Renate Reiter Politiktransfer der EU
Forschungen zur Europäischen Integration Band 23 Herausgegeben von lngeborgTömme...
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Renate Reiter Politiktransfer der EU
Forschungen zur Europäischen Integration Band 23 Herausgegeben von lngeborgTömmel
Renate Reiter
Politiktransfer der EU Die Europäisierung der Stadtentwicklungspolitik in Deutschland und Frankreich
III VS VERLAG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zug!. Diss. FB Sozialwissenschaften, Universität osnabrück, 2009 Gedruckt mit freundlicher unterstützungder Hans-Bäckler-Stiftung.
1.Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch / Priska Schorlemmer VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer sclence-suslness Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung desverlagsunzulässig undstrafbar. Das gilt insbesondere für vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen. DieWiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen. warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und dahervon jedermann benutzt werden dürften. umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Märlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17200-2
Für meine Eltern, Marie-Luise und Karl-Heinz
Danksagung
Diese Untersuchung ist am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück, weitgehend im Rahmen des Promotionskollegs "Europäische Integration Perspektiven des Wohlfahrtsstaates in der Europäischen Union", entstanden. Sie ist erst möglich geworden durch ein Promotionsstipendium, das mir die HansBöckler-Stiftung von 2003 bis 2006 gewährt hat. Zuallererst gilt mein Dank lngeborg Tömmel. Sie hat mir die besondere Funktionsweise des EU-Systems näher gebracht, mir stets als Förderin und kritische Gesprächspartnerin zur Seite gestanden und den Entstehungsprozess dieser Arbeit mit wertvollen Anregungen und Kommentaren begleitet und unterstützt. Ebenso danke ich besonders Helmut Voelzkow sowie Rober! Atkinson, Klaus Busch, Susanne Frank, Ra!! Kleirifeld, Yun KaZepov und Andrea Lenschow für ihre hilfreichen Anregungen und ihre Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt ebenfalls den zahlreichen Expertinnen und Experten in den Städten, Behörden, Verbänden, beim deutsch-ö"stemichischen URBAN-Ne/ilVerk, dem französischen Riseau URBAN II und bei der Europäischen Kommission, die sich für Interviews und Hintergrundgespräche zur Verfügung gestellt haben, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtarchive von Dortmund, Kiel und Le Havre deren Unterstützung bei der aufwendigen Recherche-Arbeit mir eine große Hilfe war. Für das mühevolle Korrigieren danke ich ganz besonders Sabine Ecker!, Stifan Hatzenberger, Regina Herzbruch-Schiitte und .Alexander Schö"nboffl. Der Hans-BdcklerStiftung danke ich ausdrücklich für die finanzielle Förderung bei der Durchführung meines Promotionsvorhabens und bei der Drucklegung des vorliegenden Buches.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
12
Abbildungsverzeichnis
15
Tabellenverzeichnis
15
Verzeichnis der Karten
15
1 Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer 17 1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instrument. 21 1.2 Europäisierung: Tiefen- und Breitenwirkungen europäischer ,Politiksteuerung' 28 1.3 Deutschland und Frankreich: Politisch-systernische Grundlagen 32 der Raumordnung 2 Theoretisch-konzeptionelle Einbettung 2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive 2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung - ein Analyseraster 2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
39 39 48 55
3 Das regionalpolitische Fundament des stadtentwicklungspolitischen Transfers 3.1 Die Regionalpolitik der EU: Prinzipien und Steuerungslogik. 3.2 Stadtentwicklung als gesamteuropäische Policy-Herausforderung 3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der EU-Regionalpolitik 3.4 Zusammenfassung
65 66 73 75 85
4 Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EUStadtentwicklungspolitik 4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
87 87
10
Verzeichnisse
4.1.1 Deutschland: Die Städtebauförderung und das Programm "Soziale Stadt" 88 l 00 4.1.2 Frankreich: Die Politique de la Ville 4.1.3 Zusammenfassung 114 4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention 115 116 4.2.1 Gestalt und Wandel des deutschen Lokalsystems 126 4.2.2 Gestalt und Wandel des französischen Lokalsystems 4.2.3 Zusammenfassung 135
5 Tiefenwirkungen? - Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten 5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem 5.1.1 Etappen der lokalen Stadtentwicklungspolitik 5.1.2 Städtische Intervention zugunsten benachteiligter Viertel bis 2000 5.1.3 Das Fördergebiet "Nordstadt" 5.1.4 Akteure und Akteurskonstellation im Bereich der sozialen Stadtentwicklung 5.1.5 Imp1ementation und Wirkungen von URBAN II 5.1.5.1 Politische Ziel- und Instrumentendimension 5.1.5.2 Politische Prozessdimension 5.1.5.3 Politisch-administrative Strukturdimension 5.1.6 Schlussfolgerungen 5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen 5.2.1 Etappen der lokalen Stadtentwicklungspolitik 5.2.2 Städtische Intervention zugunsten benachteiligter Viertel bis 2000 5.2.3 Das Fördergebiet "Ostufer" 5.2.4 Akteure und Akteurskonstellation im Bereich der sozialen Stadtentwicklung 5.2.5 Implementation und Wirkungen von URBAN II 5.2.5.1 Politische Ziel- und Instrumentendimension 5.2.5.2 Politische Prozessdimension 5.2.5.3 Politisch-administrative Strukturdimension 5.2.6 Schlussfolgerungen 5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen 5.3.1 Etappen der lokalen Stadtentwicklungspolitik 5.3.2 Städtische Intervention zugunsten benachteiligter Viertel bis 2000
139 141 141 146 147 151 154 155 163 177 182 185 186 191 193 197 201 202 210 219 227 230 231 238
Verzeichnisse
5.3.3 Das Fördergebiet "Quartiers sud" 5.3.4 Akteure und Akteurskonstellation im Bereich der sozialen Stadtentwick1ung 5.3.5 Imp1ementation und Wirkungen von URBAN II 5.3.5.1 Politische Ziel- und Instrumentendimension 5.3.5.2 Politische Prozessdimension 5.3.5.3 Politisch-administrative Strukturdimension 5.3.6 Schlussfolgerungen 5.4 Fallstudienergebnisse im Vergleich: Was erklärt (Nicht-) Wandel?
11
241 244 248 249 262 273 276 281
6 Breitenwirkungen - Nationale Diffusion des europäischen Politikmodells in Deutschland und Frankreich? 6.1 Wissensverbreitung über Städtenetzwerke und Vergleiche? 6.2 Institutionelle Bedingungen der Diffusion 6.3 Akteursbezogene Bedingungen der Diffusion 6.4 Zusammenfassung
291 292 294 297 302
7 Schluss: Politiktransfer und Europäisierung der sozialen Stadtentwicklungspolitik?
305
Literaturverzeichnis
319
Übersicht der Experteninterviews
343
12
Verzeichnisse
Abkürzungsverzeichnis AAR
ABM
fu:se AFG ALGII
APL ANPE ANRU BMK/ ARGEBAU AURH BauGB BBR BMFSFJ BMVBS BMVBW BMWi BSHG CAF CCAS CCIH CDC CFR CIV CNV CODAH CRSN CUCS DATAR DDE DGB DGCL DIACT DIV DSQ DSU DST E&C EEA EFRE EG
EI
EP EPCI ESF EU EUKN EUREK
Allocation adulte handicape Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Agence nationale pour la cohesion sociale et I'egalin: des chances Arbeitsförderungsgesetz Arbeitslosengeld II Aide personalisee au logement Agence nationale pour I'emploi Agence nationale pour la renovaden urbaine Bauministerkonferenz, Ausschuss der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zu ständigen Minister und Senatoren der Länder Agence d'Urbanisme de la Region Havraise Baugesetzbuch Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Bundessozialhilfegesetz Caisse d'allocation familiale Centre communal d'action sociale Chambre de Commerce et d'Industtie du Havre Caisse des depöts et consignations Comp~eFran~aisedeRaf~
Comite Interministeriel des Villes Conseil National des Villes Communaute d'Agglomeration Havraise Cadre de Reference Strategique National Contrat urbain de cohesion social Delegation aI'Amenagement Territoriale et aI'Action Regionale Direction departementale d'equipemenr Deutscher Gewerkschaftsbund Direction generale des collectivites locales Delegation interministerielle a l'amenagernenr et a la competitivite des territoires Delegation interministerielle aJa ville Developpement social des Quartiers Developpement social urbain Deutscher Städtetag Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten Einheitliche Europäische Akte Europäischer Fonds für regionale Entwicklung Europäische Gemeinschaft Experteninterview Europäisches Parlament Etablissement public de cooperation intercommunale Europäischer Sozia1fonds Europäische Union European Urban Knowledge Network Europäisches Raumentwicklungskonzept
13
Verzeichnisse
ExWoSt
FIAF
FNAU GD (Regio) GG GI GONW GOSH HLM HVS
!HK
JORF KGSt KMU LHS
LOS LOV
MOUS MBV MSWKS
MWME MWTV NPM NRW NSM OECD OP PAC.T.
PAH
PCF PGI PICURBAN POS PS QeC-Eran
RMI
ROG SEM SPP SRU (lo~ StBauFG
VV
WBF-Do ZEP ZFU
ZRU ZUP ZUS
Experimenteller Wohnungs- und Städtebau Finanzinstrument zur Ausrichtung der Fischerei Federstion Nationale des Agences d'Urbanisrne Generaldirektion (Regionalpolitik) Grundgesetz Gemeinschaftsinitiative Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung Schleswig-Holstein Habitation loyer modere Habitat et vie social Industtie- und Handelskammer Journal Official de Ja Republique Francaise Kommunale Gerneinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement Kleine und miniere Unternehmen Landeshauptstadt Lokales Kapital für soziale Zwecke Loi d'orientation pour la ville Maitrise d'ceuvre urbaine et sociale Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen Ministerium für Städtebau und Wohnen, Verkehr und Sport des Landes NordrheinWestfalen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NordrheinWestfalen Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein New Public Management Nordrhein-Westfalen Neues Steuerungsmodell Organisation for Economic Co-operation and Development Operationelles Programm Programme d'amenagement concerte du territoire Port Autonome du Havre Parti communiste franceise Programm für Gemeinschaftsinitiativen Programme d'Initiative Communautaire URBAN Plan d'Occupation des Sols Parti Socialiste Quartiers en crise - European Regeneration Areas Network Revenue minimum d'insertion Raumordnungsgesetz Societe d'Economie mixte locale Städtisches Pilotprojekt Loi "Solidatite er renouvellement urbain" Städtebauförderungsgesetz Verwaltungsvereinbarung Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund Zones d'education prioritaire Zones ftanches urbaines Zones de redynamisation urbaine Zones d'urbanisation prioritaire Zones urbaines sensibles
a
Verzeichnisse
15
Abbildungsverzeichnis 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8:
Politiktransfer (der EU) Lokales Arrangement der "sozialen Stadt"-Politik Lokales Arrangement der Polirique de Ja Ville Akteurskonstellation zur Implementation von URBAN II in Dortmund (ab 2003) Akteurskonstellation zur Implementation von URBAN II in Kiel Verfahren der Projektauswahl in Kiel.. Akteurskonstellation zur Irnplementation von URBAN II in Le Havre Projektauswahl in Le Havre
43 97 110 153 200 215 247 255
Tabellenverzeichnis 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8 9: 10: 11: 12: 13:
Eckdaten zu den Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II Analyseraster - Tiefenwirkungen Fallauswahl Entwicklung der europäischen Strukrurpolitik Etappen auf dem Weg zur europäischen Stadtentwicklungspolitik Finanzbilfen des Bundes im Programm "Soziale Stadt' 1999-2007 Finanztransfers im Rahmen der der Politique de JaVille Demografische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergebiers in Dortmund (Basisjahr: 2000) URBAN II in Dortmund (2000-2008) Demographische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergebiets in Kiel (Basisjahr:2000) URBAN II in Kiel (2000-2008) Demographische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergehiets in Le Havre (Basisjahr: 1999*) URBAN II in Le Havre (2000-2008)
22 54 64 69 84 98 107 148 158 194 203 241 251
Verzeichnis der Karten 1: 2: 3:
Dortmunds Stadtbezirke (Fördergebiet Innenstadt Nord) Kieler Stadtbezirke (Fördergebiet: 16, 17 und 18) Stadtviertel Le Havres (Fördergebiet: 4, 11 und 12)
142 187 232
1
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Frage, welche Wirkungen die europäische Stadtentwicklungspolitik im Zeitraum zwischen 2000 und 2008 auf Idee und Praxis der stadtentwicklungspolitischen Intervention in Deutschland und Frankreich entfaltet hat. Die nationalen Raumordnungs- und stadtentwicklungspolitischen Systeme', sind in den meisten EU-Mitgliedstaaten seit Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts unter Anpassungsdruck geraten. Der ökonomische Strukturwandel, die räumliche Neuordnung der Stadtbevölkerungen infolge von Suburbanisierungsprozessen und infolge des demographischen Wandels haben dazu beigetragen, dass das Funktionieren der Städte als Knotenpunkte des wirtschaftlichen Wachstums und technologischen Fortschritts der europäischen Nationalstaaten und als bevorzugte Orte der gesamtgesellschaftlichen Integration ins Wanken geraten sind. Gegen Ende der achtziger Jahre hat auch die EQ die Städte entdeckt. Unter Berufung auf das Ziel, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft zu stärken G,Kohäsion"; Art. 158 EG-Vertrag), hat die Europäische Kommission seither eine eigene "europäische Stadtentwicklungspolitik" (Eltges 2005: 135) entworfen. Sie reagierte damit u.a. auf die sichtbare ökonomische und sozialräumliche Fragmentierung zahlreicher europäischer Städte. Das Ziel dieser extra-konstitutionellen, d.h, außerhalb des formalen Kompetenzrahmens der Gemeinschaftsverträge gelegenen Politik war nicht der Ausgleich wirtDie Stadtentwicklungspolitik ist in vielen europäischen Ländern kein eigener Politikbereich, sondern stellt ein Teilgebiet der allgemeinen Raumordnungspolitik dar. Diese wiederum beinhaltet die politische Regulierung oder Ordnung des Raumes bzw. der Raumentwicklung durch den Staat, die in den kapitalistischen Wohlfabrtsdemokratien Westeuropas spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingeführt wurde: ,,(... ) spricht man von Raumordnungspolitik, wenn alle diejenigen Aktivitäten des Staates oder ihm nahe stehender Institutionen bezeichnet werden sollen, die darauf gerichtet sind, eine bestmögliche Gestaltung und Entwicklung von Räumen oder Regionen zu erreichen. Es geht dabei um die Formulierung von Leitbildern und Strategien für räumliche Arbeitsteilungen, Raumfunktionen und Raurnnutzungen sowie um deren Umsetzung mit Hilfe rechtlicher, fiskalischer, wirtschaftlicher oder organisatorischer Instrumente." (Sinz 2005: 863) 2 Die Bezeichnung EG oder "Europäische Gemeinschaft" wird hier im historischen Kontext, also die Darstellung von Ereignissen im Zeitraum vor der Gründung der Europäischen Union mit dem Vertrag von Maastricht 1993 verwendet. Ansonsten ist die Rede von der "Europäischen Union", "Union" oder "EU". 1
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
18
1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instnunent
schaftlicher oder sozialer Disparitäten zwischen den Städten oder innerhalb derselben durch Umverteilung. Vielmehr sollten die staatlichen und kommunalen Akteure, die in den Mitgliedstaaten stadtentwicklungspolitische Aufgaben wahrnehmen, über gezielte Anreize zur Policy-Reform und Übernahme bestimmter instrumenteller, prozeduraler und organisatorischer Ideen in das eigene stadtentwicklungspolitische Interventionsmuster bewegt werden. Die Herausforderung einer ,zukunftsgerechten' Stadtentwicklung sollte also über den Wandel der institutionalisierten Systeme des Public Policy-Making im Bereich der stadtbezogenen Raumordnung bewältigt werden. Hier setzt diese Studie an. Ihr Ziel ist es,
• • •
die Wirkungen der EU-Stadtentwicklungspolitik auf das Instrumentarium, die Verfahren und die Strukturen der stadtentwicklungspolitischen Intervention im mitgliedstaatlich-nationalen Kontext zu erfassen und zu erklären, Wirkungsmechanismen herauszuarbeiten und zu erklären sowie am Beispiel ausgewählter Länder und Städte Wirkungsunterschiede zu analysieren.
Dabei wird die europäische Stadtentwicklungspolitik als ein Ansatz der EUKommission zum "Politiktransfer" verstanden, also zur geziehen Übertragung von politisch-inhaltlichem sowie von Steuerungs- und Organisationswissen auf die Mitgliedstaaten bzw. europäischen Städte (vgl. Dolowitz/Marsh 1996, 2000; Holzinger et al. 2007: 13). Empirisch-praktisch erfolgt die Wirkungsuntersuchung anhand von Fallstudien zur Implementation der regionalpolitischen Gemeinschaftsinitiative (GI) URBAN II in Deutschland und Frankreich. Die beiden Länder besitzen jeweils ein langjährig ausgeprägtes, eigenes ,Interventionserbe' im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklung. Zudem verfügen sie als EU-Alttnitglieder und Nettozahler innerhalb der Union über erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der europäischen Regionalpolitik ~,Policy-Shaper"; Börzel 2003). Das Programm URBAN II wiederum beinhaltete die Kernideen der europäischen Stadtentwicklungspolitik und stand zwischen 2000 und 2008 synonym für den Ansatz der europäischen Politiksteuerung durch Politiktransfer. Es war in diesem Zeitraum außerdem das Hauptinstrument der Kommission im Rahmen ihres stadtentwicklungspolitischen Transfer-Ansatzes. Seine Umsetzung wird hier in drei ausgewählten deutschen und französischen Städten analysiert. Dass europäische Politik ,einen Unterschied macht' und die EU mittlerweile in nahezu allen staatlichen Interventionsbereichen Einfluss auf das Public PolicyMaking in den Mitgliedstaaten ausübt, sei es durch "harte", regulative Maßnahmen oder mit Hilfe "weicher", Anreize setzender oder diskursiver Instrumente, ist in der politikwissenschaftlichen Europaforschung heute unumstritten. Wie diese Einflussnahme im Einzelnen funktioniert, wie sie "wirkt", d.h., ob sie zur "Europäisierung" i.S. einer institutionellen Angleichung nationaler Politiken führt (vgl.
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
19
Ladrech 1994; Radaelli 2000, 2003 u. 2004; Featherstone/Radaelli 2003; Bache/George 2006), und wie Wirkungen jeweils ermittelt oder gemessen werden können, ist allerdings nur teilweise erforscht. Vor allem gilt dies aus vergleichender Perspektive und für jene Politikbereiche, in denen die EU-Kommission mangels formaler Kompetenzen auf Ansätze einer "weichen" Politiksteuerung (Holzinger et al. 2007: 13), so beispielsweise den Politiktransfer, zurückgreift. Wenn diese Studie dieses Forschungsvorhaben für den Interventionsbereich der Stadtentwicklung angeht, so geschieht dies ausgehend von dem folgenden Verständnis von "staatlicher Intervention". Als "staatliche Intervention" wird das Eingriffshandeln des Staates in unterschiedliche gesellschaftliche Funktionssysteme definiert (Scharpf 1989: 18). Staatliche Intervention umfasst die Gesamtheit aller Formen oder Modi> und Instrumente, über die sich der Staat bzw. die Akteure, ihn auf den einzelnen Ebenen eines bestimmten (nationalen) politisch-administrativen Systems repräsentieren, in einem bestimmten Feld öffentlicher Aufgabenerbringung mit der Gesellschaft bzw. den betroffenen gesellschaftlichen Akteuren und Bürgern koordinieren (Görlitz 1995: 38-43). Konstitutiv für die Existenz politikfeldspezifischer Interventionsmuster ist die Vorstellung, dass staatliches Handeln auf der Grundlage einer innerhalb der jeweiligen nationalen Gesellschaft anerkannten Leitidee über die Funktionen des Staates stattfindet. Dies setzt im modemen Staat neben der Existenz des Rechtsstaats auch voraus, dass der Staat als legitime Instanz zur Bearbeitung bestimmter, die gesamte Gesellschaft betreffender (sozialer, ökologischer, ökonomischer etc.) Probleme anerkannt ist (Benz 2001: 105; Leibfried/Zürn 2006: 20). Dem Begriff der staatlichen Intervention wohnt somit zunächst ein normatives Moment inne: Dem konkreten Eingriffshandeln des Staates bzw. der ihn auf den einzelnen Ebenen des politisch-administrativen Systems vertretenden Akteure liegt eine bestimmte, gesellschaftlich geteilte Leitidee, Interventionsphilosophie oder auch ein "Paradigma" zugrunde (Hall 1993). Auf der Ebene der politischen und administrativen Aktion, in der sich die Intervention manifestiert, findet die Leitidee ihren Niederschlag in drei institutionenbezogenen Dimensionen des Interventionsbegriffs: einer Einzelzielbezogenen und instrumentellen, einer verfahrenstechnischen oder prozeduralen und einer strukturellen oder organisatorischen. Mit anderen Worten, die Möglichkeit, politikfeldspezifische Interventionsmuster zu identifizieren, fußt darauf, dass in der jeweiligen Gesellschaft ein erkennbarer, demokratisch abgesicherDie Governance-Forschung unterscheidet zwischen wenigstens vier Grundmodi der Koordination, nämlich Hierarchie, Verhandlung, Wettbewerb und Gemeinschaft (vgl. Pierre 2000; Benz 2004; Schuppert 2005; Benz et al. 2007). Dabei bleibt wnsttitten, ob hierarchisches Eingtiffshandeln des Staates als eine Form von "Govemance" interpretiert werden sollte. Hier wird dem vermeintlich antiquierten Begriff der "staatlichen Intervention" gegenüber dem Govemance-Begtiff der Vorzug gegeben, da im Mittelpunkt des Forschungsinteresses tatsächlich das staatliche Handeln und seine mögliche Veränderung durch europäische Einflussnahme stehen. 3
20
1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instnunent
ter Konsens über den inhaltlichen Zuschnitt der Aufgaben des Staates im jeweiligen Politikfeld sowie der Formen und Verfahren der Aufgabenwahrnehmung existieren, dass dem Staat die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Handlungsressourcen (Finanzmittel; Organisationsressourcen etc.) und Instrumente zur Verfügung stehen und dass er legitime Gewaltmittel zur Durchsetzung von allgemein anerkannten Policy-Zielen besitzt (Benz 2001: 97-109; Leibfried/Zürn 2006: 20). Der Politiktransfer der EU zielt auf den Wandel der lokalen und nationalen Interventionsmuster im Bereich der Stadtentwicklung ab. Um seine Wirkungen für die Fälle Deutschland und Frankreich zu untersuchen, folgt diese Studie einem mehrstufigen Aufbau. Nachfolgend werden die wesentlichen Eigenschaften und Ziele der Gemeinschaftsinitiative URBAN II, die im Untersuchungszeitraum zwischen 2000 und 2008 das Hauptinstrument der EU-Stadtentwicklungspolitik darstellte, erläutert. Außerdem wird eine analytische Einteilung der denkbaren Wirkungen vorgenommen, die für den weiteren Gang der Untersuchung wichtig ist. Und schließlich werden ausgehend vom Feld der Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik die politisch-administrativen Systemprofile Deutschlands und Frankreichs vorgestellt, um hieran anschließend erste Ausgangsannahrnen zur Beantwortung der Wirkungs frage zu formulieren (Kap. 1). Im zweiten Kapitel folgt die Erläuterung des theoretisch-konzeptionellen Bezugsrahmens, der methodischen Vorgehensweise der Untersuchung und der FallauswahL Theoretische Startpunkte der Arbeit sind der politikwissenschaftliche Neo-Institutionalismus in seiner akteurzentrierten Variante (Mayntz/Scharpf 1995) und der organisationssoziologische Institutionalismus (DiMaggio/Powell 1983). Sie werden in ihrer Theoriebildung zu den Bedingungen von Politik- bzw. Institutionenwandel mit Erklärungsansätzen der politikwissenschaftlich poliey-analytischen Innovations- und Diffusionsforschung nach Rogers (1995) und Berry/Berry (2007) kombiniert. Von diesem Startpunkt ausgehend wird in Kapitel zwei u.a. die Fragestellung operationalisiert und ein Raster zur Analyse der Wirkungen der EU-Stadtentwicklungspolitik vorgestellt (Kap. 2). Kapitel 3 dient der Einordnung der europäischen Stadtentwicklungspolitik in ihren regionalpolitischen Kontext. Die Regionalpolitik stellt eine "distributive Politik" der EU dar (Tömmel 2003). Eines ihrer zentralen Kennzeichen liegt in der politischen Steuerung auf Basis u.a. von Ansätzen der EUKommission zum Politiktransfer (Kap. 3). Im Mittelpunkt des vierten Kapitels steht die Erörterung der institutionellen Rahmenbedingungen, auf die die EU mit der GI URBAN II und ihrem Transfer-Ansatz in Deutschland und Frankreich trifft. Es werden die Ziele, Instrumente und Interventionsphilosophien der nationalen Politiken im Bereich der sozialen Stadtentwicklung erläutert und die generellen Charakteristika der staatlich-kommunalen Arbeitsteilung bei ihrer Implementation dargelegt (Kap. 4). In KapitelS folgt die Wirkungsanalyse. Kommt es im Zuge und in der Folge der Implementation von URBAN II in ausgewählten deutschen und französischen Kommunen (Dortmund, Kiel, Le Havre) zu Politikwandel und
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
21
gar zur Erneuerung der lokalstaatlichen Interventionsmuster? Welche instrumentel-
len, prozeduralen und organisatorischen Effekte sind mit der Implementation der GI auf lokaler Ebene verbunden und wie lassen sie sich erklären (Kap. 5)? Im anschließenden Kapitel 6 wird sodann die Frage nach der Verbreitung der europäischen Ideen zur künftigen Politik der sozialen Stadtentwicklung in den Mitgliedstaaten aufgeworfen. Dies geschieht im Wesentlichen auf der Grundlage von Sekundär- und Dokumentenanalysen zu den Implikationen der EUStadtentwicklungspolitik für die nationalen Diskurse über die Konzeption der Politiken zugunsten benachteiligter Stadtteile. Wie sehen die Bedingungen einer Diffusion der europäischen Ideen in Deutschland und Frankreich aus (Kap. 6)? Kapitel 7 enthält schließlich vergleichende Schlussfolgerungen. Hier wird die Fragestellung der Arbeit aufgegriffen und im lichte der Untersuchungsergebnisse beantwortet (Kap. 7).
1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN 11 als Transfer-Instrument Zwischen 1994 und 2008 konzentrierte sich die europäische Stadtentwicklungspolitik in den zwei aufeinander folgenden Gemeinschaftsinitiativen URBAN I (19941999/01) und URBAN II (2000-2006/08)4. Nach dem Willen der Europäischen Kommission waren die beiden regionalpolitischen Initiativen auf die Aufwertung ökonomisch, sozial und ökologisch "benachteiligter" Städte und Stadtviertel in den westeuropäischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft" gerichtet (Kommission der EG 1996 und 2000: 8). Dabei stand insbesondere URBAN II für den Ansatz einer politischen Steuerung der EU-Kommission durch Politiktransfer. Steuerung konnte mangels eigener Kompetenzen der EU im Bereich der Stadtentwicklung nicht auf Zwang und hierarchischer Durchsetzung der EU-Policy-Ziele beruhen (Sbragia 2000). Sie sollte daher vermittelt über die Gestaltung eines "process in which know1edge about policies, administrative artangements, institutions etc, in one time and/or place is used in the development of policies, administrative artangements and institutions in another time and/or place" gelingen (Dolowitz/Marsh 1996: 344; vgl. auch Dolowitz/Marsh 2000; Holzinger et al. 2007: 13).
4 Aufgrund der so genannten n+2-Regel können die regionalpolitischen Mittel der EU aus den europäischen Strukturfonds bis zu zwei Jahre nach dem offiziellen Ende einer jeweiligen SttukturfondsFörderperiode abgerufen werden. Der Zeitraum zwischen dem offiziellen Start des Programms URBAN II im Jahr 2000 und dem Ende des Fördermittelflusses wird hier als Untersuchungszeitraum zugrunde gelegt. 5 Den Bezugsrabrnen hierfür bildete nur die ,alte', westeuropäische EU-15. In den mittel- und osteuropäischen Kandidatenländem, die der EU im Jahr 2004 beigetreten sind, katn das Programm nicht zur Anwendung.
22
1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instnunent
URBAN 11alsregionalpolitisches Färderprogramm Mit URBAN II förderte die EU zwischen 2000 und 2008 aus Mitteln des europäischen Regionalfonds (EFRE) in 70 großen und mittelgroßen Städten der alten EU15 lokale Programme zur Aufwertung von Stadtgebieten mit wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsrückständen, gemessen am gesamtstädtischen und auch nationalen Maßstab. Hierzu wurden für den gesamten Förderzeit und alle Städte insgesamt 700 Millionen Euro als Ko-Finanzierungsmittel für nationale, regionale und lokale Hilfen zur Verfügung gestellt (vgl. Tab. 1).
Tabelle 1:
Eckdaten zu den Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II
Förderzeitraum: Programmlaufseit (Fördennittelfluss) Förde~ Gebiete Geförderte Bevölkerung Insgesamt Finanzielle Ausstattung insgesamt (Euro)6; anteilig EFRE/ESF (in Prozent) Anteil am Gesamthaushalt der Strukturfonds im Förderzeltraum Mitgliedstaaten mit geringster und höchster Anzahl an Programmen
URBAN I 1994-1999 (-2001)
URBAN II 2000-2006 (-2008)
118
70
3,2Mio.
2,2 Mio.
953 Mio. EPRE: 82 ESP: 18
700Mio. EPRE: 100
0,55
0,35
Dänemark, Luxemburg, Schweden: 1 Spanien: 29
Dänemark, Irland, Finnland, Schweden: 1 (Luxemburg: 0) Deutschland: 12
Quelle: Kommission der EG 2002: 33. Eigene Berechnungen.
Bereits an den Kerneigenschaften des URBAN II-Programms wurde der Ansatz der EU-Kommission zur Beeinflussung des nationalen Policy-Makings auf dem Wege der Wissensüberttagung offenkundig. Angesichts ihrer begrenzten Reichweite und finanziellen Ausstattung - URBAN II band als eine von vier Gemeinschaftsinitiativen im Förderzeittaum bis Ende 2008 lediglich 0,35 Prozent des Gesamtbudgets des EFRE - kann das Programm weder als ein Versuch der Kommission zum eigenen Eingriffshandeln (Blom-Hansen 2005) noch als ein Versuch zur Erweiterung des europäischen Kompetenzspekttums in den nationalstaatlichen Regulierungsbereich der Raumordnung und Stadtentwicklung interpre6Preise von 1999 (Kommission der EG 2002: 33).
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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tiert werden (Tofarides 2003). Ihre Hauptziele waren die Produktion von EU-weit anwendbarem stadtentwicklungspolitischem Interventionswissen in wenigen ausgewählten Kommunen und die Überformung oder das "Framing" (Rein/Schön 1993: 164) der mitgliedstaatlichen Interventionspraktiken und Policy-Diskurse mit dem so gewonnen und im "Modell URBAN" gebündelten Wissen. Die Gemeinschaftsinitiative richtete sich vorderhand an die kommunalen Akteure, die für die Implementation der nationalen Stadtentwicklungspolitiken bzw. die lokale Anwendung des staatlich gesetzten Policy-Rahmens in diesem Bereich zuständig sind. Die Kommunen sollten dabei unterstützt werden, neue Herangehensweisen bei der Verfolgung der Policy-Ziele einer ökonomisch und sozial ausgewogenen Entwicklung und physischen Aufwertung von "krisenbetroffenen Städte[n] und Stadtrandgebiete[n]" zu entwickeln und zu erproben (Kommission der EG 2000: 8; vgl. auch Kommission der EG 1996: 4). Die mit URBAN gesammelten Erfahrungen sollten nach dem Willen der EU-Kommission sodann über die Bildung von Städtenetzwerken Bottom-up in die nationalen raumordnungs- und stadtpolitischen Systeme hineingetragen werden. Hier sollten sie anderen städtischen Kommunen mit vergleichbaren Problemen als Best Practice-Beispiele zugänglich gemacht werden und dem jeweiligen Mitgliedstaat insgesamt als "Modell" für den künftigen Umgang mit dem Problem der Existenz oder Entstehung von benachteiligten Stadtquartieren dienen. Der Charakter von URBAN II nicht als klassisches verteilungs- oder umverteilungspolitisches Instrument (vgl. Lowi 1964), sondern als ein Instrument zur modellhaften Erneuerung der stadtentwicklungspolitischen Interventionspraxis wurde nicht nur am begrenzten finanziellen Umfang des Programms erkennbar. Auch die Kriterien zur Auswahl der Fördergebiete unterstrichen den spezifischen Charakter der Initiative als ,weiches' Steuerungsinstrument der EU-Kommission. Generell waren solche Gebiete förderfähig, die im Sinne auch international anerkannter Kriterien als "benachteiligt" eingestuft werden konnten, weil sie mehrere unterschiedliche ökonomische, soziale etc, Entwicklungsdefizite gleichzeitig auf sich vereinigten (z.B. mangelhafte Ausstattung mit öffentlichen Basisinfrastrukturen, nachlassende wirtschaftliche Tätigkeit, hohe [Langzeit]-Arbeitslosenquote, gesamtstäditsch überdurchschnittlicher Anteil an Sozialhilfeempfängern, unterdurchschnittliches Einkommensniveau, übersdurchschnittliche Kriminalitätsrate, etc.) (vgl. Kommission der EG 1996: 4 und 2000: 9f.; OECD 1996: 193f.; Fitoussi et al. 2004: 15f.). Dabei - und dies war ungewöhnlich für das regionalpolitische Programm URBAN - setzte die Kommission die Logik außer Kraft, die üblicherweise bei der Auswahl von regionalpolitischen Fördergebieten angelegt wurde. Sie unterstellte in diesem Fall nicht, dass benachteiligte Städte oder Stadtviertel ,automatisch' in benachteiligten Regionen und d.h. konkret innerhalb derjenigen regionalen Fördergebietskulissen, die die Kommission mit den einzelnen Mitgliedstaaten vor Beginn der Förderperiode 2000 bis 2006 ausgehandelt hatte, liegen müssten. Die
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1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instnunent
URBAN-Städte oder -gebiete konnten sich vielmehr im gesamten Gemeinschaftsgebiet befinden: "Die zu fördernden Gebiete können innerhalb oder außerhalb von Gebieten liegen, die im Rahmen der Ziele 1 und 2 förderfähig sind." (Kommission der EG 2000: 9) Mit dieser Vorgabe dokumentierte die Kommission ihren Willen zur optimalen Nutzung der stadtentwicklungspolitischen Innovationspotentiale, die grundsätzlich in jeder (größeren) Stadt mit einscWägigen Entwicklungsproblemen vermutet wurden. Darüber hinaus dokumentierte sie damit zugleich eine spezifische Wahrnehmung des Phänomens der "krisenhaften" Stadtentwicklung. Dies wurde als ein neues, die gesamte Gemeinschaft betreffendes Policy-Problem, das sowohl in armen Regionen oder Städten innerhalb armer Regionen als auch in ökonomisch prosperierenden und möglicherweise wachsenden Regionen und Städten auftreten kann, anerkannt. Worin bestanden nun die Ziele von URBAN II als Instrument des stadtentwicklungspolitischen Transfers der EU?
Ziele der GI URBAN 11 Mit URBAN II verfolgte die Kommission zwei Zielbündel, ein auf die Leitidee der stadtentwicklungspolitischen Intervention gerichtetes und ein auf die Gestaltung der lokalen Intervention gerichtetes Zielpaket (Kommission der EG 2000: 9). Aus der normativen, auf die Interventionsphilosophie bezogenen Perspektive ging es erstens darum, in den ausgewählten Städten und Stadtteilen die Idee eines gebietsbezogen funktional "integrierten Politikansatzef' zu implantieren (Europäische Kommission 2003: 6). Dieser Idee zufolge sollten die Städte - bezogen auf eine bestimmtes Gebiet - nicht mehr einzelne Policy-Ziele losgelöst voneinander verfolgen, sondern unterschiedliche Aspekte der ökonomischen, sozialen und ökologischen Stadtentwicklung gleichzeitig und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Zusammenhänge gebündelt bearbeiten (Kommission der EG 2000: 9). Das Kernanliegen des integrierten Ansatzes bestand darin, die Stadtentwicklungsförderung effektiver auf die spezifischen funktionalen Anforderungen einer bestimmten Stadt oder eines bestimmten Stadtteils hin zu konzipieren. Dabei wurde unterstellt, dass benachteiligte Stadtgebiete sich durch unterschiedliche, in sich multiple Problemkonstellationen auszeichnen. Die integrierte Sttategieplanung sollte darüber hinaus zusätzlich zweierlei leisten. Zum einen sollte der Anschluss des benachteiligten Gebiets an die Entwicklung der Stadt insgesamt erreicht werden. Und zum anderen ging es darum, den Kommunen einen Weg zur Entwicklung "nachhaltig[er]" (Kommission der EG 2000: 9), d.h., dauerhaft wirksamer und ,passgenauer', Prob1emlösungsansätze zu erschließen. Zweitens ging es aus der normativen Perspektive auch darum, Public PolicyMaking auf die Leitidee der Aktivierung von gesellschaftlichen Selbstregelungspotentialen und "endogenen", eigenen, ökonomischen Wachstumspotentialen in den
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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fraglichen Stadtgebieten hin auszurichten. Der Kommune wurde in diesem Zusammenhang die Rolle als "aktivierender Staat" (Bandemer/Hilbert 2005: 30-33) zugedacht. Sie sollte durch ihr Handeln das Entstehen von bürgerschaftlieber und unternehmerischer Eigeninitiative in den Fördergebieten befördern. Um den Erfolg dieses Ansatzes zu gewährleisten sollten zugleich "innovative" (Kommission der EG 2000: 9) Govem.ance-Instrumente, -Prozesse und -Strukturen erprobt und so die Herausbildung neuer Interventionsmuster ermöglicht werden. Dabei ging es erstens auf der politisch-inhaltichen und Instrumentenebene darum, dass die Städte mit zuvor nicht erprobten, ,,innovativen" Policy-Maßnahmen experimentieren sollten. In ihren Leitlinien zur GI URBAN II hatte die Kommission in diesem Zusammenhang konkrete Vorstellungen über denkbare Instrumente entwickelt. Die Aufwertungsprogramme der einzelnen Städte sollten demnach weniger klassische Maßnahmen, wie z.B. die finanzielle Förderung von Bauvorhaben oder auch die direkte Subventionierung von Unternehmen, enthalten. Vielmehr sollten sie insgesamt dazu beitragen, die Eigeninitiative der Unternehmen, Gruppen und Bewohner in den betroffenen Gebieten zu stärken und auf Dauer zu festigen. Außerdem sollten benachteiligte Viertel durch entsprechende Marketing-Strategien zu attraktiven Investitions- und Lebens(stand)orten gemacht werden. Dementsprechend war der soziale Wohnungsbau (Kommission der EG 2000: 14) als eine Kem.aufgabe der traditionellen, sozialen Stadterneuerungspolitik in den Mitgliedstaaten (Rudolph-Cleff 1996) ausdrücklich nicht förderfähig, Hingegen rechneten zu den förderfähigen Maßnahmen beispielsweise die ,,Dauerhafte und wnweltgerechte Renovierung von Gebäuden im Hinblick auf die Nutzung für wirtschaftliche und soziale Aktivitäten, Unterstützung für Unternebmen, Handel, Genossenschaften, Gegenseitigkeitsverbände, Dienstleistungen für KMU, Gründung von Untemebrnenszentren, Einrichtungen für den Technologietransfer, (...) [oder auch die] bedarfsgerechte Beratung, Fortbildungsmaßnabrnen und Sprachkurse, die besonders auf die speziellen Bedürfnisse von Minderheiten zugeschnitten sind, (00 .)" (Kommission der EG 2000: 14-16).
In ihren URBAN lI-Leitlinien gab die Kommission den lokalen Programmplanern einen breit angelegten, sechs Themenblöcke umfassenden? indikativen Überblick über mögliche Maßnahmen an die Hand (Kommission der EG 2000: 14-16). Aufgrund der Vielzahl der mit den integrierten Handlungsprogrammen der einzelnen Städte gleichzeitig anvisierten Policy-Ziele war nicht nur eine Erhöhung 7 Im Einzelnen waren dies: wnweltfreundliche Flächennutzung, Untemebrnertwn und Beschäftigung, Integration von ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen und erschwinglicher Zugang zu öffentlichen Basisdienstleistungen, Aufbau integrierter Verkehrs- und Kommunikationsnetze, rationelle, ressourcenschonende oder verbrauchsreduzierende oder emmissionsbegrenzende Erneuerung der Systeme der infrastrukturellen Daseinsvorvorsorge (Abfall, Wasser, Lärmdämmung, Strom/Energie), Verbesserung des Stadtmanagements (Kommission der EG 2000: 14-16).
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1.1 Die Gemeinschaftsinitiative URBAN II als Transfer-Instnunent
der Zahl der in die Stadtentwicklungspolitik involvierten Akteure zu erwarten, sondern auch eine Verstärkung der Notwendigkeit zur Handlungskoordination. In diesem Zusammenhang verfolgte die Kommission mit URBAN II zweitens mit Blick auf die Prozessebene das Ziel eines Wandels der lokalen Governance im Bereich der Stadtentwicklung. Wesentlich war hier die Idee der Partnerschtift. Sie stellte bereits ein bewährtes Grundprinzip der europäischen Regionalpolitik insgesamt dar (fömmel1994 und 2003; Voelzkow 2000). Bei der Bearbeitung der stadtteilspezifischen Entwicklungsprobleme sollten die geförderten Städte vor diesem regionalpolitischen Hintergrund zum einen partizipative Verfahren der Politikformulierung einüben und zum anderen öffentlich-privat partnerschaftliche Formen der Aufgabenerbringung erproben. Als Partner der Kommune kamen dabei die Bürger sowie alle einschlägigen nicht-kommunalen Akteure und Institutionen in Frage (Wirtschafts- und Sozialpartner, Nichtregierungsorganisationen, soziale Träger, Einwohnerverbände, Umweltorganisationen, öffentliche Einrichtungen, dekonzentrierte Behörden des Staates etc.), Die Städte selbst sollten im Kontext dieser lokalen Beteiligungs- und Partnerschaftskonstellationen zur Programmplanung und -implementation die Funktion von ,verantwortlichen Gesamtkoordinatoren' und ,Moderatoren' übernehmen. Außerdem zielte die EU-Kommission mit URBAN II auch auf die Etablierung eines als ideal vorgestellten Zusammenspiels zwischen europäischer, zentralstaatlicher, regionaler und lokaler Handlungsebene. Erst auf der Grundlage einer funktionierenden Partnerschaft zwischen den Ebenen oder einer funktionierenden vertikalen Koordination - so die Vorstellung - waren die kommunalen Verantwortungsträger, die in den meisten Mitgliedstaaten nur über ein eingeschränktes Kompetenzspektrum und eine eingeschränkte politische Entscheidungsautonotnie verfügen, in der Lage, bei der Programtnimplementation die Ideen des integrierten Politikansatzes und der Aktivierung umzusetzen (Kommission der EG 2000: 7f.). Was schließlich drittens die organisationsbezogenen Ziele des ,URBANExperiments' betraf, so blieb die Kommission in diesem Punkt vage. In den URBAN-Städten sollten die Erfahrungen mit der Implementation des Programms zur "Verbesserung des Stadtmanagements" beitragen (Kommission der EG 2000: 15). Dabei wurden z.B. "Informationskampagnen", die "Förderung neuer und moderner Stadtmanagementstrukturen" oder auch "Studien und Sachverständigengutachten über die Umstrukturierung und Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen" als förderungswürdig erachtet (ebd.). Strukturierungsvorstellungen, die in diesem Zusammenhang zum Ideenbestand der EU gerechnet werden dürfen, fügen sich in die Konzepte des New Public Management (NPM)8 und des "WettbeDas Ideengebäude des New Public Management (NPM) fand im Laufe der achtziger Jahre Eingang in den internationalen Diskurs zur Staatsmodernisierung. Es steht für die Ablösung einer bürokratischen Verwaltungskultur i.S. der Bürokratiedefinition nach Max. Weber durch eine unternehmerische oder ,,managerielle" Verwaltungskultur (vgL Hood 1991; Osbome/Gaebler 1992; Felder 2001: 138) und eine 8
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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werbsstaates"? zur Modernisierung nationaler Politik- und Verwaltungs strukturen ein (vgl. Voelzkow 2000; Felder 2001; Bieling/Deppe 2003). Entsprechende Vorstellungen (vgl. zu Folgendem: Felder 2001: 139-174) betreffen zum einen in der Binnendimension von ö.ffintlicher Verwaltungsorganisation den Aufbau von Weisungsstrukturen. Hierarchische Strukturen sollen hier durch flache Hierarchien ersetzt und die Eigenverantwortlichkeit dezentraler Einheiten gestärkt werden. Zum anderen betreffen sie das Verhältnis von Verwaltungseinheiten (z.B. Ministerien, Ämtern etc.) untereinander. Fachbezogene Versäulung und Abschottung soll hier durch verstärkte Koordination und Verwaltungskooperation ersetzt werden und das Verhältnis von Politik und Verwaltung neu geordnet, d.h. zum Beispiel, die Kontrolle von Einzelmaßnahmen gemäß dem bürokratischen Prinzip durch Globalsteuerung und die Kontrolle von Gesamtprogrammen ersetzt werden (Bogumil et al. 2007). Weiterhin betreffen sie in der Diemension des Außenverhältnisses von Verwaltung die Aufgabenerbringung. Öffentliche Erbringung soll hier weitestgehend durch private oder gesellschaftliche Erbringung abgelöst werden und ein neues Selbstverständnis der Verwaltungsakteure im Verhältnis zu externen Akteuren und Bürgern, auf dessen Grundlage bürokratische Pflichterledigung durch Service-Mentalität abgelöst wird, soll Einzug in die Verwaltungen halten. Und schließlich betreffen die Modernisierungsvorstellungen die Steuerungsfunktion des Staates. Soll soll Steuerung durch hierarchische Kontrolle durch Steuerung über Wettbewerb oder auch durch Programmsteuerung abgelöst werden. Nach dem Willen der Kommission sollten die mit URBAN II exemplarisch geschaffenen Strukturen nicht nur für die Dauer der Laufzeit der Gemeinschaftsinitiative in einzelnen Städten etabliert werden. Sie sollten darüber hinaus Modellcharakter für eine nachhaltige Neuausrichtung der stadtentwicklungspolitischen Interventionsmodi im jeweiligen Mitgliedstaat und gegebenenfalls sogar in der gesamten EU erhalten (Kommission der EG 2000: 7; Europäische Kommission 2004a: xxxi f.). Von den URBAN II-Städten wurde daher auch erwartet, dass sie, z.B. durch gegenseitige Vernetzung und den Austausch von besten Praktiken, "ökonmische Betrachtung des VerwaltungshandeIns" (Felder 2001: 139). Seit den späten achtziger Jahren entwickelte sich das NPM-Modell insbesondere innerhalb der ,OECD-We!t' in Abkehr vom bis dato vorherrschenden bürokratischen Prinzip zum dominierenden Leitbild der Staats- und öffentlichen Verwaltungsorganisation (Naschold 2000a: 27-33; Pollitt/Bouckaert 2004). 9 DasKonstrukt des "nationalen Wettbewerbsstaat[es]" wurde vor allem in der regulationstheoretischen Staatsforschung enrwickelt (vgl Bieling/Deppe 2003: 513 u. 520-525). Es stellt ein Gegenmodell zum "keynesianischen Wohlfahrtsstaat" dar, der sich durch hierarchische Intervention (Regulierung und Redistribution) als Weg zur Bearbeitung gesamtgesellschaftlicher Probleme und Aufgaben auszeichnet (vgl. Voelzkow 2000: 507). Der "Wertbewerbsstaat", der sich seit den neunzigerJahren vor dem Hintergrund des Anpassungsdrucks ausgeprägt hat, den der internationale Waren- und Kapitalwettbewerb auf nationalstaatliches Handeln ausübt, ist demgegenüber charakterisiert durch indirekte Steuerungstechniken, so die markrförmige Kontrolle der Erbringung öffentlicher Aufgaben, bevorzugt durch private Akteure, oder die staatlich-gesellschaftlich kooperative Problembearbeitung z.B, auf Basis gemeinsam aufgestellter Programme (Felder 2001: 160-174).
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t.2 Europäisierung: Tiefen- und Breitenwirkungen europäischer ,Politiksteuerung'
Bottom-up zur EU-weiten Verbreitung oder Diffusion des URBAN-Modells beitrugen (Kommission der EG 2000: 7). Mit dieser Zielsetzung griff die Kommission ein Anliegen auf, das bereits ab 1994 Bestandteil der Vorgängerinitiative URBAN I gewesen war, nämlich, dass die mit URBAN verbundenen Ideen dauerhaft Eingang in die staatliche und städtische Interventionspraxis in den einzelnen EUMitgliedstaaten finden sollte: "Natürlich kann diese Initiative größenmäßig nicht das leisten, was eine der großen Herausforderungen an die gegenwärtige Gesellschaft darstellt [eine "kohäsive" Entwicklung der Städte; RR]. Stattdessen soll sie als Katalysator innerhalb eines breit angelegten Konzepts wirken, indem Schlüsselmaßnahmen durchgeführt werden, um benachteiligten städtischen Gebieten dabei zu helfen, den Lebensstandard ihrer Einwohner nachhaltig zu verbessern." (Kommission der EG 1996: 4) Es war vor diesem Hintergrund nur konsequent, dass die GI URBAN bereits ab Mitte der 1990er Jahre als Referenzprogramm im EU-weiten Diskurs über die Stadtentwicklung herangezogen wurde. Die Kommission machte die Initiative seit der Veröffentlichung ihrer ersten stadtentwicklungspolitischen Mitteilung "Wege zur Stadtentwick1ung in der Europäischen Union" im Jahr 1997 zum zentralen Bezugspunkt für die Verbreitung ihrer instrumentellen, politisch-inhaltlichen und steuerungstechnischen Ideen über die Gestaltung der staatlichen und lokalen Politiken zugunsten benachteiligter Stadtgebiete (vgl. Kap. 3.3, Tab. 5). Inwieweit der geschilderte Transfer-Ansatz in den Mitgliedstaaten die erwarteten Wirkungen zeigte, war angesichts seines komplexen Zielhorizonts und des breiten Kreises der angesprochenen Adressaten von Anfang an fraglich. Der Ansatz betraf zwar primär lokale Politik- und Verwaltungsakteure und die Ebene der Politikimplementation, war allerdings in zweiter Linie auch auf nationale und regionale Politik- und Verwaltungsakteure und die Ebene der Politikformulierung gerichtet (Schneider/Janning 2006: 56-59); und er unterstellte dabei Effekte auf der einen Ebene als Bedingung für Effekte auf der anderen. Eine Wirkungsuntersuchung der europäischen Stadtentwicklungspolitik muss diese Vielschichtigkeit konzeptionell berücksichtigen. Daher ist es wichtig, zunächst das Verständnis des hier verwendeten Wirkungsbegriffs zu klären.
1.2 Europäisierung: Tiefen- und Breitenwirkungen europäischer ,Politiksteuerung' In der politikwissenschaftlichen EU-Policy-Forschung werden "Wirkungen" europäischen Policy-Makings häufig unter dem Begriff der "Europäisierung" subsumiert. Mehrere Autoren haben mit Definitionen von "Europäisierung" Konzepte zur Erfassung und Systematisierung der nationalen Wirkungen europäischer Politik vorgelegt (vgl. Ladrech 1994; Börzel 1999; Radaelli 2000, 2003, 2004; Cowles et al.
Einleitung: Europäische Stadtentwieklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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2001; Goetz 2002; Bache/George 2006). Diesen Konzepten ist gemeinsam, dass sie nicht auf den Wirkungsbegriff der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Implementations- und Evaluationsforschung abstellen - Wirkungen werden nicht als reiner "Output" oder "Outcome" von europäischer Politik in bestimmten Interventionsbereichen erfasst'? -, sondern einen institutionalistischen Zugang zur Wirkungsanalyse suchen. Hierbei witd die Veränderung von Akteurshandeln und Politikstrukturen in den Mitgliedstaaten in den Mittelpunkt gestellt. Zugleich behandeln diese Konzepte allerdings je spezifische, oftmals unterschiedliche Aspekte europäischer Einflussnahme auf nationales Policy-Making. Es existiert daher eine große konzeptionelle (und auch methodische) Vielfalt und damit Unsicherheit bei der Untersuchung der nationalen (und lokalen) Wirkungen europäischer Politik. Dies hat sich u.a, auch bei der Untersuchung der europäischen Stadtentwicklungspolitik und der Implementation der GI URBAN in den Mitgliedstaaten gezeigt (vgl. Tofarides 2003; Koutalakis 2003; Urban studies team 2006; Halpern 2005; Wolffhardt et al. 2005; Frank 2008). Dabei wurde "Fit" (BörzeljRisse 2000) zwischen dem EU-Modell und den untersuchten nationalen und lokalen Institutionensysternen - ausgehend von einem Verständnis von "Europäisierung" im klassischen Sinne als Kompetenzverlagerung von den Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene und als "Nullsummenspiel" (Hoppe 2001: 12) zwischen den Ebenenin manchen Studien als bremsender Faktor für weitere Europäisierungsschritte betrachtet (Blom-Hansen 2005). In anderen Studien hingegen wurde dies als Ausgangsbasis für eine weiter gehende "Europäisierung" betrachtet (Wolffhardt et al. 2005). In wieder anderen Untersuchungen wurde die Kompatibilität grundlegender nationaler und europäischer Policy-Ziele - ausgehend von einem Verständnis, das "Europäisierung" als die Errichtung von Gelegenheitsstrukturen für nationale Akteure im Kontext des quasi-föderalen EU-Mehrebenenregierens begreift - mal als Ausgangspunkt für Abwehrreaktionen der nationalen Akteure gegen die europäische Einflussnahme und für "Gatekeeping"-Verhalten vorgestellt (Tofarides 2003), und mal wurde Ziel-Kompatibilität als Ausgangspunkt für instrumentelle, prozedurale und organisatorische Angleichungsreaktionen (Halpern 2005) bis hin zum "Paradigmenwechsel" präsentiert (Frank 2008).
10 Die Analyse der "Wirkungen" von Public Policies und Poliey-Programmen - auch der EU - bildet den bevorzugten Gegensrand in der politik- und der verwalrungswissenschaftlichen Implementationsund Evaluationsforschung (vgl. Mayntz 1977 u. 1983; Pressman/Wtldavsky 1984; Hoppe 2001; Grunow 2003; Schneider/Janning 2006: 61-63; Wollmann 2009: 380-385). Dabei stehen "Wlrkungen" zumeist LS.v. direkten, auf die Sache gerichteten Politikergebnissen im Vordergrund. Es geht also primär um den "Output", d.h., die "faktischen Ergebnisse" von Politik (Blum/Schubert 2009: 127) oder den "Outcome", d.h., den unmittelbaren Beitrag eines Programms oder einer politischen Maßnahme zur Lösung bestimmter Poliey-Probleme (ebd.).
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t.2 Europäisierung: Tiefen- und Breitenwirkungen europäischer ,Politiksteuerung'
Ein Konzept, das sich als Ansatzpunkt für die Klärung des hier zugrunde gelegten Wirkungsverständnisses eignet, kommt von RadaelJi. Er definiert "Europäisierung" als: ,,(...) the concept of Europeanization refers to: Processes of (a) consttuction, (b) diffusion, and (c) institutionalization of formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, 'ways of doing things', and shared beliefs and norms which are first defined and consolidated in the making of EU public policy and politics and then incorporated in the logic of domestic discourse, identities, political sttuctures, and public policies" (2003: 30).
Auf der breit angelegten Grundlage dieses Verständnisses unterscheidet RadaelJi zwischen zwei Wirkungs-"Mechanismen" (ebd.: 28) oder -aspekten europäischer Politik. Ein erster Aspekt betrifft die Frage nach dem konkreten Gegenstand G,domains"; ebd.: 35) von Europäisierung: Was genau kann im nationalen Kontext von Europäisierung betroffen sein? Worauf wirkt europäische Politik ein? Neben den grundlegenden "Strukturen" zur Organisation des politisch administrativen Systems selbst (z.B. Beziehungsmuster zwischen politischen Institutionen wie Regierung und Parlament; Gestalt des Parteiensystems) kommen nach Ratlaelli hier "kognitive und normative Strukturen", die politisches und administratives Handeln in einem Mitgliedstaat prägen (z.B. "Werte", "Staatstradition", "PolicyParadigmen''), sowie auch "Public policy" als Gegenstände von Europäisierung in Frage (ebd.). Dabei verweist RatlaelJi in Bezug auf letzteren Wirkungsgegenstand darauf, dass weniger die Gestaltung konkreter Politikergebnisse G,Output'') im Fokus von Europäisierung steht, als vielmehr die nationalen politikfeldspezifischen Systeme G,policy systems"; ebd.: 27) oder das, was Sabatier mit politischen "Subsysteme[n]" bezeichnet hat (1993: 120). Sie werden mit ihren feldspezifischen Akteurkonstellationen, Policy-Problemen und -inhalten, Instrumenten, Handlungsressourcen und routinemäßigen Politik-j.Stilen" gänzlich oder punktuell zum Gegenstand europäischer Einflussnahme (Radaelli 2003: 35 u. 27). Neben den Gegenständen von Europäisierung betrifft ein zweiter Aspekt das Ausmaß oder die Reichweite und Richtung der Wirkungen europäischer Politik: Wie weit geht die "Europäisierung" eines bestimmten Policy-Gegenstands? Kommt es dabei eher zu Abwehr- oder eher zu Anpassungsreaktionen? Um dies erfassen zu können, schlägt RadaelJi die Unterscheidung von vier Reaktionsmustern vor; sie variieren je nach Reaktionsintensität der angesprochenen Akteure und Reaktionsrichtung: Abwehr oder Rückzug ins Gegenteil des mit dem EU PolicyMaking intendierten Effekts G,retrenchment''), passiver Status quo-Erhalt oder Nicht-Wandel ("inertia''), partielle Angleichung G,absorption''), und vollständige Angleichung ("transformation'') (ebd.: 37f.). RadaelJis Unterscheidung eröffnet einen ersten Zugang zur Durchführung einer Wirkungs analyse des stadtentwicklungspolitischen Politiktransfers der EU bzw. allgemeiner der Analyse der Effekte europäischen Policy-Makings auch in anderen
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Feldern, in denen sich die EU ähnlicher weicher Steuerungsinstrumente- und techniken bedient. Dabei ist hier weniger der zweite Aspekt, also die Kategorisierung von unterschiedlichen Wirkungsgraden von Interesse - Eising weist zu Recht auf die Schwierigkeiten einer Operationalisierung entsprechender Kategorisierungsversuche hin, die z.B. daher rühren, dass implizit messbare Gradualität unterstellt wird, wo diese in der Realität nicht existiert (2003: 402). Vielmehr ist die Einteilung konkreter Wirkungsgegenstände im Kontext dieser Untersuchung bedeutsamer. RadaeJlis Verweis darauf, dass Wirkungen - sofern sie eine bestimmte "Public policy' betreffen - nicht einen einzelnen spezifischen Gegenstand allein (z.B. Instrumente) berühren, sondern ein "policy system", ist hier entscheidend. Europäische Politik kann - wie im Falle der Stadtentwicklungspolitik - auf eine PolicyStruktur bzw. das institutionelle Arrangement, von dem sie getragen wird, insgesamt gerichtet sein oder aber ein durch EU Policy-Making gesetzter Wandlungs impuls kann nur auf ein oder wenige bestimmte Elemente (z.B. Instrumente) einer solchen Struktur gerichtet sein. Welchen Gegenstand europäische Politik auch anvisiert, es ist in jedem Fall anzunehmen, dass mehrere Elemente der jeweiligen Struktur unter Anpassungsdruck geraten, sofern der Wandlungsimpuls verfängt. Denn er trifft in den Mitgliedstaaten in der Regel auf komplexe feldspezifische Systeme mit einem spezifischen inneren Zusammenhang ihrer Elemente und einer ganz bestimmten "Einbettung" (Granovetter 1985) in ihre Umwelt. Durch die analytische Ausdifferenzierung von Wirkungsgegenständen im Gesamtkontext einer bestimmten Policy-Struktur kann deutlich gemacht werden, dass europäische Politik, auch wenn sie u.U. nur auf bestimmte einzelne Elemente nationaler PolicySysteme gerichtet ist, an mehreren Punkten, möglicherweise zeitlich versetzt, Wirkungen auslösen und gegebenfalls die vorherrschenden Interventionsmuster ganzer Politikfelder verändern kann. Die in diesem Zusammenhang unterstellte Kettenoder Folgereaktion ist jedoch gerade im Falle weicher, nicht-zwangsbewährter Steuerungsinstrumente und -techniken unwägbar und kontingent. Denn Wandel kann an den einzelnen berührten Punkten eines Policy-Systems in unterschiedliche Richtungen gehen und unterschiedlich intensiv ausfallen. Erst wenn die Reaktion allerdings eintritt und ,erfolgreich' i.S.v. an allen Punkten in die beabsichtigte Wirkrichtung gehend verläuft, findet - so wird hier in Bezugnahme auf die Erkenntnisse der politikwisenschaftlichen Innovations- und Diffusionsforschung (vgl. Rogers 1995; Lütz 2007; Berry/Berry 2007: 224) argumentiert!' - "Europäisierung" tatsächlich statt. 11 Eine Grundannahme der jüngeren Innovations- und Diffusionsforschung in ihrer spezifischen Hinwendung zu regionalem und lokalem Politikwandel lautet, dass Wandel oder Policy-Innovation das Ergebnis von voran gegangener Policy-Diffusion oder auch Policy-Transfer ist, der wiederum seinerseits u.U. an anderer Stelle weitere Politikverbreirungs- und Neuerungsprozesse in Gang setzt (Berry/Berry 2007: 224). Policy-Innovationen, so wird angenommen, können z.B. durch die Konfrontation der fraglichen regionalen oder lokalen Akteure mit exogenen Wandlungsimpulsen ausgelöst werden.
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1.3 Deutschland und Frankreich: Politisch-systemische Grundlagen der Raumordnung
Im Falle der Stadtentwicklungspolitik erwartet die EU-Kommission Reaktionen auf mehreren Ebenen. Dabei sind es zunächst die Kommunen, deren Interventionspraxis angepasst werden soll. Es sind die lokalen Subsysteme der sozialen Stadtentwicklungspolitik in ausgewählten Städten, die speziell in der Phase der Politikimplementation (Schneider/Janning 2006: 50) angesprochen werden. Nach erfolgter Modellrezeption sollen die lokalen Akteure "Lehren" ziehen (Rose 1991) oder "Lernen" (Dolowitz/Marsh 1996 u, 2000) und sodann den weiteren Bottom-upTransfer der europäischen Policy-Ideen initiieren und organisieren. Ausgehend Prämissen der Innovations- und Diffusionsforschung über die mögliche Folgewirkung von Politiktransfer folgend, werden in dieser Untersuchung zwei Wirkungsdimensionen unterschieden: erstens punktuelle, auf einzelnen Stadtfall bzw. das städtische Interventionsmuster und die städtischen PolicySubsysteme bezogene Wirkungen - diese sollen hier als Tieftnwirkungen bezeichnet werden. Und zweitens die (gesamt-) staatliche Modellübernahme - diese soll hier als Breitenwirkung bezeichnet werden. Im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung stehen hier die Tiefenwirkungen in den ausgewählten Fall-Städten in Deutschland und Frankreich. Ob der EU-Politiktransfer Reaktionen und von hier ausgehend weitere Folgereaktionen auslöst, hängt in den beiden Untersuchungsländern zunächst grundlegend von der Gestalt der politisch--administrativen Systeme der beiden Mitgliedstaaten insgesamt ab. Sie variiert je nach Zuschnitt der intergouvernementalen Aufgabenverteilung und Verflechtungsgrad der Ebenen (Bogumil/Jann 2005: 65-67) sowie nach dem inhatlichen Zuschnitt einzelner staatlicher oder öffentlicher Aufgabenfelder. Und sie variieren auch je nach dem Staatsoder staatlichen Funktionsverständnis, das die Akteure und Träger der Intervention haben. Letzteres speist sich - wo es um die Aufgabe der Raumordnung und sozialen Stadtentwicklung geht - in den westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten aus einem Mix den Ideen des solidarischen Ausgleichs von Disparitäten im Raum einerseits und der punktuellen Förderung der Entwicklung bestimmter Räume andererseits.
1.3 Deutschland und Frankreich: Politisch-systemische Grundlagen der Raumordnung Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ist die Raumordnung seit Beginn des 20. Jahrhunderts als ein eigener Aufgabenbereich innerhalb des wohlfahrtsstaatlichen Funktionsspektrums anerkannt (Kistenmacher et al. 1994: 4 u. 8). Als Querschnittspolitik, die mehrere unterschiedliche Policies (regionale Wirtschaftsförderung, Städtebau, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc.) miteinander Derartige Impulse wiederum können sowohl die nonnative ,Welt' der Wahrnehmungen und der Interventionsphilosophie betreffen als auch die instrumentelle und prozedurale Praxis und die Organisation der (administrativen) Aufgabenwahmehmung und politischen Steuerung (ebd.: 225 u. 231).
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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verbindet, liegt ihr primärer Orientierungspunkt nicht im Erreichen bestimmter fachbezogener Einzelziele, sondern in der politisch geplanten Ordnung des nationalen Territoriums oder einzelner seiner räumlichen Teileinheiten. Zu diesem Zweck bedient sich die Raumordnungspolitik des Instruments des Plans oder Programms. Sie hat die Aufgaben der Produktion raumordnerischer Pläne unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Normen und bestimmter politischer Zielvorgaben sowie der Koordination der einzelnen raumwirksamen Fachpolitiken im Sinne der Planungsziele (Sinz 2005: 863). Aus dem Blickwinkel einer "moralischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates" (Rieger 1992) liegt die Bedeutung der Raumordnungspolitik darin, dass sie es dem Staat erlaubt, nicht nur die (ökonomische) Entwicklung einzelner Raumeinheiten gezielt zu befördern (Raumentwicklungsfunktion), sondern auch eine ausgewogene Verteilung von Basisinfrastrukturen und -dienstleistungen innerhalb des Staatsgebiets oder einzelner seiner Teilräume zu gewährleisten und einen Ausgleich sozialer und ökonomischer Disparitäten zwischen den Teilräumen herzustellen (Ausgleichsfunktion). Damit dient die Raumordnungspolitik in den westeuropäischen Wohlfahrtsdemokratien der Grundidee der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts im Staatsgebiet oder der Herstellung einer Situation, in der alle einzelnen Mitglieder der Gesellschaft prinzipiell gleichberechtigten Zugang zur Wahrnehmung ihrer ökonomischen Freiheits-, politischen Beteiligungs- und sozialen Entwicklungsrechte haben (Marshall 1949 [1992]: 65-67). In den modernen Industriegesellschaften war die tatsächliche Raum- und speziell die Stadtentwicklung stets vom Phänomen der sozialen Segregation, d.h. einer räumlich ungleichgewichtigen Verteilung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungs-, aber auch ökologischer Regenerierungschancen, begleitet (Häußermann/Siebel 2004: 24f. u. 149f.). Während der Hochzeit des keynesianischen Wohlfahrtsstaates nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis Mitte der 1970er Jahre haben die westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten den mit dieser Herausforderung verbundenen Organisationsbedarf zur Erfüllung der Ausgleichsfunktion der Raumordnungspolitik in den Städten über die (Wieder-) Errichtung und den Ausbau von je spezifischen Modellen der staatlich-kommunalen Arbeitsteilung zur öffentlichen Aufgabenerbringung sowie über das z.T. verfassungsrechtlich unterlegte Zugeständnis der kommunalen Selbstverwaltung an die Gemeinden abgedeckt (vgl. Le Gales/Harding 1996; Häußermann 2001; Kazepov 2004; Wollmann 1998 u. 2006). (Soziale) "Stadtentwicklungspolitiken" als eigenes staatliches Interventionsfeld existierten zu dieser Zeit nicht. Im Lichte der positiven Konjunkturentwicklung, die sich bis in die frühen siebziger Jahre (Lutz 1984) insbesondere in den Städten auswirkte, erschien die Iniriierung solcher Politiken nicht notwendig. Die raumordnungspolitischen Interventionsanforderungen zur Herstellung einer ausgewogenen Verteilung der individuellen Entwicklungs- und Teilhabechancen im städtischen Raum und zum Abbau von sozialer Ungleichheit in den Städten
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1.3 Deutschland und Frankreich: Politisch-systemische Grundlagen der Raumordnung
wurden in der Regel innerhalb der Fachpolitikbereiche des Städtebaus und des Wohnungswesens bewältigt (Rudolph-Cleff 1996). In dem Maße allerdings, wie sich in einigen Mitgliedstaaten der EG ab Mitte der 1970er Jahre die Anzeichen für ein partielles Versagen dieser je spezifischen nationalen Regulierungsmodelle der ,sozialen Stadt' häuften und die sozialräumliche Fragmentierung der Städte sich zu verfestigen begann (vgl. Le Gales /Harding 1996: 172 u. 184-186; Häußermann et al. 2004: 7-10), setzte unter den politischen und administrativen Verantwortungsträgern ein Nachdenken über alternative Problemlösungswege ein. Dies war zunächst in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden der Fall (Van den Berg et al. 2004). Die sozialen Stadtentwicklungspolitiken, die hier ab Anfang der 1970er Jahre entstanden und für die Initiierung entsprechender staatlicher Aktionsprogramme in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten ab Anfang der 1990er Jahre vorbildgebend waren (vgl. Sander 2001; Van den Berg et al. 2004), zeichneten sich dadurch aus, dass sie ungeachtet ihrer je spezifischen Schwerpunktsetzungen darauf zielten, Segregation durch die bewusste Veränderung der lokalen Interventionsmuster im Bereich der Raumordnungspolitik zu bekämpfen. Dabei wurden einzelne der erläuterten Ideen des stadtentwicklungspolitischen Ansatzes der EU-Kommission schon vorweggenommen. Insbesondere gilt dies für die Idee der verstärkten direkten Bürger- und Betroffenenbeteiligung an der Formulierung raumordnungspolitischer Sanierungsoder Umbauprogramme (Cochrane 2007). Die Europäische Kommission traf mit ihrer Stadtentwicklungspolitik in den Mitgliedstaaten mithin vielfach auf ,fruchtbaren Boden' zur Ideenrezeption; vorbereitende Innovations- und Diffusionsprozesse hatten hier z.T. schon stattgefunden. Auch in Deutschland und Frankreich war dies der Fall. Diese beiden Länder zählten zum Kreis derjenigen EUMitgliedstaaten, die sich grundsätzlich durch einen "Fit" (Börzel/Risse 2000) ihrer raumordnungs- bzw. stadtentwicklungspolitischen Systeme auszeichneten, so dass von den Erfahrungen mit der Implementation der GI URBAN hier prinzipiell eine Innovation unterstützende oder beschleunigende Wirkung erwartet werden konnte. Was kennzeichnet diese Systeme? Mit Blick auf Deutschland und Frankreich hat die vergleichende Demokratieund Staatstätigkeitsforschung eine grundsätzliche Ähnlichkeit hinsichtlich der traditionell vorherrschenden Interpretation des Solidargedankens und des Grades der staatlichen Eingriffsintensität in die gesellschaftliche Entwicklung und die Marktprozesse festgestellt (Kaufmann 2003: 211 u. 312f.). Demgegenüber werden allerdings große Unterschiede hinsichtlich des Staatsaufbaus, des Verhältnisses des Staates zu den Kommunen und der Lokalsysteme beider Länder konstatiert. Deutschland ist als eine föderale, durch die Existenz zahlreicher institutioneller Vetopunkte gekennzeichnete Verhandlungsdemokratie mit einer weitgehend dezentral angelegten Verwaltungsorganisation und formal sowie funktional ,starken' Kommunen beschrieben worden (Katzenstein 1987; Pollitt/Bouckaert 2004: 256-
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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258). Das kommunale Recht zur Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) und das breit angelegte Aufgabenspektrum der Städte und Gemeinden stellen traditionelle Quellen einer (formal) ausgeprägten Handlungsautonomie der Kommunen, die den Staat "vor Ort" repräsentieren, dar. Dabei ist die Fähigkeit der Kommunen zur lokalen Intervention allerdings vom Funktionieren der verflochtenen, auf Kooperation angelegten Beziehungsstruktur zwischen den staatlichen Ebenen im föderalen Mehrebenensystem (Bund und Länder) angelegt. Diese Voraussetzung betrifft bereits die Phase der Politikformulierung. Hier kommt es je nach Regelungsgegenstand und raumordnungspolitischem Fachplanungsbereich mitunter zum entscheidungsspezifischen Wirken von Verflechtungsfallen und zu Politikblockaden (Scharpf 1994: 13f.; Lehmbruch 2002: 71). Die Kommunen sind als integraler Bestandteil der Länder hier nicht gleichberechtigte Partner, sondern haben lediglich als Interessengruppe mit nur wenigen formalen Zugangswegen und häufig eingeschränkten finanziellen und personellen Ressourcen die Möglichkeit zur Einflussnahme (Dieckmann 1998: 30lf.; Reutter 2001: 9lf.). Mit Blick auf die Phase der Politikimplementation ist die ,Regierung des lokalen Raums' allgemein durch die Gültigkeit des Rechtsstaatsprinzips und die Dominanz des weberianischen Bürokratiemodells vorstrukturiert (pollitt/Bouckaert 2004: 258f.; Bouckaert 2006). Die Verwaltung und der Vollzug öffentlicher Aufgaben zugunsten einer ausgewogenen Raumordnung und -entwicklung finden unter den strukturellen Vorzeichen einer hierarchischen, sektoral versäulten und weitgehend dezentralen Aufbauorganisation von Verwaltung statt (Bogumil/Jann 2005: 114). Diese ist insgesamt durch eine ausgeprägte Segmentierung und geringe Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Facheinheiten gekennzeichnet (Lehmbruch 1992: 35; Conzelmann 1998: 8; Kitschelt/Streeck 2004: 7). Hinzu kommt eine neo-korporatistische Praxis des öffentlichen Aufgabenvollzugs in zahlreichen raumrelevanten Politikfeldern. Sie weisen z.T. eine traditionell große Stabilität und geringe Durchlässigkeit der implementationsbezogenen Entscheidungspraxis aufweisen (Heinze/Voelzkow 1998: 234f.). Dies trifft auch für das klassische Hauptinterventionsfeld der sozialen Stadtentwicklungspolitik, die Stadtsanierung, zu, auch wenn hier zu Beginn der 1970er Jahre mit dem Städtebauförderungsgesetz formal eine Öffnung und Demokratisierung der lokalen Entscheidungsprozesse stattfand. Häufig stehen in diesem Feld technische, im öffentlichen aber auch im politischen Diskurs innerhalb der Kommune zwar präsente, den einzelnen Bürgern gerade in benachteiligten Stadtteilen oft jedoch wenig zugängliche Fragen zur Entscheidung (Becker/Löhr 2003: 231). Die Übernahme der für das ,,Modell URBAN" kennzeichnenden Ideen einer partizipativen Formulierung der Programme und Policies zugunsten benachteiligter Quartiere, einer aktivierenden Rolle der Kommune oder des lokalen Staates, einer gebietsbezogen funktional integrierten Problembearbeitung und eines partnerschaftliehen Aufgabenvollzugs stellte - dies kann hier als erste Ausgangsannahme festgehalten werden - unter den skizzierten Umständen Ende der 1990er Jahre eine
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1.3 Deutschland und Frankreich: Politisch-systemische Grundlagen der Raumordnung
spezifische Herausforderung an die Koordinationsfähigkeit der berührten Akteure, sowohl der staatlichen als auch der kommunalen, auf allen politisch-administrativen Ebenen dar. Im Unterschied zu Deutschland ist Frankreich als unitarische, präsidentielle Demokratie bis Anfang der 1980er Jahre faktisch stark eingeschränkten formalen Autonomie und einer ausgeprägten funktionalen Schwäche der lokalen Gebietskörperschaftenl- charakterisiert worden (Mabileau 1996: 35; Hoffmann-Martinot 2006: 231f.). Häufig wird Frankreich eine staatszentrierte, "dirigistische" Public Policy-Making-Tradition zugeschrieben (Schmidt 1996; Kaufmann 2003: 215). Dies gilt insbesondere auch für die Raumordnungspolitik (Neumann/Uterwedde 1994: 42). Dabei fußt die lokale Politikintervention seit dem "ersten Akt" der staatlichen Dezentralisierungsreformen im Jahr 1982 auf einer hohen Eigenständigkeit der Städte und Gemeinden. So erhielten die Kommunen im Rahmen der Dezentralisierung u.a. autonome Kompetenzen im Bereich der städtischen Raumplanung'", die sowohl die Politikformulierung als auch die Politikimplementation betreffen. In der Realität kooperieren die Städte bei der Raumplanung in beiden Policy-MakingPhasen mit den einschlägigen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren "vor Ort". Die ,Regierung des lokalen Raums' ist bezüglich der Politikformulierung auf gesamtstaatlicher Ebene durch die Dominanz der staatlichen Akteure bei der Definition der Politikinhalte gekennzeichnet. Dabei erfolgt die Einbindung der gesellschaftlichen Interessenträger - im Falle lokal raumwirksamer Policies auch die Städte und Gemeinden - vorwiegend über pluralistische Interessenvermittlungsstrukturen auf dem Wege der Konsultation (Schmidt 1996: 73; Jansen 2001: 129f.; Cole 2006). Allerdings besitzen die lokalen Gebietskörperschaften und speziell die Kommunen aufgrund der Tradition der Ämterhäufung (Cumul de mandats) einen strukturellen Vorteil gegenüber anderen organisierten Interessen, denn ihre Repräsentanten können die gebietskörperschaftlichen Interessen auch über die Wahrnehmung nationaler Mandate (z.B. in der Nationalversammlung oder dem Senat) und u.U. die Erfüllung diverser exekutiver Funktionen vertreten. In der Phase der Politikimplementation "vor Ort" ist die (lokal-) staatliche Intervention in Frankreich, ebenso wie in Deutschland, allgemein durch die Gültigkeit des Rechtstaatsprinzips und durch die bürokratische Tradition der Verwaltungsorganisation vorstrukturiert. Dabei wurde die für den öffentlichen Aufgabenvollzug hier ebenfalls 12 Hierzu zählen neben den Kommunen auch die Departements und die Regionen und in jüngerer Zeit auch interkommunale Kooperationsverbände (etablissements publies de cooperation intercommunale, EPCI). 13 Von dieser Kompetenzübertragung profitierten vor allem die (mittleren und größeren) Städte, die die Ressourcen zum Aufbau eigener Verwalrungsstäbe besaßen. Die sehr hohe Zahl der kleinen und Kleinstkommunen - Frankreich zählt heute (2009) immer noch mehr als 36.500 Kommunen, darunter mehr als 34.700 Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern (Ministere de l'interieur/DGf'L 2007: 9 u. 14) - können aufgrund ihrer immanenten, größenbedingten Organisationsschwäche von den neuen Kompetenzen bis heute kaum Gebrauch machen (Wollmann 2008: 189f.).
Einleitung: Europäische Stadtentwicklungspolitik - ein Ansatz zum Politiktransfer
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lange Zeit prägende Segmentierung der Staatsverwaltung im Lichte der Dezentralisierungs- und Modernisierungsreforrnen durch das Prinzip der Kontraktualisierung abgelöst. Die unterschiedlichen (öffentlichen und nicht-öffentlichen) Akteure wirken dementsprechend beim Aufgabenvollzug - auch im Bereich der Raumordnung - sowohl horizontal als auch vertikal auf der Basis vorab festgelegter, zeitlich befristeter Vertragsverhältnisse zusammen (vgl. Thoenig 2005). Erschien das letztere Strukturrnerkmal als günstige Voraussetzung für die ,reibungslose' Übernahme einiger Ideen des europäischen Interventions- oder Regulierungsmodells zur sozialen Stadtentwicklung, so stellen andere traditionelle Strukturmerkmale des raumordnungspolitischen Systems (eine "dirigistisch"zentralistische Interventionstradition auch in den Kommunen; eine schwach ausgeprägte Tradition der Bürgerbeteiligung) - dies kann hier als Ausgangsannahme für den französischen Fall formuliert werden - Hindernisse hierfür dar. Das von der Europäischen Kommission mit URBAN favorisierte "Modell" für die künftige Regulierung der städtischen Raumordnung stellte unter diesen Umständen vor allem für die kommunalen Akteure in Frankreich eine Herausforderung dar. Mit der Unterscheidung von Wirkungsdimensionen und der Beschreibung der potentiellen Wirkungshindernisse, die sich vor dem Hintergrund der politischadministrativen und raumordnungspolitischen Systemproftle in Deutschland und Frankreich ergeben können, sind notwendige Grundlagen für die Wirkungsanalyse geschaffen. Im nachfolgenden Kapitel wird nun der theoretisch-konzeptionelle Bezugsrahmen der Untersuchung vorgestellt und ein Raster für die empirische Analyse der Tiefenwirkungen entwickelt.
2 Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
Konzeptionell teilt diese Arbeit die institutionenorientierte Perspektive der policyanalytischen Europäisierungsforschung bezüglich der Untersuchung der nationalen "Wirkungen" des EU Policy-Makings. Für die Erfassung der institutionellen Effekte der EU-Stadtentwicklungspolitik und der Gemeinschaftsinitiative URBAN II zuallererst auf der lokalen Implementationsebene (Tiefenwirkungen) und, von dort ausgehend, auf der gesamtstaatlichen Konzeptionsebene von Politik (Breitenwirkungen), wird hier ein enges Verständnis von "Institutionen" zugrunde gelegt. Institutionen werden i.S. des akteurzentrierten Institutionalismus als formale und informelle Regelungen sozialer Handlungskoordination begriffen, die Akteurshandeln in Politikfeldern vorstrukturieren und wechselseitige Erwartungssicherheit spenden, die jedoch Handeln nicht determinieren, sondern individuelle Wahlmöglichkeiten eröffnen; sie können daher als grundsätzlich wandelbar betrachtet werden (Mayntz/Scharpf 1995: 45). Die Hürden für Veränderungen sind, so wird hier angenommen, u.U, hoch, da Instituionen, sowohl in einzelnen Policies als auch politikfeldübergreifender Natur, stets auch als "normative und kognitive Leitideen gesellschaftlicher Ordnung" wirken (Quack 2005: 347). Zur Analyse der vermuteten Zusammenhänge zwischen dem EU-Politiktransfer und tatsächlichem Wandel der lokalen Interventionsmuster und gegebenenfalls der mitgliedstaatlichen Politiken im Bereich der sozialen Stadtentwicklung nutzt diese Arbeit Konzepte der policy-analytischen Innovations- und Diffusionsforschung (Rogers 1995; vgL auch Walker 1969; Lütz 2007; Berry/Berry 2007). Dabei wird der Versuch unternommen, ausgehend von bestimmten Grundannahmen des politikwissenschaftlichen akteurzentrierten Institutionalismus und des organisationssoziologischen Institutionalismus, einen verfeinerten Zugang zur Untersuchung von "Europäisierung" zu erarbeiten, der auch in künftigen qualitativen Analysen des EU-europäischen Einflusses auf nationale Politik anwendbar sein soll.
2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive Europäische Stadtentwicklungspolitik in Gestalt der GI URBAN II ist auf das Erzielen von Effekten angelegt, wie sie im Interessenmittelpunkt der Politiktransfer-Forschung stehen. Es geht um die erfolgreiche übertragung von Ideen- und Wissen von einer Handlungseinheit oder -ebene auf eine andere durch die AnpasR. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive
sung von lokalem und nationalem Akteurshandeln und Strukturen. Als ,Erfolg' gilt in diesem Kontext das "Erlernen" oder die Übernahme von inhaltlichem oder einzelzielbezogenem, instrumentellem, prozeduralem und organisatorischem Wissen durch die betroffenen und/oder angesprochenen Akteure: "Policy transfer, emulation and lesson drawing all refer to a process in which knowledge about policies, administrative arrangements, institutions etc. in one time and/or place is used in the developrnent of policies, administrative arrangements and institutions in another time and/or place." (Dolowitz/Marsh 1996: 344).
Aus dem Blickwinkel der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung hat insbesondere Peter Hall schon frühzeitig ein bekanntes Modell zur Erklärung von policybezogenem Institutionenwandel (1993) durch "Lernen" entwickelt. Er unterscheidet zwischen Wandel "erster", "zweiter" und "dritter Ordnung" (ebd.: 278f.) und verbindet mit diesen Stufen im Einzelnen: die inhatliche Variation oder gewandelte Ausgestaltung von bestimmten Instrumenten staatlicher Intervention im Kontext einer bestimmten Policy ("first order change''), die Veränderung des Instrumenteneinsatzes oder aber der Austausch von Instrumenten selbst, ohne gleichzeitige Veränderung der übergreifenden Ziele der jeweiligen Policy oder der Ideen über den Zweck des Eingriffshandelns in dem betroffenen Bereich ~,second order change''), und die Kumulation der beiden ersten Wandlungs stufen sowie zusätzlich die Veränderung der übergreifenden Policy-Ziele und der Leitideen der staatlichen Intervention im betreffenden Feld ~,third order change''). Halls Modell bleibt eine Antwort darauf schuldig, wie Wandel durch "Lernen" funktionieren kann und wie dieser analytisch greifbar wird. Grundlegend daran, und bedeutend im Zusammenhang dieser Untersuchung, ist allerdings die Überlegung, wonach Wandel umso tiefer geht, d.h. umso gründlicher, vollständiger und möglicherweise auch dauerhafter erfolgt, je eher die normativen Grundlagen des Akteurshandelns berührt werden. Hall nimmt dabei zur Charakterisierung von fundamentalem "third order change" Anleihe bei der Wissenschaftstheorie; er nutzt Kuhns "Paracligma"Konzept und spricht vom "Paradigrnenwechsel" (ebd.: 279). Die Veränderung der normativen Orientierungen von Akteuren stellt ein wichtiges Moment auch bei der institutionentheoretischen Erklärung des Wandels politikfeldspezifischer Arrangements wie auch ganzer institutionellorganisatorischer Felder dar (Mayntz/Scharpf 1995: 52; DiMaggio/Powell 1983: 152f.). Dabei heben organisations soziologische Ansätze eher darauf ab, dass Akteure in institutionalisierten sozialen Handlungszusammenhängen Wandel anstreben, um zur Bewahrung von kollektiver Identität, die aus dem jeweiligen Organisationszusammenhang abgeleitet wird, zu gelangen oder auch, um die Organisation selbst und ihre Legitimität vor dem Hintergrund sich wandelnder Rahmen- oder Umweltbedingungen zu erhalten (Meyer/Rowan 1977; DiMaggio/Powell 1983; March/Olsen 1984; Peters 1999: 108; Quack 2005: 352f.). Akteurzentrierte Ansätze
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
41
heben dagegen stärker das Eigeninteresse und/oder das Interesse der Akteure am Ziel der individuellen Nutzenmaximierung hervor. ,,Lernen" oder Wandel durch die Anpassung von Handlungsorientierungen wird hier als eine ,rationale' Reaktion einzelner maßgeblicher Akteure auf das Versagen (historisch) gewachsener Institutionen (Ineffizienz, mangelhafte Effektivität/Zielerreichung) interpretiert (March/Olson 1984; Peters 1999: 56-58 u. 68-71; Scharpf2000: 117-122). Gemeinsam ist beiden Ansätzen die Skepsis gegenüber der Annahme, bestimmte Regelsysteme könnten insgesamt und ,plötzlich' einem umfassenden Wandel unterliegen. Eher werden inkrementelle Veränderungen und teilweise Abwandlungen institutionalisierter Handlungszusammenhänge erwartet, die aufgrund des allmählichen Erkennens ,besserer' Lösungen bei gleichzeitigem, teilweisem Festhalten am Bewährten und/oder Erprobten durch die begrenzt rationalen Akteure zustande kommen (March/Olsen 1984). Die Konfrontation der beiden Zweige der Insitutionentheorie wird in der jüngeren, explizit an der Erklärung von Institutionenwandel interessierten Forschung ein Stück weit relativiert (vgl. Thelen 2003; Streeck/Thelen 2005). Beide institutionentheoretischen Schulen treffen nicht nur in der Annahme inkrementell ablaufender Veränderungsprozesse zusammen, sondern auch in der These, wonach bestimmte exogene namentlich übernationale Veränderungsimpulse nachhaltigen Einfluss auf nationale Policy-spezifische Institutionensysteme haben. Die "Globalisierung" oder Internationalisierung der Waren-, Dienstleistungs- und Finanzmärkte einerseits und, innerhalb der EU, die ,,Aufstockung" nationaler Politiken im Rahmen der europäischen Integration andererseits werden hier als wirkrnächtige Größen nationalen Policy- und/oder Institutionenwandels betrachtet (vgl. Streeck/Thelen 2005). In diesem Forschungskontext ist auch die Bedeutung "weicher" Politiksteuerung durch diskursive Einflussnahme oder das Setzen von finanziellen Anreizen hinterfragt worden. Konkret galt und gilt das Interesse dabei auch der Frage nach den Wirkungen der ,Einrahmung' oder des "Frarning" (Rein/Schön 1993) des nationalen Policy-Makings durch die EU in einzelnen Feldern staatlichen Eingriffshandelns (Quack 2005). Eine zentrale These in diesem Zusammenhang lautet, dass es in den 1990er Jahren im Lichte der ökonomischen Globalisierung und unter den Vorzeichen der europäisch "post-nationale[n] Konstellation" (Leibfried/Zürn 2006: 56) zu einem Gestaltwandel - weniger zu einer ,,Aushöhlung" (vgl. Rhodes 1994) - des Staates bzw. staatlicher Interventionsmuster gekommen ist. Die im Nationalstaat in einzelnen Politikfeldern institutionell vorstrukturierten Muster der Intervention werden so die verbreitete Annahme - gezielt angepasst, zumeist zugunsten einer Auflösung von hierarchischen Strukruren und zugunsten einer stärkeren Ausrichtung staatlichen Handelns an kooperativen oder auch wettbewerbszentrierten Formen der Steuerung G,Governance'') (Benz 2001: 235-238; Leibfried/Zürn 2006: 41-57). Der beobachtete Gestaltwandel wiederum, so die Argumentation in diesem Zusammenhang, ist von den maßgeblichen korporativen oder auch individuellen staatli-
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2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive
ehen Akteuren im jeweiligen Policy-Feld häufig gewollt und wird bewusst angestrebt, um die staatliche Handlungsfähigkeit in Zeiten des allgemeinem Strukturwandels zu erhalten (Scharpf 2000: 114f.; Benz 2001: 240). Mit diesem Paradigma vom Veränderungs- oder Wandlungswillen verbunden ist die Annahme, wonach staatliche Akteure in den unterschiedlichen Interventionsfeldern unter den allgegenwärtigen Vorzeichen des exogenen Anpassungsdrucks gerade in "Momenten der (...) Krise" (Schmidt 1996: 69) eine Anpassung des jeweils leitenden Interventionsmodells nicht nur zuließen, sondern auf dem Wege der "graduellen Transformation" (Quack 2005: 347) der etablierten Institutionen-Arrangements geradezu anstrebten (Benz 2001: 228; Streeck/Thelen 2005: 31). Die europäische Politik wiederum und die Aufstockung der nationalstaatlichen Public Policy-Systeme um eine europäische Handlungsebene (jachtenfuche/Kohler-Koch 2003: 28; Tömmel 2007: 13) werden - der skizzierten Argumentation folgend - zu wichtigen exogenen Einflussgrößen, wenn es um die Erneuerung der öffentlichen Aufgabenerbringung in den EU-Mitgliedstaaten geht (Quack/Djelic 2005). Dabei wird europäische Politik mittlerweile nicht mehr einseitig als ,supranationaler Zwangs faktor' für nationales Public Policy-Making angenommen, sondern als ein bedeutender Faktor für die Reform und Innovation von staatlicher Intervention auf den Handlungsebenen des Staates und in den unterschiedlichen Phasen des Policy-Making Prozesses (Schmidt 1996; Tömmel1998; Voelzkow 2000; Leiber/Schäfer 2008). Europäische Politik, ob auf Grundlage förmlich übertragener Kompetenzen oder auf Basis eines erweiterten Kompetenzgebrauchs durch die Kommission, befasst im Zuge ihrer nationalen Verarbeitung zahlreiche (sub-) staatliche Akteure. Sie sind im Rahmen des je Policy-spezifischen Institutionen-Arrangements in spezifische Akteurskonstellationen eingebunden und nehmen hier spezifische Funktionen wahr. Im konkreten Fall der EU-Stadtentwick1ungspolitik und des europäischen Politiktransfer-Ansatzes in Gestalt der GI URBAN II sind neben den zentralstaatlichen oder - im Falle Deutschlands - den Akteuren auf Ebene der Bundesländer zuallererst die kommunalen Akteure befasst. Sie wenden die der europäischen Stadtentwicklungspolitik innewohnenden instrumentellen, prozeduralen und strukturellen Vorstellungen bei der Implementation des URBAN-Programms an und setzen die normativen Leitideen und die Interventionsphilosophie dieser Politik in ein konkretes Interventionsmuster um. Dabei, so wird hier argumentiert, kommt es zu einem zweistufigen Prozess des Wissensabgleichs (vgl. Nullmeier 1993) und, darüber vermittelt, gegebenenfalls des Wissenstransfers, also der Neuausrichtung von Handlungsorientierungen und der bewussten Anpassung der lokalen Institutionen an die europäischen Vorgaben. Wie sieht dieser Prozess aus? Grundsätzlich wird vor dem Hintergrund der dargelegten institutionentheoretischen Überlegungen hier von der These einer allmählichen, differenzierten nationale wie lokale Politikstile aufgreifenden und weiterführenden Anpassungsreaktion auf die europäische Einflussnahme ausgegangen. Die Anpassung der Akteure auf
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
43
den einzelnen Ebenen schließt dabei, so wird hier angenommen, eine "breite(n) Palette von unterschiedlichen Reaktionsmustem" ein (fömmel 2001: 21). Sie reichen von der Beharrung bis hin zur Angleichung, wobei die Reaktionen der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen in ein und demselben Mitgliedstaat nicht notwendig in dieselbe Richtung gehen (vgl. Abb. 1).
Abbildung 1:
Politiktransfer (der EU)
Policy-spezifisches
l
Interventionsmodell - Ziele, Instrumente - Verfahren - Strukturen
,
Rüc7soption
Handlungsorientierungen der SchlOsseiakteure zu:
: - Ziele, Instrumente : - Verfahren : - Strukturen ~- -- ------ -----
---.
____________________________________ __1
i L
l
Politische Kosten Transaktionskosten (finanziell, personell, kognitiv) angenommene/r SteuerungsfähigkeiV -aufwand
,, ,,
(Nicht-) Wandel: : - Ziele, Instrumente
,, : - Verfahren ,,, : - Strukturen , -----, - - - - - - - - - - -.,-, - - - - - - - - - - --
y
Institutionelle Verankerung der Policy-spezifischen Intervention
Beharrung
Wissenstransfer
Innovation
_
i I
t~
Eigene Darsrellung.
Auf einer ersten Stufe des Abgleichsprozesses findet eine Gegenüberstellung der dem europäischen Interventionsmodell inhärenten Ideen mit den Orientierungen, die den hergebrachten Interventionsmustern zugrunde liegen, statt. Es sind in erster Linie einzelne Schlüsselakteure mit politisch-institutionell und/oder fachlich begründeter Vetornacht innerhalb des jeweiligen Policy-Subsystems, die hier für die entscheidende Weichenstellung über den Erfolg oder Misserfolg des europäischen Politiktransfers sorgen. Ob hieraus wiederum in einem zweiten Schritt gezielte Anpassungen auf der instrumentellen, prozeduralen oder strukturellen Ebene des jeweiligen Interventionsmusters folgen und wie substanziell oder inkrementell diese je sind, ist dabei weniger abhängig von der ,Neuheit' des angebotenen Wissens für die maßgeblich beteiligten Akteure. Es ist eher abhängig von den antizipierten Kosten oder dem erwarteten Nutzen der Institutionenanpassung (vgl. Ma-
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2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive
yntz/Scharpf 1995: 47), so z.B. den politischen Kosten, die mit Wandel aufgrund des exogenen Impulses verbunden werden, den realen Transaktionskosten, die für den Fall einer Anpassung antizipiert werden (Ausmaß an Lernnotwendigkeit oder Notwendigkeit zur Verhaltens anpassung, finanzielle Kosten), der Erwartungen bezüglich der Veränderung von Steuerungsfähigkeit, oder auch der Erwartung von (poltischen, finanziellen etc.) Risiken im Falle einer nicht-revidierbaren Pfadabweichung. Die aufgezählten Faktoren sind in der policy-analytischen Innovations- und Diffusionsforschungt' unterschieden und analysiert worden. So hat u.a. Rogers mit der Identiftzierung und systematisierung von innovationsrelevanten Faktoren zugleich denkbare Faktoren für das Eintreten institutionellen Wandels unter Bedingungen des Wissenstransfers benannt (1995: 15f.). Die von Rogers benannten Einflussfaktoren sind grundsätzlich auslegungsbedürftig. Ihre Interpretation durch die betroffenen Schlüsselakteure, die vor dem Hintergrund bestimmter, mehr oder weniger restriktiver Rahmenbedingungen entscheiden und handeln, bedingt - so wird hier angenommen - die Bereitschaft der Akteure zur Anpassung in den einzelnen Dimensionen staatlicher Intervention. Sie werden daher hier bei der Untersuchung der Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung aufgegriffen und in ihrer konkteten Relevanz in den ausgewählten Fällen analysiert, wobei eine Konzentration der empirischen Analyse auf die Frage der Erzeugung von Tiefenwirkungen auf der lokalen Ebene in den ausgewählten Städte-Fällen stattfindet:
• • • • •
Kompatibilität der innovativen Idee oder der neuartigen Handlungspraxis mit den vorherrschenden Ideen, Wahrnehmungen, Normen und Überzeugungen der innovierenden Akteure, relativer Vorteilfür den/die innovierenden Akteur/e, Komplexität der Innovation/innovativen Idee, Erprobbarkeit von Innovationen, Sichtbarkeit der (positiven) Ergebnisse von Innovationen.
Das grundsätzliche Interesse der Innovations- und Diffusionsforschung, vor allem auch in ihrer spezifischen Hinwendung zu regionalem und lokalem Wandel, gilt politisch-inhaltlichen, aber auch prozeduralen und organisatorischen "Innovationen". Diese werden dabei nicht notwendig i.S.v. originär von der jeweiligen Untersuchungseinheit (Staat, Region, Kommune, andere territoriale Gebietskörperschaft) 14 Im Mittelpunkt der Policy-analytischen Innovations- und Diffusionsforschung steht die Frage, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen Policy-Neuerungen Eingang in die Interventionspraxis staatlicher oder in Stellvertretung des Staates handelnder Public Policy-Akteure u.a. auf der regionalen oder lokalen/kommunalen Ebene eines bestimmten nationalen politisch-administrativen Systems finden (Walker 1969: 881; Rogers 1995: 1).
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geschaffenen Neuerungen verstanden, sondern i.S.v. für die Untersuchungseinheit neuen oder neuartigen, also zuvor nicht erprobten oder praktizierten Policy-Ideen, Organisationsfonnen und/oder Interventionspraktiken und prozessspezifischen Handlungsfonnen: ,,An innovation is an idea, practice, or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption" (Rogers 1995: 11). Dabei wird zum einen davon ausgegangen, dass Neuerungen selbst in der Regel das Ergebnis von Policy-Diffusion oder auch Politiktransfer sind (vgl. Lütz 2007) und dass sie an anderer Stelle weitere Innovations- und Politikverbreitungsprozesse in Gang setzen können (Berry/Berry 2007: 224). Zum anderen wird davon ausgegangen, dass regionaler oder lokaler Politik-Wandel (und weitergehende Verbreitungseffekte) umso wahrscheinlicher sind, je eher die ,,internen Determinanten" für Wandel, d.h, die innerhalb des jeweiligen Politik-Arrangements bei den politischen und administrativen Akteuren gegebenen Aktionsbedingungen, anpassungs- oder refonnbegünstigend sind. Als günstige interne Voraussetzung für Wandel wiederum wird zum einen die Existenz einer ausgeprägten Motivation der staatlichen oder gebietskörperschaftlichen Akteure zur Veränderung genannt. Dies schließt auch die Bereitschaft der Akteure zum Einsatz knapper Handlungsressourcen im Sinne vorgegebener Anpassungsideen ein (ebd.: 234). Zum anderen wird die Ahwesenheit speiffischer Reftrmhindernisse genannt. Dies betrifft vor allem die Verfügung über (finanzielle, infonnationelle und Macht-) Ressourcen; die Knappheit an finanziellen Ressourcen gilt hierbei als reformhemmender Faktor (ebd.). In der der Konfrontation der Akteure mit exogenen Wandlungsimpulsen hängen beide Faktorstränge eng miteinander zusammen. Entscheidend bei der lokalen Policy-Innovation durch das Nachahmen exogen vorgegebener Interventionsmodelle ~,Isomorphismus'') ist zunächst die ideologische und/oder normative Nähe der entscheidungsmächtigen Akteure zu den Ideen, die mit dem extern vorgegebenen Modell transportiert werden oder auch zum Träger des exogenen Innovationsimpulses selbst (ebd.: 230f.). Innovation durch Nachahmung - sofern sie wie im Fall der GI URBAN 11 das Resultat der Inanspruchnahme extern gesetzter Finanzanreize sein soll - hängt aber auch von der Finanzkraft der jeweiligen Gebietskörperschaft ab. So wird angenommen, dass die Neigung der sie repräsentierenden Akteure, sich auf Wandel einzulassen und damit nicht der Versuchung zur ,,inszenierten" Anpassung (Hoppe/Voelzkow 2001: 199)15 und zur Mitnahme der 15 Hoppe/VoelZkow gebrauchen den Begriff der "Inszenierung" im Zusammenhang der Unrersuchung der Implementation europäischer Ziel 2-Regionalpolitikprogramme in Deutschland/NordrheinWestfalen und Großbritannien für die analytische Beschreibung solcher Handlungsweisen der staarlichen oder öffenrlichen Implementationsträger, die scheinbar erst aufgrund der Vorgaben des jeweiligen EU-Programms im Zuge seiner Umsetzung ,erfunden' und erprobt werden, in Wahrheit jedoch bereits gemachten Vorgaben der eigenen Regierung entsprechen: ,,Mit dem Begriff der ,,Inszenierung" soll deurlich gemacht werden, dass sich die vorgefundenen Gremien funktionaler Repräsentation nicht irgendwelchen spontanen Kräften, sondern den prozeduralen Vorgaben der Landesregierung verdanken." (2001: 199)
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2.1 Politiktransfer der EU aus institutionentheoretischer Perspektive
angebotenen Finanzanreize zu erliegen, bei ausreichenden finanziellen Ressourcen größer ist als in einer Situation finanzieller Schwäche (Berry/Berry 2007: 231). Nationale und hier zuallererst lokalstaatliche Anpassungsreaktionen auf die europäische Stadtentwicklungspolitik gründen also darauf, dass die betroffenen (kommunalen) Entscheidungsträger über "lesson-drawing" (Rose 1991) allmählich zu einer Neuorientierung der lokalen Raumordnungspolitik gelangen (vgl. Conzelmann 1998: 6). Neben der Verfügung über Ressourcen, die hierbei eine Überbrückung der entstehenden Transaktionskosten erlauben, spielen dabei noch weitere Faktoren eine Rolle. Im Lichte des institutionentheoretischen Arguments, wonach die Akteure sich über die Anpassung gegebener Instrumente, Verfahren und/oder Strukturen individuelle oder organisations- oder auch professionsbezogene Legitimationsgewinne erhoffen, darf angenommen werden, dass Anpassung umso wahrscheinlicher ist, je eher die EU-Politik nach der Wahrnehmung der Akteure "passende Lösungen" für lokale Policy-Probleme vorhält (ebd.: 5). Dies entspricht dem oben genannten Innovationsfaktor "relativer Vorteil" (Rogers 1995: 15). Demnach muss mit der zu übernehmenden Idee die Überzeugung verbunden werden, dass sie dem betroffenen Akteur einen Mehrwert i.S. der Herstellung eines relativ vorteilhafteren Zustands gemessen an der bereits geübten Handlungspraxis (machtbezogen-politisch, steuerungstechnisch etc.) bringt. Dabei besteht die Problematik von Anreizprogrammen wie der Gemeinschaftsinitiative URBAN II stets darin, dass eine tatsächliche Angleichung der kognitiven Kulisse (Quack 2005), vor deren Hintergrund die öffentliche Aufgabenerbringung im Bereich der Stadtentwicklung stattfindet, u.U, durch die ,Verlockung' kurzfristiger Vorteile wie der Gelegenheit zur Mitnahme von Fonds durch die implementierenden Akteure konterkariert wird (Mayntz 1977). Ein weiterer Faktor, der neben die bereits erläuterten Faktoren für Policy- und Insitutionenwandel unter der Bedingung des EU-Politiktransfers tritt, ist das anti'{jpierte Ausmaß an notwendiger individueller Verhaltensanpassung, das der exogene Wandlungsimpuls mit sich bringt. Dies entspricht dem oben genannten Innovationsfaktor der "Komplexität". So wird im lichte der insitutionentheoretischen Inkrementalismusannahme nicht nur davon ausgegangen, dass Wandel aufgrund eines exogenen Anpassungsimpulses nur teil- und schrittweise erfolgt, sondern auch, dass er umso weniger wahrscheinlich ist, je komplexer, i.S.v. schwer verständlich und/oder für die Akteure schwer anwendbar und unter den je gegebenen institutionellen und ressourcenbezogenen Bedingungen umsetzbar ist. Bei dem komplexen Ideengebäude der GI URBAN II sind Teilanpassungen mithin wahrscheinlicher als die vollständige Übernahme der angebotenen Ideen zum Wandel der stadtentwicklungspolitischen Intervention durch die lokalen Akteure. Und schließlich kommen mit der Brprobbarkeit und der Sichtbarkeit noch zwei weitere wichtige Faktoren für Wandel hinzu. So scheinen Neuerungen, die unter
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experimentellen Bedingungen eingeführt werden, höhere Chancen auf (dauerhafte) Durchsetzung zu haben als etwa zwangsweise eingeführte Veränderungen. Denn experimentelle Innovationen - und dieses Kriterium trifft auf die Vorstellungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik in Gestalt der GI URBAN zu - erlauben den betroffenen oder angesprochenen Akteuren während der ,Testphase' der Neuerung Fehler zu machen oder auch den lokalen Gegebenheiten angemessene Anpassungen und damit Abweichungen vom vorgegebenen Modell zu erproben. Zudem beinhalten experimentelle Neuerungen eine Exit-Option. Der Faktor "Sichtbarbeit" wiederum verweist auf die genannte Grundannahme der jüngeren Innovations- und Diffusionsforschung, wonach Neuerungen im Anschluss an vorangehende Policy- Diffusion oder auch Policy-Transfer stattfinden und sich gegebenenfalls fortsetzen. Policy-Innovationen, so wird dabei unterstellt, werden dann umso eher übernommen, wenn beispielsweise Evaluationen der entsprechenden Innovation anderswo zu sichtbaren, ,positiven' Ergebnissen im Sinne der je an sie angelegten Erwartungen geführt haben. Denkbar ist in diesem Zusammenhang ebenso - und hier zeigt sich das Zusammenspiel von Innovation und Diffusion -, dass Neuerungen im Rahmen eines Wettbewerbs zwischen Regionen oder lokalen Gebietskörperschaften um neue Problemlösungen und/oder Interventionsmodelle in einzelnen Public Policy-Feldern ausgelöst werden (Berry/Berry 2007: 225 u. 231). Aus einer akteurzentrierten Perspektive erklärt sich diese Art von Innovationstreiber mit dem Wunsch der (regionalen oder lokalen) Politikakteure, die eigene Region oder Stadt mit anderen Gebietskörperschaften zu vergleichen und die eigene Interventionsleistung an der Leistung anderer gebietskörperschaftlicher Akteure zu messen. Hierbei wird angenommen, dass lokale Innovationsfähigkeit abhängt vom Willen der Akteure zum politischen Unternehmertum aufgrund des Wunsches, Vorreiter (Leadei) und nicht Nachzügler (Laggard) für bestimmte PolicyNeuerungen zu sein (ebd.: 230). Die zentrale Innovationsvoraussetzung ,Motivation der Akteure zum Wandel' wird bei der Analyse von tatsächlicher Angleichung oder Beharrung als unabhängige Untersuchungsvariable konzipiert (ebd.: 234f.). Inwieweit sie greift, inwieweit motivation zum Wandel vorhanden ist, ist von der Vermittlung durch die genannten weiteren, zusätzlichen Faktoren abhängig. Demnach ist die Ausstattung der jeweiligen Gebietskörperschaft mit Ressourcen, namentlich mit ftnanziellen Ressourcen zur Bestreitung der für den Policy-Wandel notwendigen Transaktionsoder Umstellungskosten, ein für die lokale Innovationsfähigkeit ausschlaggebender Faktor. Dabei wird hier angenommen, dass ein hohes Maß an Kompatibilität oder Übereinstimmung der Hancllungsorientierungen der betroffenen Akteure mit den durch die EU-Stadtentwicklungspolitik vorgegebenen Ideen ebenfalls anpassungsbegünstigend wirkt und dass ein gewisses Niveau an eigenen Ressourcen vorhanden sein muss, um Wandel tatsächlich auszulösen.
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2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung - ein Analyseraster
Zum Ermessen zunächst der Tiefenwirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik und der Wirksamkeit der europäischen Steuerungstechnik des Politiktransfers muss die Bedeutung der erläuterten Faktoren für Innovation oder Anpassung im Einzelfall analysiert werden. Dazu werden nachfolgend, ausgehend von den drei Interventionsdimensionen, die im Fokus des stadtentwicklungspolitischen Wissenstransfers durch die GI URBAN II stehen - der politisch-inhaltliche bzw. instrumentelle Aspekt, der prozedurale Aspekt, und der organisatorische Aspekt -, Indikatoren entwickelt.
2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung ein Analyseraster Die drei Dimensionen staatlicher Intervention, an denen die Gemeinschaftsinitiative URBAN II ansetzt (vgL Kap. 1.1), können als Ausgangspunkte zur Dimensionierung der Wirkungen und zur Operationalisierung der Wirkungsanalyse herangezogen werden. Sie werden in der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung allgemein als Ansatzpunkte für die Untersuchung von policy-spezifischem Institutionenwandel betrachtet (vgl. Hall 1993). Lokale und staatliche Wirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik sind grundsätzlich in einer politisch-inhaltlichen und instrumentellen Dimension, einer auf politische Prozesse und die Verfahren staatlicher Intervention bezogenen Dimension und einer politisch-administrativ strukturbezogenen Dimension zu erwarten (vgL Abb. 1). Dabei ist die Implementation der GI URBAN II dem eigentlichen Wirken der mit ihr verbundenen Ideen in diesen drei Dimensionen vorgeschaltet. Der Prozess der Implementation untergliedert sich, wie üblicherweise im Falle regionalpolitischer Programme und Initiativen der EU (vgL Hooghe/Marks 2001: 99-102; Allen 2005; Tömmel 2006), in eine Phase der lokalspezifischen .Übersetzung' der europäischen Vorgaben durch Formulierung eines lokalen Handlungsprogramms, des so genannten "Operationellen Programms" (OP)16, und eine Phase der Umsetzung dieses OP über den insgesamt sechsjährigen Förderzeitraum. Während des gesamten Implementationsprozesses findet der oben erläuterte AbDas Operationelle Programm (OP) stellt die regionale oder lokale ,Übersetzung' der regionalpolitischen Ralunenvorgaben der EU, d.h., ihre Anpassung an die Ausgangsbedingungen in den Fördergebieten, dar. Die strukturpolitischen Rahmenvorgaben wiederum sind in den Verordnungstexten Zu den Europäischen Strukturfonds (EFRE und ESF) für eine jeweilige sechsjährige Förderperiode niedergelegt. Neben den Strukturfondsverordnungen waren für die regionale/lokale Operationalisierung der europäischen Zielvorgaben im Bereich der Regionalpolitik bis zum Ende der Förderperiode 2000-2006 außerdem eigene Leitlinien der Europäischen Kommission maßgeblich. Sie wurden für die regionalpolitischen Sonderprogramme. namentlich die Gemeinschaftsinitiativen, die mit Beginn des Förderzeitraums 2007-2013 in ihren Zielen sämtlich in den ,Hauptstrom' der europäischen Regional- und Strukturpolitik überführt worden sind, formuliert (vgl. Allen 2005; Tömmel2006; Kopp-Malek 2008). 16
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gleich von Ideen und Handlungsorientierungen durch die angesprochenen kommunalen Akteure zunächst bei der Programmformulierung und sodann bei der umsetzung statt. Anhand der prozessbegleitenden Implementationsanalyse lässt sich zwar nicht mit Sicherheit feststellen, ob es tatsächlich zu (dauerhaftem) Wandel aufgrund angepasster Handlungsorientierungen der Schlüsselakteure kommt, es lässt sich jedoch für die einzelnen Interventionsdimensionen, in denen der stadtentwicklungspolitische Wissens- und Ideentransfer grundsätzlich wirkt, anhand bestimmter Indikatoren eine Aussage über die zu erwartende Wirkungstiefe oder -intensität treffen. In der europäischen Stadtentwicklungspolitik, wie sie in der GI URBAN II Gestalt annimmt, spiegeln sich unterschiedliche Ideen und Konzepte wider, die in den internationalen sozial- und verwaltungswissenschaftlichen Diskursen über die "Modernisierung des Staates" (Naschold/Bogumil 2000) seit Ende der 1980er Jahre eine Rolle spielen". Es handelt sich um das New Public Management (NPM)-Konzept zur Erneuerung der staatlichen Bürokratien nach "managerialistisehen" und betriebswirtschaftlichen Vorstellungen und Strukturprinzipien (vgl. Nasehold 2000a; Felder 2001; Pollitt/Bouckaert 2004), die Idee eines Übergangs vom umverteilenden zum arbeitsmarktzentriert "aktivierenden" Sozialstaat (Mezger/West 2000; Pierson 2001: 425f.) und um die Idee der Ablösung des hierarchisch intervenierenden oder steuernden Wohlfahrts- durch den "kooperativen Staat" oder auch den mit Marktinstrumenten intervenierenden neo-liberalen "Wettbewerbsstaat" (jessop 1995; Hirsch 1996; vgl. insgesamt: Benz 2001: 227f.) Die Protagonisten der entsprechenden Ideen vermischen nicht selten, ausgehend von geteilten Problemdiagnosen, die Beschreibung eines tatsächlich beobachteten Staatswandels einerseits mit der Präsentation von interventionsbezogenen Ideen und "Paradigmen" zur künftigen Gestalt und Funktion des Staates andererseits. Mit Blick auf die Konzeption bestimmter einzelner Policies hat gerade die Europäische Kommission als ,Regierung der EU' mit einer institutionell eingeschränkten Steuerungsrnacht (fömmel 2008: 68f. u. 265f.) in der Vergangenheit zahlreich Anleihe an den aufgezählten Konzepten genommen. Sie gestaltet diese Konzepte nicht nur aktiv mit (vgl. Beck/Grande 2004: 225-227), sondern leitet aus ihrem Ideenbestand immer wieder auch politikfeldspezifisch konkrete Handlungsempfehlungen an die (sub-) nationalen Verwaltungs- und Politikakteure in den Mitgliedstaaten ab. Diese Empfehlungen zielen auf die Formulierung von Policy-Zielen, die Gestaltung von Instrumenten und von Verfahren sowie die Strukturierung des aufgabenbezogenen staatlichen Interventions- und Verwaltungshande1ns. Eine entsprechende Strategie hat die Kommission seit der Initiierung der europäischen Regionalpolitik durch Gründung des Europäischen Regionalfonds (EFRE) im Jahr Vgl. hierzu auch: Osbome/Gaebler 1992; Willke 1992; Majone 1994; Jessop 1995; Hood 1998; Leibfried/ Z ürn 2006)
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2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung - ein Analyseraster
1975 stets auch in diesem Policy-Bereich verfolgt (vgL Tömmel 1994, 2000 u. 2006; Anderson 1998; Voelzkow 2000; Benz 2003: 337-339). Dementsprechend gilt diese Feststellung auch für die Konzeption der europäischen Stadtentwicklungspolitik und speziell der im Feld der Regionalpolitik verankerten Gemeinschaftsinitiative URBAN II (vgl. Kap. 3). Hier verweist sowohl die zentrale Idee des integrierten Poltikansatzes als auch die ebenfalls zentrale Idee der (Bürger-) Aktivierung und der Mobilisierung nichtstaatlicher/nicht-kommunaler Akteure im Sinne der Aufwertung der benachteiligten städtischen Fördergebiete auf bestimmte einzelne politisch-inhaltliche bzw. instrumentelle, verfahrensbezogene sowie organisationsbezogene Ideen im Rahmen der angesprochenen Diskurse. Die Idee des integrierten Politikansatzes, also der Konzeption von multifunktionalen, mehrere unterschiedliche Aufgaben verbindenden und dabei gebietsbezogen anwendbaren Instrumenten verweist erstens auf die ,modeme' Vorstellung, wonach sich die Effektivität staatlichen Eingriffshandelns durch die wechselseitige Abstimmung der Ziele und Inhalte einzelner Policies systematisch steigern lässt (Benz 2001: 270). Diese Idee ist im Rahmen des NPM-Konzepts, aber auch früherer Reformkonzepte, tnit Bezug auf die unterschiedlichen Ebenen der nationalen staatlich-adtninistrativen Systeme diskutiert worden (Bogumil/]ann 2005: 138-140 u. 209). Im Zusammenhang der europäischen Stadtentwicklungspolitik und der GI URBAN mündet sie in den Vorschlag der Konzeption von Instrumenten als integrierte "Projekte" zur wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Aufwertung und Entwicklung benachteiligter Städte und/oder Stadtteile (Europäische Komtnission 2003: 16). Die Idee des integrierten Politikansatzes impliziert dabei zugleich die Anlagerung mehrerer unterschiedlicher Kompetenzen auf einer Ebene nach der Vorstellung der EU-Komtnission idealerweise die dezentrale oder lokale Ebene (ebd.). Zumindest jedoch impliziert sie die Errichtung einer funktionsfähigen "Partnerschaft" durch Anwendung geeigneter Koordinationsverfahren zwischen den einzelnen Ebenen des betroffenen politisch-administrativen Systems (ebd.). Denn ansonsten drohen die vermuteten Effektivitätsgewinne, die durch verbesserte Koordination von Politiken auf einer horizontalen Dimension des Public Policy-Makings erzielt werden könnten, aufgrund von Reibungsverlusten durch Politik- und Verwaltungsverflechtung zwischen den Ebenen wieder verloren zu gehen (vgl. Benz 2004: 133f.). Komplementär zur Vorstellung der Politik-Koordination verweist die für die europäische Stadtentwicklungspolitik zentrale Idee des integrierten Politikansatzes auch auf die Idee der Modernisierung öffentlicher Verwaltung durch eine verstärkte binnenadtninistrative Koordination. Fachbereichs- und ämterübergreifende Koordination bei der Politikplanung und -implementation und, daraus abgeleitet, der Abbau der klassisch bürokratischen Strukturen funktionaler Versäulung, soll, z.B. durch die regelmäßige Abstimmung von Maßnahmen zwischen Verwaltungs-
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einheiten und/oder auch durch die Errichtung von ämterübergreifenden Querschnittsstrukturen, erreicht werden. Diese Vorstellung rechnet zu den Kernideen im Rahmen des NPM-Modernisierungskonzepts (Naschold 2000b: 94f.; Benz 2001: 274f.). Bereits bei der Aufstellung der lokalen Operationellen Programme für URBAN II und sodann auch bei ihrer Implementation in den einzelnen Städten wird das Erproben und Praktizieren der binnenadministrativen Koordination notwendig, wenn der integrierte Ansatz in der Realität umgesetzt werden soll. Und für seine dauerhafte Anwendung müssen die durch die europäische Stadtentwicklungspolitik angesprochenen Kommunen möglicherweise neue binnenadministrative Verfahrensformen und/oder Strukturen der Verwaltungs organisation finden, sofern die angestrebte, gebietsbezogene Policy-Koordination auf Dauer gestellt werden soll. Die für die GI URBAN II ebenfalls zentrale Idee der Aktivierung und Mobilisierung der Bürger und der nicht-staatlichen/nicht-kommunalen Akteure (Verbände, Interessengruppen, Vereine etc.) im Sinne der Aufwertung der städtischen Fördergebiete wiederum verweist zunächst auf Kemvorstellungen im Rahmen des internationalen Diskurses über die Erneuerung des Sozialstaats. Die Minderung von sozialen Risiken soll nach der verbreiteten Vorstellung in diesem Zusammenhang durch eine (teilweise) Rückverlagerung dieser Risiken - insbesondere des Risikos arbeitslos zu werden - auf das Individuum erreicht werden (vgl. Pierson 2001: 422f.). Dabei greift idealerweise einerseits der Hebel eines ,fordernden' des Staates, der vom (erwerbslosen) Einzelnen Aktivitäten und Eigenengagement zur beständigen (Weiter-) Qualifizierung und/oder der Suche und raschen (Wieder-) Aufnahme beruflicher Tätigkeit verlangt. Andererseits greift dieser Vorstellung entsprechend der Hebel eines ,fördernden', i.S.v. den Einzelnen bei der Arbeitssuche und -aufnahme gezielt unterstützenden Staates (vgl. Mezger/West 2000; Obinger 2007: 279-281). Da der EU die sozialstaatliehen Kompetenzen zum Einsatz des Fördermechanismus fehlen, rückt die Kommission bei der Umsetzung der GI URBAN II den letzteren, förderungsbezogenen Hebel in den Vordergrund. Dies hat zunächst für die inhaltlich einzelzielbezogene oder instrumentelle Dimension der kommunal-stadtentwicklungspolitischen Intervention Konsequenzen. Hier sollen die Kommunen über die Implementation der GI URBAN II ,lernen', bei der Planung von Aufwertungsprogrammen für benachteiligte Stadtviertel weniger auf den Einsatz der klassischen Kerninstrumente Geld und Recht, das heißt, Z.B. auf die Investition in die städtische Bausubstanz, den Bau von Sozialwohnungen oder die Ordnung von Räumen und die (städtebauliche) Wohnumfeldverbesserung zu setzen. Vielmehr sollen sie auf den Einsatz neuer Instrumente zur Aktivierung der Bewohner der betroffenen Stadtviertel setzen. Dies beinhaltet nach dem Willen der EU-Kommission zuallererst Anreiz- und Förderinstrumente zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der Bewohner, so z.B. die Investition in personen- oder gruppenspezifischen (Weiter-) Qualifizierung, den Abbau von Bildungsdefiziten
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2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung - ein Analyseraster
oder die Entwicklung unternehmerischer Eigeninitiative. Es beinhaltete aber auch die Entwicklung von Instrumenten zur Aktivierung in einem weiter gehenden Sinn (vgl. Benz 2001: 263), also zum bürgerschaftliehen Engagement der Bewohner für ,ihren' Stadtteil G,Stakeholder'') und zur die Entwicklung von bürgerschaftlichen Projekten, z.B. für die Verbesserung des äußeren Erscheinungsbilds oder des sozialen Klimas im Stadtteil (Europäische Kommission 2003: 6). Weiterhin verweist die für URBAN II zentrale Idee der Aktivierung auch der kollektiven sowie korporativen Akteure in benachteiligten Stadtgebieten 01ereine, Bürgerinitiativen, Verbände, Interessengruppen, Schulen ete.) auf Kernvorstellungen im Rahmen des Diskurses um die Neubewertung der Funktionen des Staats (Benz 2001: 260-263). Bei der Bearbeitung gesellschaftlicher Verteilungs- oder Ungleichheitsprobleme soll der Staat demnach weniger fürsorgend (um-)verteilenden und/oder ditekt regulierend tätig werden. Demgegenüber wird nunmehr die Verbesserung der Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns auf allen Ebenen der nationalen staatlich-administrativen Systeme durch staatliche Anreize zur Selbstregulierung in den Vordergrund gerückt. Dies beinhaltete einerseits auf der instrumentenbezogenen Seite staatlicher Intervention die Idee, dass der ditekte finanzielle Ausgleich von Disparitäten oder auch die Investition in Infrastrukturen ersetzt wird durch die staatliche oder private, öffentlich geförderte Bereitstellung von (sozialen, unternehmensbezogenen etc.) Unterstützungs- und Beratungsdienstleistungen (vgl. Le Gales/Voelzkow 2001: 3) oder auch durch die Investition in Marketing-Kampagnen für bestimmte Gebiete, Gruppen, Produkte. Es beinhaltet andererseits auf der verfahrensbezogenen Seite von Intervention die Idee der Öffnung der politischen Willensbildungs- und Entscheidungsarenen für die Beteiligung von Bürgern, Betroffenen, Interessengruppen. Bei der Implementation von URBAN II soll sich dies nach dem Willen der Kommission in der Planung und programmbegleitend kontinuierlichen Anwendung entsprechender Beteiligungsverfahren niederschlagen. Schließlich verweist die der europäischen Stadtentwicklungspolitik inhärente Idee der Aktivierung von Bürgern und nicht-staatlichen Akteuren auch auf Kernvorstellungen des Governance-Diskurses um die Erneuerung der staatlichen Steuerungsfunktionen. An die Stelle des hierarchisch intervenierenden und kontrollierenden Staates soll demnach der "kooperative Staat", der im Rahmen partnerschaftlicher Arrangements mit nicht-staatlichen Akteuren und/oder auf der Basis von Wettbewerb steuert, treten. In dieser Idee ist zum einen der Aspekt einer Veränderung des staatlichen Umgangs mit der Konzeption von öffentlichen Aufgaben enthalten. Anstelle der ditekten Problembearbeitung durch hierarchische Regulierung und Intervention soll nunmehr das Ausloten der besten, ,effizientesten' Lösungsmöglichkeiten treten, z.B. durch das Setzen von Anreizen zur freiwilligen Koorclinierung und zum Experimentieren oder durch die staatliche Herstellung von Wettbewerbsbedingungen, unter denen unterschiedliche private Akteure sich
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um das Angebot der inhaltlich besten und/oder ,effizientesten' Lösung für die Erbringung der vormals öffentlichen Aufgabe konkurrieren (Naschold 2000a: 33f.; Benz 2001: 262f.). Zum anderen ist hier ein verändertes Verständnis über die Herstellung von Legitimität enthalten. So soll die Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme ein Stück weit an die Gesellschaft zurückdelegiert und damit auch ein höheres Maß an Legitmität der öffentlichen Intervention erreicht werden (Benz 2001: 262f.). Während der Umsetzung der GI URBAN II sind die ausgewählten Städte vor diesem Hintergrund in der verfahrensbezogenen Dimension von Intervention gefordert, wenn es um die künftige Erbringung öffentlicher Aufgaben geht: Handelt die Kommune hier selbsttätig oder sucht sie gezielt nach Trägern und privaten Kooperationspartnern oder delegiert sie die Aufgabenerbringung gar gänzlich an Private, z.B, über die Ausschreibung von Projektwettbewerben? Ebenso sind die URBAN-Städte aber auch in der organisatorischen Dimension zur Veränderung ihrer Interventionsroutinen aufgefordert. So soll die Programm- und Aufgabenplanung möglichst nicht verwaltungsintern erfolgen, sondern partnerschaftlieh im Wechselspiel zwischen Verwaltung, Politik und auch den betroffenen Interessengruppen und möglichen Trägern von Aufgaben. Bei der Wirkungsanalyse muss es darum gehen, für alle drei Interventionsdimensionen (Instrumente, Verfahren, Strukturen) herauszuarbeiten, ob und inwieweit diese Ideen zunächst Eingang in die lokalen Operationellen Programme zur Implementation der europäischen Gemeinschaftsinitiative gefunden haben und sodann bei der Programmimplementation umgesetzt worden sind (vgl. Tab. 2). Erstens, was die politisch-inhaltliche und instrumentenbezogene Dimension betrifft, wird in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, inwieweit das Operationelle Programm Instrumente enthält, die Politikintegration ermöglichen, und inwieweit die Politikintegration bei der Anwendung der programmierten Instrumente und Projekte während der Umsetzung des OP verwirklicht wird. Zweitens wird nach dem Stellenwert gefragt, den die jeweiligeURBAN-Stadt den Zielen des materiellen/finanziellen Ausgleichs von gebiets- oder gruppenbezogenen Disparitäten einerseits und des Setzens von Anreizen zur selbstgeregelten Problembearbeitung in den betroffenen Stadtteilen andererseits einräumt. Und drittens wird nach dem Anteil der direkten (regulativen/distributiven) und indirekten (Anreize setzender, aktivierender) Instrumente zum einen im Operationellen Handlungsprogramm der Stadt und zum anderen während der Programmumsetzung gefragt. Mit Blick auf die politische (Inter-) Aktions- und Verfahrensdimension von Intervention wird danach gefragt, ob bei der Programmplanung und -implementation Verfahren der ämterübergreifenden Politikkoordination, der Bürgerbeteiligung und der Koordination mit potentiellen privaten Trägem der öffentlichen Aufgaben eine Rolle gespielt haben und wie diese jeweils ausgestaltet waren. Und schließlich wird hinsichtlich der politisch-administrativen Strukturdimension von Intervention hier nach der Gestaltung und Gestalt zum einen der Ak-
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2.2 Wirkungen des EU-Politiktransfers im Bereich der Stadtentwicklung - ein Analyseraster
teurskonstellation zur Programmsteuerung und zum anderen der städtischen Verwaltungsstrukturen zur Erledigung programmbezogener Verwaltungsaufgaben gefragt. Hierbei interessiert auch die Frage nach der Dauerhaftigkeit der Wirkungen des europäischen Politiktransfers mit URBAN II: Haben die Städte für die Programmimplementation eigene Sonderverwaltungsstrukturen errichtet, die sich nach Beendigung des temporären Programms u.U, leicht einstellen ließen, oder haben sie die Implementationsaufgabe im Rahmen der existierenden, möglicherweise eigens erweiterten oder modifizierten Strukturen wahrgenommen?
Tabelle 2:
Analyseraster - Tiefenwirkungen
Interventionsdimension
Wirkungsindikatoren Ausmaß der programmierten und der tatsächlichen Integtation mehrere Policies in den Instrwnenten
Politische Ziel- und Instrumentendimension
Programmatischer Stellenwert der Ziele ,materieller Dispatitätenausgleich' und/ oder ,Selbstheilungsanreiz' Anteil direkter (regulativer/distributiver) und indirekter (Anreize setzender, aktivierender) Instrumente Verfahren ämterübergreifender Politikkoordination bei Programmplanung und -implementation
Politische Prozessdimension
Verfahren der Bürgerbeteiligung bei der Programmplanung und -implementation Verfahren der Koordination mit privaten Akteuren/Trägem (Partnerschaft, Wettbewerb) Binnenadministrative Steuerungsstruktur: hierarchisch versäult - koordinationsorientiert sektorübergreifend
Politisch-administrative Strukturdimension
Akteurskonstellation der Programmsteuerung (geschlossen, wenige Akteure - offen, multiaktoriell) Verortung der Programmverwaltung im lokalen Verwaltungsapparat (Sonderbehörde, nortnale Verwaltung)
Eigene Darstellung.
Die Wirkungsanalyse des europäischen Politiktransfers durch Überprüfung der aufgelisteten Indikatoren erfolgt hier - dies wurde eingangs bereits angedeutet anband von Fallstudien in ausgewählten URBAN lI-Städten in Deutschland und Frankreich. In diesem Zusammenhang werden im nachfolgenden Kapitel die methodische Herangehensweise und die Fallauswahl näher erläutert.
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
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2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine international vergleichende, mit qualitativen Methoden operierende Studie der Tiefenwirkungen, die die europäische Stadtentwicklungspolitik in Gestalt der Gemeinschaftsinitiative URBAN II im Prozess ihrer Implementation in drei ausgewählten Städten zwischen 2000 und 2008 gezeitigt hat. Zusätzlich werden ebenfalls die Breitenwirkungen, die diese Politik hinsichtlich des Verständnisses und der Konzeption der nationalen Stadtentwicklungspolitik in Deutschland und Frankreich insgesamt hatte, hinterfragt. Die Untersuchung der Tiefenwirkungen (Kap. 5) steht im Mittelpunkt der empirischen Analyse. Sie wird getrennt von derjenigen der Breitenwirkungen (Kap. 6) durchgeführt. Damit folgt die Studie der oben erläuterten analytischen Annahme der Innovations- und Diffusionsforschung, wonach die Erneuerung und die Verbreitung von Innovationen (durch Wissenstransfer) zeitlich versetzt erfolgen. Methodische Herangehensweise Die Untersuchung der Tiefenwirkungen des EU-Politiktransfers im Verlaufe des Implementations- und gleichzeitig Untersuchungszeitraums zwischen 2000 und 2008 basiert auf empirischen Fallstudien zum Wandel oder zur Beharrung der lokalstaatlichen Interventionsmuster in drei ausgewählten URBAN II-Städten: Dortmund, Kiel und Le Havre. In diesem Zusammenhang wurde ein Mix aus unterschiedlichen qualitativen Methoden angewendet (Methoden-i.Triangulation"; Flick 2007: 44). Im Einzelnen waren dies: erstens die Auswertung von Sekundäranalysen zu den Fallstädten und der Implementation von URBAN II, zweitens die systematische Analyse von Dokumenten (lokale Programmplanungsdokumente und Evaluationsberichte zu URBAN II, Ratsprotokolle, Bürgermeisterreden, Haushaltspläne, Flächennutzungs- und Bebauungspläne) und lokalen Presseberichten sowie z.T. historischem Material aus den Stadtarchiven und drittens die Durchführung Leitfaden-gestützter, halboffener Experteninterviews ("EI'') mit städtischen Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung, die an der lokalen Umsetzung der EU-Stadtentwicklungspolitik beteiligt waren'", Um dem Prozesscharakter Rechnung tragen und die zeitliche Streckung von Innovationen durch Wissenstransfer berücksichtigen zu können, wurden die Interviews in den Fall-Städten zeitlich gestaffelt jeweils zur Mitte (2005-2006) und am Ende (2008) des Implementationszeitraums geführt. Sie hatten sowohl explorativen als auch systematisierenden Charakter, d.h., sie dienten der Wissensgenerierung, Informationsgewinnung und auch der Wissensstrukturierung (vgl. Bogner/Menz 2002: 37f.). Bei der Aus18
Nachweise aus Interviews sind im weiteren Text mit dem Kürzel "EI" gekennzeichnet.
56
2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
wahl der Gesprächspartner wurden sowohl Rolle und Funktion des jeweiligen Akteurs im Rahmen der Programmimplementation - diese war aufgrund des Dokumentenstudiums bekannt - wie auch im Rahmen der kommunalen Stadtentwicklungspolitik insgesamt berücksichtigt. Die Untersuchung der Breitenwirkungen wurde auf die Endphase der Implementation von URBAN II zwischen 2006 und 2008 konzentriert. Dieser Zeitraum stellte zugleich die Phase der Neuausrichtung der europäischen Regional- und Stadtentwicklungspolitik und damit zusammenhängend auch der gesamtstaatlichen nationalen Politiken der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich dar. Die empirische Untersuchung in diesem Zusammenhang fußt ebenfalls auf einer Mischung aus der Auswertung von Sekundäranalysen und der Analyse von europäischen und nationalen (Evaluations-) Dokumenten (Veröffentlichungen des Informellen Rates der nationalen Raumordnungs- und Städteminister, Veröffentlichungen der EU-Kommission, Planungsentwürfe und Veröffentlichungen der betroffenen Regierungen in beiden Mitgliedstaaten, d.h. im französischen Fall der Zentralregierung und im deutschen Fall, der Bundesregierung sowie der Länderregierungen). Außerdem wurden offene Hintergrundgespräche mit einzelnen, in den Prozess der Policy-Reformulierung involvierten Experten (Vertreter der betroffenen nationalen Exekutiven und Fachbehörden, Vertreter der nationalen Netzwerke der URBAN-Städte, Vertreter der nationalen Städteverbände) durchgeführt. Die Gespräche waren für die Untersuchung von primär ergänzendem Wert (Schmidt 1996: 11f.). Ihre Bedeutung für die Studie ist dabei aus zwei Gründen nicht zu unterschätzen. Zum einen lieferten sie ein Gesamtbild darüber, wie die beteiligten Policy-Akteure und (beobachtenden) Experten in beiden Mitgliedstaaten die Wirkungen des weichen europäischen Politiktransfers auf den Wandel staatlicher Intervention im Bereich der sozialen Stadtentwick1ungspolitik in Deutschland und Frankreich einschätzen. Zweitens war die Arbeit im (überlokal erweiterten) Feld für das Verständnis dieser vergleichsweise jungen, komplexen Policy und ihrer fachlichen Eigenlogik insgesamt bedeutsam. Um die Relevanz der Faktoren Motivation (kompatibilität und relativer Vorteil), Komplexität, Erprobbarkeit und Sichtbarkeit für die Reaktion der (lokal-) staatlichen Akteure bei der Verarbeitung des europäischen Wandlungsimpulses analysieren und damit die Wirkungen des Politiktransfers bewerten zu können, wurden bei der Auswahl der Länder und Untersuchungsstädte sowohl bestimmte Unterschiede (most different Cases-Design) als auch bestimmte Gemeinsamkeiten (most similar Cases-Design) zwischen den Fällen systematisch in Kombination berücksichtigt (vgl. Abb. 3); speziell für die Städteauswahl zum Ermessen der Tiefenwirkungen wurde dabei auf eine typologische Einteilung städtischer Governance- oder Interventionsmuster nach Pierre (1999) zurügegriffen.
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Fallauswahl
Mit Deutschland und Frankreich wurden für diese Untersuchung die beiden zentralen Alt-Mitglieder der EG/EU und gewichtigsten Nettozahler in den Gemeinschaftshaushalt (vgl. European Commission 2009: 108) ausgewählt. Sie rechnen traditionell zu den aktiven "Policy-Shaper[n]" der Union (Börzel 2003). Dies trifft insbesondere für das Feld der europäischen Regionalpolitik zu (Ast 1999; Auel 2003). Beide Staaten, dies wurde in Kap. 1.3 dargelegt, zeichnen sich einerseits durch Ahnlichkeiten hinsichtlich ihres Grundverständnisses als Wohlfahrtsstaat aus (vgl. Kaufmann 2003: 211, 312f.); dies betrifft nicht nur die beiderseits in wesentlichen Punkten geteilte Interpretation des Solidargedankens, sondern u.a. auch die Idee der räumlichen Kohäsion. Andererseits bestehen zahlreiche Unterschiede mit Blick auf die Aufbauorganisation des Staates, das Regierungs- und Verwaltungssystem sowie insbesondere das Lokalsystem und, in diesem Kontext, auch mit Blick auf die "Einbettung" (Granovetter 1985) der Städte und Gemeinden in das jeweilige raumordnungspolitische System (vgl. Kap. 1.3). Beides fallt hinsichtlich der Frage der Erzielung von Breitenwirkungen ins Gewicht. Bei der Auswahl der drei Fallstädte wiederum war nicht nur angesichts der Konzentration dieser Studie auf die Untersuchung der Tiefenwirkungen des stadtentwicklungspolitischen Wissenstransfers der EU besondere Sorgfalt geboten. Für das Erfassen und die Analyse der Bandbreite an denkbaren Tiefenwirkungen war es zentral, solche Fälle zu finden, die sich durch eine möglichst große Varianz ihrer sozial stadtentwicklungspolitischen Interventionsmuster in den drei oben erläuterten Dimensionen von Intervention sowie Unterschiede im ex-post zugeschriebenen Implementationserfolg auszeichneten. Eine grundsätzliche Schwierigkeit ergab sich dabei aufgrund der insgesamt geringen Größe der Grundgesamtheit an Untersuchungsstädten. Angesichts der geringen Ressourcenausstattung der GI URBAN II konnten in allen EU-Mitgliedstaaten, so auch in den beiden Untersuchungsländern, jeweils nur ,eine Hand voll' Städte an dem Politik-Experiment der EUKommission teilnehmen - in Deutschland zwölf und in Frankreich neun Städte bzw. städtische Agglomerationsräume". Was zunächst das Fall-Sample insgesamt angeht, wurden hier mit Dortmund, Kiel und Le Havre neben nur einer französischen Stadt zwei deutsche URBAN lI-Städte in unterschiedlichen Bundesländern (Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) berücksichtigt. Denn die Kompetenz zur Formulierung und auch Implementation der nationalen Stadtentwicklungspolitik im förderativ aufgebauten Deutschland - im Gegensatz zum zentralistisch organisierten Frankreich - ist auf der Ebene der Bundesländer angesiedelt. Was die bezüglich der Verallgemeinerbarkeit der Untersuchungsergebnisse relevan19 Die Städteauswahl, auf die hier nicht näher eingegangen wird, erfolgte im Sinne des Subsidiaritätsprinzips in Eigenverantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.
58
2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
te, angesprochene Schwierigkeit der geringen Grundgesamtheit ~,small n"Problem) betrifft, wurde für die Fallauswahl auf ausgewählte Ansätze der empirischen Stadt- und Lokalforschung zur klassifizierenden Einteilung von städtischen "Governance"- oder Interventionstypen zurückgegriffen. Namentlich die Typologie von Pierre (1999), mit der der Autor für die westeuropäischen (Groß-)Städte eine Einteilung lokaler (städtischer) "Staatlichkeits-" und Interventionsmuster im Hinblick auf die Aufgabe der sozialen und wirtschaftlichen Stadtentwicklung vornimmt, diente hier als Selektionshilfe bei der Fallauswahl. Sie wird im Folgenden kurz erläutert. Pierres Typologie lokalstaatlicher Intervention hebt sich insoweit von älteren, vorwiegend auf formale Institutionen abstellenden Ansätzen zur Klassifizierung der lokalpolitischen Intervention in den westeuropäischen Kommunen (vgl. z.B. Hesse/Sharpe 1991) ab, als in ihr auch die Leitideen oder Handlungsorientierungen der kommunalen Verantwortungsträger im Zusammenhang des Eingriffshandelns und der öffentlichen Aufgabenerbringung berücksichtigt werden. Grundsätzlich beruht Pierres Beschreibung kommunaler oder eben ,)okalstaatlicher" (1999: 374) Interventionsmuster auf der Überlegung, dass die Städte in Westeuropa als eigenständige Regierungseinheiten aufgefasst werden können. Sie verfolgen in Abhängigkeit der Ideen und Präferenzen der lokalen und hier zuallererst der kommunalen Akteure selbst eigene Interventionsziele und pflegen eigene Handlungsmuster. Die "Einbettung" (Granovetter 1985) der Kommunen in den institutionellen Kontext der nationalen politisch-administrativen Systeme stellt dabei eine entscheidende Einflussgröße für die kommunale Handlungsautonomie dar (1999: 372f.). Von dieser Überlegung ausgehend unterscheidet Pieire vier für die westeuropäischen Nationalstaaten typische lokalstaatliche Interventionsmodelle oder "models of urban governance", die er als "managerial", "corporatist", "progrowth" und "welfare govemance" bezeichnet (ebd.). Seine Unterscheidung beruht auf der Berücksichtigung von insgesamt neun Merkmalskriterien der städtischen Intervention, die sich z.T. mit den oben festgelegten Indikatoren für die hier angestrebte Wirkungsanalyse decken (ebd.: 388):
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übergreifendes Politikziel der Kommune (Effizienz und Effektivität, Vertei1ung,Wachstum, Wohlfahrt), Politikstil (pragmatisch, ideologisch), Natur politischer Konfliktaustragung (Konsens, Konflikt), Natur öffentlich-privater oder staatlich-gesellschaftlicher Interaktionsorganisation (kompetitiv, konzertiert, interaktiv, restriktiv/staatlich-kontrolliert), Beziehungsmuster zwischen lokalem Staat und Bürgern (exklusiv, inklusiv), zentrale Zielgruppe zur Organisation von Unterstützung und eigenen kommunalen Handlungsressourcen (lokale Arbeitnehmer, Führungseliten lokaler gesellschaftlicher Gruppen, lokale Wirtschaft/Unternehmen, Staat),
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
• • •
59
zentrale Handlungs- oder Interventionsinstrumente (Vertrag, Verhandlung, Partnerschaft, Netzwerkbildung), Haltung zur Marktökonomie (Befürwortung von Wettbewerb und offenem Markt; Skepsis gegenüber dem Marktprinzip), und Schlüsselkriterium zur Überprüfung oder Evaluation lokalstaatlichen politischen Handelns aus kommunaler Sicht (Effizienz und Effektivität, Partizipation, Wachstums, Gleichheit/Ausgleich).
Diese Kriterien zur Klassifizierung städtischer Intervention nehmen in einzelnen Städten jeweils unterschiedliche Ausprägungen an. Dabei gelangt Pierre anhand der Bildung denkbarer Merkmalskombinationen auf einer abstrakten Ebene zu seiner Einteilung der vier genannten Typen. Unter dem "managerial model" versteht er ein städtisches Interventionsmuster, das am Ziel der optimalen Erfüllung der Erwartungen der lokalen Bevölkerungen, gesellschaftlichen Gruppen, Unternehmen etc. orientiert ist. Dabei geht es weniger um Responsivität im demokratietheoretischen Sinn, als vielmehr um Nutzer- und Kundenorientierung bei der städtischen Erbringung von Leistungen im Sinne der zentralen Ideen des New Public Management-Konzepts. Handlungsleitend für die Akteure in diesem Rahmen sind die Ziele der Effizienzsteigerung der öffentlichen Leistungsproduktion durch die Öffnung der lokalen Service-Märkte für den Wettbewerb öffentlicher und privater Anbieter und die Professionalisierung der Stadtpolitik (Osborne/Gaebler 1992: 76-107). Voraussetzung zur optimalen Gewährleistung der öffentlichen Aufgaben und Dienste ist vor diesem Hintergrund die Existenz einer nach betriebswirtschaftlichen Organisationsideen strukturierten Stadtverwaltung (Entbürokratisierung, z.B. durch Einführung flacher Verwaltungshierarchien, intersektorale Koordination, Professionalisierung des Personalmanagements etc.), Das "managerial model" städtischer Intervention zeichnet sich nach Pierre nicht nur durch eine bestimmte Wahrnehmung der öffentlichen Funktionen und eine bestimmte Art und Weise der Binnenstrukturierung von Lokalverwaltungen aus. Zudem existieren auch charakteristische Formen der städtischen Interaktion mit dritten Akteuren und ein charakteristisches Verhältnis der städtischen Politik- und Verwaltungseliten zu den Bürgern. Der vorherrschende Governance-Modus, also die zentrale Form der "Interdependenzbewältigung" (Benz et aL 2007: 17) der Stadt mit Dritten im Zusammenhang der öffentlichen Leistungsproduktion, ist hier nicht Hierarchie, sondern Wettbewerb (vgl. ebd.: 22). Bei der öffentlichen Leistungsproduktion konkurrieren dementsprechend typischerweise private und öffentliche Anbieter in einem pluralistischen Wettbewerb um das bessere, d.h. günstigere, Angebot. Die Produktion von Diensten und Leistungen an sich erfolgt nach Auswahl des besten Angebots durch die Stadt, was über den Abschluss von Leistungsverträgen mit den Anbietern besiegelt (pierre 1999: 378 u. 380). Das Verhältnis der Stadt zu den Bürgern im Zusammenhang der
60
2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
sektorspezifischen politischen Zielformulierung wiederum stellt sich beteiligungsorientiert und offen dar. Seine Strukturierung folgt dabei der Idee einer Nutzerdemokratie, bei der die unmittelbar von Policy-Entscheidungen und/oder maßnahmen Betroffenen über direkte Konsultation beteiligt werden. Die hier nur grob dargelegten Elemente des "managerial model of urban governance" sind im Rahmen der politik-, staats- und verwaltungswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem New Public Management-Konzept seit Mitte der 1990er Jahre sowohl international als auch in unterschiedlichen nationalen Kontexten einer weit reichenden Kritik unterzogen worden (vgl. Bogurnil et al. 2007). Sie bezog sich sowohl auf die normativen Voraussetzungen einer entsprechenden Neuausrichtung der staatlichen, regionalen und/oder kommunalen Interventionspraxis als auch auf die Anwendbarkeit der skizzierten Ideen in der Praxis. Gerade mit Blick auf die Städte wurde die ,Demokratietauglichkeit' des Modells in Frage gestellt (pierre 1999: 379). Mit dem "corporatist model of urban governance", das Pierre vor allem in Staaten mit bürokratischer Verwaltungstradition, einem breit aufgefächerten öffentlichen Sektor und einem verhandlungsdemokratischen politischen System vermutet (ebd.: 380f.), verbindet er ein städtisches Interventionsmuster, in dessen Zentrum die Frage der kollektiven Verteilung von finanziellen Ressourcen der Kommune zum Wohle der lokalen Gemeinschaft steht (ebd.: 381). Über diese Frage entscheidet die Kommune gemeinsam mit bestimmten lokalen Trägem organisierter Interessen (Arbeitgeber, Gewerkschaften, traditionelle soziale Trägerorganisationen), die in einzelnen Sektoren (z.T. gesetzlich) in die öffentliche Leistungserbringung involviert sind. Auch wenn dieser lokale Korporatismus grundsätzlich breit angelegt ist, also nicht auf die klassischen Sozialpartner beschränkt bleibt, sondern mehrere unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Interessenträger einschließt (vgl. Heinelt 2004: 31-33), ist nicht von einer Offenheit der Prozesse der Willensbildung und Policy-spezifischen Entscheidungsfindung auszugehen. Die Handlungskoordination der Stadt mit den gesellschaftlichen Akteuren bei der politischen Zielauswahl erfolgt vielmehr im Rahmen eines begrenzten Verhandlungssystems. Bei der Leistungserbringung delegiert die Stadt dann einzelne Aufgaben an Dritte und übernimmt andere Aufgaben selbst ~,in Eigenregie''). Ein Grundproblem des "corporatist model" sieht Pierre in der Tendenz des lokalen Staates zur Verschuldung und zur mangelhaften Haushaltsdisziplin. Da in die Entscheidungsprozesse vorzugsweise langjährige Partner der Stadt eingebunden seien, entstehe eine ,,inclusive" (ebd.: 382), i.S,v. nach außen abgeschottete Struktur, die den beteiligten Interessenträgem die Möglichkeit zur effektiven Verteidiung der eigenen verteilungsspezifischen Interessen gebe (ebd.: 381). Neue Gruppen oder Akteure hätten es hingegen schwer, einen Zugang zur etablierten lokalen PolicyMaking- und Entscheiderkoalition zu finden: "The interests of constituencies and social groups that are not involved in the process frequently tend to be neglected"
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
61
(ebd.: 382). Die Bürgerbeteiligung im Rahmen des "corporatist model" erfolgt auf dem klassischen repräsentativ-demokratischen Weg oder indirekt über die Mitgliedschaft einzelner Bürger in den entscheidungsbeteiligten Interessengruppen. Die politische Kontrolle der kommunalen Verantwortungsträger beruht mithin auf eienr parlamentarisch-demokratischen Struktur und die politische Legitimation der Verwaltung erfolgt dementsprechend durch die auf einzelne Entscheidungsgegenstände gerichtete Kontrolle durch das .lokalen Parlament'. Schließlich folgt die Binnenstrukturierung der Stadtverwaltung im "corporatist model" typischerweise bürokratischen Prinzipien. Mit dem "progrowth model of urban governance" bezeichnet Piem ein lokalstaatliches Interventionsmodell, das sich durch die klare Orientierung der Entscheidungsträger an der Stärkung der örtlichen Marktkräfte und am Ziel der lokalen Wirtschaftsentwicklung, der Erweiterung des Wirtschaftsstandorts und an der Erzeugung von Wachstum auszeichnet. Die grundlegende, handlungsleitende Idee, die auch auf die politische Zielauswahl und Instrumentenwahl, die Steuerungsformen und die Strukturierung der Entscheidungsarena und der Verwaltung zurückwirkt, sei die Idee, wonach durch Steigerung des lokalen Wirtschaftswachstums mehr Wohlstand zum Wohle der gesamten Stadt erzeugt werden könne (1999: 384). Das mit diesem Ideenfundament verbundene Interventionsmuster zeichnet sich Pierre zufolge zunächst dadurch aus, dass es von wenigen elitären Akteuren, die ein exklusives "Regime" (Stone 1989 u. 2005) bilden, bestimmt wird. Die lokalen politischen und wirtschaftlichen Eliten dominieren im kleinen Kreis die politische Zieldefinition und Instrumentenauswahl. Beides ist dabei primär auf die Erwartungen und Bedürfnisse örtlicher Betriebe oder aber ansiedlungs- und investitionsbereiter Unternehmen zugeschnitten. Dabei übernimmt der lokale Staat die Rolle eines ,etatistischen Abwehrers' anderer Interessen, z.B. des Interesses einer stärkeren Umverteilung lokaler Finanzressourcen zugunsten benachteiligter Gruppen. Die Erbringung öffentlicher Leistungen erfolgt im "progrowth model" vorzugsweise über die Errichtung öffentlich-privater Partnerschaften oder die gänzliche Privatisierung von Aufgaben. Die städtischen Verwaltungs strukturen sind im Sinne des Ziels der optimalen Wachstumsförderung an NPM-Ideen der Verwaltung als Dienstleister und Service-Organisation ausgerichtet; dies beinhaltet z.B. die Restrukturierung der Verwaltung als ,Dienstleister' etwa für die Wirtschaft. Die lokale Demokratie ist in diesem Interventionstypus vergleichsweise am schwächsten ausgeprägt. Politische Entscheidungen werden auf Basis eines repräsentativdemokratischen Systems getroffen, jedoch ,an der Spitze', d.h., von wenigen Schlüsselakteuren, die die kommunale Exekutive repräsentieren (Bürgermeister etc.) und die sich mit den lokalen (Wirtschafts-) Eliten koordinieren, weitestgehend vorstrukruriert. Neuere, stärker partizipative Demokratieformen spielen in diesem Modell keine Rolle: "This is the least participatory of the four governance models" (pierre 1999: 384). In der international vergleichenden Stadtforschung gilt das
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2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
soeben skizzierte Interventionsmodell ~,urban regimes'') als typisch für USamerikanische Kommunen. Seine Übertragbarkeit auf Westeuropa ist in Frage gestellt worden (Mossberger/Stoker 2001). Die "Einbettung" der europäischen Kommunen in die nationalen Systeme des demokratischen Wohlfahrtsstaates und die z.T. ausgeprägte Abhängigkeit der europäischen Städte und Gemeinden vom Staat und von staatlichen Finanzressourcen wurden in diesem Zusammenhang als Argumente gegen die Verbreitung des "pro-growth"-Modells in Europa angeführt (Le Gales 1998; 2004). Dabei hat allerdings die kritische Stadtforschung, auch mit Blick auf die "europäische Stadt", eine allmähliche, einseitige Orientierung der städtischen Politik an den Interessen der Wirtschaft und eine entsprechende Anpassung der städtischen Interventionsmuster unter den sich wandelnden Rahmenbedingungen der ökonomischen Globalisierung und der europäischen Binnenmarktöffnung konstatiert (Mayer 1994; Häußermann 2006: 128). Pierre betont allgemein, dass sich die städtische Governance in Europa seit dem Einsetzen des ökonomischen Strukturwandels in einem Umbau befinde (1999: 385), der es rechtfertige, auch das "progrowth model" zumindest in Teilen zur Beschreibung städtischen Handelns und städtischer Intervention heranzuziehen (ebd.: 384). Mit dem "welfare model" schließlich verbindet Pierre ein Modell städtischer "Governance" oder Intervention, das vorwiegend in "old industrial" (ebd.: 385; Mollenkopf 1983: 24), also altindustrialisierten Städten und/oder Regionen unter den spezifischen Rahmenbedingungen des auf die städtische Ökonomie und die lokale Gesellschaftsentwicklung zurückwirkenden wirtschaftlichen Strukturwandels anzutreffen sei (ebd.: 386). Kennzeichnend für die lokalstaatliche Intervention in solchen Städten ist Pierre zufolge eine passive, nicht-gestaltungsorientierte Haltung der kommunalen Verantwortungsträger in Politik und Verwaltung (ebd.). Ein spezifisches, das lokalpolitische und -administrative Handeln leitendes Ziel und/oder Entwicklungsprojekt existiere hier nicht. Demgegenüber zögen sich die städtischen Verantwortungsträger beinahe exklusiv auf die Erwartung finanzieller Unterstützung durch den Staat zurück. Dies bedeute, sie erzielten ihre Einnahmen fast ausschließlich über staatliche Transfers durch gesetzliche Zuweisungen oder im Rahmen sekrora1er Förderprogramme, was wiederum auch hinsichtlich der politischen Ziel- und Instrumentenwahl "vor Ort" eine starke Abhängigkeit vom Staat impliziere (ebd.). Das Abhängigkeitsverhältnis der Stadt zum Staat wirkt nach Pierre seinerseits im Innern auf die Gestaltung der städtischen Rollenwahrnehmung bei der Handlungskoordination mit den gesellschaftlichen und privaten Akteuren zurück. Außerdem tangiert es die Haltung der Stadt in Fragen der Ausgestaltung der lokalen Demokratie sowie der Binnenorganisation des lokalen Staates bzw. der Stadtverwaltung. Im Rahmen des "welfare model" beruht die städtischgesellschaftliche Handlungskoordination bei der politischen Zielauswahl und Programmformulierung auf dem Modus der Hierarchie oder eines stark eingeschränkten Korporatismus. Nur die traditionellsten, für die städtischen Verantwortungs-
Theoretisch-konzeptionelle Einbettung
63
träger berechenbarsten Interessengruppen seien hier in die Entscheidungsfindung eingebunden. Charakteristisch seien in diesem Zusammenhang eine spezifische Skepsis oder Berührungsängste der Stadt gegenüber der (lokalen) Wirtschaft (ebd.: 387). Die Aufgabenerbringung wiederum erfolge weitgehend durch die Stadt selbst. Diese übernehme dabei die Funktion einer passiven, lokal-zentralistisch oder ,etatistisch' agierenden Um-verteilerin und ,Exekutorin' staatlicher Programme. Das organisatorische Rückgrat dieses Interventionstypus ist die strikt nach bürokratischen Regeln organisierte Stadtverwaltung (ebd.). Die demokratische Legitimation und Kontrolle beruht auch in diesem Modell auf den Prinzipien der repräsentativen Demokratie. Dabei seien Städte, in denen das "welfare model" vorfindbar ist, häufig durch die Herrschaft "linksorientierter" (ebd.: 386) politischer Mehrheiten gekennzeichnet. Mit der Verwendung des Adjektivs "altindustriell" zur Charakterisierung der wirtschaftsstrukture11en Rahmenbedingungen kommunalen Public PolicyMakings in Städten, für die das "welfare model" kennzeichnend ist, bezieht sich Pierre aufJohn Mollenkopjs typologisierende Einteilung US-amerikanischer Städte im Umgang mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen Krisensituation und des wirtschaftlichen Strukturwandels ab Mitte der 1970er Jahre (1983). Altindustrialisierte Städte im wirtschaftlichen Strukturwandel, in denen sich das städtische Interventionsmuster dem beschriebenen Typus annähert, finden sich nach Pierre in Westeuropa insbesondere in den ehemaligen regionalen Zentren der fordistischkapitalistischen Industrieproduktion, so etwa in den Regionen im Norden Frankreichs oder auch im deutschen Ruhrgebiet (1999: 386). Bei den vorgestellten Governance-Modellen handelt es sich um Idealtypen. Sie beschreiben auf einer abstrakt-allgemeinen Ebene die Bandbreite der unter bestimmten Rahmenbedingungen typischen lokalstaatlichen Interventionsmuster im Bereich der Stadtentwicklung. In der Realität mischen sich Aspekte des einen oder anderen Typus bei der Beschreibung der städtischen Intervention, so dass in konkreten Fällen lediglich Annäherungen ausgemacht werden können. Dies allerdings war zur Fallauswahl für die Wirkungsanalyse des stadtentwicklungspolitischen Politiktransfers der EU hilfreich. Dabei wurden Dortmund, Kiel und Le Havre hier als Fälle ausgewählt, da sie zum einen eine vergleichbare sozioökonomisehe Ausgangssituation und einen vergleichbaren Problemhintergrund aufweisen (most sirnilar), sich zum anderen dabei allerdings - dies wird in Kap. 5 noch für den Einzelfall erläutert - in ihrem spezifischen ,Erbe' des lokalstaatlichen Interventionsmusters und der vorherrschenden Interventionsphilosophie im Umgang mit dem Problem der sozialen Fragmentierung der Stadt auszeichnen. Während Dortmund hier bis zur Teilnahme an der GI URBAN II Elemente des "corporatist" und des "managerial model" in sich vereinigte, stellte Kiel vorwiegend ein Beispiel für den "welfare"-Typus dar, und Le Havre zeichnete sich durch Elemente des "welfare"- und "pro growth model" in seinem stadtentwicklungspolitischen Interventionsmuster aus.
2.3 Untersuchungsmethode und Fallauswahl
64
Die Faktoren der Fallauswahl sind in Abbildung 3 nochmals zusammengefasst. Im anschließenden Kapitel 3 findet nun die Einordnung der europäischen Stadtentwicklungspolitik in ihren regionalpolitischen Kontext statt. Zentral für die europäische Regionalpolitik, die das primäre ,Ankerfeld' der Stadtentwicklungspolitik der EU darstellt, ist, dass es sich um eine Politik handelt, das der EU-Kommission das Instrumentarium zur Konzeption ,weicher' politischer Steuerungsansätze und zur Nutzung von Transferinstrumenten wie der GI URBAN II wie des Politiktransfers zur Verfügung stellte. Damit eröffnete sie Zugangswege zur europäischen Einflussnahme auch in formal nicht europäisierten Politikfeldern wie der sozialen Stadtentwick1ungspolitik.
Tabelle 3:
Fallauswahl
Fälle
Deutschland Frankreich
Dortrnund Kiel LeHavre Eigene Darstellung.
Gemeinsamkeiten (most similar)
Unterschiede (most different)
EU-Altmitglied
Staatsaufbau (Föderal-/Zentralstaat)
Nettozahler
Staat-Kornrnune-Verhältnis
"Policy-Shaper"
Vorerfahrung/Politikerbe im Bereich der sozialen Stadtentwicklungsförderunz
altindustrialisierte Großstadt im Strukturwandel sozio-ökonomische und strukturelle Problernkonstellation dauerhafte Existenz von Problemvierteln
Institutionalisierte Muster der Problembearbeitung im Bereich der sozialen Stadtentwicklung Interpretation der Rolle des lokalen Staates bei Krisenreaktion
3
Das regionalpolitische Fundament des stadtentwicklungspolitischenTransfers
Auch wenn die stadtentwicklungspolitischen Aktivitäten der EU und hier zuallererst der Europäischen Kommission in der Vergangenheit keineswegs auf Initiativen im Feld der Regional- oder Strukturpolitik-" beschränkt geblieben sind (Zimmermann 2008: 79f.), war es vor allem die regionalpolitische Förderung der Stadtentwicklung und die ,Unterfütterung' der entsprechenden Initiativen aus dem Instrumentenkasten der Strukturpolitik, die seit Ende der 1980er Jahre in den Mitgliedstaaten sowohl auf lokaler als auch auf gesamtstaatlicher Ebene Anpassungsreaktionen der kommunalen und staatlichen Handlungsträger bei der Regulierung der städtischen Raumordnung herausgefordert hat. Die regionalpolitische Stadtentwicklungsförderung der EU bildete dabei zugleich den Hintergrund für einen seit Mitte der 1990er Jahre intensiv geführten Diskurs sozialwissenschaftlicher EU-und Stadtforscher über die nationalen (und lokalen) Wirkungen des europäischen Policy-Makings für die Städte (vgl. Tofarides 2003; Koutalakis 2003; Urban studies team 2006; Halpern 2005; Wolffhardt et al. 2005; Frank 2008). In diesem Zusammenhang blieb umstritten, ob die EU-Stadtpolitik insbesondere in Gestalt der GI URBAN zur "Europäisierung" dieses Politikfelds in den Mitgliedstaaten führte oder mit allenfalls marginalen Anpassungswirkungen verbunden war. In einzelnen Untersuchungen wurden, namentlich mit Blick auf Großbritannien und Frankreich, geringe und vor allem nicht nachhaltige Wirkungen der Gemeinschaftsinitiative konstatiert. Begründet wurde dies unter Verweis auf die "Gatekeeping"-These (vgl. Bache 1998; 1999) mit dem Argument, wonach die nationalen Regierungen eine europäische Einflussnahme auf nationale Stadtpolitiken und damit vermeintlich einen Kompetenzgewinn der europäischen Ebene in diesem Interventionsfeld zu verhindern suchten (Tofarides 2003). Die zentralstaatlichen (und auch lokalen) Akteure, so wurde in diesem Zusammenhang argumentiert, legten aus der Befürchtung einer stadtentwicklungspolitischen KompetenzverlageDie europäische Regionalpolitik ist mit ihrem Hauptinstrument, dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) ein integraler Bestandteil der europäischen Struktur- oder "Kohäsionspolitik" (so lautet die offizielle Bezeichnung dieser Policy seit Beginn der Förderperiode 2007-2013), die alle europäischen Strukturfonds (bis Ende 2006: EFRE, Europäischer Sozialfonds [ESF], Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft - Abteilung Ausrichtung, Finanzinstrument zur Ausrichtung der Fischerei [FIAF]) einschließt. Die Termini Regional- und Strukturpolitik werden hier im Wechsd verwendet. 20
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
66
3. t Die Regionalpolitik der EU: Prinzipien und Steuerungslogik
rung ein Verhalten der Abwehr oder der auf nationale Interessen bezogenen ,Filterung' der europäischen Interventionsideen an den Tag und beschränkten sich im Wesentlichen auf die Mitnahme von EU-Fördergeldem, was wiederum ein Festhalten an den eingespielten nationalen Interventionsmustem und eine Verhinderung der Angleichung der nationalen Stadtpolitiken an die Kommissionsideen erkläre (fofarides 2003). Andere Untersuchungen attestierten der europäischen Stadtentwicklungspolitik und insbesondere ihrem zentralen Instrument, der GI URBAN, eine ,durchschlagende' Wirkungskraft. Mit Blick auf einzelne EU-Mitgliedstaaten, so u.a. Deutschland, wurde die Politik dabei gar als exogener Anstoß für einen "Pardigmenwechsel" der nationalen sozialen Stadtentwicklungspolitik beschrieben (Frank 2008). Wieder andere Untersuchungen schließlich stellten speziell für die südeuropäischen EU-Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Italien eine beachtliche Wirkung der EU-Stadtentwicklungspolitik und der GI URBAN auf die Organisation, die Prozesse und die vorherrschenden Interventionsideen der entsprechenden nationalen Politiken fest. Dabei wurde allerdings zugleich auf die vermeintliche Sondersituation eines hohen "Misfits" der nationalen policy-spezifischen Institutionensysteme mit dem EU-Modell in diesen Mitgliedstaaten hingewiesen (Koutalakis 2003). Soll die Wirkungs frage geklärt werden, so ist es notwendig, zunächst einen genaueren Blick auf die Natur oder den Charakter der EU-Stadtentwicklungspolitik und ihres Hautpinstruments bis 2008, der Gemeinschaftsinitiative URBAN, zu werfen. Diese Politik und ihr Instrument URBAN haben ihr Fundament in der europäischen Regional- oder Strukturpolitik. Diese steht für ein europäisches Politikfeld, in dem die EG/EU bzw. die Kommission als supranationale Regierungsinstanz politische Zie1durchstezung stets auf weiche Steuerungsmechanismen wie den Politik- oder Wissenstransfer gründen musste.
3.1 Die Regionalpolitik der EU: Prinzipien und Steuerungslogik Die Regionalpolitik der EU wird in der europäischen Integrationsforschung als ein typisches Beispiel einer distributiven Politik angeführt (Hix 2005: 289; Knill 2005a: 192). Im Gegensatz zur regulativen Politik, die den Kern des europäischen PolicyMaking darstellt (Majone 1996; Knill2005b: 182), machten (re-) distributive Politiken 21 stets den geringeren Teil des Policy-Making der EU aus. Das politische System der EU war mangels einer entsprechenden Ressourcenausstattung zu keinem 21 Die Unterscheidung geht zurück auf Lowi. Er hat drei Typen von Public Policies identifiziert: regulative Politik, basierend auf Steuerung durch Recht- oder Regelsetzung, redistributive Politik, basierend auf Steuerung durch finanzielle Umverteilung zwischen Individuen, und distributive Politik, basierend auf Steuerung durch Verteilung (1964).
Das regionalpolitische Fundament des stadtentwicklungspolitischenTmnsfers
67
Zeitpunkt auf eine europäische Wahrnehmung von breit angelegten Umverteilungs- oder Verteilungs funktionen angelegt (Sbragia 2000; Tömmel2008: 218-229). Haben unterschiedliche Beobachter hieraus eine Steuerungsschwäche der EU im Bereich der Strukturpolitik abgeleitet (Allen 2005; Pollack 2000: 521), so haben andere argumentiert, dass der ,,institutionalized lack of public money" (Sbragia 2000: 221) ein Grund für die Entwicklung eines spezifischen europäischen Steuerungsmechanismus sei. Dieser sei - mit hoher Wirkungskraft - insbesondere in der Strukturpolitik zum Tragen gekommen und beinhalte Ansätze zum gezielten Reframing der nationalen und regionalen Politikintervention (Sbragia 2000; Tömmel 2000 u. 2003)22. Die europäische Regionalpolitik (vgl. Tömmel 1994; Allen 2005) beruht seit der Einführung ihres Hauptinstrurnentes, des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), im Jahr 1975 auf der nationalen Implementation von finanziellen Förderprogrammen mit dem Ziel des Ausgleichs wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungsdisparitäten zwischen den Regionen im gesamten Gemeinschaftsgebiet. Ziele der Regionalpolitik waren und sind weiterhin auch die Anregung der wirtschaftlichen und sozialen Innovation in den Regionen und die Stärkung von Wettbewerbsfahigkeit und Eigeninitiative. Seit der grundlegenden Reform der Strukturpolitik im Jahr 1988 erfolgt ihre Durchführung auf der Grundlage von mittelfristigen, sechsjährigen Programmen (Operationellen Programmen). Sie werden in den Regionen und Mitgliedstaaten selbst konzipiert. In den OPs müssen sich die regionalpolitischen Zielsetzungen wiederfinden, die die Regierungen der Mitgliedstaaten zu Beginn jeder mittelfristigen Förderperiode mit der Kommisison aushandeln und in einer regionalpolitischen Rahmenverordnung festlegen (vgl. Tab. 4) und die für den je anstehenden Förderzeitraum Gültigkeit besitzen. In der Rahmenverordnung sind seit 1988 auch die bis heute geltenden Kernprinzipien der Regionalpolitik enthalten: die Konzentration der regionalpolitischen Fördermittel auf die bedürftigsten Regionen und Räume (Konzentration); die Implementation der Regionalpolitik auf Grundlage mittelfristiger regionaler Förderprogramme (ProgrammieruniJ; die partnerschaftliche, ebenenübergreifende und multiaktorielle Konzeption der Programme und die Steuerung der Politikimplementation durch die nationalen, regionalen und kommunalen Exekutiven sowie die Sozialpartner und NGOs (PartnerschriftJ; und schließlich das Prinzip, wonach die regionalpolitische Förderung der EU nur in Ergänzung der nationalen Strukturpolitiken angewendet werden darf, diese jedoch nicht ersetzen soll (Additionalitä~. Der Hauptstrom der regionalpolitischen Fördermittel floss zwischen 1975 und 2007 in die genarmten Förderprogramme. Daneben stand der Kommission seit Beginn der 1980er Jahre ein gering dotierter Topf regionalpolitischer Mittel zur Verfügung, den sie verVgl. hierzu auch: Marks 1992 u. 1996; Tömmel 1994; Hooghe/Marks 2001; Heinelt et al. 2005; wirkungsktitisch: Bache 1998; Pollack 2000 u. 2003: 344f.; Allen 2005.
22
68
3. t Die Regianalpalitik der EU: Prinzipien und Steuerungslagik
gleichsweise frei von der Kontrolle der mitgliedstaatlichen Regierungen zur Konzeption von Sonderinstrumenten und -programmen, wie z.B. den Gemeinschaftsinitiativen, einsetzen konnte. Es war vor allem dieser Topf, der so genannte "quotenfreie Sektor", über dessen Nutzung die Kommission in den 1980er und 1990er Jahren systematisch in neue, an die Regionalpolitik angrenzende Policy-Felder vorstieß und über dessen Nutzung sie einen spezifischen weichen Ansatz zur Politiksteuemng durch Wissenstransfer entwickelte (fömmel1994, 2000 u. 2003).
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,innovative Aktionen" (Art. 10 Allg. VO), u.a. Städt. Pilotprojekte (SPP) 15 GI, darunter URBAN
,innovative Aktionen" (Art. 10 Allg. VO), u.a. Städt. Pilotprojekte (SPP) 12 Gemeinschaftsinitiativen (GI)
mente
Sonderiastru-
"Konvergenz" "Regionale Wettbewerbsfahigkeit und Beschäftigung" "Europäische territoriale Zusammenarbeit"
,Phasing-out"Beitrittsinstmmente (z.B. SAPARD)
Förderung der Regionen mit Entwicklungsrückstand ,innovative AktioWirtschaftliche und soziale Umstellung strukturschwacher Gebiete u,a, städt. nen" Gebiete) 4 GI, u.a. URBAN II Anpassung und Modernisierung der (Aus-) Bildungs- und Bescbäf
Entwicklung der Regionen mit Entwicklungsrückstand Umstellung der Industriegebiete mit rückläufiger Entwicklung Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und berufliche Eingliederung Anpassung an den industriellen Wandd a) Anpassung der Agrarstrukturen b) Erleichterung der ländlichen Entwicklung Entwicklung der dünn besiedelten Gebiete
Förderung der Regionen mit Entwicklungsrückstand Umstellung der Regionen und Grenzregionen mit rückläufiger industrieller Entwicklung Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit Erleichterung der Eingliederung der Jugendlichen ins Erwerbsleben a) Anpassung der Agrarstrukturen; b) Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums
FörderzieJe
Tabelle 4: Entwicklung der europäischen Strukturpolitik
Indirekt: Städte und ländliche Räume
NGOs, zivilgesell. Akteure
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Vertreter subnationaler Gebietskörperschaften
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3.1 Die Regionalpolitik der EU: Prinzipien und Steuerungslogik
Im Bereich der regionalen Strukturpolitik hat die Kommission über die Jahre einen charakteristischen, weichen Steuerungsansatz entwickelt; sie reagierte damit auf die spezifischen Rahmenbedingungen europäischer Politiksteuerung im Mehrebenensystem (vgL Sbragia 2000), nämlich: •
•
•
die Ausrichtung der EU-Politiken an der Idee der Binnenmarktschaffung und -sicherung auf Grundlage der und über die Verteidigung der vier Freiheiten (Freiheit des Waren-, Personen-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt) (Scharpf 2003); die Existenz eines europäischen Institutionensystems, das auf Machtbalance zwischen den zentralen Institutionen Ministerrat und Kommission angelegt ist und das europäische Regieren, also die Fähigkeit der Kommision zur eigenständigen Gestaltung gemeinschaftlicher Politiken, vor allem von der Fähigkeit zur permanenten Informationsgewinnung und strategischen Informationsverarbeitung abhängig macht (pollack 2003; Hix 2005: 49f.); und dem angesprochenen Mangel an gemeinschaftlichen Finanzressourcen, der sich darin offenbart, dass der Haushalt der EU ungeachtet seiner stetigen Aufstockung bis zum Jahr 2007 nach wie vor nur einen Bruchteil der Haushalte, insbesondere der großen Mitgliedstaaten, ausmacht.
Unter Verweis auf diese Rahmenbedingungen haben unterschiedliche Autoren vier typische Merkmale des Steuerungsansatzes der EU-Kommission identifizierr-'. Sie sind im Jahr 1988 mit der grundlegenden Reform der europäischen Strukturpolitik in Gestalt der vier Grundprinzipien der Konzentration, Programmierung, Additionalität und Partnerschtift formal in das strukturpolitische Handlungssystem der EU integriert worden (zu Folgendem vgl. insbesondere Tömmel2003):
•
•
die gezielte Einbindung immer neuer Partner - vorzugsweise dezentrale Akteure (subnationale Gebietskörperschaften, Sozialpartner, zivilgesellschaftliche Akteure wie NGOs), denen die Übernahme eigener Steuerungsverantwortung im Rahmen der Implementation europäischer Strukturpolitikprogramme in Aussicht gestellt wurde (Knill 200Sa: 161) - in die Politikformulierung und Implementation; die Regulierung von Prozessen oder Verfahren und das Setzen technischer Vorgaben anstelle von präzisen inhaltlichen Vorgaben (Hooghe/Marks 2001: 96f.; Mendez/WishladejYuill2006);
23 Vgl. hierzu: Kahler-Koch 1999: 15; Hooghe/Marks 2001: 83f.; Tömmel1998, 2003 u. 2006; Pollack 2003: 7f.; Kohler-Koch/Conzelmann/Knodt 2004: 171; Knill 2005b: 189; Mendez/Wishlade/Yuill 2006.
Das regionalpolitische Fundament des stadtentwicklungspolitischenTmnsfers
• •
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das Setzen von finanziellen Anreizen, die gekoppelt werden an das Gebot der Berücksichtigung bestimmter Verfahrensregeln und, indirekt, an die Berücksichtigung bestimmter Ideen zur Organisation staatlichen Verwaltungshandelns bei der Politikformulierung und -implementation, Anwendung der strukturpolitischen Finanzinstrumente zum gezielten Experimentieren mit Policy-, Verfahrens- und Strukturreformen im Rahmen der (notwendigen) räumlichen Fördermittelkonzentration.
Zusammen genommen sind diese Ansätze als spezifisch für die Steuerungslogik distributiver Politiken ,a Ja EU' beschrieben worden (Tömmel2003). Dabei hat die Kommission insbesondere den Ansatz der Einbindung neuer dezentraler Partner bereits seit der Schaffung des EFRE verfolgt. Sein Zweck war und ist die Mobilisierung von Unterstützern für die spezifischen, anhand der GI URBAN bereits skizzierten Governance- oder Interventionsideen der Kommission (vgl. Tömmel 2003). Blieben diese zunächst auf die distributiven Politiken der EU beschränkt, so haben sie mittlerweile auch Eingang in andere Felder, in denen die Union über regulative Kompetenzen verfügt, gehalten (vgl. Lenschow/Reiter 2007; Beiträge in: Heinelt/Knodt 2008). Um den mit der Partnersuche und -mobilisierung verbundenen Mechanismus der "Kontextsteuerung" (Tömmel 2003) aufrecht erhalten zu können, muss(-te) das Themenspektrum der europäischen Strukturpolitik beständig ausgebaut und in sich ausdifferenziert werden. Auf diese Weise, also über die Erweiterung des Spektrums an Policy-Feldern, auf die die EU in unterschiedlichen Formen Einfluss nimmt, ließen sich in der Auseinandersetzung mit den nationalen Regierungen neue Partner oder Unterstützer, z.B. die europäischen Städte mit Segregationsproblemen, gewinnen (Hoppe/Voelzkow 2001: 188). Und diese wurden ihrerseits wiederum zur gegenseitigen Vernetzung und zum Austausch und Wissenstransfer angeregt bzw. gezielt dabei unterstützt (Marks 1996; Kohler-Koch 1998). Um im Feld der Regionalpolitik die dezentralen Partner zur Anpassung an europäische Politikziele zu bewegen, ließ die Kommission ihnen bei der Implementation von Programmen, wie z.B. den GIs, stets einen breiten Spielraum bei der politischen Zielauswahl und beschränkte sich auf technische und prozedurale Regelungen. Vorgegeben wurde allerdings ein inhaltlicher Rahmen, der am Binnenmarktziel und dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfuhigkeit von Regionen und Gebieten zur stetigen Anhebung des Wachstums ausgerichtet ist. Diese Vorgehensweise entspricht dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 2 EU-Vertrag; Art. 5 EGVertrag) und ist angesichts der Kontingenz regionaler und lokaler Problemstellungen rational. Unter anderem zur Ausbalancierung des Spannungsverhältnisses, das sich aus der dezentralen Autonomie zur Zielformulierung und dem Kontrollanspruch der Kommission mit Blick auf die Durchsetzung europäischer Politikziele
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3. t Die Regianalpalitik der EU: Prinzipien und Steuerungslagik
ergibt, wurde anlässlich der Reform der Strukturfonds von 1988 das Programmierungsprinzip in den Regelungen der europäischen Strukturpolitik verankert. Mit dem "weichen" Steuerungsinstrument des finanziellen Anreizes - dieses ist durch Einführung des Additionalitiitsprinifps in die Strukturfondsverordnungen formalisiert und damit sanktionsfähig gemacht worden - erreichte die Kommission in der Vergangenheit die Generierung von Anpassungsdruck auf besonders wirksame Weise. Denn die Mittelverteilung wurde dabei nicht nur an die Vorgabe bestimmter Governance-Ideen geknüpft, sondern darüber hinaus zugleich an die Erwartung der praktischen Erprobung bestimmter Ideen zur Modernisierung der strukturpolitischen Interventionsphilosophien in den Mitgliedstaaten. Über die Anreizsteuerung hat die EU-Kommission erfolgreich die Ideen der Stärkung der regionalen und lokalen Wettbewerbsfähigkeit durch Stärkung endogener, eigener Entwicklungspotentiale in die mitgliedstaatliche Strukturpolitik ,eingespeist' (Tömmel 1994) und hier zur allmählichen Ausformung eines regionalisierten "Wettbewerbsstaat[es]" (Voelzkow 2000) beigetragen. Dabei wurden die geringen Finanzmittel des EFRE stets auf die bedürftigsten Regionen und Gebiete konzentriert. Hier sollen ,gute Praktiken' der regionalen und lokalen Governance und neue Policy-Ideen für EU-weit verbreitete PolicyProbleme entwickelt und getestet werden. Zugleich scheint die Chance zur wirksamen europäischen Einflussnahme auf die lokalen Akteure hier am höchsten zu sein, denn aufgrund eines hohen Problemdrucks besteht ein ausgeprägtes Interesse der lokalen Verantwortungsträger an finanzieller Unterstützung und mitunter auch eine hohe Reformbereitschaft. Dementsprechend sollen die im Rahmen der europäischen Strukturpolitik gesetzten finanziellen Anreize dazu dienen, auf den subnationalen Ebenen eine Nachfrage nach gewandelten Formen der politischen Problemlösung auszulösen (Böcher 2003). Aus der steuerungstechnischen Not geringer Finanzmittel sucht die EU-Kommission mit dem Prinzip der Konzentration somit eine steuerungstechnische Tugend zu machen. Dieser Ansatz ist allerdings auch mit einem hohen Risiko des Scheiterns behaftet. So musste die Kommission stets damit rechnen, dass ihre subnationalen Verbündeten - insbesondere, wenn sie in einem restringierenden institutionellen Umfeld handelten oder sich einer restriktiven Haushaltslage gegenübersahen - das konditionierte politische Gelegenheitsfenster, das sich mit der europäischen Regionalförderung öffnete, nicht im Sinne der angestrebten Innovations- und Lernorientierung nutzten. Dass dieses Risiko real war und ist, hat die Implementationsforschung zur Regionalpolitk gezeigt (vgl z.B. Ast 1999; Conzelmann 1999; Hoppe 2001). Dass die Kommission dennoch erfolgreich mit ihrem skizzierten Ansatz zur Kontextsteuerung war, hat sich u.a. an der beständigen Verfeienrung und Erweiterung des regionalpolitischen Instrumentariums und damit der Bestätigung ihrer Kernprinzipien im Laufe der Entwicklung der europäischen Strukturpolitik gezeigt (vgl Tömmel 1994 u. 2006).
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Ein Themenfeld, auf dem die Kommission mit Hilfe des regionalpolitischen Instrumentariums dabei aktiv wurde, ist die Stadtentwicklung. Dieses Teilgebiet der Raumordnungspolitik wurde ab Mitte der 1970er Jahre in zahlreichen europäischen Staaten als eine eigenständige Public Policy-Herausforderung wahrgenommen. Und von hier ausgehend kam es - nicht zuletzt angestoßen durch die Lobby-Tätigkeit einzelner europäischer Städte (Tofarides 2003: 57) - seit Ende der 1980er Jahre auch zu einer ,städtischen Dimensionierung' der EU-Regionalpolitik.
3.2 Stadtentwicklung als gesamteuropäische Policy-Herausforderung Im lichte einer unsicherer werdenden Konjunkturlage und neuer Herausforderungen in den einzelnen raumordnerischen Funktionsbereichen verzeichneten zahlreiche europäische Staaten ab Beginn der 1970er Jahre eine nachlassende Steuerungsfähigkeit im Feld der Raumordnungspolitik (Kistenmacher et al. 1994: 259; Sinz 2005: 863f.). Hier waren es zuallererst die großen Städte und urbanen Ballungsgebiete, in denen sich Steuerungsprobleme manifestierten und neue Anforderungen zutage traten. Zunächst zeichnete sich ein Anforderungswandel hinsichtlich der auf die (lokale) Ökonomie gerichteten Entwicklungsfunktion der Raumordnungspolitik ab. Das neue Paradigma regional oder lokal ,gec1usterter' kapitalistischer Produktionssysteme, das die Idee einer verstärkten regionalen Vernetzung von "flexibel spezialisierten" (pyke/Sengenberger 1992: 11f.) kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in bestimmten Zukunftsindustrien beinhaltete, begann sich durchzusetzen (piore/Sabel 1984; Voelzkow 2000). Für die lokalen Akteure der Raumordnungspolitik hatte dieser allmähliche Paradigmenwechsel gesteigerte Flexibilitätsanforderungen zur Folge. Sie sind seither mit einer verstärkten Ausdifferenzierung in den Erwartungen von Unternehmen - großen Konzernen sowie traditionellen großen Industriebetrieben auf der einen und KMU in unterschiedlichsten Branchen sowie kleinen und Kleinstdienstleistern auf der anderen Seite - konfrontiert. In diesem Zusammenhang müssen die Städte auf das Spannungsverhältnis reagieren, das aus den Zielen der wirtschaftsstrukturellen Bestandserhaltung einerseits und der Erschließung neuer Märkte in Zukunftsindustrien und im Dienstleistungsbereich andererseits resultiert. Zudem stehen sie häufig vor der Notwendigkeit eines wirtschaftspolitischen Strategiewechsels. Die lokale oder kommunale Wirtschafts förderung trägt unter den skizzierten geänderten Vorzeichen idea1erweise zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des lokalen oder regionalen Raums bei. Dies beinhaltet den Übergang von einer direkten Unternehmenssubventionierung und Investitionen in den Infrastrukturausbau hin zur Stärkung der lokalen Standortqualitäten und zur Bildung eines interregional, national und u.U, global konkurrenzfähigen Standortprofils (Floeting/Hollbach-Grömig 2005). Die skizzierte Entwicklung ist
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3.2 Stadtentwicklung als gesamteuropäische Poliey-Herausforderung
auch als Übergang "vom Wohlfahrts- zum [regionalisierten oder lokalisierten] Wettbewerbsstaat" beschrieben worden (Voelzkow 2000). Zweitens hat sich das Anforderungsprofil der städtischen Raumordnungspolitiken auch hinsichtlich der Erfüllung der sozial-ausg1eichs- und integrationsorientierten Funktion gewandelt. Hier wirken der demographische Wandel, die anhaltende Tendenz zur Suburbanisierung und ein verstärkter Druck auf die öffentlichen Haushalte als zentrale Einflussgrößen. Einerseits kam es seit den 1960er J ahren zur Veränderung der städtischen Bevölkerungsstrukturen. So zogen vor allem besser verdienende Bürger aus der Stadt weg in die Vororte und neue, sozoal schwächere Gruppen zogen in die leerstehenden Viertel nach. Parallel zu dieser Entwicklung war eine generell nachlassende Kraft der repräsentativen lokalen Demokratie zur (politischen) Mobilisierung der Stadtgesellschaft und zur Integration und sozialen Gemeinschaftsbildung zu beobachten. In diesem Zusammenhang sind in den 1990er Jahren in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten institutionelle Reformen zur Stärkung der lokalen Demokratie über die Einführung direkrdemokratischer Beteiligungsverfahren durchgeführt oder zumindest diskutiert worden (vgl. Wollmann 2008). Andererseits sehen sich die Verantwortungsträger insbesondere in deutschen Städten und Gemeinden angesichts einer restriktiven Situation des kommunalen Haushalts bei wachsender Aufgabenlast einem Interessenskonflikt begriffen. Dem Willen zu mehr Bürgerbeteiligung steht u. U. der haushalterisch bedingt notwendige Rückzug aus den genuin selbstverwalteten Bereichen des kommunalen Aufgabenspektrums gegenüber, in denen Beteiligung und kommunal autonome Politikgestaltung sich am ehesten realisieren ließen (pickvace/Preteceille 1991; van den Berg/Braun/van der Meer 1998: 7; Wohlfahrt/Zühlke 2005). Der grob skizzierte Anforderungswandel der Raumordnungspolitik hatte u.a. zur Folge, dass die räumliche Sichtbarkeit von sozialer Ungleichheit, die in der Entwicklung der modernen Stadt stets eine Begleiterscheinung darstellte (Lefebvre 1990), nun (wieder) deutlicher wahrgenommen wurde. Die Strategien der raumordnungspolitischen Intervention, die bis dato zugunsten jener städtischen Gebiete verfolgt wurden, die als "benachteiligt" eingestuft werden können - städtebauliche Erneuerung, Ausbau von Basisinfrastrukturen, soziale Wohnbaufärderung -, erschienen zur Bearbeitung des Problems der sozialen Fragmentierung der Städte unter den geschilderten Bedingungen nicht mehr wirksam und zeitgemäß (Walther 2002; Cochrane 2007; Häußermann/Läpple/Siebel2008). Gesucht wurde also ein neues Modell der "politischen Problembearbeitung" (Alisch 2002: 14) in den bzw. für die Kommunen, auf dessen Grundlage es gelingen sollte, im Angesicht des skizzierten Prob1emdrucks der wohlfahrtsstaatlich begründeten Aufgabe des räumlichen Ausgleichs sozialer und ökonomischer Disparitäten in der Stadt gerecht zu werden. Die "soziale Stadtentwicklung" i.S.d. gezielten Intervention des lokalen Staates zugunsten einer ausgewogenen Vertei-
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lung sozialer und ökonomischer Entwicklungschancen im städtischen Raum und zur Verhinderung der (räumlichen) Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen (Alisch 2002: 36-48) ist in den 1990er Jahren in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten in den Rang eines autonomen Policy-Ziels im Rahmen der nationalen Raumordnungspolitiken aufgestiegen (lacquier 2003; Franke/Strauss 2007). 3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpoliti.k24 Die stadtraumwirksamen Folgen des ökonomischen Strukturwandels waren auf der europäischen Ebene schon früh Thema in unterschiedlichen politischen Diskurszusammenhängen geworden (McAleavy/De Rynck 1997; Schultze 2003: 125). In den Dokumenten der Kommission, so z.B. den Berichten zur sozialen Lage in der Gemeinschaft, finden sich ab den frühen 1980er Jahren Hinweise auf die Wahrnehmung der Stadtentwicklungsprob1ematik (z.B. Kommission der EG 1983: 7). Zu dieser Zeit herrschte innerhalb der Kommissionsbürokratie unter Vertretern der einschlägigen Sektorpolitiken, aber auch innerhalb der für Raumordnungsfragen zuständigen nationalen Ministerialbürokratien (Faludi 2000: 240) Einvernehmen über zwei Punkte. Erstens wurde die unausgewogene Verteilung ökonomischer und sozialer Entwicklungschancen im städtischen Raum als gesamteuropäisches Problem betrachtet, das eine gesamteuropäische politische Reaktion rechtfertigen konnte. Und zweitens wurde der Weg zur Lösung dieses Problems in einer zwischen verschiedenen Sektorpolitiken koordinierten, ,,integrierten" Herangehensweise gesehen (Kommission der EG 1985: 13; Kommission EG 1991: 100). Die Förderung der Stadtentwicklung in benachteiligten Räumen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, einem hohen Armutsniveau und strukturellen Entwicklungsdeftziten wurde mithin schon in den 1980er Jahren als eine europäische Policy-Aufgabe mit Querschnittscharakter definiert, die allerdings nicht notwendig in den Entwurf einer neuen Gemeinschaftspolicy münden musste. Zwar genoss das Thema auf der europäischen Ebene Aufmerksamkeit, jedoch verblieb die Stadtentwicklung - im Gegensatz zur regionalen Wirtschaftsförderung - lange Zeit in einem ,,institutionellen Vakuum" (Faludi/Zonneveld/Waterhoud 2000: 115). Da über den Querschnittscharakter der Stadtentwicklungspolitik unter den zentralen Akteuren bereits früh Konsens bestand, blieb es den Akteuren in den einschlägigen europäischen Sektorpolitiken - der Struktur-, der Umwelt-, der Sozial-, der Verkehrs-, der Forschungs-, der Kulturpolitik etc, - überlassen, sich das Kohäsionsziel für die Städte im Rahmen ihres jeweiligen Feldes zueigen zu machen und es unter Anwendung ihrer feldspezifischen Steuerungsinstrumente in die politische Praxis im entsprechenden nationalstaatliehen Kontext hineinzutragen. 24
Das folgende Teilkapitel beruht in weiten Teilen auf: Lenschow/Reitet 2007.
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3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpolitik
Insbesondere die Generaldirektion Regionalpolitik (GD Regio) schien dabei zur Agenda-Setterin und initiativen Kraft innerhalb der Kommission prädestiniert zu sein. Das Tätigwerden dieser GD stützte sich seit ihrer Einrichtung im Jahr 1967 auf das vertragliche Bekenntnis der Mitgliedstaaten zur "stetigen Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen [der] Völker" (präambel EWG-Vertrag). Seit der ersten Reform des EFRE im Jahr 1979 standen der GD hierzu prinzipiell Ressourcen im Rahmen des oben erwähnten quotenfreien Sektors des EFRE zur Verfügung. Und seit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) handelte sie auf Basis des Art. 158 EG-Vertrag, demzufolge die Gemeinschaft eine Politik zur "Stärkung des wirt-schaftlichen und sozialen Zusammenhalts (...)" entwickelt und sich dabei insbesondere solidarisch gegenüber den "am stärksten benachteiligten Gebiete(n)" verhält (Art. 158 EG-Vertrag). Die GD Regio nutzte das regionalpolitische Instrumentarium der Kommission schon früh, um mit den Mitteln des quotenfreien Sektors u.a. erste Einzelmaßnahmen zur integrierten Stadtentwicklungsförderung durchzuführen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Z.B. die "Integrierte Operation Neapel", eine Sondermaßnahme der Gemeinschaft zur Stadterneuerung in Belfast und ab 1989 die Städtischen Pilotprojekte (SPP). Diese Aktivitäten zielten zu keinem Zeitpunkt darauf ab, das Kompetenzspektrum der Gemeinschaft in den Bereich der sozialen Stadtentwicklung hinein zu erweitern (Atkinson 2001: 387). Wie erklärt sich das scheinbare Paradoxon gesteigerter Aktivität der Kommission seit Ende der 1980er Jahre ohne gleichzeitige Vertretung eines ausdrücklichen Anspruchs auf formale Vergemeinschaftung der Stadtentwicklungspolitik? Geht man vom traditionellen Paradigma dieser Politik als einer investitionsintensiven Städtebau- und Infrasttukturpolitik aus, mutet die "Entdeckung" (Eltges 2005: 134) der Stadtentwicklung durch die GD Regio tatsächlich erstaunlich an, zumal die Regionalpolitik nach der zweimaligen Verdoppelung des Strukturfondsbudgets mit den Finanzpaketen "Delors I" (1988) und "Delors II" (1992) ab 1999 eine Einschränkung ihrer Ressourcen hinnehmen musste (pollack 2000). Die finanzielle Ausstattung der Regionalpolitik stellt sich in der Rückschau allerdings weniger als zentraler Faktor für die Aufnahme des Ziels der Stadtentwicklungsförderung in den Rahmen der europäischen Regionalpolitik dar, die ab 1996 schrittweise erfolgte. Bedeutsamer hierfür war, dass die Mitgliedstaaten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine entschlossenere Orientierung allen gemeinschaftlichen Policy-Makings am normativen Gesamtprojekt der Gemeinschaft einforderten, wonach der soziale Fortschritt über die Binnenmarktintegration und die Generierung von Wachstum durch die Steigerung der regionalen Wettbewerbsfahigkeit ermöglicht werden sollte. Diese Forderung gipfelte bekanntlich im Jahr 2000 in der Verabschiedung der
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Lissabon-Strategieö, Im Vorfeld und im Zuge der Verabschiedung dieser Strategie erlangte das Thema der Stadtentwicklung für die Kommission und hier wiederum die GD Regio aus wenigstens zwei Gründen eine spezifische Attraktivität. Zum einen ergab sich im Zusammenhang mit der Entwicklung einer europäischen Stadtentwicklungspolitik für die Kommission die Gelegenheit, den institutionellen Bestand der europäischen Regionalpolitik neu zu begründen, erschien dieser doch im Lichte der wiederkehrenden Debatte über die ,Renationalisierung' dieses Politikfelds beständig prekär (Hooghe/Marks 2001: 98; Allen 2005: 216). Und zum anderen ergab sich mit dem Vorstoß in den nationalen Interventionsbereich der stadtbezogenen Raumordnungspolitik für die Kommission die Gelegenheit, sich auf europäischer Ebene zum Vorreiter für die Realisierung des Wunsches der Mitgliedstaaten nach Erneuerung der staatlichen Governance-Formen zu erklären. Die Genese der "implizite[n]" (Zimmermann 2008) Stadtentwicklungspolitik der EU vollzog sich im Rahmen der Regionalpolitik ab 1996 in drei Etappen (vgl. Tab 5).
Entdeckung derintegrierten 5tadtentwicklungifljrderungfür die EU-Strukturpolitik Die Entdeckung der Stadtentwicklungsförderung als eigenständiger Gegenstand des regionalpolitischen Wissenstranfers der EU in die Mitgliedstaaten setzte 1996 mit der Veröffentlichung des ersten Berichts über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt (Erster Kohäsionsbericht) ein. Darin stellte die Kommission fest: "In einigen Mitgliedstaaten werden die Probleme in den Städten bereits als die größte Herausforderung für den nationalen Zusammenhalt betrachtet. Hier wurden neue integrierte Stadtpolitiken entworfen und implementiert. Ein stärker konzentrierter Ansatz könnte hier auf Unionsebene notwendig sein." (Europäische Kommission 1996: 124). Dem Bericht folgten 1997 und 1998 die zwei Mitteilungen der Kommission "Wege zur Stadtentwicklung in der Europäischen Union" und "Nachhaltige Stadtentwicklung in der Europäischen Union: Ein Aktionsrahmen". Die GD Regio zählte darin die ganze Bandbreite der als notwendig erachteten Maßnahmen zur Förderung einer wirtschaftlich und sozial ausgewogenen und ökologisch nachhaltigen Entwicklung der europäischen Städte auf. Sie wies zugleich auf die Notwendigkeit eines europäischen Beitrags zum Erreichen dieses Kohäsionsziels hin und regte eine verstärkte Zusammenarbeit der einschlägigen Kommissionsdienste an (Europäische Kommission 1997: 16; Europäische Kommission 1998: 30). Dieser Vorstoß stand im Kontext dreier Entwicklungen (van den Berg/Braun/van der Meer 2004: 44).
25 Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten setzten sich bekannrlich anlässlich des Treffens des Europäischen Rates in Lissabon im Jahr 2000 das Ziel, die Union binnen 10 Jahren zum wettbewerbsfahigsten und wachstumsstärksten Wirtschaftsraum der Welt zu entwicken.
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3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpolitik
Zunächst veranlasste die anhaltende Beschäftigungskrise die Regierungen der Mitgliedstaaten 1996 erstmals zur gemeinsamen Reflexion über eine europäische Koorclinierung ihrer Beschäftigungspolitiken. Der Europäische Rat von Florenz griff in diesem Zusammenhang eine Idee auf, die bereits seit Mitte der 1970er Jahre mit den Anti-Armutsprogrammen der EG Eingang in das sozialpolitische Handlungsrepertoire der Gemeinschaft gefunden hatte. Im Rahmen von Pilotaktionen sollte auf regionaler und lokaler Ebene der Abschluss "territorialer Beschäftigungspakte" angeregt werden, um so das endogene beschäftigungspolitische Handlungspotential "vor Ort" optimal ausschöpfen zu können. Die GD Regio konnte hier auf die unmittelbare Anschlussfähigkeit dieser beschäftigungspolitischen Strategie mit der von ihr verfolgten regionalpolitischen Interventionsphilosophie benennen. So wies sie im Vorfeld der Verhandlungen zum Vertrag von Amsterdam 1997 auf das mit der Beschäftigungsproblematik verbundene Problem der Gefährdung des gemeinschaftlichen Kohäsionsziels hin und bot in ihren stadtpolitischen Mitteilungen von 1997 und 1998 einen Beitrag der Strukturfonds zur Förderung der sozialen Konzertierung auf der lokalen Ebene und damit zur Bearbeitung der Beschäftigungskrise an (Europäische Kommission 1998: 13). Zweitens konnte sich die GD Regio für ihren Vorstoß in die Stadtentwicklungspolitik auch direkt auf das wachsende Interesse der Mitgliedstaaten an einer raumordnungspolitischen Handlungskoordination im gesamteuropäischen Maßstab, das die Stadtentwicklung einschloss, berufen. Seit 1991 bereiteten die für Fragen der Raumordnung zuständigen nationalen Minister auf regelmäßigen informellen Treffen das "Europäische Raumentwicklungskonzept' (EUREK) vor. Das Konzept sollte als Basis für eine zwischenstaatlich abgestimmte Entwicklung neuer raumordnerischer Interventionsmodelle dienen und den Auftakt für die gesamteuropäisch koordinierte Generierung und gebündelte Bereitstellung von geographischem, kartographischem und raumentwicklungsspezifischem Wissen bilden. Ziel war es, durch ein abgestimmtes Vorgehen die nationale Intervention in die Raumordnung effektiver zu gestalten und die Raumordnungspolitik in Europa insgesamt an die veränderten Rahmenbedigungen des ökologischen, ökonomischen und demographischen Wandels anzupassen. Die Kommission nutzte das EUREK, das 1999 verabschiedet wurde, schon während seiner Entstehungsphase ab 1996 als einen Bezugspunkt der eigenen stadtentwicklungspolitischen Strategieentwicklung (Europäische Kommission 1999: 70). U.a. ausgehend von den Zielen des EUREK rief die Kommission 1997 zusammen mit dem europäischen Statistikamt EUROSTAT den "Städteaudit" ~,Urban audit'') ins Leben. Er diente dem Zweck, mit einem gemeinsamen statischen Instrument zur Messung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf lokaler Ebene dauerhaft die gemeinschaftsweite Vergleichbarkeit der Lebensqualität in den Städten zu ermöglichen. Der Audit war ein Beitrag der Kommission zu der mit dem EUREK angestrebten Wissensbündelung konzipiert. Zugleich spiegelte sich in ihm die von der Kommission präferierte
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Handlungsphilosophie bereits wider: Sofern die gemeinschaftliche Förderung der Stadtentwicklung zur autonomen Zielsetzung der Union werden sollte, war es aus der Perspektive der GD Regio nicht notwendig, die (re-) distributiven Kompetenzen der EU auszuweiten. Vielmehr erschien es notwendig, gemeinschaftsweit vergleichbare Informationen über die lokale Entwicklung zu sammeln, um die vorhandenen Fördermittel gezielter einsetzen zu können, und zwar nicht zum finanziellen Ausgleich (inner-) städtischer Disparitäten, sondern, wie die Kommission in ihren stadtpolitischen Mitteilungen betonte, zur Verbesserung der lokalen Governance zunächst über die Herstellung von Transparenz über EU-weit geteilte städtische Entwicklungsprobleme und sodann über die gezielte Förderung der exemplarischen Produktion von neuem Interventionswissen (Europäische Kommission 1998: 28). Als ein drittes, für die Entdeckung der Stadtentwicklung bedeutsames Moment muss schließlich die wachsende Kritik insbesondere der Nettozahlerländer der EU in den Gemeinschaftshaushalt an der "Brüsseler Subventionspolitik" genannt werden. Unter anderem stellte der 1998 neu ins Amt gewählten deutsche Bundeskanzler Gerhard SchriJ'der im Rahmen der Verhandlungen zur finanziellen Voraus schau der Union für 2000-2006 G,Agenda 2000'') den Zusatznutzen einer regionalpolitischen Umverteilung durch die EU in Frage (Dyson/Goetz 2003: 350). In der Tat schien die Verringerung der messbaren Einkommensdisparitäten zwischen den Mitgliedstaaten und - wenn auch in geringerem Maße - zwischen den Regionen, zu belegen, dass eine regionale Sttukturförderung im gesamteuropäischen Maßstab nicht mehr erforderlich war (Europäische Kommission 2001: xi). Zudem verstärkte sich im Vorfeld der Osterweiterung und der damit zu erwartenden Verknappung der Haushaltsmittel das Konfliktpotential zwischen Nettozahlerund Empfängerländern innerhalb der EU-15. Dies heizte die schwelende Debatte um eine Renationalisierung der Regionalpolitik zusätzlich an, denn die zahlenden Mitgliedstaaten projizierten ihre Kritik an der europäischen Haushaltspolitik insbesondere auf den Bereich der regionalen Sttukturförderung und die Politik der GD Regio, der sie eine unnötige Ausweitung der Bürokratie und Machtstreben vorwarfen (Der Spiegel 1998). Die indirekte Förderung der Stadtentwicklung durch Wissenssammlung und übertragung stellte sich für die Generaldirektion in diesem Zusammenhang als ein neues, positives Leitprojekt dar. Zwar existierte noch keine gemeinsame Datengrundlage, die umfassend Auskunft über die wirtschafts- und sozialstrukturelle Entwicklung auf lokaler Ebene hätte geben können, dennoch verwies die Kommission zu diesem Zeitpunkt darauf, dass die sozioökonomische Entwicklung auf innerregiona1er, städtischer Ebene einen zu der zwischenstaatlichen und interregionalen Entwicklung entgegen gesetzten negativen Trend nähme und gemeinschaftliches Handeln daher angezeigt sei (Europäische Kommission 1999: 9). Für diese These sprach auch, dass die "soziale Segregation" in den Städten Mitte der 1990er
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3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpolitik
Jahre in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten als eine neue Herausforderung an die nationalen Raumordnungspolitiken identifiziert worden war (Vranken/Decker/Nieuwenhuyze 2003: 9). Angesichts des hohen Urbanisierungsgrades der EU (Europäische Kommission 1998) schien es unter diesen Umständen geradezu konsequent zu sein, dass die GD Regio sich der Problematik der Stadtentwicklung annahm. Die 1997er und 1998er Mitteilungen zu dem Thema ließen allerdings erkennen, dass die Kommission ihre Aufgabe nicht darin sah, sich für den Ausbau der Kompetenzen und Finanzressourcen zur Durchführung einer genuinen europäischen Stadtentwicklungspolitik zu engagieren (Atkinson 2001). In der 1997er Mitteilung beschränkte sich die GD nach einem einleitenden Hinweis auf die wachsende Relevanz einer ausgewogenen Stadtentwicklung für die Kohäsion in der EU darauf, alle aus ihrer Sicht relevanten Problemfelder der städtischen Entwicklung aufzulisten und auf die zugleich hemmenden und fördernden Wirkungen des europäischen Policy-Making in unterschiedlichen Bereichen für eine kohäsive Entwicklung in den Städten hin-zuweisen. Darüber hinaus wurde klar gestellt: "Es ist nicht beabsichtigt, eine europaweite Stadtentwicklungspolitik für Fragen zu erarbeiten, die am besten auf lokaler und regionaler Ebene behandelt werden" (Europäische Kommission 1997: 3).
Europä'ische Stadtentwicklungifo'rderung - Sonderprogramm oder ,Mainstream '? Die Idee einer gebietsbezogenen Verbindung von aktivierenden sozial- mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Förderung der endogenen Entwicklung einerseits und zur Innovation des lokalstaatlichen Public Policy-Making andererseits wurde ab 1998 - und damit brach die zweite Etappe der Genese der europäischen Stadtentwicklungspolitik an - zum Kern der nunmehr offensiver vorgetragenen Forderung der GD Regio nach einer dauerhaften Förderung der Stadtentwicklung im Rahmen der Strukturfonds. Dies zeigte sich bei den Neuverhandlungen der Strukturfondsverordnungen für den Förderzeitraum 2000 bis 2006. Bereits im Vorfeld der Verhandlungen nahm die GD Regio die Gemeinschaftsinitiative URBAN I, die zwischen 1994 und 1999 in 118 Städten durchgeführt wurde, als Exempel für den Erfolg des von ihr verfolgten stadtentwicklungspolitischen Interventionsansatzes. Nach dem Willen der Generaldirektion sollten Fördermaßnahmen, die die Ideen von URBAN I aufgriffen, durch eine entsprechende Erweiterung des Katalogs der förderfähigen Maßnahmen in den Hauptstrom (Mainstream) der regionalen Strukturpolitik der EU aufgenommen werden (Kastrissianakis 1998: 16). Diesem Ziel entsprechend nahm die Kommission die Förderung integrierter Stadtentwicklungsprogramme in ihre Verorclnungsvorschläge zur Neuregelung der Strukturfondsförderung 2000 bis 2006 auf. Bei den Verhandlungen konnte sie sich in diesem Punkt gegen die ablehnende Haltung einiger
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nationaler Regierungen durchsetzen, so dass die Stadtentwicklungsförderung seit 2000 offiziell zum Ziel 2-Maßnahmenkatalog zählt. Darüber hinaus kam es allerdings auch - entgegen den Erwartungen der GD Regio - zur Verlängerung der Gemeinschaftsinitiative URBAN. Die Neuauflage der GI als "URBAN II" ging in erster Linie auf eine Fraktions- und Mitgliedstaaten-übergreifende Initiative aus der Mitte des Europäischen Parlaments zurück (Frank 2008). Dieses nutzte seine Vetomacht im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens (Art. 251 EG-Verttag), um 1999 eine Fortsetzung der Gemeinschaftsinitiative zu erwirken. Bei der Formulierung der Ziele von "URBAN II" traten dann auch Differenzen zwischen dem EP und der Kommission zutage. Beide Organe sprachen sich für die Idee des integrierten Politikansatzes aus. Das EP forderte dabei allerdings eine stärkere Betonung des sozialen Aspekts der Stadtentwicklungsförderung durch Konzentration investiver Maßnahmen in benachteiligten Stadtvierteln. Die Kommission dagegen sah (und sieht) die Aufgabe der EU im Bereich der Stadtentwicklungspolitik nunmehr eindeutig im Anschub ökonomischer Aktivitäten, in Maßnahmen zur Verbesserung der stadtregionalen Wettbewerbsfahigkeit und in der Unterstützung bei der Innovation lokaler Politik und Verwaltungsverfahren (parkinson 2005: 23f. u. 28; Frank 2008: 110). Zusätzlich hierzu sollte die Aktivierung des bürgerschaftliehen Potentials in den Städten und benachteiligten Stadtteilen gefördert werden, um das hier vorhandene "Sozialkapital", also die lokalen Ressourcen zur gesellschaftlichen Selbstkooordination (Mayer 2005: 589f.)26, auszuschöpfen (Frank 2008: 11Of.). All dies wiederum sollte nun nicht mehr durch die Errichtung einer eigenen europäischen Stadtentwicklungspolitik bewerkstelligt werden, sondern durch das "Mainstreaming", also die Integration des URBAN-Ansatzes in den Kanon der regionalpolitischen Fördergegenstände (ebd.). Die Mainstreaming-Strategie der GD Regio ab 1999 fügt sich in den obenbeschriebenen Ansatz der geziehen Erweiterung des Themenspektrums der Strukturpolitik ein. Um den Erfolg der Förderung der Stadtentwicklung sicherzustellen, sollte dabei wiederum eine verstärkte Sensibilisierung einzelner, für die Stadtentwicklung einschlägiger Sektorpolitiken der EU erreicht werden. Hierzu setzte sich die GD Regio bereits 1998 für die verstärkte Koordination einschlägiger Policies (Verkehr, Gesundheit, Soziales etc.) ein (Europäische Kommission 1998: Der Begriff des "Sozialkapitals" wurde U.a. in der US-amerikanischen Zivilgesellschaftsforschung von Robert D. Putnamgeprägt und verwendet (1993: 167). Er ist in diesem Zusammenhang definiert worden als Gesamtheit aller gesellschaftlichen Organisationsstrukturen (Vereine, Netzwerke etc.), die auf Vertrauen und Gegenseitigkeit beruhen (ebd.; Mayer ZOOS: 590). Mit dem Begriff haben Putnam u.a. zugleich ein normatives Konzept verbunden, in dem unterstellt wurde, dass die Existenz von "Sozialkapital" (in einem Gebiet) "effiziente" (Putnam 1993: 167), von der 'Zivilgesellschaft' selbst organisierte und getragene Problemlösung fiir die jeweilige Gemeinschaft begünstige. Von diesem Diskurs zehrt u.a. die Philosophie des "aktivierenden" Sozial- oder Wohlfahrtsstaates, der durch Anreizintervention u.a. "Sozia1kapital" schaffen oder seine Nutzung ankurbeln will (Mayer 2005: 591; vgl. auch: Mezger/West 2000). 26
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3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpolitik
30) u.a. indem sie im Anschluss an das Europäische Städteforum in Wien 1998 (Senatsverwaltung 1999: 30) die eingangs erwähnte "Unit on Urban Actions" als neue Organisationseinheit errichtete. Die Unit hat heute auch die Aufgabe, den Austausch bester Praktiken zwischen Stadtverwaltungen durch Zusammenarbeit mit den europäischen Städtenetzwerken zu organisieren und damit zur Verbreitung der URBAN-Philosophie beizutragen. Die Stadtentwicklungspolitik derEU im Zeichen derLissabon-Strategie Im Vorfeld der Verabschiedung der Lissabon-Strategie ging die GD Regio schließlich ab 1999 dazu über, ihren spezifischen Stadtentwicklungsansatz endgültig zu konsolidieren und dauerhaft in der Regionalpolitik zu verankern (Frank 2008: 11Of.). Die dritte Etappe der Integration des Stadtentwicklungsziels in die strukturpolitische Agenda der EU begann zu diesem Zeitpunkt damit, dass es der Kommission während der Verhandlungen zu fnanziellen Aussattung der Strukturfonds 2000-2006 gelang, gegenüber den Mitgliedstaaten das Ziel einer förderpolitischen Ausrichtung der GI URBAN II an der regionalpolitischen Leitidee der WoWstandsmehrung auf dem Weg einer Stärkung der Wettbewerbsfahigkeit benachteiligter Gebiete (Voelzkow 2000) durchzusetzen. Als oberste Zielsetzungen von URBAN II wurden mithin die Stärkung der Wettbewerbsfahigkeit und der endogenen Wachstumskräfte städtischer Räume definiert (Frank 2008). Die interinstitutionelle Diskussion um den stadtentwicklungspolitischen Zielhorziont im Rahmen der künftigen Strukturfondsförderung zu diesem Zeitpunkt fügte sich in den breiteren Rahmen der normativen Neujustierung der europäischen Regionalpolitik insgesamt durch die GD. Eine solche Neujustierung war im Lichte der strategischen Zielsetzungen der EU, die die Europäischen Räte von Lissabon und Göteborg in 2000 und 2001 verabschiedet hatten, notwendig geworden. Bekanntlich sollte die Union den Lissabon- und der Göteborg-Strategien zufolge bis 2010 zum wettbewerbsfahigsten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt werden. Die Formen des öffentlichen und privaten Handelns und Wirtschaftens sollten in diesem Zusammenhang dergestalt modernisiert werden, dass eine "nachhaltige", i.S.v. dauerhaft ausgewogene ökologische, ökonomische und soziale Entwicklung der EU und ihrer Mitglieder sichergestellt war. Ausgehend von diesem für die gesamte EU aufgestellten strategischen Rahmen nutzte die GD Regio u.a. das Thema der Stadtentwicklung, um auf die aus ihrer Perspektive auch künftig gegebene Notwendigkeit einer europäischen "Kohäsionspolitik" hinzuweisen. Anhand der europäischen Stadtentwicklungspolitik ließ sich die Bedeutung der europäischen Regionalpolitik für die Verwirklichung der Wachstums- und Beschäftigungsziele von Lissabon und des Nachhaltigkeitsziels von Göteborg zeigen. Denn diese Politik, wie sie die GI URBAN II verkörperte, stand aus Kommissionsper-
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spektive für einen modernen, effizienten und zugleich nachhaltigen Ansatz der raumordnungspolitischen Intervention mit dem Ziel der allmählichen Errichtung eines lokalisierten "Wettbewerbstaates" (Voelzkow 2000). Ausgebend von dieser Idee erklärte die GD Regio daher im dritten Kohäsionsbericht der Kommission im Jahr 2004 die Förderung der Stadtentwicklung zu einem ihrer Kernanliegen für die Weiterentwicklung der regionalen Strukturpolitik der EU insgesamt. Unter dem Titel "URBAN+" kündigte sie an, "Städtefragen" künftig "stärker in den Vordergrund" der Strukturpolitik rücken zu wollen (Europäische Kommission 2004a: xxxi). Diese Ankündigung, mit der das "Modell URBAN" gleichsam offiziell zum Vorbild für die stadtbezogene Raumentwicklungspolitik im Rahmen der EU-Strukturpolitik erhoben wurde, mündete im selben Jahr in den Vorschlag der Kommission, die Strukturfondsverordnungen um eine "städtische Dimension" zu ergänzen, die ab der Förderperiode 2007 bis 2013 gelten sollte (Europäische Kommission 2004b: Art. 25 Abs. 3a; Europäische Kommission 2004c: Art. 8). Dieses ,Mainstreaming wurde sodann in drei Schritten in die Tat umgesetzt (vgl.Tab. 5). Erstens startete die "Unit on Urban Actions" der GD Regio im Jahr 2003 eine neue Gemeinschaftsinitiative, das Programm "URBACT". Mit ihm würden, aufbauend auf den Erfahrungen, die die EU mit der Förderung der Netzwerkbildung unter den URBAN-Städten gesammelt hatte, Strukturfondsmittel für die EU-weite Bildung thematischer Städtenetzwerke zur Verfügung gestellt. Die transnationalen Netzwerke sollten und sollen seither in einzelnen Policy-Bereichen des integrierten Stadtentwicklungsansatzes innovative Instrumente entwickeln und den kontinuierlichen Austausch von "good practices" zwischen den europäischen Städten gewährleisten (URBACT 2007: 123). Die Ergebnisse der koordinierten Innovationsanstrengungen wurden und werden über die Publikation von Evaluationsberichten im Internet öffentlich zugänglich gemacht, um die Verbreitung und damit "Kapitalisierung" (ebd.: 122) des EU-weit dezentral generierten Interventionswissens zugunsten einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu ermöglichen. Zweitens drängte die GD Regio mit der Veröffentlichung der Mitteilung "Die Kohäsionspolitik und die Städte: Der Beitrag der Städte zu Wachstum und Beschäftigung in den Regionen" im Juli 2006 darauf, die Neuverhandlungen der Strukturfonds für die Förderperiode 2007 bis 2013 als Anlass für die tatsächliche Ergänzung der europäischen Kohäsionspolitik um eine "städtische Dimension" i.S. der URBAN+-Idee zu nehmen (Kommission der EG 2006: 3). Dies gelang letztlich auch. Mit der Mitteilung "Die Kohäsionspolitik und die Städte" legte die Kommission im November 2006 die Grundlage für die Konzeption der "Kohäsionsleitlinien" durch den Europäischen Rat. Diese Leitlinien, die die Kommission seit 2007 im Vorfeld jeder Förderperiode formuliert, haben den Zweck, die Mitgliedstaaten bei der Konzipierung ihrer aps zur Implementation der europäischen Strukturfondsprogramme auf die Beachtung der Lissabon-Ziele zu verpflichten.
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3.3 Exkurs: Die "städtische Dimensionierung" der Regionalpolitik
Hierzu ,übersetzen' die Mitgliedstaaten die Leitlinien zunächst in so genannte nationale strategische Rahmenpläne, die dann ihrerseits maßgeblich für die inhatliche Gestaltung der nationalen bzw. regionalen Strukturförderprogramme sind (Tömmel2006). Die Leitlinien bilden also seit 2007 die allgemeine Orientierungsbasis für die inhaltliche Koppelung der europäischen Strukturpolitik an den LissabonProzess (Rat der EU 2006a: 30). Mit ihrer Annahme für die Förderperiode 20072013 erkannten die Regierungen der Mitgliedstaaten die Stadtentwicklungsförderung offiziell als Aufgabe der europäischen Struktur- oder "Kohäsionspolitik" an. Tabelle 5: 1989-1999 1994- 1999 1996
1997 1998 1999 2000-2006 2000
2001
2003 2004
2004
2006 2006 2007 2007
Etappen auf dem Weg zur europäischen Stadtentwicklungspolitik. Städtische Pilotprojekte (SPP) Erste Initiativen im Bereich der integrierten Stadtentwicklung Gemeinschaftsinitiative URBAN I Erster Kohäsionsbericht Die Kommission regt eine europäische Politik zugunsten der Stadtentwicklungsförderang an Mitteilung der Kommission "Wege zur Stadtentwicklung in der EU" Mitteilung der Kommission "Nachhaltige Stadtentwicklung in der EU: ein Aktionsrabmen" Europäisches Raumentwicklungskonzept (EUREK) des Informellen Rates der europäischen Raumordnungsmillister Gemeinschaftsinitiative URBAN 11 Lissabon-Strategie EU setzt sich das Ziel, zur wettbewerbsfähigsten, dynamischen wissensbasierten Ökonotnie der Welt werden Göteborg-Strategie Der Europäische Rat formuliert eine Strategie zur nachhaltigen Entwicklung der EU URBACT Dritter Kohäsionsbericht Die Korntnission kündigtan, Städtefragen im Rahmen der Regionalpolitik stärker in den Vordergrund rücken zu wollen ("URBAN+'~ EU-Verfassungsvertrag Neben den Zielen der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten witd das Ziel des tertitorialen Zusammenhalts im EU-Vertragswerk verankert Mitteilung der Kommission ,,Die Kohäsionspolitik und die Städte. Der Beitrag der Städte zu Wachstum und Beschäftigung in den Regionen" Kohäsionspolitische Leitlinien des Rates der EU Der Rat betont Beitrag der Städte zum Erreichen der Lissabon-Ziele Leipziz Charta zur nachhaltizen europäischen Stadt Leitfaden der Kommission ,,Die städtische Dimension der Gerneinschafrspolitik im Zeitraum 2007-2013"
Quellen: Lenschow/Reiter 2007: 179; Zimmermann 2008: 89. Eigene Darstellung.
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Drittens schließlich unternahm die GD Regio einen erneuten Anlauf, um der für die URBAN-Philosophie charakteristischen Idee der Policy-Integration auch innerhalb der EU-Kommission selbst eine eigene institutionelle Grundlage zu geben. Hatte sie bereits im Jahr 1998 den verstärkten Austausch mit anderen, für die Stadtentwicklung einschlägigen GDs zunächst auf informeller Basis angeregt, so kam es im März 2006 auf Initiative der GD Regio zur Gründung einer "Interservice Group on Urban Development' aus 13 Generaldirektionen in einschlägigen Sektorpolitiken-". Die Darlegung der schrittweisen Integration des Stadtwicklungsziels in das Zieltableau der europäischen Strukturpolitik (vgl. Tab. 5) lässt erkennen, dass der insbesondere von der GD Regio forcierte Vorstoß in den Bereich der stadtbezogenen Raumordnungspolitik keineswegs das Ergebnis einer, von langer Hand' angelegten Strategie der Kommission zur Erweiterung des Katalogs der Gemeinschaftspolitiken war. Die allmähliche städtische Dimensionierung der europäischen Regionalpolitik war für die Kommission bis 2007 nicht durchgängig ein prioritäres Anliegen. Vielmehr war sie u.a. ein Mittel zum Zweck der dauerhaften Sicherung der eigenen regionalpolitischen Handlungsmacht und zum Zweck der institutionellen Bestandssicherung. Ungeachtet dessen schuf die Kommission mit URBAN II ein "Modell" für die Modernisierung der (lokal-) staatlichen Intervention im Bereich der stadtbezogenen Raumordnung. 3.4 Zusammenfassung Lässt man den Exkurs zur Entstehung der europäischen Stadtentwicklungspolitik im Rahmen der europäischen Regionalpolitik revue passieren und betrachtet die zentralen Merkmale der Regionalpolitik - Knüpfen von Partnerschaften, "Kontextsteuerung" durch das Setzen von Anreizen zur Innovation und zur Stärkung der unternehmerischen und individuellen Potentiale in den Fördergebieten, Konzentration von residuale Hilfe für die Schwächsten, Modernisierung der Staatstätigkeit nach der Leitidee des ,Staates als Dienstleister, Partner und Moderator' -, so wird in der Zusammenfassung zweierlei deutlich. Erstens ging es der Kommission mit dem Vorstoß in das Feld der Stadtentwicklungspolitik nicht um Integration im klassischen Verständnis einer Kompetenzübertragung von den Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene, sondern um den Transfer und die Diffusion von (gesamteuropäischem) Politikwissen. Und zweitens ging es auch nicht um eine Top-down Steuerung der Stadtentwicklung im nationalen oder lokalen Maßstab, sondern um die Übertragung eines in Entstehung begriffenen "Modells" der lokalen stadtent'J:I Dies
waren die GDs für Umwelt, Verkehr und Energie, Informationsgesellschaft, Unternehmen und Industrie, Wettbewerb, Bildung und Kultur, Beschäftigung und Soziales, Forschung, Justiz, Freiheit, Sicherheit und das Generalsekretariat der Kommission.
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3.4 Zusammenfassung
wicklunsgpolitischen Intervention und weiche Politiksteuerung durch Wissensgenerierung und -transfer. Im Mittelpunkt stand mithin die "Europäisierung" durch freiwillige institutionelle Angleichung der Städte. Die These vom "Paradigmenwechsel" (Frank 2008) ist vor dem Hintergrund der der geringen finanziellen Ausstattung und Reichweite der europäischen Stadtentwicklungspolitik allerdings sehr weitgehend. Denn - dies wird im anschließenden Kapitel gezeigt - in den Fällen Deutschlands und Frankreichs sprach zwar die Existenz von nationalen sozialen Stadtentwicklungspolitiken mit einem den URBAN-Ideen nahe kommenden politischen Zielhorizont, ähnlichen Instrumenten und auch strukturellen Ahn1ichkeiten grundsätzlich für eine anzunehmende hohe Wirkungskraft dieser europäischen Stadtentwicklungspolitik. Eine einfache Anpassung im Sinne der "goodness of the ftt"-These kann allerdings dennoch nicht angenommen werden, da die Lokalsysteme und intergouvemementalen Arrangements als allgemeine Grundlage der lokalstaatlichen Intervention, auch bei der Implementation von URBAN II, sich in den beiden Mitgliedstaaten z.T. durch einen erheblichen "Misftt" gegenüber dem von der EU-Kommission vertretenen Modell auszeichneten.
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Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
Nachfolgend werden die sozialen Stadtentwicklungspolitiken in Deutschland und Frankreich (4.1) und das deutsche sowie französische Lokalsystem mit ihren spezifischen Mustern der staatlich-lokalen Arbeitsteilung zur Erbringung öffentlicher Aufgaben (4.2) vorgestellt. Zusammen genommen bilden sie die institutionelle "Einbettung" (Granovetter 1985; Pierre 1999) in der die experimentelle Anpassung der lokalstaatlichen Intervention während der Implementation von URBAN II in ausgewählten Städten stattfand. Im Einzelnen werden jeweils die Ziele, Instrumente und Entwicklungen der nationalen sozialen Stadtpolitiken und die typischen Arrangements zur Interaktion zwischen den betroffenen staatlichen und städtischen Akteuren auf den einzelnen Ebenen sowie zwischen den Akteuren innerhalb der Kommunen erläutert (4.1). Weiterhin werden die Merkmale der nationalen Lokalsysteme mit Blick auf die Organisation der lokalen Demokratie, der öffentlichen Aufgabenerbringung und der lokalen Verwaltung dargelegt (4.2). Insgesamt - dies wird in Kapitel 4 gezeigt - traf die EU mit ihrer in URBAN II gebündelten Stadtentwicklungspolitik sowohl in Deutschland als auch in Frankreich im] ahr 2000 auf ein je stark ausdifferenziertes, institutionelles Setting. Schienen beide Mitgliedstaaten aufgrund z.T. langjähriger Erfahrungen mit einer den europäischen Vorstellungen jeweils nahe kommenden nationalen Politik der sozialen Stadtentwicklung auf den ersten Blick ,mühelos' zur Implementation der europäischen Ideen in der Lage ~,goodness of the fit"; Börzel/Risse 2000; Risse/Green Cowles/Caporaso 2001), so offenbart der Blick nicht nur auf die Policyspezifischen Institutionensysteme, sondern auch auf die Lokalsysteme allgemein ein Nebeneinander von "Fit" und "Misfit" mit den Ideen des "Modell URBAN" und damit die Existenz von je spezifischen Transfer-Hürden.
4.1 Politik der sozialen Stadtentwicldung in Deutschland und Frankreich Sowohl Deutschland als auch Frankreich blicken - im Kontext der westeuropäischen EU-Mitgliedstaaten betrachtet (Franke/Strauss 2007; Eltges/Walter 2001; ]acquier 2003) - auf eine vergleichsweise lange Tradition der sozialen Stadtentwicklung zurück. Im Frankreich der Fünften Republik rief der Zentralstaat nach ersten
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
Experimenten mit städtebaupolitisch verankerten Programmen zur Aufwertung benachteiligter Vorstädte während der 1960er und 1970er Jahre ab 1980 eine eigene, nationale soziale Stadtentwick1ungspolitik, die PoJitique de Ia Ville, ins Leben. Sie wurde parallel zu den unter Staatspräsident Francais Mitterrand eingeleiteten Dezentralisierungsreformen ab 1982 implementiert. Die Ursprünge der deutschen sozialen Stadtentwicklungspolitik, die heute in erster Linie mit dem Bund-LänderProgramm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" (kurz: "Soziale Stadt'') in Verbindung gebracht wird, liegen ebenfalls in den 1960er Jahren. Sie nahm ihren Ausgang bei der Föderalismusreform der ersten Großen Koalition im Jahr 1969 und dem im Anschluss daran verabschiedeten Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) aus dem Jahr 1971.
4.1.1 Deutschland: Die StädtebaujO'rderung unddas Programm "So!(jale Stadt" In der Bundesrepublik war und ist aufgrund der föderalen Aufgabenverteilung der direkte Eingriff des Bundes in die lokale Erbringung öffentlicher Aufgaben und in die lokalen Angelegenheiten ausgeschlossen. Den Eingriffsmöglichkeiten der Länder wiederum, die das Kommunalrecht setzen und für die Kontrolle des örtlichen Aufgabenvollzugs zuständig sind, waren und sind angesichts des verfassungsrechtlich verbrieften Selbstverwaltungsrechts der Städte und Gemeinden z.T. Policyspezifische Grenzen gesetzt. Dies gilt u.a, auch für den Bereich der örtlichen Raumplanung und der Raum- oder Stadtentwicklung. Diese stellt aufgrund der kommunalen Planungshoheit eine genuin kommunale Aufgabe dar. Im Feld der Planung und Raumordnung zeichnet sich die ,Regierung des lokalen Raums' oder die lokale Politikintervention dadurch aus, dass die einzelnen politischadministrativen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) aufgrund der entsprechenden Vorgaben im Grundgesetz und im Recht der Raumordnung in einem zwar hierarchisch aufgebauten, jedoch auf Gegenseitigkeit angelegten, losen Kopplungsverhältnis zueinander stehen. Sie sollen im Sinne des "Gegenstromprinzips" (§ 1 ROG) ihre jeweiligen raumordnungspolitischen Interessen und Präferenzen untereinander abstimmen und im Rahmen ihrer Planungen antizipieren und berücksichtigen (Heinz 2000: 236; Düwel/Gutschow 2001: 33). Bund und Länder einigten sich im Laufe der 19S0er und 1960er Jahre auf die bundes- und landesgesetzliche, Rahmen setzende Regulierung der kommunalen Intervention im Recht der Raumordnung und im (Städte-) Baurecht (Beyme 1987: 132-137). Unabhängig davon setzten der (Bund und Länder) und die Kommunen den traditionell bewährten Weg der Arbeitsteilung bei der Erbringung der einschlägigen Aufgaben im Bereich der sozialen Stadtentwicklung fort. D.h. die Kommunen waren und sind
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für die autonome Erfüllung der lokalen Daseinsvorsorgeaufgaben28 und die lokale Wirtschaftsförderung zuständig und der Staat für die Definition der personenbezogenen sozialen Sicherungsaufgaben, die bis 2004 ebenfalls weitgehend kommunal erbracht wurden (Walther 2004: 334). Unter den spezifischen Vorzeichen der soeben beschriebenen Arbeitsteilung spielte das Thema der sozialräumlichen Ungleichheit in den Städten als Gegenstand der gesamtstaatlichen Raumordnungs- und Städtebaupolitik bis zum Amtsantritt der sozialliberalen Koalition im Jahr 1969 kaum eine Rolle. Im Bundesstaat blieb es den Ländern und vor allem den Kommunen selbst überlassen, auf das Phänomen der sozialen Fragmentierung der Städte mit politischen Maßnahmen zu reagieren. Dies änderte sich zu Beginn der 1970er Jahre. Nachdem Bund und Länder mit der ersten Föderalismusreform den föderalen Finanzverbund erneuert und u.a. das Instrument der Finanzhilfen des Bundes an die Länder und auf diesem Wege die Kommunen zur Bewältigung besonderer Investitionsaufgaben (Art. 104b GG) geschaffen hatten, stand nunmehr ein Instrument zur gezielten Intervention zugunsten der Aufwertung krisenbetroffener Stadtteile zur Verfügung. Im Feld der Baupolitik wurde dieses neue Instrument durch die Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG) im Jahr 1971 rechtlich .einsatzfähig' gemacht (§164b BauGB). Damit wurde in der Raumordnungs- und Städtebaupolitik zugleich auch eine neue, kooperativföderale Akteurskonstellation geschaffen (vgl. Walter 1997 und 2001): Die landesspezifische Aufteilung, der Einsatz und die übergeordneten Einsatzzwecke der Bundesfinanzhilfen für die Städtebauförderung werden seit 1971 jährlich zwischen dem Bundesbauminister und der Bauministerkonferenz der Länder (BMK/ARGEBAU) ausgehandelt und in einer gemeinsamen Verwaltungsvereinbarung (VV) niedergelegt. Die einzelnen Bundesländer verabschieden auf dieser Grundlage ihrerseits eigene Landesprogramme zur Städtebauförderung. Sie geben den Städten und Gemeinden damit einen verbindlichen Rahmen für ihre Investitionstätigkeit, z.B. zugunsten der Aufwertung benachteiligter Viertel, vor. Zugleich stocken die Länder und auch die geförderten Gemeinden selbst die Finanzhilfen des Bundes jeweils zu einem gleich hohen Anteil auf. Die genauen PolicyEntscheidungen zum Mitteleinsatz werden wiederum auf der lokalen Ebene getroffen. Somit werden die einzelnen Investionsvorhaben im Rahmen der Städtebauförderung von allen drei Ebenen gemeinsam, drittelparitätisch getragen und die politi28 Der Begriff der (öffentlichen) Daseinsvorsorge wird mit dem Rechtsphilosophen Ernst Forsthoff verbunden, der ihn 1938 in seinem Werk ,,Die Verwaltung als Leisrungsträger" verwendete. Üblicherweise wird unter den Daseinsvorsorgebegriff "die Gesamtheit der Leistungen der Verwaltung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger für eine normale, dem jeweiligen Lebensstandard entsprechende Lebensführung" (Henneke 2009: 18) subsumiert. Mit Blick auf das kommunale Aufgabenspektrum bezieht sich dies Z.B. auf folgende Bereiche: Elektrizität/Gas, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Abfallbeseitigung, öffentlicher Nahverkehr, Geld- und Kreditwirtschaft/kommunale Sparkassen (vgl. auch: Wollmann 2000: 29f.; Kuhlmann 2006a: 86f.).
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
sehe Planung und Entscheidungsfmdung ist dementsprechend zwischen den Ebenen geteilt und grundsätzlich subsidiär angelegt. Die jährliche Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern enthält Angaben zum Rahmenprogramm der allgemeinen Städtebauförderung für Deutschland insgesamt und seit 1990 (vgL Eltges/Walter 2001: IV) auch Angaben über bestimmte Sonderprogramme der Städtebauförderung, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben; darunter befindet sich seit 1999 auch das Programm "Soziale Stadt".
Ziele undInstrumente der 5tädtebatifOrderungspolitik bisin die 1990erJahre Das StBauFG, das mit seinen Regelungen im Jahr 1986 in das neue Baugesetzbuch (BauGB) integriert wurde (Eltges/Walter 2001: III; Söfker 2004: XIII), prägte die soziale Stadtentwicklungspolitik in Deutschland wesentlich mit (Walther 2004: 335). Dabei stand die Städtebauförderungspolitik zugleich für Kontinuität mit dem traditionellen investiven, bau fokussierten Interventionsmodell und auch für den inkrementellen Wandel desselben. Kontinuität zeigte sich sowohl mit Blick auf die Instrumente als auch mit Blick auf das handlungsleitende Paradigma dieser Politik (Hall 1993: 278). Mit den Finanzhilfen zur Städtebauförderung fand ein neues, distributives Instrument Eingang in die deutsche Raumordnungs- und Städtebaupolitik. Das StBauFG war dazu gemacht, die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Ebenen in diesem Feld zu konservieren und die Anwendung der bewährten, eigenen raumordnungs-, planungs- und baupolitischen Instrumente der maßgeblichen Akteure auf den einzelnen Ebenen flankierend abzusichern. Dabei war die Städtebauförderung insbesondere in ihren Anfangen auf die Sanierung "rückständiger Viertel" (Zapf 1969) gerichtet. Sie hatte den Abbruch und Neubau von Gebäuden und Infrastrukturen in den Innenstadt- und Stadtrandgebieten, insbesondere der durch Suburbanisierung ständig wachsenden Groß- und Mittelkommunen, zum Ziel (Froessler 1994a). Über die städtebauliche Investitionstätigkeit hinausreichende Maßnahmen der Kommunen zur Aufwertung dieser "rückständigen" oder benachteiligten Stadtviertel konnten aus den Programmen der Städtebauförderung nicht finanziert werden. Diese wurden weder als genuine Aufgaben der Stadtentwicklungspolitik definiert noch als funktional geboten oder gar notwendig in diesem Politikfeld betrachtet. Denn z.B. die personenbezogene Hilfe für die Bewohner benachteiligter Stadtgebiete war ja durch die wohlfahrtsstaatliche Intervention im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme, etwa über das Wohngeld oder die Sozialhilfe (Rudolph-Cleff 1996: 158), abgedeckt. Außerdem wurden die Kommunen selbst hier häufig freiwillig und ergänzend tätig. Ähnliches galt auch für die der Ankurbelung unternehmerischer Tätigkeit in benachteiligten Vierteln; sie war im Rahmen der staatlichen und kommunalen Wirtschaftsförderung gewährleistet.
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Für Kontinuität in der Stadtentwicklungspolitik stand das Städtebauförderungsgesetz nicht nur in instrumenteller Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der ihm innewohnenden Leitidee. Der Ausgleich sozialer Disparitäten im Raum sollte nicht auf dem Wege einer direkten, aktivierenden Förderung der Bewohner benachteiligter Stadtviertel erzielt werden. Die handlungsleitende Idee war und blieb vielmehr die der Verringerung sozialer Ungleichheit im Raum über die öffentliche (oder öffentlich geförderte, private) Investition in Bauvorhaben, in diesem Fall in Gebäude und Infrastrukturen in den "rückständigen" Sanierungsgebieten (Zapf 1969; Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 117f.). Ein sozialer Ausgleichseffekt konnte mit dieser Politik allenfalls zufällig und indirekt erzielt werden. Allgemein setzte die Städtebauförderungspolitik zu einem Zeitpunkt - zu Beginn der 1970er ] ahre - ein, als sich vor dem Hintergrund einer nachlassenden Konjunktur erstmals seit Gründung der Bundesrepublik kommunale Investitionsschwächen und eine Einschränkung der politischen Gestaltungsautonomie der Städte und Gemeinden abzeichneten. Ein Ausgleichseffekt war unter diesen Vorzeichen u.u. dort zu erwarten, wo die Förderung der Stadtsanierung zur Ankurbelung der örtlichen Bauwirtschaft beitrug und positive Nebeneffekte auf dem lokalen Arbeitsmarkt zeitigte, die dann gegebenenfalls auch den Bewohnern der "rückständigen Viertel" zugute kamen. Bund und Länder strebten dabei über die Verabschiedung weiterer Verteilungsprogramme in anderen Politikfeldern, z.B. eines Regionalprogramms zur Wirtschaftsförderung in benachteiligten Stadtquartieren, durchaus eine Verknüpfung oder Integration der Ziele der bauzentrierten Stadtentwicklungspolitik mit anderen Policies wie der regionalen Strukturförderpolitik im Rahmen der "Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung" an (Rudolph-Cleff 1996: 157). Insgesamt verblieb die mit der Städtebauförderung verbundene Politik jedoch in der Tradition einer vorrangig auf Bau- und Infrastrukturinvestitionen ausgerichteten Distributionspolitik. Dabei war sie als soziale Stadtpolitik von mäßiger Steuerungsfähigkeit, nicht zuletzt deshalb, weil mit ihr das Risiko der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen und Bewohner benachteiligter Viertel im Anschluss an die bauliche Sanierung derselben verbunden war (Walther 2001: 534). Bei aller Kontinuität in den Zielen beinhaltete die Städtebauförderungspolitik auch eine inkrementelle, jedoch keineswegs unerhebliche Weiterentwicklung des bis dato in der Bundesrepublik dominanten stadtentwicklungspolitischen Interventionsmodells. Dies betraf die Verfahren zur lokalen Implementation dieser Policy. So schuf der Gesetzgeber mit dem StBauFG die formale Grundlage für die direkte Partizipation der Bürger und Betroffenen an den lokalen Planungsprozessen. Mit der Regelung der Betroffenenbeteiligung legte das Gesetz, ganz im Sinne des auf gesellschaftliche Öffnung hin orientierten Reformanspruchs der damaligen sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Wi/!y Brand! den Grundstein für die Stärkung von Mietern gegenüber Hauseigentümern. Es gab ihnen das Instrumentarium zur Steuerung der Bürgerbeteiligung an der lokalen Flächennutzungs- und Bauleit-
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
planung an die Hand (Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 116-120). Rudolph-Clif[ weist darauf hin, dass vor allem einige sozialdemokratisch regierte Städte in den 1970er Jahren auf dieser Grundlage bei der Stadtsanierung neue Wege in Richtung einer integrierten Stadtentwicklungsförderung beschritten und neue Handlungskonzepte erprobten (1996: 157). Damit nahemn sie zentrale Ideen des von der EU für die stadtbezogene Raurnentwicklungspolitik favorisierten Interventionsmodells bereits früh vorweg (ebd.). Allerdings zeigte sich, dass von der Öffnung des lokalen Willensbildungsprozesses für die direkte Partizipation der Bürger insbesondere die gut situierte, in konsolidierten Stadtvierteln lebende bürgerliche Mittelschicht profitierte. Sie ist einerseits eher als die Bewohner benachteiligter Stadtgebiete zur frühzeitigen Organisation und Artikulation ihrer Interessen bereit und in der Lage und profitiert als kaufkräftige Mieterklientel andererseits stärker von Sanierungsmaßnahmen, gegen die sich in benachteiligten Vierteln aus Angst vor Mietsteigerungen und Verdrängung häufig Widerstand regt (Häußermann/Läpple/Siebel2008: 120). Insgesamt verblieb die Städtebauförderung, nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der Länder gegen mögliche Eingriffsversuche des Bundes in die Politik der (stadtbezogenen) Raumordnung, der fachlichen Eigenlogik der Städtebau- und Stadtsanierungspolitik verhaftet. Dabei blieb der mit ihr verbundene Interventionsansatz bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre unbestritten, denn die Städtebauförderung erwies sich durchaus als ,Erfolgsgeschichte'. Nicht nur sind seit Inkrafttreten des StBauFG mittlerweile mehrere tausend Städte in den Genuss von staatlichen Fördergeldern gelangt (Eltges/Walter 2001: IV). Auch nährte ihr Ansatz im Lichte der ökonomischen und sozialen Entwicklung der 1980er und frühen 1990er Jahre die Hoffnung auf ein rasches Erstarken der wirtschafts- und sozialpolitischen ,Selbstheilungskräfte' der Kommuen. Vor diesem Hintergrund wurde die Städtebauförderungspolitik lange Zeit als der Kern der sozialen Stadtentwick1ungspolitik in Deutschland betrachtet (Eltges/Walter 2001: V). Dies galt auch noch nach der deutschen Vereinigung bis Ende der 1990er Jahre, als Bund und Länder in anderen Zielbereichen der Städtebauförderung bereits mit Hilfe von neugeschaffenen Sonderprogrammen wie dem Programm "Stadtumbau Ost" erfolgreich auf neuartige Policy-Herausforderungen reagierten (ebd.), In dieser Zeit deutete sich allerdings, u.a. beeinflusst von den Erfahrungen mit den ersten EU-Programmen in diesem Bereich, speziell mit Blick auf das Problem der sozialen Fragmentierung der Städte in einzelnen besonders betroffenen Bundesländern bereits ein Umdenken an.
Paradigmenwechsel? - Experimentelle Programme einzelner Bundesländer in den 1990erJahren Ab 1993 reagierten einzelne Bundesländer, in denen sich die Stadt- und städtischen Bevölkerungsstrukturen angesichts des ökonomischen Strukturwandels seit den 1970er Jahren besonders stark verändert hatten, mit spezifischen Förderprogram-
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men zur sotfalen Stadtentwicklung auf das sozial- und integrationspolitisch problematisch erscheinende Phänomen der Fragmentierung (Alisch 2002: 79). So initiierten z.B. die westdeutschen Flächenländer Nordrhein-Westfalen (NRW) und Hessen ab 1993 eigene Landesprogramme (NRW: "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf'; Hessen: das "HEPNEST"-Projekt), die sich durch ein Interventionsmodell auszeichneten, das im Wesentlichen die Ideen beinhaltete, die auch den Kern der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN bildeten (Kemper/Schmals 2000: 141; Alisch 2002: 83-85 u. 90-104; DIfU 2003: 153-156).29 Grundlegend neu an den Programmen war, dass sie eine Abkehr vom Modell der reinen Bau- und Sanierungspolitik beinhalteten. An seine Stelle setzten sie ein Modell der Integration unterschiedlicher Policies zur kombinierten Förderung benachteiligter Stadtgebiete und ihrer Bewohner aus einer Hand. Im Vordergrund dieses neuartigen Ansatzes stand die Idee, wonach die direkte Einbeziehung und Aktivierung der Bewohner und die Berücksichtigung der sozialen Probleme in den "rückständigen Vierteln" eine wesentliche Voraussetzung für die Integration dieser Viertel und ihrer Bevölkerungen in die Gesamtstadt und damit für die erfolgreiche Bekämpfung der sozialen Fragmentierung darstellt (Walther 2004: 337f.). Um den Erfolg dieses geänderten stadtentwicklungspolitischen Ansatzes sicherzustellen, nahmen die betroffenen Länder Zielkorrekturen beim Instrumenteneinsatz vor und errichteten neuartige Strukturen zur Politikformulierung und -implementation. Das Instrument des ursprünglich sanierungsorientierten städtebaulichen Förderprogramms wurde nunmehr umgewandelt in ein integriertes Handlungsprogramm, aus dem die geförderten Städte und Gemeinden zusätzlich zu Bauinvestitionen und zugleich mit diesen auch nichtinvestive Projekte in den betroffenen Gebieten fördern konnten. Förderungsfähig waren z.B. Projekte zur Beschäftigungssicherung oder -schaffung in den betroffenen Vierteln oder Ausbildungsprojekte (Walther 2004: 338f.). Mit dem erweiterten Einsatz des distributiven Instruments - dies war ein zentrales Ziel der Länderprogramme - sollte ein ,nachhaltiger', andauernder Ausgleichseffekt erzielt werden. Die Anpassung des Zielhorizonts des stadtentwicklungspolitischen Instrumentariums ging einher mit einer Neudefinition der Rolle des lokalen Staates bei der politischen Zielformulierung und Politikimplementation. Nicht die hierarchische, sondern die "kooperative Steuerung" (ebd.: 339) und das Setzen von Anreizen zur individuell eigenständigen Problembewältigung oder zur gesellschaftlichen Selbststeuerung einer wirtschaftlich und sozial ausgewogenen Raumentwicklung rückten nunmehr ins Zentrum. Daher wurde auch eine Anpassung der staatlichen Konkrete Anregungen bezogen diese Länder teils aus Erfahrungen mit kommunalen Initiativen bezogen, z.B. entwickelten die Städte Hamm und Duisburg 1993 eigene Programme zur integrierten Stadrentwicklungsfötderung für benachteiligte Quartiere (Kemper/Scbrnals 2000: 78f.). Teils wirkten sich erste Erfahrungen der Länder mit den Städtischen Pilotprojekten (SPP) der EU-Kommission und ab 1994 mit der Gemeinschaftsinitiative URBAN I bescbleunigend auf die Politikentwicklung aus. 29
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
und kommunalen Strukturen zur stadtentwicklungspolitischen Intervention erforderlich. Zentral für die institutionellen Anpassungen zur Durchführung des neuartigen integrierten Ansatzes waren die Ideen eines weitgehend dezentralisierten, feld- und ressortübergreifenden Programmplanungsverfahrens sowie eines ebenfalls dezentralisierten und dabei zugleich ebenenübergreifend kooperativen Maßnahmenoder Aufgabenvollzugs. Auf der staatlichen oder Landesebene wurden diese Ideen z.B. in NRW dadurch umgesetzt, dass die Landesregierung die relevanten Landesministerien verpflichtete, bei ihrer jährlichen Budgetplanung Finanzmittel für die Unterstützung benachteiligter Stadtquartiere miteinzuplanen. Außerdem sollten sie im Rahmen ihrer Policy-Planung je eigene ressortspezifische Politiken oder Programmbeiträge zur sozialen Stadtentwicklungspolitik des Landes entwerfen. Diese sollten dann im Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" gebündelt werden. Zur Koordination der einzelnen Fachpolitiken richtete die nordrhein-westfälische Landesregierung, wie im Obigen auch die Regierungen der meisten jener Bundesländer, die mit Programmen zur Erneuerung der sozialen Stadtentwicklungspolitik experimentierten, interministerielle Gremien ein (neben NRW auch Hessen, Bremen, Berlin) (Kemper/Schmals 2000). Ihre Aufgabe bestand darin, die programmbezogenen Aktivitäten der mitwirkenden Landesressorts während der Politikformulierung und -implementation inhaltlich und instrumentell aufeinander abzustimmen. Das Setzen von Fehlanreizen oder widersprüchlichen Steuerungsimpulsen sollte auf diese Weise von vornherein vermieden werden. Auf der kommunalen und der Bezirks- bzw. Quartiersebene wiederum wurden die angesprochenen Strukturierungsideen durch eine stärkere Regulierung der kommunalen Planungs- und Interventionspraxis im Rahmen der Programmteilnahme umgesetzt. War zur Teilnahme an den allgmeinen Programmen der Städtebauförderung die Angabe von inhaltlichen Zielen, konkret die Nennung ,passender' Investitionsvorhaben notwendig, so bestand eine formale Voraussetzung für die Teilnahme einer Kommune am sozialen Stadtentwicklungsprogramm des jeweiligen Landes und für den Bezug von Fördergeldern in der Vorlage eines integrierten Entwicklungskonzepts für ein ausgewähltes Gebiet. Die räumliche Bezugseinheit für das Programmplanungsverfahren war das auf Quartiersebene angesiedelte Fördergebiet, das nicht notwendig mit den gebietliehen Grenzen eines Stadtteils oder -bezirks übereinstimmen musste. Für dieses Gebiet machten es die Landesgesetzgeber den Städten und Gemeinden zur Auflage, beim Entwurf des lokalen Entwicklungskonzepts die Bewohner und Interessenträger selbst zu beteiligen. Weiterhin wurden den geförderten Kommunen bzw. ihren Verwaltungen de facto die ämterübergreifende Abstimmung des integrierten Entwicklungskonzepts und die Kooperation der betroffenen Fachämter untereinander auch während des Programmvollzugs abverlangt.
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Die Programme waren nicht in allen betroffenen Ländern als erster Schritt in Richtung der Einleitung eines dauerhaften Politikwechsels intendiert. Zum Teil trugen sie, dies konstatiert AIisch Z.B. mit Blick auf die sozial stadtentwicklungspolitischen Initiativen der Stadt Hamburg, eher den Charakter einer "Feuerwehrpolitik" (2002: 85), mit der als akut wahrgenommene Entwicklungsprobleme rasch jedoch nicht notwendig mit dem Ziel einer generellen Umstellung des Public Policy-Making in diesem Bereich beseitigt werden sollten. Lediglich einzelne Länder, so beispielsweise NRW (vgl Froessler 1994a), hatten bereits in der ersten Hälfte der 1990erJahre das Ziel einer Erneuerung der Interventionsmuster im Bereich der sozialen Stadtentwicklung (AIisch 2002: 84f.). Die soziale Stadtentwicklungspolitik in der Bundesrepublik insgesamt wurde zu diesem Zeitpunkt weiterhin von der Städtebauförderung und ihrer sanierungsorientierten Handlungsphilosophie getragen. Dabei ergab sich ab 1994 vor dem Hintergrund der europäischen GI URBAN I für die meisten Bundesländer eine Gelegenheit, die Philosophie und die Interventionsideen der integrierten Stadtentwicklungsförderung, wie sie von der EUKommission vertreten wurden, zu erproben (Walther/Güntner 2002). Das Programm "Soilale Stadt'~ Genese, Ziele, Instrumente Dass die deutsche Städtebauförderungspolitik, wie es oben angedeutet wurde, mehrfach als eine "Erfolgsstory" des kooperativen Föderalismus beschrieben worden ist (Walter 2001: 525; Eltges/Walter 2001), liegt nicht zuletzt daran, dass der Gesetzgeber sie mit einem reflexiv entwicklungsfähigen Instrumentarium ausgeDurch die jährliche Erneuerung der Bund-Länderstattet hatte. Verwaltungsvereinbarung über die Finanzhilfen des Bundes zur städtebaulichen Sanierungsförderung in den Gemeinden ab 1975 (Eltges/Walter 2001: III) wurde im Laufe der Jahre die flexible Anpassung dieser Politik an neue stadtentwicklungspolitische Herausforderungen möglich. Sie konnten nach Bedarf in den Zielkatalog der jeweiligen VV integriert werden. Eine zusätzliche Flexibilitätssteigerung war dabei durch die gesetzliche Möglichkeit der finanziellen Förderung von städtebaulichen Modellvorhaben in den Ländern und Kommunen gegeben. Die Flexibilität der Städtebauförderungspolitik hatte sich insbesondere nach der deutschen Vereinigung als vorteilhaft erwiesen, als die im zentralen Beschlussgremium, der Bauministerkonferenz (BMK/ARGEBAU), versammelten Vertreter der Länder und des Bundes sich ,geräuschlos' auf die Errichtung des Sonderprogramms "Stadtumbau Ost" zur Bewältigung des hohen städtebaulichen Sanierungsbedarfs in den neuen Ländern verständigten (Eltges/Walter 2001: V). Im Zuge der Implementation von URBAN I in zahlreichen deutschen Bundesländern erwies sich diese Flexibilität ab 1994 aus Sicht einzelner "Leader"-Länder (Berry/Berry 2007: 230) der integrierten sozialen Stadtentwicklungsförderung wie NRW und Berlin sodann
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auch für das Ziel der bundesweiten Verbreitung des neuartigen Ansatzes der sozialen Stadtentwicklung und damit auch für eine Kostenaufteilung auf Bund und Länder als vorteilhaft. Unter Verweis auf ermutigende Effekte der SPP und der GI URBAN I in einzelnen Städten bei der Entwicklung innovativer Integrationsprojekte, der BÜ!gerbeteiligung und der Verbesserung der Koordinationsfähigkeit der lokalen Politik- und Verwaltungsakteure regten die genannten Länder im November 1996 in der BMK/ARGEBAU die Durchführung von sozial stadtentwicklungspolitischen Modellvorhaben nach dem Vorbild der europäischen GI in allen Bundesländern an (EI 35, 23.11.2006). Diese wurden aus Mitteln des Ressortforschungsprogramms ExWoSt des damaligen Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW; heute: BMVBS) finanziert und führten ein Jahr später zur Vorlage eines Leitfadens für die Ausgestaltung eines Bund-Länder-Programms zur sozialen Stadtentwicklungsförderung durch die BMK/ARGEBAU. Im Juni 1998 beschloss die Bauministerkonferenz daraufhin die Initiierung des Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" ~,Soziale Stadt''). Es ist heute regulärer Bestandteil der Bund-Länder-Städtebauförderungspolitik und das zentrale Instrument der sozialen Statdtentwicklungspolitik in Deutschland. Das Programm "Soziale Stadt" verfolgt den Zweck, Stadtteile, die durch negative ökonomische, gesellschaftliche und städtebauliche Entwicklungstendenzen gekennzeichnet sind, vor dem Abrutschen "ins soziale Abseits" (i1V Städtebauförderung 1999: 4) zu bewahren. Entsprechende Entwicklungstrends sollten dabei nicht nur durch städtebauliche Maßnahmen, sondern durch die Bündelung unterschiedlicher Policy-Maßnahmen langfristig umgekehrt werden. In der Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung aus dem Jahr 1999 wurde "Soziale Stadt" daher als ,,Investitions- und Leitprogramm" bezeichnet, das es ermöglichen sollte, ,,investive und nichtinvestive Maßnahmen mit dem Schwerpunkt der städtebaulichen Erneuerung ,aus einer Hand' zu kombinieren und zu integrieren" (ebd.: 5). Bund und Länder erklärten in diesem Zusammenhang, Ressourcen und Maßnahmenvorschläge aus einschlägigen Politikbereichen (Wohnungswesen, Verkehr, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Sicherheit, Frauen, Familien- und Jugendhilfe, Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Freizeit) zu bündeln (ebd.). Damit sollten den Kommunen die notwendigen Handlungsmittel für eine gezielte Intervention zugunsten der sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung problembehafteter Stadtteile an die Hand gegeben werden (ebd.). In seinen imp1ementationspraktischen Vorgaben war das Programm "Soziale Stadt", das in den einzelnen Landesprogrammen der Städtebauförderung jeweils landesspezifisch konkretisiert wurde, eng an die angesprochenen frühen Länderinitiativen angelehnt. Wie sie machte es die Vorlage eines gebietsbezogenen, integrierten Entwicklungskonzepts für das benachteiligte Fördergebiet zur formalen Bedingung für die Programmteilnahme und den Bezug von Fördermitteln durch die
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Kommunen (§ 171e Abs. 4 BauGB). In den einzelnen Landesprogrammen wiederum fanden sich konkrete prozedurale und strukturelle Vorgaben bezüglich der Programmimplementation, so z.B. die Vorgabe der (institutionalisierten) ämterübergreifenden Koordination oder auch die Vorgabe der Errichtung von Quartiersmanagementbüros auf Stadtteilebene (Franke 2003: 171-175). Letztere sollten als neuartige Vermittlungseinrichtungen zwischen Politik, Bürgern und Verwaltung das sozial stadtentwicklungspolitische Institutionenarrangement in den einzelnen Kommunen ergänzen und einen verbesserten Kommunikations- und Ideenfluss zwischen der Stadtteilebene, der operativen Ebene und der politischen Stadtführung gewährleisten (ebd.: 177). Ahbildung2:
Lokales Arrangement der "sozialen Stadt"-Politik Koordination, Gesamtprojektsteuerung, RessourcenbOndelung
Gebietsbeauftragte(r) Zwischenebene
Markt, Dritter Sektor
Stadtteilmoderator(in)
Stadtteilebene
gebietsbezogene Koordination (Akteure, Projektentwicklung)
Politik
Stadtteilbüro
Interessenorganisalion, Initlierung und Begleitung von Aktivitäten und Projekten (Aktivierung und Beteiligung)
Quelle: DiFU 2003: 177 (mit eigenen Modifikationen).
Das Programm "Soziale Stadt" erwies sich in der einstweiligen Rückschau, ungeachtet der Hoffnungen zahlreicher Fachpolitiker, wissenschaftlicher Beobachter und professioneller Stadtentwickler, als lediglich inkrementelle Weiterentwicklung der bisherigen Städtebaufärderungspolitik. Dies hatte unterschiedliche Gründe. ließ etwa die Anlage des Programms auf den ersten Blick eine entschiedene Abkehr von der sanierungsbetonten Färderphilosophie vermuten, so erwies sich dies
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bei näherem Hinsehen als Trugschluss. Und waren die (bundes-) politischen Rahmenbedingungen zur Verbreitung der Philosophie des integrierten Stadtentwicklungsansatzes zum Startzeitpunkt von "Soziale Stadt" 1999 äußerst günstig für einen Wandel- das Bekenntnis der 1998 ins Amt gekommenen rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerbord Schröder zu einer modernen, "integrativen" Städtebauförderungspolitik und zum Programm "Soziale Stadt" (SPD/BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN 1998: Kap. VI Punkt 8) werteten einzelne Beobachter in dieser Hinsicht als ein politisches "Window of Opportunity' (vgl. Kingdon 1984; Walther 2002: 29) -, so zogen die von der neuen Bundesregierung geweckten Erwartungen keine entsprechenden Konsequenzen in der Realität nach sich. Bereits kurz nach dem Programmstart wurde der allzu hohe Anspruch von "Soziale Stadt" offenkundig. So ließen die komplexe Natur des Programms und insbesondere seine spärliche Ausstattung mit Finanzmitteln (vgl. Tab. 6) unterschiedliche Beobachter schon bald daran zweifeln, dass den hohen Erwartungen Rechnung getragen werden würde (Döhne/Walter 1999: 25), die von Seiten der Politik und professioneller Stadtentwickler im Vorfeld der Implementation formuliert worden waren (Kemper/Schmals 2000: 19f.). Tabelle 6:
Jahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Finanzhilfen des Bundes im Programm "Soziale Stadt" 1999-2007 "aktiv" teilnehmende Kommunen 124 140 171 191 190 190 183 220 318
Geförderte Projekte 162 189 234 259 262 279 277 320 498
Bundesmittel in Mio. Euro* (Anteil an Gesamtausgaben der Städtebauförderung) 100** 14,3 100** 14,3 150** 17,6 12,5 76,7 80 14,1 72,4 14,8 71,4 13,7 110,4 20,2 19,;) 105
(2uellen: vnv-Städrebauförderung 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004,2005, 2006,2007; http://www.sozialestadt.de/gebiete/liste...gebiete.php (Download am: 03.09.2007). Eigene Darstellung. * ab 2002 ** Angaben in D-Matk.
Darüber hinaus zeichnete sich auch ab, dass die im rot-grünen Koalitionsverttag formulierte, bundespolitische ,Rückdeckung' der Idee der integrierten Stadtentwicklung in der Praxis schwer umsetzbar war. Als politische Absichtserklärung waren mit ihr keinerlei Sanktionsmöglichkeiten für die verantwortlichen Ministerien auf Bundes- und/oder Länderebene verbunden. Das Bundesbauministerium und auch die zuständigen Landesministerien blieben ungeachtet der in der VVStädtebauförderung von 1999 niedergelegten Erklärung, wonach "Soziale Stadt"
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auf der Grundlage einer effektiven interministeriellen Zusammenarbeit auf allen staatlich-administrativen Ebenen implementiert würde, beim Programmvollzug auf den guten Willen der anderen Fachressorts angewiesen (Döhne/Walter 1999: 26). Zudem war und ist das Programm "Soziale Stadt" an sich weiterhin als ein klassisches städtebauliches Investitionsprogramm angelegt. Sein Interventionsradius weist de facto nicht über den Horizont der mit dem Städtebauförderungsgesetz 1971 geschaffenen Instrumente der lokalen Intervention zugunsten benachteiligter Quartiere hinaus (Walther 2001: 532f. u. 536; Walther/Güntner 2007). Dementsprechend stellte sich rasch nach dem Start des Programms unter seinen politischen und fachlich-professionellen Protagonisten Ernüchterung ein. Gerade die einschlägigen Bundes- und vielfach auch Landesministerien, die als ,starke' Partner der Programmimplementation hätten auftreten können - die Wirtschaftressorts zur Entwicklung angemessener Förderansätze im Bereich der lokalen Ökonomie und die Innenressorts im Bereich der Integration und Krirninalitätsprävention -, hielten sich mit Kooperationsangeboten zurück. Auf Bundesebene beteiligte sich lediglich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (B:MFSFJ) bis zur ersten Zwischenevaluation im Jahr 2004 mit den Programmen "LOS" und "E&C" aktiv an der Umsetzung der Idee des integrierten Ansatzes. Im Kern blieb "Soziale Stadt" damit ein städtebauliches "Ressortprogramm" (Aehnelt 2005: 65). Schließlich blieb auch die Position der Kommunen zur Wünschbarkeit einer staatlich geförderten sozialen Stadtentwicklungspolitik im gesamtstaatlichen Maßstab ambivalent. Zwar schien das Programm "Soziale Stadt", gemessen an der ab 1999 rasch ansteigenden Zahl teilnehmender Kommunen und geförderter Projekte (vgl. Tab. 6), ein Erfolg zu werden. Mit ihm wurden die seit Mitte der 1980er Jahre vor dem Hintergrund anhaltender kommunaler Finanzknappheit gewachsenen Schwierigkeiten der Kommunen anerkannt, notwendige Investitionen zugunsten der Bewohner, der Infrastruktur und des öffentlichen Raums gerade in benachteiligten Stadtvierteln zu tätigen. Dementsprechend stieß "Soziale Stadt" auch bei einzelnen Verbandsverttetungen der Städte auf positive Resonanz (GdW 2004: 5). Zugleich befürchteten andere, so auch der Deutsche Städtetag (DST), allerdings, dass "Soziale Stadt" und ähnliche Initiativen des Bundes, der Länder oder auch der EU zu einem weiteren ,Einfallstor' für staatliche Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung werden könnte (Articus 2000: 1; Bogurnil/Grohs/Reiter 2008: 127). Außerdem war der Förderansatz des Programms bei vielen Städten selbst nicht unumstritten. Alisch weist darauf hin, dass einzelne Kommunen, die nach den Maßgaben der VV Städtebauförderung reale Förderbedarfe aufgewiesen hätten, von vornherein nicht für die Förderung in Frage gekommen wären, weil sie die notwendige Ko-Finanzierung aufgrund ihrer eingeschränkten Finanzkraft nicht hätten aufbringen können, oder aber, weil die kommunalen Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung einen Stigmatisierungseffekt mit negativen Folgen für das überregionale Ansehen ihrer Gemeinde oder den lokalen Wirtschafts- und Investi-
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tionsstandort hätten befürchteten und daher von vom herein wenig Interesse an der Förderung hatten (Alisch 2002: 87-89). Insgesamt hatte sich weder die ursprüngliche Idee noch das Interventionsmodell der "Sozialen Stadt" gegen Ende der 1990er Jahre bundesweit durchgesetzt. Bei der Konzeption und Errichtung des Programms hatte u.a, die europäische GI URBAN I impulsgebend gewirkt (Adam/Huttenloher 2006; EI 35, 23.11.2006), ohne jedoch die Schubktaft zur Politikemeuerung zu entfalten, die manch wissenschaftlicher Beobachter und stadtentwicklungspolitischer Praktiker von der experimentellen Europäisierung der sozialen Stadtentwicklungspolitik für die gesamtstaatliche und auch die lokale Stadtentwicklungspolitik erwartete. Ob die Nachfolgerinitiative URBAN II eine solche Kraft entfalten würde, war 1999 angesichts der enttäuschten Hoffnungen, die sich mit dem Programm "Soziale Stadt" verbanden, ungewiss (Walther 2002). In Frankteich, wo der Zentralstaat seiner Intervention zugunsten benachteiligter Stadtgebiete im Rahmen der Politique de la Ville bereits seit den 1980er Jahren den Ansatz der gebietsbezogenen Policy-Integration und Aktivierung zugrunde legte, schienen die Ausgangsbedingungen zur Adaption des EU-Modells zu diesem Zeitpunkt ungleich günstiger zu sein.
4.1.2 Frankreich: Die Politique de Ia Ville Wie in der Bundesrepublik spielte auch in Frankteich das Problem der sozialen Fragmentierung der Städte in der Nachktiegszeit während der konjunkturellen Hochphase der 1950er bis frühen 1970er Jahre (Les Trentes G/oTieuses) kaum eine Rolle in der staatlichen Raumordnungs- und Städtebaupolitik oder der allgemeinen Wirtschafts- und Sozialplanungspolitik (Blanc 2002: 211). Anders als im förderalen Deutschland intervenierte der Zentralstaat allerdings bereits während dieser Zeit intensiv in die lokale Raumordnung- und -entwicklung (Neumann/Uterwedde 1993: 34-40). Hiermit legte er selbst in den Anfangsjahren der Fünften Republik zwischen 1958 und 1974 die Grundlage für die staatliche Intervention zugunsten der sozialen Stadtentwicklung, die später alle politischen Parteien als notwendig erachteten und die ab 1981 in Gestalt der Politique de Ia Vi/Je durchgeführt wurde (Blanc 2002). Der zentralistische Eingriff in die örtliche Raumplanung fiel während der Präsidentschaft CharJes de GaulIes zwischen 1958 und 1969 besonders massiv aus. Er wurde von der 1963 errichteten zentralstaatlichen Raumordnungs- und Planungsbehörde DATAR30 und dem 1967 geschaffenen Bau- und Ausrüstungsministerium (Minis#re de rEquipemenl) gelenkt und in den Departements-" vom Präfekten (Prifel)
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Delegation al'Amenagement du Territoire et al'Action Regionale. Die Departements in Frankreich stellen in etwa das Pendant zu den deutschen Landkreisen dar,
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als dem obersten lokalen Vertreter des Zentralstaates "vor Ort" vollzogen. Hierzu standen den Akteuren unterschiedliche, miteinander verknüpfte Mittel zur Verfügung. So konnten die Behörden durch Ausweisung von "prioritären Urbanisierungszonen" (Zones d'Urbanisation prioritaires, ZUP) die lokalen Bodenmärkte regulieren (Neumann/Uterwedde 1993: 38). Darüber hinaus konnte der Präfekt den Abriss alter Bausubstanz und den Neubau von Sozialwohnungen (Habitation aLoyer modert, HLM) verfügen. Hiermit beauftragte er lokale, d.h. kommunale, öffentlichrechtliche oder private Bauträger, die in den Genuss staatlicher Subventionen gelangten. Auf letzterem Wege wurde in zahlteichen französischen Städten im Rahmen groß angelegter staatlicher Bauprogramme der soziale Wohnungsbau vorangetrieben (ebd.: 34-37). Bis 1977 entstanden so in den Vorstädten (Banlieus) und an den Rändern der meisten Mittel- und Gtoßstädte ausgedehnte HIMGroßwohnsiedlungen, die so genannten Grands Ensembles. Der staatliche Dirigismus bei der lokalen Raum- und die Stadtentwicklung hatten einen zweifachen Hintergrund. Zum einen sollte der strukturelle Wohnungsmangel, der seit den 1920er Jahren entstanden war (Neumann/Uterwedde 1993: 30f.; Blanc 2002: 212) und sich durch die Zerstörungen vieler Städte während des Zweiten Weltkrieges noch verschlimmert hatte, rasch behoben werden. Es galt, den vielfach veralteten Wohnungsbestand zu sanieren. Dies geschah durch die präfektoral angeordnete Abrisssanierung auf brutale Weise (Rudolph-C1eff 1996: 105). Zum anderen verfolgte der Staat der Fünften Republik insbesondere während der Ära von Präsident CharIes de Gaulfe das Ziel einer umfassenden Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei wiederum bildete die nachholende Urbanisierung des Landes, das gegenüber seinen westeuropäischen Nachbarn in den 1950ern im Grad der Verstädterung hinterherhinkte, ein zentrales Anliegen (Neumann/Uterwedde 1993: 31). Im Laufe der 1970er Jahre vollzog die Regierung einen Paradigmenwechsel in der Städtebaupolitik.. Zum einen kam es im Anschluss an den Amtsanstritt des liberal-konservativen Präsidenten Valiry Giscard d'Estaing im Jahr 1974 zur schrittweisen Abkehr von der Strategie des staatlich gelenkten und subventionierten lokalen Sozialwohnbaus. An ihre Stelle trat ab 1977, in Folge der Reform der öffentlichen Wohnungsbaufinanzierung, die Strategie der finanziellen Förderung privater Eigentumsbildung, Z.B. durch die steuerliche Entlastung von privaten Bauherren. Einkommensschwache Haushalte oder Personen wurden nunmehr über das 1977 geschaffene Wohngeld (Aide personalisee au logement, APL) unterstützt (Neumann/Uterwedde 1993: 51). Zum anderen setzte ein grundsätzliches Umdenken im Bereich der Stadtplanungs- und -entwicklungspolitik ein. Bereits zu Beginn der 1970er Jahte begann sich im Bau- und Ausrüstungsministerium (Minis#re de l'Equipemenl) die Erkenntnis durchzusetzen, dass den HIM-Gtoßwohnsiedlungen aufgrund ihrer Bauweise eine abstoßende Ästhetik und Lebensfeindlichkeit innewohnte. Dies, so befürchtete Bauminister Olimer Guichard, sei der Lebensqualität
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der Städte insgesamt abträglich und könne der sozialen Abspaltung der Vorstadtbewohner vom Rest der Stadtbevölkerung Vorschub leisten (Guichard, JORF 1973: 3864-3868; Anderson/Vieillard-Baron 2003: 21f.). Aus dieser Erkenntnis zog die Regierung 1977 erste Konsequenzen und initiierte das Programm HVS (Habitat et Vie sodale). Auf seiner Grundlage implementierte der Zentralstaat bis 1981 in mehr als fünfzig Städten Modellinitiativen zur Aufwertung der Grands Ensembles (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 25f.). Das HVS- Programm, das seine inhaltliche Inspiration aus den USamerikanischen Model-City-Programmen der 1960er Jahre bezog, stellte gegenüber der vorherigen Städtebaupolitik insoweit einen grundlegend neuen Ansatz dar, als es - zumindest der Idee nach - über den engen Fokus der Stadtsanierung hinauswies. Es sollte die instrumentelle Basis für eine gebietsbezogene, Policyübergreifende Intervention zur Förderung der Potentiale benachteiligter Viertel und ihrer Bewohner und zur Stärkung der lokalen Demokratie sein (Blanc 2002: 215). Dabei war es als staatliches Anreizprogramm für lokale Bauträger und Behörden konzipiert. Um in den Genuss der Förderung zu gelangen, mussten die lokalen Akteure anhand gesetzlich vorgegebener Kriterien Fördergebiete auswählen und hier die Bewohner in die Gestaltung von baulichen und personenbezogenen Aufwertungsprojekten einbinden (ebd.). Dieser paradigmatisch neuartige Ansatz scheiterte bei der praktischen Umsetzung u.a. noch an der Fortsetzung des staatlichen Zentralismus und daran, dass HVS in der Realität weiterhin vorrangig zur Durchführung baulicher Sanierungsmaßnahmen in den Vorstädten verwendet wurde. Allerdings waren hiermit nun die Grundlagen für die Errichtung einer eigenständigen, von der Städtebaupolitik auch formal entkoppelten, sozialen Stadtentwicklungspolitik des Staates gelegt (Blanc 2002: 216; Jaillet 2003: 6; Kukawka 2006). Diese wurde ab 1981, nach dem Amtsantritt des sozialistischen Staatspräsidenten Fran(ois Mitterrand, unter der Bezeichnung der Politique de 10 Ville bekannt. Sie wurde in den darauffolgenden Jahren bis 2003 von den unterschiedlichen, parteipolitisch wechselnden Regierungen und Präsidenten mit lediglich inkrementellen Modifizierungen fortgesetzt und ausgebaut (vgl. Anderson-Vieillard-Baron 2003; Jaillet 2003). Charakteristisch für die Politique de la Ville war, dass sie von ihrer Initiierung an auf dem Paradigma der gebiets bezogenen Integration unterschiedlicher Policy-Maßnahmen und der Aktivierung lokaler Selbstregelungskräfte sowie individuellen Engagements beruhte. Dabei, dies zeigt ein 'Überblick über die Entwicklungsetappen, war die neuartige soziale Stadtentwicklungspolitik durch eine spezifische Implementationsschwäche gekennzeichnet, die wiederum u.a. aus der fortgesetzt zentralistischen Regulierung der lokalen Aktion und der hohen institutionellen Komplexität der Politique de la Ville herrührte. Sowohl in der Aufbau(1982-1990) als auch in der Institutionalisierungs- (1988-1996) und sodann in der
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Konsolidierungs- und Reformphase (1996-2003) der Politique de la Ville trat diese Schwäche zutage.
DieProgramme DSQ (1982) undDSU (1988): Asifbau der Politique de la Vilfe Die Mängel und unbefriedigenden Effekte des HVS-Programms bildeten 1982 den Hintergrund dafür, dass die sozialistische Regierung von Premierminister Pieire MauTr!Y ein neues Programm zugunsten der Vorstädte initiierte, das Programm DSQ (Developpement soaal des Quartiers, DSQ) Oaillet 2003: 6). Den äußeren Anlass zu diesem Schritt gaben die gewaltsamen Ausschreitungen von Jugendlichen, die sich im Sommer 1981 in den Vorstädten von Lyon ereignet hatten (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 27f.). Das DSQ-Programm und auch seine 1988, nach Beginn der zweiten Amtszeit von Staatspräsident Mittorrand ins Leben gerufene Nachfolgeinitiative DSU (Developpement soaal urbain) waren nicht mehr als klassische Distributivprogramme zur staatlichen Förderung von Bauinvestitutionen in den Kommunen angelegt, sondern als integrierte Programme. Sie konnten auch andere Maßnahmen fördern, z.B. arbeitsmarktpolitischer Projekte zugunsten der Bewohner benachteiligter Viertel, die Subventionierung von Unternehmen, die in solchen Gebieten ansässig oder bereit waren, sich dort anzusiedeln, und kriminalitätspräventive sowie kulturpolitische Projekte (Blanc 2002: 218-221). Den Programmen lag dabei die Idee zugrunde, dass der Abbau von sozialräumlicher Benachteiligung in den Städten durch eine bevorzugte Intervention des Staates zugunsten schwacher Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit, schlechter Bausubstanz, hoher Jugendkriminalität zu bewerkstelligen war. Die staatliche Bevorzugung sollte sich allerdings nicht in der bloßen Umverteilung finanzieller Ressourcen erschöpfen, sondern primär über das Verteilungsziel hinausreichenden Zwecken dienen, so der Stärkung der lokalen Demokratie oder der Aktivierung der Bewohner zu eigenständigem Handeln oder auch der Mobilisierung der gesellschaftlichen Kräfte im benachteiligten Gebiet (ebd.), Die Regierung sah im Abbau des staatlichen Zentralismus und in der Stärkung der politischen und administrativen Eigenverantwortung der Städte und Gemeinden den Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der sozialen Stadtentwicklungspolitik und zur Steigerung ihrer Effektivität. Das DSQ- und später das DSUProgramm sollten für die angestrebte Neuverteilung der Entscheidungsmacht im staatlich-kommunalen Kräfteverhältnis und für eine Neugestaltung der lokalen Governance stehen (Kukawka 2006: 115). Um dies zu bewerkstelligen, waren sie, anders als ihre Vorgängerinitiative, nicht mehr Bestandteil der staatlichen Raumordnungs- und Städtebaupolitik allgemein. Vielmehr wurden beide von dieser entkoppelt und als eigenständige Querschnittsprogramme im Rahmen der übergreifenden Wirtschafts- und Sozialplanungspolitik des Zentralstaates angelegt (Iailler
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2003: 8). Letztere nahm nicht ein bestimmtes einzelnes Problem, sondern die mannigfaltige Problemstruktur einer bestimmten Raumeinheit - konkret der Region als Ausgangspunkt für die staatliche Intervention (vgl. Neumann/Uterwedde 1994; Mabileau 1996: 51). Wie bei der Planungs- oder Raumordnungspolitik, handelte es sich auch bei der DSQ- bzw. DSU-Politik zur sozialen Stadtentwicklung um eine Mehrebenenpolitik. Charakteristisch für sie war die Steuerung auf vertraglicher Basis (Contractualisation) über den Abschluss eines Mehrebenenvertrags (Mabileau 1996: 60). Hierbei schließen der Präfekt auf staatlicher Seite und der Bürgermeister als Vertreter der betroffenen Kommune einen so genannten Stadtvertrag (Contrat de Vi/fe). Dieser enthält ein integriertes Aufwertungsprogramm, das die Kommune zuvor mit den betroffenen lokalen Akteuren (soziale Träger und Organisationen, Kulturvereine, dekonzentrierte Fachbehörden des Staates, andere Gebietskörperschaften, Bauträger etc.) und den Bürgern für ein bestimmtes Gebiet aufstellen sollte. Der Stadtvertrag, der zustande kommt, sofern der Präfekt der Gebietsauswahl und dem Programmvorschlag zustimmt, bildet seither jeweils für die Dauer von vier bis sechs Jahren die formale Grundlage zur Durchführung der einzelnen Policy-Projekte des lokalen Programms für das Fördergebiet. Zusätzlich bestand und besteht die Möglichkeit für den Staat, in den städtischen Problemgebieten besondere Förderzonen auszuweisen. Hier können z.B. Unternehmen Steuervergünstigungen und/oder Subventionen erhalten, wenn sie bereit sind, Arbeitslose aus dem Fördergebiet einzustellen Gaillet 2003: 8E.; Neumann 2006). Der neue Interventionsansatz stellte die beteiligten Akteure beim PolicyMaking vor mehrere Herausforderungen. So musste im Zusammenwirken der Akteure erst der ,passende', dem Ziel der Politikintegration dienliche Modus zur Nutzung des Stadtvertragsinstruments gefunden werden. Zudem bildete die Frage nach dem angemessenen Zuschnitt des territorialen Bezugsraums für den Stadtvertrag einen Streitpunkt zwischen Politik und wissenschaftlichen Experten. Darüber hinaus stellte es für den Staat und die Kommunen eine eigene Herausforderung dar, die förderpolitische Bevorzugung bestimmter Stadtgebiete und ihrer Bewohner gegenüber anderen Gebieten und Bevölkerungsteilen zu begründen (Blanc 2002: 224-226). Die mit dem DSQ-Programm 1982 eingeleitete Politique de la Ville stand ganz im Zeichen des größeren Reformprojekts der sozialistischen Regierung, nämlich der Dezentralisierung des französischen Staates und der Modernisierung seiner Bürokratie. Die Dezentralisierung brachte ab 1981 neben der Lockerung der staatlichen Kontrolle über das politische Handeln auf den einzelnen subnationalen Ebenen und auch die Neuverteilung des öffentlichen Aufgabenbestands zwischen den Fachbehörden des Staates einerseits und den unterschiedlichen lokalen Gebietskörperschaften (Kommunen, Departements, Regionen). Vor diesem Hintergrund bestand eine Herausforderung im Zusammenhang mit der Politique de la
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Ville in der Koordination der gebietsbezogenen Aktion der staatlichen und gebietskörperschaftlichen Träger einschlägiger, unterschiedlicher Policy-Aufgaben. Das Instrument des Stadtvertrags bot zur Bewältigung dieser Koordinationsaufgabe zwar eine formale Basis - die Zuständigkeiten jeder Vertragspartei wurden hierin formell niedergelegt. Allerdings trat von Anfang an das Problem auf, dass die fachlich Aktionen der Vielzahl der Partner sich selten in eine kohärente Gesamtstrategie für das betroffene Fördergebiet umwandeln ließen (Blanc 2002: 220 u. 226). Außerdem kam es zur vielfachen Modifikation der Ziele und Instrumente der Politique de la Ville.32 Für die staatlichen und kommunalen Träger ergab sich schließlich von Anfang an die Schwierigkeit, die mit dieser Politik verknüpfte förderpolitisch intendierte Bevorzugung der in einem bestimmten Stadtgebiet konzentrierten Bevölkerung und Wirtschaft zu begründen. Die Privilegierung bestimmter Bürger und/oder Unternehmen gegenüber anderen bei der Verteilung von öffentlichen Fördergeldem allein aufgrund des Wohnorts oder Standorts war Kritikern schwer zu vermitteln (laillet 2003: 11). Die Regierung legte dabei sowohl dem DSQ- als auch dem DSU-Programm die von Staatspräsident Mitterrand vertretene Idee der "Vorranggeographie" (Geographie prioritaire) zugrunde. Demnach ging es nicht um eine dauerhafte Bevorzugung bestimmter Stadtviertel und ihrer Bewohner, sondern vielmehr um die Wahrnehmung der wohlfahrtsstaatlichen Solidaritätspflicht gegenüber den Bürgern überall im Staatsgebiet (Kistenmacher et al. 1994: 81). Der Staat sollte durch gezielte Maßnahmen i.S. einer "positiven Diskriminierung" (Donzelot 2007: 373) der Bewohner von und Betriebe in benachteiligten Stadtvierteln einen ,Erholungs- oder Aufholprozess' dieser Gebiete gegenüber der Reststadt einleiten (Iaillet 2003: 10f.). Zwar erschien der Stadtvertrag bzw. das Rechtsinstitut des Vertrags in diesem Zusammenhang als ein ideales Medium, denn es eröffnete die Möglichkeit zur zeitlichen Befristung der bevorzugten Konzentration von Fördermitteln auf ein bestimmtes Gebiet. Damit wiederum machte es die Idee einer raumstrukturell begründeten Prioritätensetzung im Handeln des Staates für die Praxis anwendbar, indem es den Sachverhalt der sozialräumlichen Benachteiligung in der Stadt als eine zeitperspektivisch begrenzte Ausnahmesituation definierte. Gleichwohl war und blieb die Skepsis vor allem unter wissenschaftlichen Beobachtern und Kommunalpolitikern groß. Wissenschaftliche Kritiker wiesen die zur Begründung der Politique de la Ville aufgebauten Konstrukte der Vorranggeographie und der positiven Diskriminierung mit dem Hinweis zurück, mit ihnen werde ein zentrales Problem hinter der sozialen Segregation der Städte systematisch verdeckt, nämlich die Tatsache der mangelhaften Integration von Migranten und das Problem der Diskriminierung ethniDie Aufbauphase der Politique de Ja Ville war durch das Experimentieren mit zusätzlichen Instrumenten wie z.B. den erwähnten Sonderwirtschaftszonen, die der Staat auf gesetzlichem Wege festlegte, oder auch zusätzliche Sonderprogramme zur Stadtsanierung gekennzeichnet (jaillet 2003: 7-9). 32
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
scher Minderheiten und sozial schwacher Bevölkerungsgruppen (Blanc 2002: 225; Maurin 2004). In der Tat war es nicht zuletzt durch die städtebauliche Konzentration der HLM-Großwohnsiedlungen an den Rändern zahlreicher französischer Städte während der 1960er Jahre zur Bildung von ethnisch-sozialen "Ghettos" (Maurin 2004) in den Vorstädten gekommen. Hier hatten sich angesichts des Verfalls der Wohnungspreise in den Grands Ensembles in den späten 1960er Jahren vor allem Gastarbeiter aus den ehemaligen Kolonien Frankreichs sowie Menschen mit geringem Einkommen niedergelassen (Blanc 2002). Aus Sicht vieler Kritiker gaben und geben Interventionsinstrumente wie der Stadtverttag dieser Ghettoisierung zusätzlichen Auftrieb, denn hiermit wurde offiziell und für jedermann sichtbar die benachteiligte Sondersituation des geförderten Gebiets festgestellt, so dass "positive Diskriminierung" realiter in Stigmatisierung umschlägt (Maurin 2004). Aus der kommunalen Perspektive wiederum handelte es sich bei dem Hauptinsttument der Politique de la Ville, dem Stadtverttag, um ein ,zweischneidiges Schwert'. Einerseits war es zur Begründung des staatlichen Einsatzes von Fördermitteln auf Basis der Konstrukte der Vorranggeographie und positiven Diskriminierung notwendig, dass der Staat einheitliche Kriterien für den Zustand der sozialräumlichen Benachteiligung eines Stadtgebiets festlegte. Damit waren der lokalen Handlungsautonomie und Flexibilität bei der Fördergebietsauswahl jedoch von vom herein enge Grenzen gesetzt. Die Politique de la Ville an sich war und ist im Wesentlichen eine Politik für Vorstädte mit einem hohen Anteil an Grands Ensembles. Zugleich brachte die zentralstaatliche Festlegung benachteiligter Stadtviertel neben dem Effekt der (landesweiten) Stigmatisierung der betroffenen Gebiete und ihrer Bewohner u.U, auch den Effekt der Stigmatisierung ganzen Kommunen mit sich. Vor diesem Hintergrund standen die Städte der Politique de la Ville mit einer ambivanlenten haltung gegenüber. Sie machten sich diese aus den genannten Gründen zwar nicht offensiv zueigen, allerdings begrüßten viele Städte die staatliche Förderung benachteiligter Stadtgebiete als ,nationale Solidaritätsaufgabe' ausdrücklich, ja, sie forderten den Ausbau der Politique de la Ville sogar regelrecht ein, auch um den Preis eines wachsenden staatlichen Interventionismus in lokale Angelegenheiten (Mabileau 1996: 22f.). Auf diese Weise konnte und kann man nicht nur ein eigentlich lokales Problem, dessen Bearbeitung politisch wenig gewinnbringend erscheint, die Existenz und/oder Entstehung benachteiligter Räume, dem Staat überlassen (ebd.). Außerdem war und ist mit der Politique de la Ville auch ein beträchtlicher Finanztransfer vom Staat auf die städtische Ebene verbunden (vgL Tab. 7).
Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
Tabelle 7: 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
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Finanztransfers im Rahmen der Politique de la Ville (in Mio, €*) A 1.145 1.330 1.712 1.753 2.063 2.697 2.838 3.525 3.149 3.191 3.240 3.765 4.556
B
C
D
E
0 83 67 279 471 513 607 543 694
7 67 120 171 159 164 218 218 222 222 222 222 222
213 311 556 617 663 950 1.127 1.185 223 190 107 124 135
-
ND 402 444 475
-
-
-
152 155 671 690 700
y'A-E 1.365 1.791 2.455 2.820 3.356 4.324 4.790 5.471 4.440 3.758 4.642 5.245 6.088
F ND ND 152 357 381 474 587 763 1.041 1.066 1.111 1.120 1.125
Gesamt 1.365 1.791 2.607 3.177 3.737 4.798 5.377 6.234 5.481 4.824 5.753 6.365 7.213
Quellen: Cour des Comptes 2002: 153; Assemblee Nationale 2003: 37; Ministere delegue de la ville et de la renovation urbaine 2003 (,Jaune budgetaire"): 14; Senat 2005: 14. Eigene Darstellung.
A: B: C: D:
E: F:
Summe der Finanzierungsanteile einzelner Ministerien (einschließlich Städteministerium). Steuern, die im Rahmen des städtischen Finanzausgleichs umverteilt werden. Strukrurfondsmittel der EU. Mittel der "Caisse des Depots et Consignations" (CDC) (bis einschließlich 2001 nicht getrennt von den Beiträgen anderer Institutionen erfasst). Mittel weiterer Finanzierungsträger (Sozial- und Familienhilfekasse "Caisse d'allocations familiales" [CAF], "Union d'Economie sociale pour Je Logement" [lJESL], "Caisse de Garantie pour Je Logement" [CGL] (bis einschließlich 2001 unter "D" miterfasst). Summe der Eigenanteile der territorialen Gebietskörperschaften (Regionen, Departements, Kommunen, EPCI) am Contrat de Ville,
* **
gerundete Werte vorläufiger Wert ND Nicht dokumentiert
Anders als im Rahmen der deutschen Städtebauförderung waren und sind im Rahmen der Politique de la Ville bzw. des Stadtvertrags keine festen Finanzierungsanteile der Vertragsparteien vorgesehen. Vielmehr variierten die staatlichen und kommunalen Anteile in der Vergangenheit von einem Programmzyklus zum nächsten sowie nach strategischer und inhaltlicher Schwerpunktsetzung des einzelnen Stadtvertrags und nach Bedürftigkeit der einzelnen Kommune (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 159). Dabei trug der Zentralstaat stets den größten Anteil an der finanziellen Ausstattung (vgl. Tab. 7), so dass die Politique de la Ville mit ihren Programmen für die Städte durchaus Attraktivität besitzt. Diese zwiegespaltene Haltung der Städte selbst war, so argumentiert Mabileau, u.a. auch ein Grund für die Ausweitung der Politique de la Ville und ihre institutionelle Fundierung auf zentralstaatlicher Ebene ab Ende der 1990erJahre (1996: 23).
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
Institutionalisierung der Politique de Ja Viüe und Verbreitung des Stadtvertrags 1988 bis 1996 Die beschriebenen ,Geburtsfehler' sollten nach dem Willen des 1988 wiedergewählten Staatspräsidenten Mitterrand durch Reformen korrigiert werden. Sie waren in erster Linie auf die Verbesserung des Instrumentariums, die Erhöhung der staatlichen Steuerungsfähigkeit und die Konsolidierung der sozialen Stadtentwicklungspolitik gerichtet (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 43). Zu diesen Zwecken ging die Regierung unter Premierminister Michel Rocard zweigleisig vor. So schuf sie zwischen 1988 und 1990 auf zentralstaatlicher Ebene ein eigenes Institutionensystem für die Politique de la Ville und ging gleichzeitig dazu über, die Kommunen bei der institutionellen Organisation des sozial stadtentwicklungspolitischen Policy-Making immer stärker zu reglementieren. Zum anderen errichtete sie 1991 einen Gesetzentwurf für ein "Orientierungsgesetz für die Städte" (Loi d'Orientation pour Ja Ville, L0V), erstmals eine eigene gesetzliche Grundlage für die Politique de la Ville. Mit der Schaffung unterschiedlicher neuer Institutionen auf zentralstaatlicher Ebene zielte die Regierung Rocard darauf ab, die Effizienz- und Effektivitätsmängel der Politique de la Ville zu kurieren und vor allem ihre Koordinationsfähigkeit anzuheben. Im Mittelpunkt der Institutionalisierungsinitiative stand die Delegation Interministerielle a Ja Ville (DIV) (Blanc 2002: 221). Sie wurde 1988 nach dem Vorbild der zentralstaatlichen Raumordnungsbehörde DATAR (vgl. Kistenmacher et al. 1994: 67f.) als zentralstaatliche Querschnittsbehörde geschaffen und integrierte die Aufgaben dreier zuvor für die kriminalitätspräventive, kulturpolitische und städtebaulich-architektonische Intervention des Staates in Problemgebieten zuständigen Fachbehörden (Blanc 2002: 221). Darüber hinaus sollte die DIV das policyspezifische Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Akteuren der Politique de la Ville auf allen Ebenen bilden. Insbesondere hatte sie die Aufgabe, die Rückkopplung des Staates mit den Städten zu verbessern, damit beim Entwurf der mehrjährigen staatlichen Policy-Programme eine problemangemessenere Gesamtkonzeption der Politique de la Ville herbeigeführt werden konnte. Neben der DIV schuf die Regierung ebenfalls 1988 den Conseil Interministeriel des Villes3 3 (CIV) als zentrales, aus Vertretern einschlägiger Ministerien zusammengesetztes Entscheidungsorgan über die Programme und die Finanzierung der Politique de la Ville, und sie errichtete außerdem den Conseil national des Villes3 4 (CNV) als gemischtes, alle einschlägigen gesellschaftlichen Interessengruppen in sich vereinendes Reflexions- und Beratungsgremium der Regierung bzw. des CIV. Ergänzt wurde dieses System schließlich im Jahr 1990 durch die Errichtung eines eigenen Städteministeriums (Minis#re de Ja Ville) Oaillet 2003: 9).
33 34
Interministerieller Rat für die Städte. Nationaler Städterat.
Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
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Neben der Institutionalisierung der Politique de la Ville auf zentralstaatlicher Ebene war gegen Ende der 1980er Jahre eine staatliche Reglementierung der Kommunen bei der Gestaltung des lokalen Arrangements zur Politikimplementation zu beobachten. Städte, die an den staatlichen Programmen der Politique de la Ville teilnahmen und von finanzieller Förderung auf Grundlage eines Stadtvertrags profitierten, mussten auf städtischer und Quartiersebene bestimmte Ämter und Einrichtungen geschaffen haben und beim lokalen Policy-Making bestimmte prozedurale Vorgaben beachten. Zentrale Idee dabei war die gemeinschaftliche oder partnerschaftliehe Steuerung (Co-Gestion) der lokalen sozialen Stadtentwicklung durch den staatlichen Vertreter, den Präfekten, und den obersten Repräsentanten der Kommune, den Bürgermeister. Beide sollten gemeinsam Verantwortung für die Aufstellung des lokalen Aufwertungsprogramms zugunsten des jeweiligen Fördergebiets, die Auswahl seiner Einzelprojekte während der Laufzeit des Stadtvertrags und die Kontrolle der Projektimplementation sowie der korrekten Mittelverwendung tragen (Blanc 2002: 219f.). In dem Willen, Steuerungsmängel zu beseitigen und die Koordinationsfähigkeit der Akteure zu erhöhen, erließen die wechselnden Premierminister zwischen 1989 und 1994 diverse organisationsbezogene und prozedurale Regelungen zur Vereinheitlichung der gemeinsamen Politiksteuerung in den Städten. Seit 1989 müssen die lokalen Träger des Stadtvertrags, der Präfekt und der Bürgermeister, für die Dauer der Vertragslaufzeit bestimmte gemeinsame Steuerungsgremien errichten (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 146f.). An der Spitze der vorgegebenen Steuerungsarchitektur steht das so genannte politische Steuerungskomitee (Comiti de pilotage politique). In ihm sind die Repräsentanten aller Unterzeichnerparteien des Stadtvertrags vertreten. Seit Ende der 1980er Jahre gehören hierzu auch die Region und das Departement sowie u.u. weitere Finanzierungsträger. Es tritt einmal jährlich zusammen, entscheidet im Konsens über die Jahresziele des Stadtvertrags, die Finanzierung seiner Projekte im kommenden Jahr und gegebenenfalls Strategieanpassungen. Seine Atbeit wird inhaltlich von einem technischen Begleitkomitee (Comiti technique de suivz) vorbereitet, das aus Fachverwaltungsbeamten der Vertragsparteien zusammengesetzt ist. Innerhalb der betroffenen Stadtverwaltung wiederum obliegen die Konzeption und Abwicklung des Stadtvertrags sowie die Implementation derjenigen Passagen des darin fixierten, gebietsbezogenen Aufwertungsprogramms für den Stadtteil, die im gesetzlichen Aufgabenbereich der Kommune liegen, einer eigenen Querschnittsverwaltungseinheit, der Mattrise d'(Euvre urbaine et soaale (MOUS) (vgl. Abb. 3).35 Die weiteren an der Irnplementation des Stadtvertrags beteiligten Gebietskörperschaften, Departements, Regionen und interkommunale Körperschaften erfüllen ihre vertraglichen Aufgaben mit ihren eigenen Verwaltungen. Eine gesetzliche Vorgabe zur Schaffung entsprechender Verwalrungseinbeiten oder Integration der Politique de la Ville in den Aufgabenbereich bestimmter Ämter oder Dienststellen existiert für die überkommunalen Ebenen nicht. 35
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
Abbildung 3:
Lokales Arrangement der Politique de la Ville
Kommune r----+ 11 (SM; Adjoint Politique de
laVlllel
Departement
(Prtlsldent du Conseil general) Region (President du Conseil rllolonall
-~II
Kommune (CheflDirecleur de Prolet\
Departement (zuständiger Sp.rvir:el
Region (zuständiger Servlcel leijet
i
-----.
/'
-.
----+
/'
Projektverträge
~
Comite de Pilotage politique ~
,Ir Comite technique de suivi
I·
MOUS Leitung: Chef de Projet oder Directeur de Projet
l
berichtet an
Conseil municipal
-,
Prelet Sous-Prelet pourla Ville
Prefet Sous-Prefet pour la Ville
Projektverträge
Projektverträge
1
Private, z.B. freigemeinnützige Träger
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von: Anderson/Vleillard-Baron 2003: 146f.
Die MOUS ist für die Organisation der Mehrebenenkooperation im Rahmen des Stadtvertrags zuständig. Auf der städtischen Ebene selbst aquiriert sie einzelne Projekte durch Ausschreibungen, Information und Kontaktaufnahrne zu potentiellen privaten, städtischen oder öffentlich-rechtlichen Projektträgem (z.B. gebietskörperschaftliche Fachämter, staatliche Arbeitsverwaltung, kommunale Sozialzentren, soziale und arbeitsmarktpolitische Netzwerke, Vereine und Verbände, Bürgerinitiativen, soziale Wohnungsbaugesellschaften, arbeitsmarktpolitische Maßnahmeträger, Schulen etc.; Anderson/Vieillard-Baron 2003: 85-93). Die MOUS wird von einem Projektleiter (Chif de Pro/e~ oder auch Projektdirektor (Directeur de proje~ geleitet, der seinerseits einvernehmlich von den Trägern des Stadtvertrags, dem Präfekten und dem Bürgermeister, eingesetzt wird (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 146f.).
Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
111
Der staatliche Eingriff in das lokale Policy-Making im Bereich der Politique de la Ville manifestierte sich schließlich ebenfalls ab Anfang der 1990er Jahre in bestimmten prozeduralen Vorgaben an die lokalen Akteure. So wurde der Ablauf des Zusammenspiels der aufgezählten lokalen Steuerungsinstitutionen, die Abfolge der Zusammenkünfte ihrer Mitglieder und der Modus der Interaktion der Kommune mit den lokalen Projektträgern auf städtischer oder Quartiersebene reguliert. Im Sinne der Aktivierungs- und Mobilisierungsparadigmen sollte die Projektarbeit idealerweise aus dem lokalstaatlichen Interventionsspektrum ausgelagert und per befristeter Vertragsvereinbarung (Convention) an die Akteure der lokalen Zivilgesellschaft delegiert werden (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 146-149 u. 153f.). Zusätzlich zur Errichtung eines eigenen Institutionensystems bestand ein weiterer Schritt zur Konsolidierung der Politique de la Ville Anfang der 1990er Jabre in der erstmaligen gesetzlichen Regelung der Kernideen der Politique de la Ville mit dem erwähnten Städteorientierungsgesetz (LOV). Das LOV, das die Assemblee Nationale im Juni 1991 verabschiedete, enthielt als zentrale Regelung die Vorgabe, wonach die Städte für eine ausgewogene "soziale Mischung" (MixiM sodale) der Bewohner auf ihrem Gebiet zu sorgen hatten (Maurin 2004: 39; Donzelot 2007: 374). Zur Durchsetzung dieser Vorgabe griff der Staat in bewährt zentralistischer Tradition regulativ in kommunale Wohnungsmarktpolitik ein. Größeren Städten ab 200.000 Einwohnern schrieb er gesetzlich vor, dass wenigstens zwanzig Prozent des gesamten Wohnungsbestands auf ihrem Gebiet Sozialwohnungen sein mussten (jaillet 2003: 9). Die sozialistische Regierung unter Premier Michel Rocard hatte im Jahr 1988 das Recht auf Wohnung zu einem sozialen Grundrecht eines jeden Bürgers erklärt und setzte dieses wohlfahrtsstaatliche Versprechen mit dem LOV um. Die Präfekturen erhielten dabei als zuständige Kontrollorgane das Zwangsinstrument der Verhängung einer Ausgleichszahlung gegen jene Kommunen, die der im LOV niedergelegten wohnungspolitischen Regelung nicht Folge leisteten (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 48). Ein letzter Schritt zur Konsolidierung der Politique de la Ville bestand schließlich 1994 in der Auflage des Contrat de 'Ville- Programms (1994-1999). Mit ihm bestätigte der Staat durch entsprechenden Beschluss des CIV den Stadtvertrag als Hauptinterventionsmedium der Politique de la Ville endgültig. Unterstrichen wurde die Bedeutung dieses Instruments durch seine weitreichende Verbreitung; bis Ende 1994 hatten 214 Städte einen Stadtvertrag unterzeichnet und insgesamt profitierten in dieser Periode der Politique de la Ville zu diesem Zeitpunkt 867 Kommunen und 1.300 Stadtquartiere von staatlicher Förderung auf Basis eines solchen Vertrags (Anderson/Vieilllard-Baron 2003: 114f.). Im Ergebnis liefen die beschriebenen Reformen auf eine zunehmende Zentralisierung der Politique de la Ville hinaus, ohne dass sich eine Verbesserung der Steuerungsfähigkeit einstellte. In Ermangelung von Alternativen, vor dem Hintergrund eines nicht nachlassenden Problemdrucks und auch auf Druck der Kommunen selbst setzte der Staat den seit
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
1988 unter der Präsidentschaft des Sozialisten Franfois Misterrand eingeschlagenen Pfad zur Verstetigung der Politique de la Ville durch verstärkte Zentralisierung auch nach dem Machtwechsel und dem Amtsantritt des konservativen Staatspräsidenten Jacques Chirac ab dem Jahr 1995 zunächst fort.
Konsolidierung derPolitique de 10 Ville und zentralstaatliche Reformansätze Hatte der neue Staatspräsident Cbirac angesichts wieder aufflammernder Vorstadtunruhen noch während des Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 1995 eine konzentrierte Anstrengung des Staates zur Förderung der benachteiligten Viertel und Bekämpfung der JugendkriminaIität in den Vorstädten angekündigt ~,Marschall plan für die Vorstädte"), so zählte die Initiierung des so genannten "Paktes zur Wiederbelebung der Stadt" (Pacte de Relonce pour 10 Vi/fe) im Januar 1996 zu den ersten Schritten der ebenfalls neu ins Amt gekommenen Regierung unter dem konservativen Premierminister .Alain JUPpe (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 54). Mit diesem Gesetzespaket setzten die neuen politischen Verantwortungsträger an der Spitze der Republik den von ihren Vorgängern übernommenen Kurs zur Entwicklung der Politique de la Ville nicht nur fort, sie spitzten den staatlichen Interventionismus gegenüber den Kommunen noch weiter zu. Die Entwicklungsetappe der Politique de la Ville von Mitte der 1990er Jahre bis 2003 war allerdings nur anfänglich durch Kontinuität gekennzeichnet. Seit Beginn des neuen Jahrtausends wurde, vor allem unter dem Einfluss von Städteminister Jean-Louis Borloo, ein allmählicher Paradigmenwechsel erkennbar (Donzelot 2007). Dieser ist verbunden mit einer Rückkehr des Staates zur ursprünglichen Politik der städtebaulichen Investitionsförderung und Abrisssanierung. Seit 2003 wird dieser Kurswechsel und neue Kurs, der hier nicht mehr dargelegt wird, immer deutlicher erkennbar. Die Zuspitzung des staatlichen Zentralismus mit dem "Pacte de Relance" kam u.a. darin zum Ausdruck, dass der Staat parallel zum (distributiven) Instrument des Stadtvertrags mehr und mehr auf das (regulative) Instrument der Zonage zurückgriff, d.h., auf die gesetzliche Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen und "prioritären Zonen" zur Kriminalitätsbekämpfung und schulischen Förderung in den Städten. Bereits in den 1980er Jahren hatte man mit "Sondererziehungszonen" (Zones d'Education prioritaire; ZEP) in schwierigen Stadtvierteln experimentiert und hier z.B. zusätzliche Lehrer in den Schulen eingestellt (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 29-31). Noch während der Amtszeit von Präsident Mitterrand legte die Regierung des konservativen Premiers Edouard Ballodur im Februar 1993 per Dekret eine Liste von 546 Sonderwirtschaftszonen, so genannten Zones urbaines sensibles (ZUS), fest. Die Nachfolgeregierung von Premierminister Alain JuPpe setzte diesen Kurs ab 1996 fort. Auf Grundlage des LOV erweitere sie im März 1996 per Dekret die Liste der ZUS auf 743 Gebiete. Darüber hinaus schuf sie zwei neue Typen wirt-
Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
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schaftlicher Sonderzonen mit variierendem Profil der dort jeweils gewährten Unternehmensvergünstigungen, die "städtischen Redynamisierungszonen" (Zones de Retfynamisation urbaine, ZRU) und die "städtischen Freizonen" (Zones franches urbaines, ZFU) (Neumann 2006: 9f.). Die Festlegung der Zonen erfolgte nach Prüfung der staatlich definierten, negativen Strukturvoraussetzungen (z.B. überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, geringe Betriebsdichte etc.) durch den Staat selbst. Gegen Ende der 1990er Jahre existierten im ganzen Land mehr als 2.100 solcher Zonen, darunter 1.212 Sonderwirtschaftszonen (vgl. Anderson/Vieillard-Baron 2003: 30 u. 132; Neumann 2006: 10 und 14). Die zunehmende Zentralisierung der Politique de la Ville bis Ende der 1990er Jahre ließ nicht nur Zweifel am ursprünglichen Anspruch dieser Politik aufkommen, die soziale Stadtentwicklung zum Musterbeispiel einer gelungenen Mehrebenenpolitik im dezentralisierten Einheitsstaat zu entwickeln (jaillet 2003: 18f. u. 21). Darüber hinaus trug sie auch zur Pervertierung des ursprünglichen Interventionsmodells im Feld der sozialen Stadtentwicklung bei. Es gelang dem Zentralstaat immer weniger, Anreize für die eigenständige sozial-stadtentwicklungspolitische Initiative der Städte und insbesondere für die lokale Verwirklichung der Ziele der Bewohneraktivierung und Mobilisierung der nicht-staatlichen lokalen Akteure zur Politikinnovation zu setzen (ebd.: 19). Die Politique de la Ville entwickelte sich vielmehr im Laufe der Jahre zusehends zurück zu einer bloßen Transferpolitik des Staates zugunsten der Städte, wenn auch nicht mit rein städtebaulichem Zielhorizont. Von dieser Entwicklung zeugt nicht nur die Verbreitung des Stadtvertrags bzw. die Popularität der Politique de la Ville unter ihren Fördermittelempfängern, den Kommunen, sondern auch das ftnanzielle Volumen dieser Politik. Bis ins Jahr 2000 hatten mehr als 240 Städte einen Stadtvertrag und/oder einen anderen, zusätzlichen Sondervertrag abgeschlossen. Ca. 2.250 Kommunen oder 27 Millionen Bürger kamen auf dieser Grundlage in den Genuss staatlicher Förderung (Cour des Comptes 2002: 22). Dabei belief sich der ftnanzielle Aufwand für die Politique de la Ville - gemessen am reinen Anteil des Zentralstaates - auf knapp 6,1 Milliarden Euro. Er war damit mehr als 55mal so hoch, wie der finanzielle Aufwand des Bundes im Rahmen des deutschen Programms "Soziale Stadt" (vgl. Tab. 6 u. 7). Das Städteministerium sammelte diese Ressourcen sowohl von den einschlägigen Ministerien als auch aus anderen Quellen wie z.B. der staatlichen Förderbank, der Depositen- und Hinterlegungskasse (Caisse des Depots et de Consignation, CDq (vgl. Tab. 7). Die Fördermittel der EU und darunter auch das Programm URBAN I waren in diesem Zusammenhang eine Quelle unter vielen. Sie und insbesondere das URBAN I-Programm entfalteten in Frankreich, im Gegensatz zu anderen EUMitgliedstaaten, bis Ende der 1990er Jahre keine Policy-verändernden Wirkungen (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 159). Bis gegen Ende der 1990er Jahre hatte sich mithin inkrementell eine Paradigmenverschiebung oder -rückentwicklung in der Politique de la Ville eingestellt.
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4.1 Politik der sozialen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich
Dabei bestand angesichts ihrer anhaltenden Schwächen und Wirkungsdefizite massiver Reformbedarf. Dieser wurde bemerkenswerterweise erstmals von einem ehemaligen Bürgermeister offen festgestellt. Der im Mai 2002 neu ins Amt gekommene konservative Städteminister Jean-Louis Borloo, Ex-Bürgermeister der problembehafteten Lyonnaiser Vorstadt Valenciennes, verfolgte das Ziel, den direkt vom Staat finanzierten, solidarischen Ausgleich raumstruktureller Benachteiligung in den Städten wieder in den Bereich der Städtebaupolitik zurückzuholen und über die Gewährung von Sanierungsförderung zu bewerkstelligen. Die Politique de la Ville mit dem Stadtvertrag sollte dabei als ,sozial- und wirtschaftspolitischer Flankenschutz' gänzlich in die Hände der Städte sowie dritter Akteure, eigens geschaffener Fachagenturen des Staates gelegt und unter der direkten regulativen Kontrolle des Zentralstaates durchgeführt werden (Donzelot 2007). Festzuhalten bleibt, dass gegen Ende der 1990er Jahre, zum Zeitpunkt des Auftreffens der europäischen Stadtentwicklungspolitik und der GI URBAN H, Frankreich über eine voll ausgeprägte soziale Stadtentwicklungspolitik verfügte. Diese war in ihrer ursprünglichen Konzeption und ihren Ideen dem Modell der EU nahegekommen, hatte sich im Laufe ihrer Entwicklung durch zunehmende Zentralisierung und Komplexitätssteigerung allerdings vom Ideenhorizont des europäischen URBAN-Modells entfernt. 4.1.3
Zusammenfassung
Bei der Rückschau auf die beiden nationalen Ansätze zum Umgang mit dem Problem der sozialen Fragmentierung der Städte wird deutlich, dass sich die soziale Stadtentwicklungspolitik in Deutschland gegen Ende der 1990er Jahre, zum Zeitpunkt des von der EU-Kommission mit URBAN Hintendierten Politiktransfers, im jungen, noch wenig verbreiteten städtebaupolitischen Förderprogramm "Soziale Stadt" (sowie einschlägigen Programmen einzelner Bundesländer) konzentrierte. Es handelte sich weder um ein eigenständiges Politikfeld noch um eine Policy, deren Ziele und Grundideen - die den Zielen und Ideen der EU-Stadtentwicklungspolitik ähnelten, diese z.T. sogar aufgriffen - sich in der Praxis des Policy-Making auf nationaler und lokaler Ebene durchgesetzt hatte. Die Unterstützung für diese Politik war noch schwach. Sie kam insbesondere von einzelnen ,Leader'-Ländern in der Bauministerkonferenz sowie aus dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (BMVBW) selbst und seinem Ressortforschungsinstitut, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) sowie - dies wurde oben nicht erwähnt - von den stadtplanerischen Fachverbänden, Sozialverbänden und z.T. auch den Verbänden der Wohnungswirtschaft. Vor diesem Hintergrund der mangelhaften Verbreitung und Anwendung des neuen, stadtentwicklungspolitischen Interventionsmodells divergierten das tatsächliche Modell des Public Policy-
Nationale Rahmenbedingungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik
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Making zugunsten benachteiligter Stadtgebiete einerseits und das in der GI URBAN II konzentrierte EU-Modell andererseits. In Frankreich existierte mit der Politique de la Ville seit Beginn der 1980er Jahre eine aus der Städtebaupolitik ausgekoppelte, eigene soziale Stadtentwicklungspolitik. Ihr hatten, zumindest ihrer ursprünglichen Anlage nach zu urteilen, jene Interventionsideen zugrunde gelegen, die auch der europäischen Stadtentwicklungspolitik inhärent waren. Die Politique de la Ville wurde in erster Linie vom Zentralstaat und seinen Fach- und Querschnittsbehörden definiert sowie in der lokalen Umsetzung kontrolliert. Im Laufe ihrer Entwicklung hatte sich die Politique de la Ville aufgrund zahlreicher Reformen, die vor allem ihr Instrumentarium betrafen, und aufgrund einer zunehmenden Zentralisierung des Policy-Making von ihrem Ursprungsmodell entfernt. Divergenz im Vergleich zum EU-Modell existierte also auch hier, z.B. mit Blick auf die Durchsetzung der Partizipationsidee. Die defizitäre Steuerungsfähigkeit beider nationaler sozialer Stadtentwicklungspolitiken hatte ihren Grund nicht zuletzt darin, dass die staatlichen Akteure und insbesondere auch die kommunalen Träger der Policy-Implementation bei der Programmumsetzung ihren aus den traditionellen Lokalsystemen und dem staatlich-städtischen Arrangement der öffentlichen Aufgabenerbringung abgeleiteten Handlungsroutinen folgten. Diese institutionelle Einbettung der Politikimplementation in die Tradition der lokalen Interventionstätigkeit ganz allgemein war auch bei der Implementation von URBAN II relevant und konnte sich als hinderlich für das Wirksamwerden des europäischen Politiktransfers erweisen.
4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen IokaIstaatlicher Politikintervention Seit der Errichtung des modernen Sozialstaates erfolgt die Erbringung eines großen Teils der öffentlichen Aufgaben und Leistungen in Westeuropa in den Kommunen (Wollmann 1998; Goldsmith 2002; Kaufmann 2003; Waldhoff 2006: 27). Städte und Gemeinden haben als Produzenten öffentlicher Dienste und Leistungen und als kleinste räumliche Zellen der Demokratie traditionell eine herausragende Bedeutung für die soziale Integrations- und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der nationalen Gesellschaften insgesamt (Le Gales/Harding 1996: 162; für Deutschland: Bogumil/Holtkamp 2006: 15). Die einzelnen nationalen Lokalsysteme unterscheiden sich sowohl in der Organisation des Staat-Kommune-Verhältnisses und der Aufgabenverteilung zwischen beiden Ebenen als auch in der typischen Strukturierung der Akteursbeziehungen bei der örtlichen Leistungsproduktion und Aufgabenerbringung. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre institutionellen Wurzeln in vielen Fällen bereits auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. Dies gilt auch für das deutsche und das französische Lokalsystem, die je für sich genommen Beispiele für den
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
"nord-mitteleuropäischen" bzw. den "südeuropäischen" Systemtypus repräsentieren (Hesse/Sharpe 1991; Kuhlmann 2006b). Während des Ausbaus des keynesianischen Wohlfahrtsstaates von Anfang der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre waren die westeuropäischen Lokalsysteme durch relative Stabilität gekennzeichnet (Hesse/Sharpe 1991: 61H.; Le Gales/Harding 1996: 172-174). Ausgehend von dieser Beobachtung konstatiert die vergleichende Lokal- und Verwaltungs forschung heute, dass die Systeme seit Mitte der 1970er Jahre im Lichte des demographischen, sozialen und ökonomischen Strukturwandels unter Anpassungsdruck geraten sind (pickvance/Preteceille 1991; Caulfield/Larsen 2002: 9f.; Goldsmith 2002: 91-92; Wollmann 1998, 2000 u. 2008). Das deutsche und das französische Lokalsystem waren seither aufgrund der Dezentralisierung von Staatsaufgaben, des Neuzuschnitts lokaler Gebietsstrukturen (Deffigier 2007) und der Liberalisierung und Privatisierung von Aufgaben der lokalen Daseinsvorsorge in besonderem Maße von Veränderungen betroffen. Nichtsdestotrotz zeichnen sich beide Systeme in wesentlichen Merkmalen durch Kontinuität aus (Kuhlmann 2006a und 2006b; Wollmann 2008). Nachfolgend werden sie mit Blick auf die Aspekte des Verfassungsstatus der Kommunen, des kommunalen Aufgaben- und Leistungsprofils, der lokalpolitischen und -administrativen Entscheidungs- und Leitungsstruktur und des politischen Profils sowie der Ordnung der lokalen Demokratie vorgestellt. Dieser Überblick stellt den Ausgangspunkt zur Analyse der Tiefenwirkungen des stadtentwicklungspolitischen Politiktransfers der EU auf die lokalstaatliche Intervention und die Governance der sozialen Stadtentwicklung dar, die in Kap. 5 folgt. 4.2.1
Gestalt und Wandeldes deutschen LokaLrystems
Das deutsche Lokalmodell hat seinen Ursprung in der Preußischen Städteordnung von 1808, die Kommunen erstmals das Recht zur Selbstverwaltung zugestand. Es reicht aus der funktions bezogenen Perspektive auf die Zeit der Industrialisierung zurück. Zwischen 1850 und 1910 erweiterten insbesondere die mittleren und großen Städte in Reaktion auf das rasche Anwachsen der Stadtbevölkerungen das Spektrum ihrer selbst erbrachten öffentlichen Leistungs- und Ordnungsaufgaben. Die freiwillige Aufgabenerweiterung, die vor dem Hintergrund sprudelnder Steuereinnahmen erfolgte (Frere 1998: 58), war umfassender Natur und trug den Städten die zeitgenössisch liberale Kritik des "Munizipalsozialismus" ein (Wollmann 2008: 47). Kommunales Handeln betraf seither alle Funktionsbereiche der örtlichen Daseinsvorsorge im weiten Sinne, d.h., die örtliche Versorgung der Bevölkerung mit Basisinfrastrukturen (Elektrizität/Gas, Wasser/Abwasser, Abfall, Verkehr, Schulen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Kultureinrichtungen etc.) und die soziale Fürsorge, Vorsorge und Ordnung (Artnenpflege, Gesundheitsfürsorge, Förderung des
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genossenschaftlichen Wohnungsbaus etc.). Die Aufgabenerweiterung war der Ausgangspunkt für den Aufbau des multifunktionalen Aufgabenproftls, das für die deutschen Kommunen nach wie vor typisch ist. Zudem bildete sie den Grundstein zur Ausprägung der spezifischen kommunalwirtschaftlichen Tradition, der eigenen, kommunalen Erbringung öffentlicher Aufgaben ~,Eigenregie'') und der eigenständigen Leistungsproduktion durch die Kommunen bzw. kommunalen Betriebe (Bogumil/Holtkamp 2006: 93). Nach 1945 knüpften die Städte und Gemeinden an dieses Modell an. Es hat sich seither in seinen Grundzügen erhalten, wenngleich es während der 1990er Jahre in allen Bundesländern reformbedingte Änderungen in einzelnen seiner institutionellen Grundmerkmale erfahren hat. Veifassungsstatus derKommunen Das Recht auf Selbstverwaltung als formal-institutioneller Kern des deutschen Lokalmodells ist den kommunalen Gebietskörperschaften, also den Kommunen und Kommunalverbänden, seit 1949 in Art. 28 Abs. 2 des deutschen Grundgesetzes garantiert. In den einzelnen Landesverfassungen sowie den Kommunalrechten der Bundesländer wird sie spezifiziert. Art. 28. Abs. 2 GG verbindet die Garantie des Selbstverwaltungsrechts mit dem Hinweis auf die universale Zuständigkeit der Kommunen für "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft". Dies beinhaltet u.a. auch die Planungs hoheit und die Finanzhoheit, also die selbstverantwortliche Verfügung über eigene (steuerliche) Einnahmequellen. All dies verleiht den Kommunen eine spezifische Stärke als eigenständige politische Einheiten und administrative Handlungsträger innerhalb des deutschen Verwaltungssystems (Kuhlmann 2006a: 85), auch wenn sie staatsrechtlich ein integraler Bestandteil der Länder sind. Sind die verfassungsmäßigen Garantien für die Kommunen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes unverändert, so gehen kritische Kommunalforscher heute von einer Einschränkung oder gar einem Rückbau der realen kommunalen Selbstverwaltung aus (WohlfahrtjZühlke 2005: 14). Zur Begründung dieser These werden mehrere Punkte angeführt (ebd. 14-20; Alisch 2002: 48-62):
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immer stätkere Aufwertung der kommunalen Exekutive gegenüber dem Rat, nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Ansätze zur Modernisierung der Kommunalverwaltung im Sinne der betriebswirtschaftlich inspirierten Ideenwelt des New Public Management (Bogumil et al. 2007); damit verbunden nachlassende Stärke der repräsentativen lokalen Demokratie; Steigerung der kommunalen Aufgabenlast und dabei des Anteils der Aufgaben, die die Kommunen im Auftrag des Staates nicht nur unter der Rechts-,
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
sondern auch der Fachaufsicht der zuständigen staatlichen Behörden durchführen; immer detailreichere Regulierung der unterschiedlichen, "vor Ort' erbrachten öffentlichen Aufgaben und damit Einschränkung der lokalstaatlichen Steuerungsfähigkeit beim Aufgabenvollzug und der Implementation von Gesetzen; Einbindung der Kommunen in den föderalstaatlichen Finanzverbund seit 1969 ohne formales Mitentscheidungsrecht der Kommunen auf die Verteilung der staatlichen Einnahmen; fortschreitende Finanzverflechtung und Entwicklung der Aufteilung von Steuereinnahmen zuungunsten der Kommunen; Ökonornisierung der Verwaltung i.S. einer Ausrichtung des kommunaladministrativen Handelns an utilitaristischen Prinzipien wie der Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Ergebnisse der lokalpolitischen Entscheidungsfindung (Bogumil 2003); damit verbunden lokalpolitischer Gestaltungsverlust.
Der Gehalt der These von der Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung lässt sich beim Blick auf den Wandel des kommunalen Aufgaben- und Leistungsprofils nach 1945 ermessen. Aufgaben- undLeistungsproftl Das Funktional- oder Aufgabenprofil der deutschen Städte und Gemeinden ist, wie eingangs angedeutet wurde, grundsätzlich breit, "multifunktional" angelegt (Wollmann 2008: 49). Dabei unterscheidet es sich von seinem französischen Pendant durch seine "janusköpfige" Natur (Wollmann 2000: 27). So üben die deutschen Kommunen traditionell eine Doppelfunktion als Träger eigener, freiwilliger sowie übertragener, "pflichtiger" (Naßmacher/Naßmacher 1999: 149) Selbstverwaltungsaufgaben einerseits-" und vom Staat übertragener oder delegierter Verwaltungsaufgaben andererseits aus (dualistisches Aufgabenverständnis; Naßmacher/Naßmacher 1999: 152)37. Wollmann bezeichnet das deutsche Lokalmodell in diesem Zusammenhang aus einer verwaltungstypologischen Perspektive als "kommunaladrninistratives Integrationsmodell" (1998: 201). Die Kommunen integrieren den Großteil der öffentlichen Aufgabenerbringung organisatorisch in ihrer Verwaltung. Formal trägt die Verwaltungs spitze (Bürgermeister oder Magistrat) die Verantwortung für die Zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zählen z.B. die Errichtung von lokalen Kultur- und Freizeiteinrichtung wie Museen, Büchereien, Jugendclubs und die Bereitsstellung entsprechender Angebote. Zu den "pflichtigen" Selbstverwaltungsaufgaben rechnen u.a, die Flächennutzungs- und Bauleitplanung und die Auszahlung des Wohngelds (Bogurnil/Holtkamp 2006: 51f.). 37 Z.B. Zivilschutz; Durchfuhrung von Bundestagswahlen (Naßmacher/Naßmacher 1999: 149). 36
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praktische Ausfüllung dieser kommunalen Doppelfunktion. Sie agiert im einen Fall, bei der Erbringung von reinen Selbstverwaltungsaufgaben, unter der Kontrolle des Gemeinderates und der Rechtsaufsicht des Staates und im anderen Fall, bei der Erbringung von übertragenen Aufgaben, unter der staatlichen Rechts- und Fachaufsieht, In jüngerer Zeit deutet die tatsächliche Entwicklung des Aufgaben- und Leistungs- oder auch Funktionalprofils auf einen Bedeutungszuwachs der übertragenen Aufgaben gegenüber den Selbstverwaltungsaufgaben hin (Wollmann 2008: 50). Dies hat mit dem Wirksamwerden von zwei Trends nach 1949 zu tun: zum einen einem Trend zur verstärkten Einflussnahme des Staates auf die kommunale Aufgabenerbringung und Leistungsproduktion in ihren einzelnen Teilbereichen, vor allem den Bereichen der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben durch Regulierung, und zum anderen einem Trend zur Einschränkung der autonomen kommunalen Handlungsspielräume im Bereich der "echten", durch freiwillige Aufgaben gekennzeichneten Selbstverwaltung (Wollmann 1996). Letzterer Trend wird wiederum u.a. zurückgeführt auf die Zunahme des finanziellen Drucks auf die Kommunen seit Ende der 1970erJahre und auch auf den sich seither ebenfalls wandelnden sozialen und ökonomischen Problemdruck, der auf den Gemeinden lastet. Er bringt insbesondere in den Großstädten einen Aufgabenwandel bzw. Wandel der lokalstaatlichen Interventionsanforderungen mit sich (Hanesch/Krüger-Conrad 2004: 19). Die Anpassung des kommunalen Aufgaben- und Leistungsprofils hat sich schrittweise vollzogen. Bereits in den 1960erJahren wirkte sich der Ausbau des Wohlfahrtsstaates als eine erste Einschränkung auf die ,reine' kommunale Selbstverwaltung aus. Einzelne Funktionen, die seit dem 19. Jahrhundert zum klassischen Spektrum der freiwilligen Aufgaben rechneten, z.B. die Sozialhilfe, wurden mit der Neuordnung des Sozialrechts (u.a. durch die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes [BSHG] im Jahr 1961 und des Arbeitsförderungsgesetzes [AFG] 1969) in kommunale Pflichtaufgaben umgewandelt oder überhaupt erst dem kommunalen Aufgabenspektrum zugerechnet. Dies war für die kommunale Selbstverwaltung folgenreich, weil der Staat damit im Aufgabenbereich des Sozialen regulierend in die vormals autonome Entscheidung über die Leistungsproduktion eingriff. Parallel dazu erweiterten allerdings zahlreiche Städte und Gemeinden angesichts wachsender Einnahmen während der konjunkturellen Aufschwungphase noch bis Mitte der 1970er Jahre das Spektrum ihrer freiwillig erbrachten Leistungen (Ellwein 1997: 474-478). Im Jahr 1969 schuf der Staat sodann mit der Gemeindefinanzreform die Voraussetzungen für eine wachsende finanzielle Abhängigkeit der Kommunen von den Entscheidungen des Bundes und der Länder über die staatliche Ressourcenverteilung (Frere 1998: 60f.). Die Reform brachte die Integration der Kommunen in den föderalen Finanzverbund und damit zum einen die Festlegung der Bedingungen für Finanzhilfen des Bundes an die Länder und Gemeinden im Grundgesetz
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
(Art. 104a GG), z.B. in Form der Städtebauförderung (Wohlfahrt/Zühlke 2005: 19). Zum anderen bildete sie den Ursprung für eine zunehmende Verflechtung der staatlichen und kommunalen Finanzierungssysteme, Z.B. durch Reformen des Steuersystems in den 1980er Jahren und im Anschluss an die deutsche Vereinigung in den 1990er Jahren (Frere 1998: 61f.). Dies wiederum wird - neben anderen Ursachen, wie einer unsicherer werdenden Konjunkturentwicklung - als mitursächlich für die Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation seit dieser Zeit betrachtet; sie bildet den Ausgangspunkt für die Abnahme der kommunalen Investitionstätigkeit und den Abbau des Spektrums an freiwillig erbrachten Leistungen und "echten" Selbstverwaltungsaufgaben (vgl. z.B. zu Nordrhein-Westfalen: Bogumil/Holtkarnp 2006: 56-58). Viele Städte reagierten auf die restriktive Finanzsituation mit einem Rückbau des eigenen kommunalen Sozial- und Kulturangebots. Schließlich bauten einzelne Bundesländer (z.B. Baden-Württemberg) nach der Jahrtausendwende die Bandbreite der übertragenen Aufgaben der Kommunen durch Dezentralisierungsreformen ("Funktionalreformen'') aus. Dies trug wiederum zu einer Steigerung der staatlichen Kontrolle über kommunales Handeln bei, nicht zuletzt aufgrund der Verstärkung der staatlich-kommunalen Aufgabenverflechtung (Wollmann 2008: 50). Zusätzlich erfuhren die Kommunen durch staatliche und auch durch europäische Regelungen, etwa im Bereich des Beihilferechts, eine Begrenzung ihrer autonomen Gestaltungsspielräume in einzelnen Feldern der weiterhin freiwillig übernommenen Aufgaben, z.B. in der lokalen Beschäftigungsund Arbeitsmarktpolitik oder der Wirtschaftsförderungspolitik. Letztlich entstand ab den 1970er Jahren die Situation der faktischen Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung (Saller 1999: 122). Die traditionell spezifische staatlich-kommunale Kompetenzverteilung ist auf der lokalen Ebene mit einer ebenfalls traditionell charakteristischen Art und Weise der kommunalen Leistungserbringung verbunden (Local Governance-Dimension der Leistungsproduktion). Als eine Eigentümlichkeit des deutschen Lokalmodells gilt die Eigenproduktion zahlreicher Dienste und Leistungen in kommunalen Betrieben ("Regie''). Das Eigenregie-Modell, insbesondere in den klassischen Aufgabenbereichen der Daseinsvorsorge, wurde ursprünglich mit dem Hinweis auf die Aufgabe der Gemeinde zur Sicherung des "Gemeinwohls" und zum Erhalt der Solidarität der "örtlichen Gemeinschaft" begründet (Wollmann 2000: 30). Es hat, wie oben angedeutet wurde, seine Wurzeln in der Blütezeit der öffentlichen Gemeindewirtschaft in der Phase der Verstädterung während der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Reulecke 1996: 34f.). Nach 1945 erlebte es zunächst eine Renaissance und erfuhr ab den 1970er Jahren vor allem mit Blick auf bestimmte lokalstaatliche Interventionsbereiche Änderungen in bislang zwei Schüben. Ein erster Schub der Anpassung der lokalstaatlichen Governance-Muster erfolgte zwischen den frühen 1970er und späten 1980er Jahren einesteils im Kontext
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des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates. Hier, z.B. in der Kinder- und Jugendpolitik oder auch in der Planungspolitik, gab der Gesetzgeber den Kommunen die Beteiligung bestimmter Akteure, der freien Träger der Wohlfahrtspflege oder der von Planung Betroffenen, an den Prozessen der Entscheidungsfindung vor (Wollmann 2008: 140f.). Zugleich beteiligte er die Kommunen mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes an der Arbeitsvermittlung von Sozialhilfeempfängern nach dem BSHG und dabei auch an der örtlichen Selbstverwaltung der Arbeitsämter. Andernteils gingen die Kommunen vor dem Hintergrund der sich verändernden, ihren autonomen Handlungsspielraum tendenziell einschränkenden Rahmenbedingungen bei der Gestaltung lokaler Policy-Making-Prozesse in dieser Zeit selbst neue Wege. Dies betraf z.B. die Bereiche der kommunalen Wirtschaftsförderung und dabei auch die lokale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, wo die Kommunen nunmehr gezielter Partnerschaften mit einschlägigen lokalen Akteuren und Interessenträgern suchten (Beinelt 2004). In den genannten Feldern prägten sich oftmals engmaschige Netzwerkstrukturen mit geringer Durchlässigkeit bzw. hohen Zugangsschwellen für neue Akteure aus. Dies war z.B. in der Sozial-, Familien- und Jugendpolitik der Fall. Hier etablierten sich mancherorts bisweilen "Sozialkartelle" (Heinze/Voelzkow 1998: 231) der kommunalen Sozialverwaltung mit den klassischen Trägern der kommunalen Wohlfahrtspflege. Oder es kam zur Ausbildung Iokal-i.neokorporatistischer" Beziehungsmuster zwischen den kommunalen (Wirtschaftsförderung, Stadtplanungsämter, kommunale Eigenbetriebe) und nicht-kommunalen (lokale Wirtschaft, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, lokale Gewerkschaftsorganisationen) Akteuren (ebd.: 230-235). In den 1990er Jahren erfolgte sodann ein weiterer Schub der Anpassung des Aufgabenerbringungsmodells. Dieser stand zum einen vor dem Hintergrund der Schaffung des europäischen Binnenmarktes und der damit verbundenen Deregulierungen und Liberalisierungsvorgaben der EU (Wollmann 2000); diese Entwicklungen wirkten sich unmittelbar auf die Organisation der kommunalen Versorgungswirtschaft und die Bandbreite der lokal erbrachten Leistungen aus. Zum anderen stand der Anpassungsschub vor dem Hintergrund der kommunalen Verwaltungsreformen und der Erprobung des betriebswirtschaftlich inspirierten "Neuen Steuerungsmodells" (NSM), der deutschen Variante des im OECD-Raum verbreiteten New Public Management-Konzepts zur Reform der öffentlichen Verwaltung (Naschold/Bogumil 2000; Bogumil et al. 2007; Pollitt/Bouckaert 2004). Im Vordergrund der entsprechenden Anpassungen standen die Privatisierung kommunaler Aufgaben in unterschiedlichen Graden, die teilweise Einführung wettbewerblicher Steuerungsmodelle und die Aufgabenprivatisierung. Allerdings waren tiefgreifende Anpassungen des traditionellen Interventionsmodells auch in diesem Zusammenhang selten (Bogumil et al. 2007). Zum Beispiel erfolgte die Privatisierung von Aufgaben häufig in Form der Gründung von mehrheitlich kommunal getragenen,
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
privaten Beteiligungsgesellschaften oder Kapitalgesellschaften (Edeling et al. 2004: 10). Insgesamt ist das funktionale Selbstverständnis der deutschen Städte und Gemeinden bis heute das einer "Leistungskommune" (Kuhlmann 2006a: 88), die zahlreiche öffentliche Aufgaben selbst erbringt und nicht in erster Linie in der Rolle als Gewährleister i.S.v. öffentlicher Auftraggeber auftritt. Dieses traditionelle Merkmal des deutschen Lokalmodells wurde auch vor dem Hintergrund der Gewichtsverlagerung innerhalb der kommunalen Leitungs- und Entscheidungsstruktur und dem Wandel des Machtverhältnisses der kommunalen Hauptorgane Rat, Bürgermeister, Verwaltung auf die Gestaltung der lokalpolitischen Intervention während der 1990er Jahre nicht beeinträchtigt.
Kommunale Entscheidungs- undLeitungsstruktur Bei der gesetzlichen Ausgestaltung der kommunalen Leitungs- und Entscheidungsstrukturen, d.h., des Verhältnisses von Gemeinderat und Verwaltung, der Aufbauorganisation kommunalen Exekutive und der Stellung des Bürgermeisters (innere Kommunalverfassung) in den einzelnen Ländern wirkten sich neben der Rückbesinnung auf landesspezifische Lösungen aus der Zeit der Weimarer Republik (Knemeyer 1998: 107) auch die Einflüsse der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 und die Kommunalverfassungsmodelle der Besatzungsmächte aus. Die vor diesem Hintergrund ausgeprägten, für Deutschland charakteristischen vier Typen innerer Kommunalverfassungen G,Norddeutsche Ratsverfassung", Süddeutsche Ratsverfassung", Rheinische Bürgermeisterverfassung, Magistratsverfassung"; ebd.: 109) blieben bis zu den Kommunalverfassungsreformen, die ab 1991 in allen Bundesländern durchgeführt wurden, grundlegend für die Beziehungen der kommunalen Organe in den einzelnen Bundesländern (BogumiljHoltkamp 2006: 30 u. 44f.). Bereits vor diesen Reformen war den Kommunalverfassungen in den meisten westdeutschen Ländern, unabhängig vom jeweiligen Ordnungsmodell, de facto ein Übergewicht der Exekutive (mit dem Bürgermeister an der Spitze) gegenüber dem Rat als der demokratisch gewählten Kommunalvertretung eigentümlich (ebd.: 37f.). Die Kommunalverfassungsreformen der 1990er Jahre beinhalteten eine Neuordnung des Verhältnisses der kommunalen Leitungsorgane in den meisten Ländern. In allen Ländern führten sie zu einer zusätzlichen Stärkung der Exekutive, d.h., vor allem des Bürgermeisters, gegenüber dem Rat. Dabei wurde die somit herbeigeführte Verschiebung im Gleichgewicht der kommunalpolitischen Hauptakteure außerdem im Rahmen der oben angesprochenen Verwaltungsstrukturanpassungen durch binnenadministrative Reformen unterstrichen. Die Länder NordrheinWestfalen (NRW) und Schleswig-Holstein, in denen sich die hier untersuchten
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URBAN-Städte befinden, können in diesem Zusammenhang beispielhaft herausgegriffen werden. In NRW, dessen Lokalsystem ursprünglich auf dem Modell der "Norddeutschen Ratsverfassung" fußte, bildete der Gemeinderat traditionell ein starkes Gegengewicht zur kommunalen Exekutive (Knemeyer 1998). Diese war bis zur Reform der nordrhoin-westfälischen Gemeindeordnung (GONW) 1994 durch eine arbeitsteilige Leitungssttuktur und "Doppelspitze" aus einem ehrenamtlichen (Ober-)Bürgermeister (mit politischer Vertretungs- und Repräsentationsfunktion) einerseits und einem hauptamtlichen (Ober-) Stadtdirektor als Verwaltungsleiter andererseits ausgestaltet (Kost 2003: 20lf.). Bis zur Reform fungierte der Rat nicht nur formal als oberstes Organ der Gemeinde. Er genoss das Alleinvertretungsrecht für diese und wählte sowohl den Stadtdirektor als den ,unpolitischen' Verwaltungsleiter als auch den Bürgermeister als den (Außen-)Repräsentanten der Kommune. Seine formale Stellung als obserstes Kommunalorgan hat der Rat seit 1994 zwar nicht eingebüßt, auch besitzt er weiterhin umfangreiche Rechte (Ausschussarbeit), jedoch ist es aufgrund der Reform zu einer deutlichen Gewichtsverschiebung zwischen den Organen gekommen. Das Amt des (Ober-)Stadtdirektors wurde abgeschafft und der (Ober-)Bürgermeister, der seit 1999 direkt gewählt wird, funktional gestärkt. Er ist nunmehr zugleich Repräsentant der Gemeinde nach außen hin und oberster Verwaltungsleiter (Kost 2003). Auch in Schleswig-Holstein, das bis in die 1990er Jahre durch den Typus der "Magistratsverfassung" geprägt war, schlug sich die institutionelle Neuordnung der kommunalen Politik- und Verwaltungsstrukturen ab 1995 in einer Stärkung der Exekutive nieder. Bis zu den Kommunalverfassungsreformen ab 1995 übernahm der Magistrat, ein kollektives Organ, das sich aus der Mitte des Rates konstituierte, die Leitung der Kommunalverwaltung. Der Bürgermeister war hier zwar der Außenrepräsentant der Gemeinde, allerdings ansonsten lediglich ein einfaches Mitglied des Magistrats ohne besondere Rechte. 1995 beschloss der Landtag von Schleswig-Holstein in einem ersten Schritt zur Reform der Gemeindeordnung (GOSH) die Einführung der Direktwahl des (Ober-) Bürgermeisters. Hierdurch erfuhr der (Ober-) Bürgermeister nunmehr in der Funktion als hauptamtlicher Vorsitzender (in Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern) des Magistrats bereits eine deutliche Legitimitätssteigerung. 1997 erfolgte sodann der Beschluss über die Abschaffung der Magistratsverfassung. Mit diesem Schritt wiederum erhielt der Bürgermeister zusätzlich die Funktion des Leiters der Stadtverwaltung, der auch das Weisungsrecht gegenüber den weiterhin von der Stadtvertretung gewählten Stadträten oder Dezernenten (Beigeordnete) hat (Kellmann 2003: 278-282). Nicht nur die skizzierten Kommunalverfassungsreformen in NRW und Schleswig-Holstein wie auch andernorts führten eine Stärkung der kommunalen Exekutive herbei. Diese wurde im Laufe der 1990er Jahre zusätzlich dadurch bewirkt, dass in zahlreichen (Mittel- und Groß-) Städten kommunale Verwaltungsre-
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formen im Sinne des "Neuen Steuerungsmodells" (NSM) der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) durchgeführt worden sind. Entsprechende binnenadministrative Strukturanpassungen führten vielerorts zusätzlich zu einer Gewichtsverlagerung im Machtverhältnis von Rat und Exekutive zugunsten der Letzteren, denn diese wurde in ihrer privilegierten Stellung als fachliches Zentrum des lokalstaatlichen Public Policy-Making gegenüber dem Rat weiter aufgewertet (Bogumil et al. 2007: 302f.). Insgesamt mündeten die umfassenden Kommunalreformen in eine Konvergenzentwicklung der inneren Kommunalverfassungen der einzelnen Bundesländer hin zum Typus der "Süddeutschen Ratsverfassung", Diese zeichnet sich traditionell durch die Kernidee der "exekutiven Führerschaft" (Banner 1982; Haus/Heinelt 2002: 113; Gissendanner 2002: 92) der Kommunalverwaltung und -politik durch einen starken, da direkt gewählten hauptamtlichen Bürgermeister, der zugleich die politische Repräsentation seiner Gemeinde und die Leitung der Kommunalverwaltung übernimmt, aus. In allen deutschen F1ächenländern ist seit dem Abschluss der Reformwelle der 1990er Jahre der Bürgermeister (bzw. in den Großstädten der Oberbürgermeister) der für eine Amtszeit von wenigstens fünf Jahren direkt gewählte, hauptamtliche Leiter der Verwaltung. Zugleich ist er der stimmberechtigte Vorsitzende des Gemeinderates. Je nach Bundesland muss er sich bei der konkreten Organisation der Amtsgeschäfte und der Verwaltungs führung (etwa der Festlegung der Geschäftskreise der einzelnen Beigeordneten) in unterschiedlichem Maße mit dem Rat abstimmen (Bogumil/Holtkamp 2006: 61f.). Die Kontrolle des Bürgermeisters erfolgt allerdings eher innerhalb der Kommunalverwaltung selbst bzw. der politischen Verwaltungs spitze als durch den Rat, So steht dem Bürgermeister in seiner Funktion als Verwaltungsleiter ein aus fachlich spezialisierten, gewählten Beigeordneten zusammengesetztes Kollegialorgan zur Seite. Diese Struktur kann u.u. zur Quelle einer Machtbeschneidung beitragen, wenn - z.B. aufgrund parteipolitischer Differenzen im parteilich nicht immer einheitlichen Beigeordnetenkreis - einvernehmliche Lösungen nicht gefunden werden können oder die für manche Policies, wie etwa die integrierte Stadtentwicklung, notwendige Koordination einzelner Fachbereiche und Ämter blockiert wird. Die Binnenstrukturen der kommunalen Verwaltung sind in Deutschland traditionell vom weberianischen Bürokratiemodell geprägt, d.h., sie zeichnen sich u.a. durch eine strikte Ämtertrennung und fachliche Versäulung aus. Schon in den 1980er Jahren erprobten zahlreiche Kommunen z.B. in NRW binnenadrninistrative Neuerungen, die den aus diesem Strukturmodell erwachsenden Koordinationsproblemen innerhalb der Verwaltung entgegen wirken sollten. Durch Strukturreformen, z.B. die Einführung fachbereichs- und/oder ämterübergreifender Arbeitsgruppen, sollte eine stärker kooperative Aufgabenwahrnehmung erwirkt werden (Ellwein 1997: 483), wie sie sich auch im Ideenhorizont des europäischen URBANModells wiederfindet. In der Realität erwuchsen hieraus allerdings selten binnen-
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administrativ ,,integrierte Handlungssystem[e]" (Kuhlmann 2006a: 88). Vielmehr blieb die getrennte oder gegliederte Verwaltung das vorherrschende Strukturierungsmodell.
Politisches Profil undlokale Demokratie Aufbauend auf den entsprechenden Regelungen im Grundgesetz, den Landesverfassungen und dem Kommunalrecht der Länder dominierten "repräsentativdemokratisch-parlamentarische" (Wollmann 2008: 74) Verfahren bis zum Beginn der 1990er Jahre in den meisten Ländern beinahe ausschließlich das politische Profil des deutschen Lokalmodells (Kost/Wehling 2003). Dabei spielten die auch auf Bundes- und Landesebene vertretenen großen politischen Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, in jüngerer Zeit, insbesondere in Ostdeutschland: Die Linke) in größeren Städten ab Mitte der 1970er Jahre verstärkt eine Rolle bei den KommunalwaWen (Kleinfeld 1996: 57; Bogumil/Holtkarnp 2006: 35; Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 335). Allerdings war und ist hier auch das lokalpolitische Gewicht bekannter Persönlichkeiten - dies zeigt die z.T. Jahrzehnte währende Verweildauer mancher Bürgermeister im Amt - stets von zentraler Bedeutung für die AuswaW des politischen Führungspersonals und vor allem der Exekutivspitze der Kommunen gewesen (Bogumil/Holtkamp 2006: 38). Die repräsentative Demokratie als dominante Form politischer Herrschaft in den Kommunen wurde in allen Ländern im Zuge der Kommunalverfassungsreformen der 1990er Jahre durch die Einführung direktdemokratischer Beteiligungsund Mitentscheidungsrechte der Bürger ergänzt. Im Lichte der verstärkt partizipativen Orientierung der Kommunalverfassungen, die sich die ostdeutschen Länder im Anschluss an die deutsche Vereinigung ergaben, gerieten die westdeutschen Bundesländer hier unter Anpassungsdruck (Wollmann 2008: 74f.). Ab 1992 wurden vor diesem Hintergrund in allen Ländern sukzessive grundlegende Reformen der lokalen Demokratie durchgesetzt. Diese haben zur Verbesserung der direkten Teilhabemöglichkeiten der Bürger und zur Erweiterung der permanenten, vom WaWzyklus losgelösten politischen Mitgestaltungsmöglichkeiten geführt. Die Reformen beinhalteten neben der Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters in allen Ländern - in einzelnen Ländern kombiniert mit einer Möglichkeit zu dessen Abwahl - auch die Einführung von Verfahren (Bürgerbegehren und Bürgerentscheide) zur direkten Herstellung von sachbezogenen Entscheidungen ~,Sachple biszite'') (Wollmann 2008: 69). Darüber hinaus erweiterten zahlreiche Kommunen von sich aus die Beteiligungsrechte ihrer Bürger durch Einführung diverser Verfahren der direkten fachbezogenen Teilhabe (Bürgerhaushalt) und der "kooperativen Demokratie" (Bürgerforen, sachbezogene Workshops, Planungszellen, Mediationsverfahren) (Bogumil/Holtkamp 2006: 114). Diese, oft auf Stadtteilebene angesie-
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
delte Teilhabeformen treten heute neben die repräsentativdemokratischen Verfahren mit spezifischem Stadtteil- (Ortsteilräte, Ortsbeiräte, Stadtteilparlamente) und/oder Gruppenschwerpunkt (Iugend-, Ausländer-, Senioren- etc. -beiräte). Insgesamt zeichnet sich das deutsche Lokalsystem, trotz zahlreicher Veränderungen vor allem während der 1990er Jahre, durch ein hohes Maß an Kontinuität aus. Dies trifft auch für das französische Lokalsystem zu, das nachfolgend in seinen wesentlichen Grundzügen erläutert wird. 4.2.2
Gestalt und Wandeldesfranzijsischen Loka0stems
Die französischen Städte und Gemeinden erhielten, wie die deutschen, schon früh das Recht zur Selbstverwaltung. Mit dem Erlass der nachrevolutionären Munizipalgesetze im Jahr 1789 wurden die Kommunen erstmals als Gebietskörperschaften anerkannt. 1884, während der Dritten Republik, errichtete der Gesetzgeber mit dem Kommunalgesetz sodann eine Kommunalordnung, die als Ursprungs norm der kommunalen Selbstverwaltung im modernen Frankreich gilt (Breuf/Magnan 2004: 10). Anders als im deutschen Fall wurde in Frankreich allerdings erst mit der gesetzlichen Änderung der Kommunalordnung, im Zuge der Dezentralisierung ab 1982 die formale Grundlage dafür geschaffen, dass die Kommunen von ihrem Selbstverwaltungsrecht tatsächlich selbstbestimmten Gebrauch machen konnten. Vor allem die Abschaffung der präfekroralen ex-ante Fach- und Rechtskontrolle des lokalen Handelns G,Tutelle") 1981 war hierfür maßgeblich. Von diesem Schritt konnten in der Folgezeit insbesondere die größeren Städte und Gemeinden profitieren. Sie hatten zwar - ähnlich wie die deutschen Städte - schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung und Verstädterung damit begonnen, sich durch die Schaffung eigener Aufgaben von der staatlichen Einflussnahme zu emanzipieren und eine eigene, lokalstaatliche Interventionstradition zu begründen (Mabileau 1996: 27-29), voll zum Tragen konnte diese jedoch erst seit Beginn der Dezentralisierung kommen. Seither hat das französische Lokalmodell in seinen unterschiedlichen Teilaspekten zahlreiche Veränderungen i.S, einer Stärkung der kommunalen Handlungsfähigkeit erfahren. Die öffentliche Aufgaben- und Leistungserbringung bleibt allerdings nach wie vor von der mehr oder weniger ausgeprägten Einflussnahme des Zentralstaates geprägt (Hoffmann-Martinot 2007: 65).
VeifassungsstattlS derKommunen
Die französischen Kommunen sind neben den Departements und Regionen in Art. 72 der Verfassung der Fünften Republik als eigenständige territoriale Gebietskör-
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perschaften anerkannt und mit dem Recht zur Selbstverwaltung ausgestattet (Abs. 2 Constitution du 4 octobre 1958). Verbunden mit diesem Recht ist, wie in Deutschland, die gesetzliche Anerkennung einer universalen Zuständigkeit der Gemeinden für alle Angelegenheiten, die in ihren territorialen Herrschaftsbereich fallen (ebd.), Dabei können die Kommunen die Aufgabenwahrnehmung der anderen Gebietskörperschaften, der Departements und Regionen oder auch des Staates ergänzen, sofern nicht ein Gesetz ausdrücklich dagegen spricht (Becet 2005: 76f.). Im Rahmen der Verfassung haben alle lokalen Gebietskörperschaften die Finanzhoheit. Sie verfügen über eigene Steuern (in erster Linie die Grund- und Gewerbesteuer), über deren Verwendung der Gemeinderat beschließt (Art. 72 Abs. 2 Constitution du 4 Octobre 1958). Im Zuge der verfassungsgesetzlichen Aufwertung der Gebietskörperschaften anlässlich der Dezentralisierungsreformen von 1981 erhielten die Kommunen das Recht zur Festlegung von Hebesätzen auf die lokalen Steuern (z.B. die Grund- und die Gewerbesteuer als die beiden Hauptsteuerquellen der Gebietskörperschaften) (Hertzog 2004: 171). Die Stärkung der finanziellen Rechte der Gebietskörperschaften stellt einen Faktor dafür dar, dass vor allem die größeren Städte ab 1981 in ihrer Steuerungsfähigkeit aufgewertet wurden (Borraz/Le Gales 2005: 16), denn nunmehr verfügten sie über die Autonomie, sich selbst mit den notwendigen Mitteln zum Ausbau ihrer Verwaltungsapparate und damit zur Wahrnehmung der bereits zuvor für sich reklamierten lokalen Aufgaben und Dienstleistungen auszustatten. Für die zahlreichen Klein- und Kleinstgemeinden, die die kommunale Landschaft in Frankreich weit überwiegend prägen - das Land zählt trotz mehrerer Ansätze zur Gebietsreform seit den 1970erJahren (vgl. Wollmann 2008: 44; Borraz/Le Gales 2005; Deffigier 2007) nach wie vor mehr als 36.500 Kommunen'" - stand ein Verwaltungsausbau im Anschluss an die Kommunalverfassungsrerform von 1981 und die Dezentralisierung dagegen nicht zur Debatte. Die meisten Kleingemeinden verlassen sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in den unterschiedlichen, gesetzlich definierten kommunalen Interventionsbereichen stattdessen auf die z.T. kostenlose Unterstützung durch die lokalen Behörden des Staates (Wollmann 1998: 195), also den Präfekten und die dekonzentrierten, territorialen ,,Außenstellen der staatlichen Ministerien" (Services exterieurs) (Mabileau 1996: 17) sowie die lokalen Zweigstellen der parafiskalischen Träger sozialstaatlicher Aufgaben (z.B. der Familienkasse CAF). Ist die formale Aufwertung der Kommunen in der Verfassung sowie in zahlreichen Kommunalgesetzen und ministerialen Rechtsakten seit 1981 vorangeschritten, so hat sich die zwischen Klein- und Kleinstgemeinden einerseits und Mittelund Großstädten andererseits traditionell zwiegespaltene Situation zementiert (Le Im Jahr 2008 gab es in Frankreich (Mutterland ohne überseeische chemalige Kolonialgebiete) insgesamt 36.569 Kommunen, darunter mehr als 34.700 Gemeinden mit einer Einwohnerzahl von :-::: 5.000 (Ministere de l'inteneur/DGCL 2008: 9 u. 14).
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
Gales 2006). Mittel- und Großstädte sind es daher auch, die unter den Kommunen relativ am stärksten von einer wachsenden Aufgaben- und Finanzierungslast betroffen sind. Das für Deutschland vor diesem Hintergrund konstatierte Phänomen der allmählichen ,Aushöhlung' der kommunalen Selbstverwaltung wird in Frankreich bislang nicht diskutiert. Jedoch zeichnet sich seit Beginn der 1990er Jahre ab, dass die dezentralisierungsbedingte Ausweitung des lokalen Aufgabenspektrums allgemein eine insgesamt erhöhte finanzielle Belastung der territorialen Gebietskörperschaften mit sich bringt (Borraz/Le Gales 2005: 16). Dies könnte mittel- bis langfristig in eine stärkere Abhängigkeit der Städte vom Staat führen und die kommunale Handlungsfähigkeit mindern. Für einen Teil der Departements, die im Zuge der beiden bisherigen Dezentralisierungsschritte 1981-84 G,Acte I') und 200304 G,Acte Ir) eine enorme Erweiterung ihres gesetzlichen Aufgabenspektrums im Bereich des Sozialen erfahren haben (Mabileau 1996: 34; Kuhlmann 2009a: 264), ist eine solche Situation bereits heute Realität. Atifgaben- undLeistungsproftl
Fragt man nach dem für das französische Lokalmodell typischen Aufgaben- und Leistungsprofil. so ließe sich dieses - in Abgrenzung zum deutschen - in Wol/manns Worten als "staatsadministratives Integrationsmodell" beschreiben (1998: 196). Damit kommt zum Ausdruck, dass das französische Modell ganz besonders in seiner Gestalt bis zum Beginn der Dezentralisierung 1981 durch eine ausgeprägte funktionale Schwäche der nichtsdestotrotz "politisch starken" (Kuhlmann 2009b: 73) Städte und Gemeinden gekennzeichnet war (Wollmann 1998: 195). Hier waren es traditionell nicht die Kommunen und Departements, die den Vollzug des größten Teils der lokal anfallenden öffentlichen Aufgaben durch ihre Verwaltungen gewährleisteten. Dem klassischen französischen Lokalmodell ist vielmehr umgekehrt die "administrative Integration" (Mabileau 1996: 17) der Aufgaben durch die territoriale Verwaltung des Staates eigentümlich (ebd.: 8; Hoffmann-Martinot 2007: 65f.). Die wachsenden Handlungsanforderungen an den lokalen Staat aufgrund des Wandels der sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einerseits und die staatlicherseits angestrebte Modernisierung der französischen Wirtschaft und Gesellschaft in der Ära De Gaulle andererseits bilden den doppelten Hintergrund dafür, dass es in Frankreich in der Nachkriegszeit zunächst zu einer Einschränkung des lokalen Aufgabenproftls bzw. einer ,,(Re-) Zentralisierung" (Wollmann 2008: 43) gekommen ist. Die Kommunen, und hier in erster Linie Mittel- und Großstädte, begehrten bereits ab den 1960er Jahren gegen die zentralistische Bevormundung auf und knüpften mit der Schaffung und autnomen Wahrnehmung eigener Aufga-
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ben an ihre im 19. Jahrhundert etablierte, eigene Interventionstradition an. Sie übernahmen ab dieser Zeit freiwillig Aufgaben z.B. im Sozialbereich oder auch im Bereich der Stadtplanung (Mabileau 1996: 19f.). Der zentralstaatliche Gesetzgeber erweiterte das kommunale Aufgabenspektrum (wie das der anderen lokalen Gebietskörperschaften) allerdings erst ab 1982. Die mit den beiden Dezentralisierungsakten einhergehenden Schritte zum lokalen Aufgabenausbau standen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Leistungsschwäche und abnehmenden Steuerungsfähigkeit des Zentralstaates. Was speziell die Kommunen angeht, erfuhr deren gesetzliches Aufgabenportfolio durch den Acte I der Dezentralisierung eine umfassende Erweiterung. Dagegen sind im Zuge von Acte II 2003 bis 2004 kaum neue Aufgaben hinzugekommen. Sie verfügen seit 1982, wie die anderen Gebietskörperschaften, über eine eigene Kemdomäne gesetzlicher Aufgaben. Diese liegt in den Bereichen der Stadtplanung und -entwicklung (Urbanisme), der Versorgung der Bevölkerung mit grundlegenden Infrastrukturen im Sozialbereich (kommunale Sozialzentren [CCAS], Primarschulen), dem (sozialen) Wohnungsbau, der lokalen Wirtschaftsförderung und der Kultur (Breuf/Magnan 2004: 17f.)39. Für den Zentralstaat waren mit der beschriebenen lokalstaatlichen Aufgabenerweiterung Einbußen bei der Kontrolle über die lokale Aufgabenerbringung verbunden (Thoenig 2005). Diesen suchte der Gesetzgeber u.a. dadurch zu kompensieren, dass er im Zuge der Dezentralisierung nicht nur das Spektrum der gebietskörperschaftlichen Selbstverwaltungsaufgaben erweiterte, sondern auch das Spektrum der vom Zentralstaat an die Gebietskörperschaften überwiesenen, der lokalpolitischen Kontrolle jedoch weiterhin entzogenen Aufgaben. Anders als im deutschen Fall kennt das französische Lokalmodell nicht die Trennung zwischen freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben einerseits und staatlichen Aufgaben zur kommunalen Durchführung andererseits. Demgegenüber trennt es zwischen drei anderen Aufgabenkategorien, nämlich erstens den lokalen Selbstverwaltungsaufgaben unter Kontrolle des Gemeinderates, zweitens den vom Staat exklusiv auf den Bürgermeister übertragenen, hoheitlichen Aufgaben desselben (z.B. die Erteilung von Baugenehmigungen) und drittens den delegierten Aufgaben, die wiederum der Bürgermeister im Namen des Staates, d.h., als dessen offizieller Vertreter in der Gemeinde, wahrnimmt (z.B. die standesamtlichen Funktionen) (Breuf/Magnan 2004: 10; Hoffmann-Martinot 2007: 72 u. 78). Bei den Aufgaben des Bürgermeisters handelt es sich in der Regel um Pflichtaufgaben. Dagegen handeln die Kommunen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung in ihrem eigenen, freiwilligen oder gesetzlichen Aufgabenbereich, der lokalen Bau1eit- und Flächennutzungsplanung oder der Betreuung von sozial hilfebedürftigen Bürgern in 39 Die 'Interventionsdomäne' der Departements liegt im sozialpolitischen Bereich (Sozialhilfe, Altenund Behindertenhilfe etc.) und in der Versorgung mit Infrastrukturen der lokalen Daseinsvorsorge, die der Regionen in den Bereichen der Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik, der Ausbidungspolitik und des planenden Umweltschutzes (Breuf/Magnan 2004: 19-22 u. 25-28).
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den kommunalen Sozialzentren (Centres communaux d' Action social, CCAS), fakultativ und mit ausdrücklicher Billigung des Gesetzgebers. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstehen die kommunalen Akteure grundsätzlich der Rechtsaufsicht durch den Präfekten. Der Aufgabenerbringung selbst lag in Frankreich, anders als in Deutschland, schon früh das Modell der Delegation von Aufgaben an nicht-kommunale Träger (gemischtwirtschaftliche Unternehmen, öffentlich-öffentliche, öffentlich-private oder private Unternehmen nach privatem Recht, und nicht-profitorientierte Organisationen) zugrunde (Kuhlmann 2006b: 402f.). Unabhängig von ihrer Größe agieren die französischen Kommunen auf der Basis eines Selbstverständnisses nicht als eigenständige Produzenten öffentlicher Aufgaben und Dienstleistungen, sondern als ,Gewährleister' (Kuhlmann 2006a). Aus diesem Selbstverständnis ist schon vor der Lokalverfassungs- und Dezentralisierungsreform von 1981/82 in allen lokalstaatlichen Interventionsfeldern eine Praxis der vertraglichen, zeitlich befristeten Delegation der kommunalen Funktionen an externe Dritte, also nicht der kommunalen Verwaltung angehörende Aufgaben- oder Leistungsträger, erwachsen (ebd.). Die Leistungsverträge mit den betreffenden Akteuren, die als Auftragnehmer der Gemeinde und unter deren Aufsicht agieren, schließt der vom Gemeinderat legitimierte Bürgermeister im Namen der Kommune ab. Vor dem Hintergrund der ausgeprägten staatlich-präfektoralen Kontrolle der kommunalen Selbstverwaltung, aber auch vor dem Hintergrund einer eingeschränkten Finanzautonomie der Städte und Gemeinden vor Beginn der Dezentralisierung, handelte es sich bei einem Großteil der kommunalen Kontraktbeziehungen um öffentlich-öffentliche und hierbei vielfach kommunal-staatliche Auftragsverhältnisse (Mabileau 1996: 103f.). Zu den klassischen Vertragspartnern zählen die dekonzentrierten Fachbehörden der staatlichen Ministerialbürokratie, die Verwaltungen der anderen Gebietskörperschaften, parafiskaIische staatliche Organisationen in einzelnen Funktionsbereichen, wie z.B. die nationale Arbeitsagentur (Agence nationale pour l'Emploi, ANPE) oder die lokalen Zweigstellen des para-staatlichen Soziaversicherungsträgers Caisse d'Allocation familiale (CAF). Der Staat bot sich aus kommunaler Sicht auch aufgrund der bereitgestellten Ko-Finanzierungsmittel in zahlreichen Handlungsfeldem, wie z.B. der sozialen Stadtentwicklungsförderung, als Aufgabenpartner an (ebd.: 105). Seit Inkrafttreten der Gesetze des Acte I der Dezentralisierung, die den Städten und Gemeinden die Wahlfreiheit bezüglich der Form der Kontraktualisierung brachte, hat sich die Struktur der Vertragsformen bei der Delegation kommunaler Selbstverwaltungsaufgaben verändert (Becet 2005: 77). Die Kommunen gehen mehr und mehr zur vertraglichen Beauftragung von gemischtwirtschaftlichen Unternehmen (SodeN d'Economie mixte Iocale, SEM) über (Kuhlmann 2006a: 95). Hierbei handelt es sich um kommunale Beteiligungsgesellschaften mit privat-rechtlichem Status, die in der Regel von mehreren Gemeinden, weiteren Gebietskörperschaften, teils auch staatlichen Institutionen und auch privaten Akteuren getragen wer-
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den. Darüber hinaus spielen gerade im planungs- und sozialpolitischen Bereich und insbesondere auch im Bereich der sozialen Stadtentwicklungspolitik bzw. der Politique de la Ville (vgl. Kap. 4.1.2) auch private Anbieter (gemeinnützige Trägerorganisationen der Wohlfahrtspflege, Vereine, profitorientierte Unternehmen, wie z.B. Planungsbüros) eine Rolle (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 85-93). Insgesamt ist den französischen Kommunen bei der Aufgabenerbringung eher ein "Governance"- als ein "Government"-Selbstverständnis, also ein Selbstverständnis als aktivierender und wettbewerlich steuernder Staat, eigentümlich (Kuhlmann 2006a u. 2006b). Bei der Delegation ihrer Selbstverwaltungsaufgaben an Dritte können sie sich vielfach auf die langjährige Existenz z.T. dichter, lokaler Akteursnetzwerke in den unterschiedlichen Handlungsbereichen stützen (ebd.; Thoenig 2005: 690).
Kommunale Entscheidungs- undLeitungsstruktur Was die innere Verfasstheit der französischen Städte und Gemeinden betrifft, so liegt dieser formal - ähnlich wie der "Norddeutschen Ratsverfassung" - die Idee eines "kommunalen parlamentarischen Systems" (Wollmann 2008: 84) zugrunde. Der direkt für sechs Jahre gewählte Gemeinderat (Conseil municipa~ stellt hier das oberste kommunale Beschlussorgan in allen Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung dar. Der Bürgermeister, der seinerseits vom Conseil gewählt wird, ist das ausführende oder das Exekutivorgan. Er führt nicht nur den Vorsitz im Rat, sondern ist zugleich der politische Leiter der kommunalen Verwaltung (ebd.: 85). Diese wiederum wird hinsichtlich des administrativen Alltagsgeschäfts von einem professionellen, dem Bürgermeister direkt unterstellten Verwaltungschef (Directeur general des Services municipaux) geführt. In der kommunalpolitischen Praxis hat sich seit dem späten 18. Jahrhundert eine strukturelle Vormachtstellung des Bürgermeisters gegenüber dem Rat sowie innerhalb des kommunalen Exekutivapparates, den er führt, herauskristallisiert. Sie geht historisch zurück auf die frühe "Personalisierung der lokalen [politischen] Macht" in den Gemeinden (Mabileau 1996: 68) und spiegelt sich ihrerseits insbesondere in der privilegierten Stellung des Bürgermeisters wider. Diesen haben manche Beobachter als "präsidialen" (ebd. 83) ,seiner' Gemeinde beschrieben (Hoffmann-Martinot 2007: 68). Traditionell bedeutete die Wahl des Gemeinderats (Conseil Municipa~ u.a. Anerkennung und Bestätigung der herausragenden sozialen Stellung verdienter lokaler Persönlichkeiten - die so genannten Notables - innerhalb der lokalen Gemeinschaft (Mabileau 1996: 64). Die seit dem 19. Jahrhundert unter den Gemeinderatsmitglieden verbreitete Praxis der Häufung von Ämtern (Cumul de mandats) auf den unterschiedlichen Ebenen des politisch-administrativen Systems unterstrich dabei den Einfluss der lokalen Notablen, aber auch gegenüber der zent-
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
ralstaatlichen Macht (ebd.). Sie verlieh insbesondere dem Ersten unter ihnen, dem Bürgermeister, nicht nur Einfluss auf das staatliche Policy-Making, sondern auch zusätzliches Ansehen "vor Ort". So begünstigte die Cumul-Praxis die allmähliche Präsidialisierung des lokalen Herrschaftssystems (ebd.: 83). Attribute wie das des "städtischen Präsidentialismus" (Sorbets 1983, zit. nach Mabileau 1996: 83) oder "städtischen Cäsarismus" ~,Cesarisme municipal"; Hoffmann-Martinot 2007: 68) beschreiben die Realität des kommunalen Entscheidungs- und Leitungssystems in Frankreich auch heute noch zutreffender als der Buchstabe des französischen Kommunalrechts. Dies ist seit 1992 mehrfach reformiert worden, u.a. mit dem Ziel einer Neuaustarierung der kommunalpolitischen und -administrativen Machtverteilung (ebd.: 71-75). Seine nach wie vor überragende Macht bezieht der Bürgermeister in diesem System aus drei Quellen. Erstens sind, wie bereits erwähnt wurde, mit der Bürgermeisterfunktion bestimmte exklusive Rechte, Pflichten und Aufgaben verknüpft, deren Erfüllung nicht an die politische Legitimierung durch den Rat gebunden ist. So übt der Bürgermeister eine Doppelfunktion einerseits als ausführendes Organ zur Umsetzung der Ratsbeschlüsse im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung und zugleich andererseits als mit eigenen sowie mit staatlichen Aufgaben betrauter Agent des Staates "vor Ort" aus. Seit Gründung der Fünften Republik 1958 hat gerade die ratsunabhängige Agentenfunktion im Lichte unterschiedlicher Entwicklungen eine Stärkung erfahren. So ist es nach der anfänglichen Rezentralisierung der lokalen Exekutivfunktionen ab den 1970er Jahren zu ersten Dezentralisierungsansätzen in Form einer immer stärkeren institutionellen Verflechtung zwischen der kommunalen und der lokalen staatlichen Exekutive gekommen (Mabileau 1996: 29-31). Diese Entwicklung wiederum hat die Macht des Bürgermeisters tendenziell gestärkt. So wirkten beide Seiten, Kommunalführung und Präfekt, am Aufbau lokaler Polieyspezifischer Akteursnetzwerke mit. Auf diese kann der Bürgermeister seit 1982, also seit der Dezentralisierung und dem Wegfall der präfektoralen Tutelle, auch in den Bereichen der nunmehr funktional aufgewerteten kommunalen Selbstverwaltung zurückgreifen, wenn es um die vertragliche Delegation von Selbstverwaltungsaufgaben oder die Errichtung neuer, lokaler Akteurspartnerschaften geht (Thoenig 2005: 690). Dabei steht dem Bürgermeister in der Regel ein auf die Spitze zugeschnittener Verwaltungsapparat zur Seite - in großen Städten hat er häufig neben dem eigentlichen Verwaltungsapparat ein eigenes "Cabinet' (Wollmann 2008: 86), so dass er die Rolle als ,leitender Manager' weitgehend losgelöst vom Rat wahrnehmen kann (fhoenig 2005). Zweitens kann sich der Bürgermeister aufgrund entsprechender Regelungen im französischen Kommunalwahlrecht stets auf eine "komfortable Mehrheit" (Hoffmann-Martinot 2007: 71) im Gemeinderat stützen und findet hier mithin eine bereits im lokalen Institutionensystem angelegte, breite Legitimationsbasis für sein Handeln. So war bis Anfang der 1980er Jahre im französischen Kommunalwahl-
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recht die Bestimmung enthalten, wonach keine proportionale Vertretung der Opposition im Rat vorgesehen ist, sondern der siegreichen Partei oder politischen Gruppierung sämtliche Gemeinderatssitze zufallen. Diese Bestimmung wurde zwar mit der Kommunalverfassungsreform von 1982 durch eine Regelung ersetzt, der zufolge seither auch die gewählten Mitglieder der Opposition Zugang zum Gemeinderat haben. Allerdings gilt hierbei nach wie vor nicht die Proportionalitätsregel. Vielmehr weist das Kommunalwahlrecht der siegreichen Ratspartei einen ,Majoritätsbonus' zu. Sie kann auf dieser gesetzlichen Grundlage unter Umständen bis zu drei Viertel der Ratssitze für sich beanspruchen. Dies wiederum schmälert von vorn herein die Kontrollmacht der Opposition und stärkt zugleich insbesondere die Macht des Bürgermeisters (ebd.). Dabei kontrolliert der Bürgermeister zugleich die Beschlussfassung im Rat durch Einbindung eines großen Teils der Ratsmitglieder (der Mehrheitsfraktion) in die Funktionserfüllung der Exekutive. Ihm zur Seite steht eine je nach Größe der Kommune variierende, jedoch in mittleren und großen Städten in der Regel hohe Zahl von Beigeordneten (A4foints), die für die politische Feinjustierung und -kontrolle der Fachpolitikaufgaben der Verwaltung zuständig sind. Die Adjoints werden auf Vorschlag des Bürgermeisters und zusammen mit diesem aus der Mitte des Rates gewählt. Zudem ernennt der Bürgermeister, in der Regel aus der Mehrheitsfraktion, so genannte delegierte Stadträte (Conseil/crs detegues), die für einzelne Stadtteile zuständig sind und hier den Kontakt zur Bevölkerung halten sollen (Wollmann 2008: 86). Eine dritte Machtquelle des Bürgermeisters ist schließlich die oben angesprochene, in der Realität weit verbreitete Praxis der Ämterhäufung oder der Cumul de mandats. Dabei ist unter den französischen Bürgermeistern die kombinierte Häufung eines lokalen mit einem nationalen Wahlamt besonders häufig. Sie erlaubt es den Bürgermeistern, sich unmittelbar gegenüber der Zentralgewalt für die Belange ihrer Gemeinde einzusetzen oder zur Interessenvertretung mit anderen Kommunalvertretern zu kooperieren (ebd.: 43). Insgesamt ist das Leitungs- und Entscheidungssystem des französischen Lokalmodells nicht nur durch eine starke Exekutivlastigkeit gekennzeichnet, sondern zusätzlich dadurch, dass die kommunale Macht (nach wie vor) in der Funktion und Person des Bürgermeisters kulminiert. Die lokale Demokratie, zurnal in Form der (mittelbaren oder unmittelbaren) Beteiligung der Bürger, ist demgegenüber trotz zahlreicher Reformen jüngeren Datums eingeschränkt (Mabileau 1996: 97).
Politisches Profil und lokale Demokratie Für das französische Lokalmodell ist, ebenso wie für das deutsche, die repräsentative Demokratie traditionell die prägende Herrschaftsform. Die Verfahren zur Herstellung von politischer Legitimität und Verantwortlichkeit auf kommunaler
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
Ebene sind in einzelnen Bestimmungen der Verfassung der Fünften Republik (Art. 72) sowie im Gesetzbuch für die territorialen Gebietskörperschaften geregelt. Hierin waren bis zur Kommunalverfassungsreform 1981 zahlreiche prohibitive, vor allem kleinere Parteien oder lokale politische Gruppierungen und Einzelkandidaten benachteiligende, z.T. gar ausschließende Wahlregeln niedergelegt. Dies zementierte formal eine Situation, in der Parteien als eigenständige politische Akteure in den Städten und Gemeinden praktisch keine Rolle spielten. Sie, bzw. die offenen, programmatisch uneindeutigen politischen Gruppierungen, die sich dem Wahlzyklus folgend, jeweils am rechts-links-Schema orientiert lose und kurzfristig zusammenschlossen ~,Iiste gauche", "Liste droite'J, dienten lediglich als organisatorische Hüllen zur Machtsicherung der lokalen Notablen (Mabileau 1996: 94f.). Diesen gaben sie vermeintlich eine lokalpolitische Heimat und dienten in der Realität allerdings in erster Linie der Festigung der traditionell personalisierten, kommunalen Machtstrukturen. So handelte es sich bei den Kommunalwahlen, denen sich die politischen Gruppen mit ihren Kandidaten stellten, in der Realität um "delokalisierte Wahlen" (ebd.: 93), in denen die Fragen, die die Gemeindebürger interessierten, kaum oder eher zufällig zur Strukturierung der scheinbaren politischen Lagerbildung beitrugen. Auch wenn das Kommunalwahlsystem durch die Einführung von Proportionalitätsregel 1981 und dem Gesetz über die territoriale Verwaltung der Republik von 1992 gleichsam ,repräsentativdemokratisch zurechtgerückt' wurde (HoffmannMartinot 2006: 71) und auch, wenn vor allem in den größeren Städten seither eine echte Parteipolitisierung beobachtet wird (Mabileau 1996: 95f.; Borraz/Le Gales 2005: 24), bleiben die dargelegten Charakteristika der kommunalen Machtverteilung - Personalisierung, Vorherrschaft des Bürgermeisters, schwache Rolle der Parteien - weiterhin kennzeichnend für das politische Profil des französischen Lokalsysterns (Hoffmann-Martinot 2007: 72). In diesem Kontext hatten die Bürger bis Anfang der 1990er Jahre, sieht man von einzelnen Funktionsbereichen wie der Stadtplanung ab,40 kaum Möglichkeiten zur (direkten) Teilhabe an der lokalpolitischen Willensbildung oder gar Entscheidungsfindung. Seither sind diese Möglichkeiten vom Gesetzgeber in geringem Umfang ausgebaut worden. Eine öffentliche Debatte um die Ausweitung der demokratischen Teilhaberechte der Gemeindebürger wurde in Frankreich seit den späten 1960erJahrengeführt (Mabileau 1996: 97). Anfang der 1990erJahre mündete sie in eine partizipatorische Öffnung des politischen Profils des französischen Lokalsysterns (Borraz/Le Gales 2005: 25). Die in diesem Zusammenhang vom Gesetzgeber 1992, 1995 und 2002 vorgenommene Erweiterung der lokalen Demokratie beinhaltete die Einführung des kommunalen Referendums über einzelne Hierfür sah das Städtebaugesetzbuch (Code de IVrbamsme) schon früh eine fakultative, im Ergebnis nicht bindende Bürgerkonsultation vor (Kukawka 2006).
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Sachfragen, die Möglichkeit der Durchführung von Bürgerkonsultationen in den unterschiedlichsten kommunalen Funktionsbereichen und die Ergänzung des kommunalen Institutionensystems um neue, auf Stadtteilebene angesiedelte Gremien zur permanenten Partizipation der Bürger (Wollmann 2008: 72). In der kommunalpolitischen Praxis bleibt die Anwendung der neuen Beteiligungsinstrumente des Referendums und der Bürgerkonsultation seither dadurch erschwert, dass zur Durchführung entsprechender Verfahren ein förmlicher Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Gemeinderats notwendig ist, wobei der Rat zur Beschlussfassung seinerseits zunächst erfolgreich einen entsprechenden Antrag beim Bürgermeister stellen muss (ebd.). Die vom Wahlzyklus entkoppelte Möglichkeit einer permanenten Teilhabe der Bürger am kommunalen Willensbildungsprozess ist insbesondere mit dem Gesetz über die Demokratie der Nähe (Democratie de proximite) von 2002 gestärkt worden. Dieses sah für alle Kommunen ab 10.000 Einwohnern die Errichtung beratender Nutzer-Ausschüsse zur Überwachung der kommunalen Leistungserbringung durch die kommunalen Ei-genbetriebe oder Unternehmen vor (ebd.: 73). Außerdem verpflichtete es alle Gemeinden mit 80.000 Einwohnern und mehr zur Errichtung von Quartiersräten (Conseils de Quartier). Hierbei handelt es sich um kommunale Organe, die nicht gewählt werden, sondern - je nach kommunaler Satzung - auf unterschiedlichen Wegen, z.B. durch Beschluss des Gemeinderates, errichtet werden. Sie haben sich in zahlreichen französischen Kommunen, auch in Städten mittlerer Größe, mitderweile als bei Politik und Kommunalführung beliebte Einrichtungen zur Stärkung der kommunalen Entscheidungslegitimität etabliert. Hier wird die Stadtteilöffentlichkeit, in der Regel von dem für den jeweiligen Stadtteil verantwordichen Conseil/er detegue oder A4Joint, über neueste quartiersrelevante Entwicklungen der Kommunalpolitik informiert, und die Bürger können bei dieser Gelegenheit mit dem Delegue diskutieren. Der kommunalen Führungsspitze erlaubt dies die regelmäßige, halbjährliche Abfrage eines Meinungsbilds aus den Stadtteilen.
4.2.3
Zusammenfassung
In der zusammenfassenden Gegenüberstellung des französischen und des deutschen Lokalsystems zeigen sich in beiden Fällen Elemente eines "Fit" des stadtentwick1ungspolitischen Interventionsmodells der EU mit solchen, die "Mistfit" vermuten lassen. Ein klares Bild über die institutionelle Kompatibilität der beiden Systeme mit dem URBAN-Modell im Feld der Stadtentwicklung lässt sich mithin nicht feststellen. Im deutschen Fall ist deudich geworden, dass das Lokalsystem in einzelnen Aspekten durch einen ausgeprägten "Fit" seiner institutionellen Grundlagen mit Blick auf das von der EU-Kommission vertretene Modell gekennzeichnet ist. Dies
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4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen lokalstaatlicher Politikintervention
betrifft das breit angelegte, multifunktionale Aufgabenprofil der deutschen Kommunen, das die Verwirklichung der Idee des integrierten Politikansatzes grundsätzlich begünstigt. Es betrifft ebenso die Tatsache, dass insbesondere in größeren Städten seit den frühen 1980er Jahren Erfahrungen mit der ämterübergreifenden Koordination gesammelt werden. Und es betrifft auch die Tradition einer bürgernahen Verwaltung und vergleichsweise ausgeprägt partizipativen Ausgestaltung der lokalen Demokratie. In anderen Aspekten ist das deutsche Lokalsystem dagegen durch "Misfit" im Vergleich zum URBAN-Modell gekennzeichnet. Hierbei fällt die Tradition der lokalen Leistungsproduktion in kommunaler "Eigenregie" ins Auge, die nach dem Willen der EU-Kommission durch Koordination und öffentlichprivat partnerschaftliehe Erbringung der öffentlichen Dienstleistungen zugunsten benachteiligter Viertel wie auch allgemein ersetzt werden sollte. Es betrifft damit grundsätzlich auch die traditionelle Zurückhaltung der Kommunen bei der Leistungsdelegation oder gar -privatisierung. Und es betrifft die vergleichsweise starke Abhängigkeit der Kommunen vom Staat, d.h. von staatlichen Finanzzuweisungen, die aufgrund des planungsunsicheren Finanzierungssystems notwendig werden. Auch für den französischen Fall lässt sich festhalten, dass das Lokalsystem hier sowohl durch Elemente von ,Fitness' (so z.B. das Modell der partnerschaftlichen Leistungserbringung durch vertragliche Delegation kommunaler Aufgaben an private Dritte) als auch "Misfit" gegenüber dem von der EU mit URBAN vertretenen Modell zur Strukturierung der lokalstaatlichen Intervention im Bereich der sozialen Stadtentwicklung gekennzeichnet ist. Elemente eines institutionellen "Misfit" scheinen dabei zu überwiegen. Dies hängt vor allem mit der besonderen, ,,10kal-präsidentiell" auf den Bürgermeister zugeschnittenen Strukturierung des kommunalen Entscheidungs- und Leitungssystems und der lokalen Demokratie zusammen. Im Zuge der beiden Dezentralisierungsakte zu Beginn der 1980er und der 2000er Jahre sind die kommunalen Hauptakteure im Rahmen der lokalstaatlichen Politikintervention, der Bürgermeister und seine Adjoints, gemessen an den institutionellen Machtressourcen aller kommunalen Akteure, trotz paralleler Reformen des kommunalen Wahlsystems und der lokalen Demokratie eher noch gestärkt worden. Vor diesem Hintergrund scheint Skepsis hinsichtlich der Erwartung angebracht zu sein, dass der exogene Impuls der europäischen Stadtentwicklungspolitik in den Kommunen als Anreiz zum ,Lernen' wahrgenommen wird, es sei denn, die mit dem europäischen Politiktransfer verbundenen institutionellen und prozeduralen Ideen sowie Steuerungsideen decken sich mit den Interessen dieser Schlüsselakteure. Insgesamt, dies wird deutlich, dass zur Bestimmung der Tiefenwirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik und zur Ermittlung des ,Erfolgs' des europäischen Politiktransfers, eine genauere Einzelfallanalyse, die die Interessen, Lembereitschaft und die Anpassungsfähigkeit der angesprochenen lokalen Akteure berücksichtigen kann, notwendig ist. Im nachfolgenden Kapitel 5 wird eine solche
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empirische Analyse anband der ausgewählten Stadt-Fälle Dortmund, Kiel und Le Havre durchgeführt.
5 Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
Wie bereits in den vorangehenden Kapiteln ausgeführt wurde, handelt es sich bei der Stadtentwicklungspolitik der EU nicht um eine formal "europäisierte" Policy. Haben die Regierungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Raumordnungspolitik keinerlei formale Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen, so bediente sich die EU-Kommission als europäische Exekutive und ,Regierungsinstanz' ab 1989 bis 2008 daher der Sonderinstrumente der europäischen Regionalpolitik. Über das Setzen ftnanzieller Anreize sollte dabei u.a. auch das sozial stadtentwicklungspolitische Handeln der nationalen und subnationalen Akteure zunächst experimentell in einen neuen Kontext zu stellen. Die Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II stellten in diesem Zusammenhang zwischen 1994 und 2008 zwei Instrumente der Kommission dar, die in besonderer Weise geeignet schienen, stadtentwicklungspolitische Innovationen auszulösen und deren Verbreitung in den Mitgliedstaaten und Städten anzustoßen. Die geförderten Städte und Staaten unterlagen hier den instrumentellen, prozeduralen und organisatorischen Vorgaben im Rahmen der europäischen Regionalpolitik. In diesem fünften Kapitel wird der mit URBAN II intendierte EUPolitiktransfer auf seine Tiefenwirkungen auf das lokalstaatliche Handeln in Deutschland und Frankreich hin hinterfragt. Der Analyse liegt das in Kapitel 2 entworfene Raster zugrunde. Die Umsetzung der europäischen GI, d.h. lokale Programmierung und Implementatin, wird anband von drei Fallstudien in den Städten Dortmund (5.1), Kiel (5.2) und Le Havre (5.3) untersucht. Bei allen dreien handelt es sich um Beispiele altindustrialisierter Städte, die sich im Prozess des ökonomischen Strukturwandels befinden. URBAN II stellt ein finanzielles Anreizprogramm mit einem begrenzten zeitlichen Horizont dar. Die geförderten Städte verfügen über begrenzte Ressourcen zur Ko-Finanzierung des Programms und zur dauerhaften Finanzierung der Instrumenten-, Verfahrens- und Strukturierungsinnovationen, die sie im Rahmen der Programmierung und Implementation von URBAN II entwickeln und erproben sollten. Aus diesen Gründen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Akteure bei der Umsetzung der europäischen Programms zur Deformation seiner Ideen neigen, hoch (Hoppe/Voelzkow 2001: 199). Das analytische Rüstzeug zur Erfassung derartiger Implementationsprobleme, die dem Anspruch der Initiierung einer nachhal-
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
tigen Anpassung lokaler Policies und Governance-Praktiken an das URBANModell zuwiderlaufen, liefert die politikwissenschaftliche Implementationsforschung. Ihre Vertreter (Mayntz 1977; Pressman/Wildavsky 1984) haben bereits seit den frühen 1970er Jahren darauf hingewiesen, dass bei der Umsetzung politischer Programme Implementationsprobleme auftreten können, die in der spezifischen Natur des zu implementierenden Programms wurzeln. Sie können wiederum in Kombination mit den spezifischen Eigenschaften und Interessen der Implementationsträger und der Programmadressaten sowie mit den verhaltensbeeinflussenden Effekten des jeweiligen institutionellen Kontextes in Implementationspraktiken und Verhaltensweisen münden, die den Programmzielen u.U. zuwiderlaufen oder mit diesen nicht vereinbar sind (Mayntz 1977: 59). Als typische Implementationsprobleme, die bei der Umsetzung von Anreizprogrammen auftreten können, nennen Schneider/Janning;. die Mitnahme finanzieller Fördermittel zur Realisierung eigener Zielsetzungen (Mitnahmeeffekte), selektives Verhalten der mit Entscheidungsmacht ausgestatteten Vollzugsträger bei der Beantwortung unmittelbar implementationsbezogener Fragen, und das Unterlaufen des jeweiligen Programms, also die Nutzung der damit verbundenen Vorteile ohne tatsächliche Verhaltensänderung (2006: 59), die mitunter als kurzfristige Verhaltensanpassungen erfolgt. Das tatsächliche Auftreten derartiger Probleme während der Umsetzung von URBAN II in den hier ausgewählten Untersuchungsstädten wird in den nachfolgenden Fallstudien als ein Indikator für die Überprüfung des tatsächlichen Wirkungspotentials der europäischen Stadtentwicklungspolitik herangezogen. Die Fallstudien sind nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Zunächst werden erstens wesentliche Etappen der Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik der jeweiligen Kommune nach 1945 skizziert. Sodann wird zweitens auf die lokale Politik zugunsten benachteiligter Stadtgebiete eingegangen und drittens das URBAN II-Fördergebiet vorgestellt. Viertens erfolgt die Vorstellung der (lokalen) Akteure, die an der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik sowie an der Implementation von URBAN II beteiligt sind. Und fünftens werden die Wirkungen des Programms in den drei unterschiedenen Wirkungsdimensionen (vgl. Kap. 2) analysiert.
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
141
5.1 URBAN 11in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem Dortmund (NRW) stellt einen Beispielfall städtischer Entwicklung in einem altindustrialisierten westdeutschen Agglomerationsraum dar (Friedrichs 1997: 78 u. 82; vgl auch: Mollenkopf 1983: 24 u. 40). Der nach wie vor nicht abgeschlossene Prozess des wirtschaftlichen Strukturwandels und die damit verbundenen ökonomischen, sozialen und demografischen Verwerfungen haben in der Ruhrgebietsstadt seit Mitte der 1970er Jahre ihre Spuren hinterlassen. Diese zeigen sich u.a. in einer auffälligen sozialen Ungleichverteilung der Bevölkerung im städtischen Raum. Im Jahr 2000 bewarb sich Dortmund unter dem Eindruck früherer Erfahrungen mit EU-Strukturfonds- und Stadtentwicklungsprogrammerr'! über die nordrheinwestfälische Landesregierung mit der Vorlage eines Operationellen Programms COP) um die Teilnahme an der GI URBAN 11. Im November 2001 sprach die EUKommission im Anschluss an ein mehrstufiges nationales Auswahlverfahren endgültig die Annahme des Dortmunder Programmvorschlags aus und nahm die Stadt damit in den Kreis der zwölf deutschen URBAN II-Städte auf.42 5.1.1
Etappen derlokalen Stadtentwicklungspolitik
Mit seinen 587.149 Einwohnern rechnete Dortmund zum Zeitpunkt der Bewerbung um die Teilnahme an URBAN II zu den zwölf größten deutschen Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern (Deutscher Städtetag 2001: 8 u. 26-29). Den Aufstieg zur modemen Großstadt und einem der fünf Oberzentren des Ruhrgebiets erlebte die Stadt im Zuge der Industrialisierung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Stadtentwicklung undAufbau derIndusmestruktur bisin die 1970erJahre Ab 1875 hatte sich Dortmund in Folge der Errichtung mehrerer Großbetriebe im Bergbaubereich, der Eisen- und Stahlproduktion, der Brauereiindustrie und später, nach 1945, dem Maschinenbau zu einem Beschäftigungszentrum des Ruhrgebiets entwickelt, das zahlreiche Arbeitsmigranten aus der Region und von weiter her, 41 Unter anderem hatte Dortmund von 1996 bis 1999 an einem Städtischen Pilotprogramm (SPP) der EU teilgenommen. 42 Neben Dortmund zählten folgende Städte zu den Teilnehmern: Berlin (Berlin), Bremerhaven (Bremen), Dessau (Sachsen-Anhalt), Gera (Thüringen), Kassel (Hessen), Kiel (Schleswig-Holstein), Leipzig (Sachsen), Luckenwalde (Brandenburg), Mannheim/ Ludwigshafen (Baden-Württemberg/ RheinlandPfalz) (gemeinsam), Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommem), Saarbrücken (Saarland).
'42
5.1 URBAN 11in DortmuDd: GclcgaJhcit zw: Wcitacntwickhmg VllIl Bcwihmm
insbesondere aus Polen, anzog. Dabei erlebte Dortmund zwischen 1837 und 1939 eine Veu:ehnfu.chung seiner Bevölkerung (Ausgangsstand 1837: 57.000 Einwohner, Bevölkerung 1939: 542.352 Einwohner) (Statistisches Bundesamt 1952: 21) und wuchs auch in du Flä.che (Walz 1995: 45;vgl. Karte 1).
Kom 1:
Dortmunds Stadtbezi:tke (Ffudcrgcbict: Innenstadt Nord)
---
M' .... ~'lIIflIolU
he',*"
Quelle: W1ttlIchaftsförderung Dortmund 2008.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnte Dortmund trotz schwerer Zerstörungen der städtischen Infrasttuktureo. und der BausubstaI12: (ILS 1983: Bf.; Beyme 1987: 38) sowie :reparationsbedingter Demontagen:rasch an die dynamische Entwicklung der städtischen Ökonomie der Vork:riegsjabre anknüpfen. Der industrielle Wicdettufsticg in den traditionellen Industriezweigen der Kehleförderung und der Eisen- und Stahlproduktion ließ die Stadt bereits in den 1950cr Jahren zu einem Zentrum des "deutschen Wirtschaftswunders" avancieten.. Dortmund entwickelte sich vor dem Hintergrund seines wirtschaftlichen Wachstumsbooms zwisehen 1950 und 1965 nicht nur zu einem Beschäftigungszenttum innerhalb des Ruhrgebiets, sondem auch zu einem Bevö1kenuJgsmagneten. Bis zum Jahr 1966 wuchs die BevöIkc:rung Dortmunds übcrwicgc:nd zuwandcmngsbcdingt auf einen Höchststand von 657.100 Einwohnem an (Statistisches Bundesamt 1967: 35). Einen Teil der neuen Stadtbütgc.r stellten italienische, griechische und späteJ: tütki-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
143
sehe ,Gastarbeiter', die im Rahmen der Anwerbepolitik der Bundesregierung zur Behebung des Arbeitskräftemangels in der Industrie ab 1955 nach Deutschland gekommen waren. Der rasante Bevölkerungsanstieg erhöhte den Verdichtungsdruck im Stadtraum und stellte Dortmund vor neue stadtentwicklungspolitische Herausforderungen wie den Wohnraummange1 oder die Frage der Nut:zung alter Bausubstanz. Ihnen begegnete die Stadt ab der ersten Hälfte der 1960er Jahte mit einer vom Land geförderten Politik der Stadtsanierung. Sie flankierte nunmehr die bis dato dominierende Politik des sozialen Wohnungsbaus und der öffentlichen Wohnungsbauförderung. In ihrem Verlauf brach die Stadt ab 1964 u.a. im Innenstadtbereich im Zuge einer teils radikalen Stadterneuerung zahlreiche, nicht zur Sanierung geeignete (Wohn-) Gebäude ab und ersetzte sie durch moderne Neubauten (Tscherner 1986: 31; Dortmund/Düsseldorf 2001a: 36). Ab Mitte der 1970erJahte wurden in Dortmund die Folgewirkungen der nach dem ersten Ölpreisschock 1973 einset:zenden ökonomischen Strukrurkrise in Form von ersten Beschäftigungseinbußen erkennbar. In den nachfolgenden Jahrzehnten bis zum Jahr 2000 gingen in den drei industriellen Leitbranchen Kohle, Stahl und Bier mehr als 70.000 Arbeitsplät:ze verloren (Dortmund/Düsse1dorf 2001a: 12). Dabei traf es die Beschäftigten im Bergbau- und Stahlbereich besonders hart. In beiden Branchen wurden allein zwischen 1980 und 1993 ca. 26.500 Arbeitsplät:ze abgebaut, was einem Beschäftigungsrückgang von 65 Prozent innerhalb eines Zeitraums von nur 13 Jahten entspricht (IRPUD 1995: 94). Der dramatische Verlust an Industriearbeitsplät:zen konnte durch einen lediglich schleppenden Arbeitsplat:zzuwachs im Dienstleistungsbereich nicht annährend ausgeglichen werden. Mit seiner "sektoralen Monostruktur" (Ziesemer 2004: 157) und einem verkümmerten, von der Stadt jahtelang vernachlässigten tertiären Sektor konnte Dortmund als Lebens- und Arbeitsort insbesondere jungen, hoch qualifizierten Arbeitskräften zu Beginn der 1970er Jahte kaum Zukunftsperspektiven bieten (IRPUD 1995: 20), zumal in der Halbmillionenstadt erst vergleichsweise spät, im Jaht 1968, eine eigene Universität gegründet wurde (Langemeyer 2005: 245). Der Arbeitsplat:zabbau mündete unter diesen Vorzeichen in eine hohe, sich dauerhaft über dem Bundes- und Landesdurchschnitt verfestigende Arbeitslosigkeit (IRPUD 1995: 12f.; Ziesemer 2004: 158). Die negative ökonomische Entwicklung wurde zwischen 1970 und 1990 von einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung begleitet. Dortmund verlor in diesem Zeitraum mehr als 35.000 Einwohner (Stadt Dortmund 2007a: 9).
144
5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
Städtische Krisenreaktionspolitik in den 1980erund 1990erJahren Erst ab 1985 zeichnete sich eine vorläufige Trendwende ab, die zunächst bis Mitte der 1990er Jahre währte. In dieser Zeit ergriffen die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Stadt selbst, wie die meisten anderen, von vergleichbaren Problemen betroffenen Ruhrgebietsstädte, Maßnahmen zur gezielten Bekämpfung der Strukturkrise und zur aktiven Gestaltung des Strukturwandels. Dortmund, das seit der ersten Kommunalwahl nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1946 stets von einer sozialdemokratischen Ratsmehrheit beherrscht worden war und ebenfalls ab 1946 beinahe ununterbrochen einen SPD-Oberbürgermeister gekannt hatte, leitete eine Erneuerung seiner Interventionsstrategie ein, die - legt man Pierres Typologie lokalstaatlicher Governance-Muster (vgl. Kap. 2) zugrunde - als Übergang von einer Strategie, die vorwiegend auf das "welfare"-Muster der Governance, also auf die städtische Erneuerung durch räumliche (Re-) Distribution, Investitution und das Zählen auf staatliche Unterstützung, abstellte, zu einer Strategie, die dieses Muster mit einer korporatistischen Verfahrensstrategie und dem Ziel der städtischen Binnenmodernisierung verband. Lokale Interessenträger (Unternehmen, Gewerkschaften etc.) sollten nun gezielter als zuvor als Partner für die Unterstützung der stadtentwicklungspolitischen Erneuerung gewonnen werden. Ab 1983 trug die Krisenreaktions- und Strukturanpassungspolirik Dortmunds Züge dieser kombinierten "corporatist", "welfare" und "managerial model of governance". Sie stand dabei auf zwei Säulen (vgl. BM Raumordnung 1988a: IV-IX). Eine Säule bestand in der Reform der kommunalen Wirtschaftsförderungspolitik und ihrer Ausrichtung arn Ziel der Innovationsförderung in KMU (ebd.: 37). Einen Schwerpunkt in diesem Bereich bildete die Beschäftigungs- und Qualifizierungsförderung der örtlichen Arbeitnehmer und/oder Arbeitslosen. Dortrnund verfolgte dabei eine aktive kommunale Arbeitsmarktpolirik und nutzte dazu die Instrumente, die den Kommunen als Trägern der Sozialhilfe im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und im Recht der Arbeitsförderung zur Verfügung standen. Eine zweite Säule, die bis Mitte der 1990er Jahre noch weitgehend unverbunden neben der ersten stand, stellte die Erneuerung der kommunalen Raumordnungs- und Stadtplanungspolirik dar. Hier vollzog Dortmund den Übergang von der brutalen Stadtsanierungs- zu einer sanften, erhaltenden Stadterneuerungspolirik (Tscherner 1986: 50f.). Zu einem generellen Kennzeichen der in beiden Policy-Bereichen auf den Weg gebrachten Initiativen wurde die Ausrichtung der städtischen Handlungsmuster auf das übergreifende Ziel der Erschließung von Synergiepotenrialen. Aus der städtischen Binnenperspektive beinhaltete dies eine verstärkte Orientierung des Verwaltungshandelns auf die Praxis einer fachbereichsübergreifenden Handlungskoordination. Darüber hinaus strebte die Stadt nach außen hin eine verstärkte Kooperation mit nicht-städtischen Akteuren und Institutionen an, die als Partner
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145
zur Bewältigung des Strukturwandels erachtet wurden (z.B. die Dortmunder Großbetriebe, die Industrie- und Handelskammer ete.). Im Bereich der städtischen Wirtschaftsförderungspolitik verabschiedete der Rat der Stadt beispielsweise im Jahr 1983 ein kommunales Wirtschaftsförderungskonzept, das fortan die strategische Basis der industriellen Umsttukturierung und wirtschaftsstrukturellen Modernisierung bilden sollte. Inhaltlich zielte das Konzept darauf ab, die verstärkte Ansiedlung von Unternehmen, vor allem KMU, mit Schwerpunkt im Bereich moderner "Zukunfts-Technologien" ab (BM Raumordnung 1988a: 38). Das Konzept kam bereits als Ergebnis eines breit angelegten Konsultationsprozesses zwischen den einzelnen städtischen Amtern sowie zwischen der Stadt und unterschiedlichen, nicht-städtischen Institutionen und Akteuren zustande (ebd.: 37). Es beinhaltete neben zahlreichen Policy-Maßnahmen vor allem den Auftrag an das Amt für Wirtschafts- und Sttukturförderung, bei der Politik der Standortförderung verstärkt die Kooperation mit lokalen nichtstädtischen Partnern zu suchen. Damit und mit ähnlichen Initiativen in anderen Bereichen ging die Stadt also schon früh erste Schritte in Richtung der Idee der (gebietsbezogenen) Policy-Integration. Im Bereich der Raumordnung wurde der Ansatz eines koordinationsorientierten Public Policy-Makings ab Mitte der 1980er Jahre u.a. im Handlungsfeld der sozialen Stadtentwicklungsförderung implementiert. Zu Beginn der 1980er nach dem Inkrafttteten des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG) von 1971 vollzog Dortmund einen Politikwechsel hin zur erhaltenden Stadterneuerung und Wohnumfeldverbesserung. Unterstützt vom Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung NRW wies die Stadt im gesamten Stadtgebiet eine Reihe von kleinräumigen "Wohnumfeldverbesserungsgebieten" aus, in denen Projekte zur Verschönerung des öffentlichen Raum, zur Stadtbegrünung und Verkehrsberuhigung durchgeführt wurden (BM Raumordnung 1988a: 135). Die Politik ergänzte die aufgezählten politikfeldspezifischen Anstrengungen ab den 1990er Jahren durch einen übergreifenden Ansatz zur Modernisierung der Kommunalverwaltung. Dabei standen die mit dem oben beschriebenen, an betriebswirtschaftlichen Organisations- und Prozessideen ausgerichteten "mangerial model of urban governance" (pierre 1999) assoziierten Merkmale im Mittelpunkt. Ab Beginn der 1990er Jahre kam es auf Beschluss des Stadtrates zur Gründung kommunaler (Eigen-) Betriebe sowie zur Übertragung kommunaler Funktionen in den unterschiedlichen Bereichen der städtischen Daseinsvorsorge an privatrechtlieh, gewinnorientiert wirtschaftende kommunale Beteiligungsgesellschaften (Stadt Dortmund 2003: 116). Ein zentrales Modernisierungsprojekt war die Ausgliederung der Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung aus der städtischen Kemverwaltung und ihre organisatorische Privatisierung durch die Gründung der "Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund" (WBF-Do) im Jahr 1997. Diese Schritte zur Verwaltungsmodernisierung sollten zur Effektivitätssteigerung
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
der erwähnten Ansätze der Dortmunder Stadtentwicklungspolitik beitragen. Leitidee war der Umbau der Stadt nach dem Vorbild einer modernen Konzernstruktur; Dortmunds Oberbürgermeister und die Dezernenten bilden dabei gemeinsam den städtischen Verwaltungsvorstand.
5.1.2 Städtische Interuention ifJgunsten benachteiligter Viertelbis2000 Da sich die neue Strategie zur Stadterneuerung und Wohnumfeldverbesserung bald als wenig effektiv erwies, entschloss man sich in Dortmund bereits 1984 zu einer Kurskorrektur. Die Stadt verfolgte dabei die Umstellung auf einen inhaltlich umfassenden, "ganzheitlichen" und gebietsbezogenen Ansatz (Freye 1989: 291). Dieser wurde ab 1986 entwickelt und u.a. in den städtischen Prob1emgebieten erprobt, die sich bereits in den 1960er Jahren im nördlichen Innenstadtbereich gebildet hatten und seither den Ruf als "Problemviertel" trugen (Zapf 1969: 187). Hierzu zählte auch der Bezirk "Innenstadt Nord" ~,Nordstadt''), das spätere URBAN 11Fördergebiet (vgl. Karte 1). Dabei hielt die Stadt an dem eingeschlagenen Kurs der auf staatliche Hilfe, Eigeninitiative im konzert mit ausgewählten lokalen Partnerakteuren und Binnenmodernisierung setzenden Strategie. Im Jahr 1984 verabschiedete der Rat der Stadt den "Städtebaulichen Rahmenplan für die Nordstadt" und sodann im Juni 1986 das "Stadterneuerungsprogramm für die Nordstadt" ~,Nordstadtprogramm'') als Handlungsstrategie auf Basis des städtebaulichen Rahmenplans (Freye 1989: 293). Damit ging Dortund bereits in Richtung des integrierten Politikansatzes. Inhaltlich verfolgte die Stadt mit dem Nordstadtprogramm nun nicht mehr in erster Linie das Ziel der Verbesserung der Wohnqualität und des Wohnumfelds. Weitere Ziele wie die "Sicherung von Arbeitsstätten", allgemein das "Einbeziehen sozialer Belange" und die "Motivation und Beratung der Bewohner" kam hinzu (ebd.: 294). Zur Bewältigung des verwaltungsinternen Koordinationsbedarfs, der sich aufgrund des facettenreichen Zielkatalogs ergab, richtete die Stadtverwaltung, ihrer neuen Koordinationsphilosophie entsprechend, schon im August 1985 eine ämterübergreifende "Projektgruppe Nordstadt" ein. Sie war zunächst für die Konzeption des Nordstadtprogramms in Zusammenarbeit mit den nicht-kommunalen Stadtteilakteuren, Bürgern und Betroffenen auf Stadtteilebene zuständig und bekam vom Stadtrat nach der Verabschiedung des Programms die Verantwortung für seine Implementation übertragen. Dabei schloss der Auftrag des Rates an die Verwaltung wiederum die verstärkte Beteiligung der genannten Akteure ein (ebd.: 293f.). Dieser erste Schritt in Richtung einer Synergie-orientierten Neuausrichtung der Dortmunder Stadtpolitik zugunsten benachteiligter Viertel wurde ab 1989 durch einen weiteren Schritt ergänzt. Zu diesem Zeitpunkt schloss sich Dortmund dem EU-weiten StädteNetzwerk ,,Quartier en Crises" an. Seine Mitglieder stellten sich die Aufgabe, die
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147
Wiederbelebung von ausgewählten "krisenbetroffenen" Stadtvierteln - im Falle Dortmunds die "Nordstadt" - nicht mehr vorrangig über reaktive und dabei klassisch, baulich-planerische Policy-Maßnahmen anzustreben. Anstatt dessen sollten modellhaft problernadäquate und zukunftsorientierte integrierte Handlungsansätze entwickelt und erprobt werden (Froessler 1994a: 15). Neben den rein städtischen Initiativen wurde ab 1996 das "Integrierte Handlungsprogramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf", die nordrhein-westfälische Vorläuferinitiative des deutschen Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt", zum zentralen Standbein der Dortmunder Politik im Bereich der sozialen Stadtentwicklung. Auch in diesem Zusammenhang hielt die Stadt an ihrer Linie der lokalen Kräftebündelung fest. Und auch in diesem Zusammenhang stand (und steht) erneut die "Nordstadt" im Mittelpunkt der lokalstaatlichen Stadtentwicklungsaktivitäten. Im Das "Integrierte Handlungsprogramm für die Nordstadt", mit dem sich Dortmund 1996 um die Aufnahme in die Landesinitiative bewarb, beinhaltete das binnenorientierte Ziel einer regelmäßigen Koordination der einschlägigen Fachämter (Stadtplanung, Tiefbau, Jugend, Schule) und das nach außen gerichtete Ziel einer, gemessen an den bis dahin unternommenen Koordinationsanstrengungen, weiter gehenden Vernetzung mit den einschlägigen lokalen Akteuren und insbesondere auch den Akteuren auf Stadtteilebene. Ungeachtet der zahlreichen aufgezählten Maßnahmen blieben die in den frühen 1970er Jahren wurzelnden Entwicklungsprobleme bis zur Jahrtausendwende eine kommunalpolitische Herausforderung für die Stadt Dortmund. Dabei war bis zum Jahr 2000, dem Zeitpunkt der Bewerbung Dortmunds um die Teilnahme an der europäischen Stadtentwicklungsinitiative URBAN II, die soziale Fragmentierung des städtischen Raums und die soziale (und ethnische) Segregation der Stadtbevölkerung eine permanente Begleiterscheinung der beschriebenen Stadtentwicklung. Sie manifestierte sich u.a. in der sozio-ökonomischen und demografischen Lage der "Nordstadt".
5.1.3
Das Förde~ebiet "Nordstadt"
Der Bezirk Innenstadt Nord ~,Nordstadt'') stellte mit seinen ca. 54.000 Einwohnern im Jahr 2000 etwas weniger als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Dortmunds. Der Stadtbezirk wies typische Merkmale eines innerstädtischen Problemgebiets auf, sowohl, was die raum- und baustrukturelle Gestalt anging, als auch, was die Wirtschafts- und Sozialstrukturen und die demografische Entwicklung betraf. Zunächst ist die "Nordstadt" trotz ihrer zentralen Lage innerhalb Dortmunds (vgl. Karte 1) und in unmittelbarer Nähe zu den Hauptstätten der altindustriellen Produktion (Hoesch Werke, Actien Brauerei) aufgrund der Existenz großer Ver-
5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
148
kehrstrassen, Industrieanlagen und Grünflächen oder Parks auf natürliche Weise räumlich von der Gesamtstadt abgeschnitten. Es handelt sich um ein hoch verdichtetes altes Industriearbeiterviertel, das überwiegend durch einfache Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie mittelgroße und vereinzelt große Wohnblocks (z.T. sozialer Wohnungsbau) geprägt ist. Circa die Hälfte der Gebäude in der "Nordstadt' sind Neubauten, darunter viele, die in der Wiederaufbauphase bis 1955 errichtet wurden (fscherner 1986: 26). Sozialräumlich untergliedert sich das Viertel in drei Quartiere, den "Hafen", den "Borsigplatz" und den "Nordmarkt". Sie sind für das räumliche und wirtschaftliche Gefüge innerhalb der Nordstadt Struktur bildend, auch wenn sie sich in ihrer sozialen Situation ähneln. Ab Mitte der 1970erJahre vollzog die "Nordstadt' einen Wandel vom traditionellen Industriearbeiterviertel zum ,,Arbeitslosenviertel" (Häußermann/Siebel 2004: 160). In dessen Verlauf konzentrierten sich einkommensschwache Gruppen in dem Bezirk. Er weist seither eine hohe Arbeitslosigkeit, hohe Langzeitarbeitslosigkeit und einen über dem städtischen Durchschnitt liegenden Anteil an Menschen, die von staatlichen Transferleistungen leben, auf (vgl. Tab. 8).
Tabelle 8:
Demografische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergebiets in Dortmund (Basisjahr: 2000)
Fläche in !an' Einwohnerzahl Anteil Jugendliche unter 16}ahren Anteil ausländische Bevölkeruna Bevölkerungsdichte im Gebiet (Einwohner/!an") Arbeitslosenquote* Anteil Langzeitarbeitslose* SoziaUnilfeernpfängerquote* Wirtschaftsstruktur
Nordstadt 14,4 (davon URBAN IIGebiet: 7,'5) 54.137
Dortmund
19,1
15,4
41,9
12,7
3.760
2.088
280,3 585.153
26,5
15,1
46,9
43,4
13,4 ca. 2.300 Betriebe; Handwerksbetriebe unterrepräsentiert (4 %); 31 % Betriebe im Bereich 'ethnische Ökonomie'
6,3 k.A.
Quelle: Dortmund/Düsseldorf 2001a: 17; Dortmund/Düsseldorf 2004: 47. Eigene Berechnungen.
*
Werte vor Inkrafttreten der arbeitsmarktpolitischen Reformen der Bundesregierung 2002-2005 ("Hartz"-Gesetzgebung).
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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Sozialstrukturell betrachtet war die Bevölkerung in der "Nordstadt" zum Zeitpunkt der Bewerbung Dortmunds um die Teilnahme an URBAN II durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil junger Bewohner und Ausländer gekennzeichnet (vgl. Tab. 8). Ein besonderes Charakteristikum des Stadtteils war und ist die hohe Bevölkerungsfluktuation. Sie resultiert aus der Tradition der "Nordstadt" als erstes ,Ankunftsort' für Zuwanderer. Vor allem während der Hochphase des industriellen Wachstumsbooms zwischen 1950 und 1975 stieg der Anteil der ausländischen Bewohner, nicht zuletzt aufgrund des Zuzugs zahlreicher südeuropäischer Gastarbeiter, stark an, um sodann in den 1980er und 1990er Jahren auf einem konstant hohen Niveau zu verbleiben (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 21). Die Wirtschaftsstruktur der "Nordstadt" zeichnete sich im Jahr 2000 vorwiegend durch kleingewerbliche Dienstleistungsbetriebe aus. Hauptsächlich vertreten sind mittlere, kleine und kleinste Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe, darunter zahlreiche Betriebe im Bereich der ethnischen Ökonomie43 (Dortmund/Düsseldorf 2001: 18). Ein zentrales Problem der Entwicklung der lokalen Ökonomie in der Nordstadt liegt in dem mangelhaften Austausch untereinander sowie mit den lokalen Einrichtungen der Unternehmensvernetzung und -beratung bei zugleich hohem Beratungsbedarf. Im Jahr 2000 zeichnete sich vor allem ein großer Teil der zumeist mittleren, kleinen und Kleinstgewerbebetriebe durch veraltete Strukturen der Unternehmensorganisation, -führung und -kontrolle sowie veraltete Büro- und Kommunikationssysteme aus (EI 18, 30.05.2006). Dabei bestand aus unterschiedlichen Gründen zugleich kaum eine Nachfrage nach unternehmensnahen Dienstleistungs-, Beratungs- und Informationsangeboten, z.B, zur Modernisierung der Betriebsorganisation, zur Innovationsförderung oder zur unternehmerischen Qualifizierung. Zum einen hielten die einschlägigen Institutionen - die lokalen Kammerorganisationen oder auch die Wirtschaftsförderung der Stadt selbst - zu diesem Zeitpunkt kein entsprechendes Angebot, das auf die spezifischen Bedürfnisse von Klein- und Kleinstbetrieben, insbesondere auch der ethnischen Ökonomie, hin ausgerichtet war. Zum anderen hatten zahlreiche Unternehmen einen geringen Anreiz zur Nachfrage nach oder Wahrnehmung von Beratung. Angesichts der zu erwartenden Zusatzbelastung, die sich aus der aktiven Wahrnehmung ihrer Interessen in den örtlichen Kammerorganisationen ergeben würde, waren sie überfordert. Zugleich fanden sie hier häufig keine Antworten auf ihre spezifischen Probleme (z.B. Akquise von Kleinkrediten), oder aber - dies traf vor Floeting/Hollbach-Grömig definieren den Begriff der "ethnischen Ökonomie" kulturell-soziologisch: ,,Die berufliche Selbständigkeit von Personen mit Migrationshintergrund ist häufig in spezifischen Migrantenmilieus verankert, die als ethnische Ökonomie bezeichnet werden." (2005: 27). Eine ähnliches Begriffsverständnis, wenn auch keine explizite Begriffsdefinition. legen ldik/Schnetger zugrunde. Sie sprechen von "Migrantenökonomie" und Verbinden damit Selbstständigkeit bzw. Unternehmertum von ausländischen Zuwanderern, die die Ressourcen hierzu vorzugsweise in städtisch geprägten Migrantenmilieus vorfinden (2004: 167-169). 43
150
5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
allem auf Unternehmer und Existenzgründer mit Migrationshintergrund zu - sie waren grundsätzlich zurückhaltend gegenüber einer über das notwendige Maß hinausreichenden Interaktion mit öffentlichen Institutionen und Behörden (EI 18, 30.05.2006; EI 19, 31.05.2006). Mit diesen Problemlagen stand die Dortmunder Nordstadt durchaus exemplarisch für die spezifischen Herausforderungen der kommunalen Wirtschaftsförderungspolitik in benachteiligten Stadtteilen (Floeting/Hollbach-Grömig 2005; Läpple 2006: 33). Deutet die Kurzbeschreibung der sozioökonomischen Situation darauf hin, dass es sich bei der "Nordstadt" um ein "benachteiligtes" Viertel handelt, so liefert die Betrachtung des sozialen und kulturellen Lebens in dem Bezirk auf den ersten Blick kaum Anhaltspunkte für eine solche Einschätzung. In der "Nordstadt" waren bereits in den 1980er Jahren zahlreiche Initiativen und Vereine aktiv, die sich z.T. mit dem Ziel gebildet hatten, die Stadtteilbevölkerung für eine aktive Vertretung der eigenen Interessen oder die selbst organisierte Regelung von Stadtteilproblemen zu mobilisieren. Außerdem war hier im Rahmen der geschilderten Programme der Stadt eine beträchtliche Anzahl freigemeinnütziger Trägerorganisationen, insbesondere im Bildungs- und Qualifizierungsbereich, tätig. Schließlich haben sich, ebenfalls im Zusammenhang der oben dargelegten Stadterneuerungsmaßnahmen, ab Anfang der 1980er Jahre teils auf Stadtteilebene, teils auf gesamtstädischer Ebene, diverse Akteursnetzwerke gebildet, deren gemeinsames Ziel in der Förderung der "Nordstadt" und/oder der Lösung stadtteilspezifischer Entwicklungsprobleme lag. Beispielhaft kann hier das "NordstadtForum" genannt werden, eine Gesprächsplattform, in der ab 1991 regelmäßig lokale Mandatsträger, Vertreter der Stadtverwaltung, Vertreter der im Stadtteil verankerten oder dort tätigen sozialen und kirchlichen Einrichtungen und Organisationen sowie der lokalen Interessengruppen zusammenkamen. Insgesamt war die "Nordstadt" im Jahr 2000 ein Stadtteil, dem innerhalb der Gesamtstadt von Vertretern der öffentlichen Institutionen reges Interesse entgegengebracht wurde und in dem kein Mangel an "Sozialkapital" (Mayer 2005) herrschte. Ungeachtet dessen nahmen viele Bewohner den Bezirk negativ wahr und brachten das Leben in der "Nordstadt" mit Begriffen wie "Chancenarmut" und "Perspektivlosigkeit" in Verbindung (EI 20, 01.06.200). Die verbreitete Empfindung einer "Vernachlässigung" (Freye 1989: 292), insbesondere durch die Stadt selbst, wurzelte u.a. in der täglichen Begegnung der Bewohner mit sichtbaren Anzeichen einer solchen vermeintlichen Vernachlässigung. So gehörten verwahrloste Parkanlagen und Plätze in der "Nordstadt" ebenso zum Stadtbild wie eine Konzentration sozialer Randgruppen an einzelnen Orten. Es waren u.a, diese Faktoren, die - zusätzlich unterstrichen durch eine vielfach negative lokale Presseberichterstattung (vgl. z.B. Ruhr-Nachrichten 1994) - dazu beitrugen, dass die "Nordstadt" ab Anfang der 1980er Jahre innerhalb Dortmunds ein "Negativimage" als "sozialer Brennpunkt" erlangte (Dortrnund/Düsseldorf 2001b: 6).
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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Auch wenn das Fördergebiet bereits früh zum Zielraum unterschiedlicher politischer Initiativen zur sozialen Stadtentwicklung geworden war, stellte der Bezirk also im Jahr 1999/2000 in den Augen zahlreicher lokaler und kommunaler Akteure weiterhin ein städtisches Prob1emviertel dar.
5.1.4 Akteure undAkteurskonstellation im Bereich der so!(jalen stadtentwicklung URBAN II war als experimentelles stadtentwicklungspolitisches Programm der EU-Kommission im Rahmen der europäischen Regionalpolitik dezentral angelegt. Die Gemeinschaftsinitiative stellte zuallererst ein finanzielles Anreizprogramm für Städte dar. Die städtische Ebene sollte daher nach dem Willen der Kommission die zentrale Aktionsebene sowohl bei der Programmierung als auch bei der Implementation von URBAN II sein (Kommission der EG 2000: 11). Dementsprechend waren vor dem Hintergrund der regionalpolitischen Verfahrensvorgaben, wie z.B. der Gültigkeit des Partnerschaftsprinzips oder der Kofinanzierungs-/Additionalitätsprinzips, zwar Akteure auf allen politisch-administrativen Ebenen im Rahmen der obligatorischen regionalpolitischen Begleitgremien formal an den Verfahren der Planung und Implementation des lokalen URBAN IIProgramms beteiligt", die Programmierung und die Erfüllung der stadtentwicklungspolitischen Fachaufgaben, die mit der Durchführung von URBAN II verbunden waren, fand allerdings innerhalb der bereits existierenden, lokalen raumordnungspolitischen Fachpolitikarena statt. Hier wiederum betraf sie alle öffentlichen und privaten Akteure auf städtischer, Landes- und Stadtteilebene, die in der Vergangenheit üblicherweise an der Durchführung sozialer Stadtentwicklungsinitiativen und Programme beteiligt gewesen waren oder die aufgrund der verwaltungsund raumordnungsrechtlichen Vorgaben des Landes beteiligt werden mussten oder auch die von der Stadt Dortmund neu zur Implementation der europäischen GI hinzugezogen wurden. Angesichts der früheren Aktivitäten der Stadt und der Landesregierung von NRW im Bereich der sozialen Stadtentwicklungsförderung zeichnete sich dieses Politikfeld in Dortmund insgesamt durch ein breitgefächertes Akteursspektrum aus. Es hatte sich seit der Durchführung des ersten "Nordstadt"-Programms all44 Zu den Mitgliedern des URBAN II-Begleitausschusses für Dortmund zählten: ein Vertreter der EUKommission (In beratender Funktion), Vertreter des Bundes (Bundesministerium für Wirtschaft, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen bzw. Stadtenwicklung, ebenfalls beratend), Vertreter der nordrbein-westfälischen Landesregierung (Ministerium für Städtebau und Wohnen, Verkehr und Sport; Ministerium für Wirtschaft Mittelstand und Energie, Ministerium für Arbeit, Qualifikation Soziales), die Bezirksregierung Arnsberg als Konununalaufsichtsbehärde, je ein Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Arbeitgeberseite, Vertreter der Kammerorganisationen (!HK Dortmund und Handwerkskammer Dortmund), ein Vertreter des BUND Naturschutz und eine Vertreterin der RegiesteIle Frau und Wirtschaft des Landes NRW (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 100).
152
5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
mählich herauskristallisiert und sich während der Teilnahme Dortmunds am Landesprogramm "Soziale Stadt" konsolidiert. Im Zentrum standen die folgenden Akteure:
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auf städtischer Seite der Rat der Stadt als zentrales Entscheidungsorgan sowie, innerhalb der Verwaltung das Planungsdezernat mit dem für die Raumordnungs-, Planungs- und Baupolitik zuständigen Stadtplanungsamt; außerdem die Dortmunder Wirtschaftsförderung (WBF-Do), die Wirtschaftsförderungsund Beschäftigungsprojekte auch in benachteiligten Gebieten durchführte; auf Seite des Landes NRW das Ministerium für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport (MSWKS), das innerhalb der Landesregierung die verwaltungsinteme Koordination mit anderen Ministerien innerhalb der INTERMAG (vgl. Kap. 4.1) organisierte und damit auf Landesebene dafür sorgte, dass die Policy-, finanziellen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen für die lokale Durchführung der integrierten Stadtentwicklungspolitik geschaffen wurden; außerdem die Bezirksregierung Arnsberg als für die Stadt Dortmund zuständige Kommunalaufsichtsbehörde, auf Stadtteilseite eine Reihe von Vereinen, Initiativen, Bildungsträgem, sozialen Trägereinrichtungen, Interessensnetzwerken (z.B. das "Sicherheitsforum Nordstadt''), Kulturbetrieben, Verbänden, Religionsgemeinschaften, Händlern, Unternehmen und Gewerbetreibenden sowie Schulen etc.", die entweder als Interessenvertreter oder Projektträger auftraten, und schließlich das "Nordstadt-Forum", die 1991 ins Leben gerufene Plattform zum Erfahrungsaustausch, zur Beratung und zur Diskussion über die Situation der "Nordstadt" und politische Maßnahmen zu ihrer Verbesserung.
Diese Akteure bzw. Akteursnetze waren auch an der Programmierung und Durchführung von URBAN II beteiligt. Dabei wies das Akteursfeld einige Besonderheiten auf (vgl. Abb. 4). Erstens war auf Seiten der Stadt neben dem Planungsdezemat mit dem Stadtplanungsamt auch die Wirtschaftsförderung Dortmund federführend an der Programmierungsarbeit und der Steuerung der Programmimplementation beteiligt. Damit setzte die Stadt bereits in der Steuerungsstruktur ein Zeichen ihres Willens zur Verwirklichung des integrierten Politikansatzes. Zweitens - und auch dies zeugte von einem entsprechenden Willen - arbeitete das Planungsdezernat bei der politischen Steuerung der Programmimplementation regelmäßig mit weiteren einschlägigen Dezernaten (Recht, Soziales, Kultur, Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) zusammen. Drittens rief die Stadt zur Durchführung von URBAN II Die Stadt Dortmund bezifferte allein die Anzahl der in der "Nordstadt" tätigen Bildungs- und Qualifizierungsttäger im Jahr 2001 mit "fast 50 Träger" "über die letzten Jahre" (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 24).
45
Tiefenwirlmngen? Implemenbltion von URBAN II in drei europäischen Städten
153
eine eigene, innerstädtisch ebenenübergreifende Akteursplattform nach dem Vorbild des weiterhin existierenden Nordstadt-Forums ins Leben. Es handelte sich um die "Projektkonferenz Nordstadt", die im Jahr 2003 im "Konsultationskreis Nordstadt" ~,KoNo") aufging. Viertens schließlich errichtete die Stadt drei Quartiersmanagementbüros in den drei Quartieren des Bezirks Innenstadt Nord sowie temporär das ,,Arbeits- und Wirtschaftsbüro Nordstadt" ~,awb Nordstadt"). Diese Einrichtungen waren im Stadtteil verankert und übten eine Vermittlungsfunktion zwischen der Stadtteilebene und der Ebene der gesamtstädtischen Politik und Verwaltung aus. Wälu:end der Implementation von URBAN TI im Jahr 2003 nahmen der OB und die städtische Verwaltungs führung einige Veränderungen an dieser Sterungsstruktur vor. Hierauf wird weiter unten genauer eingegangen (vgL Kap. 5.1.5.3). Abb. 4 zeigt die Akteurskonste1lation ab 2003.
Abbildllng 4:
Akteurskonstellation zur Implementation von URBAN II in Dortmund (ab 2003)
Landesebene
Elnschlag lge Amter Eigenbetnebe Bete iligungen Nic ht-kommuna le Prcjektparr ne r (gesel l und priv.Träger, lokale
Arbsitsverwaltun g)
Stadtteilebene
Eigene Darstellung. Quelle: Dortmund/Düsseldorf 2001b, 2003 und 2004.
Insgesamt hatte die Akteurskonste1lation zur Programmierung und Implementation der europäischen GI in Dortmund eine Mehrebenen- und Multiakteursgestalt. Dabei bestand ein enges Kopplungsverhältnis zwischen der Dortmunder Stadtverwaltung - dem Planungsdezemat und dem Stadtplanungsamt sowie der
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
WBF-Do - auf der einen und dem MSWKS als staatlicher Verwaltungsbehörde auf Landesebene auf der anderen Seite. Außerdem bestand ein solches Verhältnis zwischen der gesamtstädtischen und der Stadtteilebene und hier wiederum insbesondere zwischen dem Stadtplanungsamt sowie der WBF-Do und den aus städtischer Sicht wesentlichen Akteuren innerhalb der Nordstadt, den Quartiersmanagementbüros und dem awb-Nordstadt (EI 20, 01.06.2006). Dieser städtischstadtteilbasierte Steuerungskern koordinierte die Verfahren der Programmplanung und -implementation und war für die praktische Umsetzung der Beteiligungs- und Partnerschaftsideen des stadtentwicklungspolitischen Modells der europäischen GI verantwortlich. Er war damit auch für das Gelingen des Politiktransfers. den die EU-Kommission mit URBAN II intendierte, wesentlich. 5.1.5 1mplementation und Wirkungen von URBAN 11
Gegen Ende der 1990er Jahre lautete ein zentrales struktur- und planungspolitisches Ziel Dortmunds: Die Stadt als Lebensort und Sozial- und Wirtschaftsraum soll insgesamt und mit jedem ihrer Bezirke die Anpassung an den ökonomischen Strukturwandel vollziehen und den entscheidenden Sprung ins Zeitalter der Dienstleistungs- und Technologiegesellschaft schaffen (Langemeyer 1999 u. 2001). Die GI URBAN II wurde in diesem Zusammenhang als politisches "Gelegenheitsfenster" (Kingdon 1984) zur Verwirklichung dieses Ziels auch im Problemstadtteil Nordstadt betrachtet. Implementationspraktisch konnten die lokalen Behörden und städtischen Verantwortungsträger aus dem breiten Erfahrungsschatz im Handlungsfeld der sozialen Stadtentwicklungsförderung schöpfen. Die spezifische Herausforderung für die Kommunalpolitik bei der Implementation von URBAN II lag darin, nicht der Versuchung einer bloßen "Inszenierung" (Hoppe/Voelzkow 2001: 199)46 von Policy-, Governance- und/oder Organisationsinnovationen zu erliegen, sondern die GI tatsächlich als eine Gelegenheit zur Entwicklung und Erprobung von Neuerungen zu nutzen. Die Bedingungen hierfür waren günstig, da die städtischen Verantwortungsträger zum Zeitpunkt der Bewerbung um die Teilnahme an der EU-Initiative in mehreren Punkten Verbesserungsbedarf mit Blick auf die bis dato praktizierten Ansätze sahen. Defizite wurden hinsichtlich der Implementation des integrierten 46 Hoppe/Voelzkow gebrauchen in diesem Kontext den Begriff der ,,Inszenierung". Sie bezeichnen damit konkret solche Vorgchensweisen staatlicher oder öffentlicher Implementationsträger europäischer Regionalpolitikprogramme, die scheinbar erst aufgrund der Vorgaben des jeweiligen EU-Programms im Zuge seiner Umserzung bestimmre Innovationen 'erfinden' und erproben.Tatsächlich entsprächen diese Innovationen jedoch bereits existierenden Vorgaben der eigenen Regierung: ,,Mit dem Begriff der ,Inszenierung' soll deutlich gemachtwerden, dass sich die vorgefundenen Gremien funktionaler Repräsentation nicht irgendwelchen spontanen Kräften, sondern den prozeduralen Vorgaben der Landesregierung verdanken." (Hoppe/Voelzkow 2001: 199)
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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Politikansatzes, der fachlichen Abstimmung städtebaulicher Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Maßnahmen zugunsten des Fördergebiets und seiner Bevölkerung gesehen. Zwar war die Idee der Politikintegration innerhalb der Stadtverwaltung und auf Seiten der Politik grundsätzlich anerkannt, sie wurde in der Realität allerdings lediglich fallweise praktiziert. Weiterhin konstatierte man Nachholbedarf bei der Einbindung von Bürgergruppen als aktive PolicyGestalter im Rahmen der lokalen Planungsprozesse (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 10). Defizite wurden schließlich mit Blick auf die Vernetzurig der lokalen Betriebe und die Mobilisierung bestimmter institutioneller Akteure, namentlich der traditionellen Akteure der lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik (Kammerorganisationen, große Unternehmen), für die ökonomische Erneuerung in den benachteiligten Stadtgebieten gesehen. Beim Versuch, die erkannten Defizite mit Hilfe von URBAN II gezielt abzubauen, setzte die Stadt zunächst an der politischen Ziel- und InstrumenteDimension der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik an. 5.1.5.1
Politische Ziel- und Instrurnentendimension
Für die kommunalen Schlüsselakteure in diesem Bereich war URBAN II als strukturpolitisches Förderprogramm daher interessant, da man hoffte - im Falle einer erfolgreichen Bewerbung - mit seiner Hilfe auch unter den Vorzeichen einer sich verschlechternden städtischen Haushaltssituation die Kontinuität der in den 1980er und 1990erJahren eingeleiteten Maßnahmen zugunsten der Nordstadt-entwicklung sicherstellen zu können (EI 18, 30.05.2006). Darüber hinaus identiftzierten die städtischen Akteure die europäische GI aber auch mit dem integrierten Politikansatz zur Stadtteilerneuerung, den sie vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" bereits grundsätzlich als neuartigen Weg zur Revitalisierung benachteiligter Stadtgebiete und als zukünftigen Handlungsansatz der sozialen Stadtentwicklungspolitik anerkannt hatten (EI 18, 30.05.2006). Unter diesen Vorzeichen bestand schon im Vorfeld der Bewerbung Dortmunds innerhalb des kommunalen Akteursfelds weitgehender Konsens über die Interventionsphilosophie und die strategische Ausrichtung eines lokalen Programms für die Gemeinschaftsinitiative (pGI). Konkret sollten die Revitalisierungsanstrengungen nicht auf die Grundlage der bis zum Beginn der 1990er Jahre vorherrschenden Philosophie gestellt werden, wonach zur Aufwertung krisengeschüttelter Stadtteile in erster Linie öffentliche Investitionen in Bau- und Sanierungsprojekte und Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung getätigt werden müssten. Vielmehr setzte die Stadt auf eine komplexere, inhaltlich umfassendere Interventionsstrategie, deren Ziel es war, die Ankopplung der "Nordstadt" an die gesamtstädtische Entwicklung zu
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
erreichen. Neben städtebaulichen und im engeren Sinne raumbezogenen Aspekten sollten also auch die ökonomischen und sozialen Aspekte der Stadtteilentwicklung systematisch berücksichtigt werden. In dem endgültigen Programmentwurf, den die EU-Kommission im Herbst 2001 genehmigte und den der Rat der Stadt im November desselben Jahres beschloss (Dortmund/Düsseldorf 2002: 3), kommt der Wille zur strategischen Neuausrichtung der kommunalen Stadterneuerungspolitik zum Ausdruck: "Mit der Teilnahme am URBAN II-Programm ist beabsichtigt, in der Dortmunder Nordstadt den qualitativ anspruchsvollen Schritt von einer reagierenden Stabilisie-rungsstrategie zu einer aktiven Entwieklungsstrategie zu machen. Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieses Sradrteils soll den entscheidenden Impuls erhalten, um den Strukrurwandel mit eigenem Profil zu vollziehen und damit Anschluss an die gesamrstädtische Entwicklung zu finden." (Stadt Dortmund
2001: 9)
Bei der Erarbeitung eines Operationellen Programms, das zugleich als echtes Revitalisierungskonzept für die "Nordstadt" dienen konnte, mussten die kommunalen Programmplaner nicht bei Null anfangen. Zum einen auf konnten sie sich auf die Erfahrungen aus den oben angeführten Programmen stützen und zum anderen waren gerade für die inhaltliche Gestaltung des wirtschaftspolitischen Projektbereichs diverse weitere Programme anschlussfähig, die das Land NRW in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zur Gestaltung des ökonomischen Strukturwandels im Ruhrgebiet auf den Weg gebracht hatte und die auch in Dortmund implementiert worden waren (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 45-50). Diese ,Programmierungsvorlagen' teilten die Philosophie einer weniger ausgleichs- als vielmehr wachstumsorientierten, die Förderung der eigenen, endogenen Entwicklungspotentiale des jeweiligen Zielgebiets in den Mittelpunkt rückenden Intervention zugunsten strukturschwacher oder benachteiligter Räume. Zugleich war ihnen gemeinsam, dass sie auf die Erneuerung von Verfahren und die verstärkte Mobilisierung oder Aktivierung der letztlich von der finanziellen Förderung profitierenden Individuen und korporativen Akteure (Unternehmen, gesellschaftliche Organisationen etc.) im Fördergebiet abzielten. Zu den propagierten Ideen zählte dabei auch bereits der Ansatz einer problemorientiert integrierten, gebietsbezogenen und mittel- bis langfristig "strategischen" Raumentwicklungsplanung (Ziesemer 2004). Dienten die diversen Vorgängerprogramme bei der Programmplanung als Quelle für Policy- und Verfahrensideen. so stellten die Maximen, die die Stadtführung bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit Blick auf die zukünftige Stadtentwicklungsförderung formuliert hatten, einen allgemeinen Rahmen der Programmkonzeption dar (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 45-50). Für eine nachhaltige demografische und ökonomische Regeneration der Stadt und ihrer einzelnen Bezirke wurden Investitionen in Zukunftsindustrien und -technologien und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des städtischen Wirtschaftsstandorts als vordringlich
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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erachtet (Ziesemer 2004: 161). Die Stadt selbst sollte zur Einleitung der gewünschten Entwicklung vor allem durch eine entsprechend angepasste kommunale Wirtschaftsförderungspolitik beitragen. Ihre Schwerpunkte sollten die Förderung der unternehmerischen Selbstorganisation und -vernetzung, die Bereitstellung von Realtransfers und unternehmensnahen Dienstleistungen für Betriebe in Zukunftsbranchen, die Arbeitnehmerqualifizierung und eine gezielte Imageverbesserung sein (Langemeyer 1999 und 2001). Im Programmentwurf zu URBAN II wurden diese Ideen - angepasst an die spezifischen Ausgangsbedingungen in der "Nordstadt" - in die Revitalisierungsstrategie für das Fördergebiet übernommen. Die zentralen Zielüberlegungen darin lauteten (Dortrnund/Düsseldorf 2001a: 42 u. 2001b: 6-8):
• • •
systematische Erschließung der autonomen ökonomischen und stadträumlichen Entwicklungspotentiale des Stadtteils zum Zweck der Wiedereinleitung von wirtschaftlichem Wachstum (Dortrnund/Düsseldorf 2001a: 46f.); Stärkung des Selbstvertrauens der Bewohner, um diese verstärkt für Eigenengagement und für die eigenständige Lösung z.B. sozialer Konflikte im Stadtteil zu gewinnen; Verbesserung der Innen- und Außenwahrnehmung der "Nordstadt" und Verbesserung ihres Images. Das Fördergebiet sollte in seinem stadträumlichen und städtebaulichen Erscheinungsbild sowohl für die Bewohner selbst als auch für externe Betrachter und potentielle "Stakeholder" von ökonomischen oder sonstigen Interessen ,ins rechte Licht gerückt' werden. Dies beinhaltete Z.B. die indirekte Vermarktung des öffentlichen Gebietspotentials in der "Nordstadt"; Brach- und Grünflächen und Parks sollten hier verschönert und damit "neu in Wert" gesetzt, i.S,v. weithin attraktiv gemacht werden (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 48).
In dem endgültigen Programmentwurf von 2001 fanden diese strategischen Überlegungen in Form von "Leitzielen" und "operationellen Zielen" ihren Platz. Am Katalog der städtischen URBAN II Policy-Ziele, aber auch an der projektierten Verteilung der zu erwartenden Fördermittel auf Interventionsbereiche fällt auf, dass die kommunalen Programmplaner den traditionellen, städtebaulichen Zielsetzungen tatsächlich nur den Stellenwert von "Operationellen Nebenzielen" einräumten (Dortrnund/Düsseldorf 2001a: 42). Die Zielbereiche der Förderung der lokalen Ökonomie - hier sollten u.a, die "Schaffung und (der) Erhalt von Arbeitsplätzen" sowie der Aufbau von Interessen- und Selbsthilfestrukturen der örtlichen Betriebe erreicht werden (vgl. ebd.: 42), und, mit Abstrichen, auch der "Stabilisierung" der ,,individuellen Lebenssituation der Bewohner" und der sozialen Gemeinschaft auf Stadtbezirks- und/oder Quartiersebene wurde der Vorzug gegeben (ebd.) (vgl. Tab. 9).
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
Allgemeine Ziele bestanden darin, besonders ,,innovative Strategien und Projekte mit Pilotcharakter" zu fördern, den intergouvernementalen und interkommunalen Erfahrungsaustausch anzuregen und auf kommunaler Ebene innerhalb der Stadtverwaltung "organisatorische Verbesserungen" oder Verwaltungsinnovationen im Bereich der Stadterneuerungspolitik herbeizuführen. Zu diesem Zweck strebte die Stadt eine enge Koordination mit wissenschaftlichen Beratungseinrichtungen und die systematische wissenschaftliche Begleitung der Programmimplementation an (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 43).
Tabelle 9:
URBAN 11in Dortmund (2000-2008)
Finanzvolumen
Interventionsschwerpunkte (Fördennittelanteil am Gesamtbudget 2001)
28,65 Mio. Euro, davon* EU (EFRE): 9,9 Bund: Land Nordrhein-Westfalen: 11,3 Stadt Dortmund: 4,4 andere öffentl.-rechtl. Träger (BA für Arbeit): 2,3 Privat (Stiftunzsmittel): 0,7 Schwerpunkt 1: Verbesserung der stadträumlichen Qualitäten (ca. 28 %) Schwerpunkt 2: Förderung der lokalen Ökonomie (ca. 45 %) Schwerpunkt 3: Aufbau von Bewohner getragenen Einrichtungen und Strukturen (ca. 21 %) Schwerpunkt 4: Technische Hilfe (ca. 6 %)
Quelle: Dortmund/Düsseldorf2004: 47. * Gerundete Werte.
Auf der Grundlage dieses übergreifenden Zielkatalogs stellten das Stadtplanungsamt und die WBF-Do in einem kooperativen Prozess der Programmplanung ein Förderprogramm mit mehr als dreißig auf die Interventionsschwerpunkte verteilten Projekten oder Einzelmaßnahmen zugunsten der "Nordstadt" auf (EI 18, 30.05.2006). Die vorgeschlagenen Einzelprojekte fügten sich auf den ersten Blick problemlos in das Spektrum der von der EU-Kommission empfohlenen Maßnahmen zur Revitalisierung benachteiligter Stadtviertel ein. In diesem Sinne musste das Dortmunder OP zu URBAN 11 zwangsläufig als innovativ erscheinen. Angesichts der Breite des indikativen Maßnahmenkatalogs der Kommission konnte dies allerdings auch nicht erstaunen (vgl. Kommission der EG 2000: 14-16). Dabei stellte der Programmentwurf jedoch keineswegs eine bloße Reproduktion der Kommissionsvorschläge für mögliche Maßnahmen zur Stadtteilerneuerung dar. Vielmehr hatte die Stadt selbst konkrete Vorstellungen bezüglich der Gestaltung des Projekttableaus. Mit den hier enthaltenen Projektideen erhob sie erkennbar den Anspruch der strategischen Steuerung der Stadtteilentwicklung im Sinne der kommunalen Philosophie einer entwicklungs- und wachstumsorientierten Intervention zugunsten des
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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Strukturwandels auch in der "Nordstadt". Insbesondere in den Schwerpunktbereichen "Förderung der lokalen Ökonomie" und ,,Aufbau von Bewohner getragenen Einrichtungen und Strukturen" gab das Dortmunder OP Prophylaxe-orientierten Instrumenen, die die Ideen der Aktivierung und der privaten und gesellschaftlichen Eigeninitiative zugunsten der Stadtteilaufwertung in den Vordergrund rückten, den Vorzug. Grundsätzlich waren die Instrumente des OP als zeitlich begrenzte Pojekte angelegt, die bei Bedarf und Bewährung auch auf andere Stadtteile übertragen werden konnten. Angesichts der spezifischen wirtschafts strukturellen Ausgangssituation und der besonderen Probleme der Betriebe im Fördergebiet legten die kommunalen Programmplaner im Bereich der "Förderung der lokalen Ökonomie" das Hauptgewicht weniger auf das traditionelle lokal-wirtschaftspolitische Instrumentarium zur Attraktion neuer Betriebe oder der Förderung von Existenzgründungen wenn auch Letzteres durchaus ein Ziel im Rahmen des OP darstellte. Vielmehr standen die "Bestandspflege", die Stabilisierung der vorhandenen Betriebs- und Wirtschafts struktur und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der örtlichen Betriebe im Vordergrund (EI 19, 31.05.2006). Dabei projektierte die WBF-Do eine Förderstrategie, die insofern auf neue Policy-Lösungen setzte, als sie kaum klassische Instrumente, insbesondere keine direkte Subventionierung von Unternehmen, aber auch keine von den lokalen Gegebenheiten auf Stadtteilebene entkoppelten betrieblichen Infrastruktur- und Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen beinhaltete. Vielmehr wurden ,sozialraumsensible' Instrumente ins Auge gefasst, die zugleich nachhaltig sein sollten. Dazu zählte z.B. die Förderung der Unternehmerselbsthilfe durch Bildung von Gewerbevereinen, die Bereitstellung von Beratungs-, Informations- und Qualifizierungsangeboten, die der spezifischen Betriebsstruktur in der "Nordstadt" angepasst waren, oder auch die Unterstützung der Kooperation von Stadtteilschulen und lokalen Betrieben im Bereich Ausbildung und Qualiftz.ierung (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 59-67). Das zentrale Projekt der "Förderung der lokalen Ökonomie" bestand in der Errichtung einer spezifischen lokalen Wirtschaftsförderungseinrichtung auf Stadtteilebene, des "Arbeits- und Wirtschaftsbüros Nordstadt" (awb). Das awb, dessen Leitung an einen privaten Träger delegiert wurde, hatte vor allem die Aufgabe, die Vernetzurig und Selbstorganisation der Nordstadtbetriebe zu initiieren. Dabei sollte das Büro als Antenne der kommunalen Wirtschaftsförderung auf Stadtteilebene gerade nicht zu einer Dauereinrichtung werden. Seine aufgrund eines entsprechenden Vertrags zwischen der Stadt und dem Träger zeitlich begrenzte Mission lag nach dem Willen der städtischen Verantwortungsträger vielmehr darin, die Nordstadtbetriebe auf mittlere Sicht für eine selbstständige Problemregelung und eigenständige Vertretung ihrer Interessen in den traditionellen Institutionen der lokalen Ökonomie zu mobilisieren. Damit sollte sich das awb "selbst überflüssig" (EI 18,
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
30.05.2006) machen, durch seine Arbeit also der Aktivierungsidee in der lokalen Stadterneuerungspolitik konkrete Geltung verschaffen. Auch mit dem sozialpolitischen Programmschwerpunkt ,,Aufbau von Bewohner getragenen Strukturen und Einrichtungen" verfolgte die Stadt eine gleichlautende Zielsetzung. Im Gegensatz zu vielen benachteiligten Stadtquartieren verfügte die Dortmunder "Nordstadt", wie oben erwähnt, schon zum Beginn des URBAN II-Programms über reichlich eigenes "Sozialkapital" in Form zahlreicher, z.T. Bewohner getragener Organisationen und sozialer Netzwerkstrukturen zur Bündelung stadtteilbezogener Policy-Aktivitäten. Ungeachtet dessen zeigten viele Bewohner geringes Interesse an einer aktiven gesellschaftlichen und/oder politischen Teilhabe in ihrem Stadtteil. Die Stadt führte diesen Umstand u.a. auf die soziale Zusammensetzung der "Nordstadt' und die Konzentration von "Modernisierungsverlierern" und Angehörigen sozialer Randgruppen zurück (EI 18, 30.05.2006). Ein wichtiges Ziel des lokalen URBAN II-OP bestand deshalb in der nachhaltigen Aktivierung der Bewohner. Auch in diesem Bereich setzte die Stadt dabei auf die Errichtung einer intermediären Einrichtung auf Stadtteilebene, nämlich des Quartiersmanagements, das in allen drei Quartieren der Nordstadt jeweils mit einem eigenen Büro vertreten sein sollte (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 74f.). Das Quartiersmanagement wurde von örtlichen Organisationen und Vereinen getragen und sollte im sozialen Bereich, ebenso wie das awb im Bereich der lokalen Ökonomie, eine temporäre Einrichtung darstellen. Es hatte nach dem Willen der Stadt primär die Aufgabe, die Bürger für eigenständiges gesellschaftliches Engagement zu gewinnen und im Stadtteil die bewohnergetragene Problem- und Konfliktlösung zu ermöglichen. Mit der Einrichtung eines Quartiersmanagements verfolgte die Stadt einen neuartigen Poliey-Ansatz im Bereich der lokalen Sozialpolitik. Die ausgleichsorientierte, auf der Gewährung personenbezogener Transferleistungen beruhende (lokale) Sozialpolitik sollte durch öffentlich unterstützte Selbsthilfe ergänzt werden. Diese Philosophie kam auch in weiteren Projekten des sozialpolitischen Programmschwerpunkts zum Ausdruck (z.B. in einem Projekt zur Integration von sozialen Randgruppen u.a, über die Bereitstellung spezifischer Beschäftigungsangebote; Dortmund/Düsseldorf 2001a: 69f.). Die Entwicklung und Erprobung von Poliey-Neuerungen stellte für Dortmund ein eigenständiges Programmziel im Rahmen von URBAN II dar. Allerdings nutzte die Stadt die Gelegenheit, die europäischen Fördergelder auch für die Realisierung bereits geplanter Projekte einzusetzen. Beispiele hierfür oder auch für Projekte, die zum Zeitpunkt des Beginns von URBAN II bereits in anderen Zusammenhängen, etwa im Rahmen des Dortmunder Programms "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" implementiert worden waren, stellten etwa gerade der Aufbau des "awb Nordstadt' und des "Quartiersmanagements" (Stadt Dortmund 2001: H. u. 5) dar. Die mit dem Vorschlag dieser Projekte einhergehende Mitnahme von Fördertnitteln nahmen die kommunalen Planern allerdings bewusst in
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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Kauf, da sich die entsprechenden Maßnahmen aus Sicht der Stadt in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich als innovativ und zudem als sinnvoll im Rahmen der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik erwiesen hatten (EI 18, 30.05.2006). Andere Instrumente stellten wiederum tatsächliche Policy-Innovationen dar. Dies galt beispielsweise für die Einrichtung von drei so genannten "Aktionsfonds" zugunsten der Nordstadt. Ziel dieses auf die Verbesserung der Partizipation der Bürger gerichteten Projekts war es, die Bevölkerung in die Lage zur selbstständigen Entscheidung über die Durchführung quartiersbezogener Kleinprojekte zu versetzen und auf diesem Wege bürgerschaftliche Verantwortung im Stadtteil zu stiften. Im Jahr 2004 bewilligte der Stadtrat die Schaffung von drei "Aktionsfonds" für die drei Quartiere innerhalb der "Nordstadt". Die Fonds hatten jeweils einen Jahresetat von 15.000 Eur0 47, wurden von den Quartiersbüros verwaltet und den Bürgern zur eigenständigen Gestaltung ihres Stadtteils zur Verfügung gestellt; die Stadtbetrachtete sie als "Experimentierfeld" (EI 18, 30.05.2006) für das Ziel der Bürgeraktivierung und Stärkung der Partizipation. Eine "Bürgerjury", deren Mitglieder anhand des Einwohnerregisters für die "Nordstadt" zufällig ermittelt worden waren, entschied hier mit Mehrheitsvotum über die Bewilligung von kleinen und Kleinstprojekten, die von Bewohnern der drei Bezirks-Quartiere vorgeschlagen werden konntenund bei dem Gremium beantragten (z.B. Aufstellung eines Containers zur Aufbewahrung von Spielgeräten neben einem Spielplatz). Insgesamt gelang es Dortmund mit Blick auf die politische Ziel- und Instrumentendimension der Wirkungen von URBAN II, die Grundideen des stadtentwicklungspolitischen Modells der EU-Kommission umzusetzen, d.h., die Idee des integrierten, gebietsbezogenen Politikansatzes und die Idee der Innovations- und Prophylaxe-Orientierung der einzelnen Projekte zur Gebietsrevitalisierung. Der Erfolg wurde der Stadt u.a. auch von der EU-Kommission bescheinigt (Ministerium für Bauen und Verkehr NRW 2006: 3). Die Realisierung der Idee des integrierten Politikansatzes zeigt sich dabei letztlich u.a, am Vergleich der ursprünglich geplanten Fördermittelzuteilung zu den einzelnen Programmschwerpunkten mit dem realen Ausgabenvolumen der Schwerpunkte gegen Ende des Implementationszeitraums. Die Gegenüberstellung des ursprünglichen Budgetentwurfs mit dem tatsächlichen Ausgabenvolumen in den vier Schwerpunkten des Dortmunder OP bis zum Jahr 2007 verdeutlicht, dass die Stadt ihre Finanzplanung mit lediglich marginalen Abstrichen einhielt. Ihr zufolge sollten ca. 44,8 Prozent der gesamten Fördersumme für Projekte zur "Förderung der lokalen Ökonomie" aufgewendet werden, weitere 27,8 Prozent in Projekte im Bereich der Stadtsanierung und Wohnumfeldverbesserung geleitet werden und ca. 20,7 Prozent in Projekte zugunsten
47 Dies entspricht je Aktionsfonds 0,42 Prozent der für den Zeitraum von 2001 bis einschließlich 2008 pro Jahr jeweils zur Verfiigung stehenden Summe an den gesamten Fördermitteln.
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
des Aufbaus "Bewohner getragener Strukturen" fließen (vgl. Tab. 9; Dortmund/Düsseldorf 2001b: Anlage 8; Dortmund/Düsseldorf 2008: 33f.). Zusammenfassend ergibt die Analyse der politischen Ziel- und Instrumentendimension des mit URBAN II erprobten Interventionsansatzes, dass es im Falle Dortmunds gerade die geringe Relevanz einzelner der in Kapitel 2 angeführten Faktoren zur Erklärung von Policy-Innovationen in regionalen oder lokalen Politikarenen war, die den Umsetzungserfolg in diesem Punkt ermöglicht hat. Vor allem zwei Faktoren können hierbei genannt werden. Erstens stellte sich für die kommunalen Akteure zu keinem Zeitpunkt die Frage der Motivation zur Innovation. Im Gegenteil, den Repräsentanten der Stadt sowohl in der Verwaltung als auch der Politik war daran gelegen, Dortmund unter den URBAN II-Städten als Innovations-Leader zu präsentieren (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 43; vgl. Ziesemer 2004: 159). Dieser Wunsch der Akteure hatte seine Grundlage in der Tatsache, dass die EU-Kommission mit der URBANInitiative und den hierin gebündelten Ideen zur Erneuerung der stadtentwicklungspolitischen Intervention in Dortmund gleichsam ,offene Türen einrannte'. Dies galt zunächst für die Verwaltung, d.h., zum einen die kommunale Verwaltungsspitze und hier insbesondere das Planungsdezernat, das die Bewerbung Dortmunds um die Teilnahme an der GI aktiv vorantrieb, und zum anderen auch die einschlägigen Fachämter (Stadtplanungsamt) sowie die Wirtschaftsförderung, von denen z.T. bereits seit den 1980er Jahren Impulse zur Politikintegration, Gebiets orientierung und Innovations- und Prophylaxe-Orientierung der kommunalen Policies ausgegangen waren, welche zur Sammlung entsprechender Erfahrungen geführt hatten. Es galt darüber hinaus aber auch - dies wurde an der oben zitierten Grundsatzzustimmung des Rates im November 2001 zum Programmentwurf der Stadtverwaltung deutlich - für die kommunale Politik. Neben der hohen Motivation der kommunalen Akteure war ein zweiter wesentlicher Faktor für die Realisierung eines integrierten Handlungsprogramms auch darin zu sehen, dass sich die restriktive Haushaltssituation der Stadt während der Implementation des URBAN II-Programms nicht negativ auf die angestrebten Policy-Innovationen auswirken konnte. Die Stadt konnte den Einfluss des Faktors finanzieller Ressourcenmangel als Umsetzungs- und damit potentielles Innovationshindernis von vornherein mit Unterstützung des Landes vermindern. So waren - dies verdeutlicht das folgende Zitat - die URBAN II-Projekte aufgrund der politischen ,Rückendeckung' durch das Land von der verschärften Haushaltskontrolle ausgenommen, der Dortmund aufgrund seiner hohen Verschuldung im Rahmen des normalen kommunalpolitischen Tagesgeschäfts unterlag: " ... und dann hatten wir für die Projektlaufzeit eine entsprechende Haushaltssicherung. Die har aber dabei keine Rolle gespielt, weil ganz klar definiert war, es gibt EU-Gelder, es gibt Landesgelder, die definitiv. Und Dortmund hat sich einmal darum bemüht und hat auch einen Beschluss gefasst, einen Eigenanteil zu bezahlen. Davon waren alle Aktivitäten (im Rahmen von URBAN
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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11;RR) betroffen, auch wenn ein Projekt jetzt neu gestartet wurde. Das war etwas, was man im normalen Verwaltungsablauf unter einem Haushaltssicherungskonzept ja nicht autonom machen kann. Diese Beschlüsse konnten gefasst werden, weil das von dem Haushaltssicherungskonzept durch die genannten Beschlüsse ja dann ausgenommen war, das muss man dazu sagen. Andere städtische Projekte, nicht aus URBAN 11,die neu geplant worden sind und wo investive Kosten entstanden sind, die wurden oder konnten einfach nicht aufgelegt werden." (El18, 30.05.2006)
Eine politische Debatte über den Nutzen der städtischen Finanzinvestitionen zur Ko-Finanzierung von URBAN II oder die Frage, ob die Stadt über eine ausreichende Finanzkraft verfüge, um eine solche Anstrengung zu schultern., war somit im Verlauf der ProgrammiInplementation nicht mehr angezeigt. Vor dem soeben dargelegten doppelten Hintergrund waren die Voraussetzungen für die Nutzung der GI URBAN II zur konzeptionell-inhaltlichen Neuausrichtung der lokalen Stadterneuerungspolitik in Dortrnund ausgesprochen günstig. Dieser Hintergrund trug allerdings gleichzeitig dazu bei, dass die insgesamt erfolgreiche Probe einer Neuausrichtung von einzelnen Policies z.T. dadurch getrübt wurde, dass auch Mitnahmeeffekte nicht ganz ausblieben. Nachfolgend richtet sich der Blick auf die politische Prozessdimension der Implementation von URBAN II, für die sich, wie zu zeigen sein wird, ähnliche Folgerungen ziehen lassen. 5.1.5.2
Politische Prozessdimension
Eine hohe Motivation der städtischen Akteure zum Wandel sowie eine funktionierende Kooperation zwischen Stadt und Staat (Land), die das Risiko des Wirksamwerdens von verflechtungsbedingten Blockaden von vorn herein minimierte, bildeten auch mit Blick auf die Umsetzung der verfahrensbezogenen Ideen des URBAN II-Modells eine günstige Ausgangssituation, zumal Dortrnund aufgrund seiner oben dargelegten lokal-korporatistischen Governance-Tradition gute Voraussetzungen für die Verwirklichung eines partizipativen und partnerschaftlichen Governance-Ansatzes mitbrachte. Die Verfahren, die in Dortrnund bei der Programmplanung und während der Implementation zur Anwendung kamen, erwiesen sich teils als Innovationen, teils wurden mit ihnen die existierenden Routinen reproduziert. Programmplanung Die URBAN II-Idee der partizipativen Planung von Stadtentwicklungsmaßnahmen war in Dortrnund bereits vor URBAN II ein fester Bestandteil im Repertoire der Prozessregeln in diesem kommunalen Handlungsfeld. Ein partnerschaftlicher Planungsansatz wurde hier im Sinne der im Städtebaurecht geregelten Anregung zur
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Beteiligung der von Sanierungs maßnahmen Betroffenen (BauGB § 137), aber auch im Sinne einer Mobilisierung der Bürger, Maßnahmenträger und relevanten gesellschaftlichen Akteure zur aktiven Teilhabe am lokalpolitischen Planungsprozess von einzelnen Stadterneuerungsprojekten praktiziert. Mit der europäischen GI war nunmehr allerdings die Möglichkeit verbunden, die Bewohner der "Nordstadt" und die einschlägigen lokalen Akteure nicht mehr nur an der Willensbildung über fachlich eingegrenzte Fragen der städtebaulichen Stadtteilsanierung und Wohnumfeldverbesserung partizipieren zu lassen, sondern ihnen vielmehr die Gelegenheit zur Teilhabe an der strategischen Planung eines fachlich breit gefächerten Entwicklungskonzepts für ihren Stadtteil zu geben. Die hiermit verbundene Chance für die Stadt zur exemplarischen Entwicklung entsprechender Beteiligungsverfahren und damit zur offensiven Wahrnehmung der beanspruchten Rolle als stadtentwicklungspolitischer Innovations-Leader ergriff Dortmund jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht. Anstelle dessen wurden die Bürger vermittelt über die intermediäre Struktur der "Projektkonferenz Nordstadt", die drei Jahre zuvor im Zusammenhang der Planung des städtischen Handlungsprogramms für die Landesinitiative "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" ins Leben gerufen worden war (Krummacher et al. 2003: 218), in den Planungsprozess eingebunden. Die lediglich indirekte Beteiligung der Bürger und Bewohner hatte wenigstens drei Gründe. So sah sich die Stadt zum einen fmanziellen Zwängen gegenübergestellt. Die Organisation von Bürgerbeteiligungsveranstaltungen in der Planungsphase kam für die Politik aufgrund des Mangels an fmanziellen Ressourcen, die für die Durchführung, Begleitung und Auswertung entsprechender Beteiligungsverfahren noch vor Beginn des erwarteten, jedoch ungewissen Fördermittelflusses hätten aufgewendet werden müssen, nicht in Frage (EI 1830.05.2006). Zweitens sah sich Dortmund hinsichtlich der Gestaltung des Planungsprozesses verfahrensbezogenen Zwängen von Seiten der Landesregierung ausgesetzt. Im Zusammenhang der Bewerbung um EU-Fördergelder aus der GI URBAN II hatte das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport NRW (MSWKS) als von der Landesregierung vorgesehene staatliche Verwaltungsbehörde (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 96f.) der Stadt Dortmund im Jahr 2000 die Vorgabe gesetzt, dass die Programmplanung mit einer bis auf Projektebene detaillierten Finanzierungsplanung verknüpft sein sollte (EI 42, 15.08.2008). Das Land als Hauptträger der Ko-Finanzierung europäischer Regionalpolitikprogramme, so auch der GI URBAN II (vgl.Tab. 9), wollte auf diese Weise ein möglichst hohes Maß an finanzieller Planungs sicherheit herstellen. Über die Vorgabe, die nicht zuletzt aus der schwierigen Haushaltssituation der Stadt Dortmund resultierte'", sollte das 48 Dortmund war wegen seiner hohen Verschuldung zum Zeitpunkt der Bewerbung um URBAN IIMittel einem Hausbaltssicherungskonzept unterworfen, war also faktisch nicht zu einer autonomen
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Ausgabenverhalten der Stadt bei der Durchführung der Initiative kontrollierbar gehalten werden. Darüber hinaus wollte das Land mit seiner Vorgabe von vorn herein einem eventuellen Verlust europäischer Fördermirtel vorbeugen, der angesichts der "n+2"-Regel der EU-Kommission zum Fördermittelabruf bei Verzögerungen im Programmierungs- und Implementationsprozess jederzeit drohte (MSWKS NRW 2003; EI 42 15.08.2008). Dies bedeutete allerdings auch, dass Dortmund den Prozess der Projektfindung noch vor Beginn der eigentlichen Implementation von URBAN II Ende 2001 vollständig abgeschlossen haben musste. Eine problembezogene, schrittweise Ergänzung des für die Revitalisierung der "Nordstadt" vorgesehenen strategischen Rahmenprogramms während der Implementation von URBAN II war damit - in diesem Punkt unterschied sich der Fall Dortmund von den Fällen Kiel und Le Havre - nicht mehr möglich. Drittens hatte die Zurückhaltung der Stadt hinsichtlich der Bürgerbeteiligung am Prozess der Programmplanung auch genuin städtische, mit den Interessen der kommunalen Akteure zusammenhängende Ursachen. So wollten die kommunalen Planer vermeiden, dass sich die Stadt bereits während des Programmierungsprozesses einem allzu großen Erwartungsdruck durch die lokale Bevölkerung aussetzte, der im Nachhinein, etwa im Falle der Ablehnung des Dorttnunder Antrags zur Teilnahme an URBAN II, auf Stadtteilebene zu entsprechenden Enttäu-schungen hätte führen müssen (EI 19, 01.05.2006). Außerdem hatten die lokale Politik und die Behörden zum Zeitpunkt der Bewerbung aber auch bereits konkrete Vorstellungen über die in der "Nordstadt" zu erreichenden Zielsetzungen entwickelt. Dies erklärt ebenfalls eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Idee einer direkten Bürgerbeteiligung an der Programmplanung. Zwar musste die Stadt aufgrund der erläuterten Landesvorgabe während der Implementation von URBAN II Abstriche an der Fähigkeit zur Steuerung der Nordstadtrevitalisierung hinnehmen. Ein Vertreter der Stadtverwaltung beklagte in diesem Zusammenhang im Nachhinein die dem gewählten Programmierungsweg innewohnende Steuerungsinflexibilität: ,,Ich würde mir wünschen, dass maximal auf Schwerpunktebene Programme aufgestellt werden und dass der Umsetzer, die Kommune, dazu in der Lage ist, im Laufe der Zeit Projekte neu zu kreieren und anzumelden. Weil es kann nicht sein, dass Programme auf fiinf Jahre gestrickt werden, wir also heute Projekte definieren müssen bis ins Kleinste durchdekliniert, wir laufen zweieinhalb Jahre und stellen dann auf einmal fest: wir haben ein völlig neues Problem im Stadtteil und wir können nicht mehr reagieren, weil keine Finanzressourcen mehr irgendwo flexibel zur Verfügung stehen." (EI 42, 15.08.2008)
Das im Zitat angedeutete Steuerungsdefizit nahm Dortmund jedoch gleichsam als ,kleineres übel' gegenüber der Aussicht in Kauf, während der Implementation Ausgabenpolitik in der Lage und musste sich jegliche Ausgaben von der staatlichen Kommunalaufsicht genehmigen lassen.
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seines Revitalisierungskonzepts für die "Nordstadt" Einschränkungen an der Verwirklichung der kommunalen Ziele für den Stadtteil hinnehmen zu müssen. Mit der Vorabfestlegung des städtischen URBAN II-Projekttableaus und der vorsorglichen Generalzustimmung zu den Projekten, die der Rat der Stadt dem OP im November 2001 erteilt hatte (Stadt Dortmund 2001), konnte Dortmund einerseits von vorn herein dem Risiko einer Ablehnung von Projektvorschlägen durch die Bezirksregierung als staatliche Kommunalaufsicht reduzieren; andererseits bestand ein für die Stadtführung willkommener Nebeneffekt darin, dass auf diesem Weg inhaltliche Reibungsverluste, die sich aufgrund von lokalpolitischen Differenzen über die Ziele des lokalen URBAN lI-Programms während seiner Implementation hätten ergeben können, von Anfang an minimiert werden konnten. Anstelle einer direkten Beteiligung der Nordstadtbewohner an der Programmierung und Projektierung entschloss man sich also für ein Verfahren, durch das die Bevölkerung der Nordstadt, vermittelt u.a. über die "Projektkonferenz Nordstadt", in die Programmplanung einbezogen war. Die Funktion der "Projektkonferenz", der u.a. auch "in der Nordstadt wohnende Vertreter der politischen Gremien und die ressortübergreifende Lenkungsgruppe der Verwaltung" (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 99) angehörten und die daher aus Sicht der Stadt geeignet war, eine angemessene Beteiligung der Bevölkerung des Programmgebiets" sicherzustellen (ebd.), war dabei klar eingegrenzt. Die "Konferenz" die hatte Aufgabe, im Anschluss an die (verwaltungsinterene) Sammlung von Projektideen und die Ermittlung möglicher Träger die von den städtischen Planern vorselektierten Projekte zu diskutieren, sie bewerten und gegebenenfalls Modifizierungsvorschläge zu machen (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 99). Im Gegensatz zu den Bürgern der "Nordstadt" wurden die betroffenen öffentlichen und privaten, freigemeinnützigen und kommerziellen Akteure im Stadtteil, die potentiell als Träger von einzelnen Maßnahmen in Frage kamen, intensiv in die Verfahren der Programmierung und gleichzeitigen Projektermittlung eingebunden. Das Programmplanungsverfahren an sich hatte neben einer vertikalen, die Koordination zwischen Stadt und Land betreffenden Komponente (diese war während des gesamten Planungs- und Implementationszeitraums bedeutsam für die Handlungsfähigkeit der Stadt) auch eine horizontal binnenadministrative Komponente und eine horizontale, die Koordination zwischen der Stadt und nichtstädtischen lokalen Akteuren betreffende Komponente. Alle drei Prozesskomponenten zeichneten sich durch ihren vorwiegend kooperativen Charakter aus. Dabei beinhaltete das Planungsverfahren die Fortsetzung von Verfahrensroutinen, die die Stadt zusammen mit einem bekannten Kreis von bestimmten Akteuren bereits im Zusammenhang anderer Programme eingeübt hatte. Ein erster Schritt im Rahmen der Programmplanung bestand in der Sammlung von Ideen für einzelne Revitalisierungsprojekte zugunsten der Nordstadt innerhalb der Stadtverwaltung selbst. Hieran waren neben dem Stadtplanungsamt
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und der Wirtschafts förderung, das Jugendamt, die städtische Immobilienwirtschaft, der Regiebetrieb Stadtgrün, das Umweltamt, das Schulverwaltungsamt, das Sozialamt, das Gesundheitsamt und das Amt für Statistik und Wahlen beteiligt (EI 18, 30.05.2006; Dortmund/Düsseldorf 2001a: 90-93). Die inneradministrative Abstimmung erfolgte als informelle, bilaterale Konsultation aller einschlägigen städtischen Fachämter und Eigenbetriebe durch die federführende(n) Behörde(n) und entsprach dem üblichen Verfahren in Dortmund. Sie hatre den Zweck, vor dem ersten Entwurf des kommunalen Handlungsprogramms durch das zuständige Stadtplanungsamt die in den einzelnen Fachverwaltungen bestehenden Interventionsbedarfe zu sondieren, die für die Programmierung notwendigen Informationen (z.B. über die soziale und wirtschaftliche Lage in der "Nordstadt'') zu sammeln und in der Verwaltung Kooperationspartner für die Übernahme von Projektträgerschaften oder die Beteiligung einzelner Ämter und/oder Betriebe an der Durchführung von Projekten zu gewinnen. Im Ergebnis hatte dies zur Folge, dass ein beträchtlicher Teil der Ideen für die zunächst 36 (später nur mehr 29) Projekte des Dortmunder URBAN lI-Programms bereits innerhalb der Stadtverwaltung entwickelt wurden (EI 18, 30.05.2006). Koordiniert wurde die inneradministrative Abstimmung der URBAN II-Programminhalte von einer "dezematsübergreifenden Begleitgruppe" unter der Leitung des Planungsdezernats. die u.a. die Leiter des Sozial- und des Rechtsdezemats beteiligte. Sie war für die Dauer der Umsetzung der GI auch für die politische Gesamtsteuerung verantwortlich (Stadt Dortmund 2001: 13f.). Neben der Ämterkonsultation stellte zweitens auch die Konsultation einer Reihe von betroffenen nicht-städtischen Akteuren einen wichtigen Schritt im Programmplanungsverfahren dar. Auch hierbei spielten Kooperationsroutinen eine Rolle. Da Dortmund sich die Entwicklung von Policy-Innovationen als eigenständiges Programmziel im Rahmen von URBAN II gesetzt hatte, war die Stadt im Falle der GI besonders auf die Zusammenarbeit mit den nicht-städtischen korporporativen Partnerakteuren und möglichen Projektträgern angewiesen. Vor diesem Hintergrund konsultierten das Stadtplanungsamt und die WBF-Do zwischen dem Zeitpunkt des Entschlusses der Stadt zur Bewerbung im Frühjahr 2000 und dem Zeitpunkt der Genehmigung des Dortmunder OP durch die EU-Kommission im Herbst 2001 mehr als 45 überregionale, städtische und im Stadtteil verankerte Institutionen, Organisationen, Akteursnetzwerke sowie auch die Vertreter anderer deutscher und europäischer Städte (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 90-94). Zu den städtischen oder auf Stadtteilebene verankerten Akteuren zählten dabei vor allem Vertreter jener Institutionen, Organisationen und Gruppen, die bereits im Kontext früherer Pro-gramme zur Nordstadtsanierung und -entwicklung als Partner der beteiligten städtischen Behörden fungiert hatten. Daher stieß das Verfahren, auch wenn es ein breites Akteursspektrum mobilisierte, auf die Kritik sowohl des Rates der Stadt als auch mancher Akteure auf Stadtteilebene. So sahen
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sich einzelne Ratsmitglieder von der Verwaltung über den Programmierungsprozess und die geplanten Projekte nicht immer ausreichend informiert (ILS NRW/ AGB 2003: 47) und beklagten einzelne Interessenträger innerhalb der "Nordstadt", die nicht zum Kreis der ursprünglich konsultierten Akteure gehört hatten, eine zu geringe Offenheit der Verwaltung gegenüber möglichen neuen Kooperationspartnern und frischen Ideen (EI 21, 02.06.2006) . Das Verfahren zur Beteiligung der nicht-städtischen Akteure an der Programmierung und Projektierung von URBAN II nahm zwei Formen an. Zum einen führten die kommunalen Programmplaner z.T. mehrmals bilaterale Gespräche mit Vertretern der einschlägigen Gruppen, um direkt Träger für einzelne Projekte zu gewinnen. Zum anderen - dies betraf vor allem die Projekte im Schwerpunktbereich "Förderung der lokalen Ökonomie" sowie das Projekt des Aufbaus eines "Quartiersmanagements" - führte die Stadt mit betroffenen Unternehmen und potentiellen Trägern mehrere Workshops durch, in denen die jeweiligen Projektideen zunächst weiterentwickelt wurden (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 92; EI 18, 30.05.2006). Auf dieser Grundlage führte die Stadt sodann einen überlokalen Wettbewerb durch, um die Projektträger zu ermitteln. Neben dieser Form der direkten bilateralen Koordination mit der Stadt waren zahlreiche Projektträger und Interessengruppen über ihre Mitgliedschaft in den diversen lokalen, teils fachbezogenen Beratungsplattformen und -foren zur Entwicklung der "Nordstadt" in den Programmplanungsprozess eingebunden (EI 18, 30.05.2006). Angesichts der Vorgabe der Landesregierung, wonach der Prozess der Projektfindung vor dem eigentlichen Implementationsbeginn abgeschlossen sein musste, standen das Stadtplanungsamt und die WBF-Do in den Jahren 2000 und 2001 unter einem hohen zeitlichen Druck. Dieser ergab sich auch aus dem Wunsch der kommunalen Politik, den Programmstart nicht unnötig zu verzögern. Vor diesem Hintergrund standen die kommunalen Planer vor zwei gleichermaßen problematischen ,Versuchungen'. Zum einen bestand die Versuchung, das OP mit Projektideen und Instrumentenvorschlägen zu füllen, die bereits seit langem auf der kommunalpolitischen Agenda standen und bis zum Zeitpunkt der europäischen Förderung mangels finanzieller Ressourcen der Stadt nicht hatten realisiert werden können (Mitnahme). Beispiele hierfür stellten etwa die Projekte "awb Nordstadt" und Quartiersmanagement dar. Zum anderen verleitete die Existenz eines hohen Zeitdrucks in Komhination mit einer Unsicherheit über angemessene Projekte und Problemlösungsansätze in einzelnen Schwerpunkt- und Maßnahmenbereichen zu einem Planungsverhalten, mit dem die Programmkonzeption gleichsam nach unten weitergereicht, also Problemlösungsvorschläge auch auf die Gefahr einer inhaltlichen Überfrachtung des Programms hin (Voelzkow 1999: 115f.) bei den Programmaclressaten selbst gesucht wurden. Zwar erfolgte die Projektplanung unter den Vorzeichen
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vorab von der Politik formulierter strategischer Schwerpunktsetzungen und Ziele der Stadtführung, jedoch herrschte hier Verunsicherung über die ,richtigen' oder ,notwendigen' Maßnahmen in einzelnen Schwerpunktbereichen. Dies wiederum begünstigte in der Tat ein Verhalten des Projektshopping (EI 18,30.05.2006) Im Ganzen spiegelte das geschilderte Verfahren eine weitgehend pfadabhängig gestaltete Planung und Projektierung von URBAN 11 wider. Es lässt sich zusammenfassend sich als ein weitgehend auf die Verwaltung zugeschnittener bzw. von dieser gesteuerter Ansatz charakterisieren, denn es stellte vorrangig eine Mischung aus städtisch kontrolliertem Agenda-Setting und gelenkter Beteiligung ausgewählter Träger und Institutionen dar. Eine Abweichung von diesem lokalkorporatistischen Verfahrensmodus verfolgte die Stadt bei der Rekrutierung der Träger im Falle der beiden kostenintensivsten Projekte, der Errichtung des awb Nordstadt und der drei Quartiersmanagementbüros. Hier wählte Dortmund den für die lokale soziale Stadtentwicklungspolitik neuen Ansatz eines offenen Trägerwettbewerbs (Dortmund/Düsseldorf 2003: 9 u. 17). Insgesamt stand die Stadtverwaltung der Verfahrensidee des Wettbewerbs im Zusammenhang der sozialen Stadtteilentwicklung auch gegen Ende der Implementation von URBAN 11 reserviert gegenüber, was ein Mitarbeiter der Stadt mit dem hohen Organisationsaufwand entsprechender Verfahren für an sich kleine Projekte sowie mit dem Hinweis auf die Gefahr einer unzureichenden Nutzung des örtlichen Sozialkapitals begründete (EI 42, 15.08.2008). In dem gewählten Planungsverfahren kam vor allem der Wille der städtischen Verantwortungsträger zum Ausdruck, vorhandene Erfahrungsbestände möglichst effektiv für die Planung zu nutzen und zugleich knappe Ressourcen optimal einzusetzen. Dass man dabei einzelnen Akteuren auf Stadtteilebene nicht vollständig gerecht werden konnte und die Bürgerbeteiligung reduzieren musste, wurde unter den gegebenen Umständen, aber auch angesichts des erklärten städtischen Zielhorizonts für die "Nordstadt" ebenso in Kauf genommen, wie die gelegentliche Tendenz zur Deformation der URBANVerfahrensideen. Programmimplementation Knüpfte Dortmund in der Phase der Programmplanung an die bis dato praktizierten Routinen zur (sozialen) Stadtentwicklungsplanung an, so erwies sich auch für die Phase der Implernentation als hilfreich, dass die Stadt bei der Umsetzung der beiden zentralen verfahrensbezogenen Ideen des europäischen URBAN-Modells verstärkte direkte Bürgerbeteiligung, partnerschaftliche Politiksteuerung und Aufgabenerbringung - sowohl Verfahrensbestände fortsetzte als auch gezielt diesen Ideen entsprechende Neuerungen erprobte.
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Die Bürger, d.h., vorrangig die Bevölkerung der "Nordstadt" selbst, waren in die Durchführung und Steuerung von URBAN II auf zweierlei Weise involviert. Zunächst hatten sie die Gelegenheit, sich an der Willensbildung und Entscheidungsfindung über die konkreten Inhalte der einzelnen Sanierungs- und Aufwertungsprojekte zu beteiligen. Grundsätzlich orientierten sich die städtischen Behörden an der zuvor geübten Praxis im Zusammenhang der gesetzlich geforderten "frühzeitig(en)" Erörterung (§ 137 BauGB) konkreter Bau- oder Sanierungsmaßnahmen mit den Betroffenen. Im Falle einzelner Sanierungsprojekte entwickelten sie allerdings zusätzlich neue Beteiligungsansätze zur Ergänzung dieser Routinen und zu ihrer experimentellen Anpassung an die spezifischen Herausforderungen der Partizipation in der Nordstadt. Insbesondere ging es darum, die Motivation der Bürger und Betroffenen zur Beteiligung zu steigern und die Mitwirkungsbereitschaft, die vor dem Hintergrund einer langjährigen "Stigmatisierung des Stadtteils" (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 6) nachgelassen hatte, zu "aktivieren". Hierbei konnten die Behörden z.T. auf Ideen aus früheren Sanierungsprojekten in dem Problemgebiet als Ausgangspunkte Bezug nehmen (EI 42,15.08.2008). Das Problem beispielsweise, dass ein Teil der "Nordstadt"-Bürger die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit Vertretern der kommunalen Institutionen vermied oder in diesem Rahmen die Artikulation der eigenen Meinung scheute, versuchte die Stadt durch spezifische Verfahren zu bewältigen, die sich durch geringe Beteiligungshemmnisse auszeichneten. Nahm das planungspolitische Beteiligungsverfahren üblicherweise die Form einer "Frontalveranstaltung" an, bei der die Bürger und Betroffenen im Rahmen einer stadtteilöffentlichen Versammlung in der zuständigen Bezirksvertretung von der Verwaltung über die geplante Sanierungsmaßnahme informiert wurden und Gelegenheit zur Meinungsäußerung, Kritik und Äußerung von eigenen Vorschlägen hatten (EI 42, 15.08.2008), so versuchte man im Zusammenhang mehrerer URBAN II-Sanierungsprojekte die dieser Verfahrensform für manche Bürger innewohnenden Beteiligungshürden bewusst zu senken. Dies sollte zum einen über die Durchführung von neuartigen informelleren Verfahren, die sich einfach in die regulären planungspolitischen Verfahren integrieren ließen, gelingen. Ein Beispiel hierfür stellt etwa die Durchführung von mehreren losen Gesprächsrunden dar, in denen sich Vertreter der Verwaltung mit den Betroffenen eher informell über bestimmte Baumaßnahmen austauschten ~,Bauwagengespräche'') (EI 42 15.08.2008). Zum anderen sollte die Beteiligungsbereitschaft der Bürger der Nordstadt" an den städtebaulichen Planungsverfahren durch das gezielte Setzen von Beteiligungsanreizen, z.B, in Form der Organisation von projektbezogenen "Ideenworkshops", gelingen (Dortmund/Düsseldorf 2006: 5). Ein Nachteil dieser Verfahren bestand darin, dass sie in der Durchführung kosten- und personalintensiv waren und sich daher weniger einfach in die regulären Stadtplanugsverfahren übernehmen ließen.
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Weiterhin gab es Ansätze dazu, die Bürgerbeteiligung in der "Nordstadt" allgemein zu steigern. Zu diesem Zweck enthielt das Dortmunder URBAN II-Programm mehrere Projekte, die die Stärkung der Partizipation der Stadtteilbürger an sich zum Gegenstand hatten. Dabei lag die Zielsetzung der Stadt nicht etwa darin, die Gebietsbevölkerung zur stadtteilbezogenen "Gegenmacht"-Bildung (Krätke/Schmoll 1987) zu befähigen. Vielmehr ging es darum, Partizipation i.S.v. bürgerschaftlichem Engagement für die Bevölkerung (wieder) attraktiv zu machen und den Bewohnern, darunter insbesondere den schwerer erreichbaren Bevölkerungsgruppen (z.B. Migranten), durch "niederschwellige" (Dortmund/Düsseldorf 2003: 15), z.T. gruppenspezifische Teilhabeangebote die Möglichkeit zum direkten oder vermittelten Einüben von nachbarschaftlichem Engagement und Verantwortung zu eröffnen. Dortmund entwickelte und erprobte in diesem Kontext mehrere neue Verfahrensansätze. Dabei lässt sich anhand entsprechender Projektbeispie1e verdeutlichen, welche grundsätzlichen Schwierigkeiten mit der Herausforderung verbunden waren, die Bevölkerung des benachteiligten Stadtgebiets innerhalb der vergleichsweise kurzen Dauer der Laufzeit der GI für eine anhaltende Beteiligung und die Selbstregelung von Stadtteilproblemen zu gewinnen. Außerdem traten auch in diesem Zusammenhang das Problem des teils hohen Aufwands zur Durchführung neuartiger Partizipationsverfahren und damit die grundsätzliche Frage der nachhaltigen Wirksamkeit der EU-Anreizpolitik auf. Eine Herausforderung für die Stadt Dortmund bestand darin, Verfahren zu finden, mit denen vor allem die ausländische Bevölkerung in unterschiedlichen Politikfeldem, so z.B, der Wirtschafts förderung oder der Schulpolitik, stärker oder überhaupt für eine Beteiligung im Stadtteil gewonnen werden konnte. Allgemein kam den Behörden dabei das dicht entwicklete Netz an Stadtteilakteuren zugute. In dem für die soziale Integration der (ausländischen) Bevölkerung im Fördergebiet wesentlichen Bereich der Schulpolitik beispielsweise brachten die Behörden auf Anregung und in Zusammenarbeit mit einzelner Stadtteilinstitutionen, wie den Schulen, und mit engagierten Einzelakteuren (z.B. Schulleiter, Eltern) z.B. das Projekt "Elterncafes" auf den Weg"9. Es beinhaltete die Organisation regelmäßiger Treffen von Eltern (zumeist Mütter) mit und ohne Migrationshintergrund zum gegenseitigen Austausch in den Räumlichkeiten ausgesuchter Schulen sowie Erziehungsberatung für die Eltern der Kinder und Jugendlichen im Stadtteil. Die Stadt selbst, aber auch die zur zweiten Halbzeitbewertung beauftragten Evaluatoren bewerteten die Maßnahmen durchweg als erfolgreich, "gelungen" (Dortmund/Düsseldorf 2008: 25) und "modellhaft" (URBANO 2005: 36). Dabei sprach auf den ersten Blick bereits die quantitative Erfassung der vom Jugendamt in dieDie Stadtverwaltung Dortmund berichtete beispielsweise, dass allein im Jahr 2007 in den sechs Elterncafes in einzelnen Nordstadtschulen ,,534 Gruppengespräche zu erziehungsbezogenen Themen" und "ca. 1.000 Beratungsgespräche" mit einzelnen Eltern sowie eine Reihe von Betei1igungsangeboten für Eltern durchgeführt wurden (Dortmund/Düsseldorf 2008: 24).
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sem Rahmen durchgeführten Beratungen für einen Erfolg. Darüber hinaus konnte die Stadt vor allem die Tatsache als Erfolgsausweis verbuchen, dass es gelungen war, Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren und zur Beteiligung anzuregen, die bis dato schwer erreichbar waren, so einen Teil der zahlreichen Migranten in der "Nordstadt". Die positiven Erfahrungen mit dem zunächst aufwendigen Projekt wirkten sich dahingehend aus, dass die Stadt seine Fortsetzung über die Laufzeit von URBAN II hinaus anstrebte (EI 42,15.08.2008). Bei anderen Projekten mit vergleichbarer Intention war eine längerfristige Fortsetzung über das Ende der europäischen GI hinaus hingegen fraglich. Dies betraf z.B. das Projekt der Errichtung von drei ,,Aktionsfonds", die es den Bürgern der drei Quartiere der "Nordstadt" ermöglichten, eigenständig über die Finanzierung von Kleinstprojekten zur Stadtteilaufwertung zu entscheiden, die die Gebietsbevölkerung bei einer eigens eingesetzten Bürgerjury beantragten (vgl. Kap. 5.1.5.1). Zwar werteten die lokalen Behörden selbst das Projekt als "kleine Erfolgsstory" (EI 18, 30.05.2006), da hiermit eine rege Betei1igungsnachfrage erzielt worden war (ebd.), allerdings stieß das Projekt auch auf Kritik. Manch ein Beobachter wies daraufhin, dass die Maßnahme zur Lösung des eigentlichen Beteiligungsproblems in der "Nordstadt" im Rahmen der traditionellen repräsentationsdemokratischen Beteiligungsverfahren wenig beitragen könne: "Es ist einfach nicht repräsentativ, wenn da von der Straße ein paar Leute einfach ausgelost werden und die sollen dann repräsenrative Bürgerschaftsvertreter sein. (... ) Und die normale politische Beteiligung ist natürlich weiterhin sehr gering. Die geringste in der ganzen Stadt hier im Stadtteil" (EI 21, 02.06.2006)
Ein problematischer Aspekt blieb darüber hinaus die Frage der dauerhaften Finanzierbarkeit der Aktionsfonds nach dem Auslaufen der URBAN II-Förderung (EI 42, 15.08.2008). Das Projekt verdeutlichte gleichzeitig, dass die Aktivierung endogener bürgerschaftlicher Potentiale in benachteiligten Stadtgebieten, ungeachtet kurzfristiger Erfolgsmöglichkeiten, auf Dauer nicht ,zum Nulltarif bewerkstelligt werden kann. Neben der geziehen Herstellung von Partizipationsanreizen setzte die Stadt zur Stätkung der Bürgerbeteiligung auf mittelbare Mobilisierungsinstrurnente. So führte sie während des gesamten Zeitraums der Programmlaufzeit eine breit angelegte Kampagne zur Information über die "Nordstadt" durch. Damit (z.B. mit dem Verteilen von Flyern, gezielten Presseinformationen oder der finanziellen Unterstützung von Veranstaltungen wie Stadtteilfesten) sollten die spezifischen Stärken des benachteiligten Bezirks der Dortmunder Bevölkerung insgesamt, aber auch der Stadtteilöffentlichkeit näher gebracht werden, um so eine verbesserte Identifikation der Bewohner mit der Nordstadt zu erreichen. Die "Imageverbesserung" des Fördergebiets betrachtete die Stadt als eine zentrale Säule des lokalen URBAN II-
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Programms und eine Grundvoraussetzung zur dauerhaften Aufwertung des benachteiligten Stadtteils. Gegen Ende der Programmlaufzeit mussten die Behörden allerdings bilanzieren, dass die finanziell aufwendigen Anstrengungen zum Erreichen dieser Zielsetzung lediglich teilweise Früchte getragen hatten. Aus Sicht der Stadt war es gegen Ende der URBAN II-Förderung gelungen, die Wahrnehmung der Nordstadt durch ihre Bewohner zu verbessern. Demgegenüber konstatierte man, dass das Negativimage, das die "Nordstadt' innerhalb der Gesamtstadt, bei der Lokalpresse und auch bei potentiellen Investoren, Wohnungsmietern oder käufern genoss, fortbestand (EI 42, 15.08.2008). Insgesamt warf das Ziel der Umsetzung der Ideen der Bürgerbeteiligung und Aktivierung grundsätzliche Probleme auf, die innerhalb der vergleichsweise kurzen Dauer der Laufzeit von URBAN II kaum lösbar erschienen. Dies in Verbindung mit dem Ziel der Stadt und der Landesregierung, URBAN II in Dortmund zu einem Modellfall für die Governance der sozialen Stadtentwicklung in NRW zu machen, begünstigte im Einzelfall - dies zeigt sich etwa an den ,,Aktionsfonds" eine Neigung der lokalen Akteure zur Produktion kurzfristiger Erfolge. Die finanzielle Förderung der sozialen Stadtteilentwicklung in Dortmund trug an anderen Punkten - dies zeigt sich an Projekten wie den "Elterneafes" - aber durchaus auch zur Hervorbringung innovativer Beteiligungsansätze mit Potential zur selbst tragenden Fortsetzung bei, so dass sich die anreizbasierte Strategie der EUKommission zur Policy-Innovation und zum Politiktransfer in diesem zum Teil als wirksam erwies. Neben der Bürgerbeteiligung und -aktivierung bestand die zweite zentrale verfahrensbezogene Idee des URBAN-Modells darin, die Entscheidungsprozesse im Zusammenhang der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik und auch die Durchführung von Policy-Maßnahmen künftig auf die Grundlage einer "soliden lokalen Partnerschaft" (Kommission der EG 2000: 9) der Kommune mit den einschlägigen gesellschaftlichen und privaten Akteuren zu stellen. URBAN II sollte zur verstärkten Ausrichtung der kommunalen Intervention am Ziel einer regelmäßigen öffentlich-privaten Koordination beitragen und die städtische Koordinationsf:i.higkeit und -bereitschaft verbessern helfen. Da im Falle Dortmunds der Prozess der Projektfindurig bereits vor Beginn der eigentlichen Programmimplementation abgeschlossen worden war (vgl. Kap. "Programmierung''), ging es während der Implementation nicht mehr darum, den bis dahin üblichen lokal-korporatistischen Verfahrensmodus zur Projektierung von lokalen Stadtentwicklungsprogrammen anzupassen und die entsprechenden Entscheidungsprozesse für einen breiteren Akteurskreis zu öffnen. Die wesentlichen Entscheidungen zur Projektauswahl waren vor der Programmimplementation bereits gefällt worden. Daher fiel es den städtischen Behörden und insbesondere der Stadtführung leicht, während der Programmimplementation ein Verfahren zu praktizieren, das die konsultative Einbindung wichtiger und/oder betroffener
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(Stadtteil-) Akteure in die Steuerung der Nordstadtrevitalisierung auf Basis des lokalen URBAN II-Programms ermöglichte. In diesem Zusammenhang rief das Planungsdezernat im Mai 2003 den "Konsultationskreis Nordstadt" (KoNo) ins Leben (vgl. Abb. 4). Dieser setzte sich aus den betroffenen städtischen Dezernenten, den Mitgliedern der "Projektkonferenz Nordstadt" und den Vertretern des Quartiersmanagements sowie des awb Nordstadt zusammen. Der Kreis trat monatlich zusammen und sollte der von der EU-Kommission angeregten lokalen Partnerschaft während der Implementation des URBAN II-Programms ein Gesicht geben. Die Mitglieder des KoNo berieten unter der wechselnden Leitung des Planungs- und des Sozialdezernats über aktuelle Probleme in der Nordstadt und waren über die inhaltliche Mitgestaltung und Modifizierung einzelner Aufwertungsprojekte an der Steuerung der Programmimplementation beteiligt. Dabei hatte der KoNo auch eine symbolische Funktion, denn seine Mitglieder trafen sich ,auf höchster Ebene' im Rathaus. Damit konnte die Stadtführung symbolisch den Stellenwert zum Ausdruck bringen, den sie der Kooperation mit den betroffenen und interessierten Akteuren im Zusammenhang der Programmsteuerung beimaß (EI 20, 01.06.2006). Kooperation als zentraler Verfahrensmodus der lokalen sozialen Stadtentwicklugnspolitik spielte zudem auch in der Frage der Durchführung von Policy-Maßnahmen eine bedeutende Rolle. In diesem Zusammenhang sollte die Bildung öffentlich-privater Partnerschaften (PPP) die Projektimplementation und die künftige Art und Weise der Erbringung öffentlicher Aufgaben dominieren. Die Idee, bei der Finanzierung kommunaler Aufgaben und der Erfüllung kommunaler Funktionen stärker auf PPPs zu bauen, entsprach angesichts der schwierigen Finanzlage Dortmunds bereits seit den frühen 1990er Jahren einer grundsätzlichen Zielsetzung der Stadt (Stadt Dortmund 2004: 21). Unter diesen Vorzeichen stimmten die städtischen Verantwortungsträger darin überein, dass auch die Implementation der URBAN II-Projekte soweit wie möglich partnerschaftlich, und d.h. auf dem Wege der vertragsbasierten, zeitlich begrenzten Delegation von Policy-Aufgaben an nicht-städtische und nicht-öffentliche Partner, erfolgen sollte (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 5). Dass diese Zielsetzung bis gegen Ende der Programmlaufzeit im Jahr 2008 weitgehend realisiert werden konnte, verdeutlicht sich zunächst anhand eines Blicks auf die Projektträgerstruktur. Den Großteil der 29 letztlich implementierten Einzelprojekte trug nicht die Stadt selbst (d.h., die fachlich einschlägigen Ämter oder auch kommunale Eigenbetriebe) oder andere öffentliche Träger, sondern sie lagen in den Händen von privaten oder freigemeinnützigen Trägerorganisationen mit Verankerung auf Stadtteilebene oder mit gesamtstädtischem Handlungsradius. Zum Beginn der Programmimplementation im Jahr 2001 traf dies auf 12 der zu diesem Zeitpunkt bereits gestarteten 15 Projekte zu, zum offiziellen Abschluss des URBAN II-Programms im Jahr 2006 hatten 18 von 29 Projekten einen nicht-öffentlichen Träger (eigene Berechnung auf Basis der Durchführungsberichte 2001-2007; vgl. Dort-
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mund/Düsseldorf 2002, 2003, 2004, 2006, 2008). Zwar ist die Beteiligung nichtöffentlicher Träger an der kommunalen Politik nicht bereits an sich ein Ausweis für die Bereitschaft der Kommune zur Erneuerung eingefahrener Verfahrensroutinen der stadtentwicklungspolitischen Governance, zumal dann nicht, wenn die Beteiligung vorwiegend die bekannten Kooperationspartner der Kommune einschließt (z.B. Kammern, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen). Im Falle von URBAN II kamen in Dortmund neben den ,üblichen Verdächtigen' allerdings auch neue Partner zum Zuge. Dieser Erfolg bei der Umsetzung der Partnerschaftsidee im Kontext der Aufgabenerbringung hatte unterschiedliche Hintergründe und war insgesamt nicht ungetrübt. Erstens stand die Stadt Dortmund von Seiten des Landes und hier des Bauministeriums (MSWKS) informell unter einem gewissen Erwartungsdruck, die GI URBAN II tatsächlich als eine Gelegenheit zur beispielhaften PolicyErneuerung zu nutzen. Die rot-grüne Landesregierung, die im Jahr 2000, kurz vor dem Beginn von URBAN II, im Amt bestätigt worden war, und insbesondere das Bauministerium fanden im Ideenspektrum der europäischen Initiative eine Bestätigung der eigenen Politikziele für die soziale Stadtentwicklung, die ihrerseits mit dem 1993 von der SPD-Landesregierung ins Leben gerufenen Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" verknüpft waren. Dies betraf sowohl die Vorstellungen des Landes zum Politikansatz als auch die Idee zur Verfahrensgestaltung und zur Organisation des kommunalen Handelns. Daher teilten das MSWKS und die Landesregierung insgesamt das Ziel der Stadt, mit URBAN II einen landesweiten Modellfall für ,gute Governance' der sozialen Stadtteilentwicklung zu schaffen und die GI als Gelegenheit zur Hervorbringung von ,,innovative(n) Strategien und Projekten mit Pilotcharakter" zu nutzen (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 43). Vor diesem Interessenhintergrund nahm das Land während der Programmimplementation weniger die Rolle eines kontrollierenden, die Stadt bei der Programmimplementation hierarchisch bevormundenden "Gatekeepers" ein (Bache 1999; Tofarides 2003). Vielmehr agierte es als unterstützender ,Türöffner' für die Realisierung städtischer Projekte. Dies kam z.B. darin zum Ausdruck, dass die Landesregierung schon während der Programmplanung und sodann auch während der Implementation immer wieder die Bereitschaft signalisierte, den bürokratischen, z.T. eng gezogenen Rahmen der eigenen Verwaltungsvorschriften im Feld der Strukturförderpolitik flexibel zu handhaben. Die für kommunale Haushaltskontrolle zuständige Bezirksregierung wiederum orientierte sich an der Politik des Landes und erteilte entsprechende Ausnahmegenehmigungen, sofern im Zusammenhang einzelner URBAN-Projekte etwa wegen ihres integrierten Charakters Abweichungen von fachbezogenen Verwaltungsmodalitäten notwendig wurden (EI 18, 30.05.2006). Zugleich erwartete das Land ein dementsprechendes Engagement der städtischen Verantwortungsträger im Sinne der Ziele der landeseigenen sozialen Stadtentwicklungspolitik. Die städtischen Akteure be-
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kundeten allerdings von sich aus im OP und während der Durchführung von URBAN II ihren Willen zum inhaltlichen, verfahrensbezogenen und organisatorischen "Lesson-Drawing" (Rose 1991). Dies wurde z.B. daran deutlich, dass die Stadt erstens während der gesamten Programmlaufzeit gezielt die Unterstützung wissenschaftlicher Forschungs- und Beratungseinrichtungen suchte und diesen bewusst einen breiten, über die von der EU definierten Vorgaben hinausreichenden Evaluationsauftrag erteilten (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 93; Dortmund/Düsseldorf 2002: 21f.). Zweitens begünstigte die Tatsache, dass auf Stadtteilebene eine Reihe von Akteuren existierten, die pro-aktiv Beteiligung an der Programmimplementation einforderten und der Stadt von sich aus Angebote zur Durchführung von Aufwertungsprojekten in der ,,Nordstadt" machten, das Gelingen der partnerschaftlichen Aufgabenerbringung im Rahmen der Imp1ementation von URBAN II. Die Bereitschaft der lokalen Träger, zur Implementation von URBAN II mit der Stadt zu kooperieren, beschrieb ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung wie folgt: "Vor allem die freien Träger, die in der Nordstadt ja schon viel früher tätig waren, waren natürlich sehr aktiv und rege. Nachdem sie gehört haben, dass die Stadt Dortmund sich für das URBAN II-Programm bewerben will, haben die von sich aus bereits viele Anträge gestellt und Projekte fortnuliert, die dann quasi verfeinert worden sind in der Stadtverwaltung und die dann auch in das Operationelle Programm mit eingeflossen sind." (EI 18, 30.05.2006).
Drittens allerdings gelang es der Stadt ungeachtet der intensiven Kooperation mit einem breiten Spektrum von Akteuren nicht, im Zuge der Implementation von URBAN II auch die traditionellen Partner der lokalen Stadtentwicklungspolitik (z.B. der Kammern, Großunternehmen) für die übernahme von Verantwortung hinsichtlich der Erbringung von Stadtentwicklungsaufgaben in der "Nordstadt" zu gewinnen. Generell blieb die Koordination mit diesen Akteuren, die vorrangig im Interventionsbereich der Wirtschaftspolitik und -förderung als Partner der Stadt fungierten, schwach (URBANO 2005: 38; EI 42, 15.08.2008). In der zusammenfassenden Gesamtbetrachtung kann festgehalten werden, dass Dortmund die Gelegenheit der europäischen GI mit Blick auf die beiden verfahrensbezogenen Grundideen des URBAN-Modells auch für Innovationen nutzte. Dabei hat die Implementationsanalyse gezeigt, dass entsprechende Verfahrensneuerungen im Zusammenhang der Programmplanung und -implementation keinen abrupten Wandel beinhalteten, sondern vielmehr die pfadabhängige Weiterentwicklung bereits praktizierter oder erprobter Governance-Formen. Hinsichtlich insbesondere einzelner Verfahren zur verstärkten Bürgerbeteiligung blieb am Ende des Untersuchungszeitraums fraglich, ob Dortmund die Innovationen - zumal, wenn diese mit (hohen) Kosten verbunden waren (z.B, Durchführung von Imagekampagnen) - auch unter ,normalen' kommunalpolitischen Rahmenbedingungen,
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d.h., ohne den Hintergrund intensiver öffentlicher Förderung, würde fortsetzen können. 5.1.5.3
Politisch-administrative Strukturdirnension
Neben der Anregung von Policy-Innovationen und Verfahrensneuerung strebte die EU-Kommission im Rahmen ihrer Stadtentwicklungspolitik mit URBAN 11 auch die Anregung von politisch-administrativen Strukturneuerungen in den geförderten Städten an (Kommission der EG 2000: 9f.). Die bestehenden administrativen Strukturen sollten hier überprüft und URBAN 11 gegebenenfalls als Gelegenheit für die Entwicklung eines "kreative[n] Konzept[s] für Stadtmanagement' (ebd.: 9) genutzt werden. Dabei sah die Kommission ein Erschwernis der Kapazität von Städten zur ,witksamen' i.S.v. problemangemessenen stadtentwicklungspolitischen Intervention in einer zu starken Zentralisierung der Stadtentwicklungspolitik insgesamt (Europäische Kommission 2003: 16). Und ein weiteres Erschwernis diesbezüglich sah sie in der häufig mangelhaften Koordination der lokalen Behörden untereinander, die sich in vielen Mitgliedstaaten aufgrund der vielfach vorherrschenden bürokratischen Tradition einer fachbezogen versäulten Strukturierung der Verwaltungen ergab (vgl. z.B. Conzelmann 1998: 5) In Dortmund sahen weder der OB noch die Ratsmitglieder zum Beginn des Imp1ementationszeitraums von URBAN 11 die Notwendigkeit für Strukturinnovationen oder -anpassungen. Im Gegenteil, angesichts der Erfahrung der Verwaltung und insbesondere des Planungsdezernats und des Stadtplanungsamtes mit integrierten Handlungsprogrammen bestand ein Grundanliegen der Dortmunder Stadtführung darin, für die Implementation der europäischen GI die vorhandenen Organisationsressourcen zu nutzen und auch keine verwaltungsstrukturellen Neuerungen zu entwickeln: "Für die verwaltungsseitige Durchführung des Programms werden Strukturen genutzt, die bereits im Kontext bestehender Stadtteilentwicklungsansätze etabliert wurden" (Dortmund/Düsseldorf 2001b: 16). Die Stadt ließ sich bei dieser Entscheidung von pragmatischen Überlegungen leiten. So sollten zum einen die Programmimplementation und Entwicklung von Policy- und Verfahrensinnovationen nicht durch mögliche interne Konflikte mit negativen Folgen für die Koordinationsfähigkeit der Verwaltung behindert werden, die im Falle einer Neustrukturierung stets drohten (EI 42, 15.08.2008). Zum anderen war das Interesse am Experimentieren mit innovativen Steuerungs- und Verwaltungsstrukturen im Bereich der (sozialen) Stadtteilerneuerung insgesamt gering. Man versprach sich angesichts der Existenz der zahlreichen Gesprächsforen und Koordinarionsgremien zur Revitalisierung der "Nordstadt" und der bereits engen Beziehungen der Stadt zu den gesellschaftlichen und privaten Akteuren und Interessenträgern im Stadtteil keine weitere Verbesserung der Koordinationsfähigkeit
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durch zusätzliche verwaltungsinterne Strukturanpassungen (Dortmund/Düsseldorf 2001a: 5). Darüber hinaus bestand schließlich eine Überlegung darin, dass nicht knappe Ressourcen für Veränderungen an einer verwaltungsseitigen Steuerungsstruktur verwendet werden sollten, die im Zusammenhang des Landesprogramms "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" errichtet worden war und "sich [aus städtischer Sicht; RR] bewährt" hatte (Dortmund/Düsseldorf 2001b: 14). Diese Struktur wiederum war zweistufig angelegt (vgl. ebd.). Auf der oberen Ebene lag die Federführung und politisch--administrativeVerantwortung für die Programmimplementation insgesamt in Händen des Planungsdezernenten. Dieser führte den Vorsitz in der bereits erwähnten ressortübergreifenden "Lenkungsgruppe" aus Vertretern der einschlägigen Dezernate und Stellen des Planungs-, Rechts-, Sozial-, Kulturdezenernats, des Amtes für Presse- und Öffentlichkeitesarbeit und der WBF-Do (Dortmund/Düsseldorf 2001b: Anlage 5). Ein Zweck der Gruppe war es, "wichtige Absrimmungsvorgänge direkt zwischen verantwortlichen Vertretern der einzelnen Dezernate" zu behandeln (Dortmund/Düsseldorf 2001b: 14). Ein weiterer, damit verbundener Zweck war es, auf der obersten städtischen Führungsebene den politischen Rückhalt sicherzustellen, der Voraussetzung für das programmkonforme Handeln der betroffenen Fachverwaltungen war. Auf der unteren, operativen Ebene der städtischen Ämter und Betriebe wiederum war eine eigens eingerichtete "Koordinierungsgruppe" für die Bündelung der verwaltungsinternen Kooperation, den Kontakt mit den lokalen und Stadtteilakteuren und Projektträgern und damit insgesamt für die Verwirklichung des integrierten Stadtentwicklungsprogramms zuständig (ebd.), Die Arbeit der Amter-Koordinierungsgruppe wurde zusätzlich durch das bei der WBF-Do angesiedelte "URBAN II Team" ergänzt. Damit sollte der Stellenwert, den die Wirtschaftsförderung für die Stadt im Zusammenhang der europäischen Initiative hatte, von Anfang an auch organisatorisch abgebildet werden (EI 18,30.05.2006). Das "URBAN lI-Team übernahm eigenständig, doch in enger Abstimmung mit dem Planungsamt, die Organisations-, Koordinations- und Steuerungsaufgaben im Interventionsbereich "Förderung der lokalen Ökonomie". Erwies sich diese Struktur trotz ihrer hohen Komplexität zunächst als funktionsfähig, so musste die Stadt bereits Ende des Jahres 2003 im Zuge der Halbzeitbewertung des URBAN lI-Programms durch einen externen Evaluator und die EU-Kommission einige grundlegende Veränderungen vornehmen. Der Grund hierfür waren weniger Mängel der Koordinationsfähigkeit der Verwaltung als vielmehr Verfahrensdefizite bei der Implementation einzelner Projekte, die von der EU-Kommission bemängelt worden waren (Rat der Stadt Dortmund, 13.05.2004). Vor diesem Hintergrund wurde erstens die dezernatsübergreifende ,,Lenkungsgruppe" in den neu geschaffenen, städtische und gesellschaftliche Akteure und Interessenträger in der "Nordstadt" vereinenden "Konsultationskreis Nordstadt' (KoNo) überführt. Mit diesem Schritt sollte der hohe Absrimmungsbedarf
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zwischen der Stadtführung, der Politik und den Kooperationspartnern der Stadt im Rahmen von URBAN II wie im Feld der sozialen Stadtentwicklungspolitik insgesamt verbessert werden. Dies hatte sich angesichts der parallelen Existenz zweier an der Gesamtsteuerung der Progtammimplementation beteiligter Gremien, der dezernatsübergreifenden "Lenkungsgruppe" und der "Projektkonferenz Nordstadt", zuvor mitunter als schwierig erwiesen. Zweitens wurden die beiden in getrennter Verantwortung agierenden, jedoch intensiv kooperierenden Verwaltungseinheiten, die "Koordinierungsgruppe" beim Stadtplanungsamt und das "URBAN II-Team", aufgelöst. Sie gingen in der neu errichteten "Projektgruppe URBAN II" auf, die formal dem Planungsdezernenten unterstellt war (vgl. Abb. 4). In dieser insgesamt 15 Mitarbeiter umfassenden Querschnittseinheit waren neben Vertretern der weiterhin federführenden Stellen, des Planungsamtes und der Wirtschaftsförderung auch Vertreter des Jugendamtes, des Schulverwaltungsamtes und des Umweltamtes sowie der Stadtkämmerei zusammengezogen. Damit wurde die Idee des integrierten Politikansatzes formal auf eine neue, breitere institutionelle Grundlage gestellt. Diese Sttukturanpassungen stellten verwaltungsorganisatorische Neuheiten dar. Dies galt insbesondere für die übergreifende, Ämter und Betriebe integrierende "Projektgruppe". Die neuen Strukturen waren dabei zumindest teilweise 'aus der Not geboren', so dass von Anfang an Zweifel an ihrer "Dauerhaftigkeit" über die Laufzeit von URBAN II hinaus bestanden. Dabei erwies sich vor allem die "Projektgruppe URBAN II" im weiteren Verlauf der Implementation des Programms für die "Nordstadt", nicht nur aus der Perspektive der hier zusammengezogenen Mitarbeiter, als ein "sinnvoller" Schritt zur Verbesserung der kommunalen Steuerungsfähigkeit im Bereich der sozialen Stadtteilerneuerung (EI 42, 15.08.2008). Auch die Stadtführung und der Rat teilten diese Bewertung gegen Ende des Untersuchungszeitraums. Sie machten dies u.a. mit ihrer Zustimmung zur zweiten Halbzeitbewertung der Progtammimplementation im Jahr 2005 deutlich. Hierin hatte der externe Evaluator festgestellt, dass die skizzierten Veränderungen "wesentlich zu einer vereinfachten und beschleunigten Kooperation aller beteiligten Ressorts" (URBANO 2005: 29) beitrugen und von den lokalen Akteuren als ein "deutlicher Fortschritt wahrgenommen" wurden (ebd.: 30). Gegen Ende des Förderungszeitraums dachte die Stadt daher über eine Verstetigung der beschriebenen Strukturneuerungen und ihre Integration in die reguläre städtische Verwaltungsorganisation nach, nicht zuletzt auch deshalb, weil man beabsichtigte, das mit URBAN II gewonnene Wissen über den integrierten Ansatz nach 2008 zum Ausgangspunkt für die stadtentwicklungspolitische Intervention zugunsten weiterer benachteiligter Stadtteile zu verwenden und den Ansatz in das Spektrum der regulären stadtentwicklungspolitischen Interventionsansätze der Kommune einzugliedern (EI 42, 15.08.2008). Konktet war daher beabsichtigt, eine
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der "Projektgruppe URBAN 11" entsprechende Gruppe dauerhaft als eigene Verwaltungseinheit beim Stadtplanungsamt einzurichten (EI 42,15.08.2008). Ursprünglich nicht geplante Anpassungen nahm Dortmund im Laufe der Implementation aber nicht nur mit Blick auf die gesamtstädtische stadtentwicklungspolitische Steuerungsarena vor. Konkret betraf dies die beiden zwischen gesamtstädtischer und Stadtteilebene angesiedelten Vermitrlungsstrukturen, das Quartiersmanagement und das Stadtteilbüro zur Wirtschaftsförderung. Wie oben dargelegt wurde, handelte Dortmund bei der Implementation von URBAN 11 auf Basis der Idee, wonach anstelle einer direkten, z.B. finanziellen Intervention zugunsten der Aufwertung der benachteiligten Nordstadt das endogene wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungspotential im Stadtteil mobilisiert und die Bürger für die selbst geregelte Entwicklung ihres Lebensumfelds gewonnen werden sollten. Die Ausrichtung der eigenen Rolle an der Aktivierungsphilosophie brachte die Stadt zum einen über den weitgehend partnerschaftliehen Vollzug der URBAN 11Projekte zum Ausdruck. Zum anderen brachte sie die Zustimmung zu dieser Interventionsphilosophie über die Errichtung der drei "Quartiersbüros" und des ,,Arbeits- und Wirtschaftsbüro (awb) Nordstadt" zum Ausdruck. Mit dem Ansatz, die Mobilisierung der stadtteileigenen sozialen und ökonomischen Entwicklungspotentiale zwei von privaten bzw. freigemeinnützigen Organisationen getragenen Einrichtungen zu übertragen und diesen dabei einen zeitlich begrenzten Handlungsauftrag zu erteilen, setzte die Stadt ein Signal zugunsten der Aktivierungsidee. Das Aufkommen einer ,übertriebenen Erwartungshaltung' gegenüber der Stadt unter den Bewohnern des Fördergebiets oder einer ,Subventionsmentalität' unter den ansässigen Betrieben sollte auf diese Weise von vornherein vermieden werden (EI 18, 30.05.2006; EI 19,31.05.2006; EI 20, 01.06.2006). Vielmehr erwartete die Stadt - dies bringt die folgende Aussage eines Mitarbeiters der "Projektgruppe URBAN 11" auf den Punkt -, dass die Arbeit der drei Quartiersbüros und des "awb Nordstadt' zur Bildung dauerhaft "selbsttragender Strukturen", die die beiden Vermitrlungsstrukturen arn Ende der Laufzeit des URBAN lI-Programms ablösen konnten, beitragen sollte: "Wir haben z.B. dem awb Nordstadt gesagt: Euer Ziel ist es, dass ihr euch überflüssig macht Da sind wir auf gutem Weg, denn es sind entsprechende selbsttragende Strukturen geschaffen worden: Gewerbevereine, Untemehmervereine." (EI 18, 30.05.2006)
Sowohl den Quartiersbüros als auch dem "awb Nordstadt" gelang es während der Implementation von URBAN 11, mit einschlägigen Projekten Impulse zum Aufbau entsprechender Strukturen, wie z.B. der im Zitat angesprochenen Gewerbevereine zur Selbstorganisation und Interessenvertretung der kleinen Gewerbetreibenden in der "Nordstadt", zu setzen. Auch wurden diese Neuerungen nicht nur von der Stadt selbst, sondern auch von unterschiedlichen nicht-kommunalen Beobachtern als ein Erfolg des URBAN lI-Experiments der EU-Kommission in Dortmund
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bewertet (Dortmund/Düsseldorf 2008: 45; EI 20, 01.06.2006; URBANO 2005: 37; Ministerium für Bauen und Verkehr [MBV] 2006: 3). Allerdings war der in dem Zitat ebenfalls zum Ausdruck kommende Optimismus verfrüht. So war es bereits im Jahr 2006 für manche Akteure fraglich, ob die Aktivierungsansätze der Quartiersbüros, des awb Nordstadt und auch anderer Träger sowie der Stadt selbst dauerhaft in eine hinreichende, sich selbst tragende bürgerschaftliche und unternehmerische Organisationbasis zur eigenständigen Bearbeitung der Quartiersprobleme münden konnten. Sowohl das "awb" als auch das Quartiersmanagements und einzelne Projektträger bekundeten Skepsis bezüglich der Rückzugsmöglichkeiten der Kommune aus der finanziellen und organisatorischen Unterstützung der Stadtteilarbeit und forderten zugleich die Fortsetzung des städtischen Engagements ein: "Das Thema lokale Ökonomie ist gerade bei den klassischen Trägem noch nicht so richtig angekommen, z.B. bei den Kammern. (...) Ich würde begrüßen, wenn die städtische Wirtschaftsförderung das Thema lokale Ökonomie in sich aufnimmt und Ansätze weiterführt, Z.B. um die Netzwerkarbeit fortzuführen. Es wäre gut, dass es weiterhin vor Ort ein oder zwei Mitarbeiter auf Stadtteilebene gibt. Grundsätzlich glaube ich, dass das sinnvoll wäre, auch wenn klar ist, dass das bei zwölf Stadtteilen dann schon eine an Personalkapazität von zwanzig bis 24 Personen gebunden wäre, aber dennoch sinnvoll." (EI 19, 31.05.2006)
"Es gibt in der Stadt einen Konsens darüber, dass das Quartiersmanagement wei-tergefiihn werden muss. Dass die Trägervereine das selbst weiterführen ist allerdings utopisch, denn die sind freigemeinnützig." (EI 20, 01.06.2006)
Gegen Ende der Programmlaufzeit musste die Stadt erkennen, dass eine Aufgabe der finanziellen Förderung der mit URBAN rr geschaffenen intermediären Strukturen, die erzielten Erfolge in der "Nordstadt" mittelfristig gefährden konnte. Diese Hoffnung zerschlug sich auch daher, weil es der Stadt während der Programmimplementation weder gelungen war, in größerem Umfang private KoFinanzierungsmittel zugunsten der sozialen Stadtteilentwicklung zu akquirieren (vgl. Tab. 9). Noch war es ihr gelungen, bis zum Ende des Förderungszeitraums potente, nicht-kommunale Träger für eine Übernahme der geschaffenen Strukturen zu gewinnen, auch wenn einzelne einschlägige Akteure, wie z.B, private Wohnungsbaugesellschaften, ein Interesse an der Fortführung namentlich des Quartiersmanagements bekundet hatten (EI 42, 15.08.2008). Außerdem gelang es nicht, im Bereich der Förderung der lokalen Ökonomie, dem zentralen Standbein der entwicklungsorientierten Dortmunder Revitalisierungsstrategie für die "Nordstadt", die traditionellen Akteure der kommunalen Wirtschaftsfördemng für die Stadtteilarbeit zu mobilisieren. Seitens der Kammern blieb das Interesse, das eigene Beratungs- und Qualifiziemngsangebot auf die spezifischen Bedürfnisse der Nordstadtbetriebe auszudehnen, bis zum Ende der Laufzeit des Dortmunder URBAN II-Programms gering (URBANO 2005: 38).
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Da die Stadt die in langjähriger Förderung erzielten Fortschritte bei der wirtschaftlichen Regenerierung und sozialen Revitalisierung des Fördergebiets nicht gefahrden wollte, sah man sich mithin zur Fortsetzung der Finanzierung des Quartiersmanagements (EI 42, 15.08.2008) und zur Errichtung einer eigenen Organisationseinheit der stadtteilbezogenen Wirtschafts förderung veranlasst (Westfälische Rundschau 2005). Offen blieb dabei angesichts der schwierigen Haushaltslage Dortmunds die Frage, inwieweit die Verstetigung dieser beiden Steuerungsstrukturen durch die Stadt selbst tatsächlich eine nachhaltige Lösung darstellte. Ein Mitarbeiter in der "Projektgruppe URBAN II" brachte die Situation folgendermaßen auf den Punkt: "Man muss jedes einzelne Projekt insbesondere vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit bewerten. Das muss man von vom herein auch gleich sagen, ohne private Finanzierung wird es in Dortmund in der Form solche Projekte in Zukunft nicht mehr geben." (EI 18, 30.05.2006)
Insgesamt zeigt der Blick auf die politisch-administrativen Struktur-Dimension, dass die Erfahrungen im Rahmen der Implementation von URBAN II hier zwar dazu beigetragen hatten, Innovationen hervorzubringen, dass die Frage ihrer Nachhaltigkeit am Ende jedoch offen blieb. Sowohl interne Faktoren - vor allem die städtischen Finanzprobleme - als auch die Art und Weise, wie es zur Innovation gekommen war - ohne die vorab ausgesprochene Motivation der kommunalen Entscheidungsträger zu entsprechenden Reformen -, nähren diesbezüglich Zweifel.
5.1.6
Schlusifolgerungen
Für den Fall Dortmund können mit Blick auf die Ausgangsfrage nach den Tiefenwirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik und des damit verbundenen Transfersziels auf die lokalstaatliche Intervention zugunsten benachteiligter Stadtgebiete drei Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens zeigt sich, dass der Ansatz der EU-Kommission zur Anregung stadtentwicklungspolitischer Innovationen in den Mitgliedstaaten und Städten und zum Politiktransfer in Dortmund selektiv zur Hervorbringung von Neuerungen beigetragen hat. Die Stadt nutzte das europäische Förderprogramm URBAN II insbesondere zur Entwicklung und Erprobung von neuen Policy-Instrumenten, die, gemessen am zuvor eingesetzten Instrumentarium, zusätzliche neue Chancen zur Bearbeitung des Segregationsprob1ems und zur Aufwertung des benachteiligten Fördergebiets eröffnen sollten. Im Vordergrund stand dabei die übergreifende Idee, die endogenen, eigenen Entwicklungspotentiale in der "Nordstadt" im Sinne der wirtschaftlichen Regeneration und Verbesserung der sozialen Situation in dem benachteiligten Gebiet optimal einzusetzen. Verfahrens- und vor allem auch orga-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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nisationsstrukturelle Innovationen waren vor diesem Hintergrund in dem Maße Bestandteil des städtischen Zielkatalogs für URBAN II, als sie der Verwirklichung dieser übergreifenden Policy-Idee dienen konnten. Entsprechend dieser Idee wiederum zielte die Instrumentenentwicklung vorrangig darauf ab, eine Aktivierung oder Mobilisierung eben dieser Stadtteilpotentiale zu ermöglichen. Insbesondere in den Interventionsbereichen der "Förderung der lokalen Ökonomie" und der "Soziale[n] Integration benachteiligter Gruppen" erprobte Dortmund neue Instrumente, die an den spezifischen wirtschafts- und sozialstrukturellen Ausgangsbedingungen der "Nordstadt" ansetzten und auf die besonderen Herausforderungen im Fördergebiet zugeschnitten waren. Die Hervorbringung instrumenteller Neuerungen, dies lässt die Fallstudie erkennen, war u.a. der ausgeprägten Bereitschaft der kommunalen Verantwortungsträger in Politik und Verwaltung zum Policy-Lernen und "Lesson-Drawing" (Rose 1991) geschuldet. Zugleich profitierte die Stadt aber auch von der Existenz günstiger innerer und exogener Rahmenbedingungen: z.B. die politische und administrative Rückendeckung der städtischen Akteure durch das Land und die Bezirksregierung, der vom zuständigen Landesbauministerium ausgehende informelle Druck, URBAN II als Gelegenheit für die Innovation stadtentwicklungspolitischer Policy-Lösungen zu nutzen und, auf städtischer Ebene, die Existenz eines breitgefächerten Spektrums nicht-kommunaler Akteure, die - eingebunden in entsprechende Netzwerke - von sich aus teils seit langen Jahren an der Revitalisierung der "Nordstadt" arbeiteten. Diese Bedingungen waren letztlich mitentscheidend dafür, dass es im Dortmunder Fall gelang, im Rahmen von URBAN II instrumentelle Innovationen im Sinne der Modellvorstellungen der EUKommission zu produzieren. Eine zweite Schlussfolgerung bezieht sich auf die Natur des zumindest kurzfristig festgestellten Wandels. Die Fallstudie offenbart, dass die URBAN IIInitiative in Dortmund nicht zur Initialzündung für ,radikale' Anpassungen der zuvor eingeübten Interventionspraktiken und -muster im Bereich der sozialen Stadtentwicklungspolitik oder auch der binnenadministrativen, organisatorischstrukturellen Grundlagen der lokalen Politiksteuerung in diesem Bereich wurde. Diejenigen Instrumente, Verfahren und neu errichteten Strukturen ohne ,kommunale Vorgeschichte' oder institutionellen Ankerpunkt (z.B. der ,,Aktionsfonds" zur Aktivierung von mehr Bürgerbeteiligung oder die ämterübergreifende "Projektgruppe URBAN II" zur Verbesserung der kommunalen Steuerungsfähigkeit im Zusammenhang mit dem integrierten Politikansatz) erschienen am Ende des Untersuchungszeitraums als (vorerst) kurzlebige Neuerungen, die zum spezifischen Zweck der Implementation der europäischen Gemeinschaftsinitiative geschaffen worden waren. Freilich war der zeitliche Horizont der Untersuchung - erwartungsgemäß (Sabatier 1993: 119f.) - zu kurz, als dass an dieser Stelle valide Aussagen über die tatsächliche Beharrungskraft oder Wandlungsfahigkeit bestehender Institutionen getroffen werden könnten. Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang
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5.1 URBAN II in Dortmund: Gelegenheit zur Weiterentwicklung von Bewährtem
nämlich auch, dass die Teilnahme Dortmunds an URBAN II den kommunalen Akteuren als eine Gelegenheit diente, um die bereits davor, z.B. im Rahmen des Landesprogramms "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf", eigenständig geschaffenen prozeduralen und/oder strukturellen Neuerungen weiterzuführen und z.T. auch inkrementeIl weiterzuentwickeln. Ein Beispiel hierfür ist die Partnerschaft der Stadt mit nicht-kommunalen Akteuren auf gesamtstädtischer und Stadtteilebene, die schon vor URBAN II in Form diverser Netzwerkstrukturen bestanden hatte. Während der Implementation der europäischen GI wurde sie im neu geschaffenen "Konsultationskreis Nordstadt" verstetigt. Als ein zweites Zwischenergebnis kann vor diesem Hintergrund festgehalten werden, dass die kommunalen Akteure zur pfad abhängigen Fortsetzung bereits erprobter Instrumente und Verfahren sowie zur Weiterverfolgung bereits selbstständig eingeleiteter Strukturreformen neigten. Dieses Ergebnis weist im Übrigen über den Dortmunder Fall hinaus. Der pfadabhängige Umgang mit den EU-Anforderungen bezüglich der Ziel-, Instrumenten-, Verfahrens- und Strukturierungsinnovation im Rahmen von URBAN II stellte ein typisches Verhaltensmuster der kommunalen Verantwortungsträger in allen drei untersuchten Städten dar. Als zentral mit Blick auf den Fall Dortmund kann in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass das Festhalten an bekannten bzw. erprobten Interventionspraktiken und -strukturen den Willen der kommunalen Entscheidungsträger widerspiegelte, Bewährtes als Ausgangspunkt zur Entwicklung von Neuem zu nutzen, also zur ,,isomorphen" (Berry/Berry 2007: 230f.) und dabei wiederum "mimetischen" oder nachahmenden Anpassung z.B. im Anschluss an wissenschaftliche Beratung (DiMaggio/Powell 1983: 157). Angesichts knapper Finanzressourcen war dieses Verhalten rational, zumal der vom Staat respektive dem Land vorgegebene Handlungsrahmen die Stadt zu einer entsprechenden Strategie hinführte und dabei teils auch die "Inszenierung" von Innovation begünstigte. Drittens schließlich taucht die Fallstudie den stadtentwicklungspolitischen Ansatz der EU-Kommission und die ihm zugrunde liegende Philosophie zur Erneuerung bzw. Aufwertung krisengeschüttelter Stadtteile an sich in ein ,fahles' Licht. Im Falle Dortmunds teilten die kommunalen und auch die beteiligten staatlichen Akteure die mit der URBAN II verbundene Idee einer entwicklungsorientierten, integrierten struktur-, wirtschafts- und sozialpolitischen Förderstrategie des Staates, also die wettbewerbsstaatliche Interventionsphilosophie. Die Aktivierung der eigenen Handlungs- und Problembearbeitungspotentiale von Individuen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Betrieben auch und gerade in benachteiligten Stadtgebieten wurde als ,echte Alternative' zur primär ausgleichsorientierten umverteilenden Intervention zugunsten benachteiligter Räume erachtet. Unabhängig vom Vorhandensein dieser reformbegünstigenden Voraussetzung angepasster Handlungsorientierungen der zentralen Akteure an die von der EU-Kommission vertretene Philosophie blieb am Ende der Laufzeit von URBAN II gleichwohl
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ungewiss, ob ein Rückzug der Kommune auf eine die gesellschaftliche Selbstregelung in der "Nordstadt" aktivierende und moderierende Rolle als Modell für eine künftig stabile wohnstrukturelle, ökonomische und soziale Entwicklung des Problemstadtteils dauerhaft hinreichend sein würde. Obwohl Dortmund bereits von günstigen Ausgangsbedingungen aus in die Umsetzung der mit dem URBANModell verbundenen Interventionsideen gestartet war, waren die Selbstregelungspotentiale im Fördergebiet am Ende der Laufzeit von URBAN II noch nicht derart gefestigt, dass die "Nordstadt" und ihre Bewohner ,auf eigenen Beinen' stehen konnten. Außerdem blieben bei den Akteuren Zweifeldaran bestehen, dass dies auf dieser Grundlage dauerhaft gelingen konnte. Im nachfolgenden Kapitel wird die Implementation von URBAN II in Kiel analysiert. Damit wird die Wirkung der EU-Stadtentwicklungspolitik für den Fall einer Stadt untersucht, die sich gegen Ende der 1990er Jahre in einer ähnlichen Ausgangssituation wie Dortmund befand, die Implementation der europäischen GI jedoch unter ungünstigeren internen und exogenen Rahmenbedingungen antrat.
5.2 URBAN 11 in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen Kiel, die an der Ostsee gelegene Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein (SB), gibt als Hafenstadt, traditioneller Werftstandort und Marinestützpunkt ebenso wie Dortmund in vielerlei Hinsicht ein typisches Beispiel für den Verlauf der Stadtentwicklung in den altindustrialisierten Großstädten Westdeutschlands seit dem Einsetzen des ökonomischen Strukturwandels ab Mitte der 1970er Jahre ab. .Ähnlieh wie in anderen Städten wirkten sich auch hier die Entwicklungsprobleme, die die Stadt ab Ende der 1970er Jahre zu gewärtigen hatte, u.a. in der städtischen Raumentwicklung aus. Im Jahr 2000 bewarb sich Kiel mit einem seiner Problemgebiete, dem Ostufer-Stadtgebiet, um die Teilnahme an URBAN II. Zum Bewerbungszeitpunkt hatte Kiel, ähnlich wie Dortmund, wenn auch mit deutlich kürzerem zeitlichen Horizont, erste Erfahrungen mit dem von der EU vertretenen Ansatz der integrierten Stadtentwicklung sammeln können. In der schleswigholsteinischen Landeshauptstadt war dies vorwiegend im Rahmen der europäischen GI URBAN I geschehen, an der Kiel zwischen 1997 und 1999 mit einer zum späteren URBAN II-Fördergebiet nahezu identischen Gebietskulisse teilgenommen hatte. Ab 1999 partizipierte die Stadt außerdem zunächst mit einem und ab 2000 mit zwei Fördergebieten im Rahmen des schleswig-holsteinischen Städtebauförderungsprogramms an der Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt". Hier kam es ab dem Jahr 2000 zu Überschneidungen der Gebietskulissen des nationalen und des europäischen Programms. Wie in den zwei anderen Fallstudien auch, werden nachfolgend einzelne Etappen der Kieler Stadtentwicklung bis zum Beginn der 1970er Jahre (5.2.1) so-
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
wie die kommunale Stadtentwicklungspolitik zugunsten des Fördergebiets seither nachgezeichnet (5.2.2),die sozio-ökonomischen Ausgangsbedingungen im OstuferStadtgebiet erläutert (5.2.3) und die Hauptakteure der lokalen (sozialen) Stadtentwicklungspolitik vorgestellt (5.2.4). Sodann folgt die Studie der Implementation von URBAN II und ihrer Wirkungen auf die lokalstaatliche Intervention im Bereich der sozialen Stadtentwicklungsförderung (5.2.5). 5.2.1
Etappen derlokalen Stadtentwicklungspolitik
Zum Zeitpunkt seiner Bewerbung um die Teilnahme an URBAN II zählte Kiel 229.044 Einwohner (Landeshauptstadt [LHS] Kiel 2007c). Damit rechnete die Stadt zur Gruppe der größeren deutschen Städte mit einer Bevölkerungszahl von mehr als 200.000 Einwohnern (Deutscher Städtetag 2001: 8 u. 28f.). Stadtentwicklung und.Asfba« derIndusmeslnlkturbisin die 1970erJahn
Kiels Entwicklung zur modernen Großstadt vollzog sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem zweifachen Hintergrund der industriellen Revolution und der militärischen Aufrüstung des deutschen Kaiserreichs. Nachdem die Stadt 1865 zunächst preußischer Flottenstützpunkt und 1871 Reichskriegshafen geworden war, kam es auf dem Ostufer der Kieler Innenförde (vgl. Karte 2, Nr. 12-18) seit den 1870er Jahren zur Gründung dreier Großwerften der Germaniawerft, der Kaiserlichen Werft und der Howaldtswerke (Killisch/Stewig 1983: 83-85), die fortan zu den zentralen Arbeitgebern der Stadt zählten. In ihrem Umfeld entstanden Zulieferbetriebe im Maschinenbau und in der Elektrotechnik, den beiden Hauptindustriezweigen Kiels neben dem Schiffbau. Parallel zu dieser Entwicklung wuchs die Stadtbevölkerung zwischen 1871 und der Jahrhundertwende um circa das Dreifache an, von knapp 31.800 auf mehr als 100.000 Einwohner. Bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 1942, erreichte Kiel schließlich mit 306.452 Einwohnern seinen bislang höchsten Bevölkerungsstand (LHS Kiel 2007c). Dabei hatte die Stadt in derselben Zeit eine Vervierfachurig ihrer Fläche erlebt (Endruweit 2001: 118f.; Kellmann 2003: 279)
TiefaIwirkuogen? Implemcntatian von URBAN TI in drei europäischen Städtt:n
Karn 2:
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Kieler Stadtbezirke (Fördetgebiet: 16, 17 und 18)
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Qu.eIIe: Landeshauptstadt Kiel2007d: 3.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die stark zerstörte Stadt nur allmählich an die wirtschaftliche Blüte der Vorkriegsjahre anknüpfen. Erst ab 1951 nahm die nach 1945 einzig verbliebene Kieler Großwerft, die Howa1dtswerke, den Betrieb wieder auf (Rathjens 2005: 100). Damit setzte zugleich der ökonomische Wiederaufstieg der Stadt ein. Neben dem weiteren Ausbau des Industriestandorts entwickelte sich Kiel dabei zu einem regionalen Dienstleistungszentturn mit Schwerpunkten in den privatwirtschaftlichen Bereichen des Kredit- und Versicherungswesens und des Einzelhandels sowie im Bereich der öffentlichen Aufgaben- und Leistungserbringung. So war Kiel als traditionelle Universitiitsstadt, schleswig-holsteinische Landeshauptstadt (seit 1946) und - ab 1956 nach Gründung der Bundeswehr - erneut als Marinestützpunkt Standort zahlreicher öffentlicher Einrichtungen und damit Aufgabenttäger (Ludwig 2002: 52). Das Nachkriegswachstum war mit einem neuerlichen Verstädterungsschub verbunden. Die Bevölkerung wuchs bis 1961 auf einen vorläufigen Nachkriegshöchststand von rund 272.000 Einwohnern an (IRS Kiel 2007c). Dabei zog es vor dem Hintergrund des gesteigerten Arbeitskriiftebedarfs der Werft- und Industriebetriebe im Ostufer-Gebiet zahlreiche Arbeiter, darunter - ähnlich wie im Falle Dortmunds - viele südeuropäische ,Gastarbeiter' in die Hafenstadt. Sie fanden in
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätten, auf dem Ostufer, vergleichsweise günstigen Wohnraum und ließen sich daher vielfach dort nieder (LHS Kiel 1986b: 40f.). In den späten 1970er Jahren geriet der Wirtschaftsstandort Kiel in den Sog der weltweit einsetzenden Konjunkturkrise nach dem Ölpreisschock von 1973. Unter diesen Vorzeichen gingen im sekundären Sektor zwischen 1980 und 1998 aufgrund von Entlassungen und Betriebsschließungen rund 11.000 Arbeitsplätze verloren (LHS Kiel 2001a: 99). Das entsprach einem Beschäftigungsrückgang in diesem Bereich von circa 33 Prozent (ebd.: 7). Insbesondere wurde der traditionelle Hauptindustriezweig, die Werftindustrie, von der Krise erfasst. Allein die HDW, der größte Arbeitgeber in Stadt und Region, baute ab Beginn der 1980er Jahre in mehreren Schritten Arbeitsplätze ab, so dass von den circa 13.000 Beschäftigten der Werft in den 1960er Jahren (BM für Raumordnung 1988b: 22) im Jahr 2000 nur noch etwas mehr als 3.000 Beschäftigte übrig waren (LHS Kiel 2001b: 15). In der Situation des Beschäftigungsabbaus wirkte der Status Kiels als städtisches Oberzentrum und Diensdeistungsstandort zunächst stabilisierend auf die ökonomische Entwicklung der Stadt. Bereits 1970 waren rund 61 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Kiel im tertiären Sektor tätig, dessen Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl bis 1980 nochmals auf knapp siebzig Prozent anwuchs (BM für Raumordnung 1988b: Anhang 16). Jedoch blieb auch dieser Sektor nicht von Rationalisierungen verschont. So kam zur Krise des altindustriellen Beschäftigungsstandorts ab Beginn der 1990er Jahre noch ein Arbeitsplatzabbau im Banken- und Versicherungsgewerbe und im Bereich der öffentlichen Verwaltungen hinzu (LHS Kiel 2005b: 28). Zusätzlich schwächend wirkte zu dieser Zeit die Umstrukturierung und teilweise Abwicklung des Truppenstandorts Kiel (LHS Kiel 2001b: 15). Der ökonomische Strukturwandel wurde seit Beginn der 1970er Jahre von einem stetigen Rückgang der Bevölkerung begleitet. Bedingt durch Suburbanisierungs- und Abwanderungsprozesse verlor Kiel zwischen 1971 und 2001 mehr als 40.000 Einwohner (LHS Kiel2007c). Unter den beschriebenen Vorzeichen schränkten ab Anfang der 1980er Jahre rückläufige Gewerbesteuereinnahmen und wachsende Sozialausgaben die autonome Handlungsfähigkeit der Stadt empfindlich ein (BM für Raumordnung 1988b: 24; LHS Kiel 2006b: 5). Betroffen hiervon war auch die Aktionsfähigkeit Kiels im Bereich der Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Zur Krisenreaktion verfolgten sowohl die Stadt selbst als auch die schleswig-holsteinische Landesregierung ab den späten 1970er Jahren das Ziel, durch strukturpolitische Förder- und Investitionsmaßnahmen eine Stabilisierung herbeizuführen. Dies sollte insbesondere durch gezielte Anreize zur Verbesserung der privaten Investitionstätigkeit "vor Ort" gelingen. Diese Stabilisierungspolitik kam u.a. auch dem Kieler OstuferStadtgebiet zugute. Geht man von den in Kapitel 2 beschriebenen Typen der städtischen Krisenreaktion und Govemance nach Pierre aus, so lässt sich Kiels stadtentwicklungspoli-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
189
tische Interventionsstrategie bis Mitte der 1990er Jahre als weitgehend dem "welfare model" verhaftet charakterisieren.
Städtische Krisenreaktionspolitik in den 1980er und 1990erJahren Unter den gegebenen Umständen der kommunalen Finanzschwäche nahm Kiel während der 1980er und 1990er Jahre bei der Bekämpfung der geschilderten Strukturkrise eine passive Rolle ein, setzte hier vorwiegend auf (re-) distributive Instrumente und beschränkte sich weitgehend auf die Nutzung der finanziellen Förderprogramme des Bundes, des Landes und der EU in den unterschiedlichen Interventionsbereichen mit Bezug zur Stadtentwicklung. Im beschäftigungspolitischen Bereich nutzte die Stadt in Kooperation mit der örtlichen Arbeitsverwaltung die im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik des Bundes zur Verfügung stehenden Instrumente für die aktive lokale Beschäftigungs- und Qualiftzierungsförderung (Eingliederungshilfen, ABM) (BM für Raumordnung 1988b: 1-15). Die Stadtspitze setzte dabei zur Bewältigung des Strukturwandels vorrangig auf den weiteren Ausbau des Dienstleistungssektors in seinen bereits starken, traditionellen Zweigen. Im Bereich der kommunalen Wirtschaftspolitik hielt Kiel weitgehend an den traditionellen Steuerungsinstrumenten fest. Im Vordergrund standen die Gewerbeflächenvermarktung, der Ausbau der betriebsnahen Infrastrukturen und die Kooperation mit den örtlichen Kammerorganisationen zur Vorhaltung von Betriebsberatungsangeboten, insbesondere für Betriebe in den traditionell starken Wirtschaftsbereichen im sekundären und tertiären Sektor (BM für Raumordnung 1988b). Allerdings erprobte die sozialdemokratische Stadtführung hier in den 1980er Jahren auch erste nach innen gerichtete Neuerungen. Mit vereinzelten Ansätzen zur ämterübergreifenden Kooperation sollten binnenadrninistrative Synergiepotentiale im Sinne einer Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerungsfähigkeit ausgeschöpft werden, wobei die Stadt vor allem eine verstärkte Zusammenarbeit des für Wirtschaftsförderung zuständigen Amtes mit einzelnen Ämtern des Stadtplanungs- und Baudezernats anstrebte (ebd.: 8f.). Im Bereich der Raumordnungspolitik schließlich konzentrierte sich die Stadt auf investive Maßnahmen zur Stadtsanierung mit Hilfe der Mittel der gemeinschaftliehen Städtebauförderung von Bund, Ländern und Gemeinden. Hier beschloss der Kieler Stadtrat z.B, Mitte der 1980er Jahre die Ausweisung eines zweiten Sanierungsgebiets auf dem Kieler Ostufer mit dem Ziel der behutsamen städtebaulichen Sanierung und Wohnumfeldverbesserung in der südlichen Innenstadt und in dem schon zu dieser Zeit problematischen Ostufer-Stadtteil Gaarden (KSS 2004: 5).
190
5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Insgesamt blieben die Schritte, die Kiel bis Mitte der 1990er Jahre in den einschlägigen Teilbereichen einer integrierten Stadtentwicklungspolitik ging, untereinander verbindungslos. fügten sich nicht in ein längerfristiges Gesamtkonzept für die städtische Entwicklung ein und waren vorwiegend reaktiver Natur. Erst ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre fand eine Neuorientierung statt, die allerdings vorwiegend auf den Bereich der lokalen Wirtschaftsförderung beschränkt blieb. Politik und Verwaltung reagierten hier auf die Kritik mehrerer lokaler Wirtschaftsakteure an der wenig strategischen Ausrichtung der kommunalen Fachpolitiken und auch des städtischen Handelns insgesamt (Süverkrüp 2005). In diesem Kontext erhob der sozialdemokratische OB die Entwicklung Kiels zum Wissenschafts- und Technologiestandort mit Schwerpunkt im Bereich maritimer Technologien zur prioritären wirtschaftspolitischen Zielsetzung (Gansel 2001). Ihren Niederschlag fand diese neue Orientierung in einer Neuausrichtung des städtischen Handlungsansatzes zur Wirtschaftsförderung sowie in mehreren, auf die städtische Verwaltungs organisation in diesem Bereich gerichteten Entscheidungen der Ratsversammlung. Wirtschaftspolitisch rückte nunmehr der spezifische Informations- und Beratungsbedarf von kleinen und mittleren Unternehmen in Zukunftsbereichen des Handwerks und der maritimen Industrien in den Mittelpunkt des kommunalen Interventions- und Förderaasatzes. Dabei setzte Kiel auf verstärkt auf die Förderung von Existenzgründern in neu errichteten Technologiezentren und auf die Kooperation mit den örtlichen Hochschulen. Zur Modernisierung und Anpassung der städtischen Verwaltungs organisation beschloss der Rat im Jahr 1995 die Zusammenführung der Aufgaben der Stadtentwicklungsplanung und der Wirtschaftsförderung in einem neu geschaffenen Amt für Wirtschaft, Verkehr, Stadt- und Regionalentwicklung. Zudem wurde, ebenfalls 1995, die teilweise organisatorische Privatisierung der Aufgaben der Wirtschaftsförderung beschlossen. So sollte die neu ins Leben gerufene "Kieler Wirtschaftsförderungs- und Strukturentwicklungsgesellschaft" (KiWi GmbH) die Vermarktung des kommunalen Flächen- und Immobilienangebots und die Aufgabe der vorausschauenden Strategieentwicklung für die kommunale Wirtschaftsförderung übernehmen (Süverkrüp 2001). Abgesehen von diesen Maßnahmen zur Verwaltungsmodernisierung im Bereich der Wirtschafts förderung verfolgte die Stadt bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre zunächst kaum weitergehende Modernisierungsziele und keine grundlegend neuen Ansätze in den anderen, für die soziale Stadtentwicklung relevanten Policies. Reformen waren auf der kommunalen Ebene selbst bis Mitte der 1990er Jahre grundsätzlich schwer durchsetzbar, denn bis zur Ablösung der alten Gemeindeordnung (GO) für Schleswig-Holstein durch eine reformierte Kommunalverfassung im Jahr 1997 (Kellmann 2003) war die Kieler Kommunalpolitik von häufigen parteipolitischen Blockaden gekennzeichnet. Der Magistrat, das kollektive Leitungsorgan der Stadtverwaltung und oberste Exeku-
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tivorgan der Stadt gemäß der alten GO, musste in seiner Zusammensetzung die Mehrheitsverhältnisse in der Ratsversammlung widerspiegeln und gelangte daher vielfach nur schwer zu gemeinsamen Entscheidungen. Der Oberbürgermeister wiederum war in diesem institutionellen Rahmen kaum zur Auflösung von Blockaden in der Lage, denn er führte zwar den Vorsitz im Magistrat, war hier jedoch nicht mit einer Letztentscheidungskompetenz ausgestattet (BM für Raumordnung 1988b: 38f.). Diese Situation begann sich im Zuge der Kommunalverfassungsreform ab 1995 und insbesondere der Einführung der Direktwahl des OB 1997/98 zu ändern. Die institutionellen Anpassungen auf Landesebene begünstigten in Kiel u.a. das Projekt einer "Politikreform" zur binnenorganisatorischen Erneuerung der Stadtverwaltung nach den Grundsätzen des Neuen Steuerungsmodells (NSM), der deutschen, kommunalen Variante des New Public Management. Dies brachte der Magistrat 1996 zunächst als Pilotprojekt auf den Weg (Mutius/Behrendt 1997). Außerdem begünstigten die geänderten Rahmenbedingungen auch die vorsichtige Öffnung der Stadtführung für neue Ideen zur sozialen Stadtentwicklung und hier insbesondere für die Idee der Teilnahme Kiels an der GI URBAN I (EIl, 07.03.2005). Dennoch blieb Unsicherheit aufgrund häufig wechselnder und knapper Mehrheitsverhältnisse weiterhin insgesamt ein Kennzeichen der Kieler Kommunalpolitik. Die oben skizzierten Schritte zur Anpassung der lokalen Wirtschaftspolitik an die geänderten Rahmenbedingungen wurden mithin zunächst nicht durch entsprechende Schritte in den anderen Teil-Policies einer möglichen integrierten Stadtentwicklungsförderung begleitet. Namentlich im Bereich der Raumordnung und Stadtentwicklung blieb es bis zur Aufnahme Kiels in das Programm URBAN I (1996) bei der Fokussierung auf traditionelle Aufgaben der Stadtsanierung. 5.2.2 Städtische Inte17Jention i#gunsten benachteiligter Viertelbis2000 Bis zur Aufnahme Kiels in den Kreis der URBAN I-Städte im Jahr 1996 konzentrierte sich das kommunale Handeln im Feld der sozialen Stadtentwicklungspolitik im Wesentlichen auf Stadtsanierungsprojekte im Rahmen der Städtebauförderung von Bund, Ländern und Gemeinden (KSS 2004: 11). Diese Sanierungspolitik war seit den 1980er Jahren - ähnlich wie im Falle Dortmunds - vom Perspektivenwechsel weg von der ,brutalen' Abriss-Neubaustrategie hin zur erhaltenden Stadtsanierung getragen (ebd.: 4). Außerdem zeichnete sie sich neben ihrer inhaltlichen Fokussierung auf städtebauliche Maßnahmen und Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung durch eine Betroffenenbeteiligung nach den Maßgaben des StBauFG aus. Im Kontext der Ausweisung des Kieler Ostufer-Stadtgebiets zum zweiten städtischen Sanierungsgebiet der Stadt im Jahr 1987 war dies mit einer Sensibilisierung der Politik für eine angemessene Bürgerbeteiligung auch in diesem
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
benachteiligten Stadtgebiet, dem späteren URBAN II-Fördergebiet, verbunden (ebd.: 9), jedoch blieb die Beteiligung eng auf die je aufgeworfenen Sanierungsfragen beschränkt. Ziele, wie z.B, die gebietsbezogen abgestimmte Policy-Integration, die Erprobung neuer Beteiligungsverfahren oder auch die Erneuerung der stadtentwicklungspolitischen Programmierungs- und Implementationsverfahren, standen zu dieser Zeit noch nicht auf der lokalpolitischen Agenda. Ebensowenig war eine Neustrukturierung des kommunalen Steuerungsarrangements vorgesehen; dieses umfasste eine Kerngruppe aus kommunalen (Fach-) Polirik- und Verwaltungsakteuren (OB, für das betreffende Gebiet zuständige Stadträte, Baudezernat mit einschlägigen städtischen Fachämtern [Stadtplanungsamt, Hochbauamt, Tiefbauamt], städtische Wohnungsbaugesellschaft), die nach Bedarf weitere Ämter auf dem Weg informeller Konsultation in die Gestaltung der Stadtentwicklungspolirik einbezog. Neben den fachpolitischen Schritten zur Bearbeitung der sozialräumlichen Problemsituation begann Kiel als eine der ersten deutschen Kommunen bereits Anfang der 1980er Jahre eine stadtteilbezogene statistische Raumbeobachtung. Dieser Schritt fügt sich in den Kontext des für Kiel bis Mitte der 1990er Jahre typischen "welfare"-Ansatzes ein, bestand ein wesentlicher Zweck der Berichterstattung doch darin, Bund und Land auf die sozialen Folgeprobleme des Strukturwandels in den Städten (z.B. die räumliche Konzentration von Armut) und die damit verbundenen finanziellen Folgen für die Kommunen aufmerksam zu machen (LHS Kiel 1985: 54). Neuere Ansätze und Ideen zur integrierten sozialen Stadtentwicklungspolirik, wie sie in anderen Städten und Bundesländern schon zu Beginn der 1990er Jahre oder z.T. sogar noch früher erprobt worden waren, fanden in Kiel ab 1996 Eingang in die Praxis der lokalstaatlichen Intervention zugunsten benachteiliger Viertel. In Kiel selbst konzentrierten sich die sozialen Folgeprobleme des ökonomischen Umbruchs vor allem in zwei Stadtgebieten oder "Problemvierteln", der Großwohnsiedlung Mettenhof am nordwestlichen Stadtrand und dem innerstädtischen Ostufer-Gebiet. Aus der Beobachtung u.a, eines besonderen wirtschaftlichen Förderbedarfs in diesen Gebieten entstand 1993 innerhalb der Verwaltung, konkret dem Bereich der städtischen Wirtschafts förderung, die Idee einer Bewerbung Kiels um die Teilnahme an der im Jahr 1994 initiierten Gemeinschaftsinitiative URBAN I der EU (EIl, 07.03.2005). Die Stadt wurde mit ihrem Programmvorschlag zwar in den engeren Kreis der ausgewählten Fördergebiete in Deutschland einbezogen, kam allerdings erst im Jahr 1996 als ,Nachrücker' zum Zug, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Fördermittelbudget für Deutschland, das Bund und Länder vorwiegend zur Stadtentwicklung in Ostdeutschland einsetzen wollten, die Aufnahme einer zusätzlichen, westdeutschen Programmstadt zuließ. Kiel trat mit einem Programm an, das in seinen Zielen, Instrumenten und Vorschlägen zur Verfahrenserneuerung die programmatischen Vorschläge der
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Kommisison aufgriff und für das Ostufer-Gebiet deklinierte (LHS Kiel 1997: 8f.). Allerdings hielt die Stadt bei der Programmierung und Implementation von URBAN I in vielerlei Hinsicht noch an den Routinen der Verwaltung und Politik im Bereich der Stadtentwicklung fest. Dies galt z.B. für den Prozess der Aufstellung des städtischen URBAN I-Programmvorschlags. In diesem Zusammenhang legte die Verwaltung in einem weitgehend internen Konsultationsverfahren die einzelnen Projekte zur Stadtteilaufwertung bereits 1994 Top-down fest. Vor allem die einschlägigen kommunalen Fachämter und vereinzelt die bekannten Partnerakteure der Stadt im Bereich der kommunalen Wirtschaftspolitik wurden hieran beteiligt, wohingegen eine Bevölkerungs- oder auch eine breitere "Stakeholder"-Beteiligung noch nicht vorgesehen war (EIl, 07.03.2005). Mit der Teilnahme Kiels an der Nachfolgeinitiative URBAN II mit einer Gebietskulisse, die zum URBAN I-Gebiet beinahe identisch war50 , bot sich für die städtischen Akteure vor diesem Hintergrund die Gelegenheit zum ,Lernen' aus den ersten Erfahrungen mit der europäischen Stadtentwicklungspolitik. Aus dieser Warte erschien die Chance zum witksamen Politiktransfer der EU hier also auf den ersten Blick hoch. Bevor die Wirkungen der GI auf die stadtentwicklungspolitische Intervention in Kiel analysiert werden, werden anschließend zunächst die spezifische Problemkonstellation im URBAN II-Fördergebiet erläutert und die Akteure der Kieler sozialen Stadtentwicklungspolitik im Jahr 1999/2000 vorgestellt.
5.2.3 Das Fö"rdergebiet "Ostuftr" Im "Ostufer-Stadtgebiet" wohnten im Jahr 2000 rund 32.400 Menschen und damit circa 14 Prozent der Gesamtbevölkerung Kiels (vgl. Tab. 10). Es handelte sich um eine Stadtbezirksgrenzen überschreitende Fördergebietskulisse, die Kiel anlässlich der Bewerbung um URBAN I definiert hatte und in der (feil-) Bevölkerungen aus fünf Stadtteilen'" lebten. Sie zeichneten sich durch eigene Ortskerne und historisch gewachsene Bevölkerungs-, Raum- und Gebäude- sowie Verkehrs strukturen aus.
Zur erneuten Programmteilnahme mit der gleichen Fördergebietskulisse ließen Bund, Länder und die EU-Kommisison die Stadt Kiel angesichts des verkürzten Irnplementationszeitraums für URBAN I im Ostufer-Stadtgebiet Zu (EIl, 07.03.2005). 51 Südfriedhof, Gaarden-Ost, Ellerbek, Wellingdorf, Neumühlen-Dietrichsdorf. 50
194
5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Tabelle 10:
Demographische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergebiets in Kiel (Basisjahr: 2000)
Fläche in !an' Einwohnerzahl Anteil Jugendliche unter 16 lahren Anteil ausländische Bevölkerunl!' Bevölkerungsdichte im Gebiet (Einwohner/!an2) Arbeitslosenquote* Anteil Langaeitarbeitaloses Soziall1ilfeernpfän~rquote*
Wirtschaftsstruktur
Ostufer-Stadtgebiet 10,56 32.412
Kiel 118,2 229.044
13,2
13,2
16,9
8,7 (1999)
3.069
1.935
14,4 (1999) 41,5 14,6 1.110 Betriebe**, davon ca. 75 Prozent Klein- und Kleinstgewerbebetriebe; ungleichmäßige Struktur der Betriebsansiedlung hohes Flächenpotential
8,4 (12,4) (1999) 35,3 8,1
k.A
Quellen: Landeshauptstadt Kiel 2001a: Anhang, Tabelle 3 (zu Kapitel 8); Landeshauptstadt Kiel 2001b: 21f.; 25f. u. 143; Landeshauptstadt Kiel 2005a: 95; Landeshauptstadt Kiel2006a: 5; LA.U. 2003: 25, 38 und 39. Eigene Berechnungen.
*
**
Werte vor Inkrafttreten der Arbeitsmarktreforrnen der Bundesregierung ("Hartz"-Gesetzgebung). Die Angaben zur Arbeitslosenquote auf Stadtteil- und gesamtstädtischer Ebene beruhen auf Schätzungen/Berechnungen der Stadt Kiel (Amt für Statistik), denen die Zählung der von Arbeitslosigkeit betroffenen Bürger zwischen 15 und 65 Jahren zugrunde liegen ("Betroffenheitsquote'j (LHS Kiel 2001: 25). Zahl der Betriebe im Programmgebiet, die bei der Industrie- und Handelskammer zu Kiel gemeldet sind.
In seiner raum- und bau- sowie sozialstrukturellen Situation und wirtschaftlichen Entwicklung wich das Ostufer-Stadtgebiet im Jahr 2000, zum Programmstart von URBAN TI,signifikant von der Situation in Kiel insgesamt ab (vgl.Tab. 10). Zunächst ist das Ostufer-Stadtgebiet durch die natürliche Trennung der Höm, der inneren Spitze der Kieler Förde, räumlich von der Reststadt abgeschnitten (vgl. Karte 2). Es handelt sich um einen im innerstädtischen Vergleich hoch verdichteten Stadtraum, der sich im Jahr 2000 durch einen hohen Anteil ausländischer Bevölkerung auszeichnete. Verteilt über das gesamte Gebiet befinden sich die Betriebsstätten der Hauptindustriezweige Kiels, also Werft-, Maschinenbau- und Elektrotechnikbetriebe wie z.B. die HDW, aber auch zahlreiche kleine Einzelhändler. Außerdem liegt ein Teil des Kieler Marinearsenals hier. Zum Beginn des Förderzeitraums zerfiel das Gebiet in zwei geographische Teilbereiche, die sich hinsichtlich ihrer Bevölkerungs-, Wirtschafts- und baulichen Struktur deutlich voneinander unterschieden: Gaarden-Ost im südlichen Teil der URBAN II-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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Förderkulisse und Ellerbek/Wellingdorf/Neumühlen-Dietrichsdorf im nördlichen Teil. Das gänzlich innerhalb der URBAN lI-Kulisse gelegene Gaarden-Ost im südlichen Teilbereich, das zusammen mit dem sehr kleinen Fördergebietsanteil im Stadtteil Südfriedhof etwas mehr als 16.000 Einwohner zählte (vgl. Karte 2), war durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil junger und ausländischer Bewohner 52 gekennzeichnet. Die räumliche Konzentration von Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern war hier besonders hoch (LHS Kiel 2001a: Anhang, Tabellen 2 u. 4 [zu Kap. 8]; LHS Kiel 2007d: 34). Die erwähnte hohe Bevölkerungsdichte im Ostufer-Stadtgebiet insgesamt war vor allem der starken Bevölkerungsverdichtung in diesem Fördergebietsteil geschuldet. Dabei stellten in Gaarden-Ost der mangelhafte Bestand und die geringe Größe der Wohnungen bau strukturelle Faktoren dar, die eine problematische Stadt- bzw. Quartiersentwicklung begünstigten. Die Wohngebäudestruktur ist hier geprägt durch Mehrfamilienhäuser in Geschossbauweise, die zu einem großen Teil vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden sind. In dem Gebiet finden sich kleine, günstige Mietwohnungen, vielfach Sozialwohnungen, die zum Beginn des Förderzeitraums den Anforderungen an modemen, familiengerechten Wohnraum nicht mehr genügten (LHS Kiel 2001b: 24). Im nördlichen Bereich der Kieler URBAN II-Gebietskulisse mit Anteilen an den Stadtteilen Ellerbek, Wellingdorf und Neumühlen-Dietrichsdorf waren andere raum- und sozialstrukturelle Merkmale maßgeblich für die stadtentwicklungspolitische Intervention. Hier lagen die Arbeitslosigkeit und der Anteil an Sozialhilfeempfangern zwar ebenfalls oberhalb der gesamtstädtischen Durchschnittswerte, sie waren jedoch weniger dramatisch als in Gaarden-Ost (LHS Kiel 2001a: Anhang, Tabellen 2 u. 4 [zu Kap. 8]). Eine Herausforderung stellte die spezifische Wohngebäudestruktur dar. Sie zeichnete sich durch einen gemischten Bestand von (überwiegend) Mehrfamilien- und auch Ein- und Zweifamilienhäusern mit im Durchschnitt größeren Wohnungen als in Gaarden-Ost aus (LHS Kiel 2001b: 24; LHS Kiel 2007a: 15f.), was diesen Fördergebietsteil grundsätzlich als ,familienfreundliches' Gebiet qualifizierte. Allerdings bestand hier ein Mangel an speziell auf Familien mit Kindern zugeschnittenen Infrastrukturangeboten (LHS Kiel2001c: 24), so dass Familien das Gebiet, das durch einen überdurchschnittlichen Anteil alter Menschen charakterisiert war (LHS Kiel 2001b: 22), mieden.
Nachdem der Stadtteil während der wirtschaftlichen Hochkonjunkturphase in den 1960er Jahren zahlreiche ausländische Gastarbeiter insbesondere aus der Türkei aufgenommen hatte, wies GaardenOst im Jahr 2000 mit 23,6 Prozent ausländischer Bevölkerung im Vergleich aller Kieler Stadtteile den höchsten Ausländeranteil auf (LHS Kid 2001a: 24). Der Anteil an Jugendlichen unter 15 Jahren lag hier ebenfalls im Jahr 2000 bei 14,8 Prozent der Stadtteilbevölkerung (eigene Berechnung auf Basis von: Landesbauptstadr Kid 2001: Anhang, TabdIe 3 [zu KapitelBJ). 52
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Innerhalb des Ostufer-Stadtgebiets wies im Jahr 2000 insbesondere Gaarden-Ost Merkmale eines Problemviertels oder gar "sozialen Brennpunkts" auf (LHS Kiel 2001a: 16). Dabei ging die defizitäre sozioökonomische Situation der Gaardener Bevölkerung nicht Hand in Hand mit einer mangelhaften sozialen Vernetzung der Gebietsbewohner. Gaarden-Ost und das Kieler Ostufer-Stadtgebiet insgesamt stellten hinsichtlich des für benachteiligte Stadtviertel oftmals vermuteten Mangels an ,sozialem Kapital' ebenso einen untypischen Fall dar, wie die Dortmunder Nordstadt. Bereits zum Zeitpunkt des Programmstarts von URBAN I im Jahr 1997 existierte im Kieler Ostufer-Stadtgebiet und speziell in Gaarden-Ost ein ausgeprägtes Netz an gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen, die in unterschiedlichen Bereichen soziale Versorgungsfunktionen wahrnahmen, Beteiligungsmöglichkeiten boten und ein reges Sozialleben begünstigten: Freizeit- und Sportvereine, Kinder-/Jugendeinrichtungen, Schulen/Bildungseinrichtungen, Sozialeinrichtungen, Migrantenorganisationen, drei Bürgertreffs und insbesondere die "Gaardener Runde", ein regelmäßiger Gesprächskreis der ansässigen Einzelhändler, Verbände und Interessenträger auf Quartiersebene (vgl. Büro Soziale Stadt Gaarden 2004). Zudem mangelte es innerhalb des Fördergebiets speziell im Problemstadtteil Gaarden-Ost nicht an an sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Infrastruktureinrichtungen (LHS Kiel 2007e: 19). Schließlich war, wiederum vor allem in Gaarden-Ost, der überdurchschnittliche Leerstand an Geschäftsräumen ein Problem für die lokale Wirtschaftsförderung. Andererseits zeichnete sich gerade dieser Stadtteil auch dadurch aus, dass hier mehrere Geschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs sowie kleine Cafes und Restaurants ansässig waren. Gaarden bot sich daher und auch aufgrund seiner Raumstruktur mit einem zentralen Platz und Fußgängerzone als ein Nebeneinkaufszentrum für die Kieler Innenstadt an. Trotz dieser Voraussetzungen genoss das Ostufer-Stadtgebiet und hier wiederum speziell Gaarden-Ost - dies unterstreicht die Einstufung als benachteiligtes Gebiet - zum Zeitpunkt des Programmstarts von URBAN II innerhalb Kiels ein Negativimage (EI 1 07.03.2005; EI 2 07.03.2005; EI 17 05.05.2006). Die negative Außenwahrnehmung wurde z.T, über die lokale Presseberichterstattung befördert. Berichte über die sozialen Probleme "auf dem Ostufer" und speziell in Gaarden Auftreten sozialer Randgruppen und Drogenkonsum im öffentlichen Raum, Kriminalität, Tendenzen zur Verwahrlosung des öffentlichen Raums - waren keine Seltenheit (vgl. KN 19.03.1999: 21; KN 12.10.2006). Ob die Bewohner des Ostufers selbst die ihnen von außen entgegengebrachte negative Wahrnehmung ihres Gebiets teilten, lässt sich nicht eindeutig ermitteln (vgl. KSS 2004: 24f.). Aus den wenigen empirischen Quellen zur Einschätzung der Wahrnehmung des Ostufers durch seine Bewohner in den 1990er Jahren geht hervor, dass vor allem Jugendliche das Ostufer-Stadtgebiet als perspektivenarm wahrnahmen (Killisch 1975; Maass 1993; Herrmann 1995). Dass eine solche Wahrnehmung des Ostufers als ein wenig zukunftssicheres und von der Reststadt
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vernachlässigtes Gebiet unter vielen seiner Bewohner verbreitet war, könnte beim Blick auf die örtlichen Wahlbeteiligungsquoten vermutet werden. So lag die Beteiligung an Kommunalwahlen im Ostufer-Stadtgebiet und insbesondere in Gaardenähnlich wie im Falle der Dortmunder Nordstadt - deutlich unterhalb der Wahlbeteiligung in anderen Kieler Ortsteilen-', Angesichts der skizzierten Probleme war das Ostufer-Stadtgebiet, wie oben angedeutet worden ist, seit den 1970er Jahten ein bevorzugtes Gebiet für kommunale, vorrangig städtebauliche Maßnahmen zur Raumaufwertung und Entwicklungsförderung. Bevor nun die Wirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik auf die Kieler stadtentwicklungspolitische Intervention zugunsten benachteiligter Gebiete analysiert wird, werden im Anschluss die Akteure dieses städtischen Politikfelds vorgestellt.
5.2.4 Akteure undAkteurskonstellation im Bereich der so!(jalen stadtentwicklung Die lokale Akteurskonstellation zur Implementation von URBAN II in der Stadt Kiel (vgl. Abb. 5) war insgesamt ,schlanker' als diejenige im Dortmunder Fall. Da die Ideen der integrierten sozialen Stadtentwick1ungspolitik in Kiel erst kurz vor der Teilnahme der Stadt an URBAN II, ab 1997 im Rahmen der Programme URBAN I und Soziale Stadt Eingang in die lokalstaatliche Interventionspraxis zugunsten benachteiligter Viertel gefunden hatten, konnte Kiel - anders als Dortmund nicht auf eine weiter zurückreichenden Erfahrungsschatz mit entsprechenden Programmen bzw. Policies zurückgreifen. Dementsprechend waren an der Programmierung und Implementation von URBAN II im Wesentlichen jene Akteure beteiligt, die auch in die Willensbildungs-, Entscheidungs- und Vollzugsverfahren im Zusammenhang der beiden anderen Programme involviert waren. Eine vollständige Übereinstimmung der Akteurskonstellationen im Falle der GI URBAN I und des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" existierte allerdings nicht. Sowohl das Land Schleswig-Holstein und z.T. auch die Stadt Kiel selbst betrachteten das EUProgramm als regionalpolitisches Förderprogramm mit vorwiegend wirtschaftspolitischem Schwerpunkt, wohingegen "Soziale Stadt" als städtebauliches Programm mit der ergänzenden Möglichkeit zur Förderung der Bürgeraktivierung und zur Förderung partizipativer Aktionen auf Stadtteilebene betrachtet wurde. Die sektorbezogene Trennung zwischen dem EU-Programm einerseits und dem nationalen Programm andererseits hatte zur Folge, dass die Anzahl der Schnittstellen der in beiden Programmen involvierten Akteure in Kiel vergleichsweise geringer war als im Dortrnunder Fall. In der Praxis wirkte sich dies allerdings weniger auf der 53 Die Wahlbeteiligung in Gaarden lag im Jahr 2003 bei 28,6 (Rat) bzw. 28,4 (OB) Prozent gegenüber einer durchschnittlichen Beteiligung von 47,3 Prozent an beiden Wahlen in der Stadt insgesamt (LHS Kiel2003a).
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
lokalen Ebene selbst aus - hier waren alle Akteure beider Programme de facto in fortwährendem Austausch -, vielmehr resultierten daraus vor allem Koordinationsherausforderungen für die Stadt in der Interaktion mit den zuständigen Verwaltungs- und Kontrollbehörden auf Ebene des Landes. Die URBAN IIAkteurskonstellation im Falle Kiels wurde maßgablieh durch die zur Implementation von URBAN I gebildete Konstellation vorstrukturiert. Die maßgeblichen Akteure hierbei waren:
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auf Seiten der Stadt die Kieler Ratsversammlung mit dem Wirtschaftsausschuss sowie innerhalb der Verwaltung der OB, das Stadtplanungsamt und das Amt für Wohnen und Grundsicherung. Das Stadtplanungsamt hatte die operative Federführung im Zusammenhang von URBAN I und II inne, während das Amt für Wohnen und Grundsicherung für die Implementation des Programms "Soziale Stadt" verantwortlich war; ebenfalls auf Seiten der Stadt: die EU-Regiestelle, die Kiel im Zuge der Bewerbung um und Implementation von URBAN I im Jahr 1997 errichtet hatte. Es handelte sich um eine zunächst beim Amt für Wirtschaft, Verkehr, Stadtund Regionalentwicklung angesiedelte Sonderverwaltungseinheit zur Umsetzung europäischer Förderprogramme in der Stadt Kiel, die nach Auflösung des städtischen Wirtschaftsförderunsgamtes und Übertragung der kommunalen Wirtschaftsförderungsaufgaben auf die KiWi ab 2004 beim Stadtplanungsamt angesiedelt wurde. Die EU-Regie stelle fungierte als ,zentrale Schaltstelle' für die URBAN-Programme innerhalb der Stadtverwaltung und war hier für alle Aufgaben im Zusammenhang der Trägerermittlung und -koordination sowie der Projektfinanzierung zuständig; auf Stadtteilebene zum einen eine Reihe traditioneller Institutionen der politischen Willensbildung und Akteure im Stadtteil, so insbesondere die Ortsbeiräte, diverse freie Trägerorganisationen der Wohlfahrtspflege, (Weiter-) Bildungsträger und Schulen sowie einzelne Stadtteilbetriebe und zum anderen auch neue Akteure, insbesondere die beiden Stadtteilbüros, das URBAN-Büro und das Büro Soziale Stadt die die Stadt Kiel 1999 noch im Zuge der Implementation der beiden Revitalisierungsprogramme in Gaarden bzw. auf dem Ostufer errichtet hatte; auf Seiten des Landes das Wirtschaftsministerium. Qua seiner generellen Zuständigkeit für die Implementation europäischer Regionalfondsprogramme in Schleswig-Holstein fungierte es auch im Kontext der URBAN-Programme als staatliche Verwaltungs behörde. Dabei ist die Besonderheit hervorzuheben, dass sich das Wirtschaftsministerium während der Implementation von URBAN I die staatlichen Verwaltungszuständigkeiten mit dem Landesministerium für Arbeit und Soziales teilte, denn URBAN I war im Gegensatz zu ihrer Nachfolgerinitiative als Mischfonds-Programm gestaltet, dessen Finanzierung
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nicht nur aus dem EFRE, sondern z.T. auch aus dem ESF erfolgte. In der bürokratischen, sektor- bzw. fachgebundenen Organisationslogik der schleswigholsteinischen Landesverwaltung hatte dies eine rein formale Zuständigkeitsteilung zwischen den genannten Ministerien zur Folge. Das Arbeitsministerium war hier gemeinhin für die Durchführung der ESF-Programme verantwortlich und kontrollierte mithin die lokale Implementation der ESFfinanzierte Bestandteile von URBAN I (vgl. Reiter 2008). Unberührt von dieser Verantwortungsteilung blieb die ,,interministerielle Lenkungsgruppe", die die Landesregierung Schleswig-Holstein 1999 zur Durchführung des Programms "Soziale Stadt" errichtet hatte (Schleswig-Holsteinischer Landtag 2002: 8); sie spielte im Zusammenhang der Implementation der URBANProgramme keine explizierte Rolle. Beim Blick auf dieses Akteursspektrum (vgl. Abb. 5) sind drei Punkte hervorhebenswert. Erstens nahm die Stadtverwaltung darin - zumindest auf den ersten Blick - eine weniger bedeutsame Stellung ein als etwa im Falle Dortmunds. Dies galt zum einen auf Ämterebene. Hier war die EU-Regie stelle zwar eigens im Zusammenhang der Implementation von URBAN I errichtet worden, sie war jedoch eine integrale Verwaltungseinheit innerhalb des Stadtplanungsamtes. Eine eigene, aus der üblichen Ämterstruktur ausgekoppelte und dabei - wie z.B. in Dortmund gar ämterübergreifende Verwaltungs einheit zur Durchführung der integrierten sozialen Stadtentwicklungspolitik existierte in Kiel nicht. Zweitens ist mit Blick auf das Akteursfeld hervorhebenswert, dass das Verhältnis des Staates bzw. Landes und der Stadt, vor allem ab 2004, durch eine losere Kopplung gekennzeichnet war als etwa im Falle Dortmunds. Beide Ebenen waren über den gesamten Implementationszeitraum zunächst über den Begleitausschussf verflochten. Die darüber hinaus zwischen den Ebenen bestehende Beziehung im Rahmen der raumordnungspolitischen Entscheidungs- und Steuerungsarena und der staatlich-kommunalen Verwaltungsorganisationsstruktur war im Zusammenhang von URBAN II von Anfang an nicht intensiv. Das Land beschränkte sich auf seine gesetzlichen Aufgaben. Während der Implementation der europäischen GI zu Zu den Mitgliedern des Begleitausschusses rechneten: das Ministerium für Wirtsclmft, Technologie und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein (MWfV), das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, das Ministerium für Bildung Wissenschaft, Forschung und Kultur, das auf Landesebene für die Städtebauförderung und Stadtentwicklungspolitik zuständige Innenministerium, sodann das Bundesministerium für Wirtsclmft und Technologie und die EU-Kommission (heide mit je einem nicht-stimmberechtigten Vertreter), die Landeshauptstadt Kiel, vertreten durch das Amt für Wirtsclmft, Verkehr, Stadt- und Regionalentwicklung bzw. das Stadtplanungsamt, das "Projektmanagement URBAN II", das städtische Umweltschutzamt und die Frauenbeauftragte, das Arbeitsamt Kiel (später die lokale Agentur für Arbeit), die Industrie- und Handelskammer zu Kiel, die Handwerkskammer Lübeck, der Unternehmensverband Kiel e.V. und die Vertretung des DGB im Kreis der KE.RN.Region (LHS Kiel2001b: 131f.). 54
5.2 URBAN II in Kid.: Experiment unter finanziellen Restriktionen
200
Beginn des Jahres 2004 wurde diese Beziehung sodann auch formal entkoppelt, dadurch, dass das Land seine Funktion als Verwaltungsbehörde für URBAN II vollständig auf die Stadt Kiel übertrug.
Abbildung 5:
Akteurskonstellation der Implementation von URBAN II in Kiel OB
WIr1s chartsau g., schuss
besch ließt
Burger, InteressengruppenlVereine,Unternehmen, Schulen
Sta dtteil-Eben e
EigeneDarstellung.
Drittens schließlich kann hervorgehoben werden., dass die Kieler URBAN IIAkteurskonstellation auch stadtintem stark dezentral und dabei zugleich hierarchisch angelegt war. So spielten traditionelle und neue Akteure der Kieler Stadtentwicklungspolitik auf Stadtteilebene - die Ortsbeiräte, einzelne Ratsherren und frauen aus dem Fördergebiet und die Stadtteilbüros - während der gesamten Implementation eine wichtige Rolle. Außerdem, dies wird noch zu zeigen sein, verstärkte die Stadt den vermeintlich stark dezentralen Charakter der Implementationssttuk.tur im Zuge der Durchführung von URBAN II noch zusätzlich durch die Errichtung eines "URBAN II-Projektmanagements" in privater Trägerschaft, das ebenfalls unmittelbar im Fördergebiet angesiedelt war. Es handelte sich um ein Koordinations-, Kommunikations- und Managementbüro, dessen Errichtung die Stadt Kiel zu Beginn der Programmimplementation beschloss und das als ,Scharnier' zwischen den supranationalen, gesamtstädtischen und Stadttei1ebenen agierte und dabei von der Stadt bestimmte Verwaltungsaufgaben übertragen bekam. Insgesamt besaß die Gestalt der URBAN II-Akteurskonstellation im Fall Kiels, wie im Falle Dortmunds, einen Mehrebenen- und Mehrakteurscharakter. Dabei bestand in Kiel ein besonders enges Koppelungsverhältnis zwischen der städtischen Verwaltungs- und der Stadtteilebene. Die städtische EU-Regiestelle und
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das Projektmanagement standen im Zentrum der URBAN II-Akteurskonstellation und verknüpften die gesamtstädtische Entscheidungs- und Exekutivebene mit der Stadtteilebene. 5.2.5
Implementation und Wirkungenvon URBAN II
Zum Zeitpunkt der Bewerbung Kiels um die Teilnahme an der GI URBAN II im Jahr 2000 lag, wie bereits 1994, keine einheitliche Gesamtstrategie der Stadt zum Umgang mit den Herausforderungen des ökonomischen und demographischen Strukturwandels vor. Allerdings konnten die städtischen Programmplaner speziell zur Programmierung des Operationellen Programms (OP) zu URBAN II unmittelbar an die Inhalte des bereits vorliegenden OP der Stadt Kiel für die Vorgängerinitiative URBAN I anknüpfen. Dieses Interventionsprogramm war aufgrund der verspäteten Aufnahme Kiels in den Kreis der URBAN I-Städte im Jahr 1997 erst in Teilen implementiert und bot sich daher als Grundlage für eine erneute Programmbewerbung Kiels und als operationelle Basis für die Aufwertung des Ostufer-Stadtgebiets an (LHS Kiel2001b: 8; EIl, 07.03.2005). Das Kieler URBAN I-Programm beruhte auf der Idee, wonach eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und Anhebung des Wohlstands der Bevölkerung im Fördergebiet nicht nur oder nicht in erster Linie über Investitionen in die Stadterneuerung und Wohnumfeldverbesserung erzielt werden könnten, sondernim Sinne der Idee des integrierten Politikansatzes - über Maßnahmen zur (Wieder-) Einleitung von wirtschaftlichem Wachstum (LHS Kiel 1997: 33). Zentral war dabei auch die Überlegung, wonach die Entwicklungsförderung an den spezifischen Strukturvoraussetzungen des Gebiets ansetzen sollte (ebd.). Diese Idee hatte die Stadtführung ab Mitte der 1990er Jahre auch in anderen, z.T. ebenfalls auf das Ostufer-Gebiet bezogenen Planungskontexten vertreten. Um eine neue, endogene Wachstumsdynamik zu erzeugen, war es aus der Perspektive der lokalen Verantwortungsträger erforderlich, die spezifischen Strukturpotentiale der Stadt selbst Lage am Wasser, Status als traditioneller Universitäts- und Wissenschafts standort, Stärke des Dienstleistungssektors - und ihrer einzelnen Gebietsteile optimal auszuschöpfen. Diese Vorstellung fand als Leitidee der Entwicklungsstrategie für das URBAN II-Fördergebiet Eingang in das städtische Handlungsprogramm zu der Gemeinschaftsinitative (LHS Kiel2001b: 8).
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
5.2.5.1
Politische Ziel- und Instrumentendimension
Der Weg zu einer nachhaltigen ökonomischen, aber auch sozialen und infrastrukturellen Revitalisierung des Ostufer-Stadtgebiets, wie ihn das Kieler URBAN 1Programm vorgezeichnet hatte, wurde der skizzierten Idee entsprechend in der Verwirklichung einer Sttategie gesehen, die den spezifischen Entwicklungsbedingungen im Ostufer-Gebiet Rechnung trug: hohes Flächenpotential durch Industrie- und Marinebrachen, Teilstandort der Universität und der Fachhochschule, Bestand attraktiver gründerzeitlicher Bausubstanz, Einzelhandelssttandort, kulturelle Vielfalt. Sie sollten mit ihren Policy-Maßnahmen die besonderen sozialen, ökonomischen und städtebaulichen Herausforderungen annehmen. Entsprechend diesen Prämissen legte Kiel im Herbst 2000 einen Entwurf für ein Handlungsprogramm zu URBAN II vor (LHS Kiel2001b: 62). Es •
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beinhaltete das grundsätzliche Ziel, mit Hilfe der europäischen Förderung auf der Basis eines integrierten, gebietsbezogenen Politikansatzes im OstuferStadtgebiet eine "zukunftsorientierte" (LHS Kiel 2001b: 62) ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungsdynamik in Gang zu setzen, beruhte dabei auf der Idee, wonach vorrangig mittel- bis langfristig wirkende, "innovative" und auf Prävention sowie Problemvermeidung abzielende Einzelmaßnahmen - z.B. Aufbau von Sttukturen zur Aktivierung und Nutzung der örtlichen Selbsthilfepotentiale - ergriffen werden sollen und legte gezielt auf Maßnahmen zur ökonomischen Revitalisierung und zur Qualifizierung der Bevölkerung vor allem in "Zukunftsbranchen" G,IuKTechnologien und Multimedia'') an (LHS Kiel 2001b: 67).
Konkret benannte das Kieler Programm drei übergreifende "strategische Ziele" und 16 diesen untergeordnete, bis auf die Maßnahmenebene genau formulierte, teils quantifizierte "operative Ziele" (LHS Kiel 2001b: 66-70). Die "strategischen Ziele" waren: "Stärkung des Wirtschaftsstandortes unter ökologischen Aspekten", "Förderung der Humanressourcen" und die "Erhöhung der Identifikation mit dem Gebiet, Verbesserung der Attraktivität, der Funktionalität und des sozialen Zusammenlebens" (ebd.: 66). Zu den "operativen Zielen" zählten u.a.: "Attraktivitätssteigerung des Standortes durch Imageverbesserung durch Bildung eines Netzwerkes der lokalen Akteure", das entsprechende Imagekampagnen durchführen soll (ebd.: 68), Ausbau der mit URBAN I geschaffenen "Stadtteilmanagementstrukturen" (ebd.: 69) oder auch Errichtung eines "Stadtteilmarketings zur in- und externen Stabilisierung des Fördergebietsimages" in Form eines lokalen "Netzwerks", das in weitgehender Eigenregie "Image-relevante(n) Aktionen" im Fördergebiet durchführt (ebd.: 70). Die Ziele sollten über die Durchführung von geeigneten Einzelprojekten in unterschiedlichen kommunalen Handlungsfeldern erreicht wer-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
203
den, die ihrerseits im Laufe der Programmimplementation erst entwickelt werden mussten (vgl.Tab. 11).
Tabelle 11:
URBAN II in Kiel (2000-2008)
Finanzvolumen
Interventionsschwerpunkte (Fördennittelanteil am Gesamtbudget 2001)*
19,143 Millionen Euro, davon* EU (EFRE): 9,4 Bund: Land Schleswig-Holstein: 1,0 Stadt Kiel: 6,7 andere öffentl.-rechtl. Träger (BA für Arbeit): 1,0 Privat (Stiftunzsmittel): 1,1 Schwerpunkt 1: Nachhaltige Stärkung und beschäftigungswirksame Verbesserung der lokalen Wirtschaftsstruktur (ca. 42 %) Schwerpunkt 2: Aktivierung der endogenen Humanpotentiale im Ostufer-Sradtgebiet und Initiierung von Schlüsselimpulsen für die lokale Wirtschaft (ca. 38 %) Schwerpunkt 3: Ausbau der Infrastruktur und nachhaltige Stärkung integrierender Kommunikationsstrukturen zur Festigung der sozialen Verhältnisse und zur ökonomischen und sozialen Orientierung der Bevölkerung (ca. 14 %) Schwerpunkt 4: Technische Hilfe (ca. 5 %)
Quelle: LHS Kiel200Sa (2001). * Gerundete Werte.
Im Unterschied zu Dortmund entschieden sich die kommunalen Verantwortungsträger in Kiel nicht für den Weg der abschließenden Vorabfestiegung des Tableaus an stadtentwicklungspolitischen Einzelprojekten zugunsten des Fördergebiets. Vielmehr erstreckte sich die Projektauswahl über die gesamte Dauer der offiziellen Laufzeit von URBAN II bis Ende 2006 und erfolgte nach und nach auf der Grundlage eines zweimal jährlich von der Stadtverwaltung durchgeführten Projektwettbewerbs unter allen potentiellen Trägern von geeigneten PolicyMaßnahmen, die sich inhaltlich in den Rahmen der strategischen Entwicklungsziele der Stadt für die Ostufer-Revitalisierung einfügen mussten. Insgesamt kamen auf diese Weise bis zum Ende der Programmlaufzeit 54 Projekte zusammen, die an sich für mehr oder weniger dauerhafte Instrumente der sozial stadtentwicklungspolitischen Intervention standen. Mit der schrittweisen Operationalisierung des URBAN II-Programms verbanden die kommunalen Programmplaner zwei Erwartungen. Erstens sollte auf diesem Wege der europäischen Vorgabe einer partnerschaftliehen Programmierung und Durchführung der städtischen Strategie zur Wiederbelebung benachteiligter Stadtviertel (Kommission der EG 2000: 9) in optimaler Weise Rechnung getragen
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
werden (LHS Kiel 2001b: 100). Zweitens sollte es gelingen, ein Kernproblem der Konzeption komplexer Strukturförderungsprogramme zu minimieren, nämlich, dass die Stadt als Implementationsträgerin versucht sein könnte, sich in Unkenntnis wirkungsmächtiger Interventionsmaßnahmen auf ,passende' Projektvorschläge ihrer Partner, der Projektträger, zu stützen (Voelzkow 1999: 115f.) und sich dabei zugleich dem Risiko einer Fördermittelmitnahme durch einzelne Träger auszusetzen (LHS Kiel2001b: 100). Verwaltung und Politik erwarteten, dass die Kombination aus der Vorgabe von strategischen und z.T. detaillierten operativen Interventionszielen im städtischen URBAN lI-Programm mit der wiederkehrenden Durchführung von Projektwettbewerben aufgrund der so gewährleisteten Flexibilität bei der Auswahl der Programminhalte eine höchstmögliche politische Gestaltungsfähigkeit ermöglichen, dabei zugleich die kontrollierte Verwirklichung des integrierten Politikansatzes erlauben würde (ebd.), Eine zusätzliche Erwartung bestand darin, dass auf Basis des wettbewerbliehen Projektierungsverfahrens die Beteiligung nicht-kommunaler Akteure und der Bürger am Prozess der lokalen Umsetzung von URBAN 1I optimal sichergestellt werden würde (ebd.). Der Blick auf einzelne URBAN lI-Projekte zeigt, wie im Falle Dortmunds, dass die Entwicklung von Verfahrensinstrumenten einen zentralen Stellenwert im Rahmen der Programmimplementation einnahm. Auf Seiten der Träger mangelte es dabei nicht an innovativen Ideen zur Umsetzung der Idee eines auf Aktivierung und nachhaltige Problemvermeidung gerichteten Stadtentwicklungsansatzes. In diesem Zusammenhang fallen insbesondere einzelne Projekte auf, die die Rahmenbedingungen der lokalen Ökonomie im Ostufer-Stadtgebiet verbessern helfen sollten. Sie zielten auf die Stärkung der Interaktionsbeziehungen zwischen den Wirtschaftsakteuren (Einzelhändler, Unternehmen, Unternehmerverbände etc.) und Interessenträgern im Stadtteil und die Errichtung von Netzwerkstrukturen zur eigenständigen wirtschaftspolitischen Interessenvertretung der Ostufer-Betriebe. Ein zentrales Problem, mit dem das Kieler Ostufer-Stadtgebiet im Jahr 2000 konfrontiert wat und das zugleich beispielhaft für zahlteiche andere benachteiligte Stadtviertel steht, resultierte aus der Tendenz zur Abwanderung oder Schließung vieler örtlicher Betriebe, vor allem im Bereich der Nahversorgung und des Einzelhandels. Hieraus ergaben sich für das Ostufer-Stadtgebiet und vor allem den besonders betroffenen Stadtteil Gaatden als traditionelles Nebeneinkaufszentrum Kiels mannigfaltige Effekte, die im Ergebnis einer voranschreitenden Abspaltung des in weiten Teilen ohnehin strukturschwachen Gehiets und seiner Bevölkerung von der gesamtstädtischen Entwicklung Vorschub leisten konnten: Imageverschlechterung aufgrund von sichtbarem Leerstand, Verschlechterung der Nahversorgungssituation der Bevölkerung, Verlängerung der Versorgungswege, Fortsetzung der Spirale aus sozialer und ökonomischer Strukturkrise und dem Wegzug oder Fernbleiben kaufkräftiger Bevölkerungsteile, Nachzieheffekte in Form einer fortgesetzten Verdrängung alteingesessener Traditionsbetriebe durch Billiganbieter,
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Verstärkung der Selbstwahrnehmung der Bevölkerung als ,abgehängt' (LHS Kiel 2001b: 33f.). Die von der Kommune bis Ende der 1990er Jahre verfolgten Ansätze zur Lösung dieser Prob1emkonstellation hatten sich als weitgehend unwirksam erwiesen (KSS 2004: 28). Bis zur Aufnahme Kiels in die Stadtentwicklungsprogramme der EU sowie des Bundes und der Länder wurden allerdings keine alternativen Steuerungsansätze entwickelt und erprobt. Im Gegenteil, die traditionellen Akteure der kommunalen Wirtschaftsförderung - die Kammern und die örtlichen Gewerkschaftsorganisationen -, aber zunächst auch die Kieler Wirtschaftsförderungsgesellschaft (KiWi) als privatrechtlicher, einer betriebswirtschaftlichen Handlungslogik folgender Akteur, verhielten sich mit Blick auf die Erfindung neuartiger PolicyAnsätze zur Revitalisierung der lokalen Ökonomie im Ostufer-Stadtgebiet bis zur Jahrtausendwende passiv (EI 6, 08.03.2005). Zudem blieb der aktive Beitrag der kommunalen Politik zum Erhalt der Stadtteilzentren in den benachteiligten Gebieten Kiels selbst nach dem Start der genannten Programme im Jahr 2004 ungewiss. Dies galt insbesondere für die Phase nach dem politischen Wechsel an der Stadtspitze. So befeuerte die Entscheidung zugunsten der Ausweitung der Einzelhandelsflächen und der Ansiedlung von günstigen Einkaufsriesen am Stadtrand die Angst der örtlichen Einzelhändler vor allem in Gaarden vor einem weiteren ,Ausbluten' der lokalen Ökonomie im Stadtteil und des Stadtteilzentrurns (vgl. Ratsversammlung Kiel 2005: Vorlage 0234/2005; Kieler Nachrichten 2004). Die Passivität der lokalen Akteure löste sich während der Implementation von URBAN 11 über zahlreiche Initiativen der Stadtteilbüros, die Kiel anlässlich der URBAN- und "Soziale Stadt"-Programme im Ostufer-Gebiet errichtet hatte, allmählich auf. Die Büros nutzten ihre Vermittlerfunktion zwischen der städtischen und der Stadtteilebene zum Anstoß neuartiger, koordinationsorientierter Projekte, durch die die Bedeutung von aktivierungsorientierten Interventionsansätzen in den Vordergrund gerückt wurde. Ein erwähnenswertes Projekt zur Lösung des Leerstandsproblems im Fördergebiet war dabei Z.B. das Projekt Gewerbeimmobilienmanagement. Es ging zurück auf eine Initiative des "Soziale Stadr-Büros im Jahr 2001, wurde von der KiWi getragen und hatte zum Ziel, den Gewerberaumleerstand in Gaarden durch gezielte Vermarktungsaktionen zu beseitigen. Ein zentrales Moment lag dabei in der engen Kooperation der KiWi mit den Haus- oder Ladeneigentümern und den örtlichen Maklern. Aufgrund ihrer Konzertierung gelang es, den Leerstand in Gaarden zu verringern. Geht man vom Erfolgsindikator des tatsächlichen Fördermittelkonsums in den einzelnen Programmschwerpunkten am Ende der Laufzeit von URBAN 11 aus, so offenbart der Vergleich der ursprünglich für die einzelnen Schwerpunkte des Programms veranschlagten FördermitteIanteile mit der letztliehen Inanspruchnahme von Mitteln ungeachtet einzelner Erfolge, dass sich insbesondere die Erwartung, den integrierten Politikansatz umsetzen zu können, nicht erfüllte. Es
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gelang Kiel lediglich ansatzweise, sein URBAN II-Programm für das Ostufer als integriertes Policy-Programm ,mit Leben zu füllen'. Ähnlich wie Dortmund plante die Stadt Kiel, dies wurde oben angedeutet, ursprünglich den größten Teil der im Rahmen von URBAN II insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen ein, die nicht städtebaulicher Natur waren. Circa 53 Prozent der gesamten Fördersumme sollten nach dem Willen der Programmplaner und der Kieler Ratsversammlung für einzelne Revitalisierungsprojekte in den stadtentwicklungspolitischen Teilbereichen der lokalen Wirtschaftsförderung, der Qualifizierungs- und Beschäftigungsförderung der Gebietsbevö1kerung, der sozialen Integration und der ökologischen Bildung von Einzelpersonen und Unternehmen fließen (LHS Kiel 2001b: 10 u. 136). Demgegenüber war der geringere Teil des Budgets, circa 42 Prozent der Fördermittel, für Maßnahmen vorgesehen, die der Stadtsanierung dienen (ebd.). Gegen Ende der offiziellen Programmlaufzeit waren real mehr als 60 Prozent der gesamten Fördersumme in solche Maßnahmenbereiche geflossen, in denen städtebauliche Projekte gefördert wurden (LHS Kiel 2006a: 51). Es überwogen letztlich mithin Maßnahmen im Sinne des traditionellen, vorwiegend distributiven städtebaulichen Ansatzes zur Aufwertung des benachteiligten Ostufer-Stadtgebiets gegenüber innovativen, Prophylaxe-orientierten Projekten in den flankierenden Policy-Teilbereichen der ökonomischen und sozialen Stadtentwicklungsförderung. Zur Erklärung dieses Sachverhalts ist die Policy-analytische Unterscheidung von internen und externen Determinanten der regionalen und lokalen PolicyInnovation hilfreich, die in Kapitel 2 unter Bezugnahme auf Rogers (1995) und Berry/Berry (2007: 234-237) eingeführt wurde. Im Falle Kiels erklärt sich die Entfernung der Stadt von den ursprünglichen Zielsetzungen des URBAN IIProgramms in seiner Implementation durch das Wirken einer Kombination interner und externer Faktoren; sie schmälerten im Ergebnis die Aussicht auf PolicyInnovationen im Feld der städtischen Raumordnungspolitik zugunsten benachteiligter Stadtgebiete als einen Effekt von URBAN 11. Erstens erschwerte die vorherrschende Interessenorientierung der maßgeblichen kommunalen Akteure, konkret die Präponderanz des oben angedeuteten Grundsatzinteresses der Stadtspitze an der Haushaltskonsolidierung und der Vermeidung einer weiteren Verschuldung, die Verwirklichung des anvisierten integrierten Politikansatzes. Das Problem der chronischen Haushaltsknappheit Kiels wirkte sich spätestens ab Beginn des Jahres 2004 implementationshemmend aus, nachdem die Stadt vom Wirtschaftsministerium des Landes Schleswig-Holstein die Funktion als regionalpolitische Verwaltungsbehörde für URBAN II und damit auch die Verantwortung für die Maßnahmenfinanzierung übernommen hatte. Bereits in den 1990er Jahren war der bis 2003 amtierende Oberbürgermeister unabhängig von der Teilnahme Kiels an URBAN dem Problem der städtischen Finanzschwäche mit einem Spargebot begegnet (Gansel 2001: 133f.). Sparen war seitdem die Maxime
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für jedwede kommunalpolitische Entscheidung und für das Handeln der Stadtverwaltung. In Reaktion auf das Finanzproblem war es - dies haben die Experteninterviews offenbart - innerhalb der kommunalen Exekutivleitung (OB und Dezernenten) zur Konstitutierung einer informellen ,Ausgabenkontrollkoalition' gekommen. Diese traf ausgabenwirksame Entscheidungen nur noch nach eingehender Prüfung ihres Nutzens für die Stadt (EI 5, 08.03.2005; EI 40, 06.08.2008). Unter diesen Vorzeichen war es dem für URBAN II zuständigen Amt für Wirtschaft, Verkehr, Stadt- und Regionalentwicklung, das den Gedanken eines europäischen Engagements der Stadt Kiel zu Beginn der 1990er Jahre erstmals formuliert hatte, bereits 1994 schwer gefallen, die kommunale Exekutivleitung von der Idee einer Bewerbung Kiels um die Teilnahme an URBAN I zu überzeugen (EI 40, 06.08.2008). Auf Bedenken war insbesondere die Notwendigkeit einer Kofinanzierung durch die Stadt und damit des Umstands gestoßen, dass jede EU-finanzierte Fördermaßnahme automatisch Ausgaben der Stadt auslöste. Bei der Implementation des URBAN II-Programms wurde die Existenz eines städtischen Ausgabenkontrollbündnisses dann vollends offenkundig. So machte die Stadtführung bezüglich der Projektauswahl zwei grundsätzlich von den Zielsetzungen seines Programms entkoppelte Vorgaben. Zum einen sollte der Verfall von europäischen Fördergeldern, der vor dem Hintergrund der "n+2"-Regel der EFRE-Verordnung während der gesamten Laufzeit von URBAN II stets drohte, in jedem Fall vertnieden werden. Zum anderen sollten angesichts der prekären Haushaltssituation vor allem solche Projekte gefördert werden, bei denen sich der finanzielle Eigenaufwand der Stadt möglichst gering halten ließ (Ratsversammlung Kiel 2004c: Vorlage 1356/2004). Aufgrund der ersten Vorgabe gelangten in den halbjährlich wiederkehrenden ProjektauswaWrunden vor allem solche Projekte in die engere Auswahl, deren KoFinanzierung durch den jeweiligen Träger auf jeden Fall sichergestellt werden konnte. Damit wurden vorrangig Projekte von Trägern berücksichtigt, deren Solvenz bekannt war oder berechenbar erschien, so etwa einschlägige städtische Beteiligungsgesellschaften. Die zweite Vorgabe wiederum ließ die kommunalen Entscheidungsträger in den Fällen, in denen Kiel selbst als Projektträgerin auftrat, bei der Projektauswahl dazu tendieren, solchen Maßnahmevorschlägen den Vorzug zu geben, für deren Realisierung die Stadt nationale Fördermittel als Quelle zur Aufbringung ihres Ko-Finanzierungsanteils nutzen konnte. Dabei handelte es sich allerdings vorwiegend um städtebauliche Revitalisierungsprojekte, für die die Stadt Kiel zur Erbringung ihres Eigenanteils an der Finanzierung der europäischen EFRE-Förderung im Rahmen von URBAN II nationale Städtebauförderungsmittel akquirieren konnte. In der Tat wurden in Kiel vor allem nach der Übernahme der Vollzugsverantworrung durch die Kommune ab dem Jahr 2004 zahlreiche Projektvorschlage des Grünflächen- und des Tiefbauamtes für eine Realisierung im Rahmen des lokalen URBAN II-Programms ausgewählt, denn hierfür konnte die Stadt
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Mittel aus dem Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" einsetzen, dessen Fördergebietskulisse sich ab dem Jahr 2004 in weiten Teilen mit dem URBAN IIFördergebiet deckte (EI 5, 08.03.2005; Ratsversammlung Kiel 2004a: Vorlage 0846/2004). In der Gesamtbetrachtung trug die in der kommunalen Finanzschwäche gründende restriktive Ausgabenpolitik der städtischen Entscheidungsträger dazu bei, dass die Stadt als maßgebliche Akteurin der Projektauswahl und zugleich als bedeutsame Projektträgerin - dies zeigt das folgende Zitat eines Verwaltungsmitarbeiters - im Laufe der Implementation von URBAN II allmählich die Rolle als ,Hüterin des integrierten Ansatzes der sozialen Stadtentwicklungspolitik' aufgab und zu einem Mitnahmeverhalten überging: "Man muss auch da realistisch sein. Ich muss hinzufügen, dass wir (im URBAN-Gebiet; RR) viele Maßnahmen haben, bei denen es um Instandhaltung geht und zu denen die Stadt so von sich aus nicht in der Lagewäre. Ein Beispiel im URBAN-Gebiet, das ja jetzt auch Soziale Stadt-Gebiet ist: die Schwentinemündung. Die alte Schwentinebrücke ist marode und muss seit Langem erneuert werden. Das würden wir mit eigenen Mirteln nicht schaffen. Aber das werden wir jetzt schaffen, dadurch dass wir diese günstige Finanzierung URBAN und Soziale Stadt miteinander verknüpfen, so wie wir es in vielen anderen Projekten auch machen und gemacht haben und dadurch kostet es für die Stadt noch wesentlich weniger" (EI 5, 08.03.2005).
Zweitens erklärt sich die eingeschränkte Umsetzung des integrierten Politikansatzes in Kiel auch aus kommunal-parteipolitischen Differenzen über den Sinn und den Stellenwert einer eigenen städtischen Beschäftigungspolitik. Allgemein gelang es der Stadt Kiel, die den ,,Aufbau" eines "lokalen Beschäftigungspakt(es)" (LHS Kiel 2001b: 69) zu einem "operativen Ziel" erhoben hatte, nur schwer, für die Umsetzung ihres URBAN lI-Programms ihre traditionellen Kooperationspartner im Bereich der lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zu mobilisieren (EI 40, 06.08.2008). Insbesondere die berufsständischen Kammerorganisationen (IH!<, Handwerkskammer) ließen sich nicht für die geplante konzertierte Aktion zugunsten der Verbesserung der Beschäftigungssituation im Ostufer-Stadtgebiet gewinnen (EI 6, 08.03.2005). Bis zum Jahr 2003 blieben die Rückwirkungen dieses Versagens des traditionellen lokalen Korporatismus im Bereich der Beschäftigungspolitik zunächst begrenzt. Denn im Rahmen der Politik der sozialdemokratischen Stadtführung zur Nutzung der staatlich-arbeitsmarktpolitischen Instrumente einer aktiven kommunalen Arbeits- und Qualifizierungsförderung waren nicht die Akteure der lokalen Ökonomie, sondern das örtliche Arbeitsamt und die städtische Beschäftigungsgesellschaft die bevorzugten Partner der Stadt, auch bei der Implementation der lokalen URBAN-Programme ab 1997. So trat die Kieler Beschäftigungsförderung zwischen 1997 und 2004 als Trägerin mehrerer Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte im Ostufer-Stadtgebiet auf und verschaffte somit dem wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Teilbereich der integrierten URBAN I und lI-Handlungskonzepte Geltung (vgl. URBAN-Büro Kiel 1998). Der auf diese
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Weise erreichte Ausgleich der mangelhaften Partnerschaft mit den Sozial- und Wirtschaftsakteuren und örtlichen Betrieben im Bereich der Beschäftigungspolitik entfiel allerdings nach der Kommunalwahl im März 2003. Diese führte einen Wechsel an der Stadtspitze und in der Ratsversammlung herbei, der mit einem Politikwechsel verbunden war. Die neu gewählte OB entschied sich nicht zuletzt angesichts des zu erwartenden Wegfalls der den Kommunen bis dahin gesetzlich zur Verfügung stehenden Arbeitsförderungsinstrumente im Zusammenhang mit der angekündigten Arbeitsmarktreformen des Bundes ~,Hartz-Gesetze'') gegen eine Fortsetzung der aktiven kommunalen Beschäftigungspolitik. Damit brach bereits während der ersten Teilphase des Programmvollzugs ein inhaltliches Standbein des Kieler OP zu URBAN II ersatzlos weg. Die frei werdenden Fördergelder wiederum wurden mit Zustimmung des Begleitausschusses im Rahmen einer Programmänderung auf andere Interventionssschwerpunkte gelenkt, wobei namentlich der stark städtebaulich ausgerichtete Schwerpunkt "Nachhaltige Stärkung und beschäftigungswirksame Verbesserung der lokalen Wirtschaftssttuktur" mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wurde (LHS Kiel 2006a: 9f.). Auch hiermit entfernte sich Kiel während der Implementation von URBAN II also von der Idee des integrierten Ansatzes. Drittens war die Einschränkung dieses ursprünglich zentralen Ziels auch auf das Wirksamwerden eines außerhalb der kommunalen Handlungs- und Entscheidungssphäre liegenden Faktors der Politikinnovation zurückzuführen. Das bis Ende 2003 für die projektbezogene Mittelbewilligung und Vollzugskontrolle zuständige Wirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein vertrat auf den für die Durchführung der europäischen GI relevanten Politikfeldern z.T. andere Konzepte als Kiel und verhielt sich in den entsprechenden Punkten gegenüber der Stadt wenig kooperativ. So lehnte das Land bis Ende 2004 immer wieder einzelne, von der Kommune zur Förderung beantragte Projekte im Rahmen von URBAN II ab. Teils aus Ressortegoismus auf Landesebene, teils aus genuin landespolitischen Gründen wurden u.a. auch solche Projekte ablehnend beschieden, die zur praktischen Realisierung des integrierten Politikansatzes hätten beitragen können, so z.B. Projekte im Bereich der lokalen Sportförderung (EI 3, 07.03.2005). Die genannten Faktoren erklären, weshalb die ursprünglich geplante integrierte Aufwertungsstrategie für das Kieler Ostufer letztlich nur teilweise umgesetzt werden konnte. Insgesamt wurde URBAN II in Kiel vor allem im Bereich der Förderung der lokalen Ökonomie zum Ausgangspunkt von innovativen PolicyInstrumenten. Dabei investierte die Stadt weit stärker als zuvor in den Aufbau gebietsspezifischer Netzwerke - ein Weg, der sich als viel versprechend und erfolgreich zur Revitalisierung benachteiligter Stadtgebiete erwies. Allerdings gelang es Kiel nur teilweise, aus der lokalpolitischen und vor allem finanziellen Begrenzung für eine erneuerte kommunale Intervention zur Stadtteilentwicklung auszubrechen und das Möglichkeitsspektrum der EU-Initiative auszuschöpfen, um den integrier-
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
ten Politikansatz vollständig mit Leben zu füllen. Dieses Defizit wurde auch kaum durch die strategische Bündelung unterschiedlicher Stadtentwicldungsprogramme URBAN und Soziale Stadt - im Ostufer-Stadtgebiet abgemildert; hiermit war eine Schwerpunktsetzung im Bereich der traditionellen Stadterneuerungspolitik durch Sanierung verbunden. 5.2.5.2
Politische Prozessdimension
Die Konzentration von Fördermitteln der EU, des Bundes, des Landes und der Stadt selbst auf dem Kieler Ostufer eröffnete der Stadt zwischen 1997 und 2008 neue stadtentwicldungspolitische Gestaltungsmöglichkeiten, da hiermit, zumindest für das Fördergebiet, eine Entspannung der restriktiven Finanzsituation eintrat. Auf der Grundlage der staatlichen und europäischen Förderung konnte Kiel neuartige Verfahrensansätze im Feld der lokalen Raumordnungs- und Stadtplanungspolitik entwickeln und erproben, die nicht zuletzt aufgrund ihres hohen finanziellen Aufwands unter ,normalen' kommunalpolitischen Bedingungen kaum denkbar gewesen wären. Verfahrensinnovationen, mit denen die Stadt sowohl bei der Programmierung als auch bei der Programmimplementation von den etablierten Prozessmustern im Rahmen der lokalen Stadterneuerungs- und sanierungspolitik abwich, betrafen zum einen die Bürger- und Betroffenenpartizipation an den örtlichen Planungsprozessen und zum anderen auch die kommunale Praxis der PlanersteIlung und -implementation in Interaktion mit den relevanten dritten Akteuren. Programmplanung Bei der Konzeption des URBAN II-Programms beschritten die Kieler Programmplaner zuvor nicht erprobte Verfahrenswege. Dabei konnten sie allerdings, ähnlich wie im Zusammenhang mit der inhaltlichen Gestaltung des Programms, auf den Vorlauf aufbauen, der für die Stadt durch die Teilnahme an der Vorgängerinitiative URBAN I ab 1997 entstanden war. Insgesamt ergab sich sowohl bei der Programmplanung als auch bei der Implementation eine Diskrepanz zwischen den von den zuständigen Fachämtern und Stadtteilbüros unternommenen Anstrengungen zur Verfahrensinnovation und der von der städtischen Exekutivleitung und Politik ausgehenden Bereitschaft, erprobte Neuerungen dauerhaft in die stadtentwicklungspolitische Interventionspraxis zu integrieren. Aufgrund des URBAN I-Vorlaufs stellte sich die Umsetzung der Ideen der Bürger- und Betroffenenbeteiligung einerseits und Beteiligung der örtlichen Interessengruppen am Prozess der Programmplanung zur GI URBAN II im Falle
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Kiels unter anderen Vorzeichen dar als in Dortmund oder auch Le Havre. So lagen den Kieler Programmplanern zum Zeitpunkt der Bewerbung der Stadt um erneute Teilnahme an der europäischen GI bereits die Ergebnisse einer Reihe von Konsultations- und Beteiligungsveranstaltungen vor, die das URBAN-Stadtteilbüro zwischen 1998 und 1999 im Fördergebiet organisiert und durchgeführt hatte (LHS Kiel2001b: 115). Konkret fanden aufInitiative und unter der Regie des URBANBüros zwischen Februar 1998 und September 1999 insgesamt mehr als 17 Veranstaltungen zur Partizipation der Bevölkerung statt. Gegenüber den bis dato im Rahmen der lokalen Stadtsanierungspolitik üblichen Verfahren eröffneten sie deutlich höhere Mitwirkungschancen (EI 40, 06.08.2008). Es handelte sich u.a. um gebiets- und gruppenbezogene Zukunftswerkstätten, Workshops, Fachvorträge, eine konzentrierte Meinungsabfrage unter interessierten Bürgern und Stadtteilakteuren (z.B. Einzelhändlern, Vereinen etc.), einen Stadtteilrundgang und diverse weitere Informationsveranstaltungen (URBAN-Büro Kiel 1998: 58f.; LHS Kiel 2001b: 116). Die Resultate dieser Meinungsfindungs- bzw. -bildungsaktivitäten flossen im Jahr 2000 unmittelbar in die Konzeption des OP zu URBAN 11 ein (EI 1,07.03.2005). Darüber hinaus führte die Stadt Kiel zusätzlich weitere Beteiligungsverfahren speziell im Kontext der Programmierung von URBAN 11 durch. Das auf Stadtteilebene angesiedelte "URBAN-Büro Kiel", das die Stadt Kiel im Rahmen von URBAN 11998 u.a. mit dem Ziel errichtet hatte, die Verbindung zwischen Kommunalpolitik, Stadtverwaltung und den Bürgern im benachteiligten Ostufer-Gebiet zu festigen, erwies sich in diesem Zusammenhang als ,wertvolle' neue Einrichtung. Zusätzlich zu den genannten Veranstaltungen organisierte es zwischen November 2000 und November 2001 neun weitere Beteiligungsverfahren (Ideenwerkstätten, Informationsveranstaltungen). Die Ergebnisse dieser Veranstaltungen flossen teilweise in die Revision des ersten URBAN 11-Programmentwurfs ein (EI 2, 07.03.2005). Außerdem kam es zur Bildung mehrerer Atbeitsgruppen zwischen dem Stadtplanungsamt und einzelnen Bewohnern des Fördergebiets (z.B. die "AG Alt-Ellerbek''), die die Planerstellung zu spezifischen städtebaulichen Sanierungsvorhaben auf dem Kieler Ostufer vorbereiteten (vgl. LHS Kiel 2001b: 116f.). Neben den Ideen der Bürger fanden die Strategie- und Handlungsvorschläge der einschlägigen städtischen Ämter zur Revitalisierung des Ostufer-Stadtgebiets sowie die Ideen und Vorschläge zahlreicher nicht-kommunaler Akteure (örtliche Interessengruppen, Vereine, Verbände auf Stadtteil- und gesamtstädtischer Ebene) Eingang in die Konzeption des URBAN lI-Programms. Auch in diesem Zusammenhang ging Kiel über die üblichen Verfahrensroutinen im Rahmen der lokalen Stadtplanungs- und -sanierungspolitik hinaus (vgl. Büro Soziale Stadt Gaarden 2000: 11f.). Dabei konsultierten die verantwortlichen städtischen Planungsakteure zur Vorbereitung des Kieler "Soziale Stadt"-Programms für den Stadtteil Gaarden und auch des URBAN lI-Programms nicht nur die unmittelbar betroffenen kom-
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
munalen Fachämter und die bekannten nicht-städtischen Partner des kommunalen Policy-Making im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Stadtentwicklung (Kammerorganisationen, Arbeitsverwaltung, Kieler Beschäftigungsförderung), sondern alle städtischen Ämter, die Politik und insbesondere eine ganze Reihe von als Projektträger infrage kommenden Akteuren, vor allem auf Stadtteilebene. Der ersten Entwurfsvorlage im November 2000 ging also ein breit angelegter Konsultationsprozess voraus, den die mittlerweile zwei Stadtteilbüros in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Fachämtern bzw. Stellen, der EU-Regiestelle und dem Amt für Wohnen und Grundsicherung, initiierten und steuerten. Darin einbezogen waren alle einschlägigen städtischen Ämter (Büro Soziale Stadt Gaarden 2000: 12; LHS Kiel 2001b: 117). Insgesamt befragten die Programmplaner 18 kommunale Fachämter zum Erneuerungsbedarf auf dem Ostufer und zu möglichen Handlungsschwerpunkten (Büro Soziale Stadt Gaarden 2000: 12) und holten die Meinung der gewählten Ortsbeiräte (LHS Kiel 2002: 11) sowie der Ratsmitglieder aus dem Fördergebiet und der Stadtratsfraktionen und einer Reihe von nichtkommunalen Akteuren mit Bezug zum Fördergebiet, so z.B. die IHK Kiel, ein (LHS Kiel 2001b: 117). Nicht nur bei der Planungsvorbereitung, sondern auch bei der konkreten Erarbeitung des URBAN II-Programmvorschlags ging Kiel neue Wege. Zum einen beschränkten sich die kommunalen Verantwortungsträger der Planung innerhalb der Stadtverwaltung, gleichsam als ,Lerneffekt' aus URBAN I, nicht mehr auf eine verwaltungsinterne Rückkopplung der Programmentwürfe. Diese wurden vielmehr in den politischen Gremien nicht nur auf gesamtstädtischer, sondern auch auf Stadtteilebene von der EU-Regiestel1e präsentiert und dort diskutiert. Zum anderen zogen die Programmplaner, ähnlich wie in Dortmund, auch externen Sachverstand zu Rate. Die Stadt konsultierte dabei das deutsch-österreichische URBANNetzwerk, dessen Mitglied Kiel seit 1997 war. Die lokalen Akteure beschrieben die externe Beratung durch das Netzwerk und den interkommunalen Austausch als eine positive Erfahrung (EI 40, 06.08.2008), auch wenn diese Aktivitäten nur in Ausnahmefällen zur direkten Übernahme von Ideen geführt hätten (EI 3, 07.03.2005). Die beschriebenen Verfahren stellten bezüglich der lokalen GovernanceMuster im Bereich der Stadtentwicklungspolitik gegenüber den bis dato in Kiel praktizierten Verfahrensweisen zur raumordnungspolitischen Programmplanung weniger deshalb ein Novum dar, weil die betroffenen Stadtteilbewohner und Akteure von Beginn an mehrfach die Chance zur aktiven Beeinflussung der Inhalte erhielten. Sie waren vielmehr vor allem deshalb innovativ, weil sich die Beteiligungschance nicht lediglich auf ein spezifisches, einzelnes Sanierungs- oder Entwicklungsvorhaben bezog, sondern auf die Gestaltung eines umfassenden Entwicklungskonzepts für ein bestimmtes Gebiet (EI 5, 08.03.2005; EI 40, 06.08.2008). Dies wurde von einzelnen Verwaltungsmitarbeitern als ein Fortschritt gegenüber
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den zuvor praktizierten Verfahren beschrieben (EI 7 08.03.2005). Dabei wurden die erprobten Verfahrensneuerungen, die im Kontext der Stadtentwicklungspolitik allgemein anwendbar sind, insbesondere im Hinblick auf die Revitalisierung benachteiligter Stadtquartiere als "sinnvoll" eingestuft (EI 40, 06.08.2008). In anderen verwaltungsseitigen Bewertungen der geschilderten Beteiligungsverfahren schwang allerdings angesichts der hohen finanziellen und personellen Kosten, die mit den beschriebenen Prozessinnovationen verbunden waren, Skepsis bezüglich der Frage mit, ob die erprobten Verfahren dauerhaft in die stadtentwicklungspolitische Interventionspraxis in Kiel übernommen werden können. Diese zur Halbzeit der Implementation geäußerte Skepsis schien berechtigt. In der Tat unternahm die Stadt Kiel bis zum Ende des Untersuchungszeitraums keine gezielten Anstrengungen zur Integration der erprobten Prozessinnovationen in die kommunale Handlungspraxis im Bereich der Stadtentwicklungspolitik. Als innovationshemmemder Faktor erwies sich hier abermals zuallererst die restriktive Haushaltssituation. Der Hinweis auf diesen Sachverhalt diente der Stadtführung als Begründungsbasis für die spezifische Zurückhaltung bei der Bereitschaft zur Aufbringung der Transaktionskosten, die mit der Einführung entsprechender neuer Handlungspraktiken gegebenenfalls verbunden waren. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums im Jahr 2008 blieb es daher bei der vereinzelt zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, die URBAN-Initiative möge zum Schrittmacher von Policy- oder auch Verfahrensinnovationen im Zusammenhang künftiger lokaler Planungsprozesse werden. Weder nutzte Kiel die im Rahmen der Durchführung der europäischen Regionalpolitik grundsätzlich vorgesehenen Evaluierungs-, Bewertungs- und Berichtsanforderungen gezielt zum Ziehen von Lehren noch sind darüber hinausgehende systematische überlegungen bekannt geworden, wie das EU-Programm für die Erzielung von Lemeffekten mit Blick auf bestehende lokale Policy- oder Verfahrensansätze genutzt werden könnte. Die entsprechenden Berichte wurden eher ,pflichtgemäß' und "ohne konkreten Zusatznutzen" für das Design oder die Durchführung der kommunalen Stadtentwicklungspolitik verfasst (EI 40, 06.08.2008). Insgesamt wurden die im Rahmen von URBAN 11 mit der raumordnungs- und stadtentwicklungspolitischen Programmplanung gesammelten Verfahrenserfahrungen nach Einschätzung manches Verwaltungsmitarbeites zunächst "für die Schublade" (EI 40, 06.08.2008) und ohne Aussicht auf Anwendung in anderen lokalen Raumordnungsprozessen produziert. Programrnimplementation Die soeben angesprochene Diskrepanz zwischen den handlungsleitenden Motiven der Akteure auf der städtischen Entscheidungs- und der operativen Ebene wurde
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
auch während des Programmvollzugs erkennbar. Die Stadt Kiel, d.h., zuallererst die Akteure auf Verwaltungs- und Stadtteilebene, schöpfte die Möglichkeiten der URBAN II-Initiative zur Verfahrensinnovation auch im Kontext der Implementation des lokalen Programms weitgehend aus. Dabei entsprach es ihrem Grundanliegen, vor allem eine intensive Beteiligung der Bürger, Betroffenen und einschlägigen nicht-kommunalen lokalen Akteure sicherzustellen. Dieses Grundanliegen stand in Konflikt mit dem Kemziel der städtischen Entscheidungsträger und vor allem der Exekutivleitung, der möglichst "reibungslosen Abwicklung der Gemeinschaftsinitiative URBAN II" (LHS Kiel 2001a: 98). Vor diesem Hintergrund wurden speziell für die Projektauswahl Verfahrenslösungen entwickelt, die eher auf eine Deformation der Beteiligungsidee i.S. der GI URBAN II hindeuteten als auf die tatsächliche Stärkung der Partizipation. Die Tatsache, dass sich Kiel für die allmähliche Operationalisierung seiner Aufwertungsstrategie zugunsten des Ostufers über die halbjährliche Durchführung von Projektwettbewerben unter potentiellen Maßnahmenträgem entschlossen hatte, eröffnete die Möglichkeit, die Bürger während des Implementationszeitraums an der Projektauswahl zu beteiligen. Dem Beteiligungsanliegen entsprechend - aber auch vor dem Erfahrungshintergrund einer gerade bei den Akteuren auf Stadtteilebene als mangelhaft wahrgenommenen Beteiligung an URBAN I - beschloss die Kieler Ratsversammlung dazu im Herbst 2001 ein Verfahren, das den Bürgern Gelegenheit zur Mitwirkung an unterschiedlichen Etappen der Projektauswahl eröffnete (vgl. Abb. 6). Beim Blick auf die aufgezählten Verfahrensschritte wird deutlich, dass den Bürgern zwar die Teilhabe am Prozess der Entscheidungsfindung über die inhaltliche Ausgestaltung der städtischen Aufwertungsstrategie für das Ostufer auf mehreren Ebenen offen stand - konkret über das Votum der gewählten Ortsbeiräte und örtlichen Ratsmitglieder sowie über die Diskussion der einzelnen Aufwertungsprojekte in den beteiligungsoffenen Ortsbeiratssitzungen und anlässlich der eigens vom Stadtteilbüro organisierten Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Ebenso wird aber auch deutlich, dass sich die städtische Führungsspitze und der Rat die endgültige Entscheidung über die Inhalte der Kieler Revitalisierungsstrategie für das Ostufer-Stadtgebiet vorbehielten.
Tiefenwirkungen.? ImpJemenbl.lion von URBAN II in drei europäischen Städten
AbbildNng 6:
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Verfahren der Projektauswahl in Kiel ProJektbegin n
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potentleller Projektträger
Quelle: Ratsversammlung Kiel2004b: V~ 0409/2004, Eigene Darstellung,
Diese Verfahrensgestaltung stellte eine Reaktion auf das beschriebene Dilemma der Stadt dar: Die GI URBAN 11 forderte eine verstärkte Bürgerbetei1igung und die Entwicklung geeigneter Verfahren, Dies brachte allerdings das Risiko mit sich, dass die Beteiligungsverfahren zur Auswahl kostenintensiver Projekte führten, die aufgrund der kommunalen Haushaltssituation u.U. nicht durchführbar waren, was wiederum das Risiko barg, bei den Bürgern und Wählern für Enttäuschung zu sorgen. In diesem Zusammenhang stand bereits vor der eigentlichen Implementation des Kieler OP fest, dass die städtischen Entscheidungsträger sich aufgrund der Haushaltslage gegebenenfalls über die auf Stadtteilebene fottnulierten Interessen oder auch Wünsche würden hinwegsetzen müssen. Das konkrete Problem eines Interessenkonflikts trat dabei allerdings während der Implementation des URBANIl-Programms nicht auf. Dies war schon daher nicht der Fall, weil die reale Mo-
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
bilisierungskraft, die vom ,Ereignis' der Umsetzung der GI URBAN II auf die Stadtteilöffentlichkeit ausging, sich in Grenzen hielt. Die zuständigen Ortsbeiräte bilanzierten gegen Ende des Umsetzungsprozesses ein eher mäßiges, nur im Einzelfall über das übliche Maß hinausreichende Interesse der Fördergebietsbewohner an der Diskussion der URBAN II-Projekte in den Gremiensitzungen (EI 2, 07.03.2005). Ungeklärt bleibt, ob die beschriebene Regelung der einzelfallbezogenen Bürgerbeteiligung am Verfahren der Projektauswahl aufgrund der Notwendigkeit zum kontinuierlichen Engagement von vorn herein wenig reizvoll oder gar demotivierend wirkte oder das Beteiligungsinteresse generell gering war. Die Umsetzung der Verfahrensidee einer dauerhaft verstärkten, direkten Bürgerbeteiligung am kommunalen Policy-Making im Bereich der sozialen Stadtentwicklungspolitik zugunsten benachteiligter Viertel erwies sich in Kiel, ähnlich wie im Falle Dortmunds, im Lichte der spezifischen Rahmenbedingungen des kommunalen Handelns als schwierig. Im Ergebnis jedenfalls konnte das Ziel einer verstärkten Einbindung und Mobilisierung der Bürger und Betroffenen nur mit Einschränkung erreicht werden. Was nun die zweite zentrale verfahrensbezogene Idee des URBAN-Modells der EU-Kommission angeht, stellte die GI aus der Perspektive der Kieler ProgrammpIaner gerade unter den Vorzeichen einer prekären kommunalen Haushaltssituation eine Gelegenheit zum Ausbau der kommunal-privaten oder auch kommunal-öffentlicher Partnerschaftsbeziehungen bei der öffentlichen Aufgabenerbringung dar (LHS Kiel2001b: 87). Im Rahmen des Programmvollzugs wählte die Stadt Kiel mit der halbjährlichen Durchführung eines offenen Projektwettbewerbs einen Weg, der allen denkbaren Projektträgem über die gesamte Dauer der Laufzeit der URBAN-Initiative eine reale Beteiligungschance eröffnen sollte und aus dem dauerhaft neue öffentlich-private Partnerschaften hervorgehen sollten. Es gehörte in diesem Kontext zu den Aufgaben des URBAN-Projektmanagements und auch der Stadtteilbüros, durch die gezielte Information und Konsultation von möglichen Trägern sowie die regehnäßige Durchführung von Informationsveranstaltungen sicherzustellen, dass auch kleinere Akteure, vor allem auf Stadtteilebene, Kenntnis von dem Förderprogramm und der Möglichkeit erlangten, sich mit einem Projektvorschlag um Fördergelder zu bewerben. Trotz intensiver entsprechender Anstrengungen allerdings auch das Ziel einer breiten Partnerschaft mit nicht-kommunalen Akteuren konnte letztlich nicht realisiert werden. Dies verdeutlicht zunächst die Analyse der Projektträgerstruktur, wie sie sich gegen Ende der Programmlaufzeit darstellte. Der überwiegende Teil aller im Rahmen des Kieler URBAN II-Programms implementierten Revitalisierungsprojekte wurde von der Stadt selbst getragen. Nur ein geringer Teil wurde von nicht-städtischen Partnern durchgeführt. Das Tableau der realisierten Einzehnaßnahmen zählte nach Abschluss der letzten Projektauswahlrunde im März 2007
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insgesamt 54 vom schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium und der Kieler Ratsversammlung bewilligte Projekte. Hiervon trug die Stadt unmittelbar, d.h. unter der Verantwortung des einen oder anderen kommunalen Fachamtes, 28 Projekte. Mittelbar war sie zudem an der Durchführung weiterer acht Projekte beteiligt, die von einzelnen kommunal getragenen Betrieben, wie z.B. der KIBA, oder Mehrheitsbeteiligungen, wie z.B. der Kieler Wirtschaftsförderung, der KiWi, getragen wurden (Ratsversammlung Kiel 2007: Vorlage 0159/2007). Insbesondere kleinere Träger mit Verankerung im Fördergebiet waren dagegen innerhalb der Projektträgerstruktur unterrepräsentiert. Die traditionellen Partner der Stadt im Bereich der städtischen Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik wiederum konnten zudem, ähnlich wie im Falle Dortmunds, kaum für ein Engagement im Rahmen des lokalen URBAN II-Programms gewonnen werden. Die Gründe für die aufgezählten Befunde sind vielfältig. Erstens erklären stadtintern politische Bedingungen, so insbesondere der oben angesprochene politische Wechsel an der Stadtspitze und im Rat, die Diskrepanz zwischen der angestrebten breiten Partnerschaft und der letztliehen Dominanz der Stadt selbst innerhalb der Projektträgerstruktur. Zweitens hatten die kommunalen Fachämter, die sich als mögliche Projektträger an den halbjährlichen Projektwettbewerben beteiligen konnten, gegenüber nicht-städtischen Akteuren in diesem Verfahren einen klaren Startvorteil. Sie verfügten aufgrund ihrer vertieften Kenntnis des örtlichen Bedarfs insbesondere im Infrastrukturbereich gegenüber nicht-kommunalen Trägem über einen Wissensvorsprung, der bei der Projektauswahl von Vorteil war. Zudem konnten sie bei prozeduralen Fragen, etwa bei Formalien der Antragsformulierung, von ihrer größeren Erfahrung profitieren (LA.U. 2003: 100). Bedeutsam war außerdem der privilegierte Zugang und die enge, institutionell untermauerte Verbindung der einschlägigen Ämter zu den kommunalpolitischen Entscheidungsträgem an der Stadtspitze und in der Ratsversammlung (ebd.: 20). Drittens begünstigte das Verfahren des offenen Projektwettbewerbs zwar einerseits den Zugang für alle denkbaren Träger. Auch war die Teilnahme an URBAN II nicht zuletzt aufgrund der intensiven Werbung des Projektmanagements und der EU-Regiestelle anfänglich sehr nachgefragt, was in den ersten Auswahlrunden einen regelrechten "Rückstau" an Vorschlägen verursachte (EI 40, 06.08.2008). Jedoch eröffnete das Wettbewerbsverfahren andererseits bestimmten Trägern, deren Engagement die Stadt als wünschenswert erachtete, die Möglichkeit, sich aus der Übernahme von Verantwortung für die benachteiligten Stadtquartiere ,auszuklinken', ohne dabei Reaktionen, wie z.B. ,blaming and shaming' durch die Lokalpresse oder die Kritik städtischer Mandatsträger, befürchten zu müssen. Dies galt gerade für die aufgrund ihrer langjährigen Kontakte zur Stadt privilegierten und in der Regel mit größeren Ressourcen ausgestatteten traditionellen Partner der Kommune im wirtschaftspolitischen Bereich.
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Viertens trugen auch exogene Faktoren, so namentlich die Verfahrensvorschriften der EU für URBAN 1I, dazu bei, dass die Errichtung von Implementationspartnerschaften gerade mit kleineren Partnern mit Verankerung auf Stadtteilebene in Kiel zu einem schwierigen Unterfangen wurde. So zeigte sich während der Programmimplementation, dass derartige Träger häufig nicht die finanziellen Kapazitäten besaßen, um - wie von der EU-Kommission gefordert - bei der Implementation der von ihnen vorgeschlagenen Projekte in Vorleistung zu treten (I.A.U. 2003: 100). Die Stadt, die selbst unter dem Druck einer prekären Haushaltssituation steht, hatte ihrerseits gerade in der zweiten Hälfte des Programmvollzugs nach der übernahme der Vollzugsverantwortung vom Land kein Interesse daran, Organisationen mit geringer Finanzkraft als Partner und Projektträger zu gewinnen. Ihr Fokus war, wie oben dargelegt wurde, primär auf die reibungslose Abwicklung des URBAN II-Programms gerichtet. Dazu gehörte das optimale Ausschöpfen der EU-Fördermittel, was wiederum nur bei einer entsprechenden Ko-Finanzierungskapazität gelang. Insgesamt wurden in Kiel zur Umsetzung der verfahrensbezogenen Ideen der verstärkten Bürgerbeteiligung und der partnerschaftlichen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zwar Neuerungen erprobt, auch sollten insbesondere die Maßnahmen zur Verwirklichung der Partnerschaftsidee für die dauerhafte Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Stadt mit Blick auf das Problem der sozialen Spaltung und der Entstehung oder Existenz benachteiligter Viertel eingesetzt werden. Allerdings führten die städtischen Verantwortungsträger das URBAN-Experiment in dem Bewusstsein durch, dass mit der europäischen Förderung eine zeitlich begrenzte finanzielle ,Ausnahmesituation' für die Stadt hergestellt wurde. Die Tatsache, dass Kiel die europäischen Fördergelder möglichst effizient und zudem Kosten sparend nutzen wollte und sich dabei im Rahmen von URBAN zugleich dem Druck zur Produktion von nachweisbaren Erfolgen ausgesetzt sah, führte bei der Planung und Implementation des lokalen URBAN lI-Programms dazu, dass die Gelegenheit der EU-Initiative nur z.T. zur nachhaltigen Verfahrensinnovation genutzt werden konnte, während es z.T. zur Reproduktion bekannter Verfahrensroucinen und z.T. zur Deformation der EU-Ideen kam. Aus Sicht der operativen Akteure - dies ergaben die Experteninterviews - war es zweifelhaft, ob die erprobten Innovationen eine Chance auf Übernahme in die längerfristige städtische Handlungspraxis hatten. Denn diese Verfahrensinnovationen waren aus Sicht der Stadt dauerhaft mit einem unverhältnismäßig hohen Kosten- und Personalaufwand verbunden oder wurden in ihrer beispielgebenden Wirkung - dies wird an der Umsetzung des Ziels der partnerschaftlichen Programmimplementation deutlichbereits in ihrer Testphase aufgrund des Wirksamwerdens bestimmter interner und exogener Faktoren einer Policy-Innovation beschnitten (städtische Ausgabenkontrollkoalition, mangelnde Unterstützung durch das Land).
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Im Rahmen der Umsetzung von URBAN II erprobte Kiel schließlich auch bei der Gestaltung der städtischen Strukturen zur Steuerung und Verwaltung der Implementation ebenfalls einzelne Neuerungen, hielt aber gerade hier zum großen Teilwie Dortmund - an Bewährtem fest. 5.2.5.3
Politisch-administrative Strukturdimension
Auch bei den städtischen Politik- und Verwaltungsstrukturen konnte Kiel, wie bei der Umsetzung der Policy- und verfahrensbezogenen Innovationsanforderungen, an die mit URBAN I gesammelten Erfahrungen anknüpfen und auf die in diesem Zusammenhang bereits etablierten Organisationsneuerungen aufbauen. Bereits anlässlich der Teilnahme an URBAN I hatte die Kieler Stadtführung die Gelegenheit zur Anpassung der kommunalen Verwaltungsorganisation an die vor dem Hintergrund (temporär) geänderter Rahmenbedingungen entstandenen Anforderungen für die städtische Intervention zugunsten benachteiligter Gebiete ergriffen. Konkret beschloss die Kieler Ratsversammlung im Zusammenhang der Implementation von URBAN I zwei organisationsbezogene Neuerungen. Eine erste bestand in der Einrichtung der bereits mehrfach erwähnten EU-Regiestelle beim Amt für Wirtschaft, Verkehr, Stadt- und Regionalentwicklung. Sie hatte als administrative Querschnittseinheit die Aufgabe, verwaltungsintern die aufgrund der Idee des integrierten Politikansatzes gebotene Koordination der einzelnen einschlägigen Fachpolitiken zu gewährleisten. Nach außen war sie für die Kooperation der Stadt mit ihren nicht-kommunalen Partnern sowohl bei der Programmierung als auch bei der Programmprojektierung und -implementation zu organisieren, war also für das Projektmanagement zuständig (LHS Kiel 1997: 69). Eine zweite Anpassung bestand in der als temporär geplanten Errichtung eines Stadtteilbüros, des URBAN-Büros Kiel, im Fördergebiet. Das URBAN-Büro, dessen Leitung die Stadt einer privaten, professionellen Stadtentwicklungsagentur übertrug, hatte die Aufgabe, als fachübergreifende Relaisstation der Stadtverwaltung "vor Ort" eine einheitliche Anlaufstelle für die Bürger und Akteure im benachteiligten Gebiet zu wirken, den Bottom up-Informationsfluss von der Bevölkerung zur Stadtverwaltung und Politik zu organisieren und die städtischen Pläne im Rahmen der Revitalisierung des Ostufers nach unten, in den Stadtteil zu kommunizieren. In beiden Funktionsbereichen kooperierte das URBAN-Büro eng mit der EU-Regiestelle. Bereits im Vorfeld der Bewerbung um die Teilnahme an URBAN II stand für die kommunalen Verantwortungsträger fest, dass diese strukturellen Neuerungen, die sich im Zusammenhang mit der Implementation des URBAN I-Programms als sinnvolle Innovationen erwiesen hatten, im Falle der Beteiligung der Stadt an UR-
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BAN II beibehalten werden sollten (EI 1,07.03.2005). Zusätzlich waren zwei weitere strukturbezogene Anpassungen zu beobachten. Zum einen beschloss die Kieler Ratsversammlung nach Bekanntwerden der Aufnahme in den Kreis der deutschen URBAN II-Städte im Jahr 2000 die auf die Dauer der Laufzeit der GI beschränkte temporäre Einrichtung des bereits erwähnten "Projektmanagements URBAN II". Dieses sollte als nicht-kommunales Organ die Stadtverwaltung und hier zuallererst die hauptverantwortliche EU-Regiestelle bei der verwaltungs technischen Abwicklung von URBAN II unterstützen und den lokalen Behörden professionelle Hilfestellung bei der Erfüllung der administrativen und technischen Aufgaben bieten. Zum anderen konstituierte sich innerhalb der Verwaltung auf Initiative der EU-Regiestelle eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe URBAN 11 Hier kamen die Vertreter aller einschlägigen Fachämter zusammen. Die informelle AG hatte die Aufgabe, die inhaltliche Koordination der für die Implementation der städtischen Revitalisierungssttategie relevanten Policies zu gewährleisten. Während die Stadt im Rahmen von URBAN I die Aufgaben des Projektmanagements, also der Information, der Konsultation und der Beratung sowie Kontrolle der Projektträger selbst, übernommen hatte (durch die eigens zu diesem Zweck eingerichtete EU-Regiestelle), entschloss sie sich bei der Implementation von URBAN II dazu, dem federführenden Amt und der EU-Regiestelle Unterstützung eines privaten Anbieters planerischer Dienstleistungen zur Seite zu stellen. Die Zuständigkeit für die administrative Abwicklung der Programmimplementation verblieb also formal innerhalb der städtischen Ämterstruktur. Allerdings wurden einzelne im Kontext der Umsetzung der URBAN II-Initiative anfallende Verwaltungsaufgaben bereits vor Beginn der eigentlichen Implementation des Programms auf der Grundlage einer zeitlich befristeten Auftragsvergabe als Projekt im Programmschwerpunkt "Technische Hilfe" an einen privaten, professionellen Stadtplanungs- und -entwicklungs träger delegiert (LHS Kiel 2002: 7). Das externe Programmmanagement nahm seine Tätigkeit 2001 auf. Es war auf Stadtteilebene im URBAN-Büro angesiedelt und übernahm die folgenden Aufgaben:
• •
es unterstützte die EU-Regie stelle bei der Programmkonzeption, u.a, durch Konsultation einschlägiger Träger, Organisation von Informationsveranstaltungen, während der Implementationsphase übernahm es die Organisation der Projektwettbewerbe, fungierte als permanente Anlauf- und Beratungsstelle für Projektträger, überwachte diese bei der Projektimplementation, übernahm das Berichtswesen und nahm für die Stadt an den regelmäßigen Treffen des interkommunalen deutsch-österreichischen URBAN-Netzwerks teil.
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In der Wahrnehmung der aufgezählten Funktionen kooperierte das Projektmanagement eng mit der EU-Regie stelle, deren Fachaufsicht es unterworfen war (LHS Kiel 2001b: 98). Die Entscheidung für die Errichtung eines externen Projektmanagements findet ihre Erklärung in dem bereits erwähnten Ziel der Stadtführung, zu einer "möglichst reibungslosen Abwicklung" der europäischen GI zu gelangen (ebd.). Die Aus1agerung eines Teils der programmspezifischen Verwaltungsaufgaben war rational, da die Stadt auf diese Weise bei geringem eigenem Personal- und kontrollierbarem Kostenaufwand eine höchstmögliche Effezienz und Effektivität der Aufgabenerledigung erwarten konnte. Dementsprechend waren in Kiel während der Umsetzung von URBAN II dauerhaft nicht mehr als drei Verwaltungsmitarbeiter voll mit der Programmimplementation beschäftigt (EI 40, 06.08.2008). Insbesondere nach der Übernahme der Vollzugsverantwortung vom Land im Jahr 2004 stellte sich die Entscheidung zur Einrichtung eines externen Projektmanagements als sinnvoll dar. So konnte die Stadtverwaltung nach dieser Aufgabendezentralisierung von dem spezifischen Know-how der professionellen Planer im Umgang mit europäischen und nationalen Programmen der Stadtentwicklungsförderung profitieren, Handelte es sich bei der Auslagerung mithin aus städtischer Perspektive um einen Schritt zur Rationalisierung kommunalen Handelns und Reduktion von Komplexität, so war mit dieser Organisationsentscheidung allerdings zugleich stillschweigend auch die Entscheidung gegen die Nutzung von URBAN II als "Gelegenheitsfenster" zum steuerungsrelevanten Lernen der Stadtverwaltung verbunden. Im Unterschied etwa zum Dortmunder Fall stellte das Ziehen von steuerungsrelevanten Lehren zwar aus der vereinzelten Perspektive des einen oder anderen Mitgliedsglieds der Kieler Ratsversammlung oder auch Verwaltungsmitarbeiters ein wünschenswertes Ergebnis der ,Erfahrung URBAN' dar. Eine systematische Produktion entsprechender Lehren für die künftige (soziale) Stadtentwicklungspolitik der Stadt Kiel, z.B. aufgrund einer geziehen Entscheidung zur wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Umsetzungsprozesses, streb-ten die kommunalen Verantwortungsträger während der Umsetzung von URBAN II allerdings ebenso wenig an wie das verfahrensbezogene Lernen. Die zweite hervorhebenswerte Strukturanpassung bestand in der Bildung einer verwaltungsintemen ämterübergreifenden Arbeitsgruppe. Bei der AG handelte es sich um eine halbformelle temporäre Struktur, die auf Initiative der EURegiestelle, jedoch ohne förmlichen Beschluss der Stadtführung oder der Ratsversammlung errichtet wurde. Sie setzte sich aus Vertretem aller direkt betroffenen Fachämter zusammen, d.h., sie integrierte neben dem federführenden Amt für Wirtschaft, Verkehr, Stadt- und Regionalentwicklung bzw. ab 2004 dem Stadtplanungsamt die folgenden Ämter: •
das Amt für Immobilienwirtschaft,
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
das Grünflächenamt, das Amt für Familie und Soziales, das Jugendamt, das Amt für Wohnen und Grundsicherung, das Kulturamt, das Amt für Volkshochschule und das Rechnungsprüfungsamt.
Die Arbeitsgruppe tagte zweimal jährlich im Rahmen der Projektauswahlverfahren unter Federführung der EU-Regiestelle (EIl, 07.03.2005). Ihre Aufgaben waren die inhaltliche Koordination der betroffenen Policies und die Vorauswahl der Revitalisierungsprojekte für das Ostufer-Stadtgebiet unter Beachtung einerseits der im OP niedergelegten Ziele und andererseits der Ziele, Handlungsprämissen und Vorgaben der Stadtführung. Neben der Arbeitsgruppe zu URBAN II existierte eine zweite, ähnlich zusammengesetzte verwaltungsinterne Arbeitsgruppe zur Implementation des Kieler "Soziale Stadt"-Programms. Sie trat monatlich zusammen und koordinierte angesichts der teilweisen Überschneidung der Fördergebietskulissen - dies betraf insbesondere den Problemstadtteil Gaarden - und damit der Problemkonstellationen beider Programme die programmspezifischen Fördermaßnahmen. Vor allem die URBAN II-AG war in erster Linie ein aus pragmatischen Erwägungen der EU-Regiestelle heraus gebildetes Gremium. Ihm fehlte, ganz abgesehen vom Fehlen einer institutionellen Verankerung innerhalb der städtischen Verwaltungsorganisation, eine formale Entscheidungsmacht. Die AG hatte allerdings auch keinen explizierten eigenen Gestaltungs- oder Steuerungsanspruch (EI 40, 06.08.2008). Ihre Errichtung erschien damit lediglich auf den ersten Blick als eine mit der ,Erfahrung URBAN' verbundene Organisationsinnovation. Zudem hatte es bereits vor URBAN, wie oben angesprochen, der Praxis innerhalb der Kieler Stadtverwaltung entsprochen, zur Lösung komplexer, fachbereichsübergreifender Policy-Probleme nicht nur auf den informellen bilateralen Austausch zwischen einzelnen Amtern zu rekurrieren, sondern darüber hinaus jeweils für die Dauer des betreffenden Problembearbeitungsprozesses halbformelle ämterübergreifende Strukturen zu errichten (EI 40, 06.08.2008). Die Errichtung der URBAN II-AG fügte sich in diese Praxis ein. Nach Einschätzung der federführenden Verwaltungsstellen für die Programme URBAN II und "Soziale Stadt" stellten die zwei programmbezogenen Amter-AGen grundsätzlich sinnvolle Einrichtungen dar, da sie die inhaltliche Abstimmung der einschlägigen Politikbereiche ermöglichten und dazu beitrugen, dass eine Überschneidung von Maßnahmen vermieden werden konnte (EI 5, 08.03.2005; EI 40, 06.08.2008). Ergänzt wurde die Arbeit der Arbeitsgruppen dabei noch zusätzlich über die jederzeitige, bedarfsorientierte informelle Abstimmung
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
~,aufkurzem
223
Wege"; EIl, 07.03.2005) zwischen der EU-Regiestelle und dem Amt
für Wohnen und Grundsicherung und den weiteren einschlägigen oder betroffenen
Ämtern. In der Praxis der Implementation des URBAN II-Programms fungierte die URBAN II-AG allerdings insbesondere während der zweiten Hälfte des Implementationszeitraums weniger als ,neutrale' Sachwalterin des Förderprogramms und fachlich versierte Agentin der Projektauswahl als vielmehr als verwaltungsintemes Filtergremium. Hier wurden zum einen von den genannten Ämtern Revitalisierungsprojekte in den Auswahlprozess eingebracht, die mit der städtischen Orientierung des optimalen, d.h. vollständigen und für die Stadt kostengünstigen Ausschöpfens der zur Verfügung stehenden EU-Fördermittel korrespondierten. Zum anderen wurden externe Projektvorschläge auf ihre finanzielle Solidität und Ergiebigkeit geprüft, also auf ihr Potential zur finanziellen Entlastung der Stadt angesichts der Notwendigkeit zur Sicherstellung der nationalen Ko-Finanzierung. Neben den soeben beschriebenen, die gesamtstädtische Ebene betreffenden Strukturanpassungen nahm Kiel zur Implementation von URBAN 11 keine zusätzlichen Strukturadaptionen, Z.B. auf Stadtteilebene, vor. Grundsätzlich bestand unter den kommunalen Verantwortungsträgem in Verwaltung und Politik Einigkeit darüber, dass die Arbeit der schon bei URBAN I eingerichteten Stadtteilbüros fortgesetzt und ausgebaut werden sollte, da sie sich als wertvolle ,Impulsgeber' für Policy-Innovationen und die Aktivierung und Beteiligung der Stadtteilbevölkerung sowie die Mobilisierung von Projektträgem bewährt hatten. Die Kieler Ratsversammlung beschloss daher das Projekt "Stadtteilmanagement", mit dem die Finanzierung und das Aufgabenspektrum des URBAN-Büros für den Zeitraum der Implementation von URBAN 11 geregelt wurde. Darüber hinaus wurden vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Förderung durch URBAN II und "Soziale Stadt" die Aufstockung der Personalkapazitäten des Büros und seine Verteilung auf zwei Standorte - Gaarden und Ellerbek - beschlossen. Bis zum Jahr 2007, also bis kurz vor Ende der finanziellen Förderung durch URBAN, blieb allerdings ungewiss, ob diese neu geschaffenen Strukturen von Dauer sein sollten und wie gegebenenfalls ihre Nachhaltigkeit gewährleistet werden sollte. Unter den kommunalen Verantwortungsträgem gab es bis zum Jahr 2007 keinerlei gezielte Überlegungen dazu, ob das URBAN-Stadtteilbüro zur dauerhaften Einrichtung auf Stadtteilebene gemacht werden oder bis zum Auslaufen der Förderinitiative im Status von temporären Institutionen verbleiben sollte. Im Hinblick auf die Frage der Organisation der vertikalen intergouvemementalen Beziehungen zwischen Stadt und Staat lieferte Kiel ein Beispiel für die Schwierigkeiten des von der EU-Kommission seit den späten 1980er Jahren verttetenen Prinzips der ebenenübergreifenden vertikal-intergouvemementalen Partnerschaft. Anhand des Kieler Falls ließ sich die Bedeutung studieren, die eine enge Kooperation der staatlichen und der städtischen Ebene und eine funktionierende
224
5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Mehrebenenpartnerschaft angesichts der Begrenztheit der kommunalen Handlungsspielräume gerade für die Problemlösungsfähigkeit einer integrierten sozialen Stadtentwicldungspolitik hat. Die Beachtung des Partnerschaftsprinzips der EU-Regionalpolitik musste von den nationalen Akteuren seit 1988 über die Errichtung spezifischer Begleitstrukturen zur Programmimplementation nachgewiesen werden. Für eine ,reibungslose' Umsetzung ihrer Aufwertungsstrategie zugunsten des Ostufer-Stadtgebiets war Kiel allerdings nicht allein auf eine funktionierende Kooperation mit dem Land in den strukturpolitischen Begleitgremien angewiesen. Zusätzlich war eine enge partnerschaftliehe Kooperation zwischen dem Land und der Stadt auch in der Verwaltungs- und Steuerungsarena erforderlich, die durch das nationale Raumordnungsrecht und die staatlich-städtische Aufgabenverteilung und Verwaltungsorganisation vorstrukturiert ist. Dies war im Falle Kiels umso notwendiger, als die Stadt, im Unterschied etwa zu Dortmund, zur Programmoperationalisierung den von der EU-Kommission favorisierten Weg der wettbewerbsbasierten Projektermittlung ging. Bei der Projektauswahl war Kiel bis zur Dezent-ralisierung der Implementationsaufgabe auf die Zustimmung des Wirtschaftsminis-teriums des Landes angewiesen und unterlag in einzelnen von der Implementation der URBAN II-Programms berührten Politikfeldem der Rechts- und z.T. der Fachaufsicht des Landes. Das MWTV hatte die Aufgabe, gegebenenfalls in Abstimmung mit weiteren Fachressorts innerhalb der Landesregierung, die Förderfähigkeit der von Kiel beantragten Aufwertungsprojekte aus nationalstaatlicher und Landessicht zu bewerten. Daher kam dem Ministerium im Rahmen des halbjährlichen Projektauswahlverfahrens eine Schlüsselstellung zu. Aus der Zuständigkeitsverflechtung zwischen Staat (Land) und Stadt erwuchsen bis zum Ende des Jahres 2003 immer wieder Konflikte zwischen beiden Ebenen. Das Ministerium stellte in mehreren Fällen die Förderfähigkeit der von Kiel beantragten Projekte in Frage und lehnte eine Fördermittelbewilligung in einzelnen Fällen ab. Dabei gaben teils eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Idee des integrierten Politikansatzes den Ausschlag, teils divergierende Auffassungen über die fachliche Angemessenheit einzelner Maßnahmen. Insbesondere Projekte mit einem sozialpolitisch ausgleichsorientierten Förderansatz zugunsten der Bewohner des Ostufergebiets wurden immer wieder in ihrer Förderfähigkeit in Frage gestellt. Ein Grund hierfür lag darin, dass das Ministerium bei der Bewilligung von URBAN II-Projekten gegenüber anderen Landesressorts, etwa dem Sozialministerium oder dem für die Städtebauförderung zuständigen Innenministerium, aus seiner fachlichen Logik und der Erfahrung mit der EU-Regionalpolitik eine einseitige Schwerpunktsetzung im Bereich des Standortausbaus zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Ökonomie und Generierung von Wachstum verfolgte. Die Idee einer umfassenden Mobilisierung auch der gesellschaftlichen und/oder ökologischen Potentiale im Fördergebiet war vor diesem Hintergrund zweitrangig
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
225
(EI 14, 25.04.2006). Ein bereits oben angeführtes Beispiel für eine landespolitisch begründete Projektablehnung betraf das von der Stadt beantragte Projekt zur finanziellen Unterstützung der Sanierung eines Sportvereinsheims im Fördergebiet. Gegen Ende des Jahres 2003 beschloss die Landesregierung im Einvernehmen mit der Stadt Kiel die Auflösung der geschilderten Politikverflechtungskonstellation und die vollständige Übertragung der Vollzugsverantwortung für das URBAN II-Programm vom Land auf die Stadt. Das Ende der von keinem der beiden Akteure tatsächlich gewollten Mehrebenenpartnerschaft hatte implementationspraktisch vor allem eine Verkürzung und Vereinfachung des oben dargelegten mehrstufigen Verfahrens der Projektauswahl zur Folge. So entfielen nunmehr die Notwendigkeit zur Beantragung der Freigabe von Fördergeldern und förderrechtlichen Prüfung auf Landesebene (Ratsversammlung Kiel 2004b: Vorlage 0409/2004). Neben den handlungspraktischen Konsequenzen mit unmittelbarem Bezug zur Praxis der Implementation des URBAN II-Programms konnte der Übertragungs beschluss aber auch als ein Experiment zur Politikentflechtung und Dezentralisierung im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklungspolitik betrachtet werden. So handelte es sich bei der Abgabe der Vollzugsverantwortung für die europäische Gemeinschaftsinitiative vom Land auf die Stadt formal zwar nicht um eine echte Kommunalisierung oder Kompetenzübertragung im Sinne der Landesverfassung (vgl. Art. 49 Verfassung des Landes Schleswig-Holstein). Jedoch legte das Land damit die alleinige Zuständigkeit für einen Teil der in Schleswig-Holstein nicht als autonomer Policy-Bereich etablierten sozialen Stadtentwicklungspolitik in kommunale Hände. Aus der Sicht des Landes stellte dies einen über den engen Bezug des URBAN-Programms hinausreichenden Schritt in Richtung auf eine stärkere Regionalisierung oder ,städtischen Dimensionierung' der europäischen Regionalförderprogramme dar. Im Wirtschaftsministerium wies man in diesem Kontext darauf hin, dass nicht nur die Akteure auf der staatlichen, sondern auch die Akteure auf der lokalen Ebene die von der EU-Kommission eingeforderte Mehrebenenkooperation, die das angenommene Gatekeeping-Verhalten des Staates verhindern soll (Bache 1999; Tofarides 2003), mitunter als "Zwang zur Partnerschaft" wahrgenommen würde (E 14, 25.04.2006). In der Tat wurde auch in Kiel die Übertragung der Vollzugsverantwortung von der OB und der Ratsversammlung zunächst als ,vorteilhaft' wahrgenommen, da die Stadt damit freie Hand für die inhaltliche Ausgestaltung und Operationalisierung ihres PGI im Sinne der geplanten Strategie gewann (Ratsversammlung Kiel 2003: Vorlage 1166/2003). Ausgehend vom formal universellen Aufgabenspektrum der deutschen Städte und Gemeinden und der ,,Allzuständigkeitsthese" als einer zentralen Säule der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland (Häußermann/Siebel/Läpple 2008: 331) hatte die Stadt nunmehr grundsätzlich die Freiheit zur ungestörten Verwirklichung ihrer Revitalisierungsstrategie zugunsten des Ostufer-Stadtgebiets. In der Realität der weiteren Programmimplementation wurde
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
allerdings rasch erkennbar, dass die Stadt Kiel angesichts der Einschränkung ihrer Handlungsfähigkeit unter den Vorzeichen ihrer restriktiven Haushaltssituation und eines wachsenden Drucks zur Anpassung der öffentlichen Aufgabenerbringung vor dem Hintergrund des anhaltenden Strukturwandels weiterhin auf die Partnerschaft mit dem Land angewiesen blieb. Bereits unmittelbar nach der Verantwortungsübernahme im Jahr 2004 suchte Kiel erneut die enge Kooperation mit der Landesebene, da der von der Additionalitätsregel ausgehende Druck nur auf dem Wege einer Finanzierungspartnerschaft mit dem Land bewältigt werden konnte. Konkret gelang es der Stadt, mit dem zuständigen Innenministerium die Zusam-menlegung der Fördergebietskulissen des URBAN II- und des Soziale Stadt-Programms zu vereinbaren. Dieser Schritt entlastete Kiel ab September 2004 für die restliche Dauer der Laufzeit von URBAN II zu einem großen Teil von der Sorge um die Organisation privater oder sonstiger öffentlicher Ko-Finanzierungsmittel. Zugleich hatte er allerdings auch den oben dargelegten Effekt einer weitgehenden inhaltlichen Verengung des Kie1er URBAN II-Programms auf klassisch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen zur Folge. Das Beispiel verdeutlicht, dass die partnerschaftliehe Kooperation von Staat und Stadt und insbesondere eine flexible Finanzierungspartnerschaft notwendige Voraussetzungen für die nachhaltige Funktionsfähigkeit des Ansatzes einer integrierten, gebietsbezogenen Stadtentwicklungspolitik zugunsten benachteiligter Stadtgebiete darstellen. Dabei blieb die Durchsetzung dieses Ansatzes im Falle Kiels/Sch1eswig-Holsteins am Ende des Untersuchungszeitraums ungewiss; ein Transfer-Effekt der Erfahrung mit der Implementation von URBAN II schien vor allem aus Haushaltsgründen fraglich. In der Gesamtbetrachtung kann festgehalten werden, dass die Teilnahme an der GI URBAN im Falle Kiels die Hervorbringung organisationsbezogener Innovationen im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklungspolitik zwar begünstigte. Wird von der EU-Regie stelle abgesehen, die für die Stadt Kiel auf lange Sicht weniger die Funktion einer ressortübergreifenden, stadtentwicklungspolitischen Steuerungseinheit besaß als vielmehr die Funktion einer spezifischen Verwaltungseinheit zur Beobachtung des europäischen und nationalen ,Fördermittelmarktes', so darf die nachhaltige Etablierung der gefundenen Organisationslösungen vor dem Hintergrund des Wirksamwerdens bestimmter sowohl stadtinterner als auch -externer Determinanten der Innovation bezweifelt werden. Demgegenüber wurde an den Beispielen des Projektmanagements und der Stadtteilbüros erkennbar, dass die städtischen Verantwortungsträger unter den ,Ausnahmebedingungen' des europäischen Fördermittelflusses zwar neue Organisationslösungen erprobten, längerfristige Änderungen der organisatorischen Grundlagen zur Steuerung der Stadtentwicklungspolitik und zur Strukturierung der stadtentwicklungspolitischen Governance jedoch nicht anstrebten.
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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5.2.6 Schlusifolgerungen Aus der Fallstudie zur Programmierung und Implementation von URBAN 11 in Kiel kann, wie im Falle Dortmunds, die Frage nach den Wirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik auf die (lokal-) staatliche Intervention zugunsten benachteiligter Stadtgebiete mit wenigstens drei Schlussfolgerungen beantwortet werden. Die Ergebnisse zu Kiel bestätigen dabei die Befunde für den Dortmunder Fall teilweise und teilweise weichen sie von diesen ab. Im Unterschied zu Dortmund wird anhand des Kieler Falls erstens offenkundig, wie voraussetzungsvoll die Strategie der EU-Kommission zur Einleitung von nationalem Institutionenwandel über den experimentellen, anreizbasierten ,Steuerungsvorstoß' in ein nicht oder kaum formal europäisiertes Politikfeld ist. In Kiel kam es zwar durchaus zu Ansätzen einer lokal stadtentwicklungspolitischen Zielund Instrumentenerneuerung sowie Verfahrensinnovation. Sie waren vor allem im Interventionsbereich der Förderung der lokalen Ökonomie im Ostufer-Stadtgebiet zu beobachten. Hier wurden einzelne, auf die spezifischen wirtschaftsstrukturellen Probleme und die Bedarfe der ansässigen mittleren, kleinen und Kleinstbetriebe zugeschnittenen, aktivierenden Fördennaßnahmen umgesetzt. Unter dem Eindruck des Wirkens unterschiedlicher stadtinterner und exogener Faktoren - Haushaltsdruck, lokaler Politikwechsel, geringe Unterstützung durch das staatliche Umfeld der kommunalen Politik - kam es in Kiel während der Implementation von URBAN 11 allerdings lediglich zu einer eingeschränkten Erneuerung der lokalen Politik zugunsten des benachteiligten Ostufer-Stadtgebiets. Vor allem konnte unter den genannten Vorzeichen die übergreifende Idee des integrierten Politikansatzes nur teilweise umgesetzt werden. Dabei erfüllten sich die mit dem Wettbewerbsverfahren zur Projektauswahl verknüpften Hoffnungen der Stadt auf eine gelenkte, systematische Hervorbringung von Policy-Innovationen nicht in dem gewünschten Maße. Anfänglich brachten zahlreiche unterschiedliche Träger in allen drei Interventionsschwerpunkten des integrierten Revitalisierungsprogramms Maßnahmenvorschläge ein. Die Komplexität der technischen Regeln der EU-Strukturpolitik für die Durchführung von Projekten einerseits und der haushaltsbedingt rasche Übergang der Stadt zur Selektion von ,finanzierungssicheren' Projekten andererseits schreckten im Verlauf der Programmimplementation allerdings insbesondere unerfahrene oder kleine Träger ab oder schränkten ihre reale Möglichkeit zur Beteiligung ein. Gemischten Erfolgen bei der Policy-Innovation standen - dies kann als zweites Ergebnis festgehalten werden - viel versprechende Ansätze zur Governanceoder Verfahrensneuerung im Sinne der Ideen des URBAN-Modells gegenüber. Allerdings wirkte sich in diesem Zusammenhang die restriktive Haushaltssituation der Stadt als ein zentraler stadtinterner Faktor für Innovationsfähigkeit negativ auf die Chance einer nachhaltigen Govemance-Anpassung aus.
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5.2 URBAN II in Kiel: Experiment unter finanziellen Restriktionen
Die zeitlich begrenzte Vergabe finanzieller Fördermittel an ausgewählte ,Probanden-Städte' der Governance-Innovation, dies wurde ebenfalls am Kieler Fall deutlich, ist in ihrem Wirkungspotential von der Existenz .lernbereiter', zur Entwicklung und Erprobung neuer Ideen aus eigenem Antrieb motivierter Akteure innerhalb der etablierten, institutionellen Arrangements zur Governance der Stadtentwicklung abhängig. In Kiel wurde die Aufgabe der Governance-Erneuerung schon bei der Programmplanung und sodann im Kontext des Programmvollzugs aus dem Alltagsgeschäft der Kommunalverwaltung weitgehend ausgelagert und auf einen externen professionellen Akteur übertragen - eine überörtliche, private Stadtplanungsagentur, die die Trägerschaft des Projektmanagements und des URBANStadtteilbüros übernahm. Diese Konstellation ermöglichte zwar die Reduzierung des kommunalen Verwaltungsaufwands bei der Implementation des Operationellen Programms, außerdem begünstigte sie die Hervorbringung innovativer Verfahrensansätze zur Beteiligung der Bürger und zur Partnerschaft mit bzw. zwischen nichtstädtischen Akteuren (z.B. einen Ansatz zur konzertierten Vermarktung leer stehender Gewerbeimmobilien im Fördergebiet oder einen Ansatz zur Bildung und dauerhaften Etablierung eines selbst tragenden Aktionsbündnisses der Akteure und Interessenträger im Gebiet zur Stadtteilentwicklung). Eine dauerhafte Übernahme der entsprechenden Ansätze in die lokale Politik stellte jedoch von Beginn der Förderung an, im Unterschied zum Dortmunder Fall, kein ausdrückliches Kernanliegen der kommunalen Verantwortungsträger dar; sie blieb dementsprechend am Ende des Untersuchungszeitraums ungewiss. Die Fallstudie zu Kiel bestätigt mithin das im Falle Dortmunds gefundene Ergebnis. Radikale Neuerungen der lokalen Verfahren im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklungspolitik waren als Effekt des zeitlich begrenzten, finanziell geförderten Experimentierens mit Innovationen nicht zu erwarten; dies auch ungeachtet der Tatsache, dass der Zeitraum zum ,Lernen' in Kiel aufgrund der Teilnahme der Stadt bereits an URBAN I verlängert war (vgl. Sabatier 1993). Demgegenüber überwog die pfadabhängige Fortsetzung von Handlungsroutinen. Beispielhaft kann in diesem Zusammenhang auf das Verfahren der Bürgerbeteiligung an der Projektauswahl hingewiesen werden. Sie stellte vor dem Hintergrund des übergeordneten Sparinteresses der Stadtführung eine Deformation der dem URBAN-Modell zugrunde liegenden Beteiligungsidee und - im Kern - ein Festhalten an der vorwiegend repräsentativdemokratischen Partizipation dar. Zugleich blieben tatsächliche Reformerwartungen der Stadt unerfüllt. Das städtische Ziel der Hervorbringung neuer öffentlich-privater Partnerschaften als dauerhafte Grundlage zur Bearbeitung der im Fördergebiet gegebenen Probleme etwa blieb eine bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nur partiell erfüllte Erwartung. Die Stadt konnte gerade den traditionellen Interaktionspartnern der kommunalen Wirtschaftspolitik keinen effektiven Anteiz zum Aktivwerden und zur (dauerhaften) Beteiligung an Problemlösungspartnerschaften zugunsten des Fördergebiets liefern. Am Ende der
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
229
Umsetzung der europäischen GI zeichnete sich daher die Rückkehr der kommunalen Akteure zu den eingetretenen Verfahrenspfaden und der Rückfall auf die etablierten Handlungsstrukturen ab; ein Politiktransfer fand mithin kaum statt. Der Kieler Fall- dies ist die dritte Folgerung aus der Fallstudie - zeigt damit ebenso wie der Dortmunder Fall die Problematik der von der EU-Kommission mit URBAN II und der stadtentwicklungspolitischen Agenda insgesamt vertretenen Idee der europäischen Stadt, der Grundlagen ihrer Organisation und ihrer Einbettung in den organisatorischen Gesamtkontext der öffentlichen Aufgabenerbringung im modernen Wohlfahrtsstaat. Wo die öffentliche Aufgabenerbringung dauerhaft Kosten verursacht, bleibt die Möglichkeit, diese - über das Setzen zeitlich begrenzter externer Finanzanreize - durch die Mobilisierung endogener Entwicklungspotentiale und Aktivierung von Selbsthilfe außerhalb der staatlichen oder städtischen Handlungssphäre zu sozialisieren, gerade an den ,schwachen Stellen' der städtischen Gesellschaft, z.B. in benachteiligten Stadtgebieten, begrenzt. Handlungsmächtige gesellschaftliche Akteure lassen sich u.U, nicht dauerhaft über die Aussicht auf Anerkennung für einen Beitrag zum Dienst am städtischen Gemeinwohl gewinnen, wohingegen schwächere Akteure hierzu wiederum aus eigener Kraft dauerhaft nicht in der Lage sind. Fehlen - wie im Kieler Fall - der Stadt die eigenen Ressourcen oder der Wille zum Ressourceneinsatz und bleibt die Unterstützung des Staates unsicher, so waren die Aussichten auf eine nachhaltige Implantation des von der EU-Kommission vertretenen Modells der neuen stadtentwicklungspolitischen Governance auf Basis eines Prozesses institutionellen Lernens und freiwilliger Anpassung der Akteure gering. Nachfolgend richtet sich der Blick nunmehr schließlich auf die Umsetzung der in URBAN gebündelten stadtentwicklungspolitischen Ideen in der französischen Hafenstadt Le Havre. Mit Hilfe des Vergleichs der Implementation der europäischen GI in zwei deutschen Städten und einer französischen Stadt sollen die für die deutschen Untersuchungsfälle festgehaltenen Befunde auf ihre breitere Gültigkeit hin überprüft werden.
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5.3 URBAN
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
n in Le Bavre:
Ein Programm unter anderen
Le Havre, im Nordwesten Frankreichs an der Mündung der Seine in der Region Haute-Normandie (Departement Seine-Maritime) gelegen, ist ein traditioneller Standort für den Seefährenverkehr und ein Umschlagplatz für Fernhandelsgüter. Ab den frühen 1920erJahren hat die Stadt sich zu einem Zentrum der petrochemisehen Industrie und Erdölraffination in Frankreich entwickelt. Die ökonomischen und demographischen Verwerfungen, die Le Havre in Folge der Ölkrisen und der damit verbundenen weltweiten Dämpfung der wirtschaftlichen Konjunktur seit den 1970er Jahren zu gewärtigen hatte, lassen die Stadt zu einem Beispiel für die Entwicklung altindustrialisierter Großstädte im ökonomischen Strukturwandel in Frankreich werden (Fouilland 2003). Seit den späten 1980er Jahren nahm Le Havre, das an seinen nördlichen Rändern von mehreren problematischen Großwohnsiedlungen flankiert ist, an den staatlichen Programmen zur sozialen Stadtentwicklung im Rahmen der Politique de la Ville teil. In diesem Kontext wurden umfangreiche finanzielle Transfers des Staates und auch der anderen Gebietskörperschaften (Region, Departement) in die Aufwertung der benachteiligten Stadtteile gelenkt. Nichtsdestotrotz ging von der fmanziell vergleichsweise gering ausgestatteten europäischen Stadtentwicklungsinitiative URBAN 11 eine große Attraktivität auf die Stadt aus. Denn zum einen ergab sich mit dem europäischen Programm erstmals die Chance für die Kommune, sozial-stadtentwicklungspolitische Fördermittel in weitgehender Autonomie von staatlicher Bevormundung und Fachkontrolle einzusetzen (Aucordier 2004: 140; Senat 2007: 7). Dies war der Fall, weil die staatlichen Behörden den URBAN 11Städten die Option zur Übernahme der Funktion als Verwaltungsbehörde, die im Rahmen der Politique de la Ville üblicherweise dem Präfekten oblag, eröffneren's. Und zum anderen war URBAN 11 für die städtischen Verantwortungsträger in Le Havre auch daher attraktiv, weil sie mit dem Programm Fördermittel erstmals in ein Stadtgebiet, die südlichen Stadtviertel G,Quarliers sud", lenken konnten, das die Förderkritierien der Politique de la Ville nur partiell erfüllte und daher bei der staatlichen Förderung bis dato zu kurz gekommen war (EI 25, 19.06.2006). Le Havre bewarb sich vor diesem Hintergrund im Sommer 2000 um die Teilnahme an der europäischen GI. Im Herbst desselben Jahres nahmen das Ministerium für Städtebau und für Raumordnung und die beiden staatlichen Raumordnungsbehörden Die zentralstaatlichen Stadt- und Raumentwicklungsbehärden DN und DATAR hatten die Idee einer möglichen Delegation der Funktion als örtliche Verwaltungsbehörde auf die URBAN lI-Städte bzw. der optionalen Übernahme dieser Funktion durch die Städte angeregt, denn das europäische Programm eröffnete aufgrund seiner ,Verwandtschaft' mit den Politique de Ja Ville-Programmen aus staatlicher Perspektive die Gelegenheit zum Experimentieren mit den Implementations- und Steuerungsmodalitäten der französischen sozialen Stadtentwieklungspolitik insgesamt. URBAN II sollte nach dem Willen der staatlichen Akteure dazu genutzt werden, die Politique de la Ville experimentell zu dezentralisieren (EI 39,14.12.2006). 55
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
231
DATAR/DIACT und DIV das Operationelle Programm der Stadt für URBAN II, das Programme d'Initiative Communautaire URBAN II ~,PIC URBAN II''), an. Die Genehmigung durch die EU-Kommission folgte im November 2001. Der einheitlichen Gliederung der Fallstudien entsprechend werden nachfolgend zuerst wesentliche Etappen der Stadtentwicklung Le Havres seit der Industrialisierung aufgezeigt und die lokale Krisenreaktionspolitik bis in die 1990er Jahre erläutert (5.3.1). Im Anschluss folgt die Darstellung der kommunalen Intervention zugunsten benachteiligter Stadtteile vor URBAN II (5.3.2) und es werden die Problemkonstellation im Fördergebiet (5.3.3) sowie die lokalen Akteure der sozialen Stadtentwicklungspolitik vorgestellt (5.3.4). Schließlich werden die Implementation von URBAN II und die Wirkungen des stadtentwicklungspolitischen TransferAnsatzes der EU auf die städtische Interventionspraxis analysiert (5.3.5).
5.3.1
Etappen der lokalen Stadtentwicklungspolitik
ImJahr 1999 zählte Le Havre mit einer Einwohnerzahl von 190.905 (INSEE 2008; Fraace/Region de Haute-Normandie/Ville du Havre'" 2001: 105) zu den 15 größten Städten Frankreichs (Ministere de l'inteneur/DGCL 2008: 11). Die Hafenstadt bildete dabei unmittelbar vor Ihrer Teilnahme an der europäischen GI URBAN II nicht nur das administrative Zentrum der im Jahr 2001 ins Leben gerufenen Communaute d'Agglomeration havraise (CODAH), einer 17 Gemeinden und mehr als eine Viertelmillion Einwohner zählenden interkommunalen Gebiets-körperschaft (BPCI) mit eigenen Kompetenzen u.a. in den Bereichen der regionalen Wirtschaftsförderung und der Raumordnungspolitik. Sie stellte zugleich auch den größten Teil der Arbeitsplätze innerhalb der großräumigen Arbeitsmarktregion (Zone d'Emplot) nördlich der Seine-Mündung.
Stadtentwicklung undAtifbau der Indusmestruktur bisin die 1970erJahre Die Entwicklung zur industriell geprägten Großstadt und einem der beiden wirtschaftlichen Zentren im Departement Seine-Maritime erlebte Le Havre ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zwischen 1850 und 1914 sowie in den 1920er und 1930er Jahren kristallisierten sich die Schwerpunkte für die ökonomische Entwicklung des modernen Le Havre aus. Diese liegen sowohl im sekundären Sektor Schiffbau, Schiffsreparatur, maritimer Maschinen- und Anlagenbau sowie der Erd-
56 Bei nachfolgenden Zitaten aus dem URBAN lI-Programm für Le Havre wird die lange Angabe "France/Region de Haute-Normandie/Ville du Havre" mit,,F/RdH-N/VdH" abgekürzt.
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
232
oder Rohöl verarbeitende und chemische Industrie - als auch in traditionellen Bereichen des tertiären Sektors - Handel, Verkehr und Finanzdienstleistungen. Neben der Privatwirtschaft und der Stadt selbst war der Staat in Gestalt des Hafenbetriebs Por/Autonome dH Hats» (PAR) ab 1925 einer der wichtigsten Arbeitgeber in Stadt und Region. Zugleich war und ist der z.T. in den "Quartiers sud", dem späteren URBAN II-Fördergebiet, angesiedelte PAR ein bedeutender Akteur der lokalen Raumordnungspolitik, denn er ist auf dem Hafengelände exklusiv für die Hafenentwicklung, Flächenplanung, die betriebswirtschaftliche Führung des Hafens und die Konzessionsvergabe an hafennahe Unternehmen zuständig.
Karte 3:
Stadtviertel Le Havres (Fördergebiet: 4,11 und 12)
+ N
-
(I
I..m
Quelle: Ville du Havre - Observaeoire Population
et
Habitat (2000) (INSEE(1999»).
Der industrielle Aufstieg Le Havres im 19. und frühen 20. Jahrhundert ging, wie in den Fällen Dortmunds und Kids, Hand in Hand mit einem rasanten demographischen Wachstum der Stadt, Zählte Le Havre 1831 knapp 24.000 Einwohner, so wurde noch vor der Jahrhundertwende, um 1880, die 100.000 Einwohner-Grenze zur Großstadt überschritten und im Jahr 1936 erreichte Le Havre mit rund 164.400 Einwohnern seinen Bevölkerungshöchststand vor dem Zweiten Wdtkrieg (Cassini 2008). Das industrialisierungsbedingte Wachstum resultierte aus einem Zustrom an Arbeitsmigtanten vorwiegend aus dem nahen Umland, aber auch z.B. aus Osteu-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
233
ropa. Die Zuwanderer wurden überwiegend als Hafen- und Lagerarbeiter G,Dockers'') tätig und ließen sich zumeist im Hafengebiet in den südlichen Stadtvierteln, den "Quartiers sud", nieder (Fouilland 2003: 31). Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Stadt unter der Federführung der staatlichen Behörden bis 1964 einen zügigen Wiederaufbau ihres Zentrums, des (Raffinerie-) Hafens (Etienne-Steiner 2005). Mit staatlicher Unterstützung konnte Le Havre innerhalb kurzer Zeit an seine wirtschaftliche Entwicklung der Vorkriegsjahre anknüpfen, in deren Verlauf die Stadt bis 1938 zu Frankreichs führendem Handels- und Industriehafen und Zentrum des Rohölimports sowie der verarbeitung avan-ciert war (ebd.: 152). Vor dem Hintergrund der zentralstaatlich geförderten Planungs-, Investitionsund Ausbauaktivitäten des PAH erlebte Le Havre zwischen 1961 und 1973 einen starken industriellen Wachstumsschub. In dieser Zeit entwickelten sich die petrochemische und chemische Industrie sowie der Maschinen- und An1agenbau und die Automobilindustrie endgültig zu den zentralen Säulen des Wachstums und der Beschäftigung in der Stadt und Arbeitsmarktregion Le Havre (Fouilland 2003: 29; Europeenne de Presse 2004: 19). Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ging erneut eine Verstädterungsbewegung einher. Le Havres Bevölkerung verdoppelte sich dabei vom unmittelbaren Nachkriegsstand von ca. 106.900 Einwohnern im Jaht 1946 (Cassini 2008) auf einen Höchststand von ca. 217.900 Einwohnern im Jaht 1975 (INSEE 2008a). Wähtend der 1950er Jahre ließen sich die neuen Bürger zunächst in den traditionellen Wohngebieten in der Oberstadt oder den alten Arbeiterquartieren in den südlichen Stadtvierteln zwischen Hafen und Stadtkern nieder. Ab Ende der 1960er Jahre wurden dann die neuen, modernen Großwohnsiedlungen, die im Zuge der staatlichen Investitionsoffensive in den sozialen Wohnungsbau vorwiegend an den nördlichen Rändern Le Havres entstanden, zum bevorzugten Zuzugs ort. Der Aufwärtstrend in der Entwicklung der industriellen Produktion "vor Ort", des lokalen Beschäftigungs- und auch des Bevölkerungsstands kam ab Anfang der 1980er Jahte allmählich zum Erliegen. Bis dahin war der Industriestandort Le Havre angesichts des vorerst ungebrochenen Energiebedarfs und der anhaltenden Nachfrage nach Öl und Benzin von den Auswirkungen zunächst verschont geblieben (Fouilland 2003: 44). Nach dem zweiten Ölpreisschock 1979 machte sich die Krise allerdings auch in der Arbeitsmarktregionn (Zone d'Emplol) um die Hafenstadt bemerkbar. Rationalisierungsmaßnahmen, die die Leitungen der vielfach außerhalb Le Havres angesiedelten Großkonzerne wie der CFR57 oder Renault für ihre Havraiser Betriebe trafen, führten nun einen deutlichen Beschäftigungsrückgang herbei. Die Neuorientierung der französischen Energiepoli57 CFR: Compagnie Franraise de Rofftnage (die spätere, zum ELF Acquitaine-Konzern gehörende TotalGruppe).
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
tik auf die Gewinnung von Atomkraft, die der Staat ab Mitte der 1970er Jahre vorantrieb (Münch 1999: 29), tat dabei ein Übriges (Fouilland 2003: 44f.). Zwischen 1975 und 1990 ging die Beschäftigung in der Arbeitsmarktregion Le Havre von einem Ausgangsstand von 84.000 (1975) auf einen Stand von 67.000 (1990) zurück (ebd.: 48). Bedingt war dies zu einem wesentlichen Teil durch den massiven Stellenabbau in den großen Industriebetrieben rund um Le Havre (INSEE 2008b) und beim PAH. Allein beim PAB bzw. seinen Konzessionsbetrieben gingen mit der Entscheidung der Hafenbehörde zur Modernisierung und Umstrukturierung vom Industrie- zum Containerhafen (Etienne-Steiner 2005: 270-273) zwischen 1982 und 1990 25 Prozent aller Arbeitsplätze verloren (Fouilland 2003: 50), wobei von dem Abbau vor allem die geringqualifizierten Hafenarbeiter ~,Dockers'') betroffen waren (ebd.: 49). Die geschilderte Entwicklung ging, wie in Dortmund und Kiel, mit einem starken Rückgang der Bevölkerung einher. Zählte Le Havre im Jahr 1975, auf dem Scheitelpunkt seines demographischen Wachstums nach 1945, 217.882 Einwohner, so waren es im Jahr 1990 noch 195.854 und im Jahr 1999 nur mehr 190.905 (INSEE 2008). Die kommunalpolitischen Herausforderungen, die sich durch die Wachstumskrise und die rückläufige Bevölkerungsentwicklung ergaben, wurden noch zusätzlich durch die erste Dezentralisierungsrefom ab 1982 vergrößert. Hiermit war für die Städte und Gemeinden ein politischer und administrativer Verantwortungszuwachs verbunden, auf den die kommunistisch-sozialistische Stadtführung Le Havres zunächst passiv reagierte. Die städtische Interventionspraxis fügte sich bis Mitte der 1990er Jahre in das oben beschriebene (Kap. 2) Muster des "welfare model of urban governance" (Fierre 1999) ein.
Städtische Krisenreaktionspolitik in den 1980er und 1990erJahren Die Dezentralisierung brachte - dies wurde in Kapitel 4.2 dargelegt - die Abschaffung der präfektoralen ex-ante Kontrolle (futelle) des lokalen Policy-Making und damit den französischen territorialen Gebietskörperschaften insgesamt ein erhöhtes Maß an lokalpolitischer Freiheit. Für Le Havre bedeutete dies ab Beginn der 1980er Jahre die Gelegenheit zur Konzeption und Durchführung eigener Krisenreaktionsmaßnahmen. Entsprechende Schritte schienen angesichts der vielfaltigen Probleme, die einer ausgewogenen Stadtentwicklung entgegenstanden, auch geboten. Zu diesen Problemen zählten der Einbruch der lokalen Wirtschaft, die hohe Arbeitslosigkeit, aber auch der Mangel an kleinen und mittleren Unternehmen in zukunftsorientierten Branchen und speziell im Dienstleistungssektor, ein geringes Qualifikationsniveau der örtlichen Arbeitnehmer, eine geringe infrastrukturelle und städtebauliche Attraktivität der Stadt (Fouilland 2003: 49-56). Le Havre hatte bis
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1984 keine Universität, war ohne Autobahnanschluss verkehrstechnisch schlecht angebunden und besaß ein Image als "Industriestadt" (ebd.: 55). Brachte die Dezentralisierung für alle territorialen Gebietskörperschaften eine Steigerung ihrer Autonomie mit sich, so erhöhte sich zugleich aber auch die Notwendigkeit zur verstärkten Handlungskoordination untereinander und zur Koordination des eigenen Handelns mit demjenigen weiterer, vor allem öffentlicher Akteure (Hoffmann-Martinot 2005: 336). Dies wiederum bedeutete, dass sich vor allem die Städte der Herausforderung einer strategischen Konzertierung mit angrenzenden Kommunen und einer strategischen Politikverflechtung mit den anderen Gebietskörperschaften und dem Staat, der mit seinen dekonzentrierten Fachbehörden in vielen Public Policy-Bereichen weiterhin ein unumgänglicher Akteur blieb, stellen mussten. Auch mussten sie dazu u.U. binnenadministrative Modernisierungs- oder Restrukturierungsschritte gehen (Thoenig 2005). Diesen grundsätzlichen Herausforderungen trug Le Havre bis Mitte der 1990er Jahre kaum Rechnung. Teils nahmen sich die Stadtführung und der Conseil municipal ihrer nicht offensiv an, teils wurden städtische Projekte von den anderen zentralen Akteuren der lokalen Wirtschafts-, Sozial- und insbesondere Raumordnungspolitik behindert oder gar torpediert (Fouilland 2002 u. 2003). Maßnahmen der Kommune zur Krisenbewältigung scheiterten mitunter - das zeigt Fouilland (2003) - schon im Ansatz an der mangelhaften Koordination mit den relevanten lokalen Akteuren in diesem Politikfeld (dem PAH, der Industrie- und Handelskammer Le Havre [CCIH], dem Regionalrat, dem Generalrat, der regionalen Stadtentwicklungs- und Raumplanungsagentur AURH, den einschlägigen staatlichen Behörden [ODE], Präfekt)). Vor diesem Hintergrund schlug die kommunistische Stadtführung Le Havres, die bis 1995 im Amt war, in einzelnen Interventionsbereichen der sozialen Stadtentwicklung einen zurückhaltenden Kurs ein bzw. konzentrierte sich ab 1989 weitgehend passiv auf die Nutzung staatlicher Förderquellen und auf die Teilnahme an den staatlichen Programmen der Politique de la Ville, konkret dem Programm Developpement social des Quartiers (DSQ) und dem Programm P.A.C.T.58 (F/RdH-N/VdH 2001: 56). Die Beteiligung Le Havres an diesen Programmen hatte durchaus die Errichtung intergouvernementaler und lokaler Kooperationen oder Partnerschaftsstrukturen zur Konsequenz (Le Havre Libre 1994a u. 1994b). Die entsprechenden prozeduralen und strukturellen Anpassungen der städtischen Interventionspraxis gründeten allerdings vor allem in der Notwendigkeit, die Vernetzungs- und Koordinationsanforderungen zu erfüllen, die der Staat mit der Politique de la Ville an die lokalen Akteure stellte. Darüber hinausreichende Ansätze zum Aufbau von Partnerschaftsbeziehungen und zur Bündelung lokaler und überlokaler Kräfte für die städtische Krisenbewältigungspolitik auch in anderen lokalen Schlüsselinterventi58
Programme d' amenagement concerte du territoire.
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
onsbereichen wie der Standortpolitik und der lokalen Wirtschaftsförderung kamen dagegen nicht zustande. Die Förderrnittel, die Le Havre im Rahmen der Politique de la Ville bis 1995 akquirierte, flossen vorwiegend in die (Abriss-) Sanierung der am nördlichen Stadtrand gelegenen Grands Ensembles (Etienne-Sreiner 2005: 278f.). Die Stadtführung und der mehrheitlich linksorientierte Stadtrat hatten dabei auch das Ziel, für die "Quartiers sud" ebenfalls Förderrnittel einzuwerben, denn unter der hier lebenden Industriearbeiterbevölkerung vermutete man auch im Moment der ökonomischen Struktur- und Entwicklungskrise weiterhin ein hohes Wählerpotential (Knapp 1992: 4 u. 6; Knapp 1997: 21). Aufgrund der fehlenden Fördervoraussetzungen des Gebiets ließ sich dieses Ziel jedoch nur ansatzweise realisieren. Der stadtentwicklungspolitische Kurs Le Havres änderte sich nach dem Wechsel der politischen Mehrheitsverhältnisse im Conseil municipal und dem Antritt der neuen konservativen Exekutivspitze im Jahr 1995. Die neue Stadtspitze strebte seither einen angebotsorientierten Politikwechsel an, der sich vorrangig darauf bezog, die Qualitäten des Wirtschaftsstandorts Le Havre zu verbessern, um so den Wohlstand der Stadt insgesamt zu heben. Der neue Bürgermeister erklärte das Feld der Raumordnungs- und Stadterneuerungspolitik, in dem die Kommune seit 1983 eigene Kompetenzen besaß, zum Ankerfeld seiner Krisenbewältigungsstrategie. Durch Stärkung der Attraktivität Le Havres für Unternehmen und Investoren vor allem im Bereich der maritimen Wirtschaft sollte es dabei nicht nur gelingen, das Wirtschaftswachstum zu reinitiieren, sondern auf diesem Wege sollte ebenfalls der soziale Zusammenhalt, gerade in den benachteiligten Vierteln, wieder hergestellt werden (Europeenne de Presse 2004: 6f.). Auf den ersten Blick war mit dem kommunalen Machtwechsel ein Wechsel von der passiven, primär auf das kommunale Ausschöpfen staatlicher Fördergelder abstellenden Strategie, hin zu einer "pro-growth"-Strategie verbunden (pierre 1999). Die Stadt besaß allerdings im Bereich der lokalen Wirtschaftsförderung keine formalen Kompetenzen und konnte hier in erster Linie freiwillig und ergänzend zu den anderen, eigentlich kompetenten Akteuren, der Havraiser Agglomeration (CODAH), der Region, dem PAH und der Industrie- und Handelskammer (CCIH), tätig werden. Unter diesen Vorzeichen verfolgte die neue Stadtführung einen Ansatz, der darauf abstellte, von diesen Schlüsselakteuren als gleichberechtigte Partnerin anerkannt zu werden und mit ihnen in dauerhafte Kooperationsbeziehungen zur Umsetzung der genuinen städtischen Entwicklungsziele einzutreten (Europeenne de Presse 2004: 36). Nach dem Willen des Bürgermeisters sollte das Projekt "Port 2000" zur Aufwertung des alten Hafengeländes bei den südlichen Stadtvierteln, das der PAH in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gemeinsam mit der CCIH plante (Etienne-Steiner 2005: 273), hierzu als ,Türöffner' dienen. "Port 2000" beinhaltete Pläne für eine neuerliche Hafenerweiterung und den weiteren Ausbau des Containerhafens bis 2006 (Europeenne de Presse 2004: 35). Das er-
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klärte Ziel von Bürgermeister Rujenacht bestand darin, im ,Fahrwasser' dieses Projekts die beabsichtigte Attraktivitätssteigerung des städtischen Investitionsstandorts in die Wege zu leiten (ebd.: 6). Dazu schlug man den Projektträgern vor, einen Teil des alten Hafengeländes, die südlichen Stadtviertel an die Stadt abzugeben. Hier sollten sodann mehrere kommunale Investitions- und Bauprojekte konzentriert werden, so z.B. das bereits ältere Projekt der Sanierung und der Umbau der ehemaligen Lagerhallen "Docks Vauban" in ein Einzelhandels-, Büro- und Freizeitzentrum (Fouilland 2003: 176f.)59. Letzten Endes ging es darum, die nahe des Stadtzentrums gelegenen "Quartiers sud" in einen neuen Anziehungspunkt für Betriebe, Investoren und Konsumenten und eine zahlungsktäftige neue Wohnbevölkerung zu verwandeln. Um dies zu bewerkstelligen, nahm die Stadt selbst auch einige binnenstrukturelle Anpassungen vor. So schuf die Stadtführung 1995 einen eigenen kommunalen Wirtschaftsservice, der beim Fachbereich Stadtplanung angesiedelt wurde und die Aufgabe hatte, ,im kleinen Stil' Unternehmenswerbung zu betreiben. Auf dem geschilderten Weg gelang es in der Tat ab Mitte der 1990erJahre, die oben geschilderte stadtentwicklungspolitische Blockade allmählich aufzulösen. Der Erfolg der städtischen Strategie wurde dabei insbesondere in der Errichtung eines neuen, gemischtwirtschaftlichen Unternehmens zur Flächen- und Immobilienvermarktung, der lokalen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Le Haore Developpement, sichtbar. Das Unternehmen wurde 1995 von der Stadt, der CODAH, dem PAH, der CCIH und anderen Partnern ins Leben gerufen. Es sollte nach dem Willen ihrer Träger zum zentralen Instrument einer aktiven Ansiedlungspolitik für KMU im Bereich zukunftsorientierter Dienstleistungen (neue Medien, Telekommunikation) in Le Havre und der Region werden (Europeenne de Presse 2004: 22). Le Havre Developpement firmierte offiziell unter der Bezeichnung "Wirtschaftsentwicklungskomitee". Die Gesellschaft übernahm diverse Aufgaben im Bereich der Wirtschaftsförderung wie das Gebäude- und Flächenmanagement oder die Werbung von ansiedlungswilligen Unternehmen und die Standortpromotion (EI 27, 20.06.2006); im Jahr 2004 beschloss der Stadtrat die vollständige Übertragung aller städtischen Wirtschaftsförderungsaktivitäten Le Havres auf die Gesellschaft (Conseil Municipal 2004a). Dass Le Havre ab 1995 teilweise zu einer aktiven Krisenreaktionspolitik überging, hing mithin wesentlich mit dem politischen Wechsel an der Stadtspitze zusammen. In diesem Kontext muss festgehalten werden, dass im Falle Le Havres, ähnlich wie im Fall Dortmunds, Kontinuität das zentrale Kennzeichen der kommunalpolitischen Entwicklung nach 1945 bzw. nach der Gründung der Fünften Republik 1958 war. Die politische Macht im Stadtrat hatte hier über Jahrzehnte hinweg in Händen der Linken G,La Gauche": Parti communiste franfaise [pCp] und Dieses Sanierongsprojekt ging auf eine Idee der linksorientierten Stadtführong bereits Ende der 1980erJahre zurück, kam allerdings u.a. daher nicht zustande, weil es nicht die Unterstützung des PAR gefunden hatte (Fouilland 2003: 17M.). 59
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
Partisocialiste [PS]) gelegen. Diese setzte ihre entwicklungspolitischen Schwerpunkte bis Ende der 1970er Jahre im Bereich der Sozialpolitik und des sozialen Wohnungsbaus (Knapp 1983). Das Festhalten an dieser langjährigen Schwerpunktsetzung und die Zurückhaltung der kommunalen Verantwortungsträger beim Entwurf von Projekten und Instrumenten zur wirtschaftlichen Entwicklung, die sich nicht zuletzt aus der Blockadehaltung der weiteren lokalen Schlüsse1akteure erklärte, trugen im Moment der Strukturkrise bis Mitte der 1990er Jahre dazu bei, dass eine aktive Reaktion auf die Krise zunächst nicht gelingen konnte (Fouilland 2003: 309312). 5.3.2
Städtische Interuention iIJgunsten benachteiligter Viertelbis 2000
Ging Le Havre im Rahmen der kommunalen Handlungsmöglichkeiten in der Standortpolitik mithin zu einem wachstums- und angebots orientierten Interventionsansatz über, so hielt die neue Stadtführung gerade im Bereich der sozialen Stadtentwicklung pfadabhängig an der passiven "welfare"-Strategie ihrer Vorgängerin fest. Dies bedeutete mit Blick auf die bevorzugten Instrumente, auch ungeachtet der Teilnahme Le Havres an den Programmen der Politique de la Ville, in erster Linie eine Schwerpunktsetzung auf distributiven Maßnahmen und der städtebaulichen Investitionen, insbesondere in die Sanierung von Großwohnsiedlungen und den Bau von Sozialwohnungen. Bereits seit den späten 1940er Jahren hatte die Stadt zur Bewältigung der strukturellen Wohnungsnot in der Nachkriegszeit und des mit dem Wirtschaftsaufschwung verbundenen Bevölkerungszustroms eine eigene Politik des sozialen Wohnungsbaus verfolgt. In diesem Zusammenhang waren u.a. in den "Quartiers sud" und hier in den im späteren URBAN II-Fördergebiet gelegenen Stadtvierteln Champs-Baret und Les Neiges erste Sozialwohnbauten entstanden (Etienne-Steiner 2005: 262f.). Ab Beginn der 1960er Jahre profitierte Le Havre sodann, wie viele andere französische Städte, von der Investitionsoffensive des Zentralstaates in den sozialen Wohnungsbau. In diesem Kontext wurden zwischen 1960 und 1970 in einzelnen Vierteln am nordöstlichen und -westlichen Stadtrand Le Havres (CaucriauviJle, Mare Rouge, Mont-Gaillard) mehrere Großwohnsiedlungen (Grands Ensembles) mit insgesamt annähernd 10.000 Wohneinheiten errichtet (ebd.: 274-278); die zuwandernden Industriearbeiter sollten hier mit modernen, günstigen Wohnungen an den grünen Rändern der Stadt versorgt werden (Knapp 1983: 282). Die Rahmenbedingungen eines steigenden Wohlstands und neuer, auf den Eigenheimbau gerichteter Förderprioritäten des Zentralstaates in der Stadtentwicklungspolitik ab den 1970er Jahren bildeten in Le Havre, wie in zahlreichen französischen Städten, den Hintergrund dafür, dass die einstmals modernen Grands Ensembles am nördlichen Stadtrand mit ihren auch bei Mittelschichtfamilien begehr-
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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ten Wohnungen ab den 1970er Jahren nach und nach in ,soziale Brennpunkte' verwandelten (vgl. Blanc 2002). Für die linksorientierte Stadtführung wurden damit ab den 1980er Jahren die staatlichen Programmangebote im Rahmen der Politique de la Ville zu wichtigen Instrumenten der Havraiser sozialen Stadtentwicklungspolitik. In diesem Zusammenhang wurde den kommunalen Akteuren vom Zentralstaat zwar der Nachweis gebietsspezifischer sozial-, gesellschafts- und bildungspolitischer Ergänzungen von Sanierungsmaßnahmen abverlangt. Auch war dabei - wie in Kapitel 4.2 dargelegt worden ist - die Aktivierung der Gebietsbevölkerungen und vor allem auch der Jugendlichen ein wichtiges Politikziel des Staates. Die Regelungen, mit denen er dies gegenüber den Kommunen durchzusetzen suchte, zahlreiche Vorgaben betrafen z.B. den ,Einbau' bestimmter Policy-bezogener Bürokratien in die kommunalen Verwaltungsstrukturen, waren allerdings wenig geeignet zur Zielverwirklichung der Politique de la Ville, denn sie gaben den Kommunen die Möglichkeit - und hierfür stellt Le Havre ein Beispiel dar -, die eigene Rolle weniger i.S. der Idee des kooperativen Staates und eines Moderators oder auch ,Aktivators' gesellschaftlichen und unternehmerischen Engagements zu interpretieren. Vielmehr erlaubten sie den Rückzug der Städte auf die Rolle von lokalen Verwalterinnen grundsätzlich städtebaulicher Zuschussprogramme, die zusätzlich die Förderung von sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Maßnahmen erlaubten. In der weitgehend auf die Revitalisierung der nördlichen Stadtviertel gerichteten sozialen Stadtentwicklungspolitik Le Havres spiegelte sich dies in der städtischen Interventionspraxis bis Ende der 1990er Jahre wider. Für den Zeitraum zwischen 1994 und 1999 übernahm die 1995 ins Amt gekommene neue Stadtfuhrung hier den noch von der alten Exekutivspitze abgeschlossenen Stadtvertrag und schloss im Jahr 2000 ihrerseits einen neuen Contrat de Ville mit dem Zentralstaat und der Region ab. Außerdem bewarb sich Le Havre um neue Förderquellen der Politique de la Ville, so namentlich die Teilnahme am Programm Grand Projet de Vilfe (GPV) (vgl. S.lP.O.V.A.H. 2000). Und ab 1996 profitierte Le Havre - neben dieser Programmförderung - außerdem von der gesetzlichen Einstufung einzelner seiner Stadtgebiete als ,wirtschaftliche Sonderentwicklungszonen' (Zones Franches Urbaines, ZFU) im Kontext des Pacte de Relance pour la Ville der Regierung von Premier Alain JUPpe unter dem neu gewählten Staatspräsidenten [acques Cbirac. Das entwicklungspolitische Hauptziel der Stadt im Zusammenhang dieser Programme bestand vorwiegend in der Bereitstellung von günstigem Wohnraum und der Aufwertung der Wohnungen sowie des Wohnumfelds. Daneben lag ein weiteres Ziel darin, das öffentliche (Dienst-) Leistungsangebot zugunsten der Bewohner der Problemquartiere in der Oberstadt von Le Havre zu verbessern (Qualität der vorschulischen Betreuung, Angebot an sozialen, Jugend-orientierten und kulturellen Einrichtungen und z.T. Serviceangeboten) (DIV jFNAU 2005: 54f.; vgl. auch: Le Havre Libre 2000; OCEANES 2000). Zur Verwirklichung dieser Ziele
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
hatten die Exekutivspitze und die kommunalen Behörden durchaus Strukturen errichtet, über die eine Reihe von einschlägigen privaten, gemeinnützigen und öffentlichen Trägerorganisationen in die Aufgabenerbringung zur sozialen Stadtentwicklung eingebunden waren (ebd.). Diese Partnerschaften waren jedoch vielfach technischer Natur. Sie gingen nicht aus einem mit allen Partnern vereinbarten Gesamtkonzept zur Stadtteilaufwertung hervor, sondern fügten sich in die kommunaladministrative Tradition der öffentlichen Aufgabenerbringung durch Auftragsvergabe und Kontraktualisierung (vgl. Kap. 4.2.2) (vgl. Le Havre Libre 1996). Den Betroffenen wiederum, den Bürgern und Bewohnern der benachteiligten Stadtviertel, kam in diesem Rahmen oftmals eine Position als "Verwaltungsobjekte" (Mabileau 1996: 102) ohne unmittelbare Beteiligung an den lokalpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen zu. Zwar hatte Le Havre 1998 in den einzelnen Stadtvierteln, so auch den Problemgebieten in den nördlichen und südlichen Stadtvierteln, freiwillig neue Einrichtungen zur Verbesserung der Bürgernähe der lokalpolitischen Aktion geschaffen; hierzu zählte z.B. das regelmäßige Abhalten von Quartiersräten (Conseils de Quartiery, also halbjährlich auf Stadtteilebene stattfindenden Bürgerversammlungen, oder auch die Errichtung von Stadtteilhäusern (Maisons de Quartiery und "Stadtteilrathäusern" (Mairies de Quartier) als Antennen des Rathauses auf Quartiersebene (F/RdH-N/VdH 2001: 31). Diese neuen Prozesse und Einrichtungen dienten allerdings weniger der direkten Bürgerbeteiligung, sondern vorrangig einem Informations- und Servicezweck.. So wurden die Stadtteilbevölkerungen z.B, in den Quartiersräten regelmäßig von lokalen Mandatsträgern über die Politiken der Stadt informiert (EI 28, 20.06.2006), hatten aber nicht die Gelegenheit zur Beteiligung. Der Rückzug der Stadt auf ihre traditionelle Verwalterinnenrolle fiel dort weniger ins Gewicht, wo in den betroffenen Stadtteilen bürgerschaftliche Initiativen, Vereine ete. dafür sorgten, dass die städtebauliche Aufwertung tatsächlich durch ein Angebot an sozialpolitischen etc. Maßnahmen ergänzt wurde. Entsprechende Angebotsstrukturen, die von gesellschaftlichen und privaten Akteuren getragen wurden, waren in den nördlichen Stadtvierteln Le Havres gegeben. In den südlichen Vierteln hingegen, dem späteren URBAN II-Fördergebiet, wo zudem die baustrukturellen Voraussetzungen für eine Beteiligung an den Politique de la VilleProgrammen nicht gegeben waren, war dies nicht der Fall (EI 25, 19.06.2006). Eine soziale Stadtentwicklungspolitik, die sich vor allem in instrumenteller und prozeduraler Hinsicht mit den von der EU-Kommission mit URBAN vorgebrachten Ideen deckte, wurde unter diesen Vorzeichen in Le Havre und hier speziell in den südlichen Stadtvierteln bis Ende der 1990er Jahre nur mit Einschränkung verfolgt.
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Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
5.3.3
Das Fiirdergebiet ",,Quartiers sud""
Im Jahr 2000 zählten die sechs "südlichen Viertel" ~,Quartiers sud''), die zusammen die URBAN II-Gebietskulisse der Stadt Le Havre bildeten, ca. 17.000 Bewohner. Damit stellten die "Quartiers sud" knapp neun Prozent der Gesamtbevölkerung Le Havres (F/RdH-N/VdH 2001: 6). Sie vereinten die traditionellen Hafenarbeiterquartiere Le Havres in sich 6o• Sowohl in räumlich-physischer als auch in wirtschafts- und sozialstruktureller Hinsicht wiesen die "Quartiers sud" dabei einige Merkmale der Benachteiligung auf, durch die sich das Gebiet deutlich von der Gesamtstadt unterschied (vgl. Tab. 12) (F/RdH-NNdH 2001: 4).
Tabelle 12:
Demographische und sozioökonomische Eckdaten des Fördergebiets in Le Havre (Basisjahr: 1999*)
Fläche in !an' Einwohnerzahl Anteil lueendliche unter 16 jahren Anteil ausländische Bevölkerung Bevölkerungsdichte im Gebiet (Einwohner/knl") Arbeitslosenquote Anteil Langzeitarbeitslose an allen Arbeitslosen* SoziaUnilfeernpfäneerquote**
"Quartiers sud" 7,65 17.045 23,7 8,4
LeHavre 46,95 190.924 20,7 4,3
2.228
4.066
33,5
20,5
60,8
63,3
31,5 (21,6) 16,8 (11,2) 1.129 Betriebe***; Dominanz altindustrieller Betriebe der petrochemischen Industrie, des Wirtschaftsstruktur 7.977 Betriebe*** Maschinen- und Anlagenbaus, der klassischen Unternehmensdienstleistungen Quellen: F/RdH-N/VdH 2001: 7-39 u. 105f.; Ville du Havre 2004: 19. Eigene Darstellung.
Daten sind der Volkszählung der nationalen Statistikbehörde INSEE 1999 entnommen. Summe aller Empfänger der Haupt-Sozialhilfearten: RMI (&venuminimum d1nsertion), API (AUocationParent isole), AAH (Allocation Adulte handicape); in Klammem: Anteil RMI-Empfänger (Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose; funktionales Aquivalent zum deutschen ALG II). *** Kleinstbetriebe mit <10 Mitarbeitern sind in der Statistik nicht erfasst, d.h., die tatsächliche Anzahl der Betriebe ist höher.
* **
Im Einzelnen handelt es sich um die Stadtteile Saint-Nicolas de I'Eure, Bnndea», Vallie-Bireult, Champs Baret, GM Chauvin und Les Neiges.
60
242
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
In räumlicher Hinsicht bildeten die "Quartiers sud" innerhalb der Gesamtstadt eine Art Exklave (vgl. Karte 3), die durch Verkehrstrassen und natürliche Barrieren sowie das Gelände des PAB vom Rest der Stadt abgeschnitten war. Im Innern wurde das Gebiet von einer Bahntrasse, mehreren großen Autoverkehrsadern und Hafen- sowie weiteren Industrieanlagen und Brachflächen ,zerfurcht'. All dies trug zur Erklärung einer vergleichsweise geringen Bevölkerungsdichte in den südlichen Vierteln bei (vgl. Tab. 12). Das Gebiet war im Jahr 2000 durch einen Mangel an Grün- und Erholungsflächen sowie die Dominanz der städtischen Wohn- und Wirtschaftsfunktionen gekennzeichnet und wies eine dementsprechend mangelhafte Umweltqualität (hohe Schadstoffbelastung von Luft und Boden, Lärmbelastung durch industriellen Schwerlastverkehr) auf (F/RdH-N/VdH 2001: 47-50). Der Charakter der "Quartiers sud" als traditionelles Wohngebiet der Hafenarbeiter spiegelte sich bereits in der Gebäudestruktur wider. Neben zahlreichen alten, vielfach verfallenen Wohngebäuden aus dem 19. Jahrhundert fanden sich vor allem einfache, zu Siedlungen zusammengeschlossene Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie einige zwischen den 1950er und 1980er Jahren errichtete mittelgroße Blocks des sozialen Wohnbaus (HLM). Insgesamt wiesen die südlichen Viertel eine im Innern heterogene Gebäude- und Raumstruktur auf (F/RdH-N/VdH 2001: 7). Die Nähe zum Hafen war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stets der zentrale Prägefaktor für die raum- und wirtschaftsstrukture11e Entwicklung der "Quartiers sud" gewesen. Zum einen waren die Viertel von starkem Durchgangsverkehr zum und vom Hafen belastet, zum anderen waren sie aufgrund ihrer Hafennähe ein Ansiedlungsgebiet für zahlreiche Unternehmen; ca. 1.500 Industrie-, Logistik- und Transportbetrieben sowie mittlere und kleine Industrie- und Dienstleistungsbetriebe mit Spezialisierung in hafennahen Bereichen bzw. im Handel und Verkehr waren hier ansässig. Demgegenüber herrschte ein Mangel an Dienstleistungsbetrieben zur Nahversorgung der Bevölkerung und an Betrieben mit Spezialisierung auf Unternehmensdienstleistungen. Außerdem war das Gebiet vergleichsweise arm an sozialen Infrastruktureinrichtungen oder auch Einrichtungen, die als Gemeinschaftstreffpunkte hätten dienen können. Die hohe Konzentration an Unternehmen und Beschäftigung in den "Quartiers sud" und ihrer unmittelbaren Nähe (vgl.Tab. 12)61 kontrastierte mit der sozialen Lage der Bevölkerung im URBAN II-Fördergebiet und führte zu der Situation einer gleichsam ,verdeckten Segregation'. Die Arbeitslosigkeit und dabei der Anteil der Langzeitarbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger lagen hier signifikant über den entsprechenden gesamtstädtischen Werten (vgl. ebd.). Der Kontrast hat einen doppelten Erklärungshintergrund. Einerseits lebte und arbeitete bereits während 61 Die Unternehmen in den südlichen Vierteln stellten sowohl Zu Beginn der URBAN II-Förderung als auch am Ende des Förderzeitrawns den dritthöchsten Anteil (15 Prozent) an Arbeitsplätzen im gesamten Ballungsrawn um Le Havre. Nur die Betriebe und Einrichtungen im Stadtzentrwn sowie beim PAR stellten jeweils einen noch größeren Anteil an Arbeitsplätzen (F/RdH-NNdH 2001: 35).
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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der drei ,goldenen Jahrzehnte' (Les Trenze gloricuscs) der fordistischen Industrieproduktion in Frankreich zwischen 1950 und 1975 ein großer Teil der Havraiser Industriearbeitskräfte nicht in den südlichen Vierteln selbst, sondern entweder in der Oberstadt oder der weiteren Umgebung von Le Havre. Andererseits zählte ein hoher Anteil der in den "Quartiers sud" selbst lebenden Bevölkerung zur Kategorie der gering qualifizierten oder ungelernten Hafen- und Industriearbeiter ("Dockers''), die beim Beginn des ökonomischen Strukturwandels als erste zu den vom Beschäftigungsabbau Betroffenen zählten (F/RdH-N/VdH 2001: 17). Zusätzlich zeichneten sich die "Quartiers sud" aufgrund des moderaten Niveaus der Wohnungsmieten durch eine geringe Wanderungsdynamik der Bevölkerung aus und waren dabei aufgrund ihrer Umweltbelastung als Wohnstandort und Zuzugsgebiet von geringer Attraktivität (F/RdH-N/VdH 2001: 14f.). Die Beschreibung der strukturellen Ausgangsbedingungen in den "Quartiers sud" verdeutlicht, dass es sich nicht um ein klassisches Zielgebiet der sozialen Stadtentwicklungsförderung im Sinne der Politique de la Ville handelte, dennoch aber um ein in mehrfacher Hinsicht belastetes und insofern benachteiligtes Stadtgebiet. Dabei begünstigte die (infra-) strukturelle Ausgangssituation auch eine schwache Ausprägung der sozialen Netze in den "Quartiers sud" und ein negatives Image der Viertel. Aufgrund der beschriebenen Raum- und Gebäudestruktur im Innern befanden sich die sechs einzelnen Quartiere der südlichen Viertel untereinander in einer Situation der räumlichen Isolation. Diese war der Entwicklung sozialer Interaktionsbeziehungen innerhalb des Fördergebiets insgesamt abträglich. Darüber hinaus handelte es sich bei den "Quartiers sud" um Stadtquartiere. in denen das lokale Vereins- und Verbandsleben unterentwickelt und die Bereitschaft der Bewohner zum aktiven bürgerschaftliehen Engagement und zur politischen Teilhabe räumlich sehr ungleich verteilt war (F/RdH-N /VdH 2001: 28f.). Schließlich, dies berichteten die befragten Mitarbeiter in der Havraiser Stadtverwaltung, handelte es sich bei den südlichen Vierteln aus unterschiedlichen Gründen um einen städtischen Raum, der nur wenig von den Aktivitäten (über-) örtlicher, sozialer Träger und/oder gesellschaftspolitischer Organisationen profitierte (EI 25, 19.06.2006). Zum einen hatten in den "Quartiers sud" selbst nur wenige soziale, kulturelle oder gesellschaftspolitische Trägerorganisationen ihren Standort - die Stadt zählte hier im Jahr 1999 45 Organisationen, zumeist allerdings mit geringem Organisationsgrad und wenig belastbaren internen Strukturen (F/RdH-N/VdH 2001: 28). Hinzu kam, dass die Initiativen der südlichen Viertel untereinander mangelhaft vernetzt waren und kaum Kontakt mit der Stadtverwaltung pflegten (ebd.). Zum anderen war das Interesse der in Le Havre insgesamt tätigen Trägerorganisationen an einem Engagement in den "Quartiers sud" gering ausgeprägt, da kaum stadtentwicklungspolitische Fördergelder als Quelle zur Finanzierung eines entsprechenden Engagements in die südlichen Viertel gelenkt wurden (EI 25, 19.06.2006). Hinzu kam, dass die
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
Bevölkerung in den südlichen Vierteln stets eine geringe Bereitschaft zur Annahme von sozialen Unterstützungs- und gesellschaftspolitischen Beteiligungsangeboten gezeigt hatte; man betrachtete das eigene Gebiet als benachteiligtes Arbeiter-, nicht jedoch als Problemviertel oder "sozialen Brennpunkt" (EI 28,20.06.2006). Was schließlich das Image der südlichen Viertel betraf, so richtete sich die öffentliche Wahrnehmung zum Zeitpunkt der Bewerbung Le Havres um die Teilnahme an URBAN II vorrangig auf die wirtschaftlichen und unternehmerischen Aktivitäten in den "Quartiers sud", Die soziale Lage der Gebietsbevölkerung stieß dagegen in den lokalen Medien und auch in der kommunalpolitischen Debatte bis Ende der 1990er Jahre auf nur geringes Interesse (EI 25, 19.06.2006), denn als Problemstadtteile galten in der lokalen Öffentlichkeit ebenfalls vorrangig die großen Sozialwohnsiedlungen im Norden Le Havres (OCEANES 2000; Havre-Presse 2001); hier konzentrierten sich Gewaltausbrüche, Vandalismus und die als "typisch" für benachteiligte Viertel erachteten Probleme. Einen Status als "vergessene Stadtteile" (EI 25,19.06.2006) besaßen die "Quartiers sud" aus denselben Gründen lange Zeit auch bei den meisten der lokalen Hauptakteure der Politique de la Ville inLe Havre.
5.3.4 Akteure undAkteuyskonsteilation im Bereich der soiJalen Stadtentwicklung Vor dem Hintergrund der langjährigen Teilnahme an den Programmen der Politique de la Ville existierte in Le Havre Ende der 1990er Jahre bereits eine feste Steuerungsstruktur und dementsprechend eine weitgehend fest stehende Akteurskonstellation im Bereich der sozialen Stadtentwicklungspolitik. Die lokale Struktur entsprach dem ,üblichen Standard' in den Städten der ersten Generation der Stadtverträge (1994-99) (Cavellier 1999: 7-11; vgl. auch Anderson/VieillardBaron 2003: 146-148). Das heißt, die Planung und Steuerung des Stadtvertrags und der Implernentation seiner Inhalte erfolgte innerhalb der durch ihre drei EbenenArchitektur charakterisierten Struktur, die in Kap. 4.2.1 (vgl. Abb. 3) vorgestellt worden ist (F/RdH-N/VdH 2001: 59; vgl. auch: S.I.P.o.V.A.H. 2000: 29-32). Die Hauptakteure in diesem Kontext waren:
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auf der obersten Ebene der politischen Gesamtlenkung durch die Graupe de pilotage: seitens der Stadt Le Havre selbst der Bürgermeister bzw. seine Erste Beigeordnete für Stadtentwicklungs- und Raumordnungspolitik; seitens des Staates: der Präfekt der Region Haute-Normandie und des Departements Seine-Maritime (Personalunion) und der Unterpräfekt für die Politique de la Ville in Le Havre; seitens der weiteren Gebietskörperschaften: der Präsident des Regionalrats (Conseil Regional) von Haute-Normandie, der Präsident des Generalrats des Departements Seine-Maritime und die Bürgermeister von an Le
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
•
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245
Havre angrenzenden Gemeinden. Diese zentrale Lenkungsgruppe trat zweimal jährlich zusammen und beschloss die von den aufgezählten Partnern vorgeschlagenen Maßnahmenkataloge sowie Jahreshaushalte zum Stadtvertrag; auf der mittleren Ebene der technischen Begleitung durch das Comite technique de mim: Vertreter der Verwaltungen der genannten Institutionen in wechselnder Zusammensetzung. Das technische Begleitkommittee traf sich in regelmäßigen Abständen je nach Abstimmungsbedarf; mitunter wurden auch aufgabenspezifische Arbeitsgruppen (Groupes Je travai~ gebildet. Auf dieser operationellen Ebene wurden die Projek:tanträge einzelner Träger bearbeitet und die Sitzungen der Graupe de pilotage vorbereitet (DIV/FNAU 2005: 55). Der Hauptteil der Steuerung der Politique de la Ville erfolgte allerdings innerhalb der beteiligten Verwaltungen auf den unterschiedlichen Ebenen selbst; Auf Ebene der Stadt Le Havre war hier die gesetzlich vorgeschriebene spezielle Verwaltungseinheit für die Implementation des Stadtvertrags, die Maftrise d'CEuvre urbaine et soaale (MOUS) zuständig. Sie war innerhalb der Stadtverwaltung von Le Havre in das Stadtplanungsamt (Departement Amenagement, Grands Projets et Prospectives) integriert. Die MOUS hielt den Kontakt zu den Projektträgem, hatte die korrekte Abrechnung der Fördermittelverträge mit den Trägem zu gewährleisten und übernahm die Aufgabe, sowohl verwaltungsintern als auch nach außen hin alle einschlägigen Akteure für Projektpartnerschaften zu mobilisieren. Die MOUS für die Politique de la Ville in Le Havre setzte sich aus zwei gebietsbezogen arbeitenden ,Mannschaften' mit jeweils einem Directeur Je Projet an der Spitze, einer Sekretariatskraft und mehreren Mitarbeitern zusammen. Diese Einheiten betreuten und berieten die gesellschaftlichen und privaten Projektträger in den betroffenen Stadtquartieren (EI 25, 19.06.2006); Auf der Stadtteilebene schließlich übernahmen private und gesellschaftliche, kommerzielle und gemeinnützige Trägerorganisationen, (Bürger-) Initiative, Stadtteilschulen oder andere Bildungsträger oder auch staatliche und parastaatliche Institutionen im Auftrag der Stadt die Aufgabenerbringung im Rahmen des Stadtvertrags. Sie handelten dabei auf der in der Regel begrenzten, inhaltlich vordefinierten und zeitlich befristeten Grundlage eines mit den städtischen Behörden ausgehandelten Leistungskontrakts.
Das zentrale Kennzeichen dieser intergouvernementa1en Stadtentwicklungspartnerschaft für Le Havre war ihr vorwiegend "technischer Charakter" (EI 26, 19.06.2006). Unter den Finanzierungsträgern auf der obersten Ebene, im Comite de Pilotage, erschwerte gegenseitiges Misstrauen unter den einzelnen Akteuren das Zustandekommen gemeinsamer Projekte. Zugleich bestand ein stillschweigender Konsens darüber, dass man den jeweils auf den eigenen Kompetenzbereich bezogenen Maßnahmenkatalogen der Finanzierungspartner zustimmte, sich "nicht in
246
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
die Aufgaben der anderen Partner einmischte" und ansonsten für die korrekte Abwicklung des Stadtvertrags sorgte (EI 30, 21.06.2006). Insgesamt war für diese Steuerungsstruktur ein hoher Grad an formaler Politikverflechtung charakteristisch. Die Überinstitutionalisierung der lokalen Politiksteuerung im Rahmen der Politique de la Ville hemmte dabei aus der Perspektive der Stadt die Koordinationsfähigkeit der Ebenen bzw. Akteure untereinander und trug zur Entstehung von Effektivitätsmängeln der Intervention bei (EI 26,19.06.2006). Bei der Planung und Implementation von URBAN II spielten die aufgezählten Akteure ebenfalls eine zentrale Rolle. Dabei ist grundsätzlich hervorzuheben, dass sich das Implementationsarrangement durch eine ausgeprägte Akteursdichte und hohe Komplexität auszeichnete. Es handelte sich um eine Struktur, die vorwiegend staatliche oder öffentliche und gebietskörperschaftliche Akteure integrierte. Dies galt nicht nur für den Begleitausschusss-, sondern auch für die mehrschichtige Entscheiderkonstellation, die innerhalb der städtischen Arena selbst mit der Projektauswahl befasst, und die ihrerseits weitgehend nach den Regeln der Politique de la Ville gestaltet war (vgl. Abb. 7). Bei ihrer Betrachtung fallen, ähnlich wie in den Fällen Dortmunds und Kiels, drei Merkmale besonders ins Auge. Erstens ist festzuhalten, dass es sich um eine Akteurskonstellation handelte, die sich - im Vergleich zu den beiden deutschen Fallstädten - bereits auf den ersten Blick durch eine starke Dominanz der städtischen Bürokratie, d.h. der Exekutivleitung und der Fachverwaltung, auszeichnete. Der Stadtrat hatte hier auf Vorschlag des Bürgermeisters im Anschluss an die Bekanntgabe der Aufnahme Le Havres in den Kreis der französischen URBAN II-Städte eigens eine neue Verwaltungseinheit eingerichtet, die Ce/lute PIC URBAN II. Sie war beim Stadtplanungsamt angesiedelt und hatte den Auftrag, für die Dauer der Laufzeit des EUProgramms alle administrativen Aufgaben im Zusammenhang mit seiner Implementation zu erfüllen und die Partnerschaften mit weiteren Akteuren zu koordinieren. Außerdem agierte sie während der Implementation von URBAN II auch in der Rolle als städtische Interessenträgerin und ,Anbieterin' von baulichen Aufwertungsprojekten der Stadt selbst für das Fördergebiet bei der Projektauswahl. Zweitens ist an der URBAN II-Akteurskonstellation von Le Havre hervorhebenswert, dass sie in ihrer Gesamtgestaltung durch den gesetzlichen Aufgabenhorizont der Kommunen vorgeprägt war. Das heißt, insbesondere Akteure der Wirtschaftsförderung spielten darin eine untergeordnete, allenfalls beratende Rolle. 62 Folgende Akteure und Institutionen waren im URBAN II-Begleitausschuss von Le Havre vertreten: der Bürgermeister, der Präfekt der Region Haute-Nonnandie und des Departements Seine-Maritime (personalunion), der Unterpräfekt von Le Havre, der Regionalratspräsident, der Generalratspräsident, die regionale Zweigstelle der staatlichen Förderbank CdC (Caisse des Depots el Consignations) in HauteNonnandie, die Industtie- und Handelskammer Le Havre (COH), die Handwerkskammern Le Havre (Chambres des Metiers), der Port Autonome du Havre (pAR), die staatliche Umweltsonderbehörde Direction Rigionak de I'Environnemenl (DIREN), die EU-Kommission mit beratender Stimme und weitere beratende Mitglieder (F/RdH-N/VdH 2001: 99f.).
Tiefenwirkungen.? ImpJemenbl.lionvon URBAN II in drei europäischen Städten
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Dies galt vor allem für die lokale Wirtschaftsfördemngsgesellschaft Le Havre Developpement, die lediglich als ,einfache' Projektträgerin in die Implementation von URBAN II eingeschaltet wurde. Und drittens schließlich bestand ein nur loses Kopplungsverhältnis zwischen der Stadt und dem Staat sowie den weiteren gebietskörperschaftliehen Akteuren oder Ebenen. Dies lässt sich damit erklären, dass Le Havre von der Option Gebrauch machte, anstelle des Präfekten selbstständig - in Gestalt des Bürgermeisters - die Funktion als oberste lokale Verwaltungsbehörde der Programmimplementation zu übernehmen. Abgesehen von seiner Beteiligung im URBAN IIBegleitausschuss und seiner Funktion als staatliche Rechtsaufsichtsbehörde der kommunalen Aufgabenerbringung allgemein war der Präfekt der Region HauteNormandie daher bei der lokalen Entscheidungsfindung über programmbe.zogene Fragen (projektauswahl, Fördermittelallokation) lediglich ein assoziierter Partner neben den anderen. Akteurskonstellation zur Implementation von URBAN II in Le Havre
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Vereine,Initiativen
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Quelle: Ville du Havre - Observatoire Population et Habitat (2000) (lNSEE[1999]).
Die beschriebene Struktur zur Planung und Implementation von URBAN II, dies lässt sich zusammenfassend feststellen, reproduzierte im Wesentlichen die Struktu-
248
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
ren zur lokalen Planung und Implementation der Politique de la Ville-Programme. Die Programmplanung und -implementation, die nachfolgend analysiert wird, fand damit unter für die Akteure gewohnten Strukturvoraussetzungen statt, auch wenn gerade die städtischen Verantwortungsträger selbst diesen geschilderten Strukturen skeptisch gegenüberstanden. 5.3.5
1mplementation und Wirkungen von URBAN 11
Ein zentrales Ziel des 1995 neu gewählten Bürgermeisters bestand darin, für Le Havre ein erneuertes Image als "Ville maritime internationale" zu entwickeln (Conseil Municipal 1998). Die Stadt sollte als Wirtschafts-, Wohn- und Lebensstandort über die lokalen und regionalen Grenzen hinaus wieder attraktiv gemacht werden (Europenne de Presse 2004: 6). Und diese Idee sollte nach dem Willen der Stadtführung auch handlungsleitend für die kommunale Politik der Revitalisierung der "Quartiers sud" im Rahmen der GI URBAN II werden (F/RdH-N/VdH 2001: 4). Das Vorhaben der Revitalisierung der südlichen Viertel konnte Le Havre insgesamt aus der Stärke eines ausgeglichenen, sogar leichte Überschüsse ausweisenden Haushalts angehen (Ville du Havre 2007b: 21). Dabei ging es vor allem um zweierlei. Erstens sollten die strukturellen Stärken der "Quartiers sud" (ausgeprägtes Industriepotential, zahlreiche noch beplanbare Brachflächen innerhalb der an sich dicht besiedelten Stadt insgesamt, attraktive Gebäude, Lage am Wasser) als Ausgangspunkte der geplanten Gebietsaufwertung berücksichtigt und entsprechende Policy-Ziele und Instrumente zu ihrer weiteren Stärkung entworfen werden. Und zweitens sollte URBAN II dazu genutzt werden, ein erneuertes Modell für die lokale Interventionspraxis zu entwerfen, das sich von der durch die Politique de la Ville vorstrukturierten Praxis abhob und geeignet war, deren Defizite zu überwinden (F/RdH-N/VdH 2001: 68). Die städtischen Verantwortungsträger erblickten zum Zeitpunkt der Bewerbung um URBAN II-Förderung eine ganze Reihe von Defiziten an der lokalen Politik der sozialen Stadtentwicklung: mangelhafte Bürgerbeteiligung; mangelhafte Koordination zwischen der Stadt und den lokalen Schlüsselakteuren der ökonomischen Entwicklung, namentlich dem PAB geringe Berücksichtigung des Interventionsbereichs "lokale Ökonomie", defizitäre Umsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes (EI 25, 19.06.2006; F/RdH-N/VdH 2001: 58, 63f. u. 68). Verbunden mit dem Ziel, URBAN II zur Beseitigung der aufgezählten Mängel zu nutzen, war für die städtische Führungsspitze zugleich das Ziel, mit der europäischen GI auch in der sozialen Stadtentwicklungspolitik den Sprung von einem vorwiegend reaktiv-passiven, wohlfahrtsstaatlichen Interventionsansatz hin zu einem wachstumsorientierten Ansatz, der die endogene Potentia1entwicklung auch in benachteiligten Gebieten systematisch begünstigte, zu schaffen (F/RdH-N/VdH 2001: 63f.).
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
5.3.5.1
249
Politische Ziel- und Instruementendimension
Das Vorhaben einer Revitalisierung der südlichen Stadtviertel mit Hilfe des europäischen Förderprogramms URBAN II war von Anfang an durch das Interesse der Stadtführung an der Imageverbesserung des Wirtschaftsstandorts orientiert. Das zentrale Projekt in diesem Zusammenhang bildete für die Stadtführung die Aufwertung des alten Hafengeländes ,im Fahrwasser' des staatlich-regionalen Hafenausbauprojekts "Port 2000". Da die problematischen "Quartiers sud" z.T. auf diesem Gebiet lagen, war es für den Erfolg der städtischen Standortpolitik unerlässlich, auch diese "vergessenen Stadtviertel" zu revitalisieren (Europeenne de Presse 2004: 6 u. 14f.; EI 25, 19.06.2006). Dabei wiederum wollte man nichts dem Zufall überlassen. Es war daher nur konsequent, dass die Stadtführung entschied, Le Havre würde von der Option, die der Staat allen URBAN II-Städten angeboten hatte, Gebrauch machen und die Funktion als örtliche Verwaltungsbehörde für das EU-Programm selbstständig übernehmen (F/RdH-N/VdH 2001: 99). Hiervon versprach man sich nicht nur, die strukturpolitische Intervention der EU "besser" an die lokalen Bedingungen anpassen zu können, als dies im Rahmen der regionalen Ziel2-Förderprogramms der Region Haute-Normandie zuvor möglich gewesen war (EI 26, 19.06.2006). Man versprach sich außerdem, die übergreifenden kommunalen Entwicklungs- und Modernisierungsziele in einem kleinen Teil des Stadtgebiets weitgehend autonom durchsetzen zu können. Diese Überlegung schlug sich bereits bei der politischen Ziel- und Instrumentenauswahl für das lokale URBAN II-Programm nieder. Mit der Grundsatzentscheidung, die europäische Initiative nicht zur Ergänzung der nationalen Politique de la Ville in den nördlichen Vierteln zu nutzen, sondern zur Wiederbelebung der "Quartiers sud", waren für die lokalen Programmplaner zwei Herausforderungen verbunden. Erstens musste innerhalb kurzer Zeit erstmals ein umfassendes Entwicklungskonzept für ein Stadtgebiet entworfen werden, für das bislang noch keine entsprechenden Pläne vorlagen (Ville du Havre (BIP) 2000: 7). Und zweitens stand man - mit Blick auf die Vorgabe der Politikintegration - vor der Aufgabe, eigene Policy-Ziele und -Instrumente für Interventionsbereiche zu entwickeln, die nicht zu den gesetzlichen Kernaufgaben der französischen Kommunen zählten und in denen die Stadt nur die aus eigenen Initiativen herrührenden Erfahrungen besaß. Dies galt insbesondere für die Bereiche der Förderung der lokalen Ökonomie, der Beschäftigungs- sowie Qualifizierungsförderung und der Sozialpolitik (EI 25, 19.06.2006) . Damit der Erfolg der Bewerbung Le Havres sichergestellt werden konnte, zogen die lokalen Planer - wie auch in den beiden deutschen Fallstädten Dortmund und Kiel- unterschiedliche Ideenquellen für die Ausarbeitung des Programmentwurfs heran. So flossen die Ergebnisse einer im Jahr 2000 von der Stadt durchgeführten, mündlichen und schriftlichen Befragung unter allen einschlägigen lokalen
250
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
Interessenträgern und betroffenen Akteuren im Fördergebiet in die Planung ein. Außerdem dienten diverse, bereits existierende Raumordnungsdokumente, wie z.B. die Stadtverträge für 1994-1999 und 2000-2006 oder der Bauleitplan (Plan d'OceujJation des Sols, POS) für die Südstadt mit dem Schlüsselprojekt der Sanierung der "Docks Vauban", als inhaltliche Bezugspunkte (Conseil Municipal 1999; Ville du Havre 2008a). Schließlich übertrug die Stadt die Aufgabe der Redaktion des Planungsdokuments der regionalen Stadtplanungsagentur Agence dVrbanisme de Ia Rigion Havraise (AURH) und einem weiteren privaten Anbietet von Planungsdienstleistungen (Ville du Havre (BIP) 2000: 7); dies entsprach der üblichen Vorgehensweise in der lokalen Raumordnungspolitik (EI 25, 19.06.2006). Der Programmentwurf, den Le Havre 2001 der EU-Kommission zur Genehmigung und dem Stadtrat zum förmlichen Beschluss vorlegte (Conseil Municipal 2001), enthielt eine Kombination bekannter, weitgehend traditioneller, städtebaulicher und auf Verbesserung der Wohnumfeldbedingungen gerichteten Ziele und Instrumente mit - gemessen an den Kommissionsvorgaben - innovativen Maßnahmenvorschlägen vor allem für den sozialpolitischen Interventionsbereich. Allgemein sollte das Programm Le Havres nach dem Willen der städtischen Verantwortungsträger der Idee des integrierten Politikansatzes Rechnung tragen und dabei zugleich die Verwirklichung der angesprochenen raumordnerischen Entwicklungsziele der Stadtführung für das ehemalige Hafengelände ermöglichen (Ville du Havre (BIP) 2000: 7). Im Einzelnen enthielt das PIC URBAN II vier strategische Ziele, die den Interventionsschwerpunkten entsprachen und die Basis für die Entwicklung weiterer Unterziele und entsprechend Policy-Instrumente bildeten (F/RdH-N/VdH 2001: 68-71; vgl. Tab. 13):
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•
•
Verbesserung und Modernisierung des örtlichen Service- und Dienstleistungsangebots im sozialen, kulturellen und Freizeitbereich (z.B. Bereitstellung kostenloser öffentlicher Zugänge zum Internet) sowie der zie1gruppenspezifisehen Angebote im Fördergebiet (z.B. Organisation von Sprachkursen für Migranten, Qualifizierungsangebote für Jugendliche und Langzeitarbeitslose); Aktivierung der Gebietsbewohner als Kunden oder "Nutzer" (F/RdHN/VdH 2001: 68f.) des öffentlichen Raums und der öffentlichen Einrichtungen. Sie sollten während der Implementation von URBAN II die Gelegenheit erhalten, die "E:Kpertise der Nutzer, die durch das tägliche Leben in den Vierteln erlangt wird" (ebd.: 68), zu äußern und in städtische Planungs- und Sanierungsvorhaben hineinzutragen; Ausbau der Untemehmensnetze und Entwicklung der südlichen Viertel zu einem "Wirtschaftspol" für KMU vor allem in hafennahen Dienstleistungszweigen. Sie sollten zum ,,Motor für die Stadtemeuerung und (der) Entwicklung von Beschäftigung und unternehmerischen Aktivitäten" werden (ebd.: 69);
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
•
251
planerische und bauliche Aufwertung des verfallenden Fördergebiets, d.h., des öffentlichen Raums, der Stadtstruktur und der Gebäude zur Steigerung der Attraktivität der "Quartiers sud" als Wohn-, Wirtschafts- und Lebensstandort über die Quartiersgrenzen hinaus (ebd. 70).
Neben Policy-Zielen beinhaltete das PIe URBAN II - ähnlich wie das Dortmunder URBAN II -Programm - ausdrücklich auch mehrere, auf die Governance der sozialen Stadtentwick1ung bezogene Ziele (F/RdH-N/VdH 2001: 71). Mit ihrer Fonnulierung wollte die Stadt den Willen zum ,Lernen' aus der Erfahrung mit dem URBAN-Modell von vorn herein zum Ausdruck bringen (EI 25,19.06.2006):
• • •
Errichtung von "Partnerschaften" zur Generierung und Nutzung von stadtentwicklungspolitischen "Synergien"; Ausrichtung der prozeduralen Gestaltung der Projektauswahl an der Idee der verstärkt direkten Partizipation der Bevölkerung; kontinuierliche Evaluation der Projektimplementation, um gegebenenfalls nachsteuern und um "beste Praktiken" entwickeln zu können.
Die aufgezählten Ziele verteilten sich auf vier Interventions-i.Achsen" (vgl. Tab. 13), die ihrerseits in 13 operative "Maßnahmen"-Bereiche untergliedert waren.
Tabelle 13:
URBAN II in Le Havre (2000-2008)
Pinanzvolumen
Interventionsschwerpunkte (Fördermittelanteil am Gesamtbudget 2001)*
30,785 Millionen Euro, davon* 10,9 EU (EPRE): Zenttalstaat: 2,8 2,1 Region (Haute-Nonnandie): Departement (Seine-Maritime): 3,2 11,2 Stadt Le Havre: Privat: 0,6 Schwerpunkt (Axe) 1: Soziale Kohäsion - BeschäftigungAus- und Weiterbildung (ca. 35 %) Schwerpunkt (Axe) 2: Ökonomische Entwicklung (ca. 8,0%) Schwerpunkt (Axe) 3: Umwelt - Erneuerung der Stadtstruktur (ca. 52 %) Schwerpunkt lAxe) 4: Technische Hilfe (ca, 5,0 %)
Quelle: P/R de H-N/VdH 2001: 74. * Gerundete Werte.
Insgesamt bekannte sich Le Havre an mehreren Stellen seines Revitalisierungsprogramms für die "Quartiers sud" ausdrücklich zu den Maßgaben der europäischen Gemeinschaftsinitiative, also u.a. zur Idee des gebietsbezogen integrierten Poli-
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5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
tikansatzes und zu der Forderung der EU-Kommission, URBAN 11 gezielt für inhaltliche Policy-Innovationen zu nutzen (F/RdH-N/VdH 2001: 6,68,71). Dabei wählte Le Havre, ähnlich wie Kiel, ebenfalls den Ansatz einer schrittweisen ,Bestückung' seines operationellen Programms auf der Grundlage eines laufenden, implementationsbegleitenden Projektwettbewerbs. Auf diese Weise kam bis Ende 2007 die Vielzahl von 107 Projekten zustande. Der Blick auf das breite Maßnahmenpaket verdeutlicht, dass die Stadt ihrem ursprünglichen Bekenntnis zu den Kernvorgaben der Kommission für die Ziel- und Instrumenten-Dimension der sozialen Stadtentwicklungspolitik während der Implementation von URBAN 11nur sehr eingeschränkt Konsequenzen folgen ließ. Sichtbar wurde dies zunächst an der quantitativen Bilanz der Implementation. Le Havre hatte sich bereits mit seiner Programmplanung und hier speziell der Planung der Fördermittelallokation auf die drei inhaltlichen Schwerpunktbereiche G,A.chsen'') ein Stück weit von den Ideen des integrierten Politikansatzes und der instrumentellen Policy-Erneuerung entfernt. Die Planung fiel stark ungleichgewichtig zugunsten des städtebaulichen Schwerpunkts "Umwelt - Erneuerung der Stadtstruktur" aus (vgl. Tab. 13). Angesichts der spezifischen Ausgangsbedingungen im Fördergebiet - intakte Industriestruktur, hohe Umweltbelastungen und hoher Sanierungsbedarf - war dies nicht ungewöhnlich. Auch wich die Stadt damit nicht grundsätzlich vom Modell URBAN ab, zumal der indikative Maßnahmenkatalog der EU-Kommission für die Gemeinschaftsinitiative mehrere baubezogene Projektideen enthielten (Kommission der EG 2000: 10 u. 14). Bemerkenswert ist allerdings, dass es im Laufe der Implementation zu mehreren Programmänderungen und in deren Folge zu einer weiteren Verschiebung zugunsten des Stadtsanierungsund umweltpolitischen Schwerpunkts kam. Ein Jahr vor Ende des Fördermittelflusses im Jahr 2007 kalkulierte Le Havre für die sozialpolitischen Interventionsmaßnahmen G,Soziale Kohäsion - Beschäftigung - Aus- und Weiterbildung'') ein Budget von nur mehr 25,9 Prozent der Gesamtfördersumme ein. Das geringe, für die lokale Ökonomie vorgesehene Volumen war unverändert geblieben, und in den Sanierungs- und Umweltschwerpunkt flossen nunmehr 61,1 Prozent des gesamten Fördermittelvolumens (Ville du Havre 2008b: 50). Neben dieser Schwerpunktverschiebung wurde die augenscheinlich defizitäre Umsetzung der Ideen des integrierten Ansatzes und der Policy-Innovation auch an der Struktur des breiten Maßnahmentableaus erkennbar. Es zerfiel in einen kleineren Teil von teuren, zeitintensiven städtebaulichen Maßnahmen (47 Projekte; vgl. Ville du Havre 2008b: 55-58) und einen größeren Teil überwiegend kostengünstiger, kurzlebiger Klein- und Kleinstprojekte, die vorwiegend in den Bereichen "Soziales" und "Lokale Ökonomie" implementiert wurden (60 Projekte realisiert; vgl. Ville du Havre 2008b: 52-55). Das Maßnahmentableau enthielt ein ganzes ,Potpourri' von ihrer instrumentellen Natur nach unterschiedlichsten Projekten bzw. Aufwertungsinstrumenten.
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11 in drei europäischen Städten
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Neben solchen, die aus dem Kontext des Stadtvertrags für die nördlichen Stadtviertel in das URBAN II-Programm übertragen wurden oder solchen, die zum normalen Aufgabenspektrum der Stadt oder ihrer gebietskörperschaftlichen Finanzierungspartner Region und Departement rechneten, standen Projekte, die eine eher kurzfristige Verbesserung des Freizeitangebots für die Bewohner der "Quartiers sud", vor allem die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, zum Ziel hatten. Und schließlich fanden sich auch solche Projekte, die dem vorgegebenen Ziel der Prophylaxe-Orientierung entsprachen und, gemessen an den Vorgaben der EUKommission, als ,innovativ' eingestuft werden konnten, insofern, als mit ihnen die Aspekte der Aktivierung und der Förderung der endogenen (Wirtschafts-) Entwicklung in den "Quartiers sud" in den Vordergrund gerückt wurden. Auffällig war, dass viele Projekte kurzlebiger Natur waren und das Maßnahmentableau insgesamt bereits aufgrund der Vielzahl der enthaltenen Projekte kaum eine innere Kohärenz erkennen ließ, wie sie der Idee des integrierten Ansatzes entsprochen hätte. Auffillig war außerdem, dass die Stadt selbst mit ihren eigenen Maßnahmenvorschlägen den Schwerpunkt auf traditionelle Instrumente der (sozialen) Stadtentwicklungspolitik legte. Innovative Maßnahmen i.S, des URBAN-Modells kamen dagegen eher von privaten oder zivilgesellschaftlichen Trägern. Ein Beispiel für Letzteres war etwa das Projekt "Credit Solidaire" im Interventionsschwerpunkt "Soziale Kohäsion - Beschäftigung - Aus- und Weiterbildung". Es hatte die Unterstützung von Existenzgtündern in den südlichen Vierteln vor allem im Bereich der Nahversorgung der Bevölkerung zum Gegenstand. Hierzu sollte im Verlauf des Projekts eine Förderpartnerschaft von lokalen Bildungsträgern, Vereinen, privaten Akteuren und Unternehmen errichtet werden, deren Zweck und Aufgabe darin bestand, einen Fonds zur Vergabe von Mikrokrediten an Existenzgtünder einzurichten und zu verwalten (Ville du Havre 2005: 37). Das Projekt trug ein in Le Havre insgesamt tätiger, gemeinnütziger Verein "für das Recht auf wirtschaftliche Initiative" (ADIE). Von Seiten der Stadt bzw. der einschlägigen städtischen Ämter kamen dagegen vorwiegend Vorschläge für traditionelle Maßnahmen der sozialen Stadtteilentwicklung. Dies galt insbesondere für die Projektvorschläge der Ce/MePIC URBAN, die neben ihrer Funktion als verwaltungsinterne ,Schaltzentrale' der Implementation von URBAN rr auch als eigenständige städtische Anbieterin von Projektvorschlägen auftrat. Die Stadtplaner in der Ce/Me begannen im Interesse der Stadtführung Le Havres zeitgleich mit dem Beginn der Programmimplementation mit der Ermittlung des aus städtischer Sicht in den südlichen Vierteln bestehenden Sanierungsbedarfs und mit dem Entwurf von Projekten, mit denen dieser Bedarf gedeckt werden konnte. Im Ergebnis dieser Aktivitäten stand der Vorschlag einer Reihe von ambitionierten städtebaulichen Maßnahmen, die nach dem Willen der Stadtführung die ,,Leuchtturmprojekte" der Revitalisierungsstrategie für die "Quartiers sud" bilden sollten (Ville du Havre 2008b: 28-33):
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• • • •
5.3 URBAN II in Le Havre: Ein Programm unter anderen
Neugestaltung und Begrünung mehrerer Straßen und Plätze mit Zentrenfunktion im Fördergebiet und Anlage eines Flusslandschaftsparks ~,parc fluvial''); Bau einer öffentlichen "Mediatheque"; Planung und Realisierung des Umbaus eines ganzen Stadtteils, des Quartiers Saint Nicolas de l'Eure, einschließlich der Sanierung und des Umbaus alter Hafenlagerhallen, darunter die ,,Docks Vauban", sowie Sanierung mehrerer Industriebrachen, ihre Umwandlung in Baugrund und Bau eines multifunktionalen Stadtteilzentrums ~,Pole de vie sodale''), das Bürgern und örtlichen Vereinen als Ort für Veranstaltungen und Gemeinschafsaktivitäten dienen sollte, dabei zugleich auch als Standort für die lokalen Behörden auf Stadtteilebene konzipiert war.
Mit diesen Vorschlägen, die im Verlauf der Implementation einen Großteil der Fördergelder banden, knüpfte Le Havre schon zu Beginn der Implementation seines URBAN II-Programms an bekannte Reaktionsmuster im Hinblick auf die Herausforderung der sozialen Integration der Stadtbevölkerung in benachteiligten Vierteln an. Im Laufe der Implementation des PIC URBAN II bis zum Ende des Förderungszeitraums nahm die Havraiser URBAN II-Strategie zur Revitalisierung der "Quartiers sud" mithin mehr und mehr den Charakter einer traditionellen, vorwiegend städtebaulich geprägten Strategie an. Was erklärt die Tatsache, dass die Stadt ihrer programmatischen Ankündigung zum gezielten "Experimentieren" mit der Policy-Innovation und dem integrierten Politikansatz (F/RdH-N/VdH 2001: 68) letztlich nicht gefolgt ist und diese Ideen lediglich ansatzweise umgesetzt hat? Im Rahmen des hier zugrunde gelegten Analyserasters können mehrere Erklärungen, die jeweils auf die internen und exogenen Faktoren für das Zustandekommen von Innovation in lokalen und regionalen Politikarenen verweisen, angeführt werden. Eine erste Erklärung bezieht sich auf die Frage der Komplexität des mit URBAN II angebotenen Weges zur inhaltlichen und instrumentellen Erneuerung der sozialen Stadtentwicklungspolitik und hier speziell auf das Verfahren der Projektauswahl. Ähnlich Dortmund griff Le Havre im Zusammenhang der Projektauswahl pfadabhängig auf etablierte Strukturen und bekannte Verfahren, in diesem Fall der Politique de la Ville, zurück. Dies erschien sinnvoll, da hier bereits ein prozeduraler Standard der wettbewerblichen Projektauswahl, der den Vorstellungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik entsprach, existierte. Die entsprechenden Regeln der Politique de la Ville waren an sich allerdings bereits hochkomplex und schienen von vorn herein wenig dazu geeignet, eine den Ideen des integrierten Poltikansatzes und zugleich der Policy-Innovation entsprechende Projektauswahl zu gewährleisten. Die Partnerschaftsstruktur der Politique de la Ville, die Le Havre bei der Implementation seines URBAN II-Programms auf das Projek-
Tiefenwirkungen.? ImpJemenbl.lion von URBAN II in drei europäischen Städten
255
tauswahlverfahren übertrug (vgl. Kap. 5.3.5.2), hatte einen stark institutionalisierten Charakter, band zahlreiche Akteure mit z.T, konfligierenden Interessen auf unterschiedlichen Ebenen in mehreren Schritten ein (vgl. Abb. 8) und war eher dazu geeignet, einen formalen Ausgleich von Interessen unter den Partnern zu ermöglichen als dazu, eine sach- oder inhaltsorientierte Interessenkoordination im Sinne des Fördergebiets zu befördern. AbbiltlNng 8:
Projektauswahl in Le Havre SpriChlOenehmigung aus
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I
weitere stadusrhe Ämter
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schlai;JtProlektldeevor
ProJeknrager (VereineNerbendeJ8ewohnergruppen, Unternehmen, einzelne 80r ger,offentllche lnstrtu üonen)
I
Eigeae Darstellung, aufGnmdlage von: F/RdH-N/VdH2001: 101.
Unter diesen Vorzeichen gelang es weder noch lag es im Interesse der politischen Entscheidungsttäger im Comiti Je Sillction du ProjeIJ, die einzelnen Vorschläge im Zuge der Projektauswahl wie ursprünglich geplant (F/RdH-NNdH 2001: 60 u, 68-73) systematisch auf ihre Stimmigkeit mit anderen Vorschlägen oder mit dem PIC URBAN II insgesamt zu überprüfen oder auch ihren ,innovativen Charakter' zu kontrollieren. Im Übrigen trug auch die Reproduktion altbekannter Koordinationsprobleme zwischen der Verwaltungs- und der politischen Entscheidungsebene bei der Projektauswahl nicht dazu bei, dass diese beiden Ziel- und Insttumentenbezogenen Zielsetzungen Le Havres erreicht werden konnten. So verließ sich die Politik darauf, dass die notwendige fachlich-inhatliche Abstimmung bereits auf Ebene der Verwaltung geleistet wurde. Da sich die Akteure auf dieser Ebene, im Comitt technitjlle d'instrJIction, bei der Projektauswahl allerdings, wie bei der Auswahl
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der Projekte für Politique de la Ville-Programme, untereinander sowie mit den privaten und gesellschaftlichen Anbietern von Fördermaßnahmen im Wettbewerb wähnten, erfolgte diese Vorarbeit nur unzureichend. Die Akteure konzentrierten sich weniger auf gemeinsame Projekte oder die Zusammenstellung einer inhaltlich kohärenten, integrierten Aufwertungsstrategie für die ""Quartiers sud"" als vielmehr auf die angemessene Mittelausstattung der je eigenen Projekte (EI 25, 19.06.2006). Zudem wollte die Stadt Le Havre, die als örtliche Verwaltungsbehörde für die europäische Gemeinschaftsinitiative das volle Finanzierungsrisiko trug, einen Verlust europäischer Fördergelder durch eventuelle Verzögerungen im Auswahlprozess oder formale Mängel der Projekte unbedingt vermeiden. Die auf Verwaltungsebene hauptsächlich mit der Projektauswahl befasste Ce/Me PIC URBAN konzentrierte ihre Tätigkeit daher vorrangig auf die Durchsetzung des städtischen Interesses eines möglichst zügigen Konsums der Fördermittel. Die Frage des innovativen Charakters der einzelnen Projektvorschläge oder auch der internen Abstimmung der Maßnahmenvorschläge aufeinander trat demgegenüber in den Hintergrund (i.m.t.e. 2003: 27-29). Vor diesem doppelten Hintergrund stellte sich während der Implementation die bereits im Kontext der anderen Fallstudien angesprochene Situation eines Ideen- oder Projekt-Shopping ein. Das heißt, man ging bei Projektauswahl wenig wählerisch vor und ließ alle Projekte zu, die den formalen Anforderungen an die Förderfähigkeit genügten und vom Stadtrat oder den politischen Entscheidungsgremien der Finanzierungspartner als förderfähig akzeptiert wurden (EI 43, 01.09.2008). Eine zweite Erklärung für die defizitäre Umsetzung der Ideen des integrierten Politikansatzes und der Policy- und Instrumenteninnovation verweist auf die internen, politisch-motivationalen Orientierungen, die die lokalen Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung ihrem Handeln von Beginn der Programmimplementation an zugrunde legten. Die städtischen Verantwortungsträger brachten die Schlüsselidee des Modells URBAN nicht mit einem echten Fortschritt und damit einem Vorteil im Sinne der Verbesserung der städtischen Steuerungs- und Problemlösungsfähigkeit (vgl. Rogers 1995: 15) gegenüber dem im Rahmen der Politique de la Ville verfolgten Ansatz zur Erneuerung benachteiligter Stadtgebiete in Verbindung. Ungeachtet der programmatischen Ankündigung im PIC URBAN II (F/RdH-N/VdH 2001: 64) und ungeachtet eines Beschlusses des Stadtrats, wonach sozial- und wirtschaftspolitischen Aspekten der Stadtteilaufwertung im Rahmen von URBAN II ein bedeutender Stellenwert eingeräumt werden solle (Conseil Municipal2001), fand die Idee einer neuartigen Herangehensweise an das Problem der sozialen Segregation - ähnlich wie in Kiel- auf der kommunalen Leitungs- und Entscheidungsebene keine machtvollen Anwälte, die als "change agents" (Rogers 1995: 27f.) auftraten. Unter diesen Vorzeichen blieb allerdings - im Unterschied
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zum Fall Kiel - auch die Motivation der Akteure auf der Ebene der Stadtverwaltung gering, die Verwirklichung des integrierten Ansatzes durch ihr Handeln zu befördern und dabei über die bereits praktizierten Routinen der verwaltungsinternen Policy-Abstimmung im Rahmen der Politique de la Ville hinauszugehen. Was die zuständige Verwaltungseinbeit, die eigens anlässlich von URBAN II errichtete Cellule PIC URBAN angeht, so agierte sie vor allem als (bürokratische) Sachwalterin des Interesses der städtischen Exekutivleitung und hielt bei der stadtentwicklungspolitischen Aufgabenwahrnehmung im Kontext der GI weitgehend an den Handlungsroutinen im Rahmen der Politique de la Ville fest. Dies erklärte sich zunächst daher, dass die Verwaltung in ihren Kapazitäten aufgrund der für die Stadt gänzlich neuartigen Funktion als lokale Verwaltungsbehörde im Rahmen der Implementation von URBAN II stark gebunden war (EI 25, 19.06.2006). Vor diesem Hintergrund zog man sich bei der Maßnahmenplanung weitgehend auf die eigenen Fachkompetenzen, d.h., auf den städtebaulichen Schwerpunkt der sozialen Stadterneuerungspolitik, zurück. Dabei sah man zwar durchaus die Aufgabe, andere Fachpolitikbereiche sowie die einschlägigen nicht-städtischen Akteure zur Generierung von Policy- und Projektideen in allen Interventionsfeldern des PIC URBAN II zu mobilisieren; dies gehörte ja auch zum normalen Aufgabenspektrum der MOUS (Anderson/Vieillard-Baron 2003: 96f.). Jedoch ging man dabei, nicht zuletzt auch angesichts der eindeutigen Policy-Interessen der Stadtführung für das Fördergebiet, nicht über die entsprechende Praxis im Rahmen der Politique de la Ville hinaus. Im Vordergrund der Tätigkeit der Cellu1e PIC URBAN stand, dies unterstrich ein befragter Mitarbeiter, zuerst die formal korrekte verwaltungs- und finanzierungstechnische Abwicklung des URBAN II-Programms. Darüber hinaus war zweitens die Funktion der Konzeption städtebaulicher Maßnahmen und Projekte zur Wiederbelebung der "Quartiers sud", die man u.U. auch anderen einschlägigen Verwaltungseinbeiten anbieten und sich damit innerhalb der Stadtverwaltung Unterstützung sichern konnte, zentral: "Ich habe zwei Funktionen. Die erste, die wichtigste Funktion, ist diejenige, als Verwaltungsbehörde zu funktionieren. (...). Die zweite Funktion ist diejenige, als Projektleiter zu agieren. Dies ist eine Funktion im Rahmen des französischen Rechts und der Politique de la Ville, Sie bringt mit sich, ein umfassendes Projekt zu definieren und die Ämter der Stadtverwaltung für die Umsetzung dieses Projekts zu mobilisieren. In dieser Funktion wechsle ich völlig meine Rolle. (00') ich interessiere mich dann dafür, so viele Finanzquellen, Geld und Personal wie möglich zu mobilisieren und die städtischen Ämter und andere Akteure davon zu überzeugen, dass man etwas für die "Quartiers sud" tun muss und Projekte vorschlagen sollte. Und in diesem Zusammenhang bin ich von meiner Profession her Architekt und Stadtplaner. Ich weiß, wie man die Stadt gestaltet. Auf dieser Grundlage erteile ich den anderen Akteuren technischen Rat. Ich habe auch meine eigenen Überzeugungen und verteidige die Projekte, von denen ich überzeugt bin mit Enthusiasmus." (EI 25, 19.06.2006).
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Das Zitat lässt erkennen, dass innerhalb der CellHle das Interesse an einer ,Sicherung' des eigenen Budgets über das Festhalten am eigenen Aufgabenhorizont handlungsleitend war (vgl. Osborne/Gaebler 1992: 118). Man sah sich also, wie oben bereits angedeutet, weniger als Partnerin, denn als Konkurrentin anderer Ämter. Dabei stand die CelMe insbesondere mit den für Kleinkindbetreuung (Petite Enfance) und für die Förderung des Stadtteillebens (Vie de Quartiers) zuständigen Ämtern in einem regelmäßigen Kontakt. Die verwaltungsinterne Abstimmung mit diesen Ämtern wurde von Seiten der Cellule PIC URBAN jedoch - das macht das Zitat deutlich - vorwiegend mit dem Ziel verfolgt, eigene Infrastrukturprojekte in den südlichen Vierteln durchzusetzen (z.B. Bau eines neuen Bürger- und Behördenzentrums). Die stark an Fachinteressen ausgerichtete Aufgabenwahrnehmung der CelMe PIC URBAN und auch der anderen städtischen Ämter, die für das kleine Programm URBAN II nur geringes Interesse zeigten, war im Endeffekt der Umsetzung des integrierten Politikansatzes abträglich. Was die Politik und hier die Havraiser Stadtführung - Bürgermeister und Adjoints - als das eigentliche Entscheidungszentrum über alle kommunalpolitischen Fragen angeht, so hielt sich die Motivation zur Durchsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes schon zu Beginn der Programmimplementation in Grenzen. Das zentrale Interesse der Stadtführung für die südlichen Viertel lag vor dem Hintergrund ihres Projekts der wirtschaftlichen Neuerschließung des ehemaligen Hafengeländes und der Imageverbesserung Le Havres darin, durch groß angelegte Investitionen in die Stadtsanierung und die Infrastrukturerneuerung die Basis für eine Attraktivitätssteigerung nicht nur oder in erster Linie der "Quartiers sud", sondern darüber hinaus vor allem der Gesamtstadt als Investitions-, Wohn- und Freizeitstandort zu schaffen. Die EU-Förderung bot hierzu eine ,einmalige' Chance, denn sie brachte für die städtischen Handlungsträger die staatlich gewollte Gelegenheit zur Übernahme der raumordnungspolitischen Steuerungsfunktion im Bereich der Stadtentwicklung mit sich. Unter diesen Vorzeichen war das Verhalten der politischen Verantwortungsträger bereits bei der Programmierung und vor allem bei der Implementation von URBAN II durch einen grundsätzlichen Widerspruch gekennzeichnet. Einerseits befürwortete man bei der Programmierung die Idee des integrierten Politikansatzes (Ville du Havre [HIP] 2000: 7; F/RdH-N/VdH 2001: 68), andererseits verfolgte man im Rahmen der Implementation des PIC URBAN II eine klare Orientierung der städtischen Aktion an den eigenen, im kommunalen Kernaufgabenfe1d der städtebaulichen Planung und Stadtsanierung angesiedelten Interventionsinteressen für das Fördergebiet und verhielt sich zugleich auffallend passiv, wenn es um die Integration von Policy-Initiativen ging, die außerhalb des formalen Aufgabenrahmens der Kommune lagen. Dieser Widerspruch wurde während des Implementationsprozesses u.a. bei der Projekt- oder Instrumentenauswahl deutlich.
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Dies gilt zunächst für das Verhalten der Stadt gegenüber ihren URBAN IIFinanzierungspartnern auf den höheren gebietskörperschaftlichen Ebenen, der Region und dem Departement. Die Idee der Politikintegration konnte in diesem Zusammenhang nur mangelhaft umgesetzt werden, weil es die Stadtführung vermied, einen eigenen, städtischen Vorstoß in nicht primär kommunale Aufgabenbereiche zu unternehmen oder mit ihren gebietskörperschaftlichen Partnern gemeinsame Policy-Projekte anzustoßen oder auch ihren Partnern InitiativvorscWäge für Maßnahmen zu unterbreiten, die außerhalb des kommunalen Aufgabenhorizonts lagen (Conseil Municipal 2001). Die Zurückhaltung war zunächst der Tatsache geschuldet, dass die Stadtführung von Le Havre der zur Realisierung des integrierten Politikansatzes des "Modells URBAN" im französischen Public Policy-Kontext erforderlichen Politikverflechtung skeptisch gegenüberstand und ihren Mehrwert für die politische Steuerungsfähigkeit im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklung anzweifelte. Zudem rührte die Zurückhaltung aber auch daher, dass man es nicht als kommunale Mission betrachtete, den Staat im Zuge der Dezentralisierung von (finanziell kostspieligen) Aufgaben zu entlasten. Anstelle einer aktiven Verflechtungsstrategie verhielt sich die Stadtführung passiv, zog sich auf den eigenen Aufgabenbereich zurück und verwies bei unterschiedlichen Gelegenheiten - etwa bei Stadtratsdebatten - darauf, sich nicht in die Aufgabenbereiche der Partner "einmischen" zu wollen (Conseil Municipal2001). Die geringe Motivation der Stadtführung Le Havres zur Umsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes über den bekannten Integrationsrahmen der Politique de la Ville und die kommunalpolitischen Handlungsroutinen hinaus zeigte sich u.a. in der Haltung der Stadt zur Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Förderung der lokalen Ökonomie. Hier ließ sich die mit dem PIC URBAN II geplante Ansiedlung von Dienstleistungs-KMU in zukunftsorientierten Branchen im Laufe der Programmimplementation nicht realisieren, da kaum Projektvorschläge von nicht-städtischen Trägem eingebracht wurden. Dennoch blieb die Stadt nicht nur bei der beschriebenen Zurückhaltung gegenüber einem eigenen Policy-Engagement in diesem formal nicht kommunalen Aufgabenfeld, sondern verhielt sich zudem weiterhin passiv abwartend gegenüber möglichen einschlägigen Akteuren. Das Nichtzustandekommen einer ,passenden' wirtschaftspolitischen Förderstrategie für die "Quartiers sud" führten sowohl die Stadtverwaltung als auch die zuständige Beigeordnete letztlich auf die Inaktivität der wichtigsten institutionellen Akteure der lokalen Wirtschaftsförderung, z.B. der CCIH, und auf das geringe Interesse der lokalen Unternehmen an einem Engagement in den südlichen Vierteln zurück: "Wir haben große Hoffnung in den Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung gesetzt. Aber wir haben nicht die Mittel gefunden, um die wirtschaftliche Aktivität (in den südlichen Vierteln, RR) anzuregen." (EI 26, 19.06.2006)
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,,Ich habe keine einzige Aktion mit den Unternehmen. (...) Wir haben nicht besonders gut mit der Handelskammer zusammenarbeiten können." (EI 25, 19.06.2006)
Das Konzept des integrierten Politikansatzes, dies zeigte sich an der Interpretation der Idee der dazu erforderlichen Partnerschaft mit den in den einschlägigen PolicyBereichen kompetenten Akteuren Region und Departement, wurde von der Stadt vorwiegend technisch interpretiert, d.h., im Sinne einer gebietsbezogenen Bündelung von Förderge1dern aus unterschiedlichen Ko-Finanzierungsquellen für die europäische GI (EI 26, 19.06.2006). Aus dieser Perspektive betrachtet war die Stadt bei der Politikintegration durchaus erfolgreich. So konnte die Stadtführung darauf verweisen, dass man bei der Programmplanung den gebietskörperschaftlichen Partnern die Zusage zur finanziellen Beteiligung an der Revitalisierung der "Quartiers sud" im Rahmen von URBAN II abgerungen hatte, obwohl es sich bei den südlichen Vierteln nicht um ein Kernfördergebiet der Politique de la Ville handelte und obwohl Le Havre die Funktion der Verwaltungsbehörde und damit die Macht zur Letztentscheidung über die Programmgestaltung und Mittelallokation für sich reklamierte (Conseil Municipal2001). Die Finanzierungspartnerschaft mit den Politique de la Ville-Akteuren stellte sich aus städtischer Sicht als Erfolgsausweis für die Umsetzung des integrierten Politikansatzes dar, der es Le Havre zudem erlaubte, bei der Implementation der europäischen GI vorrangig die eigenen Interessen in den "Quartiers sud" zu verfolgen. Die finanzielle Beteiligung der Region und des Departements gab der Stadt die Gelegenheit, den eigenen Finanzierungsanteil am URBAN II-Programm vorwiegend in die eigenen Schlüsse1- oder Leuchtturmprojekte im Bereich der Stadtsanierung und Infrastrukturerneuerung zu lenken (vgl. F/RdH-N/VdH 2002: 45; Ville du Havre 2008b: 50-66). Die letztlich mangelhafte Umsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes resultierte allerdings nicht nur aus der passiven Haltung der Stadt gegenüber ihren Finanzierungs- und Policy-Partnern auf den höheren gebietskörperschaftliehen Ebenen. Eine dritte Erklärung hierfür hängt mit der "Einbettung" (Granovetter 1985) der Stadt in die Strukturen des Lokalsystems allgemein und mit der Interpretation der eigenen Rolle der Stadtführung sowie der lokalen Behörden gegenüber den lokalen gesellschaftlichen und privaten Trägerorganisationen der sozialen Stadtentwicklung zusammen. Im Unterschied zu den traditionellen raumordnungsund wirtschaftspolitischen Akteuren in Le Havre (präfektur, PAB, CCIH) nahm die Stadtführung die lokalen Organisationen weniger als gleichberechtigte PolicyPartner wahr, sondern als Auftragnehmer. Nicht-öffentliche Trägerorganisationen nahmen im Fördergebiet, im Sinne des traditionellen Modells der kommunalen Aufgabenerbringung in Frankreich, zeitlich befristet auf vertraglicher Basis Aufgaben wahr, die vor allem im sozialund wirtschaftspolitischen Interventionsbereich des PIC URBAN II angesiedelt
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waren. Da es sich um öffentliche Aufgaben handelte, für die die Stadt selbst als Auftraggeber gegenüber den staatlichen Aufsichtsbehörden rechenschaftspflichtig war, hatten die städtischen Behörden bei der Auswahl der URBAN lI-Aufgabenoder Projektträger vorrangig ein Interesse an der Professionalität der beauftragten Organisationen und weniger ein Interesse daran, lokale Initiativen möglichst noch aus dem Fördergebiet zu aktivieren oder ihre Entstehung und Entwicklung durch die Übertragung von stadtentwicklungspolitischen Aufgaben zu befördern. Bei der Implementation von URBAN II stand die Stadt dabei zusätzlich unter dem Druck, möglichst professionelle Auftragnehmer gegebenenfalls ohne Anbindung an das benachteiligte Fördergebiet auszuwählen, denn die europäischen Fördergelder mussten zügig abgerufen werden, damit ein Fördermittelverfall vermieden wurde. Bis zur Halbzeitbewertung des URBAN lI-Programms hatte sich in diesem Kontext herausgestellt, dass diese traditionelle Form der kommunalen Aufgabenerbringung bei der Implementation der europäischen GI nicht funktionierte. Die Anmeldung von Projekten zugunsten der sozialen Integration der Stadtteilbevölkerung und der Abruf von Fördergeldern im sozialpolitischen Interventionsbereich liefen nur schleppend an (Ville du Havre 2008b: 51). Dies jedoch hatte nicht zur Folge, dass die Stadt verstärkte Anstrengungen zur Trägermobilisierung und Einbindung der lokalen Vereine und Verbände in die Programmimplementation unternahm. Vor dem geschilderten Wahrnehmungshintergrund und institutionell vorgezeichneten Handlungsspielraum zog man vielmehr den Schluss, dass die einschlägigen gesellschaftlichen Organisationen im Stadtteil nicht in der Lage seien, die Trägerverantwortung im Rahmen des EU-Programms zu übernehmen (Conseil Municipal 2004a). Dies wiederum kam der Stadtführung angesichts ihrer eigenen Policy-Ziele im Fördergebiet nicht ungelegen. Als eine Konsequenz aus dem unbefriedigenden Trägerengagement fanden bei der Projektauswahl verstärkt öffentlich (d.h., vor allem von der Stadt selbst oder dem Departement) getragene Projekte Berücksichtigung. Als eine weitere, von der Opposition im Stadtrat heftig kritisierte Konsequenz (Conseil Municipal 2003) erwirkte die Stadtführung im Jahr 2004 im URBAN II-Begleitausschuss die Umschichtung eines Teils des Budgets des sozialpolitischen Interventionsschwerpunkts in den städtebaulichen Schwerpunkt des städtischen URBAN IIProgramms; hierbei konnte sie sich auf eine entsprechende Empfehlung der Halbzeitevaluation berufen (i.m.t.e. 2003: 20f.; Conseil Municipal2004a). Die allenfalls ansatzweise Umsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes hatte aber letztlich nicht nur städtisch-interne Gründe, sondern fand ihre Erklärung auch in exogenen Faktoren. So war das vom Staat geschaffene Handlungsumfeld der Verwirklichung eines dieser Idee entsprechenden lokalen Maßnahmenprogramms ebenfalls wenig förderlich. Auf den ersten Blick schuf der Staat mit dem Angebot einer erweiterten Handlungsautonomie durch Übernahme der Funktion als lokale Verwaltungsbe-
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hörde an die URBAN II-Städte ein Umfeld, das die Umsetzung der Idee des gebietsbezogen integrierten Politikansatzes auf den ersten Blick begünstigte. Denn die Städte, die von dieser Option Gebrauch machten, hatten damit die Gelegenheit, von sich aus und auf Grundlage ihres Wissensvorsprungs gegenüber den Akteuren auf den höheren gebietskörperschaftlichen Ebenen über die lokalen Herausforderungen die Konzertierung und gebietsbezogene Abstimmung der einsclilii.gigen Fachpolitiken und Akteure ,in die Hand zu nehmen'. Die Städte erhielten also die Gelegenheit, sich zu Regisseuren der Politikintegration "vor Ort" zu erklären. Jedoch ließ der Staat, d.h., zuallererst die für die Programmbegleitung zuständigen Raumordnungsbehörden DIV und DATAR, der experimentellen Dezentralisierung der Verantwortung für die Aufgaben der sozialen Stadtteilentwicklung während der Implementation von URBAN II keine weiteren Anreize oder unterstützenden Maßnahmen folgen, die eine solche Übernahme der Regiefunktion begünstigt hätten. Im Gegenteil, als sich im Laufe der Städteauswahl bereits im Jahr 2000 herausstellte, dass der Großteil der URBAN II-Städte zur Verantwortungsübernahme nicht bereit war, dass also die Idee der staatlichen Behörden nicht aufging, die europäische Gemeinschaftsinitiative als ,Testfeld' für eine neue staatlich-lokale Verantwortungsteilung im Bereich der Politique de la Ville zu nutzen, verlor man rasch das Interesse an URBAN II und ließ die Implementation konsequenzlos ,laufen' (EI 39, 14.12.2006). Insgesamt krankte die Umsetzung der zentralen Ziel- und Instrurnentenbezogenen Ideen des "Modells URBAN", des integrierten Politikansatzes und der Hervorbringung innovativer Policy-Ideen mit dauerhafter Wirkung in Le Havre also an der beschriebenen Kombination aus dem geringen Interesse der Stadt an einer Übernahme von Steuerungsverantwortung auch in nicht-kommunalen Aufgabenfeldem, an der Ausrichtung der städtischen Verantwortungsträger in Verwaltung und Politik an den eigenen Investitionsinteressen und auch an der Inflexibilität der strukturellen Rahmenbedingungen für die lokalstaatliche Intervention. Diese Faktoren wirkten sich auch bei den Ansätzen Le Havres zur Umsetzung der prozeduralen Ideen des URBAN-Modells und der europäischen Stadtentwicklungspolitik aus. 5.3.5.2
Politische Prozessdimension
In seinem URBAN lI-Programm erhob Le Havre den Anspruch, die europäische GI zur Entwicklung und Erprobung neuer Verfahren nutzen zu wollen, durch die die Beteiligung der Bürger benachteiligter Viertel am städtischen Public PolicyMaking verbessert und der partnerschaftliehe Charakter der öffentlichen Aufgabenerbringung im Zusammenhang der sozialen Stadterneuerungspolitik gestärkt würden (F/RdH-N/VdH 2001: 67). Dieses Vorhaben gelang aus denselben Grün-
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den, die die Anwendung der Ideen des integrierten Ansatzes und die systematische Hervorbringung von innovativer Projekte im Sinne der URBAN-Philosophie behinderten - Orientierung der Akteure an den städtischen Investitionsinteressen für die "Quartiers sud", Konzentration der Akteure auf den eigenen Aufgabenhorizont -, nur partiell. Während der Programmplanungsprozess durch eine intensive Beteiligung vor allem der städtischen Finanzierungspartner auf den überörtlichen Ebenen und der Interessenträger im Fördergebiet und innerhalb der Stadt selbst gekennzeichnet war, zeichnete sich der Programmvollzug durch eine Reproduktion der aus der Implementation der Politique de la Ville bekannten Verfahrensroutinen aus. Programmplanung Die Idee der verstärkt direkten Bürgerbeteiligung stellte unter den Vorzeichen der schwach ausgeprägten kommunalpolitischen Partizipationstradition im Rahmen des französischen Lokalsystems eine besondere Herausforderung für Le Havre dar. Diese Kernidee des URBAN-Modells und der europäischen Stadtentwicklungspolitik wurde hier allerdings weder in der Phase der Programmplanung noch während des Programmvollzugs konsequent umgesetzt. Generell dominierten Verfahren einer vermittelten Bürgerbeteiligung oder der einseitigen Top-downInformation der Gebietsbevölkerung durch Vertreter der Stadt. Bei der Wahl der Form der Bürgerbeteiligung schlug Le Havre damit keine grundsätzlich neuen Verfahrenswege ein. Während des gesamten Zeitraums der Implementation von URBAN II, also ab Beginn der Programmierungsphase, stellten die Quartiersräte (Conseils de Quartier) die Hauptforen sowohl der Übermittlung von Bürgerirrteressen- und -anliegen in die Prozesse der programmbezogenen Willensbildung und Entscheidungsfindung als auch, Vice oersa, der Information der Gebietsbevölkerung durch die städtische Politik und Verwaltung. Diese Bürgerversammlungen wurden regelmäßig im halbjährlichen Turnus von den städtischen Behörden (dem Amt für "Stadtteilleben" [Vie des Quartiers]) durchgeführt und standen allen Bewohnern des jeweils betroffenen Stadtteils zur Beteiligung offen. Dabei boten diese Foren die Gelegenheit, Kritik, Fragen, Wünsche und Anliegen gegenüber den Vertretern der Stadtverwaltung, dem für bestimmte Sachfragen politisch verantwortlichen Adjoint oder dem Stadtteil-Adjoint oder auch dem Bürgermeister selbst zu formulieren. Am Ende dieser Versammlungen standen keine Abstimmungen und Beschlüsse, durch die die städtischen Akteure in irgendeiner Weise gebunden wurden. Vielmehr erfüllten die Quartiersräte die Funktion offener Diskussions- und Austauschforen. Während der Programmplanungsphase tagten die Quartiersräte in den betroffenen Stadtteilen dreimal zwischen Herbst 2000 und Herbst 2001. In einzelnen Sitzungen war auch der Bürgermeister anwesend (F/RdH-N/VdH 2001: 95 u. 97;
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EI 28,20.06.2006). Eine grundsätzliche Diskussion einzelner Interventionsschwerpunkte des URBAN II-Programms und der in ihnen geplanten Maßnahmen fand anlässlich der Quartiersräte demgegenüber nicht statt (EI 25, 19.06.2006). Für die Stadt war der Ansatz der vermittelten Bürgerbeteiligung bzw. der vorwiegend einseitigen Bürgerinformation in den Conseils de Quartier der geeignete Weg, ein hohes Maß an Partizipation sicherzustellen. So verwies man darauf, dass Le Havre mit der freiwilligen Errichtung von Quartiersräten noch vor der gesetzlichen Einführung dieser Foren einen wichtigen Schritt in Richtung einer verstärkten Demokratisierung der Kommunalpolitik und Herstellung einer größeren Bürgemähe der städtischen Politik und Verwaltung gegangen war CF /RdHN/VdH 2001: 31; EI 26, 19.06.2006). Es bot sich daher an, die mit dem Modell URBAN verbundene Idee der verstärkten direkten Partizipation der Bürger über die Nutzung dieser neuen lokalpolitischen Institution umzusetzen (ebd.: 95). Die Beteiligung der Bürger auf diesem Wege blieb allerdings während der Programmplanung (aber auch während der Programmimplementation) hinter den Erwartungen der städtischen Verantwortungsträger zurück, denn das Interesse der Gehietsbevölkerung für das "PIC URBAN II" oder gar seine inhaltliche Mitgestaltung hielt sich - dies zeigte sich an der geringen Beteiligung an den Quartiersräten - in Grenzen. So konstatierten sowohl die Ce/Me PIC URBAN als auch die Beigeordnete für die "Quartiers sud" eine generell geringe Partizipationsbereitschaft der Bewohner der südlichen Viertel und vor allem der Jugendlichen (EI 25, 19.06.2006; EI 28, 20.06.2006). Innerhalb der Stadtführung sah man dies zwar als ein Problem an, zog jedoch keine weiteren Handlungskonsequenzen daraus. So wurden die Ursachen des geringen Beteiligungsinteresses als außerhalb der städtischen Einflusssphäre gelegen betrachtet (EI 28, 20.06.2006; EI 43, 01.09.2008). Zudem herrschte ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den vermeintlich mehrheitlich linksorientierten Stadtteilbewohnern - zum großen Teil ehemalige Industrie- und Hafenarbeiter -, die der neuen Stadtführung vermutetermaßen ihrerseits skeptisch gegenüberstanden: "In diesen Vierteln sieht man bei Bürgerversammlungen immer dieselben Leute. Es ist ja schwierig, jedermann zu integrieren, aber in diesen Vierteln ist schon die Bildung von Quarliersräten abgelehnt worden. Dafür gibt es kein Verständnis in diesen Vierteln." (EI 28, 20.06.2006)
Die Partizipationsidee - dieser Eindruck ergab sich beim Blick in das Programmplanungsdokument - war nicht wirklich von den städtischen Verantwortungsträgern verinnerlicht worden. Andererseits eröffnete die GI URBAN II selbst in dieser Hinsicht den lokalen Handlungsträgem einen breiten Interpretationsspielraum. Das zentrale Ziel der Stadt mit Blick auf die Umsetzung der Beteiligungsidee lag daher weniger in der Stärkung der Demokratie auf Stadtteilebene, als vielmehr darin, schon während der Planung des PIC URBAN II die Kritik der Stadtteilbewohner am Angebot an öffentlichen sozialen, kulturellen, familien- und bildungs-
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bezogenen Infrastrukturen und Dienstleistungen in den "Quartiers sud" kennen zu lernen, um das Programm durch die Berücksichtigung der "Nutzerperspektive" zu bereichern und das städtische Angebot in den Quartieren ,kundenfreundlich' zu gestalten (F/RdH-N/VdH 2001: 68f.). Man nahm die Bürger in Le Havre also weniger als eigenständige Akteure der Stadtentwicklungsplanung oder als u.U. politische Mitgestalter der Entwicklung ihres Stadtteils wahr, sondern vielmehr als "Nutzer" der öffentlichen Einrichtungen und Serviceleistungen, die die Stadt im Fördergebiet bereitstellte bzw. durch Träger bereitstellen ließ (F/RdH-N/VdH 2001: 65). Zu diesem Zweck waren die Quartiersräte durchaus geeignete Übermittlungsforen der Bevölkerungsinteressen. Im Gegensatz zu den Bürgern waren alle fachlich betroffenen Verwaltungsbereiche und Ämter der Stadt und eine Reihe lokaler nicht-städtischer (öffentlicher und privater) Akteure und Interessenträger, die z.T. im Fördergebiet selbst verankert waren, aktiv und intensiv in den Prozess der Programmplanung involviert. Nach dem Willen der Stadtführung sollte dieser zu einem ,guten Beispiel' für die Umsetzung der von der EU-Kommission vertretenen Idee einer lokal partnerschaftliehen Governance der sozialen Stadtteilentwicklung werden (F/RdHN/VdH 2001: 66f.; EI 26, 19.06.2006). Dabei war die Stadtführung jedoch zugleich daran interessiert, die Letztentscheidungsmacht über die Zielsetzungen des PIe URBAN II und die konkreten Inhalte der Strategie zur Revitalisierung der südlichen Viertel bei der Stadt zu bewahren. Bei der Umsetzung der Idee der Partnerschaft mit den gesellschaftlichen und privaten Akteuren und hier insbesondere aus dem Stadtteil standen die städtischen Behörden hinsichtlich der Programmplanung vor einer doppelten Herausforderung. Auf der einen Seite war es aus städtischer Sicht erforderlich, möglichst viele lokale Akteure und Interessenträger, auch aus den betroffenen "Quartiers sud" selbst, von Anfang an in das Gesamtprojekt der Aufwertung einzubeziehen (EI 25, 19.06.2006). Auf diese Weise sollte es gelingen, ein möglichst breites Spekrrum an gebietsbezogenen passenden Interventionsideen sammeln und ein Programm erarbeiten zu können, das den Anforderungen des integrierten Politikansatzes genügte. Außerdem sollte es gelingen, frühzeitig vor Beginn der Implementation möglichst viele lokale Akteure für die Revitalisierung der bis dato vergessenen südlichen Viertel, für die zum Zeitpunkt der URBAN II-Bewerbung noch kein einheitliches Planungsdokument vorlag, zu sensibilisieren und Finanzierungspartner wie auch potentielle Projektträger zu gewinnen. Auf der anderen Seite wollte die Stadt angesichts der eigenen Interessen am und Ziele für das Fördergebiet sicher gehen, dass die Partnerschaftsidee in einer Weise umzusetzt wurde, die ihr ein möglichst hohes Maß an Einfluss auf die Programmgestaltung und die Fördermittelverteilung sicherte. Die Rahmenbedingungen hierzu waren günstig, denn die Stadt war als Antragstellerin im Prozess der städtischen Planung federführend (F/RdH-N/VdH 2001: 95). Zugleich konnte man gerade den raumordnungspolitischen Schlüsselak-
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teuren - PAB, CCIH -, deren Anerkennung als gleichberechtigter Planungsakteur die Stadt seit längerem anstrebte, mit dem URBAN II-Programm - für den Fall einer erfolgreichen Bewerbung - das ,attraktive Angebot' eigener Mittel im Zusammenhang der Umgestaltung des ehemaligen Hafengeländes machen. Vor dem Hintergrund dieser Interessengemengelage setzte Le Havre die Partnerschaftsidee während des Programmplanungsprozesses zwischen 2000 und 2001 auf zwei Ebenen um. Zum einen verfolgte die Stadtführung auf der lokalpolitischen Ebene die Strategie, die Planung und auch Implementation des lokalen URBAN lI-Programms prozedural eng an die üblichen Verfahren der Politique de la Ville anzukoppeln, um die ,Wunschpartner' einzubinden. Hier bestand bereits eine ebenenübergreifende Finanzierungspartnerschaft mit dem Departement und der Region, die gleichzeitig Mitträgerin des Hafensanierungsprojekts "Port 2000" war. In der Exekutivleitung von Le Havre erhoffte man sich, unter Verweis auf diese Ausgangskonstellation auch den staatlichen Hafenbetrieb PAB und die Industrieund Handelskammer CCIH für das soziale Stadtentwicklungsprojekt in den "Quartiers sud" gewinnen zu können (F/RdH-N/VdH 2001: 65), was letztlich auch gelang. So rief der Bürgermeister unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Neuauflage der GI URBAN Ende April 2000 einen Ausschuss zur Lenkung ~,Comite de Pilotage'') des Programmplanungsprozesses ins Leben. Dieser "Lenkungsausschuss" setzte sich nach dem Vorbild der oben erläuterten Groupe de Pilotage zur lokalpolitischen Gesamtsteuerung der Politique de la Ville-Programme zusammen (vgl. Kap. 4.2.1), war allerdings zusätzlich um die zentralen Partner der Stadt im Kontext der Raumordnungs- und Entwicklungsplanung in den südlichen Vierteln, den PAB und die CCIH, erweitert (EI 25, 19.06.2006). Der Lenkungsausschuss ging nach der erfolgreichen Bewerbung Le Havres ab 2001 nahtlos in den Projektauswahlausschuss (Comite de Selection des Projets) über, der als politisches Entscheidungsgremium während der Implementation des PIC URBAN 11 auf Grundlage des Projektwettbewerbs für die ,Bestückung' des Programms mit Projekten zuständig war (vgl.Abb. 8). Zum anderen erfolgte die Umsetzung der Partnerschaftsidee auf der Ebene der Verwaltung unter der Regie des Stadtplanungsamtes und hier des Fachbereichs "Strategie urbaine" (die Ce/lufe PIC URBAN existierte zum Planungszeitpunkt noch nicht) sowie der Beigeordneten für die Politique de la Ville und Städtebau/Stadtplanung. Hier folgten die städtischen Programmplaner zum Teil dem üblichen Prozedere bei der Vorbereitung von Programmplanungsverfahren, und zum Teil ging man neue Wege. Zunächst beauftragte die Stadt - und dies entsprach dem gängigen Verfahren - die regionale Stadtplanungsagentur AURH mit der Durchführung einer mündlichen und schriftlichen Konsultation der betroffenen Unternehmen, Vereine, Verbände und Interessenträger in den "Quartiers sud" selbst (F/RdH-N/VdH 2001: 66). Darüber hinaus wurde die Partnerschaftsidee auf zwei weiteren, neuen Wegen umgesetzt.
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Erstens bildeten Vertreter unterschiedlicher einschlägiger Ämter auf Initiative der federführenden Planungsbeigeordneten thematische Facharbeitsgruppen. Diese trafen sich in regelmäßigen Sitzungen, um Ideen für die Entwicklungsförderung der "Qllilrtiers sud" in einzelnen Themenfeldern (Soziales, ökonomische Entwicklung, Bildung/Schule, Familie/Jugend/Kinder, Sicherheit, Umwelt) zu entwickeln (EI 25, 19.06.2006); z.T. wurden hier auch nicht-städtische Akteure mit ausgewiesener Fachkompetenz oder professionellem Interesse an der Durchführung von geeigneten Revitalisierungsprojekten beteiligt (z.B. lokale Vereine, die örtlichen Vertretungen des Departements, des Staates etc.). Zweitens führten Vertreter der betroffenen städtischen Fachämter gezielt bilaterale Gespräche mit ihren bekannten Interaktionspartnern auf gesamtstädtischer und Stadtteilebene. Die Ergebnisse teilten sie der AURH mit, die von der Stadt mit der Bündelung der programmatischen Ideen (und der Erstellung einer Analyse der stadtentwicklungspolitischen Bedarfe im Fördergebiet) beauftragt worden war. Letztlich erreichte die Stadt auf diese Weise sowohl die Beteiligung der wenigen im Fördergebiet selbst aktiven Vereine und Bürgergruppen und die Beteiligung einer ganzen Reihe von privaten und öffentlichen Akteuren, die in den Bereichen der Politique de la Ville, der lokalen Wirtschaftsentwicklung, der Sozialpolitik etc. tätig waren und sich bis dato wenig für die Entwicklung der "Quartiers sud" engagiert hatten (F/RdH-N/VdH 2001: 66). Bei dem geschilderten Verfahren handelte es sich um einen gegenüber der Planungspraxis im Rahmen der Politique de la Ville in Teilen neuartigen Ansatz. Die Aussichten auf eine Übernahme dieser Neuerung in die Praxis der lokalen städtischen Governance der sozialen Stadtteilemeuerung waren allerdings von vornherein ungewiss. Denn das Ziel der Stadt mit der geschilderten aufwendigen Vorgehensweise bestand nicht in erster Linie in der grundsätzlichen Erneuerung der stadtentwicklungspolitischen Verfahrenspraxis. Vielmehr ging es darum, Entwicklungsziele und Projektideen für ein Gebiet zu entwerfen, in dem man bis dato kaum interveniert hatte. Zudem wollte man in Handlungsfeldem, die z.T. außerhalb des städtischen Aufgabenspektrums lagen, einen möglichst vielfältigen Input zur Bewältigung der Aufgabe eines integrierten Handlungskonzepts, das die vermeintlichen Erwartungen der EU-Kommission traf (EI 25, 19.06.2006). Mit Blick auf die städtische Zielsetzung der Sensibilisierung und Bindung lokaler Partner, die während der Implementation des PIe URBAN 11 mit Vorschlägen am Projektwettbwerb teilnahmen und als Projektträger fungierten, erwies sich das Programmierungsverfahren außerdem im Nachhinein als defizitär. So gelang es der Stadt nicht, den konsultierten Akteuren zu vermitteln, dass man ihre aktive Beteiligung auch an der Programmimp1ementation erwartete. Angesichts der institutionell stark ausdifferenzierten Organisation des Konsultationsprozesses und der Auslagerung der eigentlichen Programmredaktion auf einen technischen, professionellen Akteur, die AURH, trat das ,Endprodukt', das lokale URBAN II-Programm,
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als ein Gemeinschaftswerk in den Hintergrund. Die mit dieser Planungspartnerschaft angestrebte längerfristige Bindungswirkung auf die lokalen Akteure fiel somit letztlich gering aus. Außerdem ermöglichte die Einbindung der städtischen ,Wunschpartner' über das gesonderte Gremium des Lenkungsausschusses den hier vertretenen Akteuren schon zu einem frühen Zeitpunkt, sich aus der aktiven Teilhabe an der Revitalisierung der "Quartiers sud" zurückzuziehen. So hatte beispielsweise der PAH zwar die Beteiligung in den URBAN II-Begleit- und Entscheidungsgremien zugestimmt, eine Beteiligung an der Ko-Finanzierung von Projekten im Rahmen der GI jedoch von vorn herein ausgeschlossen (EI 25, 19.06.2006). Während der Implementation wurden die Defizite der Planungspartnerschaft sichtbar. Programmimplementation Auch während des Programmvollzugs spielte die Idee der verstärkten, direkten Bürgerbeteiligung eine untergeordnete Rolle. Ähnlich wie bei der Programmierung blieben die Bürger während der Programmimplementation gerade aus dem Prozess der Projektauswahl ,ausgeklammert' (vgl. Abb. 8), der - wie im Falle Kiels - auch in Le Havre im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens erfolgte. Dagegen wurden die Bürger, ähnlich wie im Falle Dortmunds und Kiels, im Rahmen der im französischen Städtebaurecht geregelten Verfahren (Art. L300-2 Code d'Urbanisme) an der Planung und Durchführung der einzelnen Bau- und Sanierungsprojekte in den südlichen Vierteln beteiligt. Hierbei ging Le Havre über die üblichen Verfahrensroutinen hinaus. So gab es, Ausstellungsprojekte, projektbezogene Bürgerversammlungen im Vorfeld einzelner Schlüsselmaßnahmen wie des Baus des Bürger- und Behördenzentrums ~,P6le de Vie sociale'') und eine gebietsbezogene Geschichtswerkstatt für Schüler. Mit diesen Verfahren sollte die Identifikation der Bürger der "Quartiers sud" mit ihren Vierteln gestärkt und die Bewohner und künftigen Nutzer der neu zu errichtenden Bauten zu "Stakeholdern" gemacht werden. Ziel war es z.B., Vandalismus vorzubeugen (EI 43, 01.09.2006). Ein Plus an Teilhabe konnte auf diesen Wegen allerdings nach der Wahrnehmung der verantwortlichen Behörden und der Politik nicht erreicht werden, da ähnlich wie bei den Quartiersräten auch hier ein geringes Beteiligungsinteresse der Bewohner konstatiert werden musste (EI 25,19.06.2006; EI 28, 20.06.2006). Schließlich suchten die städtischen Verantwortungsträger in Le Havre, ebenfalls ähnlich wie im Falle Dortmunds und Kiels, die Identifikation der Bewohner mit ihren Stadtteilen und das Interesse der Träger an den "Quartiers sud" durch eine aufwendige Informationskampagne zu stärken. Hierzu gab die Cellule PIC URBAN regelmäßig Presseinformationen heraus oder ließ eine regelmäßig erscheinende Informationsbroschüre an die Haushalte im Fördergebiet verteilen und
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einen Infonnationsfilm über das Gebiet drehen. Diese Maßnahmen schätzte die Stadtverwaltung im Nachhinein als eigentlich ,,innovativ" und zudem als sehr erfolgreich ein (EI 43, 01.09.2008). Durch sie sei es gelungen, das Selbstbewusstsein der Gebietsbewohner zu stärken, eine positive Wahrnehmung der "Quartiers sud" durch ihre Bewohner anzuregen und zudem auch in der Gesamtstadt ein Bewusstsein für die südlichen Viertel als attraktive Wohn- und Lebensstandorte herzustellen (EI 43, 01.09.2008). Allerdings konnte die Stadt mit diesen Maßnahmen zur Imageaufwertung der "Quartiers sud" dem Ziel der Verringerung der sozialräumlichen Spaltung in Le Havre nicht näher kommen. Im Gegenteil, die Gefahr einer weiteren Segregation war bis zum Ende des Förderungszeitraums nach eigenen Angaben der lokalen Behörden aufgrund einer ungleichen Verteilung der Beschäftigung im Fördergebiet eher noch gestiegen (Ville du Havre 2008a: 5). Hinzu kam, dass das Gebiet aufgrund der Sanierungs- und Baumaßnahmen in einigen Quartieren eine sichtbare Charakterveränderung erfuhr. So stiegen während der Implementation des URBAN-Programms das Niveau der Mieten und auch die Immobilienpreise (ebd.: 17-20), die sozioökonomische Lage der ursprünglichen Gebietsbevölkerung blieb jedoch bis zum Ende des Förderungszeitraums weiterhin schwierig (ebd.: 11). Die Gefahr einer weiteren sozialen Spaltung der Stadt und damit auch die Gefahr, die Bürger in den südlichen Vierteln immer weniger erreichen zu können, war damit also nicht gebannt. Neben diesen städtischen Maßnahmen zur Stärkung der Partizipation während des Programmvollzugs setzten die städtischen Verantwortungsträger darauf, dass die Partizipationsidee von den weiteren Projektträgem insbesondere in den Interventionsbereichen der sozialen und der wirtschaftlichen Stadtteilentwicklung umgesetzt wurde. Dies wollte man, ähnlich wie in Kiel, über das Auswahlverfahren - hier war ein von der Stadt und ihren Partnern definiertes Zusatzkriterium zur Förderung innovativer Projekte deren partizipativer und Beteiligung aktivierender Charakter (F/RdH-N/VdH 2001: 68) - und die Auswahl geeigneter Projekte erreichen. Da allerdings, wie oben dargelegt wurde, die geplante ,Innovationskontrolle' der Projekte nicht konsequent umgesetzt wurde, brachte das Havraiser URBAN IIProgramm entsprechende Projekte nur fallweise hervor. Dabei waren die einschlägigen Projekte - z.B. das erwähnte Projekt der Organisation ADlE zur Förderung der wirtschaftlichen Eigeninitiative der Bewohner - in der Regel von kurzer Dauer und blieben mit Blick auf das Ziel der dauerhaften Mobilisierung und nachhaltigen Aktivierung der Bürger aus unterschiedlichen Gründen unwirksam. So gelang es mehreren Projekten im Zeitraum ihrer Laufzeit erstens nicht, die angestrebten Mobilisierungseffekte zu generieren. Zweitens hatten die Träger während der Projektlaufzeit nicht die Möglichkeit zum Nachsteuem. Sie waren aufgrund der vertraglichen Bindung mit der Stadt auf das ursprünglich vorgeschlagene und von der Stadt in Auftrag gegebene Projekt festgelegt. Drittens machten die Träger nach dem Auslaufen der öffentlichen Ko-Finanzierung keine Angebote zur Verstetigung
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der eingeleiteten Aktivitäten, und die Stadt selbst kümmerte sich ebenfalls nicht um eine entsprechende ,Nachsorge', zumal, wenn es um Aufgaben ging, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lagen. Was das Verfahren der Projektauswahl auf wettbewerblichem Wege betrifft, wählte Le Havre, im Unterschied zu Kiel, den Ansatz eines permanenten, stehenden Projektaufrufs. Das heißt, dass sich die potentiellen Träger zu jedem Zeitpunkt zwischen der endgültigen Genehmigung des PIC URBAN II durch die EUKommission im November 2001 und dem offiziellen Ende der GI Ende 2006 mit Projektvorschlägen an die lokalen Behörden wenden konnten. Mit diesem Verfahren folgte man den Routinen zur Projektfindung im Rahmen der Politique de la Ville (EI 43, 01.09.2008). Das Havraiser Programmdokument enthielt dementsprechend keine begründende Aussage, mit der die Stadt bewusst einen Zusammenhang zwischen dem Projektauswahlverfahren und dem Ziel der exemplarischen Umsetzung der Idee des integrierten Politikansatzes herzustellen suchte (F/RdHN/VdH 2001: 71). Der Auswahlprozess (vgl. Abb. 8) an sich war gemäß den Regelungen gestaltet, die im Rahmen der Politique de la Ville zur Projektauswahl für den Stadtvertrag galten. Dementsprechend war auch die Partnerschaft der Stadt mit weiteren Akteuren angelegt (vgl. S.I.P.O.V.AH. 2000: 30-37; F/RdH-N/VdH 2001: 101), mit der schon erwähnten Besonderheit allerdings, dass im Zusammenhang der Implementation von URBAN II auch die für Le Havre zentralen raumordnungspolitischen Partner in den südlichen Vierteln, der PAB und die CCIH, eingebunden waren. Sie spielte sich zum einen in dem dreimal jährlich tagenden Projektauswahlausschuss (Comite de Selection des Pro/ets) auf Ebene der Politik und zum anderen in dem mehrmals nach Bedarf zusammentretenden Technischen Begleitausschuss (Comite Technique d1nstruction), dessen Mitglieder untereinander u.u. auch in informellem bilateralem Kontakt standen (EI 25,19.06.2006), ab. Zivilgesellschaftliche Akteure (Organisationen, Vereine etc.) spielten in diesem Auswahlkontext, ebenso wie die Bürger, ebenfalls keine eigene aktive Rolle. Sie waren als Auftragnehmer in vertragsbasierte, öffentlich-private Partnerschaften der Aufgabenerbringung im Zusammenhang mit URBAN eingebunden, sofern sie sich erfolgreich um die Projektträgerschaft beworben hatten. In der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterlagen die Träger dabei für die Dauer dieser Vertragspartnerschaften der Aufsicht durch die lokalen Behörden, d.h., der Cellule PIC URBAN. Auch die Idee der partnerschaftlichen Govemance als allgemeiner Grundlage der stadtentwicklungspolitischen Intervention wurde vor diesem Hintergrund in Le Havre letztlich nur teilweise umgesetzt. Grundsätzlich beruhte die Partnerschaft auf dem erwähnten Auftraggeber-Auftragnehmer-Modell, das sich durchaus mit den Vorstellungen der EU-Kommission deckte. Dieses traditionelle Modell der lokalen öffentlichen Aufgabenerbringung im Rahmen des französischen Lokalsystems (vgl. Kuhlmann 2006a) und auch im spezifischeren Rahmen der Politique de la Ville - und dies war auch ein Grund für die Einstufung der "Quartiers sud" als
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benachteiligtes Gebiet - versagte jedoch im Fördergebiet, Die Zahl der einscWägigen Trägerorganisationen auf Stadtteilebene war zu gering und das Interesse der auf gesamtstädtischer und überörtlicher Ebene tätigen Träger an einem Engagement in den "Quartiers sud" mangels öffentlicher Förderung bis dato zu schwach ausgeprägt. Die Stadtverwaltung war also von vorn herein mit Problemen bei der ,Partnersuche' zur Umsetzung der Partnerschaftsidee konfrontiert. Dabei hielt man zunächst an der üblichen, passiven Strategie der Trägerinformation über die Medien, die Herausgabe von Informationsbroschüren und Mund-zu-Mund-Propaganda fest. Nach eigener Wahrnehmung war die zuallererst für die Träger- und Partnersuche zuständige Ce/Me PIC URBAN schon aufgrund ihrer geringen Personalausstattung - sie zählte vier Mitarbeiter - und ihrer Verantwortung für die formal korrekte Implementation der europäischen GI von sich aus nicht zu einer pro-aktiven Trägermobilisierung in der Lage (EI 25, 19.06.2006). Nach außen hin funktionierte sie zuallererst als eine Komm-Struktur, die Trägeranträge entgegennahm, bearbeitete und über das Internet sowie eine Stadtteilbroschüre allgemeine Informationen über das URBAN lI-Programm in Umlauf brachte. Im Einzelfall erhielten Antragsteller auch eine Beratung durch die Cel/ule. Dies war allerdings nach der Aussage mehrerer Träger anlässlich der Halbzeitbewertung der Programmimplementation selten, denn die oben beschriebene, kaum an einer umfassenden Problembetrachtung orientierte Perspektive der Cel/ule PIC URBAN auf das Fördergebiet war auch folgenreich für die Einbindung nicht-städtischer Projektträger. So kritisierten mehrere Träger anlässlich der Halbzeitbewertung der Programmimplementation die zurückhaltende Informationspolitik der Stadt und bemängelten, dass sie über die Modalitäten und Fördervoraussetzungen des URBAN lI-Programms oder über die Existenz von europäischen Fördergeldern für ein Engagement in den südlichen Vierteln nur "ungenügende" (i.m.t.e. 2003: 33) Informationen zur Verfügung gehabt hätten (ebd.: 27, 29, 33 u. 38). Aus der oben angedeuteten Tatsache, dass insbesondere in der Anfangsphase der Programmimp1ementation nur wenige Projektvorschläge privater, gemeinnütziger Träger für die Interventionsbereiche der sozialen Stadtteilentwicklung und der lokalen Wirtschaftsförderung bei der Cel/ule PIC URBAN eingingen, zog die Stadt nach der Halbzeitbewertung des PIC URBAN 11 allerdings nicht die Konsequenz einer Anpassung der Träger- und Partnerinformation. Vielmehr sahen die städtischen Entscheidungsträger darin einen Grund nicht nur für eine Fördermittelumschichtung in der Finanzplanung, sondern auch eine Aufforderung, die entsprechenden Aufgaben in Eigenregie zu übernehmen, um somit der Service-Idee in ausreichendem Maße gerecht werden zu können und um den aufgrund der n+2Regel der europäischen Regionalpolitik stets drohenden Fördermittelverlust abzuwenden (Conseil Municipal2004b). Routineverhalten der städtischen Akteure, konkret das Festhalten an dem bekannten Partnerschaftsverständnis, aber auch das Festhalten an den eigenen Auf-
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gabenbereichen, trug mithin dazu bei, dass die Idee einer Partnerschaft mit den Trägern und lokalen Organisationen nicht wirklich umgesetzt werden konnte. Die unterschiedlichen Interventionsbereiche des PIe URBAN II waren hiervon unterschiedlich betroffen. Ein Interventionsbereich, der von der ,konservativen' Auslegung der Partnerschaftsidee und der restriktiven Haltung der Stadt besonders betroffen war, war der Bereich "Ökonomische Entwicklung". Hier sahen die Stadtspitze und auch die Ce/lufe PIC URBAN entgegen der Wahrnehmung der lokalen Wirtschaftsförderer bei Le Havre Developpement erstens keinen akuten Interventionsbedarf in den südlichen Vierteln (EI 25, 19.06.2006; EI 27, 20.06.2006). Zweitens verwies man darauf, dass die Kommune an sich für die Aufgaben der lokalen Wirtschaftsförderung nicht zuständig war und die Zusammenarbeit der Stadt mit der eigentlich zuständigen Institution, der Industrie- und Handelskammer, bei der Förderung der Unternehmensvernetzung und der Verbesserung der Situation der unternehmensnahen Dienstleistungen in den südlichen Vierteln schlecht funktioniere (EI 25, 19.06.2006). Was den Bereich der Förderung der sozialen Integration in den "Quartiers sud" betraf, zog sich die für die Trägerwerbung verantwortliche Cellu/e PIC URBAN vor allem in der Anfangsphase des Programmvollzugs bis 2003 u.a. auch aus einem fachlich begründeten Interesse an der Maximierung des eigenen Budgets vorwie-gend auf die technische Beratung der Träger sowie auf die Durchführung der nicht direkt an einzelne Projektträger gerichteten Imagekampagne für die "Quartiers sud" zurück (i.m.t.e, 2003: 58). Zugleich pflegte sie zur Information und Koordination mit den im sozialpolitischen Interventionsfeld kompetenten städtischen Fachämtern, der Direction "Vie des Quartiers" und der Direction "Petite Enfance", anfänglich einen nur losen Kontakt (EI 25, 19.06.2006). Vor diesem Hintergrund lagen in der Anfangsphase der Implementation des URBAN IIProgramms verwaltungsinterne Synergiepotentiale zur Partnermobilisierung brach, denn die genannten Ämter standen ihterseits in Kontakt mit einschlägigen Projektträgern. So kam der Direction Vie des Quartiers, die aufgrund ihrer Zuständigkeit für die städtischen Bürgerhäuser und Verwaltungs einrichtungen in den Stadtteilen für die Kontaktpflege der Stadt zu den Vereinen und Interessengruppen auf Stadtteilebene verantwortlich war, im Zusammenhang von URBAN TI offiziell keine spezifische Zuständigkeit im Zusammenhang der Trägerwerbung zu. Und angesichts des zurückhaltenden Koordinationsansatzes der Cellu/e PIC URBAN trat sie den potentiellen Projektträgern in den südlichen Vierteln oder auch im gesamtstädtischen Kontext auch nicht in einer entsprechenden Funktion als Multiplikatorin von Informationen gegenüber (i.m.t.e. 2003: 21). Die mangelhafte Koordination änderte sich erst nach der Halbzeitbewertung, die für die Stadt in diesem Punkt kritisch ausgefallen war (i.m.t.e. 2005: 6). Ein Beschluss des Kabinetts der städtischen Beigeordneten (i.m.t.e. 2003: 21) führte sodann zu einer verstärkten Zusam-
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menarbeit zwischen den genannten Ämtern in Form regelmäßiger, im Abstand von zwei Monaten stattfindender Besprechungen. Hieran nahmen teil: die Cellufe PIC URBAN, die ebenfalls im Fachbereich "Bauen" angesiedelte Direction Politique de Ja Vilfe und die Direction Vie des Quartiers (EI 25, 19.06.2006). Schließlich konnte Le Havre auch nicht von einer pro-aktiven Rolle ihrer Partner auf den höheren politisch-administrativen Ebenen bei der Mobilisierung von deren jeweiligen lokalen Trägernetzwerken profitieren. So zogen sich die gebietskörperschaftlichen und staatlichen Finanzierungspartner des URBAN IIProgramms, die sich in der Planungsphase zur Unterstützung der Stadt bei der Durchführung der GI bereit erklärt hatten, während der Implementation auf den Standpunkt zurück, dass die europäische Initiative vor allem eine "städtische Angelegenheit" sei (EI 30, 21.06.2006; EI 32, 21.06.2006). Das Departement, die Region und die Präfektur wurden lediglich auf direkte Anfrage der Stadt aktiv, d.h., sie beteiligten sich gegebenenfalls an der Mitfinanzierung bereits auf der lokalen Ebene von der Stadtverwaltung selbst oder einem nicht-städtischen Träger vorgeschlagenen Projektidee. Und die Stadt ihrerseits hatte als Verwaltungsbehörde kein Interesse an einer ,Einmischung' ihrer gebietskörperschaftlich-öffentlichen Partner. Der Rückzug auf die eigenen Kompetenzen trug damit letztlich auch in dieser Hinsicht zu einer mangelhaften Umsetzung der Partnerschaftsidee bei Kontinuität und eine interessengeleitete Hancllungsorientierung der kommunalen Hauptakteure prägten schließlich auch die Umsetzung der Kommissionsforderung, URBAN II zur Errichtung moderner Stadtmanagementstrukturen zu nutzen. 5.3.5.3
Politisch-administrative Strukturdimension
In den URBAN II-Leitlinien regte die EU-Kommission an, dass die geförderten Städte URBAN II als eine Gelegenheit zur zielgerichteten Erneuerung der städtischen Organisations- und insbesondere Verwaltungsstrukturen nutzen sollten (Kommission der EG 2000: 9 u. 16). Das städtische ,Management' im Interventionsbereich der sozialen Stadtteilerneuerung war in Le Havre wie in anderen französischen Städten durch die auf unterschiedliche Regelwerke verteilten nationalen Regeln zur Politique de la Ville, darunter das allgemeine Städtebaugesetzbuch (Code de l'Urbanisme) und das Recht der lokalen Gebietskörperschaften (Code general des Colfectivites territoriales), vorstrukturiert. Strukturinnovationen oder -anpassungen waren in diesem Regelungsrahmen prinzipiell auf drei Ebenen oder in drei miteinander verbundenen Arenen der Implementation der Politique de la Ville denkbar der auf der gesamtstädtischen Ebene, auf der Ebene der institutionalisierten Beziehungen zwischen der Gesamtstadt
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und den betroffenen Stadtteilen und auf der Ebene der intergouvernementalen Arena zur Steuerung der Politique de la Ville. In seinem PIC URBAN II hatte Le Havre einzelne Defizite aufgezählt, die unterschiedliche lokale Strukturaspekte der (sozialen) Stadtentwicklungsförderung betrafen. Ein erstes Defizit wurde darin gesehen, dass die überörtlich-städtische Steuerungsstruktur der Politique de la Ville sehr komplex war. Dadurch gelang es aus städtischer Perspektive nicht, angemessene Lösungen für die Probleme auf Stadtteilebene zu produzieren (EI 26, 29.06.2006; EI 28, 20.06.2006). Ein zweites Defizit sah man in den zu schwach ausgeprägten Beziehungen der Stadt - Verwaltung und Politik - zu den Stadtteilen im Fördergebiet und ihren Bewohnern (F/RdH-N/VdH 2001: 68f.; EI 25,19.06.2006; EI 28.20.06.2006). Auf der Ebene der Stadt selbst, z.B, innerhalb der Verwaltung, sah man hingegen keinen Anpassungsbedarf. Es stand bereits vor Implementationsbeginn fest, dass die Stadt die zur Implementation der Politique de la Ville und des Stadtvertrags geschaffenen Strukturen auch zur Implementation von URBAN II nutzen. Neue Strukturen sollten unter diesen Vorzeichen allenfalls dort errichtet werden, wo notwendig und nur als temporäre Strukturen für die Dauer der Laufzeit der europäischen GI (EI 43, 01.09.2008). Letzteres betraf vorrangig die Cellufe PIC URBAN, die die Stadtführung im Anschluss an die Genehmigung des PIC URBAN II durch die EUKommission im November 2001 im Stadtplanungsamt (Departement Grands Projets. Amenagement urbain etProspective) und hier beim Pole Grands Projets einrichtete. Die Cellule war nach dem institutionellen Vorbild der Maitrise d'(Euvre Urbaine et Sodale (MOUS) der Politique de la Ville gestaltet. Sie hatte als lokale Behörde daher eine doppelte Funktion. Zum einen war sie für die Erledigung aller im Zusammenhang der Implementation von URBAN II und der Übernahme der Funktion als Verwaltungsbehörde anfallenden Aufgaben zuständig (Information des Begleitausschusses, Evaluation und Berichterstattung, AnlaufsteIle für Projektvorschläge etc.) (Ville du Havre 2004: 33). Zum anderen entwarf sie als itnegraler Bestandteil des Stdatplanungsamtes im Namen der Stadt Revitalisierungsprojekte im URBAN II-Fördergebiet (Sanierung, Wohnumfeldverbesserung, Infrastrukturausbau), trat damit als Mitkonkurrentin im Projektwettbewerb auf und fungierte als kommunaler Projektträger, dessen Handlungsinteressen innerhalb des Interventionsschwerpunkts Stadtsanierung und städtebauliche Planung des Havraiser URBAN lI-Programms lagen. Diese Konstellation begünstigte bereits im Vorfeld und sodann während der Implementation des PIC URBAN II die Entstehung des bereits geschilderten Interessenskonflikts für die Akteure der Cellule (vgl. Kap. 5.3.5.1). Gerade vor diesem Hintergrund jedoch erwies sich die Cellufe PIC URBAN für die Stadtführung angesichts der städtischen Planungs- und städtebaulichen Investitionsinteressen im Fördergebiet im Laufe der Implementation von URBAN II als ein ,wertvolles' Organ zur effektiveren Interessenwahrnehmung der Stadt
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gegenüber den raumordnungspolitischen Schlüsselakteuren und den weiteren Akteuren in den südlichen Vierteln. Daher entschied der Bürgermeister gegen Ende der Laufzeit von URBAN II, die CeiMe in ,,Amt für Immobilienangelegenheiten und Entwicklungsprogramme im Übergangsgebiet zwischen Stadt und Hafen" (Direction Affaires immobilieres etprogrammes d'interface Ville]Port) umzubenennen und als neue Verwaltungseinheit in den städtischen Verwaltungsapparat zu integrieren. Diese Entscheidung, die die befragten Akteure in der Cel/ule PIC URBAN selbst als "positiven Struktureffekt" der europäischen Gemeinschaftsinitiative beschrieben (EI 43, 01.09.2008), leuchtet ein, denn mit der Errichtung der Cel/ule schuf die Stadt erstmals ein eigenes institutionelles Standbein zur Beplanung der südlichen Viertel; aufgrund der latenten Interessen der Stadt wollte man dies nach dem Ende der Laufzet von URBAN II nicht wieder aufgeben. Eine Erneuerung der bestehenden städtischen Strukturen der sozialstadtentwicklungspolitischen Intervention aufgrund der Erfahrungen Le Havres mit dem "Modell URBAN" stellte aus städtischer Perspektive auch der im Jahr 2008 in den "Quartiers sud" neu errichtete Pole de we soaale dar. Es handelte sich zunächst um den Neubau eines kommunalen Gemeinschaftszentrums auf Stadtteilebene. In der Einrichtung brachte die Stadt einerseits Mitarbeiter der Stadtverwaltung (der Direction Vie des quartiers) sowie Mitarbeiter der Sozialverwaltung des Departements unter. Andererseits schuf man in dem Gebäude Raum für Bürgerversammlungen, für die Durchführung der Conseils de Quartiers auf Stadtteilebene, insbesondere im Viertel Eure-Brindeau, und für die Aktivitäten der im Stadtteil tätigen Vereine und Initiativen, die (z.T. im Auftrag der Stadt) Veranstaltungen sowie Kulturangebote, Weiterbildungskurse etc. durchführten (Ville du Havre 2008: 29). Der Pole de vie sociale war mithin ein kombiniertes Bürger- und Behördenzentrum. AuEßrund seiner Ansiedlung in den "Quartiers sud" erschien er zwar durchaus geeignet, dauerhaft die räumliche Distanz zwischen der Stadt und den Bewohnern des Fördergebiets zu verkürzen und insofern mehr Bürgernähe herzustellen. Es handelte sich jedoch nicht um eine innovative Struktur, die sich von den bestehenden Strukturen der Interaktion der Stadt mit den Bewohnern der einzelnen Stadtbezirke Le Havres abhob. Insgesamt mündete die Teilnahme an der GI URBAN in Le Havre zwar in der gebietsbezogenen Erweiterung der kommunalen Strukturen im Bereich der sozialen Stadterneuerung. Die Neuerrichtung von Strukturen stellte allerdings nicht Akte einer auf ,Lernen' und Nachhaltigkeit abzielenden, experimentellen Anpassung des kommunalen "Stadtmanagements" an die Impulse und Anregungen der EU-Kommission dar.
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5.3.6 Schlusifolgerungen Wie für die beiden deutschen Fälle Dortmund und Kiel, werden die Schlussfolgerungen, die sich im Falle Le Havres hinsichtlich der Frage nach den Wirkungen des europäischen Politiktransfers auf das städtische Interventionsmuster zugunsten benachteiligter Stadtgebiete ziehen lassen, auf drei Ebenen unterschieden. Insgesamt muss zunächst festgehalten werden, dass die EU-Kommission in Le Havre nur bedingt erfolgreich mit ihrem Ansatz war, Anreiz gesteuert, über die Förderung des lokalen Experimentierens mit Instrurnenten-, Verfahrens- und Strukturinnovationen einen Wandel der Idee und Praxis städtischer Intervention im Bereich der sozialen Stadtentwicklung zu bewirken. Weder im Bereich der Polieies noch in der Verfahrens- oder Govemance-Dimension fanden die mit dem URBAN-Modell verknüpften Ideen während der Programmimplementation Eingang in die städtische Interventionspraxis. Dies lag weniger daran, wie von einzelnen Beobachtern mit Blick auf die Wirkungen der Vorgängerinitiative URBAN I u.a. für Frankreich konstatiert worden ist, dass der Staat hier als "Gatekeeper" (fofarides 2003) fungierte und die lokale Implementation des europäischen Programms kontrollierte. Im Gegenteil, der Zentralstaat schuf grundsätzlich günstige exogene Rahmenbedingungen zur Verwirklichung der URBAN-Ideen, indem er den französischen Teilnehmerstädten die Option zur Übernahme der Funktion als Verwaltungsbehörde eröffnete und damit ihre autonome Entscheidungsfähigkeit und ihren autonomen Handlungsspie1raum von vom herein vergrößerte. Da Le Havre von dieser Option Gebrauch machte, waren die exogenen Rahmenbedingungen zur Verwirklichung der URBAN-Ideen in der französischen Hafenstadt also auch real günstig. Hinzu kamen eine Reihe von auf den ersten Blick ebenso günstigen internen Ausgangsbedingungen, so die ausgeglichene Finanzsituation der Stadt und die stabilen kommunalpolitischen Mehrheitsverhältnisse, die der Stadtführung eine komfortable Ausgangsbasis zur Steuerung der lokalen Politik verschafften. Die angedeuteten Umsetzungsdefizite resultierten unter diesen Vorzeichen gerade daraus, dass die Bereitschaft der städtischen Akteure, so vor allem der Exekutivleitung, zur aktiven Übernahme der Steuerungsverantwortung im Sinne einer Nutzung der EU-Initiative als Ausgangspunkt für die Erneuerung der städtischen Politik und Govemance im Bereich der sozialen Stadtentwicklung nur schwach ausgeprägt war. Anstelle dessen waren die Programmierung und der Vollzug des lokalen OP zu URBAN II in Le Havre von einem Festhalten der Akteure an den Verfahrensroutinen der Politique de la Ville gekennzeichnet und von der selbstverständlichen Nutzung der entsprechenden lokalen Policy-Making- und städtischen Verwaltungsstrukturen, Beides war den Chancen zur bewussten Hervorbringung von Poliey-Innovation nicht abträglich, erhöhte diese während der Programmimplementation allerdings auch nicht. Dies galt umso mehr, als, eine aktive Wahr-
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nehmung der Steuerungs funktion durch die Stadt für das Gelingen des ,URBANExperiments' in Le Havre notwendig gewesen wäre, denn weder die Ausgangsbedingungen im Fördergebiet - schwach ausgeprägte Vereins- und Interessengruppenstruktur, mangelhaftes Engagement überörtlicher oder gesamtstädtischer Trägerorganisationen von sozial-, gesellschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen - noch das Interesse der Schlüsselpartner der Stadt an einer konzertierten Aktion zugunsten der sozialen Stadtentwicklung in den "Quartiers sud" sprachen von vom herein für die Annahme, dass URBAN an sich zur Initialzündung für Neuerungen werden würde. Unter diesen Vorzeichen hatte die begrenzte Motivation erstens auf der Policy-bezogenen Ergebnisebene zur Konsequenz, dass es in Le Havre bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht gelang, die Idee des integrierten Politikansatzes systematisch umzusetzen. Darüber hinaus gelang es ebenfalls nicht, den für den Förderzeitraum geltenden Anspruch der URBAN-Initiative, zur gezielten Hervorbringung innovativer Policies zur Revitalisierung benachteiligter Stadtgebiete beitragen zu können, systematisch zu berücksichtigen. Die Kombination unterschiedlicher Public Policies in einem kohärenten gebietsbezogenen Programm war im PIC URBAN II durchaus angelegt. Auch begünstigte die partnerschaftliehe Programmplanung im Falle Le Havres die Berücksichtigung unterschiedlicher Probleme im Fördergebiet und die Integration unterschiedlichster, u.U. auch neuer, zuvor unerprobter Problemlösungsvorschläge. Allerdings ging die Stadt bereits mit einem klaren Investitionsinteresse für das Fördergebiet in den Prozess der Programmplanung. Die Dominanz dieses Interesses wiederum, das sich mit dem objektiv hohen Sanierungs- und (infrastrukturellen) Investitionsbedarf in den "Quartiers sud" begründen ließ, stand im Widerspruch zu dem Anspruch, ein schon äußerlich, no-minal wahrhaft integriertes Revitalisierungskonzept zu entwerfen. Die städtischen Akteure zogen sich vor diesem Hintergrund auf die eigenen Aufgaben zurück und überließen es weitgehend den je zuständigen Institutionen und Akteuren, von sich aus geeignete Maßnahmenvorschläge zur Realisierung des integrierten Programms zu machen oder in ihrem Aufgabenbereich mit innovativen Policies oder Verfahren zu experimentieren. Dies galt zunächst für die Stadtführung. Hier hoffte man auf ein eigenständiges Engagement der für die Sozial-, Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik sowie die (lokale) Wirtschaftsförderung verantwortlichen Akteure auf den höheren gebietskörperschaftlichen Ebenen und auf der lokalen Ebene selbst (z.B. die CCIH und den PAH). Dabei konnte man sich auf das Argument des trotz der staatlichen Aufgabendezentralisierung nach wie vor eingeschränkten gesetzlichen Aufgabenhorizonts der Kommunen berufen. So lagen diejenigen Interventionsfelder des PIC URBAN II, in denen es besonders auf die städtische Initiative und Steuerungsbereitschaft ankam - die Sozial- und Beschäftigungsförderung und die Förderung der lokalen Ökonomie -, außerhalb des kommunalen Aufgabenspektrums. Le Havre
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konnte damit nach Lesart der Stadtführung hier nur eingeschränkt oder gar nicht tätig werden. Der Rückzug auf die eigenen Aufgaben wurde darüber hinaus auch von der Verwaltung praktiziert. Hier erwartete die Ce/Me PIC URBAN geeignete Projektvorschläge von den Trägern und den anderen einschlägigen Ämtern, ohne bei der Trägerinfonnation über die Grenzen der Politique de la Ville-Routinen hinauszugehen oder die Herstellung von verwaltungsinternen Synergien gezielt anzustreben. Die Orientierung an eigenen Interessen bzw. Aufgaben und die Passivität der städtischen Akteure trugen im Ergebnis auch zum Versagen der ursprünglich geplanten systematischen Kontrolle der im Projektwettbewerb vorgeschlagenen Aktionen auf ihre Stimmigkeit mit dem integrierten Revitalisierungskonzept für das Fördergebiet und auf ihren innovativen Charakter hin bei. Die angestrebte Kontrolle fand nur in Grenzen - auf der Verwaltungs ebene - statt. Das komplexe, von den Regeln der Politique de la Ville zum Stadtvertrag vorstrukturierte Auswahlverfahren einerseits und die Sorge der Stadt um den rechtzeitigen Abruf aller EUFördermittel andererseits begünstigten dabei, dass die kommunalen Behörden rasch zu einem Verhalten des Projekt-Shopping übergingen. Projekte zur Entdeckung und Förderung der endogenen sozialen und ökonomischen Potentiale im Fördergebiet kamen unter diesen Bedingungen zwar durchaus zustande, ihre Produktion wurde von der Stadt jedoch nicht systematisch verfolgt, ebenso wenig wie ihre Verstetigung oder die Sicherung dauerhafter Effekte. Mit Blick auf die zentralen verfahrensbezogenen Ideen des URBAN-Modells und das Aufgreifen der Anregung zur Reorganisation der städtischen Verwaltungsstrukturen kann als zweites Ergebnis festgehalten werden, dass Le Havre die mit der europäischen GI dargebotene Gelegenheit auch nicht zum Entwickeln und Erproben neuartiger Handlungsansätze nutzte. Vielmehr kam es umgekehrt zur Deformation der URBAN-Ideen und zur Fortsetzung der eingespielten Handlungs- und Organisationspraktiken. Unter den beschriebenen allgemeinen Vorzeichen spielte sich die Beteiligung der Bürger hauptsächlich auf Grundlage der bereits etablierten Verfahren bzw. im Rahmen der gegebenen Strukturen ab. Es handelte sich weitgehend um eine vermittelte Beteiligung bzw. um die Information der Bürger. Als Hauptmedium hierzu dienten die Ende der 1990er Jahre errichteten Quartiersräte. Sie hatten bei ihrer Errichtung zwar bereits ein Plus an Beteiligungschancen für die Bürger gebracht, denn sie stellten eine teilweise Abkehr von dem im traditionellen französischen Lokalsystem angelegten bürgerfernen, lokalpräsidentiellen Governance-Modus der Kommunen dar und erlaubten der Bevölkerung eine kontinuierliche lokalpolitische Teilhabe über die Beteiligung im Rahmen der zyklischen Kommunalwahlen. Jedoch handelte es sich nicht um Institutionen, die speziell zur Aktivierung und Beteiligungsstärkung der Bevölkerungen in benachteiligten Stadtgebieten geschaffen worden waren. Weitergehende überlegungen, wie das Beteiligungsdefizit spe-
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ziell im benachteiligten Fördergebiet gemildert werden könnte, stellte die Stadt anlässlich von URBAN II nicht an. Die Partnerschaftsidee wiederum setzte Le Havre insbesondere während der Planung seines URBAN II-Programms auf neuartige Weise in Form eines mehrschrittigen, breit angelegten Konsultationsverfahrens um. Dies diente jedoch vorrangig der Informationsgewinnung über ein noch wenig beplantes Gebiet und nicht der Verfahrensneuerung. Während der Programmimplementation wurde die Idee der partnerschaftliehen Governance dann über die bekannten und daher eingespielten Prozessmuster umgesetzt, die auch bei der Implementation des Stadtvertrags Anwendung fanden - Finanzierungs- und Steuerungspartnerschaft der Stadt mit den höheren gebietskörperschaftlichen Ebenen und dem Staat, Projektwettbewerb und öffentlich-privat partnerschaftliehe Aufgabenerbringung auf Basis befristeter Verträge. Diese jedoch erwiesen sich als zur Revitalisierung des URBAN IIFördergebiets auf Basis eines die endogenen Potentialentwicklung benachteiligter Gebiete beabsichtigenden Ansatzes aus den genannten Gründen nur bedingt geeignet. Schließlich - dies kann als drittes Ergebnis festgehalten werden - offenbarte die Fallstudie zu Le Havre auch, wie voraussetzungsvoll das von der EUKommission im Rahmen der europäischen Stadtentwicklungspolitik vertretene Interventionsmodell ist. Im PIC URBAN II teilte die Stadt zwar die wettbewerbsstaatliche, auf die Förderung endogener Entwicklungspotentiale von Räumen abstellende Interventionsphilosopbie des URBAN-Modells. Als sich jedoch herausstellte, dass die Voraussetzungen zu dessen Verwirklichung gerade in dem ausgewählten Fördergebiet besonders ungünstig waren, zog die Stadt nicht die Konsequenz, durch entschlossene Übernahme der Rolle als ,Aktivatorin' und Steuerungszentrum die beschriebenen Defizite auszugleichen. Anstatt das Modell URBAN, wie im städtischen Förderprogramm, geplant gerade für die exemplarische Erneuerung der (lokalen und staatlichen) Intervention zugunsten der Revitalisierung benachteiligter Stadtgebiete zu nutzen, fiel man in die bewährten, passiven wohlfahrtsstaatlichen Handlungsmuster zurück. Die städtischen Verantwortungsträger waren nicht nur wenig daran interessiert, zusammen mit der europäischen GI auch eine Rolle als Innovations-Leader im Feld der sozialen Stadterneuerung zu übernehmen. Sie waren mit der Erfüllung dieser ihnen von der EU-Kommission, aber auch von den zentralstaatlichen Stellen - Städteministerium, DIV, DATAR und CIV - zugedachten Rolle zudem überfordert. Bereits die eigenverantwortliche Bewältigung der bürokratischen Anforderungen zur Implementation des EU-Programms stellte eine völlig neue Herausforderung für Le Havre dar. Die Stadt bielt daher bei der Implementation von URBAN II auf der Policy-Ebene an den traditionellen Interventionsideen fest sowie an vorherrschenden globaleren, Policy-übergreifenden Leitideen zur Rolle des lokalen Staates als Dienstleister bzw. als Auftraggeber. Das postmoderne Ziel, das Le Hav-
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5.4 Fallstudienergebnisse im Vergleich: Was erklärt (Nicht-) Wandel?
re im Kontext der Implementation der europäischen GI verfolgte - die verstärkte Orientierung des städtischen Public Policy-Making an der Perspektive der "Nutzer" der lokalen Einrichtungen und Infrastrukturen -, war mit dieser Ausrichtung kompatibel. Der geringe Erfolg bei der Mobilisierung der "Nutzer" im benachteiligten Fördergebiet wurde von der Stadt hingenommen, blieb jedoch mit Blick auf die Grundausrichtung der städtischen Handlungsphilosophie bis zum Ende des Implementationszeitraums der europäischen GI weitgehend folgenlos.
Tiefenwirkungen? Implementation von URBAN 11in drei europäischen Städten
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5.4 Fallstudienergebnisse im Vergleich: Was erklärt (Nicht-) Wandel? Mit den vorangehenden Fallstudien wurden die Tiefenwirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolirik und speziell der GI URBAN II (2000-2008) auf die stadtentwicklungspolitischen Interventionsmuster ausgewählter Kommunen in Deutschland und Frankreich analysiert. Ausgangspunkt war das Verständnis der EU-Stadtentwicklungspolitik als eines Ansatzes zum "Politiktransfer", also zur gezielten Übertragung von inhaltlichem, steuerungsbezogenem und Organisationswissen von einer politischen Arena oder einem Akteur auf eine/n andere/n (Dolowitz/Marsh 1996, 2000; Holzinger et al. 2007: 13). Dabei interessierte insbesondere, welche Bedeutung institutionelle Faktoren ~,Fit"/ "Misfit'') zur Erklärung von Wandel oder Beharrung der kommunalen Interventionsmuster besaßen bzw. welche Bedeutung in diesem Zusammenhang weiteren, vorwiegend akteursbezogenen Faktoren, wie sie von der Innovations- und Diffusionsforschung angenommen werden, zukam:
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wahrgenommene Kompatibilität der Neuerung mit bestehender Praxis, wahrgenommener relativer (politischer) Vorteil der Neuerung gegenüber dem Status quo ante, Komplexität der angebotenen Neuerung, Erprobbarkeit der Neuerung, Sichtbarkeit von Erfolgen anderswo.
Die wesentlichen Fallstudienergebnisse werden hier anhand der folgenden Fragen-' systematisch rekapituliert und Schlussfolgerung gezogen:
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Wie gingen die kommunal-städtischen Akteure mit der Aufstockung ihres Aktionsfelds um eine europäische Handlungsebene um? Wie wurde das "Modell URBAN", das die EU-Kommission als Referenzmodell für die Anpassung der vorherrschenden lokalen Interventionsmuster und -philosophien vorschlug, in Dortmund, Kiel und Le Havre ,verarbeitet'?
Die Wirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik im Sinne einer ,Lösung' des Problem der sozialen Spalrung der Städte wurden hier, wie weiter oben erläutert worde ist, nicht untersucht. Grundsätzlich kann Zu diesem Punkt allerdings festgehalten werden, dass in keiner der drei Fallstädte während des Implementationszeitraums eine erkennbaren Annäherung der sozioökonomischen Lage im jeweiligen Fördergebiet an die gesamtstädtischen Durchschnittswerte, z.B. der Arbeitslosigkeit, eingetreten ist. Ein von den lokalen Prograrnmmanagern unisono geteiltes Fazit zum Problemlösungserfolg von URBAN II lautete dementsprechend, dass im Zeitraum der Implementation keine merkliche Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Stadtteile erreicht werden konnte. Zurückgeführt wurde dies teils auf die Verschlechterung der externen Rahmenbedingungen der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik und teils auf fördergebietsimmanente Gründe. 63
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Welche Konsequenzen für die Gestaltung der stadtentwicklungspolitischen Handlungsroutinen zogen die Städte aus der Erfahtung mit dem vorgeschlagenen Modell? Womit lassen sich Wirkungsdefizite der EU-Stadtentwicklungspolitik in den Städten erklären? Inwieweit nutzten die Städte das europäische ,Politikangebot' zur selbst gestalteten Innovation der lokalen Politik zugunsten benachteiligter Viertel bzw. zur Verfolgung anderer Politikziele? Lässt sich für die drei Fallstudien eine konvergente Entwicklung der lokalen Interventionsmuster zugunsten benachteiligter Stadtteile beobachten oder bleiben Divergenzen prägend für das lokale Public Policy-Making in diesem Bereich? Welche Schlussfolgerungen lassen sich, ausgehend von den Fallstudien, möglicherweise hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit der lokalen stadtentwicklungspolitischen Systeme in Deutschland und Frankreich allgemein ziehen?
Mit Blick auf die Frage der Umsetzung der in URBAN II gebündelten Grundforderungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik lautet ein erstes Zwischenergebnis dieser Untersuchung: Die mit der europäischen GI verknüpften Erwartungen bezüglich einer (Neu-) Strukturierung der lokalstaatlichen Interventionsmuster wurden in den hier untersuchten Städten nur teilweise erfüllt. Dabei blieb die Beteiligung an URBAN II allerdings in keiner der drei Fallstädte ohne Wirkung. Am vergleichsweise weitgehendsten erfüllten sich die Innovationserwartungen der EU-Kommission im Falle Dortmunds. Am vergleichsweise geringsten blieben die Wirkungen der Erfahrung mit der Gemeinschaftsinitiative im Falle Le Havres. Für alle drei Städte kann zunächst festgehalten werden, dass die europäische GI nicht zum Auslöser einer konvergenten Entwicklung der lokalen Interventionsmuster in Richtung des europäischen Modells wurde. Eine solche Wirkung war schon daher nicht wahrscheinlich, weil die Kommission mit URBAN II zwar bestimmte instrumentelle, prozedurale und strukturbezogene Ideen vorgab, ihre Verwirklichung - dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend - jedoch den nationalen und vor allem lokalen Akteuren überlassen blieb. Eine Konvergenzentwicklung kam aber auch daher nicht zustande, weil die Kommission mit der GI ausdrücklich die Anforderung eines kreativen Umgangs der implementierenden Akteure mit den Ideen des Modells verband. Das Ziel bestand in einer in der städtischen Handlungsrealität verankerten Weiterentwicklung des EU-Modells, die möglicherweise zur Schaffung von Best practice-Beispielen auch für andere Städte genutzt werden konnte. Eine ,eins zu eins'-Übernahme des Modells und seiner Ideen war mithin weder möglich noch wurde sie angestrebt. Unter diesen Vorzeichen bewegte sich die Umsetzung der URBAN-Ideen während der Implementation von URBAN II in Dortmund, Kiel und Le Havre in
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einem Spannungsfeld. Es lag zwischen der Nutzung der ,Gelegenheit URBAN' tatsächlich mit dem Ziel einer Verbesserung der existierenden Interventionsansätze zugunsten benachteiligter Stadtviertel in den Dimensionen auf der einen und der Deformation der Ideen des URBAN-Modells zu den Instrumenten, Prozessen und Strukturen der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik auf der anderen Seite. Beides war in je unterschiedlicher Mischung in allen drei Städten anzutreffen, wobei die Veränderung lokaler Strukturen den Akteuren ,am schwersten fiel'. Im direkten Vergleich der drei Städte ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl mit Blick auf den Umgang mit den URBAN-Ideen als auch mit Blick auf die Gründe für Umsetzungs- und damit Wirkungsdefizite. Dabei hat sich generell gezeigt, dass die institutionellen ,Ausgangsbasen' in den Städten während der Implementation der europäischen Gemeinschaftsinitiative eine Vermittlungsfunktion besaßen. Sie waren mal Anknüpfungspunkte zur geziehen Weiterentwicklung bewährter Handlungsroutinen, mal boten sie den Akteuren Rückzugsmöglichkeiten oder Schutz für die Instrumentalisierung des URBAN-Modells im Sinne eigener Interessen. Ein gemeinsames Grundmuster der lokalen Verarbeitung von URBAN rr war der überwiegend pfadabhängige Umgang der Akteure mit den Elementen und Ideen des EU-Interventionsmodells. In allen drei Städten wurde das angesprochene Spannungsfeld zwischen erkennbaren Innovationsbestrebungen und dem Festhalten an Bewährtem oder der Deformation der europäischen Ideen sichtbar. Ein Beispiel hierfür war die Umsetzung der Idee der verstärkten Partizipation. In Dortmund und Kiel suchten die lokalen Behörden nach Möglichkeiten zur Erweiterung der gesetzlich vorgegebenen Beteiligung der Bürger an städtebaulichen Planungs- und Sanierungsvorhaben. Beide Städte erprobten in diesem Kontext auch gänzlich neue, über den Rahmen des üblichen hinausreichende Beteiligungsansätze, die auf die direkte Partizipation abzielten (z.B. mit dem ,,Aktionsfonds" für Stadtteilbürger im Falle Dortmunds). Auch in Le Havre fand die Bürgerbeteiligung an der Planung einzelner Bauprojekte ausgehend von der gesetzlich geforderten Konsultation in einem um neue Instrumente erweiterten Beteiligungsrahmen statt (z.B. Ausstellungen zu einzelnen Projekten, Quartiersräte). Allerdings blieben die Bürger hier auf die passive Rolle verwiesen. Es ging hierbei weniger darum, die Bewohner der betroffenen Stadtviertel zu "Stakeholdern" ihrer Stadtteile und aktiven Handlungsträgem der Satdtteilentwicklung zu machen. Vielmehr ging es darum, die Perspektive der "Nutzer" öffentlicher Einrichtungen auf die städtische Aufgabenerbringung und das Leistungsangebot zu überprüfen. Unterschiede im Umgang mit dem URBAN-Modell und seinen Elementen ergaben sich mit Blick auf die grundsätzliche Offenheit der städtischen Verantwortungsträger für das Experimentieren und gezielte Sammeln von Erfahrungen. Beispielhaft kann in diesem Kontext das Verfahren der Projektauswahl zur Umsetzung der lokalen Aufwertungsprogramme genannt werden. In Dortmund, wo man
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5.4 Fallstudienergebnisse im Vergleich: Was erklärt (Nicht-) Wandel?
in Fragen der Policy-Innovation nichts dem Zufall überlassen wollte, griff die Stadt auf die bereits im Zusammenhang früherer Programme etablierte und bewährte Praxis einer Vorabauswahl auf der Grundlage eines städtisch gelenkten, erweitert neo-korporatistischen Arrangements zur Programmformulierung zurück. In Kiel wurde ein offenes, wettbewerbsbasiertes Auswahlverfahren praktiziert. Auch in Le Havre schließlich erfolgte die Projektauswahl auf Basis eines offenen Wettbewerbs. Dabei interpretierte die federführende Verwaltungseinheit, die Ce/Me PIC URBAN, die als Teil des Stadtplanungsamtes zugleich als Programmverwaltung und Anbieterin von Projektvorschlägen im Bereich Städtebau auftrat, die eigene Rolle nicht als die einer neutralen Mobilisierungsinstanz. Man sah sich vielmehr als gleichberechtigte Konkurrentin im Wettbewerb mit den anderen potentiellen Projektträgern und nutzte den eigenen Wissensvorsprung gegenüber den schlechter informierten Vereinen, Verbänden, Bürgergruppen und sonstigen privaten und auch öffentlichen Anbietern von Aufwertungsmaßnahmen zur Durchsetzung der eigenen Ziele der Stadt im Fördergebiet. Die URBAN-Idee der wettbewerbsbasierten Projektauswahl und partnerschaftlichen Erbringung öffentlicher Aufgaben, die auf das Ausschöpfen eines möglichst breiten Ideenspektrums für die Stadtteilrevitalisierung abzielte, wurde so im Sinne der Stadt deformiert. Die Möglichkeit zum gezielten Sammeln von institutionellen Lernerfahrungen für die künftige stadtentwicklungspolitische Praxis der Kommune, etwa im Rahmen der Politique de la VilleProgramme, war damit von vorn herein versperrt. Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten ergaben sich jedoch nicht nur hinsichtlich des lokalen Umgangs mit den URBAN-Ideen, sondern auch hinsichtlich der Gründe für eine mehr oder weniger defizitäre Modell- und Ideenverarbeitung. Hierbei erwiesen sich die von der Policy-Analyse im Zusammenhang mit der Untersuchung lokaler und regionaler Policy-Innovation angenommenen Einflussfaktoren auf lokale Innovationsfähigkeit als vielfach erklärungsmächtig. Ein Grund für die defizitäre Umsetzung einzelner Elemente des "Modells URBAN" lag in dem Vortat an Ressourcen oder der Haushaltslage der einzelnen Städte. Insbesondere in Kiel spielte dabei der Mangel an finanziellen Ressourcen eine bedeutende Rolle bereits für die Verarbeitung der URBAN-Ideen im Zuge der Implementation des Programms und sodann auch für die Bereitschaft der Stadt zur Übernahme einzelner, als problernlösungsförderlich erachteter Ideen in den alltäglichen stadtentwicklungspolitischen Handlungskontext der Kommune nach dem Ende der Laufzeit des EU-Programms. Dabei offenbart sich im Vergleich der beiden deutschen Fallstädte die Bedeutung des Zusammenspiels einzelner, für das URBAN-Modell konstitutiver Ideen. In Kiel wie auch in Dortmund stand die Programmimplementation unter den Vorzeichen einer schwierigen kommunalen Haushaltssituation. Dabei gelang es der Stadt Dortmund aufgrund der funktionierenden Partnerschaft mit dem Land im Sinne einer gegenseitigen Stützung beider Ebenen, negative Folgen der kommunalen Haushaltskrise für die Implementation
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und die damit verbundene Chance zur Erneuerung lokaler Handlungspraktiken abzuwehren. Im Falle Kiels dagegen ging die mangelhafte Partnerschaft zwischen der Landesebene und der Stadt letztlich auch zu Lasten der Umsetzung anderer Programmideen, wie etwa der Idee des integrierten Politikansatzes. Am Falle Dortmunds wurde darüber hinaus die Relevanz der widerstreitenden Einflussfaktoren für Innovation deutlich, die Rogers mit den Begriffen des "relative advantage" einerseits und der "complexity" andererseits bezeichnet (1995: 15f.). Auch wenn die URBAN II-Initiative und die Anforderungen, die die EUKommission hiermit an die lokalen Akteure stellte, ein hohes Maß an Komplexität aufwiesen, verband die Stadt, d.h., die entscheidenden Schlüsselakteure innerhalb der Exekutivspitze, der Stadtverwaltung und m.E. dem Stadtrat, mit der EUInitiative ausdrücklich die Erwartung, dass die europäische GI eine Steigerung der eigenen Problemlösungsfähigkeit bzw. eine Verbesserung der Effektivität der öffentlichen Intervention zugunsten der städtischen Problemviertel ermöglichen werde. Daher verfolgte sie bei der Umsetzung der einzelnen URBAN-Ideen bewusst einen Kurs der Innovation der existierenden oder praktizierten Instrumente, Prozesse und Strukturen. Le Havre stellte in dieser Hinsicht den gegenteiligen Fall dar. Die Stadt machte von der Gelegenheit zur übernahme der Funktion als lokale Verwaltungsbehörde für URBAN II und damit von dem ,Autonomieangebot' des Zentralstaates nicht - wie von den staatlichen Raumordnungsbehörden DIV und DATAR erhofft - in dem Sinne Gebrauch, ausgehend von den existierenden Institutionen Ideen für die Erneuerung der Politique de la Ville zu entwickeln. Vielmehr nutzte die Stadt das Autonomieangebot des Staates, um gegenüber den staatlichen und regionalen Verantwortungsträgem für die EU-Strukturpolitik und gegenüber den lokalen Schlüsselakteuren der Raumordnungspolitik die kommunale Fähigkeit zur eigenständigen finanztechnischen Verwaltung eines komplexen EUProgramms unter Beweis zu stellen und u.a. darüber die Anerkennung als ernst zu nehmender raumordnungspolitischer Akteur im Fördergebiet zu erlangen. Man hielt an den bewährten Zielen, Instrumenten und Praktiken der Politique de la Ville fest und nutzte die entsprechenden institutionellen Voraussetzungen der lokalstadtentwicklungspolitischen Intervention in Frankreich zum Rückzug aus dem erklärten Erneuerungsvorhaben und zur Verfolgung der eigenen Interessen. Bei der Feststellung des größtenteils pfadabhängigen Umgangs mit den URBAN-Ideen zeigt sich die Relevanz des Faktors "Erprobbarkeit". In jenen Fällen, wo Vorerfahrungen mit der Vorgängerinitiative URBAN I gesammelt worden waren, kam es zu Innovationen aufgrund einer ,negativen' Lernerfahrung. So stellten die lokalen Behörden in Kiel die zunächst geübte Praxis eines geschlossenen, verwaltungsinternen Projektfmdungsansatzes bei der Implementation von URBAN II um auf einen Ansatz der breiten Bürger- und Betroffenenbeteiligung an der Programmplanung. Man reagierte damit auf Forderungen der Akteure auf der
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5.4 Fallstudienergebnisse im Vergleich: Was erklärt (Nicht-) Wandel?
Stadtteilebene, die sich bei der Implementation von URBAN I von der Maßnahmenplanung ausgeschlossen sahen. Schließlich spielten auch die nonnative Vorprägung der Akteure und die lokalen parteipolitischen Erwartungen an die Problemlösungsrelevanz von Programmen der sozialen Stadtentwicklungsförderung nach dem Vorbild von URBAN eine Rolle für die Bereitschaft der Akteure zum Wandel. In Le Havre und Dortmund erfolgte die Programmimplementation unter den Vorzeichen stabiler kommunalpolitischer Mehrheitsverhältnisse bzw. politischer Kontinuität. Die sozialdemokratische Stadtführung Dortmunds unterstützte dabei den mit dem "URBAN-Modell" verbundenen Handlungsansatz des aktivierenden Staates und der Mobilisierung endogener Entwicklungspotentiale benachteiligter Quartiere in unterschiedlichen Feldern wohlfahttsstaatlicher Intervention, verbunden mit der Option einer direkten staatlichen oder kommunalen Intervention zur Bearbeitung jener Integrationsprobleme, die sich auf dieser Basis nicht lösen ließen. In Le Havre stand die neue konservative Stadtführung der Wirkmächtigkeit dieses Ansatzes dagegen eher skeptisch gegenüber. Außerdem konnte die Stadtführung aufgrund der Durchführung von Aufwertungsmaßnahmen in den geförderten südlichen Vierteln auch keinen ,Gewinn' an kommunalpolitischer Unterstützung durch die traditionell eher linksorientierte Gebietsbevölkerung erwarten. In Kiel, wo es während der Implementation von URBAN II zu einem kommunalpolitischen Wechsel von einer sozialdemokratischen zu einer konservativen Ratsmehrheit und Stadtspitze kam, sah die neue Stadtführung - zumal nach der Reform der Atbeitsmarktpolitik durch die Bundesregierung - die Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen einer aktiven Atbeitsmarktpolitik nicht als eine kommunale Aufgabe an. Dies stellte zugleich die Idee des integrierten Ansatzes der sozialen Stadtentwicklungspolitik als eine zentrale Neuerung für die städtische Raumordnungspolitik zugunsten benachteiligter Gebiete in Frage. Neben Faktoren auf der Mirkoebene - so die strukturellen und politischen Rahmenbedingungen in den geförderten Städten selbst - waren auch Faktoren auf den Meso- und Makroebenen - so die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen des lokalen stadtentwicklungspolitischen Public Policy-Making im jeweiligen Mitgliedstaat - bedeutsam für die Konstanz oder die Anpassung der Handlungsorientierungen der kommunalen Akteure. Das Feld der sozialen Stadtentwicklungspolitik war sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zum Zeitpunkt der Ankunft der GI bereits mit eigenen nationalen Politiken zur Bekämpfung der sozialen Segregation in den Städten belegt. Diesen Policies, der französischen Politique de la Ville mit dem Stadtvertrag und dem deutschen Programm "Soziale Stadt", war ungeachtet diverser Unterschiede zweierlei gemeinsam. Erstens lag beiden Politiken in der Theorie - ebenso wie auch der GI URBAN - bereits der aus wohlfahrtsstaatlicher Perspektive betrachtet ,fortschrittliche'
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Anspruch einer Verbesserung der sozialräumlichen Integration in den Städten nicht nur durch reaktive Intervention des Staates und distributive Maßnahmen, sondern durch die Umstellung der kommunalen Handlungsphilosophie und -praxis auf eine präventive, entwicklungsorientiert aktivierende Intervention und eine partnerschaftliehe Erbringung öffentlicher Aufgaben zugrunde. Und zweitens waren beide Politiken - im Falle des Programms "Soziale Stadt" wurde dies schon in seiner Anfangsphase deutlich (Walther/Güntner 2007: 354f.) - aus unterschiedlichen Gründen nur mit mäßigem Erfolg in der Lage, diese Programmphilosophie auf der lokalen Ebene in vollem Umfang Wirklichkeit werden zu lassen. Mit der EU-Stadtentwicklungspolitik und speziell der GI URBAN II bot sich die günstige Gelegenheit eines externen Anstoßes zur Beschleunigung des in beiden Mitgliedstaaten bereits angestrebten Wandels der lokalen Interventionspraxis. Allerdings wirkten sich die etablierten Formen der staatlich-kommuanlen Arbeitsteilung in der öffentlichen Aufgabenerbringung allgemein hemmend für die tatsächliche Nutzbarkeit dieses Gelegenheitsfensters aus. Zum Zeitpunkt ihrer formalen Errichtung zu Beginn der 1980er Jahre fiel die französische Politique de la Ville als zentralstaatlich dirigistischer Versuch aus, dem Problem einer zunehmenden Abkopplung der Vorstädte von der allgmeinen Stadtentwicklung Herr zu werden. Die soziale Stadtentwicklungsförderung im Rahmen der Politique de la Ville unterlag von ihrem Beginn an stets einer starken Einflussnahme durch den Zentralstaat in Form der staatlich-präfektoralen Kontrolle der Programmimplementation (Blanc 2002). Bei der Umsetzung von URBAN II in Le Havre wirkten die mit der Politique de la Ville geschaffenen Zwänge des Zentralstaates gegenüber der lokalen Ebene. Zwar hatte der Gesetzgeber in Frankreich mit dem Instrument des staatlich-regional-kommunalen Stadtvertrags den formalen Rahmen zur Errichtung einer partnerschaftlichen Beziehungsstruktur zwischen den an der Durchführung der Politique de la Ville beteiligten Ebenen geschaffen. Jedoch hatte die vertragliche Regelung der intergouvernementalen Beziehungen in diesem Politikbereich den einzelnen Partnern, zumindest im Falle Le Havres, stets eher zum Rückzug auf die eigenen, gesetzlich festgelegten Kompetenzen gedient als zur gegenseitigen Unterstützung im Sinne der Problemlösung "vor Ort". Ein entsprechendes Verhalten der kommunalen Schlüsselakteure wurde - wie bereits dargelegt worden ist - auch während der Umsetzung der GI URBAN II erkennbar. So nutzte die Stadt ihre Funktion als lokale Verwaltungsbehörde, für die sie u.a. vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem zentralstaatlichen Kontrollanspruch im Feld der sozialen Stadtentwicklungspolitik optiert hatte, weniger für eine gezielte Mobilisierung der Partner auf den höheren Ebenen. Vielmehr zog sie sich auf den defensiven Standpunkt der Verteidigung der eigenen Kompetenzen sowie der Erwartung von Beteiligungsangeboten der Akteure auf den Ebenen des Departements, der Region und des Zentralstaates und auch der (Schlüssel-) Partner "vor Ort" zurück.
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In Deutschland war mit dem Programm "Soziale Stadt" und seinen Vorgängerprogrammen auf Länderebene eine pragmatische Antwort des Bundes und der Länder auf den wachsenden Problemdruck insbesondere in den Großstädten gegeben worden. Bereits kurze Zeit nach seiner Errichtung des Bund-Länder-Programms erwies es sich als problematisch und hinderlich für die Realisierung der Programmphilosophie, dass die "Soziale Stadt" über sein ,Ankerressort' auf Bun-desebene, das Bundesbauministerium, hinaus kaum die Aufmerksamkeit benachbarter Ressorts auf sich zog und sich damit nicht in vollem Umfang als integriertes Programm etablieren konnte (Walther/Güntner 2007). Auf Ebene der Länder stellte sich dies z.T. anders dar. Insbesondere im Falle des Landes Nordrhein-Westfalen, das schon zu Beginn der 1990er Jahre ein eigenes Programm zur sozialen Stadtentwicklungsförderung ins Leben gerufen hatte, existierten mit der im Zusammenhang des Landesprogramms errichteten interministeriellen Arbeitsgruppe INTERMAG die landespolitischen Voraussetzungen zur lokalen Realisierung des integrierten Politikansatzes. Dies wirkte sich auch bei der Imp1ementation von URBAN II in Dortmund begünstigend auf die Verwirklichung dieser URBANIdee aus. Im Falle Schleswig-Holsteins, das nicht auf entsprechende Vorerfahrungen zurückgreifen konnte, war dagegen das Zustandekommen einer breiten interministeriellen Handlungskoordination auf Landesebene bereits wähtend der URBAN I schwierig gewesen. Bei URBAN II fungierte nur mehr das Wirtschaftsministerium als Verwaltungsbehörde auf Landesebene. Es stimmte sich vor allem wähtend der Programmierung der GI mit dem für die Städtebauförderung und "Soziale Stadt" zuständigen Landesinnenministerium ab. Letztlich blieb die bürokratisch-ressortgebundene Perspektive maßgeblich für die Praxis der Genehmigung von Aufwertungsprojekten, die die Stadt der staatlichen Verwaltungsbehörde des Landes vorlegte. Der Erfolg des mit URBAN II verbundenen Ansatzes der EU-Kommission zum Politiktransfer hing schließlich außerdem mit der Komapitibilität vorherrschender Kommunalmodelle und der staatlich-kommunalen Arbeitsteilung im Bereich der öffentlichen Verwaltung in Deutschland und Frankreich ab. Beides wirkte ebenfalls auf die Praxis der Implementation von URBAN II in den drei Fallkommunen zurück. In Frankreich hatte sich das kommunale Aufgabenspektrum und damit auch die Handlungsautonomie der Kommunen in einzelnen Policies mit der Dezentralisierung ab Beginn der 1980er Jahre erweitert. Insbesondere besitzen die Städte und Gemeinden seit 1982 die Kompetenz zur eigenständigen Durchführung der städtischen Raumordnungs- und Stadtplanungspolitik, wovon seitdem insbesondere die mittleren und großen Städte Gebrauch machen. Allgemein sind die Vertreter der Exekutivspitze bei der Formulierung des kommunalen stadtentwicklungspolitischen Zielhorizonts und des öffentlichen Interesses der Gemeinde sowie bei der Kontrolle der Politikimplementation die zentralen städtischen Akteure. Dabei setzt
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sich die ,voluntaristische' Tradition des Public Policy-Making in diesem Politikbereich (Neumann/Uterwedde 1994: 34) vor dem Hintergrund der institutionellen Grundkonstanten des französischen Kommunalmodells - lokalpolitische Stärke der kommunalen Eliten u.a. durch die Praxis der Ämterhäufung, BürgermeisterPräsidentialismus - auf der lokalen Ebene fort. Le Havre steht beispielhaft für diese Feststellung. Voluntarismus und Dirigismus kennzeichneten den Politikstil in der städtischen Planungspolitik gerade auch bei der Raumordnung in benachteiligten Vierteln bereits vor dem kommunalpolitischen Wechsel von der linken zur bürgerlichen Mehrheit im Conseil municipal und an der Stadtspitze im Jahr 1995. Dieser Stil fand seine Fortsetzung unter einem neuen Zielhorizont nach dem Antritt der konservativen Mehrheit und des neuen Bürgermeisters und wurde auch bei der Programmierung und Projektierung der GI URBAN TI deutlich. Eine proaktive Mobilisierung lokaler Implementationspartner wurde hier vor allem dann verfolgt, wenn sich dies mit den kommunalen Plänen für die Nutzung und Gestaltung des Fördergebiets deckte (z.B. Einbindung des PAR). Andernfalls verhielten sich die lokalen Behörden gegenüber den gesellschaftlichen Partnern abwartend passiv und zogen sich auf die Auftraggeberrolle zurück. In den Fällen Dortmunds und Kiels waren die institutionellen Rahmenbedingungen für die Erprobung des mit der "Sozialen Stadt" und auch der GI URBAN TI verbundenen Interventionsmodells und für seine Integration in die lokalen Handlungsroutinen vergleichsweise günstig. Das traditionelle deutsche Lokalsystem wies in mancherlei Hinsicht einen höheren "Fit" mit den instrumentellen, prozeduralen und strukturellen Ideen des URBAN-Modells auf als sein französisches Pen-dant. Das breite Funktionalprofil der deutschen Kommunen stellte eine günstige Voraussetzung für die Erprobung der Idee des integrierten Politikansatzes dar. Dabei waren vor dem Hintergrund der in den 1990er Jahren in zahlreichen Kommunen angestrengten Binnenmodernisierungen zur überwindung des bürokratischen Verwaltungsmodells und zu einer verstärkten verwaltungsinternen Koordination vielerorts auch bereits die organisationsinternen Voraussetzungen für die Realisierung dieses Ansatzes gegeben (Bogurnil/Holtkamp 2006: 73). Daneben stellte die auf der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und dem repräsentativdemokratisch-parlamentarischen System beruhende enge Verbindung der kommunalen Verantwortungsträger zu den Bürgern grundsätzlich eine günstige Voraussetzung für die Anwendung der Idee der verstärkten Bürgerbeteiligung dar. Waren die Kommunalreformen, die die deutschen Bundesländer in den 1990er Jahren zur weiteren Demokratisierung der Kommunen unternommen hatten (Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters und direktdemokratischer Beteiligungsangebote), gerade zur Steigerung der tatsächlichen Beteiligung der Bevölkerung in benachteiligten Stadtgebieten wenig geeignet, so lag die Attraktivität von Programmen wie URBAN II für die Städte u.a. darin, auch für die Bevölkerung in abgekoppelten oder von Abspaltung bedrohten Stadtteilen Beteiligungsinstrumente
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entwickeln zu können. Schließlich stellte zwar drittens die Tradition der eigenständigen Erbringung öffentlicher Leistungen als institutionelles Fundament der kommunalen Daseinsvorsorge einen Aspekt des deutschen Lokalsystems dar, der von der Idee der öffentlich-privat-partnerschaftlichen, wettbewerbsbasierten Leistungserbringung des URBAN-Modells abwich. Dabei hatten jedoch zahlreiche deutsche Städte vor dem Hintergrund der kommunalen Krisenbewältigungspolitik seit den 1980er Jahren eine Umorientierung in Richtung einer verstärkten Aufgabenprivatisierung, Auslagerung von Aufgaben und der Suche nach nicht-kommunalen Partnern für die Leistungsproduktion verfolgt; auch für Dortmund und Kiel traf dies m.E.zu. Der mit dieser Konstellation verbundene geringe Anpassungsdruck an die EU-Ideen bildete hier den idealen Ausgangspunkt für die Erprobung einzelner zentraler Interventionsideen während der Implementation der europäischen GI. Allerdings kam eine solche, der These der "goodness of the fit" (Börzel/Risse 2000; Risse/Green Cowles/Caporaso 2001) entsprechende Handlungsorientierung vor allem dann zustande, wenn die Akteure Ideen des URBAN-Modells grundsätzlich bereits vor der Erfahrung mit der Implementation der GI geteilt hatten. Auch war eine hohe Reformbereitschaft der lokalen Schlüsselakteure und die Existenz sonstiger günstiger Voraussetzungen (z.B. finanzielle Stabilität) notwendige Voraussetzung für das Wirken des Transferansatezs im Sinne der EU. Weiter oben wurde darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission mit ihrem stadtentwicklungspolitischen Wandlungsimpuls nicht allein und in erster Linie das Ziel einer Anpassung der lokalen Interventionsmuster im Einzelfall verfolgte. Es ging demgegenüber um die nachhaltige Verbreitung des von der Kommission favorisierten Steuerungsansatzes und Interventionsparadigmas im Bereich der kohäsionsorientierten stadtbezogenen Raumordnungspolitik in den Mitgliedstaaten allgemein (vgl. Frank 2008). Damit rückt bei der Untersuchung der Wirkungsfrage neben der lokalen Ebene, die lediglich eine Ansatzebene für den europäischen Politiktransfer darstellt, auch die nationale, zentral- oder föderalstaatliche, Ebene ins Blickfeld, denn hier werden die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen der lokaltstaatlichen Intervention gesetzt. Im nachfolgenden Kapitel 6 werden die Politikformulierungsebene und ihre Akteure in den Blick genommen und die Frage der Verbreitung oder den Breitenwirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik in Deutschland und Frankreich gestellt. Dies erfolgt weitgehend auf sekundär- sowie dokumentenananalytischer Grundlage. Das Kapitel beruht auf der Ausgangsthese, wonach in den Mitgliedstaaten eine tatsächliche, inkrementelle und differenzierte Anpassung an das EU-Modell stattfand.
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Breitenwirkungen: Nationale Diffusion des europäischen Politikmodells
In der sozialwissenschaftliehen Diskussion über die europäische Stadtentwicklungspolitik wurde mitunter darauf hingewiesen, dass diese in den einzelnen Mitgliedstaaten über den engen Kontext der europäischen und nationalen Strukturpolitiken hinaus "gewirkt" und hier die Entstehung eines eigenen Interventionsfelds "soziale Stadtentwicklung" innerhalb des Felds der stadtbezogenen Raumordnungspolitik mit beeinflusst habe (van den Berg/Braun/van der Meer 2004: 118f.; Parkinson 2005: 46f.; Franke/Strauss 2007: 470). Dies wurde beispielsweise für Deutschland konstatiert. Hier hat europäische Stadtentwicklungspolitik nicht nur dazu beigetragen, dass mehrere Bundesländer bereits Anfang der 1990er Jahre das Ziel der Stadtentwicklungsförderung zugunsten benachteiligter Viertel in ihre Operationellen Programme zur Implementation der EU-Regionalpolitik aufgenommen haben. Sie hatte darüber hinaus auch eine katalytische Wirkung für die Initiierung des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" im Jahr 1999 (Adam/Huttenloher 2006: 8f.; Frank 2008: 114). Die Implementation von URBAN bildete nicht den Ausgangspunkt für die Entstehung dieses Städtebauförderungsprogramms, das ursprünglich aus kommunalen und Landesinitiativen hervorging (Alisch 2002: 79). Die europäische GI lieferte jedoch einen wichtigen Impuls sowohl zu seiner Ausweitung zum bundesweiten Programm als auch hinsichtlich der Gestaltung seiner Inhalte, vor allem seiner bevorzugten Verfahrens- oder Governance-Formen (Walther/Güntner 2007: 351; Zimmermann 2008: 90-92). Im Lichte dieser - nicht auf DeutscWand beschränkten (vgL Franke/Strauss 2007) - Feststellung einer tatsächlichen Wirkung der EU-Stadtentwicklungspolitik waren die Erwartungen an die EU als Impuls gebende Kraft der sozialen Stadtentwicklungsförderung in den Mitgliedstaaten sowohl unter Praktikern als auch unter Wissenschaftlern am Ende der Laufzeit der Gemeinschaftsinitiative URBAN II weiterhin hoch (Frank 2008: 115; Bogumil/Grohs/Reiter 2008: 126; Zimmermann 2008: 98f.). So war eine Hoffnung erstens, dass sich die in zahlreichen Mitgliedstaaten während der 1990er Jahre initiierten instrumentellen, prozeduralen und strukturellorganisatorischen Neuerungen ebenso wie der integrierte, dezentrale und auf der Leitidee der Aktivierung beruhende Ansatz der sozialen Stadtentwicklungsförde-
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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6.1 Wissensverbreitung über Städtenetzwerke und Vergleiche?
rung (vgl. Franke/Strauss 2007) zu festen Bestandteilen der nationalen Interventions- und Regulierungsmuster im Bereich der stadtbezogenen Raumordnungspolitik allgemein werden würden. Zweitens wurde auch erwartet, dass die PolicyAkteure unter dem nachwirkenden Eindruck der Erfahrungen mit der Implementation der Gemeinschaftsinitiative URBAN bestehende Defizite der nationalen Stadtentwicklungsprogramrne abbauen (Walther/Güntner 2007: 359). Zieht man einige Jahre nach dem Ende des europäischen Programms Bilanz, so zeigt sich, dass diese Hoffnungen sich nicht erfüllt haben. 6.1 Wissensverbreitung über Städtenetzwerke und Vergleiche? Zunächst schien mit der Bildung bzw. dem Ausbau supra- und internationaler Städtenetzwerke zum Zweck eines interkommunalen Wissentransfers seit den 1990er Jahren einiges für die Annahme zu sprechen, dass die mit URBAN II beschleunigte Bewegung in Richtung einer allmählichen Anpassung der mitgliedstaatliehen Raumordnungspolitiken an das europäische Modell sich fortsetzen würde (Zimmermann 2008: 97). In dieser Zeit entstanden eine Reihe von neuen, "wissensbasierte(n) Netzwerke(n)" (ebd.), die neben die bereits existierenden, traditionellen Städtenetzwerke traten (vgl. Heinelt/Niederhafner 2008). Diese neuen Netzwerke - in denen auch deutsche und französische Städten engagiert sind (URBACT, EUKN, "Quartiers en Crise - European Regeneration Areas Network" [QeC-Eran]), haben sich auf die Generierung und Verbreitung (sozial-) stadtentwicklungspolitischen Wissens unter den europäischen Städten spezialisiert. Einiges spricht für die Erwartung, die Netzwerke könnten auf kurze bis mittlere Sicht durch ihre Aktivitäten gegenüber den Mitgliedstaaten und nicht-organisierten Städten den notwendigen "Bottom-up"-Druck (Frank 2008: 114) zur Konsolidierung der nationalen Stadtentwicklungspolitiken und zu ihrem weiteren Ausbau im Sinne des von der EU propagierten Modells erzeugen (ebd.; Zimmermann 2008: 96f.). Insbesondere den URBACT-Netzwerken, deren Entstehung auf eine Initiative der EU-Kommission ("URBACT I") aus dem Jahr 2002 zurückgeht, wurde die übernahme der Katalysatorenfunktion zugetraut (Frank 2008: 114). Es handelt sich um thematische Städtenetzwerke (mittlerweile mehr als 40, die aus beinahe 30 europäischen Ländern einbinden (URBACT 2010). Das Ziel von URBACT besteht darin, Städte in ganz Europa zur zeitlich begrenzten freiwilligen Kooperation in bestimmten Themen- oder Problemfeldern integrierter Stadtentwicklungspolitik für die ,systematische Produktion', den Austausch und die Verbreitung von Best Pmctice-Beispielen zusammen zu bringen. Die Erwartung bestand und besteht darin, dass auf diese Weise der ursprünglich mit URBAN von der europäischen Komrnisison und der EU-Ebene ausgehende Ansatz zur Verbreitung von Wissen auch zugunsten der Entwicklung benachteiligter Stadtgebiete in städtische Verant-
Breitenwirkungen: Nationale Diffusion des europäischen Politikmodells
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wortung übergeben werden und von dort aus "Bottom-up" fortgesetzt werden (Frank 2008). Tatsächlich ist aufgrund der Tätigkeit der Netzwerke unter dem Dach der URBACT-Initiative seit ihrer Gründung eine Plattform mit einem breit gefächerten, stadtentwicklungspolitischen Wissensangebot entstanden. Hierauf können auch Städte zurückgreifen, die nicht an einem Netzwerk teilnehmen - z.B. über die Vermittlung von kommunalen Experten durch URBACT. Eine gleichsam selbsttragende Diffusion der europäischen Kernideen zur stadtentwicklungspolitischen Intervention auf diesem Wege bleibt allerdings dennoch fraglich. Denn der erhoffte Erfolg der URBACT-Initiative bleibt auf die freiwillige Bereitschaft der Städte zur Beteiligung angewiesen. Und ein Transfermechanismus, aus dem auch nur ein geringer Druck zur Anpassung erwachsen könnte, so etwa der Mechanismus der offenen Methode der Koorclinierung mit seinen Instrumenten des Benchmarking, der Peer Review und der freiwilligen Selbstverpflichtung der Akteure auf bestimmte Policy-Ziele existiert zwar in anderen Feldern der "weichen" europäischen Politiksteuerung wie der Beschäftigungspolitik (vgl. Zohlnhöfer/Ostheim 2007), nicht aber im Bereich der Stadtentwicklungspolitik. Mithin bleibt fraglich, ob die Städtenetzwerke die mit ihnen assoziierte Funktion als ,Diffusionsagenten' der EU-Kommission oder auch Agenten der breit angelegten Initiierung eines stadtentwicklungspolitischen Lernprozesses auf lokaler Ebene erfüllen können. Dies bleibt außerdem auch daher fraglich, weil die EU-Kommission nicht über die Mittel zur Auslösung des von ihr angestrebten inter-städtischen Wettbewerbs um die ,besten' stadtentwicklungspolitischen Praktiken verfügt. Zwar erhebt sie mit dem Statistikamt EUROSTAT seit 2003 im Rahmen des Urban Audit Strukturdaten über die Stadtentwicklung und damit das Erreichen bestimmter Ziele einer ,ausgewogenen' Stadtentwicklung (z.B. niedrige, räumlich gleichgewichtige Verteilung von Arbeitslosigkeit) in mehr als 300 Städten. Das Verfügbarmachen von Vergleichsdaten erscheint allerdings als schwache Basis füt die Befruchtung eines interkommunalen ,Wettbewerbs um Verbesserung' und die Erzeugung von Motivation zur Anpassung von Interventionspraktiken in den Kommunen (Zimmermann 2008: 96f.). Ob mit der Bildung von Indikatoren und der Erhebung statistischer Daten zur Lebensqualität (Europäische Kommission 2007) auf lokaler, städtischer Ebene tatsächlich Impulswitkung erzielt werden kann, lässt sich grundsätzlich bezweifeln. Denn nicht nur die hier erfassten einzelnen Städte selbst, sondern bereits die sie beheimatenden Mitgliedstaaten treten die Gegenüberstellung unter höchst unterschiedlichen sozio-ökonomischen und institutionellen Voraussetzungen an, so dass es sich letztlich um wenig mehr als einen informativen Vergleich ,von Äpfeln und Birnen' handelt. Beobachtet man speziell die Entwicklung der Rahmenbedingungen zum Wandel der stadtbezogenen Raumordnungspolitiken in Deutschland und Frank-
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6.2 Institutionelle Bedingungen der Diffusion in Deutschland und Frankreich
reich, so deutet allerdings einiges darauf hin, dass die Voraussetzungen hierzu in beiden Mitgliedstaaten günstig sind. RadaeJlis überlegungen zur Analyse und Erklärung von Politikfeldspezifischen Europäisierungsprozessen folgend, erschließen sich entsprechende Hinweise aus der Untersuchung nicht nur der Institutionen und Akteure der Politikimplementation, sondern auch bereits der Politikformulierung (2003: 47f.). In Radaellis Worten: Zu untersuchen ist für diese Phase zum einen die "institutional capacity to produce change" (ebd.: 46) und zum anderen die im nationalen Kontext und im betreffenden Politikfeld vorherrschende Akteurs- und Interessenkonstellation. Sie gibt Aufschluss über die Existenz unternehmerischer Akteure und ihre Kapazität zur Mobilisierung von "Unterstützerkoalitionen" für Wandel und gegebenenfalls (weitere) Anpassung bzw. "Europäisierung"(ebd. 48). Mit Blick auf Deutschland und Frankreich legt die Beobachtung der institutionellen und akteurs strukturellen Bedingungen in der stadtbezogenen Raumordnungspolitik am Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit die These einer allmählichen, differenzierten Anpassung an das europäische Interventinsmodell bis hin zur Übernahme dieses Modells gerade für den französischen Fall nahe.
6.2 Institutionelle Bedingungen der Diffusion in Deutschland und Frankreich Aus einer institutionentheoretischen Perspektive wurde im Zusammenhang der Untersuchung der GI URBAN argumentiert, dass eine mittel- bis langfristige Integration der mit der europäischen Stadtentwicklungspolitik verbundenen Interventionsideen in denjenigen EU-Mitgliedstaaten besonders hoch war, die bis Anfang der 1990erJahre keine eigene, die Kemvorstellungen des EU-Modells reflektierende "rezeptive Struktur" zur Aufnahme einer integrierten sozialen Stadtentwicklungspolitik in den Rahmen ihres raumordnungspolitischen Institutionensystems eingebaut hatten (Zimmermann 2008: 91). Unterschiedliche Autoren wiesen darauf hin, dass vor allem in den südeuropäischen EU-Mitgliedstaaten angesichts eines hohen Problemdrucks in den Städten und zugleich mangels eigener raumordnungspolitischer Interventionsansätze eine regelrechte ,Nachfrage' der nationalen und lokalen Akteure nach dem europäischen URBAN II-Ansatz bestand (FrankejStrauss 2007: 471-475; Frank 2008: 113). Zugleich erschien die Wahrscheinlichkeit zur Aufnahme dieses Ansatzes in denjenigen Mitgliedstaaten gering, die zum Zeitpunkt der Entstehung der europäischen Stadtentwicklungspolitik bereits entsprechende Politiken initiiert hatten, z.B. Deutschland und insbesondere Frankreich. Hier musste das Aufgreifen europäischer Wandlungsimpulse den Entscheidungsträgern auf den unterschiedlichen Ebenen nach dieser theoretischen Lesart angesichts der Existenz von Instrumenten, die dem EU-Programm zur Stadtent-
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wicklung mit seinen instrumentellen, prozeduralen und organisatorischen Ideen ähnelten, entbehrlich erscheinen ~,goodness of the fit"; Risse/Green Cowles/Caporaso 2001). Demgegenüber schien hier eher ein Festhalten am Status quo ante oder gar eine Zurückweisung von europäischer Einflussnahme und "Gatekeeping"- und dabei zugleich Mitnahme-Verhalten erwartbar. Folgt man der Argumentation, so müsste sich im deutschen Fall eine gesamtstaatliche, breite PolicyAnpassung eher ergeben als im französischen. In Deutschland bleibt das bürokratische und durch eine ausgeprägte sektorale Versäulung gekennzeichnete Modell der öffentlichen Verwaltungs organisation ein Grundcharakteristikum des politisch-administrativen Systems, das sich als ungünstige Voraussetzung für die Verwirklichung der Idee des integrierten Politikansatzes erweist. Es zementiert - dies hat sich anhand des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt" gezeigt - im Rahmen der Politikformulierung auf Bundes- und vielfach auch Länderebene nach wie vor das ,Denken der Akteure in Ressorts' (Aehnelt 2005: 65; Walther/Güntner 2007: 357). Als ein weiteres potentielles Hindernis einer Anpassung erweist sich die zwischen den Ebenen des Föderalstaates verflochtene Struktur des Public PolicyMaking. Zwar hat sich die Politikverflechtung in dem für die integrierte Stadtentwicklungspolitik zentralen Bereich der Städtebauförderung in der Vergangenheit eher Konsens fördernd auf die zwischen Bund und Ländern geteilte politische Entscheidungsfmdung ausgewirkt (Walter 1997; Walter 2001: 524f.). In anderen Interventionsbereichen, wie z.B. der (regionalen) Wirtschaftsförderung, hat die verflochtene Entscheidungsstruktur allerdings immer wieder Konflikte zwischen den Ebenen und Politikblockaden produziert (vgl. Wachendorfer-Schmidt 2003) und die Erwartungen an die Funktionsfähigkeit einen vertikal wie auch horizontal partnerschaftlichen Modus der Interaktion gedämpft. Schließlich ist ungewiss, welche Bedeutung die Existenz zahlreicher Vetopunkte, die ebenfalls ein Grundmerkmal des politisch-administrativen Systems der Bundesrepublik darstellt (Schrnidt 2007: 477), für die Durchsetzung der Ideen der europäischen Stadtentwicklungspolitik entfaltet. Gerade die deutschen Städte als mögliche Vetospieler ftir eine Übernahme und Verbreitung der EU-Ideen verfügen in diesem System selbst nur über geringe Machtressourcen, um - ausgehend vom dezentralen Policy-Ansatz von URBAN II - gegenüber Bund und Ländern erfolgreich eine Erweiterung ihrer Handlungsautonomie einzufordern, die sie in die Lage zur eigenständigen Umsetzung des integrierten Politikansatzes versetzen würden. Zwar verfügen die Städte und Gemeinden aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechts und der kommunalen Planungshoheit in der örtlichen Raumgestaltung über ein hohes Maß an Autonomie. Außerhalb der Planungspolitik sind sie allerdings formal nicht als dritte Ebene anerkannt (Dieckmann 1998: 295; Wollmann 2000: 28). Sie verfügen daher kaum über weiter gehende Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die politische Entscheidungsfindung zur Verteilung öffentlicher Mittel und zur
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6.2 Institutionelle Bedingungen der Diffusion in Deutschland und Frankreich
Zuordnung von öffentlichen Aufgaben als andere organisationsfähige Interessenträger oder Interessengruppen Oaedicke/Wollmann 1998: 322). Zugleich sind sie in jüngerer Zeit weniger in der Lage, ihre traditionelle funktionale Stärke (vgl. Kap. 4.2.1), für ein selbst bestimmtes Policy-Making in ihrem Wirkungskreis zu nutzen (Wollmann 2000: 39f.). Die detaillierte Regelung öffentlicher Aufgaben durch den Gesetzgeber und zugleich die Übertragung immer neuer Aufgaben vom Staat auf die Kommunen haben eine wachsende Kontrolle des kommunalen Handelns und auch eine wachsende finanzielle Abhängigkeit vom Staat (letzteres wurde am Fallbeispiel Kiels deutlich) mit sich gebracht. Die Möglichkeiten der Städte und Gemeinden zur tatsächlichen Selbstverwaltung und autonom verantworteten PolitikIntervention sind demgegenüber einschränkt. Die institutionellen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Anpassung an die EU-Stadtentwicklungspolitik stellen sich mithin in Deutschland zwar ungünstig dar, zugleich ist jedoch fraglich, ob aus dieser Situation tatsächlich Anpassungsdruck erwächst. In Frankreich, das hat die Darstellung der institutionellen Rahmenbedingungen der sozialen Stadtentwicklungsförderung in Gestalt der Politique de Ja Ville verdeutlicht (vgl. Kap. 4.1.2), sind dagegen, der institutionentheoretischen Argumentation folgend, angesichts der Ähnlichkeiten der Politique de la Ville bzw. der Stadtvertragspolitik mit dem EU-Modell auch hinsichtlich der Arbeitsteilung zwischen den Ebenen scheinbar ungünstige institutionelle Voraussetzungen gegeben. Erstens existieren hier nach der Errichtung einer eigenen institutionellen Verankerung der Politique de Ja VilIe innerhalb der Regierung (Städteministerium, CIV, DIV, CNV) auf der nationalen Ebene die Voraussetzungen für die Bündelung von Finanzmitte1n und Policies zugunsten der lokalen Umsetzung der Idee des integrierten Ansatzes. Durch das beschriebene System der Kontraktualisierung sind außerdem zweitens die negativen Effekte der Politikverflechtung, die auch in Frankreich nach der Dezentralisierung des Staates zu einer relevanten Einflussgröße für das Public Policy-Making in unterschiedlichen Feldern geworden ist (Kuhlmann 2006a: 100), für den Bereich der sozialen Stadtentwicklungspolitik eingedämmt. Das Zustandekommen sowohl ebenen- als auch ressortübergreifender Partnerschaftskonstellationen scheint auf dieser Grundlage prinzipiell möglich und ,unproblematisch' zu sein. Und schließlich kann drittens auch der organisatorische "Fit" des raumordnungspolitischen Systems mit dem von der EU-Kommission angebotenen Interventionsmodell konstatiert werden. So verfügen die Städte über institutionell abgesicherte Zugangswege zum Prozess der Politikformulierung im Bereich der sozialen Stadtentwicklung. Sie erlangen zum einen über den Conseil national des Villes (CNV), dem auf nationaler Ebene angesiedelten Rat zur Konzertierung aller stadtentwicklungspolitischen Interessengruppen und -träger mit dem Staat Zugang zur stadtentwicklungspolitischen Entscheidungsfmdung. Der 1988 geschaffene, mehr als 50 Mitglieder zählende Rat berät die Regierung bei der Konzeption der Politique de la Ville und ihrer Programme (Anderson/Vieillard-Baron
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2003: 80). Er versammelt neben dem Premierminister und dem Städteminister qualifizierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Vertreter einschlägiger nationaler Verbände, wie z.B. der nationalen Wohnungskonföderation (CorifMeration nationale du Logement, CNL), und vor allem auch zahlreiche lokale und nationale Mandatsträger. Zum anderen ergibt sich ein Zugang der Städte zum zentralstaatlichen Entscheidungssystem auch über das Institut der Ämterhäufung (Cumul de mandats). Dies stellt, wie oben dargelegt wurde (vgl. Kap. 4.2.2), ungeachtet seiner gesetzlichen Begrenzung nach wie vor ein bedeutsames Grundcharakteristikum des politisch-administrativen Systems Frankreichs dar. In Fragen der sozialen Stadtentwicklungspolitik respektive der Politique de la Ville gewinnen lokale Mandatsträger, insbesondere Bürgermeister, die zugleich ein Mandat in der Nationalversammlung innehaben auf diesem Wege Einfluss auf den Gang und die inhaltliche Gestaltung der kommunalrelevanten Gesetzgebung. Wird vom Ansatz der EU-Kommission ausgegangen, wonach die Verbreitung der europäischen stadtentwicklungspolitischen Ideen Bottom up durch die Städte selbst und ihre Einwirkung auf die nationale Politikformulierung im Bereich der stadtbezogenen Raumordnungspolitik bewerkstelligt werden soll, lässt sich mit Blick auf Frankreich festhalten, dass die institutionellen Rahmenbedingungen hierzu günstig und der Anreiz zum Ignorieren oder zur Blockade des europäischen Politikangebots gerade auf Seiten der nationalen Akteure mithin vermeintlich gering ist. Wird der Blick auf die Akteursseite gerichtet, stellt sich die Ausgangssituation in beiden Mitgliedstaaten anders dar.
6.3 Akteursbezogene Bedingungen der Diffusion In Deutschland existiert zwar kein eigenständiges System des sozial stadtentwicklungspolitischen Public Policy-Making im gesamtstaatlichen Maßstab, denn eine nationale soziale Stadtentwicklungspolitik gibt es bislang nicht. Das Bund-LänderProgramm "Soziale Stadt", das dieses Feld verkörpert (Franke/Strauss 2007: 468), stellt ein aus Mitteln der Städtebauförderung finanziertes "Fachprogramm der Stadterneuerung" (Walther/Güntner 2007: 357) dar. Um das Programm ist eine ausdifferenzierte Struktur unterschiedlichster, auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene angesiedelter, öffentlicher und gesellschaftlicher Akteure und Institutionen entstanden. Ihre Träger (z.B. Architekten- und Planerverbände, spezialisierte wissenschaftliche Think Tanks etc.) nehmen Einfluss auf die Programm- oder Politikformulierung im Vorfeld der jährlichen Erneuerung der städtebaulichen Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern bzw. sind als Interessengruppen am städtebau- und raumordnungspolitischen Politikformulierungsprozess beteiligt. Sie sorgen zugleich dafür, dass das Thema der sozialen Stadtentwicklung ,an sich' seit 1996 mehr oder weniger präsent auf der politischen Agenda von Bund
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6.3 Akteursbezogene Bedingungen der Diffusion
und Ländern verbleibt. Die zu dem Politikformulierungsarrangement rund um das Programm "Soziale Stadt" rechnenden Akteure entstammen dabei vorwiegend bestimmten Public Policy- bzw. Professionsbereichen (Städtebau, Planung, Familie/Jugend/Frauen, Sicherheit), wohingegen andere Bereiche (Gesundheit, Zuwanderungspolitik, Arbeitsmarktpolitik) hier teils aus Mangel an Interesse, u.a. auch der einschlägigen Bundesministerien, noch unterrepräsentiert bleiben (ebd.: 359). Dies wiederum wurde als ein akteurs strukturelles Defizit einer Erneuerung des stadtbezogen raumordnungspolitischen Steuerungsansatzes in Deutschland beschrieben (Walther/Güntner 2007: 359). Unter diesen Vorzeichen sind die Möglichkeiten zur Organisation einer auf nationaler Ebene angesiedelten, breit gefächerten "Un-terstützerkoalition" für den Ausbau und die Konsolidierung des neuen Ansatzes der sozialen Stadtentwicklungspolitik noch deutlich eingeschränkt. Ob die Initiative, die das zuständige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Juli 2007 im Anschluss an die Verabschiedung der "Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt"64 zur Errichtung einer funktional breiten "nationalen Stadtentwicklungspolitik" ergriffen hat (Hatzfeld/Jakubowski 2008: 131), in dieser Situation Impuls gebend wirken kann, bleibt abzuwarten. So kann das im Bundeskabinett vergleichsweise ,schwache' Ressort mangels eigener Kompetenzen in einschlägigen Policies, wie z.B. der regionalen Wirtschaftsförderung, vor allem durch Überzeugung (Atguing) auf die tatsächliche Unterstützung der Ideen der integrierten sozialen Stadtentwicklungspolitik durch andere Bundesministerien hinwirken. Daher ist ungewiss, ob die derzeit zur nationalen Akteurskonstellation der "Sozialen Stadt" zählenden Akteure aus der europäischen Stadtentwicklungspolitik zukünftig noch ähnlichen ,Gewinn' für die Verbreitung und Konsolidierung ihrer Public Policy-Ideen ziehen können, wie dies zum Zeitpunkt der Errichtung des deutschen Bund-Länder-Programms Ende der 1990er Jahre der Fall war. So hat sich mit dem Antritt der Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2005 nicht nur das "politische Gelegenheitsfenster" zur Konsolidierung der neuen Politik auf nationaler Ebene wieder ein Stück weit geschlossen, das mit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung 1998 und ihrer Bestätigung im Jahr 2002 aufgestoßen worden war (Walther 2002: 29). Zudem haben sich in der Zwischenzeit der europäische Ansatz der stadtentwicklungspolitischen Intervention und der in Deutschland im Programm "Soziale Stadt" verankerte Ansatz hinsichtlich ihrer Interventionsphilosophien voneinander weg bewegt. Während dem deutschen Bund-LänderProgramm das Verharren im Stadium eines auf ausgleichende Umverteilung abzieBei der "Leipzig Charta" handelt es sich um ein unverbindliches stadtentwicklungspolitisches Grundsätzepapier, das der Informelle Rat der europäischen Stadt- und Raumentwicklungsminister im Jahr Z007 in Leipzig unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet hat. Darin unterstützen die Minister ausdrücklich die Kemideen des URBAN-Modells der EU-Kommission zur stadtentwicklungspolitischen Intervention (vgL LEIPZIG CHARTA 2007). 64
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lenden, städtebaulichen "Ressortprogramms" (Walther/Güntner 2007: 357) droht (ebd.: 359), gerät die Förderung benachteiligter Stadtgebiete insgesamt im Rahmen der EU-Strukturpolitik im Zeichen des Lissabon-Prozesses mehr und mehr zu einem Nebenziel. Die Stadtentwicklungsförderung der EU-Kommission fokussiert stattdessen wieder verstärkt auf die Förderung endogener ökonomischer Entwicklungspotentiale, vorzugsweise in bereits entwickelten Städten und Stadtregionen G,Wachstumskerne''). Eine gegenseitige Befruchtung beider Politiken, die in den Mitgliedstaaten u.a. eine Weiterentwicklung und Konsolidierung des in URBAN II verkörperten Ansatzes auch zugunsten der Stadtentwicklung auch in benachteiligten Gebieten bewirken könnte, zeichnet sich in Deutschland derzeit allenfalls in einzelnen Bundesländern ab. Genannt werden können hier Z.B. die Stadtstaaten Berlin und Bremen, einzelne ostdeutsche Länder wie Brandenburg oder das stark verstädterte, vom Strukturwandel geprägte Nordrhein-Westfalen (Huttenloher 2008: 36-38 u. 40). In Frankreich erscheinen demgegenüber auch die akteurstrukturellen Voraussetzungen zur Aufnahme der stadtentwicklungspolitischen Ideen der EU in den nationalen Policy-Kontext vergleichsweise günstiger, nicht zuletzt deshalb, weil der Zentralstaat den Ansatz der EU-Kommission seit 2007 ausdrücklich unterstützt und dabei über höhere Machtressourcen zu seiner Verbreitung auf lokaler Ebene verfügt. So hat die zentralstaatliche Ebene im nationalen strategischen Rahmenplan für die EU-Strukturfondsförderung 2007 bis 2013 (Cadre de Riftrence StraNgique Nationale, CRSN), nicht nur allgemein ihre Unterstützung für den wettbewerbsstaatlichen Ansatz der EU zur Stadtentwicklungsförderung erklärt. Zugleich hat die französische Regierung diesen Ansatz darin ausdrücklich als einen Weg u.a. auch zur Reform der nationalen sozialen Stadtentwicklungsförderung, der Politique de la Ville, eingestuft (premier Ministre et al. 2007: 53). Mit den zentralen Organen des Staates zur Politikformulierung im Bereich der Raumordnung - den interministeriellen Entscheidungsgremien CIADT und CIV, den zuständigen Fachministern, den raumentwicklungspolitischen Sonderbehörden DATAR/DIACT und DIV - existieren auf nationaler Ebene gewichtige Akteure zur Durchsetzung dieses Ansatzes. Sie üben im französischen Einheitsstaat gerade im Feld der stadtbezogenen Raumordnungspolitik einen nach wie vor starken Einfluss auf das lokale Public PolicyMaking aus (vgl. Kukawka 2006; Donzelot 2007). Zur Durchsetzung ihrer Ideen können sie sich dabei auf bewährte staatliche Institutionen wie den Präfekten in Region und Departement oder den Unterpräfekten für die Stadt stützen. Gleichwohl bröckelt der staatliche Einfluss auf lokaler Ebene vor dem Hintergrund der nationalen Dezentralisierungsreformen in unterschiedlichen PolicyBereichen seit einigen Jahren ab. Bei der Implementation einzelner öffentlicher Aufgaben offenbart sich zwischen dem Staat respektive dem Präfekten und den territorialen Gebietskörperschaften nunmehr ein ähnliches, teils konfrontatives, teils pragmatisches und insgesamt von gegenseitiger Abhängigkeit gekennzeichne-
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6.3 Akteursbezogene Bedingungen der Diffusion
tes Verhältnis (Thoenig 2005), wie Schmidt es Mitte der 1990er Jahre für die StaatWirtschaft-Beziehungen bei der Implementation der staatlichen Industriepolitik in Frankreich konstatiert hat (1996: 444f.). Gerade im Bereich der Stadtplanung und Raumordnung ist dabei der Drang der Städte nach einer Erweiterung ihrer autonomen Handlungsrnacht hinderlich für die Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Reformziele. Zwar hat der Zentralstaat den Städten und Gemeinden bereits im Jahr 1982 im Zuge des ersten Akts der Dezentralisierungsreformen die volle, d.h., auch politische Verantwortung für die Stadtplanungs- und Städtebaupolitik übertragen. Dabei hat sich allerdings eine gesonderte Interventionsmöglichkeit in einzelnen Bereichen, so auch der sozialen Stadtentwick1ung erhalten. Diese wurde in Form der Politique de la Ville zu einem Sonderinterventionsbereich des Staates in der Raumordnungspolitik ausgebaut (Kukawka 2006; vgl Kap. 4.1.2). Die französischen Städte konnten sich mit dieser aus der Politique de la Ville erwachsenden planungspolitischen ,Bevormundung' durch den Zentralstaat mühelos arrangieren. Denn neben der Fortsetzung des staatlichen Dirigismus in einem Teilbereich ihres autonomen Aufgabenfelds ergab sich mit der Politique de la Ville für die Städte zugleich auch der Zugang zu staatlichen Fördergeldern in beträchtlichem Umfang (vgl. Tab. 7). Unter diesen Vorzeichen bestand für städtische Verantwortungsträger lange Zeit kein Anreiz zum Ausbau der lokalen Instrumente der sozialen Stadtentwicklung über den Rahmen der nationalen Politique de la Ville hinaus und zur aktiven Übernahme eigener Verantwortung für den sozialen Ausgleich im genuin städtischen Interventionsraum. Im Gegenteil, die Politique de la Ville, dies hat auch die in dieser Arbeit präsentierte Fallstudie zur Implementation von URBAN II in Le Havre verdeutlicht, erlaubte den Städten im unbliebsamen Feld der sozialen Stadtentwicklung den Rückzug auf ihre gesetzlich definierten Aufgabengebiete. In jüngerer Zeit nahm die Intensität der zentralstaatlichen Steuerung im Bereich der sozialen Stadtentwicklung allerdings zu. Nach Meinung einzelner Beobachter führt dies zugleich zu einer erneuten Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Reformzie1e (Donzelot 2007: 379f.). Das könnte auch für die nationale Durchsetzung der Umstellung der Politique de la Ville im Sinne des europäischen Interventionsmodells folgenreich werden. DonZelot weist auf den "Paradigemenwechsel" hin, den die französischen Zentralregierungen seit dem Jahr 2000 mit dem Erlass diverser Gesetze zur Reform der Raumordnungs-, Planungs-, Städtebau- und Solidaritätspolitiken und zur Neudefinition der Rolle des Staates in diesen Bereichen verfolgen. An die Stelle des bis 2000 praktizierten, abgemilderten Dirigismus (Blanc 2002: 222) in der Politique de la Ville tritt seither eine neuartige Praxis der indirekten staatlichen Steuerung des lokalen Public Policy-Making. Diese ist zum einen gekennzeichnet durch die Rezentralisierung einzelner Teilbereiche der Politique de la Ville. Dies lässt sich z.B. in den Bereichen der Stadtplanung und des Wohnungswesens beobachten, wo mit dem Gesetz über die "Solidarität und Stadterneuerung" im Jahr 2000 die Grundla-
Breitenwirkungen: Nationale Diffusion des europäischen Politikmodells
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ge zum regulierenden Eingriff des Staates in die kommunalen Wohnungsmärkte und zur Regulierung der kommunalen Freiheit der Planung des örtlichen Wohnungs- und Sozialwohnungsbestands geschaffen wurde 65 • Zum anderen macht sich der Übergang zu einer neuen staatlichen Steuerungspraxis aber vor allem auch in der Schaffung eines Anreiz- und Sanktionsmechanismus bemerkbar, mit dem die Städte zur freiwilligen Übernahme staatlicher Zielsetzungen, wie beispielsweise der dem europäischen Modell entlehnten Governance-Ideen und der Interventionsphilosophie, sanft gezwungen werden können (Donzelot 2007). Ein Baustein des angesprochenen Anreiz- und Sanktionsmechanismus ergab sich mit der Schaffung eines neuen Vertragsinstruments der Politique de la Ville, des Contrat urbain de Cobesion sociale (CUCS). Der CUCS, der den Stadtvertrag ablöst und die Govemance- und Interventionsideen des URBAN II-Ansatzes aufgreift, bildet seit Anfang 2007 die Grundlage zur Durchführung der nationalen Politik der sozialen Stadtentwicklungsförderung in Frankreich. Sein Abschluss ist gekoppelt an die Zustimmung der städtischen Fördermittelempfänger zu den Interventionsideen, die mit URBAN II in die Städte transportiert werden sollten. Ein weiterer Baustein in dem neuen Steuerungssystem ergab sich über die Schaffung eines neuen Systems zur indirekten Steuerung der lokalen sozialen Stadtentwicklungspolitik über halbstaatliche Agenturen. 2003 und 2006 errichtete die Regierung zwei neuartige Organe der nationalen sozialen Stadtemeuerungspolitik, die Nationale Agentur für Stadterneuerung ANRU (Donzelot 2007: 379) und die Nationale Agentur für soziale Kohäsion und Chancengleichheit Acse, Beiden Agenturen ist gemeinsam, dass es sich nicht mehr um rein staatliche Organe etwa nach dem Vorbild der nationalen Stadtentwicklungsbehörde DIV handelt, sondern um quasi-korporatistische, vom Staat, zusammen mit anderen öffentlichen und/oder gesellschaftlichen Akteuren, und u.a. auch den Städten selbst, getragene Organe. Dies soll unter den betroffenen Städten und Gemeinden die Legitimität des staatlichen Eingriffs in die lokale soziale Stadtentwicklungspolitik steigern (ebd.: 378f.). Die ANRU verwaltet im Auftrag des Staates die zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus bereitgestellten öffentlichen Mittel und kontrolliert deren Vergabe. Dazu schließt sie mit ausgewählten Städten, in denen das neue Instrument der Politique de Ja Ville, der CUCS, bereits Anwendung findet und die sich mit einem gebietsbezogenen Stadtsanierungsprojekt um Förderung beworben haben, eine vertragliche Vereinbarung ab, die Bestandteil des CUCS wird. Die Interventionsmodalitäten der Acse, die im Bereich der lokalen Kriminalitätsprävention, der Integration von Migranten und der Jugendarbeit tätig ist, sind den soeben beschriebenen vergleichbar. 65 Don'{!lot verweist in diesem Kontext auf das Gesetz über die "Solidarität und Stadterneuerung" (Loi SRU), das Gemeinden mit mehr als 3.500 Einwohnern, die Bestandteil eines städtischen Agglomerati-
onsraums mit mehr als 200.000 Einwohnern sind, unter Androhung eines Bußgelds dazu verpflichtet, einen Anteil von mindestens zwanzig Prozent Sozialwohnungen an ihrem gesamten Wohnungsbestand vorzuhalten (2007: 375 u. 380).
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6.4 Zusammenfassung
Bedeutsam für die Frage nach den akteursstrukturellen Voraussetzungen zur nationalen Diffusion des URBAN II-Staatlichkeitsmodells ist in diesem Kontext die Koppelung mehrerer Instrumente der nationalen Politique de la Ville mit den europäischen Interventionsideen und der in URBAN II gebündelten Interventionsphilosophie. Will eine Stadt Zugang zu den finanziell bedeutsamen staatlichen Fördertöpfen in den Politique de la Ville-Bereichen des Sozialwohnbaus oder der sozialen Integration erlangen, muss sie sich zunächst durch Abschluss eines CUCS grundsätzlich mit dem vom Zentralstaat favorisierten, integrierten, aktivierenden und projektbasiert-wettbewerbsstaatlichen Interventionsansatz einverstanden erklären. Auf dieser Grundlage kann sie sich sodann mit einem Handlungskonzept, das sich in das Stadtentwicklungsprojekt des lokalen CUCS einfügt, bei ANRU und Acse um Förderung bewerben. Sie steht dabei im Wettbewerb mit anderen Städten, was den Anreiz zur Respektierung der Govemance-Ideen des Staates weiter erhöhen soll, z.b. dadurch, dass die Nichtberücksichtigung des städtischen Konzepts durch die ANRU oder Acse droht (Donzelot 2007: 380). Mit diesem neuen System zur Durchführung der Politique de la Ville hat die französische Regierung im Bereich der Stadtentwicklungspolitik auch die Grundlage zur Kontrolle der lokalen Umsetzung der Vorgaben, die sie im französischen strategischen Rahmenplan zur europäischen Strukturfondsförderung 2007 bis 2013 festgeschrieben hat, geschaffen. Dies macht eine flächendeckende Verbreitung des URBAN II-Modells der lokalen Governance und der entsprechenden Interventionsphilosophie wahrscheinlicher als im deutschen Fall, zumal der Zentralstaat in Frankreich durch die Beteiligung der kommunalen Gebietskörperschaften an der Verwaltung der neuen Stadtentwicklungsagenturen formal über die Unterstützung der lokalen Ebene verfügt. Allerdings bleibt die tatsächliche lokale Übernahme des EU-Modells auch im französischen Fall weiterhin von der Bereitschaft der städtischen Verantwortungsträger zur Anpassung der eigenen Handlungspraktiken und von der Fähigkeit zur Aktivierung der einschlägigen nicht-staatlichen und nichtkommunalen Akteure "vor Ort" abhängig. Zumindest im Fall Le Havres hat sich dies als fraglich erwiesen.
6.4 Zusammenfassung Werden die einzelnen Aspekte reflektiert, so ergibt sich insgesamt ein noch ungeklärtes Bild der Breitenwirkungen. In Deutschland und vor allem in Frankreich scheinen dabei die Voraussetzungen zur fortgesetzten, flexiblen Anpassung an das "Modell URBAN" günstig, wobei beide Mitgliedstaaten die Anapssung auf den national vorstrukturierten Policy-Pfaden fortsetzen. Greift man zur illustration die Faktoren heraus, den Radaelli als zentral bedeutsam zur Beantwortung der Diffusionsfrage anführt, die institutionellen und
Breitenwirkungen: Nationale Diffusion des europäischen Politikmodells
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akteursstrukturellen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten, so lässt sich schlussfolgern, dass in Frankreich, das mit seinem System der Politique de la Ville bereits einen hohen Grad an "Fit" mit dem europäischen "URBAN-Modell" aufweist, eine Anpassung auf den ersten Blick wahrscheinlicher ist als in Deutschland. Denn hier ist mit dem Programm "Soziale Stadt" überhaupt ein erster Schritt in Richtung der Errichtung einer "nationalen Stadtentwicklungspolitik" nach dem Muster des europäischen Modells gegangen worden. In Frankreich dominiert allerdings der Weg der Top down (vgL Berry/Berry 2007: 231), d.h., der zentralstaatlich organisierten Ideendiffusion. Dies warf und wirft stets die Frage nach der Kooperationsbereitschaft der Städte und lokalen Akteure auf, zumal wenn diese die staatlichen Politikziele für die soziale Stadtentwicklung, sei es aus ideologischen und/oder politischen Gründen, sei es aus Mangel an Kapazitäten nicht teilen. Mit der Verknüpfung der EU-Strukturpolitik und der nationalen Raumordnungspolitik sowie den Reformen der stadtbezogenen Raumordnungspolitik hat der Staat seine Einflusschancen auf Überwindung lokaler Blockaden zur Durchsetzung des von ihm präferierten Interventionsmodells dabei jüngst erhöht, bleibt jedoch abhängig von der Kooperationsbereitschaft der Städte. In Deutschland hängt die Ideenverbreitung dagegen vor allem von der freiwilligen Bottom up-Initiative der Kommunen und insbesondere der Länder sowie von der Kooperationsbereitschaft der betroffenen ministeriellen Fachressorts auf Länder- und Bundesebene ab. Die Ideendiffusion wird damit zu einem zeitintensiven Prozess mit ungewissem Ausgang. Die Anforderungen zur Mobilisierung von Unterstützung sind schon auf gesamtstaatlicher und regionaler Ebene sehr hoch. Dabei verfügt der Bund insgesamt lediglich über eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit im Bereich der (sozialen) Stadtentwicklung (Bogumil/Grohs/Reiter 2008: 126f.). Das für die Stadtentwicklung zuständige Bundesministerium, das BMVBS, hat sich mit der Ausrufung einer "nationalen Stadtentwicklungspolitik" zur Verwirklichung der Ziele der Leipzig Charta (ebd.: 120) selbst jüngst die Doppelrolle als (europäischer) Agent und (nationalstaatlicher) Prinzipal des Ideenverbreitungsprozesses zugeschrieben. Es verfügt jedoch kaum über eigene Machtressourcen zur Wahrnehmung dieser Rolle. Allerdings haben sich einzelne Bundesländer, wie etwa Nordrhein-Westfalen und die Stadtstaaten, bereits in den 1990erJahren erfolgreich zu Vorreitern einer nationalen Verbreitung des EU-Modells bzw. seiner Ideen aufgeschwungen. Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, dass für eine Weiterverbreitung und fortgesetzte differenzierte Anpassung der nationalen stadtbezogenen Raumordnungspolitiken in Deutschland und vor allem auch in Frankreich, wo dies nach Ansicht der Vertreter der Gatekeeping-These kaum zu erwarten war (vgl. Tofarides 2003), am Ende des Untersuchungszeitraums dieser Studie insgesamt günstige Voraussetzung existieren.
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Schluss: Politiktransfer und Europäisierung der sozialen Stadtentwicklungspolitik?
In dieser Untersuchung wurde anhand der Beispiele Deutschland und Frankreich nach den Wirkungen der europäischen Stadtentwicklungspolitik auf Idee und Praxis der stadtentwicklungspolitischen Intervention im Nationalstaat gefragt. Das übergeordnete Ziel der Arbeit bestand darin, einen Beitrag zur Analyse und Erklärung der "Europäisierung" Policy-spezifischer Institutionensysteme in den EUMitgliedstaaten zu leisten. Neben einem Fragenbündel zu den TiifenwirkHngen der europäischen Stadtentwicklungspolitik, die hier anhand einer fallstudienartigen Analyse der Implernentation der GI URBAN H, des Hauptinstruments dieser Politik im Zeitraum zwischen 2000 und 2008, beantwortet wurden, behandelte diese Studie zwei weitere Fragenkomplexe. Sie ergaben sich zum einen aus dem Interesse an der Erfassung und Erklärung der "Europäisierung" speziell der nationalen Raumordnungspolitiken in Deutschland und Frankreich und zum anderen aus dem Interesse an der politikwissenschaftlichen Analyse und Erklärung von Prozessen der "Europäisierung" nationaler Public Policies allgemein:
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Wie tragfähig sind die Gatekeeping- und die Paradigmenwechsel-These zur Erklärung der Wirkmächtigkeit europäischer Einflussnahme auf nationales Public Policy-Making im raumordnungspolitischen Teilbereich der sozialen Stadtentwicklungsförderung in Deutschland und Frankreich? Wie lässt sich die Europäisierung dieser Politiken in den beiden EUMitgliedstaaten konzeptionell fassen und theoretisch erklären? Wie weit ist die Europäisierung hier vorangeschritten? Wie wahrscheinlich ist die Diffusion des stadtentwicklungspolitischen Modells der EU im gesamtstaatlichen Rahmen in Deutschland und Frankreich? und Welche Rückwirkungen haben die mit der nationalen Irnplementation der GI URBAN H und den nationalen stadtentwicklungspolitischen Reformen gesammelten Erfahrungen wiederum für die Stadtentwicklungspolitik der EUKommission selbst? Welche Folgerungen lassen sich aus dieser Untersuchung mit Blick auf den Ansatz einer kombinierten institutionentheoretischen, auf das Phänomen
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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"Wandel" bezogenen und zugleich poliey-analytischen Erklärung von Europäisierungsprozessen ziehen? Was erfasst dieser von Radaelli vorgeschlagene Untersuchungsansatz (2003) nicht?
Diese Fragen werden in diesem abschließenden Teil als Ausgangspunkte für die Formulierung von Schlussfolgerungen aufgegriffen. Längst gehört die Erkenntnis, dass Europäisierung keine ,Einbahnstraße' ist, zu den Gemeinplätzen der politikwissenschaftlichen Europaforschung. Der Integrationsprozess ist nicht durch einseitiges Top-down-Einwirken der EU (-Kommission) auf die Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Ebenso wenig sind diese in der Lage zur einseitigen Fortentwicklung europäischer Politiken auf dem Wege der intergouvernementalen Kooperation. Vielmehr waren und sind gerade auch aus einer politikfeldspezifischen Perspektive betrachtet dynamische Prozesse wechselseitiger Anpassung sowohl auf der europäischen als auch auf der nationalen Stufe des politischen Mehrebenensystems der EU stets charakteristisch für die Integration (Tömmel 1994: 423; Tömmel 2007: 24f.). Sie betreffen alle Ebenen des EUSystems von der europäischen bis hin zur lokalen oder städtischen Ebene (Antalovsky et al. 2005; Zimmermann 2008), und sie kommen in allen Phasen oder auf allen Etappen des Policy-Making-Prozesses zum Tragen (Auel2005). Eng gekoppelt an die Feststellung wechselseitiger Anpassungsdynarniken blieb und bleibt die Frage nach den politikfeldspezifischen nationalen Wirkungen der EU eine zentrale Frage der politikwissenschaftlichen Europaforschung (Radaelli2003: 34; vgl. Heinelt/Knodt 2008). Über die direkte, "harte" Regulierung neuer Poliey-Inhalte oder die Deregulierung bestehender Policies einerseits und über das "weiche" Setzen von Anreizen zur Initiierung und Strukturierung von ,Lernprozessen' auf Grundlage ihrer distributiven Möglichkeiten und Kompetenzen andererseits wirkt die EU - im zuletzt genannten Zusammenhang vor allem die EU-Kommission - auf die feldspezifischen Arrangements in den Mitgliedstaaten ein und "beeinflusst auch die Art des Regierens" in den einzelnen Phasen der öffentlichen Intervention (Auel 2005: 293). Zum Objekt der europäischen Einwirkung werden mithin die Poliey-spezifischen Interventionsmuster in den Mitgliedstaaten. Die damit gegebenenfalls verbundene "Europäisierung" des nationalen Policy-Making oder, im hier zugrunde gelegten Sinne von Radaellis Definition, die Inkorporierung von "formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, 'ways of doing things', and shared beliefs and norms" (...) "in the logic of domestic discourse, identities, political structures, and public policies" (2003: 30) hat vor dem Hintergrund dieser Beobachtung in den vergangenen Jahren den Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten gebildet. Diese Untersuchung ordnet sich in die Reihe dieser Arbeiten ein. Mit der Fokussierung auf die städtische Ebene und die Politikimplementation stand dabei eine gegenüber den zahlreichen, auf die
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(zentral-) staatliche Ebene gerichteten ,Politikformulierungsstudien' noch unterbelichtete Ebene (Auel 2005: 294) im Mittelpunkt des Interesses. EU-Politik und hier zuallererst das Policy-Making der Europäischen Kommission hat seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 generell an Bedeutung für die Entwicklung der lokalen Regeln, Prozesse, Handlungsroutinen und Interventionsideen in den Städten und Gemeinden zunächst der westeuropäischen Mitgliedstaaten (EU-15) gewonnen (Alemann/Münch 2006). Dies betraf seit Ende der 1980er Jahre auch den Bereich der (lokal-) staatlichen Intervention zum Ausgleich sozialer und wirtschaftlicher Disparitäten und zur Vermeidung segregativer Entwicklungstendenzen im städtischen Raum. Für entsprechende Initiativen besitzt die EU-Kommission bis zum Abschluss dieser Studie keine eigenständige formale Kompetenz im Gemeinschaftsrecht. Sie hat jedoch unter Berufung auf das Kohäsionsziel der Union seit Ende der 1980er Jahre diskursiv sowie mit den distributiven Instrumenten der europäischen Strukturpolitik Einfluss auf die stadtbezogene Raumordnungspolitik der Mitgliedstaaten genommen. Dabei verband sie mit Initiativen wie den Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II weder das Ziel eines europäischen Kompetenzgewinns noch das Ziel der Umverteilung zwischen den Städten oder innerhalb des städtischen Raumes durch europäischen Eingriff. Vielmehr waren die Initiativen der Kommission mit dem Anspruch verbunden, eine neue Art und Weise der lokalstaatlichen Intervention und eine neuartige Interventionsphilosophie exemplarisch in ausgewählten Städten zu implantieren (Tiifenwirkung durch instrumentelle, prozedurale, organisatorische Innovation) und diese darüber in die Mitgliedstaaten hineinzutragen (Breitenwirkung in Form von Diffusion). Zentraler Bezugspunkr für die von den lokalen und staatlichen Akteuren erwarteten Anpassungsleistungen und zugleich zentrales Instrument zu ihrer Verwirklichung wurden ab 1994 die GI URBAN I und 11. Zu den Stichworten, die den ,Ideenhaushalt' der hier betrachteten GI URBAN II beschreiben, rechnet zunächst der integrierte, gebietsbezogene Politikansatz. Er soll auf Basis mittelfristiger, strategischer Programme und entsprechender Einzelprojekte für die Strukturentwicklung benachteiligter Stadtgebiete im Kontext der Gesamtstadt umgesetzt werden. Gefordert war dabei eine möglichst dezentralisierte Programmgestaltung und eine verstärkt sektorübergreifende Koordination von Policies zwischen den betroffenen Fach- und Querschnittsverwaltungen zuerst auf der städtischen, aber darüber hinaus auch auf den staatlichen Ebenen. Weiterhin rechneten zu den konstitutiven Elementen des "Modells URBAN" unterschiedliche Ideen zur Gestaltung der städtischen Governance sowie zur Selbstbeschreibung der Rolle des lokalen Staates bei der Intervention zugunsten benachteiligter Stadtteile und ihrer Bürger. Hierbei ging es erstens um die direkte Partizipation der betroffenen Bürger an der Politikimplementation auf Stadtteilebene. Die Bürger sollten über die inhaltliche Gestaltung der Revitalisierungsprogramme für ihre Viertel mitentscheiden und für ein Engagement in ihrem Stadtteil gewonnen
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werden. Auf diese Weise sollten sie zu "Stakeholdem" ihrer Viertel gemacht und dauerhaft zur Übernahme eigener Problemregelungsverantwortung motiviert werden. Zweitens ging es um die bevorzugte Art und Weise der öffentlichen Aufgabenerbringung im Rahmen des Aufwertungsprogramms. Hierbei lautete eine Kernidee, dass die öffentlichen Aufgaben in Form von intersektoralen, kurz- bis mittelfristigen Projekten und auf der Basis einer geziehen Einbindung nichtstaatlicher bzw. nicht-kommunaler Akteure im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften oder generell privat erbracht werden sollten. Die Auswahl der Einzelprojekte hatte dabei idealerweise im Rahmen von Wettbewerbsverfahren zu erfolgen. Diese Formen der Aufgabenerbringung sollten die hierarchische Intervention durch die Kommune oder die kommunal eigenständige (,,in Eigenregie'') Erbringung von Aufgaben und Leistungen ablösen. Insgesamt lag dem "Modell URBAN" das Leitbild eines die Bürger und gesellschaftlichen Kräfte in der Kommune und d.h., auch in den benachteiligten Stadtgebieten, aktivierenden und angebots- bzw. wachstumsorientierten Staates zugrunde. Dieser sollte dauerhaft den problerninduziert reaktiv handelnden und ausgleichsorientiert steuernden (lokalen) Staat ablösen. Mit Blick auf die Frage der Umsetzung dieser in URBAN II gebündelten Ideen lautet ein zentrales Ergebnis dieser Untersuchung: Die mit der europäischen GI verknüpften Erwartungen der EU-Kommission haben sich hinsichtlich der Tiefenwirksamkeit des Programms auf die lokalstaatlichen Interventionsmuster in den drei hier untersuchten Fall-Städten bis zum Ende der Imp1ementation von URBAN II nur teilweise erfüllt. Für keine der Städte lässt sich jedoch eine vollständige Wirkungslosigkeit konstatieren. Am weitgehendsten erfüllten sich die Innovationserwartungen im Falle Dortmunds, am marginalsten blieb ihre Erfüllung im Falle Le Havres. Dieses Ergebnis erklärt sich zum einen damit, dass URBAN II in Dortmund in einen weitgehend ,fiten' policy-spezifischen Institutionenrahmen hinein implementiert worden ist. Es war jedoch vor allem das Verhalten der städtischen Schlüsselakteure in Politik und Verwaltung, das dieses Ergebnis erklärt. Sie nahmen die europäische GI pro-aktiv zum Ausgangspunkt für weitere Innovation oder eine weitere Fortbildung des nach den Maßgaben der EU-Kommission bereits vergleichsweise ,modernen' Interventionsansatzes zugunsten der benachteiligten Stadtviertel. Insgesamt waren Innovation auf der einen und Beharrung oder gar Deformation auf der anderen Seite - das hat der Fallstudienvergleich ergeben - für alle drei Untersuchungsstädte kennzeichnend, wenn auch in unterschiedlichen ,Mischungsverhältnissen'. Die spezifischen Reaktionen waren von einer Vielzahl zunächst stadtinterner Faktoren abhängig. Der europäische Ansatz zur Top down-Initiierung von Bottom up-Innovation unterscheidet sich in seiner Wirkmächtigkeit unter diesen Vorzeichen nicht von der Wirkmächtigkeit vergleichbarer nationaler Stadtentwicklungsprogramme. Dabei haben sich bei der Implementation von URBAN
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II das Staat-Stadt-Verhältnis und die Akzeptanz des mit URBAN verknüpften Leitbilds auf allen Ebenen als bedeutsam erwiesen. Einfluss ließ sich dort erkennen, wo die städtische und die staatliche Ebene die Ideen des europäischen stadtentwicklungspolitischen Modells teilten (Kompatibilitä~. Wo dies nicht der Fall war, kam es entweder zur intergouvernementalen Blockade von lokalen Innovationsansätzen (Schleswig-Holstein/Kiel) oder zur lokalen Deformation staatlich unterstützter Erneuerungsvorschläge des europäischen Modells (Frankreich/Le Havre). Dieses Ergebnis verweist auf den zweiten Fragenkomplex, der in dieser Untersuchung behandelt wurde.
EU-Stadtentwicklungspolitik und Wandel der so!(jalen Stadtentwicklung in Deutschland und Frankreich? In den hier untersuchten EU-Mitgliedstaaten erweisen sich - dies kann als zweites zentrales Ergebnis dieser Arbeit festgehalten werden - weder die GatekeepingThese (Bache 1998 u. 1999; Tofarides 2003) noch die These, wonach mit der EUStadtentwicklungspolitik speziell in Deutschland ein "Paradigmenwechsel" der stadt-bezogenen Raumordnungspolitik eingeleitet wurde (Frank 2008), als hauptsächlich erklärungskräftig zur Beschreibung der nationalen Wirkungen der europäischen Politik der Stadtentwicklungsförderung. Demgegenüber kam es in beiden Mitgliedstaaten zu einer "differenzierten" (Tömmel 2001: 21) Anpassungsreaktion auf die europäische Einflussnahme. Gerade im Fall Frankreichs trägt die u.a. für diesen Mitgliedstaat aufgestellte These eines "Gatekeeping"-Verhaltens des Zentralstaats und der lokalen Behörden wenig zum Verständnis der Wirkungen des europäischen Vorstoßes in das Feld der stadtbezogenen Raumordnungspolitik bei (Tofarides 2003: 255). Diese Untersuchung legt demgegenüber für beide Mitgliedstaaten die These eines mehr oder weniger ausgeprägten Instrumentalisierungsverhaltens der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen nahe. Insgesamt stellte weniger ,Abwehr' (vgl. ebd.: 28f.) als vielmehr ,optimale Nutzung' des europäischen Politikangebots die handlungsleitende Orientierung der stadtentwicklungspolitischen Akteure dar. Dabei deutet die im Kontext der Neuprogrammierung der EU-Strukturpolitik für den Zeitraum 2007-2013 in Frankreich verfolgte Linie des Zentralstaats darauf hin, dass die Europäisierung der sozialen Stadtentwicklungsförderung (politique de la Ville) nach dem Ende der experimentellen Phase der EU-Stadtentwicklungspolitik wahrscheinlicher geworden ist. In diesem Fall zeigt sich zunächst, dass die "goodness of the fit"-These (Risse/Green Cowles/Caporaso 2001; Börzel/Risse 2000) zwar einen Teil der Reaktion der Akteure auf den exogenen Einfluss der EU erklärt. Auch hier führt jedoch erst eine nach Einzeldimensionen von staatlicher Intervention unterscheidende Betrachtung der europäischen Einflussnahme zur umfassenderen Er-
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klärung der Verhaltensreaktion (Radaelli 2003: 45). Für den französischen Fall lässt sich konstatieren, dass weniger die Inhalte und Instrumente lokaler Intervention im Rahmen der Politique de la Ville einer Anpassung unterliegen. Vielmehr sind es die Verfahren und die Interventionsphilosophie oder normative Basis des stadtentwicklungspolitischen Handelns. So zog die Regierung von Premierminister Francais Fillon unter Staatspräsident Sarkory das europäische Politikangebot für nichts weniger als den Versuch eines (sozial) stadtentwicklungspolitischen "Paradigmenwechsels" heran (Hall 1993: 279; Radaelli 2003: 37f.). Angesichts der hohen Kosten der beiden zentralen Instrumente zur Bearbeitung des Segregationsproblems in den Städten, des sozialen Wohnungsbaus und der staatlich-städtischen Stadtverträge, und angesichts der weiterhin ausgeprägten Persistenz des Spaltungsproblems und damit der geringen Effekte früherer "first"und "second order"-Reformen der Politique de la Ville (Ball 1993) (vgl. Blanc 2002; Jaillet 2003), standen und stehen die wechselnden französischen Regierungen in diesem Handlungsfeld unter einem beständigen Reformdruck. Entsprechende Erwartungen werden hier nicht nur von Wissenschaftlern und professionellen Stadtentwicklern, darunter auch kommunalen Akteuren, formuliert, sondern auch von Seiten der allgemeinen Öffentlichkeit. Diese wird seit Beginn der 1980er Jahre über die Medien periodisch mit Bildern von Krawallen in den Vorstädten konfrontiert (Hüser 2007). Vor diesem Hintergrund waren das Städteministerium und die zentralstaatlichen Fachbehörden für die städtische Raumordnung DIV und DATAR/DIACT im Jahr 2000 daran interessiert, auch die im nationalen Vergleichsmaßstab unbedeutende europäische Gemeinschaftsinitiative URBAN II bestmöglich zur Beschleunigung eigener Reformansätze einzusetzen. Zum Zeitpunkt der Ankunft von URBAN II führte die sozialistische Regierung von LionelJospin mit der Verabschiedung des "Gesetzes über die städtische Solidarität und Stadterneuerung" (Loi SRU) eine grundlegende Reform des Stadtplanungsgesetzbuchs (Code de l'Urbanisme) durch. Diese Reform leitete zugleich einen grundlegenden Wechsel im Feld der stadtbezogenen Raumordnung ein. Denn sie trieb nicht nur die Dezentralisierung dieser Politik voran, sondern nahm die Städte und Gemeinden für das Ziel der "nachhaltigen", sozial und wirtschaftlich ausgewogenen Stadtentwicklung in die Pflicht. Zudem erweiterte sie die staatlichen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Gebietskörperschaften (Donzelot 2007). URBAN II nutzte die Regierung in diesem Zusammenhang als Gelegenheit zur experimentellen, optionalen Dezentralisierung der Implementationsverantwortung für ein der Politique de la Ville. Da es sich um eine EU-Initiative von noch dazu begrenzter räumlicher und zeitlicher Reichweite und ein der Stadtvertragspolitik ähnliches Programm handelte, war mit diesem Dezentralisierungsexperiment kein Kontrollverlust für den Staat verbunden. Zugleich fügte sich die europäische GI ,mustergültig' in die Politik des Experimentierens ein, die die französischen Regierungen seit Beginn der Dezentralisierungsreformen in den unterschiedlichsten
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Politikbereichen eingesetzt hatten, um ein neues Gleichgewicht zwischen der Übernahme der verfassungsrechtlich gebotenen sozialstaatliehen Ausgleichsorientierung und der Orientierung an der Idee der Aktivierung und wachstumszentrierten Entwicklungsförderung auch für benachteiligte Räume herzustellen (Chavrier 2004). Allgemein sollte der Staat von Steuerungsaufgaben "vor Ort" durch eine weitere Aufgabendezentralisierung entlastet werden. Zugleich schuf man in dieser Phase Möglichkeiten zur indirekten Kontrolle des lokalen Public Policy-Making im Bereich der sozialen Stadtentwicklung, z.B. durch die Umstellung des staatlichen Fördersystems auf wettbewerbsbasierte Verfahren zur Regulierung der lokalen Inanspruchnahme stadtentwicklungs- und wohnungsbaupolitischer Fördergelder (Donzelot 2007). Der Lai SRU nachfolgende Gesetze und Verordnungen des konservativen Städteministers Borloo, der nach dem Regierungswechsel 2002 ins Amt kam, zementierten diesen Kurs und machten ihn zum allgemeinen Leitkurs der staatlichen Intervention zugunsten der sozialen Stadtentwicklung. Wie in Kap. 5.3 dargelegt worden ist, war der Dezentralisierungsvorstoß von DIV und DATAR/DIACT insgesamt schon aufgrund der städtischen ,Verweigerungshaltung' von Misserfolg gekrönt. Der weit überwiegende Teil der französischen URBAN II-Städte hatte nicht den Anspruch, selbst die Verantwortung für die Implementation des europäischen Programms zu übernehmen. Lediglich zwei der neun französischen URBAN II-Städte machten von dieser Option Gebrauch, darunter Le Havre. Die Umsetzung von URBAN II stellte sich dabei in der Rückschau als ein Ausweis für das Scheitern des zentralstaatlichen Ansatzes einer experimentellen Dezentralisierung der Politique de la Ville über die europäische Initiative dar. Wenn in diesem Kontext der Begriff des "Gatekeeping" verwendet werden kann, so traf diese Beschreibung auf das Verhalten der lokalen Behörden zu. Allerdings standen sie nicht der EU-Stadtentwicklungspolitik und ihren Ideen grundsätzlich ablehnend gegenüber, sondern waren vielmehr gegenüber dem zentralstaatlichen Einflussversuch skeptisch. Das Handeln der politischen Verantwortungsträger und lokalen Behörden in Le Havre war nicht dazu gemacht, ein ,gutes Beispiel' für eine gelungene Erweiterung der örtlichen Steuerungsgrenzen der Politique de la Ville abzugeben. Im Gegenteil, ebenso wie der Zentralstaat erkannte auch die Stadt die europäische Initiative in erster Linie als Gelegenheitsfenster zur Verwirklichung der eigenen Planungsziele. Nimmt man das Beispiel Le Havre, so ist es mit Hilfe von URBAN II nicht zu einer "Europäisierung" der sozialen Stadtentwicklungspolitik in Frankreich gekommen. Vielmehr steht die Stadt - in den Kategorien Radaellis gesprochen eher für einen Fall von "inertia" (2003: 37), sowohl, was die lokalen Tiefenwirkungen der GI betrifft, als auch, was das Interesse der städtischen Verantwortungsträger an der Bottom up-Weiterverbreitung des URBAN-Ansatzes und seiner Interventionsphilosophie über den eigenen kommunalen Horizont hinaus betrifft.
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Dieses fallbezogene Ergebnis relativiert sich allerdings, wenn der Umgang des Zentralstaates mit der EU-Stadtentwicklungspolitik in der post-URBAN II-Phase in der Analyse mitberücksichtigt wird. Wie in Kapitel 6 dargelegt wurde, setzt die französische Regierung in jüngster Zeit in Anknüpfung an die Lissabon-Strategie der EU den beschriebenen Kurs der indirekten Rezentralisierung der Politique de la Ville oder "Femeinwirkung" auf ihre lokalen Akteure durch die Schaffung halbstaatlicher Fachagenturen (ANRU, Acse) zur Steuerung der lokalen Politikimplementation in einzelnen stadtentwicklungspolitischen Teilbereichen allerdings weiter fort (Donzelot 2007: 379). Am Ende dieser Untersuchung ist fraglich, ob sich der mit dieser Strategie angestrebte Paradigmenwechsel über die breite Diffusion der neuen Leitideen für die (sozial) stadtentwicklungspolitische Intervention in Frankreich durchsetzen wird. Nimmt man den Fall Le Havres, so äußerten die städtischen Akteure Bedenken gegenüber der zentralstaatlichen und europäischen Erwartung, wonach aus einem entsprechenden Ansatzwandel für die öffentliche Intervention zugunsten benachteiligter Stadtgebiete eine Steigerung der staatlichen Problemlösungsfähigkeit erwachsen könnte (EI 43, 01.09.2008; EI 44, 12.11.2008). Insgesamt erscheint eine Umstellung der wohlfahrtsstaatlichen Politik zugunsten städtischer Problemviertel auf einen ,neuen, aktivierenden und wettbewerbsstaatlichen Maßstab' vor dem Hintergrund der beschriebenen Voraussetzungen denkbar, ist jedoch nicht zwingend. Die ,bremsende Kraft' stellt dabei die städtische oder lokale Ebene selbst dar. Sie, dies hat das Fallbeispiel Le Havre gezeigt, besitzt ein geringes Interesse daran, sich vom Staat seine wohlfahrtspolitischen Aufgaben (ohne völligen Kostenausgleich) übertragen zu lassen. Dies zeigt sich im Übrigen auch in anderen Politikbereichen, wie etwa der Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose RMI (Revenue minimum d'insertion). Auch hier, wo die Abgabe der direkten Solidaritäts- und Gemeinwohlverantwortung vom Staat an die lokale Ebene - im Fall der Sozialhilfe an die Departements - durch Aufgabendezentralisierung bereits erfolgt ist, ist dies für den Zentralstaat nicht zum ,billigen Preis' einer gleichzeitigen Reduzierung der Kosten der öffentlichen Leistungsproduktion zu haben (vgl. Reiter 2010). Die Gebietskörperschaften fordern hier, auch aus der politischen Stärke ihrer vielfach mit lokalem und nationalem Doppelmandat agierenden Verantwortungsträger, einen unverminderten Lastenausgleich (Hertzog 2004: 14). Auch im Fall Deutschlands bleibt die Gatekeeping-These zunächst mit Blick auf die Bundesebene ohne Erklärungskraft. Eine eigenständige zentralstaatliche Politik der sozialen Stadtentwicklung existierte hier zum Zeitpunkt der Ankunft von URBAN II angesichts der lediglich Rahmen setzenden Kompetenz des Bundes in der Raumordnungspolitik nicht. Das funktionale Äquivalent zur französischen Politique de la Ville, das Bund-Länder-Progtarnm "Soziale Stadt" wiederum, wurde von den Städtebauministern und -senatoren der Länder in der ARGEBAU zusammen mit dem Bundesbaurninisterium erst parallel zum Start von URBAN II
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ins Werk gesetzt. Mit Blick auf die Errichtung von "Soziale Stadt" kann dabei insoweit von einer Instrumentalisierung der EU-Stadtentwicklungspolitik durch die einschlägigen nationalen Akteure gesprochen werden, als jene Bundesländer, die sich als nationale Vorreiter der sozialen Stadtentwicklungspolitik betrachteten (z.B. NRW und Berlin), und jene, die aufgrund der Erfahrung mit der Implementation von URBAN I von der Problemlösungsfähigkeit der integrierten Stadtentwicklungsförderung ,überzeugt' waren (z.B. Brandenburg), die europäische GI im Kontext der Bund-Länder-Kooperation zur Städtebauförderung erfolgreich als ,Argumentationshilfe' für die Errichtung des nationalen Förderprogramms nutzen konnten (EI 35, 23.11.2006). Das städtebauliche Programm verblieb allerdings seither nicht nur im Status einer zwar erfolgreichen, jedoch gering ausgestatteten Initiative (Aehnelt 2007). Darüber hinaus gelang es dem auf Bundesebene zuständigen BMVBS als treibendem Akteur zur Verbreitung der neuen Interventionsphilosophie nicht, die notwendige Unterstützung der einschlägigen Bundesressorts zu mobilisieren. Dies jedoch wäre eine zentrale Voraussetzung für die flächendeckende Durchsetzung des Ansatzes einer integrierten Stadtentwicklungsförderung. Sie scheiterte vorerst an den Grenzen der bürokratischen Verwaltungsorganisation auf Bundes- und z.T. Länderebene. Dessen allgemeine Anerkennung bot den betroffenen Ressorts eine Rückzugsmöglichkeit auf ihre eigenen Aufgaben (Walther/Güntner 2005: 187). Gerade im deutschen Fall erscheint es damit offen, ob es zu einem "Paradigmenwechsel" (Frank 2008: 114) kommen kann. Auf der Ebene der für die Regulierung der Planung und Raumordnung hauptsächlich verantwortlichen Länder wiederum war eine über die Städtebauförderung hinausweisende soziale Stadtentwicklungsförderung bis zum Startzeitpunkt von URBAN II bereits vereinzelt Bestandteil der raumordnungspolitischen Aktion des Staates. Neben den Stadtstaaten rechnete auch das Land Nordrhein-Westfalen zum Kreis jener Länder, die den Ansatz einer integrierten, partizipativen und aktivierenden sozialen Stadtentwicklungsförderung bereits praktizierten und ihre raumordnungspolitischen Institutionensysteme, teils vor dem Hintergrund der URBAN I-Förderung, entsprechend angepasst hatten (vgl. Halpern 2005 zu Berlin). Auch für Deutschland und die hier untersuchten Bundesländer greift die These einer flexiblen, differenzierten Anpassung zur Analyse und Erklärung der Europäisierung der sozialen Stadtentwicklungsförderung. Auch im deutschen Fall bildete das Staat- (Land-) Stadt-Verhältnis eine wichtige Hintergrundvariable zur Erklärung des (Nicht-) Eintretens von Europäisierungswirkungen. Dabei erweist es sich als verfrüht, einen grundlegenden Wandel im Bereich der stadtbezogenen Raumordnungspolitik zu konstatieren. In einzelnen Bundesländern, so auch in NRW, diente URBAN II zur Fortsetzung des bereits eingeleiteten Wandels. Die auf der städtischen Ebene in Dortmund gesammelten Policy-Erfahrungen, z.B. im Teilbereich der lokalen Ökono-
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mie, wurden im Rahmen des nordrhein-westfälischen Landesnetzwerks der "Soziale Stadt"-Städte kommuniziert. Dabei trug das Land auch nach dem Wechsel von der sozialdemokratisch-grünen zur christdemokratisch-liberalen Regierung im Jahr 2005 den wettbewerbsstaatlichen ,Schwenk' der EU-Kommission zur Realisierung der Lissabon-Ziele im Rahmen der Stadtentwicklungförderung nicht vollständig mit. Hier wurde die Erfahrung URBAN zunächst dazu ,gebraucht', eigene Reformansätze in der Policy- und Verfahrensdimension der stadtentwicklungspolitischen Intervention über die Implementation der EU-Politik zu beschleunigen. Neben der Förderung der endogenen ökonomischen Entwicklungspotentiale auch in benachteiligten Stadtgebieten blieb in NRW die Investition in den wohlfahrtsstaatlichen Ausgleich sozialräumlicher Disparitäten in den Städten ein zentrales Politikziel des Landes. In anderen Bundesländern, so z.B. auch dem hier untersuchten SchleswigHolstein, hatten die mit URBAN I bis 1999 gesammelten Erfahrungen nicht zu einer Reorientierung des staatlichen Interventionsansatzes beigetragen. Eine solche Reorientierung erfolgte auch im Rahmen der Implementation der Nachfolgerinitiative URBAN II nicht. Vielmehr blieben die regionale und lokale Wirtschaftsstrukturförderung mit ihren traditionellen Zielen einerseits und die Städtebauförderung, in deren Rahmen Schleswig-Holstein seit 1999 u.a. am Programm "Soziale Stadt" teilnimmt, andererseits zwei voneinander getrennte Policy-Sphären. Die Dezentralisierung der Implementationsverantwortung für URBAN II auf die Stadt Kiel im Jahr 2004 war unter diesen Vorzeichen ein konsequenter Schritt der Landesregierung. Er spiegelte die passiv abwartende Haltung der Regierung und die Erwartung wider, wonach sich der Vorstoß der EU-Kommission in den Bereich der Stadtentwicklungsförderung mit dem Ende der Laufzeit der GI URBAN II gleichsam ,von selbst erledigen' werde und es daher nicht lohnte, nach ,Lernpotentialen' für das eigene raumordnungspolitische Handeln zugunsten der Städte Ausschau zu halten. Resümierend hat die Umsetzung der EU-Stadtentwicklungspolitik in Deutschland und Frankreich zuallererst den nicht-linearen Charakter von Europäisierung deutlich werden lassen. Die Reaktionen der nationalen Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen waren in beiden Mitgliedstaaten weniger durch "Gatekeeping" gekennzeichnet als durch ein Verhalten der flexiblen Anpassung oder durch Instrumentalisierungsansätze. Dieses Verhalten führte nicht zu einer allgemeinen Annäherung oder Konvergenzentwicklung der nationalen Interventionsmuster auf den Ansatz der EU-Kommission (u.a. auch deshalb nicht, weil der Kommissionsansatz selbst nicht konstant blieb). Die nationalen Akteure auf unterschiedlichen Ebenen reagierten in diesem Kontext pfadabhängig mit dem selektiven ,Einbau' der Ideen des EU-Modells in den eigenen raumordnungspolitischen Handlungskontext und modifizierten diese im Lichte der eigenen Handlungsformen, Ideen und Politikstile. Kennzeichnend für die nationalen Reaktionen auf den europäischen Innovationsimpuls war ein Instrumentalisierungsreflex im Sinne der eigenen, dem europäischen Modell zum jeweils gegebenen Betrachtungszeitpunkt
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mal näher stehenden, mal entfernteren Interessen und Ideen. Insgesamt ergibt sich damit ein national differenziertes, nicht eindeutig in den Kategorien von Anpassung oder Beharrung erfassbares Bild der Europäisierung der stadtbezogenen Raumentwicklungspolitiken in Deutschland und Frankreich. Es erscheint lohnenswert, dieses für zwei Altmitglieder der EU mit starkem Einfluss auf die Definition der EU-Strukturpolitik ermittelte Ergebnis durch weitere Forschungen zur Rezeption der EU-Stadtentwicklungspolitik in solchen Mitgliedstaaten zu überprüfen, die aufgrund ihrer höheren Angewiesenheit von der europäischen Strukturförderung eher als Policy-i.Taker", denn als "Shaper" (Börzel 2003) eingestuft werden könnten. Entsprechende Studien liegen für einige südeuropäische Mitgliedstaaten, namentlich Griechenland und Italien vor (vgl. Chorianopoulos 2002; Koutalakis 2003; Zerbinati 2004). Der Umgang der 2004 beigetretenen mittelosteuropäischen Mitglieder, die mit besonderen Stadtentwicklungsproblemen konfrontiert sind und die keine Erfahrungen mit der GI URBAN sammeln konnten, bietet sich hier als empirischer Gegenstand für weitere Untersuchungen an. "Europäisierung" als Gegenstand derpolitikwissenschriftlichen EU-Forschung Im Rahmen dieser Arbeit wurde, ausgehend von Radaellis Definition, die Europäisierung nationalen Policy-Makings als eine mögliche Wirkung der europäischen Stadtentwicklungspolitik in Deutschland und Frankreich mit erfasst. Damit wurde zugleich eine bestimmte Art europäischen Anpassungs- und Wandlungsimpulses in den Blick genommen (vgl. Auel 2005: 301-303). Es ging um die Transfer- und Framing-Tätigkeit der EU-Kommission in einem Politikfeld, in dem der EU von den Mitgliedstaaten keinerlei Kompetenzen übertragen worden sind und in dem die Kommission im Wesentlichen über "weiche" Steuerungsinstrumente verfügt. Das von Radaelli vorgeschlagene Konzept, das neo-institutionalistische Theoriebildung zum Ausgangspunkt nimmt und die Anwendung policy-analytischer Konzepte und Methoden empfiehlt, hat sich im Rahmen dieser Studie als sinnvoll erwiesen. Seine Anwendung als analytische Hintergrundfolie der Untersuchung hat zur Produktion teils überraschender Ergebnisse beigetragen. Einzelne, bestehende Annahmen über die nationalen Wirkungen der EU-Stadtentwicklungspolitik in den beiden hier betrachteten Mitgliedstaaten konnten damit relativiert werden. Dabei sind bestimmte bekannte methodische Probleme von Europäisierungsstudien auch im Rahmen dieser Untersuchung offenkundig geworden, namentlich: die Problematik der kausalen Rückbindung nationaler Wandlungsansätze an europäische Anpassungsimpulse, die zum Zeitpunkt ihrer Emission zugleich in Konkurrenz mit anderen exogenen oder endogenen Einflussfaktoren nationalen Institutionenwandels standen, das Problem der Annahme von internationalen Konvergenzentwicklungen aufgrund europäischer Einwirkung, und die Problematik einer
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graduell abstufenden Darstellung von Europäisierungseffekten (vgl. Eising 2003: 402). Deutlich geworden ist in dieser Studie zunächst erstens, wie bedeutend "Multikausalität", also die Gleichzeitigkeit des EU-Einflusses mit dem Einwirken weiterer Faktoren, die u.U, "zu den Veränderungen nationaler Akteure, Strukturen und Prozesse beitragen" (Eising 2003: 407), für das Studium von Europäisierung ist. In dieser Untersuchung war diese Herausforderung daher ,kontrollierbar', weil die fragliche EU-Policy, die europäische Stadtentwicklungspolitik, von der EUKommission mit der Gemeinschaftsinitiative URBAN in die Form eines Experiments gebracht und damit gleichsam in den Rahmen einer ,Laborsituation' gestellt worden ist. Die ,Probanden', die URBAN II-Städte, hatten dabei vorher ausdrücklich in die Zielsetzung der Innovation ihrer stadtentwicklungspolitischen Intervention eingewilligt. Anhand der Fallstudien und auch anhand der Beobachtungen zu den gesamtstaatlichen Reaktionen auf die europäische Stadtentwicklungsförderung konnte gezeigt werden, dass "Multikausalität" gerade eine Voraussetzung für die Wirkungsentfaltung der weitgehend weichen Politiksteuerung durch die Kommission bildete. Gerade dort, wo der Boden für Wandel und Anpassung bereits bereitet und eine normative übereinstimmung der staatlichen und kommunalen Akteure mit den Ideen des europäischen Modells gegeben war, entfaltete die EUEinflussnahme eine zusätzliche katalytische Wirkung. Die untersuchten Fallbeispiele zeigen allerdings auch, dass im Rahmen von Europäisierungsstudien stets das methodische Problem der Identifikation unterschiedlicher Einflüsse auf denselben Wandlungsprozess bestehen bleibt, da eine Laborsituation selten gegeben ist. Ein Ausweg aus diesem Dilemma der Analyse von Europäisierung könnte in der Ausdehnung des Europäisierungsstudiums im selben Policy-Bereich auf eine große ZaW unterschiedlicher Ausgangsfälle liegen. Deutlich geworden ist zweitens, dass - sofern mit Blick auf politische Akteure von ,,Lernen" gesprochen werden kann - entsprechende Reaktionen nicht allein auf die mitgliedstaatliche Ebene begrenzt bleiben, sondern auch auf der Ebene der EU beobachtet werden können. An dieser Stelle wird die vielfach kritisierte Künstlichkeit der Trennung von europäischer Politikformulierung einerseits und nationalen Effekten europäischen Policy-Makings andererseits sichtbar, die die Europäisierungsforschung aus methodischen Gründen zum Zweck der Komplexitätsreduktion vornimmt (Auel 2005: 311). In dieser Untersuchung wurde in diesem Zusammenhang auf die .Lernfähigkeit' der EU-Kommission, d.h., genauer der federführenden Generaldirektion Regionalpolitik sichtbar. Sie kehrte am Ende der 1990er Jahre beim Entwurf der GI URBAN II zur bewährten wettbewerbsstaatlichen Leitidee der EU-Regionalpolitik allgemein zurück, nachdem im Rahmen von URBAN I zwischen 1994 bis 1999 zeitweilig von diesem Pfad abgewichen worden war und in den URBAN I-Städten nicht nur entwick1ungsorientierte Raumordnungsprojekte im Bereich der Ökonomie, sondern auch ausgleichsorientierte, sozialpoli-
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tische Projekte als förderfähig anerkannt hatte. Es wird an diesem Beispiel deutlich, dass die Kommission im Laufe von Europäisierungsprozessen .lernt', indem sie ihr eigenes Handeln oder ihre Strategien gegenüber den Mitgliedstaaten immer wieder anpasst und aus unterschiedlichen Gründen auch anpassen muss. Ein Grund für eine solche Anpassung ergibt sich aus dem grundsätzlichen Ziel der Kommission, im je fraglichen Politikbereich einfluss fähig zu bleiben, auch und gerade, wenn ihr "harte" regulative Instrumente zur Politiksteuerung nicht zur Verfügung stehen (Sbragia 2000; Tömmel 2003: 137). Ein weiterer Grund sind Handlungszwänge, denen sich die Kommission beständig ausgesetzt sieht. Im vorliegenden Fall kehrte die GD Regio zu einem Zeitpunkt - ab Ende der 1990er Jahre - zur strukturpolitischen Leitnorm zurück, als sich die EU-Strukturpolitik an einem Wendepunkt befand. Dieser ist durch die Stichworte der Osterweiterung, der Forderungen einzelner Nettozahlerländer (z.B. Deutschland) nach einer Renationalisierung der Strukturpolitik und der Lissabon-Agenda charakterisiert. Vor diesem Hintergrund bekräftigte die GD Regio in mehreren strategischen Papieren den Nutzen der europäischen Politik für die Verwirklichung der Lissabon-Ziele. Unter anderem durch die Verknüpfung der Ziele der europäischen Strukturpolitik mit den von den Mitgliedstaaten vereinbarten Lissabon-Zielen und auch dem Thema der Stadtentwicklung als eines neuen, eigenen Förderziels gelang der GD-Regio dabei die Sicherung des eigenen Kompetenzbestands. Im Umkehrschluss musste die Ziel- und Themenverbindung bei der Konzipierung der strukturpolitischen Ziele und Instrumente für den Förderzeitraum 2000-2006 eine tatsächliche Grundlage in den strukturpolitischen Verordnungstexten und Programmen finden. Dies blieb ab dem Jahr 2000 auch für die Konzipierung und Formulierung der EUStadtentwicklungspolitik nicht ohne Folgen (Lenschow/Reiter 2007: 178). Drittens schließlich hat sich in dieser Studie die Schwierigkeit einer graduell abgestuften Bewertung der Europäisierung vergleichbarer nationaler Politiken in unterschiedlichen Mitgliedstaaten bestätigt. Auf eine Abstufung der in den Fallkommunen erfassten Wirkungen der EU-Stadtentwicklungspolitik nach ,Europäisierungsgraden', wie von Radaelli vorgeschlagen (2003: 37f.) und in manchen Studien zur Europäisierung der Stadtpolitik und/oder der Städte erprobt (vgl. Wolffhardt et al. 2005: 104), wurde hier bewusst verzichtet. Um auf dieser Ebene den EU-Einfluss in der Stadtentwicklungspolitik vergleichend zu erfassen, schien eine über die Unterscheidung der Extrempole ,Beharrung' und ,Angleichung' hinausreichende Basisdifferenzierung von Wirkungsgraden von vorn herein wenig Erkenntnisgewinn zu erbringen. So konnte mit der Gegenüberstellung der institutionellen Rahmenbedingungen für die kommunale Verarbeitung des EU-Impulses in beiden Ländern gezeigt werden, dass die Europäisierung unter teils höchst unterschiedlichen Vorzeichen stattfand. Die Aussagekraft einer Gradunterscheidung der Europäisierung auf Grundlage der Implernentationsstudien in den Städten war daher von Anfang an gering einzuschätzen. Nichtsdestotrotz handelte es sich nicht um
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einen ,Vergleich von Äpfeln und Birnen'. Nicht nur blieb der exogene Wandlungsimpuls der EU-Kommission innerhalb des für die Fallstudien angelegten Untersuchungszeitraums konstant. Auch starteten beide Mitgliedstaaten und die einzelnen Städte, jeweils im Kontext ihres eigenen phasensepzifischenPolicy-Subsystems betrachtet, von einer Ausgangsposition der vergleichsweise ausgeprägten Annäherung der nationalen Policies zur Rezeption des Europäisierungsimpulses an das mit der europäischen Stadtentwicklungspolitik verbundene Ideengerüst. In diesem Kontext ist weniger eine Gradunterscheidung als vielmehr die Frage nach der Tiefe oder Intensität sowie den Gründen der Annäherung für das Studium der Europäisierung aussagekräftig. In dieser Hinsicht konnte hier gezeigt werden, dass die freiwillige Anpassung der Handlungsorientierungen der Akteure auf den einzelnen Ebenen an die Vorgaben des europäischen Interventionsmodells zugunsten der Entwicklungsförderung in (benachteiligten) Stadtteilen grundsätzlich interessenbasiert erfolgt, auf Ideenkompatibilität beruht und pfadabhängig verläuft. Letztlich bleibt hier festzuhalten, dass Europäisierung als "Wirkung" einer Policy-spezifischen Einflussnahme der EU (-Kommission) zunächst vor allem in der Breite auf nationaler Ebene zwischen den Mitgliedstaaten gleich gerichtete Anpassungsreaktionen in Form der (formalisierten oder programmtischen) Übernahme europäischer Policy-Inhalte bis hin zu "Paradigmen" hervorrufen kann. Dies ist eher dort zu erwarten, wo die europäischen Veränderungsimpulse mit "harten", regulativen Instrumenten gesetzt werden und mit einer hohen Sanktionsmacht unterlegt sind und weniger dort, wo die EU-Kommission sich auf die Wirkung "weicher" Steuerungsinstrumente verlassen muss. In der Tiefe, über alle Etappen und auf allen Ebenen des fe1dspezifischen Public Policy-Makings hinweg, scheint Angleichung oder Konvergenz hingegen höchst unwahrscheinlich, denn dies würde eine Annäherung der ,Ideenhaushalte' der Schlüsselakteure auf allen beteiligten Ebenen nicht nur in inhaltlicher, sondern auch zielbezogen-instrumenteller, prozeduraler und sttukturbezogener Hinsicht voraussetzen. Unter diesen Vorzeichen kann erwartet werden, dass die europäischen Vorgaben im Zuge ihrer nationalen Verarbeitung stets im Sinne der national je vorherrschenden Ideen und Normen deformiert übernommen werden.
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Übersicht der Experteninterviews
Experteninterviews (EI) 1-9, 14-17 und 41:
• • •
Stadt Kiel (Verwaltung/städt. Ämter, Politik [Ratsherren/-frauen, Ortsbeiräte], nicht-kommunale [Stadtteil-] Akteure: Kieler Wirtschafts förderung, Stadtteilbüros, Projektmanagement, IHK Kiel, soziale Trägerorganisationen, Agentur für Arbeit Kiel) Landesregierung Schleswig-Holstein (Wirtschaftsministerium, Innenministerium) DGB Region K.E.RN. Schleswig-Holstein
EI 18-21 und 42: •
Stadt Dortmund (Verwaltung/städt. Ämter, WBF-Do, Politik, nichtkommunale [Stadtteil-] Akteure: Stadtteilschulen, Vereine, Quatiersmanagement, awb Nordstadt)
EI 25-28 und 43- 44, 29-30 und 31-32:
• • • •
Stadt Le Havre (Verwaltung/städt. Ämter, Politik/Exekutivleitung, Wirtschaftsförderungsgesellschaft ,,Le Havre Developpement", Communaute d'Agglomeration Havraise) Departement Seine-Maritime (Generalrat) Region Haute-Normandie (Regionalrat) Präfektur der Region Haute-Normandie und des Departements SeineMaritime
EI 10-13 und 34-40:
• • •
Europäische Kommission, Generaldirektion Regionalpolitik, Referat D2: URBAN und städtepolitische Angelegenheiten Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
R. Reiter, Politiktransfer der EU, DOI 10.1007/978-3-531-92642-1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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• • • • • •
Übersicht der Interview-Partner und -Institutionen
Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. (DV), Repräsentanz in Brüsse1; Deutsch-österreichisches URBAN-Netzwerk Reseau URBAN France Representation Permanente de 11 France aupres de l'Union Europeenne, Mission pour 11 Politique regionale Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, Zuständigkeitsbereich Raum- und Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen Delegation Interministerielle a 11 Ville (DIV), Mission Europe et Internationale Deutscher Städtetag