Ortrus, der Verfluchte Horror-Roman von Steve Salomo
Seine schweren Schritte knirschten auf dem steinigen Boden. Mächt...
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Ortrus, der Verfluchte Horror-Roman von Steve Salomo
Seine schweren Schritte knirschten auf dem steinigen Boden. Mächtig stakste Ortrus durch den breiten Höhlengang. Finster war es hier und kalt. Feuchtigkeit lag in der Luft, und das Atmen fiel schwer. Ortrus war ein hünenhafter Mann. Fast zwei Meter war er groß. Er trug Fellstiefel und eine Hose aus braunem Wildleder. Sein Oberkörper war unbekleidet und zeigte dicke Muskelpakete. Ortrus war ein Mann voller Kraft, ein Mann, den niemand im Kampf bisher hatte besiegen können. Sein braunes Haar war schulterlang, ein dichter Vollbart wallte bis über seine mächtige Brust. In der einen Hand hielt Ortrus ein Schwert mit blutverschmierter Klinge. In der anderen einen abgeschlagenen Kopf... In weiten Abstand waren Fackeln an den Wänden des Höhlenganges angebracht. Ihre flackernden Flammen erzeugten Lichtinseln und wiesen Ortrus den Weg. Immer weiter schritt er den Gang entlang zwischen den feuchten Wänden. Wasser tropfte von der Decke und erzeugte glucksende Geräusche. Die Kälte machte Ortrus nichts aus. Sein Körper war noch erhitzt vom wilden Kampf. Seine stahlblauen Augen blitzten grimmig. Der Kampf war gewonnen, der Sieg war sein. Sein und der von Orcavus, dem Orc-Dämon, Herrscher der Orc-Horden, die aus -2-
den Dimensionen der Hölle in die Welt der Sterblichen gekommen waren. Ortrus hatte sich mit ihm verbündet, jetzt diente er Orcavus als Kämpfer. Und er hatte gewonnen. Er hatte den Sieg errungen. Für Orcavus, dem Dämonenherrscher der Orcs. Und für sich, der von den Menschen verstoßen worden war. Ortrus war wegen seiner Körperkräfte zwar ein unbesiegbarer Kämpfer, doch er war immer ein Außenseiter gewesen. Seine Mutter war eine Hexe gewesen, wer sein Vater war, wusste Ortrus nicht, denn seine Mutter hatte es schamlos mit vielen Männern getrieben. Sie hatte dem Teufel gedient, und es hieß, Ortrus sei ein Sohn des Teufels. Man hatte seine Mutter ergriffen, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Er hatte zuschauen müssen, als die wütende Menge sie zum Scheiterhaufen gezerrt und daran angebunden hatte. Reisig hatte man zu ihren Füßen aufgehäuft, dann war der Priester an sie herangetreten. Er hatte von Ortrus' Mutter verlangt, dass sie dem Teufel abschwöre, damit ihre sündige Seele die Erlösung erlange, doch sie hatte ihm ins Gesicht gelacht, ihn angespuckt und erklärt, dass sie lieber zur Hölle fahre, als sich nun zu beugen. Da hatte der Priester selbst die Fackel ergriffen und mit ihr das Reisig in Brand gesteckt. Ortrus, der Junge, hatte seiner Mutter zu Hilfe eilen wollen, doch kräftige Hände hielten ihn gepackt und hielten ihn zurück. Er hatte gesehen, wie seine Mutter in den züngelnden Flammen gestanden hatte, die bald an ihr emporleckten und sie einhüllten. Seine Mutter hatte geschrieen und gekreischt, und ihr Tod war furchtbar und schmerzhaft gewesen. Der kleine Ortrus hatte geweint und ebenfalls geschrien. Was er sah, hatte sein Herz gebrochen und dann hart wie Stein werden lassen. -3-
Dabei konnte er froh sein, dass man ihn nicht auch verbrannt hatte, aber an einem Kind hatte sich die wütende Menge dann doch nicht vergehen wollen. Der Priester wollte zeigen, dass er auch barmherzig sein konnte, und so nahm er Ortrus zu sich auf, tat alles, um einen guten Christenmenschen aus dem Jungen zu machen. Er erzog ihn im christlichen Glauben, lehrte ihn Demut und Genügsamkeit, Anstand und Sitte und den rechten Glauben. Doch im Dorf wurde Ortrus geschnitten. In ihm sah man den Hexenbalg, munkelte weiterhin, er sei ein Sohn des Leibhaftigen - ein Gerücht, dass noch verstärkt wurde durch die enormen Körperkräfte, die der heranwachsende Junge zeigte. Ohne viel dafür zu tun, wuchsen ihm mächtige Muskelpakete, und bald war er ein Hüne, ein Riese, vor dem sich die Leute fürchteten. Seine Kindheit und sein ganzes Leben waren alles andere als von Freude erfüllt. Der Priester versuchte ihm zwar den Vater zu ersetzen und gab sich redlich Mühe, und vielleicht hatte er den heranwachsenden Jungen auch irgendwann tatsächlich in sein Herz geschlossen, aber in Ortrus wütete noch immer der Schmerz und der Hass und der Wunsch nach Rache. Nur ein Mensch im Dorf verstand ihn und fühlte mit ihm. Die schöne Melisa, die zuerst Mitleid, dann Liebe für ihn empfand. Und auch Ortrus liebte das hübsche Mädchen, und diese Liebe besänftigte zunächst seine unterdrückte Wut auf alle Bewohner des Dorfes. Doch dann verbot man Melisa den Umgang mit Ortrus, und als sie nicht gehorchen wollte, schlug ihr Vater sie. Da brach es in Ortrus durch, er schnappte sich den Mann und verdrosch ihn, bis er nicht mehr stehen konnte. Die Dorfgemeinschaft aber wurde von Zorn gepackt. Einer der ihren war von dem Hexensohn brutal zusammengeschlagen -4-
worden, und sie gingen mit Knüppeln und Steinen auf ihn los und vertrieben ihn aus dem Dorf. Ortrus steifte heimatlos durch die Gegend, erfüllt von Hass und Wut und mit der unerfüllten Liebe gegenüber seiner Melisa im Herzen. Da traf er auf Orcavus, den Orc-Dämon, und der zeigte ihm einen Weg, wie er sich an dem ganzen Dorf rächen konnte. Ortrus, der ohnehin immer als Hexenbalg und Satanssohn verschrien gewesen war, ging auf den Handel ein, und er half den widerlichen Orcs, das Dorf zu erobern. Das war seine Rache. Seine Rache für die Ermordung seiner Mutter. Für ihren grausamen Tod. Die Rache für alles, was sie ihn angetan hatten, für Jahrzehnte langen Schmerz. Und die Rache dafür, dass sie ihm Melisa genommen hatten, den einzigen Menschen, der ihm je etwas bedeutet hatte. Furchtbar hatte er gewütet mit dem magischen Schwert, das Orcavus ihm gegen hatte. Nun war er in den Berg der Schädel zurückgekehrt, wo Orcavus ihn erwartete.
Er erreichte eine große Höhle. Hier hatten sich die Orcs um ihren Führer, den mächtigen Dämon Orcavus, versammelt. Hässliche Kreaturen waren die Orcs. Sie waren nicht größer als eineinhalb Meter, mit grüner, schuppiger Haut. Sie hatten lange Ohren, glühende, hinterhältige Augen. Sie verfügten über lange Krallen und Reißzähne, und sie ernährten sich von Menschenfleisch. Einige von ihnen hatten sogar Flügel, die es ihnen erlaubten zu fliegen und sich aus dem Flug auf ihre wehrlosen Opfer zu stürzen. Sie tuschelten und quiekten, als Ortrus die weite Höhle betrat. Auf Säulen standen Messingschalen, in denen Feuer brannten und die Höhle erhellten mit diffusem, flackerndem Licht, das schattenhafte Gebilde an die Steinwände warf. -5-
Die zischelnde, fiepende Menge war ein Gewusel wie ein Haufen Ratten, doch sie machte dem eintretenden Hünen Platz, bildete eine Gasse1, und dann sah Ortrus den Orc-Dämon, der auf seinem mit Menschenknochen verzierten Thron saß und ihm aus rot glühenden Augen entgegenblickte. Speichel troff aus dem schrecklichen Maul mit den überlangen Zähnen. Die Krallen waren um die Knochenlehnen des Throns gekrümmt und erzeugten ein schabendes, hässliches Geräusch. Orcavus' Gesicht war von Aussatz und Eiterbeulen übersät. Es machte ihm nichts, er fand nichts dabei, sah sich selbst sogar als schön an. Ein normaler Mensch hätte bei seinem Anblick vor Entsetzen aufgeschrieen, doch Ortrus sah sich selbst' nicht mehr als Menschen. Die Menschen hatten ihn verstoßen, und so hatte er alles Menschliche abgestreift, wie er glaubte. Er trat näher durch die Gasse, die sich für ihn gebildet hatte, und blieb ein paar Meter vor dem Thron stehen. »Das Land ist unterworfen!«, sagte er dann mit donnernder Stimme. »Jetzt sind die Menschen Eure Sklaven, Orcavus!« Der Orc-Dämon kicherte hämisch. »Bringst du mir, um was ich dich gebeten habe?«, fragte er lauernd und mit hoher, fiepender Stimme. »Ja, mächtiger Orcavus!«, antwortete der Hüne. »Hier ist, wonach Ihr verlangtet! Der Kopf Eures letzten Feindes!« Und er hob den Schädel empor, den er an den Haaren hielt. Das Blut tropfte noch aus dem Halsstumpf. Die Augen waren weit aufgerissen, und in ihnen spiegelte sich all das Grauen wider, das der Geköpfte in den letzten Sekunden seines Lebens durchlitten hatte. Der Mund stand offen, als würde der Schädel noch immer laut schreien. Es war der Kopf des Priesters! Orcavus lachte kreischend auf vor Freude. »Der Priester! Der Priester!«, schrie er laut. »Er hat den verfluchten Gottesmann -6-
geköpft, ihn enthauptet, den Schädel von den Schultern geschlagen! O wunderschön! Herrlich! Nun ist keiner mehr da, der diese elende Menschenbrut beschützen kann! O herrlich! Gib mir den Kopf, gib ihn mir!« Ortrus holte leicht aus, schwang den linken Arm nach hinten und wieder nach vorn und warf den Kopf des Priesters Orcavus zu, der ihn mit seinen Krallenhänden auffing. »Wunderbar! Wunderbar!«, kreischte der Dämon. »Der Kopf eines Priesters! Wie herrlich!« Und dann ... Er presste die Krallenhände zusammen und zermalmte den Kopf dazwischen, als wäre es ein rohes Ei. Man hörte das laute Knacken von Knochen, und Blut und Gehirn quollen zwischen den Pranken hervor. Dann warf Orcavus die Reste von sich. »Gut hast du das gemacht, mein treuer Diener! Sehr gut!«, sagte er. »Jetzt sind die Menschen völlig hilflos. Sie sind unsere Sklaven, werden für uns schuften, und wenn es uns nach Menschenfleisch gelüstet, werden wir uns einen von ihm schnappen, und dann ...« Er lachte meckernd und rieb sich gierig die blutverschmierten Krallenhände. »Sehr gut«, sagte er immer wieder, »wunderbar ...« Und die Schar um ihn herum lachte ebenfalls meckernd und fiepte und quiekte vor Freude. »Jetzt bin ich einer der Euren«, sagte Ortrus. »Euer mächtigster Krieger, aufgenommen in Eure Gemeinschaft, nicht wahr?« Ortrus hatte seine Rache bekommen, sein Zorn war gestillt. Aber immer noch hatte er keine Heimat, kein Ort, an dem er sich zu Hause fühlte, war immer noch allein und einsam, sein Herz immer noch leer, die Sehnsucht nach Gemeinschaft ungestillt.
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Der Dämon auf dem Thron hob die rechte Klauenhand, spreizte eine Klaue ab und winkte damit hin und her. »Noch nicht, mein Freund«, sagte Orcavus. »Noch eine Prüfung möchte ich von dir bestanden wissen. Siehe dort!« Und er zeigte zu seiner rechten Seite. Ortrus folgte mit den Augen der Richtung des ausgestreckten Arms. Wieder huschte die Masse der Orcs auseinander, bildete erneut eine Gasse und gab den Blick frei auf einen steinernen Opferaltar. Ein nacktes Mädchen war darauf gebunden, wand sich hin und her. Keinen Faden trug das Mädchen am Leib, der schlanke Körper mit den weiblichen Rundungen wies blutige Kratz-und Bisswunden auf. »Ortrus!«, schrie das nackte Girl auf dem Opferaltar. »Ortrus! Wie konntest du das tun? Wie konntest du uns alle verraten? Welch Unglück hast du über uns gebracht?« Ortrus blieb das Herz stehen. Es krampfte sich schmerzhaft in seiner Brust zusammen, als er erkannte, wer das geschundene Mädchen war, das dort blutend auf dem Stein gefesselt war. »Melisa...«, entfuhr es ihm keuchend. »Melisa - das - das habe ich nicht gewollt. Das ...« »Sie ist nur ein Mensch!«, schrie der Orc-Dämon. »Und du musst dich für immer von den Menschen trennen, wenn du einer der unsrigen sein willst!« Orcavus lachte meckernd auf, und die Orc-Schar um ihn herum ließ ein freudiges Getuschel hören. »Töte sie!«, verlangte Orcavus. »Nimm das Schwert, das ich dir gab, und schlage ihr den Kopf ab! Tu es, enthaupte sie, lass ihr Blut spritzen! Und trenne dich damit von allem Menschlichen, was noch in dir steckt!« Ortrus hatte die Augen weit aufgerissen. Was er sah, erschütterte ihn zutiefst. Er hatte nicht mehr an Melisa gedacht in seinem blinden Zorn, hatte nur seine Rache im Sinn gehabt, doch nun wurde ihm schlagartig bewusst, was er getan hatte, und es bereitete ihm tiefe Schmerzen. -8-
Er stöhnte auf und keuchte: »Nein, das kann ich nicht tun. Das kann ich nicht. Was habe ich nur angerichtet? Was habe ich getan? Wie viele unschuldige Menschen sind durch meine Hand gestorben, weil ich blind war, erfüllt mit unheiligem Zorn? Was habe ich getan?« »Ortrus!«, schrie das nackte Mädchen auf dem Altar. »Vernichte diese Brut! Du musst sie vernichten! Nur du kannst die Menschen noch retten, sie vor der Sklaverei und dem Terror dieser Kreaturen schützen!« »Hör nicht auf sie!«, sagte Orcavus, »Du wolltest dich an der Menschheit rächen. Auch sie ist nur ein Mensch. Nur ein Mensch. Wenn du zu uns gehören willst, dann töte sie, löse dich von allem Menschlichen. Schlage ihr den Kopf ab und bring ihn mir!« Ortrus wandte sich von dem nackten Mädchen ab, starrte den Orc-Dämon an und auf dessen Hände, mit denen er den Kopf des Priesters zerquetscht hatte. Noch immer tropften Blut und eine breiige Masse von den Krallen. »Schlag ihr den Kopf ab und bring ihn mir!«, verlangte Orcavus wieder und streckte die blutigen Krallen aus. »Tu, was ich dir befehle, und löse dich für immer von den Menschen!« Noch einmal warf Ortrus Melisa einen Blick zu, sah ihren wunderschönen, doch nun von blutigen Wunden übersäten nackten Körper, sah das Flehen und die Angst in ihren Augen und da schrie er auf vor Schmerz und Seelenleid, brüllte laut und schallend, wirbelte herum und hob die Klinge zum Schlag, um sie auf den Orc-Dämon niederrasen zu lassen. Der hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Er hatte die Krallenhand bereits gehoben und ein magisches Zeichen damit in die Luft geschrieben. Ortrus erstarrte mitten in der Bewegung. Wie zu Stein wurde seine Muskeln, und er verharrte wie eingefroren. Er konnte sich nicht mehr rühren, so sehr er sich auch bemühte.
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Schweiß perlte auf seiner Stirn, so strengte er sich an, das Schwert doch noch nach unten sausen zu lassen und der hässlichen Kreatur auf dem Thron den Kopf zu spalten, doch er schaffte es nicht. Er hörte das Kichern der Orc-Schar, hörte das begeisterte Klatschen von ledrigen Flügeln. Der Orc-Dämon lachte meckernd. »Du bist doch nur ein elender Mensch«, verhöhnte er Ortrus. »Eine sterbliche, schwache Kreatur. Niemals wirst du zu uns gehören!« Er richtete seine Klauenhand auf das nackte Mädchen auf dem Steinaltar. Ortrus schaffte es gerade, den Kopf so zu wenden, dass er Melisa dort liegen sehen konnte, ihren nackten Körper, auf dem kalten, rissigen Stein gehalten von den Ketten, die in Hand- und Fußschellen endeten. Schlank war sie, aber mit großen Brüsten. Die Hüften waren wohlgeformt, die Schenkel straff und fest. Ein paar der Orcs hatten sich dem nackten, auf dem Altar angeketteten Mädchen genähert. Die kleinen, grüngeschuppten Ungeheuer streckten ihre gierigen Pranken nach Melisa aus, berührten schamlos ihren Leib, kneteten kichernd ihre Brüste, ließen ihre Krallen an den Innenseiten von Melisas Schenkeln hoch und hinab streifen, leckten mit ihren fleischigen rosa Zungen über ihre Scham. Melisa starrte Ortrus an, und ihr Blick war voller Angst, Ekel und Entsetzen. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Die hässlichen Kreaturen peinigten sie, erniedrigten sie, demütigten sie, und sie kicherten und lachten hämisch dabei. Sie wollten dem Mädchen alle Scham und allen Schmerz der Welt bereiten. Und Ortrus war nicht in der Lage, Melisa zu helfen, irgendetwas für sie zu tun. »Du liebst sie?«, fragte Orcavus. »Du liebst sie, Ortrus! Ja, ich erkenne es! Du liebst sie!« Er lachte schallend auf. »Doch bei uns darf es keine wahre Liebe geben, nur Lust und fleischliches
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Verlangen, aber kein Gefühl, das tiefer reicht. Liebe ist Schwäche, und die können wir uns nicht erlauben!« Er stieß ein hohes Fiepen aus, so wie eine Ratte, und die Orcs, die so schamlos Melisas jungfräulichen Körper berührt hatten, spritzten vom Altar weg. Dann geschah das absolut Entsetzliche, das Ortrus für immer das Herz brechen sollte. Plötzlich zuckte ein greller Blitz aus Orcavus' Klauenhand, züngelte durch die Höhle - und traf das nackte Mädchen auf dem Altar! Melisa schrie kreischend auf, ihr nackter Leib zuckte, ein rötliches Glühen umgab ihn, und dann - verwandelte sich Melisa in eine Feuerlohe! Der Körper des Mädchens stand auf einmal in grellen Flammen! Melisa brüllte vor Schmerz und Qual, wand sich in ihren Ketten, während ihr die Haut wegplatzte und das lodernde Feuer ihr langsam das Fleisch von den Knochen brannte. Ihre Schmerzen waren unerträglich, sie schrie schrill und gellend bis zum Schluss. Ortrus hörte ihr Schreien und Kreischen, sah ihren Körper noch immer zucken und sich winden, als sie schon zu einem verkohlten, verkrümmten Etwas geworden war, aus dem sich langsam die brennenden Knochen schälten. Er stand da, konnte sich nicht rühren, war völlig erstarrt, hörte aber das entsetzliche Schreien des einzigen Menschen, den er je geliebt hatte, und sah, wie die Feuersbrunst diesen wunderschönen Körper zerfraß, zerstörte, einen Haufen Asche und schwarzverbrannter Knochen daraus machte. Und während er mit versteinerten Gliedern zusah, wie seine geliebte Melisa bei lebendigem Leib verbrannte, während er ihre schrillen, kreischenden Schreie hörte, da glaubte er, ihre Schmerzen mit zu empfinden, all die grausige Pein zu spüren, die auch sie verspürte. Die Qual, die sich bis zur Unerträglichkeit steigerte, das Grauen und Entsetzen darüber, -11-
mit zu erleben, wie der eigene Körper von den gierigen Flammen verzehrt und vernichtet wurde. Ortrus sah ihren sich windenden brennenden Leib mit tränenfeuchten Augen. Ortrus hörte ihre qualvollen, schrillen Schrei mit schmerzenden Ohren. Ortrus spürte ihre Qualen und den unsäglichen, sich bis zum Schluss ins Unermessliche steigernden Schmerz mit jeder Faser seiner Seele. Doch es dauerte lange, bis er es endlich voll begriff. Ja, er begriff es erst, als nur noch Melisas brennende Knochen auf dem Altar lagen, und jetzt zuckte sie auch nicht mehr, schrie nicht mehr. Da waren nur noch die brennenden Knochen und rauchende Asche. Sie war tot, hatte es endlich geschafft. Doch ihr Sterben war unendlich grausam und qualvoll gewesen. »Neeeiiin!!!«, schrie Ortrus auf, und der Schmerz übermannte ihn, traf ihn heftig, drohte sein Inneres zu zerreißen und seine Seele zu fressen. Die Orcs um ihn herum lachten hämisch und voller Freude über seinen Schmerz, und am lautesten lachte Orcavus. »Ja, es tut weh zu erkennen, dass man doch nur ein Mensch ist«, kicherte er. »Und zu begreifen, dass man einen großen Fehler gemacht hat. Du bist ein Mensch, aber die Menschen hast du verraten. Du hast geliebt, aber auch deine Liebe hast du vernichtet. Und der Priester, der sich bemühte, aus dir einen anständigen Kerl zu machen, der stets versuchte, dich gegen den Hass und gegen die Abscheu der ändern Dorfbewohner zu schützen, den hast du erschlagen. Du bist ein Wurm, Ortrus. Ein elender Wurm!'« Die Worte des Dämons trafen Ortrus wie Peitschenhiebe und noch schlimmer. Er begriff, dass Orcavus die Wahrheit sagte, dass er tatsächlich unendliche Schuld auf sich geladen hatte, dass er alles verraten hatte, was ihm etwas hätte bedeuten müssen. -12-
Sogar seine Liebe hatte er verraten. Melisa - dieses wunderschöne, sanfte und gutmütige Geschöpf! Er war an ihrem Tode schuld. Lebendig war sie zu Asche und Knochen verbrannt. Was für ein grauenvolles Ende! Und wie sehr hatte sie wohl auch zuvor leiden müssen? Ihr schöner Körper war mit blutigen Wunden übersät gewesen. Hatten sich diese hässlichen, gierigen Kreaturen an ihr vergangen? Hatten sie Melisa etwa ...? Ortrus wollte es sich nicht vorstellen. Es wollte es nicht, und er konnte es einfach nicht. »Auch mich hast du verraten«, sagte nun Orcavus. »Du hast das Schwert, das ich dir gab, gegen mich erhoben, gegen deinen Herrscher und Meister! Du hast dich auf meine Seite gestellt und wolltest mich dann töten! Das kann ich dir nicht durchgehen lassen! Dafür wirst du büßen!« Dann töte mich, dachte Ortrus. Töte mich und macht dieser Qual ein Ende! Lass mich in die Hölle fahren und im Fegefeuer brennen für alle Zeiten. Es ist besser, als dieses Leben noch weiterzuführen! Melisa - ich bin schuld an ihrem grausamen Tod, und das werde ich niemals verwinden können. Vielleicht hatten die Menschen im Dorf Recht, und ich bin tatsächlich eine Kreatur des Satans, vom Teufel gezeugt. Dann gehöre ich auch in die Hölle und will für all das, was ich getan habe, leiden! Nur leben will ich nicht mehr, denn diesen Schmerz, der in mir tobt, in meinem Herzen wütet, den ertrage ich nicht mehr! Doch die Absichten der Orc-Dämons waren noch grauenhafter, als es sich Ortrus ausmalen konnte. Er beugte sich auf seinem Thron vor und fuhr fort: »Töten werde ich dich nicht, Ortrus, denn du hast das Dorf und das Land für mich erobert. Zu Dank bin ich dir verpflichtet für deinen Verrat an den Menschen, deshalb schenke ich dir dein Leben. Doch ein Ausgestoßener für alle Zeiten sollst du von nun an sein. Kein Mensch, kein Tier, kein Dämon - und doch vo n allem etwas! Ein Verfluchter bist du, dazu verdammt, für alle Ewigkeit allein zu sein!«
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Und wieder hob er seine Klauenhand, richtete sie auf Ortrus, und ein magischer Blitz traf den Hünen. Ortrus schrie auf, das Schwert entfiel seinen kraftlosen Händen, und er sackte in die Knie. Ein waberndes Leuchten umzüngelte seinen Körper, der sich zu verändern begann. Ortrus spürte die schrecklichen Schmerzen, hörte das Knacken und Knirschen, als sich sein Unterleib und seine Beine zu verformen begannen. Er schrie laut und gellend auf, nicht nur vor Schmerz, sondern auch vor Grauen, denn er wusste nicht, was mit ihm geschah. Immer lauter wurde das Knacken der sich verschiebenden Knochen, immer heftiger der Schmerz, und bald wand sich Ortrus schreiend am Boden. Es war grauenhaft, was der Anführer der Orc-Dämonen ihm antat. Die Schmerzen waren entsetzlich. Aber am schlimmsten für Ortrus war es, zu wissen, dass sich sein Körper veränderte, dass ihm der grausame Orc-Dämon bestrafen wollte, indem er ihn in etwas verwandelt e, das nicht menschlich war. Ortrus hatte die Menschen gehasst. Er hatte sie verabscheut, weil sie ihn nicht als ihresgleichen, als Menschen, anerkennen wollten. Jetzt sorgte Orcavus dafür, dass er auch äußerlich alles Menschliche verlor. Ortrus spürte es. Er spürte die Veränderung, seine sich schmerzhaft verschiebenden Knochen. Er spürte, dass etwas mit seinem Körper geschah, das absolut grauenhaft und entsetzlich war. Dann - nach minutenlanger entsetzliche r Qual - war es vorbei. Ortrus richtete sich auf, hörte das Klappern von Hufen auf Stein, blickte an sich herab und ... Er hatte den Unterleib eines Pferdes, war zu einem Zentaur geworden! Teils Mensch, teils Tier, teils Dämon - das hatte Orcavus gesagt, und so war es auch. Er war zu einem Mischwesen geworden, zu -14-
einem Monster, das nirgendwo auf der Welt mehr Freunde finden konnte. Das Entsetzen packte ihn vollends, das Grauen hielt ihn gepackt. Der Dämon auf dem Thron lachte schallend auf. »So sollst du durch die Welt gehen, Ortrus, bis dereinst ein Priester dir deine Sünden vergibt!« Wieder lachte er. »Doch wer sollte dies tun nach allem, was du an Schuld auf dich geladen hast? Ein Verfluchter bist du, für alle Zeit! Die Menschen werden dich fürchten und vor dir fliehen, die Dämonen werden dich verabscheuen und verachten! Das ist meine Strafe für deinen Verrat!« Ortrus wollte aufschreien vor Entsetzen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Was der Dämon ihm angetan hatte, war die schlimmste Bestrafung, die er sich hätte vorstellen können. Die Orcs in der großen Höhle lachten fiepend und quiekend, dann sprangen einige auf seinen Rücken, klammerte sich an seinem Pferdefell fest oder an seinen langen Haaren, rissen auch an seinem Bart. Immer mehr sprangen auf seinen Pferderücken, und die geflügelten Orcs ums chwirrten ihn mit klatschendem Flügelschlag, ließen sich auf ihn fallen. Er schlug wild aus, versuchte sie abzuschütteln, doch je mehr er sich wehrte, desto mehr sprangen auf ihn, klammerten sich an ihm fest. Die kleinen, grünen, hässlichen Kreaturen schrien und kreischten vor Freude und ritten ihn wie eine Wildpferd. »Seht ihn euch an!«, höhnte Orcavus auf seinem Thron. »Ich glaube, ich habe mich verschätzt. Er ist tatsächlich mehr Tier als sonst was! Ein wildes Tier!« Und er lachte meckernd und kreischend. Ortrus gebärdete sich wie wild, doch er konnte die kleinen grausamen Ungeheuer nicht loswerden. Je mehr er auskeilte und um sich schlug, desto brutaler wurden auch sie in ihren Bemühungen, sich an ihm festzuhalten und ihn zu reiten wie ein Pferd, wie ein Tier. -15-
»Ja, reitet ihn zu!«, schrie Orcavus lachend. »Reitet ihn zu! Zähmt das wilde Pferd und den wilden Mann!« Und dann spürte Ortrus die spitzen Krallen der Orcs, die sich in sein Fleisch bohrten, um sich an ihm festzuklammern, spürte ihre spitzen Zähne, die ihm in den Körper geschlagen wurden, als sich die kreischende Schar an ihm fest biss. Und er schrie, schrie, schrie ... Doch seine von unsäglicher Pein erfüllten Schreie gingen unter in dem Kreischen und Kichern und hämischen Lachen der brutalen, gnadenlosen Horde, die ihn quälte und sein Blut spritzen ließ ... Viele Jahre später ... Reverend Pain befand sich im Kloster des Heiligen Antonius. Er hatte sich in die Kapelle zurückgezogen, kniete vor dem Altar, die Hände gefaltet, und hielt stumme Zwiesprache mit GOTT, dem HERRN, der seine Wege leitete. Er war ein Mann von mächtiger Statur, hoch gewachsen, mit breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Seine Bizeps schwollen, als er die Arme vor dem breiten Brustkorb verschränkte. Er trug schwere Motorradstiefel, eine abgewetzte schwarze Lederhose und ein schwarzen Hemd mit weißem Kragen, von dem die Ärmel abgerissen waren. Er war ein Reverend, ein Kämpfer des HERRN, ein Mitglied der Priesterschaft. Die Priesterschaft war es gewesen, die damals die Welt gerettet hatte. Nach der Invasion der Dämonen. Die Menschen damals waren ungläubig geworden, hatten sich von GOTT, dem HERRN, abgewandt, hatten nur noch an sich gedacht, nicht mehr an den Nächsten. Es war die Zeit gewesen, auf die Satan Jahrtausende lang gewartet hatte, um zuschlagen zu können und mit seinen Horden die Welt zu überrennen.
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Viele Jahrzehnte hatte die Dämonenherrschaft gedauert, waren die Menschen Sklaven der Hölle gewesen, hatten entsetzliche Gräuel erleiden müssen. Dann aber hatte sich die Priesterschaft formiert, gottesfürchtige Männer, und sie hatten die Schergen der Hölle zurückgetrieben. Doch der Kampf war noch nicht vorbei. Noch immer versuchte Satan, die Macht zurückzuerlangen. Noch immer gab es überall auf der Welt Dämonennester und die finsteren Kreaturen der Hölle. Der Mann, der demütig vor dem Altar der Klosterkapelle kniete und betete, war ein Reverend, ein Wanderer der Priesterschaft, ein Kämpfer des HERRN. Reverend Pain hatte sich ins Kloster des Heiligen Antonius zurückgezogen, um sich mit neuen Waffen auszurüsten und seine Wunden auszukurieren, die er bei seinem letzten Kampf davongetragen hatte. In einer entweihten Abtei hatte er gegen einen mächtigen Blutgrafen und dessen Vampir- und Werwolfshorden gekämpft und so einiges abgekriegt, doch GOTT, der HERR, sorgte dafür, dass seine Wunden schnell heilten. Er beendete das Gebet, machte das Kreuzzeichen und erhob sich. Als er sich umdrehte, sah er eine Gestalt hinter sich stehen. Der weise Vater Ludgerius, gekleidet in einer schlichten grauen Kutte, mit kahl rasiertem Schädel und einem alten, von tiefen Falten durchzogenen Gesicht, hatte gewartet, bis Reverend Pain sein Gebet beendet hatte. Nun sprach er ihn an. »Wie ich hörte, wollt Ihr uns verlassen, Bruder?« »So ist es, ehrwürdiger Vater«, antwortete Reverend Pain. »Meine Wunden sind verheilt, und ich bin ausgerüstet mit neuen Waffen und Munition. Der Kampf gegen die Schergen der Hölle und gegen den Unglauben muss weitergehen. Dort draußen in der Welt warten Menschen auf mich, dass ich ihnen das Wort des HERRN bringe, Trost und Befreiung von den Höllenmächten.«
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»So ist es, Bruder Pain«, sagte der ehrwürdige Abt. »Es war gut, dass Ihr hier wart, denn ich habe euren Worten gerne gelauscht, und unsere Diskussionen über den Glauben und die Heilige Schrift waren auch für mich sehr erbaulich. Die Novizen haben vor allem viel von Euch gelernt, und so einige sehen nun in Euch ein leuchtendes Vorbild, dem sie nacheifern werden.« »Es freut mich zu hören«, erwiderte Reverend Pain demütig, »doch ich bin nur ein Werkzeug des HERRN, erfülle nur seinen Willen. Meine Kraft ist die Kraft, die GOTT mir schenkt, und mein Mut entspringt einzig meinem Vertrauen in GOTT, den HERRN.« »Ja, fürwahr. Euer Glaube ist unerschütterlich.« Der weise Abt nickte. »Und Ihr werdet ihn brauchen, Bruder. Höret, was ich Euch zu sagen habe. Fahrt nach Norden, Bruder Pain. Dort werdet ihr gebraucht. Eine Seele leidet, und dies seit langer Zeit, und viele Menschen befinden sich in großer Bedrängnis.« »Ich werde nach Norden fahren«, sagte Reverend Pain und verneigte sich leicht, »so wie Ihr es befiehlt, ehrwürdiger Vater.« »Ich habe geträumt, Bruder Pain«, sagte der weise Vater Ludgerius. »Ich habe geträumt von einem Wesen mit dem Oberkörper eines Mannes, doch dem Unterleib eines Pferdes. Und ich habe Schmerzen verspürt, tiefe seelische Pein. Es war ein Traum, den mir GOTT, der HERR, sandte, und nun sende ich Euch, diese Pein zu beenden.« Reverend Pain nickte, sagte aber: »Die Beschreibung der Kreatur, von der Ihr träumtet, ehrwürdiger Vater, erinnert mich an einen Zentaur. Eine Gestalt aus der griechischen Mythologie.« »So ist es«, bestätigt der ehrwürdige Abt. »Genau so erschien sie mir im Traum.« »Aber kann es so ein Wesen denn geben?«, fragte Reverend Pain. »Das alte Griechenland war eine heidnische Kultur mit einem Vielgötterglauben.« -18-
»Auch die Heilige Schrift berichtet von Mischwesen. Sehr vielen Mischwesen sogar, die der Hölle entstammen. Wesen, die halb Mensch und halb Tier sind.« Reverend Pain nickte. »Ja, Ihr habt Recht, ehrwürdiger Vater. Ich habe sogar bereits gegen solche Wesen gekämpft.« »Wahrscheinlich ist auch das Wesen, von dem ich träumte, eine Kreatur finsterer Mächte«, fuhr der weise Abt fort. »Ich sah auch Menschen in Gefahr. Deshalb schicke ich Euch aus, diese Menschen von dem Grauen zu befreien, das sie bereits ergriffen hat. Viele Tage werdet Ihr unterwegs sein, Bruder Pain. Aber Ihr habt neue Waffen und Munition, habt Euch mit der Kraft des Glaubens stärken können. Ich weiß, Ihr seid der richtige Mann für diese Mission.« »Ein Diener des HERRN«, sagte Reverend Pain demütig, »mehr bin ich nicht.« »Fahret hin, Bruder Pain, und vernichtet das Böse!«, sagte Vater Ludgerius. »So soll es geschehen.« »Amen, Bruder.« ~" '• - * Reverend Pain verneigte sich, dann verabschiedeten sich die beiden frommen Männer voneinander. Reverend Pain ging in seine Kammer, schnallte sich seine Waffengurte um, in denen angespitzte Eichenpflöcke, Wurfmesser und Silberdolche steckten. Er überprüfte seine Gürteltaschen mit der Munition, den Weihwasserphiolen und dem Verbandszeug. Dann zog er sich seinen langen schwarzen Ledermantel über und schnallte sich das schwere Lasergewehr auf den Rücken, schnappte sich seine Satteltasche mit weiterer Munition und Waffen. Minuten später stieg er auf seine schwere Harley Davidson, die unten im Klosterhof gestanden hatte, und warf die Maschine an. Einige der frommen Mönche standen im Hof und verabschiedeten ihn mit stummen Blicken, als er die Maschine anrollen ließ. Das Klostertor wurde ihm geöffnet und er fuhr mit -19-
wehendem Mantel hinaus, ließ die grauen Mauern des Klosters bald hinter sich. Vor ihm erstreckte sich das weite Land. Kahle Hügel, nur hier und da mit verkrüppelten Bäumen bestanden, und karge Felder, von denen die Mönche in harter Arbeit ihre Nahrung bezogen. Der Himmel war finster und grau, Regenwolken jagten düster über das Land und am Horizont war das Flackern von Blitzen zu sehen. Reverend Pain war unterwegs in einer neuen Mission ... ..,.-..--„. .., Hart schufteten die Menschen auf den Feldern. Männer und Frauen und sogar Kinder, die ihnen bei der Arbeit zur Hand gingen. Sie arbeiteten stumm, redeten nicht miteinander und sagen keine Lieder. Ihre Gesichter waren verkniffen und hart und man sah ihnen an, dass das Leben für sie bedrückend und freudlos war. Sie alle waren Sklaven des Orc-Dämons Orcavus, der das Land unter seiner Knute hielt. Sie schufteten fast ausschließlich für ihn. Sie bestellten die Felder, züchteten Vieh auf den kargen Weiden, damit er und seine Schergen sich daran weiden konnte. Und immer wieder verlangte er nach Menschenopfern. Dann wählten sie einen der ihren aus, banden ihn an einem Opferstein am Ortsrand und hörten in der Nacht seine grausigen Schreie, wenn ihn die Schergen holten. Nur wenig blieb für sie selbst zurück, und oft mussten die Kinder hungern. Seit vielen Jahren war es nun schon so, und noch immer hatten sich die Menschen aus dem Dorf nicht an ihr Schicksal gewöhnt. Flucht gab es nicht. Einige der Orcs waren geflügelte Dämonen, die auch in der Nacht über dem Dorf wachten. Brach einer aus, dann sahen sie es, holten ihn ein und zerfleischten ihn. Ein paar hatten es versucht. Die zerrissenen Leichen der grausam zu Tode Gemarterten hatten die Orcs zur Abschreckung an einem Gerüst auf dem Dorfplatz aufgehängt. -20-
Die Angst war groß, ein Aufbegehren seitens der Dörfler wurde nicht geduldet. Sie mussten für die grausamen Schergen schuften, die oben im Berg der Schädel hausten, wo sich die Knochen derer häuften, die sie fraßen, wenn ihnen der Sinn nach Menschenfleisch stand. Sie mussten ihren Tribut abgeben und hart arbeiten und auf Befehl hin ihr Menschenopfer bringen. Dabei war Orcavus darauf bedacht, nicht zu viele der Dörfler umzubringen. Er wollte über sie herrschen, und das konnte er über Tote nicht. Er wollte sie ausbeuten und sich an ihren Leibern erfreuen, denn Orcavus war eine Kreatur der Hölle, und das Leid und Grauen der Menschen war es, was er am meisten genoss. Dafür existierte er. Schmerz und Tränen hervorzurufen, das war der Sinn seines unseligen Daseins. Die Menschen stöhnten schwer unter der harten Arbeit, doch keiner wagte ein wirkliches Jammern, niemand beschwerte sich, denn sie alle fürchteten, dass der schreckliche Orc-Dämon sie belauschen könnte. Sie waren voll im Griff des Orc-Terrors, waren zu Orcavus' willenlosen Sklaven geworden. Doch es war nicht nur die Angst und die Furcht vor Orcavus und seinen Horden, die die Menschen beherrschte. Da war auch noch Ortrus, der Verräter! Dereinst war Ortrus ein Mensch gewesen, ein Bewohner aus dem Dorf. Aber schon damals hatte es geheißen, er sei ein Sohn des Satans. Seine Mutter hatte man als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ortrus hatte Orcavus und seinen Horden geholfen, Dorf und Land zu erobern. Er hatte die Menschen verraten. Und schon damals war er wie ein Tier gewesen, hatte schrecklich gewütet und mit seinem Schwert dem Priester den Kopf von den Schultern geschlagen. Nach seinem Verrat hatte Orcavus, der Orc-Dämonen, auch Ortrus zu einem Dämon gemacht. Er war jetzt eine Kreatur halb Mensch, ha lb Tier. Er hatte noch den Oberkörper eines -21-
Menschen, aber den Unterleib eines Pferdes. Er sah aus wie ein Zentaur aus der griechischen Sage. Schreckliche Dinge erzählte man sich über Ortrus. Er jagte durch das Land, hielt sich immer in der Gegend zwischen dem Berg der Schädel und dem Dorf auf, und er machte ebenfalls Jagd auf die Menschen, die es wagten, zu flüchten. Besser den Orcs in die Hände fallen als dem grimmigen Ortrus! So sagten die Alten. Ortrus galt als absolut grausam. Er diente dem Orc-Dämon Orcavus, doch er brauchte die Menschen nicht, brachte sie um, sobald er einen erwischte. Schreckliche Rache hätte er den Menschen geschworen, die einst seine HexenMutter verbrannten. Die Seelen der von ihm getöteten mussten dann auf seinen Rücken steigen, und er ritt sie direkt in die Hölle, erzählte man sich. Wehe dem, der auf Ortrus traf. Sein Schicksal war grausamer als das derjenigen, die man den Orcs als Opfer darbrachte. Schweigend arbeiteten die Menschen auf den Feldern, schufteten hart, wie sie es jeden Tag taten, und das schon seit vielen Jahren. Plötzlich aber ruckte der Kopf eines weißhaarigen Alten hoch, und er murmelte: »Da sind sie - HERR im Himmel, da sind sie!« Auch die anderen Menschen auf dem Feld sahen auf, und auch sie sahen, was sich dort oben auf einem nahen Hügel tat. Orcs - mehr als ein Dutzend dieser scheußlichen Kreaturen! Zuerst standen sie nur da, sahen auf die arbeitenden Menschen hinab, doch die wussten, was nun kommen würde. Häufig machten sich die Kreaturen einen Spaß daraus, die Menschen zu jagen und zu hetzen, und wer ihnen nicht schnell genug entkam, der wurde entweder in den Berg der Schädel entführt, von wo es kein Entkommen mehr für ihn gab, oder gleich umgebracht. Sie taten es aus Freude, sie brauchten es, weil sie die Furcht und das Grauen der Menschen so liebten.
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Und so kam es auch jetzt. Plötzlich stimmten die Orcs auf dem Hügel ein furchtbares Geschrei und Gebrüll an, dann stürmten sie den Hügel herab. In kopfloser Furcht ergriffen die Menschen die Flucht, liefen davon. Frauen packten ihre Kinder, nahmen sie bei der Hand und zerrten sie mit sich. Die Kleineren wurden auf die Arme genommen. Die Menschen liefen um ihr Leben, denn einen von ihnen sollte es erwischen. Immer näher kamen die Orcs. Obwohl sie kleiner waren als die Menschen und nur kurze, stämmige Beine hatten, bewegten sie sich flink und schnell. Außerdem hatten einige von ihnen Flügel, die aussahen wie die Schwingen von Fledermäusen, und diese Bestien erhoben sich nun in die Luft, jagten auf die fliehenden, in Angst und Panik schreienden Menschen zu. Einige der Flüchtenden stürzten, rappelten sich wieder auf, liefen weiter. Die Frauen kreischten, die Kinder weinten und jammerten. Es war nacktes Grauen und Todesangst, die regierten. Schutz oder Gegenwehr gab es nicht. Schon waren die geflügelten grünen Ungeheuer heran. Sie schrien und kreischten in ihrer Freude, und auch meckerndes Lachen war zu hören. Schon hatten sie sich einen aus den Reihen der flüchtenden Menschen ausgesucht. Es war der weißhaarige Alte. Er konnte ruhig sterben, denn er war bereits gebrechlich, konnte seine Arbeit nicht mehr voll und ganz verrichten. Es was nicht schade um ihn, wenn er starb. Sie stürzten sich auf ihn, der erste geflügelte Orc erreichte ihn. Der Alte hörte das Klatschen der ledrigen Schwingen, dann fuhren ihm scharfe Klauen in seinen Rücken, zerfetzten seine Kleidung, seine Haut, Muskeln und Sehnen und drangen vor bis auf die Knochen.
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Der Schmerz ließ den Alten heiser aufschreien, und er wurde zu Boden gerissen. Schon stürzten sich die anderen geflügelten Monster auf ihn, und er spürte, wie sie ihre Krallen und die spitzen Zähne in sein Fleisch schlugen, hörte ihr freudiges Kreischen und meckerndes Lachen. Und er selbst schrie. Er schlug um sich, strampelte mit den Beinen, doch das stachelte die Teufel nur noch mehr an. Immer wieder rissen sie blutige Fleischstücke aus seinem Körper. Und er schrie, schrie und schrie vor Grauen, Panik und Schmerzen ... Die anderen Menschen hörten sein Schreien. Die grausamen Orcs hatten ihr Opfer gefunden, und die Jagd war beendet. Die Menschen verlangsamen ihre Schritte, einige blieben schwer atmend stehen. Die Kinder weinten laut. Endlich wurde das Schreien des Alten leiser, wurde zu einem Gurgeln und Röcheln und erstarb dann ganz. Die Orcs, über und über mit dem Blut ihres wehrlosen Opfers besudelt, ließen von dem zerfetzten Bündel ab, das einst ein Mensch gewesen war. Die Menschen aus dem Dorf wagten nicht hinzublicken, obwohl sie in einiger Entfernung standen. Die Mütter versuchten ihre Kinder zu beruhigen, die Männer waren blass und atmeten schwer. »Da, seht nur!«, rief plötzlich ein Mann und wies zu der Hügelkuppe, von der die Orcs gestürmt waren. »Seht, da ist er, der verfluchte Satan!« Die Menschen stöhnten laut auf. Dort, auf den Hügel, sahen sie die Gestalt. Eine menschliche Gestalt bis zur Hüfte hin, doch der Unterleib war der eines Pferdes. »Ortrus, der Verfluchte!«, schrie ein Mann. »Diese bestialische Kreatur hat die Orcs angeführt und auf uns gehetzt!« »Dieser Satan!«, rief eine Frau. »Dieser schreckliche, grausame Satan!« -24-
Sie sahen, wie sich Ortrus jetzt in Bewegung setzte, den Hügel hinabjagte, sein magisches Schwert in der Hand, ein Geschenk des Orc-Dämons Orcavus. Die Menschen schrien wieder auf in Panik. Sie wirbelten herum, liefen weiter, hetzten davon. Vor Ortrus, dem Verfluchten, hatten sie noch mehr Angst als vor den Orcs. Niemand wollte auf seinem Pferderücken in die Hölle getragen werden. Ohne noch einmal anzuhalten, liefen sie ins Dorf ... Krachend flog die Tür auf, und in ihrem Rahmen sah Tom Jackson den alten blinden Dorfmeister stehen. Tom saß an einem verschrammten Holztisch im ehemaligen Gasthaus des Ortes. Hier wurde schon lange nicht mehr gezecht, hier trafen sich abends nach harter Arbeit seit vielen Jahren keine Menschen mehr. Nicht mehr, seit Orcavus das Dorf und das umliegende Land beherrschte. Es gab keinen Grund mehr, zu feiern, guter Laune zu sein. Die Knechtschaft der OrcDämonen war grausam und schrecklich. Die Menschen freuten sich nicht mehr, hielten auch kaum noch zusammen, sprachen nicht mehr viel miteinander, sondern ertrugen still und stumm ihr Leid. Tom war ein junger, schlanker Mann, gerade mal Anfang zwanzig. Sein Haar war rabenschwarz und kurz geschnitten. Im linken Ohr trug er einen Ring. Er hatte noch eine Flasche Branntwein gefunden. Sie stand geöffnet vor ihm. Ein Glas brauchte er nicht, er trank aus der Flasche. Um ihn herum gab es nichts als staubbedeckte Möbel und Spinnweben. Es war ein verlassener Ort, ein verlassener Raum, in dem er saß. Tom blickte auf und sah dem blinden Dorfmeister entgegen, der auf ihn zukam. Tom sagte nichts, rührte sich nicht, und trotzdem schien ihn der Blinde genau auszumachen, wie mit einem Radar seinen Sitzplatz auszuloten und den jungen Mann auch zu erkennen. -25-
»Tom«, sagte er. »Tom, mein Junge. Du bist wieder hier, betrinkst dich.« Er blieb dicht neben Tom stehen, seine weißen Augen waren in eine unergründliche Ferne gerichtet, aber er streckte die Linke aus und tastete über Toms Gesicht. Die rechte Hand hielt einen knorrigen Stock, auf den sich der Alte stützte. »Wo sollte ich sonst sein, Mr. Struber?«, erwiderte Tom. »Auf den Feldern und dort schuften für die Orc-Dämonen, so wie die anderen?« »Ja.« Der alte Dorfmeister nickte. »Es wäre besser, als sich zu betrinken. Dein armer alter Vater sieht das nicht gern.« Sein Vater - Tom hatte sich heute Morgen schlimm mit ihm gestritten. Das war der eigentliche Grund, weshalb er hier saß und sich betrank. Diese ewigen Streitereien waren so frustrierend und deprimierend wie alles hier in diesem Dorf. »Und ich sehe es nicht gern, wenn sich Menschen zu Sklaven machen«, entgegnete Tom mit harter Stimme. »Wenn sie schuften wie Tiere und auch wie solche behandelt werden. Ich weigere mich, noch einmal für Orcavus, diesen Mistkerl, diesen Teufel, den Buckel krumm zu machen. Man sollte etwas tun. Wir müssen uns auflehnen, diese Höllenbrut bekämpfen und...« »Tom«, unterbrach ihn der Blinde und schüttelte den Kopf. »Was wäre, wenn wir uns auflehnten? Die Dämonen sind uns weit überlegen. Mit ihrer höllischen Kraft, ihrer Magie, ihrer Grausamkeit und Tücke. Wir alle würden sterben!« »Es ist besser zu sterben, als ein Sklave zu sein!«, sagte Tom, setzte die Flasche an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck. Er schüttelte sich. Er hatte schon einiges intus. Seine Zunge war schon etwas schwer. »Lieber sterben«, wiederholte Struber. »Das sind Worte, die ein gottesfürchtiger Mann nicht sagen darf, mein Junge. Das Leben ist ein Geschenk des Herrn, und man wirft es nicht so einfach fort.« »Was hat Gott hier noch zu melden?«, fragte Tom. »Orcavus hat die Kirche -26-
niederbrennen lassen. Die Kirche des Priesters, den sein Vasall Ortrus köpfte. Ortrus, der Verräter an den Menschen, der ebenfalls zum Dämon wurde und seither das Land mit Terror und Grausamkeit überzieht. Ein verfluchtes Land ist es geworden. Ein gottloses Land. Ja, Gott hat uns verlassen, Struber, also reden wir nicht mehr von ihm.« »Du versündigst dich, wenn du solche Reden führst, mein Junge«, sagte der blinde Man und legte Tom die Hand auf die Schulter. »Du hast bereits zu viel getrunken.« »So? Sage ich denn die Unwahrheit? Ihr selbst, Struber, tragt das Kreuz nicht mehr, dass ich früher als Kind immer bei Euch sah.« »Ja, ich weiß. Die Orcs würden mich furchtbar bestrafen, wenn ich es wieder trüge«, sagte der Alte mit trauriger Stimme. »Und ich habe Angst, dass sie sich dann auch an Jenny, meiner Enkelin, vergreifen.« »Tut mir leid, ist schon gut.« Tom tätschelte die Hand des Mannes, die auf seiner Schulter lag. »Ich weiß ja, dass Ihr trotzdem ein gottesfürchtiger Mann seid. Doch darum sagt selbst, ist es nicht besser, zu sterben, als Diener und Sklave eines Dämons zu sein? Werden wir nicht alle zur Hölle fahren nach unserem Tod, weil wir uns von diesen Satanskreaturen haben unterwerfen lassen?« »Wir müssen auch an die Wehrlosen denken, Tom. An die Frauen, an die Kinder, die Orcavus und seine Horden aus Rache zerfleischen würden, wenn wir uns auflehnten.« »Und wie sieht die Zukunft unserer Kinder aus?«, fragte Tom und nahm erneut einen Schluck aus der Flasche, bevor er sich selbst die Antwort gab. »Es wird eine Zukunft in Sklaverei sein, Struber. Keine Freude und kein Glück dürfen sie erfahren. Und auch sie werden sich versündigen, so wie wir es tun, indem wir diesen Orc-Schergen auch noch Menschenopfer bringen, wenn
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sie es verlangen. Allein dafür werden wir eines Tages alle in die Hölle fahren!« »Vielleicht erwartet uns die Hölle«, murmelte der alte Dorfmeister. »Doch du weißt, Tom, ich bin zwar blind, doch trotzdem kann ich sehen. Ich sehe auf eine andere Weise. Ich sehe auch in die Zukunft. Und ich sehe, dass du es eines Tages sein wirst, der das Dorf befreien wird. Du bist unsere Hoffnung.« »Das ist Unsinn, Struber, und das wisst Ihr.« »Nein, ich weiß es besser. Doch du wirst nichts tun können, wenn du dich immer und immer wieder nur betrinkst.« »Auch Eure Tochter erzählt mir häufig von Euren angeblichen Fähigkeiten«, erwiderte Tom. »Sie hat mir auch schon des Öfteren gesagt, welche Hoffnungen Ihr in mich setzt. Aber - es tut mir leid, Struber, glauben kann ich nicht daran. Nein, das kann ich nicht.« »Warum nicht?«, fragte Struber. »Warum bist du so gänzlich ohne Hoffnung, mein Sohn?« »Warum?« Der junge Mann am Tisch lachte bitter auf. »Ihr sagt, ich würde .dereinst Orcavus vernichten, aber Ihr verbietet mir zu kämpfen. Das ist widersinnig!« »Du musst warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, mein Sohn.« »Er wird niemals kommen.« »Gedulde dich.« »Ich habe keine Geduld mehr, Struber. Also sitze ich lieber hier und betrinke mich, so kann ich wenigstens meinen Schmerz vergessen.« »Und was sagt dein Vater dazu?«, fragte Struber. »Vater!«, schnaubte Tom. »Was er dazu sagt? Ihm missfällt alles, was ich tue. Er ist stets gegen mich.« »Du weißt, dass das nicht wahr ist«, widersprach der blinde alte Mann. »Dein Vater liebt dich mehr als alles andere. Mehr als sein eigenes Leben.« -28-
Tom nickte und verkniff den Mund zu einen schmalen Schlitz. Dann murrte er: »Wir haben uns heute Morgen wieder gestritten.« »Worum ging es?«, fragte der Blinde. »Worum wohl? Um mich. Wie ich mich benehme, dass ich mich den Orcs widersetze mit meinem Tun, meiner Verweigerung, für sie zu schuften. Und dass sie mich irgendwann holen werden zu ihrem Berg der Schädel. Vater wollte, dass ich ihm aufs Feld begleite. Er sagte, die Orcs würden eines Tages merken, dass ich mich immer häufiger vor der Arbeit drücke, und dann würden sie mich holen kommen.« »Das könnte durchaus geschehen.« »Was würde das schon ausmachen?« »Es ist schrecklich, was dort mit den armen Menschen geschieht, To m. Niemandem wünsche ich dieses Schicksal.« »Nein?«, fragte Tom plötzlich heftig. »Aber wir bringen ihnen Menschenopfer. Wenn die Orcs wieder eins haben wollen, wählen wir einen aus unserer Mitte. Nicht zu alt darf er sein, denn dann würde den Orcs sein Fleisch nicht mehr schmecken. Hin und wieder findet sich auch ein armer Narr, der sich freiwillig meldet, weil er glaubt, so das Dorf zu retten vor dem Zorn der Orcs.« Tom lachte freudlos auf. »Verdammt! Und wir machen das auch noch mit! Wir bringen diese Menschen zu diesem verfluchten Opferstein, ketten sie dort an und überlassen sie ihrem Schicksal. Sie stehen da, in Ketten gelegt, und warten darauf, dass diese Ungeheuer sie holen kommen. Grausame Stunden vergehen, in denen ihre Todesangst immer schlimmer wird. Und dann kommen diese scheußlichen Kreaturen. Und wir hören die schrecklichen Schreie dieser armen Menschen. Sie gellen bis ins Dorf, und wir pressen uns die Hände auf die Ohren, um sie nicht hören zu müssen. Es gibt sogar Leute hier im Dorf, die sich inzwischen an diese entsetzlichen Schreie gewöhnt haben! Wenn die Opfer Glück haben, fallen die Orcs bereits am Opferstein über sie her. Dann dauert ihr Sterben nur -29-
ein paar qualvolle Minuten. Und danach schaffen diese Bestien die Leichen in ihre Höhlen, um sich an dem noch warmen, blutigen Fleisch gütig zu tun. Wenn die Opfer aber Pech haben, dann lassen die Orcs sie erst mal am Leben, bringen sie zu ihrem Berg der Schädel, und was dort mit ihnen geschieht, das weiß niemand, aber es ist bestimmt grauenhaft und schrecklich, wie Ihr es auch schon sagtet, Struber. Und wir machen da mit. Wir lassen es nicht nur geschehen, was schon schlimm genug wäre, wir beteiligen uns aktiv an diesem Grauen. Was sind wir für Menschen? Sind wir überhaupt noch Menschen? Werden wir langsam auch zu Höllenkreaturen? Ist es das, was die Orcs mit uns vorhaben - uns ebenfalls zu Bestien zu machen, die nur noch quälen und foltern und töten?« »Ich weiß, es ist schlimm«, sagte der alte blinde Mann. »Und es ist gut, dass du dich darüber aufregst. Das zeigt, dass du ein guter Mensch bist. Dass ein Herz in deiner Brust schlägt und eine Seele in dir ist. Aber was können wir tun? Zur Zeit gar nichts. Wir müssen abwarten, bis der Tag der Befreiung kommt, und dann wirst du eine große und entscheidende Rolle innehaben bei der großen Abrechnung, mein Sohn.« »Große Abrechnung - dass ich nicht lache!«, sagte Tom Jackson heftig. »Der Tag der Befreiung - wie lange sollen wir noch darauf warten? Wie lange sollen wir noch als Sklaven leben? Ach, was heißt überhaupt leben? Dies ist kein Leben! Es ist vegetieren! Für die Orcs sind wir noch viel weniger als Sklaven. Sie behandeln uns wie Vieh. Eines Tages werden sie sich dazu entschließen, dass sie uns nicht mehr brauchen, dass sie sich genug ergötzt haben an unseren Leid. Dann werden sie über uns herfallen und uns alle fressen, und das bei lebendigem Leibe!« Wieder nahm er die Flasche und schüttete sich den scharfen Branntwein in den Hals. »Dies wird nicht geschehen«, sagte der Blinde zuversichtlich. »Nein, sicher nicht«, sagte Tom spöttisch und stellte die Flasche wieder ab. »Weil Sie es gesehen haben, Struber, nicht wahr? Die -30-
Zukunft, den Tag der Befreiung. Aber dieser Tag wird nicht kommen. Wir werden entweder selbst zu skrupellosen Ungeheuern, die übereinander herfallen, oder wir werden so lange als Sklaven schuften und unsere Nachbarn und Freunde diesen Teufeln als Opfer darbringen, bis sie die Nase voll von uns haben, unserer überdrüssig geworden sind und uns alle töten. Oder ...«, Tom ballte die Hände zu Fäusten, so heftig, dass die Knöchel weiß durch die Haut schimmerten, »... oder wir lehnen uns auf, alle zusammen, und widersetzen uns diesem Terror!« »Aber wir hätten keine Chance, Tom. Wir alle würden dann umkommen.« »Wie ich bereits sagte, ich halte es für besser, tot als ein Diener und Sklave dieser scheußlichen, widerlichen Brut zu sein. Ja, ich wäre lieber tot, als so zu leben. Warum habe ich noch nicht den Mut gehabt, einfach hinaufzugehen zum Berg der Schädel und dieser Brut entgegenzutreten? Sollen sie mich töten. Sollen sie mich zerfleischen. Es ist mir egal!« Der junge Mann griff abermals zur Flasche, wollte sie sich wieder an den Mund setzen, doch zielsicher griff der blinde Alte zu, packte Toms Handgelenk und hielt es fest. »Dich zu betrinken ändert nichts. Du solltest auch an Jenny denken.« Jenny! Tom ließ die Flasche sinken, stellte sie auf den Tisch zurück. Jenny - sie war die Enkelin des Dorfmeisters. Gerade mal siebzehn Jahre war sie jung, und sie war bildschön. Eine schlanke Figur hatte sie, bei der aber schon alle weiblichen Reize voll erblüht waren. Ihr Haar war blond wie das eines Engels, ihr Gesicht von ebenmäßiger Schönheit. Es gab im ganzen Dorf kein schöneres Mädchen. Sie war in Tom verliebt, und Tom liebte sie ebenso. Der alte Struber wusste das, und er sah es mit Wohlgefallen, denn er hielt trotz allem große Stücke auf den jungen Tom Jackson. Jenny hatte ihre Eltern früh verloren, die Mutter schon bei der Geburt, -31-
der Vater war ein Opfer des Orc-Terrors geworden. Sie hatten aus Spaß wieder mal Jagd auf die Menschen gemacht und ihn in ihren Berg der Schädel entführt. Er war nie mehr gesehen worden. Seitdem lebte Jenny bei ihrem Großvater. Und der hätte sich sogar gefreut, wenn der junge Tom Jackson die schöne Jenny geehelicht hätte. Der aber, so sehr er Jenny auch liebte, konnte diesen Plänen nicht zustimmen. Er sah keine Zukunft. Nicht für Jenny, nicht für sich selbst und nicht für dieses Dorf. Heiraten, in diese Welt des Schreckens auch noch Kinder setzen - das war geradezu verant wortungslos. Der blinde Struber versuchte stets, ihm Hoffnung zu machen. Viele sagten dem Dorfmeister nach, er könne in die Zukunft blicken, und er hatte schon mehrfach behauptet, Tom würde eines Tages das Dorf retten. Tom hielt es für blanken Unsinn. Niemand im Dorf begehrte gegen den Terror der Hölle auf. Er war der Einzige, der sich ab und an widersetzte allerdings so, dass es die Orcs nicht mitbekamen. Hätten sie gewusst, dass er hier saß und sich voll laufen ließ, sie hätten ihn öffentlich vierteilen lassen oder Schlimmeres mit ihm angestellt. »Jenny«, sagte der junge Tom Jackson nun, und es klang wehleidig, wie er es sagte, obwohl er es nicht wollte. Er stellte die Flasche wieder ab. »Ich wünschte, es gäbe eine gemeinsame Zukunft für Jenny und mich. Oder zumindest eine Zukunft für sie. Sie ist so schön, so zart, so - was rede ich!« Er schlug mit der Faust auf dem Tisch. »Struber, Ihr seid ein alter Narr! Ich soll das Dorf befreien, aber Ihr haltet mich vom Kampf ab! Ihr ...« »Ich fürchte, dass die Zeit noch nicht gekommen ist«, erklärte Struber. »Die Zukunft ist unsicher, sie zeigt sich mir nur verschwommen. Es sind keine konkreten Bilder, die ich sehe. Aber der Tag der Befreiung wird kommen. Und du bist wichtig. -32-
Du hast eine entscheidende Rolle bei dem, was geschehen wird. Ich habe es gesehen, verschwommen zwar, doch ich bin sicher, es richtig erkannt und gedeutet zu haben. Ich ...« »Das ist alles Unfug!«, rief Tom erregt. Er hätte heulen können, so elend fühlte er sich auf einmal. »Niemand wird dieses Dorf befreien, es sei denn, wir alle erheben uns endlich gegen Orcavus! Doch niemand hier ist Manns genug dafür! Und Ortrus - habt ihr den vergessen? Ortrus, den Verfluchten, der durch die Gegend zieht, um mit dem magischen Schwert, das er einst von Orcavus erhielt, die Menschen zu erschlagen? Wie soll ich ihn besiegen? Ich allein? Ich will kämpfen, und ich will Ortrus bezwingen und danach Orcavus von seinem Knochenthron stürzen! Doch wie? Wie, wenn um mich herum nur Feiglinge sind? Soll ich dem Feind allein gegenübertreten?« »Nein, das sollst du nicht«, entgegnete der blinde Alte und legte Tom beruhigend seine Hand auf die Schulter. »Nicht allein. Jemand wird kommen, der dich unterstützt in deinem Kampf. Ein starker Mann. Stark in seiner Kraft. Und stark in seinem Glauben. Er wird kommen, das habe ich ebenfalls gesehen. Ich bin sicher. Absolut sicher. Aber bis dahin musst du dich zusammenreißen, Sohn. Du darfst dich nicht in Selbstmitleid ergehen. Und vor allem darfst du dich nicht allein mit Orcavus und seinen Horden anlegen.« »Viel mehr als Orcavus macht mir der Gedanke an Ortrus zu schaffen«, brummte Tom Jackson. »Er ist an allem schuld. An unserem Schicksal, an dem entsetzlichen Grauen, das dieses Land regiert. An den Toten, den Opfern, unserem Leben als Sklaven. Er war einer von uns, doch er ist zum Verräter geworden. Zum Verräter an den Menschen und an der Menschlichkeit. Er ist noch schlimmer als dieses Höllengezücht, denn die können vielleicht nicht mal was dafür, dass sie böse und niederträchtig sind. Es liegt in ihrer Natur, denn es sind Geschöpfe, die von Satan geschaffen wurden. Aber Ortrus war ein Mensch, und er hat sich ganz bewusst für die Hölle -33-
entschieden. Und er hat sich belohnen lassen für seinen schändlichen, grausamen Verrat, indem er sich selbst zum Dämon machen ließ. Ich würde viel darum geben, mit diesem Teufel abzurechnen. Nur einmal möchte ich ihm gegenüberstehen, die Faust gegen ihn erheben. Ja, dann könnte ich in Frieden sterben, dann hätte ich alles erreicht, wonach mein Herz sich sehnt.« »Und was ist mit Jenny, meiner Enkelin?«, fragte der Blinde. »Weißt du nicht, wie sehr sie dich liebt? Dass sie ohne dich gar nicht mehr leben möchte? Liebst du sie denn kein bisschen, dass du so egoistisch daherredest?« »Jenny - ja, verdammt, ich liebe sie genauso, wie sie mich liebt! Ich liebe sie mehr als mein Leben, mehr als meinen Vater, mit dem ich mich immer wieder streite, mehr als alles andere! Aber es gibt keine Zukunft für uns! Es gibt nur Leid, Elend, Tod! Jenny und ich werden niemals zusammenfinden!« »Das habt ihr doch schon. Ich spüre doch und höre aus euren Worten, wie sehr ihr euch liebt!«, widersprach der Alte. »Es kann keine Liebe geben an einem Ort wie diesem!«, sagte Tom heftig. »Soll Eure Enkelin einen Sklaven heiraten? Einen Mann, der den Schergen der Hölle unterworfen ist?« »Ich sagte doch, der Tag der Befreiung wird kommen!« Tom schüttelte traurig den Kopf. »Niemals. Niemals wird dieser Tag kommen, Mr. Struber. Da bin ich mir ganz sicher. Entweder erheben wir uns alle zusammen, jeder Mann in diesem Dorf, der jung und kräftig genug dafür ist - und dann siegen oder sterben wir. Oder wir gehen alle langsam und elendig vor die Hunde. Aber da mir niemand folgen will, wird es wohl niemals geschehen. Und vielleicht werde auch ich mich nie mals offen auflehnen. Ich habe heute schon zu viel getrunken. Ich rede wirres Zeug. Es ist aber nicht nur der Alkohol, der mich so reden lässt, es sind auch Wut und Verzweiflung. Ich weiß nicht, was werden wird. Ich ...« Lautes Geschrei und entsetzte Rufe unterbrachen ihn. -34-
»Was ist das?«, rief der blinde Struber. »Da - da ist irgendwas geschehen!«, sagte To m. Die Schreie rissen ihn plötzlich aus seiner Lethargie und seinem Selbstmitleid. »Ja, aber was?«, fragte der Blinde. »Vielleicht haben die Orcs wieder Jagd auf die Feldarbeiter gemacht«, sagte Tom grimmig und entsetzt zugleich. »Sie haben wieder Jagd auf sie gemacht, bis sie einen erwischt haben, den sie zerfleischen und zerreißen konnten.« »Entsetzlich«, mummelte der blinde Mann. »Beten wir zu GOTT, dem HERRN, dass das nicht geschehen ist.« »Kommt! Wir sehen nach!« Tom sprang auf. Etwas zu heftig. Der Stuhl kippte dabei um, und er schwankte, musste sich mit beiden Händen auf der Tischplatte abstützen, und das Holz des alten Möbels knarrte bedenklich. Die Flasche kippte um, "rollte von der Platte und ... Geschickt fing der Blinde sie auf und stellte sie auf den Tisch zurück. Tom sah ihn mit großen Augen an. Der alte Struber wurde ihm auf einmal unheimlich. Der Mann war doch blind, und trotzdem hatte er die Flasche auffangen können. Oder hatte er das laute Rollen über die verschrammte Tischplatte gehört? Wieder legte ihm der alte Struber die Hand auf die Schulter. »Du hast mehr getrunken, als ich gedacht habe. Ist dir schwindlig?« »Es - es geht schon«, erwiderte Tom. Das Rufen und Schreien draußen wurde lauter. »Lasst uns nachsehen, was da los ist!« »Geht es denn?« »Ja, ich bin schon wieder in Ordnung.« Tom straffte sich, dann ging er mit dem alten Struber hinaus. Der hatte seine Hand noch immer auf Toms Schulter liegen,
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aber Tom war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sich Struber wirklich von ihn führen lassen musste. Ich sehe auf eine andere Weise, hatte der Blinde zu ihm gesagt. Tom gingen diese Worte nun wieder durch den Kopf. Sein Schritt war etwas unsicher. Er hatte wirklich zu viel getrunken. Aber das war auch beabsichtigt gewesen. Regelrecht besaufen hatte er sich wollen. Sie traten auf die Straße vor dem ehemaligen Wirtshaus und ahnten noch nicht, welch schreckliche, grauenvolle Nachricht bereits im Dorf die Runde machte. Eine Nachricht, die Tom Jacksons Leben für immer verändern sollte. Eine Nachricht, die überhaupt alles verändern sollte ...
Reverend Pain war zwei Tage unterwegs gewesen. Er hatte in dieser Zeit nichts gegessen und nur sehr wenig getrunken. Der Mann des HERRN konnte auch ohne Nahrung sehr lange auskommen. Er fuhr auf seiner Harley durch ein hügeliges Land. Zwischen den Hügeln lagen Felder, und Reverend Pain war davon überzeugt, dass dies hier ein sehr fruchtbarer Ackerboden war, so wie GOTT ihn in seiner größten Güte den Menschen schenkte. Und trotzdem stimmte hier etwas nicht. Reverend Pain spürte den Odem des Bösen, der über diesem Land lag. Er roch die Gewalt, das Grauen und das vergossene Blut von Unschuldigen. Gewitterwolken türmten sich am Himmel auf und verdeckten die Sonne. Bald würde es einen Sturm geben. Reverend Pain spürte, dass dieser Sturm jedoch nicht nur der Ausbruch von Naturgewalten sein würde.
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Ein reinigendes Unwetter, das das Böse von diesem Landstrich wusch? Oder ein Sturm der Vernichtung, der auch die letzte Hoffnung zunichte machte? Menschen mussten hier in der Gegend leben. Die Felder deuteten darauf hin. Fromme Menschen, denn sie verdienten sich ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts. Und trotzdem war da der Pesthauch des Bösen, den Reverend Pain wahrnahm. Er drohte selbst ihn, einen Mann des HERRN, geistig zu vergiften. Reverend Pain stoppte seine Maschine. Er hatte eine Art Steilhang erreicht, der sich vor ihm erhob. Hier wollte er beten und neue Kraft bei GOTT suchen. Er bockte die Maschine auf und stieg aus dem Sattel. Er wandte sich dem erdigen Hang zu und ging davor in die Knie. Dann faltete er die Hände und versenkte sich in sein Gebet ... Die Orcs hatten ihn bereits entdeckt. Jetzt, wo der Gottesmann in sein Gebet vertieft war, krochen sie aus ihren Erdlöchern hervor. Jetzt wagten sie es, an die Oberfläche zu kommen, denn der Reverend würde sie nicht wahrnehmen. Noch belauerten sie ihn aus sicherer Entfernung von den Hügeln aus. Er betete, und sein gefährliches Lasergewehr hatte er dafür abgenommen. Es lehnte neben der Harley Davidson, die er fuhr. Wenn sie es geschickt anstellten, würde er seine Waffe nicht mehr erreichen können, wenn sie ihn angriffen. Dann würde ihm sein Glaube wenig nutzen. Schreiend und kreischend würde er unter ihren spitzen Krallen und zuschnappenden Zähnen sterben. Der Himmel wurde immer grauer und düsterer. Das Unwetter würde gleich losbrechen ... Sie schritten durch die engen Gassen des Dorfes. Der junge Tom Jackson und der alte blinde Dorfmeister, der seine Hand auf Toms Schulter gelegt hatte. Die Wege waren ungepflastert und bestanden aus brauner Erde. Sie war vom letzten Regen
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aufgeweicht und schlammig. Hier und da waren Pfützen, denen Tom auszuweichen versuchte. Die Häuser um sie herum waren meist nur einstöckig. Es waren windschiefe kleine Häuser im Fachwerkbaustil, mit schmalen Fenstern, die kaum einen Blick ins Innere gewährten. Die Sonne hatte es schwer, ihre Strahlen in diese engen Gassen zu schicken, zumal sich der Himmel zugezogen hatte. Er war grau geworden, mächtige Wolken zogen vom Norden auf, und entfernt hörte man Donnergrollen. Es würde ein Unwetter geben.
Der blinde Struber und Tom erreichten den Dorfplatz. Auch er war ungepflastert. Tom sah eine Menschentraube. Fast das ganze Dorf war dort versammelt, alle sprachen durcheinan-» der, man hörte hektische Rufe, das Weinen von Kindern und das Klagen von Frauen. »Die Menschen haben sich auf dem Dorfplatz ...«, begann Tom. »Ja, ich höre es«, unterbrach ihn Struber. »Du brauchst mir nicht zu sagen, was du siehst.« Sie näherten sich den Menschen. Ein blondes Mädchen stand am Rand der Menschenmenge, hoch gewachsen, von anmutiger Gestalt. Es trug ein langes rotes Kleid, das eng geschnürt war und deutlich zeigte, wie schlank das Mädchen in der Taille war. Es wandte den Kopf, sah die beiden Männer, die sich näherten, und lief auf sie zu. »Tom! Großvater!«, rief es. Das Mädchen fiel ihrem Großvater an die Brust, der seine Arme um es legte. »Jenny, was ist denn?«, fragte er, denn er hörte das Schluchzen seiner Enkelin. »Es ist - es ist ...«, stammelte sie, dann blickte sie auf, machte sich von ihrem Großvater los und schaute Tom an. Er sah, wie ihr die Tränen über ihr hübsches Gesicht liefen.
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»Mein Gott, Jenny«, flüsterte er. »Was ist geschehen?« »Die Orcs ...«, begann sie und schluchzte. »Sie haben die Menschen auf dem Feld angegriffen und ...« »Sie haben sich wieder einen Spaß daraus gemacht, sie zu jagen, richtig?«, knirschte Tom, und er ballte die Hände zu Fäusten, dass die Knöchel weiß durch die Haut schimmerten. »Ja«, schniefte Jenny. »Und diesmal wurden sie angeführt von Ortrus! Er hat die Scheusale auf die Menschen gehetzt!« »Ortrus, dieser Verräter und Mistkerl!«, zischte Tom. »Zur Hölle mit ihm!«
»Sie haben einen Mann erwischt«, schluchzte Jenny. Tom blickte sie finster an. »Das hab ich mir schon denken können. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sie Jagd auf die Menschen machen, um ihrem höllischen Trieben nachzugehen. Und immer erwischt es dann einen Menschen - einen Unschuldigen, den diese abscheulichen Kreaturen zerfleischen!« »Tom, Tom ...«, jammerte Jenny. »Du musst jetzt stark sein! Du musst jetzt furchtbar stark sein!« »Warum?« Er musterte sie, zuerst verwirrt, dann weiteten sich seine Augen vor Schrecken und Entsetzen. »Vater! Er war heute auf dem Feld! Vater! Vater! Sag nicht, sie haben ihn ...« Er konnte nicht weitersprechen, die Worte wollten ihm nicht über die Lippen. »Doch, Tom, es ist wahr«, sagte Jenny und presste sich an seine Brust. Sie weinte, vergo ss bittere Tränen. »Dein Vater, Tom! Sie haben deinen Vater erwischt ...« Tom glaubte, das Herz bliebe ihm stehen. Ein scharfer Schmerz durchschnitt seine Brust, er bekam keine Luft mehr, keuchte schwer, dann packte er Jenny bei den Schultern, drückte sie von sich weg und starrte ihr ins verweinte Gesicht. »Nein! Sag, dass das nicht wahr ist!«, keuchte er. »Es - es darf nicht wahr sein! Es darf nicht ...« -39-
Inzwischen waren die Menschen auf dem Dorfplatz auf sie aufmerksam geworden, hatten sich ihnen genähert und standen nun dicht vor Tom, Jenny und ihrem Großvater. Tom blickte die Menschen an, und einer der Männer nickte. »Es ist wahr, Tom«, sagte er mit leiser Stimme. »Sie haben diesmal deinen Vater erwischt. Es war Ortrus, der die Orc-Horde anführte und auf uns hetzte.« »Nein, nein!«, schrie Tom. Er ließ Jenny los, Tränen waren ihm in die Augen geschossen, und er trat auf dem Mann zu, der gesprochen hatte, packte ihm am Kragen. »Mein Vater, sagst du! Sie haben meinem Vater ermordet?« »Ja, Tom. Ja, so ist es.« »Und ihr?«, schrie Tom, dem die Tränen nun übers Gesicht liefen. »Was habt ihr getan? Habt ihr wenigstens versucht, ihn zu retten? Habt ihr irgendetwas getan? Irgendetwas?« Er schüttelte den Mann am Kragen durch. Der griff nach Toms Handgelenken, umklammerte sie hart. »Sei vernünftig, Tom! Wir konnten nichts tun. Es waren zu viele. Wir dürfen uns nicht mit den Orcs anlegen. Orcavus würde uns furchtbar bestrafen. Und außerdem wurden sie von Ortrus angeführt. Du weißt, was das für ein Monster ist. Wir konnt en nichts tun, glaub mir!« »Nein, ihr konntet nichts tun!«, schrie Tom. »Ihr tut nie etwas! Ihr ertragt alles! Ihr seid die willenlosen Sklaven dieses Dämons Orcavus! Ihr lasst euch behandeln wie Tiere, wie Vieh! Und wie Vieh lasst ihr euch abschlachten! Aber ich nicht! Versteht ihr? ich werde mich nicht wie Vieh abschlachten lassen! Ich werde kämpfen! Kämpfen!« Der blinde Struber legte Tom die Hand auf die Schulter, sprach beruhigend auf ihn ein. »Ich weiß, welchen Schmerz du empfindest, Tom. Aber du musst dich zusammenreißen. Du kannst nichts tun. Noch nicht. Deine Zeit wird kommen, aber wenn du jetzt ...« Tom ließ ihn nicht ausreden. Er stieß den Mann, den er am Kragen gepackt hatte, von sich, drehte den Kopf und schrie -40-
Struber an: »Nein, Schluss damit! Meine Zeit wird nicht kommen! Ich werde sterben! Es gibt keine Hoffnung und keine Erlösung für dieses Dorf! Wir alle sind verdammt und werden sterben! Aber ich will als Mann sterben, nicht als Sklave!« Er schlug die Hand des Blinden von seiner Schulter und bahnte sich zornig einen Weg durch die Menge. »Tom!«, rief Struber. »Wo willst du hin? Bleib, Tom! Geh nicht!« Doch Tom hörte nicht, ging einfach weiter. Jenny lief ihm hinterher, packte seinen Arm, versuchte ihn festzuhalten, doch er schleifte das weine nde und jammernde Mädchen mit sich. »Tom, bitte bleib!«, bettelte sie. »Geh nicht zum Berg der Schädel! Orcavus wird dich erschlagen! Ortrus wird deine Seele in die Hölle bringen! Bitte, nimm doch Vernunft an! Denk an uns, Tom! Denk an uns beide! Denk an unsere Liebe!« »Es gibt keine Liebe zwischen uns!«, knurrte Tom und schritt unbeirrbar auf das Dorfende zu, schleifte die weinende Jenny dabei mit sich. »Es darf keine Liebe geben zwischen Verdammten! Und wir beide sind verdammt! Wir sind bereits tot! Aber ich werde nicht als Sklave sterben wie all die anderen!« »Nein, Tom, bitte!«, jammerte das Mädchen. »Bitte bleib. Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr! "Ich liebe dich, Tom! Nur dich! Du bist alles, was mir außer Großvater noch geblieben ist!« »Du kannst mich nicht aufhalten, Jenny!«, knurrte er. »Ich werde mich Orcavus stellen. Und Ortrus, dem Verräter. Dann werde ich zur Hölle fahren, wo wir uns alle wiedersehen. Denn wir alle haben uns versündigt, als wir lieber zu Sklaven einer Höllenkreatur wurden, statt zu sterben!« Sie beschwor ihn weiterhin, er möge bleiben, wieder zu Verstand kommen. Sie klammerte sich verzweifelt an seinem -41-
Arm fest, doch er schleifte das zarte Mädchen mit sich bis zum Dorfrand. Dort fiel Jenny auf den schlammigen Boden, blieb weinend jammernd im Schmutz liegen, während Tom weitermarschierte, in das hügelige Land hinein, in Richtung auf den Berg der Schädel zu. Grau war der Himmel, und man hörte den Donner grollen. Es würde ein schreckliches Unwetter geben ...
Völlig lautlos näherten sich die Orcs dem betenden Mann, während der Himmel sich immer weiter verdüsterte. Sie schlichen von den angrenzenden Hügeln auf ihn zu, ohne dass er es bemerkte. Er kniete da, die Hände gefaltet, den Blick gesenkt, und betete zu seinem Herrn. Die Orcs zeigten bereits ein gieriges Grinsen, bleckten die spitzen Zähne. Die scharfen Krallen waren bereit, sich in das Fleisch des Reverends zu graben und es auseinander zu fetzen und zu zerreißen. Jetzt waren die ersten Orcs nahe genug, um anzugreifen. Noch ein Schritt, und dann ... Jetzt war es so weit. Der erste Orc sprang und ... Krachend entlud sich das Unwetter. Ein Blitz zuckte aus den düsteren Wolken auf die Erde herab, und der Donner war wie eine Explosion. »Amen!«, rief Reverend Pain, und dieses Wort beendete sein ansonsten schweigsames Gebet. Er federte hoch, wirbelte gleichzeitig herum und riss seine schwere Pistole aus dem Holster. Der Schuss krachte, die Silberkugel fegte den heranstürmenden ersten Orc zur Seite. Sie war ihm in die Stirn geschla gen, hatte dort ein tiefes Loch gerissen, und kreischend wurde der Orc zu einer glibberigen grünen Masse. -42-
Der nächste Schuss, und der zweite Orc ging nieder. Der dritte kam von rechts, doch der Reverend wirbelte herum, schoss und beendete auch die grausame Existenz dieses Wesens. Diesen Sekundenbruchteil nutzte Orc Nummer vier, den Reverend anzuspringen. Er riss ihn zu Boden, schlug mit den Krallen nach ihm, doch Reverend Pain rollte sich so geschickt ab, dass der Orc von ihm geschleudert wurde. Einen Herzschlag später stand Reverend Pain wieder. Orc Nummer fünf erreichte ihn im selben Moment, doch der Reverend rammte ihm die Sohle seines schweren Motorradstiefels ins Gesicht, dass ihm ein paar seiner spitzen Zähne ausgebrochen wurden, und erschoss gleichzeitig Orc Nummer vier, wirbelte herum, richtete die Mündung seiner Waffe auf Orc Nummer fünf, der seine Klauen auf das blutende Maul presste, und jagte ihm die Kugel in den Kopf. Der letzte Orc verharrte in seinem Angriff. Voller Entsetzen starrte er auf seine Kumpanen, deren tote Körper sich in eine grüne, blubbernde Masse verwandelten, die in den Erdboden sickerte. Die ersten Regentropfen fielen, und wieder flackerte ein Blitz am düsteren Himmel, krachte der Donner. »Hörst du den Donner?«, fragte Reverend Pain. »Es ist die Stimme des HERRN. Er zürnt, weil ihr einen frommen Mann bei seinem Gebet stören wolltet.« Dem letzten Orc zitterten die Knie. Er war ein dämonisches Wesen, geboren in der Hölle, doch wie alle Knechte Satans zeichneten ihn nicht nur seine Brutalität und Grausamkeit aus, sondern auch seine tiefe Feigheit. Er sah, wie der Reverend die Pistole auf ihn richtete, und laut begann er in panischer Furcht zu fiepen und zu quieken. Er schied eine Flüssigkeit aus, die bei einem Lebewesen der Erde Urin gewesen wäre. »Eine Kreatur wie du hat auf GOTTES Erden nichts verloren«, sagte Reverend Pain. -43-
Und er schoss. - Die Silberkugel schlug dem Orc in die Stirn, sprengte ein faustgroßes Loch in seinen Schädel, und mit einem letzten Quieken wurde das Monstrum von den Stummelbeinen gerissen und zu Boden geschleudert. Noch einmal zuckte die kleine hässliche Kreatur mit Armen und Beinen, dann begann der Auflösungsprozess. Die schuppige Haut platzte auf, glibberiges Fleisch kam darunter zum Vorschein, wurde zu einer breiigen Masse, löste sich von den Knochen, die ebenfalls zerfielen. Nur eine stinkende Pfütze blieb von dem Orc zurück, die in den Boden sickerte. Der Reverend steckte die Pistole zurück ins Holster. Der Regen hatte jetzt voll eingesetzt. Er fiel in Strömen aus dem dunklen Himmel. Reverend Pain neigte sein Haupt. »Danke, HERR«, murmelte er. GOTT hatte ihn nicht sterben lassen und vor der Höllenbrut gewarnt. Reverend Pain schritt auf seine Harley zu, schnallte sich das Lasergewehr auf den Rücken und stieg in den Sattel. Er wusste jetzt wenigstens, mit welcher Art von Dämonen er es diesmal zu tun hatte. Er warf die Maschine an und brauste davon. Von den Orcs war nichts mehr übrig geblieben. Nichts zeugte mehr davon, dass es diese sechs abscheulichen Kreaturen je gegeben hatte ... Der Regen fiel in Strömen aus den Wolken, als wolle er das Land überschwemmen. Kalt und stürmisch fegte der Wind, jaulte und brüllte, und der graue, düstere Himmel wurde von grellen Blitzen durchschnitten. Laut krachte der Donner. Eine einsame Gestalt kämpfte sich voran durch das Unwetter, die Kleidung völlig durchnässt, die Stiefel halb im Schlamm versunken. -44-
Endlich erreichte Tom Jackson die Stelle, wo die Dorfbewohner heute Morgen gearbeitet hatten. Das Feld war verwüstet, die Saat dahin. Die Orcs hatten alles niedergetrampelt. Die Menschen konnten mit ihrer schweren Arbeit noch mal ganz von vorn anfangen. Die Orcs kümmerte es nicht. Sollten die Menschen ruhig schuften. Hauptsache, sie lieferten die Ernte rechtzeitig ab. Aber das kümmerte Tom Jackson nicht mehr. Er sah das Bündel am Boden liegen. Ein zerfetztes Bündel, das einst ein Mensch gewesen war. Und sein Vater. Tom Jackson taumelte durch den strömenden Regen und dem peitschenden Wind darauf zu, ließ sich daneben auf die Knie und in den Schlamm sinken. Sein Vater war kaum noch wiederzuerkennen. Ein Bündel aus blanken Knochen war der Leichnam. Er Anblick war grausig, fürchterlich. Tom schrie auf. Seinen ganzen Schmerz schrie er in den heulenden Sturm. Dann hockte er da, stumm und in seiner Trauer gefangen. Endlich blickte er wieder auf. Da sah er die Gestalt auf dem Hügel. Halb Mensch, halb Pferd. Ein Zentaur. ; '...,Ortrus. Er stand auf dem Hügel. Der Regen prasselte auf seine halbmenschliche Gestalt, und der Wind ließ seinen langen Bart und seine langen Haare wehen. In der rechten Hand hielt er das magische Schwert. Er blickte auf Tom hinab, der im Schlamm vor der verwüsteten Leiche seines Vaters kniete. »Ortrus!«, schrie Tom schließlich, und drohend schüttelte er die Fäuste. »Ich werde dich vernichten, Ortrus! Das schwöre ich! -45-
Ich schwöre es bei GOTT, dem HERRN! Du wirst büßen für das, was du getan hast!« Die Gestalt auf dem Hügel rührte sich nicht, blickte nur grimmig auf Tom Jackson hinab. Der Sturm umtoste Ortrus, Blitze zuckten am düsteren Himmel, und ihr Widerschein umflackerte den Halbmensch. Tom erhob sich, stand breitbeinig vor seinem ermordeten Vater. »Komm und stell dich zum Kampf, Ortrus!«, rief er. »Kämpfe mit mir, du Satan! Kämpfe mit mir! Komm und töte mich! Erschlage mich mit deinem magischen Schwert! Schlag mir den Kopf ab! Und dann reite mit mir in die Hölle! Komm schon! Komm!« Doch die Gestalt auf dem Hügel rührte sich noch immer nicht. »Was ist los, Ortrus?«, rief Tom. »Macht es dir Freude, mich noch weiter leiden zu sehen? Genießt du meinen Schmerz so sehr, dass du ihm noch kein Ende machen willst? Komm und töte mich, sonst werde ich dich vernichten, Ortrus!« Ein Blitz zuckte wieder vom düsteren Himmel, verästelte sich, und das flackernde Licht überzog des Land. Der Zentaur stieg auf seine Hinterläufe und hob das Schwert. Der Donner krachte wie eine Explosion. Dann setzte sich das Mischwesen auf dem Hügel in Bewegung und ... Es ritt davon! Ortrus galoppierte die andere Seite des Hügels hinab und verschwand. Tom Jackson verstand es nicht. Aber offenbar wollte ihn Ortrus jetzt noch nicht töten. Vielleicht führte er etwas viel Schlimmeres im Schilde, als Tom einfach nur den Kopf abzuschlagen. Vielleicht wollte er ihn aber wirklich nur noch länger leiden lassen.
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»Ortrus!«, schrie Tom Jackson wieder in den jaulenden Sturm. »Ortrus! Ich kriege dich! einer von uns wird sterben! Du oder ich! Bei Gott, einer von uns stirbt!« Er heulte und schrie, sackte wieder in die Knie. So hockte er da im peitschenden Regen. Dann vergrub er seine Hände in den Schlamm, schaufelte die feuchte Erde auf. Er begann mit bloßen Händen ein Grab für die Überreste seines Vaters zu graben. Seine Tränen vermischten sich mit dem Regen, der unablässig aus den Wolken stürzte ... Der alte Struber hatte seine Enkelin am Dorfrand gefunden und das weinende, schluchzende Mädchen heimgebracht. Er lebte in einem kleinen Häuschen am Rande des Dorf und führte das Mädchen in die enge Stube. Dort ließ sich die weinende Jenny auf einen Stuhl nieder. Der blinde schaffte es allein, das Feuer im kleinen Kamin zu entzünden. Das Mädchen weinte immer noch, und ihr Jammern und schluchzen brach dem Alten fast das Herz. »Tom wird sterben«, klagte sie. »Ich liebe ihn so, doch nun ist auch er gegangen und kehrt nie wieder zurück. Die Orcs werden ihn töten, so wie sie damals Vater getötet haben. Und wie sie heute auch Toms Vater töteten.« Dem Blinden fuhr ein heftiger Schmerz durch die Brust, als Jenny von ihrem Vater sprach. Ihr Vater - sein Sohn! Ihm war das gleiche Schicksal widerfahren wie heute dem alten Jackson. Auch ihn hatten sich die Orcs geholt. Das Feuer im Kamin knisterte, und der Alte setzte sich zu Jenny an den wackligen Tisch. Er suchte nach ihrer Hand, fand sie auch und drückte sie. Er wusste nicht, was er ihr sagen sollte. Er fand einfach keine Worte des Trostes. Man hätte Tom aufhalten müssen, doch die Männer im Dorf hatten es nicht getan, waren zu erschüttert gewesen von dem, was sie erlebt hatten, um den richtigen -47-
Gedanken zu finden, und so hatte Tom das Dorf verlassen können. Die Männer gingen ihn auch nicht suchen, um ihn zurückzuholen. Der alte Struber hatte es ihnen befohlen, doch sie gehorchten ihm nicht. Sie hatten Ortrus gesehen, den Verräter, und dieses Monster fürchteten sie mehr als den Satan persönlich. Heute würde keiner von ihnen das Dorf verlassen, denn ihre Angst vor Ortrus war einfach zu groß. »Sag etwas, Großvater«, schluchzte Jenny. »Sag doch etwas. Du hast doch behauptet, Tom würde uns eines Tages retten. Er würde den Orc-Terror brechen. Aber was geschieht nun?« »Die Zukunft verläuft nicht immer klar«, sagte der alte Struber mit müder Stimme. »Manchmal wird eine vorgezeichnete Linie unterbrochen oder abgeändert. Dann verändert sich auch die Zukunft, und alles wird anders.« »Und das heißt?«, wollte Jenny wissen. »Du weißt, was das heißt«, sagte ihr Großvater mit leiser Stimme. Jenny nickte betrübt. »Tom stirbt, und weil er stirbt, kann er uns nicht retten. So ist es, nicht wahr?« »Ich weiß es nicht«, sagte der blinde Mann. »Die Zukunft bleibt mir heute verschlossen. Ich sehe nichts. Ich bin so blind wie meine Augen.« »Du willst mir nur nicht die Wahrheit sagen!«, begehrte Jenny mit weinerlicher Stimme auf. »Du siehst Toms Tod! du siehst, wie die Orcs ihn zerfleischen! Oder wie der fürchterliche Ortrus ihn erschlägt und Toms Seele auf seinem Rücken in die Hölle reitet!« »Nein, mein Kind«, sagte der alte Struber. »Das sehe ich nicht. Ich sehe wirklich nichts. Gar nichts.« »Du lügst,! Du sagst die Unwahrheit!« »Ich lüge nicht!«, sagte der blinde Mann hart. »Wie sprichst du mit mir, Tochter?«
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Sie weinte wieder, löste ihre Hand von ihm und stützte den Kopf in die Handflächen, verbarg so ihr Gesicht. Ihr Körper zitterte und bebte, wurde vom Weinkrampf geschüttelt. »Tom stirbt«, heulte sie. »Sein Ende wird schrecklich und grausam sein. 0 wäre ich doch bei ihm. Würde ich doch mit ihm sterben, an seiner Seite. Dann wäre es wenigstens überstanden.« »Solche Worte verbiete ich dir, Jenny«, sagte der alte Struber, doch er sagte es nicht mit befehlender Stimme, sondern sanft und mitleidend. »Dies wäre kein Ausweg.« »Wäre es das nicht, Großvater?«, fragte sie. »Warum nicht? Dann hätte alles Leid ein Ende. Ich liebe Tom, liebe ihn mehr als mein Leben. Und jetzt sitze ich hier und weiß, dass er grausam sterben wird. Es ist nicht zu ertragen, es zerreißt mir das Herz. Vielleicht ist Tom bereits tot, vielleicht entführen ihn aber die Orcs auch in den Berg der Schädel und werden ihn dort tage- oder wochenlang foltern und quälen und sich an seinem Leid erfreuen. Ich werde es nie erfahren. Tom ist bereits tot, und er ist es doch nicht. Und er wird auch für mich niemals richtig tot sein. Es ist schrecklich. Nein, Großvater, so kann ich nicht leben!« Sie stand auf, taumelte schluchzend ein paar Schritte nach hinten. »Jenny, wohin willst du?«, rief der alte Struber entsetzt. »Ich werde Tom folgen!«, rief Jenny mit schluchzender Stimme. »Ich brauche Gewissheit. Ich will an seiner Seite sein, wenn es zu Ende geht. Ich will mit ihm sterben, denn ich ertrage dieses Grauen nicht mehr! Wenn Tom nicht mehr ist, gibt es auch für mich keinen Grund, weiterzuleben!« »Nein, nein! Das darfst du nicht tun!«, schrie der blinde Mann und sprang auf. Er wollte nach Jenny greifen, erreichte mit den Fingern auch ihren Oberarm, aber bevor sich seine Hand schließen konnte, riss sie sich schon los.
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Der Blinde stolperte durch die enge Stube. Jennys Stuhl war ihm im Weg. Plötzlich war er völlig hilflos. »Jenny! Jenny!«, schrie er verzweifelt und entsetzt. »Jenny, geh nicht!« Er hörte, wie sie die Tür aufriss, hörte den Wind jaulen und spürte die Kälte, die in den Raum fegte. Er hörte das Klatschen des Regens und ihre schmatzenden Schritte im Schlamm der Straße, dann das Krachen der zufallenden Tür. »Jenny!«, schrie der alte blinde Mann. »Jeeennyyyyü!« Er stürzte, fiel hin, raffte sich halb auf, blieb dann aber auf dem Boden hocken. »Jenny ...«, flüsterten seine bebenden Lippen. »Jenny ...« Sie war weg, wollte Tom nachlaufen. Tom, den er schon als Jennys Braut gesehen hatte - und als Erretter des Dorfes. Jetzt aber war alles aus. Jetzt war alles vorbei. Und er, der alte Struber, hatte alles verloren. Zuerst seine Schwiegertochter bei der Geburt Jennys. Dann seinen geliebten Sohn an die Orcs. Und heute Tom und Jenny, seine Enkelin. Ja, auch Jenny würde sterben. Sie lief in ihr Verderben, und sie tat es aus blinder Liebe zu Tom. Was würden die Orcs mit ihr anstellen? Was würde Orcavus, dieser grausame Satan, ihr antun, bevor er ihr die Gnade des Todes zuteil werden ließ? Welch grausiges Schicksal erwartete Jenny im Berg der Schädel? Der alte Struber hockte immer noch am Boden, und die Tränen tropften aus seinen blinden Augen. Er hatte Jenny, seine geliebte Jenny, verloren. Er hatte mit ihr alles verloren, was ihm noch etwas bedeutete. Er war allein. Ein alter, blinder, gebrochener Mann. Er blieb am Boden hocken und weinte.
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Draußen heulte der Sturm, prasselte der Regen, krachte der Donner unentwegt, und die Blitze warfen ihr flackerndes Licht durch die schmalen Fenster in die kleine, düstere Stube ... Um zum Berg der Schädel zu gelangen, musste Tom Jackson einen tiefen Wald durchqueren. Man nannte ihn den Wald der Orcs. Schon immer hatten sie hier gehaust, und kaum ein Mensch hatte den Wald betreten seit der Invasion der Dämonen, denn er galt als verfluchter Ort. Doch Tom wagte es. Er hatte keine andere Wahl. Noch immer regnete es in Strömen, das Wasser lief von den mächtigen Baumkronen, die das Sonnenlicht schluckten. Düster war es hier, und der Wind verursachte ein lautes Rauschen, als er in dicken Bahnen von den Baumkronen zur Erde fiel. Es war ein unheimlicher, ein finsterer Ort. Die Stämme der Bäume waren mächtig. Die Rinde war fast schwarz, aber das konnte auch an der Dunkelheit liegen, die hier herrschte. Tom Jackson kam sich vor wie in einem verwunschenen Zauberwald. Und wahrscheinlich war dieser Forst auch einer. Das Rauschen der Baumkronen und das Pladdern des Regens verschluckten jedes andere Geräusch. Jedenfalls konnte Tom keine tierischen Laute hören. Vielleicht aber lebten auch gar keine Tiere in diesem unheimlichen Wald. Dann aber vernahm er doch etwas. Ein Rascheln in den Büschen und ein Knacken im Unterholz. Er blickte sich immer wieder um, sah aber nichts, was diese Geräusche verursachte. Dann wurde ihm klar, dass es Orcs waren. Sie bela uerten ihn, schlichen durchs Unterholz und machten sich bereit, ihn anzugreifen. Immer wieder hörte er das Rascheln und Knacken, und immer näher kam es. Dann ein hämisches Kichern. Eine Gänsehaut rieselte Tom den Rücken hinab, und jetzt bekam er es mit der Angst zu tun. Er würde es niemals bis zum Berg der Schädel schaffen. Das hätte ihm klar sein müssen.
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Die Orcs würden ihn nicht so weit kommen lassen. Sie lauerten ihm bereits hier auf, würden ihn zerfleischen. So wie seinen Vater. Grausam und schrecklich würde sein Tod sein. Was hatte er sich nur eingebildet? Hatte er wirklich geglaubt, sie würden ihn bis zum Berg der Schädel kommen lassen, wo Orcavus herrschte? Und was hatte er sich vorgestellt, dann zu tun? Allein und ohne Waffen in die Höhlen vordringen und sich mit einer Orc-Ar- mee anlegen? Sie alle mit bloßen Händen erwürgen und sich dann Orcavus schnappen? Was war er nur für ein Narr gewesen! Der Schock über den Tod seines Vaters und der Alkohol, den er vorher gesoffen hatte, hatten seinen Verstand umnebelt, sonst hätte er sich niemals auf dieses schreckliche Abenteuer eingelassen! Nein, er war nicht bei Sinnen gewesen, als er das Dorf verlassen hatte. Er hätte sonst erkennen müssen, dass er direkt in sein Verderben lief. Niemandem nutzte es, wenn er starb. Orcavus würde es nicht mal zur Kenntnis nehmen. Ein Wahnsinniger, ein Irrer, der sich in diesen Wald verirrt hatte und von seinen OrcSchergen zerrissen worden war. Vielleicht würden sie ihm diesen unbedeutenden Zwischenfall nicht mal melden. Tom war schlagartig nüchtern geworden. Und jetzt packte ihn die Angst. Es war eine furchtbare, grausame Angst, die* sein ganzes Innere ausfüllte. Immer wieder blickte er sich gehetzt um, sah nichts, hörte nur das Rascheln und Knacken, dann wieder hämisches Kichern. Die Orcs freuten sich darauf, ihn gleich in Stücke reißen zu können. Bestimmt würden sie ihn langsam sterben lassen, um sich an seinen Qualen zu erfreuen. Tom stolperte immer weiter durch den düsteren Wald, schaute sich gehetzt immer wieder um. Die Todesangst hatte ihn in ihrem unerbittlichen Griff. Dann kamen sie!
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Sie hatten ihn eingekreist, und nun traten sie aus den Unterholz oder hinter den dicken Baumstämmen hervor, ließen sich auch von den Bäumen fallen. Sie starrten ihn aus ihren kleinen, listigen Augen an, fletschten die Zähne, hoben gierig ihre Klauen und kicherten und lachten meckernd. Sie sahen die Angst, die Tom ins Gesicht geschrieben war. Furchtbar war diese Angst, die ihm den Atem nahm. Sie hatten ihn eingekreist, und nun kamen sie von allen Seiten heran. Tom blickte sich gehetzt um, aber es gab keine Fluchtmöglichkeit. Es waren gut zwei Dutzend dieser kleinen, mörderischen Kreaturen, und sie näherten sich ihm kichernd, zeigten ihm ihre spitzen Zähne und die langen Klauen, die dafür gescha ffen waren, Menschenfleisch zu zerreißen und zu zerfetzen. »Seht ihn euch an!«, höhnte plötzlich eine dieser abscheulichen Kreaturen. »Ein Menschlein. Ein kleines, ängstliches Menschlein. Es hat sein Dorf verlassen. Aber nicht, um auf den Feldern zu arbeiten, wie unser Meister, Orcavus, es befiehlt. Lungert hier rum, anstatt zu schuften. Wir sollten ihn bestrafen.« »Ja, bestrafen«, höhnte eine andere hässliche Kreatur. »Furchtbar bestrafen. Dieser Ungehorsam ist ungeheuerlich. Er verlangt eine schreckliche Strafe.« »Wir werden ihm den Bauch aufschlitzen und ihn ausweiden«, sagte ein anderer Orc und lachte meckernd. »Seine Gedärme bringen wir ins Dorf. Er hat bestimmt eine Freundin oder ein Weib. Die soll seine Eingeweide für uns kochen. Und selbst daran probieren.« »Eine gute Idee«, sagte der erste Orc. »Aber vorher quetschen wir ihm die Augen aus und reißen ihm die Zunge heraus. Dann braucht er nicht zuschauen, wie wir ihm die Gedärme aus dem Bauch ziehen, und er wird sich dann auch nicht bei uns beschweren über die Behandlung.« -53-
Sie alle lachten, näherten sich Tom weiter. »Nein«, keuchte er. »Bleibt mir vom Leib! Geht weg! Ich - ich gehe zurück ins Dorf. Ich hab mich verlaufen - ehrlich, nur verlaufen habe ich mich. Ja, ja ich gehe zurück ins Dorf und ...« »Zurück ins Dorf, zurück ins Dorf!«, lachte ein Orc. »Ja, du gehst zurück ins Dorf. Aber ohne Augen, ohne Zunge und ohne Eingeweide!« Sie alle lachten. Es war ein bösartiges, grausames Lachen. Immer näher kamen sie, und Tom konnte nicht mehr zurückweichen. Sie waren vor ihm, zu seiner Rechten und zu seiner Linken und auch hinter ihm. Es gab kein Entkommen. Einer der Orcs hob die Klaue und zeigte seine Krallen. »Damit quetsche ich dir die Augen aus. Zuerst die Augen, zuerst die Augen!« »Nein, nein!«, keuchte Tom Jackson. »Gnade, bitte! Ich flehe um Gnade!« »Wir sind gnädig«, erwiderte ein Orc. »Deine Ohren darfst du behalten.« »Und länger als ein oder zwei Stunden werden wir dich auch nicht leiden lassen«, höhnte ein anderer. Plötzlich zuckten die Orcs zusammen, verharrten. Ein tiefes Brummen war auf einmal zu hören, das Brechen von Geäst und Zweigen. Ein greller Lichtstrahl schnitt durch den Wald, und dann tauchte zwischen zwei mächtigen Baumstämmen ein Motorrad auf. Es war eine schwere Harley Davidson, die durch den Wald rollte und nun stehen blieb. Im Sattel saß ein finsterer Mann, bekleidet mit schweren Motorradstiefeln, schwarzer Lederhose und einem langen schwarzen Ledermantel.
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Er trug Unmengen von Waffen am Körper. Das Lasergewehr, das er am Riemen auf dem Rücken getragen hatte, zog er geschickt hervor und richtete es auf die Orcs. »Sei gegrüßt, Bruder!«, rief er, und damit war sicherlich Tom Jackson gemeint. »Wie ich sehe, befindest du dich in Schwierigkeiten. Doch hab keine Sorge. GOTT, der HERR, schickt mich, dir beizustehen in der Not!« Und damit zog er den Stecher des Lasergewehrs durch. Der Orc, der als Letzter gesprochen hatte, wurde in den Kopf getroffen. Der glühende Strahl durchbohrte seinen Stirnknochen, ließ das Gehirn innerhalb eines Sekundenbruchteils verdampfen, und der dadurch entstehende Druck sprengte den Kopf. Blut und Knochen spritzten durch die Gegend. Die kopflose Gestalt brach in die Knie und fiel dann zur Seite hin um. »Ein Reverend!«, kreischte einer der Orcs auf. »Schnappt ihn euch! Tötet ihn! Zerfetzt ihn!« Und dann brach ein unglaubliches Gemetzel los! Reverend Pain feuerte Schuss um Schuss aus seinem Lasergewehr ab. Die grellen Blitze zuckten durch das Dämmerlicht des düsteren Waldes und streckten einem Orc nach dem anderen nieder, hinterließen dabei in der Luft Rauchfahnen, wo sie den Regen durchschnitten und verdampften. Gleichzeitig schwang sich Reverend Pain aus dem Sattel seiner Harley und lief ein Stück vor, um ein besseres Schussfeld zu haben, »Zur Hölle mit euch, Satansbrut!«, schrie er. »Spürt den Zorn des Allmächtigen!« Wieder streckte er ein paar Orcs nieder, und der Rest wich zurück. Ein paar aber wollten sich noch Tom Jackson schnappen, ihn mit ein paar schnellen Krallenhiebe die Kehle zerfetzen, um wenigstens ihn zu töten.
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Der junge Mann aber war aus seiner Erstarrung erwacht. Plötzlich hegte er wieder Hoffnung. Ein Reverend war gekommen, um ihn zu retten. Jetzt hatte er doch noch eine Chance, konnte das Schicksal noch wenden. Mit einem Streiter des HERRN an seiner Seite konnte es' ihm vielleicht sogar gelingen, den verfluchten Orc-Dämon Orcavus zu vernichten und die Herrschaft der Höllenkreaturen zu brechen. Den Reverends sagte man unglaubliche Kräfte nach, die ihnen ihr tiefer Glaube verlieh. All das schoss Tom Jackson innerhalb eines Sekundenbruchteils wie eine Stichflamme durch den Kopf. Dann sah er die Klauenpranken der Orcs auf sich zurasen. Der ersten wich er aus, indem er sich geschickt abduckte, und die Krallen zerschnitten über ihm die Luft. Die nächste Klaue, die ihn treffen sollte, verfehlte ihn, weil ein Laserstrahl, von Reverend Pain abgefeuert, die Klaue vom Arm getrennt hatte. Der Orc schrie auf, umklammerte seinen rauchenden Armstumpf und lief jammernd hinein in die Finsternis des Waldes. Zwei weitere Orcs bedrängten Tom, doch der Reverend schoss sie nieder. Dann wirbelte Reverend Pain herum, schoss in alle Richtungen. »Kommt her, ihr Höllenkreaturen!«, rief er. »Vergeht in der reinigenden Kraft des Feuers!« Die Orcs quiekten schrill auf, als ihre Leiber von den glühenden Laserstrahlen durchschlagen wurden. Brennend stürzten sie zu Boden. Der Reverend hielt das Lasergewehr jetzt mit einer Hand. Seine Linke fuhr an seinen Gürtel und riss eine großkalibrige Pistole hervor. »Steh nicht so da rum, Bruder!«, rief er und warf die Pistole Tom Jackson zu. »Hilf mir, die Höllenbrut zu vernichten!«
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Irgendwie schaffte es Tom, die Pistole aufzufangen. Er hatte noch nie zuvor mit einer solchen Waffe geschossen. Überhaupt hatte er bisher kein Schießeisen in der Hand gehabt, und er bezweifelte ernsthaft, dass man mit einer Pistole gegen schwarzmagische Kreaturen irgendetwas ausrichten konnte. Er wusste nicht, wie er das Ding handhaben sollte. Durchladen? Wie machte man das? War das Ding überhaupt entsichert? Welchen Hebel musste man dafür benutzen? Der Reverend kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er war mit den Orcs beschäftigt, die hinter den Baumstämmen in Deckung gegangen waren, aber immer wieder hervorhuschten und versuchten, ihn von der Seite oder von hinten anzufallen. Tom Jackson hielt die Waffe hilflos in der Hand. Er wusste nicht, was er tun sollte, und ... Da sah er dicht vor sich den Orc auftauchen. Das kleine grüne Monster bleckte die Zähne, riss das Maul auf, stürzte heran und wollte Tom anspringen, um ihm das Gesicht zu zerbeißen. Tom schrie entsetzt auf, riss den Arm mit der Pistole hoch und drückte ab. Der Schuss krachte, und die Kugel stoppte den Orc mitten im Sprung, riss ihn zurück. In seiner Stirn war ein Loch entstanden, aus dem lodernde Flammen züngelten, dann krachte der Orc ins Unterholz, Rauch wölbte auf, und das Ungetüm verwandelte sich blubbernd und zischend in eine breiige grüne Masse. Tom begriff. Die Pistole musste mit geweihten Silberkugeln geladen sein. Eine starke Waffe gegen schwarzmagische Kreaturen niederer Rangordnung. Er zielte auf den nächsten Orc, schoss, traf aber nur den Unterarm des angreifenden Wesens. Doch das genügte. Der ganze Arm flammte auf, wurde von Feuer umlodert, das auf den Körper der Kreatur übergriff und sie für Sekunden einhüllte. Dann sackte die Kreatur in sich zusammen, ihr Körper wurde zu grünem Schleim und löste sich auf. -57-
»Gut so, Bruder!«, rief der Reverend, der eine Handgranate in den Wald geworfen hatte. Eine krachende Explosion ließ Splitter durch die Gegend wirbeln und schleuderte zwei OrcKörper empor. Zerrissen und sterbend landeten sie im Unterholz. »Erschieß die Höllenbrut!«, rief Reverend Pain. »Vernichte Sie, Bruder! Im Namen des HERRN!« Wieder schoss Tom auf einem angreifenden Orc. Die Silberkugel riss der Kreatur das lange spitze Ohr ab, und das Blut schoss hervor, die zweite Kugel schlug der Kreatur ins Auge, und es war, als wäre eine Brandfackel im Schädel des Monsters gezündet worden. Flammen schlugen der Kreatur aus Mund, Nasenöffnungen und dem zerschossenen Auge, und kreischten fiel sie um. »Zu deiner Linken, Bruder!«, rief Reverend Pain. Tom wirbelte herum und sah dicht vor sich zwei Orcs, die auf ihn zustürmten. Mit drei Schüssen vernichtete er sie, löschte ihre höllische Existenz aus. Er wandte wieder den Kopf - und ihm stockte der Atem! Ein Orc hatte noch auf einem Baum gehockt, nun hatte er sich herabfallen lassen und war auf dem Rücken des Reverends gelandet, wo er sich festkrallte. Er schrie und kreischte und bleckte die spitzen Zähne, um dem Reverend in den Nacken zu beißen. Der schien völlig unbeeindruckt davon, dass ihm die Höllenkreatur im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken saß, schoss mit dem Lasergewehr erst mal drei weitere angreifende Orcs nieder. Tom wollte dem Orc auf dem Rücken des Reverends abknallen, doch er war ein zu miserabler Schütze, hätte wahrscheinlich eher den Kopf des Reverends getroffen als den Orc. Auch für einen Menschen ist eine Silberkugel tödlich, wenn sie richtig trifft.
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Doch es war gar nicht mehr nötig, dass Tom Jackson eingriff. Gerade wollte die Kreatur auf Reverend Pains Rücken zubeißen, da ließ sich dieser nach hinten gegen einen Baum fallen. Ein Ast wuchs dort aus dem Stamm, brach ab, als der Reverend mit dem Orc dagegen rammte, und das spitze Ende bohrte sich tief in den Rücken des kreischenden Orcs. Er ließ den Reverend los, der sich nicht weiter um ihn kümmerte, sondern wieder vorging, weiter um sich schießend. Der Orc aber blieb aufgespießt am Stamm des Baumes hängen, kreischte und schrie, schlug mit den Armen um sich und strampelte mit dem Beinen. Und während er noch kreischte und tobte, verwandelte auch er sich ein einen breiigen Schleim und löste sich auf. Der Reverend schoss zwei weitere Kreaturen nieder, hob dann kurz die Mündung des Lasergewehrs und schoss blind nach oben. Noch ein Orc hatte oben in den Bäumen gelauert. Sein Körper wurde von dem Laserstrahl durchbohrt, und brennend fiel er nach unten. Reverend Pain ging zwei Schritte vor, so dass er von dem OrcKörper nicht getroffen wurde und dieser hinter ihm auf dem Boden schlug. Bereits während des Falles war der zu einer breiigen Masse geworden, die auf dem Waldboden platschte. Vier weitere Orcs erschoss der Reverend noch, die letzten beiden ergriffen die Flucht. »Wir haben es geschafft!«, rief Tom Jackson erleichtert aus. »Geschafft!« »Warte noch, mein Sohn«, sagte der Reverend ruhig, ging in die Knie, legte an und schoss. Einer der flüchtenden Orcs wurde in den Rücken getroffen und quiekend ins Unterholz geworfen. Der zweite ging hinter einem Baumstamm in Deckung. »Den sehen wir nicht wieder«, sagte Tom Jackson. -59-
»Immer mit der ruhe, Bruder«, murmelte Reverend Pain. Da war der Orc wieder, tauchte hinter dem Baumstamm auf, wollte schnell zum nächsten huschen und ... Reverend Pain schoss. Punktgenau traf er den Orc in den Kopf, und der Schädel zerplatzte. »Amen«, sagte Reverend Pain. Dann erhob er sich, klickte das Energie-Magazin aus dem Lasergewehr und steckte es weg. »War mein letzter Schuss«, sagte er, griff an den Munitionsgürtel, den er sich quer über die Brust geschnallt hatte, nahm sich ein frisches Magazin und schob es in den Schaft der Waffe. Ein leises Piepsen bestätigte, dass das Gewehr wieder volle Energie hatte. Dann wandte er sich Tom Jackson zu. »Und nun, Bruder, sagt mir, woher diese Kreaturen kamen und was Ihr hier treibt. Und erzählt mir alles, was Ihr wisst, über ein Wesen, das aussieht wie eine Mischung aus Mann und Pferd ...« Jenny lief durch den Regen. Bis auf die Haut war sie durchnässt. Sie musste sich gegen den heftigen Wind anstemmen, und der schlammige Boden, der versuchte, ihre zarten Füße festzuhalten, drang in ihre Schuhe. Nass klebte ihr das Haar im Gesicht, doch sie lief immer weiter, immer weiter. Ihre Tränen vermischten sich mit dem Regen, ihr Atem ging schnell und keuchend, ihre Beine schmerzten bald, als sie die Hügel hinauf- und hinablief, doch sie machte keine Rast, kämpfte sich weiter durch den Sturm. Bald schon hatte sie das Dorf hinter sich gelassen. Der Himmel über ihr schüttete sein Wasser aus. Er war grau und dunkel, Blitze zuckten grell, der Donner krachte in ihren Ohren. Es war, als würde die Welt untergehen. Und für die junge Jenny ging die Welt auch unter. Tom, ihr geliebter Tom, würde sterben oder war vielleicht schon tot. Das war für sie der Weltuntergang, denn ihre ganze Liebe, all ihre -60-
Gefühle, waren auf dem jungen Mann gerichtet. Oh, sie liebte ihn so sehr, konnte und wollte ohne ihn nicht leben. Was für ein Grauen hatte dieser Tag gebracht. Und dieses Grauen sollte weitergehen. Aber bald hatte alles ein Ende. Sie wünschte sich nur, sie könnte an Toms Seite sterben, dann wäre alles gut. Plötzlich vernahm sie trotz des brausenden Windes und des rauschenden Regens noch ein anderes Geräusch. Es war ein hämisches Kichern, ausgestoßen von hohen Stimmen. Sie blickte zum grauen Himmel empor. Und erschrak. Über ihr flatterten zwei der geflügelten Orcs vor den düsteren Wolken. Die Blitze tauchten ihre gekrümmten Gestalten in flackerndes Licht, was sie noch furchtbarer aussehen ließ. Jenny schrie auf, als sie die spitzen Krallen und die scharfen Zähne der geflügelten Ungeheuer sah. Jetzt würde sie also sterben. Sie würde sterben, ohne Tom noch einmal gesehen zu haben oder zu wissen, welches Schicksal er erlitten hatte. Die Orcs am düsteren Himmel lachten schallend und meckernd. Dann stürzten sie sich auf das Mädchen nieder. Jenny hatte zu laufen begonnen. Sie rannte durch den Regen, hörte das Meckern der Orcs bald hinter sich und auch das Klatschen der ledrigen Schwingen. Nein!, schrie es in ihr. Ich will noch nicht sterben! Nicht, ehe ich weiß, was mit Tom ist! Und plötzlich hatte sie auch furchtbare Angst vor dem Sterben. Tom hatte gesagt, sie seien alle verflucht, und ihre Seelen würden in der Hölle schmoren. Vielleicht hatte er Recht. Unsägliche Angst hatte das Mädchen nun ergriffen. Es lief und rannte und wusste doch, dass es nicht entkommen konnte. Da hatte der erste Orc Jenny erreicht und ... -61-
Er jagte dicht an ihr vorbei, stieg dann auf in den Himmel. Der zweite Orc war noch hinter ihr, holte auf, streckte seine Klauenhand nach Jenny aus und berührte sie an der Schulter. Das Mädchen schrie auf, taumelte und stürzte. Meckernd jagte der zweite Orc über sie hinweg. Jenny war zu Boden gestürzt, ihr nasses Kleid über und über mit Schlamm beschmutzt. Sie sah die beiden Orcs am stürmischen Himmel, sah, wie sie mit den ledrigen Flügel schlugen und sich bereitmachten, sich wieder auf sie zu stürzen. Jenny kam erneut hoch und begann zu rennen. Dicht über den Boden jagten die Orcs dahin, nahmen die Verfolgung auf. Der nackte Überlebenswille trieb Jenny weiter. Ich will nicht sterben!, hämmerte es in ihr. Ich will nicht! Warum war sie nicht bei ihrem Großvater geblieben? Der alte blinde Mann brauchte sie doch! Wie hatte sie ihn nur so schändlich in Stich lassen können? Sie hätte wissen müssen, dass es ihr nicht gelingen würde, Tom noch einzuholen. Nun würde sie dafür büßen. Diese Kreaturen würden sie zerfleische n und in Stücke reißen, und sie würde es voll mitkriegen, wie ihr Körper von den scharfen Krallen zerfetzt wurde. Wieder war einer der Orcs bis dicht an sie herangekommen, jagte sie und lachte meckernd. Seine Klaue berührte ihre Schulter, packte zu, und die Krallen zerschnitten den Stoff des Kleides, rissen ihn auf, zerfetzten ihn, als die Kreatur schließlich wieder an Jenny vorbei jagte. Dann war der zweite Orc an der Reihe. Er verkrallte die eine Klaue in Jennys Haar, mit der anderen schnitt er ihr das Kleid im Rücken auf. Er ließ von ihr ab, und erneut stürzte Jenny in den Schlamm. Sie hörte das hämische Kichern der Orcs, dann flatterte eines der Ungeheuer auf sie zu, griff mit den Krallenhänden nach ihr, zerriss auch die letzten Reste ihres Kleides. -62-
Nur noch die schlammigen Fetzen am Leib, rollte Jenny über die nasse Erde. Halbnackt war sie nun, versuchte die Stofffetzen mit den Händen vor ihren Brüsten zu halten und war über und über mit Schlamm besudelt. Nun war auch der zweite Orc heran. Mit klatschenden Flügeln ließ er sich vor dem wimmernden Mädchen nieder, kicherte und kreischte dann vor Freude. Die Monster streckten ihre Krallenhände nach dem Mädchen aus, rissen und zerrten am Stoff ihres Kleides, fetzten ihr das Kleid vom Leib. Sie wollten das Mädchen demütigen und erniedrigen. Sie wussten, wie sehr sich ein anständig erzogenes Mädchen in seiner Nacktheit schämte, und es machte ihnen Spaß, wie es nun schreiend und heulend vor ihnen im Schlamm kroch, völlig nackt und mit Dreck verschmiert, den der Regen auf ihrer Haut zu einer schmutzigbraune Brühe werden ließ. Sie lachten hämisch, als das Mädchen nackt vor ihnen im Schlamm kroch und versuchte, seine Blößen zu bedecken. Sie zerrten Jenny an den Haaren, bogen ihr die Arme nach unten und begrapschten und betasteten gierig und schamlos ihren Körper. »Nein, nein!«, schrie das hilflose Mädchen. »Tötet mich! Tötet mich endlich! Warum tötet ihr mich nicht?« Immer wieder spürte sie die gierig tastenden Hände der grüngeschuppten Ungeheuer auf ihrem nackten Leib, spürte sie überall, und sie bettelte, dass diese Monster endlich ein Ende machen und sie umbringen würden. Doch die Höllenkreaturen kicherten, lachten und kreischten nur freudig. Dann endlich hatten sie ihren Spaß gehabt. Jenny lag nackt und heulend vor ihnen im Schlamm. Sie packten das wimmernde Mädchen an beiden Armen, schlugen mit den ledrigen Flügeln, zerrten sie hoch, und dann ... Jenny verlor den Kontakt zum Boden. Die geflügelten Ungeheuer hoben sie in die Luft und trugen sie davon ... -63-
Reverend Pain hatte von Tom Jackson alles erfahren. Er wusste jetzt, welches Leid die Menschen in dem nahen Dorf zu erleiden hattet. Er wusste alles über den schrecklichen Orc-Dämon Orcavus. Und er wusste nun auch, was man sich über'Ortrus, den Verräter, erzählte, der selbst zum Dämon geworden war. Der Reverend nickte grimmig, während sie weiter durch den düsteren Wald schritten. Pain hatte seine Harley Davidson im Wald abgestellt und sie mit Laub und Zweigen getarnt. Er hoffte, dass nicht einer der Orcs sie finden und daran herumspielen würde. Wenn dies dennoch geschah und die Maschine Schaden nahm, dann war dies eben GOTTES Wille, und er würde sich demnächst zu Fuß auf Wanderschaft begeben müssen. Wie dem auch sei, Tom Jackson hatte mit seiner Erzählung geendet und fragte nun: »Ich habe Recht mit der Annahme, dass wir eine schwere Sünde begangen haben, indem wir uns dem Orc-Dämon unterwarfen, richtig, Reverend?« »Ihr hattet wohl keine andere Wahl«, brummte Reverend Pain. »Ihr musstet auch an eure Weiber, an die Alten und die Kinder denken. Dafür kann man euch nicht verurteilen. Aber dass ihr den Orcs Menschen geopfert habt, eure Nächsten ...« Er blieb abrupt stehen und blickte Tom Jackson grimmig an. »Ja, das ist eine große Sünde. Eine sehr, sehr große Sünde. Im Höllenfeuer werdet ihr dafür brennen, wenn GOTT euch nicht gnädig ist.« »Wird er uns gnädig sein, Reverend?«, fragte Tom Jackson, und eine klamme Furcht war aus seinen Worten herauszuhören. Der Reverend musterte den jungen Mann, taxierte ihn mit stechenden Blicken, dann sagte er: »Ich habe aus deiner Erzählung geschlossen, dass du dieses Treiben bereust.« »O ja. Ich bereue es sehr. Ich bereue es wirklich, Reverend.« »Tatsächlich?«, fragte Reverend Pain, und seine Stimme klang jetzt lauernd, fast wie das Knurren eines zum Angriff bereiten Tiers. »Bereust du es aufrichtig und ehrlich?« -64-
»Ja, Reverend, sicher«, beteuerte Tom Jackson. »Ich bereue es aufrichtig und ehrlich.« »Dann«, rief Reverend Pain plötzlich mit donnernder Stimme, »auf die Knie mit dir, elender Sünder!« Jackson blickte den Reverend aus großen Augen an. Er war erstaunt, wusste nicht, was das sollte, doch er sah das grimmige, zornige Funkeln in den dunklen Augen des Priesters, und tatsächlich sank er zu Boden und auf die Knie. »Und - und jetzt?«, fragte Tom Jackson und starrte nervös auf das Lasergewehr in den Fäusten des ergrimmten Reverends. Reverend Pain nahm das Lasergewehr in die Linke, hob den rechten Arm und ... Er machte das Kreuzzeichen über Tom Jackson und sagte: »Dir sei vergeben, mein Sohn. Gehe hin und sündige nicht mehr.« Dann drehte er sich um und ging weiter. Tom Jackson war perplex. »Steh auf und komm mit!«, rief Reverend Pain. »Du scheint sehr lange nicht mehr gebeichtet zu haben, dass du so erstaunt bist, was?« »J-ja, Reverend«, stotterte Tom Jackson, erhob sich und beeilte sich, den Reverend einzuholen. Er sollte ihn zum Berg der Schädel bringen. Reverend Pain war entschlossener denn je, die Herrschaft der Höllenkreaturen zu brechen. Was ihm Tom Jackson erzählt hatte, hatte den Gottesmann tief erschüttert. Seit vielen Jahren waren die Menschen des Dorfes dem gnadenlosen Terror der Orcs ausgeliefert. Jedes Aufbegehren wurde mit unglaublichen Gräueln bestraft. Ihre Nächsten hatten sie den Orcs opfern müssen, Verwandte, Freunde, geliebte Menschen, und Reverend Pain glaubte dem jungen Mann, dass sie dies nicht gern getan hatten, dass es ihnen schwer gefallen war und ihnen große Seelenpein bereitet hatte.
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In den Nächten hatten sie dann das Brüllen und Kreischen der wehrlosen Menschen gehört. Von Menschen, die sie alle gekannt und mit denen sie ihr Schicksal geteilt hatten. Das war eine gezielte Maßnahme der Dämonen gewesen, die Menschen untereinander zu spalten, jede Solidarität zwischen ihnen zu zerstören und die Nächstenliebe zu ersticken. Und trotzdem hatten sie es nicht geschafft. Aus Tom Jacksons Worten war herauszuhören gewesen, dass die Menschen des Dorfes immer noch zusammenhielten. Sie waren nicht schlecht. Das Böse, das sie vom Berg der Schädel aus regierte, hatte sie nicht verderben können. Es waren unschuldige, leidende Seelen, die es zu retten galt. Wie sehr hatten die Dorfbewohner leiden müssen! Fronarbeit, Angst und nacktes Grauen bestimmten ihr Leben. Seit Orcavus die Herrschaft über dieses Land an sich gerissen hatte, war kein Lachen mehr erklungen, hatte keiner dieser Menschen mehr Freude empfinden dürfen. Es war ein Leben in absoluter Sklaverei und Demütigung, das sie führten, unter der harten, unerbittlichen Knute der Hölle. Reverend Pain würde dem ein Ende machen! Bald hatten er und Tom Jackson den Waldrand erreicht. Sie krochen ins Unterholz und blickten nach vorn. Dort war er, der Berg der Schädel. Hier hauste der grausame Orcavus mit seinen Schergen. Eigentlich war es kein richtiger Berg, eher ein großer Hügel, auf dem braunes, hartes Gras wuchs. Überall lagen menschliche Knochen herum. Die Knochen der Orc-Opfer, an deren Fleisch sie sich gelabt hatten. Auf dem Hügel befanden sich mächtige Felsen. Wie ein Hünengrab sahen sie aus. Zwischen ihnen befand sich eine dunkle Öffnung. Sie führte hinab in die Höhlen, in denen die Orcs hausten, wie Tom Jackson Reverend Pain erzählte. '
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»Gut«, sagte Reverend Pain. »Dann weiß ich Bescheid. Du bleibst hier, mein Sohn. Ich werde mit der Orc-Brut aufräumen.« »Ihr allein?« »Natürlich. Ich habe keinen zweiten Priester mitgebracht, wie du bemerkt haben dürftest.« »Ich komme mit Euch, Reverend!« Reverend Pain schüttelte entschieden den Kopf. »Meine Aufgebe ist es, mich dem Bösen zu stellen. GOTT, der HERR, ist mit mir. Mir kann nichts geschehen, denn er hält seine schützende Hand über mich. Du aber wartest hier auf mich!« »Aber ich ...« Plötzlich stockte Tom Jackson. Der Regen hatte nachgelassen, der Sturm war abgeflaut. Jetzt hörte er das Klatschen ledriger Schwingen. »Geflügelte Orcs«, flüsterte er. »Ich sehe sie«, sagte Reverend Pain. Sie kamen aus der Richtung des Dorfes. Zwei der geflügelten Ungeheuer waren es. Doch sie waren nicht allein. Sie flogen dicht beieinander, und in ihren Krallen hielten sie eine weibliche Gestalt. Ein nacktes, schmutziges Mädchen! »Jenny ...!«, keuchte Tom Jackson entsetzt und erschüttert. Er wollte aufspringen, doch Reverend Pain legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn nieder. »Nicht, mein Sohn. Aus der Entfernung kann ich die Kreaturen nicht sicher genug treffen, und wenn sie uns bemerken, werde ich Schwierigkeiten haben, da hineinzukommen.« »Aber sie haben Jenny!«, keuchte Jackson sichtlich erschüttert. Er war blass im Gesicht geworden. »Ich werde sie retten, ich verspreche es dir«, flüsterte Reverend Pain. »Doch jetzt müssen wir uns ruhig verhalten, dürfen nicht entdeckt werden.« -67-
Reverend Pain beobachtete, wie die geflügelten Ungeheuer mit dem nackten Mädchen nieder gingen. Sie erreichten den Hügel, den Berg der Schädel. Das Mädchen hatte bisher den Anschein gemacht, als ob es bewusstlos wäre, doch als es die vielen Knochen auf dem Hügel sah, da kreischte es laut und entsetzt auf. Neben Reverend Pain zuckte Tom heftig zusammen. Für ihn war es schlimm, mit ansehen zu müssen, was Jenny erleiden musste. Bestimmt befand sie sich seinetwegen in dieser Lage, und er machte sich die schlimmsten Vorwürfe. Wie sehr er dieses Mädchen liebte, wurde ihm erst jetzt voll bewusst. Es zerriss ihm das Herz, sie in den Klauen dieser Monster zu wissen. »Wir müssen etwas unternehmen«, flüsterte er mit zitternder Stimme. »Noch nicht, mein Sohn«, flüsterte Reverend Pain zurück. »Warte. Vertraue mir.« Er spürte, unter welch innerem Schmerz der junge Mann neben ihm litt. Er spürte sein Zittern. Tom Jackson bebte am ganzen Körper. Seine Hände verkrampften sich, die Augen hatte er weit aufgerissen, und sein Atem ging keuchend und rasselnd. Es krampfte ihm das Herz zusammen, was er da sehen musste, schmerzte ihn bis tief in die Seele. Die Kreaturen hatten das Mädchen auf dem Boden abgesetzt und landeten neben ihm. Jenny versuchte, ihr Blößen mit Händen und Armen zu bedecken. Die geflügelten Kreaturen lachten hämisch, traten auf sie zu, ließen ihre gierigen Blicke über die schlammbeschmierte Nacktheit des Mädchens wandern. Die Nackte jammerte und winselte um Gnade, während sie im kalten Regen vor den Orcs am Boden hockte. Doch Erbarmen kannten die Kreaturen der Hölle nicht. Sie packten das schmutzige nackte Mädchen wieder an den Armen und schleiften es auf die dunkle Öffnung zu.
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»Nein, nein«, flüsterte Tom Jackson, und er war fast außer sich. »Jenny ...« »Wer ist dieses Weib?«, fragte Reverend Pain. »Meine - meine Geliebte«, antwortete Tom Jackson. »Geliebte?«, fragte Reverend Pain und warf Tom Jackson einen scharfen Blick zu. »Ja, meine - meine Verlobte, Reverend«, verbesserte der sich schnell. »Wir - wir wollen heiraten.« Der Reverend nickte huldvoll. »Die Ehe ist eine schöne Sache. Wenn sich Mann und Weib vereinigen, so sollen sie das mit dem Segen GOTTES tun. Sie sollen sich lieben und ehren. Die bloße Fleischeslust hingegen entehrt sowohl das Weib wie auch den Mann.« »Sicher«, nickte Tom Jackson. »Da habt Ihr bestimmt Recht, Reverend. Und - und was machen wir nun?« Die Orcs hatten das Mädchen inzwischen davongeschleppt. Sie waren im Inneren der Erde verschwunden. »Ich werde das Weib befreien und Orcavus vernichten«, sagte Reverend Pain und erhob sich. Auch Tom Jackson stand auf. »Ich komme mit, Reverend«, sagte er. »Ich liebe Jenny, und ich werde um ihr Leben kämpfen. Und wenn es uns beiden nicht gelingt, sie zu retten, dann will ich wenigstens mit ihr zusammen sterben.« »Du bist sehr mutig, mein Sohn«, entgegnete Reverend Pain. »Doch du hast keinerlei Erfahrung im Kampf gegen die Dämonen. Ich schon, und so werde ich alleine gehen.« »Ihr könnt mich nicht aufhalten, Reverend«, sagte Tom Jackson mit bebender Stimme. »Entweder gehen wir gemeinsam, oder ich werde Euch folgen. Jedenfalls werde ich um Jennys Leben kämpfen!« Reverend Pain bedachte Tom Jackson mit einem grimmigen Blick, der jeden Sünder unerbittlich in die Knie gezwungen hätte. Doch Tom fühlte sich im Recht. Und er war es Jenny -69-
schuldig. Bestimmt hatte sie ihn gesucht, hatte ihn zurück ins Dorf holen wollen. Aus Liebe zu ihm war sie nun in dieser tödlichen Gefahr und in den Klauen dieser entsetzlichen Monster. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was sie alles seinetwegen erlitten hatte und noch erleiden würde. Er fühlte sich schuldig, und er wollte zumindest einen Teil dieser Schuld abtragen. »Ich verstehe«, sagte Reverend Pain auf einmal, als hätte er Toms Gedanken gelesen. »GOTT blickt in deine Seele, mein Sohn. Also komm.« Das war alles, was er sagte, dann verließ er den Waldrand, huschte durch den Regen und über das braune Gras den Hügel hinauf, über den sich der graue, düstere Himmel spannte. Tom Jackson folgte ihm. Er hatte nicht ganz begriffen, was die letzten Worte des Reverends zu bedeuten hatten, aber er glaubte es zu erahnen. Tatsächlich hatte Reverend Pain begriffen, was in Tom vorging. Ja, dieser Mann fühlte sich mit schuldig am Schicksal des Mädchens, das er liebte. Das war ihm deutlich anzusehen. Tom Jackson hatte dem Reverend ja erzählt, wie und warum er aus dem Dorf gelaufen war, um Orcavus zu Vernichten - kopflos und unüberlegt war dies geschehen, getrieben worden war der junge Mann vom Wunsch nach Rache. Und vielleicht auch von dem Wunsch zu sterben, um durch den Tod all diesem Graue n zu entkommen. Das Mädchen musste ihm nachgelaufen sein. Vielleicht hatte es ihn noch zurückhalten wollen. Dabei war es den Orcs in die Fänge geraten. Dieses Wissen belastete Tom Jackson offensichtlich schwer. Deshalb wollte er unbedingt mitkommen und dem Reverend seine Arbeit nicht allein erledigen lassen. Reverend Pain wusste, welcher Gefahr er dem jungen Mann aussetzte, indem er ihn mitkommen ließ. Aber es war ihm auch klar, dass er ihn nicht aufhalten konnte, es sei denn, er hätte ihn niedergeschlagen. -70-
Aber auch hier draußen konnten noch Orcs herumlungern, und auch der gefürchtete Ortrus schlich hier noch durch die Gegend. Von Reverend Pain bewusstlos geschlagen, wäre Tom Jackson den Höllenwesen wehrlos ausgeliefert gewesen. Es war also besser, wenn er in Reverend Pains Nähe blieb. So konnte Pain zumindest auf ihn aufpassen, auch wenn das eine zusätzliche Schwierigkeit bei dieser Mission bedeutete. Aber der Reverend konnte den jungen Mann auch verstehen, seine quälende Sorge um die Geliebte und die Selbstvorwürfe, die in ihm wüteten. Nach außen und auch gegenüber sich selbst war Reverend Pain ein harter, unerbittlicher Mann, aber die überlieferten Worte des Herrn Jesus Christus hatten ihn auch Mitgefühl und Mitleid gelehrt. Tom Jackson musste an Reverend Pains Seite kämpfen, um das Schuldgefühl, das in ihm nagte, loszuwerden, sonst würde es ihn eines Tages zerreißen. Für Reverend Pain bedeutete das, dass er für noch ein Menschenleben die Verantwortung trug. Wenn er versagte, waren nicht nur er selbst und das Mädchen verloren, sondern auch Tom Jackson, der sich mit ihm in die Höhle des Bösen wagte. Doch der HERR würde sie schützen, da war sich Reverend Pain in seinem Gottvertrauen ganz sicher. ER, der Gnade und Gerechtigkeit vereinte, hielt seine schützende Hand über die Unschuldigen. Mit weit ausholenden Schritten strebte Reverend Pain vorwärts und den Hügel hinauf, hinter sich Tom Jackson. Die Pistole mit den Silberkugeln hielt der junge Mann aus dem Dorf immer noch in der Hand. Der Reverend hatte ihm sogar zwei Ersatzmagazine gegeben, damit er sich verteidigen konnte. Dieser Hügel wirkte unheimlich und beängstigend auf ihn. Das Gras war hart und braun, wie abgestorben. Das Grau des Himmels war bedrückend und konnte Depressionen auslösen, und auf der Hügelkuppe ragten die mächtigen grauen Felsen empor. Je mehr sie sich ihnen näherten, desto zahlreicher -71-
wurden die menschlichen Knochen und Schädel, die herumlagen. Man sah, dass sie abgenagt worden waren. An den frischeren klebte sogar noch Blut und hingen Fleischreste. Fliegen summten um sie herum. Barbarisch und unsagbar grausam war, was an diesem Ort geschah. Die Menschen, die hier starben, erlitten sicherlich die schlimmsten Qualen. Der Aufstieg dauerte lange und zerrte an Tom Jacksons Kräften. Doch die brennende Sorge um seine geliebte Jenny trieb ihn weiter voran. Er hatte sie gesehen. Nackt war sie gewesen und mit Schmutz beschmiert. Was hatte man ihr angetan? Welches Schicksal erwartete dieses unschuldige, zarte Mädchen im finsteren Bauch der Erde? Und - würden der Reverend und er Jenny wirklich retten können? Die beiden Männer blickten bei ihrem Aufstieg nicht zurück, sonst hätten sie das Wesen bemerkt, das nun ebenfalls den Wald verließ und ihnen nachblickte. Es war ein Wesen, halb Mensch, halb Pferd. Ortrus, der Verfluchte! Er setzte sich in Bewegung und folgte den beiden Menschen. Grimm und Zorn in den Augen, das magische Schwert des Orcavus in der rechten Faust... Gnadenlos schleifen die beiden geflügelten Orc das nackte Mädchen mit sich. Jenny war halb bewusstlos vor Angst. Die scharfen Krallen, mit denen die Orcs sie gepackt hielten, schnitten ihr die Oberarme blutig. Sie schleiften sie zwischen die Felsen und durch eine dunkle Öffnung in eine Höhle. Steil ging es abwärts in die Finsternis, und Jenny stürzte immer wieder. Den Orcs machte die Neigung des Ganges nichts aus, sie hielten sich aufrecht und hielten Jenny fest in ihrem Griff. Kalt war es hier und feucht. Bald tropfte das Grundwasser von der Decke, und Jenny hörte das Klappern von Knochen, über die die Orcs schritten und über die ihre Füße und Beine schleiften. -72-
Dann tauchte vor ihnen Feuerschein auf. Hier und da waren immer wieder brennenden Fackeln an den Wänden angebracht und verbreiteten diffuses, gelbliches Licht. Jetzt konnte Jenny auch die Knochen sehen, die am Boden verstreut lagen. Menschliche Knochen. Menschliche Totenschädel, die sie aus leeren Augenhöhlen anstarrten. Jenny hatte keine Kraft mehr zu schreien. Die Verzweiflung hatte sie gepackt. Es gab kein Entkommen mehr für sie, nicht einmal die Hoffnung auf einen schnellen Tod. Es war ihr klar geworden, dass die Orcs sie nicht sofort umbringen würden. Was immer diese grausamen Kreaturen mit ihr vorhatten, es war weit schlimmer und schrecklicher als alles, was sie sich denken konnte. Immer tiefer schleiften die beiden Orcs das nackte Mädchen in die Höhle. Links und rechts zweigten Gänge ab, und in der Dunkelheit dieser Seitengänge leuchteten rote Augen, und ein hämisches Gekicher drang aus ihnen hervor. Jenny war dicht dran, den Verstand zu verlieren. Sie hätte es sogar begrüßt, jetzt wahnsinnig zu werden, denn dann hätte sie das alles nicht mehr mitgekriegt. Aber sie blieb bei Verstand, und es senkte sich auch keine gnädige Ohnmacht über sie. Endlich erreichten die Orcs mit ihrer menschlichen Beute ein großes Höhlengewölbe. Jenny erschrak, das Grauen wurde immer schlimmer. Ein Haufen der abscheulichen Orcs tummelte sich hier. Hässliche kleine Kreaturen, nicht größer als eineinhalb Meter, aber mit langen Krallen und spitzen Zähnen bewehrt. Aus kleinen, gierigen Augen blickten sie ihr entgegen, sie sah die schuppigen grünen Leiber im Widerschein der flackernden Fackeln, die ringsum an den Wänden angebracht waren. Es stank nach Verwesung, Fäulnis, Kot und Blut.
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Als die Orcs das nackte, hilflose Mädchen sahen, brach wieder Gekichere aus, und diesmal schallte es Jenny dutzendfach entgegen. Die Orcs bildeten eine Gasse, und die beiden Häscher schleiften Jenny hindurch, mitten durch die kichernde, zischelnde Menge grüngeschuppter Leiber. Immer wieder wurden Krallen nach Jenny ausgestreckt, berührten ihre Haut, ihren nackten Körper. Die beiden Geflügelten schleiften Jenny vor einem Thron, der mit Menschenknochen geschmückt war. Und auf diesem Thron saß der dämonischer Anführer der Orcs. Orcavus! Er verzog voller Freude das abgrundtief hässliche Gesicht, als er das nackte, mit Schlamm verschmierte Mädchen sah. »Was bringt ihr mir denn da Schönes?«, krächzte er und bleckte die Zähne. Die beiden Orcs warfen ihm Jenny vor die Füße, und er starrte auf sie hinab, packte dann zu, verkrallte seine Klaue in ihrem Haar und riss ihren Kopf hoch, so dass sie in seine geschuppte, faltige Visage mit den kleinen schwarzen Augen und den spitzen Zähnen blicken musste. »Ein wirklich schönes Menschenkind«, sagte er mit seiner schrillen Stimme. »Sehr schön, sehr schön. Wo habt ihr sie gefunden?« »Sie lungerte auf den Feldern herum«, berichtete einer der Geflügelten. »Sie war allein, nicht bei der Arbeit. Sie dachte wohl, bei Sturm und Regen einen Ausflug unternehmen zu müssen.« Er lachte hämisch. »Wirklich mutig von dir, Menschenweib.« Orcavus grinste und zeigte dabei wieder seine spitzen Zähne. »So viel Mut sollte belohnt werden. Weißt du was, Menschenweib? Wir in unserer unermesslichen Güte erlauben dir, bei uns zu bleiben - als unsere Sklavin!«
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Um Jenny herum brach wieder Gekicher los, das sich zu einem schrillen Lachen steigerte. Auch Orcavus auf seinem Thron schüttelte sich vor Lachen, dann sprach er weiter. »Ja, meine Sklavin sollst du sein, Menschenweib. Du sollst mir zu Diens ten sein, mir all meine Wünsche erfüllen. Auch ein Dämon hat fleischliche Gelüste, ob du es glaubst oder nicht. Und die sollst du stillen. Mich begehrt nach einem schönen, zarten Menschenkörper. Lass dich ansehen, mein Kind. Los, steh auf!« Wieder wurde Jenny brutal an den Oberarmen gepackt und emporgezerrt, bis sie auf den Knien hockte. Sie versuchte, ihre Brüste und ihre Scham mit Armen und Händen zu bedecken, doch ihre Häscher ließen das nicht zu, bogen ihr die Arme auf den Rücken, griffen in ihr Haar und rissen ihr den Kopf nach hinten. So hockte sie vor Orcavus, dem König der Orc-Dämonen. »Ja, sehr schön, sehr schön«, sagte er mit gieriger Stimme und ließ seine Blicke über ihren Körper gleiten. »Wie gut gebaut du bist. Schlank, aber mit festen Rundungen an den richtigen Stellen.« Er beugte sich vor, berührte sie mit seinen geschuppten Pranken. »Sicherlich werden wir sehr viel Spaß miteinander haben. Oh, ich sehe Tränen über dein Gesicht laufen. Du schämst dich, möchtest mich nicht glücklich machen, ja? Aber glaube mir, deinen Widerstand werde ich mit Freuden brechen. So oft, bis du ihn völlig aufgibst und mir willenlos dienst. Und wenn ich dann den Gefallen an dir verliere, wirst du mir noch ein letztes Mal meine Gelüste befriedigen, indem dein Fleisch meinen Hunger stillt.« Wieder lachte er, laut und meckernd, und seine Schergen lachten mit. Endlich hörte er auf, ihren Körper zu berühren. »Sie ist ganz schmutzig!«, rief er. »Holt Wasser und reinigt sie!« Ein Orc - er war etwas kleiner als die anderen - wieselte mit einem Krug und einem schmutzigen, zerfetzten Lappen herbei. -75-
Er tauchte den Lappen in den Krug, der mit brackigem, faulem Wasser gefüllt war und begann den Schlamm von Jennys nacktem Leib zu waschen, während sie noch immer vor Orcavus knien musste, die Arme schmerzhaft auf dem Rücken verdreht und den Kopf an den Haaren nach hinten gebogen. Sie spürte den schmierigen Lappen mit dem brackigen Wasser über ihren Körper wischen, hörte das Kichern der hässlichen Kreaturen. Sie sah Orcavus, der sie aus flammenden Augen gierig anstarrte. Sie wusste, dass dies eine Demütigung war, dass der grausame Orc-Dämon sie erniedrigen wollte. Und es war ihr klar, dass es noch viel schlimmer kommen würde ... Reverend Pain und Tom Jackson hatten die Felsen auf dem Hügel noch nicht erreicht, als das Grauen über sie kam. Plötzlich tauchten aus der Öffnung zwischen den Felsen mehrere Orcs auf, gut zwei Dutzend. Sie wollten wohl gerade losziehen, um das Land unsicher zu machen. Als sie den Reverend und Tom Jackson erblickten, stimmten sie ein furchtbares Geheul an - und stürmten auf die beiden Menschen zu. »Achtung, mein Sohn!«, rief Reverend Pain. »Sie greifen an!« Er riss das Lasergewehr hoch - und schoss den ersten Orc nieder. Doch zum zweiten Schuss kam er nicht mehr! Aus dem grauen, wolkenverhange nen Himmel stürzten drei geflügelte Orcs, einer ließ sich auf den Reverend fallen und schlug ihm die Krallen in den Rücken. Reverend Pain stürzte. Das harte Leder seines Mantels hatten die Krallen nicht durchdrungen, und so blieb er unverletzt, doch sofort war die schreckliche Kreatur über ihm, schlug ihm mit einem Prankenhieb das Lasergewehr aus den Händen. Es flog im hohen Bogen davon. Die beiden anderen Geflügelten stürzten sich auf Tom.
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Durch den Angriff auf Reverend Pain war dieser jedoch gewarnt. Er war herumgewirbelt, sah einen der Geflügelten dicht über sich und zog instinktiv den Stecher der Pistole durch. Dieser Reflex rettete ihm das Leben. Die Silberkugel schlug dem Geflügelten direkt ins Gesicht, sprengte die grausige Fratze regelrecht auseinander und schleuderte den Orc zur Seite ins Gras. Der dritte Geflügelte musste ausweichen und rammte Tom Jackson nur an der Schulter. Trotzdem wurde Tom durch die Luft geschleudert und fiel in einen Haufen klappernder Knochen. Der geflügelte Orc stieg wieder auf, dann schlug er einen Bogen, jagte erneut auf Tom Jackson zu, der halb bewusstlos in den Knochen lag. Inzwischen hatte Reverend Pain mit dem anderen Geflügelten alle Hände voll zu tun. Er schleuderte ihn mit einem Tritt seiner schweren Motorradstiefel von sich, sprang geschickt auf die Beine, riss sein silbernes Kreuz hervor und schlug damit nach dem Orc. »Fahr zur Hölle, Diener des Teufels!«, schrie er. Das Kreuz traf das Gesicht des Orcs. So manche Höllenkreatur hätte jetzt laut losgebrüllt, und die heilige Kraft des Kreuzes hätte ihr das Fleisch aus dem Gesicht gebrannt. Doch bei dem Orc wirkte es nicht. Der krachende Hieb ließ zwar Blut aus seiner Nase spritzen, doch sofort schlug das Ungetüm seinerseits zu. Ein Prankenhieb schleuderte Reverend Pain zu Boden. Dann stürzte sich der Geflügelte wieder auf ihn. Die Orcs, die den Felseingang verlassen hatten, waren schon bedrohlich nahe herangestürmt. Wenn sie jetzt in das Geschehen eingriffen, waren Reverend Pain und Tom Jackson verloren.
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Jackson hatte die Pistole hochgerissen und schoss auf den geflügelten Orc, der aus dem Himmel auf ihn herabstürzte. Silberkugel um Silberkugel jagte aus der Mündung der Waffe, stach in den Himmel, doch Tom verfehlte immer wieder. Schon war der Geflügelte so nahe heran, dass Tom die spitzen Krallen und die langen Zähne sah, die dafür geschaffen waren, Menschenfleisch zu zerreißen und Knochen aufzubrechen. Noch einmal schoss er auf den Orc, wieder verfehlte die Kugel, und dann ... Klick-Klick! Die Pistole war leer geschossen. Tom hatte zwar noch die beiden Ersatzmagazine bei sich, die der Reverend ihm gegeben hatte, doch er würde es nicht mehr schaffen, die Waffe nachzuladen. Es war aus. Vorbei. Schon war der Geflügelte über ihm, drückte ihn mit seinem Gewicht zu Boden. Tom riss beide Arme vor das Gesicht, spürte dann Schmerz, als sich die Krallen in seinen rechten Unterarm bohrten, so dass er die Pistole fallen lassen musste und ... Er vernahm nur im Unterbewusstsein das Stampfen von Hufen, hörte etwas durch die Luft zischen, ein Gurgeln, spürte warmes Blut, das auf ihn herabspritzte, dann war der Orc fort. Tom blickte auf. Er sah den Geflügelten neben sich liegen. Der Kopf war ihm abgeschlagen worden. Er zuckte mit Armen und Beinen, dann wurde sein Körper zu einer breiigen Masse. Neben sich, auf der anderen Seite, vernahm Tom wieder das Schlagen von Hufen. Tom wandte den Kopf. Und er sah .. Ortrus! Ortrus, den Verräter!
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Er blickte aus grimmigen Augen auf den jungen Mann am Boden hinab, das blutige Schwert in der rechten Faust. Dann preschte er los, auf die heranstürmenden Orcs zu, die das Kampfgeschehen fast erreicht hatten. Wie eine abgefeuerte Kanonenkugel schlug er in die aufkreischende Front der Orcs, und sein erster Schwerthieb trennte gleich zwei Köpfe von ihren Rümpfen. Wie ein Berserker tobte Ortrus zwischen den Orcs, schlug Arme und Köpfe ab, keilte nach hinten aus und schleuderte die Orcs mit zertrümmerten Schädeln davon. Inzwischen kämpfte Reverend Pain mit dem letzten geflügelten Orc. Der hatte sich auf ihn gestürzt, doch Reverend Pain hatte seinen Silberdolch aus dem Stiefelschaft gezogen, war hochgesprungen und hatte den Dolch tief in die Brust des Orcs gerammt. Aufbrüllend torkelte der Geflügelte zurück, schlug wild mit seinen ledernen Schwingen. Reverend Pain griff an seine Waffengürtel, schleuderte zwei Wurfmesser, und sie bohrten sich links und rechts in die Schultern des Orcs. Er konnte die Arme nicht mehr bewegen, und der Reverend sprang ihn an, griff nach dem Dolch in der Brust des Ungetüms und riss ihn aus der Wunde, dass das Blut spritzte. Er wollte mit der Silberklinge wieder zustoßen, doch in diesem Moment erhob sich der Orc mit wildem Flügelschlag in die Luft. Zwei Meter hoch schaffte er es, da rammte ihm Reverend Pain die Silberklinge bis ans Heft in den Leib, durchbohrte das Herz der Höllenkreatur. Zusammen mit der kreischenden Bestie stürzte Reverend Pain dem Boden entgegen, stieß sich von dem Orc ab, schlug ins Gras und rollte sich ab. Er kam wieder hoch und sah, wie der Orc zu einer schleimigen Masse zerlief. -79-
Reverend Pain blickte sich eilig um, sah Tom, der versuchte, die Pistole nachzuladen, und es endlich auch schaffte. Er sah auch Ortrus - und war verwundert! Dieses Wesen, halb Mensch, halb Tier, kämpfte gegen die Orcs. Mit dem Schwert schlug er ihnen die Köpfe ab, keilte nach hinten aus, zertrümmerte ihnen die Schädel mit den Hufen. Wie ein Berserker kämpfte Ortrus. Die Orcs sprangen ihn an, schlugen mit ihren Krallen nach ihm und fügten ihm blutende Wunden zu, doch damit konnten sie seine Wildheit nicht zähmen, es stachelte seinen Zorn nur noch mehr an. Reverend Pain sah es, und alles, was man ihm über Ortrus gesagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Der Sohn einer Hexe sei er gewesen. Als Außenseiter sei er aufgewachsen. Man habe ihn aus dem Dorf verjagt. Ein Verräter an der Dorfgemeinschaft sei er geworden, hatte sich an der Menschheit grausam gerächt. Und danach hatte Orcavus ihn zu dem gemacht, was er nun war. Und der ehrwürdige Vater Ludgerius, der Abt des Klosters des Heiligen Antonius, hatte von einer leidenden Seele gesprochen. Reverend Pain glaubte, die Wahrheit nun zu erkennen. Jedenfalls einen Teil davon. Er sah sein Lasergewehr zwischen den harten, braunen Gräsern liegen und lief darauf zu. Ein Orc, der nicht in den wilden Kampf mit Ortrus verwickelt war, stürzte mit gekrümmten Krallen und kreischend auf ihn zu. Der Reverend fegte ihn mit einem Tritt seines schweren Motorradstiefels beiseite, stürzte sich auf sein Lasergewehr, packte es, wirbelte herum und schoss den Orc nieder. Dann zielte er auf die Orcs, mit denen Ortrus kämpfte, und eröffnete das Feuer. Orc um Orc traf er. Seine Schüsse waren präzise, schlugen in die Körper der kleinen, hässlichen Monster, ohne Ortrus zu gefährden. Die Laserblitze pflückten sie von dem Pferdemenschen weg, den sie umkreisten und attackierten.
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Die Orcs wirbelten herum und sahen, dass sie einen weiteren Gegner hatten. Einen Mann, den sie schon fast vergessen und für erledigt gehalten hatten. Ein paar von ihnen stürmten auf Reverend Pain zu. Es war ein sinnloses Unterfangen. Bevor sie ihn erreichten, schickte er sie mit seinen Laserschüssen zur Hölle. Auch Tom Jackson griff wieder in das Kampf geschehen ein. Diesmal traf er besser, streckte zwei der kreischenden Unholde nieder. Und den Rest erledigte Ortrus. Mit seinem Schwert spaltete er einem der Orcs den Schädel, zwei weiteren schlug er die Köpfe ab. Ihre Kadaver lagen um ihn herum, warfen blubbernd Blasen und wurden zu einem breiigen Schleim, der in dem vom dem harten braunen Gras bewachsenen Boden versickerte. »Ortrus!«, rief in diesem Moment Tom Jackson mit lauter Stimme. Sein Gesicht war eine Fratze des Hasses, und er richtete die Pistole mit den Silberkugeln auf den Zentaur. »Ortrus, du Höllenbastard! Du hast me inen Vater ermordet! Dafür wirst du jetzt büßen!« »Nein, Sohn warte!«, rief Reverend Pain. Doch es war bereits zu spät. Tom Jackson schoss - und ... Zum Glück war er kein geübter Schütze. Seine Kugel verfehlte den Zentaur, schwirrte an seinem Kopf vorbei. Reverend Pain atmete innerlich auf. Bevor Tom Jackson noch ein weiteres Mal schießen konnte, riss er eines seiner Wurfmesser hervor, warf es, und es prellte Tom Jackson die Waffe aus der Hand. »Nein!«, schrie der junge Mann. »Er hat meinen Vater ermordet! Er hat meinen Vater ermordet!« Er stürmte auf den Zentaur zu, doch Reverend Pain warf sich ihm in den Weg, hielt ihn fest, mit beiden Armen fest umklammert.
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»Lass ab davon, mein Sohn!«, rief er. »Dies Wesen hat uns das Leben gerettet! Er hat gegen die Orcs gekämpft! Siehst du nicht, dass er auf unserer Seite steht!« »Aber mein Vater!«, heulte Jackson, und Tränen der Wut, der Trauer und der Verzweiflung schössen ihm in die Augen. »Er hat meinen Vater getötet! Heute Morgen! Er hetzte die Orcs auf die Menschen, die auf dem Feldern arbeiteten!« Der Zentaur sah Tom Jackson aus grimmigen Augen an. Der Regen hatte sein langes braunes Haar und seinen Bart durchnässt, und seine dunklen Augen blickten grimmig. Doch dann begann das Wesen zu sprechen und sagte: »Du meinst den weißhaarigen alten Mann, den die Orcs heute Morgen auf dem Feld zerfleischten?« »Ja, den meine ich!«, schrie Jackson. »Er war mein Vater! Du hast die Orcs auf ihn gehetzt! Du bist schuld, dass er tot ist! Du bist schuld, dass er so grausam sterben musste!« Der Zentaur schüttelte traurig und mitleidig den Kopf. »Ich kam zu spät, um ihn zu retten«, sagte er. »Ich hörte das Kampfgeschrei der Orcs, sah, wie sie die Menschen auf den Feldern jagten und sich einen der Männer schnappten. Ich ritt den Hügel hinab und vertrieb sie. Voller Furcht ergriffen sie die Flucht. Doch den alten Mann konnte ich nicht mehr retten. Er war bereits tot. Nichts konnte ich mehr für ihn tun.« »Ich glaube dir nicht!«, schrie Tom Jackson, dem die Tränen durchs Gesicht liefen und den Reverend Pain noch immer halten musste, damit er sich nicht auf den Pferdemenschen stürzte. »Ich glaube dir kein Wort! Du bist Ortrus! Der Verfluchte, der das Dorf und die Menschen verriet! Du hast deinesgleichen an die Hölle verraten, um Rache zu ne hmen an den Menschen!« Der Zentaur nickte. »Ja, das habe ich«, sagte er mit seiner sonoren Stimme. »Mein Herz damals war voller Zorn. Ich wollte nichts anderes als blutige Rache an denjenigen, die mich wie einen Aussätzigen behandelten, die mich verspotteten und ausgestoßen haben. Ich wurde zum Verräter, und damit lud ich -82-
große Schuld auf mich. Nie kann ich sie wiedergutmachen, diese Schuld. Ewig werde ich sie tragen müssen auf meinen Schultern. Doch seht, wie Orcavus mich für meinen Verrat belohnte. Melisa, die Frau, die ich liebte, der einzige Mensch, der je zu mir hielt - er ermordete sie vor meinen Augen auf grausamste Weise. Und mich machte er zu dem, was ihr hier vor euch seht. Ich bin kein Mensch mehr, ich bin aber auch kein Tier. Und ich bin kein Dämon, aber von allem bin ich etwas. Die Menschen fürchten mich, als Tier sehe ich mich nicht, die Dämonen verspotten mich. Ich bin das, was ich immer war - ein Ausgestoßener, einer, den alle hassen und verabscheuen. Niemals kann und werde ich Liebe finden, Freundschaft oder ein Zuhause. Seit Orcavus dies aus mir machte, was ihr hier seht, wandere ich im Land herum, erschlage mit dem magischen Schwert, das Orcavus mir einst gab, seine Orc-Schergen, wo immer ich sie sehe. Auch ihm habe ich Rache geschworen. Vor allem aber will ich ihn erschlagen, denn wenn ich seine Herrschaft breche und das Dorf befreie, so ist wenigstens ein kleiner Teil meiner Schuld getilgt. Nicht genug, um meine Seele vor dem Höllenfeuer zu bewahren, aber mein Herz würde nicht mehr ganz so arg schmerzen. Denn ich besitze sein Schwert, und nur damit kann man Orcavus erschlagen.« »Dann hat sich deine Gesinnung radikal gewandelt«, sagte Reverend Pain. »Du willst büßen für das, was du getan hast. Für deinen unseligen Verrat und dem feigen Mord an dem Priester, der dich auf zog wie seinen eigenen Sohn.« »Ja, ich will büßen«, sagte der Pferdemensch. »Und ich büße schon seit vielen Jahren. Ich will Orcavus vernichten, doch allein schaffte ich es bisher nicht. Die Menschen hassen mich. Und sie fürcht en mich. Sie sehen in mir ein Monster, und sie haben auch Recht damit, denn ich bin ein Monster, und was ich getan habe, das kann ich mir selbst nicht verzeihen. Der Schmerz in mir ist groß. Er zerreißt mein Herz und meine Seele. Orcavus will ich vernichten, und ich hoffe, ich finde danach den -83-
Tod, obwohl auch er mir keinen Frieden bringen wird, denn auf ewig wird danach meine Seele im Höllenfeuer schmoren für meine Taten.« Er schaute Reverend Pain und Tom Jackson an, musterte sie lange Zeit, dann fuhr er fort. »Ihr seid voller Mut und Kampfeskraft. Ihr seid hierher gekommen, um die Orc-Dämonen zu vernichten. Vielleicht ist das der Tag der Entscheidung, vielleicht können wir es gemeinsam schaffen. Als Orcavus mich in das verwandelte, was ich nun bin, konnte ich aus seinem unterirdischem Reich mit letzter Kraft entkommen. Und ich konnte das Schwert mitnehmen, das sein Leben beenden kann.« Er hob die Klinge an und zeigte sie den beiden Menschen. Sie war rot vom Blut der Orcs. »Dieses magische Schwert könnte Orcavus das Ende bringen. Und mit eurer Hilfe könnte ich es schaffen. Was ist, verbündet ihr euch mit mir?« »Ich traue ihm nicht!«, rief Tom Jackson. »Er ist ein Verräter, ein Mörder! Er ist ein Monster und kein Mensch!« »Aber in ihm ist die Seele eines Menschen«, sagte Reverend Pain, der Tom Jackson noch immer mit beiden Armen umklammerte. »Und ich spüre, dass er die Wahrheit spricht!« »Nein, nein!«, rief Jackson. »Glaubt ihm kein Wort, Reverend!« »Dieser Mann«, sagte der Pferdemensch, »ist ein Mann GOTTES. Er erkennt die Falschheit im Herzen eines Menschen. Und in meinem Herzen ist keine Falschheit mehr, nur noch Trauer und Schmerz.« »Ja, er spricht wahr«, sagte Reverend Pain zu Tom Jackson. »Ich weiß es, der HERR sagt es mir. Der Allmächtige blickt in die Seele dieser Kreatur, und dort ist keine Lüge mehr. Mein Sohn«, sprach er zu Tom Jackson, »denke auch an Jenny, deine Verlobte. An das Mädchen, das du so sehr liebst. Wir können sie retten - mit seiner Hilfe!«
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»Jenny ...«, murmelte Tom Jackson, dann entspannten sich seine Muskeln, versuchten nicht mehr, den Griff des Reverends zu sprengen. »Jenny, ja - sie befindet sich in diesem verteufelten Berg, in der Gewalt von Orcavus! Wer weiß, was dieser Satan mit ihr anstellen will. Ja - wir müssen sie retten, wir müssen ...« Er verstummte, und Reverend Pain ließ ihn los. Tom Jackson stand da, sah den Zentaur an, dann nickte er und sagte: »Gut, auch ich werde an deiner Seite kämpfen. Aber ich warne dich, Ortrus - solltest du deinen schändlichen Verrat wiederholen, trifft dich meine Kugel. Und sobald Jenny frei ist und Orcavus vernichtet - rechnen wir beide miteinander ab!« Reverend Pain wollte widersprechen, doch Ortrus sagte: »So soll es sein. Wir vernichten Orcavus, retten das Mädchen, das du liebst - und anschließend sollst du über mich richten. Töte mich und nimm Rache für all die Menschen, die durch meine Hand und meine Schuld starben. Das ist nur gerecht!« Und damit wandte er sich um und schritt auf den Eingang zwischen den Felsen zu. Reverend Pain und Tom Jackson nahmen wieder ihre Waffen und folgten ihm ... Sie schritten durch einen finsteren Höhlengang. Überall lagen menschliche Knochen am Boden verstreut. Der Gang war gerade groß genug, dass Ortrus aufrecht schreiten konnte. »Durch diese Höhle bin ich vor Jahren geflüchtet«, sagte er. »In meiner Faust das magische Schwert des Orcavus, Hinter mir seine Orc-Schergen, die mir unzählige Wunden beigebracht hatten.« Auch jetzt war er verletzt, hatte unzählige blutende Wunden am Körper, die die Orcs ihm beim Kampf beigebracht hatten. Doch er hielt sich aufrecht, schritt weiter voran, und dann kam die erste Fackel, die in der Wand steckte.
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Das Blut lief von Ortrus' Körper. Reverend Pain sah es und sagte: »Glaubst du, dass du mit diesen Verletzungen überhaupt noch kämpfen kannst?« »Wenn ich helfen kann, Orcavus zu vernichten, würde ich von den Toten wiederauferstehen«, antwortete Ortrus. Tom Jackson, die Silberkugel-Pistole in der Hand, sah die vielen Knochen am Boden im flackernden Schein der Fackeln. »Wie viele Menschen mussten hier einen grausamen Tod finden«, sagte er. »Und du bist es schuld, Ortrus! Glaubst du, diese Schuld je wieder abtragen zu können?« Der Zentaur schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Das sagte ich auch schon. Meine Seele wird im Höllenfeuer schmoren, für mich gibt es keine Erlösung. Der Mann, der mich aufzog, war ein Priester, und er hat mich vieles über dem Allmächtigen gelehrt. Ich weiß, dass meine Seele verdammt ist.« »Du weißt gar nichts über GOTT, dem HERRN«, sagte daraufhin Reve rend Pain. »Seine Gnade ist unermesslich, Sohn.« »Nennt diese Kreatur nicht Sohn!«, zischte Jackson. »Er ist kein Mensch!« »Wer Mensch ist und wer nicht, entscheidest nicht du«, erwiderte der Re verend mit einem grimmigen Blick auf Tom Jackson. »Und auch nicht, wer vor den Augen des HERRN Gnade erfährt.« Tom Jackson schwieg, aber sein zorniger Gesichtsausdruck verriet, was er von Ortrus hielt. Trotzdem drängte ihm die Sorge um Jenny zu diesem merkwürdigen Bündnis. Es war eine Sorge, die sich wie eine zupressende Faust um sein Herz gelegt hatte. Er war sicher, dass sich Jenny ohne ihn nicht in dieser Gefahr befinden würde, nicht in den Klauen des absolut Bösen. Die Sorge und sein Schuldgefühl trieben ihn weiter vorwärts und ließen ihn alle
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Angst vergessen, die er ansonsten verspürt hätte in dieser unheimlichen, mit menschlichen Knochen übersäten Höhle. Kalt war es hier, und es stank nach Fäulnis. Und nach Blut. Und entsetzlichem Leid. Reverend Pain spürte die Qualen, die die Menschen hier erlitten hatten, fast körperlich. Sein Geist war sensibel genug, um den Schmerz und das Leid zu registrieren, das in den felsigen Wänden aufgefangen war. Mentale Restenergien steckten in dem Gestein, waren dort eingebrannt. Die Qualen der Menschen waren so entsetzlich gewesen, dass sie an diesem Ort des Schreckens und der Grausamkeit geistige Spuren hinterlassen hatten. So wie es hin und wieder bei Spukhäusern geschieht, bei denen man von einem Poltergeist-Phänomen sprach. Entsetzliches hatte sich hier abgespielt, und die geistigen Restenergien, die auf Reverend Pain einströmten, waren bedrückend und lasteten schwer auf seiner Seele. Leise murmelte er ein Gebet, um sich von diesem Eindruck zu befreien, der ihn von seiner Mission ablenkte und seine Konzentration trübte.
Wenn seine Aufgabe beendet war, würde er diesen Ort weihen müssen, das Böse, was hier herrschte, austreiben mit den Mitteln des Exorzismus, damit dies keine Heimstätte wurde für unseligen Geisterspuk. Die flackernden Fackeln warfen tanzende Schatten an die Wände. Es war, als würden dort die Geister derer aus dem Gestein kriechen, die hier einst ein qualvolles Ende gefunden hatten und deren Leiden Reverend Pain jetzt noch spürte. Reverend Pain murmelte sein Gebet, und es half ihm, sich aus dieser geistigen Einflussnahme zu befreien, und dann ... Plötzlich war vor ihnen eine Bewegung. Die Orcs tauchten auf.
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»Sie kommen!«, zischte Reverend Pain und riss im selben Augenblick sein Lasergewehr empor. Kreischend jagten die Orcs auf sie zu, und Reverend Pain drückte ab. Dem ersten pustete er den Schädel weg. Ohne Kopf stolperte der Orc noch ein paar Schritte vor, sackte dann in die Knie und wurde zu blubberndem Schleim. Doch immer mehr stürmten vor. Auch Tom Jackson hatte seine Pistole hochgerissen und schoss. Gemeinsam mit Reverend Pain feuerte er auf die Angreifer, die wie eine Woge durch den Höhlengang auf sie zuschwemmte. Laserstrahl um Laserstrahl bohrte sich in die geschuppten grünen Körper, eine Silberkugel nach der anderen schlug in die Leiber der kreischenden Orcs. Aber sie gaben nicht auf, drängten immer weiter nach, waren wie auf Mord programmierte Roboter. »Es sind zu viele!«, schrie Tom. »Schieß weiter, mein Sohn!«, rief Reverend Pain. »Sie dürfen nicht an uns herankommen!« »Da hinten!«, rief in diesem Moment Ortrus. Reverend Pain wandte den Kopf. Aus den Seitengängen, die sie hinter sich gelassen hatten, quollen jetzt ebenfalls grüngeschuppte Ungeheuer in großer Zahl. Einige von ihnen hatten Flügel und jagten durch den tunnelartigen Gang auf die Eindringlinge zu. Reverend Pain traf zwei mit seinem Lasergewehr, und die Kreaturen zerplatzten regelrecht in der Luft, klatschten als blubbernder Schleim auf den Boden oder an die steinernen Wände. Zwei weitere Orcs schafften es bis dicht heran, doch Ortrus' Schwert durchschlug ihre Körper mit mächtigen Hieben. »Kümmert euch um die vor euch!«, rief er. »Ich halte die Brut auf, die von hinten kommt!« »Nein, warte!«, rief Reverend Pain. »Du hast keine Chance! Das ist zu gefährlich!« -88-
Doch der Zentaur preschte bereits los, stieß ein lautes Kampfgebrüll an, schwang sein Schwert und stürmte in die Front der Angreifer. Abgehackte Köpfe und Gliedmaßen flogen durch die Gegend. Mit wuchtigen Schlägen streckte Ortrus Gegner um Gegner nieder. Aber dann kamen die Orcs wie eine Sturzflut über ihn. Es war eine kreischende, quiekende Masse, bewehrt mit spitzen Krallen und Zähnen. Ortrus schlug mit dem Schwert um sich und brüllte: »Findet Orcavus! Ihr müsst ihn vernichten! Und rettet das Mädchen!« Tom Jackson und Reverend Pain Schossen, was das Zeug hergab. Pain zog eine weitere Pistole und warf sie Tom Jackson zu. Der fing sie geschickt auf und schoss nun aus zwei Warfen. Sie bahnten sich einen Weg durch die kreischende Horde, vernichteten eine Höllenkreatur nach der anderen. Immer weiter schritten sie voran, während sie hinter sich Ortrus' zornige Kampfschreie hörten. Tom Jackson rieselte es dabei eiskalt über den Rücken. Ortrus war verloren. Gegen die Übermacht konnte er nicht bestehen. Er hielt ihnen den Rücken frei und opferte sich für sie, damit sie Jenny befreien und Orcavus vernichten konnten. Vielleicht hatte er den Pferdemenschen doch falsch eingeschätzt. Hatte Ortrus eben, vor dem Höhleneingang, die Wahrheit gesagt? Hatte er versucht, Toms Vater zu retten? Jetzt taten Tom die Worte fa st leid, die er eben gesagt hatte. Andererseits - Ortrus war schuld an all diesem Grauen, dass seit Jahren dieses Land und sein Heimatdorf beherrschte. Er verdrängte all diese Gedanken, sie verwirrten ihn nur, und er musste sich jetzt auf den Kampf konzent rieren. Es ging um Jenny - und ums nackte Überleben. Denn vor ihnen tauchten immer wieder Orcs in Scharen auf. Reverend Pain und er rückten weiter vor, schössen wild um sich,
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streckten eine der hässlichen kleinen Kreaturen nach der anderen nieder, doch es rückten immer neue nach. Hinter ihnen wurden die Kampfrufe von Ortrus leiser. Sie entfernten sich immer mehr von ihm. Der Zentaur war verloren, das war für Tom Jackson sicher. Und plötzlich verspürte er sogar Mitleid für diese Kreatur, die Zeit ihres Lebens ein Ausgestoßener gewesen war, ohne Freunde, ohne Familie. Der einzige Mensch, den er jemals geliebt hatte, war von Orcavus ermordet worden, und er hatte es mit ansehen müssen. Tom Jackson und der Reverend gingen wild um sich schießend immer weiter vor. Ihre Stiefel klatschten in die sich auflösenden Körper der gefallenen Orcs. Der grüne Schleim, zu dem sie wurden, bedeckte den Höhlenboden und verströmte einen bestialischen Gestank ... . Ortrus kämpfte wie noch nie zuvor in seinen Leben. Er keilte aus, schlug auch mit den Vorderhufen zu und zertrümmerte die Schädel der Angreifer, und das magische Schwert in seiner Rechten hielt blutige Ernte. Und trotzdem wurden es immer mehr Feinde. Sie kamen über ihn wie eine Sintflut, kreischend und fiepend und quiekend. Sie drängten ihn an die Höhlenwand, so dass er nur noch mit den Schwert um sich schlagen konnte. Mit wuchtigen Hieben trennte er Gliedmaßen durch, schlug Krallenpranken und Arme ab, holte Köpfe von den Schultern. Doch es nutzte nichts. Grässliche Verwundungen wurden ihm zugefügt. Scharfe Krallen schnitten in sein Fleisch, und mehrere Orcs hatten sich mit ihren spitzen Zähnen in seine Flanke verbissen. Ortrus schrie vor Schmerz und Zorn. Doch er gab nicht auf, wehrte sich bis zum Schluss. -90-
Dann knickten seine Vorderläufe ein, und er fiel um. Die Orcs kamen über ihn, ihre Krallen schlugen in sein Fleisch, und Ortrus' Blut spritzte durch den Höhlengang. Er wehrte sich nicht mehr. Er konnte sich nicht mehr wehren. Das Schwert hielt er noch fest umklammert, doch sein Arm lag schlaff auf dem Boden. Er schrie seine Schmerzen laut hinaus, und dann öffnete er noch einmal den Mund. »Me-e-e-1-i-i- i-s-a-a-a!«, brüllte er aus Leibeskräften. »Me-1-is-a-a-a-a! Verzeih mir ...!«
Sie feuerten um sich, und immer weiter ging es. Doch plötzlich versagten Tom Jacksons Waffen. »Meine Magazine sind leergeschossen!«, rief er. »Ich halte die Höllenbrut auf!«, rief Reverend Pain, unablässig auf die Orcs vor ihnen schießend. »Lade nach!« Tom Jackson warf die Magazine aus, steckte eine Waffe in den Gürtel und lud die andere nach. Plötzlich rief der Reverend: »Augen zu und umdrehen!« Tom Jackson tat, wie ihm geheißen, trotzdem flackerte das grelle Licht durch seine Lider. Reverend Pain hatte eine Blendgranate geworfen. Sekundenlang war es in der Höhle so hell wie im Schmelzkern der Sonne. Die Orcs kreischten und quiekten. Das grelle Licht hatte ihnen die Netzhäute aus den Augen gebrannt. Reverend Pain schoss zornig um sich, streckte einen nach den anderen nieder. »Jetzt haben wir freie Bahn!«, rief er. Tom Jackson lud auch die zweite Pistole nach, dann schoss auch er wieder auf die Orcs. Blind waren sie völlig hilflos. Einer nach dem anderen verging, verwandelte sich in grünen, blubbernden Schleim. -91-
Und dann erreichten Reverend Pain und Tom Jackson das große Höhlengewölbe, den Thronsaal des Orc-Anführers Orcavus. Der Anblick, der sich ihnen bot, raubte Tom Jackson fast den Atem. Knochen über Knochen häuften sich hier. An einigen klebte noch Blut, hingen noch Fleischfetzen. Ein Haufen teils geflügelter Orcs lauerte in dem Gewölbe, das vom Fackelschein in ein zuckendes, unheimliches Licht getaucht wurde. Auf einem Thron, verziert mit Menschenknochen, saß der Anführer der Orc-Dämonen - Orcavus! Und vor ihm kniete - nackt und wimmernd - Jenny! . »Jenny!«, rief Tom Jackson außer sich. Er riss die Pistole in seiner rechten Hand empor und schoss! Bisher hatte er sich als schlechter Schütze erwiesen, doch wie ein Wunder trafen die zwei abgefeuerten Kugeln nun punktgenau ihr Ziel. Sie schlugen in die Köpfe der widerlichen Kreaturen ein, die Jenny hielten. Tom Jackson lief auf das nackte Mädchen zu, während Reverend Pain die anderen Orcs unter Feuer nahm und rief: »Fahrt zur Hölle! Im Namen des HERRN - fahrt zur Hölle!« Er hielt das Gewehr mit einer Hand und riss mit der anderen eine Handgranate von seinem Gürtel. Tom Jackson erreichte Jenny, die auf den Knien hockt, umzukippen drohte, packte sie, legte den linken Arm um ihre Taille, riss sie hoch und feuerte gleichzeitig auf Orcavus. Die Kugeln schlugen Orcavus zurück, warfen ihn an die Rückenlehne seines Thrones, konnten seine Schuppenhaut jedoch nicht durchdringen. Tom Jackson riss Jenny mit sich und hörte den Reverend rufen: »In Deckung, Bruder!« Reverend Pain hatte die Handgranate in die Masse der Orcs geworfen. Tom stürzte mit Jenny zu Boden, legte sich schützend über das nackte Mädchen, und die Explosion donnerte auf. -92-
Zerfetzte Orc-Leiber wirbelten durch die Höhle, klatschten als breiige grüne Masse an die Wände, und wieder eröffnete der Reverend das Feuer mit seinem Lasergewehr: »Zur Hölle mit euch, Satansgezücht! Zur Hölle!« Tom Jackson richtete sich halb hoch, sah Orcavus, der sich erhoben hatte und auf ihn zutrat. »Das wirst du büßen, Menschlein!«, knurrte der Orc-Dämon. »Du hättest niemals hierher kommen sollen! Alle Qualen der Hölle wirst du erleiden!« Tom riss seine beiden Pistolen hoch, feuerte auf den OrcDämon, doch die Kugeln prallten von ihm ab, konnten Orcavus nichts anhaben. Orcavus erreichte den jungen Mann, packte ihn, und tief drangen seine Klauen in Tom Jacksons Fleisch. Tom schrie auf vor Schmerz, wurde von dem Orc-Dämon durch die Höhle geschleudert und prallte gegen die Felsen. »Tom!«, schrie Jenny, die endlich wieder zu sich kam und erkannte, wer da versucht hatte, sie zu retten. »Tom! Tom!« Der Orc-Dämon wollte auf Jackson zuschreiten und ihm den Rest geben, doch Jenny sprang auf und schlug mit ihren Fäusten auf den Orcavus ein. »Nein, nein! Du Scheusal! Du Bestie! Du wirst ihm nichts tun!« »Aus dem Weg, Menschenweib!«, schrie Orcavus und schlug zu. Der Prankenrücken traf Jenny im Gesicht und fegte sie zu Boden. Orcavus schritt mit gekrümmten Krallen auf Tom Jackson zu, der halb bewusstlos war. Eine Pistole hatte er verloren, die zweite - er umklammerte sie mit der linken Hand - riss er empor und schoss wieder auf Orcavus. Es war sinnlos. Die Macht des Orc-Anführers schützte ihn. Die Schwarze Magie, über die er verfügte, war zu stark. Wie ein Energiefeld umschloss sie seinen Körper und ließ die Silberkugeln abprallen. Er hatte Tom Jackson fast erreicht, wollte ihn mit seinen Krallen zerfleischen. -93-
Da trafen mehrere Laserstrahlen seinen Kopf. Reverend Pain hatte geschossen. »Hier ist dein Gegner, Orcavus!«, schrie er. »Stell dich mir zum Kampf, Vasall der Hölle!« Die Laserblitze hatten Orcavus nichts anhaben können. Sie waren an seinem Kopf verzischt. Aber sie hatten ihn von Tom Jackson abgelenkt. »Ein Reverend!«, zischte Orcavus voller Hass. »Ein Mann des Allmächtigen! Oh, ich werde es genießen, dich leiden und qualvoll sterben zu lassen!« Er hob seine Hände, und ein gleißendes Flirren jagte aus seinen Fingerspitzen, zuckte durch die Höhle und traf Reverend Pain. Der hatte geglaubt, die Macht des HERRN und das Kreuz an seiner Brust würden ihn vor der bösen Magie schützen. Es war ein Irrtum! Als das Gleißen ihn erreichte, schrie er auf. Er verspürte einen Schmerz, wie er ihn bisher noch nicht gekannt hatte. Es war das unsägliche Böse, was in diesem Gleißen steckte, und es traf Reverend Pain, durchfuhr ihn bis in seine Seele. Er schrie, ließ das Lasergewehr fallen und ging in die Knie. Orcavus lachte meckernd auf, »Ja, stirb, Mann des Allmächtigen! Ich zeige dir, dass dein Gott nicht allmächtig ist! Du sollst vergehen! Na, wie schmeckt dir das?« Reverend Pain wand sich am Boden unter den unerträglichen Schmerzen. Jeder andere Mensch hätte das Bewusstsein verloren, doch Pain hörte auf zu schreien, biss die Zähne zusammen, versenkte sich in seinen Glauben und kämpfte gegen die dunklen Kräfte an, die seinen Körper und seine Seele attackierten. Reverend Pain konnte nicht glauben, was mit ihm geschah. Er spürte, wie die dunklen Kräfte seinen Körper und seinen Geist schwächten und zu verzehren drohten. Er wusste aber auch, dass dies noch nicht sein Ende sein durfte. GOTT, der HERR, wollte -94-
ihn noch nicht zu sich rufen. Er musste gegen diese unselige Macht, die ihn vernichten wollte, ankämpfen, mit all seiner Kraft und all seinem Glauben. Wenn er versagte, war nicht nur er verloren, sondern auch Tom Jackson und das hilflose Mädchen. GOTT, der HERR, hatte die Leben dieser beiden Menschen in seine Hände gelegt, und er durfte jetzt nicht versagen. Und doch schaffte er es nicht. Die Macht, die ihn zu vernichten drohte, war zu stark. Hatte er versagt? Hatte GOTT gar nicht gewollt, dass er diesen Ort betrat? Hatte er den Willen des HERRN missverstanden, dass er hier scheitern musste? »Vater - im - Himmel ...«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, »geheiligt - werde - dein Name ...« »Er nutzt dir nichts, dein Glaube, Reverend!«, kreischte Orcavus. »Hier regiert die Hölle, der Satan, das Leid, die Qual und die Sünde. Und jetzt wirst du sterben!« Und tatsächlich spürte auch Reverend Pain, dass er versagt hatte, dass dies das Ende war ... Ortrus spürte die heftigen Schmerzen, als die Krallen immer wieder tief in das Fleisch seines Körpers drangen und die Orcs mit ihren spitzen Zähnen zubissen. Es waren grauenvolle, peinigende Schmerzen. Doch noch schlimmer als der Schmerz war die Gewissheit, sterben zu müssen, ohne den Tod seiner über alles geliebten Melisa gesühnt zu haben. Diese Gewissheit trieb ihn die Tränen in die Augen, nicht der furchtbare Schmerz, den ihn die Orcs erleiden ließen. Er schloss die Augen, die Zähne zusammengepresst, und schloss mit seinem Leben ab. Jetzt würde seine Seele in die Hölle fahren, und das Leiden würde für ihn weitergehen - bis in alle Ewigkeit! Doch dann - was war das? Er hörte die Orcs panisch kreischen und quieken. -95-
~~ Ortrus schlug die Augen auf - und konnte nicht glauben, was er sah! Die Skelette, die überall in den Höhlen lagen, sie hatten sich erhoben! Klappernd näherten sich die Knochenmänner den Orcs, deren Opfer sie einst geworden waren. Und selbst die Höllenbrut war entsetzt über das Schauspiel, das sich ihnen bot. Dutzende und Aberdutzende waren es, die sich vom Boden erhoben, teils aus dem Schmutz emporstiegen. Skelette mit bleichen, abgenagten Knochen. Aber auch solche, an denen noch Blut klebte und Fleischfetzen hingen. Und sie fielen über die Orcs her, packten sie - und zerrissen ihre Körper, dass das Blut nur so spritzte. Schrill hallte das Kreischen der Orcs durch die Höhle. Sie waren eingekreist, die rachsüchtigen Skelette kamen von allen Seiten. Und sie verfügten über ungeheure Kräfte, denen die Orcs nichts entgegenzusetzen hatten. Die abscheulichen grüngeschuppten Kreaturen wurden von den knöchernen Händen gepackt, Arme und Beine wurden ihnen ausgerissen, ihre Körper wurden zerfetzt. Blutüberströmt lag Ortrus am Boden und beobachtete das grausige Schauspiel. War das Wirklichkeit? Oder befand er sich in einem Wahn? Hatten ihn die schrecklichen Schmerzen irrsinnig werden lassen? Orc um Orc starb einen grauenvollen Tod, ihr Blut floss in Strömen, und dann packten zwei Skelette den letzten noch verbliebenen Orc, packten ihn an Armen und Beinen - und rissen ihn entzwei! Seine Überreste versickerten als blubbernder Schleim im Höhlenboden. Dann wandten sich die Skelette Ortrus zu, der noch immer am Boden lag und sich kaum rühren konnte. Aus ihren leeren Augenhöhlen starrten sie auf ihn hinab. »Ja«, sagte er langsam und gedehnt, »ich bin Ortrus, der Verfluchte. Ich - ich bin es, der schuld ist an eurem grausigen -96-
Schicksal. Ohne mich - wärt ihr alle noch am Leben. Seid - seid ihr gekommen, weil ihr den Orcs die Rache nicht gönnt? Weil ihr selbst Rache verüben wollt? Weil ihr mich hinabreißen wollt in die Schlünde der Hölle, wo ich für meine Sünden ewig brennen soll?« Ortrus blickte zu den schweigenden, reglosen Knochenmännern auf, dann nickte er. »Tut es. Es ist euer Recht. Nehmt Rache und zerrt mich ins Feuer der Hölle. Ich - ich habe es verdient, und - und es ist nur gerecht, dass die Toten Rache an mir nehmen ...« »Nein, Ortrus«, hörte er da eine glockenhelle Stimme, und er sah ein Leuchten, das sich ihm näherte. Die Schar der Skelette teilte sich, machte Platz für eine hell strahlende Gestalt. Und wieder traute Ortrus seinen Augen nicht. »Melisa ...«, kam es flüsternd über seine Lippen. Die leuchtende Frauengestalt blieb vor ihm stehen, ging dann in die Knie und streichelte seine Wange. »Ortrus, mein geliebter Ortrus«, sagte sie. »Wie sehr hast du gelitten all die Jahre.« »Melisa«, sagte er schwach. »Wie ist das möglich. Du - du bist tot. Wie kann ich dich sehen? Wie kannst du hier sein? Oder ist dies bereits das Reich des Todes?« »Nein, Ortrus«, sagte sie. »Dies ist weder der Himmel noch die Hölle. Dies ist immer noch die Welt der Sterblichen. Aber dies ist auch ein magischer Ort, und ich bin auf magische Weise gestorben. Ich konnte nicht gehen in die jenseitige Welt. Nicht, solange ich deine Schmerze n und dein Leid spürte und die unerträgliche schuld, die du mit dir herumträgst, Ortrus. Ich weiß, wie sehr du in all den Jahren gelitten hast.^XJr-trus, und ich wollte und konnte diese Welt nicht verlassen, bevor dein Leiden kein Ende gefunden hat.« »Dann - dann bist du ein Geist?« Er starrte sie aus großen, ungläubigen Augen an. Sie nickte. »Ja, Ortrus, so ist es.« »Dann - dann bin ich auch schuld, dass du nicht wirklich sterben konntest«, sagte er voller Trauer. -97-
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Ortrus, es ist nicht deine Schuld. Es ist die Liebe zu dir, die ehrliche, aufrichtige Liebe, die mich auf Erden verweilen lässt. So lange, bis dein Leid ein Ende gefunden hat, Ortrus.« »Damit mein Leiden endet, muss ich Orcavus erschlagen und das Dorf von seinem Terror befreien«, sagte Ortrus mit schwacher Stimme. »Und all die Menschen, die ich in dieses grausame Schicksal führte.« Melisa nickte. »Ja, Ortrus, so muss es sein. Erhebe dich, Ortrus und kämpfte für GOTT und die Menschen!« Und Ortrus erhob sich. Die Läufe unter ihm waren schwach und zitterten, er war über und über mit schrecklichen Wunden bedeckt, doch er hielt sich aufrecht. Nur kurz wurde ihm schwarz vor Augen, und als er dann wieder klar sehen konnte, lagen die Knochen der Orc-Opfer wieder verstreut am Boden, und Melisa war verschwunden. Er schüttelte benommen den Kopf. Hatte er sich das nur eingebildet? Hatte es die Skelette und den Geist Melisas gar nicht gegeben? Hatte er die Orcs alle erschlagen und sich in seinem Schmerz das alles nur eingebildet? Nein, er glaubte es nicht. Melisa war ihm erschienen, und sie hatte ihm das Leben gerettet - vorerst, damit er seine Schuld tilgen konnte. Dann würde er sterben. Er wusste, dass er die schlimmen Verletzungen, die er davongetragen hatte, nicht überleben konnte. Ihm blieben nur noch wenige Minuten. Aber da war plötzlich eine ungeheure Kraft in ihm, die ihn belebte. Sie würde ihn aufrecht halten, sie würde ihn dazu befähigen, sich machtvoll in den letzten Kampf zu stürzen - bis der Tod ihn endlich zu sich nahm ... Ja, Reverend Pain dachte, sein Ende wäre gekommen. Ganz sicher war er sich da.
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Aber nur für Augenblicke. Dann siegte wieder sein Gottvertrauen. Der HERR würde nicht zulassen, dass einer SEINER Priester versagte. Vielleicht würde Pain sterben, aber zuvor musste er seine Mission erfüllen. »Vater - unser ...«, presste Pain zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während die Schmerzen seinen Leib und seine Seele geißelten, »geheiligt - werde - dein ...« Er hörte das schrille Lachen des Orc-Dämons, das in seinen Ohren schmerzte. »Ja, bete nur, Pfaffe! Bete zu deinem Meister der dir nicht mehr helfen kann! Du bist verloren, du hast versagt, und ich werde ewig regieren in diesem Land!« Er verstärkte noch den schwarzmagischen Angriff auf Reverend Pain, versuchte ihn auch geistig in die Knie zu zwingen. »... dein Name«, presste Reverend Pain hervor. »Dein - dein Wille - geschehe ...« »Aber nicht hier!«, schrie Orcavus dazwischen. »Und nun, Reverend, ist Schluss! Jetzt erfährst du die Dunkelheit des Todes!« Und damit bündelte Orcavus all seine schwarzmagischen Kräfte, um Reverend Pain, dessen eisernen Willen er nicht brechen konnte, zu vernichten und sterben zu lassen. »Stopp, Verfluchter!«, donnerte in diesem Moment eine kraftvolle, zornige Stimme durch die Höhle. Und dann preschte Ortrus aus den Höhlengang. Über und über war sein Körper mit tiefen, hässlichen Wunden bedeckt, das Blut lief über seinen muskulösen Leib, spritzte von der nackten Haut seines Oberkörpers und aus dem Fell seines Unterleibs, aber noch immer hielt sich der grimmige Zentaur aufrecht. Er hätte schon längst tot sein müssen, so schlimm waren seine Verletzungen, aber da war etwas, was ihn nun mit einer fast übersinnlichen Kraft erfüllte. Es war die Liebe zu Melisa, die er wieder gefunden hatte!
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»Ortrus!«, rief Orcavus. »Du bist zurückgekehrt! zurückgekehrt in den Berg der Schädel! Nun gut, dann wirst du hier dein Ende finden, zusammen mit diesen Menschen, die eigentlich deine Feinde sein müssten!« »Nein, du bist es, der heute den Tod find et!«, rief Ortrus. Er schwang sein Schwert mit der blutverschmierten Klinge. Nur noch wenige der Orcs waren am Leben. Sie stellten sich ihm in den Weg. Es war ihr Untergang. Mit mächtigen Schwerthieben spaltete Ortrus ihnen die Schädel, trennte ihnen die Häupter von den Körpern. Grausam wütete er, bis keiner der Orc-Dämonen mehr am Leben war - einzig und allein Orcavus. Der quälte und folterte noch immer Reverend Pain mit den Blitzen aus seinen Fingerspitzen, doch der Krieger des HERRN war nun so geschwächt, dass er keine Gefahr mehr darstellte. Und so hob Orcavus die Hände gegen den Zentaur, als Ortrus auf ihn zupreschte. »Stirb, Verräter!«, schrie der Orc-Dämon. Wieder zuckte das Flirren aus seinen Fingerspitzen und durch die Luft, traf den angreifenden Pferdemenschen und stoppte seinen Lauf. Ortrus schrie gellend auf, schleuderte aber noch sein Schwert. Doch die Klinge verfehlte Orcavus, schwirrte an ihm vorbei. »Du kannst mich nicht besiegen!«, höhnte der Orc-Dämon. »Niemand kann das! All meine treuen Die ner habt ihr vernichtet, und trotzdem werde ich triumphieren! Und dann werde ich mir neue Diener aus der Hölle holen, weitere Orcs, und ewig werde ich dieses Land beherrschen - im Namen Satans!« Seine schwarze Macht zwang Ortrus zu Boden. Schreiend und brüllend vor Schmerz wälzte sich der Pferdemensch zwischen den Knochen der Orc-Opfer, strampelte mit den Läufen in der Luft.
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Orcavus sah sich nach Reverend Pain um. Der versuchte sich verzweifelt zu erheben, stützte sich auf die Hände, stemmte seinen Oberkörper hoch, brach dann aber wieder zusammen. Der Orc-Dämon lachte meckernd auf, während er Ortrus weiterhin mit den Flirren aus seinen Fingerspitzen misshandelte. »Jetzt wirst du sterben, Ortrus! Du hast zuerst die Menschen verraten und dann mich. Weder im Himmel noch in der Hölle ist Platz für dich. Du bist ein Verstoßener, ein Verfluchter. Für ewig soll deine Seele durch die Dimensionen irren, ohne Hoffnung darauf, jemals erlöst zu werden!« Etwas Unglaubliches geschah. Während sich Ortrus unter Schmerzen am Boden wälzte und krümmte, hörte man, wie sich seine Knochen knackend und knirschend verschoben. Der Pferdeleib verschwand, nahm wieder die Form einer menschlichen Hüfte und menschlicher Beine an. Orcavus musste zunächst seinen Verwandlungszauber lösen, um Ortrus zu vernichten. Jetzt war Ortrus wieder vollständig Mensch, doch wie es schien, würde er es nur für Sekunden bleiben. Er hatte sein Menschsein nur zurückerlangt, um zu sterben. »Du bist des Todes, Ortrus!«, schrie Orcavus. »Und doch wirst du keinen Frieden finden und keine Erlösung!« »Nein, nicht er wird sterben - sondern du!« Orcavus hatte die Worte vernommen, er hatte sie deutlich gehört. Aber weder Ortrus noch Reverend Pain hatten sie ausgestoßen. Er wandte den Kopf und ... Hinter ihm stand Tom Jackson. Und er hielt das magische Schwert in der Hand, das Orcavus einstmals Ortrus gegeben hatte. Der Orc-Dämon riss das hässliche breite Maul weit auf, wollte aufschreien. Doch er schaffte es nicht mehr, den Laut auszustoßen. Die Klinge wischte durch die Luft, traf seinen Hals und durchtrennte ihn. In einem Regen aus Blut flog Orcavus' -101-
Kopf davon. Der kopflose Körper stand wankend da. Fontänenartig spritzte das Blut aus dem offenen Halsstumpf, dann folgte eine Feuersäule, die bis zur Höhlendecke emporloderte und schließlich den ganzen Körper erfasste. Orcavus' Körper verbrannte innerhalb von Sekunden zur Asche, sein abgeschlagener Kopf warf Blasen, die schuppige Haut verflüssigte sich. Noch einmal klappte das Maul auf und zu, dann wurde der Schädel zu einer breiigen Masse, die im steinernen Boden versickerte. Orcavus war tot! Jenny hatte zitternd und bibbernd in einer Ecke der Höhle gehockt. Sie brauchte Sekunden, um zu begreifen, was geschehen war, dann erhob sie sich auf gummiweichen Knien, stakste auf Tom Jackson zu, der das Schwert noch in der Hand hielt, und fiel an seine Brust. Sie verschränkte die Arme in seinen Nacken, drückte sich fest an ihn und rief: »Du - du hast es geschafft, Tom! so wie Großvater es vorausgesagt hat - du hast es geschafft, hast Orcavus vernichtet und die Herrschaft der grausigen Orcs gebrochen!« Er ließ das Schwert fallen, umarmte sie, presste sie an sich und weinte vor Freude. »O Jenny«, schluchzte er. »Es war meine Schuld, dass du in die Klauen der Orc gerietst! Meine Schuld! Ich war so dumm! Ich hätte bei dir bleiben sollen!« »Es ist vorbei, Tom«, sagte sie unter Tränen. »Das Grauen hat ein Ende! Du hast mich gerettet! Mich und das ganze Dorf!« »Ich liebe dich, Jenny«, schluchzte er und schämte sich seiner Tränen nicht. »Ich liebe dich so sehr!« Reverend Pain war inzwischen wieder in der Lage, sich zu bewegen. Angeschlagen und schwach kroch er auf allen Vieren auf Ortrus zu, der blutüberströmt am Boden lag. Er setzte sich auf die Knie auf und ergriff die Hand des ehemaligen Pferdemenschen.
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Der schlug die Augen auf, seine Lider flatterten, und er erkannte Reverend Pain. »Haben - haben wir es - geschafft?«, fragte er mit schwacher Stimme, während das Blut aus seinen tiefen Wunden pulsierte. »Ja, Bruder«, antwortete Reverend Pain. »Es ist geschafft. Das Böse hat nicht gesiegt.« »Dann ...«, sagte Ortrus mit schwacher Stimme, »... dann ist Melisa gerächt. Melisa - ich habe sie so geliebt. So sehr geliebt. Der einzige - der einzige Mensch in meinem Leben - der mir je etwas - etwas bedeutete ...« »Ja, ich weiß, Bruder«, sagte Reverend Pain. »Jetzt - jetzt werde ich für all meine - meine Sünden büßen und und zur Hölle fahren. Ich tue es - mit Freuden, denn - einen Teil meiner Schuld - habe ich gesühnt ...« »Niemand, der aufrichtig und ehrlich Buße tut für seine Verfehlungen, wird in der Hölle schmoren«, sagte Reverend Pain. »GOTT, der HERR, ist voller Gnade. Er sieht, dass du dich geändert hast, dass du ehrlich bereust. GOTT ist mit dir, mein Sohn.« »Ich - ich wage es nicht zu hoffen«, sagte Ortrus, und Blut sprudelte nun auch aus seinem Mund. »Vergebt mir, Vater ...« »Ich vergebe Euch, Bruder.« »Dann - dann wird alles gut ...« Und mit diesen Worten schloss Ortrus die Augen... Die Erleichterung und der Jubel im Dorf waren groß, als die drei Menschen die frohe Botschaft vom Ende des Orc-Terrors brachten. Seit vielen Jahren hatten die Menschen unter der Herrschaft des grausamen Orcavus gelitten, jetzt waren sie endlich, endlich frei. Niemand hatte es zu hoffen gewagt. Niemand außer dem alten, blinden Struber. Er schloss seine Enkelin in die Arme, küsste und drückte sie. »Es tut mir so leid, dass ich davongerannt bin, Großvater«, weinte sie an seiner Brust. »Ich hätte auch an dich denken -103-
sollen. Ich war nur auf mich selbst bedacht und habe dich allein gelassen. Was musst du durchgemacht haben!« »Es war nicht halb so schlimm wie das, was du durchmachtest«, sagte der alte Struber, und Tränen liefen aus seinen blinden weißen Augen. »Aber die Sorge um dich hat mir fast das Herz gebrochen. Doch nun ist alles gut, endlich können wir aufatmen. Und vor uns allen liegt eine blühende Zukunft voller Glück und Freude!« Auch Tom Jackson schloss er in seine Arme und sprach: »Habe ich es nicht vorausgesagt, Sohn? Du wirst eines Tages das Dorf und die Menschen retten. Du hattest den Mut dazu, und ich bin so froh, dass auch du wieder heil heimgekehrt bist.« »Ich hätte auf Euch hören sollen«, sagte Tom. »Ihr seid ein weiser Mann!« Tom Jackson wurde als Held gefeiert, als großer Befreier. Reverend Pain zog sich rechtzeitig zurück. Er war kein Held, sah sich nur als Werkzeug des HERRN, und demütig erfüllte er SEINEN Willen. Seiner Meinung nach war das nichts, wofür man ihm danken musste. Er war ein Reverend, und so war es seine Pflicht, den Willen des HERRN zu vollstrecken. Sollten sie lieber GOTT danken, der diesen glücklichen Tag möglich gemacht hatte. Reverend Pain hielt noch am selben Abend eine Messe. Es war die erste, die seit der Machtübernahme des grausamen Orcavus im Dorf stattfand. Alle im Dorf kamen und lauschten seinen Worten. Schwer verurteilte Reverend Pain die Menschenopfer, die man den Orcs dargebracht hatte, doch er stellte Aussicht auf Vergebung, wenn man sich von nun an GOTT zuwandte und Nächstenliebe bewies. Drei Tage lang blieb Reverend Pain im Dorf. Am dritten Tage verehelichte er Tom Jackson und Jenny Struber. Sie waren ein glückliches Paar, und der Reverend war auch sicher, dass dieses Glück lange anhalten würde.
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Als er sich nach der Hochzeit auf seine Harley schwang, fragte ihn der alte Struber: »Wollt Ihr nicht bleiben, Reverend? Wer wird das Dorf schützen, wenn andere dämonische Wesen ins Land ziehen sollten?« »Es gibt jemanden, der seine schützende Hand über euch hält«, antwortete' Reverend Pain. »Seid voller Mutes, denn dieser Jemand wird allem Bösen widerstehen.« Dann warf er seine schwere Harley an und fuhr hinaus in die Welt. Noch viele Aufgaben und Missionen warteten dort auf ihn. Sein Weg führte ihn am Berg der Schädel vorbei. Dort, bei den Felsen, sah er die hünenhafte Gestalt Ortrus', der ihm zuwinkte. Kurz nachdem der grausame Orcavus gestorben war, hatten sich Ortrus Wunden auf wundersame Weise geschlossen. Die böse Magie im Berg der Schädel war gewichen, hatte einer reinigenden Kraft Platz gemacht, die Ortrus gerettet hatte. Er hatte jetzt wieder die Gestalt eines kräftigen Mannes. Er trug das magische Schwert bei sich, das Reverend Pain geweiht und damit zu einer Waffe des Guten gemacht hatte. Vor der Brust trug Ortrus das Kruzifix, das Reverend Pain ihm gegeben hatte. Solange er lebte, würde er im Berg der Schädel bleiben und über das Dorf wachen. In seinem Herzen die Liebe zu Melisa, deren Tod er gerächt hatte. Und die Freude darüber, dass auch eine sündige Seele Erlösung finden kann ... ENDE
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