Gilmore Girls Lorelai in Liebesnöten Band 5 Erscheinungsdatum: 2005 Seiten: 195 ISBN: 380253462X Amazon-Verkaufsr.: 4491...
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Gilmore Girls Lorelai in Liebesnöten Band 5 Erscheinungsdatum: 2005 Seiten: 195 ISBN: 380253462X Amazon-Verkaufsr.: 4491 Durchsch. Kundenbew.: 5/5 Scanner: Crazy2001 K-leser: klr CCC C C C CCC
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2004
Dieses E-Book ist Freeware und somit nicht für den Verkauf bestimmt. Lorelai und Rory kehren erschöpft von ihrer erlebnisreichen Europareise zurück und sind froh, dass sie noch eine ganze Woche Zeit haben, bevor Rorys Einführungsveranstaltungen in Yale beginnen. Doch leider hat sich Rory den falschen Termin notiert, und die eine Woche schrumpft zusammen auf einen Tag! Und dann steht da auch noch an ihrem letzten gemeinsamen Abend ein Essen bei den Großeltern an. In Yale angekommen, hat Rory gleich tausend Dinge zu tun, sodass ihr kaum Zeit bleibt, alle Eindrücke zu verarbeiten. Sie besucht die ersten Veranstaltungen, inspiziert ihr neues Zuhause und lernt ihre Mitbewohnerinnen kennen - hier trifft sie auf eine alte Bekannte, mit der sie beim besten Willen nicht gerechnet hätte. Auch Lorelai hat kaum Zeit, Rory zu vermissen: Sie organisiert gemeinsam mit Sookie ein Catering für einen Kindergeburtstag, der allerdings in einem Desaster zu enden droht. Doch dank ihrer Spontaneität kann Lorelai das Schlimmste gerade noch verhindern ...
Carina Martinez
Gilmore Girls
LORELAI IN LIEBESNÖTEN
Roman
-1-
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Der Roman »Gilmore Girls – Lorelai in Liebesnöten«
entstand auf der Basis der gleichnamigen Fernsehserie von
Amy Sherman-Palladmo, produziert von Warner Bros,
ausgestrahlt bei Vox.
Copyright © 2005 Warner Bros. Entertainment Inc.
GILMORE GIRLS and all related
characters and elements are trademarks of and
©Warner Bros. Entertainment Inc.
WB SHIELDrTM ©Warner Bros.
(sO5)VGSC2838
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln, 2005
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Ralf Schmitz
Produktion: Susanne Beeh, Jutta Wallrafen
Umschlaggestaltung: Sens, Köln
Senderlogo: ©Vox 2005
Titelfoto: © 2005 Warner Bros.
Satz: Hans Winkens, Wegberg
Printed in Germany
ISBN 3-8025-3462-X
Besuchen Sie unsere Homepage:
www.vgs.de
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1
Als der Wagen vom Shuttledienst, der uns vom Flughafen nach Hause gebracht hatte, endlich anhielt, stiegen Mom und ich aus, so schnell wir konnten – und unsere riesigen Reiserucksäcke es zuließen. Endlich standen wir wieder auf der Straße vor unserem Haus. Es tat so gut, nach einem Sommer in Europa nun daheim angekommen zu sein. Hier kannten wir alles und jeden – ein ungeheuer beruhigendes Gefühl. Außerdem verstand nun wieder jeder unsere Sprache. Das bedeutete allerdings auch, dass wir mit unseren manchmal etwas flapsigen Bemerkungen ein bisschen aufpassen mussten. Nicht, dass wir uns unversehens noch eine gebrochene Nase einhandelten. Wir hatten viel erlebt auf unserer Reise, Erfahrungen, die ich um nichts auf der Welt missen wollte. Doch nun waren wir froh, endlich wieder da zu sein, wo wir hingehörten, wo unsere Wurzeln waren und die Menschen, die wir liebten. Erleichtert sogen wir die heimatliche Luft tief in uns ein und starrten dabei, noch immer völlig benommen, das Auto an, das sich langsam wieder in Bewegung setzte und davonfuhr. Mom fand als Erste die Fassung wieder und stieß ein Knurren aus, als wäre sie ein gefährliches Raubtier. Der Bommel auf der grünen Schlägermütze, die sie trug, wackelte lustig hin und her. Die Mütze passte farblich wunderbar zu ihrer Trainingsjacke, und Mom sah damit besonders frech und jugendlich aus. Im Moment machte sie ganz den Eindruck, als wollte sie sich noch im Nachhinein auf den Fahrer und sein Gefährt stürzen. Ich selbst hatte für so etwas keine Kraft mehr, denn ich spürte jeden einzelnen Knochen meines Körpers und -3-
wünschte mir nichts sehnlicher als ein Bad. Und dann wollte ich nur noch eines: mich auf mein Bett legen und schlafen. »Wir sind zu Hause, endlich«, seufzte ich und griff nach meinem Rucksack. Ich wollte schon ins Haus gehen, doch Mom rührte sich nicht von der Stelle. Noch immer hatte sie sich nicht beruhigt. »Gott, wie lange kann denn so eine verfluchte Shuttlefahrt dauern?« »Nicht so lange«, seufzte ich. Sie wollte doch hoffentlich nicht hier draußen übernachten. In meinem kurzärmeligen T-Shirt und dem knappen Rock, den ich ohne Strümpfe trug, wurde es mir allmählich zu kalt. »Das Leben der gesamten Menschheit ist an mir vorbeigezogen«, schnaubte sie empört. »Ich dachte, wir gehen drauf in diesem Wagen.« »Ja, das wäre durchaus möglich gewesen«, nickte ich zustimmend, was Mom offenbar als Aufforderung empfand weiterzumachen. Aufgebracht fuchtelte sie mit einem Arm in der Luft herum. »Diese Fahrt kam mir länger vor als die Zugfahrt von Paris nach Prag, als diese Gruppe französischer Typen dauernd >Skater Boy< gesungen hat. Und die haben wie ‘ne Turnhalle voller Sportler gestunken.« Wir zuckten beide zusammen, doch nicht wegen der unangenehmen Erinnerung, sondern weil wir hinter uns erst ein Türklappern und dann eine wohl bekannte durchdringende Stimme hörten. Babette, unsere Nachbarin, hatte uns entdeckt und kam nun mit schnellen Schritten aus ihrem Haus gelaufen. Sie war eine sehr kleine Frau mit blonden Locken und einem großen Herzen. Babette war sehr nett und fühlte sich seit Jahren für unser Wohlergehen verantwortlich. Mich nannte sie mit Vorliebe »Püppchen«, was mir gar nicht gefiel. Eine große Schwäche hatte Babette allerdings: Sie war extrem -4-
mitteilsam. Um die Wahrheit zu sagen: Man musste es wohl geschwätzig nennen. Während Mom und ich uns in Europa vergnügten, hatte sie hier nach dem Rechten gesehen. »Oh, mein Gott, ihr seid wieder da!« Babette drehte sich zu ihrem Haus um. »Morey, sie sind wieder da!« Ihr Mann hatte es vorgezogen, im Haus zu bleiben, stand aber, da er nicht weniger neugierig als seine Angetraute war, direkt hinter der Tür. Morey besaß auch so seine Eigenheiten, mit denen man umzugehen lernen musste. Er trug immer Schwarz und war mindestens dreißig Zentimeter größer als seine Frau. Wenn die beiden nebeneinander standen, gaben sie einen lustigen Anblick ab. Aber trotz ihrer mangelnden Körpergröße hatte Babette in ihrer Beziehung die Hosen an. Wir kannten das bereits. Babette musterte uns mit sorgenvollem Blick, die runden Augen weit aufgerissen, als wären ihr soeben zwei Gespenster erschienen. »Geht’s euch gut oder seid ihr verletzt?«, fragte sie mit banger Stimme. »Nein, alles bestens.« Mom lächelte nachsichtig, denn offensichtlich war Babette ziemlich aus dem Häuschen. Wieder drehte sich unsere Nachbarin zu ihrem im Verborgenen gebliebenen Gatten um und rief so laut sie konnte. »Alles bestens, Morey!« Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, und sein Gesicht erschien für einen kurzen Augenblick. »Ja! Okay!« Sofort schloss er die Tür wieder. »Was in aller Welt war denn los?«, wollte Babette wissen. »Nach dem Reiseplan, den Rory mir gegeben hat, hättet ihr schon letzten Samstag zurückkommen müssen.« Ich wich Moms vorwurfsvollem Blick aus. Sie hatte -5-
nichts davon gewusst, und ich ahnte, dass sie es auch nicht für eine gute Idee gehalten hätte. Deshalb hatte ich sie ja auch nicht gefragt. Aber eine von uns musste schließlich vernünftig sein. Babette bemerkte unsere stille Kommunikation nicht, dafür war sie viel zu sehr damit beschäftigt, auf uns einzureden. »Als ihr nicht aufgetaucht seid, haben wir Panik gekriegt, Morey und ich. Am Sonntagabend war ich dann völlig mit den Nerven runter. Ich dachte, ihr wäret vielleicht von diesen verrückten Sandinisten entführt worden.« »Klar, die sandinistische Bewegung ist doch typisch für Frankreich.« Mom biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszuprusten. Babette brachte da einiges durcheinander. »Und irgendwann habe ich dann in den Konsulaten angerufen.« »Tatsächlich?« Ungläubig glotzte ich Babette an. Ihr war viel zuzutrauen, das wusste ich, aber dies übertraf meine kühnsten Vorstellungen. Auch Mom war schlagartig ernüchtert und sichtlich beunruhigt. »In wie vielen Konsulaten?« »Och, na ja, in allen eben. Egal, ihr seid ja jetzt da. Los, gehen wir rein. Ich will alles über Europa wissen. Morey, ich geh’ mit ihnen ins Haus!« Und schon lief Babette mit ihren kurzen Beinchen los. Sie war erstaunlich behände. Da sie den Schlüssel zu unserem Heim besaß, kam sie auch ohne uns rein. Wir ließen sie gewähren – und blieben einfach auf dem Bürgersteig stehen. Nach diesen Eröffnungen brauchten wir ein bisschen frische Luft. »Sie hatte ‘nen Reiseplan von dir?« Mom stemmte die Arme in die Seiten. »Ich dachte, es wäre gut, wenn jemand weiß, wo wir sind«, sagte ich so beiläufig wie nur möglich. In -6-
Wahrheit hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte Mom diese Sache nicht verheimlichen sollen, das wusste ich jetzt. Und leider war meine Absicht, Babette auf diese Weise zu beruhigen, ja auch gründlich fehlgeschlagen. »Herzlichen Glückwunsch!« Mom schüttelte den Kopf. »Und deswegen hat sie auch alle Konsulate auf der Welt angerufen. Superidee von dir.« Ich fühlte mich in die Enge getrieben und versuchte mich zu verteidigen. Am besten funktionierte so was erfahrungsgemäß, wenn ich eine Geschichte erfand. Darin war ich ziemlich gut. Ich musste gar nicht lange nachdenken. »Wenn wir an der Grenze nun mit Haschisch erwischt worden wären und man uns in ein türkisches Gefängnis geworfen hätte, wäre es da nicht gut gewesen, dass jemand zu Hause Bescheid gewusst hätte, wo wir uns gerade aufhalten?« Nachdenklich wiegte Mom den Kopf hin und her. »Woher ist der Stoff, den wir schmuggeln wollten?« Natürlich war es ein Leichtes für mich, die Geschichte weiter auszuschmücken. So etwas machten Mom und ich schließlich ständig und ausgesprochen gerne. »Mhm…« Ich rieb mir das Kinn und grinste dann. »Du hast in einem Cafe einen Typen kennen gelernt. Der hat dich umgarnt und dir den Stoff heimlich in die Tasche gesteckt.« »Sag doch wenigstens, er war süß.« »Okay, er war nicht übel für ‘nen Drogendealer.« Wir lachten beide, nahmen unsere Rucksäcke und machten uns einträchtig auf den Weg ins Haus. Aller Ärger war verflogen. Babette wieselte bereits eifrig in der Küche umher und klapperte mit dem Geschirr. »Ich mache euch einen Kakao!«, flötete sie, sichtlich froh, uns wieder dazuhaben -7-
und umsorgen zu können. »Das macht sie nur, weil du ihr den Reiseplan verraten hast«, zischte Mom mir zu. »Stimmt, da hast du durchaus Recht, aber du bist wegen Drogenschmuggels verhaftet worden.« »Die Wirklichkeit hat in unserer Welt einfach keinen Platz.« Mom schob ihren Rucksack achtlos in eine Ecke des Flurs, und ich tat das Gleiche. Dann schloss ich die Haustür. Langsam schlenderten wir in die Küche. Auf dem Tisch standen schon zwei Tassen für uns, noch waren sie allerdings leer. Wir setzten uns. »Also, erzählt mir jetzt alles über Europa. Kommt schon, raus damit.« Babette hantierte mit dem heißen Wasser. Sie platzte fast vor Neugierde. »Was habt ihr gesehen?« Mom streckte sich genüsslich. »Na, so ziemlich alles. Notre Dame, die römischen Bäder, natürlich den Petersdom und--« »Mom hat den Papst berührt«, unterbrach ich sie und blinzelte unter den Wimpern zu Babette hinüber, damit mir ihr Gesichtsausdruck nicht entging. »Nein, ehrlich?« »Eigentlich habe ich nur sein Auto angefasst.« Mom machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dann kam gleich einer von der Schweizer Garde in so einer tuntigen Uniform an.« »Ein Glück, dass Mom so gut flirtet«, fügte ich mit gespieltem Ernst hinzu. »Ja, das ist gar nicht so einfach mit einem Mann, der einen Rock und dazu einen Hut mit Federbusch trägt.« Babette starrte uns abwechselnd völlig hingerissen an. »Das klingt ja, als hättet ihr so richtig tolle Ferien gehabt.« -8-
»Hatten wir«, nickte Mom. Als Babette uns für einen kurzen Moment den Rücken zudrehte, um nach dem Kakao zu sehen, gab Mom mir mit einer schnellen Geste zu verstehen, dass unsere Nachbarin uns für ihren Geschmack lange genug Gesellschaft geleistet hatte. Da wir ein eingespieltes Team waren, verstand ich sie sofort. Ich gähnte herzhaft. Sofort legte Mom mir die Hand auf den Arm. »Oh, alles okay, Schatz?« Sie sprach lauter, als eigentlich notwendig gewesen wäre. »Ja, aber ich bin doch ganz schön müde.« Es funktionierte. Babette tat genau das, was wir beabsichtigten, aber niemals offen ausgesprochen hätten. Aber so ging es ja auch, und die Gute war wenigstens nicht beleidigt. »Natürlich, ihr müsst völlig geschafft sein. Ich lasse euch allein. Also, gute Nacht. Schlaft schön. Wir sehen uns dann morgen.« Babette goss uns noch schnell das dampfende Getränk ein, dann war sie verschwunden. Endlich kehrte Ruhe in unserer Küche ein. Mom und ich nippten an unserem Kakao und genossen die Stille. Alles stand noch am vertrauten Ort, nichts hatte sich verändert während unserer Abwesenheit. Und das war gut so. Denn Veränderungen standen uns in naher Zukunft ohnehin mehr als genug ins Haus. Immerhin würde ich in Kürze nach Yale gehen, um dort zu studieren. Doch jetzt war nicht die Zeit, sich Gedanken zu machen. Allerdings wartete jetzt eine Menge Arbeit auf uns. Ich erhob mich langsam. »Ich werde noch schnell auspacken.« »Ach, nein, tu das doch morgen.« Unlustig zog Mom die Stirn in Falten. »Wenn ich die Sachen über Nacht im Rucksack lasse, -9-
fangen sie an zu stinken«, erwiderte ich streng. Ich griff mir meinen Rucksack und schlenderte in mein Zimmer. »Das tun sie doch jetzt schon.« Mom folgte mir in mein Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Sie umarmte das Kopfkissen und drückte es an sich. »Oh, mein Gott! Dein Bett ist klasse!« »Du solltest es dir nicht zu bequem machen. Ich lege mich auf dich, wenn’s sein muss.« Ich öffnete meinen Kleiderschrank mit all den vielen Klamotten, die ich leider nicht hatte mitnehmen können. »Oh, Mann, riech mal!« Mom schnupperte begeistert an meinem Kissen. »Was?« »Kopfkissen müssen gar nicht nach Käsefußen stinken. Weißt du, es ist gut, dass ich erst mit Mitte dreißig in diesen Jugendherbergen geschlafen habe. Ich sage dir auch, wieso.« Eigentlich interessierte mich das im Moment nicht besonders. Ich strich hier über einen Ärmel, dort über einen Kragen und freute mich, dass alle meine >Lieben< noch da waren. So albern es sich anhören musste, sie hatten mir gefehlt. »Ihr habt mir so sehr gefehlt, ihr alle«, flüsterte ich. »Wenn ich das schon als Teenie oder mit zwanzig gemacht hätte, dann wäre ich so naiv gewesen zu glauben, dass Jugendherbergen exotisch und romantisch sind. Aber wer über dreißig ist, hat schon genug Erfahrung, um zu wissen, dass sich das niemand antun sollte.« »Von dir habe ich in Kopenhagen geträumt.« Ich streichelte den Ärmel eines meiner besonders weichen Pullover. Doch der daneben war mindestens ebenso schön. »Du warst auch da und du und du…« Ich -10-
versuchte sie alle gleichzeitig zu umarmen – und wäre beinahe in den Schrank gefallen. Mom zuckte nicht mit der Wimper. »Hör zu, da wir im Flieger geschlafen haben, sollten wir jetzt ins Bett gehen und morgen sehr früh aufstehen, sonst leiden wir die ganze Woche unter Jetlag. Wir müssen unseren normalen Schlafrhythmus wieder finden.« »Verstehe.« »Okay. Ich springe jetzt schnell unter die Dusche. Dann kannst du erst mal schön mit deinen Socken kuscheln.« Seufzend erhob sie sich und ließ mich allein. »Schließ die Tür, bitte«, nickte ich. Als Mom draußen war, trat ich vor meine Kommode und öffnete sie mit einem Ruck. »Hallo, meine Süßen.«
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2
Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder anders aus – nach einer Nacht im eigenen Bett, im eigenen Zimmer. Ich steckte in einer bequemen, frisch gebügelten Hemdbluse, und Mom hatte sich ein ärmelloses Shirt angezogen. Beide trugen wir unsere heiß geliebten Jeans und fühlten uns fast wie neugeboren, obwohl wir noch etwas angeschlagen waren. Der lange Flug und die Zeitverschiebung machten uns zu schaffen – aber das würde bestimmt bald überstanden sein. Und Mom steckte auch schon wieder voller Tatendrang. Dankenswerterweise hatte sie es übernommen, in den Konsulaten anzurufen, um den Beamten dort die frohe Botschaft zu überbringen, dass sie nicht länger nach zwei vermissten Amerikanerinnen suchen mussten. Sicherlich keine angenehme Aufgabe, doch Mom nahm es mit Humor. Gut gelaunt kam sie die Treppe herunter ins Wohnzimmer, das Telefon ans Ohr gedrückt. »Gilmore, Lorelai. Ja, meine Tochter heißt ebenfalls Lorelai. Ja, sehr verwirrend oder in ihrem Fall äußerst praktisch, finde ich. Nein, wir waren niemals verschollen. Das war einfach ein Irrtum, wissen Sie?« Ich sortierte die Geschenke, die wir für unsere Freunde aus Europa mitgebracht hatten, neu und legte jeweils einen Zettel mit dem Namen des zu Beglückenden darauf. Daher hörte ich zwangsläufig mit. Ich blickte auf. »Wer ist dran?« »Belgien.« »Aha.« »Ja. Babette Del«, flötete Mom in den Hörer, bemüht, einen zuckersüßen Tonfall anzuschlagen, während sie mit -12-
den Augen rollte. »Sie dachte, dass wir viel früher wiederkommen, und da hat sie sich Sorgen gemacht, aber unbegründet. Wir sind zu Hause. Die Pommes frites bei Ihnen sind übrigens himmlisch. Ja, klar, sicher. Wiederhören.« Sie beendete die Verbindung. »Also, Belgien ist erledigt, Lissabon ruft zurück, Berlin wusste nicht, wovon ich spreche, und Paris war stinksauer.« »Auf wen?« »Ach, keine Ahnung. Okay, ich mache jetzt eine Pause, und dann rufe ich in den Niederlanden an. Ich kann es echt nicht fassen, dass Babette das getan hat.« Sie ließ sich auf die Sofalehne plumpsen. »Sie hat uns eben gern.« Mom verzog das Gesicht. »Also, bitte sei nicht ganz so liebenswert, ja? Diese Telefonate kosten mich ein Vermögen. Sei lieber wie die Kinder, die sagen: >Ach, ehrlich, sie ist entführt worden? Pech für sie, wieder eine weniger<« »Wirklich nett.« Ich zog einen Schmollmund – allerdings nur ungefähr eine Sekunde lang, denn ich hatte ein Geschenk entdeckt, das ich beim besten Willen nicht zuordnen konnte. »Hey, „wer soll denn den Rosenkranz von uns bekommen?« Ich baute mich vor Mom auf und hielt ihn in die Höhe. »Das ist meiner.« Sie grapschte danach und hielt ihn mit der Faust fest umklammert. Offenbar wollte sie ihn tatsächlich nicht mehr hergeben. »Was willst du denn mit einem Rosenkranz?« »Er ist schön.« »Damit betet man!« Mom grinste vergnügt. »Ich bete, dass er zu dem blauen Kostüm passt.« »Okay, damit hast du dir eine Suite mit französischem -13-
Bett und Whirlpool in der Hölle verdient.« Sie wirkte kein bisschen beeindruckt. »Hm. Ein Tischset mit der Pieta?« Sie hob das Bild hoch. »Für wen ist das?« »Für Gypsy.« Ich drückte ihr den Zettel in die Hand, auf dem der Name stand. Mom nahm ihn und legte ihn auf das Tischset. »Und wie fühlst du dich?« Ich hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Naja, nicht mal schlecht, nur leicht schummrig.« »Als hättest du was gegen Schnupfen geschluckt?« Ich nickte. »Vielleicht haben wir Grippe und besiegen den Jetlag!« »Das hoffe ich sehr, denn wir haben eine echt anstrengende Woche vor uns.« Etwas umständlich kramte Mom einen Block hervor, auf dem sie sich offenbar nicht nur ein paar Notizen zu ihren Telefonaten gemacht hatte. Neugierig reckte ich den Hals. »Ach ja?« Stolz tippte sie auf ihre zu Papier gebrachte Gedächtnisstütze. »Ich habe hier nämlich einen Plan mit den zahlreichen Aktivitäten, an denen wir in der kommenden Woche teilnehmen werden – der wohl letzten freien Woche in Rory Gilmores Leben, bevor sie hinter den efeuberankten, ehrwürdigen Mauern der Universität von Yale verschwindet.« »Lies vor, bitte!« Ich konnte es kaum erwarten. »Okay. Heute verteilen wir die Geschenke an unsere Freunde, dann gehen wir Shoppen.« »Sehr gut.« Begeistert klatschte ich in die Hände. Das fing viel versprechend an. »Morgen fangen wir ganz zeitig an und ziehen uns drei von den richtig miesen neuen Filmen rein.« -14-
»Und wir gehen zum Essen zu Grandma«, erinnerte ich sie. »Das habe ich nicht auf der Liste vermerkt.« Mom verzog das Gesicht. »In der Hoffnung, dass wir wie durch Zauberei davon erlöst werden.« Leider war Moms Verhältnis zu ihren Eltern gelinde gesagt verfahren. Eigentlich gab es immer Streit, wenn sie sich sahen. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken. »Okay, und am Samstag fahren wir nach New York, gehen in ein paar tolle Galerien und Buchläden.« »Ja!« »Pizza bei John. Sonntag besorgen wir dein Zeug für die Uni, danach gibt’s Barbecue bei Sookie. Montag Maniküre und Gesichtspflege, Haare schneiden, zur Wahrsagerin gehen und einkaufen für Dienstag. Das ist der Tag aller Tage. >Der Pate< eins, zwei und drei, mit Extravorführungen von Sofias Todesszene, und zwar so lange, bis keine Kekse mehr im Haus sind.« »Ein perfekter Tag!« Dankbar lächelte ich Mom an. Sie hatte wirklich an alles gedacht. Ich fand es richtig rührend, dass sie mir die verbleibende Zeit so schön wie möglich machen wollte. Nicht nur weil es toll war, sondern weil ich daran merkte, dass sie mich jetzt schon ein bisschen vermisste. »Wir haben so viele leckere Biscotti aus Mailand mitgebracht, dass sie die ganze Woche reichen müssten«, grinste ich. »Sehr gut. Dann ist ja wohl alles in Ordnung. Also, lass uns gehen, schaffen wir das Zeug hier raus.« Ihr Blick glitt über die Berge von Geschenken, die ich im Wohnzimmer malerisch ausgebreitet hatte, und ihre Miene verfinsterte sich. »Wow, das sind ganz schön viele Geschenke. Haben wir so viele Menschen gern?« »Das hätte ich auch nicht gedacht. Vermutlich werden -15-
wir im Alter einfach sanfter.« »Okay, alles klar. Dann brauchen wir ein paar Einkaufstüten.« Irgendwie musste dieser ganze Krempel ja zu all den Lieben gebracht werden, die ihn in Zukunft zu Hause rumstehen haben würden. »Was denn für Einkaufstüten?« Verständnislos starrte ich Mom an. »Wir haben doch irgendwo noch welche.« »Was meinst du?« »Na, hör mal, jede Frau, die irgendwann Produkte von so einer teuren Kosmetikfirma kauft, hat diese Tüten.« »Das gilt aber nicht für uns.« Weil es keine Alternativen gab, taten wir einfach das Naheliegendste, auch wenn es genau das war, was wir eigentlich nicht wollten. Doch wenig später schritten wir durch die Straßen von Stars Hollow, auf dem Rücken unsere prall gefüllten Rücksäcke. Eigentlich hätten diese Dinger für die nächsten Wochen und Monate in die hinterste Ecke irgendeines Schranks verstaut gehört. Aber nun war es eben anders gekommen. Wir hofften nur, dass uns möglichst wenig Menschen sahen. »Jetzt sind wir die kauzigen Weiber mit den Rucksäcken«, brummte Mom missmutig. »Das ist ja noch ein vergleichsweise netter Spitzname für uns.« Wenn sie mich fragte, dann fielen mir da noch ganz andere ein, aber ich hütete mich, sie auszusprechen. Mom war in Gedanken bereits einen Schritt weiter. »Lass uns überlegen, wie wir am effektivsten vorgehen. Gut, wir fangen bei Patty an, arbeiten uns im Uhrzeigersinn durch die Stadt und enden bei Andrew.« Sie dachte einen Moment nach, dann reckte sie das Kinn entschlossen in die Höhe. »Und wir bleiben dabei, dass ich den Papst angefasst habe. Das geht schnell, ist peppig -16-
und jeder liebt neue Papstgeschichten.« Ich hatte nichts dagegen, aber im Moment war ich ohnehin abgelenkt durch das laute Knurren meines Magens. »Können wir vorher noch bei Luke vorbeigehen? Ich habe Hunger.« »Aber klar doch. Das ist unsere Woche, und da machen wir nur das, was wir wollen.« »Ich steh auf so was«, strahlte ich. »Hey, ich wüsste gern, ob Luke und Nicole wirklich auf Kreuzfahrt waren.« Es war typisch für Mom, dass sie von einer Sekunde auf die andere das Thema wechselte. Zum Glück kannte ich das schon und machte einfach mit. In diesem Fall jedoch war ich ehrlich überrascht. »Ich dachte, das wäre klar gewesen.« »Ja, natürlich, aber ich weiß nicht, ob sie tatsächlich gefahren sind.« Ich begriff immer noch nicht. »Warum denn nicht?« »Keine Ahnung. Weil Luke dann hätte packen und losfahren müssen. Und er besitzt bestimmt keine Badehose.« Mom lag mit ihren Bedenken gar nicht so falsch, musste ich zugeben. Aber ich hoffte, dass sie diesmal zu schwarz sah. »Er hat einen Urlaub verdient. Zudem glaube ich auch, dass er Nicole mag.« »Das tut er.« Plötzlich blieb Mom wie angewurzelt stehen. »Oh, hey, sieht aus, als wäre das neue Geschäft eröffnet.« In der Tat: Die Tür stand sperrangelweit offen, und drinnen stritten sich zwei Männer gerade wie die Kesselflicker. Es fehlte nur noch, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Einer von ihnen war Luke, der dort eigentlich gar nichts zu suchen hatte. Wie immer trug er eines seiner geliebten Flanellhemden, das -17-
Baseballkäppi hatte er sich falsch herum auf den Kopf gesetzt und darunter schauten seine dunklen Haare hervor. Lukes Augen funkelten zornig, und er brüllte so laut, dass jedes Wort von ihm problemlos noch draußen auf der Straße zu hören war. Mom und ich wechselten einen kurzen, einvernehmlichen Blick. Die Streithähne waren uns bestens bekannt. Luke und Taylor waren zwar Nachbarn, doch sie lagen sich immer und ewig in den Haaren. Es schien auf dieser Erde nichts zu geben, in dem diese beiden einer Meinung waren. Aber ihre Auseinandersetzungen waren immer äußerst unterhaltsam – zumindest für andere. Den beiden war es mit ihrem Streit bitter ernst. Ich holte die Biscotti heraus, und wir knabberten genüsslich daran, während wir in aller Seelenruhe die Vorstellung beobachteten, die die beiden Streithähne uns gaben. Luke bohrte dem recht korpulenten Taylor, der seinen Bauch in ein bunt gestreiftes Jackett gezwängt hatte und eine altmodische Melone auf dem Kopf trug, den Zeigefinger in die Brust. »Taylor, du bist unmöglich!« »Warum regst du dich so auf, Junge?«, tat dieser vollkommen ahnungslos, was Luke nur noch rasender machte. »Ich bringe dich um, Taylor Doose! Das hätte ich längst tun sollen, schon als du im Park Ziersträucher in Form von Einhörnern gepflanzt hast. Aber man ist erst hinterher schlauer, nicht?« Mühsam rang Luke um Fassung. Er musste sich beherrschen, um seinem Gegenüber nicht an die Gurgel zu gehen. Ich seufzte selig. »Das hat mir echt gefehlt.« Wenn ich es bisher noch nicht bemerkt hätte, spätestens jetzt wäre -18-
es mir klar geworden – ich war wieder zu Hause. Mom nickte nicht minder hingerissen und nahm sich noch einen Biscotti. Keinesfalls wollte sie auch nur eine Sekunde dieses Disputs verpassen. Er war ein ebenso großer Genuss wie die Biscotti, die einfach bei jeder Gelegenheit schmeckten. Und die beiden Männer dort drinnen, die uns bisher nicht bemerkt hatten, legten gerade erst richtig los. Taylor war beleidigt. »Reg dich ab! Luke, du musst doch nicht so schreien.« Diese Bemerkung brachte Luke vollends auf die Palme. Er packte Taylor am Kragen und schüttelte ihn. »Du hast ein riesiges Fenster in meine Wand gebrochen!« »Na und?« »Du kannst in mein Restaurant sehen! Und wenn ich in meinem Restaurant bin, schaue ich in deinen bescheuerten Laden!« Luke schnappte erschöpft nach Luft. »Sieh dich doch hier um, Taylor! Sieh dich an. Du siehst aus wie eine Schießbudenfigur. Fehlen nur noch sechs tanzende Pinguine und Mary Poppins, die durch die Luft schwebt, und ich durchleide wieder die schlimmsten Stunden meiner Kindheit!« Ernst schüttelte Taylor den Kopf. »Ich glaube, du warst nie ein Kind. Du bist doch schon als sauertöpfischer Miesmacher auf die Welt gekommen.« »Ohne meine Erlaubnis darfst du hier keine baulichen Veränderungen vornehmen!« Als Luke bemerkte, dass Taylor auf seine Hand starrte, hielt er irritiert inne. »Was?« Taylor schluckte. »Deine Hand ist zu nah an dem Mäusespeck.« »Und?«, brüllte Luke. »Vielleicht könntest du sie wegnehmen, dann steckst du -19-
sie nicht versehentlich in die Süßigkeiten.« Nun reichte es Luke. Mit beiden Händen gleichzeitig griff er in die randvoll mit Bonbons und anderen Süßigkeiten gefüllten Fässer neben sich und schleuderte die gezuckerte Ware durch die Luft. »Was machst du da?« Taylor war ganz blass um die Nase geworden. »Hör auf damit, aber sofort! Nimm deine Schmutzgriffel aus meinen Leckereien!« Doch Luke dachte gar nicht daran. »Sieh nur, deine Bonbons können fliegen!« Plötzlich zuckte Mom zusammen, schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Oh, mein Gott!« »Hm, was?« Da ich mich gerade köstlich amüsierte, ließ ich mich nur ungern stören. »Was ist passiert?« »Luke!«, zischte sie mir zu. »Ja, klar. Jetzt tickt er völlig aus!« Ich biss in meinen Biscotti und grinste. Mom verdrehte die Augen. »Nein, wir haben ihn vergessen.« »Was soll das heißen?« Erst verstand ich nicht, was sie meinte, doch dann fiel es mit siedend heiß ein – und ich verschluckte mich beinahe. »Stimmt, wir haben vergessen, ein Mitbringsel für ihn zu kaufen. Oh, nein!« »Wir haben das immer wieder aufgeschoben.« Ich erinnerte mich nur zu gut. Wir hatten nichts finden können, das gut genug für ihn gewesen wäre – und irgendwann hatten wir nicht mehr dran gedacht. »Wir hätten ihm doch das Stierkämpferkostüm kaufen sollen«, sagte Mom kopfschüttelnd. Kein Geschenk für Luke zu haben war vollkommen unmöglich. Luke und sie verbanden so viele Dinge, die sie gemeinsam durchgestanden hatten. Er war immer zur Stelle gewesen, wenn sie einmal männliche Hilfe gebraucht hatte. Er -20-
hatte die männliche Hauptrolle in so vielen Geschichten gespielt, die ihr Leben geschrieben hatte. »Und was machen wir jetzt?« Ratlos sah ich sie an. In brenzligen Situationen hatte Mom noch immer einen Ausweg gefunden. Das war eine der Eigenschaften, für die ich sie bewunderte – auch wenn ihre Ideen manchmal ganz schön abgedreht waren. So war es auch diesmal. »Wir müssen ihm einfach hier was besorgen, und dann, na ja, dann sagen wir ihm, wir hätten das Geschenk aus Dänemark mitgebracht.« »Was soll das sein?« »Ist mir egal.« Nervös fuhr sich Mom durch die Haare. Sie wusste selbst, dass das nicht einfach werden würde. Und damit lag sie absolut richtig. »Wir sind hier in Stars Hollow«, stieß ich hervor und deutete viel sagend um mich. »Auf allem, was du hier kaufen kannst, ist ein Hello-Kitty-Stempel drauf.« »Egal, wir können nicht mit leeren Händen bei Luke erscheinen.« Sie packte mich am Ärmel und zog mich hinter sich her. Ich ließ es mir gefallen, obwohl ich noch immer riesigen Hunger hatte. Dank des handfesten Streits, den Luke gerade mit Taylor ausfocht, hatte er uns zum Glück noch nicht bemerkt. Und eigentlich hätte ich mir denken können, wohin es Mom in unserem selbst verschuldeten Schlamassel trieb – natürlich zu Sookie, eine der besten Freundinnen meiner Mutter. Die beiden träumten davon, irgendwann zusammen ein eigenes Hotel zu eröffnen. Und für sie hatten wir glücklicherweise ein Geschenk mitgebracht. Sookie hatte gerade auf der Veranda vor dem Haus gesessen und sich ein wenig ausgeruht. Doch als sie Mom und mich um die Ecke biegen sah, sprang sie auf -21-
und kam mit ausgestreckten Armen auf uns zugestürzt. Das war gar nicht so einfach, denn Sookie war schwanger – und das in einem Stadium, in dem dies bereits mehr als offensichtlich war. Sookie war nicht besonders groß – und mit ihrem dicken Bauch sah sie aus wie eine kleine Kugel. Eine sehr temperamentvolle zugegebenermaßen. »Ah, da seid ihr ja wieder!« Sie strahlte über ihr ganzes rundes Gesicht und umarmte uns ungestüm. Dabei drückte sie abwechselnd Mom und mich so fest an sich, als wollte sie uns niemals wieder loslassen. Von diesem Tumult war inzwischen auch Jackson aufmerksam geworden, der Vater des Babys, das Sookie unter ihrem Herzen trug. Er stürzte aus dem Haus und drängte sich mit gespielter Empörung zwischen Sookie und uns. »Hey, zerquetscht das Baby nicht!« Herzlich klopfte er mir auf die Schulter und gab Mom einen Kuss auf die Wange. Sookie hatte Tränen in den Augen. »Ich hab euch ja so vermisst. Und, wie war’s? Hat es euch gefallen?« Es „war sinnlos, auch nur eine ihrer Fragen beantworten zu wollen, denn schon überschüttete sie uns mit weiteren Fragen. »Ich will jetzt wissen, „was ihr erlebt und was ihr gemessen habt. Wie war Barcelona? Habt ihr Gaudis Kunstwerke gesehen? Wart ihr beim Stierkampf? Und was ist mit dem Anne-Frank-Haus? Habt ihr geweint? Und hey, man erzählt sich, du hättest den Papst berührt! Habt ihr Hunger? Wollt ihr was essen? Ich habe eine Quiche da.« Jackson fasste Sookies Schultern und schob sie mit sanfter Gewalt ins Haus, was sie jedoch nicht daran hinderte weiterzureden. Mom und ich folgten den beiden ins Haus. Wir waren -22-
froh, unsere lästigen Rucksäcke zumindest für ein Weilchen ablegen zu können und schoben sie achtlos in die Ecke. Außerdem gab es da etwas anderes, das Mom im Moment viel mehr interessierte. Sie hatte bereits diesen leicht verklärten Ausdruck im Gesicht, den ich bei ihr schon einige Male beobachtet hatte, ohne recht verstehen zu können, woher dieses Entzücken kam. Ich jedenfalls wollte damit fürs Erste nichts zu tun haben. »Ganz ruhig, Sekunde, meine Süße.« Mom trat vor Sookie und drehte sie zur Seite. »Ich will dich ansehen, im Profil, bitte.« »Okay.« Sanft strich Mom über den sich wölbenden Bauch. Der neue Erdenbürger, der darin heranwuchs, sollte schon jetzt so begrüßt werden, als wäre er bereits da. »Hallo!«, flötete sie und ihre Augen leuchteten. »Hi, ich bin deine Tante Lorelai.« Mom drehte sich zu mir um, und ich ahnte, was nun auf mich zukam. »Und das ist Tante Rory. Los, Rory, sag hallo.« Fast hätte ich vor Schreck einen Schritt zurück gemacht. Das mit der Tante konnte ja wohl nur ein übler Scherz gewesen sein. »Hi«, stieß ich zähneknirschend hervor und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich fand es reichlich übertrieben, mit einem Ungeborenen zu reden, aber wenn es um Babys ging, schien bei Mom der Verstand ein wenig umnebelt zu sein. Und hartnäckig war sie leider auch noch. »Komm her, los.« Energisch zog sie an meinem Arm. »Ach nein, das brauche ich nicht.« Ich befreite mich von ihrem Griff und warf ihr einen bösen Blick zu. Für so etwas fühlte ich mich noch viel zu jung – und das wusste Mom ganz genau. Der Gedanke an ein Baby löste bei mir eher Panik aus. Ich wollte mein Leben erst einmal -23-
richtig leben, bevor ich vielleicht daran dachte, mir Nachwuchs zuzulegen. Aber das konnte noch sehr lange dauern. Denn die ständige Schreierei der Kleinen raubte mir den letzten Nerv. Bei einer solchen Geräuschbelästigung war an Lernen oder Lesen – all das, was ich am allerliebsten machte, nicht mehr zu denken. Eine unerträgliche Vorstellung! Noch war ich allerdings aus der Nummer nicht raus. »Los Rory, streichle mal meinen Bauch«, kam Sookie Mom zur Hilfe. »Lieber nicht, nein.« Ich drückte mich an den beiden vorbei und ließ mich aufs Sofa fallen. »Rory ist feige.« Mom gab es auf. »Genau wie Jackson.« Sookie schüttelte traurig den Kopf. Ihr Mann entpuppte sich in Sachen Vaterglück als etwas sperrig. Jackson, der gerade etwas zu trinken für uns brachte, blieb abrupt stehen. »Hey, ich werde es schon lieb haben, wenn es da ist.« Er knallte das Tablett mit der Kanne Wasser und den Gläsern auf den Tisch, sodass sie aneinander schlugen. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu merken, dass beim Thema Nachwuchs die Nerven der beiden blank lagen. Bestimmt war das normal, so kurz vor dem großen Tag. »Und was hat der Ultraschall ergeben? Mädchen oder Junge?«, versuchte Mom es noch einmal. »Also, die…« Sookie wurde von Jackson unterbrochen, der merkwürdige Laute von sich gab, auf die sich weder Mom noch ich einen Reim machen konnten. War er verrückt geworden? »Bap, bap, bap«, stieß er aus. Jackson schien gar nicht -24-
mehr damit aufhören zu können. Normalerweise war er ein eher stiller Typ. Doch wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war er davon nicht so leicht wieder abzubringen. Und in Sachen Baby verstand Jackson keinen Spaß. Da hatte er ganz konkrete Vorstellungen, was richtig und was falsch war. Moms Augen wurden groß. »Es wird ein >Bap Was ist das?« Schwungvoll zog Jackson das Flanellhemd zur Seite, das locker über seiner Latzhose hing. »Lies!« Er tippte auf den grellgelben Ansteckbutton, der dort prangte. >Ich will nicht wissen, welches Geschlecht mein Baby hat<, war darauf zu lesen. »So ist es. Ich bin in dieser Hinsicht altmodisch.« Sookie seufzte resigniert. »Und er ist vor allem dickköpfig.« Etwas schwerfällig ließ sie sich in einem Sessel nieder. Mom und Jackson setzten sich zu mir aufs Sofa. Nun war ich doch neugierig geworden. »Aber du weißt es, Sookie?«, erkundigte ich mich. »Natürlich. Ich habe schon lauter kleine Strampler in der…« »Bap, bap, bap«, fuhr Jackson wieder dazwischen. Sookie war beleidigt. »Was denn? Ich habe doch gar nichts über das Geschlecht gesagt.« »Du hast >klein< gesagt. Jetzt weiß ich, dass unser Baby klein ist.« Mom schien ehrlich betroffen. »Jackson, mal im Ernst, du willst es wirklich nicht wissen?« »Hör zu, früher sind die werdenden Väter rastlos durch das Wartezimmer getigert, bis eine hübsche Schwester in einer schicken weißen Tracht aus dem Kreißsaal trat und sagte: -25-
>Herzlichen Glückwunsch, es ist ein – was auch immer. Ricky Ricardo hat’s nicht gewusst, und Dick van Dyke auch nicht. Und bei Gott, was für Ricky und Dick okay ist, das ist auch gut genug für mich.« »Aber ich würde es gerne wissen!« Mom konnte es einfach nicht lassen. Hilfe suchend wandte sich Jackson an mich. »Rory, was sagst du? Schlag dich auf meine Seite.« Er gab mir einen aufmunternden Schubs in die Seite. Mein Mund klappte auf, doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, führ Sookie dazwischen. Mir war das ganz recht, denn ich hatte ohnehin nicht gewusst, was ich sagen sollte. »Jackson, hier gibt es keine gegnerischen Seiten.« Sookie schüttelte resigniert den Kopf. Doch ihr Liebster überhörte dies einfach. »Stell dir vor, Rory, wir könnten beide im Wartezimmer sitzen, rumtigern, nervös sein. Ich kauf dir was Schickes zum Anziehen«, schlug er vor und grinste mich verschmitzt an. »Was sagst du?« Bei solch verführerischen Angeboten konnte ich nicht widerstehen. Er hatte gewonnen. »Okay. Gut, ich bin auf Jacksons Seite«, willigte ich ein. Sookie sah ein, dass es keinen Sinn hatte, weiterzukämpfen. Sie erhob sich langsam, aber für ihre Umstände erstaunlich behände, und zog Mom von ihrem Platz hoch. »Komm mit. Ich erzähle es dir draußen.« Hand in Hand gingen die beiden hinaus in den Garten zum Schuppen. Zeit für ein kurzes Frauengespräch, während Jackson und ich schweigend und ein wenig verlegen zurückblieben. »Und Jackson will wirklich nicht bei der Geburt dabei sein?«, fragte Mom noch einmal mitfühlend nach. -26-
»Nein«, erwiderte Sookie lachend. »Nervt dich das nicht?« »Hey, ich will ja auch nicht, dass er dabei ist, wenn ich mir die Beine rasiere.« Vor der Tür zum Schuppen blieb Sookie stehen. »Ich mache jetzt auf. Bist du bereit?« »Wofür?« Mom verstand nicht. Dann jedoch riss sie die Augen auf. Dort drinnen stapelten sich lauter süße Babysachen – alle in Blau. Mit einem leisen Aufschrei umarmte sie Sookie. »Oh, es wird ein Junge!« »Genau.« Die werdende Mutter strahlte über das ganze Gesicht. »Jackson kriegt einen Sohn, der ihm helfen kann, die Bäume zu beschneiden.« »Meine Güte, das ist echt aufregend. Ich fasse es nicht! Ein kleiner Junge für euch!« Mom nahm einen kleinen Strampelanzug in die Hände und drückte ihn gegen die Wange. »Von kleinen Jungen verstehe ich überhaupt nichts.« »Mir geht’s genauso.« »Aber du bist vorbereitet, wie ich sehe«, winkte Mom ab. »Ja, das stimmt.« Aufseufzend ließ sich Mom auf einem blau gestrichenen und reichlich mit Kissen ausgestattetem Schaukelstuhl nieder. »Schön, wieder hier zu sein.« Auch wenn man noch so viele fremde Länder bereiste, da wo die eigenen Freunde waren, fühlte man sich doch am wohlsten. Und hier in diesem himmelblauen Babyparadies konnte sie es ohnehin noch ein Weilchen aushalten. Sookie machte es sich auf einem Hocker bequem. »Schön, euch wieder hier zu haben.« Moms Blick ging gedankenverloren in die Ferne. »Hast du Luke in letzter Zeit gesehen?« Er hatte ihr gefehlt. -27-
Schließlich sahen sie sich sonst jeden Tag und wussten immer ganz selbstverständlich, wie es dem anderen ging. Die Gespräche taten gut, denn jeder von ihnen hielt sich an die Regeln – nicht zu viel nachfragen, aber immer ein offenes Ohr haben. Sookie zuckte die Achseln. »Bloß ganz kurz einmal.« »Er war doch auf der Kreuzfahrt, oder?« »Ja.« »Sehr gut, dass er das gemacht hat. Er hatte den Urlaub dringend nötig. Immer kocht er, macht Kaffee, serviert das Essen.« Es war schon ewig her, dass Luke sein Restaurant einmal geschlossen oder auch nur ein wenig später als üblich geöffnet hatte. Seine Arbeit dort war mehr als nur ein Broterwerb – sie war sein Leben. Lukes Dad hatte dort früher eine Eisenwarenhandlung geführt. Als sein Vater starb, entschloss sich Luke, ein Lokal daraus zu machen, entfernte aber nie das alte Schild auf dem Williams Hardware stand. Mom fand das unendlich süß. Jetzt lächelte sie, ohne es zu merken. »Hör zu, ich glaube, irgendetwas ist auf der Kreuzfahrt passiert…« begann Sookie zögerlich. »Was meinst du?« »Na ja, als er wieder da war, sind wir zu ihm ins Diner gegangen. Ich habe gefragt, wie der Urlaub war. Da hatte er ganz plötzlich was anderes zu tun.« »Ehrlich?« Nachdenklich legte Mom die Stirn in Falten. »Trug Jackson da schon diesen blöden Button?« »Nein.« Abwehrend hob Sookie die Hände. »Luke war einfach wegen irgendetwas ziemlich nervös.« »Wieso?« »Keine Ahnung.« »Denkst du, er und Nicole hatten Zoff oder so was?« Sookie strich sich über den Bauch. »Ich weiß es nicht.« »Hat er denn gar nichts gesagt?«, bohrte Mom weiter. -28-
»Nein, aber er hat sich noch seltsamer aufgeführt als sonst.« »Ich wüsste gerne den Grund dafür.« Mom sann einen Moment nach, dann gab sie sich einen Ruck und wechselte das Thema. »Und, nennst du den Kleinen nach mir – Lorelai?« Sookie lachte laut auf. »Aber klar doch. Das ist überhaupt nicht verwirrend, oder?« »Klasse!« Zufrieden schaukelte Mom mit ihrem Stuhl hin und her. Wenig später trugen Mom und ich wieder unsere leidigen Rucksäcke auf den Schultern und waren auf dem Weg zu Lukes Restaurant. Schließlich stand dort noch die Übergabe des Geschenks an. Allerdings würde ich diesem Ereignis nicht beiwohnen. Das hatte ich spontan beschlossen, nachdem ich das Präsent für Luke in Augenschein genommen hatte. »Ich fasse es einfach nicht«, schimpfte ich wie ein Rohrspatz. Von Mom war ich ja einiges gewohnt, ihre verrückten Ideen waren bekannt und berüchtigt – aber diesmal übertraf sie sich wirklich selbst. »Was?« Sie tat entsetzt. »Das passt wunderbar zu Luke. Feinste Konfitüre aus Frankreich.« Mom wedelte mit dem Glas in der Luft umher. »Feinste Konfitüre aus Jacksons Vorratskammer«, widersprach ich energisch. »Ich weiß echt nicht, was du meinst. Ich sehe nur dieses wunderschöne, handgeschriebene Etikett und da steht >Fruits de la Terre<.« »Du hast nicht mal überprüft, ob das richtig geschrieben ist«, brummte ich. »Ach, weißt du, so kriegt es einen authentischen Touch«, meinte sie leichthin. »Hör zu, in meiner -29-
Vorstellung ist die Frau, von der diese Konfitüre stammt, ein Waisenkind, das nie in der Schule war, Sochelle.« »Ach, sie heißt wie der Krebs?« »Ja, ganz genau. Sochelle kam am Meeresstrand zur Welt. So stand es in dem Brief, der in ihrem Körbchen lag, als die Nonnen sie auf der Treppe von Notre Dame fanden.« Ich verdrehte die Augen. »Toll, es gibt auch Nonnen.« »Die gibt es in jeder traurigen Erzählung. Jedenfalls hatte Sochelle gar nichts. Keinen Vater, keine Mutter, keine Freunde, keine Erziehung.« Diese unglaubwürdige Geschichte schien Mom immer besser zu gefallen, je mehr absurde Details ihr dazu einfielen. »Sochelle hatte nur das glühende Verlangen, gute Konfitüre zu machen. Heute ist sie die erfolgreichste Confituriere in Paris.« Ich musste mir auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. »Luke durchschaut das.« »Nein, das wird er nicht.« Ich blieb stehen. »Hör zu, ich würde gerne sehen, wie du Luke dein tolles Souvenir überreichst, aber ich bringe Lane jetzt lieber unser Geschenk.« Meine beste Freundin sollte nicht länger warten müssen. »Na gut. Aber wenn du nicht da bist, kriege nur ich dafür den Dank.« Trotzig umklammerte sie das Töpfchen mit der Marmelade. »Genauso wünsche ich es mir.« Unsere Wege trennten sich hier, denn wir standen nun schon fast vor Lukes Restaurant. Mom überquerte die Straße, und ich ging weiter. Doch nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal nach mir um. »Gib Lane einen Kuss von mir.« Ich blieb stehen. »Ja, mache ich. Und gib du ihm die Konfitüre nicht!« -30-
»Ich höre dich nicht, bin zu weit weg«, lachte sie und ging schnurstracks in das Restaurant. Mom brauchte nicht lange nach Luke zu suchen. Er stand hinter dem Tresen. Mit seinem Dreitagebart sah er sehr männlich aus. Sie setzte sich auf einen der Barhocker, während sie mit einigen umständlichen Verrenkungen versuchte, das Marmeladenglas hinter ihrem Rücken zu verstecken. »Bonjour, Luke.« Kommentarlos schob Luke ihr einen riesigen Becher Kaffee rüber – eine absolute Köstlichkeit. Weder Mom noch ich kannten einen besseren, und das wollte schon etwas heißen, da wir beide absolute Kaffeejunkies waren. Mom schloss die Augen und hielt ihre Nase über den Becher. »Du hast es nicht vergessen.« Dankbar sog sie den köstlichen Duft der schwarzen Flüssigkeit ein. Dieses Aroma war wirklich unverwechselbar. »Nein, ein paar Dinge bleiben durchaus hängen.« Luke grinste schief. »Und, war es schön?« Er stützte sich mit beiden Armen auf den Tresen und sah sie erwartungsvoll an. Mom nippte genüsslich an ihrem Getränk. »Die Reise war traumhaft. Wir haben uns toll amüsiert. Ursprünglich wollten wir ja schon Samstag zurückkommen.« »Ich weiß.« »Spionierst du mir nach?« Mom war irritiert. Übertriebene Neugierde gehörte eigentlich so gar nicht zu Lukes Wesenszügen. Doch Luke winkte ab. »Ich find’s gut zu wissen, aus welcher Richtung der Tornado kommen wird.« Mom beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und die Bemerkung einfach zu überhören. »Wie auch immer, wir haben in London ein paar Mädchen getroffen, die nach -31-
Irland wollten, um dort das >Clarence Hotel< einzukesseln.« »Wieso?« »Weil es U2 gehört und Bono da öfter mal rumhängt. Also haben wir die nächste Fähre geentert und sind nach Irland gefahren. Ein unglaublich schönes Land. Wir haben zwei Tage bei Käse und Crackern in der Bar gehockt, doch er ist die ganze Zeit leider nicht aufgekreuzt.« »Que sera.« Luke griff nach einem Tuch und begann einige Gläser zu polieren. Er konnte einfach nicht lange untätig bleiben. Mom setzte ihr liebreizendstes Lächeln auf und strahlte ihn an. »Ich habe da drüben überall von dir erzählt, von Luke, dem tollen Hecht.« Luke nickte müde. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich als Presseagentin zu haben.« Spöttisch verzog er den Mund. Mom holte tief Luft. »Und wir haben dir auch was mitgebracht.« »Ach ja?« »Ja, ganz recht.« »Das wäre aber nicht nötig gewesen.« Verlegen senkte er den Blick und wurde sogar ein bisschen rot. »Was? Jetzt rede nicht solchen Blödsinn!«, rief Mom mit gespielter Empörung. »Wir fahren doch nicht nach Europa und kommen wieder, ohne dir was mitzubringen.« Sie knallte das Glas auf die Theke. »Für dich, hier.« Luke nahm es und starrte es fassungslos an. »Konfitüre?« »Der feinsten französischen Art.« Luke war sichtlich irritiert. »>Fruits de la Terre<. -32-
Wirklich sehr beeindruckend.« »Die wird von einer Frau mit einer unglaublichen Lebensgeschichte in Paris gemacht.« »Ehrlich?« »Ja. Eine Waise. Sie ging nie zur Schule.« »Alles klar.« Er glaubte ihr kein einziges Wort und machte keinen Hehl daraus. »Sie hatte gar nichts in ihrem Leben, außer einem Wunsch – berühmt zu werden als die weitbeste Confituriere. Jetzt ist sie berühmt, und sie macht pro Jahr nur drei Gläser von dem Zeug. Und eins davon habe ich für dich mitgebracht, den ganzen weiten Weg.« Es war sinnlos, Mom sah es ein. »Okay, ich hab’ sie von Sookie gekriegt! Woher weißt du es?« »Ich habe nur geraten.« Er stellte das Glas auf die Theke zurück. Nun quälte Mom doch ein schlechtes Gewissen. Sie wollte nicht, dass Luke das Gefühl hatte, dass wir in Europa nicht an ihn gedacht hatten – und ganz so war es ja auch nicht. Sie griff nach seinen Händen und drückte sie. »Echt, wir wollten dir wirklich was kaufen, aber nichts war gut genug für dich.« »Vergiss es. Ich habe ja auch nichts für euch mitgebracht. Wir sind quitt.« Sofort war Mom Feuer und Flamme. »Ach ja, und wie war die Kreuzfahrt?« Die Frage hatte ihr schon auf den Nägeln gebrannt, aber sie hatte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollen. Sie wusste, dass so etwas bei Luke nicht gut ankam. »Die war… Du weißt schon.« Abrupt drehte sich Luke um, ging zu einem frei gewordenen Tisch und räumte ab. Doch so einfach ließ sich Mom nicht abschütteln, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und sie wollte -33-
dieser Sache auf den Grund gehen, unbedingt. Sie drehte sich zu Luke um, immerhin war er noch in Hörweite. »Nein, woher? Ich war nie auf ’ner Kreuzfahrt. Also?« »Es war nett.« Nervös stellte Luke die Sachen zusammen und kam zur Theke zurück. »Das heißt also, du und Nicole, ihr habt euch amüsiert, ja?«, bohrte Mom weiter. »Ja, ja. Noch mehr Kaffee?« »Gerne. Was habt ihr so angestellt?« »Wo?«, fragte er zerstreut und nestelte an seinem Käppi herum. »Na, an Bord. Was habt ihr da so alles gemacht?« »Tja, weißt du, also wir… wir sind durch die Gegend geschippert, haben gegessen. Es gab einen Zauberer und eine Sängerin und Pfefferminz auf den Kissen und… das war’s auch schon.« »Aber, du und Nicole, ihr habt euch vertragen und…« »Ja. Ich seh mal nach, wie weit dein Essen ist.« »Okay.« Mom schluckte. Diesmal hatte er sie ausgetrickst. »Ich wollte doch gar nichts essen, Luke«, rief sie hinter ihm her, aber er hörte sie nicht mehr.
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Schlagartig änderte ich meine Absicht, Lane ihr hr
»Ein Cognac wäre jetzt nicht schlecht«, stotterte ich. »Ich bin in Yale, und wir werden zusammen wohnen. Lass dich mal drücken.« Ehe ich irgendetwas tun konnte, umarmte Paris mich. »Das ist ja wirklich eine unglaubliche Überraschung«, stieß ich hervor. »Ich wollte anrufen, doch dann dachte ich, was soll’s. Ich werde sie einfach mit der Nase draufstoßen.« Plötzlich erinnerte sie sich an etwas. Sie drehte sich zu dem jungen Mann um, der gerade ihre Sachen hereintrug. Er war gut gebaut und ziemlich attraktiv. »Oh, das ist übrigens Terence.« Er begrüßte mich mit einem herzlichen Händedruck. »Rory. Schön, dass wir uns endlich mal kennen lernen.« Ich verstand nicht ganz. Was meinte er mit >endlich Schließlich waren wir uns gerade zum allerersten Mal begegnet. »Terence ist mein Lebenstrainer«, erklärte Paris stolz. »Dein was?« Bedeutungsvoll senkte Paris die Stimme. »Weißt du noch, meine Nanny? Ich habe sie in den Sommerferien verloren.« Ich schluckte. »Tut mir Leid. Was ist passiert?« »Sie betreibt jetzt ein portugiesisches Cafe in Bois.« »Also geht es ihr gut.« »Ja«, gab Paris zu. »Aber ich war ziemlich durch den Wind. Da hat mein Rabbi meinen Therapeuten angerufen. Der sagte, sein Hypnotiseur sei der Ansicht, ein Lebenstrainer könnte mir helfen. So kam ich zu Terence. Er unterstützt mich, wo immer es nötig ist, sei es bei meiner Garderobe, einer Diät oder bei der Suche nach einem tollen Gynäkologen.« »Das ist schön, Paris, wirklich.« Ich musste erkennen, -107-
sie hatte sich kein bisschen verändert. Tanna war vorsichtig näher an Paris herangetreten und musterte sie mit einigem Befremden. Paris tat, als bemerke sie dies nicht. »Er hilft mir sehr, was den Umgang mit Menschen angeht. Ich werde jetzt auch besser mit meinen Ärgernissen fertig, verstehst du?« Ruckartig drehte sie sich zu Tanna um und funkelte das Mädchen böse an. »Die alte Paris wäre furchtbar genervt, weil du hier so nutzlos rumhängst«, zischte sie. »Ich hätte mir gewünscht, dir die Luft abzudrücken, bis dir die Augen herausquellen.« Tanna schrak zusammen und machte einen Schritt von Paris weg. Deren Stimme wurde wieder sanft. »Aber jetzt akzeptiere ich es, weil ich solche Dinge im Griff habe.« Sie hielt Tanna die Hand hin. »Hallo, ich bin Paris Geller.« Die Kleine nahm die Hand und drückte sie, brachte aber keinen Ton heraus. »Das ist Tanna«, stellte ich sie deshalb vor. Tannas Stimme zitterte, als sie allen Mut zusammennahm, um doch etwas zu sagen. »Der Name eines Menschen sagte im Mittelalter etwas über seine Herkunft oder seinen Beruf aus. Er hatte sowohl beschreibende als auch nützliche Funktion.« Paris betrachtete sie kühl. »Und, was heißt >Tanna< demnach?« »Gar nichts«, flüsterte die Kleine so leise, dass man sie kaum verstehen konnte. »Wir werden sicher sehr viel Freude haben.« Paris lachte. Interessiert sah sich in dem Wohnraum um und entdeckte die Tür zu ihrem Zimmer. »Ist das meins?« Ich nickte. »Wenn deine Initialen P.G. sind ja.« -108-
Vor Freude klatschte Paris in die Hände. »Terence, ich habe mein Paradies gefunden.« Von mir konnte ich das jetzt leider nicht mehr sagen. »Wirklich ein komischer Zufall, dass wir uns hier ein Zimmer teilen, was?« Die Wahrscheinlichkeit war so verschwindend gering gewesen. Wieso nur hatte ich ein solches Pech? »Nein, gar nicht«, befremdet zog Paris eine Augenbraue in die Höhe. »Ich habe Terence alles über uns erzählt, und er war der Ansicht, dass unsere Geschichte noch lange nicht beendet ist. Da hat mein Dad hier angerufen.« So einfach konnte das Leben also sein, wenn man Paris Geller hieß. Ich warf Terence einen vernichtenden Blick zu. Zum Dank dafür, dass er mir das angetan hatte! Mit quietschenden Reifen hielt Lukes Pick-up vor dem Eingang zum Unigelände. Luke saß hinter dem Steuer, Mom auf dem Beifahrersitz. Mom stieg aus. »Es war echt nett von dir, dass du mich hierher begleitet hast. Das ist viel mehr, als ich erwarten konnte.« Abwehrend hob Luke die Hände und folgte ihr. »Nein, fang nicht schon wieder an.« »Das mache ich nicht, ganz ehrlich.« »Gut.« Zielstrebig ging er zur Rückseite seines Autos. »Die Matratze hättest du allerdings nehmen können«, hakte Mom noch einmal nach. »Das wollten wir doch sein lassen«, erwiderte Luke warnend. »Was denn? Du hast mich freiwillig begleitet.« »Ich wollte nur sichergehen, dass ich meinen Wagen ohne die Matratze wiederkriege, und das war die einzige Möglichkeit.« Mom tat, als sei sie eingeschnappt. Es machte Spaß, -109-
Luke zu ärgern, denn das war so einfach. »Schade, dass unsere Freundschaft vorbei ist«, stichelte sie. »Wir standen uns mal richtig nahe. Die Sommer unten am See…« »Lass uns endlich ausladen, okay?« Luke wollte diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen, aber Mom und er wurden aufgehalten. Denn plötzlich stand Tess neben ihnen. »Guten Tag.« Sie warf Luke, der bereits an der Matratze herumhantierte, einen strengen Blick zu. »Ist das Ihre Matratze?« »Hallo. Also, ja.« Tess Augen wurden schmal. »So, so. Und wieso steht dann Yale drauf?« »Ich hab’s gesagt, aber es ist gar nicht meine«, gab Luke zu. Wozu etwas leugnen, das offensichtlich war? »Die Matratze gehört ins Wohnheim.« Er hüstelte verlegen. »Wir haben sie nur ein bisschen durch New Haven gefahren.« »Aha.« Tess wirkte ganz und gar nicht überzeugt. »Zum Auslüften«, setzte Luke deshalb eilig hinzu. »Wir tragen sie gleich wieder hinein.« Tess war besänftigt. »Oh, na schön.« Ohne ein weiteres Wort ging sie weiter. Luke atmete auf. Das war ganz schön knapp gewesen. Fast hätte es Ärger gegeben. »Danke für die Hilfe.« Wütend funkelte er Mom an, die nur durch Schweigen geglänzt hatte. »Ohne mich hast du’s auch geschafft.« Sie packte eine der Kisten, die sich auf der Ladefläche stapelten, und ging los. »Hey, was machen wir jetzt mit der Matratze?«, rief Luke hinter ihr her, aber Mom tat, als hörte sie ihn nicht mehr – genauso wenig wie den Fluch, den er gleich -110-
darauf ausstieß. Ich erwartete Mom bereits vor der Tür zu meiner Wohneinheit, denn ich hatte sie kommen sehen. »Was gibt es?« Mom war überrascht. »Das solltest du dir selbst ansehen.« Mit einem Ruck stieß ich die Tür zu meiner Bleibe auf und eröffnete den Blick auf Paris und ihren >Lebenstrainer<. Mom riss die Augen auf. »Nein!« »Doch. Paris und Terence.« Die beiden richteten gerade eine Bastelecke ein, in der Paris ihrer Kreativität freien Lauf lassen wollte. Paris blickte von ihrer Arbeit auf und stieß einen spitzen Schrei aus. Mit ausgebreiteten Armen stürzte sie auf Mom zu und fiel ihr um den Hals. »Lorelai!« »Hi, Paris. Schön, dich wiederzusehen.« »Gleichfalls.« Paris löste sich von ihr. Sie winkte Terence herbei, damit er zu ihr kam. »Darf ich vorstellen? Lorelai, das ist Terence.« »Hi, Terence.« Mom war nicht sehr angetan von dem jungen Mann. »Ich wollte gerade meine Bastelecke einrichten, mit Mosaiksteinchen und bunten Perlen«, sprudelte es aus Paris heraus. »Eigentlich ist das Kinderkram, doch Terence hat mir gezeigt, wie beruhigend Handarbeit für meine Nerven ist.« Niemand von uns bemerkte, dass Tanna hereinkam. Sie wollte nicht stören, doch es gab da eine Frage, die ihr auf dem Herzen lag. »Entschuldigung, wo sollen wir das Sofa denn hinstellen?« »Verzieh dich gefälligst«, fuhr Paris sie an. Diesmal rief ihr >Lebenstrainer< sie zur Ordnung. »Paris! Du gehst zwei Schritte vorwärts und drei wieder zurück.« -111-
»Aber sie hat mir einen Köder hingeworfen.« Paris bebte vor Zorn. »Auch Fische können entscheiden, nicht anzubeißen«, erklärte er ihr mit sanfter Stimme. Paris atmete tief durch. Sie hasste es, zurechtgewiesen zu werden – noch dazu vor anderen. »Wir werden das klären.« Abrupt drehte sie sich um und ging in ihre Bastelecke zurück. Mom und ich wechselten einen viel sagenden Blick. Wer von den beiden war eigentlich der Verrücktere? Wir kamen nicht dazu, dieses Thema zu vertiefen, denn Luke betrat das Zimmer. Er schniefte und schwitzte, während er die alte Matratze hinter sich herzog. »Sekunde, Augenblick mal. Das Ding kann hier nicht wieder rein.« Mom stellte sich ihm in den Weg. »Aber ich bringe sie auch nicht wieder raus.« Er winkte mir zu. »Hi, Rory.« »Hi, Luke.« Er zog die Matratze noch etwas weiter ins Zimmer hinein, damit das gute Stück nicht den ganzen Flur versperrte. »Hör’ zu, diese Tess ist noch mal zurückgekommen. Sie hat mich beobachtet, also musste ich irgendwas machen.« »Warte, bis sie weg ist, und dann bring die Matratze raus«, schlug Mom vor. »Das Ding ist ganz schön schwer.« Entschieden schüttelte Luke den Kopf. »Die bewege ich keinen Meter mehr! Das schwöre ich. Ich habe das nur geschafft, weil mir ein gewisser Chip – lacht nicht, der heißt wirklich so – geholfen hat. Und jetzt muss ich ihm helfen, sein Zeug hereinzubringen. Das war unser Deal. Entschuldigt mich jetzt, Chip wartet. Ciao.« Und schon war Luke wieder -112-
verschwunden. Mom und ich blieben ziemlich ratlos zurück. »Schaffen wir das Ding erst mal rein«, entschied ich schließlich. Eine ganze Weile waren wir damit beschäftigt, die Kisten in mein Zimmer zu tragen, die Mom diesmal mitgebracht hatte. Es war wirklich eine Menge Kram. Dann aber gab es nichts mehr zu tun – und für Mom keinen Grund, länger bei mir zu bleiben. Nebeneinander gingen wir zum Ausgang. »Und du notierst wirklich alles, was dir noch fehlt, okay?« Fragend sah mich Mom an. »Ich habe schon mehr als genug, auch Überflüssiges«, winkte ich ab. »Nein, das ist nur das Allernötigste.« »Ach ja? Discozubehör?« »Klar. Du kannst doch unmöglich eine heiße BarryWhite-Nacht veranstalten, wenn du keine Discokugel besitzt.« »Ich habe vergessen, dass ich so was vorhatte.« Suchend blickte ich mich um. »Wo ist Luke?« »Er ist schon draußen beim Wagen.« Das war typisch für Luke. Bestimmt hatte er sich verdrückt, um bei dem großen Mutter-Tochter-Abschied nicht zu stören – ein sehr netter Zug von ihm. Wir blieben stehen. »Also, es ist Zeit.« Mom fasste mich an den Händen und drückte sie fest. »Ja, es ist wirklich Zeit«, nickte ich ernst. Mom ließ meine Hände immer noch nicht los. »Kommst du ganz oft zu Besuch?« »Klar.« »Du kannst jederzeit zu Hause dein Zeug waschen und trocknen.« -113-
»Solche Anreize brauche ich nicht.« »Gut.« Wir fielen uns um den Hals, aber nur ganz kurz, denn schließlich wollten wir beide tapfer sein. »Aber verkaufe Waschmaschine und Trockner nicht«, warnte ich. »Nein, mache ich nicht. Ciao, Baby.« Mom drehte sich um und ging. Ich stand noch ein Weilchen da und blickte ihr hinterher, dann schlenderte ich zurück in mein Zimmer und machte die Tür fest hinter mir zu. Luke lenkte den Wagen gerade um die Ecke und hielt vor seinem Restaurant. Die ganze Zeit hatte er geredet, als bekäme er Geld dafür. Und Mom war ziemlich genervt, denn sie wollte in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. »Du meine Güte, würdest du jetzt endlich damit aufhören?«, fuhr sie ihn heftiger an, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. Bevor sie sich jedoch entschuldigen konnte, begann ihr Pager zu piepen. Hastig holte sie ihn heraus und schaute nach, von wem die Nachricht kam. »Oh, nein!« Ihre Augen wurden groß. »Was?« »Das ist von Rory. Hier steht: >Komm zurück!< Mit ungefähr zehn Ausrufezeichen.« Energisch klopfte sie Luke auf die Brust. »Steig aus, damit ich rüberrutschen kann, mach schon.« Luke starrte sie an, rührte sich aber keinen Millimeter von der Stelle. »Was hast du vor?« »Ich brauche deinen Wagen.« »Auf gar keinen Fall!«, widersprach er und klammerte sich am Lenkrad fest. »Doch, ich muss wieder hin.« »Du kannst deinen Wagen nehmen. Bist du darauf schon mal gekommen?« Seine Stimme wurde laut. Was -114-
zu viel war, war zu viel. »Nein, es dauert zu lange, wenn ich ihn hole. Außerdem ist der Tank leer, und der Wagen macht komische Geräusche. Der übersteht keine lange Fahrt. Bitte, Luke!« »Nein, ich brauche den Wagen.« »Und ich noch viel mehr«, beharrte Mom. »Du hattest ihn den ganzen Tag.« »Liegt dir Rory denn nicht am Herzen?« »Doch, natürlich.« Luke gab auf. »Du bist um Punkt sieben wieder da.« Er stieg aus. »Danke, Luke.« Mom rutschte auf den Fahrersitz und legte den Gang ein. Der Wagen machte einen Satz nach hinten. »Das ist der Rückwärtsgang.« Luke schluckte. »Ich weiß.« Mom grinste schief, hantierte wieder an der Schaltung und gab Gas.
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9
Ich bewegte mich nicht aus meinem Zimmer heraus, bis Mom endlich wieder da war. Als sie reinkam, sprang ich auf und zog sie an mich. In diesem Moment hätte ich sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen. Ich war unendlich erleichtert, dass Mom gekommen war, denn ohne sie hatte ich mich unendlich allein und verloren gefühlt. Aber ich schämte mich auch. »Sieh dir das an«, jammerte ich. »Erst vier Stunden in Yale, und schon habe ich Heimweh.« »Aber das ist okay«, beruhigte mich Mom und strich mir liebevoll über den Kopf. »Seit du weggefahren bist, habe ich bloß gedacht: >Ich will zu meiner Mami<. Zuletzt war das so, als ich zwei war.« Ich war entsetzt über mich selbst. »Das ist ganz natürlich«, erwiderte Mom, konnte mich damit aber keinesfalls beruhigen. »Ich bin achtzehn, darf Verträge unterzeichnen, zur Wahl gehen und mein Land verteidigen. Ich meine, ich bin erwachsen. Erwachsene wollen nicht zu ihrer Mami.« »Doch! Sicher, Schätzchen, ich bin kein gutes Beispiel, aber…« »Alles ist so fremd hier. Und wir teilen uns das Badezimmer. Bisher habe ich mir nie mit jemand anderem das Bad geteilt, außer mit dir.« Jetzt, da ich einmal angefangen hatte, konnte ich gar nicht mehr aufhören. Es tat gut, das alles einfach mal auszusprechen. »Ich werde jetzt irgendwelchen Mädchen im Bad begegnen, und dann muss ich Smalltalk machen. Ich weiß nicht, worüber man im Bad redet.« »Nun, zum Beispiel über Shampoos?« -116-
»Bei meiner Erziehung hast du echt was falsch gemacht. Ich bin abhängig von dir. Wieso hasse ich dich nicht? Wieso will ich nicht weg von dir? Es wird verflucht schwer werden, wie Christiane Amanpour zu sein und live aus Schützengräben zu berichten, wenn Mami dabei ist.« Hilflos hob ich die Schultern. »Du wirst lernen müssen, eine Kamera zu bedienen. Ich brauche dich nämlich.« »Das würde ich gern tun«, erklärte Mom ohne zu zögern. Ich ging nicht auf ihre Bemerkung ein. Es war ja alles noch viel schlimmer. »Und was will ich überhaupt in Yale? Ich hab’ zugelassen, dass Grandma und Grandpa mich beschwatzen, nicht nach Harvard zu gehen, sondern nach Yale. So groß ist meine Willenskraft. Ich weiß nichts über Yale.« »Doch, du kennst Yales gesamte Geschichte auswendig.« »Und warum fällt dir das alles so leicht?«, funkelte ich Mom vorwurfsvoll an. »Du bist vorhin weggegangen, als wäre ich dir völlig gleichgültig.« »Das ist nicht wahr«, widersprach Mom entrüstet. »Du konntest es kaum erwarten, mich loszuwerden. Was hast du gemacht, als ich dich vorhin angepiepst habe? Aus meinem Zimmer ein Nähzimmer?« Ich griff nach meinem Studentenausweis, der auf der Kommode lag, und hielt ihn ihr hin. »Guck dir das Foto an. Ich blinzle, und mein Kopf sieht merkwürdig aus.« »Nein, gar nicht.« »Ich sehe aus wie Keith Richards in Altamont. Und dann noch der Name, der darunter steht.« Mom las ihn laut vor. »Ronnie Gilmore. Ups.« »Ja, ups. Ich existiere nicht. Und wie kommen die auf -117-
Ronnie? Auf der ganzen Welt gibt es keinen Mädchennamen, für den so was wie Ronnie als Kurzform stehen kann.« »Doch, Veronica. Das ginge schon«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, biss sich aber sofort auf die Lippen, als sie mein Gesicht sah. »Entschuldigung.« »Wie schön, ich bringe dich dazu, dich zu entschuldigen, nachdem du den ganzen Weg zurückgefahren bist«, sagte ich zerknirscht. »Denn ich bin ein Baby, das hilflos nach seiner Mama schreit. Ich muss mich entschuldigen.« »Ich bin ja da«, versuchte Mom mich zu beruhigen. »Aber das dürftest du gar nicht.« »Und wo steht das geschrieben?« Gegen meinen Willen musste ich grinsen. »Vielleicht steht es nicht gerade geschrieben, aber es wird schon mehr oder weniger erwartet, dass die Eltern den Campus irgendwann verlassen.« »Genau, irgendwann, doch wann das ist, bestimmen wir selbst.« Hoffnungsvoll sah ich sie an. »Bleibst du dann zum Essen?« »Ich kann auch hier schlafen«, schlug Mom vor. »Nein, das geht doch nicht.« »Wieso nicht?« »Weil ich dann als Jammerlappen dastehe, der ohne seine Mutter nicht sein kann, und das werden alle erfahren und nie vergessen.« Ganz sicher wäre dies kein guter Einstand in Yale. Trotzdem, Moms Vorschlag hatte etwas Verlockendes. »Wie du willst.« Sie zuckte die Achseln. »Dann schlafe ich eben nicht hier.« Bei dem Gedanken, dass sie gleich wieder gehen würde, -118-
bekam ich es mit der Angst zu tun. Kurz entschlossen entschied ich mich, zu meiner totalen Uncoolness zu stehen, und umarmte Mom stürmisch. »Doch, du solltest hier schlafen.« Es dauerte nicht lange, und wir saßen zu viert in unserem Gemeinschaftswohnraum und aßen. Tanna, Paris, Mom und ich ließen es uns schmecken. Allerdings handelte es sich dabei nicht um ein gewöhnliches Abendessen, ganz und gar nicht. Natürlich war das wieder einmal Moms Idee gewesen. Sie hatte bei so ziemlich allen Lieferservices angerufen, die es in der Gegend gab. Tüten und Pappkartons stapelten sich auf dem kleinen Tisch. Gerade hatte es wieder geklingelt. Mom war zur Tür gegangen und kam Augenblicke später mit einer weiteren riesigen Tüte zurück. »Hier ist was Balinesisches. Wo soll ich’s hintun?«, wollte sie wissen und strahlte. »Stellen wir das Essen doch in geografischer Reihenfolge auf. Von Osten nach Westen, je nach Nationalität«, schlug Paris kauend vor. »Ein gutes System«, stimmte Mom ihr zu. »Wo liegt Bali denn?« »Indonesien«, erklärte ich und nahm mir noch ein Stück Baguette. »Liegt Indonesien östlich oder westlich der Philippinen?«, wollte Paris wissen. »Westlich«, antwortete ich. Noch immer machte Mom ein ziemlich ratloses Gesicht. »Suchen Sie Sri Lanka«, schlug Tanna vor, »davon ist es nicht weit entfernt.« »Okay.« Entschlossen schob Mom an einer Stelle ein paar Tüten zur Seite und schaffte Platz auf dem Tisch. -119-
Dann begann sie auszupacken. Es roch köstlich. Allerdings war keiner von uns noch hungrig. »Wir haben viel zu viel bestellt«, stöhnte ich. »Genau darum geht’s doch«, lachte Mom. »Wir brauchen einen weit gefächerten Querschnitt für den Lieferservice-Test.« Sie musste etwas suchen, bis sie die Liste fand, auf der sie alle, bei denen wir bestellt hatten, notiert hatte. Irritiert legte Mom die Stirn in Falten. »Was soll das? Ihr habt indisches Essen probiert, und ich sehe keine Angaben darüber auf der Liste.« »Machen wir gleich«, winkte ich ab. Das hatte doch noch Zeit. Mom sah das anders. »Der Grund für diesen Test, Kinder, ist unsere Bewertung des Essens, der Lieferanten und des Aussehens der Lieferanten auf einer Skala von eins bis zehn. Aber dafür brauchen wir eben Notizen.« Es klingelte wieder. Mom sprang auf. »Das wird die Pizza sein. Komm, hilf mir, Rory.« »Okay.« Wie immer hatte sie Recht. Vor der Tür zum DurfeeHaus stand ein kleiner, süßer Italiener, der stramme neun Pizzakartons in den Händen hielt. Und die waren alle für uns! Mom bezahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. »Achteinhalb Punkte«, zischte sie mir viel sagend zu, und ich wurde rot. Wir teilten die Kartons auf und trugen sie über den Flur zu meinem Zimmer. Allerdings konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, wer das noch alles essen sollte. »Wir sind bloß zu viert, aber bestellt haben wir für vierhundert«, stellte ich irritiert fest. Wie konnten wir nur so maßlos sein? Mom warf mir einen amüsierten Seitenblick zu. »Ach so, das heißt also, du willst heute richtig einen -120-
draufmachen, eine Riesenfete steigen lassen.« »Ich meine nur, das ist sehr viel Essen.« Abrupt blieb Mom stehen. »Achtung, herhören, DurfeeMädchen!« Sie schwenkte die Pizzakartons, und natürlich wurden alle Mädchen, die gerade auf dem Flur herumstanden, aufmerksam. »Feines Essen haufenweise in Wohneinheit fünf! Bringt großen Appetit mit und eure Meinung. Und hey, vielleicht auch ein bisschen Musik. Tretet ein und freut euch.« Meine Kommilitoninnen ließen sich das nicht zweimal sagen. Es dauerte nicht lange, und sie drängten sich dicht an dicht in unserer Wohnung. Ich konnte nichts dagegen tun – und eigentlich wollte ich es auch nicht. Die Stimmung hätte nicht besser sein können. Da machte es auch nichts, dass unser geniales Bewertungssystem irgendwann seinen Geist aufgab, weil jemand aus Versehen ein volles Glas darüber kippte und unsere Notizen verschwammen, bis sie unleserlich wurden. Ein Blick in die leeren Essenstüten und die zerfledderten Kartons half uns, das Wesentliche zu rekonstruieren. Mom fasste es für uns zusammen. »Also, wir haben kein chinesisches Essen mehr, das bedeutet, es kommt gut an. Freddies Happy Tokio Take-out hingegen ist ein Reinfall. Also weg mit Freddies Speisekarte. Allerdings war Ang, der Lieferant, eine glatte Neun. Wenn ihr bei Baja-Bill bestellt, nehmt die Quesadillas. Und fragt nach Stan oder Tommy. Wenn weder Stan noch Tommy können, ruft Paco’s Tacos an, die Lieferanten sind zwar hässlich wie die Nacht, aber das Essen ist besser.« Da wir uns inzwischen kaum noch bewegen konnten, weil wir so satt waren, schlug Mom vor, etwas dagegen zu tun. Sie zog mich vom Sofa hoch. »Los, wir tanzen -121-
jetzt und singen Motown-Songs in unsere Haarbürsten.« Was blieb mir anderes übrig, als zu gehorchen? Die Party wurde ein voller Erfolg, auch wenn wir beide keinen Ton richtig trafen. Das störte niemanden, im Gegenteil. Die anderen machten um so begeisterter mit und trauten sich auch. Irgendwann waren dann aber doch alle gegangen. Das war auch ganz gut so, denn ich war inzwischen hundemüde. Bestimmt würde ich in meiner ersten Nacht in Yale wunderbar schlafen. Und ich war froh, dass ich nicht allein war. Mom und ich hatten bereits unsere Schlafanzüge angezogen. Jetzt musste nur noch die Frage geklärt werden, wer wo schlafen würde. Immerhin war ich in der für Yale ungewöhnlichen Luxussituation, über zwei Matratzen zu verfügen – auch wenn dies nicht ganz freiwillig geschehen war. Ich deutete auf das blütenreine Exemplar in meinem Bett. »Mom, du schläfst heute auf der neuen, einverstanden?« »Aber du musst sie selbst einhegen«, protestierte sie entschieden. »Wenn sich die Matratze meinem Körper anpasst, wirst du in den Ausbuchtungen rumkullern, weil du nun mal kleiner bist als ich.« »Nach einer Nacht?«, fragte ich ungläubig und stemmte die Arme in die Seiten. »Die erste Nacht ist die entscheidende«, antwortete Mom und streckte sich auf der alten Matratze aus, die auf dem Boden neben meinem Bett lag. »Okay, aber mein Angebot steht noch.« Ich krabbelte unter meine Decke. »Also, wenn du mitten in der Nacht da unten Probleme kriegst, komm zu mir.« »Dann würden die anderen über uns reden.« Mom grinste. »Dann wären wir die lockeren, anrüchigen Kleinstadtweiber, die so drauf sind wie die -122-
Französinnen.« »Oh, wir spucken auf euch, ihr verklemmten puritanischen Idioten«, näselte ich mit übertriebenem französischem Akzent – oder was ich dafür hielt. »Ja, wir können euch doch nur auslachen«, machte Mom genauso weiter. Nur, dass sie sich noch ein bisschen französischer anhörte als ich. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken. »Wir können gut und gerne auf eure bigotte Zweideutigkeit verzichten, denn wir sind eher für die Verlockungen der Eindeutigkeit.« »Wir, äh… Faden verloren!« »Verstehe«, ich gähnte. »Schalte das Licht aus.« Mom tat, was ich gesagt hatte. Bevor wir einschlafen konnten, musste sie mir allerdings unbedingt noch etwas erzählen. Nicht, dass es in Vergessenheit geriet, dafür war es viel zu wichtig. »Weißt du, dass ich eine gute Kaffeequelle kenne?«, flüsterte sie. »Nein. Wo?« »Ein kleiner Kiosk vor der Bibliothek. Den habe ich nach der Elternversammlung entdeckt.« »Cool.« »Ich kann ihn auf deinem Plan markieren.« »Gut.« Augenblicke später war ich eingeschlafen – mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Am nächsten Morgen waren wir beide etwas wortkarg, denn nun hieß es endgültig Abschied nehmen – wenigstens bis zum Wochenende. Ich begleitete Mom noch bis zum Ausgang. »Und was steht heute als Erstes an?«, wollte sie wissen. »Na ja, ich habe etwas Zeit für mich. Also werde ich in Ruhe die Gegend erkunden. Und später ist die Veranstaltung für Erstsemester.« -123-
Mom zwinkerte mir zu. »Wo sie euch auch den geheimen Yale-Gruß zeigen?« »Und viele andere Dinge«, nickte ich. »Also, ich gehe dann mal.« Sie spielte mit dem Schlüssel von dem Pick-up herum. »Gestern habe ich Luke angerufen. Und mittlerweile wartet er schon seit zwei Stunden auf seinen Wagen, also fahre ich jetzt eigentlich früher los, als ich wollte.« »Bestell Luke vielen Dank von mir, okay?« »Und grüße du bitte Paris und Tanna, ja?« »Mach’ ich.« »Jetzt ist es wirklich so weit.« Mom legte mir die Hände auf die Schultern und sah mich ernst an. »Stimmt.« »Geht’s dir gut?« »Ja, bestens.« Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Nur, trage immer den Pager bei dir.« »Immer.« Wir winkten uns noch einmal zu, dann war sie verschwunden. Auch jetzt fiel es mir nicht leicht, alleine zurückzubleiben. Trotzdem sah die Welt heute schon viel freundlicher aus als am Abend zuvor. Als Mom das Restaurant von Luke betrat, servierte er gerade einem Gast das Essen. Er lief an ihr vorbei und warf ihr einen bösen Blick zu. »Zu spät.« Schuldbewusst tigerte Mom hinter ihm her. Sie wusste, dass sie bei ihm nach den Aktionen der letzten Tage etwas gutzumachen hatte. »Tut mir echt Leid.« Schlagartig veränderte sich Lukes Gesichtsausdruck. Ein Grinsen zuckte um seinen Mund, das immer breiter wurde. »Schon okay. Ich habe dir gesagt, du sollst ihn drei Stunden früher zurückbringen, als ich ihn brauche. Hat super funktioniert.« -124-
Einen Moment lang war Mom sprachlos. Er hatte sie tatsächlich reingelegt. »Du Ratte«, lachte sie und gab ihm einen Klaps auf den Arm. So etwas hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Mom gab ihm den Autoschlüssel zurück. »Steht die Gangschaltung auf >Parken« »Jawohl.« »Motor ausgeschaltet?« »Ja. Danke dir, Luke.« Mom druckste herum. »Ich hab dich in den letzten Tagen mächtig genervt…« Luke wurde misstrauisch. Mit den Augen suchte er die Parklücken ab, die er vom Restaurant aus einsehen konnte. Und dann sah er es. Seine Augen wurden groß. »Das glaube ich einfach nicht! Das ist wie in einem Horrorfilm. Titel: Die Matratze, die ich nicht mehr loswurde.« Er stürmte nach draußen. Mom folgte ihm. »Oh, Luke. Ich hatte keine Wahl.« »Ich muss gleich heulen.« »Nein, lass es.« »Ich will dieses Ding nicht.« Mit geballter Faust schlug er gegen die Matratze. Sie lag auf der Ladefläche seines Wagens, als hätte sie sich niemals von dort wegbewegt. Es war zum verrückt werden! »Hilf mir, sie loszuwerden«, schlug Mom vor. Schließlich hasste sie das Ding fast genauso sehr wie er. »Wo? Soll ich sie vielleicht zur Altmatratzenentsorgungsstelle gleich um die Ecke fahren?« »Lagere sie doch für eine Weile ein.« Entnervt schüttelte er den Kopf. »Das mit dem Heulen war mein voller Ernst.« »Bitte, ich lass sie von einem Wohltätigkeitsverein abholen, versprochen. Diesmal wirklich.« Luke hob das Ungetüm ein Stückchen hoch. »Und wo -125-
ist mein Ersatzreifen?« »Ach, so was hattest du?« Mom wurde blass. Sie ahnte Schlimmes. »Er lag immer auf der Ladefläche.« »Oh, wir müssen ihn wohl irgendwann aus Versehen mit abgeladen haben.« »Könntest du ihn wiederbeschaffen?« Es machte keinen Sinn sich aufzuregen. Luke gab auf. »Ja.« Mom klang wenig überzeugt. »Es sei denn, Paris hat schon einen Übertopf daraus gebastelt«, fügte sie deutlich leiser hinzu. »Sonst kaufe ich dir einen neuen, versprochen.« »Okay, wir sehen uns.« Luke musste weiterarbeiten. Mit schnellen Schritten eilte er zum Restaurant zurück. »Bis dann. Ach, und Rory lässt dich grüßen, sie dankt dir für alles«, rief Mom ihm hinterher. »Das sollte ich dir auf jeden Fall ausrichten.« Luke blieb stehen und drehte sich um. »Okay, schoß. Geht’s ihr denn gut?« »Oh ja, fantastisch.« »Gut.« Luke war ein echter Freund. Mom war froh, dass es ihn gab, denn auf ihn konnte sie wirklich zählen. Oft genug hatte er dies schon bewiesen. Als Mom weg war, trödelte ich noch ein bisschen in der Wohnung herum. Ich wusste nicht recht, was ich zuerst machen sollte in der Zeit, die mir bis zur Erstsemesterveranstaltung noch blieb. Als es an der Tür klopfte, ging ich hin und öffnete. Vor mir standen zwei Mädchen. Die beiden waren bei der Party dabei gewesen, hatten mich zunächst aber skeptisch gemustert. Inzwischen jedoch schienen sie ihre Vorbehalte -126-
aufgegeben zu haben. Sie lächelten mich freundlich an. »Na, schon wach?«, fragte mich die eine. Sie hieß Diane, erinnerte ich mich – und ihre Freundin musste Susan sein. »Ja, sicher. Kommt doch rein.« »Wir haben Verschiedenes lorelait und einen guten Kaffee entdeckt«, erklärte mir Diane, nicht ohne einen gewissen Stolz. »Lorelait?« Ich begriff nicht, wovon sie sprach. Diane und ihre Freundin Susan wechselten einen verschwörerischen Blick. Dann klärte mich Susan auf. »Das heißt abgecheckt, klar?« »Wir halten das für ein passendes Wort«, ergänzte Susan. »Wir haben auch gute Muffins ausfindig gemacht.« Sie deutete auf die Tüte, die sie in der Hand hielt. »Aber ich wette, es gibt noch bessere.« »Das lorelait ihr bestimmt irgendwann«, nickte ich. Diane drückte mir einen Becher Kaffee in die Hand. »Hier, ein kleines Dankeschön für gestern. Es war der perfekte erste Abend in Yale.« Ich strahlte. »Sehe ich auch so.« »Wir gehen gleich zur Erstsemesterveranstaltung. Kommst I du mit?« Erwartungsvoll sah Susan mich an. »Gern.« Diane grinste verschmitzt. »Und danach verlieren wir zufällig unsere Studentenausweise und lassen neue Fotos machen.« »Super Idee. Ich bin natürlich dabei.« Das Horrorbild vom Tag zuvor würde schon bald der Vergangenheit angehören. Wenn das keine rosigen Aussichten waren! Vorsichtig nippte ich an dem Kaffee. »Wow, der ist wirklich gut. Habt ihr den vom Kiosk vor der Bibliothek?« -127-
»Ah, du hast ihn zuerst entdeckt.« Diane war sichtlich enttäuscht – zugleich aber auch von meiner Findigkeit beeindruckt. »Sozusagen«, antwortete ich und dachte an Mom, der ich diesen wertvollen Hinweis verdankte. Sie hatte mir nicht nur einen tollen ersten Abend in Yale bereitet, mich mit allen wichtigen Infos ausgestattet, sondern auch dafür gesorgt, dass ich in meinem neuen Zuhause schnell Anschluss fand und mich nicht mehr so einsam fühlte. Mom war eben einfach die Beste und sehr, sehr cool.
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10
Inzwischen war ich schon ein paar Tage in Yale, und es gefiel mir immer besser. Was hier alles für Kurse angeboten wurden, war einfach toll. Ich hatte eine ganze Nacht damit zugebracht, das Vorlesungsverzeichnis auswendig zu lernen und es hatte sich gelohnt, fand ich. Für heute hatte sich Mom angekündigt, um mir noch ein paar Sachen für mein Zimmer zu bringen. Als gegen die Tür gepocht wurde, lief ich hin und öffnete, denn ich war mir sicher, dass sie es war. »Hey, weißt du, was so toll daran ist, dass du auf das College gehst?«, begrüßte mich Mom vergnügt. Ich musste nicht lange nachdenken. »Meine neue Unabhängigkeit?«, schlug ich vor. »Oh, nein. Meine vielen neuen Kataloge für jungen Lifestyle.« Mom trat ein, was gar nicht so einfach war. So beladen wie sie war, passte sie kaum durch die Tür. Unter dem Arm balancierte sie etwas, und in der Hand hielt sie einen Karton. »Nur ein Beispiel. Wo soll ich diesen verschärften lila Blümchenteppich bei mir hinlegen?« Sie deutete auf das Ungetüm unter ihrem Arm. »Er wirkt so jugendlich und cool, ist aber nicht das Richtige für mein Zimmer. Also…« »Mein Zimmer!«, grinste ich. »Der dazu passende Sitzsack wird dann nächste Woche geliefert.« Mom stellte den Karton auf meinem Bett ab und atmete auf. Ich lächelte nachsichtig, denn natürlich wusste ich, weshalb sie es so einteilte, dass die Einrichtungsgegenstände nach und nach geliefert wurden. »Ich finde es toll, wenn du mich vermisst.« -129-
»Nein, eigentlich tue ich das gar nicht«, widersprach sie halbherzig. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, alles abzustreiten, weil ich sie gut genug kannte, um alle Beteuerungen dieser Art zu durchschauen. Wohlwollend zwinkerte sie mir zu. »Doch seit du studierst, weiß ich endlich, wieso es im Wohnzimmer so ordentlich war.« Ganz im Gegensatz zu mir, hasste Mom es aufzuräumen. Nun breitete sie den neuen Teppich schwungvoll auf dem Boden aus und trat einen Schritt zurück. »Mhm. Wie findest du ihn?« Ich nickte anerkennend. »Sieht super aus. Danke dir.« »Kein Problem.« Mom begann nun die Sachen aus dem Karton auszupacken und legte sie auf die Bettdecke. »Also, Sookie schickt dir Marshmallow-Kekse. Von Luke sind die Muffins, und ich habe hier für dich eine Ausgabe der Stars Hollow Gazette.« »Die musst du nicht mehr mitbringen. Ich habe sie abonniert«, fügte ich erklärend hinzu, als ich ihren verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte. »Du hast ein Abo von der Stars Hollow Gazette!« Mom schnappte nach Luft. »Nicht mal der Herausgeber würde im Traum daran denken, sie zu abonnieren.« »Ich möchte aber gerne wissen, was in der Stadt passiert«, widersprach ich. Ich hatte mich immer sehr wohl gefühlt dort und an vielen Ereignissen und Veranstaltungen teilgenommen, an die ich mich immer noch sehr gerne erinnerte. »Das ist wirklich süß von dir.« Liebevoll strich Mom mir über die Wange. Dann klatschte sie in die Hände. »Hey, trinken wir noch einen Kaffee, bevor ich zurückfahre?« Ich blickte auf meine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Kann nicht. Jetzt ist Shopping-Woche.« -130-
Mom runzelte die Stirn und blickte mich verständnislos an. »Ist das nicht immer so?« Ich musste lachen. »Die erste Woche im College heißt Shopping-Woche. Das bedeutet, man sieht sich so viele Kurse an, wie man will, bevor man sich endgültig entscheidet, welche man belegt.« Ich schob ein Heft und ein Paar Bücher in meine Mappe und klemmte sie mir unter den Arm. »Ich habe etwa fünfzig Kurse rausgesucht, die mich interessieren. Vielleicht quetsche ich noch zehn weitere rein, wenn ich Zeit habe. Das klingt alles unglaublich spannend.« Die Auswahl hier in Yale war riesig. Ich verstand jetzt, weshalb die Uni diesen guten Ruf hatte. »Dir ist doch klar, dass du, wenn du nicht so hübsch wärst, jeden Tag wegen deiner Streberei Prügel beziehen würdest.« Mom schüttelte den Kopf. Von ihr konnte ich diesen Lerneifer nicht geerbt haben. Sie hatte keine Ahnung, wie der in meine Gene gelangt war. Ich zog es vor, darauf nicht weiter einzugehen. »Bringst du mich raus?« »Klar, du brauchst ja auch einen Beschützer.« Sie ging neben mir her und musterte mich von der Seite. »Hey, wann fängt der erste Kurs denn an?« »Naja, in Kürze«, antwortete ich ausweichend. Ich ahnte, worauf diese Frage abzielte. »Oh, oh«, machte Mom nur und rollte mit den Augen. »Was?«, brauste ich auf. Ich konnte es nicht leiden, wenn sie Andeutungen machte und mich im Ungewissen ließ. Zum Glück kam das nicht oft vor. Und auch jetzt musste ich nicht lange warten, bis sie mit ihrer eigentlichen Frage rausrückte. »Rennst du wieder los, um eine Stunde früher in deinem ersten Kurs zu erscheinen?« -131-
»Nein«, antwortete ich viel zu schnell, denn sie hatte mich ertappt. Mom ließ sich nicht beirren. »Und ob. An deinem ersten Tag in der Grundschule damals hast du mir erzählt, der Lehrer würde um halb sieben alle Eltern erwarten, und als wir dort aufkreuzten, waren die Schultüren noch verschlossen.« »Das war nur ein einziges Mal«, beharrte ich. »Nein. Du hast es zwar nur einmal geschafft. Versucht hast du es aber jedes Jahr.« Mom lächelte versonnen bei der Erinnerung. »Schon gut«, gab ich zu. Es hatte keinen Sinn zu streiten. »Ich werde nicht zu früh hingehen«, versprach ich ziemlich kleinlaut. Wir hatten mein Zimmer schon verlassen und gingen durch den Wohnraum in Richtung Tür, als Mom plötzlich stehen blieb. Sie verzog das Gesicht und schnupperte. »Meine Mutter war hier«, stellte sie dann lakonisch fest. »Was?« Entgeistert starrte ich sie an. »Meine Mutter. Sie war hier, das spüre ich.« »Nein, das kann nicht sein. Das hätte ich doch gemerkt. Grandma war nicht hier.« Wie kam Mom nur auf diese absurde Idee? Schließlich hätte ich Emily dann ja wohl begegnen müssen… »Doch, man riecht es. Das Zimmer. Es duftet nach Schuldgefühlen und Chanel Nummer fünf.« »Mom, ich bitte dich. Du irrst dich«, widersprach ich tadelnd. Offenbar sah Mom bereits Gespenster. Das Alleinsein schien ihr nicht zu bekommen. Neugierig blickte sich Mom in dem kleinen Raum um. Dann huschte ein triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht. »Hast du den Tisch vor dem Sofa so hingestellt?« -132-
»Nein«, gab ich zu. »Ha!« Nun war sich Mom ihrer Sache vollkommen sicher. Ich allerdings wollte dies nicht gelten lassen. »Was bedeutet das schon? Ich habe schließlich noch drei Mitbewohnerinnen. Bestimmt war das eine von ihnen.« Mom fuhr zu mir herum. »Auf einmal sind es drei?« Bei ihrem letzten Besuch waren es noch zwei gewesen. Sie war überrascht. »Wann ist die Dritte denn angekommen?« »Gestern. Ihr Name ist Janet.« »Und wie ist sie so?« Mom musterte mich neugierig. Ich zuckte die Achseln »Sie joggt.« Viel mehr konnte ich über Janet noch nicht sagen. Bisher hatte ich sie ehrlich gesagt kaum zu Gesicht bekommen. Und im Moment fand ich das auch nicht so schlimm. »Mom, los jetzt«, drängelte ich. »Für einen Kaffee habe ich noch Zeit, und dann muss ich in den ersten Kurs.« Ich ließ Mom einfach stehen und eilte davon. Sie würde ohnehin hinter mir herkommen. Natürlich behielt ich Recht. In aller Eile tranken wir in der Cafeteria eine Tasse Kaffee, und ich schaute dabei so oft auf die Uhr, dass Mom mich schließlich entnervt zu meinem Kurs schickte und davonfuhr. Sie wollte Sookie einen Besuch abstatten, denn die beiden hatten große Pläne – und die bereiteten ihnen im Moment einige Schwierigkeiten. Sookie und Mom mussten einiges regeln. Schon lange träumten sie davon, ihr eigenes Hotel zu betreiben. Mom wollte als Managerin, Sookie als Köchin arbeiten. Und sie hatten ja auch schon ein geeignetes Objekt erworben. Allerdings musste dort erst einmal eine Menge renoviert und verändert werden. Das verschlang Unmengen an -133-
Geld, Geld, das sie eigentlich gar nicht besaßen. Außerdem brachte der beabsichtigte Hotelumbau eine Menge Papierkram mit sich, der keinen Aufschub duldete. Die beiden Frauen hassten solche Arbeiten gleichermaßen, aber zu zweit ließ sich die Arbeit etwas leichter ertragen. Und schließlich brachte diese lästige Pflicht sie dem Ziel einen großen Schritt näher, auch wenn sie noch längst nicht am Ziel waren. Die Renovierung verschlang weit mehr Geld als vorgesehen, und ihr Budget war klein. Mom und Sookie hatten sich an den Küchentisch zurückgezogen und gingen die Unterlagen durch, die sich dort türmten. Mom suchte etwas Bestimmtes. »Oh, Sookie, hast du deinen letzten Kontoauszug da?« Sookie schob ein paar Blätter beiseite. »Ah ja, hier.« Sie wedelte mit dem Zettel in der Luft herum. »Erinnerst du dich? Das waren noch Zeiten!« Mom seufzte gedankenverloren. »Ja, Einkommen. Lange ist das her.« Die Erinnerung daran verhagelte ihr die Laune endgültig. Sie beide hatten eine gute Zeit gehabt im Independent Inn – bis zu dem Brand, der dafür gesorgt hatte, dass sie erst mal ohne Job dastanden. Mom knallte ihren Kugelschreiber auf den Tisch. »Also, ich habe einen Schreibkrampf und keine Lust, noch was zu unterzeichnen.« Sie rutschte ein wenig zur Seite, damit Jackson an ihr vorbeikam. Er turnte schon eine Weile um die Frauen herum und versuchte das Babyfon zu installieren. Bis zur Geburt war es schließlich nicht mehr lange hin. »Wir treffen uns morgen mit Ted Oldmann, bitte denk daran, Sookie. Wir brauchen nämlich eine Haftpflichtversicherung, bevor wir mit der Renovierung loslegen können.« Mom holte tief Luft. Das war leider nicht die einzige schlechte Nachricht. »Und dabei fällt -134-
mir ein, Tom hat den Kostenvoranschlag für die Arbeiten geschickt.« »Und, wie viel?« Nervös rutschte Sookie auf ihrem Stuhl hin und her. Mom winkte ab. »Das sage ich dir noch.« »Wann?« Sofort war Sookie alarmiert. »Nicht, bevor du platzt.« Mom strich ihr übet den sich deutlich wölbenden Bauch. »Komm schon«, drängelte Sookie. »Zuerst kriegst du das Baby, dann hast du Zeit für den Anfall.« Sookie schluckte. »Ist es denn wirklich so viel?« »Es sind zwanzigtausend mehr, als wir dachten. Und das Gutachten für die Schornsteine habe ich auch gekriegt. Dabei ist auch nicht gerade das herausgekommen, was wir erhofft haben.« »Ach, du Schreck!« Sookie war ganz blass geworden. Ein Weilchen saßen die Frauen schweigend da, bis sie plötzlich zusammenzuckten. Es lautes, schrilles Piepen erklang in der Küche. Mom blickte sich irritiert um, um festzustellen, woher das Geräusch kam. Sookie grinste amüsiert. »Das ist Jackson. Offenbar ist es ihm wieder nicht gelungen, die Lautsprecher im Haus richtig an das Babyfon anzuschließen.« Jetzt erst fiel auch Mom auf, dass Jackson nicht mehr in der Küche war. »Hallo? Hallo?«, erklang seine Stimme. »Ich bin im Kinderzimmer. Wiederhole. Ich bin jetzt im Kinderzimmer. Kann mich jemand hören?« »Das ist vermutlich das süßeste Unheimliche, das er je getan hat.« Moms Züge wurden weich. Jackson war für seine gelegentlichen irritierenden Aktionen bekannt. Aber diese hier rührte Moms Herz. -135-
Sookie griff nach dem Walkie-Talkie, das neben ihr auf der Kommode stand. »Ja, Jackson. Roger. Wir empfangen ein Signal von dir. Ich wiederhole: Wir empfangen ein…« »Hallo. Sookie?« Nun hörte sich Jacksons Stimme noch lauter an. Sookie sprang auf und brüllte durch den Flur. »Ja, ich verstehe jedes Wort.« »Wieso benutzt du nicht das Walkie-Talkie?« Jackson, der im ersten Stock gewesen war, kam die Treppe herunter. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Es ist kaputt, fürchte ich.« Sookie drückte ihm das Walkie-Talkie in die Hand. »Zeig her.« Murmelnd verdrückte sich Jackson in ein Nebenzimmer. »Hör zu. Ich habe eine Idee.« Sookie kam an den Tisch zurück und setzte sich. »Ja?« »Also, es steht wohl fest, dass es noch eine Weile dauern wird, bis wir das Hotel eröffnen können, richtig?« Mom nickte. An dieser Erkenntnis führte kein Weg mehr vorbei. »Und solange es nicht fertig ist, haben wir beide nicht die geringsten Einnahmen zu erwarten.« »Stimmt.« Mom seufzte. »Das sind super Aussichten.« Doch Sookie war nicht gewillt, sich davon unterkriegen zu lassen. Übermütig klatschte sie in die Hände. »Was hältst du davon, eine Cateringfirma zu gründen?« Gespannt starrte sie Mom an, um eine Reaktion auszumachen. Doch diese hielt sich zunächst in Grenzen. »Eine Cateringfirma?« Wie das funktionieren sollte, konnte sich Mom nicht vorstellen. Sie war skeptisch. -136-
Dafür war Sookie um so begeisterter von der Idee. »Ja. Du planst die Veranstaltungen, suchst die Deko und das Motto aus, und ich koche.« »Weißt du…« Sookie unterbrach sie. »Und es wäre auch nicht für lange Zeit, nur bis das Baby kommt.« »Ja, aber ich bin doch keine Partyplanerin«, gab Mom zu bedenken. »Ich habe davon keine Ahnung.« »Was redest du für einen Blödsinn?« Aufgebracht funkelte Sookie sie an. »Du hast im Hotel diese wunderbaren Hochzeiten organisiert. Und dann erst die Tagungen.« Mom winkte ab. »Ja, aber ich hatte Angestellte im Hotel, die haben das erledigt.« »Ach, ich bitte dich«, widersprach Sookie aufgeregt. »Es „wäre doch total toll, wenn wir zusammen was aufziehen. Denk drüber nach.« »Okay, mache ich«, willigte Mom zögernd ein. Aber sonderlich überzeugt von dem Gedanken war sie nicht. »Wie lange habe ich Zeit zum Nachdenken?« Verlegen senkte Sookie den Blick. »Etwa eine Woche.« »Sookie!«, rief Mom tadelnd aus. Ein solches Geschäft musste gut durchdacht werden, man konnte es doch nicht einfach so übers Knie brechen. »Helen Thompsons Sohn Aaron hat Geburtstag. Sie hat gefragt, ob ich auf der Party für das Essen sorge. Da habe ich vorgeschlagen, dass du alles planst. Und sie war begeistert von der Idee«, erklärte Sookie stolz. »Sie hat uns den Job angeboten, und ich habe zugesagt. Nächsten Donnerstag. Sie will, dass die Party wirklich an Aarons Geburtstag steigt, und das finde ich einfach süß, typisch für Helen.« Sookie schluckte, als sie Moms Gesichtsausdruck bemerkte. »Ich kann sie jetzt auch -137-
gleich anrufen und die Sache absagen, wenn du willst. Ehrlich, wenn du keine Lust hast, lassen wir es«, schlug Sookie vor. Eigentlich hatte sie mit Moms begeisterter Zustimmung gerechnet. Sie war verwirrt. »Aber vielleicht sollten wir es doch machen, um zu sehen, ob es was für dich ist«, gab sie zu bedenken. »Wie war’s? Komm, gib dir einen Ruck.« Am Nachmittag kam ich endlich zurück in meine neue Wohnung. Ich balancierte einen ganzen Stapel Bücher und meinen Kaffeebecher. So bepackt war es nicht leicht, überhaupt nach drinnen zu kommen. Mit dem Arm drückte ich die Klinke nach unten – und verlor das Gleichgewicht. Die Bücher fielen zu Boden, und es gelang mir gerade noch, den Kaffeebecher festzuhalten. Ich stieß einen unterdrückten Fluch aus und sammelte meine Sachen wieder ein. Als ich mich aufrichtete, traute ich meinen Augen nicht. Hier war irgendetwas Unerklärliches geschehen! Ich erstarrte. »Tanna? Tanna!«, rief ich mit sich überschlagender Stimme. Das Mädchen saß auf einem Sofa, ganz in die Lektüre eines Buches versunken – wie eigentlich fast immer. Überrascht blickte sie auf. »Was ist?« »Woher kommt das auf einmal?« Entnervt deutete ich auf all die Möbelstücke, die plötzlich in unserem Wohnraum standen – und die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte. »Was?« Tanna begriff noch immer nicht. Sie lebte so sehr § in ihrer eigenen Welt, dass nur wenig sie wirklich aus der Fassung brachte. »Das hier… die Möbel, die Couch, die Sessel, der Teppich.« »Keine Ahnung. Das war schon da, als ich heute Mittag wiedergekommen bin.« -138-
Ich legte meine Bücher auf dem neuen Tisch ab und lief aufgeregt durch den Raum. Alles war neu, absolut alles. Was war hier passiert? Und wohin waren die Dinge verschwunden, die hier noch am Morgen gestanden hatten? Ich kam nicht dazu, dieser Frage auf den Grund zu gehen, denn mein Handy klingelte. Damit erübrigte sich weiteres Rätselraten. Ich meldete mich. »Hallo?« »Ich wollte ja warten, bis du anrufst, aber du lebst sicher noch länger als ich«, tönte mir Grandmas leicht beleidigte Stimme ins Ohr. »Hast du schon auf der Couch gesessen?« »Auf der Couch?« Woher wusste sie… Ein böser Verdacht wuchs in mir. Unterdessen plapperte Grandma fröhlich weiter. »Ich hab’ eine genommen, die nicht so weich ist, denn ich weiß ja, dass du darauf lernen und auch fernsehen willst. Du sollst nicht in den Polstern versinken.« »Du warst das?«, stieß ich hervor. »Aber natürlich, Kindchen. Meine Enkelin studiert jetzt in Yale. Da soll sie auch wohnen wie ein Yalie.« »Aber, wie, wann…?« Ich wusste gar nicht, was ich zuerst fragen sollte. »Gestern, als du gelernt hast, habe ich mich reingeschlichen. Ich habe den Raum ausgemessen, damit auch alles passt. Tja, und dann musste ich noch deine Betreuerin schmieren, denn sie sollte ja die Möbelpacker reinlassen. Hast du schon das Entertainmentcenter gesehen?« »Nein.« Auf den ersten Blick konnte ich nicht erkennen, wo sich dieses Etwas verstecken mochte. Ich ging auf einen großen neuen Schrank zu, öffnete die Türen – und hatte richtig geraten. »Oh, Wahnsinn!«, -139-
stammelte ich benommen. »Ein Plasmafernseher mit Videorecorder und DVDPlayer, dazu ein Plattenspieler und ein CD-Player, der fünf CDs wechselt. Die ganze Anlage ist ausgestattet mit Fünf-Punkt-Eins-Surround-Sound. Ich weiß zwar nicht, was das heißt, aber der Mann, der alles installiert hat, sagte, du solltest Pink Floyds >Dark Side Of The Moon< darauf hören. Angeblich ist es einmalig schön.« Grandma sprach so schnell, dass ich ihr kaum folgen konnte. Ich straffte die Schultern. »Grandma, das ist sehr lieb von dir, aber hier wohnen noch ein paar andere, und die fühlen sich möglicherweise nicht so wohl damit.« »Und darf ich fragen warum nicht?«, fragte Grandma pikiert, und ich war froh, jetzt nicht bei ihr zu sein. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie ihre Augen mich sonst durchbohrt hätten. Es war wirklich schwierig, sich davon nicht beirren zu lassen, das wusste ich nur zu gut. Ich seufzte hilflos, suchte nach einer selbst für Grandma plausiblen Erklärung. »Weißt du, das hier ist ein Gemeinschaftszimmer, und das gehört uns eben allen«, antwortete ich geduldig. Wenn ich es ganz ruhig erklärte, musste sie es doch verstehen. »Wir sind vier Mädchen in dieser Einheit, zusammen. Und der Gemeinschaftsraum ist der, den wir gemeinsam nutzen.« Für wenige Augenblicke herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Dann zeig ihnen doch, wie die Fernbedienung funktioniert, und sie werden sich damit wohl fühlen.« Ich raufte mir die Haare. Offenbar musste ich deutlicher werden. »Grandma, ich habe Angst, dass es wegen dieser Sachen so aussehen könnte, als wäre es nur mein Zimmer.« »Du sagst es.« Nun klang ihre Stimme zum ersten Mal -140-
wirklich fröhlich. »Es ist von unschätzbarem Wert, die Oberhand zu behalten. Rory, du lebst jetzt in der richtigen Welt und dein Rang ist sehr wichtig.« »Aber…« Entmutigt ließ ich mich auf einen der neuer Sessel fallen. »Dein Großvater und ich sind sehr stolz auf dich. Also erfreue dich an der Einrichtung. Wir sehen uns dann Freitag.«! »Okay, wir sehen uns Freitag.« Ich beendete die Verbindung. Es war nicht zu glauben: Meine Großmutter war bei uns eingebrochen und hatte die Möbel hingestellt – ohne mich auch nur einmal nach meiner Meinung gefragt zu haben. Das war ein absoluter Hammer! In einer solchen Situation gab es nur einen Menschen, der mich verstand. Sobald es Abend war und ich wusste, dass Mom zu Hause sein würde, rief ich sie an. Wir telefonierten täglich um diese Uhrzeit und deshalb hielt ich mich gar nicht erst mit langen Begrüßungsfloskeln auf. »Hallo Mom«, stieß ich reichlich gequält hervor und erwartete, dass sie mich sofort fragen würde, was los war. Stattdessen plapperte sie einfach drauflos, jammerte mir etwas vor. »Die Pommes sind verkokelt, ich habe zu wenig Barbecue-Sauce, der Jeep macht wieder dieses knirschende Geräusch, und ich bastle den ganzen Abend Eibenohren für Aaron Thomspons Herr-der-RingeParty.« Mom hatte es sich gerade auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem gemacht. Ihr Abendessen steckte noch in der Tüte. Sie packte es jedoch auf einen Teller, während sie mit mir sprach. Auch ich kaute gerade schlecht gelaunt auf meinem Abendessen herum. Burger und Pommes, das war eines von Moms und meinen Leibgerichten, eine Vorliebe, die -141-
uns verband. Es hinderte mich jedoch nicht, zu ignorieren, was Mom berichtete. Meine Geschichte toppte alles, das stand außer Frage. »Grandma ist ins Wohnheim eingebrochen und hat uns den Gemeinschaftsraum mit Möbeln und einer Video- und Hi-Fi-Anlage im Wert von fünfundzwanzigtausend Dollar voll gestellt«, verkündete ich, gespannt, was sie dazu sagen würde. Einen Augenblick war es still am anderen Ende der Leitung. Dann hörte ich ein tiefes Atmen. »Sieg für dich«, gab Mom unumwunden zu. »Es ist unfassbar!«, legte ich nach. »Du müsstest das Zimmer mal sehen. Ich komme mir vor wie bei den Royais.« Mom lehnte sich zurück, was ich allerdings nicht sehen, sondern nur erahnen konnte. »Los, erzähl mir die ganze Geschichte.« »Okay, ich komme nach Hause, und alles, was bisher hier stand, ist verschwunden, und dafür ist der neue Kram da.« »Was sagen deine Mitbewohnerinnen?«, wollte Mom wissen. »Tanna hat noch nicht geschnallt, dass sie in Yale ist«, erklärte ich erschöpft. »Paris hat’s gesehen und nichts gesagt.« »Aha, das kommt noch.« »Janet joggt. Ich weiß noch nicht, wie sie es findet. Aber ich hoffe, es gefallt ihr. Sie ist gut in Form und könnte mich echt fertig machen.« Ein beunruhigender Gedanke, der mir da gerade kam. Doch wie immer wusste Mom auch diesmal Rat. »Dann suche ein Fernsehprogramm raus, auf das sie steht, „wenn sie aufkreuzt. Irgendwas, das Jogger beruhigt. -142-
Vielleicht eine Sendung, in der alle dauernd im Kreis laufen«, schlug Mom gut gelaunt vor. »Das ist ein übler Eingriff in meine Privatsphäre.« Ich war noch immer empört über Grandmas Verhalten. Sicher, ich kannte sie, aber so etwas hatte ich nicht einmal ihr zugetraut. »Sie hat alles verschwinden lassen, was hier drinstand. Ich weiß nicht, was sie sich denkt.« »Ich aber.« Mom verstellte ihre Stimme, bis sie wie die einer bösen Hexe klang. »Rorys Leben – das gehört mir. Ich muss sie in mein Netz locken.« Mom musste über sich selbst lachen und sprach wieder mit ihrer normalen Stimme. »Du kennst sie doch.« »Wie bitte?« Ich konnte es nicht fassen! Bei Mom klang das so, als sei gar nichts Besonderes vorgefallen. »Aber Rory, ich bitte dich. Das ist meine Mutter, Emily Gilmore. So was macht sie doch andauernd. Du weißt, was für Sachen sie seit Jahren mit mir durchzieht. Ich habe dir gesagt, was du dir einbrockst, wenn du dir Geld von ihr leihst«, erinnerte mich Mom. Ich schmollte. »Bist du etwa schadenfroh?« »Nein, natürlich nicht. Ich will nur sagen, wer schlafende Hunde weckt, der… bekommt ein Entertainmentcenter«, fügte sie kichernd hinzu. »Verstehe. Und was soll ich tun?« So hatte ich mir unser Gespräch ehrlich gesagt nicht vorgestellt. »Na ja, du könntest vielleicht sagen: >Grandma, die Möbel sind wirklich sehr schön. Und ich weiß diese Geste zu schätzen, aber das hier ist ein Wohnheim, und ich kann dir nicht garantieren, dass es den anderen Mädchen ebenso gefällt. Und außerdem mache ich mir Sorgen, dass die wertvolle Anlage geklaut wird. Dieses Geschenk ist ein bisschen zu viel des Guten.<« »Klingt ganz gut«, nickte ich zufrieden. Vielleicht gab -143-
es ja doch noch einen Weg aus dem Schlamassel, und ich musste nicht Grandmas Zorn auf mich ziehen. »Ja, klar. Doch dann wird meine Mutter sagen: >Rory, dein Großvater und ich bezahlen dir das Studium in Yale. Wir ermöglichen dir eine wahrhaft gute Ausbildung, doch du bist undankbar und borniert. Und das finde ich nicht nett.« Ich schloss die Augen. Mom imitierte Grandmas Art, sich auszudrücken, erschreckend gut. Ich konnte Emily quasi vor mir stehen sehen. »Ich bin in einem Maße verletzt, das du wohl erst verstehen wirst, wenn du selbst eine Tochter oder eine Enkelin hast, die dir brutal das Herz herausreißt, so wie du es heute bei mir getan hast«, fuhr Mom am anderen Ende der Leitung unbeirrt fort. »Ich hoffe, das winzige Stück Unabhängigkeit, das dir dieser Zwischenfall beschert hat, wiegt die völlige Entfremdung von deinen Großeltern auf, die dich doch über alles lieben und immer nur an dich denken.« Ich war inzwischen ziemlich genervt. Ein weiteres Mal würde ich mir diesen Sermon gerne ersparen – und dann würde er zudem wirklich von Grandma kommen. Trotzig reckte ich das Kinn. »Ich könnte die Möbel auch behalten.« »Ja, ganz recht.« Mom wurde nun wieder ganz ernst. »Schatz, ganz ehrlich, wenn dir das so wichtig ist, dann sag auch was. Ich will nur, dass du auf alles vorbereitet bist.« »Schon klar.« Resigniert schob ich mir eine inzwischen kalt gewordene Pommes in den Mund. Mom fühlte mit mir. Schließlich kannte sie die Fehler ihrer Mutter aus eigener leidiger Erfahrung. »Das hier könnte dir ein Trost sein: Meine Mutter hat versucht, -144-
meine ganze Unabhängigkeit, meine Seele und meine Zukunft zu zerstören, um mich zu dressieren. Dir hat sie wenigstens noch ein Sofa geschenkt.« Ich musste zugeben, es hätte bedeutend schlimmer kommen können. Irgendwie gelang es Mom tatsächlich immer wieder, mich aufzuheitern. Und dafür war ich ihr sehr dankbar.
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11
Als Grandpa an diesem Abend nach Hause kam, war Emily dabei, ein paar Stoffmuster für einen neuen Bezug des Sofas auszuprobieren. Sie wollte im Wohnzimmer etwas verändern, der Raum sollte gemütlicher werden. Doch was sie sah, stellte sie nicht zufrieden. Keines der Stoffstücke erfüllte ihre Ansprüche. Richard ging schnurstracks auf die Bar zu und goss sich einen Whisky ein. »Hallo, Emily. Ich bin wieder da«, begrüßte er sie beiläufig. Er fühlte sich abgespannt und war müde. Emily schlenderte auf ihn zu. »Diese Stoffmuster verursachen mir Kopfschmerzen, so grauenhaft sind sie«, stöhnte sie. Grandma wedelte mit einem Stück, das sie gerade in der Hand hielt, vor seiner Nase herum. »Was hältst du von dem hier?« Grandpa warf nur einen kurzen Blick darauf. »Hm? Oh, sehr hübsch.« »Tja, das ist doch genau der Enthusiasmus, den ich erwarte.« Die scharfe Ironie in ihren Worten war nicht zu überhören. Immer musste sie alles allein entscheiden. Ihr Gatte war wirklich keine große Hilfe, wenn es darum ging, ein dezidiertes Urteil zu erhalten. Und dann blieb immer alles an ihr hängen… »Emily, du hast einen ausgezeichneten Geschmack. Was du auch auswählst, es sieht sicher reizend aus«, versuchte Grandpa sie zu besänftigen. Ein Streit war jetzt das Letzte, was er gebrauchen konnte. Noch dazu wegen solcher Kleinigkeiten. Emily wechselte das Thema. »Willst du etwas Eis in dein Getränk?« -146-
»Äh, nein. Besser wäre ein größeres Glas.« Stirnrunzelnd betrachtete sie ihren Ehemann. »Du klingst erschöpft.« »Tja, es war ein langer Tag«, gab er zu. »Einige Männer gehen in den Ruhestand.« Dies war ein leidiges Thema zwischen ihnen, das zuverlässig zu Ärger führte. Grandpa wusste, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte. »Und einige Männer tätowieren sich den Namen ihrer Mutter auf den Bizeps«, erwiderte er bockig. »Ich denke nicht, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat.« Emily war beleidigt. Und da Grandpa wusste, dass sie in dieser Stimmung sehr angriffslustig war, zog er es vor einzulenken. »Ich fühle mich gut, Emily. Ich wünsche mir nur einen Drink und eine Mahlzeit. Dann bin ich so gut wie neu.« Grandmas Blick fixierte ihn. »Heute hat Jason Stiles bei uns angerufen.« Grandpa war schon auf dem Weg in sein Arbeitszimmer, doch nun blieb er stehen. »Digger Stiles? Was wollte er?« »Na, mit dir reden«, antwortete Emily. Natürlich wusste sie, wie schlecht er auf den jungen Mann zu sprechen war. »Ich habe ihm nichts zu sagen.« Richard presste die Lippen aufeinander. »Nun, vielleicht will er dir was Interessantes erzählen«, gab Grandma zu bedenken. »Was denn? Dass die wetterwendische Firma, bei der ich früher war, meine Pension kürzen will? Dass die Aktienoption, die ich bekam, als sie mich vor die Tür gesetzt haben, widerrufen wurde?« Richard wurde laut, was ihm sonst nur selten passierte. Er schätzte -147-
emotionale Ausfälle nicht besonders. Emily blieb ganz ruhig. »Ja. Oder er wollte hallo sagen.« »Hm. Vermutlich schickt ihn sein Vater für die Drecksarbeit vor«, brummte Grandpa. »Nicht nur dass sie mich feuern mussten, sie schikanieren mich jetzt noch weiter, nach meinem Ausscheiden.« »Und ich dachte immer, du hast Digger gern.« Emily hob erstaunt die Brauen. »Ja. Ich hatte ihn gern, als er mir Kaffee gebracht hat. Ich hatte ihn auch gern, als er mein Heftgerät aufgefüllt hat. Aber jetzt, da er seines Vaters Thronfolger ist, mit dem Auftrag mich zu quälen, da habe ich ihn nicht mehr gern. Und ich verstehe nicht, warum du ihn verteidigen musst«, fügte er mit vor Wut bebender Stimme hinzu. »Das mache ich nicht, auf keinen Fall«, widersprach Emily heftig. »Wenn du den Jungen nicht zurückrufen willst, na gut, dann lass es sein.« »Danke sehr.« Wie nett von ihr, dass sie ihm so viel Entscheidungsspielraum einräumte. Er war nun wirklich alt genug, um seine Entscheidungen ohne Zustimmung anderer zu treffen. »Er kommt morgen ohnehin vorbei«, flötete Emily so beiläufig wie möglich. »Frag ihn doch dann, was er will.« »Digger kommt her?«, ungläubig starrte er sie an. »Er wollte unbedingt mit dir reden.« Grandma zuckte die Achseln. »Da habe ich ihn eingeladen.« Grandpa schüttelte den Kopf. »Warum hast du das getan?« »Das gebietet nun mal die Höflichkeit. Wenn du nicht willst, dass er herkommt, ich habe seine Nummer. Du kannst ihn anrufen und absagen. Es liegt bei dir.« -148-
»Bitte, soll er eben herkommen.« Resigniert winkte er ab. »Aber er bekommt hier keinen Drink. Er kann reinkommen und seine Nachricht überbringen, dann geht er wieder.« »Wenn das dein Wunsch ist.« »Ganz recht. Kein Drink, kein Handschlag, gar nichts.« Grandpas Stimme klang drohend. Emily beeindruckte das allerdings kein bisschen. Ganz im Gegenteil. »Wenn du willst, kein Problem. Ich verstecke die Schnapsflaschen, dann kommt er nicht auf dumme Gedanken.« Sie verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen. Keine Frage, sie fand es kindisch, wie ihr Mann sich aufführte. »Es ist wahrhaft tröstlich, in solchen Augenblicken die Ehefrau hinter sich zu wissen.« Mit großen Schritten stapfte Grandpa nun endgültig in sein Arbeitszimmer. »Freut mich zu hören.« Emily konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es würde schon alles so laufen, wie sie es wollte, da machte sie sich gar keine Sorgen. Schon eine ganze Weile versuchte ich, es mir auf dem Sofa im Wohnraum bequem zu machen. Doch irgendwie gelang mir dies nicht recht. Ich stopfte mir ein Kissen in den Rücken und nahm mein Buch zur Hand, weil ich lernen wollte. Ich blätterte ein paar Seiten durch, doch weiter kam ich nicht, denn Paris stürmte herein. »Hast du’s gehört?«, fragte sie mich ganz außer Atem. Ihre Augen leuchteten. Ich blickte von meiner Lektüre auf. »Und was?« »Die erste Party des Jahres steigt auf unserer Etage!« »Ach, ja?« Ich begriff nicht, was daran so aufregend sein sollte. »Eigentlich wird damit die erste Studienwoche gefeiert, aber das bei weitem Wichtigere ist, dass diese Party auf -149-
unserer Etage stattfindet, hier bei uns.« Kommentarlos angelte ich mir noch ein Kissen und stopfte es mir in den Rücken. Dieses Sofa von Grandma mochte teuer gewesen sein, aber bequem war es trotzdem nicht. Paris plapperte unterdessen munter weiter. »Jedenfalls läuft es so, dass alle, die mitmachen wollen, einfach ihre Türen offen lassen. Dann kommen die Leute problemlos rein und raus.« Erwartungsvoll sah sie mich an. »Und? Was sagst du?« »Was? Wozu?« »Dass wir die Tür aufmachen«, wiederholte Paris, diesmal bereits leicht genervt. »Das wäre eine prima Möglichkeit, unsere gesellschaftliche Stellung in Yale zu festigen. Denn so was garantiert uns Einladungen für jede andere Party in diesem Jahr, und die meisten Leute merken sich, wer wir sind.« Unentschlossen hob ich die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich weiß nicht.« »Was soll das heißen? Ich hab’s dir doch eben genau erklärt«, fuhr Paris mich an. Sie hasste es, wenn sie sich wiederholen musste. Ich hatte ihre Geduld eindeutig überstrapaziert. Trotzdem war ich nicht sicher, ob ich Lust auf diese Party hatte. »Tja, es kommt mir eben etwas merkwürdig vor, Fremden einfach so meine Tür zu öffnen«, erklärte ich ein wenig lahm, das merkte ich selbst. »Wer weiß, wie ich mich dann fühle. Vielleicht „will ich schlafen.« »Wir sind jung, du Pfeife. Schlafen können wir, wenn wir tot sind.« Paris war ganz blass geworden. Sie hatte mich ja schon immer für eine Langweilerin gehalten, aber jetzt übertraf ich ihre schlimmsten Befürchtungen. Bestimmt verfluchte sie es in diesem Moment, mit mir -150-
zusammengezogen zu sein. »Hör zu, wir können ja auf die Party gehen und ein paar Leute treffen«, willigte ich schließlich schweren Herzens ein, denn ich musste zugeben, dass sie nicht ganz Unrecht hatte. »Du festigst deine Stellung und sorgst dafür, dass alle wissen, wer du bist, und ich gehe, wenn ich will.« »Nein, das ist nicht dasselbe«, widersprach sie aufgeregt. »Die Tür aufzumachen heißt, die Party zu schmeißen. Dann sind wir mitverantwortlich, und man schuldet uns was. Willst du nicht bei anderen was guthaben?« Ich wendete mich wieder meinem Buch zu. »Ich brauche das alles nicht.« »Klar, du hast das nicht nötig.« Paris schnappte nach Luft, entschlossen, einen ihrer berüchtigten Giftpfeile abzuschießen. »Immerhin gehören dir ja die schicken Möbel und der Fernseher. Da kannst du die Chefin spielen. Und wir anderen gucken in die Röhre. Unsere Großeltern haben nämlich keine Angebermöbel für uns besorgt. Du bist selbstsüchtig. Dich interessiert niemand, außer dir selbst. Wie sehr ich das alles hier hasse!« Sie drehte sich um, stürmte in ihr Zimmer und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Ich schluckte. Ihre Anschuldigungen hatten mich tiefer verletzt, als sie dachte.
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12
Unterdessen steckten Mom und Sookie mitten in den Vorbereitungen für den Geburtstag des kleinen Aaron. Natürlich hatte Mom nicht nein sagen können zu Sookies Angebot. Zu verführerisch war die Aussicht auf glänzende Kinderaugen und ein paar Einnahmen gewesen. Außerdem machte die Arbeit Mom einen Riesenspaß. Das Motto, unter dem der Geburtstag stehen sollte, lautete Herr der Ringe – und Mom fand das wunderbar. Sie und Sookie kontrollierten gerade, was sie schon alles besorgt hatten und was noch fehlte. Schließlich sollte alles perfekt werden. Mom hatte alle Sachen auf ihrem Küchentisch ausgebreitet und ging sie nach und nach durch. »Okay, wir haben Kostüme, Ausschneidefiguren und Ringe. Wir haben Feen-Halsketten und Baumgesichter. Die Tischdeko werde ich dann morgen abholen. Oh, und wenn du willst, bestelle ich eine Herr-der-Ringe-Torte.« Sookie winkte ab. »Nein, das schaffe ich schon selbst.« Schließlich war sie eine sehr gute Köchin, das hörte sie von allen Seiten. Ein solcher Kuchen konnte da kein Problem sein. Mom lachte. »Na schön. Die Torte wird gestrichen. Und du wirst für das Menü sorgen, richtig?« »Ja, klar.« Sookie nickte eifrig. Sie gehörte zu den Menschen, die selbst im Schlaf von Soßen und Bratensaft träumen. »Am besten machst du einfach was Witziges für Kinder«, schlug Mom vor. »Du weißt schon, Hotdogs, Kartoffeltaler, Minipizza, Käsemakkaroni.« Sie schnippte mit den Fingern, denn ihr war noch etwas eingefallen. -152-
»Oh, weißt du, was klasse wäre? Dieses lustige bunte Popcorn. Rory ist ausgeflippt, wenn sie das essen konnte.« Sookie rollte mit den Augen. Das konnte Mom ruhig ihr überlassen. Schließlich war die Zubereitung des Essens ihr Job. Etwas anderes interessierte sie im Moment viel mehr. »Hey, wie viele Erwachsene werden denn da sein?« »Vermutlich etwa zehn.« »Okay.« Sookie notierte sich das. Als das Telefon klingelte, war Mom mit einem Satz am Apparat. »Hallo?« »Ich muss mit Ihnen über Rory sprechen«, tönte eine aufgeregte Stimme an ihr Ohr. Zuerst dachte Mom, sie hätte sich geirrt, doch es gab eigentlich keinen Zweifel. »Paris?«, fragte sie ungläubig. Mit ihr hatte sie im Moment nun gar nicht gerechnet. Paris hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten, sondern redete einfach weiter. »Rory fügt sich nicht gut ein. Ich mache mir große Sorgen um sie.« Mom suchte nach Worten. »Tja, das ist wirklich…« »Der Sozialisierungsprozess auf dem College ist lebenswichtig«, fiel Paris ihr ins Wort. »Kontakte, die wir hier knüpfen, können ein Leben lang halten. Durch sie beeinflussen wir unsere Zukunft. Das ist sehr wichtig.« »Verstehe«, erklärte Mom, obwohl dies ganz und gar nicht so war. Sie hatte keine Ahnung, worauf Paris hinauswollte. »Ja, es ist schon verlockend, dass man die eigene Tochter in Abhängigkeit hält, damit sie sich später um einen kümmert«, fuhr Paris unerschrocken fort. »Aber ich dachte, Sie wollen das Beste für sie.« -153-
Mom verschlug es die Sprache. Paris’ altkluge Reden waren das eine, aber eine solch freche Behauptung war etwas ganz anderes. Das Mädchen ging entschieden zu weit. Trotzdem schluckte Mom eine passende Erwiderung hinunter. Sie war schließlich hier die Erwachsene und nicht bereit, sich provozieren zu lassen. Hinter dem Verhalten des Mädchens musste etwas anderes stecken. »Hey, Paris, ist zwischen euch beiden irgendwas vorgefallen?« Wie immer hatte Mom den Nagel auf den Kopf getroffen. Umständlich begann Paris ihr zu erklären, dass ich bei der Sache mit der Party nicht mitmachen wollte. »Sie führt sich auf wie Heidis Großmutter«, schimpfte Paris. »Und wenn Sie eine richtige Mutter…« In diesem Moment betrat ich unsere Studentenwohnung und hörte Paris letzte Worte. Ich kombinierte schnell. »Paris, du rufst meine Mutter an?« Wütend riss ich ihr den Hörer aus der Hand. »Klar, du hörst ja nicht auf mich«, schrie mich Paris an, warf das Telefon auf den Boden und verschwand in ihr Zimmer. Ich hob es auf und ließ mich auf einen der Sessel sinken. »Hallo, Mom?« »Hi, Schätzchen. Wie ist das College?« »Hier wohnt eine Figur aus einem Steven-KingRoman«, antwortete ich erschöpft. »Was ist denn los mit ihr?«, wollte Mom wissen. Natürlich lag ihr daran, auch meine Sicht der Dinge zu erfahren. »Es geht um diese idiotische Party. Ich will nicht, dass fremde Leute durch mein Zimmer turnen, und deswegen macht sie mir Stress. Tut mir Leid, wenn sie dich belästigt hat.« -154-
»Ist schon gut. Erzähl mir von der Party.« »Das ist nichts Großes, nur eine Feier nach der ersten Studienwoche«, wiegelte ich ab. Ich war ungeheuer froh, ihre Stimme zu hören, das musste ich zugeben. Auf ihren Rat konnte ich etwas geben. »Gehst du hin?«, wollte sie wissen – und ihre Neugierde war nicht zu überhören. »Vielleicht«, sagte ich so leichthin wie möglich. »Hör zu, es ist vielleicht gar nicht mal übel, die Leute kennen zu lernen, die im selben Haus wohnen wie du. Dann siehst du gleich, wer dir im Notfall mal Klopapier leihen kann.« Das war typisch für Mom – immer ein eindrückliches praktisches Beispiel zur Hand. Gegen meinen Willen musste ich grinsen. »Ich lerne sie schon kennen«, erwiderte ich matt. »Aber auf einer Party ist so was viel lustiger«, gab Mom zu bedenken. »Du meinst, ich soll zulassen, dass Paris aller Welt unsere Tür öffnet?«, fragte ich entrüstet. Ehrlich gesagt hatte ich mit mehr Rückendeckung gerechnet. »Ich meine gar nichts. Ich will nur sichergehen, dass du dich in den vier Jahren, die du auf dem College sein wirst, auch ein bisschen amüsierst und dir nicht bloß sämtliche Bücher aus der Bibliothek zu Gemüte führst. Weißt du, Schatz, ich sehe es schon vor mir, wie du dich während der Party in deinem Zimmer verschanzt und ein Buch verschlingst.« »Hör zu, das tue ich nicht. Ich lese eben gern, das ist alles. Und ich finde schnell Freunde. Du hast es selbst erlebt«, fügte ich bockig hinzu. Meine Laune wurde zusehends schlechter. Warum ließ Mom mich nicht einfach in Ruhe? Sie hörte sich ja fast schon wie Paris -155-
an! »Es geht nicht nur darum, Freundschaften zu schließen. Du kannst so viel erleben: Partys, Footballspiele, Demos… Das sind alles Erfahrungen. Vielleicht ziemlich blöde, aber wer weiß. Es kann doch sein, dass du eines Tages über etwas stolperst, das dir gefällt.« Mom merkte selbst, dass sie auf mich einredete wie auf eine kranke Kuh. »Sorry, sollte keine Predigt werden«, murmelte sie kleinlaut. »Einverstanden.« Was Mom gesagt hatte, klang gar nicht so dumm. Ich gab auf. »Okay, ich öffne die Tür.« Aus dem Nebenzimmer erklang ein lauter Jubelruf. Paris hatte offenbar an der Tür gelauscht – ich hätte es mir denken können. Wütend drehte ich mich um. »Das tu ich nicht für dich«, rief ich zu ihr hinüber. »Der Grund ist mir völlig egal«, antwortete Paris, noch immer hinter der Tür verborgen. Ich konnte hören, wie Mom am anderen Ende der Leitung kicherte. »Komm Schatz, Kopf hoch. Vielleicht wird’s toll.« »Ja, ja, ja.« »Ruf mich wieder an.« Ich verzog das Gesicht. »Und wenn nicht ich, wird’s Paris machen.« »Sag ihr danke von mir«, ertönte wieder Paris’ Stimme. »Das mache ich nicht.« Ich beendete die Verbindung und warf das Telefon aufs Sofa. Der große Tag war gekommen, heute würde die Party steigen. Paris hatte sich in ein extra cooles Outfit geworfen und lief durchs Haus, um die Lage zu inspizieren. Auch Tanna und ich hatten uns zögernd ein bisschen in Schale geworfen. Nicht, dass ich mir etwas davon versprach, aber schaden konnte es ja auch nicht… -156-
Allerdings war ich mir in Tannas Fall nicht ganz sicher, ob man wirklich von sich schick machen sprechen konnte. Sie selbst allerdings fand sich in ihrem Outfit umwerfend. »Wie gefällt es dir?« Mit ihren großen Augen sah sie mich fragend an. Sie drehte sich vor mir hin und her, strahlte mich erwartungsvoll an. Ich allerdings wusste erst einmal nicht, was ich sagen sollte. »Was ist das?«, stammelte ich schließlich irritiert, obwohl ich ihr Outfit nur zu gut kannte. »Du hast doch gesagt, ich kann mir für die Party was borgen.« Verwirrt runzelte Tanna die Stirn. »Ja, sicher, aber das da ist meine alte Schuluniform. Meine Mom hat sie wohl eingepackt, weil sie das witzig fand. Ich habe sie jeden Tag zur…« Tanna nickte selig und strich vorsichtig über das aufgestickte Wappen. Ich sah ein, dass ihre Wahl kein Versehen gewesen war, sondern einfach Tannas etwas merkwürdigem Geschmack entsprach. Ich lächelte sie wohlwollend an. »Hör zu, ich leih’ dir auch noch die Krawatte.« Ich holte sie aus einer Schublade hervor und reichte sie Tanna, die dankbar zugriff. Wie zuckten beide zusammen, als Paris ins Zimmer stürmte. Sie hatte vor Eifer gerötete Wangen. »Ich habe die anderen offenen Zimmer gecheckt, und keins ist für einen bestimmten Zweck reserviert. Wir haben freie Auswahl. Was meinst du, was sollen wir machen?«, fragte sie mich, ohne Tanna auch nur eines Blickes zu würdigen. Das Mädchen zog sich wortlos in ihr Zimmer zurück, um sich die Krawatte umzubinden. »Wir haben reichlich Sitzgelegenheiten, gut für eine Fummelzone«, sprudelten die Worte nur so aus Paris’ -157-
Mund heraus. »Oder wir drehen die Anlage voll auf, stellen die Möbel beiseite, dann haben wir Platz zum Tanzen. Oder wir decken alles ab und stellen hier ein Bierfass auf.« Allein bei dem Gedanken an diese Möglichkeiten wurde mir ganz anders. »Nein, das will ich alles nicht.« Entschieden schüttelte ich den Kopf. »Du hast mich dazu gezwungen, die Tür aufzumachen. Wir haben das Zimmer der offenen Tür, mehr nicht.« Fieberhaft dachte Paris nach. »Und wie wär’s mit indirektem Licht und ein paar Kerzen für tiefgründige Gespräche?« Sie war überzeugt davon, dass sogar ich damit einverstanden sein musste. »Niemand kennt mich hier, Rory. Weißt du eigentlich, was das heißt?« Ihre Stimme nahm einen beinahe weinerlichen Klang an, so hatte ich Paris noch nie erlebt. »Es bedeutet, ich kann von vorn anfangen«, fuhr sie nach einem unglücklichen Seufzer und einer wohl platzierten Kunstpause fort. »Ich werde die vergangenen achtzehn Jahre auslöschen, und dann zeige ich der Welt die neue Paris Geller, die witzige Paris Geller. Ich möchte einfach nur, dass in diesem Jahr alles anders wird, verstehst du?« Tränen glitzerten in ihren Augen und ich hatte das Gefühl, dass sie echt waren. Sie hatte gewonnen – und mich weich geschwatzt. »Okay, eine Kerze«, lenkte ich resigniert ein. Die Geburtstagsfeier für den kleinen Aaron entpuppte sich als weit schwieriger zu bewerkstelligen als erwartet. Kaum hatte das Fest zu Ehren des Jungen begonnen, stritten sich die süßen Kleinen, was das Zeug hielt, und waren kaum zu bändigen. Die Gastgeberin Helen Thompsons kam mit jeweils einem kleinen Jungen an der Hand auf Mom zu. »So, -158-
darf ich vorstellen, das hier sind Redmond und Riley James.« »Redmond und Riley, sehr erfreut.« Freundlich nickte sie den beiden zu. »Ich bin Julie, eure Reiseleiterin. Ich helfe euch mit den Kostümen.« »Ich will Legolas sein«, verkündete Redmond, ohne zu zögern. »Und ich will Gimli sein«, erklärte Rily, der größere von beiden. Schon hatte Redmond es sich auch anders überlegt. »Ich will auch Gimli sein«, maulte er mit weinerlicher Stimme. »Okay, zwei Gimlis, gibt es sofort.« Mom drehte sich zu dem Kleiderständer um, an dem alle Kostüme hingen, die sie mitgebracht hatte. In diesem Moment kam Aaron angerannt. Er war von Mom bereits mit einem Kostüm ausgestattet worden. Allerdings war er mit seinem Exemplar nicht zufrieden. Wütend drängelte er sich vor und baute sich vor Mom auf. »Lorelai, meine Kapuze ist locker.« Redmond gab ihm einen Schubs. »Sie heißt Julie, du Blödmann.« »Nein, gar nicht, du Idiot«, fauchte Aaron zurück. Es fehlte nicht viel und die beiden Jungs wären aufeinander losgegangen. Mom konnte dies gerade noch verhindern, indem sie sie festhielt. »Hey, hey, hey! Immer schön friedlich.« Riley kam Redmond zu Hilfe. »Sie hat gesagt, ihr Name ist Julie. Sie ist unsere Reiseleiterin.« »Wieso denn Reiseleiterin?« Nun begriff Aaron gar nichts mehr. Redmond streckte ihm die Zunge raus. »Ich weiß nicht, aber du redest nur Quatsch.« -159-
Mom musste schlichten, damit das Ganze nicht noch in einem Ringkampf endete. »Bitte, Jungs. Liebevoll. Im Herr der Ringe dreht sich doch alles um die Liebe.« Aaron stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Nein, in dem Film geht’s um die Vernichtung der Menschheit.« »Na, das ist ja äußerst liebreizend.« Sie schob den Jungen in eine andere Richtung davon, damit er Redmond und Riley nicht weiter ärgern konnte. »Komm, geh spielen.« Auch die anderen beiden Jungs verdrückten sich nun. Sie hatten das Interesse an Mom und ihren Kostümen verloren. Aber noch war die Krise nicht ausgestanden, denn nun kam ein Mädchen auf Mom zugelaufen. Die Kleine hieß Jill. Und sie hatte vor Empörung rote Backen. »Stimmt es, dass nur Hobbitjungen zum Schicksalsberg wandern dürfen? Ein paar der Jungs haben das gesagt. Ist es das wahr?« Mom beugte sich zu Jill hinunter und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »In dem Film sind nur Hobbitjungen zum Schicksalsberg gewandert, aber das lag einfach bloß daran, dass die Mädchen was viel Gefährlicheres gemacht haben.« »Was denn?« Mom kam nicht dazu, Jill eine Antwort zu geben, denn endlich traf auch Sookie bei den Thompsons ein. Mom hatte schon auf sie gewartet. Wenn die kleinen Mäuler erst mit leckerem Essen voll gestopft waren, würden die Süßen sicher etwas friedlicher werden. Das hoffte Mom jedenfalls. Erleichtert winkte sie Sookie zu. »Toll, da bist du ja.« »Wow, hier ist ja wirklich gut was los!« Sookie blickte sich um und nickte anerkennend. Dann zwinkerte sie Mom vergnügt zu. »Hast du auch genug Kostüme?« -160-
»Aber klar. Es läuft alles nach Plan. Die Leinwand steht, die Tische sind gedeckt und vier Kinder heulen.« Sookie grinste. »Gut, dann geh ich mal in die Küche.« »Sehr schön. Bald ist nämlich Mittagszeit, und die jungen Hobbits werden hungrig.« »Ich mache schnell. Bin schon weg.« Zielstrebig eilte Sookie in Richtung Küche davon.
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13
Als es an der Tür klingelte, war Emily mit ein paar Schritten dort und öffnete. Sie setzte ein liebenswürdiges, aber nicht allzu herzliches Lächeln auf. »Jason Stiles. Gut sehen Sie aus.« »Und Sie sehen umwerfend aus. Ich trainiere nur, doch Sie haben Gott ausgetrickst.« Er streckte ihr die Hand hin. Jason trug Anzug und Krawatte, und mit seinen sorgfältig gekämmten dunklen Haaren wirkte er ungeheuer seriös. Doch Grandma wusste natürlich, dass dies allein noch nichts besagte. Trotzdem, Jasons Erscheinung gefiel ihr. Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn mit sich. Zielsicher schritt sie auf Grandpas Arbeitszimmer zu. »Kaum eine Minute da, und schon fangen Sie mit den Schmeicheleien an.« Sie lächelte wohlwollend. Welche Frau genoss so etwas nicht? Für den Umgang mit Menschen, besonders weiblichen, schien Jason ein Händchen zu haben. Eine Fähigkeit, die nicht zu unterschätzen war. »Ich bitte um Verzeihung«, säuselte er halbherzig. »Wie schön, Sie zu sehen, Emily.« »Wie geht es Ihrer Mutter?«, übte Grandma sich in Smalltalk. So würde sich das Gespräch schnell auf unverfänglicheres Terrain bewegen. Über die Familie gab es immer etwas zu erzählen. »Es geht ihr gut, wie immer«, antwortete Jason knapp. »Und den Pferden?«, wollte Grandma wissen. Zwar interessierte sie sich nicht im Geringsten für die Tiere, doch daraufkam es jetzt nicht an. »Die fuhren ein besseres Leben als ich.« Jason hüstelte -162-
verlegen, offenbar unsicher, ob er zu viel von seinem gegenwärtigen Gemütszustand preisgegeben hatte. Grandma überhörte die Bemerkung geflissentlich. »Richard ist in seinem Zimmer. Er erwartet Sie schon.« Sie waren vor dem Arbeitszimmer angekommen. Grandma klopfte an und drückte die Klinke nach unten, als von drinnen ein lautes »Herein!« erklang. »Richard, hier ist jemand, der dich gerne sehen würde«, flötete sie betont liebreizend. Grandpa blickte nur kurz von ein paar Papieren auf, mit deren Durchsicht er gerade beschäftigt war, erwiderte aber nichts. Jason verhinderte, dass das Schweigen so lange andauerte, dass es peinlich wurde. »Hallo, Richard. Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten.« »Jason, verabschieden Sie sich bitte von mir, bevor Sie gehen.« Diskret ließ Grandma die Männer alleine. Sie würde ohnehin erfahren, was dort drinnen gesprochen wurde. Etwas ratlos stand Jason vor dem riesigen Schreibtisch. »Darf ich mich setzen?« »Wenn Sie wollen«, antwortete Grandpa einsilbig. »Ich schätze, die Geschäfte laufen gut?«, versuchte Jason es weiter, nachdem er Platz genommen hatte. »Sie haben richtig gehört.« Gandpa zog die Stirn in Falten und musterte ihn abschätzig. Was wollte Jason bloß von ihm? Er tappte vollkommen im Dunkeln. »Wieso sollte das auch nicht so sein? Sie waren immer der Beste«, nickte Jason anerkennend. »Sind Sie deswegen hergekommen, nur um mir zu sagen, wie gut ich meine Arbeit mache?«, polterte Grandpa los, beherrschte sich aber gleich wieder. Er hatte sich vorgenommen, gelassen und souverän zu bleiben, -163-
sich keine Blöße zu geben. »Nein, aber ich würde Ihnen gern etwas vorschlagen.« Jason rutschte auf seinem Stuhl weiter nach vorne. Grandpa faltete die Hände und sah sein Gegenüber erwartungsvoll an. »Dann fangen Sie mal an.« Jason holte tief Luft. »Ich will Ihr Partner werden.« Grandpa lehnte sich ruckartig in seinem Ledersessel zurück. »Wie bitte?« »Ich möchte mit Ihnen zusammenarbeiten.« Jason lächelte selbstbewusst. »Sie wissen schon, mit eigenem Schlüssel fürs Büro und einem Schreibtisch. Vielleicht darf ich auch Ihr tolles Briefpapier benutzen.« »Das ist doch nicht Ihr Ernst«, stieß Grandpa hervor. Doch Jason blieb vollkommen ungerührt. »Ich bin bereit, mich bei Ihnen einzukaufen und meine gegenwärtigen Klienten mitzubringen. Und wenn es Ihnen widerstrebt, Büro und Briefpapier zu teilen, sollte das wohl ein Anreiz für Sie sein. Denken Sie drüber nach. Durch mich wäre Ihre Firma sofort konkurrenzfähig. Meine Jugend und meine Klienten, dazu Ihr Ruf und Ansehen, das wäre ein ziemlich interessantes Paket, finden Sie nicht?« »Sie wollen mir Geld geben und einen Schwung zahlungskräftiger Klienten einbringen?« Grandpa konnte es noch immer nicht glauben. Die Sache musste doch einen Haken haben! Jason verzog amüsiert das Gesicht. »Das Briefpapier halten Sie strikt heraus, wie?« »Danke für Ihren Besuch, Jason.« Grandpa beugte sich vor und griff nach seinen Papieren. »Stimmt etwas nicht?« Jason schluckte irritiert. Mit einer Abfuhr hatte er nicht gerechnet. Er machte keinerlei Anstalten zu gehen. -164-
Grandpa zitterte vor Wut. »Glauben Sie, ich bin ein solcher Idiot, dass Sie einfach hier reinplatzen können…« »Das sind Sie nicht«, unterbrach Jason ihn. »Sie waren der beste Mitarbeiter, den mein Vater je hatte.« »Da haben Sie verdammt Recht.« Krachend ließ Grandpa die geballte Faust auf den Tisch niedersausen. »Es gab wirklich keinen Besseren dort. Und jetzt bin ich der schärfste Konkurrent, den er jemals haben wird.« »Noch nicht«, widersprach Jason kühl. »Aber mit mir können Sie es werden.« »Wieso soll ich Ihnen glauben, dass Sie es ehrlich mit mir meinen?« Grandpa blieb skeptisch. »Ihr Vater ist der Gründer dieser Firma. Er hat sie aufgebaut.« »Mit Ihnen«, gab Jason zu bedenken. Grandpa schüttelte den Kopf. »Sie haben schon als Kind dort gearbeitet, sogar während Ihres Studiums in Harvard. Sie wurden darauf getrimmt, die Firma zu übernehmen, und jetzt erzählen Sie mir, Sie wollen alles hinschmeißen? Wieso?« Jason hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl. Er stand auf und begann im Raum auf und ab zu wandern. »Weil ich was Eigenes machen möchte. Ich will nicht in einer Firma arbeiten, in der mich die Leute schon als Sechsjährigen gekannt haben. Ich würde zu gern endlich einen ganzen Tag erleben, ohne Digger genannt zu werden, und vor allem möchte ich meinen Vater damit bis zur Weißglut reizen. Stellen Sie sich mal sein Gesicht vor. Versuchen Sie es: Ich komme in sein Büro, und er sitzt in seinem riesigen, roten Ledersessel. Und ich sage: >Dad, ich verlasse den Laden. Ich nehme meine zahlungskräftigsten Klienten mit und steige jetzt bei Richard Gilmore ein, den du gezwungen hast, für mich -165-
Platz zu machen.<« Er lachte still in sich hinein. »Können Sie sein Gesicht vor sich sehen?« »Ja, ich sehe es.« Grandpas Miene hatte sich verändert, sie hatte etwas Verklärtes angenommen. »Die Vorstellung ist äußerst befriedigend.« Seit dem Tage seiner Entlassung hatte er immer wieder davon geträumt, sich zu rächen und Jasons Vater die schmerzhafte Demütigung heimzuzahlen – auf Heller und Pfennig. Der Gedanke, dass sich ihm nun die Gelegenheit dazu bot, war allerdings verlockend. Jason setzte sich wieder hin. Gespannt blickte er Grandpa an. »Und? Was sagen Sie?« »Hassen Sie Ihren Vater wirklich so?« »Das tue ich nicht. Ich will nur nicht so werden wie er.« Jason blickte ihm fest in die Augen. Und Grandpa traf einen Entschluss. Alles, was Jason gesagt hatte, hörte sich irgendwie plausibel an. Und wenn es wirklich so war, wie Jason es darstellte, dann musste er diese einmalige Chance ergreifen. Ein zweites Mal würde sie sich ihm in seinem Leben nicht bieten. Kommentarlos sprang er von seinem Platz auf und eilte mit großen Schritten ins Wohnzimmer, wo Emily saß und in einer Zeitschrift blätterte. »Emily, Jason wird einen Drink mit uns nehmen.« Jason war ihm in gebührendem Abstand gefolgt, denn er wollte nicht unhöflich wirken. »Ach ja? Das finde ich sehr nett.« Emily blickte zwischen den beiden hin und her. Sie war positiv überrascht, auch wenn sie sich den Stimmungswechsel ihres Gatten nicht recht erklären konnte. »Heißt das, eure Besprechung lief gut?«, wollte sie wissen. »Sie war ausgesprochen interessant. Jason möchte mein Geschäftspartner werden.« Grandpa platzte fast vor -166-
Stolz. Emily traute ihren Ohren nicht. »Wie bitte? Aber was ist mit seinem Vater und dessen Firma?« »Er will sie verlassen und sich mit dem Besten zusammentun.« Grandpa konnte nicht leugnen, dass er sich ungeheuer geschmeichelt fühlte. »Tja, ich mochte den Jungen schon immer.« Wohlwollend nickte er Jason zu. »Emily, ich habe ihm gesagt, ich werde es mir überlegen. Eigentlich brauche ich ja niemanden für meine Firma. Es läuft alles gut. Ich baue mir gerade einen soliden Kundenstamm auf.« »Aber es wäre sehr schön, wenn du nicht so hart arbeiten müsstest.« Emilys Blick versteinerte sich. Wie lange schon lag sie Richard mit diesem Wunsch in den Ohren, doch er konnte ja einfach nicht kürzer treten. Vielleicht änderten sich die Zeiten jetzt. Eine viel versprechende Aussicht. Als Mom den Raum betrat, in dem sie die Tische für die hungrigen Kleinen gedeckt hatte, traute sie ihren Augen nicht. Von der ursprünglichen Deko, die sie mit so viel Liebe und Überlegung passend zum Thema Herr der Ringe hergerichtet hatte, war so gut „wie nichts übrig geblieben. Und das war Sookies Werk, daran bestand kein Zweifel, denn sie wuselte geschäftig hin und her. »Was soll denn das?« Entsetzt nahm sie Sookie eine der weißen Stofftischdecken ab, die diese überall ausbreitete. »Die Tische waren doch schon fertig.« »Nein, das waren sie nicht.« Sookie starrte Mom verblüfft an. Das wäre ihr bestimmt aufgefallen. »Doch, das waren sie«, beharrte Mom. »Aber wo waren dann die Tischdecken?«, wollte Sookie wissen. »Na, hier.« Mom hob eine der weißen Stofftischdecken -167-
hoch. Darunter kam eine farbenfrohe Decke aus Papier zum Vorschein. »Da sind sie.« »Aber da sind Monster drauf«, stieß Sookie aus. Entsetzt machte sie einen Schritt zurück. Der Anblick dieser Gestalten musste den Kindern und Erwachsenen doch gewaltig auf den Magen schlagen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dies die richtige Wahl war. »Nein, das sind Figuren aus Herr der Ringe, und das ist auch vollkommen beabsichtigt, denn hier findet ja eine Herr-der-Ringe-Party statt.« Mom betonte jedes einzelne Wort mit Nachdruck, damit ihre Freundin es auch verstand. Offenbar war Sookie noch nicht ganz klar, was das bedeutete. Allmählich begriff Sookie. »Dann ist das der Tisch fürs Büffet?« Sie deutete auf ein langes, schmales Gestell, das an der Längsseite des Zimmers entlanglief. »Ja.« Mom nickte eifrig. Sie verstand nicht, dass ihre Freundin überhaupt fragte. Sookie schluckte. »Und die vielen Pappteller und becher?« »Die habe ich hier aufgestellt, klar doch.« Mom begann allmählich ungeduldig zu werden. Konnte ein einziger Mensch so begriffsstutzig sein? »Ich dachte, die sind bloß zum Angucken gedacht«, murmelte Sookie betroffen. Sie hatte sich das alles etwas anders vorgestellt, wesentlich stilvoller und edler eben. Ein Event, bei dem sie ihrem Ruf als vortreffliche Köchin alle Ehre machen konnte. Aber ob die köstlichen Speisen, die sie vorbereitet hatte, von Papptellern schmecken würden – sie hatte so ihre Zweifel. »Und zum Benutzen«, fügte Mom mit Nachdruck hinzu. »Aber sei ehrlich, der Rechaud sieht doch auf einer -168-
weißen Tischdecke tausendmal besser aus.« Beinahe zärtlich strich Sookie über das edle Metallgehäuse. Sie hatte extra ihr bestes Stück herausgesucht. Mom runzelte die Stirn. »Nun ja, ehrlich gesagt, solltest du hier so was gar nicht aufstellen.« »Wieso nicht?«, fuhr Sookie auf. Allmählich fühlte sie sich in ihrer Ehre gekränkt. Schließlich war sie keine Anfängerin. »Weil zu jedem Rechaud ein Teelicht gehört«, erklärte Mom geduldig, obwohl ihr dies ganz und gar nicht leicht fiel. Sookie war hier auf einem Kindergeburtstag, da musste sie schon ein wenig mitdenken. »Eines der Kleinen könnte den Finger in die Flamme halten und sich verbrennen. Halte das Essen lieber in der Küche warm.« »Verstanden.« Sookie seufzte. So kompliziert hatte sie sich dieses Fest nicht vorgestellt. Sie verschwand in der Küche und kam gleich darauf mit einer üppig belegten Platte zurück. Mom bekam ganz große Augen. »Es gibt auch Brie?« »Ja. Mit Lavendelhonig und in Bourbon glasierten Pekanüssen. Ich finde, das passt gut zu einer Rohkostplatte.« Sie strahlte vor Stolz. Bei der Zusammenstellung der einzelnen Geschmackskomponenten hatte sie sich wirklich sehr viel Mühe gegeben. Plötzlich wurde Mom ganz blass um die Nase. Eine fürchterliche Ahnung beschlich sie. »Bitte sag, dass du auch was für die Kinder hast.« Beinahe flehend sah sie ihre Freundin an. Es fehlte nicht viel und sie wäre tatsächlich in Panik ausgebrochen, eine Reaktion, die ihr ansonsten vollkommen fremd war. Sie atmete einmal tief durch. Sookie winkte ab. »Klar. Das hier stelle ich nur schon -169-
mal raus, falls jemand über zehn den kleinen Hunger kriegt. Hier sind auch ein paar Eltern, weißt du? Eltern, deren Aufgabe es ist, ihr Kind davon abzuhalten, andere Kinder zu schlagen oder den Finger unter den Rechaud zu halten«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu. Auch die Party von Einheit fünf in Yale lief nicht ganz nach Plan – jedenfalls für mich nicht. Während Paris aufgeregt durch die Gänge lief und auf die Leute einredete, damit sie auch zu uns hereinkamen und nicht nur auf den Gängen herumlungerten, langweilte ich mich tödlich. Es gab niemanden, mit dem ich mich gerne unterhalten hätte. Und offenbar wollte auch niemand mit mir sprechen. Ich liebäugelte gerade mit dem Gedanken, mich heimlich in mein Zimmer zu verdrücken und zu lesen, als Paris auf mich zustürzte. Ihre Augen leuchteten. »Ich habe alle Zimmer gecheckt, und unseres ist mit Abstand das Beste.« »Toll«, antwortete ich ohne jede Begeisterung. »Drei ist viel zu chaotisch. In Vier hat sich ein merkwürdiger Geruch ausgebreitet…« »Aha.« Ich hoffte nur, dass sie mich bald wieder in Ruhe ließ. »Die Zwei lag eine Zeit lang gut im Rennen, doch dann habe ich rumerzählt, dass das Mädchen, das dort wohnt, auf der Warteliste von Yale gestanden hat. Das ist eine tolle Party.« Sie rauschte davon. Ich stand noch ein bisschen in der Gegend herum, dann ging ich endgültig in mein Zimmer, legte mich aufs Bett und blätterte in einem Buch. Allerdings fielen mir sofort Moms Mahnung ein, mich nicht zu verbarrikadieren – und schon bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich klappte das Buch zu, seufzte und ging wieder nach draußen. -170-
Und tatsächlich blieb ich nicht lange allein. Kaum hatte ich den Flur betreten, stürzten sich zwei Blondinen auf mich, als hätten sie nur auf mich gewartet. Sie hatten beide lange, glatte Haare, eine von ihnen trug sie zu einem Zopf zusammmengebunden, während die andere ihr Haar offen auf die Schultern fallen ließ. Sie trugen teure, elegante Klamotten. Außerdem sahen sie sich sehr ähnlich. Die beiden mussten Zwillinge sein. Eine von ihnen hielt mich am Ärmel fest. »Bist du Rory Gilmore?« »Stimmt genau, die bin ich«, stotterte ich reichlich überrumpelt. In meinem Leben war ich diesen Mädchen noch nicht begegnet. Woher also kannten sie meinen Namen? Die andere kicherte. »Was machen wir bloß daraus? Roro oder besser Reor?« Die Schwestern sahen sich an und schüttelten dann den Kopf. Das war nichts. Aber vielleicht eignete sich der Nachname besser für ihre Zwecke. »Rogil? Oder Giro?«, versuchte es diejenige, die ihre Haare offen trug, noch einmal. Verwirrt blickte ich zwischen den beiden hin und her. »Sekunde, was wird das?« »Wir suchen für dich einen Spitznamen«, antworteten die Mädchen wie aus einem Mund und sahen mich an, als wäre dies das Selbstverständlichste von der Welt. Auf mich machten sie einen ziemlich durchgeknallten Eindruck. »Kennen wir uns?«, fragte ich der Höflichkeit halber. Vielleicht litt ich ja unter elementaren Gedächtnislücken. Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz streckte mir ihre Hand entgegen. »Sorry, wir haben uns schon wieder selbst überholt. Wir sind echt wie Zeitreisende. Ich bin -171-
Kick.« »Und ich Mickey«, ergänzte ihr Ebenbild. »Deine Großmutter hat uns gebeten, nach dir zu sehen.« »Meine Großmutter?« Ich schnappte nach Luft. »Sie ist eine Freundin von unserer Mom«, erklärte Kick. »Als sie hörte, dass wir nach Yale gehen, hat sie uns befohlen…« »Ja, aufzupassen, dass du die richtigen Leute kennen lernst«, führte Mickey den Satz zu Ende und zwinkerte mir vergnügt zu. »Zum Beispiel uns.« Zuerst war ich einfach sprachlos. Grandma schreckte wirklich vor gar nichts zurück. Dies war ein Beweis mehr für diese Tatsache. Und was zu viel war, war zu viel. Ich versenkte meine Hände tief in den Hosentaschen. »Hört zu, ich find’s nett, dass wir uns kennen gelernt haben und ihr euch um mich kümmern wollt, aber ich sollte jetzt meine Mitbewohnerin suchen.« Ich drehte mich um und wollte zurück in mein Zimmer flüchten, aber Kick und Mickey hakten sich einfach bei mir unter und kamen mit. Bereits im Wohnzimmer gab ich den Gedanken auf, die beiden doch noch abschütteln zu können. Resigniert ließ ich mich aufs Sofa sinken. Natürlich nahmen die beiden Quasselstrippen rechts und links neben mir Platz. Wie hatte ich auf etwas anderes hoffen können? »Voll angesagt, die Couch.« Anerkennend nickte Mickey mir zu. »Der Stoff ist super.« »Das sind die Möbel, die Emily gekauft hat«, erklärte Kick ihrer Schwester. »Richtig«, pflichtete Mickey ihr bei. »Einen tollen Geschmack hat die Frau, nicht? Sie hätte sicher Tipps für Mom.« »Ja, dann müssten wir ihr keine geben.« Die Mädchen brachen in schallendes Gelächter aus. -172-
Ich war offensichtlich überflüssig, zumal sie mich gar nicht erst in ihr Gespräch miteinbezogen. Auch ohne mich kamen sie wunderbar zurecht. Deshalb lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die beiden schienen meine Anwesenheit ohnehin bereits vergessen zu haben und plapperten munter weiter. »Hat dir Mom schon das mit Weihnachten eröffnet?«, wollte Mickey von ihrer Schwester wissen. »Ja, Hawaii.« Kick verzog das Gesicht. »Neulich hatte ich einen Albtraum, dass alles, was über Sonnenkrem erzählt wird, wahr ist.« Mickey kicherte. »Das habe ich auch schon geträumt.« Selten hatte ich mich so über Paris’ Erscheinen gefreut wie in diesem Moment. Sie tippte mir auf die Schulter und beugte sich zu mir herunter. »Irgendwie finde ich es blöde hier.« »Aber die Party ist noch nicht zu Ende«, gab ich zu bedenken. Obwohl ich ehrlich gesagt wenig Hoffnung auf Besserung hatte. »Weiß ich doch«, maulte Paris. Sie deutete auf Mickey und Kick. »Was ist das mit den Blondinen-Schwestern hier?« »Freundinnen meiner Großmutter«, antwortete ich und verdrehte die Augen. »Klasse. Außer mir gehören alle irgendwo dazu.« Paris war der Verzweiflung nahe. Dabei hatte sie sich so viel von dieser Party versprochen. »Janet ist Joggerin, sie gehört automatisch zur Clique der Sportler. Tanna ist verrückt, also ist sie in der Psycho-Clique gut aufgehoben. Du hast die Freundinnen deiner Großmutter, und ich laufe von einer Gruppe zur anderen und komme mir vor wie in einer Radio-Talk-Sendung. Atzend.« »Werfen wir doch einfach alle raus und gehen ins Bett«, -173-
schlug ich vor. »Nein. Ich bin wild entschlossen, das durchzustehen. Ich muss mich nur mehr anstrengen. Alles wird in diesem Jahr völlig anders.« Als sie von der Seite angerempelt wurde, richtete sich Paris auf. Vor ihr stand ein ziemlich schwankender und stark nach Alkohol riechender junger Mann. »Hey, stech mir ein Ohrloch«, lallte er. Das war endgültig zu viel für Paris’ strapazierte Nerven. »Okay. Alle sofort raus hier!«, schrie sie mit schriller Stimme und schob die Ersten eigenhändig nach draußen. »Los! Das Zimmer ist geschlossen! Trinkt euer Scheißbier und führt eure schwachsinnigen Gespräche woanders. Vorwärts.« Paris machte auch vor Mickey und Kick nicht Halt. Sie zog sie vom Sofa und zerrte sie zur Tür. »Was ist denn los?« Fragend und reichlich entsetzt sah Mickey mich mit ihren blauen Augen an. »Keine Ahnung. Sieht aus, als würde meine Mitbewohnerin jetzt alle rauswerfen«, antwortete ich gelassen. Ich war heilfroh, dass es endlich überstanden war. Mit gespielter Hilflosigkeit hob ich die Schultern. »Tut mir Leid, sie wohnt eben auch hier. Ich kann’s nicht ändern.« Keine Sekunde länger konnte ich mir ein breites Grinsen verkneifen. Als endlich alle weg waren, atmete ich erleichtert auf. Und was beinahe noch das Beste war: Paris, die unbedingt bei dieser Sache hatte mitmachen wollen, hatte die Party beendet – nicht ich! Das würde ich ihr bei passender Gelegenheit immer wieder aufs Butterbrot schmieren können. Mom hingegen hatte es noch nicht überstanden. Bei ihr stand die Katastrophe erst bevor. Helen, die Gastgeberin, nahm sie beiseite. »Lorelai, ein paar von den Kindern -174-
kriegen jetzt Hunger. Ich schlage vor, wir tragen das Essen auf, sobald der Film vorbei ist.« »Gute Idee. Ich werde das gleich regeln.« Mom eilte davon, um nachzusehen, wie weit Sookie war. Auf dem Tisch im Esszimmer, wo die Speisen als eine Art Büffet aufgebaut werden sollten, jedenfalls stand noch nichts. Mom war beunruhigt. »Hey, Sookie«, rief sie in die Küche herein. »Helen möchte, dass wir das Essen bald auftragen.« »Ich bin dir einen Schritt voraus.« Sookie trug eine erste Platte heraus. »Gut, gut. Was haben wir denn da?« Neugierig reckte Mom den Kopf. »Ein Zitronen-Knoblauch-Aioli für das blanchierte Gemüse«, antwortete Sookie mit vor Eifer geröteten Wangen. »Oh, schön.« Mom war überrascht, biss sich aber auf die Lippen, um Sookie nicht schon wieder zu kränken. Sookie wuselte herum und holte nach und nach weitere Köstlichkeiten herein. »Soll ich die Aufschnittplatte auf den Tisch dort stellen oder lieber auf diesen?« »Kommt drauf an. Welcher ist denn für die Kinder bestimmt?« Nachdenklich legte Mom die Stirn in Falten. »Das will ich gar nicht festlegen.« »Okay.« Mom fand das zwar etwas ungewöhnlich, wollte sich aber nicht einmischen. Für das Essen und alles was dazu gehörte war schließlich Sookie verantwortlich, nicht sie. Als sie nun jedoch auch noch eine Platte mit Lachs hereinbrachte, wurde es Mom ziemlich mulmig zumute. Zuerst musste sie sich jedoch um ein Mädchen kümmern, das ins Esszimmer kam. »Ich habe Hunger«, greinte die Kleine. -175-
Suchend blickte Mom sich um, konnte aber beim besten Willen nichts Passendes entdecken, was sie der Kleinen anbieten konnte. »Möchtest du etwas Graved Lachs?«, schlug Sookie vor. Verständnislos starrte das Kind sie an. »Sookie, wo ist das Essen für die Kids?« Mom konnte ihre Ungeduld nicht länger verbergen. »Hör zu, ganz ruhig, ja? Ich habe das Essen für die Kinder in der Küche, weil ich den Rechaud nicht benutzen darf und es mir sonst kalt wird.« Sie wollte gerade dorthin eilen, als sie mitten in der Bewegung verharrte. Ihre Augen weiteten sich und ihre Stimme zitterte vor Zorn. »Was hast du da gemacht?«, fuhr sie die Kleine an. »Du hast dir eben eine Karotte in den Mund gesteckt, abgebissen und sie wieder zurück auf die Platte gelegt. Wieso, in aller Welt, machst du das?« »Die Karotte hat nach Windel geschmeckt«, erwiderte das Mädchen trotzig und verzog angeekelt das Gesicht. »Nein, das hat sie nicht, Dummerchen.« Aus Sookies Augen sprühten Funken. Am liebsten wäre sie dieser kleinen Göre, die von gutem Essen offenbar nichts verstand, an die Gurgel gegangen. Alle meckerten hier an ihr herum, das ging wirklich zu weit. Dabei gab sie sich doch solche Mühe! Eilig schob Mom das Mädchen aus dem Raum. »Geh wieder zu den anderen, Schatz. Ich rufe euch, wenn das Essen fertig ist.« Dann wendete sie sich wieder Sookie zu. »Na los, komm mit.« Sie zog sie hinter sich her in die Küche. »Also, wo ist es? Wo ist das Essen für die Kids? Hast du welches gekocht?« »Ich bin ja nicht blöd.« Sookie war beleidigt. »Vergiss nicht, diesen Job verdankst du mir. Ich bin zu dir -176-
gekommen und habe gesagt: >Hey, willst du die Organisation für eine Kinderparty übernehmen?<« Sie griff nach zwei Topflappen, öffnete den Herd und holte eine Auflaufform hervor. »Hier ist dein Kindergericht, okay?« Moms Mund klappte auf und wieder zu. »Was ist das?«, stieß sie hervor. Offenbar war alles noch viel schlimmer, als sie befürchtet hatte. »Na, Makkaroni mit Käse.« Das war doch wohl offensichtlich! Sookie zog einen Schmollmund. Selbst Mom musste das doch erkennen. »Die sind dran!« Ihre Stimme klang ungewöhnlich schrill. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich zusammenzureißen. »Das Zeug essen die Kinder nicht.« »Wieso das denn? Die Makkaroni sind mit einer Jalapeno-Chipotle-Cremesauce. Das schmeckt wirklich gut, kannst du mir glauben.« Was hatte Mom denn nun schon wieder auszusetzen? »Wenn die Kids es kosten…« Mom winkte ab. »Das werden sie nicht.« Jeder Versuch in diese Richtung war zum Scheitern verurteilt, dafür konnte sie ihre Hand ins Feuer legen. »Wieso nicht?« Sookie verstand die Welt nicht mehr. »Weil das Zeug grün ist. Wo sind die anderen Sachen?« Vielleicht kamen sie ja auch ohne die Makkaroni über die Runden. Normalerweise kochte Sookie mehr als genug, sodass immer eine Menge übrig blieb. Suchend blickte Mom sich in der Küche um. »Was meinst du damit?« Irritiert sah Sookie ihre Freundin an. Allmählich bekam sie das Gefühl, dass hier gründlich etwas schief lief. Sookie zuckte die Achseln. »Das ist alles.« Sie schob die Auflaufform wieder in den Herd. »Das sind Zwerge. Wie viel können die schon essen?« -177-
»Aber wir haben darüber geredet. Ich habe von Hotdogs gesprochen und von Minipizza und Chips. Ich habe dir gesagt, bring buntes Popcorn mit! Und wo ist es?« Von all diesen Dingen war nirgends etwas zu sehen. Wenn Sookie sich nicht an die Vorschläge hielt, wieso hatten sie dann überhaupt darüber gesprochen? »Dann war das ernst gemeint, ja?«, fragte Sookie kleinlaut. Für sie hatte das alles so absurd geklungen, dass sie es für einen von Moms Witzen gehalten hatte, die sie ja auch nicht immer verstand. Mom entdeckte die nächste Katastrophe. »Oh, mein Gott! Ist das die Torte?« »Aber sicher ist sie das. Meinst du, ich komme zu einer Geburtstagsparty ohne Torte?« Man konnte ihr vieles nachsagen, aber nicht, dass ihr ein solcher Fauxpas unterlief. »Was ist das für eine Torte, Sookie?« Moms Stimme zitterte. »Schokolade. Mit einer Rum-Rosinen-Ganache und tropischen Früchten. Alles klar?« Ein echtes Kunstwerk, auf dessen Zubereitung Sookie eine Menge Zeit und Mühe verwendet hatte. Die Torte sollte das Highlight der Feier werden. »Okay.« Es „war genug geredet worden. Mom sah ein, dass sie sofort handeln musste, wenn dieser Kindergeburtstag nicht in einem furchtbaren Fiasko enden sollte. Sie winkte einen jungen Mann herbei, der Sookie geholfen hatte, die ganzen Sachen zu transportieren. Eigentlich hatte er gerade wieder gehen wollen, doch Mom hielt ihn auf. Sie kramte ihr Portemonnaie hervor und drückte ihm einen Schein in die Hand. »Hier. Gehen Sie schnell zu Doose’s, ja? Und holen Sie fünf Packungen tiefgefrorene Minipizza, fünf -178-
Packungen Würstchen im Schlafrock und alles an Chips, was Sie finden. Dann gehen Sie zu Weston’s. Holen Sie ein halbes Dutzend Napfkuchen, und lassen Sie sich von Mamie ein paar Tüten mit verschiedenen Streuseln geben, Schokolade oder bunt, was auch immer. Los, gehen Sie, und beeilen Sie sich bitte.« Der junge Mann merkte, dass Streit in der Luft lag, und machte, dass er davonkam. »Du willst ihnen Napfkuchen vorsetzen?« Einen Moment lang sah Sookie so aus, als wollte sie sich auf Mom stürzen, stattdessen tastete sie nach einem Stuhl und setzte sich. Die Knie waren ihr weich geworden. Das war alles ein bisschen viel für eine hochschwangere Frau. Beruhigend klopfte Mom ihr auf die Schulter. »Bleib locker, es wird alles wieder gut. Wir lassen die Kleinen die Napfkuchen selbst verzieren. Das finden sie toll.« »Natürlich wird alles wieder gut«, zischte Sookie. »Ich habe nämlich eine Woche in der Küche gestanden. Vier verschiedene Torten habe ich gebacken, bevor mir klar war, dass die es sein würde. Ich weiß, dass alles wieder gut wird.« Verzweifelt kämpfte sie gegen die aufsteigenden Tränen an. Es war weniger die Enttäuschung als schlichte Wut, die sie ihr in die Augen trieb. »Langsam habe ich es satt, mir dauernd anzuhören, was die Kinder alles nicht mögen. Du hast die Planung der Party übernommen und ich das Kochen. Genauso war’s abgemacht. Und diese Torte ist der Hammer.« »Aber die Kinder mögen so was nicht«, beharrte Mom. Sie erkannte, dass sie noch stundenlang mit Engelszungen auf Sookie einreden könnte, ohne dass diese begreifen würde, worauf es hier ankam. Die Tür wurde aufgerissen, und ein Mädchen mit wunderschönen Engelslocken trat ein. Als sie die beiden -179-
Frauen sah, strahlte sie. »Kann ich was trinken, bitte?« »Hey! Wir unterhalten uns!«, zischte Sookie die Kleine an. »Siehst du das nicht?« »Oh, ja«, stotterte das Kind. Mit einer solch schroffen Antwort hatte es nicht gerechnet. Um ein Haar wäre das Mädchen in Tränen ausgebrochen. Sookie bemerkte dies nicht. »Was ist mit dir los? Wieso steht dir der Mund offen?«, fauchte sie, als könnte die Kleine etwas dafür, dass sie gerade einen Alptraum erlebte. Hastig holte Mom aus dem Kühlschrank ein Trinkpäckchen, schob Sookie beiseite und reichte es dem Mädchen. »Schätzchen, hier ist dein Saft. Traubensaft. Magst du den?« Beruhigend strich sie ihr über die Wange. »Ich mag ihn auch. Davon wird die Zunge immer so schön blau. So, und jetzt schau dir den Film zu Ende an, ja? Du siehst in deinem Kostüm übrigens sehr hübsch aus.« Die Kleine beruhigte sich langsam wieder. Sie nahm das Trinkpäckchen, ließ sich von Mom noch einen Strohhalm geben – und warf Sookie im Hinausgehen einen vernichtenden Blick zu. Als sie draußen war, wendete sich Mom wieder Sookie zu. Offenbar war die Gute mit den Nerven völlig am Ende. »Entschuldige, ich hatte echt nicht vor, die Chefin zu spielen«, erklärte sie. »Ich wollte dir nur helfen. Und weil ich das Gefühl hatte, dass das Chaos ausbricht, habe ich auf Krisenbewältigungsmodus umgeschaltet. Ich habe nicht nachgedacht.« »Ich kann das echt nicht.« Sookie strich sich gedankenverloren über den Bauch. Sie wirkte plötzlich kleinlaut und sehr, sehr unglücklich. »Klar kannst du das«, widersprach Mom entschieden. -180-
Die Probleme hier hatten ja nichts damit zu tun, dass Sookie keine gute Köchin wäre. Es war wirklich nicht notwendig, dass sie diese kleine Panne zum Anlass nahm, all ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen. »Wir sollten uns nächstes Mal nur über das Essen klarer abstimmen. Das ist alles.« Aufmunternd nickte sie ihrer Freundin zu. Sookie winkte ab. »Nein, nicht das. Um jedes Missverständnis auszuschließen, deutete sie nun mit dem Zeigefinger auf ihren Bauch. Mom brauchte einen Augenblick, um mit diesem rasanten Themenwechsel klarzukommen. Und sie war mehr als verblüfft. »Das fällt dir jetzt ein?«, fragte sie irritiert. »Du hast mich mit der Kleinen gerade gesehen. Sie hat fast geweint. Das war nur meine Schuld.« Sookie machte sich schlimme Vorwürfe. Wenn sie so wenig Geduld mit Kindern hatte, sich so schlecht in deren Gefühls- und Gedankenwelt einfinden konnte und offenbar auch nicht die geringste Ahnung hatte, was die Kleinen gerne aßen, wie sollte es ihr dann erst mit ihrem eigenen Baby ergehen? Das arme Ding musste mit ihr als Mutter doch unglücklich werden! »Das ist doch nicht richtig. So geht das alles nicht«, jammerte Sookie. »Ich will nicht mehr schwanger sein. Ein Kind ist kein Federbett. Du kannst es nicht einfach zurückbringen, wenn es dich nicht leiden kann.« »Glücklicherweise können Federbetten jeden leiden, der sie mit nach Hause nimmt, so ähnlich wie Golden Retriever«, sagte Mom und musste lächeln. Sookie machte sich viel zu viele Sorgen. Mom wusste, dass sie eine sehr gute Mutter sein würde. Sie hatte Sookie erlebt, wie sie damals mit mir umgegangen war, als ich noch -181-
ganz klein gewesen war – und das hatte sie sehr beeindruckt. Im Moment waren Sookies Nerven nur überreizt – nichts Besonderes in einer Schwangerschaft, erst recht nicht, wenn sie bereits so weit fortgeschritten war. Doch Sookie konnte sich gar nicht wieder beruhigen. »Ich weiß nicht, was sie essen und wie ich mit ihnen reden soll. Ich schmeiße ihre Partytischdecken weg, lasse zu, dass sie sich die Finger verbrennen. Ich zwinge sie, Makkaroni mit Jalapeno-Chipotle-Creme zu essen. Ich bin wie Joan Crawford, ich werde eine Rabenmutter sein.« Sie schlug sich die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. Mom zog sich einen der Küchenstühle heran und setzte sich Sookie gegenüber. »Du musst dich jetzt beruhigen.« Sie griff nach ihren Händen und drückte sie. »Ich darf’s nicht kriegen«, sagte Sookie leise, aber bestimmt. Sie zitterte am ganzen Körper. »Ich werde bloß versagen. Hole es da raus, bitte!« Hilfe suchend sah sie Mom an. Noch niemals in ihrem Leben hatte sie sich so verzweifelt gefühlt wie in diesem Moment. In ihrem Kopf schien es nur noch diesen einen Gedanken zu geben, an den einzigen schrecklichen Ausweg aus einer unerträglichen Situation. Mom stand auf, holte eine Flasche Wasser, öffnete sie und stellte sie vor Sookie auf den Tisch. »Hör auf. Atme tief durch. Trink. Du wirst es schaffen, das weiß ich.« Wenigstens sie musste jetzt die Nerven bewahren, auch wenn sie hier und jetzt schon genug Probleme am Hals hatte. Zögernd trank Sookie einen Schluck. Aber es lag ihr noch eine Menge auf dem Herzen, was sie unbedingt loswerden wollte. Und da sie nun erst einmal damit -182-
angefangen hatte, gab es kein Zurück mehr. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Bei Familientreffen landen doch irgendwann alle im Wohnzimmer und beschäftigen sich mit den Kindern. Ich nicht. Ich lese. Jacksons Schwester hat ‘ne kleine sechsjährige Tochter. Die stellt sich gern nach dem Abendessen hin und singt Mariah-Carey-Songs. Alle finden’s toll – nur ich höre nicht hin.« Warum war ihr das nicht schon viel früher aufgefallen? Sookie verstand sich selbst nicht mehr. »Komm schon, Jackson, lass uns doch ein Kind machen. Ich möchte Mami werden.< Das habe ich zu ihm gesagt. Ich bin das Letzte. Eigentlich dürfte ich überhaupt nie Mutter werden.« Mom hatte sich das jetzt lange genug angehört. Sookie quälte sich unnötig. Ihre Bedenken waren völlig grundlos, davon war Mom überzeugt und entschlossen, den Selbstvorwürfen nun ein Ende zu bereiten, mit ein paar drastischen, aber überzeugenden Beispielen. »Sookie, sieh mich an. Es gibt eine Menge Leute, die keine Kinder hätten kriegen dürfen. Die Bin Ladens zum Beispiel hätten an dem Abend fernsehen sollen. Richard und Emily hätten auch auf die Fortpflanzung verzichten können, aber du, niemals. Du wirst eine tolle Mutter.« Sookie schöpfte langsam wieder Hoffnung. »Ja?« Kraftlos hob sie die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Wieso glaubst du das?«, wollte sie wissen. »Weil ich dich so gut kenne. Dein kleiner Sohn hat wirklich großes Glück. Denk nur daran, wie liebevoll du dich um Rory gekümmert hast, als sie noch ein Baby war.« Einen Moment lang schwieg Sookie, was bei ihr wirklich nicht oft vorkam. Sie dachte nach, Erinnerungen zauberten ein vorsichtiges Lächeln auf ihr Gesicht. Dann -183-
gab sie sich einen Ruck. »Okay.« Sie atmete tief durch. »Ich denke, es geht mir wieder gut.« Mom fiel ein Stein vom Herzen. In Anbetracht der Krise, die sie gerade zusammen bewältigt hatten, war die Sache mit dem Essen wirklich eine Kleinigkeit. Sobald die gesammelten Vorräte aus den verschiedenen Läden eintrafen, und das konnte nicht mehr lange dauern, würde diese Geburtstagsfeier ohnehin gerettet sein. Dann lief alles wie von selbst.
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14
Mittlerweile war es dunkel geworden, alle Besucher der Erstsemesterparty hatten sich schon seit einer ganzen Weile in ihre eigenen Zimmer zurückgezogen. Es herrschte endlich wieder himmlische Stille. Trotzdem konnte ich noch nicht schlafen, dafür war an diesem Tag viel zu viel geschehen. Ich fand es verrückt, dass Grandma diese beiden total verwöhnten und mindestens ebenso langweiligen Modepüppchen Mickey und Kick hergeschickt hatte, damit sie sich um mich kümmerten. Grandma konnte es offenbar einfach nicht ertragen, wenn sie nicht immer alles unter Kontrolle hatte. Dabei wollte ich doch lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Aber das konnte Grandma offenbar nicht verstehen – oder sie wollte es nicht. Ich seufzte resigniert. Unruhig lief ich in meinem Zimmer hin und her. Schließlich zog ich mir meinen hellblauen Lieblingsmorgenmantel über, obwohl ich noch Jeans und T-Shirt trug. Ich drückte meine Nase in den weichen Frotteestoff. Er roch nach meinem Zuhause bei Lorelai. Sofort fühlte ich mich ein bisschen besser. Ich ging in den Wohnraum und schaute mich um. Außer mir schien niemand mehr wach zu sein. Kurzentschlossen stieß ich die Tür zum Flur auf, um mir ein wenig die Füße zu vertreten. Vielleicht wurde ich dann ja müde, einen Versuch war es wert. Der Flur war dunkel. Ich hatte kaum einen Schritt nach draußen gemacht, als ich zurückzuckte. Zuerst glaubte ich mich getäuscht zu haben. Der Anblick, der sich mir dort bot, musste eine optische Täuschung sein. Mein erster Impuls war, sofort in mein Zimmer zurückzukehren, doch dann siegte meine Neugierde. -185-
Vorsichtig machte ich einen weiteren Schritt vorwärts und beugte mich vor. Tatsächlich, auf dem Boden, kaum einen Meter von mir entfernt, lag ein Junge und schlief. Er war gut gebaut, sofern ich das im Halbdunkel erkennen konnte, und trug keine Faser Stoff am Leib. Ich wollte ihn antippen, damit er aufwachte, doch ich zog die Hand zurück. Ich traute mich einfach nicht. Allerdings musste es ziemlich unbequem und kalt dort unten auf dem Fußboden sein. Kurzentschlossen band ich meinen Morgenmantel auf, zog den Gürtel etwas weiter heraus und tippte den Fremden damit an. Er hob den Kopf und blinzelte mich aus dunklen Augen verschlafen an. Ein paar schwarze Haarsträhnen fielen ihm wild in die Stirn. »Hi.« Ich schnappte nach Luft. Dieser Typ sah wirklich umwerfend aus. »Hi«, stieß ich mühsam heraus. Erst allmählich schien er sich seiner Situation bewusst zu werden. Verwundert blickte er sich um. »Du hast geschlafen«, erklärte ich überflüssigerweise und zupfte verlegen an meinem Morgenmantel herum, weil ich nicht wusste, wo ich hinschauen sollte. »Ich habe keine Klamotten an.« Er schluckte. Diese Tatsache war ihm sichtlich unangenehm – zu Recht, wie ich fand. Erst ganz langsam schienen seine Gehirnwindungen wieder zu funktionieren. Er stützte sich auf einem Arm ab und rekapitulierte die für ihn durchaus unerfreuliche Situation. »Also, ich habe nichts an, ich liege auf dem Fußboden, und du bist kein Junge. Das bedeutet dann wohl, ich bin…« »Im falschen Stockwerk«, führte ich den Satz für ihn zu Ende und grinste unsicher. »Oh, Mann.« Mit der flachen Hand schlug er sich gegen -186-
die Stirn. Allmählich kamen die Erinnerungen zurück. Er seufzte gequält. »Sind wir im Erdgeschoss?« Ich nickte. Noch etwas fiel ihm ein, was ihn beunruhigte. »Hast du eine Ahnung, seit wann ich hier liege?« »Nein.« Ich zuckte die Achseln. Gerne hätte ich ihm eine andere Antwort gegeben, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung. Er schluckte. »Du weißt also auch nicht, wie viele Leute hier vorbeigekommen sind und mich…« Er geriet ins Stocken. »So gesehen haben.« Hilflos hob ich die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Leider nein.« »Klasse. Für den Rest meiner Studienzeit werde ich wohl verschrien sein als >der Nackte<.« Er konnte sich das lebhaft vorstellen. Seine Kommilitonen „würden es sich nicht nehmen lassen, ihn immer wieder mit diesem Aussetzer aufzuziehen. Er würde lernen müssen, mit dem Spott und der Schadenfreude der anderen zu leben. Aber was nützte alles Jammern, schließlich hatte er sich das alles selbst eingebrockt. Der Junge wirkte so unglücklich und zerknirscht, dass ich ihm etwas Aufmunterndes sagen wollte. Ich zermarterte mir mein Hirn. Zwar konnte ich nur spekulieren, aber vielleicht half es ja. »Es ist schon ziemlich lange still hier auf der Etage«, begann ich. »Die Chancen stehen gut, dass dich außer mir noch keiner weiter gesehen hat. Und ich werde nichts sagen, das verspreche ich dir.« Zu meinem Ärger wurde ich rot. »Du bist ein sehr nettes Mädchen«, nickte er mir zu. Als er Anstalten machte aufzustehen, schrak ich zusammen. Hastig zog ich mir den Morgenmantel aus, warf ihn dem Jungen zu. »Warte, Sekunde. Ich borge dir -187-
den hier.« Er streckte die Hand aus und fing ihn auf. »Danke.« Ich drehte mich um, damit er sich anziehen konnte. Der Gedanke, dass er jetzt höchstens einen Meter hinter mir splitterfasernackt dastand, machte mich irgendwie nervös. Auch ihm schien es ähnlich zu ergehen. Inzwischen hatte er sich den Morgenmantel übergezogen und suchte nun nach einem unverfänglichen Thema. »Hey, warst du heute nicht auch in dem Kurs über japanische Prosa?« Ruckartig drehte ich mich um. »Ja, das ist richtig.« »Dachte ich’s doch. Hi. Ich bin Marty.« Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen. »Rory. Hallo.« Ich wollte ihm meine Hand hinstrecken, bemerkte dann erst, dass er mir seine gar nicht anbot. Irritiert schlang ich die Arme um meinen Körper. Hoffentlich hatte er nichts gemerkt. »Das werde ich morgen wohl vergessen haben«, gab Marty kleinlaut zu. Er spürte schon jetzt, dass er einen gewaltigen Kater bekommen würde. »Das ist völlig verständlich, finde ich.« Ich war ihm nicht böse, denn es war offensichtlich, dass es ihm nicht gut ging. »Ich mache mich besser auf die Suche nach meinem Zimmer. Und nach meiner Hose. Da ist nämlich mein Schlüssel drin.« Er winkte mir noch einmal kurz zu, drehte sich schwankend um und ging mit unsicheren Schritten davon. »Zuerst die Hose«, rief ich ihm hinterher und blickte ihm nach. »Gute Nacht.« Mein Bademantel war natürlich viel zu klein für ihn. Das hatte den Vorteil, dass ich seine muskulösen Beine bewundern konnte. Entsetzt über mich selbst, rief ich mich zur Ordnung. Als er außer Sichtweite -188-
war, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Ein Weilchen lag ich noch wach und dachte über die merkwürdigen Erlebnisse an diesem Tag nach. Manchmal war das Leben wirklich ziemlich absurd. Dann sank ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Am nächsten Tag war Freitag, was bedeutete, dass wieder einmal das allwöchentliche Abendessen bei meinen Großeltern in Hartford anstand. Ganz brave Enkelin hatte ich mich schick gemacht. Ich trug ein hellblaues kurzes Strickkleid und einen farblich passenden Bolero dazu. Doch an diesem Abend würde ich endlich etwas tun, was ich mir schon lange vorgenommen hatte. Bisher hatte ich nie den Mut dazu gehabt, doch diesmal sollte es anders sein. Ich würde Grandma in ihre Grenzen verweisen. Sie durfte sich nicht länger derart unverfroren in mein Leben einmischen, das musste sie endlich einsehen, ob es ihr passte oder nicht. Natürlich konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie beleidigt sie sein würde – doch es half nichts. Grandma und ich mussten da durch. Und vielleicht würde mir Mom ja ein bisschen unter die Arme greifen. Auch sie hatte sich meinen Großeltern zuliebe einen Rock angezogen. Auf die Lederjacke dazu hatte sie jedoch nicht verzichtet, schließlich wollte sie sich selbst noch wieder erkennen. Und was zu viel war, war zu viel. »Ich habe mich entschlossen, es zu machen«, ließ ich sie wissen, als sie neben mich trat. »Ach, und was?«, fragte sie verwundert. Sie hatte keinen blassen Schimmer, worauf ich hinauswollte, deshalb musste ich deutlicher werden. Entschlossen reckte ich das Kinn. »Ich werde da jetzt reingehen und Grandma mitteilen, sie soll sich gefälligst aus meinem Leben raushalten.« -189-
Statt etwas zu sagen, schnupperte Mom in der Nähe meines Mundes herum. »Was tust du da?« Irritiert wich ich einen Schritt zurück. »Hm, kleine Kontrolle. Du riechst nicht nach Alkohol. Bedeutet das, du lässt dich völlig nüchtern auf einen Streit mit meiner Mutter ein?« Sie zog die Stirn in Falten und sah mich an, als sei ich krank. »Ja«, stieß ich trotzig hervor. »Na gut. Dann unterstütze ich dich hundertprozentig.« Mom klopfte mir wohlwollend auf die Schultern. »Aber warte auf den richtigen Moment.« Nur zu gut wusste sie, dass die Aussichten schlecht standen, bei meinen Großeltern auf ein Einsehen zu stoßen. Aber wenn es überhaupt eine Chance gab, dann war das Timing entscheidend. »Danke, aber der richtige Moment ist jetzt.« Aufgeregt fuchtelte ich mit den Händen in der Luft umher, um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Er ist eingetroffen mit ‘nem pinkfarbenen Federhut auf dem Kopf, und er hat gebrüllt: >Na los, beachte mich, ich bin da!<« Grandma hatte mir genügend Kostproben ihrer Hemmungslosigkeit gegeben, wenn es darum ging, sich um Dinge zu kümmern, die sie nichts angingen. Damit sollte jetzt Schluss sein, ein für alle Mal. Mom grinste. »Oh, verstehe. Wenn er einen Hut aufhat…« Entschlossen betätigte sie die Klingel. Wir hatten lange genug draußen gestanden. Vielleicht stand Grandma schon hinter der Tür und lauschte. Wir mussten nicht lange warten, bis sich die Tür öffnete. »Da seid ihr ja.« Wie meist war es Emily, die uns öffnete – und wie immer schwang ein vorwurfsvoller Unterton in ihren Worten mit. »Kommt rein.« Abrupt -190-
drehte sie sich um und eilte in Richtung Wohnzimmer davon. »Ich sage euch, heute herrscht mal wieder das absolute Chaos hier. Ich habe einfach alles, was wichtig war, irgendwie verlegt. Meine Einkaufsliste, den Abholschein für den Schuster. Was für ein Albtraum!« Ohne Zweifel war Grandmas Laune alles andere als gut. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Als Mom merkte, dass ich tief Luft holte, um zu sagen, was mir auf dem Herzen lag, hielt sie mich am Arm fest und zog mich zu sich heran. »Warte auf den Moment, warte auf den Moment«, raunte sie mir warnend zu. Aber ich ignorierte sie. Entschlossen machte ich einen Schritt auf Grandma zu, die uns an der Bar gerade zwei alkoholfreie Drinks eingoss. »Grandma, ich würde gerne „was mit dir besprechen.« Abrupt fuhr sie zu mir herum. »Ja, Rory. Was ist denn?« Der Blick, mit dem sie mich bedachte, ließ mich augenblicklich allen Mut verlieren. Er war eine unheilvolle Mischung aus Anklage und Tadel, als besäße sie hellseherische Kräfte und wüsste deshalb schon, worum es ging. Mein Mund klappte auf und wieder zu, ohne dass ich einen Laut von mir gegeben hätte. Zum Glück wurde ich einer Antwort endgültig enthoben, weil Grandpa aus seinem Arbeitszimmer gestürmt kam. Er strahlte über das ganze Gesicht. »Ich möchte etwas bekannt geben«, verkündete er mit feierlicher Miene. »Ich habe gerade ein sehr erfreuliches Telefonat geführt. Und nun steht fest, dass ich mich geschäftlich mit Jason Stiles verbinde!« Mom zog die Stirn in Falten. »Mit wem?« »Du bist ihm schon begegnet«, erklärte Grandpa voller Stolz. »Der Junge von Stiles.« -191-
»Ach, Digger.« Mom winkte ab. Klar, den kannte sie. Warum sagte Grandpa das nicht gleich. Sie hatte Digger noch nie besonders gemocht, aber das tat nichts zur Sache. Grandpa verzog ärgerlich das Gesicht. »So wird er schon längst nicht mehr genannt, Lorelai.« Wenn er sie so nannte, war er ernstlich verstimmt, das wusste Mom inzwischen. Aufseufzend ließ sie sich aufs Sofa fallen und schwieg. Kleinlaut setzte ich mich neben sie. Grandpa stellte sich neben seine Frau an die Bar und goss sich einen Whisky ein. Diese Kooperation war ein Anlass, der mit einem guten Tropfen begossen werden musste. »Natürlich werden wir uns noch treffen und die Einzelheiten besprechen. Aber so weit ist alles unter Dach und Fach.« Zum ersten Mal an diesem Abend huschte ein Lächeln über Grandmas Züge. »Richard, das ist wunderbar.« »Ich wusste ja gar nicht, dass du einen Partner suchst«, wagte Mom einzuwerfen. »Hat er auch nicht.« Stolz warf sich Grandma in die Brust. »Jason ist zu Richard gekommen.« Grandpa nickte eifrig. Er wirkte so fröhlich und beschwingt wie schon lange nicht mehr. »Das stimmt. Er sagte, er wolle eigene Wege gehe und wünsche eine Zusammenarbeit mit dem Besten.« Grandpa lachte selbstgefällig. »Und er will seinem Vater gründlich eins reinwürgen.« »Was?« Mom wurde hellhörig. Das klang so gar nicht nach ihrem Vater, dem seriösen Geschäftsmann. Auch Grandmas Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Ihre Lippen wurden schmal, so fest presste sie sie aufeinander. »Du hast mir kein Wort davon -192-
erzählt«, stieß sie fassungslos hervor. Grandpa ließ sich die gute Laune jedoch nicht verderben. »Nun, ich war anfangs schon ein wenig überrascht. Aber ich gebe zu, als er mir sagte, dass er diesen Deal zum Teil aus Rache machen will, war ich interessiert. Nein, ich war elektrisiert. Ich finde das einfach wunderbar.« Er trank einen kräftigen Schluck Whisky. »In was für einer schönen Welt leben wir doch, in der der Sohn meines Feindes seinen Vater hasst und ich davon profitieren kann. An diesem Stoff hätte Shakespeare seine Freude gehabt.« Grandpa war ein sehr belesener Mann mit einer ausgeprägten Liebe zur Weltliteratur. Das gehörte zu den Dingen, die wir gemeinsam hatten. In regelmäßigen Abständen stockte er meine Bibliothek wertvoller gebundener Bücher auf, wofür ich ihm dankbar war. In diesem Fall kam mir sein Vergleich mit Shakespeare allerdings ein wenig übertrieben vor. Grandpa schien mir in dieser Sache den Überblick verloren zu haben. »Ich finde das nicht sehr witzig, Richard«, schaltete sich Grandma erneut ein. Ihre Stimme klang spitz, sie bemühte sich erst gar nicht, ihren Ärger zu verbergen. »Sicher, du hast vermutlich Recht«, nickte er. »Trotzdem, ich kann einfach nicht aufhören zu lachen.« Er musste sich stark zusammennehmen, um nicht laut loszuprusten. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals so ausgelassen erlebt zu haben. Aufgebracht funkelte Grandma ihn an. »Ich finde, du solltest dich nicht mit diesem Jungen zusammentun. Er ist offenbar nicht ganz bei sich. Du solltest dein Geschäft nicht in die Hände eines verwirrten Grünschnabels legen.« »Er ist siebenunddreißig Jahre alt«, gab Grandpa zu -193-
bedenken. »Ja, er ist siebenunddreißig Jahre alt und denkt nur daran, wie er es seinem Vater heimzahlen kann«, schnaubte sie. »Ich verstehe so eine Haltung nicht.« »Aber du kennst doch Floyd. Ein schrecklicher Mensch!« Grandpa hatte nicht damit gerechnet, dass diese Angelegenheit seine Frau so sehr aufregen würde. Und er war beleidigt, weil sie sich nicht einfach mit ihm freute. Doch Grandma beharrte auf ihrer Meinung. Sie konnte unerbittlich sein, wenn sie wollte. »Floyd ist der Vater des Jungen. Er hat ihn erzogen, ernährt und mit allem versorgt, was er brauchte. Und er verdient als Dank für all seine Liebe und Fürsorge wahrhaftig etwas anderes.« »Wieso bist du so wütend?« Grandpa war verwirrt. »Ich will jetzt nicht mehr darüber reden.« Hoch erhobenen Hauptes stürmte sie aus dem Zimmer. Grandpa folgte ihr, bemüht, sie zu beschwichtigen. Er hatte einen wunden Punkt bei ihr berührt, eine noch immer nicht verheilte Wunde neu aufgerissen, die das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern betraf – und die Verpflichtung zur Dankbarkeit des Nachwuchses. Ein Thema, das in Grandmas Gedankenwelt einen ganz zentralen Stellenwert einnahm. Es dauerte nicht lange und wir hörten, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Die Stimmen von Grandma und Grandpa drangen nun deutlich leiser zu uns herüber. Mom und ich schauten uns an. Es war nicht das erste Mal, dass wir Zeugen eines Streits zwischen den beiden wurden. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander auf dem Sofa und hingen unseren Gedanken nach – bis Mom plötzlich und unvermittelt wie ein Huhn zu gackern begann. -194-
Ich zuckte zusammen und starrte sie ungläubig an. Dann verschränkte ich die Arme vor der Brust, denn ich wusste genau, worauf sie anspielte. »Es war nicht der richtige Moment«, maulte ich, bemüht meine Feigheit in Bezug auf Grandma zu verteidigen. »Ich wollte gerade anfangen, doch da kam Grandpa rein. Er hat mich unterbrochen und jetzt ist Grandma böse. Tut mir Leid, wenn es für dich so aussieht, als wäre ich ein feiges Huhn, doch so ist es nicht. Jetzt heißt es eben warten.« Moms Gackern nahm eine andere Tonlage an, wurde schriller. Sie machte sich lustig über mich. Und das Schlimme war, sie tat es zu Recht. Ohne einen Anflug von Kampfeswillen hatte ich die Waffen gestreckt und alle meine guten Vorsätze über Bord geworfen. So konnte man bei Grandma keinen Blumentopf gewinnen, geschweige denn, ihr ihre schlechteste Angewohnheit abgewöhnen. Wahrscheinlich war es ohnehin aussichtslos, bei ihr auf Einsicht zu hoffen, dass es so etwas wie eine Privatsphäre gab, die auch für Großeltern unantastbar war. Auf ihre unnachahmliche Art versuchte Grandma schließlich noch immer Einfluss sogar auf Moms Leben zu nehmen – meist benutzte sie mich dazu. Solange ich mich nicht massiv dagegen zur Wehr setzte, würde sich daran niemals etwas ändern. Und brechen wollte ich mit meinen Großeltern nicht, dafür hatte ich Emily und Richard viel zu gern. Was blieb mir also anderes übrig, als mich weiter in Diplomatie zu üben? Dies war einer der Abende bei den beiden, der nicht so verlaufen war wie erwartet – und es war bestimmt nicht der letzte. Emily und Richard waren schwierig und würden es bleiben. Am besten ich lernte, damit zu leben.
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