Nr. 376
Lockruf der Dimensionen Im Sog der Schwarzen Galaxis von H. G. Ewers
Nach dem Zwischenspiel auf Loors, dem Pl...
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Nr. 376
Lockruf der Dimensionen Im Sog der Schwarzen Galaxis von H. G. Ewers
Nach dem Zwischenspiel auf Loors, dem Planeten der Brangeln, ist Pthor längst zu einem neuen Flug durch den Kosmos gestartet. Eingeleitet wurde der Start durch den »Ruf des Wächters«, der fast alle Lebewesen auf Pthor in tiefen Schlaf versin ken ließ, und durch das Erscheinen des »schwarzen Kontrolleurs«. Um zu verhindern, daß Pthor wieder der Kontrolle der mysteriösen Beherrscher der Schwarzen Galaxis anheimfällt, macht sich Atlan, der dank dem Goldenen Vlies nicht in Tiefschlaf verfallen ist, auf den Weg zur »Seele« von Pthor. Doch es gelingt Atlan nicht, auf die Steuerung Einfluß zu nehmen. Statt dessen wird der Arkonide auf die »Dimensionsschleppe«, den Ableger Pthors, verschlagen, der eine kleine Welt für sich bildet. Während Atlan sich aus der Dimensionsschleppe den Weg zurück erkämpft und zur FESTUNG gelangt, wo er die Odinssöhne als Herren über Pthor ablöst, blenden wir um zu den weiteren Erlebnissen Algonkin-Yattas, des kosmischen Kundschafters, der zusammen mit Anlytha, seiner Gefährtin, Atlans Spuren durch Zeit und Raum verfolgt. Durch eine »Zeitpanne« gelangen die beiden Extraterrestrier ins alte Rom, wo sie alles daransetzen müssen, um zu überleben. Nach der Reparatur ihres Schiffes ist es dann wieder soweit! Sie starten von Terra und folgen dem LOCKRUF DER DIMENSIONEN …
Lockruf der Dimensionen
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Die Hautpersonen des Romans:
Algonkin-Yatta und Anlytha - Der Kundschafter von Ruoryc und seine Gefährtin im alten Rom.
Dorstellarain - Ein Pthorer, der auf der Erde bleibt.
Marcus Aurelius - Imperator des Römischen Reiches.
Mursil und Quequeldo - Zwei Außerirdische.
Abmar Vialathon - Ein Zeitforscher, der keine Zeitreisen verträgt.
1. Dorjan Pthoricus Clanocis folgte dem as syrischen Mädchen durch die verwinkelten Gassen und über die Treppen der Altstadt von Tyrus. Der Pthorer trug die ärmellose wollene Tunika der Legionssoldaten und darüber einen Mantel aus reiner Wolle, der auf der rechten Schulter durch eine Spange ge schlossen war, sowie hohe geschlossene, mit vier Riemen geschnürte Lederschuhe und das kurze zweischneidige iberische Schwert. Lederpanzer, Helm und Schild hatte er auf dem Schiff des Kaisers gelassen. Wachsam schaute er sich um, als das Mädchen stehenblieb. Die Assyrerin war schlank, glutäugig und geschmeidig. Sie trug die normale Kleidung der Frauen dieser römischen Kolonie. Ihr rechter Arm hob sich; die ausgestreckten Finger zeigten in eine schmale Seitengasse, deren Häuser aber ungewöhnlich gepflegt wirkten. Dorjan alias Dorstellarain konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Gasse, ohne es sich anmerken zu lassen. Langsam, wie zufällig, bewegte sich seine rechte Hand zum Knauf des Schwertes. »Wo ist der Händler, der mich sprechen möchte?« fragte er das assyrische Mädchen. Es mußte seinen Argwohn registriert ha ben, denn es erwiderte: »Du brauchst keine Falle zu fürchten, Dorjan Pthoricus. Mursil ist ein Mann des Handels, der Neuigkeiten und des Genusses, aber kein Mann von Schwert, Dolch oder Gift.« Unwillkürlich mußte Dorjan lächelnd. »Woher weißt du das, schönes Kind?« er
kundigte er sich. Als Sprache wurde von beiden Lateinisch verwendet. »Geh voraus!« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich darf nicht in die Gasse hinein. Mursil hat es mir verboten.« »Na, schön!« Dorjans Gestalt straffte sich. Er war kein Mann langen Zauderns. Außerdem hatte er einiges von der Expeditionsausrüstung der Zeitkapsel mitgehen lassen. So beispielswei se den bequem in die geschlossene Hand passenden Ultraschallprojektor, den er un auffällig aus der Tasche zog, in die Gasse richtete und einschaltete. Entschlossen stapfte er in die Gasse hin ein. Die sekundenlang projizierte Ultra schalldosis war so hoch, daß jedes Lebewe sen in den Häusern entlang der Gasse bis zu einer Entfernung von sechzig Metern wie von einem Keulenschlag bewußtlos zusam mengebrochen sein mußte und sich in den nächsten Minuten nicht erholen würde. Eventuelle Räuber konnten ihm also nichts anhaben. Dennoch lief er in eine Falle; nur merkte er es nicht, denn er war zirka zehn Schritt gegangen, als das Hypnosegas bereits seine Wirkung getan hatte. Dorjan Pthoricus Cla nocis besaß keinen eigenen Willen mehr. Er hätte in seinem Zustand jeden Befehl wider standslos ausgeführt, der ihm erteilt worden wäre. Nur erteilte ihm niemand einen Befehl. Denn derjenige, der es vorgehabt hatte, lag bewußtlos hinter einem Fenster in dem fünf ten Haus auf der rechten Seite der Gasse. In der Hand hielt er etwas, das es im zweiten Jahrhundert nach Christus eigentlich weder in der Hafenstadt Tyrus noch sonstwo auf der ganzen Erde geben konnte: einen nur fingerdicken Richtlautsprecher mit Fo
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H. G. Ewers
kusprojektor.
* Es war der Brunnen in der Mitte der Gas se, der den Pthorer stoppte. Dorstellarain erreichte ihn nach etwa drei ßig Schritten, konnte ihm aber nicht auswei chen, da sein Willenszentrum ausgeschaltet war. Deshalb ging er stur weiter, stieß mit den Beinen gegen die gemauerte Umran dung, kippte vornüber und landete in dem kühlen Wasser. Glücklicherweise war es ein relativ fla cher Brunnentrog, der sein Wasser über eine gemauerte Wasserleitung von einem artesi schen Brunnen erhielt. Andernfalls wäre Dorjan wahrscheinlich ertrunken. So aber reichte sein unbeholfenes Strampeln aus, um ihn an die gegenüberliegende Seite der Um randung zu drücken und seinen Oberkörper daran hochzustemmen. Dorjan saß minutenlang nur da, atmete durch den offenen Mund und stierte blicklos geradeaus. Dann tat das kühle Wasser zu sammen mit dem leichten Luftzug seine Wirkung. In dem Maß, in dem seine Willenskraft zurückkehrte, handelte Dorjan. Zuerst klet terte er aus dem Brunnen, dann blickte er den Weg, den er gekommen war, zurück, vermochte das assyrische Mädchen aber nicht zu entdecken. Anschließend ging er langsam an einer Häuserzeile entlang und probierte an jedem Haus den Türgriff. Normalerweise verriegel ten Stadtbewohner in diesen unruhigen Zei ten ihre Haustüren, aber die Person, die das Hypnosegas versprüht hatte, würde es nicht getan haben. Sie würde dafür gesorgt haben, daß das Opfer zu ihr kommen konnte. Dorjan gab nicht auf, als er alle Haustüren auf der einen Seite verriegelt fand. Er kehrte dort, wo er das Mädchen zurückgelassen hatte, um und ging die andere Straßenseite ab. Als die Tür des fünften Hauses nachgab, drückte der Pthorer sie vorsichtig ganz auf,
schob sie lautlos in einen dunklen Hausflur und zog sein Schwert. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das kümmerliche Licht, das durch den Spalt der fast angelehnten Tür fiel. Dorjan sah vor sich eine Tür. Er nahm an, daß sie, genau wie in den römischen herrschaftlichen Häusern, den Korridor in Vestibulum und Fauces teilte. Entschlossen stieß er die Mitteltür auf und gelangte nach einigen weiteren Schritten in einem teilweise überdachten Innenhof. Un ter der rechteckigen Dachöffnung befand sich das Regenwasserbecken des Atriums. Säulen und Becken bestanden aus Marmor. Unvermögend konnte der Hausherr demnach nicht sein. Dennoch war es sicher nicht das Haus ei nes Römers, denn dort hätte sich zumindest das kleine Heiligtum der Laren, der Schutz gottheiten der Familie, befunden. Statt des sen verrieten ein tragbarer Küchenherd aus Bronze und ein dreibeiniger runder Tisch, auf dem Gefäße standen, daß sich das Leben hier fast ausschließlich im Atrium abspielte. Dorjan sah, daß er hier niemanden finden würde. Der Pthorer eilte zu der schmalen Holztreppe, die vom Atrium aus nach oben führte. Er gelangte über sie auf einen teil weise überdachten Gang und von dort aus von hinten zu den Räumen im ersten Stock. Die meisten Räume waren leer, nur einer nicht. Dorjan blieb unter der Tür stehen und schaute verwundert auf die reglose Gestalt eines überaus beleibten Mannes, der die Tracht eines griechischen Kaufmanns trug und direkt neben dem einzigen Fenster des Raumes lag. Der Pthorer eilte zu dem Reglosen, bückte sich und nahm ihm den Gegenstand aus der Hand. Dorjan hatte so etwas noch nie gesehen. Er hütete sich deshalb, daran herumzuspie len, sondern schob den stabförmigen Gegen stand in die Ledertasche unter dem Sagum, dem Wollmantel. Danach drehte er den Reg losen so, daß er sein Gesicht genau betrach
Lockruf der Dimensionen ten konnte. Lange musterte er ihn, bevor er den einzi gen Unterschied zwischen ihm und einem Menschen bemerkte. Es handelte sich um ei ne leichte Grüntönung der Haut. Sie war so schwach ausgeprägt, daß Dor jan sich seiner Sache erst sicher war, nach dem er mit seinem Dolch das linke Ohrläpp chen des Unbekannten geritzt hatte und zwei hellgrüne Blutstropfen aus dem winzigen Schnitt tropften. Dieser Unbekannte, beziehungsweise sein Organismus, verwendete statt Eisen Kupfer als Sauerstoffträger. Aber da alle auf einem Planeten entstan denen Lebewesen sich irgendwann im Ver lauf der gemeinsamen Evolution auf einen gemeinsamen Sauerstoffträger festlegen und das genetisch verankern, konnte jemand, dessen Organismus sich des Kupfers als Sauerstoffträger bedient, kein irdisches Le bewesen sein. Dorjan nahm sich vor, die Antwort auf ei nige Fragen aus dem Unbekannten heraus zuholen.
* Der Pthorer entkleidete den Unbekannten, riß den Chiton, das Untergewand aus Lei nen, in Streifen und band damit die Fuß- und Handgelenke des Mannes zusammen. Bei der Durchsuchung des Himations, des wollenen Überwurfmantels, entdeckte er mehrere Geheimtaschen. Zu seiner Enttäu schung fand er jedoch außer einigen Goldund Silbermünzen und einem kleinen Dolch nichts darin. Als der Unbekannte mit schmerzlichem Stöhnen zu sich kam, lehnte Dorjan ihm ge genüber an der Wand. Wie der Pthorer es er wartet hatte, reagierte sein Gefangener mit Frustration auf seine Nacktheit. Immerhin faßte er sich recht schnell. Fra gend schaute er zu Dorjan auf. Doch der Pthorer sagte nichts. »Alles, was ich besitze, steckt in den Ta schen meines Himations, Fremder«, begann
5 der Außerirdische. Dorjan runzelte nur die Stirn. »Fremder?« fragte er spöttisch. »Ich kenne dich nicht«, erwiderte sein Gefangener. »Was willst du noch von mir?« »Einige Antworten, Mursil!« erklärte Dorjan. »Mursil?« echote sein Gefangener. »Du scheinst mich mit jemandem zu verwech seln. Ich bin Chilon aus Herakleion und …« Sein Kopf flog zur Seite, als Dorjan ihm die flache Hand aufs Ohr schlug. Der Unbe kannte keuchte, dann hob er die Hand an sein lädiertes Ohr. »Ich habe verstanden!« stieß er hastig hervor. »Mein Name ist Mur sil. Ich bin der Abgesandte eines griechi schen Reeders, der nicht genannt sein will. In seinem Auftrag sollte ich mit dir über ge wisse Geschäfte verhandeln. Die Flotte der Römer hat viele Dinge nach Tyrus gebracht, die das Herz eines Händlers erfreuen …« »Aber nichts, womit sich ein Raumschiff reparieren ließe«, meinte Dorjan mit gespiel ter Gleichgültigkeit. Sein Gefangener zuckte zusammen, als hätte jemand einen Stromstoß durch ihn ge schickt. Die Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen, und die fleischigen Lip pen bebten. »Versuche nicht, dich herauszureden!« drohte Dorjan. »Kein irdisches Säugetier hat grünes Blut.« Er holte das stabförmige In strument hervor, das er dem Fremden abge nommen hatte. »Und die irdische Technik wird noch zwei Jahrtausende brauchen, um so etwas konstruieren und bauen zu kön nen.« Er hantierte spielerisch damit und beob achtete seinen Gefangenen dabei sehr auf merksam, um an seinen Reaktionen zu er kennen, ob mit seinen Handlungen Gefahr verbunden war. Der Fremde reagierte jedoch nicht darauf – und plötzlich arbeitete das Gerät und ver riet durch die Übertragung von Dorjans Atemgeräusch in die Luft schräg über dem Gefangenen seine Funktion. Dorjan schaltete das Gerät ab und steckte
6 es wieder weg, dann zog er mit bedeutsa mem Blick sein Schwert und musterte den Hals seines Gefangenen. »Nein!« sagte Mursil. »Ich gebe zu, daß ich ebenso wenig von der Erde stamme wie du. Das heißt, ich bin zwar auf der Erde ge boren und lebe tatsächlich in Herakleion, aber meine Vorfahren stammen nicht von dieser Welt, sondern kamen vor vielen Ge nerationen hierher. Ich weiß kaum etwas über sie und ihre Pläne, denn sie wurden ge tötet, bevor ich geboren war. Die wenigen Aufzeichnungen, die ich später fand, deuten darauf hin, daß eine Art Gott auftauchte und sie im Kampf besiegte.« »Eine schöne Geschichte!« höhnte Dor jan. »Komme mir bloß nicht damit, ein Vor fahr von dir hätte eine Eingeborene ge schwängert. Das wäre ohne chemochirurgi sche Angleichung der beiden genetischen Kodes nicht möglich gewesen.« »Es war viel einfacher«, erwiderte Mursil. »Man pflanzte einfach befruchtete Eizellen in die Uteri von Eingeborenenfrauen.« Dorjan dachte nach, dann schüttelte er den Kopf. »Die Unverträglichkeit ihres Blutes und des Blutes der Eingeborenenzellen …« Er stockte. »Geht es dir auf, daß es keine Probleme gibt, wenn die Frucht anpassungsfähig ist und es keine Abwehrreaktionen gibt?« meinte Mursil. »Die Frucht hat schließlich ihren eigenen Blutkreislauf und entnimmt dem in der äußeren Hälfte der Plazenta zir kulierenden Blut der Mutter nur die Nah rungsstoffe und den Sauerstoff und übergibt ihm das Kohlendioxyd.« Der Pthorer nickte zögernd. »Das ist mir klar, Mursil. Aber es ist in teressant für mich, daß du nicht von einer Eizelle geredet hast, die in eine Eingeborene eingepflanzt wurde, sondern von Eizellen und Eingeborenenfrauen. Wie viele Außerir dische leben zur Zeit auf der Erde?« »Das ist ein Geheimnis, das ich selbst nicht kenne«, antwortete Mursil. »Ich bitte dich, mir zu glauben.«
H. G. Ewers »Vielleicht glaube ich dir, wenn du mir verrätst, wie du von meiner Existenz erfah ren hast.« Mursil wand und drehte sich förmlich. Ihm war deutlich anzusehen, daß er sich fürchtete, die Frage zu beantworten und daß er sich mindestens ebenso vor den Folgen einer Ablehnung fürchtete. Dorjan sagte kalt: »Wenn du lügst, komme ich wahrschein lich schon durch bloßes Nachdenken dahin ter.« Er hob sein Schwert leicht an. »Dann töte ich dich gleich. Komme ich erst später dahinter, werde ich deine Spur aufnehmen und dich verfolgen und dann umbringen.« Zu seiner Verblüffung malte sich auf Mursils Gesicht keineswegs die erwartete Ratlosigkeit ab, sondern ein höhnisches Grinsen. Im gleichen Augenblick hörte der Pthorer ein schleifendes Geräusch. Er brauchte nicht nachzudenken, um zu wissen, daß ein Helfer Mursils nahte. Er rea gierte sofort. Sein Schwert sirrte durch die Luft und hätte den unter der Tür befindlichen Mann getroffen, wenn der nicht so außerordentlich geschmeidig ausgewichen wäre. So flog das Schwert durch die Türöffnung und landete irgendwo auf dem Halbdach des Atriums. Im nächsten Moment mußte der Pthorer den Dolchstoß des Angreifers abfangen. Er schaute in ein schmales dunkelhäutiges Ge sicht und in vor Mordlust funkelnde Augen, versuchte den Waffenarm des Mannes zu packen und mußte alle Energie aufbieten, um den blitzschnell vorgetragenen Angriffen des Mannes zu begegnen. Dorjan erleichterte seine Lage etwas, in dem er sich in einen Winkel des Zimmers stellte, so daß der Angreifer nur von vorn an ihn herankam. Dabei bemerkte er erbittert, daß Mursil sich davongemacht hatte. Im nächsten Augenblick stieß der Dunkel häutige einen wilden Schrei aus, sprang auf ihn zu – und sprang zu kurz. Bevor der Pthorer sich von seiner Überra schung erholt hatte, warf der Mann sich her um und flog förmlich durch die Tür.
Lockruf der Dimensionen Dorjan stürmte ihm nach, aber er ver mochte ihn nicht mehr zu sehen. Er hörte le diglich irgendwo eine Tür zuschlagen, doch wußte er nicht, welche. Ihm blieb nur noch, sein Schwert zurückzuholen. Als er auf die Straße eilte, lag sie so ver lassen vor ihm wie zuvor. Dorjan stürmte ins Haus zurück und stand wenig später ratlos im Atrium. Er hatte kei ne Ahnung, wohin sich Mursil und sein Be gleiter gewandt hätten – und da er sich in dem Gewirr von Häusern, Gassen, Innenund Hinterhöfen nicht auskannte, brauchte er gar nicht erst zu versuchen, Mursil wie derzufinden. Immerhin hatte er eine Menge Neuigkei ten erfahren. Plötzlich aber fragte er sich, wieviel von den »Neuigkeiten« der Wahrheit entspra chen, da Mursil ja wahrscheinlich gewußt hatte, daß sein Begleiter früher oder später auftauchen mußte und zwar, bevor Dorjan den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen über prüfen konnte.
2. Von der Ruine eines ehemaligen Tempels aus blickte Dorjan auf das malerische und gleichzeitig martialische Bild, das sich ihm im Hafen von Tyrus darbot. Aus den Lastschiffen, die dicht an dicht an den Kais festgemacht hatten, wurden vollbeladene Planwagen über Rampen gezo gen, überall wimmelte es von Legionären, Pferden, Sklaven und allen möglichen Aus rüstungsgegenständen, die ein Heer auf ei nem Marsch durch fremdes Land mit sich führen mußte. Am Rand des Hafengeländes formierten sich die ersten Kohorten zur Marschkolonne. Trompetensignale erklangen. Eine Reiter schwadron trabte an die Spitze der Heeres zugs. In den Kohorten wurden die Feldzei chen aufgerichtet. Dorjan bemerkte erstaunt, daß die Legio näre trotz des umfangreichen Trosses eine Menge Gewicht mitzuschleppen hatten.
7 Nicht nur, daß jeder Soldat seinen Getreide vorrat für fünfzehn bis zwanzig Tage zu tra gen hatte, er bekam auch noch eine Säge, einen Korb, einen Spaten, ein Beil, einen Topf und zwei bis drei Schanzpfähle aufge bürdet. Außerdem trug er natürlich Schwert, Schild und Wurfspieße. Als die Kohorten sich in Bewegung setz ten, eilte der Pthorer ins Hafengelände. Die Sänfte des Kaisers war nicht zu übersehen, denn um sie herum gab es ständig einen Kreis von Prätorianern und Kriegstribunen. Marcus Aurelius Antonius war sichtlich erleichtert, als er Dorjan sah. Er winkte ihn zu sich heran. »Wo warst du, Dorjan?« wollte er wissen. »Deine Kleidung ist naß.« Erst jetzt wurde sich der Pthorer der Näs se seiner Kleidung wieder bewußt, aber er war deshalb noch lange nicht um eine Ant wort verlegen. »Mir war heiß. Deshalb habe ich in einem Brunnen gebadet.« »Und dabei bist du mit der Stirn gegen den Brunnenrand gestoßen«, warf Tribun Vinicius Aulus Lentulus ein, ein derbkno chiger Mann mittleren Alters, der zwar beim Kaiser, nicht aber bei den anderen Tribunen des Stabes beliebt war. »Woher weißt du das?« fragte Dorjan mit gespielter Verwunderung. »Ich dachte es mir«, erwiderte Vinicius, sichtlich verstimmt darüber, daß es ihm nicht gelungen war, Dorjan zu verwirren. Marcus Aurelius lachte erheitert. »Ich glaube, der Mann, der Dorjan in Verlegen heit bringt, muß erst noch geboren werden, Vinicius«, sagte er. »Aber laßt uns nicht län ger untätig herumstehen! Die Legionen mar schieren.« Er klatschte in die Hände. Die Sänftenträ ger hoben die Sänfte auf und setzten sich in Bewegung. Die Kriegstribunen bestiegen ih re Pferde. Nur Dorjan ging zu Fuß neben der Sänfte des Kaisers her. Sein Pferd war bei einem Sklaven namens Proculus gut aufge hoben. »Warum gehst du zu Fuß?« fragte Marcus
8 nach einer Weile. Dorjan lächelte. »Keine Verrichtung der Hand oder des Fußes ist widernatürlich, so lange der Fuß die Funktion des Fußes und die Hand die der Hand verrichtet.« Der Kaiser sah ihn einige Zeit an, dann nickte er. »Ich werde es mir merken, Dorjan. Aber wie ist es mit dem Menschen als Ganzem, mein Freund?« »Für den Menschen als solchen kann kei ne Betätigung widernatürlich sein, solange er die Funktion des Menschen verrichtet.« Wieder nickte Marcus. »Woher hast du die Weisheit, Dorjan?« »Woher habe ich die Klugheit, Marcus?« erwiderte der Pthorer. »Denn nur derjenige, der Klugheit besitzt, vermag weise Gedan ken zu denken und sie zu formulieren.« »Die Klugheit ist eine Gabe der Götter für die Menschen«, sagte Marcus. »Die Götter sind nur Menschen auf einer höheren Stufe der Entwicklung allen Le bens«, erklärte Dorjan. »Manche wachen über uns, um uns auf den Weg zu führen, den sie für den rechten halten – und manche begehen dabei schwere Sünden und Fehler; einige aber benutzen uns nur als Werkzeuge ihrer Gewinn- und Machtsucht oder als Werkzeuge ihrer weitreichenden Planungen, von denen wir einfachen Menschen nichts ahnen – und von denen wir nichts begreifen würden, wenn wir es sähen.« Marcus Aurelius blickte sich um. »Ein Glück, daß niemand deine Worte ge hört hat, die von vielen Menschen als Frevel gegen die Götter ausgelegt werden würden!« sagte er. »Die Träger deiner Sänfte?« Marcus winkte ab. »Sie sind taub und stumm, weil sie klug sind«, erwiderte er. »Dorjan, woher nimmst du die Kühnheit, solche Gedanken auszu sprechen?« Der Pthorer lächelte. »Wäre ein Gott in der Nähe gewesen, so hätte ich geschwiegen«, antwortete er. »Es
H. G. Ewers sei denn, es hätte sich um einen Gott gehan delt, der Gutes will und Gutes schafft, denn wo ein Werk gemäß der den Göttern und Menschen gemeinsamen Vernunft ausführ bar ist, da kann keine Gefahr sein.« Marcus Aurelius blickte ihn lange stumm an, dann fragte er mit bebender Stimme: »Dorjan, bist du ein Gott?« Dorjan dachte an Pthor und an die Kräfte der Magie. War das Magische in ihm etwas, das ihn im Vergleich zu diesen Menschen der Erde zu einem Gott machte? Er schüttelte den Kopf und erwiderte: »Ich bin, wie du, ein Lebewesen mit Ver nunft und nicht mehr Gott als du, Marcus Aurelius.« »Aber du bist kein Kelte!« »Das habe ich niemals behauptet«, erklär te Dorjan. »Woher kommst du wirklich?« Dorjan breitete kurz die Arme aus. »Wie soll ich etwas in Begriffen erklären, die hier und in dieser Zeit unbekannt sind!« sagte er. »Ich komme von sehr weit her; das ist alles, was ich sagen kann!« Diesmal erwiderte der Kaiser nichts dar auf.
* Marcus Aurelius hatte Dorjan zwar schon auf dem Schiff gesagt, daß das Heer in ge ringer Entfernung von Tyrus das erste Lager aufschlagen würde, aber der Pthorer hatte nicht geahnt, daß ein solches Lager mehr als ein einfaches Zeltlager sein würde. Um so mehr erstaunte ihn die geradezu hektische Aktivität der Legionäre, die am Abhang eines sanft abfallenden Hügels einen quadratischen Platz abgesteckt hatten und nunmehr von innen nach außen mit der Errichtung des Lagers anfingen. Zuerst bestimmten sie den sechzig mal sechzig Meter messenden Platz für das Feld herrnzelt, das in diesem Fall identisch war mit dem Zelt des Kaisers. Dieser Platz, Prä torium genannt, bestimmte wiederum die Lage des Haupteingangs, der Porta Prätoria,
Lockruf der Dimensionen die in gerader Linie zirka zweihundert Meter entfernt war, und zwar am Fuß des Hügels. Dorjan Pthoricus Clanocis zügelte sein Pferd, nachdem er am Lagergelände vorbei geritten war. Dadurch konnte er, ohne im Wege zu sein, die Arbeiten beobachten. Die Kohorten hoben rings um den Lager platz einen Graben aus und schütteten mit dem Aushub einen mit Astwerk verstärkten Wall auf, der oben so breit war, daß die Sol daten im Fall eines feindlichen Angriffs auf ihm ausreichend Platz hatten. Innerhalb des Lagers bauten inzwischen andere Legionäre die Zelte auf: Zu beiden Seiten der Via Prätoria, die vom Feldherren zelt zur Porta Prätoria führte, wurden die Zelte der Offiziere und Unteroffiziere, der Tribunen und Legaten aufgeschlagen sowie die Pferde untergebracht. Vor dem Prätori um errichtete man den Opferaltar, an dem die Via Prinzipalis vorbeilief, die die Via Prätoria im rechten Winkel schnitt und an den beiden Seiten des Lagerwalls zur Porta Principale Sinistra und zur Porta Principale Dextra führte. Dem Feldherrnzelt waren die Unterkünfte für die römischen Legionäre, die Reiter und die Hilfstruppe assyrischer Bogenschützen angegliedert. Hinter dem Lagerwall verlief rund um das Lager eine breite Straße. Auf der Rückseite der Lagers, die oben am Hang lag, befand sich hinter der Porta Decumana das Zelt des Quästors, der die Kriegskasse verwaltete. Dort waren auch der Troß und die Kriegsmaschinen untergebracht. Dorjan sah einen einzelnen Reiter auf sich zukommen und erkannte bald dessen Ge sicht. »Vinicius Aulus Lentulus!« sagte er zu sich selbst. »Du möchtest mich zu gern psy chologisch durchleuchten, denn du hast mir das Bad im Brunnen nicht abgenommen. Du ahnst, daß ich meine eigenen Wege gehe und befürchtest natürlich, das könnte zum Schaden des römischen Reiches sein.« Wenige Meter vor Dorjan zügelte der Tri bun sein Pferd und hob die Hand. »Gefällt dir, was du siehst, Dorjan?« frag
9 te Vinicius. »Mir gefällt die Disziplin, mit der die Le gionäre arbeiten«, antwortete Dorjan wahr heitsgemäß. »Aber mich befremdet, daß so weit vom Ziel entfernt ein festes Lager auf geschlagen wird.« Vinicius sah ihn verwundert an. »Weißt du nicht, daß es eine alte und bewährte Tra dition des römischen Heeres ist, auf dem Marsch jeden Abend ein befestigtes Lager aufzuschlagen?« fragte er. »Jeden Abend?« rief Dorjan überrascht aus. »Auch, wenn das Heer sich im Eilmar sch bewegt und die Soldaten abends von den Strapazen des Tagemarsches erschöpft sind?« »Auch dann, denn wir halten Blasen an Händen und Füßen für erträglicher als einen Pfeil in der Brust«, antwortete der Tribun. »Und oft hat sich gezeigt, daß Legionen oh ne befestigtes Lager durch feindliche Über fälle ausgelöscht oder dezimiert worden wä ren.« »Viel Schweiß rinnt die gebeugten Rücken römischer Legionssoldaten hinab«, sagte Dorjan sinnend. »Schweiß spart Blut«, erwiderte Vinicius. Seine dunklen Augen musterten den Pthorer prüfend. »Woher kommst du wirklich, Dor jan?« Dorjan lächelte ironisch. »Das fragte mich der Kaiser bereits, Vini cius – und ich antwortete ihm, daß ich von sehr weit her komme und daß ich nichts wei ter erklären kann, weil ich dazu Begriffe verwenden müßte, die hier und in dieser Zeit unbekannt sind. Aber dir genügt das wahr scheinlich nicht.« »Es genügt mir in der Tat nicht«, sagte der Tribun ernst. »Es beunruhigt mich, daß jemand aus dem Nichts auftaucht, als Gla diator einen mysteriösen Kampf besteht, sich die Bewunderung des Kaisers zuzieht, seiner liederlichen Gattin beiwohnt und den noch vom Kaiser mit Freiheit und einem Eh renamt belohnt wird – und daß dieser Mann sich von einer Assyrerin zu einer Verabre dung in Tyrus bringen läßt, kaum daß unsere
10 Schiffe im Hafen angelegt haben. Darum werde ich nichts unversucht lassen, um mehr über dich und über deine wahren Pläne zu erfahren, Dorjan.« Der Pthorer nickte. »Du sorgst dich um den Kaiser und um das Imperium Romanum«, sagte er bedäch tig. »Ich werde deshalb ehrlich zu dir sein, und wenn du mich dennoch einen Lügner nennst, werde ich dich töten – hier, auf der Stelle!« »Dein Kampf in der Arena hat mich nicht überzeugt, Dorjan«, erwiderte Vinicius. »Glaube also nicht, du könntest mich ein schüchtern. Ich habe in vielen Schlachten mitgefochten und kann auch töten.« Dorjan konnte nicht umhin, den Römer mit seinem energiegeladenen Gesicht mit der herausspringenden Nase und dem inten siven Blick zu bewundern. »Ich komme von einem Land, das man auf der Erde Atlantis nannte und das man später das Neue Atlantis nennen wird, wenn es abermals auftaucht und versucht, eine neue Sintflut hervorzurufen«, erklärte er. Vinicius' Oberkörper versteifte sich. »Ich habe von einem Land namens Atlan tis gelesen«, sagte er tonlos. »Es soll ein mächtiges Reich gewesen sein.« »Es ist das Reich der Finsternis«, sagte Dorjan. »Ich wurde aus ihm verstoßen, weil ich ein Geheimnis entdeckte, das man mir nicht offenbaren wollte. Danach lebte ich auf einer Nebenwelt von Atlantis, das ei gentlich Pthor heißt. Ein Kundschafter aus einer anderen Welt fand mich auf seiner Reise durch Zeit und Raum. Er nahm mich mit. Leider erreichten wir unser Ziel nicht, sondern strandeten auf dieser Welt und zu dieser Zeit. Ich versuche, auf unserem Feld zug etwas zu finden, mit dem sich unsere Maschine reparieren läßt. Wenn ich es finde, kann ich mit meinen Freunden weiterzie hen.« Vinicius Aulus Lentulus blickte den Ptho rer lange Zeit mit flammendem Blick an. »Die Zeit ist das, was verstreicht und un seren Lebensrhythmus bestimmt«, sagte der
H. G. Ewers Römer zögernd. »Aber man reist in ihr im mer nur in einer Richtung und kann die Ge schwindigkeit nicht bestimmen, mit der man vorwärts kommt. Aber deinen Worten ent nehme ich, daß es Wesen gibt, die einen Nachen nach eigenem Gutdünken durch den Strom der Zeit steuern.« »Es ist eine Maschine, die so etwas be wirkt wie eine schnellere Reise als mit der Geschwindigkeit der Zeit, so daß man den Zeitpunkt seines eigenen Todes mit ihr über holen kann, ohne dabei zu sterben, und mit der Möglichkeit, stromaufwärts zu fahren«, erklärte Dorjan. Vinicius schloß die Augen. »Es klingt unglaublich. Aber ich glaube dir, Dorjan, auch wenn ich Mühe habe, we nigstens etwas von allem zu begreifen. Du bist ein Gott und kommst aus der Unterwelt, nicht wahr?« Dorjan seufzte resignierend. »Wenn du in einen sternklaren Nachthim mel schaust, Vinicius, dann versuche dir vorzustellen, daß die meisten der Lichtpunk te, die du siehst, Sonnen sind wie die Sonne, die die Erde bescheint, und daß viele dieser Sonnen von Welten umkreist werden, die ähnlich wie diese Welt sind«, erklärte er. »Pthor, das Reich der Finsternis, liegt weit draußen zwischen den Sternen. In einer Zeit, die erst noch kommen wird, reiste ich von dort ab in deine Zeit, die für mich eigentlich längst vorbei war.« Vinicius erschauerte. »Ich ahne, daß wir Römer sehr wenige Wahrheiten kennen«, flüsterte er. »Die gan ze Wahrheit scheint etwas Ungeheuerliches zu sein. Ich bitte dich, Dorjan, mir das mit den Sonnen, den anderen Welten, dem Rei che der Finsternis und der Maschine der Zeit aufzuschreiben, dann kann ich es jeden Tag lesen – und lerne es vielleicht einmal in sei ner ganzen Bedeutung begreifen.« »Ich muß dir diese Bitte leider abschla gen, Vinicius«, erwiderte der Pthorer. »Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich dir et was von den Geheimnissen des Universums verrate oder ob viele Menschen davon erfah
Lockruf der Dimensionen ren, weil vielleicht ein Unbefugter meine Aufzeichnungen in die Hände bekäme und die darin enthaltenen Informationen weiter gäbe. Was den gebildeten und beherrschten Mann nur innerlich erbeben läßt, das würde eine große Menschenmenge in Panik verset zen und zu Wahnsinnstaten treiben.« »Ich verstehe«, sagte der Tribun. Er blick te den Pthorer prüfend an. »Was ist das, was die Maschine braucht, um dich und deine Freunde an euer Ziel zu bringen, Dorjan?« »Gold«, antwortete der Pthorer. »Eine ganze Wagenladung Gold.« Er lächelte über das Erschrecken auf Vinicius' Gesicht. »Keine Sorge, ich brauche das Gold nur, um eine winzige Menge eines bestimmten darin enthaltenen Stoffes von ihm abzusondern. Die Wagenladung würde anschließend nicht merklich kleiner geworden sein – und das Gold selber interessiert meine Freunde und mich nicht.« Vinicius atmete auf. »Dann werde ich dir helfen, Dorjan. Aber ich werde auch über dich wachen, denn ich glaube, du besitzt auf dieser Welt nicht nur Freunde, sondern auch Feinde.« »Ich danke dir, Vinicius«, erwiderte der Pthorer erleichtert. »Allerdings besitze ich Feinde. In Tyrus lockten sie mich in eine Falle. Aber ich drehte den Spieß um, wie man auf der Erde sagt. Leider entkamen mir meine Gegner.« »Sie werden auf deiner Spur bleiben, Dor jan«, sagte Vinicius und blickte bedeutungs voll auf die Straße, auf der nicht weit hinter den letzten Truppen des Heeres ein kleiner Wagenzug Marketender auf das Lager zu rollte.
3. Ein intensives Geruchssignal riß Algon kin-Yatta aus dem Schlaf. Er fuhr auf und wußte sofort, daß die automatisch arbeitende Ortung der Zeitkapsel etwas Außergewöhn liches festgestellt haben mußte. Von Anlythas Liege her kam ein Rascheln und Zwitschern, dann sagte Algonkins rät
11 selhafte Begleiterin: »Was ist los, Yatta?« »Das werden wir gleich wissen«, antwor tete der Kundschafter. Er schwang sich von seiner Liege, akti vierte mit Hilfe der Blickschaltungen gleich zeitig Beleuchtung und Ortungsanzeigen und musterte daraufhin die Monitore der Or tungsanlage, auf denen Diagramme und Symbole erschienen. »Nicht möglich!« entfuhr es Algonkin-Yat ta. »Was ist nicht möglich!« fragte Anlytha, die sich ebenfalls aufgesetzt hatte. »Die Ortung hat das Geräusch einer Schiffsschraube, das Surren eines Elektro motors und die Impulse eines Sonargeräts angemessen«, erklärte der Kundschafter. »Nicht möglich!« sagte Anlytha impulsiv. Algonkin-Yatta grinste. »Wenigstens an ders formulieren hättest du es können, Ly tha! Allerdings sollten wir Tatsachen akzep tieren. Nur möchte ich wirklich wissen, wie sich ein Elektro-Bootsmotor und Sonar mit einer vorindustriellen Zivilisation vertra gen!« »Möglich wäre es schon«, meinte Anly tha. »Immerhin haben die Römer keine klei neren Gehirne als die Terraner des Raum fahrtzeitalters. Sie haben nur die Hilfe intel ligenter Computer, sonst wären sie schlimm dran mit ihren vielen Milliarden Menschen.« Algonkin-Yatta schaltete an den Kontrol len der Ortung, dann sagte er aufgeregt: »Das Boot kommt zurück! Jetzt hält es genau auf uns zu.« »Abwehrsysteme aktivieren!« zeterte An lytha. »Kommt nicht in Frage«, gab der Kund schafter zurück. Er schaltete die Energieer zeuger auf das notwendige Minimum zu rück. Die Beleuchtung in der Innenzelle der Zeitkapsel erlosch. »Wir stellen uns tot, dann werden diese Neugierigen bald versu chen, in die Kapsel einzudringen. Wenn wir sie in die Schleusenröhre kommen lassen und dann die Röhre mit Hypnosegas fluten, werden unsere Gäste uns alles verraten, was
12 wir wissen wollen.« Die Schallortung übertrug die von den Außenmikrophonen aufgefangenen Schrau bengeräusche in die Innenzelle. Deutlich war zu hören, wie das Boot näherkam, in zirka zwölf Metern Höhe über die Kapsel dröhnte und dann entschwand. Einige dump fe Schläge tönten herein. »Bomben!« schrie Anlytha und kroch un ter ihre Liege. »Steine!« sagte der Kundschafter. »Bomben wären explodiert. Aber ich begrei fe nicht, wieso man Steine nach uns gewor fen hat und was man sich davon verspricht.« Anlytha stieß ein kurzes helles Zwit schern aus und rief: »Und ich frage mich, woher jemand etwas von uns wissen konnte! Du sagtest ja, die Ortung hätte die Impulse eines Sonargeräts registriert, nicht wahr? Dann hat man gezielt nach uns gezielt – und das kann man nur, wenn man von uns weiß und ziemlich genau die Position der Kapsel kennt.« »Dorjan!« sagte Algonkin-Yatta. »Nur er hat die betreffenden Informationen. Folglich kann der Unbekannte beziehungsweise kön nen die Unbekannten sie nur von ihm erhal ten zu haben.« »Aber warum sollte er uns verraten?« fragte Anlytha. »Er braucht uns ja nicht freiwillig verra ten zu haben«, meinte Algonkin-Yatta. »Du meinst, man könnte ihn gefoltert ha ben?« fragte Anlytha betrübt. »Yatta, wir müssen ihm helfen! Warum haben wir ihm kein Funkgerät mitgegeben, dann hätte er uns um Hilfe bitten können!« »Wir hätten uns von unseren individuel len Geräten trennen müssen«, antwortete der Kundschafter. »Unbewußt haben wir uns wohl dagegen gesträubt, weil Raumfahrer sich ohne Funkgerät verloren vorkommen. Aber ich werde den Faden da aufnehmen, wo er sich uns direkt bietet: bei den Leuten, die uns gesucht und gefunden haben.« Er streifte die Kombination über die Un terkleidung. Danach schnallte er sich seinen Aggregattornister um.
H. G. Ewers »Wenn ich dir Bescheid gebe, dann akti viere bitte das Schutzfeld um die Kapsel, Lytha!« sagte er ernst. »Und desaktiviere es erst wieder, wenn ich mich über Funk zu rückmelde!« Willst du die Kapsel verlassen, ohne vor her die Umgebung genau zu sondieren? meldete sich die Mini-Psiotronik über die Kommandoschaltung in seinem Gehirn. »Warum sollte ich nicht?« fragte der Kundschafter laut. Weil die Unbekannten sicher nicht grund los mit ihrem Boot über die Kapsel gefahren sind! erklärte die Psiotronik. Wir müssen da mit rechnen, daß sie uns feindselig gegen überstehen. Algonkin-Yatta lächelte ironisch. »Daß sie uns mit Steinen bewerfen, wie?« Die Steinwürfe könnten eine List gewesen sein, um uns über die Möglichkeiten der Un bekannten zu täuschen oder um gleichzeitig mit den Steinen etwas anderes in die Nähe der Kapsel zu plazieren. Algonkin-Yatta erstarrte in seinen Bewe gungen, dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Beim Jupiter!« rief er. »Das erklärt, wa rum sich das Boot seither nicht mehr sehen ließ! Man wartet darauf, daß wir aktiv wer den, weil man weiß, daß man uns dann aus schalten kann!«
* Algonkin-Yatta schleuste zwei der klei nen Sonden aus und ließ sie die Kapsel um kreisen, während er auf Kontrollschirmen al les sah, was ihre vielfältigen Sensoren auf nahmen. Sehr bald waren fünf große Steine ent deckt, die vorher nicht dagewesen waren – und eine Minute später sah der Kundschafter auf einem der Kontrollschirme einen gläser nen Gegenstand, der in eine leimartige Mas se gehüllt war und an der Außenseite des äu ßeren Schleusenschotts klebte. »Dünnes Glas, gefüllt mit einer undefi nierbaren Flüssigkeit«, stellte Algonkin-Yat
Lockruf der Dimensionen ta fest. Anlytha kam heran und musterte das Ge bilde. »Es fällt herunter, wenn das Außenschott geöffnet wird, nicht wahr?« fragte sie. »Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, denn wenn die beiden Schotthälften in die Wandungshohlräume eingezogen werden, wird das Ding an einer Seitenwand abge streift.« »Und das dünne Glas zerbricht«, ergänzte Anlytha. »Die Flüssigkeit wird frei«, fuhr Algon kin-Yatta fort. »Da der Absender uns kaum für wasseratmende Lebewesen hält, ist die Flüssigkeit nicht zum Einatmen gedacht.« »Eine Art Nervengas?« meinte Anlytha. »So könnte es sein«, antwortete der Kundschafter. »Und es dürfte in so geringer Konzentration wirken, daß der Absender hofft, das wenige Zeug, das sich nach Schließung und Leerung der Schleusenkam mer noch an den Wandungen hält, würde verdunsten und auch die übrigen Insassen der Kapsel ausschalten.« »Aber wenn wir beide mit geschlossenen Druckhelmen aussteigen …«, sagte Anlytha. »Falls wir beobachtet werden, würde das nicht echt wirken«, entgegnete Algonkin-Yat ta. »Nein, Lytha, wir spielen das Spiel so, daß unsere ›Freunde‹ denken, wir wären auf ihre List hereingefallen. Selbstverständlich ändern wir vorher heimlich die Vorausset zungen. Ich hole den Behälter mit einem Traktorstrahl in die Prüfkammer. Danach steige ich aus und spiele den Bewußtlosen. Kurz danach schließt du die Schleuse, dann schleust du dich aus, um mir zu helfen. Aber du wirst bereits ›bewußtlos‹ sein, wenn du aus der Schleuse treibst. Klar?« »Phantastisch!« rief Anlytha mit begei sterten Zwitschern. »Und wenn die Unbe kannten kommen, gaukele ich ihnen etwas vor, das sie ihr ganzes Leben lang nicht ver gessen werden!« »Einverstanden!« erwiderte Algonkin-Yat ta. Er hantierte mit den Schaltungen des
13 Traktorstrahl-Projektors, öffnete per Fernbe dienung die kleine Prüfkammer und muster te den Kontrollschirm, der das Innere der Prüfkammer zeigte. Er verzog ärgerlich das Gesicht, als der Glasbehälter beim Aufsetzen auf dem Boden der Prüfkammer zerschellte. Doch da die Klappe sich hinter ihm wieder geschlossen hatte und absolut dicht war, konnte das Was ser nicht verseucht werden. »Eine Kombination aus Kreto-Serbilin, Slovad und Alnotanatin, gebunden an hyper sensibilisiertes Syntho-drei-Gasin …!« las der Kundschafter von den Anzeigen der Prüfgeräte ab, während er und Anlytha die zuerst dunkelgelben und dann rasch lichter werdenden Gaswolken in der Prüfkammer betrachteten. Idiot! übermittelte ihm die MiniPsiotronik. Hypersensibilisiertes Syntho drei-Gasin sickert durch jedes Material, das nicht permanent hyperstrukturverdichtet ist – und das ist nur bei der Außenhaut der Kapsel der Fall. Algonkin-Yatta erschrak. Helm auf! wollte er Anlytha sagen, da sah er, daß sie bereits bewußtlos vornübersank. Und bevor er den Helm seiner Raumkom bination schließen konnte, vermochte er ge rade noch zu denken, daß auch das nichts genützt hätte, denn die Außenhaut der Kom bination war nicht hyperstrukturverdichtet.
* Als der Kundschafter erwachte, hütete er sich davor, die Augen sofort zu öffnen. Er wußte, daß er infolge seiner »übermenschlich« starken Widerstandskraft jede negative Beeinflussung erheblich schneller überwinden würde als ein Mensch. In diesem Fall konnte das ein unschätzbarer Vorteil sein, wenn seine Gegner nichts da von merkten. Algonkin-Yatta hielt deshalb vollkommen still. Seine empfindliche Nase registrierte neben Anlythas individueller Duftnote den Geruch von den Molekülen abgeschilferter
14 Haut humanoiden Typus und einen weibli chen Duft. Außerdem nahm er verschiedene andere Düfte wahr, die mit der Kleidung sei ner Gegner beziehungsweise Gegnerin und ihren Kosmetika zu tun hatten. Dazu gesellte sich noch etwas Undefinierbares, das den Kundschafter innerlich erschaudern ließ. Die Erkenntnis, daß sich in der Innenzelle der Zeitkapsel nur eine einzige Person außer Anlytha und ihm aufhielt, wurde durch das Geräusch von Schritten erhärtet. Algonkin-Yatta konzentrierte sich ganz auf die Wahrnehmungen von Geruch und Gehör, bis er mit der Gegnerin und ihrem Verhalten so genau vertraut war, daß er sa gen konnte, wo sie gerade stand und nach welcher Richtung sie schaute. Als sie sich den Kontrollen der Außenbe obachtung zuwandte, öffnete der Kund schafter die Augen einen Spalt weit. Er blickte genau auf den Rücken einer weibli chen Person vom humanoiden Typus, die in eine dunkelgraue Kunststoffkombination ge kleidet zu sein schien. Kunststoff! Algonkin-Yatta war alarmiert. Auf der Er de zu dieser Zeit konnte noch niemand die Herstellung von Kunststoff beherrschen. Folglich mußten sich auf diesem Planeten Raumfahrer aus einem anderen Sonnensy stem befinden. Und sie schienen nicht etwa als Kosmische Entwicklungshelfer hier zu leben, sondern als Schmarotzer, die nicht einmal den Versuch gemacht hatten, sich mit ihm zu verständigen. Die Fremde schien mit den Kontrollen der Außenbeobachtung nichts anfangen zu kön nen. Sie probierte daran herum, kam aber nicht damit zurecht. Als ob sie noch nie ein Raumschiff von innen gesehen hätte, denn die Kontrollen für die Außenbeobachtung eines Raumschiffs unterschieden sich nicht prinzipiell von denen der Zeitkapsel! Die Fremde gab dem Kundschafter immer mehr Rätsel auf. Als sie sich umdrehte, schloß er die Augen wieder. Die Tatsache, daß er gefesselt war, störte ihn nicht, denn die Lederschnüre würden zwar bestimmt
H. G. Ewers einen Menschen an der Flucht hindern, nicht jedoch einen Mathoner, der bei einer Schwerkraft von 4,52 Gravos noch die Ge schwindigkeit eines Rennpferdes entwickel te. Plötzlich stöhnte Algonkin-Yatta gequält auf. Kurz, nachdem die Fremde mit dem Fuß aufgestampft hatte, wurde der Kundschafter von einem unbeschreiblich grauenhaften Ge ruch überflutet. Er verlor beinahe das Be wußtsein. Eine Frauenstimme lachte, dann sagte sie auf Lateinisch: »Knoblauch scheint Magier munter zu machen! Öffne ruhig die Augen, Freund chen! Wer so stöhnt wie du, der ist nicht mehr bewußtlos.« Algonkin-Yatta riß die Augen auf und flü sterte gequält: »Bringen Sie dieses Zeug fort, bitte! Es tötet mich, wenn ich es noch länger einat me!« Er sprach ebenfalls Lateinisch. Die Frau lachte. Erst jetzt sah der Kund schafter, daß sie eine goldene Maske trug. »Den Gefallen tue ich dir nicht. Knob lauch ist ein anerkanntes Mittel gegen Vam pire, Hexen und Dämonen.« Sie deutete auf die reglose Anlytha. »Und niemand kann mir weismachen, daß dieses ›Ding‹ nichts Vampirisches, Hexerisches und Dämoni sches an sich hat! Ich merkte es gleich, als ihr in der Arena scheinbar gegen den Außer irdischen kämpftet, der meinen ergebenen Sklaven Quintus ermordete. Dafür wird er büßen, indem er seine Rolle übernimmt!« »Was hast du mit ihm gemacht?« fragte Algonkin-Yatta erschrocken. »Er ist mir noch einmal entkommen!« stieß die Frau mit fauchendem Unterton her vor. »Aber ich habe ihm Quequeldo nachge hetzt. Ihm entkommt er nicht. Und du wirst mir verraten, wie diese Maschine bedient wird, die angeblich durch Raum und Zeit ge hen kann!« »Woher weißt du überhaupt von dieser Maschine und von uns?« fragte der Kund schafter.
Lockruf der Dimensionen »Er wird im Schlaf geplaudert haben!« rief Anlytha mit zornigem Kreischen. »Schaff das Drusex weg, Kaiserin, sonst überkommt mich der Zwang, etwas Furcht bares zu tun!« »Drusex?« rief Algonkin-Yatta freudig er regt. »Du erinnerst dich daran, wie Knob lauch auf deiner Heimatwelt heißt? Denke nach! Vielleicht fällt dir noch mehr ein!« Seine Augen weiteten sich. »Warum nennst du diese Frau ›Kaiserin‹? Oh!« »Ja!« meinte Anlytha. »Aber ich kann kaum noch denken. Eine letzte Warnung, Kaiserin! Bringt das Drusex aus der Kap sel!« Die Frau stampfte mit dem rechten Fuß auf. »Es ist ein anerkanntes Mittel gegen Vampire, Hexen und Dämonen – und ich verzichte nicht auf die einzige durchschla gende Waffe gegen euch!« Algonkin-Yatta kämpfte gegen Schwindel und Übelkeit. Verzweifelt versuchte er, sei ne Fesseln zu sprengen und merkte, daß er die Kraft dazu nicht mehr besaß. Und wie durch einen Schleier sah er kurz darauf, wie Anlytha ihre Fesseln mit zorni gem Kreischen zerriß, sich mit einem wah ren Tigersatz auf die Kaiserin stürzte und ihr die Zähne in den Hals grub. »Anlytha!« flüsterte er entsetzt, dann schwand ihm das Bewußtsein.
4. Mesopotamien …! Die Legionen marschierten immer noch in einfacher Kolonne unter der gnadenlos her abbrennenden Sonne, aber wenigstens hatten sie die Wüste hinter sich gelassen. Vor ihnen lagen fruchtbare Niederungen voller Wei zenfelder, Hainen aus Dattelpalmen, Bewäs serungsgräben – und Dörfer. Dorjan glaubte, schon den Geruch des Eu phrat zu merken, desjenigen der beiden Strö me, den die Legionen zuerst erreichen wür den. Tigris hieß der zweite Strom, aber be vor die römischen Soldaten seine Ufer sa
15 hen, würden sie in Babylon einmarschieren. Es sei denn, es kam schon vorher zum entscheidenden Kampf mit den Parthern. Marcus Aurelius Antonius fürchtete einen feindlichen Überfall. Deshalb hatte er große Teile der berittenen attischen Hilfstruppen, die bei Damaskus zu den Legionen gestoßen waren, nach vorn und nach beiden Seiten weit ausschwärmen lassen. Die Reiter wür den jede zahlenmäßig bedeutsame feindliche Truppe entdecken und sofort melden. Doch bisher war es ruhig geblieben. Dor jan Pthoricus Clanocis traute dem Frieden jedoch ebensowenig wie der Kaiser. Aber aus einem anderen Grunde. Der Zug der bunten Marketenderwagen hatte unterwegs zugenommen. Es waren rund tausend Frem de, die hinter den Legionen her zogen – und praktisch jeder Fremde konnte ein erdgebo rener Außerirdischer wie Mursil sein oder ein Erdenmensch im Dienst der Fremden. Die Tatsache, daß bisher noch niemand versucht hatte, den Pthorer zu überfallen oder zu beeinflussen, machte Dorjan nervös. Er ahnte, daß die Gegenseite sich nur des halb Zeit nahm, weil sie sicher war, daß er ihr trotz allem ins Netz gehen würde und daß sie abwartete, bis eine Aktion perfekt vorbereitet war. Ein Offizier der attischen Reiterei spreng te heran, grüßte Vinicius und erstattete Mel dung. Der Tribun bedankte sich, dann sprengte er auf seinem Pferd zur kaiserli chen Sänfte, hielt an und schwang sich her ab. »Zwischen dem Heer und dem Euphrat gibt es keine Gegner – und auch die Flanken sind bis zur Tiefe zweier Stunden scharfen Rittes frei!« meldete er dem Kaiser, der sichtlich unter dem heißen Klima litt. »Gibt es einen Flecken, der sich beson ders gut für das nächste Lager eignet?« wollte Marcus Aurelius wissen. »Das Ufer eines Sees«, antwortete der Reiter. »Ganz in der Nähe des Euphrat.« Der Kaiser dachte eine Weile nach, dann wandte er sich an Vinicius Aulus Lentulus und sagte:
16 »Wir werden unser Lager so aufschlagen, daß der See uns Rückendeckung gibt, Vini cius. Sorge dafür, daß die Befestigung stär ker als sonst ausgebaut wird. Wir wollen ei nige Tage bleiben und Kräfte sammeln. In dieser Zeit sollen Reiter die weitere Umge bung erkunden – und einige Späher sollen nach Babylon gehen und sich dort umsehen und umhören. Es gibt dort bestimmt Leute, die genau wissen, wo die Hauptstreitmacht der Parther sich befindet und was die Parther planen.« »Ich bitte darum, die Späher nach Baby lon führen zu dürfen, Marcus!« sagte Vinici us. »Nicht du!« wehrte der Kaiser ab. »Du kannst dich nicht gut genug verstellen. Wir brauchen dafür einige mit allen Wassern ge waschene Männer, die lügen können, ohne daß man es ihnen ansieht.« »Ich könnte die Leute aussuchen und an führen, Marcus«, erklärte der Pthorer. Marcus Aurelius warf ihm einen langen Blick zu. »Du, Dorjan?« Der Pthorer lächelte. »Zeige Gemütsruhe den Dingen gegen über, die von äußeren Ursachen herkommen, und Gerechtigkeit bei denen, die von deiner eigenen Tatkraft bewirkt werden. Das heißt, dein Streben und Tun soll kein anderes Ziel haben als das allgemeine Beste, denn das ist deiner Natur gemäß. So aber urteile auch über andere Wesen und Menschen.« Marcus Aurelius Antonius gab seinem Schreiber, der ständig neben der kaiserlichen Sänfte herschritt, einen Wink. Hastig kratzte der Griffel über die Wachstafel. Zu Dorjan aber sagte Marcus: »Wenn ich jemals weise werde, so ver danke ich das zum größten Teil dir, Dorjan. Wie glänzend hast du den unausgesproche nen Vorwurf abprallen und auf mich zurück fliegen lassen! Ja, so ist es: Wer will, daß et was Bestimmtes getan wird, der darf den nicht moralisch verurteilen, der bereit ist, es zu tun!« »Aber ist es Weisheit, wenn Dorjan auf
H. G. Ewers dich herabschaut, Marcus?« warf Asinius Fulvius Metilius, ein anderer Kriegstribun, ein. Asinius war fast das genaue Gegenteil von Vinicius. Er war klein von Statur, hatte ein bleiches Gesicht mit hohlen Wangen und Geierschnabelnase, wirres schwarzes, stets schweißfeuchtes Haar, Hände mit langen schmalen Fingern und einen meist unsteten Blick. Dorjan hatte sich anfangs darüber ge wundert, daß ein solcher Mensch in die Tri butskomitien gewählt worden war, doch dann hatte er ihn einmal reden hören und be merkt, wie spielerisch er mit den Gefühlen seiner Zuhörer umging und wie wirksam sein Tonfall und seine Gesten waren. »Hat er das?« fragte Marcus Aurelius zweifelnd. »Jeder Mensch, ja jedes Lebewesen, das bewußt zu denken vermag, trägt in sich so wohl Gut als auch Böse«, sagte der Pthorer. »Das Böse in mir hörte den Unglauben aus deiner Frage, Marcus, und verleitete mich dazu, mich darüber zu belustigen. Es war nicht recht.« Er blickte Asinius an. »Doch du, Asinius Fulvius, hast genau den gleichen Fehler begangen, indem du dir ein götterähnliches Urteil über meinen Feh ler anmaßtest. Dir sage ich: Irrt jemand, so belehre ihn mit Wohlwollen und zeige ihm seine Fehler mit Sanftmut. Vermagst du das aber nicht, so klage dich selbst an.« Asinius' Augen flammten förmlich vor Wut, aber der Tribun schluckte sie herunter und erwiderte nach einigen Sekunden: »Ich bitte dich um Verzeihung, Marcus Aurelius und bitte dich, mir als Sühne die Teilnahme an dem Ritt nach Babylon aufzu erlegen.« Der Kaiser blickte den Pthorer fragend an. »Du wirst das Unternehmen leiten, Dor jan. Deshalb liegt es auch an dir, zu ent scheiden, wer daran teilnimmt und wer nicht …« Der Pthorer brauchte nicht lange zu über legen. Der Unsicherheit des Kaisers konnte er entnehmen, daß er den Wunsch des Asini us gern erfüllt gesehen hätte.
Lockruf der Dimensionen »Asinius Fulvius ist mir willkommen, Marcus!« rief er.
* Durch die Dunkelheit klang das Trappeln von Hufen. Dorjan wußte, daß es sich dabei um einige der wenigen Schwadronen Reite rei handelte, die während der Nachtstunden die Umgebung des Lagers durchstreiften, um die Annäherung feindlicher Truppen rechtzeitig zu erkennen. Der Pthorer preßte sich an den Boden, um nicht gesehen zu werden. Er befand sich auf der linken Seite der Via Principale, auf der man zur Porta Principale Sinistra gelangte, aber das war nicht sein Ziel. Da sich die Le gionen praktisch in Feindesland befanden, stand an jedem Tor eine Kohorte Legions soldaten Wache. Das gleiche traf auf das Praetorium und das Quaestorium zu. Außer dem standen noch Posten auf dem Wall Wa che. Es wäre für den Pthorer natürlich möglich gewesen, vom Kaiser die Erlaubnis zum Verlassen des Lagers zu erhalten. Doch das hätte nicht nur verständliche Fragen heraus gefordert, sondern vielleicht auch spätere Verdächtigungen. Dorjan beabsichtigte, heimlich ins Marke tender-Lager einzudringen. Er war schon in den letzten Tagen mehrmals dort gewesen, um sich umzusehen. Er hatte nichts Ver dächtiges bemerkt. Aber in den letzten Stun den war er zu dem Schluß gekommen, daß derjenige, der ihn verfolgte, sich weitgehen de Handlungsfreiheit verschaffen mußte. Das aber konnte er am besten, wenn er von allen Marketendern respektiert wurde – und dieses bunt zusammengewürfelte Volk re spektierte nur denjenigen als Bestimmenden, der sich auch im Kampf durchzusetzen ver stand. Es gab natürlich keinen offiziellen Herr scher über den Zug der Marketender, aber nach und nach hatte der Pthorer aus zahllo sen Äußerungen herausgehört, daß hier ein gewisser Hekataios das Sagen hatte. Heka
17 taios war ein Stoffhändler, der aber zusätz lich in zwei großen Planwagen junge hüb sche Sklavinnen mitgebracht hatte, mit de ren Hilfe er den Legionären das Geld aus den Taschen zog. Falls Hekataios ein Außerirdischer war oder für sie arbeitete, mußte sich in seinem Planwagen etwas finden lassen, das über die technischen Möglichkeiten der Menschen dieses Zeitalters hinausging. Der Pthorer schaute auf die schwach leuchtende Anzeige seines Zeitmessers, den er von Algonkin-Yatta erhalten und auf die Tageslänge der Erde eingestellt hatte. Es war kurz vor 23.00 Uhr, also würde in gut einer Stunde die nächste Wachablösung er folgen, was nicht nur mit Trompetensigna len, sondern allgemein mit Unruhe einher ging. Dorjan befand sich im Schatten des La gers der attischen Reiterei – und zwar bei den Zelten, in denen die Reiter wohnten, die zur Zeit außerhalb des Lagers patrouillier ten. Vor ihm lag die Wallstraße, und dahin ter hob sich der Erdwall gegen das Sternen licht ab. Es gab sogar vier zirka zehn Meter hohe Wachttürme, aber die standen an den Ecken des Lagers. Von dort aus konnte man den Teil des Walles, den Dorjan zu überklet tern beabsichtigte, nur im Tageslicht sehen. Der Pthorer wartete, bis die Silhouetten der beiden Wachen dieses Wallbereiches sich am weitesten angenähert hatten. Er konnte sogar hören, was sie zueinander sag ten. Als sie sich wieder voneinander entfern ten, huschte er gebückt über die Randstraße. Er trug den enganliegenden schwarzen An zug aus hauchdünner Plastikfolie, die in ei nem Geheimfach seines Gürtels Platz hatte, und hatte Hände und Gesicht geschwärzt, so daß er nicht ohne weiteres gesehen werden konnte. Langsam und völlig lautlos zog er sich auf den Wall hinauf. Die beiden Posten wandten ihm ihre Rücken zu und entfernten sich zudem immer weiter voneinander und damit von ihm. Schlangengleich kroch er über die Wallkrone, zwängte sich durch eine
18 Schießscharte des zusätzlich errichteten Pa lisadenzauns und schlängelte sich zwischen den Dornenzweigen hindurch, die aus der Außenfläche des Walles ragten. Als er das geschafft hatte, brauchte er nur noch über den frisch gerodeten Streifen zu kriechen, der sich an Land rings um das La ger zog. Danach tauchte er zwischen Sträu chern unter, schlenderte an mehreren Pal mengruppen vorbei und befand sich bald darauf an der Umzäunung des Marketender-La gers. Die meisten Marketender schliefen schon. Ihre Zelte und Planwagen lagen dunkel und scheinbar verlassen da. Nur an manchen Stellen drang das schwache Licht von Öllampen durch Ritzen und Spalten, irgendwo schrie ein Säugling, eine Frau und ein Mann stritten sich. Nirgends waren Wachtposten zu sehen. Aber Dorjan wußte, daß die Marketender eine zuverlässige Methode hatten, sich und ihr Eigentum zu schützen. Sie hielten sich Wachhunde, die nachts angekettet zwischen den Planwagen und Zelten lagen. Dem Ptho rer taten sie allerdings nichts, und sie bellten auch nicht, als sie ihn witterten. Er hatte ih nen den ganzen Marsch hindurch abends heimlich immer wieder Fleischbrocken zu gesteckt und sich vor dem Aufbruch mit Fett eingerieben. Die Hunde, an denen er vorbei kam, winselten deshalb nur bittend und ga ben Ruhe, sobald sie ihren Fleischbrocken hatten. Nach kurzer Zeit sah der Pthorer nicht weit entfernt die hellgraue Stoffplane des »Wohnwagens« von Hekataios. Vorsichtiger schlich er näher. Seine Vorsicht wurde be lohnt. Weil er jeden Quadratzentimeter Bo den genau musterte, bevor er ihn überquerte, entdeckte er den feinen Stolperdraht, der in Handspannhöhe durch das Gras gespannt war. Den in einem Meter Höhe gespannten Si gnaldraht sah er jedoch beinahe zu spät, nämlich, als er sich mit einem Fuß schon hinter dem Stolperdraht befand und den Oberkörper nachziehen wollte.
H. G. Ewers Dorjan zog sich behutsam einen Meter zu rück und blickte hinüber zu dem Planwagen. Der Signaldraht war der Beweis dafür, daß der Stoffhändler ein Außerirdischer war oder für die Außerirdischen arbeitete. Nach einiger Zeit kroch der Pthorer zwi schen beiden Drähten hindurch, umrundete den Wagen einmal und erstarrte, als er Huf schläge vernahm. Vorsichtshalber legte er sich in eine Bodenwelle, als er hörte, daß die Hufschläge näherkamen. Da es sich nur um einen einzelnen Reiter handelte, konnte es sich um einen Boten handeln, der zu Heka taios unterwegs war. Tatsächlich hörte er wenig später, wie der Reiter anhielt und absaß und dann zu Fuß auf den Planwagen zuging. Er wand sich zwischen den beiden Drähten hindurch; folglich wußte er von ihnen und auch, in welcher Entfernung vom Planwagen sie ge spannt waren. Er mußte sich außerdem eines Tricks bedienen, um durch seine Ankunft die Hunde nicht rebellisch zu machen. Das alles ging dem Pthorer durch den Kopf, während er beobachtete, wie der Bote zur Rückseite des Wagens ging und in ei nem bestimmten Rhythmus gegen den Holz boden klopfte. Bald darauf wurde die Plane ein Stück an gehoben. Matter Lichtschein drang heraus. In ihm erkannte Dorjan den Stoffhändler – und den Mann, der in Tyrus dem fetten Mur sil zu Hilfe gekommen war. Geflüsterte Worte wurden gewechselt, dann stieg der Bote in den Wagen. Sobald die Plane sich hinter ihm wieder geschlossen hatte, eilte der Pthorer zu dem Wagen und legte sein Ohr an die Plane.
* »Was will sie?« hörte er Hekataios fra gen. »Sie erteilt dir die Erlaubnis, zuzuschla gen, Quequeldo«, antwortete der Bote. Erregt konstatierte Dorjan, daß Quequel do alias Hekataios ein Außerirdischer war, denn erstens hätte der Terraner keinen
Lockruf der Dimensionen Falschnamen benutzen müssen und zweitens war »Quequeldo« kein terranischer Name. »Es wurde auch höchste Zeit, Hafis«, er widerte Quequeldo. »Ich habe erfahren, daß die Entscheidungsschlacht zwischen Par thern und Römern bevorsteht. Wenn dieser Pthorer dabei umkommt, kann Seciachi ihn nicht zähmen.« Der Pthorer lächelte wütend. Dieses Weibsstück war ihm also gar nicht verfallen, wie sie ihn hatte glauben lassen! Sie hatte diese eine Nacht nur dazu benutzt, ihn zum Reden zu bringen, damit sie ihre Fäden spinnen konnte. Er nahm sich vor, sie umzubringen. »Mursil wartet in Babylon«, sagte Hafis drängend. »Soll er warten!« gab Quequeldo unwir sch zurück. »Alle starren wie hypnotisiert auf diesen Schatten einer Stadt! Als ob Ba bylon nicht längst verödet wäre!« »Hier sollte einst ein Turm gebaut wer den, der bis in den Himmel reicht!« entgeg nete Hafis heftig. »Die Götter haben es verhindert«, erwi derte Quequeldo. »Oder Fremde!« gab Hafis zurück. »Wesen aus der Unterwelt wie ihr!« Quequeldo alias Hekataios lachte. »Beruhige dich, Hafis! Ich wollte die Lei stung deiner Vorfahren nicht schmälern. Mußt du zu Mursil zurückreiten oder stehst du mir zur Verfügung?« »Ich stehe dir zur Verfügung«, antwortete Hafis, der sicherlich ein Mensch war und wahrscheinlich sogar aus Mesopotamien stammte, denn Habitus und Hautfarbe sowie Temperament stimmten mit den Hiesigen überein. »Dann suche dir einen Schlafplatz bei den Sklavinnen!« befahl Quequeldo. »Morgen reitest du nach Babylon und läßt den von mir vorbereiteten Plan anlaufen. Ich werde unterdessen versuchen, die Wege des Ptho rers so zu steuern, daß er sich in meinem Netz verfängt. Doch davon später, Hafis! Gute Nacht!« »Du hast also doch Babylon in deinen
19 Plan einbezogen?« fragte Hafis. »Und ich dachte erst, du verachtest diese Stadt.« »Unsinn!« erwiderte Quequeldo. »Es tut mir nur Leid, daß aus dem großartigen Ba bylon von einst nur kalte Mauern übrigge blieben sind.« »Danke, Quequeldo!« sagte Hafis. »Gute Nacht!« Der Pthorer glitt lautlos unter den Wagen, als die Plane abermals angehoben wurde. Hafis schwang sich herab, glitt zwischen den Drähten hindurch, verschwand in der Dunkelheit und tauchte kurz darauf mit einer Satteltasche wieder auf. Vergnügt vor sich hin summend, eilte er auf einen der Planwa gen mit den Sklavinnen zu. Dorjan ballte die Fäuste und starrte auf Quequeldos Wagen. Am liebsten hätte er den Außerirdischen sofort umgebracht, denn er ahnte, daß Quequeldo ihm ebenbürtig war – und ihn gewähren zu lassen, ohne seine ausgeklügelten Pläne im voraus zu kennen, grenzte beinahe an Selbstmord. Andererseits … Dorjan seufzte. Wenn er Quequeldo tötete, würde er sein ganzes wei teres Leben einen schalen Geschmack auf der Zunge haben. Ganz davon abgesehen, daß er sich des Nervenkitzels beraubte, den die Ungewißheit auf ihn ausübte. Plötzlich stutzte er. Quequeldo hatte zu Hafis gesagt, er wolle seine, Dorjans, Wege so zu steuern versu chen, daß er sich in seinem Netz finge. Das bedeutete doch aber, daß der Außerirdische jemanden in Marcus Aurelius unmittelbarer Nähe kannte und ihn beeinflußte. Wer war der Verräter? Der Pthorer wartete, bis seine Erregung abgeklungen war, denn er wußte, daß er kühl sein mußte, wollte er keinen Fehler be gehen. Danach kehrte er auf demselben We ge zurück, auf dem er gekommen war. In ihm herrschte ein Zwiespalt der Gedan ken und Gefühle. Einerseits wußte er, daß die meisten Vor teile auf der Seite der Gegner lagen, die ihm zudem zahlenmäßig weit überlegen waren und ihn kannten. Andererseits reizte ihn die
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H. G. Ewers
ses Spiel mit zahlreichen Unbekannten, und er rechnete sich vor allem deshalb eine Sie geschance aus, weil er aus Quequeldos Wor ten eindeutig entnommen hatte, daß alle un mittelbar Beteiligten den Befehl erhalten hatten, ihn am Leben zu lassen. Damit die falsche Kaiserin, die in Wirk lichkeit Seciachi hieß und keine Menschen frau war, ihn zähmen konnte! Mit einemmal wurde ihm auch klar, wa rum Commodus, der kleine Sohn des Mar cus Aurelius, den er kurz kennengelernt hat te, ein dämonischer blutrünstiger Affe war, der einmal seine größte Erfüllung darin fin den würde, Menschen und Tiere leiden zu sehen. Die widernatürliche Kreuzung hatte alles negative Erbgut an die Oberfläche gebracht, das sich im Lauf zahlloser Generationen bei Menschen und Außerirdischen angesammelt hatte.
5. Als Algonkin-Yatta erwachte, fühlte er sich unsagbar elend. Außerdem wußte er nicht mehr, was seiner Ohnmacht vorausge gangen war. Deshalb öffnete er sofort die Augen. Er stellte fest, daß er sich in einer Art Kammer befand, die allerdings nur von vier großen Vorhängen gebildet wurde. Die Decke kam ihm ebenso seltsam bekannt vor wie der Boden, auf dem er lag. Infolge seines Zustands dauerte es eine Weile, bis er die nackte weibliche Gestalt, die vor ihm auf dem Boden lag, ebenfalls wahrnahm. Als er ein zwitscherndes Geräusch hörte, richtete er sich halb auf. Er sah, daß einer der Vorhänge ein Stück beiseite geschoben wurde. Eine zierliche kleine Gestalt in enganliegender silberfarbe ner Kombination, die eindeutig weibliche Attribute enthüllte, mit fliederfarbener por zellanglatter Haut und einem kleinen weißen Federkamm auf dem Kopf betrat den Raum und spähte erst zu der anderen Frau und
dann zu ihm. »Oh, du bist schon wieder wach, Yatta!« jubilierte sie mit vogelhafter Stimme. Algonkin-Yatta blickte sie verständnislos an. Irgendwo tief in seinem Bewußtsein formte sich die Erkenntnis, daß dieses We sen ihm bekannt war, aber er kam nicht dar auf, wer es sein könnte. Er schluckte, deutete mit gespreizten Fin gern auf die andere Frau und fragte: »Wer ist das – und warum ist dieses We sen nackt?« Die Vogelhafte gab ein paar traurige Lau te von sich, eilte zu dem Kundschafter und hockte sich neben ihn, dabei sein Gesicht voller Besorgnis musternd. »Aber, Algonkin-Yatta!« sagte sie. »Weißt du nicht mehr, daß diese Außerirdi sche uns überlistete, daß sich herausstellte, daß sie die Ehefrau des römischen Kaisers Marcus Aurelius ist und daß sie jemanden hinter dem Pthorer hergehetzt hat?« Der Kundschafter schloß die Augen, als die Erinnerungen explosionsartig zurück kehrten und sein Bewußtsein überschwemm ten. Vor allem eine Erinnerung schockierte ihn zutiefst. Unwillkürlich rutschte er ein Stück von Anlytha weg, nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte. »Ich sehe dich noch vor mir, wie du der Fremden die Zähne in den Hals geschlagen hast!« stieß er tonlos hervor. »Ich sehe es, aber ich kann es immer noch nicht glauben! Anlytha, die Gefährtin meiner Irrfahrten durch Raum und Zeit – ein vampirisches Wesen!« »Du spinnst ja!« schrie Anlytha ihn wü tend an. »Wie kannst du so etwas von mir glauben! Ganz abgesehen, daß es Vampire vielleicht nur in der krankhaften Phantasie dieser Außerirdischen gibt: Ich habe ihr das Aussehen eines Vampirs vorgegaukelt, so, wie sie sich einen Vampir vorstellte. Aller dings war ich tatsächlich außer mir, weil der Geruch der Drusex-Droge mich rasend machte. Deshalb biß ich zwar die Kaiserin nicht, aber ich erdrosselte sie.«
Lockruf der Dimensionen Algonkin-Yatta fühlte sich unendlich er leichtert darüber, daß seine Anlytha kein vampirisches Wesen war. Von MYOTEX wußte er, daß es im Kosmos viele vampiri sche Lebewesen gab, aber gefährlich waren nur die wenigen intelligenten Arten. Es wäre niederschmetternd für ihn gewesen, wenn Anlytha zu einer solchen Art gehörte. Im nächsten Augenblick wurde ihm der zweite Teil von Anlythas Aussage bewußt. Sie hatte die Gattin des Kaisers Marcus Aurelius umgebracht! »Sieh mich nicht so entgeistert an, Algon kin!« sagte Anlytha energisch. »Ich hatte das Weibsstück ja gewarnt. Außerdem habe ich von draußen Hexensalbe mitgebracht, die Tote wieder zum Leben erwecken kann.« »Jetzt spinnst du, Anlytha!« sagte der Kundschafter schwach. »Wer tot ist, ist tot – und nach einer bestimmten Zeit läßt sich der Zustand nicht mehr ändern.« »Na ja!« meinte Anlytha verlegen. »Sie ist nicht richtig tot, sondern befindet sich in einer Schockstarre mit enorm stark abge schwächten, aber noch vorhandenen Organ funktionen.« Algonkin-Yatta dachte darüber nach. Der Zustand des sogenannten Scheintods war ihm nicht unbekannt, und er wußte auch, daß er reversibel war, aber was Anlytha da von einer Hexensalbe gesagt hatte, klang ihm reichlich mysteriös. »Woraus besteht diese, äh, Salbe?« erkun digte er sich vorsichtig. Anlytha kicherte. »Aus verschiedenen Peptiden, die ich lei der nicht synthetisieren konnte und deshalb irdischen Pflanzen wie Schierling, Fingerhut und verschiedenen sogenannten Nachtschat tengewächsen entnehmen mußte. Ein Arzt half mir, diese Pflanzen ausfindig zu ma chen. Er schreibt wahrscheinlich ein Buch über die Emotionen, die er erlebte, nachdem er sich die Salbe eingerieben hatte. Unter an derem bewirkt das in den Pflanzen enthaltene Atropin die Illusion des Fliegens.« »Ohne Hilfsmittel?« fragte Algonkin-Yat
21 ta. »Ohne Hilfsmittel«, bestätigte Anlytha. »Aber geh endlich hinaus! Du kannst nicht dabei sein, wenn ich die Salbe bei der Au ßerirdischen anwende!« Der Kundschafter fügte sich. Aber außer halb der »Kammer« dachte er darüber nach, ob es möglich war, Anlythas Vermittlung der Information über »Hexensalbe« rück gängig zu machen, denn er befürchtete, daß sie mißbraucht und zur Quelle großen Un heils werden könnte … »Sie ist wieder lebendig, aber noch be wußtlos«, flüsterte Anlytha durch einen Vor hangspalt. »Was meinst du, kannst du sie an Land bringen, Yatta?« »Warum nicht?« erwiderte der Kund schafter. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das tun sollten. Immerhin weiß sie, daß wir ebenfalls Außerirdische sind und mit ei ner Maschine zur Erde kamen. Wenn sie darüber spricht …« »Vielleicht schweigt sie, weil man sie sonst für verrückt halten könnte«, meinte Anlytha. »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht«, gab Algonkin-Yatta zurück. »Wahrscheinlich hätten wir sie im Zu stand des Scheintods ausschleusen sollen«, überlegte Anlytha laut. »Dann wäre sie ertrunken!« entrüstete sich Algonkin-Yatta. »Ich bringe sie hin aus.« »Du darfst dich nur nicht blicken lassen«, sagte Anlytha. »Vorhin standen im Hafen je denfalls eine Menge Soldaten und Nichtstu er herum. Offenbar wird die Außerirdische bei Hofe vermißt. Es kann nicht allzu lange dauern, bis es hell ist, dann wird man das Motorboot dieses Weibsstücks auf den Wel len schaukeln sehen – und genau über unse rem Standort verankert.« Der Kundschafter stöhnte. »Komplizierter geht es kaum noch. Dann will ich keine Zeit verlieren. Hast du sie wieder angezogen, Anlytha?« »Selbstverständlich, Yatta«, antwortete Anlytha und kreischte verhalten. »Ihren
22 Schmuck behalte ich natürlich.« »Das wäre Diebstahl!« sagte der Kund schafter. Er winkte ab. »Aber du bist schließlich eine Diebin – vielleicht sogar von Berufs wegen.« »Außerdem gebe ich der Kaiserin damit die Möglichkeit zu der Aussage, sie sei überfallen und beraubt worden«, meinte An lytha. Algonkin-Yatta vervollständigte schwei gend seine Ausrüstung, klemmte der Außer irdischen, da sie ohne Tauchausrüstung ge kommen war, einen robotisch gesteuerten Tauchretter über den Kopf und verließ die Zeitkapsel durch die Schleuse. Als er auftauchte, befand er sich direkt neben dem Motorboot, mit dem die Außerir dische gekommen war. Während er überleg te, ob er sie damit ans Ufer bringen sollte, flammten dort zahllose Fackeln auf. Laute Kommandos ertönten. Anscheinend brachen große Ruderboote oder kleine Kriegsschiffe zu einer Suchaktion nach der Gattin des Kai sers auf. Das bewog den Kundschafter, seinen Plan zu ändern. Er wollte vor allem verhindern, daß die Suchtrupps das Boot an seinem der zeitigen Ankerplatz fanden, denn dann wür den Taucher nach unten gehen und etwas entdecken, was es in ihrer Zeit einfach nicht geben durfte. Er stieg mit Hilfe seines Flugaggregats aus dem Wasser, schwebte über die Bord wand des Bootes und sank sanft herab. Nachdem er die Außerirdische auf dem Bo den abgelegt hatte, kümmerte er sich um Antrieb und Steuerung. Er staunte über die teilweise recht primiti ven Hilfsmittel, die zum Bau des Elektromo tors, einer ungefügen Batterie und eines mit einer Kurbel bedienten Ultraschallerzeugers für eine Art Sonargerät verwendet worden waren. Möglicherweise hatten Generationen Außerirdischer verbissen daran gearbeitet, sich Hilfsmittel zu verschaffen, die sie aus wissenschaftlich-technischen Überlieferun gen ihrer Ahnen her kannten, für deren fa brikmäßige Herstellung auf der Erde aber al-
H. G. Ewers le Voraussetzungen fehlten. Aber was war ihr Endziel? Sie schienen nicht daran interessiert zu sein, der Men schen ihre Kenntnisse zu vermitteln und den Aufbau einer wissenschaftlich-technischen Kultur anzuregen. Das konnte nur bedeuten, daß sie sich selbst oder ihren Nachkommen eine Möglichkeit ausrechneten, die gesamte Menschheit zu beherrschen – und in diesem Fall mußten sie daran interessiert sein, die Menschen unwissend zu lassen. »Parasiten!« schimpfte er, ließ den Elek tromotor an und steuerte das Boot in unge fähr gleichbleibender Entfernung südwärts an der Küste entlang. Etwa zehn Kilometer weiter merkte er, daß die Leistung des Motors nachließ. An scheinend war die Batterie fast leer. Er steu erte das Boot an die Küste. Plötzlich ging die Sonne auf. Algonkin-Yatta spähte auf merksam zur Küste hinüber. Er könnte keine Zeugen gebrauchen. An einer sandigen Uferstelle legte er an, hob die Außerirdische auf den Strand, sam melte trockenes Gestrüpp, zündete ein Feuer an und legte danach feuchtes Gras und Laub darauf. Eine dicke Rauch- und Dampfwolke stieg infolge der Windstille fast senkrecht empor. Sie würde die Suchtrupps anlocken, so daß die Gattin des Marcus nicht allzu lan ge herumlag. Anschließend ging der Kundschafter zum Boot zurück, steuerte es so weit ins Meer hinaus, wie der Motor lief, dann schlug er mit der Faust mehrere große Löcher in den Boden. Danach startete er und schwebte solange über dem Boot, bis es versunken war. Dicht über den Wellen flog er zur Zeitkapsel zu rück. Als er die Schleusenröhre betrat, wurde er von einem bekannten Schwindelgefühl er griffen. »Anlytha!« rief er erschrocken. »Was tust du da?« Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen, während er darauf wartete, daß das Innenschott sich öffnete. Als es endlich auf
Lockruf der Dimensionen glitt, wollte der Kundschafter hineinstürmen. Doch er blieb, vor Entsetzen gelähmt, davor stehen und blickte auf das Bild, das sich ihm darbot. Anlytha hatte die Abdeckung des Zeitrei se-Instrumentariums, die Algonkin-Yatta provisorisch wieder befestigt hatte, abgeho ben und steckte mit ihrem Oberkörper in dem Hohlraum zwischen Innen- und Außen wandung. Doch das war nicht das Schlimmste, son dern die Tatsache, daß Anlytha offenbar an den Temporalkreisen und Beschleunigerspu len herumgebastelt hatte, was sich durch anund abschwellendes Zischen und Summen verriet. Und noch schlimmer war, daß auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung jene Nebel wallten, die Indizien für eine Bewe gung der Kapsel durch die Zeit waren. Aber im nächsten Augenblick waren die Nebel wieder verschwunden. Die Bildschir me zeigten wieder nur die schwache Hellig keit und die Fische, die neugierig um die Kapsel herumschwammen. Anlytha zog ihren Oberkörper aus dem Zwischenraum heraus, drehte sich um und sagte: »Ich denke, du kannst die Zeitsteuerung einschalten, Yatta!« Sie strahlte. »Ich habe den Schmuck der Außerirdischen dazu be nutzt, einige verschmorte Stellen zu über brücken. Möglicherweise handelt es sich bei ihrem Gold um hundertprozentig reine Wa re.« Algonkin-Yatta erwachte aus seiner Er starrung, stöhnte laut und rief: »Du bist wirklich eine Hexe, Anlytha! Wußtest du wirklich nicht, daß ich die Zeit steuerung gar nicht abgeschaltet hatte?« »Nicht abgeschaltet?« echote Anlytha verwirrt. »Aber dann …! Oh!« Sie schlug sich mit der flachen Hand auf den Mund. »Genau!« erwiderte der Kundschafter grimmig. »Wäre ich noch draußen gewesen, hätte ich vielleicht Jahrhunderte warten müssen, bis die Kapsel wieder aufgetaucht wäre. Oder ich hätte sie nie wiedergefunden,
23 weil sie nämlich in der Vergangenheit ver schwunden wäre.« »Das tut mir leid, Algonkin«, sagte Anly tha kleinlaut. »Dorstellarain wird es ebenfalls leid tun«, erklärte Algonkin-Yatta. »Ich hoffe, daß ich wenigstens herausfinde, ob und wie weit wir in die Vergangenheit oder die Zukunft ver setzt worden sind.« Er schnallte sein Flugaggregat ab, zog die Raumkombination aus und kroch zu dem Zeitreise-Instrumentarium. Anlytha wartete eine Weile, dann wurde es ihr zu langweilig. Sie streifte ihre Raum kombination über und verließ die Kapsel, um sich in Rom nach der Zeit zu erkundigen …
* Beim erstem Morgengrauen tauchte hinter den Silhouetten der Göpelwerke geisterhaft farblos die Silhouette von Babylon auf. Dorjan zügelte sein Pferd und hob die Hand. Hinter ihm stoppte die Schwadron römi scher Reiterei, Elitesoldaten, die aus der Heimat per Schiff gekommen waren. Asini us Fulvius Metilius ritt neben den Pthorer. Dicht hinter Dorjan hielt sein Leibsklave Proculus, der für diesen Einsatz ebenfalls ein Pferd bekommen hatte. »Es ist alles ruhig«, sagte Asinius und drehte sein Geiergesicht ruckhaft nach links und rechts. Der Pthorer lauschte dem Gurgeln des Wassers im Euphratkanal, dann heftete sich sein Blick auf die Umrisse des großen Tem pelbaues, der die Silhouette Babylons be herrschte und im nächsten Augenblick voll im rotgoldenen Licht der Sonne lag. Die Helligkeit schwemmte den Zauber davon und machte die Anzeichen des Verfalls sichtbar. Sie machte auch sichtbar, daß die Göpelwerke nur noch tote Skelette ehemals funktionierender Maschinen waren und daß der Euphratkanal teilweise versandet war. »Eine sterbende Stadt«, flüsterte er.
24 »Vielleicht blüht sie wieder auf, wenn wir die Parther geschlagen haben«, meinte Asi nius. »Wir werden die Parther schlagen, aber wir werden sie nicht für immer vertreiben können«, erwiderte der Pthorer. »Ich habe mich umgehört und erfahren, daß die Parther laufend Nachschub an Reiterkriegern aus den heimatlichen Steppen erhalten, so daß sie die Verluste, die wir ihnen zufügen, in einigen Jahren ersetzt haben werden. Rom sollte sich mit den Persern verbünden und ihnen eine Anerkennung als eigenständige Weltmacht zusichern. Das wäre Anreiz ge nug für dieses Volk, gegen die Parther in den Krieg zu ziehen und ihre Macht zu bre chen.« »Kein schlechter Gedanke«, gab Asinius zu. »Aber dann würde Babylon weiter ver öden und verfallen.« »Dafür würden neue Städte entstehen«, erklärte der Pthorer. »Aber zerbrechen wir uns nicht die Köpfe darüber. Vorwärts!« Er trieb sein Pferd in einen Mitteltrab mit raumgreifenden Tritten die von Gras und Unkräutern überwucherte schmale Kanal straße entlang. Als er einen Blick zurück warf, schlug sein Herz beim Anblick der ihm paarweise folgenden römischen Reiter höher. Sie alle trugen Helm, Schuppenpan zer, Schild und Lanze und saßen in der glei chen Haltung auf ihren Tieren. Er begriff, daß die Macht Roms auf der Einsatzbereitschaft, der Ausdauer und der Disziplin seiner Soldaten beruhte – und dar auf, daß sie sich weniger als Eroberer, son dern als Kulturbringer verstanden. Je näher der Pthorer mit seiner Truppe der Stadt kam, desto stärker wunderte er sich darüber, wie gut erhalten viele Bauten noch waren. Als sie in die Stadt einritten, glaubten sie, in eine Geisterstadt zu kommen. Keine Men schenseele war zu sehen. Es herrschte eine bedrückende Stille, und doch gab es untrüg liche Anzeichen dafür, daß die Stadt nicht tot war. Der Ritt durch die alte Prozessionsstraße
H. G. Ewers mit ihren durch farbig glasierte Ziegeln ver kleideten Mauern, den Darstellungen gelber Löwen auf dunkelblauem und türkisfarbe nem Grund und schließlich durch das Ischt artor mit seinen emaillierten Ziegeln, die auf leuchtendblauem Grund weiße und gelbe Stiere zeigten, glich dem Ritt durch eine rie sige Grabkammer. Oder in eine Falle! dachte der Pthorer. Möglicherweise stimmt es gar nicht, daß die Parther Babylon verlassen haben, wie Mar cus Aurelius durch Spione erfahren haben will. Es muß schließlich einen Grund haben, daß sich die Bevölkerung nicht zeigt. Und schlagartig wurde ihm klar, daß nie mand anderes als die Gattin des Kaisers ihm eventuelle Falschinformationen zugespielt haben konnte. Vielleicht wollte sie, daß das römische Heer vernichtet und der Kaiser ge tötet wurde, denn dann hätte sie mit Hilfe der anderen Außerirdischen sicher die Mög lichkeit besessen, das römische Weltreich unter ihre Kontrolle zu bringen – und eine Entwicklung einzuleiten, an deren Ende die Erde eine Kolonie Fremder sein würde und die Menschen nichts anderes als Sklaven. Die Sonnenstrahlen übergossen das obere Drittel der Zikkurat, des alten, mehrfach zer störten und immer wieder aufgebauten Hochtempels mit seinen gewaltigen Frei treppen, als der Pthorer sein Pferd zügelte. Er wartete, bis Asinius Fulvius Metilius neben ihm war, dann sagte er mit großem Ernst: »Asinius, ich übergebe dir das Komman do. Reite mit der Schwadron zurück zum Lager und melde Marcus Aurelius, daß Ba bylon eine Falle der Parther ist. Marcus soll sich mit dem Heer …« Er flüsterte ihm zu, wo sich das Heer zur Schlacht bereithalten sollte. Asinius sah ihn unter gesenkten Lidern hervor an. »Hier gibt es keine Parther!« gab er zu rück. Aber wenigstens sprach er leise. Der Pthorer war davon überzeugt, daß die Wän de Ohren hatten. Aber wenn Asinius nicht an eine Falle
Lockruf der Dimensionen glaubt, weshalb flüstert er dann? In des Kaisers Umgebung befindet sich ein Helfer der Außerirdischen! Der Pthorer winkte dem Dekurionen, der die Schwadron befehligte. Der schwarzhaa rige Römer mit dem harten, Energie aus strahlenden Gesicht lenkte sein Pferd, einen temperamentvollen rotbraunen Hengst, so heran, daß er gleichzeitig den Tribun und Dorjan im Auge behielt. Durch zahllose Er fahrungen geschulter Instinkt schien ihm zu verraten, daß etwas in der Luft lag. Dorjan wiederholte das, was er Asinius gesagt hatte und fügte hinzu: »Du haftest mir mit deinem Leben dafür, daß der Kaiser die Botschaft schnellstens erhält und daß Asinius euch begleitet, ohne sich anmerken zu lassen, daß er ein Gefangener ist. Ich selbst werde Marcus Aurelius später erklä ren, woher ich weiß, daß Asinius im Sold des Feindes steht. Hast du das verstanden?« Asinius blickte sich wie gehetzt um, aber der Pthorer spielte bedeutungsvoll mit sei nem Dolch, so daß der Verräter keinen Fluchtversuch wagte. Der Dekurion rief einen gedämpften Be fehl. Die Schwadron formierte sich um und schloß dabei Asinius vollendet ein. Nach ei nem weiteren Befehl galoppierte die Schwa dron geschlossen an und hatte bereits eine beachtliche Geschwindigkeit erreicht, als sie durch das Ischtar-Tor preschte. Die Hufe klapperten im gleichen Viertakt auf der Stra ße. Dorjan blickte den Reitern sinnend nach, dann drehte er sich um und sah Proculus auf seinem Pferd. Der Sklave schaute ihn gelas sen an. »Warum bist du nicht mitgeritten?« fuhr der Pthorer ihn an. »Jetzt ist es zu spät.« »Du bist mein Herr«, antwortete Proculus. Schreie erschollen hinter den Mauern. Dorjan hörte grenzenlose Enttäuschung und Wut aus ihnen heraus. Um den Tempel des Marduk herum sprengten bewaffnete Parther auf ihren Steppenpferden. Sie jagten, ohne sich um den »Römer« und seinen Sklaven zu kümmern, über den Platz vor der Zikku
25 rat, durch das Ischtartor und die Prozessi onsstraße entlang. Dorjan lächelte. Die Parther würden die Schwadron nicht mehr einholen, aber die Römer würden sie eine Strecke hinter sich herreiten sehen – und eine bessere Bestätigung für seine War nung und seinen Vorschlag, was Ort und Zeit und Taktik der Schlacht betraf, konnte es nicht geben. Als die Horden der Parther vorbei waren, nickte der Pthorer dem Sklaven zu, stieg vom Pferd, nahm die Zügel in die Hand und führte das Tier langsam um die Zikkurat herum. Proculus folgte seinem Beispiel treu und brav, obwohl seiner Miene anzusehen war, daß er vom. Warum keinen blassen Schimmer hatte. Dorjan wußte übrigens nicht viel mehr als der Sklave. Er rechnete allerdings damit, daß die Außerirdischen ihm hier auflauerten. Und eine Ahnung sagte ihm, daß die Falle für ihn in der unmittelbaren Umgebung der Zikkurat zuschnappen würde. »Kämpfe nur dann, wenn ich kämpfe!« raunte er dem Sklaven zu. Ein mächtiger Stein drehte sich knir schend in der Vorderfront eines hohen Qua ders, der mit farbig glasierten Ziegeln teil weise verkleidet war und aus dem unteren Treppenbereich der Zikkurat ragte. Der Pthorer blieb stehen und war über rascht, als Mursil in der Öffnung auftauchte. Warum ließen die Fremden die Maske fal len, bevor er ihnen in die Falle gegangen war? »Willkommen in Babylon, Dorjan von Pthor!« sagte Mursil mit unbewegtem Ge sicht. »Warum trittst du nicht ein? Ich kann dir Jarh-huntes Schatzkammer zeigen.« Der Pthorer grinste. »Plumper ging es wohl nicht, Mursil?« höhnte er. »Denkst du, ich ginge freiwillig in die Falle?« »Ich denke, daß dir keine andere Wahl bleibt«, erwiderte Mursil mit unbewegtem Gesicht. »Unsere Abmachung mit den Par thern lautet, daß sie dich übersehen und wir
26 ihnen dafür die Voraussetzungen zum Sieg über die römischen Legionen liefern. Was, glaubst du, werden sie jetzt über die Gültig keit dieser Abmachung denken, da ihre Sie gesaussichten verspielt sind!« Fernes Geschrei verriet dem Pthorer, daß die Parther zurückkehrten. Es bedurfte kei ner großen Phantasie, sich auszumalen, an wem sie ihre Enttäuschung und ihre Wut auslassen würden. Er drehte sein Pferd mit dem Kopf zum freien Platz hin, dann gab er ihm einen Klaps aufs Hinterteil. Es vollführte einen Satz, dann trabte es nervös davon. Auch diesmal folgte der Sklave seinem Beispiel. Mursil ließ die beiden Männer eintreten, dann verschloß er den getarnten Eingang wieder und führte den Pthorer und Proculus Treppen hinab, einen Gang entlang und in eine Kammer mit quadratischem Grundriß und einer Seitenlänge von zirka dreißig Me tern. Überrascht blieb der Pthorer stehen, als er im Schein von Öllampen Quequeldo, Hafis und zwei Frauen auf Steinblöcken hocken sah. Hinter ihnen türmten sich Tausende und aber Tausende goldgelber Metallbarren. Dorjans Aufmerksamkeit richtete sich auf die beiden Frauen, denn er hatte den Ein druck, daß sie fieberten. Zudem verrieten ih re Augen, daß sie unter Bewußtseinsstörun gen litten. Es ist der Schwarze Tod! durchfuhr es den Pthorer. Ich verkenne die Zeichen nicht, denn sie haben sich unauslöschlich in meine Erinnerung gebrannt! Mursil seufzte. »Sie haben sich die Krankheit in Mari ge holt und sie zu spät erkannt, um unsere Infi zierung zu verhindern. Es ist mit Sicherheit eine Krankheit, die sich mit den primitiven Mitteln dieses Planeten nicht heilen läßt. Deshalb bis du unsere einzige Hoffnung, Dorjan, denn wer mit einer Maschine durch Raum und Zeit geht, führt sicher auch wir kungsvolle Medikamente mit. Deshalb mußt du uns zu deiner Maschine bringen, wenn du dein Leben retten willst.«
H. G. Ewers Quequeldo erhob sich und kam bis dich an den Pthorer heran. »Wenn du uns hilfst, dann gehört das dir!« Er drehte sich um und deutete mit einer umfassenden Handbewegung zu den Gold barren. Dorjan glaubte ihm kein Wort. Die Au ßerirdischen standen unter Schockwirkung, weil sie sich dem Schwarzen Tod ausgelie fert sahen. Aber der Schock würde abklin gen, sobald sie gerettet waren – und mit dem Medokasten der Zeitkapsel würde das mög lich sein. Aber sie würden danach ihr Wort nicht halten, sondern versuchen, ihn, den Kundschafter und Anlytha zu töten, um sich in den Besitz der Kapsel zu setzen. »Woher stammt das Gold?« fragte er. »Haben eure Ahnen es zusammengerafft?« »Es gehörte ihnen«, sagte Mursil. Quequeldo schüttelte den Kopf. »Du hast zu wenig Selbstbewußtsein, Mursil«, sagte er. »Es spielt doch heute kei ne Rolle mehr, daß das Gold vor annähernd zweitausend Jahren von akonischen Skla venhändlern zusammengeraubt wurde und daß wir nicht von ihnen abstammen, sondern von ihren Sklaven, die sie sich von einem anderen Planeten geholt hatten. Erst, als sie selbst befürchten mußten, daß ein mächtiger Feind namens Shar-Atlan ihre Pläne durch kreuzen konnte, faßten sie den Entschluß, heimlich den Keim zu seinem Verderben zu pflanzen. Aber weder unsere Vorfahren noch wir vermochten Shar-Atlan zu finden und Rache zu nehmen.« Dorjan grinste breit. »Wenn euer Shar-Atlan derselbe ist, den ich unter dem Namen Atlan kennenlernte, dann freilich konntet ihr ihn nicht finden.« Er wurde wieder ernst. »Ich werde euch mit nehmen, wenn ich ein Schiff für das Gold auftreiben kann.« »Zuerst bringst du uns zu deiner Maschi ne und heilst uns, dann gehört dir das Gold«, entgegnete Quequeldo. »Vielleicht«, sagte der Pthorer. »Aber wa rum nur euch und nicht auch die anderen Mitglieder eures Volkes?«
Lockruf der Dimensionen »Wir sind die letzten unseres Volkes, des sen Namen wir nicht wissen«, sagte Mursil niedergeschlagen. »Es sei denn, irgendwo leben Mitglieder unseres Volkes unerkannt unter den Menschen und ohne ihre wahre Abstammung zu kennen. Aber dieser Planet und seine Bewohner sind im Grunde genom men Gift für Leute unseres Volkes.« »Ich verstehe«, sagte Dorjan. »Nur die Skrupellosen überlebten auf der Erde. Im merhin werden wir noch jemanden aus Rom abholen müssen, bevor wir zu meiner Ma schine gehen. Wann können wir von hier weg?« »Um Mitternacht«, erklärte Quequeldo. »Aber dein Sklave wird nicht mitkommen. Mursil!« Mursil mußte schon darauf vorbereitet ge wesen sein, denn sein Dolch flog auf Procu lus zu, kaum daß Quequeldo seinen Namen gerufen hatte. Aber Dorjan hatte so etwas geahnt, des halb reagierte er blitzschnell. Er zog mit dem rechten Fuß dem Sklaven die Beine weg. Proculus kippte zur Seite, und der Dolch ritzte nur seinen Hals. Im nächsten Moment mähte Dorjans Schwert Quequeldo nieder. Hinter ihm rap pelte Proculus sich auf und stürzte sich mit gellendem Kampfgeschrei auf Mursil. Un terdessen kämpfte der Pthorer gegen Hafis und mußte abermals feststellen, daß er ei nem beinahe gleichwertigen Gegner gegen überstand. Als Hafis besiegt war, sah der Pthorer, daß Proculus zwar Mursil getötet hatte, daß sich aber danach die beiden, kranken Frauen auf ihn gestürzt hatten und wie wahnsinnig mit Dolchen auf ihn einstachen. Zornig schwang er sein Schwert gegen sie. Als es vorbei war, kniete der Pthorer ne ben dem Sklaven nieder. Aber er sah sofort, daß ihm nicht zu helfen war. Er verblutete unaufhaltsam an inneren Verletzungen. Dorjan sprach beruhigend auf ihn ein, bis Proculus sich nach einem letzten Seufzer streckte und starb. Der Pthorer richtete sich ächzend auf.
27 »Ihr würdet mir leid tun, wenn ihr nicht so skrupellos gewesen wärt!« sagte er nach einem Blick auf die toten Außerirdischen. »Aber euer Tod verhindert, daß die Ge schichte der Menschheit eine unglückselige Wende nimmt – und er läßt mich das Gold erben, mit dem die Zeitkapsel repariert wer den kann.«
6. »Anlytha!« Anlytha zuckte heftig zusammen, denn sie hatte ihrer Umgebung auf dem Forum Ro manum das Erscheinungsbild einer bildhüb schen Lygierin vorgegaukelt und war sich der Vollkommenheit der Beeinflussung si cher gewesen. »Fürchtest du dich vor mir?« fragte ein ausgemergelter, von Wind, Sonne und Salz wasser gegerbter Mann in der Kleidung ei nes römischen Tribunen. Anlythas Augen weiteten sich. »Dorian!« rief sie zwit schernd. »Ich heiße zwar Dorjan, aber das ist egal«, sagte der Pthorer. »Wo steckt Algon kin – und wohin ist die Kapsel verschwun den?« »Verschwunden?« fragte Anlytha be griffsstutzig. »Sie liegt doch da, wo sie im mer lag – und Yatta befindet sich an Bord!« »Unmöglich!« rief der Pthorer verzwei felt. »Ich habe Tag für Tag nach ihr getaucht und auch die Umgebung immer wieder ab gesucht, seit ich vor zwei Monden zurückge kehrt bin.« »Oh!« entfuhr es Anlytha. »Das ist der Grund! Es tut mir leid, Dorian, aber meinem Partner ist bei den Versuchen, das ZeitreiseInstrumentarium zu reparieren, eine kleine Panne passiert. Wir sind dadurch ein paar Jahre die Zukunft hinaufgerutscht. Kein Wunder, daß du in der Vergangenheit ver geblich nach uns suchtest.« »Vielleicht ist es gut so gewesen«, meinte der Pthorer nach einiger Zeit. »Die Legionen hatten nämlich nach ihrem Sieg über die Parther die Pest eingeschleppt. Viele Men
28 schen in Rom und Umgebung starben am Schwarzen Tod. Es waren grauenhafte Zu stände.« »Das muß schlimm gewesen sein«, sagte Anlytha. »Ich bin froh, daß du noch lebst.« »Ich war bereits immun dagegen«, meinte der Pthorer. »Und der Kaiser?« »Er lebt und bereitet den Kampf gegen die Markomannen vor«, antwortete Dorjan. »Und die Frau des Marcus?« erkundigte sich Anlytha. Der Pthorer seufzte. »Sie lebt, aber sie hat mich nicht einmal erkannt, als ich zurückkehrte. Ich habe ein mal versucht, sie auszuhorchen; dabei wurde mir klar, daß in ihren Erinnerungen eine Lücke klafft. So weiß sie beispielsweise nichts mehr davon, daß sie von Außerirdi schen abstammt.« »Das ist gut!« rief Anlytha. »Aber wie ist es mit dem Gold?« Dorjan lächelte ironisch. »Danach hat die ganzen Jahre lang euer Blick gesucht«, meinte er. »Ach, ich vergaß, daß ihr die Zeit gar nicht durchlebt habt. Aber keine Sorge. Das Gold ist da – und zwar in Barren und von großer Reinheit.« »Das Gold ist da!« rief Anlytha über rascht. »Was hast du es denn die ganzen Jahre über versteckt, Dorian?« »Ich habe das Schiff mit dem Gold in ei ner felsigen Bucht nahe der Hafenstadt Ol bia versenkt«, antwortete der Pthorer. »Das ist im Nordosten einer Insel, die Sardinien heißt.« »Sardinien?« echote Anlytha und muster te den Pthorer mit sondierenden Blicken. »Ich möchte wetten, daß du dort den einhei mischen Mädchen die Köpfe verdreht hast. Jedenfalls erkenne ich gewisse Ähnlichkei ten mit jemandem.« Sie kicherte. »Tausend Jahre sind tatsächlich nur wie ein Tag.« »Außerdem habe ich in einer Unterwas serhöhle an der Smaragdküste Sardiniens einen ehemaligen Piratenstützpunkt mit zahllosen wertvollen Kleinodien entdeckt …«
H. G. Ewers »Was?« schrie Anlytha und erregte damit zum erstenmal Aufsehen bei den anderen Passanten. Immerhin befanden sie sich mit ten auf dem belebten Forum Romanum. »Wo ist die nächste Transmitterstation?« Dorstellarain vermochte vor Verblüffung fast eine Minute keinen Ton hervorzubrin gen, dann sagte er matt: »So lange hat der Feldzug gegen die Par ther nun doch nicht gedauert!«
* »Das ist phantastisch!« rief Algonkin-Yat ta, als er mit dem Pthorer den mit Gold ge füllten Bauch des Frachtschiffs besichtigte, das auf dem Grund einer Bucht des Golfes von Olbia lag. »Es war viel phantastischer, das Schiff hierher zu bringen, ohne daß die Mann schaft, ohne die es nun einmal nicht ging, hinter das Geheimnis der Ladung kam«, er widerte der Pthorer. »Zwar hatte ich den Seeleuten gesagt, es handle sich um reiche Leute, die an der Pest gestorben seien, aber es gab immer wieder Kerle, die sich davon nicht abschrecken ließen. Sie waren miß trauisch, weil ich sie überbezahlt hatte. Zum Schluß mußte ich mit nur fünf Mann gegen den Wind kreuzen.« Er blickte verärgert auf das Wasser, das in den Druckhelm eindrang. Anlytha hatte ihm ihren Helm geliehen, da alle Druckhelme gleich groß waren. Aber der Anzug paßte dem Hünen natürlich nicht. Deshalb hatte Algonkin-Yatta eine provisorische Abdich tung mit Durchlässen für die Atemschläuche angefertigt, die mit dem Überlebensaggregat auf Dorstellarains Rücken verbunden waren. »Wir müssen auftauchen, Algonkin«, sag te er über Helmfunk. Der Kundschafter drehte sich, so daß der Lichtkegel seiner Helmlampe voll auf Dor stellarains Helm fiel. »Ich weiß schon, ich kann das Gold allein herausholen!« sagte er verdrießlich. »Anlytha amüsiert sich mit den blutbefleck ten Beutestücken eines Piratennests, du wür
Lockruf der Dimensionen dest in dem undichten Helm bald ertrunken sein, also bleibt nur einer übrig: ich.« Die beiden Männer tauchten auf, was in ihrem Fall hieß, daß sie zu der über dem Schiff schwebenden Zeitkapsel aufstiegen und sich einschleusten. Als sie die Innenzelle betraten und ihre Helme abnahmen, sahen sie vor sich unver hofft die nebelhafte humanoide Gestalt, in der sie sofort Loggy vermuteten. »Loggy?« fragte der Kundschafter. »Ja, ich bin es«, wisperte deutlich Loggys Stimme. »Wo hast du nur solange gesteckt?« er kundigte sich Algonkin-Yatta. »Ich befand mich in einem temporären Wirbel, der mich durch viele Zeitphasen schleuderte«, berichtete Loggy. »Dieses Pla netensystem scheint schon viel durchge macht zu haben. Zwar konnte ich immer nur kurze Einblicke in verschiedene Zeitphasen bekommen, aber das hat mir gereicht. Ich bin froh, daß der Wirbel mich wieder hier absetzte, bevor er erstarb.« »Ich freue mich auch, daß du wieder bei uns bist«, erklärte Algonkin-Yatta. »Wir werden nämlich bald wieder auf große Fahrt gehen und diesmal hoffentlich mehr Glück haben.« Er seufzte. »Leider haben die Götter vor das Vergnü gen die Arbeit gesetzt.« Der Pthorer wiederholte es und sagte dann: »Das muß ich Marcus erzählen. Er sam melt nämlich alle möglichen Sprüche und das, was er als Weisheiten ansieht.« »Willst du denn noch einmal zurück?« fragte der Kundschafter. »Ich dachte, du würdest bei uns bleiben, nachdem wir am Ziel unserer Wünsche sind.« »Ich komme ja wieder«, erklärte der Ptho rer. »Aber du wirst einsehen, daß ich nicht einfach verschwinden darf, ohne mich von Marcus verabschiedet zu haben.« »Du scheinst sehr an ihm zu hängen«, be merkte Algonkin-Yatta. »Er braucht mich«, erwiderte der Pthorer
29 schlicht. »Ohne mich beziehungsweise mei ne strategischen und taktischen Ratschläge hätte er beispielsweise keine Chance, die Markomannen zu besiegen, die bei ihrem Vormarsch in die römischen Provinzen fast alle anderen Grenzvölker von der Donau bis zur Wolga in Bewegung gebracht haben. Noch dazu hat die Pest die Römer dezimiert sowie Lebensmittel und Geld verknappt.« »Du kannst dem Kaiser ja das meiste Gold schenken«, meinte der Kundschafter. »Wie du weißt, brauche ich zur Reparatur der Zeitsteuerung nur dreißig Gramm ma gisch aufgeladenes Gold.« Er klatschte in die Hände. »Aber fanden wir endlich an! Die Zeit brennt mir unter den Nägeln!« Er stutzte, dann lachte er schallend über die Bemer kung. Trotz aller Eile benötigte Algonkin-Yatta aber immerhin dreiundzwanzig Tage, um die Goldbarren, die insgesamt etwa eine Tonne wogen, im zeitraubenden Psifilterverfahren ihrer Goldatome mit magisch aufgeladenen Kernen zu berauben. Anschließend schaffte Dorstellarain die Barren zu einem Versteck an der zerklüfte ten, von Land aus unzugänglichen Küste, verpackte sie zu Fünfzig-Kilo-Würfeln in Leintücher und sprühte anschließend eine an der Luft erstarrende Glasplastikmasse dar über, die er mit Hilfe einer kleinen Maschine aus Sand synthetisierte. Danach organisierte er ein Frachtschiff und heuerte eine Besatzung an. Schiff und Besatzung ließ er allerdings im Hafen von Olbia warten, während er bei Nacht mit Al gonkin-Yattas Flugaggregat zur Zeitkapsel zurückkehrte und sich davon überzeugte, daß die Arbeit getan war. »Ich denke, daß ich in zehn Tagen wieder zurück bin, Algonkin«, erklärte er. »Sobald ich dem Kaiser das Gold abgeliefert und die Plastikschalen zerschlagen habe, kehre ich hierher zurück.« »So lange kann ich nicht warten«, erwi derte der Kundschafter. »Atlans Spur durch die Dimensionen wird kalt, wenn ich zu lan
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ge zögere.« »Warum gehst du mit Anlytha nicht sofort hinauf zum Oktober des Jahres 2649? Du kannst doch von jedem Temporalpunkt in der Zukunft in diese Zeit zurückkehren.« Algonkin-Yatta dachte nach, dann sagte er: »Einverstanden, Dorstellarain. Um dir et was mehr Spielraum zu geben, sage ich, daß ich – von heute an gerechnet – in vierzehn Tagen wieder hier sein werde. Aber bitte, verspäte dich nicht. Selbst wenn ich Atlans Spur gefunden habe, muß ich ihr umgehend folgen und kann nicht zu lange zögern. Des halb werde ich nicht länger als zehn Stunden hier warten und dann, wenn du noch nicht da bist, ohne dich abfliegen.« Der Pthorer lächelte. »Wir werden sehen, mein Freund.« Er hob die Hand. »Ubi bene, ibi patria! – Wo es einem gutgeht, da ist das Vaterland!«
* Nachdem der Pthorer aufgebrochen war, steuerte Algonkin-Yatta die Zeitkapsel zu der Unterwasserhöhle, in der Anlytha zu rückgeblieben war, um das Wertvollste des Piratenschatzes auszusortieren. Als er die Höhle betrat, nickte er beifällig in Richtung der beiden unterschiedlich großen Stapel. »Ich freue mich, daß deine Vernunft über deine Raffgier gesiegt hat und du nicht mehr ausgewählt hast, als in der Kapsel Platz fin det«, sagte er und schaute auf den kleineren Stapel. »Ich bin immer vernünftig«, erwiderte Anlytha. »Aber du siehst auf den falschen Stapel, Yatta! Bringe mir bloß die Kostbar keiten nicht durcheinander. Nur das, was auf dem anderen Haufen liegt, darfst du in die Kapsel bringen.« Bestürzt schaute der Kundschafter auf den anderen Stapel, der mindestens acht Meter hoch und an der Basis genauso breit war. »Was ist das?« fragte er mühsam. »Ein paar Kleinigkeiten«, antwortete An-
lytha. »Am liebsten hätte ich alles mitge nommen, aber ich mußte daran denken, daß das Fassungsvermögen der Kapsel begrenzt ist.« Algonkin-Yatta erholte sich allmählich von dem Schock. Er schluckte und sagte: »Allerdings ist es das! Man muß ja nicht halb Rom mitschleppen! Was soll ein trag barer Küchenherd, was eine Schnellwaage aus Bronze? Was sollen die drei Kronen, die fünf Teppiche, die Glasgefäße und die Schriftrollen?« »Schriftrollen?« fragte Anlytha verwun dert. »Wieso Schriftrollen? Ich dachte, es sei Toilettenpapier!« Algonkin-Yatta schnaufte. »So etwas kennt man hier nicht, mein Kind. Also, schön! Ich werde versuchen, was sich in der Kapsel stapeln läßt.« »Und ich werde dir dabei helfen«, ver kündete Anlytha. Zornig starrte sie auf die Stelle, auf der der Kundschafter vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte, dann kreischte sie gellend. »Dieser Kosmische Spurensucher wird auch immer unausstehlicher!« schimpfte sie. »Was hattest du gesagt, Anlytha, Schatz?« fragte Algonkin-Yatta, der soeben mit einem leeren Plastiksack aus dem Was ser auftauchte, das die Höhle verschloß. Anlytha preßte die Lippen zusammen, dann flüsterte sie: »Ich sagte, daß du so schnell bist, daß ich gar nicht sehe, wie du kommst und gehst, Yatta.« Der Kundschafter lachte. »Na, deshalb brauchst du doch nicht ver legen zu werden, Kind!« Er drückte mit sei nen Händen von beiden Seiten gegen einen Triumphwagen aus Bronze, bis er nur noch wenige Zentimeter breit war, dann riß er die Räder ab, hängte sie über die Zugstange und nahm das ganze Gebilde über die Schulter, um es abzutransportieren. In diesem Augenblick fand Anlytha ihre Sprache wieder und kreischte: »Was meinst du, was das Stück Blech jetzt noch wert ist, du Kunstbanause!«
Lockruf der Dimensionen Algonkin-Yatta zuckte die Schultern, warf den ehemaligen Triumphwagen achtlos zur Seite und näherte sich der Bronzestatuet te eines etruskischen Kriegers. »Faß nichts mehr an!« rief Anlytha wü tend. »Ich schaffe die Kostbarkeiten lieber allein in die Kapsel, ehe ich sie einem blut rünstigen Barbaren anvertraue.« »Wie du willst«, erwiderte der Kund schafter. »Aber dann sieh zu, daß du heute noch fertig wirst. Ich muß nämlich in genau drei Stunden, vierzehn Minuten und dreißig Sekunden starten, weil die Zeitsteuerung entsprechend programmiert ist.«
7. Sofort nach dem Auftauchen in der ge wünschten Zeit drückte Algonkin-Yatta auf den Knopf, der die Ausstrahlung des vorbe reiteten Identifizierungs-Funkspruchs be wirkte. Auf den Bildschirmen war zu erkennen, daß die Zeitkapsel noch immer unter Wasser schwebte, nur etwa fünfzig Meter vom Ein gang zu der Unterwasserhöhle entfernt, aus der der Kundschafter und Anlytha den Pira tenschatz geborgen hatten. »Wir waren dumm!« sagte Anlytha nach einer Weile. »Warum?« erkundigte sich Algonkin-Yat ta. »Weil wir uns die Mühe gemacht haben, den Schatz durch die Zeit zu schleppen, wo wir ihn doch einfach jetzt erst zu bergen brauchten – mit ein paar Helfern, die Perry uns sicher gern geschickt hätte.« »Irrtum!« sagte Algonkin-Yatta. »Als wir den Schatz bargen, gab es noch kein Gesetz, das uns verbot, ihn einfach zu unserem Ei gentum zu machen. Heute gibt es sicher der artige Gesetze. Der Schatz wäre unweiger lich als Eigentum der Menschheit in ein Mu seum gebracht worden.« Anlytha bewegte sich unbehaglich. Etwas klirrte, denn da sie fast vollständig von Kunstgegenständen und anderen Altertü mern umgeben war, konnte sie sich prak
31 tisch nicht bewegen, ohne irgendwo anzu stoßen. Der Melder des Funkgeräts summte. Al gonkin-Yatta bewegte die Hand, ohne sie zu sehen, denn auch er stak in einem fast un durchdringlichen Gewirr unterschiedlichster Gegenstände. Endlich fand er die EIN-Taste der Empfangsteils und drückte sie nieder. »Suburb-Administration Sardinien!« sagte eine helle Stimme. »Administratorin Rita Colombo spricht. Ich habe laut Computer speicher die Anweisung, Ihnen jede mögli che und vertretbare Unterstützung zu ge währen, sobald sie sich innerhalb meines Verwaltungsbereichs melden, Herr Algon kin-Yatta. Zuerst: Willkommen auf der Er de! Dann: Wie geht es Ihnen? Zuletzt: Was kann ich für Sie tun?« »Das nenne ich Gastfreundlichkeit!« rief Anlytha hinter ihrem Berg von Altertümern hervor. »Ah, Frau Anlytha!« rief Rita Colombo. »Wie geht es Ihnen?« »Ganz gut«, antwortete Anlytha. »Es ist nur ein wenig beengt hier.« »Das kann ich verstehen«, meinte die Ad ministratorin. »Ihr Fahrzeug befindet sich laut Ortungsdiagramm ganz in der Nähe ei ner Unterwasserhöhle, die nach alten Unter suchungen einmal einen sehr großen Schatz enthalten haben soll, aber bei ihrer Ent deckung ziemlich arg ausgeplündert war. Wenn Sie den ganzen Kram in die Kapsel gestopft haben, müssen Sie so gut wie einge klemmt sein.« »Ausgeplündert!« kreischte Anlytha. »Wir haben alles ordnungsgemäß an Bord genommen und dabei gegen kein zu jener Zeit bestehendes Gesetz verstoßen!« »Aber Sie befinden sich noch am Tatort«, stellte die Administratorin fest. »Das dürfte ein klarer Fall für unsere Justiz sein. Was Sie nicht zu stören braucht, denn in Ihrem Fall darf ich endlich einmal der Justiz über den Mund fahren. Was Sie in der Kapsel ha ben, gehört Ihnen.« »Oh!« flüsterte Anlytha. »Danke, Frau Colombo!« sagte Algonkin
32 Yatta artig. »Mich würde eigentlich primär interessieren, ob Perry Rhodan zur Zeit auf der Erde beziehungsweise im Solsystem weilt.« »Nein, er ist mit einem Flottenverband zu einem Freundschaftsbesuch zu den Grenz welten des Imperiums geflogen«, antwortete die Administratorin. »Oh, wie schade!« sagte der Kundschafter enttäuscht. »In dem Fall wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir eine sichere Unter kunft für die Kapsel und ein Hotel für Anly tha und mich besorgen könnten. Wann kommt Perry Rhodan zurück?« »In ungefähr zehn Tagen.« »Danke, dann warte ich solange. Übrigens würde ich gern einen alten Freund wiederse hen. Er ist Barde und heißt Juan Pincenez, und er …« »Er ist mir bekannt«, sagte die Admini stratorin etwas kühler als zuvor. »Sein der zeitiger Wohnsitz ist in der Nähe von Arba tax.« Sie räusperte sich. »Aber er ist ein Mensch, der von vielen Leuten verdächtigt wird, ein Revolutionär zu sein, der alles än dern möchte.« »Wer etwas ändern will, ist kein Revolu tionär, sondern ein Reformator«, korrigierte Algonkin-Yatta. »Übrigens trafen wir Juan in Perry Rhodans Haus.« »Oh, ich will Ihnen nicht vorschreiben, mit wem Sie Umgang haben und mit wem nicht!« erwiderte Rita Colombo. »Übrigens kommt soeben auf einem anderen Kanal die Nachricht herein, daß die Solare Abwehr ein kleines Raumschiff zum Stützpunkt bei Tor toli schickt. Die BYTHIA soll Ihre Kapsel aufnehmen und Ihnen gleichzeitig als Hotel dienen, damit Zwischenfälle wie bei Ihrem letzten Besuch vermieden werden. Selbst verständlich müssen Sie das Angebot nicht annehmen – und ebenso selbstverständlich können Sie sich auf der Erde und auch in nerhalb des Solsystems frei bewegen.« »Ich danke Ihnen, Frau Colombo«, sagte Algonkin-Yatta. »Wir nehmen das Angebot an. Bitte, informieren Sie Herrn Pincenez darüber, daß ich ihn heute noch besuchen
H. G. Ewers werde.«
* Drei Stunden später startete der Kund schafter mit einem Fluggleiter, ausgeliehen von der Kommandantin der BYTHIA, Oberst Fangaloa Eneiki, die extra zur Be treuung der Zeitreisenden abkommandiert worden war, weil sie sie bereits persönlich kannte, in Richtung Arbatax. Er konnte den Wohnsitz des Barden nicht verfehlen, denn Juan Pincenez hatte sich den alten spanischen Wachtturm San Gemiliano gekauft und ihn restauriert – und dieser Wachtturm stand unübersehbar oben auf dem felsigen Kap Bellavista bei Arbatax. Während Algonkin-Yatta den Gleiter dicht an der Küste entlangsteuerte und die herrlichen Sandstrände, die zauberhaften Buchten und die zerklüfteten Felsen bewun derte, wurde ihm bewußt, daß er sich wäh rend der Abwesenheit von Terra immer nach dieser Welt gesehnt hatte. Ein ungeahntes Glücksgefühl überkam ihn. In diesen Minuten wurde bei ihm zur Ge wißheit, was bisher nur eine Theorie von Pincenez gewesen war, daß nämlich jene fernen Vorfahren Algonkin-Yattas, die vor vielen Tausenden von Jahren auf der Flucht vor feindlichen Raumschiffen auf den Plane ten Ruoryc verschlagen worden waren, Menschen der sogenannten Ersten Mensch heit waren, Lemurer also, und daß sie auf der Erde geboren und aufgewachsen waren. Der Kundschafter sah den Wachtturm schon von weitem. Gleich darauf kam ein Funkspruch des Barden bei ihm an. »Herzlich willkommen, Algonkin!« rief der Barde freudestrahlend. Sein Gesicht wurde von dem kleinen Telekombildschirm gebildet. »Ich wußte, daß ihr zur Erde zu rückfinden würdet. Warum hast du Anlytha nicht mitgebracht, alter Freund?« »Weil ich etwas Dringendes zu erledigen habe, bei dem Anlytha mich wegen ihrer kleptomanischen Ader nur stören würde«, erklärte Algonkin-Yatta. »Du erinnerst dich
Lockruf der Dimensionen an Herrn Vialathon, Juan?« »Abmar, der Satan!« schrie Pincenez und verdrehte die Augen. »Wir sahen seinen Auftritt im Fernsehen gemeinsam, als wir auf Perry warteten. Er sprach über seine Theorie der Rückkopplungswirkungen zwi schen den Dimensionen und die Möglichkei ten, diese Effekte zur Zeitreise zu nutzen.« »Ja, und genau das hat mich beeindruckt«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Deshalb möchte ich ihn einladen, gemeinsam mit Anlytha und mir nach einer Spur Atlans zu suchen, der irgendwo zwischen den Dimensionen treibt. Kannst du veranlassen, daß er sich ir gendwo mit uns trifft?« »Oh!« machte Pincenez überrascht. »Ich weiß nicht, ob er schon wieder heraus ist. Er bekam nämlich ein halbes Jahr Verhaltens training in einer Psychoklinik ›verschrieben‹ – wegen Hausfriedensbruchs, Beleidigung, Körperverletzung in drei Fällen und tätli chen Angriffs auf Polizeibeamte, alles ge schehen auf einem Empfang zu Ehren eines arkonidischen Wissenschaftsrats.« »Oh!« machte diesmal der Kundschafter. »Aber so etwas kann dem Friedliebendsten einmal passieren, Juan.« Pincenez nickte. »Wenn es ihm nur einmal passiert wäre, Algonkin! Aber soviel ich erfuhr, passieren ihm solche Dinge laufend. Es gibt in Terra nia City kaum ein seriöses Lokal, in dem er nicht mit Lokalverbot belegt worden wäre. Dabei ist er hochintelligent, ja, vielleicht so gar genial begabt und hat schon zahllose be achtliche wissenschaftliche Leistungen voll bracht. Die Großadministration hat ihm so gar auf Staatskosten ein ganzes Institut ge baut, voll eingerichtet und finanziert ihm rund zweihundert fachlich qualifizierte Mit arbeiter.« »Dann habe ich ihn richtig eingeschätzt«, stellte Algonkin-Yatta fest. Er landete den Gleiter auf dem mit Leuchtkreisen markierten Platz vor dem schwarz und drohend aufragenden Wacht turm. Als er ausstieg, sagte das Tor: »Der Hausherr bittet Sie, hier auf ihn zu
33 warten, Sir.« »Wer spricht aus dir?« fragte der Kund schafter. »Die Torpositronik«, antwortete das Tor. »Ein Ableger der Turmpositronik. Extra ein gerichtet, weil hier nach dem Drehbuch des Hausherrn ein Gruselfilm gedreht wurde.« »Phantastisch!« meinte Algonkin-Yatta. »Das denke ich auch zu meiner Leistung, innerhalb von zwei Minuten ein Geheimtref fen mit Abmar, dem Satan, vereinbart zu ha ben«, sagte Pincenez, während er durch das Tor trat, das sich blitzschnell geöffnet hatte. »Das ist wundervoll!« rief der Kundschaf ter begeistert. »Wo soll das Treffen stattfin den?« »In einem uralten Schloß auf der Insel If, die der Küste von Marseille vorgelagert ist«, antwortete der Barde. »Aber das mußt du se hen, sonst sagt es dir nichts.« »Ist es sehr weit?« wollte Algonkin-Yatta wissen. »Eine halbe Stunde, wenn du voll auf drehst«, antwortete Pincenez. Die beiden Männer schwangen sich in den Gleiter, dann startete der Kundschafter das schwere Fahr zeug, ließ sich von dem zuständigen Lufsi cherheitsrobotsatelliten in einen Flugkorri dor einweisen und beschleunigte voll.
* »Die Aussicht ist gut, aber das Schloß selbst ist düster wie ein Gefängnis«, sagte der Kundschafter erschaudernd, als er neben Pincenez den Gleiterlandeplatz an der Nord küste von If verließ. Ein dumpfes Lachen erscholl, dann trat jemand, der eine schwarze Maske vor dem Gesicht trug, hinter einem windverkrüppel ten Baum hervor. Er trug einen weiten roten Lodenmantel, schwarze Lackstiefel, ein ro tes Kopftuch und eben die seltsame Maske, die aus Samt zu sein schien und vom Ge sicht nur die Augen freiließ. »Es ist ein Gefängnis, Freunde!« sagte ei ne dumpfe Stimme. »Früher wurden hier der Graf von Monte-Christo, der Abbé Faria und
34 der Mann mit der eisernen Maske festgehal ten – unter anderem, versteht sich. Heute dient es als Vorzeigeobjekt der Bonzen, mit dem sie den Menschen und Außerirdischen beweisen wollen, wie demokratisch es auf der Erde im Unterschied zu früher zugeht. Ha! Daß ich nicht lache! Man kann sich nicht einmal so richtig schön prügeln, da fal len schon die Häscher über einen her und benehmen sich noch dazu so ungeschickt, daß sie sich die Nasen dabei brechen.« Er stieß dem Kundschafter die narbige Faust gegen die Brust. Im nächsten Moment krümmte er sich mit schmerzverzerrtem kalkweißen Gesicht und umklammerte das Gelenk mit der anderen Hand. »Ich schlage dich kaputt!« stieß er mit fla cher Stimme hervor. »Ich reiße dich in Fet zen, du heimtückischer Waldesel! Und dich mit, verfluchter Bänkelsänger!« »Oh, das ist offenbar Abmar Vialathon!« rief Algonkin-Yatta, der keine Schlagwir kung verspürte. »Es tut mir wirklich leid, daß Sie sich wehgetan haben, Herr Viala thon.« »Ach, du arme Menschheit! Auch noch Herr Vialathon! Niemand ist jemandes Herr, Algonkin-Yatta!« Stöhnend blickte er auf. »Ich fürchte, mein Handgelenk ist gebro chen. Wie soll ich meine Freizeit sinnvoll gestalten, wenn ich nicht zuschlagen kann!« Jemand räusperte sich dezent – und zwar dreimal in exakt gleichen Abständen hinter einander. Als der Kundschafter sich nach der Quelle der Geräusche umdrehte, blickte er in das unverbindlich lächelnde Gesicht eines Man nes, der außerordentlich gepflegt wirkte und zu seinem Zweireiher mit Nadelstreifen eine graue Melone trug. Über dem angewinkelten linken Arm hing ein zusammengerollter Schirm. Das Lächeln verstärkte noch, blieb aber dennoch distanziert. Die rechte Hand lüpfte den steifen Hut. »Jessamyn Kupfer, die Herren!« sagte der Unbekannte. »Ich bitte um Verzeihung, daß Herr Vialathon ein wenig ungeschickt war.
H. G. Ewers Da Sie aber, wie ich hoffe, unverletzt geblie ben sind, werden Sie sicherlich geneigt sein, das Mißgeschick zu vergessen.« Der Kundschafter blickte in das aristokra tisch schmale und blasse Gesicht Kupfers. »Was sind Sie?« fragte er. »Und warum nennen Sie Abmar, den Satan, Herrn Viala thon?« Abmar Vialathon brach in meckerndes Gelächter aus, das aber nur kurz anhielt. Jessamyn Kupfer neigte leicht den Kopf, dann sagte er: »Ich bin, um es in aller Bescheidenheit zu sagen, der Mann, der im Institut für Zeitfor schung in Terrania ständig hinter seinem Chef, Herrn Vialathon, aufräumt.« »Mein Stellvertreter und meine rechte Hand!« warf Vialathon ein. »Zuviel der Ehre«, meinte Kupfer. »Übrigens nenne ich meinen Chef Herrn Vi alathon, weil er das von mir akzeptiert.« »Ausschließlich von dir, Jessa!« brummte Abmar. »Weil ich es deiner dekadenten Bourgoisseele nicht antun kann, dich zu ei ner plebejischen Anrede zu zwingen!« »Ein echter Gentleman überhört solche Dinge«, sagte Jessamyn Kupfer und schaute hinaus aufs Meer. Dann fuhr er ruckartig zu dem Kundschafter herum und sagte mit schnarrender Stimme: »Sie haben und zu diesem Treffen verleitet, indem Sie uns ver sprachen, eminent wichtige Hinweise für die Verbesserung unserer Zeitmaschine zu ge ben, Herr Algonkin-Yatta. Was verlangen Sie dafür?« »Ich habe nicht …«, begann der Kund schafter. Pincenez unterbrach ihn. »Ich habe das gesagt, damit das Treffen überhaupt zustande kommt«, erklärte er. »Aber das war zweifellos nicht zuviel ver sprochen, denn Algonkin beherrscht die Zeitreise seit langem in der Praxis.« »Obskur!« warf Kupfer ein. »Wie heißt das wichtigste Funktionsprin zip Ihrer Zeitmaschine, Abmar?« wandte der Kundschafter sich an den exzentrischen Wissenschaftler.
Lockruf der Dimensionen Abmar Vialathon kratzte sich hinter dem rechten Ohr. »Genau genommen, haben wir meine Zeitmaschine noch gar nicht gebaut, Algon kin«, antwortete er. »Es gibt aber einige vielversprechende Ansätze, die ich weiter verfolge.« »Warum?« fragte der Kundschafter. »Herr Vialathon wird von dem edlen Grundsatz geleitet …«, fing Kupfer an. Vialathon unterbrach ihn grob und sagte: »Heb dir dein Schmalz fürs Frühstück auf, Jessa!« Er grinste. »Ich habe nur einen Grund, der mich bei meinen Arbeiten an der Zeitmaschine leitet: Da die Frauen unseres Zeitalters mich langweilen, möchte ich mit Hilfe meiner Zeitmaschine in alle anderen Zeitalter reisen und mir die Frauen ansehen, die dort auf mich warten.« Jessamyn Kupfer deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf Algonkin-Yattas Bauch und fragte ungehalten: »Sie wollten uns den Grund für Ihre Ein ladung nennen, Herr Algonkin-Yatta!« »Richtig!« meinte der Kundschafter. »Sie, Abmar, sagten bei einem Auftritt im Fernse hen einige interessante Dinge, die mich zu dem Schluß kommen ließen, daß Sie für ge wisse Dinge, die mit der Zeit zusammenhän gen, eine übernormale Begabung besitzen. Deshalb bitte ich Sie darum, mich in die Ab gründe zwischen den Dimensionen zu be gleiten und mit Ihrer Begabung zu helfen, die Spur des Neuen Atlantis zu finden – und damit eine Spur zu Atlan.« Hinter Vialathons Maske ertönte eine Art Grunzen, dann riß sich der Forscher die schwarze Samtmaske herunter. Zum erstenmal sah Algonkin-Yatta sein Gesicht: Es war ausgesprochen fleischig, mit einem geröteten »Zinken«, wettergegerbter Haut, einem schwarzen Kinnbart und klei nen stahlblauen Augen. »Sie sind der erste Mensch beziehungs weise das erste intelligente Lebewesen, das meine geniale Naturbegabung zu würdigen weiß, Algonkin!« stieß er überschwenglich hervor. Er holte zu einem freundschaftlich
35 gemeinten Rippenstoß aus, besann sich aber dann auf sein angeknackstes Handgelenk und hielt inne. »Mit Ihnen alles, Algonkin! Aber die Einzelheiten besprechen wir bei ei nem guten Glas Wein. Kommt alle mit nach Marseille! Ich kenne da ein paar uralte Lo kale in der Gegend um die Rue d'Aix …!«
8. Algonkin-Yatta erwachte von einem an haltenden Poltern. Er fuhr hoch und bemerk te mehrere Dinge gleichzeitig. Er befand sich in einer Kammer mit bunt tapezierten Wänden, einem Fußboden aus lackierten Holzbrettern und einem kleinen viereckigen Fenster mit schmutziger Glas scheibe, sein Schädel brummte wie ein de fektes Gleitertriebwerk, und er fühlte sich sterbenselend. Dennoch rappelte er sich auf, als das Pol tern nach einem heftigen Krachen aufhörte. Ihm schien, als brauchte jemand dringend Hilfe. Als er auf den Beinen stand, glaubte er auf einem Schiff in hohem Seegang zu stehen. Algonkin-Yatta drehte sich halb um sich selbst, wankte schwerfällig zu der dicken Holztür seiner Kammer, suchte einige Zeit nach dem Öffnungsmechanismus und ent deckte schließlich, daß er einfach nur einen eisernen Hebel herunterdrücken und daran ziehen mußte, damit die Tür sich öffnete. Nachdem er sich dadurch einen Ausgang geschafft hatte, taumelte er aus der Kammer hinaus und hing im nächsten Moment an ei nem Treppengeländer, das sich anscheinend um ihn drehte. Aus diesem Grunde war es schwierig, die Stufen der dazugehörenden Treppe zu finden. Weniger schwierig war es dagegen, die Treppe hinabzukommen, denn Algonkin-Yat ta strauchelte bereits auf der ersten Stufe und rollte polternd die gesamte Treppe hin unter. Unten mußte er sich hart auf die Seite werfen, um nicht gegen Abmar Vialathon zu prallen, der dort lag und schnarchte. Der Kundschafter prallte dafür mit dem
36 Rücken gegen Mauerwerk, das dadurch so stark erschüttert wurde, daß es teilweise nachgab. Einige Steine verschwanden. Durch die so entstandene Öffnung konnte Algonkin-Yatta auf Felsklippen und gisch tende See blicken. Neben ihm regte sich der Wissenschaftler, grunzte und schmatzte einige Male und lallte dann: »Wa is'n los, Kathy?« »Kathy?« fragte Algonkin-Yatta. Plötz lich erinnerte er sich wieder an die Ereignis se in den Lokalen rund um die Rue d'Aix in Marseille, an verräucherte Gewölbe, ge scheuerte Holztische und -bänke, abenteuer lich aussehende Frauen und Männer, wilde Musik, wüste Gelage und eine Prügelei auf einer gepflasterten Straße, die mit Versöh nung und einer Orgie in einem geräumigen Weinkeller geendet hatte. Sein schlechtes Gewissen meldete sich, als er daran dachte, daß er den Gleiter mit Juan Pincenez, Abmar Vialathon und Jessa myn Kupfer manuell gesteuert hatte, obwohl er zu der Zeit in einem mörderischen Voll rausch gewesen war. Neben ihm schabte etwas. Der Wissen schaftler setzte sich mit baumelndem Kopf auf, stierte mit roten Augen um sich und musterte schließlich verdrossen den Kund schafter. »Ich fürchte, du bisch wirklich nicht Ka thy«, lallte er. Plötzlich grinste er breit. »Aber die Fete war wirklich umwerfend, mein Freund.« Er sackte zusammen, richtete sich wieder auf, riß den Mund auf und brüllte: »Jessa!« Er wiederholte den Namen einige Male. Unterdessen kroch Algonkin-Yatta durch das Loch, das er versehentlich in die meter dicke Mauer des Wachtturms San Gemiliano gerammt hatte. Er merkte gar nicht, daß einen Meter daneben das Eingangstor des Turmes war. Draußen balancierte Algonkin-Yatta se kundenlang mit ausgebreiteten Armen am Rand einer hohen Klippe entlang, an deren
H. G. Ewers Fuß die See schäumte. Danach gelang es ihm, Kurs auf den Landeplatz zu nehmen. Er wollte Anlytha anrufen und ihr mitteilen, daß sie in zwei Stunden mit der Zeitkapsel aufbrechen würden. Aber der reglos vor dem Gleiter liegende Körper des Barden hinderte ihn vorläufig daran. Zuerst dachte der Kundschafter, Juan schliefe dort nur seinen Rausch aus, aber dann bemerkte er Blut an Juans Hinterkopf, sah nach und entdeckte über einer beachtli chen Beule einen fingerlangen Kopfschwar tenriß. Behutsam tastete der Kundschafter den Schädel des Barden ab. Er vermochte keine Knochenverletzung entdecken. Aber Juan Pincenez blieb bewußtlos. Algonkin-Yatta setzte sich neben ihm auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an den Gleiter und dachte nach. Normalerweise hätte er Juans Kopfverletzung für eine Folge der nächtlichen Prügelei gehalten, aber im Zusammenhang mit seinen früheren Erleb nissen auf der Erde ergab sich für ihn ein an deres Bild. Er entschloß sich, nicht auf eigene Faust vorzugehen und die Sicherheitskräfte Terras dadurch zu verwirren, sondern er wollte gleich die richtigen Hebel in Bewegung set zen. Er stieg in den Gleiter, schaltete den Tele kom ein und stellte eine Verbindung mit dem Raumschiff BYTHIA her. Aber er konnte weder Oberst Eneiki noch Anlytha sprechen. Die beiden Frauen seien schon sehr früh aufgebrochen, erfuhr der Kund schafter. Gerade wollte er sich mit dem Stellvertre ter Oberst Eneikis verbinden lassen, als das Tor des Wachtturms aufflog und Abmar Vi alathon ins Freie torkelte. »He, Algonkin!« schrie er. »Wach auf, du müde Flasche! Jessa hat angerufen. Er sitzt völlig abgebrannt in Les Baux fest. Wir müssen ihn herausholen.« »Abgebrannt?« fragte der Kundschafter verständnislos. »Und wie kommt er nach diesem anderen Ort? Ich dachte, wir hätten
Lockruf der Dimensionen ihn heute nacht mitgenommen. Wo befindet sich dieser Ort überhaupt?« Vialathon preßte die Handflächen gegen seine Schläfen und stöhnte. »Wie können Sie so taktlos sein, meinen schmerzenden Schädel mit Fragen zu durch bohren! Abgebrannt heißt weiter nichts als ohne Geld, ohne Kreditkarte und ohne Transportmöglichkeit. Und Les Baux liegt irgendwo im Abseits von Marseille! Ach, was reden wir überhaupt! Handeln wir!« Algonkin-Yatta erhob sich und deutete auf Juan Pincenez. »Wir nehmen ihn mit, damit er nicht al lein ist, wenn er zu sich kommt. Außerdem möchte ich gern wissen, wo er diese Beule bekommen hat. Ich glaube nämlich noch im mer, daß wir Ihren Mitarbeiter mit hierher genommen haben.« Die beiden Männer verstauten den Barden auf der hinteren Sitzbank des Gleiters. Vial athon holte eine Flasche aus dem Turm und wusch die Platzwunde Juans mit Alkohol aus. Der Barde seufzte, wurde aber noch nicht wach. Algonkin-Yatta steuerte den Gleiter in Richtung Marseille. Etwa fünfzig Kilometer davor, hatte Vialathon ihm gesagt, wolle er ihn auf den genauen Kurs nach Les Baux einweisen.
* Auf einem nach Süden ausgerichteten Sporn der Alpilles, dessen nach Westen hin abfallendes Plateau etwa fünfhundert Meter lang und durchschnittlich zweihundert Meter breit war, lag Les Baux-de-Provence – be ziehungsweise das, was von der einstmals blühenden Stadt übriggeblieben war. »Das sind ja Ruinen!« rief Algonkin-Yat ta aus, als er Les Baux erblickte. »Es sind nur etwas mehr als tausend Jahre her, seit diese Stadt auf Befehl von Ludwig XIII. unbewohnbar gemacht wurde, weil die Bewohner gegen seine Steuereintreiber re belliert hatten«, erklärte Abmar Vialathon. »Vor zweihundert Jahren hatte man damit
37 angefangen, sie zu restaurieren, aber diese Arbeiten wurden bald wieder eingestellt, weil man das Geld zur Herstellung einer Broschüre benötigte, die auf die Pflege des Erbes der Vergangenheit durch die Regie rung hinwies. Es ist alles Lug und Trug, Verdummung und Mißwirtschaft!« »Laßt uns endlich eine Weiße Wählerliste gründen!« flüsterte von der hinteren Sitz bank der Barde. »Was?« fragte Vialathon. »Nur unbefleckte Namen gehören auf die Weiße Liste!« erwiderte Juan Pincenez. »Heilige Einfalt!« stöhnte der Wissen schaftler. »Spätestens nach einem Jahr gäbe es keinen unbefleckten Namen mehr. Wer sollte dann zur nächsten Wahl aufgestellt werden?« Darauf wußte der Barde keine Antwort. Algonkin-Yatta hatte kaum hingehört. Ihn interessierte, außer der Suche nach Jessamyn Kupfer, der gesundheitliche Zustand des Barden am meisten. »Wie fühlst du dich, Juan?« fragte er. »Wie behämmert«, antwortete der Barde und lachte leise. »Wißt ihr schon, wer mich niedergeschlagen hat?« »Niedergeschlagen?« rief Vialathon. »Aber das ist doch Unsinn!« »Ich vermutete es bereits«, sagte der Kundschafter. »Abmar, Sie sollten beson ders auf sich achtgeben, sobald wir in den Ruinen von Les Baux herumkriechen. Sie arbeiten in Ihrem Institut an den Plänen für eine Zeitmaschine. Es erscheint mir nur lo gisch, daß es zahllose Interessengruppen gibt, die Ihr Institut unablässig belauern und bei der ersten Gelegenheit versuchen, neue Erkenntnisse zu stehlen. Der Anruf Kupfers könnte eine Falle sein.« »An mich kommt niemand heran!« prahl te Vialathon. »Darauf würde ich mich nicht verlassen«, warnte der Kundschafter. »Aber mich würde interessieren, ob eventuelle Spione über haupt etwas mit Ihren bisherigen For schungsergebnissen anfangen können. Wä ren Sie damit einverstanden, daß ich Ihnen
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einige Fragen stelle, die Sie mir dann beant worten, so gut Sie können?« »Nur zu!« antwortete der Wissenschaftler. Algonkin-Yatta kreiste langsam über dem benachbarten Gebiet der Alpilles, während er seine Fragen ganz präzise stellte. Die Ant worten des Wissenschaftlers fielen ebenfalls sehr präzise aus, und obwohl der Kund schafter keine Koryphäe auf dem Gebiet der Zeitwissenschaft war, sondern nur ein Prak tiker mit theoretischer Erfahrung, erkannte er doch sehr bald, daß Vialathon sich in eine Sackgasse verrannt hatte. Die Richtung, die er mit seinen Forschun gen eingeschlagen hatte, würde niemals zum Bau einer Zeitmaschine führen. Aber der Kundschafter brachte es nicht fertig, das dem terranischen Wissenschaftler unver blümt zu sagen. Er hoffte, daß er ihn nach und nach in die richtige Richtung dirigieren konnte. Im Augenblick war für ihn auch nur wich tig, daß er wußte, Vialathon würde kein wichtiges Geheimnis ausplaudern, wenn man ihm wirklich eine Falle stellte. Er landete den Gleiter neben einem großen gemauerten Torbogen, durch den man die geisterhaften hell- bis dunkelgrauen Ruinen der Stadt sah. Die Restaurierungsar beiten hatten viele Ruinen aufgestockt und die Mauern mit Sandstrahlgebläsen gesäu bert; dennoch wirkte alles gespenstisch und irgendwie drohend. Abmar Vialathon stürzte aus dem Fahr zeug, kaum daß es gelandet war, lief durch den Torbogen und schrie den Namen seines Mitarbeiters. Der Kundschafter konnte ihm nicht sofort folgen, da er sich zuerst um Juan Pincenez kümmern mußte. Nachdem der Barde einen großen Schluck aus der Flasche getrunken hatte, die aus sei nem eigenen Vorrat stammte, fühlte er sich wohler und war bereit, gemeinsam mit dem Kundschafter Vialathon zu folgen. Aber von dem Wissenschaftler war weit und breit nichts mehr zu sehen …
*
Juan Pincenez stolperte und trat fluchend nach dem Gegenstand, der ihm im Weg lag. Im nächsten Augenblick erstarrte er, dann winkte er aufgeregt nach dem Kundschafter. Algonkin-Yatta sah aus nächster Nähe selbst, warum der Barde so aufgeregt war. Der Gegenstand des Anstoßes war kein anderer als der Regenschirm von Jessamyn Kupfer! Algonkin-Yatta schaute sich um. »Genau vor uns teilt sich die Straße in zwei Gassen, die um einen keilförmigen Ge bäudekomplex herumführen«, erklärte er. »Da wir nicht wissen, ob Kupfer sich von hier aus nach links oder nach rechts gehalten hat beziehungsweise geschleppt wurde, schlage ich vor, daß wir uns hier trennen. Ich gehe nach links, und du gehst nach rechts. Einverstanden, Juan?« »Einverstanden, Algonkin«, erwiderte Ju an. »Paß auf dich auf!« »Du auch auf dich!« erwiderte der Kund schafter und eilte die nach links abgewinkel te Gasse entlang. Er war ziemlich sicher, daß auch diesmal wieder eine verbrecherische Organisation am Werk war, um Geheimnisse zu erfahren. Er war so ins Grübeln vertieft, daß er bei nahe den Geruch ignoriert hätte, der von der unkrautbewachsenen Oberseite eines kurzen Torwegs ausging, und dem Kundschafter die Anwesenheit von drei humanoiden Lebewe sen verriet. Hier also soll ich gefangen werden! dach te er, ohne sein Tempo zu verringern. Zwei Meter vor dem Torweg entschloß er sich, keinen präventiven Angriff durchzu führen, sondern sich gefangennehmen zu lassen, um danach zu sehen, wer etwas von ihm wollte. Als er sich mitten im Torweg befand, glit ten vor und hinter ihm Gummiplanen herab. Durch ein Loch in der Decke strömte zi schend ein Gas, das Algonkin-Yatta als ge wöhnliches Schlafgas einstufte, das nur über die Atemwege wirkte. Es war für den Mathoner nicht schwer, die Luft zirka fünf Minuten anzuhalten, aber
Lockruf der Dimensionen schon nach einer halben Minute umzufallen, als hätte das Schlafgas gewirkt. Er ließ seine Augen geschlossen und rührte sich auch nicht, als er von mehreren Händen auf eine Plattform gehoben wurde, die kurz darauf davonschwebte. Die Antigravplattform senkte sich wenige Minuten später in einen Brunnenschacht mit außergewöhnlich großem Durchmesser. Der Kundschafter hörte von weit unten mehr mals metallische Geräusche und Stimmen. Nach einiger Zeit konnte er die Geräusche größtenteils identifizieren und aus ihnen schließen, daß sich unter dem Brunnen schacht ein Hangar befand, in dem der Start eines Raumschiffs vorbereitet wurde. Weitere Minuten später setzte die Platt form auf. »Schläft der Kerl immer noch?« fragte ei ne arrogant klingende Stimme. Da es keine direkt an ihn gerichtete Frage war, brauchte der Kundschafter nicht zu ant worten. Das ersparte ihm, sich zu verraten, denn er war nicht in der Lage zu lügen. »Jedenfalls müssen wir starten!« sagte die gleiche arrogante Stimme. »Kupfer ist be freit worden – und dieser Vialathon scheint sich in Luft aufgelöst zu haben, denn er ver schwand auf dem Wege in die vorbereitete Falle spurlos. Da Kupfer hier von uns gefan gengehalten wurde, müssen wir damit rech nen, daß die Solare Abwehr in spätestens ei ner halben Stunde hier ist.« Algonkin-Yatta spürte, wie er mitsamt der Plattform in ein Kleinraumschiff gefördert wurde. Er hielt weiter die Augen geschlos sen. Dennoch merkte er es an verschiedenen Anzeichen, als er in die Steuerzentrale be fördert wurde. Aber niemand senkte seine Antigravplatt form auf den Boden. Sie schwebte einfach weiter und stieß gleich darauf gegen ein nachgiebiges Hindernis. Ein Schmerzensschrei ertönte. Algonkin-Yat ta wußte sofort, was geschehen war. Anlytha hatte sich irgendwie in das Raumschiff geschlichen und in der Steuer zentrale auf die Verbrecher gewartet. Als sie
39 ankamen, hatte sie ihnen mit Hilfe ihrer psionischen Fähigkeit etwas vorgegaukelt. Dadurch mußten die Verbrecher die Platt form mit dem Gefangenen glatt vergessen haben. Und die Plattform hatte Anlytha ge rammt! Die Folgen waren nicht auszuden ken, denn Anlythas psionische Konzentrati on war erst einmal erschlafft. Der Kundschafter öffnete die Augen. Gleichzeitig rollte er sich seitwärts von der Antigravplattform, hob das linke Bein und stieß die Plattform mit dem Fuß in Richtung der drei Fremden, die soeben aus einer Art Trance zu erwachen schienen. Zwei der Fremden wurden durch das rückwärtige offene Schott der Steuerzentrale gefegt, der dritte Mann stürzte, rollte sich ab und griff nach seiner Lähmwaffe. Brüllend krümmte er sich zusammen, als der Kund schafter sprang und mit beiden Füßen auf seiner Hand landete. Algonkin-Yatta nahm ihm die Waffe weg und paralysierte die bei den anderen Verbrecher, die eben in die Zentrale zurückkehren wollten. Danach kümmerte er sich um Anlytha, aber seine Begleiterin war nicht verletzt, sondern hatte sich nur erschrocken. »Kommandos der Solaren Abwehr und der USO müssen gleich hier sein«, meinte sie nach einem Blick auf ihren Chronogra phen. Sie deutete auf den Mann, der seine gequetschte Hand betrachtete. »Das ist das Haupt der Bande, die sich auf den Diebstahl wissenschaftlicher Geheimnisse spezialisiert hatte: Yerces, ein Neuarkonide. Er ist sogar führendes Mitglied im Wirtschaftsrat für ex traterrestrischen Handel. Die Solare Abwehr verdächtigte ihn schon seit geraumer Zeit dunkler Geschäfte, aber erst durch seine Ma növer im Zusammenhang mit Vialathon und uns verriet er sich.« »Kupfer hat alles gesagt, was er weiß!« triumphierte Yerces und schaute den Kund schafter herablassend an. »Die Informatio nen befinden sich bereits auf dem Weg zu einem meiner Auftraggeber.« »Sie sind wertlos«, erwiderte Algonkin-Yat
40 ta. »So wertlos wie Sie, Yerces.« Er desaktivierte alle Schaltungen, die den Start vorbereitet hatten, dann schaltete er den Telekom ein und meldete sich bei der BYTHIA, um seine Informationen über das Raumschiff des Verbrechers weiterleiten zu lassen. Dabei erfuhr er, daß das Versteck in zwischen bekannt sei. Man habe nur noch nicht zugeschlagen, weil die Vorbereitungen perfektioniert werden sollten, damit keine Geiseln in Gefahr gerieten. Diese Vorsichtsmaßnahme erübrigte sich nunmehr, und die Kommandos von USO und SolAb konnten endlich zuschlagen. Die Verbrecher wurden abgeführt, das Raum schiff und die sonstigen technischen Ein richtungen beschlagnahmt. Oberst Fangaloa Eneiki leitete den Ein satz persönlich. Sie freute sich, daß die Ge fangenen nicht nur unversehrt waren, son dern sogar entscheidend zu ihrer Befreiung beigetragen hatten. »Übrigens ist Perry nicht mehr lange fort«, berichtete sie. »Er weiß über alles Be scheid und hat über Hyperfunk angeordnet, daß die Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Algonkin, und Vialathon in jeder Weise von den Behörden unterstützt werden soll.« »Nur ist Vialathon leider verschwunden«, sagte Algonkin-Yatta. »Wir hörten, wie Yerces darüber sprach, daß der Wissen schaftler auf dem Wege zu einer Falle spur los verschwunden sei.« Sein Armband-Funkgerät summte. Er schaltete es ein und staunte nicht schlecht, als das Abbild von Vialathons Gesicht auf dem Bildschirm erschien. »Abmar!« entfuhr es ihm. »Das ist ein feststehender Kanal zwischen mir und der Zeitkapsel!« Abmar Vialathon grinste. »Ich befinde mich ja auch in der Zeitkap sel, Genosse Algonkin. Ein Irrwisch, der sich Loggy nennt, hat mich gebeten, Sie an zurufen. Ist das nicht phantastisch?« »Er ist in der Zeitkapsel!« flüsterte Fanga loa Eneiki zornig. »Diesmal ist der Auf wiegler zu weit gegangen. Ich werde ihn …«
H. G. Ewers Sie runzelte ratlos die Stirn. »Hahaha!« lachte der Wissenschaftler. »Sie können mir keinen Gesetzesverstoß nachweisen, Sie Häscherin der imperialisti schen Diktatur!« »Das brauchte ich nicht, wenn ich das wä re, als was Sie mich bezeichnen, Sie blau blütiger Spinner! Ja, blaublütig, oder haben Sie vergessen, daß ein Urahn von Ihnen ein König war, der Tausende seiner Untertanen niedermetzeln ließ weil sie nicht nach seiner Pfeife tanzten!« »Das will ich nicht gehört haben!« heulte Vialathon. »Ich sollte es Ihnen in die Haut schneiden, Sie Pseudo-Revoluzzer!« sagte der weibli che SolAb-Oberst. »Bleiben Sie ja, wo Sie sind, sonst tue ich es wirklich!« Nachdem der Kundschafter sein Arm band-Gerät ausgeschaltet hatte, meinte sie nach einem Seufzer: »Man sollte nicht glauben, wie verzerrt dieser geniale Wissenschaftler, Trunkenbold und Weiberheld die Welt außerhalb seiner echten Interessensphären sieht.«
9. Abgesehen von rotumränderten Augen und einem nervösen Zucken der rechten Ge sichtshälfte war Jessamyn Kupfer nichts von seinen Erlebnissen im nächtlichen Marseille und während der Gefangenschaft der Yerces-Bande anzusehen. Er war so korrekt gekleidet wie immer und hatte auch den ob ligatorischen Regenschirm nicht vergessen. Da Perry Rhodan noch nicht zurückge kehrt war, hatten sich Reginald Bull und Al lan D. Mercant bemüht, um sich von dem »Zeitreiseteam« zu verabschieden und ihm viel Glück bei der Suche nach Atlan zu wün schen. Außerdem waren selbstverständlich Oberst Fangaloa Eneiki und Juan Pincenez gekommen. Abmar Vialathon trug eine terranische Raumkombination, aber keine Waffen. Er hatte abgewinkt, als man ihm welche ange boten hatte und erklärt, zwischen den ver
Lockruf der Dimensionen schiedenen raum- und zeitfahrenden Intelli genzen dürfe es nur Brüderlichkeit und Soli darität geben, aber keine bewaffneten Aus einandersetzungen. Irritiert neigte er den Kopf zur Seite, als Kupfer zusammenzuckte. »Mache mich nicht nervös, du Hammel!« fuhr er seinen Vertrauten an. Jessamyn Kupfer ließ sich so wenig wie sonst von Vialathons barschem Ton beein drucken. Hastig zog er eine schweinslederne Tasche aus der Innentasche seines Nadel streifen-Zweireihers. »Sie müssen entschuldigen, Herr Viala thon, aber Sie hatten vergessen, Ihre Terra-, Imperiums- und Freihandelsbankkreditkar ten einzustecken. Außerdem die Impfbe scheinigungen, die letzten Strafzettel und den Totenschein.« »Den Totenschein?« fragte Fangaloa Eneiki. »Wessen Totenschein?« »Den des werten Herrn Vialathon, Frau Oberst, Sir«, antwortete Kupfer. »Nur für den Fall, daß er stirbt und kein Arzt in der Nähe ist. Selbstverständlich handelt es sich um einen Blanko-Totenschein, von seinem Hausarzt unterzeichnet. Nur Todesdatum und -ursache sind vom Eingetragenen selbst auszufüllen.« Alle Anwesenden verfielen in eine Art Schockstarre. Vialathon erholte sich als er ster wieder. »Das geht ja noch an, wenn ich auch nicht garantieren will, daß ich den Schein noch schnell genug ausfüllen kann, Jessamyn!« Er hob die Stimme und wetterte: »Aber meine Kreditkarten, Impfbescheinigungen und letz ten Strafzettel dürften doch nur ein hysteri sches Gelächter hervorrufen, wenn ich sie auf Atlantis vorzeigte. Klar?« Er lachte se kundenlang brüllend, als wollte er demon strieren, welcher Art das betreffende Ge lächter sein würde. Reginald Bull wandte sich an Algonkin-Yat ta und fragte: »Könnten Sie nicht beide Irre mitnehmen und irgendwo in der fernen Zukunft verlie ren, Algonkin?«
41 »Leider kann ich nicht mehr umdisponie ren, Bully«, antwortete der Kundschafter. »Aber warum legten Sie Wert darauf, daß ich sie in der fernen Zukunft deponiere?« »Weil ich nicht möchte, daß einer von ih nen sich mit seinem unwiderstehlichen Charme bei einer weiblichen Vertreterin meiner Ahnen und Urahnen einschmuggelt und mir seine verdrehten Gene vererbt«, er klärte der Staatsmarschall mit verschmitz tem Lächeln. »Aber ich denke, Sie passen schon auf, Algonkin, alter Indianer! Viel Spaß und viel Erfolg und Grüße an Atlan!« Der Kundschafter bedankte sich, schob den Wissenschafter und Anlytha durch die Schleuse, winkte noch einmal und stieg dann ebenfalls in die Zeitkapsel. Die draußen stehenden Menschen sahen der Kapsel nach, wie sie langsam in den blauen Himmel schwebte – und von einer Sekunde zur anderen verschwand, aus dieser Zeitphase in irgendeine andere …
* Innerhalb des dunklen Gasnebels war das Kundschafterschiff auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung erst zu sehen, als die Zeitkapsel sich ihm bis auf hundertfünfzig tausend Kilometer genähert hatte. »Das also ist das legendäre Schiff eines Kundschafters von Ruoryc!« rief Abmar Vi alathon aus. »Wo liegt Ruoryc eigentlich, Algonkin?« »Ruoryc ist der achte Planet der blauen Riesensonne Yrgarh«, antwortete der Kund schafter. »Sicher würden Sie gern wissen, wo sich Yrgarh, von hier aus gesehen, befin det. Aber ich weiß es auch nicht. Die Koor dinaten sind im Autopiloten gespeichert, sind aber nicht abrufbar. Wenn ich nach Ruoryc zurückkehren will, gebe ich dem Autopiloten einen entsprechenden Befehl.« Vialathon machte ein mißmutiges Ge sicht. »Ein Volk, das so geheimnisvoll tut, hat etwas zu verbergen«, kommentierte er. »Das kann schon sein«, erwiderte Algon
42 kin-Yatta. »Jedenfalls wird MYOTEX sich schon etwas dabei gedacht haben, als er die se Vorsichtsmaßnahme traf.« »MYOTEX?« fragte der Wissenschaftler. »Wer oder was ist das schon wieder?« Anlytha erklärte es ihm, denn der Kund schafter hatte ihr erzählt, daß MYOTEX der Name für die positronisch gesteuerten Anla gen auf Ruoryc war und daß sie das techni sche Erbe einer längst ausgestorbenen Zivi lisation waren und die Mathoner beschütz ten. Unterdessen schleuste Algonkin-Yatta die Kapsel ins Kundschafterschiff ein, stieg aus und begab sich in die im genauen Mittel punkt liegende Zentrale. Anlytha folgte ihm mit Abmar Vialathon. Vialathon verhielt sich zum Erstaunen des Kundschafters schweigsam. »Wir kehren zuerst in die Galaxis Wolci on zurück und tauchen in der Nähe des Pla neten Loors mit der Zeitkapsel, um von dort aus die Spur von Pthor aufzunehmen«, er klärte Algonkin-Yatta und schaltete an den Kontrollen. Nach einiger Zeit sah er sich verwundert um, da Vialathon sich immer noch schweig sam verhielt. Er entdeckte Schweißperlen auf der Stirn des Wissenschaftlers. »Haben Sie Probleme?« erkundigte er sich besorgt. »Nein!« antwortete Vialathon schroff. »Sie sehen aber aus, als litten Sie an Übelkeit«, stellte Anlytha fest. »Das geht von selbst vorüber«, wehrte Vi alathon ab. »Nur dekadente Faulenzer bre chen bei ein bißchen Übelkeit zusammen.« Seine letzten Worte waren immer leiser ge worden. Algonkin-Yatta sah, daß das Gesicht des Wissenschaftler immer blasser wurde und daß der Schweißausbruch zunahm. Er hörte auch das dumpfe Stöhnen Vialathons. »Stell bitte fest, was mit ihm los ist, Anly tha!« bat der Kundschafter, da er selbst zur Zeit stark von der Steuerung seines Raum schiffs beansprucht wurde. Anlytha nahm eine Medobox und setzte
H. G. Ewers sie bei Vialathon an. Bereits nach wenigen Sekunden erschien die Diagnose im Anzei gefeld. »Schwere allergische Reaktionen auf un bekannte Ursache«, las sie vor. »Es besteht die Gefahr des Versagens der peripheren Kreislaufregulation. Stützungsinjektion ver abreicht.« »Schwere allergische Reaktionen auf un bekannte Ursache?« wiederholte Algonkin-Yat ta. »Was kann das nur ausgelöst haben?« Er hörte ein Röcheln und Anlythas er schrockenen Ausruf: »Er ist bewußtlos geworden, Yatta! Und sein Gesicht verfällt zusehends!« Der Kundschafter nahm eine Schaltung vor, kommunizierte eine Weile unhörbar mit der Psiotronik des Kundschafterschiffs und sagte dann: »Die Psiotronik wird den Interdimensi onsflug unterbrechen und das Schiff auf ei nem Planeten mit guter Sauerstoffatmosphä re landen. Wir haben Glück, daß sich das ge rade so ergibt.« Im nächsten Moment tauchte auf dem Bildschirm auch schon die vertraute Umge bung auf, wie sie sich innerhalb einer Gala xis im Normalraum bot. Ganz in der Nähe leuchtete eine gelbweiße Sonne – und das Kundschafterschiff nahm Kurs auf den vier ten Planeten dieses Gestirns.
* Abmar Vialathon befand sich im Innern eines Medoroboters, als er die Oberfläche des fremden Planeten »betrat«. Der Kollaps war noch während des Landeanflugs in ein lebensgefährliches Stadium getreten, so daß Vialathon die intensive Behandlung bekom men hatte, die nur mit Hilfe der Medorobo ter des Kundschafterschiffs oder in einem modernen Hospital möglich war. Doch schon wenige Minuten danach klappte der Roboter die angebaute Trage auf und sagte zu Algonkin-Yatta und Anlytha: »Die periphere Kreislaufregulation des Patienten bessert sich zusehends. Künstliche
Lockruf der Dimensionen Beatmung konnte eingestellt werden.« Algonkin-Yatta atmete auf, da meldete sich abermals die Psiotronik seines Schiffes über die bimolekulare Kommandoschaltung über seiner Hypophyse und teilte ihm mit, daß die Allergie des Wissenschaftlers mit großer Wahrscheinlichkeit auf einer Reakti on auf etwas innerhalb des Kundschafter schiffs beruhe. Der Kundschafter unterrichtete Anlytha davon und sagte dann laut, damit Anlytha mithören konnte: »Wir hatten sonst niemals Schwierigkei ten, wenn wir fremde Gäste mitnahmen. Wäre es möglich, daß die Allergie Viala thons auf einer Hypersensibilität seinerseits beruht? Oder könnten irgendwelche Anden ken die allergischen Reaktionen hervorru fen?« »Andenken!« kreischte Anlytha empört. »Du willst doch nicht behaupten, meine Kunstsammlung wäre an der Allergie Viala thons schuld!« »Ich behaupte gar nichts«, erwiderte der Kundschafter. »Ich weiß nur, daß ich es eilig habe und wir trotzdem hier festsitzen, bis die Ursache von Vialathons Allergie gefunden und beseitigt ist. Haben wir bis morgen nichts gefunden, wirst du dich von allen An denken aus dem alten Rom trennen müs sen.«
* Am nächsten Morgen erlebte Algonkin-Yat ta eine Überraschung, als er aus der Schleu se ins Freie trat. Das Kundschafterschiff war in einem Tal gelandet, das durchaus ein irdisches Hoch gebirgstal hätte sein können. Es gab keinen wuchernden Dschungel und kein Gewimmel aller möglichen gefährlichen Tiere, sondern eine karge und dennoch ansprechende Vege tation und eine harmlose Tierwelt. Eine ech te Welt des Friedens also. Und doch hatte sich das Kundschafter schiff im Lauf einer Nacht bedrohlich verän dert. Die grünlich schimmernde, glasartig
43 aussehende Schiffshülle war fast völlig von einer silbergrauen Substanz bedeckt. Und noch eine Überraschung erlebte der Kundschafter: Abmar Vialathon hatte den Medoroboter abgeschaltet und badete nackt in einem klaren Bach. Er schien wieder völ lig gesund zu sein. Als der Wissenschaftler Algonkin-Yatta sah, winkte er fröhlich, zog sich an und kehrte zum Schiff zurück. »Wer hat Ihr Schiff neu angestrichen, Al gonkin?« fragte er und fuhr mit dem Zeige finger über den Belag. »Komisches Zeug! Direkt lustig.« Er grinste, dann versuchte er, etwas von dem Belag mit den Fingernägeln abzukratzen. »Warum sind Sie nicht vorsichtig?« fragte der Kundschafter ungehalten. »Man faßt auf fremden Welten nicht einfach etwas an, von dem man keine Ahnung hat, was es ist.« Vialathon lachte und meinte: »Ich habe doch nur Ihr Schiffchen ange faßt, Algonkin-Rattata!« Abermals lachte er, diesmal ausgesprochen kindisch. »Huh, ist das alles lustig!« schrie er. »Anlytha, wo bist du? Komm, Tok-tok-tok-tok-took! Hast du schon dein Ei gelegt, du raumfahrendes Huhn? Ich habe Hunger!« Er prustete vor Lachen. Algonkin-Yatta packte ihn am Kragen, schleppte ihn zum Bach und tunkte ihn min destens zehnmal unter. Vialathon schluckte einige Liter Wasser, da er es nicht lassen konnte zu lachen, auch wenn er unterge taucht war. Doch das minderte seine seltsa me Heiterkeit nicht. Der Kundschafter ließ ihn einfach stehen und kehrte zu seinem Schiff zurück. Er zog den Handschuh der rechten Hand aus und fuhr mit dem Zeigefinger vorsichtig über den silbergrauen Belag. In diesem Augenblick verließ Anlytha die Schleuse. »Wer hat hier so dumm nach mir geru fen?« schimpfte sie. Algonkin-Yatta hielt sich die Hand vors Gesicht und rief: »Kuckuck, Lytha!« Er nahm die Hand
44 weg und sagte: »Da!« Anlytha kreischte erschrocken, drehte sich um und rannte ins Schiff zurück. Als das Außenschott sich schloß, spürte der Kundschafter, wie die krampfhafte Hei terkeit allmählich nachließ. Er konnte wie der klar denken und erkannte, daß nur der silbergraue Belag die Störung bei Vialathon und ihm hervorgerufen haben konnte. Er blickte sich um. Nirgends war der Be lag zu sehen, nur auf dem Kundschafter schiff! Demnach mußte er gezielt aufge bracht worden sein. Oder hatte etwas, das bei einheimischen Dingen keine Wirkung zeigte, mit dem Ma terial der Schiffshülle reagiert und als Er gebnis diesen Belag erzeugt? Algonkin-Yatta erschrak. Bei seinem Kundschafterschiff – und bei allen anderen Kundschafterschiffen von Ruoryc auch – er füllte die Außenhülle einige sehr wichtige Funktionen. Falls diese Funktionen durch den seltsamen Belag ausfielen … Der Kundschafter stürmte ins Schiff und fand Anlytha, als sie ihm in Begleitung zweier Medoroboter entgegenkam. »Ich lache nicht!« rief er ihr entgegen. So kurz wie möglich, erklärte er ihr, was es mit dem Belag auf sich hatte und schloß: »Schaff alle deine römischen Andenken aus dem Schiff! Wir müssen unverzüglich diesen Planeten verlassen, bevor noch grö ßeres Unheil geschieht – und wir dürfen Vi alathon nicht zurücklassen. Zu längeren Er klärungen ist jetzt keine Zeit.« »Und wer ersetzt mir meine Kostbarkei ten?« zeterte Anlytha, während sie in ihre Kabine lief, um Algonkin-Yattas Anweisung zu befolgen. Der Kundschafter bereitete den Start vor. Als Anlytha ihm mitteilte, daß sie sich ihrer Andenken aus dem alten Rom entledigt hät te, ließ Algonkin-Yatta den Wissenschaftler von Medorobotern an Bord bringen und vor sichtshalber in eine Therapiezelle stecken. Während das Kundschafterschiff abhob, sahen Anlytha und Algonkin-Yatta, daß mehrere seltsame Schlangenwesen aus dem
H. G. Ewers Boden krochen und so etwas wie Dampf oder feinen Staub in die Luft bliesen. »Das könnte es sein!« sagte der Kund schafter. »Schade, daß wir nicht warten kön nen, sonst hätte ich ausprobiert, ob es diese Substanz ist, die mit dem Material der Au ßenhülle meines Schiffes reagiert und den Belag erzeugt.« Erst nach einiger Zeit merkte Anlytha, daß der Kundschafter den ursprünglichen Kurs nicht beibehielt. Als sie ihn fragte, antwortete er: »Die Psiotronik hat mir mitgeteilt, daß sich der Zustand Vialathons wieder verschlechtert und daß er wahrscheinlich zu den wenigen Lebewesen gehört, die allergisch auf unbe kannte Ausstrahlungen innerhalb des Kund schafterschiffs reagieren. Deshalb fliegen wir zur Erde zurück. Aber wir werden auf halbem Wege bei ei nem sogenannten Dimensionsbruch stoppen, bei dem sich mit Hilfe der Zeitkapsel zahllo se fremde Dimensionen ansteuern und er kunden lassen. Ich hoffe, daß Vialathon dort in der Lage sein wird, die Dimension zu be stimmen, in der Pthor sich fortbewegt sowie den Kurs, den es eingeschlagen hat.« »Meinst du den Dimensionsbruch von Hranor?« fragte Loggy, der wieder sche menhaft als kleine humanoide Gestalt zu se hen war. »Ja!« rief der Kundschafter. »Was weißt du über ihn, Loggy?« »Nichts, was ich erklären könnte«, ant wortete Loggy. »Es gibt Phänomene, die las sen sich nicht beschreiben – und objektiv schon gar nicht. Aber es ist gefährlich, in den Dimensionsbruch von Hranor zu tau chen.« »Das wird Algonkin nicht davon abhalten, denn er schreckt vor nichts zurück, weil er unbeirrbar auf Atlans Spur bleibt. Stimmt es, Algonkin?« »Ja!« sagte der Kundschafter.
10. »Hier ist es«, flüsterte Algonkin-Yatta
Lockruf der Dimensionen und schaltete den Interdimensionsantrieb aus. Der silbergraue Belag war im Weltraum abgefallen. Das Kundschafterschiff verlor schlagartig den Kontakt zum Normalraum und schien mit hoher Geschwindigkeit durch einen Tunnel voller Finsternis zu rasen – wobei die Bezugsrichtung, in die es raste, je nach persönlicher Vorstellung hinauf oder hinab, nach rechts oder nach links, im Kreis oder in einer Spirale verlaufen konnte. »Es ist soweit«, sagte der Kundschafter. »Wie fühlen Sie sich, Abmar?« Vialathon hatte sich bereits während des Interdimensionsflugs ein wenig erholt. Den noch sah er noch blaß aus und erschauderte ab und zu. Aber er hatte darauf bestanden, den Kundschafter bei der Expedition mit der Zeitkapsel zu begleiten. Während sich die beiden Männer in den Hangar der Kapsel begaben – Anlytha woll te diesmal im Kundschafterschiff bleiben –, schwebte Loggy schemenhaft erkennbar vor ihnen her. In der Innenzelle der Zeitkapsel fing Algonkin-Yatta sofort damit an, die Leitlinien der Zeitsteuerung nachzuziehen, die er für die Expedition brauchte. »Müssen Sie nicht erst ausschleusen, Al gonkin?« fragte Vialathon verwundert. Der Kundschafter schüttelte den Kopf. »Wir verlassen das Schiff nicht durch den Raum – und in der Zeit gibt es in ihm keine Wände, die uns den Weg versperren.« Auf den Bildschirmen der Außenbeobach tung war zu sehen, daß sich ein undurch dringlicher, substanzlos erscheinender Schleier um die Kapsel legte, dann hatten die beiden Männer das Gefühl, als drehte die Zeitkapsel sich gleichzeitig in alle denkba ren Richtungen. »Was ist das?« fragte Abmar Vialathon und deutete auf mehrere Bildschirme, die Ausschnitte eines Gebildes zeigten, das die Form eines Riesenrads hatte und aus Milliar den unablässig explodierender Gasblasen zu bestehen schien. Dazu drehte sich das »Riesenrad« mit wechselnden Geschwindig keiten, ohne daß zu erkennen gewesen wäre,
45 ob er sich in eine bestimmte Richtung dreh te. »Ich weiß es nicht«, antwortete der Kund schafter und betätigte abermals die Zeit steuerung. Das »Riesenrad« verschwand. Wo es sich befunden hatte, war absolut nichts mehr zu sehen. Dafür strahlte woanders eine Art Wasserfall auf, dessen räumliche Ausdeh nung allerdings nur scheinbar war, wie die Instrumente bewiesen. »Über diesem Fluß bin ich einmal gefah ren«, sagte Loggy. »Du?« fragte der Kundschafter verwun dert, denn Loggy hatte ihm einmal berichtet, daß er früher das Orientierungselement eines sogenannten Zeitauges gewesen war. »Als das, was ich damals war – und als Teil eines größeren Ganzen«, erklärte Log gy. »Bitte, steuere uns fort von hier, Algon kin-Yatta! Ich spüre einen Sog aus der Ver gangenheit, dem ich nicht lange standhalten kann.« Der Kundschafter wollte Loggys Bitte er füllen, aber als er sah, daß Vialathon sich wie in Trance erhob, auf die Zeitsteuerung zuging und mit den Fingern die Leitlinien nachfuhr – und zwar in einem bisher für den Kundschafter unbekanntem Muster –, da zö gerte er noch. Aber er prägte sich das Mu ster unauslöschlich ein. Plötzlich vollführte die Kapsel einen Satz – ob durch Zeit oder Raum oder durch beides, ließ sich nicht feststellen – und raste auf die Mündung einer Art Röhre zu, in der dunkles Wallen und Wogen lautlos tobte. Loggy pulsierte heftig, streckte sich, als bestünde er aus einer amorphen Substanz oder aus Energie – und verschwand mit grel ler Leuchterscheinung in der Wandung, hin ter der das Zeitreise-Instrumentarium lag. Die Zeitkapsel wurde von heftigen Vibra tionen geschüttelt, dann kehrte Ruhe ein. Auf den Bildschirmen der Außenbeobach tung zerfloß ein undurchdringlicher Schlei er, der sich rings um die Kapsel gelegt hatte. Algonkin-Yatta stellte fest, daß die Zeitkap sel wieder in ihrem Hangar an Bord des
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Kundschafterschiffs stand. »Loggy?« fragte er. Aber Loggy antwortete nicht und ließ sich auch nicht mehr sehen. »Ich fürchte, er hat sich dem Sog ausgeliefert, um uns aus ihm zu retten«, sagte der Kundschafter tonlos. Als Abmar Vialathon ebenfalls nicht ant wortete, schaute der Kundschafter zu ihm hinüber und sah, daß der Wissenschaftler zusammengebrochen war. »Ich denke, es wird Zeit, daß wir zur Erde zurückkehren, um Vialathon nach Hause zu bringen und Dorstellarain abzuholen«, sagte Algonkin-Yatta.
* »Und so kehrte Atlan von der Dimensi onsschleppe nach Pthor zurück, fest ent schlossen, die Herrschaft der Unheimlichen zu stürzen und die Kontrolle über jenen Di mensionsfahrstuhl zu erringen, den man auch das Neue Atlantis nennt.« Algonkin-Yatta hob das Glas mit dem funkelnden goldenen Wein darin und nickte Perry Rhodan, der ihm gegenüber auf der Gartenterrasse seines Bungalows am Gos hun-See saß, zu. »Ich habe meine Seele mit der Hoffnung angefüllt, daß Atlan alle seine Ziele errei chen möge. Das, was der Pthorer Dorstella rain mir über ihn und seine Taten berichtete, bestärkte mich nur noch in meinem Glau ben, daß Atlan für die Erfüllung einer unge heuer wichtigen Kosmischen Mission auser wählt wurde.« »Zweifellos ist er ein Auserwählter«, warf Anlytha ein. »Aber wer hat ihn auserwählt?« »ES!« antwortete Perry Rhodan, ohne zu zögern. »Ganz sicher hat das vergeistigte Superwesen Atlans Lebensweg dominierend beeinflußt. Aber ich denke, daß ES das nur deswegen konnte, weil Atlan willens war, die steilen Pfade des Leidens und der Pflich ten zu gehen, um den Zivilisationen des Kosmos zu einer ungeahnten Blütezeit zu verhelfen.« Er streckte die Hand aus und drückte auf
dem Tisch die Hand des Kosmischen Kund schafters. »Jedenfalls danke ich Ihnen sehr dafür, daß Sie mir so umfassend von Atlans Schicksal berichtet haben.« »Nicht umfassend, Perry!« wehrte der Kundschafter ab. »Ich habe meine Informa tionen von Dorstellarain – und der Pthorer kannte auch nur einen kleinen Teil der Er eignisse, in die Atlan seit seiner Ankunft auf Pthor verwickelt wurde und die er bestimm te, so gut es ging.« Rhodan lächelte. »Es war dennoch genug, Algonkin. Sie ahnen gar nicht, was es für mich bedeutet, zu wissen, daß mein Freund Atlan noch lebt und daß ich wenigstens hoffen kann, daß er zurückkehrt.« »Ich könnte in die Zukunft gehen und …«, fing der Kundschafter zögernd an. »Nein!« sagte Perry Rhodan schroff, dann fügte er milder hinzu: »Erstens halte ich es grundsätzlich für einen schwerwiegenden Nachteil, seine eigene sogenannte Zukunft zu kennen, denn so vieles Schlimme zu wis sen, ohne es ändern zu können, muß in den Wahnsinn treiben. Zweitens bin ich davon überzeugt, daß in dem, was wir Zukunft nennen, ungezählte verschiedene, konträre und vielfältig miteinander kombinierbare Möglichkeiten liegen, die erst durch das, was in der Gegenwart auf unzähligen Plane ten in unzähligen Galaxien getan und unter lassen wird, zu einer konkreten Faktenmi schung wird. Niemand von uns könnte über blicken, was wo und wann getan oder unter lassen werden müßte, um die ideale Zukunft zu erzeugen, Freunde. Im Gegenteil, wir würden uns an diesem heißen Eisen die Fin ger verbrennen.« Algonkin-Yatta atmete auf. »Ich bin froh, daß Sie so darüber denken, Perry.« »Sie denken genauso, also schließen wir das Thema ab«, meinte Rhodan und hob sein Glas. Sein Armbandgerät summte. Er winkelte den Arm an, schaltete es ein und sagte, als
Lockruf der Dimensionen der kleine Bildschirm aufleuchtete: »Ah, Fangaloa! Sehr erfreut, dich wieder zusehen!« »Compelle intrare, ut impleatur domus mea!« sagte Juan Pincenez lächelnd. »Nötige sie, hereinzukommen, damit mein Haus voll werde!« »Es ist nicht dein Haus, Juan!« kreischte Anlytha, aber sie schaute den Barden dabei zärtlich an. »Juan hat es gesagt«, meinte Rhodan zu Oberst Fangaloa Eneiki. »Ich eile, Perry«, erwiderte der weibliche SolAb-Offizier und unterbrach die Verbin dung. Algonkin-Yatta hatte direkt nach dem Ausspruch des Barden die Augen geschlos sen. Jetzt öffnete er sie wieder und sagte lei se: »Das war die Sprache der alten Römer, aber wohl nicht die Sprache Marcus Aureli us'.« »Marc Aurel?« fragte der Barde. »Aber das war sogar ein Kaiser des alten Imperium Romanum, Freund.« »Ich meinte nicht die Sprache als solche, sondern die Ausdrucksweise«, erklärte der Kundschafter. »Dorstellarain berichtete mir, es sei ihm gelungen, die philosophische Ader des Marcus Aurelius zu verstärken und ihm sogar eigene pseudophilosophische Weisheiten einzuflüstern. Mich würde inter essieren, ob davon etwas überliefert wurde.« »Mich auch«, sagte Perry Rhodan. Er schaltete an seinem Kommandoarm band eine Servoeinheit, einen energetischen Komplex, der scheinbar durch Zauberei einen kompakten Telekom vor Rhodan auf die Tischplatte beförderte. Der Großadministrator ließ sich mit der Zentralbibliothek in Terrania City verbinden und erbat sich Informationen über eventuelle Schriften Marc Aurels sowie über besondere Lebensumstände des Kaisers. Die erste Information ließ nicht lange auf sich warten. »Es gibt eine Sammlung der philosophi schen Selbstbetrachtungen Marc Aurels«,
47 sagte der Bibliothekscomputer. »Sie wird teils unter dem Titel Eis heauton, teils unter dem Titel Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, geführt. Was die Lebensumstände angeht, so fällt den Geschichtswissenschaftlern immer wie der auf, wie ein Philosoph auf dem römi schen Kaiserthron – und die römischen Kai ser standen unter größerem Leistungsstreß als heutige Topmanager –, der noch dazu unter den ständigen Affären seines Ehe weibs litt und sich stets um seinen mißrate nen Sohn Commodus sorgte, nicht nur die Parther zurückschlagen, sondern trotz nach folgender Pestilenz und Geldmangels mit unerschütterlicher Energie den Einfall der Markomannen abwehrte, ihr Land besetzte und die Gesamtlage des Imperiums stabili sierte. Ein gewöhnlicher Sterblicher schafft das alles einfach nicht.« »Dorstellarain!« rief Anlytha. »Er wird Marcus Aurelius gesagt haben, wie er die unruhigen Völker beruhigt und wie er mit überlegener Strategie und Taktik aussichts los erscheinende Kriege gewinnen kann!« »Das hätte er nicht tun sollen«, sagte Rho dan tonlos. »Was hätte er nicht tun sollen?« erkundig te sich Fangaloa Eneiki, die frisch wie der Morgenwind die Terrasse stürmte und alle Anwesenden auf die Wangen küßte. Perry Rhodan erklärte es ihr. Fangaloa setzte sich und griff nach einem belegten Kräcker. »Wer weiß, wozu das gut war, Perry«, meinte sie nachdenklich. »Wir sind doch al le zufrieden mit den heutigen Zuständen, für die immerhin auch in Marc Aurels Zeit der Keim gelegt wurde.« »Einverstanden!« sagte Perry Rhodan und schenkte ihr Wein ein. »Algonkin, was sag ten Sie vorhin über eine Schwarze Galaxis?« Der Kundschafter blickte hoch. »Den Namen habe ich von Dorstellarain, Perry. Die Schwarze Galaxis soll demnach die Heimat von Pthor sein und das Nest un heimlicher Mächte, die Pthor ausgeschickt haben, um im ganzen Kosmos Tod und Ver
48 derben zu verbreiten.« »Auf der Erde ist es ihnen nicht gelungen – diesmal«, meinte Fangaloa Eneiki. »Dank Atlan«, erwiderte Rhodan. »Algonkin-Yatta, ich wünsche Ihnen, daß Sie Atlan recht bald finden und ihm helfen können.« »Das wünsche ich mir auch!« rief der Kundschafter strahlend. »Und ich wünsche mir, euch alle irgendwann wiederzusehen.«
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gleich wieder heraus, einen goldenen Stirn reif in der Hand. »Ist das etwa nichts?« fragte sie. »Ich ha be ihn der Begleiterin Vialathons abgenom men, als die beiden Menschen kurz auf der Party in Rhodans Bungalow erschienen.« »Du bist wirklich Klasse!« meinte der Kundschafter. »Einfach super!« Anlytha zwitscherte vergnügt. »Und was sind das für Ausdrücke, Yat ta?« Algonkin-Yatta lächelte flüchtig, dann * sagte er: »Wo er nur bleibt!« sagte Anlytha und »Adieu, Dorstellarain! Ich respektiere fröstelte. dein Verhalten. Hier kannst du Nützlicheres Sie und Algonkin-Yatta standen in der of tun, als wenn du nach Pthor zurückgekehrt fenen Schleuse der Zeitkapsel und ließen wärst. Komm, Lytha, wir brechen auf! Atlan sich die frische Brise um die Ohren wehen, wartet.« die vom Land zum Meer wehte. Sie warteten »Ja, ja!« murrte Anlytha. »Dein Atlan schon neun Stunden auf den Pthorer, aber geht dir über alles.« Dorstellarain hatte sich nicht blicken lassen. Der Kundschafter nahm ihre Hand und »Er weiß, daß wir nicht länger als zehn zog seine Begleiterin sanft in die Innenzelle Stunden auf ihn warten«, sagte der Kund der Zeitkapsel. Danach startete er. schafter. »Warum kommt er dann nicht end Anfangs flog Algonkin-Yatta die Kapsel lich?« nur mit der Raumsteuerung. Er hielt einen »Vielleicht mag er nicht, oder er ist umge Kurs, der sie in geringer Höhe über die Wü kommen«, meinte Anlytha. ste Gobi führte. Irgendwo im scheinbar end »Alles ist möglich«, erwiderte Algonkin-Yat losen Sandmeer zog eine Karawane dahin, ta. »Alles, was dir widerfahren mag, war dir und irgendwo lag das salzige Wasser des von Ewigkeit her so bestimmt, und die Ver Goshun-Sees. kettung der Ursachen hat von Anfang an »Dort haben wir mit ihm zusammengeses dein Dasein und dieses dein Geschick mit sen«, sagte Anlytha wehmütig. einander verknüpft. – Marc Aurel, philoso Algonkin-Yatta lächelte. phische Selbstbetrachtungen, zehntes »Dort werden wir mit ihm zusammenge Buch.« sessen haben werden, Schatz!« Er schaltete »Wenn wir das Buch, wasserdicht ver die Zeitsteuerung ein. packt, hier lassen, und Dorian findet es und jubelt dem Kaiser die Sprüche unter, die * dann nur deshalb später als seine Selbstbe Irgendwann erreichte das Kundschafter trachtungen gedruckt werden!« rief sie auf schiff den Dimensionsbruch von Hranor. Al geregt. »Wäre das nicht ein Hammer!« »Oh, Anlytha!« sagte der Kundschafter. gonkin-Yatta und Anlytha stiegen in die »Dich hätte ich niemals auf die Erde mitneh Zeitkapsel, verließen aber weder den Ort men dürfen, denn du eignest dir von allem, noch die Zeit, in der das Kundschafterschiff was die terranische Kultur bietet, nur den sich befand. schlimmsten Jargon an.« In einem Dimensionsbruch konnte sogar »Das ist nicht wahr!« zeterte Anlytha. absolut tote Materie durch alle Dimensionen Sie eilte in die Zeitkapsel zurück und kam gleiten, auch durch die Zeit. Und der Kund
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schafter wollte sich diesmal nicht ohne zwingenden Grund von seinem eigenen Schiff trennen, da er hoffte, endlich nach Pthor zu kommen und Kontakt mit Atlan herstellen zu können. Der Lordadmiral wür de die technischen Mittel, die MYOTEX in das Kundschafterschiff gepackt hatte, bei seinem Kampf gegen die Mächte der Fin sternis sicher gut gebrauchen können. »Du willst uns freiwillig in den Sog steu ern, in dem ihr beinahe mit der Zeitkapsel verschwunden wärt, nicht wahr, Yatta?« er kundigte sich Anlytha bang. »Ich weiß keine andere Möglichkeit, At lan einzuholen, Lytha«, antwortete der Kundschafter leise. »Aber ich werde versu chen, nicht in die Schwarze Galaxis gezogen zu werden. Mein Schiff hat Möglichkeiten, die die terranischen Raumschiffe in tausend Jahren noch nicht haben werden. Deshalb schlug ich auch Perrys Angebot aus, uns einen Flottenverband mitzugeben. Kein ter ranisches Schiff könnte uns dorthin folgen, wohin uns die zwischen den Dimensionen wirkenden Kräfte führen.« Immer schneller »sank« das Kundschaf terschiff in den Dimensionsbruch. Plötzlich tauchte das explodierende »Riesenrad« wieder auf, dann der »Wasserfall« – und schließlich das dunkle Wallen und Wogen innerhalb der »Röhre«, die Loggys Schicksal geworden war. Algonkin-Yatta koordinierte die eigenen Schaltungen an der Zeitkapselsteuerung mit den Schaltungen seines Schiffes mit Hilfe der Kommunikation zwischen der großen Psiotronik und sich. Das Kundschafterschiff wich dem dunklen Wogen aus, wollte einen parallelen Kurs einschlagen, um die Nähe
der Schwarzen Galaxis zu suchen, ohne von ihr verschlungen zu werden. Doch das schlug fehl. Das Kundschafterschiff wurde vom Di mensionsbruch förmlich ausgespien und tru delte ziellos durch den Normalraum. »Es klappt nicht, Yatta, nicht wahr?« er kundigte sich Anlytha mitfühlend. »Und so wird es wahrscheinlich nie klap pen«, antwortete der Kundschafter niederge schlagen. »Der Sog ist zu stark, als daß man sich in seiner Nähe halten könnte. Man wird entweder mitgerissen oder schleudert sich selbst fort.« »Das bedeutet, daß Atlan unerreichbar für uns ist«, stellte Anlytha fest. »Ja!« sagte Algonkin-Yatta dumpf. »Es sei denn, wir lassen uns von dem Sog erfassen und in die Schwarze Galaxis zie hen!« rief Anlytha und zwitscherte erregt. »Ich glaube, daß wir nur dann eine Chance haben, irgendwann mit Atlan zusammenzu treffen. Also sollten wir es auch tun.« Der Kundschafter sah sie ungläubig an. »Das würdest du riskieren, Lytha?« »Ich schon«, erwiderte Anlytha. »Denn ich bin mutig. Wie es mit deinem Mut be stellt ist, steht auf einem anderen Blatt.« »Ha!« rief der Kundschafter. »Dieses Blatt wirst du gleich zu lesen bekommen!« Er beugte sich vor, um einige Schaltungen vorzunehmen. »In der Schwarzen Galaxis wird sich zeigen, wer von uns beiden mehr Mut besitzt.«
E N D E
ENDE