Robert E. Howard
Kull von Atlantis Ins Deutsche übertragen von Hubert Straßl
Abenteuer aus dem Hyborischen Zeitalter, ...
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Robert E. Howard
Kull von Atlantis Ins Deutsche übertragen von Hubert Straßl
Abenteuer aus dem Hyborischen Zeitalter, aus der Zeit vor der Sintflut Kull ist ein Atlantis-Geborener unbekannter Herkunft. Er flieht vor der Rache seiner barbarischen Stammesgenossen und gelangt schließlich nach Valusien, wo er sich in blutigen Kampf die Königswürde erwirbt. Von tödlichen Intrigen, Verrat, Heimtücke und Schwarzer Magie umgeben, regiert er mit starker Hand sein Königreich, in dem er ein fremder unter Fremden ist, und bekämpft das Böse, wo auch immer es ihm begegnet.
Inhalt Inhalt ................................................................................................ 2 Prolog .............................................................................................. 3 FLUCHT AUS ATLANTIS.............................................................. 5 DAS SCHATTENKÖNIGREICH .................................................12 DER ALTAR UND DER SKORPION..........................................50 DELCARDES’ KATZE..................................................................55 DER SCHÄDEL DER STILLE.....................................................86 DIESE AXT IST MEIN ZEPTER!.................................................96 NUR EINEN GONGSCHLAG LANG........................................120 VERSCHWÖRUNG BEI NACHT .............................................126 DER KÖNIG UND DIE EICHE..................................................158 OHNE TITEL...............................................................................160 DIE SPIEGEL DES TUZUN THUNE ........................................164 DIE SCHWARZE STADT ..........................................................175 OHNE TITEL...............................................................................179 EPILOG.......................................................................................200 NACHWORT ..............................................................................207
Prolog (Prolog) Über jene Ära, die die nemedischen Chronisten das präkataklystische Zeitalter nennen, gibt es kaum Berichte, außer über den letzten Abschnitt, und der liegt hinter einem Schleier von Sagen verborgen. Die Geschichtsaufzeichnung beginnt mit dem Verfall der präkataklystischen Zivilisation, in der Kamelien, Valusien, Verulien, Grondar, Thule und Kommorien die mächtigsten Königreiche waren. Diese Völker besaßen verwandte Sprachen, was auf einen gemeinsamen Ursprung schließen läßt. Es gab noch weitere, nicht minder zivilisierte Reiche, deren Bewohner jedoch andere und augenscheinlich ältere Rassen waren. Die Barbaren jener Epoche waren die Pikten, die auf einer Inselgruppe weit draußen im westlichen Ozean lebten; die Atlanter auf einem kleinen Kontinent zwischen den Pikten-inseln und dem Hauptkontinent Thuria; und die Lemurier, die eine Kette von großen Inseln in der östlichen Hemisphäre bewohnten. Es gab weite unerforschte Gebiete. Die zivilisierten Reiche nahmen trotz ihrer gewaltigen Größe nur einen vergleichsweise kleinen Teil des Planeten ein. Valusien war das westlichste Königreich des thurischen Kontinentes, Grondar das östlichste. Östlich von Grondar, dessen Volk nicht so hoch entwickelt war wie jene der anderen Königreiche, erstreckte sich ein wildes, rauhes Land, Wüste zum größten Teil. In den fruchtbareren Gebieten, in den Dschungeln und in den Bergen lebten verstreute Sippen und Stämme primitiver Eingeborener. Weit im Süden gab es ein rätselhaftes Reich, das nicht mit der thurischen Kultur in Zusammenhang stand und offensichtlich bereits vor dem Auftauchen des Menschen existierte. An den fernen östlichen Küsten des Kontinentes lebte eine andere Rasse, menschlich, geheimnisumwittert und nicht-thurisch, auf die die Lemurier von Zeit zu Zeit stießen. Sie mußte von einem dunklen und namenlosen Erdteil irgendwo im Osten der lemurischen Inseln stammen. -3 -
Die thurische Zivilisation zerfiel. Ihre Armeen bestanden zum Großteil aus Barbarensöldnern. Pikten, Atlanter und Lemurier waren ihre Generäle, ihre Staatsmänner und nicht selten ihre Könige. Über Streit und Hader zwischen den Königreichen und die Kriege zwischen Valusien und Kom-morien, als auch über die Eroberungszüge der Atlanter, denen es gelang, ein Königreich auf dem Festland zu erschaffen, erfahren wir mehr aus Sagen denn geschichtlichen Fakten. Das Hyborische Zeitalter
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FLUCHT AUS ATLANTIS (Exile of Atlantis) Die Sonne ging unter. Ihr letzter Schein tauchte das Land in Rot und lag wie eine Blutkrone auf den schneebestäubten Gipfeln. Die drei Männer, die das Sterben des Tages beobachteten, atmeten tief den Duft ein, den der frühe Abendwind aus den fernen Wäldern herbeitrug, dann wandten sie sich einer wichtigeren Sache zu. Einer der Männer briet Wild über einem kleinen Feuer. Er tupfte mit einem Finger an das brutzelnde Fleisch und kostete es mit der Miene eines Feinschmeckers. "Es ist fertig, Kull, Khor-nah. Wir können essen." Der Sprecher war kaum mehr als ein Junge: groß, schmalhüftig, breitschultrig, und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Leoparden. Der eine seiner Begleiter war ein älterer Mann mit kräftiger Statur, dichtem Haarwuchs und harten, herausfordernden Zügen. Der andere war ein Ebenbild des Sprechers, nur ein wenig größer und eine Spur breiter um Brust und Schultern. Mehr noch als der Junge vermittelte er den Eindruck von Kraft und Geschmeidigkeit. "Gut", sagte er. "Ich bin hungrig." "Wann bist du das nicht, Kull?" spöttelte der Junge. "Wenn ich kämpfe", erwiderte Kull ernst. Der Jüngling warf dem Freund einen forschenden Blick zu, als wolle er in sein Inneres sehen, denn nicht immer wurde er klug aus ihm. "Und dann bist du durstig - blutdurstig", warf der Ältere ein. "Genug der Worte, Am-ra. Schneide das Fleisch." Die Nacht brach herein. Die ersten Sterne funkelten am Himmel. Der Nachtwind strich über das Bergland. In der Ferne brüllte plötzlich ein Tiger. Instinktiv tastete Khor-nah nach dem Speer mit der Steinspitze/ der neben ihm lag. Kull drehte den Kopf. Ein eigentümliches Licht blitzte in seinen eisgrauen Augen. "Die gestreiften Brüder jagen heute nacht", stellte er fest. "Sie verehren den aufgehenden Mond." Am-ra deutete nach Osten, wo ein rötliches Glühen sichtbar wurde.
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"Weshalb?" fragte Kull. "Der Mond verrät sie nur ihrer Beute und ihren Feinden." "Vor vielen hundert Jahren", erzählte Khor-nah, "bat ein Königstiger, der von Jägern verfolgt wurde, die Frau im Mond um Hilfe. Sie warf ihm eine Ranke herab, an der er hochkletterte und sich in Sicherheit brachte. Viele Jahre blieb er im Mond. Seither verehren alle Gestreiften den Mond." "Das glaube ich nicht", brummte Kull. "Weshalb sollten alle Gestreiften den Mond verehren, weil er einem ihrer Rasse vor so langer Zeit geholfen hat? So mancher Tiger ist die Todesfelsen emporgeklettert und den Jägern entkommen, aber keiner verehrt diese Felsen. Und woher sollten sie wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist?" Khor-nahs Miene verfinsterte sich. "Es steht dir nicht an, Kull, abfällig über die Worte der Älteren zu urteilen oder dich über die Legenden des Volkes lustig zu machen, das dich bei sich aufnahm. Diese Geschichte muß wahr sein, denn sie wurde von Generation an Generation weitergegeben, länger schon, als die Menschen sich zu erinnern vermögen. Was immer war, wird auch immer sein." "Ich glaube es nicht", widersprach Kull erneut. "Diese Berge waren schon immer, aber eines Tages werden sie zerfallen und verschwinden. Eines Tages wird das Meer sie überspülen ..." "Genug dieser Lästerungen!" rief Khor-nah mit einer Heftigkeit, die an Zorn grenzte. "Kull, wir sind gute Freunde, und ich halte deiner Jugend so manches zugute, doch eines mußt du lernen: Achtung vor der Überlieferung. Du verspottest die Sitten und Gebräuche unseres Volkes, ausgerechnet du, den dieses Volk aus der Wildnis rettete und dem es ein Zuhause und einen Stamm gab." "Ich war ein nackter Affe, der in den Wäldern umherstrich", gab Kull offen und ohne Scham zu. "Ich konnte nicht wie die Menschen sprechen, und meine einzigen Freunde waren die Tiger und Wölfe. Ich weiß nicht, woher ich komme, oder welches Blut in meinen ..." -6 -
"Das ist nicht von Bedeutung", unterbrach ihn Khor-nah. "Deinem Äußeren nach könntest du einer vom Stamm der Geächteten aus dem Tigertal sein, die in der Großen Flut umkamen, doch das ist nicht von Bedeutung. Du hast dich als tapferer Krieger und großer Jäger erwiesen ..." "Wo findet man schon einen Jüngling, der ihm im Speerwerfen oder im Ringen auch nur ebenbürtig ist?" warf Am-ra mit leuchtenden Augen ein. "Das ist wahr", stimmte Kor-nah zu. "Er ist eine Bereicherung für den Stamm aus den Küstenbergen, trotzdem muß er lernen, seine Zunge im Zaum zu halten und die heiligen Dinge der Vergangenheit und der Gegenwart in Ehren zu halten." "Ich spotte nicht", erklärte Kull ohne Arg. "Aberich weiß, daß vieles, was die Priester behaupten, nicht der Wahrheit entspricht, denn ich habe mit den Tigern gejagt, und ich kenne die wilden Tiere besser als die Priester. Tiere sind weder Götter noch Dämonen, sondern auf ihre Art Menschen, doch ohne die Mordlust und Machtgier der menschlichen ..." "Noch schlimmere Lästerung!" rief Khor-nah ergrimmt. "Der Mensch ist Valkas größte Schöpfung." "Ich hörte die Küstentrommeln früh am Morgen", warf Am-ra ein, um das Thema zu wechseln. "Draußen auf dem Meer wird gekämpft. Valusien zieht gegen die lemurischen Piraten." "Mögen sie sich gegenseitig umbringen", brummte Khor-nah. Kulls Augen leuchteten wieder. "Valusien! Land der Träume! Eines Tages werde ich die große Stadt sehen, von der soviel Wundersames berichtet wird." "Das wird dein schlimmster Tag sein", knurrte Khor-nah. "Ketten werden dich niederdrücken, und Folter und Tod werden dir gewiß sein. Keiner unserer Rasse bekommt die Große Stadt zu Gesicht - außer als Sklave!" "Möge Unheil über sie kommen", murmelte Am-ra. "Verwüstung und Verheerung!" rief Khor-nah und schüttelte seine Faust gen Osten. "Für jeden Tropfen atlantischen Blutes, -7 -
das sie vergossen haben, für jeden Sklaven, der auf ihren verdammten Galeeren geschunden wird, soll eine andere Plage über Valusien und die Sieben Reiche kommen!" Am-ra sprang begeistert auf und wiederholte einen Teil des Fluches. Kull schnitt sich unbeeindruckt ein Stück Fleisch ab. "Ich habe gegen die Valusier gekämpft", sagte er. "Sie griffen mutig an, aber sie waren nicht schwer zu töten. Sie waren nicht die Teufel, die du in ihnen siehst." "Du hast gegen die schwachen Wachtrupps an der Nordküste gekämpft", brummte Khor-nah. "Oder gegen die Besatzung eines gestrandeten Kauffahrers. Warte ab, bis du den Schwarzen Reitern gegenüberstehst oder der Großen Armee - wie einst ich. Hei! Dann fließt Blut in Strömen! Mit Gandaro dem Speermann machte ich die valusischen Küsten unsicher, als ich noch jünger war als du, Kull. Ja, mit Feuer und Schwert stießen wir weit vor ins Reich. Fünfhundert waren wir, aus allen atlantischen Küstenstämmen. Zu viert nur kehrten wir zurück! Nicht weit von Hawks, einer Ansiedlung, die wir plünderten und niederbrannten, zermalmte uns die Vorhut der Schwarzen Reiter, Hei! Dort tranken die Speere, und die Schwerter litten nicht Durst! Wir lichteten ihre Reihen und sie die unseren, doch als der Schlachtenlärm verklungen war, gab es nur noch vier von uns. Schwer verwundet konnten wir fliehen." "Von Ascalante hörte ich", fuhr Kull unbeirrt fort, "daß die Mauern um die Kristallstadt zehnmal so hoch sind wie ein großer Mann; daß man von all dem Gold und Silber geblendet wird und daß die Frauen, die durch die Straßen wandeln oder sich aus den Fenstern der Häuser lehnen, in seltsame weiche und schimmernde Gewänder gekleidet sind." "Ascalante muß es wohl wissen", erwiderte Khor-nah grimmig. "Er war so lange ihr Sklave, daß er seinen guten atlantischen Namen nicht mehr weiß und nur den kennt, den die Valusier ihm gegeben haben." "Ihm gelang die Flucht", gab Am-ra zu bedenken.
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"Ja, aber für jeden Sklaven, der es schafft, den Klauen der Sieben Reiche zu entkommen, schmachten sieben in ihren Verliesen und sterben jeden Tag ein wenig/ denn ein Atlanter ist nicht zum Sklaven geboren." "Seit dem Anbeginn der Zeit sind wir die Feinde der Sieben Reiche", sagte Am-ra nachdenklich. "Und wir werden es bleiben, bis die Welt untergeht", erklärte Khor-nah mit finsterer Genugtuung. "Denn Atlantis, Valka sei Dank dafür, ist jedermanns Feind." Am-ra stand auf und nahm seinen Speer, um Wache zu halten. Die beiden anderen legten sich ins Gras und schliefen. Wovon wohl Khor-nah träumte? Vom Schlachten-getümmel, vom Donnern von Büffelhufen oder von einem Höhlenmädchen. Und Kull ... Durch die Schleier seines Schlafes drangen aus weiter Ferne die triumphierenden Klänge goldener Trompeten. Wolken strahlenden Glanzes umhüllten ihn. Dann tat sich ein gewaltiger Ausblick vor seinem Traum-Ich auf. Eine riesige Menschenmenge hatte sich vor ihm versammelt, und ein donnernder Ruf in einer fremden Sprache drang aus ihren Kehlen zu ihm empor. Waffen klirrten, und wie Schatten verhielten mächtige Armeen zur Linken und zur Rechten im Schritt. Die Schleier zerrissen, ein Gesicht blickte kühn in die Menge, eine Herrscherkrone über der Stirn - ein scharfgeschnittenes, kühles, unbewegtes Gesicht mit Augen wie das Grau der kalten See. Wieder jubelte die Menschenmenge: "Heil dem König! Heil dem König! Heil König Kull!" Kull fuhr aus dem Schlaf hoch. Die fernen Berggipfel schimmerten im Mondlicht, der Wind strich über das hohe Gras. Khor-nah lag schlafend neben ihm, und Am-ra hob sich wie eine Bronzestatue gegen den sternenfunkelnden Himmel ab. Kulls Blick wanderte über sein einziges Kleidungsstück - ein Leopardenfell, das er um die panthergleichen Hüften geschlungen hatte. Ein nackter Barbar war er - Kulls -9 -
gletschergraue Augen glitzerten. Kull, der König! Er sank in den Schlaf zurück. Am Morgen machten sie sich auf den Weg zu den Höhlen ihres Stammes. Die Sonne stand noch nicht hoch, als das breite Band des blauen Stromes in Sicht kam und die Höhlen des Stammes vor ihnen lagen. "Seht!" entfuhr es Am-ra. "Sie verbrennen jemanden!" Ein Brandpfahl war vor den Höhlen errichtet worden. Ein junges Mädchen war daran gefesselt. Die Augen der Herumstehenden verrieten kein Mitleid. "Sareeta", stellte Khor-nah fest/ und seine Züge wurden hart. "Sie wählte den Platz an der Seite eines lemurischen Piraten, diese Dirne!" "Meine eigene Tochter", sagte eine alte Frau mit harter Stimme. "Sie hat Schande über Atlantis gebracht. Sie ist nicht mehr meine Tochter. Ihr Gefährte ist tot. Sie wurde an Land gespült, als ein atlantisches Schiff das ihre zerstörte." Kull sah das Mädchen voll Mitgefühl an. Er konnte es nicht verstehen - weshalb verdammten diese Menschen, ihre eigenen Stammesleute, sie so sehr, nur weil sie einen Feind ihres Volkes zum Gefährten erwählt hatte? In all den Gesichtern, die ihr zugewandt waren, konnte Kull nur in einem Mitleid entdecken Am-ras blaue Augen blickten bekümmert und voller Mitgefühl. Niemand sah, was Kulls eigenes unbewegtes Gesicht verriet, nur die Augen des zum Feuertod verdammten Mädchens hingen an ihm. Keine Furcht sprach aus ihnen, nur ein inbrünstiges Flehen. Kulls Blick wanderte zum Reisig um ihren Füßen. Bald würde es der Priester, der sie bei seinen Göttern verdammte, mit seiner Fackel entzünden. Kull sah, daß sie mit einer schweren Holzkette, wie nur die Atlanter sie anzufertigen wußten/ an den Pfahl gefesselt war. Er konnte sie von dieser Kette nicht befreien, selbst wenn es ihm gelang, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ihre Augen flehten. Er blickte auf das angehäufte Reisig, und seine Hand glitt zu dem
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langen Steindolch in seinem Gürtel. Das Mädchen verstand. Sie nickte, und er sah die Erleichterung in ihren Augen. Kull schlug so blitzschnell und unerwartet wie eine Kobra zu. Er riß den Dolch aus dem Gürtel und warf ihn. Er traf knapp unter dem Herzen und tötete sie augenblicklich. Während die Menschen noch wie vom Donner gerührt standen, wirbelte Kull herum und rannte katzengleich die steile Felswand empor. Immer noch war die Menge erstarrt, dann riß ein Mann Bogen und Pfeil hoch und spannte. Kull schwang sich über den Rand der Steilwand. Die Augen des Schützen verengten sich. Wie zufällig stolperte Am-ra gegen ihn, und der Pfeil schoß weit an seinem Ziel vorbei. Dann war Kull verschwunden. Er hörte das wütende Geheul seiner Verfolger - seiner eigenen Stammesbrüder, die nach seinem Blut lechzten, weil er gegen ihre grausamen und unbegreiflichen Sitten verstoßen hatte. Doch kein Mann in ganz Atlantis konnte Kull vom Stamm aus den Küstenbergen einholen. Kull entkommt seinen aufgebrachten Stammesbrüdern, fällt jedoch den Lemuriern in die Hände. Die nächsten beiden Jahre ist er Rudersklave auf einer Galeere, dann gelingt ihm die Flucht. Er schlägt sich nach Valusien durch und lebt als Gesetzloser in den Bergen, bis er gefangengenommen und in einen valusischen Kerker geworfen wird. Doch das Glück ist ihm hold. Er bewährt sich als Gladiator in der Arena, dann als Soldat in der Armee und steigt zum Heerführer auf. Mit Unterstützung von Söldnern und einigen unzufriedenen valusischen Edlen greift Kull nach dem Thron. Kull selbst ist es der den tyrannischen König Borna tötet und ihm die Krone vom blutigen Haupt reißt. Der Traum ist Wirklichkeit geworden: Kull von Atlantis herrscht über das uralte Königreich Valusien.
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DAS SCHATTENKÖNIGREICH (The Shadow Kingdom) l Parade für einen König Die Trompeten schallten lauter, dem tiefen Brausen der Brandung, dem sanften Tosen der Abendflut an den schimmernden Küsten Valusiens gleich. Die Menschenmenge jubelte, Frauen warfen Rosen von den Dächern, als das rhythmische Stampfen silberner Hufe näher kam und die erste Reihe des gewaltigen Aufmarsches in die breite helle Straße einbog, die um den Turm des Glanzes mit seinen goldenen Spitztürmen herumführte. Voran ritten die Trompeter, schlanke, scharlachrot gewandete Jünglinge, die in ihre langen, goldenen Instrumente stießen. Ihnen folgten die Bogenschützen, hochgewachsene Männer aus den Bergen, und diesen das schwerbewaffnete Fußvolk, dessen Rüstzeug im Takt mit den Schritten klirrte und dessen lange Speere sich in perfektem Einklang hoben und senkten. Danach folgte die mächtigste Truppe der Welt: die Roten Reiter. Vom Helm bis zu den Sporen in Rot gerüstet, saßen sie auf ihren Pferden und ritten stolz einher, den Blick starr geradeaus, doch nur scheinbar umbekümmert um den Beifall der Menge. Sie glichen Bronzestatuen, und kein Schwanken ging durch den Wald ihrer aufragenden Speere. Dieser stolzen und Respekt einflößenden Garde folgten die bunten Reihen der Söldner: grimmige, wilde Krieger, Männer aus Mu und Kaa-u, aus den Bergen im Osten und von den Inseln im Westen. Sie waren mit Speeren und mit großen Schwertern bewaffnet. In einigem Abstand marschierten in dichter Formation die lemurischen Bogenschützen. Dann kam das leichte Fußvolk des Landes, und den Schluß bildeten wiederum Trompeter. Ein prächtiger Anblick, ein Anblick, der ein wildes Gefühl des Triumphes aufwallen ließ in der Brust Kulls, des Königs von Valusien. Als echter Kriegerkönig saß er nicht auf dem Topasthron vor dem Turm des Glanzes, sondern auf dem -1 2 -
Rücken eines mächtigen Hengstes. Er hob seinen muskulösen Arm in Erwiderung des Grußes der vorbeimarschierenden Scharen. Sein stolzer Blick glitt über die prächtig gewan-deten Trompeter, haftete länger an den Soldaten, die hinter ihnen folgten. Seine Augen blitzten auf, als die Roten Reiter mit Waffengeklirr und tänzelnden Pferden vor ihm anhielten, um ihrem König den Ehrengruß zu entbieten; sie verengten sich eine Spur, als die Söldner vorbeizogen. Diese Söldner salutierten niemandem. Mit straffen Schultern marschierten sie vorbei und maßen Kull kühn und herausfordernd, doch nicht ohne eine gewisse Anerkennung. Ihre Gesichter waren grimmig, der Blick ihrer Augen voll Wildheit unter zottigen Mähnen und buschigen Brauen. Und Kull erwiderte diesen Blick. Tapferen Männern gestand er vieles zu, und es gab keine mutigeren auf der Welt, selbst unter den wilden Stämmen nicht, die sich weigerten, ihn anzuerkennen. Aber Kull war selbst zu sehr Barbar, um viel für sie übrig zu haben. Es gab zu viele Fehden zwischen ihnen. Die meisten waren seit unzähligen Generationen Feinde von Kulls Volk, und obgleich der Name Kull in den Bergen und Tälern seiner Heimat nun verflucht war und diese Heimat ihm fremd geworden war, ließen sich die alten Abneigungen nicht so einfach abschütteln. Denn Kull war kein Valusier, sondern ein Atlanter. Als die Kampftruppen hinter den edelsteinfunkelnden Wänden des Turmes des Glanzes seinem Blick entschwunden waren, gab Kull seinem Hengst die Zügel und ritt gemächlich zum Palast zurück. Unterwegs besprach er die Parade mit den Befehlshabern, die mit ihm ritten. Mit wenigen Worten strich er das Wesentlichste heraus. "Die Armee ist wie ein Schwert", sagte Kull, "und ein Schwert darf nicht rosten." So ritten sie die Straße hinab, und Kull schenkte dem Geflüster keine Beachtung, das aus der noch immer die Straßen säumenden Menschenmenge an seine Ohren drang. "Seht, das ist Kull! Valka! Welch ein König! Und welch ein Mann! Seht nur seine Arme! Und seine Schultern!" -1 3 -
Aber auch ein drohendes, finsteres Gemurmel: "Kull! Verfluchter Thronräuber von den Heideninseln!" Und: "Welche Schmach! Ein Barbar auf unserem Königsthron ...!" Kull scherte sich wenig darum. Mit Gewalt hatte er nach dem morschen Thron des uralten Valusiens gegriffen, und mit mehr Gewalt hielt er ihn nun: ein Mann gegen ein Reich. Erst die Ratsversammlung, dann die Hofgesellschaft, bei der Kull die schmeichlerischen Huldigungen der Edlen und ihrer Damen über sich ergehen lassen mußte und dieses oberflächliche Geschwätz mit sorgsam verborgener, grimmiger Belustigung ertrug. Endlich verabschiedeten sich die Höflinge, und Kull lehnte sich in seinen Hermelinthron zurück, um Regierungsgeschäfte zu überdenken, bis ein Diener die Erlaubnis des großen Königs erbat, sprechen zu dürfen. Er meldete einen Abgesandten der piktischen Botschaft. Kulls Gedanken kehrten aus dem Labyrinth valusischer Staatsaffären zurück, durch das sie gestreift waren. Er musterte den Pikten unfreundlich. Der Mann erwiderte den Blick des Königs ruhig. Er war ein schmalhüftiger, mittelgroßer Krieger, kräftig gebaut, mit breiten Schultern und der dunkleren Haut seiner Rasse. Die scharfgeschnittenen, unbewegten Züge und der furchtlose Blick verrieten nichts. "Ka-nu, Ratsoberhaupt des Stammes, rechte Hand des Königs aller Pikten, sendet Grüße und läßt wissen: >Beim Fest des aufgehenden Mondes steht ein Thron bereit für Kull, den höchsten der Könige, den Edelsten der Edlen und Herrscher von Valusien.<" "Gut", erwiderte Kull. "Sage Ka-nu, dem Ehrwürdigen, Botschafter der Westinseln, daß der König von Valusien mit ihm Wein trinken wird, wenn der Mond über die Berge von Zalgara zieht." Der Pikte zögerte. "Ich habe eine Botschaft für den König, nicht ...", er deutete verächtlich auf die Diener, "... für diese Sklaven." Kull befahl ihnen, sich zu entfernen, und behielt den Pikten wachsam im Auge. -1 4 -
Der Krieger trat näher und sagte leise: "Kommt heute nacht allein zum Fest, Lord König. Das sind die Worte Kanus." Das Königs Augen wurden schmal und glänzten kalt wie grauer Schwertstahl. "Allein?" "Ja." Stumm starrten sie einander an. Unter der Maske der Förmlichkeit schwelte die uralte Feindschaft ihrer Stämme. Über ihre Lippen kamen die kultivierte Sprache und die höfischen Phrasen einer zivilisierten Rasse, die nicht ihre war, doch aus ihren Augen funkelten die Urinstinkte des Wilden. Kull mochte der König von Valusien sein, und der Pikte ein Gesandter seines Hofes, aber hier in der Thronhalle starrten sich zwei Barbaren an, wild und mißtrauisch, während die Erinnerung an grimmige Kämpfe und uralte Fehden in ihnen brannte. Der König war im Vorteil, und es bereitete ihm große Genugtuung. Er hatte das Kinn auf die Hand gestützt und musterte den Pikten, der wie eine Bronzestatue vor ihm stand, mit stolz erhobenem Kopf und herausforderndem Blick. Über Kulls Lippen huschte ein spöttisches Lächeln. "Das erwartest du in der Tat von mir - daß ich allein komme?" Das Leben in der Zivilisation hatte Kull gelehrt, mit feinen Worten zu spotten. Die Augen des Pikten funkelten gefährlich, doch er schwieg. "Wie soll ich wissen, daß dich wirklich Ka-nu schickt?" "Ich habe es gesagt", kam finster die Antwort. "Wann hat je ein Pikte die Wahrheit gesagt?" höhnte Kull. Er wußte, daß Pikten die Lüge fremd war, doch er wollte den Gesandten reizen. "Ich durchschaue Eure Absicht, König", erwiderte der Pikte kalt. "Ihr wollt Grimm in mir wecken. Bei Valka! Es ist Euch bereits gelungen. Ich bin erzürnt genug. Und ich fordere Euch zum Zweikampf mit Speer, Schwert oder Messer, zu Pferd oder zu Fuß. Ist der König auch Mann genug?"
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Kulls Augen verrieten die widerwillige Achtung, die ein Krieger einem mutigen Feind zollt, doch er nutzte die Gelegenheit, dem Gegner einen weiteren Stich zu versetzen. "Hast du erwartet, daß der König die Herausforderung eines namenlosen Kriegers annimmt?" erwiderte Kull spöttisch. "Oder daß der Herrscher Valusiens einen Gesandten mit der Waffe empfängt? Du hast meine Erlaubnis zu gehen. Sage Ka-nu, daß ich allein kommen werde." Mörderische Wut leuchtete aus den Augen des Pikten. Es kostete ihn alle Kraft, nicht nach der Waffe zu greifen. Abrupt wandte er dem König den Rücken, schritt durch die Audienzhalle und durch das große Tor nach draußen. Aufs neue lehnte Kull sich auf seinem Hermelinthron zurück und grübelte. Das Ratsoberhaupt der Pikten wollte also, daß er ohne Begleitung kam. Weshalb? Plante er einen Hinterhalt? Kulls Finger schlossen sich um den Griff seiner großen Klinge. Unwahrscheinlich. Die Pikten legten viel zu großen Wert auf das Bündnis mit Valusien, als daß sie es irgendwelcher Stammesfehden wegen aufs Spiel setzen würden. Kull mochte ein Krieger aus Atlantis sein und damit der Erbfeind aller Pikten, doch er war auch der König von Valusien, der mächtigste Verbündete der westlichen Völker. Kull sann lange über die seltsamen Umstände nach, die ihn zum Verbündeten alter Feinde und zum Feind der alten Freunde gemacht hatten. Er erhob sich und schritt ruhelos und lautlos wie ein Raubtier durch die große Halle. Er hatte die Fesseln alter Freundschaften und Traditionen abgestreift, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Und, bei Valka, dem Gott des Meeres und des Landes, er hatte seine Träume wahrgemacht! Er war nun der König Valusiens - eines verblassenden, dekadenten Valusiens, das sich im Glanz vergangener Zeiten sonnte, aber dennoch ein mächtiges Land war, das mächtigste der Sieben Reiche. Valusien - das Land der Träume nannten es die Barbaren, und -1 6 -
manchmal konnte sich Kull des Gefühls nicht erwehren, in einem Traum zu leben. Verwirrend waren für ihn die allgegenwärtigen Intrigen im Palast, in der Armee, im Volk. Alles erschien ihm wie ein Fest der Verkleidung, bei dem Männer und Frauen ihre wahren Gedanken und Gefühle hinter undurchsichtigen Masken verbargen. Doch der Griff nach dem Thron war einfach gewesen - entschlossenes Handeln im rechten Augenblick, die grimmige Sprache der Schwerter, der Tod eines längst verhaßten Tyrannen, ein ausgeklügeltes Komplott mit ehrgeizigen Staatsmännern, die am Hof in Ungnade gefallen waren. Kull, der ruhelose Abenteurer, der Flüchtling aus Atlantis, hatte die schwindelnde Höhe seines Traumes erreicht: er war Herrscher von Valusien, König von Königen. Und mehr und mehr erkannte er nun, daß es viel schwieriger war, den Thron zu halten, als ihn zu erobern. Die Gegenwart des Pikten hatte alte Erinnerungen an seine wilde, ungebundene Jugend wachgerufen. Und wieder, wie schon oft in den letzten Tagen, befiel ihn eine nagende Unruhe. Ein Gefühl der Unwirklichkeit ergriff von ihm Besitz. Wie konnte er, ein gewöhnlicher Mann aus den fernen Bergen jenseits des Meeres, ein Volk regieren, eine Rasse mit dem Wissen und den Erfahrungen von Jahrtausenden ...? "Ich bin Kull!" rief er und warf den Kopf hoch wie ein Löwe, der seine Mähne schüttelt. "Ich bin Kull!" Mit dem Blick eines Raubvogels überflog er die uralte Halle. Sein Selbstvertrauen strömte zurück ... Und in einem dunklen Winkel der Halle bewegte sich ein Wandbehang - kaum merklich. 2 Und so sprachen die stillen Hallen Valusiens Der Mond war aufgegangen, und flackernde Fackeln in silbernen Schalen erhellten den Garten, als Kull sich auf dem Thron niederließ, den Ka-nu, der Botschafter der Westinseln, an seinem Tisch hatte bereitstellen lassen. Der betagte Pikte saß zur Rechten Kulls und entsprach so gar nicht der Vorstellung, die man von einem Abgesandten dieser barbarischen Rasse haben mochte. Hoch an Jahren war Ka-nu und in der Staatskunst wohlerfahren. Er war mit ihr alt und weise geworden. In den -1 7 -
Augen, die Kull abschätzend musterten, war kein Haß. Keine alte Stammesfeindschaft trübte sein Urteilsvermögen. Jahrzehntelanger Umgang mit Staatsmännern der zivilisierten Welt hatte die alten Vorurteile fortgewischt. Die erste Frage, die er sich stellte, war nicht: Wer oder was ist dieser Mann? Sondern: Kann er mir nützen, und wie? Stammesvorurteile gab es für ihn nur dann, wenn sie seinen Zwecken dienlich waren. Kulls Augen ruhten sinnend auf Ka-nu. Er antwortete einsilbig und fragte sich, ob die Zivilisation auch ihn einmal so verändern würde wie den Pikten. Denn Ka-nu war beleibt und verweichlicht. Viele Jahre waren vergangen, seit der Pikte ein Schwert im Kampf geführt hatte. Zugegeben, er war alt, doch Kull hatte ältere als ihn zuvorderst im Schlach--tengetümmel gesehen. Die Pikten waren eine langlebige Rasse. Ein Mädchen von großer Schönheit stand an Ka-nus Seite und füllte seinen Becher, und sie hatte viel zu tun. Die ganze Zeit über sprühte Ka-nu vor Witz und Beredsamkeit, und obgleich Kull Geschwätzigkeit verachtete, konnte er sich doch dem scharfsinnigen Humor des Alten nicht entziehen. Piktische Häuptlinge und Staatsmänner nahmen an der Festlichkeit teil, letztere heiter und zwanglos, erstere dagegen steif und offensichtlich unfähig, ihre eingefleischten Stammesabneigungen abzustreifen. Trotzdem beneidete Kull sie um die Freiheit und Ungezwungenheit der ganzen Angelegenheit, die sich sehr von den Gepflogenheiten am valusischen Hof unterschied. Solche Freiheit gab es noch an den einfachen Lagern der Atlanter - Kull zuckte die Schultern. Aber zweifellos hatte Ka-nu recht getan, daß er, soweit es die alten Traditionen und Vorurteile betraf, vergessen hatte, daß er ein Pikte war. Und er, Kull, würde gut daran tun, in eine valusische Haut und einen valusischen Verstand zu schlüpfen. Als der Mond schließlich am höchsten stand, lehnte sich Ka-nu, der soviel wie drei Männer gegessen und getrunken hatte, mit zufriedenem Seufzen zurück und sagte: "Geht nun. Freunde, denn der König und ich möchten uns über Dinge unterhalten, die -1 8 -
nicht für die Ohren von Kindern bestimmt sind. Ja, auch du, meine Schöne, aber erst einen Kuß auf deine roten Lippen ... so gefällt es mir, und nun wiege dich fort, meine Rosenknospe." Über dem weißen Bart blinzelten Ka-nus Augen verschmitzt, als er Kull musterte, der steif, grimmig und voller Ablehnung vor ihm saß. "Ich weiß, was Ihr jetzt denkt, Kull", erklärte der betagte Staatsmann plötzlich, "daß dieser Ka-nu ein nutzloser alter Narr ist, der nichts anderes mehr im Kopf hat als Wein und Weiber." Das kam so unerwartet und entsprach so genau seinen Gedanken, daß Kull ziemlich verblüfft war, obgleich er sich nichts anmerken ließ. Ka-nu gluckste, und sein Bauch hüpfte. "Wein ist rot und Frauen sind sanft", meinte er nachsichtig. "Aber - ha! ha! -glaube nicht, daß das irgendwelchen Einfluß auf meine Pläne und Entscheidungen hat." Wieder schüttelte er sich vor Lachen, und Kull bewegte sich unruhig. Es hatte fast den Anschein, als nähme der Alte ihn nicht ernst, und ein raubtierhaftes Funkeln schimmerte in des Königs Augen. Ka-nu griff nach dem Weinkrug, füllte seinen Becher und sah Kull fragend an. Doch der schüttelte unwillig den Kopf. "Es ist wohl so", sagte Ka-nu gleichmütig, "daß ein alter Kopf mehr verträgt. Ich werde alt, Kull, also warum gönnt ihr jungen Männer mir nicht die Freuden, die uns Alten noch bleiben? Ich muß mich damit abfinden, ich werde ein steinalter Mann ohne Kraft, ohne Freunde und ohne Freuden." Aber sein Aussehen und seine Miene straften seine Worte Lügen. Sein gerötetes Gesicht strahlte nur so, und seine Augen blitzten und ließen den weißen Bart wie eine Verkleidung erscheinen. Er sah in der Tat wie ein Kobold aus, dachte Kull mit vagem Ärger. Der alte Halunke hatte alle primitiven Tugenden verloren, die seiner und Kulls Rasse zu eigen waren, um so mehr schien er seine alten Tage zu genießen.
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"Hört meine Worte, Kull", sagte Ka-nu und hob mahnend den Zeigefinger, "es ist immer ein gewisses Wagnis, einen jungen Mann zu loben, dennoch muß ich Euch meine wahren Gedanken offenbaren, um Euer Vertrauen zu gewinnen." "Wenn Ihr glaubt, es durch Schmeichelei ..." "Pah, wer sprach von Schmeichelei? Ich schmeichle nur, um zu entwaffnen." Ein wacher Glanz war in Ka-nus Augen, ein kaltes Glitzern, das nicht zu seinem trägen Lächeln paßte. Er war ein guter Menschenkenner, und er wußte, wollte er bei diesem raubtierhaften Barbaren etwas erreichen, mußte er offen sein. Denn wie ein Wolf, der die Falle wittert, würde er unfehlbar jede Falschheit durchschauen. "Es liegt in Eurer Hand, Kull", sagte er und bedachte jedes Wort sorgsamer, als er es in der Ratsversammlung der Stämme tat, "der mächtigste aller Könige zu werden und Valusien in altem Glanz wiedererstehen zu lassen. Valusien bedeutet mir nicht viel - obwohl seine Frauen und sein Wein bemerkenswert sind -, aber es ist so, daß mit der Macht Valusiens auch die Macht der Pikten wächst. Mehr noch, mit einem Atlanter auf dem Thron mag eines Tages auch Atlantis dem Bündnis angehören ..." Kull lachte bitter. Ka-nu hatte an einer alten Wunde gerührt. "Atlantis hat meinen Namen verflucht, als ich auszog, Ruhm und Reichtum in den großen Städten der Welt zu suchen. Wir - sie sind uralte Feinde der Sieben Reiche, und nicht weniger erbitterte Feinde aller Verbündeten der Reiche, wie Ihr eigentlich wissen solltet." Ka-nu zupfte an seinem Bart, sein Lächeln war nicht zu deuten. "Nein, Kull, nein. Ihr müßt umdenken. Denn ich weiß, wovon ich rede. Dann werden Streitigkeiten und Kriege aufhören, die niemandem Gewinn bringen. Ich sehe eine Welt des Friedens und des Wohlstands - in der jeder seines Nächsten Bruder ist -, die beste aller Welten. Das alles könnt Ihr vollbringen - wenn Ihr lange genug lebt!"
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"Ha!" Kulls Faust schloß sich um den Schwertgriff. Er sprang mit solcher Plötzlichkeit und Geschmeidigkeit auf, daß Ka-nu, den vollkommene Krieger so begeisterten wie andere vollblütige Pferde, sein altes Blut stürmisch durch die Adern wallen fühlte. Valka, welch ein Krieger! Nerven und Sehnen aus Feuer und Stahl in perfektem Zusammenwirken, der Instinkt des Kämpfers, der erst den gefürchteten Krieger ausmacht. Aber Ka-nus leicht sarkastischer Ton verriet nichts von seiner Begeisterung. "Aber Kull. Setzt Euch wieder. Seht Euch um. Die Gärten sind verlassen, die Bänke und Stühle leer außer den unseren. Sicherlich werdet Ihr mich nicht fürchten?" Kull sank auf den Thron zurück, aber er sah sich wachsam um. "Barbar bis ins Mark", brummte Ka-nu. "Wenn ich wirklich Verrat plante, glaubt Ihr, daß ich das hier tun würde, wo jeder Verdacht sofort auf mich fiele? Das wäre Narrenwerk! Ihr jungen Krieger habt viel zu lernen. Meine Häuptlinge können nicht vergessen, daß Ihr aus den Bergen von Atlantis kommt, und Ihr verachtet mich tief in Eurem Inneren, weil ich ein Pikte bin. Das führt uns nirgendwo hin. Ihr seid für mich Kull, der König von Valusien, nicht Kull, der tollkühne Atlanter, der Anführer der Horden, die über die Westinseln herfielen. Und Ihr solltet in mir nicht den Pikten sehen, sondern den Staatsmann, der zwischen den Völkern steht. Und als der gebe ich folgendes zu bedenken: Wenn der Tod Euch morgen ereilte, wer würde dann den Thron besteigen?" "Kaanuub, der Baron von Blaal." "Stimmt. Ich habe viele Gründe, weshalb ich gegen Kaanuub wäre, vor allem, weil er nur eine Marionette ist." "Wie das? Er war mein härtester Gegner, aber ich ahnte nicht, daß er für die Interessen anderer focht." "Die Nacht hat viele Ohren", erwiderte Ka-nu ausweichend. "Und die Welt hat Türen. Aber Ihr könnt mir vertrauen. Und Ihr könnt Brule, dem Speerkämpfer, vertrauen. Seht!" Er zog ein goldenes Armband aus seinem Gewand hervor. Es stellte ein dreifach -2 1 -
gewundenes, geflügeltes Reptil mit drei Rubinhörnern auf dem Kopf dar. "Seht es Euch genau an. Brule wird es an seinem Arm tragen, wenn er morgen nacht zu Euch kommt. Ihr werdet ihn daran erkennen. Traut Brule wie Euch selbst und tut, was er Euch rät. Und damit Ihr seht, daß Ihr mir vertrauen könnt, will ich Euch dies zeigen ..." So rasch wie ein herabstoßener Habicht riß der Alte etwas aus seinem Umhang hervor, etwas, das ein unheimliches grünes Licht auf die beiden Männer warf, und ließ es sofort wieder verschwinden. "Der gestohlene Stein!" rief Kull und wich zurück. "Das grüne Juwel aus dem Schlangentempel! Valka! Ihr? Weshalb zeigt Ihr es mir?" "Weil ich Euer Leben retten will. Und weil ich Euch mein Vertrauen beweisen möchte. Wenn ich Euer Vertrauen mißbrauche, dann vergeltet es mit gleicher Münze. Mein Leben liegt in Eurer Hand. Ihr seht, ich könnte kein Verräter sein, selbst wenn ich es wollte, denn ein Wort von Euch würde auch mein Ende bedeuten." Trotz seiner ernsten Worte strahlte der alte Halunke über das ganze Gesicht und schien ungemein mit sich zufrieden zu sein. "Aber warum liefert Ihr Euch mir solcherart aus?" fragte Kull, der immer weniger wußte, was er von dem allen halten sollte. "Wie ich schon sagte, damit Ihr seht, daß ich kein falsches Spiel im Sinne habe. Und morgen, wenn Brule zu Euch kommt, folgt seinem Rat ohne Furcht vor Verrat. Doch genug. Eine Eskorte wartet draußen, um Euch zum Palast zu geleiten." Kull erhob sich. "Aber Ihr habt mir noch nichts erzählt." "Ah, wie ungeduldig die Jugend doch ist!" Mehr denn je glich er in diesem Augenblick einem listigen Kobold. "Geht und träumt von Thron und Macht und Königreichen, während ich mich meinen Träumen von Wein und zärtlichen Frauen und duftenden Rosen hingebe. Glück auf Eurem Weg, König Kull." -2 2 -
Als Kull den Garten verließ und zurückblickte, sah er Kanu noch immer entspannt und mit vergnügter Miene an seinem Platz sitzen - das Bild eines mit sich und der Welt zufriedenen, weisen alten Mannes. Ein berittener Krieger wartete außerhalb des Gartens auf den König. Kull war ein wenig überrascht, als er erkannte, daß es derselbe war, der ihm Ka-nus Einladung überbracht hatte. Kein Wort fiel, als Kull sich in den Sattel schwang und sie durch die leeren Straßen ritten. Die lärmende Fröhlichkeit des Tages hatte der unheimlichen Stille der Nacht Platz gemacht. Im Schein des silbernen Mondes konnte man das ehrwürdige Alter der Stadt deutlicher spüren. Die gewaltigen Säulen der Villen und Paläste reckten sich hoch zu den Sternen empor. Die breiten Treppen, still und verlassen, schienen aufwärts in die Unendlichkeit zu führen und in der Dunkelheit des Himmels zu enden. Stufen zu den Sternen, dachte Kull. Die stille Pracht der nächtlichen Stadt beflügelte seine Phantasie. Klapp, klapp, klapp hämmerten die silbernen Hufe auf den breiten, mondlichtbleichen Straßen, doch sonst war kein Laut zu vernehmen. Das Alter der Stadt, die unglaubliche Zahl von Jahren, ließ den König plötzlich erschauern. Es war, als lachten die großen, stillen Gebäude mit lautlosem Spott über ihn. Und welche Geheimnisse mochten sie kennen? "Du bist jung", flüsterten die Paläste und Tempel und heiligen Stätten, "wir aber sind alt. Die Welt war wild und ungestüm, als wir erbaut wurden. Du und dein Stamm, ihr werdet verschwinden, doch wir sind unbezwingbar, unzerstörbar. Wir hielten Wacht über eine fremde Welt, lange bevor sich Atlantis und Lemurien aus den Fluten des Ozeans erhoben. Wir werden noch dasein, wenn die grünen Wasser längst tief und ruhelos über den Türmen von Lemurien und den Bergen von Atlantis wogen und die Westinseln die Gebirge einer neuen Welt sein werden.
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Wie viele König haben wir durch diese Straßen reiten sehen, ehe Kull von Atlantis auch nur ein Gedanke im Gehirn Käs, des Vogels der Schöpfung, war? Reite nur, Kull von Atlantis. Mächtigere werden nach dir kommen. Mächtigere waren vor dir. Sie alle sind Staub und vergessen. Wir aber stehen. Wir wissen. Wir sind. Reite, reite deinen Weg, Kull von Atlantis. Kull, der König. Kull, der Narr!" Und es schien Kull, als trommelten die Hufe in stetem Rhythmus immer die gleichen, höhnenden Worte in die Nacht hinaus: "Kull - der - König! Kull - der - Narr!" Scheine, Mond. Dein bleiches Licht weist einem König den Weg! Leuchtet, Sterne. Ihr seid die Fackeln im Gefolge eines Herrschers! Und pocht. Silberhufe. Ihr verkündet, daß Kull durch die Stadt reitet! Ha! Wach auf, Valusien! Es ist Kull, der durch die Nacht reitet, Kull der König! "Wir haben viele Könige gesehen", murmelten die stillen Hallen Valusiens. Von solchen Gedanken beseelt, erreichte Kull den Palast, wo ihn seine Leibwache, Krieger der Roten Reiter, erwartete, um die Zügel seines Pferdes zu übernehmen und den König zu seinen Gemächern zu geleiten. Der Pikte riß wortlos sein Pferd mit einem wilden Ruck am Zügel herum und verschwand wie ein Phantom in der Nacht. Kulls noch immer erregte Phantasie sah ihn wie einen Dämon aus der Älteren Welt durch die stillen Straßen jagen. In dieser Nacht fand Kull keinen Schlaf, denn die Dämmerung war nicht mehr fern; er verbrachte die letzten Nachtstunden damit, im Thronsaal auf und ab zu gehen und die Geschehnisse zu überdenken. Ka-nu hatte ihm nichts erzählt, und dennoch hatte er sich ihm völlig ausgeliefert. Was hatte er damit gemeint, daß der Baron von Blaal nur eine Marionette sei? Und wer war dieser Brule mit dem rätselhaften Drachenreif am Arm, den Kanu ihm in der kommenden Nacht schicken wollte? Und weshalb? Und vor allem: Warum hatte ihm Ka-nu den grünen Stein des -2 4 -
Verderbens gezeigt, der vor langer Zeit aus dem Schlangentempel gestohlen worden war; jener Edelstein, um den furchtbare Kriege entbrennen würden, wenn die unheimlichen und schrecklichen Hüter des Tempels in Erfahrung brächten, wo er sich befand? Vor ihrer Rache würden Ka-nu auch die wilden Krieger seines Stammes nicht zu schützen vermögen. Aber Kanu wußte, daß er sich nicht wirklich in Gefahr begeben hatte, grübelte Kull, denn der Staatsmann war zu schlau, sich ohne Aussicht auf Gewinn einem solchen Risiko auszusetzen. Hatte er es nur getan, um dem König den Argwohn zu nehmen und ihn so um so leichter zu überlisten? Konnte Ka-nu ihn jetzt überhaupt noch am Leben lassen? Kull zuckte die Schultern. 3 Nächtliche Besucher Der Mond war noch nicht aufgegangen, als Kull mit der Hand am Schwertgriff zum Fenster schritt. Die Fenster gaben den Blick auf die großen inneren Gärten des Königspalastes frei. Die Nachtbrise, die den Duft der Gewürzsträucher mit sich trug, bauschte die dünnen Vorhänge. Der König blickte hinaus. Die Wege und Haine lagen verlassen, die sorgfältig geschnittenen Bäume waren unförmige Schatten. In der Nähe sprühten Brunnen silbern im Sternenlicht und in einiger Entfernung plätscherten weitere. Keine Posten durchstreiften diese Gärten, denn die äußeren Mauern waren so stark bewacht, daß ein Eindringen unmöglich schien. Kletterpflanzen rankten sich an den Palastmauern hoch, und während Kull noch überlegte, wie leicht es doch wäre, daran hochzuklettern, löste sich aus der Dunkelheit unter ihm ein Schatten, und ein nackter brauner Arm griff zum Fensterbrett hoch. Kulls große Klinge fuhr halb aus der Hülle, da hielt der König inne. An dem muskulösen Arm schimmerte der Drachenreif, den ihm Ka-nu am Vorabend gezeigt hatte. Der Besitzer des Armes schwang sich mit katzenhafter Gewandtheit über das Sims in den Raum. "Bist du Brule?" begann Kull, dann hielt er überrascht inne und musterte den Eindringling ergrimmt und mißtrauisch. Es war derselbe Krieger, den er in der Audienzhalle verhöhnt hatte, -2 5 -
derselbe, der ihm von der piktischen Botschaft das Geleit zum Palast gegeben hatte. "Ich bin Brule, der Speerkämpfer", antwortete der Pikte wachsam; und unvermittelt, während er Kull forschend ins Gesicht blickte, stieß er mit kaum mehr als einem Flüstern die Worte hervor: Ka nama kaa lajerama!" Kull starrte ihn an. "Ha! Was sagst du?" "Kennt Ihr es nicht?" "Nein. Die Worte klingen fremd. Sie sind aus keiner Sprache, die ich je gehört habe - und doch, bei Valka! Irgendwo - muß ich sie schon gehört haben ..." "Ja", brummte der Pikte nur. Sein Blick glitt durch das Gemach, das dem König als Arbeitsraum diente. Ein paar Tische, ein Diwan und zwei große Regale mit Pergamentschriften waren die ganze Einrichtung. Verglichen mit dem Prunk des übrigen Palastes wirkte der Raum kahl. "Sagt mir, König, wer bewacht die Tür?" "Achtzehn der Roten Reiter. Aber wie ist es dir gelungen, unbemerkt durch den Garten zu gelangen und die Palastmauern zu erklimmen?" Brule grinste geringschätzig. "Die valusischen Wachen sind blinde Büffel. Ich könnte ihre Mädchen vor ihren Augen stehlen. Ich schlich zwischen ihnen hindurch, ohne daß sie mich hörten oder sahen. Und die Mauern - ich könnte auch ohne die Ranken hochklettern. Ich habe an der Küste Tiger gejagt, als der schneidende Ostwind den Nebel vom Meer hereintrieb, und ich habe die Steilhänge der Berge an der Westküste erklommen. Doch kommt jetzt - nein, berührt erst diesen Armreif." Er hielt seinen Arm hoch, und als Kull seiner Bitte verwundert nachkam, seufzte er merklich erleichtert. "Gut. Nun legt diese königlichen Gewänder ab, denn heute nacht liegen Taten vor Euch, von denen kein Atlanter je geträumt hat."
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Brule selbst trug nur einen Lendenschurz, in dem ein kurzes Krummschwert steckte. "Woher nimmst du die Unverschämtheit, mir zu befehlen?" grollte Kull. "Hat Ka-nu euch nicht gebeten, allen meinen Anweisungen zu folgen?" fragte der Pikte gereizt, und seine Augen funkelten. "Ich hege keine Liebe für Euch, König, aber im Augenblick habe ich alle Abneigung aus meinem Herzen verbannt. Tut auch Ihr es. Und folgt mir jetzt." Lautlos schritt er quer durch den Raum zur Tür. Ein Schieber in der Tür erlaubte den Blick in den Korridor hinaus, ohne selbst gesehen zu werden. Der Pikte bat Kull, nach draußen zu sehen. "Was seht Ihr?" "Nur die achtzehn Wachsoldaten." Der Pikte nickte und winkte Kull, ihm zum anderen Ende des Raumes zu folgen. Brule tastete einen Augenblick an der Wandtäfelung. Dann tat er einen raschen Schritt zurück und zog sein Schwert. Kull konnte einen überraschten Ausruf nicht unterdrücken, als ein Teil der Wand lautlos aufschwang und den Blick auf einen schwach erhellten Gang freigab. "Ein Geheimgang!" sagte Kull ergrimmt. "Und ich wußte nichts davon! Bei Valka, jemand wird dafür büßen!" "Still!" zischte der Pikte. Brule stand wie eine Bronzestatue, jeder Nerv gespannt, um auch nicht das leiseste Geräusch zu überhören. Etwas in Brules Verhalten sandte Kull einen eisigen Schauder über den Rücken, nicht aus Furcht, sondern in Erwartung von etwas Unnennbarem. Dann winkte Brule und stieg durch die Geheimtür, die hinter ihnen offen blieb. Der Gang war leer und kahl, doch lag nirgends Staub, wie es in einem unbenutzten Raum eigentlich der Fall sein sollte. Von irgendwoher kam ein düsteres, graues Licht, dessen Quelle nicht zu erkennen war. Alle paar Schritte konnte Kull Türen sehen, die, wie er wußte, in den Räumen dahinter unsichtbar waren. -2 7 -
"Der ganze Palast scheint voller Türen zu sein", murmelte er. "Das ist er. Viele Augen beobachten Euch, König, Tag und Nacht." Brules Verhalten beeindruckte den König. Der Pikte bewegte sich langsam vorwärts, lautlos, geduckt, die Klinge vor dem Körper in der leicht vorgestreckten Rechten. Wenn er sprach, geschah dies flüsternd. Unablässig blickte er wachsam nach allen Seiten. Der Gang bog scharf ab, und Brule spähte vorsichtig um die Krümmung. "Seht!" flüsterte er. "Aber denkt daran! Kein Wort! Keinen Laut wenn Ihr am Leben bleiben wollt!" Kull blickte vorsichtig an ihm vorbei. Der Gang mündete direkt an der Biegung in eine Treppe. Kull zuckte zurück. An ihrem Fuß lagen die achtzehn Roten Reiter, die in dieser Nacht des Königs Arbeitsraum bewachen sollten. Nur Bru-les Griff an seinem Arm und seine hastige Warnung hielten Kull davon ab, die Stufen hinunterzuspringen. "Still, Kull! In Valkas Namen, seid still!" zischte der Pikte. "Diese Gänge sind jetzt verlassen, dennoch ist es sehr gefährlich. Aber Ihr mußtet es sehen, damit Ihr meinen Worten glaubt. Jetzt zurück in Euren Arbeitsraum." Damit schlich er den Weg zurück. Kull folgte ihm, während sich seine Gedanken überschlugen. "Das ist Verrat", brummte der König, und seine stahlgrauen Augen funkelten gefährlich. "Gemeiner mörderischer Verrat! Nur wenige Augenblicke ist es her, daß diese Männer vor meiner Tür Wache standen." Als sie in den Arbeitsraum zurück waren, schloß Brule sorgfältig die geheime Tür und winkte Kull, erneut einen Blick durch die Öffnung nach draußen .zu werfen. Kull schnappte hörbar nach Luft. Denn vor der Tür standen die achtzehn Wachen. "Zauberei!" stieß er leise hervor und zog sein Schwert halb blank. "Sind es tote Männer, die den König bewachen?" "Ja!" antwortete Brule leise, und ein Ausdruck war in seinen funkelnden Augen, den Kull nicht zu deuten wußte. Einen -2 8 -
Augenblick lang starrten sie einander an. Kull runzelte verwirrt die Stirn, als er in dem verschlossenen Gesicht des Pikten zu lesen versuchte. Dann formten Brules Lippen die Worte: "DieSchlange-die-spricht!" "Schweig!" entfuhr es Kull. Er drückte seine Hand auf Brules Mund. "Der Name ist verflucht. Verdammt, der ihn nennt!" Die furchtlosen Augen des Pikten musterten ihn forschend. "Schaut noch einmal, König Kull. Seid Ihr sicher, daß die Wachen nicht abgelöst wurden?" "Vollkommen sicher. Es sind dieselben Männer. In Valkas Namen, das ist Zauberei - es ist ungeheuerlich! Kaum eine Viertelstunde ist es her, da sah ich die Leichen dieser Männer mit eigenen Augen. Und doch stehen sie hier." Brule trat von der Tür zurück, und Kull folgte ihm aufgewühlt. "Kull, was wißt Ihr von den Überlieferungen dieses Volkes, über das Ihr herrscht?" "Viel - und doch wenig. Valusien ist uralt ..." "Das ist wahr." Ein seltsamer Glanz lag in Brules Augen. "Wir sind nur Barbaren - gerade erst Geborene, verglichen mit den Sieben Reichen, deren Alter nicht einmal ihre Weisesten zu nennen vermögen. Weder menschliche Erinnerung noch die Chroniken der Geschichtsschreiber können uns sagen, wann die ersten Menschen aus dem Meer kamen und Städte auf dem Land zu bauen begannen. Aber, Kull, nicht immer wurden die menschlichen Rassen auch von Menschen regiert!" Der König sah auf, und ihre Blicke trafen sich. "Ja, es gibt eine Sage in meinem Volk ..." "Und in meinem!" unterbrach ihn Brule. "Lange bevor unsere Inseln das Bündnis mit Valusien schlössen, in den Tagen Löwenprankes, des siebenten Kriegerhäuptlings der Pikten, vor so vielen Jahren, daß niemand mehr ihre Zahl zu nennen vermag. Von den Inseln des Sonnenuntergangs brachen wir auf, umfuhren die Küsten von Atlantis und fielen mit Feuer und Schwert in Valusien ein. Da hallten die weißen Strande vom -2 9 -
Klirren der Speere wider, und die brennenden Burgen machten die Nacht zum Tag. Und der König, der König Valusiens, der damals am blutgetränkten Strand fiel ..." Er sprach nicht zu Ende. Stumm starrten die beiden einander an. Dann nickten sie beide. "Unvorstellbar alt ... ist Valusien", flüsterte Kull. "Die Berge von Atlantis und Mu waren nur Inseln im Meer in den jungen Tagen Valusiens." Der Nachtwind strich durch das offene Fenster. Nicht die frische, salzige Seeluft, wie sie Brule und Kull aus ihrer Heimat kannten und liebten, sondern der Atem flüsternder Stimmen aus der Vergangenheit, schwer von den Düften längst vergessener Dinge und seufzend unter der Last von Geheimnissen, die schon alt waren, als die Welt kaum geboren war. Die Wandteppiche bewegten sich raschelnd, und plötzlich fühlte sich Kull vor der unermeßlichen Weisheit, die in den dunklen Tiefen dieser Jahrtausende verborgen lag, wie ein unwissendes Kind. Und wieder überfiel ihn ein Gefühl der Unwirklichkeit, und seine Seele war voll von mächtigen, monströsen Schatten, die ihm schreckliche Dinge zuflüsterten. Er spürte, daß in Brule Ähnliches vorging. Der Pikte erwiderte seinen Blick mit einer grimmigen Eindringlichkeit. In diesem Augenblick empfand Kull eine warme kameradschaftliche Verbundenheit mit diesem Krieger eines feindlichen Stammes. Wie gegeneinander kämpfende Leoparden sich gemeinsam gegen die Jäger wenden, wenn sie in die Enge getrieben werden, so verbündeten sich diese beiden Barbaren gegen die unmenschlichen Mächte der Vergangenheit. Brule schritt voran zur Geheimtür. Schweigend traten sie hindurch und folgten dem düsteren Korridor, doch diesmal in entgegengesetzter Richtung. Nach einer Weile hielt der Pikte an und trat zu einer der geheimen Türen. Er bat Kull, ebenfalls durch den verborgenen Sehschlitz zu blicken. "Diese führt zu einer wenig benutzten Treppe, über die man in den Gang gelangt, in dem sich auch die Tür in Euren Arbeitsraum befindet." -3 0 -
Während sie noch spähten, kam eine Gestalt lautlos die Treppe hoch. "Tu! Mein engster Berater!" entfuhr es Kull. "In der Nacht und mit blankem Dolch in der Faust! Was bedeutet das, Brule?" "Meuchelmord und gemeinster Verrat!" zischte Brule. "Tut es nicht!" warnte er, als Kull die Tür aufreißen und hinausstürmen wollte. "Wir sind verloren, wenn Ihr ihn hier stellt, denn weitere lauern am Fuß der Treppe. Folgt mir!" Sie eilten den Gang zurück in den Arbeitsraum. Brule schloß die Geheimtür sorgfältig hinter Kull. Dann durchquerte er den Raum und verschwand durch eine Öffnung in eine selten benutzte Kammer. Dort schob er in einer dunklen Ecke die Wandbehänge zur Seite und verbarg sich dahinter, wobei er Kull mit sich zog. Endlose Augenblicke verstrichen. Kull konnte den Wind hören, der im Nebenraum die Fenstervorhänge bewegte, flüsternd und murmelnd wie die Stimmen von Geistern. Und dann schob sich Tu, der engste Berater des Königs, lautlos durch die Tür. Augenscheinlich war er durch den Arbeitsraum gekommen, den er leer vorgefunden hatte, und suchte sein Opfer nun in den angrenzenden Räumen. Er hielt den Dolch zum Stoß erhoben und bewegte sich geräuschlos. Einen Augenblick hielt er inne und sah sich in dem offenbar leeren, von einer einzigen Kerze dürftig erhellten Raum um. Dann schritt er vorsichtig weiter. Die Abwesenheit des Königs schien ihm unbegreiflich zu sein. Er stand schließlich vor dem Versteck und ... "Töte ihn!" zischte der Pikte. Mit einem einzigen mächtigen Satz war Kull mitten im Raum. Tu wirbelte herum, doch der blitzschnelle, katzenhafte Angriff ließ ihm keine Zeit zur Abwehr oder gar Gegenwehr. Schwertstahl funkelte im trüben Licht und drang knirschend zwischen Knochen, als Tu mit Kulls Schwert zwischen den Schultern zu Boden sank. Kull beugte sich über ihn. Seine Zähne waren gefletscht wie die eines Raubtieres, seine Brauen zusammengezogen, seine Augen kalt und grau, wie das Eis der See. Plötzlich ließ er das -3 1 -
Schwert los und wich erschrocken zurück. Er schauderte, als hätte ihn eine eisige Hand berührt. Denn vor seinen Augen verschwamm Tus Gesicht und wurde unwirklich. Die Züge zerflossen und verschmolzen auf eine unglaubliche Weise. Das Gesicht verschwand wie ein sich auflösender Nebelschleier. An seiner Stelle befand sich ein tückisch starrender, grauenvoller Schlangenkopf! "Valka!" keuchte Kull, und Schweiß perlte auf seiner Stirn. "Valka!" Brule beugte sich mit steinerner Miene vor. Nur in seinen Augen spiegelte sich etwas von Kulls Entsetzen. "Nehmt Euer Schwert, Lord König", sagte er. "Es gilt noch viel zu tun." Zögernd griff Kull nach dem Knauf. Schaudernd setzte er den Fuß auf das abscheuliche Etwas am Boden, doch als sich der scheußliche Rachen durch einen letzten Muskelreflex öffnete, zuckte er würgend vor Übelkeit zurück. Gleich darauf verfluchte er seine Schwäche. Er riß das Schwert heraus und betrachtete die ungeheuerliche Kreatur genauer, die einmal Tu, sein engster Berater, gewesen war. Vom Reptilienkopf abgesehen unterschied sie nichts von einem Menschen. "Ein Mann mit dem Kopf einer Schlange!" sagte Kull leise. "Er ist ein Priester des Schlangengottes, nicht wahr?" "Ja. Tu schläft ahnungslos. Diese Teufel können jede Gestalt annehmen. Mit der Hilfe eines Zaubers verwandeln sie ihr Gesicht, so wie ein Schauspieler eine Maske überstreift, und können solcherart jedem gleichen." "Dann sind die alten Sagen also wahr", grübelte der König. "Die alten schrecklichen Geschichten, über die keiner zu reden wagt, aus Furcht, als Gotteslästerer ein Ende zu finden, sind keine Hirngespinste. Bei Valka, ich glaubte es immer - ich nahm es immer an -, dennoch ist es so unglaublich. Und die Wachen vor der Tür ..." "Sie sind Schlangenmenschen wie er. Wartet! Was wollt Ihr tun?" -3 2 -
"Sie töten!" zischte Kull. "Ihr müßt den Kopf treffen, wenn Ihr sie vernichten wollt", erklärte Brule. "Achtzehn warten vor der Tür und möglicherweise ein Dutzend weitere in den Gängen. Laßt Euch berichten, König, wie Ka-nu von dieser Verschwörung erfuhr. Er hat seine Spitzel selbst im innersten Heiligtum der Schlangenpriester, und von ihnen kamen die Hinweise. Er hat das geheime Gangsystem des Palastes bereits vor langer Zeit entdeckt und eine Karte gezeichnet. Auf seinen Befehl habe ich sie mir eingeprägt und bin gekommen. Euch zur Seite zu stehen, denn auf Euch wartet ein Tod, wie ihn schon viele Könige Valusiens fanden. Ich bin allein gekommen, da mehrere zu schicken Verdacht erregt hätte. Auch wäre eine größere Zahl nicht unbemerkt in den Palast gelangt. Einen Teil des verräterischen Planes habt Ihr gesehen. Schlangenmenschen stehen Wache vor Eurer Tür, und der da hatte in der Gestalt Tus Zugang zu allen Räumlichkeiten des Palastes. Wenn der Anschlag der Priester mißlang, würden am Morgen die echten Wachen wieder auf ihren Posten sein, ahnungslos und ohne Erinnerung. Doch auf sie wäre alle Schuld gefallen, hätte der Priester Erfolg gehabt. Wartet hier, ich schaffe diesen Kadaver fort." Ungerührt hob der Pikte das furchterregende Wesen auf seine Schulter und verschwand damit durch eine andere Geheimtür. Kull wartete reglos, während die Gedanken durch seinen Kopf wirbelten. Neue Priester der mächtigen Schlange. Wie viele mochte es in seinen Städten geben? Wie konnte er Menschen und Doppelgänger unterscheiden? Und wie viele seiner getreuen Ratgeber und Generäle waren noch Menschen? Konnte er überhaupt noch irgend jemandem vertrauen? Die Geheimtür schwang auf, und Brule trat ein. "Du warst flink." "Ja!" Der Krieger trat näher und betrachtete den Boden. "Hier sind noch Blutflecken auf dem Teppich, seht Ihr?" Kull bückte sich. Aus den Augenwinkeln sah er die schnelle Bewegung, das Aufblitzen von blankem Stahl. Wie von der Sehne -3 3 -
geschnellt fuhr er hoch und stieß mit der Klinge nach oben. Der Krieger sackte auf das Schwert, während sein eigenes auf den Boden fiel. In diesem Augenblick erfüllte es Kull mit grimmiger Genugtuung, daß der Verräter den Tod durch solch einen blitzschnellen Aufwärtsstoß fand wie er beliebte Kampftaktik seines Volkes war. Dann, als Brules Körper vom Schwert glitt und reglos auf dem Boden lag, begann das Gesicht zu zerfließen und sich aufzulösen. Während Kull mit angehaltenem Atem und eisigem Schauder zusah, verschwanden die menschlichen Züge und machten dem gräßlichen aufgerissenen Rachen einer Schlange Platz und schrecklichen starren Augen, in denen selbst im Tod noch Gift und Tücke war. "Er war die ganze Zeit ein Schlangenpriester!" keuchte der König. "Valka! Welch ein ausgeklügelter Plan, mich zu überlisten! Und Ka-nu? Ist er ein Mensch? War es wirklich Ka-nu, dem ich im Garten gegenübersaß? Allmächtiger Valka!" Er schüttelte sich vor Grauen, als er sich fragte: "Sind die Bewohner Valusiens Menschen, oder sind sie alle Schlangen?" Während dieser grimmigen Überlegungen fiel ihm auf, daß die Kreatur, die er als Brule gekannt hatte, das Drachenarmband nicht mehr trug. Ein Geräusch ließ ihn herumwirbeln. Brule trat durch die Geheimtür. "Haltet ein!" Auf dem Arm, den der Pikte abwehrend hob, glänzte der Drachenreif. "Valka!" Brule blieb abrupt stehen. Ein grimmiges Lächeln verzerrte seine Lippen. "Bei den Göttern des Meeres! Diese Teufel sind über alle Maßen gefährlich. Einer muß mich im Gang gesehen haben, als ich den Kadaver wegschleppte, und dann meine Gestalt angenommen haben. Es bleibt nichts übrig, als auch diesen beiseite zu schaffen." "Bleib stehen!" Eine tödliche Drohung schwang in Kulls Stimme. "Zwei Männer haben sich vor meinen Augen in Schlangen verwandelt. Wie soll ich wissen, daß du nicht einer von ihnen bist?" -3 4 -
Brule lachte. "Zwei Gründe sprechen dagegen, König Kull. Kein Schlangenpriester würde das tragen", er deutete auf den Drachenreif, "und keiner vermag diese Worte zu sagen." Wieder vernahm Kull den seltsamen Satz: "Ka nama kaa lajerama." "Ka nama kaa lajerama", wiederholte Kull mechanisch. "Wo, in Valkas Namen, habe ich das schon gehört? Nein, ich muß mich täuschen! Und doch - und doch ..." "Ja, Ihr erinnert Euch recht, Kull", bestätigte Brule. "Irgendwo in den dunklen Abgründen der Erinnerung sind diese Worte verborgen. Obwohl Ihr sie nie zuvor im Leben gehört habt, kommen sie Euch vertraut vor, denn vor urdenklichen Zeiten wurden sie dem unsterblichen Seelenbewußtsein unauslöschlich eingeprägt, für alle Wiedergeburten bis ans Ende der Zeiten. Diese Worte haben grausige, blutige Äonen überdauert, seit jener Zeit, da sie als Losungsworte für die menschliche Rasse galten, als diese einen erbitterten Kampf gegen die unheimlichen Wesen aus dem Älteren Universum focht. Denn nur ein echter Mensch vermag sie auszusprechen, da seine Kiefer und sein Mund sich von allen anderen Kreaturen unterscheiden. Ihre Bedeutung ist längst vergessen, nicht aber die Worte selbst." "Das ist wahr", erwiderte Kull. "Ich habe auch die alten Sagen nicht vergessen - Valka!" Erbrach verblüfft ab, denn plötzlich taten sich, dem lautlosen Öffnen einer geheimen Tür gleich, nebelhafte, unergründliche Tiefen seines Bewußtseins auf, und einen Atemzug lang war ihm, als blickte er Leben um Leben zurück bis in die Unendlichkeit und sähe durch die grauen, geisterhaften Schleier ferne Gestalten längst Staub gewordener Jahrhunderte - Menschen im Kampf gegen furchterregende Ungeheuer, siegreich in einer Welt des Schreckens. Vor einem grauen, ständig wechselnden Hintergrund tauchten unbeschreibliche Alptraumgestalten auf, die aus Angst und Wahnsinn geboren waren; und unter ihnen der Mensch, der Scherz der Götter, der blinde, unwissende Kämpfer, der dem langen blutigen Pfad seiner Bestimmung folgt, ohne zu wissen warum, strauchelnd, mörderisch, nur ein großes zerstörerisches Kind, und doch irgendwo in seinem Innern erfüllt von einem -3 5 -
göttlichen Funken ... Kull fuhr sich verwirrt mit der Hand über die Stirn. Diese unerwarteten Blicke in die Abgründe der Erinnerung bestürzten ihn immer aufs neue. "Sie sind nicht mehr", sagte Brule, als könne er seine geheimsten Gedanken lesen, "die Vogelfrauen, die Harpy-ien, die Fledermausmenschen, die Fliegenden Teufel, die Wolfleute, die Dämonen, die Kobolde - alle, außer solchen Kreaturen wie diese hier, und ein paar Wolfsmenschen. Es war ein langer und blutiger Krieg, der ungezählte Jahrhunderte währte. Er begann, als sich die ersten Menschen, dem Affendasein entwachsen, zum erstenmal den Kreaturen entgegenwarfen, die damals die Welt beherrschten. Und schließlich ging die Menschheit als Sieger hervor - vor so langer Zeit, daß nur noch die uralten Sagen davon künden. Die Schlangenmenschen waren die letzten, doch am Ende triumphierte der Mensch auch über sie und trieb sie in die Wüsten der Welt, wo sie sich mit echten Schlangen vermischten, bis eines Tages - so prophezeiten die Seher - die furchtbare Brut für immer verschwunden sein wird. Doch sie kehrten zurück, als die menschliche Rasse schwach und selbstgefällig wurde und die alten Kriege vergessen waren. Ein schrecklicher Krieg entbrannte, ein Krieg, dessen Schlachtfeld überall war! Mit Hilfe ihrer unmenschlichen Kräfte und Fähigkeiten mischten sich die Ungeheuer des Älteren Planeten unter die Menschen der Jüngeren Erde, nahmen vertraute Gestalten und Formen an und verbreiteten Grauen und Entsetzen. Niemand vermochte mehr zu sagen, wer Mensch war und wer nicht. Niemand konnte irgend jemandem mehr trauen. Doch ihre eigenen Fähigkeiten ließen sie Mittel und Wege entdecken, wie das Echte vom Falschen unterschieden werden konnte. Die Figur des fliegenden Drachen, der geflügelten Echse, der mächtigen Kreatur aus längst vergangenen Zeiten, die der größte Feind der Schlange war, wurde zum Erkennungszeichen, wie auch diese Worte, die ich Euch sagte, denn nur ein echter Mensch vermag sie auszusprechen. Und so siegte die Menschheit erneut. Doch der Mensch ist noch immer Affe genug, zu vergessen, was er nicht stets vor Augen hat. So -3 6 -
konnten die Teufel nach Jahren des Vergessens wiederkehren. Diesmal kamen sie als Priester, denn die Menschen hatten in Macht und Wohlstand den Glauben an die alten Religionen und Götter verloren. Die Schlangenmenschen traten als Verkünder eines neuen, wahren Glaubens auf und schufen eine monströse Religion zur Verehrung des Schlangengottes. Ihre Macht ist so groß, daß jedem der Tod droht, der die alten Überlieferungen über das Schlangenvolk weitergibt. Wieder beugen Menschen das Knie vor einem Schlangengott und sind zu Tausenden so blind, daß sie nicht sehen, daß diese Macht nichts anderes ist als dasselbe Grauen, das der Mensch vor so langer Zeit bereits in die Knie zwang. Es sieht so aus, als gäbe sich die Schlangenbrut mit der priesterlichen Macht zufrieden - aber ..." Brule hielt inne. "Sprich weiter." Kull spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. "Echte Menschen herrschten als Könige über Valusien", sagte der Pikte leise, "und sind dennoch auf dem Schlachtfeld als Schlangen gestorben - so wie der, der durch Löwen-prankes Speer den Tod fand, als wir von den Inseln kamen, um die Sieben Reiche zu plündern. Wie aber ist das möglich, Lord Kull? Diese Könige wurden von Frauen geboren und lebten als Menschen! Es gibt nur diese Erklärung: daß die echten Könige nächtens erschlagen wurden, so wie es Euch heute ergangen wäre, und daß die Priester der Schlange in ihrer Gestalt regierten, ohne daß es jemand ahnte." Kull unterdrückte einen Fluch. "Ja, so muß es sein. Niemand, der einen Schlangenpriester mit eigenen Augen gesehen hat, ist je am Leben geblieben. Sie wahren ihre Geheimnisse mit allen Mitteln." "Die Verwaltung der Sieben Reiche ist ein unentwirrbares und unüberschaubares Gebilde", sagte Brule. "Viele der echten Menschen wissen, daß die Spitzel der Schlange in ihrer Mitte sind und daß diese Verbündete unter den Menschen haben - zu denen Kaanuub, der Baron von Blaal, gehört -, doch keiner wagt einen Verdächtigen zu demaskieren, so groß ist die Furcht vor -3 7 -
der Rache. Keiner traut dem anderen. Keiner kann es wagen, seine Befürchtung einem anderen mitzuteilen. Wenn sie aber sicher wären, daß ein Schlangenpriester oder ihre Verschwörung öffentlich aufgedeckt würde, wäre die Macht der Schlange bereits halb gebrochen, denn alle würden dann helfen, die Verräter zu enttarnen. Ka-nu ist der einzige, der genügend Scharfsinn und Mut besitzt, es mit ihnen aufzunehmen, aber selbst Ka-nu brachte über die Verschwörung nur soviel in Erfahrung, daß er mir sagen konnte, was voraussichtlich gesche-hen würde - und was bisher auch geschehen ist. Bis jetzt wußte ich, was mich erwartet, doch von nun an müssen will uns auf uns selbst und unser Glück verlassen. Hier, glaube ich, sind wir im Augenblick sicher. Die Schlangen da draußen werden ihre Posten nicht verlassen, damit keine unerwarteten menschlichen Besucher zu Euch gelangen können. Aber Ihr könnt gewiß sein, daß sie es morgen wieder ver-suchen werden. Was sie ausbrüten, vermag niemand vor herzusagen, nicht einmal Ka-nu. Für uns gibt es nur eines, König Kull, keiner darf von des anderen Seite weichen, bis der Sieg unser ist oder der Tod. Begleitet mich, wenn ich die sen Kadaver in das Versteck zu dem anderen schaffe." Kull folgte dem Pikten mit seiner grausigen Last durch die Geheimtür und den düsteren Korridor entlang. Gewohnt, sich in der Wildnis lautlos zu bewegen, verursachten sie kein Geräusch. Geistern gleich glitten sie durch die gespen-stische Düsternis. Daß die Gänge verlassen waren, verwun-derte Kull. Er erwartete an jeder Biegung, auf eine grauen volle Erscheinung zu stoßen. Sein altes Mißtrauen kehrte zurück. Führte ihn der Pikte in einen Hinterhalt? Er blieb einen Schritt oder zwei hinter Brule zurück und hielt seine Klinge stoßbereit in Rückenhöhe des sorglosen Pikten. Brule würde der erste sein, der starb, wenn er ein falsches Spiel trieb. Falls der Pikte das Mißtrauen des Königs spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Gleichmütig schritt er voraus, bis sie einen dick mit Staub bedeckten, lange nicht benutzten Raum erreichten, dessen Wandbehänge schwer von Feuchtigkeit und Moder waren. Hinter diesen verbarg Brule die -3 8 -
Leiche. Danach machten sie sich auf den Rückweg. Als Brule abrupt und völlig unerwartet erstarrte, war er dem Tod näher, als er ahnte, denn Kulls Nerven waren zum Zerreißen gespannt. "Irgend etwas hat sich da vorn bewegt", zischt der Pikte. "Ka-nu sagte mir, daß sie diese Gänge nicht benutzten, aber ..." Er zog seine Klinge und schlich an der Wand entlang. Kull folgte ihm vorsichtig. Nicht weit vor ihnen erhellte ein sonderbarer bleicher Schein die Düsternis und näherte sich. Sprungbereit, mit dem Rücken zur Wand, warteten sie; worauf, wußten sie nicht, doch Brules angespannter Atem, der scharf zwischen den Zähnen kam, sagte Kull mehr als alles andere, daß er dem Pikten vertrauen durfte. Der Schein wurde zu einer schattenhaften Form, vage menschenähnlich, doch nebelhaft und durchscheinend. Sie wurde greifbarer, je näher sie kam, wenn auch nicht wirklich fest. Ein Gesicht blickte sie an, ein Paar großer, leuchtender Augen, in denen sich das Grauen unzählbarer Jahrhunderte spiegelte. Es lag keine Drohung in den bleichen, erschöpften Zügen, nur übermächtiges Mitleid. Und das Gesicht - dieses Gesicht ... "Allmächtige Götter!" keuchte Kull, und eisige Finger krallten sich in seine Seele. "Eallal, der König von Valusien, der seit tausend Jahren tot ist!" Brule wich zurück, so weit er konnte. Seine Augen weiteten sich in namenlosem Grauen. Das Schwert zitterte in seiner Faust. Zum erstenmal in dieser schrecklichen Nacht übermannte ihn das Entsetzen. Kull stand stand hoch aufgerichtet und herausfordernd. Instinktiv hielt er die nutzlose Klinge zum Hieb bereit. Eiskalt lief es ihm über den Rücken, und sein Haar sträubte sich, aber er war noch immer König der Könige und bereit, es dafür mit den unbekannten Mächten der Toten ebenso aufzunehmen wie mit den Kräften der Lebenden. Die gespenstische Erscheinung kam geradewegs auf sie zu, ohne sie zu beachten. Kull wich zurück, als sie an ihnen vorüberglitt, und spürte einen eisigen Hauch wie einen Windstoß aus dem Land des ewigen Schnees. Ihre Schritte waren lautlos -3 9 -
und doch so schwer, als ob die Ketten aller Zeiten an den unwirklichen Füßen hingen. Dann war sie hinter einer Biegung des Ganges verschwunden. "Valka!" entfuhr es dem Pikten unterdrückt, während er sich den kalten Schweiß von der Stirn wischte. "Das war kein lebendes Wesen! Das war ein Geist!" "Ja!" Kull schüttelte nachdenklich den Kopf. "Hast du das Gesicht nicht erkannt? Das war Eallal, der vor tausend Jahren über Valusien herrschte und den man auf furchtbare Weise ermordet im Thronsaal fand - jener Raum, der jetzt der Verfluchte Raum heißt. Hast du noch nie seine Statue in der Halle der Könige gesehen?" "Doch, ich erinnere mich jetzt. Ihr Götter! Das ist ein weiterer Beweis der teuflischen Macht der Schlangenpriester. Dieser König wurde von ihnen ermordet, und nun ist seine Seele ihr Sklave für alle Zeiten! Denn die Überlieferungen sagen, wenn ein Mensch von Schlangenmenschen getötet wird, gehört sein Geist bis in alle Ewigkeit ihnen." Grauen schüttelte Kull. "Valka! Welch ein Schicksal! Hör mich an ..." Seine Finger umschlossen Brules sehnigen Arm wie stählerne Klammern. "Hör mich an! Wenn diese Teufel mir tödliche Wunden schlagen, dann stoß mir dein Schwert in die Brust, um meine Seele davor zu bewahren. Schwöre es mir!" "Ich schwöre es", antwortete Brule und seine wilden Augen blitzten. "Und Ihr werdet das gleiche für mich tun, Kull." Ein fester Händedruck besiegelte das blutige Versprechen. 4 Masken Kull saß auf seinem Thron und blickte in Gedanken versunken auf das Meer der ihm zugewandten Gesichter. Ein Höfling sagte etwas in gehobenem Tonfall, doch der König hörte nicht zu. Unweit von ihm stand Tu, sein engster Berater, bereit, des Königs Anweisungen zu befolgen. Doch Kull schauderte aus tiefster Seele, wann immer sich ihre Blicke trafen. Äußerlich war die Hofgesellschaft so unberührt wie die See zwischen den Gezeiten. Dem grübelnden König erschienen die Geschehnisse -4 0 -
der letzten Nacht wie ein Traum, bis sein Blick auf die Armlehne des Thrones fiel. Eine braune, sehnige Hand ruhte darauf, an deren Gelenk ein Drachenreif glänzte. Brule stand neben seinem Thron, und des Pikten zischendes Flüstern, das nur er hören konnte, holte Kull immer wieder aus der unwirklichen Welt zurück, in die sich seine Gedanken verirrten. Nein, dieses nächtliche Grauen war kein Traum gewesen. Als er nun hier in der Empfangshalle auf seinem Thron saß und den Blick über die Höflinge, die Damen, die Lords und Staatsmänner gleiten ließ, schienen ihre Gesichter unwirklich zu sein, Trugbilder, nicht mehr als höhnende Schatten des Echten. Ihre Gesichter waren für ihn immer Masken gewesen, aber bisher hatte er dies mit Verachtung und Gleichmut hingenommen und hinter den Masken oberflächliche, kümmerliche Seelen vermutet, habsüchtig, gierig und mißgünstig. Jetzt wirkte alles bedrohlich, jetzt lauerte ein dunkles Grauen hinter den nichtssagenden Masken. Während er förmliche Höflichkeiten mit einem Edelmann oder einem Ratgeber tauschte, glaubte er, das lächelnde Gesicht sich wie Rauch auflösen und daraus den erschreckenden Kopf einer Schlange entstehen zu sehen. Wie viele der Versammelten waren grauenerregende, unmenschliche Ungeheuer, die hinter der Fassade eines menschlichen Gesichtes seine Ermordung planten? Valusien - Land der Träume und Alpträume - ein Schatenkönigreich, das von Phantomen regiert wurde, die sich hinter den bunten Behängen verkrochen und einen Narren aus dem König machten - der selbst nur ein Schatten war. Und wie der Schatten eines Schattens stand Brule mit unbewegter Miene und wachsamen Augen an seiner Seite. Brule, ein wirklicher Mann! Kull fühlte, daß seine Freundschaft zu dem Barbaren etwas ebenso Wirkliches war und daß Brule auch sein Freund war, weit mehr, als es die politischen Umstände erforderten. Und was waren die wirklichen Dinge des Lebens? sann Kull. Ehrgeiz, Macht, Stolz? Die Freundschaft eines Mannes, die Liebe einer Frau - die Kull nie erfahren hatte -, Kampf, -4 1 -
Eroberung, oder was? War der Kull wirklich, der hier auf dem Thron saß, oder war jener Kull der wirkliche, der in den Bergen von Atlantis gelebt hatte, die fernen Inseln des Sonnenuntergangs heimgesucht und über die grünen, schäumenden Wogen des Atlantischen Meeres triumphiert hatte? Wie konnte ein Mann in einem einzigen Leben so viele verschiedene Männer sein? Denn Kull wußte, daß es viele Kulls gab, und er fragte sich, welcher der wirkliche Kull war. Im Grunde gingen die Priester der Schlange mit ihrer Magie nur einen Schritt weiter, denn alle Menschen trugen Masken, die verschiedensten Masken zu den verschiedensten Anlässen; und Kull grübelte, ob nicht längst hinter jeder Maske eine Schlange verborgen war. In solcherart düsteren Gedanken versunken, saß er auf seinem Thron, und die Höflinge kamen und gingen, bis alle Geschäfte des Tages erledigt waren und schließlich der König mit Brule allein im Thronsaal zurückblieb - von den schläfrigen Dienern abgesehen. Kull befiel eine große Müdigkeit. Weder er noch Brule hatten in der vergangenen Nacht geschlafen, noch hatte Kull in der Nacht davor Schlaf gefunden, als er im Garten Ka-nus einen ersten Fingerzeig auf die unglaublichen Ereignisse erhielt, die bevorstanden. In der letzten Nacht hatte es nach ihrer Rückkehr aus den Geheimgängen keine weiteren Zwischenfälle mehr gegeben, doch keiner der beiden dachte an Schlaf. Kull, der die unglaubliche Vitalität eines Wolfs besaß, war in seinen jungen Barbarentagen oft viele Tage lang ohne Schlaf ausgekommen, doch nun war sein Verstand wacher denn je vom Grübeln und der Erinnerung an die unheimlichen Entdeckungen der letzten Nacht. Er brauchte Schlaf, aber an Schlaf dachte er am allerwenigsten. Er hätte auch nicht gewagt zu schlafen, wenn es ihm in den Sinn gekommen wäre. Denn da war noch etwas, das ihm keine Ruhe ließ. Obgleich er und Brule die Wachen vor der Tür des Arbeitsraums nicht aus den Augen gelassen hatten, um herauszufinden, ob und wann sie ausgetauscht würden, war dies doch unbemerkt geschehen. Am Morgen vermochten die Wachtposten Brules magische Worte zu wiederholen. Auch -4 2 -
erinnerten sie sich an nichts Ungewöhnliches. Sie waren überzeugt, daß sie wie gewohnt die ganze Nacht Wache gestanden hatten, und Kull behielt die Wahrheit für sich. Er zweifelte nicht, daß sie echte Menschen waren, aber er folgte Brules Rat, Stillschweigen gegen jedermann zu bewahren. Brule beugte sich über den Thron und sagte so leise, daß ihn auch die müden Diener nicht hören konnten: "Ich glaube, sie werden bald zuschlagen, Kull. Ka-nu gab mir vorhin einen verstohlenen Wink. Die Priester wissen, daß wir von ihrem Plan erfahren haben, aber sie sind unsicher, wieviel wir wissen. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Ka-nu und die piktischen Häuptlinge bleiben in Rufweite, bis alles auf die eine oder andere Art entschieden ist. Ha, Kull, wenn es zum offenen Kampf kommt, werden die Straßen und Paläste Valu-siens im Blut ersaufen!" Kull lächelte grimmig. Er dürstete nach Taten. Dieses Herumirren in einem Labyrinth von Unwirklichkeit und Zauberei war seiner Natur zutiefst zuwider. Ihn verlangte es nach Angriff, nach dem Klirren von Schwertern, nach dem wilden Einsatz in der Schlacht. Schließlich kehrte Tu in Begleitung der übrigen Berater in die Halle zurück. "Lord König, es ist Zeit für die Ratsversammlung, und wir sind bereit. Euch in die Ratskammer zu folgen." Kull erhob sich, und die Ratgeber beugten das Knie, als er an ihnen vorbeischritt, und schlössen sich ihm an. Brule erntete Stirnrunzeln, als er dem König dichtauf folgte, aber niemand erhob Einwände. In Brules herausforderndem Blick lag die ganze Verachtung des Barbaren. Die Schar schritt stumm durch die Hallen und erreichte schließlich die Ratskammer. Wie gewöhnlich wurde die Tür geschlossen, und die Berater nahmen in der Reihenfolge ihres Ranges vor dem Podium Platz, das der König betrat. Einer Bronzestatue gleich stand Brule hinter Kull. Der König ließ den Blick rasch durch den Raum wandern. Sicherlich war hier kein Verrat zu befürchten. Die siebzehn -4 3 -
Berater kannte er alle gut. Ohne Ausnahme waren sie auf seiner Seite gewesen, als er den Thron Valusiens bestieg. "Männer Valusiens ...", begann er in der üblichen Weise, dann hielt er bestürzt inne. Wie ein Mann hatten sich die Ratgeber erhoben und kamen auf ihn zu. In ihren Blicken war keine Feindseligkeit, doch ihr Verhalten war höchst sonderbar für eine Ratsversammlung. Der vorderste hatte ihn fast erreicht, als Brule wie ein Panther dazwischen-sprang. "Ka nama kaa lajerama!" Seine Stimme peitschte durch die plötzliche Totenstille im Raum. Der vorderste Ratgeber wich zurück. Seine Hand zuckte zu seinem Gewand. Wie von der Sehne geschnellt bewegte sich Brule. Sein Schwert blitzte auf, und der Mann stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr - nur sein Gesicht löste sich auf und wurde zum Kopf einer gewaltigen Schlange. "Tötet sie, Kull!" keuchte der Pikte. "Sie sind alle Schlangen!" Danach herrschte blutiges Chaos. Kull sah, wie die vertrauten Gesichter wie Nebelschwaden zerflossen und zischende Reptilienschädel entstanden, während die ganze Schar auf ihn losstürmte. Sein Verstand war wie gelähmt, aber sein mächtiger Körper handelte.Die große Klinge sang ihr Lied in seiner Faust, und die heranbrandende Woge zerstob in roter Gischt. Doch sie stürmten erneut vorwärts, unbekümmert um den Tod, um den König niederzustrecken. Bestialische Rachen stießen auf ihn zu; schreckliche kalte Augen starrten ihn an; ein durchdringender Gestank verpestete die Luft - der Geruch der Schlangen, den Kull in den Dschungeln im Süden kennengelernt hatte. Schwerter und Dolche stießen und hieben nach ihm, doch die Wunden, die sie ihm schlugen, wurden ihm kaum bewußt. Er war in seinem Element. Noch nie zuvor war er solch grauenvollen Feinden begegnet, aber es machte keinen Unterschied. Sie waren lebendig, in ihren Adern floß Blut, das vergossen werden konnte, und sie starben, wenn seine mächtige Klinge ihre Schädel spaltete oder ihre Leiber durchbohrte. Hieb, Stich, Stich und Hieb. Doch Kull hätte ohne den Mann, der an seiner Seite kämpfte und manch tödlichen Stoß parierte, in dieser Kammer -4 4 -
sein Leben gelassen. Denn der König wütete wie ein Berserker. Er kämpfte auf die furchtbare atlantische Weise, den Tod umarmend, um ihn zu geben. Er vergeudete keine Zeit und Kraft mit Abwehr, er stand hoch aufgerichtet, wich keinen Schritt, und kein anderer Gedanke war in seinem trunkenen Verstand, als zu töten. Es kam selten vor, daß diese barbarische Wildheit über den besonnenen Kämpfer triumphierte, doch nun war alle Vernunft abgestreift und hatte einer roten Woge mörderischer Blutlust Platz gemacht. Jeder seiner Hiebe streckte einen Gegner nieder, doch sie drangen mit unverminderter Heftigkeit auf ihn ein, und immer wieder war es Brule, der einen tödlichen Hieb parierte oder einen Stoß zur Seite lenkte. Er wich nicht von Kulls Seite und focht leidenschaftslos und meisterlich, nicht wie Kull mit weit ausholenden Streichen und Stößen, sondern mit kurzen Überhandhieben und Stößen von unten herauf. Kull lachte im Kampfesrausch. Die grauenvollen Gesichter wirbelten in einer roten Lohe um ihn. Er fühlte Stahl in seinen Arm dringen und schwang seine Klinge mit solcher Gewalt nach unten, daß sie den Gegner bis hinab zum Brustbein spaltete. Dann wichen die roten Nebel vor seinen Augen, und der König sah, daß er und Brule allein inmitten eines Haufens erschlagener Monstrositäten standen. "Valka! Welch ein Gemetzel!" sagte Brule und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. "Kull, wenn das Krieger gewesen wären, die mit Waffen umzugehen wußten, dann wären wir jetzt tot. Diese Schlangenpriester verstehen kein Schwert zu führen und sind leichter zu töten als alle Gegner, die ich je vor der Klinge hatte. Dennoch, wären sie nur ein paar mehr gewesen, hätte das Ende anders aussehen können." Kull nickte zustimmend. Die berserkerische Blutlust war verflogen und hatte einer großen Erschöpfung Platz gemacht. Er blutete aus zahlreichen Wunden an Brust, Schulter, Armen und Beinen. Brule, der ebenfalls aus mehreren Fleischwunden blutete, beugte sich besorgt zu ihm. "Lord Kull, wir wollen rasch dafür sorgen, daß die Frauen Eure Wunden verbinden." -4 5 -
Kull wehrte ab. "Nein, nicht bevor alles vorüber ist. Aber geh du und laß deine Wunden versorgen. Ich befehle es!" Der Pikte lachte grimmig. "Ihr habt die schwereren Wunden, Lord König ...", begann er und hielt abrupt inne, als ihn die Entdeckung wie ein Schlag traf. "Bei Valka, Kull, das ist nicht die Ratskammer!" Kull blickte um sich, und die letzten Nebel schwanden aus seinem Verstand. "Nein, es ist der Raum, in dem Eallal vor tausend Jahren starb - den sie den >Verfluchten Raum< nennen." "Bei den Göttern, dann ist es ihnen doch gelungen, uns zu täuschen!" rief der Pikte und trat wütend nach den Toten. "Wie Blinde sind wir in die Falle getappt! Mit ihrer Zauberei haben sie alles verändert ..." "Dann ist noch eine Teufelei im Gange", stellte Kull fest. "Wenn die echten Ratsmitglieder sich versammelt haben, dann befinden sie sich jetzt in der richtigen Ratskammer. Wir müssen uns beeilen." Sie verließen den Raum des Grauens und eilten durch die stillen Hallen. Vor der richtigen Ratskammer blieb Kull mit einem kalten Schauder stehen. Aus dem Raum war eine Stimme zu vernehmen. Die Stimme war seine eigene! Mit zitternder Hand schob er die Wandbehänge zur Seite und blickte in den Raum. Er sah die Ratgeber, die Ebenbilder der Männer, die er und Brule eben getötet hatten, und auf dem Podium stand Kull, der König von Valusien. Er tat einen Schritt zurück. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. "Das ist Wahnsinn!" flüsterte er. "Bin ich Kull? Ich, der ich vor dir stehe, oder ist der da drinnen der echte Kull, und ich bin nur ein Schatten, ein Gedanke?" Brules Hand grub sich in seine Schulter und schüttelte ihn heftig. "In Valkas Namen, seid kein Narr! Wie könnt Ihr nach allem, was geschehen ist, noch immer zweifeln? Ist Euch nicht klar, daß dort -4 6 -
drinnen echte Männer sitzen, die von einem Schlangenpriester getäuscht werden, der Eure Gestalt angenommen hat? Inzwischen solltet Ihr bereits tot sein, und diese Kreatur hat Euren Platz eingenommen, ohne daß Eure Gefolgschaft etwas davon ahnt. Zögert nicht einen Augenblick. Tötet ihn schnell, oder wir sind verloren. Die Roten Reiter, die bei ihm stehen, sind echte Männer. Niemand außer Euch hat eine Chance, ihn zu erreichen und zu töten. Tutesrasch!" Kull schüttelte die Verwirrung ab und straffte entschlossen und herausfordernd die Schultern. Er holte tief Luft, wie ein Schwimmer, bevor er in die Fluten taucht. Dann stieß er die Behänge zur Seite und war mit einem einzigen mächtigen Sprung auf dem Podium. Brule hatte recht gehabt. Links und rechts standen die Roten Reiter, Wachsoldaten, die gelernt hatten, sich mit raubtierhafter Flinkheit zu bewegen. Jeder andere hätte diesen Angriff mit dem Leben bezahlt. Aber der Anblick des hereinstürmenden Ebenbildes ihres Königs ließ sie einen Augenblick lang erstarren - und das war lange genug für Kull. Der falsche König griff nach seinem Schwert, doch noch während seine Finger sich um den Knauf schlössen, drang Kulls Klinge durch seine Brust und zwischen den Schultern wieder hinaus, und die Kreatur, die die Versammelten für den König gehalten hatten, sank auf das Podium nieder und lag still. "Seht her!" Kulls erhobene Hand, und seine befehlende Stimme erstickten den losbrechenden Tumult. Während sie verwundert innehielten, deutete er auf den Toten zu seinen Füßen - dessen Gesicht sich zu verwandeln begonnen hatte und zu dem einer Schlange wurde. Sie wichen zurück, während durch eine Tür Brule trat und durch eine andere Ka-nu hereinkam. Sie ergriffen des Königs blutige Hand, und Ka-nu sprach: "Männer Valusiens, ihr habt es mit eigenen Augen gesehen. Dies ist der wahre Kull, der mächtigste König, der je über Valusien herrschte. Die Macht der Schlange ist zerschlagen. Ihr seid alle echte Menschen. Befehlt Euren Getreuen, König Kull!" "Hebt diesen Kadaver auf", befahl Kull, und die Männer der Wache gehorchten. -4 7 -
"Und nun folgt mir", befahl der König und schritt voraus zum > Verfluchten Raum<. Brule beobachtete ihn besorgt und bot ihm seinen Arm als Stütze, doch Kull schüttelte ihn ab. Schier endlos erschien dem blutenden König die Entfernung, aber schließlich stand er an der Tür und lachte mit wildem Grimm, als er die entsetzten Aufschreie der Ratsmitglieder hörte. Auf seinen Befehl warfen die Wachen den Leichnam, den sie getragen hatten, zu den anderen. Dann winkte er alle aus dem Raum, verließ ihn als letzter und verschloß die Tür. Schwindel erfaßte ihn und ließ ihn schwanken. Die bleichen, von Entsetzen gezeichneten Gesichter, die ihm zugewandt waren, wirbelten und verschwammen in einem geisterhaften Nebel. Er spürte das Blut aus seinen Wunden an seinen Gliedern hinabrinnen, und er wußte, daß er sein Vorhaben rasch ausführen mußte. Seine Klinge glitt scharrend aus der Hülle. "Brule, bist du da?" "Bei Euch!" Er sah Brules Gesicht undeutlich durch die Nebelschleier dicht an seiner Schulter, aber Brules Stimme schien aus unendlicher Ferne zu kommen. "Denk an unseren Schwur, Brule. Laß sie jetzt zurücktreten." Mit dem linken Arm verschaffte er sich Platz, als er das Schwert hochriß. Dann stieß er es mit aller Kraft, die noch in ihm war, durch die Tür in den Rahmen. Bis zum Knauf rammte er die große Klinge in das Holz und versiegelte den Raum für immer. Auf schwankenden Beinen wandte er sich den schreckensbleichen Ratgebern zu. "Dieser Raum sei nun doppelt verflucht. Und mögen die Skelette für alle Zeiten in ihm modern als ein Symbol für die schwindende Macht der Schlange. Hier, vor dieser Tür, schwöre ich, daß ich die Schlangenbrut jagen werde, in jedem Land, auf jedem Meer, und daß ich nicht ruhen will, bis auch die letzte ihrer Kreaturen vernichtet ist, bis
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das Gute siegt und die Macht der Hölle zerschlagen ist. Das schwöre ich - ich - Kull - König Valusiens." Seine Knie gaben nach, und die Gesichter tanzten wild um ihn. Die Ratgeber sprangen, ihn zu stützen, doch bevor sie ihn erreichen konnten, fiel Kull zu Boden und lag reglos auf dem Rücken. Die Männer beugten sich aufgeregt über ihren König. Kanu trieb sie mit geballten Fäusten zurück, wobei er heftigst fluchte. "Zurück, ihr Narren! Wollt ihr das bißchen Leben erdrükken, das noch in ihm ist? Wie ist es, Brule, ist er tot, oder wird er leben?" fragte er den Krieger, der sich über die reglose Gestalt beugte. "Tot?" zischte Brule. "Solch ein Mann wie er ist nicht so leicht umzubringen. Zuwenig Schlaf und der Blutverlust haben ihn geschwächt - bei Valka, er hat viele Wunden, aber keine ist tödlich. Schick diese aufgeregten Narren sofort nach den Frauen." Ein wilder Glanz der Bewunderung leuchtete aus Brules Augen. "Valka, Ka-nu, hier ist ein Mann, wie es in diesen Zeiten des Verfalls nicht seinesgleichen mehr gibt. In kurzer Zeit sitzt er wieder im Sattel. Und dann wehe euch, Schlangen der ganzen Welt, nehmt euch in acht vor Kull von Valusien. Valka! Welch eine blutige Jagd das werden wird! Ah, die Welt geht großen Zeiten entgegen mit solch einem König auf dem valusischen Thron."
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DER ALTAR UND DER SKORPION (The Altar and the Scorpion) "Gott der kriechenden Dunkelheit, steh mir bei!" Ein schlanker Jüngling kniete in der Düsternis. Seine weiße Haut schimmerte wie Elfenbein. Der glänzende Marmor war kalt unter seinen Füßen, aber sein Herz erfüllte eine noch eisigere Kälte. Hoch über ihm, von Schatten halb verborgen, wölbte sich die von marmornen Mauern getragene gewaltige Lapislazu-likuppel. Vor ihm leuchtete stumpf ein goldener Altar, auf dem eine riesige Kristallskulptur glitzerte: ein Skorpion, dessen vollkommene Form mehr als ein Kunstwerk war. "Großer Skorpion", fuhr der Jüngling in seinem Gebet fort. "Hilf deinem Anbeter! Vor langer Zeit starb Gonra der Schwertkämpfer, mein größter Vorfahr, vor deinem Schrein auf einem Haufen erschlagener Barbaren, die dein Heiligtum zu entweihen trachteten. Durch die Lippen deiner Priester hast du versprochen, Gonras Volk für alle Zeiten beizustehen. Großer Skorpion! Nie zuvor hat dich ein Mann oder eine Frau meines Blutes je an diesen Schwur erinnert. Doch nun, in der Stunde meiner bittersten Not komme ich zu dir und flehe dich an, gedenke dieses Versprechens um des Blutes willen, das Gonras Schwert trank und das aus Gonras Adern floß! Großer Skorpion! Thuron, der Hohepriester des Schwarzen Schattens, ist mein Feind. Kull, der König von Valusien, reitet aus seiner Stadt der Purpurtürme, um Feuer und Schwert zu den Priestern zu tragen, die seine Gesetze mißachten und den dunklen Älteren Göttern immer noch Menschenopfer darbringen. Doch ehe der König eintrifft und uns zu retten vermag, werden ich und das Mädchen, das ich liebe, nackt auf dem Altar im Tempel der Immerwährenden Schwärze liegen. Das hat Thuron geschworen! Er will unsere Körper den uralten, schrecklichen Scheusalen vorwerfen und unsere Seelen dem Gott des Schwarzen Schattens darbieten. Kull, der über Valusien herrscht, reitet herbei, uns zu helfen. Doch Thuron herrscht über diese -5 0 -
Bergstadt, und er ist uns dicht auf den Fersen. Großer Skorpion, hilf uns! Erinnere dich Gonras, der sein Leben für dich gab, als die atlantischen Barbaren mit Feuer und Schwert in Valusien einfielen." Der schlanke Jüngling ließ die Schultern hängen und senkte verzweifelt den Kopf. Das Abbild auf dem Altar erinnerte an glitzernde Eiskristalle in klirrendem Frost, und nichts an ihm verriet, daß der ungewöhnliche Gott das verzweifelte Flehen gehört hatte.Plötzlich richtete sich der Jüngling ruckhaft auf. Hastige Schritte waren auf den breiten Stufen vor dem Tempel zu hören. Ein Mädchen huschte durch das schattenüberlagerte Portal wie eine weiße Flamme, die der Wind vor sich hertreibt. "Thuron - er kommt!" keuchte sie und warf sich in die Arme ihres Liebsten. Das Gesicht des Jungen wurde bleich. Er drückte sie fest an sich, während er auf den Eingang starrte. Schritte, schwer und drohend, hallten auf dem Marmor wider, und eine Gestalt hob sich finster im offenen Portal ab. Thuron, der Hohepriester, war groß und hager, ein knöcherner Riese. Seine Augen glommen wie Feuer unter den buschigen Brauen. Seine dünnen Lippen waren zu einem lautlosen Lachen verzerrt. Als einziges Kleidungsstück trug er ein seidenes Lendentuch, aus dem ein scharfer gebogener Dolch ragte. In seiner knochigen Hand hielt er eine kurze schwere Peitsche. Seine beiden Opfer klammerten sich aneinander und starrten ihn mit weit offenen Augen an - wie Vögel eine Schlange. Und sein langsamer schleichender Schritt, als er näher kam, war dem geschmeidigen Gleiten eines Reptils nicht unähnlich. "Thuron, nimm dich in acht!" rief der Jüngling tapfer, doch seine Stimme bebte vor Entsetzen. "Wenn du schon den König nicht fürchtest und kein Erbarmen mit uns hast, so hüte dich, den Großen Skorpion herauszufordern, unter dessen Schutz wir stehen." Thuron lachte nur höhnisch im Bewußtsein seiner Macht.
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"Der König!" spottete er. "Was könnte der König mir anhaben, der ich mächtiger als alle Könige bin? Der Große Skorpion? Ha, ha! Er ist längst vergessen, eine Gottheit, zu der vielleicht noch Weiber und Kinder beten. Willst du mit deinem Skorpion dem Schwarzen Schatten drohen? Du Narr! Valka selbst, der Gott der Götter, könnte dich nun nicht mehr retten! Du bist dem Gott des Schwarzen Schattens versprochen." Er packte die beiden furchtsamen Gestalten, und seine langen krallengleichen Nägel drangen tief in das weiche Fleisch ihrer Schultern. Sie versuchten, sich zur Wehr zu setzen, doch er lachte nur und hob sie mit unglaublicher Kraft in die Luft und ließ sie an seinen ausgestreckten Armen zappeln. Sein schneidendes Gelächter hallte hohntriefend von den Wänden wider. Während er den Jungen mit den Knien festhielt, fesselte er das in seinem grausamen Griff wimmernde Mädchen an Händen und Füßen. Dann ließ er sie grob auf den Boden fallen und fesselte den Jungen. Mit kalten Augen betrachtete er sein Werk. Nur das verzweifelte Schluchzen des Mädchens brach die Stille. Schließlich sagte der Hohepriester: "Ihr kleinen Narren! Habt ihr wirklich geglaubt, ihr könntet mir entkommen? Immer waren es Männer deines Blutes, Junge, die sich im Rat und am Hof meinen Plänen entgegenstellten. Nun wirst du dafür bezahlen, und der Schwarze Schatten wird trinken. Ha! Ich bin heute der wahre Herrscher der Stadt, mag König sein, wer will! Meine Priester streifen bewaffnet durch die Straßen, und niemand wagt es mehr, sich mir zu widersetzen. Selbst wenn der König jetzt in die Stadt geritten käme, könnte er meine Schergen nicht schnell genug bezwingen, um euch noch zu befreien." Sein Blick wanderte durch den Tempel und blieb an dem goldenen Altar und dem Kristallskorpion haften. "Ha, ha! Was seid ihr für Dummköpfe, euren Glauben einem Gott zu schenken, den die Menschen schon lange nicht mehr verehren! Der keinen einzigen Priester mehr hat und dem nur im -5 2 -
Andenken seiner früheren Größe ein Tempel geweiht ist! Ein Gott, zu dem nur einfache Leute und dumme Weiber beten. Die wahren Götter sind düster und blutgierig! Daran erinnert euch, wenn ihr auf dem schwarzen Altar liegt, hinter dem für immer ein Schwarzer Schatten wacht. Bevor ihr sterbt, werdet ihr die wahren Götter kennenlernen, die mächtigen, furchtbaren Götter, die aus vergessenen Welten und verlorenen Reichen der Finsternis kamen, die auf vereisten Sternen geboren wurden und auf schwarzen Sonnen jenseits des Lichtes der Sterne. Ihr werdet die vernichtende Wahrheit des Unnennbaren kennenlernen, auf dessen wirkliche Form keine menschliche Beschreibung zutrifft, doch dessen Symbol der Schwarze Schatten ist!" Das Mädchen hatte zu weinen aufgehört. Wie der Junge war sie gelähmt von den Worten des Priesters, die sie den grauenvollen, von unbarmherzigen Schatten wimmelnden Abgrund ahnen ließen, der sich vor ihnen auftun würde. Thuron packte sie erneut mit seinen klauengleichen Händen, um sie sich über die Schulter zu werfen. Er lachte, als sie sich aufbäumten. Seine Finger gruben sich in das zarte Fleisch des Mädchens ... Ein Schrei zerschmetterte die Stille wie einen Kristallgong in tausend klirrende Scherben, während Thuron zurücksprang und zu Boden fiel und sich brüllend wand. Eine kleine Kreatur huschte davon und verschwand durch das Portal. Thurons Schreie wurden dünn und schrill und endeten abrupt auf dem höchsten Ton. Schweigen senkte sich wie auf eine Gruft herab. Endlich flüsterte der Junge voll Ehrfucht. "Was war das?" "Ein Skorpion!" erwiderte das Mädchen zitternd. "Er kroch über meinen nackten Busen, ohne mir etwas zu hin. Als Thuron mich packte, stach er ihn." Wieder herrschte Schweigen. Dann sagte der Junge zögernd: "Seit Menschengedenken ist in dieser Stadt kein Skorpion gesehen worden." -5 3 -
"Der Große Gott rief diesen einen seines Volkes herbei, um uns zu helfen", flüsterte das Mädchen. "Die Götter vergessen nicht, und der Große Skorpion hat seinen Schwur gehalten. Wir wollen ihm dafür danken!" An Händen und Füßen gefesselt wanden sich die beiden Liebenden mit dem Gesicht zum Altar. Lange lagen sie so und priesen dem großen, schweigenden, schimmernden Skorpion voll Dankbarkeit - bis das ferne Stampfen silberner Hufe und das Klirren von Schwertern vom Eintreffen des Königs kündete.
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DELCARDES’ KATZE (Delcardes' Cat) König Kull war mit Tu, dem obersten Ratgeber der Krone, aufgebrochen, um Delcardes' sprechende Katze in Augenschein zu nehmen, denn obgleich es nicht ungewöhnlich ist, daß eine Katze einen König sieht, ist es nicht jedem König in die Wiege gelegt, eine Katze wie die von Delcardes zu sehen. Deshalb verbannte Kull die Todesdrohung des Zauberers Thulsa Doom aus seinen Gedanken und machte sich auf den Weg zu Delcardes. Kull war skeptisch, und Tu war wachsam und mißtrauisch, ohne daß er zu sagen vermochte weshalb, aber die Jahre der Intrigen und Verschwörungen am Hof hatten ihn argwöhnisch gemacht. Er verlieh seiner Überzeugung lautstark Ausdruck, daß eine sprechende Katze Schwindel, Betrug oder Einbildung sein müsse, und beharrte darauf, daß die Existenz solch einer Kreatur eine offensichtliche Beleidigung der Götter wäre, die nun einmal bestimmt hatten, daß nur der Mensch mit der Macht der Sprache gesegnet sei. Aber Kull wußte, daß in alten Zeiten die wilden Tiere zu den Menschen gesprochen hatten, denn er war mit den Sagen und Überlieferungen seiner barbarischen Vorfahren vertraut. Deshalb hielt er wohl Zweifel für angebracht, war aber auch bereit, sich überzeugen zu lassen. Delcardes trug das ihre dazu bei. Sie hatte es sich wie eine große, wunderschöne Katze auf ihrem seidenen Diwan bequem gemacht und blickte Kull unter langen gebogenen Wimpern hervor an, die ihren schmalen, schrägen Augen unvergleichlichen Liebreiz verliehen. Ihre Lippen waren voll und rot, und gewöhnlich leicht zu einem geheimnisvollen Lächeln geöffnet. Ihre Seidenroben und ihr Schmuck aus Gold und edlen Steinen verbargen kaum etwas ihrer makellosen Figur.
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Doch Kull schenkte Frauen wenig Beachtung. Er herrschte wohl über Valusien, war aber ein Atlanter und damit in den Augen seiner Untertanen ein Barbar. Kriege und Eroberungen nahmen einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch, wie auch seine unablässigen Bemühungen, sich auf dem ewig schwankenden Thron des uralten Reiches zu halten, und seine selbstgestellte Aufgabe, sich mit den Sitten und Denkweisen des Volkes vertraut zu machen, über das er herrschte. Für Kull war Delcardes eine königliche Gestalt, rätselhaft und verführerisch, doch umgeben von einer Aura uralter Weisheit und Magie. Für Tu war sie eine Frau und damit ein möglicher Quell für Gefahren und Intrigen. Für Ka-nu, den piktischen Botschafter und Kulls engsten Vertrauten, war sie ein Kind, das sich wichtig nahm und seine Wichtigkeit in vollen Zügen genoß. Aber Ka-nu war nicht dabei, als Kull zu der sprechenden Katze kam. Die Katze ruhte auf einem weichen Seidenkissen auf einem eigenen Diwan und betrachtete den König aus den unergründlichen Tiefen ihrer Augen. Sie hieß Saremes und hatte einen Leibsklaven, der hinter ihr stand, um jederzeit ihren Wünschen nachzukommen. Er war ein hagerer Mann, dessen untere Gesichtshälfte hinter einem bis zur Brust fallenden Schleier verborgen war. "König Kull", sagte" Delcardes, "ich möchte eine Gunst von Euch erbitten, ehe Saremes spricht und ich schweigen muß." "Ich höre Euch an", erwiderte Kull. Das Mädchen lächelte erwartungsvoll und faltete die Hände. "Laßt mich Kulra Thoom von Zarfhaana zum Mann nehmen." Tu ergriff das Wort, bevor Kull etwas sagen konnte. "Mein Lord, diese Angelegenheit ist lang und breit erörtert worden! Ich ahnte schon, daß man Euch nicht ohne Absicht hierhergebeten hat! Dieses - dieses Mädchen hat königliches Blut, wenn auch zu einem geringen Teil, und es ist gegen das -5 6 -
valusische Herkommen, daß Edelfrauen Fremde von niederem Stand heiraten." "Aber der König kann eine Ausnahme machen", sagte sie schmollend. "Mein Lord." Tu hob verärgert abwehrend die Hände. "Eine solche Heirat wird Krieg, Rebellion und Zwistigkeiten für die nächsten hundert Jahre heraufbeschwören." Er war drauf und dran, einen Vortrag über Stand, Sippentradition und Geschichte zu halten, aber Kull wehrte ab. Seine ohnehin geringe Geduld war zu Ende. "Valka und Hotath! Bin ich ein altes Weib oder ein Priester, daß man mich mit solchen Dingen behelligt? Macht es untereinander aus und bleibt mir künftig mit Heiratsfragen vom Leibe! In Atlantis heiraten Männer und Frauen wen sie wollen und sonst niemanden." Delcardes schmollte ein wenig, schnitt Tu, der ihren Blick finster erwiderte, eine Grimasse. Dann lächelte sie strahlend und räkelte sich auf ihrem Diwan mit einer geschmeidigen Bewegung. "Sprecht jetzt lieber mit Saremes, Kull, sonst wird sie eifersüchtig auf mich." Kull blickte die Katze ein wenig unsicher an. Sie hatte ein langes seidiges graues Fell, und ihre Augen waren schmal und geheimnisvoll. "Sie sieht sehr jung aus, Kull, doch sie ist unvorstellbar alt", sagte Delcardes. "Sie ist eine Katze der Alten Rasse, die vor Tausenden von Jahren lebte. Fragt sie danach, Kull." "Wie alt bist du, Saremes?" fragte Kull ohne große Erwartung. "Ich war schon alt in Valusiens jungen Tagen", antwortete die Katze mit klarer, doch seltsam klingender Stimme. Kull fuhr heftig zusammen. "Valka und Hotath!" entfuhr es ihm. "Sie spricht in der Tat!" "Ich spreche, ich denke, ich weiß, ich bin", sagte sie. "Ich war die Vertraute von Königinnen und die Beraterin von Kömgen, lange bevor deine Füße über Atlantis' weißen Strand schritten, Kull von -5 7 -
Valusien. Ich sah die Vorfahren der Valusier aus dem Osten kommen und die Alte Rasse in den Staub zwingen, und ich war schon hier, als die Alte Rasse vor so vielen Äonen über das Meer kam, daß den menschlichen Verstand Schwindel erfaßt bei dem Versuch, sie zu zählen. Ich bin älter noch als Thulsa Doom, den nur wenige je zu Gesicht bekamen. Ich habe mächtige Reiche entstehen und fallen sehen. Ich habe erlebt, wie Könige auf ihren Rossen stolz herbeitrabten und still auf ihren Schilden fortgetragen wurden. Ja, man hat mich einst als Gottheit verehrt. Grausam waren die Jünger, die mir dienten und furchtbar die Riten, die man mir zu Ehren erdachte. Denn in alter Zeit betete man meinesgleichen an, und unsere Gläubigen waren so unmenschlich wie ihre Taten." "Kannst du in den Sternen lesen und die Zukunft vorhersagen?" Kulls barbarischer Verstand dachte sofort in praktischen Bahnen. "Die Bücher der Vergangenheit und Zukunft sind offen für mich, und ich sage den Menschen, was für sie zu wissen gut ist." "Dann sag mir", verlangte Kull, "wo ich Ka-nus geheime Botschaft gestern verlegt habe." "Du hast sie in die Spitze deiner Dolchscheide geschoben und sofort vergessen", erwiderte die Katze. Kull starrte sie an, zog den Dolch aus der Hülle und schüttelte sie. Ein zusammengefaltetes Schriftstück fiel heraus. "Valka und Hotath!" stieß er hervor. "Saremes, du bist eine Hexe in Katzengestalt. Tu, was sagt Ihr nun?" Aber Tu hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepreßt und sah Delcardes finster an. Sie erwiderte unschuldig seinen Blick. Er wandte sich verärgert an Kull. "Mein Lord, laßt Euch von Vernunft leiten. Es ist alles nur Schwindel, den wir nicht durchschauen."
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"Tu, niemand hat gesehen, daß ich die Nachricht versteckte. Und ich selbst hatte es vergessen." "Mein König, ein heimlicher Beobachter hätte ..." "Heimlicher Beobachter? Macht Euch nicht noch mehr zum Narren, Tu. Glaubt Ihr gar, daß eine Katze Spitzel schickt, die mich beim Verstecken von Botschaften beobachten sollen?" Tu seufzte. Je älter er wurde, desto schwerer fiel es ihm, Könige seine Ungeduld und seinen Ärger nicht merken zu lassen. "Mein Lord, vergeßt nicht, wer hinter dieser Katze stekken könnte!" "Aber Lord Tu", sagte Delcardes mit sanftem Tadel, "Ihr seid mir gegenüber nicht sehr freundlich und Ihr beleidigt Saremes." Kull ärgerte sich ein wenig über seinen Berater. "Eines könnt Ihr wenigstens nicht abstreiten. Tu", stellte er fest, "daß die Katze spricht." "Es ist ein Trick", beharrte Tu starrköpfig. "Nur der Mensch spricht, Tiere nicht." "Das stimmt nicht. Tu", widersprach Kull, der von der Fähigkeit der Katze überzeugt war und beweisen wollte, daß er recht hatte. "Ein Löwe hat zu Kambra geredet, und Vögel haben den Alten der Küstenbergstämme berichtet, wo Wild zu finden war. Niemand wird abstreiten, daß sich die Tiere der Wildnis miteinander unterhalten. So manche Nacht schlug ich mein Lager auf den waldigen Hängen oder in der Steppe auf und hörte, wie im Sternenlicht die Tiger einander zubrüllten. Weshalb sollte dann ein Tier nicht die Sprache des Menschen erlernen? Es gab Zeiten, da konnte ich das Brüllen der Tiger fast verstehen. Der Tiger ist mein Totem und tabu für mich, außer er greift mich an und ich muß mein Leben retten", fügte er hinzu. Tu vermochte seine Mißbilligung kaum zu unterdrücken. Dieses Gerede von Totems und Tabus war vielleicht bei einem Stammeshäuptling zu begreifen, aber vom König von Valusien solche Worte zu hören war eine ungemein schmerzliche Erfahrung. -5 9 -
"Mein Lord", sagte er, "eine Katze ist kein Tiger." "Das stimmt", pflichtete Kull ihm bei, "und diese Katze ist weiser als alle Tiger." "Das ist die reine Wahrheit", erklärte Saremes ruhig. "Lordkanzler, würdest du es glauben, wenn ich dir verriete, was in diesem Augenblick in der königlichen Schatzkammer geschieht?" "Nein!" knurrte Tu. "Tüchtige Spitzel können alles in Erfahrung bringen - wie ich nur zu gut weiß." "Niemand kann gegen seinen Willen überzeugt werden", zitierte Saremes gleichmütig ein altes valusisches Sprichwort. "Trotzdem will ich dir sagen, Lord Tu, daß ein Überschuß von zwanzig Goldtals entdeckt wurde und inzwischen bereits ein Kurier auf dem Weg ist, dir zu berichten. Ah, hier kommt er schon." Schritte erklangen draußen am Gang. Ein schlanker Höfling in der farbenfrohen Livree der königlichen Kämmerei trat ein und bat um die Erlaubnis, sprechen zu dürfen. Als Kull sie gewährte, sagte er: "Erhabener König und Lord Tu. Ein Überschuß von zwanzig Goldtals fand sich in der königlichen Schatzkammer." Delcardes lachte und klatschte vor Freude in die Hände. Tu zog finster die Brauen zusammen. "Wann wurde das festgestellt?" "Vor etwa einer halben Stunde, mein Lord." "Wie viele haben davon erfahren?" "Niemand, mein Lord. Nur ich und der königliche Kämmerer wußten es bis jetzt, da ich Euch berichtete." "Hm!" Tu winkte ihm verärgert zu. "Du kannst gehen. Ich werde mich später um die Sache kümmern." "Delcardes", sagte Kull, "diese Katze gehört Euch, nicht wahr?" "Lord König", erwiderte das Mädchen. "Saremes gehört niemandem. Sie beehrt mich lediglich mit ihrer Anwesenheit. Sie ist mein Gast. Sie ist ihre eigene Herrin seit Tausenden von Jahren." -6 0 -
"Ich wollte, ich könnte sie mit in meinen Palast nehmen", sagte der König. "Saremes", wandte sich Delcardes ehrerbietig an die Katze, "der König hätte dich gern als seinen Gast." "Ich werde den König von Valusien begleiten", erklärte die Katze würdevoll, "und im Königspalast bleiben, bis ich mich entschließe, anderswo hinzugehen. Denn wisse, Kull, es hält mich nie lange an einem Ort. Ich liebe es, mir die Welt anzusehen, über Straßen zu laufen, wo ich in längst vergangener Zeit durch dichte Wälder streifte, und durch den Wüstensand zu schleichen, wo ich früher über Prunkstraßen spazierte." So kam Saremes, die sprechende Katze, in den Königspalast von Valusien. Ihr Leibsklave begleitete sie. Sie erhielt ein geräumiges Gemach mit weichen Diwanen und seidenen Kissen. Die köstlichsten Leckerbissen der königlichen Tafel wurden ihr vorgesetzt, und alle Höflinge und Bediensteten im Palast huldigten ihr - außer Tu, dem es gar nicht gefiel, daß eine Katze so geehrt wurde, selbst wenn sie eine sprechende Katze war. Saremes behandelte ihn mit belustigter Geringschätzung, während sie Kull würdevoll als Gleichgestellten betrachtete. Recht häufig ließ sie sich von ihrem Sklaven, der sie überallhin begleiten mußte, auf einem Seidenkissen zum Thronsaal tragen. ' Oftmals besuchte Kull sie jedoch auch in ihrem Gemach. Dann unterhielten sie sich bis in die frühen Morgenstunden. Viele Geschichten erzählte sie ihm, und groß war ihre Weisheit. Kull lauschte voll Aufmerksamkeit und Interesse, denn es bestand kein Zweifel, daß diese Katze klüger und weiser als die meisten seiner Ratgeber war. Ihre Sprache war bedeutungsvoll und orakelhaft, doch sie machte keine Prophezeiungen, die über die kleinen alltäglichen Geschehnisse im Palast und im Reich hinausgingen. Vor Thulsa Doom, der dem König eine Drohung gesandt hatte, warnte sie Kull allerdings ausdrücklich. "Denn", so sagte sie, "ich, die ich eine größere Zahl an Jahren gelebt habe, als du an Minuten leben wirst, ich weiß, daß es für -6 1 -
die Menschen besser ist, die Zukunft nicht zu kennen. Denn was sein wird, wird sein, und der Mensch kann es weder abwenden noch beschleunigen. Es ist besser, im Dunkeln zu gehen, wenn der Weg an einem Löwen vorbeiführt und es keine andere Straße gibt." "Und doch", murmelte Kull, "wenn sein muß, was sein wird - was ich bezweifle - , und ein Mensch erfährt, was der Morgen ihm bringt, und dieses Wissen stärkt oder schwächt seinen Arm, müßte das dann nicht auch vorherbestimmt sein?" "Wenn vorherbestimmt war, daß er es erfährt", erwiderte Saremes und trug so weiter zu des Königs Verwirrung und Zweifel bei. "Es ist jedoch so, daß nicht alle Pfade des Lebens von Anbeginn feststehen, denn ein Mensch mag dies tun, oder ein Mensch mag das tun. Und nicht einmal die Götter wissen immer, was im Kopf eines Sterblichen vor sich geht." "Dann", meinte der König, "ist doch nicht alles vorherbestimmt, wenn es mehr als einen Weg gibt, dem der Mensch folgen kann. Wie ist es da aber möglich, Ereignisse richtig vorauszusagen?" "Das Leben hat viele Wege, Kull", erwiderte Saremes. "Ich stehe am Kreuzweg der Welt, und ich weiß, wohin jeder Pfad führt. Aber auch die Götter können nicht vorhersehen, welchen der Mensch nehmen wird, den nach rechts oder links, sobald er den Kreuzweg erreicht hat. Doch wenn er sich entschieden hat, gibt es kein Zurück mehr." "In Valkas Namen", sagte Kull, "Warum machst du mich nicht auf die Gefahren oder Vorzüge eines jeden Weges aufmerksam, an den ich komme, und hilfst mir den richtigen zu beschreiten?" "Weil auch den Kräften meiner Art Grenzen gesetzt sind", erwiderte die Katze. "Damit wir das Wirken der Götter nicht behindern. Wir dürfen die Schleier nicht völlig von den Augen der Sterblichen ziehen, wenn es nicht geschehen soll, daß die Götter uns die Macht nehmen oder wir den Menschen Schaden zufügen. Denn wenn auch viele Pfade von der Kreuzung in alle Richtungen führen, kann der Mensch doch nur einen auswählen, und manchmal ist der eine nicht besser als der andere. Die -6 2 -
Fackel der Hoffnung flackert vielleicht auf einem Weg, und der Mensch folgt ihr, obgleich gerade dieser Pfad der schlimmste von allen ist." Als sie sah, wie schwer es Kull fiel, zu verstehen, fuhr sie fort: "Auch unsere Kräfte müssen Grenzen haben, sonst würden wir zu mächtig und zu einer Bedrohung für die Götter, Lord König. Deshalb sind wir einem Zauber unterworfen. Zwar dürfen wir die Bücher der Vergangenheit beliebig öffnen und darin lesen, aber in jene der Zukunft sind uns nur flüchtige Blicke durch den Nebel gestattet, der sie verhüllt." Kull hatte das Gefühl, daß Saremes' Erklärungen dürftig und unlogisch waren und nach Hexerei und Schwindelei klangen, aber der Blick aus ihren tiefen, unergründlichen Augen, der auf ihm ruhte, machte ihm den Widerspruch schwer, auch wenn er ihm auf der Zunge lag. "Und nun", sagte die Katze, "werde ich zu deinem Besten den Schleier für einen Augenblick beiseite ziehen: Laß Del-cardes Kulra Thoom heiraten." Kull erhob sich mit einem ungeduldigen Zucken seiner mächtigen Schultern. "Ich will nichts mit mit den Affären einer Frau zu tun haben. Mag Tu sich der Sache annehmen." Und doch überschlief Kull den Gedanken in den folgenden Tagen. Und da Saremes den Rat mit viel Schlauheit in ihre philosophischen Gespräche verwob, wurde Kull allmählich schwach. Kull bot wahrhaftig einen seltsamen Anblick, wie er mit dem Kinn auf seine starke Faust gestützt und interessiert nach vorn gelehnt, den Worten der Katze lauschte, die zusammengerollt auf ihrem Seidenkissen ruhte oder sich schläfrig in ihrer ganzen Länge streckte, während sie von geheimnisvollen Dingen erzählte. Ihre Augen glitzerten dabei, aber sie bewegte ihre Lippen kaum. Und ihr Sklave Kuthulos stand wie immer statuengleich hinter ihr. Kull schätzte Saremes' Meinung sehr und fragte sie bei fast allen Staatsgeschäften um Rat - den sie mit Vorbehalt oder überhaupt -6 3 -
nicht gab. Irgendwie stimmte ihre Antwort jedoch gewöhnlich mit seinen Vorstellungen überein, und er fragte sich, ob sie nicht vielleicht auch Gedanken zu lesen vermochte. Kuthulus störte ihn durch seine stete Anwesenheit, seine Starre und sein Schweigen, aber Saremes wollte niemand anderen um sich haben. Kull versuchte zu ergründen, was sich hinter dem Schleier verbergen mochte, doch obgleich er sehr dünn schien, verriet er doch nichts über das Gesicht darunter. Und Höflichkeit Saremes' gegenüber hielt Kull davon ab, den Sklaven aufzufordern, den Schleier abzunehmen. Eines Tages kam Kull zu Saremes' Gemach, und sie blickte ihm mit rätselhaften Augen entgegen. Der Sklave stand statuengleich hinter ihr. "Kull", sagte sie. "Wieder einmal werde ich den Schleier für dich lüften. Brule, der piktische Speerkämpfer, Ka-nus Krieger und dein Freund, wurde soeben von einem furchtbaren Ungeheuer in den Verbotenen See gezogen." Mit einem Fluch sprang Kull auf. "Brule? Bei Valka! Was hatte er am Verbotenen See vor?" "Er ist dort geschwommen. Eile, denn noch kannst du ihn retten, selbst wenn er in das Verzauberte Land am Grunde des Sees gebracht wird." Kull wirbelte zur Tür. Er war bestürzt, wäre es aber über solch eine Eigenmächtigkeit eines jeden anderen noch viel mehr gewesen als bei dem kühnen, respektlosen Pikten, dem Oberhaupt der mächtigsten Verbündeten des Reiches. Er wollte nach Wachen rufen, doch Saremes hielt ihn zurück. "Nein, König Kull. Es ist besser, du gehst allein. Nicht einmal dein ausdrücklicher Befehl, dir in das Wasser des gefürchteten Sees zu folgen, würde vermutlich befolgt werden, denn nach dem valusischen Gesetz bedeutet es den Tod für jeden außer dem König." "Gut, ich werde allein gehen", stimmte Kull zu, "und Brule vor dem Grimm der Bürger bewahren, wenn es ihm gelingen sollte, den -6 4 -
Ungeheuern zu entkommen. Laß Ka-nu von meinem Vorhaben wissen." Kull wehrte respektvolle Fragen mit einem wortlosen Knurren ab, stieg auf seinen Hengst und verließ die Stadt Valusien im Galopp. Er ritt allein und befahl, daß ihm keiner folge. Was er tun mußte, konnte er auch ohne Hilfe schaffen, und er wollte nicht, daß irgend jemand Zeuge war, wenn er Brule oder dessen Leichnam aus dem Verbotenen See holte. Er verfluchte die Unverfrorenheit des Pikten und das Tabu, das über dem See hing. Ein Verstoß dagegen mochte eine Rebellion unter den Valusiern entfachen. Die Abenddämmerung senkte sich bereits von den Höhen des Zalgaragebirges herab, als Kull sein Pferd am Ufer des Sees anhielt, der inmitten eines großen, einsamen Waldes lag. An seinem Anblick war nichts Furchterregendes. Sein Wasser lag klar und blau von einem sandigen weißen Ufer zum anderen, und die winzigen Inseln hoben sich wie Smaragde und Jade aus der ruhigen Oberfläche. Ein schwacher, schimmernder Dunst stieg von ihm auf und verstärkte das Gefühl verträumter Unwirklichkeit, die über der ganzen Landschaft zu liegen schien. Kull lauschte einen Augenblick angespannt, und es war ihm, als klänge eine ferne Musik durch das saphirblaue Wasser. Er schüttelte sich fluchend und fragte sich, ob er bereits dem Zauber des Sees verfiel. Hastig streifte er Kleider und Schmuck ab, nur den Gürtel, das Lendentuch und seine Klinge behielt er an. Dann watete er hinaus in die glitzernde Bläue, bis sie seine Hüften umspülte. Er holte tief Luft, denn er wußte, daß der Grund nun rasch unter seinen Füßen schwinden würde, und tauchte. Während er durch das sanfte Saphirblau schwamm, wurde ihm klar, daß er ein wenig überstürzt gehandelt hatte. Zumindest hätte ihm Saremes sagen können, an welcher Stelle Brule geschwommen war, als er angegriffen wurde, und ob er den richtigen Pfad nahm, auf dem er ihn retten konnte. Aber vielleicht hätte es ihm die Katze ohnehin nicht verraten. Selbst wenn sie ihm gesagt hätte, daß sein Unterfangen vergeblich wäre, hätte er -6 5 -
trotzdem alles zu Brules Rettung unternommen. So oder so würde er nun hier sein. Es lag also tatsächlich Wahrheit in Saremes' Worten, daß es für die Menschen besser war, wenn sie ihre Zukunft nicht kannten. Was die Stelle betraf, an der Brule angegriffen worden war, nun, das Ungeheuer konnte ihn inzwischen überallhin geschleppt haben. Kull hatte vor, den Seegrund abzusuchen, bis ... Noch während er dies dachte, huschte ein Schatten an ihm vorbei, ein vager Schimmer im Jade und Saphir des Sees. Weitere Schatten glitten rings um ihn vorüber, doch er vermochte ihre Formen nicht zu erkennen. Weit unten sah er den Seeboden, von dem ein eigenartiges Glühen ausging. Dann waren die Schatten überall um ihn. Sie woben ein Netz, ein ständig sich wandelndes Netz in tausend schillernden Farben. Das Wasser leuchtete in einem hellen Topaston, und die Wesen flimmerten in zauberhafter Pracht. Wie Schatten von Schatten waren sie, zart und unwirklich, und doch aus sich heraus leuchtend. Als Kull erkannte, daß sie nicht vorhatten, ihn anzugreifen, beachtete er sie nicht mehr, sondern wandte seine Aufmerksamkeit dem Seegrund zu. Er berührte ihn leicht, zuckte jedoch zurück, denn es war ihm, als wäre er auf etwas Lebendes getreten. Er hatte eine rhythmische Bewegung unter seinen nackten Sohlen gespürt. Das schwache Glühen stieg hier überall vom Seeboden auf, bis es in der Feme mit den leuchtenden Saphirschatten verschmolz. Der ganze Seegrund war ein Feuerteppich, der mit steter Regelmäßigkeit glühte und erlosch. Kull bückte sich. Der Boden war mit einem moosähnlichen Belag überzogen, der wie weiße Flammen leuchtete. Es war, als wäre das ganze Seebett mit Myriaden von Glühwürmchen bedeckt, die im Takt ihre Flügel hoben und senkten. Und dieses Moos pulsierte unter seinen Füßen wie etwas Lebendes. Kull begann wieder nach oben zu schwimmen. Er war in den Küstenbergen des meerumschlungenenen Atlantis aufgewachsen. Wasser war sein zweites Element. Er war darin ebenso zu Hause wie jeder Lemurier. Er vermochte doppelt so -6 6 -
lange unter Wasser zu bleiben wie andere Schwimmer. Doch dieser See war tief, und er wollte seine Kräfte schonen. Er kam an die Oberfläche, füllte seine Lunge in tiefen Zügen und tauchte erneut. Wieder huschten die Schatten um ihn, blendeten ihn fast mit ihrem gespenstischen Glimmen. Er schwamm diesmal rascher, und als er den Grund erreichte, eilte er darüber, so rasch es die klebrigen Pflanzen erlaubten. Das Feuermoos glühte und pulsierte, die schillernden Kreaturen flitzten um ihn herum, und alptraumhafte ungeheuerliche Schatten unsichtbarer Wesen fielen über seine Schultern auf den flammenden Grund. Das Moos war übersät mit Schädeln und Gebeinen von Menschen, die sich in den Verbotenen See gewagt hatten. Plötzlich wirbelte das Wasser lautlos auf, und etwas raste auf Kull zu. Zuerst hielt er es für einen riesigen Kraken, denn seine Form war die eines Kraken mit um sich greifenden Tentakeln, doch als es auf ihn einstürmte, sah er, daß es menschliche Beine hatte und ein häßliches halbmenschliches Gesicht, das ihm zwischen den schlangelnden Saugarmen entgegenstarrte. Kull wappnete sich. Als sich die mörderischen Tentakel peitschend um seinen Körper legten, stieß er das Schwert mit kalter Zielsicherheit mitten in das dämonische Gesicht. Das Wesen starb zuckend und mit schrecklichen, lautlosen Schreien zu seinen Füßen. Blut breitete sich wie ein roter Schleier aus. Hastig stieß Kull sich vom Grund ab und schoß in die Höhe. Noch während er im schwindenden Tageslicht Luft holte, schnellte ein großer Körper über die Wasseroberfläche auf ihn zu - eine Wasserspinne, größer als ein Eber, deren kalte Augen in einem höllischen Licht leuchteten. Kull hielt sich mit den Beinen und einem Arm über Wasser und riß die Klinge hoch, und als die Spinne über ihm war, hieb er ihren Körper halb auseinander, und sie versank lautlos. Ein schwaches Geräusch ließ Kull herumfahren. Eine zweite, noch größere Spinne stürzte heran. Sie warf ein klebriges Netz über des Königs Arme und Schultern, das für jeden das Ende bedeutet hätte, der nicht die ungeheure Kraft Kulls besaß. Der König aber zerriß die starken Stränge, als wären sie dünne -6 7 -
Fäden. Dann packte er ein Bein der mörderischen Kreatur und stieß ihr das Schwert wieder und wieder in den Körper, bis sie erschlaffte und mit einer breiten Spur sich rötenden Wassers davontrieb. "Valka!" keuchte der König. "Das ist kein Ort für einen, der Erholung sucht. Aber diese Kreaturen sind so leicht zu töten. Ich frage mich, wie sie Brule überwältigen konnten, der doch nach mir der beste Kämpfer in den Sieben Königreichen ist." Aber Kull sollte bald herausfinden, daß weitaus gefährlichere Wesen in den tödlichen Abgründen des Verbotenen Sees lauerten. Erneut tauchte er hinab, und diesmal sah er nur die schillernden Schatten und die Gebeine der Toten. Wieder kam er hoch, um Luft zu holen, und stieß ein viertes Mal in die Tiefe. Er befand sich unweit einer der Inseln, und während er zum Grund hinabschwamm, fragte er sich, was sich wohl alles hinter dem dichten, smaragdgrünen Blattwerk verbergen mochte, das die Insel wie ein undurchdringlicher Wall vor neugierigen Blicken schützte. Man raunte, daß sich dort Tempel und Schreine erhoben, die keine menschliche Hand erbaut hatte, und daß in bestimmten Nächten die Bewohner des Sees aus der Tiefe kamen, um dort unheimliche Rituale abzuhalten. Der Angriff erfolgte in dem Augenblick, als seine Füße das Moos berührten. Er kam von hinten, und als Kull instinktiv herumwirbelte, beugte sich eine riesige Gestalt über ihn -eine, die weder Mensch noch Tier war, sondern auf schreckliche Weise aus beidem gestaltet war - und packte ihn mit gewaltigen Fingern an Arm und Schulter. Kull wehrte sich wild, doch die Kreatur hielt seinen Schwertarm wie mit eisernen Klammern, und ihre Krallen drangen ihm tief ins Fleisch. Mit einer gewaltigen Anstrengung gelang es Kull, sich herumzudrehen. Sein Angreifer glich einem Hai, dem unterhalb der Augen ein langes, spitzes Hörn, einem Krummsäbel gleich, aus dem Schädel wuchs. Er hatte vier Arme, menschlich in der Form, doch unmenschlich an Größe und Kraft und an den Fingern mit gekrümmten Krallen bewehrt. -6 8 -
Zwei der Arme hielten Kull fest, daß er sich nicht bewegen konnte, die beiden anderen drückten seinen Kopf nach hinten, um ihm das Rückgrat zu brechen. Doch selbst ein solch ungeheuerliches Geschöpf vermochte Kull von Atlantis nicht so leicht zu bezwingen. Wilder Grimm wallte in ihm hoch und verlieh ihm übermenschliche Kraft. Kull stemmte die gespreizten Beine in das Moos. Mit einem gewaltigen Ruck riß er seinen linken Arm aus dem mörderischen Griff. Mit katzenartiger Flinkheit versuchte er das Schwert mit der Linken zu fassen, und als das mißglückte, hieb er mit aller Kraft mit der Faust nach dem Gegner. Doch das saphirblaue Wasser nahm dem Schlag die Kraft. Der Haimann senkte den Kopf, aber bevor er nach Kull stoßen konnte, packte der König das Hörn mit der Linken und hielt es fest. Was dann folgte, war eine Probe an Kraft und Ausdauer. Das Wasser lahmte Kulls Flinkheit, so sah er seine einzige Chance in der Umklammerung des Gegners, um auch dessen Gewandtheit einzuschränken. Verzweifelt versuchte er seinen Schwertarm freizubekommen, was den Haimann zwang, ihn mit allen vier Armen festzuhalten. Kull wagte nicht, das Hörn loszulassen, um nicht Gefahr zu laufen, durchbohrt zu werden, und der Haimann wollte nicht eine seiner Hände von dem Arm nehmen, der das lange Schwert in der Faust hielt. So zerrten und rangen sie, und Kull wußte, daß er verloren war, wenn er diesem Spiel nicht bald ein Ende setzte. Er brauchte dringend Luft. Das kalte Funkeln in den Augen des Haimannes verriet, daß dieser wohl wußte, daß er Kull nur unter Wasser zu halten brauchte, bis er ertrank. Eine verzweifelte Lage für einen Mann. Aber Kull von Atlantis war kein gewöhnlicher Mann. Von Kindheit an war er in die harte, blutige Schule des Lebens gegangen und hatte sich stählerne Muskeln und einen eisernen, unerschrockenen Verstand angeeignet, die zusammen den schier unschlagbaren Kämpfer ausmachten. Dazu gesellte sich Mut, der ihn niemals verließ, und eine raubtierhafte Wildheit, die ihn manchmal Übermenschliches vollbringen ließ. -6 9 -
So faßte er mit dem nahen Ende vor Augen einen Entschluß, der so verzweifelt war wie seine Lage. Er ließ das Hörn los, krümmte seinen Körper so weit nach hinten wie er konnte, und dann packte er mit der freien Linken einen der Arme des Ungeheuers. Sofort stieß der Haimensch zu. Sein Hörn streifte an Kulls Schenkel entlang und verfing sich in seinem Schwertgürtel. Bevor es wieder frei war, legte Kull seine ganze Kraft in die Finger, die den Arm umklammert hielten, und zerquetschte das klamme Fleisch und die Knochen darunter wie eine faulige Frucht. Der Haimann sperrte in lautloser Qual den Rachen auf und stieß wild zu. Kull wich aus, dabei verloren sie das Gleichgewicht und den Boden unter den Füßen, hochgeschwemmt von den jadefarbigen Wogen, die sie aufwühlten. Während sie rangen, riß Kull seinen Schwertarm aus dem schwächer werdenden Griff und rammte die Klinge in den Leib des Ungeheuers. Der mörderische Kampf hatte nur ganz kurze Zeit gedauert, doch Kull kam es wie Stunden vor, während er nach oben schwamm; sein Schädel drohte zu bersten, und eine ungeheure Last drückte auf seine Brust. Wie durch einen dichten Schleier nahm er wahr, daß der Seegrund plötzlich steil vor ihm anstieg, was nur bedeuten konnte, daß er sich einer Insel näherte. Plötzlich erwachte das Wasser um ihn zum Leben. Etwas Riesiges schlang sich von den Füßen bis zu den Schultern um ihn, das selbst seine gewaltigen Muskeln nicht abzustreifen vermochten. Seine Sinne begannen zu schwinden. Vage spürte er, daß er mit ungeheurer Geschwindigkeit davongetragen wurde. Er vermeinte viele Glocken läuten zu hören. Dann war er plötzlich über Wasser und pumpte in heftigen Zügen kostbare Luft in seine gequälten Lungen. Er wirbelte durch völlige Dunkelheit. Ein langer Atemzug, dann wurde er wieder unter Wasser gerissen. Es wurde heller um ihn, und er sah tief unter sich das Feuermoos pulsieren. Er befand sich in der Gewalt einer riesigen Schlange, die einen Teil ihres Leibes in mächtigen Ringen um ihn geschlungen hatte und ihn mit sich schleppte, wohin, mochte Valka allein wissen. -7 0 -
Kull wehrte sich nicht. Er schonte seine Kräfte. Falls die Schlange ihn nicht so lange unter Wasser hielt, daß er erstickte, dann hatte er sicher noch eine Chance gegen sie, wenn sie ihn in ihrem Unterschlupf freigab, oder wohin immer sie ihn brachte. Kulls Arme und Beine steckten so bewegungslos in den Ringen, daß Fliegen nicht unmöglicher gewesen wäre, als einen Arm aus dieser Umklammerung zu befreien. Die Schlange, die Kull mit solcher Geschwindigkeit durch die blaue Tiefe trug, war gewiß die größte, die er je gesehen hatte ihr golden und jadegrün geschuppter, wunderschön gemusterter Leib mußte wenigstens zweihundert Fuß lang sein. Ihre Augen, die sich manchmal Kull zuwandten, waren erfüllt von eisigem Feuer. Selbst Kull, der schon viele wundersame Dinge gesehen hatte, war beeindruckt von diesem bizarren Bild: der gewaltige grüne und goldene Leib, der durch das brennende Topas des Sees flog, während die Schattenfarben ringsum verwirrende Muster woben. Wieder verlief der wie Juwelen leuchtende Seeboden aufwärts vielleicht zu einer weiteren Insel oder zum Ufer -, und plötzlich öffnete sich der Schlund einer großen Höhle vor ihnen. Die Schlange glitt ins Innere. Das Feuermoos blieb zurück. Kulls Kopf drang durch die Wasseroberfläche. Dunkelheit war um ihn. Schier endlose Zeit schleppte ihn die Schlange durch finstere Höhlengänge und tauchte schließlich erneut. Als sie wieder hochkamen, war Licht um sie, wie es Kull noch nie zuvor gesehen hatte: ein düsteres Leuchten über der dunklen, stillen Wasseroberfläche. Da wußte Kull, daß er sich im Zauberreich am Grund des Verbotenen Sees befand, denn dies war kein irdischer Schein. Es war ein schwarzes Licht, schwärzer als jede Finsternis, und dennoch beleuchtete es das unheilige Gewässer, so daß er sein Spiegelbild sehen konnte. Die Ringe des Leibes gaben ihn plötzlich frei. Er schwamm sofort auf die mächtigen dunklen Umrisse zu, die vor ihm schattenhaft emporragten. Er schwamm mit kräftigen Stößen und sah beim Näherkommen, daß es eine große Stadt war. Aus einem gewaltigen -7 1 -
Felsenplateau wuchs sie in die Höhe, bis sich die Spitzen der düsteren Türme in der Schwärze oberhalb des unheiligen Lichtes verloren. Er kletterte aus dem kalten Wasser und stieg steinerne Stufen empor, die wie die einer Kaimauer in den Fels gehauen waren. Um ihn befanden sich große quaderförmige Gebäude aus mächtigen, basaltähnlichen Blöcken. Zwischen ihnen ragten gewaltige Säulen empor. Kein Schimmer irdischen Lichtes milderte die Düsterkeit dieser unmenschlichen Stadt, doch aus den Mauern und Türmen quoll das schwarze Leuchten in pulsierenden Wellen auf das Wasser herab. Kull wurde sich plötzlich bewußt, daß ihm auf einem großen Platz zwischen den Bauwerken fremdartige Kreaturen entgegenblickten. Er blinzelte, um seine Augen an das sonderbare Licht anzupassen. Die Wesen kamen näher, und ein Raunen ging durch die dichtgedrängte Menge wie das Schwanken von Grashalmen im Nachtwind. Schmale, schattenhafte Gestalten waren es, die sich mit schwachem Glimmen vom dunklen Hintergrund ihrer Stadt abhoben. Ihre Augen leuchteten unheimlich. Da sah der König, daß eine aus ihrer Schar vor den übrigen stand. Die Gestalt wirkte menschenähnlich. Das bärtige Gesicht war von edlem Schnitt, doch war die Stirn in Unmut gerunzelt. "Du kommst als echter Vertreter deiner Rasse", sagte der Wassermann. "Blutbesudelt und mit einem Schwert in der Faust." Kull lachte grimmig über diese Ungerechtigkeit. "Valka und Hotath!" fluchte er. "Das Blut ist zum größten Teil mein eigenes, und es waren die Kreaturen deines verdammten Sees, die es vergossen." "Tod und Vernichtung sind die Gefolgschaft deiner Rasse", fuhr der Wassermann finster fort. "Wir wissen es. Wir herrschten bereits über die blauen Wasser dieses Sees, als die Menschheit noch nicht mehr als ein Traum der Götter war." "Niemand behelligt euch ...", sagte Kull.
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"Nur aus Furcht. Schon in alter Zeit versuchten Menschen in unser dunkles Königreich einzudringen. Wir töteten sie, und es herrschte Krieg zwischen den Menschensöhnen und dem Wasservolk. Wir gingen hinaus und verbreiteten Furcht und Schrecken unter den Erdlingen, denn wir wußten, daß sie uns nur den Tod bringen würden und daß nur Todesfurcht sie abschrecken könnte. Mit Zauberkräften raubten wir ihnen den Verstand und ließen ihre Seelen gefrieren, bis sie um Frieden flehten, den wir gewährten. Die Menschen der Erde erklärten diesen See für tabu und bestimmten, daß kein Mensch ihn betreten dürfe, ausgenommen der König von Valusien. So geschah es vor Tausenden von Jahren. Seither hat kein Mensch, der in das Verzauberte Land kam, JE wieder die Oberfläche gesehen, außer als Leichnam. König von Valusien, oder wer immer du sein magst, du bist am Ende deines Weges." Kull starrte ihn herausfordernd an. "Dein verfluchtes Königreich war nicht mein Ziel. Ich suche Brule, den Speerkämpfer, den ihr in die Tiefe geholt habt." "Lüge", erwiderte der Wassermann. "Seit über hundert Jahren hat sich kein Mensch mehr in diesen See gewagt. Du bist nur gekommen, um nach Schätzen zu suchen, oder um zu plündern und zu töten, wie alle deiner mordgierigen Art. Du sollst sterben!" Kull spürte das Gewisper magischer Kräfte ringsum. Sie ließen die Luft erzittern und wurden zu festen Formen und schwebten durch das düstere Licht wie Spinnweben, tasteten nach ihm mit dünnen schlangelnden Armen. Doch Kull wischte sie fluchend mit den bloßen Händen zur Seite, daß sie zerstoben. Denn über die wilde Logik des Barbaren hatte die uralte dekadente Magie keine Macht. "Du bist jung und stark", stellte der König des Sees fest. "Die Verderbtheit der Zivilisation hat sich in deinem Herzen noch nicht festgesetzt, und unser Zauber vermag dir nichts anzuhaben, weil du ihn nicht begreifst. So müssen wir denn etwas anderes versuchen."
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Die Wassermänner zogen Dolche und näherten sich Kull. Da lachte der König von Valusien, stellte sich vor eine Säule, um den Rücken frei zu haben, und umklammerte sein Schwert, daß die Muskeln seines rechten Armes zu mächtigen Strängen anschwollen. "Das ist ein Spiel, das mir geläufig ist. Geisterpack", sagte er grinsend. Sie hielten inne. "Du begehrst vergeblich gegen dein Schicksal auf", sagte der König des Sees. "Wir sind unsterblich. Menschliche Waffen vermögen uns nicht zu töten." "Nun lügst du", antwortete Kull mit der List des Barbaren. "Hast du nicht selbst gesagt, daß die Menschen immer nur gekommen wären, um zu plündern und zu töten? Ihr mögt vielleicht ewig leben, aber scharfer Stahl kann dem ein Ende machen. Überlegt es euch gut. Ihr seid verweichlicht und schwach und wißt nicht mehr mit Waffen umzugehen. Die Weise, wie der Dolch in eurer Faust liegt, verrät es. Ich bin für den Kampf geboren und erzogen worden. Sicher werdet ihr mich töten, denn ihr seid Tausende und ich bin nur einer, doch eure Magie hat versagt und viele von euch werden sterben, bevor ich falle. Zu Dutzenden werde ich euch niederstrecken. Denkt nach, Wassermänner, ist euch mein Tod all die Leben wert, die er euch kosten wird?" So sprach Kull, der überzeugt war, daß Wesen, die mit einer Klinge töten, auch durch die Klinge sterben können, und er hatte keine Furcht. Als Abbild des Todes und der Vernichtung stand er vor ihnen, blutverkrustet und angst-einflößend. "Ja, überlegt es euch gut", wiederholte er. "Ist es nicht besser, ihr bringt Brule zu mir und laßt uns zurückkehren, als daß mein Leichnam einen blutigen Hügel eurer Toten krönt, wenn der Schlachtenlärm verstummt ist? Unter meinen Söldnern sind Pikten und Lemurier, die meiner Spur auch in den Verbotenen See folgen und das Verzauberte Land in eurem Blut ertränken werden, wenn ich hier mein Leben lassen sollte. Denn sie haben ihre eigenen Tabus und kümmern sich wenig um die der -7 4 -
zivilisierten Völker, noch schert es sie, was aus Valusien wird. Sie achten nur mich, der ich ein Barbar bin wie sie." "Die alte Welt nimmt ihren unaufhaltsamen Weg in den Untergang und das Vergessen", erwiderte der Seekönig düster. "Und wir, die wir einst so mächtig waren, müssen uns in unserem eigenen Reich der arroganten Kraft des Barbaren beugen. Schwöre, daß du niemals wieder den Fuß in den Verbotenen See setzen wirst und dafür sorgst, daß niemand mehr dieses Tabu bricht, dann lassen wir dich gehen." "Ich werde nicht ohne den piktischen Speerkämpfer gehen." "Kein piktischer Speerkämpfer ist je zu diesem See gekommen." "Nein? Die Katze Saremes sagte mir ..." "Saremes? Ja, sie ist uns von alters her bekannt, als sie einst durch das grüne Wasser herabgeschwommen kam und einige Jahrhunderte am Hof des Verzauberten Landes zubrachte. Sie besitzt die Weisheit der Zeit, doch ich wußte nicht, daß sie auch die Sprache der Menschen spricht. Wie dem auch sei, bei uns ist kein solcher Mann, wie du ihn suchst, und ich schwöre ..." "Schwöre nicht bei Göttern oder Dämonen", unterbrach ihn Kull. "Gib mir dein Wort als Mann." "Du hast es", sagte der König des Sees, und Kull glaubte ihm, denn es war etwas Majestätisches an dem König, das Kull das Gefühl gab, unbedeutend zu sein. "Und ich", erklärte Kull, "gebe dir mein Wort - das ich noch nie gebrochen habe -, daß niemand mehr dieses Tabu verletzen und euch belästigen wird." "Und ich glaube dir, denn du bist anders als jeder Erdling, den ich je kannte. Du bist ein wahrer König und ein wahrer Mann." Kull dankte ihm. Er steckte sein Schwert in die Scheide und wandte sich zur Treppe. "Kennst du den Weg in deine Welt zurück, König von Valusien?" "Ich nehme an", erwiderte Kull, "daß ich ihn finden werde, wenn ich lange genug schwimme. Ich weiß, daß die Schlange mich -7 5 -
mitten durch wenigstens eine, wahrscheinlich aber mehrere Inseln geschleppt hat und daß wir lange durch eine Höhle geschwommen sind.""Du bist kühn und unerschrocken", sagte der Seekönig, "aber es könnte sein, daß du niemals den Weg aus der Dunkelheit findest." Er hob die Hände, und ein Behemoth kam zum Fuß der Treppe geschwommen. "Ein grimmiges Reittier", sagte der Seekönig. "Aber es wird dich sicher ans Ufer der Oberfläche bringen." "Eine Frage noch", bat Kull. "Wo bin ich jetzt? Unter einer Insel? Oder unter dem Festland? Oder ist dieses Land wirklich unter dem Grund des Sees?" "Du befindest dich im Mittelpunkt des Universums, wo du immer bist. Zeit, Ort und Raum sind nur Trugbilder. Sie existieren lediglich im Verstand des Menschen, der Begrenzungen braucht, um die Welt zu verstehen. Es gibt eine einzige Wirklichkeit, aber sie trägt viele Masken, die der begrenzte Verstand ihr aufsetzt. So wie der See dort oben nur ein Trugbild des einzigen echten hier in der Tiefe ist. Geh nun, König, denn du bist ein wahrer Mann, auch wenn du die erste Welle der über die Welt hereinbrechenden Flut der Barbarei bist." Kull lauschte respektvoll. Er verstand vieles nicht, aber er ahnte die große Magie hinter den Worten. Er schüttelte die Hand des Seekönigs und schauderte leicht bei der Berührung des Fleisches, das nicht menschlich war. Dann warf er einen letzten Blick auf die hohen schwarzen Gebäude und die schattenhaften Gestalten zwischen ihnen und danach hinaus auf die glänzende Schwärze des Wassers, über die spinnengleich die Wellen des schwarzen Lichtes krochen. Schließlich wandte er sich ab, schritt die Stufen zum Wasser hinab und sprang auf den Rücken des Behemoths. Ewigkeiten dunkler Höhlen, rauschenden Wassers und der flüchtigen Wahrnehmung gigantischer, unsichtbarer Monstrositäten folgten. Der Behemoth trug den König manchmal über und manchmal unter dem Wasser, und plötzlich war das -7 6 -
Feuermoos um sie, und sie stießen durch das Blau des leuchtenden Wassers, und Kull watete an das Ufer. Sein Hengst wartete geduldig, wo der König ihn zurückgelassen hatte. Der Mond warf seinen ersten Silberschimmer über den See, und Kull stieß überrascht einen Fluch aus. "Bei Valka! Vor kaum einer Stunde bin ich hier abgestiegen! Und ich hätte gedacht, daß viele Stunden oder gar Tage vergangen wären." Er schwang sich auf sein Pferd und ritt zurück in die Stadt. Er zweifelte nun nicht mehr daran, daß etwas Wahres an den Worten des Seekönigs über die Unwirklichkeit der Zeit war. Kull war müde, ergrimmt und verwirrt. Der lange Weg durch das Wasser hatte ihm das Blut abgewaschen, aber durch das Reiten hatte die Wunde an seinem Schenkel wieder zu bluten begonnen. Sein Bein fühlte sich steif an und schmerzte. Doch Kull war hauptsächlich mit dem Gedanken beschäftigt, daß Saremes ihn belogen hatte, entweder aus Unwissenheit oder aus böser Absicht, und ihn damit fast in den Tod geschickt hätte. Weshalb hatte sie das getan? Kull fluchte und überlegte, was wohl Tu sagen würde. Schließlich mochte sich auch eine sprechende Katze irren, es mußte kein Verrat dahinterstecken. In jedem Fall würde er in Zukunft weniger Gewicht auf ihre Worte legen. Kull ritt durch die stillen mondsilbernen Straßen der uralten Stadt, und die Wachen am Tor sperrten die Augen auf, als sie ihn kommen sahen, aber sie waren klug genug, keine Fragen zu stellen. Der ganze Palast war in Aufruhr. Fluchend schritt Kull zum Ratssaal und anschließend zu Saremes' Kammer. Die Katze lag zufrieden und zusammengekuschelt auf ihrem Kissen. Um sie herum standen aufgeregt durcheinanderredend Tu und die königlichen Ratgeber. Der Sklave Kuthu-los war nirgends zu sehen. Kull wurde sofort mit Fragen bestürmt, aber er schritt wortlos zu Saremes und starrte sie an. -7 7 -
"Saremes", sagte der König. "Du hast mich belogen." Die Katze blickte ihn unergründlich an und gähnte, gab jedoch keine Antwort. Kull wartete ratlos, bis Tu ihn am Arm faßte. "Kull, wo in Valkas Namen seid Ihr gewesen? Wie kommt Ihr zu dieser Wunde?" Kull schüttelte ihn gereizt ab. "Laßt ab von mir", knurrte er. "Diese Katze hat mich zum Narren gehalten - wo ist Brule?" "Kull!" Der König wirbelte herum und sah Brule durch die Tür kommen. Seine spärliche Kleidung war von einem langen Ritt staubbedeckt. Die bronzefarbigen Züge des Pikten waren unbewegt, aber die Augen verrieten seine Erleichterung. "In sieben Teufels Namen!" stieß er wütend hervor, um seine Gefühle zu verbergen. "Mein Reiter haben die Berge und Wälder nach Euch durchkämmt. Wo seid Ihr gewesen?" "Am Verbotenen See, um deine wertlose Haut zu retten", erwiderte Kull mit grimmigem Vergnügen über die Verblüffung des Pikten. "Am Verbotenen See?" rief Brule mit dem Freimut des Barbaren. "Habt Ihr den Verstand verloren? Was sollte ich denn dort? Ich begleitete Ka-nu gestern an die zarfhaanische Grenze. Als ich zurückkam, war Tu dabei, die gesamte Armee auszuschicken, um Euch zu suchen. Seither durchstreifen meine Männer jeden Winkel, außer dem Gebiet um den Verbotenen See, wo wir Euch nie gesucht hätten." "Saremes hat mich belogen ...", begann der König. Doch seine Worte gingen in einem Schwall tadelnder Stimmen unter, die ihn daran erinnerten, daß ein König nicht so einfach fortreiten und sein Reich dem Schicksal überlassen dürfe. "Ruhe!" brüllte Kull. Er hob die Hände, und seine Augen funkelten gefährlich. "Valka und Hotath! Bin ich euch vielleicht für jeden Schritt Rechenschaft schuldig? Tu, berichtet mir, was geschehen ist?" -7 8 -
In der plötzlichen Stille, die dem königlichen Ausbruch folgte, erklärte Tu: "Mein Lord, wir sind vom ersten Augenblick an getäuscht worden. Die Katze ist, wie ich von Anfang an überzeugt war, nur ein Schwindel, ein gefährlicher noch dazu." "Aber ..." "Mein Lord, habt Ihr noch nie von Menschen gehört, die ihre Stimme aus einer Entfernung erklingen lassen können, so als käme sie aus dem Mund eines anderen, oder von einem unsichtbaren Sprecher?" Röte überzog Kulls Gesicht. "Ja, bei Valka! Wie konnte ich Narr das nur vergessen! Ein alter Zauberer in Lemurien hatte diese Fähigkeit. Doch wer sprach ..:" "Kuthulos!" rief Tu. "Ich war der Narr, daß ich mich seines Namens nicht erinnerte! Kuthulos, ein Sklave, ja, aber der größte Gelehrte und weiseste Mann der Sieben Reiche. Der Sklave der Teufelin Delcardes, die sich jetzt auf der Folterbank windet!" Ein überraschter Ausruf entfuhr Kull. "Ja", sagte Tu grimmig. "Als ich feststelle, daß Ihr fortgeritten seid, und niemand wußte wohin, da dachte ich, daß Verrat im Spiel wäre, und ich überlegte. Da fiel mir ein, wer Kuthulos wirklich war und daß er die Kunst des körperlosen Redens beherrschte. Und mir fiel auch auf, daß Euch die Katze immer nur unbedeutende Dinge vorhergesagt, nie große Prophezeiungen gemacht und es mit nicht mehr als Ausflüchten entschuldigt hatte. Da zweifelte ich nicht mehr daran, daß Euch Delcardes diese Katze zusammen mit Kuthulos überlassen hatte, um Euer Vertrauen zu erschleichen und Euch in Euer Verderben zu locken. Deshalb ließ ich Delcardes in den Palast bringen und foltern, damit sie ein umfassendes Geständnis ablege. Es war wahrlich ein durchtriebener Plan. Saremes mußte ihren Sklaven zu jeder Zeit um sich haben. So konnte er durch sie reden - und sich der Wirkung seiner Worte auf Euch sicher sein." "Und wo ist Kuthulos?" fragte Kull. -7 9 -
"Er war nicht mehr da, als ich in Saremes' Gemach kam und ..." "Ho, Kull!" erklang eine fröhliche Stimme von der Tür her, und eine bärtige, koboldartige Gestalt trat ein, gefolgt von einem schlanken, verängstigen Mädchen. "Ka-nu! Delcardes! So seid Ihr gar nicht gefoltert worden!" "Oh, mein Lord!" Sie rannte zu ihm, fiel auf die Knie vor ihm und umklammerte seine Beine. "Oh, Kull", schluchzte sie, "sie werfen mir schreckliche Dinge vor! Ich gestehe, daß ich Euch beschwindelt habe, aber ich wollte Euch bestimmt nichts Böses! Ich wollte nur Eure Einwilligung zur Heirat mit Kulra Thoom erlangen!" Kull hob sie auf die Füße. Er war verwirrt, aber er hatte ihrer offensichtlichen Angst und Reue wegen Mitleid mit ihr. "Kull", sagte Ka-nu, "wie gut, daß ich noch rechtzeitig zurückkam, bevor Ihr und Tu das ganze Königreich rebellisch machen konntet!" Tu funkelte ihn wütend an. Er war immer eifersüchtig auf den piktischen Botschafter, der ebenfalls Kulls Berater war. "Als ich zurückkehrte, war im Palast der Teufel los. Eure Höllinge rannten kopflos umher, ohne etwas Vernünftiges zu unternehmen. Ich schickte Brule und seine Reiter aus, nach Euch zu suchen. Dann begab ich mich in die Folterkammer - das ist immer empfehlenswert, wenn Tu das Sagen hat ..." Der Lordkanzler zuckte zusammen. "Ich begab mich also zur Folterkammer", fuhr Ka-nu ungerührt fort, "wo sie gerade dabei waren, sich unserer kleinen Delcardes anzunehmen, die herzzerreißend weinte und alles sagte, was sie wußte und nur ungläubige Ohren fand. Sie ist nur ein naives Kind, Kull, auch wenn sie in ihrer Schönheit noch so erwachsen aussieht. Deshalb habe ich sie mitgebracht. Delcardes hat sicher die Wahrheit gesagt, als sie behauptete, Saremes sei nur ihr Gast und die Katze sei unvorstellbar alt. Es ist wahr, Saremes ist eine Katze der Alten Rasse und weiser als jede andere Katze. Sie kommt und geht, wie es ihr beliebt. -8 0 -
Trotzdem ist sie nichts weiter als eine Katze. Delcardes hatte Freunde im Palast, die ihr all die kleinen Dinge berichteten, die so nützlich für sie waren, wie von meiner Botschaft, die Ihr verlegt hattet, oder von dem Überschuß in der Schatzkammer. Der Bote, der Bericht erstattete, gehört zu ihnen. Er hatte den Überschuß entdeckt und ihr davon erzählt, noch bevor der Kämmerer davon wußte. Ihre kleinen Spione sind Eure treuesten Diener. Was sie ihr erzählten, konnte Euch nicht schaden, war aber hilfreich für sie, die sie alle lieben, weil sie wissen, daß sie nichts Böses im Schilde führte. Sie hoffte, durch Kuthulos, der aus dem Mund der Katze sprach, mit kleinen Prophezeiungen und Dingen, die jeder wissen konnte, etwa. Euch vor Thulsa Doom zu warnen, Euer Vertrauen zu gewinnen. Und indem die Katze, wie Ihr glauben solltet. Euch immer wieder drängte. Euer Einverständnis zur Hochzeit von Delcardes und Kuira Thoom zu geben, hoffte sie die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches zu erlangen." "Dann wurde Kuthulos zum Verräter", sagte Tu. In diesem Augenblick erklang Lärm an der Tür. Mehrere Wachen traten ein und führten einen hochgewachsenen Gefangenen in ihrer Mitte, dessen Hände gebunden waren und der einen Schleier vor dem Gesicht trug. "Kuthulos!" "Ja, Kuthulos", sagte Ka-nu, aber er schien besorgt, und seine Augen wanderten unruhig durch das Gemach. "Kuthulos, zweifellos, der mit dem Schleier die Bewegungen seines Mundes und seiner Halsmuskeln verbarg, wenn er Saremes sprechen ließ." Kull musterte die stille Gestalt, die reglos wie eine Statue stand. Schweigen senkte sich über die Versammelten, als streife ein eisiger Wind durch das Gemach. Eine ungeheure Spannung lag in der Luft. Delcardes starrte auf die stumme Gestalt, und ihre Augen weiteten sich, als die Wachen berichteten, wie sie den Sklaven fingen, als er versuchte, durch einen wenig benutzten Korridor zu entkommen. -8 1 -
Dann senkte sich die Stille erneut herab, als Kull die Hand ausstreckte, um den Schleier von dem maskierten Gesicht zu ziehen. Durch das dünne Gewebe spürte Kull zwei Augen, die in seine brannten. Niemand bemerkte, wie Kanu seine Fäuste ballte, als bereite er sich auf einen schrecklichen Kampf vor. Als Kulls Hand den Schleier schon fast berührte, brach ein plötzliches Geräusch die atemlose Stille - es klang, als schlüge jemand mit der Stirn oder dem Ellenbogen auf den Boden. Das Geräusch schien aus der Wand zu kommen. Kull war mit einem Schritt an der Stelle und schlug gegen ein Stück der Wandtäfelung. Eine verborgene Tür sprang auf und gab den Blick in einen staubigen Gang frei, in dem die gefesselte und geknebelte Gestalt eines Mannes lag. Sie zogen ihn in das Gemach, stellten ihn auf die Beine und befreiten ihn von seinen Banden. "Kuthulos!" schrie Delcardes auf. Kulls Augen weiteten sich. Das Gesicht, das sich ihnen nun offenbarte, war hager und gütig, wie das eines weisen Lehrers der geistigen Wissenschaften. "Ja, meine Lords und Lady", sagte er. "Dieser Mann, der meinen Schleier trägt, drang durch eine geheime Tür in mein Gemach und schlug mich nieder und fesselte mich. Ich lag hier und mußte mitanhören, wie er den König fortschickte, in seinen Tod, wie er glaubte, aber ich konnte nichts tun, es zu verhindern." "Aber wer ist dann er?" Alle Augen wandten sich der verschleierten Gestalt zu. Kull trat zu ihr. "Lord König, nehmt Euch in acht!" rief der echte Kuthu-los. "Er ..." Mit einem Ruck riß Kull den Schleier vom Gesicht - und fuhr mit einem Ausruf zurück. Delcardes schrie, und ihre Knie gaben nach. Die Ratgeber drängten mit schreckensbleichen Gesichtern nach hinten, und die Wachen ließen den Gefangenen los und wichen grauenerfüllt vor ihm zurück.
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Das Gesicht des Mannes war ein fleischloser, bleicher Totenschädel, in dessen Augenhöhlen fahlblaue Flammen brannten. "Thulsa Doom!" entfuhr es Ka-nu. "Ich habe es fast erwartet!" "Ja, Thulsa Doom steht vor euch, ihr Narren." Seine Stimme klang hohl und hallte wider wie in einer Gruft. "Der mächtigste aller Zauberer und dein Todfeind, Kull von Atlantis. Diesen Waffengang hast du für dich entschieden. Aber hüte dich, es war nicht der letzte." Mit einer einzigen verächtlichen Bewegung zerriß er seine Fesseln und schritt zur Tür. Die Versammelten machten ihm hastig Platz. "Du bist ein blinder Narr, Kull", sagte er. "Sonst hättest du mich trotz der Verkleidung nie für diesen anderen Narren, Kuthulos, halten können." Kull erkannte, daß er recht hatte. Zwar hatten die beiden etwa gleiche Größe und Statur, doch war das Fleisch des totenköpfigen Zauberers wie das eines Mannes, der schon lange tot war. Der König hatte keine Furcht wie die anderen, aber er war so überrascht von dieser unerwarteten Wendung, daß er sprachlos auf seinen Feind starrte. Als er schließlich vorwärtssprang wie ein Mann, der aus einem Traum erwacht, griff Brule bereits mit der lautlosen Wildheit eines Tigers an. Seine krumme Klinge blitzte auf, und wie ein Blitz zuckte sie zwischen die Rippen Thulsa Dooms und durchbohrte ihn mit solcher Wucht, daß sie zwischen den Schultern hinausdrang. Brule riß seine Klinge mit einer raschen Drehung aus dem Körper, während er zurücksprang und geduckt abwartete, um erneut anzugreifen, wenn es notwendig sein sollte. Er erstarrte. Nicht ein Tropfen Blut drang aus der Wunde, die für einen Lebenden den Tod bedeutet hätte. Der Totenköp-fige lachte nur. "Es ist schon eine Ewigkeit her, daß ich starb wie alle Sterblichen!" höhnte er. "Nein, ich werde lediglich in eine andere Sphäre ziehen, wenn meine Zeit gekommen ist, nicht eher. Ich -8 3 -
blute nicht, denn meine Adern sind leer, und ich fühle nur ein wenig Kälte, die vorbei sein wird, wenn sich die Wunde schließt. Sie ist bereits dabei, sich zu schließen. Geh zur Seite, Narr, wenn dein Meister Abschied nimmt. Doch ich komme wieder, Kull, dann wirst du schreien und sterben und verrotten vor meinen Augen! Bis dahin, Kull, grüße ich dich!" Und während Brule noch erstarrt zögerte und Kull verblüfft innegehalten hatte, ging Thulsa Doom durch die Tür und verschwand vor ihren Augen. "Zumindest, Kull", sagte Ka-nu später, "habt Ihr den ersten Waffengang mit dem Totenköpfigen für Euch entschieden, wie er selbst zugab. Das nächste Mal müssen wir wachsamer sein, denn er ist der Teufel in Person - ein Meister der Schwarzen, unheiligen Magie. Er haßt Euch, denn er ist ein Vasall der großen Schlange, deren Macht Ihr gebrochen habt. Er besitzt die Gabe der Täuschung und der Unsichtbarkeit wie niemand sonst. Er ist ein furchtbarer und erbarmungsloser Gegner." "Ich fürchte ihn nicht", versicherte ihm Kull. "Beim nächsten Mal wird er mich vorbereitet finden, und mein Schwert wird reden, auch wenn es ihm nichts anzuhaben vermag, wie er behauptet, was ich allerdings nicht glaube. Brule hat nur seine verwundbare Stelle nicht getroffen, die selbst ein lebender Toter haben muß, das ist alles." Dann wandte er sich an Tu. "Lord Tu, es scheint mir, daß auch die zivilisierten Völker ihre Tabus haben, da ich der einzige bin, der den blauen See betreten darf." Verärgert, vor allem, weil Kull der überglücklichen Del-cardes gewährt hatte, zu heiraten, wen sie wollte, erwiderte Tu: "Mein Lord, das ist kein heidnisches Tabu wie jene, vor denen Euer Stamm sich beugt. Es ist vielmehr ein Mittel der Politik, um den Frieden zwischen Valusien und den Seebewohnern zu wahren, die Zauberkräfte besitzen." "Und unsere Tabus bewahren uns davor, die unsichtbaren Geister der Tiger und der Adler in Frieden zu lassen", erklärte Kull. "Ich kann da keinen Unterschied sehen." -8 4 -
"Wie auch immer", warnte Tu, "Ihr müßt Euch vor Thulsa Doom in acht nehmen. Er verschwand in eine andere Dimension. Solange er dort bleibt, ist er unsichtbar und keine Gefahr für uns. Doch er wird wiederkommen." \ "Ah, Kull", seufzte der alte Halunke Ka-nu, "wie schwer j mein Leben doch im Vergleich zu Eurem ist. Brule und ich haben ordentlich gezecht in Zarfhaana, und ich fiel eine Treppe hinab und schrammte mein Schienbein grün und blau - während Ihr Euch den lieben langen Tag auf den Lorbeeren Eurer Regentschaft ausgeruht habt." Kull schenkte ihm nur einen wortlosen Blick, dann drehte er ihm den Rücken zu und beugte sich zu der schlafenden Saremes hinab. "Sie ist kein Zaubergeschöpf, Kull", sagte der Speerkämp-fer. "Sie ist klug und sieht weise aus, aber sie spricht nicht. Und doch fesseln mich ihre Augen und ihre Altehrwürdigkeit. Trotzdem ist sie nur eine Katze, nichts weiter." "Mag sein, Brule", sagte Kull und streichelte bewundernd ihr seidiges Fell, "aber sie ist eine sehr, sehr alte Katze."
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DER SCHÄDEL DER STILLE (The Skull of Silence) Man nennt ihn immer noch den Tag der Furcht des Königs. Denn schließlich war auch Kull, der König von Valusien, nur ein Mensch. Es gab zwar keinen kühneren Mann, aber alles Irdische hat seine Grenzen, selbst der Mut. Natürlich waren Kull auch zuvor Anflüge von Furcht, Erschrecken und Entsetzen vor dem Unbekannten nicht fremd gewesen. Aber solche Gefühle waren nicht mehr als ein flüchtiges Aufflakkern in den Tiefen seines Verstandes, ausgelöst durch das Unerwartete oder etwas Abstoßendes und Unnatürliches -mehr Abscheu also als wirkliche Furcht. Daher übermannte ihn echte Furcht so selten, daß die Menschen diesem Tag, der ihn das Fürchten lehrte, einen Namen gaben. Ja, es gab diesen Tag, an dem Kull wahre Furcht kennenlernte, nackte blinde Furcht, die ihn bis ins tiefste Mark erschütterte und sein Blut gefrieren ließ. Deshalb ist es für die Menschen ein besonderes Ereignis, doch sie sprechen nicht abfällig darüber, noch schämt Kull sich dieser Furcht. Nein, denn als es sich zutrug, gab der König sein Bestes und errang unsterblichen Ruhm. Und so geschah es. Kull saß entspannt auf dem Thron und lauschte ein wenig schläfrig der Unterhaltung zwischen Tu, dem Lordkanzler, Ka-nu, dem piktischen Botschafter, Brule, Ka-nus rechtee Hand, und Kuthulos, dem Sklaven, der zudem der größte Gelehrte der Sieben Reiche war. ."Alles ist Schein", behauptete Kuthulos, "alle äußeren Manifestationen der Wirklichkeit, die jenseits menschlichen Verstehens liegt, da es keine Bezugspunkte gibt, mit deren Hilfe der endliche Geist das Unendliche messen kann. Die eine Realität mag der Ausgangspunkt für alles sein, oder jede natürliche Illusion mag einen eigenen Ausgangspunkt haben. All das wußte Raama, der größte Geist aller Zeiten, der vor Äonen
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die Menschheit aus den Klauen unbekannter Dämonen befreite und die Rasse aus dem Staub emporhob." "Er war ein mächtiger Zauberer." Ka-nu nickte nachdenklich. "Er war kein Magier", erklärte Kuthulos. "Kein Hexer, der unverständliche Zaubersprüche murmelt und aus der Schlangenleber weissagt. Mummenschanz gab es für ihn nicht. Er verstand den Ursprung der Dinge, er kannte die Elemente und wußte, daß natürliche Kräfte, auf die natürliche Ursachen einwirken, auch natürliche Auswirkungen haben. Er brachte seine scheinbaren Wunder durch Anwendung seiner Kräfte auf höchst natürliche Art und Weise zuwege, die für ihn so selbstverständlich waren, wie uns das Entzünden eines Feuers ist, für uns jedoch so unbegreiflich und unvorstellbar, wie es unser Feuer den ersten Menschen gewesen wäre." "Weshalb hat er dann den Menschen nicht alle seine Geheimnisse verraten?" fragte Tu. "Er hatte erkannt, daß es für den Menschen nicht gut ist, zuviel zu wissen. Irgendein Schurke könnte die gesamte Menschheit, ja, das ganze Universum in seine Gewalt bringen, wenn er über Raamas Wissen verfügte. Nein, der Mensch muß langsam lernen, und seine Seele muß damit wachsen." "Und doch sagst du, alles sei Schein?" warf Ka-nu hartnäckig ein. Er war zwar klug, wenn es um die Politik ging, verstand jedoch wenig von Philosophie und Wissenschaft, und war deshalb voll Hochachtung für Kuthulos und seine Weisheit. "Wie kann das sein? Hören und sehen und fühlen wir denn nicht?" "Was sind Bilderund Laute?" konterte der Sklave. "Ist der Laut nicht das Fehlen von Stille? Und ist Stille nicht das Fehlen von Geräuschen? Die Abwesenheit eines Dinges ist kein greifbarer Stoff. Es ist - nichts! Und wie kann Nichts existieren?" "Warum gibt es dann überhaupt Dinge?" fragte Ka-nu verwirrt. "Sie sind Erscheinungen der Wirklichkeit. Wie Stille; irgendwo gibt es die Essenz der Stille, ihre Seele. Ein Nichts, das etwas ist; eine Abwesenheit, die so absolut ist, daß sie stoffliche Form annimmt. Wer von euch hat je absolute Stille erlebt? -8 7 -
Keiner! Immer gibt es irgendwelche Geräusche - das Säuseln des Windes, das Summen eines Insekts, ja selbst das Wachsen des Grases oder das Wispern des Wüstensandes kann man hören. Aber im Mittelpunkt der Stille gibt es keinen Laut." "Raama", warf Ka-nu ein, "hat vor langer, langer Zeit den Geist der Stille in eine große Burg gesperrt und diese für alle Ewigkeit versiegelt." "Ja", stimmte Brule zu. "Ich habe die Burg gesehen. Sie ist ein gewaltiges schwarzes Bauwerk auf einem einsamen Berg in einer wilden Gegend Valusiens. Seit undenklichen Zeiten kennt man sie als den Schädel der Stille." "Ha!" Kulls Interesse war geweckt. "Meine Freunde, ich habe Lust, mir diese Burg anzusehen!" "Lord König", sagte Kuthulos warnend, "es ist gefährlich, mit dem Feuer zu spielen. Raama war weiser als je ein Mensch vor oder nach ihm. Es wird berichtet, daß er mit Hilfe seiner Künste einen Dämon gefangensetzte. Nicht mit Hilfe seiner Künste, behaupte ich, sondern mit seinen Kenntnissen der Naturkräfte, und es war auch gewiß kein Dämon, sondern ein Element, das die Existenz der Rasse bedrohte. Die Macht dieses Elements geht schon allein daraus hervor, daß selbst Raama es nicht vernichten, sondern nur einschließen konnte." "Genug." Kull machte eine ungeduldige Gebärde. "Raama ist schon seit so vielen tausend Jahren tot, daß ich gar nicht darüber nachdenken mag. Ich reite zum Schädel der Stille! Wer kommt mit mir?" Alle, die zugehört hatten, und hundert Rote Reiter, Valusiens kühnste Krieger, begleiteten Kull, als er im Morgengrauen die Residenz verließ. Sie ritten durch das Gebirge von Zalgara, bis sie nach vielen Tagen einen einsamen Berg erreichten, der sich düster von den umliegenden Hochebenen abhob und auf dessen Gipfel eine finstere Burg kauerte.
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"Das ist sie", erklärte Brule. "Im Umkreis von hundert Meilen lebt kein Mensch, noch war die Gegend je besiedelt. Sie wird gemieden, als läge ein Fluch auf ihr." Kull zügelte seinen großen Hengst und blickte hoch. Keiner sprach. Kull war sich der befremdlichen, ja schier unerträglichen Stille bewußt, während er die schwarze Burg betrachtete. Als er redete, zuckten alle unwillkürlich zusammen. Dem König schien es, als strömten die düstere Burg tödliche Strahlen der Stille aus. Keine Vögel zwitscherten ringsum, kein Wind flüsterte in den Zweigen der verkrüppelten Bäume. Als Kulls Reiter den Hang emporritten, hörte sich das Hufgeklapper auf dem felsigen Boden dumpf und wie aus weiter Ferne an, und es verklang ohne Echo. Sie hielten vor der Burg, die wie ein finsteres Untier zu lauern schien. Wieder versuchte Kuthulos den König zurückzuhalten. "Kull, bedenkt! Wenn Ihr das Siegel brecht, setzt Ihr vielleicht ein Ungeheuer frei, dessen furchtbaren Kräften wir nicht mehr Herr zu werden vermögen" Kull schob ihn ungeduldig zur Seite. Widerspruchsgeist und Eigensinn - fast allen Königen eigene Untugenden - beherrschten ihn, und obgleich er gewöhnlich vernünftigen Ratschlägen durchaus zugängig war, beharrte er diesmal hartnäckig auf dem, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. "Lies mir die alten Lettern auf dem Siegel, Kuthulos", befahl er. "Lies sie!" Widerstrebend stieg Kuthulos vom Pferd. Die anderen folgten seinem Beispiel, mit Ausnahme der Soldaten, denen der Schein der bleichen Sonne das Aussehen bronzener Reiterdenkmäler verlieh. Die Burg grinste höhnisch auf sie herab wie ein Totenschädel ohne Augenhöhlen, denn sie hatte keine Fenster, nur eine riesige Eisentür, die verriegelt und versiegelt war. Offenbar bestand das ganze Bauwerk nur aus einem einzigen Raum. Kull gab einige Befehle an die Reiter und war verärgert, daß er seine Stimme mehr als sonst heben mußte, damit seine
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Hauptleute ihn hören konnten. Ihre Antworten kamen gedämpft und kaum verständlich. Dann schritten der König und seine vier Begleiter auf die Tür zu. An einem Rahmen neben der Tür hing ein recht ungewöhnlicher Gong, aus grünem Jade, wie es schien. Aber als Kull den Gong näher betrachtete, war er sich der Farbe nicht mehr sicher, denn sie verschwamm vor seinen Augen und wechselte ständig, so daß er manchmal vermeinte, in große Tiefe zu blicken und manchmal auf seichten Grund. Neben dem Gong hing ein Schlegel aus dem gleichen seltsamen Material. Er nahm ihn in die Hand und schlug damit leicht auf den Gong. Halb taub fuhr er zurück, denn der Klang war von unvorstellbarer Gewalt - als wären alle Geräusche der Welt darin vereint. "Lies die Lettern, Kuthulos", befahl er erneut. Ehrfürchtig beugte sich der Sklave vor, denn zweifellos waren die Worte von dem großen Raama selbst gemeißelt worden. "Was einst war, kann wieder sein", las er laut. "Dann wird die Furcht König über die menschliche Rasse sein!" Er richtete sich auf. Die Angst in seiner Stimme war unverkennbar. "Eine Warnung! Eine Warnung von Raama selbst! Hört auf sie, Kull! Hört auf sie!" Kull lachte verächtlich, zog sein Schwert und schlug damit das Siegel entzwei. Danach hieb er auf den gewaltigen Eisenriegel ein, immer und immer wieder, wobei er sich vage bewußt war, wie leise seine schweren Schläge klangen. Plötzlich gab der Riegel nach. Die Tür schwang auf. Kuthulos schrie. Kull erstarrte - der Raum war leer? Nein! Er sah nichts, es gab nichts zu sehen, dennoch spürte er das Pulsieren der Luft um ihn, als etwas in gewaltigen, unsichtbaren Wellen aus der verfluchten Halle wogte. Kuthulos ergriff seinen Arm. Er schrie, so laut er konnte, doch seine Worte klangen unsagbar dumpf und schwach. "Die Stille! Es ist die Seele der ewigen Stille!" -9 0 -
Jedes Geräusch erstarb. Die Pferde bäumten sich auf und warfen ihre Reiter in den Staub. Die Männer preßten die Hände gegen die Ohren und schrien, doch von ihren Lippen kam kein Laut. Kull stand als einziger aufrecht mit dem nutzlosen Schwert in der Faust. Stille! Vollkommene, absolute Stille! Pulsende, wogende Wellen lautlosen Grauens! Seine Männer brüllten in ihrem Entsetzen, schrien sich die Kehlen wund. Und doch war nichts zu hören! Die Stille drang in Kulls Seele, umklammerte mit Krallenfingern sein Herz, stieß stählerne Klauen in seinen Verstand. Vor unerträglicher Qual preßte er die Hand gegen die Stirn. Sein Kopf schien zu zerspringen. In einer Welle des Grauens, die ihn überschwemmte, sah Kull in blutigem Rot eine schreckliche Vision: Die Stille breitete sich über die Erde, über das ganze Universum aus! Die Menschen starben mit lautlosen Schreien. Das Tosen der Flüsse, das Rauschen der Meere, das Heulen des Windes, alles verstummte, erstarb. Jeglichen Laut erdrückte die Stille; diese Stille, die Schädel bersten ließ, die alles Leben auf der Erde auslöschte und nach den Sternen griff, um auch sie für immer zum Schweigen zu bringen. Das war der Augenblick, da Kull wirkliche Furcht empfand, Grauen und Entsetzen, so mächtig, daß sie die Seele und den Verstand lahmten. Als er diese entsetzliche Vision vor sich sah, schwankte er, taumelte er vor Furcht. 0 ihr Götter! Nur einen einzigen Laut, nur ein leises, winziges Geräusch! Kull riß den Mund auf wie seine lautlos wimmernden Begleiter, und die unmenschliche Anstrengung, seine Qual hinauszuschreien, sprengte schier seine Brust. Die pulsierende Stille verhöhnte ihn. Er hieb mit der Klinge auf den metallenen Türrahmen ein. In immer neuen Wellen wogte die Stille aus der Halle, krallte sich in ihn, zerrte an ihm und spottete seiner, als wäre sie etwas auf schreckliche Weise Lebendiges. -9 1 -
Ka-nu und Kuthulos lagen reglos auf dem Boden. Tu wand sich auf dem Bauch liegend, die Hände an den Kopf gepreßt, mit weitaufgerissenem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Brule wälzte sich wie ein verwundeter Wolf im Staub und krallte seine Finger um seine Schwerthülle. Kull vermochte nun die Gestalt der Stille fast zu erkennen. Die schreckliche Stille, die nach langer Gefangenschaft aus ihrem Schädel quoll, um die Schädel der Menschen zu zerbersten. Sie wand und schlängelte sich in unwirklichen Schleiern und Schatten. Sie lachte ihn aus! Sie lebte! Kull taumelte, fiel - und im Sturz schlug seine ausgestreckte Faust gegen den Gong. Er hörte keinen Laut, aber er spürte ein deutliches Wogen und Zucken der Wellen um ihn, ein leichtes Zurückweichen, unwillkürlich, so wie eine menschliche Hand vor der Glut einer Flamme zurückzucken mochte. Ah, der alte Raama ließ die Welt auch nach seinem Tod nicht ohne Schutz zurück! Kulls wirbelnder Verstand begriff plötzlich das Rätsel. Das Meer! Der Gong war wie das Meer in seinem immer wechselnden Grün, niemals ruhig, manchmal tief, manchmal seicht, niemals still! Die See! Bei Tag und Nacht brandend und donnernd -der Erzfeind der Stille. Ein Schwindelgefühl übermannte ihn. Übelkeit ließ ihn würgen, trotzdem gelang es ihm, den Schlegel zu fassen. Seine Knie gaben nach, doch er hielt sich mit der Linken an dem Metallrahmen fest, während seine Rechte den Stiel wie im Todeskrampf umklammerte. Die Stille wogte voll Grimm um ihn. Sterblicher, du wagst es, dich mir entgegenzustellen, die ich älter als die Götter bin? Bevor es Leben gab, war ich, und ich werde noch sein, wenn alles Leben längst erloschen ist. Vor dem ersten Laut war das Universum still und wird es wieder sein. Denn ich werde hinausströmen in den Kosmos und jeden Laut ersticken ersticken - ersticken - ersticken! Das Brüllen der Stille hallte in Kulls schmerzerfülltem Schädel in immer neuen, unerträglichen Wogen wider, während er den Gong schlug - wieder - und wieder - und wieder! -9 2 -
Und bei jedem Schlag wich die Stille zurück - Fingerbreit um Fingerbreit. Kull schlug mit neuer Kraft. Jetzt konnte er bereits schwach, wie aus unendlicher Ferne über unvorstellbare Abgründe der Stille hinweg, das Hallen des Gongs hören, doch es klang nicht lauter, als klopfte jemand am anderen Ende des Universums mit einem Hufnagel auf eine Silbermünze. Aber bei jeder Schwingung des Tons erzitterte die Stille. Ihre würgenden Arme schrumpften, die Wogen brachen. Die Stille wich. Weiter und weiter, immer weiter zurück, bis sich die Schleier in der Türöffnung wanden, während sich hinter Kull die Männer wimmernd und kraftlos und mit leeren Augen aufzurichten versuchten. Kull riß den Gong aus seinem Rahmen und wankte zur Tür. Für ihn war ein Kampf nicht zu Ende, der nicht entschieden war. Für ihn gab es kein Nachgeben und keine Zugeständnisse. Es genügte nicht mehr, diese Tür wieder zu verschließen und versiegeln. Das ganze Universum hätte innehalten müssen, um mitanzusehen, wie ein Mann allein die Existenz der Menschheit rechtfertigte und zu höchsten Höhen des Triumphes emporklomm. Er stand in der Tür und stemmte sich gegen die Wogen, unablässig den Gong schlagend. Die Höllenkraft dieses grauenvollen Etwas, in dessen letzte Festung er eindrang, raste um ihn. Die ganze Stille befand sich nun wieder in der Kammer und wich Schritt um Schritt vor dem unüberwindlichen Dröhnen des Gongs zurück. Alle Laute, alle Geräusche der Welt waren von jener Meisterhand darin gebannt worden, die schon vor so langer Zeit sowohl den Laut als auch die Stille bezwungen hatte. Und im Herzen ihrer Festung sammelte die Stille noch einmal all ihre Kräfte zu einem letzten Angriff. Höllen aus klangloser Kälte und schweigendem Feuer wirbelten um Kull. Er focht gegen ein Wesen, das stofflich und wirklich war. Stille war die Abwesenheit von Laut, hatte Kuthulos gesagt: Kuthulos, der sich nun wimmernd und ohne Verstand auf dem Boden wälzte. Doch das hier war mehr als Abwesenheit. Eine Abwesenheit von solcher Vollkommenheit, daß ihre Gegenwart greifbar wurde, eine abstrakte Illusion, die stoffliche Wirklichkeit war. Kull wankte -9 3 -
taub, blind, nahezu gefühllos im Ansturm der kosmischen Kräfte, die seine Seele, seinen Körper, seinen Geist zu bezwingen suchten. Von der Stille eingehüllt erstarb das Dröhnen des Gongs erneut. Doch Kull hörte nicht auf. Sein gepeinigtes Gehirn ließ ihn schwanken, doch er stemmte die Füße gegen die Schwelle und schob sich vorwärts. Er stieß auf stofflichen Widerstand, einer Welle aus undurchdringbarem Feuer gleich, heißer als Flammen und kälter als Eis. Doch er preßte vorwärts und spürte, wie das Hindernis langsam nachgab. Fuß um Fuß, Schritt für Schritt kämpfte er sich in die Halle des Todes und trieb die Stille vor sich her. Jeder Schritt war teuflische, mörderische Pein, jeder Fußbreit die Hölle. Den Kopf gesenkt, die Schultern nach vorn gestemmt, die Arme in wildem Rhythmus schlagend, so erkämpfte Kull seinen Weg ins Innere, während große Blutstropfen auf seiner Stirn und seinen Brauen zusammenliefen. Hinter ihm begannen sich die Männer taumelnd zu erheben, schwach noch und schwindlig von der Stille, die ihren Verstand beherrscht hatte. Sie starrten verständnislos auf die Tür, wo ihr König allein die mörderische Schlacht um das Universum focht. Blind kroch Brule vorwärts, das Schwert über den Boden schleifend, noch nicht wieder er selbst, doch von seinen halbverschütteten Instinkten geleitet, dem König zu folgen, und wenn der Weg in die Hölle führte. Kull zwang die Stille zurück, Schritt um mühsamen Schritt, und er spürte, wie sie schwächer wurde, wie sie schrumpfe. Im selben Maße wurde der Gong lauter und lauter, bis er mit seinem Dröhnen die Halle erfüllte, die Erde, den Himmel. Die Stille duckte sich vor ihm, zog sich zusammen, verkroch sich in sich selbst in einer schrecklichen Gestalt, die Kulls Augen sahen - und doch nicht sahen. Sein Arm schien zu erlahmen, doch mit einer gewaltigen Anstrengung verstärkte er die Gongschläge, bis sich die Stille in einer dunklen Ecke wand und kleiner und kleiner wurde. Ein letzter Schlag noch! Alle Geräusche des Universums erklangen zusammen in einer brüllenden, gellenden, schmetternden, alles umtosenden Kakophonie! Der Gong -9 4 -
zerschellte in einer Million schwingender Splitter. Und die Stille schrie!
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DIESE AXT IST MEIN ZEPTER! (By this Axe I Rule) >Meine Lieder sind die Nägel zu des Königs Sarg! < "Um Mitternacht muß der König sterben!" Der Sprecher war groß, hager und dunkelhaarig. Eine krumme Narbe nahe am Mund verlieh ihm ein ungewöhnlich finsteres Aussehen. Die Zuhörer nickten. Ihre Augen funkelten. Vier waren es: ein kleiner dickleibiger Mann mit ängstlichem Gesicht, weichem Mund und vorquellenden Augen, die ihm einen Ausdruck unentwegter Neugier verliehen; ein grimmiger Riese, grobschlächtig und mit dichtem Haarwuchs; ein hochgewachsener, drahtiger Mann in der Kleidung eines Hofnarren, dessen brennende, blaue Augen mit einer Spur von Wahnsinn funkelten; und ein untersetzter Zwerg mit überbreiten Schultern und überlangen Armen. Der erste Sprecher lächelte auf eine frostige Weise. "Laßt uns jetzt den Eid schwören, den keiner brechen kann - den Eid des Messers und des Feuers! Nicht, daß ich euch nicht vertraue. Aber ich halte es für besser, wenn wir einander sicher sein können. Es kommt mir vor, als ob einige es mit der Angst bekämen." "Du hast leicht reden, Ardyon", sagte der kleine, dicke Mann. "Du bist bereits ein Geächteter, auf dessen Kopf ein Preis steht. Du hast nichts mehr zu verlieren. Du kannst nur gewinnen, aber wir ..." "Ihr habt viel zu verlieren und noch viel mehr zu gewinnen", erwiderte der Geächtete ungerührt. "Ihr habt mich aus meinem Unterschlupf in den Bergen geholt, weil ihr mich braucht, euren König zu stürzen. Ich habe den Plan geschmiedet, die Schlinge und den Köder ausgelegt und stehe bereit, die Beute zu töten aber ich muß mir eurer Unterstützung sicher sein. Seid ihr bereit zu schwören?" "Genug des dummen Geredes", rief der Mann mit den brennenden Augen. "Ja, wir werden noch heute schwören, und -9 6 -
wir kommen in der Nacht zum Totentanz für einen König! >0h, zu der Streitwagen Lied und der Geier Flügelschlag. <" "Spar dir deine Lieder für ein andermal auf, Ridondo", sagte Ardyon lachend. "Es ist die Stunde der scharfen Kimgen, nicht der Gesänge." "Mein Lieder sind die Nägel zu des Königs Sarg!" rief der Spielmann und zog einen langen, schmalen Dolch. "Diener, bringt eine Kerze her! Ich werde den Schwur als erster leisten!" Während ein Sklave eine lange, dünne Kerze brachte, ritzte Ridondo sein Handgelenk, daß Blut aus dem Schnitt quoll. Einer nach dem anderen folgten die übrigen seinem Beispiel und hielten die Wunden so, daß das Blut noch nicht tropfen konnte. Dann ergriffen sie einander an den Händen in einem Kreis um die brennende Kerze und drehten ihre Handgelenke, daß die Blutstropfen in die Flamme fielen. Während es zischte und knisterte, sprachen sie: "Ich, Ardyon, ein Verbannter und Geächteter, schwöre mit diesem Bluteid, zu handeln und zu schweigen." "Und ich, Ridondo, der berühmteste Spielmann an den Höfen Valusiens!" rief der Sänger. "Und ich, Ducalon, Graf von Komahar", sagte der Zwerg. "Und ich, Enaros, Kommandant der Schwarzen Legion", grollte der Riese. "Und ich, Kaanuub, Baron von BIaal", krächzte der kleine, dicke Mann mit hoher zittriger Stimme. Die Kerze flackerte und erlosch unter den roten Tropfen. "So erlischt auch das Leben unseres Feindes", sagte Ardyon und gab die Hände der Männer frei. Er musterte sie mit sorgsam verhohlener Verachtung. Als Gesetzloser wußte er, daß Eide keine Versicherung waren, auch nicht solche, die mit Blut besiegelt wurden, doch er wußte auch, daß Kaanuub, dem er am wenigsten traute, abergläubisch war. Es galt, so sicherzugehen, wie es nur möglich war.
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"Morgen", brach Ardyon das Schweigen, "oder besser gesagt, heute, denn es dämmert bereits, wird Brule der Speerkämpfer, die rechte Hand des Königs, zusammen mit Ka-nu, dem piktischen Botschafter, nach Grondar aurbrechen. Begleiten werden sie die piktische Eskorte und eine größere Anzahl der Roten Reiter, der Leibwache des Königs." "Ja", stimmte Ducalon befriedigt zu. "Und war es auch dein Plan, Ardyon, ich habe ihn in die Tat umgesetzt. Ich habe einflußreiche Verwandte im Rat von Grondar. Dadurch war es nicht schwer, den König von Grondar zu bewegen, Ka-nu an seinen Hof zu bestellen. Und da Kull Kanu von allen am meisten schätzt, sorgt er auch für eine sichere Begleitung." Der Geächtete nickte. "Gut. Mit Enaros' Hilfe ist es mir endlich gelungen, einen Hauptmann der Roten Garde zu bestechen. Dieser wird seine Männer heute kurz vor Mitternacht vom königlichen Schlafgemach abziehen. Ein verdächtiges Geräusch oder ähnliches wird Vorwand genug sein. Höflinge werden keine dasein. Dafür ist auch gesorgt. Und wir werden bereit sein. Wir fünf und sechzehn verwegene Kerle, die ich aus den Bergen mitgebracht habe. Sie halten sich in der Stadt versteckt. Einundzwanzig gegen einen .,." Er lachte. Enaros nicke. Ducalon grinste. Kaanuub erbleichte. Ridondo klatschte in die Hände und rief: "Valka! Kein Meister der goldenen Saiten wird diese Nacht je vergessen! Der Sturz des Tyrannen, der Tod des Despoten Überall werden sie meine Lieder singen!" Seine Augen loderten mit einem fanatischen Feuer. Die anderen starrten ihn zweifelnd an, außer Ardyon, der den Kopf senkte, um sein Grinsen zu verbergen. Abrupt stand der Geächtete auf. "Genug! Geht jetzt nach Hause und laßt euch nicht anmerken, was wir vorhaben." Er musterte Kaanuub und zögerte. "Baron, Euer bleiches Gesicht wird Euch verraten. Wenn Kull zu Euch kommt und Euch mit seinen eisgrauen Augen ansieht, sind wir
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alle verloren. Zieht Euch auf Euren Landsitz zurück und wartet auf Nachricht von uns. Zu viert schaffen wir es auch." Kaanuub sank fast in die Knie vor Erleichterung und verabschiedete sich mit dankbarem Gestammel. Die anderen nickten dem Geächteten zu und gingen ebenfalls. Ardyon streckte sich wie eine große Katze und grinste. Er rief einen Sklaven. Ein finster aussehender Kerl erschien, dessen Schulter mit dem Zeichen der Diebe gebrandmarkt war. "Morgen", sagte Ardyon und nahm den Becher entgegen, "morgen werde ich durch die Straßen gehen, und jeder mag mich sehen. Seit Monaten, seit dem Tag, da mich die vier Rebellen aus den Bergen holten, habe ich mich wie eine Ratte verkrochen ... mitten unter meinen Feinden. Ich mußte das Tageslicht meiden, nachts vermummt durch finstere Gassen schleichen und mich noch schwärzerer Wege bedienen, aber ich habe fertiggebracht, was diese vier aufrührerischen, doch angesehenen Männer nicht konnten. Mit ihrer Hilfe und der vieler anderer Handlanger, die mich meist gar nicht zu Gesicht bekamen, habe ich im Herzen des Reiches Unzufriedenheit und Korruption verbreitet. Ich habe Beamte bestochen und aufgewiegelt, das Volk aufgehetzt - kurzum, ohne aus dem Hintergrund hervorzutreten, habe ich den Sturz des Königs eingeleitet, mag er sich in diesem Augenblick auch noch sicher auf seinem Thron wähnen. Ah, mein Freund, bevor Kaanuub und Ducalon mich holten, hatte ich fast vergessen, daß ich Staatsmann war, bevor man mich verbannte." "Ihr habt seltsame Mitstreiter", sagte der Sklave. "Sie haben Schwächen, aber auch ihre Stärken", erwiderte der Geächtete entspannt. "Ducalon zum Beispiel - er ist schlau, mutig, waghalsig und hat Blutsverwandte in höchsten Kreisen, doch er ist bettelarm, seine wenigen Besitzungen sind hoch verschuldet. Enaros - ein wildes Tier, stark und tapfer wie ein Löwe. Er hat ziemlichen Einfluß bei den Soldaten, aber um mehr zu erreichen, fehlt ihm der Verstand. Kaanuub - verschlagen, intrigant, habsüchtig, aber ungeheuer reich, was für meine Pläne -9 9 -
besonders wichtig ist. Ridondo - ein verrückter Spielmann, voll haarsträubender Pläne, mutig, aber launisch. Das Volk liebt ihn wegen seiner Lieder, mit denen er es zum Lachen und Weinen bringt. Wenn unser Plan heute nacht gelingt, wird er für unsere Beliebtheit sorgen." "Und wer besteigt den Thron?" "Kaanuub selbstverständlich - wie er annimmt! Er hat eine Spur königliches Blut, das Blut jenes Königs, den Kull mit eigenen Händen tötete. Ein schwerwiegender Fehler des gegenwärtigen Königs. Er weiß, daß es Männer im Reich gibt, die sich ihrer Abstammung von der alten Dynastie rühmen, doch er läßt sie am Leben. So kommt es, daß Kaanuub um den Thron intrigiert. Ducalon träumt von der einstigen Größe seines Titels und seiner Besitztümer unter dem alten Regime und hofft sie wieder zu erringen. Enaros haßt Kel-kor, den Befehlshaber der Roten Reiter, und hält sich für den geeigneteren Mann. Er wäre gern Befehlshaber der gesamten valusischen Streitkräfte. Und was Ridondo betrifft ... hm! Ein wirklicher Idealist. Er sieht in Kull, dem Ausländer und Barbaren, nur einen blutrünstigen Wilden, der übers Meer kam, um sein friedliches und schönes Land zu erobern. Er hebt den alten König in den Himmel und vergißt, welch ein übler Tyrann er war. Er vergißt die Unmenschlichkeiten, unter denen das Land während seiner Herrschaft zu leiden hatte, und das Volk vergißt es mit ihm. Man singt bereits >Das Klagelied für einen König<, in dem Ridondo den Schurken als Heiligen hinstellt und Kull den >Barbaren mit der schwarzen Seele< nennt. Kull lacht über diese Lieder und läßt Ridondo gewähren, aber gleichzeitig wundert er sich, warum sich das Volk gegen ihn wendet." "Aber warum haßt Ridondo Kull so?" "Weil er ein Dichter ist und weil Dichter immer die Mächtigen hassen und sich in Träume von vergangenen Zeiten flüchten. Ridondo ist eine Fackel des Idealismus und sieht sich selbst als den Helden, den glänzenden Ritter, der auszieht, den Tyrannen zu stürzen." "Und Ihr?" -1 0 0 -
Ardyon lachte und leerte den Becher. "Ich habe so meine eigenen Ideen. Dichter sind gefährlich, weil sie das glauben, was sie singen, wenn es frisch aus dem Herzen kommt. Ich, nun ich glaube, was ich denke. Und ich denke mir, Kaanuub wird den Thron nicht allzu lange halten. Noch vor ein paar Monaten hatte ich nichts anderes mehr im Sinn, als bis an mein Lebensende Dörfer und Karawanen zu überfallen. Jetzt allerdings - nun, wir werden sehen." 2 >Damals war ich der Befreier - heute Ein Raum, der trotz der kostbaren Wandbehänge und der schweren Teppiche auf dem Boden seltsam karg wirkte. Ein kleiner Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß. Dieser Mann wäre unter Millionen aufgefallen. Das lag nicht so sehr an seiner ungewöhnlichen Statur, seiner Größe und seinen mächtigen Schultern, obgleich diese Merkmale den Eindruck verstärkten. Es war sein Gesicht, das mit seiner düsteren Unbewegtheit den Blick auf sich zog, und es waren seine schmalen grauen Augen, die den Willen seines Gegenübers mit ihrer eisigen Kraft bezwangen. Jede seiner Bewegungen, auch die kleinste, verriet stählerne Muskeln und einen Verstand, der sich ihrer zu bedienen wußte. Nichts an seinen Bewegungen war bewußt oder überlegt. Er war entweder im Zustand vollkommener Reglosigkeit - einer Bronzestatue gleich - oder er war in Bewegung, und zwar mit einer katzenhaften Schnelligkeit, der das Auge kaum zu folgen vermochte. Im Augenblick hatte er das Kinn auf die Fäuste gestützt und die Ellenbogen auf den Schreibtisch und blickte düster auf den Mann, der vor ihm stand und gerade damit beschäftigt war, die Riemen seines Brustpanzers zu schließen. Dabei pfiff er geistesabwesend vor sich hin. Das war ein ganz und gar ungewöhnliches Verhalten für einen, der sich in der Gegenwart eines Königs befand. "Brule", sagte der König, "diese Regierungsgeschäfte ermüden mich mehr, als es alle meine Schlachten zusammen getan haben." "Das gehört nun einmal zum Spiel, Kull", antwortete Brule. "Ihr seid der König. Ihr müßt Euch an die Regeln halten." -1 0 1 -
"Ich wollte, ich könnte mit dir nach Grondar reiten", sagte Kull neiderfüllt. "Es ist eine Ewigkeit her, daß ich ein Pferd zwischen den Schenkeln hatte, aber Tu sagt, daß dringliche Angelegenheiten meine Anwesenheit erfordern. Valka verdamme ihn! Ich habe aufgehört, die Monate zu zählen", fuhr er mit wachsendem Grimm fort, als er keine Antwort erhielt, "seit ich das alte Herrschergeschlecht aus dem Palast fegte und den Thron Valusiens bestieg. Davon hatte ich schon geträumt, als ich noch ein kleiner Junge im Land meiner Stammesbrüder war. Und wie einfach war es. Wenn ich jetzt auf den langen harten Weg zurückschaue, kommen mir alle Anstrengungen, Kämpfe und Entbehrungen so fern und unwirklich vor, als hätte ich sie nur geträumt. Und welch ein Aufstieg war es: vom einfachen Jäger in Atlantis zu den lemurischen Galeeren - zwei Jahre an ihre Ruder gekettet -, dann zum Gesetzlosen in den Bergen Valusiens, zum Gefangenen in den Kerkern der Stadt, zum Gladiator in der Arena, zum Soldaten der valusischen Armee, zu ihrem Befehlshaber, schließlich zum König! Mein Fehler, Brule, war, daß ich nicht zu Ende träumte. Ich sah mich immer nur den Thron erobern. Darüber blickte ich nicht hinaus. Als König Borna tot vor meinen Füßen lag und ich die Krone von seinem blutigen Kopf riß, hatte ich die fernste Grenze meiner Träume erreicht. Von da an war alles trügerisch und falsch. Ich hatte nie mehr gewollt, als einen Thron zu erobern, nicht darauf zu sitzen. Als ich Borna stürzte, damals jubelte mir das Volk zu. Damals war ich der Befreier - heute murren sie hinter meinem Rücken und blicken finster hinter mir her. Sie spucken auf meinen Schatten, wenn sie glauben, daß ich es nicht sehe. Von Borna, dem toten Schwein, haben sie eine Statue im Tempel der Schlange aufgestellt und bejammern, daß ihr großer geheiligter König von einem blutrünstigen Barbaren erschlagen worden ist. Als ich als Krieger ihre Armeen zum Sieg führte, da sahen sie -1 0 2 -
über die Tatsache hinweg, daß ich ein Fremder bin. Aber jetzt können sie es mir nicht verzeihen. Und jetzt kommen sie in den Tempel der Schlange gekrochen, um Räucherwerk zu Bornas Andenken zu entzünden ... Männer, die seine Henker geblendet und verstümmelt haben, Väter, deren Söhne in seinen Kerkern ein Ende fanden, Ehemänner, deren Frauen in seinem Harem verschwanden. Pah! Die Menschen sind alle Narren." "Dafür ist hauptsächlich Ridondo verantwortlich", erklärte der Pikte und schnürte den Schwertgurt um ein Loch enger. "Die Lieder, die er singt, machen das Volk verrückt. Hängt ihn in seinen Narrenkleidern auf den höchsten Turm der Stadt. Laßt ihn Reime für die Geier schmieden." Kull schüttelte die Löwenmähne. "Nein, Brule. Er steht außerhalb meiner Gewalt. Ein großer Dichter steht über dem höchsten König. Er haßt mich, dennoch wäre ich gern sein Freund. Seine Lieder sind mächtiger als mein Zepter, denn immer wieder hat er mich zutiefst bewegt, wenn er für mich sang. Ich werde sterben und vergessen sein. Seine Lieder werden ewig leben." Der Pikte zuckte die Schultern. "Wenn Ihr es so wollt. Ihr seid der König, und das Volk kann Euch nicht absetzen. Die Roten Reiter stehen wie ein Mann hinter Euch, zusammen mit dem ganzen Piktenreich. Wir sind beide Barbaren, wenn wir auch den größten Teil unseres Lebens in diesem Land verbracht haben. Ich muß jetzt gehen. Ihr habt nichts zu befürchten, außer einem Dolch im Rücken, was so gut wie unmöglich ist, weil Tag und Nacht eine Abteilung Rote Reiter für Eure Sicherheit sorgt." Kull hob grüßend die Hand, und der Pikte schritt mit schweren Schritten aus dem Raum. Ein anderer Mann wartete bereits auf eine Audienz, was Kull erneut zu Bewußtsein brachte, daß die Zeit eines Königs seinen Untertanen gehörte. Es war ein junger Edelmann aus der Stadt mit Namen Seno val Dor. Dieser berühmte Schwertkämpfer und Draufgänger erschien in einem Zustand deutlicher Verstörtheit vor dem König. -1 0 3 -
Seine Samtkappe war zerknittert, und als er sie fallen ließ, während er sich auf die Knie warf, hing die große Feder traurig herab. Seine kostbaren Kleider waren schmutzig, so als wäre ihm in seiner tiefen Verzweiflung seine äußere Erscheinung seit Tagen gleichgültig gewesen. "König, o mein Lord König", sagte er aus tiefster Seele, "um der ruhmreichen Taten meiner Familie willen, Majestät, und um meiner Treue willen, flehe ich Euch an, gewährt mir in Valkas Namen eine Bitte." "Nenne sie." "Mein Lord König, ich liebe ein Mädchen. Ohne sie kann ich nicht mehr leben. Ohne mich wird sie sterben. Ich kann nicht mehr essen und nicht mehr schlafen, weil ich immer an sie denken muß. Ihre Schönheit verfolgt mich am Tag und in der Nacht - das strahlende Bild ihrer Lieblichkeit ..." Kull bewegte sich unruhig. Er war nie verliebt gewesen. "Dann heirate sie doch, in Valkas Namen!" "Ah!" rief der Jüngling. "Das geht ja nicht! Sie ist eine Sklavin. Sie heißt Ala und gehört Ducalon, dem Grafen von Komahar. In den schwarzen Gesetzbüchern Valusiens steht geschrieben, daß ein Edelmann keine Sklavin ehelichen darf. Das war schon immer so. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und doch immer nur die gleiche Antwort erhalten. Edelleute können niemals Sklaven heiraten. Es ist schrecklich. Sie sagen, daß es noch nie in der langen Geschichte des Reiches vorgekommen ist, daß ein Edelmann eine Sklavin heiraten wollte. Gibt es keinen Weg für mich? Ich wende mich an Euch als meine letzte Hoffnung." "Und verkauft dieser Ducalon sie nicht?" "Doch, aber das würde wenig ändern. Sie wäre dann noch immer eine Sklavin, und man darf ebensowenig seine eigene Sklavin heiraten. Und ich will sie nur als mein Weib. Alles andere wäre nur eine Verhöhnung unserer Liebe. Ich möchte sie der Welt zeigen, geschmückt und gewandet wie es einer Gemahlin val Dors geziemt. Aber das ist nur möglich, wenn Ihr mir helfen -1 0 4 -
könnt. Sie wurde als Sklavin geboren, als Kind von Sklaven, deren Vorfahren seit hundert Generahonen Sklaven sind. Sie wird eine Sklavin sein, so lange sie lebt, und ihre Kinder ebenso. Daher darf sie keinen Freien heiraten." "Dann werde selbst ein Sklave", schlug Kull vor und beobachtete den Jüngling scharf. "Das wollte ich", erwiderte Seno so aufrichtig, daß Kull ihm sofort glaubte. "Ich ging zu Ducalon und sagte zu ihm: >Ihr besitzt eine Sklavin, die ich liebe. Ich möchte sie heiraten. Nehmt mich als Euren Sklaven, so daß ich ihr nah sein kann.< Entsetzt schlug er mir meinen Wunsch ab. Er wollte mir das Mädchen verkaufen, ja, sie mir schenken, aber er wollte mich nicht als Sklaven nehmen. Und mein Vater hat den Bluteid geschworen, mich zu töten, wenn ich die Schande der Sklaverei über den Namen val Dor brächte. Nein, mein Lord König, nur Ihr könnt mir noch helfen." Kull rief nach Tu und legte ihm den Fall dar. Tu, der oberste Berater, schüttelte den Kopf. "In den großen eisengebundenen Büchern steht es geschrieben, so wie Seno es gesagt hat. Es war immer Gesetz und wird es auch immer sein: Einer von edlem Geschlecht darf sich nicht verbinden mit einem Sklaven." "Kann ich dieses Gesetz nicht ändern?" fragte Kull. Tu legte eine Steintafel vor ihn auf den Tisch, in die das Gesetz gemeißelt war. "Seit Tausenden von Jahren besteht dieses Gesetz. Seht her, Kull, die ersten Gesetzgeber schrieben es in Stein nieder, vor so vielen Jahrhunderten, die ein Mann im Verlauf einer ganzen Nacht nicht zählen könnte. Weder Ihr noch ein anderer König besitzt die Macht, es zu ändern." Kull fühlte plötzlich wieder das unerträgliche Gefühl völliger Hilflosigkeit, wie so oft in letzter Zeit. Es schien ihm, daß Regentschaft nur eine andere Art der Sklaverei war. Er hatte sich immer mit seinem Schwert durchgesetzt und erschlagen, wer sich ihm in den Weg stellte. Wie konnte er sich gegen besorgte und respektvolle Freunde behaupten, die sich vor ihm -1 0 5 -
verbeugten, ihm schmeichelten und sich gegen jede Neuerung sträubten; die sich und ihre alten Bräuche hinter Tradition und Unantastbarkeit verschanzten und ihm jede Änderung verwehrten? "Geh", sagte er mit einer müden Handbewegung. "Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen." Seno val Dor verließ den Raum mit hängendem Kopf und gebeugten Schultern, mit leerem Blick und schlurfenden Schritten. Er war ein gebrochener Mann. 3 >Ich hielt Euch für einen Tiger in Menschengestalt! <" Ein kühler Wind strich durch den Wald. Das silberne Band eines Baches wand sich zwischen den Stämmen mächtiger Bäume dahin, um die sich starke Schlinggewächse und blühende Kletterpflanzen rankten. Ein Vogel sang, und das weiche Licht der Spätsommersonne drang durch das dichte Laubwerk und streute ein Licht- und Schattenmuster wie von goldenem und schwarzem Samt auf den grasbewachsenen Waldboden. Inmitten dieser idyllischen Stille lag ein Sklavenmädchen. Sie hatte ihr Gesicht auf die weißen Arme gedrückt und weinte, als ob ihr kleines Herz brechen würde. Die Vögel sangen, doch sie war taub dafür; die Bäche murmelten ihr fröhlich zu, doch sie war stumm; die Sonne schien so wunderschön, doch sie war blind das ganze Universum war ein schwarzer Abgrund, in dem es nur Schmerz und Tränen gab. Deshalb hörte sie auch die leisen Schritte nicht und sah den großen, breitschulterigen Mann nicht, der aus dem Buschwerk trat und neben ihr stehenblieb. Sie wurde sich seiner Anwesenheit erst bewußt, als er sich niederkniete und sie aufrichtete. Mit Händen, die so behutsam wie die einer Frau waren, wischte er ihr die Tränen aus den Augen. Das Sklavenmädchen blickte in ein dunkles unbewegtes Gesicht hoch, dessen eisige graue Augen wundersam sanft waren. An seinem Aussehen konnte sie erkennen, daß der Mann kein Valusier war, und in diesen unsicheren Zeiten bedeutete es für ein Sklavenmädchen nichts Gutes, allein im Wald von einem -1 0 6 -
fremden Mann, noch dazu einem Ausländer, überrascht zu werden, doch sie war zu unglücklich, sich zu fürchten, zudem sah der Mann freundlich aus. "Was ist denn geschehen, Kind?" fragte er, und weil eine verzweifelte Frau meist jedem ihr Herz ausschüttet, der mitfühlend Anteil nimmt, schluchzte sie: "Oh, ich bin so unglücklich. Ich liebe einen jungen Edelmann ..." "Seno val Dor?" "Ja, Herr." Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Woher wißt Ihr das? Er möchte mich heiraten, und nachdem bisher alle Versuche, die Erlaubnis zu erlangen, fehlgeschlagen sind, begab er sich heute zum König. Aber der König wollte ihm auch nicht helfen." Die Miene des Fremden verdüsterte sich. "Hat Seno gesagt, daß der König nicht wollte?" "Nein, der König rief seinen obersten Ratgeber und sprach mit ihm. Und dann fügte er sich seinem Rat. Oh", schluchzte sie, "ich wußte, es würde umsonst sein! Die Gesetze Valusiens sind für alle Ewigkeit geschrieben. Wie grausam und ungerecht sie auch sein mögen, kümmert niemand. Sie sind sogar mächtiger als der König." Das Mädchen konnte spüren, wie sich die Muskeln der Arme, die sie hielten, anschwollen und zu eisernen Strängen verhärteten. Ein düsterer Ausdruck der Resignation trat in das Gesicht des Fremden. "Ja", murmelte er, mehr zu sich selbst, "die Gesetze Valusiens sind mächtiger als der König." Daß sie sich aussprechen konnte, hatte ihr ein wenig geholfen. Sie trocknete ihre Tränen. Sklavenmädchen sind Sorgen und Leid gewöhnt. Dieses Mädchen hatte es allerdings das ganze Leben lang ungewöhnlich gut gehabt. "Haßt Seno den König jetzt?" fragte der Fremde. Sie schüttelte den Kopf. "Er weiß, daß dem König die Hände gebunden sind." -1 0 7 -
"Und du?" "Was meint Ihr?" "Haßt du den König?" Sie riß erschrocken die Augen auf. "Ich! Oh, Herr, wer bin ich denn, daß Ihr das denkt? Ich hab' nie an so etwas gedacht ..." "Darüber bin ich froh", sagte der Mann ernst. "Denn der König, kleines Mädchen, ist nur ein Sklave wie du, der noch schwerere Ketten zu tragen hat." "Der arme Mann", sagte sie mitleidig, obgleich sie die Worte nicht ganz verstand. Dann brach es zornig aus ihr hervor: "Aber ich hasse die grausamen Gesetze, denen die Menschen gehorchen müssen! Warum dürfen sich Gesetze nicht ändern? Die Zeit bleibt auch nicht stehen! Warum müssen die Menschen heute unter Gesetzen leiden, die für unsere barbarischen Vorfahren vor Tausenden von Jahren gegolten haben ..." Sie brach plötzlich ab und sah sich furchtsam um. "Erzählt es niemandem", flüsterte sie und drückte ihren Kopf bittend an seine Schulter. "Es geziemt sich nicht für eine Frau, und schon gar nicht für eine Sklavin, so offen über solche Dinge ihre Meinung zu sagen. Ich werde sicherlich bestraft, wenn meine Herrin oder mein Herr davon erfahren." Der große Mann lächelte. "Sei ohne Sorge, Kind. Auch der König würde dich für deine Worte nicht bestrafen. Ich glaube sogar, daß er denkt wie du." "Habt Ihr denn den König selbst gesehen?" fragte sie mit kindlicher Neugier, die ihren Kummer für den Augenblick verdrängte. "Oft." "Und ist er wirklich acht Fuß groß?" fragte sie hastig. "Und hat er Hörner unter seiner Krone, wie die Leute sagen?" "Kaum", sagte er lachend. "Zu deiner Beschreibung seiner Größe fehlen ihm fast zwei Fuß. Und was seine Statur betrifft, so könnte er mein Zwillingsbruder sein. Es gibt nicht einen Zoll Unterschied zwischen uns." -1 0 8 -
"Ist er so freundlich wie Ihr?" "Manchmal, wenn er sich nicht mit Staatsgeschäften herumschlagen muß, deren Sinn er nicht verstehen kann, und mit den Eigenheiten eines Volkes, das ihn niemals verstehen wird." "Ist er wirklich ein Barbar?" "Durch und durch. Er wurde in Atlantis geboren, wo er unter heidnischen Barbaren aufwuchs. Er hatte einen Traum, und er machte ihn wahr. Weil er ein starker Krieger war, der mit dem Schwert umzugehen wußte, weil er in den Schlachten siegreich war und die Barbarensöldner in der valusischen Armee ihn liebten, wurde er König. Weil er aber ein Krieger und kein Staatsmann ist und weil all seine Schwertkunst ihm nun nichts mehr nützt, ist sein Thron ins Wanken geraten." "Und ist er sehr unglücklich?" "Nicht immer", erwiderte der große Mann lächelnd. "Manchmal, wenn er sich allein davonstiehlt und ein paar Stunden Erholung in den Wäldern sucht, ist er beinah glücklich. Besonders, wenn er ein hübsches Mädchen findet, wie ..." Das Mädchen schrie erschrocken auf und sank vor ihm auf die Knie. "Oh, Majestät, verzeiht mir! Ich wußte es nicht. Ihr seid der König!" "Hab keine Angst." Kull kniete erneut neben ihr nieder und legte seinen Arm um ihren zitternden Körper. "Du hast selbst gesagt, ich wäre freundlich ..." "Ja, das seid Ihr, Majestät", flüsterte sie mit erstickter Stimme. "Ich hielt Euch für einen Tiger in Menschengestalt nach allem, was die Leute sagen, aber Ihr seid gütig und freundlich ... a-aber ... Ihr seid der CKönig, und ich ..." Überwältigt von ihrer Verlegenheit und Verwirrung sprang sie plötzlich auf und floh und war zwischen den Büschen verschwunden. Die Erkenntnis, daß es der König gewesen war, dem sie ihre erbärmlichen Sorgen anvertraut hatte, erfüllte sie mit solcher Scham, daß sie aus purem Entsetzen die Flucht ergriff. -1 0 9 -
Kull seufzte und erhob sich. Die Staatsgeschäfte riefen ihn. Er mußte zurückkehren und mit Problemen ringen, die ihm fremd waren und deren Lösung er sich nicht einmal vorstellen konnte. 4 >Wer stirbt als erster? < Zwanzig Gestalten schlichen durch die nächtliche Stille, die sich auf die Gänge und Hallen des Palastes gesenkt hatte. Sie trugen weiches Lederschuhwerk, das weder auf den dikken Teppichen noch auf den Marmorplatten Geräusche verursachte. Die Fackeln in den Nischen der Hallenwände spiegelten sich rötlich auf blankem Dolch, auf Schwertklinge und scharfgeschliffenem Axtblatt. "Leise. Leise, verdammt!" zischte Ardyon und blieb stehen, um sich nach seinen Gefährten umzusehen. "Hört mit dem lauten Geschnaufe auf, wer immer es ist! Der Hauptmann der Nachtwache hat dafür gesorgt, daß keine Posten in diesen Hallen stehen. Die meisten von ihnen sind zu betrunken dazu. Die übrigen folgten seinem Befehl. Dennoch müssen wir vorsichtig sein. Unser Glück ist es, daß diese verdammten Pikten - diese blutgierigen Wölfe - entweder in ihrer Botschaft lungern oder unterwegs nach Gron-dar sind. Psst! In Deckung da kommt die Wache!" Sie verschwanden hinter einer gewaltigen Säule, hinter der sich ein ganzes Regiment verbergen hätte können, und warteten. Fast im gleichen Augenblick marschierte eine Abteilung von zehn Männern vorbei - hochgewachsene, muskulöse Männer, Statuen aus Eisen gleich in ihrem roten Rüstzeug. Sie waren schwer bewaffnet. Verwunderung sprach aus manchem Gesicht. Der Anführer war totenblaß, sein Mund ein schmaler Strich. Als sie an der Säule vorbeikamen, hinter der sich die Eindringlinge verbargen, hob er die Hand, um den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er war jung, und der Verrat am König fiel ihm nicht leicht. Mit dem leiser werdenden Klirren von Waffen und Rüstzeug verschwanden sie in einem der Gänge. .
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"Gut!" Ardyon lachte unterdrückt. "Er hat Wort gehalten. Kulls Schlafkammer ist unbewacht! Beeilt euch, wir müssen rasch handeln. Wenn sie uns auf frischer Tat erwischen, ist es aus mit uns, aber einen toten König werden sie rasch vergessen. Vorwärts!" "Ja, vorwärts!" rief Ridondo. Sie stürmten durch den Korridor und hielten keuchend vor einer Tür. "Hier ist es!" stieß Ardyon hervor. "Enaros, brich die Tür auf!" Der Riese warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Beim zweitenmal brachen knirschend die Riegel. Das Holz splitterte. Die Tür sprang auf und krachte nach innen. "Hinein!" brüllte Ardyon mit entflammter Mordlust. "Hinein!" kreischte Ridondo. "Tod dem Tyrannen ..." Sie erstarrten mitten im Schritt. Kull stand vor ihnen - kein nackter, im Schlaf überraschter Kull, kein verwirrtes, unbewaffnetes Opfer, sondern ein wacher, grimmiger Kull, bereits halb angekleidet mit dem Rüstzeug eines Roten Reiters und mit einer langen Klinge in der Faust. Kull hatte an Schlaflosigkeit gelitten und war kurz zuvor aufgestanden. Er hatte vorgehabt, den Offizier der Wache in sein Gemach zu bitten und sich mit ihm eine Weile zu unterhalten. Doch ein Blick durch das Guckloch der Tür hatte ihm gezeigt, daß dieser mit seinen Männern abzog. Der ewig mißtrauische Verstand des Barbarenkönigs sah dafür augenblicklich nur eine Erklärung: Verrat! Er dachte keinen Augenblick daran, die Männer zurückzurufen, denn aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie an der Verschwörung beteiligt. Es gab keinen anderen Grund für den Abmarsch. Kull verlor keine Zeit. In aller Eile begann er die Rüstung anzulegen, die immer in seiner Kammer bereitlag, als Ena-ros sich das erstemal gegen die Tür warf. Einen Atemzug lang war die Szene erstarrt - die vier adeligen Rebellen in der Tür und die sechzehn Mordgesellen hinter ihnen und in der Mitte des königlichen Schlafgemachs der schweigende -1 1 1 -
kampfbereite Riese, der ihnen mit seinen schrecklichen grimmlodernden Augen den ersten Mut geraubt hatte. Doch dann rief Ardyon: "Auf ihn! Macht ihn nieder! Er steht gegen zwanzig, und er trägt keinen Helm!" Das stimmte, dafür war nicht mehr genug Zeit gewesen, so wie jetzt keine Zeit mehr war, den großen Schild von der Wand zu nehmen. Dennoch war Kull besser geschützt als jeder der Meuchelmörder, mit Ausnahme Enaros' und Ducalons, die ihm in voller Rüstung mit geschlossenem Visier gegenüberstanden. Mit einem Gebrüll, das von der Decke widerhallte, stürmten die Verschwörer in den Raum. Allen voran kam Enaros mit gesenktem Kopf wie ein angreifender Stier. Er hielt die Klinge tief für einen tödlichen Stoß in den Unterleib. Und Kull sprang ihm wie ein reißender Tiger entgegen. Er legte all seine Kraft und sein ganzes Gewicht in den Arm, der die Klinge führte. Mit einem singenden Laut kam das große Schwert herab und schmetterte auf den Helm des Gegners. Schwert und Helm zersprangen, und Enaros sackte leblos zu Boden, während Kull mit dem klingenlosen Griff in der Faust zurücksprang. o "Enaros!" knurrte er, als der zerschmetterte Helm den zerschmetterten Schädel erkennen ließ. Dann waren die übrigen heran. Er spürte eine Dolchspitze über seine Rippen gleiten und schleuderte den Angreifer mit dem linken Arm zur Seite. Er schlug einem anderen den Rest seiner Klinge zwischen die Augen, daß er besinnungslos und blutüberströmt zu Boden sank. "Vier von euch, bewacht die Tür!" schrie Ardyon. Er fürchtete, Kull könnte mit seiner gewaltigen Kraft und Flinkheit durchbrechen und entkommen. Vier seiner Gesetzlosen lösten sich aus dem Ring und bauten sich vor der einzigen Tür auf. Zur gleichen Zeit sprang Kull zur Wand zurück und riß eine alte Streitaxt herab, die dort schon seit hundert Jahren hängen mochte. Mit dem Rücken zur Wand starrte er ihnen einen Augenblick lang entgegen, dann sprang er mitten unter sie. Es war nicht seine Art, auf einen Angriff zu warten. Er bestimmte den Kampf. Ein -1 1 2 -
Axthieb durchtrennte die Schulter eines Gegners, ein fürchterlicher Rückhandstreich zerschmetterte den Schädel eines zweiten. Ein Schwert zerbrach an seinem Brustpanzer. Ohne diesen hätte er längst in seinem Blut gelegen. Es galt vor allem auf den ungeschützten Kopf zu achten und auf die Stellen zwischen Brust- und Rückenpanzer. Es brauchte mehr Zeit, eine valusische Rüstung anzulegen, als er gehabt hatte. Er blutete bereits an der Wange und an den Armen und Beinen, doch so blitzschnell und tödlich waren seine Angriffe, daß seine Widersacher trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zögerten, aus ihrer Deckung herauszugehen. Außerdem behinderten sie sich gegenseitig. In einem Augenblick drangen sie mit wilden Hieben auf ihn ein, im nächsten wichen sie zurück und umringten ihn stechend und parierend, und die Toten, die sie vor Kulls Füßen ließen, waren stummer Beweis für die Tollkühnheit ihres Versuchs. "Feiglinge!" schrie Ridondo außer sich vor Wut. Er riß die Kappe vom Kopf und schleuderte sie von sich. Seine Augen glühten zornig. "Weicht ihr dem Kampf aus? Wollt ihr, daß der Despot am Leben bleibt? Auf ihn!" Er stürmte vor und stieß wild zu. Kull, der ihn erkannte, zerschmetterte mit einem wuchtigen kurzen Axthieb die Klinge und versetzte dem Sänger einen Stoß, der ihn zurücktaumeln und zu Boden stürzen ließ. Da gelang es Ardyon, sein Schwert in des Königs Arm zu stoßen. Er duckte sich unter Kulls Axthieb und konnte sein Leben nur durch einen hastigen Sprung nach hinten retten. Einer der Mordgesellen stürzte sich auf Kulls Beine, um ihn zu Fall zu bringen, aber nachdem er sich einen Augenblick lang scheinbar gegen eine Statue aus Eisen gestemmt hatte, stierte er gerade noch rechtzeitig hoch, um die herabsausende Axt zu sehen, aber nicht mehr rechtzeitig genug, ihr noch ausweichen zu können. In der Zwischenzeit hatte einer seiner Gefährten mit seinem Schwert in beiden Händen weit ausgeholt und all seine Kraft in den Hieb gelegt. Die Klinge zerhieb den Schulterpanzer des Königs und drang in die Schulter darunter. Augenblicklich war Kulls Brustpanzer voll Blut. -1 1 3 -
Ducalon drängte sich in wilder Ungeduld nach vorn, wobei er seine Mitstreiter zur Seite stieß. Er hackte mit dem Schwert nach Kulls ungeschütztem Kopf. Kull duckte sich, daß die Klinge knapp über ihn hinwegzuckte und nur ein Büschel Haare durchhieb. Sich unter den Schwertstreich eines Zwerges wie Ducalon zu ducken war schwierig für einen Mann von Kulls Größe. Kull wirbelte auf der Ferse herum und schwang die Axt aus der Seite in einem weiten flachen Bogen, einem angreifenden Wolf gleich. Ducalon sackte mit zerschmetterter linker Seite in einem Sturzbach von Blut zu Boden. "Ducalon!" sagte der König heftig atmend. "Den Zwerg würde ich selbst in der Hölle wiedererkennen ..." Er richtete sich auf, um dem Angriff Ridondos zu begegnen. Von aller Vernunft verlassen stürmte der Sänger mit nicht mehr als einem Dolch in der Faust auf ihn zu. Kull hob die Axt und sprang einen Schritt zurück. "Ridondo!" rief er in scharfem Ton. "Bleib stehen! Dich möchte ich nicht verletzen ..." "Stirb, Tyrann!" kreischte der Spielmann von Sinnen und warf sich auf den König. Kull zögerte mit dem Hieb, den er vermeiden wollte, bis es zu spät war. Erst als er den Stahl in seine ungeschützte Seite dringen spürte, hieb er in blinder Verzweiflung zu. Ridondo stürzte mit zerschmettertem Schädel, und Kull stolperte an die Wand zurück. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, die er auf die Wunde preßte. "Jetzt oder nie! Gebt ihm den Rest!" brüllte Ardyon. Kull lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und hob seine Axt. Er bot einen schrecklichen Anblick. Das Urbild des Kriegers. Er stand mit weit gespreizten Beinen. Mit einer blutigen Hand stützte er sich an der Wand, mit der anderen hatte er die Axt zum Hieb erhoben. Seine grimmigen Gesichtszüge waren zu einer Maske des Hasses verzerrt. Die eisigen Augen loderten durch Schleier von Blut. Die Männer zögerten. Der Tiger mochte dem Tod nahe
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sein, aber er war noch immer stark genug, einige mit sich zu nehmen. "Wer stirbt als erster?" knurrte Kull zwischen blutigen Lippen hervor. Ardyon sprang ihn wie ein Wolf an. Noch im Sprung krümmte er sich mit der unglaublichen Flinkheit, für die er bekannt war, und ließ sich zu Boden fallen, um dem Tod zu entgehen, der in Gestalt einer blutigen Axt auf ihn zuraste. Hastig rollte er zur Seite und brachte seine Beine in Sicherheit, als Kull sich von der Wucht des Hiebes ins Leere fing und erneut ausholte. Diesmal sank die Axt knapp neben Ardyons wirbelnden Beinen vier Zoll tief in den polierten Holzboden. Da wagte ein anderer den Angriff, und die übrigen folgten ihm halbherzig. Der erste hatte gedacht, er könnte Kull erreichen und ihn niederstrecken, bevor dieser die Axt aus dem Holz bekam, doch hatte er den König unterschätzt oder seinen Entschluß einen Atemzug zu spät gefaßt, denn die Axt fuhr hoch und herab, und das blutige Zerrbild einer menschlichen Gestalt flog vor ihre Füße. In diesem Augenblick war das hastige Klirren von Schritten von der Halle her zu hören, und die Schurken an der Tür riefen: "Soldaten kommen!" Ardyon fluchte, und seine Männer verließen ihn wie Ratten ein sinkendes Schiff. Sie liefen in die Halle hinaus - blutend und hinkend zu einem guten Teil -, und draußen im Gang erklang Rufen, worauf die Verfolgung begann. Abgesehen von den toten oder sterbenden Männern auf dem Boden befanden sich Kull und Ardyon allein im königlichen Schlafgemach. Kulls Knie drohten nachzugeben. Er lehnte sich schwer gegen die Wand und beobachtete den Geächteten mit dem Blick eines sterbenden Wolfs. Selbst in dieser ausweglosen Lage verlor Ardyon seinen Zynismus nicht. "Alles scheint verloren zu sein, vor allem die Ehre", murmelte er. "Jedoch, der König stirbt aufrecht, und ..." Keiner vermag zu sagen, welche Überlegungen ihm noch durch den Kopf gingen, -1 1 5 -
denn er lief plötzlich auf Kull zu, gerade als dieser sich mit seiner Axthand das Blut aus den Augen wischte. Ein Mann mit gezückter Klinge vermag rascher zuzustoßen, als ein unvorbereiteter Verwundeter mit einer Axt zuschlagen kann, die wie Blei in seiner müden Faust liegt. Doch gerade als Ardyon zum tödlichen Stoß ansetzte, erschien Seno val Dor in der Tür und schleuderte etwas, das blitzte, surrte und sich tief in Ardyons Kehle grub. Der Geächtete taumelte, ließ sein Schwert fallen und sank vor Kulls Füßen nieder, die sich vom pulsierenden Blutstrom aus der durchtrennten Schlagader röteten - als stummer Beweis für Senos Geschicklichkeit im Umgang mit Waffen, wozu auch Messerwerfen gehörte. Kull starrte verwirrt auf den toten Meuchelmörder hinab, und Ardyons gebrochene Augen stierten scheinbar höhnisch zurück, als hätte der überraschende Tod ihn um die letzte Erkenntnis betrogen: daß alles zu Ende war. Während Seno den König stützte, füllte sich der Raum mit Bewaffneten in der Uniform der val Dor-Familie, und Kull bemerkte, daß ein schüchternes Sklavenmädchen seinen anderen Arm hielt. "Kull, Kull, seid Ihr tot?" Val Dors Gesicht war sehr blaß. "Noch nicht", erwiderte der König heiser. "Kümmert Euch um die Wunde an meiner linken Seite. Wenn ich sterbe, dann davon. Sie ist tief - Ridondos Abschiedslied! -, die anderen sind nicht tödlich. Stillt das Blut für den Augenblick. Es gibt noch etwas zu tun." Sie gehorchten verwundert, und als kein Blut mehr floß, spürte Kull, obgleich er bereits leichenblaß war, ein wenig seiner Kraft zurückkehren. Der gesamte Palast war inzwischen auf den Beinen. Hofdamen, Lords, Soldaten, Ratgeber liefen aufgeregt herum. Die Roten Reiter sammelten sich schäumend vor Grimm und zu allem bereit. Nur schwer ertrugen sie, daß nicht sie, sondern andere ihrem König beigestanden hatten. Der junge Offizier, der die Wache an der Tür befehligt hatte, war in der Dunkelheit entkommen, und alle Anstrengungen, ihn aufzuspüren, blieben erfolglos. -1 1 6 -
Kull, der sich noch immer starrköpfig auf den Beinen hielt, ergriff mit einer Hand seine Axt und Senos Schulter mit der anderen, wandte sich Tu zu, der händeringend dastand, und befahl: "Bringt mir die Steintafel, auf der das Gesetz über die Sklaven geschrieben steht." "Aber, Lord König ..." "Tut, was ich sage!" schrie Kull und hob die Axt. Tu eilte hastig aus dem Raum. Während er wartete und die Hofdamen seine Wunden verbanden und sanft aber vergeblich seine eisernen Finger von dem blutigen Axtstiel zu lösen versuchten, lauschte Kull Senos aufgeregten Worten. "... Ala belauschte Kaanuub und Ducalon bei einer Verschwörung ... Sie hatte sich in einer kleinen Nische verkrochen, um ihren ... unseren Kummer zu beweinen. Da kam Kaanuub auf seinem Weg zu seinem Landsitz vorbei. Er zitterte aus Angst, daß ihre Pläne schiefgehen könnten, und er wollte mit Ducalon noch einmal alles besprechen, um sicherzugehen, daß sie nichts übersehen hatten. Er verließ das Haus erst spät am Abend, so daß auch Ala so lange warten mußte, bis sie sich davonschleichen und zu mir kommen konnte. Es ist ein weiter Weg von Ducalons Haus zum Wohnsitz der val Dors, ein weiter Weg für ein kleines Mädchen zu Fuß, und obgleich ich sofort meine Männer zusammenrief und hierhereilte, wären wir fast zu spät gekommen." Kull drückte seine Schulter. "Ich werde es dir nicht vergessen." Tu kam mit der Gesetzestafel herein und legte sie ehrfürchtig auf den Tisch. Kull schob alle zur Seite, die um ihn herumstanden, und stand aus eigener Kraft. "Hört mich, Volk von Valusien", rief er. Nur seine raubtierhafte Zähigkeit hielt ihn aufrecht. "Ich stehe vor euch - ich, euer König. Ich bin dem Tode nahe, aber das bin ich nicht zum erstenmal. -1 1 7 -
Hört meine Worte! Ich bin dieses Amtes müde! Ich bin nicht König, sondern ein Sklave! Gesetze, Gesetze und wieder Gesetze sind es, die mir die Hände binden! Ich kann weder Schurken bestrafen noch meine Freunde belohnen, weil mich Gesetze, Sitten und Traditionen daran hindern. Bei Valka, in Zukunft werde ich nicht nur dem Namen nach König sein! Hier stehen die beiden, die mein Leben gerettet haben. Von nun an soll kein Gesetz sie daran hindern, zu heiraten, wenn sie es wünschen." Seno und Ala flogen einander mit einem Jubelruf in die Arme. "Aber das Gesetz!" kreischte Tu. "Ich bin das Gesetz!" brüllte Kull und schwang seine Axt hoch. Sie schmetterte herab, und die Steintafel zersprang in hundert Scherben. Die Anwesenden rangen vor Entsetzen die Hände und warteten ergeben, daß der Himmel über ihren Köpfen einstürze. Kull wankte zurück. Seine Augen funkelten vor Entschlossenheit, auch wenn der Raum vor seinem Blick zu verschwimmen drohte. "Ich bin der König, das Reich und das Gesetz!" donnerte er und ergriff das stabförmige Zepter, das vor ihm lag. Er zerbrach es in zwei Teile und warf es von sich. "Dies wird mein Zepter sein!" Er schwang die gerötete Axt hoch, daß ein Schauer von Blutstropfen über die bleichen Höflinge spritzte. Kull nahm die schmale Krone in die linke Hand und lehnte sich an die Wand, als die Beine allein ihn nicht mehr tragen wollten. Doch in seinen Armen lag immer noch die Kraft des Löwen. "Ich bin entweder König oder tot!" brüllte er, und seine mächtigen Muskeln spannten sich und seine Augen blitzten. "Wenn euch das nicht gefällt, so kommt und holt euch die Krone!" Mit der sehnigen Linken hielt er ihnen die Krone entgegen, mit der Rechten hob er drohend die Axt. "Diese Axt ist mein Zepter! Sie ist das Zeichen meiner Herrschaft! Ich habe mich nach Kräften bemüht, der Marionettenkönig zu sein, als den ihr mich haben wolltet, und auf eure Art zu regieren. Von nun an tue ich es auf meine Weise. Wenn ihr nicht kämpfen wollt, werdet ihr gehorchen. Gerechte -1 1 8 -
Gesetze sollen bleiben, solche, die veraltet sind, werde ich zerschmettern, so wie ich dieses zerschmettert habe. Ich bin der König!" Einer nach dem anderen beugten die blassen Höflinge und die angsterfüllten Damen das Knie und neigten in Furcht und Verehrung das Haupt vor dem über und über blutbefleckten Riesen, der in grimmigem Triumph auf sie hinabblickte. . "Ich bin der König!"
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NUR EINEN GONGSCHLAG LANG (The Striking of the Gong) Irgendwo in der heißen roten Finsternis begann ein Pochen. Es war ein pulsierender Rhythmus, lautlos, doch fühlbar in der atemlosen Stille. Der Mann bewegte sich. Er tastete blind um sich und setzte sich auf. Zuerst vermeinte er, auf den hohen, gleichmäßigen Wellen eines schwarzen Meeres dahinzutreiben, auf Wogen, die in stumpfer Gleichförmigkeit auf und ab rollten, was ihm beinah körperlichen Schmerz bereitete. Er spürte das Pulsieren und Pochen in der Luft und streckte die Hände aus, als könnte er die Schwingungen festhalten. Aber war das Pochen wirklich in der Luft um ihn - oder in seinem Kopf? Er konnte es nicht sagen, und ein phantastischer Gedanke durchzuckte ihn das Gefühl, in seinem eigenen Schädel eingeschlossen zu sein. Das Pulsieren ließ nach und schwand. Er preßte die Hände gegen seine schmerzenden Schläfen und versuchte sich zu erinnern. Erinnern? Woran? "Das ist seltsam", murmelte er. "Wer oder was bin ich? Was ist das für ein Ort? Was ist geschehen, und weshalb bin ich hier? Bin ich schon immer hier gewesen?" Er stand auf und wollte sich umsehen. Vollkommene Dunkelheit umgab ihn. Er kniff die Augen zusammen, doch er vermochte nicht den kleinsten Lichtschimmer auszumachen. Er streckte die Arme aus und setzte wie ein Blinder vorsichtig Fuß vor Fuß. Licht suchte er, so instinktiv wie eine Pflanze. "Das kann einfach nicht alles sein", grübelte er. "Es muß auch etwas anders geben - aber was ist anders als dies? Licht! Ja, ich erinnere mich an Licht, aber ich kann mich nicht entsinnen, was Licht ist. Ganz gewiß kenne ich eine Welt, die anders ist als diese." Weit entfernt entstand ein schwacher, grauer Schimmer. Er eilte darauf zu. Der Schimmer breitete sich aus, bis der Mann den Eindruck hatte, einen langen, sich stetig erweiternden Korridor
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entlangzugehen. Dann stand er mit einemmal im blassen Sternenlicht und spürte den kalten Wind in seinem Gesicht. "Das ist Licht", murmelte er. "Aber das ist noch nicht alles." Er empfand und er erkannte das Gefühl, sich in atemberaubender Höhe zu befinden. Hoch über ihm, doch auch um ihn und unter ihm, funkelten und glitzerten wie in einem majestätischen kosmischen Ozean die kalten Sterne. Er runzelte nachdenklich die Stirn, als er diese Pracht bewunderte. Dann wurde ihm bewußt, daß er nicht allein war. Eine große, undeutliche Gestalt hob sich gegen den Sternenhimmel ab. Instinktiv fuhr seine Hand an seine linke Seite - und sank schlaff herab. Er war nackt und ohne Waffe. Die Gestalt kam näher. Es war ein Mann, ein sehr alter Mann offenbar, auch wenn seine Züge in dem trügerischen Licht kaum zu erkennen waren. "Du bist neu hier?" fragte er mit einer tiefen, klaren Stimme, die wie der Schlag eines Jadegongs klang. Bei diesem Klang wurden Erinnerungen in dem Mann lebendig, der die Stimme hörte. Verwirrt rieb er sich das Kinn. "Jetzt entsinne ich mich", sagte er. "Ich bin Kull, König von Valusien - aber was tue ich hier, nackt und waffenlos?" "Niemand kann etwas mitnehmen durch dieses Tor", erwiderte der andere rätselhaft. "Denke nach, Kull von Valusien. Weißt du nicht mehr, wie du hierhergekommen bist?" "Ich stand an der Tür zum Ratssaal", überlegte Kull, "und ich entsinne mich, daß die Wache auf dem äußeren Turm den Gong schlug, um die volle Stunde zu verkünden, da ging der helle Klang des Gongs plötzlich in einem lauten, schmetternden Lärm unter. Alles wurde dunkel, und rote Funken sprühten kurz vor meinen Augen. Dann erwachte ich in einer Höhle oder einer Art Korridor, ohne mich an irgend etwas zu erinnern." "Du bist durch das Tor geschritten. Dahinter scheint es immer dunkel zu sein."
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"Dann bin ich wohl tot? Bei Valka! Ein Feind muß mir hinter einer der Säulen im Palast aufgelauert und mich niedergestreckt haben, als ich mich mit Brule, dem Pikten, unterhielt." "Ich habe nicht gesagt, daß du tot bist", erwiderte die Gestalt. "Vielleicht ist das Tor nicht ganz geschlossen. Es wäre nicht das erstemal." "Aber wo bin ich hier? Im Paradies oder in der Hölle? Es ist .nicht die Welt, in der ich geboren wurde. Und diese Sterne - ich habe sie nie zuvor gesehen. Die Sternbilder sind großartiger und leuchtender als alle, die ich kenne." "Sie sind Welten jenseits der Welten, Universen innerhalb und außerhalb von Universen", erklärte der Alte. "Dies ist nicht die Welt, auf der du geboren wurdest. Du befindest dich in einem anderen Universum, ohne Zweifel in einer anderen Dimension." "Dann bin ich ganz sicherlich tot." "Was ist der Tod anderes als ein Durchschreiten der Ewigkeiten und ein Überqueren der kosmischen Meere? Doch ich habe nicht gesagt, daß du tot bist." "Aber wo, in Valkas Namen, bin ich dann?" brüllte Kull, dessen Geduld erschöpft war. "Dein barbarischer Verstand klammert sich an stoffliche Gegebenheiten", erwiderte der andere ruhig. "Welche Rolle spielt es, wo du dich befindest oder ob du tot bist, wie du es nennst? Du bist Teil des großen Lebensmeeres, das an alle Ufer spült, und du bist überall, hier wie dort, Teil von ihm, und wirst schließlich zu seiner Quelle, dem Schoß allen Lebens, zurückfließen. Glaube mir, du bist für alle Ewigkeiten an das Leben gebunden, wie es ein Baum, ein Stein, ein Vogel oder eine Welt ist. Wie kannst du es den Tod nennen, wenn nicht mehr geschieht, als daß du deinen unbedeutenden Planeten, deine ungeschlachte Form verlassen mußt?" "Aber ich habe immer noch meinen Körper." "Ich habe nicht gesagt, daß du tot bist, wie du es nennst. Was das betrifft, magst du dich noch immer auf deinem kleinen Planeten aufhalten. Welten in Welten, Universen in Universen. -1 2 2 -
Es gibt Dinge, die sind zu klein oder zu groß für die menschliche Vorstellungskraft. Jedes Sandkorn auf dem Strand von Valusien trägt unzählige Universen in sich und ist selbst als ein Ganzes ein Teil des großen Planes aller Universen, wie die Sonne, die du kennst. Dein Universum, Kull von Valusien, ist vielleicht ein Sandkorn am Strand eines anderen mächtigen Königreiches. Du hast die Grenzen der stofflichen Schranken durchbrochen. Vielleicht bist du nun in einem Universum, das eines der Edelsteine an dem Mantel bildet, den du auf Valusiens Thron getragen hast. Und das Universum, das du kennst, ist Teil des Spinnennetzes dort im Gras vor deinen Füßen. Ich sage dir, Größe und Raum und Zeit sind relativ und existieren nicht wirklich." "Bist du ein Gott?" fragte Kull neugierig. "Wissen und Weisheit machen noch keinen Gott", erwiderte der Alte fast ungeduldig. "Sieh!" Eine schattenhafte Hand deutete auf die Sterne, die wie herrliche Juwelen glitzerten. Kull sah, daß sie sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit veränderten, daß Bilder und Muster in stetem Fluß wechselten. "Auch die Sterne, die du für so beständig hältst, verändern sich in ihren eigenen Zeitablauf, so rasch wie die Rassen der Menschen entstehen und vergehen. Während wir sie hier beobachten, kriechen Lebewesen auf jenen, die Planeten sind, aus dem Urschlamm und erklimmen die langen und beschwerlichen Leitern zu Kultur und Weisheit und sterben mit ihren zerfallenden Welten. Alles ist Leben und Teil des Lebens. Für sie vergehen Milliarden von Jahren, für uns nur ein Augenblick. So ist das Leben." Kull beobachtete fasziniert, wie einzelne Sterne und gewaltige Sternbilder aufglühten und verblichen, während andere, genauso strahlend, ihre Stelle einnahmen, um den gleichen Weg zu gehen. Da überschwemmte ihn plötzlich erneut die heiße, rote Finsternis und löschte die Sterne aus. Wie durch einen dichten Nebel hörte er das vertraute Klirren von Schwertern. -1 2 3 -
Dann stand er taumelnd auf den Beinen. Im hellen Schein der Sonne, der wie geschmolzenes Gold durch breite Fenster fiel, sah er die hohen Marmorsäulen und Mauern des Königspalasts. Hastig tastete er an sich hinab und berührte Kleider und ein Schwert an der Seite. Er war voll Blut. Ein rotes Rinnsal floß aus einer leichten Schläfenwunde. Doch der größte Teil des Blutes an seinen Gliedern und seinem Gewand war nicht sein eigenes. Zu seinen Füßen lag in einer roten Lache, was einst ein Mann gewesen war. Das Schwerterklirren, das er gehört hatte, war verstummt bis auf das Echo von den Wänden. "Brule! Was ist los? Was ist geschehen? Wo bin ich gewesen?" "Ihr wart auf einer Reise, die fast im Reich des Totenkönigs geendet hätte", erwiderte der Pikte mit einem grimmigen Lächeln, während er seine Klinge säuberte. "Dieser Meuchelmörder lauerte Euch hinter einer Säule auf und sprang Euch wie ein Panther an, als Ihr Euch in der Tür umgewandt habt, um mit mir zu reden. Wer immer diesen Anschlag ausgeheckt hat, muß große Macht besitzen, daß ein Mann bereit ist, für ihn in den sicheren Tod zu gehen. Hätte sich das Schwert in seiner Hand nicht gedreht und Euch nur gestreift, dann wärt Ihr jetzt mit einem gespaltenen Schädel unter ihm, statt hier zu stehen und über eine harmlose Fleischwunde zu grübeln." "Aber das liegt doch gewiß schon Stunden zurück", meinte Kull. Brule lachte. "Euer Kopf ist noch nicht klar, Kull. Von dem Augenblick an, da er sprang und Ihr fielt, bis zu jenem, da ich ihm das Herz durchbohrte, ist nicht genug Zeit verstrichen, daß man die Finger einer Hand zählen könnte. Und während Ihr in seinem und in Eurem Blut auf dem Boden gelegen habt, verging gewiß nicht mehr als vielleicht zweimal diese Spanne. Tu ist noch nicht einmal mit dem Linnen zum Verbinden zurück, das er sofort holen lief, als er Euch fallen sah." "Ja, du hast recht", gab Kull zur Antwort. "Ich verstehe es nicht aber gerade bevor sein Schwert mich traf, hörte ich den Gong
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die volle Stunde schlagen, und ich konnte ihn noch immer hören, als ich wieder zu mir kam. Brule, Dinge wie Zeit oder Raum gibt es nicht. Ich habe die längste Reise meines Lebens gemacht und Millionen Jahre gelebt, während der Gong nur ein einziges Mal schlug."
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VERSCHWÖRUNG BEI NACHT (Swords of the Purple Kingdom) l Verschwörung hinter verschlossenen Türen Unheimliche Stille lag wie ein erdrückendes Gespinst über der uralten Stadt Valusien. Die Hitze flimmerte über den glänzenden Dächern und zwischen den glatten Marmormauern. Die purpurnen Türme und ihre goldenen Spitzen schimmerten durch einen Dunstschleier. Kein Hufgeklapper auf den breiten, gepflasterten Straßen brach die schläfrige Stille, und die wenigen Bewohner, die zu Fuß unterwegs waren, gingen hastig ihren Geschäften nach und verschwanden rasch wieder in ihren Häusern. Valusien schien eine Geisterstadt zu sein. Kull, der König von Valusien, schob die dünnen Vorhänge beiseite und blickte über das goldene Fenstersims hinaus auf den Hof mit seinen plätschernden Brunnen, den geschnittenen Hecken und gestutzten Bäumen und über die hohe Mauer auf die leeren Fenster der Häuser. "Ganz Valusien verschwört sich hinter verschlossenen Türen, Brule", brummte er. Sein Gefährte, ein bronzegesichtiger Krieger von mittelgroßer, muskulöser Statur, grinste schwach. "Ihr seid zu argwöhnisch, Kull. Die meisten treibt nur die Hitze in die Häuser." "Aber sie intrigieren", beharrte Kull. Er war ein großer, breitschultriger Barbar mit dem idealen Körperbau eines Kämpfers: einem mächtigen Brustkorb und schmalen Hüften. Kalte, graue Augen lagen unter dichten, schwarzen Brauen. Seine Züge verrieten seine Herkunft, denn Kull, der Usurpator, war ein Atlanter. "Stimmt, sie intrigieren. Aber intrigiert das Volk nicht immer, ganz gleich, wer auf dem Thron sitzt? Und diesmal würde man es ihnen sogar verzeihen, Kull." "Ja." Der Hüne zog die Brauen finster zusammen. "Weil ich ein Fremder bin. Der erste Barbar auf dem valusischen Thron seit -1 2 6 -
Anbeginn der Zeit. Als ich noch Befehlshaber ihrer Streitkräfte war, sahen sie über den Umstand meiner atlantischen Herkunft hinweg. Aber jetzt werfen sie ihn mir vor - mit Blicken und Gedanken wenigstens." "Was kümmert es Euch? Ich bin hier so fremd wie Ihr. Das Volk ist über die Jahrtausende zu schwach geworden, sich selbst zu regieren, deshalb haben Fremde die Macht an sich gerissen. Ein Atlanter sitzt auf dem Thron, unterstützt von allen Piktenstämmen, den ältesten und mächtigsten Verbündeten des Reiches; der Hof wimmelt von Ausländern, und die Armee von Barbarensöldnern; und die Roten Reiter - nun, sie sind zwar Valusier, aber sie gehören den Bergstämmen an, die sich als eigenständiges Volk betrachten." Kull zuckte ungeduldig die Schultern. "Ich weiß, was das Volk denkt, und mit welchem Grimm und mit welchem Widerwillen sich die mächtigen alten valusischen Familien in meine Herrschaft fügen. Ich komme nicht dagegen an. Dabei ging es ihnen unter Borna, einem Valusier und direkten Nachkommen der alten Dynastie, wesentlich schlechter als unter mir. Aber das ist der Preis, den ein dahinsiechendes Reich zahlen muß: Die starken jungen Völker kommen und nehmen es auf die eine oder andere Weise in Besitz. Ich habe neue Armeen aufgestellt, Söldner rekrutiert und Valusien ein wenig seines alten Glanzes wiedergegeben. Man sollte meinen, ein Barbar auf dem Thron, der die Scherben zusammenhält, wäre besser als hunderttausend, die plündernd und mordend durch die Straßen ziehen und alles in Schutt und Asche legen. Denn das wäre unter ihrem König Borna längst geschehen. Das Königreich zerfiel, und an den Grenzen lauerten sie bereits darauf, allen voran die Grondarianer, die einen Eroberungszug von gewaltigem Ausmaß vorbereiteten ... Aber ich tötete Borna mit eigener Hand in jener grimmigen Nacht, als ich die Rebellen in den Kampf führte. Damit schuf ich mir ein paar Feinde, aber es dauerte keine sechs Monate, und die Macht war fest in meinen Händen, das Reich geeint, der Dreibund gegen Valusien zerschlagen und die Angriffslust der -1 2 7 -
Grondarianer gebrochen. Jetzt träumt Valusien friedlich vor sich hin und plant in aller Ruhe meinen Sturz. Dabei gab es keine Hungersnot, seit ich die Krone trage, die Lagerhäuser sind bis obenhin mit Getreide gefüllt, die Handelsschiffe bersten vor Fracht, die Geldbeutel der Kaufleute sind prall gefüllt, und die Menschen werden fett - und trotz allem murren sie und fluchen und spucken auf meinen Schatten. Was wollen sie mehr?" Der Pikte grinste und erwiderte mit bitterem Spott: "Einen neuen Borna! Einen blutigen Tyrannen! Aber laßt sie undankbar sein. Ihr habt diesen Thron nicht ihretwegen erobert, und Ihr regiert das Reich nicht für sie. Ihr habt vielmehr den Traum Eures Lebens wahrgemacht, und Ihr habt den Thron fest in der Hand. Laßt sie murren und ihre Ränke schmieden. Ihr seid der König." Kull nickte in grimmiger Entschlossenheit. "Ich bin der König dieses purpurnen Königreiches! Und ich werde der König bleiben, bis ich aufhöre zu atmen und meine Seele den langen Weg in das Schattenreich antritt. Was gibt es?" Ein Sklave verbeugte sich tief. "Die Tochter des mächtigen Hauses bora Ballin, Nalissa, begehrt eine Audienz, allerhöchste Majestät." Des Königs Miene verdüsterte sich. "Ein neuer Versuch, mich für ihre verdammten Heiratsabsichten zu gewinnen", sagte er seufzend zu Brule. "Es ist besser, wenn du gehst." Und zu dem Sklaven: "Laß sie eintreten." Kull saß in einem samtbezogenen Sessel und betrachtete Naiissa. Sie war erst etwa neunzehn Jahre alt, und in der kostbaren, doch spärlichen Art, in der sich valusische Edeldamen kleideten, bot sie einen hinreißenden Anblick, dem sich selbst der Barbarenkönig nicht entziehen konnte. Ihre Haut war wunderbar weiß, was sie zu einem guten Teil den vielen Bädern in Milch und Wein, aber hauptsächlich einer natürlichen, vererbten Schönheit verdankte. Ein zartes Rosa tönte ihre Wangen, und ihre Lippen waren voll und rot. Schmale schwarze Brauen schwangen sich über ein Paar sanfter, dunkler, -1 2 8 -
unergründlicher Augen, und alles umrahmte dichtes, lockiges, schwarzes Haar, das zum Teil von einem schmalen Goldreif zusammengehalten wurde. Naiissa kniete zu Füßen des Königs nieder, nahm seine schwieligen Finger in ihre sanften, schlanken Hände und blickte mit großen und bittenden Augen zu ihm auf. Von allen Menschen im Königreich war Naiissa die einzige, deren Blick Kull auswich, denn ihre Augen waren von einer geheimnisvollen und lockenden Tiefe. Sie ahnte bereits ein wenig von ihrer Macht, dieses verzogene und verwöhnte Aristokratenkind, aber sie war noch zu jung, um sich ihrer ganzen Wirkung bewußt zu sein. Doch Kull war ein guter Menschenkenner, und er erkannte mit einigem Unbehagen, daß Naiissa, wenn sie erst erwachsen war, ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor am Hof und im Reich sein würde, zum Guten oder zum Schlechten. "O Majestät", flehte sie weinend wie ein kleines Kind, das ein Spielzeug haben möchte, "bitte laßt mich Dalgar von Far-sun heiraten. Er ist jetzt valusischer Bürger, wird am Hof hochgeschätzt, wie Ihr selbst sagt. Warum ..." "Ich habe dir schon gesagt", erklärte der König geduldig, "daß es mir völlig gleichgültig ist, wen du heiratest, diesen Dalgar oder Brule oder den Teufel! Aber dein Vater wünscht nicht, daß du diesen farsunischen Abenteurer heiratest, und ..." "Aber Ihr könnt ihn dazu zwingen!" rief sie. "Die Familie bora Ballin gehört zu den Treuesten der Krone", erwiderte der Atlanter. "Und dein Vater, Murom bora Ballin, zählt zu meinen engsten Freunden. Als ich ein Gladiator ohne Freunde war, bot er mir seine Freundschaft an. Er lieh mir Geld, als ich noch einfacher Soldat war, und er stand mir zur Seite, als ich nach dem Thron griff. Und wenn es meine rechte Hand kostete, ich würde ihn nicht zu etwas zwingen, das ihm so sehr widerstrebt, oder mich in seine Familienangelegenheiten einmischen." Nalissa hatte noch nicht gelernt, daß manche Männer durch keine weibliche Taktik umzustimmen sind. Sie bettelte, -1 2 9 -
schmeichelte und schmollte. Sie küßte Kulls Hände, weinte an seiner Brust, setzte sich auf seinen Schoß und rührte hundert Gründe an. Das brachte ihn alles recht in Verlegenheit, nützte jedoch nichts. Kull war voller Mitgefühl, blieb jedoch eisern. Auf all ihre Bitten und Schmeicheleien hatte er nur eine Antwort: Daß die Sache ihn nichts anginge, daß ihr Vater besser wüßte, was gut für sie ist, und daß er, Kull, sich da auf keinen Fall einmischen würde. Schließlich gab Naiissa auf und verließ den König mit gesenktem Kopf und schleppenden Schritten. Als sie aus dem königlichen Gemach kam, begegnete sie ihrem Vater, der auf dem Weg zum König war. Murom bora Ballin, der den Grund für den Besuch seiner Tochter beim König leicht erriet, sagte nichts. Doch der Blick, den er ihr zuwarf, tat beredt genug kund, daß sie noch ein Nachspiel erwarten würde. Das Mädchen stieg traurig in die wartende Sänfte und haderte mit der Welt, die soviel Leid auf ein einzelnes Mädchen häufen konnte. Dann fing sie sich, als andere Gefühle aus ihr hervorbrachen. Ihre Augen blitzten aufrührerisch, und sie gab einen kurzen Befehl an die Sklaven, die ihre Sänfte trugen. Graf Murom stand inzwischen vor dem König, und seine Züge waren eine Maske förmlicher Höflichkeit. Kull empfand sie schmerzlich. Förmlichkeit herrschte zwischen ihm und allen seinen Untertanen und Verbündeten, ausgenommen dem Pikten Brule und dem Botschafter Ka-nu, aber diese steife Förmlichkeit war ein neuer Zug an Graf Murom, und Kull erriet auch den Grund. "Eure Tochter war bei mir, Graf", sagte er ohne Umschweife. "Ja, Majestät." Es klang gleichmütig und höflich. "Ihr wißt wahrscheinlich, weshalb. Sie will Dalgar von Farsun heiraten." Der Graf verneigte sich würdevoll. "Wenn Eure Majestät es wünschen, bedarf es nur eines Wortes." Seine Züge verhärteten sich. -1 3 0 -
Kull erhob sich bekümmert und schritt zum Fenster. Er blickte erneut auf die schläfrige Stadt hinaus. Ohne sich umzudrehen sagte er: "Nicht für ein halbes Königreich würde ich mich in Eure Familienangelegenheiten mischen oder Euch zu etwas zwingen, das Euch so tief zuwider ist." Im nächsten Augenblick war der Graf an seiner Seite. Seine Förmlichkeit war fortgewischt. Seine Augen leuchteten. "Majestät, ich habe unrecht von Euch gedacht. Ich hätte wissen müssen ..." Er machte Anstalten niederzuknien, doch Kull hinderte ihn daran. Der König grinste. "Seid unbesorgt, Graf. Eure persönlichen Angelegenheiten sind Eure eigene Sache. Da müßt Ihr meine Hilfe nicht befürchten. Aber ich könne Eure Hilfe brauchen. Eine Verschwörung liegt in der Luft. Ich kann die Gefahr riechen, so wie ich in jungen Jahren die Nähe eines Tigers im Dschungel oder einer Schlange im hohen Gras gespürt habe." "Meine Spitzel haben überall in der Stadt herumgehorcht, Majestät", berichtete der Graf, und seine Augen glänzten vor Tatendrang. "Das Volk murrt, weil es unter jedem Herrscher murrt. Aber ich war bei Ka-nu in der Botschaft. Er will Euch warnen, daß Geld und Kräfte jenseits der Grenzen am Werk sind. Er sagte, er wüßte nichts Genaues, aber seine Pikten entlockten einem betrunkenen Diener des veruli-schen Botschafters einige Hinweise - sehr vage Hinweise auf einen Handstreich, den die Regierung plant." Kull schüttelte den Kopf. "Die verulische Falschheit ist sprichwörtlich. Doch Gen Dala, der verulische Botschafter, ist über jeden Zweifel erhaben." "Das ist ihren Plänen um so dienlicher. Wenn er nichts davon weiß, was seine Regierung vorhat, wird alles um so unverdächtiger erscheinen." i "Aber worauf ist Verulien aus?" fragte Kull. "Gomlah, ein entfernter Verwandter König Bornas, floh dorthin, als Ihr die alte Dynastie gestürzt habt. Wenn Ihr sterbt, würde Valusien auseinanderfallen. Die Streitkräfte wären ohne -1 3 1 -
Führung. Alle Verbündeten außer den Pikten würden Valusien den Rücken kehren. Die Söldner, die nur Euch gehorchen, würden sich gegen das Reich wenden, dann wäre es eine leichte Beute für das erste starke Land, das die Grenzen überschreitet. Gomlah wäre ein ausgezeichneter Grund für einen Einmarsch und eine ebenso gute Marionette auf dem valusischen Thron ..." J "Das ist mir klar", knurrte Kull. "Ich verstehe mehr vom| Kämpfen als von der Politik, aber ich erkenne die Gefahr. Der erste Schritt muß also meine Beseitigung sein, nicht wahr?" "Ja, Majestät." Kull lächelte und streckte seine mächtigen Arme. "Mir wird das Regieren ohnehin ein wenig langweilig dann und wann." Seine Finger spielten mit dem Knauf des großen Schwertes, das er immer gegürtet trug. "Tu, oberster Ratgeber der Krone, und Dondal, sein Neffe", verkündete ein Sklave, und zwei Männer traten ein. Tu, der oberste Ratgeber, war ein stattlicher Mann von durchschnittlicher Größe und mittleren Alters, der mehr den Eindruck eines Kaufmannes denn das eines Beraters erweckte. Sein Haar war gelichtet, sein Gesicht faltig und von einer Miene steten Argwohns geprägt. Alter und Verantwortung hatten ihn gezeichnet. Obgleich von niederer Geburt, hatte er sich mit unvergleichlichem Geschick und Intrigen nach oben gekämpft. Er hatte bereits drei Königen gedient, bevor Kull kam, und das hatte seine Spuren hinterlassen. Sein Neffe Dondal war ein schlanker, geckenhafter Jüngling mit scharfen, dunklen Augen und einem freundlichen Lächeln. Seine wichtigste Tugend war, daß er schweigsam war und nie etwas weitererzählte, das ihm am Hof zu Ohren kam. Nur aus diesem Grund gewährte man ihm Zutritt an Orten, die ihm sonst trotz seiner Verwandtschaft mit Tu verschlossen geblieben wären. "Es handelt sich nur um eine unbedeutende Angelegenheit, Majestät", erklärte Tu. "Diese Bewilligung zum Ausbau eines neuen Hafens an der Westküste. Wollen Eure Majestät hier unterzeichnen?" -1 3 2 -
Kull schrieb seinen Namen unter das Dokument. Tu zog eine Siegelring aus seinem Gewand hervor, den er an einer dünnen Kette um den Hals trug, und brachte das Siegel an. Kein anderer Ring auf der ganzen Welt war diesem gleich, und Tu trug ihn bei Tag und Nacht bei sich. Außer den Anwesenden im königlichen Gemach gab es keine vier Männer auf der Welt, die wußten, wo der Ring aufbewahrt wurde. 2 Rätsel Die Stille des Tages war fast unmerklich in die Lautlosigkeit der Nacht übergegangen. Der Mond stand noch nicht am Himmel, und die winzigen silbernen Sterne spendeten kaum Licht, als würde ihr Glanz von der Hitze verschluckt, die noch immer vom Boden emporstieg. In einer verlassenen Straße erklang hallend der Hufschlag eines einzelnen Pferdes. Falls Augen aus den leeren Fenstern den nächtlichen Reiter beobachteten, blieben sie verborgen. Nichts verriet, ob sie erkannt hatten, daß es Dalgar von Farsun war. Der junge Farsunier war voll gerüstet. Ein leichter Panzer bedeckte seinen geschmeidigen, muskulösen Körper. Er trug einen Helm, und er erweckte den Eindruck, als wüßte er mit dem langen, schmalen, am Griff mit Edelsteinen verzierten Schwert umzugehen. Die mit einer roten Rose verzierte Schärpe um seine gepanzerte Brust schmälerte keineswegs das Bild von Männlichkeit, das er bot. Während des Rittes warf er einen Blick auf die zerknüllte Nachricht in seiner Hand, die in valusischen Schriftzeichen folgendes besagte: "Um Mitternacht, mein Geliebter, in den Verdammten Gärten jenseits der Mauern. Wir werden zusammen fliehen." Eine aufregende Botschaft. Dalgars Mund verzog sich zu einem Lächeln, während er sie las. Nun, ein wenig romantischer Überschwang mußte man einem jungen Mädchen nachsehen, um so mehr, als er selbst nicht ganz frei davon war. Er konnte die Verabredung kaum erwarten. In der Morgendämmerung würde er mit seiner zukünftigen Braut bereits weit jenseits der verulischen -1 3 3 -
Grenze sein. Dann mochte Graf Murom bora Ballin toben wie er wollte, und mochte sich die ganze valusische Armee auf ihre Fersen heften, mit solch einem Vorsprung würden er und Nalissa außer Gefahr sein. Er war voll überschwenglicher, romantischer Gefühle, und sein Herz schwoll vom Heldenmut und Tatendurst der Jugend. Es war noch Stunden bis Mitternacht, doch er lenkte sein Pferd mit einem Druck seiner gepanzerten Ferse in ein Viertel dunkler, enger Gassen, um den Weg abzukürzen. "O silberner Mond, o Busen der Nacht", summte er leisd eines der leidenschaftlichen Liebeslieder des verrückten toten Sängers Ridondo, als sein Pferd plötzlich schnaubend scheute. In der Dunkelheit eines schmutzigen Hauseinganges bewegte sich stöhnend eine dunkle Gestalt. Dalgar zog die Klinge, glitt vom Pferd und beugte sich über den Stöhnenden. Als er sich tiefer bückte, erkannte er, daß es ein Mann war. Er zog ihn in das spärliche Licht der Gasse und sah, daß er noch atmete. Etwas Warmes und Klebriges blieb an Dalgars Hand haften. Der Mann war dicklich und augenscheinlich ziemlich alt, denn sein Haar war schütter und sein Bart hatte weiße Strähnen. Er trug die Lumpen eines Bettlers, aber selbst in der Dunkelheit entging Dalgar nicht, daß die Hände unter all dem Schmutz weich und weiß waren. Aus einer häßlichen Wunde an der Seite des Kopfes sickerte Blut. Die Augen waren geschlossen. Er stöhnte von Zeit zu Zeit. Dalgar riß einen Streifen von seiner Schärpe, um ihn auf die Wunde zu drücken, dabei verhedderte sich ein Ring seiner Hand in dem struppigen Bart. Ungeduldig zog er daran, und der Bart löste sich ganz und enthüllte ein glattrasiertes, faltiges Gesicht eines Mannes von mittlerem Alter. Dalgar fuhr mit einem Ausruf zurück. Er sprang auf. Verwirrt und entgeistert stand er einen Augenblick und starrte auf den stöhnenden Mann. Dann löste rasches Hufgeklapper in einer Parallelstraße seine Lähmung.
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Er lief durch die enge Seitengasse darauf zu und sprang dem Reiter rufend und winkend in den Weg. Der riß heftig an den Zügeln und griff gleichzeitig nach seinem Schwert. Die eisenbeschlagenen Hufe des Pferdes schlugen Funken auf den Pflastersteinen, als es sich auf der Hinterhand aufbäumte. "Und jetzt? Oh, du bist es, Dalgar." "Brule!" rief der junge Farsunier. "Rasch! Tu, der oberste Ratgeber, liegt da drüben in der Seitenstraße. Er ist bewußtlos ... vielleicht bereits tot!" Augenblicklich sprang der Pikte vom Pferd und warf die Zügel über den Kopf des Tieres. Es stand wie eine Statue, während er Dalgar mit der Klinge in der Faust hinter-hereilte. Dann beugten sie sich zusammen über den bewußtlosen Ratgeber, während Brule ihn mit kundiger Hand abtastete. "Sieht aus, als wäre nichts gebrochen", brummte der Pikte. "Kann es allerdings nicht mit Sicherheit sagen. War sein Bart bereits ab, als du ihn gefunden hast?" "Nein, das war ein Mißgeschick, als ich ..." "Dann ist das wahrscheinlich die Tat eines Schurken, der ihn gar nicht kannte. Wenigstens hoffe ich das. Denn wenn der Mann, der ihn niederschlug, wußte, wen er vor sich hatte, dann ist schwärzester Verrat in Valusien im Gange. Ich habe ihm nicht nur einmal gesagt, daß es gefährlich ist, sich in solcher Verkleidung in der Stadt herumzutreiben -aber ein Ratgeber läßt sich einfach nichts sagen. Er war der Meinung, daß er auf diese Weise alles in Erfahrung bringen könnte, was vorging. Er hatte die Hand am Puls des Reiches, wie er sich ausdrückte." "Doch ein Halsabschneider", wandte Dalgar ein, "hätte ihn ausgeraubt. Hier ist sein Geldbeutel mit ein paar Kupferstücken. Und wer würde schon einen Bettler ausrauben wollen?" Der Speerkämpfer nickte fluchend. "Das ist wahr. Aber wer in Valkas Namen konnte wissen, daß er Tu vor sich hatte? Er trug immer eine andere Verkleidung, die ihm nur Dondal und ein Sklave anzulegen halfen. Und wer immer ihn niederschlug, was wollte der von ihm? Ah, bei Valka, er wird sterben, wenn wir hier -1 3 5 -
noch länger herumstehen und Rätsel raten. Hilf mir, in auf mein Pferd zu setzen." Als der oberste Ratgeber schwankend im Sattel saß, wo ihn Brules kräftige Arme hielten, galoppierten sie durch die nächtlichen Straßen zum Palast. Die erstaunte Wache ließ sie passieren, und der Bewußtlose wurde in einem Gemach auf einen Diwan gebettet, wo er unter den fürsorglichen Händen der Sklaven und Hofdamen bald erste Lebenszeichen von sich gab. Schließlich setzte er sich auf und griff sich stöhnend an den Kopf. Ka-nu, der piktische Botschafter und gewandteste Staatsmann des Königreiches, beugte sich über ihn. "Tu! Wer hat Euch niedergeschlagen?" "Das weiß ich nicht", erwiderte der Ratgeber benommen. "Ich kann mich an nichts erinnern." "Hattet Ihr wichtige Dokumente bei Euch?" "Nein." "Vermißt Ihr irgend etwas?" Tu begann unsicher an seinen Kleidern zu tasten. Sein Blick wurde zusehends klarer. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. "Der Ring! Der königliche Siegelring! Er ist fort!" Ka-nu hieb mit der Faust in die Handfläche und fluchte aus tiefster Seele. "Das mußte passieren! Ich habe Euch oft genug gewarnt, das Ding nicht überall mit Euch herumzutragen! Rasch, Brule, Kelkor ... Dalgar! Das bedeutet Verrat! Zum Gemach des Königs! Schnell!" Vor dem königlichen Schlafgemach standen zehn Männer der Roten Reiter, der Lieblingstruppe des Königs. Auf Kanus hastige Fragen berichteten sie, daß sich der König vor etwa einer Stunde zurückgezogen hatte, daß seither niemand Einlaß begehrte und daß sie nichts Verdächtiges bemerkt hätten. Ka-nu pochte an die Tür. Er erhielt keine Antwort. Panik überkam ihn. Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war von innen -1 3 6 -
verschlossen. "Brecht diese Tür auf!" schrie er mit vor Aufregung heiserer Stimme. Sein Gesicht war weiß. Zwei der Roten Reiter, Hünen von Gestalt, warfen sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür, doch sie war aus schwerem Eichenholz und mit Bronze beschlagen und hielt. Brule stieß die beiden zur Seite und bearbeitete die massive Tür mit dem Schwert. Unter den kräftigen Hieben der scharfen Klinge flogen die Späne und das Metall gab nach, und nach kurzer Zeit brach sie auf, als Brule sich mit der Schulter dagegenwarf. Mit einem scharfen Ausruf blieb er stehen. Ka-nu, der hinter ihm in das Gemach stürmte, raufte sich verzweifelt den Bart. Die königliche Lagerstatt war in Unordnung, als ob jemand darin geschlafen hätte, aber vom König selbst war nichts zu sehen. Das Gemach war leer. Nur das offene Fenster ließ einige Schlüsse zu. "Sucht alle Straßen ab!" brüllte Ka-nu. "Durchkämmt die Stadt! Bewacht alle Tore! Kelkor, bringt die gesamte Streitmacht der Roten Reiter auf die Beine. Brule, sammle deine Pikten und laß sie reiten, bis sie zusammenbrechen, wenn es sein muß. Eilt! Dalgar ..." Doch der Farsunier war verschwunden. Er hatte sich plötzlich daran erinnert, daß Mitternacht nicht mehr weil war, und weitaus wichtiger als das Verschwinden des Königs war für ihn, daß Nalissa bora Ballin in den Verdammten Gärten zwei Meilen außerhalb der Stadtmauer auf ihn wartete. 3 Das Siegel An diesem Abend hatte sich Kull früh zurückgezogen. Wie gewohnt blieb er vor der Tür zum Schlafgemach ein paar Minuten stehen, um mit den Wachen, seinen einstigen Regimentskameraden, zu plaudern und alte Erinnerungen auszutauschen aus den Tagen, da er noch selbst zu den Reihen der Roten Reiter gehört hatte. Dann entließ er seine Diener und betrat sein Gemach. Er schlug die Bettdecken zurück und machte sich zum Schlafengehen bereit. Da war gewiß ungewöhnlich für einen König, doch Kull war seit jeher an das -1 3 7 -
rauhe Soldatenleben gewöhnt und hatte in jungen Tagen als Angehöriger eines Barbarenstammes nicht anders gelebt. Er hatte sich nie daran gewöhnen können, daß alles für ihn getan wurde, so verlangte es ihn wenigstens in seinem eigenen Schlafgemach Ruhe vor seinen Dienern zu haben. Aber gerade, als er die Kerze löschen wollte, die den Raum erhellte, hörte er ein Geräusch am Fenstersims. Mit dem Schwert in der Faust schlich er lautlos wie ein großer Panther durch das Gemach und blickte hinaus. Das Fenster öffnete sich in die Innenhöfe des Palastes. Im Licht der Sterne waren undeutlich die Hecken und Bäume auszumachen. Brunnen schimmerten und waren mehr zu ahnen als zu sehen. Die Wachtposten, die unten ihre Runden zogen, konnte er nicht erkennen. Aber an seinem Ellenbogen entdeckte er Verblüffendes. An den Ranken, die die Palastmauern bedeckten, hing ein kleiner, dürrer Kerl, der wie einer der Bettler aus den Straßen der ärmeren Viertel aussah. Er machte einen harmlosen Eindruck mit seinen dünnen Gliedern und seinem äffischen Gesicht, doch Kull betrachtete ihn mit grunzeiter Stirn. "Es scheint, daß ich unter meinem Fenster Posten aufstellen muß oder diese Ranken niederreißen", stellte der König fest. "Wie bist du unbehelligt an den Wachen vorbeigekommen?" Der kleine Kerl legte einen dünnen Finger an die Lippen und streckte dann mit affenartiger Gewandtheit eine Hand durch die Gitterstäbe. Stumm reichte er Kull ein Stück Pergament. Der König rollte es auf und las: "König Kull: Wenn Euch Euer Leben lieb ist und wenn Euch das Wohl des Reiches etwas bedeutet, dann folgt diesem Boten, wohin er Euch führen wird. Weiht niemanden ein. Auch die Wachen dürfen Euch nicht sehen. Die Einheiten sind von Verrätern durchsetzt. Wenn Ihr überleben und den Thron halten wollt, müßt Ihr meine Anweisungen genau befolgen. Vertraut dem Überbringer dieser Nachricht voll und ganz." Unterschrieben war das Pergament mit: >Tu, Lordkanzler von Valusien< und versehen mit dem Siegel des königlichen Siegelringes. -1 3 8 -
Kull zog finster die Brauen zusammen. Die Sache gefiel ihm nicht. Aber er erkannte Tus Handschrift an dem eigenwilligen, winzigen Schnörkel am Ende des Namens, dem unverwechselbaren Kennzeichen des Kanzlers gewissermaßen. Und dann der Abdruck des Siegels, der nicht nachgemacht werden konnte. Kull seufzte. "Also gut", stimmte er zu. "Warte, bis ich meine Waffen angelegt habe." Wieder bekleidet und mit einem leichten Kettenhemd gerüstet erschien Kull erneut am Fenster. Er packte die Stäbe, spannte seine Muskeln und spürte, wie die Stäbe nachgaben - weit genug, daß selbst seine breiten Schultern durchschlüpfen konnten. Er kletterte hinaus und griff nach den Ranken. An ihnen kletterte er mit der gleichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinab wie der kleine Bettler. Unten angelangt ergriff Kull seinen Begleiter am Arm. "Wie bist du an den Wachen vorbeigekommen?" flüsterte er. "Wenn sie mich entdeckten, zeigte ich ihnen das königliche Siegel." "Damit werden wir nicht beide unerkannt hinauskommen", brummte Kull. "Bleib hinter mir. Ich bin mit ihrem Dienst vertraut." Die nächsten zwanzig Minuten verbrachten sie damit, hinter Büschen den Vorbeimarsch von Wachtposten abzuwarten, blitzschnell im Schatten unterzutauchen und lautlos von Deckung zu Deckung zu huschen. Schließlich erreichten sie die Außenmauer. Kull ergriff seinen Führer bei den Füßen und hob ihn hoch, bis seine Finger den oberen Mauerrrand zu fassen bekamen. Als er oben war, reichte der Bettler dem König die Hand, um ihm hochzuhelfen, doch Kull winkte nur verächtlich, nahm einen kurzen Anlauf, schnellte empor, packte die Mauerkrone mit einer ausgestreckten Hand und schwang sich mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Gewandtheit hinüber. Gleich darauf erreichte das höchst ungleiche Paar die Seite jenseits der Mauer und verschwand in der Dunkelheit. 4 >Ich bin zum Kampf bereit! < -1 3 9 -
Nalissa, die Tochter des Hauses bora Ballin, war voll innener Unruhe und Furcht. Ihre romantischen Hoffnungen und ihre ehrliche Liebe gaben ihr Kraft genug, daß sie ihre Ent-scheidung und den überstürzten Aufbruch nicht bedauerte, doch nun wünschte sie nichts sehnlicher als die Ankunft ihres Geliebten herbei. 1 Bis jetzt hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Da es zu auffällig gewesen wäre, die Stadt nach Einbruch der Nacht zu verlassen, war sie bereits kurz vor Sonnenuntergang von zu Hause fortgeritten und hatte ihrer Mutter gesagt, daß sie die Nacht bei einer Freundin verbringen würde. Es war ihr Glück, daß die Frauen in Valusien unübliche Freiheiten genossen und nicht in Harems und gefängnisähnlichen Frauenhäusern eingeschlossen blieben, wie es in den östlichen Reichen üblich war; ein Brauch, der die Große Flut überdauerte. Naiissa war mutig durch das Osttor geritten und hatte den direkten Weg zu den Verdammten Gärten genommen, die zwei Meilen östlich der Stadt lagen. Dieses Gebiet war einst Lustgarten und Landsitz eines Edelmanns gewesen. Doch dann drangen Gerüchte von grausamen Ausschweifungen und schauerlichen Ritualen nach draußen. Und schließlich rotteten sich die Menschen zusammen, aufgebracht über das immer häufigere Verschwinden von Kindern, stürmten die Gärten und erhängten den Edelmann am Tor seines Hauses. Bei der Durchsuchung der Gärten fanden sie so schreckliche Dinge, daß sie außer sich vor Grauen und Abscheu zerstörten, was zerstörbar war: Teile des Landhauses, die Pavillons, Lauben, Grotten, selbst die Mauern. Nur was aus unzerstörbarem Marmor errichtet war, widerstand der Wut der aufgebrachten Menge und der Zeit. Nun, hundert Jahre später, wucherte ein kleiner Dschungel in den verfallenden Mauern und bedeckte die Ruinen. Naiissa versteckte ihr Pferd in einem verfallenen Sommerhaus und setzte sich auf den aufgebrochenen Marmorboden, um zu warten. Zuerst machte es ihr nichts aus. Das sanfte Licht der untergehenden Sommersonne tauchte das Land in einen goldenen Schimmer, in dem alles freundlich aussah. Das grüne -1 4 0 -
Laubmeer um sie herum, nur durchbrochen von weißen Flecken marmorener Mauerreste und halbverfallener Dächer, faszinierte sie. Doch als die Nacht kam und die Schatten sich verdichteten, wurde Nalissa unruhig. oDer Nachtwind flüsterte unheimliche Dinge durch die Zweige, die breiten Palmblätter und das hohe Gras; und die Sterne glitzerten kalt und fern. Alte Sagen und Geschichten kamen ihr wieder in den Sinn, und sie bildete sich ein, daß da noch andere Geräusche waren als das heftige Pochen ihres Herzens - das Rauschen unsichtbarer schwarzer Schwingen und das Gemurmel unheimlicher Stimmen. Sie betete, daß die Mitternacht kommen möge und mit ihr Dalgar. Hätte Kull sie so gesehen, so hätte er nichts von den geheimnisvollen Tiefen ihrer Augen erblickt, und nichts, das auf ihre große Zukunft am valusischen Hof hinwies; er hätte nur ein verängstiges kleines Mädchen vor sich gesehen, das sich nichts mehr ersehnte, als in die Arme genommen und liebevoll festgehalten zu werden. Aber daran, diesen unheimlichen Ort zu verlassen dachte sie gar nicht. Die Zeit schien überhaupt nicht vergehen zu wollen, aber irgendwie verstrich sie doch. Endlich kündigte ein erster bleicher Schimmer den aufgehenden Mond an, und sie wußte, daß die Stunde der Mitternacht nah war. Plötzlich vernahm sie einen Laut, der sie aufspringen ließ. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Irgendwo in den verlassenen Gärten zerriß ein Ruf und das Klirren von Stahl die Stille der Nacht. Ein kurzer, schriller Schrei ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Dann senkte sich die Stille wie ein greifbares Gespinst herab. Dalgar - Dalgar! Der Gedanke hämmerte in ihrem gelähmten Verstand. Ihr Geliebter war gekommen und von jemandem - oder etwas - überfallen worden. Sie schlich aus ihrem Versteck, eine Hand an ihr wild pochendes Herz gepreßt, das ihren Brustkorb zu sprengen drohte. Sie folgte einem überwachsenen Pfad, und die wispernden Palmblätter strichen wie Geisterfinger über ihren Körper. Um sie herum war -1 4 1 -
ein schwarzer Schlund wogender, lebendiger Schatten, in denen das Böse lauerte. Es war totenstill. Vor ihr ragte das verfallene Landhaus auf. Plötzlich traten ihr lautlos zwei Männer in den Weg. Sie schrie auf, dann war ihre Zunge vor Entsetzen gelähmt. Sie versuchte zu laufen, doch ihre Beine versagten den Dienst. Bevor sie einen Schritt machen konnte, hatte sie einer der Männer gepackt und unter seinen Arm geklemmt, als wäre sie ein kleines Kind. "Eine Frau", schnarrte er in einer Sprache, die Nalissa kaum verstand, doch als Verulisch erkannte. "Gib mir dein Messer, und ich werde ..." "Dafür haben wir jetzt keine Zeit", widersprach der andere auf valusisch. "Sperr sie zu dem anderen. Wir können sie später beide zusammen erledigen. Aber Phondar will ihn vorher sehen und ausquetschen." "Wird nicht viel dabei herauskommen", grollte der veruli-sche Hüne und folgte seinem Gefährten. "Der wird nicht reden - soviel kann ich dir sagen. Seit er in unseren Händen ist, hat er nur Flüche von sich gegeben." Naiissa hing hilflos unter dem Arm des Riesen und war starr vor Angst, doch ihre Gedanken überschlugen sich. Wer war dieser >andere<, den sie ausquetschen und dann töten wollten? Der furchtbare Gedanke, daß das nur Dalgar sein konnte, vertrieb ihre eigene Furcht und erfüllte sie mit einer wilden und verzweifelten Wut. Sie begann sich zu winden und zu treten, was ihr einen klatschenden Schlag eintrug, der sie aufschreien ließ und ihre Augen mit Tränen füllte. Sie fügte sich in ihre Lage und wurde bald darauf grob durch einen finsteren Eingang gestoßen, daß sie fiel und erschöpft liegen blieb. "Sollten wir sie nicht lieber fesseln?" meinte der Hüne. "Wozu? Sie kann nicht entkommen. Und ihn kann sie auch nicht befreien. Komm schon, wir dürfen keine Zeit verlieren." Naiissa setzte sich auf und blickte sich verzagt um. Sie befand sich in einem kleinen Raum, dessen Ecken mit Spinnweben verhangen waren. Staub lag dick auf dem Boden, übersät mit -1 4 2 -
Marmorschutt von den verfallenden Mauern. Ein Teil des Daches war eingestürzt, und das Licht des höhersteigenden Mondes fiel durch die Öffnung. In seinem Licht entdeckte sie die Gestalt, die nahe der Wand am Boden lag. Sie wich zurück und biß sich in einer schrecklichen Ahnung auf die Lippen. Dann erkannte sie mit unendlicher Erleichterung, daß der Mann viel zu groß war, als daß er Dalgar hätte sein können. Sie kroch zu ihm und blickte in sein Gesicht. Er war geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. Über dem Knebel starrten zwei kalte, graue Augen sie an. "König Kull!" Nalissa preßte die Hände an ihre Schläfen, als der Raum um sie herum vor ihren erschrockenen Augen zu verschwimmen schien. Doch im nächsten Augenblick zerrten ihre schlanken, kräftigen Finger am Knebel. Minutenlang mühte sie sich ab, bis sein Mund endlich frei war. Kull bewegte erleichtert die Kiefer und fluchte in seiner Muttersprache, selbst noch in diesem Augenblick darauf bedacht, die zarten Ohren des Mädchens nicht zu verletzen. "Oh, mein Lord, was tut Ihr hier?" Das Mädchen rang die Hände. "Entweder ist mein oberster Ratgeber ein Verräter, oder ich bin ein vollkommener Narr!" grollte Kull. "Ein Bote kam zu mir mit einer Nachricht in Tus Handschrift und sogar versehen mit dem königlichen Siegel. Ich folgte ihm, wie Tu mir riet, durch die Stadt, zu einer Pforte, die mir bisher unbekannt gewesen war. Von dieser Pforte wußten offenbar nur die Verschwörer. Draußen erwarteten sie uns mit Pferden, und wir ritten wie die Teufel in diese verfluchten Gärten. An der Mauer ließen wir die Pferde zurück, und ich marschierte. wie ein blinder Narr in die Falle. | Als ich durch die Tür kam, fiel ein großes Kampfnetz über mich, in dem sich Klinge und Schwertarm verfingen. Ein Dutzend Schurken stürzte sich auf mich. Aber sie hatten sich die Sache ein wenig zu leicht vorgestellt. Zwei hingen an meinem rechten Arm, so konnte ich meine Klinge nicht gebrauchen, aber ich trat einen in die Seite, daß seine Rippen brachen. Dann hatte ich meine Linke durch das Netz, und einer machte Bekanntschaft mit meinem Dolch. Er schrie wie eine verdammte Seele, als er starb. -1 4 3 -
Aber bei Valka, es waren zu viele. Sie rissen mir schließlich das Kettenhemd vom Leib" - Naiissa sah, daß der König nur eine Art Lendenschurz trug - "und fesselten mich. Der Teufel selbst könnte diese Stricke nicht abstreifen oder die Knoten lösen. Einer der Kerle war ein Seemann, und ich weiß von früher, wie sie ihre Knoten knüpfen. Ich war einst Galeerensklave." "Aber was kann ich tun?" jammerte das Mädchen händeringend . "Such dir ein größeres Marmorstück und schlage einen scharfkantigen Splitter ab", erklärte Kull rasch. "Du mußt versuchen, diese Stricke durchzuschneiden ..." Sie tat, wie ihr geheißen und brachte ein langes, schmales Steinstück zustande, dessen gekrümmte Kante scharf wie ein Messer mit schartiger Schneide war. "Ich fürchte, damit werde ich Euch verletzen", sagte sie entschuldigend, als sie anfing. "Schneide meinetwegen durch Haut, Fleisch und Knochen, aber befreie mich!" knurrte Kull mit flammenden Augen. "Wie ein blinder Narr in der Falle! Oh, ich einfältiger Tor! Valka, Honon und Hotath! Wenn ich diese unseligen Schurken erst in den Fingern habe - wie kommst du hierher?" "Laßt uns später darüber sprechen", sagte sie ziemlich atemlos. "Jetzt ist keine Zeit." Beide schwiegen, während das Mädchen an den zähen Stricken sägte, ohne auf ihre eigenen Hände zu achten, die bald aufgerissen und blutig waren. Langsam, Faser um Faser, gaben die Stricke nach, aber sie waren noch immer stark genug, einen Menschen zu halten, als vor dem Eingang schwere Schritte erklangen. Naiissa erstarrte. Eine Stimme sagte: "Er ist da drin, Phon-dar, gefesselt und geknebelt. Eine kleine Valusierin, die uns hier über den Weg lief, ist bei ihm." "Dann seid auf der Hut vor einem jungen Gockel", sagte eine andere Stimme, deren rauher harter Klang verriet, daß der Mann Gehorsam gewohnt war. "Höchstwahrscheinlich war sie hier mit irgendeinem jungen Stutzer verabredet. Du .,." -1 4 4 -
"Keine Namen, keine Namen, guter Phondar", unterbrach ihn die weiche Stimme eines Valusiers. "Vergiß unsere Abmachung nicht. Bis zu dem Tag, an dem Gomlah den Thron besteigt, bin ich nur - der Maskierte." "Gut", brummte der Verulier. "Du hast heute nacht gute Arbeit geleistet. Maskierter. Kein anderer wäre dazu imstande gewesen, denn nur du konntest uns das königliche Siegel beschaffen, und nur du konntest Tus Schrift gut genug fälschen hast du den Alten umgebracht?" "Vielleicht. Wenn nicht heute, so stirbt er am Tag, da Gomlah den Thron besteigt. Das Wichtigste ist, daß sich der König in unserer Gewalt befindet." Kull zermarterte sich das Gehirn, wem die in seinen Ohren so bekannt klingende Stimme des Verräters gehörte. Und Phondar Grimm verzerrte seine Züge. Wahrlich eine Verschwörung ungeheuren Ausmaßes, wenn Verulien gleich den Befehlshaber der königlichen Streitkräfte sandte, um die schmutzige Arbeit zu tun. Der König kannte Phondar gut, denn der hatte schon mehrmals an seinem Hof geweilt. "Hole ihn heraus", sagte Phondar. "Wirbringen ihn in die Folterkammer. Ich will ein paar Antworten von ihm haben." Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann trat ein. Es war der; Hüne, der Nalissa gefangen hatte. Die Tür fiel hinter ihm zu. | Er durchquerte den Raum, ohne Naiissa zu beachten, die in' einer Ecke kauerte. Er beugte sich über den gefesselten König, ergriff ihn an der Schulter und an den Beinen, um ihn hochzuheben. Da ertönte ein schnappendes Geräusch, als Kull seine ganze gewaltige Kraft in einen einzigen Ruch legte und die restlichen Fesseln zerriß. Er war noch nicht lange genug gebunden gewesen, daß die Durchblutung und seine Kraft darunter gelitten hätten, Wie eine Python zustößt, so fuhren seine Hände an die Kehle des Hünen und drückten sie zusammen wie eiserne Zwingen. Der Mann sank auf die Knie. Mit einer Hand versuchte er Kulls Finger von seiner Kehle zu reißen, mit der anderen griff er nach -1 4 5 -
seinem Dolch. Seine Finger gruben sich eisenhart in Kulls Handgelenk, der Dolch glitt aus der Scheide, doch dann traten seine Augen aus den Höhlen, und die Zunge kam zwischen den Zähnen hervor. Die Finger lösten sich um Kulls Handgelenk, und der Dolch entfiel der kraftlosen Hand. Der Verulier erschlaffte. Seine Kehle war unter dem schrecklichen Würgegriff buchstäblich zerquetscht worden. Kull brach mit einem mächtigen Ruck sein Genick. Während er ihn losließ, zog er ihm das Schwert aus dem Gürtel. Naiissa hatte den Dolch aufgehoben. Der Kampf hatte nur ein paar Atemzüge lang gedauert und kaum mehr Geräusche verursacht als ein Mann, der eine schwere Last aufhob und über die Schulter warf. "Beeil dich!" rief Phondar draußen ungeduldig, und Kull, der sich wie ein Tiger zum Angriff duckte, überlegte blitzartig. Er wußte, daß sich wenigstens zwanzig Verschwörer in den Gärten befanden. Den Stimmen nach zu schließen hielten sich allerdings im Augenblick nur zwei oder drei in der Nähe der Tür auf. Dieser Raum war kein geeigneter Ort zur Verteidigung. Jeden Moment mußte jemand hereinkommen, um nach dem Grund der Verzögerung zu sehen. Er faßte einen schnellen Entschluß und handelte sofort. Er nickte dem Mädchen zu. "Sobald ich draußen bin, läufst du ebenfalls hinaus und linker Hand die Stiege hoch." Sie nickte zitternd, und er tätschelte beruhigend ihre Schulter. Dann wirbelte er herum und stieß die Tür auf. Die Männer draußen, die den Verulier mit dem hilflosen König auf den Schultern erwartet hatten, erstarrten bei dem völlig überraschenden Anblick: Kull stand in der Tür, halb nackt, zum Sprung geduckt wie ein Tiger in Menschengestalt, die Zähne in purer Kampfeswut gefletscht, die Augen vor Grimm lodernd. Sein Schwert wirbelte wie ein silbernes Rad im Mondlicht. Kull sah Phondar in diesem kurzen Augenblick vor sich, neben ihm zwei verulische Soldaten und eine schlanke Gestalt mit einer schwarzen Maske. Dann war er mitten unter ihnen, und der Totentanz begann. Der verulische Befehlshaber fiel unter dem ersten Schwertstreich des Königs, der seinen Schädel trotz des -1 4 6 -
Helms bis zu den Zähnen hinab spaltete. Der Maskierte riß seine Klinge aus dem Gürtel und stieß zu. Die Spitze fuhr über Kulls Wange. Einer der Soldaten stieß mit dem Speer nach Kull, wurde abgewehrt und lag im nächsten Augenblick tot auf seinem Kommandanten. Der zweite Soldat wich zurück und stürzte davon, wobei er lautstark nach seinen Kameraden rief. Der Maskierte wich parierend vor dem ungestümen Angriff des Königs zurück, wobei er seine Klinge mit fast unheimlichem Geschick gebrauchte. Er kam nicht dazu, selbst anzugreifen. Der wilde Ansturm des Königs drängte ihn vollkommen in die Verteidigung. Kull hämmerte auf seine Klinge ein wie ein Schmied auf den Amboß, und immer wieder schien es, als würde der lange verulische Stahl den maskierten und verhüllten Kopf zerschmettern, doch immer fuhr die schmale valusische Klinge dazwischen, lenkte den Hieb eine Spur zur Seite oder parierte ihn um Haaresbreite. Dann sah Kull die verulischen Soldaten durch das Dickicht rennen und hörte das Klirren ihrer Waffen und ihre grimmigen Rufe. Hier im offenen Gelände würden sie ihn von allen Seiten angreifen und wie eine Ratte aufspießen können. Er führte einen letzten Streich gegen den zurückweichenden Valusier, dann wandte er sich um, lief behende die Treppe hinauf, wo Nalissa bereits wartete. Oben angelangt wandte er sich seinen Angreifern zu. Er und das Mädchen standen auf einer Art künstlichem Vorsprung. Eine Treppe führte hinauf, und einst hatte auch eine auf der anderen Seite hinabgeführt, doch sie war vor langer Zeit eingestürzt. Kull sah, daß sie sich in einer Sackgasse befanden. Die Mauern waren zwar mit tief gemeißelten Verzierungen versehen, doch So sei es, dachte Kull, hier sterben wir. Aber wir werden viele mit uns nehmen. Die Verulier sammelten sich unter der Führung des geheimnisvollen, maskierten Valusiers am Fuß der Treppe. Kull faßte sein Schwert fester und warf den Kopf zurück, eine unbewußte Bewegung aus den Tagen, als sein Haar wie eine ungebändigte Löwenmähne gewesen war. -1 4 7 -
Kull hatte den Tod nie gefürchtet und tat es auch jetzt nicht. Es gab nur einen Grund, der ihn den Grimm und die Lust des Kampfes nicht wie einen alten Freund herbeisehnen ließ: das Mädchen an seiner Seite. Ihre zitternde Gestalt und ihr bleiches Gesicht bewirkten einen plötzlichen Entschluß. Er hob eine Hand und rief: "He, ihr Männer Veruliens! Ich bin zum Kampf bereit! Viele von euch werden vor mir fallen. Aber wenn ihr das Mädchen ungeschoren laßt, werde ich mich ohne Gegenwehr ergeben, und ihr könnt mich töten wie ein Schaf." Naiissa schrie protestierend auf, und der Maskierte lachte. "Kein Handel mit einem, der bereits so gut wie tot ist. Das Mädchen muß auch sterben. Ich mache keine Versprechungen, die ich nicht halten will. Vorwärts, Männer, holt sie euch!" Sie schwemmten wie eine schwarze Woge des Todes die Treppe herauf. Ihre Schwerter blitzten silbern und tödlich im Mondlicht. Einer war seinen Kameraden weit voraus, ein Hüne, der eine Streitaxt über den Kopf schwang. Er war schneller heran, als Kull geschätzt hatte, und stand im nächsten Augenblick auf der Plattform. Kull griff an, und die Axt sauste herab. Er fing den schweren Stiel mit der Linken ab. Nur wenige Männer hätten das vermocht. Gleichzeitig führte er einen mächtigen seitlichen Schwertstreich mit der Rechten, der Rüstung, Muskeln und Knochen durchhieb, daß die Klinge zerbrach und in der Wirbelsäule steckenblieb. Kull ließ den nutzlosen Griff los und entriß die Axt der kraftlosen Faust des sterbenden Kriegers, der die Stufen hinabrollte. Kull lachte grimmig auf. Die Verulier auf der Treppe zögerten, obgleich sie der Maskierte von unten her anstachelte. Sie begehrten auf. "Phondar ist tot", rief einer. "Sollen wir dulden, daß ein Valusier Befehle gibt? Das ist ein Teufel und kein Mann, der uns gegenübersteht! Laßt uns verschwinden, so lange wir noch können!" "Ihr Narren!" rief der Maskierte wutschnaubend. "Begreift ihr denn nicht, daß es keine Sicherheit für euch gibt, solange der -1 4 8 -
König lebt? Wenn ihr heute versagt, wird euch euer eigenes Land verstoßen und zusammen mit ganz Valusien auf euch Jagd machen! Vorwärts, ihr Narren! Ein paar von euch werden sterben, aber besser, ein paar sterben durch des Königs Axt, als alle zusammen durch den Galgen. Wenn einer von euch kehrt macht und diese Stufen herunterkommt - werde ich ihn eigenhändig töten!" Er hob das lange, schmale Schwert drohend. Mehr als zwanzig zählte ihre Schar, und sie waren verzweifelt. Sie fürchteten den Maskierten, und sie wußten, daß er recht hatte. Deshalb wandten sie sich wieder Kull zu und sammelten ihren Mut zum entscheidenden und letzten Sturmangriff. Währenddessen gewahrte Nalissa eine Bewegung am Fuß der Mauer. Ein Schatten löste sich aus der Vielzahl anderer Schatten und bewegte sich an der Mauer aufwärts. Er kletterte affenartig entlang der tiefen Verzierungen. Diese Seite der Mauer lag im Mondschatten, deshalb konnte sie die Züge des Mannes nicht erkennen. Zudem trug er einen schweren Helm, der sein Gesicht verdeckte. Sie sagte nichts zu Kull, der mit erhobener Axt am Treppenabsatz stand, sondern huschte zum Rand der Mauer und kauerte sich hinter den Trümmerstücken einer einstigen Brüstung nieder. Jetzt konnte sie erkennen, daß der Mann von Kopf bis Fuß gerüstet war, doch noch immer war ihr kein Blick auf seine Züge vergönnt. Ihr Atem kam in heftigen Stößen, als sie den Dolch hob, während sie mit aller Kraft gegen die wachsende Übelkeit ankämpfte. Als ein gepanzerter Arm über die Mauerkante griff, sprang sie rasch und lautlos wie eine Tigerin und stach in das ungeschützte Gesicht, das sich ihr plötzlich im Mondlicht zuwandte. Und noch während der Dolch hinabzuckte, und sie den Stoß nicht mehr aurhalten konnte, schrie sie vor Entsetzen auf, denn in diesem kurzen Moment erkannte sie das Gesicht ihres Geliebten, Dalgar von Farsun. 5 Der Kampf auf der Treppe Nachdem Dalgar die aufgeregte Schar um Ka-nu unauffällig verlassen hatte, lief er zu seinem Pferd und ritt im Galopp zum -1 4 9 -
Osttor. Er hatte gehört, wie Ka-nu Anweisung gab, die Tore zu schließen und niemanden hinauszulassen, und er ritt wie ein Wahnsinniger, um dem zuvorzukommen. Es war ohnehin schwierig, bei Nacht aus der Stadt zu gelangen, und Dalgar, der erfahren hatte, daß die Tore in dieser Nacht nicht von den unbestechlichen Roten Reitern bewacht wurden, hatte vorgehabt, sich mit der Überzeugungskraft von Münzen Durchlaß zu verschaffen. Doch nun hing alles von der Dreistigkeit seines Planes ab. Schweißgebadet erreichte er das Osttor und rief: "Öffnet das Tor! Ich muß noch heute nacht zur verulischen Grenze reiten! Rasch! Der König ist verschwunden! Laßt mich durch und verschließt das Tor gut! Im Namen des Königs!" Und als der Soldat zögerte: "Rasch, ihr Narren! Der König ist vielleicht in großer Gefahr! Horcht!" Weit über die Stadt erklang das tiefe Dröhnen der großen bronzenen Glocke des Königs, die nur geläutet wurde, wenn sich der König in Gefahr befand. Die Wachen wurden lebendig. Sie wußten, daß der Edelmann Dalgar bei Hof in hohem Ansehen stand. Sie glaubten seinen Worten, und sein entschlossenes Auftreten ließ sie augenblicklich die großen Eisentore öffnen. Er schoß wie der Blitz durch und war augenblicklich in der Dunkelheit verschwunden. Während des Rittes dachte er an Kull und hoffte, daß ihm nichts Ernstes zugestoßen war, denn er mochte den rauhen und offenen Barbaren weitaus lieber als all seine zivilisierten und blutlosen Vorgänger auf dem Thron der Sieben Reichet Wenn diese Sache nicht gewesen wäre, hätte er bei der Suche geholfen, doch Nalissa wartete auf ihn, und er war bereits spät dran. Als der junge Edelmann in die Gärten hineinritt, hatte er das untrügliche Gefühl, daß dieser einsame abweisende Ort alles andere denn verlassen war. Im nächsten Augenblick hörte er das Klirren von Stahl, das Geräusch vieler eiliger Schritte und eine wütende Stimme, die etwas in einer fremden Sprache rief. Er glitt -1 5 0 -
vom Pferd und zog sein Schwert. Dann kroch er durch das niedere Buschwerk, bis das verfallene Landhaus vor ihm auftauchte. Dort erwartete ihn ein seltsames Bild. Oben auf einer halbverfallenen Treppe stand ein fast nackter, blutbesudelter Hüne. Er erkannte, daß es der König von Valusien war. An seiner Seite stand ein Mädchen - ein halb erstickter Schrei kam über Dalgars Lippen. Naiissa! Seine Nägel gruben sich in das Fleisch seiner Hand, als er sie zur Faust ballte. Wer waren diese dunkel gekleideten Männer, die die Treppe umlagerten? Gleich wer, sie waren auf den Tod des Königs und des Mädchens aus. Da vernahm er Kulls Stimme, als dieser seinen Gegnern sein Leben für das des Mädchens bot, und ein Gefühl großer Dankbarkeit überflutete ihn. Dann fielen ihm die tiefen Ornamente in der Mauer auf. Augenblicke später kletterte er bereits empor, um das Mädchen zu beschützen, das er liebte, und, wenn es keinen anderen Weg gab, an der Seite des Königs zu sterben. Er hatte Naiissa aus dem Blickfeld verloren, doch jetzt während des Kletterns wagte er nicht, sich nach ihr umzusehen. Die Steine waren schlüpfrig, der Halt trügerisch. Er sah sie erst wieder, als er den oberen Rand erreichte und sich hochziehen wollte. Da hörte er ihren Schrei und sah ihre Hand mit einem metallischen Aufblitzen auf sein Gesicht zukommen. Er duckte sich und fing den Schlag mit dem Helm ab. Die Klinge des Dolches brach vom Griff, und Naiissa sank im nächsten Augenblick in seine Arme. Ihr Schrei hatte Kull mit erhobener Axt herumwirbeln lassen. Er hielt inne, als er den Farsunier erkannte, und sofort begriff er. Er wußte, warum das Paar hier war und grinste beifällig. Der zweite Ansturm kam zum Halten, als die Verulier den zweiten Mann auf der Plattform entdeckten. Doch dann setzten sie sich erneut in Bewegung und sprangen die Stufen hoch. Ihre Schwerter schimmerten im Mondlicht. Ihre Augen leuchteten aus verzerrten Gesichtern. Kull empfing den ersten mit einem mächtigen Hieb von oben, der Helm und Schädel zerschmetterte. Dann war Dalgar an seiner Seite. Seine Klinge zuckte vor und -1 5 1 -
durchbohrte eine veru-lische Kehle. Damit begann der Kampf auf der Treppe, der seither in den Liedern der Sänger und Dichter unsterblich geworden ist. Kull sah dem Tod ins Auge und teilte ihn aus mit blutiger Hand. Er verschwendete kaum einen Gedanken an Verteidigung. Seine Axt schwang in einem Rad des Todes um ihn, und bei jedem Treffer knirschten Stahl und Knochen, spritzte Blut und erklang ein Schrei der Pein oder des Todes. Leichen verstopften den Aufgang, aber die Überlebenden kletterten über die blutigen Leichen ihrer Kameraden. Dalgar bot sich wenig Gelegenheit für Hieb oder Stich, doch er sah sofort, daß seine wichtigste Aufgabe darin bestand, Kull zu schützen, der zwar ein geborener Kämpfer war, aber ohne Rüstung nicht lange überleben würde. So wob Dalgar mit all seiner Geschicklichkeit mit der Klinge einen stählernen Schutzschild um den König. Wieder und wieder lenkte er eine Schwertspitze von Kulls Brust, wieder und wieder blockierte sein gepanzerter Arm einen tödlichen Hieb. Zweimal fing er mit seinem Helm Schwertstreiche ab, die dem ungeschützten Haupt des Königs galten. Es ist nicht leicht, einen anderen und sich selbst gleichzeitig zu decken. Kull blutete aus Schnitten im Gesicht und an der Brust, aus einer Platzwunde an der Schläfe, einem Stich in den Schenkel und einer tiefen Wunde an der Schulter. Eine Lanze hatte Dalgars Harnisch durchbohrt und war in seine Seite gedrungen. Er spürte, wie seine Kräfte schwanden. Unter einem letzten rasenden Ansturm der Feinde ging der Farsunier zu Boden. Er fiel vor Kulls Füße, und ein Dutzend Klingen waren auf sein Leben aus. Mit löwenartigem Brüllen und einem mächtigen, weiten Schwung seiner blutigen Axt fegte Kull sie beiseite und sprang schützend über den gefallenen Jüngling. Dann drangen sie erneut auf ihn ein ... Da erklang das Donnern von Pferdehufen, als eine wilde Reiterschar wie Wölfe im Mondlicht heulend in die Verdammten Gärten preschte. Ein Hagel von Pfeilen sang auf die Treppe zu, Männer schrien und stürzten zu Boden oder zerrten an den -1 5 2 -
mörderischen Schäften, die tief im Fleisch saßen. Die wenigen, die Kulls Axt und den Pfeilen entgangen waren, flohen die Stufen hinab, wo sie den Krummschwertern Brules und seiner Pikten gegenüberstanden. Dort starben sie, diese tapferen verulischen Krieger, bis zum letzten Mann kämpfend - Schergen eines verräterischen Königs. Sie starben ehrlos und ohne Ruhm, aber sie starben wie Männer. Doch einer starb nicht dort unten am Fuß der Treppe. Der Maskierte war beim ersten Geräusch der näherkommenden Reiter geflohen und galoppierte auf dem Rücken eines schnellen Pferdes durch die Gärten. Er hatte fast die Außenmauer erreicht, als ihm Brule, der Speerkämpfer, den Weg versperrte. Von seinem Platz auf der Plattform konnte Kull den Kampf der beiden im Mondlicht verfolgen. Der Maskierte hatte seine Rückzugstaktik aufgegeben. Er griff den Pikten mit wilder Verwegenheit an, und der Speerkämpfer stellte sich ihm, Pferd gegen Pferd, Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert. Beide waren ausgezeichnete Reiter. Ihre Tiere tänzelten, drehten sich, bäumten sich auf unter dem Ruck der Zügel oder dem Druck der Schenkel. Doch während all dieser lenkenden Bewegungen verebbte das Klirren der Schwerter nicht einen Augenblick. Brule focht im Gegensatz zu seinen Stammeskriegern mit dem schmalen geraden valusischen Schwert. In Reichweite und Behendigkeit waren sie einander ebenbürtig, und Kull hielt immer wieder den Atem an und grub seine Zähne in seine Lippen, wenn es schien, als fiele Brule durch einen überraschenden gefährlichen Hieb oder Stich. Es gab kein wildes aufeinander Einhauen bei diesen beiden erfahrenen Kämpfern. Auf Stoß folgte Gegenstoß, Parieren und erneuter Stoß. Plötzlich schien Brule vor der Klinge des Gegners zurückzuweichen. Er parierte mit wilden Streichen und bot dem Gegner eine Blöße. Der Maskiere gab seinem Pferd die Fersen, als er zustieß, so daß Schwert und Pferd wie eine Einheit vorwärtsschossen. Brule lehnte sich zur Seite, ließ die Klinge über die Seite seines Harnisches abgleiten, während seine eigene nach vorn stieß, so daß Ellenbogen, Handgelenk, Griff -1 5 3 -
und Spitze von der Schulter aus eine gerade Linie bildeten. Die Pferde prallten gegeneinander und überschlugen sich auf dem Boden. Doch aus dem Gewirr von schlagenden Hufen erhob sich nur Brule unverletzt, während der Maskierte von Brules Klinge durchbohrt im Gras liegenblieb. Kull erwachte wie aus einer Lähmung. Die Pikten heulten wie Wölfe um ihn herum, bis er Ruhe heischend die Hand hob. "Genug! Ihr habt triumphiert! Aber kümmert euch jetzt um Dalgar. Er ist schwer verwundet. Und wenn ihr mit ihm fertig seid, könnt ihr nach meinen Wunden sehen. Brule, wie habt ihr mich gefunden?" Brule stand über dem toten Maskierten und winkte Kull zu sich. "Eine Bettlerin hat gesehen, wie Ihr über die Palastmauer geklettert seid. Und weil sie neugierig war, folgte sie Euch und sah Euch durch die vergessene Pforte die Stadt verlassen. Wir patrouillierten gerade im Grasland zwischen der Stadtmauer und den Gärten, als wir Waffenlärm hörten. Wer aber mag das sein?" "Nimm ihm die Maske ab", sagte Kull. "Wer immer sich dahinter verbirgt, hat Tus Handschrift gefälscht und den Siegelring genommen. Er ..." Brule zog die Maske vom Gesicht des Toten. "Dondal!" entfuhr es Kull. "Tus Neffe! Brule, Tu darf es niemals erfahren. Er soll glauben, daß Dondal mit dir geritten und im Kampf für seinen König gefallen ist." Brule schien es nicht zu begreifen. "Dondal! Ein Verräter! Wie ist es möglich? Wie oft habe ich mit ihm Wein getrunken und meinen Rausch in einem seiner Betten ausgeschlafen." Kull nickte. "Ich mochte ihn auch." Brule säuberte seine Klinge und schob sie mit einem scharrenden Laut in die Hülle. "Die Not macht einen Schurken aus fast jedem Mann", stellte er düster fest. "Er war tief verschuldet - Tu war ein alter Geizkragen. Er pflegte zu sagen, daß Geld die jungen Männer nur verderben würde. Dondals Stolz war kostspieliger, als er sich leisten konnte, so fiel er Wucherern -1 5 4 -
in die Hände. Für mich ist Tu der wirkliche Verräter, denn er hat den Jungen mit seinem Geiz zum Verrat getrieben. Fast wünschte ich, meine Klinge hätte sein Herz durchbohrt anstatt Dondals." Damit wandte sich der Pikte ab und ging mit düsterem Gesicht. Kull kehrte zu Dalgar zurück, der noch halb besinnungslos auf der Plattform lag, während die Piktenkrieger mit erfahrenen Händen seine Wunden verbanden. Andere kümmerten sich um den König, und während sie das Blut stillten und die Wunden reinigten und verbanden, kam Nalissa zu Kull. "Majestät." Sie streckte ihm ihre kleinen, nun zerkratzten und blutverkrusteten Hände entgegen. "Habt Ihr jetzt vielleicht Erbarmen mit uns - und erfüllt meine Bitte ..." Ihre Stimme hielt erstickt inne. "... wenn Dalgar nicht stirbt?" Kull faßte sie an den zierlichen Schultern und schüttelte sie gequält. "Mädchen, Mädchen, Mädchen! Erbitte alles von mir, nur nicht, was ich dir nicht gewähren kann. Verlange das halbe Königreich oder meine rechte Hand, und sie ist dein. Ich werde Murom fragen, ob er jetzt nicht doch seine Einwilligung zu dieser Heirat gibt ... Ich werde ihn sogar bitten -aber ich kann ihn nicht zwingen." Hochgewachsene Reiter kamen durch die Gärten herbei, deren prächtige Rüstungen im Mondlicht zwischen den halbnackten wölfischen Pikten schimmerten. Einer, ein stattlicher Mann, war abgestiegen und kam gelaufen, wobei er das Visier seines Helmes öffnete. "Vater!" Murom bora Ballin drückte seine Tochter mit dankbarem Seufzen an seine Brust. Dann wandte er sich dem König zu. "Majestät, Ihr seid schwer verletzt!" Kull schüttelte den Kopf. "Nein, nicht schwer, für mich wenigstens, obgleich ein anderer sich vielleicht steif und wund fühlen würde. Aber dort liegt der junge Mann, der mir den Tod -1 5 5 -
vom Leibe hielt, der mein Helm und mein Schild war, und ohne den Valusien nun nach einem neuen König schreien würde." Murom eilte zu der reglosen Gestalt. "Dalgar! Ist er tot?" "Es fehlt nicht viel", knurrte ein sehniger Pikte, der noch immer mit seinen Wunden beschäftigt war. "Aber er ist aus Stahl und Fischbein. Mit ein wenig Pflege kommt er sicher durch." "Er kam her, um Eure Tochter zu treffen und mit ihr zu fliehen", sagte Kull, und Nalissa senkte traurig den Kopf. "Er schlich durch das Gebüsch und sah mich auf dieser Treppe um mein Leben kämpfen und um ihres. Er hätte fliehen können. Nichts hätte ihn daran gehindert. Doch er kletterte die Mauer zu uns hoch in den sicheren Tod, und er focht so freudig an meiner Seite, als wäre er zu einem Fest geladen. Dabei ist er von Geburt nicht einmal mein Untertan." Muroms Hände ballten und lösten sich. Seine Augen wurden weich und sanft, als er seine Tochter ansah. "Naiissa", sagte er liebevoll und zog das Mädchen in seine gepanzerten Arme, "möchtest du noch immer diesen verwegenen Burschen zum Mann?" Ihr Blick war Antwort genug. Kull befahl: "Hebt ihn vorsichtig auf und tragt ihn in den Palast. Er soll die beste ..." Murom fiel ihm ins Wort: "Majestät, wenn es Euch recht ist, laßt mich ihn in mein Schloß bringen. Dort soll er unter die Obhut der besten Ärzte kommen, und seine Genesung ... Nun, wenn Eure Majestät damit einverstanden sind, könnten wir den glücklichen Umstand mit einer Hochzeit krönen?" Nalissa jauchzte vor Freude, klatschte in die Hände, küßte ihren Vater und Kull und flog wie ein Wirbelwind an Dal-gars Seite. Murom lächelte mild, und sein edles Gesicht leuchtete. "Aus einer Nacht voll Blut und Schrecken ist Freude und Glück geboren worden."
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Der Barbar grinste und schulterte seine schartige und blu-tige Axt. "So ist das Leben, Graf. Des einen Leid ist des anderen Freud."
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DER KÖNIG UND DIE EICHE (The King and the Oak) Bevor die Schatten die Sonne bezwangen, flogen die Falken frei einher, Und Kull ritt durch den großen Wald, das Schwert auf den Knien schwer. Und die Winde flüstern rund um die Welt: > König Kull reitet zum Meer. < Die Sonne sank blutrot ins Meer, die Dämmerung brach herein, Eines Zauberers Schädel war der Mond, und in seinem magischen Schein Wurden die großen Bäume des Walds zu Geistern in einem Höllenhain. Im fahlen Licht ragten Bäume empor, unmenschlichen Monstren gleich. Kull schien es, als regte sich jeder Stamm und wäre lebendig jeder Zweig, Und Geisteraugen glühten rings, unirdisch, böse und bleich. Das Astwerk wand sich wie Gewürm, dämonisch anzusehn. Eine alte Eiche schwankte steif und begann knarrend zu gehn. Sie riß ihre Wurzeln aus dem Grund und blieb vor dem König stehn. An diesem einsamen, finsteren Ort hüb ein grimmiger Zweikampfan. Stumm rangen in gespenstischer Nacht ein uralter Baum und ein Mann. Am eisenharten Holz zerbrach der Dolch in des Königs Hand. Und während des Kampfes sang der Wald einen düsteren Refrain, Den jahrmillionenalten Haßgesang voll Rachegier und Pein: >Wir waren die Herren, bevor der Mensch kam, Wir werden es wieder sein. <
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Kull erahnte ein uraltes Reich, gebeugt von den Menschen schwer, Wie ein Königreich aus grünem Gras von einem wimmelnden Ameisenheer. Und ein Grauen ergriff ihn und fiel wie ein Alp Über den Träumer her. Mit blutenden Händen setzte er sich gegen den starren Baum zur Wehr. Da blies ein kühler Morgenwind, wie aus einem Traum erwachte er. Und König Kull aus dem stolzen Atlantis ritt schweigend hinab zum Meer.
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OHNE TITEL (Untitled Fragment) Drei Männer saßen um einen Tisch bei einem Spiel. Eine sanfte Brise wisperte durch das offene Fenster, wehte die dünnen Vorhänge zur Seite und trug den Duft von Rosen und blühenden Büschen in den Raum. Drei Männer saßen um den Tisch, einer war ein König, einer ein Prinz aus uraltem Hause, der dritte Häuptling eines kriegerischen Barbarenvolkes. "Verloren, Brule!" stellte Kull, der König von Valusien, fest, nachdem er eine seiner Elfenbeinfiguren bewegt hatte. "Mein Zauberer setzt deinen Krieger außer Gefecht." Brule nickte. Er war nicht so hünenhaft von Gestalt wie der König. Er war kräftig, gedrungen und geschmeidig. Kull war der Tiger, Brule der Leopard. Brule war ein Pikte und bronzefarbig, wie es für seine Rasse charakteristisch war. Unbewegte Züge, ein stolzer Kopf, muskulöser Nacken, breite Schultern und mächtiger Brustkorb sowie sehnige Arme und Beine - das waren die körperlichen Merkmale seines Volkes. Doch in einem unterschied sich Brule merklich von seinen Stammesbrüdern: ihre Augen waren von einem glänzenden dunklen Braun oder tiefstem Schwarz, seine dagegen von einem schwelenden Blau, was auf einen Schuß keltischen Blutes hindeutete oder auf jenes der Wilden, die nahe am Polarkreis in Eishöhlen hausten. "Ein Zauberer ist schwer zu schlagen, Kull", erklärte Brule, "sowohl im Spiel als auch in den blutigen Schlachten der Wirklichkeit. Mein Leben hing einmal an einem seidenen Faden, als ich meine Kräfte mit einem piktischen Zauberer messen mußte. Er hatte seine Magie und ich eine gute Klinge." Er hielt inne, um einen großen Schluck aus seinem mit rotem Wein gefüllten Becher zu nehmen. "Erzähl uns die Geschichte, Brule", drängte der dritte
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Spieler. Ronaro, der Prinz des großen Hauses der Ati Volante, war ein schlanker, vornehmer junger Mann mit feingeschnittenen Zügen, dunklen Augen und einem wachen, klugen Gesicht. Er war von nobelster Abstammung, Sproß des weltoffensten Zweiges der Aristokratie, die das uralte Valusien hervorgebracht hatte. Die anderen beiden waren das genaue Gegenteil. Er kam in einem Palast zur Welt, von den anderen beiden wurde der eine in einer Lehmhütte, der andere in einer Höhle geboren. Ronaros Stammbaum ließ sich zweitausend Jahre zurückverfolgen, Seine Ahnherren waren Herzöge, Ritter, Fürsten, Staatsmänner, Dichter und Könige gewesen. Brule kannte die ungefähre Kette seiner Ahnen ein paar hundert Jahre weit zurück. Zu ihnen zählten fellbekleidete Häuptlinge, bemalte und federgeschmückte Krieger, Schamanen mit Bisonschädelmasken und Fingerknochenhalsketten und ein oder zwei Inselkönige, die in Lehmhütten residierten, sowie einen sagenumwobenen Helden oder zwei, die man ihrer herausragenden Körperkräfte oder Bluttaten wegen fast als Götter verherrlichte. Kull wußte hingegen nicht einmal, wer seine Eltern waren. Aber aus den Zügen der drei leuchtete etwas Gemeinsames, das die Ketten von Herkunft und Lebensumständen hinter sich ließ - der natürliche Adel wahren Mannestums. Diese Männer waren, jeder auf seine Art, Edelmänner im besten Sinn des Wortes. Ronaros Vorfahren waren Könige die von Brule in Fell gewandete Häuptlinge; und die von Kull mochten sowohl Sklaven als auch Häuptlinge gewesen sein. Aber jeder der drei strahlte diese unbeschreibliche Aura aus, die den wahrhaft großen Mann kennzeichnet und mit dem Irrglauben aufräumt, daß alle Menschen gleich geboren würden. "Nun", begann Brule mit einem Schimmer ferner Erinner-rungen in den Augen, "es geschah in meiner frühen Jugend, als ich an meinem ersten Kriegszug teilnahm. Oh, ich hatte schon zuvor getötet, bei den Streitigkeiten um die Fisch-gründe oder auf den Stammesfesten, aber ich war noch nicht mit den Narben des Kriegers ausgezeichnet ..." Er deutete auf seine nackte
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sonnengebräunte Brust, wo die Zuhörer drei kleine waagrechte Narben erkennen konnten Während er erzählte, beobachtete ihn Ronaro mit unverhohlenem Interesse. Diese stolzen Barbaren mit ihrer urtümlichen Vitalität und ihrer unverblümten Direktheit faszinierten den jungen Prinzen. Die Jahre in Valusien als einer der mächtigsten Verbündeten des Reiches hatten den Pikten äußerlich verändert - sie hatten ihn nicht gezähmt, ihm jedoch eine Fassade von Kultur, Bildung und gesell-schaftlichem Verhalten aufgedrückt. Aber unter dieser Fas-sade lag die ungezügelte Wildheit des Barbaren noch immer unberührt. An Kull, einst Krieger in Atlantis und jetzt König von Valusien, war die Veränderung wesentlich tiefgreifen-der geschehen. "Ihr müßt wissen", fuhr Brule fort, "daß wir von den Inseln alle eines Blutes sind, auch wenn es viele Stämme gibt und jeder Stamm seine ganz eigenen Bräuche und Über-lieferungen hat. Wir alle erkennen Nial vom Stamm der Tatheli als obersten König an, doch seine Regentschaft ist nicht tiefgreifend. Er mischt sich nicht in die Angelegenhei-ten der Stämme, erhebt nicht Tribut noch Steuern, wie die Valusier es nennen, außer von den Nargi, den Dano und den Walfängern, die ebenfalls auf der Insel Tathel leben und denen er Schutz vor anderen Stämmen gewährt. Dafür nimmt er Tribut von ihnen, doch nicht von meinem Stamm, den Borni, noch von den anderen. Er greift auch nicht ein, wenn zwei Stämme einander bekriegen - außer ein Stamm legt sich mit den dreien an, die unter seinem Schutz stehen. Wenn der Krieg zu Ende ist, gelten sein Schiedsspruch und seine Friedensbedingungen: Welche geraubten Frauen zurückgegeben werden müssen, was für die Kriegsboote bezahlt werden muß und welcher Blutpreis zu entrichten ist, und so weiter. Und wenn die Lemurier oder die Kelten oder irgendeine andere Erobererhorde gegen uns zieht, so ruft er alle Stämme zusammen. Dann ist aller innerer Streit vergessen, und wir kämpfen Seite an Seite. Es ist der beste Weg. Er könnte nach der absoluten Herrschaft greifen, denn sein eigener Stamm ist sehr mächtig, und mit valusischer Hilfe könnte es ihm gelingen -1 6 2 -
aber er weiß gut, auch wenn er mit Hilfe seiner Verbündeten alle anderen Stämme in die Knie zwingt, würde es nie mehr Frieden geben, sondern steten erbitterten Kampf, so lange noch ein Borni, ein Sungara, ein Wolftöter oder irgendein anderer der Stammeskrieger am Leben ist."
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DIE SPIEGEL DES TUZUN THUNE (The Mirrors of Tuzun Thune) Selbst für Könige kommt einmal die Zeit großer Müdigkeit. Da wird das Gold des Throns zu Messing; der Palast verliert seinen Glanz; die Edelsteine der Krone schimmern matt wie das Eis des weißen Meeres; die Gespräche der Menschen gleichen dem sinnlosen Rasseln der Schellen des Narren. Ein Gefühl der Unwirklichkeit beschleicht einen. Selbst die Sonne steht kupfern am Himmel, und der Hauch der grünen See schenkt keine Frische mehr. Kull saß auf Valusiens Thron, und die Stunde der Müdigkeit war für ihn gekommen. Wie ein endloses Panorama zog alles an ihm vorbei: Männer, Frauen, Priester, Ereignisse und Schatten von Ereignissen, Dinge, die zu sehen waren, und solche, die erst noch getan werden mußten. Aber sie kamen und gingen wie Schatten und ließen in ihm keinen Eindruck zurück, nur eine ungeheure Erschöpfung. Und doch war Kull nicht müde. In ihm steckte eine Sehnsucht nach Dingen außerhalb seiner selbst, außerhalb des valu-sischen Hofes. Unrast erfüllte ihn, und seltsame unlösch-bare Träume griffen nach seiner Seele. Auf seinen Wunsch kam Brule der Speerkämpfer zu ihm, ein Krieger aus dem Piktenland der Inseln im Westen. "König, Ihr seid des Lebens auf dem Hof leid. Kommt mit auf mein Schiff, und wir lassen uns eine Weile von den Wellen tragen." "Nein." Trübsinnig stützte Kull das Kinn auf die kräftige Faust. "Ich bin alles müde. Die Städte langweilen mich -und an den Grenzen ist es ruhig. Ich höre das Lied der Wellen nicht mehr, wie damals, da ich als Junge auf den Klippen von Atlantis lag und die Sterne am Himmel funkelten. Selbst die grünen Wälder locken mich nicht mehr wie früher. Ein seltsames Sehnen ist in mir, ein Sehnen über das Leben hinaus. Geh!"
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Gedankenschwer verließ Brule ihn, und Kull brütete weiter auf seinem Thron. Da stahl sich eine junge Hofdame zu ihm und flüsterte: "Großer König, begebt Euch zu Tuzun Thune, dem Zauberer. Er kennt die Geheimnisse des Lebens und Todes, der Sterne am Himmel und der Lande unter dem Meer." Kull blickte das Mädchen an. Wie gesponnenes Gold waren ihre Haar und ihre veilchenblauen Augen eigentümlich geformt. Sie war schön, doch ihre Schönheit bedeutete Kull wenig. "Thuzun Thune", wiederholte er. "Wer ist das?" "Ein Zauberer der Alten Rasse. Er lebt hier in Valusien am See der Visionen im Haus der tausend Spiegel. Er weiß Antwort auf alle Fragen, o König; er spricht mit den Toten und unterhält sich mit den Dämonen der Verlorenen Lande." Kull erhob sich. "Ich werde diesen Wundermann aufsuchen, doch kein Wort davon zu irgend jemandem, hört Ihr?" "Ich bin Eure Sklavin, o König." Untertänig sank sie auf die Knie, doch ihr Lächeln, das Kull nicht zu sehen vermochte, war verschlagen genau wie ihre Augen. Und so kam Kull zum Hause Tuzun Thunes am See der Visionen. Breit und blau erstreckte sich das Wasser des Sees, und manch prächtiger Palast erhob sich an seinen Ufern. Barken in Schwanenform trieben ruhig dahin, und weiche Musik stieg von ihnen auf. Das Haus der tausend Spiegel erhob sich groß und geräumig, doch ohne Prunk vor Kull. Die breite Flügeltür stand offen, und so stieg er die Freitreppe hinauf und betrat unangemeldet das Haus. In einem Saal, dessen Wände aus Spiegeln bestanden, traf er auf Tuzun Thune, den Zauberer. Der Mann war alt wie die Berge von Zangara, seine runzlige Haut wie Leder, doch seine kalten grauen Augen schimmerten wie Schwertstahl. "Kull von Valusien, mein Haus ist Euer." Er verbeugte sich und bot Kull einen thronähnlichen Sessel an. -1 6 5 -
"Ihr seid Zauberer, wie ich hörte", sagte Kull ohne Umschweife. Er stützte das Kinn auf seine Rechte und blickte den Mann düster an. "Könnt Ihr Wunder wirken?" Der Zauberer streckte eine Hand aus, die Finger öffneten und schlössen sich wie die Krallen eines Raubvogels. "Ist dies kein Wunder - daß dieses blinde Fleisch meinem Geist gehorcht? Ich gehe, ich atme, ich spreche. Sind das nicht alles Wunder?" Kull betrachtete ihn gedankenvoll. "Könnt Ihr Dämonen beschwören?" "Ja. Ich kann einen Dämon herbeirufen, der schrecklicher ist als alle in der Welt der Geister - indem ich Euch ins Gesicht schlage." Kull blinzelte, dann nickte er. "Was ist mit den Toten? Könnt Ihr mit ihnen sprechen?" "Stets spreche ich mit Toten - so wie jetzt. Der Tod fängt bei der Geburt an, und jeder beginnt zu sterben, sobald er geboren ist. Schon jetzt seid Ihr tot, König Kull, weil Ihr geboren wurdet." "Und Ihr? Ihr seid älter als ein Mensch wird. Sind Zauberer unsterblich?" "Menschen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Weder früher noch später. Meine ist noch nicht gekommen." Kull dachte über diese Worte nach. "So ist denn der größte Zauberer Valusiens nichts weiter als ein gewöhnlicher Sterblicher, und ich war ein Narr, Euch aufzusuchen? Tuzun Thune schüttelte den Kopf. "Sterbliche sind Sterbliche, doch die größten Menschen sind jene, die die einfachen Dinge am raschesten lernen. Blickt in meine Spiegel, Kull." Die Decke bestand ebenso aus Spiegeln wie die Wände, und all diese Spiegel waren von den unterschiedlichsten Größen und Formen, doch alle geschickt aneinandergefügt. "Spiegel sind die Welt, Kull", murmelte der Zauberer. "Seht in meine Spiegel und werdet weise." -1 6 6 -
Kull schaute sich aufs Geratewohl um. Die Spiegel der gegenüberliegenden Wand fanden ihr Abbild und spiegelten wiederum andere wider, so daß es den Anschein hatte, als blicke er durch einen langen beleuchteten Gang, der von Spiegel um Spiegel gebildet wurde. Und weit hinten in diesem Korridor bewegte sich eine winzige Gestalt. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, daß die Gestalt sein Abbild war. Ein Gefühl der Unbedeutendheit beschlich ihn. Ihm schien, als wäre dies der wahre Kull, als zeige das Figürchen seinen wahren Maßstab an. So trat er rasch zur Seite und stellte sich vor einen anderen Spiegel. "Seht genau hin, Kull", hörte er den Zauberer. "Dies ist der Spiegel der Vergangenheit." Graue Schleier verbargen die Sicht, gewaltige Nebel-Schwaden wallten und wandelten sich. Durch diese Schleier sah Kull sich rasch verändernde, wundersame, aber auch grauenvolle Bilder: Tiere und Menschen und Wesen, die weder das eine, noch das andere waren, zogen vorbei; gewaltige exotische Blüten hoben sich von dem Grau ab: Hohe tropische Bäume ragten über Sümpfe, in denen sich ungeheure Reptilien suhlten; gräßliche Drachen flogen durch die Lüfte, und die ruhelose See brandete ohne Unterlaß über schlammige Küsten. Noch gab es den Menschen nicht, doch war er der Traum der Götter, und furchterregend muteten die Alptraumgeschöpfe an, die durch dichten Urwald schlichen. Angriff und Abwehr und erschreckender Zeugungsakt, wohin man sah. Der Tod war allgegenwärtig, denn Leben und Tod gehen Hand in Hand. Über die Sümpfe der Welt schallte das Brüllen der Ungeheuer, und unbeschreibliche Gestalten hoben sich hinter dem Vorhang des unablässigen Regens ab. "Und das ist die Zukunft." Kull folgte stumm des Zauberers Blick. "Was seht Ihr?" "Eine fremdartige Welt", antwortete Kull schwer. "Die Sieben Reiche sind zu Staub zerfallen und vergessen. Die ruhelose -1 6 7 -
grüne See wogt viele Faden tief über Atlantis' schroffen Bergen, und die Hochebenen von Lemurien im Westen sind die Inseln eines unbekannten Meeres. Fremdartige Wilde ziehen heilige Stätten schändend durch die alten Lande und durch neue, welche die Kraft des Wassers aus der Tiefe gehoben hat. Valusien und alle Lande unserer Zeit sind nicht mehr. Die Menschen von morgen sind Fremde und wissen nichts von uns." "Die Zeit schreitet voran", entgegnete Tuzun Thune ruhig. "Wir leben heute. Was kümmert uns das Morgen oder das Gestern? Das Rad dreht sich, Reiche entstehen und vergehen; die Welt verändert sich; die Menschen fallen in die Barbarei zurück und beginnen aufs neue den langen Aufstieg. Valusien war schon vor Atlantis, und vor Valusien gab es das Reich der Alten. 0 ja, auch wir schritten auf unserem Vormarsch über jetzt längst vergessene Volksstämme hinweg. Ihr, der Ihr von den meerumspülten Bergen Atlantis' gekommen seid, um nach der alten Krone Valusiens zu greifen, glaubt, mein Volk wäre alt, das in diesen Landen zu Hause war, ehe die Valusier aus dem Osten vordrangen, in jenen Tagen, ehe es Menschen auf den Inseln gab. Doch hier lebten bereits Menschen, bevor die Alten Stämme aus den Steppen einritten, und vor diesen Menschen andere, ein Volk folgte dem nächsten. Die Völker vergehen und werden vergessen, denn das ist das Schickal der Menschen." "Ja." Kull seufzte. "Doch ist es nicht bedauerlich, daß sein Ruhm und alles Schöne, was der Mensch geschaffen hat, wie Rauch dahinschwindet?" "Warum, da es doch sein Los ist. Ich grüble nicht über den vergangenen Glanz meiner Rasse, noch mache ich mir Gedanken über zukünftige. Lebt jetzt, Kull, jetzt! Die Toten sind tot, die Ungeborenen leben noch nicht. Was kümmert es Euch, wenn die Menschen Euch vergessen werden, wenn Ihr selbst Euch in den stillen Welten des Todes vergessen habt? Seht in meine Spiegel und werdet weise." Kull blickte in einen weiteren Spiegel. "Das ist der Spiegel des größten Zaubers; was seht Ihr, Kull?" -1 6 8 -
"Nur mich." "Seht genauer hin, Kull; seid Ihr es wirklich?" Kull blickte angespannt in den Spiegel, und sein Abbild erwiderte den Blick. "Ich stelle mich vor diesen Spiegel", sagte Kull nachdenklich und stützte das Kinn auf die Faust, "und erwecke diesen Mann zum Leben. Das kann ich nicht verstehen, denn zum ersten Mal sah ich ihn in den stillen Gewässern von Atlantis und später in den goldgerahmten Spiegeln Valusiens. Hier ist er, ein Schatten meines Selbst, ein Teil von mir. Ich kann ihm Leben geben oder es ihm nehmen, wie es mir beliebt; doch ..." Er hielt inne; merkwürdige Gedanken huschten durch die Tiefen seines Verstandes wie schattenhafte Fledermäuse durch eine riesige Höhle. "... wo ist er, wenn ich nicht vor einem Spiegel stehe? Darf ein Mensch so leichtfertig einen Schatten des Lebens und Seins schaffen und dann vernichten? Wie will ich wissen, daß er im Nichts verschwindet, wenn ich vom Spiegel zurücktrete? Bei Valka, bin ich der echte Mensch, oder ist er es? Welcher von uns ist der Schatten des andern? Vielleicht sind diese Spiegel Fenster in eine andere Welt? Sieht er mich so, wie ich ihn sehe? Bin ich für ihn nicht mehr als ein Spiegelbild, wie er es für mich ist? Und wenn ich das Abbild bin, welche Art von Welt existiert dann auf der anderen Seite dieses Spiegels? Welche Armeen reitert dort? Welche Könige herrschen? Meine Welt ist die einzige, die ich kenne. Wie soll ich es beurteilen können, wenn ich nichts von anderen weiß? Gewiß gibt es auch dort grüne Hügel und brandende Wogen und breite Ebenen, auf denen Männer in die Schlacht ziehen. Sagt mir, Zauberer, der weiser ist als die meisten Menschen: Gibt es Welten außerhalb der unseren?" "Der Mensch hat Augen zum Sehen", antwortete der Alte. "Wer sehen möchte, muß zuerst glauben." Stunden verstrichen, und immer noch saß Kull vor Tuzun Thunes Spiegeln und starrte in jenen, der sein Bild wiedergab. Manchmal -1 6 9 -
vermeinte er, harte Oberflächlichkeit zu sehen, andere Male gewaltige Tiefen. Wie die Oberfläche der See war der Spiegel Tuzun Thunes; undurchdringlich wie das Meer in der schräg einfallenden Sonne und im kargen Sternenschein, wenn kein Auge in seine Tiefen zu sehen vermag; gewaltig und geheimnisvoll wie die See, wenn die Sonne gerade auf sie fällt und dem Beobachter ein atemberaubender Blick auf ungeheuere Abgründe geboten ist. Derart war der Spiegel, in den Kull schaute. Schließlich erhob sich der König seufzend und verabschiedete sich immer noch staunend. Und Kull besuchte aufs neue das Haus der tausend Spiegel; Tag für Tag kam er und saß stundenlang vor dem Spiegel. Die Augen, die ihm entgegenblickten, waren wie seine, und doch war Kull, als spüre er einen Unterschied - eine Wirklichkeit, die nicht von ihm kam. Stunde um Stunde starrte er mit seltsamer Eindringlichkeit in den Spiegel, und Stunde um Stunde erwiderte das Abbild seinen Blick. Vernachlässigt wurden Staatsgeschäfte und Besprechungen mit den Ratgebern. Die Untertanen murrten. Kulls Hengst stampfte ungeduldig im Marstall, und Kulls Krieger verbrachten die Zeit mit Würfelspielen und müßiger Unterhaltung. Kull kümmerte es nicht. Manchmal glaubte er nahe daran zu sein, ein Geheimnis größter Bedeutung aufzudecken. Er betrachtete das Spiegelbild nicht mehr als Schatten seiner selbst, es war für ihn zu einer eigenen Persönlichkeit geworden, die ihm äußerlich zwar ähnlich sah, doch so weit von Kull entfernt war wie die beiden Pole voneinander. Das Abbild hatte sein eigenes Wesen, wie Kull schien, und es war so wenig abhängig von Kull, wie Kull von ihm. Und Tag für Tag wurde Kull unsicherer, in welcher Welt er wirklich lebte; war er der Schatten, gerufen durch den Willen des anderen? Lebte er statt des anderen in einer Welt der Einbildung, dem Schatten der wirklichen Welt? Kull fing an, sich zu wünschen, eine kurze Weile in den anderen jenseits des Spiegels schlüpfen zu können, um zu sehen, was zu sehen war; doch falls ihm das gelingen würde, könnte er dann je wieder zurück? Würde er eine Welt vorfinden, genau wie die, in -1 7 0 -
der er sich jetzt befand? Eine Welt, von der die seine nur ein geisterhaftes Abbild war? Was war Wirklichkeit und was Illusion? Hin und wieder fragte sich Kull, wie solche Gedanken und Träume je Eingang in seinen Geist gefunden hatten. Und manchmal fragte er sich auch, ob sie überhaupt aus ihm kamen. Seine Überlegungen waren seine, niemand vermochte die Gedanken eines anderen zu beherrschen; er konnte sie nach Belieben rufen, oder etwa nicht? Waren sie nicht wie Fledermäuse, die kamen und gingen, nicht nach seinem Willen, sondern dem ... Wessen? Der Götter? Der Nomen, die das Schicksal woben? Kull gelangte zu keinem Ergebnis, denn bei jedem geistigen Schritt verirrte er sich mehr und mehr in einem Dunst von Scheinannahmen und Widerlegungen. Doch soviel wußte er: Seltsame Visionen drängten sich ihm auf wie Geister, die ungebeten aus der Leere des Nichtseins schwebten. Nie zuvor hatte er sich ähnlichen Gedanken hingegeben, doch jetzt beherrschten sie ihn im Schlafen und Wachen, daß er manchmal benommen einherwandelte; und schreckliche Alpträume quälten ihn. "Verratet mir, Zauberer", sagte er, während er gebannt vor dem Spiegel saß, "wie kann ich durch dieses Tor treten? Denn wahrlich, ich bin mir nicht sicher, ob das, was ich sehe, in irgendeiner Form existiert." "Seht und glaubt!" riet der Zauberer. "Man muß glauben, um etwas zu erreichen. Form ist Schatten, Substanz ist Illusion, Stofflichkeit ist Traum; der Mensch ist, weil er glaubt zu sein; aber was ist der Mensch anderes als ein Traum der Götter? Und doch kann der Mensch sein, was er sein möchte. Form und Substanz sind nur Schatten. Der Geist, das Ich, das Wesen der Götterträume - nur das ist wirklich und unsterblich. Seht und glaubt, wenn Ihr etwas erreichen wollt, Kull." Der König verstand ihn nicht so recht; eigentlich verstand er die rätselhaften Äußerungen des Zauberers nie wirklich, doch irgend etwas tief in ihm reagierte darauf. So saß er Tag für Tag vor den Spiegeln Tuzun Thunes. Und stets leistete der Zauberer ihm einem Schatten gleich Gesellschaft. -1 7 1 -
So kam der Tag, da sich Kull flüchtig Bilder fremdartiger Landschaften zeigten; vage Gedanken und Erkenntnisse gingen ihm durch den Kopf. Tag für Tag verlor er die Beziehung zur Welt mehr. Zusehends wurde alles für ihn unwirklicher, geisterhafter, nur der Mann im Spiegel schien Wirklichkeit zu sein. Kull glaubte nun, den Toren zu mächtigeren Welten nahe zu sein; herrliche Ausblicke öffneten sich ihm flüchtig; die Nebel der Unwirklichkeit begannen sich zu lichten. "Form ist Schatten, Substanz ist Illusion; sie sind nur Schatten", vernahm er wie aus weiter Ferne in einem Winkel seines Bewußtseins. Er erinnerte sich an die Worte des Zauberers, und ihm schien, als verstünde er sich nun fast - Form und Substanz; konnte er sich nicht nach Belieben verändern, wenn er nur den Schlüssel zu dieser Tür fände? Welche Welten innerhalb anderer Welten harrten des kühnen Entdeckers? Der Mann im Spiegel schien ihm zuzulächeln - näher, näher. Nebel hüllte alles ein, und das Spiegelbild verdunkelte sich plötzlich. Kull hatte das Gefühl, zu schwinden, sich zu verändern, in etwas anderem aufzugehen ... "Kull!" Der schrille Ruf zerriß die Stille in eine Million vibrierender Teilchen! Berge stürzten ein, und Welten wankten, als Kull von dem verzweifelten Schrei zurückgeworfen, all seine Kräfte auf schier übermenschliche Weise einsetzte. Wie oder wieso wußte er nicht. Ein Klirren, und Kull stand im Saal Thuzun Thunes vor einem zerschmetterten Spiegel, verwirrt und fast blind vor Benommenheit. Vor ihm lag der Leichnam des Alten, dessen Zeit nun abgelaufen war, und über ihm stand Brule mit rot triefendem Schwert und vor Grauen weit aufgerissenen Augen. "Valka!". entfuhr es dem Krieger. "Kull, ich kam gerade noch rechtzeitig!" "Ja - aber was ist geschehen?" Der König rang nach Worten. "Fragt diese Verräterin!" Der Pikte deutete auf ein Mädchen, das furchterfüllt vor dem König kauerte. Kull sah, daß es die junge -1 7 2 -
Hofdame war, die ihn zu Tuzun Thune geschickt hatte. "Als ich hereinkam, sah es aus, als drohtet Ihr Euch in dem Spiegel aufzulösen wie Rauch im Wind. Bei Valka! Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich könnte es nicht glauben. Ihr wart schon fast verschwunden, als mein Schrei Euch zurückriß." "Ja", murmelte Kull, "diesmal hatte ich die Tür fast durchschritten." "Dieser Schurke ist äußerst schlau vorgegangen", sagte Brule. "Kull, erkennt Ihr jetzt, welch ein Netz aus Magie er wob und über euch warf? Kaanuub von Blaal verschwor sich mit diesem Zauberer, um sich Euer zu entledigen, und diese Verräterin, ein Mädchen der Alten Rasse, lockte Euch hierher. Der Ratgeber Ka-na erfuhr heute von der Verschwörung. Ich weiß nicht, was Ihr in diesem Spiegel gesehen habt, doch mit ihm hat Tuzun Thune Eure Seele in Bann geschlagen und durch seine Hexerei fast Euren Körper in Nebel verwandelt." "Ja." Kull war immer noch benommen. "Aber er hatte doch als Zauberer das Wissen aller Zeit, und er blickte herab auf Gold, Ruhm und Macht, was konnte Kaanuub ihm da bieten, daß er zum gemeinen Verräter wurde?" "Gold, Macht und eine hohe Stellung", brummte Brule. "Je eher Ihr erkennt, daß Menschen auch Menschen bleiben, ob sie nun Zauberer, König oder Leibeigener sind, desto besser werdet Ihr zu herrschen imstande sein, Kull. Was soll mit ihr geschehen?" ; "Nichts, Brule", antwortete der König, als sich das Mädchen vor Kulls Füße warf und wimmerte. "Sie war nur ein Werkzeug. Steh auf, Kind, und geh deines Weges; niemand wird dir etwas antun." Als er mit Brule allein war, warf Kull einen letzten Blick aufThuzun Thunes Spiegel. "Mag sein, daß er Ränke schmiedete und mich durch Zauber täuschte; nein, ich zweifle nicht an deinen Worten -doch war es seine Zauberei, die mich in Nebel verwandelte, oder habe ich ein Geheimnis entdeckt? Wenn du mich nicht zurückgeholt hättest, hätte ich mich dann in Nichts aufgelöst - oder neue Welten jenseits gefunden?" -1 7 3 -
Brule blickte flüchtig auf die Spiegel und zuckte die Schultern, als erschauerte er. "Ja, Thuzun Thune hat die Weisheit aller Höllen hier gebannt. Gehen wir, Kull, ehe sie auch mich verhexen." "Ja, gehen wir", murmelte Kull, und Seite an Seite verließen sie das Haus der tausend Spiegel - in denen vielleicht die Seelen der Menschen gefangen sind. Niemand blickt jetzt mehr in die Spiegel des Zauberers Thuzun Thune. Die Vergnügungsbarken meiden das Ufer, an dem das Haus des Zauberers steht, und niemand betritt den Saal, in dem der Leichnam vor den Spiegeln der Täuschung liegt. Man hält das Haus für verflucht und macht einen weiten Bogen herum, und obgleich es noch tausend Jahre stehen wird, werden keine Schritte in ihm hallen. Doch Kull denkt auf seinem Thron oft über die Weisheiten und Geheimnisse nach, die dort verborgen liegen ... Denn er weiß, daß jenseits seiner Welt andere Welten sind, und ob Thuzun Thune ihn nun durch Worte oder Zauber bannte, ihm erschlossen sich durch jene seltsame Tür ungeahnte Bilder. Und seit Kull in Thuzun Thunes Spiegel geblickt hat, ist er sich der Wirklichkeit weniger sicher.
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DIE SCHWARZE STADT (The Black City) Fragment Die kalten Augen Kulls, des Königs von Valusien, verrieten Verblüffung, als sie auf dem Mann ruhten, der so plötzlich hereingestürmt war und nun zitternd vor Grimm vor dem König stand. Kull seufzte. Er kannte seine barbarischen Verbündeten, denn war er nicht selbst ein Atlanter von Geburt? Brule, der Speerkämpfer, war es, und er hatte die valu-sischen Embleme von seinem Harnisch gerissen, so daß ihn nichts mehr als einen Verbündeten des Reiches auswies. Und Kull wußte, was dies bedeutete. "Kull!" rief der Pikte, weiß vor Wut. "Ich verlange Gerechtigkeit!" Wieder seufzte Kull. Es gab Zeiten, da sich selbst ein so kriegerischer König wie er nach Ruhe und Frieden sehnte. Hier in Kamula glaubte er beides gefunden zu haben. Verträumtes Kamula - selbst während er darauf wartete, daß der ergrimmte Pikte fortfuhr, wanderten seine Gedanken zurück zu den beschaulichen, verträumten Tagen, die er seit seiner Ankunft in dieser Stadt in den Bergen verbracht hatte, in dieser Stadt der Freuden, deren Marmor- und Lapislazulipaläste terrassenförmig zur Bergkuppe hochstrebten, die die Stadtmitte bildete. "Mein Volk ist seit tausend Jahren mit dem Reich verbündet!" Der Pikte ballte in einer wütenden Geste die Faust. "Wie erklärt Ihr es, daß einer meiner Stammeskrieger im Palast des Königs vor meinen Augen von meiner Seite gerissen wurde?" Kull fuhr überrascht hoch. "Was sagst du da? Welcher Krieger? Wer riß ihn von deiner Seite?" "Das sollt Ihr mir sagen", knurrte der Pikte. "Im einen Augenblick war er noch hier, lehnte an einer Marmorsäule - im nächsten fort! Da war nur ein übler Gestank und das Echo eines Schreis." "Vielleicht ein eifersüchtiger Ehemann ...", meinte der König. -1 7 5 -
Aber Brule unterbrach ihn ungeduldig. "Grogar war nie hinter Weibern her - nicht einmal hinter piktischen. Diese Kamulier hassen uns Pikten. Ihre Mienen sagen es deutlich." Kull lächelte. "Du träumst, Brule. Diese Menschen sind viel zu träge und zu sehr den Freuden ergeben, um jemanden zu hassen. Sie lieben, sie singen, sie dichten - oder denkst du, der Dichter Taligaro hätte Grogar geholt? Oder die Sängerin Zareta? Oder Prinz Mandara?" "Wer es auch war", sagte Brule heftig, "laßt Euch eines sagen, Kull: Für das Reich hat Grodar sein Blut wie Wasser vergossen, und er ist der beste Häuptling meiner berittenen Bogenschützen. Ich werde ihn rinden, lebendig oder tot, und wenn ich in Kamula keinen Stein auf dem ändern lasse! Bei Valka, ich werde diese Stadt in Flammen legen und diese Flammen mit Blut löschen ..." Kull erhob sich von seinem Thron. "Bring mich zu der Stelle, wo du Grondar zuletzt gesehen hast", sagte er. Brule verstummte und schritt mürrisch voran. Sie verließen den Saal durch eine Seitentür und folgten einem gewundenen Korridor Seite an Seite, so verschieden im Aussehen, wie zwei Männer nur sein können, doch gleich in der Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen, gleich, was die Schärfe ihres Blickes betraf, gleich in der vage spürbaren Wildheit, die dem Barbaren eigen war. Kull war breitschultrig, von mächtigem Körperbau -und doch geschmeidig. Sonne und Wind hatten sein Gesicht gebräunt, sein schwarzes, gerade geschnittenes Haar erinnerte an eine Löwenmähne, seine grauen Augen wirkten so kalt wie ein Schwert, das durch tiefes Eis schimmert. Brule wies die typischen Merkmale seiner Rasse auf - er war mittelgroß, schlank und muskulös wie ein Panther und hatte viel dunklere Haut als der König. "Wir waren im Prunkgemach", brummte der Pikte. "Gro-gar, Manaro und ich. Grogar lehnte sich gegen eine Säule an der Wand - und verschwand vor unseren Äugen. Ein Wandstück schwang nach innen, und er war nicht mehr da! Nur flüchtig -1 7 6 -
sahen wir tiefe Schwärze dahinter und ein abscheuliches Bild, das sich uns entgegendrängen wollte. Da riß Manaro, neben dem Grogar gestanden hatte, sein Schwert aus der Scheide und stieß die gute Klinge in die Öffnung, so daß die Wand sich nicht mehr völlig schließen konnte. Wir versuchten sie wieder zu öffnen, doch sie gab nicht nach, da eilte ich zu euch, während Manaro sein Schwert in dem Spalt festhält." "Und warum hast du dir die valusischen Embleme von deinem Harnisch gerissen?" fragte Kull. "Ich war wütend", knurrte der Speerschleuderer mißmutig und wich des Königs Blick aus. Kull nickte schweigend. Das war die natürliche, obgleich unvernünftige Handlung eines zornigen Wilden, der seinen Grimm nicht an einem natürlichen Gegner auslassen kann. Sie betraten das Prunkgemach, dessen hintere Wand in das Gestein des Berges eingelassen ar, an dessen Hang Kamula erbaut war. "Manara sagt, er könne schwören, daß er leise Musik gehört hat", brummte Brule. "Dort lehnt er, mit dem Ohr am Spalt. Holla Manaro!" Kull runzelte die Stirn, als ihm auffiel, daß der hochgewachsene Valusier weder seine Haltung veränderte, noch den Ruf erwiderte. Wahrhaftig lehnte er an der Wandverkleidung, mit einer Hand um das Schwert, das die Geheimtür spaltweit offenhielt, und ein Ohr an diesen Spalt gedrückt. Kult fiel die fast greifbare Schwärze dieses schmalen Streifens auf - ihm schien, als lauere hinter dieser unbekannten Öffnung ein lebendiges Wesen. Ungeduldig schritt er darauf zu und legte schwer die Hand auf die Schulter des Recken. Da löste Manaro sich von der Wand und fiel mit vor Grauen verzerrten, glasigen Augen vor Kulls Füße. "Valka!" fluchte Brule. "Er wurde erstochen - wie konnte ich ihn nur allein lassen!" Der König schüttelte den Kopf. "Es ist kein Blut an ihm - sieh dir sein Gesicht an!" Brule tat es und fluchte. Die Züge des toten -1 7 7 -
Valusiers waren zu einer Maske des Grauens erstarrt - und sie erweckte den Eindruck, als lausche er. Vorsichtig näherte sich Kull dem Spalt, dann winkte er Brule zu. Irgendwo hinter dieser geheimnisvollen Tür erklang ein dünnes Wimmern wie von einer gespenstischen Flöte. Es war so schwach, daß man es kaum zu vernehmen vermochte und doch vereinte sich in dieser Musik der Haß und die Grausamkeit von unzähligen Dämonen. Kull zuckte die mächtigen Schultern.
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OHNE TITEL (Untitled) Fragment "Schließlich", sagte Tu, der oberste Ratgeber, "floh Lala-ah, die Gräfin von Fanara, mit ihrem Liebhaber, dem farsu-nischen Abenteurer Fenar, und brachte Schande über das Haupt des Mannes, den sie ehelichen sollte, und über Valu-sien." Kull nickte. Er hatte das Kinn auf die Faust gestützt und Tus Geschichte von der jungen Gräfin von Fanara, die einen valusischen Edelmann auf den Stufen des Meramatempels versetzte und mit einem Liebsten das Weite suchte, mit geringem Interesse verfolgt. "Ja, ich verstehe", unterbrach er Tu ungeduldig. "Aber was habe ich mit den Liebesabenteuern eines wankelmütigen Mädchens zu schaffen? Ich kann es ihr nicht verübeln, daß sie Ka-yanna verließ - bei Valka, er ist so häßlich wie ein Rhinozeros und doppelt so unerfreulich. Warum langweilt Ihr mich mit dieser Geschichte?" "Ihr seid Euch der Tragweite nicht bewußt, Kull", sagte Tu mit aller Geduld, deren es bei einem Barbaren bedurfte, der es zum König gebracht hatte. "Weil die Sitten des Landes nicht die Euren sind. Damit, daß sie Ka-yanna vor dem Altar verließ, an dem die Vermählung vollzogen werden sollte, hat Lala-ah die alten Traditionen des Reiches aufs gröbste verletzt. Ein Schlag in das Gesicht Valusiens ist auch ein Schlag in das Gesicht des Königs, Kull. Schon dafür muß sie festgenommen und bestraft werden. Zudem ist sie eine Gräfin. Edelfrauen dürfen, so will es die valusische Tradition, Ausländer nur mit Einwilligung des Staates ehelichen. In ihrem Fall wurde diese Zustimmung weder erbeten noch erteilt. Valusien wird zum Gespött aller Länder werden, wenn wir es zulassen, daß Männer aus anderen Ländern unsere Frauen entführen und ungestraft davonkommen." "Valka!" Der König schüttelte den Kopf. "Hier wird ohne Unterlaß großes Getue um Sitten und Tradition gemacht. Seit ich auf dem
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Thron sitze, habe ich kaum etwas anderes gehört. Dort, wo ich herkomme, wählen die Frauen frei ihre Gefährten." "Ich weiß, Kull" erwiderte Tu geduldig. "Aber Ihr regiert Valusien nicht Atlantis. Bei uns können die Männer und auch die Frauen frei entscheiden und handeln, aber die Zivilisation ist ein dichtes Netzwerk von Gesetzen und Traditionen. Und noch etwas ist im Fall der jungen Gräfin zu bedenken: Sie hat einen Schuß königlichen Blutes." "Dieser Mann verfolgte mit Ka-yannas Reitern das Mädchen", sagte Tu. "So ist es", erklärte der junge Mann. "Und ich habe eine Botschaft von Fenar für Euch, Lord König." "Eine Botschaft an mich? Ich kenne diesen Fenar nicht." "Er hinterließ sie einem Grenzwächter von Zarfhaana für seine Verfolger: >Laßt das Barbarenschwein, das den ehrwürdigen Thron des Reiches besudelt, wissen, daß ich ihn einen niederen Schurken schimpfe. Sagt ihm, daß ich eines Tages zurückkehren werde, um seinen feigen Kadaver in Weiberkleider zu stecken und ihn als Stallmagd zu halten. <" Kulls mächtige Gestalt ruckte hoch, sein Thronstuhl fiel krachend um. Einen Augenblick lang stand er sprachlos, dann fand er seine Stimme wieder, und sein Brüllen ließ Tu und den jungen Edelmann zurückstolpern. "Valka, Honen, Holgar und Hotath!" donnerte er valu-sische und heidnische Götter in einem Atemzug, daß sich Tu bei dieser grimmigen Blasphemie die Haare sträubten. Kull hob die mächtigen Arme, und seine Faust schmetterte mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß die massiven Beine nachgaben. Tu, den dieser Ansturm barbarischen Grimms von den Füßen gefegt hatte, wich bleich an die Wand zurück, dicht gefolgt von dem jungen Edlen, der mit der Überbringung der Botschaft Fenars viel gewagt hatte. Doch Kull war zu sehr Barbar, als daß er sich für die Beleidigung am Überbringer vergriffen hätte; solcherart pflegten zivili-siertere Herrscher ihren ersten Grimm zu stillen.
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"Pferde!" brüllte Kull. "Laßt die Roten Reiter aufsitzen! Schickt Brule zu mir!" Er riß sich die königliche Robe vom Leib und schleuderte sie durch den Raum, packte eine kostbare Vase vom zerschmetterten Tisch und zerschlug sie auf dem Boden. "Rasch!" keuchte Tu und schob den jungen Edelmann zur Tür. "Holt Brule, den piktischen Speerkämpfer - eilt, ehe uns der König alle erschlägt!" Tu beurteilte Kulls Verhalten nach den Erfahrungen mit früheren Königen, doch Kull war noch zu unberührt von zivilisierten Gepflogenheiten, um seinen königlichen Grimm an unschuldigen Untergebenen auszulassen. Der erste lodernde Grimm war einer kalten Wut gewichen, als Brule eintraf. Beim Anblick der Zerstörung im Zimmer lächelte der Pikte grimmig. Kull begann. Reitkleidung anzulegen. Als Brule eintrat, blickte er auf. Seine grauen Augen blitzten kalt. "Reiten wir, Kull?" fragte der Pikte. "Ja, wir reiten, bei Valka! Und es wird kein Spazierritt. Zuerst nach Zarfhaana, vielleicht auch weiter - in die Schneeländer oder die Sandwüsten, wenn es sein muß, bis in die Hölle! Dreihundert der Roten Reiter sollen sich bereitmachen." Brule grinste erfreut. Er war ein muskulöser Mann von mittlerer Größe mit funkelnden Augen in einem verschlossenen Gesicht. Er glich einer Bronzestatue. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und verließ den Raum. "Lord König, was habt Ihr vor?" wagte Tu zu fragen, obgleich er noch immer vor Furcht zitterte. "Ich hefte mich an Fenars Fersen", erwiderte der König heftig. "Ich lege das Königreich in Eure Hände, Tu. Ich kehre erst zurück, wenn ich den Farsunier vor der Klinge gehabt habe, oder gar nicht." "Nein, nein!" rief Tu. "Das ist äußerst unratsam, o König! Vergeßt die Worte eines namenlosen Aufschneiders! Der Kaiser -1 8 1 -
von Zarfhaana wird Euch niemals gestatten, mit solch einer Streitmacht seine Reichsgrenzen zu überschreiten." "Dann werden wir über die Ruinen seiner Städte reiten", erwiderte Kull mit grimmiger Entschlossenheit. "In Atlantis läßt ein Mann eine Beleidigung nicht ungerächt. Wenn mich auch Atlantis ausgestoßen hat und ich nun König Valusiens bin - so bin ich immer noch ein Mann, bei Valka!" Er gürtete seine große Klinge und schritt zur Tür, während Tu ihm nachblickte. Draußen vor dem Palast saßen vierhundert Männer in ihren Sätteln. Etwa dreihundert davon gehörten Kulls Roten Reitern, der gefürchtetsten Streitmacht der Welt, an. Diese Männer waren hauptsächlich Krieger der valusischen Bergstämme, die stärksten und tapfersten einer degenerierten Rasse. Die übrigen hundert waren Pikten, grimmige, wilde Krieger aus Brules Stamm, die mit ihren Pferden zu Zentauren zu verschmelzen schienen und wie leibhaftige Teufel aus der Hölle kämpften. Alle diese Männer entboten Kull den königlichen Salut, als er die Stufen des Palastes herunterschritt. Wilde Begeisterung ließ seine Augen aufleuchten. Er war Fenar fast dankbar für diesen Anlaß, der es ihm ermöglichte, eine Weile aus dem eintönigen Leben am Hof auszubrechen und sich in ein Abenteuer zu stürzen - aber er bedachte den Farsunier deshalb nicht mit freundlicheren Gedanken. An der Spitze seiner grimmigen Streitmacht saßen Brule, der Häuptling der mächtigsten Verbündeten Valusiens, und Kelkor, der stellvertretende Befehlshaber der Roten Reiter. Kull dankte für den Salut mit einem kurzen Wink und schwang sich in den Sattel. Brule und der Befehlshaber lenkten ihre Pferde links und rechts neben ihn. "Achtung", kam Kelkors knapper Befehl. "Gebt die Sporen! Reitet los!" Der Reiterzug setzte sich in Trab. Neugierig spähte das Volk aus Fenstern und Türen, und die Menschen auf den Straßen hielten -1 8 2 -
erwartungsvoll inne, als das Klappern von Silberhufen durch das Stimmengewirr und die Geräusche des Marktes und der Geschäfte hörbar wurde. Die Rosse schüttelten ihre geschmückten Mähnen, das bronzene Rüstzeug der Krieger blitzte in der Sonne, die Wimpel an den Spitzen der langen Lanzen flatterten. Kurz verstummten die Menschen am Marktplatz, als der prächtige Reitertrupp vorüberritt. Erstaunte und bewundernde Blicke folgten den Reitern auf der breiten weißen Straße, bis das Klappern der Silberhufe auf dem Pflaster in der Ferne verklungen war. Dann wandten sich die Bewohner der Stadt wieder den alltäglichen Dingen zu - wie es die Menschen immer tun, gleich wohin Könige reiten. Über die breiten weißen Straßen ritten sie hinaus durch die Vororte mit ihren ausgedehnten Herrensitzen und Palästen, immer weiter, bis die goldenen Spitzen der saphirblauen Türme Valusiens nur noch ein silberner Schimmer in der Ferne waren und die grünen Berge Zalgaras majestätisch vor ihnen aufragten. Als die Nacht hereinbrach, lagerten sie bereits hoch oben in den Berghängen. Die Bergbewohner, stammesverwandt mit den Roten Reitern, kamen in Scharen ins Lager und brachten Essen und Wein, und die Krieger, die sich in der Stadt so stolz und unnahbar gaben, waren wie verwandelt, scherzten mit ihnen, sangen die alten Lieder und lauschten den alten Geschichten. Kull aber wandte dem Lager und dem grellen Feuerschein den Rücken und blickte hinaus über die dunklen Berge und Täler. Dichter Bewuchs nahm den Felsrücken die Schroffheit, die Täler sanken tief hinab in ein magisches Schattenreich, aus dem die Berge klar und mächtig im Silberlicht des Mondes emporragten. Diese Bergwelt Zaigaras hatte Kull immer in ihren Bann gezogen. Sie weckte Erinnerungen an die Berge von Atlantis, deren schneebedeckte Gipfel er in jungen Jahren erklommen hatte, bevor er in die große Welt hinauszog, um nach den Sternen zu greifen, und einen uralten, mächtigen Thron bestieg. Doch sie waren ganz anders. Die Felsen von Atlantis ragten steil und felsig in den Himmel, kahl und unwirtlich. Die Berge von -1 8 3 -
Atlantis waren von der Wildheit und Ungezähmt-heit der Jugend, wie Kull selbst. Ihre Schroffheit war noch unberührt von der Zeit. Die Berge Zaigaras hingegen standen wie uralte Götter, und grüne Wälder bedeckten ihre Rücken und Hänge, und ihre Umrisse waren sanft und beschaulich. Zeit - Zeit - sann Kull. Jahrhunderte um Jahrhunderte hatten ihre steinerne Pracht hinweggerafft. Nun verlieh ihnen das Alter eine andere, sanftere Schönheit, und sie standen versunken in Träumen von anderen Zeiten und dahingegangenen Königen. Einer roten Flut gleich schwemmte die Erinnerung an Fenars prahlerische Beleidigung seine Grübeleien zur Seite. Seine Fäuste ballten sich, als er voll Grimm zum stillen Antlitz des Mondes emporblickte. "Helfara und Hotath mögen meine Seele zum ewigen Feuer verdammen, wenn ich dem Farsunier nicht das Maul stopfe!" grollte er. Wie als Antwort auf diesen heidnischen Schwur fuhr der Nachtwind flüsternd durch das Laubwerk. Noch bevor die Dämmerung den Himmel über den Bergen Zaigaras rot färbte, saßen Kulls Männer im Sattel. Das erste Licht des Morgens leuchtete auf Lanzenspitzen, Helmen und Schilden, als der Reitertrupp seinen Weg durch die dicht bewachsenen Täler und über die langgezogenen Hänge suchte. "Wir reiten in den Sonnenaufgang", bemerkte Kelkor. "Ja", erwiderte Brule grimmig. "Und einige von uns werden in die Welt jenseits reiten." Kelkor zuckte die Schultern. "So wird es immer sein. Das ist das Los des Kriegers." Kull musterte den Befehlshaber. Aufrecht wie ein Speer saß Kelkor im Sattel, kerzengerade, unbeugsam wie eine eiserne Statue. Der Anblick des Mannes erinnerte Kull an eine blitzende Klinge aus geschliffenem Stahl. Er war ein Mann von schier nie erlahmenden Kräften. Seine hervorstechendste Eigenschaft aber war seine unerschütterliche Ruhe. Alles was er tat oder sagte, war von kühler Beherrschtheit geprägt. Ob in der Hitze der -1 8 4 -
oft beleidigenden Wortgefechte in der Ratsversammlung oder im heulenden, klirrenden Chaos der Schlacht, Kelkor blieb immer gelassen, verlor nie den Überblick. Er hatte kaum Freunde und legte auch wenig Wert auf Freundschaften. Er verdankte es ausschließlich seinen Fähigkeiten, daß er vom namenlosen Söldner zum zweithöchsten Mann der valu-sischen Streitkräfte aufgestiegen war - und nur der Umstand seiner Geburt machte den höchsten Rang für ihn unerreichbar. Denn die Tradition verlangte es, daß der oberste Befehlshaber der Truppen ein Valusier sein müsse, und Kelkor war ein Lemurier. Dem Aussehen nach war er allerdings mehr Valusier als Lemurier, denn er war hochgewachsen und schlank und trotzdem kräftig gebaut. Allein seine Augen verrieten seine Herkunft. Beim nächsten Sonnenaufgang ließen sie die Berge hinter sich, deren Ausläufer in der Kamoonischen Wüste endeten, einem unbewohnten Ödland aus gelbem Sand, das sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Dort gab es weder Bäume noch Büsche, noch Wasser. Abgesehen von einer kurzen Rast am Mittag, um etwas zu essen und den Pferden ein wenig Ruhe zu gönnen, ritten sie den ganzen Tag, obgleich die Hitze fast unerträglich war. Die Männer, obgleich Strapazen gewohnt, erschlafften unter der Glut. Sie ritten schweigend. Das Klirren von Steigbügeln und Rüstzeug, das Knarren von schweißdurchnäßten Sätteln und das eintönige Schlurfen der Hufe durch den tiefen Sand waren die einzigen Geräusche. Selbst Brule entledigte sich des Harnisches und hing ihn an den Sattelknauf. Nur Kelkor saß aufrecht und ungebeugt vom Gewicht der vollen Rüstung, scheinbar unberührt von der Hitze und Erschöpfung, die den anderen zusetzte. "Stahl, durch und durch Stahl", dachte Kull bewundernd, und er fragte sich insgeheim, ob er je so vollkommene Herrschaft über sich selbst erlangen könnte, wie sie sich dieser Mann, der auch ein Barbar war, angeeignet hatte. Nach zweitägigem Ritt hatten sie die Wüste hinter sich und erreichten eine Hügelkette, die die Grenze zu Zarf-haana bildeten. Zwei zarfhaanische Grenzreiter kamen ihnen entgegen und forderten sie auf anzuhalten. -1 8 5 -
"Ich bin Kull von Valusien", sagte Kull ohne Umschweife. "Ich bin hinter einem Schurken mit Namen Fenar her. Versucht nicht mich aufzuhalten. Ich werde mich vor eurem Kaiser verantworten." Die beiden Reiter lenkten ihre Pferde zur Seite, um den Trupp durchzulassen, und als das Hufgeklapper in der Ferne verklang, sagte der eine zu dem anderen: "Ich habe die Wette gewonnen. Der König von Valusien selbst hat die Verfolgung aufgenommen." "Ja", erwiderte der andere. "Diese Barbaren haben ihre eigenen Vorstellungen von Ehre. Wäre der König ein Valusier, bei Valka, dann hättest du verloren." Die Schluchten Zarfhaanas hallten wider vom Hufschlag von Kulls Reitern. Die friedliche Landbevölkerung lief vor den Dörfern zusammen, um den Vorbeiritt der wilden Schar zu beobachten, und bald ging die Nachricht in alle Richtungen des Himmels, daß Kull von Valusien nach Osten ritt. Kurz hinter der Grenze ließ Kull anhalten, um mit Brule, Ka-yanna und Kelkor die Lage zu besprechen. Ein Gesandter war unterwegs, um den zarfhaanischen Kaiser von ihrer friedlichen Absich zu unterrichten. "Sie sind uns viele Tage voraus", sagte Kull. "Wir dürfen keine Zeit mit unnützen Fragen verlieren. Diese Bauern werden uns nicht die Wahrheit sagen. Wir müssen uns auf die eigene Nase verlassen wie Wölfe auf der Spur des Wilds." "Laßt mich diese Leute befragen", sagte Ka-yanna mit einem tückischen Grinsen auf den dicken, sinnlichen Lippen. "Ich kann Euch versichern, daß sie die Wahrheit sagen werden." Kull blickte ihn fragend an. "Ich löse ihre Zunge", erklärte der Valusier selbstgefällig. "Du willst sie foltern?" Offene Verachtung war in Kulls Stimme. "Zarfhaana ist ein befreundetes Land." "Denkt Ihr, daß sich der Kaiser um ein paar armselige Bauern schert?" fragte Ka-yanna unbeeindruckt. -1 8 6 -
"Ich will davon nichts mehr hören." Kull wies dieses Ansinnen mit angeborenem atlantischem Abscheu von sich, doch Brule wandte ein: "Kull. Mir gefällt der Plan dieses Kerls ebensowenig wie Euch, aber hin und wieder hat selbst ein Schwein recht." Kayannas Lippen verzerrten sich vor Wut, aber der Pikte schenkte ihm keine Beachtung. "Laßt mich mit ein paar meiner Männer ins Dorf gehen und die Bewohner befragen. Wir werden ihnen genug Angst einjagen, daß sie reden, mehr nicht. Das erspart uns Wochen mühseliger Suche." "Der Vorschlag des Barbaren", sagte Kull mit dem wohlmeinenden Spott, der für ihn und den Pikten ein vertrautes Spiel war. "In welcher Stadt der Sieben Reiche seid Ihr denn geboren, Lord König?" konterte der Pikte sarkastisch. Kelkor unterbrach dieses Geplänkel mit einer ungeduldigen Handbewegung. "Hier, an dieser Stelle befinden wir uns", erklärte er und zeichnete mit der Dolchspitze eine Karte in die Asche des Lagerfeuers. "Fenar wird nicht nach Norden gehen -immer vorausgesetzt, er hat nicht vor, in Zarfhaana zu bleiben -, denn jenseits Zarfhaanas liegt das Meer, wo sich Scharen von Piraten und Plünderern tummeln. Auch den Weg nach Süden wird er nicht nehmen, denn dort liegt Thu-ranien, mit dem sein Land verfeindet ist. Ich vermute, daß er sich auch weiterhin ostwärts halten wird, daß er Zarfhaana irgendwo in der Nähe der östlichen Grenzstadt Talunia verlassen und sich durch das unwirtliche Grondar schlagen wird. Danach denke ich, wird er sich südwärts wenden, um auf dem Umweg über die kleinen Fürstentümer Farsun zu erreichen - das ja westlich von Valusien liegt." "Da spricht einiges dagegen, Kelkor", wandte Kull ein. "Wenn Fenar wirklich vorhat, nach Farsun zu fliehen, weshalb, in Valkas Namen, ist er dann in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen?"
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"Weil, wie Ihr ebensogut wißt, Kull, in diesen unsicheren Zeiten alle Grenzen außer den östlichsten streng bewacht und patrouilliert werden. Ohne eine staatliche Vollmacht hätte er sie nicht passieren können, schon gar nicht mit der Gräfin." "Ich glaube, Kelkor hat recht, Kull", warf Brule ein, den es danach drängte, endlich aufzusitzen und loszureiten. "Was er sagt, hat Hand und Fuß." Kull nickte. "Wir reiten nach Osten." So ritten sie ostwärts, lange ruhige Tage, und die freundliche zarfhaanische Landbevölkerung versorgte sie und lud sie zu Festlichkeiten, wann immer sie halt machten. Ein sorgloses und müßiges Land, dachte Kull, einem sanften, wehrlosen Mädchen gleich, das da liegt vor den lüsternen Blicken eines grimmigen Eroberers. Das Hufgeklapper begleitete Kulls träumerische Gedanken, während sie durch stille Täler und entlang dicht bewaldeter Hänge ritten. Er gönnte seinen Männern keine Rast, denn hinter seinen ruhelosen Träumen von Macht und Ruhm und großen Eroberungen lauerte das Gespenst seines Hasses - der erbarmungslose Haß des Barbaren, vor dem alle anderen Sehnsüchte verblassen. Sie machten weite Bogen um größere Städte, denn Kull wollte vermeiden, daß seine stolzen Kampfhähne mit den Bewohnern aneinandergeraten konnten. Der Reitertrupp näherte sich der Grenzstadt Talunia, dem östlichsten Vorposten Zarfhaanas, als der Abgesandte Kulls aus dem Norden vom kaiserlichen Hof mit der Botschaft zurückkehrte, daß der Kaiser es wohlwollend gestattete, daß Kull mit seiner Streitmacht durch sein Land zog und daß er den valusischen König bat, ihm auf dem Rückweg einen Besuch abzustatten. Die Ironie der Situation entlockte Kull ein grimmiges Lächeln, denn während der Kaiser noch wohlwollend die Erlaubnis gab, hatte Kull mit seiner Schar das Land bereits durchquert. Kulls Reitertrupp erreichte Talunia in der Morgendämmerung, nachdem sie die ganze Nacht geritten waren, weil er gedacht -1 8 8 -
hatte, daß sich Fenar und die Gräfin vielleicht sicher genug fühlten, sich eine Weile in der Grenzstadt aufzuhalten, und weil er deshalb dasein wollte, noch bevor die Nachrichten von seinem Anmarsch die Stadt erreichten. Kull ließ seine Männer in einiger Entfernung von den Stadtmauern lagern und begab sich nur in Begleitung Brules in die Stadt. Die Tore wurden ihm bereitwillig geöffnet, nachdem er das königliche Siegel Valusiens vorzeigte und das Zeichen des freien Geleits, das ihm der zarfhaanische Kaiser gesandt hatte. "Sag mir nur eines", wandte sich Kull an den Kommandanten der Torwache, "sind Fenar und Lala-ah in eurer Stadt?" "Das weiß ich nicht", erwiderte der Soldat. "Es ist viele Tage her, daß sie durch dieses Tor in die Stadt kamen. Ob sie noch hier sind oder nicht, vermag ich nicht zu sagen." Kull nickte und zog einen edelsteinbesetzten Reif von seinem Arm. "Niemand braucht zu wissen, wer ich bin, verstehst du? Ich bin nur ein reisender valusischer Edelmann mit seinem piktischen Begleiter." Der Soldat betrachtete das kostbare Schmuckstück begehrlich. "Ja, Lord König, ich verstehe. Was aber ist mit Euren Soldaten, die draußen im Wald lagern?" "Von der Stadt aus kann sie niemand sehen. Und wenn Landvolk durch das Tor kommt, befrag es. Wenn einer etwas von dem Lager weiß, halte ihn unter irgendeinem Vorwand bis morgen früh fest. Bis dahin werde ich alles in Erfahrung gebracht haben, was ich wissen will." "In Valkas Namen, Lord König, was Ihr von mir verlangt, ist grobe Verletzung meiner Wachpflicht!" erklärte der Soldat vorwurfsvoll. "Zwar halte ich es für ausgeschlossen, daß Ihr Verrat im Sinn habt, dennoch ..." Kull änderte seine Taktik. "Ist es nicht deine erste Pflicht, den Befehlen deines Kaisers zu gehorchen? Hast du nicht sein Siegel in meiner Hand gesehen? Verweigerst du ihm den Gehorsam? Valka, mir scheint, daß dir der Sinn nach Verrat steht!" -1 8 9 -
Das ist wahr, dachte der Soldat. Im Grunde machte er sich keiner Bestechung schuldig. Schließlich war es der Befehl eines Königs, der mit dem Einverständnis seines Kaisers handelte ... Kull gab ihm das Armband. Nur ein leichtes Lächeln verriet seine Verachtung für die Art und Weise, wie die Menschen ihr Gewissen von ihren Wünschen zu überzeugen verstanden, ohne sich einzugestehen, daß sie sich nur selbst etwas vormachten. Der König und Brule schritten durch die Straßen, in denen die ersten Händler und Kaufleute mit ihren Geschäften begannen. Kulls mächtige Gestalt und Brules bronzene Haut zogen viele neugierige Blicke auf sich, doch nicht mehr, als dies bei Fremden üblich war. Kull aber begann zu bedauern, daß er nicht Kelkor oder einen Valusier mitgenommen hatte, denn Brule war ein zu auffälliger Begleiter. Pikten verschlug es selten in die östlichen Städte. Kunde von seiner Anwesenheit mochte die Gesuchten warnen, Sie fanden eine einfache Herberge, wo sie ein Zimmer nahmen und sich anschließend in die Trinkstube begaben, um vorsichtig herumzuhorchen. Doch der Tag verging, ohne daß sie etwas über das flüchtige Paar erfuhren. Auch behutsame Fragen brachten nichts ans Licht. Wenn sich Fenar und Lala-ah noch in Talunia aufhielten, dann verstanden sie es, unsichtbar zu bleiben. Kull hätte gedacht, daß die Anwesenheit eines verwegenen Galans und seiner schönen, adeligen Geliebten in aller Munde sein müsse, doch niemand schien etwas zu wissen. Kull hatte vor, sich nachts in der Stadt umzusehen und sich, wo es notwendig erschien, auch mit Gewalt Einlaß zu verschaffen, und, wenn das fehlschlug, am Morgen beim Statthalter vorstellig zu werden, und die Herausgabe der Flüchtigen zu verlangen. So ein Handeln widerstrebte seinem grimmigen Stolz zwar ganz und gar, wäre aber der übliche diplomatische Weg gewesen, hätte es sich um eine weniger persönliche Angelegenheit gehandelt. Aber es war eine Sache der Ehre, und Kulls Stolz ließ es nicht zu, für seine Rache solcherart Hilfe zu erbitten. Die Nacht brach bereits herein, als die Gefährten hinaus auf die Straße traten, die noch dicht bevölkert war und von Fackeln an -1 9 0 -
den Hauswänden beleuchtet wurde. Als sie an der Einmündung einer dunklen Seitengasse vorbeikamen, ließ sie eine unterdrückte Stimme innehalten. Aus der Dunkelheit der Hauswand winkte eine dürre Hand. Die beiden tauschten einen kurzen Blick, dann folgten sie dem Wink, wachsam mit der Hand am Dolch. Eine alte Vettel, zerlumpt und gebeugt von den Jahren, trat aus der Dunkelheit. "Ah, König Kull, was führt Euch nach Talunia?" krächzte sie. Kulls Finger schlössen sich fest um den Dolchgriff, als er vorsichtig fragte: "Woher kennst du meinen Namen?" "Die Märkte haben viele Zungen und viele Ohren", erwiderte sie mit spöttischem Kichern. "Ein Mann erkannte Euch heute in der Schenke, und die Kunde ging von Mund zu Mund." Kull fluchte leise. "Hört mich an!" zischte die Frau. "Ich kann Euch zu den Gesuchten führen ... aber es hat seinen Preis." "Deine Schürze voll Gold", versprach Kull rasch. "Gut. So hört zu. Fenar und die Gräfin wissen von Eurer Ankunft. Sie sind bereits mit den Vorbereitungen für die Flucht beschäftigt. Sie halten sich seit dem frühen Abend, als sie es erfuhren, in einem Haus verborgen und werden ihr Versteck bald verlassen ..." "Wie können sie die Stadt verlassen?" unterbrach Kull sie. "Die Tore werden bei Sonnenuntergang geschlossen." "An einem Seitentor an der Ostmauer werden Pferde für sie bereitstehen. Der Wachtposten ist bestochen. Fenar hat in Talunia viele Freunde." "Wo haben sie sich jetzt verkrochen?" | Die Alte hielt ihm ihre knochige Hand entgegen. "Ein Zeichen Eures guten Willens, Lord König", sagte sie schmeichlerisch. Der König drückte eine Münze in ihre Hand, und sie lächelte geziert und machte eine übertriebene Verbeugung. -1 9 1 -
"Folgt mir, Lord König." Rasch humpelte sie voraus in die finstere Gasse hinein. Der König und sein Begleiter folgten ihr unsicher durch enge, gewundene Straßen, bis sie vor einem großen, finsteren Gebäude in einem verkommenen Viertel der Stadt anhielt. "Sie sind in einer Kammer gleich oberhalb der Treppe an der Straßenseite, Lord König." "Woher weißt du das so genau?" fragte Kull mißtrauisch. "Es will mir nicht in den Sinn, weshalb sie sich an einem so erbärmlichen Ort verkriechen." Die Frau lachte leise und selbstzufrieden. "Sobald ich mich überzeugt hatte, daß Ihr in Talunia seid, Lord König, ging ich zu dem Haus, in dem sie wohnten, und berichtete ihnen und bot ihnen ein sicheres Versteck an! Ha, ha, ha! Sie bezahlten gut dafür mit Goldmünzen!" Kull starrte sie stumm an. "Bei Valka", sagte er schließlich, "ich weiß, daß die Zivilisation manche Überraschung bereithält, aber ein solches Weib ist mir noch nicht begegnet. Du führst jetzt Brule zu dem Tor, bei dem die Pferde warten. Brule geh mit ihr und warte dort auf mich - für den Fall, daß mir Fenar hier entwischt ..." "Kull", widersprach Brule warnend, "geht nicht allein in dieses finstere Haus. Es könnte eine Falle sein!" "Dieses Weib wird nicht wagen, mich zu hintergehen." Sie schauderte bei diesen grimmigen Worten. "Beeilt euch!" Als die beiden Gestalten in der Dunkelheit verschwunden waren, trat Kull ins Haus. Er tastete sich mit den Händen voran, bis sich seine katzenhaften Augen an die Dunkelheit angepaßt hatten. Er erreichte die Treppe und stieg vorsichtig hinauf. Trotz seiner Größe bewegte sich Kull so leichtfüßig und lautlos wie ein Leopard. Selbst wenn der Wächter am oberen Treppenende wach gewesen wäre, hätte er kein Geräusch gehört.
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Doch er erwachte erst, als Kulls Hand sich über seinen Mund preßte, und fiel gleich wieder in den Schlaf zurück, als Kulls Faust sein Kinn traf. Der König stand einen Augenblick gebückt über seinem Opfer und lauschte, doch der kurze Kampf war nicht gehört worden. Alles war still. Er schlich zur Tür. Ah, seine geschärften Sinne vernahmen leises hastiges Gemurmel, vorsichtige Schritte - Kull stieß die Tür auf und war mit einem mächtigen Sprung im Raum. Er hielt sich nicht damit auf, seine Chancen abzuwägen. Es hätten ihn auch ein Dutzend blanker Klingen erwarten können. Dann geschah alles in einem Atemzug. Kull sah einen nackten Raum. Helles Mondlicht fiel durch das Fenster herein, durch das zwei Gestalten kletterten, wovon offenbar die eine die andere trug. Flüchtig sah er ein Paar dunkler, blitzender Augen in einem Mädchengesicht von anziehender Schönheit, ein zweites lachendes, verwegenes Gesicht - dann sprang er wie ein Tiger durch den Raum und brüllte in tierischer Wildheit auf, als er sah, daß sein Gegner ihm entkommen würde. Das Fenster war bereits leer, als er es erreichte. Rasend vor Wut sah er die zwei Gestalten in der Dunkelheit zwischen den umliegenden Gebäuden verschwinden. Ein helles spöttisches Lachen klang zu ihm herauf, gefolgt von einem kräftigeren und höhnischeren. Kull schwang sich über das Fensterbrett und sprang die dreißig Fuß hinab auf die Straße, ohne der Strickleiter einen Blick zu schenken, die aus dem Fenster hing. Ihnen durch das Gewirr der Straßen folgen zu wollen, das sie zweifellos besser kannten als er, wäre ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Aber er wußte, wohin sie wollten, und so rannte er zu der Seitentür in der Ostmauer, die der Beschreibung der alten Hexe nach nicht weit sein konnte. Dennoch verging einige Zeit, bis er dort eintraf. Er fand nur Brule und die Alte vor. "Nein. Nur die Pferde sind hier. Niemand ist gekommen", berichtete Brule. Kull fluchte heftig. Fenar hatte ihn überlistet, und die Frau ebenso. Da er eine Falle erwartete, waren die Pferde am Tor nur -1 9 3 -
ein Ablenkungsmanöver. Fenar war sicherlich im Augenblick dabei, durch ein anderes Tor zu verschwinden. "Rasch!" rief Kull. "Reite ins Lager zurück und laß die Männer aufsitzen! Ich bleibe Fenar auf den Fersen!" Er sprang auf eines der Pferde und war in der Nacht verschwunden. Brule bestieg das andere und ritt zum Lager zurück. Die Alte blickte ihnen nach und lachte schadenfroh. Nach einer Weile hörte sie in der Ferne den Hufschlag vieler Pferde. "Ha, ha, ha! Sie reiten in den Sonnenaufgang - dahinter gibt es keine Umkehr!" Kull ritt die ganze Nacht, um den Vorsprung zu verringern, den der Farsunier und das Mädchen gewonnen hatten. Er wußte, daß sie es nicht wagen würden, in Zarfhaana zu bleiben, und da im Norden das Meer lag und im Süden Thuranien, Farsuns alter Feind, stand ihnen nur eine Richtung offen - der Weg nach Grondar. Als die Sterne verblaßten, ragten die Hänge der östlichen Berge vor Kull zum Himmel auf, und die Dämmerung kroch über das Grasland, als der König sein müdes Roß den Paß hochlenkte und einen Augenblick anhielt. Hier mußten die Flüchtigen durchgekommen sein, denn die Berge erstreckten sich entlang der gesamten zarfhaanischen Grenze, und der nächste Paß lag viele Meilen nördlich. Der Zarfhaanier in dem kleinen Turm am Rande der Paßstraße grüßte den König. Der erwiderte mit einem Winken und ritt weiter. Am Kamm des Passes hielt er an. Jenseits lag Grondar. Auch hier auf der östlichen Seite stiegen die Felshänge steil empor, und zu ihren Füßen lag Grasland, soweit das Auge reichte. Sein Blick wanderte über wogende Savanne bis zum Horizont. Büffel und Wild waren offenbar die einzigen Bewohner dieser endlosen Weiten. Der östliche Himmel rötete sich nun rasch, und wenig später leuchtete die Morgensonne wie ein Steppenfeuer über die Savanne und umrahmte den reglosen Reiter mit ihren Flammen, daß er sich für den Reitertrupp, der eben weit unten in den
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ersten Hohlweg des Passes einbog, wie eine dunkle Statue gegen die Morgenröte abhob. "Er reitet in den Sonnenaufgang", murmelten die Krieger. "Dahinter gibt es keine Umkehr." Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als der Trupp Kull einholte, denn der König hatte angehalten, um sich mit den Gefährten zu beraten. "Laß deine Pikten ausschwärmen", sagte Kull. "Fenar und die Gräfin werden bald versuchen, nach Süden abzubiegen, denn niemand reitet tiefer in diese Wildnis, als er unbedingt muß. Es mag sogar sein, daß sie an uns vorbeizuschlüpfen versuchen, um nach Zarfhaana zurückzukehren." Sie ritten weit ausgefächert, Brules Pikten hungrigen Wölfen gleich an den äußersten Flanken. Aber die Spur der Fliehenden führte schnurgerade in die Wildnis hinein. Kulls kundiger Blick vermochte ihren Verlauf durch das hohe Gras leicht auszumachen. Sie verriet auch, daß die Gräfin und ihr Galan allein waren. So ritten Fliehende und Verfolger tiefer und tiefer hinein in Grondars unbekannte Wildnis. Wie Fenar den Vorsprung solcherart zu halten vermochte, war Kull ein Rätsel, aber die Soldaten mußten ihre Pferde schonen, während Fenar Reservepferde hatte, auf die er überwechseln konnte, wodurch sie besser bei Kräften blieben. Kull hatte keinen Boten an den König dieses Landes geschickt. Die Grondarianer waren ein wildes, kaum zivilisiertes Volk, über das wenig bekannt war, außer daß ihre Horden manchmal aus der Savanne auftauchten und mit Feuer und Schwert in Thuranien und den kleineren Länder einfielen. Im Westen waren Grondars Grenzen eindeutig festgelegt und gekennzeichnet und gut bewacht - vor allem von den Nachbarn. Doch wie weit sich das Königreich nach Osten erstreckte, wußte niemand. Gerüchte besagten, daß ihr Land bis zu jener gewaltigen, unbewohnbaren Wildnis reichte, die in den Sagen und Überlieferungen als das Ende der Welt bezeichnet wurde. -1 9 5 -
Mehrere Tage anstrengenden Rittes vergingen, ohne daß sie die Fliehenden oder ein anderes menschliches Wesen zu Gesicht bekamen. Dann machte ein Pikte einen Reitertrupp aus, der von Süden her kam. Kull ließ anhalten und wartete. Es waren etwa vierhundert grondarianische Krieger, hagere, verwegene Gestalten in Lederrüstzeug und primitiven Waffen. Sie hielten in einiger Entfernung. Ihr Anführer ritt heran. "Fremde, was sucht ihr in diesem Land?" "Wir verfolgen eine Gesetzesbrecherin und ihren Gefährten. Wir suchen keinen Streit mit Grondar." Der Grondarianer stellte höhnisch fest: "Wer über Grondars Grenzen reitet, hält sein Leben in der rechten Hand, Fremder." "Bei Valka!" rief Kull, der die Geduld verlor, "laß dir sagen, meine rechte Hand ist schwerer anzugreifen als ganz Grondar! Gebt den Weg frei, oder wir reiten euch nieder!" "Lanzen bereit!" kam Kelkors knapper Befehl. Der Wald der Lanzen senkte sich wie eine. Die Krieger lehnten sich vor. Die Grondarianer wichen vor dem unerwartet gefährlichen Gegner zurück. Sie wußten, daß sie im offenen Gelände den schwergerüsteten Reitern nicht gewachsen waren, und gaben verdrossen den Weg frei. Der Anführer rief hinter den Valusiern her: "Reitet nur, ihr Narren! Reitet in den Sonnenaufgang -von dort kommt keiner zurück!" Während des Weiterritts folgten kleinere Trupps der Grondarianer wie Wölfe ihrer Fährte. Kull ließ das Lager nachts verstärkt bewachen, doch die Reiter blieben auf Distanz und belästigten sie nicht. Das Grasland nahm kein Ende. Kein Berg, kein Wald unterbrach die Eintönigkeit. Manchmal sahen sie fast völlig verfallene Ruinen einer alten Stadt, die stumme Zeugen aus jenen blutigen Tagen waren, als die Vorfahren der Grondarianer vor langer, langer Zeit auftauchten und die ursprünglichen Bewohner des Landes -1 9 6 -
unterworfen hatten. An bewohnten Städten oder Ansiedlungen der Grondarianer kamen sie nicht vorbei. Ihr Weg schien sie in den wildesten, abgelegensten Teil des Landes zu führen. Es stand bald fest, daß Fenar nicht an Umkehr dachte. Seine Spur führte schnurgerade nach Osten. Ob er irgendwo in dem unwirtlichen Land Unterschlupf zu finden hoffte oder nur seine Verfolger mürbe machen wollte, blieb eine offene Frage. Nach mehreren Tagesritten erreichten sie einen großen Fluß, der sich durch die Ebene wand. An seinem Ufer endete die Savanne. Drüben, auf der anderen Seite, erstreckte sich eine kahle Wüste bis zum Horizont. Ein Mann stand am Ufer und ein großes, flaches Boot schaukelte auf der Wasseroberfläche. Der Mann war alt, doch von mächtiger Statur und so groß wie Kull. Er war nur in Lumpen gekleidet, doch er strahlte etwas Königliches und Achtunggebietendes aus. Sein schneeweißes Haar war schulterlang, und sein ungebändigt wallender weißer Bart reichte fast bis zum Nabel. Den großen leuchtenden Augen unter buschigen weißen Brauen hatte das Alter nichts anzuhaben vermocht. "Fremdling, der du wie ein König reitest", sagte er mit einer tiefen, vollen Stimme zu Kull, "möchtest du den Fluß überqueren?" "Ja", antwortete Kull, "wenn die, die wir suchen, ihn überquert haben." "Ein Mann und ein Mädchen setzten gestern auf meiner Fähre über." "Beim Namen Valkas!" fluchte Kull. "Der Mut dieses Narren beginnt mir zu imponieren! Welche Stadt liegt dort drüben, Fährmann?" "Dort liegt keine Stadt mehr", erklärte der alte Mann. "Hier an diesem Fluß endet Grondar - und die Welt!" "Wie ist das möglich!" entfuhr es Kull. "Sind wir so weit geritten? Ich dachte, diese Wüste, die du das Ende der Welt nennst, wäre Teil Grondars." -1 9 7 -
"Nein. Grondar endet hier. Dies ist das Ende der Welt. Jenseits herrscht Magie über das Unbekannte. An dieser Stelle ist die Grenze der Welt. Dort beginnt das Reich des Grauens und des Unwirklichen. Dies ist der Fluß Stagus, und ich bin Karon, der Fährmann." Kull betrachtete ihn interessiert. Wie sollte er wissen, daß er einem Mann gegenüberstand, der bis in die fernste Zukunft auf dieser Welt sein würde, wenn längst die Wahrheit in Mythen und Sagen verloren war und aus Karon dem Fährmann der Schiffer des Hades geworden war. "Du bist sehr alt", sagte Kull mit Neugier in der Stimme, während die Valusier den Mann verwundert und die Pikten ihn mit abergläubischer Scheu musterten. "Das ist wahr. Ich gehöre der Älteren Rasse an, die über die Welt herrschte, bevor es Valusien gab oder Grondar oder Zarfhaana, König Kull. Ihr Reiter aus dem Sonnenuntergang wollt diesen Fluß überqueren? Viele Krieger und viele Könige habe ich ans jenseitige Ufer gebracht. Sind Euch die Worte vertraut: Von jenseits des Sonnenaufganges gibt es keine Rückkehr! Von den vielen Tausenden, die den Stagus überquert haben, ist nicht einer zurückgekommen. Dreihundert Jahre stehe ich nun hier, König von Valusien. Ich brachte die Armeen König Gaars des Eroberers hinüber, als er mit seinen gewaltigen Heerscharen zum Ende der Welt geritten kam. Sieben Tage lang dauerte das Übersetzen, doch keinen von ihnen habe ich je wiedergesehen. Nur der Lärm einer Schlacht tief im Ödland war von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu hören, doch als der Mond aufging, war alles still. Höre auf meine Worte, Kull. Niemand ist je vom jenseitigen Ufer des Stagus zurückgekehrt. Unvorstellbares Grauen erwartet jeden dort drüben. Manchmal vermag ich in den Schleiern der Dämmerung schreckliche Kreaturen zu erkennen, denen kein Sterblicher widerstehen kann. Höre auf mich, Kull." Kull wandte sich im Sattel um und musterte seine Männer. "Hier endet meine Befehlsgewalt", sagte er. "Ich selbst werde Fenar auf den Fersen bleiben, bis in die Hölle, wenn es sein -1 9 8 -
muß. Aber ich verlange von keinem, mir über diesen Fluß zu folgen. Ihr habt meine Erlaubnis, nach Valusien zurückzukehren, und niemals wird euch deshalb auch nur ein Wort des Vorwurfs treffen." Brule lenkte sein Pferd an Kulls Seite. "Ich reite mit dem König", sagte er. Ein zustimmender Ruf war die Antwort seiner Pikten. Kelkor ritt vor. "Wer umkehren will, einen Schritt vor!" befahl er. Die Lanzenreihen wankten nicht. Die Männer saßen reglos wie Statuen. "Sie reiten mit, Kull", sagte der Pikte grinsend. Ein wilder Stolz erfüllte des Königs Brust. Er sagte nur einen Satz, einen Satz, der die Krieger mit mehr Stolz erfüllte als jede Auszeichnung. "Ihr seid Männer." Dann setzte Karon sie über. Er ruderte mehrmals, bis die ganze Streitmacht am östlichen Ufer stand. Und obgleich das Boot schwer war und der alte Mann allein ruderte, trieben es die großen Ruder rasch durch die Fluten, und nach der letzten Überfahrt war er nicht müder als zu Beginn. Kull fragte: "Wenn die Wüste wirklich von diesen schrecklichen Kreaturen bevölkert ist, weshalb haben sie nie den Weg in die Welt der Menschen gefunden?" Karon deutete auf den Fluß, und als Kull genauer hinsah, bemerkte er, daß es in dem Wasser von Schlangen und Haien wimmelte. "Nichts vermag durch diesen Fluß zu schwimmen", sagte der Fährmann, "weder Mensch noch Mammut." "Vorwärts!" rief Kull. "Vorwärts! Reiten wir. Freies Land liegt vor uns."
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EPILOG (Epilog) Dann brach der Kataklysmus über die Welt herein. Atlantis und Lemurien versanken unter den Fluten des Meeres, und die Pikteninseln wurden emporgehoben und bildeten die Berggipfel eines neuen Erdteils. Teile des Thurischen Kontinents verschwanden unter Wasser, andere sanken ein und füllten sich zu gewaltigen Binnenmeeren und Seen. Vulkane brachen aus, und verheerende Beben machten die stolzen Städte der großen Reiche dem Erdboden gleich. Ganze Völker wurden ausgelöscht. Die Barbaren überstanden die Katastrophe ein wenig besser als die zivilisierten Rassen. Die Bewohner der Pikteninseln wurden vernichtet, aber in den Bergen an der valu-sischen Südgrenze blieb eine große Kolonie, die als Puffer gegen Invasoren diente, unberührt. Das Königreich der Atlanter auf dem Kontinent entging ebenfalls der allgemeinen Zerstörung. Dorthin konnten sich Tausende ihrer Stammesbrüder vom versinkenden Land mit Schiffen in Sicherheit bringen. Zahlreiche Lemurier entkamen zur Ostküste des Thurischen Kontinents, die verhältnismäßig verschont geblieben war. Sie wurden von der uralten Rasse, die dort lebte, versklavt und fristeten Jahrtausende lang ihr Dasein in brutaler Unterdrückung. Im Westen des Kontinents entstanden durch die veränderten Lebensbedingungen neue Tierund Pflanzenarten. Undurchdringliche Urwälder bedeckten die Ebenen, mächtige Flüsse brachen sich ihre Wege zum Meer, zerklüftete Gebirge hoben sich in den Himmel, und Seen überspülten die Ruinen alter Städte in fruchtbaren Tälern. In das Königreich der Atlanter auf dem Festland schwärmten Myriaden von Tieren und primitiven Wilden - Affenmenschen und Affen. Obgleich die Atlanter stetig um ihre Existenz ringen mußten, vermochten sie Enklaven ihres einstigen hochentwickelten Barbarenreiches zu erhalten. Aller Metalle und Erze beraubt, verarbeiteten sie Stein wie ihre fernen Vorfahren. Sie hatten bereits eine hohe Kunstfertigkeit erreicht, als sie mit dem mächtigen Piktenreich in Berührung kamen. Die -2 0 0 -
Pikten waren ebenfalls in die Steinverarbeitung zurückgefallen, hatten aber raschere Fortschritte in der Kriegskunst gemacht. Von der künstlerischen Natur der Atlanter hatten sie nichts, sie waren eine praktischer veranlagte, kriegerischere und vor allem fruchtbarere Rasse. So hinterließen sie keine gemalten Bilder oder Elfenbeinschnitzereien wie ihre Feinde, sondern viele erstaunlich wirksame Steinwaffen. Diese Steinzeitreiche prallten in einer Reihe blutiger Kriege aufeinander, und die zahlenmäßig unterlegenen Atlanter wurden in die Primitivität zurückgeworfen, doch auch die Entfaltung der Pikten kam zum Stillstand. Fünfhundert Jahre nach dem Kataklysmus waren die Barbarenreiche verschwunden. An ihrer Stelle gibt es nun ein Volk von Wilden - die Pikten -, die in andauernde kriegerische Auseinandersetzungen mit den primitiven Stämmen - den Atlantern -, verstrickt sind. Die Pikten besaßen den Vorteil der zahlenmäßigen Überlegenheit und der Einigkeit, während die Atlanter in lose zusammenhängende Clans aufgespalten waren. So sah es im Westen zu der Zeit aus. Im fernen Osten, vom Rest der Welt durch mächtige Gebirge und große Seen abgeschnitten, fristen die Lemurier ihr erbärmliches Dasein als Sklaven der alten Rasse. Der ferne Süden ist noch in Geheimnisse gehüllt. Vom Kataklysmus unberührt, steht er auf einer vormenschlichen Entwicklungsstufe. Von den zivilisierten Rassen des Thurischen Kontinents lebt ein kärgliches Überbleibsel der nichtvalu-sischen Völker in dem Bergland im Südosten - die Zhemri. Da und dort sind Stämme affenartiger Wilder über die Welt verstreut, die vom Aufstieg und Untergang der großen Zivilisationen nichts wissen. Aber im fernen Norden ist ein neues Volk im Entstehen begriffen. Zur Zeit des Kataklysmus floh eine Gruppe Wilder, von nicht viel höherem Entwicklungsniveau als der Neandertaler, vor der Vernichtung nordwärts. Sie drangen in die Schneeländer vor, die nur von einer Gattung wilder Schneeaffen bewohnt waren, großen zotteligen, weißen Tieren, die sich offenbar dort entwickelt hatten. Diese Tiere jagten sie und trieben sie bis weit über den Polarkreis hinaus, wo sie nicht überleben konnten, wie -2 0 1 -
die Wilden glaubten. Die Eindringlinge aus dem Süden paßten sich ihrer harten neuen Umwelt an. Nachdem die piktisch-atlantischen Kriege die Anfänge einer neuen Kultur blutig begraben hatten, veränderte ein neuer, kleinerer Kataklysmus das Aussehen des alten Kontinents ein weiteres Mal. Anstelle der Seen bildete sich ein großes Binnenmeer, das den Westen noch stärker vom Osten trennte. Die Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüche vollendeten den Untergang der Barbaren, der mit ihren Stammeskriegen seinen Anfang genommen hatte. Tausend Jahre nach dem kleineren Kataklysmus ist die westliche Welt ein rauhes Land der Urwälder, Seen und reißenden Ströme. Durch die Wälder der nordwestlichen Berge streifen Horden von Affenmenschen, die keiner Sprache mächtig sind und nicht den Gebrauch von Feuer oder Werkzeugen kennen. Sie sind die Nachkommen der Atlanter, die in ein Stadium primitiver Dschungelbewohner zurückgefallen sind, aus dem sich ihre Vorfahren vor Jahrtausenden so mühsam hochgekämpft haben. Im Südwesten leben verstreute Sippen degenerierter Höhlenbewohner, deren Sprache primitivster Art ist, die sich jedoch immer noch Pikten nennen, was nun für sie soviel bedeutet wie Menschen - sie selbst -, als Unterscheidung zu den Tieren, mit denen sie ums Dasein kämpfen. Es ist die einzige Verbindung mit ihrer Vergangenheit. Weder die niederen Pikten noch die primitiven Atlanter haben Kontakt mit anderen Stämmen oder Völkern. Weit im Osten haben sich die Lemurier, die durch ihr unmenschliches Sklavendasein fast auf ein tierisches Niveau gesunken sind, gegen ihre Herren erhoben und sie vernichtet. Als Wilde leben sie in den Ruinen einer fremden Zivilisation. Die Überlebenden dieser Zivilisation, die der Wut ihrer Sklaven entkommen waren, zogen westwärts. Sie fallen in das geheimnisvolle vormenschliche Reich des Südens ein und erobern es. Dabei nimmt ihre Kultur auch Züge dieser älteren an. Das neue Königreich heißt Stygien, doch scheinen Überbleibsel
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der alten Rasse überlebt zu haben und sogar verehrt worden zu sein, obgleich es das Volk als solches nicht mehr gab. Da und dort auf der Welt finden sich bei kleinen Gruppen von Wilden Anzeichen einer Entwicklung, aber verstreut und ohne Zusammenhang. Doch im Norden wachsen die Stämme. Das Volk dort wird die Hyborier oder Hybori genannt. Ihr Gott war Bori - ein großer Häuptling, der der Sage nach in einer Zeit lange vor ihrer Flucht nach Norden in den Tagen des großen Kataklysmus lebte, über den die Stämme aber nur noch aus verstümmelten Überlieferungen wissen. Sie haben sich über den ganzen Norden ausgebreitet und ziehen langsam südwärts. Bisher sind sie auf keine andere Rasse gestoßen. Kriege gab es nur zwischen den eigenen Stämmen. Fünfzehnhundert Jahre Entwicklung im kalten Norden haben sie zu einer hochgewachsenen, dunkelblonden, grauäugigen, unternehmungslustigen und kriegerischen Rasse geformt, die auch bereits ausgeprägte künstlerische Züge aufweist. Sie leben noch hauptsächlich von der Jagd, doch die südlicheren Stämme betreiben seit einigen Jahrhunderten auch Viehzucht. Es gibt eine Ausnahme in der bisher vollkommenen Isolation von anderen Rassen: Einmal kehrte ein Wanderer aus dem hohen Norden zurück und berichtete, daß die als unbewohnt geltenden Eiswüsten Heimstatt eines großen Stammes affenähnlicher Menschen seien. Er hielt sie für Abkömmlinge jener Tiere, die die Vorfahren der Hyborier einst aus den bewohnbareren Gebieten vertrieben hatten. Er drängte darauf, einen starken Kriegertrupp nordwärts zu schicken und sie auszurotten, denn sie würden sich zu echten Menschen entwickeln. Er erntete Gelächter, und nur eine kleine Schar abenteuerlustiger junger Krieger folgte ihm in den Norden, doch keiner kehrte je zurück. Die Stämme der Hyborier zogen in immer größerem Umfang südwärts, je mehr die Bevölkerung anwuchs. Eine ganze Epoche der Wanderungen und Eroberungen setzte ein. Quer durch die Weltgeschichte kann man Wanderungen von Stämmen und Volksgruppen beobachten. -2 0 3 -
Betrachten wir die Welt fünfhundert Jahre später. Stämme der blonden Hyborier sind nach Süden und Westen gezogen und haben viele der kleinen, unbedeutenden Clans besiegt und ausgelöscht. Aber das Blut der eroberten Rassen hat immer auch seine Spuren in den Eroberem hinterlassen, so daß die Nachkommen der älteren Horden bereits merklich veränderte rassische Züge aufzuweisen beginnen. Diese gemischten Rassen wurden von den nachdrängenden reinblütigen Horden angegriffen und vor ihnen hergefegt wie Kehricht von einem säubernden Besen, wodurch sie sich nur noch rascher mit einer Vielzahl von Rassen und Volksgruppen vermischten. Bisher sind die Eroberer nicht mit den älteren Rassen in Berührung gekommen. Im Südosten streben die Nachkommen der Zhemri, gestärkt durch Vermischung mit einem namenlosen Stamm, mit neuer Kraft die Wiederbelebung ihrer alten Kultur an. Im Westen beginnen die affengleichen Atlanter den langen Aufstieg. Sie haben den Kreis ihres Daseins vollendet; sie haben ihre einstige menschliche Existenz längst vergessen; sie wissen nichts von früheren Entwicklungsstadien und beginnen ihre Entwicklung unbeeinflußt und unbehindert von menschlicher Erinnerung. Südlich von ihnen sind die Pikten noch immer Wilde, bei denen sich entgegen allen Naturgesetzen weder Fortschritt noch Degeneration zeigt. Weit im Süden liegt unberührt das uralte, geheimnisvolle Königreich Stygien. An seinen östlichen Grenzen liegt das Gebiet primitiver Nomadensippen, die bereits als die Söhne Shems bekannt sind. Nicht weit von den Pikten hat im weiten Tal des Zingg, im Schutz hoher Berge, eine namenlose Gruppe von Primitiven, die man eventuell als mit den Shemiten verwandt bezeichnen könnte, ein fortschrittliches Ackerbau- und Siedlungssystem entwickelt. Ein weiterer Faktor gab der hyborischen Völkerwanderung neuen Anstoß. Ein Stamm dieser Rasse entdeckte die Verwendbarkeit von Stein als Baumaterial, und so war das erste hyborische Reich entstanden - das primitive und barbarische Hyperborea, das als einfache Festung aus überein-andergetürmten Steinblöcken zur Abwehr des Nachbarstammes seinen Anfang -2 0 4 -
nahm. Daraufhin gab der Stamm seine Pferdehautzelte auf und baute einfache, unzerstörbare Steinhäuser, in deren Schutz er stark wurde. Es gibt nur wenige noch dramatischere Ereignisse in der Geschichte als den Aufstieg des primitiven, grimmigen Reiches Hyperborea, dessen Menschen mit einem Schlag ihr Nomadenleben aufgaben und Behausungen aus nacktem Stein errichteten und sie mit gewaltigen Mauern umgaben. Eine Rasse, die kaum dem Steinzeitalter entwachsen war, entdeckte durch puren Zufall die ersten einfachen Grundlagen der Architektur. Der Aufstieg dieses Reiches ließ viele andere Stämme ihre Wohnsitze verlassen. Durch Kriege geschlagen und nicht gewillt, ihren Rassengenossen in den Festungen tributpflichtig zu werden, brachen viele Sippen auf lange Wanderschaften um die halbe Welt auf. Gleichzeitig werden die nördlicheren Stämme erstmals von hünenhaften blonden Wilden heimgesucht, deren Entwicklung noch kaum über das Stadium von Affenmenschen hinausging. Die Geschichte der nächsten tausend Jahre ist die Geschichte vom Aufstieg der Hyborier, deren kriegerische Stämme die westliche Welt beherrschen. Primitive Reiche entstehen. Die dunkelblonden Invasoren sind auf die Pikten gestoßen und haben sie in die unwirtlichen Gebiete im Westen getrieben. Im Nordwesten wissen die Nachkommen der Atlanter, die aus eigener Kraft das Halbmenschenstadium überwinden, noch nichts von den Eroberern. Weit im Osten entsteht die ganz eigene, fremdartige Halbzivilisation der Lemurier. Im Süden haben die Hyborier an den Grenzen jener Weideländer, die als die Lande der Shem bekannt sind, das Königreich Koth gegründet. Die Wilden dieser Länder entwickeln sich rasch durch die Berührung mit den Hyboriern, aber auch mit den Stygiern, von denen sie seit Jahrhunderten bedrängt wurden, über das Barbarenstadium hinaus. Die blonden Wilden aus dem hohen Norden sind mächtig und zahlreich und beginnen die nördlichen hyborischen Stämme südwärts zu drängen, die wiederum ihre eigenen Sippen vor sich hertreiben. Das alte Reich Hyperborea wird von diesen nördlichen Stämmen erobert, behält jedoch -2 0 5 -
seinen ursprünglichen Namen. Südöstlich von Hyperborea ist ein Königreich der Zhemri mit Namen Zamora entstanden. Im Südwesten ist ein Stamm der Pikten in das fruchtbare Tal des Zingg eingedrungen, hat die ackerbaubetreibenden Bewohner unterworfen und sich dort angesiedelt. Das Mischvolk, das daraus entstand, wurde später von einem umherstreifenden Stamm der Hyborier besiegt, und aus diesen vermischten Elementen entstand das Königreich Zingara. Fünfhundert Jahre später sind die Reiche der Welt festgelegt. Die Königreiche der Hyborier - Aquilonien, Neme-dien, Brythunien, Hyperborea, Koth, Ophir, Argos, Corin-thia, und eines, das als das Grenzkönigreich bekannt ist -beherrschen die westliche Welt. Östlich davon liegt Zamora, südwestlich Zingara Völker, die einander in ihrem dunklen Äußeren und ihren exotischen Bräuchen ähneln, doch nicht miteinander verwandt sind. Weit im Süden schlummert Stygien unberührt von fremden Invasoren, doch die Völker von Shem haben das stygische Joch gegen das weniger harte von Koth ausgetauscht, dessen ursprüngliche dunkelhäutige Herren sich in das Gebiet südlich des mächtigen Stromes Styx zurückzogen, der auch Nilus oder Nil heißt und aus den schwarzen Hinterländern erst nordwärts fließt, dann im rechten Winkel abbiegt und seinen Weg durch die Weideländer von Shem fast genau nach Westen nimmt und sich dort ins Meer ergießt. Nördlich von Aqui-lonien, dem westlichsten hyborischen Königreich, leben die Cimmerier, furchtlose Wilde, die von keinen Invasoren bezwungen wurden, aber von ihnen lernten, in rascher Entwicklung begriffen. Sie, die Nachkommen der Atlanter, machen nun größere Fortschritte als ihre alten Feinde, die Pikten, die in der Wildnis westlich von Aquilonien leben. Das hyborische Zeitalter
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NACHWORT Kull von Atlantis! Für mich ist die Übersetzung dieses Buches ein purer Nostalgietrip. Für mich war Kull von Atlantis, genauer gesagt, die Story Das Schattenkönigreich, der Auftakt für fast ein Vierteljahrhundert Beschäftigung mit der Fantasy-Literatur, sowohl als Hobby als auch im Beruf. Neben Kull waren es vor allem die historischen Novellen Robert E. Howards, die mir besonders gefielen. Mein Lieblingsbuch ist immer noch THE SOWERS OF THE THUN-DER, das neben vier dieser historischen Novellen über hundert Strichzeichnungen Roy G. Krenkels enthält, eines Künstlers, der, oft skizzenhaft, wie kein anderer archaische Szenerien und Figuren zu Papier brachte. Krenkel schrieb ein Vorwort zu diesem Buch, aus dem ich schon einmal in einer deutschen Robert E. Howard-Ausgabe zitiert habe. Ich möchte es hier wieder tun, weil mir seine Worte auch heute, nach dieser intensiven Wiederbegegnung mit Kull von Atlantis, aus der Seele sprechen: "Howard war ein großer Schriftsteller - das ist bereits oft festgestellt worden. Es kann nicht oft genug wiederholt werden. Hören Sie zu: Als ich ein Krieger war, galt mir der Trommelschlag, Da mir in Ruhm und Glanz das Volk zu Füßen lag. Jetzt bin ich König und mir droht Gefahr Durch Gift und Mörderdolch aus ihrer Schar. Es ist alles da - der wertlose Pomp öffentlichen Ansehens, die Leere der Königswürde, die Last der Verantwortung, der heimtückisch lauernde Verrat, die Furcht - in einem einzigen Vierzeiler! Ich habe dicke Bücher gelesen, in denen es nur halb so gut stand. Seine Worte klangen wie eherne Hämmer auf einem Amboß der Götter. Dunkler und unberechenbarer Götter." Und:
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"Man liest Howard wie ein ferner Beobachter, der durch einen Nebel der Zeit blickt - flüchtige grelle Bilder von marschierenden Männern in Rüstungen, von Verteidigungswällen, über die wilde Horden stürmen, von Intrigen in düsterem Kerzenlicht. Wie von weit her hören wir den Ruf des Olifants, das Klirren von Stahl auf Stahl, die Schreie der Sterbenden; zu gewaltig - zu schrecklich um wirklich zu sein, und darob irgendwie nur um so wirklicher! Was sich herauskristallisiert und deutlich vor uns steht, ist die Stimmung." Und: "Die Personen bewegen sich wie Figuren des Schicksals über eine Welt, die aus einem Alptraum geboren wurde. Dunkle und ungeheuerliche Taten, strahlendes Heldentum, übermenschlicher Mut und gemeiner Verrat sind die Elemente - und schimmernde Städte (mit nachtdunklen Kerkern), Lachen und schöne Frauen, und Tod, und - Wahnsinn! Dies ist kein Buch für zartfühlende Ästheten oder feinfühlige alte Damen - es zu lesen, ist, als hätte man etwas Wirkliches, Schreckliches selbst erlebt. Man fühlt mit Howard, zu einem Teil wenigstens, diesen grimmigen Schmerz um verratene Könige und verlorene Reiche - um große Taten, die vergeblich waren, um Schönheit, die ausgelöscht, und Lachen, das für immer verstummt ist. Sie werden diese Geschichten nicht nur lesen - Sie werden sie erleben!" Krenkel schrieb dies über die historischen Erzählungen Howards, aber es paßt in vielem auch auf das vorliegende Buch. Sie werden in dieser neuesten Ausgabe der Kull-Geschichten auch mit drei Fragmenten konfrontiert. Lassen Sie mich dazu kurz erklären: Robert E. Howard schrieb seine Erzählungen wie zwischen den Weltkriegen in der Unterhaltungsliteratur in Amerika üblich, für die PULPS, die großformatigen Groschenmagazine, WEIRD TALES, FICHT STORIES, ORIEN-TAL STORIES, MAGIC CARPET MAGAZINE, GOLDEN FLEECE, STRANGE -2 0 8 -
DETECTIVE STORIES, ARGOSY, um ein paar zu nennen. Howards bekannteste Geschichten, vor allem die um Conan den Barbaren, erschienen in WEIRD TALES, einem Horror-Magazin, ab Beginn der dreißiger Jahre bis zu seinem frühen Tod, 1936. Die Kull-Geschichen entstanden alle zwischen 1926 und 1930, doch nur zwei. Das Schattenkönigreich und Die Spiegel des Tuzun Thune, erschienen zu Howards Lebzeiten. Einige der Stories enthalten außer der phantastischen Szenerie kein eigentliches Fantasy-Element und waren für WEIRD TALES nicht geeignet, und die harte Konkurrenz auf dem Sektor der Abenteuer-Magazine bereitete Howard in diesem frühen Stadium seiner schriftstellerischen Laufbahn Mühe, Fuß zu fassen. So wanderten die meisten Kull-Stories wieder in die Schublade oder waren Ausgangsmaterial für spätere Conan-Geschichten. Erst 1966 kamen in einem Agenturnachlaß mehrere Kartons mit Howard-Manuskripten ans Tageslicht, darunter sieben vollständige, unveröffentlichte Kull-Geschichten und drei Fragmente. Für die erste Taschenbuchausgabe, die bereis 1967 erschien, vollendete Lin Carter die drei Fragmente. Diese erschien 1976 in zwei Taschenbüchern auch in deutscher Sprache. Die vorliegende Ausgabe ist nun ein Versuch, das Material so zu präsentieren, wie Howard es in den zwanziger Jahren schrieb, und dem Fan und Interessenten die Fragmente als kleine Zugabe anzubieten, da er sie sonst sicher nie zu Gesicht bekommen hätte. Dies ist aber auch noch nicht das gesamte Kull-Material. Eine der besten Geschichten Kings of the Night/Herrscher der Nacht gehört zum Zyklus um den Piktenkönig Bran Mak Morn.* Die kurze Erzählung The Curse of the Golden Skull/Rotaths Fluch (die Geschichte eines sterbenden Zauberers, dem der >Barbarenhäuptling Kull von Atlantis< den Todesstoß versetzt hat) war in der ersten deutschen Kull-Ausgabe** enthalten.
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Kull spukt außerdem durch die Romane um Cormac MacArt, einen gälischen Abenteurer aus Howards Feder, die Andrew Offutt schrieb. Im Laufe der letzten zehn Jahre sind die meisten Story-Zyklen Howards auch in deutscher Sprache erschienen. Vieles davon habe ich selbst ausgegraben und zusammengestellt. Dabei hat mich immer wieder verblüfft, wie produktiv Robert E. Howard in diesen kurzen zehn Jahren seines schriftstellerischen Schaffens war. Und immer noch kommt interessantes Material ans Tageslicht. Und dann: Howards Gedichte! Hören Sie zu: Denn mein Wegführt in die Öde Und mein Traum ist ohne Licht. Meine Schwingen rasten müde, Bis der Sturm der Zeit sie bricht. * Robert E. Howard: KÖNIG DER PIKTEN - Die Sage von Bran Mak Morn, Bastei Lübbe 20 066, 1984 ** Robert E. Howard: KULL VON ATLANTIS und HERR VON VALUSIEN TERRA FANTASY 28 und 29, Erich Pabel Verlag, 1976 Oder: Jch hab nicht das Locken der Lauten gehört, noch der bronzenen Hörner Schall, Doch dort, wo kein Wind die Stille stört, hört ich des Schweigens Hall. Ich hab nicht gehört, wie die Trommeln gehn, noch sah ich die Banner im Feld, Doch ich habe die Drachen kommen gesehn, glutäugig, über die Welt. So düster, so grimmig, so faszinierend wie seine Prosa. Der Erste Deutsche Fantasy Club hat seit den sechziger Jahren in Zusammenarbeit mit Glenn Lord, dem literarischen Nachlaßverwalter Howards, in seinen Publikationen viele Gedichte und Briefe (etwa an seine Autorenkollegen August -2 1 0 -