien. Die Wahl verengt sich erst, wenn die Rolle der Emotionen kleiner, wenn der Tausch der Beachtung sachlicher wird. Nicht, weil persönliche Wertschätzung etwas Irrationales wäre, sondern weil im Wechselspiel der Gefühle eine grundsätzliche Ambivalenz offenbleibt, scheinen emotional und rational betonter Umgang so verschieden. Die Bandbreite des emotionalen Verhaltens, das dem rationalen Kalkül von individueller Warte aus gleichwertig erscheint, umfaßt nun aber Optionen, die hinsichtlich ihrer sozialen Güte gar nicht gleichwertig sind. Sie umfaßt im Prinzip das ganze Spektrum zwischen wohltätiger und
abträglicher Interpretation. Ob es vorteilhafter ist, bei Störungen des Austauschs die Ursache beim Partner zu suchen oder die Suche mit einem augenzwinkernden Bekenntnis zu unterlaufen, mag aus individueller Sicht tatsächlich unentscheidbar sein. Aus gemeinschaftlicher Sicht dürfte die Entscheidung aber leicht fallen. Im einen Fall wird ein abwärtsdrehender Zirkel riskiert, im anderen bekommt ein aufwärtsdrehender eine Chance. In der sozialen Summe wird der Unterschied ganz erheblich sein. Eine Gesellschaft, deren Mitglieder aus Gewohnheit zu ersterem Verhalten neigen, wird tatsächlich mit dem Problem der Unterfinanzierung des direkt zwischenmenschlichen Austauschs der Aufmerksamkeit zu kämpfen haben. In einer Gesellschaft hingegen, deren Mitglieder es sich angewöhnt haben, im Zweifelsfall die zweite Option zu wählen, wird der Austausch eleganter und ungestörter verlaufen. Der Unterschied mag unauffällig bleiben, wo sich der Austausch auf überschaubare Kreise beschränkt. Er wird aber entscheidend, wenn es zur Bildung von Märkten der Beachtung und zur deutlichen Differenzierung der Maßstabsebenen kommt. Je deutlicher sich eine Ebene der Marktpreisbildung herausbildet, desto fühlloser wird das Geschäft im größeren Maßstab und um so entscheidender wird die Auffangfunktion des Tauschs im kleinen. Je schärfer die Marktpreisbildung greift, um so größer werden die Einkommensunterschiede und um so prekärer wird die Lage der Übergangenen. Armut kippt in Elend ab, wenn das Netz des Tauschs im kleinen Maßstab nicht hält. Erst das Schnappen des direkt zwischenmenschlichen Tauschs in die Abträglichkeit ist es, das der ungleichen Verteilung den bösartigen Zug verpaßt. Die Armut an Beachtung ist wohl notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für das soziale Elend des mentalen Kapitalis-
mus. Die Achtlosigkeit des Publikums und die abträgliche Interpretation der Nahestehenden müssen zusammenkommen, damit das Elend akut wird. Das Herz Wenn es im direkten Austausch eine ganze Bandbreite rationaler Strategien des Austauschs gibt, dann bedarf es keiner Umverteilungsprogramme, um etwas gegen das Elend zu unternehmen. Es steht dann – zumindest theoretisch – die Möglichkeit offen, an der Verschiebung des Kippunktes zwischen wohltätiger und abträglicher Interpretation zu arbeiten. Der Eindruck, daß der zwischenmenschliche Austausch unterfinanziert ist, spricht dann für die verbreitete Gewohnheit, eher abträglich denn wohltätig zu interpretieren. Welches Kraut ist nun aber gegen eine solche Gewohnheit gewachsen? Mit rationalen Argumenten ist ihr ja nicht beizukommen. Woran, wenn die Rationalität indifferent ist, soll also appelliert werden? Am nächsten liegt das Gewissen. Gerade das Gewissen hat seinen Biß nun aber verloren, wenn die Abträglichkeit zur Gewohnheit geworden ist. Das Gewissen warnt, spornt aber nicht an. Es kommt zu spät, wo die abträgliche Situationsdeutung ihre Annahmen von sich aus bestätigt. Schließich hat auch das Gewissen schon gesprochen, wenn die rationale Überlegung am Ende ist. Das Gewissen hat selber Sitz und Stimme in jener inneren Kabinettrunde. Wenn ein Kraut gewachsen sein soll, dann muß es etwas geben, das uns zum Sprung über den Schatten der gewöhnlichen Abträglichkeit anhält. Es muß Gründe für das wohltätige Interpretieren geben, die der Verstand nicht versteht. Es gibt etwas in uns, das Gründe hat, die der Verstand
nicht versteht. Pascal nennt es das Herz. Es ist etwas, das wir für andere haben. Es ist eine Art Sinn, der urteilt, aber nicht rechnet. So schwer es uns fallen mag, zu sagen, was wir mit Herz genau meinen, so selbstverständlich wissen wir, daß es herzlos ist, das Verhalten anderer aus Gewohnheit abträglich zu interpretieren. Wer Herz hat, hat auch Gewissen. Nur hat das Herz weniger mit der Selbstachtung als damit zu tun, wie das Selbstgefühl mit dem anderen Fühlen zusammenhängt. Das Herz hält nicht zurück, es hält offen. Es ist der spontane Sinn dafür, worauf sich die zwischenmenschlichen Gefühle beziehen. Es ist die eigene Art Urteilskraft, die in den zwischenmenschlichen Gefühlen steckt. Die zwischenmenschlichen Gefühle beziehen sich auf das andere Fühlen, das Herz ist unser Sinn für das andere Dasein. Der Verstand kann mit diesem anderen Dasein sowenig anfangen wie mit dem eigenen. Was da ist, wenn sich ein Spüren, Empfinden, Merken rührt, ist mit den Kategorien des objektivierenden Denkens ganz einfach nicht zu fassen. Jeder Versuch, es als Objekt vorzustellen, entfremdet es davon, was wir mit Seele meinen und was zusammenfindet, wenn zwei Seelen einander treffen. Daß das Herz Gründe hat, die der Verstand nicht versteht, heißt, daß unser Sinn für das andere Dasein weiter geht, als rational nachvollziehbar ist. Er geht um so viel weiter, wie die unkategoriale Selbstaufmerksamkeit weiter als die begrifflichkategoriale Selbstreflexion geht. Die Selbstreflexion kommt nie bei sich als awareness an, sie bekommt mit sich immer nur als attention zu tun. In der Selbstaufmerksamkeit kommt das Dasein jedoch erst dann zu sich, wenn es glückt, alles Sich-Beziehen zu vergessen, um sich seiner als reine Präsenz inne zu werden. In der Selbstaufmerksamkeit spürt sich die Aufmerksamkeit als awareness ohne attention. Und das Herz, das wir für ande-
re haben, ist nun dasjenige Organ, welches das Dasein, das erst in Selbstaufmerksamkeit ganz zu sich kommt, auch im anderen Erleben erblickt. Dieser Blick ist es, der uns über den eigenen Schatten springen läßt. Er befreit aus der Befangenheit in den immer nur eigenen Gefühlen. Nur löst das Herz aus dieser Befangenheit nicht, indem es die Bezüge zwischen den eigenen und den anderen Gefühlen freilegt. Herz zu haben meint vielmehr, die so verwickelten Bezüge zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Gefühle zu überspielen. Das Herz äußert sich nicht nur in Herzlichkeit, sondern auch in Beherztheit. Es äußert sich im Mut, den Abgrund zwischen dem eigenen und dem anderen Fühlen in dem Vertrauen zu überspringen, daß das andere Dasein nur durch die Umstände bedingt anders fühlt als das eigene. Das Herz hat am rechten Fleck, wer der Kippeligkeit der Situation und der Abhängigkeit der Situationsdeutung von sich selbst erfüllenden Annahmen dadurch zuvorkommt, daß er sich das andere Ergehen so entschieden etwas angehen läßt, wie er nicht umhin kann, sich das eigene Ergehen etwas angehen zu lassen. Wiewohl sie für den Verstand nicht zwingend ist, hat das Herz seine Logik. Es ist die Logik, die damit in die Welt kommt, daß das andere Dasein trotz seiner Unzugänglichkeit und trotz der Unbegreiflichkeit schon des Phänomens überhaupt eine entscheidende Rolle in unserem Erleben spielt. Weil wir gar nicht umhin können, uns das andere Dasein etwas angehen zu lassen, ist es ein Mangel und macht regelrecht häßlich, kein Herz zu haben. Im besten Fall macht Herzlosigkeit nur dumpf. Im typischen Fall macht sie ekelhaft. In jedem Fall haben Menschen, die an Herzlosigkeit leiden, ein wirkliches Leiden. Sie müssen sich durch die Verbreitung von Furcht und Schrecken holen, was anderen ihrer Liebenswürdigkeit wegen zufliegt. Herzlose Menschen müssen so tun, als ob sie nicht wüß-
ten, worum es im Tausch der Aufmerksamkeit geht. Das intuitive Wissen, worum es in diesem Tausch eigentlich geht, ist für das Zurechtkommen mit den Gefühlen, die wir anderen Menschen gegenüber haben, viel wichtiger als das Analysieren und Rekonstruieren der komplizierten Bezüge. Wer das Herz am rechten Fleck hat, ist den scharfen Rechnern in Sachen Selbstwertmaximierung voraus. So gibt es denn auch nichts, was für die Lebensqualität in einer Gesellschaft so wichtig ist wie das Herz, das ihre Mitglieder füreinander haben. Es ist die Weitung der Herzen, wodurch die Unterfinanzierung des alltäglichen Beachtungstauschs kurierbar ist. Unterwegs zur Selbstaufmerksamkeit Die Weitung der Herzen ist nun freilich keine einfache Kur. Am Sachverhalt, daß gerade diese Kur angezeigt ist, zeigt sich vielmehr, wie schwierig es ist, etwas gegen die Misere zu unternehmen. Plädoyers für mehr Herzlichkeit sind noch eher peinlich als nutzlos. Daß wir nett zueinander sein sollen, ist die Maxime der mitmenschlichen Platitüde. Mit Sinn und Verstand läßt sich nur an die Fähigkeit zur Einsicht appellieren. Die Einsicht, die das Herz zu weiten in der Lage wäre, ist nun aber gerade die, die sich dem rationalen Denken nicht erschließt. Es ist die Einsicht, daß etwas in uns und in anderen da ist, das die Fassungskraft der Verstandeskategorien übersteigt. Diese Einsicht läßt sich weder durch Beweisen noch durch Predigen übertragen. Wo nun aber ansetzen, wenn die Kategorien des gegenständlichen Denkens abgleiten? Wie noch argumentieren, wenn die rationale Analyse versagt? Wie beraten, wenn nicht einmal die Selbsterfahrung des aufmerksamen Daseins in einem verstandesmäßigen Sinne anleitbar ist?
Trotz allem: Die Schwierigkeiten dieser Selbsterfahrung werden von immer mehr Menschen überwunden. Immer mehr Menschen lassen sich auf Anleitungen zur Erfahrung des Daseins ein, die die Wege der verstandesmäßigen Vermittlung verlassen. Auch und gerade in den westlichen Gesellschaften ist es zur Bewegung auf dem Weg der Selbstaufmerksamkeit gekommen. Es ist die Bewegung des Zuspruchs, den die Praktiken der meditativen und kontemplativen Versenkung erfahren. Meditative und kontemplative Versenkung sind Formen der unkategorialen Selbstaufmerksamkeit. Es sind Formen, die in der Art des Exerzitiums weit voneinander abweichen können, die aber in dem Ziel vereint sind, das Dasein als Dasein zu sich kommen zu lassen. Man versteht den Wertewandel, der sich in der Ablösung des Geldes als lebenspraktischer Leitwährung manifestiert, nur zum Teil, wenn man den Blick auf die verrechenbare, akkumulierbare und kapitalisierbare Seite der Aufmerksamkeit beschränkt. Ein Wertewandel vollzieht sich auch in einer Dimension hinter der spektakulären Oberfläche. Er geht in einem buchstäblichen Sinn in die Tiefe. Er geht in die Tiefe der Versenkung in die Präsenz. Der Wandel in dieser Dimension besteht im Wandel der Einstellung, die die Aufmerksamkeit zu sich selbst gewinnt. Es ist kein Hobby, das die Menschen betreiben, die sich allen Ernstes und mit der ernsthaftesten Anstrengung östlichen Weisheitslehren zuwenden. Immer mehr Menschen in den Gesellschaften des mentalen Kapitalismus entscheiden sich aber dafür. Nicht nur die Rezeption, auch das Verständnis dieser Lehren hat ein Ausmaß angenommen, das für unsere Kultur als Ganzes erheblich ist. Nicht nur, daß das Vokabular in immer breiteren Subkulturen heimisch wird, es sickert auch immer mehr ins akademisch etablierte Denken ein. Die philosophische Reflexion und wissenschaftli-
che Operationalisierung haben ihre Monopolstellung als gängige Arten der Welterfahrung verloren. Die Suche nach dem Dasein ist zur Volksbewegung geworden. Es gibt eine regelrechte Popularisierung östlicher Weisheitslehren im hochzivilisierten Westen. Dabei kommt es zweifellos zu entstellenden Mißverständnissen und haarsträubenden Vergröberungen. Die Bewegung zeigt – als echte Volksbewegung – alle Facetten des Menschlichen und Allzumenschlichen. Es gibt nicht nur heilige, sondern auch unheilige und gar kriminelle Gurus. Weil die Sache so schwierig ist, lädt sie ein zu Bluff und Scharlatanerie. Wo keine Kriterien der Objektivierung greifen, greifen auch keine der leichten Überprüfung. Es liegt schließlich in der Natur der Sache, daß nicht alle, die sich der Meditation und Kontemplation verschreiben, so genau wissen, was sie eigentlich suchen. Es heißt jedoch etwas, daß sich die Menschen von dem ganzen Dilettantismus, durch den der Neuanfang des bewußten Umgangs mit der eigenen und der anderen Seele hindurch muß, von dem schwierigen Unterfangen nicht abbringen lassen. Und es spricht Bände über intuitive Intelligenz, daß die Suche nach dem eigenen Sein des aufmerksamen Daseins in derjenigen gesellschaftlichen Situation zu genau dem historischen Moment in eine Volksbewegung mündet, da die Aufmerksamkeit hinter dem Rücken des theoretischen Begreifens einen lebenspraktisch neuen Rang erklommen hat. Im Zusammentreffen des entwickelten Kapitalismus der Beachtlichkeit mit der östlichen Kultur der Selbstaufmerksamkeit kommen die beiden extremen Gegensätze des Umgangs mit der Aufmerksamkeit in Berührung. Die westliche Art und Weise, die Aufmerksamkeit zu ökonomisieren und zu monetarisieren, ist die höchstentwickelte Stufe des Umgangs mit der Aufmerksamkeit als knapper
Ressource und begehrtem Einkommen. Der Weg der meditativen Einkehr und des kontemplativen ZusichKommens ist die am weitesten entwickelte Form des Umgangs mit der Aufmerksamkeit als Präsenz. Der westliche Umgang ist an einem Ideal der Effizienz, der östliche ist an einem Ideal der Adäquanz orientiert. Effizienz kann nur die intentionale Seite der Aufmerksamkeit betreffen, denn nur deren Verwendung als zuwendbare Energie läßt von etwas wie einem Wirkungsgrad reden. Die Adäquanz des Umgangs muß sich zunächst auf die phänomenale Seite beziehen, denn das Überhaupt-da-Sein von etwas, das empfindet, spürt und merkt, ist, was die Aufmerksamkeit vor allem, was es sonst noch gibt, auszeichnet. Die Kultivierung der intentionalen Seite und die Kultivierung der phänomenalen Seite folgen zwangsläufig ganz unterschiedlichen Leitsternen. Die Kultur der Intentionalität ist der Rationalität und dem kategorialen Denken verpflichtet, die Kultur der Phänomenalität ist der Praxis arationaler Verfahren und der Realisierung akategorialer Bewußtseinszustände hingegeben. Zu den höheren Stufen beider Kulturen führt die bestimmte Vernachlässigung der jeweils anderen Seite. Die Ausbildung eines regelrechten Kapitalismus der Beachtlichkeit vollzieht sich unter Vernachlässigung eben der Eigenschaften der Aufmerksamkeit, die für die Realisierung äußerer Zwecke unerheblich sind. Die Ausbildung der meditativen und kontemplativen Techniken des Zusich-Kommens besteht im Herausfinden der Möglichkeiten, wie von all demjenigen abgesehen werden kann, das die Präsenz von ihrem eigenen Sein ablenkt. Die Hochkultur der Intentionalität ist aus innerer Folgerichtigkeit eine der Entfremdung. Die Hochkultur der Phänomenalität hat natürliche Neigung zur Weltverleugnung. Es könnte geradezu unmöglich erscheinen, daß beide Kulturen zusammenfinden. Um so bedeutsamer ist,
daß östliche Weisen des Umgangs mit der Aufmerksamkeit immer mehr Menschen in gerade den Gesellschaften beschäftigen, die den entfremdeten Umgang mit der Aufmerksamkeit auf die Spitze treiben. Hier bricht ein Damm zwischen zwei Kulturen, die nicht nur in ihrem Ursprung und ihrer Entwicklungsgeschichte getrennt waren, sondern sich auch nur getrennt voneinander zur Hochform entwickeln konnten. Es tut der Sache keinen Abbruch, daß die Praktiken der Selbstaufmerksamkeit nicht nur auf den Wegen der kontemplativen Einkehr, sondern auch in therapeutischer Absicht zur Anwendung kommen. Es gibt nämlich ein Leiden an der Entfremdung noch vor demjenigen an der Armut an Beachtung. Die Entfremdung vom Dasein bringt die Selbstwertschätzung in eine verzweifelte Lage. Ohne Sinn für und Bezug auf das Dasein neigt die Heteronomie von Selbstwertgefühl und Selbstachtung dazu, sich zum antagonistischen Gegensatz zu spreizen. Das Selbstwertgefühl stellt eine Abhängigkeit von etwas her, das nicht nur unverstanden bleibt, sondern auch dem Anspruch der Selbstachtung auf Autonomie in die Quere kommt. Die Abhängigkeit erweist sich als regelrechtes double bind im Auftrag der Selbstwertschätzung. Auch die Selbstachtung ist nämlich nur stark, wenn das Selbstwertgefühl nicht leidet. Ab einem gewissen, rational nicht genau bestimmbaren Moment beginnt der Anspruch auf Autonomie die Basis der Selbstbehauptung zu untergraben. Noch bevor der Auftrag zu Selbstwertmaximierung im Hinblick auf die Außenbeziehungen undeutlich wird, kommt es schon im Binnenverhältnis zu Instabilitäten. Je mehr sich die abhängige und die unabhängige Seite der Selbstwertschätzung auf ihre je eigene Weise anstrengen, um so mehr gerät die wechselseitige Kontrolle zum wechselseitigen Würgegriff. Nicht das intellektuelle Unbehagen, das seelische Leiden
an der Paradoxie, in die die Vergessenheit des Daseins verwickelt, hat das Interesse an den Praktiken der Selbstaufmerksamkeit so mächtig wachsen lassen. Die Entfremdung von der phänomenalen Seite der Aufmerksamkeit hat den Nebeneffekt, daß die Abhängigkeit vom anderen Fühlen zu etwas ebenfalls Befremdendem wird. Sie wird zur Abhängigkeit von etwas Heteronomem, im System nicht Vorgesehenem. Sie scheint sogar irrationale Züge anzunehmen. Wo der arationale Zugang zum Dasein fehlt, wird die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von fremder Wertschätzung zu etwas Unverständlichem, ja Bedrohlichem. Die zwischenmenschlichen Gefühle treten dem Verstand dann als nicht nur undurchschaubar, sondern schon feindlich gegenüber. Es kommt zu der paradoxen Situation, daß die Gefühle, deren Bewertungsfunktion dem Verstand erst Ziel und Richtung gibt, als Bedrohung der Rationalität und als Anfechtung der Autonomie des Ich erscheinen. So erstaunlich es ist, daß dieses antinomische Verhältnis so lange als gleichsam naturgegeben hingenommen wurde, so wenig erstaunlich ist es, daß diese Selbstverständlichkeit unter der Zuspitzung der Entfremdung einknickt. Der Wertewandel, der in der Währungsfunktion der Aufmerksamkeit zum Ausdruck kommt, drückt sich auch im Positionswechsel zwischen Nutzen- und Selbstwertmaximierung aus. Dieser Positionswechsel bleibt mit Blindheit geschlagen, wenn nicht die Augen dafür aufgehen, was hinter der Abhängigkeit des Selbstwertgefühls denn eigentlich steckt. Deshalb erreicht die Entfremdung in der Währungsfunktion der Aufmerksamkeit nicht nur die Spitze, sondern auch einen Anfang vom Ende. Je größer die Rolle, die der Tauschwert der getauschten Aufmerksamkeit spielt, um so stärker macht sich auch das Leiden an der Durchrationalisierung des Tauschs bemerkbar. Je här-
ter der Kampf um die Zuwendung, um so größer wird die Empfänglichkeit für diejenige Seite der Aufmerksamkeit, die im Kampf untergeht. Die Triumphe der Rationalisierung im informationsverarbeitenden Gebrauch der Aufmerksamkeit und im Geschäft ihrer Attraktion lassen deutlicher denn je die Schranken der siegreichen Rationalität hervortreten. Die Mediatisierung und industrielle Organisation des Austauschs verstellen nicht einfach den tieferen Blick, sie steigern auch dessen Dringlichkeit. Daß das Interesse an der phänomenalen Seite der Aufmerksamkeit in der Kultur der Intentionalität gerade zu dem historischen Moment wach wird, in dem diese Kultur ihre Hochblüte erreicht, kann kein Zufall sein. Die Verantwortung der Selbstaufmerksamkeit Die Vergessenheit um das Dasein hinter all dem Seienden, das im eigenen Erleben vorkommt, und der Schein der Irrationalität, der die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von äußerer Wertschätzung umgibt, hängen unmittelbar miteinander zusammen. Ohne stillschweigende Unterstellung, daß hinter dem anderen Verhalten noch so ein Dasein steckt, wäre die Abhängigkeit in der Tat nicht a-, sondern irrational. Der Schein der Irrationalität löst sich auf, wenn das Dasein aus seiner, wie Heidegger sie nennt, »Seinsvergessenheit« erwacht. Die Abhängigkeit wird zu etwas ganz Natürlichem, sobald der Umgang als einer von Dasein zu Dasein erlebt wird. Freilich muß, damit der Umgang als einer von Dasein zu Dasein erlebt wird, die Bedeutung von da Sein dem Erleben schon recht nahegegangen sein. Der Kontakt von Dasein zu Dasein besteht in mehr als der Reziprozität einer Unterstellung. Jedes Dasein bedeu-
tet die Gegenwart einer eigenen Welt. Die Anerkennung des anderen Daseins ist nicht zu trennen vom Innewerden der Rolle, die das Selbst in der anderen Welt spielt. Der Kontakt von Dasein zu Dasein ist mit einer Art Botschafteraustausch verbunden. Das eigene Dasein ist fortan im anderen Erleben repräsentiert wie das andere im eigenen. Die Anerkennung ist keine, wenn sie keine von Gleich zu Gleich ist. Daß die eigene Präsenz in einer gleichartigen anderen repräsentiert ist, kann aber nicht kalt lassen, sofern die Bedeutung von »Präsenz« nur schon nahegegangen ist. Das Zusich-Kommen der Präsenz bedeutet trotz – oder vielleicht sogar wegen – der monadischen Geschlossenheit der Erlebniswelt eine Relativierung zwischen eigenem und anderem Erleben. Erstens ist das Innewerden des Daseins nicht wirklich zu trennen von dem, daß dieses Sein in der Vielzahl da ist. Zweitens bedeutet Vielzähligkeit beim Dasein etwas anderes als das Vorkommen mehrerer Exemplare derselben Gattung. Das Gewärtigsein des Daseins kennt den Standpunkt des unbeteiligten Beobachters nicht. Das Dasein ist immer nur in der Perspektive der ersten Person bei sich. Die Perspektive der ersten Person wird in der Anerkennung des anderen Daseins lediglich umgekehrt. Wird die Perspektive der dritten Person eingenommen, dann kommt das Dasein schlicht und einfach nicht mehr vor. Das andere Dasein ist nicht nur meinesgleichen, sondern auch das nur gespiegelte eigene. Es ist für mich immer nur in derjenigen Bedeutung phänomenalen Bewußtseins da, die ich von mir aus verstanden habe. Deshalb hängt es von diesem Verständnis ab, ob die Abhängigkeit der Selbstwertschätzung nur als Heteronomie erlitten oder als Beweis dafür verstanden wird, daß wir auch als Monaden nicht allein sind. Das Zusich-Kommen der Präsenz ist das natürliche Mit-
tel zur Lockerung der Verspannung zwischen abhängigem Selbstwertgefühl und unmittelbarer Selbstachtung. Im Zusich-Kommen der Präsenz kommt auch das Spüren zu sich, das sich sonst nur als Angebundenheit bemerkbar macht. Das Zusich-Kommen hebt die Abhängigkeit nicht auf, aber transformiert sie. Es transformiert sie zur Verantwortung in dem großen Sinne, wie der Philosoph Emmanuel Lévinas das Wort gebraucht. Lévinas geht so weit, zu behaupten, daß den Sinn der Rede vom anderen Dasein nur verstanden hat, wer die Bereitschaft spürt, dafür zu sterben. Er geht damit über die östlichen Lehren hinaus, die jedoch ihrerseits in dem Punkt übereinstimmen, daß die Bewegung der Selbstaufmerksamkeit erst dann ganz angekommen ist, wenn sie in ozeanisches Mitgefühl mündet. Nicht von ungefähr kommt, daß das wohltätige Interpretieren – ob es im einzelnen so genannt wird oder nicht – zum Standardrepertoire der praktischen Übungen der zu sich kommenden Präsenz gehört. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Zugang vom Eingehen auf das andere oder von der Versenkung in das eigene Dasein her gesucht wird. Es kommt nur ganz entschieden darauf an, daß die Selbstaufmerksamkeit im Eigenen nicht befangen bleibt. Weil es diese Befangenheit gibt, muß die Philosophie Emmanuel Lévinas’ erwähnt werden. Lévinas korrigiert in diesem Punkt Heidegger. Heidegger ist der wichtigste westliche Denker des Daseins. Er hat die Entfremdung, die die Vergessenheit ums Dasein bedeutet, wortgewaltig herausgestellt. Bei Heidegger bleibt das Dasein aber im Eigenen als dem vorgeblich Eigentlichen befangen. Sein Denken stellt den eigenartigen Fall dar, daß die Selbstaufmerksamkeit zwar ankommt, die Mehrzähligkeit der Präsenz aber gerade nicht nahegeht. Bei Heidegger bleibt sowohl die Ethik ein unbeschriebenes Blatt als auch die
Eitelkeit etwas völlig Unverstandenes. Heideggers Philosophie ist im wahren Sinne des Worts herzlos. Lévinas rettet den großartigen Anfang bei Heidegger, indem er dessen Denkweise aus dieser Befangenheit herausführt. Lévinas’ Philosophie ist Ausdruck des überwältigenden Zu-Bewußtsein-Kommens, daß auch im anderen Erleben ein Sein hinter all dem Seienden da ist. In seinem Denken tritt die Ethik ganz von selbst in den Vordergrund. Er macht auch deutlich, daß für die Präsenz, die ohne Befangenheit bei sich ist, die Güte keine Frage des Sollens, sondern der Adäquanz ist. Die Ethik, wie Lévinas sie versteht, ist die Logik des Sinns für das andere Dasein. Man kann die Philosophien Heideggers und Lévinas’ als Hinweis lesen, daß in der Synthese zwischen der Kultur der Intentionalität und der Kultur der Phänomenalität ein Potential schlummert. Es gilt ja nicht nur, die Verspanntheiten der Selbstwertmaximierung zu lösen. Es gilt auch, die Logik hinter dem Wunsch zu verstehen, eine Rolle in anderem Bewußtsein zu spielen. Die Entwicklung, die die intentionale Seite der Aufmerksamkeit im Kapitalismus der Beachtlichkeit nimmt, ist auch für die andere Seite nicht uninteressant. Wer hätte gedacht, daß es ausgerechnet der Wunsch nach der Rolle im anderen Bewußtsein ist, der dem älteren Typus wirtschaftlichen Strebens Konkurrenz macht? Man darf wirklich gespannt sein, was das nachspürende Erfassen des entfremdeten Beziehungsreichtums an Einsichten und Umgangsweisen noch bescheren wird. Die Annäherung der beiden Kulturen läßt den Gedanken einer Kreditreform des alltäglichen Umgangs in einem neuen Licht erscheinen. Der Gedanke ist keine gute Idee, wenn man sich die Reform als ein Projekt vorstellt, das durch Aufklärungskampagnen und bessere Psychoberatung voranzubringen wäre. Die Scheuklappen, mit denen
die Menschen aus der Bandbreite der rationalen Strategien zur Selbstwertmaximierung wählen, können nicht durch Aufklärung abgenommen werden. Die mangelnde Frustrationstoleranz beim Festhalten an der unterstellten Sinnhaftigkeit und Intelligenz des anderen Verhaltens ist kein Mangel, der nach Therapie riefe. Es wäre unsinnig, für wohltätiges Interpretieren Propaganda machen zu wollen. Man könnte dann gleich für mehr Herz werben. Schließlich würde man sich an der Philosophie Lévinas’ und an den Weisheitslehren geradezu vergehen, wollte man sie missionarisch unter die Leute bringen. Als gesellschaftspolitischer Auftrag wäre die Kreditreform ein grobes Mißverständnis. Schlüssigkeit nimmt der Gedanke erst an, wenn man nach der Logik des Wertewandels fragt, der sich im Siegeszug des mentalen Kapitalismus manifestiert. Die Ökonomisierung und Monetarisierung der Aufmerksamkeit hat im Prioritätenwechsel der Einkommensarten und in der Institutionalisierung des Finanzwesens der Beachtlichkeit einen vorläufigen Abschluß gefunden. Die Durchrationalisierung hat zwar nur bedingt, aber doch spürbar auf den alltäglichen Austausch durchgeschlagen. Das System der gesellschaftlichen Geltung hat Eigenschaften eines Systems von Marktpreisen angenommen. Mehr hätte von der Konkurrenz, die die Aufmerksamkeit dem Geld macht, nicht erwartet werden können. Gleichwohl bleibt der Wertewandel, wenn er nur so weit kommt, eine halbe Sache. Er betrifft die Aufmerksamkeit nur in der Bedeutung, in der man sie zu- und verrechnen, einsparen und umlenken, kanalisieren und weiterverleihen kann. Die Aufmerksamkeit, die wir tauschen, hat nun aber einen Wert jenseits dessen, der sich aus Knappheit und Zahlungsbereitschaft herleitet. Sie muß, um begehrt zu werden, zunächst einmal selbst in der Lage sein zu begehren. Die Zuwendung ist nur dann als Einkommen begehrt,
wenn es ein anderes Dasein ist, das sich zuwendet. Aufmerksamkeit zählt nur in der doppelten Bedeutung von attention und awareness als Einkommen. Deshalb braucht man sich über das immer stärker werdende Interesse an awareness nicht zu wundern. Es liegt in der Natur der Sache, wenn nach dem Ausreizen der intentionalen Seite die Kultivierung der phänomenalen Seite zum Zug kommt. Die Frage ist nur, ob damit auch dem sozialen Elend Selbstheilungskräfte zuwachsen. An Potentialen, die verfügbar wären, mangelt es nicht. Da ist zunächst die Bandbreite an Strategien der Selbstwertmaximierung, die individuell gleichwertig, sozial jedoch ungleichwertig sind. Das stärkere Achten auf die kooperativen Strategien im Umgang mit der anderen Aufmerksamkeit würde bereits viel an Abträglichkeit aus der Welt schaffen. Die Bandbreite der individuell gleichwertigen Strategien zur Selbstwertmaximierung ist aber nicht die einzige Indifferenzzone, die im Tausch der Aufmerksamkeit eine Rolle spielt. Eine andere steht bei der Interpretation des anderen Verhaltens offen. Nur in raren Ausnahmefällen hat das andere Verhalten eine einzige plausible Interpretation. Regelmäßig steht ein ganzes Spektrum von Deutungsmöglichkeiten offen, die alle mehr oder weniger gleich plausibel sind, die aber Unterschiede in der Figur machen, die die andere Person dabei macht. Es gibt immer Deutungen, die den andern als gar nicht so dumm, und solche, die ihn als nicht ganz gescheit erscheinen lassen. Wie gut die andere Person in dem Bild wegkommt, das wir uns von ihr machen, macht aus, wie wichtig sie für unseren Selbstwert ist.
Soziale Wohlfahrt, Logik und Ethik Die Frage, ob zu- oder abträglich interpretiert wird, ist nicht nur dort entscheidend, wo Armut in Elend zu kippen droht. Sie ist für den Tausch der Aufmerksamkeit überhaupt von entscheidender Bedeutung. Von ihr hängt nämlich ab, ob wir bei diesem Tausch mit einer Wertschöpfung zu tun haben oder nicht. Konsistent abträgliches Interpretieren würde aus dem Spiel um den Selbstwert ein Null- oder gar Negativsummenspiel machen. Ab einem gewissen Verbreitungsgrad der abträglichen Interpretation bräche die soziale Wertschöpfung des Beachtungstauschs zusammen. Das Prinzip der wohltätigen Interpretation ist mehr als ein Prinzip der Menschenfreundlichkeit. Es ist ein Prinzip sozialer Wohlfahrt, von dem die Lebensqualität in einer Gesellschaft abhängt. Der Umfang, in dem es in einer Gesellschaft normal ist, wohltätig zu interpretieren, bestimmt das Niveau, auf dem das Bedürfnis nach Zuwendung und der Wunsch nach Anerkennung befriedigt werden. Je geringer der Umfang, um so häßlicher sind die Menschen zueinander und um so niedriger ist das Niveau der Selbstwertschätzung. Ohne ein Mindestmaß an wohltätiger Interpretation wird das Zusammenleben buchstäblich zur Hölle. Wohltätiges Interpretieren ist nicht weniger als das Grundprinzip kultivierten Umgangs. Es ist für die Tauschökonomie der Aufmerksamkeit so zentral, wie es Ockhams Messer für die Denkökonomie ist. Das Achtgeben, um Beachtung einzunehmen, ist immer mit einer bestimmten Deutung des Verhaltens verbunden, das der Partner an den Tag legt. Bei dieser Deutung steht grundsätzlich ein Interpretationsspielraum offen. Die Absicht und der gemeinte Sinn des Verhaltens kann immer nur aus äußeren Anzeichen erschlossen werden. Auf diese Absicht und den gemeinten Sinn kommt es aber an. Wir
können Aufmerksamkeit weder absichtlich noch in sonst sinnvoller Weise tauschen, ohne zu wissen, woran wir sind. Weil sie so deutlich werden kann, ist die Sprache für den Austausch so wichtig. Selbst sprachliche Äußerungen haben nun aber kaum je nur eine einzige Deutungsmöglichkeit. Vielmehr ist auch für die Sprache ein Interpretationsspielraum charakteristisch. Was ein Satz bedeutet, ist in anderen als trivialen Fällen nie allein durch den Wortlaut, sondern stets auch durch die Umstände der Äußerung, durch die – ausdrückliche oder stillschweigende – Definition der Situation, die – unterstellte beziehungsweise unterstellbare – Rolle der Gesprächsteilnehmer bestimmt. Ob die Rede ernst oder ironisch, spitz oder platt, ob sie wörtlich oder anspielend ist, ob gemeint ist, was gesagt wird, oder ob nicht vielmehr das Gegenteil zu verstehen ist, erschließt sich allein daraus, welche der möglichen Auffassungen den insgesamt besseren Sinn ergibt. Um den insgesamt besten Sinn zu erschließen, reicht das wörtliche Verstehen nicht. Es muß die Interpretation nach der Maxime hinzukommen: Halte, wenn dir der andere unverständlich erscheint, nicht ihn, sondern erst einmal dich selbst für den Dümmeren! Geize nicht mit dem Vorschuß an unterstellter Rationalität! Deute seine Äußerungen so lange um, bis sie in der gegebenen Situation einen Sinn ergeben! Diese Maxime begründet alle höheren Formen des Verstehens. Sie ist nicht nur für die Interpretation sinnhaften Verhaltens konstitutiv, sie ist sogar aus der Logik der natürlichen Sprache nicht wegzudenken. Weil jede formale und terminologische Definition auf die Erklärung in natürlicher Sprache rekurriert, nimmt das Prinzip der wohltätigen Interpretation inzwischen einen festen Platz in der theoretischen Logik ein. Es wurde hier – in lediglich abweichender Formulierung – von zwei amerikanischen Philosophen eingeführt. Paul Grice7 nennt es
cooperation principle, Donald Davidson8 charity principle. Kooperative beziehungsweise wohltätige Interpretation im Sinne dieser Prinzipien meint die Einengung des offenen Interpretationsspielraums der natürlichen Sprache durch bewußten Einsatz von Vertrauensvorschüssen in die Intelligenz des Gesprächspartners. Es gibt keine sinnvolle Verständigung ohne wohltätiges Interpretieren. Man kann, wenn man es darauf anlegt, seinen Partner immer mißverstehen. Umgekehrt kann man niemanden zwingen, einen in genau der und keiner anderen Weise zu verstehen. Wie man von Denken nicht reden kann ohne ein Mindestmaß an Denkökonomie, so kann man von Verständigung nicht reden ohne ein Mindestmaß an Kooperativität. Was Grice und Davidson zeigen, ist ein Prinzip, das logisch denselben Rang und Status hat wie Ockhams Messer. Was sie damit auch zeigen, ist, daß die Logik nicht nur eine, sondern zwei Schnittstellen zur Ökonomie hat. Die Suche nach dem besten Sinn ist, wie das Vermeiden von Überflüssigem, ein Effizienzprinzip. Das eine betrifft die kommunikative, das andere die produktive Verwendung knapper Aufmerksamkeit. Daher ist Ockhams Messer ein Kriterium individueller, das Kooperationsprinzip ein Kriterium kollektiver Effizienz. Das Kooperationsprinzip läßt es zu, daß es aus individueller Sicht effizient erscheint, abträglich zu interpretieren. Es besagt aber, daß es im Kollektiv in jedem Fall ineffizient ist, auf die Suche nach dem besten Sinn zu verzichten. Eine Gesellschaft, die es unterläßt, das Maximum – beziehungsweise eines der machbaren Maxima – an wohltätiger Interpretation zu realisieren, verfehlt das objektiv mögliche Wohlfahrtsniveau. Das Kooperationsprinzip stellt mehr als nur eine Schnittstelle zwischen Logik und Ökonomie dar. Es stellt auch eine solche zwischen Ökonomie und Ethik dar. Es besagt,
daß es zwischen verständigen Wesen keinen ethisch neutralen Austausch von Aufmerksamkeit gibt. Je effizienter der Austausch im Sinne der Wertschöpfung, nämlich im Sinne des gemeinschaftlich realisierten Selbstwerts ist, um so höher steht er – ceteris paribus – auch in moralischer Hinsicht. Die einschränkende Klausel ist nötig, weil die Verteilung der gemeinschaftlich realisierten Werte auf die Beteiligten nicht unerheblich ist. Grundsätzlich besteht aber der Zusammenhang zwischen Effizienz und Moralität, weshalb der Idealtypus des Beachtungstauschs sowohl ökonomischer als auch ethischer Natur ist. Damit sind wir beim Ideal der moralischen Eleganz zurück. Es ist ein Ideal, das nicht nur damit zu tun hat, daß der Reichtum an Beachtung mit dem Wunsch nach Verfeinerung einhergeht. Es ist ein Ideal, das im Wesen des Tauschs der Aufmerksamkeit gründet. Eleganz ist der sichtbare Ausdruck der effizienten Nutzung des wertschöpfenden Potentials dieses Austauschs. Der Wert, der in diesem Austausch geschöpft wird, ist ein doppelter. Es ist erstens der Wert, den die Befriedigung zwischenmenschlicher Bedürfnisse stiftet, und es ist zweitens der Wert, der sich in der Pflege beziehungsweise dem Wachstum der Selbstwertschätzung niederschlägt. Beide zusammen sind, was die Moralität ausmacht. Die effiziente Nutzung des wertschöpfenden Potentials und die Förderung der moralischen Güte des zwischenmenschlichen Umgangs sind eins. Die Eleganz, die der Effizienz sichtbaren Ausdruck gibt, ist keine jedenfalls keine nur – ästhetische, sondern hat selbst moralische Qualität. Auch und gerade durch dieses ihr inhärente Ideal ruft die Vervollkommnung des zwischenmenschlichen Austauschs nach einer Synthese der Kultur der Intentionalität und der Kultur der Phänomenalität. Die moralische Eleganz leidet grundsätzlich – und grundsätzlich schwerwiegend – unter
dem entfremdeten Umgang mit der Aufmerksamkeit. Die erste Voraussetzung moralischer Eleganz besteht im Fehlen der Haltungsschäden, die vom verkrampften Verhältnis von Selbstwertgefühl und Selbstachtung rühren. Moralische Eleganz ist die bestimmte Negation von Herzlosigkeit. Sie verlangt Großzügigkeit im Vorschießen wohlwollender Beachtung nicht nur im Sinne fehlenden Geizes, sondern im Sinne spürbarer Generosität. Sie ist eine Form praktizierter Nächstenliebe – allerdings keine, die sich aufopfert, sondern eine, die sich gefällt im Entfalten von Liebenswürdigkeit. Sie ist die Art von Nächstenliebe, die es klug wird zu praktizieren, wenn der Grund für die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls in Selbstaufmerksamkeit zu sich kommt. Weil die Selbstaufmerksamkeit erst ganz ankommt, wenn auch nahe geht, daß die Präsenz, zu der sie findet, so oft da ist, wie überhaupt Wesen bei Bewußtsein sind, ist die moralische Eleganz ein Ideal, das über die Ökonomie der Aufmerksamkeit hinausweist. Der Einzug moralischer Eleganz bedeutet einen dramatischen Wechsel in der Einstellung zur Kreatur überhaupt. Es gibt nicht nur menschliches Bewußtsein. Alle höheren Tiere und wohl auch manche, die wir als nieder bezeichnen, haben Bewußtsein. Moralisch elegant – ja überhaupt moralisch – ist nur dasjenige Verhalten, das auch dieses andere Bewußtsein als eigenes Dasein achtet. Moralische Eleganz ist der Idealtypus des Verhaltens, das dem Bild der Welt als eines Kosmos so vieler Erlebniswelten gerecht wird, wie überhaupt da sind.
Anmerkungen
1
Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, Leipzig 1883, Kap. IV.4 2 Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class, Boston 1905; deutsch als: Theorie der feinen Leute, Frankfurt/Main 1986. 3 Es geht zurück auf Paul A. Samuelson, »A note on the pure theory of consumer’s behavior«, in: Economica, Bd. 18, 1938. 4 Vgl. Erving Goffman, »On facework: an analysis of ritual elements in social interaction«, in: Psychiatry, Bd. 18 (1955), S. 213. 5 Siehe Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main 51.992, S. 281 ff. und 441 ff. 6 Siehe Harald Atmanspacher, »Informationsdynamik als formaler Ansatz für ein interdisziplinäres Wissenschaftsverständnis«, in: Realitäten und Rationalitäten, Jahrbuch Selbstorganisation, Bd. 6, Berlin 1996, S. 177-196 sowie die Referenzen dort. 7 Paul Grice, Logic and conversation, William James Lectures. Unveröffentlichtes Manuskript 1967. Gekürzte Fassung in: P. Cole/J. L. Morgan (Hg.), »Syntax and Semantics«, Bd. 3: Speach Acts, New York 1975, S. 41-58. 8 Donald Davidson, »Radical interpretation« (1973), »Belief and the basis of meaning« (1974), »On the very Idea of a conceptual scheme (1974); sämtliche abgedruckt in: Donald Davidson, Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984.