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Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Möller, H.-J., W.E. Müller, u.a.: Innovation und Wandel der antidepressiven Therapie in Deutschland (ISBN 9783131344618) © 2006 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
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Innovation und Wandel der antidepressiven Therapie in Deutschland Herausgegeben von H.-J. Möller, W. E. Müller, M. Schmauß Mit Beiträgen von B. Bandelow M. Bauer F. Bergmann J. Fritze W. Gaebel M. Gastpar H. P. Kapfhammer
G. Laux W. Maier R. Menke H.-J. Möller L. G. Schmidt H.-P. Volz
9 Abbildungen 24 Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
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IV
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
© 2006 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart Telefon: + 49/0711/8931-0 Unsere Homepage: http://www.thieme.de Printed in Germany Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach Satz: Druckerei Sommer, Feuchtwangen Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH, Zwickau ISBN 3-13-134461-X ISBN 978-3-13-134461-8
Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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V
Adressen
Herausgeber: Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität Nußbaumstraße 7 80336 München Prof. Dr. rer. nat. Walter E. Müller Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaftler Biozentrum Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Max von Laue Straße 9 60438 Frankfurt am Main Prof. Dr. med. Max Schmauß Bezirkskrankenhaus Augsburg Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Mackstraße 1 86156 Augsburg
Autoren: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Borwin Bandelow Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Göttingen von-Siebold-Straße 5 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Bauer Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Charité-Mitte (CCM) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Schumannstraße 20/21 10117 Berlin Dr. med. Frank Bergmann Theaterplatz 17 52062 Aachen
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Adressen
Prof. Dr. Jürgen Fritze Asternweg 65 50259 Pulheim Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel Rheinische Kliniken Düsseldorf, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Bergische Landstraße 2 40629 Düsseldorf Prof. Dr. med. Markus Gastpar Rheinische Kliniken Essen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen Virchowstraße 174 45147 Essen Prof. Dr. med. Dr. phil. Hans Peter Kapfhammer Universitäts-Klinik für Psychiatrie Medizinische Universität Graz Auenbruggerplatz 31 A-8036 Graz Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux Bezirksklinikum Gabersee Gabersee 7 83512 Wasserburg a. Inn Prof. Dr. med. Wolfgang Maier Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn Ralph Menke, MA Rheinische Kliniken Düsseldorf, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Bergische Landstraße 2 40629 Düsseldorf Prof. Dr. med. Lutz G. Schmidt Psychiatrische Klinik und Poliklinik Johannes-Gutenberg-Universität Untere Zahlbacherstraße 8 55131 Mainz Prof. Dr. Hans-Peter Volz Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck Balthasar-Neumann-Platz 1 97440 Werneck
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VII
Inhalt
1
Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation – eine Übersicht auf der Basis der Literatur seit dem Jahr 2000 . . . 1 Hans-Jürgen Möller
2
Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen bei somatischen Erkrankungen . . . 13 Gerd Laux
3
Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie . . . 21 Borwin Bandelow
4
Medikamentöse Behandlung der Panikstörung . . . 30 Markus Gastpar
5
Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung . . . 39 Hans Peter Kapfhammer
6
Effektivität leitlinienorientierter Therapie . . . 66 Ralph Menke, Wolfgang Gaebel
7
Anmerkungen zur Versorgungssituation von Patienten mit Angststörungen in der täglichen Praxis . . . 76 Frank Bergmann
8
Methodologische Probleme von Meta- und Poolanalysen . . . 81 Wolfgang Maier, Hans-Jürgen Möller
9
Metaanalysen neuer Antidepressiva . . . 90 Hans-Peter Volz
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VIII
Inhalt
10 Suizidalität und Überdosierungstoxizität während des Einsatzes von Antidepressiva . . . 100 Lutz G. Schmidt
11 Pharmaökonomie . . . 107 Jürgen Fritze
12 Rezidivprophylaxe depressiver Störungen . . . 120 Michael Bauer
13 Innovation und Wandel in der antidepressiven Therapie in Deutschland – Kernaussagen und Schlussfolgerungen . . . 129 Hans-Jürgen Möller
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IX
Vorwort – „Antidepressiva State of the Art“
Die Behandlung von Depressionen und Angststörungen hat sich im Laufe der psychopharmakologischen Entwicklung der letzten 10 Jahre erheblich verändert und bietet prinzipiell mehr Möglichkeiten als früher. Allerdings wird dieser therapeutische Fortschritt bisher nur beschränkt eingesetzt. So wurde durch Untersuchungen der letzten Jahre immer deutlicher, wie groß das Problem des Nicht-Erkennens depressiver Erkrankungen ist. Man geht davon aus, dass nur etwa 50 % der Depressiven einen Arzt aufsuchen, und von diesen 50 %, die den Arzt aufsuchen, werden wiederum nur 50 % als depressiv diagnostiziert und davon dann nur 50 % behandelt. Das sind erschreckende Zahlen von „underdiagnosing“ und „undertreatment“ in einem an sich sehr gut finanzierten, adäquat organisierten Gesundheitssystem und einem differenzierten psychiatrischen Versorgungssystem, wie es in Deutschland existiert. Die Situation bezüglich der Diagnostizierung und Behandlung von Angststörungen scheint noch wesentlich schlechter zu sein. In beiden Bereichen besteht ein erheblicher Optimierungsspielraum. Ein Teil der diesbezüglichen Probleme kann durch Awareness- und Edukationsprogramme gelöst werden, insbesondere kann die Diagnostik der Depression dadurch verbessert werden. Das hat u. a. das Nürnberger Projekt zur Früherkennung der Depression und zur Reduzierung der Häufigkeit suizidalen Verhaltens belegt. Auch im Bereich der psychopharmakologischen Behandlung selbst bestehen erhebliche Optimierungsspielräume. Gerade in Deutschland werden noch sehr viel klassische Trizyklika mit ihren nicht nur subjektiv belastenden, sondern zum Teil auch medizinisch relevanten (z. B. Gefahr tödlicher Intoxikation) Nebenwirkungen verschrieben. Deutschland nimmt mit diesem Behandlungskonservatismus eine besondere Rolle im Vergleich zu anderen Industrienationen ein. Die Entwicklung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und anderer moderner Antidepressiva, wie der dualen Antidepressiva, hat es insgesamt für den Arzt viel leichter gemacht, die Patienten in einer relativ komplikationsfreien und wenig durch Nebenwirkungen belasteten Weise zu behandeln und so Compliance und Lebensqualität der Patienten zu bessern. Diese Chancen werden aber bisher in Deutschland aufgrund des erwähnten Behandlungskonservatismus zu wenig genutzt. Im Bereich der Angsterkrankungen haben sich interessante Entwicklungen ergeben, indem die früher vorrangige Behandlung mit Benzodiazepinen immer mehr in eine Behandlung mit Antidepressiva übergegangen ist. Gerade die Differenzierung der Angsterkrankungen in verschiedene syndromale Einheiten wie generalisierte Angsterkrankung, Panikerkrankung, soziale Phobie und andere mehr hat dazu geführt, dass die modernen Antidepressiva in allen diesen Indikationen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit untersucht worden sind, wobei in allen genannten Subgruppen von Angsterkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen eine Wirksamkeit und gute Verträglichkeit der modernen Antidepressiva nachgewiesen werden konnte. Dadurch werden die Angsterkrankungen,
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X
Vorwort – „Antidepressiva State of the Art“
ursprünglich vorrangig eine Domäne der psychotherapeutischen Behandlung, immer mehr auch in den Bereich der pharmakotherapeutischen Möglichkeiten gerückt. Gemäß moderner Behandlungskonzeptionen ist die medikamentöse meistens nicht die alleinige Behandlung im Bereich der Depression und insbesondere nicht im Bereich der Angststörungen. Häufig wird die Co-Therapie, insbesondere mit fokussierten psychotherapeutischen Verfahren aus dem Bereich der Verhaltenstherapie, als wichtige Ergänzung und Behandlungsoptimierung angesehen. Leider ist die Entwicklung neuer Substanzen, die ganz anderen psychopharmakologischen Prinzipien folgen als der Beeinflussung der depressionsrelevanten Transmitter, bisher nicht erfolgreich gewesen. Sowohl z. B. die Entwicklung von Substanz-PRezeptor-Antagonisten als auch die Entwicklung von CRF-Rezeptor-Antagonisten haben bisher nicht zu klinisch einsetzbaren Produkten geführt. Umso mehr sind die Verbesserungen im Bereich der eher den klassischen pharmakologischen Prinzipien folgenden Substanzen bedeutsam und auch vermeintlich kleinere Fortschritte können für die Behandlungsoptimierung von großer Bedeutung sein. In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung von Escitalopram ein interessanter innovativer Schritt, nachdem die weitere Forschung zeigte, dass das aktive Enantiomer wirksamer ist als die doppelte Dosis des Racemats. Dies führte zu theoretischen Überlegungen, welche die pharmakologische Sonderstellung des Escitaloprams in der Gruppe der SSRI im Sinne einer besonderen Wirkung am Serotonin-Transporter begründet. Zugegebenermaßen schreitet der Fortschritt im Bereich der klinischen Psychopharmakologie relativ langsam voran. Die damit verbundenen finanziellen Investitionen schlagen sich leider in den höheren Preisen für Medikamente nieder. Es ist wichtig, dass wir die jeweils erreichten Fortschritte im stationären und ambulanten Bereich auch anwenden können und dass finanzielle Restriktionen des Gesundheitssystems nicht die Nutzung dieser erreichten Möglichkeiten behindern. Die an sich sinnvolle evidenzbasierte Medizin, die durch komprimierte Zusammenfassung des Wissens den Behandlungsstandard festzulegen versucht, kann leicht im Sinne von vorwiegend finanziell motivierten Restriktionen missbraucht werden. Auch deshalb müssen wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Evidenzbasierte Medizin und im Zusammenhang damit Therapieempfehlungen und Leitlinien sowie andere konsensuelle Zusammenfassungen des Wissensstandes sind auch in der Psychiatrie bzw. Psychopharmakotherapie zu einem wichtigen Teil der Qualitätsverbesserung und -sicherung geworden, um eine ausreichende Rationalität der Diagnostik und Therapie zu gewährleisten. Es besteht kein Zweifel, dass dies ein wichtiges Anliegen ist und dass Leitlinien angesichts des für den einzelnen Arzt meist nicht mehr zu durchschauenden komplexen und komplizierten Wissensstandes, z. B. zur Behandlung einer bestimmten psychiatrischen Erkrankung, eine große Entscheidungshilfe sein können. Viele nationale und internationale psychiatrische Fachgesellschaften haben sich in den letzten Jahren bemüht, Therapieempfehlungen oder Leitlinien zu erstellen. Im Bereich der deutschen Psychiatrie bzw. Psychopharmakotherapie sind u. a. verschiedene Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sowie die Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu nennen. Auf internationaler Ebene sind insbesondere die von der amerikanischen psychiatrischen Fachgesellschaft (APA) herausgegebenen, aber weit über die amerikanische Psychiatrie hinaus verbreiteten „guidelines“ zu nennen. Weitere im internationalen Umfeld zunehmend etablierte Leitlinien sind diejenigen der World Federation of Societies of Biological Psychiatry.
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Vorwort – „Antidepressiva State of the Art“
XI
Parallel zu der in diesem Zusammenhang entwickelten Leitlinienkultur hat sich die Qualitätssicherung entwickelt, die im Sinne von Selbstkontrollmaßnahmen der Ärzteschaft, möglicherweise aber in Zukunft auch per Fremdkontrolle durch entsprechende Institutionen des Gesundheitssystems, garantieren soll, dass evidenzbasierte Medizin, wie sie in Therapieempfehlungen bzw. Leitlinien festgeschrieben ist, von der Ärzteschaft durchgeführt wird. Schon allein wegen dieser normativen Implikationen der evidenzbasierten Medizin darf dieser prima vista so sinnvoll klingende Ansatz nicht ohne kritische Hinterfragung hingenommen werden; denn er steckt, was meistens von den Protagonisten verschwiegen wird, voller Detailprobleme. Der im Kontext der evidenzbasierten Medizin und Leitlinienkultur gern erwähnte Begriff der rationalen Therapie hat eine Doppeldeutigkeit: Er hat nicht nur die sprachliche Beziehung zur „ratio“ im Sinne von Vernunft, sondern es besteht auch ein enger sprachlicher Zusammenhang mit der Rationalisierung im Sinne der Einsparung von Mitteln. Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass die evidenzbasierte Medizin und die Leitlinienbewegung im zeitlichen Zusammenhang mit der zunehmend wachsenden Ressourcenproblematik im Gesundheitssystem entstanden sind, mit der an sich positiven Zielsetzung, knapper werdende Ressourcen möglichst optimal einzusetzen. Dies hat möglicherweise den Nachteil – zumindest wird dies von vielen Kollegen befürchtet –, dass Vorgaben in den Leitlinien dazu benutzt werden könnten, die Behandlungsmöglichkeiten in inadäquat restriktiver Weise einzugrenzen. Schlussendlich könnten z. B. medikamentöse Behandlungsoptionen übrig bleiben, die eher nach dem Gesichtspunkt der Traditionalität als dem der Modernität ausgewählt werden, was angesichts der Höherpreisigkeit der modernen Medikamente einem Sparansatz gleichkäme, gleichzeitig aber auch therapeutische Fortschritte hemmen würde. In diesem Spannungsfeld werden sich die Aktivitäten des neu geschaffenen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen bewegen, die pharmakoökonomischen Gesichtspunkten in besonderem Maße Rechnung tragen werden. Letzteres wird möglicherweise dazu führen, dass ganze Medikamentengruppen für bestimmte Indikationsbereiche nicht mehr im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert werden. Schon jetzt ist aus Pressemitteilungen des Instituts zu entnehmen, dass mehrere Psychopharmaka-Gruppen ins Visier genommen werden sollen, u. a. die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Man darf gespannt sein, ob das Bewertungsergebnis diese als teure „Me-too-Präparate“ einstufen könnte, die pharmakoökonomisch betrachtet keinen Vorteil hätten. Auch wenn Therapieempfehlungen und Leitlinien, im Gegensatz zu Richtlinien, den Arzt nicht völlig im Sinne der priorisierten Therapieoptionen verpflichten, besteht doch die nicht unbegründete Sorge, dass sie z. B. von gesellschaftlich relevanten Kräften des Gesundheitssystems überinterpretiert werden, was zu weitergehenden Konsequenzen führen könnte, z. B. dass eine Krankenkasse einen bestimmten Therapieansatz nicht zahlt bzw. dass eine kassenärztliche Vereinigung empfiehlt, bestimmte Medikamente nicht mehr zu verschreiben. Eine solche Entwicklung ist angesichts der Tatsache zu befürchten, dass Leitlinien die Komplexität des jeweiligen Bereiches u. a. aufgrund der notwendigen Kürze der Ausführungen, der generalisierenden Abstraktion und der immanenten Methodenprobleme zum Teil in exzessiver Weise vernachlässigen, was insbesondere einem diesbezüglich nicht näher fachkundigen Entscheidungsträger, z. B. einem Krankenkassenrepräsentanten, nicht deutlich wird. Was in der Leitlinie als „evidentes Faktum“ dargestellt wird, muss
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XII
Vorwort – „Antidepressiva State of the Art“
möglicherweise in der Regel weiterhin hinterfragt werden und bedarf bei Anwendung auf den Einzelfall einer oft erheblich weitergehenden Differenzierung. Als ein erweitertes Methodenproblem muss die einseitige Priorisierung der Metaanalyse als Weg der Evidenzfindung gesehen werden. Insbesondere die methodischen Grundprobleme und implizierten Verzerrungsmöglichkeiten der Resultate der Metaanalysen bedürfen dringend der Offenlegung und Grundsatzdiskussion. Andere, eher organisatorisch-technische Probleme der Leitlinienentwicklung, wie die Vorgehensweise bei der Auswahl der Experten für die diesbezügliche Expertenkommission und die Art des Abstimmungsprozesses in diesen Gremien sowie die diesbezüglichen Beeinflussungsmöglichkeiten von verschiedener Seite, sind von großer Relevanz und können in erheblichem Maße das Ergebnis beeinflussen. Versuche der Einflussnahme über diese eher organisatorisch-technischen Faktoren können von verschiedenen Interessengruppen ausgehen. Nicht nur die im Kontext der Beeinflussung des Verschreibungsverhaltens der Ärzte immer wieder gescholtene pharmazeutische Industrie ist als potenzielle Interessengruppe zu sehen. Auch staatliche Institutionen des Gesundheitssystems oder Institutionen der Ärzteschaft sind diesbezüglich oft nicht so „unschuldig“, wie sie es vorgeben. Man denke z. B. an die in Deutschland mit besonderer Intensität geführte Debatte über den Vorteil der atypischen Neuroleptika und die konträren Positionen der eben erwähnten Gruppen. Schließlich sei die Problematik erwähnt, dass Leitlinien aufgrund ihrer rückwärts gerichteten Sichtweise, insbesondere bei länger dauernder Leitlinienentwicklung, eher zu konservativen Therapieentscheidungen führen und dem jeweiligen aktuellen Fortschritt nicht ausreichend Rechnung tragen können. Dies ist insbesondere dann von praktischer Relevanz, wenn die Vorgaben für die Entwicklung von Leitlinien immer größere Anforderungen (wie z. B. in Deutschland die so genannten S3-Leitlinien) stellen und die Entwicklung einer Leitlinie 2 bis 3 Jahre dauern kann. Da sich die daran beteiligten Experten den zeitlichen Aufwand nicht andauernd leisten können und obendrein die Kosten einer solchen Leitlinienentwicklung immens sind, hat das zur Folge, dass an eine Revision erst nach mehreren Jahren zu denken ist. Angesichts der bekannten kurzen Halbwertszeit medizinischen Wissens ist eine so lange Gültigkeitsdauer von Leitlinien nicht zu vertreten. Nur beiläufig sei bemerkt, dass der finanzielle Aufwand für die S3-LeitlinienEntwicklung eine Größenordnung erreicht, für den, angesichts fehlender anderer finanzieller Ressourcen, nur die pharmazeutische Industrie als Geldgeber in Betracht kommt, was per se als Problem angesehen werden muss, auch wenn es sich um eine gepoolte Sponsorierung handelt. In einer wissenschaftlichen Konferenz im April 2005, veranstaltet in der Psychiatrischen Klinik der Universität München, diskutierten Experten aus der deutschen Psychiatrie und Psychopharmakologie die Fortschritte der psychopharmakologischen Therapie in den Bereichen der Depression und Angststörungen und versuchten, den „State of the Art“ der derzeitigen psychopharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten in diesem Bereich zu definieren. Die Konferenz wurde von der Firma Lundbeck dankenswerter Weise organisiert und finanziell unterstützt. Im September 2005
Prof. Dr. H.-J. Möller Prof. Dr. W. E. Müller Prof. Dr. M. Schmauß
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1
Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation – eine Übersicht auf der Basis der Literatur seit dem Jahr 2000 Hans-Jürgen Möller
1.1
Einleitung
Die folgende Übersicht beleuchtet die Schwierigkeiten erwachsener Patienten mit unipolarer Depression, eine therapeutisch wünschenswerte Therapie mit Antidepressiva einzuhalten. Auf der Grundlage der einschlägigen Publikationen seit dem Jahr 2000 geht es im folgenden Beitrag um die Formen der mangelnden und fehlenden Compliance bzw. Adhärenz (kurz: Non-Compliance, Non-Adhärenz), ihre Folgen, das Ausmaß des Problems, die vielfältigen Ursachen sowie um Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance bzw. Adhärenz. Beide Begriffe wie auch ihre Gegenbegriffe Non-Adhärenz und Non-Compliance lassen sich nur willkürlich klar voneinander trennen und werden daher in der Folge quasi als Synonyme benutzt. 1.1.1
Formen der Non-Compliance
Non-Compliance kommt in zahlreichen Formen vor: als eigenmächtige Verminderung oder Steigerung der Dosis, als seltenere oder nur gelegentliche Einnahme, als Unterbrechung oder eigenmächtige Beendigung der Therapie sowie als ein mit dem Arzt nicht vereinbarter Wechsel auf ein früher angewendetes Präparat oder eine andere Ersatztherapie. In der Praxis besteht oft das Problem des eigenmächtigen vorzeitigen Therapieabbruchs, was oft als Non-Adhärenz (im engeren Sinne) bezeichnet wird. 1.1.2
Depression als Faktor der Non-Compliance
Eine Besonderheit bei der Depression besteht darin, dass sie per se zu einer schlechten Compliance beitragen kann. Dieser Effekt ist an Patientengruppen zu beobachten, die sich in Kollektive mit und ohne Begleitdepression aufzweigen: In einer Studie von Gehi et al. (2005) an Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung hatten 204 der 904 Teilnehmer eine Depression. Von den depressiven Patienten gaben 14 %, von den nicht depressiven 5 % Complianceverstöße zu (p < 0,001). Ziegelstein (2001) konstatierte ausgeprägte Complianceprobleme bei depressiven Patienten in Rekonvaleszenz nach einem Myokardinfarkt. Eine Metaanalyse von DiMatteo et al. (2000), basierend auf 12 Studien zu mehreren Indikationen der Arzneimitteltherapie, fand bei depressiven Patienten ein dreifach höheres Risiko für Non-Compliance als bei nicht depressiven.
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
1.1.3
Folgen der Non-Compliance
Non-Compliance bzw. Non-Adhärenz gehören nach Sonawalla und Fava (2001) zu den Faktoren, die das Therapieergebnis (Outcome) bei einer schweren Depression maßgeblich negativ beeinflussen. Melartin et al. (2005) bezeichnen die Kontinuität der Therapie (Adhärenz) als die Hauptherausforderung bei einer schweren Depression. Eine zu frühe Beendigung der Therapie, die bei der Hälfte der 269 Patienten auftrat, war mit einem schlechteren Outcome assoziiert. Die Response- wie auch die Remissionsrate in der 2-Jahres-Studie von Akerblad et al. (2006) waren weitaus höher unter den adhärenten als unter den nicht adhärenten Patienten. Nach Manning und Marr (2003) sowie nach Sood et al. (2000) sind Therapieabbruch und NonCompliance mit rekurrenten Depressionsphasen assoziiert. In einer Studie von Reimherr et al. (2001) mit 55 depressiven Patienten unter (intendierter) FluoxetinTherapie über 62 Wochen war Non-Compliance einer der Faktoren, der mit der Rückkehr der depressiven Symptomatik im Laufe eines Jahres verbunden war; weitere Faktoren waren persönlicher Stress, Eheschwierigkeiten und Therapieversagen. Eine US-amerikanische Untersuchung von Mundt et al. (2001) an 246 depressiven Patienten wies eine klare Korrelation zwischen der initialen Therapiedauer und dem Outcome nach. Die Vergleichsstudie von Thompson et al. (2000) an 152 depressiven Patienten, die mit Fluoxetin oder einem trizyklischen Antidepressivum behandelt wurden, ergab keinen signifikanten Unterschied bezüglich der Präparate, während die complianten Patienten in beiden Therapiearmen einen Vorteil im Hamilton Depression Scale Score gegenüber den nicht complianten hatten. Einen Kontrapunkt setzt die Studie von Aikens et al. (2005) an 573 depressiven Patienten. Hier führte die skeptische Einstellung gegenüber dem Antidepressivum zu Therapiebeginn zwar zu einem um 62 % erhöhten Risiko einer Non-Adhärenz. Die betreffenden Patienten wiesen aber nach 9 Monaten im Mittel weniger depressive Symptome als die adhärenten auf, was möglicherweise mit positiven Spontanselektionskriterien zu erklären ist.
1.2
Ausmaß und Häufigkeit der Non-Compliance
Die Angaben zur Häufigkeit von Non-Compliance in den Publikationen seit 2000 sind sehr unterschiedlich. Zur Bewertung dieser Angaben sind die näheren Umstände – u. a. Art der Non-Compliance, Kennzeichen des untersuchten Kollektivs, Dauer der Therapie – zu würdigen. Die für die folgende kurze Analyse der Häufigkeit herangezogenen 25 Studien sind im Literaturverzeichnis genannt. Danach erscheinen folgende Aussagen zulässig: Im Langzeitbereich (meist 6 Monate untersucht) liegt die Rate der Non-Compliance jeder Art bei mindestens 25 %; die Grenze nach oben dürfte bei etwa 80 % liegen. Resultate besonders bemerkenswerter Arbeiten (u. a. Melartin et al. 2005, Demyttenaere et al. 2001, Aubert et al. 2003, Akerblad et al. 2003, Hansen et al. 2004, Keene et al. 2005) bewegen sich im Bereich von 40 – 55 %, so dass wahrscheinlich etwa die Hälfte der depressiven Patienten gegenüber ihrer antidepressiven Therapie nicht compliant ist. In den Publikationen mit kürzerer Beobachtungszeit (2 – 3 Monate) liegen die Non-Compliance-Raten weitgehend im selben Bereich wie bei längerer Beobachtung, was darauf hinweist, dass sich das Complianceverhalten in den ersten 3 Monaten entscheidet. Die Non-Com-
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1.3 Ursachen der Non-Compliance
3
pliance-Rate bei älteren Patienten könnte spekulativ etwas höher als bei jüngeren liegen. Die Patienten mit kompletter Non-Compliance bzw. Non-Adhärenz, die sich an überhaupt nichts halten, könnten ab einem Zeitpunkt im Therapieverlauf ca. 40 % der Patienten mit Non-Compliance ausmachen (Gasquet et al. 2001, Maidment et al. 2002). Die Rate der verheimlichten Non-Compliance liegt hier bei 9 – 33 % (Akerblad et al. 2003, Demyttenaere et al. 2001, Reis et al. 2004, Kobak et al. 2002); das bedeutet, dass etwa ein bis zwei Drittel der nicht complianten Patienten dies vor ihren Ärzten verschleiert.
1.3
Ursachen der Non-Compliance
Die Ursachen der Non-Compliance bzw. Non-Adhärenz sind vielfältig und in ihren inneren Zusammenhängen komplex. Zahlreiche Untersuchungen ermittelten Ursachen und Einflussfaktoren, die sich auf den Patienten, den Arzt, das Medikament, das gesamte Therapiemanagement und die Therapiekosten beziehen (Tabellen 1.1 – 1.3). Für die folgende Analyse wurden 38 Publikationen seit dem Jahr 2000 herangezogen. 1.3.1
Ursachen und Faktoren von Seiten des Patienten und seiner Erkrankung
Beim Patienten laufen alle Ursachen und Faktoren der Non-Compliance zusammen, denn es ist schließlich seine Entscheidung, die empfohlene Therapie nicht einzuhalten. Sowohl das Gefühl der Besserung als auch die ausbleibende Besserung bzw. die empfundene Unwirksamkeit der Therapie können ihn dazu bewegen, die Therapie zu beenden oder zu vernachlässigen. Die Depression wurde bereits als Compliancehindernis erwähnt. Aber auch ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand und Begleiterkrankungen können die Therapiecompliance beeinträchtigen. Die quantitative Bedeutung der einzelnen Faktoren wird nicht deutlich. Nach Demyttenaere et al. (2001) gehört zwar das Gefühl der Besserung zu den häufigsten Ursachen eines vorzeitigen Therapieabbruchs bei Depression, ob aber beispielsweise das mangelnde Wissen des Patienten über die Depression und ihre Behandlung oder ob Persönlichkeitsmerkmale einen größeren Beitrag zur NonCompliance leisten, ist nicht klar. Ein hohes Non-Compliance-Risiko haben sicherlich Patienten, bei denen mehrere Faktoren, etwa eine extrovertierte, nach Autonomie strebende Persönlichkeit und falsche Vorstellungen zur Erkrankung, zusammenkommen. Einige Arbeiten (z. B. Piette et al. 2005) demonstrieren, dass bestimmte Faktoren (hier z. B. Therapiekosten) sich nur dann in einer schlechten Compliance manifestieren, wenn andere Faktoren (hier z. B. mangelndes Vertrauen in den Arzt) hinzukommen. Die Gesamtheit der Verordnungen ist gerade bei älteren Patienten mit kognitiven Problemen und Begleiterkrankungen zu beachten. Sachliche und organisatorische Probleme (z. B. Kosten, fehlende Transportmöglichkeiten) können zur Non-Compliance beitragen. Nahe Bezugspersonen des Patienten können sein Complianceverhalten maßgeblich beeinflussen (Tabelle 1.1).
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
Tabelle 1.1
Patienten- und erkrankungsspezifische Faktoren der Non-Compliance
R Gefühl der Besserung R ausbleibende Besserung, empfundene Unwirksamkeit der Therapie R Depression, schlechte Motivation R schlechtere selbst berichtete Gesundheit, Begleiterkrankungen R mangelnde/fehlende Information zum Medikament, zur Therapie R mangelnde/fehlende Aufklärung über die Natur der Erkrankung R Informationsquellen nur aus dem nicht medizinischen Bereich R Vorbehalte gegen die Einnahme von Antidepressiva R Furcht vor Abhängigkeit und Sucht R Furcht vor Nebenwirkungen R empfundenes Stigma durch antidepressive Medikation R mangelnde/fehlende Akzeptanz der Diagnose, Leugnung der Erkrankung R Wunsch, das Vorhandensein der Depression durch Absetzen der Medikamente zu prüfen R kognitive Störungen (Vergesslichkeit), Seh- oder Hörstörungen R Komplexität des medikamentösen Therapieregimes R andere Medikamente für wichtiger gehalten R Sorgen über Therapiekosten R geringer Glaube an die Kontrollmöglichkeit der Erkrankung R Extroversion, mangelnde Bescheidenheit, sensationsgierige Persönlichkeit R Persönlichkeit mit stärkerer Autonomiebestrebung R schlechte Kommunikation mit bzw. Beziehung zum Arzt R organisatorische Barrieren, z. B. fehlende Transportmöglichkeiten R seltene Arztbesuche R mangelnde/fehlende familiäre und/oder soziale Unterstützung
1.3.2
Ursachen und Faktoren von Seiten des Medikamentes und der Therapie
Die vom Medikament beigetragenen Faktoren der Non-Compliance sind oft mittelbare Faktoren des Patienten: Denn es geht nicht nur um die tatsächlichen Nebenwirkungen der Antidepressiva, sondern auch darum, wie der Patient damit bzw. mit seiner Furcht davor umgeht. Die Mehrheitsmeinung, dass Nebenwirkungen eine tragende Rolle für die Non-Compliance spielen, wird von einer Minderheit nicht geteilt (Bollini et al. 2004, Cohen et al. 2004). Mangelnde Wirksamkeit der Medikation ist ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Ablehnung der Therapie. Sofern der Arzt die Gelegenheit erhält, eine nicht ausreichend wirksame Therapie z. B. durch Erhöhung der Dosis oder Wechsel der Substanz zu korrigieren, kann sich dieser Faktor konstruktiv auswirken. Ein Compliancerisiko ist eine falsche Erwartung des Patienten zum zeitlichen Einsetzen der Wirkung. Komplizierte Dosisschemata erschweren dem Patienten erfahrungsgemäß die Therapietreue (Tabelle 1.2).
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1.4 Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance Tabelle 1.2
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Medikamenten- und therapiespezifische Faktoren der Non-Compliance
R Nebenwirkungen R schlechte Adaptation an Nebenwirkungen R mangelnde Wirksamkeit, ausbleibende Besserung R subtherapeutische Dosierung R langsamer Wirkbeginn R kompliziertes Dosisschema, mehrere Medikamente R Wechselwirkungen R Therapiekosten R keine begleitende Psychotherapie
1.3.3
Ursachen und Faktoren von Seiten des Arztes
Der behandelnde Arzt kann nicht nur maßgeblich zur Compliance, sondern auch zur Non-Compliance seiner Patienten beitragen. Ausreichend Zeit für den Patienten, das Bemühen um eine gute Beziehung, eine professionelle, an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Kommunikation, die Nachbetreuung im individuell erforderlichen Umfang, die persönliche Fortbildung und die bewusste Überprüfung der eigenen Einstellung gegenüber den sorgfältig verordneten Medikamente, all dies schafft eine gute Grundlage für die Einhaltung der Verordnungen. Das Gegenteil von alledem kann die Non-Compliance des Patienten fördern (Tabelle 1.3).
1.4
Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance
Die nachweislich nützlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance reichen von der Aufklärung der Patienten über das kontinuierliche Monitoring bis zur Fortbildung der behandelnden Ärzte und zur Anwendung strukturierter Programme (siehe Tabelle 1.4). Für die folgende Analyse wurden 40 Publikationen seit dem Jahr 2000 herangezogen.
Tabelle 1.3
Arztspezifische Faktoren der Non-Compliance
R mangelnde/fehlende Aufklärung des Patienten zur Therapie (u. a. Therapiedauer, Nebenwirkungen) und zur Natur der Depression R schlechter Kommunikationsstil mit bzw. schlechte Beziehung zum Patienten R skeptische Einstellung des Arztes gegenüber den verordneten Antidepressiva R Verschreibung inadäquater Medikamente oder Dosen R mangelnde Weiterbildung des Arztes zur Depression R mangelnde Nachbetreuung des Patienten R mangelnde Information der Bezugspersonen des Patienten
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
Die initiale Verständigung mit dem Patienten – in einer schwierigen Kommunikationssituation – schafft die Basis für die Therapiecompliance. Vom Arzt wird eine explizite, klare, unzweifelhafte, für die Vorbehalte und Wünsche des Patienten allerdings offene Stellungnahme zur Therapie verlangt. Die Herstellung einer kooperativen Atmosphäre erleichtert den notwendigen Prozess, denn die Bemühungen um die Compliance der Patienten müssen – phasenangepasst – fortgesetzt werden. Nach der Metaanalyse von Pampallona et al. (2004) kann eine gleichzeitige Psychotherapie die Compliance bezüglich der Pharmakotherapie verbessern. Besonders dann, wenn der Patient eine starke Präferenz für eine Psychotherapie äußert (von van Schaik et al. 2004). Pampallona et al. halten es für denkbar, dass eine gezielte, compliancefördernde Intervention diesbezüglich ebenso nützlich sein könnte wie eine ausführliche Psychotherapie. Kognitive Verhaltenstherapie zur Ausbildung des Selbstmanagements und der Coping-Fähigkeiten des Patienten hat sich als Element von Programmen zur Complianceverbesserung bewährt (u. a. Tutty et al. 2000, Lin et al. 2003). Ein wesentlicher Punkt, sofern das Grundeinverständnis des Patienten zur Pharmakotherapie vorliegt, ist die Anwendung einer wirksamen und gut verträglichen Substanz in einem möglichst einfachen Therapieschema. Das kontinuierliche Monitoring mit individuell angemessen häufigen Patientenkontakten ist einer der Schlüssel für eine nachhaltige Therapieadhärenz. Es dient vor allem dazu, Probleme (z. B. Gefährdung der Compliance, Nebenwirkungen, Symptomatik) rechtzeitig zu erkennen. Das familiäre und soziale Umfeld der Patienten benötigt ebenfalls eine Verständnisgrundlage, da es die Therapietreue des Patienten beeinflusst, und auch Unterstützung, die der Compliance des Patienten indirekt zugute kommt. Die abgestimmte kollaborative Betreuung des Patienten durch einen Allgemeinarzt und einen Psychiater fördert die Compliance (u. a. Simon et al. 2001, Katon et al. 2002). Strukturierte Interventionen aus mehreren der in Tabelle 1.4 genannten Elemente haben sich meist ebenfalls als nützlich erwiesen (z. B. Vergouwen et al. 2002, Lin et al. 2003, Ruoff 2005). Auch die gezielte Fortbildung der Ärzte und ihrer Hilfspersonen kann für die Compliance der Patienten nützlich sein. Bisher sind allerdings keine Forschungsansätze zu entdecken, welche die Fähigkeiten der Ärzte in den Bereichen professionelle Kommunikation und Motivation im Bezug auf die Therapiecompliance der Patienten untersuchen.
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1.4 Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance Tabelle 1.4
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Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance
R Herstellung einer kooperativen (Arzt und Patient) Therapieatmosphäre R initiales Gespräch über Therapiepräferenzen und Vorbehalte des Patienten gegenüber Antidepressiva R klar positive Stellungnahme des Arztes zum verordneten Antidepressivum R initiale Psychoedukation zur Verbesserung der Einstellung zu Medikamenten R adäquate Aufklärung des Patienten zur Schaffung einer realistischen Erwartungshaltung (z. B. über die erforderliche Therapiedauer) R Gespräch über Nebenwirkungen R Information/Edukation des Patienten zur Depression, Gespräch über Faktoren, welche die Erkrankung fördern R Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie, vor allem bei Patienten mit starker Präferenz für Psychotherapie R kognitive Verhaltenstherapie zur Verbesserung des Selbstmanagements und der Coping-Fähigkeiten R individuelle, phasenadaptierte Verhaltens- und Edukationskomponenten R Anwendung geeigneter Medikamente in therapeutisch wirksamen Dosen R Anwendung von Medikamenten mit guter Verträglichkeit R einfaches Therapieregime, bequeme Applikationsformen R ereignisassoziierte (statt uhrzeitassoziierte) Verschreibungsinstruktionen R individuell angemessen häufige Patientenkontakte nach Verschreibung, regelmäßiges Monitoring des Therapieerfolges bzw. der Symptomatik (auch prodromaler), von Lebensstress und Partnerbeziehung R regelmäßiges Monitoring von Nebenwirkungen, des Umgangs mit Nebenwirkungen R regelmäßiges Monitoring der Compliance R kontinuierliche Aufklärung des Patienten zu Therapiefragen R kontinuierliche klinische Unterstützung des Patienten (Symptomatik, Lebensstress, Partnerbeziehung, Umgang mit Nebenwirkungen, Therapiecompliance) R psychologische und soziale Unterstützung für Angehörige der Patienten R Information der Betreuungspersonen über Antidepressiva und Bedeutung der Therapiecompliance R kooperative Versorgungsformen von Allgemeinpraktiker und Psychiater mit gezielten Maßnahmen (Patient, Arzt, Versorgungsprozess) R Disease-Management-Programme (gezielte Telefonberatung des Patienten, Mailings) R kombinierte Interventionen aus oben genannten Elementen (z. B. bessere Einstellung gegenüber Antidepressiva, Umgang mit Nebenwirkungen, Selbstmanagement) R Schulungsintervention für Verschreiber und Patienten R Fortbildung von Allgemeinpraktikern und ärztlichem Hilfspersonal in der Vorbeugung und im Umgang mit Non-Compliance
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
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1 Compliance und Adhärenz mit antidepressiver Medikation
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2
Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen bei somatischen Erkrankungen Gerd Laux
2.1
Epidemiologie und Ätiologie
Die Häufigkeit von behandlungsbedürftigen Ängsten und Depressionen bei körperlichen Erkrankungen wird mit ca. 15 % angegeben, bei Patienten mit schwereren, chronischen Erkrankungen liegt die Prävalenz depressiver Störungen bei etwa 30 – 40 % [1, 12]. Ätiopathogenetisch lassen sich folgende Zusammenhänge unterscheiden: R Die psychische und die körperliche Erkrankung bestehen unabhängig voneinander. R Die depressiv-ängstliche Störung wird durch die körperliche Erkrankung verursacht, sei es durch eine psychische Fehlverarbeitung oder die zerebrale, hirnorganische Erkrankung. R Die psychische Erkrankung wird durch die körperliche Erkrankung verschlimmert. R Die körperliche Erkrankung wird durch die psychische Erkrankung verursacht oder verschlimmert. So wird z. B. das Mortalitätsrisiko nach einem überstandenen Myokardinfarkt durch eine schwere Depression um das ca. Dreifache erhöht.
2.2
Diagnostik
Die Depressionsdiagnostik bei körperlich Kranken weist einige Besonderheiten auf: „Klassische“ Depressionssymptome wie Müdigkeit, Antriebsarmut, Appetitmangel und Libidoverlust gehen häufig mit vielen körperlichen Erkrankungen einher. Die Diagnose einer depressiven Störung sollte sich deshalb bei schwerer körperlich Erkrankten mehr auf kognitive Symptome und die Art der depressiven Verstimmung beziehen. Nach Endicott [5] gelten vor allem depressives/ängstliches Erscheinungsbild, vermindertes Sprechen und sozialer Rückzug, Freudlosigkeit und reduzierte Aufheiterbarkeit sowie pessimistisch gestimmte Grübelneigung als typisch. Klassifikatorisch zeigt sich kein einheitliches Bild. Vorgeschlagen wurden Einteilungen und Begriffe wie „sekundäre Depressionen“, „organisch-affektive Störungen“ oder „somatogene Depressionen“. Bezug nehmend auf DSM-IV könnte man einheitlicher von einer „depressiven Störung bzw. Angststörung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors bzw. aufgrund einer Substanzinduktion“ sprechen. 2.2.1
Ausschluss- und Differenzialdiagnostik
Vor einer Behandlung sollten differenzialdiagnostisch vor allem metabolische Enzephalopathien, endokrine Störungen wie Hypo- oder Hyperthyreose, eine so genannte Tumorkachexie sowie das Vorliegen eines Hirntumors ausgeschlossen werden.
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2 Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen
Als psychiatrische Störungen gilt es Trauerreaktionen und psychoreaktive Störungen im Sinne von Anpassungsstörungen abzugrenzen – hier stehen psychotherapeutische Interventionen im Vordergrund. Wichtig ist auch der Ausschluss depressiogener bzw. anxiogener Medikamente; verschiedene zur Behandlung somatischer Erkrankungen eingesetzte Substanzen sind hierbei zu beachten (siehe Tabelle 2.1). Die wichtigsten somatischen Erkrankungen, die mit symptomatischen Depressionen assoziiert sind, sind in Tabelle 2.2 wiedergegeben.
Tabelle 2.1 Auslöser pharmakogener Depressionen und Angstsyndrome Pharmakogene Depressionen
Pharmakogene Angstsyndrome
R ACE-Hemmer (Enalapril) R Aknemittel
R Anästhetika R Bronchodilatoren
R Antibiotika (Chinolone, Gyrasehemmer) R Antihypertonika (Clonidin)
R Koffein R Muskelrelaxantien
R Antihistaminika (Cimetidin) R Antimykotika
R Schilddrüsenhormone R Steroide
R Kalziumantagonisten R Kortikoide
R Sympathomimetika
R Lipidsenker R Virustatika (Interferon) R Zytostatika
Tabelle 2.2
Symptomatische organische/somatogene Depressionen
R endokrine Erkrankungen (Hypothyreose, Morbus Cushing, Hyperparathyreoidismus) R Infektionserkrankungen R Autoimmunerkrankungen (Lupus erythematodes), AIDS R Karzinome R Anämie, Folsäuremangel R neurologische Erkrankungen (Morbus Parkinson, Schlaganfall, Multiple Sklerose, Epilepsie)
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2.3 Therapie
2.3
Therapie
2.3.1
Psychotherapie
15
Basierend auf einer empathischen Arzt-Patienten-Beziehung empfiehlt sich eine stützend-supportive Gesprächsführung. Als spezifische Psychotherapie-Verfahren kommen in Frage: R kognitiv-behaviorale Psychotherapie (Verhaltenstherapie), R interpersonelle Psychotherapie und R psychodynamisch orientierte Psychotherapie. Sowohl bei Angststörungen als auch bei depressiven Störungen haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Verfahren bewährt; bei Patienten mit somatischen Erkrankungen kommt der Vermittlung von Krankheitsbewältigungs-(Coping-)Strategien besondere Bedeutung zu. 2.3.2
Psychopharmakotherapie
Bei der psychopharmakologischen Therapie stehen zweifelsohne Medikamente aus der Gruppe der Antidepressiva im Vordergrund. Bei ausgeprägter Angstsymptomatik kann allerdings auch – wegen des Gewöhnungs- bzw. Abususrisikos – zeitlich limitiert die Gabe eines Benzodiazepins sinnvoll sein. Angesichts der bei körperlich Kranken häufig vorliegenden Leberfunktionsstörungen sollte ein Benzodiazepin ausgewählt werden, das einer Phase-II-Verstoffwechslung (Glukuronidierung) unterliegt, in Frage kommen z. B. Lorazepam oder Oxazepam [Übersicht: 9]. Antidepressiva Spezielle Studien bei somatisch Kranken liegen nur wenige vor. Die Daten beziehen sich vor allem auf die SSRI Sertralin, Paroxetin und Citalopram. Beim Einsatz von Antidepressiva bei somatischen Erkrankungen gilt es vor allem folgende Faktoren zu berücksichtigen: R Toxizität, R Nebenwirkungsprofil, R Interaktionspotenzial, R Dosierung. Grundsätzlich sind vor allem beim Einsatz von Trizyklika, aber auch von SSRI, Mirtazapin und Venlafaxin Plasmaspiegelbestimmungen (Therapeutisches Drug-Monitoring) zu empfehlen. Eine Arbeitsgruppe der AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie) hat hierzu kürzlich einen Konsensusreport vorgelegt [2]. Bezüglich der Toxizität von Antidepressiva kann zusammenfassend konstatiert werden, dass die neueren Antidepressiva eindeutige Vorteile gegenüber den älteren Trizyklika aufweisen, und zwar sowohl hinsichtlich der fatalen als auch hinsichtlich der kardialen und behavioralen Toxizität [16]. Innerhalb der SSRI finden sich vor allem Unterschiede in der Pharmakokinetik [11]. Dies ist insbesondere beim Vorliegen von Leber- und/oder Nierenerkrankungen
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2 Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen
relevant. Von Vorteil sind hier die Substanzen Citalopram/Escitalopram und Sertralin, welche die geringsten Effekte auf das Cytochrom-P450-Isoenzymsystem (2D6, 3A4, 1A2, 2C19) besitzen. Citalopram/Escitalopram sind schwache Inhibitoren von CYP 2D6 und CYP 2C19, Sertralin geringgradig für 3A4 und minimal für 2D6. Ähnliches gilt für das Interaktionspotenzial: Bei Trizyklika sind vor allem Interaktionen mit Anticholinergika, Antihypertensiva, Cimetidin und Sympathomimetika zu beachten. Das selektiv noradrenerge Reboxetin kann mit bestimmten Antimykotika, Ciclosporin und Erythromycin interagieren. SSRIs können mit serotonergen Substanzen (Clomipramin, Lithium, L-Tryptophan, Migränemittel, MAOH) sowie Trizyklika (Plasmaspiegelerhöhung) interagieren.
2.4
Depression bei körperlichen Erkrankungen
Die wichtigsten mit Depressionen einhergehenden körperlichen Erkrankungen sind R koronare Herzkrankheit, R Schlaganfall, R Morbus Parkinson, R Malignome/Tumorerkrankungen, R Hepatopathien und R Nephropathien (Dialysepatient). Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Depressionen das Risiko der koronaren Herzkrankheit um das Dreifache erhöhen und außerdem einen unabhängigen Risikofaktor für die kardiale Mortalität darstellen (ca. dreifach erhöhtes Herztodrisiko bei Depression). Studien vor allem mit dem SSRI Sertralin konnten zeigen, dass die Substanz bei guter Wirksamkeit auch unmittelbar nach Myokardinfarkt gut verträglich ist [3, 4, 6, 7, 13, 14]. Die so genannte Post-Stroke-Depression hat eine Prävalenz von ca. 25 %. Die Trizyklika Amitriptylin und Nortriptylin waren in kontrollierten Studien Plazebo signifikant überlegen, zur Vermeidung ungünstiger anticholinerg-vegetativer kardialer Nebenwirkungen werden heute aber bevorzugt SSRI eingesetzt [Übersicht: 15]. Positive Daten liegen auch für Citalopram, Sertralin, Fluoxetin und den SSNRI Venlafaxin vor. Die Prävalenz von Depressionen bei Morbus Parkinson beträgt ca. 40 %. In kontrollierten Doppelblindstudien zeigten Imipramin, Desipramin und Nortriptylin gute Wirkung ohne negative Effekte auf die Motorik. Nachteilig war allerdings das Auftreten von Orthostase, kognitiven Funktionseinschränkungen sowie von Deliren. Studienergebnisse mit Paroxetin und vor allem Fluoxetin zeigten kein voll zufrieden stellendes Bild, bei 10 – 15 % der Patienten kam es zu einer Verschlechterung der Parkinson-Symptomatik. Positive Ergebnisse liegen sowohl für Sertralin als auch vor allem für das selektiv noradrenerge Reboxetin vor [10]. Gravierende Depressions- bzw. Angstsymptome zeigen etwa 40 % der Tumorpatienten. Durch die Pharmakotherapie mit einem Antidepressivum bessern sich in der Regel die Lebensqualität sowie der Aufbau von Krankheitsbewältigungs-(Coping-)Strategien, zum Teil wurde auch eine höhere Überlebenszeit registriert. In Anbetracht ihres schmerzdistanzierenden Effektes besitzen hier Trizyklika Vorteile, wegen möglichen Interaktionen vor allem mit Chemotherapeutika muss aber eine Plasmaspiegelkontrolle erfolgen [8].
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2.4 Depression bei körperlichen Erkrankungen
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Die neu zugelassene dual serotonerg-noradrenerg wirkende Substanz Duloxetin kann aufgrund ihrer ebenfalls nachgewiesenen schmerzdistanzierenden Wirkung möglicherweise künftig in diesen Fällen indiziert sein. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass bei der Behandlung von Depressionen und Angststörungen im Rahmen somatischer Erkrankungen ein empathisch geprägtes Arzt-Patienten-Verhältnis von besonderer Bedeutung ist. Verschiedene psychotherapeutische Interventionen einschließlich daseinsanalytischer bzw. biografischer Ansätze komplettieren die Pharmakotherapie. Die Therapieentscheidungen sollten zum einen individuumzentriert, zum anderen erfahrungsbasiert und soweit vorliegend evidenzbasiert sein.
Literatur 1. Arolt V, Rothermundt M. Depressive Störungen bei körperlich Kranken. Nervenarzt. 2003;74:1033 – 54. 2. Baumann P, Hiemke C, Ulrich S et al. The AGNP-TDM Expert Group Consensus Guidelines: Therapeutic Drug Monitoring in Psychiatry. Pharmacopsychiatry 2004; 37:243 – 65. 3. Cohen H, Gibson G, Aldermann M. Excess risk of myocardial infarction in patients treated with antidepressant medications: association with use of tricyclic agents. Am J Med. 2000;108:2 – 8. 4. Coupland NJ, Wilson SJ, Nutt D. Antidepressant drugs and the cardiovascular system: a comparison of tricyclics and selective serotonin reuptake inhibitors and their relevance for the treatment of psychiatric patients with cardiovascular problems. J Psychopharmacol. 1997;11:83 – 92. 5. Endicott J. Measurement of depression in patients with cancer. Cancer. 1984;53 (Suppl):2243 – 8. 6. Glassman A, Rodriguez A, Shapiro P. Use of antidepressants in patients with heart diseases. J Clin Psychiatry. 1998;59(Suppl 10):16 – 21. 7. Glassman A, O'Connor C, Califf R et al. Sertraline treatment of major depression in patients with acute MI or unstable angina. JAMA. 2002;288: 701 – 9. 8. Illinger H. Pharmakologische Probleme bei der antidepressiven Therapie von Tumorpatienten. In: Staab H, Ludwig M, Hrsg. Depression bei Tumorpatienten. Stuttgart: Thieme; 1993. 9. Laux G. Aktueller Stand der Therapie mit Benzodiazepinen. Eine Übersicht. Nervenarzt. 1995;66:311 – 22. 10. Lemke M, Raethjen J. Depression und Morbus Parkinson. Bremen: Uni-Med; 2002. 11. Nemeroff C, DeVane L, Pollock B. Newer antidepressants and the cytochrome P450 system. Am J Psychiatry. 1996;153:311 – 20. 12. Robertson MM, Katona CLE, eds. Depression and physical illness. Chichester: Wiley; 1997. 13. Roose S. Treatment of depression in patients with heart disease. Biol Psychiatry. 2003;54:262 – 8. 14. Sauer W, Berlin J, Kimmel S. Selective serotonin reuptake inhibitors and myocardial infarction. Circulation. 2001;104:1894 – 8. 15. Whyte E, Mulsant B. Post stroke depression: epidemiology, pathophysiology, and biological treatment. Biol Psychiatry. 2002;52:253 – 64. 16. Zilker T. Intoxikationen mit Psychopharmaka. In: Riederer P, Laux G, Hrsg. NeuroPsychopharmaka. Band 6 Notfalltherapie. Wien: Springer; 2005.
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2 Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen
Diskussion Unterschiede in der Neurobiologie? – Wirkt sich die Therapie der somatischen Erkrankung auf die Begleitdepression aus? – Heterogenität der Depression bei somatischen Erkrankungen Unterscheidet sich eine depressive Episode im Rahmen einer somatischen Erkrankung, etwa einer koronaren Herzkrankheit (KHK), neurobiologisch von einer depressiven Erkrankung ohne körperliche Begleiterkrankung? Vergeht die Depression tatsächlich von allein, wenn die somatische Erkrankung optimal therapiert wird, oder sollte auch die Depression spezifisch behandelt werden? (Müller) Man muss je nach Art der somatischen Erkrankung differenzieren: Für die Depression eines Parkinson-Patienten ist nachweislich zunächst die Behandlung der somatischen Erkrankung bzw. Optimierung der Parkinson-Medikation entscheidend. Das zeigen u. a. zwei kontrollierte Studien zu Pramipexol. Bei anderen Erkrankungen, etwa bei einem Krebsleiden oder KHK, verbessert die selbstverständlich erforderliche Optimierung der onkologischen bzw. kardiologischen Therapie die begleitende Depression oder Angst nicht. Ein Unterschied in der Neurobiologie oder Neurobiochemie von Depressionen mit oder ohne körperliche Erkrankung ist nicht bekannt. (Laux) Depressionen bei körperlichen Erkrankungen – dies gilt in abgeschwächter Form auch für Angststörungen – sind außerordentlich heterogen. Die Prävalenz liegt bei etwa 15 %, etwa die Hälfte verläuft schwer. Aber nur ein Viertel bis ein Drittel der Depressionen bei körperlichen Erkrankungen sind organische Depressionen. Die übrigen sind Depressionen per se im Sinne einer Major Depression, wobei Anpassungsstörungen ebenfalls eine große Rolle spielen. Außer bei Morbus Parkinson gibt es keine Untersuchung dazu, ob sich die Neurobiologie organisch verursachter Depressionen von der Neurobiologie nicht organisch verursachter Depressionen unterscheidet. (Arolt)
Wirkt sich die Therapie der Begleitdepression auf die somatische Erkrankung aus? – Wieso ist die Mortalität bei Patienten mit Postinfarkt-Depression erhöht? Der Effekt der Behandlung einer begleitenden Depression auf den Verlauf einer KHK ist noch nicht klar. Grundsätzlich ist zwar bekannt, dass eine Depression den Verlauf bei vielen körperlichen Erkrankungen verschlechtert, z. B. durch eine geringere Therapiecompliance. Bei Patienten mit Diabetes konnte auch gezeigt werden, dass die Behandlung einer Depression die Zuckerkrankheit positiv beeinflusst, bei der KHK ist das jedoch unklar. Die SADHEART-Studie (2002) hat zwar gezeigt, dass Sertralin bei KHK verträglich ist und die Lebensqualität der Patienten sich besserte, aber die Todesrate blieb gleich. Bei der ENRICHD-Studie (2004) ergab sich das gleiche Bild. Die therapeutische Beeinflussung der Neurobiologie der Depression hat nicht unbedingt einen Einfluss auf die zugrunde liegende somatische Erkrankung. (Arolt) Wieso ist die Mortalität bei Postinfarkt-Depressionen erhöht? Etwa durch eine veränderte Suizidrate? (Möller) Infarktpatienten sind wenig suizidgefährdet, sie kämpfen vielmehr um ihr Leben. Die Mortalität im ersten Halbjahr nach Herzinfarkt sinkt allerdings nicht, wenn Depressionen pharmakotherapeutisch behandelt werden. Im weiteren Verlauf könnte diese Therapie jedoch eine leichte protektive Wir-
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Diskussion
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kung haben, indem die Patienten besser motiviert sind, Sport zu treiben und ihre Medikamente besser einzunehmen. (Arolt) Um dies so festzustellen, sind doch Langzeitstudien erforderlich. (Möller) Die ENRICHD-Studie mit randomisiertem Design lief über ein halbes Jahr. Alle Patienten erhielten eine optimale kardiale Therapie. Ein Teil der Patienten mit höhergradiger Depression wurde zusätzlich mit Sertralin in variabler Dosierung und kognitiver Verhaltenstherapie behandelt. Nach einem halben Jahr ließ sich trotz gebesserter Depression kein Einfluss dieser Intervention auf die kardiale Mortalität nachweisen. Als die Patienten nach einem weiteren halben Jahr nachuntersucht wurden, zeigte sich aber, dass die Mortalität der therapieresistenten Patienten höher war als die der nicht therapieresistenten. Es macht sich also doch ein kleiner Einfluss der Therapie bemerkbar. (Arolt)
Genetische Prädisposition? – Großer Forschungsbedarf zum psychosomatischen Thema „Depression bei körperlichen Erkrankungen“ Gibt es unter den Patienten, die eine körperliche Erkrankung haben und eine Depression ausbilden, auch solche mit einer familiären Belastung bzw. genetischen Prädisposition dafür? (Möller) Das ist zwar anzunehmen, wurde aber bisher nicht systematisch untersucht. Das Feld „Depression bei körperlichen Erkrankungen“ ist noch relativ unbeackert. So gibt es z. B. keine einzige systematische Erhebung oder Familienstudie darüber, ob Patienten mit schweren Depressionen bei körperlichen Erkrankungen eine genetische Prädisposition haben. (Arolt) Hier sind Desiderate der Forschung zu konstatieren auf an sich fruchtbaren Feldern. In einer Zeit, in der wir das Fach Psychiatrie auch im Sinne der Psychosomatik zusätzlich besetzen wollen, würde es uns gut anstehen, vermehrt in diese Richtung zu forschen. Wieso tun wir uns, während viele das Fach Psychiatrie doch auch sehr biologisch sehen, so schwer mit diesem sehr attraktiven Feld der Psychosomatik? Erscheint es als zu komplex? (Möller) Es ist ein ungeheuer wichtiges Feld, denn 80 – 85 % aller psychiatrischen Fälle haben psychosomatische Probleme. Die großen psychischen Erkrankungen, mit denen wir uns ständig beschäftigen, wie etwa Depression, Alkoholismus und Demenz, gehören auch zu den psychosomatischen Erkrankungen. Das sind die Krankheitskomplexe, die in der psychosomatischen Medizin bearbeitet werden müssen. Das hat die Psychiatrie in Deutschland verschlafen und zugelassen, dass in diesen Bereich andere Fachgruppen eindringen. (Arolt) Die Fächerteilung, die wir sehr beklagen, führte dazu, dass diese Störungen größtenteils nur noch unter psychogenetischen oder psychologisierenden Aspekten betrachtet worden sind. (Möller)
Bupropion bei Morbus Parkinson? Theoretisch wäre in diesem Zusammenhang Bupropion bei Parkinson-Patienten von Interesse. Gibt es dazu Daten, zumal Bupropion in Deutschland, allerdings für andere Indikationen, zugelassen ist? (Fritze) Es gibt meines Wissens keine Daten. Die Substanz wäre interessant, vielleicht wird aber neben dem Zulassungsstatus auch das Problem der Krampfschwellensenkung durch Bupropion von den Neurologen gefürchtet? (Laux)
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2 Behandlung depressiv-ängstlicher Störungen
Interaktion von Antidepressiva und Zytostatika Zur Interaktion von Antidepressiva und Zytostatika: Zytostatika werden üblicherweise nach einem bestimmten zeitlichen Schema meist i. v. verabreicht. Welchen Einfluss hat eine Zytostatika-Infusion alle 2 oder 3 Wochen auf den AntidepressivaPlasmaspiegel? (Schmauß) Dazu liegen keine Daten vor. Aber es wäre sehr zu begrüßen, wenn im Rahmen des Therapeutischen Drug-Monitorings solche Plasmaspiegel z. B. unter einem Vincristin-Schema bestimmt würden. (Laux) Das Hauptproblem für die Patienten besteht eher darin, wie Antidepressiva die Pharmakokinetik und damit die Wirksamkeit von Zytostatika beeinflussen. (Arolt)
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3
Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie Borwin Bandelow
Es gibt zahlreiche kontrollierte Studien zur medikamentösen Behandlung der generalisierten Angststörung. Vor allem verschiedene Antidepressiva und Benzodiazepine wurden untersucht.
3.1
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Paroxetin war in doppelblinden, prospektiven, kontrollierten Studien wirksam [5, 32, 39, 42]. Auch die Wirkung von Sertralin konnte in kontrollierten Studien gezeigt werden [1, 5, 26]. In einer kleinen Studie bei Kindern im Alter von 5 – 17 Jahren war Sertralin Plazebo überlegen [41]. Escitalopram war in plazebokontrollierten Studien wirksam [11, 20]. Escitalopram 20 mg/d war in einem plazebokontrollierten Doppelblindvergleich wirksamer als Paroxetin 20 mg/d [4], während die 10-mg-Dosis ebenso wirksam war wie Paroxetin 20 mg. In einem Langzeitvergleich von Escitalopram und Paroxetin über 24 Wochen waren beide Medikamente gleich wirksam; unter Paroxetin kam es allerdings zu höheren Abbruchraten wegen unerwünschter Nebenwirkungen [7].
3.2
Selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin
Der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin war wirksamer als Plazebo [2, 19, 36], ebenso wirksam wie Pregabalin [24] und wirksamer als Buspiron [12] bei Patienten mit generalisierter Angststörung. In der letzten Studie waren die Werte nur signifikant niedriger für die Hamilton-AngstSkalen (HAMA) „Psychische Angst“, „Ängstliche Stimmung“ und „Anspannung“, jedoch nicht für den Gesamtwert der HAMA und für den Clinical Global Impression (CGI) im Vergleich zu Plazebobehandlungen.
3.3
Trizyklische Antidepressiva
Das trizyklische Antidepressivum Imipramin war wirksamer als Plazebo und ebenso wirksam wie Referenzsubstanzen [22, 35].
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22 3.4
3 Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie
Buspiron
Das Azapiron Buspiron war in einigen Studien Plazebo überlegen [12, 14, 31] und ebenso wirksam wie Benzodiazepine [15, 23, 38, 40, 43]. Es war jedoch weniger wirksam als Venlafaxin [12] oder Hydroxyzin [25].
3.5
Kalziumkanalmodulator Pregabalin
Pregabalin wurde bisher in drei Doppelblindstudien untersucht. In einer Studie ware es Plazebo überlegen [30], in einer weiteren besser wirksam als Plazebo und ebenso wirksam wie Venlafaxin [24]. In einer Studie wurde Pregabalin in relativ niedrigen Dosen (50 bzw. 200 mg/d) mit dem Benzodiazepin Lorazepam verglichen. Pregabalin (200 mg/d) und Lorazepam waren besser wirksam als Plazebo; die Dropout-Rate war unter Lorazepam höher [16].
3.6
Benzodiazepine
Alprazolam zeigte in einer Vergleichsstudie mit Plazebo und Referenzsubstanzen positive Ergebnisse [13, 14, 22, 27, 29]. Auch Diazepam war im Vergleich mit Plazebo wirksam [3, 10, 18, 34, 35, 37] und in Studien mit Vergleichssubstanzen mit etablierter Wirksamkeit [13, 15, 23, 40]. Lorazepam war in dem erwähnten Vergleich mit Pregabalin besser wirksam als Plazebo [16].
3.7
Antihistamine
Die Wirksamkeit des Antihistamins Hydroxyzin wurde in einer doppelblinden, prospektiven, kontrollierten Studie nachgewiesen [17]. In einer Vergleichsstudie war nur Hydroxyzin, nicht aber Buspiron, Plazebo überlegen [25]. Allerdings fehlen Langzeit- und Dosisfindungsstudien, so dass dieses Medikament nur als Mittel der zweiten oder dritten Wahl empfohlen werden kann.
3.8
Opipramol
Opipramol zeigte in einem Vergleich mit Plazebo und einer Referenzsubstanz Wirkung bei generalisierter Angststörung [29].
3.9
Homöopathie
In der einzigen verfügbaren Doppelblindstudie zur homöopathischen Behandlung einer generalisierten Angststörung konnte kein Unterschied zu Plazebo festgestellt werden [8].
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3.14 Begleitung des Patienten
3.10
23
Pflanzliche Präparate
Ein Kava-Kava-Extrakt (Piper methysticum) war in einer Studie [44] bei Patienten mit verschiedenen Angststörungen (Agoraphobie, generalisierte Angststörung u. a.) signifikant besser wirksam als Plazebo. Kava-Kava Präparate wurden allerdings wegen gefährlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen.
3.11
Langzeitbehandlung
Kontrollierte Langzeitstudien zur Behandlung der generalisierten Angststörung sind selten [28]. Die Wirksamkeit von Venlafaxin wurde in zwei Halbjahresstudien gezeigt [2, 19]. Patienten, die auf eine 12-wöchige Therapie mit Paroxetin ansprachen, wurden randomisiert einer weiteren 24-wöchigen Behandlung mit Paroxetin oder Plazebo zugeteilt. Unter Paroxetin kam es zu signifikant weniger Rückfällen [42].
3.12
Nicht pharmakologische Behandlung
Von den Psychotherapieformen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als wirksam bei Patienten mit einer generalisierten Angststörung erwiesen [21]. Der Leser sei auf Übersichten zur KVT verwiesen [9, 45]. Wenn eine generalisierte Angststörung mit einer komorbiden Depression auftritt, was sehr häufig der Fall ist, sollte auf eine Pharmakotherapie nicht verzichtet werden [6]. Daten zur Kombination von Medikamenten und Psychotherapie fehlen fast völlig. In einer Studie konnten keine Vorteile einer Kombination aus Buspiron und KVT gefunden werden [25], jedoch war die Teststärke dieser Studie möglicherweise zu niedrig. In einer anderen Studie war die Kombination von KVT und Diazepam wirksamer als Diazepam allein [33].
3.13
Dauer der Behandlung
Die Wirkung setzt bei den Antidepressiva nach 2 – 4 Wochen ein. In vielen Fällen kann nach einer dreimonatigen Behandlung mit Medikamenten bereits eine deutliche oder komplette Symptomreduktion erreicht werden. Dennoch sollte die Behandlung mit Antidepressiva ca. 6 – 12 Monate weitergeführt werden, um Rezidive zu vermeiden.
3.14
Begleitung des Patienten
Die medikamentöse Therapie sollte durch ausführliche stützende Gespräche und gegebenenfalls durch eine Verhaltenstherapie unterstützt werden. Bei den Antidepressiva können Nebenwirkungen gerade in den ersten Tagen der Behandlung störend wirken, während der Patient noch keinen Therapieerfolg sieht. Eine vorbeugende Aufklärung über die zu erwartenden Nebenwirkungen und gegebenenfalls über die Wirklatenz der Antidepressiva kann die Compliance entscheidend verbessern.
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24 3.15
3 Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie
Fazit zur medikamentösen Behandlung
Die Behandlung der generalisierten Angststörung wird heute vor allem mit SSRI, SSNRI, trizyklischen Antidepressiva, Buspiron und Benzodiazepinen durchgeführt. Hinsichtlich der Wirkung unterscheiden sich diese Gruppen wahrscheinlich nicht (mit Ausnahme von Buspiron, das nicht in allen kontrollierten Studien Benzodiazepinen wirkungsäquivalent war), so dass für die Auswahl vor allem das Nebenwirkungsprofil entscheidend ist.
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3 Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie
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Diskussion Ist Escitalopram bei Angststörungen Citalopram überlegen? Bringt Escitalopram auch von der Wirksamkeit her einen therapeutischen Fortschritt bei Angststörungen? In der Studie von Stahl et al. (2003) wurde Escitalopram bei Panikstörungen gegen Citalopram und Plazebo untersucht. Beim Parameter Panikfrequenz war Citalopram nicht besser als Plazebo, hinsichtlich der BandelowAngstskala waren beide Wirkstoffe besser als Plazebo. Das zeigt auch, dass „Panikfrequenz“ möglicherweise kein geeigneter Parameter zur Beurteilung der Wirksamkeit ist. (Bandelow)
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Diskussion
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Schaut man Depressionsstudien, in denen Escitalopram mit Citalopram verglichen wurde, im Hinblick auf Angstsymptome an, sieht man einen signifikanten Vorteil für Escitalopram. (Bandelow) Es ist immer problematisch, aus Depressionsstudien ein Signal für die Reduktion von Angstsymptomatik abzuleiten, da ein solches Signal in diesem Rahmen durch die Depressionssymptomatik konfundiert ist. So etwas kann allenfalls zur Hypothesengenerierung dienen, aber nicht zur Hypothesenprüfung. (Möller)
Häufigkeit der generalisierten Angststörung Im Behandlungssetting ist die generalisierte Angststörung (GAD) die bei weitem häufigste psychische Erkrankung mit einer Prävalenz von etwa 10 %. Selbst wenn alle Patienten mit irgendeiner psychischen Komorbidität unberücksichtigt bleiben, liegt die Prävalenz noch bei etwa 5 %. Sie ist damit höher als bei der unipolaren Depression inklusive Komorbidität. (Maier) Die Häufigkeit hängt aber auch von den diagnostizierenden Psychiatern ab. (Möller) Sofern sie mit standardisierten Instrumenten arbeiten, dürften die Untersucher keinen großen Unterschied machen. Jedenfalls sollte man die Bedeutung der GAD nicht unterschätzen. (Maier)
Wie prüft man bei einer GAD die theoretische Wirksamkeit sui generis? – Ausmaß der Depressivität der Patienten in den GAD-Studien mit SSRI Bei der Evaluation von Therapiewirksamkeit bei Angststörungen besteht nicht nur das bereits genannte Problem, dass man die Angst bei Depression nicht einfach als Paradigma nehmen kann. Umgekehrt muss man auch bei Angst von einer unterlegten Depressivität ausgehen. Daher ist die Methodik grundsätzlich zu hinterfragen: Wie prüft man eine GAD-Wirksamkeit sui generis und wie grenzt man sie gegen Überlappungseffekte mit depressiver Leitsymptomatik ab? In allen Studien zur GAD wird eine aktuelle depressive Symptomatik ausgeschlossen. Ob dies aber ausreicht, um die GAD-Effektivität sui generis zu sichern, ist zu bezweifeln. Man müsste sich methodisch darum bemühen, GAD-spezifische Symptome und vielleicht auch GADspezifische pathophysiologische Systeme, etwa im autonomen Nervensystem, zu identifizieren. Aber es gibt kaum Studien, die das autonome Nervensystem spezifisch untersuchen, um beispielsweise indirekt Anhaltspunkte für die Komorbidität mit Depression zu finden. (Maier) Man müsste eine spezifische Skala haben, die z. B. die Sorgen der Patienten abbildet. (Bandelow) Das haben wir meiner Ansicht nach mit der Bandelow-Skala erreicht. Aber das nächste Problem sind die Selektionskriterien der Patienten in den GAD-Studien mit SSRI. Man muss das Patientenkollektiv nur so definieren, sagt Montgomery, dass genügend Depressivität darin enthalten ist, dann wirkt das Antidepressivum auch. Das ist sicher ein Grundproblem: Welches Ausmaß an komorbider oder kosyndromaler Depressivität war denn zugelassen in diesen Studien? Wie waren die zugelassenen Cut-off-Werte der Hamilton-Depressionsskala (HAMD) oder der Montgomery-Åsberg-Depressionsskala (MADRS)? (Möller) Das ist in jeder der fünf Studien unterschiedlich, die Cut-offs bei der Montgomery-Skala lagen etwa bei 24 bis 26 und bei der Hamilton-Depressionsskala reichten sie bis 14. (Bandelow, Volz) Ein solcher Score wurde auch in Depressionsstudien schon als Einschlusskriterium verwendet. Damit haben wir ein Problem der Interpretation und vielleicht
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3 Generalisierte Angststörung – medikamentöse Therapie
auch der Generalisierung dieser Studienresultate. Ich habe im Übrigen den Eindruck, dass das SSRI-Prinzip sich im Bereich der GAD, jedenfalls in der Primärversorgung, noch nicht als Standardbehandlung durchgesetzt hat. Dort werden noch häufig Benzodiazepine verordnet. (Möller)
Off-label-use von Wirkstoffen zur Behandlung der GAD? Sie haben den Off-label-use von Wirkstoffen zur Behandlung der GAD propagiert. Können Sie näher eingrenzen, wann dieser indiziert wäre? (Fritze) Die in dieser Indikation nicht zugelassenen Wirkstoffe werden natürlich nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt, sondern erst dann, wenn die zugelassenen nicht erfolgreich waren. Wirkstoffe, wie Pregabalin z. B., sind reserviert für schwerwiegende Fälle. Ich habe noch nicht viele Patienten damit behandelt, aber bei denen verlief der Therapieversuch gut. Die betreffenden Patienten sollten wahrscheinlich nicht Auto fahren und können wahrscheinlich auch nicht arbeiten. (Bandelow)
Wieso erfolgt in GAD-Studien keine Selbstbeurteilung der Patienten? Wieso spielt bei der GAD die Patientenperspektive in der Bewertung keine Rolle? (Fritze) In Multicenterstudien werden Selbstbeurteilungen nicht zugelassen, weil sich diese Angaben nicht monitoren lassen. Stellt man drei Wochen später fest, dass der Patient Angaben in einem Fragebogen vergessen hat, kann man diese normalerweise nicht mehr von ihm bekommen. Ein zweiter wichtiger Grund besteht darin, dass der Patient sich selbst nicht im Vergleich zu anderen Patienten sehen kann. Der Arzt kennt viele Patienten und kann unterscheiden, ob der eine schwerer erkrankt ist als der andere. Der Patient aber kann dies nicht, was zu einer sehr starken Varianz führen kann, die sich bei einer Varianzanalyse negativ auswirkt. Es ist allgemeiner Konsens, dass die Krankenselbstbeurteilung bei Zulassungsstudien keine Hauptaussage darstellen kann. (Bandelow)
Sind Betablocker bei Angststörungen wirksam? Sie sagten, Betablocker seien bei GAD nicht wirksam. Gilt dies auch bei Sozialphobie? (Demling) Vor Jahren wurden Betablocker in Studien bei Geigern mit Lampenfieber angesetzt. Die Studien zeigten, dass die psychische Angst sich nicht besserte, dass aber die Geiger beim Geigen weniger zitterten. Beim Geigen hört man es, wenn der Geiger zittert, da dann der Ton nicht mehr ganz stimmt. Aus diesen Studien auf eine Wirksamkeit bei Menschen mit einer GAD zu generalisieren, ist nicht zulässig. Diese Ergebnisse haben auch wenig mit sozialängstlichen Patienten zu tun. In Studien, in denen diese Patienten eingeschlossen wurden, zeigten Betablocker keine Wirkung. (Bandelow) Also Betablocker nur bei situativer Dysperformance? (Möller) Zu den Betablockern gibt es neben den Geiger-Studien auch solche mit Bobfahrern, Skispringern und zahlreiche weitere bei psychisch Gesunden, z. B. Examenskandidaten mit stressinduzierter situativer Angst. (Laux)
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Diskussion
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Warum lassen sich die meisten Patienten mit GAD vom Hausarzt behandeln? Es gab eine Diskussion, ob eine GAD wirklich eine GAD oder aber eine latente, nicht voll symptomatisch ausgeprägte Panikstörung wäre. Was mich dabei besonders interessiert: Warum kommen die GAD-Patienten nicht in die psychiatrischen Klinikambulanzen und bleiben tendenziell im hausärztlichen Bereich? Warum lassen sich Patienten mit Panikstörung überweisen, während GAD-Patienten überwiegend beim Hausarzt bleiben? (Möller) Wenn der angedeutete Zusammenhang zwischen GAD und Panikstörung wirklich bestünde, müsste ja wenigstens ab und zu ein GADPatient in eine Angstambulanz kommen. (Bandelow) Die Inanspruchnahme der Fachpsychiatrie ist bei der GAD weltweit wesentlich geringer als bei der Depression, das hat unsere WHO-Studie gezeigt. (Maier) Haben Panikpatienten vielleicht ein anderes krankheitsbezogenes Verhalten als GAD-Patienten? (Möller) Das weiß man nicht genau. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es daran liegt, dass GAD-Patienten oft gar nicht wissen, dass sie eine behandlungsbedürftige Angsterkrankung haben. Die Betroffenen gehen meist davon aus, dass sie körperlich krank sind oder dass ihnen ihr Leben so viele Schwierigkeiten macht. Die Sorgen stehen für sie im Vordergrund; sie sind auf die Sorgeninhalte fixiert oder auf die Tatsache, dass sie sich Sorgen machen. Daher wissen sie auch nicht, was sie beim Psychiater sollen. In unserer Angstambulanz sehen wir auch nur einmal im Jahr einen GAD-Patienten, während die Hausarztpraxen voll davon sind. (Arolt) Dort werden sie weiter fleißig mit Benzodiazepinen behandelt und jeder Versuch, einen chronischen GAD-Patienten umzustellen, scheitert, weil sie schon so lange mit Benzodiazepinen behandelt wurden. (Möller, Schmauß)
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4
Medikamentöse Behandlung der Panikstörung Markus Gastpar
Zur Beurteilung der medikamentösen Behandlung einer Panikstörung muss man sich darüber im Klaren sein, welche Kriterien zur Beurteilung des Behandlungserfolgs relevant sind. Wir unterscheiden die R Akutbehandlung, gemessen an der – Reduktion der Intensität und Frequenz der Panikattacken, – Reduktion der Erwartungsangst und – Reduktion des Vermeidungsverhaltens, sowie die R Langzeitbehandlung mit – Erhaltung der Akuteffekte und – Reduktion der Rückfallrate nach Absetzen der Medikation. Dabei ist stets zu beachten, dass Studien immer auf Zielsymptome zielen, d. h. um klar messbare Ergebnisse zu erzielen ein reduktionistisches Modell verfolgen, während Ärzte Patienten behandeln, d. h. neben der Besserung der Krankheitssymptome auch deren Lebensqualität und ganz persönlichen Anliegen und Hoffnungen in Betracht ziehen müssen [1].
4.1
AWMF-Leitlinie „Angsterkrankungen“
Zur Behandlung von Angsterkrankungen und damit auch der Panikstörungen existiert eine ganze Reihe von Leitlinien, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften oder ärztlichen Institutionen erarbeitet wurden. Für Deutschland ist die AWMFLeitlinie „Angsterkrankungen“, die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) und sechs weiteren Fachgesellschaften erarbeitet und herausgegeben wurde, sicher die wichtigste Grundlage [6]. Für die Behandlung der Panikstörung enthält sie ein vierstufiges Konzept auf einer vorgegebenen Zeitachse (Tabelle 4.1). Innovativ ist die Phase A von 4 Wochen, die als Vorphase der Beratung und der Arbeit mit einem Selbsthilfemanual gewidmet ist. Nach dieser modernen Konzeption soll – auch zur Entlastung des medizinischen Hilfesystems – früh in der Krankheitsentwicklung von der Selbsthilfe Gebrauch gemacht werden. Die weiteren Behandlungsphasen dauern dann jeweils ca. 12 Wochen, wobei wie in den meisten anderen Leitlinien die beiden Grundsäulen der Behandlung, Psychotherapie und medikamentöse Behandlung, parallel als Therapien der ersten Wahl bezeichnet werden. Die Entscheidung darüber, welche Komponente als Schwerpunkt gewählt wird, dürfte – wie auch in den APA-Guidelines [1] angedeutet – von den Möglichkeiten des Arztes und auch den Überlegungen und Vorlieben des Patienten abhängen. Häufig werden die beiden Hauptkomponenten der Behandlung in Kombination angewandt. Präzisierend lässt sich sagen, dass
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4.2 Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists
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Tabelle 4.1 AWMF-Leitlinie „Angsterkrankungen“ [6] – Behandlungskonzept von Panikstörungen mit/ohne Agoraphobie Behandlungsphase
Inhalt
A (4 Wochen)
Beratung, Selbsthilfemanual ausgenommen bei Komorbidität, schwerem Verlauf: dann gleich B
B (12 Wochen)
kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Medikation (Benzodiazepine nur 6 – 8 Wochen) psychodynamische Psychotherapie
C (12 Wochen)
Intensivierung der KVT Kombination KVT + Antidepressivum Wechsel des Antidepressivums
D (12 Wochen)
weitere Variante von C MAO-Inhibitor Antiepileptikum (Carbamazepin, Valproat) stationäre Behandlung
die medikamentöse Behandlung die Hauptkomponente bei der reinen Panikstörung ist, während die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und insbesondere die verhaltenstherapeutische Exposition bei vorliegender Agoraphobie mit entwickeltem Vermeidungsverhalten ihre Anwendung findet. Die weiteren Therapiephasen bei mangelhaftem Therapieresultat beinhalten eine Intensivierung der bestehenden Therapie oder einen Wechsel der verwendeten Therapiekomponenten, wobei der Einsatz von MAO-Inhibitoren verständlicherweise erst in vierter Linie empfohlen wird, da die dazu veröffentlichten Studien über 25 Jahre alt sind (siehe unten). Die genauen, aufeinander folgenden Therapieschritte enthält der bei der AWMF online abrufbare Behandlungsalgorithmus (www.uni-duesseldorf.de/awmf).
4.2
Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists
Das Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists hat 2003 aufgrund eigener Recherchen und einer eigenen Metaanalyse eine Leitlinie zur Behandlung von Panikstörungen und Agoraphobie herausgegeben [13]. Sie ist im Vergleich zu anderen Leitlinien kurz und klar formuliert und soll deshalb beispielhaft dargestellt werden. Die Schlussfolgerungen werden in sechs Punkten kurz und klar zusammengefasst (Tabelle 4.2). In Ergänzung zum deutschen Konzept wird hier explizit die Psychoedukation für Patienten und Angehörige an den Anfang gestellt. Diese Konzeption gewinnt derzeit auch in Deutschland in der Psychiatrie insgesamt mehr und mehr an Bedeutung, so dass zu erwarten ist, dass dieser Punkt in einer nächsten Version der AWMF-Leitlinie stärker betont wird als derzeit. Zweiter auffallender
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4 Medikamentöse Behandlung der Panikstörung
Tabelle 4.2 Schlussfolgerungen in den Leitlinien zur Behandlung von Panikstörungen und Agoraphobie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists [13] 1. Psychoedukation für den Patienten und Angehörige 2. kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist wirksamer und kosteneffektiver als Medikation 3. trizyklische Antidepressiva und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind gleich wirksam 4. Benzodiazepine sind zweite Wahl 5. medikamentöse Behandlung sollte durch VT ergänzt werden 6. Wahl der Behandlungsform hängt ab von den Möglichkeiten des Arztes und der Situation des Patienten
Punkt ist die Bevorzugung der KVT gegenüber der medikamentösen Behandlung. Dies dürfte weitgehend auf einem Missverständnis beruhen, als zwar die gefundenen Effektstärken für medikamentöse Behandlungen bei etwa 0,4 liegen und die Effektstärken für psychotherapeutische Verfahren bei 0,6 – 0,8, wobei aber die Effektstärken der medikamentösen Behandlung auf Vergleichen in plazebokontrollierten Studien beruhen, während Psychotherapiestudien im Wesentlichen offene, einarmige Studien sind, bei denen der von der Effektstärke abzuziehende Plazeboeffekt entfällt. Wichtig in der australisch-neuseeländischen Leitlinie ist aber, dass die Wirkung der trizyklischen Antidepressiva und der SSRI im Wesentlichen als gleichwertig beurteilt wird, und dass Benzodiazepine bei den Behandlungsmöglichkeiten ganz klar als zweite Wahl bezeichnet werden. Außerdem hervorzuheben ist, dass auch diese Guideline der Kombinationsbehandlung eine hohe Bedeutung beimisst und explizit respektiert, dass die praktisch durchzuführende Behandlung immer von den Möglichkeiten des Arztes und der Einstellung des Patienten zur Therapie abhängt.
4.3
Behandlung mit Antidepressiva
Zur praktischen Behandlung mit Antidepressiva bei Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie trägt vor allem die Guideline der American Psychiatric Association aus dem Jahr 2000 [2] bei. Darin wird präzise zwischen dem Behandlungsbeginn und der späteren Behandlung mit Antidepressiva unterschieden. Da Angstpatienten oft zu Beginn auf Antidepressiva sehr empfindlich und zum Teil mit Unruhe oder vorübergehender Angststeigerung reagieren, sollte die Dosis initial geringer gewählt werden als bei der Depressionsbehandlung [18, 19]. Dagegen werden bei der länger dauernden Behandlung gleich hohe Dosen z. B. von trizyklischen Antidepressiva wie Imipramin und Clomipramin von 100 bis 200 mg erreicht wie bei der Depressionsbehandlung [9, 10]. Wie in der australischen Guideline wird auch hier aufgrund vieler kontrollierter Vergleichsstudien festgehalten, dass trizyklische Antidepressiva und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei der Behandlung von Angststörungen klinisch gleichwertig sind [4, 12]. Die APA-Guideline äußert sich auch zur Anwendung der MAO-Hemmer, die offenbar wirksam sind, deren relevante kontrollierte Studien aber alle vor 1980, also vor Einführung der DSM-III, durch-
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4.3 Behandlung mit Antidepressiva
33
geführt wurden und damit bezüglich der behandelten Patientenpopulation schwierig zu beurteilen sind, da nicht die aktuell gültige Krankheitsdefinition der Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie verwendet wurde [11, 15]. Diese Richtlinien hat auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in ihren Leitlinien von 2003 [3] weitgehend übernommen. 4.3.1
Zulassungsstatus der Antidepressiva
Obwohl viele kontrollierte Studien mit verschiedensten Antidepressiva vorliegen, ist in einem Konsensuspapier, das praktisch tätigen Ärzten als Richtlinie dienen soll, der Zulassungsstatus der einzelnen Antidepressiva entscheidend wichtig. Denn im Rahmen der heute in der Sozialversicherung geltenden Regeln ist es unabdingbar, dass die Behandlung vor dem Nachweis einer Therapieresistenz mit zugelassenen Medikamenten zu erfolgen hat. Eine entsprechende Übersicht über den Zulassungsstatus der in Deutschland einsetzbaren Antidepressiva ist deshalb von praktischem Nutzen (Tabelle 4.3). Sie zeigt, dass zur Behandlung von Panikstörungen in Deutschland nur vier Antidepressiva aufgrund kontrollierter Studien zugelassen sind, nämlich Citalopram, Escitalopram, Paroxetin und Clomipramin. Außerdem ist das Benzodiazepin Alprazolam zugelassen. Es ist praktisch sicher, dass z. B. Imipramin, das
Tabelle 4.3 Antidepressiva: zugelassene Indikationen in Deutschland bei Angststörungen (zusätzlich: Benzodiazepin Alprazolam)
Venlafaxin (Trevilor retard)
Depression mit Angstsymptomatik
Soziale Angststörung (soziale Phobie)
X
X
Citalopram Escitalopram
Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie
Generalisierte Angststörung X
X X
X
X
X
X
X
X
X
Fluoxetin Fluvoxamin Paroxetin Sertralin Moclobemid
X
Amitryptilin Clomipramin
X
Imipramin Trimipramin Alprazolam
X X
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4 Medikamentöse Behandlung der Panikstörung
zu Beginn der klinischen Prüfung von SSRI bei der Behandlung von Panikstörungen als Goldstandard und Vergleichssubstanz diente, ebenso wirksam ist wie die aktuell zugelassenen Präparate. Dasselbe gilt höchstwahrscheinlich auch für die anderen SSRI wie Fluoxetin, Fluvoxamin und Sertralin. Tatsächlich gibt es für diese Substanzen, insbesondere aus dem angloamerikanischen Bereich, eine Reihe gut kontrollierter Studien. Trotzdem bleibt die zu beachtende Regel bestehen, dass die Sozialversicherung Off-label-use von Antidepressiva wenigstens zu Beginn der Behandlung nicht bezahlt und dass deshalb der Zulassungsstatus der einzelnen Substanzen zu beachten ist.
4.4
Behandlung mit Benzodiazepinen
Da Alprazolam als Benzodiazepin ebenfalls zur Behandlung von Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie zugelassen ist, besteht die Frage seiner heutigen Einsetzbarkeit. Entsprechend der vorliegenden Metaanalysen, die sich im Wesentlichen auf die ersten 6 – 12 Wochen Akutbehandlung von Panikstörungen konzentrieren, beträgt die Effektstärke von medikamentösen Behandlungen mit Antidepressiva und mit Benzodiazepinen ca. 0,4 [7, 16]. Gerade wegen ihrer rasch einsetzenden Wirkung und initial besseren Verträglichkeit treten bei Benzodiazepinen weniger Therapieabbrüche als bei Antidepressiva auf [17]. Es ist aber zu beachten, dass je nach Empfindlichkeit des Patienten und Dosierung des Medikamentes, Sedierung und kognitive Einschränkung die sonst gute Verträglichkeit der Benzodiazepine reduzieren können. Nachdem Alprazolam in den 1980er Jahren als erstes Benzodiazepin seine Wirksamkeit bei Panikstörungen zweifelsfrei belegen konnte [z. B. 8], wurden in einer größeren Zahl randomisierter, kontrollierter Direktvergleichsstudien Clonazepam, Diazepam und Lorazepram geprüft und als vergleichbar wirksam gefunden. Im Vergleich mit den Antidepressiva scheinen aber bei den Benzodiazepinen unter Langzeittherapie die Vorteile schrittweise zu verschwinden. Bei einer Langzeittherapie über 6 Monate hinaus kommt es durch Toleranzentwicklung zu einer langsamen Abschwächung der Wirkung und damit verbunden zur zunehmenden Gefahr der Medikamentenabhängigkeit. Auch das Absetzen der Benzodiazepine nach mehrmonatiger Therapie ist offensichtlich oft schwierig. Aufgrund entsprechender Studien wird empfohlen, maximal 10 % der vorhandenen Dosis pro Woche zu reduzieren, d. h. eine Reduktionszeit von mindestens 3 Monaten vorzusehen [5].
4.5
Fazit und Ausblick
Abschließend sind folgende Punkte festzuhalten: R Entsprechend der Konzeption und Terminologie bei der Depressionsbehandlung muss auch bei der Behandlung der Panikstörung mit und ohne Agoraphobie eine Unterscheidung von Akutbehandlung, Erhaltungsbehandlung und Prophylaxe erfolgen, mit der Möglichkeit, Medikamente auf ihre Wirksamkeit in diesen drei Behandlungsbereichen präzise zu überprüfen. R Die beiden Hauptkomponenten der Behandlung, Antidepressiva und KVT, werden je nach klinischem Bild einzeln als Therapieschwerpunkt eingesetzt, wobei aber
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Literatur
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in der Praxis die Kombinationsbehandlung in ihrer Frequenz zunimmt und oft wirksamer als die jeweilige Monotherapie ist. R In den letzten Jahren wurden immer wieder neue Antidepressiva, zuletzt Escitalopram [14], in die Therapie der Panikstörungen eingeführt. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die Behandlung von Panikstörungen auch in Zukunft weiter verbessert werden kann.
Literatur 1. American Psychiatric Association. Practice Guideline for the Treatment of Patients with Panic Disorder. Am J Psychiatry. 1998;155:1 – 34. 2. American Psychiatric Association. Practice Guideline for the Treatment of Patients with Major Depressive Disorder. Am J Psychiatry 2000;157(4) Suppl. 3. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Empfehlungen zur Therapie von Angst- und Zwangsstörungen. 2. Auflage. Arzneiverordnung in der Praxis. 2003;30: Sonderheft 4. 4. Bakker A, van Balkom AJ, Spinhoven P. SSRIs vs. TCAs in the treatment of panic disorder: a meta-analysis. Acta Psychiat Scand. 2002;106:163 – 7. 5. Ballenger JC, Davidson JR, Lecrubier Y et al. Consensus statement on panic disorder from the International Group on Depression and Anxiety. J Clin Psychiatry. 1998; 58:47 – 54. 6. Dengler W, Selbmann HK. AWMF Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Angsterkrankungen. Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Band 2. Darmstadt: Steinkopff; 2000. 7. Gould RA, Otto MW, Pollack MH. A meta-analysis of treatment outcome for panic disorder. Clin Psych Rev. 1995;15:819 – 44. 8. Klerman GL. Overview of the Cross-National Collaborative Panic Study. Arch Gen Psychiatry. 1988;45:407 – 12. 9. Mavissakalian MR, Perel JM. Long-term maintenance and discontinuation of imipramine therapy in panic disorder with agoraphobia. Arch Gen Psychiatry. 1999;56: 821 – 7. 10. McTavish D, Benfield P. Clomipramine: an overview of its pharmacological properties and a review of its therapeutic use in obsessive compulsive disorder and panic disorder. Drugs. 1990;39:136 – 53. 11. Mountjoy CQ, Roth M, Garside RF et al. A clinical trial of phenelzine in anxiety depressive and phobic neuroses. Br J Psychiatry. 1977;131:486 – 92. 12. Otto MW, Tuby KS, Gould RA, McLean RYS, Pollack MH. An effect-size analysis of the relative efficacy and tolerability of selective serotonin reuptake inhibitors for panic disorder. Am J Psychiatry. 2001;158:1989 – 92. 13. Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists Clinical Practice Guidelines Team for Panic Disorder and Agoraphobia. Australian and New Zealand clinical practice guidelines for the treatment of panic disorder and agoraphobia. Australian and NZ J Psychiatry. 2003;37:641 – 56. 14. Stahl SM, Gergel I, Dayong L. Escitalopram in the treatment of panic disorder: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Clin Psychiatry. 2003;64: 1322 – 7. 15. Tyrer P, Candy J, Kelly D. Phenelzine in phobic anxiety: a controlled trial. Psychol Med. 1973;3:120 – 4.
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4 Medikamentöse Behandlung der Panikstörung
16. Van Balkom AJ, Bakker A, Spinhoven P, Blaauw BM, Smeenk S, Ruesink B. A meta-analysis of the treatment of panic disorder with or without agoraphobia: a comparison of psychopharmacological cognitive-behavioral and combination treatments. J Nerv Ment Disease. 1997;185:510 – 6. 17. Wilkinson G, Balestieri M, Ruggeri M, Bellantuono C. Meta-analysis of double-blind placebo-controlled trials of antidepressants and benzodiazepines for patients with panic disorders. Psychol Med. 1991;21:991 – 8. 18. Zitrin CM, Klein DF, Woerner MG. Treatment of agrophobia with group exposure in vivo and imipramine. Arch Gen Psychiatry. 1980;37:63 – 72. 19. Zitrin CM, Klein DF, Woerner MG. Treatment of phobias, I: comparison of imipramine hydrochloride and placebo. Arch Gen Psychiatry. 1983;40:125 – 38.
Diskussion Konzept der Langzeitbehandlung bei Panikstörungen noch unklar Das Konzept der Langzeitbehandlung bei Panikstörungen ist klinisch noch nicht genügend validiert und etabliert. Weil wir nicht genügend Studiendaten haben, wissen wir momentan noch nicht so richtig, was wir den Patienten raten sollen. Sollen sie beispielsweise eine Rezidivprophylaxe nur 1 Jahr lang oder länger betreiben? Das Ganze steht noch nicht so fest wie etwa bei der Depression. (Möller)
Hoher Anteil von Non-Response bei Angststörungen Mich wundert bei den Angststörungen immer, dass es offenbar wenig Studien zur Frage der Non-Response gibt. Bei den Panikstörungen ist die Zahl der Non-Responder nicht geringer als bei der Depressionstherapie mit Antidepressiva. Wir haben einen hohen Prozentsatz von Non-Response, was machen wir mit diesen Patienten? (Bauer) Meines Erachtens ist das mehr ein „medizinsoziologisches“ Phänomen. Nachdem der Begriff der „therapieresistenten Depression“ geprägt und propagiert worden war, ist das Thema dann bearbeitet worden. Der Begriff einer „therapieresistenten Angststörung“ ist bisher nicht geprägt worden, weshalb diese auch kein Thema ist. Ich denke aber, beide Phänomene existieren parallel. Nachdem die Störungen nosologisch deutliche Überlappungen haben, wird auch die Therapieresistenz beide betreffen. Allein schon die Dauer der Erkrankung wirft die Frage der Therapieresistenz auf. (Gastpar)
Konzept der „Angstneurose“ hatte Auswirkungen auf die Therapiestrategie Angststörungen wurden in Deutschland auch unter „Angstneurose“ diagnostiziert und therapiert, was in bestimmten Institutionen bedeutete, dass sie primär zu psychotherapieren und kein Feld der Antidepressiva-Therapie waren. Von dieser Tradition ausgehend, hat die medikamentöse Therapie nur langsam als sinnvolle Therapiestrategie Eingang gefunden. Sie hat zu kämpfen gehabt mit Vorstellungen, dass die Psychopharmakotherapie im Gegensatz zur psychodynamischen Therapie keine echte kausale Therapie sei. Mit dieser Tradition kämpfen wir zum Teil noch immer. (Möller)
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Diskussion
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Unterentwickelte Begrifflichkeit zur Therapieresistenz von Angststörungen Die ganze Taxonomie von „Remission“, „Relapse“, „Response“ und „Vollremission“ im Bezug auf Angsterkrankungen ist völlig unelaboriert. Das sind qualitative Begriffe. Natürlich kann man bestimmte Parameter zählen und dazu Ziffern notieren, doch der Bezug dieser Ziffern zu den genannten Begriffen wird nicht klar. Wenn man von Therapieresistenz redet, muss man sich darüber im Klaren sein, dass hier die Begrifflichkeit noch deutlich unterentwickelt ist im Vergleich zur Depression. (Maier) Möglicherweise basiert diese wenig elaborierte Taxonomie auch darauf, dass hier mit unrealistischen Krankheitsvorstellungen gearbeitet wurde und weiterhin wird, da Angstvorstellungen lange als Angstneurose in Richtung Psychotherapie gedeutet wurden und immer noch werden. Heute ist die Angstbehandlung überwiegend ein Feld der klinischen Psychologen. Institutionen wie die Dornier-Klinik, haben ihre Haupttätigkeit in der Behandlung von Angsterkrankungen, auch weil diese im medizinischen System nicht adäquat versorgt wurden. (Arolt) Dort wurde kürzlich eine Guideline herausgegeben über Angsterkrankungen. Darin wird die AWMFGuideline zitiert und bei der First-line-Behandlung nur kognitive Verhaltenstherapie angegeben, während – in Abänderung des tatsächlichen Textes der AWMFGuideline – die medikamentöse Therapie weggelassen wird. (Gastpar) Die Herausgeber jener Guideline sind überzeugt davon, dass Medikamente in der Behandlung von Angststörungen nichts zu suchen haben. An psychologischen Instituten wird zum Teil bestritten, dass der Einsatz von Medikamenten bei Panikerkrankungen sinnvoll sein kann. (Arolt)
Bewertung des Evidenzgrades zur Therapie von Angststörungen (methodisch) gebiast – Kaum Zugang zu primär therapierten Patienten für Studien – In Psychotherapie-Studien wird oft zusätzlich mit Medikamenten behandelt – Welche Therapie ist dauerhafter wirksam? Die Evidenzen sprechen zwar dafür, dass die erste Wahl bei Angststörungen eine Verhaltenstherapie und nicht eine medikamentöse Therapie ist. Die Bewertung der Evidenzen beruht aber meines Erachtens auf einem Denkfehler: Vergleicht man die Therapieeffekte, erreicht die Pharmakotherapie beispielsweise einen Effekt von 0,4 und die Verhaltenstherapie von 0,6 – 0,8. Auf dieser Grundlage wird argumentiert, dass die Verhaltenstherapie die Therapie erster Wahl sein müsse. Meines Erachtens kann man aber die Effektstärken gar nicht vergleichen, da die Effektstärken der Pharmakotherapie aus plazebokontrollierten Studien und die der Verhaltenstherapie aus normalen kontrollierten Studien resultieren. Während der Plazeboeffekt bei der Berechnung der Effektstärke zu Ungunsten der Pharmakotherapie zu Buche schlägt, kommt er der Psychotherapie zusätzlich zugute! Insofern lassen sich die Effektstärken nicht miteinander vergleichen, so dass man auch die Bewertung in den Guidelines, die auf diesem Stärkeargument beruhen, nicht heranziehen sollte. (Maier) Ich stimme Ihnen zu. (Gastpar) Wir freuen uns zwar, wenn auch die Psychotherapie etwas bewirkt, aber die Rangfolge der Therapie in den Guidelines zu den Angststörungen sollten wir schon kommentieren: Kognitive Verhaltenstherapie als erste Wahl nach der Psychoedukation, ist das wirklich evidenzbasiert aus entsprechenden Studien oder hat man ein-
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4 Medikamentöse Behandlung der Panikstörung
fach gesagt, wenn man schon mit einer Psychotherapie halbwegs so gut behandeln kann wie mit Medikamenten, dann zieht man die Psychotherapie vor, weil das irgendwie menschlich ist? In die Beurteilung spielt dann auch – das gilt auch für die beiden großen Metaanalysen – die soeben ausgeführte problematische Interpretation der Effektstärken hinein. (Möller, Gastpar) Einer der Kernpunkte der Verwirrung besteht in meinen Augen darin, dass es inzwischen niedergelassene Ärzte gibt, die den Stellenwert einer antidepressiven Medikation bei Angststörungen als gering einschätzen. Hinzu kommt: Für Studien haben wir fast keinen Zugang zu primär therapierten Patienten. Aber Patienten, die schon lange Zeit Benzodiazepine und alle möglichen anderen Medikamente bekommen haben, sind andere Patienten, als wir untersuchen wollen. (Gallhofer) Die Metaanalysen zum Vergleich zwischen Verhaltenstherapie und Medikamenten sollte man auch deswegen nicht verwenden, weil etwa 85 % der Patienten in den Verhaltenstherapie-Studien Medikamente zusätzlich erhielten. In 20 von 21 dieser Studien durften die Patienten Benzodiazepine und Antidepressiva gleichzeitig anwenden, so dass es kein Wunder ist, wenn sie in Metaanalysen gut abschneiden. Dennoch waren sie in den Metaanalysen kaum besser als die mit Medikamenten allein behandelten Patienten. Alle Metaanalysen besagen indessen, dass die Kombination von Verhaltenstherapie und Medikamenten am besten ist. Das ließ sich auch in 9 Einzelstudien nachweisen und ist insgesamt das robusteste Ergebnis. Keineswegs ist die Verhaltenstherapie besser als Medikamente. (Bandelow) Hinzu kommt die wesentliche Frage: Welche Therapie ist dauerhafter wirksam? Dazu zeigen 5 von 6 kontrollierten Follow-up-Studien, dass Medikamente genauso dauerhaft wirksam sind wie die Verhaltenstherapie. Die gegenteilige Behauptung lässt sich auch in der Praxis nicht verifizieren. Auch das Argument, dass die Verhaltenstherapie kostengünstiger sei, ist hinfällig, denn eine Sitzung mit 2 Stunden Verhaltenstherapie kostet so viel wie ein Monat lang SSRI. (Bandelow) Ich freue mich, dass wir die Thematik Psychotherapie bzw. kognitive Verhaltenstherapie versus Medikamente fundiert diskutiert haben. Ich habe selber eine verhaltenstherapeutische Ausbildung und halte dieses Verfahren für wichtig. Dennoch fand ich es gut, dass wir auf eine Problematik hingewiesen haben, die leider auch beim Guideline-Schreiben nicht immer beachtet wird, nämlich dass man Effektsizes nicht einfach wie Zentimeter-Angaben verrechnen kann, sondern dass ihre Vergleichbarkeit von der Studienmethodologie abhängig ist. Wenn man nicht verblindet und nicht plazebokontrolliert hat, erhält man eine Überschätzung der Effektsize, da die Plazeboeffekte mitzählen, während bei einer plazebokontrollierten Studie die Plazeboeffekte abgezogen werden. Ehrlicher wäre es, Effektsizes unter offenen Therapiebedingungen für beide Verfahren zu vergleichen. (Möller)
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Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung Hans Peter Kapfhammer
5.1
Einleitung
5.1.1
Definition
Traumatisierungen mit dem akuten Erlebnis von Lebensgefahr, ernsthafter Verletzung oder Bedrohung der körperlichen Integrität, die subjektiv mit überwältigender Furcht, Panik, Horror und Hilflosigkeit einhergehen, können eine Reihe von psychischen Störungen nach sich ziehen. Der Akuten (ASD = acute stress disorder) und Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD = posttraumatic stress disorder) wird ein eigenständiger diagnostischer Status eingeräumt. Syndromal imponieren bei beiden Störungen die Symptomcluster eines intrusiven Wiedererlebens und Wiedererinnerns des Traumas, eines traumabezogenen Vermeidungsverhaltens sowie einer autonomen Hyperaktivität. Bei der ASD werden diagnostisch zusätzlich dissoziative Symptome gefordert. Akute wie Posttraumatische Belastungsstörungen decken unterschiedliche Zeiträume nach einer Traumaerfahrung ab. Bei der ASD bestehen die Symptome für wenige Tage bis maximal 4 Wochen, bei der PTSD hingegen muss das Zeitkriterium von mindestens 4 Wochen erfüllt sein, auch ein verspäteter Beginn ist möglich. 5.1.2
Epidemiologie und Risikofaktoren
Amerikanischen epidemiologischen Untersuchungen zufolge werden mehr als 60 % der Personen in der Allgemeinbevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben mit einem traumatisierenden Ereignis konfrontiert, eine Subgruppe von ca. 25 % erfährt mehrfache Traumatisierungen. Allerdings entwickelt sich nach einer Traumaexposition nur bei einigen Personen eine PTSD bzw. ASD. Die Lebenszeitprävalenz in den USA liegt für die PTSD bei 7,8 %, wobei ein höheres Risiko für Frauen besteht (Männer: 5 %, Frauen: 10,4 %). In europäischen Ländern wie etwa Deutschland muss von deutlich niedrigeren Prävalenzzahlen ausgegangen werden (Männer: 1 %, Frauen: 2,2 %). Neben dem Geschlecht sind vor allem die Art und Schwere der aktuellen Traumatisierung, frühere Traumaerfahrungen sowie eine psychiatrische Anamnese als Risikofaktoren festzuhalten. 5.1.3
Verlauf und Verlaufskomplikationen
Der Verlauf von ASD und PTSD zeigt mehrheitlich eine Abnahme der Symptomintensität innerhalb einiger Monate. Doch bei einer Untergruppe von Patienten (ca. 20 – 25 %) liegt ein chronischer Verlauf über viele Monate und Jahre vor. Der Verlauf einer PTSD kann sich durch eine Vielzahl von komorbiden psychischen Störungen komplizieren. Hierunter ist vor allem ein deutlich erhöhtes Risiko hinsichtlich Ma-
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5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
jor Depression, Alkohol- und Substanzmissbrauch sowie Panikstörung hervorzuheben. Wegen assoziierter somatoformer Beschwerden und einer auffälligen somatischen Morbidität resultiert auch ein überproportionales medizinisches Inanspruchnahmeverhalten. Die allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität ist deutlich reduziert. Hohe psychosoziale Behinderungsgrade, aber auch enorme sozioökonomische Folgekosten müssen beachtet werden [vgl. 49]. 5.1.4
Ätiopathogenese
ASD und PTSD sind nicht als normative, sondern als atypische Stressreaktionen auf schwerwiegende Traumata zu verstehen. Gerade der Zuwachs an neurobiologischen Erkenntnissen unterstreicht, dass beide klinische Zustandsbilder vorteilhaft innerhalb eines multifaktoriellen ätiopathogenetischen Modells konzeptualisiert werden. Neurobiologische Befunde sind nicht nur imstande, einen zusätzlich klärenden Blick auf die mannigfaltigen psychopathologischen Manifestationen zu werfen. Sie tragen auch zu einem besseren Verständnis jener Mechanismen bei, die eine Chronifizierung und Komplizierung einer posttraumatischen Verarbeitung mitbedingen. In einer neurobiologischen Perspektive wird Konditionierungsprozessen in den basolateralen Anteilen der Amygdala eine zentrale Bedeutung zugesprochen. Nicht selten bewirkt eine gleichzeitige Dysfunktionalität in Thalamus, Hippocampus und präfrontalem Cortex, dass traumatische Erlebnisse überkonsolidiert werden und von modulierenden und hemmenden Einflüssen dissoziiert bleiben. Traumatische Erinnerungen repräsentieren oft nur Fragmente des ursprünglichen traumatischen Ereignisses, drücken sich vorrangig in affektiven und somatischen Reaktionen sowie in visuellen Bildern aus und sind sprachlich nur eingeschränkt kodiert. Die organismischen Stressreaktionssysteme sind bei traumatischen Einwirkungen akut verändert und können sich auch langfristig pathologisch adaptieren. Es werden Dysfunktionen in multiplen Neurotransmittersystemen nachgewiesen. Hierunter spielt eine noradrenerge Überaktivität eine entscheidende Rolle bei der Konsolidierung des traumatischen Gedächtnisses. Es sind aber auch das serotonerge, glutamaterge, dopaminerge und opioiderge System mit einbezogen. Das Stresshormonsystem der HPA-Achse ist häufig pathologisch verändert und zeigt vor allem in chronischen Verläufen einen Hypokortisolismus bei zentraler CRH-Stimulation auf. Über zentrale Amygdala-Anteile getriggerte Stressreaktionen führen zu einer Aktivierung des autonomen Nervensystems mit einer Hyperaktivität sowohl von Sympathikus als auch von Parasympathikus. Ein initial häufiges Oszillieren zwischen diesen beiden Reaktionsmodi des autonomen Nervensystems hat einen bedeutenden Einfluss auf neurobiologische Sensitivierungsprozesse der posttraumatischen Verarbeitung [vgl. 50].
5.2
Rationale für den Einsatz von Psychopharmaka in der Behandlung der Akuten und der Posttraumatischen Belastungsstörung
Die mittlerweile bei ASD und PTSD überzeugend nachgewiesenen neurobiologischen Veränderungen in zahlreichen Neurotransmittersystemen, die häufige Koexistenz anderer psychiatrischer Störungen, ferner chronische, therapierefraktäre Verläufe, aber auch ein nur partielles Ansprechen auf gängige Psychotherapiever-
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5.3 Prävention von klinisch relevanter Psychopathologie
41
fahren bei hartnäckigem Fortbestehen einzelner PTSD-Symptome begründen die Rationale für einen Einsatz von Psychopharmaka. Die Komplexität der mit posttraumatischen Stressreaktionen akut und langfristig einhergehenden neurobiologischen Veränderungen machen es wahrscheinlich, dass Medikamente mit bevorzugter Beeinflussung eines Systems die Fülle der klinischen Symptome nicht umfassend behandeln können und häufig nur zu einer Teilremission der psychopathologischen Auffälligkeiten führen. Medikamentöse Therapieansätze sollen zunächst die Akutphase nach einer schwerwiegenden Traumatisierung behandeln und dabei sowohl Aspekte einer medikamentös angestrebten Prävention von klinisch relevanter posttraumatischer Symptomatik als auch der Behandlung der ASD berücksichtigen. Die Psychopharmakotherapie der PTSD, die wesentlich auch jener der ASD entspricht, orientiert sich an Befunden aus empirischen Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit einzelner pharmakologischer Substanzklassen. Die in diesem Beitrag aufgeführten Studienergebnisse beziehen sich fast ausschließlich auf kurzfristige Interventionen von wenigen Wochen. Zu Fragen einer Langzeitbehandlung existiert nur unzureichendes empirisch fundiertes Wissen.
5.3
Prävention von klinisch relevanter Psychopathologie nach Traumaexposition
In einer neurobiologischen Sicht stellen sich nach schwerwiegenden Traumatisierungen zwei Aspekte der traumatischen Gedächtnisbildung als Risikofaktoren für eine mögliche akute und/oder posttraumatische Symptombildung heraus: In einem Fall handelt es sich um eine vor allem noradrenerg gesteuerte Speicherung traumatischer Erinnerungen, die bei einer hypernoradrenergen Aktivität zu einer Überkonsolidierung der klassischen Konditionierung traumatischer Emotionen in der Amygdala führen kann und gleichzeitig potenzielle Hemmeffekte durch präfrontal kortikale Strukturen reduziert [65]. Im anderen Fall sind es in diesem Kontext gehäuft auftretende intrusive, d. h. nicht willentlich gesteuerte Wiedererinnerungen, die im Sinne einer Retraumatisierung den Konsolidierungsprozess zusätzlich bestärken können. Diese intrusiven Wiedererinnerungen werden maßgeblich durch verfügbares Kortisol gehemmt [80]. Aus diesem Modell lassen sich zwei pharmakologische Interventionsmöglichkeiten ableiten, die prinzipiell von präventiver Wertigkeit nach Traumaexpositionen sein könnten, einerseits die pharmakologische Reduktion des noradrenergen Tonus bei der Gedächtniskonsolidierung, andererseits die Stärkung des Hemmeffektes von Kortisol auf den Gedächtnis-Retrievalprozess [73]. 5.3.1
Reduktion der noradrenergen Überaktivität
Eine Reduktion der noradrenergen Überaktivität ist prinzipiell durch eine postsynaptische β-adrenerge Blockade, aber auch durch eine präsynaptische α2-agonistische Reduktion der Noradrenalin-Freisetzung erzielbar. Pitman et al. [74] rekrutierten 41 Patienten, die sich unmittelbar nach einer Traumatisierung (mehrheitlich schwere Verkehrsunfälle) mit Vorliegen des DSM-IV-Traumakriteriums A1 und A2 und Anzeichen einer erhöhten autonomen Aktivität (Ruhepuls > 80/min) in einer
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5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
Notfallambulanz vorstellten. Die Patienten wurden in einer randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studie über 10 Tage entweder mit 4 × 40 mg/d Propranolol (n = 18) oder Plazebo (n = 23) behandelt. Die Verum- bzw. Plazebomedikation wurde anschießend über 9 Tage ausgeschlichen. In einer ersten Evaluierung 1 Monat nach dem Trauma fand sich eine Überlegenheit der Verumgruppe in der Clinician-Administered PTSD-Scale (CAPS) (p = 0,03). Zu diesem Zeitpunkt erfüllten 2 Patienten aus der Propranolol-Gruppe, hingegen 6 aus der Plazebogruppe die diagnostischen Kriterien einer PTSD (p = 0,19). In der Follow-up-Untersuchung 3 Monate nach dem Trauma erhielten 1 Patient aus der Propranolol- und 3 aus der Plazebogruppe die Diagnose einer PTSD (p = 0,35). Dieser positive, aber aufgrund der kleinen Fallzahl statistisch nicht signifikante Trend in der kategorialen Diagnostik wurde deutlicher, wenn bei der genannten Evaluierung kein Patient aus der Verum-, aber 8 Patienten aus der Plazebogruppe sich in einem auf einem Traumaerinnerungsprotokoll basierenden Untersuchungsparadigma als physiologische Responder darstellten (p = 0,04). Zwei weitere kontrollierte, aber nicht verblindete und nicht randomisierte Frühinterventionsstudien [29, 98] sowie eine Fallstudie [94] unterstrichen den vorteilhaften Effekt einer β-adrenergen Blockade hinsichtlich einer reduzierten Schwere von späteren PTSD-Symptomen. Eine Erfolg versprechende Reduktion von PTSD-assoziierten Schlafstörungen und Alpträumen wurde auch unter dem α1-Antagonisten Prazosin registriert [77]. Therapeutische Beobachtungen mit α2-agonistischen Substanzen, die wie Clonidin oder Guanfacin zu einer verminderten Freisetzung von Noradrenalin aus den präsynaptischen Vesikeln und damit zu einer Reduktion des noradrenergen Einflusses beitragen, weisen ebenfalls ein therapeutisches Potenzial auf, das in Frühinterventionen genutzt werden könnte [u. a. 41, 47, 53, 54]. Kontrollierte Studien hierzu fehlen aber noch. 5.3.2
Hydrokortison
Das Prinzip einer präventiven Gabe von stressbezogenen Dosen von Hydrokortison wurde erstmals in doppelblinden, plazebokontrollierten Studien an intensivpflichtigen Patienten mit septischem Schock und nach herzchirurgischen Bypass-Operationen erfolgreich durch Schelling et al. [84, 85] erprobt. Vor allem Patienten mit akutem Lungenversagen (ARDS) und septischem Schock weisen in der Folgezeit ein erhöhtes PTSD-Risiko auf [51, 83]. Einer relativen Kortisolinsuffizienz bei einer noradrenergen Überstimulation wird hierbei eine entscheidende pathogenetische Rolle zugesprochen. Die prophylaktische Gabe von Stressdosen Hydrokortison (initialer Bolus von 100 mg und anschließend 0,18 mg/kg Körpergewicht/Stunde bis zur Schockumkehr) konnte das PTSD-Risiko hochsignifikant reduzieren. In einer ersten doppelblinden, plazebokontrollierten Crossover-Studie zeigten Aerni et al. [1] an 3 Patienten mit chronischer PTSD-Symptomatik, dass eine niedrigdosierte Gabe von Hydrokortison (10 mg/d) zu einer signifikanten Reduktion vor allem der intrusiven Traumaerinnerungen führte.
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5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
5.3.3
43
Benzodiazepine
Dem Früheinsatz von Angst lösenden Benzodiazepinen käme in der klinischen Erwartung ebenfalls eine mögliche protektive Rolle zu. GABA-erge Interneurone üben einen modulierend-hemmenden Effekt an der Amygdala aus [81]. In einer empirischen Überprüfung konnten diese in der Praxis häufig unterstellten positiven Wirkungen von Benzodiazepinen allerdings nicht bestätigt werden. In einer doppelblinden, plazebokontrollierten Crossover-Studie an 16 Patienten mit PTSD zeigte sich kein Unterschied zwischen Plazebo und Alprazolam (durchschnittlich 4,4 mg/d) im Hinblick auf die Kontrolle der PTSD-Symptome, es deutete sich eine diskrete Überlegenheit von Alprazolam in der Besserung der Angstsymptome an [12]. Eine unter Aspekten einer Frühintervention konzipierte doppelblinde, plazebokontrollierte Studie von Gelpin und Mitarbeitern [34] erbrachte ein bemerkenswert negatives Ergebnis. Je 13 Patienten wurden innerhalb von 18 Tagen nach einer Traumaexposition zwischen 1 und 6 Monaten mit Benzodiazepinen (Clonazepam 2,7 mg/d, n = 10; Alprazolam 2,5 mg/d, n = 3) bzw. mit Plazebo behandelt. Zum Evaluationszeitpunkt 6 Monate nach dem Trauma erfüllten 15 % der Plazebogruppe die diagnostischen Kriterien einer PTSD, aber 69 % der Benzodiazepin-Gruppe. Als klinisch ferner bedeutsam musste erachtet werden, dass kein Patient der Plazebo-, aber 54 % der Patienten der Benzodiazepin-Gruppe zu diesem Follow-up-Termin auch eine komorbide Major Depression zeigten. In einer weiteren doppelblinden, plazebokontrollierten Frühinterventionsstudie konnte kein Unterschied zwischen Temazepam (30 mg/d) und Plazebo bezüglich posttraumatischer Symptomatik gefunden werden [66]. Angesichts dieser relativ klaren Befunde, die zwar noch auf wenigen kontrollierten Studien beruhen, sollte in der Frühintervention nach Traumatisierungen Zurückhaltung gegenüber Benzodiazepinen geübt werden.
5.4
Pharmakotherapeutische Strategien bei der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
Serotonerg wirksame Antidepressiva, speziell die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), zählen zu den empirisch am besten untersuchten Substanzen in der Behandlung der ASD und PTSD. Das Serotoninsystem weist auch bei der ASD und PTSD bedeutsame Veränderungen auf. Serotonin moduliert die noradrenerge Reagibilität und das autonome Arousal. Im Tierexperiment beeinträchtigt ein niedriges Serotonin diese Modulationsfähigkeit, zeigt sich in einer verstärkten Schreckreaktion und geht mit zahlreichen anderen behavioralen Zeichen der Hyperirritabilität, Hypererregtheit und Hypersensitivität auf relativ harmlose Reize einher. Serotonin besitzt allgemein eine hemmende Wirkung auf die neuronale Aktivität. Eine balancierte serotonerge Funktionalität zentriert und pointiert die Wahrnehmung und scheint eine entscheidende Voraussetzung für eine flexible Realitätsorientierung und einen situationsadäquaten Einsatz von Reaktionsweisen zu sein. Bei prolongiertem Stress kommt es relativ rasch zu einem Abfall der Serotoninkonzentrationen. Hieraus resultiert eine inadäquate Informationsverarbeitung. Zustände von Trance, Depersonalisation, Halluzination, Schlafstörung, Depression und Apathie können imponieren. Eine stressinduzierte serotonerge Dysregulation führt
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44
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
auch zu einer Reihe von Verhaltensproblemen einschließlich gestörter Impulskontrolle, aggressiver Durchbrüche und zwanghafter Reinszenierungen von traumabezogenen Verhaltensmustern sowie zu einer obsessiven Beschäftigung mit Trauma-Erinnerungen [49]. Für die SSRI Fluoxetin, Sertralin, Paroxetin und Citalopram existieren doppelblinde, plazebokontrollierte Studien, für Fluvoxamin mehrere offene Studien in der Behandlung der PTSD (Tabelle 5.1). Diese Studien belegen einen erfolgreichen Einsatz sowohl bei PTSD nach Kriegs- als auch nach Ziviltraumata. SSRI sind imstande, alle drei Symptomcluster der intrusiven Wiedererinnerung, der traumabezogenen Vermeidung und des autonomen Hyperarousal zu bessern. Diese breit gestreuten Effekte auf die PTSD-Symptomatik stellen sich in den einzelnen Studien in unterschiedlichem Ausmaß dar. Aufgrund der vorliegenden empirischen Datenlage ist es nicht möglich, ein bestimmtes SSRI-Präparat gegenüber anderen differenziell herauszuheben. Die SSRI wurden in den auch zur antidepressiven Behandlung üblichen Dosierungen eingesetzt. Die Studien währten 5 – 12 Wochen. Die hierbei gefundenen Effekte beschreiben also ausschließlich Ergebnisse einer Akutbehandlung. Für das Verständnis der in den einzelnen Studien berichteten Therapieresponse-Raten ist wichtig, dass eine Reduktion der PTSD-Scores in der mehrheitlich eingesetzten CAPS um 30 % schon als ein therapeutisches Ansprechen gewertet wurde [39]. In den wenigen durchgeführten Langzeitstudien zeigte sich einerseits eine auch nach 24 Wochen noch signifikante Überlegenheit der SSRI gegenüber Plazebo, andererseits eine während des Gesamtbehandlungszeitraums kontinuierliche Besserung in allen drei PTSD-Symptomclustern [22 zu Sertralin, 64 zu Fluoxetin]. In der Studie von Londborg et al. [59] waren 92 % der Patienten, die in der Akutbehandlung auf Sertralin positiv ansprachen, auch Therapieresponder nach der Erhaltungstherapie. 54 % der Non-Responder in der Akutphase wurden während der Erhaltungstherapie zu Therapierespondern. Eine 20 – 25 %ige Besserung der PTSD-Symptomatik (gemessen über CAPS) wurde während der Langzeitperiode erzielt. Jene Patienten mit sehr hohen CAPS-Ausgangsscores benötigten offensichtlich für eine zufrieden stellende Besserung ihrer Beschwerden einen wesentlich längeren Zeitraum als in den üblichen 12-wöchigen Akutbehandlungen zur Verfügung stand. Für Nefazodon, Venlafaxin, Trazodon und Mirtazapin existieren bisher nur offene Studien (Tabelle 5.2). Die ebenfalls für eine Akutbehandlung konzipierten Untersuchungen deuteten Besserungsraten in einem den SSRI vergleichbaren Ausmaß an. Aufgrund der fehlenden kontrollierten Studien können diese Präparate allerdings vorerst nur als Medikamente der 2. Wahl nach den SSRI erachtet werden. Klinisch bedeutsam erscheint, dass Nefazodon, Trazodon und Mirtazapin PTSD-assoziierte Schlafstörungen ausgezeichnet besserten. Es ist einer weiteren kontrollierten Untersuchung vorbehalten, ob Venlafaxin bei einer Therapieresistenz auf SSRI eine Überlegenheit zeigt, wie in kasuistischen Beobachtungen festgehalten wurde [38], und ob Mirtazapin eine besondere Effizienz in der Kontrolle von Albträumen beanspruchen kann [57]. Das Antidepressivum Bupropion erzielte gegenüber Plazebo keine Überlegenheit [15]. In kleineren doppelblinden, plazebokontrollierten Studien mit dem irreversiblen, nicht selektiven MAO-Hemmer Phenelzin und dem reversiblen MAO-A-Hemmer Brofaromin deuteten sich Vorteile gegenüber Plazebo an (Tabelle 5.2). Für den reversiblen MAO-A-Hemmer Moclobemid existieren positive Ergebnisse aus einer of-
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Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer in der Akutbehandlung bei PTSD
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Patienten
Wirkung
Hertzberg et al. 2000
DB/PC
31
5 Wo
20 – 60 mg
Kriegstrauma chronisch 55 % +MD 73 % C
> Plazebo (p < 0,01) CAPS: + Gefühlsbetäubung/Vermeidung, Hyperarousal
Connor et al. 1999
DB/PC
53
12 Wo
20 – 60 mg
Ziviltrauma, Frauen 66 % C
> Plazebo (59 % vs. 19 % TR, DGRP [„sehr gebessert“, p < 0,0005 ])
Martenyi et al. 2002
DB/PC
226/75
12 Wo
20 – 80 mg
Kriegstrauma, Ziviltrauma
> Plazebo (TR: 60 % vs. 44 %, p = 0,006) CAPS: + Intrusion, Hyperarousal
Brady et al. 2000
DB/PC
187
12 Wo
- 200 mg
> Plazebo (TR: ≥ 30 % Reduktion CAPS, 53 % vs. 32 %, p < 0,02; CGI-S/-I: p < 0,02; IES: p = 0,07) HAMD-24 (p = 0,04); DTS (p = 0,003), alle drei Symptomcluster: Besserung ca. 40 – 50 %, signifikant: Vermeidung, Hyperarousal, nicht Intrusion
Davidson et al. 2001
DB/PC
108/100
12 Wo
146 ± 50 mg
> Plazebo (TR: 60 % vs. 38 %, p < 0,004), signifikant: CAPS, CGI-S, -I, IES
Zohar et al. 2002
DB/PC
23/19
10 Wo
120 mg
MC/DB/ PC
151/156
12 Wo
20 – 50 mg
Fluoxetin
Sertralin
Kriegstrauma chronisch
> Plazebo, aber nicht signifikant
Paroxetin Tucker et al. 2001
45
> Plazebo (CAPS-2, p < 0,001; TR: CGI-I: 59 % vs. 38 %, p < 0,001 Besserung in allen drei Symptomclustern
5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
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Tabelle 5.1
(Fortsetzung) Design
n
Dauer
Dosis
Patienten
Wirkung
Marshall et al. 2001
R/PC
183/182/ 186
De Boer et al. 1992
offen
24
12 Wo
300 mg
Kriegstrauma n = 12 C
Maastricht-Q (p = 0,04)
Marmar et al. 1996
offen
10
10 Wo
100 – 250 mg
Kriegstrauma
Reduktion: 46 % Intrusion, 40 % Vermeidung, 40 % Hyperarousal (p < 0,05)
Davidson et al. 1998
offen
14
8 Wo
50 – 300 mg
Ziviltrauma
diverse Skalen: Reduktion: 35 – 48 % (p < 0,05)
Escalona et al. 2002
offen
15
14 Wo
100 – 300 mg
Kriegstrauma n = 8C
CAPS (p < 0,001)
Seedat et al. 2002
offen
24/14
8 Wo
20 – 40 mg
Kinder und Jugendliche (n = 24), Erwachsene (n = 14) 40 % + MD
TR (Kind./Jug.): 67 % (CGI: „sehr gebessert“) CAPS: + Vermeidung, TR (Erwachs.): 64 % Hyperarousal: Kind./Jug. > Erwachs. MD ohne Effekt auf TR, sehr gute Verträglichkeit
Momtazi 2002
offen
40
8 Wo
Tucker et al. 2003
DB/PC
25/23/10
10 Wo
> Plazebo (primäre/sekundäre Outcome-V; TR 20 mg: 62 %, TR 40 mg: 58 %, TR-Placebo: 38 %), signifikante Besserung in allen drei Symptomclustern
20 mg/ 40 mg/ Plazebo
Fluvoxamin
Citalopram
CAPS: 89,8 ± 15,7 vs. 67,5 ± 21,0 (p < 0,05) Citalopr./ Sertralin/ Plazebo
signifikante Besserung unter SSRI: Sertralin: > Vermeidung/Betäubung, + gastrointestinale NW, Schlaflosigkeit Citalopram: + Müdigkeit, Appetitstörungen
C = Completers, CAPS = Clinician Administered PTSD Scale, CGI-I = Clinical Global Impression of Improvement, CGI-S = Clinical Global Impression of Severity, DGRP = Duke Global Rating for PTSD, DTS = Davidson Trauma Scale, H = Hyperarousal, HAMD = Hamilton-Depressionsskala, I = Intrusion, IES = Impact of Event Scale, KT = Kriegstrauma, MC = multizentrisch, MD = Major Depression, PC = plazebokontrolliert, R = randomisiert, TR = Therapieresponse, V = Vermeidung, ZT = Ziviltrauma
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
Autoren
46
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Tabelle 5.1
DAS, SNRI, SARI, NaSSA, Bupropion, MAO-Hemmer und Trizyklika in der Akutbehandlung der PTSD
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
Hidalgo et al. 1999
Metaanalyse von 6 offenen Studien
92
6 – 12 Wo
– 600 mg
Patienten mit Zivil-/Kriegstrauma Response-Kriterium (–30 %, –40 %, –50 %): 46 %, 34 %, 26 % Intrusion: 34,4 ± 36,9 %, Vermeidung: 28,3 ± 37,1 %, Hyperarousal: 31,3 ± 37,4 % + Schlaf Ziviltrauma > Kriegstrauma, jung >, weiblich >; Hinweise: + TR auch bei vorheriger SSRI-Nonresponse
Gillin et al. 2001
offen
Nefazodon
12 Wo
Schlafpolygraphie, gute Besserung des Schlafes
Venlafaxin Smajkic et al. 2001
offen
Hamner u. Frueh 1998
Case report
5/15/12
6 Wo
Venlafax. – 450 mg/ Sertralin – 100 mg/ Paroxetin 20 mg
alle Gruppen mit signifikanter Besserung der PTSD-Symptome Venlafaxin: Besserung der PTSD-Symptomintensität, jedoch nicht BDI-Scores, zahlreiche Nebenwirkungen / Dropouts
4 Wo
225 mg
Therapieresistenz auf SSRI (Sertralin 200 mg, 3 Monate; Fluoxetin 20 mg > 4 Wo) Venlafaxin: erfolgreiche Behandlung
5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
47
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Tabelle 5.2
48
(Fortsetzung)
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
offen
6
4 Mon
– 400 mg
4 Pat. deutlich gebessert, 2 ungebessert, CAPS: 92 Baseline, 79 am Endpunkt, gute Besserung des Schlafes
Connor et al. 1998
offen
6
8 Wo
– 45 mg
50 % signifikant gebessert (> 50 % Reduktion in PTSD-Symptomen), + Depression, + Schlaf/Albtraum
Davidson et al. 2003
PC
29 (2:1)
8 Wo
45 mg
> Plazebo: TR/C 78,6 % vs. 16,7 % (p = 0,01)
Chung et al. 2004
offen, R
51/49
Mirtazap. 34 mg/ Sertralin 102 mg
CAPS-TR: Mirtazapin 88 % vs. Sertralin 69 % (p = 0,039)
offen
17
6 Wo
– 400 mg
CAPS: Bupropion = Plazebo; CGI: Bupropion > Plazebo (Depression)
DB/PC
6/7
5 Wo
Phenelzin 66 mg
n = 6C Phenelzin = Plazebo
Trazodon Hertzberg et al. 1996
Mirtazapin
Bupropion Canive et al. 1998 MAO-Hemmer Shestazky et al.1988
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
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Tabelle 5.2
(Fortsetzung)
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
Kosten et al. 1991
DB/PC
19/ 23/ 18
8 Wo
Phenelzin 68 mg/ Imipramin/ Plazebo
Phenelzin > Plazebo Phenezin: + Intrusion/Vermeidung; Imipramin: + Intrusion
Baker et al. 1995
DB/PC
56/
12 Wo
Brofaromin 140 mg
Brofaromin = Plazebo
58 Katz et al. 1995
DB/PC
68
14 Wo
Brofaromin 150 mg
CGI: Brofaromin > Plazebo, CAPS: Brofaromin = Plazebo; post hoc: chronische PTSD: Brofaromin > Plazebo
Reist et al. 1989
DB/PC
27
4 Wo
Desipramin 165 mg
PTSD: Desipramin = Plazebo Depression: Desipramin > Plazebo Crossover nach 4 Wo
Davidson et al. 1990
DB/PC
40
8 Wo
Amitriptylin 175 mg
IES (-50 %): Amitriptylin 50 % > Plazebo 17 %
Trizyklika
Kosten et al. 1991
siehe oben
BDI = Beck-Depressions-Inventar, C = Completers, CAPS = Clinician Administered PTSD Scale, DAS = Dual 5-HT2-Antagonist / Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, DB = doppelblind, IES = Impact of Event Scale, NaSSA = noradrenerges und selektiv serotonerges Antidepressivum, PC = plazebokontrolliert, R = randomisiert, SARI = Serotonin 5-HT2-Antagonist und Wiederaufnahmehemmer, SNRI = Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, TR = Therapieresponse
5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
49
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Tabelle 5.2
50
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
fenen Studie [68]. Die Symptomremission unter den selektiven MAO-Hemmern war insgesamt moderat, aber immerhin etwa die Hälfte aller behandelten Patienten mit einem chronischen PTSD-Verlauf von über einem Jahr erfüllte nach Behandlungsende mit Brofaromin die PTSD-Kriterien nicht mehr [52]. Zu den Trizyklika Desipramin, Amitriptylin und Impramin liegen ebenfalls Resultate aus kontrollierten Studien vor (Tabelle 5.2). Sie zeigten für Desipramin keine Vorteile gegenüber Plazebo, für Amitriptylin moderate, aber statistisch signifikante Effekte sowie eine Überlegenheit von Imipramin gegenüber Plazebo, aber eine geringere Effizienz gegenüber Phenelzin. Die Bedeutung einer genügend langen Behandlungsperiode zur Einschätzung eines eventuellen Ansprechens auf Desipramin war erkennbar. Bemerkenswert war ferner, dass eher Patienten mit geringer PTSDSymptomatik von Amitriptylin profitierten. Immerhin 64 % der Patienten erfüllten auch nach einer 8-wöchigen Behandlungsperiode mit Amitriptylin noch immer die diagnostischen Kriterien einer PTSD [21]. Trizyklika scheinen in der Behandlung der ASD/PTSD allgemein weniger wirksam als MAO-Hemmer zu sein [26]. Aufgrund der vermutlich geringeren therapeutischen Effizienz der Trizyklika und des ungünstigeren Nebenwirkungsspektrums sowohl von Trizyklika als auch von MAO-Hemmern werden beide Substanzklassen lediglich als Medikamente der 3. Wahl angesehen [2]. Die als Moodstabilizer eingesetzten Antikonvulsiva könnten für eine medikamentöse Behandlung der ASD/PTSD mehrfach interessant sein. Sie können einerseits die zahlreichen Symptome von Irritabilität, Ärger, Aggressivität und gestörter Impulskontrolle, die auch syndromal bei der ASD/PTSD vorkommen, positiv beeinflussen. Andererseits besitzen zahlreiche Antikonvulsiva einen Anti-Kindlingeffekt, der sich bei einer posttraumatischen Entwicklung ebenfalls vorteilhaft auswirken könnte. Die meisten der unter dieser Indikationsstellung eingesetzten Antikonvulsiva wurden bisher nur in offenen Studien erprobt (Tabelle 5.3). Durchaus Erfolg versprechende Effekte wurden für Carbamazepin, Oxcarbazepin, Valproat, Gabapentin, Topiramat, Tiagabin und Phenytoin registriert. Kontrollierte Studien sind dringend durchzuführen, da in offenen Studien gefundene Besserungen, beispielsweise für Valproat, in kontrollierten Studien gegenüber Plazebo nicht mehr bestätigt werden konnten [37, 46]. In einer ebenfalls doppelblinden, plazebokontrollierten Untersuchung zeigte sich Lamotrigin dem Plazebo hingegen als überlegen [42]. Das besondere dermatologische Nebenwirkungsrisiko (Stevens-Johnson Syndrom bei ca. 0,3 %) verlangt aber eine vorsichtige, über viele Wochen durchgeführte Höherdosierung. Noch vor wenigen Jahren wurde der Stellenwert von Neuroleptika in der Behandlung der ASD/PTSD, abgesehen von einem vorteilhaften Einsatz bei psychotischen Entgleisungen nach schweren Traumatisierungen, als unbedeutend eingestuft. Dies hat sich durch die mittlerweile zahlreichen, vorerst mehrheitlich aber nur offenen Studien mit atypischen Neuroleptika geändert (Tabelle 5.4). Eine bedeutsame dopaminerge Dysfunktionalität in der posttraumatischen Verarbeitung begründet neurobiologisch das Rationale für eine Dopamin blockierende Medikation. Atypische Neuroleptika versprechen eine interessante Therapieoption entweder als Mono- oder aber als Add-on-Therapie beispielsweise zu den SSRI. Positive Effekte können vor allem bei Aggressivität oder negativer Affektivität, bei Intrusionen und dissoziativen Zuständen, aber auch bei Schlafstörungen und Alpträumen erwartet werden.
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Mood-Stabilisatoren in der Akutbehandlung der PTSD
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
offen
10
5 Wo
780 mg
CGI: 7/10 „sehr gebessert“ + Intrusion; hohe Komorbidität
4 Mon
2 x – 450 mg/d
zuvor mehrere Jahre: (+) Carbamazepin (– Nebenwirkungen), – Valproat, Fluoxetin, Sertralin, Nefazodon, Trazodon, Paroxetin, Clonazepam, Buspiron Oxcarbazepin: klinisch gute Besserung der PTSD-Symptome
Carbamazepin Lipper et al. 1986 Oxcarbazepin Berigan 2002
Case report
Valproat Fesler 1991
offen
14
11 Mon
250 – 1000 mg (+ PP)
+ Schlaf, Hyperarousal
Clark et al. 1999
offen
16
8 Wo
1000 – 2500 mg (+ PP)
+ CGI, CAPS, HAMD, HAMA
Petty et al. 2002
offen
21
8 Wo
1840 mg (+ PP)
+ CAPS, HAMD, HAMA
Otte et al. 2004
offen
10
8 Wo
250 – 2000 mg
keine Verbesserung in Self-Ratings
Hollander et al. 2003
R/DB/PC
34
12 Wo
1567 mg
Valproat = Plazebo (OAS-M Aggression)
Hamner et al. 2004
R/DB/PC
29
10 Wo
500 – 1500
Valproat = Plazebo (Tendenz: > CAPS-C)
5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
51
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Tabelle 5.3
52
(Fortsetzung)
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
offen
30
10 Mon
300 – 3600 mg
+ CGI, Schlafstörung, Albträume
Berlant u. van Kammen 2002
offen
35
33 Wo
flexible Dosierung
+ Intrusionen, Albträume
Berlant 2004
offen, prosp.
35 (28 add-on)
50 mg
TR: 77 % nach 4 Wo
offen
7
4 – 12 mg
+ CGI, PCL-C
R/DB/PC
14
12 Wo
50 – 500 mg
> Plazebo DGRP-I
offen
9
3 Mon
– 1200 mg
+ CAPS, kein Unterschied in HAMD, HAMA
Gabapentin Hamner et al. 2001 Topiramat
Tiagabin Taylor 2003 Lamotrigin Hertzberg et al. 1999 Phenytoin Bremner et al. 2004
CAPS = Clinician Administered PTSD Scale, CGI = Clinical Global Impression, DB = doppelblind, DGRP-I = Duke Global Rating for PTSD-Intrusion symptoms, HAMA = Hamilton-Angstskala, HAMD = Hamilton-Depressionsskala, OAS-M = Over Aggression Scale-modified, PC = plazebokontrolliert, PCL-C = Patient Checklist for Posttraumatic Stress Disorder-Civil version, PP = (andere) Psychopharmaka
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
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Tabelle 5.3
Atypische Neuroleptika in der Akutbehandlung der PTSD
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
David et al. 2003
offen
16
16 Wo
2,5 mg
+ CAPS-B, PANSS, CGI
Monelly et al. 2003
add-on, PC
7/8
6 Wo
0,5 – 2 mg
> Plazebo: PCL-M, OAS-M (Aggression)
Reich et al. 2004
PC
12/9
8 Wo
0,5 – 8 mg
> Plazebo: CAPS-2 (Intrusion, Hyperarousal)
Hamner et al. 2003
add-on, DB/PC
37
5 Wo
0,5 – 8 mg
psychotisch (n = 37) > Plazebo: PANSS, CAPS (Intrusion)
Bartzokis et al. 2005
add-on, DB/PC
68 (48 C)
3 Mon
3 mg
> Plazebo: CAPS(-D), HAMA, PANSS-P
Petty et al. 2001
offen
48 (30 C)
8 Wo
5 – 20 mg
+ CAPS (Intrusion), CGI
Stone u. Petty 2001
offen
12
8 Wo
2,5 – 5 mg (+SSRI)
gute klinische Besserung der PTSDSymptome
Pivac et al. 2004
offen
55
6 Wo
Olanzapin 5 – 10 mg/ Fluphenazin 5 – 10 mg
psychotisch (n = 55) Olanzapin > PANSS, Watson arousal/ avoidance, CGI, PGI-I
Manguno-Mire et al. 2003
R/DB
15
6 Wo
Olanzapin20 mg/ Haloperidol 10 mg
psychotisch (n = 15) Olanzapin > CAPS, PCL-M
Risperidon
Olanzapin
5.4 Pharmakotherapeutische Strategien
53
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Tabelle 5.4
54
(Fortsetzung)
Autoren
Design
n
Dauer
Dosis
Wirkung
Butterfield et al. 2001
DB/PC
15 (11 C)
10 Wo
5 – 20 mg
= Plazebo
Stein et al. 2002
add-on SSRI, DB/PC
19
12 Wo
Labbate u. Douglas 2000
Case report
Jakovljevic et al. 2003
Case reports
5
+ Schlafstörung, Albträume, + therapieresistente Albträume
States u. Dennis 2003
Case reports
5
+ Schlafstörung, Albträume
Filteau et al. 2003
Case reports
5
Hamner et al. 2003
offen, add-on
20 (18 C)
Sokolski et al. 2003
retrospektiv
68
> Plazebo: CAPS, Pittsburgh Sleep Quality Inventory, CES-D = Plazebo: CGI + Schlafstörung, Albträume
Quetiapin
6 Wo
150 – 300 mg
+ Reduktion der Flashback-Intrusionen
– 300 mg
+ CAPS, PANSS, HAMD
25 – 300 mg (+ PP)
+ PTSD-Symptome
C = Completers, CAPS = Clinician Administered PTSD Scale, CES-D = Center for Epidemologic Studies Depression Scale, CGI = Clinical Global Impression, HAMD = Hamilton-Depressionsskala, OAS-M: Over Aggression Scale-modified, PANSS = Positive And Negativ Symptom Scale, PCL-M = Patient Checklist for Posttraumatic Stress Disorder-Military version, PP = (andere) Psychopharmaka
5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
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Tabelle 5.4
5.5 Bewertung pharmakotherapeutischer Ansätze
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Beim Einsatz von Anxiolytika in der Behandlung der ASD/PTSD gilt es vor allem, die im Abschnitt über Frühintervention gemachten Aussagen über Benzodiazepine zu bedenken (siehe S. 43). Benzodiazepine sind nicht imstande, die Kernsymptome einer ASD/PTSD zu bessern [12]. Ein Einsatz von Benzodiazepinen sollte allenfalls als begrenzte Kurzzeitintervention reflektiert werden. Es ist noch unklar, ob die GABA-A-Agonisten Zolpidem, Zopiclone und Zaleplon unter der Indikation von ASD-/PTSD-assoziierten Schlafstörungen gegenüber den Benzodiazepinen Vorteile besitzen. Das nicht benzodiazepinartige Anxiolytikum Buspiron, ein 5-HT1A-Agonist, zeigte in einer offenen Studie (5 – 30 mg/d) eine bemerkenswerte Besserung der PTSD-Symptomatik [27] und erzielte in einer weiteren Add-on Strategie vor allem eine signifikante Reduktion der intrusiven Symptome [31]. Eine Beteiligung des endogenen Opiatsystems bei Einwirkung traumatischer Stressoren ist gut belegt. Endogene Opioide hemmen die Schmerzwahrnehmung und reduzieren die noradrenerg getriggerten Panikaffekte. Die Amygdala ist reich an Opiatrezeptoren. Eine über Opioide vermittelte Analgesie, psychomotorische Erstarrung und affektive Betäubung erlaubt möglicherweise dem Organismus, einen überwältigenden Stress nicht bei klarem Bewusstsein zu überstehen und auch die traumatische Erfahrung nicht exakt zu erinnern. Die initiale Gabe von Opiaten nach schwerwiegenden körperlichen Verletzungen, wie z. B. traumatischen Verbrennungen, hat sehr wahrscheinlich einen protektiven Effekt gegenüber einem späteren PTSD-Risiko [82]. Der Einsatz von Fentanyl spielt vermutlich auch eine bedeutsame modulierende Rolle in der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit ARDS und septischem Schock und dem damit assoziierten PTSD-Risiko [51, 83]. Im weiteren Verlauf einer PTSD entfalten Substanzen, die auf das Opiatsystem einwirken, vermutlich komplexe differenzielle Wirkungen. So kann der Einsatz des Opiatantagonisten Naloxon nach einer schwerwiegenden Traumatisierung und konsekutiver Entwicklung einer ASD/PTSD Opiatentzugssymptome provozieren [75]. Andererseits kommt Opiatantagonisten bei prolongierten dissoziativen Zuständen im Rahmen eines chronischen PTSD-Verlaufs eine möglicherweise wichtige Indikation zu. Für den Einsatz von Opiatantagonisten wie Naloxon oder Naltrexon liegen derzeit positive Hinweise vor allem aus offenen Studien bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen und selbstverletzendem Verhalten in Depersonalisationszuständen vor [10]. Dieser antidissoziative Effekt von Opiatantagonisten zeichnete sich auch in der bisher einzigen offenen Studie an Patienten mit einer primären Depersonalisationsstörung ab, die mit Naloxon behandelt wurden [69].
5.5
Bewertung pharmakotherapeutischer Ansätze in der Behandlung der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
In einer systematischen Cochrane-Analyse kann derzeit den SSRI der Status von Medikamenten der 1. Wahl zugesprochen werden [91]. Gegenüber den Trizyklika besitzen sie ein deutlich breiteres therapeutisches Wirkspektrum. SSRI können die PTSDKernsymptome signifikant reduzieren und bessern die häufig assoziierten Angstund depressiven Störungen entscheidend. Ihnen in der Wertigkeit nachgeordnet sind die SNRI, DAS, SARI und NaSSA sowie aufgrund vor allem des ungünstigeren Nebenwirkungsspektrums auch die MAO-Hemmer. Mood-Stabilisatoren und atypische Neuroleptika werden vorrangig in Add-on-Strategien eingesetzt. Benzodiaze-
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5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
pine sollten nur sehr gezielt und jedenfalls nur kurzfristig angewendet werden. In einer Frühintervention sind Substanzen Erfolg versprechend, die eine noradrenerge Überaktivität reduzieren. Die Behandlung posttraumatischer Syndrome zielt auf eine Langzeitperspektive [4]. Eine medikamentöse Behandlung der akuten PTSD ist auf 6 – 12 Monate anzusetzen. Chronische PTSD-Verläufe verlangen häufig eine sehr viel längere Pharmakotherapie. Wichtige Grundprinzipien bei der Durchführung einer Pharmakotherapie sind zu beachten [61]: R Einbettung in eine tragende therapeutische Beziehung R Ergänzung zu einer formalen Psychotherapie R tolerables Ausmaß von Angst notwendig für die Effizienz von Psychotherapien R systematische Reflexion der Bedeutungen der Medikamente R häufige Probleme der Non-Compliance R zielsymptomorientierter Einsatz von Psychopharmaka entsprechend der Schwere der psychopathologischen Syndrome in der posttraumatischen Entwicklung R insgesamt günstigeres Ansprechen positiver Symptome auf Psychopharmaka R konsequente Standardbehandlung komorbider psychiatrischer Störungen R durch psychopharmakologische Frühintervention möglicherweise Verhinderung einer chronische PTSD-Entwicklung R Beachtung der potenziellen Risiken einer Medikation hinsichtlich Nebenwirkungen, Missbrauch, Suizidalität R nicht selten Resistenz gegenüber Standarddosierungen
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Primäre Kombination aus Antidepressivum und atypischem Neuroleptikum bei PTSD? Die geringe Responserate bei der PTSD auf Antidepressiva ist erstaunlich. Sie haben indessen Daten zu atypischen Neuroleptika gezeigt, die auf eine interessante neue Therapieoption hinweisen, und zwar eine primäre Kombination – nicht erst als Add-on bei Therapieresistenz – eines Antidepressivums mit einem atypischen Antipsychotikum. Wäre diese Möglichkeit, die Sie noch nicht in die Evidenzbasis mit aufgenommen haben, nicht prinzipiell ein Ansatz, der bei einer so geringen Responserate auf das Antidepressivum allein untersuchenswert wäre? (Volz) Bisher (bis März 2005) kommt diese Kombination in den Reviews nicht vor. Aber ich stimme Ihnen zu. Am meisten hat mich überrascht, dass atypische Neuroleptika bei der PTSD erstaunlich niedrig dosiert wurden. Den Effekt der unter dieser Therapie sehr
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5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
schnell sistierenden Albträume und Flashbacks kennt man in dieser Form unter SSRI nicht. (Kapfhammer)
Ist die Heterogenität der Patienten mit PTSD mitverantwortlich für unterschiedliche Therapieeffekte? Insbesondere die Nicht-Antidepressiva-Studien, aber auch die Antidepressiva-Studien bei der PTSD zeigten recht heterogene, auch widersprüchliche Ergebnisse. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass die Patienten, die in diese Studien eingehen, sehr unterschiedlich sind. So ist es z. B. ein großer Unterschied, welche Art von Trauma (Verkehrsunfall, Geiselnahme, Naturkatastrophe usw.) zur Erkrankung geführt hat. Hinzu kommt ein Unterschied in der Symptomatik bzw. Komorbidität, der teilweise auch auf dem unterschiedlichen Auslöser beruhen kann. (Bauer) Was die Heterogenität und die Ausprägung der unterschiedlichen Komorbidität betrifft, die sich z. B. mit dem Hamilton-Depressionsscore bewerten lässt, so scheint der Effekt der Pharmakotherapie davon erstaunlicherweise relativ unabhängig zu sein, was ich allerdings noch nicht ganz glauben kann. (Kapfhammer) Allerdings scheint der Therapieeffekt, z. B. von Moodstabilizern, selbst relativ instabil zu sein. So hat diese Medikamentengruppe in Form der Anwendung von Valproat in offenen Studien positive Effekte gezeigt, die sich dann aber in plazebokontrollierten Studien nicht mehr nachweisen ließen. Zu Wirkstoffen wie Gabapentin liegen vor allem Daten in Kombination mit atypischen Neuroleptika oder SSRI vor. Die Datenlage speziell bei den Moodstabilizern lässt derzeit kein theoretisches Konzept erkennen. Inwiefern die Inhomogenität der Patienten dafür verantwortlich ist, dass die Therapiedaten insgesamt nicht so überzeugend sind, ist schwer zu sagen. (Kapfhammer)
Zusammenhang zwischen PTSD und Depression – Wirkt sich die Koinzidenz beider auf das therapeutische Ansprechen aus? Der unklare Zusammenhang zwischen der PTSD und der Depression hat zu der Spekulation geführt, dass es vom Erkrankungsalter (Age of onset) abhängen könnte, ob aus einem Trauma eine Depression oder eine PTSD resultiert. Wissen wir schon, welche PTSD-Patienten auf SSRI respondieren? Kann man davon ausgehen, dass es Patienten sind, bei denen die Depression in einer akuten Phase ist oder die früher einmal eine Depression hatten? (Maier) Das kann ich nur indirekt beantworten. Einer der wichtigsten Prädiktoren für das Risiko, nach einem Trauma eine PTSD zu entwickeln, ist vor allem bei Frauen eine Major Depression in der Anamnese. Ob es sich dabei mehr oder weniger um die gleiche Stressreaktion handelt? Es gibt Hinweise, dass eine gewisse Überlappung besteht, aber es gibt auch Befunde, die dem widersprechen. Ist die PTSD eine besondere Form der HPA-Achsen-Störung im Sinne eines Phänomens des chronischen Verlaufes einer Depression? Ist die Depression aber überhaupt ein Phänomen, das eine PTSD präjudiziert und bei diesen Patienten in die Verarbeitung eingeht? Klinisch gesehen hat die Intrusion, die zu den Kernsymptomen der PTSD gehört, durchaus etwas zu tun mit Phänomenen, wie z. B. Grübeleien, die auch bei depressiven Zuständen vorkommen. Die diagnostischen Kriterien der PTSD nach ICD-10 sind im Übrigen recht nahe an der Depression angesiedelt und decken wahrscheinlich ein heterogenes Patientengut ab. (Kapfhammer)
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Diskussion
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Meine Frage betraf den Auslöser, das Trauma, das sowohl zur PTSD als auch zur Depression führen kann. (Maier) Das Trauma ist zwar das integrale Kriterium A für die PTSD, aber man sollte umgekehrt nicht den Schluss ziehen, dass das Trauma nicht auch für etwas anderes präjudizieren kann, wie etwa somatoforme, depressive oder auch Persönlichkeitsstörungen. Das Trauma ist eher ein allgemeiner Auslöser. (Kapfhammer)
Sprechen Patienten mit früher Traumatisierung besonders gut auf Psychotherapie an? Zur Depression gibt es die nicht sehr überraschenden Daten, dass Patienten und Patientinnen mit früher Traumatisierung günstiger auf psychotherapeutische Interventionen ansprechen und weniger günstig auf Antidepressiva. Gibt es so etwas auch bei der PTSD? Wurden einmal die Patienten mit früher Traumatisierung hinsichtlich ihrer Response auf Pharmakotherapie differenziert? (Laux) Ich bin nicht überzeugt davon, dass das so stimmt. Es gibt meiner Meinung nach keine Daten, um unterscheiden zu können, ob das Patienten sind, die besser oder überhaupt auf eine Psychotherapie ansprechen. Das hängt stark vom therapeutischen Setting und vom jeweiligen Arbeitsbündnis ab. (Kapfhammer) Zur Depression wurde das publiziert. (Laux) Ich weiß nicht, ob man aus der Publikation auch ableiten kann, dass diese Patienten schlechter auf ein Arzneimittel ansprechen. (Möller) Doch, das ist schon publiziert. (Laux) Das waren Patienten, die primär auf Nefazodon nicht ansprachen und dann in verschiedenen Therapiearmen behandelt wurden. Ich weiß aber nicht, ob man die Studienresultate so weit interpretieren kann. (Möller) Untersucht wurde allerdings, dass Frühtraumatisierungen ein negativer Prädiktor für das Ansprechen einer Monotherapie mit SSRI sind, wobei dieser Faktor u. a. auch auf Persönlichkeitsstörungen hindeuten kann. (Kapfhammer)
Wird die Heterogenität der Patienten in den Studien berücksichtigt? Wurde die Heterogenität der Patienten in plazebokontrollierten Studien mit mehreren Therapiearmen berücksichtigt? Ich denke, es ist schon ein Unterschied, ob ein psychisch stabiler Mensch schicksalhaft z. B. in eine Naturkatastrophe kommt oder ob jemand mit früher Traumatisierung und/oder ausgeprägter psychiatrischer Komorbidität behandelt wird. Sind diese Patienten in den Gruppen gleich verteilt? Ich finde, das wäre methodisch entscheidend. (Laux) Man hat diese Patientengruppen und ihre Response-Möglichkeiten natürlich selektiv angeschaut. Aber dass diese Voraussetzungen in den Studien kontrolliert untersucht worden wären, ist mir nicht bekannt. (Kapfhammer)
Wirkung atypischer Neuroleptika gegen Flashbacks – Handelt es sich um ein Psychoseäquivalent? Frage: Sie haben gesagt, dass man bei Flashbacks kaum eine Wirkung unter Antidepressiva, aber eine positive Wirkung unter atypischen Neuroleptika sieht. Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht: Nachdem wir Patienten mit PTSD eine Zeitlang vorwiegend mit Psychotherapie behandelt hatten, sahen auch wir keine Änderung auf Antidepressiva, aber eine deutliche Besserung auf atypische Antipsychotika.
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5 Pharmakotherapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung
Würden Sie auch von der Modellvorstellung ausgehen, dass es sich bei der Entwicklung von Flashbacks im Rahmen einer PTSD eigentlich um ein Psychoseäquivalent handelt? Antwort: Es gibt Flashbacks, die mit akustischen Phänomenen einhergehen, welche man bei genauem Hinsehen als Halluzinationen identifizieren kann. In den meisten Fällen beschreiben es die Patienten aber anders. Es ist wahrscheinlich sehr schwer zu sagen, ob es sich tatsächlich um eine Psychose handelt. Aber etwa 10 % dieser Patienten haben zusätzlich eine atypische Psychose. Die Frage ist dann, ob es sich dabei um einen integralen Bestandteil der PTSD oder um eine eigene atypische Psychose handelt. In vielen Studien werden diese sehr impulsiven, intensiven Flashbacks als „psychotic like“ beschrieben. (Kapfhammer) Wir sehen bei diesen Patienten gelegentlich auch, dass sie lokale, wir nennen es „kontaminierte“ psychotische Konstrukte haben, wo z. B. der Polizei in Deutschland Eigenschaften der Polizei im Kosovo zugeordnet werden.
Zahlreiche Berufsgruppen kümmern sich um Patienten mit PTSD Eine berufspolitische Bemerkung: Ich habe den Eindruck, dass die Psychiatrie bei diesem Krankheitsbild seit Jahren von anderen Berufsgruppen überholt wird. Das hat etwas damit zu tun, dass es sich bei den Patienten häufig um Opfer von Straftaten oder anderen Übergriffen handelt. In solchen Fällen sind die therapeutischen Pfade schon ausgetreten und es kümmern sich u. a. Polizeipsychologen, Traumatherapeuten in Kooperation mit Versorgungsämtern und berufsgenossenschaftliche Gutachter um diese Patienten. Auch Neurologen widmen sich dieser Thematik in der neurologischen Rehabilitation. Man hat den Eindruck, dass die Psychiater immer erst zuletzt gefragt werden. (Bergmann)
Wann ist nach einem Trauma eine Pharmakotherapie indiziert? Wann sollen wir nach einem Trauma die Pharmakotherapie einsetzen? (Fritze) In einer Phase unmittelbar nach einer schweren Traumatisierung, innerhalb von 14 Tagen (andere sagen auch 7 Tagen), haben offenbar noradrenerg wirksame Präparate, wie z. B. Propranolol, eine prophylaktische Wirkung im Hinblick auf die Rate der künftigen PTSD-Entwicklung. In einer Studie wurde bei Anwendung des Betablockers kurz nach der Traumatisierung solch ein Effekt gefunden; im Grunde aber ist die Studienlage sehr bescheiden. Um eine PTSD nach einem Trauma zu diagnostizieren, werden je nach diagnostischer Konvention etwa 4 Wochen benötigt. Wenn ein Patient in diesen ersten Wochen bereits eine massive psychische Symptomatik entwickelt, würde ich keine 4 Wochen mit dem Beginn der Pharmakotherapie warten. In diesen Fällen habe ich ein Benzodiazepin mit bestem Erfolg gegeben, ohne dass diese Vorgehensweise kontrolliert untersucht worden wäre. Auf jeden Fall sollte man die Patienten in dieser Phase sehr sorgfältig beobachten. Außerdem sollte man sie in dieser Phase nicht zu schablonenhaft entweder mit Psychotherapie oder etwas anderem versorgen (Fritze). Viele der betroffenen Personen haben ihren eigenen Copingstil, mit dem traumatischen Ereignis wirkungsvoll umzugehen; entscheidend ist, dass sie nachuntersucht werden. Mit der Gabe von Benzodiazepinen sollte man zurückhaltend sein. (Kapfhammer)
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Diskussion
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Benzodiazepine in der Frühphase der PTSD? Sollen oder dürfen wir nun Benzodiazepine in der Frühphase der PTSD geben? (Möller) Nein! Es gibt zu dieser Frage aber nur wenige Studien. Eine ergab, dass das Benzodiazepin wie Plazebo wirkte, eine andere, dass sich 6 Monate nach der Traumatisierung unter Benzodiazepin-Frühintervention eine Depression bei etwa 50 % der Patienten, unter Plazebo aber nur bei etwa 20 % entwickelte. Es trat also unter dem Benzodiazepin eher eine Verschlechterung ein. Gelegentlich werden bei PTSD dennoch Benzodiazepine angewandt, z. B. bei Schlafstörungen, aber auch dazu gibt es nur Kasuistiken. (Kapfhammer) Wie lange würden Sie Benzodiazepine geben? (Arolt) Die Benzodiazepine wurden in den Studien nur 14 Tage lang gegeben. (Kapfhammer)
Welches sind die idealen psychotherapeutischen Methoden bei PTSD? Welches sind die idealen verhaltens- oder psychotherapeutischen Methoden in dieser Indikation? (Möller) Nach evidenzbasierten Kriterien sind die Resultate des Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) sehr beeindruckend. Es handelt sich hierbei um ein verkürztes kognitiv-verhaltenstherapeutisches Verfahren. Für die kognitive Verhaltenstherapie liegen nur wenige Studien vor und für psychodynamisch orientierte Verfahren noch weniger. Für das Debriefing zeigen die Studien, wenn sie im Gruppensetting ohne individuellen Zuschnitt durchgeführt werden, kaum einen Effekt bei chronischer PTSD. (Kapfhammer) Ursprünglich war das Debriefing die Methode, die in dieser Indikation proklamiert wurde. (Möller) Wenn das Debriefing in Verhaltenstherapie eingebettet wird, scheint die Effectiveness in den mir bekannten Studien zumindest diskutabel zu sein. Aber nach Autounfällen z. B. gibt es überzeugende Argumente, kein Debriefing zu machen. (Kapfhammer) Es ist ja immer eine Frage des Verfahrens und des Zeitpunktes seiner Anwendung. Das Debriefing ist eine Intervention unmittelbar nach einem Trauma, die relativ unabhängig davon ist, ob der Betroffene eine PTSD entwickeln wird oder nicht. Die kognitive Verhaltenstherapie oder die EMDR dagegen sind Verfahren, die nach dem Auftreten der PTSD angewandt werden, was Jahre nach dem Trauma sein kann. Die kritische Differenz in diesem Fall könnte also durch das unterschiedliche Verfahren oder auch durch den unterschiedlichen Zeitpunkt der Intervention gegeben sein. (Maier) Ich kann dazu nur beitragen, dass es auch Untersuchungen zur Akutintervention mit kognitiver Verhaltenstherapie unmittelbar nach dem Trauma gibt. Zu diesem Zeitpunkt hat dieses Verfahren eher nicht die Effekte, die damit unter einer PTSD zu beobachten sind, bewirkt aber offenbar keine Verschlechterung. Diese Aussage beruht jedoch nur auf ganz wenigen Studien, eine davon – aus London mit Patienten nach Autounfällen – hatte aber eine relativ große Fallzahl. (Kapfhammer)
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6
Effektivität leitlinienorientierter Therapie Ralph Menke, Wolfgang Gaebel
6.1
Leitlinien, ein wirksames Instrument?
6.1.1
Definition
Entsprechend einer verbreiteten gemeinsamen Definition von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer (BÄK) sind Leitlinien „systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen“ sowie „wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlungen“ (Deutsches Ärzteblatt 1997 [A] 2154). Eine weitere, weithin anerkannte Definition des US-amerikanischen Institute of Medicine betont zudem die Notwendigkeit, auch der Patientenseite vermehrt Orientierungshilfen an die Hand zu geben, und beschreibt Leitlinien als „systematically developed statements to assist practitioner and patient decisions about appropriate health care for specific clinical circumstances“ [8]. In Abgrenzung von Empfehlungen und Richtlinien bilden Leitlinien somit in der gemeinsamen Definition von KBV und BÄK „Orientierungshilfen im Sinne von Handlungs- und Entscheidungskorridoren, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder muss …“ 6.1.2
Entwicklung
Die Entwicklung medizinischer Leitlinien blickt auch in der Bundesrepublik Deutschland bereits auf mehrere Jahrzehnte zurück. Ausgehend von BÄK und KBV als Institutionen der ärztlichen Selbstverwaltung, wurden seit etwa Mitte der 1960er Jahre vornehmlich interdisziplinär orientierte Leitlinien und Richtlinien erarbeitet. Auf Anregung des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen koordiniert seit Mitte der 1990er Jahre die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Verabschiedung von Leitlinien durch ihre Mitgliedsverbände, so dass zusammen mit weiteren national und international, auf Einzelinitiative oder durch wechselnde Institutionen herausgegebenen Leitlinien dem Arzt mittlerweile eine Vielzahl derartiger Orientierungshilfen vorliegt [18; eine umfassendere historische Bestandsaufnahme findet sich in 21]. Mit dem Einsetzen der Leitlinien-Diskussion in Deutschland bestand relativ schnell Konsens darüber, dass die Nutzung dieses Instruments auch für den Bereich der psychiatrischen Erkrankungen dringend erforderlich war, da auch hier die vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten nicht immer durchgängig genutzt werden, mit entsprechend negativen gesundheitsökonomischen Konsequenzen [7, 9].
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6.2 Effizienz oder Effektivität?
6.1.3
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Erwartungen und Ziele
Mit einer stärkeren Orientierung des therapeutischen Handelns an Leitlinien-Empfehlungen verbindet sich in der Regel eine ganze Reihe hochgesteckter Erwartungen. Als vorrangiges Ziel von Leitlinien wird im Leitlinien-Manual der AWMF übergreifend die „Bereitstellung von Empfehlungen zur Erreichung einer optimalen Qualität der Gesundheitsversorgung“ genannt [3]. Der Arzt kann im Idealfall evidenzbasierte, wissenschaftlich fundierte Entscheidungsunterstützung in Diagnostik und Therapie erwarten. Zudem sehen die Befürworter von Leitlinien die bereits angesprochene „Stärkung der Stellung des Patienten“ (Empfehlung des Europarates 2002, [1]) durch Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und Einstellungen im Rahmen der Leitlinien-Entwicklung und durch „Information der Öffentlichkeit über notwendige und angemessene Massnahmen“ in der Behandlung [21]. Versorgungspolitisch führt eine im Zuge der angestrebten Qualitätsoptimierung implizite „Vermeidung überflüssiger und überholter medizinischer Maßnahmen und unnötiger Kosten“ [21] zur Realisierung von Effizienzsteigerungen und leistet so einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen [1]. Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen erwartet ebenfalls einen Beitrag zum Abbau bestehender Elemente der Über-, Unter- bzw. Fehlversorgung sowie zur Mobilisierung von Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsreserven [25]. Vielschichtige Erwartungen an Leitlinien als Instrument auf der einen Seite, bereits vorliegende (erste) Erfahrungen mit ihrer Implementierung auf der anderen Seite werfen die Frage auf, inwieweit sich Belege für die Effektivität leitlinienorientierter Therapie finden lassen, die komplexe Aufgabenstellung der Formulierung und Implementierung von Leitlinien mithin ein Erreichen der skizzierten Zielsetzungen erkennen lässt. Ausgehend vom Beispiel der depressiven Störungen, einer psychischen Erkrankung mit wesentlichem Anteil an der Gesamtmorbidität und erheblicher versorgungspolitischer Bedeutung [25], soll im Folgenden ein Zwischenresümee versucht werden.
6.2
Effizienz oder Effektivität?
Mit dem Begriff der Effektivität wird in der Qualitätsdiskussion das Verhältnis von erreichtem zu definiertem Ziel bezeichnet. Ein Verhalten kann somit dann als effektiv bezeichnet werden, wenn es ein vorgegebenes Ziel erreicht – hingegen ist es wenig effektiv, wenn das Ziel nicht oder nur teilweise erreicht wird. Der Grad an Effektivität ist jedoch unabhängig vom zur Zielerreichung erforderlichen Aufwand, der anhand des Kriteriums der Effizienz beurteilt werden kann. Effektivität wird daher auch als Indikator in der Gesundheitssystemforschung herangezogen, um beispielsweise die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen oder Therapieverfahren beurteilen zu können. Hierzu werden u. a. auch die Kosten, die Häufigkeit der Leistungsinanspruchnahme oder Faktoren wie die Lebensqualität des Patienten einbezogen. Für eine Beurteilung der grundsätzlichen Wirksamkeit einer stärker leitlinienorientierten Behandlung erscheint daher zunächst der Rückgriff auf den Begriff der Effektivität sinnvoll. Der Wunsch nach Überprüfung der Wirksamkeit leitlinienorientierter Therapie führt zwangsläufig zur Notwendigkeit, aussagefähige Marker für die Effektivitäts-
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6 Effektivität leitlinienorientierter Therapie
Tabelle 6.1 Ausgewählte Effektivitätsmarker leitlinienorientierter Therapie (am Beispiel der Depressionsbehandlung) Outcome-Parameter
R Psychopathologie: Hamilton Depression Scale (HAMD), Beck-Depressions-Inventar (BDI) R Global Assessment of Functioning (GAF) R Clinical Global Impression Scale (CGI) R Client Satisfaction Questionnaire (CSQ-8), Deutsche Fassung R Lancashire Quality of Life Questionnaire (LQLP)
Prozessqualität
R Häufigkeit von Nebenwirkungen R unerwünschte Ereignisse R Patientencompliance
Leitlinien-Konformität
R Diagnosestellung nach ICD-10-Kriterien R leitliniengerechte Medikamentendosierung R regelmässiges Überwachen der Response R Überweisung zu Psychiater/Nervenarzt bei Non-Response R Monitoring von Suizidalität R unterstützende Langzeitprophylaxe
messung zu definieren (vgl. Tabelle 6.1). Hierbei können etwa Messungen des erreichten Behandlungsoutcomes bzw. der Prozessqualität ergänzt werden durch eine Beurteilung der erreichten Leitlinien-Konformität in der ärztlichen Entscheidungsfindung [32] im Sinne einer Beurteilung des Implementationsgrades der Leitlinie.
6.3
Literaturübersicht: Effektivität von Leitlinien
Zunächst finden sich in der Literatur zahlreiche Übersichtsarbeiten, die eine grundsätzlich positive Wirkung von Leitlinien auf die Qualität von Behandlungsprozess und -ergebnis belegen [zusammenfassend 13 – 15, 19]. Wenn auch die methodische Qualität gegenwärtig national und international vorliegender Behandlungsleitlinien zur Depression offenbar grundsätzlich noch in Richtung durchgängiger Evidenzbasierung verbessert werden kann (vgl. den Leitlinien-Clearingbericht Depression des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin [2]), liegen doch bereits positive Erfahrungen mit der Implementierung vor. Panzarino [22] stellte in einer Übersichtsarbeit Belege für die kostenbezogene Überlegenheit der rechtzeitigen und angemessenen Behandlung depressiv Erkrankter zusammen, beispielsweise durch Linderung somatischer Begleiterkrankungen. Verbosky und Mitarbeiter [31] wiesen in einem Allgemeinkrankenhaus Verweildauersenkungen bei gezielter medikamentöser Behandlung von Patienten mit diagnostizierten sekundären Depressionen gegenüber nicht antidepressiv behandelten Patienten nach, verbunden mit Kostenreduzierungen von etwa US $ 25 000 je Fall.
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6.4 Ergebnisse aus eigenen Forschungsprojekten
69
Revicki und Mitarbeiter [24] konnten eine Steigerung der Patientenzufriedenheit sowie Kostenoptimierungen bei leitliniengerechter antidepressiver Medikation nachweisen. In der ambulanten allgemeinärztlichen Versorgung belegten Simon et al. [29] nach einer multidimensionalen Intervention (videogestützte Weiterbildung, routinemäßige Konsile bei stationären Fachärzten, algorithmengestützte Medikation, psychosoziale Betreuung nach Bedarf, beständiges Monitoring der medikamentösen Compliance) innerhalb eines 6-Monats-Zeitraums einen signifikanten Zuwachs an depressionsfreien Tagen sowie eine Steigerung der Lebensqualität für die Patienten bei lediglich geringfügigen Mehrkosten. Bruce et al. [5] zeigten einen signifikanten Rückgang von Suizidgedanken bei älteren depressiven Hausarztpatienten nach Einführung eines leitliniengestützten Suizidmanagements, der positive Effekt ergab sich unabhängig vom Grad der Depressivität. Leitliniengestützte Informationen für eine Laienöffentlichkeit konnten das eigene Erkennen depressiver Symptome und die Akzeptanz der Diagnosestellung durch Betroffene signifikant verbessern [23].
6.4
Ergebnisse aus eigenen Forschungsprojekten
In einer eigenen Studie zum stationären Qualitätsmanagment unter dem Dach des Kompetenznetzes Depression und Suizidalität [26] konnte zunächst der Grad an Leitlinien-Konformität der gegenwärtigen Depressionsbehandlung in einer Reihe von Kliniken dokumentiert werden. Hierbei zeigte sich beispielsweise eine nicht immer leitliniengerechte Dosierung der antidepressiven Medikation (vgl. Abb. 6.1). Im Rahmen einer komplexen Intervention zur Leitlinien-Implementierung, die neben Leitlinien-Fortbildung und Moderatorenschulung wiederholte outcome- und
Abb. 6.1 Leitlinien-Orientierung in der stationären Depressionsbehandlung: keine durchgängig adäquate Dosierung von Antidepressiva [modif. nach 26].
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6 Effektivität leitlinienorientierter Therapie
Tabelle 6.2 Verbesserung der Behandlungsqualität durch leitlinienorientierte Qualitätszirkelarbeit [modif. nach 4] Klinik
Ziele
Ergebnis
A
R Erhöhung der Therapieeffekte bei Patienten mit rezidivierender Störung R Erhöhung des Anteils an Psychotherapiepatienten
⇓
R leitlinienorientierte Dosierung von Trizyklika
⇑
R Reduktion der Benzodiazepinverschreibung R Reduktion der Anwendung bildgebender Verfahren
⇑
R Erhöhung des Anteils an Psychotherapiepatienten
+
R Reduktion der Benzodiazepinverschreibung R Erhöhung des Anteils an Psychotherapiepatienten
+
R Verbesserung der Patientenzufriedenheit
⇑
R Reduktion der Behandlungsdauer R vermehrte tagesklinische Nachbehandlung
⇑
R vermehrtes Gruppenangebot
+
R Reduktion der Behandlungsdauer R Verbesserung der Psychopathologie bei Entlassung
⇑
B
C
D
E
+
⇓
+
+
⇑
+ = signifikante Verbesserung, ⇑ = positiver Trend (nicht signifikant), ⇓ = negativer Trend (nicht signifikant)
prozessbezogene Benchmarks sowie Qualitätszirkelarbeit umfasste [4], konnte jedoch überwiegend eine Optimierung der Behandlungsqualität in den Interventionskliniken erreicht werden (vgl. Tabelle 6.2). Auch für den ambulanten Bereich konnte durch eine weitere Studie des Kompetenznetzes Depression gezeigt werden, dass sich Hausärzte – ebenso wie zu einem geringeren Teil auch psychiatrische Fachärzte – beim ersten Patientenkontakt sowohl hinsichtlich des diagnostisch-therapeutischen Vorgehens als auch hinsichtlich des Überweisungsverhaltens nicht durchgängig an den vorliegenden Behandlungsleitlinien orientieren [27]. Im Hinblick auf das Ziel einer Stärkung der Stellung des Patienten durch die Bereitstellung leitlinienorientierter Patienteninformationen konnten außerdem in Kooperation mit der Ärztlichen Zentrale für Qualität in der Medizin (ÄZQ) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) internetgestützte Patienteninformationen zu Depression und Schizophrenie herausgegeben werden [10]. Einzelne positive Nutzer-Rückmeldungen deuten auf eine Akzeptanz der Informationen hin; eine systematische Evaluation derartiger Angebote zum Kompetenzgewinn durch Betroffene und Angehörige steht jedoch noch aus.
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6.5 Ausblick: Implikationen für künftige Leitlinien-Prozesse?
6.5
71
Ausblick: Implikationen für künftige Leitlinien-Prozesse?
Die beobachtbare Heterogenität der bislang international veröffentlichten Studien zur Effektivität leitlinienorientierter Therapie führt zunächst zu der Frage notwendiger methodischer Weiterentwicklungen in der Messung von Leitlinien-Wirksamkeit. Als methodisches Problem erweist sich beispielsweise die Betrachtung der Wirksamkeit von Leitlinien hinsichtlich des Behandlungsoutcomes und der Prozessqualität in Abhängigkeit vom Grad ihrer Implementierung in das ärztliche Handeln. Dies führt dazu, dass vielfach nicht zwischen Leitlinien-Effektivität und Qualität bzw. Erfolg der Leitlinien-Implementierung unterschieden werden kann. Zukünftig sollte auch einer Beurteilung der Effizienz leitlinienorientierter Therapie – also einer Prüfung des Mitteleinsatzes im Verhältnis zum erreichtem Nutzen [12, 17] – mehr Aufmerksamkeit zukommen. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit von Leitlinien nicht unabhängig von ihrer methodischen Qualität [vgl. 1] beurteilt werden kann. Ein weiterer wesentlicher kritischer Faktor der Effektivität von Leitlinien ist jedoch die bereits angesprochene Tiefe und Nachhaltigkeit der Leitlinien-Implementierung, die über eine reine Disseminierung von Informationen hinausgeht [21]; hier besteht noch weiterer Optimierungsbedarf. Übersichtsarbeiten [vgl. z. B. 13] belegen die Überlegenheit integrierter Implementationsstrategien, welche die Leitlinien-Vermittlung etwa in übergreifende Qualitätsmanagement-Prozesse einbeziehen [11] oder durch die Entwicklung qualitätsorientierter Anreizsysteme unterstützen [28]. Außerdem hat sich eine Verbindung EDV-gestützter, fallbezogener Leitlinien-Vermittlung mit Massnahmen der externen Qualitätssicherung als erfolgreich erwiesen [16, 30]. Die kürzliche Verabschiedung eines „Rahmenkonzepts zur Integrierten Versorgung Depression“ durch die DGPPN [6] bietet zudem bereits einen weiteren konkreten Anknüpfungspunkt für eine nachhaltige Verankerung leitlinienorientierter Entscheidungsfindung in der Routineversorgung.
Literatur 1. Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung, Ludwig Boltzmann Institut für Krankenhausorganisation, Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, eds. Entwicklung einer Methodik für die Ausarbeitung von Leitlinien für optimale medizinische Praxis. Empfehlung Rec(2001)13 des Europarates und Erläuterndes Memorandum. Deutschsprachige Ausgabe. Z ärztl Fortbild Qual Gesundheitswesen. 2002;(Suppl III):1 – 60. 2. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, ed. Leitlinien-Clearingbericht „Depression“. ÄZQ Schriftenreihe Bd. 12. Niebüll: Videel; 2003. 3. Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, Ärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung, ed. Das Leitlinien-Manual. Entwicklung und Implementierung von Leitlinien in der Medizin. Z ärztl Fortbild Qual Gesundheitswesen. 2001;(Suppl I):1 – 84. 4. Brand S, Härter M, Sitta P, van Calker D, Menke R, Heindl A, Herold K, Kudling R, Luckhaus C, Rupprecht U, Sanner D, Schmitz D, Schramm E, Berger M, Gaebel W, Schneider F. Datengestützte Qualitätszirkel in der stationären Depressionsbehandlung. Nervenarzt. 2005;76:865 – 74. 5. Bruce ML, Ten Have TR, Reynolds CF, Katz II, Schulberg HC, Mulsant BH, Brown GK,
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6 Effektivität leitlinienorientierter Therapie
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Diskussion
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23. Patel VL, Branch T, Mottur-Pilson C, Pinard G. Public awareness about depression: the effectiveness of a patient guideline. Int J Psychiatry Med. 2004;34:1 – 20. 24. Revicki DA, Simon GE, Chan K, Katon W, Heiligenstein J. Depression, health-related quality of life, and medical cost outcomes of receiving recommended levels of antidepressant treatment. J Fam Pract. 1998;47: 446 – 52. 25. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001) Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Bd. I Zielbildung, Prävention, Nutzerorientierung und Partizipation; Bd. II Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege. Gutachten 2000/2001 – Kurzfassung (www.svr.de). 26. Schneider F, Harter M, Brand S, Sitta P, Menke R, Hammer-Filipiak U, Kudling R, Heindl A, Herold K, Frommberger U, Elmer O, Hetzel G, Witt G, Wolfersdorf M, Berger M, Gaebel W. Adherence to guidelines for treatment of depression in in-patients. Br J Psychiatry. 2005;187:462 – 9. 27. Schneider F, Kratz S, Bermejo I, Menke R, Mulert C, Hegerl U, Berger M, Gaebel W, Härter M. Insufficient depression treatment in outpatient settings. German Medical Science 2004;2:Doc1. 28. Schneider F, Menke R, Härter M, Salize HJ, Janssen B, Bergmann F, Berger M, Gaebel W. Sind Bonussysteme auf eine leitlinienkonforme haus- und nervenärztliche Depressionsbehandlung übertragbar? Nervenarzt. 2005;76:308 – 14. 29. Simon GE, Katon WJ, von Korff M, Unützer J, Lin EHB, Walker EA, Bush T, Rutter C, Ludman E. Cost-effectiveness of a collaborative care program for primary care patients with persistent depression. Am J Psychiatry. 2001; 158:1638 – 44. 30. Trivedi MH, Kern JK, Grannemann BD, Altshuler KZ, Sunderajan P. A computerized clinical decision support system as a means of implementing depression guidelines. Psychiatric Services. 2004;8:879 – 85. 31. Verbosky LA, Franco K, Zrull JP. The relationship between depression and length of stay in general hospital patients. J Clin Psychiatry. 1993;54:177 – 81. 32. Weinmann S, Janssen B, Gaebel W. Guideline adherence in medication management of psychotic disorders: an observational multisite hospital study. Acta Psychiatr Scand. 2005:112:18 – 25.
Diskussion Kostenargumente sind in der Medizin nie die einzigen Argumente Oft gehen wir, z. B. im Konsiliardienst bei somatisch erkrankten Patienten mit psychischer Begleiterkrankung, mit sehr komplexen Sachverhalten um, bei denen die Kosten nur eine Dimension darstellen. So haben wir viele Krankheitsverläufe, bei denen eine depressive Symptomatik die Patienten massiv beeinträchtigt. Wenn wir diese Patienten behandeln, reduzieren wir möglicherweise nicht nur ihr Leiden, sondern auch die Zahl und Dauer ihrer Klinikeinweisungen. Würde man diesen Sachverhalt jedoch allein unter dem Kostenaspekt konsequent weiterdenken, könnte man zu dem zynischen Schluss gelangen, dass es am kostensparendsten wäre, gar nichts zu tun, weil z. B. Patienten mit Herzinfarkt und Depression eine höhere Letalität haben. Wir müssen daher neben dem Kostenmoment schon auch ein ärztliches Grundelement definieren! Denn selbst wenn ein Patient gute Gründe für eine Depression hat, können wir davon nicht ableiten, diese nicht zu behandeln.
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Vielmehr sollten wir die Depression geradezu als Aufforderung verstehen, den Patienten auch in seiner psychischen Dimension zu therapieren, selbst wenn es mehr kostet. Wenn es im Konsiliarbereich nur noch um Kostenreduktion geht, führt uns das ganz sicher nicht ins Zentrum der Diskussion. (Kapfhammer) In den Diskussionen mit der Klinikverwaltung (etwa der Psychiatrischen Universitätsklinik in Düsseldorf) zum Thema „Soll man die Rate der Konsiliartätigkeit steigern?“ spielen natürlich sofort die Kosten eine Rolle. Ich gebe Ihnen aber völlig Recht, es geht nicht nur um (steigende) Kosten oder die Reduktion von Kosten, sondern in erster Linie auch um die adäquate ärztliche Versorgung der Patienten. Allerdings kann man bei den heutigen Verweildauern im Universitätsklinikum keine Depression zu Ende behandeln und schon gar keinen psychotherapeutischen Ansatz verfolgen. Im Grunde reduziert sich die Konsiliarleistung oft auf eine Beratung, was man tun könnte, wenn der Patient schon gar nicht mehr im Klinikum ist. Oder aber ich übernehme ihn gleich, wenn die psychische Störung im Vordergrund steht. (Gaebel)
Benzodiazepine in der Akutbehandlung einer angstbesetzten Depression – Problem der ambulanten Weiterbehandlung Bestimmte Aussagen, etwa zum Outcome von Benzodiazepin-Verordnungen, sind – vor allem wenn auf die falschen Kollektive generalisiert wird – keine evidenzbasierte Medizin mehr, sondern eher das Ergebnis von „Beliefs“. So denke ich, dass Benzodiazepine in der Akutbehandlung einer angstbesetzten Depression ihren Wert haben, wofür es auch Belege gibt. Es ist vor allem eine Frage des Managements: Wie setzt man das Benzodiazepin wieder ab bzw. wie lange behandelt man diese Patienten stationär? Es könnte ja sein, dass man den Patienten in aller Ruhe wieder von seinem Benzodiazepin wegbringen, ihn deswegen aber nicht länger als notwendig stationär behandeln möchte. Also erhält der weiterbehandelnde Arzt bei der Entlassung die Auflage, dafür zu sorgen, dass das Benzodiazepin rechtzeitig abgesetzt wird. (Möller) Von den nachbehandelnden Ärzten hören wir dann leider gelegentlich: „Jetzt haben wir wieder das Problem.“ Das trifft zwar vor allem auf diejenigen Patienten zu, bei denen eine Benzodiazepin-Therapie über die Entlassung hinaus nicht indiziert war. Doch wir wissen alle, wie schwer es sein kann, z. B. 4 Wochen nach der Entlassung noch einmal die Medikation umzustellen. (Gaebel)
Auch die leitlinienorientierte Diagnostik stärker beachten – Höhere Diagnoserate steigert die Kosten – Kostennutzen kann nicht das einzige Gütekriterium sein – Verbesserte Diagnostik kann auch Kosten ersparen Manchmal wird heute vergessen, dass die Leitlinien auch einen Diagnostikpart haben. Geht man davon aus, dass bei der Depression wie auch bei anderen psychischen Erkrankungen ein massives Underdiagnosing besteht, haben die Leitlinien schon durch diese Diagnoseanleitung einen Wert. Wenn nämlich die Diagnoserate steigt, werden mehr Menschen zur Behandlung gebracht und wird Leiden potenziell gelindert. Haben die Leitlinien nicht schon einen Effekt gehabt, wenn die Diagnoserate steigt? (Gastpar) Aber nur, wenn eine therapeutische Konsequenz erfolgt. Dann aber wirkt sich die Erhöhung der Diagnoserate wahrscheinlich kostentreibend aus. Auch dies zeigt wieder, dass Kostennutzen nicht das einzige Gütekriterium medizi-
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nischen Handelns sein kann. Dennoch scheint heute die Zielbestimmung der Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven dominierend zu sein. In meinen Augen widerspricht diese Zielsetzung nicht nur therapeutischen, sondern auch diagnostischen Qualitätskriterien. (Maier) Wir müssen versuchen, eine Balance zu finden zwischen einer guten Behandlungsqualität und einer vernünftigen Kostensituation. Wenn es zwei Behandlungen A und B gibt, die anhand unserer empirischen Daten zum gleichen Ergebnis führen, wobei die eine teurer ist als die andere, ist es doch angemessen, die preiswertere anzuwenden (wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen können). Dass durch eine verbesserte Diagnostik mehr Patienten der Behandlung zugeführt werden, muss im Übrigen nicht immer eine Kostensteigerung bewirken: Es könnte doch sein, dass dadurch etwas anderes unterbleibt, z. B. ein Teil der somatischen Diagnostik und Therapie bei einer somatischen Erkrankung mit Depression, und dadurch wieder Kosten eingespart werden. (Gaebel)
Was ist evidenzbasiert in der Diagnostik und Therapie der Schizophrenie? In einer Studie mit mehreren Kliniken wurden Variablen herausgearbeitet, welche die Diagnostik und Therapie der Schizophrenie beeinflussen. Gibt es Ansätze in den Leitlinien, solche Variablen zu gewichten? In den Kliniken haben wir einen Strauß von therapeutischen Möglichkeiten, da wäre es wichtig, ein Grundpaket zu definieren, das man anbieten sollte. (Schmauß) Wenn man das Pattern der tatsächlich angewandten Maßnahmen sieht, weiß man noch nicht, was davon zum Erfolg führt. Aber wenn man sich die Outcomeprädiktoren von Patienten mit Schizophrenie anschaut, muss man einfach sagen: Die prämorbide bzw. prästationäre soziale Anpassung und noch ein paar andere Dinge erklären den Großteil der Outcomevarianz. Wenn wir vom ganzen Konzert unserer Maßnahmen nur noch das anbieten würden, was evidenzbasiert eine wünschenswerte therapeutische Veränderung bewirkt, könnten wir die Behandlungskultur in unseren Kliniken von der Musik- bis zur Kunsttherapie weitgehend zurückfahren, also gerade das, was viele Patienten am liebsten haben. (Gaebel)
Leitliniengestützter Therapiealgorithmus gegen Treatment as usual Derzeit wird im Rahmen des Kompetenznetzes Schizophrenie ein leitliniengestützter Therapiealgorithmus multizentrisch in Deutschland gegen Treatment as usual geprüft. Dabei werden nicht nur Prozessparameter, sondern auch der Outcome (Effectiveness) und ökonomische Aspekte evaluiert. Die Studie ist kurz vor Rekrutierungsende. Es sind jetzt 450 Patienten eingeschlossen. Nächstes Jahr werden wir Ergebnisse haben. (Bauer)
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Anmerkungen zur Versorgungssituation von Patienten mit Angststörungen in der täglichen Praxis Frank Bergmann
7.1
Institutionen in der Versorgung psychischer Störungen
Die Behandlungsquote psychischer Erkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland beträgt nach Erhebungen von Wittchen et al. [1] bei 18 – 64-jährigen Patienten nur 36,4 %. Damit bleiben 63,6 % der Betroffenen unversorgt. Die Versorgung der genannten Minderheit findet in den folgenden Institutionen statt (wobei Mehrfachnennungen möglich waren): zu 21 % beim Nervenarzt, zu 9 % nur beim Hausarzt, zu 15 % stationär, zu 5 % in einer Ambulanz, zu 11 % bei einer Psychotherapie durch Ärzte, zu 18 % bei einer Psychotherapie durch Psychotherapeuten und zu 21 % in sonstigen Situationen und Einrichtungen (Abb. 7.1).
7.2
Prävalenzen und aktuelle Versorgungssituation von Angststörungen
Bei den Angststörungen liegen die 12-Monats-Prävalenzen nach Wittchen [2] für Phobien bei 7,6 %, für generalisierte Angsterkrankungen bei 1,5 % sowie für Panikstörungen mit und ohne Agoraphobie bei 4,3 %. Ein großer Teil der psychischen Störungen insgesamt (48 %) wie auch der Angststörungen ist komorbid.
Abb. 7.1 Institutionen in der Versorgung psychischer Störungen 18- bis 64-jähriger Patienten in der Bundesrepublik Deutschland.
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7.4 Bessere Nutzung der Therapiemöglichkeiten
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Nach den von Wittchen et al. [1] erhobenen Daten werden von 100 Angstpatienten nur 43 behandelt. Beim Hausarzt werden lediglich 34,4 % der vorhandenen Angsterkrankungen diagnostiziert, während 65,6 % unerkannt bleiben oder falsch diagnostiziert werden. Da in Deutschland nur 21 % der Patienten mit psychischen Störungen zum Facharzt gelangen, ist davon auszugehen, dass nur etwa 8 von 100 Angstpatienten eine fachärztliche Behandlung erhalten. Aus dieser kurz skizzierten Situation ergibt sich die Notwendigkeit einer besseren Aus- und Fortbildung von Hausärzten, die bereits von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) und weiteren Verbänden intensiv betrieben werden. Eine integrierte Versorgung könnte eine weitere Option zur Verbesserung der Versorgungssituation sein.
7.3
Übersicht der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen im Praxissetting
Die Einteilung der Angst(störungen) in normale Angst, primäre Angsterkrankungen und sekundäre Angststörungen (Tabelle 7.1) macht neben einer Anamnese eine medizinische Untersuchung zum Ausschluss organischer Störungen sowie eine zumindest orientierende psychiatrische Untersuchung erforderlich. Die therapeutischen Möglichkeiten bei Angststörungen umfassen die Pharmakotherapie (siehe auch die Kapitel 3 bis 5 dieses Buches) und psychotherapeutische Verfahren. Zu den psychotherapeutischen Basismaßnahmen gehören der Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung, die Ermutigung, Motivationsförderung, Aufklärung/Information und Psychoedukation des Patienten sowie die grundlegende Unterweisung in bzw. der Hinweis auf Entspannungsverfahren. Pharmako- und psychotherapeutische Möglichkeiten bei den einzelnen Angststörungen enthält Tabelle 7.2 (siehe dazu auch Kapitel 3 bis 5).
7.4
Bessere Nutzung der Therapiemöglichkeiten in der fachärztlichen Praxis
Zur besseren Nutzung der Therapiemöglichkeiten in der fachärztlichen Praxis müssen die berufspolitischen Bemühungen intensiviert werden. Dabei geht es zum einen um die Intensivierung der Fortbildungsangebote für Psychiater und Nervenärzte und zum anderen um die Verbesserung der Honorierung fachärztlicher Leistungen. Von entscheidender Bedeutung ist das zur Verfügung stehende Geld im Facharztgruppen-Topf. Krankenkassen, Selbstverwaltung und Politik begreifen erst allmählich, dass eine Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker durch Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenärzte nur durch eine Verbesserung der Honorierung psychiatrischer Gesprächsleistungen erzielt werden kann. Nur durch eine Verschiebung von Ressourcen zugunsten der spezifischen psychiatrischen Versorgung wird eine adäquate Versorgung in psychiatrisch- bzw. nervenärztlich-psychotherapeutischen Praxen möglich sein. Außerdem ist eine Intensivierung der Fortbildungsangebote für Psychiater und Nervenärzte erforderlich, gerade im Hinblick auf Psychoedukation und verhaltens-
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7 Anmerkungen zur Versorgungssituation v. Patienten m. Angststörungen
Tabelle 7.1
Einteilung der Angststörungen für das Praxissetting
Primäre Angsterkrankungen
Sekundäre Angststörungen
R akute Belastungsstörung R Panikattacken mit oder ohne Agoraphobie R Angst mit Zwangsstörungen
Nichtorganische psychische Störungen: R schizophrene Psychosen
R soziale Phobie R spezifische Phobien
R Persönlichkeitsstörungen R Anpassungsstörungen
R generalisierte Angst R Angst und Depressionen gemischt R Posttraumatische Belastungsstörung
R Zwangsstörungen R affektive Psychosen
Organische psychische Störungen R Delir R organische Persönlichkeitsstörung Intoxikationen mit R Amphetaminen R Kokain R Halluzinogenen R Alkohol R Nikotin R Koffein Entzug von R Alkohol R Opiaten R Anxiolytika
Tabelle 7.2 Pharmako- und psychotherapeutischen Möglichkeiten bei Angststörungen im Praxissetting Angststörung
Pharmakotherapie
Psychotherapie
spezifische Phobie
meist nicht notwendig
kognitive Therapie, Exposition, Entspannungstherapie
Panikattacken
TZA, SSRI, BZD
Agoraphobie
TZA, SSRI, MAO-I, BZD
Expositionsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsverfahren
soziale Phobie
MAO-I, SSRI, BZD
Verhaltentherapie (Erwerb interaktioneller Basiskompetenzen)
Generalisierte Angststörung
TZA, SSRI, SNRI, BZD, Opipramol, Buspiron
Verhaltentherapie, kognitive Therapie, Entspannungsverfahren
BZD = Benzodiazepine, MAO-I = Monoaminoxidase-Inhibitoren, SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SNRI = Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, TZA = trizyklische Antidepressiva
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Diskussion
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therapeutisch-kognitive Therapieinterventionen, wo noch von Defiziten im Ausbildungsstand auszugehen ist. Die Bemühungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaft sollten in Zukunft verstärkt darauf ausgerichtet sein, niedergelassene Psychiater und Nervenärzte fort- und weiterzubilden.
Literatur 1. Wittchen H-U, Jacobi F. Die Versorgungssituation psychischer Störungen in Deutschland – Eine klinisch-epidemiologische Abschätzung anhand des Bundes-Gesundheitssurveys 1998. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. 2001;44. 2. Wittchen H-U. Bedarfsgerechte Versorgung psychischer Störungen. Abschätzungen aufgrund epidemiologischer, bevölkerungsbezogener Daten. Stellungnahme zum Gesundheitssurvey, 2000.
Diskussion Schwere Fälle zum Facharzt, leichte zum Hausarzt? Haben niedergelassene Psychiater überhaupt noch freie Kapazitäten? (Möller) Wenn sich die niedergelassenen Fachärzte den mittelschweren und schweren Angststörungen zuwenden könnten, hätten sie ausreichend freie Kapazitäten. Dies beinhaltet schon ein Plädoyer für eine etwas besser strukturierte Versorgung: Denn häufig finden sich in den Facharztpraxen Patienten mit leichten Ausprägungen. Das zeigt sich exemplarisch bei den Demenzpatienten. Hier kommen diejenigen, die Angst haben, sie könnten eine Demenz entwickeln, bzw. die früheren Stadien in die Facharztpraxis, während die schwer dementen Patienten im Heim von Hausärzten versorgt werden. (Bergmann) Aber möchten Sie wirklich nur die mittelschweren und schweren Störungen behandeln? Wo sollen denn die leichten versorgt werden, die doch auch eine Chance bieten? (Möller) Das kommt darauf an, wo man hin will. Wir führen gerade eine intensive Diskussion zur Zukunft der psychotherapeutischen Mediziner. Machen wir die zu Psychiatern? Oder können wir zumindest die freien Sitze mit Psychiatern besetzen, da wir auf einen Engpass in der fachpsychiatrischen Versorgung zugehen? (Bergmann)
Wie sind niedergelassene Kollegen zu mehr Fort- und Weiterbildung zu bewegen? Mit welcher Strategie wollen Sie Ihre niedergelassenen Kollegen zu mehr Fort- und Weiterbildung bewegen, wie Sie es am Ende Ihres Beitrags gefordert haben? Ich habe das Gefühl, viele Kollegen haben in diesem Punkt ein Problem bzw. ein Defizit in der Kognition, weil sie diese Aufforderung einfach nicht umsetzen, so dass Angebote vor Ort, wie etwa unsere Einladungen zur Fortbildung in der Klinik, einfach nicht wahrgenommen werden. (Schmauß) Wir haben vom Berufsverband her ge-
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7 Anmerkungen zur Versorgungssituation v. Patienten m. Angststörungen
rade eine Initiative gestartet, in deren Rahmen wir mit mehr als 30 Referenten durch Deutschland ziehen und Fachärzten ein Fortbildungsangebot für die Behandlung chronischer, therapieresistenter Depressionen machen. Das Gleiche tun wir auch in anderen Indikationen und machen auch Hausärzten Fortbildungsangebote. Aber wir tun dies sehr wohl in Kenntnis dessen, was Sie anmahnen. (Bergmann) Warum aber werden die Fortbildungsangebote der Universitäts- oder sonstigen Versorgungskliniken so wenig angenommen? Wir haben immer wieder versucht, unser Angebot zu modifizieren, etwa weg von einer hochwissenschaftlichen hin zu einer sehr praxiskonformen Fortbildung. Aber was man auch macht bis hin zur Besprechung der von den Teilnehmern mitgebrachten Fälle, die Resonanz bleibt bescheiden. Ein Kollege, der sich im Münchener Bereich bei den niedergelassenen Psychiatern sehr engagiert, hat mir schlussendlich gesagt: „Du kannst machen, was du willst, die kommen so und so nicht.“ Aber ich frage mich immer noch, wie wir unsere Angebote attraktiver machen können. (Möller) Wir haben es in Aachen und manchen anderen Regionen durch die Bildung von Qualitätszirkel im niedergelassenen Bereich ein Stück weit geschafft. Dort haben wir peu à peu aus einem ursprünglich ausschließlich Niedergelassenen-Zirkel eine kontinuierliche Fortbildungsarbeit entwickelt, zu der wir immer wieder auch die Kliniken einladen. Daraus ist im Laufe von 5 – 6 Jahren eine regelmäßige Kooperation in der Fortbildung geworden. (Bergmann) Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass Qualitätszirkel viel besser angenommen werden als unsere Kolloquien. (Möller)
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8
Methodologische Probleme von Metaund Poolanalysen Wolfgang Maier, Hans-Jürgen Möller
8.1
Was sind Metaanalysen?
Metaanalysen kombinieren die empirischen Evidenzen verschiedener empirischer Studien derselben Fragestellung und summieren diese Ergebnisse in einer globalen Größe (z. B. Wirksamkeit von A im Vergleich zu Plazebo in einem definierten Zeitfenster). Dabei beabsichtigen Metaanalysen, auch bei inkonsistenter Ergebnislage eine umfassende globale quantitative Bewertung abzugeben, die alle relevanten Aussagen von Einzelstudien vollständig integriert. Hierzu werden aus empirischen Studien Ergebnisse in Form der Effektgröße extrahiert (z. B. die normierte Differenz zwischen zwei Vergleichsbedingungen). Die jeweilige Effektgröße wird durch die Stichprobenumfänge gewichtet; aus deren Kombination über alle eingeschlossenen Studien ergibt sich eine quantitative globale Effektgröße. Diese wird auch als quantitatives Evidenzmaß (Evidenzgrad) in Bezug auf die untersuchte spezifische Fragestellung interpretiert. Unter dieser Interpretation stellt die globale Effektgröße die Grundlage für Therapieempfehlungen dar. Diese statistische Technik hat mittlerweile in der evidenzbasierten Medizin (EBM) eine zentrale Position erobert. Die a priori plausible Strategie zur Zusammenfassung empirischer Evidenz erfordert die Spezifikation der zu entscheidenden Fragestellung. Die Fragestellung von Einzelstudien lässt sich retrospektiv aber nicht mehr normieren; die Gleichheit von Fragestellungen ist manchmal nicht eindeutig entscheidbar, so dass Studien einer Metaanalyse zugeordnet werden können, die eine ähnliche, aber nicht dieselbe Fragestellung behandeln. Ein Beispiel hierfür ist eine häufig zitierte Metaanalyse zur Rezidivprophylaxe mit Antipsychotika von Leucht et al. [10]; hier werden Studien zur Erhaltungstherapie mit solchen zur Rezidivprophylaxe kombiniert, obwohl es sich dabei lediglich um ähnliche, nicht aber um identische Fragestellungen handelt. Entsprechend erfordern Studien zur Erhaltungstherapie ein anderes Design als solche zur Rezidivprophylaxe. Metaanalysen sind mit einem schwer lösbaren Dilemma konfrontiert: Sie zielen einerseits Vollständigkeit an, wobei alle zu einer Fragestellung verfügbaren Studien bzw. empirischen Resultate berücksichtigt werden sollen. Andererseits ist die methodische Qualität vorliegender Studien häufig heterogen, wobei einzelne Studien erhebliche methodische Insuffizienzen aufweisen können. Dieses Dilemma kann nur pragmatisch gelöst werden: a) durch Definition von methodischen Minimalkriterien und b) durch Prüfung der zu einem Thema verfügbaren empirischen Untersuchung auf die Erfüllung dieser Minimalkriterien. Die Metaanalyse wird dann auf die methodisch suffizienten empirischen Untersuchungen beschränkt. Methodische Fortschritte erlauben es, die Aussagekraft von Metaanalysen zu erhöhen: Sensitivitätsanalysen können Verfälschungen durch selektive Publikationen oder selektive Auswahl von Studien entdecken; die Ergebnisheterogenität zwischen eingeschlossenen Studien kann entdeckt und in der Schätzung des globalen Effekts
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8 Methodologische Probleme von Meta- und Poolanalysen
gegebenenfalls berücksichtigt werden. Diese methodischen Verfeinerungen haben die wahrgenommene Akzeptanz und Überzeugungskraft von Metaanalysen zusätzlich erhöht. Trotz dieser methodischen Fortschritte ist einschränkend auf eine Unstimmigkeit hinzuweisen. Aussagekräftige Vergleichsstudien zur klinischen Wirksamkeit zielen heute auf eine qualitative Hypothese (A ist B überlegen) und sind entsprechend geplant (inkl. Power-Analysen zur Abschätzung des Stichprobenumfangs). Metaanalysen dagegen extrahieren quantitative Effektgrößen aus den Einzelstudien, die eigentlich auf eine qualitative Fragestellung ausgerichtet sind. Metaanalysen testen also keine Hypothesen auf der Grundlage einer konsequenten Versuchsplanung; die resultierende Effektgröße sagt auch nichts über die Anzahl berücksichtigter Studien und Stichprobenumfänge aus. So besteht z. B. die Gefahr, dass klinisch nicht relevante Differenzen zwischen Vergleichsbedingungen aufgrund zu großer Stichprobenumfänge überinterpretiert werden; ebenso können auf schwacher empirischer Grundlage zufällig eindrucksvolle Effektgrößen resultieren, die fälschlicherweise Grundlage von Behandlungsempfehlungen werden können. Auch sind die kombinierten Einzelstudien nicht notwendigerweise nach denselben Prinzipien geplant und damit nicht automatisch vertauschbare Wiederholungen von Prüfungen derselben Hypothese.
8.2
Kontroverser Status von Metaanalysen
Die einflussreiche Cochrane-Initiative betrachtet die Metaanalyse als die höchste Stufe der empirischen Evidenz zu einer spezifischen Fragestellung, vor allem im Hinblick auf die Wirksamkeit von Therapieverfahren; auf dieser Grundlage werden manche offiziellen Therapieleitlinien und Lehrbücher erstellt. Dieser Enthusiasmus wird aber nicht umfassend geteilt. Andere Expertengremien, die mit der kumulativen Bewertung von empirischer Evidenz zu einer Fragestellung befasst sind, orientieren sich nämlich an einem anderen Rationale. Sie bewerten die Ergebnisse jeder einzelnen Studie auf dem Hintergrund der jeweiligen Qualität; eine globale Schlussfolgerung auf die Evidenzlage erfolgt dann – unter Berücksichtigung der Limitationen einzelner Studien – durch Gegenüberstellung von Studien mit positiven oder negativen Ergebnissen, ohne dass in einer Metaanalyse die quantitativen Einzelergebnisse in eine qualitative Globalgröße zusammengefasst werden. Eine globale Bewertung (im Sinne einer Behandlungsempfehlung) erfolgt nur bei eindeutiger Evidenzlage; hierfür werden qualitative Kriterien angegeben [siehe z. B. 3]. Nach diesem Rationale gehen z. B. alle nationalen und internationalen Zulassungsbehörden für Arzneimittel vor ebenso wie Leitlinienkommissionen nationaler und internationaler Fachgesellschaften (z. B. Weltverband für Biologische Psychiatrie). Der Begriff „Evidenz“ oder „empirische Evidenz“ suggeriert Schlüssigkeit und Eindeutigkeit. Wie soeben skizziert, sind aber verschiedene rationale Wege zur Generierung von empirischer Evidenz auf der Grundlage verschiedener empirischer Studien möglich. Bei inkonsistenter Ergebnislage der Einzelstudien können unterschiedliche Schlussfolgerungen resultieren. Welcher dieser beiden paradigmatischen Wege ist in Bezug auf die praktische Schlussfolgerung am überzeugendsten? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage wird nicht möglich sein. Es können aber
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8.3 Einschränkungen der Aussagekraft von Metaanalysen
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verschiedene Argumente dafür genannt werden, dass Metaanalysen nicht automatisch das höchste Niveau an Evidenzsicherung gewährleisten.
8.3
Einschränkungen der Aussagekraft von Metaanalysen
Metaanalysen behandeln alle eingeschlossenen Studien gleich; die Besonderheit einzelner Studien ist aber nicht vernachlässigbar (Argument 1 und 2). Metaanalysen zielen eine vollständige Berücksichtigung aller für eine Fragestellung durchgeführten Studien an, was aber nicht in einer eindeutigen Form zu realisieren ist (Argument 3). Auch ist die technische Vorgehensweise bei Metaanalysen nicht hinlänglich robust (Argument 4). Argument 1: Die qualitativen Schlussfolgerungen aus der metaanalytischen Kombination einzelner Studien können von den methodischen Rahmenbedingungen der Studien abhängen. Metaanalysen kombinieren Studien, die methodisch unterschiedliche Voraussetzungen haben. Die Schlussfolgerungen aus Metaanalysen sind damit möglicherweise von dem relativen Gewicht der überwiegend gewählten Untersuchungsmethoden abhängig. Jüni et al. [9] haben für jede von vier methodischen Rahmenbedingungen (z. B. Randomisierungsverfahren, verblindet vs. nicht verblindet) jeweils eine Metaanalyse durchgeführt. Die Ergebnisse der einschlägige Untersuchungen kombinierenden Metaanalysen und die qualitativen Schlussfolgerungen variierten systematisch mit der methodischen Rahmenbedingung. Argument 2: Metaanalysen betrachten die Variation von Ergebnissen der eingeschlossenen empirischen Untersuchungen als Störvarianz. Die Variabilität von Ergebnissen über Studien kann aber informativ sein. Qualitativ unterschiedliche Ergebnisse empirischer Studien können möglicherweise auf unterschiedliche klinische Bedingungen zurückgeführt werden. Das Wissen um diese Varianzquellen kann erhebliche praktische Konsequenzen haben und sollte nicht vernachlässigt werden. Ein schlüssiges Beispiel ist die Metaanalyse der antidepressiven Effekte von SSRI im Vergleich zu Trizyklika durch Anderson [1]. Trotz der scheinbar recht inkonsistenten Befundlage über die verschiedenen Studien wurde ein schwacher Vorteil für die Trizyklika geschlussfolgert. Eine differenzierte Reanalyse dieses Studienmaterials zwei Jahre später durch dieselbe Gruppe führte die Metaanalysen getrennt nach verschiedenen Studiensettings durch [2]: So konnte festgestellt werden, dass jede der beiden Substanzklassen eine unterschiedliche relative Wirksamkeit unter ambulanten im Vergleich zu stationären Behandlungsbedingungen zeigte; Trizyklika waren unter stationären, SSRI unter ambulanten Bedingungen überlegen; in die ursprüngliche Gesamtanalyse waren mehr stationäre als ambulante Studien eingegangen. Die Metaanalyse allein kann also keine Evidenz garantieren. Es ist vielmehr notwendig, Schichtungen in der Stichprobe zu entdecken, die zu differenten klinischen Schlussfolgerungen führen.
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8 Methodologische Probleme von Meta- und Poolanalysen Argument 3: Das Resultat von Metaanalysen ist abhängig von der Art, wie die eingeschlossenen empirischen Untersuchungen aufgefunden werden. Das Ziel der Vollständigkeit allein reicht nicht aus; verschiedene systematische Suchstrategien nach relevanten empirischen Untersuchungen sind möglich und können zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen.
Melander et al. [12] wählten fünf verschiedene Substanzen aus und suchten erschöpfend nach publizierten wie auch nach noch nicht publizierten Studien zur Wirksamkeit jeder dieser Substanzen. Sie verglichen für jede dieser fünf Substanzen die durch Metaanalyse ermittelte globale Effektgröße a) für alle verfügbaren Studien, publiziert oder nicht publiziert, b) für alle publizierten Studien (ohne Berücksichtigung von überlappenden Stichproben) und c) für publizierte Studien nach Korrektur für Überlappungen zwischen den dargestellten Stichproben. Es resultierte eine erhebliche Variation der quantitativen globalen Effektgrößen, die zumindest für eine Substanz unter den verschiedenen Suchstrategien zur unterschiedlichen qualitativen Schlussfolgerung bezüglich der Wirksamkeit geführt hätte. Aber selbst wenn systematisch auch Studien, die nicht publiziert wurden, in die Analyse aufgenommen werden, können sich noch erhebliche Diskrepanzen ergeben. Das zeigt eine Analyse über die Effekte von SSRI auf die Anzahl von Suizidversuchen im Vergleich zu Plazebo aus jüngster Zeit. Hierzu wurden zeitlich parallel und unabhängig voneinander zwei Metaanalysen durchgeführt und gleichzeitig publiziert. Gunnell et al. [8] identifizierten alle plazebokontrollierten Studien in Medline und im Cochrane-Register, während Fergusson et al. [5] alle in der Registrierbehörde „Medicines and Health Care Production Regulation Agency“ gemeldeten einschlägigen Studien zugrunde legten. Die Metaanalysen erbrachten für beide Suchstrategien unterschiedliche Resultate und qualitativ differente Schlussfolgerungen: Gunnell et al. fanden keine signifikante Differenz in Bezug auf die Häufigkeit von Suizidversuchen bei SSRI im Vergleich zu Plazebo, während Fergusson et al. signifikant mehr Suizidversuche unter SSRI berichteten. Argument 4: Schlussfolgerungen von Metaanalysen hängen qualitativ von der Auswahl der Teststatistik ab, die zur Kombination der Ergebnisse von Einzelstudien benutzt wird. Ein eindringliches Beispiel stellt der Vergleich von Metaanalysen zur Wirksamkeit unterschiedlicher Klassen von Antipsychotika dar: Leucht et al. [11] verglichen 2003 die klinische Wirksamkeit von Antipsychotika der zweiten Generation mit derjenigen der ersten Generation. Die Autoren stellten eine überlegene Wirkung der Vertreter der zweiten Generation fest und folgerten: Mögliche Vorteile in der Wirksamkeit von Antipsychotika der zweiten Generation sollten bei klinischen Therapieentscheidungen beachtet werden, diese sollten eher als konventionelle Antipsychotika genutzt werden. Diese Feststellung widerspricht den Resultaten einer Metaanalyse von Geddes et al. [6] aus dem Jahr 2000 zum selben Thema. Ein möglicher Erklärungsgrund hierfür könnte die umfangreichere Studienlage bei Leucht et al. sein. Daher griffen Geddes et al. [7] diesen Widerspruch auf und analysierten das Studienmaterial von Leucht et al. erneut, und zwar unter Anwendung der von ihnen
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8.4 Welche Rolle können Metaanalysen in der Evidenzgewinnung spielen?
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in einer früheren Publikation gewählten statistischen Analysetechnik. Überraschenderweise kamen sie aber nicht zu dem gleichen Ergebnis wie Leucht et al., sondern konnten erneut keinen Wirksamkeitsunterschied zwischen beiden Substanzklassen feststellen. Die kritische Differenz zwischen den beiden sich widersprechenden Metaanalysen lag lediglich in einer unterschiedlichen Wahl der Teststatistik: RisikoDifferenz-Quotient vs. Log-odds-Verhältnis. Diese technische Differenz zwischen beiden Analysen desselben Materials führte zu qualitativ unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Damit muss die Validität der statischen Methode Metaanalyse angezweifelt werden. Diese vier Argumente könnten noch erweitert werden. Für sich allein sagen sie jedoch aus, dass Metaanalysen per se nicht die höchste Ebene empirischer Evidenz garantieren. Das Ziel, die Aussagen der einzelnen Therapiestudien vollständig im Ergebnis einer Metaanalyse aufgehen zu lassen, ist häufig nicht erreichbar. Auch die zugrunde liegenden statistischen Methoden sind so wenig robust, dass Metaanalysen keine Validität beanspruchen können. Empirische Evidenz ist auch weiterhin primär durch geeignet geplante kontrollierte Studien zu erbringen. Diese sind adäquat zu planen, die Stichprobenumfänge sind aufgrund einer Power-Analyse zu quantifizieren und die teststatistischen Resultate sind im Rahmen der benutzten statistischen Theorie zu interpretieren. Absolute Sicherheit kann aus einem einzelnen Versuch nicht abgeleitet werden, aber Ergebnisse sind validierbar durch Replikationen. Die methodischen Grundlagen für dieses Vorgehen sind über ein Jahrhundert konsequent entwickelt worden und trugen zur zentralen Rolle der Biostatistik in der Medizin bei. Über diese Entscheidungslogik können auch Metaanalysen nicht hinausgehen, hierbei wird lediglich die quantitative Ergebnislage der Vergleichsstudien in einem quantitativen globalen Effekt zusammengefasst. Das Ausmaß bzw. die Sicherheit der zu einer Frage (Hypothese) vorliegenden Evidenz entscheidet sich an der Qualität und Anzahl der bekannten einschlägigen Studien, die nach den Kriterien der Versuchsplanung und Teststatistik durchgeführt wurden. Diese entscheidenden Gesichtspunkte werden durch die globale Effektgröße nicht reflektiert. Überbewertungen und Überinterpretationen von Metaanalysen wurden entsprechend auch in der klassischen biostatistischen Literatur sarkastisch und heftig kritisiert [z. B. 4].
8.4
Welche Rolle können Metaanalysen in der Evidenzgewinnung spielen?
Die pauschale Anwendung von Metaanalysen zur Feststellung der relativen Wirksamkeit von Behandlungsmodalitäten ignoriert die Besonderheiten der eingeschlossenen Vergleichsstudien. Der wesentliche Nutzen differenzierter Metaanalysen besteht dagegen in der systematischen Aufklärung der Quelle der Variation von Ergebnissen über die verschiedenen Studien zu einer einschlägigen Fragestellung. Für diesen Zweck sind Metaregressionsmodelle verfügbar, die klinisch relevante Einflussfaktoren feststellen können [13]. Anschließende gezielte Hypothesen prüfende Studien können diese a posteriori gewonnenen Hypothesen explizit prüfen. So können mit Hilfe von Metaanalysen Differenzialindikatoren für spezifische Behandlungsverfahren abgeleitet werden (siehe obiges Beispiel zum Vergleich SSRI und Trizyklika). Damit sind Metaanalysen Hilfsmittel für die Ableitung von Hypo-
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8 Methodologische Probleme von Meta- und Poolanalysen
thesen, weniger aber für die Ableitung und Absicherung schlüssiger klinischer Evidenzen. Für Letzteres sind auch weiterhin adäquat und a priori geplante randomisierte, kontrollierte Studien zur Prüfung der Wirksamkeit sowie eine hinlängliche Anzahl von Replikationen zur Ergebnisvalidierung erforderlich. Die summarische Wertung vorliegender empirischer Evidenz für eine Fragestellung kann die Besonderheiten und Limitationen, Schwächen und Stärken der einzelnen Studien nicht ignorieren.
Literatur 1. Anderson IM. SSRIs versus tricyclic antidepressants in depressed inpatients: a meta-analysis of efficacy and tolerability. Depress Anxiety. 1998;7(Suppl 1):11 – 7. 2. Anderson IM. Selective serotonin reuptake inhibitors versus tricyclic antidepressants: a meta-analysis of efficacy and tolerability. J Affect Disord. 2000; 58:19 – 36. 3. Bauer M, Whybrow PC, Angst J, Versiani M, Möller H-J. Biologische Behandlung unipolarer depressiver Störungen. Behandlungsleitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2004. 4. Feinstein AR. Meta-analysis: statistical alchemy for the 21st century. J Clin Epidemiol. 1995;48:71 – 9. 5. Fergusson D, Doucette S, Glass KC, Shapiro S, Healy D, Hebert P, Hutton B. Association between suicide attempts and selective serotonin reuptake inhibitors: systematic review of randomised controlled trials. Br Med J. 2005; 330:396 – 402. 6. Geddes J, Freemantle N, Harrison P, Bebbington P. Atypical antipsychotics in the treatment of schizophrenia: systematic overview and meta-regression analysis. Br Med J. 2000;321:1371 – 6. 7. Geddes JR, Harrison P, Freemantle N. New generation versus conventional antipsychotics. Lancet. 2003;362:404. 8. Gunnell D, Saperia J, Ashby D. Selective serotonin reuptake inhibitors (SSRIs) and suicide in adults: meta-analysis of drug company data from placebo controlled, randomised controlled trials submitted to the MHRA's safety review. Br Med J. 2005;330:385 – 9. 9. Jüni P, Altman DG, Egger M. Assessing the quality of controlled clinical trials. Br Med J. 2001;323:42 – 6. 10. Leucht S, Barnes TR, Kissling W, Engel RR, Correll C, Kane JM. Relapse prevention in schizophrenia with new-generation antipsychotics: a systematic review and exploratory meta-analysis of randomized, controlled trials. Am J Psychiatry. 2003;160: 1209 – 22. 11. Leucht S, Wahlbeck K, Hamann J, Kissling W. New generation antipsychotics versus low-potency conventional antipsychotics: a systematic review and meta-analysis. Lancet. 2003;361:1581 – 9. 12. Melander H, Ahlqvist-Rastad J, Meijer G, Beermann B. Evidence b(i)ased medicine – selective reporting from studies sponsored by pharmaceutical industry: review of studies in new drug applications. Br Med J. 2003;326: 1171 – 3. 13. Sterne JA, Gavaghan DJ, Egger M. Publication and related bias in meta-analysis: power of statistical tests and prevalence in the literature. J Clin Epidemiol. 2000;53: 1119 – 29.
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Diskussion
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Diskussion Manche Metaanalysen: „Taschenspielertrick“ zur Erzeugung von Hypothesen – Zwei schlechte Studien ergeben auch gepoolt keine gute Schaut man z. B. Studien zur Verhaltenstherapie ohne Medikament an, sind diese Studien praktisch alle „underpowered“, so dass man erst durch eine zusammenfassende Analyse dieser Studien auf die für eine Aussage erforderliche Power kommt. (Bandelow) Zunächst haben wir keine richtigen Studien und wissen nichts, dann aber machen wir einen Taschenspielertrick, so dass auf einmal mit einem irrsinnigen Stichprobenumfang ein scheinbar ordentliches Ergebnis herauskommt. Mit diesem Trick erzielte Ergebnisse kann man durchaus als präliminäre Aussage werten und daraus vielleicht eine Hypothese oder eine gewisse Plausibilität für die Wirksamkeit ableiten, aber man kann eine solche Metaanalyse nicht zum Gegenstand einer klinischen Leitlinie machen. Dazu ist die Evidenz viel zu schwach. (Maier) Hier sehen wir wieder, dass aus zwei schlechten Studien auch durch die Zusammenlegung nicht eine gute wird. (Müller) Dazu verstärkend: Zulassungsbehörden erteilen nie eine Arzneimittelzulassung auf der Basis einer Metaanalyse. (Fritze) Diesen Bias vermeidet das systematische Review, das jede Studie einzeln und dabei insbesondere die methodische Qualität jeder einzelnen Studie bewertet, so dass methodisch insuffiziente Studien dort erst gar nicht berücksichtigt werden. (Maier)
Auch Metaanalysen sind nicht die Wahrheit, sondern bedürfen der kritischen Korrektur – Kliniker haben u. U. andere Fragen als Metaanalytiker – Systematisches Review mindestens ebenso bedeutend wie Metaanalyse Metaanalysen werden heute oft so verkauft, als ob sie per se schon die Wahrheit gepachtet hätten. Der Beitrag enthält wichtige Botschaften zur Widerlegung dieses falschen Verständnisses: Metaanalysen sind genauso verzerrungsanfällig wie jede experimentelle Studie und eine Metaanalyse ist nicht per se die Wahrheit, sondern bedarf der kritischen Korrektur, z. B. durch analoge Metaanalysen eines Datensatzes mit anderer Methodik. Eine weitere Botschaft für mich wäre: Metaanalysen dürfen nicht zur Lesefaulheit führen. Man kann sich als Arzt und insbesondere als Wissenschaftler nicht auf das Ergebnis einer Metaanalyse berufen, ohne die dafür verwendeten Studien zu kennen. Man muss sich immer wieder fragen, warum dieses Ergebnis herauskommt und wo die Variation in den einzelnen Studien ist. Letztlich führt dies zur stärkeren Bewertung des systematischen Reviews, wo im Detail versucht wird zu erklären, warum diskrepante Ergebnisse herauskommen. (Möller) Momentan habe ich die Sorge, dass jeder sich auf Metaanalysen beruft, weil er glaubt, damit sei die Wahrheit gefunden. Würden aber die Ergebnisse der Metaanalysen für die Wahrheit stehen, kämen wir in eine eigenartige logische Zwickmühle, wenn metaanalytische Ergebnisse nicht das widerspiegeln, was z. B. im Zulassungsprozess als relevant bewertet wurde und schließlich zur Zulassung führte. Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Da wir im Wesentlichen auch Kliniker sind, glaube ich, dass diese globale Effizienzbewertung, wie sie in den Metaanalysen vorgenommen wird, unter diesem Aspekt vielleicht gar nicht so zentral ist. Im Grunde geht es uns häufig gar nicht so sehr um die Frage der globalen Effizienz (ist diese Therapie etwas besser als die andere?), die Metaanalytiker meistens bearbeiten,
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8 Methodologische Probleme von Meta- und Poolanalysen
sondern häufiger vorrangig um die Frage, welcher Symptomfokus bei der einen Therapie mehr gegeben ist als bei der anderen. (Möller) Hinzu kommen Probleme, welche die Bedeutung einzelner Metaanalysen in Frage stellen: Bei Metaanalysen zu Neuroleptika beispielsweise geht es darum, ob die Vergleichsdosis von Haloperidol wirklich relevant ist. Wie geht man damit um, wenn experimentelle Studien darauf hindeuten, dass die Relevanz der gewählten Haloperidol-Dosierung offenbar nicht so groß ist? Im Gesamtdiskurs der Evidenz sollte das systematische Review mindestens als ebenso bedeutend wie die Metaanalyse bewertet werden. Man kann sich jedenfalls nicht einfach nur auf die in Metaanalysen ermittelten Effektgrößen berufen und diese dann vielleicht auch noch in Pharmakoökonomie umrechnen. (Möller)
Metaanalyse: ein methodisch anfälliger Suchprozess – Qualitätskriterien erforderlich Eine Metaanalyse ist ein methodisch anfälliger Suchprozess. Insofern ist auch zu fragen, ob man der Metaanalyse einen so hohen Stellenwert in der Evidenzgraduierung zuweisen darf, die bei der Erstellung von Leitlinien benutzt wird, ohne die methodische Qualität der jeweiligen Metaanalyse stärker mit in Betracht zu ziehen. Man muss zwar aus der Heterogenität der Befunde irgendwo einen Schluss ziehen, aber man darf in Metaanalysen auch nicht Äpfel mit Birnen vermischen. Wenn z. B. ambulante und stationäre Daten in eine Metaanalyse eingehen, ist das nach meinem Verständnis keine gute Metaanalyse. Man kann zwar die Metaanalyse nutzen neben dem Review, aber sie muss zuvor einige Qualitätskriterien erfüllen. (Gaebel) Für Cochrane-Reviews werden zahlreiche „biassed studies“ verwendet. Wenn man diese Studien im Einzelnen kennt, wundert man sich, dass sie dort überhaupt berücksichtigt wurden. Damit ist dann aber das Gewicht der Aussage vollkommen verzerrt. Am Schluss bleiben der Name „Cochrane“ und die formale Tatsache einer Metaanalyse. Doch das, was unter diesen Etiketten geschehen ist, muss als Flickwerk gewertet werden. Damit dieses Unwesen nicht weitergeht, muss eine kritische Methodologie entstehen, die erkennen lässt, was die einzelnen Studien wert sind, die in die Metaanalysen eingeflossen sind. (Gallhofer)
Sind Atypika in der Langzeitbehandlung tatsächlich überlegen? – Was sind „Studien zur gleichen Thematik“? – Fachkompetenz schon für die systematische Aufarbeitung erforderlich Bei dieser Einschätzung muss man auch Konsequenzen ziehen: Ich denke z. B. an unsere Aussage, Atypika seien typischen Neuroleptika in der Langzeitbehandlung überlegen. Schaut man sich die Analyse an, ist der beanspruchte Effekt eigentlich nur für Risperidon erwiesen. Alle anderen Atypika sind allenfalls tendenziell in diese Richtung zu gewichten. Sehe ich das richtig, dass die Aussage, alle Atypika hätten in der Langzeitbehandlung wahrscheinlich einen Vorteil gegenüber typischen Neuroleptika, aus den vorliegenden Analysen nicht ableitbar ist? (Gaebel) Wir haben das nicht weiter problematisiert in der Definition der Metaanalyse („Zusammenfassung von Studien zur gleichen Thematik“), was unter „gleicher Thematik“ zu verstehen ist. Kann man z. B. zehn Studien zu Risperidon und eine zu Olanzapin zusammenfassen und daraus eine Schlussfolgerung ziehen, in der alle Aty-
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Diskussion
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pika generalisiert werden? Ein anderes Beispiel sind die Maintenance-Studien und die Studien zur Rückfallprophylaxe, die einfach unter dem Titel „Langzeitstudien“ zusammengebaut werden, obwohl sie unterschiedliche Ziele und völlig unterschiedliche Studiendesigns haben. Das ist ein ganz kritischer Punkt, den wir aber in unserem Beitrag nicht weiter problematisiert habe, weil er kein grundsätzliches Argument gegen Metaanalysen darstellt. Man kann sich diesbezüglich jedoch auf den Standpunkt stellen, dass die „gleiche Thematik“ präziser definiert werden muss. (Maier) Es ist zwar kein grundsätzliches Argument gegen Metaanalysen, aber ein Argument dagegen, wie Metaanalysen heute handwerklich durchgeführt werden: Personen ohne ausreichende Fachkenntnis tabellieren die ganzen Daten, die dann dem Verfahren eines Cochrane-Reviews oder einer Metaanalyse unterzogen werden. Es ist aber ganz wichtig, dass schon die Personen, welche diese systematische Aufarbeitung leisten, ausreichende Fachkompetenz haben, um z. B. zwischen einer Maintenance- und einer Rezidivprophylaxe-Studie unterscheiden zu können. Sie müssten z. B. auch zwischen Therapieresistenz-Studien und primären Phase-III-Studien unterscheiden können, die jeweils ganz andere Zielsetzungen haben. Denn es kann natürlich geschehen, dass ein zunächst gutes Wirksamkeitssignal in Phase-IIIStudien später durch andere Studien, z. B. auf dem Feld der Therapieresistenz, aufgehoben wird. Hätte eine pharmazeutische Firma sich bezüglich ihres Psychopharmakons nicht auf dieses Feld begeben, wäre das günstige Wirksamkeitsergebnis der Zulassungsstudien auch in der Metaanalyse erhalten geblieben. (Möller)
Qualitätsmerkmale einer Metaanalyse? – Tatsächlicher Stellenwert der Metaanalysen Wie ließen sich Qualitätsmerkmale einer Metaanalyse definieren? (Fritze) Auch Metaanalysen kann man gut oder schlecht machen, und um dies zu beurteilen, wurden interne Qualitätskriterien, wie z. B. Funnel plot oder Sensitivitätsanalysen, entwickelt. Unser Beitrag hatte aber nicht die Aufgabe, Metaanalysen zu verbessern, sondern ihnen den Platz zuzuweisen, der ihnen gebührt. Und das ist eben nicht der Platz, der ihnen normalerweise zugewiesen wird (oberste Evidenzstufe). Vielmehr handelt es sich bei Metaanalysen um eine Suchstrategie, mit der sich eher Hypothesen generieren als bestätigen lassen. (Maier)
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9
Metaanalysen neuer Antidepressiva Hans-Peter Volz
9.1
Einleitung
Metaanalysen sind in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Instrument der Wirksamkeits- und Verträglichkeitsbeurteilung von Arzneimitteln geworden. Gerade beim Wirksamkeitsnachweis von Antidepressiva stellt sich mitunter das Problem, dass in Einzelstudien gegen Plazebo kein Unterschied nachweisbar ist, und nur sehr selten kann eine Überlegenheit eines Antidepressivums über ein anderes im Rahmen solcher Studien gezeigt werden. Um eventuell bestehende kleinere Unterschiede zwischen zwei aktiven Substanzen nachzuweisen, eignen sich daher zusammenfassende Analysen, die es erlauben können, nicht signifikante Unterschiede einzelner Studien durch eine übergreifende Auswertung evident werden zu lassen. Kapitel 8 dieses Buches beschäftigt sich mit den methodischen Aspekten und den Grenzen der Aussagekraft von Metaanalysen. Im vorliegenden Kapitel sollen die Metaanalysen zu den neuen Antidepressiva Escitalopram und Duloxetin zusammengefasst und diskutiert werden.
9.2
Metaanalysen zu Escitalopram
Die im Folgenden dargestellten Metaanalysen von Escitalopram umfassen 6 Studien, die in Tabelle 9.1 in einer Übersicht dargestellt sind. Insgesamt wurden folgende Metaanalysen zu Escitalopram publiziert: R Gorman et al. (2002), gepoolte Auswertung [5]: Eingeschlossen wurden die Studien von Burke et al. (2002) [2], von Lepola et al. (2003) [6] und die unveröffentlichte Untersuchung mit dem firmeninternen Kürzel MD-02. R Lepola et al. (2004), gepoolte Auswertung [7]: Eingeschlossen wurden die Studien von Burke et al. (2002) [2] und Lepola et al. (2003) [6]. R Auquier et al. (2003), Metaanalyse mit gewichteten Mittelwerten [1]: Eingeschlossen wurden die Studien von Burke et al. (2002) [2], Lepola et al. (2003) [6] und Colonna et al. (2003) [3]. R Einarson (2004), Metaanalyse mit dem „Random-effect-Modell“ [4]: Eingeschlossen wurden die Studien von Colonna et al. (2003) [3], Leopola et al. (2003) [6] und Montgomery et al. (2004) [10]. R Llorca et al. (2005), gepoolte Auswertung [8]: Hier wurden dieselben Studien [2, 6, MD-02] wie bei Gorman et al. (2002) [5] eingeschlossen. In die Pooled-Analyse von Gorman et al. [5] wurden insgesamt 1321 Patienten (Plazebo: 398, Escitalopram: 520, Citalopram: 403) eingeschlossen. Abb. 9.1 zeigt das Ergebnis für die LOCF-(last observation carried forward-) und die OC-(observed cases-)Auswertung. In der OC-Auswertung wird die Überlegenheit von Escitalopram
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9.2 Metaanalysen zu Escitalopram
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Tabelle 9.1 Übersicht der Studien, die in den zu Escitalopram vorgelegten Untersuchungen Eingang fanden Flexible Dosis
Fixe Dosis
Lepola et al. 2003 R Allgemeinärzte
Burke et al. 2002 R Fachärzte
R Dauer: 8 Wochen R Plazebo (n = 154), 10 – 20 mg Escitalopram (n = 155), 20 – 40 mg Citalopram (n = 159)
R Dauer: 8 Wochen R 10 mg Escitalopram (n = 118), 20 mg Escitalopram (n = 123), 40 mg Citalopram (n = 125)
MD-02 (nicht publiziert) R Fachärzte
Wade et al. 2002 R Allgemeinärzte
R Dauer: 8 Wochen R Plazebo (n = 125), 10 – 20 mg Escitalopram (n = 124), 20 – 40 mg Citalopram (n = 119)
R Dauer: 8 Wochen R Plazebo (n = 188), 10 mg Escitalopram (n = 189)
Montgomery et al. 2004 R Allgemeinärzte
Colonna et al. 2003 R Allgemeinärzte
R Dauer: 8 Wochen R 10 – 20 mg Escitalopram (n = 146), 75 – 150 mg Venlafaxin (n = 142)
R Dauer: 24 Wochen R 10 mg Escitalopram (n = 175), 20 mg Citalopram (n = 182)
nicht nur versus Plazebo, sondern auch versus Citalopram zu Beginn und am Ende der Behandlung besonders deutlich. In einer Subanalyse wurden die schwer depressiven Patienten untersucht. Hierbei handelte es sich um Patienten mit einer MADRS-(Montgomery-Åsberg-Depressionsskala-)Gesamtpunktzahl ≥ 30 zu Beginn der Behandlung. Auch hier zeigt Escitalopram bereits in Woche 1 nicht nur einen statistisch signifikanten Unterschied zu Plazebo, sondern auch zu Citalopram. Dieser Unterschied bleibt numerisch während des gesamten Behandlungsverlaufs bestehen und wird ab Woche 6 wieder statistisch signifikant. Der Unterschied zwischen Escitalopram und Citalopram in der Gruppe der schwer depressiven Patienten ist ausgeprägter als in der Gesamtpopulation. Ein Nachteil der Pooled-Analyse von Gorman et al. [5] besteht darin, dass nichtäquivalente Dosen von Escitalopram und Citalopram zusammen ausgewertet wurden. In die Pooled-Analyse von Lepola et al. [7] wurden dagegen nur die Daten der Studien von Burke et al. [2] und Lepola et al. [6] zusammengebracht, die einer solchen Bedingung genügten: Der 10-mg-Escitalopram-Arm der Studie von Burke et al. wurde nicht in die Analyse einbezogen, so dass nur äquivalente Dosen (20 bzw. 10 – 20 mg/d Escitalopram vs. 40 bzw. 20 – 40 mg/d Citalopram) miteinander verglichen wurden. Diese zusammenfassende Auswertung ergab, dass die Abnahme in der MADRS nach 8 Wochen doppelblinder Behandlung in der Escitalopram-Gruppe um 1,77 Punkte (OC) bzw. 1,62 Punkte (LOCF) größer war als unter Citalopram (p = 0,015 bzw. 0,026) (Abb. 9.2). Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen Es-
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9 Metaanalysen neuer Antidepressiva
Abb. 9.1 Hauptergebnis der Pooled-Analyse von Gorman et al. [5]. Gezeigt ist die mittlere Veränderung der MADRS-(Montgomery-Åsberg-Depressionsskala-)Gesamtpunktzahl zum Ausgangswert. Die Patienten erhielten entweder 10 – 20 mg/d Escitalopram, 20 – 40 mg/d Citalopram oder Plazebo. ITT-(intent-to-treat-)Analysen, links LOCF-(last observation carried forward-)Auswertung, rechts OC-(observed cases-)Auswertung.
Abb. 9.2 Errechneter Unterschied der durchschnittlichen MADRS-(Montgomery-ÅsbergDepressionsskala-)Werte zu Plazebo nach 8-wöchiger Behandlung mit Escitalopram (ESC), Citalopram (CIT) bzw. Plazebo (PBO) (modif. nach [7]). LOCF-(last observation carried forward-)Werte. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001 vs. Plazebo; # p < 0,05 vs. Citalopram.
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9.2 Metaanalysen zu Escitalopram
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citalopram und Citalopram, wenn die Response (Abnahme des MADRS-Ausgangswertes um mindestens 50 %) oder die Subgruppe der schwer Depressiven betrachtet wird. Ein weiterer Beleg für die Überlegenheit von Escitalopram vs. Citalopram ergibt sich aus der Metaanalyse von Auquier et al. [1]. Hierbei haben die Autoren insgesamt 1262 Patienten aus vier randomisierten klinischen Studien [2, 3, 6 und MD-02] in ihre Bewertung eingeschlossen. Durchgeführt wurde keine Pooled-Analyse, sondern ein Vergleich gewichteter Mittelwerte. Gegenüber Citalopram zeigten mit Escitalopram behandelte Patienten signifikant höhere Responderraten sowie eine ausgeprägtere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert auf der MADRS. Die Überlegenheit von Escitalopram gegenüber Citalopram war, wie auch in der Pooled-Analyse von Gorman et al. [5], besonders ausgeprägt in der Gruppe der schwer depressiven Patienten. Ebenso zeigte sich, dass diese Überlegenheit mit dem Ausmaß der Depression zu Beginn der Behandlung zusammenhängt, also je größer der Schweregrad der Depression, desto ausgeprägter der Wirkungsunterschied zwischen Escitalopram und Citalopram. Dieses Ergebnis wurde in einer weiteren Auswertung verfolgt. Hierzu wurden die Patienten in vier initiale Schweregrade eingeteilt, dann wurde die Abnahme des MADRS-Wertes im Verlauf getrennt für diese vier Schweregradsbereiche untersucht. Dabei bestätigte sich: Je schwerer der initiale Depressionsgrad ist, desto effektiver ist Escitalopram im Vergleich zu Citalopram (Abb. 9.3). Die Untersuchung von Einarson [4] widmete sich insbesondere den Responseund Remissionsraten; die wichtigsten Ergebnisse sind in Tabelle 8.2 zusammengefasst. Hier ist an der Number needed to treat (NNT) auch gut zu erkennen, dass die
Abb. 9.3 MADRS-(Montgomery-Åsberg-Depressionsskala-)Abnahme als Funktion des initialen Depressionsschweregrades. Die Patienten wurden a priori 4 Schweregradkategorien zugeordnet (*p = 0,02) [nach 1].
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9 Metaanalysen neuer Antidepressiva
Tabelle 9.2 Remissions- und Responseraten von Escitalopram und Vergleichssubstanzen, wie sie sich aus gepoolten Daten kontrollierter, randomisierter Studien beim direkten Vergleich ergeben (modif. nach [4]) Anzahl Studien
Substanz (n)
Rate ( %)
Substanz (n)
Rate ( %)
p
NNT (95 %-KI)
2
Escitalopram (343)
48,7
Plazebo (343)
37,6
0,003
9,0 (5,4 – 26,8)
2
Escitalopram (320)
52,8
Citalopram (333)
43,5
0,017
10,8 (5,9 – 59,8)
1
Escitalopram (146)
69,9
Venlafaxin (142)
69,7
0,97
691,1
2
Escitalopram (343)
58,1
Plazebo (343)
43,1
0,001
6,7 (4,4 – 13,4)
2
Escitalopram (320)
62,5
Citalopram (328)
49,5
0,001
7,8 (4,8 – 20,1)
1
Escitalopram (146)
77,4
Venlafaxin (142)
79,6
0,524
nicht zutreffend
Remission
Response
Behandlung mit Escitalopram im Vergleich zu Citalopram einen echten therapeutischen Mehrwert besitzt. Die Poolanalyse von Llorca et al. [8] bestätigt die Resultate derjenigen von Gorman et al. [5].
9.3
Metaanalysen zu Duloxetin
Von Duloxetin sind bisher zwei Pooled-Analysen vorgestellt worden, die denselben Studienumfang (siehe Tabelle 9.3) umfassen: R Thase et al. (2004) [11] und R Malinckrodt et al. (2005) [9]. Thase et al. [11] schlossen insgesamt 1656 Patienten ein, hiervon erhielten 516 Patienten Plazebo, 711 Duloxetin und 429 SSRI. Die Auswertung der Remissionsraten (Kriterium: Hamilton-Depressionsskala mit 17 Items = HAMD17 ≤ 7) ergab eine numerische Überlegenheit für Duloxetin über die SSRI und eine statistisch signifikante Überlegenheit über Plazebo; wenn nur die schwerer Depressiven (initialer HAMD17 ≥ 19) ausgewertet wurden, ergab sich in beiden Vergleichen ein statistisch signifikanter Wirkvorteil zugunsten von Duloxetin (Abb. 9.4). Neben dem Remissionskriterium HAMD17 ≤ 7 wurden die Remissionsraten auch für alternative Remissionsdefinitionen (MADRS < 12 und CGI-S ≤ 2) berechnet, ohne dass sich wesentlich
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9.3 Metaanalysen zu Duloxetin
95
Tabelle 9.3 Übersicht der Einzelstudien, die in die Pooled-Analysen von Thase et al. (2004) und Mallinckrodt et al. (2005) aufgenommen wurden [aus 11] Sämtliche Studien wurden mit fixer Dosis über 8 Wochen durchgeführt, Einschlusskriterium (u. a.) HAMD17 ≥ 15, ambulante Patienten F1J-MC-HMAQa R Plazebo (n = 70), 120 mg Duloxetin (n = 70), 20 mg Fluoxetin (n = 33)
F1J-MC-HMATb R Plazebo (n = 87), 40 mg Duloxetin (n = 86), 80 mg Duloxetin (n = 91), 20 mg Paroxetin (n = 89)
F1J-MC-HMAQb R Plazebo (n = 75), 120 mg Duloxetin (n = 82), 20 mg Fluoxetin (n = 37)
F1J-MC-HMAYa R Plazebo (n = 93), 80 mg Duloxetin (n = 95), 120 mg Duloxetin (n = 93), 20 mg Paroxetin (n = 86)
F1J-MC-HMATa R Plazebo (n = 89), 40 mg Duloxetin (n = 91), 80 mg Duloxetin (n = 84), 20 mg Paroxetin (n = 90)
FjJ-MC-HMAYb R Plazebo (n = 99), 80 mg Duloxetin (n = 93), 120 mg Duloxetin (n = 103), 20 mg Paroxetin (n = 97)
Abb. 9.4 Vergleich der Remissionraten (Hamilton-Depressionsskala mit 17 Items = HAMD17 ≤ 7) unter Plazebo, SSRI (Fluoxetin und Paroxetin) und Duloxetin, alle Patienten (links) sowie Patienten mit einem initialen HAMD17 ≥ 19 (rechts) [nach 11]. *p < 0,05 vs. Plazebo, **p = 0,013 vs. SSRI.
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96
9 Metaanalysen neuer Antidepressiva
Tabelle 9.4 Vergleich der Abnahme verschiedener Schweregradparameter aufgeteilt nach dem depressiven Subtyp (melancholisch vs. nicht melancholisch) und den unterschiedlichen Behandlungsmodalitäten [9] (pa-Wert für den Vergleich Duloxetin vs. SSRI, pb-Wert für den Vergleich melancholischer vs. nicht melancholischer Subtyp) Kriterium
HAMD17
CGI-S
PGI
Status
Mittlere Änderung (SD)
pa
pb
0,784
Duloxetin
SSRI
melancholisch (n = 878)
– 8,85 (7,39)
– 8,60 (7,68)
0,709
nicht melancholisch (n = 416)
– 8,18 (6,52)
– 7,59 (6,70)
0,897
melancholisch (n = 880)
– 1,53 (1,26)
– 1,52 (1,33)
0,979
nicht melancholisch (n = 416)
– 1,46 (1,24)
– 1,40 (1,24)
0,474
melancholisch (n = 877)
2,67 (1,28)
2,64 (1,34)
0,484
nicht melancholisch (n = 416)
2,64 (1,29)
2,57 (1,02)
0,077
0,865
0,817
abweichende Gesichtspunkte ergaben. 12 % der Plazebo-, 5,6 % der SSRI-, aber nur 3,2 % der Duloxetin-Patienten beendeten die Untersuchung vorzeitig wegen mangelnder Wirksamkeit (signifikanter Unterschied vs. Placebo mit p < 0,001, Trend vs. SSRI mit p = 0,052). Ausgehend von der Beobachtung, dass melancholisch depressive Patienten ein abweichendes Responseverhalten auf Antidepressiva gegenüber nicht melancholischen Patienten zeigen, dichotomisierten Mallinckrodt et al. [9] die in ihre Untersuchung eingeschlossenen Patienten nach den DSM-IV-Kriterien für den melancholischen Subtypus. Insgesamt erfüllten 1572 Patienten diese Kriterien, 770 Patienten nicht. Die Wirksamkeitsparameter wurden getrennt für diese beiden Populationen untersucht. Es fanden sich aber – wider Erwarten – keine Unterschiede (Tabelle 9.4). Die Autoren diskutierten u. a., dass die verwendeten Melancholiekriterien für eine genaue Abgrenzung dieser Erkranktengruppe nicht geeignet seien.
9.4
Kritische Würdigung
Bezüglich der Metaanalysen zu Escitalopram ist kritisch anzumerken, dass zu sechs Einzelstudien insgesamt fünf Meta- bzw. Pooled-Analysen vorliegen, von denen zwei [5, 8] exakt dieselben Einzelstudien einschlossen, ohne dass diese Übereinstimmung in der Studie von Llorca et al. [8] erwähnt wird. Das Übereinstimmende der zusammenfassenden Analysen zu Escitalopram besteht darin, dass unter Escitalopram statistisch signifikant ausgeprägtere antide-
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Literatur
97
pressive Effekte als unter Citalopram beobachtet wurden. Dieser Wirkvorteil von Escitalopram im Vergleich zu Citalopram zeigte sich ebenfalls in Response- und Remissionsanalysen. Dieser Unterschied ist besonders bei schwer depressiven Patienten vorhanden und dann, wenn so genannte äquivalente Dosen miteinander verglichen wurden (also die Escitalopram- 50 % der Citalopram-Dosis entsprach). Somit ergaben die zusammenfassenden Analysen deutlicher als die Einzelstudien einen Vorteil von Escitalopram über Citalopram, ohne allerdings qualitativ neue Befunde zu erbringen. Zu Duloxetin liegen zwei Pooled-Analysen vor, welche dieselben Studien umfassen [9, 11]. Auch hier wird dieser Umstand in der zuletzt publizierten Pooled-Analyse [9] nicht erwähnt. Thase et al. [11] finden einen diskreten Wirkvorteil von Duloxetin vs. SSRI, der sich aber nicht in allen ausgewerteten Wirksamkeitsparametern wiederfindet. Kritisch ist anzumerken, dass eine breite Spanne von Duloxetin-Dosen (40 – 120 mg/d) in die Auswertung einging, während die SSRI (Fluoxetin, Paroxetin) mit 20 mg/d an der unteren Grenze dosiert waren. Der Einschluss in die Studien war ab einem HAMD17 ≥ 15 möglich, so dass ein großer Teil der Patienten eher eine vergleichsweise gering ausgeprägte Depressionsschwere aufwies, was auch für die mangelnde Abgrenzung von Duloxetin vs. SSRI mit verantwortlich war, wie die von Thase et al. [11] durchgeführte Subanalyse der schwerer Depressiven erkennen ließ. Verwunderlich angesichts des hohen Anteils leicht Depressiver ist die Häufigkeit des melancholischen Subtypus, wie ihn Mallinckrodt et al. [9] beschreiben.
Literatur 1. Auquier P, Robitail S, Llorca PM, Rive B. Comparison of Escitalopram and Citalopram efficacy: a meta-analysis. Int J Psych Clin Pract. 2003;7:259 – 68. 2. Burke WJ, Gergel I, Bose A. Fixed-dose trial of the single isomer SSRI Escitalopram in depressed outpatients. J Clin Psychiatry. 2002;63:331 – 6. 3. Colonna L, Menard F, Andersen HF. Escitalopram versus Citalopram: more efficacious and well tolerated in long-term treatment of moderately depressed patients. Poster presented at the 16th European College of Neuropsychopharmacology (ECNP), Prague, Czech Republic, Sept 20 – 24, 2003. 4. Einarson TR. Evidence based review of escitalopram in treating major depressive disorder in primary care. Int Clin Psychopharmacol. 2004;19: 305 – 10. 5. Gorman JM, Korotzer A, Su G. Efficacy comparison of escitalopram and citalopram in the treatment of major depressive disorder: pooled analysis of placebo-controlled trials. CNS Spectrums. 2002;7(Suppl 1):40 – 4. 6. Lepola U, Loft H, Reines EH. Escitalopram (10 – 20 mg/day) is effective and well tolerated in a placebo-controlled study in depression in primary care. Int Clin Psychopharmacol. 2003;18:211 – 7. 7. Lepola U, Wade A, Andersen HF. Do equivalent doses of Escitalopram have similar efficacy? – a pooled analysis of two positive placebo-controlled studies in major depressive disorder. Int Clin Psychopharmacol. 2004;19: 149 – 55. 8. Llorca PM, Azorin JM, Despiegel N, Verpillat P. Efficacy of escitalopram in patients with severe depression: a pooled analysis. Int J Clin Pract. 2005;3: 268 – 75. 9. Mallinckrodt CH, Watkin JG, Liu C, Wohlreich MM, Raskin J. Duloxetine in the treatment of major depressive disorder: A comparison of efficacy in patients with and without melancholic features. BMC Psychiatry. 2005; 5:1.
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9 Metaanalysen neuer Antidepressiva
10. Montgomery SA, Huusom AK, Bothmer J. A randomised study comparing escitalopram with venlafaxine XR in primary care patients with major depressive disorder. Neuropsychobiology. 2004;50:57 – 64. 11. Thase ME, Lu Y, Joliat MJ, Detke MJ. Remission in placebo-controlled trials of duloxetine with an SSRI comparator [abstract]. Biol Psychiatry. 2004; 55:37S. 12. Wade A, Lemming OM, Hedegaard KB. Escitalopram 10 mg/day is effective and well tolerated in a placebo-controlled study in depression in primary care. Int Clin Psychopharmacol. 2002;17:95 – 102.
Diskussion Welchen Erkenntnisgewinn bringt die Metaanalyse hier gegenüber den Einzelstudien? Was bringt die metaanalytische Betrachtung im Sinne eines Globalwertes, wenn man sich die sechs Einzelstudien auch ganz gut anschauen kann? Wo ist der Erkenntnisgewinn, wenn man das so zusammenfasst, z. B. gegenüber einem qualifizierten Review? (Möller) Als Beispiel ist die Remissions- bzw. Responsequote im Vergleich zwischen Escitalopram und der aktiven Vergleichssubstanz Citalopram in den Einzelstudien allenfalls numerisch, aber nicht auf einem statistischen Signifikanzniveau zur Darstellung gelangt. Erst die zusammenfassende Analyse ergab dann statistisch signifikant ausgeprägtere Effekte unter Escitalopram. Auch in den Einzelstudien mit Duloxetin vs. SSRI (Fluoxetin, Paroxetin) ergaben sich keine statistisch signifikanten Wirkunterschiede. Dazu ist allerdings zu sagen, dass die aktiven Vergleichssubstanzen in beiden Gruppen von Studien als so genannter interner Standard gedacht und nicht eingebracht worden waren, um einen Unterschied gegen das zu prüfende neue Antidepressivum zu zeigen. Insofern konnten solche Unterschiede erst bei der gepoolten Analyse in den Fokus der Auswertung gelangen. (Volz)
Bedeuten die zum Teil niedrigen Duloxetin-Dosierungen keine Benachteiligung? – In die Metaanalyse gingen nicht alle Duloxetin-Studien ein Frage: In die Duloxetin-Metaanalysen gingen alle Dosierungen (40 – 120 mg/d) mit ein. Ist es nicht eine Benachteiligung, wenn auch sehr niedrige Dosen evaluiert werden, die möglicherweise nicht wirksam sind? Antwort: Die Duloxetin-Dosis von 40 mg/d kommt nur in zwei der sechs Studien vor. Nimmt man 60 mg/d als Standard, so wurden in den vier anderen und auch in Teilkollektiven dieser zwei Studien Duloxetin-Dosen über 60 mg/d (80 und 120 mg/d) angewendet. Das gleicht die mögliche Benachteiligung durch die geringe Dosis aus. Auf jeden Fall bleibt aber – ob jemand benachteiligt wurde oder nicht – der Kritikpunkt, dass so unterschiedliche Dosen in einer Analyse zusammengefasst werden. Allerdings handelt es sich nur um eine vorläufige Publikation. (Volz) Wie konnte es geschehen, dass genau die Dosis (60 mg/d) für Duloxetin zugelassen wurde, die in diesen Studien gar nicht vorkommt? (Fritze) Studien mit dieser Dosis gibt es auch. Ich habe nicht die kompletten Studien zu Duloxetin gezeigt, son-
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Diskussion
99
dern nur diejenigen, die in die beiden bisher bekannten Metaanalysen eingegangen sind. (Volz)
Gibt es eine Separatanalyse der Patienten mit niedrigen Hamilton-Depressionsscores? Sie haben aus der Population von 711 Patienten, die Duloxetin erhalten hatten (Thase et al. 2004), eine Separatanalyse der Teilnehmer mit höheren Depressionsscores gezeigt. Was ist zu den Patienten mit niedrigen Hamilton-Depressionsscores von 15 bis 18 zu sagen, etwa im Vergleich zu Plazebo? (Gastpar) Das wurde nicht berichtet. (Volz)
Einfluss verschiedener Auswertungsverfahren: MMRM vs. LOCF Ich möchte auf einen Unterschied in der statistischen Auswertung hinweisen: In der Duloxetin-Studie wurde mit der MMRM-Methode (mixed-effects model repeated measures) ausgewertet: Wenn ein Patient die Studie abbricht (Dropout), wird nach dieser Methode nicht wie bei der LOCF-Methode (last observation carried forward) der zuletzt gemessene Wert bzw. erreichte Zustand nach vorne weiter getragen, sondern es wird am Ende der vermutete Wert genommen, der sich statistisch aus den in der Studie verbliebenen Patienten errechnet – und der ist in der Regel besser als der bei Studienabbruch erreichte Wert. Nach dieser Methode schneiden diejenigen Medikamente gut ab, unter denen es ziemlich viele Dropouts gibt, was im Übrigen recht fragwürdig ist. Man kann jedenfalls Ergebnisse, die nach MMRM oder LOCF ermittelt wurden, nicht miteinander vergleichen. (Bandelow) Wenn in den Duloxetin-Gruppen mehr Patienten abgebrochen hätten als in den SSRI-Gruppen, könnte dies eine Rolle spielen, dies war aber nicht der Fall. (Volz)
Ansteigende Response unter Escitalopram bei zunehmendem Depressionsscore Unter Citalopram blieb die Response unabhängig vom Schweregrad der Depression in etwa gleich, während sie bei Escitalopram mit zunehmendem HAMD- oder MADRS-Wert besser wurde? (Müller) Ja, bei niedrigeren Depressions-Schweregraden bestand kein Unterschied zwischen Citalopram und Escitalopram, während die Response bei höheren Schweregraden unter Escitalopram stärker anstieg. (Volz)
Wirksamkeit von Duloxetin auf körperliche Störungen im Rahmen einer Depression? Für Duloxetin wird eine spezielle Wirksamkeit auf körperliche Störungen im Rahmen einer Depression angenommen. Bestätigen die Metaanalysen diesen Eindruck? (Demling) Das wurde nicht untersucht. Die Metaanalysen zielten nur auf die antidepressive Wirksamkeit. (Volz)
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100
10
Suizidalität und Überdosierungstoxizität während des Einsatzes von Antidepressiva Lutz G. Schmidt
Die Kausalitätsbeurteilung von Suizidalität während der Behandlung mit Antidepressiva ist im Einzelfall ein schwieriges Problem, da Suizidalität als mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) der Antidepressiva, aber auch als Krankheitssymptom im Rahmen einer Depression auftreten kann. Selbst das in Algorithmen enthaltene wichtige Kriterium eines engen zeitlichen Zusammenhanges zwischen der Verschreibung eines Arzneimittels (hier: eines Antidepressivums) und dem Beginn eines unerwünschten Ereignisses (hier: von Suizidalität) ist in diesem Falle oft nicht sicher zu bewerten, da Suizidalität bei mangelnder Wirkung eines Antidepressivums und sich verstärkender Depression im Behandlungsverlauf auch als Ausdruck der Grunderkrankung auftreten kann („confounding by indication“) [21]. Dabei ist das Wissen um die Überdosierungstoxizität von Antidepressiva für jeden Arzt von großer Bedeutung, da diese nach Verschreibung bei Suizidversuchen in oft toxischen Dosen eingenommen werden. Daten zur Suizidalität als möglicher UAW von Antidepressiva wie auch Daten zur Überdosierungstoxizität sollen hier im selben Kapitel dargestellt werden, da diese Aspekte auch im klinischen Alltag oft verbunden sind.
10.1
Suizidalität
10.1.1 Bei Kindern und Jugendlichen bzw. Erwachsenen In den 1970/80er Jahren ging man davon aus, dass antriebssteigernde Antidepressiva bei möglicher Suizidalität eines Patienten mit Vorsicht einzusetzen sind; eine Antriebssteigerung mit Aktivierung von Suizidimpulsen sollte vermieden werden, bevor nicht stimmungsaufhellende Effekte mögliche Selbstschädigungstendenzen entaktualisieren. Anfang der 1990er Jahre publizierten Teicher et al. [22], dass der selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI) Fluoxetin zu verstärkten suizidalen Gedanken führe. Eine frühere Metaanalyse hatte allerdings belegt, dass SSRI vielmehr suizidale Gedanken in der Hamilton-D-Skala vermindern würden [1]. Zehn Jahre später kamen jedoch nach Durchführung diverser kontrollierter klinischer Studien, nach Auswertung von Beobachtungsstudien sowie von Meta- und Reanalysen erneut Zweifel an der Sicherheit der inzwischen weltweit breit verordneten SSRI auf [4]. Aufgeschreckt wurde die englische Öffentlichkeit im Jahre 2002 durch die TVSendung Panorama „Secrets of Seroxat“, nach der Hunderte von Zuschauerberichten zu UAW von SSRI, vor allem zu Absetzphänomenen, bei der BBC eingingen [19]. Im Juni 2003 warnte dann das englische Committee on Safety of Medicines (CSM) vor dem Einsatz von Paroxetin bei Kindern, nachdem eine Re-Analyse kontrollierter klinischer Studien erhöhte Risiken bezüglich suizidaler Ideationen ergeben hatte [17].
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10.1 Suizidalität
101
Es wurde der Vorwurf erhoben, dass der Industrie nicht genehme Daten unterdrückt würden, was sogar den New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer auf den Plan rief. Im Dezember 2003 kam die englische Arzneimittelbehörde (MHRA) zu einer ungünstigen Nutzen/Risiko-Beurteilung von Antidepressiva bei Patienten unter 18 Jahren und warnte vor dem Einsatz von Antidepressiva wie Paroxetin, Venlafaxin, Sertralin, Citalopram, Escitalopram und Mirtazapin. Im März 2004 schloss sich die US-amerikanische FDA der Warnung vor einem erhöhten Suizidalitätsrisiko von SSRI bei Kindern an. Im April 2004 kam die Metaanalyse von Jureidini et al. [15] zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von SSRI bei Kindern überschätzt und ihre Risiken unterschätzt wurden; vom Einsatz wurde eher abgeraten. Im April 2004 publizierten Whittington et al. [24] eine Metaanalyse von klinischen Studien unter Einbezug bislang nicht veröffentlichter Daten, die ebenfalls zu einer ungünstigen Nutzen/Risiko-Bewertung von SSRI bei Kindheitsdepressionen kam; lediglich Fluoxetin wurde günstig bewertet. Allerdings war es in den zugrunde liegenden Studien zu keinem durch Suizid begründeten Todesfall gekommen. Im Dezember 2004 nahm die CHMP (Committee for Medical Products for Human Use) der europäischen Behörde EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) gegenüber Ärzten, Patienten, Eltern und Betreuern Stellung und betonte, dass SSRI/SNRI europaweit nicht für die Behandlung von depressiven Störungen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen zugelassen seien („off-label“) und dass im Allgemeinen keine Anwendung empfohlen werde, da klinische Studien ein erhöhtes Risiko suizidalen Verhaltens (Selbstmordversuche und Suizidgedanken) gezeigt hätten; es wurde aber auch betont, dass im Einzelfall die Anwendung notwendig sein könnte. Die aktuelle Frage der Auslösung oder Verstärkung suizidalen Verhaltens bei Erwachsenen durch SSRI wurde im März-Heft 2005 des British Medical Journals in mehreren Arbeiten ausführlich analysiert. Ein systematisches Review von 345 auswertbaren kontrollierten klinischen Studien mit Informationen zu Suiziden und Suizidversuchen aus Medline und dem Cochrane-Register fand eine Verdopplung des Risikos von Suizidversuchen, aber keine Vermehrung von Suiziden gegenüber Plazebo [6]; allerdings wurden auch keine Unterschiede gegenüber Trizyklika (TZA) ermittelt. Im Kontrast dazu steht das Review kontrollierter klinischer Studien, welche die Industrie der englischen Gesundheitsbehörde MHRA eingereicht hatte; auf der Basis von 477 Studien wurden keine Hinweise für die Vermehrung von Suiziden, allenfalls schwache, insignifikante Hinweise auf ein erhöhtes Risiko von Suizidversuchen und unklare Verhältnisse bei den Suizidgedanken gefunden [9]. Schließlich ergab eine Fallkontrollstudie von Erstverschreibungsdaten an 146 095 Patienten aus dem englischen Pharmakovigilanzsystem keinen Hinweis auf höhere Suizid- oder Suizidversuchsrisiken von SSRI gegenüber TZA; eine Analyse der Daten der unter 18-Jährigen ergab zwar ein schwaches Signal eines möglicherweise erhöhten Risikos von Suizidversuchen, das aber auch auf eine bevorzugte Verschreibungspraxis von SSRI an junge Patienten zurückgehen könnte [18]. Zuvor hatte schon eine Analyse von Suizidraten in klinischen Studien an 48 277 Patienten keine signifikanten Unterschiede zwischen SSRI-, Standardpräparat- und Plazebo-behandelten Patienten ergeben [16], wenngleich die Suizidraten unter Plazebo (0,45 %) am geringsten, unter SSRI in einem mittleren Bereich (0,59 %) und am höchsten unter den antidepressiven Vergleichspräparaten waren (0,76 %). Auch die in AMSP-Kliniken (Arzneimittel-Sicherheit in der Psychiatrie = AMSP) unter Routi-
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102
10 Suizidalität und Überdosierungstoxizität
Tabelle 10.1 Suizidalität unter Antidepressiva in AMSP-Kliniken 1993 – 2003; alle Wahrscheinlichkeitsgrade Arzneimittel
Anwendungen
UAW
n/10 000
Trizyklika (tri-, tetrazyklisch)
32 311
–
–
SSRI
27 454
13
4,8
andere (z. B. Mirtazapin, Venlafaxin)
23 707
4
1,7
MAO-Hemmer
2458
2
8,1
nebehandlung erfassten Fälle mit Suizidalität und ihre Häufigkeitsberechnungen sind mit Vorsicht zu bewerten (Tabelle 10.1): Die höheren Zahlen unter SSRI (4,8 auf 10 000 Anwendungen) im Vergleich zu den TZA (keine Fälle erhoben) könnten auf einen Observationsbias zurückgehen, insofern als neue Präparate mit mehr Aufmerksamkeit als Altpräparate überwacht werden [5]. 10.1.2 Allgemeine Konstellationen Einschlägige Bewertungen des englischen CSM und MRHA vom Dezember 2004 und Februar 2005 waren entsprechend schon zu dem Schluss gekommen, dass bei Erwachsenen die Nutzen/Risiko-Relation von SSRI im Vergleich zur Nichtbehandlung als positiv zu beurteilen sei, dass aber ein besonderes Risiko einer Selbstverletzung gerade zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens am höchsten und ein erhöhtes Suizidrisiko ohnehin zu Beginn der Behandlung einer Depression gegeben sei; allerdings wurde nicht ausgeschlossen, dass es unter SSRI im Vergleich zu Plazebo ein erhöhtes Risiko von Selbstverletzungen und suizidaler Gedanken geben könnte. Aus dem amerikanischen Pharmakovigilanzsystem BCDSP war bei der Analyse naturalistischer Daten von über 35 Mill. Behandlungsjahren bereits mitgeteilt worden, dass das höchste Risiko suizidalen Verhaltens zu Behandlungsbeginn bestünde, wobei ein mögliches erhöhtes substanzbezogenes Risiko bei Paroxetin gesehen wurde [14]. Insgesamt bleibt die Beurteilung seltener Risiken, wie von Suizidalität, schwierig, da die Power vieler Studien und auch mancher Metaanalysen nicht ausreicht, um Signale statistisch abzusichern, und da es schlichtweg unmöglich ist, Studien durchzuführen, in denen ca. 2 Mill. Probanden randomisiert werden müssten [9]. Stattdessen ist es in klinischer Hinsicht wichtig, entsprechende Risikopersonen zu identifizieren, um diese engmaschig zu überwachen. 10.1.3 Suizidprävention Bevölkerungsbezogene Studien zeigen eher günstige bzw. suizidprotektive Wirkungen der SSRI. Nach australischen Trendanalysen war die Reduktion der Suizidrate umso ausgeprägter, je höher die Antidepressiva-Exposition in einer Population war [10]. Nach schwedischen Daten fallen die Suizidraten proportional zum Anstieg der Verschreibung von SSRI [13]. Auch haben sich in England in den letzten 15 Jahren die Verschreibungszahlen von Antidepressiva vor allem durch die hinzu gekom-
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10.2 Überdosierungstoxizität
103
menen SSRI verdoppelt, während die Suizidraten in der Bevölkerung gesunken sind [8]. Auch bei Jugendlichen in den USA wurde eine inverse Beziehung zwischen Antidepressiva-Behandlung und Suizidraten errechnet, die am ungünstigsten bei älteren männlichen Jugendlichen aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ausfiel [20]. Schließlich geben nationale US-amerikanische Daten der CDC-Institution eher niedrigere Suizidraten unter SSRI und höhere Suizidraten unter TZA aufgrund der Überdosierungstoxizität und der damit verbundenen schlechteren Gesundheitsversorgung wider [7].
10.2
Überdosierungstoxizität
Der so genannte Fatal toxicity index wurde zur Beurteilung der Toxizität von Antidepressiva bei Überdosierungen im Rahmen suizidaler Medikamenteneinnahme als Todesfälle pro 1 Million Verschreibungen erstmals 1987 von Cassidy und Henry [3] angegeben. Inzwischen kann man nach mehreren Studien davon ausgehen, dass die älteren TZA weit gefährlicher bei Überdosierung als SSRI sind [4, 23]. Auch neuere Daten aus England bestätigten den Befund zu den SSRI [2], wobei die Indexzahl für Venlafaxin mit 13,2 allerdings höher ausfiel als für die Gruppe der SSRI mit 1,6. Entsprechend gab die MHRA im Dezember 2004 einen „rapid alert“ zur möglichen Kardiotoxizität und Überdosierungstoxizität heraus und empfahl, die Verschreibung von Venlafaxin Spezialisten vorzubehalten und Patienten mit Herzerkrankungen von der Behandlung auszuschließen. Weitere Maßnahmen erfolgten allerdings nicht, da nicht klar ist, ob mit Venlafaxin behandelte Patienten eine schwerer oder länger kranke Subgruppe von Patienten sind; in diesem Falle würden die höheren Mortalitätszahlen eher die besondere Morbidität dieser Patienten und weniger ein erhöhtes Präparaterisiko reflektieren [12]. Allerdings zeigten auch unsere AMSP-Daten, die in der Routinebehandlung erhoben wurden, eine höhere Kreislaufbeeinflussung durch Venlafaxin als durch SSRI, was in Anbetracht des zusätzlich noradrenergen Wirkungsmechanismus von Venlafaxin auch nicht verwunderlich ist (Tabelle 10.2). Tabelle 10.2 Ausgewählte kardiovaskuläre unerwünschte Wirkungen (UAW) in AMSP-Kliniken 1993 – 2003; Wahrscheinlichkeitsgrade = wahrscheinlich, sicher; Zahlen in Klammern: Alleinanschuldigung Anwendungen
kardiovaskuläre UAW Kollaps
Hypertonie
VES
alle
SSRI relative Häufigkeit
27 454
4 (0)
–
–
4 0,0001
Venlafaxin relative Häufigkeit
7554
2 (1)
5 (4)
1 (0)
8 0,001
VES = ventrikuläre Extrasystolen
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104
10 Suizidalität und Überdosierungstoxizität
10.3
Zusammenfassung
R SSRI können aufgrund ihrer exzitatorischen Wirkungen in den ersten Behandlungstagen aversiv erlebt werden und bei entsprechender Vulnerabilität möglicherweise das Risiko von Suizidversuchen und Selbstbeschädigungen erhöhen. R Entsprechend ist der Behandlungsbeginn mit SSRI (und TZA) vom Arzt sorgfältig zu überwachen. R Systematische Studien ergeben keine Belege für eine Erhöhung des Suizidrisikos durch SSRI weder bei Kindern und Jugendlichen noch bei Erwachsenen; im Gegenteil fallen mit zunehmender Verschreibung von Antidepressiva in der Bevölkerung die Suizidraten. R Werden im Rahmen von Suizidhandlungen Antidepressiva eingenommen, haben SSRI ein geringeres Gefährdungspotenzial („Überdosierungstoxizität“) als TZA. R Keines der neueren Antidepressiva ist in Deutschland für die Indikation Depression zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen zugelassen; Verschreibungen können aber notwendig sein und erfolgen dann „off-label“.
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Diskussion
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12. Heerdink ER, Hugenholtz GWK, Meijer WEE. Channelling new antidepressants to problem patients may be a factor in fatal toxicity. Br Med J. 2003; 326:600. 13. Isacsson G, Holmgren P, Ahlner J. Selective serotonin reuptake inhibitor antidepressants and the risk of suicide: a controlled forensic database study of 14857 suicides. Acta Psychiat Scand. 2005;111:286 – 90. 14. Jick H, Kaye JA, Jick SS. Antidepressants and the risk of suicidal behaviours. JAMA. 2004;292:338 – 43. 15. Jureidini JN, Doecke J, Mansfield PR, Haby MM, Menkes DB, Tonkin AL. Efficacy and safety of antidepressants for children and adolescents. Br Med J. 2004;328:879 – 83. 16. Khan A, Khan S, Kolts R, Brown WA. Suicide rates in clinical trials of SSRIs, other antidepressants, and placebo: analysis of FDA reports. Am J Psychiatry. 2003;160: 790 – 3. 17. Marshall E. Buried data can be hazardous to a company's health. Science. 2004;304: 1576 – 7. 18. Martinez C, Rietbrock S, Wise L, Ashby D, Chick J, Moseley J, Evans S, Gunnell D. Antidepressant treatment and the risk of fatal and non-fatal self harm in first episode depression: nested case-control study. Br Med J. 2005;330: 389 – 96. 19. Medawar C, Herxheimer A. A comparison of adverse drug reaction reports from professionals and users, relating to risk of dependence and suicidal behavior with paroxetine. Int J Risk and Safety Med. 2003/2004;16:5 – 19. 20. Olfson M, Shaffer M, Marcus SC, Greenberg T. Relationship between antidepressant medication treatment and suicide in adolescents. Arch Gen Psychiat. 2003;60:978 – 2. 21. Schmidt LG, Grohmann R, Rüther E. Unerwünschte Wirkungen von Antidepressiva in der Routinebehandlung. Psychopharmakatherapie. 1994;1:6 – 15. 22. Teicher MH, Glod C, Cole JO. Emergence of intense suicidal preoccupation during fluoxetine treatment. Am J Psychiatry. 1994;117:207 – 10. 23. Wessely S, Kerwin R. Suicide risk and the SSRIs. JAMA. 2004;292:379 – 81. 24. Whittington CJ, Kendall T, Fonagy P, Cottrell D, Cotgrove A, Boddington E. Selective serotonin reuptake inhibitors in childhood depression: systematic review of published versus unpublished data. Lancet. 363:1341 – 5.
Diskussion AMSP-Daten sind von einem starken Underreporting gekennzeichnet Aus meiner Sicht sollten Sie die AMSP-Daten (Klinikverbund von derzeit 47 Kliniken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz) nicht zeigen, denn ich glaube, sie enthalten einen erheblichen Meldungs- oder Publikationsbias. Dazu nur ein Beispiel: Nach kürzlich vorgestellten Daten aus dem Großraum Wien – ich glaube, es handelte sich um einen Zeitraum von 2 Jahren – betrug die Anzahl der erfolgreichen Suizide mit Trizyklika ein Vielfaches der Meldungen zur Zahl der Suizidversuche, wie sie in den AMSP-Daten für ganz Deutschland über einen Zeitraum von 15 Jahren angegeben sind. Hier muss ein extremes Underreporting vorliegen, so dass diese AMSP-Daten letztlich massiv zu falschen Schlussfolgerungen führen. (Müller) Ich habe das AMSP-System als bekannt vorausgesetzt und wollte daher in diesem Kontext nicht noch einmal betonen, dass die Daten natürlich mit besonderer Vorsicht zu interpretieren sind. Es sind allerdings die Zahlen, wie sie uns gemeldet werden.
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10 Suizidalität und Überdosierungstoxizität
(Schmidt) Das gilt nicht für alle AMSP-Daten. Das Thema Suizidalität und Suizide vor allem ist jedoch mit einer besonderen, vielleicht auch forensisch bedingten Hürde belegt, so dass die Meldungen oft nicht kommen. (Möller)
Bedingen SSRI ein erhöhtes Suizidrisiko? – Mehr Suizidversuche, aber weniger vollendete Suizide unter SSRI – Desinhibierender Effekt von Psychopharmaka Im neuen Statement der FDA zur SSRI-Behandlung von Kindern und Jugendlichen wird bezüglich des Suizidrisikos nicht mehr zwischen SSRI und anderen Antidepressiva unterschieden. Die grundsätzliche Warnung, dass man wegen der Suizidalität aufpassen muss, bleibt jedoch bestehen. (Hegerl) Man muss zur Suizidalität unter SSRI Folgendes feststellen: Der konsistente Befund in beiden Metaanalysen zu diesem Thema ist, dass man bei den SSRI offenbar eine leichte Tendenz zur Erhöhung der Zahl der Suizidversuche bei gleichzeitiger Reduktion der Wahrscheinlichkeit vollendeter Suizide hat. Wie lässt sich das aber erklären? Und darf man eigentlich in diesem Zusammenhang von „Suizidalität“ reden, wenn die beiden Hauptindikatoren vollendeter Suizid und Suizidversuche unterschiedliche Wege nehmen? (Maier) Im Kern handelt es sich womöglich nicht immer um Suizidversuche, sondern häufig eher um eine Art von Selbstbeschädigung (self harm) auf der Basis einer Desinhibition. (Schmidt) Es ist eine parasuizidäre Handlung. Ob daraus ein vollendeter Suizid wird, hängt u. a. auch von der Toxizität der Substanz ab. Wenn ein SSRI eingenommen wird als Suizidmittel, wird man damit eine geringere Chance haben, zu einem vollendeten Suizid zu kommen, als mit einem trizyklischen Antidepressivum. (Möller) Wahrscheinlich können wir nicht abstreiten, dass das Suizidrisiko zu Beginn einer Pharmako- oder auch Psychotherapie ansteigt. Problematisch ist, wenn einzelne Substanzgruppen in dieser Situation besonders angeschuldigt werden, denn dafür gibt es keine Belege. Das war auch der Kern der neuen Stellungnahme der FDA, dass man diese Differenzierung nicht mehr machen will. (Hegerl) Man sollte auch im Auge behalten, dass so genannte paradoxe oder desinhibierende Effekte bei Psychopharmaka im Allgemeinen – und eben nicht nur bei Antidepressiva und Patienten mit Depression – auftreten können. Sie sind insbesondere auch für Benzodiazepine beschrieben worden und besonders relevant wahrscheinlich für Borderline-Patienten. (Möller)
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Pharmakoökonomie Jürgen Fritze
Die Pharmakoökonomie bietet eine solide wissenschaftliche Grundlage für die Abschätzung der wirtschaftlichen Dimension medizinischen Handelns. Dies ist unverzichtbar im Interesse einer ethisch vertretbaren Allokation der Ressourcen im Wettbewerb zwischen Krankheiten und Kranken um diese – zwangsläufig begrenzten – Ressourcen [12]. Bisher lastet die implizite Rationierungsentscheidung auf dem Arzt und seinem einzelnen Patienten. Das ist ethisch fragwürdig. Die Frage ist, ob ein neues, kostspieligeres Arzneimittel erlaubt, bessere Outcomes zu erreichen, damit es seine höheren Kosten wert ist. Im Prinzip könnte ein neues Arzneimittel die Gesamtausgaben reduzieren, indem das bessere Outcome helfen könnte, Kosten höherer Behandlungsstufen wie der Krankenhausbehandlung zu vermeiden und indirekte Krankheitskosten z. B. infolge Arbeitsunfähigheit zu reduzieren.
11.1
Grundbegriffe der Pharmakoökonomie
Pharmakoökonomie ist die Wissenschaft des Messens von Krankheitskosten und Outcomes im Zusammenhang mit der Pharmakotherapie [Übersicht: 10]. Ihr Ziel besteht darin, die öffentliche Gesundheitsversorgung durch rationale Entscheidungskriterien zu verbessern, wenn es zwischen alternativen Therapien unter Berücksichtigung der Folgekosten und Outcomes auszuwählen gilt. Mehrere methodologische Leitlinien sind veröffentlicht worden, z. B. 1994 vom Canadian Coordinating Office for Health Technology (CCOHTA) [3]. Outcomes sind mögliche Endergebnisse einer speziellen Behandlung. Outcomes hängen von der therapeutischen Wirkung unter Alltagsbedingungen, die zahlreiche konfundierende Variablen mit sich bringen, ab. Deshalb müssen die Kosten unter Alltagsbedingungen gemessen werden. Im Gegensatz dazu werden die experimentellen Wirksamkeitsstudien so konzipiert, dass möglichst alle konfundierenden Einflüsse so umfassend wie möglich ausgeschlossen sind. Der gewählte Outcome-Parameter sollte eine hohe klinische Relevanz im Alltag haben, wie z. B. die Rezidivrate der Depression. Kosten sind die von der Krankheit und ihrer Behandlung verbrauchten Ressourcen. Direkte Kosten sind zunächst jene, die direkt mit der Behandlung in Verbindung stehen, wie z. B. Medikamente (auch Selbstmedikation), Arzthonorare, Blutuntersuchungen, Krankentransport, Psychotherapie, Beschäftigungstherapie, Betreuung und Pflege durch Verwandte sowie Kosten für Krankenhaus und Pflegeheim. Direkte Kosten schließen auch jene für die Diagnostik und Behandlung der Nebenwirkungen und Komplikationen der anfänglichen Therapie ein. Es gibt eine methodologische Kontroverse, ob die Kosten für soziale Unterstützung (Wohlfahrt, Arbeitslosenhilfe, Beschädigtenrente, Wohngeld usw.) den direkten Kosten zugeordnet werden sollten. Eine vollständige Evaluation direkter Kosten sollte zudem
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11 Pharmakoökonomie
die opportunity costs berücksichtigen, d. h. das durch die investierten Ressourcen verlorene Potenzial abschätzen, mit diesen Ressourcen an anderer Stelle einen größeren oder willkommeneren Nutzen zu erzielen. Indirekte oder künftige Kosten sind jene, die sich aus krankheitsbedingt verlorener Produktivität ergeben, d. h. aus Arbeitsunfähigkeit, vorzeitiger Berentung wegen Erwerbsunfähigkeit und vorzeitigem Tod (z. B. infolge Suizid), sowie jene, die während der gewonnenen Lebensjahre durch Inanspruchnahme zusätzlicher Gesundheitsleistungen anfallen. Bezüglich psychiatrischer Störungen müssen auch Kosten infolge Gewalttaten und anderer Verbrechen berücksichtigt werden. Intangible Kosten umfassen jene, die z. B. auf Beeinträchtigungen der Lebensqualität zurückführbar sind, auf Seiten der Patienten wie auch auf Seiten ihrer Verwandten und Bekannten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Behandlung erstrecken sich in die Zukunft. Wenn die Kosten und der Nutzen in unterschiedlichen Zeitperioden anfallen, müssen die Kosten und Einsparungen für die verbleibende Lebensspanne diskontiert werden. Die angesetzten Zinssätze sollten die Erträge aus privatwirtschaftlichen Anlagen reflektieren und werden im Allgemeinen mit 3 – 5 % angesetzt. Wenn die Kosten niedrig und die Outcomes exzellent sind, fällt die Entscheidung zugunsten einer neuen Behandlung offensichtlich nicht schwer, ebenso wie ihre Ablehnung, wenn die Kosten hoch und die Outcomes schlecht sind. Deshalb machen pharmakoökonomische Analysen nur Sinn, wenn sowohl die Kosten als auch die Qualität der Behandlung entweder beide hoch oder beide niedrig sind. Die wirtschaftliche Effizienz ist dann das Verhältnis der Kosten zu den Outcomes (Kosten dividiert durch Outcomes). Beim Zuteilen der Ressourcen wird dann das Arzneimittel, das die günstigsten Outcomes zu den niedrigsten Kosten ermöglicht, bevorzugt werden.
11.2
Arten von pharmakoökonomischen Analysen
Jede pharmakoökonomische Analyse hat zunächst ihre Perspektive zu definieren, z. B. die des Patienten, der Leistungserbringer, der Krankenversicherung als Zahler oder die gesellschaftliche Perspektive der Regierung. Denn die Arten von Kosten, die betrachtet werden sollten, hängen von dieser Perspektive ab. Aus der Perspektive der Leistungserbringer beispielsweise wird der Wert eines Antidepressivums bei pauschaliertem Entgelt vorzugsweise als Kosten pro Besserung auf einer der gebräuchlichen Depressionsskalen ausgedrückt, bei gedeckeltem Arzneimittelbudget sind die mit einem Antidepressivum im Vergleich zu anderen Antidepressiva resultierenden Arzneimittelkosten je erfolgreich behandelter Patient von Interesse. Aus der Perspektive des Patienten liegt der Wert vielleicht eher in den Kosten pro vollständiger Response bei geringsten Nebenwirkungen. Aus der gesellschaftlichen Perspektive ist der Wert vielleicht eher in Kosten pro Patient, der dank Behandlung wieder kontinuierlich einer seiner Ausbildung entsprechenden Arbeit nachgehen kann, auszudrücken. Einfach nur die Tagesbehandlungskosten von Medikamenten zu vergleichen, erfüllt nicht die Kriterien einer pharmakoökonomischen Analyse. Die grundsätzlichen Typen pharmakoökonomischer Analysen sind die R Kosten-Minimierungs-Analyse (cost-minimization analysis), R Kosten-Effektivitäts-Analyse (cost-effectiveness analysis; Rentabilitätsanalyse),
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11.3 Pharmakoökonomische Studiendesigns
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R Kosten-Nutzenwert-Analyse (cost-utility analysis) und R Kosten-Nutzen-Analyse (cost-benefit analysis). Die Kosten-Minimierungs-Analyse (CMA) setzt voraus, dass die in Frage stehenden Interventionen zu identischen Outcomes führen; dies trifft aber selten zu. Die Kosten-Effektivitäts-Analyse (CEA) vergleicht die Kosten alternativer Behandlungen hinsichtlich eines bestimmten Outcomes wie gewonnene Lebensjahre, z. B. durch eine reduzierte Suizidrate, oder Responderraten. Die Kosten-Nutzwert-Analyse (CUA) adjustiert die durch eine Maßnahme gewonnenen Lebensjahre auf die Lebensqualität in diesen Jahren. Die Ergebnisse einer CUA werden typischerweise als Kosten pro qualitätsadjustiertes Lebensjahr (QALY) ausgedrückt. Lebensqualität wird dabei entweder mit einer Skala für gesundheitsbezogene Lebensqualität geschätzt oder – typischer – durch Bestimmen der Präferenzen von Patienten, die an einer spezifischen Krankheit leiden; dabei bewerten die Patienten den einen oder anderen Krankheitszustand im Vergleich zu perfekter Gesundheit (Wert = 1) auf der einen und Tod (Wert = 0) auf der anderen Seite. In der Kosten-Nutzen-Analyse (CBA) werden die gewonnenen QALYs in Geldbeträgen ausgedrückt, wozu methodisch der Human-Kapital-Ansatz oder der Bereitschaft-zu-zahlen-Ansatz (willingness to pay) benutzt wird. Da es keine Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen therapeutischer Intervention und Outcome bzw. finanziellen Folgen gibt, müssen die Auswirkungen dieser Ungewissheit abgeschätzt werden. Dazu dienen Sensibilitätsanalysen, wobei Schlüsselvariablen systematisch modifiziert und die wirtschaftlichen Folgen berechnet werden, was im Bereich zwischen Best-case- und Worst-case-Szenarien geschieht.
11.3
Pharmakoökonomische Studiendesigns
Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze zur Datenermittlung für pharmakoökonomische Analysen: die klinische Studie (experimentelle oder Beobachtungsstudie) und den Modell- oder Systemansatz. Die klinische Studie („in vivo“) bedeutet, Kostendaten – retrospektiv oder vorzugsweise prospektiv – im Rahmen z. B. einer konventionellen Wirksamkeitsstudie zu sammeln. Der Modellansatz („in vitro“) wendet die Entscheidungsbaumanalyse auf in der Literatur und in Datenbanken verfügbare Daten an. Die aktuellen methodologischen Leitlinien führen den klinischen Studienansatz noch als „Goldstandard“ an. Modellrechnungen können aber die unausweichlichen Beschränkungen in klinischen Studien überwinden. Diese betreffen u. a. die begrenzte Repräsentativität der für randomisierte, streng kontrollierte klinische Studien ausgewählten, die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllenden Patienten („selection bias“). Außerdem übersteigt der Beobachtungszeitraum klinischer Studien selten mehrere Monate, während wirtschaftliche Folgen sich eher weit in die Zukunft erstrecken. Zudem enthalten Wirksamkeitsstudien für ökonomische Analysen zu geringe Fallzahlen, weil der Stichprobenumfang hier anhand des kritischen Unterschieds und der Variabilität des Wirksamkeitsparameters geschätzt wird. Offensichtlich unterscheiden sich die kritischen Unterschiede und die Variabilität der Kostendaten davon grundlegend. Klinische Studien, die das Spiegelbilddesign benutzen, d. h. die Kosten und den Nutzen in einer definierten Periode vor und nach der
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11 Pharmakoökonomie
Verordnung eines bestimmten Arzneimittels vergleichen, sind von beschränktem Wert, weil es zumindest bei psychiatrischen Störungen schon spontan eine Abnahme der Kosten pro Outcome im Verlauf der Krankheit ungeachtet der Form ihrer Behandlung gibt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beide Ansätze, der klinische Studienansatz und das Modellieren, ihre Schwächen und Stärken haben, so dass sie keine sich ausschließenden Alternativen sind, sondern sich ergänzen. Zu beachten ist: Die Organisation des Gesundheitswesens, das Inanspruchnahme-Verhalten und die Preise unterscheiden sich beachtlich zwischen und sogar innerhalb von Kulturen. Deshalb können die Ergebnisse pharmakoökonomischer Analysen nicht einfach von einem Gesundheitssystem auf ein anderes übertragen werden.
11.4
Pharmakoökonomische Befunde bei Antidepressiva
In den letzten Jahren sind weitere neue Antidepressiva eingeführt worden, insbesondere der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Escitalopram, der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin sowie die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Venlafaxin und Duloxetin. Ihre Wirksamkeit ist derjenigen traditioneller trizyklischer Antidepressiva (TZA) vergleichbar, aber dank ihrer Selektivität ist ihre Verträglichkeit und Sicherheit überlegen. Sicherheit ist – auch aus gesundheitsökonomischer Perspektive – von besonderer Bedeutung angesichts des Suizidrisikos, obwohl Antidepressiva nur an der Minderheit (< 10 %) der Suizide beteiligt sind. Diese Vorteile helfen, die Abbruchraten zu reduzieren, wenn auch nur in beschränktem Maße (ca. 25 % gegenüber 29 %). Trotzdem könnte dies in der langfristigen Rezidivprophylaxe, die bei ungefähr 60 % der Patienten notwendig ist, besonders relevant sein. Weltweit gibt es dramatische Defizite beim Erkennen und adäquaten Behandeln der Depression [7, 17, 18]. Die Unterbehandlung verursacht eine Verdoppelung der direkten Kosten infolge höherer Inanspruchnahme anderer medizinischer Leistungen [13] und erhöht durch Arbeitsunfähigkeit die indirekten Kosten. Die Vorteile innovativer Antidepressiva könnten die Akzeptanz und Nutzung der Antidepressiva erhöhen. Die Tagesbehandlungskosten selektiver Antidepressiva übersteigen jene von TZA um einen Faktor von 2 – 20, je nach Substanz und betrachtetem Staat. Andererseits machen Tagesbehandlungskosten der Antidepressiva nur ungefähr 3 – 6 % der direkten Kosten aus. Die veröffentlichten pharmakoökonomischen Analysen [Übersicht: 10] decken im Wesentlichen alle innovativen Antidepressiva ab. Bei weitem die Mehrzahl der Analysen beschränkt sich auf die Indikation Depression. Die Kosten wurden meist aus der Perspektive des Zahlers analysiert. Die meisten sind Kosten-EffektivitätsAnalysen, nur einige Kosten-Nutzwert- und Kosten-Nutzen-Analysen. Es gibt nur drei randomisierte Studien mit hinreichender Fallzahl, aus denen sich keine höhere Kosteneffizienz (direkte Kosten) moderner Antidepressiva gegenüber Antidepressiva der ersten Generation ableiten lässt. Einige Studien haben große, vollständige Kollektive von HMO-Versicherten (HMO = Health Maintainance Organisation) analysiert. Der systematische Review von Barbui et al. [2] identifizierte 23 Analysen solcher Datenbasen und weitere 12 Beobachtungsstudien und kam zu dem Ergebnis, dass die Kostenwirksamkeit moderner und älterer Antidepressiva vergleichbar
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11.4 Pharmakoökonomische Befunde bei Antidepressiva
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ist. Bei weitem die Mehrzahl der Studien folgte dem Modellansatz, mehrheitlich mit dem Ergebnis größerer Kosteneffizienz moderner Antidepressiva [z. B. 4, 5, 8], ist allerdings möglicherweise anfällig für interessengeleitete Ergebnisse [1]. Insbesondere verzögert freisetzendes Venlafaxin könnte – dank höherer Remissionsraten – kosteneffizienter als SSRI sein und die Rentabilität von SSRI könnte der von TZA zumindest entsprechen oder sie sogar übertreffen, trotz höherer Medikamentenkosten [5, 6, 9]. In einer entscheidungsanalytischen Modellrechnung mit einem Zeithorizont von 6 Monaten aus der Perspektive des Kostenträgers erwies sich Escitalopram im Vergleich zu Citalopram, generischem Fluoxetin, Paroxetin, Paroxetin CR, Sertralin, Venlafaxin und Venlafaxin XR zur Initialtherapie der Depression als kosteneffizienter [16]. Eine deutsche Besonderheit ist einerseits das uneingeschränkte Recht der pharmazeutischen Unternehmer zur freien Preisgestaltung, andererseits – als rechtliches Gegenregulativ – die Festlegung von Festbeträgen für die Übernahme ambulanter Arzneimittelkosten durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für generische (also nicht mehr patentgeschützte) Arzneimittel und neuerdings wieder – mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) 2003 – auch für patentgeschützte Arzneimittel, wenn es sich um so genannte Analogpräparate handelt. Die Festbetragsregelungen in Kombination mit den Arzneimittelbudgets bzw. -richtgrößen und der davon ausgehende Druck in Richtung einer bevorzugten Verordnung von Generika haben dazu geführt, dass der deutsche Arzneimittelmarkt bezüglich des Anteils der Generika weltweit eine führende Position einnimmt. Gemäß dem jährlich erscheinenden Arzneiverordnungsreport haben Generika im Gesamtmarkt einen Verordnungsanteil von 54 % und einen Umsatzanteil von 30 %. Im generikafähigen Markt liegt der Verordnungsanteil der Generika bei 75,3 %, der Umsatzanteil bei 67,5 %. Der Generikaanteil bei den Antidepressiva kann anhand der Daten des Arzneiverordnungsreports nur geschätzt werden und liegt bezüglich der verordneten Tagesdosen bei ca. 65 % und bezüglich der Umsätze bei ca. 60 %. In diesem finanziellen Regelwerk muss der Vertragsarzt zur Abwehr der Haftung aus eigenem Vermögen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung interessiert sein, die Kosten der von ihm verordneten Arzneimittel zu minimieren. Pharmakoökonomisch kann das aus der Arztperspektive vernünftige Handeln indessen unvernünftig sein, wenn nämlich die preiswertere, das Arzneimittelbudget schonende Medikation z. B. wegen höherer Abbruchraten mehr Krankenhausbehandlungen und damit höhere Kosten nach sich zieht. Vor diesem Hintergrund wurde in einer eigenen Studie aus der Perspektive des Arztes geprüft [11], wie sich die Verordnung von Escitalopram im Vergleich zu Venlafaxin auf das Arzneimittelbudget des Arztes auswirkt. Zwei Stichproben von Ärzten (190 Hausärzte und 60 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde bzw. 138 Hausärzte und 60 Fachärzte) wurden mit Multiple-Choice-Fragebögen befragt, wie häufig sie nach initialer Therapie mit Escitalopram bzw. Venlafaxin XR bei unzureichender bzw. fehlender Wirkung nach welcher Zeit die weitere Therapie umgestalten würden. Vorgegebene Zeitintervalle waren 14 Tage, der gesamte berücksichtigte Zeithorizont umfasste 70 Tage, also fünf Entscheidungszyklen. Die Wahrscheinlichkeiten für Response (> 50 % Besserung), Teilresponse (25 – 50 % Besserung) und fehlende Response (< 25 % Besserung) wurden einer doppelblinden, randomisierten Vergleichsstudie von Escitalopram und Venlafaxin XR [14] entnommen. In dieser – allerdings bisher einzigen derartigen – Ver-
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11 Pharmakoökonomie
gleichsstudie traten unter Escitalopram Therapieerfolge signifikant früher als unter Venlafaxin XR auf. Dies ist insofern besonders bedeutsam, als inzwischen mehrere Metaanalysen [z. B. 15] gezeigt haben, dass unter Venlafaxin signifikant höhere Remissionsraten als unter SSRI erreicht werden. Aus den Interventionswahrscheinlichkeiten der befragten Ärzte ergab sich, dass die Arzneimittelkosten bei initialer Therapie mit Venlafaxin beim Hausarzt um 34 % über denen bei initialem Einsatz von Escitalopram liegen, beim Facharzt um 42 %. Dies beruht nicht nur auf den geringeren Tagestherapiekosten, sondern auch auf der früheren Therapieresponse unter Escitalopram. Diese pharmakoökonomische Analyse aus der Arztperspektive signalisiert also, dass die Bevorzugung von Escitalopram gegenüber Venlafaxin als initiale Therapie das Arzneimittelbudget des Arztes schonen kann.
11.5
Pharmakoökonomie in den Strukturen des deutschen Gesundheitswesens
Im deutschen Versorgungssystem hat die umfassende pharmakoökonomische Betrachtung, d. h. die Berücksichtigung zumindest aller direkten Kosten, bisher lediglich im Rahmen der Integrierten Versorgung (krankenkassenindividuelle Versorgungsverträge mit ambulanten Leistungserbringern, stationären Einrichtungen und Apotheken gemäß § 140a ff SGB V) praktische Relevanz. Wenn – wie vom Gesetz als eine Option vorgesehen – als Vergütungssystem für die integrierte Versorgung ambulant-stationäre Kombinationsentgelte oder sogar kombinierte Budgets vereinbart werden, kann die möglicherweise gegebene Kosteneffizienz moderner Antidepressiva die Gesamtkosten senken, so dass Kostenträger und Leistungserbringer, wie modellhaft im so genannten Hausarztvertrag der Barmer Ersatzkasse vorgesehen, Gewinn aus den Einsparungen ziehen können.
11.6
Festbetragsregelungen
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat u. a. gemäß § 35 SGB V Festbeträge festzusetzen für Arzneimittel mit identischen bzw. vergleichbaren Wirkstoffen bzw. mit vergleichbarer Wirkung. Dies gilt grundsätzlich auch für patentgeschützte Wirkstoffe, es sei denn, deren Wirkungsweise ist neuartig und sie bedeuten eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen. Der GBA hat am 15.6.2004 Entscheidungsgrundlagen der Festbetragsgruppenbildung veröffentlicht. Danach ist „ein vergleichbarer Wirkungsmechanismus Voraussetzung für die pharmakologische Vergleichbarkeit“. Ein Arzneimittel mit einem patentgeschützten Wirkstoff stelle im Vergleich zu anderen Arzneimitteln derselben Festbetragsgruppe dann eine therapeutische Verbesserung im Sinne des § 35 dar, wenn in dem (den) gemeinsamen Anwendungsgebiet(en) ein Zusatznutzen in einem therapeutisch relevanten Ausmaß nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse bestehe. Eine therapeutische Verbesserung könne sich u. a. daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Standardmitteln in der Vergleichsgruppe zeige und/oder geringere Nebenwirkungen aufweise. Geringere Ne-
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11.7 Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
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benwirkungen im Sinne von § 35 SGB V operationalisiert der GBA als Wegfall oder erhebliche Verringerung des Häufigkeitsgrades einer schwerwiegenden Nebenwirkung. Zur Operationalisierung des Begriffes „schwerwiegende Nebenwirkung“ bedient sich der GBA der international üblichen Definition, wonach unerwünschte Ereignisse dann als schwerwiegend gelten, wenn sie tödlich oder lebensbedrohend sind, zu Arbeitsunfähigkeit führen oder einer Behinderung oder eine stationäre Behandlung oder die Verlängerung einer stationären Behandlung zur Folge haben. Diese Operationalisierung der Forderung nach „geringeren Nebenwirkungen“ in § 35 SGB V ist heftig kritisiert worden und harrt der gerichtlichen Überprüfung. Die therapeutische Verbesserung soll in randomisierten, doppelblinden, kontrollierten direkten Vergleichsstudien guter Qualität anhand relevanter klinischer Endpunkte nachgewiesen sein und ein therapeutisch bedeutsames Ausmaß aufweisen. Pharmakoökonomische Daten spielen bei den Festbetragsentscheidungen keine erkennbare Rolle.
11.7
Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
Der GBA hat am 15.3.2005 – gegen die Stimmen der Deutschen Krankenhausgesellschaft – eine Verfahrensordnung beschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob und gegebenenfalls bezüglich welcher Details das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) diese Verfahrensordnung beanstandet. Der Bundesausschuss hat u. a. a priori den Katalog zu Lasten der GKV zulässiger ambulanter Verfahren festzulegen und kann post hoc das weitere Erbringen stationärer Verfahren zu Lasten der GKV gemäß § 137c SGB V ausschließen. § 20 der Verfahrensordnung regelt, dass der Bewertung einer medizinischen Methode die gängigen Kriterien der evidenzbasierten Medizin zugrunde gelegt werden sollen, d. h. es werden grundsätzlich randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) und deren Metaanalysen gefordert. „Liegen Unterlagen dieser Aussagekraft nicht vor“, heißt es dazu weiter in der Verfahrensordnung, „kann (!) die Nutzen-Schaden-Abwägung einer Methode auch aufgrund qualitativ angemessener Unterlagen niedrigerer Evidenzstufen erfolgen.“ In Konsequenz entsprechender Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) könne es „insbesondere bei seltenen Erkrankungen oder bei Methoden ohne vorhandene Alternative unmöglich oder unangemessen sein, Studien dieser Evidenzstufe durchzuführen oder zu fordern“. Die Anwendung niedrigerer Evidenzstufen bedürfe aber einer detaillierten Begründung mit Abwägung „des potentiellen Nutzens einer Methode insbesondere gegen die Risiken der Anwendung beim Patienten“. Der Nutzen müsse sich auf patientenbezogene Endpunkte beziehen. Ausdrücklich genannt werden Mortalität, Morbidität und Lebensqualität. Zur Definition patientenbezogener Endpunkte siehe Abs. 10.8, S. 124. Gemäß § 17 der Verfahrensordnung erfolgt die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit einer Methode auf der Basis von Unterlagen u. a. zur R Kostenschätzung hinsichtlich der Anwendung beim einzelnen Patienten oder Versicherten, R Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf den einzelnen Patienten oder Versicherten, R Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf die Gesamtheit der Versicherten, auch Folgekosten-Abschätzung, und R Kosten-Nutzen-Abwägung im Vergleich zu anderen Methoden.
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11 Pharmakoökonomie
Der Verfahrensordnung ist allerdings nichts zur eigentlichen Kernfrage zu entnehmen, wie die offenbar geforderten pharmakoökonomischen Ergebnisse am Ende in die Entscheidungen des Bundesausschusses eingehen werden. Werden Verfahren, deren Kosten z. B. einen bestimmten Betrag pro QALY übersteigen, ausgeschlossen werden? Nach welchem Entscheidungsalgorithmus wird gegebenenfalls in der Konkurrenz der Krankheiten priorisiert?
11.8
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Gemäß § 139a ff SGB V hat der GBA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als Stiftung mit Sitz in Köln gegründet. Gemäß § 139a Absatz 1 SGB V ist das Institut „fachlich unabhängig“ und zu wissenschaftlichem Handeln verpflichtet. Zu seinem gesetzlichen Auftrag gehört es, den medizinischen Wissensstand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren zu bewerten. Damit ergeben sich Schnittstellen zur Deutschen Agentur für Health Technology Assessment (DAHTA); das IQWiG kann diese Agentur mit der Erstellung von entsprechenden Bewertungen beauftragen. Das IQWiG soll auch Gutachten zu Fragen der Qualität und Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Versorgung GKV-Versicherter erstellen. Als Grundlage für Entscheidungen des GBA soll es evidenzbasierte Leitlinien bewerten und Empfehlungen zu Disease-Management-Programmen (DMP) erarbeiten. Die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln (inklusive pharmakoökonomischer Bewertung?) soll letztlich in eine Bereinigung des vom GBA verantworteten Leistungskataloges der GKV münden. § 35b SGB V beauftragt das IQWiG ausdrücklich, den Nutzen jedes erstmals verordnungsfähigen Arzneimittels mit patentgeschützten Wirkstoffen sowie von „anderen Arzneimitteln, die von Bedeutung sind“, zu bewerten. Das Institut wird zu diesen Fragen von den Partnern der Selbstverwaltung oder vom BMGS mit konkreten Themen beauftragt. Es hat einheitliche Methoden für die Erarbeitung der Bewertungen zu bestimmen und im Internet zu veröffentlichen. Das IQWiG hat im März 2005 die vorläufige Endfassung seines Methodenpapiers im Internet veröffentlicht. Danach liegt die „Beweislast für einen behaupteten Nutzen von medizinischen Verfahren immer bei denjenigen Institutionen oder Personen, die die Anwendung dieser Verfahren propagieren, sei es aus kommerziellen oder andersartig eigennützigen Motiven heraus oder auch aus Überzeugung“. „Nutzen soll in diesem Zusammenhang als Überwiegen von patientenrelevanten Vorteilen gegenüber Risiken durch die Anwendung des infrage stehenden medizinischen Verfahrens verstanden werden.“ Die Nutzenbewertung durch das IQWiG berücksichtigt die wissenschaftliche Evidenz. Dabei lehnt es sich an das hierarchische System von Studientypen der Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) Grading Review Group an. „Hiernach wird z. B. für Therapiestudien die höchste Evidenzstufe systematischen Übersichten randomisierter kontrollierter Studien zugeordnet. Auf dem nächsten Platz erscheinen randomisierte kontrollierte Studien. Diese werden in einigen Einteilungen noch in solche hoher oder weniger hoher Qualität eingestuft. Danach folgen nichtrandomisierte Interventionsstudien, prospektive Beobachtungsstudien, retrospektive Beobachtungsstudien, nichtexperimentelle Studien (Fallserien und Fallberichte) und mit niedrigster Evidenzstufe Expertenmeinungen ohne wissenschaftliche Begrün-
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11.8 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
115
dung. Dieses grobe System ist der jeweiligen Situation und Fragestellung anzupassen und detaillierter darzustellen.“ Im Rahmen der wissenschaftlichen Bewertung medizinischer Leistungen sieht das Institut seine Hauptaufgabe im Sammeln und Analysieren bereits publizierter Daten aus systematischen Literaturrecherchen. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass es für bestimmte Fragestellungen auch bisher noch nicht analysierte Rohdaten auswertet, die von externen Quellen zur Verfügung gestellt werden (z. B. Krankenkassen). Eine sinnvolle Analyse solcher Daten setze jedoch voraus, dass die Rahmenbedingungen klar sind, unter denen sie erhoben wurden und dass die Plausibilität und Qualität der Daten überprüfbar ist. Insbesondere sei darauf zu achten, dass wesentliche Qualitätskriterien eingehalten werden, z. B. sollten die Daten bei Therapiestudien unter Einhaltung des GCP-Standards (good clinical practice) entstanden sein. Das IQWiG hat ein eigenes Ressort „Gesundheitsökonomie“. Es soll tätig werden im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Fragestellungen aus den übrigen Ressorts, bei denen ökonomische Aspekte eine Rolle spielen, und es soll auch unmittelbar vom GBA oder BMGS beauftragt werden. Darüber hinaus können das Institut oder das Ressort nach Absprache mit dem Steuergremium auch eigene Fragestellungen zur wissenschaftlichen Aufarbeitung entwickeln. Leitlinien sollen in formaler und inhaltlicher Hinsicht bewertet werden. Die formale Leitlinienbewertung soll in Anlehnung an die Methoden des Leitlinien-Clearingverfahrens des ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) und unter Bezug auf die Beurteilungskriterien für Leitlinien von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung in strukturierter Form erfolgen und durch zwei unabhängige Bewerter durchgeführt werden. Als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Einbeziehung von systematischen Übersichten in die Berichte des Instituts wird eine methodische Prüfung in Anlehnung an das Quorum-Statement (Quality of Reporting of Metaanalyses) der QUOROM-Gruppe und die Methoden des Centre for Reviews and Dissemination in York gefordert, nach denen auch systematische Übersichten geprüft werden, bevor sie in die Datenbank DARE (Database of Abstracts of Reviews of Effects) aufgenommen werden (http://www.york.ac.uk/inst/crd/). Die inhaltliche Prüfung soll neben der Bewertung auf Vollständigkeit und Aktualität der einbezogenen Literatur auch die Interpretation und Bewertung der Studienergebnisse umfassen. Bei unterschiedlichen Einschätzungen werden die Fragen erneut diskutiert und einer erneuten Bewertung unterzogen. Bleibt der Dissens bestehen, werden die unklaren Aspekte gesondert dokumentiert. Die Relevanz, Angemessenheit und Praktikabilität von Empfehlungen in Leitlinien lässt sich nach dem Methodenpapier des IQWiG durch eine formale Prüfung nicht erfassen, sondern soll mittels fachlicher Expertise in Form eines Peer Reviews und durch Patienten bewertet werden. Dazu können beispielsweise unabhängige Fokusgruppen aus Anwendern, unterschiedlichen Versorgungsbereichen und Patienten eingerichtet werden, welche die inhaltliche Relevanz der Empfehlungen prüfen und gegebenenfalls wichtige fehlende, versorgungsrelevante Aspekte benennen. Die Fokusgruppen soll das Institut zusammenstellen. Das IQWiG verfügt nicht über die personellen Ressourcen, um die zu erwartenden Aufträge eigenständig erledigen zu können. Gemäß § 139b Absatz 3 SGB V hat es zur Erledigung seiner Aufgaben „wissenschaftliche Forschungsaufträge an ex-
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11 Pharmakoökonomie
terne Sachverständige zu vergeben“. „Diese haben alle Beziehungen zu Interessensverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen.“ Außer der Offenlegung von Tätigkeiten, welche die fachliche Unabhängigkeit potenziell beeinflussen könnten, ist aus dem aktuellen Methodenpapier nicht ersichtlich, wie sich die Auswahl der externen Sachverständigen gestalten wird. Auf der Homepage des IQWiG (www.iqwig.de) können sich Experten spontan für diese Tätigkeit bewerben. Am 21.12.2004 hat der GBA dem IQWiG einen so genannten Generalauftrag erteilt. Es soll eigenverantwortlich „durch die Erfassung und Auswertung des relevanten Schrifttums eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung medizinischer Entwicklungen von grundlegender Bedeutung und ihrer Auswirkungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland vornehmen“ und daraus „konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeiten“. Am 18.1.2005 hat der GBA das Institut dann damit beauftragt, die Therapie von Diabetes mellitus Typ 1 und 2, Bluthochdruck, Asthma bronchiale, chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Demenz und Depression zu bewerten. Bei diesen Erkrankungen soll es u. a. verschiedene medikamentöse Therapien im Vergleich untereinander sowie mit nichtmedikamentösen Verfahren bewerten. Für Demenz und Depression sind die vorgegebenen Fragestellungen im Wesentlichen identisch. Als besonders relevant werden bei Demenz Cholinesterasehemmer, Ginkgo biloba und Memantine und bei Depression TZA, SSRI und SNRI herausgestellt. Für alle genannten Therapieverfahren soll das IQWiG klären, ob sie in klinisch relevantem Ausmaß „patientenrelevante Endpunkte“ auch auf Ebene der Einzelwirkstoffe gegenüber Plazebo und im Vergleich zueinander sowie im Vergleich zu einer langfristigen nichtmedikamentösen Behandlung beeinflussen. Dabei soll auch geprüft werden, ob sich geschlechts- und altersspezifische Besonderheiten ergeben sowie Besonderheiten bei Komorbiditäten, und auch, welchen Einfluss die „Lebensführung (Sport, Bewegung, Ernährung, Rauchen, C2)“ hat. Unter „patientenrelevanten Endpunkten“ versteht der GBA in seinem Auftrag vom 18.1.2005 zur Depression die „krankheitsbezogene Lebensqualität einschließlich der Beeinträchtigung beruflicher und sonstiger Aktivitäten des täglichen Lebens, krankheitsassoziierte Symptome, die Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einschließlich des Einflusses auf die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, den Schweregrad der Depression bzw. einer Depressionsepisode, gemessen an validen Testskalen, die Suizidalität, die Gesamtsterblichkeit, der Therapie assoziierte Nebenwirkungen und stationäre Krankenhausbehandlungszeiten“. Diese Vorgaben erwecken den Eindruck der Forderung nach Wirksamkeitsnachweisen auf deutlich mehr Messebenen, als für die Arzneimittelzulassung vorgesehen sind. Eine Gewichtung oder Priorisierung der „patientenrelevanten Endpunkte“ ist nicht erkennbar. Es fehlt also die Definition von Hauptzielvariablen. Wie wird das IQWiG bei der Bewertung gewichten? Und wie wird es mit den resultierenden biometrischen Problemen umgehen? Generell ist geplant, die von externen Sachverständigen erarbeiteten Berichtsentwürfe einem internen und externen Peer-Review-Verfahren zu unterwerfen. Eine Formalisierung dieses Verfahrens ist derzeit nicht erkennbar. Anders als im Zulassungsverfahren scheint eine förmliche Beteiligung der Fachgesellschaften nicht vor-
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11.9 Schlussfolgerungen
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gesehen zu sein. Dasselbe gilt für die Betroffenen, also z. B. die pharmazeutischen Unternehmer. Letzteren räumt das Gesetz auf der Ebene des GBA das Recht auf Anhörung ein. § 32 der Verfahrensordnung des GBA sieht vor, dass „soweit der Kreis der stellungnahmeberechtigten Organisationen gesetzlich nicht eindeutig festgelegt ist, das Beschlussgremium (des GBA) die Organisationen, welche die genannten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen“ ermittelt. „Das Beschlussgremium fordert durch Bekanntgabe im Bundesanzeiger und im Internet zur Meldung auf.“ „Soweit Sachverständige zur Stellungnahme berechtigt sind, bestimmt das Beschlussgremium diese aufgrund von Vorschlägen der maßgeblichen Spitzenorganisationen der genannten Berufe und Unternehmen.“ Auch hier stellt sich demnach die Frage, inwieweit das Auswahlverfahren externer Experten transparenten Regeln folgt.
11.9
Schlussfolgerungen
Neben den traditionellen Kriterien Wirksamkeit und Unbedenklichkeit muss aus ethischen Gründen auch die ökonomische Dimension bei der Priorisierung der Allokation von Ressourcen berücksichtigt werden. Die innovativen Antidepressiva haben trotz höherer Kosten für das Medikament das Potenzial, nicht nur eine kostenneutrale Behandlung zu erlauben, sondern auch direkte Kosten zu sparen, indem sie das Risiko von Rezidiven und Hospitalisierung reduzieren und die Abbruchraten im Vergleich zu traditionellen Substanzen möglicherweise verringern. Diese Schlussfolgerung stützt sich aber im Wesentlichen auf Modellrechnungen. Mehr Forschung, besonders groß angelegte, randomisierte Studien unter naturalistischen Bedingungen, wird gebraucht. Die potenziellen Kostenersparnisse können derzeit in Deutschland nur im Rahmen integrierter Versorgungskonzepte gemäß § 140a ff SGB V praktisch genutzt werden. Die Bewertung medizinischer Verfahren durch den GBA und – eigenverantwortlich oder im Auftrag von GBA oder BMGS – durch das IQWiG sieht vor, ökonomische, also auch pharmakoökonomische Daten in Zukunft zu berücksichtigen. Doch trotz eines eindeutigen Bekenntnisses zu den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin ist die Methodik der Bewertung von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit wie auch der ökonomischen Daten durch Bundesausschuss oder IQWiG derzeit noch weitgehend intransparent.
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11 Pharmakoökonomie
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Diskussion
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Diskussion Fachgesellschaften am Bewertungs- und Entscheidungsprozess nicht beteiligt Besonders bedauerlich ist, wenn die eigene Fachgesellschaft nicht in Bewertungen des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) einbezogen wird und keinen Anspruch darauf hat, ihr Urteil in diesem Rahmen abzugeben. Wie läuft das denn in England? Wie wird mit dem Royal College of Psychiatrists umgegangen, welche Kontakte bestehen zwischen dem NICE und dieser Fachgesellschaft? (Arolt) Das NICE handelt im Prinzip genauso wie das IQWiG, mit dem Unterschied, dass die Entscheidungen im Internet der Öffentlichkeit präsentiert werden, die damit Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Aber das wird hier in Zukunft wahrscheinlich auch so sein. (Fritze)
Aufgaben des IQWiG – Auswahl der Gutachter Das vom IQWiG erstellte Gutachten wird an den GBA weitergeleitet. Eine der wesentlichen Funktionen des IQWiG besteht in der Auswahl der Person oder Gruppe, die das Gutachten erstellt. Da es dafür meines Wissens kein richtiges Ausschreibungsverfahren gibt, ist die Auswahl der Willkür des Direktors des IQWiG überlassen, der bestimmte Personen bevorzugen könnte. Da das Gutachten eine wichtige Rolle spielt, ist das Auswahlverfahren aber so zu handhaben, dass ein Höchstmaß an Objektivität gewährleistet ist. Außerdem sollte die Möglichkeit bestehen, ein Gegengutachten vorzulegen oder die Positionen eines Gutachters (Meinung einer Einzelperson) zu diskutieren bzw. anzugreifen. Gibt es dafür ein Rechtsinstitut oder eine Clearingstelle, welche die kontroversen Meinungen wieder zusammenführt? Ist das im Verfahren formalisiert? (Maier) Nein, formalisiert ist das nicht. Vom Verfahren her wird der Auftrag an eine Gruppe vergeben. Dann wird die Arbeit abgeliefert und durchläuft ein Peer-ReviewVerfahren. (Man kann sich als Reviewer im Internet bewerben.) Die Kritikpunkte der Reviewer werden berücksichtigt. Die Auftragnehmer werden bis zur Veröffentlichung des Gutachtens nicht genannt. Nach der Veröffentlichung kann jeder Stellung nehmen, aber dann ist es kein formalisiertes Verfahren mehr. Wenn dann ein Gegengutachten kommt, werden das IQWiG und der GBA, sofern er sich die IQWiGStellungnahme zu Eigen gemacht hat, eventuell Probleme haben. (Fritze)
Warum stellt das IQWiG erneut Fragen zu Antidepressiva, die schon bei der Zulassung beantwortet wurden? Warum greift das IQWiG die Antidepressiva so früh als Thema auf? Und warum stellt es zu den Antidepressiva erneut Fragen, die schon bei der Zulassung beantwortet wurden? (Möller) Die Depression wurde als Indikation frühzeitig aufgegriffen, weil sie häufig ist. Die Themenbereiche und Fragestellungen, mit denen sich das IQWiG vordringlich beschäftigen soll, wurden von Arbeitsgruppen des GBA, also auch von Krankenkassenvertretern, formuliert. (Fritze) Auch der Diabetes steht auf der IQWiG-Liste. Nun gibt es zum Diabetes sogar schon ein Disease-ManagementProgramm. Deswegen stellt sich auch dort die Frage, ob das Rad noch einmal neu erfunden werden soll. (Laux)
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12
Rezidivprophylaxe depressiver Störungen Michael Bauer
Der Langzeitverlauf unipolar depressiver Erkrankungen ist durch hohe Rezidivraten und eine Chronifizierung der Symptomatik gekennzeichnet [4, 5, 12]. Etwa 50 – 85 % der Patienten mit depressiver Episode werden mindestens eine weitere Episode erleben [3, 15]. Die Rezidivwahrscheinlichkeit steigt mit der Anzahl vorheriger depressiver Episoden und dem Schweregrad der gegenwärtigen Episode. Bei Patienten, die schon drei depressive Episoden hatten, tritt mit ca. 90 %iger Wahrscheinlichkeit eine weitere Episode auf.
12.1
Allgemeine Behandlungsprinzipien der Rezidivprophylaxe
Das vorrangige Ziel der Rezidivprophylaxe und Langzeitbehandlung ist es, einer neuen Episode, einem möglichen Suizid und einer Chronifizierung vorzubeugen. Für den Behandlungsansatz in der Rezidivprophylaxe ist es essentiell, den bisherigen Krankheitsverlauf des Patienten sowie seine Anamnese zu berücksichtigen. Obwohl keine bestimmten Empfehlungen gegeben werden können, wann mit einer prophylaktischen Therapie begonnen werden sollte, ist sie immer dann indiziert, wenn Patienten ein hohes Rezidivrisiko haben. Bei Patienten, die drei oder mehrere Episoden einer Major Depression hatten, und bei Patienten, die hohe Rezidivraten in der jüngeren Vergangenheit aufweisen (z. B. zwei Episoden innerhalb von 5 Jahren), ist eine Rezidivprophylaxe indiziert [6]. Die Dauer einer Rezidivprophylaxe kann von 3 Jahren bis zu lebenslanger Therapie variieren. Generell sollte die Rezidivprophylaxe umso länger sein, je ungünstiger die Prognose ist. Ungünstige Prognosefaktoren für ein Rezidiv beinhalten eine große Anzahl vorangegangener Episoden, Residualsymptome nach der Akutbehandlung und längere Episoden und Chronizität in der Vorgeschichte (weitere Risikofaktoren siehe Tabelle 12.1). Schlüsselelemente der Langzeitbehandlung der Major Depression sind: 1. Psychoedukation (Aufklärung), 2. Pharmakotherapie und 3. Sicherstellung der Compliance des Patienten. Eine zusätzliche Psychotherapie kann bei einzelnen Patienten in Betracht gezogen werden. Da die Rezidivprophylaxe eine hohe Compliance voraussetzt, sind Aufklärung und eine enge therapeutische Beziehung zum Patienten und seinen Angehörigen notwendig. Strategien, um Patienten auf die Rezidivprophylaxe vorzubereiten, sollten folgende Themen beinhalten: typischer Krankheitsverlauf, Behandlungsmöglichkeiten, Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente, der Gebrauch eines Instrumentes zur (täglichen) Selbstbeurteilung, um die Stimmung und frühe Warnzeichen eines Rezidivs nachvollziehen zu können, außerdem eine langfristige Prognose und das voraussichtliche Ende der Behandlung. In der Rezidivprophylaxe ist es wichtig, zwischen spontanen, symptomatischen Fluktuationen („blips“) und „echten“ Rezidiven zu unterscheiden. Im Gegensatz zu
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12.2 Pharmakotherapie der Rezidivprophylaxe Tabelle 12.1 gehen
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Faktoren, die mit einem erhöhten Rezidivrisiko der Major Depression einher-
R drei oder mehr Episoden einer Major Depression R hohe Rückfallrate (z. B. zwei Episoden innerhalb von 5 Jahren) R letzte Episode im vergangenen Jahr R subsyndromale Restsymptome bei Remission R gleichzeitig bestehende dysthyme Störungen („Doppeldepression“) R Schwere der Episoden (einschließlich Suizidalität und psychotische Symptome) R vorhergehende Episoden von langer Dauer R Rückfall nach dem Absetzen der Medikation R gleichzeitig bestehender Substanzmissbrauch R gleichzeitig bestehende Angststörung R Familienanamnese einer Major Depression bei Verwandten ersten Grades R Ausbruch vor dem 30. Lebensjahr
„blips“, die selbstlimitierend sind und keine spezifische Behandlung verlangen, müssen Rezidive umgehend behandelt werden. Es ist außerdem wichtig, regelmäßig die Compliance des Patienten zu überprüfen und erneut auftretende Symptome frühzeitig zu erkennen [16].
12.2
Pharmakotherapie der Rezidivprophylaxe
Die Pharmakotherapie ist die am besten untersuchte Behandlungsform in der langfristigen Behandlung von rezidivierenden unipolaren Depressionen [6]. Auf die Datenlage zur Wirksamkeit der Psychotherapie kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Unter den zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten ist die Datenlage für den Einsatz von Antidepressiva und Lithium am besten (Abb. 12.1). Die Mehrzahl der kontrollierten Studien, die den Einsatz dieser Medikamente untersucht haben, zeigte eine Wirksamkeit in der Rezidivprophylaxe [1, 2, 9]. 12.2.1 Antidepressiva Erste Wahl bei der Rezidivprophylaxe der Major Depression ist das Antidepressivum, mit dem während der Akut- und/oder Erhaltungstherapie eine Remission erzielt wurde. Die allermeisten depressiven Patienten erhalten während der Akutund Erhaltungstherapie Antidepressiva. Die beste Behandlungsempfehlung, um ein Wiederauftreten depressiver Symptome zu verhindern, besteht darin, die antidepressive Therapie in der Phasenprophylaxe in derselben Dosierung fortzusetzen wie in den vorangegangenen Behandlungsphasen. In zwei Studien zeigten die Patienten, die nur die Hälfte der Dosis der Akutbehandlung mit Imipramin [11] oder Paroxetin [10] erhielten, eine signifikant höhere Rezidivrate.
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12 Rezidivprophylaxe depressiver Störungen
Abb. 12.1 Therapeutische Möglichkeiten für die Rezidivprophylaxe der Major Depression – Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) [nach 6].
Randomisierte plazebokontrollierte Studien (meist über 1 bis 2 Jahre) zeigten, dass u. a. trizyklische Antidepressiva (TZA), irreversible Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-I) und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wirksam sind und Rezidive verhindern können. Die Dauer der Erhaltungstherapie, die auf die akute Behandlung folgt, sollte 6 bis 9 Monate betragen. Wie lange eine Rezidivprophylaxe andauern sollte, ist wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. Jedoch ist in den meisten Fällen für Patienten mit Rückfällen eine 3-jährige Rezidivprophylaxe sinnvoll, besonders wenn die vorhergehende Episode innerhalb der letzten 5 Jahre aufgetreten ist oder wenn die
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12.2 Pharmakotherapie der Rezidivprophylaxe
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Remissionskriterien nur schwer zu erreichen sind. Fünf bis 10 Jahre oder sogar eine lebenslange Rezidivprophylaxe wird für Hochrisikopatienten empfohlen, besonders dann, wenn zwei oder drei Absetzversuche der Medikation eine weitere Episode innerhalb eines Jahres zur Folge hatten. 12.2.2 Lithium und andere Stimmungsstabilisierer Lithium stellt eine weitere Behandlungsmöglichkeit der ersten Wahl für die Rezidivprophylaxe einer Major Depression dar. Die Anwendung von Lithium in der Langzeittherapie unipolar rezidivierender Depressionen ist gut belegt [8]. Zwei Metaanalysen zeigten, dass Lithium bei der Verhinderung von Rückfällen bei unipolar rezidivierender Depression wirksamer als Plazebo ist [7, 18]; jedoch nur in einer Studie [18] waren die Ergebnisse statistisch signifikant. Im letzten Jahrzehnt wurden viele Daten aus retrospektiven und prospektiven Studien gewonnen, die zeigen, dass eine langfristige Lithiumprophylaxe das Suizidrisiko senken und möglicherweise die hohe Mortalitätsrate normalisieren kann [17, 20]. Eine randomisierte Studie über 2,5 Jahre bei Patienten mit affektiven Störungen zeigte signifikant weniger Suizide und Suizidversuche in der Lithium- als in der Carbamazepin-Gruppe [19]. Die klinischen Befunde legen nahe, dass die antisuizidalen Eigenschaften von Lithium unabhängig sind vom „klassischen“ vorbeugenden Effekt in der Verhinderung neuer Episoden. Eine Metaanalyse fand jedoch keine eindeutigen Hinweise dafür, dass Lithium eine antisuizidale Wirkung hat, da in dem untersuchten Patientenkollektiv nur eine geringe Anzahl von Todesfällen und Suiziden sowie das Fehlen von suizidalem Verhalten zu verzeichnen waren [7]. Innerhalb der Gruppe der stimmungsstabilisierenden Medikamente, die zur Behandlung von bipolaren Störungen angewandt werden, ist Carbamazepin in offenen und doppelblinden Vergleichsstudien der am besten untersuchte Wirkstoff. Carbamazepin wurde in kleinen, doppelblinden Vergleichsstudien mit Lithium bei rezidivierender Major Depression untersucht. Weitere stimmungsstabilisierende Medikamente (z. B. Valproat, Lamotrigin oder Gabapentin) wurden noch nicht in plazebokontrollierten bzw. doppelblinden Vergleichsstudien zur Rezidivprophylaxe unipolarer Depressionen geprüft [6, 9]. 12.2.3 Bedeutung der Verträglichkeit in der Rezidivprophylaxe Langfristige Nebenwirkungen und die Verträglichkeit von Medikamenten sind Schlüsselfragen bei der Verbesserung der Compliance. Selbst leichte bis moderate Nebenwirkungen während der Rezidivprophylaxe können zu Non-Compliance führen mit der möglichen Konsequenz einer Symptomverschlechterung und einem erhöhten Rezidivrisiko. Die Anwendung von Medikamenten mit einem besseren Verträglichkeitsprofil als die trizyklischen Antidepressiva (TZA) kann die Compliance der Patienten verbessern. Die „neueren“ Antidepressiva werden mit weniger Langzeitnebenwirkungen in Verbindung gebracht als die traditionellen trizyklischen und tetrazyklischen Antidepressiva [1, 3, 6].
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12 Rezidivprophylaxe depressiver Störungen
12.2.4 Neue Antidepressiva-Studien in der Rezidivprophylaxe Alle bislang diskutierten kontrollierten Studien mit Antidepressiva haben ein methodisches Problem. Es besteht darin, dass nur diejenigen Patienten, die als Responder auf die Behandlung in der Akutphase klassifiziert wurden, für die rezidivprophylaktische Phase randomisiert wurden. Dieses Vorgehen stellt einen Selektionsbias zugunsten der Prüfsubstanz („enriched design”) dar. Streng genommen sind die Studienergebnisse daher nicht generalisierbar auf Patienten, die mit anderen Behandlungen (z. B. Kombinationstherapie) in der Akutphase remittierten. Zudem ist die Beurteilung der rezidivprophylaktischen Wirksamkeit schwierig, da in vielen Studien nicht klar differenziert wurde zwischen tatsächlichen Rezidiven nach vorheriger (Voll-)Remission oder Rückfällen nach unvollständiger Remission. Aus jüngster Zeit liegen nun zwei große randomisierte, plazebokontrollierte Multicenterstudien vor, die dieses methodische Dilemma gelöst haben, indem Patienten auf ein Antidepressivum randomisiert wurden, das zuvor in der Akutphase der Therapie nicht verordnet wurde. In der Studie von Lépine et al. [14] mit „Hochrisikopatienten“ (Einschlusskriterium: mindestens drei depressive Episoden in den vergangenen 4 Jahren) wurden insgesamt 299 Patienten mit Major Depression auf den SSRI Sertralin (50 oder 100 mg) oder Plazebo randomisiert und 18 Monate lang hinsichtlich des Auftretens erneuter depressiver Episoden beobachtet (Studiendesign siehe Abb. 12.2). In der Akutphase konnten die Patienten mit jedem beliebigen Antidepressivum, nur nicht mit Sertralin, behandelt werden. Die Zahl der Rückfälle war in beiden mit Sertralin behandelten Gruppen statistisch signifikant niedriger im Vergleich zu Plazebo: unter 50 mg Sertralin 16,8 %, unter 100 mg Sertralin 17,0 %, unter Plazebo 33,3 %. Patienten, die mit Sertralin behandelt wurden, waren zudem signifikant länger rezidivfrei als mit Plazebo behandelte Patienten. Eine zweite plazebokontrollierte Studie mit ähnlichem Design untersuchte die rezidivprophylaktische Wirksamkeit von Escitalopram bei insgesamt 139 Patienten
Abb. 12.2 Hochrisikostudie mit Sertralin: PREVERS-Studiendesign (Prevention of recurrent depression with sertraline) [14].
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Literatur
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Abb. 12.3 Zeit bis zum Rückfall und Rückfallrate nach Remission unter Escitalopram vs. Plazebo bei rezidivierender Major Depression [13].
mit rezidivierender unipolarer Depression [13]. Die Zeit bis zum Auftreten einer erneuten depressiven Episode bzw. die kumulative Zahl der Rückfälle war in der Gruppe, die mit Escitalopram behandelt wurde, signifikant länger bzw. niedriger als in der Plazebogruppe. Der Anteil der Patienten mit Rückfall betrug 27 % unter Escitalopram und 65 % unter Plazebo (Hazard Ratio = 2,6; p < 0,001) (Abb. 12.3). Dieses Ergebnis wurde in einer zweiten Analyse bestätigt, bei der alle Rückfälle, die in den ersten beiden Wochen nach der Randomisierung aufgetreten waren, nicht berücksichtigt wurden [13]. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass neuere Studien die rezidivprophylaktische Wirksamkeit von SSRI bei unipolaren Depressionen belegen. In beiden Langzeitstudien konnte zudem das günstige Nebenwirkungsprofil, ein enorm wichtiger Faktor gerade in der Langzeitbehandlung, der SSRI bestätigt werden.
Literatur 1. AHCPR (Agency for Health Care Policy and Research). Depression Guidelines Panel. Depression in Primary Care: Clinical Practice Guideline No. 5. AHCPR pub. No. 93 – 0550. Rockville, MD; 1993. 2. AHCPR (Agency for Health Care Policy and Research). Evidence Report on Treatment of Depression: Newer Pharmacotherapies. San Antonio Evidence-Based Practice Center. Washington D. C., AHCPR, Evidence-Based Practice Centers. AHCPR pub. No. 99-E014; 1999. 3. American Psychiatric Association. Practice guideline for the treatment of patients with major depressive disorder (revision). Am J Psychiatry. 2000; 157(Suppl):1 – 45. 4. Angst J. The course of affective disorders. Psychopathology. 1986;19(Suppl 2):47 – 52.
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12 Rezidivprophylaxe depressiver Störungen
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Diskussion
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Diskussion Einteilung von Kupfer zum Rezidivrisiko depressiver Störungen: Kontra und Pro Ich finde die Einteilung von Kupfer zum Rezidivrisiko depressiver Störungen eher verwirrend. Sie ist meiner Ansicht nach theoretisch nicht gut begründet, sprachlich kompliziert und lässt sich nicht leicht vermitteln. Zudem ist sie meiner Ansicht nach in der klinischen Arbeit nicht so hilfreich, da doch sehr viele Faktoren mit in die Entscheidung einfließen, nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs gemessen an vorherigen Rezidiven, sondern z. B. auch Suizidversuche und die Verträglichkeit der Langzeitbehandlung. Da könnte man sich einmal einen Algorithmus ausdenken, in dem diese Faktoren gewichtet und mit einer Empfehlung verknüpft werden. Die bestehende Einteilung finde ich wenig hilfreich, allerdings hat sie sich etabliert. (Hegerl) Ich finde das Schema gerade für edukative Zwecke ziemlich gut und habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Leute damit ein besseres Verständnis für das Rezidivrisiko gewinnen. (Bauer) Ich denke, das Problem liegt vor allem in der sprachlichen Umsetzung, weil „relapse prevention“ im Sinne der amerikanischen Terminologie nicht unserer „Rezidivprophylaxe“ entspricht, die eigentlich das Vermeiden neuer Krankheitsphasen meint (also „recurrence prevention“ im Sinne der amerikanischen Terminologie). Diese Termini sind für uns noch nicht sinnfällig. Warum ist das eine „relapse“ und das andere „recurrence“? (Möller) Auch die amerikanischen Kollegen bringen das immer wieder durcheinander. Relapse-prevention-studies sind, wenn man genau hinschaut, 1- oder 1 1⁄2-Jahres-Studien. (Bauer)
Lithiumeffekt in der Rezidivprophylaxe wahrscheinlich überlegen – In schweren Fällen Kombination von Antidepressivum und Lithium Zum rezidivprophylaktischen Effekt von Lithium: Die Patienten in den Lithiumarmen der betreffenden Studien hatten, z. B. wegen der häufigen Blutspiegel-Kontrollen, eine intensivere Betreuung als diejenigen z. B. im Carbamazepin-Arm. Man muss also nach wie vor, auch als Anhänger von Lithium, den Verdacht haben, dass die intensivere Betreuung den guten Lithiumeffekt erklären könnte. Das ist doch nicht ausgeschlossen? (Hegerl) In die Metaanalysen zu Lithium sind nicht nur die MAP-Studie (2000), sondern auch große Multicenterstudien aus den frühen 1980er Jahren eingegangen. Die MAP-Studie ergab den deutlichen Hinweis, dass Lithium in der Rezidivprophylaxe depressiver Störungen wirksamer als Carbamazepin sein könnte, denn in der Carbamazepin-Gruppe gab es vier Suizide und in der LithiumGruppe keinen. Dass die Patienten unter Carbamazepin weniger gut betreut wurden als die Patienten unter Lithium, davon bin ich bisher nicht ausgegangen. (Bauer) Ich wollte nur darauf hinweisen, dass man bei der geringen therapeutischen Breite von Lithium die Patienten besonders sorgfältig betreuen muss. (Hegerl) In der wichtigen Arbeit von Goodwin und Kollegen (2004) wurde eine relativ große Population in Nordamerika untersucht. Der eine Teil wurde mit Valproat, der andere mit Lithium behandelt. Die Daten zur Suizidalität waren signifikant günstiger für die Lithium-Gruppe. Das war zwar eine retrospektive Analyse, aber es gingen etwa 20 000 Patientenfälle ein. Es gibt also mehrere starke Hinweise, die alle in
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die gleiche Richtung gehen. Das ist noch kein Beweis, dafür müsste man eine prospektive Studie durchführen. (Bauer) Das Problem besteht aber auch darin, Ärzte zu motivieren, mit Lithium zu behandeln. Mit SSRI hat man nicht dieses Zusatzproblem der Spiegelbestimmungen. Das führt im Endeffekt, momentan jedenfalls noch, dazu, dass Lithium bei unipolaren Depressionen weniger als SSRI eingesetzt wird. (Möller) Bei relativ unkomplizierten Fällen sollte man erst einmal nur mit einem Antidepressivum behandeln. Wenn es dann aber zu einem Rezidiv gekommen ist, was doch bei relativ vielen Patienten der Fall ist, sollte man das Antidepressivum mit Lithium kombinieren, sofern das weitere Redizivrisiko als hoch einzuschätzen ist. (Bauer)
Wichtiger Fortschritt durch die neuen Antidepressiva-Studien in der Rezidivprophylaxe Ich möchte noch einmal die Bedeutung der beiden neuen Studien von Lépine et al. (2004) und Kornstein et al. (2004) zur Rezidivprophylaxe mit Sertralin bzw. Escitalopram unterstreichen, die Sie dargestellt haben. Solche Studien sind wahnsinnig aufwändig und wir können wirklich froh sein, dass die beiden Firmen Lundbeck und Pfizer diese Studien als Rezidivprophylaxe-Studien im engeren Sinne durchgeführt haben. Die Ergebnisse der beiden Studien mit Sertralin vs. Plazebo bzw. Escitalopram vs. Plazebo erbringen einen wesentlichen Evidenzzuwachs in diesem Bereich der Langzeittherapie, in dem wir bisher im Wesentlichen Continuation-Therapie-Daten und nicht wirklich Rezidivprophylaxe-Daten hatten. (Möller)
Stellenwert von Maprotilin? Spielen die höheren Suizidraten unter Maprotilin im Vergleich zu Plazebo heute keine Rolle mehr? (Fritze) Es waren gerade Patienten mit niedrig dosiertem Maprotilin (um 50 mg/d), die sich umbrachten. (Möller) Maprotilin hat insgesamt keinen großen Stellenwert mehr, weder in der Rezidivprophylaxe noch in der Akutbehandlung. (Bauer)
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Innovation und Wandel in der antidepressiven Therapie in Deutschland – Kernaussagen und Schlussfolgerungen Hans-Jürgen Möller
Therapiecompliance beim Einsatz von Antidepressiva Etwa die Hälfte der depressiven Patienten, die ein Antidepressivum anwenden sollen, ist auf Dauer nicht compliant bzw. adhärent. Dies gilt es zu verhindern, weil die Nichteinhaltung der Therapie deren Ergebnis verschlechtert. Die Non-Compliance, die in vielen Formen auftritt, hat zahlreiche Ursachen: Sie liegen u. a. bei der Erkrankung selbst, der Persönlichkeit des Patienten, dem Arzneimittel, dem Arzt und dem Umfeld des Patienten. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Therapiecompliance orientieren sich an individuellen Anforderungen des Patienten, seinen Vorbehalten und Präferenzen, seinem Aufklärungsbedarf und seinem Compliancerisiko. Erfolg versprechend ist vor allem die systematische Kombination zweckdienlicher Maßnahmen. Die Wirksamkeit der Therapie ist ein wesentlicher Faktor der Therapiecompliance, da sowohl eine schlecht als auch eine gut wirksame Therapie den Patienten zum vorzeitigen Therapieabbruch bewegen kann.
Depressiv-ängstliche Störungen bei somatischen Erkrankungen Die Häufigkeit von behandlungsbedürftigen Depressionen und Ängsten bei körperlichen Erkrankungen wird mit ca. 15 % angegeben. Bei Patienten mit schwereren, chronischen Erkrankungen liegt die Prävalenz depressiver Störungen bei etwa 30 – 40 %. Bei der psychopharmakologischen Therapie stehen Medikamente aus der Gruppe der Antidepressiva im Vordergrund. Spezielle Studien bei somatisch Kranken liegen nur wenige vor und beziehen sich vor allem auf die Anwendung der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Sertralin, Paroxetin und Citalopram. Beim Einsatz von Antidepressiva bei somatischen Erkrankungen sind vor allem die Faktoren Toxizität, Nebenwirkungsprofil, Interaktionspotenzial und Dosierung zu berücksichtigen. Bezüglich der Toxizität weisen die neueren Antidepressiva Vorteile gegenüber den älteren Trizyklika auf. Bei der Behandlung von Depressionen und Angststörungen im Rahmen somatischer Erkrankungen hat ein empathisch geprägtes Arzt-Patienten-Verhältnis eine besondere Bedeutung. Psychotherapeutische Interventionen komplettieren die Pharmakotherapie.
Rezidivprophylaxe depressiver Störungen Der Langzeitverlauf unipolar depressiver Erkrankungen ist durch hohe Rezidivraten gekennzeichnet; etwa 50 – 85 % der Patienten mit depressiver Episode werden mindestens eine weitere Episode erleben. Aus methodischer Sicht sind Studien zur Rezidivprophylaxe besonders schwierig. Da Akutstudien häufig eine überlegene Wirk-
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13 Innovation und Wandel in der antidepressiven Therapie in Deutschland
samkeit der Prüfsubstanz gegenüber Plazebo verfehlen, ist es umso bemerkenswerter, dass zwei neuere Studien zur rezidivprophylaktischen Wirksamkeit von SSRI bei unipolaren Depressionen ein so eindeutiges Wirksamkeitssignal generiert haben. In beiden Langzeitstudien konnte aber nicht nur die rezidivprophylaktische Wirksamkeit belegt, sondern auch das günstige Nebenwirkungsprofil der untersuchten SSRI Sertralin und Escitalopram, ein wichtiger Faktor gerade in der Langzeitbehandlung, bestätigt werden.
Medikamentöse Therapie der generalisierten Angststörung Bei der generalisierten Angststörung, von der man lange Zeit annahm, dass sie mit Arzneimittel nicht behandelt werden kann, mit Ausnahme der Benzodiazepine, ist die erfreuliche Entwicklung hervorzuheben, dass sie inzwischen zu einem Indikationsbereich auch von Antidepressiva geworden ist. Die Behandlung der generalisierten Angststörung erfolgt heute vor allem mit SSRI, selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI), trizyklischen Antidepressiva (TZA), Opipramol, Buspiron und Benzodiazepinen. Hinsichtlich der Wirkung unterscheiden sich diese Gruppen wahrscheinlich nicht (mit Ausnahme von Buspiron, das nicht in allen kontrollierten Studien Benzodiazepinen wirkungsäquivalent war), so dass für die Auswahl der Präparate vor allem das Nebenwirkungsprofil entscheidend ist.
Medikamentöse Therapie der Panikstörung Wie bei der Depressionsbehandlung muss auch bei der Therapie der Panikstörung mit und ohne Agoraphobie eine Akutbehandlung, Erhaltungsbehandlung und Rezidivprophylaxe unterschieden werden und müssen Medikamente auf ihre Wirksamkeit in diesen drei Therapiebereichen geprüft werden. Die beiden Hauptkomponenten der Behandlung, Antidepressiva und kognitive Verhaltenstherapie (KVT), werden je nach klinischem Bild einzeln als Therapieschwerpunkt eingesetzt, wobei aber in der Praxis die Kombinationsbehandlung in ihrer Frequenz zunimmt und oft wirksamer als die jeweilige Monotherapie ist. Zugelassene Substanzen in der Indikation Panikstörung mit und ohne Agoraphobie sind die SSRI Citalopram, Escitalopram, Paroxetin und das Benzodiazepin Alprazolam. Alprazolam und andere Benzodiazepine sollten nur zeitlich befristet und nur in der Akuttherapie bzw. als Einmalgabe bei sonst nicht beherrschbaren schweren Panikattacken eingesetzt werden.
Medikamentöse Therapie der Akuten und Posttraumatischen Belastungsstörung Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD ist inzwischen weit über die ursprünglichen Katastrophenszenarien hinaus für viele andere akute Ereignisse von Lebensgefahr oder Bedrohung, wie z. B. Folgen eines schweren Autounfalls, relevant geworden. Nach einer systematischen Cochrane-Analyse sind derzeit SSRI als Medikamente der 1. Wahl zu betrachten. Sie können die PTSD-Kernsymptome signifikant reduzieren und bessern die häufig assoziierten Angst- und depressiven Störungen
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entscheidend. Ihnen in der Wertigkeit nachgeordnet sind Serotonin-NoradrenalinWiederaufnahmehemmer (SNRI), noradrenerge und selektiv serotonerge Antidepressiva (NaSSA) sowie Monoamin-Oxidase-Hemmer (MAO-Hemmer). Mood-Stabilisatoren und atypische Neuroleptika werden vorrangig in Add-on-Strategien eingesetzt. Benzodiazepine sollten nur gezielt und kurzfristig angewendet werden. Die Behandlung der PTDS hat eine Langzeitperspektive. Neben der medikamentösen Therapie sind psychotherapeutische Verfahren, insbesondere die Verhaltenstherapie, von Bedeutung.
Methodologische Kritik der Metaanalyse Die Ergebnisse von Metaanalysen dürfen nicht unkritisch als die „Wahrheit“ angesehen werden. Ihre Ergebnisse sind verzerrbar und hängen stark von der Auswahl der Studien und/oder der angewandten Metaanalyse-Methodik ab und sind immer anhand der Resultate anderer Metaanalysen und sonstiger geeigneter Forschungsmethoden zu überprüfen. Auch in Zukunft behalten Einzelstudien ihre Bedeutung, denn es ist zu befürchten, dass wegweisende Ergebnisse aus Einzelstudien im Rahmen einer kollektiven metaanalytischen Auswertung „verrauschen“. Systematische Reviews können helfen, den Weg durch den Dschungel der großen Zahl von Einzelstudien mit ihren jeweiligen Vorteilen und Nachteilen zu bahnen. Der wesentliche Nutzen differenzierter Metaanalysen besteht in der systematischen Aufklärung der Quelle der Variation von Ergebnissen innerhalb von verschiedenen Studien zu einer Fragestellung. Zu diesem Zweck sind Metaregressionsmodelle verfügbar, die klinisch relevante Einflussfaktoren feststellen können. Prospektive, diese Hypothesen prüfende Studien können die a posteriori gewonnenen Hypothesen explizit prüfen. So können mit Hilfe von Metaanalysen z. B. Differenzialindikatoren für spezifische Therapieverfahren abgeleitet werden.
Metaanalysen neuer Antidepressiva In Metaanalysen konnte ein gewisser Wirksamkeitsvorteil der trizyklischen Antidepressiva im Vergleich zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern gezeigt werden. Zu Duloxetin liegen zwei „gepoolte“ Analysen vor, die einen diskreten Wirkvorteil vs. SSRI (Fluoxtin, Paroxetin) zeigen, der sich aber nicht in allen ausgewerteten Parametern findet. Kritisch ist anzumerken, dass eine breite Spanne von Duloxetin-Dosen in die Auswertung einging, während die SSRI an der unteren Grenze dosiert waren. Ein großer Teil der in die Studien eingehenden Patienten hatte eine vergleichsweise gering ausgeprägte Depression, was für die mangelnde Abgrenzung von Duloxetin vs. SSRI mit verantwortlich war. In fünf zusammenfassenden Analysen zu Escitalopram zeigte sich, dass unter Escitalopram statistisch signifikant ausgeprägtere antidepressive Effekte als unter Citalopram beobachtet wurden. Der Wirkvorteil von Escitalopram gegenüber Citalopram zeigte sich auch in Response- und Remissionsanalysen. Der Unterschied ist besonders bei schwer depressiven Patienten vorhanden. Die zusammenfassenden Analysen zeigen den Vorteil von Escitalopram deutlicher als die Einzelstudien, ohne allerdings qualitativ neue Befunde zu erbringen.
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Suizidalität und Überdosierungstoxizität beim Einsatz von Antidepressiva In der Regel reduzieren Antidepressiva (TZA und auch SSRI) nicht nur die depressive Symptomatik, sondern auch die damit im Zusammenhang stehende Suizidalität. SSRI wie auch TZA können aber aufgrund vielfältiger Faktoren bei entsprechender Disposition im Einzelfall das Risiko von Suizidversuchen und Selbstbeschädigungen in der Akuttherapie der Depression erhöhen. Daher ist der Behandlungsbeginn mit SSRI wie auch mit TZA vom Arzt sorgfältig zu überwachen. Systematische Studien belegen aber keine Erhöhung des Suizidrisikos durch SSRI, weder bei Kindern und Jugendlichen noch bei Erwachsenen. Werden im Rahmen von Suizidhandlungen Antidepressiva eingenommen, haben SSRI ein geringeres Gefährdungspotenzial („Überdosierungstoxizität“) als trizyklische Antidepressiva.
Effektivität leitlinienorientierter Therapie Leitlinien haben in der nahen Vergangenheit eine beträchtliche Bedeutung erlangt. Was den Arzt jedoch im klinischen Alltag leitet und bewegt, die vielen Details, die schließlich zu einem fast individuellen Therapiealgorithmus werden, ist in den Leitlinien oft nicht abgebildet. Leitlinien sind wichtig, sollten aber in ihrer Bedeutung für den klinischen Alltag nicht überbewertet werden, vor allem so lange nicht, als sie vorrangig auf Phase-III-Studien basieren, deren Ergebnis nur beschränkt auf den Praxis- oder Klinikalltag generalisierbar ist. Daher sollten u. a. mehr geeignete Phase-IV-Studien einbezogen werden. Die Prüfung der Effektivität leitlinienorientierter Therapie macht eine methodische Weiterentwicklung der Messung von Leitlinienwirksamkeit erforderlich. Eines der methodischen Probleme besteht darin, dass oft nicht zwischen der Leitlinieneffektivität und dem Erfolg der Leitlinienimplementierung unterschieden werden kann. Das Ausmaß der Leitlinienimplementierung hat sich als ein wesentlicher kritischer Faktor der Effektivität von Leitlinien erwiesen. Integrierte Implementationsstrategien, welche die Leitlinienvermittlung in ein übergreifendes Qualitätsmanagement einbetten, scheinen Vorteile zu haben. Zukünftig sollte auch der Effizienz leitlinienorientierter Therapie – also dem Mitteleinsatzes im Verhältnis zum erreichten Nutzen – mehr Aufmerksamkeit zukommen.
Pharmakoökonomie der antidepressiven Therapie Neben den traditionellen Kriterien Wirksamkeit und Unbedenklichkeit muss aus ethischen Gründen auch die ökonomische Dimension bei der Allokation von Ressourcen berücksichtigt werden. Die innovativen Antidepressiva haben trotz höherer Kosten für das Medikament das Potenzial, direkte Kosten zu sparen, indem sie das Risiko von Rezidiven und Hospitalisierung reduzieren und die Abbruchraten im Vergleich zu traditionellen Substanzen möglicherweise verringern. Diese Schlussfolgerung stützt sich aber im Wesentlichen auf Modellrechnungen. Mehr Forschung, besonders groß angelegte, randomisierte Studien unter naturalistischen Bedingungen, wird gebraucht.
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Sachverzeichnis
A Agoraphobie – AWMF-Leitlinie 30 f – Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists 32 – Zulassungsstatus Antidepressiva 33 AMSP-(Arzneimittel-Sicherheit in der Psychiatrie-)Daten 101 ff – Underreporting 105 f Analyse, pharmakoökonomische 108 f Angsterkrankung, AWMF-Leitlinie 30 f Angstneurose 36 Angststörung – Einteilung 77 f – Evidenzgrad der Therapie 37 – generalisierte 21 ff – – Behandlung – – – medikamentöse 21 ff – – – nicht pharmakologische 23 – – Behandlungsdauer 23 – – Betablocker 28 – – Häufigkeit 27 – – Hausarzt 29 – – Langzeitbehandlung 23 – – Patientenbegleitung 23 – – Selbstbeurteilung Patient 28 – – Therapie, medikamentöse, neue 130 – – Wirksamkeit, theoretische, sui generis 27 f – – Wirkstoffe, off-label-use 28 – – Zulassungsstatus Antidepressiva 33 – Non-Response 36 – Prävalenz 76 – Praxis, fachärztliche 77 f – Psychotherapie 37 f – soziale 33 – Therapie im Praxissetting 77 f
– Therapieresistenz 37 – Versorgungssituation, aktuelle 76 f Angstsyndrom, pharmakogenes 14 Antidepressiva 15 f – Agoraphobie 32 ff – Interaktion mit Zytostatika 20 – Interaktionspotenzial 16 – Kombination mit Lithium 127 f – Metaanalysen 90 ff – neue 131 – und Neuroleptika, atypische 61 f – Panikstörung 32 ff – Pharmakoökonomie 110 ff – Rezidivprophylaxe 121 f – Suizidalität 100 ff – – Kinder und Jugendliche 106 – Therapiecompliance 129 – trizyklische 15 f – – Angststörung, generalisierte 21 – – Belastungsstörung, posttraumatische 49 f – – Überdosierungstoxizität 103 – Überdosierungstoxizität 103 f – Zulassungsstatus 33 Antidepressiva-Studien, neue 124 f Antihistamine 22 Anxiolytika 55 ASD (acute stress disorder) s. Belastungsstörung, akute AWMF-Leitlinie Angsterkrankungen 30 f
B Bandelow-Skala 27 f Belastungsstörung, akute 39 ff – – Ätiopathogenese 40 – – Epidemiologie 39 – – Pharmakotherapie 43 ff – – und posttraumatische 39 ff
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Sachverzeichnis
Belastungsstörung, akute – – Psychopharmaka 40 f – – Therapiebewertung 55 f – – Verlauf 39 f – posttraumatische – – Ätiopathogenese 40 – – Benzodiazepine 43 – – Berufsgruppen, behandelnde 64 – – und Depression 62 f – – Epidemiologie 39 – – frühe 63 – – Frühphase mit Benzodiazepin 65 – – Hydrokortison 42 – – Kombinationstherapie, primäre 61 f – – Patientenheterogenität 63 – – Pharmakotherapie 43 ff – – Psychotherapie 63 – – – ideale 65 – – Prävention 41 ff – – Psychopharmaka 40 f – – Therapie, medikamentöse, neue 130 f – – Therapiebeginn 64 – – Therapiebewertung 55 f – – Therapieeffekte, unterschiedliche 62 – – Verlauf 39 f Benzodiazepine 15 f – Angststörung, generalisierte 22 – Belastungsstörung, posttraumatische 43, 55, 65 – Depression, angstbesetzte 74 – Panikstörung 34 Betablocker 28 Bupropion – Belastungsstörung, posttraumatische 48 – Morbus Parkinson 19 Buspiron 22
– Belastungsstörung, posttraumatische 46 – versus Escitalopram 26 f Compliance – Antidepressiva 129 – Rezidivprophylaxe 120
C
E
Carbamazepin – Belastungsstörung, posttraumatische 51 – Rezidivprophylaxe 122 f Citalopram
Effektivitätsmarker, Therapie, leitlinienorientierte 68 Entscheidungsbaumanalyse 109 f Escitalopram – versus Citalopram 26 f
D Depression – angstbesetzte 74 – mit Angstsymptomatik 33 – Ausschlussdiagnostik 13 f – Benzodiazepine 74 – Differenzialdiagnostik 13 f – Einteilung 13 – Epidemiologie 13 – Erkrankung, körperliche 16 ff – heterogene 18 – Non-Compliance 1 – pharmakogene 14 – und posttraumatische Belastungsstörung 62 f – Prädisposition, genetische 19 – symptomatisch organische/ somatogene 14 – Therapie 15 ff Depressionsdiagnostik 13 f Depressionssymptome, klassische 13 Deutsche Agentur für Health Technology Assessment (DAHTA) 114 Diagnoserate, versus Kosten 74 f Diagnostik, leitlinienorientierte 74 f Disease-Management-Programm (DMP) 114 Duloxetin – Metaanalysen 94 ff – Wirksamkeit auf körperliche Störung 99
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Sachverzeichnis – Metaanalysen 90 ff – Remissionsraten 94 – Responserate 94 – – ansteigende 99 Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) 65
F Facharzt, Angststörung 77 ff Fatal toxicity index 103 Festbetragsregelungen 112 f Flashback 63 f Fluoxetin 45 Fluvoxamin 46 Fortbildung 79 f
G Gabapentin 52 Gesundheitswesen, deutsches, Pharmakoökonomie 112
H Hamilton-Depressionsskala17 (HAMD) CAVE 94 ff Hausarzt, Angststörung 79 – – generalisierte 29 Herzkrankheit, koronare 16 – – Depression, heterogene 18 Homöopathie 22 Hydrokortison 42
I Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 114 ff
K Kalziumkanalmodulator Pregabalin 22 Kosten – versus Diagnoserate 74 f – direkte 107 f – indirekte 108
135
– intangible 108 – Therapie, leitlinienorientierte 73 f Kosten-Effektivitäts-Analyse (CEA) 109 Kosten-Minimierungs-Analyse (CMA) 109 Kosten-Nutzen-Analyse (CBA) 109 Kupfer 127
L Lamotrigin 52 Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists 31 f Leitlinien – Definition 66 – Effektivität 67 ff – Effizienz 67 – Entwicklung 66 – als Instrument 66 ff – Ziele 67 Leitlinien-Konformität 68 Leitlinien-Wirksamkeit, Messung 71 Lithium 123 – Kombination mit Antidepressiva 127 f – Rezidivprophylaxe 127 f LOCF-(last observation carried forward-)Verfahren 90 ff, 99
M Major Depression – – Rezidivprophylaxe 120 f – – – Therapiemöglichkeiten 122 f – – Rezidivrisiko 121 MAO-Hemmer – Belastungsstörung – – akute 44, 48 ff – – posttraumatische 44, 48 ff – Suizidalität 102 Maprotilin 128 Metaanalyse 81 ff – Antidepressiva, neue 90 ff, 131 – Aspekte, methodologische 131 – Aussagekraft 83 ff – Definition 81 f – Duloxetin 94 ff
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Sachverzeichnis
Metaanalyse – versus Einzelstudie 98 – Evidenzgewinnung 85 f – Kritik, methodologische 131 – Qualitätskriterien 88 f – Status 82 f – Stellenwert 87 ff Mirtazapin 48 MMRM-(Mixed-effects model repeated measures-)Methode 99 Montgomery-Asperg-Depressionsskala (MADRS) 92 f Moodstabilizer 50 ff Morbus Parkinson 16 – – Bupropion 19 – – Neurobiologie 18 Mortalität, Post-Stroke-Depression 18 f
N Nefazodon 47 Neurobiologie, Unterschiede 18 Neuroleptika, atypische – – und Antidepressiva 61 f – – Belastungsstörung, posttraumatische 50, 53 f – – Flashback 63 f Non-Adhärenz s. Non-Compliance Non-Compliance 1 ff – Depression 1 – Faktoren, arztspezifische 5 – – erkrankungsspezifische 4 – – medikamentenspezifische 4 f – – patientenspezifische 3 f – Folgen 2 – Häufigkeit 2 f – komplette 3 – Rezidivprophylaxe 123 – Ursachen 3 – verheimlichte 3 Non-Compliance-Raten 2 f Non-Compliance-Risiko 3 Non-Response, Angststörung 36 Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss 113 f
O Olanzapin 53 f Opiate 55 Opipramol 22 Outcomes 107 – Therapie, leitlinienorientierte Oxcarbazepin 51
68
P Panikstörung – Akutbehandlung 30 – AWMF-Leitlinie 30 f – Behandlung, medikamentöse 30 ff – Langzeitbehandlung 36 – Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists 31 f – Therapie, medikamentöse, neue 130 – Zulassungsstatus Antidepressiva 33 Paroxetin 45 f Patientenheterogenität 63 Pharmakoökonomie 107 ff – Therapie, antidepressive, neue 132 Phenytoin 52 Phobie, soziale 33 Phytotherapeutika 23 Poolanalyse 81 ff – Duloxetin 94 ff – Escitalopram 90 ff Postinfarkt-Depression s. Post-StrokeDepression Post-Stroke-Depression 16 – Mortalität 18 f Prädisposition, genetische 19 Pregabalin 22 Prozessqualität, Therapie, leitlinienorientierte 68 Psychopharmaka, Effekt, desinhibierender 106 Psychopharmakotherapie 15 f Psychotherapie 15 – Angststörung 37 f – Belastungsstörung, posttraumatische 65 PTSD (posttraumatic stress disorder) s. Belastungsstörung, posttraumatische
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Sachverzeichnis
Q Qualitätsmanagement, stationäres Qualitätszirkelarbeit, leitlinienorientierte 70 Quetiapin 54
69 f
R Relapse 37 Remission 37 – Duloxetin 94 f – Escitalopram 94 Response 37 – Escitalopram 94, 99 Review, systematisches 87 Rezidivprophylaxe – Antidepressiva-Studien, neue 124 f – Compliance 120 – Lithium 127 f – Pharmakotherapie 120 ff – Psychoedukation 120 – Störung, depressive 120 ff, 129 f – Verträglichkeit 123 Risperidon 53
S Schizophrenie 75 Sensibilitätsanalyse 109 Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer 47, 103 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 15 f – Angststörung, generalisierte 21 – Belastungsstörung – – akute 43 ff – – posttraumatische 43 ff – Suizidalität – – Erwachsene 102 f – – Kinder und Jugendliche 101 f, 106 – Überdosierungstoxizität 103 Sertralin – Belastungsstörung, posttraumatische 45 – Hochrisikostudie 124 f Somatische Erkrankungen, depressivängstliche Störung 129
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Stimmungsstabilisierer 123 Störung – depressiv-ängstliche und somatische Erkrankung 129 – depressive – – Rezidivprophylaxe 120 ff, 129 f – – Rezidivrisiko 127 Studien – Effektivität von Leitlinien 68 ff – klinische 109 Studiendesign, pharmakoökonomisches 109 f Suizidalität 100 ff – Antidepressiva, neue 132 Suizidprävention 102 f
T Therapie, leitlinienorientierte – – Effektivität 66 ff – – Kostenaspekt 73 f Therapiealgorithmus, leitliniengestützter 75 Therapiecompliance, Verbesserung 5 ff Therapieschema – Compliance 6 – Non-Compliance 4 Tiagabin 52 Topiramat 52 Traumaexposition, Prävention von Psychopathologie 41 ff Trazodon 48 Treatment as usual 75 Trizyklika s. Antidepressiva, trizyklische Tumorerkrankung 16
U Überdosierungstoxizität 103 f – Antidepressiva, neue 132 Überreaktivität, noradrenerge, Reduktion 41 f
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Sachverzeichnis
V
W
Valproat 51 Venlafaxin – Belastungsstörung, posttraumatische 47 – Überdosierungstoxizität 103 Verhaltenstherapie s. Psychotherapie Vollremission 37
Weiterbehandlung, ambulante Weiterbildung 79 f
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Z Zytostatika, Interaktion mit Antidepressiva 20
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