Rudolf Daumann
Okapi das falsche Johnstonpferd
1956
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
SIR HARRY JOHNSTON Drei Kupfertrompe...
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Rudolf Daumann
Okapi das falsche Johnstonpferd
1956
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
SIR HARRY JOHNSTON Drei Kupfertrompeten begannen zu schmettern; die neugierigen Affen flüchteten schleunigst in die höchsten Wipfel der Viktoriapalmen. Dreißig Baumtrommeln wurden von sechzig ebenholzschwarzen Negern geschlagen, als sollte das Donnern eines Tropengewitters nachgeahmt werden. Hundert somalische Askaris* (Wort- und Sacherklärungen am Schluß des Heftes) standen stramm und präsentierten ihre plumpen Hinterlader, die eigentlich längst ins Museum gehörten. Mit solchen Gewehren hatten vor fast dreißig Jahren die Deutschen und Franzosen aufeinander losgeknallt. Tief senkten sechs weiße Sergeanten und vier blonde Offiziere ihre funkelnden Degen. Auf die Veranda des Rindenhauses trat der lange Adjutant Steven McMahon in wehendem Scbottenröckchen und schneeweißer Tropenjacke, das Schottenschiffchen mit den bunten Bändern verwegen auf das linke Ohr gerückt, und verkündete: „Achtung! Der Herr Gouverneur von Ihrer Majestät Schutzgebiet Uganda, Sir Harry Johnston!" Die Trompeten überschrien sich, die Trommeln schlugen einen letzten höllischen Wirbel; dann war plötzlich Stille, wenn man von dem aufgeregten Geschnatter der Affen nichts hören wollte, und an der Brüstung des Amtshauses zu Entebbe zeigte sich Sir Harry Johnston, Gouverneur der britischen Kolonie Uganda, am und nördlich des großen Viktoria-Sees gelegen, der Herr der Nilquellen, gehüllt in eine prunkvolle goldüberladene blaue Uniform, den federgeschmückten Zweispitz jetzt zur Begrüßung seiner weißen, braunen und schwarzen Getreuen ein wenig lüftend. Bewundernde Rufe aus den Scharen der Schwarzen begrüßten den Gouverneur. Drei Negerkönige des Schutzgebietes, gestützt auf ihre ersten Berater, traten näher und warfen sich vor der Veranda auf die Erde, bis ihre Stirnen
in den Staub tauchten. Die Frauen der Gedemütigten, und das waren sehr viele, stießen jammervolle Schreckensschreie aus. Die Askaris feuerten eine knatternde Salve gen Himmel, und die weisen Affen flüchteten endgültig aus diesem Reiche des Lärms und stinkenden Pulverdampfes. „Gut arrangiert, McMahon!" flüsterte Gouverneur Sir Harry Johnston seinem Adjutanten zu. „Lassen Sie das alles genau zeichnen, vielleicht auch fotografieren ... Unsere Uraltmajestät, Kaiserin von Indien und Königin von England, Schottland und Irland, Viktoria Alexandrina — Gott verlängere ihr Leben — sieht so etwas mit ihren mehr als achtzig Jahren gern!" „Wird gemacht, Herr Gouverneur!" brummte der Schotte. „Jetzt müssen Sie den dreien da, den Negerschurken, gestatten, ihre krausköpfigen Häupter zum aufsteigenden Union Jack zu erheben. Baleekemio steht hinter Ihnen!" Baleekemio war der Dolmetscher; er verstand, die knappen englischen Weisungen in die siebzehn Sprachen und vierzig Dialekte des großen Landes Uganda zu übersetzen. Kein Weißer wußte, was er sagte. Aber seinen Weisungen gehorchten alle, die nicht heller Hautfarbe waren; auch die hochmütigen Araber, die trotz strengster Verbote ihren Sklavenhandel weiterbetrieben. Leutnant Karl Eriksson — aus dem kalten Schweden in die schwülen Wälder am Semliki verschlagen —, der vom belgischen Fort Beni nach Entebbe herübergekommen war, um dem hohen Staatsakt beizuwohnen, mußte sich auf die Zunge beißen, um nicht zu lachen. Denn Baleekemio hieß die schwarzen Könige „wilde Waldschweine, nicht würdig, die Sonne zu schauen!", drohte: „alle eure tausend Weiber wird der neue weiße Götterherr nehmen und mit ihnen sein Haus schmücken!", verlangte: „doppelten Kniefall, wenn sich entfalten wird das Wundertuch mit den vielen Farben und Zeichen, wo-
rauf ihr gebunden seid immer und ewig an den Gewaltigsten der Gewaltigen, an Sir Harry Johnston, Oberkönig aller Stämme am Ukerewe und in Uganda!" Ukerewe, das war der riesengroße Viktoria-See, und Uganda bedeutete soviel wie „glückliche Heimat!" Während an dem hohen Fahnenmast langsam die Flagge Großbritanniens und Irlands, der Union Jack, emporstieg, im frischen Morgenwind das breite rote Balkenkreuz im vielgeteilten blauen Felde entfaltete, meinte Sir Harry Johnston zufrieden: „Nicht die grüne Halbmondfahne Ägyptens, kein Gedanke mehr an Emin Pascha und seine verrückte Idee, hier die deutsche Fahne wehen zu lassen! Die Aufstände unterdrückt, die Könige am Ukerewe gedemütigt ... McMahon, nun werden wir unsere echt britische Arbeit beginnen: Forschung und Gewinn, Erschließung und... Was meinen Sie, wie hoch morgen an der Londoner Börse die Aktien der Uganda-Erschließungsgesellschaft notiert werden?" „Ich könnte 1000 Prozent Kursgewinn vertragen!" sagte sein Adjutant. „Verflucht heiß, Sir Harry Johnston! Hier die Rede... Immer nur einen Satz sagen und warten, bis Baleekemio hustet... dann nächsten Satz! Am Ende Hut lüften und feierlich warten, bis Rollsalve der Askaris verhallt!" „Danke, Steven! Schauerlich so etwas, aber wahrscheinlich sehr eindrucksvoll! Nachher die Abgeordneten vom Semliki zurückhalten. Da gibt es nämlich ein zoologisches Rätsel... Schon von Stanley, ja, Sir Henry Stanley, vor fünfzehn Jahren mir verraten. Ja doch, ich fange gleich an!" Der Gouverneur sprach: „Meine lieben Schutzbefohlenen aus unserem großen Lande Uganda, von den Ufern des Riesensees Ukerewe bis hinauf zu den schäumenden Fällen des Nils, gesegnet sei die Kaiserin von Indien, die Königin der vereinigten Reiche... Drei Cheers für Viktoria Alexandrina!"
Leutnant Karl Eriksson sah Sir Johnston dreimal feierlich den federumwallten Zweispitz lüften, als die Jubelrufe ausgebracht wurden, und lächelte, während er überlegte, wie komisch dieser altenglische Prunk sich in dieser Tropenlandschaft ausnahm. Hier in Entebbe, der Residenz des Gouverneurs von Uganda, und drüben hinter dem rauschenden dunklen Semliki, in Fort Beni, dem letzten vorgeschobenen Urwaldposten der Kongo-Kompanie, so ein Theater entfalten! Darum war er ja eigentlich nicht in die wunderbaren Äquatortropen gegangen. Er fühlte, wie unter seinem blauen Waffenrock die Schweißbächlein rannen und die graue Paradehose feuchter und feuchter wurde. Aber aushalten mußte er, mochten auch seine hohen Schaftstiefel beinahe voll Wasser stehen. Dienst ist Dienst, auch ein Grad nördlich vom Äquator. Er hörte zwischen seinen Gedanken: „Wunderbares Glück dieser Stunde... die treusorgende Mutter des Staates ... Viktoria, Kaiserin von Indien und Königin... an ihrem Herzen alle gebettet, ob weiß oder braun oder gelb oder schwarz... Das Imperium... in Ihrer Majestät Landen geht die Sonne wirklich nicht unter..." Sir Johnston sprach etwas lispelnd, dafür brüllte und gurgelte der Dolmetscher um so mehr. Und Eriksson erinnerte sich, warum er aus den kühlen Wäldern Schwedens fortgegangen war, er, berufen, vielleicht ein Nachfolger des großen Karl von Linne zu werden, Naturkundler, die Welt der Tiere erforschend und beschreibend, um dann heimzukehren und die stolze Swanehild op Klomsberg doch noch davon zu überzeugen, daß Karl Eriksson ein Mann sei, dessen Name groß geschrieben werde am Himmel der Gelehrsamkeit von Upsala! Vierundzwanzig Jahre war Karl Eriksson alt; seit zwei Jahren tat er Dienst, erst im gemütlichen Kinschassa am großen Kongo, nun schon anderthalb Jahre im urwaldumrauschten Fort Beni am Semliki, dem gegenwärtigen Grenzfluß zwischen der britischen Kolonie
Uganda und dem Kongostaat Leopolds II. von Belgien. Achtzig Tage Fußmarsch und dreißig Tage Flußfahrt, erst dann konnte man den Atlantikhafen erreichen, von dem alle drei Wochen ein schmutziger Dampfer nach Norden fuhr, nach Antwerpen, Hamburg, vielleicht nach Stockholm. Man durfte bei der lähmenden Tropenglut nicht daran denken, wie schön kühl jetzt die Winde durch die Birkenhaine von Upsala strichen. Er fuhr aus seinen Träumen auf. Hatte da nicht soeben der freche Dolmetsch gesagt. „Der Gewaltigste der Gewaltigen, Gouverneur Harry Johnston, wird mit dem Kranze des Ruhmes krönen, wer ihm Nachricht und sichtbare Beweise bringt von dem versteckten Riesenschwein und dem scheuen Streifenpferd der schweigenden Wälder am Runsoro und Kirunga. Höher als die gedemütigten Könige am Ukerewe wird sein Name gesetzt werden in die ewigen Bücher des großen Volkes der Anglesi!" Die Araber schüttelten ihre Körper unter den weit wallenden feuerroten oder schneeweißen Burnussen, sicher vor Lachen. Die Schwarzen stießen sich grinsend an und vernahmen voller Staunen: „Die Schatzkammern der weisen und wohledlen Herren werden sich öffnen, und zusammenbrechen wird der Wissende unter der Last der Dankesgaben! Darum macht die Augen auf, seht um euch, Ochsenäugige!" So also! Auch Sir Harry Johnston war auf der Fährte nach den seltsamen Wundertieren der unermeßlichen Urwälder. Schau an, und er setzt gleich den ganzen Reichtum des britischen Imperiums ein, um seinen Ruhm als Tierforscher und -entdecker zu begründen. Da kann ein armer Leutnant von der Schutzmacht des Kongostaates ja verzweifeln. Das Streifenpferd der schweigenden Wälder! Unsinn, Pferde, die in Urwäldern leben! Ich werde Seiner Exzellenz dem Herrn Gouverneur beim Galadiner mal etwas auf den Zahn fühlen!
Versammelt waren an diesem 12. Dezember des Jahres 1899 an der Tafel Sir Johnstons zu Entebbe die Vertreter der belgischen, französischen und deutschen Kolonialherren nebst den hohen Offizieren und den Kronbeamten der Kolonie Uganda, die nun nichts mehr von den Mahdisten zu befürchten hatten, seitdem vor mehr als einem Jahr Lord Kitchener die wilden Speerschwinger durch die modernen Maschinengewehre bei Omdurman niedermähen ließ. Aus dem Schädel des Führers der aufständischen Sudanesen hatte er eine Schreibgamitur — Tintenfaß, Federschale, Bleihalter — arbeiten lassen und sie der britischen Königin feierlich überreicht, wie Sir Johnston augenzwinkernd mitteilte. „Ihre Kaiserliche und Königliche Majestät haben sich außerordentlich erfreut gezeigt, den unruhigen Kopf nun einer so friedsamen Beschäftigung zugeführt zu sehen. Jetzt ist auch in Faschoda der letzte Widerstand erloschen. Wir können uns vereint den friedlichen Aufgaben widmen, und ich gedenke meinen Teil ehrlich beizutragen, worauf ich mein Glas erhebe!" Draußen auf dem weiten Ratsplatz von Entebbe feierten auf Gouverneurskosten die Schwarzen den Tag bei unergründlichen Hirsebierbehältern und riesigen Schmorochsen am Spieß. Eigentlich war es ja ihr Eigentum, was sie verzehrten, als Sondersteuer geliefert für diesen Tag. Doch das konnten die einfachen Naturkinder nicht unterscheiden. Sie sprachen und sangen von dem geheimnisvollen Streifenesel und dem gespenstischen Riesenschwein und von dem Lohn, den die kühnen Jäger ernten würden. Leutnant Karl Eriksson wurde von dem Adjutanten Steven McMahon, als man nach dem üppigen Mahle bei den zwei oder drei Flaschen Portwein für die Gentlemen angelangt war, zu dem imitierten Kamin herangewinkt, an dessen rechter Seite der Gouverneur thronte.„Sir Harry Johnston hörte, Sie hätten Zoologie studiert! Interessiert ihn natürlich. Sir Harry ist
blutiger Laie auf diesem Gebiet, aber sehr ehrgeizig, unter uns gesagt", belehrte ihn Steven. „Erzählen Sie ihm mal einige Wunderdinge von den Geheimnissen des Urwaldes. Müßt ihr doch in Fort Beni aus erster Hand haben!" Der junge Schwede trat, sein Glas in der Hand, näher und wurde sofort von Sir Johnston mit Beschlag belegt. „Ahoa, Mister... Ja, wie heißen doch gleich? Richtig ... Eriksson! Tja, von Fort Beni. Sehr angenehm... sehr", quetschte er zwischen seinen Pferdezähnen hervor. „Zoologie, wie ich gehört... gar schon Magister? Sehr im Bilde, hähähä! Mein großer Freund Lutley Sclater von der Londoner Naturforschenden Akademie, ja, der Königlichen Gesellschaft, ist durchaus der Meinung, daß es auch waldbewohnende Pferde geben müßte, einen Equus silvestris, durchaus möglich, Mister... Mr. Eriksson!" „Meinen Euer Gnaden das rätselhafte Okapi der Akka und der Niam-Niam?" fragte er. „Aber genau! Okapi... Esel mit Streifen, direkt übersetzt!" freute sich der Gouverneur. „Pferde gibt es des Klimas wegen hier nicht. Doch Esel... O Himmel, wie dröhnen mir von ihrem Geschrei manchmal die Ohren. Sehen Sie, Mister... aus Schweden; Pferd — eselähnlich, Waldesel doch nur Schimpfwort seit Shakespeares Zeiten... Zebra als Steppentier unmöglich im Urwald ... Nach logischem Schluß doch nur Waldpferd denkbar? Habe ich Gründe überzeugend dargelegt?" Eriksson entgegnete sachlich: „In der Zoologie entscheiden keine logischen Gründe. Man muß die Sache bringen, also Fell, Schädel, Knochengerüst, am besten das ganze neuentdeckte Tier lebend. Ich habe manches vom Okapi gehört, besitze einige Fellreste..." „Ich ein ganzes Fell!" behauptete der Gouverneur. „Na, sagen wir, die Hälfte, die reichliche von ihm! Akkas, wissen Sie, die Zwergschwarzen, brachten es mir. Meine Uniamwesi breiteten
es über einen Esel, einen starken sozusagen — und es paßt! Tatsächlich, es paßt. Wenn es keinen Waldesel gibt — hiha, muß immer an eine schlimme Redensart über diese phantastische Erfindung unseres großen Schwans von Avon denken —, muß es ein Waldpferd geben! Zu dem beinahe halben Fell noch die Lederstreifen der Buschnigger, als Hüftgürtel getragen, dazu meine Erkundungen und Berichte! Mein Freund, der sehr ehrenwerte Professor, zugleich Mitglied der Königlichen Akademie zu London, Lutley Sclater, meint, das genüge bereits völlig, damit die Naturforschende Gesellschaft eine neue Tierart feststellen kann, ein innerafrikanisches Waldpferd, das wahrscheinlich den Namen tragen wird: Equus johnstoni, das Johnstonpferd! Wir schreiben jetzt noch nicht 1900, aber noch im Jahre 3000 wird mein Name leben in Erinnerung an diese große Entdeckung!" Der junge Schwede nahm einen tiefen Schluck von dem guten Portwein, ehe er begann: „Ich gratuliere Euer Exzellenz zu dieser bewundernswerten Entdeckung. Jedoch, ich habe auch bereits einiges Material über das O-a-pi oder Okapi gesammelt, schon einmal auf einer Streife gegen die Sklavenjäger einen Braten aus der Hinterkeule des merkwürdigen Tieres verzehrt. Leider hatten dann meine Uniamwesischützen das Fell bereits zu schmalen Streifen zerschnitten, weil sie glaubten, es stecke, wahrscheinlich des Seltenheitswertes wegen, viel Zauberkraft darin. Von der Feuerstelle nahm ich einige Knochen mit. Nein, ein Pferd ist das Okapi nicht. Ich habe leider so wenig vergleichbares Material. Ebensowenig ein Waldpferd wie ein Waldkamel oder ein Waldstier, mit Verlaub, Euer Gnaden, zu sagen. Dieses O-a-pi läßt sich meiner bescheidenen Meinung nach überhaupt nicht in unsere zoologischen Bestandsverzeichnisse einreihen. Das ist ein Unikum, eine Einmaligkeit, vielleicht ein Überbleibsel aus uralter Vergangenheit."Sir John-
ston lachte hellauf. „Sie wollen mir wohl schmeicheln wegen meiner Entdeckung, Leutnant... äh ... Eriksson! Natürlich! Hören Sie, ich bin, obwohl ich Gouverneur Ihrer Majestät Viktoria bin, stark zufrieden, eine Unterart der Gattung Pferd entdeckt zu haben — und Sie? Nein, Leutnant, machen Sie sich nicht vor der gelehrten Welt lächerlich! Es handelt sich doch nicht um einen Wurm oder um eine Schnecke. Ein mannsgroßes Tier! Mein Freund Stanley sprach bereits vor siebzehn Jahren von dem Urwaldpferd. Tja, wohin wollen Sie denn das Okapi setzen, ich meine, auf welche Liste der tierkundlichen Forschung?"Es waren viele herangetreten, um den hohen Gouverneur von seinem Steckenpferd plaudern zu hören. Sie lachten alle mit ihm und nahmen einen tiefen Schluck von dem edlen Getränk. Und es blieb allen der Mund offenstehen, als dieser unbedeutende kleine Leutnant der kongostaatlichen Fremdenlegion ganz sachlich erklärte: „Das Okapi... Die Giraffen sind gefleckt. Sollte es nicht auch eine gestreifte Art geben?" Da donnerte ein Gelächter durch die Rindenhalle des Kolonialamtes, als sei der schlechteste Witz des ganzen britischen Imperiums erzählt worden, oder vielmehr der beste. Sogar der Kronrichter, der steife Ry Lankester, schüttelte seinen Kahlkopf und krähte: „Muß ich meinem Neffen Ray Lankester schreiben. Ja, dem Säugetierforscher von der Königlichen Akademie. Das Monstrum von einer Giraffe... Kopf vier Meter oder sechs über dem Erdboden, mitten zwischen den Schlinggewächsen des Urwaldes. Den hochmütigen Ray trifft der Schlag." Karl Eriksson drehte sich auf dem Absatz um. „Hoffentlich nicht so bald! Denn Ray Lankester wird beweisen müssen, was ich eben gesagt habe! Und da er ein guter Wissenschaftler ist, wird er einmal seine Stimme für mich erheben!"
„Sie gehen schon?" fragte draußen auf der Veranda Steven McMahon. „In Entebbe ist nicht viel los, aber drüben bei euch in Fort Beni... mindestens alle Höllendeibel der verdammten Tropen!" „Ich habe sieben Tage Marsch mit meiner winzigen Safari!" sagte der junge Schwede bescheiden. „Außerdem, Steven, lassen Sie sich gerne auslachen? — Diene treu weiter deinem Johnstonpferd! Hoffentlich sehen wir uns an den schwarzen Ufern des blanken Semliki bald wieder!" ALLAH IST GROSS Nach dem zweiten Marschtage ließ Leutnant Eriksson dicht bei der Niederlassung eines reichen arabischen Handelsherrn das Nachtlager aufschlagen. Er kannte Mahmud Abd Ismail gut, der mitten in der Hochsteppe Ugandas eine kleine Stadt gegründet hatte. Von hier aus waren einst seine Sklavenjäger ausgezogen, um das Schwarze Elfenbein aus den riesigen Wäldern des Kongolandes zu holen. Hier wurden dann die Sklavenkarawanen zusammengestellt, die zu den Märkten in Wadelai und Lados, manchmal sogar bis nach Faschoda oder Chartum hinabzogen. Doch der grimme Löwe Mahmud Abd Ismail war zahm geworden. Strenge Gesetze der weißen Schutzmächte untersagten den Handel mit Menschen. Kein Raubzug gegen die friedlichen Negerstämme durfte mehr unternommen werden. Seine tollkühnen Sklavenjäger hatte er entlassen müssen. Die Niederlassungen am Udjidji und Ikomba waren im Verlauf des großen Araberaufstandes gegen die Deutschen zerstört worden. Jetzt warb der alte Araber Plantagenarbeiter an und vermittelte sie mit gutem Gewinn nach Uganda und Usumbura, stellte Trägerkolonnen zusammen und schaffte die Waren der weißen Herren, wohin man sie im Nil- oder Kongolande dirigierte. Bis nach Sansibar und bis nach Kinschassa reichten sei-
ne Handelsbeziehungen. Aus dem Sklavenräuber war der geachtete Großkaufmann Mahmud Abd Ismail geworden, der in seiner weitgestreckten Tembensiedlung Mahmudia herrschte wie ein ungekrönter König. Das Zelt war noch nicht errichtet, da nahte schon der Leibdiener des Arabers und lud Leutnant Eriksson ein, das Rasthaus von Mahmudia nicht zu verschmähen. „Wir wissen von deiner Reise, und Mahmud Abd Ismail würde gekränkt sein, wenn du in seinem Schatten nicht den Frieden Allahs suchen möchtest. Nein, er braucht keine Gastgeschenke! Er braucht Botschaft aus der weiten Welt und sucht ein kluges Wort in der Einsamkeit seiner Tage. Siehe, der Kaffee ist bereit, und die fetten Nieren des Hammels rösten schon. Für dich und deine Diener ist reichlich gesorgt!" Karl Eriksson schüttelte den Kopf. „Freund Ali, bestelle deinem Herrn, ich sei nicht aufgelegt zu langen Gesprächen. Außerdem habe ich mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen. Zwei seiner Trägerzüge aus dem Lindigebiet haben sich schlau an Fort Beni vorbeigeschlichen. Natürlich haben sie wieder reichlich Schmuggelgut mitgeführt Die Herren unseres großen Landes erwägen einen harten Richterspruch. Und daher will ich die Gastfreundschaft eines schuldigen Sünders nicht annehmen!" „Oh, ihr werdet euch einigen!" beschwor ihn der Leibdiener. „Mahmud Abd Ismail, die Sonne Allahs möge ihm noch lange leuchten, wird Euch so viel Buße zahlen, wie Ihr fordert. Nicht er hat es angeordnet. Der Safariführer wollte ihn betrügen, rechnete ihm den Semlikizoll genau auf. Der hat sich das strittige Geld in die Tasche gesteckt. Wegen zwanzig Goldstücken streitet sich mein Herr mit den Gewaltigen von Fort Beni niemals." „Aber vielleicht wegen hundert Balogga-Jünglingen, die er oder seine Beauftragten aus ihrer Heimat entführt haben!"
„Die sind freiwillig gekommen!" ereiferte sich der Leibdiener Ali. „Die Inglesi suchen fleißige Arbeiter!" „Und ihr habt sie beschwatzt oder mit Hanfrauch trunken gemacht, bis sie euch wie die dümmsten Lämmer folgten. Fleißige Arbeiter braucht das Kongoland auch. Die Anwerbung von Kontraktarbeitern für das Ausland ist im Kongoland verboten!" „Besprich alles mit meinem Herrn! Er wandelt nun in seinem Alter den Pfad des Rechts, und sollte er abgewichen sein, so führe ihn darauf zurück!" Eriksson winkte seinen wenigen Soldaten und Trägern. „Gut, ich will Mahmud Abd Ismail ins Gewissen reden! Vielleicht verrät er mir auch, wo er die fünf hübschen Balogga-Mädchen gelassen hat, die er von habgierigen Dorfhäuptlingen kaufte." Ali verbarg sein braunes Gesicht in den rotgefärbten Handflächen. „Euch bleibt nichts verborgen, wie Allah, dem Herrn der Morgen- und Abendröte. Er nimmt seinen Weg und zählet alle unsere Taten, die guten und die bösen. Doch die fünf Mädchen, siehe, sie leben unter meines Herren Dach und haben Spiel und Tanz und Speise und Trank allerweile. Sie werden nicht mehr zurück wollen in die finsteren Wälder." Eriksson lachte grimmig. „Jawohl, bis er sie als Tanzmädchen nach Entebbe oder Tanga oder Sansibar verkaufen kann. Es wird keine heitere Zwiesprache sein, die ich Mahmud Abd Ismail beschere!" Scheu huschten die Frauen von Mahmudia an der Veranda der großen Haupttembe vorbei, solange aus dem schattigen Dunkel die streitenden Stimmen klangen. Die Sonne war am Untergehen, und andächtig trugen die Hausdienerinnen die Rosenöllampen herbei, als Ali auf die oberste Treppenstufe trat und feierlich verkündete: „Zum Gebet! Ihr Rechtgläubigen, alle zum Gebet! Allah ist groß, und Mohammed, sein Prophet, mit ihm!"
Mahmud Abd Ismail deutete auf seinen weichen Polstern nur die vorgeschriebenen Verbeugungen an. Während von draußen noch die wilden Aufschreie der Gläubigen hereinklangen, hob der weißbärtige Handelsherr schon wieder seinen silbernen, mit vielen bunten Edelsteinen geschmückten Becher und schlürfte von dem köstlichen Trank. „Ich wußte, wir würden uns verständigen, Siddi aus Fort Beni. Ich habe unverzeihlich gehandelt, als ich nicht zu Euch an den dunklen Semliki kam und bekannte: Schuldig bin ich geworden, nicht aus Bosheit, nur aus Nachlässigkeit! Ihr ließet mich in meiner Schuld, weil Ihr mich nicht mahntet zur Sühne. Nun möge uns der milde Mond Kühlung spenden. Soll ich die Tänzerinnen rufen?" Karl Eriksson schüttelte den Kopf. „Nein, ich mag das Gehüpfe nicht. Ich hörte, du hättest in deinen Schatzhäusern vielerlei gesammelt, wunderliche Dinge, wie sie die Niam-Niam schmieden und die Akkas schnitzen. Würdest du mich einmal die besten Stücke schauen lassen?" Mahmud Abd Ismail machte ein gelangweiltes Gesicht. „O Herr, es ist gegen die Gebote des Propheten von unwissenden Ungläubigen gefertigt. Kein Abbild noch Gleichnis sollst du dir machen von allem, was Allah geschaffen hat! So befahl Mohammed und auch Mosis! Gepriesen seien ihre Namen!" Der Leutnant lachte. „Du machst deine Ware schlecht! Ich weiß, daß dein Vertreter Raisul dem Dr. Benoit vom KongoMuseum zwanzig Trägerlasten Negerkunst angeboten hat. Ich kenne Benoit gut. Vielleicht kann ich zum Kauf raten! Zeig mir deine Schnitzereien!" „Es ist sehr viel. Zahlreiche Lagertemben voll! Was im Laufe eines langen Lebens zusammenkommt. Du weißt es nicht, o Fremdling; denn du bist noch jung!" „Zeige mir nur das Seltene! Deine Augen haben im Leben
viel geschaut. Du weißt zu vergleichen. Lehre mich erkennen, was ein Wunder vor Allah ist." „Vor Allah gibt es kein Wunder. Allah ist groß, so groß!" Mahmud Abd Ismail kaute nachdenklich an der Bernsteinspitze seiner Wasserpfeife. „Gut, du willst... also sollst du schauen!" Er gab seinem Leibdiener einige Weisungen. Kurze Zeit später schleppten die Haussklaven große eisenbeschlagene Kisten herbei. Ali erhielt von seinem Herrn ein Schlüsselbund und öffnete die Sperriegel. „Die Akkas sehen wunderliche Dinge, und aus ihren Augen geht das Bild in die kunstvolle Hand", sagte gewichtig der alte Araber. „Aus den Stoßzähnen der gewaltigen Herren der Steppe und der Wälder, die ihr Elefanten nennt, schnitzen sie Bilder, weil es ihnen Allah nicht verboten hat." Er reichte dem Gast eine faustgroße Elfenbeinfigur hinüber. „Kennst du ihn?" „Simba, der Löwe!" rief Eriksson verwundert aus. „Zwar nicht gerade ein getreues Abbild, doch unverkennbar in seiner Haltung." „Ein alter, kranker Löwe!" belehrte ihn Mahmud Abd Ismail. „Siehe, er hat sich in den Dornbusch verkrochen und wartet auf den Erlöser Tod. — Weißt du den Namen dieses Tieres?" Wieder reichte er eine Elfenbeinschnitzerei über den niedrigen Tisch.„Ein tobendes Nashorn beim Angriff!" Der Leutnant tastete das Gebilde sorgsam ab. „Eine wunderbare Schabarbeit. Das muß ein großer Künstler sein, der ein so naturgetreues Abbild schuf." „Wenige Akkas beherrschen so ihre Hand!" betonte der Araber. „Berühmt und beliebt sind sie bei den Zwergmenschen. Sie gelten ihnen mehr als die Häuptlinge und die großen Jäger. Viele scharfe Messer habe ich gegeben, um diese wunderlichen Dinge einzutauschen. Nicht für fünfzig große Silberstücke möchte ich dir dieses Nashorn ablassen. Aber hierfür müßte
man mir hundert Maria-Theresien-Taler bezahlen." Sorgsam entnahm er einer flachen Holzschachtel eine neue Schnitzerei. Es war ein bunt bemaltes Flachbild, etwa so groß wie eine Männerhand. „Ein Wesen Allahs, das im Verborgenen lebt. Es meidet die Menschen, und die Menschen suchen es nicht, weil es Unheil bringt. Wie ein Esel geformt und doch keiner, wie, ein Zebra gebaut und doch keins. Hurtig wie ein Pferd, Schwanz und Borstenmähne der Giraffe. Allah ist groß, nur er konnte sich so ein Spielwerk ersinnen!" Eriksson stieß einen Ruf der Verwunderung aus. „Das ist ja ein Abbild des Okapi! So und nicht anders muß das Tier aussehen, das ich noch nie gesehen habe, von dem aber viel an den Lagerfeuern der Kongoschützen erzählt wird. Weißt du mehr von diesem Geschöpf Allahs?" „Ich sah in meinem langen Leben viermal diesen Waldgeist. Nein, nicht des Teufels Werk ist er. Ein friedliches Lebewesen, das sein Glück in der Einsamkeit der unendlichen Wälder sucht und findet. Dieses ist sein getreues Abbild. Das schwöre ich, und das schworen mir die kühnen Jäger, die den Wald und seine Geheimnisse kennen. Selten wie die Weisen, die den Koran vorwärts und rückwärts aufsagen können. Hundert große Silberstücke! Ich meine, das ist nicht zuviel verlangt." „Oder als Buße für die Entführung der Balogga-Mädchen?" warf der Leutnant schnell ein. „Der Resident ist sehr ergrimmt auf dich, Mahmud Abd Ismail! Vielleicht würde sein Zorn schwinden, wenn er deine Opferbereitschaft sieht!" Der arabische Handelsherr überlegte eine Weile. „Willst du mein Fürsprecher sein?" fragte er. „Ich schwöre dir bei den Freuden des Paradieses, nirgendwo haben meine forschenden Augen ein solches Abbild je gesehen. Und glaube mir, Fremdling, die kunstfertigen Hände der Akkas können nur schnitzen, was Allah geschaffen hat. Sie sind keine Teppichwirker, die
bunte Farben und Formen mischen, wie es der Traum eingibt. Dieses Tier, das Okapi, lebt und sieht so aus!" Sorgsam hüllte er die Figur in weichen Bast und legte sie in die kunstvoll bemalte Holzschachtel. Mit einer tiefen Verbeugung überreichte er sie Eriksson. „Sei mein Mund und meine Zunge vor dem gestrengen Herrn der Stanleystadt. Und der weise Mann, der solche Dinge zu kaufen sucht, der möge auf meine Träger in Fort Beni warten. Ich werde ihm das Schönste aus meinen Schätzen senden!" Als am anderen Tag die kleine Schar zum Semliki weitermarschierte, trug Karl Eriksson das Flachrelief des Okapi selbst in seinem kleinen Tornister. Er zeigte es bei der abendlichen Rast seinen Schützen und Trägern; doch keiner kannte Namen und Art dieses seltsamen Lebewesens. Ein Uniamwese lachte. „Das ist ein Hirngespinst von kleinen Akkaleuten. Die machen auch lächerlich Riesenschwein und komisch Waldvogel, die kein Mensch kennt. Was die sich zusammenträumen, Effendi, ist giftig Dunst aus Urwald und Sumpf." Doch der junge Schwede hatte zuviel Stücke der Akkakunst gesehen. Sein Wissen über das Vorkommen des Okapi war wieder einmal bereichert worden.
LEUTNANT PETER BUSCHENWEIER Es war vor Sonnenuntergang, also gegen sechs Uhr abends, am 31. Dezember 1899, kurze Zeit vor Anbruch eines neuen Jahrhunderts, wie Leutnant Peter Buschenweier, augenblicklich stellvertretender Kommandant von Fort Beni am Semliki im Kongostaat, behauptete. Leutnant Karl Eriksson widersprach ihm sehr energisch. „Unsinn, Peter! Das neue Jahrhundert beginnt Schlag zwölf am Silvesterabend 1900, also ein Jahr spä-
ter. Das neunzehnte Jahrhundert dauert von 1801 bis Schluß 1900, daher doch der Name!" „Kannst dir alle deine akademischen Rosinen an den nicht vorhandenen Hut stecken!" schnaubte ihn sein Freund an. „Ich vier, du zwei Jahre Fort Beni, und noch nicht beerdigt, wo der Friedhof von Monat zu Monat wächst! Lausig Glück gehabt, mein oller... oder vielmehr junger Schwede! Hundsfott, wer jetzt an den kühlen Wind über Zoons am Rhein denkt. Kennst du das Lausenest?" „Noch nie was von Zoons gehört! Am Rhein meinst du? Liegen viele Städte dort", sagte Karl Eriksson ziemlich geistesabwesend und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. „Aber Upsala in Schweden..." „Laß es dir sauer pökeln, Korrel! Zoons mit dem Judenturm, der aussieht wie eine Rotweinflasche, und der abgehackte Turm, dazu die schattigen Kastanien und die sauberen Mädches... Übrigens, vor einer bin ich weggelaufen bis hierher nach Fort Beni. Ob sie manchmal noch an den Peter Buschenweier denkt?" „Nicht in diesem und nicht im kommenden Jahrhundert!" stellte Karl Eriksson hart fest. „Weder in Upsala noch in Zoons. Verlorene Männer in Sumpf und Sand! Sterben wir nicht an der Malaria tropica, krepieren wir an der Schlafsucht oder dem Bagdadwurm. Schöne Aussichten, Pitter Buschenweier." „Ach, unke nicht, alte Eule!" Der hagere Rheinländer lächelte. „Schüttele nicht den Kopf über meine Tierkenntnisse! Hier in Fort Beni können sogar Eulen unken! Jedenfalls feiern wir heute den Anbruch eines neuen Jahrhunderts, ganz gleich, ob es stimmt oder nicht. Eine Flasche Rheinwein habe ich dazu aufgehoben!" „Und da in der Blechkiste liegen drei Flaschen Oporto, das
Gastgeschenk von Sir Harry Johnston!" „Dann wird es ja an nichts fehlen, um das neue Jahrhundert gebührend zu begrüßen! Dir soll es alle deine Wünsche erfüllen, sowohl in bezug auf die gewisse Swanehild wie auf das sehr ungewisse O-a-pi, Karl Eriksson!" „Ach, lieber Pitter, da werde ich wohl nur als Nummer zwei durchs Ziel gehen. Sir Harry Johnston hat den Ruhm der Erstentdeckung schon so gut wie sicher in der Tasche. Er weiß auch bereits, wie es künftig in den zoologischen Lehrbüchern heißen wird, nämlich Equus johnstoni!" „Equus, das Pferd! Also das Johnstonpferd? Mann des finstersten Erdteiles, an dem zoologischen Namen stimmt doch überhaupt nichts! Erstens ist das Okapi kein Pferd, und zweitens hat doch Sir Harry niemals so ein Biest gesehen!" „Aber er hat ein halbes Fell und einige Fellstreifen an die Königliche Naturforschende Gesellschaft zu London gesandt, auch einen eingehenden Bericht. Deshalb wird eben ein Johnstonpferd entdeckt werden!" Peter Buschenweier schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und warum schickst du deine Knochensammlung und dein heiles Okapifell nicht an die komische Gesellschaft in London? Und warum schreibst du nicht den großen Bericht, Freund Karl?" „Der Bericht ist fertig. Zu meinen eigenen Beobachtungen mehr als hundert Zeugenaussagen. Schädel und Halswirbel nebst einem ganzen Fell liegen da eingelötet in den Blechkisten. Aber wie kommt der Segen nach London? Ich habe keine Regierungskuriere zur Verfügung wie Sir Harry, sonst würde dieses rätselhafte Waldtier einen anderen Namen tragen!" „Verstehe! Erikssons Wald ... Ja, was ist es eigentlich, Karl?" „Es ist ein Verwandter der Giraffe, Pitter, und da verwette ich meine herrliche Sauerbüchse darauf, zwar ein sehr entfernter... Vielleicht handelt es sich um einen direkten Abkömmling des
Saniotheriums..." „Kannst du nicht noch ein bißchen unverständlicher mit mir sprechen?" knurrte Buschenweier. „Ich bin kein Zoologe, bin nur ein schiefgegangener Zoonser!" „Entschuldige. Was ich sage, sind ja nur Vermutungen. Von der Eiszeit hast du schon einmal etwas gehört?" „Natürlich, was man so auf dem Gymnasium verpaßt bekam." „Damals, als Schweden und auch Zoons unter einer dicken Eisschicht lagen, sagen wir... so vor zweihundert- oder dreihunderttausend Jahren, und die Sahara ein undurchdringliches Urwaldgebiet war, lebte die Urform aller Giraffen, eben das Samotherium, kurzhalsig, Vorderbeine höher als die Hinterbeine, der Rücken stark abfallend... lebte in den Wäldern. Und aus ihr entwickelte sich nachgewiesenermaßen die steppenbewohnende langhalsige Giraffe. Ich glaube nun, es hat noch einen zweiten Entwicklungszweig gegeben, und die Nachkommen sind eben die Okapis!" „Karl! Wenn du das alles bereits festgestellt hast, dann muß doch das Rätselbiest einfach Okapia erikssoni heißen. Also, ich könnte mir zwar nichts dafür kaufen, aber immerhin: Jedem den Ruhm, den er verdient! Schau mal her! Was ist das?" Peter Buschenweier warf eine Handvoll weißer Quarzkiesel auf den Tisch. Sie waren alle durchzogen von feinen rötlichen und gelblichen Adern, hier haardünn, dort breit wie ein Messerrücken. Eriksson betrachtete die Steinchen sehr genau, schabte mit den Fingernägeln, nahm dann sein Taschenmesser zu Hilfe. Eine winzige Menge gelben Staubes lag nun auf dem Tisch. Der junge Schwede überlegte eine Weile. „Hat damals der Regierungsgeologe nicht die Flasche mit dem Scheidewasser und dem Prüfstein dagelassen? Schau mal nach, Pitter!" „Schon alles ausprobiert. Also du meinst auch, das ist..." „Gold! Natürlich, Gold! Nicht viel, aber immerhin... Tausend
Sack solcher Kieselsteine machen dich zum reichen Mann!" „Ach du liebe Güte!" Der Rheinländer lachte. „Gleich tausend Sack, und die als Trägerlasten von den Quellen des Aruwimi nach Port Stanley geschleppt... rechne mal weiter!" „Das gibt natürlich ein Verlustgeschäft! Vom Aruwimi hast du die Brocken? Junge, Junge, für dich scheint das neue Jahrhundert noch viel mehr im Wunschsack zu haben als für mich. Kannst du dir nicht die Bergbaurechte auf diesem Gebiet sichern?" Buschenweier schüttelte den Kopf. „Solange ich noch Kontrakt mit dem Kongostaat habe, geht es nicht. Und wenn ich nachher wieder ein freier Mann bin, woher soll ich das Geld nehmen, um am Aruwimi eine Mine aufzuschließen? Nein, Jong, da werde ich wohl kaum einen belgischen Frank aus dem Goldland am Aruwimi verdienen. Immerhin, es machte mir Spaß ... und wenn ich wieder in die Gegend komme, will ich mich mal gründlich umschauen, woher eigentlich die Rollkiesel kommen. Wenn man den Muttergang finden könnte! Na, lassen wir mal die Hoffnungen auf das neue Jahrhundert. Wird uns schon allerhand Überraschungen bereiten. Übrigens, dort an den Quellen, an den Hängen der Kirungaberge, da sah ich dreimal Okapis. Tatsache! Dort...!" „Und wie komme ich da hin? Vierzehn Tage Marsch durch den Wald, und ein Dienstauftrag liegt nicht vor..." „Wenn du beeidete Botschaft erhältst, die arabischen Sklavenjäger seien am Werk, die Muta-Nsige auszuheben? He? Also, die Botschaft besorge ich dir aus alter Freundschaft. Übrigens, in den unermeßlichen Wäldern am Aruwimi treiben sich tatsächlich Händler herum, die für Schwarzes Elfenbein sehr viel Interesse zeigen!" „Das zwanzigste Jahrhundert beginnt, und noch immer Sklavenhandel!" brauste Eriksson auf. „Wenn ich diesen Schand-
buben an den Hals könnte!" „Vielleicht! Aber dabei auch deinen Kniefall vor dem Johnstonpferd machen! Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken!" „Heißt das nicht ,Ziele'?" „Verlaß dich ganz und gar auf mich, Karl von Schweden! Ich kenne meinen Goethe! Oder ist es von Schiller? Doch der Worte sind genug gewechselt, laßt mich nun endlich Taten sehn! Eriksson, mach die erste Flasche von Sir Harry Johnstonpferd auf! Und schau mal auf deinen Chronometer. Was, noch drei Stunden bis zum Anbruch des neuen Jahrhunderts? Jong, Jong, da müssen wir aber langsam trinken!" Sie sprachen noch lange von Ruhm und Reichtum, schluckten zwischendurch das bittere Chinin, um den Fieberanfall zu unterdrücken, schossen um Mitternacht die Trommeln ihrer ungefügen Revolver leer, um das neue Jahrhundert zu begrüßen, und schliefen dann schweißüberströmt hinter den dichten Moskitonetzen, eingesungen von dem dumpfen Brausen des eilenden Semliki. —Zwanzig Tage war das neue Jahrhundert nach Peter Buschenweiers Rechnung alt, da näherte sich ein hochgewachsener Ukerewemann in rasendem Lauf dem Fort Beni, hoch die Lanze mit dem Union Jack als Wimpel schwingend, weit vorgestreckt in der Linken die längliche Briefkapsel. „Der Herr aller Herren kommt!" brüllte er die verdutzten Wachen am Tor an. „Bereitet das Bad und das Mahl! Heißt ihn mit Donnerschall und Frohgesang willkommen, ihn, den Gewaltigsten aller Gewaltigen, Oberkönig von Uganda, Gouverneur und Regierer Sir Harry Johnston!" Er schrie es auf kisuaheli, in der seltsamen Mischsprache Ostafrikas. Die wachhabenden Kongoschützen verstanden ihn kaum, aber Leutnant Peter Buschenweier fuhr vom Meldebuche auf. „Karrel von Schweden! Los, in Gala geworfen! Dein Pferdekenner aus Entebbe
kommt... Sir Harry im Anmarsch! Verflucht, womit bewirten wir die erhabene Exzellenz?" Dabei nahm er von dem schweißüberströmten Vorläufer die Briefkapsel in Empfang. Karl Eriksson richtete sich ächzend empor. Er hatte eben einen schweren Fieberanfall überstanden und wußte in diesem Augenblick genau, wieviel Knochen einem Menschen weh tun können. „Pitter, nach Order 1255 die Reservelasten öffnen... Konserven und Flaschen laut Lieferschein... Fische speeren aus dem Semliki, die Jungziegen schlachten lassen... Götter des Schwarzen Erdteils, der Johnston wird uns alle stillen Reserven auffressen!" „Besonders sein Gefolge", knurrte der Rheinländer. „Da steht es: ,Nachbarlicher Freundschaftsbesuch mit etwa tausend Mann Gefolge, um die enge Verbindung der beiden Königshäuser auch im innersten Afrika unter Beweis zu stellen.' Verstehst du das, Karrel?" „Natürlich!" keuchte Eriksson. „Der längst verstorbene Prinzgemahl der Viktoria war ein Coburger, und der Leopold von Belgien ist auch einer! Und deshalb werden wir nun heimgesucht! Und mir wird Exzellenz Gouverneur Löcher in den Bauch fragen wegen seines Waldpferdes! Uns bleibt auch nichts erspart!" Die Kongoschützen hatten kaum die weißen Galauniformen angelegt, die Stationsgehilfen das Rasthaus gesäubert, da wogte der Heerzug schon heran: Trägerkolonne hinter Trägerkolonne, Somali-Askaris, speerschwingende Ugandakrieger, zwanzig Pauker und natürlich die drei Trompeter vor den Tragesänften, denen unter rollenden Salutsalven Sir Harry Johnston und sein Adjutant McMahon entstiegen. Der Schotte grinste unverschämt. „Nur keine Umstände, lieber Eriksson! Ein frischer Trunk, ein kleines Mahl. In drei Tagen werden wir
Fort Beni wieder verlassen!" „Steven, Freund und Gönner, also zehn Quadratkilometer Heuschrecken können mir nicht angenehmer sein als euer Besuch! Hier, mein alter Kamerad Peter Buschenweier aus Zoons am Rhein, als Ältester der Diensttuende! Ja, Pitter, du mußt die Empfangsparade leiten!" „Schurke! Und die Festrede halten — mit meinem mangelhaften Schulenglisch! Also, Sir McMahon, soufflieren Sie mir! Exzellenz der Gouverneur lächelt schon, als wollte er mich verschlingen!" Buschenweier senkte den Paradedegen, trat auf den Forthof und sprach von der hohen Ehre dieses Besuches, stammelte etwas von unauslöschlicher Dankbarkeit und bat um Nachsicht wegen der unzulänglichen Vorbereitungen. „Ein Schuft gibt mehr als er hat!" zitierte er und winkte seine Leibkawassen herbei, die dem hohen Besuch den Ehrentrunk kredenzten. Sir Harry Johnston erschrak ein wenig, als er das Getränk auf der Zunge spürte, sah nachdenklich die Weinflasche an und sagte dann mit seinem typischen Lachen: „Steven, Sie behaupten doch immer, kein Wein über Rheinwein! Also, da bleibe ich schon lieber bei Port oder Sherry!" Peter Buschenweier grinste unverschämt. Er hatte Palmwein in die gute, leider leere Flasche eingefüllt. „Nobel geht die Welt zugrunde!" flüsterte er Eriksson zu. Am Abend, Sir Johnston hatte seine Packkisten aufmachen lassen und die vier weißen Männer saßen auf der Veranda bei ihren Bechern, kam dann das Gespräch wieder auf die Geheimnisse des Urwaldes. „Zum Johnstonpferd vielleicht noch das JohnstonRiesenschwein entdecken!" sagte träumerisch der Gouverneur. „Siebzehn Käfer, acht Schmetterlinge, drei Schlangen tragen schon als Artbezeichnung meinen Namen. Jetzt der Equus
johnstoni, vielleicht gar ein Sus johnstoni..." „... und noch ein Schaf, ein Ovis johnstoni!" erklärte Peter Buschenweier ganz ernst. „Pferd, Schwein und Schaf, eine echte britische Dreieinigkeit! Sir, ich drücke meine Daumen!" Steven McMahon meinte, da fehle unbedingt noch der Ochse, der Bos johnstoni! Er zog Eriksson auf die Seite. „Haben Sie denn kein Spielzeug für Seine Erlaucht? Mensch, der blättert heute alle seine Tiergeschichten auf, und ich kenne sie doch schon nach hundert Erzählungen. Kein unebener Bursche, der Sir Harry, jedoch, man sollte ihm einen Tiergarten geben, nicht das herrliche Land Uganda!" „Ich opfere mich! Leider habe ich wieder nur etwas von tierischem Ernst! Aber ihm soll mal eine ganze Weile die Spucke wegbleiben!" Mitten zwischen die Silberbecher legte er kurze Zeit später einen gebleichten Tierschädel, größer als ein normaler Pferdekopf, bewehrt mit vier grimmigen Hauern, die beinerne Nasenpartie wuchtig wie ein Pflugschar. „Sir, was mag das für ein Monstrum sein?" Der Gouverneur verlor alle anerzogene Beherrschung. „Sie fragen noch, Mr. Eriksson? Bei den Göttern Griechenlands, woher stammt das? Vom Semliki angespült? Schlecht, sehr schlecht. Aber immerhin... Schade, der Zufallsfund entscheidet noch nichts. Jedoch immerhin, das ist ein realer Beweis für die Existenz des sagenhaften Riesenurwaldschweines. Wie? Mir als Gastgeschenk übergeben? Steven, lassen Sie die blauen Proviantkisten öffnen! Ja, solche Tage sind einem Forscher selten beschert. Die müssen gefeiert werden! Meine lieben Freunde, der große Ray Lankester, der beste Kenner aller Säugetiere, leugnete mir vor drei Jahren die Existenz neuer unbekannter Großtiere glatt ins Gesicht. ,Die Welt ist erforscht!' hat er gelärmt. ,Harry Johnston, werfen Sie sich wie Sir James
Rothschild auf die Entdeckung neuer Tierläuse! Da ist noch etwas zu machen. Aber mir vielleicht noch einen unbekannten Elefanten in den Bauch reden?' Ich werde ihn schlagen, diesen hochmütigen Ray... mit diesem Schädel hier!" „Aber nicht auf den Kopf!" bat Steven McMahon. „Teufel, Teufel, eine verdammte Bestie muß das schon sein, das hoffentlich bald gefundene Johnstonschwein. Dem möchte ich bei meinem Morgenlauf im Walde nicht begegnen!" Es wurde noch ein recht unterhaltsamer Abend. Als aber Eriksson und Sir Johnston über das Okapi und seine wahrscheinliche Stellung im Tierreich zu streiten begannen, flüchteten die beiden anderen mit einer Flasche Portwein aus dem Rasthaus. Am Ufer des Semliki hockten sie und lachten vergnügt über die Sparren gewisser Leute. Als sie endlich, schon nach Mitternacht, zurückkehrten, hörten sie das heitere, etwas heisere Lachen des Gouverneurs von Uganda und sein Schlußwort: „... ist ein Waldpferd, was ich hiermit bewiesen habe!"
ZWISCHEN SEMLIKI UND LONDON „Beinahe hätte ich diesem stocksteifen Briten noch meine Beweisstücke vorgelegt!" schnaubte Karl Eriksson, als sich der Staub der abziehenden Marschkolonne zu verziehen begann. „Soll er glücklich werden mit seinem Riesenjohnstonschwein! Aber nun muß ich wirklich meine Beweisstücke nach London schicken, sonst gibt es eine Blamage nicht nur für Sir Harry, sondern für die ganze gelehrte tierforschende Welt. Johnstonpferd! Wenn ich das schon höre!" „Eriksson-Okapi klingt auch nicht viel schöner!" spottete Peter Buschenweier. „Muß mich mal um den Stand der Verproviantierung kümmern! Meine Herren, die Ugandaleute haben
vielleicht geschlungen!" „Eine gute Großjagd bringt alles wieder ein!" behauptete der junge Schwede. „An den Westhängen der Kirunga-Vulkane... viele Elefanten dort, und auf den Hochsteppen wimmelt es von Wild! ... um Fort Beni ist es friedlich wie im Garten Eden. Zwanzig Schützen nehme ich mit und fünfzig Träger. Einverstanden?" „Als wenn ich jemals gegen einen guten Vorschlag sein könnte! Aber schicke täglich einen Läufer, damit ich weiß, wo du bist. Selbst in diesem verlorensten Winkel der Welt ist man keinen Tag vor Überraschungen sicher!" Es gab ein gewaltiges Moio, ein Rede-, Singe- und Tanzfest, ehe die Safari zu den blauen Bergen der Kirunga-Vulkane aufbrach. Höher als viertausend Meter türmen sie sich bis in die Wolken, und damals hatte noch keines Menschen Fuß die höchsten Gipfel betreten. Wenn der Karissimbi Feuer und Rauch zu spucken begann, wurden hundert Kilometer im Umkreis alle Negertrommeln geschlagen, tage- und nächtelang, um die zornigen Väter der Tiefe wieder zu beruhigen. Doch diesmal schwiegen die steilen Riesenberge. Nur Dampf entstieg den stumpfen, weißbereiften Kratern, als Leutnant Eriksson an der Grenze zwischen dunstendem Niederungswald und den lichten Berghainen stand. Vier wegkundige Akkas, diese seltsamen Zwergmenschen des nördlichen Kongolandes, begleiteten ihn auf diesem Spähgange. Sie lebten schon lange als Vertragsjäger im Fort Beni, verschwanden aber alle Jahre auf drei oder vier Monate, um zu ihrem streifenden Stamme zurückzukehren. Sie waren auf die Spuren einer Elefantenherde gestoßen und hatten sie bis hierherauf in die lichten Bergwälder verfolgt. Als Eriksson den ältesten der Akkas fragte, ob die Dickhäuter noch höher hinaufgestiegen seien, schüttelte dieser den Kopf. „Nein, bald da, sehen... hier Elefantenlager!" Er
nahm das lange haarscharfe Haumesser aus dem Futteral und prüfte nochmals die Schneide. „Du, weißer Herr, nicht schießen! Wir Akka Elefanten jagen!" Trotzdem lud der Schwede die schwere Elefantenbüchse durch und eilte hinter den Zwergmenschen her. Stumm wies einer in eine breite Mulde. Bleigrau wölbten sich zwischen dem Strauchwerk die Rücken riesiger Elefanten. Eriksson schätzte dreißig Stück, darunter einige gewaltige Bullen. Die Jäger gingen gegen den Wind. Eriksson duckte sich hinter einen gefallenen Baumstamm, die vier Akkas huschten wie Schatten davon. Plötzlich schleuderte ein Elefantenbulle seinen Rüssel hoch in die Luft und trompetete wild und warnend. Schwerfällig setzte sich das ganze Rudel in Bewegung, um talwärts zu traben. Der Leutnant suchte ein Ziel, aber er fand keins. Alle Dickhäuter kehrten ihm die Rückfront zu. Da gurgelte ein entsetzlicher Schrei aus der Mulde empor, nun ein zweiter! Jetzt brüllten drei Elefanten in höchster Todespein. Die Herde stob in panischer Angst von dannen. Im Muldengestrüpp brachen einige Riesenkörper zusammen. Als Eriksson herbeieilte, brauchte er drei großen Dickhäutern nur noch den Gnadenschuß zu geben. Die Akkas hatten ihnen mit den scharfen Haumessern die Unterschenkelsehnen durchschnitten. Sie lächelten, als die Schüsse knallten. Jetzt wären sie auch allein mit den hilflosen Riesen fertig geworden. Als alle Teilnehmer der Jagdexpedition die Schlachtstätte erreicht hatten, konnte sich jeder der Träger und Schützen mit Fleisch bis obenhin vollstopfen. Sechs ansehnliche Stoßzähne lehnten an einem Baum. Bald wurden die Schnüre gespannt, um die dünnen Fleischriemen zu trocknen. Drei Tage wollte Eriksson hier Standquartier beziehen. Die Akkas hatten ihm versichert, es gäbe sehr viel Wild in dieser Gegend. Die Jagd war erfolgreich. Es fehlten vielleicht noch zehn Trägerlasten; waren sie gewon-
nen, dann konnte der Rückmarsch angetreten werden. In der Höhenluft trocknete das Fleisch ausgezeichnet. Eriksson war mit seinen Jagdakkas weitergewandert, um ein neues Jagdgebiet zu finden. Da wies plötzlich der älteste der Zwergmenschen zu einer Baumgruppe hinüber. Schon hatte der Leutnant sein Fernglas vor den Augen und spähte aufmerksam den Gehölzrand ab. Was er erblickte, hielt er anfangs für eine Augentäuschung. Dort standen zwei fast pferdegroße Tiere mit einem merkwürdig schlanken Kopf auf breitem, wuchtigem Hals, die langen Ohren spähend aufgerichtet. Die Oberschenkel der Vorderbeine und die Keulen waren durch viele helle Querstreifen gemustert. Eigentümlich waren die Grätschstellung der Vorderbeine und der lange Quastenschwanz. „Okapi...!" sagte der alte Akka. „Sehr klug Tier! Sehr schnell!" Eriksson ließ sich seine Büchse reichen. Tief geduckt schlich er durch eine trockene Regenrinne, um zu einem günstigen Schußpunkt zu kommen. Die Okapis schienen noch keine Gefahr zu ahnen. Sie knabberten bald hier, bald da an den Zweigen und Triebknospen, kamen sogar noch etwas näher heran. Auf einhundertzwanzig Meter Entfernung wagte er den Schuß. Das kleinere Tier tat einen gewaltigen Sprung, das größere war im Nu im schützenden Gehölz verschwunden. Eriksson hetzte im Sturmlauf den Hang hinab. Am Waldrand verblutete das kleinere Okapi. Die Kugel saß sehr hoch im Vorderblatt, mußte aber noch eine der großen Körperadern aufgerissen haben. Die brechenden Augen des Tieres lagen schmerzvoll verzerrt in dem gelbbraunen Gesichtsfeld. Aus dem schlanken Schnauzenmaul sickerte Blut. Der Schwede hatte sofort sein Skizzenheft aus der Gürteltasche gezogen, und als die Akkas ankamen, fanden sie ihn, wie er seine Beute zeichnete. „Das Wild ganz selten", behaupteten die Jagdgehilfen. „Sogar
manch Akka noch kein Okapi gesehen. Du großberühmt Jäger nun sein, weißer Herr! Alle Frauen für dich tanzen!" Als der junge Schwede noch einmal den Kopf zeichnete, fiel ihm etwas ein. Professor Bellmans in Upsala hatte in einer Vorlesung darauf hingewiesen, wie genau die Ägypter die Tierwelt Afrikas gekannt hätten. Ihren Göttern verliehen sie Tierzeichen, und da war einer, Seth oder Typhon, der wurde symbolisch mit einem Tierkopf dargestellt, der keinem bekannten Lebewesen glich. Nun lag dieser Typhonkopf vor ihm, dem kleinen Leutnant Karl Eriksson. Die Welt würde staunen! Etwa zwanzig Skizzen zeichnete er, ehe er den Akkas die Erlaubnis gab, das Fell abzuziehen. Sorgsam achtete er darauf, daß die Hufe und die Ohren daranblieben. Er selbst belud sich mit der blutdunstenden Decke, die Jäger zerlegten das Wild und bepackten sich mit Fleisch. Die Eingeweide untersuchte der Schwede eingehend, fertigte noch einige Skizzen von Herz und Leber und Darmschlingen, untersuchte Magen und Darminhalt, notierte jeden Befund und brach erst auf, als die Sonne schon im Sinken war. Im Lager schälte er selbst das Fleisch von allen Knochen und ließ sie sorgsam auskochen. Am nächsten Morgen gab er den Befehl zum Rückmarsch. Vier Träger, die zuverlässigsten, schleppten Fell und Skelett des Okapis zurück nach Fort Beni. Im Fort wurden die geschicktesten Negerfrauen beauftragt, das Fell so sorgsam zu gerben, daß auch nicht ein Haarflöckchen verlorengehe. Eriksson selbst präparierte inzwischen sorgsam alle Skeletteile und fertigte viele Zeichnungen an, wie die Knochen wieder zusammengesetzt werden müßten. Danach schrieb der glückliche Entdecker des Okapis den Entdeckungsbericht um, unternahm noch einige Jagdreisen, die aber keinen Erfolg brachten, soweit es das Okapi anging. Zwölf Trägerkisten harrten schließlich des Abtransportes, und da es Privatlast war, rechnete Karl Eriksson sorgenvoll
aus, wieviel Goldfranks Fracht er für den Transport quer durch Zentralafrika bis Banana an der Kongomündung zu zahlen hätte. „Mehr als mein jährliches Leutnantsgehalt!" seufzte er. „Oder ich muß meine Sauerbüchse verkaufen, Pitter Buschenweier. Sir Johnston zeigte großes Interesse für sie. Ob ich sie ihm anbieten lasse?" „Unsinn, Karrel von Schweden! Kommt Zeit, kommt Rat!" empfahl der Rheinländer. „Tatsache ist: Nur du besitzt ein ganzes Fell und ein komplettes Skelett von dem Wundertier. Irgendwann schaffen wir alles schon von Fort Beni zur Küste. Wenn einer von uns abgelöst wird, hat er laut Vertrag fünfzehn Traglasten frei. Na, dann kriegen wir auch dein Okapi mit. Und schließlich die Elfenbeinminiatur von Mahmud Abd Ismail; wenn sie jetzt auch der Resident in Stanleyville besitzt, als Beweisstück ist sie doch von allergrößter Bedeutung!" „Ja, das erzähle ich mir ja auch dauernd!" meinte der hochgewachsene Schwede. „Jedoch hier steht der kleine Leutnant aus Fort Beni, unbekannt und nie in den wissenschaftlichen Jahrbüchern genannt — dort Sir Harry Johnston, Ihrer Majestät bevollmächtigter Gouverneur von Uganda, hochgeschätzt als Freund der Wissenschaft und Förderer der Forschung. Siehst du, Buschenweier, die Kräfte sind ungleich verteilt. Ja, wenn ich mein Okapimaterial samt meinen Berichten schon in London wüßte!" — Doch das Jahr 1900 verstrich, ohne daß diese Hoffnung in Erfüllung ging, und inzwischen ereignete sich in der gelehrten Welt allerhand. Am 20. November 1900 trat im Naturhistorischen Museum an der Cromwell Road zu LondonSouth-Kensington die Abteilung „Tierkunde" der Königlichen Akademie zusammen. Es war die feierliche Jahressitzung, in der die Mitglieder über ihre Tätigkeit berichten konnten. Der Präsident, Professor Lutley Sclater, eröffnete die Ver- hand-
lungen. „Unter den vielen Materialien, die uns zur Bewertung vorliegen, erscheint mir eine Einsendung von allergrößter Wichtigkeit. Wenn uns heute von der Neuentdeckung wirbelloser Tiere, also, um nur einige Familien zu nennen, von Insekten, Spinnentieren, Kleinkrebsen, Würmern, Weichtieren oder Stachelhäutern berichtet wird, so ist das wohl erfreulich, aber keineswegs überraschend. Mit der mehr und mehr ins einzelne gehenden Erforschung der Tierwelt treten immer neue, bisher noch unbekannte Arten in den menschlichen Gesichtskreis. Wenn jedoch ein sehr ernst zu nehmender Freund unserer Wissenschaft, der Zoologie, zu berichten weiß von der Entdeckung eines Großtieres, eines Säugetieres sogar, so muß eine solche Tatsache unsere Bewunderung hervorrufen!" „Oder Verwunderung!" unterbrach ihn ein Zuruf. Lutley Sclater schlug wuchtig mit dem Hammer des Sprechers auf die Tischplatte. „Als Präsident dieser hochansehnlichen Versammlung rufe ich Sir Ray Lankester zur Ordnung. Zwischenrufe sind bei Behandlung wissenschaftlicher Themen nicht am Platze. Sie mögen dann Ihre Bedenken äußern. Ich fahre fort: Die Königliche Akademie der Wissenschaften erhielt zu meinen Händen einen Brief von Sir Harry Johnston, Ihrer Majestät Gouverneur unseres Schutzgebietes Uganda, geschrieben am 21. August dieses Jahres in seinem Regierungssitz zu Entebbe am Victoria-See. Er ist sehr lang. Er ist von mir und den auserwählten Sekretären der Königlichen Akademie geprüft worden, nebst den mit übersandten Zeugenaussagen. Ich gestatte mir, um Ihre kostbare Zeit nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen, über den Inhalt dieser Botschaft frei zu sprechen, beantrage aber jetzt schon, den vollständigen Wortlaut des Briefes in unserem Jahrbuch zu veröffentlichen. Sir Harry Johnston, uns bereits durch manche Tierentdeckung auf dem afrikanischen Kontinent bekannt, übersendet uns hiermit die erste Nachricht
von der sicheren Existenz eines bisher unbekannten Waldpferdes im tiefsten Afrika. Unser großer Forscher Sir Henry Stanley hat auf seinem furchtbaren Entsatzmarsch durch die Uellewälder, als er Emin Pascha retten wollte, sagenhafte Kunde von dem großen scheuen Waldpferd erhalten, es aber selbst niemals zu Gesicht bekommen. Andere Forschungsreisende erwähnen Negererzählungen, die auf das Vorkommen eines sehr seltenen und großen scheuen Waldtieres schließen lassen. Doch erst der unermüdlichen Sammlertätigkeit unseres Sir Harry Johnston ist es gelungen, schlüssige Beweisstücke einem genauen, in die Einzelheiten gehenden Bericht beifügen zu können. Nach den Zeugenaussagen und den eigenen Ermittlungen des Gouverneurs von Uganda handelt es sich um ein etwa pferdegroßes Tier mit Stutzmähne, von bräunlicher Färbung, an den Hinterkeulen zebraartig gestreift. Es lebt nur paarweise in den undurchdringlichen Wäldern Innerafrikas, westlich der Kirunga-und Runsoroberge, also etwa in den Quellgebieten des Uelle und Aruwimi. Diese Art scheint früher auch die Quellgebiete des Nils durchstreift zu haben; doch ist es dort wohl schon seit langem ausgerottet; denn die Bewohner von Uganda selbst konnten die Beweisstücke nicht bestimmen. Näheres wußten allein die streifenden Jäger der innerafrikanischen Zwergvölker, der Akkas, zu berichten. Diese Urwaldmenschen schätzen das Fell des geheimnisvollen Waldpferdes sehr. Wird einmal eins erlegt, so schneidet man die Haut sofort in Streifen, um diese dann als glückbringende Gürtel oder Schärpen zu tragen. Nur so war es Sir Harry Johnston möglich, Fellstücke und Hautstreifen als Beweisstücke seinem Bericht hinzuzufügen. Wir haben sie ernsthaft geprüft. Ich habe dabei alles Vergleichsmaterial herangezogen. Ich erkläre nun hier abschließend: Es kann keinen Zweifel mehr daran geben, daß wir durch den Forschereifer unseres großen Freundes in Uganda mit einer
ganz neuen pferdeähnlichen Tierart bekannt gemacht worden sind. Die Eingeborenen nennen dieses Tier Okapi. Ich schlage vor, diese neue Pferdeart nach ihrem Entdecker ,Equus johnstoni' zu benennen!" Es gab lebhaften Beifall. Nur der Leiter des Britischen Museums, Ray Lankester, hatte Einwendungen vorzubringen. „Hochehrbare Mitglieder der Königlichen Akademie. Auch ich bin überzeugt, daß Sir Harry Johnston eine großartige Entdeckung geglückt ist. Seit fünfzig Jahren, seit der Auffindung des Davidshirsches in China, ist ein solches Glück der forschenden Menschheit versagt gewesen. Ich pflichte dem hochehrbaren Berichterstatter bei, wenn er den Entdecker dieses seltsamen Großtieres durch den Artnamen Johnstoni' zu ehren gedenkt. Aber, hohe Versammlung, ist dieses Tier überhaupt ein Pferd, ein Equus? Das kann der beste Tierkundler niemals aus einigen Fellstücken beweisen, und die Augenzeugenberichte? Gestatten Sie mir, daß ich außerordentliche Zweifel hege. Sir Harry Johnston verspricht in seinem Bericht die Übersendung weiterer Beweisstücke. Ich hoffe, daß er uns bald ein ganzes Fell, vielleicht sogar noch ein Schädel- und ein Beinskelett übersenden wird. Dann erst kann der Systematiker der Tierkunde ein endgültiges Urteil abgeben. Ich beantrage, Sir Harry Johnston, Gouverneur zu Entebbe, unseren Dank auszusprechen, ihn auch davon zu unterrichten, daß wir gedenken, diesem rätselhaften Okapi den Artnamen ,johnstoni' zu verleihen, die Festlegung des Gattungsbegriffes aber aus wissenschaftlichen Bedenken nicht eher vornehmen können, bis die weiteren Beweisstücke geprüft sind." Es gab eine lange Debatte. Lankesters Einwendungen wurden nicht anerkannt. Er selbst gab sie endlich auf, und einstimmig beschloß die Sektion Zoologie der Königlichen Akademie der Wissenschaften in London, dem neuen, kaum bekannten Tier in den fernen Wäldern Zentralafrikas den Namen „Equus johnstoni", also John-
stonpferd, zu geben. Die Zeitungen hatten jetzt, wenn sie Afrika erwähnten, nicht nur über den Krieg der Briten gegen die Buren, sondern auch über die erstaunliche Entdeckung eines Waldpferdes durch Sir Harry Johnston, Gouverneur Ihrer Majestät Schutzgebiet Uganda, zu berichten. Neben dem militärischen Ruhm, den die englischen Generäle Buller, Roberts und Kitchener gegen das kleine Heer des Oranje-Freistaates und die Republik Transvaal sammelten, tat Oldengland was es konnte für die Kultur, den Fortschritt in der Wissenschaft, und entdeckte das von Geheimnissen umwitterte Johnstonpferd.
ERIKSSONS TRIUMPH UND ENTTÄUSCHUNG Silvester 1900 feierten Karl Eriksson und Peter Buschenweier nochmals gemeinsam auf Fort Beni den Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts, schon in wehmütiger Abschiedsstimmung. Der Rheinländer hatte bereits den Befehl bekommen, sofort mit der Trägerkolonne nach Leopoldville abzureisen, um sich bei dem Hohen Gouverneur des Kongostaates zu anderweitiger verantwortungsvoller Tätigkeit zu melden.„Und da nehme ich dein Okapia erikssoni mit auf die Tour!" lärmte er. „Was, meine Goldkiesel? Proben vielleicht! Wahrscheinlich verdiene ich an ihnen und einer genauen Lagekarte der Goldfunde mehr als an fünfzehn Trägerlasten von dem Dreck. Vielleicht quittiere ich überhaupt den Dienst und werde Generaldirektor der Aruwimi-Goldminengesellschaft. Warum soll ein danebengegangener Zoonser Junge nicht auch etwas Glück in der Welt haben. Mach die Fracht fertig! Ich schaffe alles sicher bis Banana... Und dann wird die Welt staunen!" Das taten die beiden Freunde zunächst einmal. Am Neujahrstage traf ein Läufer aus
Entebbe am Viktoria-See ein und brachte Von Sir Harry Johnston einen herzlichen Glückwunsch zu den weißen Nachbarn. In dem Brief lag ein Verhandlungsbericht der Königlichen Akademie zu London, aus dem zu entnehmen war, die große Entdeckung des Gouverneurs von Uganda sei anerkannt und dem neuen Wundertier wäre der Name Equus johnstoni, Johnstonpferd, verliehen worden. Peter Buschenweier lachte, nein, er brüllte vor Lachen. „Diese Schlafmützen an der Themse... Junge, Karrel von Schweden, was werden die für Augen machen, wenn sie das Biest wieder umadressieren müssen! Wie heißt dieser geniale Schafskopp? Lutley Sclater? Was, ein durchaus ernst zu nehmender Gelehrter? Na, dann wird er zum Wissen noch das Wundern lernen!" Ostern wurde es, da zog Peter Buschenweier los auf die monatelange Safari durch die Wälder am Uelle und Aruwirni, und tatsächlich, er übergab in Banana, da war es schon Juni, selbst die kostbare Fracht für Sir Ray Lankester, Britiseh-Museum, London, dem schmutzigen Frachter. Karl Eriksson, inzwischen Oberleutnant und Kommandant von Fort Beni am Semliki, wehrte indessen die Einbrüche arabischer Sklavenhändler in sein Gebiet ab, das so groß wie das Königreich Bayern war, befriedete aufsässige Stämme, unternahm Jagdzüge, trieb die Kopfsteuer von den Eingeborenen ein und suchte zwischendurch immer wieder nach neuen Spuren des seltsamen Tieres Okapi. Und eines Tages wurde ihm das Glück beschert, ein lebendiges Jungtier zu erhalten, das den Akkas in eine Fallgrube geraten war. Hoch wurde der Zaun gebaut; lang war er, um dem vergnügten Okapifohlen genügend Auslauf zu gewähren. Sorgsam fütterte Eriksson es selbst alle Tage, zeichnete es hundertmal, mußte bald den Zaun noch erhöhen lassen, als er die gewaltige Sprungfähigkeit des Tieres erkannt hatte. „GroßLeutnant Okapi", nannten ihn bald die vielen schwarzen Frauen
von Fort Beni. Ein arabischer Händler, der mehr auf echtes Elfenbein als auf schwarzes aus war, betrachtete lange das merkwürdige Lebewesen, kaute genießerisch seine Hanfblätter und sagte: „Nicht hundertmal tausend Maria-Theresien-Taler könnten dieses Wunder Allahs bezahlen, wenn wir es an die Küste bekämen... nach Tanga oder Bagamoio, wo die großen Schiffe anlegen. Ich biete dir einen Vertrag auf halb und halb, Herr von Beni! Oder wenigsten nach Entebbe zu Siddi Gouverneur? Er hat viele Schätze in seinen Häusern!" „Dieses Geschöpf des Schöpfers ist unbezahlbar!" erwiderte Eriksson. „Es ist mehr wert als der edelste aller Edelsteine, weil es nur ein Okapi in der Hut eines weißen Mannes gibt!" „Mohammed, gelobt sei dein Name nun und ewig, sagt in der Sure ,Der Elefant': ,Nichts hat Macht und Wert vor ihm, Allah!'" belehrte ihn der arabische Händler. „Doch wenn sich deine Augen erfreuen an ihm, dem zierlichen Springer, gepriesen seist du, der du auch die stumme Kreatur liebst!" Der Kommandant von Fort Beni schrieb in diesen Monaten eine lange wissenschaftliche Biographie über das Okapi, stellte fest, welches seine Lieblingsnahrung sei, beschrieb seine Haltung gegenüber allem Erschreckenden, rühmte seine große Klugheit und drückte seine Verwunderung aus über die unglaubliche Scheu und Zurückhaltung allen anderen Lebewesen gegenüber. Nach acht Monaten aber notierte er: „Heute nahm mein Okapi aus meiner Hand drei Treibhausknospen eines Pandanus, schnüffelte einen Augenblick an meinem Arm und raste dann mit allen Zeichen des Entsetzens in die äußerste Ecke seines Gatters. Ein Wesen, wert, es liebzuhaben!" An demselben Tag trafen zwei Läufer aus Stanleyville, vom Mittellauf des Kongo her, mit der neuesten Post in Fort Beni ein. Was aus Europa kam, war schon mehr als vier Monate alt. Unter ihr war ein Brief der „Königlichen Gesellschaft für Na-
turforschung, Sektion der Königlichen Akademie zu London", adressiert an Sir Carl Eriksson, unterschrieben von Ray Lankester, Direktor des Britischen Museums.Mit den höchsten Tönen des Lobes gratulierte der große Tierkundler dem kleinen Oberleutnant auf Fort Beni am Semliki zu seiner exakten Forscherarbeit, das geheimnisvolle Okapi der Kongowälder betreffend. Laut las der junge Schwede sich selbst vor: „Nur Ihrem Fleiß und Ihrer unbestechlichen Beobachtungsgabe ist es zu verdanken, daß wir von der Königlichen Gesellschaft für Naturforschung einen schweren Fehler unserer Arbeit berichtigen konnten. Das Okapi ist kein Pferd. Sie haben durchaus recht, wenn Sie dieses seltsame Lebewesen der Gattung der Giraffen zurechnen, zwar einer urweltlichen Form, aber um so interessanter für den forschenden Tierkundler. In Anbetracht Ihrer Forschungen und unter Einbeziehung Ihres exakten Berichtes hat sich die Königliche Gesellschaft für Naturforschung, Sektion der Königlichen Akademie zu London, einstimmig entschlossen, das Okapi nicht mehr Equus johnstoni, sondern Okapia johnstoni zu benennen. Karl Eriksson lachte zuerst, dann kam ihm die Bitterkeit hoch. Er nahm den Brief von Ray Lankester und schritt hinaus zu dem Gehege, in dem sein junges Okapia erikssoni — nein, johnstoni — die tollsten Sprünge vollführte. Er las laut vor: „Okapia johnstoni! Dein Entdecker Karl Eriksson schenkt dir hiermit die Freiheit!" Dann riß er das Riegeltor auf, trat zur Seite und sah, mit Tränen in den Augen, wie nach einigem Zögern das wundervolle Waldtier aus der Umzäunung ausbrach und mit schwungvollen Sprüngen den dunklen Wäldern entgegenraste. „Lebe wohl, Okapia johnstoni!" flüsterte er, als er auf der Veranda die letzte Flasche Genever öffnete. „Nichts ist wunderbarer als der Ruhm."
Er kramte seine zoologischen Kenntnisse zusammen und stellte fest: Der Milu, der chinesische Riesenhirsch, wurde von David entdeckt und heißt zoologisch: Elaphurus davidianus, das Urwildpferd nach seinem Entdecker Przewalski: Equus przewalski, der Schuppentintenfisch nach dem Meeresforscher und Fürsten von Monaco, der sich der Herkunft von dem genuesischen Geschlecht der Grimmaldi rühmt: Lepidotheuthis grimmaldi. „Nur mein Okapi heißt nach dem Nichterforscher und Nichtswisser Johnston, Sir Harry Johnston, Gouverneur von Uganda, Okapia johnstoni! Man könnte die Kränke darüber kriegen!" Nun, Karl Eriksson hatte die tropische Malaria, und das langte ja auch. Trotzdem erwarb er noch manchen Ruhm, freilich nicht die erträumte Professur im schwedischen Upsala und die Hand der stolzen Swanehild. In der Geschichte der afrikanischen Erforschung aber leuchtete sein Name hell. Vom Okapi wäre noch zu erzählen, daß bereits 1902 das Kongo-Museum zu Tervueren bei Brüssel mehrere Felle und Skelette erhielt. 1903 wurde ein junges Tier lebend gefangen; doch es entkam wieder in die Freiheit der unendlichen Wälder. Erst 1906 kam eins in Dauerhaft. Der König von Belgien schenkte es dem König von Italien; aber es starb bald, weil es die grellen Temperaturübergänge von kalt zu heiß in Rom nicht vertragen konnte. Im Zoologischen Garten zu Antwerpen war von 1918 bis 1934 ein Okapiweibchen zu bewundern. 1932 kam dazu noch ein Männchen; doch die Zucht gelang nicht. Es leben auch heute noch Okapis in den Kongowäldern; wie man festgestellt hat, sogar in verschiedenen Abarten. Der größte Traum eines Tierfängers ist es, eine dieser seltenen Waldgiraffen zu erbeuten. 1929 zahlte der Tierpark zu Chikago 150
000 Dollar für ein ausgewachsenes Männchen. Der Abschuß ist streng untersagt. Der Congo-Belge, der Staat Belgisch-Kongo, verlangt für die Fangerlaubnis allein 20000 Dollar, und wer nach zwölf Monaten kein Glück gehabt hat, der hat den Einsatz verloren. Seltsam, höchst seltsam. Heute benutzen die Akkas bereits das Fahrrad und blicken kaum auf, wenn über den haushohen Urwaldgipfeln die Flugzeuge dröhnen. Doch auf der Grenze zwischen Sumpfwäldern und Trockenhainen äsen jetzt noch die Okapis, scheu, verborgen, selten erblickt, ganz selten gefangen, begehrt und sich immer versagend. Als vor vier Jahren ein Bildstreifen über das Leben der Okapis auf freier Wildbahn gezeigt wurde, stellte es sich bald heraus, daß es sich nur um einen geschickten Trickfilm handelte. Man hatte die Aufnahmen der Okapis in den Zoologischen Gärten von Antwerpen und Chikago üppigen Tropenlandschaften aufkopiert, leider nicht afrikanischen, sondern südamerikanischen. Ich selbst habe einmal an den Blauen Bergen der Kirunga-Vulkane mit einem Teleobjektiv ein Okapi fotografiert, und als dann das Bild entwickelt war, hatte ich im Schweiße meines Angesichts nur einen weidenden Negeresel aufgenommen. So ein Glück wie Karl Eriksson hat eben selten ein Mensch, mag er auch seinerzeit furchtbar darüber gelästert haben.
ANMERKUNGEN Akka - Zwergvolk in Innerafrika Cheer (engl.) - Hochruf, Hurraruf Anglesi - Engländer Chinin - Heilmittel gegen Malaria Aruwimi - großer nördlicher Askari - farbiger Soldat Emin Pascha – der deutsche Arzt und Afrikaforscher Eduard Schnitzer, geb. 1840; 1892 durch arabische Sklavenhändler ermordet Bagdadwurm - Tropenkrankheit mordet Effendi - türkischer Ehrentitel, dem deutschen „Herr" entsprechend Imperium - das englische Weltreich, das Empire Kawasse — oberster Hausdiener Kinschassa Leopoldville, Hauptstadt des Kongostaates Kitchener, Herbert — britischer Feldmarschall (18301916); führte zahlreiche Kolonialkriege, zum Beispiel gegen den Mahdistenaufstand 1898, gegen die Buren 1900-1902 Linne, Karl von — hervorragender schwedischer Botaniker (1707 bis 1778), führte die doppelnamige Benennung der Tierund Pflanzenarten ein Mahdi (arab.) — der von den Mohammedanern erhoffte Erlöser. Im 19. Jahrhundert galt als Mahdi der arabische Derwisch Mohammed Achmed (1844-1885). Der von ihm 1883 begonnene Mahdistenaufstand im ägyptischen Sudan richtete sich gegen die koloniale Eroberungsabsicht der Engländer Maria-Theresien-Taler — nordafrikanisches Zahlungsmittel Muta-Nsige - friedliches Negervolk in den Kongowäldern Niam-Niam — großes Negervolk zwischen Sudan und Kongostaat
Pandanus (Schraubenbaum) — aufrecht stehende Holzpflanze, deren Steinfrüchte als Volksnahrungsmittel dienen Runsoro - Hochgebirge in Innerafrika Safari - Trägerkolonne im tropischen Afrika Sauerbüchse — weltberühmtes Erzeugnis von Sauer, Suhl Schwarzes Elfenbein — Negersklaven Semliki — Grenzfluß zwischen Uganda und Belgisch-Kongo Seth — ägyptische Gottheit Somali — Bewohner der nordostafrikanischen Halbinsel Somal Stanley, Henry (1841-1904) - großer englischer Afrikaforscher Sure — Abschnitt des Korans, des heiligen Buches der Mohammedaner Tembe — viereckige Negerhütte mit flachem Lehmdach Typhon — griechischer Name des ägyptischen Gottes Seth Uganda - fast 250 000 km2 groß, etwa 5 Millionen Einwohner; seit 1890 unter britischer Oberhoheit Ukerewe — eigentlich Name einer Insel im Viktoria-See; nach ihr der ganze See benannt: Wasser um Ukerewe Uniamwesi — kriegerischer Negerstamm Zentralafrikas Upsala - berühmte schwedische Universitätsstadt Viktoria (Alexandrina), die Queen (1819-1901) - seit 1837 Königin von England, seit 1877 auch Kaiserin von Indien
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CURT CORRINTH
Illustriert von Werner Kulte - 264 Selten Halbleinen etwa 5,80 DM Erscheint August Es sind ihrer sieben, Tertianer des Städtischen Gymnasiums, die einen Schwur ablegen, nach dem Vorbild der Trojaner auf „Gedeih und Verderb, auf Biegen und Brechen zusammenzuhalten. Als einer von ihnen wegen seiner jüdischen Abstammung vom Studienrat Päker angepöbelt wird beweisen sie, daß sie zu ihrem Eid stehen. Die „Trojaner verlangen sofortige Zurücknahme der Beleidigungen und treten, da ihre Forderung nicht erfüllt wird, in den Schülerstreik. Sie ziehen nach „Troja", in ihr verborgenes Waldlager, und besiegen endlich durch ihre beispielhafte Zivilcourage den Untertanengeist der Lehrerschaft. All das wird uns in einer spannenden Handlung voller Humor und menschlicher Wärme erzählt.
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NEUES
LEBEN
BERLIN