Mit dem Feuer gespielt Patricia Ryan
Tiffany 726
7/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
1. KAPITEL ...
14 downloads
600 Views
642KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Mit dem Feuer gespielt Patricia Ryan
Tiffany 726
7/1 1997
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
1. KAPITEL "Sieh ihn dir an." Isabella Fabrioni, von ihren Freunden nur Izzy genannt, deutete auf die Fotos von Clay Granger, die ausgebreitet vor ihr lagen. Sie zeigten Clay bei einer Wildwasserfahrt auf dem Colorado River, Clay, der von einer Klippe in Acapulco sprang, Clay, der mit den Stieren in Pamplona rannte. "Er sieht mehr denn je wie ein Kennedy aus." Ihr Gastgeber, der spöttische Harry Shaw, stand hinter dem Tresen seiner Hausbar und grinste, während er ein Glas GingerAle einschenkte und es mit einer Limonenscheibe garnierte. "Er sieht mehr wie ein Kennedy aus als die Kennedys selbst." Er reichte ihr den Drink. "Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?" Izzy versuchte, auf dem Barhocker bequem zu sitzen, auf den sie geflüchtet war, nachdem sie festgestellt hatte, wie viele Leute Harry zu seiner Silvesterparty eingeladen hatte. "Nein", antwortete sie. "Aber ich bin auch erst seit Heiligabend wieder in New York. Zuletzt habe ich ihn vor ungefähr anderthalb Jahren gesehen, als ihr beide wegen dieses idiotischen BungeeSpringens nach San Francisco gekommen seid." "Ja, richtig. Du hast uns vorher zu dir eingeladen. Nur Cla y Granger kann italienisch essen gehen und anschließend kopfüber von der Golden Gate Bridge springen." Er tippte auf eines der Fotos. "Schau dir das an."
Izzy betrachtete das Foto, das Clay mit Helm und Lederanzug flach auf dem Rücken liegend auf einem Ding zeigte, das aussah wie ein eisernes Bügelbrett auf Rädern, mit dem er einen Abhang hinunterraste. Im Hintergrund sah man die vorbeifliegenden Heuballen. "Was ist das?" "Straßenrodeln." "Straßenrodeln?" Sie blinzelte und erkannte die gelbe Fahrbahnmarkierung auf dem Asphalt unter ihm. "Es ist brutal einfach. Man braucht nur eine Straße, einen Straßenschlitten und stahlharte Bauchmuskeln." Harry rückte seine Yankee-Mütze zurecht, die er seit fünf Jahren ständig trug; Izzy vermutete, daß sie einen auf dem Rückzug befindlichen Haaransatz verbarg. Jemand reichte ihm ein Margarita-Glas, dessen Rand er mit Limone bestrich, in Salz tauchte und aus einem Mixer wieder auffüllte. Izzy zeigte auf ein dramatisches Foto von Clay, der aus einem Flugzeug sprang. Mit den Füßen stand er auf einem Snowboard oder etwas Ähnlichem. "Und hier?" "Da macht er Sky-Surfing. Nichts für Leute mit schwachen Nerven." "Oder mit einem Funken gesunden Menschenverstand." Sie nippte an ihrem Drink. Harry legte eine neue CD ein. Da er der einzige Country-Fan in Westchester County war, fand Harry, daß es seine Pflicht war, die Leute zu erziehen. Einige Gäste beschwerten sich lautstark, doch Harry grinste nur und zeigte ihnen einen Vogel. "Wie hast du das Sky-Surfing-Foto geschossen?" Wollte Izzy wissen. "Ich mußte mit dem Fallschirm vor ihm aus dem Flugzeug springen." Sie schüttelte den Kopf. "Es hat sich nichts geändert. Erinnerst du dich daran, es muß in der zwölften Klasse gewesen sein, als Clay dich überredete, ihn zu fotografieren, während er außen am Chrysler Building hinaufkletterte? Du mußtest hinter ihm herklettem."
"Es war das Flatiron Building", korrigierte Harry. "Und ich mußte voranklettern, damit ich ihn von oben fotografieren konnte. Es war für das Jahrbuch." "Was ich damit sagen will, ist, zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, und nichts hat sich geändert. Du folgst diesem Verrückten noch immer mit einer Kamera um die Welt und hältst jeden seiner schwachsinnigen Stunts für die Nachwelt fest." "Ja, aber jetzt werde ich dafür bezahlt." "Als hättest du das Geld nötig." Das klang sehr gehässig, dachte sie und leerte die Hälfte ihres Drinks. Es war schließlich nicht Harrys Schuld, daß er in eine millionenschwere Familie hineingeboren worden war. Er hob eine Braue. "Ist es wieder die Zeit im Monat, Sweetheart?" Nein, dachte sie und schaute durch die Glastüren auf das Schneetreiben. Und genau das ist das Problem. Die "Zeit im Monat" war nämlich schon viel zu lange ausgeblieben: Sie nahm sich zusammen, denn immerhin war sie auf diese Party gekommen, um ihr Elend zu vergessen, und sei es nur für ein paar Stunden. "Es ist nur so, daß das Thema Geld momentan ..." Jammere nicht, befahl sie sich. "Vergiß es. Ich bin hier, um mich zu amüsieren, nicht um dir die Party zu ruinieren." Er stützte sich mit den Ellbogen auf den Tresen. "Komm schon, ich weiß, daß du Sorgen hast. Eine Frau in den Dreißigern läßt nicht einfach ohne Grund einen Traumjob in San Francisco sausen, um wieder zu den Eltern zu ziehen ausgerechnet nach South Ozone Park, Queens. Was ist es? Probleme mit dem Geld? Dem Job? Oder mit den Männern?" "Wie wäre es mit allen drei? Und noch ein paar dazu." "Auweia." Er deutete mit dem Kopf auf ihr Ginger-Ale. "Möchtest du wirklich nichts Stärkeres trinken?" Es war verlockend. "Nein, wirklich nicht. Ich will dir die Stimmung nicht verderben, und es war auch nicht meine
Absicht, dir gegenüber so bissig zu sein. Clay hat Glück, daß ein alter Freund wie du für ihn arbeitet. Deine Fotos machen das Magazin aus." Er strahlte. "Ah, das ist schon viel besser. Ich liebe Schmeicheleien. Hast du schon die neueste Ausgabe gesehen? Es ist absolut toll." Er wühlte in dem Stapel Zeitschriften und Zeitungen am Ende der Bar und zog die Januarausgabe von ,The Edge - Das Magazin für extreme Freizeitgestaltung' hervor. "Schau auf Seite vierundsechzig nach." Es war ein Artikel über "Skifahren auf steilem Gelände". Die begleitenden Fotos zeigten den engagierten Herausgeber des Magazins, Clay Granger, in voller Skimontur und mit Schneebrille. Auf dem ersten Foto sprang er von einer Schneewächte auf eine fast senkrecht abfallende Piste, auf dem zweiten standen seine Skier seitlich zum Abhang, auf dem dritten drehte er sich. Die nachfolgenden Bilder zeigten, wie er den Abhang auf seinen Skiern hinuntersauste, als flöge er durch die Luft. "Er nennt das den ,kontrollierten freien Fall'", erklärte Harry. Kontrollierter freier Fall, dachte Izzy und berührte abwesend ihren Bauch. So ähnlich verläuft mein Leben gerade. Allerdings habe ich nicht das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. "Der Kerl kommt mir bekannt vor", sagte eine Frau mit einer goldenen Papierkrone, auf der "Happy New Year" stand. Sie deutete auf die verstreuten Fotos, ein leeres Glas in der ausgestreckten Hand, während sie sich den Weg durch die Menschenmenge bahnte. "Er sieht aus wie John Kennedy junior." "Sie wissen nicht, wer das ist?" fragte Harry ungläubig und füllte Eis in das Glas. "Das ist Clay Granger, der Hugh Hefner der Neunziger. Und im Gegenteil, er sieht viel mehr aus wie John Kennedy senior als frischgebackener Senator. Achten Sie auf sein sorglos unbekümmertes und doch schon leicht abgeklärtes Lächeln, den Ausdruck von der Rücksichtslosigkeit
eines Bad Boys in den andererseits kühlen, intelligenten Augen. Sie wollten Whiskey, richtig?" Die Frau zwinkerte ihm zu. "Ah, ja." Sie nahm den Drink entgegen und wandte sich ab, um sich den Weg zurück durch das überfüllte Wohnzimmer zu bahnen. "Hey, ist das nicht derselbe Typ?" Izzy drehte sich um und lächelte. Ja, es war derselbe, der die Haustür hinter sich schloß und sich den Schnee von den Stiefeln stampfte. Clay Granger, überlebensgroß und umwerfend attraktiv in seinen verwaschenen Jeans und der abgewetzten Bomberjacke. Er fuhr sich durch die Haare, was sie jedoch nur noch zerzauster aussehen ließ und sein freches, gutes Aussehen nur unterstrich. Selbst im Winter wiesen sie sonnengebleichte Strähnen auf. Jemand rief ihn, und Clay winkte und zeigte sein bezauberndes Lächeln. Izzy tadelte sich selbst dafür, daß ihre Knie ein wenig weich wurden. Clays Läche ln verfehlte nie seine Wirkung. Jedesmal, wenn sie ihn nach langer Zeit wiedersah, wunderte sie sich darüber, wie sexy er wirkte. Es machte sie immer wieder aufs neue benommen. Natürlich war es eine unfreiwillige Reaktion, und sie überwand sie stets rasch. Doch man sollte meinen, daß es nach zwei Jahrzehnten platonischer Freundschaft besser würde. Eine schlanke Blondine in einem Stretchkleid aus Velours kam auf Clay zu und küßte ihn auf den Mund; ein elegantes schwarzes Model, das Izzy vom Titelblatt der letzten "Vogue" kannte, tat dasselbe. Beide Frauen waren groß - auf ihren hochhackigen Pumps reichten sie an Clays Größe von einsdreiundachtzig heran - und beide hätten, um Izzys Mutter zu zitieren, "eine gute Portion Lasagne al forno vertragen können". Gertenschlank, das war die richtige Bezeichnung für sie. Izzy hatte auch immer gertenschlank sein wollen. Statt dessen war sie, um erneut mit den Worten ihrer Mutter zu sprechen,
"zierlich", mit einer "fraulichen" Figur und einer "charakteristischen" Nase. Clay streifte seine Jacke ab, unter der ein FishermanZopfpullover zum Vorschein kam. Die hübsche junge Kellnerin, die Harry engagiert hatte, um Häppchen zu servieren, nahm ihm die Jacke ab. Er sah ihr in die Augen und lächelte; sie erwiderte sein Lächeln und errötete leicht. Izzy beobachtete, wie die Hälfte aller eingeladenen Frauen in den Flur strömte und ihn umringte. Sie schüttelte den Kopf. "Was ist los?" meinte Harry herausfordernd. "Ich nehme an, daß du von allen Frauen auf dieser Welt immun bist gegen den Charme des legendären Clay Granger." "Von allen Frauen dieser Welt?" Sie drehte sich zu ihm um und hob ihr Glas. "Ist das nicht ein wenig übertrieben?" "Nach Meinung der neuesten Ausgabe von ,People' nicht." "Wovon sprichst du?" "Hast du es nicht gelesen?" Er griff nach dem Stapel Zeitschriften und zog eine Ausgabe des Magazins heraus. Auf dem Titelblatt waren die Fotos von zehn Männern, einschließlich Clay, unter einer Überschrift, die sie als die begehrtesten Junggesellen der Welt bezeichnete. "Himmel", murmelte sie und blätterte den Artikel durch. "Wer will denn schon einen von diesen Kerlen?" "Außer mir?" Er grinste ironisch. "Nur etwa die Hälfte der Menschheit." Izzy leerte ihr Glas. "Das Problem ist, daß reiche, attraktive und erfolgreiche Männer sich gewöhnlich als unverbesserliche Schürzenjäger entpuppen." Sie wünschte, sie hätte das schon vor einigen Monaten herausgefunden. "Clay Granger ist traurigerweise ein typisches Beispiel für diese Spezies, wie du sehr wohl weißt, somit definitiv nicht mein Typ. Außerdem
haben Clay und ich eine zu lange gemeinsame Vergangenheit. Er ist eher wie ein Bruder für mich." Harry lachte spöttisch. Sie tätschelte ihm die Schuher. "Ist er wirklich. Er hat mich unter seine Fittiche genommen, als ich an der Phelps Academy anfing und ihr anderen nicht mal ein Wort mit mir wechseln wolltet. Da war ich nun, das arme vierzehnjährige Mädchen aus Queens, mit einem Stipendium, umgeben von euch reichen Jungs." "Du warst so still, das war alles. Wir dachten, du sprichst kein Englisch." "Ich weiß." Sie lächelte bei der Erinnerung an den schlaksigen jungen Clay Granger, der in der Cafeteria auf sie zukam und sie in erstaunlich gutem Italienisch fragte, ob er sich zu ihr setzen dürfe. "Du sahst so exotisch aus, so mediterran. Wir dachten, dein Vater sei ein Diplomat oder so etwas." Izzy lachte. "Eher bei der Gepäckabfertigung am Flughafen La Guardia." Harry sammelte die Fotos und Zeitschriften ein und verstaute sie unter der Bar. "Clay mag es nicht, wenn ich dieses Zeug herumzeige. Anscheinend geht es ihm allmählich auf die Nerven, als lebende Legende angesehen zu werden." "Mir kommt es eher so vor, als bastele er kräftig daran mit. Immerhin zwingt ihn niemand, sich bei all diesen verrückten Stunts fotografieren zu lassen." "Doch, denn seine Leser erwarten es inzwischen von ihm. Er ist tatsächlich wie Hughes Hefner geworden - die Personifizierung eines Phantasie-Lebensstils. Nur das Clays Lebensstil mehr mit riskanten Aktivitäten zu tun hat, statt mit Sex." "Darüber läßt sich streiten." Izzy hob ihr Glas. "Ich möchte noch so einen Drink."
Zwei große Hände packten von hinten ihre Schultern, und starke Finger massierten sie sanft. Sie spürte die Wärme und Rauheit durch ihre Seidenbluse hindurch und wurde von Nervosität ergriffen. Eine wunderbare, tiefe männliche Stimme, die von Clay Granger, sagte: "Gib uns zwei." Izzy holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Clay begrüßte Harry und lehnte sich dann an die Bar, lächelte Izzy zu und krempelte die Ärmel seines Sweaters auf. Seine Augen schienen in den letzten anderthalb Jahren noch blauer geworden zu sein, und seine Zähne schimmerten im Kontrast zu seiner Bräune nahezu unnatürlich weiß. "Hallo, Izzy." "Nett, dich zu sehen, Clay." "Nur nett? Dabei finde ich es großartig, dich wiederzusehen. Wie unglaublich." Sie runzelte spöttisch die Stirn. "Nein, wirklich", meinte er lachend. "Laß das." Er tat, als glättete er mit seinen Fingerspitzen ihre Stirn. "Mach nicht dieses Clay-schon-wieder-Gesicht. Das trifft mich tief. Es ist tatsächlich großartig, dich wiederzusehen, und du siehst wundervoll aus. Du wirkst geradezu erblüht." Erblüht? Gütiger Himmel, ich könnte mir ebensogut ein Schild umhängen! dachte sie. Harry reichte ihnen ihre Drinks. Clay nippte an seinem und verzog das Gesicht. "Was ist das?" "Ginger-Ale", erklärte Izzy. "Ginger-Ale und was?" Sie hielt das Glas gegen das Licht, als wollte sie den Inhalt genauer untersuchen. "Und Eis." "Seit wann trinkst du dein Ginger-Ale pur?" Ohne auf ihre Erwiderung zu warten, wandte er sich an Harry und bat um ein Bier, und das war auch gut so, denn ihr war überhaupt nicht danach, darauf etwas zu erwidern. Nicht heute abend. Heute abend wollte sie so tun, als sei alles in Ordnung. Morgen würde
sie sich der Tatsache stellen, daß es nicht so war - wenn ihr bis dahin einfiele, wie sie das am besten anstellen sollte. Sie leerte ihr Glas. Harry nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und schenkte sich ein Glas ein; Clay trank aus der Flasche. Harry räusperte sich. "Clay, ich möchte dir jemanden vorstellen." Clay stöhnte. "Vergiß es." Izzy sah finster zu Harry. "Du kannst doch nicht immer noch versuchen, Clay zu verheiraten." "O doch, er kann", beklagte sich Clay. Er leerte die Flasche und knallte sie auf den Tresen. "Aber nicht heute abend, Harry. Ich habe dir gesagt, du sollst damit aufhören. Ich habe jeden gebeten, damit aufzuhören. Ich habe es satt, mein Haus nicht mehr verlassen zu können, ohne daß mir sofort eine potentielle Mrs. Granger unter die Nase gehalten wird." "Clay, bevor du diese abschreibst, hör mir wenigstens zu." "Nein, du hörst mir zu", knurrte Clay. "Ich bin hergekommen, um mich zu entspannen und zu amüsieren. Ich will nicht die ganze Party damit verbringen, vor einer deiner ,Entdeckungen' zu fliehen." Harry beugte sich über die Bar und sagte in verschwörerischem Ton: "Sie wird dir gefallen, dafür garantiere ich. Sie ist genau dein Typ. Mannequin und Skihase, mit erstaunlich echt aussehenden platinblonden Haaren, die ihr bis zu den Hüften reichen würden, wenn sie denn welche hätte. Keine Ausbuchtungen, bis auf diese absolut erhabenen Implantate. Ihr Name ist Barbie." Er hob die Hand. "Sie heißt tatsächlich so, ich schwöre es." "Und die soll etwas zum Heiraten sein?" fragte Izzy. "Er steht auf so etwas", erwiderte Harry, als sei Clay nicht anwesend. "Ich habe Ewigkeiten damit zugebracht, ihm Frauen mit Charakter und Tiefgang vorzustellen, aber er hat nie angebissen. Also will er vielleicht bloß ... Oh, da kommt sie." Er
langte über die Bar, um seinen Freund anzustoßen, der sich grimmig umdrehte. Auch Izzy hielt Ausschau. Der Skihase Barbie stand mit leicht gelangweilter Miene in einer Ecke, die Schar ihrer männlichen Bewunderer überragend. Sie war genau so, wie Harry sie beschrieben hatte: eine Erscheinung in Platinblond und Silikon. "Sie sieht aus wie aus Kunststoff", bemerkte Izzy. "Netter Versuch, Harry", sagte Clay. Izzy sah, wie er Barbies makellose Figur, die von einem trägerlosen silbernen Lamekleid betont wurde, von oben bis unten musterte. "Sehr netter Versuch", fügte er hinzu, drehte sich wieder zur Bar um und hob die Rasche an den Mund. "Aber ich such mir meine Playmates lieber selbst aus, falls du nichts dagegen hast." "Sie ist kein potentielles Playmate", erwiderte Harry gereut. "Sie ist eine potentielle Lebenspartnerin." Es sprach für Clay, daß er sich an seinem Bier verschluckte. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und meinte: "Laufen deine Ehe-Stiftungsversuche jetzt darauf hinaus - auf eine Mrs. Flittchen Granger? Das mag zwar ganz amüsant sein, aber ich warne dich, deine Mühe ist vergebens. Ich will nicht heiraten, und damit basta. Und schon gar nicht habe ich die Absicht, mit Barbie Soundso ..." Harry beugte sich zu seinem Freund und grinste, als zöge er sein As aus dem Ärmel. "Lundquist." Clay, der gerade die Hasche zum Mund führen wollte, hielt auf halbem Weg inne. "Lundquist." "Sie hat sogar einen schwedischen Akzent, um es zu beweisen." Clay seufzte aus tiefster Seele und drehte sich noch einmal zu der großen, erhabenen Frau in der Ecke um. Sie sah ihn an. Izzy beobachtete fasziniert, wie Barbie Lundquists Augen sich ein wenig weiteten, ehe sie sich halb schlossen. Sie lächelte und wandte sich dann ab.
"Besitzt du eigentlich noch immer das Wasserbett oben?" erkundigte sich Clay leichthin. "Denk nicht einmal daran", antwortete Harry. Clay grinste nur und sah zu Izzy. Sie erwiderte sein Lächeln, jedoch halbherzig, da ein nur allzu bekanntes und gefurchtstes Gefühl der Übelkeit in ihr aufstieg. Nein, dachte sie, nicht heute abend. Ich will mich heute abend amüsieren. Ich muß es einfach! "Nicht mit ihr", wandte sich Harry wieder an Clay. "Und schon gar nicht in meinem Wasserbett. Außerdem liegen etwa fünfzig Mäntel darauf." Clay grinste. "Hm, fünfzig Mäntel auf einem Wasserbett." Harrys Miene verfinsterte sich no ch mehr. "Nein, Clay." Jemand drängte sich an die Bar und hielt ihm ein leeres Glas hin, doch er winkte ab. "Es ist absolut uncool, und zufällig spiele ich den Ehestifter, nicht den Zuhälter." Clay brach in brüllendes Gelächter aus. "Versuchst du hier tatsächlich die Moral hochzuhalten? Das vergiß lieber, solange du von Freunden umgeben bist, die dich seit damals kennen, als du jung und dumm warst und alles getan hättest, um ..." "Außerdem", fuhr Harry unerbittlich fort, "hat die betreffende Lady drei sehr große Brüder, die auf Angriffe auf die Tugendhaftigkeit ihrer Schwester nicht gerade freundlich reagieren." "Tugendhaftigkeit?" wiederholte Clay und warf einen erneuten Blick auf das flirtende und chirurgisch verschönerte Model. Harry, beugte sich über die Bar. "Ein Bekannter von mir lernte sie im August auf einer Poolparty kennen. Offenbar hat er sich ein bißchen zu gründlich an sie herangemacht. Die gigantischen Lundquist-Brüder jedenfalls beschlossen, ihm eine Lektion zu erteilen. Du hättest das Gesicht von dem Kerl sehen sollen, nachdem sie mit ihm fertig waren."
Auf Izzys Oberlippe bildeten sich Schweißperlen. Einatmen, ausatmen, du kannst es kontrollieren, beruhigte sie sich. "Hat dein Freund seine Lektion begriffen?" wollte Clay wissen. "Keine Ahnung. Ich glaube, er liegt noch immer im Koma. Worauf ich hinauswill, ist, daß jeder Antrag, den du Miss Lundquist machst, besser eine Heirat einschließt, weil du sonst nämlich hinterher wie jemand aussiehst, vor dem Kinder schreiend davonlaufen." "Harry", meinte Izzy, bemüht, laut genug zu sprechen, während das Blut ihr aus dem Kopf wich und das Zittern begann. "Hast du noch Crackers?" "Bist du hungrig?" Harry winkte der hübschen jungen Kellnerin. "Tanya? Können wir etwas von dem Sushi bekommen?" "Sushi?" Izzys Magen fühlte sich wie ein brodelnder Vulkan an. "Ich habe es erst vor kurzem frisch aufgefüllt." Tanya hielt ihr das Tablett mit dem rohen Fisch direkt unter die Nase. Es roch wie bei Ebbe vor Coney Island. "Ich bin gleich zurück", meinte Izzy mit kratzender Stimme, drehte sich um und lief davon. Das untere Badezimmer war besetzt. Izzy hielt sich die Hand vor den Mund und rannte nach oben. Sie rüttelte an der Tür des Badezimmers auf dem Flur, die aber verschlossen blieb. Zwei Stimmen - eine männliche und eine weibliche - informierten sie atemlos, es dauere nur noch eine Minute. Aber soviel Zeit hatte Izzy nicht mehr. Sie rannte durch Harrys Schlafzimmer in das in pinkfarbenem Marmor gehaltene Badezimmer, sank vor der Toilette auf die Knie und erleichterte sich um ihre zwei Gläser Ginger-Ale und das gesamte Abendessen. Hinterher entdeckte sie Mundwasser und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, was dazu führte, daß ihr Mascara verlief.
Sie nahm ein Stück Seife und begann, ihr Gesicht zu waschen. Anschließend trocknete sie sich ab und betrachtete ihr Spiegelbild in dem goldgerahmten Spiegel. Ohne Make-up wirkte ihre ansonsten olivfarbene Haut blaßgrau, und ihre Augen waren schwarz verschmiert. Das einzige entfernt Attraktive an ihr waren ihre welligen schwarzen Haare, obwohl es ihr nie gelungen war, diese Mähne zu einer "richtigen" Frisur zu bändigen. Dennoch sah sie elend aus. Wie konnte Clay sagen, sie sei erblüht? "Süßholzraspelnder Mistkerl", murmelte sie, doch es klang wenig überzeugt. Frauen zu schmeicheln war seine zweite Natur. Nach Jahren der Verführungen konnte Clay seinen Charme ebensowenig abstellen, wie er aufhören konnte zu atmen. Obwohl sie diese raubtierhafte männliche Seite an ihm verachtete - in den vergangenen Wochen mehr denn je - könnte sie ihn doch niemals wirklich hassen. Er war eben Clay, der gute Kumpel, der stets für sie dagewesen war, der sie an jenem Nachmittag mit einem fröhlichen "Buona sera!" in der Phelps Cafeteria begrüßt und dann dafür gesorgt hatte, daß seine reichen Freunde sie akzeptierten. Der Mann, der ihr ein Stipendium des San Francisco Art Institute verschafft hatte, sie anschließend selbst quer durch das Land gefahren und ihr ein herrliches Apartment mit erschwinglicher Miete gesucht hatte, der seine Beziehungen hatte spielen lassen, damit sie den "Traumjob" des Art Directors bei Dekker & Brown Magazines bekam, als sie mit ihrer freiberuflichen Arbeit nicht mehr genug Geld verdiente. Trotzdem, in Anbetracht dessen, wie sich die Dinge entwickelt hatten, sollte sie vermutlich nicht mehr so dankbar dafür sein, den Job bei D & B bekommen zu haben. Aber zurück zu Clay. In all den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte er für seine Hilfe nie eine Gegenleistung erwartet, ob in sexueller oder anderer Hinsicht. Natürlich hatte er gelegentlich
auf seine Art, der keine tiefere Bedeutung beizumessen war, mit ihr geflirtet; er konnte eben nichts dagegen tun. Aber stets hatte er sie als Freund behandelt, nie wie eine potentielle Eroberung. Einerseits war sie froh darüber, denn sie schätzte seine Freundschaft. Sie wußte, daß wenn sie jemals etwas miteinander angefangen hätten, es wie ihre übrigen schlecht konzipierten Beziehungen übel geendet und sie beide zu erbitterten Feinden gemacht hätte. Andererseits aber empfand sie manchmal etwas wie leichte Beleidigung darüber, daß Clay Granger nie den Versuch unternommen hatte, sie zu verführen. Sie spähte in den Spiegel und stellte sich die hoch aufragende Barbie Lundquist neben ihrer kleinen, dunklen Erscheinung vor. Izzy würde ihr mit dem Kinn gerade bis zu den Implantaten reichen. Diese kleine Übung machte ihr wieder deutlich, weshalb es Clay immer leichtgefallen war, sie wie eine kleine Schwester zu behandeln. Solange sie ihn kannte, hatte er seine Barbies gehabt, sogar als schlaksiger Heranwachsender. Noch immer leicht benommen, ging Izzy zu dem Himmelbett, auf dem sich Mäntel und Jacken stapelten, und setzte sich auf die Bettkante, wobei sie sich gegen die schaukelnde Matratze abstützte. Zuoberst lag ein schwarzer Nerzmantel, und sie strich mit der Hand über den seidigen Pelz, hob ihn an die Nase und atmete den tierischen Duft ein. Dann kickte sie ihre Schuhe fort, ließ sich zurücksinken und rekelte sich genüßlich auf den sanften Schaukelbewegungen des Wasserbetts und dem weichen Mantelberg. Sie schloß die Augen und dachte: wenn ich diesen Moment doch nur festhalten und für immer hierbleiben könnte, einfach so. Keine Probleme, kein Leben, das auseinanderbrach, nur diese Wärme, diese sanften Bewegungen. Wo ist der Ritter auf dem weißen Pferd, wenn ma n ihn braucht? Wie zur Antwort drehte sich der Türknauf.
2. KAPITEL Fünfzig Mäntel auf einem Wasserbett, Überlegte Clay Granger, als er den Türknauf zu Harrys Schlafzimmer drehte. Fünfzig Mäntel, ein Wasserbett und ... "Wie war dein Name doch gleich?" "Tanya", erwiderte die kleine Kellnerin und errötete erneut. "Tanya." Er legte ihr den Arm um die Taille. Sie trug eine dieser engen, kurzen schwarzen Uniformen mit gestärktem weißen Kragen und Schürze, die in Clay eine seit seiner Pubertät gehegte Phantasie über ein französisches Hausmädchen weckte. Vor Vorfreude grinsend öffnete er die Tür und schob sie vor sich her in das Zimmer. "Oh", sagte sie und blieb stehen. Ein Paar Füße ragten aus dem Kleiderberg auf dem riesigen Bett. Clay sah, wie die Be sitzerin - Izzy Fabrioni - den Kopf hob und die beiden verschlafen erkannte. Ihre Haare waren noch herrlicher zerzaust als üblich. Izzy sah von Clay zu Tanya und wieder zu Clay. Sie war blaß - falls jemand mit ihrer Hautfarbe überhaupt blaß werden konnte - und wirkte matt. "Keine Sorge. ich bin sofort verschwunden", murmelte sie und setzte sich unsicher auf. "Nein", meinte Clay. "Bleib, wo du bist." Sie schloß die Augen und fiel wieder rücklings auf die Mäntel. Clay wandte sich seiner Begleiterin zu und bugsierte sie zur Tür. "Später", flüsterte er ihr ins Ohr und knabberte sicherheitshalber kurz
daran. Als sie sich umdrehte, bemerkte er die lange Reihe kleiner Knöpfe hinten auf ihrer Uniform und stellte sich sehnsüchtig vor, jeden einzelnen davon aufzuknöpfen. Er schloß die Tür und drehte sich zum Bett um, wo er nur noch Izzys Füße sah, mit in Strumpfhosen steckenden, nach innen gerichteten Zehen. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Orientteppich und begann Ihre Füße zu reiben. Sie hatte den Arm über ihr Gesicht gelegt. Er hielt einen Fuß und massierte mit den Fingerknöcheln ihre Fußsohle, bis er spürte, wie sie sich ein wenig entspannte. "Hey, Kaffeebohne." So nannte er sie wegen ihrer tiefbraunen Augen, denen nichts entging. Bei Izzy würde er nie mit irgend etwas durchkommen, sie könnte er nie wie die anderen Frauen umgarnen. Sie durchschaute ihn; das war zwar ein wenig beunruhigend, aber in gewisser Hinsicht auch wohltuend. Vielleicht war das der Grund, weswegen sie die einzige Frau war, mit der er jema ls wirklich befreundet gewesen war. "Das tut gut", meinte sie kraftlos, als er sich dem anderen Fuß widmete. "Tut mir leid, daß ich dir dein kleines Stelldichein verdorben habe.". Er lachte. "Stelldichein klingt viel zu elegant." Sie seufzte. "Nun, mal ehr lich, Clay, wie steht's?" Er massierte jeden einzelnen ihrer Zehen. "Harry versucht noch immer, mich zu verheiraten." Izzy lachte gepreßt. "Das habe ich bemerkt." "Aber nicht nur er." Er beendete seine Massage und warf sich neben sie auf den Bauch. "Jeder will dabei mitmischen. Du bist der einzige Freund, den ich habe, der mir nicht ständig Heiratskandidatinnen präsentiert: Wahrscheinlich, weil du eine Million Meilen weit weg lebst." "Lebte. Ich bin wieder zurück." "Ja, Harry hat mir erzählt, daß du bei deinen Eltern wohnst. Was ist passiert?"
Sie nahm den Arm von ihrem Gesicht und fuhr abwesend mit den Fingerspitzen über ihren Bauch. "Das ist eine lange Geschichte. Aber sag mir, was hast du denn eigentlich gegen die Ehe?" Er schnaubte verächtlich. "Hab' ich alles schon erlebt." Sie rollte auf die Seite und legte ihre warme Hand auf seine, und sofort wurde ihm klar, daß es ein Fehler war, ihr etwas vormachen zu wollen. "Zehn Jahre sind eine lange zu Zeit zu trauern, Clay. Zu lange." "Das ist es nicht. Ich habe längst aufgehört, um Judith zu trauern." Das entsprach der Wahrheit, doch der nächste Satz war lediglich der übliche Spruch, den er bereithielt, um sich die Ehestifter vom Leib zu halten. "Manche Menschen bekommen eben nur eine Chance, und ich hatte meine. Judith war einzigartig. Ich werde nie mehr jemanden wie sie finden, also warum sollte ich es versuchen?" Izzy ließ sich zurück aufs Bett sinken. "Wenn du nicht darüber sprechen willst, dann lassen wir es. Aber erzähl mir nicht den gleichen Mist, den du allen anderen servierst. Das ist beleidigend." "Du hast dich nicht geändert", bemerkte er anerkennend. "Du auch nicht", erwiderte sie. "Wäre ich nicht hier gewesen, würdest du dich jetzt mit einer völlig Fremden, die du vor nicht einmal zwanzig Minuten kennengelernt hast, in den Mänteln wühlen." "Erinnere mich nicht daran", entgegnete er, dachte an die vielen kleinen Knöpfe und fragte sich, ob er nun jede Chance bei dem Mädchen vertan hatte. "Du solltest mir wenigstens zugute halten, daß ich Tanya Barbie Lumpfish vorgezogen habe." "Lundquist", korrigierte sie ihn kichernd. "Genau." Er beugte sich vor, um ihr Lächeln zu genießen. Himmel, was für eine Veränderung. Izzy Fabrioni hatte ein bezauberndes Lächeln. Sie lag auf einem schwarzen
Nerzmantel, auf dem sich ihr Gesicht hervorhob und sie wie eine Femme fatale aussehen ließ, abgesehen von ihrer Blässe und den Ringen unter ihren Augen. Er raffte den Nerz um ihr Gesicht- "Hm, du solltest einen solchen Mantel besitzen. Du würdest umwerfend darin aussehen." "Ich halte nichts davon, Pelze zu tragen." Sie lachte. "Was jedoch nur heißt, daß ich es mir nicht leisten kann." "Natürlich kannst du. Ich weiß ziemlich genau, was du verdienst." "Verdiente. Vergangenheit." "Ach ja, wenn du nach New York zurückgekehrt bist, hast du D & B wohl verlassen. Was ist passiert?" Sie holte tief Luft und wandte den Blick ab. "Ich möchte heute abend nicht darüber sprechen. Wollen wir nicht wieder nach unten gehen?" Sie setzte sich auf, doch verschwamm alles vor ihren Augen, so daß sie sich stöhnend wieder aufs Bett fallen ließ. Clays stets lebhafte Phantasie begann zu arbeiten, wägte das Offensichtliche ab - Izzy arbeitete nicht mehr, es ging ihr nicht gut - und kam zu einem alarmierenden Schluß. Wie krank war sie wirklich? War es etwas Ernstes, etwas Unheilbares? "Was ist mit dir, Izzy?" "Was meinst du?" "Na ja, du siehst schlecht aus." Sie verzog das Gesicht. "Vorhin hast du noch behauptet, ich sei erblüht." "Das war vor zwanzig Minuten. Jetzt siehst du elend aus." Sie zögerte einen Mome nt. "Ich habe mich übergeben, das ist alles." Er wickelte sich eine Locke ihres schwarzen Haars um den Finger. "Bist du krank?"
"Nein." Sie wandte sich ab und legte wie schon zuvor die Hand auf den Bauch, ohne sich dessen bewußt zu sein. Plötzlich fiel Clay eine ganz andere Möglichkeit ein. "Izzy?" Sie sah ihn an, und er erkannte, daß seine Vermutung stimmte. "O nein." "Doch." "Wow. Hast du ... ich meine, war es ..." "Geplant? Als wäre ich der Typ, der plant, unverheiratet schwanger zu werden." "Was wirst du tun?" "Ich werde das Baby bekommen", sagte sie überzeugt. "Meine biologische Uhr tickt rasend schnell, und so, wie mein Liebesleben in den letzten achtzehn Jahren verlaufen ist, scheint Mr. Right sich nicht unbedingt in nächster Zukunft blicken zu lassen, um aus mir eine ehrbare Frau zu machen. Außerdem will ich dieses Baby. Es ist mein Baby, und ich will es." "Wie lange bist du schon ..." "Gut vier Wochen." Er schüttelte hilflos den Kopf. "Wie ist es passiert, ich meine, was hast du..." Ihre Miene verfinsterte sich. "Hm." Er lag auf dem Rucken und dachte über diese unerwartete Entwicklung nach. Izzy war schwanger. Seine kleine Izzy. Nun, offensichtlich nicht ganz seine kleine Izzy. Schließlich war sie nicht von allein schwanger geworden. Seine zügellose Phantasie produzierte Bilder von ihr, nackt auf einem Bett wie diesem, ihr Gesicht fächerartig von ihren Haaren umgeben, mit offenen Armen ihren Liebhaber empfangend. Izzy mit einem Liebhaber. Diese Vorstellung war beunruhigend. Absurderweise war er beinahe eifersüchtig auf den Mann, der sie geschwängert hatte. Nicht daß Clay eine solche Beziehung mit ihr je gewollt hätte. Zugegeben, von Zeit
zu Zeit hatte er mit diesem Gedanken gespielt. Wahrscheinlich war es Izzy ähnlich ergangen. Aber beide hatten immer gewußt, ohne je darüber sprechen zu müssen, daß eine Affäre ihre Freundschaft ruinieren würde. Warum also fühlte er sich wegen dieses Beweises, daß Izzy ein sexuelles Wesen war, mies? Fast hätte er laut losgelacht, als es ihm plötzlich klar wurde: Tief in seinem Innern, in seinem Unterbewußtsein, hatte er geglaubt, daß wenn Izzy nicht mit ihm schlief, sie mit überhaupt niemandem schlief. Als würde ihrer beider Wahl einer platonischen Beziehung bedeuten, daß sie für den Rest der Welt unberührbar war. In seiner Arroganz hatte er sie in eine hübsche kleine Schachtel verpackt und war nun entsetzt, daß sie daraus entwichen war. Und schwanger geworden war. Er setzte sich auf und schaute auf sie hinunter. "Was ist passiert? Erzähl mir alles." Izzy schloß die Augen und biß sich auf die Lippe. Dann setzte sie sich auf. Er nahm ihre Hände, um ihr aufzuhelfen, und hielt sie weiter fest, als sie saß und ihn inmitten des Mantelberges ansah. "Sicher hast du gehört, daß D & B von einem britischen Verlagsimperium aufgekauft wurde." Er nickte. "Vor ungefähr einem Jahr, richtig?" "Ja. Aus England kam ein neuer Geschäftsführer, Presley Creighton. Er war einundvierzig und ziemlich gutaussehend." Clay ahnte, worauf die Geschichte hinauslief. "Er hieß Presley? Bitte sag nicht, du hast ihn im Bett den ,King' genannt." Sie grinste. "Ich habe ihn Prez genannt." "Prez ... Soso! Dieser Glückspilz wurde also Prez genannt, war Geschäftsführer und durfte mit dir schlafen", entfuhr es ihm. Was war plötzlich in ihn gefahren? Izzy sah Clay befremdet an. "Vor etwa sechs Monaten bat Prez mich, zu ihm zu ziehen. Er hatte sich ein wundervolles Haus auf dem Russian Hill gekauft."
"Und da du ohnehin die ganze Zeit dort warst, machte es keinen Sinn mehr, wenn du weiterhin für dein Apartment Miete bezahlen würdest." "Ich dachte, er würde mich heiraten", sagte sie mit ruhigem Ernst. "Hattet ihr über das Heiraten gesprochen?" Sie zögerte. "Nicht direkt. Er hat gesagt, er liebe mich. So etwas bekomme ich nicht allzuoft zu hören, und es bedeutete mir etwas." "Laß mich raten. Er hat es zum erstenmal gesagt, als ihr miteinander..." "Was spielt das für eine Rolle, wann er es zum erstenmal gesagt hat?" "Weil viele Männer das in solchen Situationen sagen. Sie betrachten es als eine Art gute Manieren." Sie lachte kurz und angewidert auf. "Typisch Prez, er war immer ganz Gentleman." "Ich mache mir Sorgen um dich", erklärte er sanft. "Eigentlich solltest du wissen, daß man eine solche Liebeserklärung nicht für bare Münze nehmen kann." "Es war nicht nur das." Sie befreite ihre Hände aus seinem Griff. "Es kamen viele Dinge zusammen. Du warst nicht da, du weißt nichts von all den Kleinigkeiten, die er gesagt und getan hat und die mich glauben ließen ... Alle dachten das gleiche, daß ich dumm war und viel zu leichtgläubig. Aber ich nahm an, wenn etwas passierte, würde er zu mir stehen." Sie schüttelte traurig den Kopf. "Ich habe mich geirrt. Er redete immer von unserer gemeinsamen Zukunft; Er sprach davon, ein größeres Haus zu kaufen, zusammen zu verreisen, all solche Sache n. Ich ging darauf ein, weil ich glaubte, er würde mir demnächst einen Heiratsantrag machen." Clay runzelte die Süm. "Und dann?" "Und dann, vor etwas über drei Wochen, zog uns der Mutterkonzem den Boden unter den Füßen weg. Die Umsätze
bei D & B waren rückläufig, daher kam es zu einer Zusammenlegung mit einem anderen Verlag. Die meisten Beschäftigten wurden wie ich entlassen. Prez wurde zurück nach England geschickt. Ich war völlig schockiert. Er sagte einfach ,Good bye', und ich fühlte mich, als hätte er mir einen Tritt gegeben. Ich konnte es nicht fassen." "Was konntest du nicht fassen?" meinte Clay. "Seine schäbigen Abschiedsworte oder die Tatsache, daß er ging? Denn ich muß dir leider sagen, daß es genau das ist, was Menschen nun einmal tun. Glaub mir, früher oder später verschwinden sie.. Die Frage ist nur, ob sie es mit Anstand tun. Es klingt, als hätte der gute alte Prez dabei nicht allzuviel Anstand bewiesen." "Als er ins Taxi stieg, das ihn zum Flughafen bringen sollte, teilte er mir immerhin noch mit, daß ich bis zum Ende des Monats ausziehen müsse", erwiderte sie grimmig. "Ich fand, das war ein erinnerungswürdiger letzter Satz. Ich war jedenfalls sprachlos." "Dieser Mistkerl!" Sie nickte traurig. "Er wußte, daß ich kein Geld besaß, weil ich meine Ersparnisse bei einer riskanten Investition verloren hatte." "Wie ging es weiter?" "Ich geriet fast in Panik. Und dann, nachdem ich von meiner Schwangerschaft erfahren hatte, rief ich ihn in London an." Ihre Stimme klang gepreßt. "Eine junge Frau mit dem kühlem Akzent der britischen Upperclass meldete sich. Prez klang sehr nervös, als er an den Apparat kam. Er sagte, er würde später zurückrufen, und das tat er auch. Er versuchte gar nicht erst, etwas zu beschönigen, sondern erklärte mir, die Frau am Telefon sei seit drei Jahren seine Verlobte und er wolle keinen Ärger. Als ich ihm von meiner Schwangerschaft berichtete, versprach er, mir Geld zu schicken, um - wie nannte er es gleich? - das Problem aus der Welt zu schaffen'." "Verdammt! Was hast, du bloß an diesem Kerl gefunden?"
"Frag mich nicht, ja?" unterbrach sie ihn wütend. "Menschen begehen nun einmal Fehler. Ich habe Fehler gemacht und bekenne mich schuldig. Bring mich nicht dazu, es zu verteidigen." "Schon gut." "Außerdem hast du es gerade nötig, mit deiner sexuellen Vergangenheit. Ehrlich, ein paar von den Frauen, mit denen du ..." "Du hast absolut recht", räumte er beischwichtigend ein. "Ich bekenne mich ebenfalls schuldig. Wir sind beide komplette Trottel, wenn es um das andere Geschlecht geht. Wir dürften gar nicht allein aus dem Haus gehen." Izzy grinste schief. "Ach, hör auf!" "Hat er dir wirklich Geld geschickt?" Sie nickte. "Ich habe es für den Rückflug nach New York benutzt. Jetzt schlafe ich auf der ausziehbaren Couch im Wohnzimmer meiner Eltern. Bevor das Baby zur Welt kommt, möchte ich unbedingt meine eigene Wohnung haben. Aber das kostet Geld, und ich habe keines. Ich habe mich schon in ganz Manhattan um einen Job als Graphikerin beworben." "Moment mal. Du kannst Manhattan doch nicht ausstehen. Du hast mir einmal erzählt, du würdest niemals hier arbeiten." "Das war, bevor mein Leben zerbrach. Außerdem ist das jetzt unerheblich, weil mich ohnehin niemand beschäftigt, sobald er erfährt, daß ich schwanger bin." "Dann verschweig es einfach." "Das habe ich versucht. Ich hatte auch tatsächlich schon Glück, aber dann sagten sie mir, ich müßte eine ärztliche Untersuchung vorweisen, und damit hatte es sich dann erledigt. Ich habe meine Mappe überall herumgeschickt, um freiberuflich Aufträge zu bekommen, aber die Konkurrenz in New York ist so groß, und alle meine Kontakte habe ich in San Francisco." "Was bleiben dir noch für Möglichkeiten?"
"Du meinst, außer arbeitslos, schwanger und pleite zu sein?" Ein mattes Lächeln, das ihm das Herz zerriß, erschien auf ihrem Gesicht. "Wenigstens habe ich eine Unterkunft. Nicht daß ich mit vierunddreißig bei meinen Eltern wohnen möchte, aber es ist immer noch besser als auf der Straße. Es ist beängstigend. Man hört Obdachlose im Fernsehen davon berichten, es könne jeden treffen, aber man glaubt es nicht, bis es einem selbst passiert." Sie erschauerte. "Wissen deine Eltern von deiner Schwangerschaft?" "Gütiger Himmel, nein. Das kann ich ihnen nicht beichten. Natürlich müssen sie es früher oder später erfahren, aber ich habe noch keine Ahnung, wie ich es ihnen beibringen soll." "Sie lieben dich, oder? Also werden sie auch Verständnis für dich haben." "Sie lieben mich, aber sie werden es nicht verstehen." Ihre Augen glänzten feucht. "Es wird sie verletzen. Sie werden am Boden zerstört sein." "Na komm schon." "Du hast sie erst einmal getroffen, bei deiner Abschlußfeier am College, nicht wahr? Du kennst sie nicht. Ich komme aus einer typischen traditionsbewußten Familie. Wenn ich sage, meine Eltern werden am Boden zerstört sein, dann meine ich das wörtlich. Der Schlag wird sie treffen, alle beide. Meine Brüder und Schwestern werden nie mehr ein Wort mit mir wechseln, meine Onkel und Cousinen ..." "Wir werden uns etwas einfallen lassen, was den Schock mildert." "Da gibt es nichts." Ihr Kinn begann zu zittern. "Nein, laß das." Er wich mit erhobenen Händen zurück. "Bitte, Izzy, nicht weinen." "Ich versuche es ja." Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Er nahm sie in den Arm und barg ihren Kopf an seiner Schulter. "Möchtest du, daß ich Presley für dich aufspüre und ihm eine Abreibung verpasse?"
Sie schluchzte. "Ja." "Ich meine es ernst." "Wenn ich glaubte, das würde etwas ändern, würde ich dich das tun lassen", erwiderte sie mit bebender Stimme. "Aber so, wie es ist, muß ich die Zähne zusammenbeißen und die Folgen auf mich nehmen." "Was hast du vor?" Sie zuckte die Schultern. Er streichelte ihren Rücken. Im darauffolgen den Schweigen entwarf seine Phantasie Lösungen für ihr Problem. Die meisten waren dumm, aber eine schoß ihm wieder und wieder durch den Kopf - möglicherweise, weil diese noch dümmer war als die übrigen und daher natürlich um so faszinierender erschien. Vielleicht aber auch, weil es nicht nur die Lösung für Izzys Probleme darstellte, sondern auch für eine seiner Sorgen. Während er über diese Idee nachdachte, kam er zu dem Schluß, daß seine Idee vielleicht nicht dumm, sondern eher außergewöhnlich war. Er grinste. Dummheit fand er wenig ansprechend, aber das Außergewöhnliche hatte stets einen Reiz auf ihn ausgeübt, dem er sich nicht entziehen konnte. Er dachte weiter darüber nach, wägte alle Gesichtspunkte ab. Dann sagte er: "Izzy?" Sie hatte sich in seinen Armen zusammengerollt. "Hm?" "Ich habe eine Idee. Hör mir erst einmal zu, und verwirf sie nicht gleich." "Einverstanden." "Gib ihr eine Chance." "Ich sagte doch, einverstanden." "Hier ist also meine Idee. Hörst du mir zu?" Sie löste sich von ihm und schaute ihm in die Augen. "Warum kommst du nicht zur Sache?" Ja, warum? "Weil die Idee ein bißchen ungewöhnlich ist. Sehr ungewöhnlich", korrigierte er. "Aber es ist eine sehr gute Idee. Zumindest halte ich sie dafür."
"Und wie lautet sie?" Sie drängte ihn mit einer Geste, weiterzusprechen. "Daß wir heiraten", verkündete er und grinste verlegen. Sie starrte ihn an. "Entschuldige, sagtest du gerade ..." "Daß wir heiraten sollten? Richtig." Sie hob die Brauen, er schob sie wieder herunter. Ein berauschendes Gefühl der Erregung durchflutete ihn, und es war das gleiche Gefühl, das er empfand, wenn er aus einem Flugzeug sprang. Es war ein Adrenalinstoß, ein Energieschub, der den Körper darauf vorbereitete, etwas zu tun, was der Verstand als gefährlichen Unsinn betrachtete. Er liebte dieses Gefühl. Er liebte seinen Plan. Es würde großartig werden! Izzys Gesichtsausdruck ließ jedoch darauf schließen, daß sie seine Begeisterung nicht teilte. "Das ist verrückt", meinte sie. "Absolut. Aber das bedeutet nicht, daß wir es nicht tun sollten. Einige der besten Ideen der Welt waren total verrückt." Er umfaßte ihre Schultern und sah ihr fest in die Augen. "Izzy Fabrioni und Clay Granger heiraten." Er grinste übers ganze Gesicht. "Und das beschert Izzy einen Ehemann, ein Heim, finanzielle Sicherheit und einen Vater für ihr Kind, den sie ihrer Familie und ihren Freunden präsentieren kann." "Und was bekommst du dafür?" "Die Freiheit, aus dem Haus gehen zu können, ohne ständig von potentiellen Ehefrauen belagert zu werden." "Im Vergleich zu mir scheinst du schlechter abzuschneiden." Sie diskutierte mit ihm darüber. Das war gut, denn es bedeutete, daß sie über diesen verrückten Vorschlag ernsthaft nachdachte. "Ich bekomme mehr, als du denkst. Ich führe schon längst nicht mehr mein eigenes Leben. Seit Judiths Tod." Der Gedanke an Judith dämpfte seine Euphorie und brachte ein vernünftiges Element in seine Überlegungen. Er ließ Izzys Schultern los und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
"Ein Kerl hat sogar versucht, mich bei der Beerdigung mit seiner Schwester zu verkuppeln." Izzys Augen weiteten sich, dann kniff sie sie zusammen. "War das der Kerl, den du k.o. geschlagen hast?" "Ja. Ich sagte ihm, meine Frau sei gerade gestorben, und er hätte die Frechheit zu erwidern, ich solle es nicht so schwer nehmen. ,Wie lange kanntest du sie?' meinte er. ,Nicht einmal fünf Monate? Du wirst darüber hinwegkommen, wenn du nach vorn schaust.' Daraufhin verpaßte ich ihm einen Kinnhaken. Seine Schwester half ihm wieder auf die Beine, und er verschwand." "Weshalb hast du mich nicht angerufen?" fragte Izzy. "Ich hätte ihn für dich festgehalten, damit du es ihm richtig zeigen kannst." Er lachte und drückte sie an sich. "Das ist meine Izzy. Was sagst du also, Kaffeebohne? Sollen wir es wagen? Es wird bestimmt ein Spaß. Ich gehe zu Tiffany's und kaufe dir einen Ring mit einem riesigen Stein." "Dann wird man mich ausrauben. " "Niemand wird glauben, daß er echt ist. Außerdem wirst du dann in Stanfield, Connecticut, wohnen, wo so etwas einfach nicht vorkommt." "Stanfield", murmelte sie. "Na klar." Die malerische kleine Stadt, gleich hinter der Staatsgrenze zwischen New York und Connecticut, war ungefähr eine halbe Autostunde entfernt gerade weit genug vom Einzugsgebiet der Metropole und seiner eintönigen Vororte entfernt. "In meinem Haus", fügte er vorsichtshalber hinzu. "Das Haus, das mein Großvater mir hinterlassen hat. Du warst schon einmal dort, erinnerst du dich? Damals sagtest du, es gefiele dir." Sie schwieg und sah an seiner Schulter vorbei, als studiere sie die Tapete. Aber er wußte, was sie vor sich sah: ein riesiges
Traumhaus im viktorianischen Stil mit Kuppeldach, einer breiten Veranda und bleigefaßten Erkerfenstern. "Die Wälder gehören auch mir", warf er ein, um das Angebot noch verlockender zu machen. "Zehn Hektar." "Halt den Mund", erwiderte sie, doch einer ihrer Mundwinkel hob sich zu einem grimmigen Lächeln. "Außerdem wäre da natürlich noch der Pool und ..." "Halt den Mund!" Sie gab ein Geräusch von sich, das wie eine Mischung aus Stöhnen und Lachen klang und schüttelte den Kopf. "Das ist verrückt." "Da stimme ich dir zu. Also?" Sie biß sich auf die Lippe, und ihr Blick verdunkelte sich. "Es gibt ein paar Dinge, über die wir uns zuerst einigen müssen." Das war sein Stichwort zu sagen: Selbstverständlich wird es eine platonische Ehe sein. Nicht im Traum würde ich es wagen, dich anzurühren. Statt dessen versuchte er, sich nicht festzulegen. "Du stellst die Bedingungen. Wir werden uns nach deinen Regeln richten." Sie hielt nur kurz inne, ehe sie begann: "Wir werden getrennte Schlafzimmer haben. Das ist wohl keine Frage, oder?" "Nein", versicherte er rasch. "He, du bist nicht einmal mein Typ." Innerlich zuckte er über diesen lahmen Satz zusammen. Eine Sekunde lang starrte sie ihn gekränkt an, dann wandte sie den Blick ab. Als sie den Kopf wieder hob, wirkte sie fast unnatürlich ruhig und gefaßt. "Ich brauche wohl kaum darauf hinzuweisen, daß du ebenfalls nicht meinem Typ entsprichst, besonders nicht nach der Geschichte mit Prez. Nie wieder werde ich mich in einen Playboy verlieben." "Playboy? Das klingt ja, als wäre ich ein Kerl mit Goldkettchen und Seidenhemden, der dünne braune Zigaretten raucht." "Vergiß nicht Sex mit Fremden auf Partys. Du mußt schon zugeben, Clay, daß du ein ziemlich aktives - wie drücke ich es am besten aus? -, gesellschaftliches Leben führst. Hast du gar
keine Angst, die Ehe könnte dem einen Dämpfer aufsetzen? Immerhin ist die Welt weiterhin voller Barbies und Tanyas." "Damit werde ich schon zurechtkommen." Er zuckte die Schultern. Izzy schien auf eine nähere Erklärung zu warten. Daher setzte er gezwungenermaßen hinzu: "Ich werde diskret sein, und ich verspreche, dich nicht in Verlegenheit zu bringen." Sie zögerte einen Moment, dann erwiderte sie: "Gut." Er streichelte ihr Haar; es fühlte sich seidig an. "Ich würde dir nie weh tun wollen." In seiner Erinnerung spielte sich ein Drama in Weichzeichner ab: Er kam von der Schule, an dem Tag nach seinem elften Geburtstag, und fand seine Mutter, die von Zimmer zu Zimmer rannte und Vasen, Bonbonschalen und Spiegel zerschmiß. "Ich kann nicht mehr!" schrie sie auf französisch, ihrer Muttersprache. Sein Vater saß mit einer befreundeten Schauspielerin im Wohnzimmer, beide in Bademänteln, während Clays Mutter im Hintergrund schrie und Sachen zerschlug. Sein Vater zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Ich habe keine Ahnung, was in diese Frau gefahren ist. An diesem Tag hatte seine Mutter ihre Sachen gepackt und war für immer zurück in die Schweiz geflogen. Clay hatte seitdem ein paarmal mit ihr am Telefon gesprochen und ihr Foto zweimal in der Boulevardpresse gesehen. Beide Male hatte sie große Sonnenbrillen ge tragen und war in Begleitung jünger Männer gewesen. "Was ist, wenn du aus der Sache herauswillst?" erkundigte sich Izzy. "Vielleicht lernst du jemanden kennen und verliebst dich." Er lachte harsch. "Das passiert zwei- bis dreimal die Woche und dauert für gewöhnlich eine halbe Stunde." "Nein, im Ernst." "Das ist mein Ernst", erwiderte er. "Es wird nicht passieren. Ich kenne mich gut genug, um eindeutig behaupten zu können, daß ich nicht die Absicht habe, mit irgend jemandem eine feste Beziehung einzugehen.
Aber falls du jemanden kennenlernst und die Scheidung willst, kein Problem. Selbst wenn du die Scheidung gleich nach der Geburt des Babys einleiten möchtest, bitte sehr. Ich will dir nur helfen." "Ich weiß." Sie umfaßte seine Schulter. "Und das weiß ich auch zu schätzen, mehr als ich dir sagen kann," Von unten drang der Lärm einiger Partygäste herauf. "Du wirst es also tun?" Sie lachte ungläubig. "Das ist verrückt." "Das haben wir schon besprochen. Wir wissen, daß es verrückt ist. Aber wir machen es trotzdem, oder?' Sie stöhnte, strahlte jedoch über das ganze Gesicht. "Ja." "Ja!" Er drückte sie fest an sich. Die Tür flog auf und Harrys Footballspieler-Silhouette füllte den Türrahmen. "Hier seid ihr! Es ist fast Mittemacht und ..." Staunend registrierte er die zerwühlten Mäntel und die Umarmung der beiden. "Das kann unmöglich das sein, wonach es aussieht." "Wir werden heiraten", verkündete Clay. "Clay!" rief Izzy. "Früher oder später werden es ohnehin alle mitbekommen", erwiderte er. Seufzend sank sie an seine Brust. "Du und Izzy", meinte Harry langsam, als warte er auf die Pointe. "Ihr heiratet." Clay nickte. "Wirst du mein Trauzeuge sein?" Harry stand einen Moment reglos, während seine Miene sich allmählich von ungläubig zu heiterer Zustimmung wandelte. Er tippte an den Schirm seiner Yankee-Mütze. "Darf ich die aufbehalten?" "Ohne die würde ich dich gar nicht erkennen." "Dann bin ich dein Trauzeuge." Harry deutete mit dem Kopf zur Treppe, die nach unten führte, wo die Stimmung sich dem
Höhepunkt näherte. "Der Countdown fängt gleich an. Wenn ihr euch voneinander lösen könnt, solltet ihr mit uns feiern." "Zehn!" brüllten die Feiernden, die die Live-Übertragung vom Times-Square auf Harrys riesigem TV-Bildschirm mitverfolgfen. "Neun! Acht!" Ich muß den Verstand verloren haben, dachte Izzy, die in der Menschenmenge vor dem Fernseher gegen Clay gedrückt wurde. Habe ich mich tatsächlich einverstanden erklärt, Clay Granger zu heiraten? "Sieben! Sechs! Fünf!" Clay lehnte sich zu ihr herüber, die Hand über sein Champagnerglas haltend, um nichts zu verschütten. Als er in ihr Ohr sprach, verstand sie nur jedes zweite Wort, aber sie vermutete, daß es heißen sollte: "Dieser Countdown erinnert mich an die Sekunden kurz vor dem Sprung aus einem Flugzeug." "Vier! Drei!" Er lachte. "Junge, ich liebe dieses Gefühl, wenn man einfach fällt, weiter und weiter. Weißt du, was ich meine?" Ohne Zweifel, er hat auch den Verstand verloren. "Zwei! Eins!" Wir sind beide verrückt. Was machen wir nur? "Frohes neues Jahr!" Hupen und Jauchzen ertönte. Izzy, die für die Dauer ihrer Schwangerschaft jeglichem Alkohol abgeschworen harte, tat so, als nippte sie an ihrem Champagner; Clay leerte sein Glas in einem Zug! Im Hintergrund spielte "Auld Lang Syne", und die Paare sammelten sich für den traditione llen Kuß um Punkt Mitternacht. Izzy vermied es, Clay ins Gesicht zu sehen. Sie tat erneut, als nippe sie von ihrem Champagner. Als sie das Glas senkte, sah Clay auf sie herunter. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es zusammen mit seinem auf den Femseher. Dann hob er ihr Kinn, beugte sich herunter und küßte sie.
Es war ein liebevoller Kuß, sanft und zurückhaltend. Doch als er sich wieder von ihr lösen wollte, schien er seine Meinung zu ändern und preßte seine Lippen erneut auf ihre. Dieser Kuß löste ein Prickeln auf ihrer Haut aus. Er schloß die Augen, Izzy ebenfalls, und Clay drückte sie fester an sich. Dies ist ein echter Kuß, dachte sie, nicht bloß ein Neujahrskuß. Clay küßt mich wirklich! Und, der Himmel möge ihr beistehen, sie erwiderte seinen Kuß. Harry kam lachend zu ihnen geschlendert. "Ich muß sagen, ihr beide seid heute abend voller Überraschungen." "Ja", bestätigte Clay mit der Miene eines Mannes, dem gerade erst die ganze Tragweite einer Abmachung klargeworden war. "Das glaube ich auch."
3. KAPITEL "Ich werde dich direkt vor dem Kamin fotografieren", erklärte Harry Izzy und baute sein Stativ in Clays Wohnzimmer in dessen Haus in Stanfield auf, in dem sich die Hochzeitsgäste tummelten. Harry zeigte auf die Stelle. Izzy stand da und betrachtete den Fotografen, der ihr eigenartig adrett vorkam in seinem weißen Smoking mit der Yankee-Mütze auf dem Kopf. Er drehte den Mützenschirm nach hinten und beugte sich zur Kamera herunter. "Dreh dich nach links", dirigierte er sie, während er durch das Objektiv sah. Izzy gehorchte und zuckte zusammen, da die gleißenden, vom Schnee im Garten reflektierten Sonnenstrahlen durch das große Fenster hereinfielen und sie blendeten. "Und jetzt ein bißchen nach rechts", forderte Harry. "Und vielleicht konntest du ja dazu lächeln, was meinst du? Schließlich hast du gerade einen der begehrtesten Junggesellen der Welt geheiratet." Gütiger Himmel, das habe ich tatsächlich! War es wirklich erst eine Woche her, seit Clay ihr auf Harrys Silvesterparty den Antrag gemacht hatte? Wenn man es überhaupt so nennen konnte. Izzy schaute herunter auf ihren Ringfinger ihrer linken Hand, an dem sie den Ehering mit dem versprochenen Diamanten von Tiffany's trug. Dann sah sie zu Clay, der in der Ecke saß und schottischen Whisky trank.
Ihr frischgebackener Ehemann wirkte nachdenklich, während er beobachtete, wie sie vor der Kamera posierte. Er schien schon den ganzen Vormittag über leicht abwesend - bis auf den Moment, in dem der Friedensrichter sie zu Mann und Frau erklärt und sie aufgefordert hatte, sich zu küssen. Da hatte er ihr zum erstenmal an diesem Tag in die Augen gesehen, und zwischen ihnen war eine Verbindung wortloser Intimität entstanden, die sie beunruhigte, obwohl damit ein ganz neues Element in ihre bisherige Beziehung kam. Dann hatte er ihr zugezwinkert und sein sorgloses Lächeln gelächelt, hatte sanft ihre Arme umfaßt und sie geküßt, wie es zur Zeremonie gehörte. Und dennoch hatte etwas unmißverständlich Erotisches in diesem Kuß gelegen. Sie holte tief Luft, atmete wieder aus und lächelte. "Halt den Brautstrauß so, daß man ihn sehen kann, Liebes", rief ihre Mutter durch das Stimmengewirr der Gäste und die Musik des Streichquartetts in der Eingangshalle. Paola Fabrioni sah an diesem Tag elegant aus wie immer. Sie trug ein enganliegendes, auberginefarbenes Seidenkleid, das sie letzte Woche genäht hatte, zusammen mit vier Kleidern für ihre Enkeltöchter. "So ist es richtig. Du siehst wundervoll aus, Isabella, geradezu erblüht." Na fabelhaft, dachte Izzy. "He, was ist mit deinem Lächeln passiert?" tadelte Harry sie. "Sag ,Cheese'!" "Cheese" wiederholte Izzy, und der Auslöser klickte. Sie wünschte, ihre Mutter würde aufhören, ihr zu sagen, sie sähe erblüht aus. Eine Braut sollte strahlen; werdende Mütter erblühten. Bis jetzt hatte sie ihren Eltern noch nichts von ihrem Zustand verraten. In einigen Monaten würde sie ihre Schwangerschaft bekanntgeben, und zum Zeitpunkt der Geburt, wenn das Baby etwas zu früh kam ... na ja, es war nicht direkt eine Lüge. Doch,
schon, aber eher eine Notlüge, die lediglich dazu diente, die Gefühle derer zu schützen, die sie liebten. Wen wollte sie zum Narren halten? Eine Lüge war eine Lüge. Ihre Eltern hatten ihr stets Liebe und Anerkennung entgegengebracht, und dafür führte sie nun diese Hochzeitsfarce auf, zum Großteil, damit sie nicht herausfanden, daß sie unverheiratet schwanger geworden war. Sie hatten ihr, ohne zu zögern, geglaubt, als sie die traurige Berühmtheit ihres Verlobten als Grund für die eilige Heirat angeführt hatte. Clay sei ein berühmter Mann, hatte sie erklärt, und ein so begehrter Junggeselle, daß die Presse sich auf sie stürzen würde, sobald sie von der Hochzeit erführe. Je kürzer die Verlobungszeit, desto geringer die Chance, daß die Medien davon erfuhren. Da ihnen keine Ze it geblieben sei, die Flitterwochen zu planen, würden sie diese auf später verschieben. All das hatten ihre Eltern ohne weiteres akzeptiert, wodurch Izzy sich nur noch schlechter fühlte. Was sie allerdings nicht ganz gutheißen konnten, war die zivile Trauung. Sie und Clay wären vor Gott nicht eher verheiratet, bis sie sich von einem Priester hätten trauen lassen, hatten ihre Eltern erklärt. Und da Clay im katholischen Glauben erzogen worden war, stünde einer kirchlichen Zeremonie nichts im Wege, ganz gleich, wie eilig sie es hätten. Wie hätte sie ihnen gestehen sollen, daß sie gar nicht mit Gottes Segen verheiratet sein wollte? Daß eine kirchliche Hochzeit selbst für sie eine zu große Farce war? Also hatte sie wieder Clay dafür verantwortlich gemacht, indem sie schlicht erklärte, ihm sei es auf diese Weise lieber. Was machte eine Lüge mehr oder weniger schon aus? "Okay", sagte Harry. "Und jetzt machen wir eins vom glücklichen Paar. Kommen Sie, Mr. Granger." Clay, der in seinem maßgeschneiderten, dunkelblauen Anzug mit silberner Krawatte umwerfend aussah, reichte jemandem sein Glas und kam zum Kamin.
"Stell dich hinter Izzy", forderte Harry ihn auf. "So ist es gut. Noch näher zusammen, Freunde. Kannst du die Blumen loslassen, Izzy? Kann ihr mal jemand die Blumen abnehmen?" Izzy warf den Strauß Orchideen in die Menge. Sofort hob sich eine Hand und griff danach. Alle Fabrionis lachten, als sie sahen, daß Izzys Patentante, die drahthaarige, habichtgesichtige Teodora, den Strauß aufgefangen hatte. "Du bist die nächs te, Tante Teddy!" rief die kleine Rosa, eine von Izzys vielen Nichten. "Paß auf, was du sagst", knurrte Teddy. "Hier." Sie gab dem begeisterten Kind den Strauß. "Schmeiß ihn in den Müll." Harry tat, als müßte er sich eine Träne wegwischen. "Ich liebe Hochzeiten." Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die frisch Vermählten. "Na schön, Freunde, ihr scheint euch zu amüsieren. Clay, leg die Arme um Izzy." Clay umarmte sie zaghaft. "Nein, so nicht." Harry verließ seinen Standort hinter der Kamera, um sein Motiv in Position zu bringen. Er legte Clays Arme fest um Izzys Taille und sagte: "Herrgott, entspannt euch doch. So ist es gut. Und jetzt verschränkt eure Finger miteinander. Beide Hände. Lehn dich zurück an ihn. Entspannt euch. Genau so." Er kehrte hinter die Kamera zurück und hantierte an der Einstellung. Izzy hatte Harry in den wahren Grund für diese Heirat einweihen wollen, doch Clay hielt Diskretion für besser, zumindest vorläufig. Daraufhin hatte Izzy ihm vorgeworfen, er traue seinem besten Freund nicht, aber Clay hatte darauf bestanden, daß es keine Frage des Vertrauens sei. Harry meinte es immer gut, aber er redete auch gern, und manchmal erzählte er, ohne nachzudenken, drauflos. Clay wollte nicht, daß die Wahrheit schon vor der Hochzeit durchsickerte. Sobald sich alles beruhigt hätte, würden sie gemeinsam entscheiden, mit wem sie ihr Geheimnis teilen wollten.
"Eine Sekunde noch", murmelte Harry und verstellte Höhe und Winkel des Stativs. Clay neigte den Kopf, so daß sein Gesicht Izzys Haare streifte. "Hm", flüsterte er. "Was ist das?" "Ich habe kein Parfüm aufgetragen. Es muß mein Shampoo sein." "Nein, da ist noch etwas anderes." Er schnupperte an ihrer Schläfe. "Etwas Warmes und Dezentes." "Seife?" "Nein. Es duftet irgendwie mediterran." Sie grinste. "Das ist Olivenöl." "Olivenöl?" "Ich benutze es, damit meine Haut weich bleibt. Das habe ich von meiner Mutter." "Kein Wunder, daß du zum Anbeißen gut aussiehst." "Fertig!" rief Harry und richtete sich auf. "Achtet auf das Vögelchen! Cheese!" "Cheese!" Klick. "Großartig" verkündete Harry. "Und jetzt machen wir ein Foto mit den Eltern und dem Hochzeitspaar." Damit waren Izzys Eltern gemeint. Clays waren nicht anwesend. Vermutlich waren sie in Europa, wenn auch nicht gemeinsam. Seine Mutter war eine bekannte Persönlichkeit des gesellschaftlichen Lebens in der französischen Schweiz, sein Vater ein reicher amerikanischer Bankmanager. Als Clay elf war, hatten sie sich scheiden lassen. Das war alles, was Izzy über sie wußte, und auch das hatte sie nur durch Harry erfahren. Sie war ihnen nie begegnet, und Clay haßte es, über sie zu sprechen. Zu seiner ersten Hochzelt waren sie ebenfalls nicht gekommen, und Izzy hatte keine Ahnung, ob Clay sie zu dieser überhaupt eingeladen hatte. "Izzy", rief Harry. "Weißt du, wo dein Vater steckt? Wir brauchen ihn für das nächste Foto."
"Hast du schon auf der Veranda nachgesehen?" fragte sie. "Ich habe ihm gesagt, er soll seine Zigarren dort rauchen." "Ich werde mal nachschauen. Ihr bleibt solange schön dort stehen." Clay, der noch immer hinter Izzy stand, streichelte ihre Arme und flüsterte ihr ins Ohr: "Wie hältst du es durch? Keine Schwindelanfälle?" "Mir geht es gut", antwortete sie. "Aber ich hätte nichts gegen Lunch einzuwenden." "Ich glaube, das Büfett im Eßzimmer ist jeden Moment hergerichtet. Sobald Harry mit uns fertig ist, suche ich dir einen Platz und bringe dir etwas Warmes zu essen." "Danke." Sie war ein wenig durcheinander, aber auch dankbar dafür, wie gut er den besorgten Bräutigam spielte. Nein, das war nicht ganz fair, denn er schien es aufrichtig zu meinen. Daß er sich um sie kümmerte, war erfreulich, aber sie durfte nicht vergessen, daß es rein platonischer Natur war. Harry kam zurück. "Er ist nicht dort. Hast du eine Ahnung, Clay? Schließlich ist es dein Haus." Clay machte ein nachdenkliches Gesicht, dann grinste er. "Natürlich. Komm mit." Er führte Harry um die Ecke, und Izzy hörte ihre Schritte auf der Treppe. Der Partyservice verkündete, der Lunch sei serviert, worauf die Gäste ins Eßzimmer strömten, mit Ausnahme ihrer Mutter, die noch immer darauf wartete, daß ihr Mann gefunden wurde. Langsam schritt Paola durch das Zimmer und studierte die Fuchsjagden darstellenden Ölbilder an den holzgetäfelten Wänden. Es waren nur einige Beispiele für Sportarten darstellende Kunstwerke, die Clay seit Jahren sammelte. Izzy atmete die köstlichen Düfte ein, die sich im Haus ausbreiteten, und stellte sich einen mit Speisen und einer, riesigen Hochzeitstorte reich gedeckten Tisch vor. Plötzlich verging ihr der Appetit, und Schwindel erfaßte sie. Sie drehte sich leicht und klammerte sich an den Kaminsims.
Nur noch ein Foto, dann würde sie sich einen Platz suchen, wo sie sich hinlegen konnte. In ihrem Zimmer. Clay hatte ihr ein Schlafzimmer neben seinem zugewiesen, ein hübsches Zimmer in beruhigendem Hellgrün. Dorthin würde sie sich zurückziehen, die Tür abschließen und sich aufs Bett legen. Zwei kleine gerahmte Fotografien standen auf dem Kaminsims, die sie betrachtete, um sich abzulenken. Die erste zeigte einen Schnappschuß von Clay mit seiner früheren Frau in Skianzügen, während die beiden lachend durch den Schnee tobten. Judith war groß gewesen, eine gesunde, athletische Frau mit honigblonden Haaren. Clay hatte sie abgöttisch geliebt. Izzy betrachtete sein vom Wind gerötetes Gesicht näher. Er war so jung gewesen und sah auf dem Bild so glücklich und arglos aus. Diesen Ausdruck hatte sie seit Jahren nicht bei ihm gesehen. Beim zweiten Foto mußte sie trotz ihrer Übelkeit lächeln, denn es weckte frohe Erinnerungen. Es zeigte Clay, Harry und sie mit sechzehn auf dem Brokatsofa im Flur von Clays Apartment. Die beiden Jungen saßen und hielten Izzy quer ausgestreckt auf ihrem Schoß, Izzy hatte den Kopf auf die Hand gestützt und lachte, da die beiden sie kitzelten. Harry hatte das Foto per Selbstauslöser geschossen. Seine vollen schwarzen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Clays Haare waren, wie immer, kurz. Izzy betrachtete ihre eigenen jugendlichen Zuge mit Entsetzen. Sie war so hübsch gewesen, mit ihrer wilden Mähne und dem strahlenden Lachen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so ausgesehen zu haben. Hatte Clay sie hübsch gefunden? Fand er sie heute hübsch? Sie lehnte den Kopf auf den Kaminsims. Das polierte Holz fühlte sich angenehm kühl an. "Ist alles in Ordnung mit dir, Liebes?" Izzy richtete sich auf und entdeckte ihre Mutter mit besorgter Miene neben sich. "Sicher, es sind nur ..."
"Die Nerven?" Paola Fabrioni tätschelte ihrer Tochter den Arm. "Aber die Zeremonie ist doch vorbei. Es gibt keinen Grund mehr ..." Sie hielt inne und runzelte unsicher die Stirn. "Isabella, gibt es etwas, worüber du reden möchtest?" "Nein, Mom." Ihre Mutter nickte wissend. "Ich verstehe, Liebling. Wirklich. Ich weiß noch, wie es für mich war." "Nein, Mom, bitte. Das ist es nicht." Glaubte ihre Mutter tatsächlich, daß Izzy mit vierunddreißig unberührt in die Ehe ging? Nun, weshalb sollte sie das nicht glauben? Izzy hatte sie nie etwas anderes annehmen lassen. "Ich möchte nur, daß du weißt, daß du mit mir über alles sprechen kannst", versicherte Paola ihr leise. "Ich werde immer für dich dasein." "Danke, Mom." Plötzlich begann das Gesicht ihrer Mutter leicht zu verschwimmen, und Kälte breitete sich in Izzy von Kopf bis Fuß aus. "Isabella? Liebling, du schwitzt ja. Du bist so blaß. Stimmt etwas nicht mit dir?" "Es ist nichts." Sie würde ohnmächtig werden, das wurde ihr mit erschreckender Klarheit bewußt. Sie versuchte, sich am Kaminsims festzuklammern, aber er war nicht mehr da. Das ängstliche Gesicht ihrer Mutter verschwand und löste sich auf, und eine alles verschlingende Leere umgab sie.
4. KAPITEL Clay folgte dem Durcheinander der Stimmen ins Wohnzimmer, wo etwa ein Dutzend Gäste irgend etwas beim Kamin umringten. "Laßt mich durch!" Die Menge teilte sich für ihn, und er entdeckte Izzy, die auf dem Boden lag. Clay kniete nieder und umfaßte behutsam ihr blasses Gesicht. "Verschwindet, und zwar alle!" befahl Teddy, die sich den Weg durch die Menge bahnte, von denen sich die meisten wieder ins Eßzimmer begaben. "Was ist passiert, Paola?" "Sie stand einfach dort, und dann fiel sie in Ohnmacht", berichtete Paola, über ihre Tochter gebeugt. Harry trat zu ihnen und erkundigte sich, ob er irgend etwas tun könne. "Ruf meinen Arzt, Dr. Wilde, an", sagte Clay. "Seine Nummer steht in meinem Rolodex, oben in meinem Arbeitszimmer." Harry wollte schon gehen, doch Clay hob eine Hand. "Warte. Ruf Wilde nicht an, sondern lieber Jim Cooper. Er wohnt näher." Außerdem war er Gynäkologe. Harry hielt verwirrt inne. "Der Kerl, der zum Pokern bei dir war? Aber ist das nicht ein ..." "Ruf ihn an", drängte Clay und warf Harry einen beschwörenden Blick zu.
Harrys Augen weiteten sich ein Stück. Er sah auf Izzy, dann zu ihrer Mutter und nickte. "Sicher, ich rufe ihn an." Und damit rannte er die Treppe hinauf. "Teddy ist Krankenschwester", meinte Paola. "War Krankenschwester", korrigierte Teddy, die Izzys Augen überprüfte und ihren Puls kontrollierte. "Jetzt bin ich nur noch ein schrulliges altes Weib mit zuviel Zeit." Izzy bewegte sich und murmelte etwas Unverständliches. "Falls es nicht zu riskant ist, sie zu bewegen, werde ich sie auf ein Bett legen", erklärte Clay. "Nur zu." Teddy stand auf. "Ich glaube nicht, daß es etwas Ernstes ist." Clay hob Izzy auf die Arme, trug sie hinauf in sein Schlafzimmer und legte sie behutsam auf die bunte afrikanische Tagesdecke auf seinem schmiedeeisernen Bett. Izzys Lider öffneten sich flatternd, dann schloß sie die Augen wieder und stöhnte. "Ich bin ohnmächtig geworden." "Es sieht ganz danach aus", bestätigte Clay und setzte sich neben sie auf das Bett. Sie spreizte die Finger auf ihrem Bauch. "Ist das ..." "Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung", versicherte er ihr und blickte bedeutungsschwer in Richtung der Übrigen Anwesenden im Zimmer. Blinzelnd sah Izzy sich um, erkannte das sonnendurchflutete, große Schlafzimmer mit dem Backsteinkamin, den Ledermöbeln und einer Reihe von Gemälden, auf denen die Falkenjagd dargestellt war. "Dies ist nicht mein Zimmer", erklärte sie matt. Teddy zog ihr die elfenbeinfarbenen Pumps aus und ließ sie zu Boden fallen. "Jetzt schon." Izzy betrachtete die kleine Bronzestatue auf dem Nachttisch ein Habicht mit roten Schwanzfedern und einem Spatzen in seinen Krallen. "Oh", sagte sie und warf Clay einen kurzen Blick zu. "Richtig."
Ihre Eltern saßen neben ihr auf der anderen Seite des Bettes. Ihre Mutter löste Izzys Kleidung und strich ihr die Haare aus dem Gesicht, während ihr Vater den Rücken seiner Frau tätschelte und im übrigen hilflos dreinblickte. Paola Fabrioni war von ebensolcher exotischer Schönheit wie ihre Tochter, besaß die gleiche Eleganz, die italienische Nase und die milchkaffeebraune Haut. Al wirkte mit seinem silbergrauen Bürstenschnitt und der Hornbrille älter als seine Frau. Harry betrat den Raum. "Cooper wird in ungefähr einer halben Stunde hier sein," "Cooper?" wiederholte Izzy schwach. "Der Arzt", erklärte Clay, drückte ihre Hand und fragte sich, seit wann er sie hielt. Izzy nickte langsam und strich mit der freien Hand erneut über ihren Bauch. "Ach so." "Wie fühlst du dich?" erkundigte sich Clay. "Hungrig." Paola tätschelte den Arm ihrer Tochter. "Dein Vater und ich werden dir von unten etwas zu essen holen." Sie wandte sich an Teddy. "Falls das geht." "Etwas Mildes kann sicher nicht schaden", erwiderte ihre Schwägerin. Izzys Eltern verließen das Schlafzimmer. Harry holte aus dem Bad ein Glas Wasser, und Clay half Izzy, sich aufzusetzen, damit sie trinken konnte, während er ihr einige Kissen in den Rücken schob. Teddys Befragung ergab, daß Izzy seit dem Dinner gestern abend nichts mehr zu sich genommen hatte. "Du solltest nicht den halben Tag ohne zu essen herumlaufen, Isabella. Das ist nicht gut in deinem Zustand." Clay und Harry tauschten einen raschen Blick. "Ich weiß", seufzte Izzy. "Ich wollte nicht..." Sie hielt inne. "Aber seit wann weißt du es?"
"Seit wann ich sicher bin?" Teddy grinste. "Seit fünf Sekunden." Izzy starrte sie einen Moment benommen an. Dann sah sie zu Clay, als wollte sie sagen: Ist das zu fassen? Er legte ihr den Arm um die Schultern, als ihre Eltern mit einem Sandwich und einem Glas Cola zurückkamen. "Du hattest recht, Paola", verkündete Teddy. "Sie ist schwanger." . Izzy starrte die beiden Frauen an. Paolas Miene hellte sich auf. "Wußte ich's doch!" "Ich will verdammt sein." Al grinste und steckte sich eine unangezündete Zigarre zwischen die Zähne. "Ich freue mich so für dich, Liebes", sagte Paola und hielt ihrer Tochter den Teller mit dem Sandwich hin. "Ich habe dir ein Truthahnsandwich gemacht. Ich hoffe, das war richtig. Teddy, würdest du mir bitte das Tablett reichen?" Harry ließ sich lächelnd in einen Sessel in der Ecke fallen und schlug die Beine übereinander. "Du wußtest es?" meinte Izzy. "Ich war mir ziemlich sicher", antwortete ihre Mutter und reichte Al den Teller, damit sie das Tablett aufklappen konnte. "Weshalb hättest du sonst so rasch heiraten sollen? Du hast doch nicht im Ernst angenommen, daß wir dir diesen Unsinn mit der Presse glauben, oder?" Sie stellte den Teller mit dem Sandwich vor sie. "Iß, Kind", forderte ihr Vater sie auf, wobei er mit der Zigarre wedelte. "Dann geht es dir gleich besser. Außerdem mußt du an das Baby denken." "Einen Moment." Izzy schüttelte fassungslos den Kopf. "Wenn du und Dad wußtet, daß ich schwanger bin, weshalb habt ihr dann keinen Ton gesagt? Wieso habt ihr mich dieses ganze Theater spielen lassen?" Paola entfaltete eine Papierserviette und legte sie über den Schoß ihrer Tochter. "Offenbar wolltest du uns nicht die Wahrheit sagen, und wir wollten dich nicht drängen. Ich habe
versucht, mit dir zu reden, kurz bevor du ohnmächtig wurdest, aber du schienst noch nicht bereit." "Darüber wolltest du mit mir sprechen?" "Natürlich. Worüber denn sonst?" Izzy fuhr sich durch ihre wundervoll zerzausten Haare. "Habt ihr überhaupt eine Vorstellung, wie schuldig ic h mich fühlte, weil ich euch angelogen habe?" "Warum hast du dir eigentlich die Mühe gemacht?" mischte sich Teddy ein. Paola nickte. "Das war wirklich nicht nötig. Dein Vater und ich wissen, wie das ist. Du bist vierunddreißig und lebst seit sechzehn Jahren allein." Sie zuckte vielsagend die Schulter. Al nahm die Zigarre aus dem Mund und fixierte Clay entschlossen. "Wichtig ist doch nur, daß du richtig gehandelt hast. Du hast aus meiner Isabella eine ehrbare Frau gemacht. Es gibt genügend Kerle, die die Verantwortung für das, was sie getan haben, nicht auf sich genommen hätten. Aber du stehst zu deiner Verantwortung, und das ist alles, was zählt. Ich bin stolz, so einen Schwiegersohn und Vater meines Enkelkindes zu haben." Al streckte die Hand aus, und Clay nahm sie. "Danke, Al." "Ach, verdammt", sagte Al, drückte Clay an sich und klopfte ihm auf den Rücken. Clay erwiderte die Umarmung, überrascht, wie gut es tat. Er war solche offenen Zuneigungsbekundungen nicht gewohnt, und es rührte ihn. Izzys Eltern hatten ihn sofort akzeptiert, als einen Teil ihrer Familie ... als Vater ihres Enkelkindes. Unbehagen mischte sich in seine Zufriedenheit. Er sah zu Izzy, deren verzweifelte Miene ihm zu Herzen ging. Er verstand ihr Schuldgefühl - schließlich erging es ihm nicht anders -, aber das Beste war, Paola und Al weiter in dem Glauben zu lassen, er sei der Vater des Kindes. Die Wahrheit würde die Ehe als das Täuschungsmanöver entlarven, das sie war, und Izzy dem Tadel
und Spott preisgeben. Er hatte sie geheiratet, um ihre Probleme zu lösen, nicht, um ihr neue zu bereiten. Noch während Clay diese Lüge zu rechtfertigen versuchte, erkannte er, daß ein Teil von ihm sie aufrechterhalten wollte, damit Al und Paola ihn weiterhin als Familienmitglied behandelten, nicht als Mistkerl, der sich mit ihrer Tochter verschworen hatte, um sie zum Narren zu halten. Er würde die Lüge aufrechterhalten, damit sie ihn nicht haßten. Denn das würden sie, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Paola nahm die Hälfte des Sandwiches und gab sie Izzy. Dann wandte sie sich an Clay: "Du hast wohl ziemlich oft in San Francisco zu tun, wie?" "Eigentlich nicht", begann er. "Zuletzt bin ich dort..." "Letzten Monat gewesen", unterbrach Harry ihn und sah Clay durchdringend an. "Bist du nicht wegen dieser ... Sache dort gewesen?" "Genau, wegen dieser Sache", bestätigte Clay hastig, um seinen Patzer wiedergutzumachen. Wenn er seit anderthalb Jahren nicht mehr in San Francisco gewesen war, wie hatte er dann Izzy schwängern können? "Letzten Monat." Izzy ließ mit entschlossener Miene ihre Hand, die das Sandwich hielt, sinken. "Es tut mir leid", sagte sie zu ihren Eltern. "Das ist jetzt weit genug gegangen. Ich ertrage das nicht länger. Ich kann nicht zulassen, daß ihr denkt..." "... wir hätten nur geheiratet, weil wir mußten", beendete Clay den Satz. Izzy sah ihn verwirrt an. Er legte den Arm fester um ihre Schulter. "Ich habe Izzy nicht geheiratet, nur weil sie schwanger ist. Ich habe sie geheiratet, weil ich sie liebe. Ich hätte sie ohnehin geheiratet." Al, mit Zigarre im Mundwinkel, nickte anerkennend. Paola strahlte und küßte Clay mit feucht schimmernden Augen auf die Wange.
Izzys Blick deutete an, daß sie sich zu einem späteren Zeitpunkt darüber unterhalten würden. Später, nachdem Dr. Cooper und die meisten Gäste gega ngen waren, bat Izzy ihre Eltern, Tante Teddy und Harry nach unten zu gehen, damit sie schlafen konnte. Clay bestand darauf, bei ihr zu bleiben, falls sie etwas benötige. Sie warf ihn hinaus, um sich einen Jogginganzug anzuziehen. Er kehrte mit einem Buch zurück, das er in dem großen Klubsessel las, sobald er Izzy wieder ins Bett gesteckt hatte. Die Untersuchung von Dr. Cooper, der er beigewohnt hatte, hatte zu seinem Entschluß geführt, bei Izzy zu wachen. Cooper hatte die Ohnmacht und die Schwindelanfälle als Warnung interpretiert und ihr geraten, möglichst liegenzubleiben. Zwar hatte er ihr nicht direkt strikte Bettruhe verordnet, aber er hatte ihr Hausarbeit, schweres Heben und längeres Gehen verboten. Grundsätzlich sollte sie nichts tun, was sie zu sehr anstrengte. Außerdem, hatte Dr. Cooper betont, sollte sie auf sexuellen Verkehr verzichten, zumindest bis sie sich soweit erholt hatte, daß er ihr einen Termin in seiner Praxis geben konnte, was nicht vor Mitte der nächsten Woche der Fall sein würde. Izzy und Clay hatten verlegene Blicke getauscht, worauf Cooper meinte: "Ich weiß, ihr seid frisch verheiratet. Aber es tut mir leid, es muß nun einmal sein." Beide hatten versichert, das sei kein Problem. "Ihr könnt natürlich andere Dinge tun" hatte er hinzugefügt und diese "anderen Dinge" mit erstaunlicher Offenheit aufgezählt. Izzy war errötet bei der Vorstellung, all diese Dinge mit dem Mann zu tun, den sie gerade geheiratet hatte. Sie hatte nicht gewagt, Clay anzusehen, und war erleichtert gewesen, als Cooper das Thema endlich fallenließ. Er warnte, Izzy solle nicht lange allein bleiben, da sie zu Schwindelanfällen und Ohnmacht neige. Clay hatte sich diesen Rat zu Herzen genommen. Er würde jemanden finden, der sich rund um die Uhr um Izzy und den Haushalt kümmerte, versprach er. Bis dahin wollte er nicht von ihrer Seite weichen.
Clay zu hören, wie er die Seiten seines Buches umblätterte oder sich im Sessel bewegte, beunruhigte Izzy, so daß es ihr zunächst schwerfiel einzuschlafen. Doch sobald es ihr gelungen war, schlief sie tief und fest... bis das Telefon klingelte und sie abrupt aus dem Schlaf riß. Das Klingeln dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe das Piepen anzeigte, daß das schnurlose Telefon aktiviert worden war. "Hallo?" meldete sich Clay mit leiser Stimme; offenbar glaubte er, daß Izzy noch schlief. "Mere." Er klang überrascht. "Bonjour." Izzy schlug die Augen auf und beobachtete, wie er aufstand und zum Fenster ging, von wo man einen Blick auf den hinteren Garten hatte. Der Schnee reflektierte den rötlichen Sonnenuntergang und erfüllte das Zimmer mit einem eigenartigen, traumhaften Licht. Clay stand mit dem Rücken zu ihr und hatte sein Jackett ausgezogen. Soweit Izzy sich auf ihre Französischkenntnisse aus der Phelps Academy verlassen konnte, hieß Mere Mutter. "Oui", murmelte er. "Aujourd'hui." Heute. Offenbar berichtete er ihr von seiner Hochzeit. Er fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare. Izzy schloß die Augen wieder. Schlaf wieder ein, ermahnte sie sich. Du lauschst. "Isabella Fabrioni", sagte er, und seine leicht heisere Stimme ließ ihren Namen beinah poetisch klingen. Sie öffnete die Augen wieder und versuchte angestrengt, die leise gesprochenen Worte zu verstehen. Soviel zu ihrem Versuch, nicht zu lauschen. "Nein", erklärte er. "Italienisch-amerikanisch." Es trat eine Pause ein. Er drehte den Stab, mit dem die Jalousien geöffnet und geschlossen wurden, so daß sie auf und zu, auf und zu gingen. "Oui." Izzy glaubte Freude in seinem Ton zu hören. "C'est une brave femme." Eine gute Frau. "Et tres belle." Izzy lächelte. Er fand sie also schön.
"Depuis quand etes-vous a Saint-Tropez?" Clay plauderte mit seiner Mutter über ihre Reisen und das Wetter, tauschte höfliche Belanglosigkeiten aus, wie entfernt Bekannte es taten. Für Izzy klang sein Französisch perfekt; aber er war schon immer ein Sprachtalent gewesen. Der Smalltalk dauerte eine Minute oder zwei, dann verabschiedete Clay sich. Seufzend warf er das schnurlose Telefon aufs Sofa und trat ans Fenster. Erst als Izzy sich aufsetzte und seinen Namen rief, rührte er sich. "He, Izzy." Er setzte sich auf die Bettkante und knipste das Licht an. "Seit wann bist du wach?" Sie zögerte. "Seit deinem Gespräch mit deiner Mutter" Seine Miene verfinsterte sich. "Tut mir leid, daß ich dich geweckt habe." "Das macht nichts." "Wie fühlst du dich?" "Besser." Es war offenkundig, daß er nicht über seine Mutter sprechen wollte. Doch Izzy ließ nicht locker. "Weshalb, ist sie nicht hier?" Er nahm die Habicht-Statue vom Nachttisch und betrachtete sie von allen Seiten. "Sie ist in Saint-Tropez mit jemandem namens Cesare." "Das beantwortet meine Frage nicht." "Sie kann schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein, oder?" "Clay, was macht deine Mutter in Saint-Tropez, wenn du hier in Connecticut heiratest?" Er stellte die Statue so geräuschvoll wieder zurück, daß Izzy erschrak. "Was spielt das für eine Rolle?" Sie legte ihm die Hand auf den Arm. "Sie ist deine Mutter." Er reagierte nicht darauf, sondern schüttelte lediglich den Kopf, als könnte er es nicht annähernd erklären oder sie es verstehen. "Du hast sie nicht einmal eingeladen, oder?" fragte Izzy.
Er saß regungslos und ohne zu antworten da. Dann sagte er: "Doch, das habe ich. Letzten Sonntag habe ich auf ihrem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht war es zu kurzfristig." Sein Ton war gespielt gleichgültig. "Sie hatte keine Entschuldigung dafür?" Er lachte bitter. "Sie braucht keine Entschuldigungen." "Und dein Vater?" Er sah ihr in die Augen. "Was soll dieses Verhör? Du hast mich vorher nie nach ihnen gefragt." "Wir waren auch vorher nicht verheiratet." "Na ja, wir sind jetzt nur so ähnlich wie verheiratet. Und mir wäre es lieber, du würdest das Thema vergessen." Izzy setzte sich auf und ließ ihre Hand zu seiner Schulter hinaufgleiten. "Hast du deinen Vater eingeladen?" Er wandte den Blick ab. Sie spürte die Anspannung in seinen Muskeln. "Ich habe ihn Montag in seinem Büro in Genf erreicht, aber er meinte, er hätte eine wichtige geschäftliche Verabredung." "Und ich vermute, sie sind auch zu deiner ersten Hochzeit nicht gekommen." "Sie sind eben sehr beschäftigte Leute. Das ist doch nicht weiter wichtig." "Nicht weiter wichtig? Ich kann es nicht fassen, daß du wirklich so denkst. Das nehme ich dir nicht ab." Er sah wieder auf und meinte: "Das einzige, was du zu verstehen brauchst, ist, daß ich ihr Verhalten gewohnt bin. Ich habe sie nie anders kennengelernt. Wenn sie sich plötzlich ändern würden und anfingen, sich in meine Angelegenheiten einzumischen, würde ich mich wahrscheinlich bedrängt fühlen." Sie runzelte die Stirn. "Findest du, daß meine Eltern mich bedrängen?" "Nein, ich finde, deine Eltern sind großartig. So großartig, daß es schon ein bißchen irritierend ist." "Siehst du? So sollten Eltern sein."
Er unterbrach sie, indem er ihr den Zeigefinger auf die Lippen legte. Plötzlich merkte sie, wie nah sein Gesicht ihrem war. Seine blauen Augen wirkten im goldenen Schein der Lampe durchsichtig. Leise sagte er: "Du bist eine echte Nervensäge geworden, Kaffeebohne. Was soll ich bloß mit dir machen?" Sie schluckte. Er zog sich zurück und strich ihr eine Strähne hinters Ohr, die jedoch sofort wieder zurücksprang. "Gib dir keine Mühe", brachte sie mühsam hervor. "Sie bleibt nicht dort." Er lachte und fuhr mit dem Daumen über ihre Wange. "Du hast Abdrücke vom Kissen im Gesicht." "Na fabelhaft." Hier war sie nun, an ihrem Hochzeitstag, in einem zerknitterten Jogginganzug, mit einem zerknitterten Gesicht und Haaren, die aussahen, als hätte sie in die Steckdose gefaßt. "Deine Haare sind unglaublich", bemerkte er und fuhr mit den Fingern hindurch. Die Berührung war sowohl beruhigend als auch erregend. Allein durch seinen berühmten verführerischen Charme war es ihm gelungen, sie davon abzuhalten, weiter über seine Eltern zu sprechen. Ein paar Zärtlichkeiten, ein wenig Schmeichelei, und schon schmolz sie dahin. Es beunruhigte sie, wie leicht sie wahrscheinlich kapitulieren würde, wenn er seine Verführungskünste voll ausspielen würde. Sie nahm sich zusammen. "Clay, wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir meinen Eltern die Wahrheit beibringen daß du nicht der Vater des Babys bist. Ich fühle mich schrecklich, daß ich sie belüge:" Er nahm ihre Hand. "Mir geht es ebenso. Aber noch schlechter würde ich mich fühlen, wenn wir ihnen die Wahrheit sagen und du deswegen leiden mußt."
"Wer behauptet das? Sie haben gelassen auf meine Schwangerschaft reagiert. Vielleicht sind sie, was diese Sache angeht, genauso verständnisvoll." Er überlegte. "Das mag durchaus sein, aber möglicherweise auch nicht. Vielleicht finden sie es sehr seltsam, daß du jemanden geheiratet hast, mit dem du nicht einmal zusammen bist. Sie werden sich fragen, wer der eigentliche Vater ist, und warum du ihn nicht geheiratet hast. Sie könnten den Eindruck gewinnen, daß du es mit deinen Männerbekanntschaften nicht so genau nimmst." "Das würden sie nicht denken", erwiderte sie. "Und falls doch, muß ich eben damit leben." "Was ist mit dem Baby?" gab er grimmig zu bedenken. "Findest du es fair, daß es auch damit leben muß?" "Das Baby?" wiederholte sie leise und wußte, noch ehe er fortfuhr, daß er recht hatte. "Wenn du es deinen Eltern erzählst, wird es jeder erfahren. Die ganze Welt wird wissen, daß wir geheiratet haben, damit dein Kind ehelich geboren wird. Letztlich wird es in den Augen aller doch ein Bastard bleiben, und wir werden wie Intriganten dastehen. Die Leute lieben Klatsch, Izzy, also servier es ihnen nicht auf dem Silbertablett. Wir haben es bis hierher durchgehalten, haben es auf uns genommen, zu heiraten. Jetzt kann die Ehe auch den geplanten Zweck erfüllen." Er sah sie flehend an. Schließlich nickte sie. "Na schön, du hast vermutlich recht. Ich weiß ja auch, daß du recht hast. Es ist nur ..." Sie rieb sich die Stirn. "Ich bin müde, das ist alles." Clay nahm Izzy in den Arm. "Es war ein langer, harter Tag, besonders für dich." Er tätschelte ihren Rücken und wiegte sie sanft. Izzy schmiegte sich an ihn und genoß das Gefühl der Geborgenheit in seinen starken Armen. Ein Klopfen an der Tür brachte die beiden auseinander. "Herein", rief Clay.
Izzys Eltern traten ein, gefolgt von Teddy und Harry. "Wir haben uns über dein Dilemma unterhalten", verkündete Teddy. "Dilemma?" Izzy fuhr sich durch die Haare. Harry nahm erneut seine vertraute Haltung im Klubsessel an und grinste boshaft. "Es wird euch gefallen."
5. KAPITEL Was kommt jetzt? fragte sich Izzy. "Der Arzt meinte, du brauchst jemanden, der nach dir sieht", erklärte ihre Mutter, die auf der anderen Seite des Bettes saß. "Aber Clay muß arbeiten. Er muß sich um das Magazin kümmern. Und Harry ist beruflich ebenfalls ständig unterwegs." "Eigentlich wollte ich jemanden engagieren", meinte Clay. Paolas Miene wirkte verständnislos. "Jemanden engagieren?" "Sicher. Ich habe jemanden zum Saubermachen angestellt, da kann ich auch jemanden einstellen, der Izzy Gesellschaft leistet. Ich weiß, ich engagiere eine Privatpflegerin." "Jemanden engagieren?" wiederholte Paola. "Jemanden dafür bezahlen, daß er sich um meine Isabella kümmert?" "Natürlich." Clay sah von seiner Schwiegermutter zu seinem Schwiegervater und fragte sich, worin das Problem bestand. Die Fabrionis tauschten einen Blick. Al schüttelte den Kopf. "Wir kümmern uns um unsere Familie selbst. Wenn jemand in Not ist, bekommt er von uns Hilfe." "Aha." Allmählich dämmerte es Clay. "Das ist sehr bewundernswert. Aber es ist in diesem Fall wirklich nicht nötig. Ich kann mir die beste Pflegerin leisten." Er warf Izzy einen Blick zu, der es nicht gelang, ein Lächeln zu unterdrücken. Er hatte es noch immer nicht begriffen.
"Es geht nicht ums Geld", erklärte Al. "Es geht darum, daß eine fremde Person sich um unsere Isabella kümmern soll, statt jemand von uns." Clay wirkte so ratlos, daß er Izzy leid tat. "Die Fabrionis haben sich immer umeinander gekümmert", erläuterte sie. "Es ist so eine italienische Sitte", knurrte Harry. "Du weißt schon, Familie und so. Hast du nie den ,Paten' gesehen?" "Soll das heißen", begann Clay, "daß nach eurem Willen jemand aus der Familie hier einzieht?" Izzy schnappte nach Luft. Hier einziehen? Wo sie beide doch als frisch Verheiratete ge trennte Schlafzimmer hatten? Harry klatschte mehrmals in die Hände. "Gib dem Jungen eine Zigarre." Al griff in die Brusttasche seines Hemdes und reichte Clay eine Dunhill. Sein Schwiegersohn nahm sie verwirrt an. "Ich würde ja selbst hier bei ihr bleiben", meinte Paola. "Aber ich beaufsichtige tagsüber schon fünf Enkelkinder, damit meine Töchter arbeiten können. Wir haben uns aber überlegt..." "Mom", unterbrach Izzy sie und suchte verzweifelt nach einem Argument gegen die starke italienische Familiensolidarität. "Hört mir mal zu. Ich weiß, ihr meint es nur gut, aber es ist wirklich nicht nötig." Sie sahen sie an, als wollten sie alle gleichzeitig nach dem Warum fragen. Clay wurde munter. "Weil sie medizinische Versorgung braucht. Daher sollte sich jemand mit medizinischer Ausbildung um sie kümmern. Ich werde eine private Krankenschwester einstellen." "Teddy ist ausgebildete Krankenschwester", wandte Paola ein. Harry lachte. "Kann ich eine Dunhill bekommen, Al?" "Klar." Al warf ihm eine Zigarre zu. "Aha", erwiderte Clay. Izzy sah ihm an, wie angestrengt sein Gehirn arbeitete, um sich etwas einfallen zu lassen, womit das
Unvermeidliche aufzuhalten wäre. "Ja, schon, aber Teddy hat doch bestimmt genug zu tun." Teddy schnaubte. "Ja, damit, mir die Langeweile zu vertreiben." "Wir finden, Teddy sollte am besten gleich einziehen", meinte Paola. "Gleich?" wiederholte Clay. "Etwa heute abend schon?" "Wir wissen, es ist eure Hochzeitsnacht", räumte Teddy ein. "Aber ihr dürft ohnehin nicht..." "Um Himmels willen, Teddy", unterbrach Al sie. "Na ja, es stimmt doch", beharrte Teddy. "Außerdem habe ich nicht vor, zu ihnen ins Bett zu kriechen. Ich dachte mir, ich nehme das Zimmer nebenan." "Das grüne Zimmer?" fragte Izzy. Ihr Zimmer. "Harry meinte, das sei das beste Gästezimmer", erwiderte Teddy. "Er schlug vor, ich sollte es nehmen." Clay fixierte Harry. "Wie entgegenkommend von dir." Harry sah von seiner noch nicht ausgewickelten Zigarre auf. "Ich wollte euch nur helfen. He, ich finde es eine tolle Idee, wenn Teddy bei euch wo hnt." Mit einem Blick auf das große, schmiedeeiserne Bett fügte er hinzu: "Das wird ein richtig netter, gemütlicher Haushalt. Meint ihr nicht?" Das war es also. Harry, der eifrige Ehestifter, hatte sich das ausgedacht, wohlwissend, daß Teddys Anwesenheit Clay und Izzy dazu zwingen würde, sich ein Bett zu teilen. Und Teddy war natürlich bestens geeignet für diesen Part. Sie war Krankenschwester, sie hatte viel Zeit und sie war nur für sich selbst verantwortlich. Es gab Gerüchte, nach denen es in ihrem Leben einen Mann gegeben, die Geschichte aber böse geendet hatte. Jetzt lebte sie allein in einem Apartment in Brooklyn und mußte sich lediglich den Kopf darüber zerbrechen, was sie mit ihrer Pension anfing. Teddy schaute auf ihre Uhr. "Ich werde nach Brooklyn fahren und packen. Gegen Mittemacht müßte ich eigentlich zurück
sein. Wenn ich einen Schlüssel bekommen könnte, brauchte ich nachher niemanden zu stören. Außerdem brauche ich ohnehin einen, wenn ich hier wohne." Clay seufzte resigniert. "Es hängt einer neben der Hintertür", informierte er sie mit tonloser Stimme. Er starrte vor sich hin und steckte sich die Zigarre in den Mund, ohne zu bemerken, daß sie noch in Plastikfolie gewickelt war. "Bedien dich." Als Clay sich zur Nacht ausziehen wollte, erinnerte Izzy sich, was Harry ihr auf die Frage geantwortet hatte, wer denn einen der meistbegehrten Junggesellen der Welt haben wollte. "Wer einen reichen, gutaussehenden, erfolgreichen Mann will? Nur etwa die Hälfte der Menschheit." Dann würde die Hälfte der Menschheit gerade jetzt alles dafür geben, um mit ihr zu tauschen, während sie Clay beim Ausziehen beobachtete und sich fragte, wie weit er gehen würde. Sie selbst hatte sich im Badezimmer ihr Flanellnachthemd und einen Chenille-Bademantel übergezogen. Er entfernte seine Manschettenknöpfe und warf sie in eine kleine Lederschachtel auf dem Frisiertisch; sie hörte das leise Klacken von Gold auf Gold. Dann setzte er sich in den Klubsessel und zog Schuhe und Socken aus; die Schuhe verschwanden im Schuhschrank, die Socken im Wäschekorb. "Ich bin beeindruckt", sagte sie, öffnete ihren Bademantel und legte ihn ans Fußende des Bettes. "Ich habe noch keinen Mann kennengelernt, der seine eigene Kleidung wegräumen konnte." Er musterte sie von oben bis unten und schenkte ihr sein bestes Ladykiller-Lächeln. "Habe ich dir je von meiner Schwäche für Flanell erzählt?" Aha, es läuft also auf jungenhaftes Flirten hinaus, dachte Izzy. Das könnte sie auch. "Dann bist du wohl der einzige Mann mit dieser Vorliebe. Ist Flanell nicht eher als Liebestöter verschrien?"
"Nicht bei mir." Er öffnete die Knöpfe seines Hemds und streifte es ab. Beim Anblick seines nackten Oberkörpers lief Izzy ein heißer Schauer über die Haut. Clay hatte eine klassische Figur, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, war muskulös und durchtrainiert. Er drehte sich um, um das Hemd in den Wäschekorb zu werfen, wobei Izzy das Spiel seiner Muskeln beobachten konnte. "Flanell ist so weich", sagte er und löste seinen Gürtel. Izzy versuchte, den Blick von diesem umwerfend attraktiven Mann abzuwenden, der so unbekümmert plauderte, während er sich auszog. "Wie eine Frau. Ich wünschte, mehr Frauen würden es tragen." Das tun sie, dachte Izzy. Aber gewöhnlich nicht, wenn sie das Bett mit Männern wie Clay Granger teilen. "Ich hätte gedacht, daß schwarze Spitze eher dein Fall ist." Sie legte sich auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und hoffte, daß sie entspannter wirkte, als sie war. "Solange es sich um ein Nachthemd handelt, bin ich zufrieden." Er zog den Gürtel aus den Schlaufen und hängte ihn zu seiner Sammlung auf seinem Gürtelbügel. Dann knöpfte er seine Hose auf. "Ich hasse Pyjamas bei Frauen." Izzys Mund wurde trocken. "Weshalb? Sie sind bequem." "Ja, aber Nachthemden sind ..." - er grinste und wandte ihr den Rücken zu - "benutzerfreundlicher." Seine Hose fiel zu Boden. Izzy betrachtete den grauen Radlerslip und die langen, kräftigen Beine. Sie rollte auf den Rücken und untersuchte die Zierleisten an der Decke, als er die Hose auszog und aufhängte. Trotzdem sah sie in ihrer Vorstellung Clay deutlich in seinem Slip. Er hatte einen hübschen, festen Po, den zu berühren Frauen sicher nur schwer widerstehen konnten. Himmel, das wird schwer, dachte sie. Sie schloß die Augen, damit die Phantasiebilder verschwanden - vergeblich.
Izzy fühlte, wie die Matratze nachgab, als er sich setzte. "Izzy? Ist alles in Ordnung mit dir?" Sie sah besorgt zu ihm und dachte: Nein, ich bin hier in ernsthaften Schwierigkeiten. Laut sagte sie jedoch: "Ja, alles bestens." Er strich ihr die Haare aus den Augen. Sie atmete den Duft seiner warmen Haut ein. "Du fühlst dich nicht wieder elend?" Sie schüttelte den Kopf. "Es war einfach nur ein langer Tag." "Das kann man wohl sagen." Er knipste das Licht aus und kroch zu ihr unter die Decke. Obwohl sie getrennt lagen, spürte sie deutlich seine Wärme. Izzy lag in der Dunkelheit auf dem Rücken, und ihr Gehirn arbeitete, als hätte sie gerade eine Tasse Espresso getrunken, wie ihre Mutter ihn braute. Wie sollte es ihr bloß gelingen, im gleichen Bett wie Cla y Granger zu schlafen? Wenigstens war er nicht nackt ins Bett gekommen. Sie glaubte nicht, daß sie das verkraftet hätte. "Normalerweise ziehe ich mich ganz aus, bevor ich ins Bett gehe", sagte er. "Aber unter diesen Umständen ..." Sie räusperte sich und bemühte sich um einen scherzhaften Ton. "Danke für deine Diskretion." "Gern geschehen", erwiderte er und bewegte sich unter der Decke. Izzy begriff, daß er seinen Slip auszog. Offenbar lagen zwischen seiner und Izzys Auffassung von Diskretion Welten. Sie konnte gerade erkennen, wie ein Arm unter der Decke hervorlugte und den Slip zu Boden fallen ließ. Versuch einfach zu schlafen, ermahnte sie sich. Sie spürte, wie er sich ihr in der Dunkelheit näherte und hielt den Atem an, als er sie auf die Stirn küßte. Das Wissen, daß er nackt war, verwandelte diese unschuldige Geste in etwas sehr Erotisches. "Schlaf gut, Izzy." Damit rückte er von ihr ab. "Oh, ja." Sie drehte sich auf die andere Seite.
Am nächsten Morgen wurde Izzy durch das Geräusch schweren Atems geweckt. Es kam in rhythmischen Abständen, gelegentlich unterbrochen von angespanntem Keuchen. Das Bett war leer. Sie drehte sich auf die Seite und entdeckte Clay auf dem Läufer, der auf dem blanken Holzfußboden lag. Nur mit seinem Slip bekleidet, machte er Bauc hmuskelübungen. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Knie angewinkelt. Der Schweißfilm auf seinem Körper betonte dessen Schönheit. Als Clay etwa zehn Minuten später aufhörte, lag er mit geschlossenen Augen da, während sein Brustkorb sich heftig hob und senkte. Izzy wollte Clay einen guten Morgen wünschen, doch bevor sie etwas herausbrachte, sprang er auf und ging zu der Hantel, die sich in dem schmalen Durchgang zur Ankleidenische befand. Er packte die schwere Hantel mit beiden Händen, stemmte sie hoch, ließ sie wieder sinken und stemmte sie von neuem, wobei Izzy das Spiel seiner ausgeprägten Rückenmuskeln beobachten konnte. Als er die Übungen beendet hatte, zitterten seine Arme und Schultern leicht. Izzy setzte sich auf und stellte sich vor, welche Möglichkeiten in diesem Körper bei einer ganz anderen Art von Übung steckten. Sein Atem ging stoßweise, Schweißperlen liefen ihm den Rücken hinunter. Izzy wurde von der Vorstellung attackiert, wie sie unter Clay lag, und eine Welle der Begierde durchströmte sie. Clay setzte sich auf den Boden und fuhr sich mit beiden Händen durch die nassen Haare. Dann drehte er sich um und sah Izzy. "He", begrüßte er sie atemlos, kam an ihre Seite des Bettes und wischte sich die Hände an seinem schweißgetränkten Slip ab. Izzy hatte Mühe, ihren Blick nicht tiefer gleiten zu lassen. "Wie hast du geschlafen?" wollte er wissen. "Schlecht."
Clay nickte nachdenklich. "Ich habe auch nicht viel Schlaf bekommen. Ich bin zwischendurch immer wieder aufgewacht." "Ich habe gehört, wie du dich herumgewälzt hast, als Teddy nebenan Krach machte." "Ja, ich konnte mich nicht entspannen. Wir werden uns wohl erst daran gewöhnen müssen, zusammen einzuschlafen." Sie lachte unsicher. "Meinst du?" "Na klar. Es ist schließlich neu, das Bett mit jemandem zu teilen. Denn normalerweise, wenn ein Mann und eine Frau ein Bett miteinander teilen, dann weil sie ..." "Schon, aber deswegen brauchen wir nicht... ich meine ..." Mußt du eigentlich wie eine komplette Idiotin klingen? schalt sie sich. "Ich meine, schließlich sind wir Freunde." "Ja, das stimmt." Er rieb sich abwesend den muskulösen Bauch. Izzy schluckte hart. Clay wies mit dem Kopf zum Badezimmer. "Ich werde unter die Dusche springen." An der Tür blieb er stehen. "Wir sind Freunde, Izzy, und das schon seit zwanzig Jahren. Wir werden die Situation schon meistern, nicht wahr?" Von wegen. "Darauf kannst du wetten." "Fein." Er schloß die Badezimmertür hinter sich. Izzy ließ sich ins Bett zurücksinken. Sie hörte das Wasser rauschen und malte sich aus, wie Clay seinen Slip abstreifte und unter die Dusche trat. Sie hatte gehört, daß eine Schwangerschaft die Hormone durcheinanderbrachte und für Phasen erhöhter sexueller Bereitschaft verantwortlich war. Ja, das mußte der Grund sein für all diese überdrehten Phantasien.
6. KAPITEL Ich werde mit der Situation fertig, sagte Clay sich im stillen, während er an diesem Morgen seinen BMW durch das Geflecht der Einbahnstraßen lenkte, die Stanfield kreuz und quer durchzogen und auf sein Ziel zuführten: den Village Square. Er sah zu Izzy, die auf dem Beifahrersitz saß und die verschneite Landschaft betrachtete - sanfte Hügel, vereinzelte Steinzäune, hübsche Häuser mit Weihnachtsschmuck an den Türen. Er bewunderte ihre anmutige Nase, die eigentlich zu groß für ihr Gesicht schien, es aber nicht war. Das muß an der Ausgewogenheit ihrer Züge liegen, entschied Clay. Bei diesem üppigen, vollen Mund und diesen Augen, in denen man zu versinken glaubte, wäre eine kleine Nase viel zu unscheinbar. "Es ist wunderschön hier", murmelte sie. Seit wann fand er ihre Stimme so samtweich? Seit wann beeindruckte ihn ihre unbezähmbare Mähne so, der unerklärlich verlockende Duft von Seife vermischt mit Olivenöl? Verdammt, er war in Schwierigkeiten - Schwierigkeiten, die er hätte vermeiden sollen. Es war besser, allein zu sein, als jemanden an sich heranzulassen. Denn wenn die Menschen verschwanden, nahmen sie ein Stück von einem mit, und es war nicht mehr viel übrig, was er geben konnte. Er sagte sich, es sei lediglich Izzys Nähe und die ungewohnte Situation, was sein Blut dermaßen in Wallung brachte. Es war pure körperliche Begierde, sonst nichts. Immerhin war es eine
Weile her, seit er zuletzt mit einer Frau zusammengewesen war. Er mußte sich nur zusammenreißen, dann würde seine Lust sich legen und er würde Izzy wieder sehen können als... Aufgeregt zeigte sie auf ein Rudel Rehe am Waldrand. Als was? Als kleine Schwester? Er erinnerte sich daran, welche wilden Phantasien sie heute morgen beim Duschen in ihm geweckt hatte. Nein, es ging wirklich nur um Sex. Genau das brauchte er. Aber mit wem? Schließlich hatte er gerade erst geheiratet. Es wäre schäbig, selbst für ihn, noch während der Flitterwochen auf Beutejagd zu gehen. Aber was war ein gebührender Zeitraum zwischen der Hochze it und der ersten Affäre? Zwei Wochen? Zwei Monate? Zwei Jahre? "Ist etwas?" erkundigte sich Izzy. "Wieso? "Du hast gelacht." "Oh." Er räusperte sich. "Wir sind da." Er fuhr in eine enge Parklücke vor der Petit Patisserie. Gut. Izzy würde nicht weit zu laufen haben. "Bist du sicher, daß du dem gewachsen bist?" fragte er, als er ihre Hand nahm, um ihr beim Aussteigen zu helfen. "Ja, es geht mir gut. Tante Teddy sagte, es wäre in Ordnung, solange ich die Stadt nicht zu Fuß erkunde. Sei also unbesorgt." Als sie heute morgen nach unten gekommen waren, hatten sie Teddy Kaffee trinkend und einen Roman lesend vorgefunden, während im Radio Garth Brooks spielte. Die Vorstellung, mit Izzys alleinstehender Tante in der Küche zu sitzen und über Belanglosigkeiten zu plaudern, hatte Clay nicht sonderlich gereizt. Daher hatte er beschlossen, seine Braut zu einem Sonntagsbrunch auszuführen. Allerdings war Izzy der Ansicht gewesen, kein allzu üppiges Mahl vertragen zu können, daher hatte er sie hierhergebracht, zu der kleinen Konditorei, wo er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit frühstückte.
Izzy blieb auf dem Gehsteig stehen und nahm den Village Square in sich auf - eine langgezogene, rechteckige verschneite Rasenfläche, umgeben von reizenden kleinen Läden, die alle weihnachtlich geschmückt waren. Tannenzweige schmückten die kupfernen Laternen, goldene Girlanden und breite rote Bänder verzierten die Kanone in der Mitte des Platzes. Die eisige Luft duftete nach Kaminrauch, der aus vielen Schornsteinen der Häuser aufstieg. "Das ist wundervoll", sagte Izzy, deren Atem in der Luft dampfte. Clay freute sich absurderweise, daß sie sich sofort für das Städtchen begeisterte, das er, seit er denken konnte, geliebt hatte. Seine unregelmäßigen Besuche bei seinem Großvater in Stanfield waren Oasen der Wärme in einer viel zu freudlosen Kindheit gewesen. Grandpa Tom hatte ihn stets mit einer liebevollen Umarmung empfangen, und noch heute erinnerte sich Clay an den angenehmen Duft nach Leder und Tabak, der seinen Großvater umgeben hatte. In Stanfield zu wohnen - in dem Haus, das er in seiner Jugend als sein einziges wirkliches Zuhause betrachtet hatte -, war Clays größtes Vergnügen. Und jetzt eine Frau zu haben, mit der er dieses Vergnügen teilen konnte. Na fabelhaft, Granger, dachte er. Izzy war etwa so sehr seine Frau, wie, nun, wie sein Vater und seine Mutter seine Eltern gewesen waren. Sie spielten eine Rolle, wahrten den Schein. Mehr nicht. "Ich wünschte, wir könnten hier ein wenig spazierengehen." Izzy sah bittend zu Clay auf. "Auf keinen Fall, Sweetheart." Sweetheart? dachte sie. "Jim Cooper hat klar und deutlich gesagt..." "Ich weiß." Sie legte ihre Hand über der Daunenjacke auf ihren Bauch, eine Geste, die er bezaubernd fand. "Ich habe es auch nicht ernst gemeint. Aber wenn ich wieder spazierengehen darf..."
Er verbeugte sich. "Dann stehe ich ganz zu deinen Diensten." Er öffnete die Tür der Patisserie, und Izzy blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, wo sie mit halbgeschlossenen Augen das Duftgemisch aus Zimt, Hefe und Kaffee einatmete. Ihre verzückte Miene war so umwerfend, daß er ihren Anblick fest in sein Gedächtnis schloß. Du bist wirklich in Schwierigkeiten, Clay Granger, dachte er. In großen Schwierigkeiten. Er nahm ihre Hand, führte sie hinein, hängte ihre Jacken auf und rückte ihr einen Stuhl an einem kleinen Marmortisch zurecht. Die Glastheke unter dem Verkaufstresen bot eine reichhaltige Auswahl verschiedenen Gebäcks und Kuchensorten. "Was möchtest du?" erkundigte sich Clay. "Hier gibt es alles, was du willst, und noch ein bißchen mehr." Sie bat ihn, ihr ein Croissant zu bringen. "Ein ganz einfaches Croissant? Es gibt welche mit Mandeln, und diese unglaublichen mit Schokolade." "Ein einfaches genügt mir. Und eine Tasse entkoffeinierten Kaffee." Izzy beobachtete Clay am Verkaufstresen, wo er in perfektem Französisch mit der schon älteren Besitzerin des Geschäfts flirtete, die er Simone nannte. Sie errötete, und ihre Augen leuchteten und ließen sie etliche Jahre jünger wirken. Er kann seinen Charme einfach nicht abstellen, dachte Izzy amüsiert. Simone stellte das Tablett, auf dem sich Clays Bestellung befand, auf den Tresen, winkte jedoch ab, als er bezahlen wollte. Sie bedeutete ihm zu warten und rief mit starkem Akzent jemanden aus dem hinteren Raum. "Madeleine! Er ist hier, der, von dem ich dir erzählt habe." Clay drehte sich zu Izzy um und verdrehte die Augen. Die ältere Frau bekam Gesellschaft von einer viel jüngeren, einer großen, schlanken Rotblonden, die sich Mehl von den Händen wischte.
Gertenschlank, bemerkte Izzy angewidert. Weshalb sind die alle so verdammt gertenschlank? "Dies ist meine Großnichte, Madeleine", stellte die Besitzerin sie vor. "Clay Granger." Er schüttelte dem Mädchen die Hand. "Maddy macht eine Ausbildung am Kulinarischen Institut und jobbt hier in den Ferien", erklärte Simone. "Mit fünf Jahren hat sie ihre erste Creme brülee zubereitet." "Tatsächlich?" Izzy bemerkte eine leichte Änderung seines Benehmens; einstudierte Höflichkeit trat an die Stelle seines jungenhaften Charmes. Er konnte ihn als doch abstellen. Interessant. "Oui", erwiderte Simone. "Ihre Mama wußte, daß Männer Frauen mögen, die gut kochen können, daher hat sie es ihr schon sehr früh beigebracht." Sie tätschelte ihrer Großnichte den Rücken. "Der Mann, der meine Madeleine bekommt, kann sich glücklich schätzen." Als Clay das Tablett nahm, legte Simone ihre Hand auf seinen Arm. Er zuckte zusammen. "Ich habe Maddy gesagt, daß Sie ihr abends vielleicht einmal Stanfield zeigen. Sie kennt so wenig Leute ihres Alters hier." Ihres Alters? Das Mädchen konnte gerade erst zwanzig sein. Nun errötete Madeleine, die Clay erwartungsvoll anschaute. "Das klingt verlockend, aber ich fürchte, meine frischangetraute Frau wäre nicht sonderlich begeistert davon." Zwei hoffnungsvolle Mienen verschwanden. "Ihre Frau?" wiederholte Simone. Clay drehte sich um und zeigte auf Izzy. Das hast du nun davon, Kindchen, dachte Izzy und grinste breit und winkte. Clay runzelte über diese übertriebene Reaktion die Stirn und wandte sich wieder den beiden Frauen zu. "Madeleine!" fuhr Simone sie an. "Geh zurück an die Öfen. Der Blätterteig brennt an." Das Mädchen flüchtete sich nach hinten. Clay entschuldigte sich und kehrte an den Tisch zurück.
"Das war ja großartig", flüsterte er und stellte Kaffee und Croissant vor Izzy. "Ich hätte schon vor Jahren heiraten sollen." Er hielt auf halbem Wege mit der Kaffeetasse zum Mund inne, ehe er sich aufrichtete und einen Schluck trank. Izzy wußte, was er dachte: daß er nämlich vor Jahren geheiratet hatte, und zwar Judith. Es hatte sich nur nicht so entwickelt, wie er es geplant hatte. Izzy wollte das Thema wechseln, doch ehe sie etwas sagen konnte, kam eine Frau an ihren Tisch. "Clay! Ist sie das? Die Frau, die den alten Junggesellen endlich zur Strecke gebracht hat?" Clay sah erfreut auf. "Stevie, hallo. Izzy, das ist Stevie Glass, meine Assistentin beim Magazin. Ja, dies ist meine wundervolle Frau, Isabella Fabri..." Er hielt inne und warf Izzy einen Blick zu. "Sie heißt natürlich jetzt Granger. Isabella Granger." "Nennen Sie mich ruhig Izzy." Die beiden Frauen schüttelten einander die Hand. Izzy hatte nicht die Absicht gehabt, Clays Namen anzunehmen. Andererseits klang es hübsch. Stevie Glass war eine attraktive Rothaarige, etwa in ihrem Alter oder etwas jünger. Izzy tadelte sich, eine Spur Eifersucht zu empfinden, bis Clay sagte: "Ist Dave hier?" Stevie deutete auf einen Mann an einem Ecktisch, der versuchte, ein zappelndes Kleinkind in einen Kinderstuhl zu setzen, wahrend ein weiteres Kind an seinem Sweater zerrte, auf Stevie zeigte und "Mommy! Mommy!" schrie. "Wir hatten eigentlich ein nettes, ruhiges Frühstück außer Haus geplant", meinte Stevie mit einem wehmütigen Lächeln. "Das werden Sie haben", meinte Izzy. "In ungefähr siebzehn Jahren." Das Kleinkind, das seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, riß sich von Dave los und kam mit ausgestreckten Armen auf Stevie zugelaufen. "Langsam, Schätzchen." Sie hob sie auf die Arme und setzte sie sich auf die Hüfte.
So sehe ich in ein paar Jahren aus, dachte Izzy zufrieden. "Stevie und Dave leben hier in Stanfield", erklärte Clay Izzy. "Du wirst sie also wohl häufiger treffen." "Dave wahrscheinlich öfter als mich", meinte Stevie, wahrend ihre Tochter ihren Schildpatthaarreif herauszog und damit herumwedelte. "Er hat seinen Job aufgegeben, um bei den Kindern bleiben zu können. Ich bin jeden Tag in Danbury in der Redaktion." Plötzlich wurde sie ernst und wandte sich an Clay. "Da wir gerade davon sprechen ..." Clay schüttelte den Kopf. "Nichts Berufliches heute. Ich bin in den Flitterwochen." Er nahm Izzys Hand. Stevie zuckte die Schultern und lächelte. Das Kind auf ihrem Arm versuchte, ihr mit Gewalt den Haarreif wieder aufzusetzen. "Na schön. Dann wirst du wohl nicht wissen wollen, ob Jack angerufen hat." Sie nickte Izzy zu. "Es war nett, Sie kennenzulernen. Und herzlichen Glückwunsch." "Danke." Stevie wandte sich zum Gehen, doch Clay hielt sie am Ärmel ihres Sweaters fest. Mit einem frechen Grinsen drehte sie sich wieder um. "Wann hat Jack angerufen?" fragte Clay. "Freitag nachmittag, nachdem du fort warst", antwortete Stevie, der Spitze des Haarreifs ausweichend, mit der ihre Tochter auf ihre Augen zielte. "Ich hätte dich ja zu Hause angerufen, aber du stecktest mitten in den Hochzeitsvorbereitungen, und da wollte ich dich nicht stören." Izzy wollte ihr gerade anbieten, das Kind zu nehmen, als Clay aufstand und die Arme ausbreitete. "Komm her, Rina. Deine Mommy braucht mal eine Pause." Stevie seufzte erleichtert und gab ihm ihre Tochter. Clay hob sie hoch in die Luft und setzte sie sich auf seine breiten Schultern. Das Kind quietschte vergnügt und trampelte mit seinen in Turnschuhen steckenden Füßen gegen seine Brust. "Was hat Jack gesagt?" wollte Clay wissen.
Stevie entwand Rina den Haarreif, fuhr sich durch die Haare und setzte ihn wieder auf. "Er hat das Angebot für ,The Edge' erhöht." Clay zuckte zusammen, als Rina ihn an den Haaren zog. "Um wieviel?" "Spielt das eine Rolle?" "Nein, eigentlich nicht." Er tätschelte Rinas Bein. "Hast du etwas dagegen, wenn ich ihr ein Stück Maismuffin gebe, damit sie etwas zu tun hat?" "Gib ihr lieber etwas von meinem Croissant", bot Izzy an, da sie ohnehin keinen richtigen Appetit hatte. "Nein, sie liebt Maismufflns." Clay brach ein Stück ab und reichte es dem Kind. Offenbar hatte er schon öfter Zeit mit ihr verbracht. Daß er sich an ihre Abneigungen und Vorlieben erinnerte, erstaunte Izzy. Eingefleischte Junggesellen zeigten gewöhnlich mehr Interesse an den Haustieren ihrer Freunde als an deren Kindern. Clay umfaßte die Füße des kleinen Mädchens, damit sie ihn nicht mehr treten konnte. "Ich habe Jack klargemacht, daß es kein Geschäft zwischen uns gibt", erklärte er bestimmt. Rina biß von dem Maismuffin ab und krümelte auf Clays Kopf. "Er hat diesmal sehr viel Geld geboten." "Das macht er schon die ganze Zeit", ent gegnete Clay. "Er nennt es diesmal sein letztes Angebot." "Das war uns klar, aber das ist uninteressant. Ich verkaufe das Magazin nicht. Hast du ihm das gesagt?" Sein Ton und seine Miene zeigten eine professionelle Seite an ihm, die Izzy bisher nicht kannte. Natürlich wurde der Effekt reichlich gedämpft durch die Maismuffinkrümel, die ihm auf den Kopf rieselten. Stevie hob die Hände. "He, du bist der Boß. Ich habe nur weitergegeben, was du mir aufgetragen hast - daß es keinen Deal gibt." "Gut." Clay schien nicht zu bemerken, was auf seinem Kopf vorging. Rina dagegen hatte die Krümelei bemerkt und fand sie
sehr amüsant. Sie teilte den restlichen Muffin in zwei Hände voll und krümelte sie ihm in die Haare. Clays Miene war weiterhin so ernst, daß Izzy laut loslachte. "Was ist?" fragte er finster. "Ist dir klar, wie ..." "Ernst du wirkst?" beendete Stevie den Satz augenzwinkernd für sie. Die beiden Frauen tauschten einen verschwörerischen Blick, als Rina die letzten Krümel in seinen Haaren verteilte und stolz ihr Werk betrachtete. Izzy hob die Kaffeetasse an den Mund, um ihr Grinsen zu verbergen. "Wahrscheinlich hat Izzy dich noch nie so gesehen", meinte Stevie. "Nein." Izzy lachte beim Anblick des gutaussehenden, welterfahrenen Clay Granger, dessen Haare über und über mit gelben Krümeln bedeckt wären. "Das kann man wohl sagen." Ein Prasseln in der Ecke weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie drehten sich um. Dave sah verdrossen dem Baby zu, das mit einer Plastikschachtel winkte. Der Fußböden unter dem Kinderstuhl war übersät mit Comflakes. Dave nahm Blickkontakt zu seiner Frau auf und formte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, die er sich an die Schläfe setzte. "Das ist mein Stichwort", erklärte Stevie, nahm Rina von Clays Schultern und eilte davon. "Es war schön, Sie kennenzulernen, Izzy. Ich mag sie, Clay. Endlich hast du mal guten Geschmack bewiesen. Bis bald!" Clay beugte sich über den Tisch vor und flüsterte: "Bist du sicher, daß du Kinder willst?" "Es wird nur ein Kind werden. Ein schrecklich verwöhntes Einzelkind. Ja, ich bin mir ganz sicher." "Was macht dich so sicher, daß es ein Einzelkind wird? Du könntest noch mehr haben."
Sie riß ein Stück Croissant ab. "Soweit ich weiß, braucht man immer noch einen Mann, um schwanger zu werden, und Männern habe ich nun einmal abgeschworen." Clay schien skeptisch. "Das behauptest du jetzt." "Glaub mir, würde das Kloster meiner Schwester schwangere Nonnen akzeptieren, ich würde morgen eintreten." Er schüttelte den Kopf, wodurch Krümel auf seine Schultern herunterfielen, was er jedoch nicht bemerkte, und trank seinen Kaffee in einem Zug leer. Izzy bot ihm den Rest ihres Croissants an und versuchte, nicht auf seine Haare zu achten. "Nimm es ruhig, ich bin nicht hungrig." Er schob ihr den Teller wieder zu. "Aber das Baby." "Hm." Sie nahm einen weiteren Bissen, spülte ihn mit einem Schluck Kaffee herunter und meinte: "Was hat es mit dem Verkauf von ,The Edge' auf sich?" ",The Edge' ist nicht zu verkaufen. Ende der Geschichte." "Irgend jemand scheint das Magazin aber unbedingt zu wollen." Er nickte und fuhr sich durch die Haare. "Jack ..." Er betrachtete eine Handvoll Krümel. "Was ..." Izzy grinste. "Das war Rina." "Er beugte den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, aus denen längst nicht alle Krümel herausfielen. "Ich nehme an, du und Stevie fandet das äußerst amüsant." "Ja, sehr." Er sah sie ebenfalls amüsiert an. "Ist alles raus?" Izzy lachte. "Nein, absolut nicht. Warte." Sie rückte ihren Stuhl neben seinen. "Senk mal deinen Kopf. Ja, so ist es richtig." Geschickt suchte sie so viele Krümel wie möglich aus seinen Haaren. Während der gesamten Prozedur saß Clay regungslos. Er schloß die Augen, aber sie vermutete, daß er längst nicht so entspannt war, wie er wirkte. Sein Atem ging eine Spur zu schnell.
"Ich glaube nicht, daß ich alles herausbekomme", sagte sie. "Du wirst deine Haare noch einmal waschen müssen." "Das macht nichts." Seine Stimme klang eigenartig heiser. "Ich könnte noch eine Dusche gebrauchen." Bevor diese Worte für Izzy einen Sinn ergeben konnten, sagte er: "Mercer." "Wie bitte?" "Jack Mercer, Chef von Mercer-Hest Publications. Er ist derjenige, der ,The Edge' kaufen will." Izzy stieß einen leisen Pfiff aus, während sie weiter Krümel aus seinen Haaren suchte. "Mercer-Hest. Denen müssen ungefähr eine Million Magazine gehören." "Offenbar wollen sie unbedingt eine Million und eines besitzen. Jack erhöht ständig sein Angebot, aber er verschwendet nur seine Zeit. Das Magazin ist nicht zu verkaufen." "Das hast du schon gesagt." "Es ist nun einmal nicht zu verkaufen." "Ich glaube dir." Sie glättete seine Haare und schob widerstrebend ihren Stuhl zurück. "Mehr bekomme ich nicht heraus. Eine schöne Bescherung." "Das war es wert." Er richtete sich auf und rieb sich den Nacken. "Nur, um ein paar Minuten Ruhe vor Rina zu haben?" "Das meinte ich eigentlich nicht, sondern deine Hände in meinen Haaren zu spüren." Es war eine schlichte, leicht verlegene Aussage, ohne die Schauspielerei, die seine Flirterei sonst begleitete. Izzy fiel darauf keine Erwiderung ein, aber er schien auch nicht darauf zu warten. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. ",The Edge' ist meine ureigene Idee. Vor zehn Jahren wußte noch niemand etwas von Extremsport. Jetzt gibt es sogar eine jährliche Extremsport-Olympiade. Wenn he ute ein Ereignis im Extremsport ansteht, reißen sich die Medien um die
Berichterstattung. Ich war ein Teil dieser ganzen Bewegung, und will behalten, was ich erreicht habe. Nicht für alles Geld würde ich das Magazin aufgeben." Izzy wägte ihre Worte ab. "Bist du sicher, daß du es dir nicht einmal durch den Kopf gehen lassen solltest?" "Warum? Ich brauche das Geld nicht. Ich gebe ,The Edge' heraus, weil es mir Spaß macht. Soviel Geld bringt es gar nicht ein." "Ich meinte eher die damit verbundenen Sachen, diese verrückten Stunts." "Wettkämpfe", korrigierte er sie. "Verrückte Wettkämpfe", sagte sie grinsend. Er zerknüllte eine Papierserviette und warf sie nach ihr. Sie schlug sie zur Seite. "Harry meint; du machst das alles nur, weil deine Leser es erwarten. Es ist die Suche nach dem Kick. Es ist Wahnsinn. Du könntest dich eines Tages schwer verletzen oder sogar ums Leben kommen dabei." Sie hatte nicht hinzugefügt "wie Judith." Seiner grimmigen Miene nach zu urteilen, war das auch nicht nötig. Er starrte mit zusammengebissenen Zähnen aus dem Fenster. "Clay", sagte sie. "Jemand, der seine Familie liebt, riskiert nicht leichtfertig sein Leben." "Familie?" "Na ja." Clays Mundwinkel hoben sich zu einem humorlosen Lächeln. "Glücklicherweise habe ich keine Familie", entgegnete er ruhig.
7. KAPITEL "Wer ist das?" fragte Teddy, die eine Fotografie auf dem Kaminsims betrachtete. "Seine erste Frau." Izzy schaute auf ihre Uhr. Es war zwei Minuten nach acht, und Clay war noch immer nicht von der Arbeit zurück. In den anderthalb Wochen, seit denen sie verheiratet wären, war er stets um sechs gekommen. Teddy hatte bereits die Pasta wegwerfen müssen, die sie gekocht hatte, und der Salat war inzwischen ebenfalls schlapp. "Was, zum Teufel, macht das Foto seiner ersten Frau auf deinem Kaminsims?" "Es ist sein Kaminsims." "Jetzt gehört er auch dir, Isabella, und eine tote Ehefrau hat darauf nichts zu suchen." "Tante Teddy, um Himmels willen ..." "Er ist jetzt mit dir verheiratet. Ich werde ihm sagen, er soll das Ding verschwinden lassen." "Bitte, Tante Teddy, tu es nicht." Warum nicht?" "Er ... er hat sie geliebt." "Und jetzt liebt er dich, oder? Raus mit dem alten, rein mit dem neuen." "Du bist wirklich mitfühlend, Tante Teddy." Izzy entschuldigte sich und ging ins Bad. Sie duschte ausgiebig und überlegte die ganze Zelt, weshalb Clay wohl zu
spät kam. Das Wetter war schlecht geworden; vielleicht gab es Verkehrsprobleme zwischen hier und Danbury. Möglicherweise war er in einen Unfall verwickelt. Die Straßen konnten tückisch sein während eines Schneesturms, besonders spätabends. Möglicherweise aber ...nein, das ging sie nichts an. Sie trat aus der Dusche, trocknete sich ab und rieb sich mit etwas Olivenöl ein. Dann ging sie ins Schlafzimmer und suchte in ihrer Kommode nach einem Nachthemd. Ja, aber vielleicht... Es geht dich nichts an, was er mit wem treibt. Es kümmerte sie nicht. Nicht im geringsten. An der Tür war ein schnelles Klopfen zu hören. Izzy drehte sich um und erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild - nackt, auf den Knien, in der untersten Schublade nach einem Nachthemd suchend. "Wer ist da?" "Teddy?" "Oh. Komm rein." Sie fuhr mit ihrer Suche fort. "Der verlorene Sohn kehrt heim!" Teddy stieß die Tür auf und schob Clay vor sich her ins Zimmer. Er sah Izzy und erstarrte. Izzy schnappte nach Luft und sprang auf. Sie registrierte, während sie Clays überraschte Miene sah, daß sie irgend etwas aus der Schublade in der Hand hielt. Hastig schüttelte sie es auseinander und hielt es vor sich. "Entschuldige." Clay wich einen Schritt zurück und stieß gegen die offene Tür. Er stolperte, und Izzy wurde sich der Absurdität der Situation bewußt: Der anmutigste und athletischste Mann, den sie kannte, geriet ins Stolpern, weil er sie nackt gesehen hatte. Er wirbelte herum und verschwand; sie hörte seine Schritte auf der Treppe. "Was hatte das zu bedeuten?" wollte Teddy wissen. Izzy seufzte aus tiefstem Herzen.
"Schließlich hat er dich nicht zum erstenmal nackt gesehen", meinte Teddy. "Aber hat er dich je darin gesehen?" Teddy deutete auf das Kleidungsstück, das Izzy vor sich hielt. Es war das hautenge schwarze Nachthemd aus Seide und Spitze, daß sie sich für Prez gekauft, aber nie getragen hatte. An den Spaghettiträgem hingen noch die Preisschilder. "Nein", antwortete Izzy tonlos. "Das mag es erklären", meinte Teddy. "Trotzdem." "Teddy, ich würde mich jetzt gern anziehen." Teodora verließ den Raum. Schließlich fand Izzy ein sauberes Flanellnachthemd - die Haushälterin hatte es in den Schrank gehängt. Darüber zog sie einen Bademantel. Sie bürstete sich die Haare, die sich sofort wieder zu Locken kringelten, und ging nach unten. "Er ist im Keller", informierte Teddy sie von ihrem Lieblingsplatz in der Küche aus, wo sie gerne las, während sie dem Country-Sender lauschte. Gemessen an ihrem Temperament erschien Izzy ihre Vorliebe für Liebesromane und schlichte Balladen seltsam. "Im Keller?" Seit ihrer Ankunft war der Keller verschlossen gewesen. Clay hatte erklärt, er diene als Lagerraum. Teddy zuckte die Schultern. "Wenn du mich fragst, sieht er aus wie jemand, der einen doppelten Scotch on the rocks vertragen könnte." Izzy verdrehte die Augen, machte den Drink jedoch zurecht, schenkte sich selbst ein Glas Milch ein und nahm beides mit in den Keller. Am Fuß der Treppe blieb sie stehen und schaute sich um. Der Keller war unfertig, eine Zementhöhle mit einem großen Heizofen in einer Ecke, einem Boiler in der anderen und unzähligen Kartons und alten Möbeln, die an den Wänden aufgestapelt waren. Es roch ein wenig muffig, und es war warm und trocken.
Clay saß mit dem Rucken zu ihr auf einem abgewetzten Sofa und hatte sie anscheinend nicht in ihren Hausschuhen die Treppe herunterkommen gehört. Er saß nach vorn gebeugt, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt. Vor ihm, auf einem Knüpfteppich mitten im Raum, stand etwas, das wie ein großer rechteckiger Tisch mit einer Tischdecke darüber aussah. Die Tischdecke verbarg etwas, denn Izzy konnte Konturen ausmachen. Es sah aus wie eine Landschaft aus Leinen. Über dem Tisch hing eine Arbeitslampe, die das einzige Licht in dem ansonsten dunklen Keller spendete. Izzy ging um die Couch herum und sagte leise seinen Namen. Er sah auf. Er wirkte ausgelaugt. Seine Krawatte war gelöst, die Ärmel aufgekrempelt. Sein Blick fiel auf die Gläser in ihren Händen. "Ich hoffe sehr, daß der Scotch für mich ist." Sei reichte ihm den Drink, und er trank einen langen Schluck. Ohne sie anzusehen sagte er: "Es tut mir leid, daß ich vorhin einfach so hereingeplatzt bin." "Das war nicht deine Schuld." Er leerte sein Glas, lehnte sich zurück und musterte Izzy mit grimmiger Miene. "Willst du gar nicht wissen, warum ich so spät nach Hause gekommen bin?" Sie hatte nicht erwartet, daß er das Thema zur Sprache bringen würde. "Das geht mich nichts an." Er runzelte die Stirn. "Es interessiert dich nicht?" Ihr Herz zog sich zusammen. "Du hast versprochen, diskret zu sein, und dafür bin ich dankbar." Er starrte sie an. "Es ist nicht so, daß es mir völlig gleichgültig wäre", fuhr sie fort. "Aber ich möchte es nicht wissen. Ich will nicht, daß du mir jedesmal Bericht erstattest, wenn du ..." "Du Dummkopf", unterbrach er sie lächelnd und klopfte neben sich auf das Sofa. "Setz dich." Sie zögerte einen Moment, setzte sich dann aber zu ihm.
"Wie schlecht ist mein Ruf eigentlich?" fragte er und stellte sein leeres Glas auf den Fußboden. "Antworte nicht." "Ich verstehe nicht ganz." Er fuhr sich durch die Haare. "Ich fürchte aber, ich verstehe. Du denkst, ich würde schon zehn Tage nach unserer Hochzeit etwas mit einer anderen haben." Mit einer anderen? Als hätte er je etwas mit ihr gehabt. "Immerhin hast du das Recht dazu. Wir haben eine Abmachung." "Eine Abmachung", wiederholte er leise, als faszinierten ihn diese Worte. "Ja, das stimmt schon. Wir sind schließlich ein welterfahrenes, aufgeklärtes und erwachsenes Paar." Sein Lächeln war eher traurig. Er ließ sich zurücksinken, rieb sich das Gesicht und stöhnte müde. "Mercer-Hest hat heute eine Presseerklärung veröffentlicht." Er sah Izzy an. "Und danach brach in der Redaktion der Teufel los." "Weshalb? Was stand in der Presseerklärung?" "Sie werden ihre eigene Zeitschrift für Extremsportarten herausbringen", antwortete er. "Ich glaube, sie wollen sie ,Out of Bounds' nennen! Es wird ein großformatiges, vierfarbiges Magazin, und sie werden wie verrückt Werbung dafür machen. Der Konkurrenzdruck kann uns vernichten." "Weil sie ,The Edge' nicht kaufen können, wollen sie es zerstören?" "So hinterhältig ist Jack nicht", erwiderte Clay. "Er ist nur Geschäftsmann, ein guter noch dazu, der seiner Firma viel Geld einbringen will. Extremsport ist absolut in. Er kann zwar ,The Edge' nicht bekommen, aber er will einen Anteil des Marktes, also bringt er selbst ein Magazin heraus. Das einzige Problem ist, Mercer-Hest läuft so gut, daß sie rasch den ganzen Markt an sich ziehen könnten. Sie könnten uns glatt aus dem Rennen werfen - es sei denn, wir unternehmen sofort etwas dagegen." "Deshalb bist du so spät gekommen?"
Clay nickte. "Die Presseerklärung kam heute nachmittag heraus Und schlug wie eine Bombe ein. Alle waren völlig aus dem Häuschen und machten sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze. Ich kann es ihnen nicht verdenken." Er holte tief Luft. "Also berief ich ein Meeting ein, und dann noch eines, und dann bestellten wir chinesisches Essen und saßen zusammen und versuchten, uns eine Strategie auszudenken. Vielleicht können wir erfolgreich dagegen ankämpfen, vielleicht auch nicht. Aber ich werde nicht kampflos aufgeben." Izzy trank einen Schluck Milch und fragte sich, ob es zu sehr nach Ehefrau klang, wenn sie sagte, er hätte anrufen können. "Ich hätte anrufen sollen", meinte Clay. "Aber ich bin es einfach nicht gewohnt, daß zu Hause jemand auf mich wartet, und ich war so auf dieses Durcheinander konzentriert. Als es mir einfiel, war es bereits Viertel vor acht." "Das ist schon in Ordnung." "Nein, ist es nicht." "Doch, sicher. Wie auch immer, du sollst nicht das Gefühl haben, dich bei mir melden zu müssen, oder daß du, nun, nicht mehr die Dinge tun kannst, die du vor unserer Ehe tun konntest." "Bitte sag mir nicht schon wieder, daß ich ruhig mit anderen Frauen schlafen kann." Er nahm ihre Hand. "Ich weiß nicht, wieso, aber ich will es nicht hören." Sie schluckte. "Einverstanden." Er sah ihr in die Augen, dann glitt sein Blick zu ihrem Mund, und weiter zu ihrem Hals und zu ihren Brüsten, Er ließ ihre Hand los und strich mit der Fingerspitze knapp unter dem Kragen ihres Bademantels entlang. Izzy hielt den Atem an und umklammerte ihr Glas, als er den Bademantel ein wenig auseinanderschob und der Ausschnitt des Nachthemds zum Vorschein kam. "Schade", murmelte er. "Ich dachte, du trägst vielleicht das schwarze mit Spitze."
Ihre Wangen glühten. Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Ich dachte, du magst Flanell. "Das stimmt." Er rieb den weichen Stoff zwischen den Fingern, wobei sein Handrücken ihre Brust streifte. "Es ist großartig, aber in diesem schwarzen Ding siehst du bestimmt umwerfend aus." "Ich habe es noch nie getragen, und das werde ich wahrscheinlich auch nie." "Warum nicht?" "Nun, es ist nicht dazu da, um darin zu schlafen, verstehst du?" Er grinste schief. "Ja, ich denke schon." Er nahm den Saum ihres Chenille- Bademantels und befühlte ihn wie den Flanell des Nachthemdes. "Das mag ich auch. Dir steht alles gut." "Warum kommst du nicht mit nach oben?" fragte Izzy. "Es gefällt mir hier." Izzy sah sich um. Hier drin gefiel es ihm? Sie bemerkte, daß er den zugedeckten Tisch betrachtete. "Was befindet sich darunter?" wollte sie wissen. "Etwas aus meiner Kindheit." "Ich dachte, du seist in Manhattan aufgewachsen." "Hauptsächlich, ja. Aber ich habe auch viel Zeit in den Schweizer Alpen verbracht. Manchmal nahmen meine Eltern mich für Wochen aus der Schule, damit wir Ski fahren konnten." Deshalb war er also schon in jungen Jahren ein so außergewöhnlicher Skifahrer gewesen. Seltsam, daß sie diese Dinge während ihrer Freundschaft als Heranwachsende nicht gewußt hatte. Andererseits hatte er nie gern über seine Kindheit gesprochen. Sie wunderte sich, daß er jetzt dazu bereit war. "Das klingt nach einer sehr vornehmen Variante der guten alten Familienferien", bemerkte sie. "Nun, meine Eltern gingen eigene Wege ... ohne mich." Er beugte sich vor und betrachtete den Tisch. "Ab und zu lieferten sie mich hier ab, bei Grandpa Tom. Natürlich wollten sie mich
nur loswerden, aber mir gefiel es hier sehr." Er erhob sich von der Couch und stand mit dem Rücken zu Izzy, wahrend er über das Leinentuch auf dem Tisch strich. "Grandpa Tom war ein unglaublicher Kerl. Er war ganz anders als die übrigen Familienmitglieder. Zum einen Selfmademan. Mein Vater ließ die Leute in dem Glauben, unser Geld stammte aus langer Familientradition. Aber in Wahrheit ist das Vermögen während der Prohibition entstanden." Izzy beugte sich vor und grinste. "Dein Großvater war Schnapsschmuggler?" Clay ging langsam um den Tisch herum und betrachtete die geheimnisvollen Umrisse unter dem Tuch. "Bis ihm klar wurde, daß man Alkohol wieder legalisieren würde. Von da an investierte er seine Schnapsprofite in andere Dinge. Er hatte es einfach raus, wie man Geld macht." "Das klingt tatsächlich nach einem interessanten Kerl." Izzy stellte ihr Glas auf den Fußboden. "Das ist noch gar nichts. Im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg war er beim Geheimdienst. Er war Naturforscher, Tierfotograf und ein brillanter Bildhauer." Die Künstlerin in Izzy war fasziniert. "Er war Bildhauer?" "Der Habicht auf meinem Nachttisch ist von ihm." "Wirklich? Er war gut." "Ich weiß. Er war auch derjenige, der damit angefangen hat, Sportarten als darstellende Kunstwerke zu sammeln. Ich habe lediglich dort weitergemacht, wo er aufgehört hat." Er stand Izzy am Tisch gegenüber und hob das Tuch ein Stück an, um darunterzuspähen. "Wirst du mir jetzt endlich erzählen, was sich darunter befindet, oder muß ich es aus dir herausprügeln?" drohte Izzy. Seine Augen funkelten. "Ich würde gern erleben, daß du es versuchst." Noch ehe ihr eine kluge Erwiderung einfiel, packte er die Tischdecke an zwei Enden und warf sie in die Ecke.
Einen Moment lang saß Izzy wie erstarrt da. Dann stand sie langsam von der Couch auf. Clay beobachtete, wie sie staunend an den Tisch kam. "Toll, was?" meinte er. "Toll?" Sie lachte kurz auf und schaute auf die Hügel und Täler, die sich schlängelnden Flüsse und grünen Weiden, die Wälder, die Obstgärten und Weinberge, das winzige Dorf mit den Strohdachhä usem, die Kirche aus Lehmflechtwerk und natürlich die Burg, deren Steinmauern, zinnenbewehrte Türme, Burggraben und kleine Eichen-Zugbrücken, jetzt in hochgezogener Position, ihre Aufmerksamkeit fesselte. Einige Teile des Projekts waren in schlechtem Zustand, doch war es noch immer beeindruckend. "Toll ist wohl nicht der richtige Ausdruck dafür. Imposant schon eher. Oder überwältigend. Wer hat das gemacht? Dein Großvater?" Clay kam um den Tisch herum an ihre Seite. "Wir beide haben es über mehrere Jahre gebaut." Er sah, wie sie die Hand nach einem winzigen Reh auf einer Waldlichtung ausstreckte, jedoch innehielt. "Du kannst es ruhig anfassen." Vorsichtig fuhr sie mit der Fingerspitze darüber. "Es ist handgeschnitzt." "Natürlich. Grandpa war Bildhauer. Alles ist handgemacht, die Tiere, die Menschen, die Gebäude." Sie nickte. "Schade, daß die Burg zerfällt und diese Häuser dort, und auch der Hügel." "Es ist schon alt", erwiderte Clay. "Alte Sachen zerfallen nun einmal." "Hast du nie daran gedacht, es zu restaurieren?" fragte Izzy. "Nicht ernsthaft. Es erschien mir immer wie eine natürliche Ordnung der Dinge, es ..." Er zuckte die Schultern. "Langsam zerfallen zu lassen? Warum sollte es, wenn du es aufhalten kannst? Es bedeutet dir etwas. Du solltest es restaurieren."
Er sah auf die hügelige Landschaft mit den unzähligen winzigen und perfekt gestalteten Details. "Dazu wäre viel Arbeit nötig." "Na und?" Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. "Manche Dinge sind es wert, bewahrt zu werden." Er kämpfte ge gen das Bedürfnis an, sie zu küssen. "Ich werde darüber nachdenken." Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Tisch. "Was hat euch dazu gebracht, so etwas zu basteln?" "Es war das Geburtstagsgeschenk von meinem Grandpa, als ich neun wurde. Er nahm mich mit in den Keller und zeigte mir all die Sachen - Maschendraht, Gips, Holz, Granit. Dann zeigte er mir eine Skizze seiner Idee. Er wußte, daß ich ein großer Fan des Mittelalters war, seit ich ,Robin Hood' mit Errol Flynn im Fernsehen gesehen hatte. Er sagte, wir würden es gemeinsam bauen, und dann würde es mir gehören. Ich hielt dagegen, daß wir es niemals aus dem Keller bekommen würden, weil es zu groß wäre. Aber er meinte, das sei egal, denn er würde mir das Haus ohnehin vererben." Clay lächelte bei der Erinnerung, "Dann nahm er mich mit nach oben, und wir buken aus einer Backmischung meinen Geburtstagskuchen." Er schüttelte den Kopf. "Ich werde nie den Anblick dieses alten, rauhbeinigen Mannes in Kochschürze vergessen, wie er mir einen Kuchen backt. An diesem Abend gab es Kuchen und Eiscreme zum Dinner. Ich kann es noch immer schmecken." "Das war sicher ein unvergeßlicher Geburtstag." "Es war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich einen Geburtstagskuchen bekommen habe. Das hat sich in mein Gedächtnis gebrannt." "Was meinst du mit ,das einzige Mal'? Das kann doch nicht stimmen." "Meine Eltern hielten nichts davon."
Sie starrte ihn an. Er wollte lachen, doch ihre Empörung schien echt zu sein. "Habe ich das richtig verstanden? Deine eigene Familie hat deinen Geburtstag nie gefeiert?" "Sie gaben mir Geschenke", erwiderte er und hob die Tischdecke vom Boden auf. "Großzügige Geschenke, wie Fernseher, Stereoanlagen. Wenn sie gerade nicht da waren, ließen sie sie schicken." "Nicht da waren?" wiederholte Izzy ungläubig. "An deinem Geburtstag?" Er lachte und schüttelte die Decke aus. "Ich hatte mich daran gewöhnt. Sie hatten eben viel zu tun." "Zu viel, um an den Geburtstag ihres eigenen Sohnes zu denken?" Ihr Zorn rührte ihn. Doch Clay hatte sich diesen Schmerz schon vor langer Zeit abgeblockt, weil er ihn nicht ertragen hätte. "Ich weiß deine Entrüstung zu schätzen, Kaffeebohne", sagte er sanft. "Wirklich. Aber das alles liegt hinter mir. Hier." Er gab ihr ein Ende der Tischdecke. "Hilf mir, es wieder zuzudecken." Sie ging mit ihrem Ende auf die gegenüberliegende Seite des Tisches. "Müssen wir es zudecken? Ich würde es gern noch länger anschauen." "Du kannst es dir ansehen, wann immer du willst", versprach er, während sie vorsichtig das Tuch über die Miniaturlandschaft zogen. "Ich werde die Tür nicht abschließen." "Dein Großvater war sicher ein bemerkenswerter Mann." "In der Tat. Ich wünschte, du hättest ihn kennenlernen können." "Ich auch. Dann hätte ich ihm danken können." "Wofür?" Sie zuckte ein wenig verlegen die Schultern. "Dafür, daß er für dich dagewesen ist und dir das Gefühl gegeben hat, geliebt und gemocht zu werden. Das sollten Menschen tun, wenn ihnen etwas an anderen liegt. Sie sollten füreinander dasein."
"Leider ist das nicht immer möglich." Sie runzelte die Stirn. "Es mag zwar oft nicht einfach sein, aber es ist sicher nicht unmöglich." "Gehörst du zu diesen Menschen?" fragte er. "Zu denen, die für andere da sind?" Sie musterte ihn neugierig. "Ja, ich glaube schon. So bin ich erzogen worden. Wir Fabrionis sind sehr treu. Niemand in unserer Familie ist jemals geschieden worden." Plötzlich schien sie sich unbehaglich zu fühlen, und Clay wußte, was sie dachte daß sie wahrscheinlich die erste sein würde. Und noch eines wußte er - daß sie es nicht wollte. "Mein Großvater war genauso", sagte er. "Meine Großmutter starb 1957, und er hat danach nie wieder geheiratet. Er pflegte zu sagen, daß wenn es ein Leben nach dem Tode gäbe, er es mit ihr verbringen wollte." "Wow", murmelte Izzy. "Wann ist er gestorben?" Clay glättete das Tuch und zog es zurecht, damit kein Staub darunterkommen konnte. "Während des Herbstsemesters in meinem letzten Jahr in Yale. Ich war in meinem Zimmer und schrieb an meiner Semesterarbeit in Volkswirtschaft." "Richtig, du hast ja Wirtschaftswissenschaften studiert. Das hatte ich vergessen." "Ich wurde auf eine Laufbahn im internationalen Business vorbereitet, und ich habe aus lauter Trägheit mitgemacht, sehr zu Grandpa Toms Widerwillen. Er meinte immer, ich sollte meinen eigenen Weg gehen. Es ergab sich, daß ich es von diesem Abend an endlich tat." Izzy sah ihn mit großen Augen an. Offenbar wollte sie das wirklich alles hören. Noch seltsamer aber war, daß er es ihr erzählen wollte. "Das Telefon klingelte. Es war mein Vater, daher wußte ich sofort, daß etwas nicht stimmte. Er rief sonst nie an. Seine ersten Worte waren: ,Dein Großvater hat einen Herzinfarkt erlitten und dir sein ganzes Vermögen hinterlassen.' Ich war völlig schockiert. Der Schmerz kam so unvermittelt und
heftig, daß ich kein Wort mehr herausbrachte. Das war auch nicht nötig. Mein Vater begann mit seiner Litanei von Ratschlägen - ich sollte rasch das Haus verkaufen, die Aktien breiter streuen, all dieses Zeug. Es ging nur um die Erbschaft. Kein Wort über ..." Clay holte tief Luft. "Mein Vater fragte, ob es mir etwas ausmachen würde, zur Beerdigung zu gehen. Er war in Übersee, und es wäre unangenehm, nur deswegen zurückzufliegen." Izzy fluchte, und Clay lächelte über ihre Anteilnahme. "In dieser Nacht packte ich einen Rucksack, stieg in meinen Wagen und fuhr davon." "Deshalb hast du das Studium abgebrochen." "In jener Nacht entschied ich, daß ich auf keinen Fall in die Fußstapfen meines Vaters treten wollte. Ein Abschluß in Ökonomie schien mir keinen Sinn mehr zu machen." "Warst du auf der Beerdigung?" Er nickte. "Die Reporter hatten ihren großen Tag. Es waren keine Familienangehörigen dort, außer diesem abgerissen aussehenden Jungen in Jeans und Sweatshirt, mit einem Rucksack auf dem Rücken." "Danach bist du bis ans Ende der Welt verschwunden", sagte sie. "Ich bin hauptsächlich Ski gefahren, schrieb ein paar Artikel für Zeitschriften. Zu der Zeit geriet ich an den Extremsport." "Judith war Trickskifahrerin, nicht wahr?" "Ja, das stimmt." Er bückte sich nach den beiden Gläsern und ging zur Treppe. "Da wir gerade davon sprechen: Ich werde meine Aktivitäten auf dem Gebiet verstärken müssen. Das ist Teil der Strategie, die wir heute nachmittag beschlossen haben. Ich muß häufiger an Extremsport-Wettkämpfen mit großer Medienberichterstattung teilnehmen." "Weshalb?" Sie holte ihn auf der Treppe ein. "Wegen der Publicity. Die Leser lieben so etwas." "Clay, bitte überleg es dir noch einmal."
"Wir müssen die Zahl unserer Abonnenten erhöhen." Er hielt ihr oben an der Treppe die Tür auf. "Clay..." "Das ist nicht verhandelbar." "Gibt es keine andere Möglichkeit, die Zahl der Abonnenten zu erhöhen?" Izzy folgte ihm in die Küche. "Doch, die gibt es tatsächlich. Hallo, Teddy." Izzys Tante hatte die Nase in einem Buch vergraben und brummte irgend etwas Unverständliches. "Und da kommst du ins Spiel." Er stellte die Gläser in die Spüle. "Ich?" Izzy sah in ihrem Bademantel und den noch immer nassen und wirren Haaren einfach bezaubernd aus. "Ich hatte schon lange die Absicht, jemanden zu engagieren, um für das Magazin ein neues Design zu entwerfen. Es war von Anfang an nicht richtig, und es sieht viel zu traditionell aus. Extremsport ist, nun, eben extrem. Das sollte ,The Edge' auch optisch vermitteln." "Ich soll dir also jemanden empfehlen? Aber alle, die ich kenne, sind in San Francisco." "Nein, nein, ich will dich für den Job einstellen." Sie blinzelte ihn an. "Falls du es noch nicht gehört hast, du giltst als eine der besten Graphikerinnen im Zeitschriftenbereich." Ihr wundervoller Mund formte sich zu einem zufriedenen Lächeln. "Ich habe es schon gehört." "Und das ist für mich gut genug." Sie zog sich einen Hocker vom Frühstückstresen heran und setzte sich. "Aber was ist mit meinem Zustand? Als ich letzte Woche zu meinem Termin bei Dr. Cooper war, meinte er, ich müßte noch immer soviel wie möglich liegen." Clay wünschte, er wüßte, was Jim noch gesagt hatte, besonders, ob sie inzwischen Sex haben durfte. Izzy war mit
dieser Information natürlich nicht herausgerückt. Warum sollte sie auch? Trotzdem plagte Clay die Neugier. "Du kannst im Sitzen arbeiten", schlug er vor. "Du kannst sogar zu Hause arbeiten. Ich werde hier für dich ein Studio einrichten. Das vordere Wohnzimmer wäre ideal, mit all dem Sonnenlicht. Du brauchtest höchstens ein- oder zweimal die Woche für eine Stunde ins Büro zu kommen, um dich auf dem laufenden zu halten." "Ich weiß nicht." "Deine Übelkeit läßt nach, oder? Und du fühlst dich schon besser. Ich bezahle dir für die Dauer des Jobs doppelt soviel wie das, was du bei D&B bekommen hast. Und ich übernehme dich nach dem Auftrag, wenn du willst." "Wird es nicht ein wenig nach Vetternwirtschaft aussehen, wenn du deiner Frau einen Job gibst?" "Na und? Ich glaube an Vetternwirtschaft. Was bist du denn für ein Mensch, wenn du bei gleicher Qualifikation den Job nicht jemandem gibst, der dir nahesteht?" Izzy lachte und schüttelte den Kopf. "Ich würde es gern tun. Ich langweile mich, und das wäre eine Herausforderung. Außerdem könnte ich ein bißchen eigenes Geld gebrauchen. Aber ich hätte das Gefühl, in deiner Schuld zu stehen. Du hast soviel für mich getan." Er warf einen warnenden Blick Richtung Teddy, worauf Izzy nickte. "Du stehst keineswegs in meiner Schuld", erwiderte er. "Tu es, und zwar, weil du es willst." Er legte die Hände auf ihre Schultern und begann, sie sanft zu massieren. "Komm schon", versuchte er, sie zu überreden. "Ich weiß, daß du es willst. Es steht dir im Gesicht geschrieben." Sie errötete. "Ich mache mir nur Sorgen wegen des Babys." "Was meinst du dazu?" wandte sich Clay an Teddy, die, wie er vermutete, jedes Wort ihrer Unterhaltung aufmerksam mitverfolgt hatte. "Wird es ein Problem für die Schwangerschaft darstellen?"
Teddy zuckte die Schultern, ohne von ihrem Buch aufzusehen. "Frag Cooper." "Genau!" entgegnete Clay. "Wir rufen ihn morgen an." Er hob Izzys Kinn. "Was sagst du, Kaffeebohne? Falls Cooper sein Einverständnis gibt, machst du es dann?" Sie sah mit leuchtenden Augen zu ihm auf. "Willst du mich wirklich?" Einen Moment schien sein Herz auszusetzen. Gütiger Himmel, ja, ich will dich! Was richtete er an, indem er ihr einen Job gab, bei dem er Seite an Seite mit ihr arbeiten würde? Spukte sie ihm nicht schon genug im Kopf herum? "Natürlich will ich dich", versicherte er ihr und bemühte sich um einen gelassenen Ton. "Und wie. Darum geht es doch bei der ganzen Sache, kleiner Dummkopf."
8. KAPITEL "Was meint ihr?" fragte Clay Izzy, als er, Harry und Stevie das über den Konferenztisch verstreute Material einsammelten. Zeichnungen, Zeichenstifte, Fotos, Ausgaben konkurrierender Zeitschriften und alte Ausgaben von ,The Edge', deren Erscheinungsdaten bis zur Einfuhrung des Magazins vor fast zehn Jahren zurückreichten. "Ich muß ziemlich gutgläubig sein, daß ich mich von dir habe dazu Überreden lassen", erwiderte sie grinsend. Gutgläubig und anfällig für seinen Charme. Nachdem Dr. Cooper sein Einverständnis gegeben hatte, hatte sie eingewilligt. Clay hatte sie an diesem Morgen nach Danbury gefahren, wo sich die Redaktion von "The Edge" in einem modernen Bürogebäude in der Innenstadt befand. Nach einer raschen Vorstellung der Mitarbeiter hatte Clay die vier zu einem Brainstorming zusammengerufen. "Ich hatte ein paar Ideen zum Cover", meinte Izzy und blätterte durch die Mappe, in der sie während des Gesprächs hastig ein paar Skizzen angefertigt hatte. "Dies hier, zum Beispiel, ist eine Interpretation des Motivs, über das wir gesprochen haben," "Das gefällt mir", sagte Clay. Harry verzog das Gesicht. "Es ist zu niedlich." "Das fand ich auch", stimmte Izzy ihm zu. "Was ist mit diesem hier?"
Stevie beugte sich vor und stützte sich auf die Ellbogen. "Ja, das finde ich gut." "Aber können wir dieses Leitmotiv mit dem neuen Schriftbild und allem wirklich im ganzen Magazin durchhalten?" gab Clay zu bedenken. "Absolut." Izzy blätterte durch die Mappe und zeigte ihnen eine Skizze nach der anderen, während sie sich allmählich einer Einigung über das neue Aussehen des Magazins näherten." "Wie schnell kannst du eine Auswahl an Layouts erstellen?" erkundigte sich Clay. Er nahm ihre Hand und fügte hinzu: "Aber überstürze nichts. Setz dir ein großzügiges Zeitlimit." "Zwei Wochen?" schlug Izzy vor. "Das klingt gut." Clay stand auf, und die anderen folgten seinem Beispiel. "Bis morgen wird alles nach Hause geliefert sein - ein Zeichentisch und alles, was du sonst noch brauchst." "Ich brauche, einen Computer", erklärte Izzy. "Mit einem hochauflösenden Monitor. Mein Laptop eignet sich nicht für Graphiken. Außerdem brauche ich einen Scanner und einen Laserdrucker. Die nötige Software besitze ich selbst." "Mach einfach eine Liste", ermunterte Clay sie. "Stevie, würdest du bitte dafür sorgen, daß sie alles bekommt, was sie braucht?" "Selbstverständlich." "Harry wird dir helfen, Fotos für das Layout auszusuchen, bevor du gehst", wandte Clay sich wieder an Izzy. "Es sei denn, du bist müde und möchtest es lieber verschieben." "Nein, es geht mir gut", versicherte Izzy. Nach dem Ende des Meetings folgte sie Harry in dessen Büro und lachte, als sie eintrat. "Eigentlich hätte ich so etwas in der Art erwarten müssen." Die Wände und die Decke waren über und über beklebt mit Fotografien, Abzüge und aus Zeitschriften ausgeschnittenen. Der Effekt war jedenfalls, daß man sich wie in einer dreidimensionalen Collage vorkam. In einer Ecke zwischen den
Fenstern stand eine männliche Schaufensterpuppe, die bis auf ein Foto von einem Feigenblatt nackt war. In einer anderen Ecke befand sich ein lebensgroßer Pappausschnitt einer historischromantischen Figur in Piratenkleidung. "Wie kannst du in dieser Umgebung arbeiten?" meinte Izzy. "Ich verbringe viel mehr Zeit an Schauplätzen und fotografiere, als ich hier bin. Und wenn ich mal hier bin, stecke ich gewöhnlich in der Dunkelkammer. Dieser Raum dient nur der Inspiration." Er nahm einen Stapel Aktenordner vom einzigen Stuhl und warf ihn auf den Boden. "Ich mußte Clay versprechen, dich sitzen zu lassen." Izzy nahm Platz. "Bist du glücklich?" "Immer. Und du?" erkundigte er sich und setzte sich im Schneidersitz zu ihren Füßen. "Bist du froh, daß du diesen Job angenommen hast, oder bedauerst du es, nachdem du gesehen hast, wieviel Arbeit es mit sich bringt?" "Nein, eigentlich bin ich sehr zufrieden. Ich darf es nur nicht übertreiben." "Ja, darauf solltest du achten", erwiderte er ernst. Dann wählte er drei Aktenordner aus dem Stapel neben sich. "Schau, was du für die.Layout-Auswahl gebrauchen kannst." Sie öffnete den ersten Ordner und blätterte durch Fotos von einer Frau, die auf Skiern einen steilen und gefährlich aussehenden Abhang hinunterfuhr. "Wie gut kanntest du Judith?" fragte sie Harry, legte den Ordner zur Seite und öffnete den nächsten: ein Skateboard-Wettkampf. Er runzelte nachdenklich die Stirn. "Nicht sehr gut. Niemand kannte sie sonderlich gut, bis auf Clay. Und er kam nicht dazu, sie wirklich kennenzulernen. Sie waren nur so kurz zusammen, und sie lebten in Colorado. Ich habe sie, wie du, auch erst bei der Hochzeit kennengelernt, und einmal bin ich für ein verlängertes Wochenende bei ihnen gewesen. Ich mochte sie. Sie war sehr natürlich." Er legte seine große Hand auf ihr Knie. "Wie du."
"Danke." Izzy legte den Ordner beiseite und schlug den nächsten auf. "Gütiger Himmel." Sie blätterte die Fotos durch. "Wie hat er sie kennengelernt?" Harry lehnte sich zurück. "Clay schrieb damals Artikel, hauptsächlich für Ski-Zeitschriften, einige für ,Sports Illustrated'. Ich glaube ,Sports Illustrated' schickte ihn auch nach Colorado, um über diese waghalsigen Trickskifahrer zu berichten. Einer von ihnen war Judith." "Ich nehme an, es war Liebe auf den ersten Blick." "Ja, er war vollkommen überwältigt. Er rief mich an dem Tag an, als er sie kennengelernt hatte. Ich habe ihn noch nie so aufgeregt gehört. Drei Wochen später waren sie Mann und Frau." Izzy klappte den Ordner zu. "Und vier Monate später, nach diesem...." "Ja." Harry schüttelte traurig den Kopf. "Was ist passiert? Ich weiß nur, daß es ein Skiunfall war." "Hast du je etwas vom Wolf Peak in Colorado gehört?" Sie verneinte. "Ernsthafte Skifahrer kennen es. Es ist eine berüchtigte, extrem steile Abfahrt. Sie wird auch die "Suicide Chute" - die Selbstmordpiste genannt, weil die Lawinengefahr dort extrem hoch ist. Die kleinste Erschütterung kann in Sekundenschnelle eine gewaltige Lawine auslösen." "Judith starb in einer Lawine?" "Technisch gesehen, nein. Sie vollführte einige kunstvolle Ausweichmanöver, und es gelang ihr auch, der Lawine zu entkommen. Doch dann stieß sie gegen einen Felsvorsprung und brach sich das Genick." "Oh." "Clay fand sie." "O Gott." Er beugte sich vor und rieb sich das Kinn. "Er war wie von Sinnen. Judith bedeutete ihm alles."
"Obwohl er sie erst so kurze Zeit kannte?" "Du mußt das verstehen, sie war sozusagen seine emotionale Rettungsleine. Seine Eltern waren nicht besonders herzlich und liebevoll." "Das habe ich auch schon erfahren. Wußtest du, daß sie ihm niemals einen Geburtstagskuchen geschenkt haben?" Er verzog angewidert das Gesicht. "Das überrascht mich nicht. Übrigens hat er nächsten Monat Geburtstag - am Valentinstag." "Stimmt. Wir sollten uns etwas ganz Besonderes für ihn ausdenken." "Gute Idee." Er deutete auf die Ordner auf ihrem Schoß. "Welche Bilder wirst du verwenden?" "Wie? Oh, ach so. Die Skifotos wahrscheinlich." Sie legte die anderen beiseite und preßte die betreffende Mappe an die Brust. "Was weißt du sonst noch über seine Kindheit?" "Daß seine Mutter zurück in die Schweiz ging, als er elf war. Drei Jahre später zog sein Vater nach Genf und ließ ihn allein in einem lächerlich großen Apartment. Er hatte uns und seinen Großvater, aber niemanden, der je näher an ihn herangekommen wäre. Bis Judith kam." Izzy nickte. "Sie hat ihn verändert", berichtete Harry weiter. "Zum Besseren. Er lernte, sich zu öffnen. Nach ihrem plötzlichen Tod verlor er diese Fähigkeit wieder." "Du meinst, er hat sich emotional abgekapselt?" "Das auch, im weitesten Sinne. Nein, ich meinte, er hat es verloren. Er wurde verrückt, drehte völlig durch. Ich habe noch nie jemanden so leiden sehen. Du hast sicher davon gehört, was er tat? Am Wolf Peak?" Izzy schüttelte den Kopf. "Man hatte die Selbstmordpiste gleich nach Judiths Tod gesperrt", erklärte Harry. "Sie war das achtzehnte Lawinenopfer in jenem Jahr in Colorado, und es wurde Druck ausgeübt, die
gefährlichsten Pisten für die Öffentlichkeit zu sperren. Also stellte man große orangefarbene Warnschilder auf." "Und Clay hat sich über die Sperre hinweggesetzt?" Harry nickte ernst. "Er brach das Tor auf und fuhr die Piste hinunter." "Weshalb?" "Weil Judith sie immer hatte bezwingen wollen. Es hatte ihr viel bedeutet. Deshalb beschloß er, sie für Judith zu bezwingen." "Die Strafe war ihm ega l?" wollte Izzy wissen. "Sein Leben war ihm egal. Er fuhr die Piste direkt nach einem Schneesturm, als die Lawinengefahr am größten war. Er wußte es, aber er tat es trotzdem." "Gab es eine Lawine?" "Nein, aber das war pures Glück. Die Piste ist berüchtigt für ihre Lawinen. Wenn du mich fragst, war es ein Wunder, daß er es überlebt hat;" "Bekam er Ärger?" "Ja, er mußte eine Strafe von tausend Dollar zahlen." Izzy fühlte sich benommen. "Aber heute ist er nicht mehr so verantwortungslos, oder?" "Es hat sich schon gebessert", beruhigte Harry sie. "Aber für meine Begriffe geht er noch immer zu viele Risiken ein." "Das finde ich auch." Harry musterte sie. "Du liebst ihn sehr, nicht wahr?" Izzy war erschrocken. "Ich ... natürlich bedeutet er mir etwas ..." "Ach komm schon, es steht dir förmlich ins Gesicht geschrieben." "Nein!" Harry legte sich lachend auf den Boden. "Du glaubst, du kannst es verbergen, wie? Clay glaubt auch, er sei cool, aber ich durchschaue ihn. Du bedeutest ihm mindestens soviel wie Judith, sogar noch mehr. Du hast ihn ebenfalls verändert. Er ist
bis über beide Ohren verliebt, und er kämpft mit aller Macht dagegen an." "Du interpretierst das falsch, Harry." Harry lachte spöttisch. "Ich irre mich nicht bei Menschen. Ich weiß, was ich weiß." Sie wollte widersprechen, doch er hielt sie zurück. "Du protestierst ein bißchen zu heftig. Es muß dich schlimmer erwischt haben, als ich dachte." Er hatte recht, aber es zuzugeben wäre töricht. Die einzige Möglichkeit, wie Izzy sich an diesem Punkt schützen konnte, war, einfach zu leugnen, was zwischen ihr und Clay vorging, bis die Sache beendet war. Denn sie würde enden. Früher oder später würde die Ehe ihren Zweck erfüllt haben, und sie könnten sich eine nette kleine Scheidung leisten. "Offenbar willst du mir nicht das letzte Wort lassen", sagte sie, verstaute den Ordner in ihrer Aktentasche und ging zur Tür. "Von mir aus denk, was du willst." Er grinste und winkte ab. "Das tue ich immer." "Das ist es!" verkündete Izzy und zeigte aus dem Fenster auf der Beifahr erseite. "Das ist das Haus." "Welches?" Clay verlangsamte die Fahrt bis auf Schrittempo und sah zu den Doppelhäusern. Bis zu diesem Nachmittag war er noch nie in South Ozone Park gewesen, und es schien, als unterschieden sich die Häuser immer weniger voneinander, je weiter sie in den alten Stadtteil Queens kamen. "Das rote", meinte Teddy, die auf dem Rücksitz saß. "Schau mal, sie haben für uns Platz auf der Auffahrt gelassen", sagte Izzy. Clay war froh, nicht in der engen Straße parken zu müssen, denn das wäre angesichts der vielen Autos schwierig geworden. Irgend jemand mußte hier eine Party geben; so viele Leute konnten unmöglich zum Sonntagsdinner bei den Fabrionis sein. Sofort kamen Jungen vom Kleinkind bis zum Teenageralter angerannt und umringten staunend den weißen BMW, als sei in
Queens gerade eine fliegende Untertasse gelandet. "Mann, guck dir das an!" "Wahnsinn! Joey! Paulie! Kommt mal her!" "Ist das Ihr Wagen, Mister?" "Das ist doch der Mann von Tante Izzy, du Dummkopf!" "Weiß ich doch. Tolles Auto, Mister." "Er heißt Clay, Kinder", sagte Izzy. Die Jungs begrüßten ihn flüchtig und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf den Wagen. "Es ist ein bißchen kühl hier draußen", meinte Clay, obwohl es ein milder Februartag war. Er öffnete die Fahrertür. "Wenn sich jemand von euch hineinsetzen möchte ..." In Sekundenschnelle war der Wagen mit Jungs vollgestopft. Irgendwie gelang es allen, sich hineinzuquetschen. Teddy klopfte mit der Faust auf die Windschutzscheibe. "Nicht rauchen da drin!" Clay beugte sich vor und wandte sich durch das halb geöffnete Seitenfenster an den am ältesten aussehenden Jungen. "Paß ein bißchen auf alles auf, ja?" Der Junge schwor einen heiligen Eid, Clays Wagen zu bewachen, und drohte seinen Freunden, sie hinauszuwerfen, falls sie sich nicht benähmen. "Mach dir um das Auto keine Sorgen", beruhigte Izzy ihn. "Gehen wir hinein." Clay ging zur Haustür, doch Izzy hielt ihn zurück und zog ihn zur Seite des Hauses. "Niemand benutzt diese Tür. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch funktioniert." Sie öffnete das Tor eines Maschendrahtzaunes und stieß die roten und weißen Luftballons zur Seite. Die Ballons machten Clay einen Moment stutzig, doch dann fiel ihm ein, daß heute Valentinstag war. Normalerweise schmückte man ja nichts zum Valentinstag, aber... Als er durch das Tor ging, entdeckte er, was auf den Ballons geschrieben stand: "Happy Birthday, Clay." Er blieb wie angewurzelt stehen und las es noch einmal. Izzy grinste.
Teddy schnaubte. "Du hattest tatsächlich keinen Verdacht geschöpft, oder? Du bist doch nicht so helle, wie du aussiehst." Jetzt hörte Clay auch die gedämpfte Musik aus dem Haus und die Stimmen und das Lachen vieler Menschen. All die geparkten Autos... jemand gab wirklich eine Party, aber für ihn! Izzy nahm seine behandschuhte Hand in ihre. "Komm, Clay." Doch er rührte sich nicht. "Na komm schon. Und versuch zu lächeln. Es ist schließlich keine Beerdigung, sondern eine Geburtstagsparty." Sie führte ihn in den winzigen Innenhof und zur Hintertür, vor der auf der Veranda Bier trinkende und Zigarren rauchende Männer saßen: Izzys Vater, ein Priester mittleren Alters, ein älterer Mahn, den Clay nicht kannte, und Harry. "Da kommt das Geburtstagskind!" verkündete Harry und stand auf. Die anderen erhoben sich ebenfalls und begrüßten Clay, klopften ihm auf den Rücken und gratulierten ihm zum Geburtstag. Jemand gab ihm eine Zigarre. "Et tu, Harry?" fragte Clay so gefaßt wie möglich. "Na ja, du weißt doch, ich kann einer Party nicht widerstehen." Izzys Vater begrüßte sie und Teddy und ma chte die Anwesenden miteinander bekannt. "Clay, du erinnerst dich von der Hochzeit sicher noch an Pater Frank." Der Priester schob sich die Zigarre zwischen die Zähne, stellte seine Bierflasche ab und schüttelte Clay die Hand. "Schön, Sie wiederzusehen, mein Sohn." "Pater." Al klopfte dem älteren Mann auf die Schulter. "Und dies ist der einzige aus der Gegend, der etwas aus sich gemacht hat. Rory O'Dwyer ... Dr. O'Dwyer." "Dr. O'Dwyer", sagte Clay und schüttelte auch ihm die Hand. "Nennen Sie mich Rory." Sein rotes Haar wurde allmählich weiß, und er richtete seine wachen blauen Augen auf Teddy. "Teodora."
Teddy verschränkte die Arme. "Rory." Die beiden hielten eine Spur zu lange Blickkontakt. Interessant, dachte Clay. "So." Al Fabrioni klatschte in die Hände und rieb sie, während er sich an Clay und Izzy wandte. "Pater Frank meinte gerade, ihr beiden solltet euch kirchlich trauen lassen in der ..." "Ich sagte, sie könnten sich kirchlich trauen lassen", korrigierte der Priester. "Wenn sie es möchten." Izzys Griff um Clays Hand wurde fester. Er wußte, wie sie darüber dachte - daß es zu weit ginge, dieser betrügerischen Ehe auch noch den kirchlichen Segen zukommen zu lassen. "Ich glaube nicht, Pater", meinte sie. "Das ist nicht unser Stil." "Stil?" wiederholte Al ungläubig. Seine Heftigkeit erstaunte Clay, der Al bisher für einen ruhigen, umgänglichen Menschen gehalten hatte. "Das ist doch keine Frage des persönlichen Geschmacks, Isabella. Wir sprechen hier von einem Sakrament dem Sakrament der Ehe." "Es ist nicht deine Sache, auf welche Weise sie heiraten wollen, Al", mischte sich Teddy ein. "Nicht meine Sache?" Als Gesicht wurde rot. "Es ist nicht meine Sache, wenn meine älteste Tochter sich weigert, die Ehe vor Gott zu schließen?" Izzy rieb sich die Stirn. Clay tätschelte ihre Hand und überlegte, was er seinem Schwiegervater sagen konnte, ohne die Situation zu verschlimmem. Teddy trat vor ihren Bruder, die Hände in die Hüften gestemmt, und sah ihm ins Gesicht. "Halt den Mund, Al." Rory O'Dwyer grinste. "Da hast du deinen Meister gefunden, Al." "Das hier ist eine Party", stellte Teddy klar. "Und du verdirbst sie." "Manche Dinge sind wichtiger als Partys", erwiderte Al und unterstrich seine Worte, in dem er mit seiner Zigarre in der Luft
herumstocherte. "Die beiden wollen sich ja nicht einmal über eine echte Hochzeit unterhalten. Sie wollen nicht einmal darüber nachdenken." Clay erkannte die Chance zur Schlichtung. "Das ist etwas, worüber man in der Zukunft nachdenken könnte." "In der Zukunft?" Al runzelte skeptisch die Stirn. "Ihr zwei werdet vielleicht eines Tages richtig in der Kirche heiraten?" In seiner Vorstellung, sah Clay Izzy in einem langen weißen Kleid, mit einem Schleier vor dem Gesicht, ihre wundervollen Haare gekrönt von einem Myrtenkranz, und eine seltsame Sehnsucht stieg in ihm auf. "Ja", antwortete er lejse. Izzy sah ihn an. Al nickte langsam. "Na schön. Dann lasse ich euch fürs erste in Ruhe." Er klopfte Clay auf den Rücken und führte das Paar die Treppenstufen hinauf ins Haus. "Kommt. Paola wird mir die Hölle heiß machen, wenn ich euch nicht hineinbringe." "Da kommen sie! Kill sie!" "Schieß sie ab! Benutz dein Pump-Gun!" Clay starrte auf die Günstlinge der Hölle, die auf dem TVBildschirm auf ihn zukamen, dann auf die Knöpfe an seinem Steuerboard. "Was ist mit der Kettensäge?" "Du hast keine Kettensäge", erklärte Paulie ungeduldig. "Schieß sie ab! Mach schon!" "Aber du hast eine Kettensäge", erwiderte Clay und versuchte sich zu erinnern, ob er Knopf A, B oder C drücken mußte, um die Gegner abzuschießen. "Schieß schon, Onkel Clay!" schrie Joey. "Kill sie!" Onkel Clay? Clay drückte auf einen Knopf. Eines der Ungeheuer geriet ins Wanken, kam aber weiter auf ihn zu. Die beiden Jungen stöhnten. "Das war der falsche Knopf, Onkel Clay. Du hast das Messer benutzt. Aber du brauchst das Pump..."
Gewehrschüsse ertönten, und ein gequälter Aufschrei hallte durchs Wohnzimmer. Dann wurde der Bildschirm rot. "Was ist passiert?" wollte Clay wissen. "Du bist erledigt." "Sie haben dich erschossen: Willst du es noch mal versuchen?" "Ich gebe auf." Clay erhob sich vom Teppich. "Für einen Abend habe ich genug Niederlagen hinnehmen müssen." Die Jungen zuckten die Schultern und fingen ein neues Spiel an. Clay ging ans Fenster und schob die Gardine zur Seite. Der milde Ta g war unerwartet winterlich geworden, und im Radio wurden bis zum nächsten Morgen zehn bis fünfzehn Zentimeter Schnee vorausgesagt. Es hatte schon zu schneien begonnen. Große, dicke Flocken fielen aus dem dunkler werdenden Himmel und bildeten rasch eine Schneeschicht. Die meisten Gäste waren gegangen. Eigentlich hätten sie auch längst nach Connecticut aufbrechen müssen - selbst bei gutem Wetter war es eine zweistündige Fahrt -, doch dann hatte ihn das Videospiel gefesselt, und Izzy schien es nicht sonderlich eilig zu haben. Sie saß in einer Ecke des Sofas und las der kleinen Lucy, die sich auf ihrem Schoß zusammengerollt hatte, und deren Augen allmählich zufielen, aus einem Buch vor. Auf der anderen Seite des Zimmers unterhielten Teddy und Harry sich über die Vorzüge und Schwächen verschiedener Country-Musiker. Die beiden waren ein merkwürdiges Gespann. Einige von Izzys Brüdern und Schwestern mit ihren Partnern und Kindern waren noch da. Aber die meisten Gäste hatten sich schon auf den Heimweg gemacht. Clays Blick fiel auf die vielen Geburtstagsgeschenke, die ihm nach dem Kuchen überreicht worden waren und nun überall herumstanden. Sein Blick fiel auf den Karton, der Izzys Geschenk enthielt, und seine Kehle war wie zugeschnürt. Der Karton enthielt Modelliermasse, eine Rolle Maschendraht, mehrere kleine Granitblöcke und verschiedene Farben, Tinten und Werkzeuge
Zubehör, um die mittelalterliche Landschaft, die er und Grandpa Tom im Keller gebaut hatten, zu restaurieren. Während des letzten Monats hatte Izzy ihm liebevoll in den Ohren gelegen, es zu reparieren. Da er keinerlei Anstalten dazu gemacht hatte, hatte sie offenbar beschlossen, die Sache voranzutreiben. Eigentlich haßte Clay es, zu etwas gedrängt zu werden. Dennoch fand er Izzys Hartnäckigkeit seltsam angenehm. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr und spähte durch das dunkler werdende Eßzimmer in die hellerleuchtete Küche. Izzys Eltern saßen einander am Tisch gegenüber, tranken Kaffee und unterhielten sich. Al nahm Paolas Hand und küßte sie' "Niemand in meiner Familie hat sich je scheiden lassen", hatte Izzy gesagt. Clay sah zu ihr hinüber. Das Kind war fast eingeschlafen. Etwas in Clay machte klick. Teile eines Puzzles fügten sich ineinander, wuchsen zu einer Art Entscheidung - keine bewußte Entscheidung, kein Ergebnis logischer Überlegungen. Es war mehr ein Entschluß seines Herzens, intuitiv, unfreiwillig und seiner Kontrolle absolut entzogen. Als Lucy schlief, klappte Izzy das Buch zu und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. Dann sah sie zu Clay und lächelte ihr amtemberaubendes, strahlendes Lächeln. Sie war unglaublich schön. Er erwiderte ihr Lächeln und fühlte sich ihr näher als je zuvor. Zwischen ihnen bestand eine tiefe Verbundenheit, die er um nichts auf der Welt hätte missen wollen. Eigentlich hätten jetzt sämtliche Alarmsignale in seinem Kopf aufleuchten müssen, doch er fühlte sich nicht bedroht. Die alte Angst vor dem Verlust der Selbstkontrolle war zwar da, doch es war anders als früher. Seine Angst war nicht mehr unüberwindlich, sondern bezwingbar. Es könnte funktionieren zwischen ihm und Izzy ... "Was ist so lustig?" wollte sie wissen.
"Lustig?" "Du grinst." Das stimmte, er grinste wie ein Idiot. "Das erzähle ich dir später," "Sieh dir das an." Al stand im Türrahmen und zeigte mit einer unangezündeten Zigarre zum Fenster. "Jetzt schneit es aber mächtig. Ich will ja wirklich kein Spielverderber sein, aber solltet ihr euch nicht bald auf den Weg machen?" "Verdammt." Teddy stand auf und kam ans Fenster. "Ich habe gar nicht gewußt, daß es so schlimm wird." Paola legte den Arm um die Taille ihres Mannes und wandte sich an Clay und Izzy. "Warum bleibt ihr nicht alle hier? Man kann das Sofa ausziehen." Clay sah zu Izzy, und sie zuckten beide gleichzeitig die Schultern. "Von uns aus gern", erwiderte er. "Und Teddy, falls du nichts dagegen hast, auf der Liege im Keller zu schlafen ..." "Ich fahre lieber zurück nach Brooklyn und schlafe in meinem eigenen Apartment", meinte Teddy. "Allerdings habe ich meinen Wagen nicht dabei." "Ich kann dich auf meinem Weg nach Westchester absetzen", bot Harry an. "Aber Brooklyn liegt nicht auf dem Weg nach Westchester", entgegnete Teddy. "Ich fahre eben gern Auto", erklärte Harry. "Außerdem habe ich nicht oft Gelegenheit, im Autoradio Country-Music zu hören, ohne daß mir die anderen Leute im Wagen an die Gurgel gehen." "Also abgemacht." Als Harry und Teddy in den Flur gingen, um ihre Mäntel zu holen, kamen zwei von Izzys Nichten lachend ins Zimmer gestürmt. "Du zuerst." "Nein, du."
Nach einigem Drängen ihrer Schwester überreichte eines der Mädchen Clay etwas, wobei sie die eine Hand vor den Mund hielt, in dem Zahnspangen funkelten. Das Geschenk war ein rotes Papierherz, verziert mit einem Spitzenrand und mit Pailletten geschmückt. Auf der Rückseite war mit rotem Wachsma lstift "Angie" gemalt. "Angie, das ist wunderschön", sagte Clay. "Wirklich?" "Wirklich. Ich bin gerührt. Danke sehr." Er beugte sich herunter und küßte sie auf die Wange. "Ich habe auch eins, Onkel Clay." Das selbstgebastelte Herz des zweiten Mädchens war pink und mit aus Zeitschriften ausgeschnittenen Fotos von Blumen verziert. "Das hast du ganz allein gemacht..." - er las den Namen auf der Rückseite - "Rosa?" Die Kleine nickte. "Ich bin beeindruckt. Es ist sehr hübsch." Rosa hielt ihm die Wange hin, und Clay gab ihr einen Kuß. Als er sich wieder aufrichtete, sah er Izzy lächeln. Ihr Blick erfüllte ihn mit Wärme. "Ihr holt mich morgen auf dem Rückweg ab, ja?" wandte sich Teddy an Clay, während Harry ihr in den Mantel half. "Natürlich", versprach Clay. "Wir rufen an, bevor wir losfahren." Teddy und Harry verabschiedeten sich und gingen durch die Küche zur Hintertür. Angie und Rosa nahmen Clays Hand und dirigierten ihn in dieselbe Richtung. "Wir basteln Herzen im Keller", erklärte Rosa. "Willst du sie sehen?" "Liebend gern." Clay ließ sich von den Mädchen zur Kellertreppe führen. Die Tür zum hinteren Flur war nur angelehnt, daher hörte er Teddy sagen: "Weiß der Vater des Babys eigentlich von Izzys Hochzeit?"
"Er ist von der Bildfläche verschwunden", antwortete Harry. "Soweit ich es beurteilen kann ..." Er verstummte abrupt. "Hab" schon verstanden", erwiderte Teddy kichernd. "Seit wann weißt du es?" fragte Harry. "Sicher? Seit etwa fünf Sekunden." Clay schüttelte den Kopf. Teddy entging auch nichts. "Komm, Onkel Clay." "Pscht." Clay befreite seine Hände. "Ich komme sofort nach", flüsterte er und scheuchte sie sanft die Treppe hinunter. Teddys Stimme war wieder zu hören: "Wir reden hier also über eine platonische Ehe?" "Soweit ich weiß, ja." Teddy lachte. "Dann teilen sie sich bloß das Bett, damit ich glaube, die Ehe sei echt?" "Genau. Wirst du ihnen verraten, daß du sie durchschaut hast?" "Ich glaube nicht", entschied Teddy amüsiert. "Jedenfalls noch nicht." "Eine kluge Entscheidung", bemerkte Harry. Clay hörte, wie die Außentür geöffnet wurde und fühlte einen Schwall kalter Luft hereinkommen, als die beiden gingen. "Sie werden noch eine Weile im gleichen Bett schlafen müssen", meinte Teddy. "Schließlich haben sie es so gewollt. Wie man sich bettet, so liegt man." Die Tür wurde quietschend geschlossen, und Clay hörte von draußen gedämpftes Gelächter.
9. KAPITEL "Ich habe das Bett für euch bezogen", verkündete Paola, als Clay in einem Bademantel von Al aus der Dusche kam. "Wo ist Izzy?" erkundigte er sich. "In meinem Zimmer. Sie zieht sich um." Sie deutete auf das Bett. "Ich hoffe, es ist bequem genug. Es ist nämlich schon alt und durchgelegen." "Es ist sicher bequem. Danke, Paola." Sobald seine Schwiegermutter gegangen war, zog Clay den Bademantel aus und glitt unter die Decke. Er hielt die Luft an, als die kalten Laken seine nackte Haut berührten. Er dachte an die Unterhaltung zwischen Teddy und Harry und lauschte den Vorbereitungen zur Nacht im Haus, bis Izzy kam. Sie ging geradewegs zur Nachttischlampe und knipste sie aus. Allerdings hatte Clay noch einen Blick auf das erhaschen können, was sie trug. "Wow." Er setzte sich auf, schaltete die Lampe wieder ein und starrte Izzy unverhohlen an. Plötzlich war ihm überhaupt nicht mehr kalt. "Ist das von deiner Mut ter?" Izzy sah auf ihren flaschengrünen Seidenkimono. Darunter lugte der tiefe Ausschnitt eines farblich passenden Nachthemds hervor. "Meine Mutter hat einen anderen Geschmack als ich, was Nachthemden angeht." "Das kann man wohl sagen." Sie löste den Gürtel. "Möchtest du das Licht ausmachen?"
"Nein." Sie hielt inne. Der Gürtel war aufgeknotet, der Kimono jedoch noch geschlossen. Sie ließ den Blick über Clays nackten Oberkörper gleiten, und ein heißer Schauer durchrieselte sie. "Na schön." Langsam schob sie den Kimono von den Schultern und drehte sich dabei um. Während Clay beobachtete, wie die glänzende Seide über ihre Arme hinunterglitt und Izzy den Kimono auf einen Stuhl warf, beschleunigte sich sein Herzschlag, und er starrte sie wie gebannt an. Das Nachthemd umschmeichelte fließend ihren Körper; der tiefe Rückenausschnitt offenbarte ihre glatte goldbraune Haut. Die sanften Rundungen ihrer Hüften und ihres wundervollen Pos zeichneten sich verlockend weich und weiblich unter dem enganliegenden Hemd ab. "Würdest du jetzt bitte das Licht ausmachen?" bat sie, ein wenig gereizt. Er lächelte. "Nein." Sie seufzte und warf das Haar in den Nacken, wobei sie ihm weiter den Rücken zuwandte. Diese unschuldige Geste wirkte so verführerisch, daß es Clay wie ein Stromstoß durchzuckte. Sie schlang die Arme um sich. "Es ist doch nur, weil ich ein bißchen unsicher bin." "Dazu hast du keinen Grund. Du siehst phantastisch aus." "Ich würde besser aussehen, wenn ich groß und schlank wäre. Kleider sehen am besten an Frauen aus, die wie Models gebaut sind." Er lachte über ihre törichte Bemerkung. "Kleider sehen am besten an Frauen aus, die wie Frauen gebaut sind. Besonders solche Nachthemden. Dreh dich um, und laß mich den Rest sehen." Sie zögerte, drehte sich dann jedoch um, die Arme vor der Brust haltend. "Was ist aus deiner Vorliebe für Flanell geworden?"
"Ich habe festgestellt, daß du mir in Seide noch besser gefällst." Der glatte Stoff spannte leicht über ihren Brüsten, deren Knospen sich deutlich abzeichneten. Clays Erregung wuchs, und er unterdrückte das primitive Verlangen, Izzy zu packen und aufs Bett zu werfen. Sie schlug die Bettdecke auf ihrer Seite zurück und stieg ins Bett. Clay schaltete die Lampe aus und machte es sich auf der klumpigen Matratze bequem. Er schloß die Augen und zwang sich, an bestimmte ökonomische Formeln zu denken, die er in Yale hatte auswendig lernen müssen ein verzweifelter Versuch, gegen seine Begierde anzukämpfen. Es funktionierte auch so einigermaßen. Sie hatten sich inzwischen daran gewöhnt, miteinander einzuschlafen. Zuerst hatte ihn ihre Gegenwart beunruhigt, doch mittlerweile mochte er es - das leise Geräusch ihres Atems, die Wärme ihres Körpers, ihre Nähe. Er wollte das nicht mehr missen. Er wollte Izzy in seinem Bett, heute mehr denn je. Doch nach der Unterhaltung zwischen Harry und Teddy ... Seufzend drehte er sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hände. "Izzy?" "Ja?" "Teddy hat uns durchschaut." Eine lange Pause entstand. "Woher weißt du das?" Er berichtete ihr von der Unterhaltung, die er belauscht hatte, und daß Teddy und Harry Stillschweigen vereinbart hatten, damit Clay und Izzy weiter in einem Bett schliefen. "Harry spielt noch immer den Kuppler", bemerkte Izzy. "Ja, nur daß er mich dieses Mal mit meiner eigenen Frau zu verkuppeln versucht. Und er bekommt Hilfe von Teddy." Er zögerte. Dann fügte er hinzu: "Eigentlich wollte ich es dir nicht erzählen." Er spürte, wie sie sich zu ihm herumdrehte, doch alles, was er in der Dunkelheit sehen konnte, waren ihre Umrisse.
"Weshalb?" "Weil ich gern mit dir in einem Bett schlafe." Wieder entstand eine lange Pause. "Das müssen wir jetzt nicht mehr." "Ich weiß." "Und wir sollten es auch nicht." Er rückte näher. "Izzy ..." "Wir müssen mit Teddy sprechen", meinte sie rasch. "Wir müssen ihr klarmachen, wie wichtig es ist, daß sie den Mund hält." "Izzy..." "Ich werde in dem anderen Gästezimmer schlafen." "Laß uns miteinander reden." Sie schwieg, doch Clay spürte ihre Anspannung und beschloß, das, was er zu sagen hatte, indirekt anzudeuten. "Ich habe mir wegen des Babys Gedanken gemacht. Wir haben uns nie richtig darüber unterhalten, wie es wird, wenn das Baby erst da ist." Er streckte die Hand in der Dunkelheit aus, bis seine Fingerspitzen ihre Wange berührten. "Wenn es dir nichts ausmacht ..." Er schüttelte den Kopf. Warum war das so schwer? "Wenn wir verheiratet bleiben, wird dein Kind ein Teil dieser Ehe sein. Dann sind wir eine richtige Familie. Es ist allein deine Sache, was du ihm später erzählst. Aber was immer du ihm auch sagst, du sollst wissen, daß ich dein Kind behandeln werde, als wäre es mein eigenes." Etwas Warmes tropfte auf seine Fingerspitzen. "Izzy?" sagte er leise und ließ die Hand über ihren Hals und ihre Schulter gleiten. "Komm her." Er nahm sie in den Arm, hielt sie fest und streichelte ihre Haare, während er ihr sanfte Worte zuflüsterte. "ich wollte dich nicht kränken", sagte er. "Ich bin nicht gekränkt", erwiderte sie. "Ich bin gerührt." Er nahm einen Deckenzipfel und trocknete ihre Tränen. Erst da bemerkte er, daß sie den Arm um ihn gelegt hatte und seine
Umarmung erwiderte. Er fühlte die Seide an seinem nackten Körper, und darunter sie, weich und warm. Er hielt sie automatisch fester, worauf sie sich enger an ihn schmiegte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Als er ihren nackten Rücken streichelte, löste sie die Umarmung und rückte von ihm fort. "Gute Nacht, Clay." Er stützte sich auf den Ellbogen, beugte sich über sie und küßte sie sacht auf die Stirn. Dies war ihr allabendliches Ritual vor dem Einschlafen. Doch diesmal zog er sich nicht auf seine Hälfte des Bettes zurück, sondern küßte sie auf die Schläfe. Zärtlich fuhr er ihr mit den Fingern durchs Haar, streifte ihre Wangen mit den Lippen. "Was tust du?" flüsterte sie unsicher. "Ich versuche, Mut zu sammeln, um dich auf den Mund zu küssen." "O Clay, das wäre nicht sehr klug." "Ich habe es satt, klug zu sein", murmelte er. "Clay..." "Pscht", hauchte er dicht an ihren Lippen und fühlte ihren Atem. Izzy lag still und teilnahmslos, allerdings auch, ohne sich zu wehren. "Clay, wir ..." "Pscht." Er küßte ihre Lider. "Wir haben eine Abmachung." "Ich habe genug von unserer Abmachung." Er küßte sie auf die Nasenspitze, dann auf den Mund. "Ich habe genug davon, dich küssen zu wollen und es nicht zu dürfen. Dich die ganze Zeit zu begehren, so daß ich an nichts anderes mehr denken kann, und doch nicht in der Lage zu sein, es dir zu gestehen. Aber jetzt weißt du es." "Clay..." "Und ich glaube, dir geht es ähnlich." Sie biß sich auf die Unterlippe. "Mehr als du ahnst. Aber ..."
Er brachte sie mit einem weiteren Kuß zum Schweigen. Diesmal, küßte er sie langsam und zärtlich, während sein Körper ihren halb bedeckte. Er schob ein Bein zwischen ihre Schenkel und umfaßte ihr Gesicht. Unter dem Stoff ihres Nachthemds spürte er ihre Brüste, die sich weich an seinen Oberkörper schmiegten, und ihre Hüften an seinen. Er preßte sich an sie, in der Sehnsucht, ein Teil von ihr zu sein. Er ließ eine Hand von ihrem Hals abwärts gleiten, bis zu ihrer Brust. Izzy seufzte und unterbrach den Kuß, indem sie schweratmend den Kopf zur Seite drehte. "Clay, das ist verrückt." "Absolut." Er streichelte ihre immer noch von Seide verhüllten Hüften. "Na und?" Sie lachte unsicher auf. Mit der anderen Hand streifte er ihr einen Träger ihres Nachthemds von der Schulter. Und dann umschloß er ihre nackte Brust, genoß die Wärme und spürte die harte Knospe an seiner Handfläche. Das war zuviel, er drohte die Beherrschung zu verlieren. Wild küßte er sie, und sein Verlangen war so stark, daß er sich nicht darum kümmerte, was Izzy zu geben bereit war. Es war ein ungestümer Kuß, Ausdruck überwältigender Sehnsucht. Nie zuvor hatte er mit solcher Verzweiflung geküßt. Die so lange unterdrückte Begierde überwältigte ihn, er konnte nicht aufhören, sich lustvoll an Izzy zu reiben. An seiner nackten Haut fühlte er die schmeichelnde, glatte Seide, an seinen Lippen ihren heißen, süßen Mund, seine Hände glitten durch die weichen Strähnen ihres Haars, und ihre Hüften drängten sich gegen seine. Inmitten des sinnlichen Taumels wurde ihm etwas Erstaunliches und Wunderbares bewußt: Izzy erwiderte seine Küsse.
Tu es nicht, dachte Izzy. Es ist verrückt. Dies war Clay Granger. Sie sollte nicht zulassen, daß das geschah. Aber sie tat es trotzdem. Er bewegte die Hüften in einem erotischen Rhythmus, dem sie sich instinktiv anpaßte. Clays Erregung war deutlich zu spüren. Seine zärtliche, geschickte Art, ihre Brüste zu liebkosen, elektrisierte sie und verursachte ein Prickeln auf ihrer Haut. Wie konnte sie etwas, das so schön war, nicht wollen? "Wenn wir verheiratet bleiben, wird dein Kind ein Teil der Ehe sein", hatte er gesagt. "Wir werden eine richtige Familie sein." Sie bedeutete ihm etwas. Oder? Vielleicht war da sogar mehr ... "Ich verliebe mich zwei- oder dreimal die Woche. Gewöhnlich hält es etwa eine halbe Stunde an." Auch das waren seine Worte gewesen. Ja, sie bedeutete ihm etwas, und allem Anschein nach viel - im Moment. Aber er wußte nicht das geringste von einer festen Bindung. "Judith hat ihn verändert", hatte Harry ihr erklärt. "Und du änderst ihn ebenfalls." Clay liebkoste mit den Fingerspitzen ihre hochsensiblen Brustspitzen, was Izzy vor Lust erschauern ließ. Benommen vor Verlangen bog sie sich ihm entgegen. Ihre Hände glitten über seinen Rücken, preßten ihn fester an sich. Clay brauchte keine weitere Aufforderung. Er packte den Saum ihres Nachthemdes und zog es hoch. Seine Gefühle schienen echt zu sein. Er benahm sich, als wäre sie der Mittelpunkt seines Lebens. Aber das hatte Prez auch getan. Genau wie die anderen. Sie schüttelte den Kopf und unterbrach den Kuß. "Ich ... ich kann nicht, Clay." Er hatte das Nachthemd bereits halb über ihre Schenkel geschoben. Jetzt hielt er inne. "Niemand wird uns hören. Wir werden ganz leise sein."
"Nein, das ist es nicht." "Hat Cooper dir noch immer nicht sein Okay gegeben? Macht nichts." Er ließ die Hand unter ihr Nachthemd gleiten, ihren Schenkel hinauf. "Wir können statt dessen ..." "Clay." "Ich könnte dich liebkosen." Er schob die Hand an der Innenseite ihres Oberschenkels entlang. "Laß mich dich berühren. Wenigstens das." "Nein,.du verstehst nicht. Dr. Cooper hat keine Bedenken mehr." "Daß wir miteinander schlafen?" Sie nickte. Seine Hand hielt wenige Zentimeter von ihrer empfindsamsten Stelle entfernt inne. Nur eine Berührung, und sie würde sofort nachgeben. "Dann laß uns miteinander schlafen, Izzy." "Ich halte das für keine gute Idee." "Ich.werde ganz behutsam sein, das schwöre ich", flüsterte er, sanft ihren Bauch streichelnd. Izzys Kehle zog sich zusammen, und zum zweitenmal an diesem Abend stiegen ihr heiße Tränen in die Augen. "Nein", sagte sie und setzte sich auf. In der Dunkelheit sah sie, wie er sich auf den Rücken drehte und den Arm auf die Stirn legte. Er hatte den wundervollsten Körper, den sie je gesehen hatte. "Es tut mir leid", flüsterte er. "Es ist meine Schuld. Ich weiß, daß du noch nicht bereit bist. Aber ich will dich so sehr." "Es ist doch nichts passiert. Nichts hat sich zwischen uns geändert." "Glaubst du das wirklich?" fragte er leise und sah zu ihr. Sie wich seinem Blick aus. "Nein. Die Dinge haben sich gewaltig geändert." "Izzy ..." Er wollte sie in den Arm nehmen. Sie stemmte sich gegen seine Brust und sah ihm ins Gesicht. "Wenn wir vernünftig sind, können wir wieder dahin zurück, wo wir vorher waren. Wir können einfach wieder Freunde sein." "Vernünftig?"
"Wenn wir nicht..." "... miteinander schlafen?" Sie nickte. Er zögerte einen Moment und wirkte unerklärlich traurig. "Früher dachte ich auch immer, es wäre gut, vernünftig zu sein." Er ließ sie los, setzte sich auf die Bettkante und zog sich den Bademantel ihres Vaters über. "Wohin gehst du?" erkundigte sie sich. "Nach oben. Ich muß duschen." "Aber du hast doch schon geduscht." Er seufzte schwer und ging zur Treppe. "Dann dusche ich eben noch mal."
10. KAPITEL "Ich sehe dich dann pünktlich in Myrtle Beach." Clay klappte das Handy zu, als er in die Auffahrt bog, und warf es in seine Aktentasche, die offen auf dem Beifahrersitz lag. Izzy wird das nicht gefallen, dachte er. Er hielt durch das helle Wohnzimmerfenster, wo sie ihren Zeichentisch und den Computer aufgebaut hatten, nach ihr Ausschau, aber sie war nicht dort. Sie mußte ihre Arbeit für heute beendet haben, was gut war. Sie sollte sich nicht zu viel abverlangen. Clay fuhr den BMW zur Garage hinter dem Haus, in der bereits Harrys Jeep stand. Er hatte schon damit gerechnet, daß Harry früher Feierabend gemacht hatte, weil er Izzy dabei helfen wollte, Fotos in ein besonders raffiniertes Layout zu montieren. Clay parkte den Wagen so, daß er Harry nicht den Weg versperrte, stellte den Motor aus, löste den Sicherheitsgurt und beobachtete die langsam herabfallenden Schneeflocken, die auf der Windschutzscheibe landeten und dort schmolzen. Er hoffte, daß dies der letzte Schnee des Winters war. Er hatte den Winter, die kalten Tage und langen Nächte satt. Die Nächte waren besonders lang, seit Izzy nicht mehr mit ihm im gleichen Bett schlief. Nachdem sie von seiner Geburtstagsparty vor zwei Wochen nach Hause gekommen waren, war sie mitsamt ihren Sachen in das blaue Gästezimmer umgezogen. Er hatte versucht, sie davon abzubringen und hatte
sogar geschworen, sie nicht mehr anzurühren. Doch sie hielt zu Recht dagegen, daß sie Teddy ohnehin nichts mehr vormachen konnten und es daher keinen Grund gab, weiter das Bett mit ihm zu teilen. Außer dem, daß es ihm gefiel. Sehr sogar. Die Windschutzscheibe beschlug allmählich von innen. Clay zog sich den rechten Handschuh aus und malte ein Augenpaar auf die Scheibe, während er darüber nachdachte, weshalb er so gern das Bett mit Izzy teilte. Mit jemandem einzuschlafen war etwas so Intimes, das er nur einmal kennengelernt hatte. Das war auch der Grund, weswegen er sich stets dagegen gesträubt hatte, mit einer seiner Affären die ganze Nacht zu verbringen. Mit jemandem das Bett zu teilen, neben ihm zu schlafen, war ein Akt des Vertrauens und ein Zeichen der Zuneigung und der Vertrautheit auf einer bestimmten Ebene. Sex dagegen war einfach nur Erholung. Zwei Menschen, die sich in einem Akt simulierter Intimität vergnügten. Clay malte zwei Augenbrauen über die Augen und begann anschließend, die elegante, unverwechselbare Fabrioni-Nase zu zeichnen. Mit Izzy wäre die Intimität nicht nur vorgetäuscht. Mit ihr zu schlafen würde wirklich etwas bedeuten. Er wollte, daß sie ihn so begehrte, wie er sie, daß sie ihn wollte, wie er sie wollte: nicht nur in seinem Bett, sondern in seinem Leben. Doch das tat sie nicht. Clay zog sich den Handschuh wieder an, klappte seine Aktentasche zu und trat hinaus in die kalte Abendluft. Eine dünne Schicht alten, ve reisten Schnees knirschte unter seinen Schuhen, als er durch den Garten zur Hintertür ging. Die letzten Wochen hatte er damit verbracht, Izzy umzustimmen; eine heikle Angelegenheit angesichts ihrer Weigerung, ihre Wachsamkeit ihm gegenüber abzulegen. Ihre Angst war verständlich; die Wunden, die dieser Mistkerl Prez
ihr beigebracht hatte, waren noch nicht verheilt. Und vor Prez hatte es andere Mistkerle .gegeben. Izzy hatte nicht viel Glück mit Männern gehabt. Er hatte beschlossen, sie nicht zu drängen, wie es im Haus ihrer Eltern geschehen war. Er würde sie behutsam umwerben und ihr beweisen, daß er nicht wie Prez oder die anderen war. Er war nicht einmal mehr, der alte Clay. Sie schuf ihn neu, und er begrüßte diese Verwandlung. Clay stampfte sich auf der hinteren Veranda den Schnee von den Füßen und lächelte über die gedämpfte Country-Music, die aus dem Haus drang. Er öffnete die Tür, und die Wärme und inzwischen vertraute Dinnergerüche nach Knoblauch, Tomaten, Oregano Und Basilikum schlugen ihm entgegen. Nachdem er den Mantel ausgezogen hatte, begrüßten ihn Harry und Teddy in der Küche mit einem Glas Rotwein. Die beiden waren bereits bei der zweiten Flasche Wein angelangt und sangen einen Song von Reba mit, während sie die Sauce umrührten und Nudeln kochten. "Wo ist Izzy?" fragte Clay, stellte die Aktentasche auf einen Stuhl und lockerte seine Krawatte. "Sie ist oben und ruht sich aus." Teddy tauchte einen Löffel in die Sauce, probierte und machte ein kritisches Gesicht. Harry goß etwas Olivenöl in eine Schale mit Salat und begann ihn durchzumischen. "Sie klagte über Rückenschmerzen." Er grinste verschmitzt. "Sie könnte bestimmt eine kleine Massage gebrauchen." "Nein, eine lange, ausgiebige." Teddy goß Wein in die Sauce. "Mit Öl." "Mit warmem Öl." Harry zwinkerte und goß etwas Essig über den Salat. "Werd wieder nüchtern, Harry." Clay nippte an seinem Wein. "Wir fliegen heute nacht um siebzehn nach elf von La Guardia ab."
Harry schob sich seufzend ein Salatblatt in den Mund und wischte sich die Hände an dem Hand tuch ab, das er sich umgebunden hatte. "Und wohin, wenn ich fragen darf?" "Nach Kitty Hawk, South Carolina," "Kitty Hawk? Zu dieser Luftshow? Ich dachte, die wäre abgesagt worden." "Nun findet sie doch statt. Und zwar morgen früh." Harry verzog das Gesicht. "Her damit." Er nahm Teddy die Weinflasche weg und trank einen Schluck daraus. "Wenn ich schon wieder zu einer deiner selbstmörderischen Ausflüge mitgeschleppt werde, betrinke ich mich lieber vorher und bleibe betrunken." Clay stellte sein Glas geräuschvoll auf dem Küchentresen ab. "Selbstmörderische Ausflüge?" "Ja, und dieser ist nicht einmal wichtig", erwiderte Harry und hob die Flasche erneut an den Mund. "Sie sind alle wichtig." Clay wünschte, sie wären es nicht. Allmählich hatte er diesen draufgängerischen Blödsinn reichlich über. "Wir brauchen die Publicity." "Es wird ohnehin nicht viel Presse dort sein." "Du wirst dort sein." "Ein betrunkener und mürrischer Fotograf zählt wohl kaum." "Hat jemand etwas dagegen, wenn ich das Thema wechsle?" Teddy holte etwas unter dem Tresen hervor und reichte es Clay. "Es hatte einen ... äh ... kleinen Unfall." Es war das gerahmte Foto von Judith und ihm, auf dem sie im Schnee herumtobten, an dem Wochenende ihrer Hochzeit. Das Glas war in einer Ecke zerbrochen. "Was ist passiert?" "Ich habe Staub gewischt, und dabei ist es vom Kaminsims gefallen." Teddy trank einen Schluck Wein und beobachtete ihn. "Du wischst hier nicht Staub." Clay wußte, daß Teddy kochte, weil es ihr Spaß machte, aber die Hausarbeit überließ sie der Haushälterin.
"Was soll ich sagen? Irgend etwas ist heute morgen über mich gekommen." Sie deutete mit dem Weinglas auf das Foto. "Du solltest es sicherer aufbewahren. Ein Kaminsims ist zu gefährlich." Harry zog sich den Schirm seiner Mütze tiefer in die Stirn, ein sicheres Zeichen dafür, daß er seine Miene verbergen wollte. "Du hast doch bestimmt irgendwo eine nette Schreibtischschublade", meinte Teddy. "Oder eine Schachtel, in def du Erinnerungsstücke aufbewahrst?" Clay starrte sie an. "Wenn ja", fuhr sie fort, "solltest du es besser dort aufbewahren." Clay betrachtete das Foto und strich mit dem Daumen über den Riß im Glas, der die beiden Menschen auf dem Bild teilte. Ein Bild aus einer anderen Zeit. "Das ist eine gute Idee." Clay schob das Bild in die Innentasche seines Jacketts. Die Spannung im Raum wich spürbar. Harry machte sich wieder daran, den Salat durchzumischen und setzte seinen halbbetrunkenen Gesang fort. Teddy bekreuzigte sich verstohlen und rührte die Sauce weiter um. Izzy lag auf dem Rücken im Bett in ihrem dunklen Schlafzimmer, als jemand an die Tür klopfte. "Teddy?" "Ich bin es, Clay." Ihre Stimmung stieg, und der Schmerz in ihrem Rücken hörte fast auf. Dummkopf, schalt sie sich. "Komm rein." Vom Flur her fiel Licht herein, als Clay die Tür öffnete, an ihr Bett kam und sich daneben hockte. "Hallo, Kaffeebohne." Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "Ist alles in Ordnung mit dir? Du hast doch nicht zu lange am Zeichentisch gesessen, oder?"
"Heute nur eine Stunde, mit Harry. Außerdem habe ich ungefähr zwanzig Minuten damit verbracht, das Haus des Hufschmieds auszubessern." Clay hatte sich einverstanden erklärt, die mittelalterliche Landschaft zu restaurieren, wenn Izzy sich darum kümmern würde, die Stücke neu anzumalen, die es nötig hatten. Sie hatte sofort eingewilligt, und seitdem hatten sie fast allabendlich gemeinsam daran gearbeitet. Sie genoß diese Zeit mit ihm wahrscheinlich mehr, als gut für sie war. Er stand auf und nahm etwas aus der Innentasche seines Jacketts. Sie konnte nicht erkennen, was es war, da sie durch das vom Flur hereinfallende Licht lediglich seine Silhouette sah. "Dir fehlt also nichts?" Clay hob den Deckel der alten, mit Schnitzereien verzierten Truhe am Fußende des Bettes an, verstaute den Gegenstand darin und schloß ihn wieder. "Nein, mir fehlt nichts." Clay grinste. "Lügnerin." Er kam um das Bett und rollte sie sanft auf den Bauch. Dann zog er sein Jackett aus, warf es auf das Fußende des Bettes, setzte sich neben Izzy und legte ihr die Hand auf den Rücken. Sie seufzte zufrieden. Clay begann, sie behutsam zu massieren. Sie schloß die Augen; hörte, wie er die Schuhe abstreifte und sich neben sie legte, ohne mit der Massage aufzuhören. Izzy liebte es, wenn Clay ihr so nah war. Sie wünschte, es wäre anders, aber sie fand seine Wärme, seine Berührung, seinen Duft einfach wundervoll. Es war ihr schwergefallen, in das blaue Zimmer zu ziehen, besonders nachdem er ihr deutlich zu verstehen gegeben hatte, daß er sie in seinem Bett wollte. Doch einer von ihnen mußte vernünft ig bleiben. Clay hob den Saum ihres T-Shirts, und dann spürte sie seine Hand auf ihrem nackten Rücken, knapp über ihrer Jogginghose. Er massierte sie an genau den richtigen, schmerzenden Stellen und mit dem richtigen Druck. Geschickt hakte er ihren BH auf,
um ihren ganzen Rücken massieren zu können. Er hörte nicht auf, bis der Schmerz verschwunden war. "Besser?" erkundigte er sich und strich federleicht mit den Fingerspitzen über ihre Haut. "Hm." Was konnte er noch alles tun mit diesen geschickten Händen? Izzy wurde es ganz heiß bei dieser Vorstellung. "Deine Haut ist so weich", murmelte er und fuhr mit den Fingerspitzen an ihrer Seite hinauf, bis sie die Rundung ihrer Brüste erreichten. "Besonders dort." Sein Gesicht war nah an ihrem. "Hast du eigentlich eine Ahnung, wie verrückt ich nach dir bin?" Ja, das bist du jetzt, dachte sie. Doch er wirkte so aufrichtig, beinahe verzweifelt. Sie schloß die Augen, um sein Gesicht nicht mehr zu sehen. "Ich habe mich in den letzten Wochen so sehr bemüht, mich zusammenzunehmen, immer das Richtige zu sagen und zu tun", erklärte er. "Aber es ist so schwer. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart es ist, dauernd auf Distanz zu dir zu bleiben, wenn ich dir am liebsten die Kleider ausziehen und ..." "Clay, bitte." Sie befreit e sich aus seiner Umarmung, setzte sich auf und fuhr sich mit zitternder Hand durch die Haare. "Wir sollten wie zwei vernünftige Erwachsene darüber reden." Ein Funkeln trat in seine Augen, halb mutwillig, halb amüsiert. "Nein, wir sollten etwas anderes tun." "Wir haben eine Abmachung", sagte sie und machte ihren BH wieder zu. Ihre Finger zitterten, und sie wagte nicht, Clay anzusehen. "Ich habe dir schon erklärt, daß ich unsere Abmachung satt habe. Die Dinge liegen inzwischen anders." "Du bist noch immer derselbe", konterte sie. "Was soll das heißen?"
"Ach, überleg mal. Du hast die letzten zehn Jahr damit verbracht, dich in sämtlichen Betten zu tummeln. Das würde jeder Frau zu denken geben." "Wenn du dir aus gesundheitlichen Gründen Sorgen machst, kann ich dich beruhigen. Ich hatte nie ungeschützt Sex. Außerdem habe ich mich mehrmals einem Test unterzogen, und die Ergebnisse waren immer negativ." "Das ist es nicht", erwiderte sie. "Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, daß du kein Risiko eingehen würdest. Ich meinte eher, daß du ein eingefleischter Schürzenjäger bist. Du wirst dich nie ändern." "Hast du überhaupt eine Ahnung, wie beleidigend das ist?" Izzy starrte ihn an. Er sah tatsächlich gekränkt aus. "Ich kann mich ändern, wie jeder andere auch", sagte er. "Habe ich mich nicht schon geändert? Seit unserer Hochzeit hatte ich nichts mit einer anderen Frau." "Das habe ich nie von dir verlangt. Wahrscheinlich findest du es reichlich frustrierend. Vielleicht wäre es besser, wenn du ..." "Verdammt!" Er packte sie an den Schultern. "Ich will das nicht hören, verstehst du das nicht? Ich will keine Abenteuer für eine Nacht. Ich will dich." Er zog sie zu sich heran, bis seine Lippen nur noch wenige Millimeter von ihren entfernt waren. "Nur dich." Und dann küßte er sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Verstand raubte. Als er den Kuß beendete, lag sie benommen und mit pochendem Herzen in seinen Armen. "Für mich gibt es nur dich", flüsterte er ihr ins Ohr. "Nur dich." Sie ließ den Kopf gegen seine Brust sinken. "Das sagst du jetzt." "Das werde ich auch morgen noch sagen", erwiderte er leise. "Und übermorgen und überübermorgen." "Aber wenn es nicht funktioniert? Was, wenn du dich doch nicht ändern kannst?"
"Ich kann." "Aber falls nicht?" Sie sah zu ihm auf. "Unsere Freundschaft ist so etwas Wertvolles. Sie bedeutet mir soviel." Er streichelte ihre Haare "Mir auch." "Ich will dich als Freund nicht verlieren und zerstören, was zwischen uns ist." "Was zwischen uns ist, wird nur noch besser werden", entgegnete er ernst. Er glaubt wirklich daran, dachte Izzy. Und er ist kurz davor, mich auch davon zu überzeugen. Er nutzte ihr Zögern aus und hob ihr Kinn. "Laß mich dir zeigen, wieviel besser es sein,kann." Erneut küßte er sie tief und verlangend, und diesmal konnte sie nicht anders und erwiderte den Kuß. Seine Hand glitt hinunter zu ihrer Brust und streichelte sie. Genau in diesem Moment rief Harry von unten: "Das Essen ist fertig!" Izzy löste sich von Clay. Er zog sie wieder an sich. "Hör mir zu, Izzy. Ich muß heute nacht noch weg, wegen des Magazins." Sie stöhnte. "Was ist es diesmal? Barfuß durch den Grand Canyon hüpfen?" Er tippte ihr auf die Nasenspitze. "Eine Luftshow in Kitty Hawk. Drachenfliegen, freier Fall..." "Freier Fall?" "Ja, dabei springt man mit dem Fallschirm, zieht aber erst in allerletzter Minute die Reißleine." "Hätte ich bloß nicht gefragt." Sie schüttelte den Kopf. "Du bist unverbesserlich. Du kannst diese idiotischen Stunts nicht lassen." "Wettkämpfe." "Dann eben idiotische Wettkämpfe."
Er verdrehte die Augen, doch dann wurde seine Miene ernst. "Bei dieser Gelegenheit sollte ich dir auch besser vom Wolf Peak erzählen." "Wolf Peak? Das kommt mir bekannt vor." Etwas Grimmiges flackerte in seinen Augen auf. "Dort ist Judith ..." "Ja, richtig." Er zog die Brauen zusammen. "Hat Harry dir davon erzählt?" Sie nickte. Einen Moment lang sah er nachdenklich aus. "Mari hat beschlossen, die Piste wieder zu öffnen." "Die Selbstmordpiste?" "Genau." "Weshalb, um Himmels willen?" "Auf Druck der Skifahrer. Die Lawinenhäufigkeit ist in den letzten zehn Jahren gesunken." "Das liegt wohl nicht daran, daß dort niemand mehr Ski fährt, wie?" bemerkte Izzy sarkastisch. Clay grinste, denn sie hatte natürlich recht. "Ein weiterer Grund für die erneute Freigabe der Piste sind die Einnahmen für die Bewohner in der Gegend um Wolf Peak. Die Piste wird ein gewaltiger Anziehungspunkt werden, sobald sich herumgesprochen hat, daß sie wieder freigegeben ist. Die Leute sind jetzt schon ganz wild darauf. Ein Top-Trickskifahrer namens Olof Borg wird die Piste Mitte März befahren. Das wird einer der größten Wettkämpfe des Jahres. ABC und ESPN werden dort sein, und sämtliche Zeitschriften werden Reporter schicken." "Und ,The Edge'?" "Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen dorthin, wo etwas los ist, wenn wir nicht von Mercer-Hest geschluckt werden wollen." "Macht es dir nichts aus, daß Judith auf dieser Piste ..."
"Dumme Frage", unterbrach er sie. "Aber Business ist Business. Ich wollte dir nur mitteilen, daß es bevorsteht." "Willst du auch am Wolf Peak Ski fahren?" Er zögerte. Dann sagte er: "Nein, das ist Olofs Show. Es wäre nicht fair, ihm die Schau zu stehlen." "Das ist wenigstens ein kleiner Trost. Trotzdem gefällt es mir nicht, und damit meine ich alle derartigen Veranstaltungen. Manchmal wünschte ich, du hättest das Magazin nie gegründet. Es gefällt dir, extrem zu leben. Der gefährliche Sport, die Frauen, es ist alles dasselbe. Es ist ein Teil von dir, es liegt dir im Blut. Du willst dich vielleicht ändern, aber ..." "Das werde ich auch. Ich werde es dir beweisen." "Das verlange ich nicht." "Ich mache es trotzdem." "Dann fliegst du also nicht nach Kitty Hawk?" Er schwieg einen Moment. "He, ihr!" rief Harry erneut von unten. "Muß ich erst raufkommen und euch holen?" "Izzy", sagte Clay, "der Trip ist längst geplant." "Na schön." "Ich habe den Leuten versprochen, daß ich dasein werde." "Ich habe verstanden." Sie stand auf. "Komm. Das Essen wird kalt." Er folgte ihr und stellte sich vor sie. "Ich weiß, du hast schlechte Erfahrungen gemacht, mit Prez und solchen Idioten. Ich weiß, du denkst, ich sei wie sie, aber das stimmt nicht. Und ich möchte eine Chance bekommen, es dir zu beweisen. Ich möchte, daß du deine Abwehrhaltung aufgibst, um zu sehen, ob wir einander nicht mehr als nur Freunde sein können." "Clay, wenn ich das tue, wird sich alles ändern, noch mehr als jetzt. Es wird nie wieder wie früher zwischen uns sein." Clay grinste. "Das ist ja gerade der Punkt." Er küßte sie rasch und nahm ihre Hand. "Komm, wir gehen nach unten, sonst holt Harry uns tatsächlich."
"Geh schon vor", bat sie. "Ich komme sofort nach." Sobald er fort war, schloß sie die Tür, schaltete das Licht an und kniete vor der Truhe am Fußende des Bettes. Auf einer verwitterten Messingplatte an der Vorderseite standen die Initialen T.G. - Thomas Granger. Sie hob den schweren Deckel. In der Kiste befanden sich Bündel von alten Briefen und Postkarten, ein Vergrößerungslas, ein echtes Bowiemesser, verschiedene Vogelfedern, Tierknochen, Fotoalben und, zwischen zwei Büchern, der gerahmte Schnappschuß von Clay und Judith im Schnee. Das Glas über dem Bild war in einer Ecke gesprungen. Nachdenklich strich Izzy mit dem Finger darüber. Er läßt Judith hinter sich, dachte sie. Er machte Platz für sie, Izzy. "Izzy!" rief ein mehrstimmiger Chor von unten. "Wir haben Hunger!"' .Sie schob die Fotografie wieder zwischen die Bücher, schloß den Deckel der Truhe und rannte die Treppe hinunter. "Ich komme!"
11. KAPITEL Izzy erwachte von ihrem eigenen Schrei, als ein weiterer Krampf einsetzte. "Clay!" Sie tastete nach ihm auf der anderen Seite des Bettes. Doch sie war leer. "Clay!" Sie setzte sich auf und knipste das Licht an. Die Tür flog auf, und Teddy kam mit fliegendem Bademantel hereingestürzt. "Was ist los? Es ist vier Uhr morgens!" "Wo ist Clay?" Izzy schleuderte die Decken zur Seite und stand auf - zumindest versuchte sie es. Sie krümmte sich und hielt sich den Bauch. "Er ist in South Carollna, in Kitty Hawk. Weißt du nicht mehr? Izzy, was ist denn los?" Teddy hielt inne und starrte auf das Bett. Izzy drehte sich um und sah das Blut, als Teddy ihren Arm nahm und sie drängte, sich zu setzen. "Ganz ruhig, es ist alles gut. Alles wird wieder gut, Izzy." "Nein, wird es nicht." Izzy saß auf der Bettkante und schloß die Augen, als ein erneuter Krampf sie packte. "Nein, wird es nicht." "Sie liegt hier, Mr. Granger", sagte die Krankenschwester und deutete auf eine von mehreren Nischen mit Vorhängen. Als Clay darauf zuging, spürte er die Blicke aller anwesenden Krankenschwestern auf sich ruhen. Vermutlich kam es nicht
jeden Tag vor, daß ein Mann in voller Fallschirmspringermontur in dieser kleinen Notfallpraxis auftauchte. Zögernd schob er den Vorhang beiseite. Das Bett war leer, und zuerst dachte er, die falsche Nische erwischt zu haben. Doch dann entdeckte er Teddy, die auf einem Stuhl in der Ecke eine Zeitschrift las. Sie sah auf und legte den Zeigefinger auf die Lippen, als er sie begrüßen wollte, und deutete auf etwas außerhalb seines Blickwinkels. Er teilte den Vorhang weiter und sah Izzy, die von Kissen gestützt auf einem Plastikstuhl saß und offensichtlich schlief. Bei ihrem Anblick zog sich sein Herz zusammen. Sie war leichenblaß und war an einen Tropf angeschlossen.. "Man hat eine Ausschabung vornehmen müssen", flüsterte Teddy, die aufstand und sich streckte. "Sie wird in etwa einer Stunde nach Hause können." Clay nickte. "Gönn dir einen Kaffee, du siehst geschafft aus." "Danke, das werde ich." Sie wollte schon gehen, doch dann schien ihr noch etwas einzufallen. "Wie bist du so schnell aus Kitty Hawk hierher gekommen?" "Ich habe einem der Piloten tausend Dollar gegeben, damit er mich nach Danbury fliegt." Jetzt erst bemerkte sie seine Montur. Sie grinste und gab ihm zu seinem Erstaunen einen Kuß auf die Wange. Nachdem sie gegangen war, setzte Clay sich im Schneidersitz vor Izzy auf den kalten Linoleumfußboden und lehnte den Kopf an die Stuhllehne. Er wünschte, das alles wäre nicht passiert. Nach einigen Minuten fühlte er, wie Izzys Finger durch seine Haare strichen. Er hob den Köpf, und sie betrachtete ihn aus geschwollenen, rotgeränderten Augen. Sie mußte heftig geweint haben, bevor sie eingeschlafen war. "Ich habe ..." begann sie, doch ihre Stimme versagte. "Ich weiß." Er legte den Kopf in ihren Schoß und schlang die Arme um sie. "Ich weiß, Liebling, und es tut mir so leid." "Mein Baby..."
"Oh, Izzy, ich wollte dieses Baby auch. Ich weiß, wie weh es dir tut, und ich kann nichts sagen, was es für dich leichter macht. Ich komme mir so hilflos vor." "Sag mir wenigstens nicht, ich könnte ja wieder schwanger werden, als wäre damit alles in Ordnung." "So etwas Dummes würde ich nicht sagen." "Eine der Schwestern hat es gesagt. Sie redete ständig davon, ich könnte es noch einmal versuchen, als bedeutete es überhaupt nichts, daß ich mein Baby verloren habe." "Liebling, es tut mir so leid, daß ich nicht bei dir war und du das allein durchmachen mußtest." "Teddy war bei mir", erwiderte sie mit rauher, bebender Stimme. "Aber ich hätte bei dir sein müssen. Schließlich bin ich dein Mann." Plötzlich verstummte sie, und er begriff mit schrecklicher Gewißheit, was sie dachte - daß der Grund für ihre vorgetäuschte Ehe nicht mehr existierte. Izzy war nicht mehr schwanger; sie hatte eine Fehlgeburt gehabt. Eine vage Panik stieg in ihm auf, da sie nun höchstwahrscheinlich die Ehe, die ihren Zweck erfüllt hatte, auflösen würde. "Ich bin dein Mann", wiederholte er, "und ich hätte bei dir sein sollen. Ich werde mit diesen Sachen aufhören", versprach er, während die Panik in ihm angesichts der traurigen Entschlossenheit in ihrem Blick stärker wurde. "Mir wird schon etwas anderes einfallen, um die Verkaufszahlen zu erhöhen." Izzy wirkte nachdenklich. Er hob eine Hand und streichelte sanft ihre Wange. "Bleib bei mir, Izzy." "Du weißt nicht, was du sagst." "Ich möchte, daß wir zusammenbleiben. Laß uns wenigstens versuchen, eine richtige Ehe zu führen." "Und wenn wir es nicht können?"
"Wir können." Er nahm ihre Hände in seine - sie waren so kalt. "Ich weiß es." "Aber wenn es uns nicht gelingt, ist alles kaputt. Unsere Freundschaft wird es nicht überstehen." "Sieh mal", erwiderte er. "Ich bitte dich lediglich darum, nicht gleich auszuziehen. Bleib bei mir. Außerdem mußt du dich eine Weile erholen. Ich werde mich um dich kümmern und dir zur Seite stehen." Dann kam ihm ein Gedanke, und seine Miene hellte sich auf. "Du mußt ohnehin so lange bleiben, bis du mit dem neuen Design des Magazins fertig bist. Und das wird sicher noch ein bis zwei Monate dauern." "Die Arbeit wird in etwa drei Wochen beendet sein." Störrische kleine Närrin, dachte er. "Dann bleibst du also mindestens noch so lange?" Sie zögerte, dann nickte sie. Er küßte ihre Hände. Ja! Der Vorhang wurde aufgezogen. Jim Cooper trat in OP-Kittel und mit einer Patientenkarte in der Hand ein. "Clay, du hier? Das ist gut." Er zog sich einen Stuhl heran und verbrachte mehrere Minuten damit, Izzy zu befragen und zu untersuchen. Dann räusperte er sich und wandte sich an beide. "Ihr könnt eure eheliche Beziehung wieder aufnehmen, sobald Izzy sich besser fühlt. Aber eine erneute Schwangerschaft vor Ablauf von zwei Monaten wäre nicht klug. Clay und Izzy tauschten einen verlegenen Blick. Jim stand auf und sagte zu Izzy: "Ich schicke eine Schwester, um den Tropf abzunehmen. Dann können Sie sich anziehen und nach Hause gehen." Er schüttelte Clay die Hand. "Paß gut auf sie auf." "Das werde ich." "Es ist ja tatsächlich grün." Izzy schaute mit angemessener Abscheu in ihr Bierglas.
"Ich habe es dir ja gesagt." Harry trank einen tiefen Schluck aus seinem Glas, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf die TV-Bildschirme über der Bar richtete, von denen jeder ein anderes sportliches Ereignis zeigte, allerdings ohne Ton. Irische Folk-Musik bildete den Hintergrund des Gesprächslärms, der sie umgab. "Trink ruhig, das ist nur Lebensmittelfarbe", ermunterte Clay sie, der mit ihr an einem der überfüllten Tische im "Dark Horse" saß, einer Kneipe, in der sich die Redaktion von ,The Edge' freitagnachmiftags traf. Obwohl heute kein Freitag war, hatte man zu Ehren des St. Patrick's Day und zur Feier des neuen Layouts der Zeitschrift die Büros früher verlassen. Das neue Layout hatte schon im Vorfeld viel Lob von den Brancheninsider bekommen. "Trink nur", drängte Stevie sie, deren grüne Plastikmelone keck auf ihrem Kopf saß. Izzy nippte daran und rümpfte die Nase. Sie hatte sehr lange keinen Alkohol mehr getrunken. "Entweder ist die Lebensmittelfarbe bitter, oder ich habe meinen Geschmack für Bier verloren." "He, Izzy", rief eine Frau vom anderen Ende des Tisches. Es war Neu, die für den Druck verantwortliche Redakteurin. "Wirst du bei uns bleiben oder dich nach einem besseren Job umsehen?" Izzy zögerte. Clay legte ihr den Arm um die Taille. "Ich habe sie schon gebeten zu bleiben, aber sie sträubt sich. Vielleicht könnt ihr sie überzeugen." "Na komm schon, Izzy." "Wir brauchen dich." Angesichts der lautstarken Bitten tat Izzy, als wolle sie nicht gedrängt werden. In Wahrheit freute sie sich, mit so offenen Armen von der Redaktion aufgenommen worden zu sein. Trotz ihrer Abneigung gegen Extremsport hätte sie ernsthaft in
Erwägung gezogen, Clays Angebot zu akzeptieren, sie zum Art Director des Magazins zu machen - wenn die Dinge zwischen ihnen anders gelegen hätten. Clay war ganz der alte, auch wenn er sie am liebsten vom Gegenteil überzeugt hätte. Während der drei Wochen seit ihrer Fehlgeburt hatte er sämtliche Einladungen zu sportlichen Wettkämpfen abgelehnt - doch die Veranstaltung am Wolf Peak, die am kommenden Wochenende stattfinden sollte, hatte er nicht abgesagt. Hätte er sich wirklich geändert, würde er diesem Ereignis fernbleiben. Allerdings hatte er sich während ihrer Erholungsphase sehr liebevoll um sie gekümmert. Teddy war nach der ersten Woche in ihr Apartment in Brooklyn zurückgekehrt, und seitdem hatte Clay Izzy entweder zum Dinner ausgeführt oder etwas zu essen kommen lassen. Er hatte sie weder geküßt, noch sonstige sexuelle Annäherungen unternommen, offensichtlich aufgrund dessen, was sie durchgemacht hatte. Tatsächlich hatte sie sich vollständig erholt - zumindest körperlich. "Seid mal ruhig, Jungs", rief Harry. "Olof Borg ist im Fernsehen. Seht mal. Er zeigte auf einen der Bildschirme über der Bar. Eine rothaarige Reporterin interviewte einen stämmigen blonden Mann, der einen Skianzug trug. Im Hintergrund ragte ein schneebedeckter Berg auf. "He, Mike!" rief Harry dem Barkeeper zu. "Mach mal den Ton an!" Die Unterhaltungen verstummten, als Mike die Musik abstellte und den Lauststärkeregler des Fernsehers aufdrehte. "Nur noch zwei Tage, Olof", sagte die Reporterin in ihr Mikrophon. "Sind Sie wirklich bereit für Ihr Vorhaben?" Borg grinste spöttisch und selbstbewußt. "Man wird die Piste nach mir umbenennen müssen, wenn ich dort gelaufen bin." "Sie klingen sehr selbstsicher", bemerkte die Reporterin. "Der letzte, der die Piste befahren hat, war Clay Granger."
Ein Raune n ging durch die Zuhörer im Pub. Clay sah mit unbewegter Miene zum Bildschirm. "Mein Ziel ist es, eine bessere Zeit als Granger zu erzielen", fuhr Borg fort. "Ich werde die Piste erobern." "Granger ist bekannt für seine Schnelligkeit auf schwierigen Pisten", meinte die Reporterin. Borg machte ein verächtliches Gesicht.'"Ich bin es leid, mit diesem Kerl verglichen zu werden. Er ist ein Anfänger." Unter den Zuschauern im Pub erhob sich lautstarker Protest. Harry brachte alle wieder zum Schweigen, um den Rest des Interviews hören zu können. "Soweit bekannt ist, soll Granger an diesem Wochenende ebenfalls am Wolf Peak sein", berichtete die Reporterin. "Gerüchten zufolge will er sogar selbst einen Versuch unternehmen, die Piste zu befahren." Izzy sah zu Clay, der jedoch weiter reglos auf den Bildschirm starrte. "Soll er ruhig", erwiderte Borg und blickte in die Kamera. "Ich fordere ihn zu einem Wettkampf mit mir auf. Dann wird die Weft sehen, daß die Piste mir gehört. Mir ganz allein!" Zur Kamera gewandt sagte die Reporterin: "Sie haben es gehört. Olof Borg hat den Fehdehandschuh geworfen. Wird Clay Granger ihn aufnehmen? Schalten Sie am Sonntag ein, und sehen Sie selbst." Der Barkeeper stellte den Ton aus und ließ die irische Musik weiter spielen. Alle am Tisch diskutierten das Interview. Die meisten ermutigten Clay, die Herausforderung anzunehmen. Offenbar hatten sie keine Ahnung, daß Clays erste Frau am Wolf Peak ums Leben gekommen war. "Ich höre auf mit diesen Wettkämpfen", erklärte Clay und drückte Izzy an sich, doch sie wünschte, er hätte es mit mehr Überzeugung gesagt.
"Ja, aber diesmal ist es etwas anderes", beharrte Nell. "Die ganze Welt wird an diesem Wochenende zum Wolf Peak schauen. Es wäre eine sensationelle Publicity für das Magazin, wenn du die Herausforderung annehmen würdest." "Eine bessere Publicity gibt es gar nicht", stimmte ein anderer zu. "Die Zahl der Abonnenten wird rapide steigen. Das wolltest du doch die ganze Zeit." Alle Augen waren auf Clay gerichtet, der sein Bierglas hob und es rasch leerte. "Wißt ihr, was ich will? Ich will noch ein Bier." "Na klar, aber..." "Schon gut", mischte sich Harry ein und schenkte Clay aus dem Bierkrug nach. Stevie lehnte sich auf die Ellbogen. "Nur noch eine Sache, Clay, bevor wir das Thema fallenlassen. Die Reporter werden uns anrufen und wissen wollen, ob du Borgs Herausforderung annimmst. Was soll ich ihnen antworten?" Clay hob das Glas an die Lippen. "Sag ihnen, sie sollen zum Wolf Peak kommen, dann werden sie es sehen." In dieser Nacht stand Clay vor seiner offenen Reisetasche. Sollte er den schwarzen Skianzug, den er bereits eingepackt hatte, wieder herausnehmen? Leise fluchend zog er den Reißverschluß der Tasche zu. Nur weil er den Anzug eingepackt hatte, mußte er ihn ja noch längst nicht benutzen. Verdammt, warum konnte das alles nicht einfacher sein? Unter Izzys Tür schimmerte noch Licht. Clay sah auf die Uhr: fast Mitternacht. Gewöhnlich schlief sie schon um elf. Als er an die Tür trat, hörte er sie im Zirnmer herumgehen. Leise klopfte er an. "Izzy?" Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. "Ich komme gleich." "Kann ich nicht hereinkommen?" Eine weitere Pause entstand. Dann hörte er sie seufzen.
Langsam öffnete er die Tür. "Izzy? Ist alles in Ordnung mit dir?" Sie stand mit dem Rücken zu ihm, noch in den Leggings und dem weitgeschnittenen Sweater, den sie früher am Abend getragen hatte, und sah auf den offenen, zur Hälfte gepackten Koffer auf ihrem Bett. Neben der Tür standen zwei weitere Koffer, eine Kleidertasche, ein Matchbeutel und ein Schrankkoffer - exakt die Gepäckstücke, mit denen sie an ihrem Hochzeitstag eingezogen war. Ein kalter Schauer durchfuhr Clay. "Geh nicht", sagte er leise. "Ich habe mit Teddy gesprochen", erwiderte sie mit zittriger Stimme. "Sie meint, ich könnte bei ihr in Brooklyn wohnen, bis ich meine eigene...." "Izzy." Er trat noch einen Schritt auf sie zu. "Ich fahre morgen früh." "Tu das nicht, bitte." Sie schüttelte den Kopf. "Mach es mir nicht so schwer." "Wie könnte es nicht schwer sein?" Auch seine Stimme zitterte. "Wie könnte es nicht schwer sein, nach allem ..." Sie vergrub das Gesicht in den Händen, ihre Schultern bebten. Mit zwei Schritten war Clay bei ihr und nahm sie in den Arm. "Bitte nicht", murmelte er. "Bitte geh nicht." Er küßte ihre Haare und hielt sie fest an sich gedrückt. "Verlaß mich nicht. Ich könnte es nicht ertragen." "Je länger ich warte, desto schwerer wird es", erwiderte sie gepreßt. "Das klingt, als sei es unvermeidbar, daß du gehst." Sie sah mit Tränen in den Augen zu ihm auf. "Aber das ist es. Und wenn du nur einmal vernünftig darüber nachdenken würdest, dann würdest du das auch sofort einsehen." "Zum Teufel mit der Vernunft!" Er nahm ihr tränennasses Gesicht in beide Hände und küßte es kurz und ungestüm. "Ich
bin verrückt nach dir! Ich bin durch dich ein völlig neuer Mensch geworden." "Wenn du dich wirklich geändert hättest, wie du mir weismachen willst, dann ..." Sie hielt inne und sah zu Boden. "Ach, vergiß es." "Was? Wenn ich mich wirklich geändert hätte, dann was?" "Nichts. Es ist nicht meine Art, ein Ultimatum zu stellen." "Es hat mit dem Wolf Peak zu tun, nicht wahr? Du glaubst, ich werde Borgs Herausforderung annehmen und die Selbstmordpiste fahren, oder?" Sie blickte ihm ins Gesicht: "Wirst du es nicht tun?" Er wollte schreien: Nein, natürlich nicht! Aber das wäre unaufrichtig. Statt dessen sagte er: "Ich hatte es in Erwägung gezogen, aber wenn es dir so viel bedeutet, dann mache ich es nicht. Das verspreche ich dir." "Und was ist mit dem Magazin?" "Es ist mir nicht annähernd so wichtig wie du. Sie blickte ihn an, als sähe sie ihn zum erstenmal. Er drückte sie an sich, hielt ihr Gesicht an seine Brust geschmiegt. "Das, was ich für dich empfinde, habe ich noch für keine andere Frau empfunden. Ich weiß, du hast die unsinnige Vorstellung, ich könnte eines Morgens aufwachen und es wäre vorbei. Aber das kann ich mir nicht vorstellen, ehrlich." Er hob ihr Kinn. "Bitte sei hier, wenn ich am Sonntag vom Wolf Peak zurückkomme. Du brauchst es nicht zu versprechen, denn ich möchte nicht, daß du dich unter Druck gesetzt fühlst. Ich bitte dich nur darum, hier zu sein, wenn ich nach Hause komme." Bevor sie antworten konnte, küßte er sie und wurde von Freude überwältigt, als sie diesen Kuß erwiderte. Er spürte ihre Brüste an seiner Brust, ihre Arme, die ihn umschlangen, ihren Mund, heiß und süß. "Wirst du morgen noch hier sein?" fragte er. Sie nickte.
"Dann verabschiede ich mich morgen von dir." Ein letztes Mal küßte er sie sanft. Dann ging er. In dieser Nacht lag Clay im Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und betrachtete den Stuck an der Decke. Jedes einzelne Detail war durch das einfallende Mondlicht deutlich sichtbar. Er studierte die Muster der Blätter und Schnörkel, in dem hoffnungslosen Bemühen, nicht mehr an Izzy denken zu müssen. Daher hielt er das le ise Klopfen an der Tür zunächst für ein Produkt seiner Phantasie. Außer Izzy war niemand sonst im Haus. Warum sollte sie um - er sah zur Uhr - sieben Minuten nach eins in sein Zimmer kommen? Das war doch nur Wunschdenken. Sicher hatte nur der Wind einen Ast gegen das Dach geschlagen. Dann hörte er es erneut klopfen und war sofort hellwach. "Herein." Langsam wurde die Tür geöffnet. Anfangs konnte er sie nicht erkennen; der Flur war zu dunkel. Doch dann trat sie ein, und er hielt den Atem an. Ihr Gesicht und ihre Arme schimmerten im Mondlicht. Ihre Augen waren groß und dunkel, ihre Haare eine schwarze Wolke. Sie hatte etwas Dunkles, Glänzendes an, das ihren Körper umschmiegte - es war das schwarze Nachthemd aus Seide und Spitze. "Ich habe es noch nie getragen", hatte sie gesagt. "Und das werde ich auch vermutlich nie. Es ist nicht dazu gemacht, um darin zu schlafen." Doch nun trug sie es. Clay wollte lächeln, doch es gelang ihm nicht. Er konnte sich nicht bewegen und wagte kaum zu atmen. Er lag da und starrte sie an, während sie näher kam. Er hatte gesagt, sie müsse umwerfend aussehen in dem Nachthemd, und genauso war es. Sie wirkte wie einem Traum entsprungen - geheimnisvoll; verlockend und sinnlich. Unter der
durchsichtigen Spitze schimmerten die Knospen ihrer Brüste hervor. Als sie neben seinem Bett stand, durchpulste ihn bereits heftige Erregung. Es schien, als wollte Izzy etwas sagen, fände jedoch nicht die richtigen Worte. Endlich gelang es Clay, beruhigend zu lächeln, und er nahm ihre Hand. Sie erwiderte sein Lächeln. Etwas geschah zwischen ihnen, eine reine, wortlose Kommunikation, die ihn zutiefst bewegte. Er öffnete ihre Hand, schmiegte ihre Handfläche an sein Gesicht und küßte sie. Dann setzte er sich auf, glitt mit den Fingerspitzen zögernd über ihre Hüfte. Er konnte es noch immer kaum fassen, daß Izzy zu ihm gekommen war. Dieser Moment, in dem sie für ihn bereit war, war fast beängstigend und gleichzeitig voller erotischer Verheißung. Er umfaßte ihre Hüften und spürte ihre Wärme unter der Seide. Sie le gte ihm eine Hand auf die nackte Schulter, mit der anderen strich sie ihm durch die Haare. Alles schien in Zeitlupe zu geschehen, in erwartungsvoller Stille, in der lediglich ihre Atemzüge zu hören waren. Die Atmosphäre im Zimmer schien zu knistern wie die Luft kurz vor einem Gewitter. Er fuhr mit den Händen ihre wundervollen Rundungen hinauf zum Oberteil des Nachthemds. Izzys Brüste hoben und senkten sich schneller. Er beobachtete, wie ihre Knospen sich unter dem hauchdünnen Stoff aufrichteten, und sein Blut geriet immer mehr in Wallung. Lange würde er es nicht mehr aushallen. Izzy schnappte nach Luft, als er mit dem Finger sacht über eine ihrer Brustspitzen strich. Mit beiden Händen umfaßte Clay ihre Brüste und streichelte sie durch das Nachthemd hindurch, während er gleichzeitig den Kopf neigte. Knapp einen Zentimeter vor ihren Knospen hielt er inne. Sie fühlte seinen heißen Atem und legte die Hände um seinen Kopf, um ihn zu sich heranzuziehen.
Clay küßte flüchtig eine Brustspitze, rieb sein von Bartstoppeln rauhes Kinn daran. Es war die reinste Folter. Sie wollte mehr, viel mehr. Ein leises, frustriertes Stöhnen entwich ihrer Kehle. Clay sah auf, und Izzy entdeckte ein wildes Funkeln in seinen Augen. Er zog sie zu sich herunter und küßte sie leidenschaftlich. Sie erwiderte den Kuß mit dem gleichen Verlangen. Schließlich löste er sich von ihr und begann durch den zarten Stoff hindurch an einer ihrer harten Knospen zu saugen. Izzy krallte die Finger in seine Haare, schloß die Augen und genoß das Spiel seiner Zunge. Hingerissen von ihrer Glut, fuhr er mit einer Hand die Innenseite ihres Schenkels hoch, streichelte sie zärtlich und erforschte ihre Bereitschaft. Nie zuvor war sie so erregt, so hungrig nach Liebe gewesen. Wilde Schauer durchzuckten sie, als Clay sie durch zärtliches Streicheln an den Rand eines Höhepunktes brachte und sie in zeitlosen, traumhaften Intervallen dort hielt. Sie ließ die Hände zu seinen muskulösen Schultern gleiten, über seine harte Brust und dann tiefer über seinen Bauch, bis zum Rand der Bettdecke. Als sie darunterglitt und ihn umschloß, schnappte er nach Luft. Izzy liebkoste ihn, wie er sie liebkoste, verführerisch und langsam. Sein Atem ging rauh und stoßweise, sein Blick war verschleiert. Sie spürte den Höhepunkt unausweichlich näher kommen, stark und gewaltig, und als Clay die Hand zurückzog, stöhnte sie laut auf. Er schlug die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und schob ihr Nachthemd hoch. Seine Absicht war klar, und Izzy reagierte sofort, indem sie sich auf die Bettkante kniete, sich an seinen Schultern festhielt und auf seinen Schoß niederließ.
Tief und fest drang er in sie ein, und sie warf den Kopf zurück, während er ihre Hüften packte und sich mit ihr auf und ab bewegte, immer härter, immer wilder, bis die Wogen der Lust sie davonwirbelten und sie wieder und wieder aufschrie. Sie fühlte Clays Hände an ihren Schultem, als sie sich zurückbog. Er preßte Izzy an sich upd fuhr mit zitternden Fingern durch ihre Haare. "Es ist unglaublich", flüsterte er rauh, "dich einfa ch nur anzuschauen. Du bist so schön. Ich hatte keine Ahnung, Izzy, all diese Jahre ..." "Was?" fragte sie atemlos. "Nichts." Er lachte und drückte sie fester an sich. "Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr." Clay hörte sie nach Luft schnappen und wartete. Doch sie erwiderte die Worte nicht. Er wollte ihr sagen, daß es in Ordnung sei, wenn sie es nicht aussprach, daß er es nicht hören mußte. Aber das wäre eine Lüge. Seit Judith hatte er diese Worte zu keiner Frau mehr gesagt. Sie bedeuteten ihm etwas, und er sehnte sich danach, sie von Izzy zu hören, um zu wissen, daß diese Nacht nicht nur ein einmaliges Geschenk für ihn war, sondern der Anfang von etwas. Doch der Moment verstrich, und sie schwieg. Hab Geduld, ermahnte er sich. Sie hat viel durchmachen müssen. Es wird schon werden. Er vergrub das Gesicht in ihren Haaren, deren zarter Duft ihn noch mehr erregte. Er spürte sein Pulsieren in ihr, und ihre Reaktion verriet, daß sie es ebenfalls fühlte. Sie war so frei von Hemmungen, so voller Leidenschaft, daß allein zu beobachten, wie sie den Gipfel der Ekstase erlebt hatte, für ihn das erotischste Erlebnis war, seit er denken konnte. Ein solches Maß an Sinnlichkeit hatte er nicht erwartet, es war für ihn die schönste Überraschung, die er sich denken konnte. Er packte ihre Haare und küßte Izzy lange und begierig. Dann zog er ihr das Nachthemd über den Kopf und warf es beiseite.
Der Anblick ihres nackten Körpers im Mondlicht versetzte seine Sinne noch mehr in Aufruhr. Ihre Brüste waren fest, und er beugte sich vor, bis seine Lippen sich um eine ihrer hochaufgerichteten Brustspitzen schlossen. Spielerisch knabberte er daran und hörte Izzy aufstöhnen. Er schlang die Arme um sie und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. Er lag regungslos unter ihr und wollte sich bewegen, wußte aber, wenn er das tat, wäre es endgültig um ihn geschehen. Mit rastlosen Händen erforschte er jeden erreichbaren Zentimeter ihres Körpers, erkundete lustvoll ihre süßen, glatten Rundungen, um sich für alle Zeit daran erinnern zu können. Sie bewegte sich auf ihm mit geschmeidiger Anmut, die ihn dem Unausweichlichen näher brachte, bis er alle Zurückhaltung verlor und sie an den Hüften packte und herumrollte, so daß er über ihr war. Aufstöhnend erbebte sie und umschloß ihn fest, was ihn endgültig um den Verstand brachte. Mit einem heiseren Aufschrei erreichte er seinen Höhepunkt.
12. KAPITEL Helle Sonnenstrahlen durchfluteten bereits das Zimmer, als Izzy am nächsten Morgen erwachte. Neben ihrem Gesicht entdeckte sie Clays Kissen. Etwas Rotes lag darauf. Sie stützte sich auf den Ellbogen und sah, daß es sich um ein Herz aus Bastelpapier handelte, verziert mit Spitze und Pailletten, auf dem eine Notiz klebte. Sie beugte sich verschlafen blinzelnd vor und las: Liebe Izzy, Ich wollte Dich nicht aufwecken. Angie und Rose haben mir geholfen, das Herz zu basteln, als wir an meinem Geburtstag bei Deinen Eltern waren. Damals habe ich es Dir nicht gegeben, weil ich dachte, Du findest es vielleicht albern. Ich glaube, das ist es auch, aber ich möchte es Dir trotzdem schenken. Ich rufe Dich vom Wolf Peak an. Ich liebe Dich. Clay Izzy löste die Notiz und betrachtete das Herz. Die Vorstellung von Clay, wie er im Keller ihrer Eltern saß, umringt von einem halben Dutzend kleiner Mädchen, die Pailletten auf ein Papierherz klebten, rührte sie zutiefst. Sie drehte das Herz um. Auf der Rückseite stand mit rotem Wachsmalstift geschrieben: Für Izzy. In Liebe, Clay. Dann las sie noch einmal die Notiz. "Ich liebe dich."
Er hatte es zweimal gesagt letzte Nacht - einmal als sie sich liebten und dann, kurz bevor sie Arm in Arm eingeschlafen waren. Sie wußte, daß er die Worte auch von ihr hatte hören wollen. Doch sie hatte sie nicht über die Lippen gebracht. Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn er sich nicht ausgerechnet diese Situation für seine Liebeserklärung ausgesucht hätte. "So etwas sagen Männer nun einmal in solchen Momenten", das waren seine Worte gewesen. Und dennoch war es letzte Nacht überwältigend gewesen. Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges erlebt. Sie dachte an all die Dinge, die sie getan hatten und noch tun würden, wie sie es einander versprochen hatten. Doch jetzt war er auf dem Weg zum Wolf Peak. Bei dem Gedanken daran lief es ihr eiskalt über den Rücken. Sie haßte diesen dummen Olof Borg dafür, daß er die Selbstmordpiste befahren wollte und Clay herausgefordert hatte. Aber Clay würde nicht hinunterfahren. Das hatte er ihr versprochen. Alle Welt würde sich am Wolf Peak versammeln, um zuzusehen, wie Olof Borg Kopf und Kragen riskierte - nicht Clay Granger. Das war Izzys einziger Trost. "Olof Borg hat sich ein Bein gebrochen." "Wie bitte?" Clay starrte den ernsten jungen Reporter an einer von rund einem Dutzend, die im Terminal des winzigen Flughafens am Wolf Peak seine Ankunft erwartet hatten. "Es ist heute morgen passiert", berichtete der Reporter. "Bevor das Unwetter aufkam. Er demonstrierte gerade einige tollkühne Sprunge für die Kameras." "Typisch für ihn", knurrte Harry. Er und Doug Whitman, der PR-Manager des Magazins, hatten Clay nach Colorado begleitet. "So kurz vor einem wichtigen Ereignis noch Trickski fahren." "Also ist die Veranstaltung abgesagt?" fragte Clay.
"Nein", unterbrach ihn der Reporter. "Es soll morgen früh aufhören zu schneien, rechtzeitig für die Abfahrt." "Aber wer soll fahren?" meinte Clay, was bei den übrigen Reportern Gelächter hervorrief. "Die Veranstalter hoffen auf Sie." Clay seufzte schwer. Doug, der eine einmalige PR-Gelegenheit witterte, ermunterte ihn mit nach oben gerichtetem Daumen. Harry warf Doug einen finsteren Blick zu und packte Clays Arm. "Komm, wir kaufen uns ein Rückflugticket und verschwinden von hier." "Es gibt keine Flüge mehr, bis der Sturm vorbei ist", verkündete jemand. "Um ein Haar hätten Sie gar nicht landen dürfen." "Ich wünschte, man hätte es uns verboten", bemerkte Harry. Die Journalisten begannen alle gleichzeitig zu reden und bombardierten Clay mit ihren Fragen. Würde er sich auf die Selbstmordpiste wagen? Wie schnell glaubte er zu sein? Wußte er, daß auf seine Teilnahme Wetten abgeschlossen wurden? Clay wandte sich an Doug und sagte: "Tu was für dein Geld." Damit ging er zum Schalter der Mietwagenfirma. Die Reporter wollten ihm folgen, doch Doug trat ihnen in den Weg. "Gentlemen", rief Doug. "Mr. Granger hat eben erst von Mr. Borgs Unfall erfahren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird er kein Statement abgeben." Izzy nahm das schnurlose Telefon beim ersten Klingeln, klemmte es sich zwischen Wange und'Schulter und kehrte zum Herd zurück. "Hallo?" "Izzy?" Die Stimme klang weit entfernt, und in der Leitung herrschte statisches Rauschen. "Ich bin es, Clay." Sie lächelte. "Hallo. Wie sieht's aus in Colorado?" Sie nahm ein Brett und ein Messer und gab den zerhackten Knoblauch ins erhitzte Olivenöl.
"Wir haben einen mächtigen Schneesturm hier draußen. Fast hätten wir nicht landen können." "Tatsächlich?" Sie rührte den Knoblauch mit einem hölzernen Kochlöffel um und atmete den Duft ein. "Ist die Veranstaltung für morgen gefährdet?" "Nein, es wird alles wie geplant laufen." "Im Ernst?" Sie klemmte den Dosenöffner auf eine Dose und begann sie zu öffnen. "Bis dahin soll es aufgehört haben zu schneien." Sie drückte den Deckel auf und gab den Inhalt der Dose in den Topf mit dem Knoblauch und dem Öl. "Aber Harry sagte mir, nach einem Schneesturm sei die Lawinengefahr am größten. Macht Borg sich deswegen keine Sorgen, oder ist er so hungrig nach Publicity?" Eine lange Pause entstand. Sie glaubte schon, die Verbindung sei unterbrochen, als sie ihn sagen hörte: "Ich liebe dich, Izzy." Sie hielt beim Öffnen der zweiten Dose inne und holte tief Luft, um seine Worte zu erwidern. Doch sie konnte es nicht. Sie mußte daran denken, wie Prez diese Worte gesagt hatte, und sie sie erwidert hatte, weil sie wußte, daß er sie hören wollte. Später war sie sich dann wie eine Närrin vorgekommen. "Izzy? Bist du noch da?" "Ja." Sie ging zum Küchentresen, wo Teddy, die sie zum Dinner eingeladen hatte, Knoblauchbrot in Folie wickelte. "Hast du gehört, was ich ..." "Ja, ich habe es gehört." Teddys und ihre Blicke trafen sich, und Teddy formte mit den Lippen: Sag es. Izzy wollte es, aber ihre Brust zog sich vor Angst zusammen. "Wann wirst du zurück sein?" "Morgen abend", antwortete er mit tonloser Stimme. "Etwa so gegen sieben Uhr." "Gut." "Izzy?" "Ja?"
Ein besorgtes Seufzen begleitete sein Zögern. "Nichts. Ich muß jetzt Schluß machen. Ich sollte Harry und Doug schon vor zehn Minuten im Hotelrestaurant treffen. Bis morgen abend." "Ja, bis morgen abend." "Habe ich dir je von Rory O'Dwyer und mir erzählt?" fragte Teddy, als sie beim Kaffee und Kir scheis angekommen waren. Izzy hielt mit dem Löffel auf halbem Weg zum Mund inne. "Wie bitte?" "Vor ungefähr vierzig Jahren bat er mich, ihn zu heiraten. Hast du das gewußt?" Izzy schluckte das Eis herunter und überlegte, worauf Teddy hinauswollte. "Ich wußte, daß es einen Mann gegeben hat, aber nicht, daß es Rory gewesen ist." Teddys Blick schien in die Feme zu schweifen. "Wir sind zusammen aufgewachsen. Er war der beste Freund deines Vaters, und ich bewunderte ihn als Kind. Dann verloren wir uns aus den Augen und begegneten uns erst wieder, als ich einen Job im St. Vincent's Hospital bekam, wo er auch arbeitete. Wir gingen miteinander aus, und ich wußte sofort, daß er der Richtige war. Ich war verrückt nach ihm. Sechs Monate lang drehte sich mein ganzes Leben nur um ihn. Ich wartete nur darauf, daß er mir endlich einen Antrag machte." Ihr wehmütiges Lächeln erstarb. "Eines Abends überraschte ich ihn dann mit Loose Lucy im Schwesternzimmer." Izzy prustete in ihren Kaffee. "Loose Lucy?" "Und sie war nur die Spitze des Eisbergs. Wie sich herausstellte, hatte er es mit der Hälfte der Schwestern im St. Vincent's getrieben." "Was für ein Weg, es zu erfahren." "Als, ich mit ihm Schluß machte, brach er zusammen. Er entschuldigte sich dauernd und flehte mich an, ihm zu vergeben. Jeden Tag schickte er Rosen und schwor, er würde Zeit seines Lebens keine andere Frau mehr anrühren, wenn ich ihn
heiratete. Er behauptete, noch nie hätte er jemanden so geliebt wie mich." "Was hast du getan?" Teddy lachte. "Ich habe gelogen und ihm gesagt, daß ich ihn nicht mehr liebe, er den Ring behalten könnte und Menschen sich nicht über Nacht ändern. Einmal ein Schürzenjäger, immer einer." "Aha." Darum ging es Teddy also. "Irgendwann gab er es auf, mir hinterherzulaufen. Zwei Jahre später heiratete er jemand anders. Nach allem, was ich hörte, war er ihr bis zum Tage ihres Todes treu." "Oh." "Am Ende war ich die Dumme." Zu Izzys Erstaunen schimmerten Teddys Augen feucht. "Es zeigte sich, daß er sich doch ändern konnte." Und darum ging es Teddy bei ihrer Erzählung natürlich: Wenn Rory sich ändern konnte, konnte Clay es auch. Männer konnten sich tatsächlich ändern, aber die Frauen mußten ihnen die Chance dazu geben. Teddys Faible für Liebesromane ergab plötzlich einen Sinn. "Vielleicht solltest du doch mit Rory und Pater Frank an ihrem Projekt zur Versorgung aidskranker Patienten zu Hause mitarbeiten." Teddy wischte sich mit einer Serviette die Augen. "Wozu?" "Um Menschen zu helfen." Teddy runzelte die Stirn. "Und", fügte Izzy hinzu, "um festzus tellen, ob der alte Zauber zwischen dir und Rory noch besteht." "So lange hält so etwas nicht an. Außerdem schäme ich mich jedesmal, wenn ich Rory ansehe, weil ich damals so kurzsichtig war und ihm keine Chance gab." "Es ist nie zu spät, einen Fehler wiedergutzumachen." "Doch - es ist vierzig Jahre zu spät." Teddy warf Izzy über den Rand ihrer Kaffeetasse einen bedeutungsvollen Blick zu.
"Aber für dich ist es noch nicht zu spät. Vergiß deine Vergangenheit, und denk an die Zukunft. Laß deine Schutzmauern fallen und sag Clay das nächste Mal, wenn ihr euch seht, worauf er wartet." "Das ist also die Moral der Geschichte? Ich soll Clay sagen, daß ich ihn liebe?" "Genau." Clay glitt auf seinen Skiern über die Schneewächte zum Anfangspunkt der Piste und schaute hinunter. Unterhalb des steilen Absprungs schlängelte sich die schmale Piste zwischen Felswänden, mächtigen Felsbrocken und Bäumen hindurch etwa zweihundert Meter abwärts. Weiß Izzy, was du vorhast? hatten Harrys letzte Worte gelautet, bevor Clay auf Skiern das Camp auf dem Gipfel des Berges verlassen hatte, von dem aus die Reporter und Organisatoren die Abfahrt beobachten wollten. Nun waren sämtliche Kameras und Augen auf ihn gerichtet, während er die Selbstmordpiste zum hundertstenmal in Gedanken durchfuhr. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen tragischen Komik. Der begehrteste Junggeselle der Welt war aufgrund einer unerwiderten Liebe so unglücklich, daß ihm sein Leben egal war. Nun, das würde der Sache eine melodramatische Note geben. Aber er wollte nicht sterben, und er würde alles tun, um lebend unten anzukommen. Trotzdem mußte er zugeben, daß er heute morgen den ersten Flug zurück genommen hätte, statt diesen waghalsigen Stunt zu unternehmen, wenn Izzy seine Liebeserklärung erwidert hätte. Was bewies, daß Teddy recht hatte: Er war nicht annähernd so schlau, wie er aussah. Er balancierte am Rand der Schneewächte und erkannte, daß der gestrige Sturm die Piste mit einer frischen Schicht Pulverschnee bedeckt hatte - glatt und frisch und tödlich. Clay hielt vorsichtig nach möglichen rutschenden Schneemassen Ausschau. Da er nichts entdecken konnte, setzte er seine
Skibrille auf, holte mehrmals tief Luft und glitt langsam über den Rand. Der kontrollierte freie Fall. Früher hatte er dieses Gefühl geliebt. Doch inzwischen erinnerte es ihn zu sehr an sein eigenes Leben. In seiner Vorstellung sah er Izzy, die gestern morgen noch fest geschlafen hatte, als er ihr das Herz auf das Kissen gelegt und geflüstert hatte: "Ich liebe dich." Denk jetzt nicht an Izzy, ermahnte er sich. Konzentrier dich auf die Abfahrt. Als die Piste sich zwischen zwei Felswänden verengte, mußte er einen kühnen Schwenk vollführen, so daß er erst etwas weiter unten auf dem Abhang wieder aufsetzte. In der schrecklichen Stille zwischen Landung und erneutem Abheben hörte er ein leises Donnern und spürte, wie der Schnee unter seinen Skiern nachgab. Weit entfernt schrien Stimmen: "Nein! Nein!" Die Schneemassen trafen ihn von hinten, rissen ihm die Skier von den Füßen, warfen ihn um und schoben ihn die Piste hinunter. Bleib an der Oberfläche, ermahnte er sich und begann mit Schwimmbewegungen. Der Schnee stieg höher und höher und drang ihm in den Mund, bedeckte seinen Kopf. Er versuchte, sich zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Izzy, verzeih mir! Plötzlich wurde er nicht mehr herumgeworfen und blieb ruhig liegen. Er war von Schneemassen umgeben, unter ihnen vergraben. Der Schnee formte einen eisigen Ball in seinem Mund, den er nicht ausspucken konnte. Wo war oben und unten? Wie tief war er vergraben? Verzeih mir, Izzy! Der Schnee war so schwer, daß er weder Arme noch Beine bewegen konnte. Sein Brustkorb würde unter dem Gewicht zusammengepreßt. Er wollte seine Lungen mit Luft füllen, doch es ging nicht. Sein Herz hämmerte panisch. Gütiger Himmel, jetzt ist es vorbei! dachte er.
Das konnte noch nicht das Ende sein. So konnte er nicht sterben. Izzy würde ihn für alle Zeit hassen. Er hatte ihr versprochen, nicht auf diese mörderische Piste zu gehen, und nun würde sie denken, daß er sie nicht genug liebte, um sein Versprechen zu halten. Aber er liebte sie doch so sehr. Mit aller Macht versuchte er, dem Gewicht der Schneemassen standzuhalten. Beweg dich, verdammt noch mal! Aber nichts rührte sich. Seine Lungen brannten. In der Panik des bevorstehenden Todes hörte er eine leise Stimme in seinem Kopf: "Verzeih, Izzy, ich habe es vermasselt. Es tut mir so leid."
13. KAPITEL Clay kam zu spät. Izzy schaute erneut auf ihre Uhr. Es war gleich zehn vor acht, und Clay war noch immer nicht vom Wolf Peak zurück. Das Dinner bei Kerzenschein, das sie vorbereitet hatte, war längst fertig. Wo war er? In der Auffahrt flammten Scheinwerfer auf. Endlich! Sie strich ihr Seidenkleid glatt, unter dem sie keine Unterwäsche trug. Plötzlich war sie absurderweise nervös, Clay wiederzusehen. Sie war so dumm gewesen, weil sie geglaubt hatte, er könnte sich nicht ändern, obwohl er sogar versprochen hatte, die Selbstmordpiste nicht herunterzufahren, nur um ihr zu beweisen, daß sie ihm wichtiger war als der Erfolg seiner Zeitschrift. Es war töricht gewesen, ihre Gefühle zurückzuhalten. Die Hintertür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Dann waren näher kommende Schritte zu hören^ Izzy wich zurück, bis sie den Eßtisch im Rücken spürte. .... Endlich sah sie ihn, seine Silhouette hob sich im Türrahmen dunkel gegen das Licht im Flur ab. Er trug noch seinen Parka und Stiefel, und er wirkte traurig und erschöpft. "Ich bin so froh, daß du wieder da bist", sagte sie und holte einen kleinen, rechteckigen Umschlag aus der Tasche. "Das ist für dich."
Er kam langsam näher. Im gedämpften Licht der Kerzen wirkte seine Haut unnatürlich blaß. "Was ist es?" Sie lächelte nervös und griff nach der Tischdecke. "Mach es auf." Clay riß den Umschlag auf und zog ein kleines pinkfarbenes Papierherz heraus. Izzys Wangen glühten, während er las, was sie in kunstvoller Schrift in die Mitte eines Kreises aus aufgeklebten Kaffeebohnen geschrieben hatte: "Ich liebe dich, Clay. Izzy" Er sah mit großen Augen auf. Sie nahm all ihren Mut zusammen und sagte: "Ich liebe dich." Ihre Stimme klang rauh, und Tränen standen ihr in den Augen. Clay zog sie an sich. "O Izzy, ich danke dir. Danke." "Ich liebe dich wirklich", sagte sie heiser und sah ihm ins Gesicht. "Ich bin so dumm. Kannst du mir verzeihen, daß ich ..." "Pscht." Er küßte sie, zärtlich zunächst, dann ungestümer. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. Er drängte sich an sie, so daß sie gegen den Eßtisch stieß. Sie spürte den scharfkantigen Reißverschluß seines Parkas durch ihr dünnes Kleid und versuchte, ihn zu öffnen. Darunter trug er ein Buttondown-Hemd. Hastig knöpfte sie es auf, wobei einer der Knöpfe absprang und auf den Parkettboden fiel. Seine Hände waren überall, in ihren Haaren, auf ihrern Rücken, ihren Hüften. Er umschloß eine ihrer Brüste und stellte fest, daß Izzy keinen BH trug. Clay liebkoste sie mit besessener Verzweiflung; als könnte sie jede Sekunde verschwinden. Der Tisch hinter ihnen knarrte; eine Kerze fiel aus dem Kerzenständer. Izzy spürte ihn hart durch seine Jeans hindurch, spürte, wie seine Finger begierig eine ihrer Knospen umspielten. Eine Woge sinnlicher Erregung durchströmte sie, und als er sie auf den Tisch hob, war sie bereit für ihn.
Clay zerrte ihr Kleid hoch und erkannte, daß sie darunter nackt war. Er spreizte ihre Beine, und dann fühlte sie seine forschende, suchende Hand. Izzy stöhnte vor Sehnsucht auf. Mit zitternden Fingern löste sie seinen Gürtel, während Izzy seinen Reißverschluß öffnete. Ihr Atem ging rasch und stoßweise. Sie streifte ihm die Hose herunter und umschloß ihn. Er packte ihre Beine, legte sie um seine Taille und umfaßte dann ihre Hüften. Hart drang er in sie ein, so daß Izzy aufschrie. Clay zog sich fast ganz zurück. "Ist alles in Ordnung?" "Ja!" Sie krallte sich mit beiden Händen an seinem Parka fest, schlang die Beine um ihn und drängte ihn, weiterzumachen. Das tat er, hart und immer tiefer, wieder und wieder, mit einem wilder werdenden Rhythmus, während Izzy sich unter ihm wand. Mit einer Hand schob er hinter ihr einen Teller und das Besteck zur Seite und drückte Izzy ganz auf den Tisch herunter, um noch tiefer in sie eindringen zu können. Der Tisch knarrte rhythmisch, ein weiterer Kerzenständer fiel um. Dann hielt Clay mit gekrümmtem Oberkörper inne, zitternd, die Augen halb geschlossen. Ein Schweißtropfen fiel aus seinen Haaren auf ihre Lippen. Und dann, als Izzy mit dem letzten, mächtigen Stoß den Beginn seines Höhepunktes in sich spürte, erreichte auch sie laut aufschluchzend einen berauschenden Gipfel der Lust: Er lag zitternd und schweratmend auf ihr, das schweißnasse Gesicht in ihre Halsbeuge geschmiegt. Mühsam hob er den Kopf und küßte sie. Er zog eine Hand unter ihr hervor und stützte sich auf den Ellbogen, wobei er aus Versehen ein Weinglas umstieß, das auf einen Teller fiel und zerbrach. Clay zog auch die andere Hand hervor und half Izzy, sich aufzusetzen.
"Es tut mir leid", flüsterte er. "Es tut mir so leid." "Es war doch nur ein Glas." Er schüttelte den Kopf. "Das meine ich nicht." Sie strich ihr Kleid glatt, während er den Reißverschluß seiner Hose zuzog. Dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und sagte: "Ich muß dir etwas beichten." Sie starrte ihn an. Er sah so traurig, so blaß und grimmig aus. "Ich habe etwas getan, das ich nicht hätte tun dürfen. Ich habe einen Fehler begangen, und nun habe ich Angst, du könntest mir nicht verzeihen. " Izzys erster Gedanke war, daß er in Colorado mit einer anderen Frau zusammengewesen war. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in ihrem Magen aus, und sie wich vor Clay zurück. Er fuhr sich durch die nassen Haare. "Ich bin doch die Selbstmordpiste gefahren. Borg hatte sich ein Bein gebrochen, und ich ... es tut mir leid." Izzy brauchte einen Moment, bis sie begriffen hatte, was er da sagte. Er hatte sie nicht betrogen. Aber er hatte etwas getan, was genauso schlimm war. Der Schmerz nahm zu, sie fühlte sich krank. "Du hattest mir versprochen, es nicht zu tun", erwiderte sie leise. "Ich weiß." "Du hast gesagt, ich sei dir wichtiger als ..." "Ich weiß." Er wirkte so verzweifelt. "Das bist du auch." Langsam schüttelte sie den Kopf. "Nein, das bin ich nicht. Nicht wirklich." "Izzy ..." Er ging auf sie zu, doch sie wich ihm aus und kehrte ihm den Rücken zu. "Ich hasse das", sagte sie. "Ich das hasse das wirklich. Hast du mich einfach angelogen, als du sagtest, du würdest die Piste nicht fahren?" "Nein!" Er trat hinter sie und hielt ihre Oberarme fest. "Ich würde dich nicht belügen. Es war mein voller Ernst, als ich versprach, diese Piste nicht zu fahren."
"Warum hast du es dann getan?" Er seufzte. "Die einfache Antwort lautet, weil es gute Publicity für das Magazin war. Aber es ist noch ein bißchen komplizierter. Um die Wahrheit zu sagen, es ist mir ein wenig peinlich." Er schüttelte den Kopf. "Vergiß es, Ich bin ein Idiot und habe einen Fehler gemacht." "Ich hasse dieses Magazin, und ich hasse, was du tust, um es zu promoten. Du hättest dich dabei umbringen können. Es hätte eine Lawine geben können!" Er streichelte langsam ihre Arme. "Es gab eine." Sie schüttelte ihn ab und wirbelte herum. "Es gab eine? Während du auf der Piste warst?" Er biß die Zähne zusammen und nickte. "Aber sie sahen sofort, wo ich verschüttet war und ..." "Verschüttet!" "Und sie waren vorbereitet. Sie hatten Schaufeln dabei, so daß ich in weniger als zwei Minuten wieder frei war. Man verfrachtete mich in einen Krankenwagen, untersuchte mich und ließ mich wieder gehen." Tränen stiegen ihr in die Augen, wodurch sie ihn nur noch verschwommen sah. Sie hielt es nicht länger aus und nahm ihn in den Arm. "O Clay, du hättest sterben können." Sie wich ein Stück zurück und boxte ihn gegen die Brust. "Und wofür? Für dieses dämliche Magazin? Ich hasse es! Ich wünschte, du hättest es nie gegründet." "Izzy." Er wollte ihr die Tränen abwischen, doch sie schlug seine Hand beiseite. "Izzy, es war idiotisch von mir, aber ich bitte dich, mir zu verzeihen." "Ich könnte dir verzeihen. Aber was ist beim nächstenmal? Und dem Mal darauf?" "Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, daß es kein nächstes Mal geben wird, und daß ich mich ganz aus dem Extremsport zurückziehe?"
"Vor einer Stunde hätte ich es dir vielleicht geglaubt. Aber jetzt nicht mehr. Vor allem nicht, da Mercer-Hest dir im Nacken sitzt. Was du jetzt für ,The Edge' getan hast, wirst du wieder tun. Es wird nie aufhören. Bis ..." Sie kämpfte erneut gegen die Tränen an. "Bis dich dein Glück eines Tages verläßt und du von einem deiner Abenteuer nicht mehr heimkehrst." "Izzy, ich verspreche ..." "Das hast du schon zuvor getan." Nun ließ sie den Tränen freien Lauf. "Ich kann so nicht leben, Clay. Ich hätte ge hen sollen, als ich es vorhatte. Jetzt werde ich meine Sachen wieder packen." "Izzy, nein." Er umfaßte ihr tränennasses Gesicht mit beiden Händen. "Du hast gesagt, du liebst mich." "Das tue ich. Deshalb kann ich nicht warten, bis mich jemand anruft und mir mitteilt: ,Es tut uns leid, Mrs. Granger, aber Ihr Mann hatte einen tragischen Unfall." "Das wird nicht passieren!" "Das kannst du nicht garantieren. Für das Magazin würdest du alles tun, und das weißt du." "Aber wenn ich es garantieren könnte, würdest du dann bleiben?" Leise erwiderte sie: "Du kannst es nicht. Der heutige Tag hat es bewiesen. Ich werde gehen. Noch heute abend. Und nichts kann mich diesmal davon abhalten." Ihre Miene verriet, daß sie es ernst meinte. "Ich schätze, ich habe es wirklich vermasselt. Aber tu mir bitte einen Gefallen." Er schien einen Moment nachzudenken. "Nein, zwei." "Welche?" fragte sie mißtrauisch. "Geh nicht heute abend. Warte bis morgen. Bleib heute Nacht noch bei mir. Ich will nur, daß wir zusammen einschlafen." Sie schluckte, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. "Na schön. Und was noch?" Er zögerte. "Du liebst mich doch, oder?"
"O Clay, wenn es nicht so wäre, fiele mir das alles leichter." "Dann laß dich nicht von mir scheiden. Zumindest vorläufig nicht. Gib mir eine Chance, dir zu garantieren, daß das Magazin nicht mehr zwischen uns stehen wird." "Ich glaube nicht, daß das möglich ist." "Aber falls doch, würdest du mich wieder nehmen?" Sie sah auf und blickte in seine blauen, hoffnungsvollen Augen. "Du brauchst mich nur anzurufen."
14. KAPITEL Die Türklingel schellte. "Wer ist das?" fragte Teddy und probierte die Marsalasauce. "Unser Gast." Izzy nahm einen dritten Teller aus dem Schrank. "Ich habe niemanden zum Dinner eingeladen." "Aber ich." Izzy ging zur Tür, spähte durch den Spion und öffnete. "Hallo, Rory. Schön, daß Sie kommen konnten." Rory O'Dwyer stand im Flur des Sandsteinhauses in Brooklyn mit einer weißen Konditorschachtel in der Hand und sah schrecklich nervös aus. "Danke für die Einladung." Er sah zu Teddy, die sich seit seiner Ankunft weder gerührt noch etwas gesagt hatte. "Teodora." "Rory." Teddy warf Izzy einen boshaften Blick zu. "Du kennst ja meine idiotische Nichte." Rory trat grinsend näher. "Du bist noch immer die alte Teddy." "Also, Izzy", sagte Rory und stach mit der Gabel in seinen Käsekuchen. "Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie freiberuflich arbeiten." "Ja, und mich nach einem richtigen Job umschauen. Mit der freiberuflichen Arbeit verdiene ich nicht genug Geld, um mir ein Apartment leisten zu können. Und Teddy hat es langsam satt, mich als Untermieterin bei sich wohnen zu lassen. Ich bin jetzt schon sechs Wochen hier."
"Du kannst bleiben, solange du willst", versicherte Teddy, beugte sich zu Rory und flüsterte: "Immerhin putzt sie die Fenster." Rory lachte und erwiderte: "Glaubst du, sie putzt meine auch?" Izzy nippte an ihrem Kaffee und beobachtete die beiden, die sich angeregt unterhielten und alles um sich herum zu vergessen schienen. "Du brauchst mich nur anzurufen", hatte sie zu Clay gesagt. Doch sechs Wochen waren vergangen, und sie hatte nichts von ihm gehört. Ihre Familie hielt sie für verrückt, daß sie ihn verlassen hatte. Hatten sie recht? "Hast du mir zugehört, Izzy?" fragte Teddy. "Ich wollte wissen, ob du dich um den Job bei dem Ski-Magazin beworben hast?" "Ski-Magazin?" wiederholte Rory. "In der Sonntagszeitung war eine Anzeige, auf die ich sie aufmerksam gemacht habe", erklärte Teddy. "Du hast mir dauernd deswegen in den Ohren gelegen", korrigierte Izzy. "Es handelt sich um den Posten eines Art Directors für ein neues Magazin", wandte Teddy sich wieder an Rory. "Ein guter Job. Es soll ,East Coast Skiing' heißen." Izzy leerte ihren Kaffee. "Zufällig handelt es sich bei der Adresse des Magazins um die von Mercer-Hest Publications." "Na und?" Teddy zuckte die Schultern. "Mercer-Hest", sagte Izzy mit Nachdruck. "Das sind die gleichen Leute, die mit einem neuen Extremsport-Magazin Clays Leserschaft abwerben wollen. Würde ich für die arbeiten, käme ich mir wie eine Verräterin vor." Teddy verdrehte die Augen. "Selbst Clay hat Verständnis dafür, daß sie ihm Konkurrenz machen. Bedenke, daß es sich
um einen der größten Zeitschriftenverlage der Welt handelt. Es ist eine gute Chance. Du solltest dich darauf stürzen." Izzy lächelte. "Ich mache dir ein Angebot. Ich bewerbe mich um den Job bei Mercer-Hest, wenn du morgen zur Rorys Meeting wegen seines Projektes gehst." Sie zwinkerte Rory zu. Teddys Wangen röteten sich. Rory lachte. "Großartige Idee." Er nahm Teddys Hand und senkte seine Stimme. "Sag ja, Teodora. Ich brauche dich." Teddy errötete noch mehr und räusperte sich. "Na schön." Sie wandte sich an Izzy. "Aber du stellst dich morgen für den Job vor." "Abgemacht." Izzy stieg aus der U-Bahn und ging bis zur Park Avenue, wobei sie alles an Manhattan zu ignorieren versuchte, was ihr schon immer mißfallen hatte - den Lärm, die vielen Menschen und besonders die Gerüche. Ihr Ziel entpuppte sich als Wolkenkratzer mit getönten Scheiben und zwei riesigen Springbrunnen davor. Sie schaute auf ihre Uhr. Es war zwei Minuten vor zwei. Der Termin für ihr Vorstellungsgespräch war um zwei. Sie betrat die Lobby und nahm den Fahrstuhl in den vierzehnten Stock. Allein die Empfangshalle war viermal so groß wie Teddys Apartment und ganz in Glas und Stahl und schwarzem Leder gehalten. In großen Metallbuchstaben stand über dem Tresen der Empfangsdame "Mercer-Hest Publications". Die modisch gekleidete Rezeptionistin sah auf Izzys Mappe. "Sind Sie wegen des Vorstellungsgesprächs hier?" "Ganz recht." "Nehmen Sie Platz. Es wird gleich jemand bei Ihnen sein." Sie drückte einen Knopf an ihrem Telefon und murmelte etwas in den Apparat. Doch Izzy war zu nervös, um sich zu setzen. Statt dessen schritt sie durch den Raum und betrachtete die Poster an den
Wänden, allesamt Vergrößerungen von Titelbildern der verschiedenen Mercer-Hest- Zeitschriften. "Ms. Fabrioni?" Izzy drehte sich um und sah sich einer jungen blonden Frau mit Brille gegenüber, die sie von einer Tür aus zu sich winkte. "Ich bin Sandra. Wenn Sie mir bitte folgen wollen." Sandra führte sie in ein Konferenzzimmer und zog sich mit den Worten "Sie werden gleich bei Ihnen sein", zurück. Izzy legte ihre Mappe auf den riesigen schwarzen Konferenztisch und ging zur getönten Fensterfront. Die Fußgänger und Autos unten auf der Straße waren winzig wie Insekten. "Hallo, Kaffeebohne." Izzy stockte der Atem. Langsam drehte sie sich um. Clay stand im Türrahmen, in einem dunkelblauen Anzug und der silbernen Krawatte, die er zu ihrer Hochzeit getragen hatte. Er lächelte. "Willst du nicht wenigstens hallo sagen?" Izzy brachte keinen Ton heraus. Jemand drängte sich per Ellbogen an ihm vorbei. "Izzy! Du bist gekommen!" Harry kam um den Tisch und nahm sie in den Arm. Nun fand auch Izzy ihre Sprache wieder. "Würde mir bitte mal jemand erklären, was hier vorgeht?" Clay wollte beginnen, doch Harry hob die Hand und meinte: "Nach der Lawine am Wolf Peak eröffnete ich Clay, daß ich nicht länger für ihn arbeiten könnte, wenn er weiterhin versuchen würde, sich für das Magazin umzubringe n." Izzy staunte. "Du hast bei ,The Edge' gekündigt und bei Mercer-Hest angefangen?" Clay trat näher. "Wie sich herausstellte, war das nicht nötig." Harry machte es sich in einem der Sessel bequem und legte die Füße auf den Tisch. "Ich kam an jenem Montag morgen, nachdem wir aus Colorado zurückgekehrt waren, ins Büro, um ihm meine Kündigung zu geben. Nur tauchte der Kerl überhaupt
nicht auf. Also rief ich ihn gegen Mittag zu Hause an. Er nahm beim ersten Klingeln ab und meldete sich mit: ,Izzy?'" Izzy sah zu Clay, der ihren Blick erwiderte. "Er erzählte mir, du hättest ihn verlassen", fuhr Harry fort. "Und weil ich ein fürsorglicher Freund bin, fuhr ich sofort zu ihm. Du hättest ihn sehen sollen. Er trug noch immer seinen Bademantel, war unrasiert, und seine Haare standen ihm wirr vom Kopf. Zuerst dachte ich, er sei betrunken, denn er redete unaufhörlich. Doch er war bereits bei der zweiten Kanne Kaffee. Es zeigte sich, daß er gerade mit Jack Mercer telefoniert hatte." "Ich fragte ihn, ob er noch immer daran interessiert sei, ,The Edge' zu kaufen", erläuterte Clay. "Er wollte, also erklärte ich, er könnte es zu seinem letztgenannten Angebot haben." Izzy blinzelte. "Du gibst das Magazin nicht mehr heraus?" Clay grinste. "Es gehört jetzt Jack, ich habe ein neues Magazin gegründet für ganz normalen Skisport." ",East Coast Skiing"', sagte sie. "Richtig. Schluß mit den waghalsigen Stunts." Er zuckte die Schultern. "Mein Herz schlug schon lange nicht mehr für Extremsport. Du hast mich nur dazu gebracht, etwas zu tun, was ich ohnehin längst tun wollte." "Moment mal", meinte Izzy. ",East Coast Skiing' ist doch ein Mercer-Hest-Magazin." "Falsch." Clay kam auf sie zu. "Das denkst du, weil du zum Vorstellungsgespräch hierhergekommen bist. Aber das war meine Bedingung an Jack: Er sollte mir erlauben, seine Büros zu benutzen, um mir eine neue Redaktionsmannschaft zusammenzustellen, weil ich nicht in Connecticut Vorstellungsgespräche führen wollte." "Connecticut?" "Ja, die Redaktion des neuen Magazins wird in Stanfield sein", erwiderte Clay. "In dem alten Rathaus, gleich am Village Square." Izzy erinnerte sich an das hübsche Gebäude mit den Rundbogenfenstem und den Säulen. Was für ein wundervoller
Ort zum Arbeiten, und Lichtjahre entfernt von diesen Ungetümen aus Stahl und Glas. Harry setzte sich grinsend auf. "Aber das ist nicht der einzige Grund. Clay fürchtete natürlich auch, daß du gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch erscheinst, wenn du weißt, daß es sich um sein Magazin handelt. Eine Adresse in Stanfield hätte die Tarnung sofort auffliegen lassen." Izzy schüttelte den Kopf. "Was hat euch so sicher gemacht, daß ich die Anzeige lese und mich vorstelle?" Clay grinste frech. "Ich habe Teddy beauftragt, sich darum zu kümmern. Izzy schlug sich vor die Stirn. "Natürlich! Kein Wunder, daß sie so scharf darauf war." "Nun, laß uns deine Layout-Entwürfe sehen." Clay rieb sich die Hände und schlug ihre Mappe auf. "Sie sind großartig. Du bist engagiert." "Du hast ja nicht einmal einen Blick darauf geworfen", bemerkte Izzy. "Willst du den Job denn nicht?" fragte Clay mit funkelnden Augen. "Das kommt darauf an, worum es hier wirklich geht", erwiderte sie. "Weshalb du ,The Edge' verkauft und das neue Magazin gegründet hast." Clay wandte sich an Harry. "Das ist das Stichwort für dich, zu verschwinden." "Okay." Harry stand auf. "Vermassle es diesmal nicht", murmelte er beim Hinausgehen. Izzy und Clay sahen einander an und lachten. Clay streichelte ihre Wange. "Es ist so schön, dich lachen zu sehen. Verdammt, es tut überhaupt gut, dich zu sehen." Sie tat, als studiere sie die Entwürfe. "Ich dachte die ganze Zeit, du würdest anrufen." Er trat hinter sie. Sie spürte seine Nähe, seine Wärme. "Ich hatte Angst, du würdest sofort auflegen, bevor ich dir
garantieren könnte, daß ich keine waghalsigen Stunts mehr für ,The Edge' mache." Sie drehte sich zu ihm um. "Dafür hast du das Magazin an Jack Mercer verkauft? Um mir die Garantie geben zu können?" "Natürlich. Warum sonst?" Ein leichtes Unbehagen stieg in ihr auf. "Du hast das Magazin geliebt." Clay kam näher, wodurch sie gegen den Tisch stieß, und legte die Arme um sie. "Vertrau mir, ich liebe dich viel, viel mehr." Dann fügte er leise hinzu: "Übrigens habe ich in letzter Zeit eine Vorliebe für Tische entwickelt." Er küßte sie und drängte sich an sie. Izzy gab sich ganz diesem Kuß hin, so sehr, daß sie fast nicht bemerkte, als er sie auf den Tisch hob und ihren Rock hochzog. "He!" rief sie, hielt seine Hand fest und deutete auf die Fensterfront. "Halb Manhattan kann uns zuschauen!" "Das ist das Gute an getönten Scheiben. Wir können zwar hinaussehen, aber niemand kann hineinsehen." Er zog sie auf dem Tisch zu sich heran, so daß er zwischen ihren Beinen stand, und packte ihre Hüften. "Sag mir, daß ich kein Narr bin, weil ich deinetwegen ,The Edge' verkauft habe." "Du bist kein Narr", flüsterte sie und küßte ihn. "Du bist wundervoll. Außerdem hast du es nicht für mich getan, sondern für uns. Und dafür liebe ich dich. Du kannst dir nicht vorstellen, was es mir bedeutet." Erneut küßten sie sich. Dann sagte er: "Da ich gerade auf Erfolgskurs bin, sag mir auch gleich, daß du nichts dagegen hast, wenn wir noch einmal kirchlich heiraten." Benommen nickte sie. Er strich mit den Lippen zärtlich über ihre. "Und versprich mir, daß du ein langes, weißes Kleid mit Schleier trägst, und daß wir uns jede Nacht lieben, bis ans Ende unserer Tage." Er liebkoste ihre Brüste, worauf sie erschauerte.
"Ja", hauchte sie.
"Weißt du, was ich mir noch wünsche?" Er berührte zärtlich
ihren Bauch. "Ich möchte, daß wir bald ein Kind bekommen." Sie grinste. "Weißt du, was ich denke?" "Was?" "Ich denke, dann sollten wir jetzt besser nach Hause gehen." Und das taten sie.
-ENDE