Bettina Fritzsche Pop-Fans
Geschlecht & Gesellschaft Band 31 Herausgegeben von Beate Kortendiek Ilse Lenz Michiko Mae...
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Bettina Fritzsche Pop-Fans
Geschlecht & Gesellschaft Band 31 Herausgegeben von Beate Kortendiek Ilse Lenz Michiko Mae Sigrid Metz-Göckel Michael Meuser Ursula Müller Mechtild Oechsle Birgit Riegraf Paula-Irene Villa Mitbegründet von Marlene Stein-Hilbers (†) Koordination der Buchreihe: Beate Kortendiek, Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Universität Duisburg-Essen
Geschlechterfragen sind Gesellschaftsfragen. Damit gehören sie zu den zentralen Fragen der Sozialwissenschaften; sie spielen auf der Ebene von Subjekten und Interaktionen, von Institutionen und Organisationen, von Diskursen und Policies, von Kultur und Medien sowie auf globaler wie lokaler Ebene eine prominente Rolle. Die Reihe „Geschlecht & Gesellschaft“ veröffentlicht herausragende wissenschaftliche Beiträge, in denen die Impulse der Frauenund Geschlechterforschung für die Sozial- und Kulturwissenschaften dokumentiert werden. Zu den Veröffentlichungen in der Reihe gehören neben Monografien empirischen und theoretischen Zuschnitts Hand- und Lehrbücher sowie Sammelbände. Zudem erscheinen in dieser Buchreihe zentrale Beiträge aus der internationalen Geschlechterforschung in deutschsprachiger Übersetzung. nikationswissenschaft konzipiert.
Bettina Fritzsche
Pop-Fans Studie einer Mädchenkultur 2. Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 2. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16572-1
Inhalt
Danksagung .......................................................................................................... 7 Einleitung ............................................................................................................ 9 Teil A: Die Forschungsperspektive Fan-Kultur an der Schnittstelle von Medienkonsum, kreativem Handeln und der Auseinandersetzung mit Identitätsanforderungen ........................................................................... 1 Der Medienkonsum als Ausgangspunkt der Fan-Kultur ............................. 1.1 Zur Aktivität der Rezeption und Veralltäglichung der Mediennutzung ............................................................................ 1.2 Populärkultur als Ort der Verhandlung medialer Bedeutungen ......... 1.3 Die Funktion symbolischer Ressourcen bei Gemeinschaftsbildungen und Distinktionen in jugendspezi¿schen Populärkulturen .................................................. 2 Fan-Sein als kreatives und kulturelles Handeln .......................................... 2.1 Zur Kreativität und Sinnhaftigkeit kollektiven populärkulturellen Handelns .............................................................. 2.2 Die Hervorbringung von (kulturellen) Realitäten im performativen Handlungsvollzug ................................................. 3 Fankulturelles Handeln als Weg der Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen in der Jugendphase ................................... 3.1 Die iterative Herstellung des Geschlechts ......................................... 3.2 Von abgelenktem Begehren und verkehrten Identi¿zierungen ......... 4 Zusammenfassende Darstellung der Forschungsperspektive ...................... Teil B: Die empirische Untersuchung Alltagspraxis und Erfahrungswissen von Girlgroupund Boygroup-Fans ................................................................................... 1 Methodologie und Methode ........................................................................ 1.1 Rekonstruktive Methodologie und dokumentarische Interpretation ...................................................................................... 1.2 Sampling ............................................................................................ 1.3 Zugang zum Feld und Interviewbedingungen ...................................
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Inhalt 1.4 Interviewdurchführung ....................................................................... 89 1.5 Auswertungsschritte ........................................................................... 93 Fakten und Mythen. Perspektiven auf die mediale Präsentation der ausgewählten Pop-Gruppen .................................................................. 94 Fallbeschreibungen ................................................................................... 105 3.1 Bianca, 12 Jahre: „Ich werd nicht so, schnell Fan jetzt oder so, ich verlieb mich auch nicht schnell.“ ................................. 105 3.2 Antje, knapp 13 Jahre: „Irgendwie isses n Reiz, dass man die nicht so erreichen kann“ ............................................................. 124 3.3 Julia, 15 Jahre: „Ich hab mich halt für mich selber entwickelt und nicht nach DENEN“ ................................................ 141 3.4 Tanja, 17 Jahre: „Ein SPICE GIRL kann ruhig wahnsinnig sein – Hauptsache der Wahnsinn hat Methode“ ............................... 163 3.6 Gruppe ,Die Kleinen‘, 10–12 Jahre: „Also früher war ich mal die Victoria, aber jetzt bin ich die Sportliche“ .......................... 199 3.7 Gruppe ‚Tanz‘, 14–16 Jahre: „Ich tanze nicht mehr Backstreet Boys, das ist peinlich“ .................................................... 212 Dimensionen der Fan-Kultur. Komparative Analyse ................................ 236 4.1 Fan-Sein als Kinder-Kultur .............................................................. 237 4.2 Wege von der Kindheit in die Jugendphase ..................................... 240 4.3 Das Fan-Engagement älterer Jugendlicher ...................................... 245 4.4 Zur Bedeutung milieuspezi¿scher und ethnischer Differenzen in der Fan-Kultur .......................................................... 247
Teil C: Diskussion Die Fan-Kultur von Mädchen als Ort der Verhandlung normativer Anforderungen .................................................................... 1 Beziehungen zu den Stars. Experimentelle Selbstverortungen ................. 2 Beziehungen in der Gleichaltrigengruppe ................................................. Konjunktions- und Distinktionsbewegungen in einer Mädchenkultur ................................................................................. 3 Modi fankultureller Normverhandlungen ................................................. Aktionismen als performative Suchbewegungen, Gefühlsmanagement und kollektive kreative Prozesse ............................. 4 Fazit und Ausblick .....................................................................................
255 259 266 266 272 272 283
Anhang Transkriptionsrichtlinien .................................................................................. 291 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 293
Danksagung
Die vorliegende Studie wurde im Mai 2002 im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin als Dissertation eingereicht. Einen wesentlichen Teil meines Durchhaltevermögens und meiner Freude beim Schreiben sowie wertvolle Anregungen verdanke ich einem Kreis zuverlässiger UnterstützerInnen: Mein Dank gebührt an erster Stelle Hajo Hahn und Anja Tervooren, die mich über den gesamten Zeitraum der Entstehung der Arbeit intellektuell und emotional begleitet und liebevoll unterstützt haben. Beide haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Arbeit in dieser Form entstehen konnte. Mein Betreuer Ralf Bohnsack hat mir mit viel Zutrauen, Humor und zahlreichen Anregungen auf eine Weise geholfen, die bei weitem meine Erwartungen an eine Dissertationsbetreuung überstieg. Ebenso danke ich meiner Betreuerin Mechtild Oechsle, die mich auf den verschlungenen Wegen meiner Erkenntnisprozesse aufmerksam und scharfsinnig begleitete. Jutta Hartmann verdanke ich langjährige fruchtbare Diskussionen und eine gewissenhafte Textlektüre, die die Korrektur so mancher Ungenauigkeit ermöglichte. Kristina Hackmann hat im Rahmen gemeinsamer Tagungsbesuche, Arbeitstreffen und Arbeitsurlaube und eines intensiven regelmäßigen Austausches auf verschiedenen Ebenen einen unvergleichlich inspirierenden EinÀuss auf meine Arbeit gehabt. Corinna Kehlenbecks energische Ratschläge waren in verschiedenen kritischen Situationen eine große Hilfe und Astrid Albrecht-Heides und Christine Holzkamps Ermutigungen eine zentrale Voraussetzung, um überhaupt mit der Promotion beginnen zu können. Viele produktive Gespräche, wichtige Anregungen zu meinem Thema sowie unermüdlichen ermutigenden Zuspruch verdanke ich den Kolleginnen und Professorinnen im Graduiertenkolleg ‚Geschlechterverhältnis und sozialer Wandel‘, in dessen Rahmen ich die Grundzüge meiner Dissertation erarbeiten konnte. Nach Abschluss des Kollegs hatte ich das Glück, im Arbeitsbereich ‚Qualitative Bildungsforschung‘ an der Freien Universität Berlin wertvolle Unterstützung zu ¿ nden. Ich bedanke mich bei Mariesa Becker, Yvonne Gaffer, Isabelle Klar, Arnd-Michael Nohl, Jens Petersen, Karin Schittenhelm, Claudia Streblow, Wivian Weller und insbesondere bei Iris Nentwig-Gesemann, deren sensibler Blick auf
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Danksagung
mein Material mich sehr inspiriert hat. Jutta Buyse danke ich für ihre anregende Begleitung bei Konzertbesuchen. Wichtige Gespräche über mein Thema führte ich mit Susi Bali, Cornelia Bif¿, Eszter Belinszki, Eva Breitenbach, Lyndie Brimstone, Ulrike Hänsch, Sabine Kausträter, Verda Kaya, Christoph Liell, Claudia Nagode, Kerstin Rabenstein, Burkhard Schäffer, Christa Schmalzhaf-Larsen und Christina Schumacher. Ihnen allen verdanke ich wertvolle Hinweise. Die ¿nanzielle Unterstützung des Graduiertenkollegs ,Geschlechterverhältnis und sozialer Wandel‘, des ‚Studienwerks Villigst e. V.‘ und des ‚Programms zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen in Forschung und Lehre‘ hat die unabdingbare materielle Grundlage für die Entstehung der Dissertation geschaffen. Meinen FreundInnen Christoph Börner, Coleen Clement, Anette Dietrich, Chris Freitag, Ele Gentz, Tatjana Glampke, Uli Knüpling, Tupfen Köhler, Feride Lukaj, Bernhard Nievergelt, Sabine Norfolk, Burkhart Person, Eva Schäfer, Corinna Terpitz, meiner Mutter Maya Fritzsche und meinem Bruder Maurice Fritzsche danke ich für ihre Ermutigungen, ihre Geduld und ihren unerschütterlichen Glauben daran, dass es sinnvoll sein kann, sich jahrelang mit Pop-Fans zu beschäftigen. Sie haben auf ganz unterschiedliche Weise zum Gelingen dieses Projektes beigetragen. Eine weitere wichtige Hilfestellung bekam ich von all jenen, die mich an potenzielle Interviewpartnerinnen weiterverwiesen: Carmen, Gerald, Liane, Petra, Renate, Rose, Sigrid, Susanne, Uli, Uta und Verena. (Um die Anonymität meiner Probandinnen gewährleisten zu können, verzichte ich darauf, ihre Nachnamen zu nennen.) Die Offenheit und das Vertrauen der Mädchen, die mich an ihrer Kultur teilhaben ließen, waren die wichtigste Voraussetzung für die im Folgenden dokumentierten Erkenntnisprozesse. Ihnen widme ich diese Arbeit.
Einleitung
„wir sehnen uns, ach ! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen“ Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers „Als Kind dachte ich, sie (meine Mutter) sei eine Imitation von Lana Turner, weil sie dieses Weiblichkeitsideal so offenkundig nachahmte. Ich glaube, meine performative Theorie von ,gender‘ kommt aus der jüdischen Assimilation von Hollywood in der Nachkriegszeit – und aus der Erkenntnis heraus, daß ich selbst dieses Rollenideal nie würde ausfüllen können.“ Judith Butler, Interview im Tagesspiegel, 12.6.1997
In den 1960er Jahren wurde die „Beatlemania“ diagnostiziert, in den 1990er Jahren gab es euphorische Begeisterungsstürme Jugendlicher für „Boygroups“ und „Girlgroups“ und auch in den letzten Jahren konnten sogenannte „TeenieBands“ – in Europa insbesondere TOKIO HOTEL – immer wieder außergewöhnliche Erfolge feiern. Die hingebungsvolle Begeisterung für Idole ist dabei weder ein neues, noch ein geschlechts- oder altersgebundenes Phänomen. Sie spiegelt sich ebenso wider in den Trauerbezeugungen zahlreicher Menschen anlässlich des Todes von Königin Luise im Jahre 1810 wie in den Fan-Webpages zu Berühmtheiten wie Angelina Jolie oder Michael Ballack, wie eben auch im Jubeln der ZuschauerInnen bei Pop-Konzerten. Viele der aktuellen Pop-Gruppen wenden sich allerdings insbesondere an ein jugendliches Publikum und werden in erster Linie über Jugendmedien wie etwa R ADIO NRJ, BRAVO oder VIVA vermarktet. Obwohl sich auch Jungen für Bands wie die sogenannten „Teenie-Bands“ interessieren, ist der Status des Pop-Fans gleichzeitig deutlich weiblich konnotiert: Offensichtlich machen sich mehr Mädchen als Jungen diesen Status zu eigen, vor allem jedoch werden Pop-Fans in der Regel als Kollektiv weiblicher Jugendlicher angesehen und charakterisiert. Nicht nur sprechen die Jugendmedien in diesem Zusammenhang häu¿g von „entfesselten Girls“, ebenso gerne berichtet die bürgerliche Presse in ironisch-distanziertem Tonfall von „kreischenden“ Mädchen, die die entsprechenden Bands umlagern und auch in sozialwissenschaftlichen Annäherungen an das Thema taucht dieses Bild von Pop-Fans als Kinder und Jugendliche weiblichen Geschlechts auf.
B Fritzsche, Pop-Fans, DOI 10.1007/978-3-531-92885-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung
Das Fan-Engagement ist insofern in einem doppelten Sinne als ‚mädchentypisches‘ Interesse zu betrachten: Zum einen beschäftigen sich mehr Mädchen als Jungen intensiv mit Pop-Gruppen, andererseits sind Mädchen (genau wie Jungen) mit der Commonsense-Ansicht konfrontiert, dass eine solche Beschäftigung eben auch typisch für Mädchen ist. Der Status des Pop-Fans ist von vornherein mit geschlechtlicher Bedeutung aufgeladen und es lässt sich annehmen, dass er Auseinandersetzungen mit Anforderungen der Geschlechtsidentität einschließt. Weshalb haben Popgruppen oftmals eine so große Bedeutung für Mädchen, was bedeutet es diesen, Fan zu sein und womit beschäftigen sich weibliche PopFans ? Mit diesen Fragen setzt sich der vorliegende Band auseinander, wobei insbesondere danach gefragt wird, welche Rolle die Fan-Kultur bei Auseinandersetzungen mit Fragen der Identität als weibliche Kinder, beziehungsweise Jugendlichen dient. Ziel ist nicht die Analyse geschlechtstypischer Aspekte des Fan-Seins (hierfür wäre eine vergleichende Studie zu männlichen Fans notwendig), vielmehr soll diese jugendkulturelle Beschäftigung als Möglichkeit für Mädchen in den Blick genommen werden, sich mit Anforderungen der Jugendphase auseinander zu setzen und zwar insbesondere mit jenen Anforderungen, die mit der Geschlechtsidentität verknüpft sind.1 Die Fan-Kultur in diesem Sinne als Mädchenkultur zu untersuchen halte ich insbesondere deshalb für sinnvoll, als die Jugendforschung Mädchen bis heute nur in Ausnahmefällen als kulturelle Akteurinnen in den Blick genommen hat. Der Vorwurf, Jugendforschung sei eigentlich eine Jungenforschung,2 trifft heute allerdings sicherlich nicht mehr zu. Voraussetzung hierfür waren energische Einwände von Seiten der Frauen- und Geschlechterforschung, die seit den siebziger Jahren immer wieder auf die Notwendigkeit hinwies, zum einen die Mädchen stärker in die Forschung mit einzubeziehen und zum anderen die Bedeutung der Geschlechtsidentität bei den Handlungen Jugendlicher zu thematisieren. Eine der frühesten Kritiken in diesem Sinne stammt von Angela McRobbie und Jenny Garber, die in ihrem einschlägigen Artikel ‚Girls and Subcultures‘ (1982, orig. 1976) die Abwesenheit von Mädchen in der bisherigen Jugendforschung analysierten und Vorschläge für eine entsprechende Perspektiverweiterung entwickelten. Die beiden Autorinnen plädierten 1. für eine kritische Re-Lektüre klassischer Jugendstudien im Hinblick auf die erfolgte Ausblendung der Frage nach Geschlecht, 2. für eine stärkere Sensibilisierung für diejenigen Mädchen, die an männlich Die älteren meiner Interviewpartnerinnen lassen sich angemessener als „junge Frauen“ denn als „Mädchen“ bezeichnen. Da diese sich jedoch schwerpunktmäßig über einen Lebensabschnitt äußern, in dem sie selbst sich noch als Mädchen betrachteten, habe ich mich dafür entschieden, in der Regel die verallgemeinernde Bezeichnung „Mädchen“ zu verwenden. 2 Für einen Überblick zur allmählichen ‚Entdeckung der Mädchen‘ in der Jugendforschung vgl. Bilden/Diezinger (1993) sowie Ostner (1986).
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Einleitung
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dominierten Jugendkulturen, wie etwa der Skinhead-Kultur teilhaben und 3. für eine Erforschung möglicher alternativer Kulturformen, die Mädchen untereinander ausgebildet haben. Als Beispiel für letztere benannten sie die Kultur der sogenannten „teeny-bopper“, d. h. derjenigen Jugendlichen, die sich für Pop-Stars begeistern. Im vorliegenden Band greife ich diesen Vorschlag einer unvoreingenommenen und gleichzeitig geschlechtertheoretisch fundierten Untersuchung der Pop-Kultur von Mädchen auf. Zwar ist in den letzten Jahren das sozialwissenschaftliche Interesse an Fans und an populärkulturellen Praktiken gewachsen (vgl. z. B. Hitzler/Pfadenhauer 2008; Roose et al. 2010), Untersuchungen zu Pop-Fans wenden sich jedoch in der Regel nicht der Frage nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht bei deren Engagement zu (vgl. z. B. Krischke-Ramaswamy 2007; Mattig 2009) oder aber sie sind eher populärwissenschaftlicher Art (vgl. Hauk 1999; Janke 1997; Lau 1997). Wie ich im Laufe der Arbeit aufzeigen werde, kann eine offensivere Beachtung der kulturellen Aktivitäten von Mädchen auch im Kontext der Geschlechterforschung interessante neue Perspektiven eröffnen.3 Arbeiten dieses Forschungsbereichs haben aufgezeigt, dass der Übergang von der Kindheit in die Jugendphase für Mädchen in der Regel mit massiven Verunsicherungen und einer Krise des Selbstbewusstseins verbunden ist (vgl. z. B. Flaake 1998). Ohne diese Erkenntnis, die sich in zahlreichen Studien bestätigen konnte, in Frage stellen zu wollen, erscheint es mir dennoch wichtig, ergänzende Analysen durchzuführen, die Mädchen als produktive und lustvolle jugendkulturelle Akteurinnen in den Mittelpunkt stellen, um eine Kategorisierung weiblicher Jugendlicher als per se benachteiligt und passiv zu vermeiden.4 Nur auf diese Weise kann eine befriedigende Antwort auf die Frage gefunden werden, inwiefern eine Zeit der Umbrüche und zunehmenden Eigenständigkeit auch für Mädchen eine Möglichkeit zur Entfaltung kreativer Potenziale bietet (vgl. Flaake/King 1993: 30). Ein Grund für das akademische Misstrauen gegenüber der Kultur von PopFans ist sicherlich auch in ihrer bereits bei Garber und McRobbie (1982, orig. vgl. hierzu ausführlicher: Fritzsche 2010a. Auch Carol Hagemann-White (1998: 28) weist darauf hin, dass bisherigere Untersuchungen nur äußerst selten am Interesse und Engagement von Mädchen (und Jungen) ansetzten. In den letzten Jahren sind allerdings vereinzelte Studien zu ‚mädchentypischen‘ Kulturformen entstanden. Exemplarisch sei hier auf Götz’ (1999) Arbeit zu jugendlichen weiblichen Serien- und Wrestling-Fans, Tillmanns (2008) Untersuchung der Internetnutzung von Mädchen sowie Breitenbachs (2000) und Hackmanns (2003) Forschungen zur Freundschafts- bzw. Gesprächskultur unter Mädchen verwiesen. Auch die Arbeit von Bruhns und Wittmann (2002) zum Gewalthandeln von Mädchen erscheint mir symptomatisch dafür, dass Mädchen in den Sozialwissenschaften zunehmend auch als Akteurinnen wahrgenommen werden. 3
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Einleitung
1976) thematisierten extremen Kommerzialisierung zu suchen, die mittlerweile so weit fortgeschritten ist, dass viele Popgruppen von vornherein im Hinblick auf kommerzielle Interessen zusammengestellt und ausgebildet werden. Vor diesem Hintergrund mögen Fan-Praktiken leicht als „fremdgesteuert“ erscheinen, weshalb ihnen eine Anerkennung als eigenständige Kultur versagt bleibt. Versuche zwischen kommerziell gelenkten kulturellen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen einerseits und deren „authentischer“ Ausdrucksform andererseits zu unterscheiden, sind dabei meines Erachtens heute mehr denn je zum Scheitern verurteilt: Nicht erst seit die „Pokémons“ Einzug in die Schulhöfe hielten, sind kindliche und jugendliche Spiele und Praktiken offensichtlich unlösbar mit der Aneignung medialer und anderer Produkte verbunden. Diese Altersgruppe wird als KonsumentInnen ebenso umworben wie Erwachsene und sie greift in ihren kulturellen Aktivitäten selbstverständlich auf mediale Vorgaben und freizeitindustrielle Konsumgüter zurück. Um die Verzahnung von Mediennutzung und anderen Konsumformen mit kulturellen Praktiken angemessen erfassen zu können, ist jedoch zunächst eine Akzeptanz des Umstandes vonnöten, dass auch (Medien-) Konsumpraktiken Kinder- oder Jugendkulturen mitkonstituieren können, wie dies in der Forschung in der Tradition der britischen Cultural Studies schon lange der Fall ist.5 Der Fokus der vorliegenden Studie, die von 1998 bis 2002 durchgeführt wurde, liegt auf der Auseinandersetzung von weiblichen jugendlichen Fans mit geschlechtlichen Bedeutungen. Aus diesem Grund entschied ich mich dafür, insbesondere die Kultur der Fans von geschlechtshomogenen ‚Boygroups‘ und ‚Girlgroups‘, die Ende der neunziger Jahre zum wichtigen Bestandteil der PopGruppen-Landschaft wurden, zu analysieren. Wie schon der Name sagt, präsentieren Boygroups explizit eine Männlichkeit bzw. ‚Jungenhaftigkeit‘ und werden womöglich auch gerade aufgrund dieser Qualität von ihren Fans ausgewählt. Die zum Zeitraum meiner Erhebung außergewöhnlich erfolgreiche Band SPICE GIRLS (die aktuellen Bands meines Erachtens oft noch immer als Vorlage dient) wiederum wurde mit dem Etikett ‚Girl Power‘ lanciert und vermarktet. Die Vermittlung geschlechtlicher Bedeutungen ist offensichtlich ein ebenso expliziter wie intendierter Bestandteil der Inszenierung dieser Bands.6
Für Arbeiten im deutschsprachigen Raum, die in dieser Tradition stehe vgl. z. B. Mikos 1998, 2010 und Winter 1993, 1995, 1999a,b, 2010. 6 Die in meiner Arbeit vorgestellten Mädchen waren Fans der Bands Backstreet Boys, Spice Girls, Caught In The Act, The Boyz und Echt. Von diesem Gruppen sind heute nur noch die Backstreet Boys aktiv. 5
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Eine empirische Untersuchung der Kultur von Boygroup-Fans und Girlgroup-Fans ist somit Grundlage für die Diskussion der Frage, auf welche Art und Weise die Beschäftigung mit diesen Pop-Gruppen Mädchen ein Forum bieten kann, sich gemeinsam oder auch individuell mit jenen Anforderungen auseinander zu setzen, die mit ihrer Geschlechtsidentität verknüpft sind. Hierbei gehe ich davon aus, dass Heranwachsende heute mit einer Vielzahl durchaus widersprüchlicher gesellschaftlicher Anforderungen konfrontiert sind, wobei auch medial vermittelten Bedeutungen eine wichtige Orientierungsfunktion zukommt. Heute haben Boygroups und Girlgroups nicht mehr den Stellenwert in der Poplandschaft, den sie in den 1990er Jahren besaßen. Allerdings gibt es noch immer zahlreiche beliebte Bands, die nur aus jungen Frauen, bzw. aus jungen Männern bestehen und die über die Jugendmedien vermarktet werden: An dieser Stelle sei nur auf den außergewöhnlichen Erfolg von TOKYO HOTEL in den letzten Jahren verwiesen, sowie auf andere, derzeit von Jugendlichen konsumierte Bands wie MONROSE und SAPHIR. Auch diese Bands repräsentieren verschiedene, teilweise recht holzschnittartige „Typen“ junger Männer und Frauen, die sich nicht bedeutsam von denjenigen der „klassichen“ Boygroups und Girlgroups unterscheiden und ihr Publikum besteht nach wie vor zumeist aus Mädchen (vgl. Wegner 2010: 188). Die seither zu verzeichnenden entscheidenden Veränderungen bei der Inszenierung von Pop-Gruppen lassen sich meines Erachtens nicht im Bereich der Geschlechterrepräsentationen verorten: Im Unterschied zu früher wurden die aktuellen Bands jedoch nicht hinter dem Rücken des Publikums von Castingagenturen erfunden, stattdessen haben sie sich entweder selbst gegründet oder aber wurden in Castingshows zusammengestellt. Während die in meiner Studie relevanten Gruppen noch als „synthetische Bands“ galten, repräsentieren neuere Stars häu¿g vor allem „Authentizität“ und „Unverbrauchtheit“ und sie repräsentieren einen angenehmen Mangel an Perfektion.7 Diese aktuelle Entwicklung in der Medienlandschaft ändert nichts an den zentralen Ergebnissen meiner Studie: Die empirisch rekonstruierte spezi¿sche Form aktionistischer Fan-Praktiken, die komplexen Formen des Gefühlsmanagements, ebenso wie die Bedeutung des Fan-Seins für Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Erwartungen an weibliche Kinder und Jugendliche charakterisieren die Kultur der Fans der 1990er Jahre ebenso wie diejenige heutiger Fans. In der vorliegenden überarbeiteten zweiten AuÀage habe ich einige Verweise auf die angeführten Veränderungen eingefügt und sie im Lichte meiner Ergebnisse reÀektiert. 7 All diese Attribute werden auch der Gewinnerin des European Song Contest 2010, Lena MeyerLandrut bescheinigt.
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Einleitung
Angesichts der Commonsense-Ansichten, die nach wie vor über die Pop-FanKultur kursieren, denen zufolge Angehörige dieser Kultur sich per se unreif und irrational verhalten,8 muss sich eine Analyse dieses Phänomens meines Erachtens mehr noch als jede andere empirische Forschung vorsehen, ein solches Alltagswissen nicht einfach zu reproduzieren. Um dies zu vermeiden und auch aufgrund des explorativen Charakters meiner Studie habe ich mich für eine rekonstruktive empirische Vorgehensweise entschieden. Grundlage meiner Theoriebildung ist in diesem Sinne mein qualitativ erhobenes empirisches Material, dem ich keine Hypothesen voranstelle. Die in rekonstruktiven Forschungen zentrale Orientierung an der Empirie bei der Entwicklung erster Annahmen über den Gegenstand, erfordert einen besonders sensiblen Umgang mit der hinzugezogenen Literatur. Deren Lektüre sollte den Blick auf die Alltagspraxis und das Erfahrungswissen der Erforschten nicht einschränken, weshalb in einem ständigen Wechselspiel zwischen ersten Interpretationen und Literaturrecherchen erst im Verlauf der Forschung entschieden wird, welche metatheoretischen Kategorien sich als dem Gegenstand angemessen erweisen und inwiefern die gegenstandsbezogene Literatur ergänzende Hinweise liefern kann. So wurde mir erst im Zuge erster Auswertungen deutlich, dass das Engagement von Fans nicht angemessen erfasst werden kann, wenn es vorrangig als Phänomen der Mediennutzung betrachtet wird. Offensichtlich gehen Fans zahlreichen Praktiken nach, die sich gegenüber dem Vorgang der Medienrezeption verselbständigt haben, weshalb es sinnvoll ist, eine Untersuchung ihrer Kultur auch handlungstheoretisch zu fundieren. Um die Lesbarkeit der Arbeit zu gewährleisten, habe ich darauf verzichtet, diese komplexen Prozesse der ‚wechselnden Blicke‘ zwischen Empirie und Theorie zu dokumentieren und mich für die folgende Form der Darstellung meiner Ergebnisse entschieden: Im Teil A der Arbeit wird auf der Basis einer Theoriediskussion eine Forschungsperspektive entwickelt, die der Sensibilisierung des Blicks auf das empirische Material dient. Diese Forschungsperspektive wird medientheoretisch und handlungstheoretisch verortet, ferner ziehe ich Ansätze der Geschlechterforschung und der Psychoanalyse heran, auf deren Grundlage sich die Bedeutung von Geschlechter-Normen (und auch anderer Normen) bei Subjektivierungsprozessen in der Jugendphase analysieren lässt. Diese Theoriediskussion dient der Erarbeitung eines theoretischen Handwerkszeugs, das in Teil B der Arbeit bei der Auswertung von sieben exemplarischen Fällen unterstützend herangezogen wird. In diesem ‚Kernteil‘ der Studie wird auch die methodische Vorgehensweise erläutert und ein Überblick über verschiedene (populär-)wissenschaftliche Perspektiven auf die entsprechenden Bands gegeben. Im letzten Teil C schließlich er8
Vgl. hierzu genauer Kapitel A 1.3.
Einleitung
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folgt unter Berücksichtigung der gegenstandsbezogenen Literatur eine Diskussion der empirischen Ergebnisse vor dem Hintergrund der zentralen Fragestellung: Auf welche Art und Weise kann die Fan-Kultur als Forum zur Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen im Zusammenhang mit ihrer Identität als weibliche Kinder, beziehungsweise Jugendliche dienen und wie lassen sich diese Auseinandersetzungen charakterisieren ?
Teil A: Die Forschungsperspektive Fan-Kultur an der Schnittstelle von Medienkonsum, kreativem Handeln und der Auseinandersetzung mit Identitätsanforderungen „I must have been about eleven or twelve when Elvis became for me a full-time preoccupation and hobby. By this age I was able to actively seek out all things Elvis. I saved spending money to buy his records, see his ¿lms, buy fan magazines, and stick posters on my bedroom walls. My closest childhood friend was also an Elvis fan and we would spend hours discussing him, listening to records, and swapping pictures and stories. But mostly my interest in Elvis took the form of a solitary hobby, a private thing between ‚him‘ and me. If I spent large amounts of my time in my (shared) bedroom alone ¿xing pictures in my scrapbook, this was OK because I was absorbed in my ,hobby‘. (…) Most of all he was another human being to whom I could relate and be identi¿ed with. When I felt lonely and totally alone in the world, there was always Elvis. He was a private, special friend who was always there, no matter what, and I didn’t have to share him with anybody. He was someone to care about, to be interested in, and to defend against criticism. (…) remembering conversations with other fans reminds me time and again that very many female and male fans experienced Elvis in this way. For us Elvis the macho superhero might just as well have been another and totally different person, for he certainly wasn’t our Elvis.“ (Sue Wise 1996: 393 ff, Herv.: S. W.)
Was heißt es, ein Pop-Fan zu sein ? Ein Expertentum für diese gelebte Faszination ist, wie das obige Zitat zeigt, durchaus nicht nur der Generation aktueller Fans vorbehalten. Phänomene wie die ,Beatlemania‘ oder die kollektive Begeisterung für Elvis Presley werden heute als zentrale Ereignisse der Pop- und RockGeschichte gehandelt, die jedoch ebenso wie der Boygroup-Enthusiasmus als eine ihrer Nachfolgeerscheinungen meist noch immer mit einer Mischung aus Befremden und Belustigung betrachtet werden. Ihre ReÀexion der eigenen FanVergangenheit wird von Sue Wise dementsprechend einleitend als ,coming out‘ bezeichnet. Nachdem sie jahrelang ihre umfassende Kollektion von Elvis-Alben vor Gästen versteckt oder deren Bedeutung heruntergespielt hatte, wendet sie sich nun offensiv dem Stellenwert von Elvis in der eigenen Biographie zu. Das obige Zitat aus Wises Erinnerungen eignet sich als Ansatzpunkt für erste Überlegungen bezüglich einer sozialwissenschaftlichen Verortung des Fan-Phänomens, da B Fritzsche, Pop-Fans, DOI 10.1007/978-3-531-92885-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Teil A: Die Forschungsperspektive
es zahlreiche Parallelen zu den Erzählungen und Beschreibungen meiner Probandinnen aufweist und zudem wichtige Hinweise auf den Facettenreichtum des Fan-Seins enthält. Wie viele der heutigen Pop-Fans ist Wise elf oder zwölf Jahre alt, als sie beginnt, sich für Elvis zu interessieren und in ihrer Beschreibung des damaligen Engagements verdeutlicht sie dessen Relevanz gerade in dieser frühen Jugendphase. Dank ihrem ,Hobby‘ Elvis kann sie, in Abgrenzung zum Rest der Familie ‚ein Zimmer für sich allein‘ erringen und ¿ndet gleichzeitig einen gemeinsamen Bezugspunkt mit Gleichaltrigen. Elvis ist für sie ebenso Mittel zur Abgrenzung und Individuierung als auch ein ständiger Begleiter, der sie ihre Einsamkeit besser ertragen lässt. Ihre Beschäftigung mit dem Star dient ihr offensichtlich als Mittel zur Aushandlung wichtiger Anforderungen, die sich aus ihrer aktuellen Lebenssituation ergeben. Das Fan-Sein umfasst dabei in ihrer Beschreibung mehrere Dimensionen: Es manifestiert sich in verschiedenen Aktivitäten, die häu¿g, jedoch nicht nur, Tätigkeiten des Konsums oder des Medienkonsums sind. Fan von Elvis zu sein bezieht in ihrer Beschreibung darüber hinaus bestimmte psychische Prozesse mit ein, sie identi¿ziert sich mit ihm, er dient ihr jedoch auch als ‚special friend‘, den sie als unterstützend emp¿ndet. Schließlich involviert der Fan-Status eine Auseinandersetzung mit medial vermittelten Informationen über Elvis. Trotz ihres regen Konsums dieser Informationen beschreibt Wise ihre eigene Lesart hierbei als eigenständig, nahezu unabhängig von dem vorherrschenden MedienImage. Im Gegensatz zu dem sexualisierten, hypermaskulinen Bild von ‚Elvis the pelvis‘ ist der von ihr und auch anderen Fans wahrgenommene Elvis eine eher asexuelle, weiche und harmlose Gestalt (an anderer Stelle charakterisiert sie ihn als ‚teddy bear‘). Diese fan-biographische Skizze bietet fruchtbare Anregungen für einen sozialwissenschaftlichen Blick auf Pop-Fans, der über die Ebene der Befremdung und der Belustigung hinausreichen soll. Die verschiedenen Dimensionen des Fan-Seins, die in Wises Beschreibung angedeutet werden, verlangen meines Erachtens auch eine mehrgleisige theoretische Verortung einer differenzierten Herangehensweise an dieses Thema. Im Folgenden werde ich kurz darstellen, welche theoretischen Zugänge ich im Kontext meiner Studie für sinnvoll erachte und in Teil A erörtern werde: ƒ
Wenn Wise auch betont, ein eigenes Bild von Elvis entwickelt zu haben, so sind Fans dennoch zunächst auf die Rezeption medial vermittelter StarImages angewiesen, um diese dann gegebenenfalls eigenständig ,umarbeiten‘ zu können. Eine genaue Analyse dieses Moments der Eigenwilligkeit bei der Lesart medialer Texte und Bilder erfordert die medientheoretische Verortung einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung des Fan-Phänomens (A 1.).
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Der Medienkonsum als Ausgangspunkt der Fan-Kultur
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Die Mediennutzung von Fans ist in Wises Beschreibung eng mit der Ebene konkreter Praktiken wie etwa dem Aufhängen von Postern oder auch dem Austausch mit ihrer Freundin verknüpft. Eine Untersuchung der Funktion dieser Praktiken in ihrer individuellen sowie ihrer gemeinschaftsbildenden und kollektiven Ausprägung setzt eine handlungstheoretische Verankerung meiner Analyse voraus (A 2.). Wises Ausführungen deuten darauf hin, dass das Fan-Sein im Dienste der Verhandlungen spezi¿scher Anforderungen der Jugendphase steht. Abgesehen von der in ihrer Beschreibung erwähnten Abgrenzungsmöglichkeit gegenüber dem familiären Umfeld, die sich durch das Fan-Sein eröffnet, lässt sich vermuten, dass dieses auch ein Forum zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anforderungen bietet, die mit Fragen der Geschlechtsidentität verbunden sind. Ebenso wie Elvis das Image des ‚macho superhero‘ verkörpert, sind Symbolisierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie des Geschlechterverhältnisses auch in den Inszenierungen von Boygroups und Girlgroups ein zentrales Element. Ein primäres Anliegen meiner Studie ist in diesem Sinne die Untersuchung der ‚Anwendungen‘ dieser Symbolisierungen im Kontext der Praktiken und Auseinandersetzungen jugendlicher Fans. Die dritte Säule meiner theoretischen Verortung sind dementsprechend Ansätze der Geschlechterforschung und der Psychoanalyse, auf deren Grundlage sich die Bedeutung von Geschlechter-Normen (und auch anderer Normen) bei Subjektivierungsprozessen in der Jugendphase analysieren lässt (A 3.). Der Medienkonsum als Ausgangspunkt der Fan-Kultur
Die Begeisterung von Fans für eine ausgewählte Popgruppe ist notwendig gebunden an die stetige mediale Vermittlung von deren Produkten sowie von weiteren Informationen und Bildern. Allein ihr Interesse für Stars kennzeichnet sie als Kinder des Medienzeitalters, da das Starwesen in seiner Entstehung und Ausbreitung stets an die Entwicklung der Medien geknüpft gewesen ist: Die Geburtsstunde der Stars schlug mit dem Aufstieg der Fotokultur in der Mitte des 19. Jahrhunderts und spätestens seit der Etablierung des Kinos sind sie als fester Bestandteil der sogenannten ‚Massenkultur‘ anzusehen (vgl. Solomon-Godeau 1994). Wenngleich es auch vorher schon Berühmtheiten gab, so konnten diese doch immer nur einigen Privilegierten bekannt sein, die heutigen Megastars bevölkern jedoch bis über die Grenzen der Industrienationen hinaus die Phantasien unzähliger Menschen jeglichen Alters und aus allen Gesellschaftsschichten. Die mittlerweile mögliche massenhafte Verbreitung des Bild- und Informationsmaterials über Idole hat ne-
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Teil A: Die Forschungsperspektive
ben der Vergrößerung ihres Ruhmes auch ihre Konsumierbarkeit zur Folge sowie die Chance für alle, sie kennen zu lernen und sich anzueignen. Popfan-Sein bedeutet insofern MedienkonsumentIn zu sein. Eine De¿nition dieses Fantums als Variante der Mediennutzung scheint gleichwohl zu kurz zu greifen, da viele der bekannten Fan-Aktivitäten offensichtlich kaum noch auf die Medien rekurrieren: Kann man das Aufhängen von SPICE GIRLS-Postern noch im weiteren Sinne als Medienkonsum fassen, so zählen das Schreiben von Gedichten, die dem Star gewidmet sind und das Warten vor dessen Hotel jedoch eindeutig nicht mehr dazu. Diese Uneindeutigkeit der medialen Bezugspunkte vieler FanAktivitäten ist symptomatisch für eine ‚mediengesättigte‘ Welt, in der Forschungen zur Mediennutzung ganz neuen Anforderungen ausgesetzt sind: War es zu Zeiten der ‚radio days‘9 noch üblich, sich andächtig lauschend um das Medium herumzugruppieren, so lernen wir heute den neuen Hit von Robbie Williams beim Einkaufen im Supermarkt kennen und können beim Warten auf den Zug in der Bahnhofshalle ein aktuelles Fußballspiel verfolgen. Weder ist eindeutig, welche Situation eine Rezeptionssituation ist, noch, wer wann als RezipientIn betrachtet werden kann. Ebenso wenig ist klar benennbar, was sich als Medienprodukt bezeichnen lässt. Wurde bereits Ende der achtziger Jahre von ‚Batman‘ als dem ‚Film zum T-Shirt‘ gesprochen, so lassen sich heute Phänomene wie die Reality Soap ‚Big Brother‘ am ehesten als ‚Medienarrangement‘ beschreiben, das neben dem TV-Film auch Computerspiele, Zeitschriften und Sammelkärtchen umfasst und immer auch in bestimmte Lifestyle-Szenen eingebunden ist (Bachmair 1996: 19). Fällt das Tauschen von Pokémon-Karten noch in den Zuständigkeitsbereich der Medienforschung ? Zahlreiche Alltagspraktiken rekurrieren hierbei zwar teilweise auf die Medien, weisen jedoch durchaus auch eine Eigenständigkeit auf. Die eingangs von Sue Wise beschriebenen Fan-Praktiken machen deutlich, dass es sich beim Star- beziehungsweise Fan-Phänomen um ein ebenso typisches wie frühes Medienarrangement handelt. Während bereits Elvis-Fans unterschiedliche Medien und Produkte konsumierten, können heutige Fans auf ein wesentlich weitgefächerteres und geradezu uferloses kommerzielles Angebot zurückgreifen. Diesem offenbar in Bezug auf das Fan-Sein sehr wichtigen Aspekt der Einbindung von Medien in bestimmte Alltagspraktiken wird im Folgenden unter Hinzuziehung verschiedener Ansätze der Mediennutzungsforschung ausführlich nachgegangen. In Teil 1.1 diskutiere ich zunächst qualitative Ansätze der Medienforschung, in deren Rahmen die aktive und kreative Seite der Rezeption herausgestellt wird. Hieran anknüpfend werde ich die Cultural Studies in der Tradition des Centre for Contemporary Cultural Studies als eine Forschungsrichtung vorstellen, 9
Vgl. den gleichnamigen Film von Woody Allen (1986).
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die Mediennutzung explizit als Bestandteil von Alltagskultur in den Blick nimmt. Sowohl die in diesem Kontext erfolgte Medienforschung (1.2) als auch die Jugendstudien der Cultural Studies (1.3) werden im Hinblick auf ihre Theoretisierung der Medien als Bestandteil der Alltagskultur Jugendlicher untersucht. 1.1 Zur Aktivität der Rezeption und Veralltäglichung der Mediennutzung Eine Emanzipation von der im deutschsprachigen Raum bis in die achtziger Jahre vorherrschenden Theoretisierung der Medienrezeption im Sinne einer einseitigen Wirkung der Medien auf ihre RezipientInnen konnte insbesondere dank der Entwicklung einer qualitativen Medienforschung erfolgen.10 Stefan Aufenanger (1995: 225) benennt verschiedene gemeinsame Leitlinien der in deren Rahmen entstandenen Ansätze: Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass Mediennutzung und Rezeptionssituation in soziale Interaktionen eingebettet seien und selbst als eine Handlungssituation gesehen werden müssen. Darüber hinaus vertreten sie eine Perspektive auf die RezipientInnen als aktive Subjekte und den Anspruch, im Forschungsprozess den Umstand zu berücksichtigen, dass die Medien Teil einer komplexen Lebenswelt sind. Ein in der deutschsprachigen Diskussion richtungsweisendes Modell in diesem Kontext ist die von der Arbeitsgruppe um Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun entwickelte strukturanalytische Rezeptionsforschung. Die Autoren charakterisieren Massenkommunikation als soziales Handeln und betrachten Rezeption als abhängig von ihrem aktuellen Kontext sowie den Bedürfnissen der RezipientInnen und deren kognitiver und sozialer Kompetenz (Charlton 1997: 23). Als integraler Bestandteil des Rezeptionsprozesses werden dabei die ‚handlungsleitenden Themen‘ der RezipientInnen gefasst, die sowohl die Auswahl als auch das Verständnis des Medienangebotes beeinÀussen. Diese ergeben sich aus den Anforderungen einer bestimmten Lebensphase, den Orientierungen der Einzelnen und kritischen Lebensereignissen. Methodisch bedient sich die strukturanalytische Rezeptionsforschung rekonstruktiver Verfahren, wobei sie sich insbesondere auf die strukturale (beziehungsweise objektive) Hermeneutik bezieht. Die rekonstruktive Methode wird hierbei als geeignetes Mittel betrachtet, die Rezeptionshandlung nicht aus Kausalgesetzen heraus zu erklären, sondern stattdessen unter Bezug auf die Kompetenz der Akteure zu rekonstruieren. Zentrales Forschungsziel ist die Suche nach den Regeln, nach denen Menschen „konstruktiv-realitätsverarbeitend“ mit den Medien umgehen (Neumann-Braun/Schneider 1993: 197). 10 Aufenanger (1995: 221). Zur Kritik an der Medienwirkungsforschung vgl. beispielsweise Moser (1999: 133 ff) sowie Vogelgesang (1991: 81 ff).
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Ungeachtet der Fruchtbarkeit des Ansatzes bezüglich dieser Fragestellung kann er über die verschiedenen Aktivitäten der Fans jedoch meines Erachtens nur bedingt Aufschluss geben, da er den Fokus auf die Rezeptionssituation und die Aneignung von Medienbotschaften legt. Idealerweise wird die Forschung zur Mediennutzung hierbei mit einer Produktanalyse verbunden, deren Resultate den subjektiven Interpretationen der RezipientInnen gegenübergestellt werden (Neumann-Braun/Schneider 1993). Die „objektive Sinnstruktur des Medienprodukts“ wird beschrieben als „Lesart, die ein durchschnittlicher Erwachsener in der Beschäftigung mit dem Angebot von diesem entwickelt“ (a. a. O.: 197). Abgesehen von der sich aufdrängenden Frage, nach welchen Kriterien die Durchschnittlichkeit dieses Erwachsenen bemessen wird, dient die Konstruktion der objektiven Sinnstruktur eines Mediums hier als Interpretationsfolie für die subjektive Mediennutzung, wodurch meines Erachtens die Praktiken, die mit dieser einhergehen, nicht in ihrer Selbstläu¿gkeit und Eigenständigkeit erfasst werden können.11 Die strukturanalytische Rezeptionsforschung ermutigt jedoch dazu, Mediennutzung als Handlung zu verstehen und vermag für den Umstand zu sensibilisieren, dass diese je nach der individuellen Situation der RezipientInnen ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Seit Anfang der achtziger Jahre rückte die zunehmende Durchdringung von Mediennutzung und Alltagskultur immer mehr in das Blickfeld der Medienforschung (vgl. Vogelgesang 1991: 93). Ebenso frühzeitig wie konsequent wurde die Integration von Medien in den Alltag in den verschiedenen Arbeiten von Ben Bachmair und dessen MitarbeiterInnen thematisiert, die wie die strukturanalytische Rezeptionsforschung von Michael Charlton unter der Kategorie ‚handlungstheoretische Rezeptionsforschung‘ eingeordnet werden (Charlton 1997: 22). Bachmair emp¿ehlt einen empirischen Zugang zur Rezeption nicht auf die Rezeptionssituation selbst zu beschränken, sondern stattdessen mittels einer Beobachtung von Alltagssituationen zu erforschen, in welcher Funktion Medienerlebnisse dort auftauchen (Bachmair 1984: 11). In den zu dieser Fragestellung entstandenen empirischen Untersuchungen wurden verschiedene methodische Zugänge gewählt und unter anderem auch das Phänomen der Medienarrangements am Beispiel von Wrestling (Bachmair/Kress 1996) in den Blick genommen. Gerade in dieser Studie werden auch Praktiken wie der Besuch von Life-Events oder das Schreiben von Fan-Post berücksichtigt, die zwar durch die Rezeption initiiert wurden, von einer reinen ‚Rezeptionsforschung‘ jedoch nicht erfasst werden können. Es handelt sich insofern um eine Forschungsrichtung, die sowohl den „Konsumaspekt Auch Götz (1999: 18) weist darauf hin, dass die strukturanalytische Rezeptionsforschung lediglich die gezielte Rezeption im Blick hat, nicht jedoch die beiläu¿ge. Zur Kritik an der Konzeption einer ‚objektiven Sinnstruktur‘ eines Medienproduktes vgl. auch Bohnsack (2009) und Mikos (1998). 11
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der Massenkommunikation“ (Bachmair 1993: 51) als auch die Möglichkeit einer Funktionalisierung von Medienerlebnissen im Dienste alltagsrelevanter Themen (wie der Interaktion in der peer-group) berücksichtigt. Im Anschluss an Bachmair lassen sich die hier interessierenden TeenieBands als Medienarrangement beschreiben, das nicht nur durch viele verschiedene Medien (Fernsehen, Radio, Zeitschriften, Internet usw.) zugänglich ist und zahlreiche Konsumartikel (BACKSTREET BOYS-Badelaken etc.) umfasst, sondern sich auch in Institutionen wie Fan-Clubs artikuliert, die von RezipientInnen geschaffen wurden. Jedoch richtet sich bei diesem Ansatz das zentrale Forschungsinteresse auf die Identi¿kation von ‚Medienspuren‘ (a. a. O.: 49) oder auch auf die Verbindung von Handlungsmustern mit Medienerlebnissen und ‚Mediensymbolik‘ (Bachmair 1990: 72). Eine solche Forschungsperspektive erscheint mir in Bezug auf meine Fragestellung insofern unzureichend, als sie Praktiken wie den erwähnten Fan-Aktivitäten erst im Rahmen der Medienrezeption eine Bedeutung zugesteht. Ich möchte jedoch weitergehend danach fragen, wie es möglich ist, solche Praktiken in ihrer Verselbständigung gegenüber der Mediennutzungssituation und in Bezug auf die ihnen eigene Sinnhaftigkeit zu analysieren. Insbesondere seit Erscheinen des von den Sprachwissenschaftlern Werner Holly und Ulrich Püschel herausgegebenen Sammelbandes „Medienrezeption als Aneignung“ (1993) konnte sich in der deutschsprachigen Diskussion der Begriff der Medienaneignung etablieren, der an eine aktive Mediennutzung denken lässt, die nicht nur auf den Rezeptionsakt beschränkt bleibt. Tatsächlich wird in den Beiträgen des Bandes häu¿g betont, es gehe um die Untersuchung „einer ganzen Reihe von kommunikativen Akten und sozialen Handlungen“ (Charlton 1993: 11), womit das angesprochene Moment der Verselbständigung von Handlungen mit medialem Bezug in den Blick rückt. Allerdings fokussieren konkrete Analysen dann zumeist ein Handeln auf sprachlicher Ebene (wie etwa Gespräche im Anschluss an einen gemeinsamen Fernsehabend), wodurch die Praktiken, die im Anschluss an Mediennutzungssituationen entstehen können, nicht in ihrer Komplexität theoretisiert werden. Hilfreich erscheint mir in diesem Zusammenhang der im selben Sammelband formulierte Hinweis Rainer Winters, die Medienaneignung müsse in ihrer kulturellen Einbettung berücksichtigt werden (vgl. Winter 1993: 67)12. Als einen Forschungsbereich, der insbesondere die kulturelle Dimension der Medienkommunikation und deren Integration in sozial strukturierte Kontexte in den Blick
12 Ähnlich argumentiert Mikos (2010: 42) demzufolge die Bedeutung, die Medien im Alltag von Jugendlichen spielen, sich erst in deren Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwel ergibt.
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nimmt, benennt Winter die Cultural Studies in der Tradition des Birmingham Centres for Contemporary Cultural Studies.13 1.2 Populärkultur als Ort der Verhandlung medialer Bedeutungen Der Ansatz der Cultural Studies versteht sich ebenso als Kulturanalyse wie als Kulturkritik, wobei Kultur nicht als in sich statisches oder isoliertes System betrachtet wird, sondern als widersprüchlicher und umkämpfter dynamischer Kontext, der immer auch von Machtverhältnissen strukturiert ist. Kultur umfasst nicht nur bestimmte Objekte, Produkte oder Wissensbestände, sondern zieht sich auch durch sämtliche soziale Praktiken.14 Eine in diesem Sinne verstandene Kulturanalyse kann sich nicht auf Produkte der Hochkultur, wie etwa hohe Literatur oder Denkmäler beschränken, sondern bezieht notwendig die ‚popular culture‘ mit ein. Der Begriff der popular culture, der üblicherweise mit Populärkultur übersetzt wird, taucht bereits bei sehr frühen Cultural Studies-Theoretikern auf.15 So wandte sich etwa Richard Hoggard mit seinem einÀussreichen Werk ‚The Uses of Literacy‘ (1957) explizit der Kultur der ‚working class‘ zu (z. B. Blaskapellen und Gesangsvereinen) und untersuchte sie als popular culture. Indem er diese Erscheinungsweisen der Populärkultur in den Mittelpunkt seines Interesses stellte, setzte sich Hoggart über die damals übliche Unterscheidung zwischen Hochkultur und Massenkultur hinweg und unterschied stattdessen zwischen Populärkultur und Massenkultur (vgl. Lindner 2000: 42). Die hier aufgemachte Dichotomie zwischen einer als ‚organisch‘ verstandenen Populärkultur der Arbeiterklasse und einer vorwiegend US-amerikanisch geprägten Massenkultur, der Hoggart minderen ästhetischen Wert bescheinigt, stellten spätere Cultural Studies-Arbeiten jedoch in Frage. Die in diesem Forschungsbereich zentrale Kritik an elitären Kulturde¿nitionen impliziert eine Hinwendung zu den kreativen Prozessen einer Alltagskultur, welche sich mit einem Verständnis der Mediennutzung als passivem und womöglich verdummendem Vorgang auf Dauer nicht in Einklang bringen ließ. Im Zuge der Kritik an gesellschaftlichen Machtverhältnissen werden die Medien jedoch auch als Ort der Reproduktion dominanter Ideologien und aktueller Machtverhältnisse betrachtet.
Neben dem Kulturkonzept von Clifford Geertz sind die Cultural Studies auch entscheidender theoretischer Bezugspunkt in Winters eigener Forschung zur ‚Medienspezialkultur‘ der Fans von Horror-Videos, vgl. Winter (1995). 14 Zum Kulturbegriff der Cultural Studies vgl. auch Winter (1999a und 1999b). 15 Für eine aktuelle ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Populärkultur und deren theoretischen Hintergründen vgl. Hecken (2007). 13
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Die Auseinandersetzung innerhalb der Cultural Studies mit dem Ideologiebegriff war insbesondere inspiriert durch die Rezeption der Theorien Gramscis und Althussers, die marxistisch orientiert sind, jedoch ein monokausales BasisÜberbau Modell zu überwinden suchen. Althussers (1977) Überlegungen zur Ideologie zufolge handelt es sich bei dieser nicht um ein fest umrissenes Gedankengebäude, das die Mächtigen als ‚falsches Bewusstsein‘ an die Machtlosen vermitteln. Stattdessen durchdringt die dominante Ideologie einer Gesellschaft deren Sprache und Kultur und stellt somit den Rahmen dar, innerhalb dessen wir die materiellen Bedingungen unseres Lebens interpretieren und erfahren. Ideologie wirkt dementsprechend im Unbewussten, sie lebt gerade in all jenen Praktiken und Strukturen, die wir für selbstverständlich halten. Neben den Schulen und anderen Institutionen gehören die Medien zu den zentralen Orten der Produktion und Reproduktion dieses Commonsenses, der scheinbar ‚objektiv‘ ist, tatsächlich jedoch dazu dient, gesellschaftliche Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten.16 Eine mit der Mediennutzung verbundene Populärkultur kann in diesem Sinne nicht als per se kreativ oder produktiv verstanden werden. Tony Bennett beschreibt, dass Formen und Praktiken dieser Kultur sich stattdessen in einem Terrain bewegen, wo dominante, untergeordnete und oppositionelle kulturelle Werte und Ideologien sich begegnen und vermischen: „it consists not of two separated compartments – a pure and spontaneously oppositional culture ‚of the people‘ and a totally administered culture ‚for the people‘ – but is located in the points of conÀuence between these opposing tendencies“ (Bennett 1986:19).
Die Situiertheit der Populärkultur in diesem Spannungsfeld ist ein sehr wichtiger Aspekt, der bei der Verwendung des Begriffes stets berücksichtigt werden sollte. So wurde beispielsweise den popular culture-Analysen von John Fiske (vgl. beispielsweise Fiske 1991) häu¿g eine ‚populistische‘ Sichtweise vorgeworfen, derzufolge Populärkultur sich stets widerständig gegenüber einer dominanten Ideologie verhält. Douglas Kellner (1995: 34 f) argumentiert, der Begriff der Populärkultur selbst lege Missverständnisse nahe, da er die Unterscheidung zwischen einer Kultur, die von den Menschen produziert wird und einer industriell gefertigten Massenkultur verwische. Demgegenüber lässt sich einwenden, dass es zunehmend schwierig wird, kulturelle Aktivitäten zu identi¿zieren, die unbeeinÀusst von den Massenmedien sind. Ein großer Vorteil des Begriffes liegt meines Erachtens darin, dass er die Nutzung der Massenkultur als aktiven und kulturellen Akt charakterisiert und 16
Zu Althussers Ideologietheorie vgl. auch Teil A 3.1.
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die Verwobenheit von Medienkonsum und Alltagskultur zu beschreiben vermag. Es ist jedoch sicherlich wichtig, sich sowohl der kreativen Seite dieser Kultur als auch der Grenzen dieser Kreativität stets bewusst zu sein.17 Ein Analyseinstrument, dass sowohl der Kreativität der Mediennutzung als auch dem Moment der Vermittlung dominanter Ideologien durch die Medien gerecht werden sollte, wurde im Cultural Studies-Kontext erstmals mit Stuart Halls encoding/decoding-Modell (1999a, orig. 1973) vorgestellt. Hall vertritt die These, dass Medien die Realität nicht repräsentieren, sondern bestimmte De¿nitionen und Bedeutungen über die Realität produzieren (vgl. auch Hall 1982). Diese Bedeutungen transportieren zwar dominante Ideologien, sind jedoch aufgrund der ‚polysemen Natur der Sprache‘ (a. a. O.: 77) in sich uneinheitlich, weshalb Medienkommunikation eher als Kampf um Bedeutungen denn als Bedeutungstransfer verstanden wird: Verschiedene soziale Gruppen können den medial vermittelten Bedeutungen eines Ereignisses ihre eigenen Lesarten entgegensetzen. Ebenso wie die deutschsprachige qualitative Mediennutzungsforschung geht Hall insofern von einem aktiven und kreativen Vorgang der Rezeption aus.18 Wie ein medialer Text interpretiert wird, hängt immer davon ab, wer sich mit diesem auseinander setzt und in welchem sozialen Kontext die Rezeption erfolgt. Bezüglich der hier interessierenden Frage nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht bei der medialen Vermittlung ergeben sich aus Halls Überlegungen folgende Schlussfolgerungen: Medien spiegeln nicht ‚reale‘ Geschlechterverhältnisse wider, sondern stellen vielmehr einen Ort der Erzeugung geschlechtlicher Bedeutungen dar. Diese Bedeutungen sind dabei keineswegs neutral oder unschuldig, sondern transportieren häu¿g dominante Ideologien, wenn sie hierbei auch ‚polysem‘ sind und in sich widersprüchlich sein können. Auf der Grundlage empirischer Analysen von Medieninhalten konnte in zahlreichen Studien immer wieder die in diesem Bereich fortgesetzte Reproduktion stereotyper und traditioneller Geschlechtszuschreibungen herausgearbeitet werden. So weist etwa Monika Weiderer (1993) in ihrer Analyse der Darstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit in drei Fernsehprogrammen nach, dass Frauen im Vergleich zu Männern sowohl unterrepräsentiert sind, als auch weit mehr auf Attribute äußerlicher Attraktivität und ein eingeschränktes Verhaltensrepertoire festgelegt, das Auch Bennett (1980: 18) warnt in einem früheren Artikel vor der Unschärfe des popular culture Begriffs („The critical point here consists in the inherent ,slipperiness‘ of the relational properties inscribed within the term.“). Er vertritt jedoch die Position, dass dieser unter der Voraussetzung einer kritischen Rede¿nition, die seine Bedeutungsvielfalt einschränke, durchaus fruchtbar sein könne. 18 Ein wichtiger Unterschied zwischen Halls Überlegungen und der strukturanalytischen Rezeptionsforschung besteht jedoch darin, dass letztere die Medien der Realität gegenüberstellen, indem sie sie als potenzielles Instrument zur Realitätsverarbeitung betrachten, während Hall die Medien als Mitkonstituenten der Realität betrachtet. 17
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durch Freundlichkeit, Zurückhaltung und HilÀosigkeit gekennzeichnet ist. Eine ähnliche Diagnose wird auch in vielen späteren Studien gestellt.19 Vor dem Hintergrund von Halls Überlegungen lassen sich diese Darstellungen des Geschlechterverhältnisses als Reproduktion einer Ideologie lesen, die Frauen im Verhältnis zu Männern einen machtloseren und abhängigeren Status zuweist. Eine Perspektive auf Medien als Produktionsstätte geschlechtlicher Bedeutungen konnte sich in den letzten Jahren in der feministischen Kommunikationsforschung zunehmend gegenüber einer reinen ‚Repräsentationskritik‘ durchsetzen.20 Die in Halls Modell hervorgehobene Wichtigkeit des jeweiligen sozialen Kontextes der MediennutzerInnen auf die Art und Weise ihrer Rezeption ermutigte ferner Forschungen im Bereich der ‚audience studies‘ dazu, auch verstärkt deren Geschlechtszugehörigkeit in den Blick zu nehmen.21 Rückblickend lässt sich konstatieren, dass die den RezipientInnen im encoding/decodingModell zugestandene Aktivität und gleichzeitige Berücksichtigung ihrer sozialen Kontexte die Möglichkeit zu zahlreichen qualitativen Studien eröffnete, in denen untersucht wurde, wie unterschiedliche soziale Gruppierungen ausgewählte populäre Texte interpretieren. Interessanterweise thematisieren einige dieser empirischen Arbeiten das Problem der begrenzten Reichweite einer Forschungsperspektive, die sich lediglich auf Interpretationsprozesse richtet. Ein Grund dafür, dass Halls Versuch der Theoretisierung von Kommunikationsprozessen schnell als unzureichend erschien, liegt sicherlich in der den Cultural Studies eigenen Sensibilität für alltagskulturelle Praktiken und deren Einbindung in bestimmte Machtverhältnisse. So stellt etwa Janice Radway (1987) in ihrer Befragung von Leserinnen von Liebesromanen fest, dass für diese neben der Interpretation der gewählten Texte vor allem der Akt des Lesens selbst und dessen Funktion in ihrem Alltag von größter Bedeutung ist: Der Griff zum Liebesroman bietet ihnen die Möglichkeit, sich innerlich und äußerlich von den Anforderungen der Umgebung abzuschirmen und sich einen Raum zu schaffen, indem sie frei von den Strapazen der Reproduktionsarbeit andere Welten kennen lernen können. Radway konstatiert demzuVgl. Mühlen-Achs’ (1997) Analyse der Jugendzeitschrift Bravo; Röser/Kroll (1995) zur Sexualisierung des weiblichen Körpers und der Gewalt gegen Frauen; Schmerl (1992) zur Werbung und Theunerts (1995) Studie zu Cartoons. Die Einschätzung Schmerls von 1984, derzufolge das Mädchenbild im Kinderfernsehen dem medialen Frauenbild weitgehend entspricht, wobei Mädchen sowohl im Vergleich zu erwachsenen Frauen als auch zu den dargestellten Jungen¿guren langweiliger und unbedeutender wirken, wird auch in neueren Veröffentlichungen eine ungebrochene Gültigkeit eingeräumt. Zu dieser Einschätzung vgl. Gangloff (2007); Luca (1998a) sowie Mühlen-Achs (1995). 20 Vgl. beispielsweise Ang/Hermes (1994); Angerer/Dorer (1994) und (1996); van Zoonen (1996). Zum Begriff der Repräsentationskritik vgl. Angerer/Dorer (1996: 62 f). 21 Hall selbst bezieht sich in seinen frühen Texten zum encoding/decoding-Modell allerdings eher auf klassenspezi¿sche Unterschiede. 19
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folge die Notwendigkeit, analytisch zwischen dem Ereignis des Lesens und der Bedeutung des Textes zu unterscheiden und formuliert in einem späteren Text die folgende Methodenkritik: „… in so constructing the circuit of exchange as the crucial site of ¿eld for research, we inevitably begin by assuming that individuals in the audience are already stitched into a particular kind of relation with the speaker or writer. Consequently we limit the kinds of questions that might be asked about the individuals so conceived. Because they appear in our discourse only as the receivers of messages which are themselves both temporally and theoretically privileged, those individuals are rarely if ever presented as active subjects, let alone as producers of culture.“ (Radway 1988: 361 f)22
Ähnlich argumentiert die Medientheoretikerin Ien Ang, die in mehreren Artikeln für eine kulturtheoretisch orientierte Rezeptionsforschung eintritt, welche von einer grundsätzlichen Einbettung des Medienkonsums in das Alltagsleben ausgehen müsse.23 Ang schlägt vor, Rezeptionsprozesse als integralen Bestandteil populärkultureller Praktiken zu begreifen, durch die sich sowohl Mikro- als auch Makroprozesse artikulieren (vgl. Ang 1999a: 323). Darüber hinaus wurde mittlerweile von verschiedenen AutorInnen kritisiert, dass viele der vom encoding/decoding-Modell beeinÀussten Studien im Bereich der ‚media studies‘ sich zu stark an den Dichotomien passiv/aktiv oder manipulierend/befreiend orientieren, weshalb es ihnen nicht gelingt, die Widersprüchlichkeit und Dynamik der Populärkultur angemessen zu erfassen. Meaghan Morris (1988) zufolge hat die Erkenntnis, dass ZuschauerInnen sich auch widerständig gegenüber medial vermittelten Bedeutungen verhalten können, zu einem Boom von Untersuchungen geführt, die das Vergnügen, den Widerstand und die Politik des Konsums ausgewählter Gruppen von RezipientInnen thematisieren und letztlich über die immergleiche Aussage, dass die Massenkultur auch kreativ und kritisch konsumiert werden kann, nicht hinausgehen. Nicolas Abercrombie und Brian Longhurst (1998) verorten eine solche methodische Herangehensweise in einem von ihnen als ‚Incorporation/Resistance paradigm‘ bezeichneten Paradigma, welches das Problem der Mediennutzungsforschung in der Frage sieht, ob die RezipientInnen durch ihre Beteiligung an medienbezogenen Aktivitäten die dominante Ideologie inkorporieren oder ob sie 22 Auch David Morley konstatiert im kritischen Poststskriptum zu seiner ‚Nationwide‘-Studie, welcher das encoding/decoding-Modell konzeptuell zugrunde liegt, dass dieses nicht ausreiche, um die kontextuelle Einbindung des Medienkonsums in das Alltagsleben zu analysieren (vgl. Morley 1992: 119 ff). 23 Vgl. Ang (1996, 1999a und 1999b). Zu diesem Argument siehe auch Moores (1993: 117).
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vielmehr gegen eine solche Vereinnahmung resistent sind. Die Autoren halten dieses Paradigma angesichts der sozialen und kulturellen Veränderungen in der Mediennutzungslandschaft, die die sogenannte ‚diffused audience‘ hervorgebracht haben, für überholt. RezipientIn zu sein ist heute nicht mehr an die Teilnahme an einem bestimmten medialen Ereignis gebunden, vielmehr sind die Medien so selbstverständlich in unseren Alltag integriert, dass alle zu jeder Zeit Mitglieder einer diffused audience werden können (a. a. O.: 68). Als solche konstituieren sie gleichzeitig einen Markt für kulturelle Güter. Da einschließlich der MedienproduzentInnen alle immer auch als potentielle KonsumentInnen angesprochen werden und als solche den Markt mitkonstituieren, sind die aktuellen Machtverhältnisse weit komplizierter als ein Incorporation/Resistance Paradigma es fassen könnte. Diese Veränderungen lassen sich eher auf der Grundlage eines neuen Paradigmas beschreiben, das Fragen der Identität und auch der Identi¿zierung mit imaginierten Gemeinschaften in den Mittelpunkt stellt.24 Ein solches Paradigma, das von den Autoren ‚Spectacle/Performance paradigm‘ genannt wird, setzt voraus, dass der Schauspiel- und Aufführungscharakter, der früher als medientypisch galt, heute zum elementaren Bestandteil der westlichen Kultur wurde. So begreift etwa der touristische Blick auf fremde Orte diese als Schauspiel und eine spontane Zusammenkunft von RezipientInnen (beispielsweise am Flughafen, wenn die Ankunft einer bestimmten Band erwartet wird) kann schnell zu einer Performance an sich werden, die hunderttausenden anderen RezipientInnen wiederum medial vermittelt wird. Abercrombie und Longhurst weisen darauf hin, dass ein ‚Spectacle/Performance paradigm‘ insbesondere zur Analyse der komplexen Aktivitäten von Fans und ‚enthusiasts‘ geeignet wäre (a. a. O.: 121) und treten für eine Mediennutzungsforschung ein, die der veränderten Rolle der Medien in der westlichen Kultur Rechung trägt. Aufgrund ihrer konsequenten Thematisierung der Einbettung des Medienkonsums in Alltagspraktiken eröffnen die Cultural Studies meines Erachtens eine überaus fruchtbare Perspektive auf Fan-Praktiken. Vor dem Hintergrund des erläuterten Kulturbegriffes lassen sich diese als Bestandteil einer Populärkultur und mithin als kulturelle Praktiken begreifen, die als solche nicht nur im Hinblick auf die medialen Bezüge, die sie unter Umständen aufweisen, sondern in ihrer Eigenständigkeit untersucht werden sollten. Im Anschluss an das encoding/decoding-Modell stellt die Kultur von Pop-Fans einen Ort der Verhandlung 24 Dies kann etwa die Gemeinschaft mit den anderen LeserInnen einer linksintellektuellen Zeitung sein, mit denen nicht nur das Rezeptionserlebnis, sondern auch bestimmte politische Ansichten geteilt werden, vgl. Abercrombie/Longhurst (1998: 114 ff). In einer aktuellen Veröffentlichung von Hitzler u.a (2008) werden diese Gemeinschaften als „posttraditionale Gemeinschaften“ analysiert.
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medial vermittelter Bedeutungen dar. Eine medial vermittelte Girlgroup- oder Boygroup-Performance transportiert immer auch bestimmte Bedeutungen über Geschlecht, Sexualität, Ruhm, Stil etc., die jedoch heterogen und widersprüchlich sein können und von verschiedenen RezipientInnen unterschiedlich dekodiert werden. Darüber hinaus weist die Fan-Kultur jedoch auch selbst Merkmale einer Performance auf. Als solche produziert sie eigene Bedeutungen, die möglicherweise wiederum medial weitervermittelt werden, weshalb sie auch ein gewisses Machtpotenzial hat: So tragen beispielsweise die Medienbilder jubelnder Fans wesentlich zum Boygroup-Image bei und eine Band muss sich ernsthaft Sorgen machen und neue Vermarktungsstrategien überlegen, wenn die Konfrontation mit Fan-Performances bei ihren öffentlichen Auftritten nachlässt. Wie aber kann die Dimension der Populärkultur, die über Dekodierungsprozesse hinausgeht, genauer beschrieben werden ? Abercrombie und Longhurst zufolge werden am ehesten Untersuchungen, die sich weniger dem Rezeptionsakt selbst, sondern vielmehr augewählten ‚Szenen‘ – wie etwa der Musik-Szene eines bestimmten Ortes – zuwenden, dem Phänomen der zunehmenden VerÀechtung von Mediennutzung und Alltagskultur gerecht.25 Beispiele für eine solche Vorgehensweise ¿ nden sich vor allem im Bereich der Jugendstudien der Cultural Studies, in deren Rahmen der Medienkonsum zumeist von vornherein als eine unter anderen (jugend-)kulturellen Praktiken in den Blick genommen wird. Im Folgenden werde ich ausgewählte Untersuchungen aus diesem Bereich vorstellen und diskutieren, inwiefern sie Anregungen für eine theoretische Rahmung der Fan-Kultur bieten. 1.3 Die Funktion symbolischer Ressourcen bei Gemeinschaftsbildungen und Distinktionen in jugendspezi¿schen Populärkulturen Bereits in einer der ersten im Cultural Studies-Kontext entstandenen ReÀexion über die Populärkulturen Jugendlicher, „The Popular Arts“ von Stuart Hall und Paddy Whannel (1995, orig. 1964) wurde auf den expressiven und bildhaften Charakter der sich in der Nachkriegszeit entwickelnden Jugendkulturen verwiesen. Aufgrund ihrer emotionalisierten Inhalte, so vermuten die Autoren, sei die Teenage-Kultur im Wesentlichen non-verbal und drücke sich eher durch Musik, Tanz, Kleidung, mimischen und gestischen Stil oder einen bestimmten Slang aus (a. a. O.: 73). Spätere Untersuchungen zu verschiedenen Jugend-Stilen ge25 Einen ähnlichen Ansatz im deutschsprachigen Raum vertreten Bausch/Sting/Tervooren (2001), die eine Verschiebung der Forschungsperspektive hin zu performativen Aspekten des Medienhandelns in Gruppen und medienbezogenen Ritualisierungsprozessen im Alltag fordern.
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hen ganz in diesem Sinne insbesondere auf deren symbolischen Charakter ein. Im Anschluss an den Kulturbegriff der Cultural Studies werden diese zunächst als Orte der Produktion und Verhandlung von Kultur betrachtet. Im Zuge der Rezeption von semiotischen und strukturalistischen Theorien, die die Cultural Studies-Diskussionen der siebziger Jahre entscheidend mitbestimmte,26 wird Kultur dabei als Netz oder ‚Landkarte‘ symbolischer Bedeutungen betrachtet (Clarke u. a. 1982: 10, orig. 1976). Frühe Jugendstudien wie „Resistance through Rituals“ (Hall/Jefferson 1982, orig. 1976) und „Subculture: The Meaning of Style“ von Dick Hebdige (1979) analysieren spektakuläre Subkulturen wie die Skinheads und Punks insofern insbesondere in Bezug auf ihre Hervorbringung und Verhandlung von eigenen Bedeutungen und Symbolen. Als zentrales Thema der untersuchten Jugendkulturen wird die Verhandlung der Widersprüche betrachtet, die im Zuge von Modernisierungsprozessen zwischen der traditionellen Arbeiterkultur der Elterngeneration und den Konsum- und Aufstiegsversprechen der hegemonialen Kultur entstanden sind. Die im Rahmen von Subkulturen produzierten Bedeutungen lassen sich insofern als widerständig bezeichnen, als sie oft quer stehen zu den etablierten Bedeutungen und deren scheinbare Natürlichkeit als Konstrukt entlarven. Eine dem Kontext ,Haushalt‘ entrissene und im Gesicht plazierte Sicherheitsnadel kann in Hebdiges Analyse insofern aktuelle Schönheitsnormen in Frage stellen und auf die Zerrissenheit einer scheinbar harmonischen Gesellschaft verweisen (a. a. O.: 107). Interessant ist diese Perspektive in Bezug auf die hier interessierende FanKultur insofern, als sie Verbindungslinien zwischen verschiedenen Konsumformen – wie auch dem Medienkonsum – und jugendtypischen Populärkulturen aufzeigen kann. Hebdige verweist explizit darauf, dass zu den Quellen der Zeichenproduktion in Subkulturen auch medial vermittelte Bedeutungen gehören, die auf eine Weise aufgenommen und recycelt werden, die oft, wenn auch nicht immer, subversiv wirken kann (a. a. O.: 84 ff). Den Ursprung des Punk verortet er jedoch jenseits des Medienkonsums im authentischen Erfahrungshintergrund der ,working class youth‘. Gary Clarke (1990) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Vermarktungsstrategien engagierter KunststudentInnen hier vermutlich eine ebenso treibende Kraft waren. Vor dem Hintergrund der oben genannten Veränderungen in der Medienlandschaft, die das Phänomen der ,diffused audience‘ hervorgebracht haben, erscheint eine Gegenüberstellung von authentischer Erfahrung und medialem EinÀuss heutzutage erst recht nicht mehr sinnvoll. Clarke kritisiert außerdem die Heroisierung außergewöhnlicher und auffälliger Jugendkulturen in den frühen Cultural Studies-Untersuchungen, die eine
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Die Grundzüge dieser Debatten werden skizziert in Hall (1999b, orig. 1980).
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Ignoranz gegenüber der möglichen Kreativität eher versteckter populärkultureller Aktivitäten von Jugendlichen impliziere. Dass eine Konzentration auf besonders expressive Subkulturen auch mit einer Vernachlässigung mädchenspezi¿scher kultureller Praktiken einhergeht, wurde bereits vor dem Erscheinen von Hebdiges Studie von Angela McRobbie und Jenny Garber (1982, orig. 1976) konstatiert. Angesichts der Diversi¿zierung und Kommerzialisierung vieler aktueller jugendspezi¿scher Populärkulturen, wie eben auch der Fan-Kultur, lässt sich weitergehend fragen, inwieweit sich diese noch sinnvoll mit dem Begriff der Subkultur beschreiben lassen, der in der Regel als Gegenpol zum sogenannten ‚Mainstream‘ dient. Für Pop-Fans gilt darüber hinaus, dass sie sich nicht durch einen klar erkennbaren expressiven Stil, der sich etwa an einer bestimmten Kleidung oder Haartracht festmachen ließe, von anderen Jugendlichen unterscheiden. Als eine Studie, die sich nicht einem spezi¿schen subkulturellen Stil, sondern der Vielfalt populärkultureller Aktivitäten von Jugendlichen zuwendet und auf dieser Basis Perspektiven auf die VerÀechtung von Medienkonsum und Populärkultur entwickelt, gehe ich im Folgenden auf den Band „Common Culture. Symbolic work at play in everyday cultures of the young“ (1990)27 von Paul Willis und seinen MitarbeiterInnen ein. Neben dem Konsum und der populärkulturellen Verwertung von Musik und verschiedenen medialen Angeboten werden in dieser Studie ebenso Bereiche wie Mode und Stil oder auch die Kneipenkultur von Jugendlichen aus der britischen Stadt Wolverhampton analysiert. Sie hat im Gegensatz zu den oben genannten Untersuchungen infolgedessen von vornherein auch die kulturellen Praktiken von Mädchen im Blick. Zentrales Vorhaben der AutorInnen ist „das Darstellen und Begreifen der kreativen symbolischen Elemente des gewöhnlichen Lebens, und ein wichtiger Teil davon ist ohne Zweifel die Funktion und Verwendung popularer Repräsentationen – verstanden allerdings durch ihren alltäglichen Gebrauch, nicht als Widerspiegelung des Alltäglichen.“ (Willis 1991: 17)
Da Menschen sowohl kommunizierende als auch produzierende Wesen sind, müssen sie notwendig ständig symbolische Arbeit leisten. Diese besteht in der Anwendung von menschlichen Fähigkeiten auf und durch symbolische Ressourcen, mit dem Ziel, Bedeutungen zu produzieren. Als solche Ressourcen gelten die kulturell verfügbaren Sprachen, Symbole, Gegenstände und Bilder, die oft auch medial und kommerziell vermittelt werden.
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Ich beziehe mich hierbei auf die deutsche Übersetzung: Willis (1991).
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Die Parallelen zu Hebdiges Ansatz werden hier schnell deutlich, es lassen sich jedoch auch einige Unterschiede zu dessen Analyse aufzeigen. So bezieht die Arbeitsgruppe um Willis wesentlich stärker als Hebdige Praktiken des Konsums in seine Untersuchung mit ein. Als eine wichtige Sphäre von kultureller Aktivität Jugendlicher wird beispielsweise das Kaufen von Schallplatten und Kassetten benannt, das komplexe und sorgfältige Entscheidungsprozeduren voraussetzt und sich insofern als ausgeprägte symbolische Arbeit bezeichnen lässt (a. a. O.: 81). Der Konsum, einschließlich des Medienkonsums, wird den Bereichen von authentischer Erfahrung und Kreativität insofern nicht antagonistisch gegenübergestellt, sondern bietet selbst die Möglichkeit zur Entfaltung einer symbolischen Kreativität. Eine solche Perspektive auf das Konsumverhalten spiegelt den EinÀuss von Michel de Certeaus Band ‚Die Kunst des Handelns‘ (1988, orig. 1980) wieder, der innerhalb der Cultural Studies viel Aufmerksamkeit erregte. De Certeau entwirft eine Theorie des Handelns von VerbraucherInnen, wobei er sich stark abgrenzt von marxistischen Zugängen, die den Konsum in erster Linie als Unterwerfung unter die herrschende Ökonomie begreifen. Im Gegensatz hierzu fokussiert de Certeau den Gebrauch, den Individuen oder Gruppen aus gesellschaftlichen Objekten machen und betont den listenreichen Charakter verwertender Konsumformen. KonsumentInnen gelten de Certeau als ‚stillschweigende Er¿nder eigener Wege durch den Dschungel funktionalistischer Rationalität‘ (a. a. O.: 21). In der Beschreibung der Produktivität des Konsumverhaltens betont der Autor insbesondere dessen taktischen Charakter. Während eine Strategie weitsichtig kalkulierend von mit Willen und Macht versehenen Subjekten ausgeführt wird, hat die Taktik seiner Beschreibung zufolge kein ,Eigenes‘, von dem sie ausgehen könnte, vielmehr handelt es sich um eine Bewegung im kontrollierten Raum, die von den unmittelbaren Gelegenheiten pro¿tiert: „Sie muß wachsam die Lücken nutzen, die sich in besonderen Situationen der Überwachung durch die Macht der Eigentümer auftun. Sie wildert darin und sorgt für Überraschungen.“ (a. a. O.: 89) Angesichts der heutzutage analytisch kaum trennbaren Verbindung von Kommerz und Populärkultur halte ich es für ausgesprochen sinnvoll, in eine Analyse jugendkultureller Praktiken theoretische Überlegungen zum Handeln von KonsumentInnen miteinzubeziehen. Die Herangehensweise von der Arbeitsgruppe um Willis und von de Certeau bietet darüber hinaus den Vorteil, dass sie für die mögliche kreative Seite auch derjenigen populärkulturellen Praktiken sensibilisieren, die auf den ersten Blick lediglich im Dienste der Interessen der Unterhaltungsindustrie zu stehen scheinen. Ein weiterer interessanter Aspekt in der „Jugend-Stile“-Studie, der ebenfalls einen Unterschied gegenüber Hebdiges Herangehensweise markiert, ist die Hervorhebung des gemeinschaftsstiftenden Charakters der symbolischen Arbeit in
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der Populärkultur. Die Kulturproduktion im Alltagsleben, die er in seinem Band untersucht, steht für das Aufkommen einer gemeinsamen Kultur (,common culture‘), die den EinÀuss einer of¿ziellen elitären Kultur immer mehr verdrängt. Der Begriff ,common culture‘ bezeichnet sowohl eine Alltagskultur, die im Gegensatz zur Hochkultur keine elitäre Abgrenzung sondern Gemeinsamkeit erzeugt, als auch eine Kultur, die die Konstituierung von sogenannten ,Proto-Gemeinschaften‘ ermöglicht. Proto-Gemeinschaften lösen die erodierenden organischen Gemeinschaften und Kommunikationen ab und sind durch gemeinsame Stile, Moden, Interessen, Gefühle oder Positionen verbunden. Sie formieren sich oft spontan und zufällig, sind dezentriert und Willis zufolge auch, im Gegensatz zu organischen Gemeinschaften, nicht-hierarchisch organisiert (Willis 1991: 174 ff). Das bereits bei Raymond Williams (1958) proklamierte Ziel der Entwicklung einer ,common culture‘, in der Hierarchien und Klassengrenzen überwunden sind, wirkt bezogen auf eine stark kommerzialisierte Populärkultur angesichts der ungleichen Verteilung ökonomischer Ressourcen arg idealistisch. Wichtig erscheint mir jedoch der Hinweis von Willis et al. auf den gemeinschaftsbildenden Aspekt der kulturellen Aktivitäten von Jugendlichen, der sicherlich zumindest teilweise auch auf die Fan-Kultur zutrifft. Der Begriff der Proto-Gemeinschaft ist bezogen auf diese besonders nützlich, da er weder die oppositionelle Konnotation des Subkulturbegriffes aufweist, noch auf Übereinstimmungen in der Selbstinszenierung hindeutet wie der Stilbegriff. Da die Proto-Gemeinschaft der Fans nur sporadisch, etwa bei den Fan-Performances auf Konzerten, für Außenstehende sichtbar wird, weist sie möglicherweise auch Züge der von Abercrombie und Longhurst thematisierten imaginierten Gemeinschaft von NutzerInnen eines bestimmten medialen Textes auf (vgl. A 1.2).28 Eine Berücksichtigung der gemeinschaftsstiftenden Seite der Populärkultur kann jedoch meines Erachtens nicht umhin, auch nach Hierarchien und Abgrenzungsbewegungen innerhalb einer solchen Gemeinschaft zu fragen, um vorschnelle Idealisierungen zu vermeiden. In diesem Sinne plädiert auch Sarah Thornton (1996) für eine – bislang vernachlässigte – Analyse der Distinktionssyteme innerhalb der Populärkultur. Thornton kritisiert die in einigen Cultural Studies Arbeiten (z. B. in Hebdiges Analyse) aufgemachten Oppositionen zwischen ,Avantgarde‘ versus ,Bourgeois‘ oder auch Subkultur versus Mainstream, die ihrer Ansicht nach sowohl den Blick auf Hierarchien innerhalb der Populärkultur als auch auf die konstruierte Natur des Mainstreams verstellen. Letzteren betrachtet sie als Fiktion, die stets als Negativfolie herhalten muss, um die jeweils eigene Kultur als besonders eigenständig, ,hip‘ und subkulturell darzustellen. Sie selbst bezieht sich auf 28 Eine Proto-Gemeinschaft von Fans ist im Sinne Victor Turners auch als „spontane Communitas“ analysierbar, vgl. hierzu A 2.1.
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die Distinktionsanalyse Pierre Bourdieus (1987), demzufolge jedes Geschmacksurteil immer auch ein Unterscheidungsvermögen darstellt (a. a. O.: 31). Die Distinktionen, die wir im Rahmen kultureller Vorlieben vornehmen, markieren nicht nur eine bestimmte Zugehörigkeit, zum Beispiel zur Mittelklasse, sondern immer auch eine Abgrenzungsbewegung (etwa gegenüber dem Kleinbürgertum). Der kulturelle Geschmack ist also kein reines Privatvergnügen, sondern immer schon Bestandteil gesellschaftlicher Hierarchien. Um diesem Umstand gerecht zu werden, prägte Bourdieu den Begriff des ,kulturellen Kapitals‘, das, genau wie das ökonomische Kapital, dazu dient, einen bestimmten sozialen Status zu erlangen und zu sichern und das darüber hinaus ebenso ungleich verteilt ist. Um den populärkulturellen Hierarchien auf die Spur zu kommen, verwendet Thornton den Begriff des ,subkulturellen Kapitals‘. Ebenso wie kulturelles Kapital mittels Gemälden und gefüllten Bücherregalen inszeniert wird, kann subkulturelles Kapital etwa durch angesagte Haarschnitte und CD-Sammlungen nach außen getragen werden. Beide Formen des Kapitals setzen Kompetenz voraus, die jedoch nicht zu angeeignet wirken darf, sondern spielerisch-leicht demonstriert werden muss. Die Qualität des subkulturellen Kapitals äußert sich in der ,Hipness‘ der jeweiligen Subkultur, die wiederum abhängig ist von ihrer Distinktion gegenüber dem Mainstream (a. a. O.: 10 ff). Bei der Frage, wo die Grenze zwischen Subkultur und Mainstream verläuft, spielen wiederum die Medien sowie Kommerzialisierungsprozesse eine große Rolle. So beobachtet Thornton etwa im Rahmen ihrer eigenen Studie über die britische ,club culture‘, dass eine Musikrichtung immer dann, wenn sie auch in der breiten Medienberichterstattung als ,hip‘ zur Kenntnis genommen und proklamiert wird, an subkulturellem Kapital verliert. Interessanterweise bestätigt sich in ihrer Studie die von Andreas Huyssen in seinem breit rezipierten Artikel „Mass Culture as a Woman: Modernism’s Other“ (1986) aufgestellte These, die Abwertung der Massenkultur sowie der diese konsumierenden Massen gehe in der Regel mit deren Verweiblichung einher (a. a. O.: 44 ff). So wird unter den von Thornton befragten TeilnehmerInnen der ,club culture‘ die sogenannte ,chartpop disco‘, die als Inbegriff des Mainstreams gilt, wie folgt beschrieben: „… the oft-repeated, almost universally accepted stereotype of the chartpop disco was that it was a place where ,Sharon and Tracy dance around their handbags‘. This crowd was considered unhip and unsophisticated. They were denigrated for having indiscriminate music tastes, lacking individuality and being amateurs in the art of clubbing. Who else would turn up with that uncool feminine appendage, that burden some adult baggage – the handbag ? ,Sharon and Tracy‘ were put down for being part of a homogeneous herd overwhelmingly interested in the sexual and social rather than musical aspects of clubs.“ (Thornton 1996: 99)
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Die Feminisierung des Mainstreams geht also mit einer Wahrnehmung von dessen Anhängerinnen als ununterscheidbare inkompetente Masse einher, die rein sexuelle und soziale Interessen hat und sich außerdem (mittels der Handtaschen) eine noch längst nicht erreichte Reife vorspiegelt. Der Umstand, dass im Zuge des Medieninteresses für die Techno und House Kultur plötzlich von ,Techno Tracys‘ und ,handbag house‘ die Rede war (a. a. O.: 100), verdeutlicht die enge Verknüpfung zwischen der Medialisierung bestimmter Kulturen einerseits und ihrer Abwertung und gleichzeitigen Feminisierung andererseits. Im Blick auf Pop-Fans ist Thorntons Ansatz insbesondere deshalb hochinteressant, als offensichtlich auch bei der Beurteilung von deren Kultur die von ihr beschriebenen Abwertungsmechanismen greifen. Im Folgenden sei dies kurz anhand ausgewählter Zitate aus der sozialwissenschaftlichen Literatur über PopFans skizziert:29 Im 1997 erschienenen ,Kursbuch Jugendkultur‘ wird ungewöhnlicherweise gleich in zwei Artikeln auf das Thema Pop-Fans eingegangen. In seinem Artikel über Fans der K ELLY FAMILY charakterisiert der Autor Thomas Lau diese als „Kollektiv kollabierender Zahnspangenträger vor der Bühne“ (Lau 1997: 229). Auch Monja Messner, die sich im selben Band mit dem möglichen Emanzipationspotenzial von Boygroup-Fans beschäftigt, greift das Zahnspangen-Motiv wieder auf. Sie schreibt: „Die Fans der Boygroups sind Teenies, aber sie sind keine Girlies. Im Gegenteil, es sind vielmehr eher unscheinbare junge Mädchen, die vor Aufregung entweder ganz blass oder ziemlich rot im Gesicht sind – und (…) sehr oft Zahnspangen tragen“ (Messner 1997: 237). Neben der besonderen Aufmerksamkeit für Zahnspangen weisen Artikel, die sich der Begeisterung von Mädchen für Popgruppen zuwenden, auch ein auffälliges Interesse für andere körperliche Phänomene auf. So leitet Klaus Janke seinen Beitrag „Stars, Idole, Vorbilder“ im Schüler-Jahresheft des Friedrich-Verlages 1997 mit der folgenden Frage ein: „Warum sind es immer die jungen Mädchen, die sich bei Popkonzerten die Höschen naß machen, warum keine Mittdreißigerinnen ?“ (Janke 1997a: 18, Herv. K. J.). Auf eine ähnliche Fan-Beschreibung greift auch Erwin Schaar im Sammelband „Der Star“ (1997) zurück. Er zitiert zunächst einen Journalisten, der nach einem ROLLING STONES Konzert kommentierte: „Die kleinen Mädchen hatten zu wild gekreischt und sich naß gemacht“ und schließt dann selbst folgende Analyse an: „Die Reaktionen gegenüber den zu Verehrenden haben den denkenden Kopf nicht mehr nötig, der Körper liefert sich mit seinen fundamentalen Bedürfnissen ganz dem Dasein aus“ (Schaar 1997:125). 29 Die im Folgenden dargestellte abwertende wissenschaftliche Perspektive auf Pop-Fans ist zwar weit verbreitet, es gibt hiervon jedoch auch Ausnahmen, beispielsweise Bif¿ (1999), KrischkeRamaswamy (2007), Mattig (2009), Lewis (1992), Wald (2002) und Wegener (2008).
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Abgesehen von der kaum verhüllten Verachtung, die derartigen Beschreibungen innewohnt fällt ihre Konzentration auf den Körper der Fans auf. Einerseits müssen hierbei – gerade im letzten Zitat – unkontrollierte Körperreaktionen als Symbol für die Irrationalität und Unbeherrschtheit der Fans herhalten. Der Zahnspangen-Diskurs hat jedoch meines Erachtens noch einen anderen Zweck: Auch er legt die Fans auf ihren Körper fest, beschreibt diesen jedoch gleichzeitig als unattraktiv und unreif. Den vermeintlichen Wunsch der Fans, den jeweiligen Star als Liebespartner zu werben, soll somit ad absurdum geführt werden. Mit der Festschreibung der Mädchen auf ihren Körper, ihrer Sexualisierung und Ridikülisierung werden Register gezogen, die sich nicht nur unschwer als geradezu prototypische Sexismen erkennen lassen, sondern die darüber hinaus die Abwertung einer bestimmten Populärkultur mit ihrer Feminisierung verknüpfen. Vor diesem Hintergrund lässt sich schlussfolgern, dass die Begeisterung für Boygroups und Girlgroups – die als typische ,chartpop bands‘ gelten, vermutlich mit keinerlei subkulturellem Kapital verknüpft ist, das heißt, mit wenig Anerkennung von anderen populärkulturellen und hochkulturellen Szenen rechnen kann.30 Die hier vorgestellten theoretischen Zugänge zur Populärkultur von Jugend-Szenen vermögen einige Einblicke in die VerÀechtung von Medien und Alltagskultur zu vermitteln: Die Medien sowie andere Konsumwaren lassen sich heute als selbstverständlicher Bestandteil der kulturellen Praktiken von Jugendlichen bezeichnen. Im Rahmen der diesen Populärkulturen und der Alltagskultur generell zugrundeliegenden symbolischen Arbeit der Einzelnen werden medial vermittelte Bedeutungen im eigenen Sinne aufgenommen, verworfen oder umgedeutet. Der alltägliche Gebrauch von Medien oder von Konsumgegenständen weist dabei ebenso taktische wie produktive Züge auf und dient sowohl der Bildung bestimmter Gemeinschaften als auch der Distinktion von anderen Gemeinschaften. Während einige dieser Gemeinschaften stilistische Übereinstimmungen aufweisen oder sich als Subkultur verstehen, lässt sich die Fan-Kultur eher als Proto-Gemeinschaft bezeichnen, da sie nur sporadisch eine öffentliche Präsenz als Gemeinschaft aufweist. Sowohl hochkulturelle als auch populärkulturelle Gemeinschaften konstituieren sich über Distinktionsbewegungen, wobei die Abgrenzung von anderen Kulturen häu¿g mit deren Abwertung und gleichzeitigen Feminisierung einhergeht. Der Kultur von Boygroup- und Girlgroup-Fans wird ein sehr geringer Status in dieser kulturellen Hierarchie zugewiesen, während sie gleichzeitig als weibliche Kultur gilt. 30 John Fiske (1997) stellt die These auf, dass die Fan-Kultur aufgrund der zahlreichen kreativen Praktiken, mit denen sie verknüpft sei, besonders viel ,populärkulturelles Kapital‘ aufweise.
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Interessante Fragen, die sich im Zuge dieser Überlegungen an die Empirie ergeben sind, welche Rolle die gemeinschaftsbildende Funktion ihrer Populärkultur für die Fans selbst spielt, ob und inwiefern diese auch eine Distinktionsfunktion für sie hat und inwiefern der Umstand für sie relevant ist, dass ihrer Kultur in der Regel weder subkulturelles noch hochkulturelles Kapital zugestanden wird. Zunächst möchte ich mich jedoch noch einmal der am Anfang dieses Kapitels gestellten Frage zuwenden, wie Fan-Praktiken sich in ihrer Verselbständigung gegenüber der Mediennutzungssituation und in Bezug auf die ihnen eigene Sinnhaftigkeit analysieren lassen. Vor dem Hintergrund der Cultural Studies konnten diese Praktiken als kulturelle Praktiken charakterisiert werden, die sowohl eine gemeinschaftsbildende als auch eine Distinktionsfunktion haben. Was sind jedoch die besonderen Merkmale populärkultureller Praktiken ? Willis und de Certeau zufolge handelt es sich hierbei um besonders kreative Praktiken, die zitierten sozialwissenschaftlichen Einschätzungen zu Fan-Aktivitäten beschreiben diese eher als körperbetont, unkontrolliert und irrational. Im folgenden Kapitel werde ich meine Forschungsperspektive handlungstheoretisch verankern und mich auf dieser Grundlage einer theoretischen Rahmung der Fan-Kultur weiter annähern. 2
Fan-Sein als kreatives und kulturelles Handeln
Im Rahmen der bislang erfolgten ersten theoretischen Annäherung an meinen Untersuchungsgegenstand konnte ich feststellen, dass Pop-Fans sich zwar als MedienkonsumentInnen bezeichnen lassen, ihr Fan-Sein sich jedoch durchaus nicht in der Rezeption medialer Angebote erschöpft. Als jugendtypische Populärkultur umfasst die Fan-Kultur eine Vielzahl von Praktiken, die weit über die Mediennutzung hinausgehen. Es erscheint insofern nicht sinnvoll, diese lediglich unter dem Gesichtspunkt möglicher Referenzen auf mediale Vorgaben zu analysieren. Wichtige Ansätze zur Untersuchung der Fan-Praktiken in ihrer Eigenständigkeit lassen sich im Bereich der Jugendforschung der Cultural Studies ¿nden, die die kreative Seite populärkultureller Aktivitäten betonen. AutorInnen wie Willis und Thornton stellen des Weiteren deren Funktion der Gemeinschaftsbildung und der Distinktion von anderen Kulturen heraus. Diese Perspektive auf die aktive, handlungspraktische Seite der Fan-Kultur soll im Folgenden noch weiter ausdifferenziert werden. Hierbei gehe ich in Teil 2.1 zunächst der These einer populärkulturellen Praktiken eigenen Kreativität nach: Wie lässt sich die kreative Dimension derartigen Handelns theoretisch fassen ? Und wie ist die Betonung der unkontrollierten und irrationalen Aspekte fan-typischer Handlungen von Seiten einiger sozialwissenschaftlicher AutorInnen in diesem Zusammenhang einzuordnen ? In Teil 2.2 unterziehe ich meine
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De¿nition der Fan-Aktivitäten als Populärkultur einer handlungstheoretisch fundierten Analyse. Hierbei stütze ich meine Argumentation auf Theorien, die das menschliche Handeln als Bestandteil von Kultur analysieren. Wenn Kultur nicht nur Objekte, sondern auch unser Handeln umfasst, wie kommt es dann auf handlungspraktischer Ebene zur Reproduktion oder auch Hervorbringung von Kultur, beziehungsweise von Populär- oder Jugendkulturen ? 2.1 Zur Kreativität und Sinnhaftigkeit kollektiven populärkulturellen Handelns Viele der allseits bekannten Handlungen von Pop-Fans wie etwa das Schreien und Weinen auf Konzerten wirken auf den ersten Blick wenig sinnvoll, weshalb gemeinhin der Verdacht im Raume steht, sie seien eher durch ‚Hormonschübe‘ als durch Vernunftgründe motiviert. Diese Interpretation scheint auch den im letzten Abschnitt zitierten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen von Fans zugrundezuliegen, die vor allem auf deren körperliche Reaktionen abheben und auf der Basis dieser Beobachtung manchmal sogar so weit gehen, zu behaupten, das Denken sei hier ganz außer Kraft gesetzt. Eine solche Betrachtungsweise geht von einer Dichotomie zwischen kontrolliertem, zweckrational erklärbarem Handeln einerseits und triebgesteuertem irrationalen Handeln andererseits aus, zu der die These der besonderen Kreativität populärkulturellen Handelns offensichtlich quer steht. Im Folgenden werde ich diskutieren, wie sich die Kategorie der Kreativität handlungstheoretisch verorten lässt. Interessante Anregungen bezüglich dieser Fragestellung lassen sich in Hans Joas’ Überlegungen zur ‚Kreativität des Handelns‘ (1996) ¿nden. Joas’ Ausgangsthese ist, alles menschliche Handeln habe eine kreative Dimension, die in den gängigen theoretischen Modellen des rationalen und des normorientierten Handelns unzulänglich berücksichtigt werde (a. a. O.: 15). Es geht ihm insofern nicht darum, diesen Modellen ein weiteres hinzuzufügen, sondern um eine Kritik und Umstellung ihrer Grundlagen (a. a. O.: 213). In seiner Untersuchung verschiedener soziologischer Handlungstheorien31 kann Joas aufzeigen, dass diese die phänomenale Vielfalt des Handelns insofern einem wertenden Raster unterwerfen, als sie von vornherein nur rationale Handlungen überhaupt als Handeln anerkennen. Handlungsmodellen, die von einem Typus rationalen Handelns ausgehen, liegen Joas zufolge drei implizite Unterstellungen zugrunde: sie gehen davon aus, Joas unternimmt hierbei einen Streifzug durch eine Vielfalt handlungstheoretischer Ansätze, wobei er sich unter anderem der normorientierten Handlungstheorie Talcott Parsons, der CharismaTheorie Max Webers, den lebensphilosophischen Zügen bei Ferdinand Tönnies und Georg Simmel sowie marxistischen Analysen revolutionärer Prozesse zuwendet. 31
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dass Handeln zielgerichtet ist, dass die Handelnden ihren Körper beherrschen und dass diese gegenüber ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt autonom sind (a. a. O.: 216 f). Joas Unternehmen der Erweiterung solcher handlungstheoretischer Ansätze um die Dimension des kreativen Handelns ist in Bezug auf populärkulturelle Praktiken von Fans allein deshalb außerordentlich interessant, als diese in der Perspektive der oben genannten AutorInnen weder zweckrational handeln, noch alle Reaktionen ihres Körpers unter Kontrolle haben, noch vollständig autonom sind gegenüber der Menge, die sie umgibt. Gesetzt den Fall, dass die zitierten Beschreibungen engagierter KonzertbesucherInnen zwar polemisch zugespitzt sind, jedoch dennoch eine reale Grundlage haben, bietet Joas’ Ansatz die Chance, diese Merkmale bestimmter Praktiken von Fans einer differenzierteren Analyse zu unterziehen. Joas Entwurf einer Theorie kreativen Handelns setzt zunächst an dem Zweck/Mittel-Schema an, das Modellen rationalen Handelns zugrunde liegt. Unter Bezug auf den Pragmatisten John Dewey weist er darauf hin, dass der Zweck einer Handlung dieser nicht äußerlich vorgegeben sein muss, sondern sich auch im Verlauf der Handlung selbst einstellen kann. Eine Alternative zu teleologischen Deutungen des Handelns besteht Joas zufolge darin, sowohl Erkenntnis als auch Wahrnehmung dem Handeln nicht vorzuordnen, sondern als Phase des Handelns aufzufassen. Die Zielsetzung des jeweiligen Handelns ist somit auch Resultat einer ReÀexion auf die vor-reÀexiven Strebungen, die dieses immer mitbeeinÀussen und hängt darüber hinaus stark vom jeweiligen situativen Kontext ab (a. a. O.: 232). Mit dieser Herangehensweise gelingt es Joas zum einen, eine künstliche Trennung zwischen der Ebene des Verstandes und einer vor-reÀexiven Ebene zu unterlaufen, zum anderen kann er auf die konstitutive Bedeutung der Situation für unser Handeln aufmerksam machen. Er geht davon aus, dass unsere Wahrnehmung einer bestimmten Situation von unseren jeweiligen Handlungsfähigkeiten und -dispositionen abhängt, und dass eine ReÀexion auf die in dieser Situation erlebte Herausforderung sich wiederum auf den Fortgang der Handlung auswirkt. Vorab gefasste Pläne sind in seiner Konzeption noch immer wichtig für den Verlauf einer Handlung, jedoch nicht unser einziges Orientierungsmittel und je nach Situation können ursprüngliche Ziele immer wieder revidiert werden (a. a. O.: 236 f). So überzeugend Joas hier argumentiert, ist seine Betonung der Situationsabhängigkeit nicht-rationalen Handelns jedoch insofern unbefriedigend, als sie den Eindruck vermittelt, dass dieses je nach Situation immer neu hervorgebracht werden muss. Wie Ralf Bohnsack und Arnd-Michael Nohl (2001: 20 f) in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Joas feststellen, bleibt die Kategorie des habituellen Handelns in seinen Überlegungen unausgearbeitet. Ein Handeln, das eine gewisse Kontinuität aufweist – wie etwa das Sammeln von Material über einen
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Star –, ohne dabei notwendig im Dienste vorab formulierter Zielvorstellungen zu stehen, bleibt auf diese Weise unbeleuchtet. Ein überaus fruchtbarer Aspekt von Joas’ Ansatz ist jedoch meines Erachtens, dass er für die Verzahnung rationaler Vorgänge (wie der inneren Formulierung einer Zweckorientierung) mit einer vor-reÀexiven Ebene sensibilisieren kann. Letztere ist in seiner Beschreibung vorrangig von körperlichen Bedürfnissen bestimmt, auf psychische Vorgänge geht er leider kaum ein. Dies erstaunt umso mehr, als Joas die Verschränkung von ReÀexivität und Vor-reÀexivität sehr anschaulich am Beispiel von Donald W. Winnicotts Theorie des kindlichen Spiels (1979) zu erklären vermag, in der die psychischen Phänomene des Träumens und Wünschens zentral sind: Das Spiel stellt Winnicott zufolge einen Ort der Vermittlung zwischen einer inneren Traumwelt und einer selbst inszenierten Repräsentation der äußeren Realität dar (a. a. O.: 63). Es erlaubt sowohl das Ausleben von Emotionen als auch eine Prüfung der wahrgenommenen Realität und vermittelt auf diese Weise die Fähigkeit zur Integration von innerer und äußerer Wirklichkeit. Diese Form kreativen Handelns spiegelt sich auch in der Produktion und dem Konsum von Kultur bei Erwachsenen wieder und lässt sich insofern als konstitutiv für den menschlichen Bezug zur Realität verstehen. Joas wendet sich in einem nächsten Schritt der den Modellen rationalen Handelns zugrundeliegenden impliziten Annahme zu, Handelnde müssten ihren Körper kontrollieren können. Unter Verweis auf die bereits bei Norbert Elias und Michel Foucault analysierte Historizität eines instrumentalistischen Verhältnisses zum Körper betont er die Notwendigkeit, sich auf handlungstheoretischer Ebene auch mit der Herausbildung der Körperkontrolle sowie mit Momenten der Passivität oder auch des Kontrollverlustes zu befassen. Er führt hier beispielhaft Phänomene wie den Schlaf sowie das Lachen und Weinen an (vgl. Joas 1996: 248 ff). Eine Theoretisierung unkontrollierter oder auch exzessiver Körpererfahrungen deutet sich im folgenden Abschnitt von Joas’ dreischrittiger Argumentation an. Er wendet sich nun der einigen Handlungstheorien impliziten Unterstellung einer ursprünglichen Autonomie des handelnden Individuums zu. Im Gegensatz zu diesen Ansätzen geht Joas von einer primär sozialen Grundlage der individuellen Handlungsfähigkeit aus, wobei er auf die von Hegel über Mead bis hin zur postmodernen Theorie thematisierte Abhängigkeit der Ich-Bildung von der Auseinandersetzung mit dem Anderen verweist. Das Handeln von Individuen und Gruppen ist immer auch mitbestimmt von symbolischen Abgrenzungen gegenüber der Umwelt oder auch von Momenten der Verschmelzung mit dieser (die mit rauschhaften Körpererfahrungen einhergehen kann). Unter Bezug auf die Religionssoziologie Émile Durkheims und die Ritualtheorie Victor Turners skizziert Joas einen Ansatz, der Ich-Grenzen überschreitende Kollektiverfahrungen als zentrales Moment menschlichen Handelns zu analysieren vermag (a. a. O.: 280 ff).
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Diese Perspektive ist insbesondere deshalb interessant, als gerade in der Jugendforschung in letzter Zeit verstärkt auf die Bedeutung jugendlicher Gemeinschaftserlebnisse hingewiesen wurde, die von Modellen, welche sich auf die autonom handelnde Person konzentrieren, nicht hinlänglich erfasst werden können.32 Auch vor dem Hintergrund meiner in Teil A 1.3 formulierten Überlegungen zur gemeinschaftsstiftenden Funktion populärkultureller Aktivitäten sind Durkheims und Turners Überlegungen zur sinnhaften Dimension von Kollektiverfahrungen fruchtbar, weshalb ich im Folgenden ausführlicher auf sie eingehen werde. In seinem Band „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ analysiert Durkheim (1994, orig. 1912) die soziale Bedeutung der Religion, die er als „eine im wesentlichen kollektive Angelegenheit“ (a. a. O.: 75) begreift. Unser Verhältnis zu einem Gott ist, wie unser Verhältnis zur Gesellschaft zum einen durch Abhängigkeit geprägt, kann uns aber auf der anderen Seite auch Kraft verleihen. Durkheim besteht darauf, dass die durch Religiosität erwachsene Kraft zwar mystischen Ursprungs, dabei aber dennoch wirklich ist (a. a. O.: 282). Die Entstehung außergewöhnlicher Kräfte verortet er im Phänomen der kollektiven Efferveszenz (dt: Erregung, Gärung), zu dem es im Rahmen von Ansammlungen, die leidenschaftliche Energien freisetzen, kommen kann (a. a. O.: 289). Die kollektive Efferveszenz erlaubt es den Einzelnen, ungewöhnliche Kräfte freizusetzen und geht mit einer Erfahrung der Selbstentgrenzung einher: „Jedes ausgedrückte Gefühl hallt ohne Widerstand in dem Bewußtsein eines jeden wider, das den äußeren Eindrücken weit geöffnet ist. Jedes Bewußtsein ¿ndet sein Echo in den anderen. Der erste Anstoß vergrößert sich auf solche Weise immer mehr, wie eine Lawine anwächst, je weiter sie läuft. (…) Die Erregung wird manchmal derart stark, daß sie zu unerhörten Akten verführt. Die entfesselten Leidenschaften sind so heftig, daß sie durch nichts mehr aufgehalten werden können: Man ist derart außerhalb der gewöhnlichen Lebensbedingungen und man ist sich dessen derart bewußt, daß man sich notwendigerweise außerhalb und über der gewöhnlichen Moral erhebt.“ (Durkheim 1994: 297 f)
Durkheim interpretiert diesen Zustand als eine Erfahrung der das Individuum übersteigenden Kräfte der Gesellschaft: Die moralische Kraft, deren Existenz der Gläubige verspürt und sein efferveszenter Überschwang sind wirklich, da sie die Macht der Gesellschaft widerspiegeln. Die Religion hat in dieser Lesart die 32 Vgl. z. B. Bohnsack et al. (1995); Gaffer (1999); Inhetveen (1997); Liell (2002); Schäffer (1996). Bei der Analyse der in diesen Studien empirisch ermittelten Kollektiverfahrungen Jugendlicher konnte sich insbesondere das Konzept der kollektiven Efferveszenz von Durkheim, auf das ich noch genauer eingehe, als nützlich erweisen.
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Funktion, den Menschen die Gesellschaft und ihre eigene Beziehung zu dieser nahezubringen: „Wenn die Religion alles, was in der Gesellschaft wesentlich ist, hervorgebracht hat, dann deshalb, weil die Idee der Gesellschaft die Seele der Religion ist.“ (a. a. O.: 561) Durkheims Erkenntnisse, die im Wesentlichen auf der Analyse von Beobachtungen totemistischer Rituale in der Kultur australischer Ureinwohner basieren, lassen sich selbstverständlich nicht ungebrochen auf die Kollektiverlebnisse von Pop-Fans übertragen. Sie erlauben jedoch insofern einen neuen Blick auf diese, als sie eine Interpretation von Phänomenen wie dem gemeinsamen Weinen bei Konzerten als eine Form ‚sinnhafter Ekstase‘ ermöglichen. Meines Erachtens schaffen sie in dieser Hinsicht die Voraussetzung für eine wesentlich differenziertere Analyse kollektiven, unkontrollierten Handelns als es dessen Charakterisierung als rein triebhaftes Verhalten vermag. Durkheim beschreibt rauschhafte Vergemeinschaftungserlebnisse zwar als Ausnahmesituation, jedoch als eine, die für die Auseinandersetzung der Einzelnen mit den moralischen Kräften der Gesellschaft unabdingbar ist. Ohne notwendig im Dienste vorab formulierter rationaler Zielsetzungen zu stehen, sind sie dennoch nicht sinnlos, ihr Sinn ergibt sich vielmehr im Handlungsvollzug. Da die Kultur moderner Industriegesellschaften im Zeitalter der Globalisierung wesentlich fragmentierter und widersprüchlicher ist als die von Durkheim untersuchten Kulturen, erweist es sich jedoch heutzutage als problematisch, von einer allgemeinen gesellschaftlichen Kraft auszugehen, die monolithische Moralvorstellungen vermittelt. Die Versammlungen von Pop-Fans stellen nur eine von zahllosen aktuellen „posttraditionalen“ Vergemeinschaftungsformen dar (vgl. Hitzler u. a. 2008) und es lässt sich vermuten, dass die hierbei verhandelte kollektive moralische Kraft sich eher auf die soziale Ordnung einer bestimmten Sub- oder Populärkultur oder auch einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung als auf die Gesamtgesellschaft bezieht. Welche ,Sub-Gemeinschaft‘ hierbei relevant ist, kann dabei nur empirisch geklärt werden. Der Frage, inwiefern sich frühe Erkenntnisse der Religionssoziologie auch auf moderne Gesellschaften und auf nicht-religiöse Erfahrungen übertragen lassen, kommt in den Schriften Victor Turners ein zentraler Stellenwert zu (Turner 1989a, orig. 1969 und 1989b, orig. 1982). Gerade die Rituale, die in den ethnologischen Beobachtungen tribaler und frühagrarischer Gesellschaften eine große Rolle spielen, sind seiner Ansicht nach keineswegs ein überkommenes Phänomen, sondern dienen Kollektiven in Zeiten der Verunsicherung noch immer zur Selbstvergewisserung. In diesem Sinne interessiert sich Turner im Anschluss an Arnold van Gennep für die sogenannten ‚Übergangsriten‘, die einen Orts-, Altersgruppen-, Zustands- oder auch Statuswechsel von Einzelnen oder von Gruppen begleiten. Nach einer Phase der Trennung von dem jeweils zu verlassenden Zustand weisen Übergangsriten eine Schwellenphase auf, die schließlich abgelöst wird von
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einer Zeit der Angliederung an den nun kommenden Status. Turner interessiert sich insbesondere für diese mittlere Phase des Übergangsrituals, die von ihm auch liminale Phase genannt wird und während der das rituelle Subjekt ein soziales Zwischenstadium und somit eine Zeit der Ambiguität durchläuft: „Schwellenwesen sind weder hier noch da; sie sind weder das eine noch das andere, sondern be¿nden sich zwischen den vom Gesetz, der Tradition, der Konvention und dem Zeremonial ¿xierten Positionen.“ (Turner 1989a: 95)
Dieser Zustand jenseits der Konventionen erlaubt einen spielerischen Umgang mit vertrauten Elementen, aus deren Verfremdung dann etwas Neues entsteht (Turner 1989b: 40). Die Liminalität stellt insofern keinen vorübergehend chaotischen Zustand vor der Reetablierung der alten Ordnung dar, sondern ist immer auch ein Moment der Kreation von neuen Modellen, Symbolen und Paradigmen (a. a. O.: 41). Ähnliche Phänomene lassen sich auch in modernen Industriegesellschaften ¿nden, wo sie weitgehend losgelöst sind vom Kontext der Übergangsriten. Während die für tribale und frühagrarische Gesellschaften typischen liminalen Phänomene durch Ernst und PÀicht gekennzeichnet und in einen sozialen Prozess integriert sind, entstehen liminoide (‚schwellenähnliche‘) Phänomene an den Rändern der zentralen Institutionen moderner Gesellschaften. Turner verweist hierbei auf die für diese Gesellschaften charakteristische Trennung zwischen Arbeit und Muße, wobei die Muße üblicherweise als unstrukturierte, ‚freie‘ Zeit betrachtet wird und als solche auch die Möglichkeit zur Hervorbringung zahlreicher ‚liminoider Gattungen‘ etwa im Bereich des Spiels und der Unterhaltung, jedoch auch der Hochkultur und des Sports birgt (a. a. O. 82). Auch hierbei kommt es zu einem spielerischen Umgang mit vertrauten Elementen und zu deren Neuanordnung, aufgrund der Aufspaltung liminoider Phänomene in verschiedene symbolische Gattungen jedoch auf wesentlich spezialisiertere Art und Weise, als dies in der Schwellenphase tribaler Initiationsriten der Fall ist (a. a. O.: 61). Turner geht davon aus, dass in modernen Gesellschaften liminale und liminoide Phänomene nebeneinander stehen. Während er die Liminalität religiösen Aktivitäten etwa von Kirchen oder Sekten oder auch den Initiationsriten bestimmter Gruppierungen zuordnet, lassen sich liminoide Phänomene vor allem im Bereich der genannten ‚Mußegattungen‘ ¿ nden. Letztere sind dementsprechend eher mit freier Wahl und Spiel assoziiert: „Man arbeitet am Liminalen, spielt aber mit dem Liminoiden“ (a. a. O.: 87, Herv. V. T.). Interessant ist hierbei, dass Turner in diesem Zusammenhang explizit darauf hinweist, das Liminoide sei oft eine kommerzielle Ware (a. a. O.), insofern also ebenso wie de Certeau und Willis den Bereich des Konsums als mögliche Quelle von Kreativität beschreibt (vgl. A 1.3). Vor dem Hintergrund der aktuellen Professionalisierung des Frei-
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zeitbereichs lässt sich Turners Gegenüberstellung von Arbeit und Spiel allerdings kritisch hinterfragen. Gerade im Hinblick auf die angesprochenen Vergemeinschaftungsprozesse Jugendlicher etwa bei Konzerten kann Turner insofern interessante neue Perspektiven eröffnen, als er als charakteristisches Element der Schwellenphasen die Entstehung einer neuen, unstrukturierten und undifferenzierten Gemeinschaft beschreibt, die er Communitas nennt (Turner 1989a: 96). Herausgelöst aus der Sozialstruktur, in die sie bislang eingegliedert waren, können ‚Schwellenwesen‘ laut Turner die Erfahrung einer inklusiven, großzügigen Art der Gemeinschaft mit anderen Menschen machen, die eine ebenso distanzierte Beziehung zur Struktur haben. Im Verhältnis zur Sozialstruktur stellt die Communitas deren ‚andere Seite der Medaille‘ dar, die Grenzen der beiden Formen sozialen Lebens de¿nieren sich im Vergleich miteinander (Turner 1989b: 79). Die Communitas ist jedoch per se unmittelbar und kann deshalb nie über längere Zeit bestehen, sondern mündet immer in eine Re-etablierung der Sozialstruktur, wenn auch in neuer Form. Insbesondere die spontane Communitas33 beschreibt Turner als „totale Konfrontation menschlicher Identitäten“ (a. a. O.: 74), sie geht mit einem Gefühl unbegrenzter Macht und des Verschmelzens von Handeln und Bewusstsein einher. Im Gegensatz zu Durkheims Beschreibung kollektiver Efferveszenz, die stark deren ekstatisches Element betont, charakterisiert Turner die Communitas weniger als Form kollektiver Steigerung, sondern eher als sehr harmonischen, idealen Zustand menschlicher Verbundenheit. Ebenso wie Efferveszenzerfahrungen stellt die Communitas jedoch auch eine sinnhafte Form der Vergemeinschaftung dar insofern Turner sie als einen konstitutiven Bestandteil sozialen Lebens beschreibt: „… jeder einzelne wird im Laufe seines Lebens abwechselnd mit Struktur und Communitas, Zuständen und Übergängen konfrontiert“ (Turner 1989a: 97). Darüber hinaus weist er ihr als Element des Schwellenzustandes auch das Potenzial zur Innovation und Veränderung bestehender Strukturen zu. Als Beispiel für Communitas verweist er in diesem Sinne in seinem früheren Text (von 1969) dann auch auf alternative Lebensformen wie die Beatgeneration und die Hippies. Interessanterweise spricht Turner in diesem Zusammenhang auch die sogenannten „teeny-bopper“ an, womit üblicherweise Jugendliche gemeint sind, die sich für Pop-Stars oder andere stilistische Modeerscheinungen begeistern.34 Turner rekurriert jedoch offenbar eher auf Hippies im Teenagealter (1989a: 111). Allerdings deutet sich hier an, dass die Communitas für Jugendliche, die van 33 Turner unterscheidet zwischen spontaner, ideologischer und normativer Communitas (Turner 1998b: 74 ff). 34 Eine einschlägige Untersuchung des „teeny-bopper“-Phänomens ist bei McRobbie/Garber (1982/ orig. 1976) nachzulesen.
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Gennep zufolge die Übergangsphase des Altersgruppenwechsels durchlaufen, eine besonders attraktive Vergemeinschaftungsform darstellen kann.35 Im Blick auf die im Kontext jugendtypischer Populärkulturen gebildeten Gemeinschaften erscheint Turners Gegenüberstellung von Communitas und Sozialstruktur allerdings sehr dichotomisierend. Yvonne Gaffer (1999: 58) weist darauf hin, dass eine Communitas sich nicht notwendig in einem Raum jenseits aller Regeln be¿ ndet, wie es Turner nahelegt, sondern statt dessen möglicherweise auf einer unbewussten, habitualisierten Ebene von Regeln strukturiert ist. Auch Monika Wagner-Willi (2001: 232) kritisiert Turners reduziertes Verständnis von Struktur als einer institutionalisierten und den Individuen äußerlichen Sozialstruktur. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Erlebniszusammenhanges, so Wagner-Willi, kann eine Gemeinschaft eine Struktur herausbilden, die jenseits institutioneller Zwänge dauerhaft fortwirkt. Ähnlich wie Joas vernachlässigt Turner insofern die habituelle Dimension menschlichen Handelns. Seine Beschreibung der Schwellenphase erlaubt es jedoch, die kollektiven Erfahrungen von Populärkulturen im Kontext notwendiger Aushandlungen in einer Übergangssituation zu betrachten.36 Theorien nicht-rationalen Handelns, wie sie von Joas, Durkheim und Turner entwickelt wurden, können meines Erachtens sehr fruchtbare Perspektiven auf die häu¿g spontanen, körperlichen und kollektiven kulturellen Äußerungsformen Jugendlicher eröffnen. Die Merkmale der Körperlichkeit und der Sozialität sowie die nicht-rationale Dimension einiger fan-typischer Handlungen sind vor dem Hintergrund dieser Theorien deutlich anders zu bewerten als dies in den zitierten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen der Fall ist. Während letztere die unmündige und destruktive Seite eines solchen Handelns herausstreichen, vermag insbesondere Joas zu verdeutlichen, dass gerade der EinÀuss vor-reÀexiver Strebungen auf unser Handeln sowie die Erfahrung des Kontrollverlustes und der Verschmelzung eine eigene Sinnhaftigkeit bergen. Die bei de Certeau und Willis formulierte Annahme einer kreativen Dimension populärkulturellen Handelns gewinnt vor dem Hintergrund von Joas’ Ausführungen deutlich an Kontur. In diesem Zusammenhang lässt sich jedoch weitergehend fragen, was denn nun mittels kreativen Handelns erschaffen, also kreiert werde. Dieses Problem verhandelt Joas im letzten Abschnitt seines Bandes: Auch der Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf (1998: 257) beschreibt die Jugend als liminale Situation, in der rituelles Verhalten der Inszenierung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden dient. Die von Jugendlichen inszenierte Kommunität kann Wulf zufolge einerseits Gemeinschaftsgefühle intensivieren und andererseits Widerstand gegen die Erwachsenen und deren Anpassung an bestehende Strukturen demonstrieren. 36 Für eine aktuelle ausführliche Auseinandersetzung mit dem Nutzen von Turners Ritualtheorie im Kontext der Fan-Forschung vgl. Mattig (2009). 35
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Dem Autoren zufolge bringt kreatives Handeln Ziele und Werte hervor, die insofern erst durch dieses Handeln entstehen, anstatt es zu motivieren. Mit dem Anspruch, die Einsicht in die Kreativität menschlichen Handelns einer normativen Beurteilung zu unterziehen, unternimmt er eine Kritik an ‚entmoralisierten‘, ‚verschütteten‘ und ,destruktiven‘ Formen kreativen Handelns, die sich beispielsweise in Yuppisierungstendenzen und Gewalttätigkeit äußern, wobei er davon ausgeht, dass insbesondere die destruktive Kreativität keinen Platz mehr im sinnvollen Leben ¿nden kann (a. a. O.: 374 ff). Während seine differenzierte Handlungskonzeption im Blick auf empirische Phänomene wie die Fan-Kultur sehr interessante neue Perspektiven eröffnet, gerade weil er Vorverurteilungen der beobachteten Phänomene zu vermeiden weiß, fällt Joas an dieser Stelle hinter seine eigene Errungenschaft zurück. Wie auch Christoph Liell (1999: 7 f) konstatiert, kann der Versuch einer a priori Unterscheidung zwischen gesellschaftlich sinnvollen und sinnlosen Formen der Kreativität nur auf Kosten der Perspektive der jeweiligen Akteure gelingen, die selbst ihrer Handlungsweise möglicherweise einen Sinn verleihen, der hier nicht erkannt wird. Dieses Argument lässt sich am Beispiel von empirischen Studien verdeutlichen, die am ,Erfahrungswissen‘ der Akteure ansetzen.37 Besonders interessant im Kontext der Frage nach dem Kreativitätspotenzial jugendkultureller Praktiken ist die Untersuchung der Arbeitsgruppe um Ralf Bohnsack zu jugendlichen Hooligans (Bohnsack et al. 1995). Der ,¿ght‘ als zentrale Praktik der HooliganGruppen hat, wie die Autoren analysieren, die Funktion einer Verstrickung in die Handlungszwänge eines ,situativen Aktionismus‘, welcher seinerseits im Zeichen der Konstitution einer ,episodalen Schicksalsgemeinschaft‘ steht. Diese Gemeinschaft dient der Überbrückung biographischer Diskontinuitäten und Verunsicherungen, gerade weil sie episodal bleibt, führt sie jedoch nicht zu einer habituellen Übereinstimmung, die die Entwicklung neuer kollektiver Orientierungen und Milieus erlaubte (wie sie von den Autoren in anderen Jugendkulturen beobachtet wurde). In diesem Sinne erscheint die Suche nach Gemeinsamkeit in den aktionistischen Praktiken der Hooligans zwar als Irrweg, sie hat jedoch gleichzeitig auch eine „positive Bedeutung“, da sie den Jugendlichen Lernprozesse im Bereich der Regelorientierung und der wechselseitigen Anerkennung ermöglicht (Bohnsack 1998: 112). Die hier untersuchten jugendkulturellen Praktiken sind insofern auf eine brüchige, vorübergehende und auch destruktive Weise kreativ und lassen sich dennoch nicht eindeutig als sinnlos einordnen, wie Joas dies tut. Der wissenssoziologisch begründete Begriff des Erfahrungswissens bezeichnet ein implizites atheoretisches Wissen, das in der Praxis angeeignet wurde und gleichzeitig eine Orientierungshilfe in der Praxis bietet, vgl. Bohnsack (2001a: 330 ff) und Mannheim (1964: 100). Siehe hierzu auch B 1.1. 37
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Ich werde nun abschließend noch genauer auf den vom Autorenkollektiv eingeführten Begriff des Aktionismus eingehen, weil er meines Erachtens nicht nur für die spezi¿sche Kreativität jugendkultureller Praktiken zu sensibilisieren vermag, sondern darüber hinaus auch die Ebene des habitualisierten Handelns miteinbezieht, welche sowohl von Joas als auch von Turner vernachlässigt wird. Wie Ralf Bohnsack und Arnd-Michael Nohl in einem späteren Artikel (2001) argumentieren, ist ein zentrales Strukturmerkmal aktueller Jugendkulturen die kollektive Handlungspraxis in ihrer aktionistischen Ausprägung. Der Begriff des Aktionismus, der sich auf nicht-reÀexive, nicht-rationale und spontane Handlungsformen bezieht, dient ebenso wie Joas’ Konzeption der Kreativität des Handelns einer Sensibilisierung für die empirisch beobachtete atheoretische, körperliche und kollektive Handlungsdimension, die Modellen zweckrationalen Handelns verschlossen bleibt. Die Funktion von Aktionismen kann einerseits in dem Wunsch bestehen, nach einem monotonen Arbeitsalltag ,abzuschalten‘, andererseits jedoch auch in der Suche nach neuen habituellen Übereinstimmungen und kollektiven Re-Orientierungen. Eine habituelle Übereinstimmung wird, wie die Autoren im Anschluss an Karl Mannheim (1980) argumentieren, auf der Basis einer gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem ,konjunktiven Erfahrungsraum‘ herausgebildet. Die Angehörigen einer Generation sind beispielsweise durch ähnliche Erfahrungen in einem konjunktivem Erfahrungsraum verbunden, ohne dass sie sich hierfür persönlich kennen lernen müssen. Wenn es aufgrund biographischer Brüche oder einer Erosion des Herkunftsmilieus nicht möglich ist, an einen konjunktiven Erfahrungsraum anzuknüpfen, kann eine habituelle Übereinstimmung auch über eine gemeinsam erlebte Handlungspraxis hergestellt werden. Mit dem Begriff der habituellen Übereinstimmung wird insofern ein Habitus beschrieben, der – im Unterschied zum Bourdieuschen Habitus – sich eher auf dem Weg der Konjunktion als der Distinktion bildet (vgl. Bohnsack 1997: 8). In diesem Sinne erlauben jugendliche Aktionismen in den Zeiten einer zunehmenden Desintegration von Milieuzusammenhängen eine episodale oder auch eine dauerhafte Konstitution einer Re-Orientierung im Rahmen einer neuen kollektiven Selbstverortung. Die vorgestellten Konzepte nicht-rationalen Handelns eröffnen eine differenzierte Perspektive auf die mögliche kreative Dimension fankultureller Praktiken. Während sich unter Bezug auf Willis et al. und de Certeau auf die der alltäglichen Praxis und Kommunikation per se innewohnende Kreativität hinweisen ließ, verdeutlicht Joas, dass auch ein spontanes Handeln, das keinen vorab festgelegten Entwürfen folgt und von vor-reÀexiven Strebungen beeinÀusst ist, Neues hervorbringen und sinnhaft sein kann. Empirische Studien belegen, dass gerade die efferveszente und aktionistische Dimension jugendkulturellen Handelns un-
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ter Umständen im Zeichen der Hervorbringung neuer Gemeinschaften und der Re-Orientierung steht. Das Hooligan-Beispiel wiederum lässt darauf schließen, dass Kreativität und Destruktion sich nicht notwendig ausschließen und auch, dass beispielsweise eine sich im situativen Aktionismus des ‚¿ghts‘ äußernde Kreativität sehr brüchig ist, da die hier hervorgebrachten Gemeinschaften keinen Bestand haben. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf empirische Untersuchungen jugendkultureller Aktionismen, dass die Frage, inwiefern die Kreativität derartiger Praktiken auch destruktive Elemente hat, beziehungsweise ob sie sich als sinnvoll bezeichnen lässt oder nicht, nur auf der Basis genauer rekonstruktiver Analysen zu beantworten ist.38 Die vorgestellten Ansätze vermögen insofern für die kreative Seite der FanKultur zu sensibilisieren, erst eine Rekonstruktion der Alltagspraxis und des Erfahrungswissens von Pop-Fans erlaubt jedoch eine Einschätzung, ob es sich hierbei um eine brüchige oder konstante oder gar eine destruktive Kreativität handelt und inwiefern diese als sinnvoll zu beurteilen ist. Da ich unter Bezug auf die Jugendstudien der Cultural Studies davon ausgehe, dass fankulturelle Praktiken auch insofern kreativ sind, als sie der Konstitution einer Populärkultur dienen, werde ich im Folgenden ergänzend Theorien zum kulturellen Handeln heranziehen. Diese eröffnen meines Erachtens eine weitere interessante Analyseebene bezüglich der möglichen Sinnhaftigkeit des Handelns von Fans. 2.2 Die Hervorbringung von (kulturellen) Realitäten im performativen Handlungsvollzug Unter Bezugnahme auf die Kulturkonzeption der Cultural Studies ist das ‚kreative Handeln‘ der Fans auch ein kulturelles Handeln, ein Handeln, das Kultur reproduziert oder auch hervorbringt. Die Annahme, dass Kultur sich nicht nur in – beispielsweise architektonischen – Artefakten manifestiert, sondern auch in dynamischen Prozessen zwischen kulturellen AkteurInnen, ist nicht nur für die Cultural Studies bedeutsam. Auch Durkheim und Turner stützen ihre kulturtheoretischen Überlegungen auf die Beobachtung menschlicher Interaktionen. In diesen Forschungen interessiert im Unterschied zu den Cultural Studies jedoch vor allem die Ebene der Aufführung und Darstellung von Handlungen in Ritualen und Inszenierungen. Sie lassen sich insofern einem Strang kulturwissenschaft38 Da Fans offensichtlich zahlreichen Praktiken alleine oder gemeinsam mit einer einzelnen Freundin nachgehen, ist es in diesem Zusammenhang interessant zu analysieren, ob der Aktionismus als kollektives Phänomen auch im Kontext von Dyaden-Konstellationen zu beobachten ist.
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licher Forschungen zuordnen, die sich insbesondere kulturellen Inszenierungen wie Festen, Ritualen, Konzerten, Spielen etc. zuwenden. Das Interesse für „cultural performances“39 kennzeichnet auch neuere Veröffentlichungen in den Geistes- und Kulturwissenschaften, so etwa die in der Zeitschrift ‚Paragrana‘ unter dem Titel „Kulturen des Performativen“ gesammelten Beiträge (Fischer-Lichte/ Kolesch 1998). In einem einführenden Artikel betont die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte den Nutzen einer Untersuchung der performativen Dimensionen gerade aktueller Kulturformen: „Unsere zeitgenössische Kultur lässt sich als eine Kultur der Inszenierung beschreiben oder auch als eine Inszenierung von Kultur. In allen gesellschaftlichen Bereichen wetteifern einzelne und gesellschaftliche Gruppen in der Kunst, sich selbst und ihre Lebenswelt wirkungsvoll in Szene zu setzen.“ (Fischer-Lichte 1998: 24)
Eine Sensibilisierung für den Inszenierungscharakter kultureller Phänomene kann meines Erachtens auch in Bezug auf die Fan-Kultur von Nutzen sein. Im Anschluss an Abercrombie und Longhurst ließ sich bereits darauf verweisen, dass eine einfache Zuordnung von Fans auf die Seite der MediennutzerInnen verkennt, dass sie selbst Performances hervorbringen, die zum zentralen Bestandteil der Medienrepräsentationen der entsprechenden Stars geworden sind (vgl. A 1.2). Die von Fischer-Lichte angesprochene ‚Kunst, sich in Szene zu setzen‘ äußert sich in spektakulären kollektiven Fan-Praktiken wie etwa dem Zusammenkommen an Orten, wo bestimmte Stars erwartet werden.40 Die performative Dimension kulturellen Handelns manifestiert sich jedoch möglicherweise auch in Praktiken, die wesentlich unauffälliger sind, aber dennoch zur Konstituierung einer Populärkultur beitragen. Im Folgenden werde ich die erwähnten Forschungen zu performativen kulturellen Prozessen dahingehend untersuchen, inwiefern sie zu einer Erweiterung meiner Forschungsperspektive auf populärkulturelle Praktiken von Fans beitragen können. Wichtiger Bezugspunkt der Erforschung von ‚Kulturen des Performativen‘ sind zum einen Performance-Theorien, die insbesondere in der Theaterwissenschaft diskutiert werden. Performance oder – eingedeutscht – Performanz bezeichnet in diesem Sinne Aufführungs-, Durchführungs- und Darstellungs39 Der Begriff der „cultural performances“ geht auf Singer (1959) zurück, der die große Bedeutung von rituellen und künstlerischen Performances für die Inszenierung des jeweiligen Selbstverständnisses einer Kultur hervorhob. 40 Dies geschah zum Beispiel auf sehr medienwirksame Weise als Leonardo di Caprio bei den Berliner Filmfestspielen 2000 erschien. Während di Caprio auch in den Medien nur äußerst kurz zu sehen war, nahmen die wartenden Fans, die auch genügend Zeit für Interviews hatten, einen breiten Raum in der Berichterstattung ein.
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praktiken (vgl. Pritsch 1999: 45). Der Performanzbegriff spielt jedoch auch in der Sprachanalyse eine Rolle, wo er in der Kommunikationstheorie Noam Chomskys als Gegenbegriff zur ‚Kompetenz‘ fungiert. Während Kompetenz sich auf die implizite Kenntnis eines Regelsystems bezieht, bezeichnet Performanz dessen faktische Realisierung in konkreten Sprechsituationen. Hiervon zu unterscheiden ist der Begriff des Performativen, wie er in der Sprechakttheorie John L. Austins entwickelt wurde, welche eine weitere wichtige Referenzquelle für aktuelle Theoretisierungen zur performativen Dimension von Kultur darstellt. In seinem einschlägigen Aufsatz „How to do things with words“ (1994, orig. 1962) verwehrt sich Austin gegen eine Konzeption von Sprache, die diese nur in ihrer deskriptiven Funktion zu fassen weiß. Zwar gibt es „konstative“ Äußerungen (a. a. O.: 27), die der Beschreibung von Phänomenen außerhalb der Sprache dienen und insofern auch als wahr oder falsch bezeichnet werden können. Darüber hinaus verweist Austin jedoch auf die Existenz performativer Äußerungen41: „Der Name stammt natürlich von ‚to perform‘, ‚vollziehen‘: man ‚vollzieht‘ Handlungen. Er soll andeuten, dass jemand, der eine solche Äußerung tut, damit eine Handlung vollzieht (…).“ (Austin 1994: 30)
Die performative Äußerung ist also eine diskursive Praxis, die das vollzieht oder hervorbringt, was sie benennt, Austin verweist beispielhaft auf die Trauungszeremonie, die Schiffstaufe, auf Wetten sowie auf Formulierungen wie: „ich bitte um Entschuldigung“. Im Gegensatz zu konstativen Äußerungen können performative Äußerungen nicht wahr oder falsch sein, sie können jedoch missglücken (etwa wenn ein Mann sagt: ‚ich nehme die hier anwesende XY zur Frau‘, tatsächlich aber bereits verheiratet ist, a. a. O.: 31). Voraussetzung für eine geglückte performative Äußerung ist, dass bestimmte Konventionen eingehalten werden und sie demzufolge im richtigen Kontext erfolgt. Für ganz besonders missglückt hält Austin eine auf der Bühne oder in einem Gedicht zitierte performative Äußerung (a. a. O.: 43 ff). In einer dekonstruktiven Lesart der Sprechakttheorie Austins verweist der Philosoph Jacques Derrida (1988) auf die Problematik der hier aufgemachten Dichotomie zwischen geglückten und missglückten performativen Äußerungen. Vor dem Hintergrund seiner eigenen sprachtheoretischen Überlegungen geht Derrida davon aus, dass sich die Bedeutungen sprachlicher Äußerungen immer wieder verschieben, weshalb sich diese auch nicht vollständig unseren Intentionen unIn einer Weiterentwicklung seiner Theorie gibt Austin die strikte Gegenüberstellung von konstativen und performativen Äußerungen auf und verweist auf die in jedem Sprechen wirksame performative Dimension, vgl. Krämer (1998: 42) und Pritsch (1999: 27).
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terwerfen lassen. Eine Bitte um Entschuldigung kann insofern völlig unabhängig von der Intention der sprechenden Person je nach Kontext als ernsthafte Entschuldigung, jedoch auch als Heuchelei, Ironie oder Lüge aufgefasst werden. In diesem Sinne kann Derrida Austins Konzeption eines stimmigen Kontextes als Voraussetzung für geglückte performative Äußerungen insofern nicht akzeptieren, als wir keine Möglichkeit haben, den Kontext unserer Äußerungen intentional vollständig zu bestimmen und festzulegen. Des Weiteren stellt er die von Austin konstruierte Gefahr eines Misslingens performativer Äußerungen durch deren Zitieren auf der Bühne in Frage. Dieses Zitieren, von Austin als ‚unernste‘ Ausnahme bezeichnet, beschreibt Derrida als „bestimmte Modi¿kation einer allgemeinen Zitathaftigkeit – einer allgemeinen Iterierbarkeit vielmehr –, ohne die es sogar kein ‚geglücktes‘ performativ gäbe“ (Derrida 1988: 309, herv.: J. D.). Jede Äußerung muss, um verständlich zu sein, einen zitathaften Charakter haben und ist eine Wiederholung, wobei ihre Bedeutung sich aber in immer neuen Kontexten immer wieder verschieben muss. Der für Derrida zentrale Begriff der Iterierbarkeit soll die im Sprachgebrauch typische Verbindung des Elementes der Wiederholung mit dem der Veränderung bezeichnen.42 Das von Austin und Derrida theoretisierte Performative muss nicht als Gegensatz oder Ergänzung zum Begriff der Performance gedacht werden, vielmehr handelt es sich hierbei um zwei Konzepte, die sich überschneiden und wechselseitig befruchten können. Inwiefern das komplexe Verhältnis der beiden Ansätze bei der Betrachtung kultureller Phänomene zum Tragen kommen kann, beschreibt Sybille Krämer wie folgt: „Die Debatte über ‚performance‘ und ‚Performativität‘ in den Kulturwissenschaften erinnert uns daran, daß ‚Performativität‘ nicht einfach heißen kann, etwas wird getan, sondern heißt, ein Tun wird ‚aufgeführt‘. Dieses Aufführen aber ist immer auch: Wiederaufführung. Die Wiederholung, also Iterabilität, die zugleich immer ein Anderswerden des Wiederholten einschließt, ist überall da am Werk, wo wir von etwas sagen können, daß es eine performative Dimension aufweist (…).“ (Krämer 1998: 38)
Performatives Handeln ist in dieser Beschreibung nicht nur iterativ (d. h.: eine Wiederholung, der eine Veränderung inhärent ist), sondern eben auch eine Aufführung, also eine Performance. Umgekehrt erfüllt Fischer-Lichte zufolge die Performance neben ihrer referentiellen Funktion immer auch eine performative Funktion: Einerseits verweist eine Bühnen-Performance auf bestimmte Figuren, Situationen etc., die außerhalb ihrer selbst liegen, darüber hinaus hat sie jedoch ‚Iterum‘ (lat.: ‚von neuem‘) leitet sich Derrida zufolge von ‚itara‘ ab, das im Sanskrit ‚anders‘ bedeutet (a. a. O.: 298).
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auch eine performative Ebene des schlichten Vollzugs von Handlungen, die für sich stehen (vgl. Fischer-Lichte 1998: 14). Inwiefern kann die neue Sensibilisierung für die performative Dimension kultureller Phänomene für eine Analyse von Fan-Praktiken fruchtbar gemacht werden ? Um diese Frage zu klären, ist es zunächst notwendig, die Konsequenzen der obigen Überlegungen für eine Untersuchung alltäglicher Handlungen zu untersuchen. Zunächst wird in den genannten Ansätzen immer wieder auf eine besondere Aufmerksamkeit für die Ebene des Vollzugs und der Aufführung sowie den „konstitutiven Charakter“ (Wulf/Göhlich/Zirfas 2001: 12) sozialer Handlungen verwiesen. Der Medienwissenschaftler Hans J. Wulff (1998) beschreibt die produktive, hervorbringende Dimension performativen Handelns wie folgt: „In einem ersten Schritt ist das Performative als Tätigkeit bestimmt, die ihre Sinnhorizonte durch sich selbst hervorbringt. Das Performative ist ein Geschehen in der Zeit, gebunden an Zeit und Prozeßhaftigkeit. (…) Performativ in diesem Sinne sind zahllose Tätigkeiten des sozialen Lebens, so daß Performationsanalyse wesentlich in Handlungsanalyse fundiert ist.“ (Wulff 1998: 219 f)
In dieser Beschreibung Wulffs werden die Parallelen der ‚Performationsanalyse‘ zu Joas’ Theorie des kreativen Handelns offensichtlich: Auch ein performatives Handeln ist keine Ausführung vorab festgelegter, zweckrationaler Entwürfe, sein Sinn entsteht vielmehr erst im Vollzug selbst. Seine prozesshafte und iterative Struktur lässt den Vollzug einer Handlung und deren Ergebnis ununterscheidbar verschmelzen. Performative Akte rekurrieren nicht auf eine ihnen äußerliche Realität, sondern sie bringen diese Realität im Handlungsvollzug selbst hervor. Sie haben daher eine kreative Ebene, sind jedoch immer auch auf die Tradierung, beziehungsweise das Zitieren von Altbekanntem angewiesen. Sibylle Krämer spricht in diesem Zusammenhang von einem komplizierten Wechselverhältnis von Bestätigung und Subversion (Krämer 1998: 48). Insbesondere die im Performativen zentrale Verbindung von Wiederholung und Neuschöpfung ¿ndet sich auch im Konzept der Mimesis wieder, wie es von den Anthropologen Gunter Gebauer und Christoph Wulf (1998) ausgearbeitet wurde. Die Mimesis als Fähigkeit zur „Anähnlichung“ (Wulf 1998: 242) ist eine Variante performativen sozialen Handelns, die meines Erachtens im Kontext einer Untersuchung von Fan-Praktiken von besonderem Interesse sein kann: Wie bereits erörtert (vgl. A 1.3), beziehen sich viele populärkulturelle Formen symbolisch auf medial Vorgegebenes, während andererseits auch die Medien populärkulturelle Phänomene aufgreifen und im eigenen Sinne zu nutzen wissen. Mimesis ist also offenbar ein zentraler Aspekt der heutigen Mediennutzungspraktiken.
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Der Mimesisbegriff wird üblicherweise im Kontext ästhetischer Diskurse verwendet. Gebauer und Wulf verweisen darauf, dass dieser bereits bei Aristoteles über das Nachschaffen von Vorgefundenem hinaus auch die Fähigkeit zur Veränderung beinhaltet. Diese Gedanken Aristoteles’ sind grundlegend für das Vorhaben der beiden Autoren, den Begriff der Mimesis für die Sozialwissenschaften nutzbar zu machen. Sie gehen davon aus, dass wir bei aller Eigenständigkeit unseres Handelns doch immer wieder handelnd Bezug nehmen auf Vorbilder oder Vorstellungen darüber, wie etwas zu machen sei (Gebauer/Wulf 1998: 8). „Im mimetischen Handeln erzeugt ein Individuum seine eigene Welt, bezieht sich dabei aber auf eine ganz andere Welt, die es – in der Wirklichkeit oder in der Vorstellung – bereits gibt.“ (a. a. O.: 7)
Mimesis konstituiert hierbei keinen Sonderbereich ganz bestimmter Handlungen, vielmehr ist das Alltagshandeln von mimetischen Zügen durchsetzt (a. a. O.: 17). Aufgrund der fortgeschrittenen Ästhetisierung der Welt, die insbesondere durch die zunehmende Bedeutung der Massenmedien gefördert wird, kommt es immer mehr zu Überschneidungen zwischen ästhetischer und sozialer Mimesis. Massenmediale Bilder verhalten sich, wie auch Wulf (1997: 1028) konstatiert, mimetisch zu angenommenen Wirklichkeiten. Im Kontext meiner Fragestellung muss weitergehend danach gefragt werden, inwieweit auch die Mediennutzung mimetische Prozesse miteinbezieht.43 Gebauer und Wulf beschreiben mimetische soziale Akte weitergehend als körperliche Aufführungen, die einen Darstellungsaspekt besitzen sowie als Bewegungen, die auf andere Bewegungen Bezug nehmen (Gebauer/Wulf 1998: 11 f). Die hier angesprochene körperliche Ebene wird insbesondere deutlich am Beispiel der Mimesis von Gesten und Ritualen. Hierbei handelt es sich nicht um eine einfache Imitation etwa der Gesten anderer, sondern eben um eine ‚Anähnlichung‘ an diese. Eine solche Anähnlichung erlaubt eine Überschreitung der eigenen Grenzen in Richtung der körperlichen Darstellungs- und Ausdruckswelt einer anderen Person. Die soziale Mimesis lässt sich insofern als notwendige Voraussetzung der Erfahrung der Außenwelt und der Begegnung mit dem Anderen bezeichnen (Wulf 1997: 1028). Im Anschluss an Turner begreift Wulf die Jugend als liminale Situation, die stark von rituellem Verhalten gekennzeichnet ist (Wulf 1998: 257). Das MimesisAuch Klein verweist in ihrer Studie zur Techno-Kultur (1999: 268) darauf, dass die Untersuchung mimetischer Vorgänge unerlässlich zur Erkenntnis der Konstruktion sozialer Wirklichkeit in modernen Mediengesellschaften sei. Sie selbst analysiert unter Bezug auf das Mimesis-Konzept das Phänomen des Tanzes. 43
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Konzept erlaubt nun eine genauere Analyse der Prozesse der Aneignung von Ritualen: Über die Mimesis kollektiver Rituale erfolgt eine Auseinandersetzung mit Sozialformen und deren Inkorporierung mit der im mimetischen Handeln gegebenen Möglichkeit individueller Ausgestaltung (a. a. O.: 254). Wulf führt weiterhin aus, dass die Mimesis sozialer Rituale es erlaubt, ein praktisches Körperwissen auszubilden. Dieses habituelle Wissen, das sich einer logischen Analyse immer bis zu einem gewissen Maße entzieht, wirkt wiederum unterstützend bei der Gestaltung der eigenen Lebenspraxis (a. a. O.: 260). Mimetische Akte entstehen in diesem Sinne zwar spontan, können jedoch ebenso wie Aktionismen langfristig in ein habitualisiertes Handeln übergeführt werden (vgl. A 2.1). Der besondere Vorteil des Mimesisbegriffs liegt meines Erachtens darin, dass er für die eigenständige Dimension bestimmter sozialer Prozesse zu sensibilisieren vermag, welche häu¿g als bloße Automatismen oder simple Imitation wahrgenommen werden. Er wird somit der Forderung Joas nach einer stärkeren theoretischen Öffnung für die kreative Seiten menschlichen Handelns gerecht und ermöglicht darüber hinaus gerade in Bezug auf jugendtypische Populärkulturen interessante neue Perspektiven: Nicht nur ist das Verhältnis zwischen medialen Produktionen und deren Nutzung als mimetisches charakterisierbar, sondern es lässt sich auch vermuten, dass bei der Entwicklung einer gemeinsamen kulturellen Praxis mimetische Prozesse eine Rolle spielen. Eine Anähnlichung an andere populärkulturelle Akteurinnen (die nicht selten mit dem Hinweis auf ‚peer pressure‘ erklärt werden) ¿ndet in diesem Sinne in einem Spannungsfeld zwischen der Aneignung bestimmter Vorgaben und ihrer individuellen Ausgestaltung statt. Wenn sich auch Mimesis als Fähigkeit zur performativen Darstellung, etwa von Gesten und Ritualen bezeichnen lässt (Wulf 1998: 242), so ist doch performatives Handeln dem mimetischen Handeln nicht gleichzusetzen. Mimetische Akte sind performativ und Wulf (2001) zufolge entsteht das Performative in der Regel in mimetischen Prozessen. Während im Mimesiskonzept der Aspekt der Anähnlichung grundlegend ist, wird in Überlegungen zum Performativen jedoch eher auf dessen Dimension des Vollzugs und der Hervorbringung verwiesen. So ist etwa der Versuch, einem Star mit Hilfe einer Haartönung ähnlicher zu sehen, eher ein mimetischer Akt als die Performance zahlreicher Fans, wie sie anlässlich der Ankunft Leonardo di Caprios bei den Berliner Filmfestspielen stattfand. Letztere lässt sich als performative Hervorbringung einer Fan-Communitas bezeichnen, kann allerdings auch mimetische Züge haben, insofern derartige Performances seit der Zeit der ,Beatlemania‘ zum etablierten Repertoire medialer Inszenierungen gehören und auch den di Caprio-Fans vermutlich vertraut sind. Als ein möglicher im Vollzug performativen Handelns sich ergebender Sinn, beziehungsweise dessen Ergebnis lässt sich die Konstituierung einer Populärkul-
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Teil A: Die Forschungsperspektive
tur benennen, wobei individuelle Praktiken – wie eben das Haarefärben – ebenso Berücksichtigung ¿nden wie kollektive. Eine solche Perspektive erlaubt es, nicht nur die kollektiven Eigenschaften der Fan-Kultur zu analysieren, sondern auch die kreative und performative Dimension einzeln verfolgter Fan-Praktiken in den Blick zu nehmen. Allerdings wäre es sicherlich zu kurz gegriffen, performatives Handeln lediglich im Rahmen eines einzigen Sinnkontextes zu interpretieren. Ein Verständnis des Performativen als „alles das, was (soziale) Realität wird, indem ich es handelnd vollziehe“ (Wulff 1998: 215) ermöglicht hingegen eine Sensibilität für eine Vielfalt von Antworten auf die Frage, welche Art von Realität hiermit gemeint sein könnte. Die in den letzten Jahren entstandenen verschiedenen Analysen des Performativen nehmen in diesem Sinne auch äußerst divergierende Phänomene in den Blick. So untersucht etwa Cindy Patton (1995) die medizinischen und politischen Diskurse um AIDS, John Tulloch (1999) sichtet Interviewmaterial zum Thema ‚Safer Sex‘ und Judith Butler (1997) unternimmt eine kritische Analyse feministischer Politik. Im Anschluss an Derrida thematisiert Butler außerdem die performative Hervorbringung von geschlechtlichen Identitäten. Da ich davon ausgehe, dass fankulturelle Auseinandersetzungen mit medialen Vorgaben sowie die Hervorbringung von Populärkultur nicht im luftleeren Raum statt¿ nden, werde ich im dritten Teil meiner theoretischen Annäherung an das Fan-Sein dessen Funktion vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Positionierung der AkteurInnen thematisieren. Insbesondere wende ich mich in diesem Zusammenhang den normativen Anforderungen zu, die mit der Identität einer weiblichen Jugendlichen verbunden sind. Wie ich hierbei zeigen werde, lässt sich mit Butlers Ansatz, geschlechtliche Identitäten als Ergebnis iterativer performativer Prozesse in den Blick zu nehmen, eine interessante Verbindung zwischen meinem handlungstheoretischen Zugang und meinen Überlegungen bezüglich der Wirkungsweisen geschlechtlicher Normen in der Jugendphase herstellen. 3
Fankulturelles Handeln als Weg der Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen in der Jugendphase
Die Beschäftigung jugendlicher Fans mit Pop-Gruppen umfasst zum einen die Nutzung bestimmter Massenmedien und zum anderen Praktiken, deren kreative und sinnhafte Dimension herausgearbeitet werden konnte (vgl. A 1. und A 2.). Die Populärkultur von Fans lässt sich vor diesem Hintergrund im Kontext der performativen Konstituierung von ‚popular cultural performances‘ sowie von neuen Gemeinschaften interpretieren, die der Aushandlung von Anforderungen dienen, welche aus der Schwellensituation der Jugendphase resultieren. Im nun folgen-
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Fankulturelles Handeln als Weg der Auseinandersetzung
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den Abschnitt werde ich den sich hierbei andeutenden Aspekt des Fan-Seins als Möglichkeit der Auseinandersetzung mit der jeweiligen aktuellen Lebenssituation noch weiter vertiefen. Im Sinne der Cultural Studies gehe ich davon aus, dass Mediennutzung und Populärkulturen stets im Rückbezug zu den sozialstrukturellen Kontextbedingungen der AkteurInnen zu interpretieren sind. Ein übergreifendes soziales Merkmal meiner Untersuchungsgruppe ist selbstverständlich ihre Zugehörigkeit zur Altersgruppe ‚Jugend‘, bei aller Uneindeutigkeit, die diese Charakterisierung mit sich bringt. In diesem Kontext wurde auf die Gefahr hingewiesen, in der Jugendforschung bestimmte Annahmen über den zu untersuchenden Gegenstand klammheimlich vorauszusetzen und somit bereits im Vorfeld der Forschung festzuschreiben. In diesem Sinne konstatiert Susanne Achternberg (2000): „Jugendforschung faßt Jugend in einer Weise, wie sie bei „Rasse“ und „Geschlecht“ verpönt ist, als vorgesellschaftliche Kategorie. Dies geschieht vor allem durch den mehr oder weniger impliziten Rekurs auf die Natur, wonach die biologische Krise die potentielle Devianz induziert.“ (Achternberg 2000: 285)
Achternberg plädiert insofern für eine Jugendforschung, die Jugendliche in erster Linie als aktive Konstrukteure ihrer sozialen Wirklichkeit betrachtet und es sich zur Aufgabe macht, ihre Kultur zu rekonstruieren (a. a. O.: 286). Auch Eva Breitenbach thematisiert in ihrer Arbeit zu „Mädchenfreundschaften in der Adoleszenz“ (2000: 9 f) die zunehmende Unklarheit in der Jugendforschung über eine feste De¿nition sowohl der Grenzen als auch der Inhalte der Jugendphase. Breitenbach vermeidet es bewusst, eine generelle Entscheidung bezüglich der Frage zu fällen, ob Elfjährige noch Kinder, beziehungsweise Achtzehnjährige schon Erwachsene seien, sie verweist hierbei auf individuelle Unterschiede und die Notwendigkeit, das Verhältnis der Probandinnen zu jugendlichen Praktiken und Orientierungen empirisch zu klären. Sie beschreibt das ‚jugendliche Subjekt‘ wie folgt: „Jugendliche treten auf andere Weise als in der Kindheit mit sich selbst und ihrem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld in Kontakt. Sie sind in der Regel in der Lage, auf welchem Niveau auch immer, zu sich selbst in ein reÀexives Verhältnis zu treten, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und in die Zukunft zu entwerfen. Familiäre Beziehungen und Beziehungen zu Gleichaltrigen werden neu verhandelt und neu gestaltet. Jugendliche sind ebenfalls genötigt, sich mit gesellschaftlichen Erwartungen und Zumutungen über eine angemessene Gestaltung der Jugendphase auseinanderzusetzen. Solche Vorgänge wurden und werden in der entwicklungspsychologischen Jugendforschung schwerpunktmäßig unter dem Thema ‚Identitätsentwicklung‘ be-
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Teil A: Die Forschungsperspektive schrieben, wobei die geschlechtliche Identität und die Entwicklung einer sexuellen Orientierung eine zentrale Rolle spielen.“ (Breitenbach 2000: 11)
In ihrer Charakterisierung der Jugendphase thematisiert Breitenbach die üblicherweise als Identitätsentwicklung (oder auch Identitätsbildung) bezeichneten Veränderungen aus der Perspektive gesellschaftlicher Ansprüche an Jugendliche. Mit dem Stichwort ‚geschlechtliche Identität‘ spricht sie ein zentrales Thema der Jugendforschung an: Mädchen-Sein ist etwas anderes als Jugendliche oder gar Frau zu sein und Jugendliche beiderlei Geschlechts sind in der Phase zwischen dem Kindheits- und Erwachsenenstatus damit konfrontiert, sich mit neuen Erwartungen bezüglich ihrer Geschlechtsidentität auseinander zu setzen. Diese Erwartungen umfassen immer auch die Aufgabe, „eine zur heterosexuellen Bindung geeignete Geschlechtsidentität herauszubilden“ (Hagemann-White 1993: 76). Im Kontext meiner Studie ist dieser Aspekt besonders interessant, da ich davon ausgehe, dass die Begeisterung für geschlechtshomogene Boygroups und Girlgroups stark im Dienste der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität steht. Eine meiner zentralen Fragen ist deshalb, inwiefern das Fan-Sein als Möglichkeit der Verhandlung geschlechtsbezogener gesellschaftlicher Erwartungen interpretiert werden kann. Da der Fan-Kultur hauptsächlich von Mädchen nachgegangen wird, richtet sich meine Aufmerksamkeit besonders auf die Anforderungen, die mit einer weiblichen Geschlechtsidentität verknüpft sind. In der folgenden Diskussion einer möglichen Interpretation der Handlungen von Fans im Kontext ihrer soziostrukturellen Positionierung werde ich mich im Zuge dieser Überlegungen auf die allen Probandinnen gemeinsame Zugehörigkeit zur Kategorie ‚Jugend‘ und zur Kategorie ‚Mädchen/Frau‘ konzentrieren. Hierbei interessiere ich mich in erster Linie für die normative Ebene, die zum Beispiel die in der Jugendphase relevante Konfrontation mit körperlichen Veränderungen mit ganz bestimmten sozialen Erwartungen verbindet. Inwiefern könnte die Auseinandersetzung mit den ‚Identitätsanforderungen‘, denen Fans gegenüberstehen, in ihrem populärkulturellen Handeln verankert sein ? Eine wichtige Referenz sind dabei die Analysen der Philosophin Judith Butler, die die komplexe Verbindung zwischen Diskursen über das Geschlecht und der Konstitution von geschlechtlich konnotierten Subjekten und Körpern thematisiert. Ihre Theorie ist aus diesem Grund für eine Untersuchung der normativen Ebene der ‚Vergeschlechtlichung‘ besonders geeignet. Darüber hinaus ist Butlers Perspektive – wie bereits angedeutet – insbesondere im Kontext meines handlungstheoretischen Zugangs interessant, da sie von einer performativen Hervorbringung des Geschlechts ausgeht. Ihr Ansatz soll daraufhin befragt werden, inwiefern er im Blick auf die Auseinandersetzung jugendlicher weiblicher Fans mit den erwähnten Anforderungen als sensibilisierender Theoriehintergrund be-
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trachtet werden kann (A 3.1). In einem nächsten Schritt (A 3.2) wende ich mich dem Vorgang der Identi¿zierung zu, der zum einen in Butlers Theoretisierung der Annahme geschlechtlicher Identitäten eine wichtige Funktion hat und zum anderen auch gerade im Zusammenhang mit dem Verhältnis von RezipientInnen zu medial vermittelten Personen immer wieder thematisiert wird. Wie ich darstellen werde, lässt sich der Begriff der Identi¿zierung als Angelpunkt zwischen der Begeisterung für Medienstars einerseits und Prozessen der Annahme einer Geschlechtsidentität andererseits bezeichnen. 3.1 Die iterative Herstellung des Geschlechts Ein zentraler Untersuchungsgegenstand in Butlers Bänden „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) und „Körper von Gewicht“ (1997) ist das Ineinandergreifen von Subjektkonstitution und geschlechtsbezogenen gesellschaftlichen Normierungen. Das folgende Zitat skizziert wichtige Eckpunkte von Butlers Konzeption der performativen Hervorbringung von Geschlechtsidentität und verweist zugleich auf zentrale theoretische Voraussetzungen ihres Denkens: „Wenn behauptet wird, das Subjekt werde selbst in einer und als eine geschlechtsspezi¿sche Matrix von Beziehungen erzeugt, so heißt das nicht, daß das Subjekt abgeschafft wird, sondern nur, daß man nach den Bedingungen seiner Entstehung und seines Wirkens fragt. (…) Die Matrix der geschlechtsspezi¿schen Beziehungen geht dem Zum-Vorschein-Kommen des ‚Menschen‘ voraus. Und in der Tat, mit der ärztlichen Interpellation (…) wechselt das Kleinkind von einem ‚es‘ zu einer ‚sie‘ oder einem ‚er‘; und mit dieser Benennung wird das Mädchen ‚mädchenhaft gemacht‘, es gelangt durch die Anrufung des sozialen Geschlechts in den Bereich von Sprache und Verwandtschaft. Damit aber endet das ‚Zum-Mädchen-Machen‘ des Mädchens noch nicht, sondern jene begründende Anrufung wird von den verschiedensten Autoritäten und über diverse Zeitabschnitte hinweg immer aufs neue wiederholt, um die naturalisierte Wirkung zu verstärken oder anzufechten. Das Benennen setzt zugleich eine Grenze und wiederholt einschärfend eine Norm.“ (Butler 1997: 29)
Deutlich wird zunächst die normative Macht, die Butler der Sprache einräumt: Der harmlos und ‚normal‘ erscheinende Satz des Arztes oder der Hebamme „es ist ein Mädchen“ wird hier als Auftakt einer andauernden einschränkenden Regulierung der Subjekte durch wiederholte ‚Anrufungen‘ beschrieben. Grundlage dieser Subjektkonzeption, die von einer diskursiven Produktion des Subjekts ausgeht, ist die poststrukturalistische Theorie speziell in ihrer Ausarbeitung bei Jaques Lacan, Michel Foucault und Louis Althusser. So verweist
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Teil A: Die Forschungsperspektive
etwa Foucault darauf, dass Diskurse kein Phänomen des Ausdrucks seien: sie werden nicht von autonomen und zentrierten Subjekten erzeugt, sondern stellen ihrerseits Subjektpositionierungen bereit und je nachdem, von welcher Position aus wir sprechen, konstituiert sich unsere Subjektivität neu, weshalb Foucault auch von einer ‚Verstreuung‘ des Subjekts spricht (vgl. Foucault 1990: 82, orig. 1969). Die im obigen Zitat angesprochene Anrufung beziehungsweise Interpellation der Subjekte durch Vertreter institutioneller Autorität bringt die Ebene von Macht und Unterwerfung mit ins Spiel, die Althusser in seiner Ideologiekritik entwickelt. Althusser zufolge ist die Interpellation eine zentrale Wirkungsweise von Ideologie: Die Ideologie ‚rekrutiert‘ Subjekte, indem sie sie etwa als Frau, Bürger etc. anruft. Diese nehmen gleichzeitig die ihnen zugewiesene Subjektposition an, wobei sie die Konstituiertheit ihrer eigenen Subjektivität durch ideologische Anrufungen jedoch verkennen (vgl. Weedon 1991: 46).44 Die von Butler angesprochene Norm ‚verbirgt‘ sich somit gewissermaßen in den Namen mit denen wir gerufen werden und die uns bestimmte Positionen in den jeweils relevanten Diskursen zuweisen. Diese Zuweisungen stehen insofern in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen, als verschiedene Subjektpositionen mit mehr Macht und auch mit mehr Normalität verknüpft sind als andere. Vor diesem Hintergrund lässt sich die bei (oder vor) der Geburt erfolgende geschlechtliche Interpellation als performativer Akt bezeichnen, der hervorbringt, was er benennt, nämlich ein geschlechtlich eindeutig zugeordnetes Subjekt. Dieses wird in die von Butler angesprochene ‚Matrix der geschlechtsspezi¿schen Beziehungen‘ (die sie an anderer Stelle auch ‚heterosexuelle Matrix‘ nennt) hineingeboren und kann nur in ihr und durch sie einen Subjektstatus erlangen: Die Art und Weise, wie wir uns selbst und die Welt wahrnehmen, ist immer bereits von den Regeln des Diskurses konstituiert. Unter der heterosexuellen Matrix ist das Raster der kulturellen Intelligibilität zu verstehen, durch das die Körper, Geschlechtsidentitäten und Begehren naturalisiert werden (vgl. Butler 1991: 219). Das bedeutet, dass in der Anrufung als Mädchen bereits das Konstrukt einer heterosexuellen Weiblichkeit mitschwingt, die sich begehrend auf die Männlichkeit als die andere, notwendig komplementär angelegte Geschlechtsidentität bezieht. Butler geht davon aus, dass die kulturellen Ideale von Weiblichkeit und Männlichkeit mit einer Idealisierung der heterosexuellen Bindung einhergehen und dass die geschlechtliche Interpellation „es ist ein Mädchen“ die ebenfalls per-
Ein Beispiel für ideologische Anrufungen ist auch die notorische Behandlung von MigrantInnen als ‚Fremde‘ in der deutschen Gesellschaft, die dazu führen kann, dass sie sich in Prozessen der ,Selbstethnisierung‘ stärker als je zuvor auf die Kultur ihrer Herkunftsländer beziehen (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999). 44
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formative Äußerung „ich erkläre euch zu Mann und Frau“ schon vorwegnimmt (Butler 1997: 318). Die normative Regulierung der Subjekte erfolgt Butlers dekonstruktivem Ansatz zufolge jedoch nicht nur über die diskursive Bereitstellung eines Bereiches intelligibler Bedeutungen von Geschlecht, sondern ebenso über die Konstruktion eines notwendigen ‚Außen‘, das aus der Norm herausfällt und es erst möglich macht, die Grenze des Intelligiblen zu bestimmen. In das „konstitutive Außen“ (Butler 1997: 259) der heterosexuellen Matrix fallen alle Begehrensformen, die sich nicht als eindeutig heterosexuell klassi¿zieren lassen, jedoch auch geschlechtlich unbestimmte Körper, die nicht als männlich oder weiblich ‚anrufbar‘ sind. Der Ausschluss dieser Körper auf der diskursiven Ebene zieht die Unmöglichkeit nach sich, ein geschlechtlich ambivalentes Kind aufzuziehen und hat in den meisten Fällen konkrete operative Eingriffe zur Folge. Die Geschlechter-Normen konstituieren jedoch nicht nur insofern die Materialität der Körper, als sie ‚Korrekturen‘ bei geschlechtlich uneindeutigen Körpern verlangen. Butler zufolge bestimmen sie auch unseren Zugang zu körperlichen Phänomenen, was es letztlich unmöglich macht, zwischen einer diskursiven Konstruktion und einer körperlichen Erfahrung zu unterscheiden (vgl. auch Butler 1993). Die diskursiven Zwänge, unter denen die Erfahrungen von Frauen produziert werden, wirken sich schließlich auch auf die Erscheinungsweisen der Geschlechtskörper („gender performances“) aus. Die mit unserer jeweiligen Geschlechtsidentität verknüpften gesellschaftlichen Erwartungen beeinflussen in diesem Sinne die Art und Weise, wie wir unsere Körper wahrnehmen, jedoch auch, wie wir diese andern gegenüber präsentieren.45 Aufgrund immer wieder neu erfolgender Anrufungen kommt es zu einer steten Wiederholung geschlechtlich konnotierter Selbstinszenierungen, die sich schließlich in einem habitualisierten „leiblichen Stil“ niederschlagen (Butler 1991: 205). Der Zwang zur Wiederholung, dem gender performances unterliegen, erzeugt den Effekt einer Naturalisierung dichotomer Geschlechtsidentitäten: „Diese im allgemeinen konstruierten Akte, Gesten und Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Er¿ndungen sind. Daß der geschlechtlich bestimmte Körper performativ ist, weist darauf hin, daß er keinen So führt beispielsweise die kulturelle Verknüpfung von Weiblichkeit und körperlicher Attraktivität dazu, dass viele Frauen ihren eigenen Körpers als ‚zu dick‘ wahrnehmen und sich dementsprechend Diäten unterziehen, beziehungsweise die jeweiligen Körperstellen aufwendig kaschieren, vgl. hierzu auch Haug (1988).
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Teil A: Die Forschungsperspektive ontologischen Status über die verschiedenen Akte, die seine Realität bilden, hinaus besitzt.“ (Butler 1991: 200, Herv.: J. B.)
Die Art und Weise, wie wir unsere Körper inszenieren, wird im Sinne dieser Konzeption weder als ‚Ausdruck‘ einer gegebenen Geschlechtsidentität, noch als Annahme und Ausfüllung einer ,Geschlechterrolle‘ durch ein souveränes Subjekt verstanden. Vielmehr bringen diese performativen Inszenierungen das geschlechtlich positionierte Subjekt erst hervor.46 Performative Akte können sich insofern in Butlers Beschreibung sowohl auf diskursive Anrufungen der Subjekte beziehen, als auch auf körperliche Gesten und Inszenierungen, die als ,leibliche Zeichen‘ den scheinbar natürlich gegebenen Geschlechtskörper immer wieder konstituieren.47 Die diesen Überlegungen implizite Absage an biologische Begründungen für die Zweigeschlechtlichkeit teilt die Autorin mit konstruktivistischen Perspektiven auf das Geschlechterverhältnis. Ihre These der Performativität des Geschlechts weicht jedoch auch in einigen wichtigen Punkten von konstruktivistischen Ansätzen ab. Im Sinne beider Zugänge ist unsere jeweilige Geschlechtszugehörigkeit nicht angeboren und unveränderbar, sondern wird immer wieder neu hergestellt. Während im Konstruktivismus vorrangig die Prozesse der Herstellung zweier dichotom angelegter Geschlechtsidentitäten nachvollzogen werden, bezieht der dekonstruktive Ansatz Butlers auch von vornherein den Bereich des ‚konstitutiven Außens‘ in die Analyse mit ein, das den Konstruktionen sinnvoller Geschlechter als Kontrastfolie dient. Jede Art von Normalitätskonstruktion geht in dieser Lesart mit der Konstruktion eines Bereiches von Abweichungen einher: So ist etwa der abgewertete Bereich der Homo- und Bisexualität Garant für die Normalität der Heterosexualität und ein gesunder Körper lässt sich nur in Abgrenzung von kranken und behinderten Körpern als solcher verstehen. Im dekonstruktiven Denken ist insofern nicht nur die Frage wichtig, welche Körper konstruiert werden, sondern immer auch, welche Körper nicht konstruiert werden (a. a. O.: 40).
Zur Unterscheidung zwischen performativen und expressiven körperlichen Aufführungen vgl. auch Tervooren (2001a: 159). 47 Während Butler in „Körper von Gewicht“ (1997) Performativität als die Macht der Diskurse, Subjekte im Kontext der heterosexuellen Matrix erst hervorzubringen theoretisiert (a. a. O.: 22), nimmt sie in „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) eher die performative Herstellung der Geschlechtskörper über ,Akte und Inszenierungen‘ in den Blick. Die beiden Herangehensweisen stehen jedoch nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich vielmehr: Während das Performativitätskonzept die Voraussetzungen der Entstehung geschlechtlich verorteter Subjekte zu fassen sucht, legt die Analyse iterativer ‚gender performances‘ den Fokus auf die Ebene menschlichen Handelns. Zum Vergleich der beiden Bände siehe auch Pritsch (1999: 29 ff). 46
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Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen beiden Analyseeinstellungen ist darüber hinaus, dass der zentrale Aspekt der Wiederholung von Geschlechter-Normen in Butlers Überlegungen immer auch mit deren Verschiebung und Veränderung einhergeht. Unter Bezugnahme auf Derridas Überlegungen zur Iterabilität performativer Äußerungen (vgl. A 2.2) verweist die Autorin darauf, dass Wiederholungen niemals Ausfertigungen desselben seien: Unsere Inszenierungen werden zwar nur dann als sinnvoll verstanden, wenn sie sich bis zu einem gewissen Maße den geschlechtlichen Normen beugen. Durch die immer neuen Kontexte, in denen diese Normen wiederholt werden, kommt es jedoch zu ihrer immer neuen Verschiebung. Gerade die Iterabilität der performativen Herstellung von Geschlechtsidentität beinhaltet in Butlers Theorie die Möglichkeit, die regulative Macht der Diskurse zu unterlaufen. Zum einen zeigt die Notwendigkeit der ständigen Wiederholung geschlechtlicher Normen, dass die Körper sich ihrer Regulierung immer bis zu einem gewissen Maße entziehen. Andererseits tun sich in den iterativen Wiederholungen selbst feine Risse auf. Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang von „konstitutiven Instabilitäten“ (a. a. O.: 33), womit all das gemeint ist, was der Norm entgeht und nicht vollständig de¿niert werden kann. Somit theoretisiert sie das menschliche Handeln nicht als determiniert, sondern gesteht diesem gewisse Spielräume zu, wobei allerdings vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen noch nicht deutlich wird, wie ein Widerstand gegen normierende Diskurse, die unser Selbstverständnis und unsere Erfahrungen regulieren, überhaupt motiviert sein könnte. Aus welchem Grund kommt es immer wieder zu non-konformen „gender performances“, wie sie etwa von Barry Thorne (1993) auf Schulhöfen beobachtet und als ‚crossing‘ beschrieben wurden ? Um diese Vorgänge besser zu verstehen, ist es notwendig, die Geschlechtsidentität nicht nur als diskursiv regulierte Inszenierung, sondern als „Spiel zwischen Psyche und Erscheinung“ (Butler 1997: 321, Herv.: J. B.) zu begreifen. Die psychische Ebene einer performativen Herstellung von Geschlechtsidentität diskutiert Butler unter Hinzuziehung einer psychoanalytischen Perspektive insbesondere auf das Phänomen der Identi¿zierung. Bevor ich diesen weiteren Aspekt ihrer Theorie in 3.2 erörtere, werde ich im Folgenden erste Überlegungen zum Nutzen des Performativitätskonzepts im Kontext meiner Fragestellung formulieren. Im Blick auf die im Rahmen meiner Studie interessierenden Fan-Praktiken wird zunächst deutlich, dass Butlers Argumentation aufgrund ihrer sprachphilosophischen Ausrichtung der Ebene konkreter Handlungen, Interaktionen und Gemeinschaftsbildungen im Alltag wenig Aufmerksamkeit zollt. Da ihre konkreten Beispiele eher aus dem Bereich der Politik und der Kunst stammen, erscheint es zunächst nicht naheliegend, ihre Ausführungen auch auf alltägliche Phänomene
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zu beziehen.48 Jedoch erweist sich ihre Theorie als sehr fruchtbar, wenn sie in Ergänzung zu den in A 2. vorgestellten Untersuchungen performativen Handelns herangezogen wird: Im Zuge meiner Überlegungen zur kreativen Dimension populärkultureller Praktiken konnte ich ‚popular cultural performances‘ als Ergebnis performativer Handlungsvollzüge beschreiben. Im Kontext von Butlers Ausführungen erweist sich die performativ hervorgebrachte ‚soziale Realität‘ (Wulff 1998: 215) als geschlechtlich strukturierte Realität und es eröffnet sich eine Perspektive auf ‚gender performances‘ als Effekt performativer Anrufungen und leiblicher Stile. Da an der Schwelle zwischen Kindheit und dem Erwachsenenstatus den Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschlechtsidentität eine besondere Bedeutung zukommt, lässt sich vermuten, dass performative Akte und Inszenierungen jugendlicher Fans auch im Dienste der Hervorbringung von ‚gender performances‘ stehen. Aufgrund der Iterabilität performativer Akte sind geschlechtlich konnotierte Selbstinszenierungen jedoch in sich brüchig und auf stete Wiederholung angewiesen, um natürlich zu wirken. Gerade in der Schwellenphase zwischen Kindheit und Jugend – so lässt sich vermuten – hat die performative Hervorbringung von Geschlechtsidentität einen besonders tastenden und womöglich spielerischen Charakter. Jugendliche sind mit neuen gesellschaftlichen Erwartungen bezüglich einer adäquaten „geschlechtsreifen gender performance“ konfrontiert, denen sie dementsprechend noch nicht selbstverständlich und routiniert nachkommen können. Im Zusammenhang mit dieser fehlenden Habitualisierung eines geschlechternormativ angemessenen Verhaltens ist sowohl ein spielerischer Umgang mit Geschlechter-Normen denkbar als auch eine besondere Unsicherheit und Angst vor Übertretungen. In Bezug auf meine empirische Studie ermöglichen Butlers Überlegungen eine Sensibilisierung für Auseinandersetzungen mit geschlechtsbezogenen normativen Erwartungen, die sich auf einer handlungspraktischen Ebene vollziehen. Die kreativen Praktiken jugendlicher Fans können in dieser Lesart neben ihrer populärkulturellen Vergemeinschaftungs- und Distinktionsfunktion auch einer experimentellen geschlechtlich konnotierten Selbstinszenierung dienen. 48 Auch Tervooren (2001a: 179) weist darauf hin, dass Butler trotz des zentralen Stellenwertes des Körpers in ihrer Theorie dessen konkrete Akte kaum thematisiert. Butler ist zudem vorgehalten worden, die Bedeutung materieller gesellschaftlicher Bedingungen bei der Konstruktion hierarchisierender Differenzen zu vernachlässigen, vgl. hierzu Annuß (1997) und Gutiérrez Rodríguez (1999: 200 ff). Dennoch konnte ihre Theoretisierung der Performativität von Geschlecht in den empirischen Untersuchungen etwa von Gutérrez Rodríguez (1999) und Tervooren (2001a und 2006) als äußerst produktive Forschungsperspektive herangezogen werden. Zum Nutzen poststrukturalistischer Theorien als sensibilisierendes Konzept in der qualitativen Forschung vgl. auch Forster (2001) und Fritzsche (2001).
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Eine Verbindung meines handlungstheoretischen Zugangs mit dem geschlechtertheoretischen Ansatz Butlers hat zudem den besonderen Vorteil, dass letzterer die Möglichkeit eröffnet, Handlungen im Kontext gesellschaftlicher Normierungen zu interpretieren. In einer vom „symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit“ (Hagemann-White 1984) strukturierten Kultur können sich auch populärkulturelle Praktiken nicht in einem geschlechtsneutralen Terrain bewegen. Die feministische Forschung hat in zahllosen theoretischen und empirischen Arbeiten auf den abwertenden und einschränkenden Charakter der mit der der Kategorie ‚Frau‘ verbundenen Normierungen hingewiesen. So beschreibt etwa Jessica Benjamin (1994), dass im Zuge der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Gechlechtern Unabhängigkeit, Handlungsfähigkeit und ein aktives sexuelles Begehren symbolisch mit Männlichkeit verbunden sind, während die Zuständigkeit der Frauen für den Reproduktionsbereich Weiblichkeit mit Abhängigkeit, Passivität und dem freiwilligen Verzicht auf eigene Interessen assoziiert. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Pluralisierung von Lebensformen und der kulturellen und ökonomischen Verselbständigung von Frauen ließe sich vermuten, dass auch konventionelle Zuschreibungen an die Geschlechter an Gültigkeit verlieren. Abgesehen davon, dass Frauen trotz einer scheinbar selbstverständlichen Chancengleichheit der Geschlechter heute noch immer mit verdeckten und offenen Benachteiligungen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, (Oechsle/Geissler 1998) deuten allerdings viele Untersuchungen darauf hin, dass die alten Skripte normativer ,Geschlechterrollen‘ noch nicht passé sind. So beschreibt beispielsweise Mechtild Oechsle (1998) auf der Basis ihrer empirischen Studie zur Lebensplanung junger Frauen die anhaltende Wirkungskraft des Leitbildes der ‚guten Mutter‘, welches im Widerspruch steht zum häu¿g parallel gültigen Leitbild der ‚selbständigen Frau‘.49 Andere Forschungen verweisen auf die kulturelle Verknüpfung von Weiblichkeit mit dem Ideal der romantischen Liebe, das ebenso den Verzicht auf eigene Interessen und ein Dasein für andere nahelegt (Hessische Mädchenstudie 1986; Helfferich 1994: 124). Karin Flaake (1998: 49) geht davon aus, dass die Norm der Heterosexualität (zumal in ihrer romantischen Überhöhung) selbstbezogene und homoerotische Wünsche tabuisiert und die Wertschätzug weiblicher Körperlichkeit von Bestätigungen durch das andere Geschlecht abhängig macht. In diesem Zusammenhang ist bereits häu¿g die normierende Kraft kultureller Schönheitsideale konstatiert worden, die die Attraktivität für andere als scheinbar natürliches Weiblichkeitsattribut konstruieren und gerade in einer Zeit körperlicher Veränderungen einschränkend und verunsichernd wirken (vgl. z. B. Haug 1988, Stein-Hilbers 2000: 50). Die 49 Die ,gute Mutter‘ ist primär zuständig für das Wohl ihres Kindes (zumindest in dessen ersten Lebensjahren) und stellt alle anderen Interessen dementsprechend zurück, vgl. Oechsle (1998: 190).
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Jugendphase gilt darüber hinaus auch deshalb als besonders konÀikthaft für Mädchen, als sie zwar im Zeichen der Ablösung von der Familie und des Erlernens von Autonomie und Eigenverantwortlichkeit steht (Hurrelmann/Rosewitz/Wolf 1985: 15), insofern jedoch mit dem Weiblichkeitsideal des Daseins für andere und der Orientierung an Außenbewertungen konÀigiert. Insbesondere von psychoanalytisch orientierten Theoretikerinnen ist aus diesem Grund die Adoleszenz von Mädchen oft als Zeit einer ‚Bindungskrise‘ (Brown/Gilligan 1997), der Selbstzurücknahme und des Verlustes an Selbstvertrauen beschrieben worden (zusammenfassend: Flaake 1998: 44 ff). Demgegenüber stehen Konzepte der Adoleszenz als ‚zweiter Chance‘, die aufgrund des wachsenden EinÀusses der nichtfamiliären Umwelt die Möglichkeit zur „Neustrukturierung der Persönlichkeit“ bietet (Erdheim 1988: 193), welche hoffen lassen, dass in dieser Lebensphase auch Mädchen die Gelegenheit zu neuen Aufbrüchen und der Entfaltung kreativer Potenziale haben (Flaake/King 1993: 30, Hagemann-White 1998: 29). Die Jugend als Schwellenphase ist im Sinne dieser Studien insbesondere auch mit einer Auseinandersetzung mit Geschlechter-Normen verbunden, die offenbar gerade für Mädchen die Gefahr von Verunsicherung und freiwilliger Selbsteinschränkung birgt. Es wäre jedoch sicherlich zu kurz gegriffen, Mädchen als hilÀose Opfer geschlechtlicher Normierungen zu betrachten. Zum einen geht eine solche Perspektive mit einer künstlichen Homogenisierung der Gruppe jugendlicher Mädchen einher. So vermag etwa Leonie Herwartz-Emden (1994) in ihrer Untersuchung von Migrantinnen aus der Türkei aufzuzeigen, dass diese das Leitbild der ‚guten Mutter‘ und der ‚selbständigen Frau‘ als gut vereinbar und keineswegs widersprüchlich betrachten. Inwiefern Mädchen sich gerade in der Jugendphase als verunsichert und eingeschränkt erleben, hängt darüber hinaus auch von der jeweils eingenommenen Forschungsperpektive ab: So konstatiert Carol Hagemann-White (1998: 28) ein mangelndes Interesse bisheriger Untersuchungen für die Frage, was Mädchen (oder auch Jungen) selbst vorrangig wichtig ist und sie beschäftigt. In diesem Sinne lässt sich vermuten, dass eine Studie, die mit der Fan-Kultur einen wichtigen Interessenschwerpunkt vieler Mädchen in den Blick nimmt, womöglich eher die kreativen Möglichkeiten der Jugendphase herausstellen kann. Ein weiteres Argument gegen eine Forschungsperspektive, die lediglich die de¿zitäre Seite der Jugendphase von Mädchen herausstellt, leitet sich von der poststrukturalistischen Subjektkonzeption ab. Subjektivität wird in dieser Forschungsrichtung als von verschiedenen und teilweise widersprüchlichen Diskursen konstruiert verstanden, weshalb sie notwendig uneinheitlich und wandelbar ist (Weedon 1991: 35). Wie die poststrukturalistische Theoretikerin Alison Jones darstellt, kann es in diesem Sinne auch keine einheitliche Beschreibung dessen geben, was es heißt, ein Mädchen zu sein:
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„Girls become ,girls‘ by participating within those available sets of social meanings and practices – discourses – which de¿ ne them as girls (…) there is the constant reminder, from a post-structuralist perspective, that any talk of ,girls‘ must be seen as problematic because of its shifting meanings. (…) The point is, what it means to be a girl – to develop feminine subjectivities – in variable settings might differ signi¿cantly.“ (Jones 1993: 159, Herv. A. J.)
Die mit der Identität einer weiblichen Jugendlichen verknüpften Bedeutungen sind nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern verändern sich je nach historischem, kulturellem und sozialem Kontext. Wie die genannte Forschung von HerwartzEmden verdeutlicht, entfalten auch normative Erwartungen je nach Kontext eine ganz andere Wirksamkeit. In diesem Sinn kann hier darauf hingewiesen werden, welche geschlechtsbezogenen Normen in bisherigen Forschungen analysiert worden sind, inwiefern jedoch diese – oder auch andere – Normierungen strukturierend in das Leben der von mir untersuchten Gruppe eingreifen, kann nur auf einer empirischen Ebene geklärt werden. Die aufgeführten Analysen kultureller Codierungen von Weiblichkeit vermögen meines Erachtens zu verdeutlichen, welche Kraft der von Butler angesprochenen normativen Ebene der Geschlechtsidentität beizumessen ist. Im Rahmen meiner Forschung ist es deshalb wichtig zu beachten, dass geschlechtsbezogene Anrufungen auch medial vermittelt werden. Gerade die Kritik an der einschränkenden Macht des weiblichen Schönheitsideals ist häu¿g mit Hinweisen auf die Massenmedien verbunden. Im poststrukturalistischen Sinne lassen sich die Medien als eines von vielen Transportmitteln von Diskursen beschreiben, die geschlechtliche Bedeutungen festlegen, diese werden ebenso von bestimmten Institutionen (wie der Schule) produziert und in alltäglichen Interaktionen wiederholt.50 Ein Verständnis der Mediennutzung als aktiven Prozess der Bedeutungsproduktion verweist in diesem Kontext auf das komplizierte Spannungsverhältnis, in dem sich Populärkulturen bewegen: Sie dienen einerseits der kreativen Verhandlung normativer Anforderungen, welche andererseits auch über die Medien vermittelt werden, die ihre ‚symbolische Ressource‘ darstellen (vgl. A 1.2). Wie erläutert, bietet Butlers Performativitätskonzept die Möglichkeit zur Analyse der Anrufungen geschlechtlich positionierter Subjekte und der iterativen Reproduktionen von Geschlechter-Normen in alltäglichen Handlungsvollzügen. Im Sinne Althussers gehören die Medien zu den Institutionen, die Ideologien produzieren und verbreiten, vgl. A 1.2. In Bezug auf mediale Artikulationen erweist sich der Diskursbegriff allerdings insofern als unzulänglich als diese auch oft auf bildhafter Ebene statt¿ nden. Gerade hinsichtlich der (Re-)produktion von Schönheitsidealen ist meines Erachtens die normative Kraft von Bildern nicht zu unterschätzen. 50
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Teil A: Die Forschungsperspektive
Im Sinne eines besseren Verständnisses der psychischen Vorgänge, die zur Annahme oder auch Verweigerung normativer Anrufungen führen, werde ich im Folgenden auf die Vorgänge der Identi¿zierung und des Begehrens eingehen. 3.2 Von abgelenktem Begehren und verkehrten Identi¿zierungen Der Umstand, dass die meisten Menschen sich scheinbar komplikationslos einem der beiden zur Verfügung stehenden Geschlechter zuordnen und auch von anderen dementsprechend erkannt und angesprochen werden, ist im Sinne der obigen Ausführungen nicht der ‚Macht der Natur‘ geschuldet, sondern vielmehr der Macht des diskursiv vermittelten symbolischen Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Die Diskurse, zu denen wir Zugang haben, geben die Subjektpositionen vor, mit denen wir die Welt und unser Verhältnis zu ihr begreifen und regulieren somit den Bereich dessen, was für uns denk- und vorstellbar ist. Zwar können diese Diskurse untereinander widersprüchlich sein, sie sind jedoch von einer bestimmten symbolischen Ordnung51 gerahmt, die im hiesigen Kulturkreis beispielsweise die Existenz zweier sich ausschließender Geschlechtsidentitäten festlegt. Wie kommt es aber dazu, dass wir bestimmte Subjektpositionen dauerhaft als zu uns gehörig erkennen, oder anders gefragt: wie entstehen geschlechtliche oder auch andere Identitäten ? In seiner Auseinandersetzung mit dem Nutzen poststrukturalistischer Ansätze für eine Neukonzeption des Identitätsbegriffes de¿niert Stuart Hall diesen wie folgt: „I use ,identity‘ to refer to the meeting point, the point of suture, between on the one hand the discourses and practices which attempt to ,interpellate‘, speak to us or hail us into place as the social subjects of particular discourses, and on the other hand, the processes which produce subjectivities which construct us as subjects which can be ,spoken‘. Identities are thus points of temporary attachment to the subject positions which discursive practices construct for us (…).“ (Hall 1996: 5 f, Herv.: St. H.)
Hall beschreibt Identität somit als beidseitigen Vorgang der diskursiven Bereitstellung bestimmter Subjektpositionen einerseits und ihrer Annahme und Aneignung durch die Individuen andererseits. Gerade dieser doppelte Aspekt von Der Begriff der symbolischen Ordnung geht auf Jacques Lacan zurück. Lacan zufolge treten wir mit dem Erlernen der Sprache in die symbolische Ordnung ein. Im Unterschied zur Sprache hat diese jedoch keine Benennungsfunktion sondern geht unserer Existenz voraus und begründet die zwischenmenschlichen Beziehungen, vgl. Widmer (1990: 43 ff). 51
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Fankulturelles Handeln als Weg der Auseinandersetzung
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Anrufungen ist seines Erachtens von Althusser und Foucault nur unzureichend ausgearbeitet worden. Als sinnvollen Beitrag zum Ausgleich dieses Mankos poststrukturalistischer Theorien verweist er auf den von Judith Butler unter Bezugnahme auf psychoanalytische Ansätze formulierten Gedanken, die Annahme des Geschlechts erfolge durch Prozesse der Identi¿zierung. In der Psychoanalyse kommt dem Vorgang der Identi¿zierung allein deshalb eine zentrale Bedeutung zu, als angenommen wird, dass sich durch ihn das Subjekt konstituiert. Jean Laplanche und J.-B. Pontalis beschreiben die Identi¿zierung wie folgt: „Psychologischer Vorgang, durch den ein Subjekt einen Aspekt, eine Eigenschaft, ein Attribut des anderen assimiliert und sich vollständig oder teilweise nach dem Vorbild des anderen umwandelt.“ (Laplanche/Pontalis 1998: 219)
Die Autoren räumen auch die Möglichkeit von Identi¿zierungen mit kulturellen Idealen ein und weisen des Weiteren darauf hin, dass Identi¿zierungen im allgemeinen unvollständig52 und in ihrer Gesamtheit durchaus inkohärent und widersprüchlich sind (a. a. O.: 223). Butler beschreibt auch Identi¿zierungen mit der symbolischen Position einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsidentität als vorläu¿g und unvollständig: „Sie sind das, was dauernd arrangiert, verfestigt, unterbunden, angefochten wird und bei gegebenem Anlaß gezwungen wird, zu weichen.“ (Butler 1997: 152) Damit eine kohärente Geschlechtsidentität gewährleistet ist, müssen Identi¿zierungen mit den jeweiligen symbolischen Positionen ständig wiederholt werden. Wie jedoch kommt es überhaupt zu diesen Identi¿zierungen ? Im Sinne der Freudschen Theorie entwickeln wir von klein auf entweder Objektbesetzungen für unsere primären Bezugspersonen oder identi¿zieren uns mit diesen. Während der ödipalen Phase kommt es zu sexuell konnotierten Wünschen gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil, die im Zuge des Inzestverbotes sanktioniert werden und aufgegeben werden müssen. In dieser Phase der Verwirrung ist nun eine Möglichkeit, dass die Identi¿ zierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil verstärkt wird und gleichzeitig die Objektbesetzung als weniger fordernde ‚zärtliche Beziehung‘ zum gegengeschlechtlichen Elternteil aufrechterhalten wird. Freud weist jedoch darauf hin, dass es von dieser Variante, die als die normalere angesehen wird, auch Abweichungen gibt: So ist es auch möglich, dass das verbotene Begehren des gegengeschlechtlichen Elternteils in eine Identi¿zierung umgewandelt wird (Freud 1976: 260 f, orig. 1923). Die Umwandlung der 52 D. h.: wir identi¿zieren uns nicht vollständig mit einer anderen Person, sondern nur mit einem Zug von ihr.
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Teil A: Die Forschungsperspektive
Objektbesetzung eines jungen Mannes für seine Mutter in eine Identi¿zierung beschreibt Freud als verbreiteten Ausgangspunkt für die Genese der männlichen Homosexualität (Freud 1995: 70, orig. 1921). Beim Mädchen wiederum kann es sein, dass es in trotziger Missachtung der weiblichen Kastration an seiner primären Identi¿zierung mit dem Vater oder aber mit der phallischen Mutter festhält. Auch ein solcher „Männlichkeitskomplex“ des Mädchens beeinÀusst möglicherweise ihre Objektwahl im Sinne einer manifesten Homosexualität (Freud 1981: 106, orig. 1932). Die starre Gegenüberstellung von gleichgeschlechtlicher Identi¿ zierung und gegengeschlechtlichem Begehren, die Freud als idealtypisch im Sinne der Entwicklung einer stabilen Geschlechtsidentität beschreibt, wird von Butler als normativer Anspruch an die Subjekte im Sinne der heterosexuellen Matrix interpretiert. Sie weist darauf hin, dass dem normativ konstruierten Ideal einer stabilen Geschlechtsidentität eine reale Vielfalt komplizierter und rebellierender Identi¿zierungs- und Begehrensverhältnisse gegenüber steht: „Tatsächlich kann eine Frau die phantasmatischen Erinnerungsspuren ihres Vaters bei einer anderen Frau ¿ nden oder ihr Begehren nach der Mutter in einem Mann substituieren, wobei an diesem Punkt eine gewisse Überkreuzung des heterosexuellen und homosexuellen Begehrens zugleich wirksam ist. Wenn wir die psychoanalytische Annahme hinnehmen, daß primäre Verbote nicht nur die Ablenkungen des sexuellen Begehrens erzeugen, sondern einen psychischen Sinn für ‚Geschlecht‘ und sexuelle Differenz konsolidieren, dann folgt daraus offensichtlich, daß die kohärent heterosexualisierten Ablenkungen erfordern, daß die Identi¿ zierungen auf der Basis ähnlich sexuierter Körper bewirkt werden und daß das Begehren über die sexuelle Grenzlinie hinweg auf Angehörige des gegenteiligen Geschlechts abgelenkt wird. Wenn sich aber ein Mann mit seiner Mutter identi¿zieren kann und aus dieser Identi¿ zierung heraus ein Begehren erzeugen kann (ein zweifellos komplizierter Prozeß, dem ich hier nicht gerecht werden kann), hat er die psychologische Beschreibung einer stabilen Geschlechtsentwicklung bereits durcheinander gebracht.“ (Butler 1997: 144)
Die heterosexuelle Logik, der zufolge auf der Basis gleichgeschlechtlicher Identi¿zierungen notwendig das jeweils andere Geschlecht begehrt wird, kann zwar erreichen, dass bestimmte Identi¿zierungen verworfen oder verleugnet werden, es gelingt ihr jedoch nie, diese völlig in Schach zu halten. Abgesehen davon, dass ein Tabu selbst oft erotisch besetzt wird, schlägt eine schlichte Gegenüberstellung von Begehren und Identi¿zierung auch deshalb fehl, als etwa die Weiblichkeit selbst eine Vielzahl identi¿ katorischer Orte bietet und somit ein Feld für überaus komplizierte Identi¿zierungen und Begehren eröffnet (Butler 1997:
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Fankulturelles Handeln als Weg der Auseinandersetzung
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141 f + 328 f). Die performative Aneignung geschlechtlich konnotierter Subjektpositionen verläuft vor dem Hintergrund dieser Überlegungen keineswegs glatt oder unkompliziert, sondern geht mit einer komplizierten Aushandlung von Widersprüchen einher. An anderer Stelle beschreibt Butler (1996: 32 f) die Identi¿zierung als Vorgang der psychischen Mimesis. Sie geht wie Freud davon aus, dass das psychische Subjekt durch Identi¿zierungen konstituiert wird, wobei sie die These aufstellt, dass diese immer auch Personen des anderen Geschlechts mit einbeziehen, die mimetisch in das eigene Selbst integriert werden. In diesem Sinne wären geschlechtsübergreifende Identi¿zierungen Grundlage einer jeden Subjektivität. Butler macht insofern auf einen Bereich ‚verkehrter Identi¿zierungen‘ (1997: 150) aufmerksam, der von der heterosexuellen Matrix als kulturellem Deutungsmuster, das unsere Wahrnehmung der Geschlechter strukturiert, kontiniuierlich unsichtbar gemacht wird. Auch die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin (1994) thematisiert in ihrer Analyse der psychischen Entwicklung von Mädchen den Bereich ‚verkehrter Identi¿zierungen‘. Benjamin geht davon aus, dass auch im Kleinkindalter geschlechtsübergreifende Identi¿ zierungen geläu¿g sind, da Mädchen und Jungen beide Eltern als Ort der Anerkennung beibehalten wollen. Ferner verweist sie darauf, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern den Vater – als Repräsentanten der Außenwelt – auch für Mädchen zum interessanten Identi¿zierungsobjekt macht. Der Wunsch, dem Vater zu gleichen, hat dabei bei Jungen und bei Mädchen auch eine erotische Dimension, Benjamin spricht in diesem Zusammenhang von einer „identi¿katorischen Liebe“ (a. a. O.: 104), wodurch sie eine dichotome Konstruktion von Begehren und Identi¿zierung unterläuft. Die identi¿katorische Liebe des Mädchens zum Vater ist jedoch vor dem Hintergrund der kulturellen Konstruktion komplementär angelegter Geschlechtsidentitäten kompliziert und konÀikthaft: Je mehr die durch den Vater repräsentierte Männlichkeit als der Weiblichkeit entgegengesetzt wahrgenommen wird, desto eher erscheint die Identi¿zierung mit dem Vater als unrechtmäßige Aneignung: „Diese Identi¿kation verträgt sich nicht mit dem, was sie über ihre Stellung in den Augen des Vaters weiß.“ (a. a. O.: 110) Vor dem Hintergrund von Benjamins Überlegungen lässt sich vermuten, dass verkehrte Identi¿zierungen – im Sinne von gegengeschlechtlichen Identi¿zierungen – Frauen und Mädchen in gewisser Weise nahegelegt werden, insofern die kulturellen Repräsentationen von Männlichkeit häu¿g attraktiver sind als Weiblichkeitsrepräsentationen. Die psychoanalytische Annahme einer grundlegenden Funktion von Identi¿zierungen für unsere Subjektkonstitution verweist auf die wesentliche Bedeutung dieser Repräsentationen für unsere Möglichkeiten, uns selbst zu verstehen und nach außen zu präsentieren. Den EinÀuss von Identi¿zie-
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Teil A: Die Forschungsperspektive
rungsmöglichkeiten auf unsere Selbstwahrnehmung und -inszenierung beschreibt die poststrukturalistische Theoretikerin Bronwyn Davies mit den Worten: „Der Prozeß des Einschreibens in den Körper verläuft von der Vorstellung zur Wirklichkeit: was man sein kann, wird begrenzt durch die Vorstellung davon, was man sein könnte.“ (Davies 1992: 28)
Im Sinne von Benjamins Überlegungen kann die Vorstellung dessen, was wir sein könnten auch durch Repräsentationen des anderen Geschlechts inspiriert werden (wenn auch nicht komplikationslos). Die Hinweise der angeführten Theoretikerinnen auf die Möglichkeit Àüchtiger und komplexer Identi¿zierungs- und Begehrensverhältnisse, die die bestehende Geschlechterordnung immer wieder unterlaufen, können meines Erachtens in Bezug auf das Verhältnis jugendlicher Rezipientinnen zu medial vermittelten Stars eine sensibilisierende Forschungsperspektive eröffnen. Sozialwissenschaftliche oder auch Commonsense-Diskurse über die Beziehung von Fans zu ihren Stars verweisen sehr häu¿g auf hierbei statt¿ ndende Identi¿zierungen oder auch ein Verliebt-Sein der Fans. So vermutet etwa Jan Weyrauch in seiner Arbeit zu Boygroup-Fans, dass weibliche Fans die Boys schwärmerisch anhimmeln, während männliche Fans sich mit ihnen identi¿zierten (1997: 141). Diese Interpretation lässt vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen darauf schließen, dass entweder im Rahmen des Fan-Seins eine schlichte Reproduktion der heterosexuellen Matrix statt¿ndet, oder dass die schlichte Reproduktion dieser Matrix Weyrauchs Interpretation gesteuert und komplexere Beziehungsaufnahmen der interviewten Fans einem simpli¿zierenden Muster unterworfen hat. Aufgrund der eher Àüchtigen methodischen Vorgehensweise Weyrauchs sei hier letzteres vermutet (zu dieser Kritik vgl. auch Bif¿ 1999: 264). So verweisen andere empirische Arbeiten im Bereich der Mediennutzungsforschung auf durchaus komplizierte Begehrens- und Beziehungsverhältnisse: Beispielsweise kommen Frigga Haug und Brigitte HipÀ (1995: 133 ff) zu dem Schluss, dass das innige Verhältnis ihrer Probandinnen zur Fernsehgestalt ‚Winnetou‘ dadurch motiviert ist, dass dessen „Indianer-Sein“ als Symbol für ein neues Gemeinwesen ohne Geschlechterhierarchie wahrgenommen wird. Eine solche Identi¿zierung ließe sich dementsprechend eher als ,geschlechtsüberwindend‘ denn als ‚geschlechtsspezi¿sch‘ deuten. Jackie Stacey dagegen analysiert in ihrer Studie zu weiblichen Fans von Hollywooddiven (1994: 126 ff) eine Vielfalt verschiedener Identi¿zierungsformen und konstatiert darüber hinaus, dass Identi¿zierung und homoerotisches Begehren in Fan-Beziehungen sehr stark zusammenwirken können. Sie stellt insofern die in der psychoanalytischen feministischen Filmanalyse
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Zusammenfassende Darstellung der Forschungsperspektive
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häu¿g aufgemachte Dichotomie zwischen Begehren und Identi¿zierung in Frage und bezieht sich ihrerseits auf Benjamins Modell der identi¿katorischen Liebe. Auch Ien Ang und Joke Hermes (1994: 121 ff) warnen in ihrer theoretischen Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Geschlechts beim Medienkonsum vor einer vereinfachenden Sichtweise auf die Ebene der Identi¿zierung. Eine Forschungsperspektive, die sich stark auf geschlechtsbezogene Identi¿ zierungen konzentriert, läuft im Sinne der Autorinnen Gefahr, die Bedeutung des Geschlechts überzubewerten, weshalb es notwendig ist, danach zu fragen, inwiefern Identi¿zierungen im Rahmen der Mediennutzung auch auf der Basis anderer Gemeinsamkeiten (etwa einem gemeinsamen Migrationshintergrund) statt¿nden. Dieser Hinweis ist auch in Bezug auf das Verhältnis jugendlicher Mädchen zu geschlechtshomogenen Popgruppen nicht zu vernachlässigen: Auch wenn in den Inszenierungen von Boygroups und Girlgroups das Thema Geschlecht stark im Vordergrund steht, heißt das nicht, dass andere gesellschaftlich relevante Differenzen von vornherein eine weniger relevante Bedeutung bei der Mediennutzung haben.53 Inwiefern sich in den von mir untersuchten Fan-Beziehungen die Identi¿zierungs- und Begehrensverhältnisse ähnlich komplex gestalten wie in den genannten Untersuchungen, kann nur auf empirischer Ebene beantwortet werden. Die psychoanalytische Betonung der Bedeutung von Identi¿zierungen bei der Annahme einer Geschlechtsidentität deutet jedoch darauf hin, dass die jeweils aufgenommenen Beziehungen zu Medienstars eine wichtige Funktion bei der Auseinandersetzung mit der eigenen geschlechtlichen Identität haben können. Insbesondere in einer Lebensphase, die neue Identi¿zierungen und Objektbesetzungen erfordert und auch ermöglicht und in der die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität eine besondere Relevanz hat, kann die Fan-Kultur einen Ort darstellen, an dem dynamische, widersprüchliche und prekäre Identi¿zierungs- und Begehrensformen auf produktive Weise verhandelt werden. 4
Zusammenfassende Darstellung der Forschungsperspektive
Eine Untersuchung der Kultur weiblicher Fans von Pop-Gruppen begibt sich auf ein relativ unerforschtes Terrain und hat einen notwendig explorativen Charakter. Um diesem gerecht zu werden, habe ich mich in meiner Untersuchung für eine rekonstruktive methodische Vorgehensweise entschieden (vgl. auch B 1.1). Die rekonstruktive Forschung dient, im Unterschied zu hypothesenüberprüfenden Verfahren nicht der Veri¿zierung beziehungsweise Falsi¿zierung bereits 53
Zum methodischen Umgang mit Differenzen vgl. auch B 1.1.
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Teil A: Die Forschungsperspektive
existierender Theorien zum jeweiligen Gegenstand, sondern steht vielmehr selbst im Zeichen der Theoriegenerierung (vgl. Glaser/Strauss 1967). Es geht darum, neue Kategorien und ihre Beziehungen untereinander zu entdecken, die auf der Grundlage der Alltagspraxis und des Erfahrungswissens der Erforschten rekonstruiert werden (vgl. Bohnsack 2000: 10 und Strauss/Corbin 1996: 31 ff). Diese starke Orientierung am empirischen Material bedeutet nicht, dass im Forschungsprozess keine Literatur hinzugezogen werden kann. Jedoch ist es wichtig zu beachten, dass die verwendete Literatur den Blick auf die Empirie nicht insofern einschränkt, als sie diesen bereits in eine bestimmte Richtung dirigiert, sondern vielmehr der Erhöhung der „theoretischen Sensibilität“ (Strauss/ Corbin 1996: 25 ff) dient. Dies ist nur gewährleistet, wenn die Auseinandersetzung mit Theorien und die empirische Untersuchung nicht getrennt erfolgen, sondern in einem ständigen Wechselspiel zwischen ersten Interpretationen und Literatur recherchen erst entschieden wird, welche Theorien sich im Kontext der jeweiligen Studie als geeignet erweisen.54 Um eine Einschränkung des forschenden Blickes durch Vorannahmen über den jeweiligen Gegenstand zu vermeiden, sollten die der empirischen Untersuchung vorausgesetzten theoretischen Kategorien ferner nicht inhaltlich-gegenstandsbezogener, sondern metatheoretischer Art sein (Bohnsack 2000: 36).55 Im Folgenden werde ich zusammenfassend darstellen, inwiefern die in Teil A diskutierten Theorien zu einer sensibilisierten Forschungsperspektive auf die Fan-Kultur beitragen können. Zur Aktivität der Rezeption und Veralltäglichung der Mediennutzung Im Anschluss an die qualitative Medienforschung betrachte ich die Mediennutzung von Fans nicht als einseitigen Wirkungsprozess sondern als aktiven Vorgang der Aneignung eines Medienarrangements, der in die Alltagspraxis der RezipientInnen eingebunden ist. Insofern ich den Umgang mit medial vorgegebenen Informationen und Bildern über Popgruppen nicht für determiniert halte, kann ich in meiner Forschung aktive Rezeptionsprozesse im Kontext der handlungsleitenden Themen und jeweiligen Lebenssituation der Fans ermitteln.
Um die Lesbarkeit einer Arbeit gewährleisten zu können, ist es unmöglich, diese komplexen Prozesse vollständig zu dokumentieren. Die vorliegende Studie spiegelt in diesem Sinne eine chronologische Argumentationsentwicklung vor, die dem realen Forschungsverlauf nicht entspricht. 55 Kelle/Kluge (1999: 27 ff) unterscheiden in diesem Zusammenhang auch zwischen ,empirisch gehaltvollen‘, d. h. veri¿zierbaren oder falsi¿zierbaren theoretischen Voraussetzungen und abstrakten und empirisch gehaltlosen theoretischen Konzepten, die sich als Heuristiken einsetzen lassen. 54
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Zusammenfassende Darstellung der Forschungsperspektive
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Populärkultur als Ort der Verhandlung medialer Bedeutungen Die im Rahmen der Cultural Studies erfolgte Theoretisierung einer ‚popular culture‘ ermöglicht es mir, Fan-Praktiken als kulturelle Praktiken zu verstehen, die sich in einem Spannungsfeld zwischen medial und kommerziell vermittelten, ideologisch geprägten Vorgaben einerseits und eigenständigen beziehungsweise widerständigen Weisen der Medienaneignung andererseits bewegen. Indem ich bestimmte fankulturelle Phänomene als eigenständige Performances theoretisiere, vermeide ich eine schlichte Gegenüberstellung der Ebene medialer Repräsentationen und deren ,Aufnahme‘ durch das Publikum und gestehe den Fan-Praktiken selbst ein kulturelles Machtpotenzial zu. (Medien-)Konsum als symbolische Ressource bei Gemeinschaftsbildungen und Distinktionen in jugendspezi¿schen Populärkulturen Mediale Vorgaben werden in jugendtypischen Populärkulturen als symbolische Ressourcen genutzt, die sowohl eine gemeinschaftsstiftende als auch eine Distinktions-Funktion haben können. In den Distinktionen zwischen verschiedenen kulturellen Artikulationsformen spiegeln sich kulturelle Hierarchien wieder, die sich beispielsweise in der mit ihrer Abwertung einhergehenden Verweiblichung bestimmter Populärkulturen manifestieren. Ein Bewusstsein für diese Mechanismen bewahrt mich davor, derartige Hierarchisierungen im eigenen Forschungsprozess zu reproduzieren. Zur Kreativität und Sinnhaftigkeit kollektiven populärkulturellen Handelns Im Gegensatz zu Ansätzen, die populärkulturelle Praktiken als triebgesteuertes und irrationales Verhalten klassi¿zieren, sensibilisieren die erörterten Theorien nicht-rationalen Handelns für die Verzahnung rationaler Vorgänge mit einer vor-reÀexiven Ebene und öffnen den Blick für die diesen Praktiken eigene Sinnhaftigkeit. Auf der Basis von Theoretisierungen kollektiver Vergemeinschaftungsformen beispielsweise im Rahmen spontaner Aktionismen lassen sich diese als Weg der Konstitution einer habituellen Übereinstimmung interpretieren, die in der Schwellenphase des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenstatus einer Re-Orientierung dienen können. Die Hervorbringung (kultureller) Realitäten im performativen Handlungsvollzug Untersuchungen, die die performative Dimension kultureller Phänomene hervorheben, unterlaufen die Unterscheidung zwischen kulturellem Handeln und dessen Ergebnis und schärfen die Aufmerksamkeit für den im Handlungsvollzug sich ergebenden Sinn bestimmter Praktiken. Ein performatives fankulturelles Handeln verweist in dieser Lesart nicht auf eine ihm äußerliche Realität, sondern bringt diese selbst hervor, wobei es einerseits auf die Tradierung alter Muster angewie-
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Teil A: Die Forschungsperspektive
sen ist, andererseits jedoch immer auch über diese hinausweist. Praktiken von Fans, die mimetisch auf mediale oder populärkulturelle Vorbilder Bezug nehmen, sind in diesem Sinne nicht als simple Imitation zu verstehen, sondern als notwendige Voraussetzung der Erfahrung einer Außenwelt, der Auseinandersetzung mit Sozialformen und der Ausbildung eines praktischen Körperwissens. Die iterative Herstellung des Geschlechts Aus der Perspektive von Butlers Theoretisierung der Performativität geschlechtlicher Identitäten ist ein Resultat der performativen Akte und Inszenierungen jugendlicher Fans die Hervorbringung von ‚gender performances‘. Das kreative Handeln Jugendlicher im Kontext von Populärkulturen lässt sich insofern auch als Weg der Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogenen normativen Anforderungen verstehen. Sie sind hierin den Einschränkungen der heterosexuellen Matrix unterworfen, die jeder Performativität inhärente Iterabilität ermöglicht jedoch gleichzeitig die Verschiebung normativer Anweisungen. Von abgelenktem Begehren und verkehrten Identi¿zierungen Im Kontext der psychoanalytischen Betonung der Bedeutung von Identi¿zierungen und Objektbesetzungen bei der Konstitution (geschlechtlicher) Identitäten kann die Aufnahme von Beziehungen zu Medienstars eine wichtige Funktion bei der Auseinandersetzung mit Identitätsanforderungen einnehmen. Die von mehreren Autorinnen hervorgehobene Möglichkeit verkehrter und unvollständiger Identi¿zierungen sowie des Ineinandergreifens von Begehren und Identi¿zierung vermag den forschenden Blick vor Deutungsmustern zu bewahren, die lediglich die heterosexuelle Matrix reproduzieren. Die Fan-Kultur lässt sich in diesem Sinne als Ort der produktiven Verhandlung von Identi¿zierungs- und Begehrensformen verstehen, die gerade in der Jugendphase besonders dynamisch, widersprüchlich und spielerisch sein mögen. Die hier dargestellte Forschungsperspektive zieht eine Reihe methodischer Konsequenzen nach sich, die im folgenden Teil B 1. ausführlich erörtert werden.
Teil B: Die empirische Untersuchung Alltagspraxis und Erfahrungswissen von Girlgroup- und Boygroup-Fans
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Methodologie und Methode
1.1 Rekonstruktive Methodologie und dokumentarische Interpretation Eine Untersuchung, die die Aktivitäten von Fans als eigenständige Kultur in den Mittelpunkt stellt, sieht sich verschiedenen methodischen Ansprüchen und auch Fallstricken ausgesetzt: Wie ist es möglich, den Praktiken, den Interpretationen und dem Expertentum der interviewten Mädchen gerecht zu werden, ohne diese von vornherein einem Raster impliziter Vorannahmen zu unterwerfen ? Inwiefern lassen sich aus ihren Aussagen über die eigene Kultur Rückschlüsse auf ihre Erfahrungen ziehen, ohne dass diese womöglich gleichzeitig simpli¿ziert und essentialisiert werden ? Diese Fragen berühren Probleme der Validität einer Verfahrensweise, der Verallgemeinerbarkeit von Interpretationsergebnissen sowie der SelbstreÀexivität der Forschenden im Untersuchungsprozess. Aus meiner in Teil A erfolgten theoretischen Annäherung an die Fan-Kultur ergeben sich verschiedene Hinweise darauf, welche empirische Verfahrensweise meinem Untersuchungsgegenstand angemessen ist. Aus medientheoretischer Perspektive ist hierbei zunächst die kritische Auseinandersetzung mit einer Forschungstradition von Relevanz, die die Rezeptionshandlung aus Kausalgesetzen heraus und unter Missachtung der Kompetenzen der Medien nutzerInnen zu erklären suchte. Während die qualitative Medienforschung die Notwendigkeit herausstellt, die Aktivität der Rezeption und deren Integration in die Lebenswelt der RezipientInnen im Forschungsprozess zu berücksichtigen, wird im Rahmen der Cultural Studies die Eigenständigkeit populärkultureller Aktivitäten betont, die sich nicht ausschließlich im Kontext medialer Inspirationen erklären lassen. Meine Erörterung verschiedener Theorien nicht-rationalen Handelns erlaubt weiterhin die Argumentation, dass zahlreiche populärkulturelle Praktiken, die auf den ersten Blick womöglich ,triebgesteuert‘, ,hysterisch‘ oder ,destruktiv‘ wirken, durchaus auch als sinnhaft zu interpretieren sind insofern sie beispielsweise der Re-Orientierung in einer Schwellenphase dienen. Die produktive oder auch B Fritzsche, Pop-Fans, DOI 10.1007/978-3-531-92885-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Teil B: Die empirische Untersuchung
performative Seite von Alltagspraktiken kann sich jedoch nur in einer Forschung erschließen, die an der Perspektive und den Erfahrungen der Akteure ansetzt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erweist sich ein rekonstruktives Verfahren als eine meinem Gegenstand angemessene und fruchtbare methodische Vorgehensweise. In der rekonstruktiven Methodologie erfolgt eine methodische Kontrolle durch die Reduktion der Eingriffe der Forschenden während des Erhebungsverfahrens. Eine besonders offene Forschungshaltung gilt als Voraussetzung, um Zugang zu den Interpretationsrahmen und Relevanzsystemen der Befragten zu bekommen. Mittels offener Interviewverfahren, die den Interviewenden Zurück haltung gebieten und darauf angelegt sind, die ProbandInnen zu Erzählungen zu ermutigen, soll diesen die Gelegenheit gegeben werden, das entsprechende Thema in ihrer eigenen Sprache und mit eigenen Schwerpunktsetzungen zu entfalten. Nur auf diese Weise gilt eine Kontrolle über die Unterschiede zwischen Sprache und Interpretationsrahmen der Forschenden und der Erforschten als gewährleistet (vgl. Bohnsack 2000: 20 ff). Eine rekonstruktive Forschungshaltung beginnt mit einer Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand und setzt sich fort in einem komplizierten „Webeverfahren“ im Zuge dessen erste im Rahmen der Forschungspraxis erworbene Erkenntnisse mit neuen methodischen Überlegungen und ausgewählten Theorieansätzen verknüpft werden, bis weitere Ergebnisse als neuer Faden miteingeÀochten werden können. Der fertige „wissenschaftliche Stoff“ entsteht über eine Rekonstruktion der eigenen Forschungspraxis ebenso wie der Praxis der Erforschten: „In diesem gegenüber der hypothesenprüfenden Methodologie veränderten Verhältnis zur Forschungspraxis dokumentiert sich ein grundlegend anderes Verhältnis zur Alltagspraxis im allgemeinen, welches nicht nur die Praxis der Forscher, sondern auch die der Erforschten tangiert: Theorie- und Typenbildung vollzieht sich auf der Grundlage einer Rekonstruktion der Alltagspraxis der Erforschten bzw. auf der Grundlage der Rekonstruktion des Erfahrungswissens, welches für diese Alltagspraxis konstitutiv ist.“ (Bohnsack 2000: 10)
Das hier von Ralf Bohnsack angesprochene Erfahrungswissen ist in der (wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen) Handlungspraxis begründet, es ist ein implizites Wissen, das sich nur teilweise explizieren lässt. Das Erfahrungswissen bildet sich im alltäglichen Handeln heraus und organisiert dieses umgekehrt auch. Es wird in der Alltagspraxis immer wieder aktualisiert und dokumentiert sich dementsprechend in Erzählungen über diese. Im Zusammen hang mit der Verankerung ihrer Methoden in der sozialen Praxis und ihrer methodologischen
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Methodologie und Methode
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Begründung in der Rekonstruktion dieser Praxis spricht Bohnsack von der „praxeologischen Fundierung“ rekonstruktiver Verfahrensweisen (a. a. O.: 192). Eine im Sinne dieser Verfahrensweisen vorgenommene Rekonstruktion der Alltagspraxis und des in dieser verankerten Erfahrungswissens von Pop-Fans bietet sich vor dem Hintergrund meiner Forschungsperspektive aus mehreren Gründen als sinnvolles methodisches Vorgehen an: ƒ
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Insbesondere die praxeologische Fundierung dieser Methodik erlaubt eine Analyse der Fan-Praktiken als eigenständige Handlungen jenseits der Medienrezeption. Eine Rekonstruktion solcher Praktiken kann über die Entdeckung von „Medienspuren“ hinaus Hinweise auf eine ihnen eigene Sinnhaftigkeit geben. Sie werden somit unabhängig von den medialen Produkten untersucht, auf die sie möglicherweise Bezug nehmen, ohne gleichzeitig durch sie strukturiert zu sein. Wie ich am Beispiel der sozialwissenschaftlichen Reaktionen des Befremdens gegenüber bestimmten Handlungen von Fans aufgezeigt habe, können für Forschende offensichtlich ganz andere Vorstellungen von Normalität und Sinnhaftigkeit selbstverständlich sein als für die ProbandInnen. Auch sie werden von einem Erfahrungswissen geleitet, das ihnen nicht oder nur teilweise zugänglich ist und das die Gefahr birgt, den Blick auf den Sinn bestimmter Praktiken zu verstellen. Ein methodisches Verfahren, das dem Relevanzsystem der Befragten einen möglichst großen Raum zugesteht, kann hilfreich bei der Vermeidung von Vorverurteilungen sein, die die Entdeckung von Ungeahntem verhindern. Auch in der Darstellung eigener Erfahrungen können sich bestimmte Klischees oder ein Commonsense-Wissen niederschlagen. Die Rückbindung der in den Interviews enthaltenen Informationen an die Alltagspraxis und die Erfahrungen der Befragten erlaubt es jedoch zwischen einem in der Praxis verankerten Wissen und einer bloßen Übernahme von Commonsense-Diskursen zu unterscheiden.56 Eine Berücksichtigung der sozialstrukturellen Positionierungen der ProbandInnen ist immer der Gefahr ausgesetzt, deren Vorerfahrungen zu essentialisieren. Die konkrete Bedeutung der in meiner Untersuchung relevanten
56 So erklärt etwa eine verbreitete Commonsense-Vorstellung die emotionalen Reaktionen weiblicher Pop-Fans systematisch, diejenigen männlicher Fußball-Fans jedoch nie mit „Hysterie“. Im Sinne des erläuterten Ideologie-Konzeptes von Althusser (vgl. A 1.2) sind Commonsense-Diskurse insofern ideologisch, als sie bestimmte Positionen und Handlungen gegenüber anderen privilegieren und auf diese Weise gesellschaftliche Machtverhältnisse stützen.
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Teil B: Die empirische Untersuchung Kategorien ,Jugend‘ und ,Geschlecht‘ für die befragten Mädchen kann nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. A 3.1). Insbesondere die durch konstruktivistische und poststrukturalistische Ansätze aufgebrachte Kritik an der Rei¿ zierung bestimmter Zugehörigkeiten im Prozess ihrer Erforschung erfordert eine offene methodische Vorgehensweise, die jegliches Wissen über die relevanten Kategorien zunächst suspendiert, um deren Konstruktionsbedingungen erfassen zu können.
Bei der hier angesprochenen Notwendigkeit, in meiner Untersuchung bestimmte eigene Annahmen und Wissensbestände etwa über das Phänomen ,Fans‘ oder auch die weibliche Jugendphase zunächst einzuklammern, handelt es sich um eine Analyseeinstellung, die insbesondere in der ,dokumentarischen Methode der Interpretation‘ ausgearbeitet wurde. Die dokumentarische Methode, die von Karl Mannheim (1964, orig. 1921/22) entworfen und von Ralf Bohnsack weiterentwickelt und im Feld sozialwissenschaftlicher Methoden etabliert wurde, eignet sich, wie ich im Folgenden genauer erörtern werde, aus mehreren Gründen als methodische Herangehensweise in meiner Studie.57 Die wissenssoziologisch begründete Verfahrensweise der dokumentarischen Methode geht von einer prinzipiellen Fremdheit zwischen der untersuchten Gruppe und den ForscherInnen aus. Um diese Fremdheit, die eine Quelle der Missverständnisse sein kann, zu kontrollieren, schlägt Mannheim eine forschende Analyseeinstellung vor, die sowohl die Frage nach dem Wahrheitsgehalt als auch nach der normativen Richtigkeit des im Material Vermittelten einklammert. Gefragt wird nun nicht mehr nach bestimmten gesellschaftlichen und kulturellen Tatsachen an sich, sondern vielmehr nach dem ,Wie‘ der Herstellung solcher Tatsachen, es interessieren also die handlungspraktischen Prozesse der Herstellung von Wirklichkeit (vgl. Bohnsack 2001). Diese Prozesse dokumentieren sich in den Erzählungen und Beschreibungen der Interviewten als deren Erfahrungswissen. Die Rekonstruktion des Erfahrungswissens und der Orientierungen der Befragten ermöglicht Rückschlüsse in Bezug auf die Erfahrungsräume, in denen diese entstanden sind. Erfahrungsräume werden dabei als Orte eines gemeinsamen Erlebens gedacht, welches die Grundlage bietet für die Herausbildung kollektiver Wissensbestände und Orientierungen sowie habitueller Übereinstimmungen. Diese kollektiven Orientierungen und Habitualisierungen stehen im Zentrum der dokumentarischen Interpretation; es geht nicht um die Analyse von Einzelschicksalen, sondern stets um deren Verankerung in beispielsweise geschlechts-, milieuoder generationstypischen sozialen Vorerfahrungen. 57 Zum Nutzen der dokumentarischen Methode bei der Analyse von Prozessen der Medienrezeption vgl. auch Bohnsack (2009: 120 ff.) sowie Fritzsche (2007).
1
Methodologie und Methode
81
Diese Fokussierung auf kollektive Orientierungen ist im Hinblick auf meine Fragestellung insbesondere deshalb von Nutzen, als sie es erlaubt, die Fan-Praktiken einzelner Mädchen über deren individuelle Bedeutung hinaus als Bestandteil einer Kultur zu erfassen. Die Interpretation der beobachteten Orientierungen unter Bezugnahme auf die Erfahrungsräume der Probandin nen ermöglicht weiterhin ein Verständnis ihrer Kultur im Kontext normativer Anforderungen, welche aus ihrem Status als weibliche Jugendliche resultieren. Eine solche Rückbindung der Interpretation an die Erfahrungsräume der Befragten ist insofern ein heikles Unternehmen, als es hierbei schnell zu Essentialisierungen kommen kann. Auf diese Gefahr ist insbesondere im Rahmen der Geschlechterforschung aufmerksam gemacht worden,58 sie ist jedoch auch Thema in Methodologie-Diskussionen der Cultural Studies. Gerade der in diesen beiden Bereichen so zentrale Anspruch, gesellschaftliche Macht- und Ohnmachtsverhältnisse in der Forschung mitzureÀektieren erfordert eine Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen Positionierung empirisch untersuchter Gruppen, die immer wieder auf methodische Probleme stößt. Im Kontext dieser Diskussion machen Ien Ang und Joke Hermes (1994) darauf aufmerksam, dass das Resultat der Untersuchung von Ellen Seiter und ihren Mitarbeiterinnen (1989), Arbeiterinnen seien kritischer gegenüber Seifenopern als Rezipientinnen aus der Mittelschicht, in krassem Gegensatz steht zu der Erkenntnis von Andrea Press (1990), die einer ähnlich angelegten Studie entnahm, dass gerade die Arbeiterin nen sich af¿rmativ gegenüber Seifenopern verhalten, während Mittelschichtsfrauen diese aus einer kritischen Distanz heraus sähen. Die Widersprüchlichkeit dieser Ergebnisse ist – so vermuten Ang und Hermes – darauf zu rückzuführen, dass die Antworten der befragten Frauen durch vorab festgelegte Vorstellungen bezüglich der Kategorien ‚Arbeiterklasse‘ und ‚Mittelklasse‘ ge¿ltert, nicht jedoch an die tatsächlich aus diesen gesellschaftlichen Positionierungen resultierenden unterschiedlichen Erfahrungen zurückgebunden wurden. Die Autorinnen warnen vor derartigen essentialisierenden Kurzschlüssen und betonen, dass weder die Schichtzugehörigkeit, noch das Geschlecht oder eine andere soziale Positionierung ein Subjekt ganz ausfülle und determiniere. Sie argumentieren, dass es notwendig ist zu beachten, wie sich etwa geschlechts- und schichtbedingte Erfahrungen überlagern und ineinandergreifen, um Rei¿zierungen in der Forschung zu vermeiden. Die Gefahr vorschneller Kategorisierungen wird meines Erachtens in der dokumentarischen Methode auf zweierlei Weise vermieden. Zum einen kann die Spezi¿k des Falles bei dieser Art der Interpretation nur in Verbindung mit einer konsequenten methodischen Kontrolle des Vergleichshorizontes ermittelt werden. 58
vgl. z. B. Gildemeister/Wetterer 1992
82
Teil B: Die empirische Untersuchung
Vor dem Hintergrund der Mannheimschen Annahme der Standortgebundenheit des Wissens und Denkens auch der ForscherInnen können, anders als etwa bei der objektiven Hermeneutik, deren Erwartungshorizonte nicht als Gegenfolie für die Orientierungen der ProbandInnen gelten. Ihre Normalitätsvorstellungen werden als ebensowenig ‚objektiv‘ angesehen wie die der Befragten.59 Eine essentialisierende Perspektive auf Differenzen wird jedoch auch durch die der dokumentarischen Methode inhärente Annahme vermieden, dass sich am jeweiligen Fall stets unterschiedliche Typiken überlagern. Demzufolge geht es bei der Interpretation nicht darum, nur eine Bedeutungsschicht eines Falles zu erfassen, vielmehr wird dieser durch Hinzuziehung mehrerer Vergleichshorizonte auf unterschiedliche Dimensionen hin analysiert. Eine solche Vorgehensweise hat meines Erachtens den Vorteil, dass die verschiedenen, sich gegenseitig überlagernden und bedingenden Bedeutungsschichten bestimmter Orientierungen in der Analyse her vortreten können. In diesem Sinne ist es beispielsweise denkbar, dass bestimmte Handlungen von Fans, die auf den ersten Blick als ‚typisch weiblich‘ erscheinen mögen, sich auf diesem Wege als ebenso entwicklungs- oder milieutypisch strukturiert erkennen lassen.60 Die Annahme, dass die Perspektive der Forschenden gegenüber derjenigen der Erforschten keinen höheren Objektivitätsanspruch erheben kann, erachte ich darüber hinaus insofern als eine wichtige Analyseeinstellung im Kontext meiner Untersuchung, als auch sie davor bewahrt eine ,fremde Populärkultur‘ vorschnell den eigenen Kategorien zu unterwerfen. Eine Einord nung vermeintlich subjektiver Einstellungen der Befragten in ein vermeintlich objektives Raster der Interpretierenden ist insbesondere im Rahmen von Forschungsrichtungen, die Macht- und Ungleichheitsverhältnisse thematisieren, immer wieder in Frage gestellt worden. Vor dem Hintergrund der feministischen Kritik am Objektivitätsverständnis einer männlich geprägten Wissenschaft ist im Rahmen der Geschlechterforschung auch das Ungleichheitsverhältnis zwischen Forschenden und Erforschten in empirischen Untersuchungen thematisiert worden. Die in diesem Zusammenhang geäußerten Forderungen nach einer größeren SelbstreÀexivität der Forschenden sowie einer stärkeren Berücksichtigung auch ihrer Subjektivität im Auswer tungsprozess61 ¿ nden sich ebenfalls in der Methodendiskussion der Cultural Studies wieder. So benennt etwa Lawrence Grossberg (1999: 77) die SelbstreÀexivität der Forschenden als eines der Hauptmerkmale der Cultural Studies. Er betont, dass der oder die AnalytikerIn immer auch gleichzeitig TeilZur Standortgebundenheit des Wissens vgl. Mannheim (1952, orig. 1929). Zur Typenbildung in der Dokumentarischen Methode vgl. auch Bohnsack (2001b) und NentwigGesemann (2007). 61 vgl. z. B. Becker-Schmidt/Bilden (1991), Mies (1978). 59
60
1
Methodologie und Methode
83
nehmerIn an den Praktiken, Allianzen und Kontexten ist, die analysiert werden. Ein solcher Anspruch ist insbesondere auch in der empirischen Forschung relevant. David Morley (1999: 305) betont in diesem Zusammenhang die Not wendigkeit, die Subjektivität des oder der ForscherIn zu thematisieren, ohne gleichzeitig in einen Regress der Beschäftigung mit eigenen subjektiven Prozessen zu geraten.62 Der in der dokumentarischen Methode grundlegende Gedanke der Standortgebundenheit des Wissens verhindert im Vorfeld jegliche Mythen über die Objektivität der Forschenden. Die Subjektivität ihres Wissens erfordert zwar eine methodische Kontrolle, sie wird jedoch gleichzeitig nicht allein hinsichtlich ihrer ergebnisverzerrenden Wirkung betrachtet, sondern ihr wird ein kreatives Potenzial eingeräumt (vgl. Bohnsack 2000: 198). Das atheoretische Erfahrungswissen der ForscherInnen ist schließlich als Voraussetzung für eine Verständigung mit den Interviewten anzusehen. Insofern gilt es nicht, dieses Wissen zu verleugnen oder zu einem objektiven Vergleichshorizont zu erklären, sondern vielmehr, es in systematischer, methodisch kontrollierter Weise in den Forschungsprozess einzubringen. Im Sinne eines solchen Selbstverständnisses gehen die ForscherInnen „nicht davon aus, daß sie mehr wissen als die Erforschten, sondern davon, daß die Erforschten selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen.“ (Bohnsack 2001: 337).
Im Unterschied zur objektiven Hermeneutik gilt es also in den Aussagen der Interviewten keine unbewussten Strukturen zu erkennen, sondern vielmehr ihr Erfahrungswissen als solches ernst zu nehmen und anhand des methodischen Instrumentariums zu rekonstruieren und systematisieren. Die eigene Standortgebundenheit wird zum einen durch die komparative Analyse gefundener Ergebnisse mit empirisch über prüfbaren Vergleichshorizonten kontrollierbar: Um die spezi¿sche Art und Weise, in der ein Thema behandelt wird, ermitteln zu können, werden bei der Interpretation eines Interviews schon frühzeitig andere Fälle zum Vergleich herangezogen. Dabei verschwindet der Erwartungshorizont der Interpretierenden zwar nicht, er vermag aber in den Hintergrund zu treten und als solcher sichtbar reÀek tiert zu werden. Da den Forschenden nicht per se eine ‚objektivere‘ Position zugestanden wird als ihren ProbandInnen, müssen sie sich selbst in die komparative Analyse miteinbeziehen. Hierzu gehört auch, dass die
62 Morley bezieht sich hierbei auf die Überlegungen von Clifford/Marcus (1986) und Geertz (1990). Vgl. zu dieser Forderung auch Ang (1996: 52). Meines Erachtens gibt es jedoch innerhalb der Cultural Studies keine weitergehenden Überlegungen dazu, wie eine derartige SelbstreÀexivität methodisch umsetzbar wäre.
84
Teil B: Die empirische Untersuchung
Interventionen der Interviewenden ebenso interpretiert werden wie die Reaktionen auf diese (vgl. hierzu auch B 1.5). Eine methodische Kontrolle der eigenen soziologischen Interpretation, an die dieselben Kriterien der Zuverlässigkeit und Gültigkeit angelegt werden wie an den Gegenstandsbereich selbst, wird darüber hinaus durch eine Explikation der einzelnen Arbeitsschritte gewährleistet. Der Anspruch ist hierbei, es Außenstehenden durch eine genaue Dokumentation des Forschungsprozesses zu ermöglichen, die Kommunikationsprozesse im Interview einerseits und die Interpretations- und Typisierungsleistungen der Interpreten andererseits nachzuvollziehen (Bohnsack 2000: 187 f). In diesem Sinne erläutere ich in den folgenden Abschnitten meine genaue Vorgehensweise bei der Erhebung des Samples und der Interviewführung sowie bei der Auswertung des Materials. 1.2 Sampling Eine der Voraussetzungen für die Verallgemeinerbarkeit einer empirischer Studie ist die Repräsentativität der erhobenen Daten. Im Unterschied zu den Samplingverfahren quantitativer Survey-Studien wird in rekonstruktiven Untersuchungen jedoch nicht die Gewährleistung einer statistischen Repräsentativität angestrebt. In diesem Forschungsbereich besteht die Kunst vielmehr darin, anhand weniger ausgewählter Fälle die im untersuchten Feld vorhandene Heterogenität zu dokumentieren (vgl. Kelle/Kluge 1999: 99). Aufgrund der bei rekonstruktiven Verfahrensweisen erforderlichen Offenheit der Forschenden gegenüber dem Untersuchungsgegenstand, die einschränkende Vorannahmen über dessen Beschaffenheit zu vermeiden sucht, können auch die Kriterien für die Fallauswahl nicht ohne weiteres dem Forschungsprozess vorausgesetzt werden. Um dieser Problematik gerecht zu werden, entwickelten Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss (1984, orig. 1965) ein Verfah ren der Gleichzeitigkeit der Sammlung und Analyse von Daten. Auch in diesem Falle erweist sich der rekonstruktive Forschungsprozess als konstante Suchbewegung: Auf der Basis erster, probeweise erhobener Daten erfolgen Interpretationen, die wiederum die Grundlage bieten für die Auswahl neuer Daten. In diesem Sinne folgte das Sampling meiner Studie nicht vorab festgelegten Kriterien, sondern war zunächst daran orientiert, der Kultur von Boygroup- und Girlgroup-Fans als heterogenem Untersuchungsfeld gerecht zu werden. Diesem Anspruch suchte ich zum einen durch den Einsatz unterschiedlicher Erhebungsverfahren (1.), zum anderen durch die Fallauswahl (2.) nach zu kommen.
1 1.
2.
Methodologie und Methode
85
Nach einer ersten Orientierungsphase, in der ich ein leitfadengestütztes Probeinterview geführt hatte, entschied ich mich im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der rekonstruktiven Methodologie (vgl. B 1.1) für das Verfahren des narrativen Interviews. Als mir im Laufe der Untersuchung die Bedeutung der Fan-Kultur bei der Verhandlung von Distinktionen und Übereinstimmungen im Rahmen von Peer-Groups bewusst wurde, führte ich zusätzlich noch einige Gruppendiskussionen durch, um diesem interaktiven Aspekt meines Untersuchungsgegenstandes besser gerecht zu werden. (Zu meiner genauen Vorgehensweise bei den Inter views vgl. B 1.4.) Das Beobachtungsprotokoll, das ich im Juli 1999 beim Konzert der BACKSTREET BOYS im Berliner Velodrom erstellte, diente zur Überprüfung meiner über die Interpretation der Interviews erhaltenen Ergebnisse, schien mir jedoch weniger ergiebig als diese, weshalb ich darauf verzichtete, es ausführlicher zu analysieren und darzustellen. Aufgrund meiner vorab getroffenen Entscheidung, die Kultur von Boygroupund Girlgroup-Fans als Mädchenkultur zu untersuchen (vgl. Einleitung) war mein Sample qua Fragestellung zunächst auf weibliche Fans dieser Bands festgelegt.63 Nach dem überaus aufschlussreichen Interview mit Antje (Fallbeschreibung 3.2), die zu meiner Überraschung betonte, nun nicht mehr Fan zu sein, wurde mir die Kompetenz von Ex-Fans bei der Beschreibung dieser Kultur deutlich, weshalb ich diese im Folgenden bewusst bei der Fallauswahl miteinbezog.
Um innerhalb dieses Feldes möglichst viele potenzielle EinÀussfaktoren berücksichtigen zu können und dennoch die Zahl der sehr aufwendigen Fallrekonstruktionen in Grenzen zu halten, entschied ich mich für ein zweischrittiges Samplingverfahren.64 Bei der Auswahl des ersten Samples war ich zunächst daran orientiert, in Bezug auf klassische sozialdemographische Merkmale eine möglichst große Heterogenität zu gewährleisten. Als sich im Verlauf des Interpretationsverfahrens die zentrale Bedeutung der Entwicklungstypik für die unterschiedliche Funktion der Fan-Kultur im Leben der Mädchen herauskristallisierte, wurde die Berücksichtigung eines möglichst breiten Altersspektrums in der Studie zum entscheidenden Auswahlkriterium für neue Interviewpartnerinnen. Im Zuge meines Interviews mit den zehn bis zwölfjährigen Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ‚Die Kleinen‘ wiederum stellte ich fest, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter eher dazu neigen, Als Fans betrachtete ich alle Mädchen, die sich selbst so bezeichneten. Zum zweischrittigen Samplingverfahren vgl. auch (Kelle/Kluge 1999: 50) und Rosenthal (1995: 215 f). 63
64
86
Teil B: Die empirische Untersuchung
ihre Erfahrungen auf körperlich-performative Weise zu artikulieren, als diese begrifÀich-theoretisch zu explizieren, weshalb ich darauf verzichtete, noch weitere Interviewpartnerinnen in diesem Alter zu suchen.65 Vor diesem Hintergrund erhob ich das folgende Sample: NARRATIVE INTERVIEWS:
Name & Alter
(Ex-) Fan von
Beruf der Eltern
Schule
Wohnort
Migrationshintergrund
Inga, 11J.
BSB
Mutter: Lehrerin Vater: Taxifahrer
Grundschule
Berlin
nein
Jessica, 11J.
Aaron Carter66
M: Arzthelferin V: im Büro
Grundschule
Berlin
nein
Kerstin, 12J.
BSB
M: Gelegenheitsjobs Freund der M: stellv. Fabrikdirektor
Grundschule
Berlin
nein
Bianca, 12J.
SG
beide LehrerIn
Gesamtschule
Berlin
nein
Petra, 12J.
SG
M: Bäckereiverkäuferin V: Elektriker
Grundschule
Dorf (Bran- nein denbg.)
Sabrina, 12J.
SG + BSB
M: Verkäuferin V: bei einer großen Firma
Grundschule
Dorf (Bran- nein denbg.)
Stef¿, 12J.
SG (Ex)
M: bei einer Zeitung V: Psychologe
Gymnasium
Berlin
nein
Antje, knapp 13J.
BSB (Ex) V: Hausmeister
Realschule
Berlin
nein
Mara, 13J.
SG
M: Sozialpädagogin V: bei einer Telefongesellschaft
Gymnasium
Berlin
nein
Uli, 13J.
CITA (Ex)
M. Reinigungskraft V: Elektriker
Gesamtschule
Berlin
nein
Miriam, 14J.
Echt
M. Lehrerin V: Beamter
Gymnasium
Berlin
nein
Gabi, 14J.
BSB (Ex) M: Lehrerin V: Psychologe
Gymnasium
Berlin
nein
Zu dieser Problematik vgl. auch Nentwig-Gesemann (2002). Die Autorin weist darauf hin, dass es mittels eines tonbandgestützten Erhebungsverfahrens nur bedingt möglich ist, den Ausdrucksformen von Kindern gerecht zu werden, weshalb sie vorschlägt, bei Gruppendiskussionen mit Kindern ergänzende Videoaufnahmen und Beobachtungsprotokolle durchzuführen. 66 Aaron Carter ist strenggenommen ein Solostar und keine Boygroup. Jessica hat sich jedoch als Boygroup-Fan bei mir gemeldet und ich habe diese Selbstde¿ nition gelten lassen. 65
1
Methodologie und Methode
87
Name & Alter
(Ex-) Fan von
Beruf der Eltern
Schule
Wohnort
Migrationshintergrund
Diana, 14J.
BSB
M: bei einer LKW-Vermietung V: Elektriker
Hauptschule
Berlin
nein
Melanie, 14J. SG + Kelly Family
M: ErzieherIn Stiefv.: Installateur
Gesamtschule
Berlin
nein
Julia, 15J.
CITA + SG (Ex)
M: Ausb. zur Mediengestalterin Stiefv.: Pressesprecher
Gymnasium
Berlin
nein
Franziska, knapp 15J.
The Boyz
M: arbeitslos V: Abteilung für Rechenwesen
Gesamtschule
Großstadt (Brandenbg.)
nein
Claudia, 15J.
BSB
M: Hausfrau V: Arbeiter
Hauptschule
Berlin
nein
Tanja, 17J.
SG (Ex)
M: Hausfrau V: Kraftfahrer
Gymnasium
Mittelstadt (Niedrs.)
nein
Nicole, 17J.
The Boyz
M: Reinigungskraft
Hauptschule
Berlin
nein
(Ex-) Fan von
Beruf der Eltern
Schule
Wohnort
Migrationshintergrund
Jasmin, 10J.
SG
M: Reinigungskraft V: Elektriker
Grundschule
Berlin
nein
Funda, knapp 11J.
SG
?
Grundschule
Berlin
Eltern in der Türkei geboren
Zelda, 12J.
SG
?
Grundschule
Berlin
Eltern in der Türkei geboren
GRUPPENDISKUSSIONEN: Name & Alter „Die Kleinen“
„Tanz“ Ebru, 14J.
BSB (Ex) M: Hausfrau V: Aushilfskraft im Krankenhaus
Hauptschule
Berlin
Eltern in der Türkei geboren
Melek, knapp 15J.
BSB (Ex) beide arbeitslos
Hauptschule
Berlin
Eltern in der Türkei geboren
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Name & Alter
(Ex-) Fan von
Nuray, 15J.
Gülcan, 16J.
Beruf der Eltern
Schule
Wohnort
Migrationshintergrund
BSB (Ex) M: Hausfrau
Gesamtschule
Berlin
Vater in der Türkei geboren
BSB (Ex.)
M: Hausfrau
Hauptschule
Berlin
Vater in der Türkei geboren
Nuray, 15J.
s. o.
s. o.
s. o.
s. o.
s. o.
Özlem, 14J.
BSB (Ex) M: Krankenschwester V: Wachdienst
Hauptschule
Berlin
Vater in der Türkei geboren
„Clique“
Erklärungen zur Tabelle: Die Namen der interviewten Mädchen wurden anonymisiert, alle Angaben beziehen sich auf den Zeitpunkt der Erhebung. Sie wurden mit Hilfe eines Fragebogens ermittelt, den ich den Probandinnen im Anschluss an die Interviews vorlegte. Nicht alle konnten genaue Auskunft über die beruÀiche Tätigkeit ihrer Eltern geben. abgekürzte Bandnamen: BSB=BACKSTREET BOYS, SG=SPICE GIRLS, CITA=CAUGHT IN THE ACT. Die schattierten Felder verweisen auf die Fälle, die ich zur Rekonstruktion ausgewählt habe.
Die Auswahl des zweiten Samples, also des ‚Samples im Sample‘ war insbesondere daran orientiert, der im ersten Sample repräsentierten Heterogenität gerecht zu werden und erfolgte nach Kriterien, die im Prozess erster Auswertungen entwickelt wurden. 1.3 Zugang zum Feld und Interviewbedingungen Ich führte die Einzelinterviews und Gruppendiskussionen zwischen August 1998 und Januar 2000 durch. Der Kontakt zu meinen Interviewpartnerinnen kam auf dreierlei Weise zustande: Die meisten Probandinnen traf ich Dank der Vermittlung von PädagogInnen, die mir überwiegend von meinem Studium der Sozialpädagogik her bekannt waren. Zwei Fans habe ich im Rahmen meiner eigenen pädagogischen Arbeit kennen gelernt.67 Fünf weitere Mädchen lernte ich über Anzeigen in der Jugendzeit67 Nachdem ich eine persönliche Ebene zunächst als problematischen EinÀussfaktor in der Interviewsituation eingeschätzt hatte, stellte sich diese im Gegenteil als sehr günstige Ausgangs-
1
Methodologie und Methode
89
schrift POP/ROCKY68 sowie der Berliner Stadtzeitung ZITTY kennen. Als Reaktion auf die Anzeige in POP/ROCKY erhielt ich vier Briefe von SPICE GIRLS-Fans, die ich zu einem späteren Zeitpunkt anfragte, ob sie auch zu einem Inter view bereit wären. Auf diese Weise entstand das Interview mit Tanja (vgl. Fallbeschreibung 3.4). Auf die ,Zitty‘-Anzeige meldeten sich zwei ältere Mädchen sowie die Mutter beziehungsweise Tante von Mara und Stef¿, die mir die beiden Mädchen als Interviewpartnerinnen vermittelte. Die Eltern der Probandinnen nahmen insgesamt sehr unterschiedliche Positionen gegenüber meinem Forschungsvorhaben und Interviewinteresse ein. Während einige von ihnen meinen Wunsch, ihre Töchter zum Thema Fan-Kultur zu interviewen, explizit begrüßten und unterstützten, verhielten sich andere eher desinteressiert. Bei den Vorgesprächen fragte ich die Mädchen, wo sie die Interviews gerne durchführen würden. Fast alle jüngeren Probandinnen entschieden sich für einen neutralen Ort. Da der Kontakt zu den meisten dieser Mädchen über PädagogInnen hergestellt worden war, war es zumeist unproblematisch, die Interviews z. B. im Jugendheim oder Mädchenzentrum durchzuführen. Ich vermute, dass es vielen Mädchen als zu intim erschien, mich bei sich zu Hause zu empfangen, da sie mich kaum kannten. Obwohl alle Eltern ihr Einverständnis zu den Interviews gegeben hatten, wollten einige Interviewpartnerinnen womöglich auch ein Einmischen oder Mithören ihrer Eltern vermeiden. (So wies beispielsweise Antje konkret darauf hin, dass ihr Vater immer so neugierig sei.) Abgesehen von Nicole, die in einer Jugend-WG lebte (vgl. Fallbeschreibung 3.5), tauschten sich die Mädchen, die mich zu sich nach Hause einluden, offensichtlich viel mit ihren Eltern über ihre Fan-Kultur aus (der Kontakt war dann auch oft über die Eltern beziehungsweise Tante entstanden). Vier der älteren Mädchen (d. h. ab 14 J.) entschieden sich dafür, zu mir nach Hause zu kommen. 1.4 Interviewdurchführung Im Sinne einer rekonstruktiven Methodologie gilt es bereits bei der Interviewdurchführung darauf zu achten, dass der Gegenstand nicht durch Vorannahmen der Interviewenden strukturiert wird, indem diese das Gespräch durch ihre Frabedingung heraus. Zum einen hatte ich durchaus nicht den Eindruck, dass die beiden Mädchen wichtige Informationen als bekannt voraussetzten und deshalb nicht mehr erwähnten, andererseits konnte die gegenseitige Vertrautheit offenbar dem Aufbau von Hemmungen entgegenwirken und beide Interviews erwiesen sich als sehr selbstläu¿g und informativ (vgl. auch die Fallbeschreibung von Antje 3.2). 68 Pop/Rocky wurde mittlerweile eingestellt.
90
Teil B: Die empirische Untersuchung
gen dominieren. In offenen Interviews erfolgt die Strukturierung des Gespräches stattdessen an einer Orientierung der Befragten an der kulturellen Konvention des Erzählens, beziehungsweise – bei Gruppendiskussionen – an der Selbstläu¿gkeit ihres Gesprächs untereinander. Bei erzählgenerierenden Interviewverfahren steht insofern das Relevanzsystem der ProbandInnen im Mittelpunkt und die Interventionen der Interviewenden haben in erster Linie den Zweck, deren ErzählÀuss in Gang zu halten (vgl. Friebertshäuser 1997: 386). Die für meine Einzelinterviews gewählte Technik des narrativen Interviews wurde in den 70er Jahren von Fritz Schütze entwickelt. Vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit der linguistischen Erzählanalyse betrachtet Schütze Erzählungen als diejenigen sprachlichen Texte, die dem Handeln am nächsten stehen: Die Rekapitulation des eigenen Handelns in der Erzählung geht auch mit einer Rekonstruktion der Orientierungsstrukturen des Handelns einher (Schütze 1977: 1). Wie auch in der dokumentarischen Methode interessieren hier also die Erfahrungen, Theoretisierungen und Orientierungen der ProbandInnen in erster Linie in ihrer Einbettung in deren Handlungsgeschichte.69 Im Rahmen der Biographieforschung hat sich das narrative Interview als fruchtbares Instrument erwiesen, um die Interviewten zu einer Stegreiferzählung ihrer Lebensgeschichte zu ermutigen. Jedoch muss der Gegenstand solcher Inter views nicht unbedingt eine ganze Biographie sein, wichtig ist aber, dass ein zusammenhängendes Geschehen, also die Geschichte eines Ereigniszusammenhanges erzählt wird (vgl. Hermanns 1995: 183). In diesem Sinne sollte eine erzählgenerierende Eingangsfrage gestellt werden, die dazu ermutigt, die jeweiligen Erfahrungen im Kontext einer chronologischen Handlungsgeschichte zu erzählen (vgl. Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997: 141 f). Idealerweise folgt nun der Hauptteil des Interviews, während dessen die InterviewerInnen sich auf die Rolle aufmerksamer ZuhöhrerInnen beschränken. Die im Anschluss gestellten ersten Nachfragen sollten erneut daran orientiert sein, die Befragten zu weiteren Erzählungen zu motivieren. Hierbei gilt es beispielsweise „warum-Fragen“, die zum Argumentieren auffordern, zu vermeiden und stattdessen eher um weitere Erzählungen über eine bestimmte Zeit zu bitten oder auch eine Belegerzählung zu einem Argument anzusteuern. Auch beim Verfahren der Gruppendiskussion in der Weiterentwicklung von Ralf Bohnsack sind die Interviewenden aufgefordert, zunächst nur immanente Nachfragen zu stellen, die der Generierung möglichst selbstläu¿ger Erzählungen und Beschreibungen dienen. Bei den inter viewten Realgruppen soll auf diese Weise ein kommunikativer Gruppenprozess ausgelöst werden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die sich in dieser Kommunikation dokumentierenden geteilten 69
Vgl. hierzu auch Fischer-Rosenthal/Rosenthal (1997: 413).
1
Methodologie und Methode
91
Orientierungen auf der Basis eines gemeinsamen Erfahrungshintergrundes der Gruppe entstanden sind.70 Im Zentrum des Interesses stehen demnach die Kommunikation und die Orientierungen der Gruppe als Gruppe und nicht die Erlebnisse und Einstellungen der einzelnen TeilnehmerInnen. Insofern sollten sich auch die Interventionen der ForscherInnen an die gesamte Gruppe richten. Um diese zu eigenen Relevanzsetzungen und der Erläuterung von scheinbar Selbstverständlichem zu ermutigen, gilt es, eine Haltung der Fremdheit und des Respekts zu demonstrieren und Nachfragen bewusst vage zu halten (a. a. O.: 332).71 Die von mir durchgeführten Interviews wurden alle auf Band aufgenommen und dauerten zumeist eine bis eineinhalb Stunden. Im Vorfeld hielt ich die Umstände der Kontaktaufnahme und der Interviewdurchführung fest und notierte auch nach dem Interview spontane Eindrücke und erste Gedanken zur Interpretation.72 Beim ersten Vorgespräch mit den Probandinnen legte ich mein Forschungsinteresse dar, erzählte Näheres zur Interviewdurchführung und sicherte Ihnen eine Anonymisierung zu. Unmittelbar vor Beginn der Interviews erläuterte ich meiner jeweiligen Interviewpartnerin die Prinzipien des narrativen Interviews. Ich sagte ihr, dass ich am Anfang eine wichtige Frage stellen würde, und sie dann loslegen könne und alles erzählen, was ihr wichtig erscheine, sie solle sich hierbei so viel Zeit nehmen wie sie wolle, für mich sei alles interessant, was für sie interessant sei. Wenn die Mädchen keine Nachfragen mehr hatten, formulierte ich im Anschluss an diese Erklärungen meine Eingangsfrage: „Erzähl mir doch mal bitte, wie du damals dazu gekommen bist, Fan zu werden und wie sich das dann danach entwickelt hat bis heute.“73 Die sich hieran anschließenden Ausführungen der Mädchen variierten sehr stark. Wie sich bereits in anderen Versuchen, narrative Interviews mit Kindern und jüngeren Jugendlichen durchzuführen, zeigen konnte, neigen diese weniger als Erwachsene dazu, sich einem ErzählÀuss zu überlassen. Gründe hierfür liegen offenbar im Alters- und Statusunterschied zwischen den Interviewenden und den 70 In Abgrenzung zu früheren Theoretisierungen von Gruppeninterviews nimmt Bohnsack an, dass Orientierungen der Befragten in der Diskussion nicht nur spontan oder zufällig entstehen. Die ProbandInnen können sich in diesem Rahmen auch über ihre in einem kollektiv geteilten Erlebniszusammenhang gewachsenen Orientierungen verständigen, welche somit in der Diskussion nicht nur emergieren, sondern auch repräsentiert werden. Vgl. Bohnsack/Schäffer (2001: 329). 71 Zum Gruppendiskussionsverfahren vgl. auch Loos/Schäffer (2001). 72 Zum Vorteil solcher ‚Memos‘ vgl. auch Strauss/Corbin (1996: 169 ff). 73 Lediglich in den Gruppendiskussionen ,Tanz‘ (Fallbeschreibung 3.4) und ,Clique‘ fragte ich danach, wie die Mädchen sich als Gruppe zusammengefunden hatten, da ich annahm, auf diese Weise eher eine Gruppen kommunikation initiieren zu können.
92
Teil B: Die empirische Untersuchung
Interviewten (normalerweise teilen Erwachsene Jüngeren ihre Erfahrungen mit und nicht umgekehrt), und viele Kinder und Jugendliche sind vermutlich weniger als Erwachsene daran gewöhnt, ausführlich über sich selbst zu sprechen. Darüber hinaus kennen sie Interviewsituationen zumeist aus den Medien und müssen sich auf die Eigenarten des narrativen Interviews erst einstellen.74 Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass meine Interviewpartnerinnen sich als inkompetent bei der Erläuterung ihrer Erfahrungen erwiesen. Im Gegenteil vermochten die Mädchen in der Regel sehr differenziert über ihr kulturelles Engagement und dessen Bedeutung zu berichten. Jedoch erfolgte dies zumeist nicht in einer ausführlichen Eingangserzählung, vielmehr war die Interviewerin gefordert, die Erläuterungen der Probandinnen mittels Nachfragen zu motivieren. Diese bewegten sich in der Regel in den von den Mädchen vorgegebenen Themenbereichen. Während ich von einigen Inter viewpartnerinnen erfuhr, dass sie öfter mit ihren Eltern über ihr Fan-Sein sprachen, war ich für andere offensichtlich die erste Erwachsene, mit der sie über dieses Thema redeten. Bei vielen hatte ich den Eindruck, dass sie ein großes Interesse daran hatten, von einer Erwachsenen auf dieser Ebene ernst genommen zu werden, bei anderen wiederum schien mir der Altersunterschied ein Misstrauen auszulösen, das ich nicht immer zu zerstreuen vermochte. Wenn ich nicht genügend Ansatzpunkte für erzählgenerierende Nachfragen hatte, bat ich häu¿g um Beschreibungen oder um genauere Ausführungen, indem ich versuchte, das von den Mädchen Gesagte zu paraphrasieren. Generell erschien es mir wichtiger, zur Atmosphäre eines lockeren Gesprächs beizutragen und somit einer möglichen Scheu beziehungsweise einem Misstrauen der Mädchen entgegenzuwirken, als mich stets an die Regeln des narrativen Inter views zu halten. Darüber hinaus gab es einige festgelegte Themen nach denen ich, wenn sie nicht bereits vorher von meinen Interviewpartnerinnen angesprochen wurden, zumeist gegen Ende des Interviews fragte. Diese umfassten die Fan-Praktiken der Mädchen, ihren Austausch mit anderen über die Fan-Kultur (Eltern, andere Erwachsene, Jungen, Mädchen), die Vorstellung, selbst Star zu sein sowie die Phantasie, den Star einmal zu treffen. Bevor ich das Interview abschloss fragte ich die Probandinnen immer, ob ihnen noch etwas Wichtiges einfalle, was diese in vielen Fällen zu zentralen abschließenden Ausführungen ermutigte. Nach den jeweiligen Interviews bat ich die Mädchen noch darum, einen Fragebogen zu den oben genannten Eckdaten auszufüllen (vgl. B 1.2).
Zur Thematik qualitativer Interviews mit Kindern vgl. auch Heinzel (1997) und Nentwig-Gesemann (2002).
74
1
Methodologie und Methode
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1.5 Auswertungsschritte Bei der Auswertung der Fälle des zweiten Samples suchte ich zunächst auf der Basis des entsprechenden thematischen Verlaufs bestimmte Interviewausschnitte zur Interpretation aus. Hierbei wählte ich 1. Passagen, die entweder vor dem Hintergrund meiner Fragestellung besonders interessant waren, 2. Passagen, die von den Probandinnen besonders engagiert vorgetragen wurden und insofern offensichtlich für sie selbst von besonderer Relevanz waren und 3. Passagen, die eine Vergleichbarkeit mit Passagen aus anderen Interviews aufwiesen.75 Die Interpretation dieser Interviewausschnitte erfolgte in einem mehrschrittigen Verfahren. Gemäß der dokumentarischen Methode (a. a. O.: 148 ff) suchte ich zunächst im Rahmen einer formulierenden Interpretation, das im Interview Mitgeteilte auf einer ersten Verstehensebene nachzuvollziehen ohne dabei den Relevanzrahmen der Befragten zu transzendieren: Was passierte wann und wie wird es hier beurteilt ? Die anschließend erfolgende reÀektierende Interpretation begibt sich dann auf eine zweite Verstehensebene: Nun geht es darum „die charakteristische Selektivität in der Behandlung des Themas“ (a. a. O.: 46) herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck sollten, wenn möglich, bereits andere Interviews zum Vergleich herangezogen werden. Es wird nach dem Wie der jeweiligen Darstellung gefragt und den Orientierungsmustern, welche sich hierin dokumentieren. Die Orientierungen der ProbandInnen werden aus ihren jeweiligen Handlungsentwürfen und -mustern abgeleitet: Wovon grenzen sie sich ab und wo wollen sie hin, d. h., was sind ihre negativen beziehungsweise positiven Gegenhorizonte ? Wie stellen sie ihre Möglichkeiten dar, diese Orientierungen zu enaktieren, d. h. in Handlungen umzusetzen ? Welches Erfahrungswissen dokumentiert sich in den Erzählungen und Beschreibungen ihrer Handlungen ? Was wird begründet oder bewertet und welche Normalitätsmuster lassen sich erkennen ? Bei der reÀektierenden Interpretation werden auch die Interventionen der Interviewenden analysiert: Wie verhalten sich die Erläuterungen der ProbandInnen zur jeweiligen Frage, gibt es Verschiebungen und Missverständnisse und wenn ja warum ? Insbesondere um die Verankerung der Orientierungen der Befragten in ihren spezi¿schen Erfahrungsräumen analysieren zu können, ist es notwendig, möglichst früh einen Vergleich mit anderen Interviews vorzunehmen. Erst im Vergleich mit der Art und Weise, wie jeweils ältere oder jüngere Mädchen dieselben Themen behandeln, konnte ich bestimmte Orientierungen auf eine Entwicklungstypik zurückführen. Darüber hinaus verglich ich die bei der Auswertung einzelner Passagen eruierten Orientierungsmuster, um auf diese Weise zu ermitteln, welche Orientierungen sich durch unterschiedliche Themenbereiche durchziehen und 75
Zu dieser Vorgehensweise vgl. Bohnsack (2000: 150).
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Teil B: Die empirische Untersuchung
insofern offensichtlich in verschiedenen Situationen der Alltagspraxis Relevanz haben und von genereller Bedeutung für den Fall sind (vgl. Bohnsack 2001: 340). Meine ersten Interpretationen diskutierte ich stets im Kreise von KollegInnen.76 Im Anschluss an die reÀektierende Interpretation verfasste ich die Fallbeschreibungen, in die ich neben den bisherigen Interpretationsergebnissen auch eine Auseinandersetzung mit der Frage einÀießen ließ, wie sich der entsprechende Fall vor dem Hintergrund meiner Forschungsperspektive darstellt. Des Weiteren ging ich im Zuge dieses Arbeitsschrittes auch auf die Diskursorganisation der Interviews ein. Die bereits während der reÀektierenden Interpretation unterschiedenen Textsorten wurden nun in der Spezi¿tät des jeweiligen Falles analysiert:77 Argumentiert die Sprecherin mehr oder weniger als andere Probandinnen und was lässt sich hieraus schließen ? Mein letzter Auswertungsschritt umfasste die komparative Analyse der Interviews, wobei ich einen systematischen Vergleich der Fälle des zweiten Samples in Bezug auf die jeweils repräsentierte Entwicklungs- und Milieutypik sowie auf die Bedeutung von Ethnizität unternahm. Auf diese Weise ließ sich aufzeigen, inwiefern sich Auseinandersetzungen mit bestimmten gesellschaftlichen Anforderungen im Laufe des Älterwerdens verschieben und auch je nach existenziellem Hintergrund variieren, des Weiteren konnte die Mehrdimensionalität der jeweiligen EinÀussfaktoren auf derartige Auseinandersetzungen verdeutlicht werden (vgl. B 4.). 2
Fakten und Mythen. Perspektiven auf die mediale Präsentation der ausgewählten Pop-Gruppen
Im Sinne eines besseren Verständnisses der Fallbeschreibungen sei diesen eine kurze Charakterisierung der von den Mädchen bevorzugten Pop-Gruppen auf der Basis ihrer Wahrnehmung und Bewertung durch die mediale und (populär-) wissenschaftliche Öffentlichkeit vorangestellt. Als ,Boygroups‘ und ,Girlgroups‘ bezeichnete Bands werden in der Regel einem sehr jungen Publikum zugeordnet und rangieren insofern unter dem Titel ,Teenie-Bands‘. Derartige Pop-Formationen entstehen in der Regel auf der Grundlage von Marketing-Strategien, die bereits vor der Zusammenstellung der Bands und unabhängig von deren öffentlich sichtbaren Protagonisten entworfen Foren für diese Diskussion erster Interpretationsergebnisse waren insbesondere das Forschungskolloquium des Graduiertenkollegs „Geschlechterverhältnisse im sozialen Wandel“, die Forschungswerkstatt von Ralf Bohnsack sowie meine Arbeitsgruppen mit Anja Tervooren und Jutta Hartmann sowie mit Kristina Hackmann. 77 Zur Identi¿zierung von Textsorten vgl. auch Loos/Schäffer (2001: 67 f) und Schütze (1987: 158 ff). 76
2 Fakten und Mythen.
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werden. Eine solche Band-Genese lässt sich als symptomatisch für eine Entwicklung des Starwesens bezeichnen, die Lawrence Grossberg (1995) insbesondere mit der Entstehung des Musik-Fernsehens in Verbindung bringt. Die Produktion von Stars als verkäuÀiche Waren, so Grossberg, hat mittlerweile Priorität gegenüber der Produktion einzelner Pop-Hits. Mittels ihrer Video-Clips und anderem von Sendern wie MTV und Viva ausgestrahlten Informationsmaterials werden Stars als warenförmige und mobile Zeichen produziert, die ein breites Terrain des kulturellen Geschmacks abdecken und in erster Linie temporäre Haltungen und Stimmungen repräsentieren sollen (a. a. O.: 373). Dem Journalisten Stefan Niehues (1997) zufolge ist die Professionalisierung der Starver marktung auch auf eine immer reibungslosere Zusammenarbeit zwischen Medien und Unterhaltungsindustrie zurückzuführen, diese beiden industriellen Bereiche säßen eigentlich im selben Boot: „Die Unterhaltungsindustrie verkauft Stars und die Medien verkaufen sich über Stars (a. a. O.: 72).“ Nur Stars, die wiederholt in der medialen Berichterstattung auftauchen, werden als solche wahrgenommen, die Medien wiederum sind auf die Unterhaltungsindustrie als Werbepartner angewiesen und einige Medien verkaufen sich tatsächlich hauptsächlich über das Interesse ihrer LeserInnen an Stars. Eine besonders interessante Zielgruppe beider Bereiche sind Jugendliche, deren Kaufkraft zum einen in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist und die andererseits das ihnen zur Verfügung stehende Geld hauptsächlich im Freizeitbereich investieren. Im Sinne einer möglichst umfassenden Ausschöpfung der hier vorhandenen Kaufkraft wird heute auch verstärkt versucht, immer jüngere Jugendliche beziehungsweise Kinder als InteressentIn nen für jugendkulturelle Konsumgüter anzusprechen.78 Die Ware ‚Popstar‘ ist in diesem Kontext außerordentlich attraktiv, da sie nicht nur den Verkauf von Tonträgern, sondern auch von zahlreichen Fan-Artikeln ermöglicht (Informationsmaterial, Kleidungsstücke, Schmuck, Kosmetikprodukte, Gebrauchsgegenstände wie Bettwäsche etc.) und gleichzeitig selbst auch als Werbeträger für andere Produkte eingesetzt werden kann. Die unermüdliche Produktion neuer Konsumgüter und Informationen und auch neuer Stars zieht eine Übersättigung des Marktes mit sich, die die Werbeindustrie vor die Aufgabe stellt, die Nachfrage der VerbraucherInnen immer nachdrücklicher zu stimulieren. Eigentlich – so Niehues – war fast alles schon mal da, in diesem Sinne lasse sich „echtes Charisma“ heute immer schwerer aufbauen (a. a. O.: 71), was auch bedeute, dass die neu kreierten Stars oft schnell wieder aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwänden, oder, wie der Chefredakteur von BRAVO es
78 Das durchschnittliche Einstiegsalter von BRAVO -LeserInnen lag früher bei zwölf Jahren, während es heute bei acht Jahren liegt, vgl. Ljubic (1997).
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Teil B: Die empirische Untersuchung
einmal formulierte: „Die Halbwertzeit von Idolen hat sich in den letzten Jahren enorm verkürzt.“79 Die hier interessierenden „klassischen“ Boygroups und Girlgroups wurden in diesem Sinne mit dem Ziel, ein möglichst breites Spektrum heutiger Jugendlicher (beziehungsweise Kinder) anzusprechen, auf dem Reißbrett entworfen und ihrem Publikum von vornherein als Stars vorgeführt, während es diesem oblag, ihre eigentlichen Talente erst nach ihrer Identi¿zierung als solche herauszu¿nden. Wie John Hauk in seiner ausführlichen Darstellung des Boygroup-Phänomens (1999) beschreibt, wurden deren Protagonisten in der Regel über Anzeigen geworben und anschließend in monatelangen Vorarbeiten für den Markt ¿t gemacht: Sie bekamen nicht nur Gesangsunterricht sondern auch eine Image- und Styleberatung, es wurden Choreographien mit ihnen eingeübt und von Firmen, die hierfür zuständig sind, wurden Songs für sie komponiert und getextet. (Dasselbe gilt auch für die SPICE GIRLS.) Man geht davon aus, dass der Verkauf der Merchandizing-Produkte solcher Gruppen mindestens ebenso viel Geld einbringt wie der Verkauf ihrer Musik, weshalb die mediale Präsentation ihres ‚Images‘ von zentraler kommerzieller Bedeutung ist, was auch bedeutet, dass die BandMitglieder sich teilweise vertraglich zur Inszenierung einer verkaufsfördernden Persönlichkeit verpÀichten. Die hierfür erforderlichen biographischen ‚Korrekturen‘ ziehen unweigerlich Enthüllungsgeschichten nach sich, in denen sich beispielsweise herausstellt, dass die entsprechenden Künstler nicht schon vor der Bandgründung befreundet waren, eigentlich jünger sind als behauptet, doch schon eine Liebesbeziehung haben oder aber ein manifestes Drogenproblem.80 Die häu¿g stark faktenzentrierte Berichterstattung über die Bands (Geburts- und Wohnort der Stars, Sternzeichen, Lieblingsessen, Auftritte der Gruppe etc.) lässt sich insofern als kontinuierliche Produktion von Mythen beschreiben, wobei die Jugendmedien zwischen einer selbstauferlegten Zensur im Dienste der Promotion bestimmter Stars (a. a. O.: 205) und der gleich zeitigen sporadischen Dekonstruktion der selbst aufgebauten Mythen hin- und herpendeln. In den letzten Jahren lässt sich allerdings eine Tendenz zur Entmythologisierung in diesem Bereich feststellen: Einerseits ist es im Zuge eines nun schon einige Jahre anhaltenden „Castingshow-Booms“ (vgl. Klaus 2009: 43) üblich geworden, dass das Publikum die Auswahl von potenziellen Stars und die GestalJürgen Stollberg zit. in Christoph Amend (1999). Derartige ‚Enthüllungen‘ gab es beispielsweise nach der Trennung von CAUGHT IN THE ACT, aber auch die SPICE GIRLS räumten ein, sich eine Zeitlang jünger gemacht zu haben als sie sind und die BACKSTREET BOYS mussten im Sommer 2001 mit der Nachricht an die Öffentlichkeit treten, dass ihr Mitglied ‚AJ‘ sich einer Alkohol-Entziehungskur unterziehen wird. 79
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tung von Bands und deren Image bei Sendungen wie „Popstars“ und „K.I.KA. live – beste Stimme“ en Detail mitverfolgt und teilweise mitbestimmt.81 Andererseits haben sich teilweise auch die „alten“ Boygroups und Girlgroups im Laufe der Jahre vom Korsett ihres stereotypen Images gelöst und zu dessen Unterminierung beigetragen, so ist beispielsweise in einem neueren Video der Boyband „Boyzone“ (die 2007 ihr Coming Back hatte) ein schwules Liebespaar zu sehen. Derartige Entwicklungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Konstitution von Teenie-Bands nach wie vor auf der Grundlage kommerziellen Kalküls erfolgt. Dies wird häu¿g beklagt und vermeintlich besseren früheren Zeiten gegenübergestellt, als das Talent der MusikerInnen darüber entschieden, wer zum Star wurde und wer nicht. Bei aller Berechtigung einer solchen Kritik sei an dieser Stelle jedoch vor allzu schematisierenden Gegenüberstellungen gewarnt. Schließlich haben Bands wie die BACKSTREET BOYS ihre Vorläufer nicht nur in ebenso zusammengecasteten geschlechtshomogenen Gruppen wie den MONKEES (ab 1966 erfolgreich) und den NEW K IDS ON THE BLOCK (ab 1988 erfolgreich), sondern ebenso in den BEATLES, die sich bereits hervorragend auf das kommerzielle Antesten und Ausschlachten eines bestimmten Images verstanden.82 Im Folgenden soll genauer auf das Image von Boygroups und Girlgroups eingegangen werden, das offensichtlich nicht als Beigabe zu ihrer Musik, sondern als musikalisch unterstützter, zentraler Aspekt der Inszenierungen dieser Bands anzusehen ist.83 Das Boygroup-Image In Analysen der Inszenierungen von Boygroups84 wird deren Standart-Image als Repräsentation attraktiver und romantischer junger Männer beschrieben, die auf der Suche nach einer festen heterosexuellen Bindung sind und als solche vor allem das Interesse von Mädchen und jungen Frauen wecken sollen. Ihre Musik gilt als „melodisches, glatt produziertes Popmaterial“ (Janke 1997b: 85), das als 81 Auf diese Weise enstanden die anschließend durchaus erfolgreichen Girlgroups NO A NGELS (2000), Monrose (2006) und Saphir (2009). 82 Genau wie heutige Boygroups präsentierten sich die BEATLES als Gruppe romantischer junger Männer, die auf der Grundlage stilistischer Ähnlichkeiten gleichzeitig verschiedene ,Typen‘ verkörpern und auch sie vertuschten zugunsten ihres Images zeitweise ihre Liebesbeziehungen und Drogenerfahrungen. 83 Auch Richard Dyer (1979) betont in seiner Untersuchung von Filmstars insbesondere die Bedeutung von deren Image. Ein solches Image, so Dyer, setzt sich aus visuellen, auditiven und verbalen Zeichen zusammen und ist polysem strukturiert, was heisst, dass seine verschiedenen Elemente auch im Widerspruch zueinander stehen können. Im Prozess der Rezeption wiederum kann einem Image ein ganz neuer und anderer Sinn verliehen werden. 84 Ich beziehe mich hierbei auf Janke (1997b); Hauk (1999); Weyrauch (1997) sowie verschiedene Zeitungsberichte.
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solches von vielen älteren Pop-Fans nicht ernst genommen wird und besteht zu einem großen Teil aus Balladen zum Thema ‚Liebe‘, deren Texte eine rituelle Wiederholung vieler Personalpronomen und einschlägiger Liebesformeln vornehmen. Bei der Darbietung der Musik steht die Präsentation der Körper der Stars im Vordergrund, weshalb diese viel tanzen, wobei ihre Choreographien Aerobicelemente enthalten und leicht nach zuahmen sind.85 Der Gesang ist bereits zweitrangig (es gibt immer wieder Vermutungen, dass bestimmte Bands bei Live-Acts nicht oder nur teilweise selbst singen) und auch das Spielen von Instrumenten wird von Boygroup-Mitgliedern oft erst nach und nach erlernt und nur sporadisch eingesetzt. Je nach Musikrichtung changiert der Selbstinszenierungsstil der Gruppen zwischen elegant (eher bei Balladen) und leger-sportlich (eher bei Hip-Hop-Einlagen), wobei zumeist einerseits ein einheitlicher Stil präsentiert wird, andererseits die einzelnen Künstler innerhalb dieses Stiles unterschiedliche Typen darstellen (vgl. Hauk 1999: 195). Letztere werden durch verschiedene Haut- und Haarfarben, Kleidung und sonstiges Styling, jedoch auch durch ihre Selbstbeschreibungen in Interviews verdeutlicht. Sowohl bei diesen Interviews als auch bei allen anderen Darstellungen der Bands sind ferner die Betonung der gegenseitigen Freundschaft, die Ablehnung von Drogen aller Art sowie die Selbstinszenierung als stets gutgelaunte, heterosexuelle und ungebundene junge Männer zentrale Elemente (a. a. O.:189 ff). Während die romantische Liebe stark idealisiert wird, steht die Thematisierung von Erotik und Sexualität Hauks Analyse zufolge im Hintergrund, erotische Anspielungen erfolgen eher subtil und vorrangig auf einer visuellen Ebene (z. B. offene Hemden) (a. a. O.: 229 + 249). Im Gegensatz zum Phänomen der Girlgroups, das durchaus Gegenstand heftiger Debatten auch im sozialwissenschaftlichen Kontext werden konnte (s. u.), stoßen Boygroups in diesem Rahmen eher auf Desinteresse oder lapidare Abwertungen, die sich beispielsweise in dem bei Dieter Baacke nachzulesenden Seitenhieb gegen die „musikalisch und textlich totlangweiligen tränenschmusigen Boybands“ dokumentieren, die das „leicht sonore Versprechen von Liebe, Freundschaft, Treue und einer Sexualität, die von der Vaterimago bestimmt ist“ transportierten (Baacke 1998: 63 f). Eine intensivere Beschäftigung mit Boygroups als Medien-Arrangement ¿ndet sich bei Maya Götz (1998: 120 f), die diese als Konglomerat von Elementen wie „Liveact“, „Körpergefühl“ und „idealisierten Männer-Inszenierungen“ betrachtet. Als positiv bewertet Götz, dass die aktuelle Medienlandschaft es auch Mädchen und Frauen erlaubt, Männer nach ihrer erotischen Qualität zu beurteilen, während ein solch abschätzender Blick früher dem männlichen Geschlecht vorbehalten war. Mädchen wird insofern neuerdings 85 Vgl. Messner (1997: 237), die auf die Kurse einiger Tanz- und Fitnessschulen zum Erlernen des Boygroups-Tanzstiles verweist.
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Fakten und Mythen.
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eine Selbstverortung als aktiv Begehrende ermöglicht, wobei die Inszenierung vieler Medien-Stars als besonders zugewandte und ‚pÀegeleichte‘ Liebhaber ihres Erachtens gleichzeitig nicht geeignet ist, um sie auf die Komplexität ‚realer‘ Beziehungen vorzubereiten (vgl. Götz 1999: 378). Auch Kerstin Grether untersucht Boygroups als Ort der medialen Vermittlung geschlechtlicher Bedeutungen. Männliche Teenager-Stars wie Nick Carter von den BACKSTREET BOYS wirken Grether zufolge „schelmisch und verletzlich zugleich, tragen Lederjacken zu Milchbubi-Gesichtern, sehen androgyn oder schwul aus“ und repräsentieren insofern eine „unphallische Männlichkeit“ (Grether 1998: 267). Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt Gayle Wald (2002), derzufolge Boygroups eine feminisierte Männlichkeit inszenieren und deshalb letztlich variierende und Àüssige Geschlechterrepräsentationen produzieren. Das „girling“, das Bands wie die BACKSTREET BOYS betreiben, unterminiert der Autorin zufolge die Geschlechtergrenzen, was sie zu der Frage provoziert, ob die „power“ von ‚Girl Power‘ nicht letztlich den „boys“ gehöre (a. a. O.: 21). 86 Das Girlgroup-Image Die im Zuge von Band-Gründungen wie TICTACTOE, SPICE GIRLS oder NO ANGELS in den 1990er Jahren wieder in Mode gekommene Bezeichnung ,Girlgroup‘ geht eigentlich auf die frühen 1960er Jahre zurück, als noch Pop-Gruppen wie die SHIRELLES, RONETTES, SHANGRI-LAS oder CRYSTALS das Image derartig geschlechtlich markierter Bands prägten. Beschreibungen dieser Vorläuferinnen heutiger Girlgroups betonen zumeist, dass sie zwar von Männern produziert und gemanagt wurden, dennoch aber zu einer Eroberung der Popmusik als Ort der Artikulation adoleszenter weiblicher Stimmen beitragen konnten. In ihrer ausführlichen Analyse der ersten ,Girlgroup-Generation‘ aus feministischer Perspektive stellt Susan Douglas (1994: 87 ff) fest, dass deren Songs zwar konservative Ansichten über das Geschlechterverhältnis perpetuierten, gleichzeitig jedoch auch eine Rebellion gegen bestimmte Einschränkungen propagierten. Diese Widersprüchlichkeit erklärt sie zum einen mit der Kluft zwischen Texten und Sound der GirlgroupMusik, zum anderen mit den in einem Song von unterschiedlichen Sängerinnen ver tretenen divergierenden Standpunkten. Zu einem ähnlichen Schluss kommt 86 Der Leadsänger Bill der in den letzten Jahren in der BRD sehr erfolgreichen Band „Tokyo Hotel“ ist in seiner betont androgynen Inszenierung besonders radikal bei der Überschreitung von Geschlechtergrenzen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um die „Metrosexualität“ bestimmter Stars wie etwa dem Fußballer David Beckham. Der Begriff der Metrosexualität wurde von Journalisten geprägt und bezieht sich auf Männer, die auch die feminine Seite ihrer Persönlichkeit zulassen und nach außen hin Verhaltensweisen zeigen, die bis dato eher dem Lebensstil von Frauen oder dem Klischee des homosexuellen Mannes zugeordnet wurden (für eine Analyse des Phänomes der Metrosexualität vgl. Richard 2005).
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Barbara Bradby (1990), deren Textanalyse zufolge der Hintergrundchor dieser Bands zumeist eher die Stimmen der Mütter, anderer Mädchen oder eines Commonsenses vertrat, während die Leadsängerinnen eine Position der Stärke und Willenskraft bei der Erfüllung der eigenen Wünsche repräsentier ten. Auf diese Weise spiegelten die frühen Girlgroups die widersprüchlichen Anforderungen an weibliche Jugendliche zur Zeit der sechziger Jahre wider und boten gleichzeitig vielfältige Ansatzpunkte für Identi¿zierungen (Douglas 1994: 88 + 93). Auch aktuelle Girlgroups gelten als Konsumobjekte für eine primär weibliche und sehr junge Zielgruppe und werden gerne daraufhin analysiert, inwieweit sie in dieser Eigenschaft progessive Botschaften über das Geschlechterverhältnis vermitteln können. Ein besonders beliebtes Untersuchungsobjekt ist in diesem Zusammenhang die britische Band SPICE GIRLS, die sich mehr als alle anderen Girlgroups in eine feministische Tradition stellte, indem sie sich das Motto ,Girl Power‘ auf die Fahnen schrieb. Auch andere Girlgroups werden jedoch gern als „Powerfrauen“ bezeichnet und zumindest einzelne Bandmitglieder sorgen dafür, dass Eigenschaften wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit mit zum Image der gesamten Gruppe gehören.87 Da die SPICE GIRLS während meines Untersuchungszeitraums mit Abstand die erfolgreichste und bei den von mir interviewten Mädchen beliebteste Girlgroup waren, gehe ich im Folgenden genauer auf die Analysen dieser britischen Mädchen-Band ein. Das insbesondere in der Anfangszeit der Girlgroup nachdrücklich proklamierte Motto ,Girl Power‘ ist der subkulturellen Bewegung der US-amerikanischen ,Riot Grrrls‘ entlehnt. Die ,Riot Grrrls‘ erkämpften sich in der achtziger Jahren einen Platz in der Independent- und Underground-Rockszene und nutzen das aggressive und rebellische Potenzial des Rock und Punk zur Artikulation ihrer Interessen als Mädchen und junge Frauen. Sie griffen in ihren Inszenierungen sowohl die von Madonna eingeführte Taktik des parodistischen Umgangs mit Geschlechtsattributen auf als auch zahlreiche einschlägige feministische Themen wie Zwangsheterosexualität und den Missbrauch des weiblichen Körpers. Ihr aggressiver und ironisierender Umgang mit stereotypisierenden Geschlechtszuschreibungen, der sich auch in Band-Namen wie HOLE und QUEEN MEANIE PUSS ausdrückte, 87 Die weiblich konnotierte Stärke unterscheidet das Girlgroup-Image deutlich vom eher zarten, romantischen Boygroup-Image. Diese Differenz dokumentiert sich auch in der Musik der Bands, die eher als Boygroup-Musik auch ,härtere‘ Elemente aus dem HipHop-Bereich integriert (z. B. bei TICTACTOE und A LL SAINTS). Viele Girlgroups wie etwa die leicht esoterisch orientierte Band NO A NGELS halten sich jedoch mit Äußerungen, die als feministisch interpretiert werden könnten, zurück und ziehen es statt dessen vor, sich beispielsweise als „Umwelt-Engel“ beim Jugendwettbewerb für Umweltschutz zu engagieren. Auch Spicegirl Geri Halliwell distanziert sich explizit vom Feminismus, vgl. McRobbie 2010: 124.
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wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Analysen dieser Bewegung als innovative zeitgenössische Form der Artikulation feministischer Interessen begrüßt.88 Im Vergleich mit der feministischen Radikalität der ,Riot Grrrls‘ erschien die von den SPICE GIRLS verkörperte ,Girl Power‘-Version vielen KritikerInnen als verwässerte NeuauÀage, die die politische Stoßrichtung dieser Selbstermächtigung auf dem Altar kommerzieller Interessen opfert. So verweist etwa Anja Bierbaum (1999: 46 ff) auf die Idealisierung der romantischen heterosexuellen Liebe in Songtexten und Statements der Girlgroup, ihre ungebrochene Orientierung an Schönheitsnormen und ihre Betonung einer Freude an der Weiblichkeit, die jegliche Widersprüche ihres Mädchendaseins aufzulösen scheine. Ähnlich argumentiert Gayle Wald (1998: 586 f), der zufolge die SPICE GIRLS einen kosmetischen Feminismus repräsentieren, der jeglicher VerpÀichtung zum politischen Kampf entleert sei. Die parallel zur Fan-Gemeinde der Band entstandene ,AntiSpice-Girls-Bewegung‘, die sich insbesondere mittels ,Hass-Seiten‘ des Internets artikulierte, schaffe darüber hinaus eine neue Legitimation für antifeministische und frauenfeindliche Äußerungen.89 Auch Dieter Baacke (1998: 64) zweifelt das aufklärerische Potenzial einer Inszenierung an, hinter der „kommerzielle Unwahrheit“ stecke, gesteht Girlgroups wie den SPICE GIRLS und der deutschen Band TICTACTOE jedoch zu, immerhin provokanter zu sein als Boygroups. Die SPICE GIRLS sind jedoch gerade von feministischer Seite aus auch verteidigt worden. So warnt etwa Silvia Bauer (1999: 92) davor, über eine berechtigte Kritik an dem von der Gruppe vertretenen „softcore feminism“ deren EinÀuss auf die Imagination und Selbstermächtigungsstrategien ihres Publikums zu verkennen. Claudia Zötsch (1999: 138 + 146) wiederum verweist auf die Strategien der Übertreibung und Ironisierung in den Inszenierungen eines sexuellen Selbstbewusstseins, für die im bisherigen feministischen Kampf kein Platz gewesen sei. Eine solche Deutung der Girlgroup als feministische Ausdrucksform einer neuen, noch sehr jungen Generation ¿ndet sich auch bei Angela McRobbie (1998: 277), die die SPICE GIRLS und andere Artikulationen eines ,populären Feminismus‘ als Retourkutsche an eine ältere Feministinnen-Generation deutet, die als müde, weiß, professionalisiert und der Mittelklasse zugehörig wahrgenommen werde. Dass
88 Vgl. Baldauf/Weingartner (1998); Bierbaum (1999); Gottlieb/Wald (1995); Kailer (1999). Die bekannteste deutsche Band in der Tradition der Riot Grrrls war die Gruppe „Die Braut haut ins Auge“ (1990–2000). 89 Am Beispiel der NO DOUBT-Sängerin Gwen Stefanie („I’m just a Girl“) stellt Wald weiterhin die These auf, dass das Aufwerten und Zelebrieren von „Mädchenhaftigkeit“ letztlich einen patriarchalen Mechanismus unterstütze, demzufolge die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen an ihre Bereitschaft gekoppelt sei, sich wie Kinder zu verhalten (a. a. O.: 588). Zur Kritik an Versuchen einer Aufwertung von „girlies“ vgl. auch McRobbie 2010: 203.
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die draufgängerische Sprache jüngerer Frauen und ihre „umgekehrten Sexismen“90 sich heute nicht nur im subkulturellen Bereich, sondern auch im Mainstream artikulieren, lässt sich McRobbie zufolge nicht als Ausverkauf, sondern vielmehr als Erfolg des Feminismus interpretieren. Jenseits dieser Polarisierungen gibt es vereinzelte wissenschaftliche Analysen der SPICE GIRLS-Inszenierung, die dieser ein sowohl subversives als auch reaktionäres Potenzial bescheinigen. In ihrer Untersuchung des Videos „Say You’ll Be There“ gesteht Nicola Dibben (1999) der Girlgroup zu, Übertreibung und Spaß als Mittel zur Überwindung von Disziplin und Kontrolle einzusetzen, hierbei werde die dominante Ideologie jedoch letztlich nicht in Frage gestellt sondern funktionalisiert und somit gestützt. Dafna Lemish (2002) entwirft auf der Basis ihrer semiotischen Analyse einer Vielfalt von verfügbarem Material (Videos, Songs, Zeitschriften, Poster etc.) ein ähnlich ambivalentes Bild: Als progressiv im feministischen Sinne beurteilt sie die Aufwertung von Mädchenfreundschaften und -solidarität in den Selbstdarstellungen der Band und die Aneignung bestimmter Freiräume, die bislang eher männlichen Jugendlichen zugestanden wurden (z. B. durch ein in Videoclips dargestelltes provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit oder den Einsatz von Sexualität als Quelle des Stolzes anstatt der Scham). Gerade der Film ,Spice World‘ mache jedoch keinen Hehl daraus, dass die Band von männlichen Agenten programmiert und vermarktet werde. Auch transportiere deren Aufforderung an ihr weibliches Publikum, zum eigenen Körper zu stehen und das Beste aus diesem zu machen, letztlich essentialistische Identitätsvorstellungen: So zeige auch ein im Film inszenierter missglückter Rollenwechsel der einzelnen SPICE GIRLS (,Baby Spice‘ versucht ,Sporty Spice‘ zu sein etc.), dass wir eben doch nicht aus der eigenen Haut heraus können und unserem jeweiligen ,Typ‘ verpÀichtet bleiben. Darüber hinaus unterstütze die Inszenierung der schwarzen Künstlerin Melanie Brown als ,Scary Spice‘ mittels aufreizender Kleidung, Piercings und Tierhäute einen stereotypen rassistischen Blick auf Schwarze als besonders wild und sexuell potent. Als Hauptmerkmal der Band charakterisiert Lemish das Spiel mit dem Widerspruch zwischen einer Zentrierung auf die Glücksversprechen der heterosexuellen Liebe und einer gleichzeitigen Deklaration der Unabhängigkeit vom männlichen Geschlecht. Band-Daten Die Mädchen, deren Interviews ich zur Fallrekonstruktion ausgewählt habe, bezeichneten sich als Fans oder Ex-Fans der Bands SPICE GIRLS, BACKSTREET BOYS, CAUGHT IN THE ACT und THE BOYZ. Bei allen allgemeinen Aussagen über die 90 Beispielsweise machte ,Ginger Spice‘ Geri Halliwell beim ersten Besuch der Band in der BRD auf sich aufmerksam, indem sie Showmaster Harald Schmidt in den Schritt fasste.
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Inszenierungen von Girlgroups und Boygroups weist jede dieser Bands eigene Merkmale auf, die im Folgenden anhand ihrer ,Eckdaten‘ kurz skizziert werden.91 ƒ
SPICE GIRLS Die 1994 in London gecastete Band setzte sich bei ihrer Gründung aus Emma Lee Bunton (geb. 1976), Melanie Brown (geb. 1975), Victoria Addams (geb. 1975), Melanie Chisholm (geb. 1974) und Geri Halliwell (geb. 1972) zusammen. Ihre 1996 lancierte erste Single ,Wannabe‘ sowie die beiden folgenden Singles erwiesen sich als außergewöhnlich erfolg reich nicht nur auf dem britischen Markt (,Wannabe‘ eroberte den ersten Platz der Charts in 31 Staaten). Bereits zu Beginn ihrer steilen Karriere wurden den KünstlerInnen von journalistischer Seite die Spitznamen ,Baby Spice‘, ,Ginger Spice‘, ,Scary Spice‘, ,Sporty Spice‘ und ,Posh Spice‘ zugedacht. Nach zwei CD-Veröffentlichungen (1996: ‚Spice Girls‘, 1998: ,Spice World‘) kam 1998 der Film ,Spice World‘ in die Kinos. Das Jahr 1998 war jedoch auch durch den Ausstieg Geri Halliwells aus der Band geprägt sowie durch die Schwangerschaft zweier KünstlerInnen, die den Auftakt zu einer zweijährigen Babypause gab, während der gemeinsame Band-Aktivitäten zugunsten des Ausbaus von Solokarrieren zurückgestellt wurden. Im Jahre 2000 blickten die SPICE GIRLS auf eine Bilanz von 35 Millionen verkauften Alben, neun Nummereins-Hits in Großbritannien und mehrere einträchtige Werbeaufträge (Pepsi, Impulse, Polaroid, Chupa-Chups) zurück. Ihr im selben Jahr veröffentlichtes neues Album ,Forever‘, das im Vergleich zur früheren Musik der Band den Akzent eher auf ruhige Balladen setzte, konnte sich jedoch nicht lange in den Charts halten. Nach der Ankündigung einer Bandpause 2001 starteten die Bandmitglieder Solokarrieren, 2007 kam es allerdings zu einer kurzen Wiedervereinigung im Zuge derer die SPICE GIRLS eine Welttournee machten und ein „Greatest Hits“-Album herausgaben.
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BACKSTREET BOYS Die nach dem Vorbild der NEW K IDS ON THE BLOCK in Florida gecastete Band besteht aus den Künstlern Nick Carter (geb. 1980), A. J. McLean (geb. 1978), Brian Littrell (geb. 1976), Howard Dorough (geb. 1975) und Kevin Richardson (geb. 1972). Nachdem die erste Single ,We’ve got it Going on‘ 1995 nur in die Top-50 der US-Charts gelangte, wurde ein zweiter Start auf dem europäischen Markt anvisiert. Nach einem Auftritt der BACKSTREET
91 Ich beziehe mich hierbei auf Amend (1999); Bif¿ (1999); Hauk (1999); Lippitz (2000); Liszt (1997) und Weyrauch (1997) sowie auf zahlreiche Ausgaben der BRAVO zwischen 1998 und 2001 und verschiedene Fan-Webpages.
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Teil B: Die empirische Untersuchung BOYS beim Sechs-Tage-Rennen und ihrer Begleitung der CAUGHT IN THE ACT-Weihnachtstour war die BRD das erste Land, in dem ihre Single unter die Top-5 gelangte. 1996 erfolgten etliche Auftritte in der BRD sowie die Veröffentlichung des ebenfalls sehr erfolgreichen ersten Albums BACKSTREET BOYS. 1997 kam bereits die zweite CD ,Backstreet’s Back‘ heraus, im Anschluss kam es jedoch zu einer längeren Pause, während der die Band auf dem US-amerikanischen Markt bekannt gemacht werden sollte. Nachdem die für 1998 geplante Deutschland-Tour zwei Mal zugunsten von Auftritten in den USA verschoben worden war, trat die Boygroup auf Druck der Jugendmedien und Unterhaltungsindustrie schließlich 1999 wieder eine Tour in der BRD an, bei welcher auch das neue Album ,Millenium‘ promotet wurde. 2000 kam das dritte Album ,Black and Blue‘ heraus und 2001 erschien ‚Greatest Hits – Chapter One‘. 2002 startete Nick Carter eine Solokarriere und es gab zunächst keine gemeinsamen Auftritte mehr, bis es 2004 zu einem Neustart der Band kam. Seitdem erschienen drei neue Alben, es fanden durchaus erfolgreiche Tourneen statt und trotz des Ausstiegs von Kevin Richardson 2006 ist die Band bis heute aktiv und gilt mit dem Verkauf von 100 Millionen Tonträgern als erfolgreichste Boygroup.
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CAUGHT IN THE ACT Die Stars der in den Niederlanden gegründeten Boygroup waren Eloy de Jong (geb. 1973), Bastiaan Ragas (geb. 1972), Lee Baxter (geb. 1972) und Benjamin Boyce (geb. 1968). Nachdem ihre 1992 und 1993 veröffentlichen ersten beiden Singles erfolglos waren, erreichte ihre dritte Single schließlich 1994 die niederländischen Top-Ten. In der BRD wurde die Band durch ihren Auftritt in der Jugendserie ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ im Frühjahr 1995 bekannt. Der hierin vorgestellte Song ,Love is Everywhere‘ erreichte binnen kurzer Zeit den Platz 10 der deutschen Charts, die Jugendpresse begann verstärkt über CAUGHT IN THE ACT zu berichten und die Künstler wurden Protagonisten einer Foto-Love-Story in der BRAVO. Im Unterschied zu den BACKSTREET BOYS wurde die niederländische Band insbesondere durch ihre Live-Auftritte bekannt. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums ,Caught in the Act of Love‘ 1995 erfolgten binnen eines halben Jahres über 80 Auftritte in Europa und Südafrika. Im Zuge ihrer Weihnachtstour Ende 1995 durch sechs deutsche Großstädte kam auch das Video ,Live and Private‘ auf den Markt, von welchem noch im Dezember 100.000 Exemplare verkauft wurden. Die 1996 und 1997 veröffentlichten Alben ,Forever Friends‘ und ,Vibe‘ verkauften sich zwar ebenfalls sehr gut, jedoch konnte der Erfolg von CAUGHT IN THE ACT nicht an den der BACKSTREET BOYS heranreichen. Die bereits 1997 aufgekommenen Trennungsgerüchte bestätigten
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sich im August 1998, als eine AuÀösung der Band aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Management bekannt gegeben wurde. Bis zum Ende diesen Jahres, währendessen die Bandmitglieder bereits ihre eigenen Karrieren vorbereiteten, machte die Boygroup jedoch noch eine Abschiedstournee und veröffentlichte ein Video sowie ein letztes Album mit Solo-Produktionen der einzelnen Künstler. ƒ
THE BOYZ Die 1996 in Berlin gegründete Band hatte die Mitglieder Salvatore Di Blasi (geb. 1980), Stephane Kroll Marongin (geb. 1979), Adel ,Kane‘ El Tawil (geb. 1978), Tarek ,T-Soul‘ Hussein (geb. 1978) und Florian ,Flow‘ Fischer (geb. 1976). Bei der Präsentation des ersten Video-Clips der Band sowie der Single ,Round and Round‘ Anfang 1997 wurden insbesondere der Migrationshintergrund der Künstler sowie der Umstand, dass zwei von ihnen Instrumente spielen konnten, herausgestellt. Eine Differenz zu anderen Boygroups wurde ferner durch die sportliche Kleidung der Mitglieder sowie zahlreiche HipHop- und Rap-Elemente ihrer Musik markiert. Ihre dritte und erfolgreichste Single ,One Minute‘ kam unter die Top-Ten der bundesdeutschen Charts. Bis zu ihrer AuÀösung Ende 1999 unternahmen THE BOYZ mehrere Tourneen und gaben drei Alben heraus: ,Boyz in Da House‘ (1997), ,Next Level‘ (1998) und ,All the Best and Goodbye‘ (1999). Adel El Tawil ist heute Mitglied des erfolgreichen Musikprojekts „Ich+Ich“.
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3.1 Bianca, 12 Jahre: „Ich werd nicht so, schnell Fan jetzt oder so, ich verlieb mich auch nicht schnell.“ Bianca wurde mir von ihrer Selbstverteidigungstrainerin, über die der Kontakt entstand, als engagierter SPICE GIRLS-Fan beschrieben. Bei unserem ersten Vorgespräch am Telefon erzählte ich ihr von meiner Arbeit und meinem Interesse an der Frage, welche Rolle das Fan-Sein in ihrem Leben spielt. Nachdem sie ihre Eltern um Erlaubnis gefragt hatte, schlug sie vor, das Interview im Anschluss an ihren Selbstverteidigungskurs und in den Räumen des Mädchenzentrums durchzuführen, wo dieser wöchentlich stattfand. Sie wirkte bei diesem Gespräch sehr selbstbewusst und redegewandt auf mich. Bianca war zum Zeitpunkt des Interviews zwölf Jahre alt und lebte mit ihren Eltern und ihrem 15-jährigen Bruder in einem Berliner Innenstadtbezirk. Ihr Vater arbeitete als Lehrer in einer Integrationsschule, ihre Mutter war eben-
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falls Lehrerin und auch künstlerisch tätig. Sie besuchte die siebte Klasse einer Gesamtschule. Das Interview mit Bianca war eines der ersten Interviews, die ich durchführte und ich war mir zu diesem Zeitpunkt noch unsicher bezüglich einer passenden erzählgenerierenden Eingangsfrage. Ich hatte mir überlegt, mit Bianca ein lebensgeschichtliches Interview durchzuführen und somit für mich herauszu¿nden, ob diese Methode dem Alter meiner Probandinnen und meiner Fragestellung gerecht würde. Falldarstellung Einstieg in die Fan-Kultur Bevor ich das Aufnahmegerät einschalte erkläre ich Bianca, ich könne mir vorstellen, dass für ihr Fan-Sein heute auch Sachen wichtig seien, die sie erlebt hat, bevor sie Fan wurde. Ich kündige an, dass ich am Anfang des Interviews nach ihrer Lebensgeschichte fragen werde und sie dann loslegen und alles erzählen könne, was ihr wichtig erscheine. Daraufhin sagt Bianca: „Meine Lebensgeschichte erzähle ich aber nicht.“ Ich bitte sie, doch auf einige wichtige Ereignisse ihres Lebens kurz einzugehen, womit sie sich dann auch einverstanden erklärt. Sie beginnt sofort zu erzählen, nachdem ich das Band einschalte. Bianca:
Ich bin 1986 geboren, em, auch hier in Berlin, aber, em, em, na, wo denn, am Z.-See, da am Y.-Platz, da ist, eine Arztpraxis und bei mir so jeden, immer wenn ich Geburtstag habe, dann, fahr ich mit meinen Eltern, mit meinen Eltern, und meinem Bruder, em, zum Z.-See, und, dann wandern wir da, ist eigentlich ganz schön. Und, em, naja ((seufzt)) ich bin, also, dieses Jahr auf die Oberschule gekommen, aber ich war auch schon davor, also, ich glaub ab der, seit der fünften Klasse oder so bin ich jetzt schon Fan von den Spice Girls, jetzt eigentlich, mh immer noch ziemlich, aber, ich ¿nds halt nicht so gut, dass, Geri sich jetzt, abgetrennt hat sozusagen. Äh=mh naja und, bei mir spielt das glaub ich, also ich hab auch mal ne Therapie gemacht, also ne Psychoanalyse, und em, bei mir spielt das glaub ich auch, deswegen auch ne Rolle, ich bin, ich, bin eigentlich ziemlich sensibel glaub ich //mhm// und, em, ich glaube deswegen mach ich jetzt wahrscheinlich auch hier die Selbstverteidigung (3) und auch einfach weil ich bewundere die Spice Girls irgendwie auch son bisschen und sind auch schon bisschen wie Idole und, ich meine auch, ich ¿nde sie auch, sie machen auch gute Musik, also, ich hör die auch sehr gerne.
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Bianca geht zwar zunächst auf den Wunsch der Interviewerin ein, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, kürzt diese jedoch so ab, dass sie schon im zweiten Satz auf das eigentlich von ihr erwartete und gewünschte Interviewthema ‚mein Fan-Sein‘ zu sprechen kommt. Es mag ihr nicht wichtig erscheinen, mehr über die Zeit davor zu berichten, dies emp¿ndet sie womöglich auch als Überforderung oder als zu intim. Mit der Erzählung von ihrer Geburt in einer Arztpraxis und dem Ritual alljährlicher familiärer Spaziergänge an ihrem Geburtsort beschreibt sich Bianca als wertgeschätzt und aufgehoben im Kreis ihrer Familie. Die Erwähnung ihres Eintritts in die Oberschule als nächstes entscheidendes Ereignis ihres Lebens dient ihr bereits als Überleitung zum Thema ‚Fan-Sein‘. Mit den im Folgenden unvermittelt und knapp angesprochenen Themen ‚Trennung‘, ‚Therapie‘, und ‚Sensibilität‘ sowie ‚Selbstverteidigung‘ deutet Bianca an dieser Stelle eine eigene Analyse ihrer Fan-Psychologie an, die sie im Verlauf des Interviews weiter ausführen wird. Ihre Formulierung, Geri habe sich vom Rest der Band ‚abgetrennt‘ (die an ein abgetrenntes Glied denken lässt), auf die übergangslos die Erwähnung ihrer Therapie folgt, markiert Geris Ausstieg als gravierenden und schmerzhaften Einschnitt in ihrem Verhältnis zur Girlgroup. Ihr Verhältnis zu den SPICE GIRLS beschreibt sie als doppelt bestimmt: die Musik der Band entspricht ihrem Geschmack, sie emp¿ndet jedoch auch Bewunderung für die Bandmitglieder. Den Aspekt der Bewunderung und den Idolcharakter der Band spielt sie jedoch durch die zweimalige Verwendung des Wortes ‚bisschen‘ stark herunter. Im Folgenden erzählt Bianca, wie sie auf die Band aufmerksam wurde und schildert ihre Entwicklung zum Fan. Ihrer Klasse wurde im Musikunterricht die Aufgabe gestellt, zu selbstgewählter Musik zu tanzen. Bianca:
wir ham dann uns das Lied Wannabe em ausgesucht, das war gerade als die Spice Girls das gerade rausgebracht haben, als das gerade so neu war und, so an¿ ng mit den Spice Girls da, ham wir des halt, nach dem getanzt, und, naja, dann war ich halt, bin ich halt danach irgendwann bin ich halt einmal zu Tatjana gegangen und, em, dann hat sie mir erzählt, dass es eigentlich so ist, dass sie die Spice Girls, also, eigentlich, em, vorher waren wir eigentlich gar nicht so, also fanden wir das Lied einfach gut und waren eigentlich nicht so richtig Fan von denen, wir kannten die auch kaum und dann war das so eigentlich, dass Tatjana dann zu mir gesagt hat, ja, em, sie ¿ndet die eigentlich auch ganz gut, und deswegen hat sie jetzt auch schon nen Ordner angefangen und da hab ich gesagt, ich ¿nde sie eigentlich auch gut, aber, ich kenn sie halt=halt nicht so, also, so=so, vom, jetzt, also ich weiß jetzt nicht so viel über sie, und dann ham wir halt angefangen, em, zusammen zu sammeln, nen Ordner zu machen und so, und warn dann halt auch richtige Fans eigentlich
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Die vertrauliche Mitteilung Tatjanas, dass diese über eine bloße geschmackliche Präferenz für die Musik der SPICE GIRLS hinaus auch die Band an sich „ganz gut“ ¿ndet, leitet die nächste Stufe in Biancas Entwicklung zum Fan ein. Sie kennt die SPICE GIRLS noch nicht, hat lediglich ein diffuses positives Gefühl gegenüber der Gruppe und erst indem sie sich in die Fan-Praktiken ihrer Freundin einklinkt, kann sie das Wissen erwerben, das dieses später legitimieren wird. Bevor die beiden Mädchen sich als „richtige Fans“ bezeichnen, erfolgt eine prozesshafte Aneignung der Girlgroup über die mimetische Praktik des Nachtanzens und über den probeweisen Einstieg in fan-typische Sammelpraktiken. Insofern der Status ‚Fan‘ hierbei im Vollzug fan-typischer Handlungen hervorgebracht wird, lässt sich von einem performativen Einstieg Biancas in die Fan-Kultur sprechen (vgl. A 2.2). Ihren Verweis auf „richtige Fans“ hält sie offenbar für erklärungsbedürftig, sie unterbricht ihre Fan-Biographie an dieser Stelle zugunsten allgemeiner ReÀexionen zum Fan-Verhalten. Bianca:
also, bei mir ist das so, ich, em, unter richtigen Fans versteh ich eigentlich so, man muss da jetzt nicht wissen, wie alt die sind, alles über die wissen oder so, einfach, ganz normal, halt, em, es reicht glaub ich schon, wenn man die einfach gut ¿ndet und, em, em, vielleicht auch, naja, ich mein es kann ja auch sein, dass die n bisschen so, em, Idole für einen sind und auch einfach, und ich ¿ nd es auch so wie bei den Backstreet Boys, diese Mädchen, die en-, da überall hysterisch werden und losheulen und ohnmächtig so, des ist irgendwie ¿nd ich, die sind, ham nen ziemlich schwachen Charakter glaub ich auch und des is eigentlich, für mich auch, ich ¿ nde, man sollte schon Charakterstärke haben und sich auch nicht, so, einengen lassen oder jetzt zum Beispiel sich bei ner Band nen anderen Charakter geben lassen und den dann spielen oder so, weil dann kriegt man den auch irgendwann, weil man ja dauernd irgendwie, Interviews hat oder so.
Sie grenzt sich ab vom Übereifer (Aneignung von überÀüssigem Detailwissens) anderer Fans, den sie in den Bereich des Pathologischen verweist, indem sie die eigene Normalität betont. Auf der Seite dieser Normalität verortet sie auch die Möglichkeit, Popstars „bisschen“ als Idole zu betrachten. Diese Art von Fan-Beziehung unterscheidet sie grundsätzlich vom emotional aufgeladenen und unkontrollierten Verhalten insbesondere von Backstreet Boys-Fans, das sie als „Charakterschwäche“ deutet. Bianca präsentiert hier klare normative Vorstellungen bezüglich einer idealen Persönlichkeitsentwicklung: Die von ihr angestrebte Charakterstärke zeigt sich in der Fähigkeit, die authentische Entwicklung des eigenen Charakters vor verfälschenden oder einengenden Außeneinwirkungen zu schützen. Am Beispiel von Popgruppen, die Gefahr laufen, einen ihnen aufgedrängten fremden Charak-
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ter unfreiwillig zu adaptieren, verdeutlicht sie die Notwendigkeit, den eigenen Charakter gegenüber fremden EinÀüssen stark zu machen, eine Fähigkeit, die allzu distanzlosen und unkontrollierten Fans in ihren Augen abgeht. Bianca:
Naja, aber jetzt erzähl ich erst mal wie das war mit T-, also, wo ich angefangen hab, Fan zu werden, und dann mh, halt, dann haben wir angefangen und dann haben wir auch richtig em sone Bande gegründet ((lacht)), die hieß Mini-SpiceGirls-Bande, die ham wir sogar immer noch aber wir machen da jetzt /gar nichts mehr/ ((lachend)) eigentlich. Em, das ist so, wir hatten da, wir ham dann halt uns, versprochen alles, äm, so, zusammen haben wir es immer gesa- em, äh, gesammelt, und wir hatten auch eine Kasse, eine Mini-Spice-Girls-Kasse, so mit monatlichen oder wöchentlichen, also monatlich zwei Mark muss man da rein zahlen (…) Naja (1) und dann ist noch eine Freundin von mir, Lena, die ist, war eigentlich auch, dadrinne, in der, Bande, aber, die hat halt irgendwie nicht so viel, die hat auch nie den Betrag gezahlt oder so, ich mein, wir ham das auch öfters mal vergessen und jetz-, ich mein, ich gla-, ich hab die jetzt eigentlich schon vergessen, dieses, Bande
Biancas Erzählung von der mit ihrer Freundin gegründeten „Mini-Spice-GirlsBande“ schwankt zwischen Stolz und einer Distanzierung, die sich in ihrem wiederholten Lachen sowie der Betonung manifestiert, diese sei mittlerweile eigentlich schon vergessen. In dem von den Mädchen gewählten Namen der Bande spiegelt sich ihre Identi¿zierung mit den SPICE GIRLS, jedoch auch ihre Selbstwahrnehmung als deutlich kleiner, beziehungsweise jünger als die Stars. Die Bezeichnung ‚Bande‘ ist verwegener als etwa ‚Gruppe‘ oder ‚Club‘, sie lässt beispielsweise an eine ‚Gauner-Bande‘ denken und wirkt durch das Eingangsritual eines abgelegten Versprechens (welches geheim bleibt) auch ähnlich verschworen. Bianca:
bei mir in der Wohnung, öm, wir ham halt nen Hängeboden, so, überm, Flur, und, dann gibts nochn kleinen Raum überm Bad, da hatte ich immer meine Barbiesachen ((lacht kurz)) hab ich jetzt auch noch, und, em, damit die halt nicht im meinem Zimmer rumstehen, ich hab nen ziemlich kleines Zimmer, deswegen kann ich auch nicht so viele Poster aufhängen und will ich auch jetzt nicht mehr, weil es dann so klein wirkt auch und die, die machen auch die Tapete von mir kaputt und, naja, und das ¿nd ich auch nicht so schön dann irgendwie. Naja, und da hatten wir halt son kleines Stück, ham wir uns halt nach hinten durchgegraben (…) ham wirs so, gemütlich gemacht und dann ham wir da, alles voller Poster gehängt, und das war dann unsere Spice Girls-Ecke dann, da saßen wir dann öfters auch und, naja, ham halt gequatscht und, in unserem Ordner gelesen und, über alles möglich geredet, das war auch ganz witzig
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Die Mini-Spice-Girls-Bande trifft sich an dem versteckten Ort, wo Bianca ihre Barbiesachen aufbewahrt. Diese wurden bereits aus ihrem Zimmer verbannt, die Zeit der Beschäftigung mit Barbies ist vorbei, jedoch offenbar nicht ganz abgeschlossen, da sich Bianca noch nicht ganz von ihnen trennen kann. Das Bauen einer Höhle auf dem Hängeboden erscheint insofern wie ein Rückzug in die Welt der Kindheit. Die versteckte, von der Welt der Erwachsenen abgeschirmte SPICE GIRLS-Ecke schafft einen intimen Raum, in dem über „alles Mögliche“ geredet werden kann. Das Zimmer als Ort der Repräsentation nach außen in dem heutzutage auch das Aufhängen von Postern nicht mehr angemessen erscheint, kann offenbar diese Geborgenheit nicht gewährleisten. Zur dichten Atmosphäre, die Bianca hier in ihrer Erzählung wiederauÀeben lässt, schafft sie in der nachgeschobenen Bemerkung, dies sei „ganz witzig“ gewesen, eine unvermittelte Distanz, ihr heutiges Verhältnis zur Mini-SPICE GIRLS-Bande ist ambivalent. Sie schließt ihre lange Eingangserzählung ab mit einer Beschreibung ihrer Perspektive auf die SPICE GIRLS. Bianca:
ja und naja, also bei mir ist es auch schon so, ich ¿ nd auch einfach, die ham auch, gute Geschmäcker sozusagen und ich ¿nd auch die sind, auch, em sehr verschieden und das ¿nd ich eigentlich auch ganz gut, also ich ¿nds jetzt nicht so gut, dass sie sich jetzt irgendwie Baby Spice und Ginger Spice und Posh Spice aber, ich glaube dass, die sind wirklich schon sehr verschieden auch. // mhm, mhm// Und naja und jede mit ihrem eigenen Geschmack und jede mit ihrem eigenen Charakter, und ich hab halt auch den Film gesehen und da kommt das also, die ham ja gesagt, dass sie da, ihre, Charakter- Charaktereren, (…) übertrieben spielen, und, aber, man sieht halt schon nen bisschen wie sie sind auch, also dass die auch sehr verschieden sind. Und ich ¿nde auch, also manchmal, ich guck mir auch schon son bisschen Sachen von denen ab oder so, also, was ich jetzt zum Beispiel schön ¿ nde, Mel B hat jetzt so Schuhe, die ham sone ziemlich hohe Sohle, em, von Buffalo sind die glaub ich und die ¿nd ich halt auch schön und ich weiß auch wo es die gibt, aber ich wär jetzt gar nicht darauf gekommen, wenn, Mel B die jetzt nicht gehabt hätte aber, ich hätte die wahrscheinlich auch so, schön gefunden, oder auch einfach die Geschmäcker von denen ¿nd ich halt auch schön und dann, wenn ich mi-, dann, zieh ich mich vielleicht auch mal so ähnlich an dann, irgendwie, wenns mir steht, ich meine, mir steht jetzt auch nicht alles oder so
Einen besonderen Reiz üben die SPICE GIRLS durch ihre Verschiedenheit auf Bianca aus, die sich auch in ihren unterschiedlichen Geschmäckern zeigt. Zum Einen betrachtet sie diese Verschiedenheit als Zeichen dafür, dass die Popstars sich ihren eigenen Charakter bewahrt und somit in ihrem Sinne Charakterstärke
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bewiesen haben. Obwohl sie die stereotypisierenden Spitznamen der SPICE GIRLS eher ablehnt, emp¿ndet sie die überzogene Darstellung ihrer Charaktere im ‚Spice World‘-Film hilfreich, da diese ihre Authentizität in der Verschiedenheit um so deutlicher hervortreten lässt. Zum anderen ist die von der Girlgroup repräsentierte Vielfalt geschmacklicher Stile vorteilhaft bezüglich Biancas Interesse, sich auf der stilistischen Ebene etwas von den Stars „abzugucken“. Beim „Abgucken“ handelt es sich um eine komplizierte Balance zwischen der Inspiration durch Vorbilder und der Ermittlung des eigenen Geschmacks und ‚Typs‘: Indem Bianca stilistische Elemente von den SPICE GIRLS übernimmt, verhält sie sich nicht nur mimetisch gegenüber dem jeweiligen Popstar, sondern vollzieht auch eine Bewegung der Anähnlichung an den ihr individuell eigenen Stil, welcher sich wiederum erst im Verlauf dieses mimetischen Prozesses herauskristallisieren kann. Biancas Sensibilität Die Interviewerin kommt nun noch einmal auf ihren Geburtsort am Y.-Platz zu sprechen und fragt, ob ihre Eltern damals dort gewohnt hätten. Bianca erklärt, dass ihre Mutter eine Geburt in dieser Arztpraxis einer Geburt im Krankenhaus vorgezogen hätte, gewohnt haben ihre Eltern damals schon in der X.-Straße, wo sie noch heute leben. Bianca:
Also mein Bruder ist auch schon, äm, also als mein Bruder zur Welt kam, der ist jetzt 15, ham die auch schon da gewohnt, glaub ich, ja, ham sie //mhm// (2) ja, naja. (3) Bei mir ist es auch so, ich kann ziemlich, em, schwer, so, Sachen jetzt weggeben, also bei manchen ist es eigentlich so, dass ich die jetzt irgendwie auch weghaben will, dass ich, zum Beispiel in meinem Zimmer son paar Sachen, aber, wir hatten nen Auto, (…) und naja, das war auch schon ziemlich alt und, das war alles, halt, das musste halt einfach weg, ne, und, mein Opa ist, als ich in der fünften war, weiß ich jetzt nicht mehr, wann das war, irgendwann halt auch gestorben und der hatte auchn, Auto, also ich hab jetzt gar keinen Opa oder gar keine Oma mehr, also, alle schon tot, naja, und, der hatte halt son Garagenauto (alles) sehr gepÀegt zwar auch schon ziemlich alt, aber es, es war halt sehr gepÀegt gewesen und, das ham wir dann genommen und, es ¿el mir halt auchn bisschen schwer, von dem Auto sozusagen, Abschied zu nehmen
Bianca greift hier das bereits zu Beginn des Interviews angesprochene Motiv der Trennung wieder auf, das hier zunächst als Schwierigkeit, Sachen wegzugeben thematisiert wird. Vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Wohnens in der gleichen Wohnung spricht sie in dieser Passage gleich drei verschiedene Varianten der Trennung an: Das Entfernen von Sachen aus ihrem Zimmer, den Abschied vom alten Auto sowie den Tod ihres Großvaters. Da selbst die freiwillig wegge-
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gebenen Gegenstände aus ihrem Zimmer offenbar zunächst auf dem Hängeboden landen, scheint ihr auch diese Trennung, welche mit dem Älterwerden und einer Trennung von früheren Lebensphasen zusammenhängt, nicht leicht zu fallen. Der schwierige Abschied vom vertrauten Auto steht nun in direktem Kontext des Verlustes eines Familienmitgliedes durch dessen Tod. Bianca berichtet in der folgenden Passage davon, wie sie den Tod ihres Großvaters erlebte: Dieser kam unerwartet für sie und da sie gerade auf einer Klassenfahrt war, hat sie erst verspätet davon erfahren und war auch nicht bei der Beerdigung. In der Folge dieser Verlusterfahrung hatte sie Angstzustände, Schlafstörungen und Alpträume. Ihre Angst richtete sich vor allem darauf, auch krank zu werden und sterben zu müssen. Bianca vermutet, dass diese Reaktion mit dem Umstand zusammenhängt, dass sie nicht auf der Beerdigung ihres Großvaters war, da sie den Tod ihrer anderen Großeltern besser verkraftet hat. Ihr Gefühl des Eingebundenseins in den Kreis der Familie, das sich in der Erzählung des ‚Geburtstagsrituals‘ dokumentiert, wurde hier betrogen: Sie war nicht anwesend beim gemeinsamen Abschiednehmen vom Großvater und musste dies alleine nachholen. Bianca:
Und ich hab dir ja gesagt, daß ich sehr sensibel eigentlich bin aber (1) (…) Einmal hab ich auch von meiner Mutter geträumt, dass sie irgendwie gestorben wäre und dass, also es war, der Opa, der gestorben ist, war der Vater von meiner Mutter (…) und da hab ich irgendwie geträumt, dass, meine Mutter tot ist und dass sie dann, irgendwie, als, irgendwie als Geist oder so, kam und ich, hab dann immer voll, irgendwie, (nicht so) erschreckt oder so aber voll, em, naja, voll, sozusagen hysterisch, hab sie da geschüttelt und gesagt: /DU BIST TOT, DU BIST TOT/ ((imitierend)) und, hab dabei irgendwie geheult, und, naja dann bin ich auch dabei aufgewacht und das war, richtig schlimm für mich //mhm, mhm// (3) naja und, naja, also, irgendwie ich, das hört sich jetzt vielleicht n bisschen bescheuert an, aber, die Spice Girls waren halt eigentlich auch son bisschen wie ne, Therapie für mich, also jetzt nicht, s=so ne richtige Therapie, aber die ham halt irgendwie auch schon, mir sozusagen, bisschen dabei geholfen (1) das auchn bisschen zu hfn, weil, also, ich /hab nicht mit den Postern geredet oder so aber/ ((lachend)), em, naja, eigentlich, ich weiß gar nicht eigentlich wieso, aber irgendwie, halt so, weil, /ich weiß nicht/ ((sehr leise)), irgendwie, weil die halt auch, so, sehr stark, so vom Charakter her sind, sehr stark und des, //mhm, mhm// naja (3)
Die hier erneut angesprochene Sensibilität Biancas äußert sich in der folgenden Beispielerzählung in ihrem „hysterischen“ Verhalten im Zuge eines Alptraumes vom Tod der Mutter. Wie die vormals erwähnten „hysterischen“ BACKSTREET BOYS-
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Fans war sie in dieser Situation überwältigt von ihren Gefühlen. Als Gegenpol zur Hysterie wird auch hier die Qualität der Charakterstärke angesprochen, die ihr repräsentiert durch die SPICE GIRLS in dieser Situation helfen konnte. Es fällt Bianca offenbar schwer, zu beschreiben, inwiefern die Girlgroup eine Therapie für sie sein konnte, sie macht jedoch deutlich, dass sie diese nicht als direktes Gegenüber wie etwa einen Therapeuten oder eine Therapeutin erlebt hat, es handelte sich nicht um eine interaktiv durchgeführte Therapie und ihr war auch durchaus bewusst, dass die Poster der Stars eben nur Poster sind, d. h. sie war weit entfernt von einem Realitätsverlust. Im Folgenden spricht die Interviewerin Biancas Psychoanalyse an und bittet sie, hierüber noch mehr zu erzählen. Ohne auf die Gründe für ihre Therapie einzugehen, beschreibt Bianca hierauf, was sie während der Psychoanalyse gemacht hat. Bianca:
manchmal ham wir halt geredet oder so, oder gespielt oder so aber meistens, hab ich halt gemalt, gezeichnet und, ich weiß nicht, es ist bei mir so, ich male, unheimlich gern Geschichten //mhm// so eine mit Frauen ((lacht)), weil, die kann ich irgendwie am besten malen //mhm// die mal ich auch lieber als, Männer oder so, weil, ich weiß nicht, die sind so langweilig, bei denen kann man nichts malen, nur immer Hosen und Hemden, und die Haare kann ich bei denen auch nicht malen ((lacht)) //mhm, mhm// (3) mhm (2) em, naja, und, ich hab halt immer sehr viele so, Geschichten, so, gemalt, dar- da gings meistens, gings in den Geschichten um Streit, also, so, em, jugendliche Mädchen, die sich irgendwie gestritten haben, weil die eine nicht mehr die Freundin sein wollte oder so
Im Rahmen der Therapie brachte Bianca selbstausgedachte Geschichten zeichnerisch zu Papier, die inhaltlich häu¿g das schwierige Thema ‚Trennung‘ behandelten, das dieses Mal im Kontext eines Streits und einer bedrohten Freundschaft zwischen Mädchen angesprochen wird. Ferner beschäftigte sie sich in ihren Geschichten mit Mädchen und Frauen, was sie mit dem langweiligen und uninspirierenden Äußeren von Männern begründet. Das den SPICE GIRLS zugeschriebene Attribut der geschmackvollen und variationsreichen Selbstinszenierung wird hier zur allgemeinen Qualität des weiblichen Geschlechts erklärt, wohingegen der männliche Gegenpol sich offenbar vor allem dadurch auszeichnet, dass ihm diese Eigenschaft abgeht. Hilfe der SPICE GIRLS bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Charakter I.:
mhm, mhm (4) mhm (1) wenn du so sagst, em, die Spice Girls sind für dich ne Therapie, äh, ist es dann, so, dass dich das, irgendwie erinnert an die Therapie,
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Bianca:
Teil B: Die empirische Untersuchung die du damals gemacht hast, oder, kannst du das vielleicht n bisschen genauer beschreiben ? Ne, eigentlich nicht, also das erinnert mich eigentlich nicht, die sind halt, nicht richtig wie ne Therapie, aber sie ham mir dabei halt n bisschen geholfen auch, und sie helfen mir halt noch n bisschen dabei, wenn ich jetzt zum Beispiel irgendwie, em, Streit habe oder so, oder, irgendwie, halt auch n bisschen mehr Selbstbewusstsein zu kriegen auch, irgendwie //mhm// weil man will ja dann doch irgendwie schon son bisschen sein wie sie aber, so jetzt zum Beispiel bei mir sind die jetzt auch eher wie Idole, als irgendwie das ich jetzt so, em, sie so jetzt so, so, vergöttere oder so //mhm, mhm// (1) aber halt auch nicht richtig wie Idole weil ich versuch auch trotzdem noch n bisschen meinen eigenen, Charakter auch rauszu¿nden. Hab ich glaub ich auch. Ich hab auch glaub ich nen eigenen, also, ziemlich starken Charakter
Als die Interviewerin sie um eine Präzisierung der vorher vage gebliebenen Funktion der SPICE GIRLS als Therapie bittet, verweist Bianca erneut auf die Unterschiede zu ihrer Psychoanalyse: Bei ihrem Verhältnis zur Girlgroup handelt es sich um eine ganz andere Art der Hilfe, die jedoch auch im Kontext einer Auseinandersetzung mit Streitsituationen steht. Die SPICE GIRLS unterstützen sie insbesondere bei der Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein. Sie verwendet in diesem Zusammenhang erneut den Begriff des Idols, wobei deutlich wird, weshalb dieser offensichtlich nur bedingt zur Charakterisierung von Biancas Fan-Sein geeignet ist und zumeist in Verbindung mit dem Wort „bisschen“ verwendet wird: Die SPICE GIRLS sind zwar Idole für sie, in ihrem Verhältnis zu ihnen versucht Bianca jedoch auch ihrem eigenen Charakter auf die Spur zu kommen. Ihre Beziehung zur Band ist in diesem Sinne durch eine doppelte Mimesis gekennzeichnet: Bianca sucht nicht nur sich den SPICE GIRLS als Vorbildern anzuähnlichen, sondern auch einem Entwurf ihrer eigenen Persönlichkeit, die ihr noch unbekannt ist, auf die sie jedoch erste Hinweise hat. Die mimetische Annäherung an die Vorbilder wird verknüpft mit einer mimetischen Annäherung an den eigenen starken Charakter, der noch nicht erwiesen, jedoch bereits ahnbar ist. Der Begriff des Idols dient Bianca hierbei zur Abgrenzung vom undistanziert-schwärmerischen Verhältnis anderer Fans zur jeweilig bevorzugten Band, er hat jedoch den Nachteil, dass er suggeriert, es handele sich bei ihrer Beziehung zur Girlgroup lediglich um eine einfache Imitation. Bianca schildert kurz, wie in der Situation vor einem öffentlichen Flötenvorspiel der Gedanke daran, dass die SPICE GIRLS sicherlich auch vor ihren Auftritten aufgeregt sind und diese dann trotzdem erfolgreich meistern, sie ermutigen und beruhigen konnte. Anschließend kommt die Interviewerin noch einmal auf das Thema ‚Idole‘ zurück.
3 Fallbeschreibungen I.: Bianca:
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Mh, also, wenn du so sagst, jetzt, die Spice Girls sind Idole für dich, heißt das, dann, em, du möchtest so sein wie die, oder teilweise wie die ja, also sie sind nicht richtig Idole, also ich möchte jetzt nicht so genauso sein wie sie, ich mein, ich tön mir die Haare auch, aber, ich wer- nicht weil ich jetzt unbedingt so sein will wie Geri, Geri ist nämlich meine Liebste ((lacht)), also mein Liebling, von denen (1) em (1) naja, ich will jetzt nicht unbedingt so sein wie sie, aber irgendwie, sind sie in mancher Hinsicht schon son bisschen Idole, zum Beispiel, dass sie jetzt sagen, was sie meinen und so, das, das ist so bei mir, dass ich, das eigentlich gut ¿ nde und dass ich das bei mir auch so eigentlich ganz gerne so haben würde, also, ich bin auch eigentlich eine so, die eigentlich auch son bisschen sagt, was sie so denkt, oder so //mhm, mhm, mhm// (2) und sich auch für die anderen eigentlich einsetzt, ich will mich ja jetzt hier nicht selber loben, aber ich glaub, das ist so bei mir und ich, kann das auch nicht ab, wenn jetzt irgendwie nen anderer jetzt irgendwie so, klein gemacht wird, oder so, also, wenn jetzt zum Beispiel, em, naja, also, des ist jetzt nicht so richtig, das ich das nicht abkann, wenn jetzt jemand anderes klein gemacht wird und der irgendwie, äh, und ich spring dann für ihn ein, das ist eigentlich so, dass ich das nicht mache, so, öm, nee, das war jetzt nicht richtig ((lacht)) aber, em, naja, also zum Beispiel in der, in der Schule, also in meiner früheren Schule, hatten wir einen, einen Außenseiter, Sascha, den hat keiner gemocht, ich übrigens auch nicht, oh naja und dann, em, Valerie die war so eine, die war eigentlich ganz gut in der Schule, ich mochte sie auch nicht so, die war irgendwie sozusagen, also, für mich eigentlich nicht, aber ich glaube ich war immer so ihre Rivalin (…) und es war dann auch so, em, also sie qua-, hat z-, ziemlich viel gequatscht und da hat Herr Peters, unser Klassenlehrer (…) da hat der voll Valerie angeschrieen, die ganze Zeit, sie hat dann auch geweint und dann hat- hab ich halt gesagt, das ist aber so, das ist ja nicht nur dass Valerie das jetzt war, das ist ja auch so, Tom war das garantiert auch oder so, sie müssen da jetzt nicht nur über, em, nur auf Valerie rumhacken oder so weil //mhm// das war garantiert nicht nur Valerie ich mein, zu so was gehören immer zwei. //mhm// Sagt er auch selber
In einer weiteren Differenzierung des Idol-Begriffs erklärt Bianca, dass ihr einzelne Stars wie Geri nicht mit allen Persönlichkeitsmerkmalen als mimetisches Vorbild dienen, sondern sie vielmehr in einem Prozess kritischer Prüfung einzelne erstrebenswerte Züge von diesen auswählt. (Sie spricht insofern die auch bei Freud erwähnte Möglichkeit einer teilweisen Identi¿zierung an, die im IdolBegriff nicht von vornherein mitschwingt, vgl. A 3.2.) Vermutlich aufgrund der homoerotischen Konnotierung der Bezeichnung „meine Liebste“ für Geri wird diese mit einem Lachen zurückgenommen und in „mein Liebling“ korrigiert. In dieser Passage manifestiert sich, wie kompliziert und teilweise mühevoll der Vor-
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gang der Anähnlichung an sich selbst – als zweite Seite der Fan-Mimesis – für Bianca verläuft: Die Eigenschaft des offensiven Vertretens der eigenen Meinung wurde auch deshalb für eine doppelte Mimesis ausgewählt, weil Bianca diese für eine eigene Eigenschaft hält. Allerdings ist sie sich hierüber nicht vollständig sicher. Sie bringt sich selber erzählerisch in den Zugzwang, einen exemplarischen Beweis zu erbringen, wodurch sie kurzzeitig ins Straucheln gerät: Nachdem ihr auf Anhieb kein Beispiel für eine Situation einfällt, in der sie ihre Meinung geäußert und sich gleichzeitig für Schwächere eingesetzt hat, nimmt sie diese These über sich selbst sogar vollständig zurück. Sie beginnt dann eine Erzählung über den Außenseiter Sascha, die nicht fortgeführt wird und berichtet schließlich in einem dritten Anlauf, wie sie für ihre Mitschülerin Valerie eintrat, als diese vom Lehrer ungerecht behandelt wurde. Sie setzte sich in dieser Situation unabhängig von ihren persönlichen Interessen (sie und Valerie hatten ein Konkurrenzverhältnis) für eine andere Person und für Gerechtigkeit im Klassenzimmer ein und lehnte sich gegen einen irrational und unkontrolliert agierenden Erwachsenen auf. In dieser Passage dokumentieren sich die hohen moralischen Ansprüche, die Bianca an sich selbst stellt, sie achtet nicht nur sehr genau auf eine präzise und wahrheitsgemäße Selbstdarstellung gegenüber der Interviewerin, sondern zwingt sich auch, ein Beispiel für ihr Enaktierungspotenzial bezüglich der eigenen Charakterstärke zu ¿nden. Es wird deutlich, wie engagiert und auch reÀektiert sie die selbstgestellte Aufgabe verfolgt, eine starke, mutige und ehrliche Persönlichkeit zu werden. Die SPICE GIRLS dienen ihr hierbei als Symbol für den möglichen Erfolg einer solchen Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig möchte sie hierbei nicht einfach ihren Vorbildern nacheifern, sondern auch an eigene Fähigkeiten anknüpfen. Der „eigene Charakter“ erweist sich jedoch als rutschiger Untergrund: Sie weiß letztlich nicht genau, ob sie wirklich eine Person ist, die sich für andere einsetzt. Eine größere Sicherheit hierüber kann sie erst dann gewinnen, wenn diese Fähigkeit sich wiederholt im eigenen Handeln manifestiert. Selbstbewusstsein und Mut der SPICE GIRLS Die Interviewerin spricht nun den am Anfang des Interviews erwähnten Zusammenhang zwischen Biancas Fan-Sein und ihrem Selbstverteidigungstraining an. I.:
Bianca:
Em, und du hast eben gesagt, dass das, em, auch was damit zu tun hat, dass du Selbstverteidigung machst, kanns-, kannst du vielleicht darüber noch bisschen mehr erzählen ? Naja, also, es-, ich hab ja Selbstverteidigung noch nicht so lange angefangen, aber es ist auch so dass, Selbstverteidigung mach ich auchn bisschen dazu, um haltn bisschen mehr Selbstbewusstsein zu kriegen. Ich glaub ich bin schon selbstbewusst, aber jetzt z-, zum Beispiel so, wenn mich jetzt son Typ anmacht
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oder so, dann einfach zu sagen, halt die Klappe oder so //mhm, mhm// sowas, halt, dass ich das dann irgendwie, weil, ich mein, man strahlt das ja auch aus, wenn man, so, irgendwie Selbstvertrauen hat oder so //mhm, mhm, mhm// (3) ja, also da-, dazu, dazu eigentlich und das ist halt bei, das, hab ich bei, bewundere ich bei den Spice Girls auch eigentlich, sehr, dass sie das sich auch trauen und so, weil sie ja eigentlich als, em, als Popstars eigentlich auch, em, naja, für die öffentliche Meinung halt so eigentlich alles und /hach und schön/ ((imitierend)) und, halt, also so um, so zu sein wie sies eigentlich wollen, also jetzt keine Skandale oder so //mhm// und ich glaub es ist auch so, weil sie auch, em, es ist glaub ich auch so, weil sie einige Skandale hatten, bei mir, dass ich sie auch besonders bewundere.
Erneut wird hier der Unterschied zwischen einer im Prinzip vorhandenen Eigenschaft und der Fähigkeit, diese auf der Handlungsebene einzusetzen, angesprochen. Das vor kurzem begonnene Selbstverteidigungstraining hat den Zweck, ihr Selbstbewusstsein, das Bianca auf einer abstrakten Ebene als vorhanden vermutet, in konkreten Situationen zum Einsatz zu bringen. Ziel ist hierbei, diese Eigenschaft über den Weg der Enaktierung und der Habitualisierung langfristig in ihre Ausstrahlung einÀießen zu lassen, womit sie zum festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit werden würde. Obwohl als Popstars von ihnen erwartet wird, dass sie sich angepasst und harmonisierend verhalten und Skandale vermeiden, „trauen sich“ die SPICE GIRLS, wofür Bianca sie bewundert. Der hier angesprochene Mut besteht offensichtlich darin, einen normativen Verhaltenskodex zu durchbrechen und diesem zum Trotz die eigene Persönlichkeit zu verwirklichen. In diesem Sinne bewundert sie die SPICE GIRLS besonders für ihre Skandale, bei welchen sie eklatant gegen die öffentliche Erwartung verstießen. Bianca:
Weil es ist so, also, irgendwie, es gab irgendwie sone, also also als, von Geri da die Nacktfotos da, em, vorgestellt worden sind //mhm// das fand ich überhaupt nicht schlimm, nur weil, ich glaub, das ham die einfach nur gemacht, weils ne Mädchenband ist, weils irgendwie die erste Mädchenband ist und weil sie auch einfach sagen, was sie machen //mhm, mhm// und es gab dann irgendwie so, die Backstreet Boys haben auch gerade was gemacht, irgendwas, ich weiß es nicht mehr, es liegt schon bisschen länger zurück, und dann hab ich, dann ha-, dann ha-, Tatjana und ich, also meine Freundin, ne ? ham uns richtig darüber aufgeregt, dass, /bei denen wird das alles so vereinfacht und verherrlicht und so/ ((imitierend)), und, em, und /ja, und, gar kein Skandal und so und ach, ich hasse die ja so/((imitierend)) //mhm, mhm// (…) ich mein, es gibt so viele Stars, die das gemacht haben //mhm, mhm// nur bei, bei den Spice Girls, wird das so //
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Teil B: Die empirische Untersuchung mh// als ob das jetzt voll der Riesenskandal wär, ja, also, das ¿nd ich sowas von bescheuert, wirklich, es gibt Menschen, die sind einfach hirnlos/ ((sehr schnell und aufgeregt))
In ihrer mit großem emotionalem Engagement vorgetragenen Schilderung des Skandals um Geris Nacktfotos bezieht Bianca vehement Stellung gegen die damalige öffentliche Verurteilung der SPICE GIRLS, die ihrer Ansicht nach keinerlei rationale Gründe hatte. Stattdessen ging es darum, die Band einerseits als erste Mädchenband und andererseits als eigenwillige Popstars zu diskreditieren. Sie belegt diese Einschätzung mit dem Verweis auf andere Bands, die ihrer Ansicht nach in ähnlichen Fällen mit anderen Maßstäben beurteilt wurden. Im Zuge der Fan-Praktik der Kommunikation über die Band stellt sie mit ihrer Freundin eine Übereinstimmung sowohl bezüglich der Beurteilung der Situation sowie der diese begleitenden Gefühle her. Es bleibt dabei unklar, ob die Wut und der Hass der Mädchen sich lediglich auf die „hirnlosen“ Menschen, die Geris Nacktfotos skandalisierten richten, oder auch auf die BACKSTREET BOYS, denen es so viel leichter gemacht wird. Abgesehen von der Bemerkung, sie fände dies „überhaupt nicht schlimm“, bezieht Bianca selbst keine Position zu den verurteilten Nacktfotos. Die klassische Pornographie-Kritik, der Verkauf des eigenen Körpers (beziehungsweise von dessen Abbild) mache Frauen zum Objekt männlicher Lust, ist ihr vermutlich nicht völlig unbekannt. Dieser Vorwurf gegenüber einem SPICE GIRL bewegt sich im eklatanten Widerspruch gegenüber Biancas Perspektive auf das Verhalten der Stars als besonders selbstbestimmt. In diesem Sinne lässt sich ihre starke Abwehr gegen diese Kritik auch als Versuch deuten, ihr eigenes Bild des „Idols“ gegenüber Widersprüchen zu verteidigen. Im Folgenden beschreibt Bianca auf die Bitte der Interviewerin hin die FanPraktik des Tanzens. Sie erzählt, dass sie bei zwei öffentlichen Aufführungen in der Schule mitwirkte, wobei sie einmal die Rolle Emmas und einmal die Rolle Geris einnahm. Auch hat sie manchmal Zuhause im abgedunkelten Zimmer zur Musik der SPICE GIRLS getanzt und sich dabei vorgestellt, dass ihre Freundinnen auch da seien. Andere Popstars und -bands und Geri als bevorzugtes SPICE GIRL An einer späteren Stelle greift sie am Beispiel der Berichterstattung von BRAVO erneut das Thema der öffentlichen Diskurse über Popstars auf. Bianca:
also, früher hab ich auch immer Bravo gelesen, und so, hab mir immer die Bravos gekauft, aber jetzt mach ich das nicht mehr, ich hasse Bravo im Moment, weil, also, jetzt, weil, ich ¿nd die schreiben einfach son Scheiß manchmal, ir-
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I.: Bianca:
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gendwie und ich ¿ nd, die machen auch immer nur das gleiche, die sind überhaupt nicht mehr kreativ und so, und irgendwie, ich reg-, immer wenn ich Bravo lese dann reg ich mich über irgendwas, was da über irgendwelche Stars steht, Leonardo di Caprio, ich kann Leonardo di Caprio überhaupt nicht ab, dann reg ich mich total auf und irgendwie, /dann würd ich am liebsten da hingehen und denen eins in die Fresse haun/ ((lachend)) //mhm, mhm// also, di-, diesen Star zum Beispiel Aaron Carter, also sowas d=des ¿nd ich, und dann beschreiben die den als süß, ja ? Also das ¿nd ich so, irgendwie so, äh, ich weiß nicht, dann, ärger ich mich richtig. Mhm. Und du kannst Aaron Carter nicht ausstehen ? Ich kann den überhaupt nicht ausstehen, Leonardo di Caprio auch, die Backstreet Boys auch nicht, ich kann diese ganzen Boygroups nicht ausstehen // mhm, mhm// außer, Caught in The Act ist noch ganz o. k., äh, Aaron Carter ist wirklich der Gipfel, ja, des is s=son kleiner Knirps und dann, einmal hat der, so gesagt, em, ja, em (3) übrigens meine Mama erlaubt mir jetzt noch nicht eine Freundin zu haben, aber, w=, em, wenn ich älter bin werd ich das alles nachholen, dann werd ich, zehn Freundinnen auf einmal haben, des is= ich ¿nd des so eingebildet, ja ? Als ob den dann noch Irgendjemand, irgendwie, ich ¿nd es, wirklich, des is son, eingebildetes, egoistisches Arschloch, //mmh// wirklich, da kann man irgendwie einfach nur sagen du bist ja richtig dumm weißte des ? //mhm, mmh// (2) oder zum Beispiel em, was der immer auch immer, die Stimme, weißte als ich den zum ersten mal gehört hab dacht ich des wärn, ne Frau //mhm, mmh// weißte und diese Stimme irgendwie so ((imitiert Quäken))
Nun, da sie ‚ihre Band‘ gefunden hat, hasst Bianca BRAVO, die sie früher regelmäßig gelesen hat. Sie wirft der Zeitschrift Gleichförmigkeit vor, weshalb sie aus ihrem positiven Gegenhorizont der Vielfältigkeit herausfällt, den sie hier mit Kreativität in Verbindung bringt. Außerdem stört sie die positive Berichterstattung über Stars, die ihr nicht gefallen, womit insbesondere bekannte männliche Teenie-Stars gemeint sind. Aaron Carter beispielsweise, der noch nicht mal im Stimmbruch ist, repräsentiert mit seinem Wunsch, bald zehn Freundinnen auf einmal zu haben, eine sexualisierte Männlichkeit, der Bianca mit extremer Aversion begegnet. Offenbar stört sie nicht nur der Machismo seiner Bemerkung, der ihr selbst als Mädchen eine Rolle als Sammelobjekt zuweist, sondern auch die frühe Sexualisierung des Stars. Diese verweist implizit darauf, auch sie selbst könne bereits sexuelle Wünsche gegenüber dem anderen Geschlecht haben. Die Erotisierung männlicher Teenie-Stars durch deren Beschreibung in BRAVO als „süß“ legt ihr darüber hinaus explizit eine Position der schwärmerisch heterosexuell Begehrenden nahe, die sie für sich ablehnt. Vor dem Hintergrund ihrer Verachtung gegenüber „hysterischen“ Boygroup-Fans lässt sich vermuten, dass sie diese Art
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Teil B: Die empirische Untersuchung
des Schwärmens mit einem bedrohlichen Verlust der Kontrolle über die eigenen Gefühle beziehungsweise auch über die Entwicklung des eigenen Charakters in Verbindung bringt. Im Sinne ihres starken Wunsches danach, Charakterstärke zu zeigen und sich verteidigen zu können, nutzt Bianca die Beschreibung ihrer Wut auf BRAVO und Aaron Carter, um auf der imaginären Ebene verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, wie sie sich diesen beiden bedrohlichen Instanzen gegenüber in einer konkreten Interaktion durchsetzen könnte. I.: Bianca:
((lacht)). Mh, gibts denn jetzt noch andere Stars jetzt, außer den Spice Girls, die du n-, auch noch ganz gut ¿ndest ? (3) Eigentlich nicht, früher, ich war früher mal so, mal von Ace of Bace war ich mal Fan, von Music Instruct, da war ich auch noch mal Fan (2) eigentlich ich, das ist bei mir so, ich werd nicht so, schnell Fan jetzt oder so, ich verlieb mich auch nicht schnell (4) naja
In ihrer Schilderung anderer musikalischer Präferenzen beschreibt sich Bianca als wählerisch, womit der wichtige Aspekt des sorgfältig herausgebildeten eigenen Geschmacks wieder angesprochen ist. Indem sie das Fan-Werden mit dem Verlieben vergleicht, spricht sie gleichzeitig dessen Dimension des emotionalen, erotischen Involviertseins an. In diesem Sinne gesteht sie auch ihrem eigenem Fan-Sein eine erotische Komponente zu, die jedoch im Kontext kritischer Entscheidungsprozesse benannt wird und insofern kontrollierbar erscheint und nicht in die „Hysterie“ mancher Boygroup-Fans abgleiten kann. I.:
Bianca:
du hast mir erzählt dass du, äh, Geri am besten ¿ndest //mhm// von den Spice Girls, kanns- äh, gibt es vielleicht son-, sone bestimmte Situation wo du das jetzt festgestellt hast, dass du die am besten ¿ndest ? Naja also am Anfang war das eigentlich immer so, da, war sie irgendwie für mich immer die, eigentlich diejenige die etwas mehr zurückhaltend war oder so, ne, und irgendwie garnicht so, so l-, vorlaut oders- vorlaut ist ja auch eigentlich mehr Mel B aber, irgendwie, Geri, ist glaub ich auch eher die Vernünftige // mhm// also sie ist schon irgendwie, ((lacht)) sie ist, schon verrückt aber trotzdem irgendwie auch, sehr vernünftig, ich glaube man kann halt auch ganz gut mit ihr reden. (1) //ja// Und, irgendwie das, halt mein ich halt so. Und, naja und al=dacht ich früher wär sie eigentlich immer so die, eher, die Ruhige und da hab ich nicht so viel auf sie geachtet und irgendwie hab ich dann, ich weiß auch nicht, hab ich dann irgendwie festgestellt dass sie eigentlich garnicht so ist und dass, dass sie irgendwie, sie ist, mir irgendwie persönlich am ähnlichsten glaub ich //mhm, mhm// aber sie ist, ich glaube ich bewundere auch sie am meisten (…) sie macht halt auch trotzdem alle verrückten Sachen mit oder so oder
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((lacht)) naja, verrückten Sachen aber, naja halt, oder, ist dann auch manchmal n bisschen die Anführerin oder so
Erst im Laufe ihres Fan-Seins stellte Bianca fest, dass Geri die Eigenschaften des Vernünftig- und Verrücktseins in sich vereint, wodurch offensichtlich ihr Interesse geweckt war. Die Orientierung an der Künstlerin beschreibt Bianca ebenso wie ihre bislang geschilderten Orientierungen an stilistischen und charakterlichen Eigenschaften der SPICE GIRLS als Balance zwischen dem Wiedererkennen von Übereinstimmungen mit eigenen Qualitäten einerseits und einer Bewunderung andererseits. Geri kommt insofern sowohl ihrem Selbstbild als auch ihrem Idealbild nahe und ist in dieser Funktion womöglich besonders hilfreich dabei, die beiden Bilder in Übereinstimmung zu bringen. Die Vernunft Geris hängt mit ihrer Intelligenz und ihrer Reife zusammen und manifestiert sich in ihrer Fähigkeit, Erlebtes auf der psychologischen Ebene zu analysieren. Vor dem Hintergrund ihrer Psychoanalyseerfahrung ist es vorstellbar, dass Bianca im Kreise ihrer Freundinnen eine ähnliche Position innehat und sich in diesem Sinne als besonders reif und vernünftig wahrnimmt. Geri ist bei aller Vernunft jedoch nicht ruhig, sondern laut und verrückt und manchmal auch die Anführerin in der Gruppe. Diese Fähigkeiten spiegeln die von Bianca bewunderten Qualitäten des Mutes zum Nonkonformismus und der Durchsetzungsfähigkeit, das Verrückt-Sein lässt sich auch als jugendtypisches ‚über-dieStränge-schlagen‘ interpretieren. Vor dem Hintergrund ihrer Angst vor einem Kontrollverlust und ihrer eigenen Rationalisierungstendenzen ist Bianca insbesondere fasziniert davon, dass es Geri bei aller Vernunft gleichzeitig gelingt auch laut und verrückt zu sein. Am Ende des Interviews resümiert Bianca auf die Bitte der Interviewerin hin noch einmal ihre Perspektive auf die SPICE GIRLS vor dem Vergleichshorizont der kritisierten Boygroups. Bianca streicht hierauf noch einmal die große Bedeutung heraus, die sie dem Geschlechtsunterschied zuschreibt, sie interessiert sich für die SPICE GIRLS, weil sie als Frauen bestimmte Eigenschaften verkörpern. Wie ihre Fans, so hält sie auch Boygroups selbst für charakterschwach: Sie lassen sich durch Manager manipulieren, woraus auch ihre Gleichförmigkeit und mangelnde Kreativität resultiert. Im Gegensatz hierzu symbolisieren die SPICE GIRLS Durchsetzungsfähigkeit, Eigenständigkeit, Vielfalt und Kreativität für sie.
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Zusammenfassung: Die Girlgroup als Ressource bei der Entfaltung einer authentischen Persönlichkeit Bianca wird in einer Lebensphase auf die SPICE GIRLS aufmerksam, die für sie stark durch die Infragestellung alter Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten sowie durch die Konfrontation mit neuen Erfahrungen und Anforderungen geprägt ist. Diese Umbrüche ¿ nden auf mehreren Ebenen statt. Ihre Klassenfahrt – als Schritt in Richtung einer größeren Selbständigkeit – geht mit der Erfahrung einher, nicht mehr selbstverständlich und unmittelbar alle einschneidenden Ereignisse im schützenden Kreis ihrer Familie verarbeiten zu können. Sie verabschiedet sich von sich aus von früheren Gewohnheiten wie dem Spiel mit Barbiepuppen. Schließlich sieht sie sich zunehmend vor die Aufgabe gestellt, anderen gegenüber als individuelle Persönlichkeit mit einem distinkten Geschmack und Charakter aufzutreten. Vor dem Hintergrund des Wissens um ihre eigene Verletzbarkeit, die sich in massiven Angstzuständen äußern kann, nimmt Bianca diese Veränderungen und Anforderungen auch als bedrohlich wahr, was sich zugleich im Stellenwert der Themen „Abschied“ und „Trennung“ im Interview zeigt. Eine wichtige unterstützende Rolle bei ihrer Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen spielen ihre Freundschaften mit anderen Mädchen. Diese sind stark durch das Reden über alle möglichen Themen und insbesondere auch über Probleme gekennzeichnet und bieten insofern ein Forum der gemeinsamen kommunikativen Verarbeitung von KonÀikten. Biancas Interesse an der ReÀexion eigener Erfahrungen und ihre Kompetenz in diesem Bereich (die sie vermutlich im Rahmen ihrer Psychoanalyse entwickelte) dokumentieren sich auch im Interview, das insbesondere angesichts ihres jungen Alters ausgesprochen selbstläu¿g ist und vor allem in der zweiten Hälfte zahlreiche Theoretisierungen enthält. Sie ist offensichtlich daran gewöhnt, mit Erwachsenen über sich zu reden. In der aktuellen Schwellenphase erfüllt die Auseinandersetzung mit den SPICE GIRLS verschiedene wichtige Funktionen für sie. Über die tänzerische Mimesis und den gemeinsamen Einstieg mit ihrer Freundin in die Praktik des Sammelns von Bildern und Informationen über die Band nähert sie sich zunächst performativ dem Fan-Status an. Mit der Gründung der „Mini-Spice-Girls-Bande“ schaffen die Mädchen sich dann einen fankulturellen Rahmen, der ihnen den Schutz eines geheimnisvoll verschworenen Gruppenzusammenhanges gewährt, innerhalb dessen sie an vertraute Praktiken wie das kindliche Höhlenbauen und die gemeinsame kommunikative Verarbeitung von Erfahrungen anknüpfen können. Die Girlgroup als Bezugspunkt dieser kulturellen Praktiken symbolisiert für Bianca nicht nur verschiedene erstrebenswerte Eigenschaften sondern darüber hinaus eine erfolgreich verlaufene Persönlichkeitsentwicklung. Besonders bewundert sie die bei
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den SPICE GIRLS wahrgenommene Qualität, allen normativen Anforderungen zum Trotz ihre jeweiligen Eigenheiten beibehalten zu haben und diese auch offensiv zu vertreten und durchzusetzen. Gerade der Wunsch nach der Fähigkeit, ebenso wie die SPICE GIRLS eine individuelle authentische Persönlichkeit herauszubilden, verunmöglicht es Bianca, ein einfaches Nachahmungsverhältnis gegenüber den Stars einzunehmen. Um sich dennoch an ihnen orientieren zu können, entwickelt sie das komplizierte Konzept der doppelten Mimesis: Sie will sich nur diejenigen Züge der SPICE GIRLS aneignen, die sie ohnehin an sich selbst erkennt, wobei das Vorbild der Girlgroup ihr dabei helfen soll, diese zur vollen Entfaltung zu bringen. Im Sinne dieses Konzeptes bietet ihr die Fan-Kultur die Möglichkeit, sich über das Bestreben, den SPICE GIRLS ähnlich zu werden, dem eigenen Selbst anzunähern. Im Interview scheint jedoch immer wieder ihre Unsicherheit hinsichtlich dieses Bereichs des „eigenen Charakters“ durch, ob sie über bestimmte Fähigkeiten verfügt oder nicht, kann sich letztlich nur in konkreten Handlungssituationen zeigen. Gerade die Kompetenz der SPICE GIRLS, in KonÀiktsituationen Stärke zu zeigen (für Bianca vor dem Hintergrund ihrer Verletzungserfahrungen besonders attraktiv), sucht sie deshalb solange probeweise zur Performanz zu bringen, bis diese zum habitualisierten Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden ist. Hierfür bietet der Selbstverteidigungskurs einen Rahmen, sie weiß jedoch auch das Interview in diesem Sinne zu nutzen, indem sie in ihre Erzählungen häu¿g Phantasieszenarien über mögliche Reaktionen in KonÀiktsituationen einÀicht. Insofern Bianca sich hierbei auf ein probeweises Handeln einlassen muss, ohne wissen zu können, wohin sie das führen wird, lässt sich diese Vorgehensweise als aktionistische Suchbewegung beschreiben.92 Die besondere Funktion der SPICE GIRLS besteht dabei darin, als junge Frauen erstrebenswerte Eigenschaften zu verkörpern und somit den lebenden Beweis für die Möglichkeit von deren Entfaltung darzustellen. Gerade ihre „verrückte“ Seite steht dabei für ihren kindlichen, beziehungsweise jugendlichen Charakter: Sie sind zwar selbstbewusst und (zumindest im Falle Geris) auch vernünftig, aber dennoch nicht ruhig wie Erwachsene sondern laut und nonkonform. Die Fan-Praktiken stellen für Bianca insofern eine Möglichkeit dar, sich gemeinsam mit ihren Freundinnen in einem aus der Kindheit vertrauten Rahmen performativ der Identität einer Jugendlichen anzunähern. Die Praktik der Kommunikation über die Band bietet den Mädchen eine Grundlage zur Verhandlung geschmacklicher Fragen (Buffalo-Schuhe) und moralischer KonÀikte (Geris Nacktfotos), ihre Mimesis auf der Ebene der Inszenierung erlaubt ihnen das probeweise Durchspielen verschiedener Stile. Schließlich bedeutet das öffent-
92
Zum Aktionismus-Begriff vgl. A 2.2.
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liche Auftreten als SPICE GIRLS-Fan auch eine Selbstverortung im differenzierten Feld jugendtypischer Populärkulturen. Innerhalb dieses Feldes distanziert sich Bianca explizit von der Fan-Kultur um männliche Teenie-Stars. Sie hat ein starkes Bedürfnis nach einer positiven Identi¿zierung mit dem eigenen Geschlecht, das sich auch in einer Konstruktion des Männlichen als Negativfolie positiver weiblicher Eigenschaften artikuliert: Männer tauchen im Interview hauptsächlich als KonÀiktpartner auf, sie werden ferner mit einer langweiligen Selbstinszenierung und im Falle von Boygroups mit mangelnder Kreativität und Charakterstärke in Verbindung gebracht. Sie wehrt sich darüber hinaus gegen die (nicht nur) in Jugendzeitschriften explizit oder implizit formulierte Aufforderung an Mädchen ihres Alters, sich auf einer erotischen Ebene für Jungs zu interessieren. Die SPICE GIRLS symbolisieren in diesem Kontext auch eine weibliche Autonomie jenseits heterosexueller Bindungen für sie, und der Fan-Status bietet ihr einen Rahmen, entgegen allen Aufforderungen zum Interesse für heterosexuelle Kontakte intensiven gleichgeschlechtlichen Beziehungen nachzugehen. Während die Auseinandersetzung mit den SPICE GIRLS Bianca insofern eine Möglichkeit bietet, sich eigenwillig gegenüber bestimmten normativen Erwartungen zu positionieren, so übt die zugleich empfundene Notwendigkeit, eine individuelle Persönlichkeit herauszubilden ihrerseits ebenfalls erheblichen normativen Druck auf sie aus. Gleichzeitig eröffnen die im Freundinnenkreis etablierten fankulturellen Praktiken ihr jedoch ein Feld, innerhalb dessen sie diesem Druck in einem gemeinschaftlichen Kontext zu begegnen und verschiedene Entwürfe des eigenen zukünftigen Ichs mimetisch aufnehmen, handelnd erproben und kreativ umwandeln kann. Der Umstand, dass die „Mini-Spice-Girls-Bande“ mittlerweile schon fast vergessen ist, lässt sich als Distanzierungsgeste gegenüber deren kindlichem Charakter, jedoch auch als eine möglicherweise sich andeutende größere Sicherheit Biancas bezüglich ihrer eigenen Kompetenzen interpretieren. 3.2 Antje, knapp 13 Jahre: „Irgendwie isses n Reiz, dass man die nicht so erreichen kann“ Ich habe Antje im Rahmen meiner Arbeit als Sozialpädagogin kennen gelernt. Mit dem Hinweis darauf, dass ihr Vater immer so neugierig sei, wollte Antje das Interview in den öffentlichen Räumlichkeiten durchführen, wo ihre Jugendgruppe stattfand. Antje war zum Zeitpunkt des Interviews knapp 13 Jahre alt und besuchte die siebente Klasse einer Realschule. Ihre Eltern waren seit einigen Jahren ge-
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schieden und sie lebte mit ihrem Vater, der als Hausmeister arbeitete und ihrer 19-jährigen Schwester zusammen in einem Berliner Außenbezirk. Falldarstellung Einstieg in die Fan-Kultur I.:
Antje:
O. k., Antje, dann erzähl mir doch mal bitte über dich und deine Stars, wie=wie war denn das damals, äh, als du an¿ ngst, dich für Stars zu interessieren und wie hat sich das dann entwickelt bis heute ? Ja also, am Anfang war das so irgendwie dass ich ehm, so verrückt war, von jedem irgendwas gesammelt hab, egal obs son kleiner, ob=ob man das gar nicht erkennt, Hauptsache ich hatte irgendwas. Naja und dann hat man immer mit Freundinnen so geguckt wer mehr hat und dann immer so ausgetauscht und, also das ging immer hin und her und dann hat man immer gefragt, welche Geschichten sie hat und wenn sie die hatte, und sie doppelt hatte, dann ham wir immer getauscht und so, also es ging immer hin und her. Und, ähm, (2) äh naja, ich war ja nicht von einer Gruppe nur Fan, ich war ja davor schon weil meine Schwester Fan wurde, hab ich so geguckt, ws, was sie da so ra-, interessant ¿ ndet, und dann bin ich auch von der Gruppe Fan geworden und dann hab ich immer so auch so wie meine Schwester so, eigentlich war sie für mich son Vorbild dass ich das überhaupt wusste, weil, ähm, zuerst hab ich das ja gar nicht verstanden warum man das macht eigentlich.
Während die Eingangsfrage der Interviewerin Antje zu einer Erzählung über ihr Interesse für Stars auffordert, geht sie selbst mit keinem Wort auf Stars oder auch ihr Verhältnis zu diesen ein, sondern beschreibt stattdessen intensive Tauschund Sammelpraktiken, denen sie im Freundinnenkreis nachging. Sie bringt dementsprechend ihre Beschäftigung mit Stars stark mit der in der Mädchenclique ausgeübten Fan-Kultur in Verbindung und charakterisiert sie als kollektive kulturelle Handlung und nicht etwa als individuelle kognitive oder psychische Auseinandersetzung. Nicht die Beziehung zu Popstars, sondern die Beziehungen zu ihren Freundinnen und zu ihrer Schwester stehen im Zentrum der ersten Passage. Gleichzeitig charakterisiert sie diese – nunmehr abgeschlossene – Anfangsphase als „verrückt“ und verleiht ihr mit der Beschreibung immer wiederholter Handlungen einen Anstrich von Besessenheit. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch ihre Bemerkung, es sei nicht auf den Inhalt des Getauschten angekommen, es handelte sich stattdessen offenbar um eine intensive selbstläu¿ge Praktik. Diese stand im Zeichen einer an Quantität orientierten Ansammlung von
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Fan-Material und reger Aus-Tauschbeziehungen verbaler und materieller Art im Freundinnenkreis. Voraussetzung für den Einstieg in die „verrückte“ Tauschphase war für Antje die Orientierung an ihrer großen Schwester. Wenn sie in dieser Orientierungsphase beobachtet hatte, dass eine Band das Interesse der Schwester auf sich ziehen konnte, wurde sie selbst auch Fan dieser Gruppe, sie benötigte diese also als ‚Vorkosterin‘ in Sachen Musikgeschmack. Die Vorbild-Funktion ihrer Schwester ermöglichte es Antje auch, den ihr zunächst unverständlichen Sinn der FanPraktiken zu erfahren. Sie beschreibt sich hier als Fan-Novizin, die zunächst nur nachahmen, aber noch nichts verstehen kann. Antje:
Und, najaa, dann hab ich, (1) eigentlich da-, auch zu den, Sachen, zu den, zu der Gruppe irgendwie, so dass ich irgendwie, mich da-für interessiert hab, dass die sone gute Musik machen, aber auch äm, irgendwann, gehn die ja auch auseinander, und, ähm, da hab ich mir überlegt, weil jetzt, was ähm, jetzt ähm, bin ich eigentlich nicht mehr so großer Fan von denen, weil ich irgendwie jetzt das schon so zwei Jahre, drei Jahre, und dann lässt es irgendwie nach, ich weiß auch nicht warum das so ist, weil, ähm, wahrscheinlich kenn ich die schon so lange und jetzt, ähm will der eine mit seinem Bruder, Solo machen und ähm, dann trennt sich die Gruppe wahrscheinlich sowieso wa- das Blöde ist, dass die immer Versprechungen machen, dass die irgendwie sagen, ja wir bleiben für immer zusammen und, naja, und dass das niemals so kommen wird und dann kommts sowieso irgendwann so also kann man eigentlich auch nicht so, vertrauen und, naja, dann hab ich mein Zimmer, ((lacht)) da war überall Posters, keine Wand mehr da, also alle Poster, die hab ich natürlich abgemacht jetzt, weil, ich sammel jetzt irgendwie nur noch Geschichten und Mus- hör Musik, also nicht mehr so, großer Fan
Antje ist nun kein „großer Fan“ mehr, was sich darin zeigt, dass sie zwar noch den gleichen Praktiken nachgeht, jedoch nicht mit dem gleichen Gestus der Exzessivität und Besessenheit, welcher erneut in ihrer Beschreibung der Zimmerwand durchscheint, die vormals komplett von Postern bedeckt war. Wie Bianca charakterisiert sie hier ihr Zimmer als einen Ort, an dem die Prioritäten der aktuellen Lebensphase symbolisch repräsentiert werden. Auch sucht sie in dieser Passage nach Gründen dafür, dass die Phase des exzessiven Fan-Seins nun vorbei ist. Sie benennt dabei zwei potenzielle Ursachen. Einerseits zieht sie einen nach zwei, drei Jahren eingetretenen Gewöhnungseffekt in Erwägung, andererseits spricht sie die Wahrscheinlichkeit einer Trennung der Band an, welche sie als Vertrauensbruch emp¿ndet. Die hier beschriebene emotionale Distanzierung aufgrund einer antizipierten potenziellen AuÀösung der Popgruppe deutet auf eine starke
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Verletzbarkeit Antjes in Bezug auf Trennungen hin, sie präsentiert sich jedoch auch als aufgeklärten Ex-Fan, der nicht mehr in die mit dem Fan-Sein verknüpften Fallen tappen kann. Das Versprechen der Band, für immer zusammenzubleiben (das auffällig an das Eheversprechen von ewiger Liebe und Treue erinnert) hat sie als Mythos entlarvt. I.:
Antje:
(4) Mhm (3) ja, also du hast jetzt gesagt, ähm, erst warst du von, so von allen möglichen Gruppen Fan, kannst du vielleicht mir, ähm, darüber noch bisschen mehr erzählen, wie das, äh, wie das so war, also, ähm, wie du so, die verschiedenen Gruppen kennen gelernt hast und wie du angefangen hast dich dafür zu interessieren. Naja zuerst hab ich meistens, ähm, immer die Musik erst gehört und wenn ich die dann gut fande, dann hab ich geguckt von, wer die, wer die so singt und dann hab ich mal ne CD gekauft und wenn mir das immer besser gefallen hat, hab ich immer so, immer so, ähm, geguckt was so neu ist von denen, zum Beispiel, wenn jetzt irgendwie der krank ist, oder irgendwie so, der eine wurde am Herz operiert da hab ich das so gelesen und na dann wars irgendwie auch für mich so dass ich das irgendwie auch mitempfunden hab, ich weiß gar nicht warum aber irgendwie äm, ist mir dann das dann auch nahegegangen, dass der so irgendwie, irgendwas mit dem Herz, weil man kann ja auch daran sterben. Naja, und dann, mh, also, also, hab eigentlich alles gehört, nicht nur so einzelne Sachen, sondern die wurden dann langweilig und dann hab ich immer, so, gehört was so gerade neu kam und was mir gefallen hat und dann (3) also ei- erstens hab ich auch darauf geachtet wenn wer (von wo gefallen ist) dann hab ich immer das, so geguckt, ob=ob die mir auch gefallen, so dass ich auch die, ähm Gruppen von den anderen auch so, ähm, habe
Wie Bianca unterscheidet Antje in dieser Passage zwischen der Präferenz für die Musik einer Band und der Auseinandersetzung mit den Persönlichkeiten der Bandmitglieder als zwei Dimensionen des Interesses für eine Popgruppe. Die Dimension geschmacklicher Entscheidungen ordnet sie hierbei ihrer Phase der Orientierung in der Pop-Welt zu, welche sie als kompliziertes Prüfverfahren beschreibt. Sie präsentiert sich als kritische Medienkonsumentin, indem sie darauf hinweist, dass nur eine Popgruppe, die mit mehreren Liedern ihren Geschmack treffen konnte, auch ein weitergehendes Interesse auf sich ziehen konnte. Ferner berücksichtigte sie auch die Neuerscheinungen und überprüfte die in ihrem Bekanntenkreis bevorzugten Bands am eigenen Geschmack. Hierbei wird deutlich, dass die Kategorie des eigenen Geschmacks (über den in der Orientierungsphase offenbar ohnehin noch Unsicherheit besteht) nicht die einzig relevante Kategorie bei Präferenzentscheidungen darstellt. Antjes Interesse daran, die Gruppen
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der anderen auch zu „haben“, charakterisiert den Popmusikkonsum als Weg der Akkumulation jugendkulturellen Kapitals. Dieser dient nicht vorrangig der individuellen ästhetischen Befriedigung sondern bietet die Grundlage für Beziehungsverhandlungen in der Gleichaltrigengruppe. Die zweite Dimension der Beschäftigung mit den Personen der Stars war durch ein zunehmendes Interesse an deren Schicksal sowie die emotionale Teilnahme an diesem gekennzeichnet. Dieses emotionale Engagement hält Antje für begründungsbedürftig, weshalb sie auf die Lebensbedrohlichkeit von Herzkrankheiten verweist. Während Bianca ihre Auseinandersetzung mit den Persönlichkeiten der Spice Girls vorrangig mit dem Gefühl der Bewunderung in Verbindung bringt, hebt Antje hier stattdessen das Gefühl des Mitleids hervor. I.:
Antje:
Mhm, mhm. Ähm, und du- also du hast von deiner Schwester erzählt und dass sie für dich auch so bisschen Vorbild war, kannst du daa, ähm, vielleicht dich an sone bestimmte Situation erinnern, wo du, ähm, sowas mitgekriegt hast über deine Schwester und dann, ähm, dich das auch interessiert hat ? Ja also das war komisch, weil meine Schwester hat gerade Besuch gehabt und, em, da war sie schon so in meinem Alter, und da hat sie immer so laute Musik gehört wenn mein Vater nicht da war. Naja und dann hab ich immer geguckt was die so machen und dann sa- warn die immer so ganz verrückt und so, und dann ham sie immer, ham die immer zusammen geguckt, was sie so alles haben und ähm, dann hab ich geguckt, was das für ne Gruppe ist und ha- hab ich immer, so wenn sie weg war hab ich immer geguckt was die so sammeln und was die so machen die ganze Zeit, weil sie hat mich ja nicht reingelassen. Und, ähm, irgendwie, hab ich dann gedacht, dass das irgendwie, s- irgendwie Spaß macht, was sie macht, und dann hab ich das versucht, auch nach-, machen, zu machen und zu, herauszu¿nden, wie das so ist.
Antjes Erzählung von einer Situation, in der sie ihre Schwester als Vorbild wahrnahm, wechselt schnell zur Beschreibung wiederholter fan-typischer Handlungen. Immer wieder konnte sie das immergleiche Verhalten von der Schwester und deren Freundin beobachten, das sie als ebenso besessen, exzessiv und eben „verrückt“ charakterisiert wie ihre spätere eigene intensive Fan-Phase. Dieser „verrückte“ Aspekt des Fan-Seins hatte jedoch keine abschreckende Wirkung auf Antje, da sie das Verhalten ihrer Schwester als einerseits alterstypisch und andererseits lustvoll besetzt empfand: Diese ging der Fan-Kultur unter dem Ausschluss des Vaters und der kleinen Schwester nach und markierte sie insofern als ein Verhalten, das ausschließlich ihrer eigenen Entwicklungsphase angemessen ist. Außerdem „dachte“ Antje damals, dass die Tätigkeit der Schwester Spaß mache. Dieser Spaß war also zunächst nicht fühlbar für sie. Um den Spaß fühlen zu können und
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um generell herauszu¿nden, was es bedeutet, Fan zu sein‚ versuchte sie, die FanPraktiken mimetisch nachzuvollziehen. Wie Bianca beschreibt Antje somit ihre Entwicklung zum Fan als performativen Akt: Eine selbst als sinnvoll und lustvoll empfundene Fan-Realität konnte erst im Handlungsvollzug entstehen. Das Aussuchen eines präferierten Band-Mitgliedes Auf die Bitte der Interviewerin, noch mehr über die intensive Fan-Phase zu erzählen, erwähnt Antje erneut das exzessive Tauschen mit ihrer Freundin. Sie beschreibt außerdem, dass sie sich im Laufe der Zeit eines der Bandmitglieder „raussuchten“, das sie allen anderen vorzogen. I.: Antje:
Kannst du dich noch dran erinnern, wie das war, als du, als du dich da, als du dir da son Liebsten rausgesucht hast ? Ja, also ich hab nach, äm, geguckt, wie er aussieht ((lacht)) //((lacht))// und, äm, wie er so, weil die ham ja auch mal, ich hab ja maln Video gekauft und da ham sie sowas erzählt über sich und was sie fürn Sternzeichen sind und wie alt sie sind. Da wollt ich mir nicht grad den erst-, ältesten raussuchen und, äm, dann nach ner Weile, ich wollt immer fragen, ob ich aufs Konzert gehen darf, weil ich immer, irgendwie dabei sein wollte, so ganz live und dann dürft ich aber nicht und in der sechsten Klasse dürft ich dann einmal in die Waldbühne, mit meiner Freundin und, em, hatten wir ne Rose extra gekauft und alles mögliche, aber wir standen so weit hinten, weil, äm, da war vorne warn Gitter, da warn die ganz Kleinen drin, bis 1,50 oder bis 1,60 und dahinter standen die Großen. Und dann war ich ganz vorn fast, und äm, trotzdem, konnten wir das nicht. Die=der hat em, Nick hat zum Beispiel Handtücher oder, m, Schlagzeugstöcke geworfen, Howie hatn ganzen Strauß da Rosen geworfen, bloß die konnten ja nicht so weit werfen. Naja und dann irgendwie hat-hatten wirn Hass auf die Vorderen, weil wir irgendwie, jeder wollte nach ganz nach vorne und einen anfassen und so und das ging dann nicht.
Die Auswahl des liebsten BACKSTREET BOYS orientierte sich insbesondere an dessen äußerem Erscheinungsbild, außerdem sollte er nicht viel älter sein als Antje selbst. Ihr Lachen an dieser Stelle und der unvermittelte Wechsel zur Erzählung vom Konzertbesuch deuten ihre Unsicherheit bezüglich dieses Auswahlprozesses an sowie eine mögliche Irritation über die Zweckrationalität ihrer eigenen Argumentation, die eher an eine Produktauswahl als an einen Prozess emotionaler Bindung denken lässt. Indem Antje ihren Wunsch, auf ein Konzert zu gehen, damit begründet, dass sie „so ganz live“ dabei sein wollte, greift sie eine geläu¿ge Unterscheidung zwischen medialen und Live-Inszenierungen auf, die suggeriert, eine Begegnung mit
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den Stars jenseits der medialen Vermittlung sei besonders lebensnah. Die FanPraktik des Konzertbesuchs ist ferner mit dem Älterwerden und einer größeren Autonomie gegenüber ihrem Vater verknüpft, dem die Erlaubnis erst im Laufe der Zeit abgerungen werden konnte. Als Vorbereitung auf das Konzert kauften Antje und ihre Freundin „alles mögliche“ ein: Hier deutet sich eine Wahllosigkeit an, die an die quantitativ orientierte Sammelpraktik der Mädchen („Hauptsache ich hatte irgendwas“) gemahnt, die beigefügte Rose verleiht den Mitbringseln jedoch auch eine erotisch-romantische Komponente. Antjes anschließende Beschreibung der Absperrungsgitter, die zum Schutz der kleineren Fans aufgestellt worden waren, steht in auffälligem Widerspruch zu einer solchen Romantik. Statt der erwarteten Nähe zum Star ermöglichte das Konzerterlebnis offenbar vor allem eine Nähe zu den anderen Fans, welche einherging mit extremer Einengung. Antjes Beschreibung der Situation zeugt dementsprechend in erster Linie von einer verhinderten Wunscherfüllung. Die Stars bemühten sich, die Unersättlichkeit der Fans zu bedienen, indem sie diesen ebenfalls Rosen und auch andere Sammelobjekte zuwarfen, konnten aber nur den Vordersten gerecht werden. Antje und ihre Freundin blieben mit einer Ahnung dessen, was möglich gewesen wäre, unbefriedigt zurück. Das Nähe-Versprechen, das beim Live-Event mitschwingt, jedoch nicht eingelöst wurde, rief den Wunsch nach einer körperlichen Berührung mit den Stars hervor. Diese wurden zum puren Objekt der Begierde, wobei die Lust „einen anzufassen“ hier wenig erotisch daherkommt. Eher wirken die Bandmitglieder in dieser Beschreibung selbst wie Konsumprodukte, die enttäuschenderweise nicht völlig verfügbar sind. Während es in Antjes Beschreibung bislang selbstverständlich war, dass die Popstars mit der Freundin gemeinsam ‚besessen‘ werden können, kommt es in der Konzertsituation dann doch zu Konkurrenzund letztlich zu Hassgefühlen auf die anderen, die so ostentativ den Weg zum Star verstellen. Hier zeigt sich der Vorteil des Fernsehens, das ganz gerecht allen ZuschauerInnen die gleichen Nähe- und Distanzerfahrungen gewährt. Auf die Frage der Interviewerin, ob sie sich in der Konzertsituation einen der BACKSTREET BOYS ausgesucht habe, erklärt Antje: Antje:
I.: Antje:
Nee, das war ganz am Anfang, ganz am Anfang hab ich mir, hab ich mir so alles angeguckt und so, und dann fand ich den auf=auf Anhieb, auf den ersten Blick fand ich den so süß und dann, seitdem hab ich mich immer mehr in den, so verknallt ((lacht)), so nach dem Motto. Das war e=also, also, als du den das erste Mal im Fernsehen gesehen hast ? Mhm. Ich hab alles aufgenommen, was es gab ((lacht)). Ich hab mindestens sechs Videos zuhause.(2) Aber l-ledzes, in letzter Zeit kommt nicht mehr so viel, weil die, weil die Gerüchte rumschwirren, dass die ja, dass die auseinander gehen wolln. Und was ich doof ¿nde ist dass, em, alle irgendwie Gerüchte
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erzählen, zum Beispiel, da, son ganz blödes Gerücht, Nick, und äm, Brian und AJ sind, äh sind Mädchen, weil sie so hoch singen. Also irgendwie, so, so umoperiert, ej, das fand ich, das fand ich blöd. Da hab ich mir dann so in Gedanken gesagt, könnten sich ja mal nackt in der Bravo, em, so, ausziehen ((lacht)), das man das sieht aber, em, aber irgendwie hat man das auch geglaubt, im ersten Moment, weil man ja, das erste Mal, wo mans gehört hab gleich: ((zieht erschrocken die Luft ein)) und so und ob, ach stimmt dis und so
Antjes Schilderung des Initiationserlebnisses der „Liebe auf den ersten Blick“ bewegt sich in eklatantem Widerspruch zu ihrer bisherigen Beschreibung eines sich entwickelnden und kritischen Prozesses der Auswahl eines bevorzugten Bandmitgliedes. Die Formulierung, sie habe sich „so nach dem Motto“ verknallt, lässt jedoch vermuten, dass das „Verknallen“ eben nicht so spontan geschah, wie sie es in dieser Passage nahe legt, sondern stattdessen einem bestimmten Motto (etwa der Mädchenclique oder auch der Jugendzeitschriften) folgte, das zur Auswahl eines Lieblings und zum Verknallen aufforderte. In der Evaluation ihres Verhältnisses zu den BACKSTREET BOYS schwankt Antje zwischen zwei widersprüchlichen Erklärungsmustern: Zum einen präsentiert sie sich als kritische Konsumentin, die die ihr angebotenen Produkte zu prüfen und zu vergleichen weiß. Zum anderen interpretiert sie ihre Beziehung zu den Stars im Kontext von Diskursen über die romantische Liebe, die diese als spontanes und überwältigendes Gefühl jenseits rationaler Überlegungen zu Markt- und Tauschwert beschreiben. Der Verdacht liegt nahe, dass Antje sich durch die hartnäckige Aufforderung der Inter viewerin, den Moment der Entscheidung für eines der Bandmitglieder zu schildern, zu letzterem Erklärungsmuster gedrängt fühlt. Als diese erneut versucht, einen Wendepunkt in ihrer Beziehung zum erwählten Star festzumachen, kontert Antje dann auch mit dem Verweis auf die wiederholte Praktik des Videoaufnehmens und macht somit den prozesshaften, repetitiven Charakter der Fan-Kultur deutlich, die eben keine eindeutigen Anfangs- und Endpunkte hat. Antjes Hoffnung, dass Nacktfotos der BACKSTREET BOYS die durch ein Gerücht entstandene Unklarheit bezüglich ihrer Geschlechtszugehörigkeit aus der Welt schaffen könnten, verweist auf ihre Verunsicherung sowie den dringenden Wunsch, sich der ‚tatsächlichen‘ Männlichkeit der Bandmitglieder zu versichern. Antjes neue Träume Im Anschluss kommt Antje auf die Träume zu sprechen, die sie früher im Zusammenhang mit ihrem Fan-Sein hatte. Am Anfang ihrer Fan-Phase hatte sie einen Traum, in dem die BACKSTREET BOYS für sie persönlich ein Konzert veranstalteten und später träumte sie einmal, selbst als Star auf der Bühne zu stehen.
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I.: Antje: I.: Antje:
Teil B: Die empirische Untersuchung (3) O. k., aber jetzt, hast du solche Träume nich mehr ? Ne, jetzt hab ich andere Träume. Von meinem Zimmer. Von deinem Zimmer ? Mhm. Was ich jetzt umändern kann. Weil ich bin ja schon älter geworden und mein Zimmer ist noch so kindisch, so mit, Schlümpfchengardinen und ((lachend)) Bärchenlampen, und so. Naja und, äh //mhm// will ich schon mal Geld sparen. Darum hab ich mir ged- auch geträumt, wenn ich jetzt Star bin, dass ich das dann irgendwie mit dem Geld so zahlen kann und dann, alles mit einem Schlag, so, was ich mir wünsche. Aber die ganzen Backstreet Boys-Poster, hast du die jetzt schon abgemacht abgemacht Jetzt hab ich so ein großes Backstreet Boys Poster, n Plakat, dran, und, äm, und so Poster, die wir mal in soner Galerie gehabt haben. Von berühmten Malern son Poster. (2) //Mhm.// (3) Dass es auch nicht so leer aussieht. ((kurzes Lachen))
Während die BACKSTREET BOYS-Poster sich noch gut mit Schlümpfchengardinen und Bärchenlampen kombinieren ließen, wirken diese Accessoires nun, da die Fan-Phase vorbei ist, kindisch und sollen entsorgt werden. Das Zimmer, welches Antje sich wünscht, enthält keine Verweise auf die Kindheit mehr, auch die jugendkulturellen Symbole werden reduziert und sie unternimmt mit dem Poster „von berühmten Malern“ einen ersten Versuch, sich der Kultur von Erwachsenen anzunähern. Während Bianca das Abschiednehmen von vertrauten Gegenständen und Gewohnheiten aus der Kindheit auch als problematisch emp¿ndet, besetzt Antje das Älterwerden ungebrochen positiv. Mit dem Vorbild der großen Schwester vor Augen strebt sie nach vorne, ohne sich wehmütige Blicke zurück zu gestatten. Es ist ein anderes Gefühl, Fan zu sein Auf Nachfrage der Interviewerin hin reÀektiert Antje im Folgenden noch einmal explizit die Gründe für ihre Begeisterung für die Boygroup. Antje:
Mh, irgendwie, war, isses ja irgendwie, em n anderes Gefühl, weil, auf einmal, em, interessiert man sich so für was anderes und em, und äh, irgendwie denkt man nichts mehr an was anderes, nur noch an die Sache, d-, für die man sich interessiert. //Ja.// Und d-, das war irgendwie auch spannend, weil man sich endlich mal für was interessiert hat, weil sonst, is ja irgendwie, Sachen, so, dass man sich da, irgendwie nich so für interessiert und irgendwie, nichts hat, was n Hobby ist. Und da hatten wir was, was wir, äm am Nachmittag immer so
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I.: Antje:
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machen konnten, so, em Zeitung lesen und so, und alles raus¿nden und auf den Musiksendern nachgucken ob grad was läuft und immer aufgenommen gleich und, irgendwie so. Mhm, mhm. Und jetzt vor-, was habt ihr dann v-, immer nachmittags gemacht bevor ihr das gemacht habt ? Mhm, eigentlich ham wir uns da nie getroffen. Wir haben sonst immer nur Hausaufgaben zusammen gemacht, oder, oder zusammen, irgendwie Mittag gegessen, na dann ham wir irgendwie Fernsehn geguckt, oder auf, em Musiksendern rumgeschaltet und, und eigentlich nich so auf die Gruppe geachtet.
Der besondere Vorteil des Fan-Seins liegt in dieser Beschreibung in dem ganz anderen Lebensgefühl, das durch die Ausbildung eines Interesses entsteht. Während Antje und ihre Freundin vorher „irgendwie“ irgendwelchen Tätigkeiten nachgingen, wurden ihre Beziehung und ihr Alltag durch den Einstieg in die FanKultur völlig neu strukturiert und auf das entstandene Interesse hin ausgerichtet. Zwar nutzten sie schon vorher populärkulturelle Angebote, jedoch ohne eigene geschmackliche Präferenzen, weshalb dieser Konsum gleichgültig erfolgte und keine Spannungsmomente bot. Als Fans konnten sie ihre bislang wahllose und scheinbar sinnlose Mediennutzung in den Dienst einer ¿eberhaften Sammel- und Tauschpraktik stellen, wodurch sie einen fast professionellen Anstrich bekam. An dieser Stelle wird der Reiz der „verrückten“ Seite des Fan-Seins für Antje deutlich: Die Intensität der Fan-Kultur hebt diese besonders ab vor dem negativen Gegenhorizont der vorher empfundenen Langeweile. Fan-Sein als Möglichkeit, das Verlieben zu üben Die Interviewerin kommt nun noch einmal auf das Thema ‚Gerüchte‘ zu sprechen. I.:
Antje:
Mhm, mhm. (10) äm (7) wenn das jetzt-, du has-, du hast mir erzählt von diesem Gerücht, dass jetzt Brian und Nick Mädchen sind, //mhm// und wenn sich jetzt rausgestellt hätte, dass das richtig ist, wie hät-, wie hä-, wie hättst du das gefunden ? Em, darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht, also, ich weiß ja nicht, ob die unten Mädchen sind ((lacht)), also irgendwie, irgendwie wärs irgendwie son anderes Gefühl, dass die irgendwie, dass ich auf Mädchen stehe ((lacht)), so //mhm// und, irgendwie, hätt ich mich dann hintergangen gefühlt, weil ich das nicht wusste. //Mhm.// So, em, das, das, aber das erzählt man ja auch nicht gern in der Öffentlichkeit. Aber, vielleicht we-, die ham das wahrscheinlich nur gemacht, weil sie Karriere machen wollten. Aber ich glaubs nicht, weil die, warn eigentlich ganz männlich ((lacht))
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Die potentielle Weiblichkeit der Stars wäre dabei nicht an sich problematisch, sondern in Bezug auf ihre eigenen Gefühle, die sich in einem solchen Falle als homoerotisch erweisen würden. Sie käme sich dann insbesondere deshalb betrogen vor, als sie somit über die tatsächliche Beschaffenheit ihres eigenen Begehrens im Unklaren gelassen worden wäre. In dieser Passage dokumentiert sich Antjes Unsicherheit im Umgang mit Geschlechter-Normen und deren Bedeutung für die eigene Subjektivität. Da diejenigen Merkmale, die die Geschlechtszugehörigkeit erkennen lassen, unsichtbar bleiben, kann sie sich weder vollständig sicher über das Geschlecht der anderen noch über die Art ihrer eigenen Beziehungen zu diesen sein. I.:
Antje:
Ich glaub ich hab noch nicht ganz verstanden, aber, ich bin mir auch nicht sicher ob du, es kann schon sein, dass du darüber auch schon mal was gesagt hast, äm, (5) wie du, mh, wie das so gekommen is, dass du, äh, dass du dir dann gedacht hast, du bist jetzt eigentlich kein Fan mehr. (2) Ich hab mich dafür irgendwie nicht mehr interessiert, ich bin älter geworden, dann hab ich gedacht, em, wenn man älter wird, em, isses irgendwie anders, dass man, sich da nich mehr für interessiert, so. Also ich hab auch drauf, geachtet, wie so andere sind, dass i- zum Beispiel mit, dass ich mit zum Beispiel zwanzig nicht mehr irgendwie n Fan bin oder sowas. Das geht ja irgendwie nicht, weil man sich da für andere Sachen interessiert, wie Jungs, oder erwachsene Männer, und sowas, also dann, muss man nicht mehr so, als wenn man nen Mädchen ist und jung ist, dann interessiert man sich ja eigentlich nur für Boygroups, um, um irgendwie Erfahrungen zu sammeln mit Jungs oder so, weil irgendwie auch so, em, wie so Jungs sind und so.
Ihr schwindendes Interesse an der Fan-Kultur erklärt Antje mit den normativen Anforderungen bestimmter Entwicklungsstufen. Als eigentliche Ursache der Beschäftigung mit Boygroups benennt sie hier die Notwendigkeit für junge Mädchen, herauszu¿nden, wie Jungs sind und erste Erfahrungen mit diesen zu sammeln. Sie beschreibt somit das Fan-Sein als virtuelle Verhandlung heterosexueller Beziehungen. Es ist jedoch wichtig, nicht zu lange in dieser ‚Übungsphase‘ zu verharren und sich rechtzeitig der Beziehungspraxis mit Jungs beziehungsweise Männern zuzuwenden. Antje zeigt sich hier erneut kompetent bezüglich der Anforderungen der heterosexuellen Matrix, gleichzeitig scheint ihre Angst vor Normverletzungen durch: Wie bereits beim Einstieg in die Fan-Kultur orientiert sie sich auch beim Ausstieg stark am Verhalten ihrer Umgebung. I.:
Und em, was m-, was meinst du, warum die Mädchen sich dann in die Boygroups verlieben und jetzt nich in, irgendwelche Jungs, die sie ( ), die sie selber kennen ?
3 Fallbeschreibungen Antje:
I.: Antje: I.: Antje:
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Irgendwie isses n Reiz, dass man die nicht so erreichen kann. Irgendwie isses n Reiz, dass man nicht so, das man die nicht kriegt. Weil, wenn man die kennt, dann k-, kann man die ja leichter kriegen als wenn man irgendwie, von ner Boygroup Fan ist. Kann man die nicht so kennen lernen und so und das wolln die ja erreichen, dass man die kennen lernt und so. (2) Und wenn man jetzt irgendwieso aus der Schule welche hat, welche Jungs, dann ist es ja so, dass man, em, sagen kann, ob, em, zum Beispiel ob, willst du mit mir gehen, also, das ist ja jetzt nicht mehr so aber wenn man, wenn man so in der Grundschule ist, wenn man dann so erwachsen ist, dann ergibt sich das eigentlich von alleine ( ) dass man sich auf der Oberschule verliebt. Und bei der, Boygroup isses so, dass man sie nicht erreichen kann, dass man (sich) nicht, em, em, mit der ne Beziehung anfangen kann. Und das wolln die meisten Mädchen, em, em, das ist der Reiz für sie, dass sie, dass sie das nicht können. Dass sie immer weiter versuchen, das zu können. Und wie- wieso ist das son Reiz ? Keine Ahnung. Weil sie irgendwie nicht un-, em, nicht erreichbar sind. Und weil die Mädchen dann keine Beziehung, eigentlich haben wollen ? Die wollen verliebt sein ohne ne Beziehung zu haben ? Mhm. Und wenn man sich dann, da verliebt, dann, und dann, es ergibt sich ne Beziehung, ist ja auch Kacke. Wenn dies gar nicht wollen.
Antje entwirft hier eine komplexe Analyse der Verliebtheitsgefühle weiblicher Boygroup-Fans. Den besonderen Vorteil von Boygroups sieht sie darin, dass diese im Gegensatz zu Jungs aus der Schule nicht erreichbar sind. Während es über die Formel „willst du mit mir gehen“ in der Grundschule einfach ist, eine Beziehung aufzunehmen und sich dies in der Oberschule sogar ganz von alleine ergibt, besteht der Reiz von Boygroups gerade darin, dass es den Fans trotz großer Bemühungen nicht gelingt, diese kennen zu lernen. Wie bereits in Bezug auf den Konzertbesuch spricht Antje hier eine verhinderte Wunscherfüllung an, die sie jedoch positiv bewertet und als eigentlichen Motor der Fan-Verliebtheit beschreibt. Ein zentrales Moment der Verliebtheit in Boygroups ist nicht nur die Unmöglichkeit, diesen näher zu kommen, sondern eben auch ein engagiertes Streben nach dieser Nähe im Wissen um die Aussichtslosigkeit seiner Erfüllung. Denn eigentlich wollen Boygroup-Fans das Verlieben üben, ohne bereits die Mühen und Risiken einer Beziehung auf sich nehmen zu müssen. Die Interviewerin, die dieser Analyse offensichtlich misstraut, möchte nun wissen, ob Antje sich als Fan keine Beziehung gewünscht hätte.
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I.: Antje:
I.: Antje:
Teil B: Die empirische Untersuchung Nee, also ich nicht, also, für mich ist ja, weiß ich ja dass ich das nich, äh, kann, irgendwie mag ich auch mehr, em Jungs, die ich irgendwie so nah hab bei mir. //Mhm.// Wo ich schon merke, dass irgendwie, dass was knistert Aber trotzdem würdest du jetzt sagen, du warst da auch verliebt Mhm, aber ich kann nicht sagen, für wen mehr ((kichert)) ob zu der, zu der Boygroup, einen von denen oder ob einer aus meiner Klasse das, mehr war. // Mhm.// Ich glaub aber zu meiner Klasse, weil ich die schon sechs Jahre kenne und so. (2) Mhm (4) mhm, kannst du dich an sone bestimmte Situation erinnern, wo du so, für dich das gemerkt hast, dass du jetzt v-, em, da verliebt bist ? Mm. Ich hab mir Gedanken gemacht, wen ich jetzt mehr liebe, ob, em, ob ich jetzt, em, den aus meiner Klasse liebe, oder ob ich jetzt, em, em, ob ich jetzt, em (2) den, von der Boygroup liebe. /(Hab ich mir schön vorgestellt) aber ich, em, hab ich mir gedacht, em, irgendwie, irgendwie kann ich, em, is der gar nicht erreichbar und irgendwie kann ich das auch nie, wird es auch nie passieren und irgendwann lösen sie sich auf und den Freund, den ich jetzt liebe, den hab ich ja ( ) für immer. Wenn ich mit dem zusammen kommen würde. Und, em, ich kenn den auch schon so lange, also dacht ich, irgendwie, ist es irgendwie, könnte mehr pa-, mehr passieren als ( ) sowas könnte ja nie passieren. Manche Boygroups trennen sich auch, weil sie ne Freundin gefunden haben aber ( ) (nie so passt) weil, in meinem Alter sind nicht sone Gruppen ( ) erst wenn ich älter bin./ ((sehr leise))
Antje beschreibt hier ihr Abwägen zwischen ihren Gefühlen für einen BoygroupStar und für einen Jungen aus ihrer Klasse. Im Unterschied zum vorher geschilderten Wunsch ‚typischer‘ weiblicher Boygroup-Fans, sich zu verlieben, ohne eine Beziehung anzustreben, ist für sie mittlerweile offenbar die zwischenmenschliche Dynamik, die aus einer gegenseitigen Vertrautheit resultiert und ein „Knistern“ ermöglicht, interessanter geworden. Die Boygroup ist nun aus dem selben Grund langweilig, aus dem sie früher attraktiv war: mit ihr kann nichts „passieren“. Aufgrund der stets drohenden Gefahr, dass die Band sich auÀöst, ist darüber hinaus auch die im Rahmen der Fan-Kultur mögliche ‚Verliebtheit auf Distanz‘ nicht vor einem Verlust des Liebesobjektes gefeit. Diese ist insofern nicht so risikofrei, wie sie vermutlich zunächst erschien. Eine eventuell eingegangene Beziehung mit dem Jungen aus der Klasse könnte dagegen „für immer“ halten. Diese Idealisierung der Beständigkeit heterosexueller Bindungen, die in starkem Kontrast steht zu Antjes aufgeklärt-pessimistischer Haltung gegenüber den Treuegelöbnissen von Popgruppen, verweist erneut auf ihre Verletzbarkeit in Bezug auf Trennungen, beziehungsweise ihren starken Wunsch nach stabilen Beziehungen.
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Außerdem erklärt sie in dieser Passage die Unmöglichkeit, mit BoygroupStars Liebesbeziehungen einzugehen: Eine Boygroup, deren Mitglieder Freundinnen gefunden haben, löst sich auf, diese Stars sind also per se potenzielle Objekte des Begehrens, die gleichzeitig für Beziehungen nicht zur Verfügung stehen. Auch das Szenario eines Boygroup-Stars, der zugunsten einer Beziehung mit ihr seinen Status aufgibt, ist für Antje nicht vorstellbar, weil die Bandmitglieder wesentlich älter sind als sie selbst. Sie ist sich somit vollständig darüber bewusst, dass mit diesen nichts „passieren“ kann. I.: Antje:
fällt dir noch was wichtiges ein ? (2) Mm (4) m-m, eigentlich nicht so (6) aber ich glaub auch, dass m-, dass ich aufgehört habe, Fan zu sein, weil ich auf die Oberschule gekommen bin. Weil das ist ja auch n bisschen peinlich, wenn man da Fan ist. Weil man ja neu in eine Klasse kommt und mit denen nich so doll reden kann und so. Da würden sich zum Beispiel, wenn ich jetzt irgendwas sagen würde zum Beispiel (1) das ist einem auch peinlich, wenn man vor der neuen Klasse gleich so blamiert wird, irgendwie. Zum Beispiel, man meldet sich im Unterricht und dann sagt man was Falsches und dann lacht einer einen aus oder so, oder fragt, zum Beispiel, in der Oberschule ist ja nich mehr so, dass man, irgendwas spielt. Und da hat meine Freundin aus meiner Klasse gesagt, dass sie, dass sie irgendwie spielen will, und dann ham se alle ausgelacht und dann wars irgendwie, /peinlich ¿nd ich./ ((leise))
Ihr Wechsel in die Oberschule markiert für Antje den Beginn einer neuen Entwicklungsphase, in der neue normative Anforderungen an sie gestellt werden. Da diese Anforderungen nicht offen ausgesprochen werden, sondern vielmehr erst bei Normüberscheitungen zu Tage treten, die mit Auslachen geahndet werden, ¿ndet sie erst nach und nach heraus, welches Verhalten noch angemessen ist und ist generell vorsichtig, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Sie denkt jedoch, dass das Fan-Sein ähnlich wie das Spielen nun abgeschlossen sein muss. Während Antje hier normativ argumentiert, macht die Interviewerin unter Verweis auf empirische Ausnahmen von ihrer Theorie nun die Möglichkeit stark, auch in der Oberschule noch Fan zu sein: I.:
Antje:
Aber ich glaub, es gibt ne ganze Menge Mädchen, die jetzt zum Beispiel auch schon 16 sind und, em, die immer noch ganz viel, ganz viel Zeit, äh, in ihr FanSein stecken. Mh ja, es gibt auch schon 18-jährige oder so, aber die s-, die reisen dann auch wirklich nach und erleben was mit denen. Und die sind dann auch gleichaltrig, weißt du ? //Mhm.// Aber bei mir ist das so, dass ich irgendwie, dass ich das ja
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Teil B: Die empirische Untersuchung nicht, ich ka-, darf ja nicht von meinem Vadder aus nachreisen oder irgendwie sowas machen, dass ich die irgendwie mal richtig kennen lerne, also machts auch irgendwie kein Spaß.
In dieser abschließenden Erklärung Antjes verweist sie auf zwei Kategorien von Boygroup-Fans: Jüngere Mädchen verhandeln ihre Beziehungen zur Band vor allem auf einer imaginären Ebene, gemäß der fan-typischen Struktur der verhinderten Wunscherfüllung sind sie verliebt in die Stars, ohne dass eine Kontaktaufnahme mit diesen möglich oder auch erwünscht wäre. Ältere Mädchen jedoch haben bereits ein Interesse an erotischen Beziehungen, weshalb sie entweder versuchen, die Bandmitglieder kennen zu lernen – was für sie auch naheliegender und einfacher ist – oder aber das Fan-Sein aufgeben und sich Jungen aus ihrem Bekanntenkreis zuwenden. Zusammenfassung: Fankulturelle Annäherungen an die romantische heterosexuelle Liebe Wie Bianca wird Antje in einem Lebensabschnitt Fan, den sie als Zeit des Wechsels von der Kindheit in die Jugendphase erlebt. Die Erfahrung von Abschied, Umbruch und Neuanfang in dieser Zeit zieht möglicherweise die von beiden Mädchen angesprochene Sensibilität in Bezug auf Trennungen nach sich. (Bei Antje lässt sich diese jedoch auch im Zusammenhang mit der Scheidung ihrer Eltern interpretieren). Die Fan-Kultur stellt für Antje wie auch für Bianca ein wichtiges Mittel zu Bewältigung der aktuell relevanten normativen Anforderungen dar. In diesem Zusammenhang setzen sich die beiden Mädchen intensiv mit dem Verhältnis von Normalität und Abweichung auseinander. Während Bianca eine ‚normale‘ Persönlichkeitsentwicklung insbesondere mit der Evaluation eines individuellen Charakters in Verbindung bringt, ist in Antjes Normalitätskonzept vor allem der komplikationslose Eintritt in die Praxis heterosexueller Paarbildungen von zentraler Bedeutung. Retrospektiv teilt Antje ihr fankulturelles Engagement in drei Phasen ein: eine Orientierungsphase, eine „verrückte“ Phase und eine Distanzierungsphase. Die Zeit, in der sie auf die Fan-Kultur als mögliche Beschäftigung von Mädchen in ihrem Alter aufmerksam wurde, war in ihrer Beschreibung durch Orientierungslosigkeit und Langeweile geprägt: Zwar kannte sie viele kulturelle Angebote für Jugendliche, da sie jedoch noch keinen eigenen Geschmack hatte, nutzte sie diese wahllos und gleichgültig. Im Bemühen, eigene populärkulturelle Präferenzen herauszubilden, dienten ihr die große Schwester und andere Jugendliche als geschmackliche ‚VorkosterInnen‘. Indem sie sich mimetisch an deren
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kulturelle Vorlieben und Praktiken annäherte, konnte sie sowohl einen eigenen Geschmack herausbilden als auch den Nutzen der Fan-Kultur nachvollziehen. In diesem Sinne kam es im Zuge aktionistischer Suchbewegungen zu einer performativen Annäherung an den Status ‚Fan‘. Die Populärkultur von Boygroup-Fans dient in ihrer Beschreibung auch der Distinktion von anderen Kulturen: Sie ist für Erwachsene und Jüngere nicht zugänglich und unterscheidet sich deutlich von jungentypischen Populärkulturen. Antje versteht die Fan-Kultur als Mädchenkultur, an der Jungen nur in Ausnahmefällen partizipieren und die der Verhandlung mädchenspezi¿scher Belange dient. In der zweiten, „verrückten“ Phase des Fan-Seins sind die vormals tastend und mimetisch erlernten kulturellen Praktiken in ein habitualisiertes und selbstläu¿ges Tausch- und Sammelgeschäft übergegangen, welches sowohl alten Beziehungen zwischen Freundinnen neuen Schwung verleiht als auch der Herstellung neuer sozialer Bezüge dient. Der mittlerweile selbstverständliche Status ‚Boygroup-Fan‘ wird von Antje insbesondere mit der Subjektposition einer heterosexuell begehrenden Jugendlichen assoziiert. Die von Mythen und Tabus durchsetzte Welt der heterosexuellen Liebe ist ihr zu dieser Zeit noch fremd und die Vorstellung, selbst eine Liebesbeziehung einzugehen, unangenehm und womöglich latent bedrohlich. Die Beschäftigung mit der Boygroup eröffnet in dieser Situation die Chance, das Verlieben zu üben und somit mit der üblichen emotionalen Voraussetzung für die Aufnahme heterosexueller Beziehungen vertraut zu werden. Insbesondere die für Fan-Gefühle typische paradoxe ‚Struktur der verhinderten Wunscherfüllung‘ ermöglicht Antje einen Nachvollzug des Hoffens und Strebens von Verliebtheitsgefühlen, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich auf die Mühen und Risiken einer Interaktion mit dem anderen Geschlecht einlassen zu müssen. Darüber hinaus hat die Fan-Verliebtheit den großen Vorteil, dass sie im Schutze der Mädchenclique erprobt werden kann: Da die mediale Vermittlung allen Zuschauerinnen die gleiche Intimität verschafft, ¿cht die gemeinsame Liebe zu Boygroup-Mitgliedern die Loyalität zwischen Freundinnen nicht an. Antje charakterisiert insofern nicht nur die Entwicklung zum Fan als performativen Akt, sondern auch den Eintritt in die Welt heterosexueller Beziehungen, auf den das Fan-Sein vorbereiten soll. Nicht etwa ein plötzlich aus dem Unbewussten aufsteigendes Begehren motiviert die Liebe zum anderen Geschlecht, sondern das Wissen darum, dass diese sich in der Oberschule schon wie von selbst ergeben muss. Auch erlebt Antje ihre eigenen Gefühle offensichtlich nicht als naturgemäß heterosexuell orientiert, sondern eher als einen tastenden Versuch, der, wenn sie nicht acht gibt, noch leicht auf die ‚falsche Bahn‘ der Homosexualität geraten kann. Das Gerücht, einige der BACKSTREET BOYS seien „umoperierte“ Mädchen wirkt insofern zutiefst verunsichernd auf sie: Da der Nutzen von Boygroups in der Möglichkeit besteht, mit ihnen die heterosexuelle Liebe zu
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üben, ist es gleichzeitig unabdingbar, dass sie richtige Jungs sind, weil sonst die Gefahr besteht, dass das Falsche geübt wird. In diesem Zusammenhang erweisen sich Judith Butlers Überlegungen als hilfreich, denen zufolge eine kohärente Geschlechtsidentität, welche immer auch ein gegengeschlechtliches Begehren miteinschließt, nicht nur kulturell konstruiert ist, sondern durch performative Akte immer wieder neu hergestellt werden muss (vgl. auch A 3.2). Die stete Wiederholung immergleicher Geschlechter-Normen auf einer diskursiven und darstellerischen Ebene hat Butler zufolge einen naturalisierenden Effekt, der die eigentliche Konstruiertheit dieser Normen verschleiert. Die Unsicherheit, die sich in Antjes Beschreibung bezüglich ihrer eigenen Positionierung im Feld normativer Anforderungen an ihre Geschlechtsidentität dokumentiert, lässt darauf schließen, dass im Alter von zwölf Jahren die Fragilität einer kohärenten Geschlechtsidentität noch deutlich spürbar sein kann, welche Erwachsenen aufgrund der mit einer Habitualisierung von Geschlechter-Normen einhergehenden Naturalisierungseffekte verborgen bleibt. Antjes Wahrnehmung der Boygroup-Stars als begehrenswert und gleichzeitig unerreichbar ist, wie in ihren Erläuterungen deutlich wird, durchaus verkaufsstrategisch eingeplant: Boygroups inszenieren sich als potenzielle Liebhaber ihrer Fans, indem sie diesen Rosen zuwerfen und sich in ihren medialen Selbstdarstellungen präsentieren wie bei einer Kontaktbörse. Da sie jedoch allen Fans gleichermaßen als Liebesobjekt zur Verfügung stehen müssen, sind sie für einzelne Fans unerreichbar. Kommt es dennoch zu Liebesbeziehungen mit Einzelpersonen ist die Boygroup keine Boygroup mehr. In diesem Sinne sind Boygroup-Stars als Konsumprodukte Objekte des Begehrens und in der Fan-Kultur sind Verliebtheitsgefühle und Wünsche nach Nähe unauÀösbar verÀochten mit der Ebene von Kommerz und Besitz. Diese Verbindung erlebt Antje zwar als vorteilhaft insofern die Liebe für ein Konsumobjekt gegenüber der Liebe für einen Menschen wesentlich kalkulierbarer ist, jedoch bringt sie auch gewisse Widersprüche mit sich. Einerseits sind der Kalkulierbarkeit von Boygroups Grenzen gesetzt, da diese sich trotz gegenteiliger Beteuerungen auÀösen können. Andererseits lässt sich der Diskurs der romantischen Liebe nicht widerspruchslos den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Denn diesem Diskurs zufolge bezieht die Liebe gerade daraus ihren Reiz, dass sie ein spontanes, überwältigendes und unkontrollierbares Gefühl ist. Die geschützte Liebe zum Konsumobjekt ‚Boygroup‘ kann insofern auch nur eine begrenzte Zeit lang einen sinnvollen Rahmen für Antjes Einstieg in die Praxis heterosexueller Paarbildungen bieten. Mittlerweile zieht sie das im zwischenmenschlichen Kontakt mögliche „Kribbeln“ der kontrollierbaren Liebe für Pop-Stars vor, die Phase des ‚Trockenschwimmens‘ in Liebes-Dingen ist für sie ebenso abgeschlossen wie andere kindliche Spiele auch. In der aktuellen Distanzierungsphase verfolgt sie zwar noch einige fan-typische Praktiken, jedoch
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ohne emotionales Engagement. Die paradoxe Gefühlsstruktur ihrer Beziehung zu den Stars und die intensive selbstläu¿ge Praktik des Sammelns und Tauschens wirken nun retrospektiv auf den ersten Blick „verrückt“ und stehen insofern quer zu ihrem Wunsch nach Normalität und sozialer Akzeptanz. Vor dem Hintergrund ihrer Beobachtung desselben Verhaltens bei sehr vielen Mädchen sowie einer differenzierten Analyse der eigenen Gefühle vermag sie jedoch diese „Verrücktheit“ als eine notwendige Phase auf dem Wege zur Normalität zu erklären und insofern als Bestandteil der eigenen Biographie zu akzeptieren. 3.3 Julia, 15 Jahre: „Ich hab mich halt für mich selber entwickelt und nicht nach DENEN“ Julia meldete sich auf eine meiner Zeitungsanzeigen. Sie erzählte mir am Telefon, dass sie früher ein großer Fan von CAUGHT IN THE ACT und den SPICE GIRLS war. Auf meine Frage, wo sie sich am liebsten mit mir treffen würde, schlug sie vor, zu mir zu kommen. Vor dem Interview unterhielten wir uns noch eine Weile, Julia wirkte sehr aufgeschlossen auf mich und ich hatte den Eindruck, dass sie Lust auf das Interview hat. Sie war damals 15 Jahre alt, lebte mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zusammen in einem Berliner Innenstadtbezirk und besuchte ein Gymnasium im angrenzenden Stadtteil. Ihre Mutter machte eine Ausbildung zur Mediengestalterin und ihr Stiefvater arbeitete als Pressesprecher. Falldarstellung Einstieg in die Fan-Kultur und Wechsel der bevorzugten Gruppe I.:
Julia:
O. K., dann bitte erzähl mir doch einfach mal, w- eh, wie du damals dazu gekommen bist, Fan zu werden und wie sich das dann danach entwickelt hat bis heute Also, ich hatte ne beste Freundin und die war halt damals schon Caught in the Act-Fan und hat das rauf und runter gehört den ganzen Tag und immer und immer wieder und ich fands am Anfang total bescheuert, absolut scheiße. Und dann, irgendwann hatt ich mich aber dann, sagen wir mal irgendwie, eigentlich mehr dran gewöhnt als alles andere und dann hab ich halt angefangen, o. k., sind ja eigentlich doch nicht so schlecht, sehen auch relativ aus, erstmal o. k., CD gekauft. Und dann ging das halt immer weiter, dann fand ich die halt immer besser, und immer toller, irgendwann war dann mein ganzes Zimmer tapeziert
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Teil B: Die empirische Untersuchung und, alle m- CDs gekauft, dies nur irgendwie gab alle, wirklich alle, ich hab wirklich Geld ausgegeben bis zum Gehtnichtmehr. //mhm, mhm// Und dann, naja, war halt. Ich wurd dann irgendwie von halt von allen halt eigentlich mehr verarscht als alles andere, weil alle anderen die eigentlich, ziemlich scheiße fanden, gab ja schon weitaus andere Sachen, aber ich bin dabei geblieben, drei Jahre glaub ich, warn das. //mhm, mhm// Und dann kamen halt, die Spice Girls dazu, das war halt dann für mich dass die, di-, das waren halt Mädchen, und da war halt em, dass die einfach, die waren selbstbewusst und ich wollte auch so sein. Ich war immer mehr sone Ruhige, Kleine, die in der Ecke saß und blah und, ich wollte aber halt auch so sein und auch selbstbewusst sein und das war das halt irgendwie für mich, dann waren halt die Spice Girls da, und dann, wurden die Poster abgehangen, andere Poster ran, andere CDs gekauft und, wars halt was anderes //mhm// ja und, was war noch ? (6) Ich weiß nicht, was ich sagen soll ((lacht))
Julias Einstieg in die Fan-Kultur ging eine unfreiwillige Zeugenschaft bei den exzessiven Fan-Praktiken ihrer besten Freundin voraus. Nachdem sie deren Leidenschaft zunächst nicht teilte und CAUGHT IN THE ACT sogar ablehnte, kam es zu einem Gewöhnungseffekt, dann zur langsamen Entwicklung einer positiveren Einstellung gegenüber der Band, bis sie schließlich selbst begeistert war und in exzessiver Weise Poster aufhängte, Musik konsumierte und Geld ausgab. Wie für Antje und Bianca ist auch für Julia der mimetische Einstieg in die Fan-Praktiken Voraussetzung für ein späteres Selbstverständnis als Fan. Ihre performative Annäherung an den Fan-Status erfolgte so gründlich, dass sie geradezu über das Ziel hinausschoss: Während alle anderen sich bereits für andere Bands interessierten, blieb sie drei Jahre lang CAUGHT IN THE ACT-Fan und setzte sich somit dem Spott ihrer Umgebung aus. Im Anschluss an diese Phase wurde sie Fan der SPICE GIRLS, wobei sie wie auch Bianca ihr Interesse an der Girlgroup damit erklärt, dass diese bestimmte Eigenschaften verkörperten, die sie selbst auch anstrebte: Sie nahm sich selbst als ruhig und unauffällig war, weshalb die SPICE GIRLS als selbstbewusste Mädchen einen positiven Gegenhorizont für sie bildeten. Ihre Annäherung an die Band erfolgte über dieselben Fan-Praktiken wie die Beschäftigung mit CAUGHT IN THE ACT, dennoch war das Fan-Sein nun „was anderes“. Auf die Bitte der Interviewerin, ihren Statuswechsel vom CAUGHT IN THE ACTFan zum SPICE GIRLS-Fan genauer zu beschreiben, erzählt Julia, dass ihr Verhältnis zu CAUGHT IN THE ACT davon geprägt war, dass sie diese als „Traumtypen“ wahrnahm, sie heulte bei ihren Konzerten und himmelte sie an, bis sie auf die erste CD der SPICE GIRLS aufmerksam wurde und dann mit ihren Freundinnen zu dieser tanzte. Die SPICE GIRLS standen für die Position, dass Mädchen sich von Männern nicht unterkriegen lassen sollten und sprachen somit etwas ganz anderes an.
3 Fallbeschreibungen Julia:
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die ham, die sahen halt auch, die waren hübsch, warn schlank und, warn halt irgendwie, auf ihre Art perfekt, obwohl se andererseits auch wieder total unperfekt waren, so, eben das wie man, wie alle Mädchen im Grunde sein wollten, //ja, ja// egal ob jemand nun, irgendwie, total selbstbewusst war oder schüchtern, weil da war irgendwie von allem was drinne, es war eben, Mel B, die war total selbstbewusst, Geri, die war die absolut, die war, halt irgendwie sexy, auf ihre Art, dann gabs die Sportliche, Mel C und Emma gabs, die war eben die Kleine, Niedliche, Schüchterne, und Victoria war halt so die Schicke, und war halt so, das machte einfach, das war einfach die Mischung //mhm, mhm// und die war halt, da war halt einfach für jeden irgendwie was dabei, was man irgendwie gut fand
Nach Julias Phase der hingebungsvollen Begeisterung für eine Boygroup repräsentierten die SPICE GIRLS eine attraktive Position der emotionalen Distanz und Unabhängigkeit gegenüber dem männlichen Geschlecht. Der Reiz der SPICE GIRLS lag darüber hinaus in ihrer Attraktivität sowie in dem Umstand, dass sie gleichzeitig perfekt und unperfekt waren. Diese komplizierte Dialektik kam offenbar auch dadurch zustande, dass die SPICE GIRLS als Gruppe sehr unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Eigenschaften verkörperte. Die von den SPICE GIRLS repräsentierte Synthese aus Perfektion und mangelnder Perfektion ermöglichte es ihren Fans, sie zu bewundern, ohne dass sie gleichzeitig ein unerreichbares Ideal verkörperten. Julia nimmt hier die Position einer Fan-Expertin ein, die ihre eigene frühere Begeisterung für die SPICE GIRLS im Kontext von deren Attraktion für viele Mädchen in ihrem damaligen Alter zu analysieren vermag. Sie selbst interessierte sich besonders für Mel B, die das ohnehin von der Gruppe repräsentierte Selbstbewusstsein personi¿ zierte und in der Band den Ton angab. Julia erklärt, dass sie damals so sein wollte wie Mel B, dies jedoch später aufgab. Kritische Rückblicke auf die beiden Bands und die eigene Fan-Kultur I.: Julia:
Mhm, also du, hast eigentlich im Nachhinein das Gefühl, dass es nicht so ge-, geklappt hat, dann so zu werden, wie du dir das vorgestellt hast ? Sagen wir mal so, ich habe mich nicht durch die verändert, klar hab ich mich verändert aber, nicht dadurch, nicht durch die, also das war für mich, vielleicht war es für mich son Anstoß, wo ich gesagt habe, o. k., so kann ich, das geht irgendwie nicht, du musst irgendwie probieren, selbstbewusster zu werden ((räuspert sich)), bin ich dann auch geworden, aber, die waren halt mehr nur son Anstoß eigentlich
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Ihre Auseinandersetzung mit der Band hält Julia zwar insofern für wichtig, als ihr somit die Notwendigkeit der Überwindung ihrer Schüchternheit bewusst wurde, ihre spätere Entwicklung von größerem Selbstbewusstsein erfolgte jedoch unabhängig von den Vorbildern. Wie Bianca distanziert sich Julia vom Gedanken einer einfachen Übernahme erstrebenswerter Eigenschaften der Band und betont ihren eigenen Anteil bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Im Gegensatz zu Biancas Konzept der doppelten Mimesis im Rahmen derer eine Annäherung an die Stars und an den eigenen Charakter erfolgt, interpretiert Julia jedoch ihre Versuche der Übernahme von Mel Bs Selbstbewusstsein als missglückt und betrachtet den Star lediglich als Quelle der Inspiration. Julia beschreibt nun, dass sie insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausstieg Geris aus der Band merkte, dass die Beziehungen zwischen den Bandmitgliedern in Wirklichkeit nicht so solidarisch und freundschaftlich waren, wie es zunächst erschien. Die Stars waren somit auf doppelte Weise als Vorbilder diskreditiert: Einerseits war ihr Verhältnis untereinander offensichtlich nicht nachahmenswert, andererseits hatten sie den Fans falsche Tatsachen vorgespielt und sich somit als unglaubwürdig erwiesen. Die Interviewerin möchte anschließend wissen, wie Julia CAUGHT IN THE ACT wahrnahm, nachdem sie Fan der SPICE GIRLS geworden war. Julia:
/Nicht so besonders toll/ ((lachend)), also, ich muss sagen, danach hab ich mich, eigentlich selber für bescheuert erklärt //mhm// weil ich dann, dann hab ich mir die, vorher hab ich mir die nur aus einem bestimmten Blickwinkel angeguckt, so wie ich se gerade haben wollte, so waren se auch, //mhm// aber danach hab ich se dann mal so, im allgemeinen, betrachtet und da waren se also, dacht ich nur noch, oh mein Gott, was hast da //((lacht)) mhm// wirklich Geschmacksverirrung, absolut, weil dann sahen die auch auf einmal für mich gar nicht mehr gut aus, dann waren se halt irgendwie nur noch, auch so, auch so dieses absolute, ich hab mich auch auf ne Art irgendwie wieder mal verarscht gefühlt (…) die warn halt, ehm, die ham halt so getan, sie mussten das ja auch von Vertrag her, hat sich ja mittlerweile rausgestellt, die sind ledig, die sind also, sind zu haben und sind total toll und, haben auch immer so getan, als hätte im Grunde jedes Mädchen ne Chance bei denen //ja// aber das war ja blödsinnig, weil das, wär ja gar nicht gegangen, erstens war man viel zu jung für die //mhm// und zweitens waren die ja alle, entweder schwul oder vergeben und da dacht ich dann halt auch am Ende, na toll, irgendwie has-, bist du bist denen drei Jahre lang hinterhergerannt und jetzt ? //mmh// Und vor allen Dingen, vor allen Dingen hat mich im Nachhinein auch so är-, geärgert, dass man so viel Geld für die ausgegeben hat, dass man sich diese ganzen Poster und weiß ich nicht was gekauft hat und letztendlich, hats einem überhaupt nichts gebracht //ja, mh// (1)
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/ne/ ((leise)) (2) vor allen Dingen, auch, auch dass die, die ham ja auch immer so behauptet, blah, sie sind, sie ham sich eben zusammengefunden als Freunde //mhm// aber das ist ja auch blödsinnig, dass kann ja im Grunde gar nicht sein //mhm// dass sie sich so ewig kennen und dann auch diese Mischung, dass die dann diese Mischung haben
Ihren Eintritt in eine neue Fan-Kultur erlebte Julia als vollständige Entfremdung von der vorherigen Lebensphase: Rückblickend war weder die Attraktivität der Boygroup erkennbar für sie, noch das eigene vormalige Verhalten nachvollziehbar. Sie hat den Eindruck, die Band nun von einer „allgemeinen“ Warte aus objektiv zu beurteilen, während sie diese vorher im Zuge ihrer „Geschmacksverirrung“ subjektiv verzerrt wahrnahm. Ihr Verhältnis zu CAUGHT IN THE ACT erfuhr (ebenso wie ihr Verhältnis zu den SPICE GIRLS) einen Bruch durch die Erkenntnis, dass sie einer trügerischen Medieninszenierung aufgesessen war. Während sie vormals glaubte, dass die Band sich auf der Basis freundschaftlicher Beziehungen konstituiert hatte und dass die Stars wirklich offen für Liebesbeziehungen seien, weiß sie nun, dass deren Zusammenstellung sowie ihre öffentliche Inszenierung von Marktinteressen gesteuert wurden und dass somit, was sie für echt hielt, bloßer Schein war. Diese Ernüchterung erfolgte offenbar auf doppeltem Wege: Einerseits erfuhr Julia durch mediale Enthüllungen von den vertraglichen AuÀagen der Band sowie von der verstecken Homosexualität beziehungsweise den Liebesbeziehungen der Stars. Andererseits erkannte sie nun auch bestimmte Unstimmigkeiten bei der damaligen Band-Inszenierung: Da die CAUGHT IN THE ACT-Stars wesentlich älter waren als viele ihrer Fans, hatte natürlich nicht jedes Mädchen eine Chance bei ihnen und auch dass eine so gute „Mischung“ wie die Band sie repräsentierte, durch freundschaftliche Verbindungen zustande kam, hätte sie schon damals als unwahrscheinlich erkennen können. Die hier von Julia ausgedrückte Wut und ihr Eindruck, das eigene Fan-Engagement und das in dessen Rahmen ausgegebene Geld seien eine sinnlose Verschwendung gewesen, sind insofern als Ausdruck der Enttäuschung über die Band, jedoch auch über die eigene Gutgläubigkeit zu interpretieren. Julia erwähnt nun ihre damalige Hoffnung, die Bandmitglieder persönlich kennen zu lernen und ihre Versuche, diese vor ihren Konzerten, beziehungsweise im Anschluss an diese einmal zu treffen. I.: Julia:
Kannst du d=darüber noch mehr erzählen, über die, die Konzerte und davor und danach Naja, ich bin halt, ich war, das erste Konzert, das war 95, das war in Hürth, das ist in der Nähe von Köln //mhm// und da bin ich halt hingefahren, meine Tante ist mit mir dahingegangen, und das war irgendwie um 18h30 und ich stand aber schon um, neun Uhr morgens da //mhm// und habe halt probiert, dass ich nen
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Teil B: Die empirische Untersuchung Platz bekomme und das ich auch ganzganz vorne bin, das war natürlich auch wichtig, obwohl ich natürlich /erst mal umgekippt bin, rausgezogen wurde, von daher hat es nicht so viel gebracht/ ((lachend)), aber, ich habs halt probiert, und naja, man hat mal geguckt, jedes Auto was kam, sind se das jetzt, kommen se jetzt, //mhm, mhm// und man hat den Platz wo man war auch nicht aufgegeben, man ist da wirklich standhaft stehn geblieben, man ist nicht weggegangen, und das war bei allen so, man hat aber auch viele Mädchen kennen gelernt //ja// auf den Konzerten //mhm, mhm// man ist da halt hingegangen, hat Leute kennen gelernt, hat sich eigentlich auch ganz gut unterhalten auch teilweise. Naja und dann nach dem Konzert, war meine Tante halt noch gezwungen, mindestens zwei Stunden mit dazubleiben, //((lacht))// weil es könnte ja sein, dass die doch noch mal rauskommen. (…) und, man, es war halt so, man fühlte sich halt auf Konzerten auch immer angesprochen von denen, die auf der Bühne standen, // mhm// die mussten, kennst das ja, wenn man so, wenn, jemand ins Publikum guckt, dann guckt man ja so oben drüber, dann fühlt sich jeder angeguckt, // aha// man geht halt aus dem Konzert raus und /ah, er hat mich angelächelt, er hat mich angeguckt, er hat mir zugewunken/ ((imitierend)) //mhm// und so war das immer.
Julia berichtet in dieser Passage mit einem ironisch-distanzierten Gestus von ihrem damaligen Engagement, indem sie häu¿g lacht, die Perspektive ihrer Tante einnimmt, die „gezwungen“ war, nach dem Konzert noch zu warten, sich über die eigene Ohnmacht lustig macht und im Laufe der Erzählung von der Ich-Perspektive zum allgemeinen „man“ überwechselt. Erneut präsentiert Julia sich hier als Expertin des Fantums, die die Mechanismen durchschaut, denen Fans aufsitzen. So ist sie heute auch in der Lage, zu erkennen, dass sie – wie alle anderen auch – einer optischen Täuschung unterlag, als sie sich persönlich von einem der Stars angeblickt und angelächelt fühlte. Ebenso wie Antje schildert sie ihren Konzertbesuch als Erlebnis der Begegnung mit anderen Fans (welche sie jedoch positiver schildert als Antje), die ersehnte persönliche Nähe zu den Stars fand lediglich auf einer illusorischen Ebene statt. Konkurrenzgefühle unter Fans und der Wunsch, wie die SPICE GIRLS zu sein Im Folgenden charakterisiert Julia das Verhältnis der CAUGHT IN THE ACT-Fans untereinander als von Solidarität und Hilfsbereitschaft geprägt. Jede habe den Wunsch der anderen, der Band nahe zu sein, gut verstehen können und es sei beispielsweise üblich gewesen, sich gegenseitig anzurufen und mitzuteilen, in welchem Hotel CAUGHT IN THE ACT untergekommen ist. Obwohl sie nie bei einem SPICE GIRLS-Konzert war, beurteilt sie gleichzeitig die Stimmung unter den Girlgroup-Fans als sehr anders.
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Während das Streben der CAUGHT IN THE ACT-Fans nach Nähe zur Boygroup mit gegenseitigem Verständnis und auch Hilfsbereitschaft einherging, führte in Julias Darstellung umgekehrt der unter SPICE GIRLS-Fans verbreitete Wunsch, den Stars ähnlich zu sein, zu Konkurrenzgefühlen und Neid. Da sie bereits vorher betonte, wie wichtig es für die Fans war, die CAUGHT IN THE ACT-Stars als ungebunden und somit „frei“ wahrzunehmen, zeugt der entspannte Umgang mit dem Begehren anderer weiblicher Fans davon, dass in der Proto-Gemeinschaft der Boygroup-Fans nicht davon ausgegangen wurde, dass ein Mädchen aus den eigenen Reihen wirklich eine Liebesbeziehung mit einem der Stars eingehen würde. Wie Bianca charakterisiert Julia die Gefühle von Boygroup-Fans somit als Verliebtheit, die ihre eigene Unerfüllbarkeit von vornherein miteinkalkuliert. Auf der Grundlage dieser Struktur der verhinderten Wunscherfüllung sitzen letztlich alle Fans im selben Boot und es kann nicht zu Konkurrenzgefühlen kommen. Die identi¿ katorischen Wünsche der SPICE GIRLS-Fans waren dagegen erfolgsorientierter und erfolgversprechender, wodurch in einem ständigen Wettbewerb die anderen Fans daran gemessen wurden, wie weit sie dem von allen geteilten Ziel schon näher gekommen waren. Die SPICE GIRLS-Ähnlichkeit anderer Fans machte unangenehm auf die eigenen Unzulänglichkeiten aufmerksam und löste deshalb Neid- und sogar Hassgefühle aus. Im Anschluss erwähnt Julia erneut den besonderen Reiz der SPICE GIRLS als Mädchenband, die für die Position eintrat, dass Mädchen stärker sein können als Jungen. Julia:
(…) I.:
Julia:
und irgendwann ham wirs halt dann halt auch, man hats halt dann auch probiert zur seiner Lebenseinstellung son bisschen zu machen, //mhm// auch wenns natürlich nicht immer geklappt hat, weil man ja eigentlich gar nicht so richtig so war //mhm// man war ja auch vielleicht, also, ich ¿nde, dass ich auch viel zu jung dazu war, um, wirklich zu sagen, o. k., Männer sind gut, aber wir sind besser Aber wenn es für dich, so wichtig war, mit diesem, dass Mädchen stark sein können, dann hast du v-, also vorher, eigentlich nicht dadran geglaubt, dass auch Mädchen stark sein können ? (1) Doch schoon, aber ich war halt nie die Starke, //ja// ich war halt immer die Kleine, //mmh// eher Schwache, die halt von allen irgendwie beschützt wurde, //jaja, mmh// immer, das klin-, ich wurde von allen immer beschützt und, an mich ist sowieso keiner richtig rangekommen, //ja// also, ich konnte mir das selber nie richtig beweisen, //mmh, mmh// und dadurch, dadurch hab ich dann halt angefangen, probiert mir, also ich hab probiert mir das selber zu beweisen (1) //ja// und, mittlerweile, äh, klar ich bin selbstbewusster dadurch geworden,
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Teil B: Die empirische Untersuchung auf jeden Fall, aber hal-, ich hab halt nicht, genau die Meinung, ich hab, mittlerweile, ne, ziemlich andre Meinung, darüber. //mhm// Also nicht, dass Mädchen nicht stärker sein können, das auf jeden Fall. //mmh// Aber haltn bisschen anders, in ner anderen Ebene, als die das immer hingestellt haben
In ihrer Zeit als Fan der SPICE GIRLS machte Julia sich auch deren Meinungen zu eigen, was sie im nachhinein für voreilig und deshalb für zum Scheitern verurteilt hält. Sie geht nun davon aus, dass die Entwicklung einer Lebenseinstellung nur auf der Basis eigener Erfahrungen gelingen kann. Die von der Girlgroup repräsentierte Stärke war für sie besonders attraktiv, da sie sich selbst als schwach wahrnahm und gleichzeitig auch nie die Gelegenheit hatte, möglicherweise vorhandene starke Seiten der eigenen Persönlichkeit zur Enaktierung zu bringen, weil sie immer von anderen beschützt wurde. Ihr Wunsch nach der Entwicklung und Anwendung einer eigenen Stärke entstand insofern in einer Zeit, in der sie noch das kindliche Vertrauen in den Schutz durch Stärkere hatte, jedoch bereits ahnte, dass dies nicht immer so sein würde. Das Fan-Sein bot ihr ein Forum, die eigenen Stärkepotenziale zu erproben und sie sich somit auf einer handlungspraktischen Ebene selbst zu beweisen. Mittlerweile nimmt Julia sich als selbstbewusst war, distanziert sich jedoch auch von der durch die SPICE GIRLS repräsentierten Position zum Stärkeverhältnis der Geschlechter. Sie erklärt im Folgenden, dass die Stars Männer als unfähig charakterisiert hätten, wohingegen sie selbst jetzt der Ansicht ist, dass die beiden Geschlechter gleich stark sind, jedoch auf unterschiedliche Weise. Beispielsweise verließen Jungs in ihrem Alter sich meist auf ihre körperliche Kraft, wohingegen Mädchen eher streiten und auf dieser Ebene Stärke demonstrieren würden. Wandlungen im Verhältnis zum anderen Geschlecht Die Interviewerin fragt nun, ob die Position der SPICE GIRLS damals ihren Blick auf Jungen beeinÀusst hätte. Julia:
also ich hab von Jungs nicht allzuviel gehalten zu der Zeit, //ja// bis ich dann halt angefangen habe, mich mit Jungs halt immer b-, immer besser zu verstehen, und dadurch hat das dann auch irgendwie angefangen, dass ich die Spice Girls irgendwann gar nicht mehr so toll fand, //ja// ich hab halt so meine, ich hab mich halt für mich selber entwickelt und nicht nach denen (…) aber zu der Zeit, wo ich so richtig Spice Girls-Fan war, also das war ja auch noch auf der Grundschule, da hab ich von Jungs gar nichts gehalten //mmh// nichts //mmh// /also war für mich absolut, //mmh// daneben/ ((leise))
3 Fallbeschreibungen I.:
Julia:
I.: Julia:
I.: Julia: I.: Julia:
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(1) O. k., obwohl du vorher, also eigentlich vorher, dann schon mal so ne Phase hattest, wo du dich schon interessiert hast für Jungs, also als du dann Caught in The Act Fan warst ? Ja, auf jeden Fall, ich hab mich, also ich hab mich erst für Jungs interessiert, aber auf mein, für mich selber wurd ich damit auch son bisschen enttäuscht //ja// weil es ja auch alles gar nicht so geklappt hat, wie man sich selber das eigentlich immer, //ja// erträumt hat //ja// und vorgestellt hat, und dann kamen eben die Spice Girls, und die haben genau das Gegenteil gesagt //mmh, verstehe// rennt denen nicht hinterher, macht euer Ding, //jajaja// und das war dann auch, da dacht ich o. k., hab ich halt n bisschen, ne Zeitlang, mich danach irgendwie gerichtet, und dann hab ich festgestellt, das war beides blödsinnig (…) Ja, ja. Äh, kannst du dich noch erinnern, wies ganz davor war, also noch, bevor du überhaupt Fan warst ? (2) pfff (1) ähm (1) zu der Zeit war ich mit Jungs immer sehr gut befreundet, // mhm// also ich hatte nen besten Freund damals, //mhm, mhm// immer also ich hatte eigentlich nur Freunde, eigentlich, nur eine beste Freundin, ansonsten war ich nur mit, Jungs befreundet //jaja// also, also, ich, das war halt, einfach freundschaftlich, alles, ich hab mich halt einfach mit denen gut verstanden, bin mit denen gut klar gekommen, hab halt, zu der Zeit, mit denen, gespielt, // mmh// so halt, weiß ich nicht, //mmh// und ich war, hab sowieso, ich hab immer Auto gespielt und Lego und blah, ich war, ich war eigentlich nie so das typische Mädchen, //mmh, mhm, mhm// und dann war halt, dann wurd ichs halt so langsam, dann hab ich halt Ju-, angefangen, Jungs, doch auf ne andere Art interessant zu ¿nden, //jaja// dann kam eben Caught in the Act und dann war das absolut, dann hab ich mich mit Jungs zeitweise gar nicht mehr verstanden, weil die mich einfach nicht mehr verstanden haben, warum ich die dann nun so toll ¿nde //jaja, eh// also mmh, und da, hattest du dann, auch mehr mit Mädchen zu tun als mit Jungs in der Zeit ? ja, auf jeden Fall und in der Spice Girls-Zeit dann auch ? Ja, da wars gemischt, also da hab ich, auch mit Jungs zu tun gehabt, aber halt auf ner, also ganz anders, //mmh// das war halt so, die Jungs fanden die Spice Girls alle nur geil, //mmh// eben auf, fanden die halt einfach, sexy irgendwie, und genau das hat mich an der ganzen Sache gestört, //jaja, ja// weil, für mich waren die ja was ganz anderes, also für mich waren die ja einfach so Vorbilder, //mmh// und dann hab ich dann halt, das war so, man hat sich zwar mit denen einigermaßen verstanden, aber nicht so besonders
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Julia beschreibt ihre Beziehungen zu Jungen als zunächst sehr freundschaftlich, ihre meisten Freunde waren männlich und da sie ohnehin kein „typisches Mädchen“ war, konnte sie sich mühelos in deren Spiele einklinken. Diese Zeit des guten Verständnisses erfuhr einen Bruch, als sie begann, Jungen „auf andere Weise interessant“ zu ¿ nden. Die hier angedeutete Erotisierung ihres Verhältnisses zum anderen Geschlecht verkomplizierte den Kontakt mit diesem. Die alten Spielkameraden waren offenbar nicht geeignet für die Aufnahme eines heterosexuellen Begehrensverhältnisses, weshalb Julia sich CAUGHT IN THE ACT zuwandte und in die Boygroup-Fan-Kultur einstieg. Somit begann eine Phase, in der sie keinen Kontakt mehr zu Jungen hatte und ihre neuen Wünsche in Bezug auf gegengeschlechtliche Beziehungen nur im Kontext ihres Fan-Seins auslebte. Mit den vormals befreundeten Jungs gab es keine gemeinsame Kultur mehr und es kam zu einer Entfremdung. Ihr emotionales Engagement im Rahmen ihrer Phase als Boygroup-Fan erlebte sie letztlich jedoch als unbefriedigend, weshalb sie nun, inspiriert durch die SPICE GIRLS eine distanziert-verächtliche Position dem männlichen Geschlecht gegenüber einnahm. Während ihrer Zeit als SPICE GIRLSFan hatte Julia zwar Kontakt zu Jungen, der sich jedoch als schwierig gestaltete, da deren Verhältnis zur Girlgroup ein grundsätzlich anderes war als ihres. Die männliche Wahrnehmung der Girlgroup als „sexy“ empfand Julia als störend, auch hier gab es keine kulturellen Gemeinsamkeiten. Im Zuge späterer positiver Erfahrungen mit Jungen korrigierte sie jedoch ihre ablehnende Position, weshalb sie ihre Persönlichkeitsentwicklung retrospektiv als Eigentätigkeit wahrnimmt und nicht als bloße Imitation ihrer damaligen Vorbilder. Julia:
also für mich ist halt mittlerweile so, /beide Seiten sind/ ((leise)) (2) //mmh// und sagen wer mal so dass die Spice Girls das auch immer so vermittelt haben, dass Jungs nur, nur dann interessant sind, wenn man sich in die verliebt hat, so ungefähr. //mhm// Das war halt irgendwie so das, und bei Caught in the Act wars ja im Grunde das gleiche, //jaa// man hat, sich zumindest eingebildet, sich in die verliebt zu haben, weil man konnte es ja eigentlich gar nicht, weil man die ja gar nicht gekannt hat, //jaja// und, das fand ich auch n bisschen scheiße, weil, im Nachhinein hab ich halt dann auch gemerkt, dass man mit denen eigentlich auch, supergut nur befreundet sein kann
Mittlerweile distanziert sich Julia von den beiden Extrempositionen, die sie in den verschiedenen Phasen ihres Fan-Seins vertreten hat. Aus heutiger Warte kritisiert sie, dass sowohl die von den SPICE GIRLS vermittelte Position, Jungen seien nur im Kontext von Liebesbeziehungen interessant, als auch die Verliebtheitsgefühle (beziehungsweise vermeintlichen Verliebtheitsgefühle) im Rahmen der Boygroup-Fankultur das Verhältnis zum anderen Geschlecht auf die erotische Ebene
3 Fallbeschreibungen
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reduzieren. Während die für die Pop-Welt typische, erotisch-romantische AuÀadung des Geschlechterverhältnisses zunächst Julias Interesse an Stars motiviert hatte, fühlt sie sich später eingeengt von ihr und beginnt wieder freundschaftliche Beziehungen zu Jungen aufzunehmen. Sie präsentiert sich hier als aufgeklärte junge Frau, die die erotischen Wirren der Adoleszenz hinter sich gelassen hat und nun wieder ein unkompliziertes Verhältnis zum männlichen Geschlecht einnehmen konnte. Den Bereich der Erotik verweist sie in eine überstandene Lebensphase und lässt offen, welche Rolle er heute für sie spielt. Der Wunsch, so selbstbewusst zu sein wie die SPICE GIRLS Die Interviewerin kommt im Folgenden noch einmal auf Julias Wunsch nach der Entwicklung von Selbstbewusstsein zurück und bittet sie, hierauf genauer einzugehen. Julia:
ich hab das dann auch probiert, so selbstbewusst zu sein und irgendwie war ichs auch auf ne bestimmte Art, aber halt nicht so wirklich, //mmmh// ich wars so äußerlich, äußerlich war ich dann selbstbewusst, //mhm// aber innerlich stand ich dann immer noch da und wusste eigentlich gar nicht so rich-, richtig, was ich jetzt sagen sollte //jajaja// und hab und hab, und das war auch überhaupt nich meine Überzeugung so richtig, was ich gesagt habe, //mmh// ich hab halt einfach nur das gesagt, was mir gerade eingefallen ist um, einigermaßen, das hinzubekommen //mmh// obwohls eigentlich gar nicht das war, was ich sagen wollte. //Mhm.// (1) So, weiß ich nicht. (1) Und dann, dann waren die Spice Girls halt nicht mehr so und mittlerweile kann ich mich /sehr gut streiten/ ((lachend)).
Ihren Versuch, sich so selbstbewusst zu verhalten wie die SPICE GIRLS, schildert Julia als Erfahrung der Entfremdung von sich selbst, das selbstbewusste Agieren war bloße äußere Maskerade und hatte keine Verankerung in ihrem Inneren und ihrer Überzeugung. Wie ihr Engagement als CAUGHT IN THE ACT-Fan emp¿ndet Julia im Nachhinein auch ihre im Kontext der SPICE GIRLS-Fan-Kultur erfolgten Handlungen als übertrieben und nicht mehr nachvollziehbar. Eine Aneignung des bei den Stars bewunderten Selbstbewusstseins im Sinne einer Mimesis, die sich zwar auf äußere Vorgaben bezieht, diese jedoch mit der eigenen Welt abstimmt und individuell ausgestaltet, gelang ihr erst nach dem Ende ihres Interesses für die Girlgroup. Im Folgenden grenzt sich Julia noch einmal kritisch ab von der eigenen FanKultur, indem sie ihre aktionistischen Versuche, den SPICE GIRLS ähnlich zu werden als „Umweg“ bei ihrer Entwicklung von Selbstbewusstsein bezeichnet.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Auf die Bitte der Interviewerin, noch mehr über die mit ihren Freundinnen gegründete Tanzgruppe zu erzählen, erläutert sie, dass sie damals verspätet in eine bereits bestehende Gruppe einstieg. Julias Entwicklung zum SPICE GIRLS-Fan verlief in ihrer Erzählung ebenso zögernd und fast widerstrebend wie die vorherige Entwicklung zum CAUGHT IN THE ACT-Fan. Obwohl ihre beiden besten Freundinnen in einer SPICE GIRLS-Tanzgruppe waren, hatte sie zunächst kein Interesse daran, selbst auch mitzumachen, als sich dies jedoch zufällig ergab, integrierte sie sich schnell und konnte im Laufe der Zeit auch die begehrte Rolle der selbstbewussten Mel B ergattern. Julia:
und dann hab ich mich halt irgendwann hochgearbeitet, dann war ich irgendwann Mel B und war eben die Selbstbewusste, die ganz vorne war und immer, immer da war. //Mhm, mhm.// Und so hat das eigentlich angefangen und dann warn wer, dann ham wer uns halt alle supergut verstanden, //mhm, mhm// ham wer halt uns nachmittags immer getroffen, und (1) getanzt und gesungen und weiß ich nicht was und halt probiert, das hinzubekommen //mmh//. Weil wir hatten ja, unser Klassenlehrer damals, der hat auch die Theater-AG gef-, geführt, und da ham wir halt, immer, eigentlich, mindestens drei mal die Woche irgendwie n kleinen Auftritt gehabt. //Mhm, mhm.// Und dann warn wer halt auch, auf der Schule, kannten uns dann die meisten auch einfach nur noch als Spice Girls.
Im Unterschied zu ihrer Einschätzung des gegenseitigen Verhältnisses von SPICE GIRLS-Fans als von Neid und Konkurrenz geprägt, erlebte Julia die Fan-Kultur im Freundinnenkreis als sehr harmonisch. Möglicherweise bewahrte der Umstand, dass jedes Mädchen eine Ähnlichkeit mit einer anderen der als sehr verschieden wahrgenommenen SPICE GIRLS anstrebte die Gruppe vor Konkurrenzgefühlen. Ihr Engagement beim „Nachmachen“ der SPICE GIRLS erfuhr auch durchaus Anerkennung von anderen: Der Klassenlehrer ermöglichte ihnen öffentliche Auftritte und ihre erfolgreiche Verkörperung der Girlgroup-Stars wurde ihnen widergespiegelt, indem sie von anderen SchülerInnen mit deren Namen angesprochen wurden. Auf die Frage nach den gruppeninternen Entscheidungsprozessen bezüglich der Rollenverteilung verweist Julia zunächst auf augenscheinliche Ähnlichkeiten als Hauptauswahlkriterium: Das sportlichste Mädchen der Klasse machte ‚Sporty Spice‘ nach und die Rolle von Emma und Geri wurden auf der Basis einer übereinstimmenden Haarfarbe vergeben. Julia übernahm zunächst die Rolle von Victoria, da diese als einfach galt, konnte später aber Mel B werden. I.:
Mhm, mhm, aber dann wars eigentlich so, dass ihr euch dann welche rausgesucht habt die eu-, die, euch ähnlich waren, und nicht, die, die, i=ihr jetzt selber am tollsten fan-, fandet, oder-
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Auch, also man war denen auch von vornherein son bisschen ähnlich, //mmh// und man ist auch, man ist auch mit der Zeit einfach in die Rolle son bisschen reingewachsen, //mhm, mhm// das war halt, die sind so, und wir sind denen irgendwie ähnlich und wir sind dann halt so reingewachsen, wir sind denen auch immer ähnlicher geworden. //ja, ja// (1) Und obwohl, ich mein, Beate, die Emma gemacht hat, die war, sol-, war ja dann auf der Bühne immer die kleine Schüchterne, //mhm// wo se eigentlich, immer, so, eigentlich die Selbstbewussteste von uns allen war, //mhm// die war eigentlich sonst immer die die gesagt hat, so Mädels, wir machen dat jetzt, und, die war auch die, die mich grundsätzlich verteidigt hat, obwohls auf der Bühne immer genau andersherum war, //mhm// also wir ham das eigentlich, auf der Bühne genau vertauscht, //mhm, mhm// da war ich halt die, die gesagt hat, also, da war ich die, die alle irgendwie verteidigt hat, und ansonsten war sie das, obwohl sie die Schüchternste gespielt hat. //Mhm, mhm.// Also es war auch so (1) vom Äußerlichen her, ham wir uns gesucht, wer uns am Ähnlichsten ist, //ja// aber vom Innerlichsten her war das, war das eigentlich meistens eher so, genau andersrum.
Das in der Mädchengruppe vollzogene „Hineinwachsen“ in die Rolle der SPICE GIRLS erweist sich hier als komplexe Verhandlung von Ähnlichkeit und Verschiedenheit und in diesem Sinne als mimetischer Prozess. Zunächst ordneten die Mädchen sich auf der Grundlage auffälliger Übereinstimmungen einem bestimmten Star zu, wobei auch individuelle Präferenzen Berücksichtigung fanden. Die Aufspaltung der Star-Rollen in innerliche und äußerliche Qualitäten vervielfältigte die angebotenen Subjektpositionen und erhöhte die Möglichkeiten, verschiedene Entwürfe der eigenen Identität performativ zu erproben. Ausgehend von einer partiellen Gleichartigkeit erfolgte nun eine schrittweise Anähnlichung auf allen Ebenen. Hierbei machten einige Mädchen die Erfahrung, sich gerade auf der Ebene des „Innerlichsten“, d. h. in Bezug auf bestimmte Eigenschaften als sehr verschieden gegenüber dem jeweiligen Vorbild wahrzunehmen. Es gelang ihnen jedoch, die eigentlich fremden Eigenschaften auf der Bühne glaubwürdig zu verkörpern. Nachdem Julia ihre früheren Versuche, so selbstbewusst wie Mel B zu werden als aufgesetzt und gescheitert charakterisierte, markiert sie hier die Bühne als Ort, wo die mimetische Verkörperung auch ungewohnter und fremder Eigenschaften erfolgreich vollzogen werden konnte: In diesem Sinne gelang es ihr im Rahmen der Fan-Kultur als Mel B selbstbewusst aufzutreten, nicht jedoch als Julia. Die spielerische Adaption eines ungewohnten Verhaltens konnte nicht auf eine Weise in das alltägliche Handeln überführt und habitualisiert werden, die sie selbst überzeugt hätte. Im Kontext der Tanzgruppe erlaubte die erfolgreiche Einnahme der Position von Mel B Julia jedoch, sich im geschützten Rahmen des expliziten Spiels und der Freundinnengruppe auf ungefährliche Weise aus ihrer
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Position der „Kleinen, Schüchternen“ herauszuwagen: Ihre eigene Dominanz löste in diesem Rahmen keine Konkurrenzgefühle aus und wird auch von ihr selbst ungebrochen positiv konnotiert, indem sie sie als Fähigkeit schildert, die anderen zu schützen. Das Barbie-Spiel Julia erwähnt weiterhin, dass sie mittlerweile nicht mehr auf eine bestimmte Gruppe steht, sondern sich die Musik verschiedener Bands anhört, wobei sie deutschen HipHop bevorzugt. Die Interviewerin fragt nun, ob sie sich auch mit anderen CAUGHT IN THE ACT-Fans ausgetauscht habe. Julia:
I.: Julia:
(…) I.: Julia:
(2) Naja, bei Caught in the Act, da hatte ich ja noch meine, beste Freundin, die war ja auch Fan, //mhm// ich muss Dir ganz ehrlich gestehen, zu der Zeit hab ich noch Barbie gespielt. ((lacht)) //((lacht))// ((räuspert sich)) Naja und wir ham das dann halt mit den Barbies irgendwie auch gespielt. //mhm// Wir hatten halt die Kens, das, wir hatten vier Kens, //mhm// das, waren dann halt die Typen, und dann hatten die halt, mal ne Frau, und bla, und (1) aber das war ja auch so, in dem Moment durften se ne Freundin haben, //mhm// die auch nicht wir selber waren, also, wir ham, den Barbies auch nicht, dass wir, wir selber das sind, sondern das waren schon andere, //mhm// aber da haben wir das ja selber kontrollieren können, //mhm// irgendwie, //mmh// wie das mit den Freundinnen abläuft, und so //ehe, verstehe// also da hatten se schon ne Freundin. (2) /Auf jeden Fall/ ((leise, lachend)) Mmh, und was ham die dann alles so gemacht, also die, die Kens und die Barbies ? Mh, (2) eigentlich nicht viel (2) ham halt irgendwie, die Frauen haben sich natürlich fünfzig mal am Tag umgezogen, klar, normal, //((lacht leise))// mh, die Kens, sind ständig aufgetreten, die Frauen haben in der Zeit mit den Kindern Zuhause gesessen, so ungefähr, //mhm// (1) eigentlich bestand das großteilig aus, aus Auftritten und Streiten, //mhm, mhm// also bei uns ham die sich sehr viel gestritten. Und worüber ? (4) Was uns gerade so eingefallen ist, (1) also nie irgendwas Wichtiges, immer nur so, über so Kleinigkeiten. (1) Weiß ich nicht, so von wegen, /du bist so viel unterwegs/ ((imitierend)) und dann meint er, /ja, kann ich ja nichts für, mein Vertrag/ ((imitierend)), immer so, so Kleinigkeiten, also nichts Gravierendes. //mhm, mhm// Einfach so Sachen, die uns halt so eingefallen sind, weil, (1) so viel aus dem Leben, richtig von denen, wussten wir ja auch gar nicht, //mh// wir kannten ja nur das, was se eben als Gruppe waren (…) aber, wenn wir
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I.: Julia:
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irgendwann mal mit denen zusammengekommen wären, dann wär dat ja auch ganz anders gewesen. //ehe// Sowieso, also, für uns hätten die ja sowieso alles aufgegeben, also so haben wir uns das zumindest damals vorgestellt. //mhm// Für uns wär alles anders gewesen. Dann hätten sie ihre Karriere aufgegeben ? (1) Nein, aber sie hätten uns überall hin mitgenommen, //mhm// also, wir wären immer dabei gewesen, egal wohin, //mhm, mhm// immer, und dann wäre es auch of¿ziell gewesen
Eine zentrale, mit der besten Freundin verfolgte Praktik im Rahmen der CAUGHT IN THE ACT-Fan-Kultur stellte das Spiel mit Barbie- und Ken-Puppen dar. Die Erwähnung des kindlichen und „mädchentypischen“ Barbiespiels wird von Julia als Geständnis markiert und ebenso distanziert vorgetragen wie ihre Erzählung vom Konzertbesuch. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der Boygroup auf dieser spielerischen Ebene konnten sie und ihre Freundin die ansonsten abgelehnte Phantasie über eine Beziehung der Stars mit anderen Frauen zulassen. Wie Julia erklärt, bestand der Vorteil des Spiels darin, dass dieses eher bedrohliche Szenario nun kontrolliert werden konnte. Die auf die Größe von Kens zusammengeschrumpften Stars waren nun ganz in ihrer Hand: Während sie sonst nur als ferne Popstars im Rampenlicht zugänglich waren, konnten die beiden Mädchen sich die begehrten Männer im Spiel auf eine alltägliche, profane Ebene herunterholen und sogar über deren Liebesleben bestimmen. Im Sinne Winnicotts (1979: 63) lässt sich hierbei von einer Vermittlung zwischen einer selbst inszenierten Repräsentation der äußeren Realität und einer eigenen Traumwelt sprechen. Auffällig ist jedoch, dass diese Traumwelt durchaus nicht Julias Wunsch entsprach, selbst in der Nähe der „Traumtypen“ zu sein: Sie und ihre Freundin sahen nicht etwa sich selbst an der Seite der Bandmitglieder, die Barbies stellten vielmehr ‚die andere Frau‘ dar, die Streitereien über Kleinigkeiten austragen musste und vernachlässigt wurde, obwohl sie sich 50 Mal am Tag umzog. Im Gegensatz zu Julias lebhafter Beschreibung des ehelichen Alltags der Kens und Barbies bleibt das erwähnte positive Szenario einer eigenen glücklichen Beziehung mit einem der Stars auffällig abstrakt und inkonsistent: Da sie die Stars als Stars begehrte, kann die Phantasie, dass diese zugunsten einer Liebesbeziehung mit ihr „alles aufgeben“ würden, Julia letztlich nicht überzeugen. Die Vorstellung, die of¿zielle Freundin eines CAUGHT IN THE ACT-Mitgliedes zu sein, konÀigiert wiederum mit ihrem Wissen darum, dass ein Boygroup-Star per De¿nition keine Freundin haben darf. Die Interviewerin (die sich offensichtlich nicht von der Commonsense-Vorstellung lösen kann, dass Mädchen sich mit Barbie-Puppen identi¿zieren) äußert nun ihr Erstaunen darüber, dass Julia und ihre Freundin sich nicht selbst in der Position der Barbie-Partnerinnen von CAUGHT IN THE ACT sahen.
156 Julia:
I.: Julia:
Teil B: Die empirische Untersuchung für mich wär das gar nicht in Frage gekommen, weil (2) ((räuspert sich)) das hab ich mir lieber vorgestellt, (1) das war auch das, das war auch was, was man sich für sich selber vorgestellt hat, und was man nicht mit ner Freundin zusammen gespielt hat. Ach so, das hast du mehr alleine gemacht ? //ja// Habt ihr auch nicht drüber gesprochen ? (1) Schon, aber, (1) aber nie so direkt, also es, hatte eigentlich jeder für sich selber, //mmh// so, wie das so sein könnte, wenn man sich mit denen gut verstehen würde, blah, aber mit den Barbies war das was ganz anderes. Erstens wollt ich nie wie ne Barbie sein, (2) und zweiten-, ne, also, das war ich halt nicht. Außerdem war ich halt auch, ich war ja grade mal drei-, zwölf, zwölf war ich. Und da war ich auch noch gar nicht, also hätt mir noch gar nicht vorstellen können, ds-, mit denen großartig, eigentlich irgendwie was zu tun, zu haben, klar ich habs geträumt, für mich selber, aber ich habs eher so, mir vorgestellt für später, wie gesagt. Dass ich später mal, wenn ich irgendwie älter bin, dann mit denen gut klar komme und so. //mmh// Aber, mit zwölf nicht, also, (1) da, da wusst ich auch, dass ich für die eigentlich viel zu jung bin, //mmh// (1) und die mir auch, also, auf gewisse Art eigentlich schon wieder zu alt sind. //mmh// Aber für mich war das halt auch so, (1) ((räuspert sich)) ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die irgendwie älter werden. Für mich warn die halt einfach so. //mmh// Und wenn ich älter gewesen wäre, dann wärn die für mich immer noch so gewesen, //mh// zumindest von dem, was ich mir vorgestellt habe. //mh, mh, mh, verstehe// Also, war das für mich eher sowas, was ich, auf Entfernung geträumt habe.
Die Vorstellung, selbst eine Liebesbeziehung mit einem CAUGHT IN THE ACT-Mitglied zu haben, gehörte nicht der Ebene der spielerischen Auseinandersetzung mit der Band an und wurde auch „nicht direkt“ mit der Freundin geteilt, sondern vielmehr auf der Ebene individueller Träume ausgestaltet. Ebenso wie Antje, die ihre dem Star gewidmeten Gedichte nicht abschickte und niemandem zeigte, schaffte Julia sich somit einen geschützten privaten Bereich der Auseinandersetzung mit der Boygroup. Es ging aus zwei Gründen nicht, das Wunschszenario im Barbiespiel darzustellen: Einerseits konnte Julia, die sich nie als ein „typisches Mädchen“ gesehen hatte, nicht durch eine Barbiepuppe repräsentiert werden, diese stand als solche für eine Weiblichkeit, die sie für sich selbst ablehnte und konnte somit nur ‚die andere Frau‘ sein. Andererseits wollte sie, genau wie Antje, zum Zeitpunkt ihres Fan-Seins keine Liebesbeziehung eingehen. Die Vorstellung, selbst in die heterosexuelle Beziehungspraxis involviert zu sein, ließ sie nur als vage Phantasie zu, die nicht verbalisiert und anderen mitgeteilt werden konnte, und deren Realisierung in die fernere Zukunft verlegt wurde. Hierbei wird der Symbolcharakter
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der älteren Boygroup-Stars deutlich: diese stehen für den zukünftigen Liebhaber, der bereits ein der heterosexuellen Liebe angemessenes Alter erreicht hat und als Symbol auch den Vorteil bietet, sich nicht mehr zu verändern, was es Julia erlaubt, ihm in ihrem eigenen Tempo entgegenzuwachsen und währenddessen „auf Entfernung“ von ihm zu träumen. Die Frage der Interviewerin, ob sie sich Gespräche mit einem der Stars ausgedacht hätte, bejaht Julia, betont jedoch die Belanglosigkeit der Gesprächsinhalte und verweist auch darauf, dass sie sich eine Beziehung nicht richtig vorstellen konnte, dies sei einfach zu weit weg für sie gewesen. I.:
Julia: I.: Julia:
I.: Julia:
I.: Julia:
Mmh, also du hast dann nicht, zum Beispiel dir vorgestellt, du bekommst, einen Liebesbrief von ihm oder so ? Oder er gesteht dir seine Liebe, oder irgendwie sowas ? Nee, eigentlich nicht. //mmh// Also, (1) klar schon, doch schon, aber, aber nicht so, dass ich drauf eingegangen wäre. Wie, du hast ihn dann abblitzen lassen ? Ja so ungefähr //((lacht)) echt ?// das war für mich eher das, also, nicht so, dass ich mich jemals drauf eingelassen hätte in meinen, also, in dem was ich mir vorgestellt hä-, habe, hätte ich mich nie drauf eingelassen. Und warum nicht ? Ich weiß es nicht, es war mir zu weit weg, ich kannte die, irgendwie, //mmh// nicht genug, //mmh, mhm, mhm// ich kannte die halt nur vom, rein Äußerlichen her, eigentlich, //mmh// und das hätte für mich eigentlich nur so für ne Freundschaft gereicht, aber nicht für mehr.//ja// Also klar, ich hab mir das schon vorgestellt irgendwie, aber (1) ich habs nicht, also ich habs nicht angenommen, (1) nicht richtig. Ja, ähä, verstehe. (1) Aber das ist spannend, dass es trotzdem für dich dann wichtig war, dass sie keine Freundin haben. (1) Ja das war halt das, sagen wer mal so, ich glaube wenn, wenn von Anfang an gesagt, wenn die von Anfang an gesagt hätten, wir haben ne Freundin, hätt ich damit auch kein Problem gehabt. //mmh// Aber ich hätte mich einfach verarscht gefühlt, //mmh// wenn die jetzt gesagt hätten, ach, tut uns leid, aber wir haben doch schon seit zwei Jahren ne Freundin, //mmh// so halt //jaja, mmh//. Das, (2) das war halt irgendwie schon wichtig, dass, dass, dass kein, dass niemand denen so nah ist, //mh// wie ich das niemals sein werde. //mmh// /Weiß ich nicht/ ((leise)) (1) also auch nicht unbedingt sein wollte. //mmh// Aber, trotzdem, das durfte auch irgendwie so richtig kein anderer.
Trotz der offenkundigen Ungläubigkeit der Interviewerin und deren Schwierigkeiten, die Paradoxien des Fan-Seins nachzuvollziehen, bleibt Julia dabei, dass sie
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Teil B: Die empirische Untersuchung
sich auf die Vorstellung einer Liebesbeziehung mit einem der Stars nicht richtig einließ. Das Fan-Verhältnis zur Boygroup, das letztlich auf Äußerlichkeiten beruhte, war nicht darauf angelegt, in eine Paarbeziehung einzumünden. Aufgrund ihrer wichtigen Funktion als Symbol des zukünftigen Liebhabers mussten die Stars gleichzeitig jedoch potenziell hierfür zur Verfügung stehen. Das positive Szenario einer erfüllten Liebesbeziehung als Fluchtpunkt der Fan-Bestrebungen bildet in Julias Ausführungen eine ‚black box‘, deren Inhalt abstrakt und geheim bleibt. Umgekehrt konnte sie die möglichen negativen Folgen einer solchen Paarbindung im Barbiespiel detailreich ausschmücken. Ihr war also bewusst, mit welchen Gefahren die heterosexuelle Beziehungspraxis verbunden sein kann und womöglich hat sie gerade vor dem Hintergrund ihrer Ablehnung der Subjektposition des „typischen Mädchens“, beziehungsweise der typischen Frau, Schwierigkeiten, sich diese in einer erfüllten Form vorzustellen. Das Heulen bei Konzerten Abschließend kommt die Interviewerin noch einmal auf Julias anfängliche Bemerkung zurück, sie habe bei den CAUGHT IN THE ACT-Konzerten immer geheult. I.: Julia:
Wieso hast du eigentlich geheult auf dem Konzert ? (2) ((Räuspert sich)) Das war die ganze Stimmung. //mhm// Erstens, (1) erstens war das, die warn halt da und /man wollte denen so nah wie möglich sein und wollte dann nach vorne und/, ((schnell)) einerseits war man total fertig, weil mans nicht richtig geschafft hat und hat deshalb geheult, andererseits, war auch die ganze Atmosphäre, war das irgendwie schön, (1) und dann, und dann hat man auch und dann war halt auch, man hat kaum Luft bekommen //mmh// und das war auf eine Art total schön, das ganze Konzert. Andererseits war das aber auch so scheiße das man ir-, also man musste irgendwie einfach heulen, das ging eigentlich gar nicht anders. (…) Und es ham auch alle irgendwie geheult, man ko-, man ka-, man konnte einfach gar nicht anders, als zu heulen. Es ging irgendwie einfach gar nicht, weil, und wenn dann n langsames Lied kam, was einen dann, was einen sowieso so schon, irgendwie, ((räuspert sich)) bisschen berührt, so von der Melodie her, vom Ganzen, dann, /also ich hab immer geheult, irgendwie/. ((leise)) //mhm, mhm// Und wenn man dann angeguckt wird von denen nur und, also man kriegt halt auf ne Art, das ist halt, das ist nicht mal unbedingt, wegen dem Konzert an sich, sondern das ist einfach, vom Emotionalen her, (…) (1) Also, es, es ging mir, ich hab, ich hab nicht nur wegen denen geheult, (1) ich hab so von, von der ganzen Sch-, eh, von, von meiner ganzen Stimmung her geheult, wie’s mir halt grade ging, irgendwie. Ich war fertig, und müde, eigentlich, //mh// hab mich aber so auf dies Konzert gefreut, war auch
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auf eine Art enttäuscht, andererseits fand ichs aber auch wieder gut, also das war, das kam irgendwie so alles zusammen.
Julia war bei ihren Konzertbesuchen einem Strudel widersprüchlicher Gefühle ausgesetzt, dem sie sich nicht entziehen konnte. Der Versuch, den Stars so nahe wie möglich zu kommen, ging mit einer enormen Anstrengung einher sowie mit der Enttäuschung darüber, dass diese Nähe nicht auf die erhoffte Weise zustande kam. Gleichzeitig war das Konzert dennoch gerade als Grenzerfahrung „total schön“ für sie. Ihr Heulen war insofern kein Ausdruck der Trauer, sondern eher der leidenschaftlich erlebten paradoxen Fan-Gefühle. Unterstützt von der Musik CAUGHT IN THE ACTS, die teilweise starke Emotionen bei ihr auslöste, erlebte Julia diese Stimmung als kollektive Efferveszenz:93 Ihre intensiven Gefühle führt sie nicht nur auf die Begegnung mit den Stars zurück sondern beschreibt sie vielmehr als Widerhall der „ganzen Stimmung“. Die paradoxe Struktur der verhinderten Wunscherfüllung, die die Fans im Wissen um deren Unerreichbarkeit in die Nähe der Stars treibt, wird in der Situation des Life-Events als ebenso schöne wie schmerzhafte Gefühlsstruktur kollektiv spürbar. Die Ausnahmesituation des Pop-Konzertes und der Schutz der Fan-Communitas erlauben den Mädchen die Artikulation eines leidenschaftlichen Begehrens für die Stars und somit eine kollektive Verhandlung der gesellschaftlichen Anforderung, sich während der Jugendphase in die heterosexuelle Beziehungspraxis einzuüben. Zusammenfassung: Die Boygroup- und Girlgroup-Fan-Kultur als Rahmen für wechselnde Selbstverortungen in der Gleichaltrigengruppe Wie Bianca und Antje begann sich Julia in einer Zeit mit Pop-Stars auseinander zu setzen, als sie sich noch als Kind wahrnahm, aber bereits wusste, dass bisherige Selbstverständlichkeiten nicht immer anhalten und mit dem Eintritt in die Jugendphase bald neue Anforderungen auf sie zukommen würden. Im Unterschied zu den beiden anderen Mädchen ist zum Zeitpunkt des Interviews Julias Fan-Phase jedoch vollständig abgeschlossen, sie hat sich einem anderen Musikstil zugewandt und nimmt gegenüber den vormals bevorzugten Bands mittlerweile eine kritischdistanzierte Position ein. In Bezug auf mediale Inszenierungen hat sie einen Desillusionierungsprozess durchlaufen, der den beiden jüngeren Mädchen womöglich noch bevorsteht. (Zwar äußern sich sowohl Bianca als auch Antje skeptisch gegenüber der Glaubwürdigkeit bestimmter Medieninformationen, sie stellen diese je93 Unter Efferveszenz verstehe ich das Phänomen einer wechselseitigen Steigerung und der Freisetzung leidenschaftlicher Energien im Rahmen von Kollektiverfahrungen, vgl. A 2.1.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
doch nicht grundsätzlich in Frage.) Gerade vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung der Ent-Täuschung bezüglich der Band-Inszenierungen sowie ihrer eigenen damaligen Vorstellungen nimmt Julia heute eine sehr rationale Perspektive auf ihre Fan-Phase ein, grenzt sich von deren imaginären, exzessiven und aktionistischen Anteilen ab und beurteilt diese als sinnlos. Ihr Interesse an einem Interview deutet jedoch darauf hin, dass ihre Auseinandersetzung mit dieser Zeit noch anhält, offensichtlich möchte sie die Gelegenheit nutzen, sich über das eigene frühere Verhalten im Klaren zu werden. Darüber hinaus bietet sich hierdurch für sie die Möglichkeit, ihr im Zuge der eigenen kritischen Auseinandersetzung mit dem Fan-Sein erworbenes Expertentum über dessen Mechanismen und Fallstricke zu präsentieren. Das Interview verläuft dementsprechend sehr selbstläu¿g und ihre Beschreibungen dieser früheren Lebensphase sind häu¿g mit Kommentaren und Theoretisierungen verwoben. Im Unterschied zu Antje, die den starken Wunsch verspürte, in die jugendkulturelle Praxis der großen Schwester einzusteigen, fühlte sich Julia fast gegen ihren Willen durch das Verhalten ihrer Umgebung in die Fan-Kultur hineingezogen. Ihre anfängliche Skepsis konnte jedoch über die mimetische Teilhabe an den verschiedenen Praktiken ihrer Freundinnen überwunden werden, wobei der populärkulturelle Handlungsvollzug schließlich zur performativen Konstitution eines Selbstverständnisses als Fan führte. Die beiden verschiedenen Fan-Kulturen, denen Julia während dieser Zeit nachging, erlebte sie als sehr unterschiedlich. Ihr Interesse an der Boygroup CAUGHT IN THE ACT charakterisiert sie als erste Erfahrung einer Beziehungsaufnahme zum anderen Geschlecht auf der Ebene von Begehren und Verliebtheit. Ihr vormals unkompliziertes Verhältnis zu gleichaltrigen Jungen erfährt einen Bruch, während die älteren Popstars zum Symbol für den späteren Liebhaber werden. Im Rahmen der vertrauten kindlichen Spielpraxis mit der besten Freundin gelingt es ihr, der Band auf einer alltäglichen Ebene habhaft zu werden und den Sonderstatus ihrer Mitglieder als Popstars somit zu entmythologisieren. Gleichzeitig bietet ihr die Konstruktion der Barbiepuppe als ‚andere Frau‘ die Möglichkeit, ihre Distanz gegenüber dem Klischee des „typischen Mädchens“ sowie gegenüber traditionellen Paarbeziehungen auszuagieren.94 Vermutlich aufgrund der Tabus und Mythen, mit denen der Bereich der romantischen Liebe zum anderen Geschlecht verwoben ist sowie des Mangels an Vorbildern für eine gleichberechtigte 94 Auch die von Eva Breitenbach und Sabine Jösting (ehem. Kausträter) interviewten Mädchen-Cliquen äußern sich häu¿g abwertend gegenüber „typischen Mädchen“. In Negativbild des „typischen Mädchens“ spiegelt sich den Autorinnen zufolge die implizite Erwartung an das eigene Geschlecht, sich auch außerhalb eines festgesteckten „weiblichen Raumes“ erfolgreich bewegen zu können (Breitenbach/Kausträter 1998: 396 f).
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und erfüllte heterosexuelle Beziehungspraxis kann sie diesem Negativbild jedoch kein Positivbild entgegensetzen. Die Vorstellung einer glücklichen Liebesbeziehung bleibt auf der Ebene unartikulierbarer individueller Träume und somit im Bereich des Mythos. Die fan-typische Sehnsucht nach Nähe zu den Stars, die ihre eigene Unerfüllbarkeit von vornherein miteinplant, zieht eine Reihe intensiver, zum Teil widersprüchlicher Gefühle mit sich, die im Rahmen von Konzerten der Band einen kollektiven Höhepunkt erfahren. Ebenso wie Antje erlebt Julia die Auftritte der Band eher als Begegnung mit anderen Fans denn als Begegnung mit den Stars, allerdings nimmt sie im Unterschied zu Antje (die die anderen Fans hasst) die Konzertbesucherinnen als solidarisches Kollektiv wahr. Die vormals imaginäre Gemeinschaft der Boygroup-Fans bildet in dieser Situation eine spontane Communitas, die auf der Basis der gemeinsam erlebten Struktur der verhinderten Wunscherfüllung in einem Zustand der kollektiven Efferveszenz die eigenen Gefühle machtvoll zur Artikulation bringt. Die Fans kommen somit der gesellschaftlichen Erwartung, dem anderen Geschlecht gegenüber ein Begehrensverhältnis einzunehmen, auf diese Weise im Schutze des Kollektivs und im Rahmen der karnevalesken Ausnahmesituation des Pop-Konzertes auf eine exzessive Weise nach. Nach ihrem performativen Statuswechsel zum SPICE GIRLS-Fan steht Julia ihrer vorherigen Begeisterung für die Boygroup verständnislos gegenüber. Im Zuge medialer Enthüllungen über den tatsächlichen Inszenierungscharakter vermeintlich authentischer Eigenschaften von CAUGHT IN THE ACT hat sie den Eindruck, einer Täuschungsmaschinerie aufgesessen zu sein. Als Ex-Fan bekommt sie nun auch Zweifel an der Echtheit der eigenen ehemaligen Gefühle gegenüber ihr eigentlich unbekannten Personen, und auch deren Intensität sowie ihre paradoxe Struktur sind nun nicht mehr nachvollziehbar. Ihr emotionales Engagement erscheint im Nachhinein sinnlos, weshalb die von den SPICE GIRLS symbolisierte Haltung der Unabhängigkeit vom anderen Geschlecht besonders attraktiv für sie ist. Die Übernahme der Rolle von Mel B im Rahmen von Schulaufführungen ermöglicht es ihr zusätzlich, sich selbst einmal in einer selbstbewussten, dominanten Position zu erleben und somit das eigene entsprechende Potenzial zu beweisen. Insofern diese Enaktierungen auf einer spielerischen, nicht-reÀexiven Ebene erfolgen, lässt sich hier von einer aktionistischen Entfaltung neuer Kompetenzen sprechen, wobei es Julia nicht gelingt, diese in den eigenen alltäglichen Habitus zu überführen. Ihre diesbezüglichen Versuche erlebt sie langfristig als losgelöst von ihrem Selbstbild sowie ihrer Wahrnehmung durch andere und somit als aufgesetzt. Erst im Laufe der Zeit kann sie das für sie von der Girlgroup repräsentierte Konzept weiblicher Stärke an ihrer eigenen Erfahrung überprüfen und revidieren und somit in Abstimmung mit ihrem Selbstbild ein Selbstbewusstsein entwickeln, das sie auch überzeugt.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Der Aufforderung, als Mädchen stark zu sein und dabei gleichzeitig andere Mädchen zu überbieten, kommen Julia und ihre Freundinnen nach, indem sie sich als Gruppe an den verschiedenen Bandmitgliedern orientieren. Sie können sich somit gegenseitig unterstützen und dennoch an anderen messen, die Populärkultur ist cliquenzentriert und es kommt nicht zur Bildung einer Communitas wie unter den CAUGHT IN THE ACT-Fans. Auch diese Kultur nimmt Julia als Mädchenkultur wahr, zwar stellt sie bei den ihr bekannten Jungs ein Interesse an den SPICE GIRLS fest, jedoch ein ganz anderes als das ihre: Während sie sich mittels der CAUGHT IN THE ACT-Fan-Kultur mit der Gefühlsstruktur der Verliebtheit vertraut machte und über die SPICE GIRLS sich mit der eigenen Persönlichkeit in Abgrenzung zum anderen Geschlecht auseinander setzte, nehmen die Jungen ein sexualisiertes Verhältnis zur Girlgroup ein. Diese ganz andere Herangehensweise an den auch für sie so zentralen Themenbereich des Geschlechterverhältnisses, die eine Art der Intimität in den Mittelpunkt stellt, welche sie selbst noch nicht einmal auf der Ebene der individuellen Träume zugelassen hat, emp¿ndet Julia als störend und es kommt zu keiner Annäherung der beiden Kulturen. Ihre Distanzierung von den SPICE GIRLS erfolgt auf mehreren Ebenen: Im Laufe der Zeit entlarvt sie auch die Girlgroup als inkonsistente Medieninszenierung, wodurch die SPICE GIRLS vor allem vor dem Hintergrund von Julias Bestreben, die eigene Persönlichkeit glaubwürdig nach außen hin zu repräsentieren, als Vorbilder disquali¿ziert sind. Gleichzeitig emp¿ndet sie ihre eigenen Versuche, so selbstbewusst aufzutreten wie die Stars, als missglückt und künstlich. Schließlich stellt sie fest, dass sowohl ihre Boygroup- als auch ihre Girlgroup-Fan-Kultur mit einer Reduktion des Geschlechterverhältnisses auf die erotische Ebene einhergingen, die sie langfristig als unbefriedigend erlebt. Während Bianca und Antje beide Geschlechter als sehr unterschiedlich und das Verhältnis zwischen diesen dementsprechend als spannungsreich wahrnehmen, hat Julia ihren Aussagen zufolge diese Phase überwunden und kann nun wieder an die unkomplizierten Geschlechterbeziehungen der Kindheit anknüpfen. Welche Rolle die im Kontext des Fan-Seins verhandelte mögliche erotische Dimension der Geschlechterbeziehungen heute für sie spielt, bleibt offen. Die Fan-Kultur bot ihr jedoch die Chance, verschiedene Posionierungen gegenüber dem anderen Geschlecht einzunehmen und auf dieser Grundlage langfristig die Geschlechtersegregation einer bestimmten Lebensphase und die normativen Anforderungen der heterosexuellen Matrix zu unterlaufen, indem sie ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht vorrangig als freundschaftliches de¿niert.
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3.4 Tanja, 17 Jahre: „Ein SPICE GIRL kann ruhig wahnsinnig sein – Hauptsache der Wahnsinn hat Methode“ Tanja reagierte auf eine meiner Anzeigen, mittels derer ich zu einem sehr frühen Zeitpunkt meines Projektes (1997) Mädchen ansprach, die sich für weibliche Stars interessieren (vgl. B 1.3). Sie schrieb mir damals folgenden Brief über ihre bevorzugte Gruppe SPICE GIRLS: Hallo, ich heiße Tanja, bin 15 Jahre alt und ein riesiger Spice Girls Fan. Ich ¿nde die 5 echt klasse. Meine Freundinnen stehen alle auf Boygroups wie z. B. BSB, N’Sync, etc. Ich hasse Boygroups. Die singen immer das Selbe und sehen auch immer gleich aus. Um auf die Spice Girls zurückzukommen, am Anfang fand ich Mel C am besten, weil sie so sportlich ist und ’ne tolle Stimme hat. Mittlerweile ¿nde ich aber Geri am Besten. Sie hat’s echt drauf. Irgendwie verkörpert sie das, was die Welt schon lange gebraucht hat, nämlich: Girl Power ! Das ¿ nde ich echt klasse. Die anderen GirlBands tun alle so komisch. Total überkandidelt. Das gefällt mir nicht so besonders. Die Spice Girls sind halt wie sie sind und nehmen auch kein Blatt vor den Mund. Sie tun was sie wollen und zeigen der ganzen Welt wo’s lang geht. Ich ¿nde die Spice Girls so klasse, daß ich mich vor ein paar Monaten piercen lassen habe. Ich bin einfach da hingegangen und hab‘ mir die Nase durchstechen lassen. Ich hatte nicht mal Angst. Das war ein irres feeling, halt spicy. Ich glaube der Erfolg der Spice Girls liegt in ihrer Ehrlichkeit. Sie verstellen sich nicht und lassen sich auch nichts vorschreiben. Sie stehen zu dem was sie machen oder gemacht haben. Ich ¿ nde es ist ja auch kein Wunder, daß die Spice Girls die beste Band der Welt sind. Sie sagen ja auch immer, daß man einfach das machen soll, was man (selber) will – und nicht, wie andere Bands sagen, daß sie die Besten sind. Ach ja, Geri. Geri ist eine Spitzenfrau. Ich bewundere sie sehr. Sie hat keine Angst davor, genau das zu sagen, was sie meint. Ihre Entschlossenheit und Hartnäckigkeit sind ziemlich imponierend. Sie ist die Rebellin der 90er. Ich habe mal irgendwo gelesen, daß sie mal im Nachthemd zur Arbeit gekommen ist. Aber auch, wenn man liest, was sie so sagt, da denkt man schon, das ist zwar ziemlich hart, aber genau richtig. Den Spruch: „Ein Spice Girl kann ruhig wahnsinnig sein – hauptsache der Wahnsinn hat Methode.“ ¿ nd ich echt klasse. Ich denke Geri ist der Oberguru aller Spice Girls, so’ne Art Spice Papst auf dieser Welt. Sie wird’s auch denen, die die Spice Girls nicht mögen noch zeigen. Davon bin ich überzeugt. Ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich zu den Spice Girls gekommen bin, denn eigentlich höre ich einen etwas anderen Musikstil (Skunk Anansie). Die Sängerin (Skin) gefällt mir übrigens auch total gut. Da sieht man’s mal wieder, was die Spice Girls alles können ! Alles Gute und viel Glück, Tanja
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Zwei Jahre später, als ich Fans und Ex-Fans von Girlgroups für Interviews suchte, nahm ich wieder Kontakt zu Tanja auf. Sie teilte mir mit, dass sie mittlerweile zwar kein Fan der Girlgroup mehr sei, sondern Melissa Etheridge bevorzuge, ich sie aber dennoch gerne interviewen könne. Tanja war zum Zeitpunkt des Interviews 17 Jahre alt und lebte in einer norddeutschen Stadt, die sich (obwohl im Interview als „Kleinstadt“ und „Dorf“ beschrieben) von ihrer Einwohnerzahl her als Mittelstadt bezeichnen lässt. Ihr Vater arbeitete als Kraftfahrer, ihre Mutter als Hausfrau und sie besuchte die 10. Klasse eines Gymnasiums. Falldarstellung Als ich an einem warmen Sommertag um die Mittagszeit in ihrer Stadt ankam, holte mich Tanja gemeinsam mit ihrer Mutter vom Bahnhof ab. Wir fuhren zu ihrem Einfamilienhaus aus rotem Backstein und setzten uns dort auf die Terrasse, wo Tanjas Wunsch zufolge auch das Interview statt¿nden sollte. Wir begannen das Interview, wobei ich etwa eine halbe Stunde nach Beginn feststellen musste, dass die Aufnahme nicht funktioniert hatte. Tanja reagierte gelassen und erklärte sich bereit, noch einmal von vorne anzufangen. Die zweite Gesprächshälfte, die dann aufgezeichnet wurde, verlief deutlich schleppender. Ich hatte Skrupel, noch einmal dieselben Fragen zu stellen, weshalb das Interview im Laufe der Zeit eher den Charakter eines lockeren Gespräches annahm. ‚Girl Power‘ und Wahnsinn mit Methode I.: Tanja:
Also ja, vielleicht, kannst du einfach noch mal erzählen wie das damals war als du so an¿ngst, dich für die Spice Girls zu interessieren Em, das war in der Presse, in den Medien undsoweiter das die em, das so langsam an¿ng und em, das kam durch ds, das Motto, das die hatten, em, s-, Girl Power, wer sich nicht wehrt endet am Herd ((lacht)) undsoweiter, eehm, was hab ich denn noch gesagt ? Ehm (1) ja und halt, dass sie, em, dass das nicht so, zusammengestellt war, so, in Kostüme gesteckt und auf die Bühne gestellt, sondern das die das selber gemacht haben
Wie im Interview mit Antje ist die einleitende Frage der Interviewerin nicht auf Tanjas Fan-Kultur ausgerichtet, sondern auf ihr Interesse an den Stars. Während Antje dennoch unmittelbar begonnen hatte, die Tausch- und Sammelpraktiken mit ihren Freundinnen zu beschreiben, antwortet Tanja ganz gemäß der Fragestellung
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und erklärt, dass ihre Aufmerksamkeit für die Girlgroup durch deren zunehmende Medienpräsenz und ihr auf diese Weise verbreitetes Motto geweckt wurde. Sie charakterisiert ihr Fan-Sein insofern eher als reÀexive Auseinandersetzung denn als Kultur. Das Motto der Girlgroup paraphrasiert sie mit dem Slogan „wer sich nicht wehrt, endet am Herd“. ‚Girl Power‘ als Macht von Mädchen oder Ermächtigung von Mädchen soll diesen insofern die Kraft geben, dem Hausfrauenstatus zu entgehen. Eine beruÀiche Karriere von Mädchen – beziehungsweise Frauen – muss diesem Verständnis zufolge gegen gesellschaftliche Konventionen durchgesetzt werden, die ihnen eine Position „am Herd“ zudenken. Das ‚Girl Power‘-Motto ruft Mädchen dazu auf, sich über derartige Erwartungen hinwegzusetzen und ihr Leben unabhängig von solchen Rollenzuweisungen zu gestalten. Ganz in diesem Sinne sind die SPICE GIRLS-Stars in Tanjas Augen deshalb so attraktiv, als ihnen eine aktive Rolle bei ihrem Weg zum Erfolg zukam, während andere Bands sich wie Marionetten für fremde Konzeptionen bereitstellten. Gleichzeitig markiert Tanja ihre Aussagen in dieser ersten Passage als Erinnerung nicht etwa an das damalige Geschehen sondern an ihre Ausführungen im ersten Teil des Interviews und demonstriert auf diese Weise und durch ihren knappen Stil („undsoweiter“) eine deutliche Distanz sowohl gegenüber ihrem Fan-Sein als auch gegenüber der Wiederholungssituation. I.: Tanja: I.: Tanja:
I.: Tanja:
I.:
(30) mh (2) du hast in deinem Brief, geschrieben, son Zitat von Geri, em, irgendwas über Wahnsinn (1) weißt du das noch /das ist zwei Jahre her/ ((lachend)) Das war sowas wie, ehm, ein Spice Girl kann ruhig wahnsinnig sein, Hauptsache der Wahnsinn hat Methode oder sowas Genau, das ist gut, das ¿nd ich echt gut, also, das man, ehm, (1) vollkommen durchgeknallt sein kann, aber, em, eigentlich, das doch nicht is, oder, das man eigentlich, damit was erreichen will, weil, //mhm// welche sehen das dann ja (1) mh, so als, Fall für den Psychiater oder so, wenn man jetzt irgendwie (1) eh, irgendwas macht, was, was, was nicht, äh, gewöhnlich ist //mhm, mhm// denkt man ja ( ) aber es ist eigentlich ganz normal //mhm// ds, das fand ich echt gut (2) vor allem, das man damit was erreichen kann //mmh// es hat ja Methode ((lacht leise)) (4) Kennst du noch andere Leute die irgendwie, bisschen verrückt sind und die dich deshalb beeindruckt haben ? (1) mh (4) nä, nich so ganz, aber nich so, ganz normal, auch nicht, also nicht verrückt aber nicht normal, auch nicht, also son, Mittelding, so, ganz locker. // mhm// Jetzt nicht so ganz normal (eindeutig) aber auch nicht total verrückt, so, die Mittelschiene. Und wer war das zum Beispiel ?
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I.: Tanja:
Teil B: Die empirische Untersuchung Also, Kollegen wer ? Kollegen mhm Und, jo, die sind auch ganz cool drauf. (1) Ich bin ja auch nicht verrückt, sondern so, //mmh// so auf dem Level. //mhm, mhm// So, ganz lustig ( ) labern immer neben mir, das geht bis in Nonsense, aber das macht ja nichts, ist lustig //ehe, ehe// das ist eh, (2) doch, das ist echt lustig, einfach nur, wenn man sagt, sich über Wörter lustig zu machen zum Beispiel, ehm, Zwieback oder so ((lacht)) //((lacht))// das war immer lustig. //((lacht))// Oder nachts unter som, äm, Masten, diese, Elektromasten da, lagen wir drunter und dann kam nen Stern und, /ham wir gesagt, jetzt landet n Ufo/ ((schnell)) //((lacht)) das war immer lustig. //mhm, mhm// (2) Oder immer so als Oma reden /oh guck dir die Kinders doch an ( ) nix mehr/ ((imitierend)) //mmh ((lacht))//. Oder einfach mal, Leute verarschen, wie em, in Schuhladen gehn und fragen ob die Sahne haben ((lacht)) //((lacht))//, ist auch lustig. ( ) /Hörn sie mal, Schlagsahne ? Hä ? Wir verkaufen nur Schuhe. Oh./ ((imitierend)) //((lacht)). (2) Und, glaubst du dass die Spice Girls dich da be=einÀusst haben bei solchen Sachen ? (4) Ja vielleicht jetzt nicht das, so, gerade das, sondern em, irgendwie schon, etwas so, also jetzt nicht so, ganz normal zu sein, sondern, bisschen anders ( ) //mhm// doch, denk ich wohl. Also, irgendwie aus sich rauskommt ( ) // mmh, mmh// das man ruhig irgendwie, die letzte Scheiße labern kann aber das verstehn die trotzdem, die Leute, das ist wirklich so //ehe, ehe//.
Angeregt von Geris Ausspruch, der ihr nach wie vor gefällt, gibt Tanja ihre distanzierte Haltung auf und trägt engagiert ihre Interpretation dieses Zitates vor: Es erklärt, dass ein Handeln als wahnsinnig oder „durchgeknallt“ erscheinen kann, ohne dies tatsächlich zu sein, weil es im Dienste eines bestimmten Motivs steht. In Abgrenzung zu all jenen, die ein ungewöhnliches Handeln als behandlungsbedürftige Krankheit betrachten, erklärt Tanja, dass dieses stattdessen „ganz normal“ sein kann. Sie weist hier auf die unklaren Grenzen zwischen Wahnsinn und Normalität hin und zeigt unter Bezug auf Geris Zitat auf, dass auch ein scheinbar therapiebedürftiges Handeln als Strategie betrachtet werden kann, um der Verwirklichung eigener Wünsche näher zu kommen. Die SPICE GIRLS stehen insofern nicht nur für ein energisches Verfolgen von Lebenszielen sondern auch für den Mut, hierbei ungewöhnliche Wege einzuschlagen. Die Interviewerin weist im Folgenden der Girlgroup das Attribut „bisschen verrückt“ zu und fragt nach weiteren derartigen Vorbildern. Während Tanja gerade auf die Problematik klarer Grenzziehungen zwischen Wahnsinn und Nor-
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malität aufmerksam gemacht hatte, beharrt diese Frage auf der Möglichkeit einer eindeutigen Zuordnung in die Kategorie „verrückt“. Hierauf lässt sich Tanja jedoch nicht ein, ihr geht es um ein Handeln, das derartige Zuordnungen unterläuft und sie verweist auf die Existenz eines Ortes jenseits dieser dichotom angeordneten Kategorien, den sie mit den Worten „ganz locker“, „Mittelschiene“ und „ganz cool drauf“ umschreibt. Weder ihre „Kollegen“ noch sich selbst betrachtet sie als verrückt, sondern sie be¿nden sich eben „auf dem Level“ jenseits von Verrücktheit und Normalität. Ganz im Sinne von Geris Hinweis darauf, dass auch ein Handeln, das wahnsinnig erscheint, tatsächlich seinen Zweck haben kann, reden ihre Kollegen zwar Unsinn, ohne dass dies jedoch sinnlos wäre, weil es lustig ist. In ihrer nun folgenden exemplarischen Erzählung von in diesem Sinne lustigen Handlungen beschreibt Tanja Strategien, sich der Alltagsnormalität auf die eine oder andere Weise spielerisch zu entheben. Sie zählt zahlreiche Beispiele einer distanziert-amüsierten Umgangsweise mit Alltäglichkeiten auf: So ist es beispielsweise möglich, die eigenartige und komische Seite von vertrauten Wörtern hervorzuheben, sich zu ungewöhnlichen Zeiten an ungewöhnlichen Orten aufzuhalten und alltägliche Erscheinungen wie Sterne als phantastische Ereignisse umzudeuten. Durch die Übernahme des befremdeten Blicks der älteren Generation auf die Jugend lassen sich sowohl deren normative Standards ironisieren als auch das Verhalten der eigenen Generation aus spielerischer Distanz betrachten. Schließlich verweist sie auf die Strategie, selbstverständliche Erwartungen – wie etwa, dass die KundInnen eines Schuhgeschäftes dort Schuhe kaufen wollen – zu enttäuschen und auf diesem Wege ad absurdum zu führen. Die Konventionen und Gewohnheiten des Alltags werden somit auf eine nicht-rationale, selbstläu¿ge und in diesem Sinne aktionistische Weise auf die Probe gestellt und unterlaufen, was es ermöglicht, deren Potenzial und ihre Grenzen spielerisch auszutesten und sich einer alltäglichen Normalität bewusst zu entfremden, um ihr vor diesem Hintergrund neu zu begegnen. Auf die implizit formulierte Mutmaßung der Interviewerin, sie sei bei diesen Strategien von den SPICE GIRLS beeinÀusst worden, erläutert Tanja, dass die Funktion der Stars weniger als Vorbilder für eine einfache Imitation zu charakterisieren ist, sondern eher als Ermutigung, sich auch einmal abweichend von den Normalitätsvorstellungen der Umgebung zu verhalten und insofern „aus sich herauszukommen“. In dieser Formulierung assoziiert sie den Widerstand gegen gesellschaftliche Normen mit der Chance zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Das Beispiel der Girlgroup zeigte ihr außerdem, dass ein außergewöhnliches Verhalten nicht notwendig eine soziale Isolation nach sich zieht, sondern durchaus auch von anderen verstanden werden kann.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Die Fan-Leidenschaft der Freundin Die Interviewerin leitet nun einen Themenwechsel ein, indem sie die auch in Tanjas Brief erwähnte Vorliebe ihrer Freundinnen für Boygroups anspricht. I.: Tanja:
I.: Tanja:
I.: Tanja: I.: Tanja: I.: Tanja:
Mh, kannst du mir vielleicht noch mal, erzählen, was du mir eben schon erzählt hast, em, über deine Freundinnen, die mehr so auf Boygroups standen ? (1) Ja, mh, ja, meine Freundin steht auf, Backstreet Boys, /oder stand früher drauf/ ((lachend)), das ist ihr jetzt schon wieder peinlich, und äh, ja, die, die war total durchgeknallt, also, alles was sie darüber erfahren konnte, oder so, und zu jedem Konzert musste sie hin, musste alles mitnehmen, und das war soo schlimm. Immer, und, /oh Goott, der hat ne neue Frisur und blah/ ((imitierend, lachend)), ey das war heftig. Und dann musste man sich das jeden Tag / anhören/ ((lachend)), Nick macht das und das und der andere macht noch was anderes, mh. Mhm, mhm. Und, als du dann auch Fan geworden bist von den Spice Girls, äh, hat sie das dann auch genervt wenn du darüber gesprochen hast ? Nö, dann ham wir halt einfach so, mh, so /abwechselnd/ ((lachend)), obwohl es bei ihr immer überwiegend war //mhm, mhm// aber dann ham wir halt, (wenn man sich jetzt sone Zeitschrift holt), ham wir getauscht, also sie kriegte das von BSB, und ich dann das von den Spice Girls, //mhm// dann haben wir uns darüber unterhalten und so. Obwohl mich das eigentlich nicht so sehr interessiert hat, aber ich hab dann ( ) /jaja,/ ((imitierend, lacht)) //((lacht))// ¿nd ich auch. Das war wohl witzig. Aber das ist ihr jetzt so megapeinlich ((lacht)) ehm, meinst du das war bei dir, schon also, dieses Fan-Sein, dass das bei dir dann, meinst du es war bei dir ähnlich wie bei ihr oder anders ? Nich so extrem, //mhm// ähnlich vielleicht aber nicht so ganz extrem //mhm//, ah, das war ja wohl heftig bei ihr. ((lacht)) Aber hast du ihr dann auch was über die neuen Frisuren der Spice Girls erzählt ? ((lacht)) (Was ich ?) Äh nee, so, sowas, das, ¿nd ich nicht so interessant. Und was hat dich dann mehr so interessiert ? Ähm, was die so sagen halt, em, was die jetzt, gesagt haben, was sie vorhaben oder, was sie gemacht haben und so. Oder was die darüber denken, über das Ganze. (2)
Das damalige Verhalten von Tanjas Freundin lässt sich als „total durchgeknallt“ kategorisieren und unterscheidet sich somit offensichtlich vom vorher erläuterten positiven Gegenhorizont einer distanziert-amüsierten Haltung gegenüber der Normalität, die dabei dennoch nicht wahnsinnig oder verrückt ist. Tanja bekräftigt diese Beurteilung unter Bezug auf die aktuelle eigene Distanzierung der Freun-
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din von dieser früheren Leidenschaft. Der Wahnsinn des Boygroup-Fan-Seins dokumentierte sich in einer Maßlosigkeit und Zwanghaftigkeit: Sie musste sich so viel Wissen über die Band aneignen wie möglich, alle ihre Konzerte besuchen und Tanja außerdem ständig Informationen über die BACKSTREET BOYS mitteilen, die dieser unbedeutend erschienen. Im Gegensatz zu der von Tanja bevorzugten, distanzierten und ironischen Lebenseinstellung hatte die Freundin offenbar alle Distanz zur Band und die Kontrolle über ihre Begeisterung für diese verloren. Wie Bianca, die den „hysterischen“ Boygroup-Fans Charakterschwäche bescheinigt, grenzt Tanja sich hier ab von einem unkontrollierten, aktionistischen Ausleben der eigenen Leidenschaft: Der von ihr präferierte „Wahnsinn mit Methode“ hat zwar auch aktionistische Elemente, geht jedoch offenbar mit keinem Kontrollverlust einher. Die Interviewerin greift das Thema der Belastung Tanjas durch die langweiligen und exzessiven Erzählungen der Freundin auf und spricht die Interaktion der Mädchen in der Zeit an, als sie beide Fan waren. Tanja erläutert, dass es trotz der unterschiedlichen Fan-Interessen der Freundinnen zu einem regen Informations- und Materialaustausch kam, den sie, trotz ihres mangelnden Interesses an den Erzählungen der Freundin (die zudem mehr Raum einnahmen), als „witzig“ empfand. Ebenso wie für die jüngeren Mädchen hatte Tanjas Fan-Sein somit auch gemeinschaftsstiftende kulturelle Aspekte, die jedoch durchkreuzt wurden von der gleichzeitigen Erfahrung der Distinktion durch die eigene Band-Wahl. Ungeachtet der in ihrem Brief formulierten Selbstbezeichnung als „riesiger“ Fan der SPICE GIRLS erscheint Tanja die unkontrollierte Leidenschaft der Freundin für die BACKSTREET BOYS im Nachhinein als „extremer“ im Vergleich mit dem eigenen Fan-Engagement. Während ihre Freundin sich stark mit der Selbstinszenierung der Stars beschäftigte, richtete Tanjas Interesse sich außerdem eher auf die Worte, Gedanken und Taten der SPICE GIRLS, offensichtlich also auf die von ihnen proklamierte und verkörperte ‚Message‘. Auch im Unterschied zu den anderen SPICE GIRLS-Fans unter meinen Interviewpartnerinnen, die sich im Zuge ihrer mimetischen Annäherung an die Girlgroup durchaus intensiv mit deren Äußerem beschäftigten, zeigt sich hier einmal mehr der eher reÀexive Charakter von Tanjas Auseinandersetzung mit den Stars. Offensichtlich hat Tanja darüber hinaus weniger als ihre Freundin (und auch weniger als die anderen von mir interviewten Ex-Fans) das Bedürfnis, sich im Nachhinein von ihrer Phase als SPICE GIRLS-Fan zu distanzieren. Zukunftswünsche Im Anschluss verfolgt die Interviewerin das hier erneut angesprochene Interesse Tanjas an ‚Girl Power‘.
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Tanja:
I.: Tanja:
I.: Tanja:
I.: Tanja:
Teil B: Die empirische Untersuchung Mmh, mmh. (8) Äh, wenn du, also, jetzt so zum Beispiel dieses Motto wer sich nicht wehrt, endet am Herd //((lacht))//, war das für dich wichtig, weil du selber, so die Befürchtung hattest, dass du auch am Herd landen könntest ? Nee das nicht aber, ah ich ¿ nd das, (1) mh, (3) ich ¿ nds schade wenn, wenn Frauen, wenn sie irgendwie ne Ausbildung machen oder so und dann, doch am Herd landen //mmh, mmh//. Nicht dass es für mich persönlich, nee. Ne, allgemein. Mmh, (2) und, kennst du viele bei denens so ist ? Ja, Bekannte. //mmh// Ja, das hört man ja, so. Ich mein, das ist jetzt ne Kleinstadt und, //mh// meine Oma kriegt den besten Klatsch mit, //((lacht))// den krieg ich dann immer von meiner Oma mit, das ist dann immer /sehr interessant/ ((lachend)). (Hesto hört) (Platt) Das hieß: hast du schon gehört. //mhm, mhm// Und wenn dann am besten noch die ganzen Nachbarn so, entlanggehen, so, //mmh// dann wird getratscht. Und kannst du dich noch erinnern wie das damals war, also ob du damals schon sone, Vorstellung hattest, wie, wie du dir dein Leben so wünschst ? Mh, Vorst- ja so, so jein. So äh, eigentlich schon, aber, irgendwie auch wieder nicht. Weil so mit Kunst und so, das ist ja kein, da hat man ja keine Perspektive. Eigentlich will man das aber irgendwie denkt man sich ja auch, das wird sowieso nichts. //ehe// Und em, irgendwie, hat das dann, da schon irgendwie schon geholfen, dass ich da gesagt hab, ich mach das halt, das wird wohl /was/ ((lachend)) //mmh, mhm, mhm// so schlimm wird das wohl nicht werden. Aber, em, ja dann, hab ich mir dieses Ziel halt gestellt (1) Und, das hat dich, also, dass die Spice Girls ihre Ziele so erreicht haben, hat dich dann ermutigt ? Ja, genau
Tanja weist die von der Interviewerin angebotene Deutung zurück, das SPICE GIRLS-Motto habe sie damals fasziniert, weil sie selbst befürchtete, einmal Hausfrau werden zu müssen: Dieses Motto entspricht ihrer politischen Einstellung, dass auch Frauen berufstätig sein sollten, ohne dass sie sich gleichzeitig persönlich von einer Zukunft „am Herd“ bedroht fühlen würde. Während die Frage sich auf ihre Zeit als Fan bezog, wechselt Tanja hier ins Präsens: Sie vertritt noch heute dieselbe Einstellung, die einmal zentral für ihre SPICE GIRLS-Begeisterung war. Die wichtige Bedeutung einer bestimmten, nach wie vor vertretenen Meinung für ihr Fan-Sein ermöglicht es ihr offenbar im Gegensatz zu anderen Ex-Fans, ohne Gefühle der Peinlichkeit oder Entfremdung an ihre Fan-Phase zurückzudenken. Diese Meinung ermöglicht Tanja einen Abgrenzungsgestus gegenüber der traditionellen Lebensplanung vieler Frauen ihrer Umgebung. Erfährt sie von ihrer Oma, die als Sprachrohr eines als kleinstädtisch empfundenen Milieus be-
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schrieben wird, von solchen Fällen, nimmt sie dies mit amüsiertem Interesse zur Kenntnis: Es handelt sich hierbei um eine Welt, die ihr vertraut ist, der sie sich jedoch nicht zugehörig fühlt. Angesprochen auf ihre persönliche Lebensperspektive zur Zeit ihres FanSeins beschreibt sie ihre damaligen Ambivalenzen: Bereits im ersten Teil des Interviews hatte sie ihren Wunsch, einmal Kunst zu studieren erwähnt, eine Zukunftsplanung, die ihr offensichtlich als „perspektivlos“ geschildert worden war. In dieser paradoxen Situation, eine perspektivlose Perspektive zu haben, war die Orientierung am Vorbild der SPICE GIRLS, wie Tanja aus heutiger Sicht annimmt, hilfreich, um allen Ungewissheiten und Ängsten zum Trotz dennoch an ihrem Ziel festzuhalten. Die SPICE GIRLS sind arrogant geworden Im Anschluss an diese Passage fragt die Interviewerin nach Tanjas zunehmendem Desinteresse an der Girlgroup, woraufhin sie auf die Veränderungen in deren Auftreten verweist: Der Kampf für ‚Girl Power‘ sei zunehmend in einen uninteressanten Konkurrenzkampf zwischen Boy- und Girlgroups übergegangen. I.: Tanja:
Mmh, mmh (4) Und das ist der Hauptgrund dafür, dass du dann, nachher nicht mehr Fan warst ? Ja und dass die so, irgendwie so, arrogant geworden sind, //mhm// und dass das irgendwie, totaler ( ), dass die jetzt so, em, also ich mag ds, wenn eh, wenn eh, die Leute ganz normal bleiben, also wirklich, ganz normales Leben führen oder so (1) aber, mh, man kanns auch übertreiben, //mmh// zum Beispiel, die hat sich da, dieses Schloss da gekauft oder so, was will sie damit ? ((lacht)) //mmh, mmh// Ich meine wenn du das von deinem Vater erbst ist das ja o. k., //mhm// wenn du dann Graf, Grä¿ n bist, //mmh// kannst ja auch nix für //((lacht))// ((lacht)) ah ne, das ¿nd ich, irgendwie An-, Angeberei oder so, bisschen übertrieben
In dieser Erläuterung Tanjas zeigt sich, dass „Normalität“ für sie doppelt konnotiert ist: Neben der bereits angesprochenen langweiligen Alltagsnormalität besetzt sie das „normal sein“ insofern durchaus positiv, als es einen Gegenhorizont gegenüber einem Verhalten von Stars darstellt, die enthoben von der Realität ihres Publikums in unbescheidener Weise ihren Sonderstatus herauskehren. Tanja fordert hier implizit, dass die Lebensweise von Stars für ihre RezipientInnen erreichbar sein muss. Ein auf der Basis der Star-Einkünfte vollzogener demonstrativer Milieuwechsel stattdessen unterstreicht die Differenz zwischen MusikerInnen und Fans und wird deshalb als Arroganz gewertet.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Das unverständliche Verhalten von Boygroup-Fans Die Interviewerin kommt nun noch einmal auf das Thema „Boygroup-Fans“ zu sprechen. I.: Tanja: I.: Tanja: I.: Tanja:
Mmh. (4) Was meinst du eigentlich wie d-, woher das kommt, das so viele Mädchen auf Boygroups stehen ? ((lacht)) //((lacht))// Kein Schimmer, ich weiß nicht, ich hasse Boygroups. Ich versteh das auch nicht so, (1) /kein Schimmer/ ((lachend)) (1) Jetzt wenn du so an deine Freundin denkst, damals Das kann ich echt nicht nachvollziehen, ( ) weil ich die so schrecklich ¿nde, also ich weiß nicht, verkehrt gepolt oder so, //((lacht))// ja. (1) War das denn bei dir schon immer so, dass du dich mehr für weibliche Stars interessiert hast ? Ja
Gegenüber dem von der Interviewerin angesprochenen Phänomen, dass viele Mädchen sich eher für Boygroups als für Girlgroups interessieren, demonstriert Tanja eine amüsierte Verständnislosigkeit. Weiterhin bekundet sie ihren eigenen Hass gegenüber diesen Bands, wobei offen bleibt, worin dieser begründet ist. Auch die Erinnerung an die BACKSTREET BOYS-Begeisterung ihrer Freundin weckt keinerlei Empathie gegenüber dem Verhalten von Boygroup-Fans, sie beschreibt diese stattdessen als „verkehrt gepolt“. Indem Tanja für ein so typisches heterosexuelles Arrangement wie das schwärmerische Verhältnis von Mädchen zu männlichen Stars eine Bezeichnung wählt, die üblicherweise als Abwertung gegenüber einem homosexuellen Begehren eingesetzt wird, stellt sie an dieser Stelle die Dichotomien von Normalität und Abweichung erneut spielerisch in Frage. Implizit verweist sie darauf, dass sie ihr eigenes Interesse für weibliche Stars als „richtig gepolt“ ansieht, auch wenn sie offenbar in ihrem Freundinnenkreis die einzige ist, die sich so entschieden hat. Melissa Etheridge Die Interviewerin greift an dieser Stelle den bereits vor dem Interview formulierten Hinweis Tanjas auf, sie interessiere sich mittlerweile für die Rocksängerin Melissa Etheridge. I.: Tanja:
(1) Und wie bist du auf Melissa Etheridge gekommen ? ((lacht)) Das war im Fernsehen, ähm, Storytellers, ( ) lief das mal, das läuft immer, ((lacht)) das läuft schon seit zwei Jahren, äh, immer Wiederholung, äh, das ist so, wie MTV Unplugged, so was in der Art. //mhm// Dann hat sie da
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I.: Tanja:
I.: Tanja:
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was erzählt, über die Lieder und mit den Leuten geredet und so. Auch gesungen. Alles live und so, das fand ich ( ) Kannst du dich noch erinnern, was sie da so erzählt hat ? Em, ja, sie hat halt erzählt, em, wie sie die Lieder geschrieben hat und worum es dann geht, //mhm// und wie sie dazu kommt und so. Und dass sie das wichtig ¿ndet mit den Leuten zu reden, über ihre Songs, //mhm// und so. Das war wohl interessant. Vor allem auch, ähm, wie sie, wie sie darauf gekommen ist, das Lied zu schreiben, was, was vorher passiert ist. Und was war das so ? Irgendwann stand sie mal auf ner Straße und guckte zum Fenster und dann ist ihr das Lied eingefallen, watching you, das man etwas betrachtet, was man nicht haben kann, das hat sie musikalisch auch so rübergebracht, //mhm// also sie hat ganz, sie hat zwei Akkorde fürn ganzes Lied, //mhm// zwei Griffe, und, em, das war nur ( ein) Beispiel, ( ) das meiste ist so, (…) und vor allem wie, wie die, redet, zu dem Publikum, so ganz normal, (das ist wichtig), //mhm// als wenn man, em, das kommt einem so vor als wenn man die, schon, jahrelang kennt oder so, //mhm// (interessant)
Ebenso wie auf die SPICE GIRLS wurde Tanja auch auf Melissa Etheridge durch eine Fernsehsendung aufmerksam, in der diese von sich erzählte: Ihre Auseinandersetzung mit Musik bezieht offenbar nach wie vor eine Beschäftigung mit den Persönlichkeiten der InterpretInnen und deren (Selbst-)Aussagen mit ein. Sie beschreibt die Rocksängerin als Künstlerin, die, wie die SPICE GIRLS auch mit ihrer ganzen Person hinter ihrem selbstgeschaffenen Werk steht und nicht etwa den Vorgaben eines Managers folgt. Im Unterschied zu ‚posh spice‘, die sich ein Schloss kaufte, demonstrierte Melissa Etheridge bei der entscheidenden Live-Sendung jedoch, wie wichtig ihr die Nähe zum Publikum ist. Tanja interessierte sich besonders für die Entstehungsgeschichte der Songs, die die Künstlerin im Kontext biographischer Schlüsselerlebnisse erläuterte. Auf diese Weise entstand beispielsweise „Watching You“, ein Lied, das sowohl mittels der textlichen Metaphorik als auch einfacher musikalischer Mittel den begehrlichen Blick auf „etwas“ unerreichbares auszudrücken sucht. (Während Melissa Etheridge in der ‚Storyteller‘-Sendung „Watching You“ explizit mit der Erfahrung unerwiderter Liebe in Verbindung bringt, steht dieser Blick in Tanjas Re-Interpretation für jegliche Art unerfüllten Begehrens.) Die Normalität, welche Tanja in Melissa Etheridges zwangloser Umgangsform mit dem Studiopublikum erkennt, fungiert an dieser Stelle erneut als Gegenhorizont zu Stars, die sich bewusst über ihre Fans erheben: Ganz im Gegensatz zu diesen vermag die Rocksängerin im Kontakt mit ihrem Publikum eine Atmosphäre der Nähe und Vertrautheit herzustellen.
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Tanja:
(…) I.: Tanja:
I.:
Tanja:
Teil B: Die empirische Untersuchung Äh, du hast grad erzählt, dass du bei den Spice Girls schon, auch wusstest, zum Beispiel, dass sie alle zusammen wohnen, son bisschen was über ihr Leben erfahren hast, weil du, immer die Sachen gelesen hast über sie, ist das bei, bei Melissa Etheridge auch so ? Ja da ist das Problem ja, das man darüber nichts erfährt, /weil, die ist hier ja nicht so ganz so berühmt./ ((lachend)) //mhm, mhm// /Wer ist das denn ? Hab ich noch nie gehört/ ((imitierend)), //((lacht))// also nee, naja im Internet, hört man wohl viel darüber, aber auch nicht sehr viel, //mhm// nur halt über Konzerte oder, sonst wo, und die sind dann ( ), //lacht// schön. //((lacht)), mmh// Aber ich hab jetzt son, der, em, wir e-mailen uns immer, Charles heißt der, das ist auchn Fan von Melissa, der ist wohl ganz witzig, der kommt auch aus Kalifornien, //mhm, mhm// schreib ich immer e-mails, (1) ist immer lustig Mmh, aber jetzt so, über ihre Lebensweise hast du dann nicht so viel rausgekriegt ? Naja, das, das, will man dann ja auch gar nicht wissen, mh ich meine, (1) das, ist ihr Privatleben, //mmh// ( )wo denn, irgendwo in Kalifornien wohnt die. Aber, das interessiert mich gar nicht wo die wohnt, oder, //mmh// /die soll aber mal nach Deutschland kommen./ ((lachend)) ((lacht)) Aber, also wenn ich das richtig verstanden habe, dann war das, jetzt als du Fan von den Spice Girls warst schon, wichtig jetzt für dich zu wissen wie die leben. Ja, wie die leben schon. Aber, ich weiß nicht da, war das noch irgendwie anders. (1) da war man so neugierig, /weiß nicht,/ ((lachend)) das hat sich glaub ich gelegt. //mhm, mhm// Weil da wollte man ja alles darüber wissen und das ist jetzt, nicht mehr so der Fall.
Da die Rocksängerin nicht zu den Stars gehört, über deren Leben regelmäßig in deutschen Jugendzeitschriften berichtet wird, hat Tanja nicht viel über sie erfahren, was sie zunächst als „Problem“ bezeichnet. Wie zu ihrer Zeit als SPICE GIRLS-Fan unterscheidet sich ihr Musikgeschmack noch immer von dem ihrer Peer-Group, welcher Melissa Etheridge sogar gänzlich unbekannt ist, stattdessen hat Tanja über Internet Kontakt zu einer globalen Fan-Kultur. Auf diese Weise kommt es zu einem intergenerationellen e-mail-Austausch mit dem kalifornischen Melissa-Fan Charles („der ist schon was älter“), den sie im Folgenden genauer beschreibt, bis die Interviewerin erneut auf ihre Kenntnisse über das Leben der Künstlerin zu sprechen kommt. Im Unterschied zu vorher distanziert sich Tanja nun von jeglichem Interesse an deren Privatleben und präsentiert sich als reine Musikkonsumentin, die lediglich erfahren möchte, wann ein Konzertbesuch möglich ist. Die Unterstellung der
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Interviewerin, sie wolle etwas über die „Lebensweise“ Melissa Etheridges „heraus¿ nden“, weist sie zurück. Zum einen wird in dieser Formulierung ein FanVoyeurismus angedeutet, mit dem sie offenbar nicht identi¿ ziert werden will. Andererseits spielt die Wortwahl „Lebensweise“ implizit auf den – auch in der ‚Storyteller‘-Sendung thematisierten – Umstand an, dass Melissa Etheridge zu den wenigen prominenten Musikerinnen gehört, die offen lesbisch leben. Einen Fan-Voyeurismus in Bezug auf das Privatleben von Stars verweist Tanja im Folgenden in eine abgeschlossene Lebensphase. Es lässt sich vermuten, dass ihr an dieser Stelle demonstriertes Desinteresse sich auch gegen die implizite Unterstellung eines Voyeurismus in Bezug auf die Homosexualität der Künstlerin richtet. Obwohl Melissa Etheridge ihre Musik in der ‚Storyteller‘-Sendung stark mit der Erfahrung von Liebe, Begehren und auch homosexuellem Begehren in Verbindung bringt, spart Tanja diesen Themenkomplex in ihrer Beschreibung der Sendung vollkommen aus. Das Wissen über die „Lebensweise“ der Sängerin gehört in diesem Sinne nicht nur deren, sondern auch Tanjas Privatleben an. Da das Thema Homosexualität in dieser Passage sowohl von der Interviewerin als auch von Tanja auf einer unexplizierten, verdeckten Ebene verhandelt wird, bleibt dessen Stellenwert bei Tanjas Interesse für Melissa Etheridge letztlich offen. Der eigene Sonderstatus im Ort und in der Schule Angesprochen auf ihre im Brief formulierte Aussage, sie habe sich, inspiriert von den SPICE GIRLS piercen lassen, beschreibt Tanja diesen Akt als bewusst gewählten Versuch, ihre Umgebung zu schockieren. Tanja:
I.: Tanja: I.: Tanja:
das hat mir dann doch gefallen, gefällt mir wohl. (1) Aber die Leute haben sich da mittlerweile dran gewöhnt, also ist schon, langweilig. //mmh// Aber ich bin letztens mal so voll spießermäßig zur Schule gegangen, da ham die auch doof geguckt. //((lacht))// Das war auch cool. /Wie siehst du denn aus ?/ ((imitierend)) Wieso (1) sieht doch schön aus. So, Hose mit /Bügelfalte/ ((lachend)) und Pullunder und Hemdchen ( ). //mhm// (2) Aber die Leute die kann man echt gut schocken //mhm// (3) /doch/ ((leise)) son konservatives Dörfchen, da hat man echt, viel Spaß //((lacht))//. (1) Ähm, hat das, wie ist das überhaupt für dich (1) in som, in som konservativen Ort zu wohnen ? Äh, das ist voll scheiße eigentlich //mmh// obwohl es viel Spaß macht aber, so /langweilig/ ((lachend)) Langweilig, ehe. (6) Aber was mir, was mir, hier gefällt im Gegensatz zur Großstadt, die Leute haben hier echt noch Zeit. //mhm// Und ich bin auch so lahm ( )
176 I.: Tanja:
Teil B: Die empirische Untersuchung ((lacht laut)) Und hast du so das Gefühl, dass du jetzt total ausm Rahmen fällst ? (1) Also nicht so ganz extrem aber doch schon, //mhm// aber das macht nix.
Wie zu Beginn des Interviews zeigt Tanja verschiedene Möglichkeiten auf, die Alltagsnormalität spielerisch zu parodieren: Hierbei gilt es auch, einen Gewöhnungseffekt in Bezug auf schockierende Selbstinszenierungen miteinzukalkulieren und das Mittel der Parodie bestimmter Konventionen durch deren Übererfüllung einzusetzen. Im Unterschied zu Bianca und Julia beschreibt Tanja ein aktionistisches Experimentieren mit Selbstinszenierungsmöglichkeiten nicht als Weg, um ihren eigenen Stil herauszu¿nden, sondern als spielerische Abgrenzung von normativen Erwartungen. Mit dem Mittel der Dekontextualisierung und Neuordnung vorhandener Bedeutungen greift sie hierbei auf ein klassisches jugendkulturelles Mittel der Revolte zurück: Bereits im Punk wurden vertraute Alltagsgegenstände wie Sicherheitsnadeln einer Umdeutung unterzogen und die feministische Jugendbewegung der ‚Riot Grrrls‘ parodierte die Zuschreibung, Mädchen seien besonders harmlos und niedlich, indem sie brave Zöpfe mit Springerstiefeln kombinierte.95 Derartige Subversionen von Erwartungen an ihre Art der Inszenierung beschreibt Tanja keineswegs als wütende Rebellion, sondern vielmehr als Quelle der Belustigung. Dementsprechend ist auch das Leben in einem konservativen Ort (der an dieser Stelle zum „Dorf“ schrumpft) ambivalent besetzt: Zwar emp¿ndet Tanja die festgefahrenen Strukturen ihrer Umgebung als langweilig, gleichzeitig bieten diese ihr ideale Bedingungen für jene Gesten der ironischen Distanzierung, die ihr so viel Spaß machen. Mit ihrem Hinweis auf die eigene „Lahmheit“, die sie dann doch eher mit den „Dorf“-BewohnerInnen als mit den hektischen GroßstädterInnen verbindet, verdeutlicht Tanja schließlich, dass ihr Spott gegenüber dem Herkunftsmilieu durchaus auch die eigene Person miteinbeziehen kann. In diesem Sinne emp¿ndet sie ihre besondere Rolle auch nicht als „extrem“ und erst recht nicht als unangenehm: Trotz aller Distanzierungen von ihrer Umgebung gehört sie dieser letztlich doch an und fühlt sich keineswegs als isolierte Außenseiterin. Die Interviewerin erfragt nun, ob Tanjas Freundinnen ebenfalls durch ein auffälliges Äußeres versuchen, ihre Umgebung zu schockieren, was sie verneint. Angesprochen auf ihre Eltern verweist Tanja auf deren Toleranz: Sie habe wohl Glück gehabt mit ihnen, die auch ihren Plan, Kunst zu studieren, ebenso unterstützten wie ihre Brüder und ihr Kunstlehrer. Tanja:
95
Meine erste Federzeichnung, em, da stand er vor mir, der stand die ganze Stunde vor mir, der hat mir zugeguckt. /Mein Goott, oh, mein Goott/ ((imitierend))
Zu den ‚Riot Grrrls‘ vgl. auch B 2.
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I.: Tanja: I.: Tanja:
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//((lacht laut)) echt ?// Das war mir dann am Ende der Stunde so peinlich, da hab ich ( ) immer wieder kam der an. /Dafür kriegst du fünfzehn Punkte von mir, das hängen wir gleich auf./ ((imitierend)) /Es ist doch noch gar nicht fertig./ ((leise, raunend)) //((lacht))// Es hängt jetzt aber glaub ich irgendwo. Aber das sieht, /voll psychopathisch aus,/ ((lachend)) wenn man das sieht denkt man wirklich, das hat jemand gemalt der voll /krank ist/ ((lachend)) Echt ? Ja, hab ich sogar selber gedacht. Wie s-, wie siehtn das aus ? Das ist so, so, n Engel der steht am Abgrund und, dahinter ist auch noch so, dahinter ist noch sone Wand, da ist auch son Abgrund, und, dann hängen da Köpfe und so ( ), voll gruseliges Bild. Aber das, das ist gut, ich ¿nd das gut. Und dann hab ich nochn anderes Bild gemalt, da mussten wir Portraits von uns selber malen, er hat Fotos von uns gemacht und die mussten wir dann, ehm, zeichnen, mit, Buntstiften. Ja. Das hat er glaub ich /auch ausgehängt./ ((lachend)) //mhm// Das fand ich aber nicht gut dass der das ausgehängt hat weil da erkennt man mich drauf. //Mhm.// Aber das schärfste war ja noch, em, kurz, bevor er die Fotos gemacht hat, wollt ich mir die Haare entfärben ich hatte schwarze Haare, gefärbt, ich hab normalerweise blonde Haare. /Und/ ((lachend)) das ist doch so in die Hose gegangen, ich hatte so lange Haare, die Spitzen waren schwarz, dann kam rot und dann kam gelb. //((lacht))// Ich sah aus wie ne Deutschlandfahne. //((lacht laut))// So bin ich dann, hab ich mich dann noch getraut nach draußen obwohl ich das nicht toll fand. Aber die meisten Leuten fanden das eigentlich wohl cool, das hat mich eigentlich gewundert. // ((lacht))// Jetzt hab ich wieder tausend Spitznamen, Volcano, Flagge oder sowas.
In Tanjas ausführlicher Beschreibung der euphorischen Reaktion des Kunstlehrers auf ihre erste Federzeichnung schwingt ihr Stolz auf das Lob mit, wenn auch die ihr somit zugewiesene exponierte Position gegenüber den anderen in der Klasse gleichzeitig mit einem Gefühl der Peinlichkeit einherging. Sie nimmt auch in dieser Passage jedoch letztlich wieder eine ironisch-distanzierte Haltung gegenüber dem Erzählten ein, indem sie schließlich bemerkt, sie vermute, dass das Bild nun „irgendwo“ hänge. Ihre lachend vorgetragene Charakterisierung des eigenen Bildes als „voll psychopathisch“ deutet schließlich wieder auf den bereits zu Beginn des Interviews angesprochenen negativen Gegenhorizont der psychischen Krankheit hin. Das apokalyptische Szenario eines Engels am Abgrund wird hier zur Metapher für die gefährlichen Abgründe, die sich auftun können, wenn die spielerische Distanz zur Normalität zu weit geht: Wahnsinn wird dann zum Ernstfall, lässt sich nicht mehr als Mittel zum Zweck rechtfertigen und wird als therapiebedürftige Krankheit eingeordnet.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Wenn ihr Werk sie auch selbst erschreckt, so steht Tanja doch zu diesem und schätzt es. Ihre folgende Erzählung der künstlerisch festgehaltenen und ebenfalls ausgestellten ungewöhnlichen Haarfarbe kann schließlich belegen, dass ihr eigener Sonderstatus sozial akzeptiert und eben nicht von sozialer Isolation und Pathologisierung bedroht ist: Die meisten fanden ihr Aussehen „cool“ und wussten es mit der Er¿ ndung neuer Spitznamen ebenso wohlwollend wie spöttisch zu würdigen. Kinder versus Karriere Am Ende des Interviews spricht die Interviewerin die aktuelle Entwicklung bei den SPICE GIRLS an. I.: Tanja: I.: Tanja: I.: Tanja: I.: Tanja: I.: Tanja:
(2) Wie ¿ndste das eigentlich, dass die zwei da Kinder gekriegt haben ? (1) ((lacht)) Bisschen arschig, so, äh, erst so voll auf Karriere, jaa, Frauenpower und jetzt landen die doch am Herd (1) ((lacht)) echt ? Ist n bisschen albern. ((lacht)) Mmh. Ja, viell-, vielleicht machen se ja dann doch weiter Karriere. Naja, aber, so viel Zeit ham die dann auch nicht mehr. (1) Naja, ham ja genügend Geld, sich n Kindermädchen zu leisten. Ist ja auch doof. (1) Also ich möchte nicht vom Babysitter erzogen werden. ((lacht leise)) ((lacht)) Aber, (1) mh, (1) kann-, kannst du dir denn vorstellen, Kinder zu kriegen ? Ich weiß nicht, irgendwann mal vielleicht. //mh// Ich mag Kinder nicht so. So gaanz Kleine ja, dann, von vier bis sechs auf nicht mehr.
Die Entscheidung zweier SPICE GIRLS-Stars zur Mutterschaft wird von Tanja als Verrat an deren früher vertretener Meinung verstanden, die den entscheidenden Bezugspunkt ihrer Begeisterung für die Girlgroup darstellte. Das Motto der Band, das sie nun, (womöglich angesichts des neuen Status der Künstlerinnen als Mütter oder weil sie selbst mittlerweile zur Frau wurde) nicht mehr ‚Girl Power‘ sondern ‚Frauenpower‘ nennt, verbindet sie mit einem Einsatz für die eigene Karriere, den sie für unvereinbar mit einer angemessenen Sorge für Kinder hält. Wie für die von Mechtild Oechsle (1989) interviewten jungen Frauen ist für Tanja das Leitbild der ‚selbständigen Frau‘ unvereinbar mit dem Leitbild der ‚guten Mutter‘ (vgl. auch A 3.1). Ihre eigene Lebensplanung, die konkrete beruÀiche Pläne beinhaltet, schließt Kinder zwar nicht kategorisch aus, verlegt die entsprechende Entscheidung jedoch in ein fernes „irgendwann mal“.
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Zusammenfassung: Der Fan-Status als Unterstützung bei Distinktionen und spielerischen Norm-Verhandlungen Das zentrale Element von Tanjas Begeisterung für die SPICE GIRLS ist ihr Interesse an deren Motto ‚Girl Power‘ und hat nur marginal mit der Musik der Band oder auch der Attraktivität der Sängerinnen zu tun. Während sie zur Zeit ihres Fan-Seins das Motto der SPICE GIRLS insbesondere mit der Rebellion gegen Selbstinszenierungs-Normen in Verbindung brachte, beschreibt Tanja ‚Girl Power‘ retrospektiv auch als Ermutigung, einen als „perspektivlos“ geltenden Berufswunsch zu verfolgen und sich als Mädchen nicht in eine Hausfrauenrolle drängen zu lassen, wie sie das bei Nachbarinnen beobachten konnte. Der Widerstand gegen die Konventionen ihrer Umgebung gehört zum festen Bestandteil ihres Selbstbewusstseins: Halb unfreiwillig (wenn der Kunstlehrer ihr „gruseliges“ Bild ausstellt und das Färben ihrer Haare schief geht), halb absichtlich fällt sie immer wieder aus dem Erwartungshorizont ihrer Umgebung heraus. Zusammen mit „Kollegen“ entwickelt sie zahlreiche Strategien, um die Alltagsnormalität zu unterlaufen oder ad absurdum zu führen ohne dass sie hierfür das Vorbild der SPICE GIRLS noch nötig hätte. Alles Abweichen von der Normalität hat per se einen Reiz, ist jedoch auch mit der Drohung verbunden, von den anderen nicht mehr verstanden und pathologisiert zu werden. Gerade die künstlerische Begabung, die ihre Zukunftswünsche strukturiert, ist mit der Gefahr verknüpft, „psychopathische“ Bilder zu produzieren, gleichzeitig nimmt Tanja sich jedoch als integriert in ihr soziales Umfeld war: Im Gegensatz zu Außenstehenden sind ihr die normativen Erwartungen der „Kleinstadt“ vertraut, weshalb sie sich umso besser über sie lustig machen kann, ohne eine soziale Isolation befürchten zu müssen. Sie positioniert sich als liberaler und weltgewandter als die älteren Leute im Ort, ohne sich hierbei einer bestimmten Jugendkultur zuzuordnen: Ihre nunmehr bevorzugte Sängerin Melissa Etheridge ist durchaus kein Jugend-Idol und in ihrer Peer-Group unbekannt und wenn sie sich überhaupt einer Fan-Communitas zugehörig fühlt, dann trifft sie diese im Internet jenseits der Grenzen von Geschlecht, Alter und Nation. Die Girlgroup hat ihre Vorbildfunktion mittlerweile in mehrerer Hinsicht verwirkt: Während die Bandmitglieder früher vermittelten, alle könnten den SPICE GIRL-Status erlangen, inszenieren sie sich nun als arrogante Stars, auch scheint das eigene Motto ihnen nichts mehr zu bedeuten, was sich unter anderem darin zeigt, dass zwei von ihnen nun Kinder bekommen haben und somit „am Herd gelandet“ sind. Auf die Zeit als SPICE GIRLS-Fan blickt Tanja jedoch ohne Gefühle der Peinlichkeit und Reue zurück: Ihre Meinung, die damals so wichtig war für ihr Fan-Engagement, hat sich nicht geändert und sie nimmt Veränderungen eher bei der Band als bei sich selbst wahr.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Tanja, die etwa zwei Jahre älter war als Bianca, Antje und Julia, als sie Fan der SPICE GIRLS wurde, schildert ihr damaliges Engagement in mehrerer Hinsicht deutlich anders als die jüngeren Mädchen: Während diese alle drei ihre Fan-Kultur im Kontext des Überganges von der Kindheit zur Jugend thematisieren, ist diese Schwellenphase für Tanja kein Thema mehr: Die Kindheit liegt längst hinter ihr und ihr Blick in die Zukunft wendet sich bereits dem Berufsleben zu. Ihre Auseinandersetzung mit der Band weist wesentlich weniger aktionistische und mimetische Elemente auf als die der jüngeren Mädchen und ihr Umgang mit normativen Anforderungen erfolgt selbstbewusster. In diesem Sinne wird sie vor dem Hintergrund eines Interesses der von den SPICE GIRLS vertretenen Meinung zum Fan und nicht etwa auf der Basis von Suchbewegungen, die sich im Schutze einer Peer-Kultur dem neuen Status annähern. Im Vergleich zu den körperlichen und kollektiven (teilweise efferveszenten) Aspekten ihrer Fan-Kultur erscheint Tanjas Zugang zur Band eher wie eine individuelle und reÀexive Fan-Leidenschaft: Diese dient ihr zur Distinktion von ihrer Peer-Group und sie setzt sich insbesondere mit der ‚Message‘ der Girlgroup auseinander. Im Bereich ihrer Orientierungen weisen Tanjas Aussagen jedoch auch viele Ähnlichkeiten insbesondere zu den Schilderungen Biancas und Julias auf: Wie Bianca bewundert sie die Individualität der SPICE GIRLS und setzt sich stark mit der Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit auseinander, die sie tendenziell von den normativen Erwartungen ihrer Umgebung bedroht sieht. Beide Mädchen betonen die Vorbildfunktion der SPICE GIRLS als Mädchen und ihre Orientierung am eigenen Geschlecht. Schließlich setzt sich Tanja ebenso wie Julia im Zuge ihres Fan-Seins mit geschlechtsspezi¿schen Rollenzuweisungen auseinander. Während Julia die Boygroup nutzt, um sich mit den Gefahren und Versprechungen zu beschäftigen, die für Frauen mit der heterosexuellen Liebe verbunden sind, versteht Tanja die SPICE GIRLS als Symbol für eine weibliche Autonomie jenseits von Heim und Herd. Eine Annäherung an Erotik und die erste Liebe wie sie Antje und Julia im Zusammenhang mit ihrer Boygroup-Begeisterung schildern, deutet sich im Interview mit Tanja nur sehr verdeckt im Zusammenhang mit ihrem Interesse für Melissa Etheridge an: In ihrer Schilderung des begehrlichen Blicks auf Unerreichbares hinter einem Fenster im Song „Watching You“ lässt sich das für Antje so zentrale Motiv der verhinderten Wunscherfüllung ahnen. Inwiefern dieses Wünschen auch für Tanja (wie für Melissa Etheridge) mit einem erotischen oder auch homoerotischen Begehren verbunden ist, muss offen bleiben. Jedoch geht für sie, ebenso wie für die jüngeren Mädchen, ihr Fan-Sein offensichtlich mit einer intensiven Auseinandersetzung mit normativen Identitätsanforderungen und insbesondere auch mit Geschlechter-Normen einher. In ihrem spielerischen Umgang mit den Normalitätsvorstellungen ihrer Umgebung ist Tanja jedoch wesentlich selbstbewusster als die jüngeren Interview-
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partnerinnen. Obwohl ein zu verrücktes Verhalten auch für sie mit der Drohung der sozialen Isolation und Pathologisierung verbunden ist, besetzt sie ein aktionistisches Umgehen, Überschreiten und Ironisieren bestimmter normativer Erwartungen positiv und lustvoll. Sie parodiert die heterosexuelle Matrix, indem sie ein Schwärmen für männliche Stars als falsche sexuelle Orientierung verspottet. Dieses Selbstbewusstsein lässt sich sicherlich nicht nur mit Tanjas Altersvorsprung gegenüber den jüngeren Mädchen erklären, das gute Verhältnis zu den Eltern mag hier ebenso eine Rolle spielen wie der Umstand, dass ihr unkonventionelles Verhalten offenbar bisher ihre soziale Eingebundenheit nicht in Frage stellen konnte. Auch gewährt ihr der spielerischere, ironische Umgang mit Normüberschreitungen womöglich eine Art Narrenfreiheit, da sie sich allen Festlegungen entzieht und somit weniger angreifbar ist. Nicole, 17 Jahre: „wenn ich sie will dann krieg ich sie“ Nicole wohnte zum Zeitpunkt des Interviews seit drei Monaten in einer betreuten Jugend-WG und der Kontakt zu ihr wurde mir von einer Bekannten vermittelt, die dort als Sozialpädagogin arbeitete. Bei einem telefonischen Vorgespräch verabredeten wir, dass das Interview bei ihr Zuhause statt¿nden würde. Als ich in der WG ankam, führte mich Nicole in ihr Zimmer, wo ich sogleich einen Kalender ihrer bevorzugten Band THE BOYZ entdeckte sowie eine Fotocollage mit Bildern von Freundinnen und von den Bandmitgliedern. Nicole erwähnte, dass in ihrem alten Zimmer THE BOYZ-Poster an allen Wänden hingen, es ihr jedoch nach dem Umzug nicht mehr angemessen erschien, diese wieder aufzuhängen. Sie war damals 17 Jahre alt und besuchte die zehnte Klasse einer Hauptschule. Als Beruf ihrer Mutter gab sie im Fragebogen „Putzfrau“ an, das Feld „Beruf des Vaters“ ließ sie frei. Falldarstellung Auswahl der Band und Verlauf des Fan-Seins I.:
Nicole:
((lacht)) (1) Okay kannst du mir vielleicht einfach mal erzählen wie dis, dazu gekommen ist damals dass du Fan geworden bist und wie sich dis dann danach entwickelt hat, so bis heute. Okay also es war so, ich hab also zuerst die Single gehört, Round and Round, fand ich schon interessant also aber T-Soul, also einer von der Gruppe, fand ich schon vorher immer ganz gut, also, der ist farbig is halt ähm, was ist er, er
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Teil B: Die empirische Untersuchung ist Libanese halt, okay ich fand ihn gut, hab mir so immer dis Video angeguckt hab andere, Interviews von denen angeguckt, naja hab gesagt nee die sind noch nicht so gut. Erst ein Lied raus, hörn wa weiter. Kam Let Me Show You the Way, war son, son Schnulzenlied. Ich dachte nee hört sich aunich gut an. Aber sind schon mal interessant, guck ich mir an, hör ich mir an, okay erste Autogrammstunde von denen, war ich auch da, hab ich gesagt ey die sind gut also gefallen mir richtig okay, ha- hab ich mit denen son bisschen geredet, hab ich Kane und so alle andern kennen gelernt, hab ich gesagt die Gruppe ist cool, die gefällt mir, so dann kam One Minute halt raus und dann hab ich gesagt ey jetzt bin ich richtiger Fan, hab auch jeden Schnipsel so gesammelt, war ganz interessant. Und auch so und auf einmal, da hab ich meine Freundin noch angesteckt, denn hat sie gesagt nee T-Soul sieht nicht gut aus. Hab ich gesagt jaa aber die andern guck dir mal den an dann hat sich Kane die Haare blond gefärbt, und dann sie gesagt doch Kane sieht voll geil aus. Und dann ham wa gesagt okay wir sind auch Fan ham ham sie halt öfters getroffen ham Adressen rausgefunden Telefonnummern und so, sind wer halt zu denen immer nach Hause gegangen ham sie immer öfters getroffen immer öfters kennen gelernt, warn richtiger Fan haben jeden Schnipsel gesammelt und so, ist es eigentlich entstanden und jetzt bin ich seit, anderthalb Jahre (1) gut so, fast zwei Jahre Fan von denen. //mhm, mhm// Und dis is halt eigentlich so, dis is immer meine, Begleiterscheinung so. Wenn ich sie will dann krieg ich sie ((kurzes Lachen)) und wenn ich nicht will dann- dis is auch solange ich kei- also so richtiger Fan bin ich erst geworden so, son Jahr ungefähr so weil ich sie dann öfters getroffen habe und so. Das macht mehr Spaß und so weil sie sehen nur so vom Fernsehen, dis ist langweilig. (1) //mmh, mmh// Ja und dann ham wir halt Adressen rausgefunden und dann so gehen wir jetzt öfters zu denen hin und so.
Nicoles Entwicklung zum Fan vollzog sich auf der Basis eines kritischen Auswahlprozesses. Sie präsentiert sich hier als erfahrene Popmusikkonsumentin, die ihr Urteil erst nach einer strengen Überprüfung bestimmter Kriterien fällt. Grundlage ihrer Entscheidung, Fan der Boygroup THE BOYZ zu werden, waren die Qualität von deren Songs, die Attraktivität des Bandmitgliedes T-Soul, die sie an dessen Hautfarbe festmacht sowie ihr Eindruck von der „Coolness“ der Musiker bei der face-to-face-Begegnung während einer Autogrammstunde. In ihrer Beschreibung der anschließenden Sammelpraktik deutet sich zwar eine auch in anderen Interviews angesprochene „Besessenheit“ an, gleichzeitig charakterisiert sie diese als Interesse und nicht etwa als Leidenschaft. Ähnlich ambivalent beschreibt sie den Einstieg ihrer Freundin in die Fan-Kultur: Diese wurde zwar von Nicole „angesteckt“, worin sich andeutet, dass das Fan-Sein sie unabhängig von ihren eigenen Entscheidungen krankheitsgleich überwältigte, jedoch hatte
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auch sie eine überaus kritische Perspektive auf die Bandmitglieder und erst die Modi¿ kation von Kanes Äußerem konnte sie zu einer Identi¿zierung mit dem Fan-Status bewegen. Die Entwicklung zum Fan hat zwar leidenschaftliche Anteile, ist jedoch in erster Linie das Ergebnis einer KonsumentInnenkompetenz. Angesichts des prüfenden Blicks ihres potenziellen Publikums sind die Bands gefordert, dessen verschiedenen geschmacklichen Präferenzen gerecht zu werden und diesen gegebenenfalls auch mittels Variationen ihrer Selbstinszenierung entgegen zu kommen. Insbesondere Haut- und Haarfarbe gelten hierbei als signi¿kante Attraktivitäts-Marker. In ihrem Fan-Interesse an der Band betrachtet Nicole sich dementsprechend keineswegs als Rezipientin bestimmter medial vermittelter Star-Aktivitäten, sondern vielmehr als bedeutenden Part einer Fan-Star-Interaktion. Ähnlich wie im Interview mit Antje verschränken sich in ihrer Beschreibung der Beziehung zu den Bandmitgliedern Diskurse, die zwischenmenschliche Interaktionen bezeichnen, mit Diskursen aus dem Bereich von Kommerz und Konsum: Die Stars sind als Konsumobjekte Objekte des Begehrens („voll geil“) und werden zugleich als Gegenüber einer Interaktion betrachtet. Die interaktive Dimension von Nicoles Beziehung zu den Stars manifestiert sich jedoch nicht lediglich in deren Abhängigkeit vom Wohlwollen der Fans sondern auch in konkreten Begegnungen, die Nicole als Gelegenheit beschreibt, diese kennen zu lernen. Der Vorgang des „Kennenlernens“ ¿ndet offenbar nicht beidseitig statt, gleichzeitig ist er in sich unabgeschlossen und kann wiederholt werden („immer öfters kennen gelernt“). Während Nicole zunächst die von ihr und der Freundin verfolgte Praktik des an Quantität orientierten Sammelns von „jedem Schnipsel“ als Charakteristikum für ihren Status als „richtige Fans“ anführt, korrigiert sie sich anschließend und betrachtet nun ihre persönlichen Begegnungen mit der Gruppe als Voraussetzung für diesen Status: Eben die interaktive Ebene macht Spaß beim Fan-Sein und nicht die einseitige Betrachtung einer medialen Repräsentation. In diesem Sinne ist Nicole seit zwei Jahren Fan, jedoch erst seit einem Jahr richtiger Fan. Das Fan-Sein beschreibt sie als Spaß und auch als „Begleiterscheinung“: Sie weist diesem somit einen stabilen, jedoch auch beschränkten Stellenwert in ihrem Leben zu und verdeutlicht, dass die Begegnungen mit den Stars, die sie gemeinsam mit ihrer Freundin durchaus engagiert verfolgt, zwar wichtig für sie sind, es jedoch auch andere Prioritäten in ihrem Leben gibt. Als zentralen Aspekt ihrer Interaktion mit den Bandmitgliedern benennt sie ferner die eigene Machtposition. Sie kann jederzeit entscheiden, wann sie diese treffen möchte und wann nicht. Beim Prozess des Kennenlernens kommt ihr der aktive Part zu, sie kann ihn ihren eigenen Bedürfnissen gemäß steuern und sie ist vor Anforderungen der anderen Seite sicher.
184 Nicole:
Teil B: Die empirische Untersuchung (1) Macht halt Spaß so mit denen. Weil die sind nicht so, die andern so Boygroups sind so gestellt so, die müssen alles sagen und alles anziehen was der Manager sagt und die sind halt nicht so die sind halt, denen ist es scheißegal was der Manager sagt die machen trotzdem ihr eigenes Ding. (…) Und weil sie halt aus Berlin kommen. //Ja// Dis is es eigentlich so, dis Wichtigste so, gewesen so, hab ich gesagt jetzt endlich mal ne Boygroup aus Berlin und seitdem, weil ich mich gut mit denen- weil die- manche gehen auf ne Hauptschule, einer ist zumindest auf ne Hauptschule gegangen, die andern sind Real gut zwei sind aufm Gymnasium aber, gewesen, trotzdem ham se Scheiße gebaut und /so/ ((lachend)). Sie sind richtige Berliner sagen wers so. (…) Stephane spielt ähm (1) was war dis ? Der spielt Key- em Schlagzeug, die andern weiß ich gar nicht was die spielen aber auf jeden Fall spielen se alle n Instrument und dis is auch sehr wichtig.//Mh.// Seh ma-, sieht man dass die sich mit Musik beschäftigen, //ja, mhm// und nich nur so Musik machen, da, weil se Geld verdienen wollen weils es ihnen Spaß macht. (3) /Und dis is dis Wichtigste jetzt halt gewesen.
Nicole erwartet (wie auch Tanja) von Bandmitgliedern, dass sie sich die Position von Stars eigenständig erarbeitet haben und nicht etwa in fertige Marketingkonzepte einfügten. THE BOYZ quali¿zieren sich in ihren Augen darüber hinaus über ihre Zugehörigkeit zur Gruppe „richtiger Berliner“. Ebenso wie Tanja an Melissa Etheridge schätzt, dass diese in ihrer Selbstdarstellung wie eine besonders vertraute und nahestehende Person erscheint, ist ein besonderer Vorteil von THE BOYZ in Nicoles Augen, dass sie der eigenen Peer-Group entstammen könnten. Diejenigen aus der Band, die als Gymnasiasten einem anderen Bildungsmilieu angehören, haben sich durch ein jugendttypisches ,über die Stränge schlagen‘ dennoch als dem vertrauten Umfeld zugehörig beweisen können. In diesem Sinne sind sie auch im richtigen Leben verwurzelt und nicht nur in einer fernen Star-Welt, was sich auch künstlerisch niederschlägt: Die selbstgetexteten Lieder sind durchaus nicht nur klischeehafte „Schnulzen“. Des Weiteren quali¿ziert ihre Kenntnis verschiedener Instrumente sie als richtige Künstler, deren Engagement aus ihrem Spaß an der Musik resultiert und nicht aus der Motivation, Geld zu verdienen. In dieser Beschreibung verdichten sich die Nähe der Stars zum Erfahrungsraum der Fans sowie deren Fähigkeit und Motivation, diesen Erfahrungen künstlerischen Ausdruck zu verleihen, zum positiven Gegenhorizont. Wie sich in der folgenden Passage zeigt, ist eine weitere wichtige Komponente dieser positiven Eigenschaften die Fähigkeit der Musiker, ihre Beziehung zu den Fans ernst zu nehmen. Nicole:
(2) Dis wars eigentlich so, darum bin ich Fan, von denen./ ((leise)) Und weil se halt cool und locker sind also mit den Fans umgehen also nicht so- /nee wir
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müssen- dürfen das jetzt nicht machen,/ ((imitierend)) auch wenn der Manager halt sagt also, das war einmal da, vorm Tonstudio war halt sone Szene, der Manager, Frank, der ist son, Ekelpaket also ich kann den nicht leiden also wirklich, dis Letzte vom Letzten ¿nd ich, und er sagt so nee ihr dürft keine Autogramme mehr geben und da sagen, eigentlich The Boyz, is uns doch egal, wir bleiben trotzdem noch hier stehen und geben Autogramme und so. (…) /Deswegen, bin ich Fan/ ((leise)). (1) Hat zwar jetze dann so in der Zeit hier jetzt son bisschen abgenommen aber ich werd wieder dran knabbern und, versuchen sie öfters wieder zu treffen und so, weil hier ist ja viel los gewesen in den drei Monaten wo ich hierher gezogen bin, aber jetzt werd ich wieder alles in Angriff nehmen mit meiner Freundin und werd werden wieder sie öfters versuchen zu treffen und so. //ja mhm// Und wieder öfters raus¿nden wann sie in Berlin sind, wann se, wann se tanzen gehen wann se im Tonstudio sind und so. //mmh// Und denn auch, wenn se auf Tour kommen, ge- geh ich auf verschiedene Konzerten von denen, und so. Wenn se jetzt in Hamburg n Konzert geben versuch ich nach Hamburg zu fahren wenn se in München geben und so. Versuch denen nen bisschen hinterher zu fahren, wenn dis Kleingeld auch stimmt //mhm, mhm// also jetzt nicht so, einfach dahintrampen nur weil ich, weil die da sind, ich will auch schon Geld haben und auch so //mmh/ einfach sie sehen. //Mhm mh.//(9)/ Was soll ich noch sagen ? Mehr fällt mir gar nicht ein ( )/((leise)).(1)
Der Manager der Band übernimmt in Nicoles Beschreibung vorrangig die Rolle, intensivere Kontakte zwischen den Stars und den Fans zu verhindern. Letztere werden in diesem Sinne nicht als bedeutende InteraktionspartnerInnen der Bandmitglieder ernst genommen, sondern lediglich als Störfaktor betrachtet, der sie von wichtigeren Aufgaben abhält. In Nicoles massiver Abneigung und Verachtung des Managers manifestiert sich, welche Bedeutung sie der Anerkennung der eigenen Position in ihrer Beziehung zu den Stars beimisst. Dank der Akte der Zuwendung von THE BOYZ zu ihren Fans, die den Manager-Befehlen zum Trotze erfolgen, erweisen sie sich jedoch letztlich des Fan-Engagements als würdig. In Nicoles folgender Beschreibung des Fan-Seins als einer Beschäftigung, die durch andere Ereignisse auch in den Hintergrund rücken kann und dann wieder „in Angriff“ genommen werden muss, charakterisiert sie dieses erneut als eine unter anderen „Begleiterscheinungen“ ihres Lebens. Die Re-Aktivierung des Fan-Engagements erfordert zunächst einige Recherchearbeiten bezüglich des Aufenthaltsortes der Band, den es anschließend aufzusuchen gilt. Nicole betont jedoch, dass diesen Aktivitäten Grenzen der Vernunft gesetzt sind: So schließt sie es von vornherein aus, sich zugunsten eines Treffens mit der Band dem Risiko einer Verschuldung oder auch den Gefahren einer Tramptour auszusetzen.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Erste Fan-Erlebnisse und Wandel in der Haltung gegenüber der Band Im Folgenden bittet die Interviewerin Nicole, ihre erste Begegnung mit der Boygroup genauer zu beschreiben. Nicole:
I.: Nicole:
(…) hab ich sie gesehen, so, wie se reinkommen, war voll gut so wirklich weil völlig geil ( ) sie ham voll die geile Ausstrahlung gehabt so, nicht so öh schon wieder Fans oder so, war einfach, die ham sich gefreut dass halt viele Fans da waren, einfach ganz cool also es war locker also so die Atmosphäre, aber halt die Fans warn n bisschen schlimm, haben den halben Mediamarkt auseinander genommen, dann ham sie die Autogrammstunde zwar abgesagt aber, es war trotzdem ne geile Atmosphäre und so, ham sich voll gefreut irgendwie so. Und deshalb hat hab ich gesagt ey die sind gut und, dis war halt dann der Tag wo Fan, ich richtiger Fan wurde //mhm, mhm//. Das war halt der ausschlaggebende Punkt. Und denn warst du da vorher aufgeregt bevor du dahingegangen bist ? Nee eigentlich nicht weil ich die nicht so gut kannte ich hab gedacht na mal gucken was das für Jungs sind ach //ehh// vielleicht sind dis so Angeber und Machos oder so hab ich //mhm// gesagt okay geh mal hin, und denn, jetzt bin ich aufgeregt wenn ich sie jetzt treffe obwohl ich sie schon öfters paar Mal getroffen habe, aber so, dann ist man aufgeregt weil, ich weiß ja nicht was sagen die jetze einem, erkennen die einen wieder so, sagen sie wie gehts dir oder so, und dis is halt, dann ist man aufgeregt aber so am Anfang, nicht so, also es war //mmh// mir eigentlich egal. //((Mmh, mh)).// Aber jetzt ist man aufgeregt was sagen sie, sagen sie, was hat sie für Klamotten an oder, sagen die irgendwas, ich weiß nicht ha- äh da hast nen Fleck oder so, und denn ist man aufgeregt // ((lacht))// ob man nicht gut genug ist (…). Man muss sich schon ausgefallen anziehen, wenn man Fan ist von den Jungs. Weil sonst achten die gar nicht drauf wenn man so normal rumläuft wie die alle andern dann, ist es scheiße. //Ja.// Und denn, deshalb, deshalb zieh ich mich n bisschen ausgeÀippter mit meiner Freundin immer an. Sie läuft immer schlicht rum und Nicole läuft immer ausgeÀippt rum und denn, //mh ((lacht))// dann sehen se uns schon, dann sagen die ja guck mal die und die also dis is ganz lustig eigentlich so. //Mhm, mhm.// So wie bei NRJ da hat ich halt so ganz viele verschiedene Klammern auf dem Punkt hier in der Mitte, und ( ) hatt ich was hatt ichn da noch, nen paar auffällige Sachen da ham se uns auch angeguckt und dann hat man sofort gemerkt ey die gucken auf uns und nicht auf jemand anders. (…) Is halt wichtig weil sonst, ver- verlierst, wirst du nicht gesehen in ner Masse weil, sind immer sone viele Fans, und die sehen alle gleich aus und wenn de denn mal was ausgeÀipptes zum Beispiel ne grüne Haarspange oder so drin hast ( ) gucken se auch hin oder so oder was Glitzerndes oder //mh// so. Ist schon wichtig. //mhh, mh// Oder
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die gleichen Klamotten wie die denn, dann sehen se ah guck mal die ¿ndet dis auch genau dis gleiche gut wie du oder so.
Die Attraktivität der Boygroup für Nicole ist in deren Reaktion auf ihre Fans begründet: Obwohl letztere sich bei der Autogrammstunde rücksichtslos und aggressiv verhielten, reagierten die Bandmitglieder nicht verärgert oder nervös, sondern bewahrten Ruhe und freuten sich offensichtlich über diese Begegnung. Diese Geste der Anerkennung ihrer Fans löste bei Nicole große Sympathien für THE BOYZ aus (in der häu¿gen Verwendung des Wortes „geil“ deutet sich darüber hinaus eine Erotisierung dieser Szene an) und veranlasste sie, sich im Folgenden auch als Fan zu betrachten. Sie erläutert nun, wie ihre Gefühle in Bezug auf Begegnungen mit der Band sich im Laufe der Zeit veränderten. Während sie zunächst eine distanzierte und kritische Beobachterin der Stars war, ist sie als Fan in der Position, ihrerseits von diesen gesehen zu werden. Hieraus resultieren etliche Unsicherheiten gegenüber der zu erwartenden Reaktion der Bandmitglieder und gegenüber dem eigenen Äußeren: In ihrem Bestreben „gut genug“ zu sein, will sie beispielsweise vermeiden, durch ein schmutziges Äußeres negativ aufzufallen. Ebenso wichtig ist es jedoch, überhaupt von den Stars wahrgenommen zu werden und nicht in der Masse der Fans unterzugehen. In diesem Sinne bemüht sich Nicole weniger um ein attraktives als eben um ein auffälliges Äußeres bei ihren Treffen mit den Bandmitgliedern, denn nur so ist es möglich eine Sicherheit darüber zu erlangen, dass deren Aufmerksamkeit ihr und niemandem sonst gilt. Da sie üblicherweise zusammen mit ihrer Freundin erscheint, kann auch diese von Nicoles ausgefallenem Auftreten pro¿tieren, das sie ihrerseits durch ihr eigenes, eher schlichtes Äußeres noch unterstreicht. In dieser Passage zeigt sich aufs Neue, wie wichtig es Nicole ist, dass ihre Beziehung zu den Stars sich interaktiv gestaltet: Sie will diese nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden, angesprochen werden und Interesse wecken. Ihre Übernahme des Kleidungsstiles der Bandmitglieder ist in diesem Sinne ganz anders zu interpretieren als die mimetischen Akte der jüngeren Mädchen. Nicole geht es nicht um das Austesten bestimmter Selbstinszenierungsmöglichkeiten auf der Suche nach einem eigenen Stil oder einem attraktiven Äußeren, sondern auch hier insbesondere darum, eine Interaktion mit den Stars in die Wege zu leiten. Ihre Übernahme der Star-Kleidung steht nicht im Dienste einer Anähnlichung an deren Geschmack, vielmehr sucht sie vorzugeben, dass sie diesen bereits hat (es handelt sich insofern keineswegs um einen mimetischen Akt). Im Anschluss an das Schlüsselerlebnis der Autogrammstunde ging Nicole mit zunehmender Intensität verschiedenen Fan-Praktiken nach:
188 Nicole:
Teil B: Die empirische Untersuchung und denn, hat sich das eig- eigentlich so entwickelt und denn, wurd=es halt immer schlimmer ich hab mir denn, so Zeitungen gekauft, versucht Fotos von denen zu bekommen, dann hab ich auch Fotos gemacht, und so. Und so wurd=ich dann halt richtiger Fan und, hab halt alle andern Sachen so was, so nebensächlich war auch Schule hat n bisschen drunter gelitten sagt meine Mutter aber was ich gar nicht so fande, weil ich halt immer am Wochenende irgendwie so, wenn The Boyz irgendwie da und da waren, war Nicole auch da und da, //mhm// und meine Mutter fand dis halt nicht so gut aber, trotzdem hab ich dis halt gemacht, die Zeitungen, sehr viel Geld is drauf gegangen
Während Nicole mittlerweile darauf achtet, dass ihre Aktivitäten als Fan ihren ¿ nanziellen Möglichkeiten entsprechen, erscheint ihr anfängliches Konsumverhalten aus heutiger Perspektive als „schlimm“. Ähnlich wie Antje und Julia beschreibt sie eine intensive aktionistische Phase des Fan-Seins, die – vor allem durch Einführung der kritischen Perspektive der Mutter – im Nachhinein als übertrieben erscheint. Nicole vollzieht hier jedoch keine klare Distanzierung von dieser Zeit, es bleibt offen, ob sie der Mutter mittlerweile Recht gibt, ihr damaliges Engagement war womöglich schlimm aber dennoch nötig, um den Status eines „richtigen Fans“ zu erlangen. Begegnungen mit anderen Fans und mit den Bandmitgliedern Auf die Frage nach ihren Konzertbesuchen erzählt Nicole, dass sie erst bei wenigen Konzerten war, weil diese so teuer seien und sie nicht ihr ganzes Geld für die Band ausgeben wolle. Auch gehe sie nur zu Konzerten am Wochenende, damit die Schule nicht leide. Sie erklärt darüber hinaus, dass sie am liebsten gemeinsam mit anderen Fans auf Konzerte geht, mit denen sie sich auf diese Weise über die Band austauschen kann. Wie wichtig diese Kontakte mit anderen Fans sind, zeigt sich auch in Nicoles Antwort auf die nächste Frage der Interviewerin. I.: Nicole:
Und hm, woher wisst ihr das dann immer auch mit jetzt so zum Beispiel wo das Tonstudio ist und so, wie kam dis dass ihr dis alles rausgekriegt habt ? Dis, dis kriegt man durch Fans raus. Man hört zu, und ( ) nicht mitbekommen, ( ) /ah da und da gut/ ((geÀüstert)) schreiben wa schnell auf, sind wa hingefahren und denn wars halt auch da (…) die Adressen kriegst de halt auch durch Fans raus und so wenn de gute Kontakte hast zu andern Fans, kriegste de die auch raus oder so man kriegt die halt auch selber raus. Und dis is es halt auch so. Gut eine Adresse wissen wa halt nicht wo Stephane wohnt aber der Rest weiß ich halt wo der wohnt, wenn man guter Fan ist //mmh// dann kriegt man dis eigentlich raus. (…) Also wie gesagt, man kann nicht zu den Fans hingehen und sagen ka- könnt ihr uns sagen wo die sind, nee man muss schon zuhören
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wo die sind und so. //mhm// Auch wenn die dis, die andern Fans dürfen dis halt natürlich nicht mitkriegen aber trotzdem kriegt man raus wo die sind. //Ja verstehe, ehe.// Aber man muss schon raf¿niert sein in dieser /Welt/((lachend)) //mhm, mhm// damit man rauskriegt wo die sind. Aber sonst (1) halt wenn nicht, gehen wa halt zu denen hin zu nach Hause und warten halt vor der Haustür. // mhm, mhm// Und warten also wir warten halt nicht die ganze Nacht wir warten dann halt drei vier Stunden wenn se nicht kommen, denn okay dann gehen wir wieder nach Hause, versuchen den nächsten Tag oder so hinzugehen. Aber wir übernachten da halt jetzt nicht oder so also, wir bleiben da immer fürn paar Stunden und dann gehen wa wieder.
Der Austausch unter Fans dient nicht nur der gegenseitigen Unterhaltung, sondern ist darüber hinaus Voraussetzung, um an wichtige Informationen über die Band zu gelangen. Da diese zwar ständig diskursiv verhandelt, jedoch nicht offen weitergegeben werden, müssen gute Fans sich strategisch verhalten, Gesprächsfetzen aufschnappen und schließlich kombinieren können. Ihr detektivisches Gespür wird in der Regel durch das Erfolgserlebnis belohnt, die Stars dann tatsächlich an den entsprechenden Orten anzutreffen. Gute Fans zeichnen sich also durch Alltagsschläue aus, sie sind ‚street wise‘. Die Gemeinschaft der THE BOYZ-Fans strukturiert sich in dieser Beschreibung sowohl durch eine gegenseitige Abhängigkeit als auch durch ein Konkurrenzverhältnis: Einerseits macht es viel mehr Spaß, die Fan-Events als Gruppe zu besuchen, andererseits gilt es MassenauÀäufe zu vermeiden, weshalb Informationen nur unter der Hand weiter gegeben werden. Wenn Nicole und ihre Freundin trotz allem nicht ermitteln können, wann THE BOYZ wo anzutreffen sind, gibt es immer noch die Möglichkeit, vor ihrer Haustür auf sie zu warten. Auch bei diesen Unternehmungen haben sie eine eigene Taktik entwickelt: Sie versteifen sich nicht darauf, den Stars zu begegnen und warten dort die ganze Nacht, sondern rechnen gleich damit, gegebenenfalls eben später noch einmal wieder kommen zu müssen. In dieser Passage zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es Nicole ist, ihren durchaus intensiv verfolgten Fan-Aktivitäten in einem vernünftigen Rahmen nachzugehen. Der Status des „richtigen Fans“ zeichnet sich nicht etwa durch ein besonders leidenschaftliches Engagement aus, sondern vielmehr durch Cleverness sowie durch die Fähigkeit, die jeweilige Situation realistisch einzuschätzen und unter Umständen viel Geduld aufzubringen. I.: Nicole:
Aber, also ist es dann nicht üblich dann zu klingeln, sondern, ihr wartet einfach vor der Tür ? Ja, also manche Fans machen dis die klingeln da halt Sturm und so, //jaa// was ich voll scheiße ¿nde weil, die Familie kann echt nix dafür, (…) gut mal
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Teil B: Die empirische Untersuchung anrufen ist ok- auch okay aber ich würd da kein Telefonterror machen. Wir rufen vielleicht einmal im Monat bei Kane an oder so, //mmh// weil ich weiß nicht jeden Tag da anrufen würd=ik ooch nicht, also es geht doch einen auf die Nerven. //mmh mh// Wie manche Fans, wenn wir da auch sitzen dann sagen wir immer so klingelt doch nicht, weil dis geht den aufm Geist so, weiß nicht, irgendwann ma- irgendwann, ziehen die um oder so, und dann weißte wieder nichts //ja, ja// dann musste von Neuem anfangen. (…) Gut wenn wa vor der Tür sitzen, dis stresst den bestimmt auch aber. Wir sitzen ja immer n bisschen entfernt also dass er uns nicht sofort sieht, also. Wenn er dann aus der Haustür geht, gehen wa ganz langsam hin aber, dass wir jetzt genau vor der Haustür da sitzen und klucken und warten das machen wa natürlich auch nicht. //Mmh, mhm, mhm.// Wir lassen denen schon n bisschen Freiraum.
Wie in fast allen anderen Interviews auch wird in dieser Passage der negative Gegenhorizont eines distanzlosen, undisziplinierten Fan-Verhaltens thematisiert. Nicole spricht insbesondere diejenigen Fans an, die das Privatleben der Stars nicht respektieren. Diese gehen zwar den gleichen Aktivitäten nach wie Nicole und ihre Freundin auch, jedoch in übertriebener und unangemessener Weise. Sie selbst hat dagegen klare Vorstellungen von den ethischen Grenzen ihrer Kontaktversuche, über die sie die anderen Fans auch aufklärt. Verletzungen der Intimsphäre der Stars und ihrer Familien lehnt sie nicht nur aus Mitleid mit diesen ab, sondern auch, weil sie fürchtet, sie könnten sich ihren Fans langfristig entziehen. (Das distanzlose Verhalten anderer Fans bedroht sie insofern selbst.) Die für Nicole so zentrale Ebene persönlicher Interaktionen mit den Stars erfordert eine komplizierte Gratwanderung, welche es ihr zum einen erlaubt, ihnen so nahe zu kommen, dass ein persönlicher Kontakt möglich wird, ohne gleichzeitig eine Abwehr zu provozieren, indem der Eindruck geweckt wird, Fans seien zu aufdringlich. I.: Nicole:
Und jetzt mit den Jungs selber, redet ihr dann immer n bisschen ? Na, also ich nicht soviel weil ich n bisschen schüchtern bin vor denen. Also es geht eigentlich so, bisschen reden wir bloß. Weil ich will auch nicht die so zutexten. Weil ich denk die denken da wa-, wa- was ist die denn fürn Wasserfall die kann ja sagt ja fast, lässt die auch mich mal zu Wort kommen, es geht eigentlich, wir reden halt nicht so viel. //mmh, mh// Ich will auch nicht soviel mit den reden so. Ich will eher im Hintergrund bleiben weil, ich mag dis nicht so wenn die genau wissen wer ich bin und so. (…) Ich ¿nds lieber interessanter wenn die sagen ey, dich kenn ich ja da und daher und wie gehts dir denn und so. //jaa, ehe// Und wenn se auch nicht meinen Namen kennen, ¿nd ich auch gut. (1) Mich stört dis nicht. (1) Und wenn auch voll viele sagen he ich will mit denen Freunde sein, befreundet sein. Na ach phh will ich gar nicht so sehr. (Is so) die
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ham genug Freunde und da brauchen se mich nicht noch dazu. //mmh, mhm// Ich bleib n Fan und denn, will da halt nix Besonderes. Ich hör nur einfach die Musik ganz gern und treff die ganz gerne mal zwischendurch, //mmh// dis ist eigentlich dis Wichtigste bei mir. //Ja, ehe, ehe.// Dis is halt so dis Denken. (2) Sonst (1) so richtig ke- gut ich will sie auf einer Seite (zwar) sehr gerne kennen lernen aber auf der anderen Seite auch nicht ich weiß nicht. Irgendwie hab ich auch nochn bisschen Respekt vor denen so
Nicole führt verschiedene Gründe an, weshalb sie nicht viel mit den Bandmitgliedern redet. Zum einen ist sie schüchtern und spricht auch ihre bereits erwähnte Angst an, negativ aufzufallen: Auch beim Reden gilt es, Maß zu halten. Andererseits emp¿ndet sie es als vorteilhaft, den Stars nicht allzu vertraut zu sein, denn auf diese Weise kann sie deren Neugier und interessierte Nachfragen provozieren. Sie grenzt sich hier aufs Neue ab von distanzlosen Fans, die den Fan-Status als Vorstufe zu einer Freundschaft begreifen: Nicole ist der Unterschied zwischen diesen beiden Beziehungsformen sehr bewusst und sie gibt sich damit zufrieden, Fan zu sein. In ihrer Bemerkung, sie wolle die Bandmitglieder zwar gerne kennen lernen, gleichzeitig jedoch auch nicht, deutet sich die Paradoxie der Struktur der verhinderten Wunscherfüllung an. Das Streben nach Nähe ist eine der Triebfedern von Nicoles Fan-Engagement, die Vorstellung, diese Nähe könne sich etwa im Sinne einer Freundschaft erfüllen, ist jedoch gleichzeitig ambivalent besetzt. Zum einen wird in dieser Passage deutlich, dass Nicole bestimmte Wünsche auch deshalb nicht zulässt, weil sie sich vor Enttäuschungen schützen möchte: Da die Stars vermutlich keine Freundschaft im Sinn haben, will sie selbst dies vorsorglich auch nicht, sie hat Respekt vor ihnen und fügt sich ihrem antizipierten Willen. Jedoch wäre es meines Erachtens zu voreilig, Nicoles Ablehnung einer Freundschaft mit den Bandmitgliedern lediglich im Sinne des Selbstschutzes zu interpretieren. Sie selbst stellt die eigene fantypische, distanziertere Beziehung zu diesen nicht als Verzicht sondern als positive Entscheidung dar und wie sich den vorherigen Passagen des Interviews entnehmen lässt, bietet diese Beziehungsform ihr auch einige Vorteile: Es liegt ganz in ihrer Hand, wann sie die Band treffen möchte oder nicht, sie kann gemeinsam mit ihrer Freundin ein detektivisches Expertentum und ein geheimes Wissen über „The Boys“ und deren Aufenthaltsorte entwickeln und sich bei den entsprechenden Events auf lustvolle Weise mit den anderen Fans austauschen. Es handelt sich um eine Beziehung, bei der sie aufgrund der stets gewahrten Distanz und durch ihre Einbettung in die Mädchenfreundschaft keine Verletzungen und Kontrollverluste zu fürchten braucht. I.:
Aha. (5) Und, mh was war denn, jetzt so deine, die Begegnung mit denen die dir am allerbesten gefallen hat ?
192 Nicole:
Teil B: Die empirische Untersuchung Was war am allerbesten ? (2) Muss ich echt mal überlegen. (2) Wo wir Kane vor der Haustür getroffen haben. Dis war lustig. Der ist da so rausgekommen aus der Haustür, und wir warn da halt zu sechst oder so und dann kommt der so, und meine eine Freundin so /dis is Kane/ ((geraunt)). Ich so ach quatsch dis is nich Kane, Kane kommt doch nicht einfach aus der Haustür raus, is=er nicht. Okay und wir, wir gucken so, auf einmal kommt doch Kane genau auf uns zu und er sieht uns so, macht Ko- nimmt Kopf runter und ( ), hat er bestimmt gedacht geh ich jetzt da lang ja oder nein. Haben wir ihn gefragt ob er Autogramm gibt und er so, hm Moment mal, wartet, geh ich jetzt was erledigen ? Ich muss ja noch Geld einteilen, nein, ach wir machen dis jetzt, hat er sich auch sichn bisschen Zeit genommen für uns, wies uns geht und dis is eigentlich dis Beste so, weil er ganz locker drauf war. (…) Und dis beste Konzert war bei Tour on Tour.
In der besten Begegnung mit Kane wirkte dieser natürlich und spontan: Obwohl er ein Star ist, kam er wie andere Menschen auch aus der Haustüre heraus und als er von den Fans aufgehalten wurde brachte er seine ambivalenten Gefühle authentisch zum Ausdruck. Schließlich stellte er seine Pläne zugunsten der Fans um und es kam jenseits üblicher Autogrammstundenrituale zu einem lockeren persönlichen Austausch. Auch in dieser Sequenz wird deutlich, dass Nicole zwar eine interaktive Beziehung mit den Bandmitgliedern anstrebt, sich selbst hierbei jedoch eindeutig als Fan verortet und nicht etwa als Bekannte oder Freundin der Stars: In ihrer Beschreibung der besten Begegnung mit Kane geht es nicht in erster Linie darum, wie dieser auf sie persönlich, sondern wie er auf die Gruppe der Fans reagierte. I.: Nicole:
Mmh (1) hm ja kann- kannst du so über dieses Tour on Tour Konzert noch n bisschen näher erzählen wie dis so war damals ? (1) Dis war wie war dis em, dis war ganz locker eigentlich. Also meine Freundin und ich standen da so, da ham wa auch wieder, paar Leute kennen gelernt, dann standen wa so ham wa so gewartet davor war so Blümchen aufm Konz- davor, dranne, vor The Boyz, und ich mag nicht Blümchen so besonders ich kann die nicht so gut leiden. Und dann ham andere wieder geschrien so geh doch mal runter von de Bü- Bühne wir warten auf The Boyz und denn kam The Boyz so, war //mhm// war voll geil so da ham se ihr neues Lied I Like rausgebracht, war ganz cool warn se so in Armeeklamotten, echt geile Aufmachung kam se alle einzeln raus und so, war ganz cool, was ham se denn gesungen, weiß ich gar nicht. Hm Round and Round glaub ich ham se gesungen, ham se drei oder vier Lieder ham se ges- war ganz cool war ne geile Lichtshow und so, ham wa auch geile Fotos gemacht und so (…) Jaa das eine war in Berlin, und dis andere war
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außerhalb, war nicht so in Berlin war n bisschen weiter weg aber die fande ich nicht so gut. //mhm// Die warn halt nicht so berauschend. //mmh// Aber na ja, was macht man nicht alles für die, //((lacht kurz))// fährt man halt runter. //Jaa (1).// Weil sie hatten auch nicht so gute Klamotten da an und so.
Nicoles Schilderung ihres Konzertbesuchs unterscheidet sich deutlich von ähnlichen Berichten in den Interviews mit den jüngeren Mädchen: Während letztere das Geschehen auf der Bühne gar nicht oder nur am Rande erwähnen und sich in ihren Beschreibungen ganz auf die Interaktionen zwischen den Fans konzentrieren, galt Nicoles Hauptinteresse offensichtlich durchaus dem Auftritt der Band in all seinen Facetten. Auch als Fan ist sie weiterhin eine anspruchsvolle Rezipientin der Band und spart gegebenenfalls nicht mit Kritik. Allerdings war auch bei ihrem Konzertbesuch die Begegnung mit anderen Fans ein wichtiger Aspekt: Sie konnte Leute kennen lernen und sich gemeinsam mit ihrer Fan-Communitas dafür einsetzen, dass BLÜMCHEN endlich von THE BOYZ abgelöst wird. Besonderheiten von THE BOYZ I.: Nicole:
Ehe. Du has-, eh, d-, von einem hast du erzählt dass er Libanese ist, ist dis Kane ? Nein dis is T-Soul. //Ehe.// Kane ist Ägypter und Tunesier. //Mhm.// Is halt so. (1) Sind halt, jeder, hat sone bestimmte Nationalität in seim Blut. //Mhm.// Außer Flow der ist halt Deutscher der Rest ist irgendwie (1) is, Italiener ist noch was drinne, und Franzose ist noch was drinne. (1) Ja, und deutsch halt. // Mmh.// Und halt n Libanese und, Ägypter und Tunesier. (1) //Mmh.// Is halt, das ¿nd ich auch ganz cool dass dis so, is fast aus jedem Land einer, auch was dabei ist halt so. Nicht so, von einem Land bloß so, von einer Nationalität, //jaa, ehe// is halt son Mischmasch zwischen denen. //mhm mhm// Und dass sie halt deutsch sprechen dis ist sehr einfach für uns ((kurzes Lachen)). Wenn die so ausm Ausland oder so kommen dann muss immer so, verstehn die mich jetzt, ja oder nein. Verstehn die mich jetzt, nicht oder weiß nicht. Und da kann man wenigstens deutsch sprechen, /die verstehn dis wenigstens/ ((lachend)).
Als besonderen Vorteil von THE BOYZ nimmt Nicole wahr, dass die Band verschiedene Nationalitäten und dadurch eine gewisse Vielfalt repräsentiert. Diese Nationalitätenvielfalt ist auch insofern ideal, als sie sich überhaupt nicht behindernd auf die Kommunikation mit den Bandmitgliedern auswirkt, sondern ihnen lediglich „im Blut“ liegt. Ohne den Begriff der ‚Rasse‘ zu nennen, der insbesondere in Deutschland vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen ‚Rassenforschung‘ und aufgrund seiner biologistischen Untertöne heutzutage in der Regel vermie-
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den wird, biologisiert Nicole hier gleichzeitig die familiäre Migrationsgeschichte einiger Bandmitglieder: Wenn diese sich nicht in einer (offensichtlich erotisch besetzten) dunklen Hautfarbe niederschlägt, dann steckt sie doch zumindest im Blut der Stars und lässt sie insofern vielfältiger und interessanter erscheinen. Gleichzeitig wird hier einmal mehr die zentrale Bedeutung der interaktiven Star-Fan-Beziehung bei Nicoles Interesse an der Band deutlich: Wichtiger noch als dass sie die Stars versteht, ist, dass sie selbst von den Stars verstanden werden kann. Auf die Frage der Interviewerin, ob sich die Musik von THE BOYZ von der Musik anderer Boygroups unterscheide, geht Nicole noch einmal auf die bereits erwähnte Vielfalt von deren Liedern ein: Sie singen nicht nur Schnulzen, sondern auch über ernste Themen, wie Aids, Schwangerschaft bei Jugendlichen oder Drogen. Diese Themen interessieren sie, da sie später einmal Drogentherapeutin werden will. Die Beziehung zur Band und deren Rolle im eigenen Leben I.: Nicole:
I.: Nicole:
I.: Nicole:
Und, kennst du denn so Leute, die dich jetzt irgendwie erinnern an, an die Jungs von The Boyz oder du ¿ndest die sind irgendwie ähnlich ? Eigentlich nicht so. (…) Also ich, ich bin auch nicht auf die Suche genau, hey der muss genauso aussehen wie T-Soul, ist letztendlich egal oder so. //jaa, ja// Hauptsache die sind korrekt und damit hat sich denn der Fall die Leute. //Jaa.// Ich such jetzt nicht genau, ach der muss dem und dem ähnlich sehen eigentlich, ist eigentlich egal. // ja, ja (1)// Mir scheißegal. Mmh. Na ja du hast ja wahrscheinlich jetzt auch so zu deinen Freunden schon (2) ne ne ganz, na ganz andere Beziehung als zu denen oder Ja ja ebend außerdem, ich würde auch zum Beispiel die Gruppe stehen lassen weil, meine Freunde sind mir wichtiger also wenn jetzt meine Freunde Probleme haben und ich würde, die würden an dem Tag in Berlin sein, wär mir dis eigentlich egal also so, //jaa// die Gruppe spielt n zweitrangiges in meinem Leben also nicht so wie manche Fa- wie manche die, sagen dis is meine Hauptsache (…) Dis ist nur ne Nebenerscheinung und, irgendwann, T-Soul wird auch irgendwie ne Freundin haben dann kann ich auch nicht zu der hingehen /nein dis ist meiner/ ((affektiert)). //mmh, mmh// Wenn se- wenn wenn er sich in die verliebt hat dann kann ich auch nicht sagen /nee T-Soul du musst mit mir zusammen sein/ ((affektiert)). //Ja, ja.// Dis ist einfach nicht so. Ja wie ist es überhaupt bei denen, also ist es n Thema ob die jetzt Freundinnen haben oder nicht ? Die werden zwar oft gefragt ich schätze mal die ham auch Freundinnen, aber die werden dis nicht in der Öffentlichkeit sagen. Ich ¿nde dis ist dis Privatleben
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von denen wenn se nun ne Freundin haben ja oder nein dis stört mich nicht. //Ja, ja.// Also dis, würde mich, würde würde mich gar nicht- dis interessiert mich zwar schon ob sie ne Freundin haben, ich würd die jetzt nicht jedes Mal fragen /habt ihr nun endlich ne Freuuundin ?/ ((affektiert)) (…) Is is mir eigentlich egal, ob die ne Freundin haben ja oder nein. //ja, ja// Stört mich nicht. Klar n bisschen traurig wär ich schon aber, ich kann ja dagegen nix machen ich kann ja nicht zu denen hingehen, /mach mit der Schluss, du darfst nicht mehr mit der zusammen sein/ ((affektiert)). //ja, ja// Also is egal halt. //ja// (2) /Dis is mir eigentlich egal. (1) Stört mich nicht./((leise)) (1) //hm// (2) Solln se doch mit der zusammen sein. Ich würd sogar T-Soul dis wünschen dass er, ne Freundin hat damit er, glücklich ist
Während bei Nicoles Auswahl ihrer bevorzugten Band die Attraktivität der Musiker eine zentrale Rolle spielte, orientiert sie sich bei anderen Kontakten eher am Kriterium der „Korrektheit“. Ihre Beziehung zu den Stars unterscheidet sich nicht nur aufgrund ihrer Distanziertheit von anderen Beziehungen, offensichtlich muss sie auch andere Bedürfnisse erfüllen. Bei ihren weniger gut kontrollierbaren alltäglichen Interaktionen ist es Nicole vor allem wichtig, den jeweils anderen vertrauen zu können, von den Stars dagegen erwartet sie, dass sie in erster Linie ihrem Bedürfnis nach erotischer Anziehung gerecht werden. Gleichzeitig setzt sie eindeutige Prioritäten: Die zwar attraktiven, aber entfernten Stars sind zweitrangig neben Freundschaften, die beispielsweise auch eine gegenseitige Unterstützung bei Problemen mit sich bringen. Während in Freundschaften solche Unterstützungsleistungen durchaus üblich sind, ist es in der Beziehung zu den Boygroup-Stars unmöglich, überhaupt irgendwelche Ansprüche an diese zu stellen: Sie können machen, was sie wollen und Nicole hat keinen EinÀuss darauf. Sie kann also nicht verhindern, dass der von ihr aufgrund seiner erotischen Anziehungskraft ausgewählte T-Soul sich in eine andere Frau verliebt und insofern für sie in weite Ferne rückt. Nicoles Gefühle in Bezug auf diese Vorstellung sind offensichtlich ambivalent. Einerseits ist es ihr wichtig die Grenze zum „Privatleben“ der Stars zu respektieren und sie weiß auch, dass Versuche, sich in dieses einzumischen, aussichtslos sind. Auch ist sie durchaus in der Lage, von ihren eigenen Bedürfnissen zu abstrahieren und T-Soul in seinem eigenen Interesse eine Freundin zu wünschen. Gleichzeitig weiß sie jedoch auch, dass sie in diesem Falle traurig wäre. In Nicoles Schlingern zwischen Desinteresse und gleichzeitiger Neugier, präventiver Indifferenz und Angst in Bezug auf eine potenzielle Verliebtheit T-Souls in eine andere lassen sich erneut die Paradoxien der Struktur der verhinderten Wunscherfüllung erkennen: Ihr Fan-Begehren ist auf eine potenzielle
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Erreichbarkeit des Stars ausgerichtet, ohne dass dieser gleichzeitig wirklich erreicht werden soll. I.: Nicole:
Me- meinst du es gibt viele Mädchen die sich dann schon vorstellen em, dass se mal zusammen sein werden mit einem von denen ? Ja ja es gibt manche Fans die sind echt so verrückt aber, ich denk mir dann so, ach Gott was denkt, was denkt die sich denn, hält sie sich jetzt so wundertoll so wunderpretty dass die, also derjenige sie aussuchen wird, ganz bestimmt nicht. //ja, ja// Nee glaub ich nicht. (1) Es gibt so manche Fans aber die weiß nicht die ham manchmal wirklich n (1) kleinen Knacks weg oder so ich weiß nicht. Die so so ich weiß nicht, die sind halt dis, ich weiß nicht, die sind irgendwie son bisschen komisch oder so, die haben keinen Lebensmut oder so, weiß nicht die, die stehen nicht für sich alleine aber so werd ich niemals werden.
Am Beispiel anderer Fans wurde Nicole sich über die Gefahren des Fan-Engagements bewusst: Dieses kann einen Realitätsverlust nach sich ziehen und einen Verlust der Kontrolle über das eigene Leben. Ebenso wie Tanja spricht Nicole hier den negativen Gegenhorizont der „Verrücktheit“ an, der für sie durch Fans verkörpert wird, die so sehr auf die Band ¿xiert sind, dass sie den Bezug zum eigenen Leben verloren haben. In der Konfrontation mit diesen Fans treten ihr die potenziellen negativen Folgen ihrer Begeisterung für die Band entgegen, denen sie womöglich in der „schlimmen“ Phase am Anfang ihres Fan-Seins auch bedrohlich nahe gekommen ist. Zusammenfassung: Fan-Sein als rational gerahmte erotische Leidenschaft Nicole blickt zu einem Zeitpunkt auf die Entwicklung ihres Fan-Seins zurück, als sie gerade von der Wohnung ihrer Mutter in eine betreute Jugend-WG gezogen ist, das heißt, in einem Moment ihres Lebens, in dem sie vor völlig neuen Anforderungen und Verantwortlichkeiten steht. In der Selbstläu¿gkeit des Interviews dokumentiert sich die aktuelle Bedeutung von SelbstreÀexion für sie. Sie ist seit ein bis zwei Jahren Fan und war, wie auch Tanja, zu Beginn ihres Interesses für die Band bereits fünfzehn Jahre alt und somit deutlich älter als die drei vorgestellten jüngeren Fans. Sie kannte sich damals bereits aus in der Welt der Popmusik, konnte auf der Basis eigenständig entwickelter Kriterien Vergleiche ziehen und schließlich diejenige Band auswählen, die am ehesten ihrem Geschmack entsprach. Nicole und ihre Freundin brauchten sich nicht in performativen Suchbewegungen der Fan-Kultur anzunähern, sondern sie wussten, was zu tun war. Mit ihrer Beschreibung der gemeinsamen, intensiven anfänglichen
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Beschäftigung mit der Boygroup skizziert Nicole ein typisches Fan-Engagement. (Die Formulierung „jeden Schnipsel gesammelt“ taucht in etlichen meiner Interviews auf, sie fungiert offenbar als Selbstverortung in einer Kultur, als deren Hauptmerkmal eine quantitativ orientierte Sammelpraktik gilt.) Die damalige aktionistische Maßlosigkeit steht jedoch aus heutiger Perspektive auch im Zeichen der Unvernunft. Nicole achtet mittlerweile mehr darauf, dass sie bei allem Engagement den eigenen ¿nanziellen und zeitlichen Ressourcen noch gerecht wird. Während Tanjas Glori¿zierung der SPICE GIRLS zu Repräsentantinnen einer weltverbessernden Mission sich als eine „reÀexive Leidenschaft“ beschreiben lässt, handelt es sich bei Nicoles Fan-Kultur eher um eine „rational gerahmte Leidenschaft“: Bei ihren Bemühungen, der Band nahe zu sein, achtet sie stets darauf, nicht über die Stränge zu schlagen und Maß zu halten. Gleichzeitig nimmt sie in ihrer als „interessant“ charakterisierten Fan-Kultur auch wesentlich stärker die Haltung einer kritischen Kulturrezipientin ein als die jüngeren Mädchen. Im Vergleich zu letzteren, die sich (auch auf einer körperlichen Ebene) stark mit der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und der eigenen Stilbildung sowie mit Vergemeinschaftungs- und Distinktionsprozessen in der Peer-Group beschäftigen, hat Nicole vorrangig die Stars und ihre Beziehung zu diesen im Blick. Die Band hat nicht nur einen Symbolcharakter für sie, sondern muss bestimmten Ansprüchen genügen und wird auf dieser Grundlage auch immer wieder überprüft. Die besondere Faszination von THE BOYZ macht Nicole dabei (im Unterschied zu Tanja) nicht an deren „Mission“ fest, sondern an dem Umstand, dass sie ihrem eigenen Milieu entstammen, ihre eigenen Erfahrungen thematisieren und die Beziehung zu den Fans ernst nehmen. Die dunklere Hautfarbe T-Souls wirkt vermutlich deshalb besonders attraktiv auf sie, weil sie dem Musiker bei aller Vertrautheit gleichzeitig eine unvertraute „exotische“ Note verleiht.96 Insofern THE BOYZ gleichzeitig Konsumobjekte sind und bewundernswerte Künstler sowie den gutaussehenden, netten jungen Mann von nebenan repräsentieren, erweisen sie sich als attraktive Interaktionspartner für Nicole. Im Unterschied zu allen anderen interviewten Mädchen zentriert sich ihre Fan-Kultur um ihre besondere Form der interaktiven Beziehung zu den Stars. Wichtiger noch als der eigene Blick auf diese ist es, selbst von ihnen wahrgenommen, respektiert und auch verstanden zu werden: Sie lehnt den Manager vehement ab, weil er diese Ebene der Beziehung zwischen Stars und Fans torpediert und sich den Fans gegenüber respektlos verhält. Um eine interaktive Beziehung zu ermöglichen, nimmt Nicole aufwendige Verkleidungen, Fahrten in andere Städte und vor allem auch lange Wartezeiten in Kauf. Ihr somit engagiert verfolgter Wunsch nach Nähe zu den Stars ist auch erotisch konnotiert (sie wäre traurig, wenn T-Soul eine Freun96
Auf diesen Aspekt gehe ich noch genauer in Teil B 4.4 ein.
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din hätte), gleichzeitig möchte sie den Kontakt jedoch nicht intensivieren, sondern als Fan von diesen wahrgenommen und respektiert werden. Ihre Entscheidung für die Position eines Fans (zumal eines Fans, der im Hintergrund bleibt) in ihrer Beziehung zur Band schützt sie vor Enttäuschungen, ist jedoch auch positiv konnotiert. Nicole behält in dieser Beziehungsform die Kontrolle über Nähe und Distanz und bewegt sich stets im sicheren Rahmen der Fan-Gemeinschaft. Der Kontakt zu anderen Fans ist insofern ein wichtiger Bestandteil ihres Engagements, sie schätzt den Austausch mit ihnen und erst eine Gruppe wartender Fans gibt ihren Kontaktversuchen gegenüber der Band einen akzeptierten Rahmen. Da die Einzelnen in einer zu großen Gruppe von Fans jedoch untergehen würden, wird in der Fan-Gemeinschaft mit der gegenseitigen Unterstützung vorsichtig und strategisch verfahren: Das Verhältnis untereinander ist sowohl von Kooperation als auch von Konkurrenz geprägt, wobei die Anforderung, mit detektivischem Gespür Informationen zu ermitteln, die Fan-Dyade von Nicole und ihrer Freundin offensichtlich zusammenschweißt. Andere Fans erfüllen für Nicole die Funktion des abschreckenden Beispiels: Deren distanzlose Annäherung an die Stars, ihr Realitätsverlust bei der Einschätzung einer möglichen Entwicklung der Beziehung zu diesen und vor allem ihr verlorener Bezug zum eigenen Leben symbolisieren eben jene Fan-Entwicklung, die sie am meisten bedroht. In einer Situation, in der sie im Rahmen ihres Wohnortwechsels und einer Therapie auf besondere Weise mit ihrer eigenen Verantwortung für ihr Leben konfrontiert ist, grenzt sie sich von den unkontrollierten, efferveszenten, aktionistischen und leidenschaftlichen Anteilen der Fan-Kultur ab. Nicoles Ablehnung aller Arten von Kontrollverlust zeigt sich auch in ihrem Berufswunsch der Drogentherapeutin. Wie Tanja beschäftigt sie sich mit dem Spannungsverhältnis von Normalität und Abweichung, wobei ihr der Bereich des ‚Anormalen‘ im Unterschied zu Tanja keineswegs reizvoll sondern bedrohlich erscheint. Dennoch lässt sich behaupten, dass ihr die Beziehung zu den Stars, gerade weil sie sie so gut kontrollieren kann, die Chance eröffnet, ein Bedürfnis nach Leidenschaft auszuleben. Während bei ihrem Verhältnis zu anderen Leuten das Kriterium von deren Vertrauenswürdigkeit zentral ist, richtet sie sich bei der Auswahl der Stars ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen und ihrem Begehren. Gerade weil der Erfüllung dieses Begehrens hierbei so starre Grenzen gesetzt sind, kann sie diesem nachspüren und es entfalten. Im Unterscheid zu den jüngeren Fans, die diese Populärkultur nutzen, um sich auf antizipierte Identitätsanforderungen vorzubereiten, ist sie für Nicole eine „Begleiterscheinung“: Sie verhandelt nicht den Übergang in eine neue Lebensphase, vielmehr bietet ihr die Beziehung zu den Stars die Möglichkeit, bestimmte Bedürfnisse auszuleben, die ihr möglicherweise in anderen Beziehungen
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verschlossen bleiben. Im Rahmen ihrer als Hobby getarnten THE BOYZ-Fankultur kann sie selbstbewusst den schönsten Mann auswählen, begehren und auch wieder verlassen, ohne selbst der Gefahr von Kontrollverlust und Verletzungen ausgesetzt zu sein. 3.6 Gruppe ,Die Kleinen‘, 10–12 Jahre: „Also früher war ich mal die Victoria, aber jetzt bin ich die Sportliche“ Die drei Teilnehmerinnen der Gruppe ‚Die Kleinen‘ lernte ich im Mädchenzentrum eines Berliner Innenstadtbezirks kennen. Ich war auf der Suche nach SPICE GIRLS-Fans in das Zentrum gekommen und wurde von einer Pädagogin zunächst an eine Gruppe ca. 14–16-jähriger Mädchen verwiesen. Diese erklärten mir jedoch, sie seien mittlerweile keine Fans der Girlgroup mehr und empfahlen mir, mich an die „die Kleinen“ zu wenden. In der Küche traf ich dann die zwölfjährige Zelda, die sich zwar als SPICE GIRLS-Fan bezeichnete, aber verneinte, als ich sie fragte, ob sie Lust auf ein Interview habe. Nachdem ich in einem weiteren Raum auf Funda und Jasmin stieß, die sich sogleich zu einem Interview bereit erklärten, sagte Zelda, die mir nachgefolgt war, zusammen mit den anderen würde sie auch mitmachen. Ich erzählte den Mädchen kurz, worum es bei dem Interview gehen sollte und wir verabredeten uns für die übernächste Woche. Die Pädagogin versicherte mir, dass es kein Problem sei, das Interview in den Räumen des Mädchentreffs durchzuführen. Am Tag des Interviews empfahl mir die anwesende Betreuerin die Küche als ruhigsten Raum des Zentrums. Die Gruppendiskussion war dann allerdings stark davon geprägt, dass immer wieder andere Mädchen in die Küche kamen, um sich etwas zu holen, dabei Fragen zum Interview stellten und es insofern laufend zu Unterbrechungen kam. Auch erwies sich meine Interviewführung, mit der ich bislang gute Erfahrungen gemacht hatte, bei dieser Gruppe jüngerer Mädchen als wenig fruchtbar: Zum einen konnten diese mit meiner Eingangsfrage nicht viel anfangen, andererseits waren sie offensichtlich weniger als die Älteren daran gewöhnt, über ihre eigenen Erfahrungen zu reden. Für Funda und Jasmin war es naheliegender, mir ihren Tanz zur SPICE GIRLS-Musik vorzuführen, als über diesen zu erzählen. Zelda wiederum sprach wenig und sehr leise und wandte sich mit ihren Statements häu¿g direkt an mich, während die anderen beiden noch über anderes redeten. Diese Beobachtung entspricht den Ergebnissen von Iris Nentwig-Gesemann (2002), denen zufolge es für Kinder oft einfacher ist, ihre Erfahrungen auf körperlich-performative Weise auszudrücken als diese begrifÀich-theoretisch zu
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explizieren. Gerade Gruppendiskussionen sind jedoch der Autorin zufolge ein besonders geeignetes Mittel, das Spezi¿sche sowohl der formalen Struktur als auch des Sinngehaltes am Diskurs der Kinder herauszuarbeiten, indem dieser systematisch mit dem erwachsenenzentrierten Diskursmodus der Interviewenden verglichen wird. Auf der Grundlage einer solchen Analyseeinstellung, die insbesondere die für Kinder typischen Artikulationsformen fokussiert, lassen sich am Beispiel der vorliegenden Gruppendiskussion einige Merkmale der besonderen Art und Weise herausarbeiten, wie jüngere Fans über ihre Kultur Auskunft geben. Wie ich am Beispiel ausgewählter Passagen aufzeigen werde, erlaubt deren dokumentarische Interpretation darüber hinaus einige Rückschlüsse in Bezug auf die Spezi¿ka der Fan-Kultur jüngerer Mädchen. Alle drei Teilnehmerinnen lebten zum Zeitpunkt des Interviews unweit des Mädchenzentrums und besuchten dieselbe Grundschule. Jasmin war zehn Jahre alt, ging in die vierte Klasse und lebte mit ihren Eltern und vier Geschwistern zusammen. Ihre Mutter arbeitete als RaumpÀegerin und ihr Vater als Elektriker. Funda war knapp elf Jahre alt und besuchte dieselbe Klasse wie Jasmin. Sie wohnte mit ihren Eltern und fünf Geschwistern zusammen. Über ihre Eltern gab sie an, dass sie in der Türkei geboren wurden, wusste jedoch nicht, was sie arbeiten. Zelda war zwölf Jahre alt und ging in die sechste Klasse. Sie wohnte mit ihrer Mutter und zwei Schwestern zusammen. Ihre Eltern wurden in der Türkei geboren, bei der Frage nach deren beruÀicher Tätigkeit trug auch sie ein Fragezeichen ein. Falldarstellung Vorzüge der SPICE GIRLS, die erste Begegnung mit ihnen und der Tanz zu ihrer Musik I.:
Funda:
O. K. aber, lass mi-, lass mich erst mal meine Frage stellen. Und zwar, ich wollte euch am Anfang fragen, also ich wollte euch bitten einfach mal zu erzählen wie das damals war wie ihr, so zum, zum ersten Mal überhaupt von den Spice Girls gehört habt, und wie das dann dazu kam dass ihr dann danach Fan wurdet, und wie sich das dann, entwickelt hat, bis heute. (2) Also, ich ¿nde die Spice Girls sind hübsch, also ich bin von den Spice Girls sone Fans weil die so hübsch aussehen und weil die eine so sportlich ist.
3 Fallbeschreibungen Jasmin: Funda: I.: Funda:
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Von wem hast dus gehört ? ((Àüstert)) (1) ((lacht kurz)) das wars ((lacht)) Aber könnt ihr euch noch daran erinnern wie das so am Anfang war, also als ihr so zum allerersten Mal überhaupt gehört habt von den Spice Girls ? Also, ich fand die Spice Girls schon gut wo ich das Lied gehört hatte.
Einige andere Mädchen kommen in die Küche, Jasmin weist darauf hin, dass das Gerät weiter aufnimmt, die Interviewerin sagt, dies sei nicht so schlimm, Funda drückt schließlich auf die Pause-Taste. I.: Zelda: Funda: Jasmin: I.: Funda: I.: Jasmin: Funda: I.: Funda: Jasmin: I.: Funda:
zum ersten Mal gehört habt von den Spice Girls Was hastn Da meint ich aber doch, ähm, dass ich, äh, wo ich das Lied gehört hatte dass ich die dann gut ¿nde singt leise ins Mikro weißt du noch welches Lied das war ? Ja. (1) Ähm, äh, ich weiß gar nicht wie das heißt, aber, /ich kann des singen/ ((lachend)). /(1) Mhm, okay./ ((leise)) /okay, okay/ ((leise)) Das war des erste Lied von Spice Girls. Kannste, kannste mal singen ? Em, aber hier /drauf ?/ ((langgezogen)) ja Wennde willst. (1) Aber voll des /alte Lied/ ((langgezogen)).
Gleich zu Beginn der Diskussion zeigt sich, dass die Teilnehmerinnen sich entgegen der Intention der Interviewerin nicht auf eine Beschreibung ihrer Entwicklung zu SPICE GIRLS-Fans einlassen. Die übliche Eingangsfrage (von der Interviewerin als wichtiger Anfangspunkt des Interviews markiert) ist in diesem Fall etwas ausführlicher formuliert als sonst, sie fordert jedoch auch hier zu einer Erzählung über die eigene Fan-Geschichte auf. Weder in dieser ersten Passage noch zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews geht eines der drei Mädchen auf den Verlauf ihrer Entwicklung zum Fan ein. In ihrer Antwort nennt Funda vielmehr die Gründe, warum die Gruppe ihr gefällt, wobei die Selbstbezeichnung als „sone Fans“ eine Distanz zum Status des Fans signalisiert. Es ist offenbar ungewohnt für sie, sich mit diesem Status zu identi¿zieren, und insofern auch nicht naheliegend, ihre Entwicklung zum Fan nachzuerzählen. In diesem Sinne berichtet sie nicht von bestimmten Erlebnissen,
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sondern artikuliert ihr Wohlgefallen an der Gruppe. Wie viele andere meiner Interviewpartnerinnen interessiert sie sich weniger für deren Musik, sondern eher für die Eigenschaften der Bandmitglieder. Indem Jasmin Funda Àüsternd danach fragt, vom wem sie „davon“ gehört habe, bringt sie die von der Interviewerin angesprochen Vergangenheit ins Spiel, während Funda sich ganz auf die Gegenwart bezogen hatte. Außerdem spricht sie hier im Anschluss an die Interviewerin die Ebene des Hörens an, während Funda spontan auf das Aussehen der SPICE GIRLS rekurriert hatte. Jasmin ist hier offenbar bemüht, die Frage ‚richtig‘ zu beantworten, geht aber davon aus, dass noch Funda an der Reihe ist und entscheidet sich insofern dafür, dieser zu soufÀieren, anstatt selbst das Wort zu ergreifen. Gleichzeitig deutet sie an, dass es üblich ist, über andere Personen auf bestimmte Bands aufmerksam zu werden. Funda macht hingegen deutlich, dass sie ihr Statement für beendet hält. Nachdem die Interviewerin erneut auf die erste Aufmerksamkeit für die Girlgroup zu sprechen kommt, lenkt sie jedoch ein und benennt einen bestimmten Moment, ohne diesen näher zu beschreiben: Obwohl ihr vor allem die Attraktivität und die Sportlichkeit der Stars gefallen, gibt sie hier an, über ihre Musik auf sie aufmerksam geworden zu sein. In der während der Unterbrechung signalisierten Einschätzung der Mädchen, dass nichts ‚Unwichtiges‘ aufgenommen werden darf, zeigt sich ihr Respekt gegenüber der Aufnahmesituation. Vermutlich orientieren sie sich an den Interviews, die sie aus Radio und Fernsehen kennen, bei denen die befragten ExpertInnen alle nacheinander ihr Wissen präsentieren und es auch keine Störgeräusche gibt. In der anschließenden Sequenz werden die unterschiedlichen Erwartungen der Interviewerin einerseits und der Teilnehmerinnen andererseits eklatant: Während erstere ihre Frage wiederholt und somit signalisiert, dass sie diese für noch nicht beantwortet hält, weist Funda darauf hin, dass sie ihrem Statement nichts hinzuzufügen hat: In ihren Augen geht es darum, zu benennen, wie sie auf die SPICE GIRLS aufmerksam wurde, jedoch nicht, diesen Moment und die anschließenden Entwicklungen zu beschreiben. Jasmin wiederum verwandelt sich an dieser Stelle spielerisch von einer interviewten Expertin in eine Sängerin, die das Mikrofon nutzt, um hineinzusingen. Beiden Mädchen liegt es offensichtlich fern, sich auf ausführliche Beschreibungen einzulassen. Die Interviewerin gibt jedoch nicht auf und versucht Funda weitere Details ihrer Entdeckung der SPICE GIRLS zu entlocken. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine begrifÀich-theoretische Explikation des Fan-Seins auch deshalb nur begrenzt möglich ist, weil sich die Beschäftigung mit der Band selbst jenseits dieser Ebene bewegt: Die Titel der SPICE GIRLS-Songs (die zudem auf Englisch sind) haben keinerlei Relevanz für Funda, jedoch ihre Melodie, die sich eben nicht erzählen, sondern nur singen lässt. Obwohl sie sowohl von der Interviewerin als auch von Jasmin zum Vorsingen aufgefordert wird, schreckt Funda hiervor allerdings
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zurück. Die Interviewerin respektiert ihre Begründung, dass der Song hierfür zu alt sei und wendet sich nun explizit den beiden anderen Teilnehmerinnen zu. Nachdem diese sich zunächst gegenseitig auffordern, nun zu reden, sagt Zelda schließlich, sie habe einfach die Musik gehört. Eine Rekonstruktion des Moments des Kennenlernens der Band fällt den Mädchen offenbar schwer, es ist naheliegender, über die Gegenwart zu sprechen. In diesem Sinne beginnt Funda aufzuzählen, wer von ihnen welche Fan-Artikel besitzt, bis schließlich Jasmin doch noch auf ihre erste Begegnung mit der Band zu sprechen kommt. Jasmin:
I.: Funda:
( ) Also ich hab des Lied gehört und dann hab ich meine Schwester gefragt, wer das singt und dann meinten die die Spice Girls und, dann meinte ich, dann geh ich mir die CD kaufen Mhm, mhm Bei mir wars genauso
Unterbrechung: Jemand kommt in die Küche, kommentiert das Interview, geht wieder Funda: I.: Jasmin: Funda: I.: Funda: I.: Funda:
Bei mir wars genauso Mh, hast du auch mit deinen Schwestern dadrüber gesprochen ? ŊUnd denn hab ich und meine Freundin auch immer n Tanz und so dafür geübt. ja N Tanz ? Ja. Solln wir dir mal zeigen ? Mhm O. k., warte mal.
Jasmin und Funda führen ihren Tanz ohne musikalische Begleitung vor I.: Funda: I.: Funda: I.: Funda: I.: Jasmin: (…)
Em das habt ihr dann zur Musik, von den Spice Girls gemacht, den Tanz ? Ihr beiden ? Ja Und nur zu zweit oder noch mit anderen ? Ne, nur zu zweit. Wir sind ja die besten Freunde. Mhm, mhm. Habt ihr das anderen gezeigt auch ? Ja, einmal hatten wirs vorgezeigt hier. Hier im Mädchenzentrum ? Ja, wir hatten auch, so andere Tanze oder, Puppentheater oder so ham wir auch vorgemacht.
204 Funda:
Teil B: Die empirische Untersuchung Zu dritt ist es nicht so gut weil, em dann sagt die andere wie ging des noch mal oder, macht irgendwas falsches. //mhm// Sonst wird des zu schwer, den anderen des beizubringen, denn mach mal so und dann so und dann so
Nachdem Jasmin den in anderen Interviews zentralen Aspekt der Orientierung an anderen Mädchen auf dem Weg zum Fan-Status hier lediglich mit ihrem Verweis auf die Schwester kurz andeutet und ferner die nach außen hin angekündigte Anschaffung einer CD als Gestus der Initiation ins Fan-Sein markiert, ist für die Mädchen das Thema „Entwicklung zum Fan“ abgeschlossen. Funda zufolge beschreibt Jasmins Erzählung auch ihre eigenen Erlebnisse und als die Interviewerin dennoch weiter nachfragt, wechseln die Mädchen das Thema und kehren auf die Ebene der performativen Explikation des aktuellen Fan-Seins zurück. (Zusammen mit Jasmin hat Funda offenbar weniger Hemmungen, sich auf diese Ebene einzulassen und den Tanz vorzuführen, im weiteren Verlauf der Diskussion singen die beiden Mädchen auch einmal zusammen SPICE GIRLS-Lieder vor.) Wie einige andere meiner Interviewpartnerinnen haben Jasmin und Funda einen Tanz zur Musik der SPICE GIRLS eingeübt, den sie auch vorführten, wobei das Mädchenzentrum, in dem sie offenbar regelmäßig zu öffentlichen Vorführungen ermutigt werden, ihnen hierfür einen geeigneten Rahmen bot. Im Unterschied zu den von Bianca und Julia geschilderten Tanz-Gruppen gingen sie bei dieser Mimesis jedoch nicht so weit, dass sie versuchten, die Konstellation der Girlgroup nachzustellen, da sie eine Öffnung ihrer Freundschaftsdyade ablehnen: Während sie sich untereinander ohne große Worte verstehen, müsste den Hinzukommenden alles erklärt werden, was zumindest Funda als zu mühsam emp¿ ndet (sie demonstriert hier erneut ihre Distanz zu einer Ebene der begrifÀich-theoretischen Explikation). In diesem Sinne versuchen Funda und Jasmin weniger, dem Vorbild der Stars möglichst nahe zu kommen, sondern bauen die SPICE GIRLS stattdessen in ihre ohnehin unternommenen öffentlichen Selbstpräsentationen ein. Das Aussuchen, wer wer ist Wie Jasmin im Folgenden verdeutlicht, spielt der Aspekt der Identi¿zierung mit einzelnen Bandmitgliedern jedoch durchaus auch eine Rolle für sie. Jasmin: I.: Funda: I.: Funda: I.:
Und ich weiß auch, wer, also, jede hat sich auch, so ausgesucht, wer wer ist von den Spice Girls. Aha, aha. Und, darf ich mal sagen wer ich bin ? Mhm. Ich bin, die Victoria. Aah, o. k.
3 Fallbeschreibungen Funda: Zelda: I.: Funda: I.: Jasmin:
205
Also früher war ich mal die Victoria, aber jetzt bin ich die Sportliche, weil die, die kann Rückwärtsrolle. Ŋ Bin ich auch Mh, wegen der Rückwärtsrolle. Das ist natürlich toll Und, eh, die hat, voll schöne lange Haare und hatte so einen Nasenring. //mhm// Das ¿nd ich schön. Mhm, mhm. Und ich bin, die Emma
Im Gegensatz zu meinen anderen Interviewpartnerinnen, die ihre Auswahl einzelner Stars aus der jeweiligen Band lediglich als Entscheidung beschreiben, wen sie am besten ¿ nden oder ganz besonders mögen, suchen diese jüngeren Mädchen sich ein SPICE GIRL aus, das sie nicht nur präferieren, sondern auch sind. Sie charakterisieren somit die Girlgroup als Auswahl attraktiver Subjektpositionen, die sie sich spielerisch an- und ausziehen können wie Kleidungsstücke: Während Funda zunächst denkt, sie sei Victoria, fällt ihr dann ein, dass sie mittlerweile „die Sportliche“ ist. Offenbar erfordert die hierbei vollzogene Mimesis keinen großen Aufwand und bezieht sich vor allem auf die Selbstbezeichnung gegenüber anderen, weshalb problemlos von einem zum anderen SPICE GIRL gewechselt werden kann. Anhaltspunkte sind dabei einzelne Attribute, die ihnen besonders gefallen. Wie sich im weiteren Verlauf des Interviews zeigt, speist sich ein Teil ihrer Kenntnisse über die Eigenschaften der einzelnen SPICE GIRLS aus deren Film ‚Spice World‘. Sie erzählen einzelne Episoden aus dem Film, die ihnen besonders gefallen haben, wobei auch deutlich wird, dass Funda und Jasmin durchaus nicht die Namen aller Bandmitglieder bekannt sind. Jasmin äußert sich kritisch gegenüber einer der SPICE GIRLS, deren Lockenfrisur sie mit ausladenden Gesten beschreibt, mit der Begründung, diese sei im Film gemein zu den anderen gewesen. Nachdem Funda erneut lobend die Sportlichkeit der von ihr ausgewählten Künstlerin erwähnt, fragt die Interviewerin, ob die Mädchen denn auch sportlich seien. Während Funda und Zelda von ihren Sporterfahrungen erzählen, stellt Jasmin an dieser Stelle Fundas Auswahl „der Sportlichen“ unter den SPICE GIRLS in Frage: Jasmin:
Zelda: I.: Zelda: Jasmin:
Warum, warum ¿ndest du sie eigentlich nur weil sie sportlich ist gut, du bist doch auch sportlich, und der Nasenring, was zählt schon der Nasenring, das ist eine, Stück Kacke Ŋ/Ich kann schon Einradfahren/ ((leise)) Was kannst du ? Einradfahren. //ah, o. k.// Ich war im Zirkus und da hab ich Einradfahren gelernt. Ja, halloo, ja, ich hab dich was gefragt.
206 Funda: Jasmin: Funda: Jasmin: Funda:
Teil B: Die empirische Untersuchung Ich ¿nde, ich ¿nde die Spice Girls einfach so spezial, weißt du. Ja, ich doch auch, aber warum, müsst ihr immer diese ma-, sie ist doch, ist doch egal ob sie sportlich ist, du bist doch auch sportlich Na und, die sieht aber, die sieht nicht so dick aus, die sieht nicht zu dünn aus, die sieht nicht zu breit aus Ja, bist du doch auch nicht dick oder dünn. Ja bin ich auch nicht, deswegen bin ich die doch, die ist doch so hübsch
Während Funda Jasmins durchaus provokativ vorgetragene Relativierung der Vorzüge der „Sportlichen“ zunächst ignoriert, erklärt sie auf deren drängende Nachfrage hin, dass die ganze Band etwas Besonderes für sie sei. Auch das Argument ihrer Freundin, dass sie alle positiven Attribute des Stars (Sportlichkeit, angemessene Körpermaße) ebenso für sich selbst beanspruchen könnte, lässt sie nicht gelten, vielmehr ist gerade diese Ähnlichkeit eine Grundlage ihrer Wahl. Ob sie sich selbst als „so hübsch“ wahrnimmt wie die „Sportliche“ muss hierbei offen bleiben. Jedoch wird an dieser Stelle deutlich, dass Funda das Verhältnis zwischen ihrem Selbstbild und ihrem Idealbild als deutlich weniger spannungsreich darstellt als Bianca und Julia, die ihre mimetischen Annäherungen an die SPICE GIRLS als komplizierten Prozess der Aushandlung zwischen einer Orientierung am jeweiligen Vorbild und der Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit schildern. Funda befürchtet offensichtlich nicht, zugunsten einer übertriebenen Star-Mimesis den Bezug zu sich selbst zu verlieren, stattdessen eignet sie sich deren Vorzüge auf einer imaginären, spielerischen Ebene an, indem sie eben die „Sportliche“ ist. Die Aussage „ich bin die Sportliche“ ist somit als performativer Akt im Austinschen Sinne97 zu verstehen: Indem Funda sie formuliert, werden in ihrer Wahrnehmung die Qualitäten des Stars zu ihren eigenen. Ein Treffen mit den SPICE GIRLS I.: Funda: Zelda: Jasmin: I.: Zelda:
97
Und, wenn, würdet ihr die gerne mal treffen ? Ja. Ja. Ja, ich würde die gerne mal sehen. Und, könnt ihr euch vorstellen, wie das so wäre, wenn hier jetzt, wenn hier jetzt zum Beispiel die Spice Girls sitzen Ja
Auf Austins (1994) Sprechakttheorie gehe ich in Teil A 2.2 ein.
3 Fallbeschreibungen Funda: I.: Jasmin: Zelda:
207
Ja, ich würde gerne sagen, bleib bei mir, bleib bei meiner Wohnung, ich will dich als Schwester haben. ((lacht)) Also, wir, ich und Funda Autogramm würde ich nehmen
Die Vorstellung, den Stars einmal persönlich zu begegnen, ist für alle drei Mädchen reizvoll. In ihrer Phantasie einer Interaktion mit diesen sieht sich Funda einer einzelnen Person gegenüber (womöglich der „Sportlichen“), welche sie dazu auffordern würde, als Schwester bei ihr zu bleiben. An dieser Stelle zeigt sich erneut, wie mühelos Funda die Girlgroup in ihre eigene Welt hineinholen kann: Die SPICE GIRLS sind keine entfernten Idole für sie, denen sie sich anzunähern versucht, sondern Phantasiegestalten, die sie auf einer imaginären Ebene ihren jeweiligen Bedürfnissen anpassen kann, ohne dass es sie hierbei interessiert, ob dies in der Realität möglich wäre oder nicht. Zelda hingegen demonstriert in diesem Zusammenhang, dass sie weiß, wie Treffen zwischen Stars und Fans üblicherweise ablaufen, orientiert ihre Wünsche an solch einem realistischen Szenario und inszeniert sich somit als „erwachsener“ als die anderen beiden Mädchen. Ablehnung der SPICE GIRLS durch die Jungs Zu einem späteren Zeitpunkt der Diskussion fragt die Interviewerin, wie die anderen Leute im Umfeld der Mädchen zu den SPICE GIRLS stehen. Es stellt sich heraus, dass „die Großen“ im Mädchenzentrum eher Britney Spears oder HipHop hören. Die Diskussionsteilnehmerinnen reden über verschiedene Gruppen und Jasmin beginnt gerade ein türkisches Lied zu singen als die Interviewerin versucht, das Thema wieder mehr in Richtung der SPICE GIRLS zu lenken. I.: Funda: Zelda: I.: Jasmin: I.: Jasmin: (…) Jasmin:
I.:
Und, kennt ihr auch Leute, die die Spice Girls ganz blöd ¿nden ? (1) Ja die Jungs. Ja, genau. Echt ? Ja die Jungs. Wieso, wieso mögen die die nicht ? Oder, oder manchmal machen wir auch, doch, Spice Girls, manchmal, wenn die Kleinen hier drin sind machen wir Spice Girls und dann, eh, manchmal wenn wir nicht die Gardine zuhaben, dann gucken immer die Jungs, wie wir tanzen dann lachen die immer /HÄHÄHÄ/ ((imitierend)) Ah
208 Funda: I.: Funda: I.: Funda:
Teil B: Die empirische Untersuchung Oder wir können auch, Breakdance Die Jungs ? Nein, wir auch. Ihr, ehe. Auch die Jungs.
Es besteht Einigkeit darüber, dass die Jungs die SPICE GIRLS nicht mögen, Jasmin belegt diese These mit einer Beispielerzählung: Wenn „die Kleinen“ das Mädchenzentrum für sich haben, „machen“ sie manchmal die SPICE GIRLS: Der Umstand, dass sie bestimmte SPICE GIRLS sind, wird in die Handlungspraxis umgesetzt. Das „SPICE GIRLS-Machen“ ist jedoch offenbar nur in der Abwesenheit der „Großen“ möglich. Einerseits ziehen diese andere Bands vor, andererseits lässt sich das „machen“ der älteren Girlgroup-Mitglieder jedoch auch als spielerische Vorwegnahme der eigenen Zugehörigkeit zu den „Großen“ interpretieren, bei der die Anwesenheit der „realen“ Großen nur stören würde. Ihre Enaktierung der SPICE GIRLS-Identi¿zierung ist jedoch nicht nur von einer Abwertung durch die älteren Mädchen sondern auch durch die Jungs bedroht, die zwar das Mädchenzentrum nicht betreten dürfen, aber manchmal durch die Fenster gucken und gegebenenfalls mit lautem Spott nicht sparen. Mit ihrem Verweis auf die Breakdance-Kompetenzen der „Kleinen“ begibt sich Funda aus der Position des verspotteten „kleinen“ Mädchens heraus und verdeutlicht, dass ihre eigene Gruppe über ein breites Spektrum kultureller Ausdrucksweisen verfügt. Sie lässt sich auch nicht davon irritieren, dass die Interviewerin hier der Commonsense-Ansicht aufsitzt, Breakdance sei den Jungen vorbehalten, und präzisiert, dass sowohl sie selbst als auch die Jungs diesen Tanz beherrschen. Aus dieser Perspektive müssen die Jungen sich von der Kultur der Mädchen abgrenzen, wohingegen die Mädchen selbst sich jenseits geschlechtsspezi¿scher Zuweisungen verschiedene jugendkulturelle Kompetenzen aneignen. An späterer Stelle kommt die Interviewerin noch einmal auf den anderen Geschmack der Jungs zurück. I.: Funda: Zelda: Jasmin: Funda: Jasmin:
Sag mal, und, ich hab jetzt noch nicht genau verstanden, warum jetzt die Jungs, die Spice Girls blöd ¿nden Ja, weil, die ma-, die mögen doch keine Mädchens, die Jungs. ŊDie mögen lieber Breakdance. ŊDie m-, die mögen so, so Breakdance, so,so ja, dön
3 Fallbeschreibungen Funda: Zelda: I.: Funda: Zelda: Funda: Zelda: I.: Funda: Jasmin: I.: Funda:
209
döndöndön, dölele nen nen nen, nänänä nönönön, nänänä nönönön ŊPamela Anderson und so Und wieso ¿nden die Pamela Anderson besser als die Spice Girls ? Pamela Anderson ? Weiß ich nicht Ach ja, weil sie so große Titten ŊWeil sien Model ist. Ach sooo. Die hat so großen, so große Busen, /deswegen bestimmt/ ((lachend)) ((lacht)) Aber wenn die Spice Girls so toll aussehen, m-, müssten doch eigentlich die Jungs sie auch gut ¿nden. Mh mh. Die mach- ich wollte mal so in Café so anmachen, da meinten die iiih, mach mal Breakdance auf
Die Ablehnung der SPICE GIRLS durch die Jungen wird von den Teilnehmerinnen zweifach begründet: Einerseits bringen Funda und Jasmin performativ deren abweichenden Musikgeschmack zum Ausdruck (das dumpfe „döndöndön“ unterscheidet sich deutlich von den vorher auf „lalala“ intonierten SPICE GIRLS-Liedern). Andererseits vermuten sie, dass die Jungen keine Mädchen mögen, sondern stattdessen Frauen wie Pamela Anderson vorziehen, die für ihre sexuellen Attribute bekannt sind. In dieser Darstellung des Geschlechterverhältnisses leben Mädchen und Jungen in getrennten Kulturen. Die Jungen mögen keine Mädchen, sondern eher eine erwachsene, sexuell konnotierte Weiblichkeit. Umgekehrt scheinen auch die Teilnehmerinnen selbst kein großes Interesse an einem weitergehenden Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu haben. Zwar ziehen sie sich in einer früheren Passage des Interviews gegenseitig mit vermeintlichen Verliebtheitsgefühlen gegenüber bekannten Jungen auf, ansonsten ¿nden diese jedoch lediglich in ihrer Funktion als Missachter der eigenen Kultur Erwähnung. Im Gegensatz zur Annahme der Interviewerin, die SPICE GIRLS müssten wegen ihrer körperlichen Attraktivität auch für die Jungen interessant sein, nehmen die Teilnehmerinnen diese als „hübsch“ und eben nicht etwa als sexy wahr und ordnen die über zehn Jahre älteren Bandmitglieder der eigenen Kategorie der Mädchen zu. Erneut zeigt sich hier, wie umstandslos sie die SPICE GIRLS in ihre eigene Welt integrieren: Diese stellen als Mädchen ein wichtiges Kapital ihrer eigenen Kultur dar, die ihnen zur Distinktion sowohl gegenüber den Älteren als auch gegenüber den Jungen dient.
210
Teil B: Die empirische Untersuchung
Zusammenfassung: Aktionistisch-mimetische Formen der Star-Aneignung Die Mädchen der Gruppe ‚Die Kleinen‘ entwickeln ihr fankulturelles Interesse in einem ähnlichen Alter wie die anderen jüngeren Mädchen meines Samples (Bianca, Antje und Julia). Die beiden zehnjährigen Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion Jasmin und Funda sind jedoch deutlich jünger, als sie über ihre Fan-Kultur berichten. Sie ziehen es vor, auf einer körperlich-performativen Ebene über ihr Verhältnis zu den SPICE GIRLS Auskunft zu geben anstatt es theoretisch zu erörtern. Auf diesem Wege gelingt es ihnen, eine sinnliche Dimension ihrer Fan-Kultur zu artikulieren, die für andere Interviewpartnerinnen möglicherweise auch eine große Rolle spielt, sich jedoch in ihren Erzählungen und Beschreibungen nicht dokumentiert, da sie sich auf einer rein verbalen Ebene nicht vermitteln lässt. Besonders deutlich wird dies, als Funda und Jasmin kooperativ fröhlichmelodiöse SPICE GIRLS-Lieder und dumpf-stampfende Breakdance-Musik vorsingen: Sie können auf diese Weise sowohl die eigene Lust an der Aneignung der Melodien der Girlgroup als auch ihre Wahrnehmung von Differenzen zwischen verschiedenen Musikrichtungen deutlich zum Ausdruck bringen. Viele andere Interviewpartnerinnen erwähnen zwar die Bedeutung der Musik bei ihrem Interesse für die jeweilige Band, ohne diese jedoch weitergehend zu erläutern. Auf der Grundlage einer komparativen Analyse dieser Interviews mit der vorliegenden Gruppendiskussion lässt sich vermuten, dass die begrifÀich-theoretische Ebene der Artikulation, auf die die älteren Mädchen sich methodenkonform beschränkt haben, kein geeignetes Ausdrucksmittel für die Beschreibung derartiger sinnlicher Erfahrungen bietet. Die Gruppe „Die Kleinen“ sprengt die Beschränkungen einer „regelgerechten“ Gruppendiskussion und schafft sich Raum für neue Ausdrucksformen. Diesen ist es freilich mittels eines tonbandgestützten Erhebungsverfahrens nur bedingt möglich gerecht zu werden. Trotz dieser methodischen Begrenzungen erlaubt eine dokumentarische Interpretation des Interviewtextes Einblicke in einige interessante Dimensionen der Fan-Kultur jüngerer Mädchen: Die Art und Weise, wie die Gruppe über ihr Verhältnis zur Band Auskunft gibt, spiegelt offensichtlich auch die Merkmale ihrer Fan-Kultur wieder. Ihre Beschäftigung mit den SPICE GIRLS erfolgt weniger auf einer reÀexiven, sondern eher auf einer spielerischen und stark körperlichen Ebene. (Einen maximalen Kontrast bietet das Interview mit Tanja, die ihr Fan-Sein als Auseinandersetzung mit dem Motto der SPICE GIRLS beschreibt.) Eine wichtige Rolle spielt hierbei die mimetische Aneignung der Stars, die sowohl über das Nachsingen ihrer Lieder, Tänze zu ihrer Musik als auch einen Akt der ‚Selbstanrufung‘ als eine der SPICE GIRLS-Musikerinnen vollzogen wird.
3 Fallbeschreibungen
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Im Unterschied zu Bianca und Julia, die komplizierte mimetische Annäherungen an ein Idealbild schildern, lässt sich diese Mimesis eher als spielerische Übernahme einer Rolle in einem Theaterstück beschreiben. Bezeichnend ist außerdem, dass die Mädchen sich offenbar keineswegs bemühen, sich selbst mimetisch in Richtung der Stars zu bewegen, sondern vielmehr umgekehrt diese in ihre eigene Welt einbauen. Verglichen mit der ‚Schwerstarbeit‘ der mimetischen Akte Biancas und Julias erfolgen Fundas schnelle Verwandlungen in Victoria und die „Sportliche“ mit einer unkomplizierten Leichtigkeit: Ihre mimetischen Aneignungen der Künstlerinnen sind nicht-reÀexiv, nicht-rational und spontan und lassen sich insofern als eine besonders aktionistische Form der Mimesis charakterisieren. Neben der aktionistischen Mimesis beschreiben die Mädchen das gemeinsame Anhören der Musik der Band sowie die Anschaffung von Fan-Besitztümern als Merkmale ihres kulturellen Engagements. In ihrer Kultur beziehen sie sich weniger auf eine imaginierte oder reale Gemeinschaft der SPICE GIRLS-Fans, sondern vor allem auf ihre Peer-Beziehungen. Fundas und Jasmins FreundschaftsDyade wird über die gemeinsame Praxis des Einübens von Liedern und Tänzen nach innen hin stabilisiert, gleichzeitig können sie mittels der Aufführungen im Mädchenzentrum als Freundinnenpaar Anerkennung von außen bekommen.98 Bei der Aneignung der Girlgroup über das „Machen“ der SPICE GIRLS handelt es sich andererseits um eine kulturelle Praktik der „Kleinen“ im Zentrum. Selbstbewusst greifen sie auf andere kulturelle Ausdrucksformen als die Jungen und die älteren Mädchen zurück, auch wenn sie zumindest von Seiten der Jungen hierfür verspottet werden. Im Unterschied zu vielen der älteren Interviewpartnerinnen spielt für diese Gruppe die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zum anderen Geschlecht keine Rolle in ihrer Fan-Kultur. Stattdessen stehen in ihrer SPICE GIRLS-Rezeption Belange des Mädchen-Seins im Mittelpunkt. Sie nehmen die Stars selbst als Mädchen wahr und interessieren sich für deren Handeln als Mädchen und für die im Film dargestellten Beziehungen in der Mädchenclique der Girlgroup. Die wichtigste Qualität der SPICE GIRLS ist in diesem Sinne eben nicht ihre sexuelle Reife und somit ihre erotische Wirkung auf das andere Geschlecht (dieser Bereich wird Pamela Anderson zugewiesen), sondern ihre „hübsche“ Erscheinung. Ein hübsches Äußeres jedoch lässt sich als Paradeeigenschaft des „idealen Mädchens“ bezeichnen. In diesem Sinne übt die „Sportliche“ unter den SPICE GIRLS womöglich deshalb eine so große Faszination auf Funda und Zelda aus, Breitenbach (2000: 326) weist darauf hin, dass jüngere Mädchen dazu tendieren, exklusive Beziehungen mit der jeweils besten Freundin zu pÀegen. Am Beginn der Adoleszenz lockern sich diese Verbindungen meist und werden von Cliquen abgelöst. 98
212
Teil B: Die empirische Untersuchung
weil es ihr gelingt, diesem Ideal gerecht zu werden, ohne sich gleichzeitig in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.99 Die Girlgroup-Fankultur bietet der Gruppe ‚Die Kleinen‘ insofern eine Möglichkeit, sich im Rahmen ihrer geschlechts- und altershomogenen Peer-Group mit Anforderungen des Mädchen-Status auseinander zu setzen, indem sie mittels aktionistisch-mimetischer Akte den Glücksversprechen, Einschränkungen und Spielräumen des Schönheitsideals nachspüren, während die gemeinsame Kultur gleichzeitig ihren Gruppenzusammenhalt stabilisiert. 3.7 Gruppe ‚Tanz‘, 14–16 Jahre: „Ich tanze nicht mehr Backstreet Boys, das ist peinlich“ Der Kontakt zu dieser Gruppe früherer BACKSTREET BOYS-Fans wurde mir von Susanne vermittelt, die diese in einer Berliner Jugendfreizeitstätte kennen gelernt hatte, wo sie bis vor einem Jahr als Sozialpädagogin tätig war. Sie erzählte mir, dass die Mädchen damals mit einer Playbackshow zur Musik der BACKSTREET BOYS auftraten. Nachdem die Gruppe auf Susannes Anfrage hin einem Interview zugestimmt hatte, suchte ich das Jugendzentrum auf, wo ich bereits Nuray traf und ihr kurz von meinem Interesse und dem üblichen Ablauf einer Gruppendiskussion erzählte. Außerdem vereinbarte ich mit dem Projektleiter, dass wir das Interview in einem der Räume der Freizeitstätte durchführen würden. Susanne wollte selbst gerne zu einem späteren Zeitpunkt dazustoßen und dann auch eine Videokassette mit Aufnahmen von den Auftritten der Gruppe mitbringen. Im Gespräch mit dem Projektleiter erfuhr ich auch, dass die Mädchen eine Zeitlang sehr erfolgreich mit ihren Tanzaufführungen waren und oft von anderen Jugendzentren eingeladen wurden, wobei sie des Öfteren die Erwartung enttäuschten, dass sie als MigrantInnen der zweiten Generation türkische oder kurdische Volkstänze aufführen würden. Zum Zeitpunkt des Interviews war die Freizeitstätte täglich geöffnet, wobei den BesucherInnen einerseits Gemeinschaftsräume zur freien Nutzung zur Verfügung standen, sie andererseits jedoch auch gezielte Angebote (z. B. Computerkurse) wahrnehmen konnten. Seit einiger Zeit gab es keinen Mädchenraum mehr, wenn die Mädchen unter sich sein wollten, hatten sie jedoch die Möglichkeit, das nahe gelegene Mädchenzentrum aufzusuchen.
Zahlreiche Studien im Bereich der Geschlechterforschung verweisen auf die einschränkende Wirkung des Schönheitsideals hinsichtlich der Bewegungsfreiheit von Mädchen und Frauen (vgl. bspw. Bischoff 1993, Haug 1988: 100 ff, Palzkill/Scheffel/Sobiech 1991). 99
3 Fallbeschreibungen
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Als wir100 gegen 14h im Jugendzentrum eintrafen, war dieses bereits gut besucht von Jugendlichen, die Kicker spielten, in den verschiedenen Räumen herumsaßen und -standen, laut Musik hörten und redeten. Der Projektleiter empfahl uns die Küche als geeigneten Ort für das Interview, wobei sich bald herausstellte, dass dort anderthalb Stunden später ein Kochkurs statt¿nden sollte. Es nahmen zunächst Nuray, Ebru und Melek an der Diskussion teil, später kam noch Nurays Schwester Gülcan dazu. Alle Mädchen wohnten in der unmittelbaren Umgebung des Jugendzentrums. Die erste halbe Stunde der Diskussion war insbesondere dadurch geprägt, dass immer wieder Jungen an die Tür klopften, die entweder Tee holen wollten oder sich mit Fragen an einzelne Mädchen wandten, diese Unterbrechungen werde ich in der Falldarstellung nicht alle einzeln aufführen. Die Schwestern Nuray und Gülcan waren fünfzehn und sechzehn Jahre alt und besuchten dieselbe Hauptschule. Ihr Vater wurde in der Türkei geboren und ihre Mutter ist Deutsche, die Eltern sind geschieden. Sie wohnten zum Zeitpunkt des Interviews mit ihrer Mutter und noch fünf weiteren Geschwistern zusammen. Beide Mädchen trugen bei meiner Frage nach dem Beruf des Vaters ein Fragezeichen ein und gaben beim Beruf der Mutter ‚Hausfrau‘ an. Ebru war vierzehn Jahre alt und besuchte dieselbe Hauptschule wie Nuray und Gülcan. Sie lebte mit ihren Eltern (in der Türkei geborenen Kurden) und vier Geschwistern zusammen. Als Berufe ihrer Eltern gab sie ,Hausfrau‘ und ,Krankenhaushilfe‘ an. Melek war knapp fünfzehn Jahre alt und ging auf eine Gesamtschule. Sie wohnte mit ihren Eltern, die beide in der Türkei geboren wurden, und vier Geschwistern zusammen. Ihre beiden Eltern waren arbeitslos. Falldarstellung Von Fans zu Tänzerinnen Auf die Aufforderung einer der Interviewerinnen, etwas darüber zu erzählen, wie die Gruppe sich zusammengefunden hat, ergreift nach einer längeren Pause schließlich Ebru das Wort. Ebru:
Nuray: 100
also, halt weil wir großer Backstreet Boys Fan waren, ham wir halt so auch darüber gedacht, dass, wir auch da=mit auftreten können und Susanne hat uns auch dabei also, sehr viel geholfen //mhm// und ähm, also, erst mal waren wir beide, Backstreet Boys-Fan, ich und Melek und denn halt Ň Ŋ die
Ich bedanke mich bei Aglaja Przyborski, die mich bei diesem Interview begleitet hat.
214
Ebru:
Nuray: Ebru: Nuray:
Teil B: Die empirische Untersuchung waren auch beide in einer Klasse und ich war in einer anderen genau, in der Grundschule noch, weil ich mit ihr sechs Jahre zusammen, also, in der Grundschule zusammen, und, also, da, dachten wir vielleicht, also dass wir (2) tanzen tanzen, also, fü-, den Backstreet Boys nachmachen ((lacht)) oder so erst ham wir so geübt, dann ham wir so, Susanne gerufen, sieht gut aus, Susanne meinte so, wollt ihr nicht auftreten, N.-Haus oder so, dann meint=meinten wir eigentlich dann ja, mit den anderen
Nachdem Ebru einen Anfang gemacht hat, wird sie von Nuray unterstützt und die Mädchen entwickeln gemeinsam eine Erzählung über das Zustandekommen der Tanzgruppe. Als auslösenden Faktor für die Entstehung dieser Gruppe wird der Umstand benannt, dass sie Fans der BACKSTREET BOYS waren, außerdem verweisen die Mädchen darauf, dass Ebru und Melek sich schon seit langem kannten, sowie auf die Hilfe Susannes. Susannes Unterstützung der Tanzgruppe und ihre Rolle als Initiatorin der öffentlichen Auftritte wird im Laufe des Interviews immer wieder und von Seiten verschiedener Mädchen betont. Sie wird in diesem Sinne als ‚Motor‘ der Gruppe dargestellt. Als es darum geht, den Schritt vom Fan-Sein zur Konzeption öffentlicher Aufführungen zu erklären, kommt die Erzählung ins Stocken. Die Erklärung Ebrus, dass es um ein ,Nachmachen‘ der BACKSTREET BOYS gegangen sei, erfolgt zögernd und unsicher. Anstatt in der Beschreibung ihrer Auftritte die eigenen Leistungen zu betonen, spielen die Mädchen diese hier eher herunter: Sie haben „nur“ andere nachgemacht, weil sie hierzu aufgefordert wurden und auch das scheint sie heute nicht gerade mit Stolz zu erfüllen. Es folgt ein kurzer Abriss des Verlaufs ihrer Tanzgruppenzeit, bei dem Nuray und Ebru vor allem die personellen Wechsel in der Gruppe und die unterschiedliche Musik, zu der sie tanzten, erläutern. Außer den anwesenden Mädchen waren in je unterschiedlichen Phasen noch zwei Schwestern von Nuray sowie ein weiteres Mädchen beteiligt. Die Mädchen tanzten zur Musik der BACKSTREET BOYS und später auch der SPICE GIRLS, im Laufe der Zeit stiegen aber immer mehr Tänzerinnen aus und die Gruppe löste sich nach und nach auf. In einer letzten Phase tanzten Nuray, Ebru und Melek noch zur Musik von Foxy Brown,101 bis Nuray die Gruppe ebenfalls verließ und schließlich auch die beiden anderen nicht mehr weiter machten. Die Aktivitäten der Tanzgruppe kamen offenbar zum Erliegen, ohne dass explizit beschlossen worden war, diese de¿nitiv zu beenden. Nuray und Ebru heben das besondere Engagement Meleks hervor: Sie konnte am Besten von allen Foxy Brown ist eine Rapperin, die sich zu dieser Zeit im Bereich der Black Music einen Namen machte.
101
3 Fallbeschreibungen
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tanzen, hatte die meisten Ideen und zeigte den anderen Schritte. Trotz Nurays expliziter Aufforderung, sich auch hierzu zu äußern, schweigt Melek hartnäckig. I.1: Ebru: Nuray: Ebru: Nuray: Ebru: Nuray: Ebru:
Und wie, wie ist es dazu gekommen, dass ihr, Fan von den Backstreet Boys geworden seid ? Wir fanden die halt /einfach ganz süß, also/ ((lachend)) Ŋ die ham auch gute Musik gemacht eigentlich ja, genau, am Anfang, jetzt ((lacht)) Ŋ und ham auch zu die Musik gut getanzt und so (1) sahen nicht schlecht aus naja ( ) naja (4) ((kichert)) (1)
Auf die Frage nach ihrer Entwicklung zu Fans beschreiben die Mädchen ihre frühere Perspektive auf die Boygroup, wobei Ebru die damalige Vorliebe eher herunterspielt und mit einem distanzierten Lachen kommentiert. Die von Nuray erwähnte gute Musik der Band wird auch in die Vergangenheit verwiesen, wobei offen bleibt, ob sich die Band verändert hat oder der eigene Blick auf diese. Der gemeinsame Kommentar „na ja“ macht jedoch klar, dass das Fan-Sein unwiderruÀich der Geschichte angehört und heute nicht mehr nachvollzogen werden kann. Als eine der Interviewerinnen fragt, ob sie damals genauso tanzten wie die BACKSTREET BOYS, erklären Nuray und Ebru, dass sie nur einen Teil der Schritte von der Band übernommen und andere von Melek gelernt haben. Jeweils drei Tage vor einem Auftritt kam es immer zum Streit, weil einzelne Mädchen ihre Schritte noch nicht gut genug konnten. Einige Male waren sie kurz davor, den Auftritt abzusagen, was sie letztlich dann doch nie taten. Sie traten sowohl in verschiedenen Freizeiteinrichtungen als auch bei Stadtteilfesten auf, wobei die Organisation dieser Aufführungen immer von Susanne übernommen wurde, die insofern auch die Funktion einer Managerin für die Gruppe hatte. Ambivalente Gefühle gegenüber der eigenen Tanzgruppenzeit Nach etwa zehn Minuten schaltet sich überraschend und ohne ersichtlichen Anlass Melek in das Gespräch ein. Sie erzählt von der Begeisterung des Publikums bei ihren Aufführungen und dessen Wunsch, dass sie immer wieder auftreten. Melek: Ebru: me:
Und das war schöne Zeiten auch peinlich ((lachen))
216 Nuray: Melek: Ebru: Nuray:
Teil B: Die empirische Untersuchung ham immer geschämt das wird nie wieder kommen, aber vielleicht, aber nicht mit den gleichen Liedern, aber, war, irgendwie schön, /ich fand des schön, ich weiß nicht/ ((leise)) naja, alle fanden des eigentlich schön, aber, denn, sind die doch rausgegangen, eigentlich, sind nicht mehr hier hergekommen Ŋ manche sind rausgegangen, weil immer Streit, einer hat dis gesagt, der andere wollte dis nicht machen und so, meinten se, wir gehn jetzt raus und so
Melek spricht die positive Seite der Tanzgruppenzeit an, die von den anderen Mädchen bisher wenig hervorgehoben wurde. Ihre Bewertung wird dementsprechend von Nuray und Ebru relativiert: es war nicht nur schön, sondern auch peinlich. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Vergangenheit der Gruppe doppelt besetzt ist. Zum einen war die Anerkennung durch das Publikum schön, andererseits ist diese Zeit mit Peinlichkeit behaftet und zwar nicht nur retrospektiv, auch damals haben sie sich immer geschämt. Die von Melek aufgeworfene Frage, ob die von ihr als schön erinnerten Zeiten wiederkommen könnten, eröffnet einen Metadiskurs, der die Gruppendiskussion im Folgenden begleiten wird: Die Mädchen nutzen die Diskussion zur Verhandlung der Möglichkeit, die Tanzgruppe wiederauÀeben zu lassen. Melek entwirft probeweise ein Szenario, in dem die Mädchen zu anderen Liedern tanzen würden. Ebru bestätigt Melek insofern, als auch sie der Meinung ist, dass eine von allen als schön empfundene Zeit vorbeiging, sie und Nuray erinnern jedoch auch an die Gründe für die AuÀösung der Gruppe: viele haben aufgehört, weil es so viel Streit gab. Die Akteurinnen bei den KonÀikten bleiben anonym, diese werden insofern als Problem der ganzen Gruppe charakterisiert. Diese Darstellung der Gruppenvergangenheit, die Schuldzuweisungen an Einzelne vermeidet, wirkt harmonisierend und signalisiert gleichzeitig deutlich, dass es gute Gründe gibt, warum diese Zeit, obwohl sie schön war, nun vorbei ist. Melek kommt jedoch erneut auf die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Tanzens zurück. Melek:
Ebru: Melek: I.1: Nuray: me:
eigentlich, wenn die uns sagen, tretet ihr noch auf, ich würde noch sagen, ja, ich würde noch, ich weiß nicht, ob Ebru das machen würde, aber, ich glaube doch, dass sies machen würde /mmh, voll peinlich/ ((leise)) muss ja nicht Backstreet Boys sein, kann ja Foxy ((lacht leise)) /Tupac/ ((leise)) ((stöhnen))
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Melek macht ihr eigenes Interesse an einer Wiederbelebung der Tanzgruppe deutlich und präsentiert sich darüber hinaus als Künstlerin, die ihre Kunst nur darbietet, wenn sie darum gebeten wird und zu stolz ist, sich zu verkaufen. An dieser Stelle wird jedoch auch ihre Abhängigkeit vom Publikum sowie von den anderen Tänzerinnen deutlich: Das Tanzen gewinnt seine Bedeutung erst durch die bewundernden Blicke der anderen und eine Wiederaufnahme dieser Tätigkeit ist nur vorstellbar, wenn diese es explizit wünschen. Meleks indirekte Aufforderung an Ebru, in einem solchen Fall wieder mit ihr aufzutreten, deutet an, dass sie sich offenbar keinen Soloauftritt vorstellen kann und somit auf das Mitmachen der anderen Mädchen verwiesen ist. Ebru erinnert jedoch sofort wieder die negative, peinliche Seite des Tanzens. Meleks Vorschlag, nicht zu den BACKSTREET BOYS, sondern vielmehr zu Foxy Brown zu tanzen, deutet an, dass die Peinlichkeit womöglich mit dem „Nachtanzen“ der BACKSTREET BOYS verbunden ist. Indem Nuray auf Tupac Shakur verweist, stellt sie einen weiteren stilistischen Wechsel zur Diskussion, der von den anderen Mädchen mit Stöhnen bedacht wird: auch das Nachtanzen Tupacs ist offenbar keine attraktive Option. Wie Foxy Brown ist Tupac Shakur HipHoper und gehört zu den wichtigsten KünstlerInnen im Bereich der Black Music. Während Foxy Brown gerne als „Sexgöttin des Rap“102 gehandelt wird, gilt Tupac – insbesondere seitdem er 1996 im Kontext von Bandenkriegen erschossen wurde – als Symbolgestalt des Gangsta-Rap, der über seine Karriere als Musiker und Schauspieler hinaus auch mit zahlreichen Gerichtsverfahren und Gefängnisaufenthalten unter anderem wegen Drogenhandels und Vergewaltigung auf sich aufmerksam machte. Er stellt insofern einen Gegenpol zu den BACKSTREET BOYS dar, die stets ihre moralische Integrität einschließlich ihres Glaubens an Gott und ihrer Ablehnung von Drogen jeder Art betonen und prototypische weiße, christliche Mittelschichtjungs darstellen. Womöglich sind sie gerade als solche für die Mädchen langweilig geworden. Aber ein „Nachmachen“ Tupac Shakurs kommt für sie nicht in Frage, auch wenn dies vermutlich ihrem aktuellen Musikgeschmack entgegenkäme und es einen Moment lang interessant ist, damit zu kokettieren. Meleks Wunsch, wieder als Tanzgruppe aufzutreten, wird auf diese Weise von den beiden anderen Mädchen weder direkt abgewiesen noch ernsthaft aufgegriffen. In diesem Moment klopft es und eines der Mädchen öffnet einem jungen Mann die Tür, der Melek auffordert, mit hinauszukommen, woraufhin sie ihm tatsächlich folgt. Nachdem die beiden den Raum verlassen haben, beschimpft Nuray diesen Mann als „Stresser“. Sie beschreibt ihn als Jemanden, der andere herumkommandiert, beschimpft und schlägt. Auf die Nachfrage einer der Interviewerinnen versichern jedoch beide Mädchen, dass Melek wiederkommen werde. 102
Bravo (1999: 30)
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Die Vorbereitung der Auftritte und Erfahrungen mit dem Publikum Im Folgenden erzählt Nuray von ihrem eigenen Einstieg in die Gruppe: Sie war zunächst nicht dabei und wurde dann von den anderen aufgefordert, auch einzusteigen. Nachdem sie festgestellt hatte, dass sie die Schritte gut mittanzen konnte, beschloss sie weiterhin mitzumachen. Nuray:
Ebru: (…) Nuray:
Ebru: Nuray: Ebru:
und dann meint ich so, ja o. k., ich mach mal mit, wies ist, obs Spaß machen tut oder nicht, aber hat Spaß gemacht, Herz, wenn man aufgetreten war pungpung, immer voll Angst, wir haben immer überlegt, was wir anziehen, weil sie (zeigt auf Ebru) hat ja nie Hosen angezogen, weil sie dachte, sie ist immer diiick, hat sie immer Röcke angezogen, sie meinte, mitn Rock kann ich nicht runtergehen und so, meinten wa da-, em, zieh doch sone Hose an, oder, zieh dir, nein, da sieht man meinen Po, und so, ham wir uns auch erst mal gestritten, was sie immer anziehn tut, mussten wir, von irgendjemand, meine Adidas-Hose und so hat sie angezogen, hat sie auch reingepasst denn ((lacht)) Als, alle haben halt Adidas immer Hosen, diese Knopf-Hosen ham sie immer alle angezogen wir meinten so, ziehs an, sie hat anprobiert, meint sie, da pass ich nicht rein, da seh ich ja noch dicker aus und, meinten wer, manchmal wenn wer so sauer waren, meinten wer, dann haste ebend halt Pech, meint sie so, ookeeh und so. Naja, und nachn Auftritt, war sie glücklich, ja, das war, hat voll Spaß gemacht und so hat am Ende eigentlich schon Spaß gemacht Ŋ aber davor, streiten wir uns immer, danach, freuen wir uns, ja, Spaß gemacht und so Ŋ wir hams geschafft und so. (1) War eigentlich schon schön, also, die Zeiten, wir warn noch kleiner ((lacht))
Die Stimmung vor den Auftritten war nicht nur durch Lampen¿eber, sondern auch durch erhitzte Streitereien über die Kostüme gekennzeichnet, die an dieser Stelle von Nuray temperamentvoll evoziert werden. Sie verdeutlicht hierbei, dass der Prozess der Verständigung über das Kleidungsproblem konÀikthaft, jedoch auch erfolgreich verlief: Die anderen Mädchen unterstützten Ebru, indem sie sie berieten und ihr eigene Kleidungsstücke anboten und wenn sie genug hatten von dieser Diskussion, war diese auch bereit einzulenken. Nach den Auftritten waren dann Ebru selbst und auch alle anderen glücklich. Gleichzeitig wird in dieser Passage deutlich, dass das Tanzen insofern ein problematisches (beziehungsweise ‚peinliches‘) Unternehmen war, als die Mädchen hier den eigenen Körper exponierten, der – zumindest von Ebru – auch schambesetzt war. Zusammenfassend
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greift Ebru bestätigend Meleks Formulierung auf, dies seien schöne Zeiten gewesen, jedoch nur, um erneut zu betonen, dass sich hieran nicht mehr anknüpfen lässt: Es hat Spaß gemacht, weil sie eben noch „klein“ waren. Nach Meleks Rückkehr in die Küche wird ihr von einem anderen Mädchen eine Zigarette angeboten, woraufhin sich eine Debatte über das Rauchen und die Position der jeweiligen Eltern zu diesem Thema entspannt. Hieran anknüpfend erkundigt sich eine der Interviewerinnen nach dem Verhältnis der Mädchen zu ihren Eltern. Ebru deutet ebenso wie Melek Schwierigkeiten mit ihren Eltern an, und betont gleichzeitig, dass Nuray alles dürfe, was von dieser bestätigt wird. Als Beispiel für die Toleranz der Mutter erzählt sie, dass sie ihr erlaube, einen Freund zu haben und in die Disko zu gehen. Der (möglicherweise erotische) Kontakt mit dem anderen Geschlecht wird als Bereich dargestellt, der üblicherweise von den Eltern als problematisch eingestuft und sanktioniert wird. Ebrus Schwierigkeiten mit ihren Eltern führt sie darauf zurück, dass sie mehr „Scheiße baut“ als ihre Geschwister. Auf Nachfrage einer Interviewerin wird das „Scheiße bauen“ mit einem knappen Verweis auf Schlägereien und Anzeigen erklärt, an dieser Stelle betritt jedoch Gülcan den Raum, woraufhin dieses Thema abgebrochen und auch später nicht wieder aufgegriffen wird. Gülcan wird von den anderen Mädchen über das Interview und den Plan, später den Video¿lm anzusehen, aufgeklärt. Sie will sich nicht zu uns an den Tisch setzen, was von Nuray damit erklärt wird, dass ihr Freund da sei, dennoch ist sie offenbar neugierig geworden und kann sich nicht entschließen zu gehen. Als sie erwähnt, dass das Video peinlich sei, kommt Melek erneut auf die Begeisterung ihrer ZuschauerInnen zu sprechen. Melek: Nuray: Ebru: Melek: me: Melek: Gülcan: Melek: Ebru: Melek: Nuray: me:
( ) auf der Bühne waren, die ham uns von der Bühne gerissen, ey ja, das sieht man aah, sie wollten alle unsere Hände ich hatte eine Adidas-Hose, die geht auf, bis hier, Alter, wenn die einmal ziehn, dschak, ich bin nackt ((lachen)) ich guck die so an, ich sag so, stellt euch mal vor, wenn die echten da sind, Ň Ŋ sie redet, also ob sie voll hier, so was machen die, die fallen nur ins Ohnmacht, das waren nur wir Ŋ zweite Backstreet Boys yeah, alle schreien, alle von hinten yeaaah, einer von da juhuuu Ŋ bloß, dass wir Mädchen sind ((lachen))
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Wie auch an anderen Stellen im Interview rekurrieren die Mädchen bei dieser Beschreibung ihrer Auftritte auf den Video¿lm („das sieht man“), den sie vermutlich schon so häu¿g gesehen haben, dass dessen Bilder zum festen Bestandteil der kollektiven Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit geworden sind. Das Video dokumentiert, dass die Begeisterung ihrer ZuschauerInnen soweit ging, dass sie mehr von den Mädchen verlangten als die vorbereitete Bühnenshow und sich hierin so aggressiv gebärdeten, dass diese eine Verletzung ihrer Intimsphäre befürchten mussten. Sie konnten insofern die häu¿g mit Starkult verbundenen, emotionalisierten und hemmungslosen Reaktionen am eigenen Leibe nachvollziehen, was sie als ebenso faszinierend wie bedrohlich empfanden. Das mimetische Verhältnis, das die Tanzgruppe zu den BACKSTREET BOYS einnahm, wurde gespiegelt von ihrem Publikum, das sich mimetisch zu dem üblichen BoygroupPublikum verhielt. (Im Video¿lm ist zu sehen, dass die vorwiegend weiblichen ZuschauerInnen auch Transparente hochhielten, Briefe auf die Bühne warfen und Melek laut mit ihrem BACKSTREET BOYS-Namen „AJ“ riefen, ganz wie es bei Boygroup-Konzerten üblich ist.) Diese Erfahrung mit ihren Fans veranlasst die Mädchen dazu, sich nach den Unterschieden zwischen der eigenen Tanzgruppe und den ‚echten‘ Stars zu fragen. Aufgrund des kaum zu übertreffenden Fan-Verhaltens ihres Publikums sehen sie sich als „zweite BACKSTREET BOYS“: Der entscheidende Unterschied zu den Vorbildern wird nicht an einem Kompetenzunterschied gegenüber der professionellen Band, sondern am Geschlecht festgemacht. Auch in dieser Passage beschreiben die Mädchen ihre Zeit der öffentlichen Auftritte als eine schöne Erfahrung, die jedoch stets drohte in Peinlichkeit umzuschlagen: Gerade die schmeichelhafte Begeisterung der ZuschauerInnen ging auch mit der Gefahr einer Vereinnahmung und Grenzüberschreitung einher. Dieselbe Ambivalenz ¿ndet sich in der Haltung der Eltern zu ihren Auftritten wieder, die im Folgenden angesprochen wird. Die Eltern der Mädchen hatten unterschiedliche Bedenken gegenüber den Aufführungen: Meleks Mutter lehnte vor allem Auftritte am Abend ab und Ebrus Mutter miss¿el es, dass ihre Tochter auf der Bühne Hosen tragen würde. In der Situation der Aufführung schlug die Sorge der Eltern jedoch in Stolz um: Nicht die Gefährdung der Mädchen durch die öffentliche Selbstdarstellung stand nunmehr im Vordergrund, allein ihre tänzerische Kompetenz zählte. Die Erinnerung hieran löst viel Gelächter aus, das sowohl Erleichterung ausdrückt als auch Stolz darüber, in diesem Bereich einmal Anerkennung von Seiten der Eltern bekommen zu haben. Gülcan versichert sich im Folgenden, dass keine Jungen den Video¿lm mit ansehen würden, was ihr bestätigt wird, wobei Ebru bemerkt, dass es peinlich wäre, wenn die Jungs den Film sähen, denn diese würden sie nur verarschen. Auf die an Nuray und Gülcan gerichtete Frage einer Interviewerin, ob ihre Eltern
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auch zu den Auftritten gekommen seien, erklärt Nuray, dass die Aufführungen teilweise nur einem weiblichen Publikum zugänglich waren. Sie kommt somit ungeachtet der ablenkenden Frage erneut auf die Bedeutung des Geschlechts der ZuschauerInnen zurück. Nuray: I.1: Nuray: Gülcan: Ebru: Melek:
außer bei N.-Zentrum durften keine Jungs, keine Männer rein mhm da durften nur Mädchen aber die waren ganz begeistert, da ham wir sogar Rosen verschenkt, wo wir so runter gegeben haben Ŋ das war auch besser alle kommen auf einem Haufen, als ob des Hühner sind, ob du Hühnern Essen gibst
Die Gruppe fand es besser, dass bei den Aufführungen im N.-Zentrum nur Mädchen waren, die sich auch „ganz begeistert“ zeigten. Die Tänzerinnen nahmen in dieser Situation die Rolle umschwärmter männlicher Stars ein: Sie verteilten Rosen und das weibliche Publikum reagierte so irrational und begierig wie ein Schwarm Hühner bei der Fütterung. Im Gegensatz zur vorher geschilderten Erfahrung des gierig nach den Knopfhosen greifenden Publikums hatten sie hier die Situation im Griff: die Zuschauerinnen waren handzahm wie domestizierte Tiere. Die schwärmerische Begeisterung des weiblichen Publikums schildern die Mädchen als etwas befremdend, jedoch ungefährlich und schmeichelhaft. Die Aufführungssituation ist homo- und heteroerotisch zugleich: ein weibliches Publikum umschwärmt Mädchen, ruft sie jedoch mit männlichen Namen. Die Tänzerinnen füllen ihre Rolle der begehrten Stars offenbar souverän aus und fühlen sich anerkannt und mächtig. Männlichkeit ist in dieser spielerischen Inszenierung einer extrem romantisch aufgeladenen Situation in der symbolischen Form männlicher Namen zugelassen, gleichzeitig wird die Abwesenheit ‚realer‘ männlicher Personen bei dieser Aushandlung unter Mädchen begrüßt. In diesem Sinne hat Männlichkeit auf der symbolischen Ebene einen Reiz, in ihrer personalisierten Form wird sie jedoch als störend empfunden. Ein männliches Publikum würde womöglich ihre eigene Männlichkeits-Performance delegitimieren, auch ist offenbar nur der männliche Blick auf den weiblichen (beziehungsweise symbolisch männlichen) Körper mit einem Gefühl von Peinlichkeit verbunden, nicht jedoch der weibliche Blick. Ausgelöst durch die Bemerkung einer der Interviewerinnen, es sei schade, dass die Gruppe sich aufgelöst habe, werden im Folgenden noch einmal Gründe für diesen AuÀösungsprozess zusammengetragen. Ebru zufolge sind die Auftritte kindisch geworden und Gülcan meint, sie hätten anfangen müssen, selbst
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Teil B: Die empirische Untersuchung
zu singen. Auch betonen die Mädchen, dass sie nach Susannes Weggang im Jugendzentrum nicht mehr ernst genommen und unterstützt wurden. Als entscheidendes Problem benennen sie, dass ihnen im Folgenden kein Übungsraum mehr zur Verfügung gestellt wurde. Der Anspruch auf einen eigenen Raum, den sie offenbar mit Unterstützung Susannes noch hatten durchsetzen können, wurde nun beständig durch Jungen, die „Stress machten“ und hineinkommen wollten, in Frage gestellt. Das Scheitern der Mädchen bei der Verteidigung eines ‚Zimmers für sich allein‘ wird während des Interviews performativ re-inszeniert, indem es zu ständigen Unterbrechungen durch anklopfende Jungen kommt, denen auch jedes Mal die Tür geöffnet wird. Die Jungen können es ihnen nicht zugestehen, unter sich zu sein und fordern ihre Verfügbarkeit ein. Ohne die Unterstützung älterer Frauen wurden die Mädchen als Künstlerinnen nicht mehr ernst genommen, es gelang ihnen jedoch auch nicht, sich selbst als Tanzgruppe ernst genug zu nehmen, um noch einen ungestörten Aufenthaltsort für sich einklagen zu können. Der Stilwechsel Im Folgenden kommt Melek unvermittelt auf das Thema der stilistischen Wende in der Tanzgruppe zu sprechen. Melek: Ebru: Melek:
Nach, paar Tage später, gab meine Schwester mir eine Kassette, Foxy Brown Kassette ((lacht)) ich komm hier hin, Ebru sitzt hier in der Küche, da ist Kassettenrekorder, es ist dunkel, so fünf, sechs Uhr, nee, vier, fünf, besser gesagt und, ich komm so zu Ebru und sag, /Ebru, guck mal, ich hab eine geile Kassette, hör mal/ ((schnell)) ich mach rein und wir hören, WOW, GEIL, IST DOCH COOL, WIR TANZEN DIESES LIED, nach zwei Tagen, da, nach zwei Tagen, wir ham ein Auftritt, nach zwei Tagen, sie sagt, NEIN, ICH TANZE NICHT MEHR BACKSTREET BOYS, DAS IST PEINLICH, WIR TANZEN FOXY
Gülcan: Melek:
me: Melek:
aber das haben wir ja alle nach ner Weile gesagt ich meinte so, Ebru, du spinnst, sie meinte so, wieso und so, wir ham noch zwei Tage und so, ich meint so, du spinnst doch, wir ham uns richtig gestritten und nach, nach, dreißig Minuten, dann meint ich so, o. k., sie hat mich fertig gemacht ((lachen)) weil ich hör immer auf sie und sie hört immer auf mich, dann meinten so, ( ) so, o. k., ich tanze, sie sagt so, zeig mir Schritte, ich guck sie an, ich sag so, nein, ist doch nicht dein Ernst, sie sagt so, doch, ich sag, ich zeig ihr Schritte, sie macht, sie macht, sie sagt, ich kann nicht, ich sag so, du kannst es, obwohl sies sehr besser, noch besser kann als ich, dann meint ich so, willst du dieses Lied
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Gülcan: Ebru: I.1: Ebru: Gülcan: Melek:
Gülcan: Melek:
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tanzen, ja auf jeden Fall und so, dann meinten wir, na, o. k. Nach zwei Tagen, ham wir Backstreet Boys aufgegeben, /ham wir Foxy getanzt/ ((lachend)) und alle, alle haben so geschrieen, bis zum Gehtnichtmehr, ich konnte nichts mehr hören, ich dachte ich bin taub, ( ) ((lacht)) das Lied konnte man nicht hören, so gut (4) ((seufzt)) Und das ging euch dann allen so, dass es mit den Backstreet Boys dann, irgendwann peinlich war ? Ja, warn wir auch halt keine Fans mehr, also, waren wir schon aber das war uns schon peinlich, die nachzumachen und so die Lieder waren langweilig Ŋ wir waren eigentlich keine Fans, wir ham im Radio diese Lieder gehört, dann meinten wir, ey das ist gut und so, lass uns, lass uns dis aufnehmen, CD kaufen wir und dis wars, dann ham wir immer gehört, getanzt, dann, ham wir die Fotos und so, oh, den ¿ nd ich schön, den ¿nd ich süß, den ¿nd ich sexy, blablabla, und dann meinten wir, wow, wir sind Ň Ŋ ja, besonders sie von denen Fan.
Bei der lebhaft evozierten Situation des ersten Hörens der von der Schwester vermittelten Musik Foxy Browns waren die Mädchen so begeistert, dass sie beschlossen, innerhalb von zwei Tagen einen passenden Tanz einzuüben. Das gemeinsame Einlassen auf die „coole“ Musik Foxy Browns lässt performativ einen neuen Stil in der Tanzgruppe entstehen: Ebenso wie bei Julia wird erst nach dem aktionistischen Ausprobieren einer neuen Fan-Kultur offenbar, dass nun ein stilistischer Wandel vollzogen ist, der sich mit den bisherigen kulturellen Praktiken nicht mehr vereinbaren lässt, diese erscheinen nun plötzlich als peinlich und unmöglich fortzusetzen. Gülcans Kommentar unterstreicht, dass auch die anderen in der Gruppe diesen Schritt mitvollzogen. Da Melek und Ebru nun zu zweit zur Musik einer Solosängerin tanzten, wurde offensichtlich mit diesem Stilwechsel auch die Ebene des „Nachmachens“ verlassen. Während das Tanzen zur Musik der BACKSTREET BOYS noch mit einer starken Orientierung an den einzelnen Bandmitgliedern einherging, wird mit der Entscheidung, zur Musik Foxy Browns zu tanzen, auch eine Distanzierung gegenüber dem stilistischen Vorbild in Richtung einer größeren Eigenständigkeit vollzogen. Die Ausarbeitung des neuen Stils erforderte einen Prozess der gegenseitigen Motivierung und Ermutigung zwischen Ebru und Melek. Die beiden Freundinnen wechselten in der Zeit der Vorbereitung auf den neuen Tanz mehrmals die Rollen: wenn eine von ihnen an der Durch-
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Teil B: Die empirische Untersuchung
führbarkeit einer so kurzfristig angesetzten Aufführung zweifelte, übernahm die jeweils andere den optimistischen und motivierenden Gegenpart. Weil sie sonst keine Meinungsverschiedenheiten haben, erlebte Melek die aggressive Interaktion mit Ebru als Krise, die sich dank der erfolgreichen Aufführung bald als eine produktive erwies. Der Darstellung der Streitereien in der Tanzgruppe als Mitgrund für deren Scheitern setzt Melek insofern an dieser Stelle eine Sichtweise auf die fruchtbare Seite von konÀikthaften Auseinandersetzungen entgegen. Diese Darstellung wird unterstrichen durch die Beschreibung der fanatischen Begeisterung des Publikums, das bei der Foxy Brown Aufführung mit seinen Schreien die Musik übertönte. Die Frage der Interviewerin nach der mit den BACKSTREET BOYS verhafteten Peinlichkeit führt zu einer Verhandlung des eigenen Fan-Status. Während Ebru erneut die Peinlichkeit eher mit dem Nachmachen der Band als mit dem Fan-Sein in Verbindung bringt, deutet Gülcans Kommentar über die langweilige Musik der Band auch eine generelle Distanzierung von dieser an. In Meleks Beschreibung wiederum vollzog sich ihre gemeinsame Entwicklung zu Fans erst im Zuge der verschiedenen Fan-Praktiken und eben auch des Tanzens. Im Gegensatz zu der Erklärung der anderen Mädchen am Anfang des Interviews stellt sie das Fan-Werden als Begleiterscheinung, nicht jedoch als Auslöser des Tanzens dar. Offensichtlich fällt es retrospektiv schwer, das Fan-Sein und das Nachtanzen chronologisch auseinander zu halten: wie Henne und Ei bedingten diese beiden Faktoren einander. Die BACKSTREET BOYS werden in dieser Beschreibung mit einer zweifachen Bedeutung belegt: Einerseits stehen sie für die Produktion guter Musik, andererseits werden die Bandmitglieder im Laufe der Zeit zu Objekten erotischen Begehrens erklärt. Erst dieser letzte Schritt, von dem sich Melek im Nachhinein ironisch distanziert („sexy, blablabla“) führt dazu, dass sie sich als Fans bezeichnen. Gülcan weist erneut Melek die Rolle derjenigen in der Gruppe zu, die sich in dieser Zeit besonders engagierte. Der Konzertbesuch Das im Folgenden von Melek angesprochene Thema des BACKSTREET BOYS-Konzertes als Highlight des Fan-Seins wird sofort von den anderen aufgegriffen und interaktiv ausgeführt. Das Konzert wird auch insofern als außergewöhnliches Ereignis charakterisiert, als es notwendig erschien, dafür die Schule ausfallen zu lassen, was jedoch teilweise am Widerstand der Erwachsenen scheiterte. Melek und Gülcans Schwester Filiz waren aus diesem Grund erst sehr spät bei der Konzerthalle. Melek: Ebru:
wir waren ganz hinten, ich meinte so, shit (lacht))
3 Fallbeschreibungen Melek: Gülcan: Melek:
me: Gülcan:
Melek: Gülcan: me: Melek: me: Melek: Ebru: Melek:
Gülcan: Melek: Gülcan:
Melek: Gülcan:
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drängeln wir jetzt oder was machen wir, vordrängeln, na, naja, wir meinten, hadi, ist besser, wir bleiben Ŋ und zum Schluss waren wir doch ganz vorne wir waren trotzdem vorne. Wo ich die angesehen habe, ich dachte, die sind Gummipuppen, ich dachte, ich seh die nicht, ich meinte so, die existieren nicht, aber ich hab die richtig gesehen, die ham getanzt, al- die ham immer geschrieen, dis- dieses Konzert hat nur nach Schweiß, nach, alles vorgedrängelt so, wir haben auch Mädchens geschlagen ((lachen)) also nicht direkt geschlagen, da waren, sie stand hinter mir und da warn n Mädchen, die sollte n bisschen, nur n kleines bisschen rutschen, damit sie so, sie stand hier ungefähr, damit sie bisschen nach vorne rücken kann, dann sagt sie so zu mir ganz frech, nö, warum sollt ich, hast dun Knall und so, ich so, wasn mit der los, wir ham uns beide voll aufgeregt Ŋ die hinter mir schreit so /I love you, AJ/ ((imitierend)) sie hat sich voll aufgeregt Ŋ ((lachen)) iiiih, wo sie das gesagt hat ((lachen)) weil ich hab mir so viel Mühe gegeben, dass ich wie ((klopft 3x auf den Tisch)) er tanzen kann und sie sagt einfach /I love you, AJ/ ((imitierend)) ((lacht)) und da hab ich sie so angeguckt, sone Brille sone kleine, wh, Schielauge und dann, ich hab sie, wie ich mich umgedreht habe, ich hab ihr sone geknallt und dann Gülcan so, / MELEK, ICH KOMM DIR HELFEN / ((lachend)) wir sind voll ( ) Ŋ aber wir hatten kaum Platz gehabt, da, denn der ganze Druck von hinten Ň Ŋ ja, ich hab kein a-, ich hab keine Luft mehr gekriegt sie musste als erstes rausgehen weil da der ganze Druck von hinten, an dieses Gitter, da kriegt man wirklich, ich dachte immer die Mädchen im Fernsehen, die spinnen oder so, da kriegt man wirklich keine Luft, dein ganzer Bauch und so wird alles zerquehetscht und du bist dann nur noch so da ((atmet schwer)) aber, man, da fällt einem nicht auf, weil man nur auf, Ŋich dachte, was ich gegessen habe auf die gucken tut. Und dann später, kamen, standen ja diese, Security da und sie so /ich kann nicht mehr, ich muss hier raus/ ((imitierend)), wir dachten, sie erstickt und, ham sie sie rausgeholt und dann als sie, als sie bei dem Security
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Melek: Gülcan:
Melek:
me: Gülcan: Melek:
Teil B: Die empirische Untersuchung in den Armen, also s-so war, ham sie ja rausgeholt, sie so ((zieht Luft ein)) / mmmmh/ ((imitierend)) ((lacht laut)) ( ) so gesehen, weil sie fand, der hat voll gut, später hat sie sno- nur von dem so erzählt und von den Backstreet Boys, der hat voll gut gerochen Ň Ŋder Bodyguard meinte so, äh, ich hatte irgendwas, AJ oder so, ich weiß nicht, was ich anhatte, äh, der Bodyguard kam so ha-, ist hinter-hergerannt so, er meint so, ey, ich muss dir etwas sagen, ich guck ihn so an, ich sag so, was denn, er sagt so, AJ grüßt dich ganz doll ((zieht Luft ein)) ich meint so, wow, ich meint so, guuut Ň Ŋ ((lachen)) weil er, weil er Ŋich meinte so, grüßen sie ihn zurück, sehr viel und so, er meinte so, ja, das sag ich und so, naja. Ich hab die von ganz oben son, Fernseher gesehen, ich war vorne, aber, die konnte man, so, kleine Teile sehen, wie ( )
Melek charakterisiert mit ihrer Beschreibung der Schreie, des Schweißgeruches und ihrer Wahrnehmung der BACKSTREET BOYS als eine Art Halluzination den Konzertbesuch als irreales, sinnliches und rauschhaftes Erlebnis. Die Bezeichnung der Bandmitglieder als „Gummipuppen“ hebt sowohl deren Gelenkigkeit als auch den künstlichen Charakter der Situation hervor. Meleks und Gülcans Entscheidung, nicht zu drängeln, markiert eine Distanzierung von der mit reißenden, selbstentgrenzenden Efferveszenzsituation, in die sie geraten sind, der Umstand, dass sie schließlich doch ganz vorne standen, verdeutlicht jedoch, dass sie durchaus an dieser teilhatten.103 Während Julia die spontane Communitas der KonzertBesucherInnen als solidarisch wahrnahm, wird hier Solidarität nur innerhalb der Clique ausgeübt und der Prozess der Vergemeinschaftung mit den anderen Fans erfolgt auf einer kämpferischen Ebene. Gülcan relativiert die eigene Gewalt und verdeutlicht die aggressive Stimmung beim Konzert durch ihre Erzählung von einer unkooperativen anderen Besucherin, während Melek sich kämpferischer gibt und konkret von einem Mädchen berichtet, das sie geschlagen hat, weil es „einfach“ „I love you AJ“ rief. Das Mädchen kennzeichnet auf diese Weise (ebenso wie viele andere Konzertbesucherinnen) ihr Verhältnis zu AJ als „einfache“ erotische Objektbesetzung im heterosexuellen Rahmen. In ihrer Konfrontation mit einer Menge begehrender weiblicher Fans wird Meleks eigenes, weitaus komplizierteres Verhältnis zu AJ in Frage gestellt: Anstatt diesen einfach zu begehren hat sie selbst sich mit ihm identi¿ziert und ihn „nachgemacht“. Dieses mimetische 103
Zum Begriff der „kollektiven Efferveszenz“ (Durkheim) vgl. A 2.1.
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Verhältnis zum Star, für das sie so viel Anerkennung erhalten hat, bekommt in der Konzertsituation plötzlich eine andere Konnotation: ihre besondere Beziehung zu AJ wird von niemandem erkannt und die Aussage „I love you AJ“ gilt diesmal nicht ihr. Konnte sie vorher sowohl Fan als auch der Star selbst sein, wird sie nun eindeutig in die Position des Fans verwiesen. Gleichzeitig konfrontiert das Verhalten der anderen Fans Melek mit einer wohlgeordneten heterosexuellen Matrix (d. h. der Verbindung gleichgeschlechtlicher Identi¿zierungen mit einem gegengeschlechtlichen Begehren, vgl. Kap. A 3.2), in die sie sich selbst nicht einordnen kann, wodurch ihr eigenes Fan-Verhältnis als anormal erscheint. Das kleine Mädchen hinter ihr dagegen ordnet sich ohne große Mühe in diese Normalität ein und erweist sich als kompetent im wichtigen Feld der romantischen heterosexuellen Liebe. Meleks Verunsicherung äußert sich schließlich in einem Aggressionsausbruch gegenüber diesem Mädchen. Auch in dieser Situation bekommt sie Rückhalt von ihrer Gruppe: Obwohl sie offensichtlich die Stärkere in diesem KonÀikt war, kam Gülcan ihr zu Hilfe. Gülcan verdeutlicht in ihrer Beschreibung der Konzertsituation, dass das aus den Medien bekannte Bild kollabierender Fans durch konkrete äußere Umstände, nämlich den „Druck von hinten“ zustande kommt und nicht daran liegt, dass die Mädchen „spinnen“. Auch sie schildert den Konzertbesuch als realitätsfernes, rauschhaftes Erlebnis: Weil die Fans so auf die Band konzentriert sind, merken sie nicht, dass sie keine Luft mehr kriegen. Im Folgenden wird Meleks Erfahrung, von einem Bodyguard herausgetragen zu werden, von Gülcan und ihr als gemeinsame Erfahrung geschildert. Dieser richtete ihr Grüße von AJ aus und nahm insofern eine Rolle des Vermittlers zwischen Stars und Fans ein. Der Kontakt mit ihm steht für Nähe zu den Stars, war aber auch selbst bereits betörend nahe und fügt der erotisch aufgeladenen Konzertsituation eine sinnlich-körperliche Komponente hinzu. Melek konnte jedoch selbstbewusst mit dieser Situation umgehen: sie machte sich über den Parfumduft des Bodyguards lustig und ließ AJ locker zurück grüßen. Ihrem besonderen Verhältnis zu AJ wird in dieser Situation Rechnung getragen, die gegenseitig ausgerichteten Grüße lassen sich als Grüße zwischen Kollegen verstehen, gleichzeitig erlaubt die intime Situation mit dem Bodyguard eine eindeutige heterosexuelle Positionierung. Zumal die BACKSTREET BOYS selbst nur sehr klein oder auf dem Bildschirm zu sehen waren, erstaunt es nicht, dass diese Begegnung später einen großen Raum in Meleks Erzählungen einnahm. Die Stars selbst und deren Musik spielen in dieser Schilderung der Konzerterlebnisse eine auffällig kleine Rolle. Wie auch von Antje und Julia wird in der Erzählung der Gruppe die Begegnung mit anderen Fans (beziehungsweise den Bodyguards) hervorgehoben. Anknüpfend an Meleks Beschreibung anderer weinender und schreiender Fans fragt Nuray nach, ob auch Melek und Gülcan geweint hätten und initiiert damit das Thema ‚unkontrolliertes Fanverhalten als negativer Gegenhorizont‘
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Teil B: Die empirische Untersuchung
(das auch von Bianca und Nicole angesprochen wird). Während Melek und Gülcan „voll cool“ waren, haben andere Mädchen gekreischt, sich die Haare ausgerissen und sich unverhältnismäßig aufgeregt. Gülcan versuchte ein Mädchen davon zu überzeugen, dass die BACKSTREET BOYS „ganz normale Menschen“ seien. Mit ihrem Verweis darauf, dass sie selbst ebenso besonders sei wie die BACKSTREET BOYS präsentiert sich Gülcan ähnlich selbstbewusst wie vorher Melek. Sie verwehrt sich dagegen, die Stars auf eine Weise zu überhöhen, die ihr Menschsein, das sie mit dem Publikum teilen, vergessen lässt. Melek:
?: Melek:
Ebru: Melek:
Gülcan: Melek:
meine Mutter, guckt so im Fernsehen, wenn, manchmal von Bravo, dis zeigen, die Mädchen schreien, sie sagt so, sie bleibt so, sitzen, sie sagt so, /ich spinne/ ((geraunt)) ((lacht)) dann sagt sie, /dann sag ich so, wieso denn/ ((lachend)) ist doch quatsch, was die da /machen und so/ ((lachend)), sie so, sie sagt so, das sind doch auch Leute, /weißt du, ganz cool so, dann sag ich so/((lachend)) Ň Ŋ ((lacht)) ja, auf jeden, immer ja, aber die sind berühmt und so, na und, sagt sie, wenn ich da hingehe und meine Unterwäsche ausdrehe, ( ) schreit niemand, aber wenn die das machen f-fallen die ins Ohnmacht und so, ich meint so, ja und so, aber, sie meinte, ein normaler Mensch, auch wenn sie verliebt oder verknallt, oder, auf ihn so steht, muss doch normal bleiben, ist do-, mh, die sind doch irgendwie behindert, alle zu schreien, wenn du schreist, was hast du denn davon, du kannst nicht mehr Ŋrealistisch sein (2) ja nä, ich weiß nicht. Wenn du schreist, dann musst du ein ganz, be-, nur, er muss nur deine Stimme hören, das ist richtig so, hart, so ((deutet Gebrüll an, lacht))
Melek unterstützt Gülcans Position mit einer Erzählung von ihrer Mutter, die es absurd ¿ ndet, dass der Anblick der BACKSTREET BOYS Schreien und Ohnmacht auslöst, während niemand schreien würde, wenn sie selbst sich auszöge. Die Einstellung der Mutter repräsentiert hierbei die ,Stimme der Vernunft‘, die daran erinnert, dass die Bandmitglieder auch nur Menschen sind und dass es wichtig ist, „normal“ und „realistisch“ zu bleiben. Die Mädchen vollziehen hier einerseits eine Distanzierung von den unkontrollierten Fans, setzen sich jedoch auch mit der Gefahr eines Kontrollverlustes, der sie selbst ausgesetzt waren, auseinander. Die Außeralltäglichkeit der Efferveszenz-Situation beim Popkonzert stellt kurzzeitig die Normalitätskategorien in Frage, weshalb die Mädchen sich an dieser Stelle gegenseitig versichern, dass es bei aller Begeisterung für die BACKSTREET BOYS
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dennoch wichtig ist, diese unter Kontrolle zu halten. Nachdem sie zuvor bereits die Fans der eigenen Tanzgruppe mit Hühnern bei der Fütterung verglichen hatte, verweist Melek auch in Bezug auf das Kollektivverhalten der Fans der ,echten BACKSTREET BOYS‘ kritisch auf dessen Entindividualisierungseffekt. Da sie sich selbst als Fan wahrnimmt, gleichzeitig aber auch eigene Erfahrungen als ,zweiter AJ‘ gemacht hat, ist es ihr wichtig, nicht mit der Masse zu verschmelzen, sondern als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Ihre Beschreibung des alles übertönenden Schreis dient als Metapher für ihre Selbstdarstellung als selbstbewusster, durchsetzungsfähiger und herausragender Fan. Auch nach dem Konzert lösen die Mädchen sich aus der Masse der anderen Fans und laufen auf der Suche nach der Boygroup um die Konzerthalle herum. Die Bodyguards, die sich bereits als erotisch konnotierte Stellvertreter der Stars erweisen konnten, haben auch in dieser Situation eine erotische Signalwirkung. Gülcan:
Melek: Gülcan: Melek: Gülcan:
Melek:
ganze Deutschlandhalle wollten wir, einmal so umdrehen, wir waren am Bus und so, wi- da waren so Reisebusse und wi-, bei jedem Reisebus konnte man nicht durchgucken und wir dachten immer Ň Ŋda waren die Bodyguards, ich glaube, die waren im Bus drinne da sind die jetzt drinne, da sind die drinne, aber es waren so viele, aber bei dem einen Bus Ŋund ich glaube die wa, ich gl-, ich glaube die waren da drinne da sind so lauter Bodyguards so so, langgelaufen, neben dem Bus, dann haben wir so gesagt, ja, da sind sie drin und haben uns voll gefreut, obwohl wirs nicht wussten, ob sie drin sind oder nicht, war voll krass Ň Ŋ ((lacht laut))
Die große Freude der Mädchen über den Bus, in dem die BACKSTREET BOYS hätten sein können, verweist deutlich auf die imaginäre Ebene ihres Fan-Vergnügens: Der Lustgewinn ist hier offensichtlich nicht an eine reale Begegnung mit dem Star geknüpft, statt dessen ist die Unmöglichkeit einer solchen Begegnung in der emotionalen Struktur des Fan-Begehrens bereits miteinkalkuliert. Zwar ist das Streben nach Nähe zum Star (bei dem es auch darum geht, andere zu übertreffen) ein wichtiger Bestandteil dieses Begehrens, ebenso wichtig ist jedoch die Rolle der Imagination, mit deren Hilfe die real unüberwindbare Distanz letztlich aufgehoben werden kann. Die imaginierte Nähe erscheint hierbei keineswegs als Substitution für eine reale Begegnung, sondern als eigentliche Quelle des Vergnügens beim Fan-Engagement. Die Struktur der verhinderten Wunscherfüllung,
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Teil B: Die empirische Untersuchung
die sich für Antje und Julia bei Konzertbesuchen durchaus auch auf frustrierende Weise bemerkbar machte, wird von der Gruppe ‚Tanz‘ nicht als problematisch empfunden: Der Spaß am Erleben einer Ausnahmesituation in der Mädchenclique wiegt hier stärker als der Wunsch, in die Nähe der Stars zu gelangen. Gleichzeitig schwingt in dieser Passage die Ahnung mit, dass auch das eigene damalige Verhalten nicht immer „realistisch“, sondern zuweilen auch „voll krass“ war. Nicht alle Mädchen in der Gruppe bekamen von ihren Eltern die Erlaubnis, zum BACKSTREET BOYS-Konzert zu gehen. Als Hindernis beim Konzertbesuch werden außerdem die Eingangskontrollen geschildert. Melek und Gülcan berichten, dass sie sich ein mitgebrachtes Getränk noch rasch „runterzwingen“ mussten, weil sie es nicht mit in die Halle nehmen durften. Hier zeigt sich erneut die Bereitschaft, körperliche Leidenssituationen in Kauf zu nehmen, wenn es notwendig ist, um in die Nähe der Stars zu kommen. Diese Passage dokumentiert jedoch auch deutlich, welches Vergnügen es bereitet, der Security am Eingang einen Streich zu spielen und so die von außen gesetzten Standards eines angemessenen FanVerhaltens clever zu umgehen. Gülcan:
Melek: me: Melek: Gülcan: Melek: Ebru: Melek: Ebru: Melek: Gülcan: Melek:
aber das Gedrängel da und die ganze Schla-, äh, diese ganze Schlange, vor dem Konzert da, als alle da waren, die ging, richtig so zickzack, zickzack und rum und wieder da, das war so voll, das gibts gar nicht (1) und was vo- äh, voll schön war, war, als alle so, em, em, Fotos gemacht haben, überall, an jeder Ecke hast du so, Blitzlichter gesehen, und man darf ja eigentlich keinen Fotoapparat oder so mitnehmen, kommt drauf an, was für einer, und, fast alle Mädchen, die ich so gesehen hab, neben mir standen und so, ham, alle ihre Fotoapparate versteckt, die eine im Kuscheltier, die andere de-, keine Ahnung, aber alle ham sie ihre versteckt und dann später hat man das voll Blitzen gesehen Ŋich hab, unter meinen Dings, Alter ((kichern leise)) ich musste den verstecken, weil da waren Frauen, die ham geguckt, da meint ich so, oh shit, was mach ich jetzt, ja ((trällert)) Ŋja, man darf ja nur, man darf ja nur son ganz kleinen haben h ne in die Unterhose ? naja, in deine Fot- (1) -ze naja, anders konntest du nicht, wohin willst du denn, hier ? In mein ( ) ŊVagina /aaaaaah, wusst ich nicht/ ((imitierend))
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Im Kontext von Gülcans Bemerkung, es sei erlaubt gewesen, kleine Fotoapparate mit hinein zu nehmen, belegen Meleks durchaus genüsslich vorgetragene Anspielungen auf das Verstecken ihres Apparates in der Vagina, dass die Motivation für derartige Tricks eher in dem Vergnügen zu suchen ist, das ihre Durchführung bereitet, als im äußerlichen Zwang. Im Sinne de Certeaus (vgl. A 1.3) gehen die Mädchen hierbei auf lustvolle Weise Konsum-Taktiken nach, indem sie listenreich Lücken innerhalb der institutionellen Vorgaben suchen. Das Austricksen der Bodyguards hat auch einen Solidarisierungseffekt, der Gülcan eine zeitweilige Identi¿zierung mit dem Kollektiv der Fans erlaubt, welche sich in ihrer Freude am „voll schönen“ Blitzlichtgewitter durch die eingeschmuggelten Fotoapparate äußert. Meleks Anspielung auf ihre Vagina lässt sich auch interpretieren im Kontext zahlreicher anderer Verweise auf die körperliche Seite des Konzertbesuches. Dieser wird somit als sinnlich und auch erotisch empfundene Efferveszenzsituation dargestellt. Die erlebte Erotik kommt dabei nicht durch eine Nähe mit dem begehrten Star zustande (dieser wird wie sonst auch auf einem Bildschirm gesehen), sondern ist gewissermaßen im Raum verteilt und manifestiert sich eher in Fan-Praktiken wie dem Verstecken eines Fotoapparates oder in Begegnungen mit Bodyguards. Die rauschhafte, sinnliche und selbstläu¿ge Komponente des Konzertbesuches (die sich auch im lebhaften Diskursverlauf wiederspiegelt) wird von den Mädchen offensichtlich als ambivalent erlebt: Ihre Schilderung dieses Ereignisses ist zum einen von Distanzierungsbewegungen durchzogen, gleichzeitig scheint jedoch auch ihre Faszination gerade für dessen efferveszente Seite durch und es wird deutlich, dass sie sich dieser auch damals nicht völlig entziehen konnten. Die Gruppe verhandelt hier nicht nur den eigenen Sonderstatus gegenüber ‚normalen‘ Fans, sondern auch die schwierige Aufgabe, sich einer populärkulturellen Gemeinschaft zuzuordnen und dabei dennoch die eigene Persönlichkeit zu behaupten, beziehungsweise die lustvolle Seite einer Efferveszenzsituation mitzuemp¿nden ohne dabei vollständig die Kontrolle zu verlieren. Offenbar dient die unter den Konzertbesucherinnen herausgebildete habituelle Übereinstimmung, die sich im gemeinsamen Drängeln nach vorne manifestiert, der Verhandlung der weiblichen Position in einer heterosexuellen Begehrenskonstellation, in die sich die interviewten Mädchen nur bedingt einfügen können, beziehungsweise wollen: Zwar begehren auch sie die BACKSTREET BOYS, sie wissen jedoch, dass auch sie selbst in der Lage sind, die Position des umschwärmten Liebesobjektes einzunehmen und lassen sich deshalb nicht rückhaltlos und nicht ohne den Wunsch nach einer Anerkennung der eigenen Persönlichkeit auf dieses Begehren ein.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
Der Video¿lm und das Ende des Interviews Ausgelöst vom Eintreffen Susannes, äußern die Mädchen den Wunsch, sich nun den Video¿lm anzusehen. Während eine der Interviewerinnen den Film einlegt, kommen noch weitere Mädchen in die Küche, die sich diesen gerne ansehen wollen. Das Anschauen von drei Videoaufnahmen der Mädchen als BACKSTREET BOYS wird von lautem Lachen, Schreien und Ausrufen wie „nein, voll peinlich, ich seh‘ voll bescheuert aus“ begleitet, sie kommentieren ihre Fehler, ihre Kleidungsstücke, Meleks Zahnspange, tauschen kleine Anekdoten aus und geben ihrem Befremden Ausdruck (Melek: „Ich kenn die nicht, Ebru, kennst du die ?“ Gülcan: „Wir haben irgendwie immer das Gleiche gemacht.“). Als ein Junge in den Raum kommt, rufen sie laut: „nein, nein, oh mein Gott, mach‘ aus !“ Nach einiger Zeit verlässt Melek den Raum mit den Worten: „Ich kann nicht mehr, das ist nichts mehr für mich“. Die anderen Mädchen sind nach dem Ansehen des Videos noch bereit, das Interview fortzusetzen. Auf die Frage einer Interviewerin nach der Schule erzählt Gülcan, dass viele Mädchen aus der Clique wenig erfolgreich in der Schule sind und auch keinen Sinn darin sehen, sich in diesem Bereich zu engagieren. Aufgrund der unruhigen Situation in der Küche und auch weil nun hier gekocht werden soll, wobei auch einige aus der Gruppe mitmachen wollen, muss dieser Versuch, die Diskussion wieder aufzunehmen, jedoch abgebrochen werden. Zusammenfassung: Die Habitualisierung gruppenstabilisierender Beziehungspraktiken mittels fankulturellen Engagements Die Gruppe ‚Tanz‘ nutzte ihre fankulturellen Aktivitäten als Mittel zur Verhandlung aktueller KonÀikte sowie als Rahmen zur Konstitution einer habituellen Übereinstimmung im Bereich gruppenstabilisierender Beziehungspraktiken. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung einer mangelnden Anerkennung im schulischen Bereich sowie generell von Seiten der Erwachsenen und von Seiten der Jungen sind die Mädchen daran orientiert, als Gruppe einen starken Zusammenhalt zu ¿nden und diesen auch nach außen hin zu präsentieren. Dieser Zusammenhalt wird insbesondere bedroht durch den gleichzeitigen Wunsch, von den Jungen auf der Ebene von (erotischen) Zweierbeziehungen ernst genommen zu werden, der die einzelnen Mädchen in einen KonÀikt zwischen den Ansprüchen der Freunde und denjenigen der Mädchenclique bringt. Gleichzeitig wird die erotische Ebene von einigen Eltern sanktioniert. In dieser Situation konstituierte sich zwischen den Mädchen eine Fan-Kultur, deren zentrale Praktik die tänzerische, mimetische Annäherung an eine Boygroup war. Im Unterschied zu allen anderen Mädchen in meinem Sample, die die
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Praktik des „Nachtanzens“ nur in Bezug auf Girlgroups anwenden, entschied sich diese Gruppe zunächst für eine geschlechtsübergreifende tänzerische Mimesis. Diese bot ihnen folgende Vorteile: Zum einen brachte die öffentliche Selbstinszenierung als Künstlerinnen ihnen die in anderen Bereichen vermisste Anerkennung ein und sie waren als Gruppe dahingehend akzeptiert, dass ihnen ein eigener Raum in der Freizeitstätte zugestanden wurde. Durch ihre Einnahme der symbolischen Position männlicher Stars wurde ihnen insbesondere die erotisierte Bewunderung anderer Mädchen zuteil, die sie genießen konnten ohne dem Verdacht der Homosexualität ausgesetzt zu sein. Zumindest eine Zeitlang erschien ihnen die kulturelle Repräsentation von Männlichkeit attraktiver als die von Weiblichkeit, weshalb es zu einer gegengeschlechtlichen Identi¿zierung kam. Da sie diese ‚verkehrten Identi¿zierungen‘ und auch ihre Anähnlichung an die Stars strikt auf die Ebene der Performance beschränkten, erlebten sie diese auch nicht als bedrohlich in Bezug auf die eigene Weiblichkeit.104 Ähnlich wie die Gruppe ‚Die Kleinen‘ und im Unterschied zu Bianca und Julia vollzogen sie eine eher aktionistisch und spielerisch geprägte Mimesis, die sie durchaus nicht als Einschränkung der eigenen Persönlichkeitsentwicklung wahrnahmen. Im Sinne Butlers schafften sie sich somit einen symbolisch akzeptierten Rahmen innerhalb dessen sie auch ‚verkehrte Identi¿zierungen‘ ausleben konnten (vgl. hierzu Teil A 3.2). Ihr eigenes schwärmerisches Verhältnis zur Boygroup bot ihnen gleichzeitig die Möglichkeit der Aufnahme einer erotischen Beziehung zum anderen Geschlecht, die sich nicht schwächend, sondern vielmehr stabilisierend auf ihren Zusammenhalt als Gruppe auswirkte. Des Weiteren konnten die Mädchen im Rahmen dieser Kultur (ebenso wie die Gruppe ‚Die Kleinen‘ und andere Fans, die sich für eine mimetische Annäherung an die SPICE GIRLS entschieden haben) das Thema der Präsentation des eigenen Körpers verhandeln. Die Gruppe hatte bereits in der Phase vor den Auftritten ein wichtige beratende und unterstützende Funktion, sie bot jedoch auch insofern Schutz, als die Uniformität ihrer Kleidung die Exponiertheit der Individuen hinter der Exponiertheit der Gesamtgruppe zurücktreten ließ. Die wichtige Funktion der Clique wird ebenfalls beim Konzertbesuch deutlich, als sich die Mädchen zwar von der efferveszenten Stimmung mitreißen lassen, indem auch sie nach vorne drängen, gleichzeitig jedoch von der mit dieser einhergehenden Gefahr des Kontroll- und Realitätsverlustes bedroht fühlen: Hierbei können sie sich gegenseitig vor Gefühlsausbrüchen bewahren und in der Abgrenzung gegenüber ‚uncoolen‘ Fans, die zugunsten der Hingabe an die Stars und der Efferveszenz einen PersönZu einer Verwirrung in Bezug auf die eigene Positionierung im Kontext der heterosexuellen Matrix kommt es lediglich beim Konzert, als die Anähnlichung an die BACKSTREET BOYS als außergewöhnliches Fan-Verhalten offenbar wird.
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lichkeitsverlust in Kauf nehmen, unterstützen. Schließlich lernten die Mädchen in dieser Zeit gemeinsam neue Musikstile kennen und eigneten sich diese auf der Ebene der tänzerischen Umsetzung an. Trotz dieser positiven Aspekte stellten das Fan-Sein und die Star-Mimesis nur eine Zeitlang einen sinnvollen kulturellen Rahmen für die Mädchenclique dar. Die Gruppendiskussion bot den Teilnehmerinnen ein Forum, um sich über diese Phase ihrer gemeinsamen Vergangenheit zu verständigen und die Konsequenzen auszuloten, die sich aus dem Umstand ergeben, dass sie schleichend vorüberging. Die stellenweise sehr engagierte Beteiligung der Mädchen an der Diskussion weist darauf hin, dass die fankulturelle Phase der Gruppe noch nicht lange zurückliegt und dass der Abschied von dieser Zeit nicht schmerzfrei verläuft. Insbesondere Melek möchte das Interview nutzen, um die anderen von einer Wiederaufnahme des Tanzens zu überzeugen. Als einzige, die ernsthaft daran interessiert ist, wieder Auftritte zu organisieren, ist sie insofern in einer besonders verletzbaren Situation, weshalb sie sich auch zunächst nicht am Gespräch beteiligt, sich schließlich aber mit ihrem Anliegen nicht zurückhalten kann, wobei sie jedoch enttäuscht wird: Für die anderen ist die Erinnerung an diese Phase ambivalent besetzt – sie war schön, aber auch peinlich – und sie betrachten sie als abgeschlossen. Für das Gefühl der Peinlichkeit, das die Erinnerung an die Auftritte auslöst, gibt es offenbar mehrere Ursachen. Zunächst war es peinlich, den Blicken einer Öffentlichkeit exponiert zu sein, die somit die Mängel des eigenen Körpers oder auch der Tanzkompetenzen wahrnehmen konnte. Erik Erikson verweist auf die Verbindung zwischen Exponiertheit und Scham: „Sie (die Scham, B. F.) setzt voraus, daß man sich exponiert und beobachtet weiß, daß man seiner selbst peinlich bewußt ist. (…) Der Beschämte möchte die Welt zwingen, ihn nicht anzusehen, seine Exponiertheit nicht zu bemerken.“ (Erikson 1995: 182, orig. 1966) Den unangenehmen, weil entlarvenden Blick der anderen verorteten die Mädchen damals jedoch insbesondere auf männlicher Seite und auch heute noch emp¿nden sie den männlichen Blick auf die konservierten Bilder der Tänze als bedrohlich. Dieser Umstand hängt insbesondere damit zusammen, dass das weibliche Publikum sich auf die Boygroup-Konzert-Mimesis einließ, während die Jungs Distanz wahrten und sich lustig machten. Ein weiterer Grund für Peinlichkeitsgefühle liegt offenbar in der Ursache, dass sie damals mit den BACKSTREET BOYS eine Gruppe auswählten, die retrospektiv nicht „cool“ genug ist. Der mittlerweile bevorzugte HipHop ist ein eher harter Musikstil, demgegenüber die Popklänge der BACKSTREET BOYS-Musik sehr weich und harmlos klingen. HipHop wird darüber hinaus stark mit der Widerstandskultur US-amerikanischer Ghettos assoziiert und bietet insofern einen besseren Ansatzpunkt zur Artikulation eigener Diskriminierungserfahrungen als das an Werten einer weißen Mittelschicht orientierte
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Boygroup-Image.105 Auch der Vorgang des einfachen Nachmachens der Band ist den Mädchen heute peinlich. Einerseits wurde ihnen bei dem BACKSTREET BOYSKonzert deutlich, dass dieses Nachmachen nicht dem üblichen Verhalten von Boygroup-Fans entspricht und somit aus den ‚geordneten‘ Begehrensverhältnissen der heterosexuellen Matrix herausfällt. Andererseits wirkt das bloße Nachmachen von anderen mittlerweile distanzlos und unselbständig. Vor diesem Hintergrund kam es zu einem zweimaligen Stilwechsel im Zuge dessen sie sich von der geschlechtsübergreifenden Mimesis in Richtung eines von weiblichen Stars und schließlich auch von einer Rapperin inspirierten eigenständigen Tanzens bewegten und schließlich ganz aus der Fan-Kultur lösten. Obwohl das Ende der Tanzgruppenzeit für die Mädchen mit dem Wehrmutstropfen der Erkenntnis verbunden ist, dass sie ihren Sonderstatus und ihren eigenen Raum im Jugendzentrum in der Folge nicht verteidigen konnten, lässt sich der Abschluss dieser Phase auch als Emanzipationsprozess begreifen: Die mimetische Annäherung an Vorbilder hat mittlerweile ihren Reiz verloren. Zwar wird diese auf einer imaginären Ebene noch durchgespielt, sie wirkt retrospektiv jedoch unselbständig und eine mögliche Zukunft als Künstlerinnen ist nur im Sinne einer weiteren Ablösung von Vorbildern denkbar, etwa, indem sie selbst sängen. Eine derartige Professionalisierung ist jedoch nur für die beste Tänzerin Melek denkbar, weshalb die fankulturelle Phase für alle anderen Mädchen eindeutig abgeschlossen ist. Wie für Antje und Julia ist ein zentraler Aspekt der Fan-Kultur der Gruppe „Tanz“ die Auseinandersetzung mit dem Einstieg in die Praxis der Heterosexualität. Im Unterschied zu diesen beiden Interviewpartnerinnen setzt sich die Gruppe jedoch nicht nur mit der neuen Erfahrung erotisierter gegengeschlechtlicher Beziehungen auseinander, sondern insbesondere auch mit dem Dilemma, dass die Aufnahme heterosexueller Paarbindungen ihrem starken Bedürfnis nach einem Zusammenhalt in der Mädchengruppe entgegensteht. Der Umstand, dass sie sich auch während des Interviews nicht von Vereinnahmungsversuchen von Seiten der Jungen abgrenzen können, weist darauf hin, dass sie diesen KonÀikt noch immer nicht befriedigend für sich lösen konnten. Es wird jedoch ebenso deutlich, dass es den Mädchen gelingt, auch ohne die kulturelle Rahmung des Fan-Seins in kommunikativer Kompetenz einen Gruppenzusammenhalt zu konstituieren: Obwohl eine Ursache für die AuÀösung der Tanzgruppe massive KonÀikte untereinander waren, stellen die Mädchen in der Diskussion die Harmonie und Solidarität in der Gruppe heraus. Sie vermeiden konsequent gegenseitige Schuldzuweisungen und verweisen häu¿g auf einen Gruppenkonsens. Darüber hinaus lässt sich die Art und Weise, wie sich die Teilnehmerinnen im Interview 105
Vgl. auch Weller (2003). Diesen Aspekt diskutiere ich ausführlicher in Teil B 4.4.
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Teil B: Die empirische Untersuchung
aufeinander beziehen, der De¿nition von Jennifer Coates (1996) zufolge als kooperativer Diskurs bezeichnen. Der kooperative Diskurs, den Coates insbesondere in Gruppen von Freundinnen beobachtet hat, weist verschiedene Merkmale auf, die sich in der Diskussion wieder¿nden: Die Mädchen vervollständigen gegenseitig ihre Redebeiträge, sie wiederholen oder paraphrasieren diese gegenseitig und es kommt häu¿g dazu, dass sie sich wechselseitig in ihre jeweiligen Beiträge einschalten und diese fortführen. Insbesondere bei der dichten Schilderung des Konzertbesuches werden darüber hinaus die Erfahrungen anderer Mädchen so erzählt, als seien sie selbst erlebt worden. In diesem Sinne lässt sich schlussfolgern, dass die gemeinsam vollzogenen fankulturellen Aktivitäten den Mädchen auch als Basis zur Herausbildung einer habituellen Übereinstimmung im Bereich ihrer Beziehungspraktiken diente, die ihnen helfen konnte, der Bedrohung des Gruppenzusammenhaltes durch die von Jugendlichen erwartete Praxis der Konstituierung heterosexueller Zweierbeziehungen zu widerstehen und allen Anfechtungen zum Trotze sich weiterhin als Clique gegenseitig zu stützen und zu begleiten. 4
Dimensionen der Fan-Kultur. Komparative Analyse
Auch wenn sich in allen vorliegenden Fallbeschreibungen einige „typische Elemente“ der Fan-Kultur wiedererkennen lassen – wie etwa die Praktik des Sammelns verschiedener Fan-Artikel –, so weisen sie doch gleichzeitig auch große Unterschiede auf. Das jeweilige kulturelle Engagement und dessen subjektive Bedeutung variieren für die Akteurinnen, je nachdem, in welcher Lebenssituation sie sich be¿nden und welche Themen für sie von aktueller Relevanz sind. Offensichtlich ist die Beschäftigung mit Boygroups stark mit einer Verhandlung der Beziehung zum anderen Geschlecht verknüpft, während die Fans von Girlgroups sich eher mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit auseinander setzen. Darüber hinaus zeigen sich jedoch auch deutliche Unterschiede zwischen der Art und Weise, wie jüngere Mädchen ihr Fan-Sein erleben und ausleben und der Fan-Kultur älterer Jugendlicher. Wie sich in einer komparativen Analyse der Interviews herausarbeiten lässt, sind diese verschiedenen Lebensphasen mit ganz unterschiedlichen Identitätsanforderungen verbunden, die sich jeweils auch auf das kulturelle Engagement der Mädchen auswirken. Im Folgenden werde ich ausführen, inwiefern diese Kultur den Mädchen Möglichkeiten zur Verhandlung der wechselnden Anforderungen während der Entwicklung vom Kind zur Erwachsenen eröffnet. Hierbei gehe ich zunächst auf das Fan-Sein als Kinder-Kultur ein, dann auf dessen Funktion in der Schwellen-
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phase zwischen Kindheit und Jugend und erörtere schließlich die Merkmale eines Fan-Engagements, das sich als Jugendkultur äußert. Gleichzeitig zeigt sich in den folgenden Ausführungen, dass die in meiner Studie zu beobachtenden Verhandlungen des Überganges vom Kinder- in Richtung des Erwachsenenstatus als überaus dynamischer Prozess zu verstehen sind, im Zuge dessen häu¿g zwischen verschiedenen Phasen hin- und hergesprungen wird. In diesem Sinne weist etwa das Fan-Engagement von Antje, Bianca und Julia sowohl Merkmale einer Kinder-Kultur auf als auch Merkmale der Schwellenphase zwischen Kindheit und Jugend. Im abschließenden Teil B 4.4 gehe ich des Weiteren darauf ein, inwiefern die Fan-Kultur ein Forum zur Verhandlung milieuspezi¿scher und ethnischer Differenzen darstellen kann. 4.1 Fan-Sein als Kinder-Kultur Das Interesse für Pop-Stars ist heute auch Bestandteil einer Kinder-Kultur. Während sich die Fans der BEATLES noch eindeutig als ‚Teenager‘ bezeichnen ließen, liegt das durchschnittliche Einstiegsalter der BRAVO-LeserInnen, die dann auch in einem bestimmten Bereich der Pop-Musik orientiert sind, heute bei acht Jahren (vgl. Ljubic 1997). Zu dem in den Medien und teilweise auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur verbreiteten Bild typischer Pop-Fans (vgl. A 1.3) gehört in diesem Sinne nicht nur die Zahnspange, sondern auch der Akt eines kollektiven Werfens von Kuscheltieren in Richtung der Stars. Obwohl ich aus methodischen Gründen darauf verzichtet habe, Mädchen zu interviewen, die jünger als zehn Jahre alt waren (vgl. B 1.2), gibt es auch in dem von mir erhobenen Material zahlreiche Hinweise auf die Bedeutung des Fan-Engagements für Kinder: Viele meiner jüngeren Interviewpartnerinnen nahmen sich zumindest zu Beginn ihres Fan-Seins als Kinder wahr und wussten ihr Interesse für die jeweiligen Stars in ihre Kinder-Kultur einzubinden. So beschreiben sich etwa Bianca und Julia als besonders klein und schutzbedürftig zum Zeit punkt ihrer Begegnung mit den SPICE GIRLS, Bianca suchte nachts Obhut im Bett ihrer Eltern und Julia hatte den Eindruck, immer von anderen verteidigt zu werden. Antje wiederum ver weist auf ihre damalige Unerfahrenheit sowohl im Bereich jugendkultureller Konsumangebote als auch in Bezug auf die Anforderungen der heterosexuellen Liebe, mit denen sie sich im Zuge des Fan-Seins auseinander setzte. Im Interview mit Antje zeigt sich auch, wie gut sich selbstverständliche Accessoires der Kindheit in die Fan-Kultur einbinden lassen: Die BACKSTREET BOYS-Poster in ihrem Zimmer standen durchaus nicht
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Teil B: Die empirische Untersuchung
im Widerspruch zu den später verachteten „Bärchenlampen und Schlümpfchengardinen“. 106 Dass der Fan-Status hierbei nicht unbedingt einen Vorgriff auf die Jugendphase bedeuten muss, sondern auch als Rückkehr in die Welt der Kindheit genutzt werden kann, dokumentiert sich in Biancas Schilderung der Aktivitäten ihrer „Mini-Spice-Girls-Bande“: In deren Rahmen konnten sie und ihre beste Freundin sich auf dem Hängeboden bis zu den vorher bereits aus dem Zimmer verbannten Barbiepuppen durchgraben. Auch Julia wusste ihre Begeisterung für die Boygroup CAUGHT IN THE ACT gut mit der Barbiewelt zu vereinbaren: Gemeinsam mit ihrer Freundin holte sie sich die durch Kens repräsentierten Bandmitglieder ins Kinderzimmer und baute sie auf diese Weise spielerisch in vertraute Auseinandersetzungen und Praktiken ein. Viele der jüngeren Mädchen machen deutlich, wie unvertraut ihnen die Fan-Kultur und deren Sinn zunächst war. Erst die Einnahme eines mimetischen Verhältnisses zu erfahrenen Fans erlaubte ihnen eine Orientierung im Feld verschiedener Star-Angebote und eine Annäherung an den Fan-Status im Zuge performativer Suchbewegungen. Wodurch sich ein „richtiger Fan“ quali¿ziert, ist dabei nicht eindeutig festgelegt und muss immer wieder neu verhandelt werden. So erklärte mir beispielsweise die elfjährige Jessica, ihr sei mittlerweile klar geworden, dass sie kein richtiger Fan der BACKSTREET BOYS gewesen ist, da sie sich keine Fan-Artikel der Band angeschafft hatte. Dieses sei jedoch nötig, um richtiger Fan zu sein („sonst nützt es nichts“). Antje wiederum betrachtete sich als richtiger Fan, als ihre aktionistischen Annäherungen an verschiedene Bands in eine unhinterfragte habitualisierte gemeinsame Fan-Praxis übergegangen waren. Wie ich im folgenden Abschnitt B 4.2 genauer ausführen werde, kann die Fan-Kultur den Mädchen in der Schwellenphase zwischen Kindheit und Jugend ein Forum zur Auseinandersetzung mit antizipierten Anforderungen der Jugendphase bieten. Am Beispiel der Gruppe ‚Die Kleinen‘ wird jedoch auch deutlich, dass das Fan-Sein von jüngeren Mädchen durchaus auch zur Verhandlung von Belangen des Kind-Seins genutzt wird. Die Teilnehmerinnen waren stark auf ihre Peer-Group bezogen und die gemeinsame Annäherung an die Band ermöglichte es ihnen, auf einer handlungspraktischen Ebene die Beziehungen untereinander zu stärken und sich gegenüber den älteren Mädchen und auch den Jungen als Gruppe zu behaupten. Auffällig ist hierbei, dass sie die medial vermittelten Repräsentationen der jeweiligen Stars dabei nur ausschnitthaft zur Kenntnis nahmen und diese umstandslos und eigenwillig in ihre Peer-Group-Kultur einordneten. Dies wird auch Zur zunehmenden Bedeutung des Kinder- und Jugendzimmers als Ort der Verhandlung von Identitätsanforderungen vgl. auch Buchner-Fuhs (1998).
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deutlich im Interview mit der elfjährigen Jessica, die erklärt, dass eine ausgewählte Band attraktiv sein müsse, weil es sonst nicht möglich sei, sich Poster aufzuhängen: Die Beziehung zur Band wird hier eindeutig den kulturellen Beziehungen in der Peer-Group untergeordnet. Die Stars repräsentieren durchaus keinen leuchtenden Stern am Horizont, dem entgegengestrebt wird, sondern werden stattdessen auf eine Weise imaginiert, die es erlaubt, sie problemlos in die eigene Welt einzubauen: Funda aus der Gruppe ‚Die Kleinen‘ holte sich Mel C von den SPICE GIRLS auf diese Weise als Schwester ins Haus und die zwölfjährige Kerstin stellte sich vor, mit Nick von den BACKSTREET BOYS Disneyland zu besuchen und dort Eis zu essen. In dieser Art des Medienkonsums wird das Verhältnis von medialen Repräsentationen und einer von diesen vermeintlich reÀektierten ‚Wirklichkeit‘ nicht problematisiert. Wie im Inter view mit Julia deutlich wird, birgt diese Haltung die Gefahr, dass eine (zumeist unvermeidliche) langfristige Enttarnung medial konstruierter Mythen über die jeweilige Band zu bitteren Enttäuschungen führen kann. Gleichzeitig ist es meines Erachtens jedoch nicht angemessen, hierbei von einer unreÀektierten Übernahme medialer Vorgaben zu sprechen, da gerade die jüngeren Mädchen auf sehr eigenwillige Weise mit diesen umgehen und sie in ihrem eigenen Interesse kreativ umbauen: Statt von einem Akt der Auseinandersetzung mit medial vermittelten Bedeutungen im Sinne einer Interpretation oder Rezeption kann in ihrem Fall eher von „medial inspirierter Phantasieproduktion“ gesprochen werden. Diese Beobachtung entspricht den Ergebnissen von Helga Theunert (1995), die in ihrer Studie zur Rezeption von Cartoonserien im Fernsehen feststellte, dass Kinder eher als Jugendliche dazu neigen, medial vermittelte Gestalten in ihrem eigenen Sinne umzuformen: So beobachtete sie gerade bei den jüngeren Mädchen, dass diese die eindimensionalen Charaktere der weiblichen Cartoon-Figuren häu¿g in ihrer Phantasie mit vielfältigen Facetten auszustatten wussten. In diesem Sinne nahmen auch die Teilnehmerinnen der Gruppe ‚Die Kleinen‘ die SPICE GIRLS-Musikerinnen als Mädchen und nicht etwa als zehn Jahre ältere junge Frauen wahr. Diese empfundene Übereinstimmung der Star-Repräsentationen mit dem eigenen Selbstbild war die Grundlage einer aktionistischen, spielerischen Mimesis, im Zuge derer sich die Mädchen selbst einmal als Victoria Addams und im nächsten Moment als „die Sportliche“ von den SPICE GIRLS betrachten konnten. Während in den beiden in B 4.2 und B 4.3 dargestellten späteren fankulturellen Phasen Fragen der Geschlechterspannung, der heterosexuellen Liebe oder auch der eigenen Selbstinszenierung als mehr oder weniger sexy verhandelt werden, sind diese für die Mädchen aus der Gruppe ‚Die Kleinen‘ noch nicht interessant: Sie setzten sich stattdessen mit der Erwartung an Mädchen, „hübsch“ zu sein, auseinander. Sie versuchten herauszu¿nden, was
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sie selbst als hübsch emp¿nden, imaginierten sich spielerisch in die Position der hübschen Stars und suchten unter Bezug auf die „Sportliche“ aus der Girlgroup diese Anforderung an ihre Selbstinszenierung mit einer möglichst großen Bewegungsfreiheit in Einklang zu bringen. 4.2 Wege von der Kindheit in die Jugendphase Während die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ,Die Kleinen‘ sich noch ungebrochen mit dem Kinder-Status identi¿zierten, thematisieren viele ältere Mädchen die Notwendigkeit, sich auf die Anforderungen der Jugendphase einzustellen, welche auch einen Abschied von vielen Selbstverständlichkeiten aus der Zeit der Kindheit erfordert. Julia spricht ihren Eindruck an, sich nicht immer von anderen beschützen lassen zu können und ihre eigene HilÀosigkeit und Schüchternheit nunmehr überwinden zu müssen. Für Antje markierte der Wechsel in die Oberschule einen Bruch mit allem, was als kindlich gelten könnte, wie etwa dem Wunsch, im Unterricht zu spielen. Bianca wiederum beschreibt diese Schwellenphase als Zeit schwieriger Abschiede: Erste Erfahrungen der Selbständigkeit waren für sie auch mit einer Loslösung aus dem schützenden Kreis der Familie verbunden. Ebenso wie Antje beschäftigten sie die Themen Abschied und Trennung.107 Ähnliche Beobachtungen wurden auch in anderen empirischen Untersuchungen gemacht. So beschreiben Büchner/Fuhs (1998: 133) die Phase des Übergangs von der Kindheit in die Jugend als „Dilemma zwischen jugendlichen Normen und heimlichen kindlichen Wünschen“ und auch Breidenstein und Kelle (1998: 263) weisen auf den Rechtfertigungsdruck hin, dem sich Kinder ausgesetzt sehen, die noch nicht älter sein wollen. Meine Interviewpartnerinnen schildern die liminale Phase zwischen Kindheit und Jugend jedoch nicht nur als konÀiktträchtig, sondern auch als Raum zur Erkundung der Potenziale der eigenen Persönlichkeit und neuer Beziehungsformen: Einerseits fühlen sie sich normativem Druck ausgesetzt, dem sie andererseits jedoch auch, unter anderem mit Hilfe populärkulturellen Engagements, auf eigenwillige, kreative und oft auch kooperative Weise begegnen.
Insbesondere in der psychoanalytischen Literatur zur weiblichen Adoleszenz ist die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld von Trennung und Bindung für Mädchen in dieser Lebensphase betont worden. Vor allem die Ablösung von der Mutter verläuft diesen Studien zufolge für diese konÀiktreicher als für Jungen, welche sich komplikationsloser mit dem Vater identi¿zieren können. Vgl. Brown/Gilligan (1997); Jansen/Jockenhövel-Poth (1993); Stern (1993).
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Die zumeist zunächst über eine vorsichtige mimetische Annäherung angeeignete Fan-Kultur bietet hierbei ein Forum für vielfältige Auseinandersetzungen mit dem Status der Jugendlichen. Zunächst erlaubt die Orientierung und eigene geschmackliche Verortung im weiten Feld jugendkultureller Angebote eine Akkumulation jugendkulturellen Kapitals und eine Distinktionsbewegung gegenüber anderen Stilen. Letztere kann sich zum einen auf Differenzierungen innerhalb der Gruppe der gleichaltrigen Mädchen beziehen (so äußern sich etwa die GirlgroupFans Bianca und Tanja kritisch gegenüber Boygroup-Fans). Andererseits geht sie mit einer klaren Abgrenzung vom Geschmack der Jungen einher. Viele meiner Probandinnen weisen darauf hin, dass die Jungen ganz andere Musik (nämlich HipHop) hören, ihre eigene Entscheidung für die jeweilige „Teenie-Band“ betont insofern ihre Geschlechtszugehörigkeit und unterstreicht die kulturellen Differenzen zwischen Mädchen und Jungen. Auch stärkt sie häu¿g den Zusammenhalt in der jeweiligen FreundinnenDyade oder -Clique. Gerade in den beiden Gruppendiskussionen wird deutlich, dass das gemeinsame Fan-Engagement in der jeweiligen Mädchenclique dieser nicht nur als Gruppe Anerkennung von außen verschaffen konnte, sondern sich auch intensivierend auf die gruppeninternen Beziehungen auswirkte. Der gemeinsame Handlungsvollzug diente der Herausbildung eines geteilten Erfahrungswissens und sozialer Kompetenzen, auf die im Falle der Gruppe ,Tanz‘ noch lange nach Abschluss der Fan-Phase zurückgegriffen werden konnte. Die Fan-Kultur bietet jedoch nicht nur im musikalischen Bereich Orientierungsmöglichkeiten in Bezug auf jugendkulturelle Stile. So empfand beispielsweise Bianca die Vielfalt der von den SPICE GIRLS-Bandmitgliedern repräsentierten Kleidungsstile als inspirierend für ihre eigene Selbstinszenierung. Die Möglichkeiten und Gefahren der Präsentation des eigenen Körpers gegenüber anderen sind darüber hinaus ein Thema, das insbesondere im Zuge der von vielen Fans dieser Altersgruppe verfolgten Praktik des öffentlichen Tanzens zur Musik der jeweiligen Band verhandelt wird. Girlgroups wie die SPICE GIRLS bieten hierbei eine Vorlage für verschiedene Varianten weiblicher Selbstdarstellung. Gerade die Holzschnittartigkeit der von diesen repräsentierten TeenagerIdentitäten erweist sich für die Fans meines Erachtens insofern als vorteilhaft, als sie es ihnen ermöglicht, sich mimetisch den Subjektpositionen von beispielsweise ,baby spice‘ Emma oder von ,scary spice‘ Mel B auf eine Weise anzunähern, die ihnen möglichst viel eigenen Spielraum lässt. Im Zuge der im Rahmen von Tanzgruppen erfolgenden Aushandlungen der richtigen Rolle für jede Teilnehmerin sowie der Tanz-Mimesis selbst können die Mädchen auf diese Weise einen eigenen Weg ¿ nden, den normativen Anforderungen an eine weibliche Selbstinszenierung zu begegnen: Der geschützte Rahmen der Bühnenaufführung ermöglicht es ihnen, sexy zu sein, ohne als Schlampe bezeichnet zu werden, klein
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und schüchtern zu sein, ohne als „kindisch“ zu gelten oder selbstbewusst aufzutreten, ohne Gefahr zu laufen, als frech oder arrogant betrachtet zu werden. Hierbei wird nicht nur die eigene Wirkung auf das jeweilige Publikum aktionistisch erprobt, sondern auch ein Positionswechsel in der Peer-Group: So konnte zum Beispiel Julia im Zuge der Tanz-Mimesis spielerisch die dominanteste Position in ihrer Clique einnehmen, ohne dass dadurch KonkurrenzkonÀikte aufkamen. Jedoch auch die von der Gruppe ,Tanz‘ vollzogene mimetische Annäherung an die BACKSTREET BOYS bot einen sinnvollen Rahmen zur Verhandlung der „peinlichen“ und der lustvollen Seiten der eigenen Exponiertheit gegenüber anderen. Aufgrund ihres geschlechtsübergreifenden Charakters war diese Mimesis über allen Verdacht erhaben, eine allzu sexualisierte Weiblichkeit zu präsentieren: Stattdessen konnten die Mädchen ihre tänzerischen Fähigkeiten im Schutze der repräsentierten Männlichkeit und der Uniformität ihrer Boygroup-Kleidung gefahrlos entfalten und sich somit nicht nur als Gruppe Anerkennung verschaffen, sondern auch die erotisierte Bewunderung anderer Mädchen genießen, ohne dem Verdacht der Homosexualität ausgesetzt zu sein. Mimetische Annäherungen an die Stars werden nicht nur im Rahmen der Tanz-Praktiken unternommen. Sowohl Bianca als auch Julia verweisen auf ihre Versuche, in KonÀiktsituationen eine bei den SPICE GIRLS beobachtete Durchsetzungsfähigkeit von Frauen zur Enaktierung zu bringen. Die Stars übernahmen hierbei die symbolische Position der selbstbewussten weiblichen Jugendlichen, die nicht mehr auf den Schutz durch andere angewiesen ist und ihren eigenen Geschmack und ihre Persönlichkeit authentisch zur Entfaltung bringt. Beide Mädchen bemühten sich, ihre „Idole“ nicht einfach zu kopieren, sondern diese lediglich als Inspiration bei ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen: Bianca suchte im Zuge einer doppelten Mimesis ihre Annäherung an die Stars mit einer Annäherung an ihre authentische eigene Persönlichkeit zu vereinbaren. Julia wiederum nahm im Laufe der Zeit von ihren aktionistischen Versuchen Abstand, der selbstbewussten Mel B zu ähneln, als sie merkte, dass ihr das eigene selbstbewusste Auftreten unecht und gespielt vorkam. Erst als ihr der Rückbezug zu ihren eigenen Erfahrungen gelang, konnte sie das durch die Girlgroup repräsentierte Selbstbewusstsein auf eine Weise zur Enaktierung bringen, die sie auch überzeugte. Anders als für die Gruppe ‚Die Kleinen‘ nehmen die Bandmitglieder bei diesen fankulturellen Verhandlungen in der Schwellenphase durchaus auch eine Rolle entfernter Vorbilder ein, denen entgegengestrebt wird. Wie ich im Folgenden erläutern werde, zeigt sich in der Kultur der Boygroup-Fans jedoch noch eine weitere symbolische Funktion der Stars. Fast alle meine Interviewpartnerinnen thematisieren das Geschlechterverhältnis und die heterosexuelle Liebe als Gegenstand zentraler Auseinanderset-
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zungen. Immer wieder erfolgen Verweise darauf, dass die Jungen einer anderen Welt angehören, was damit belegt wird, dass sie andere Musik hören, Fußball spielen, keine Mädchen mögen und auch zu den SPICE GIRLS ein anderes Verhältnis einnehmen, indem sie sie sexualisieren. Gerade vor dem Hintergrund der als durchaus dramatisch empfundenen Geschlechterdifferenz verwundert es nicht, dass die heterosexuelle Norm von vielen Mädchen in diesem Alter als komplizierte und bedrohliche „Entwicklungsaufgabe“ geschildert wird. Julia nutzte in diesem Sinne ihre SPICE GIRLS-Fan-Kultur auch, um sich unter Bezug auf die Kritik der Bandmitglieder am männlichen Geschlecht von diesem abzugrenzen. Bianca und Tanja wiederum verbanden ihren Status als Girlgroup-Fan mit einer Distinktionsbewegung gegenüber der Welt heterosexueller Schwär merei, die sie in der Kultur von Boygroup-Fans verorteten. Ihr eigener Fan-Status bot ihnen insofern die Möglichkeit, sich von der mit der Jugendphase verknüpften Erwartung zu distanzieren, nun erste Erfahrungen im Bereich heterosexueller Paarbildungen zu sammeln. Viele Boygroup-Fans nutzen jedoch umgekehrt ihre Kultur, um sich auf möglichst lustvolle und gefahrlose Weise mit dieser Erwartung auseinander zu setzen. Antje benennt als Ursache der Beschäftigung mit Boygroups explizit die Notwendigkeit für Mädchen, erste Erfahrungen mit Jungs zu sammeln. Der besondere Vorteil von Boygroups besteht darin, dass sie im Gegensatz zu Jungs aus dem Bekanntenkreis nicht erreichbar sind und es ihren Fans trotz großer Bemühungen nicht gelingt, ihnen näher zu kommen. Ein zentrales Moment des emotionalen Fan-Engagements ist in diesem Sinne die paradoxe ‚Struktur der verhinderten Wunscherfüllung‘, das heißt, ein engagiertes Streben nach Nähe mit den Stars im Wissen um die Aussichtslosigkeit seiner Erfüllung. Auf diese Weise können die Mädchen die Gefühle von Verliebtheit und Begehren kennen lernen, ohne bereits die Mühen und Risiken einer Beziehung auf sich nehmen zu müssen. Auch in den Interviews mit Julia, Nicole und der Gruppe ‚Tanz‘ wird deutlich, dass diese sich keinen intimen Kontakt mit den Stars wünschten. Die jüngeren Mädchen empfanden diese als zu alt und sich selbst als zu jung und die Vorstellung einer Liebesbeziehung lag ihnen noch fern. Der besondere Vorteil der Beziehung zu den Stars liegt darin, dass sie es erlaubt, eine solche Intimität zu imaginieren und gleichzeitig jedoch die Kontrolle über das Geschehen in der Hand zu behalten. („Wenn ich sie will dann krieg ich sie ((kurzes Lachen)) und wenn ich nicht will dann-“, Nicole.) Die Paradoxie der in der ‚Struktur der verhinderten Wunscherfüllung‘ involvierten Gefühle wird von den Fans offensichtlich virtuos austariert; wie sich in Julias Konzertbeschreibung zeigt, kann die hierbei auszuhaltende Ambivalenz jedoch manchmal auch als belastend empfunden werden. („Ich war fertig, und müde, eigentlich, hab mich aber so auf dies Konzert gefreut, war auch auf eine
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Art enttäuscht, andererseits fand ichs aber auch wieder gut, also das war, das kam irgendwie so alles zusammen.“) Für die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ‚Tanz‘ hatte der Status als BACKSTREET BOYS-Fans darüber hinaus den Vorteil, dass sie die Subjektposition der heterosexuell Liebenden einnehmen konnten, ohne dabei eine Bedrohung ihres Zusammenhaltes als Mädchenclique durch Paarkonstellationen zu riskieren. Die Fan-Kultur dient jedoch nicht nur der Abwehr aller mit der heterosexuellen Liebe assoziierten Gefahren, sondern kann vielmehr auch gerade einen Raum zur kooperativen Auseinandersetzung mit deren Schattenseiten eröffnen: Für Julia hatten die CAUGHT IN THE ACT-Stars die symbolische Position eines zukünftigen Liebhabers inne, von dem sie „auf Entfernung“ träumen konnte, während er geduldig auf ihre Bereitschaft für eine Beziehung wartete. Gleichzeitig war die Boygroup hilfreich, um im Rahmen des mit der besten Freundin unter nommenen Barbie- und Kenspiels sowohl Eifersuchtsgefühle, als auch das bedrohliche Zukunftsszenario eines frustrierten Hausfrau- und Mutter-Daseins zu verhandeln. Das hier zu beobachtende performative Einkreisen einer ‚geschlechtsreifen‘ heterosexuell weiblichen Identität vollzieht sich insofern in komplexen Bewegungen der Annäherung und Distanzierung, wobei die jeweilige Boygroup die dereinst erfolgreich bewältigte Aufgabe repräsentiert, eine glückliche heterosexuelle Beziehung zu führen. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation erscheinen die Begehrensäußerungen vieler Mädchen bei den entsprechenden Live-Auftritten der Bands („I love you AJ“) wie eine parodistische Übererfüllung der Norm: Indem die Fans sich den leidenschaftlichen Energien, die in dieser Efferveszenzsituation freigesetzt werden, überlassen, können sie sich als aktiv und laut begehrende Personen inszenieren (wofür gerade Mädchen in der Regel wenig Raum zugestanden wird) und gleichzeitig diese Inszenierung mittels einer geradezu karnevalesken Übertreibung als Inszenierung sichtbar machen und sich somit ihren ernsthaften Implikationen entziehen. Auch der Umstand, dass die Mädchen dieser Altersstufe ihre Konzertbesuche eher als Begegnung mit anderen Fans (oder auch den Bodyguards der Stars) schildern, denn als Begegnung mit der jeweiligen Band, deutet auf den zentralen Stellenwert einer durch die Fan-Communitas unternommenen Performance bei solchen Ereignissen hin. Eine Deutung der Boygroups als Symbole für die heterosexuelle Liebe lässt weitergehend den erwähnten Gestus des Werfens von Kuscheltieren auf die Bühne als Opferung eines Symbols der Kindheit auf dem Altar der sogenannten ‚Geschlechtsreife‘ erscheinen. Gerade weil die Fan-Kultur von Mädchen in diesem Alter so stark zur Verhandlung der Anforderungen einer Schwellenphase eingesetzt wird, erleben sie diese auch als Merkmal eines notwendig begrenzten Abschnitts ihres Lebens: Sie emp¿ nden es als unangemessen, wenn 20-jährige noch Fans sind und auch die
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eigene Fan-Begeisterung wird rückblickend schnell als peinlich bewertet: Wenn, was einmal als schwierige Aufgabe erschien, erst habitualisiert wurde, wirken die einstigen mit der Fan-Kultur verbundenen Suchbewegungen unbeholfen und das damalige emotionale Engagement übertrieben. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass die schnellen Veränderungen geschmack licher Präferenzen in dieser Lebensphase im Kontext von deren divergierenden Anforderungen zu betrachten sind. Boygroups, Girlgroups sowie andere Pop-Gruppen oder auch Techno und HipHop dienen jeweils der Verhandlung ganz unterschiedlicher Themen, die gerade in der hier charakterisierten Schwellenphase von rasch wechselnder Relevanz sein können. 4.3 Das Fan-Engagement älterer Jugendlicher Anforderungen des Übergangs von der Kindheit in die Jugendphase sind für die älteren Fans meines Samples nicht mehr relevant. Weder Tanja noch Nicole erwähnen die eigene Kindheit oder mit dieser verknüpfte Praktiken, ihre Auseinandersetzung mit der jeweiligen Band ist offensichtlich mit der Verhandlung ganz anderer Themen verknüpft. Bereits der Einstieg in die Fan-Kultur gestaltet sich für sie deutlich anders als für die jüngeren Mädchen. Während letztere sich im Zuge performativer Suchbewegungen bezüglich des eigenen Stils und Geschmacks und oft in mimetischer Anlehnung an Ältere für eine Band entscheiden, präsentieren Tanja und Nicole sich als selbstsichere Medienkonsumentinnen, die von vornherein wissen, was ihnen gefällt und was nicht. Beide Mädchen formulieren klare Ansprüche an die jeweils ausgewählte Band: Die Musik muss abwechslungsreich sein (beide) und die Stars sollen authentisch wirken (Tanja), vorzugsweise dem eigenen Milieu entstammen und in ihren Liedern auch die entsprechenden Erfahrungen thematisieren (Nicole). In diesem Sinne zentriert sich ihre Fan-Kultur vergleichsweise stärker um eine Aufmerksam keit für die Repräsentationen der jeweiligen Bands. Für die Auseinandersetzungen in den früheren fankulturellen Phasen ist es offensichtlich irrelevant, ob die BACKSTREET BOYS gecastet wurden oder sie ihre Songs selbst schreiben, da diese für die jüngeren Mädchen vorrangig eine symbolische Bedeutung haben. Tanja und Nicole hingegen präsentieren sich als kritische Rezipientinnen sowohl der künstlerischen Produkte der Bands als auch der Persönlichkeiten der Stars. Diese Interessenverlagerung spiegelt sich auch in Nicoles Beschreibung ihres THE BOYZ-Konzertbesuchs, in der die Performance der Band eine zentrale Rolle einnimmt.
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Die Haltung der älteren Mädchen gegenüber der jeweils ausgewählten Band ist insofern im Vergleich mit den Jüngeren wesentlich eher als reÀexive Auseinandersetzung mit medialen Bedeutungen zu charakterisieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Interaktionen in der Peer-Group und mit diesen verbundene Aspekte der Distinktion und der Konstitution eines gemeinsamen Erfahrungsraumes in ihrer Fan-Kultur irrelevant sind. Nicole erlebte sich durchaus als Part einer Fan-Gemeinschaft, die gemeinsam ihre Interessen beispielsweise gegenüber dem Manager von THE BOYZ durchsetzte. Auch hatte die Anwesenheit anderer Fans eine wichtige Funktion bei ihren Begegnungen mit der Band: Nur als Teil einer Fan-Gruppe konnte sie die Aufmerksamkeit der Stars auf sich lenken und ihrem eigenen Auftreten gegenüber diesen einen sinnvollen Rahmen geben. Auch war es zu mehreren angenehmer, lange Wartezeiten zu überbrücken. (Allerdings durften nicht zu viele andere Fans kommen, da sonst die Gefahr bestand, dass sie selbst in der Masse untergehen würde.) Für Tanja wiederum war der Fan-Status sehr eng mit einer Distinktionsbewegung gegenüber dem kulturellen Geschmack ihrer Umgebung verknüpft. Wie viele andere meiner Interview partnerinnen nutzte auch sie ihre Fan-Kultur zur Verhandlung bestimmter normativer Anforderungen, jedoch insbesondere im Sinne einer Abgrenzung von diesen: Das Vorbild der Stars ermutigte sie, sich auf aktionistische Weise über normative Erwartungen hinwegzusetzen und gegenüber Gleichaltrigen und auch Erwachsenen als ‚anders‘ zu inszenieren. Ihre Auseinandersetzung mit der Band erfolgte dabei im Unterschied zu der stark über körperliche Praktiken konstituierten Fan-Kultur der jüngeren Mädchen eher auf einer reÀexiven Ebene. Auch in Nicoles Fan-Engagement waren körperliche Praktiken wie etwa eine mimetische Annäherung an die Stars anderen Ambitionen untergeordnet: Ihr ging es in erster Linie darum, im Fan-Sein eine bestimmte Beziehungsform und Erotik leben zu können und wenn sie sich anzog wie die Stars, dann nur, um deren Aufmerksamkeit zu erheischen und nicht etwa im Sinne einer performativen Suche nach ihrem eigenen Stil. Während jüngere Fans ihre vergleichsweise risikofreie Verliebtheit in Stars als Vorbereitung auf eine noch unbekannte Welt heterosexueller Paarbildungen beschreiben, begreift Nicole ihre Beziehung zu THE BOYZ nicht als Feld der Vorbereitung auf Späteres, sondern als „Begleiterscheinung“ ihres Lebens: Sie erlebt ihr Fan-Sein als Ergänzung zu anderem Engagement und anderen Beziehungsformen, es erlaubt ihr parallel zu diesen, bestimmte Bedürfnisse auszuleben. Dass der Erwachsenenstatus den Mädchen diesen Alters näher liegt als der Status des Kindes, zeigt sich auch darin, dass sie sich bereits mit ihrer jeweiligen beruÀichen Orientierung auseinander setzen. Insofern Tanja benennt, dass sie sich durch das Vorbild der SPICE GIRLS dazu ermutigt fühlte, eine Karriere als
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Künstlerin anzustreben, spricht auch sie die Verhandlung antizipierter ‚Entwicklungsaufgaben‘ an. Der Umstand, dass sie offenbar ohne Gefühle der Reue oder Peinlichkeit an ihre Zeit engagierter Begeisterung für die SPICE GIRLS zurückdenkt, deutet jedoch darauf hin, dass ihre damalige ‚reÀexive Fan-Leidenschaft‘ nicht so sehr an eine bestimmte Lebensphase gebunden war: Da sie noch immer von dem einst von der Girlgroup verkörperten Motto überzeugt ist, bringt sie ihre Abkehr von der Band eher mit deren Veränderungen in Verbindung als mit ihren eigenen und legt somit nahe, dass wenn die SPICE GIRLS sich treu geblieben wären, das Fan-Sein für sie wie für Nicole weiterhin eine „Begleiterscheinung“ wäre. 4.4 Zur Bedeutung milieuspezi¿scher und ethnischer Differenzen in der Fan-Kultur Auf den ersten Blick scheinen das Herkunftsmilieu der Fans und die Auseinandersetzung mit ethnischen Differenzen keinen besonderen EinÀuss auf ihr kulturelles Engagement zu haben. Obwohl dieses insbesondere der Verhandlung von Fragen der Geschlechtsidentität und der Geschlechterdifferenz dient, welche sich je nach Alter der Mädchen auf unterschiedliche Weise stellen, lassen sich im Zuge einer systematischen komparativen Analyse jedoch etliche Hinweise auf die Bedeutung milieuspezi¿scher und ethnischer Differenzen in der Fan-Kultur herausarbeiten. In Bezug auf das soziale Milieu beziehungsweise Bildungsmilieu der interviewten Mädchen fällt zunächst auf, dass das Interesse für Boygroups und Girlgroups offenbar nicht per se milieugebunden ist: Eine Gymnasiastin wie Julia kann sich genauso für eine Boygroup begeistern wie die Hauptschülerinnen der Gruppe ‚Tanz‘ und auch die SPICE GIRLS rekrutieren ihre Fans sowohl im Arbeitermilieu (‚Die Kleinen‘) als auch unter LehrerInnentöchtern (Bianca).108 Dies erstaunt insofern als die jeweiligen Bands teilweise durchaus milieuspezi¿sche Bedeutungen transportieren. So treten etwa die BACKSTREET BOYS mit ihrem Image solider und gottgläubiger Jungs auf der Suche nach der Frau fürs Leben eindeutig für die Werte einer weißen christlichen Mittelklasse ein. Die SPICE GIRLS wiederum bekennen sich zwar dazu, dass sie teilweise aus dem Arbeitermilieu kommen, inszenieren sich jedoch vorzugsweise als neureiche Show-Stars.109 Diese Aspekte der Star-Inszenierungen werden jedoch nur von den In meinem Sample deutet sich eine leichte Präferenz für die SPICE GIRLS im bildungsnahen Milieu an, es ist jedoch zu klein, als dass ich hierüber valide Aussagen machen könnte. 109 Dies zeigt sich beispielsweise in ihrem Video¿lm zum Song ‚Mama‘. Die Mütter der Künstlerinnen repräsentieren hier das überwundene Herkunftsmilieu, dessen Schlichtheit durch ihre Begegnung mit den glamourösen Töchtern noch betont wird. 108
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älteren Mädchen thematisiert (die generell eher die Haltung kritischer Rezipientinnen gegenüber den Bands einnehmen): Nicole weist darauf hin, dass sie sich mit der Band THE BOYZ bewusst für Stars entschieden hat, die aus dem gleichen Milieu wie sie selbst kommen und die entsprechenden Erfahrungen auch künstlerisch zum Ausdruck bringen. Tanja wiederum kritisiert ‚posh spice‘ Victorias protziges Ausstellen ihres Reichtums als arrogant: Victoria erhebt sich auf diese Weise demonstrativ über ihr Publikum, während Tanja es schätzt, wenn Stars vertraut und nahe wirken.110 Die Fan-Praktiken der Mädchen variieren offensichtlich nicht in Abhängigkeit von Milieuverschiedenheiten, auch sind die im Zuge ihrer Kultur verhandelten Themen dieselben. In diesem Sinne bestätigt sich Helfferichs (1994) These, für weibliche Auszubildende und Hauptschülerinnen seien die Themen der körperlichen Attraktivität und der heterosexuellen Paarbildung wichtiger als für Mädchen mit besseren Bildungschancen, in meiner Studie nicht:111 Unabhängig von ihrem Bildungsmilieu beschäftigten sich die meisten vorgestellten Interviewpartnerinnen mit ihrer eigenen Selbstinszenierung und alle zumindest implizit mit dem Thema der Heterosexualität, das gleichzeitig für alle ambivalent besetzt war. Auch für die Gymnasiastin Julia waren die CAUGHT IN THE ACT-Stars „Traumtypen“, mit denen sie einmal zusammen sein wollte. Für die Hauptschülerinnen der Gruppe ‚Tanz‘ wiederum diente die Fan-Kultur im Wesentlichen einer Stärkung des geschlechtshomogenen Gruppenzusam menhalts angesichts heterosexueller Paarbildungen. Allerdings lässt sich in bestimmter Hinsicht in den Fan-Verhandlungen von Geschlechter-Normen und dem Geschlechterverhältnis eine verschiedene Herangehensweise von Mädchen aus bildungsnahen versus bildungsfernen Milieus feststellen: Die LehrerInnentochter Bianca und die Gymnasiastinnen Julia und Tanja nutzten die Fan-Kultur eher zu ‚Selbstbildungszwecken‘ als die anderen Mädchen. Die Diskussionsteilnehmerinnen von ‚Die Kleinen‘ und ‚Tanz‘ schildern hingegen vor allem die Funktion dieser Kultur für Belange der gesamten Gruppe112 und auch Anja und Nicole betonen eher ihr Verhältnis zu Gleichaltrigen als den Anspruch, das Fan-Sein für die eigene Persönlichkeitsentfaltung zu nutzen. Möglicherweise steht die Abwendung der Gruppe ‚Tanz‘ von den BACKSTREET BOYS auch damit in Zusam menhang, dass die Band die Werte eines anderen Milieus repräsentierte. Hierauf gibt es jedoch keine Hinweise im Interview, weshalb diese These im spekulativen Bereich verbleiben muss. 111 „Angesichts der wahrgenommenen Chancenstrukturen scheint die Investition in den Körper vielversprechender als die in eine Ausbildung; Attraktivität ist identitätsstiftender als die Arbeitsplätze, die angeboten werden. Der Körper ist Kapital nicht als Kraftpaket, wie bei den Jungen, sondern als Köder (…).“ Helfferich (1994: 129). 112 Eine Ursache hierfür ist selbstverständlich auch in der Erhebungsmethode der Gruppendiskussion zu sehen. 110
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Bianca hingegen benennt das „Heraus¿ nden“ des eigenen Charakters explizit als zentrales Ziel innerhalb ihres Fan-Engagements, während Julia wiederum selbstbewusster werden wollte und dabei befürchtete, durch eine zu starke Orientierung an den SPICE GIRLS der eigenen Persönlichkeit nicht mehr gerecht zu werden. Hier dokumentiert sich ein Konzept einer authentischen eigenen Persönlichkeit, die vor dem EinÀuss zu starker äußerer EinÀüsse geschützt werden muss, das sich auch im Interview mit Tanja wieder¿ndet: Sie nutzte die Girlgroup ebenfalls, um sich über die Erwartungen ihrer Umgebung hinwegzusetzen und somit „aus sich herauskommen“ zu können.113 In dieser Hinsicht korrespondieren meine Ergebnisse mit den Beobachtungen von Bohnsack (1989). In seiner vergleichenden Untersuchung verschiedener Gruppen von Jugendlichen stellt Bohnsack fest, dass die Orientierung der Gymnasiastinnen sich insbesondere auf eine „individuell-authentische Selbstentfaltung“ (a. a. O.: 289) richtet. Der Autor weist darauf hin, dass im Vergleich mit Lehrlingen und HauptschülerInnen, die häu¿g schon in sehr jungem Alter Handlungszwängen ausgesetzt sind, den GymnasiastInnen viel eher ein psychosoziales Moratorium (Erikson 1968) zur Verfügung steht, innerhalb dessen sie eine „biographische Planungskapazität“ (a. a. O.: 218) entwickeln können. In diesem Sinne erfolgen die Individuierungsprozesse der Lehrlinge und HauptschülerInnen häu¿g unter dem EinÀuss konkreter Zwänge und dementsprechend auf einer praktischen Ebene, während die GymnasiastInnen Gelegenheit haben, bestimmte Entscheidungssituationen antizipierend durchzuspielen und sich somit zunächst theoretisch zu individuieren (a. a. O.: 205). Bei den Mädchen beider Milieus beobachtet Bohnsack, dass sie auf die Problematik des Geschlechterverhältnisses mit Distanz und Ausgrenzung reagierten. Während die weiblichen Lehrlinge und Hauptschülerinnen sich zumeist auf einer situativen sozialräumlichen Ebene von den Männern abgrenzen (etwa indem sie bestimmte Räume im Haus als weibliche Sphäre de¿ nieren), suchen die Gymnasiastinnen im Zuge ihrer theoretischen, stark antizipierenden Individuierung die Männer vor allem aus der eigenen Entwicklung herauszuhalten. Eine dauerhafte Bindung an einen Mann betrachten sie als potenziell bedrohlich für ihre Selbstentfaltung, weshalb sie sie in ihrer Zukunftsplanung bis an den „Lebensabend“ verschieben (a. a. O.: 287 + 231). Auch meine Studie zeugt von verschiedenen Abgrenzungsgesten der Mädchen gegenüber dem anderen Geschlecht: Während die Boygroup-Fans ihre Auch die von Lemish (1998: 151 ff) interviewten SPICE GIRLS-Fans, die der israelischen Mittelklasse angehören, beschreiben ihr Verhältnis zu den „Idolen“ als sowohl kritisch wie auch verbunden mit SelbstreÀexionen.
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Annäherungen an die Welt der heterosexuellen Liebe zunächst mit Hilfe unerreichbarer Stars vollziehen und sich somit das männliche Geschlecht buchstäblich vom Leibe halten, bringen viele Girlgroup-Fans ihre Kultur mit einer Distanzierung von der heterosexuellen Liebe oder auch (wie Bianca und Julia) von Jungen und Männern überhaupt in Verbindung. Ebenso wie in Bohnsacks Studie lassen sich jedoch auch bei den von mir untersuchten Fans milieuspezi¿sche Strategien des Umgangs mit dem Geschlechterverhältnis beobachten. Besonders deutlich wird dies in einer komparativen Analyse der Gruppendiskussion mit den Hauptschülerinnen der Gruppe ‚Tanz‘ einerseits und dem Interview mit der Gymnasiastin Tanja andererseits: In beiden Fällen werden Strategien der Abgrenzung vom männlichen Geschlecht thematisiert. Tanja präsentiert sich als stark an Frauen orientiert und das schwär merische Verhältnis anderer Mädchen zu Boygroups emp¿ ndet sie als „verkehrt gepolt“. Die Gruppe ‚Tanz‘ wiederum nutzte ihre Fan-Praktiken, um sich als Mädchengruppe vor bedroh lichen Invasionen durch potenzielle männliche Partner zu schützen. Ihre Abschottungsversuche trugen sie dabei in der Tat auf einer räumlichen Ebene aus: Ein besonderer Reiz ihres Engagements als Tanzgruppe bestand darin, dass ihnen ein eigener Raum im Jugendzentrum zugestanden wurde, in dem sie sich ungestört aufhalten konnten, ohne dass gleichzeitig ihre Anerkennung bedroht gewesen wäre. Tanja dagegen verlegt ein Leben mit Kindern (das sie vermutlich mit dem Leben in einer typischen Familienkonstellation assoziiert) in ein fernes „irgendwann mal vielleicht“ und schottet sich somit eher auf der zeitlichen Ebene der Zukunftsplanung als auf einer räumlichen Ebene vom anderen Geschlecht ab. Gleichzeitig zeigt sich, dass während die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion kaum Anerkennung von ihrer Umgebung bekamen, Tanja in ihren rebellischen Versuchen der Normüberschreitung durchaus Rückhalt hatte: Ihre Eltern hatten nichts dagegen, ihr Kunstlehrer schätzte sie und ihre eigenwilligen Auftritte wurden im Ort mit nachsichtigem Spott betrachtet. Auf diese Weise hatte sie genügend Raum, ihre Individuierungswünsche theoretisch zu reÀektieren, während der Wunsch, aus der Menge herauszuragen, von der Diskussionsteilnehmerin Melek sich auf einer ganz handlungspraktischen Ebene artikulierte. („Wenn du schreist, dann musst du ein ganz, be-, nur, er muss nur deine Stimme hören, das ist richtig so, hart, so ((deutet Gebrüll an, lacht))“.) Auch Hinweise auf die Verhandlung ethnischer Differenzen in der Fan-Kultur ¿nden sich eher auf einer unausgesprochenen, verdeckten Ebene. Lediglich in einer der vorgestellten Fallbeschreibungen wird Ethnizität explizit thematisiert: Nicole erklärt, dass sie auf den Boygroup-Star T-Soul durch seine attraktive dunkle Hautfarbe aufmerksam geworden sei.
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In vielen Analysen der aktuellen Massenkultur wird festgestellt, dass Repräsentationen ethnischer, beziehungsweise kultureller Vielfalt stark zugenommen haben und heute aus vermarktungsstrategischen Gründen gezielt eingesetzt werden (vgl. z. B. hooks 1992: 21, Holert 1998: 30 f). Tom Holert zufolge sind ‚Crossover‘ und ‚Patchworks‘, die sich auch in der Zurschaustellung interkultureller Kooperationen wie etwa in der ‚Come Together‘-Werbung artikulieren, mittlerweile ästhetische Leitkategorien (a. a. O.). Auch die Zusammenstellung der Mitglieder von Boygroups und Girlgroups, bei der generell auf ‚Vielfalt‘ geachtet wird, geht häu¿g mit der Produktion eines ‚multikulturellen Images‘ einher.114 Diederich Diederichsen (1996) macht jedoch zurecht darauf aufmerksam, dass es sich hierbei nur scheinbar um eine kulturelle Vielfalt handelt: „Noch weniger erkennt man solche Unterschiede bei Bands, wo Leute unterschiedlicher Hautfarbe gemeinsam Musik machen, gemeinsam einen spezi¿schen jugendkulturellen Stil vertreten, sich gemeinsam durch Out¿t und Stilisierung klassi¿zieren, also alles tun, um als Repräsentanten einer Kultur verstanden zu werden, die aber dennoch nach aktueller Sprachregelung – zum Beispiel bei MTV – „multikulturelle Gruppen“ genannt werden. Die einzigen Unterschiede sind solche der Hautfarbe, und wenn die heutzutage kulturelle Unterschiede genannt werden, übernehmen diese „kulturellen Unterschiede“ einfach die Semantik der „rassischen Unterschiede“, ohne diese Semantik selbst anzugreifen.“ (a. a. O.: 226)
Auch im Interview mit Nicole wird deutlich, dass sie die Differenzen der THE BOYZ-Mitglieder letztlich nur an ihrem Körper festmachen kann. („Sind halt, jeder, hat sone bestimmte Nationalität in seim Blut.“) Gerade diese Konstruktion einer scheinbar biologischen Differenz geht dabei für sie mit einer erotischen Besetzung einher: Sie macht den Reiz T-Souls konkret an dessen Hautfarbe fest. Nicole artikuliert ein Begehren nach einem (hier durch die Hautfarbe symbolisierten) Anderen, dass sich bell hooks (1992) zufolge als symptomatisch für die westliche Kultur bezeichnen lässt. hooks geht davon aus, dass „nicht-weiße“ Menschen häu¿g als besonders lebenserfahren, sinnlich und sexuell betrachtet und somit als Gegenpol zum weißen Selbstbild konstruiert werden. Der sexuelle Kontakt mit „nicht-weißen“ Anderen wird in diesem Sinne assoziiert mit einem Übergangsritual in eine andere Welt, das mit dem Gefühl einhergeht, die Beschränkungen der eigenen Subjektivität zu überwinden (a. a. O.: 23 f).
So auch bei der Zusammensetzung der im Rahmen einer RTL2-Serie gecasteten ‚multikulturellen‘ Band BRO’SIS: Ähnlich wie bei THE BOYZ erfolgt hier eine Hybridisierung des Pop- und HipHop-Stils, wobei letzterer auch über die Hautfarben der Bandmitglieder und deren Kleidung symbolisiert wird.
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Die Girlgroup SPICE GIRLS wird von keiner meiner Interviewpartnerinnen als „multikultu relle“ Band wahrgenommen. Dies überrascht insbesondere vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit Dafna Lemishs (1998) qualitativer Untersuchung von SPICE GIRLS-Fans in Israel: Im Rahmen von Lemishs Gruppeninterviews wurde sehr häu¿g positiv hervorgehoben, dass das schwarze Mitglied Mel B von der Band nicht ausgegrenzt werde. Über die Gründe dieser unterschiedlichen Wahrnehmung der Girlgroup durch israelische und deutsche Mädchen können hier nur Vermutungen angestellt werden. Ich nehme an, dass in der israelischen Gesellschaft das friedvolle Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft einen viel stärkeren, positiven Wert darstellt als in der bundesrepublikanischen, in der sich eine Selbstwahrnehmung als Einwanderungsland nur schleppend und unter vielerlei Widerständen durchsetzt. Möglicherweise wird aus diesem Grund das Thema der interkulturellen Verständigung von den israelischen Mädchen eher als bedeutsam wahrgenommen als von ihren deutschen Alters- und Geschlechtsgenossinnen, die ethnische Differenz noch stärker als Verweis auf ‚das Andere‘ wahrnehmen, das dann unter Umständen auch erotisch besetzt wird. Da es aufgrund des Homosexualitätstabus riskant ist, weibliche Stars als Objekt des Begehrens zu beschreiben, wird womöglich aus diesem Grund das Thema der Ethnizität von den SPICE GIRLS-Fans letztlich überhaupt nicht angesprochen.115 Gerade im Blick auf die beiden Gruppendiskussionen zeigt sich weiterhin, dass die Mädchen sich häu¿g jenseits aller ethnisierenden oder kulturalisierenden Zuweisungen verschiedene jugendkulturelle Stile aneignen und spielerisch zwischen diesen wechseln: Die Mädchen können zu Popmusik tanzen, aber auch Breakdance, sie sehen gemeinsam mit ihren Müttern, die in der Türkei geboren wurden BRAVO-TV und in der Gruppe ‚Die Kleinen‘ singt die einzige Teilnehmerin deutscher Herkunft, Jasmin, ein türkisches Lied vor. Die Mädchen der Gruppe ‚Tanz‘ wiederum setzten sich über die ethnisierende Erwartung ihrer Umgebung hinweg, sie müssten aufgrund ihrer türkischen und kurdischen Herkunft entsprechende Volkstänze aufführen. Das spätere Interesse der Gruppe ‚Tanz‘ für HipHop beziehungsweise Gangsta Rap lässt sich auch als Interesse an einem Stil deuten, der stark mit dem Kampf gegen Rassismus in Verbindung gebracht wird. HipHop lässt sich sicherlich eher als Mittel zur Artikulation eigener Rassismuserfahrungen nutzen als die Ein ganz anderer Umgang mit diesem Thema dokumentiert sich im Interview mit der 14-jährigen Franziska, das ich im Rahmen dieser Arbeit nicht auswerten konnte: Franziska entschied sich mit THE BOYZ für Stars, die von ihrer Familie und ihrem Freundeskreis als ‚Kanaken‘ beschimpft wurden und nutzte somit die mit der Band assoziierten Bedeutungen von Ethnizität im Zuge ihres Eintritts in die Fan-Kultur für eine Abgrenzungsbewegung gegenüber ihrer gesamten Umgebung. 115
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Inszenierungen der BACKSTREET BOYS: Wie die Studie Wivian Wellers (2003) zeigt, kann diese Kultur ein sehr geeignetes Forum zur Verhandlung der Diskriminierungserfahrungen marginalisierter Jugendlicher darstellen. Umgekehrt lässt sich der auch von vielen Jugendlichen deutscher Herkunft bevorzugte HipHop jedoch nicht per se einem ‚angepassten‘ Pop als ‚rebellischerer‘ Jugendstil gegenüberstellen.116 Wie in der vorliegenden Fallbeschreibung der Gruppe ‚Tanz‘ deutlich wird, steht die mimetische Annäherung an die ‚Backstreet Boys‘ dieser Mädchengruppe nicht nur im Dienste der Subversion ethnisierender Zuschreibungen, sondern eröffnet auch einen Raum der eigensinnigen Auseinandersetzung mit Geschlechter-Normen.
Auch Ayúe Ca÷lar (1998) warnt vor einem Verständnis von HipHop als von vornherein widerständiger im Vergleich zu Pop. Die Autorin zeigt am Beispiel der deutsch-türkischen Populärkultur auf, dass Pop durchaus auch der Konstruktion „oppositioneller Identitäten“ dienen kann (a. a. O.: 53).
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Teil C: Diskussion Die Fan-Kultur von Mädchen als Ort der Verhandlung normativer Anforderungen
Wie anhand der in Teil B vorgestellten Fallbeschreibungen deutlich wird, lässt sich die Fan-Kultur von Mädchen nur im Kontext ihrer aktuellen Lebenssituation und den aus dieser resultierenden, jeweils relevanten Auseinandersetzungen verstehen. Vor dem Hintergrund der zent ralen Fragestellung der Arbeit wende ich mich in der abschließenden Diskussion meiner Ergebnisse insbesondere der Funktion dieser Kultur bei der Verhandlung normativer Anforderungen zu. In den letzten Jahren hat sich innerhalb der Jugendforschung zunehmend eine kritische Perspektive auf die (unter anderem von Erikson 1968) vertretene Vorstellung durchgesetzt, die Jugendphase strukturiere sich über die Bewältigung verschiedener „Entwicklungsaufgaben“. So weist etwa Carol Hagemann-White (1997: 69 f) darauf hin, dass das in den 50er Jahren von Havighurst entworfene Entwicklungsaufgabenkonzept ein grundsätzlich sozialoptimistisches sei, da es voraussetze, dass die Bedürfnisse der Jugendlichen mit den Erwartungen der Gesellschaft übereinstimmen. Hierbei impliziere es, dass die Lösung der gesellschaftlich vorgegebenen Aufgaben der einzige Weg zu einem gesunden Selbst sei. Ein solch unkritischer Blick auf gesellschaftliche Normierungen als Hilfe bei einer optimalen Persönlichkeitsentwicklung lässt sich selbstverständlich nicht allen Forschungen nachsagen, die davon ausgehen, dass Jugendliche Entwicklungsaufgaben bewältigen müssen. Das Konzept ist jedoch auch insofern problematisch, als es die Aktivitäten von Jugendlichen lediglich als Vorbereitung auf den Erwachsenenstatus zu fassen vermag und der Jugendphase keine eigenständige Gültigkeit jenseits dieser Teleologie zugesteht.117 Wie Hagemann-White feststellt, ist darüber hinaus teilweise fahrlässig mit der Frage umgegangen worden, worin die relevanten Entwicklungsaufgaben überhaupt bestehen: „Alles, was bei Jugendlichen vor sich geht, läßt sich als die Lösung oder eben Nichtlösung einer Entwicklungsaufgabe fassen; die Festlegung der normativen Vorgaben,
Eine derartige Perspektive auf Kinder und Jugendliche ist insbesondere im Rahmen der peer culture-Forschung kritisiert worden, vgl. beispielsweise Breidenstein/Kelle (1998: 17 f).
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B Fritzsche, Pop-Fans, DOI 10.1007/978-3-531-92885-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Teil C: Diskussion die im Gedanken einer gestellten Aufgabe impliziert sind, läßt sich nach eigener Präferenz abwandeln, ergänzen oder differenzieren.“ (Hagemann-White 1997: 69)
Bei allen Vorbehalten gegen den Begriff der Entwicklungsaufgabe ist es dennoch wichtig im Blick zu behalten, dass Kinder und Jugendliche durchaus mit bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert sind, die sie darüber hinaus selbst als aktuell zu bewältigende Aufgaben verstehen. So stellten etwa Breidenstein und Kelle (1998: 255) in ihrer Untersuchung von Gleichaltrigengruppen fest, dass es in deren Rahmen zu einer „diskursiven Konstruktion der Altersangemessenheit von Praktiken“ kommt. Um der Art und Weise gerecht zu werden, wie Kinder und Jugendliche gesellschaftlichen Erwartungen begegnen, ohne gleichzeitig in die genannten Fallen des Entwicklungsaufgabenkonzeptes zu tappen, stelle ich meiner abschließenden Diskussion folgende Überlegungen voraus: Ich gehe nicht davon aus, dass Kinder und Jugendliche mit historisch gleichbleibenden universellen Entwicklungsaufgaben konfrontiert sind. Wie ich bereits in Teil A 3.2 ausführte, nehme ich stattdessen ihre Auseinandersetzung mit normativen gesellschaftlichen Anforderungen in den Blick. Poststrukturalistischen Ansätzen zufolge vermitteln sich diese über widersprüchliche gesellschaftliche Diskurse, mit denen die Einzelnen sich mehr oder weniger identi¿zieren, wobei es unmöglich ist, sich ihnen völlig zu entziehen. Wie insbesondere auch in der Geschlechterforschung aufgezeigt wurde, stützen diese normativen Diskurse häu¿g bestehende Machtverhältnisse (indem sie bestimmte Lebensformen gegenüber anderen privilegieren, Identitäten mit gewissen Eigenschaften assoziieren etc.), sie lassen sich jedoch nicht als per se befreiend oder auch restriktiv einordnen. Welche dieser normativen Diskurse heute für Kinder und Jugendliche relevant sind und wie sie ihnen begegnen, lässt sich nur mittels einer rekonstruktiven empirischen Studie ermitteln. In den Fallbeschreibungen zeigt sich, dass die interviewten Mädchen ihr fankulturelles Engagement zentral mit der Verhandlung bestimmter Anforderungen in Verbindung bringen, die aus ihrer aktuellen Lebenssituation resultieren. Einige dieser Anforderungen ¿nden immer wieder Erwähnung und lassen sich insofern als signi¿kant in der späten Kindheit beziehungsweise Jugend von Mädchen einschätzen: ƒ
Außer den 10–12-jährigen Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ‚Die Kleinen‘ rekurrieren alle meine Interviewpartnerinnen implizit oder explizit auf die Notwendigkeit, eine selbständige Persönlichkeit zu verkörpern. Offensichtlich betrachten die Mädchen eine zunehmende Selbständigkeit als zentrales Merkmal der Jugendphase: So markierte für Antje die Erlaubnis, das BACKSTREET BOYS-Konzert zu besuchen, einen Schritt in Richtung einer
Teil C: Diskussion
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größeren Autonomie gegenüber dem Vater, während Julia in dieser Lebensphase feststellte, dass sie sich nicht mehr von anderen beschützen lassen kann. Die Anforderung größerer Selbständigkeit wird von einigen Mädchen als positiv, von anderen eher als belastend empfunden. Fast alle Interviewpartnerinnen thematisieren auf die eine oder andere Weise die Gefahr eines Kontrollverlustes: Gerade die Fan-Kultur, die eine geschmackliche Verortung jenseits der Erwachsenenkultur bedeutet und oft mit ersten Unternehmungen unabhängig von den Eltern einhergeht, wird mit einem möglichen Verlust des Realitätssinns und unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen assoziiert. Obwohl die exzessiven Anteile des Fan-Seins auch einen Reiz darstellen (vgl. hierzu C 3.), wird das Bild „charakterschwacher“, „verrückter“, „hysterischer“ Fans „ohne Lebensmut“, die eben nicht „cool“ und „realistisch“ sind, immer wieder als negativer Gegenhorizont heraufbeschworen: Die Mädchen sehen sich vor die Aufgabe gestellt, selbstverantwortlich zu handeln, welche auch mit der Gefahr einhergeht, dieser Verantwortung nicht gerecht zu werden und die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Mehrere meiner Interviewpartnerinnen bringen die größere Selbständigkeit in der Jugendphase unmittelbar mit der Notwendigkeit in Verbindung, Stärke und Mut zu zeigen: Die Fähigkeit, sich selbst und die eigenen Interessen und Vorstellungen zu verteidigen, erscheint ihnen nicht selbstverständlich und muss erst erlernt werden. In diesem Kontext wird auf die SPICE GIRLS als Vorbilder verwiesen: Für einige Mädchen verkörpern diese eine Verbindung von Weiblichkeit und Selbstbewusstsein, die sie offensichtlich als außergewöhnlich wahrnehmen: Die normativen Anforderungen des MädchenSeins werden hier als Hindernis bei der Erfüllung der Autonomieaufgabe der Jugendphase empfunden, ein KonÀikt, auf den bereits häu¿g in der feministischen Adoleszenzforschung hingewiesen wurde.118 Gleichzeitig rekurrieren insbesondere Mädchen aus dem bildungsnahen Milieu auf die Notwendigkeit, jenseits kultureller Normierungen eine authentische Persönlichkeit zu entfalten. Wenn auch milieuspezi¿sch, so scheint mir hier doch eine Lockerung geschlechtsspezi¿scher normativer Erwartungen stattgefunden zu haben: Während die auch oft in Bildungsromanen beschriebenen Reifungsprozesse einer authentischen und womöglich künstlerischen Identität traditionell der männlichen Adoleszenz zugeordnet wurden (vgl. King 1997: 34), so beanspruchen heute auch Mädchen einen Raum zur ungehinderten Identitätsentfaltung. Die Aufgabe, jenseits der gesellschaftlichen Vorgaben einen eigenen Charakter, Geschmack und Stil zu entwickeln, ist dabei sicherlich auch als Merkmal einer individualisierten Gesellschaft zu 118
Vgl. einschlägig: Brown/Gilligan (1997).
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Teil C: Diskussion betrachten und kann, wie im Falle Biancas deutlich wird, durchaus als belastend empfunden werden. Die normative Erwartung der Verkörperung einer eigenständigen Persönlichkeit impliziert schließlich auch die Aufforderung, potenzielle Widersprüche der eigenen Subjektivität zu verleugnen und somit das Selbst als mit sich identisch zu präsentieren, welche sich auch als „Identitätszwang“ bezeichnen lässt (vgl. Hagemann-White 1997: 67). Ein weitere wichtige von den Mädchen thematisierte „Aufgabe“ bezieht sich auf eine gelungene Inszenierung des eigenen Körpers. Im Zuge der tänzerischen Imitationen der Bands und der mimetischen Aneignung der von den Stars verkörperten modischen Stile erproben die Fans verschiedene Selbstinszenierungsvarianten. Diese werden dabei durchaus unterschiedlich wahrgenommen: Die Mädchen aus der Gruppe ‚Die Kleinen‘ interessierten sich in ihrer SPICE GIRLS-Mimesis insbesondere für deren Qualität „hübsch“ zu sein, welche Stein-Hilbers (2000: 127) zufolge als zentraler Aspekt „in der Ausbildung eines kindlichen Selbstbewusstseins von Mädchen“ anzusehen sind, während mit zunehmendem Alter andere Schönheitskriterien gelten. Für Julia wiederum verkörperte die Girlgroup eine ganze Palette weiblicher Selbstinszenierungsmöglichkeiten von kindlich-hübsch über exotischwild, sportlich-durchtrainiert und elegant bis hin zu sexy, die sie über die tänzerische Mimesis aktionistisch übernehmen und verwerfen konnte. Die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ,Tanz‘ verhandelten bei ihren tänzerischen Vorführungen die Möglich keit den eigenen Körper zu exponieren, ohne gleichzeitig dessen Schwächen auszustellen oder aber als zu freizügig zu gelten. Tanja dagegen nutzte die Präsentation ihres Körpers als Mittel zur Abgrenzung von den Normen ihrer Umgebung und somit zur Selbstdarstellung als individuelle Persönlichkeit und auch Bianca wollte in ihrer Inszenierung vor allem ihren eigenen Geschmack ausdrücken. Nicole wiederum ging es bei der Auseinandersetzung mit ihrem Äußeren darum, auffällig auszusehen, um von den Bandmitgliedern wahrgenommen zu werden. Die normativen Anforderungen, die sich auf die Präsentation des Mädchenkörpers richten, sind insofern als durchaus uneinheitlich und wandelbar anzusehen. Gleichzeitig fällt auf, wie stark die Selbstdarstellung beispielsweise als noch kindliches Mädchen, als selbständige (und „geschlechtsreife“) Jugendliche oder auch als authentische Persönlichkeit für die befragten Mädchen immer auch mit einer entsprechenden Körperinszenierung verbunden ist. Auch in der Kindheit ist es wichtig, sich innerhalb der Gleichaltrigengruppe zu verorten, diese Anforderung gestaltet sich jedoch mit dem Eintritt in die Jugendphase neu: So müssen etwa im Feld jugendkultureller Angebote Geschmacksurteile gefällt werden. Die hierbei getroffene Wahl bewegt sich selten in einem geschlechtsneutralen Feld: Breakdance gilt als jungentypi-
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sche Freizeitbeschäftigung, während die Kultur von Pop-Fans von meinen Interviewpartnerinnen weiblich konnotiert wird. Während den fankulturellen Praktiken selbstverständlich im Rahmen von Freundinnen-Dyaden und Mädchencliquen nachgegangen wird, schildern viele Mädchen ihr Verhältnis zu Jungen als prekär und notwendigen Veränderungen unterworfen: Wesentliche Auseinandersetzungen in der Fan-Kultur kreisen offensichtlich um die Norm der Heterosexualität, derzufolge sich Mädchen mit dem Eintritt in die Jugendphase „auf andere Weise für Jungen interessieren“ (Julia) sollten. Die Anforderung, sich auf eine heterosexuelle Beziehungspraxis einzulassen, ist mit zahlreichen Tabus und Mythen verbunden und wird häu¿g als komplizierte Herausforderung beschrieben. Während die Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion ‚Die Kleinen‘ sich noch auf spielerische Weise gegenseitig mit vermeintlichen Verliebtheiten aufziehen, emp¿ ndet Antje die Vorstellung, dass die Paarbildung in der Oberschule „von allein“ passieren sollte, offenbar eher als belastend. Sowohl Bianca als auch Tanja wiederum nutzen die Girlgroup-Fan-Kultur, um sich explizit von der in der Kultur von Boygroup-Fans repräsentierten romantischen heterosexuellen Liebe abzugrenzen. Ebenso wie die Norm der Heterosexualität als wichtiger Verhandlungsgegenstand in den von Eva Breitenbach (2000) und Kristina Hackmann (2003) untersuchten Mädchengruppen auszumachen ist, stellt sie auch einen zentralen Bezugspunkt in der Fan-Kultur von Mädchen dar.
Im Folgenden erörtere ich, inwiefern die Fan-Kultur einen geeigneten Rahmen zur Auseinandersetzung mit diesen normativen Erwartungen bietet. Hierbei wende ich mich zunächst dem Verhältnis der Mädchen zu den jeweiligen Stars zu (C1.) und gehe in einem nächsten Schritt auf die Bedeutung von kulturellen Distinktions- und Konjunktionsbewegungen in der Peer-Group ein (C 2.). Anschließend zeige ich signi¿kante Merkmale des Umgangs mit normativen Erwartungen in der Fan-Kultur auf (C 3.), wonach ich mit einem Fazit und Ausblick schließe. 1
Beziehungen zu den Stars. Experimentelle Selbstverortungen
Die erste Aufmerksamkeit für eine Band und ein Interesse an dem von deren Mitgliedern verkörperten Image ist der Ausgangspunkt fankulturellem Engagements. Unter Bezug auf die frühen Jugendstudien der Cultural Studies stellte ich im Zuge meiner theoretischen Vorüberlegungen (A 1.3) die These auf, dass medial vermittelte Informationen über die Stars sich als „symbolische Ressourcen“ bei der Konstitution einer jugendtypischen Populärkultur nutzen lassen. Was aber
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Teil C: Diskussion
wird hierbei symbolisiert und wie positionieren sich die Fans gegenüber dem jeweiligen Star-Image, das immer auch auf eine „reale“ Person verweist ? Auf der Grundlage meiner empirischen Untersuchung lässt sich das Verhältnis zwischen Fans und Stars als auffällig vielschichtig beschreiben: Zum einen assoziieren die Mädchen das jeweilige Image der Bandmitglieder mit unterschiedlichen Bedeutungen, andererseits erfüllt dieses auch ganz verschiedene Funktionen für sie. In vielen Fan-Star-Beziehungen kommt den Stars ein eindeutiger Symbolcharakter zu. Sehr auffällig ist dies bei den Boygroups, die von einigen Fans deutlich eher als Symbol denn als Personen wahrgenommen werden: So ging etwa Julia in ihrer Fan-Phase davon aus, dass die Stars sich im Laufe der Jahre nicht verändern würden und sie diesen als zukünftigen Liebhabern in aller Ruhe entgegenwachsen könne. Obwohl die meisten Boygroup-Fans einen Liebling unter den Bandmitgliedern auswählen, beziehen sich viele Mädchen, wenn sie ihre Beziehung zu den Stars beschreiben, auf die ganze Band (so sagt etwa Antje spontan, sie wisse nicht, ob sie ihren Klassenkameraden oder die Boygroup mehr liebe): deren Mitglieder werden oftmals wie ein Mann wahrgenommen. Gleichzeitig stehen die Boygroup-Inszenierungen weniger für eine bestimmte Art von Männlichkeit, sondern sind eher als Symbol für eine glückliche heterosexuelle Liebesbeziehung anzusehen. Die Mädchen assoziieren die medialen Informationen über die Stars selten mit einem besonderen Männer-Bild, sehr wohl aber mit einer bestimmten Beziehungsform. Ich schließe mich hier der Einschätzung von Maya Götz an, die davon ausgeht, dass das Image bestimmter Stars bereits auf das Interesse vieler Jugendlicher am Thema der heterosexuellen Liebe ausgerichtet ist: „Was hier angeboten wird, ist nicht die ‚Ware Frau‘ oder die ‚Ware Mann‘, sondern die ‚Wa(h)re Beziehung‘.“ (Götz 1999: 380)119 Auch die Girlgroup SPICE GIRLS wird von den Mädchen stark symbolisch besetzt: Sie steht für die Verbindung von Attraktivität und Bewegungsfreiheit (‚Die Kleinen‘), für eine erfolgreich abgeschlossene Entwicklung zur selbstbewussten weiblichen Jugendlichen (Bianca und Julia), für Unabhängigkeit vom anderen Geschlecht (Julia) oder für die zielstrebige Verwirklichung eigenwilliger Wünsche (Tanja).120 119 In diesem Sinne lässt sich die von Bianca und Tanja formulierte Ablehnung gegenüber der Kultur von Boygroup-Fans meines Erachtens als Abwehr gegenüber der Praxis heterosexueller Paarbildung deuten. 120 Die in den Interviews immer wieder genannten SPICE GIRLS-Qualitäten der Stärke, des Selbstbewusstseins, der Autonomie und der Authentizität werden von den in der Studie von Cornelia Bif¿ (1998: 135) interviewten Fans der Girlgroup ebenso als deren zentrale Eigenschaften aufgeführt. Auch Fans von Madonna bewundern diese besonders für ihr Selbstbewusstsein und ihre Durchsetzungsfähigkeit, vgl. Schmiedke-Rindt 1998: 166 ff.
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Als Symbole repräsentieren die Bandmitglieder Wegmarkierungen am Horizont, wobei die Mädchen sich entweder dafür entscheiden, diesen entgegenzustreben, oder aber sich nachdrücklich abzuwenden. Eine positive Beziehung zu den jeweiligen Symbolen drücken sie häu¿g in Begriffen von Bewunderung oder Begehren aus, außerdem werden diese als Orientierungshilfe bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen aktuellen Anforderungen charakterisiert. (In diesem Sinne bezeichnet Bianca die SPICE GIRLS als „Therapie“.) Ungeachtet der teilweise durchaus respekt- und hingebungsvollen Beziehungen, die zu den Stars als Symbolen aufgebaut werden, sind sie für ihre Fans doch immer gleichzeitig auch Konsumobjekte. So beschreiben vor allem die älteren Mädchen ihre Entscheidung für die entsprechende Band oder ein bevorzugtes Bandmitglied oft als kritische Auswahl eines passenden Konsumgegenstandes. Viele Fans begegnen den Bandmitgliedern nie persönlich und sind somit gezwungen, ihr Verhältnis zu diesen über die Anschaffung von Fan-Artikeln zu regulieren: Die Aneignung von Informationen über das Privatleben der Stars und das Sammeln ihrer Abbildungen (die häu¿g überlebensgroß die Zimmerwand zieren) können eine Beziehung konstituieren, die Alltagskontakte an Intimität locker überbietet.121 Die Selbstwahrnehmung als Konsumentinnen vermittelt den Mädchen gleichzeitig ein Gefühl der Macht in der Fan-Star-Beziehung: Sie wissen, dass die Präsenz von Fans und deren Konsumpraktiken unabdingbare Voraussetzung für das Überleben von Teenie-Bands sind.122 Dadurch, dass die meisten Fans lediglich über die Anschaffung bestimmter fetischhaft aufgeladener Objekte Nähe zu den Stars aufbauen können, nehmen sie oft eine possessive Haltung gegenüber dem im Medienarrangement vermittelten Konsumobjekt ‚Star‘ ein. (Antje beschreibt ein solch possessives Begehren mit den Worten: „jeder wollte nach ganz vorne und einen anfassen“.) Der Umstand, dass die Bandmitglieder einen wichtigen Symbolcharakter haben, gleichzeitig jedoch immer auch konsumierbar sind, konstituiert auf entscheidende Weise die Fan-Star-Beziehung. Während die Stars als Symbole aus Auch Walter Benjamin betrachtet in seinem Essay „Der Sammler“ (1983) das Sammeln als Möglichkeit, sich etwas Entferntes, wie z. B. auch eine Epoche, möglichst nahe heranzuholen: „Sammeln ist eine Form des praktischen Erinnerns und unter den profanen Manifestationen der „Nähe“ die Bündigste“ (a. a. O.: 271). 122 Ein solches Bewusstsein der eigenen Machtposition kann auch mit deren Überschätzung einhergehen. So erläutert ein 16-jähriges Mädchen, Fan von TAKE THAT, ihre Gefühle nach der AuÀösung der Band wie folgt: „Ich merkte zum ersten Mal, dass ein Fan nicht viel ausrichten kann, sondern sich immer dem fügt, was sein Star will.“ Hauk (1999: 115). Hauk sammelte über eine Anzeige rund 500 Briefe von Boygroup-Fans, die er in seinem Band ‚Boygroups. Teenager. Tränen. Träume.‘ dokumentiert. 121
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einer Distanz heraus betrachtet werden, ermöglicht deren Status als Konsumobjekte (wenn die ¿nanziellen Ressourcen es erlauben) eine umstandslose Aneignung. In diesem Sinne oszillieren die Beziehungen, die die Fans zu den jeweiligen Bandmitgliedern aufnehmen, zwischen Nähe und Distanz: Die CAUGHT IN THE ACT-Stars symbolisieren für Julia die ferne Zukunft einer erfüllten Liebesbeziehung, sie baut sie jedoch gleichzeitig als Konsumobjekte in ihre kindliche Welt ein, indem sie Poster aufhängt und mittels ihrer Barbie-und Ken-Puppen gemäß eigener Interessen über das Boygroup-Image verfügt. Auch die von den SPICE GIRLS symbolisierten Identitäten können auf unkomplizierte Weise über Konsumpraktiken wie das „Abgucken“ (Bianca) ihres Kleidungsstils, oder auch die Verwendung des SPICE GIRLS-Parfums ins eigene Leben geholt werden. Im Rahmen ihrer historischen Untersuchung zur Rezeption von HollywoodDiven weist Jackie Stacey (1994: 234 ff) darauf hin, dass sich die Bedeutung von Stars im Zuge der Konsumgesellschaft stark verändert hat: Bis Mitte der 50er Jahre wurden Hollywood-Stars auf eine Weise repräsentiert, die ihre Distanz zum Publikum auf verschiedenen symbolischen Ebenen maximierte. Erst die zunehmende Möglichkeit für letzteres, sich das Star-Image mittels Konsumpraktiken anzueignen, führte zu einer größeren Nähe in den Fan-Star-Beziehungen: „Spectators‘ memories of stars suggest an increasingly interactive relationship between self-image and star ideals with the opening up of multiple possibilities of becoming more like the screen ideal through the purchase of commodities associated with particular stars. Mimetic self-transformations become an imaginable possibility through consumption – be it the suits or blonde hair of Marilyn Monroe, or the styles, fabrics and colours associated with Doris Day.“ (a. a. O.: 236)
Ganz im Sinne dieser Entwicklung sind heutige Teenie-Stars Konsumgüter par excellence: So können sich etwa die Mädchen der Gruppe ‚Tanz‘ mühelos die BACKSTREET BOYS als Bett wäsche ins Bett holen und sich durch die Übernahme von deren Sportkleidung gleichzeitig selbst in die Boygroup verwandeln. Die von Tanja explizit formulierte Forderung an Stars, Nähe und Vertrautheit zu ihrem Publikum herzustellen, wird bei der gegenwärtigen Vermarktung von Pop-MusikerInnen sehr ernst genommen: Diese symbolisieren idealerweise eine Identität, die den Mädchen zwar noch fern ist, aber gleichzeitig durchaus erreichbar erscheint. Besonders deutlich wird eine solche Strategie in der Erklärung der SPICE GIRLS, alle hätten die Möglichkeit ein SPICE GIRL zu werden. Auch die in den in den letzten Jahren so beliebt gewordenen Castingshows transportieren die Botschaft, jeder könne ein Star werden. Die von Stacey beobachtete Tendenz einer verstärkten Konsumierbarkeit von Stars hat sich in diesem Sinne noch radikalisiert.
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Es lässt sich vor diesem Hintergrund behaupten, dass die Stars auch BeziehungspartnerInnen für ihre Fans darstellen. Inwiefern die Beziehung zu medial vermittelten Figuren nun wirklich als Beziehung zu bezeichnen sei, ist ein umstrittenes Thema. Um die Besonderheit derartiger Beziehungen zu verdeutlichen, greifen gerade Untersuchungen zu Fans oft auf das Konzept der „para-sozialen Interaktion“ von Donald Horton und R. Richard Wohl (1956) zurück. Die beiden Autoren verweisen darauf, dass sowohl mediale „performer“ (Stars, Showmaster etc.) als auch deren Publikum sich so verhalten, als pÀegten sie eine interaktive Beziehung. Sie wenden sich somit gegen ein Modell der Medienrezeption als rein monologischem Vorgang, charakterisierten die beobachtete Interaktion jedoch als„Simulacrum“ und insofern als „para-sozial“ (a. a. O.: 215). Wie Ruth Ayaß (1993: 35 f) verdeutlicht, wurde der Begriff der „para-sozialen Interaktion“ in seiner späteren Rezeption vor allem verwendet, um darauf aufmerksam zu machen, dass ZuschauerInnen im Zuge massenmedialer Kommunikation einer Schein-Reziprozität aufsäßen, wodurch sie erneut als Opfer medialer Verdummung dastünden.123 Ayaß plädiert demgegenüber dafür, den Rezeptionsakt als soziale Handlung gelten zu lassen: „Die zahllosen Formen einer Herstellung von scheinbarer Reziprozität können daher soziologisch adäquat höchstens als para-interaktiv bezeichnet werden.“ (a. a. O.: 36, Herv. R. A.) Auch die aktive Aneignung medial vermittelter Pop-Bands durch ihre Fans muss meines Erachtens als soziales Handeln betrachtet werden. Gleichzeitig ist die Beziehung zu den Stars tatsächlich nur sehr begrenzt reziprok oder interaktiv. (Wie das Interview mit Nicole zeigt, kann es durchaus auch zu gelegentlichen direkten Fan-Star-Interaktionen kommen, deren Verlauf jedoch stark ritualisiert ist.) Besonders bemerkenswert erscheint mir jedoch im Blick auf meine Studie, wie Àießend die Grenzen zwischen den Beziehungen zu den Stars und anderen, alltäglichen Beziehungen der Mädchen sind. So nehmen etwa viele BoygroupFans ihre Beziehung zur Band im Vergleich mit Beziehungen zu Jungen aus ihrem Bekanntenkreis als wesentlich intensiver wahr. Diese Einschätzung ist meines Erachtens durchaus ernst zu nehmen und kann nicht als medial initiierte Verblendung abgetan werden. So erläuterte mir etwa die 12-jährige Kerstin ihre Beziehung zu ihrem Freund, indem sie mir beschrieb, wie sie diesen gemeinsam mit ihrer Freundin heimlich beim Fußballspielen beobachtete: Die hier vollzogene Liebesbeziehung beruht ebenso auf Distanz und dem mühseligen Sammeln von Einzeleindrücken wie die Beziehung zu Stars, auch sie lässt sich als „scheinreziprok“ und „schein-interaktiv“ bezeichnen. Ich gehe davon aus, dass viele der Jenson (1992: 17) weist darauf hin, dass Horton und Wohl selbst eine Betrachtungsweise der RezipientInnen als passiv und unmündig insofern nahe legen, als sie eine zu intensive Beschäftigung mit para-sozialen Interaktionen als pathologisch beschreiben.
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Beziehungen von Mädchen in Kerstins Alter (insbesondere ihre Beziehungen zu Jungen) sehr stark in der Phantasie gelebt werden, weshalb ich es nicht für sinnvoll erachte, die ebenso strukturierten Beziehungen zu Stars als besonders scheinhaft einzuordnen. Inwiefern stehen jedoch derartig strukturierte Beziehungen im Dienste von Normverhandlungen ? Offensichtlich nehmen vor allem Boygroup-Fans in der Regel ein Begehrensverhältnis zur jeweils ausgewählten Band ein: Sie beschreiben die Bandmitglieder als „geil“ (Nicole), „Traumtypen“ (Julia), „süß“ und „sexy“ (‚Tanz‘), und die eigenen Gefühle als „verknallt“ (Antje). Konstitutiv für die hierbei gegenüber den Stars empfundenen Gefühle ist deren Struktur der verhinderten Wunscherfüllung: Die Fans streben nach Nähe mit den jeweiligen Bandmitgliedern, planen die Erfolglosigkeit dieses Strebens jedoch gleich in ihr Begehren mit ein. Wie insbesondere im Interview mit Antje deutlich wird, gelingt es auf diese Weise, die Emotionslage des Verliebens kennen zu lernen, ohne hierbei Gefahr zu laufen, sich auf die Unwägbarkeiten einer interaktiven Liebesbeziehung einlassen zu müssen.124 Auch die Beziehungen zu weiblichen Stars können eine erotische Komponente haben, die in den Interviews eher auf einer verdeckten Ebene thematisiert wird, indem etwa Bianca als Girlgroup-Fan ihr Fan-Engagement mit dem Verlieben vergleicht. Eine weitere zentrale Motivation in der Beziehung zu den Bands ist der Wunsch, sich diesen über ein mimetisches Verhältnis anzunähern. So verweisen etwa Bianca, Julia und Tanja darauf, dass sie sich den SPICE GIRLS anähnlichen wollten und die Teilnehmerinnen der Gruppe ‚Die Kleinen‘ schildern, wie sie sich über die Praktik einer aktionistischen Mimesis spielerisch in einzelne Mitglieder verwandeln. Die mimetischen Annäherungen an die Stars werden häu¿g sehr selbstreÀexiv vollzogen und beispielsweise im Zuge einer doppelten Mimesis immer auch mit Versuchen der Annäherung an den authentischen eigenen Charakter verbunden (Bianca). Ebenso wie Lisa A. Lewis (1990: 173 ff) die Übernahme des Stils von Madonna durch deren Fans als Suche nach kreativen Impulsen zur Selbstentdeckung interpretiert, beurteile ich die Mimesis der SPICE GIRLS-Fans als überaus kreativen und eigenwilligen Akt. Dieser kann sowohl der Verhandlung der Aufgabe dienen, eine selbständige Persönlichkeit zu entwickeln, als auch der
Auf die ‚Struktur der verhinderten Wunscherfüllung‘ gehe ich ausführlich in Abschnitt B 4.2 ein. Im Unterschied zu meinen Beobachtungen kommt es bei den von Maya Götz (1999) interviewten jugendlichen weiblichen Wrestling-Fans teilweise zu einer starken Sexualisierung der Stars. Ich vermute, dass Erotik und Sexualität bei Götz‘ Probandinnen offensiver thematisiert werden, weil diese zum einen im Durchschnitt älter sind (15–17 Jahre) und andererseits die Ebene von Körperlichkeit und Sinnlichkeit in den Repräsentationen der Wrestler wesentlich dominanter ist als bei den eher keuschen Boygroup-Inszenierungen, die auch ein jüngeres Publikum ansprechen sollen.
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Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen an eine attraktive weibliche Selbstinszenierung. Viele Fans schildern diese Art der Mimesis als hilfreich in einer Phase der Orientierung zu Beginn der Jugendphase, die auch beizeiten wieder abgeschlossen wird. Es kann auch – wie im Falle Julias – dazu kommen, dass die eigenen Versuche, sich der Girlgroup anzuähnlichen, retrospektiv als aufgesetzt und unecht wahrgenommen werden. Die Stars werden dann als Vorbilder verworfen und es gilt, einen eigenen Weg zu ¿nden. Andere Mädchen beschreiben ihre mimetischen Annäherungen an die SPICE GIRLS jedoch als sinnvoll, um sich selbst einmal anders erleben zu können und erstrebenswerte Eigenschaften zu enaktieren und habitualisieren. Wie Bianca betont, beziehen sich diese mimetischen Akte darüber hinaus auch nicht auf die gesamte Star-Inszenierung, sondern auf einzelne, besonders attraktive Aspekte („sind sie in mancher Hinsicht schon son bisschen Idole“). Ein mimetisches Verhältnis wird jedoch nicht nur zu gleichgeschlechtlichen Stars aufgenom men, sondern kann auch im Zuge gegengeschlechtlicher Identi¿zierungen vollzogen werden. Wie bereits in Teil A 3.3 vermutet, greift es an dieser Stelle zu kurz, einem gegengeschlechtlichen Begehren eine gleichgeschlechtliche Identi¿zierung gegenüberzustellen. Ebenso wie dies von Elvis und Beatles-Fans bekannt ist, können sich auch Boygroup-Fans mit ihrer Band identi¿zieren.125 Die Mädchen der Gruppe ‚Tanz‘ nahmen ein mimetisches Verhältnis zu den BACKSTREET BOYS ein und wurden somit innerhalb ihres Jugendzentrums selber zu Berühmtheiten. Die geschlechtsübergreifende Mimesis brachte sie darüber hinaus in die Situation, im Zuge einer kollektiven Boygroup-Konzert-Mimesis die erotisierte Bewunderung anderer Mädchen genießen zu können ohne dem Verdacht der Homosexualität ausgesetzt zu sein. Ihre Identi¿zierung mit den männlichen Stars erlebten sie dabei nicht als Widerspruch zu deren Wahrnehmung als sexy und süß: In ihrer Beziehung zu diesen griffen Begehren und Identi¿zierung offensichtlich ineinander. In diesem Beispiel kommt es zu einer spielerischen Subversion der Selbstverständlichkeiten der heterosexuellen Matrix, derzufolge gleichgeschlechtliche Identi¿zierungen einem gegengeschlechtlichen Begehren gegenüberstehen (vgl. A 3.3). Es zeigt sich, dass die Beziehung zu Pop-Stars sehr verschiedene Ebenen haben kann, die jeweils unterschiedliche experimentelle Positionierungen in Unter weiblichen Elvis-Fans war es üblich, sich die Haare so zu kämmen, dass es aussah, als hätten sie Koteletten (vgl. Hauk 1999: 25). Und auch die von Ehrenreich/Hess/Jacobs (1992: 103) interviewten Beatles-Fans beschreiben ihr Verhältnis zur Band als stark identi¿ katorisches: „I didn’t want to sleep with Paul McCartney, I was too young. But I wanted to be like them, something larger than life.“ Vgl. auch Götz‘ (1999: 376) Beobachtungen zur Identi¿zierung von Mädchen mit Wrestling-Stars sowie Stacey (1994: 126 ff) zur Gleichzeitigkeit von Identi¿zierung und Begehren in der Beziehung weiblicher Fans zu Hollywood-Diven. 125
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Bezug auf die Anforderungen von Geschlechtsidentität und Heteronormativität erlauben. Selbstverständlich kann es auf diese Weise nicht gelingen, die entsprechenden Normen in ihrer Wirkungskraft vollständig auszuhebeln. (So werden auch die Teilnehmerinnen der Gruppe ‚Tanz‘ beim BACKSTREET-BOYS-Konzert nachdrücklich auf die eindimensionale Position der heterosexuell Begehrenden verwiesen.) Offensichtlich bietet jedoch die Fan-Kultur einen Rahmen, innerhalb dessen auf experimentelle Weise mit normativen Erwartungen umgegangen werden kann. Gerade die sehr femininen Boygroups bieten darüber hinaus meines Erachtens eine überaus geeignete Vorlage für geschlechtsübergreifende Identi¿zierungen.126 2
Beziehungen in der Gleichaltrigengruppe Konjunktions- und Distinktionsbewegungen in einer Mädchenkultur
Warum haben gerade Stars eine so wichtige Funktion bei den geschilderten Beziehungsauf nahmen der Mädchen ? Im Blick auf mein Material zeigt sich, dass die Auswahl einer bevorzugten Gruppe nicht nur eine Positionierung gegenüber den jeweiligen Stars nach sich zieht, sondern gleichzeitig auch als Akt der Selbstverortung im Feld der Alltagsbeziehungen anzusehen ist. Eine emotionale Bezugnahme und Auseinandersetzung mit breit bekannten, medial vermittelten Idolen hat insofern gegenüber anderen Beziehungsaufnahmen den besonderen Vorteil, dass sie die Konstitution einer Gemeinsamkeit mit anderen ermöglicht. Wie Vogelgesang (1994: 468) bemerkt, sind geschmackliche Entscheidungen innerhalb der global vermarkteten Jugendstile heute gleichzeitig Entscheidungen für eine besondere Stil-Sprache, die Pro¿lierungs- und Identi¿zierungschancen innerhalb des jugendkulturellen Kommunikationssystems verschaffen. Im Folgenden werde ich die Bedeutung der hierbei vollzogenen Prozesse der Distinktionen und Konstitutionen von Gemeinsamkeit in der Gleichaltrigengruppe für die Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen analysieren. Eine geschmackliche Verortung als Boygroup- oder Girlgroup-Fan bedeutet meines Erachtens gleichermaßen eine Selbstpositionierung als weibliche Jugendliche. In konstruktivistischer Terminologie ließe sich auch sagen: Der Status des Girlgroup- oder Boygroup-Fans ist unlösbar verknüpft mit Prozessen des ‚doing gender‘ und ‚doing adolescence‘.127 Zur feminisierten Männlichkeit von Boygroups vgl. auch Wald (2002). Wie Breitenbach nachweisen konnte, sind ‚doing gender‘ und ‚doing adolescence‘ ihrerseits als voneinander abhängig zu betrachten: „Die jugendliche Praxis strukturiert und konstituiert das Geschlecht, und das Geschlecht strukturiert und konstituiert die jugendliche Praxis.“ (Breitenbach 2000: 38).
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Inwiefern geht die Kultur von Boygroup- und Girlgroup-Fans mit einer Konstruktion der eigenen Identität als weibliche Jugendliche einher ? Zunächst sei betont, dass eine Betrachtungsweise dieser Fan-Kultur als Mädchenkultur nicht auf der Annahme basiert, dass der Zugang zu den entsprechenden medialen Angeboten und jugendkulturellen Stilen von vornherein durch das Alter und Geschlecht der Rezipierenden strukturiert wird. Ich stimme hierbei mit Ute Bechdolf (1999: 222 f) überein, die davor warnt, einen Kausalzusammenhang zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Rezeptionsweise anzu nehmen und somit die kulturelle Konstruktion zweier polar angeordneter Geschlechtsidentitäten in der eigenen Forschung festzuschreiben. In Bezug auf ihre empirische Untersuchung zur Musikvideorezeption Jugendlicher stellt Bechdolf dann auch in diesem Sinne fest, dass „bei der Auswahl der Rezeptionsstrategien eben nicht nur die Zugehörigkeit zum weiblichen oder männlichen Geschlecht eine Rolle (spielt), sondern auch die Art der Selbstpositionierung als typischer Mann oder unkonventionelle Frau (bzw. umgekehrt) sowie die Akzeptanz oder Ablehnung traditioneller Geschlechterdiskurse – auf kognitiver wie auf emotionaler Ebene.“ (a. a. O.: 222)
Auch die Begeisterung für eine Boygroup oder eine Girlgroup wird nicht durch das Geschlecht oder auch das Alter der jeweiligen Personen determiniert. In meinen Interviews mit Fans und Ex-Fans werden Jungen, die Boygroup-Bilder sammeln, ebenso erwähnt wie Jungen, die auf die SPICE GIRLS stehen oder auch erwachsene Fans. (Auch im Zuge meiner teilnehmenden Beobachtung beim BACKSTREET BOYS-Konzert war ich überrascht angesichts der großen Zahl männlicher und erwachsener BesucherInnen.) Selbstverständlich gibt es darüber hinaus auch viele Mädchen, die die Pop-Fan-Kultur für sich ablehnen. Wie ich im Folgenden genauer ausführen werde, konstituierten meine Probandinnen ihre Kultur dennoch als weiblich konnotierte Jugendkultur. Die Interviewpartnerinnen beschreiben die Entwicklung zum Fan als Prozess, der oft gemeinsam mit anderen Mädchen und in starker Orientierung an anderen Mädchen vollzogen wird. Die große Schwester dient als Vorbild beim Einstieg in die Fan-Kultur (Antje und ‚Die Kleinen‘), die beste Freundin wirkt inspirierend (Bianca und Julia) oder aber wird im Zuge der eigenen Begeisterung auch vom Fan-Sein „angesteckt“ (Nicole). Die Fans und Ex-Fans beschreiben ihre Kultur in ihren Erzählungen als unlösbar verknüpft mit intimen Mädchen-Beziehungen: Zwar wird auch mal mit Jungen getauscht, der kulturelle Nahraum wird jedoch nur mit Mädchen geteilt, fast erscheint es, als würde hierbei eine exquisite weibliche Sphäre geschaffen, die sich über die Weitergabe der entsprechenden kulturellen Kompetenz immer wieder aus sich selbst heraus als Kultur von Mäd-
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chen konstituiert. Den zentralen Fan-Prakti ken, d. h. dem Sammeln, Tauschen (bzw. verbalen Austausch), dem Spielen und Tanzen wird in der FreundinnenDyade oder -Gruppe nachgegangen und sie haben ihrerseits wieder einen gruppenstabilisierenden Effekt.128 In ihren Schilderungen von Boygroup-Konzerten beschreiben die Mädchen sich als Teil einer weiblichen Fan-Communitas, die sich kollektiv begehrend auf die Stars bezieht: Ungeachtet der vielen Männer, die die Forscherin bei ihrem Konzertbesuch sah, ist in den Erzählungen der Interviewpartnerinnen immer nur von anderen Mädchen die Rede. Die Fan-Kultur dient in diesem Sinne nicht der Konstitution distinkter Gruppen, sondern eher der Suche nach konjunktiven Beziehungen, die auch unbekannte andere Fans einschließen können. Im Sinne Karl Mannheims (1980, orig. 1922–25: 211 ff) sind hiermit Beziehungen gemeint, die im Rahmen eines konjunktiven Erfahrungsraumes entstehen, und insofern in einem gemeinsamen Erleben verankert sind und nicht immer wieder aufs Neue mit kommunikativem Aufwand hergestellt werden müssen. Die Inkorporation einer gemeinsam erlebten Praxis, wie sie in den intensiven kollektiven Fan-Praktiken erfolgt, erlaubt die Herstellung einer habituellen Übereinstimmung zwischen den Akteurinnen und insofern eben die Konstitution eines konjunktiven Erfahrungsraumes. Dieser wird gleichzeitig offensichtlich als Erfahrungsraum weiblicher Kinder und Jugendlicher verstanden. Trotz des konjunktiven Charakters der Fan-Kultur kommt es auch zu Distinktionsbewegungen unter den Pop-Fans. Besonders deutlich wird dies bei Schilderungen von Live-Events: hier werden andere Fans häu¿g als störend empfunden, da sie eine größere Nähe zu den Stars verhindern (Antje: „irgendwie hat-hatten wirn Hass auf die Vorderen“). Gleichzeitig sind sich die Fans offensichtlich durchaus des Umstandes bewusst, dass sie aufeinander angewiesen sind: Ein solidarisches Verhältnis untereinander wie es beispielsweise Julia beschreibt, ist Voraussetzung, um wichtige Informationen über die Stars zu erfahren, der Kontakt zu anderen Fans verleiht Praktiken wie dem geduldigen Warten auf die Band erst ihre Qualität, und wie im Falle Nicoles deutlich wird, ist die Anwesenheit anderer Fans auch notwendig, um selbst als Fan erkennbar zu sein. Während viele Mädchen den starken Zusammenhalt ihrer Clique oder Freundinnen-Dyade betonen, ist das Verhältnis zur Fan-Communitas offensichtlich gleicher maßen von Solidaritäts- wie Konkurrenzgefühlen geprägt.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Gruppe ‚Tanz‘ für die die Stabilisierung ihres Zusammenhaltes als Mädchengruppe eine zentrale Motivation ihres Fan-Seins ausmacht. Auch Schmiedke-Rindt (1998: 255 f) beschreibt die Sammel- und Tauschaktivitäten von Madonna-Fans als Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit unter Fans auszudrücken und zu konstituieren.
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Keine meiner Interviewpartnerinnen erwähnte Konkurrenzsituationen in ihrem unmittelbaren Freundinnenkreis, jedoch wird beispielsweise in Julias Erzählung von ihrer SPICE GIRLS-Tanzgruppe deutlich, dass es im Zuge der gemeinsamen Tanz-Praktiken sowohl darum ging, sich in stilistische Übereinstimmung mit der Girlgroup und der Gemeinschaft der Fans zu begeben, als auch einen persönlichen Stil herauszubilden. Auch in dieser Hinsicht dient die Fan-Kultur also dem gleichzeitigen Vollzug von Konjunktions- und Distinktionsbewegungen. Ähnlich wie Rainer Winter (1995: 187 ff) dies in Bezug auf Fans von HorrorVideos festgestellt hat, lassen sich darüber hinaus auch hierarchisierende Distinktionen innerhalb der Pop-Fan-Gemeinschaft beobachten: Immer wieder werden die Quali¿kationen „richtiger“ Fans benannt, die vorzugsweise vor dem negativen Gegenhorizont eines abzulehnenden Fan-Verhaltens charakterisiert werden: Fast alle meine Interviewpartnerinnen distanzieren sich von allzu leidenschaftlichen und distanzlosen Fans. Dieser Abgrenzungsgestus ist meines Erachtens auch als Reaktion auf die gängige Stigmatisierung weiblicher Pop-Fans als hysterisch, unkontrolliert und irrational zu betrachten (vgl. hierzu A 1.3). Teilweise werden die negativen Fan-Eigenschaften auch auf Fans anderer Pop-Bands projiziert, insbesondere mokieren sich Girlgroup-Fans gerne über die vermeintlich irrationale Leidenschaft von Boygroup-Fans. Am Beispiel Tanjas wird jedoch deutlich, dass es ungeachtet eines Befremdens gegenüber der Fan-Begeisterung der besten Freundin dennoch möglich ist, mit ihr in einen regen Austausch über die jeweiligen Bands einzutreten, bei dem etwaige Differenzen sich großzügig übergehen lassen. („Obwohl mich das eigentlich nicht so sehr interessiert hat, aber ich hab dann ( ) /jaja/ ((imitierend, lacht)) ¿nd ich auch.“) Dass der Zusammenhalt innerhalb der Fan-Gemeinschaft letztlich mehr wiegt als gleichzeitige Differenzen, zeigt sich meines Erachtens auch in den durchaus expliziten und energischen Distinktionsbewegungen, die nach außen hin vollzogen werden. Zum einen konstituieren diese das Fan-Sein häu¿g als Status, der lediglich in einer bestimmten Lebensphase angemessen ist. Beispielsweise machte Antje die Erfahrung, dass sowohl sie selbst, als auch ihr Vater aus der Fan-Kultur der älteren Schwester ausgeschlossen wurden: Es ist wichtig, ein bestimmtes Alter erreicht zu haben, um Fan sein zu können, gleichzeitig gilt es jedoch zu vermeiden, als Fan zu alt zu werden. (So weisen mehrere Mädchen darauf hin, dass sie das Engagement einiger Erwachsener in der Pop-Fan-Kultur als peinlich empfänden. Eine besonders entscheidende Rolle bei den Abgrenzungen nach außen spielen jedoch geschlechtliche Zuweisungen. Die Charakterisierung der Fan-Kultur als Mädchenkultur, die sich von der Existenz männlicher Pop-Fans mitnichten irritieren lässt, geht Hand in Hand mit Verweisen auf eine deutlich verschiedene Jungenkultur: Jungs spielen Fußball und machen Breakdance, Jungs spotten über
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Teil C: Diskussion
die Pop-Fan-Kultur und Jungs sind beleidigt, wenn Mädchen ihnen BoygroupStars vorziehen. Mehrere Mädchen erklärten mir, dass selbst wenn Jungen sich für Boygroups interessierten, sie dies für sich behalten müssten, weil sie sonst von ihren Freunden als schwul bezeichnet würden. Diese Einschätzung korrespondiert mit den Ergebnissen von John Hauk (1999), der aus den Briefen, die er von Boygroup-Fans erhielt, unter anderem folgende von deren Vätern geäußerte Bezeichnungen für diese Bands extrahierte: „Milchbubis“, „Schnösel“, „Clowns“ und „Schwuchtelboys“. In diesem Sinne konstatiert auch Gayle Wald: „male teenybopper performers display a feminized masculinity that constructs male fan desire as homoerotic even as it both shapes and serves the erotic desires of straight girl fans.“ (Wald 2002: 4)129
Wie Julia verdeutlicht, quali¿ziert jedoch auch ein Interesse von Jungs für die SPICE GIRLS diese noch lange nicht als seriöse Teilnehmer der eigenen Kultur, da sie sich in der Regel aus einer Position heterosexuell Begehrender auf die weiblichen Stars beziehen. Offensichtlich sind es gerade die normativen Begrenzungen der Geschlechtsidentität und der heterosexuellen Matrix, die es Jungen erschweren, einen sinnvollen Platz in der hauptsächlich von Mädchen verfolgten Boygroup- und Girlgroup Fan-Kultur einzunehmen: Das feminine Image der Boygroup-Stars, das es jüngeren Mädchen erlaubt, sich mit ihnen zu identi¿zieren und sie zu begehren, konnotiert ein männliches Interesse sogleich homosexuell. In Bezug auf weibliche Stars können sich männliche Jugendliche zwar unmissverständlich heterosexuell positionieren, ohne dass sich hierbei jedoch Anknüpfungsmöglichkeiten an die Fan-Kultur der Mädchen böten. Die Pop-Fan-Kultur wird insofern von ihren Akteurinnen als eindeutig weibliche Kultur wahrgenommen. Wie dies auch in vielen anderen empirischen Studien zur Gleichaltrigenkultur beobachtet wurde, schildern auch meine Interviewpartnerinnen das Geschlechterverhältnis als ein Leben in „getrennten Welten“ (Thorne 1993). Im Rahmen ethnographischer Untersuchungen wie beispielsweise der Studie von Georg Breidenstein und Helga Kelle (1998) konnte gezeigt werden, dass die Beziehungen zu Kindern anderen Geschlechts in der konkreten Interaktion gleichzeitig durchaus von Selbstverständlichkeit gekennzeichnet sind. Werden Mädchen und Jungen aufgefordert, ihr Verhältnis im Interview zu explizieren, aktivieren sie dennoch oft einen „Modus der Fremdheit“ im Bezug auf das andere Geschlecht (a. a. O.: 269 f). Breidenstein und Kelle interpretieren diesen Vorgang Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen der „Metrosexualität“ als andere Form einer feminisierten Männlichkeit, vgl. Richard (2005).
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der gegenseitigen Exotisierung als Quelle der Erotisierung der Geschlechterdifferenz und somit als Vorbereitung auf die Praxis heterosexueller Paarbildung (a. a. O.). Da in meiner Untersuchung deutlich erkennbar ist, dass zumindest viele Mädchen den Eintritt in die Heterosexualität als mühsam und risikobehaftet wahrnehmen, lässt sich jedoch umgekehrt auch vermuten, dass die Wahrnehmung der Jungen als Angehörige anderer Kultu ren und Welten die Anforderung, sich in das andere Geschlecht zu verlieben, als besonders schwierig erscheinen lässt. Es zeigt sich in den Interviews jedoch ebenfalls, dass die Pop-Fan-Kultur als Mädchenkultur einen besonderen Freiraum zur Verhandlung normativer Anforderungen bereitstellt. Durch die Inkorporation einer gemeinsam erlebten Praxis entsteht ein geschlechtshomogener konjunktiver Erfahrungsraum, in dem die Mädchen von der Identitätsanforderung, sich als geschlechtlich eindeutig zu verorten, entlastet sind und in dessen Rahmen sie sich gegenseitig bei einer spielerischen Annäherung an verschiedene Identitätsentwürfe unterstützen. Auch in neueren Veröffentlichungen zur Jugendphase von Mädchen wird immer wieder auf die Notwendigkeit von „Spiel- und Experimentier-Räumen für junge Frauen“ (King 1997: 43) verwiesen und die Bedeutung von Mädchenbeziehungen bei normativen Auseinandersetzungen betont (vgl. z. B. Breitenbach 2000: 303; Flaake 2001: 125 ff). In meiner Untersuchung bestätigen sich die Ergebnisse Breitenbachs (2000: 304) und Helfferichs (1994: 126), denen zufolge die Mädchenclique eine schützende und unterstützende Funktion hat, wobei sie gleichzeitig auch bestimmte Normen setzt und in gewisser Weise als soziale Kontrollinstanz betrachtet werden muss. In der geschlechtshomogenen Fan-Kultur erfolgt eine traute und lustvolle Auseinandersetzung mit Geschlechter-Normen und Heteronormativität, wie sie etwa Julia am Beispiel des Barbie- und Ken-Spiels mit ihrer besten Freundin beschreibt. Diese Kultur kann die Eroberung eines ungestörten Raumes ermöglichen, den sich Biancas „Mini-Spice-Girls-Bande“ auf dem Hängeboden schafft, die Gruppe ‚Tanz‘ im Jugendzentrum verteidigt und in dessen Rahmen intime Gespräche geführt werden. Im Zuge gemeinsamer mimetischer Annäherungen an die Stars experimentieren die Mädchen (zum Beispiel in Julias Tanzgruppe) mit verschiedenen Möglich keiten der Selbstinszenierung, wobei sie wohl ein kritisches Feed-back erwarten, aber keine harten Sanktionen.130 Gerade der spielerische Aspekt derartiger mimetischer Akte lässt auch einen risikofreien Rollentausch innerhalb der Mädchengruppe zu, bei dem die vorher Schüchternste auch einmal dominant sein darf (Julia). Die Intimität dieser Kultur ermöglicht es den Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit spielerischen Performances auch homoerotische Gefühle 130
Dieselben Aushandlungen beobachtet auch Bif¿ (1998: 113 ff) in der SPICE GIRLS-Fan-Kultur.
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Teil C: Diskussion
auszuleben und eine gemeinsame Beziehungspraxis zu habitualisieren, die im Falle der Gruppe ‚Tanz‘ die Konstitution eines stabilen Gruppenzusammenhaltes erlaubt, der die Fan-Phase der Mädchen sicher zu überstehen vermag. Während Helfferich (a. a. O.: 124 ff) in der Mädchengruppe verhandelte Annäherungen an den Status der Frau mittels spielerischer Körper-Praktiken als „imaginäre Lösung“ der Adoleszenzproblematik bezeichnet, betrachte ich diese als durchaus konstruktive und ernsthafte Möglich keit, die Anforderungen des Älterwerdens auf eine Weise zu verhandeln, die ein Höchstmaß an Vertrautheit und Vergnügen mit sich bringt.131 An dieser Stelle wird auch deutlich, welchen Reiz Pop-Gruppen im Vergleich zu Solo-Stars ausüben können: Die Bands repräsentieren selbst eine Peer-Group und eröffnen somit auch in Bezug auf Beziehungsverhandlungen in der Gleichaltrigengruppe Orientierungsmöglichkeiten.132 Auch bieten sie Freundinnengruppen die Chance, sich „Lieblinge“ unter den Bandmitgliedern herauszusuchen, ohne dass es hierdurch zu ernsthaften KonkurrenzkonÀikten kommen kann. 3
Modi fankultureller Normverhandlungen Aktionismen als performative Suchbewegungen, Gefühlsmanagement und kollektive kreative Prozesse
Das engagierte Interesse an bestimmten Medienarrangements schließt, wie in zahlreichen qualitativen Studien gezeigt werden konnte, häu¿g eine intensive reÀexive Auseinandersetzung mit den hierbei vermittelten Deutungsmustern ein. So zeigt beispielsweise Ulf Brüdigam (2001) in seiner Untersuchung der von STAR TREK-Fans vollzogenen Bildungsprozesse auf, dass die in der Serie konstruierte symbolische Sinnwelt von ihren Fans für den Aufbau einer generalisierenden Orientierung und grundsätzlicher Wirklichkeitsvorstellungen genutzt werden kann. Auch die in meiner Studie fokussierten Pop-Fans setzten sich teilweise auf einer reÀexiven Ebene mit den in den jeweiligen Medien-Inszenierungen vermittelten Deutungsmustern auseinander. Insbesondere zeigt sich dies im Interview mit Tanja, die die SPICE GIRLS als Vertreterinnen einer bestimmten Botschaft betrachtete. Ihre Interpretation des SPICE GIRLS-Mottos ‚Girl Power‘ ermöglichte ihr Die Betrachtung jugendkultureller Praktiken als „imaginäre Lösungen“ ist angelehnt an Clarke et al. (1982, orig. 1976: 47 f), die in diesem Zusammenhang von „magischen Lösungen“ sprechen. Wie auch Bohnsack und Nohl (2001: 19) argumentieren, wird der Handlungspraxis von Jugendlichen in einem solchen Verständnis der Charakter biographisch relevanter Lösungen abgesprochen. 132 So betont beispielsweise Julia, wie wichtig es ihr war, dass die Bandmitglieder durch eine ‚echte‘ Freundschaft miteinander verbunden waren. 131
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einen kritischen Blick auf konventionelle Geschlechter-Normen und ermutigte sie zu einer berufszentrierten biographischen Orientierung. Ein Blick auf mein gesamtes Sample zeigt jedoch, dass eine solch reÀexive Auseinandersetzung mit bestimmten Deutungsmustern nicht die zentrale Ebene der Verhandlungen normativer Anforderungen in der Kultur von Pop-Fans ist. Zum einen neigen Kinder und jüngere Jugendliche offensichtlich dazu, Medien nicht im Sinne einer gewissenhaften Rezeption und Interpretation von Bedeutungen zu nutzen: Eher greifen sie sich einzelne Elemente des medialen Szenarios heraus, das sie sich gemäß ihrer jeweiligen Interessen und Bedürfnisse aneignen (vgl. B 4.). Andererseits zentriert sich das Medienarrangement der Boygroups und Girlgroups – ganz im Gegensatz zu einer Serie wie Star Trek – weniger um die Vermittlung von Sinnsystemen, stattdessen werden hierbei eher bestimmte Symbole produziert, die sich für die geschilderte punktuelle und eigenwillige Mediennutzung der jüngeren Fans auch besser nutzen lassen (vgl. C 1.). In diesem Sinne ist die im Rahmen der Fan-Kultur vollzogene Beschäftigung mit gesellschaftlichen Erwartungen meinen Ergebnissen zufolge eher in Ausnahmefällen als ‚reÀexiv‘ oder ‚rational‘ zu kennzeichnen, stattdessen handelt es sich um eine Auseinandersetzung, die vorrangig auf einer nicht-reÀexiven, spontanen und körperlichen Ebene vollzogen wird. Wie ich in Teil A dargelegt habe, sind sowohl die Aneignung ausgewählter Medienangebote im Rahmen kultureller Praktiken als auch ein selbstläu¿ger und zweckfreier Charakter derartiger Praktiken durchaus typisch für Jugendszenen. Ein nicht-zweckrationales Handeln von Jugendlichen ist im Rahmen rekonstruktiver Studien als Aktionismus bezeichnet und als Struktur merkmal aktueller Jugendphasen und Jugendkulturen beschrieben worden (vgl. z. B. Bohnsack/Nohl 2001: 18). Yvonne Gaffer und Christoph Liell (2007) sprechen darüber hinaus von einem eigendynamischen, selbstläu¿gen und überschießenden Charakter vieler Praktiken, die in der Adoleszenz als biographischer Phase habitueller Verunsicherungen bedeutsam werden. Unter Bezug auf Joas erörterte ich, dass auch ein Handeln, das nicht von vornherein einem bestimmten Entwurf folgt, dennoch kreativ und sinnhaft sein kann (A 2.1). Im Folgenden werde ich diskutieren, auf welche Weise Aktionismen in der Fan-Kultur insofern sinnhaft sein können, als sie eine Auseinandersetzung mit normativen gesellschaftlichen Anforderungen ermöglichen. Hierbei stelle ich die These auf, dass selbstläu¿ge, spontane und nicht-reÀexive Fan-Praktiken 1. performative Annäherungen an verschiedene Subjektpositionen erlauben, 2. im Dienste eines Gefühlsmanagements stehen und 3. im Zuge von Efferveszenzerfahrungen zu kollektiven kreativen Normverhandlungen führen können.
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Teil C: Diskussion
Performative Annäherungen an verschiedene Subjektpositionen Auf der Basis meines empirischen Materials wird deutlich, dass bereits die ersten Hinwendungen zur Fan-Kultur auf einer aktionistischen Ebene erfolgen: Vor allem die jüngeren Fans beschreiben ihren Eintritt in diese Kultur nicht als Verwirklichung eines vorab gefassten Entschlusses, sondern als Umstand, der sich mit dem Vollzug einer selbstläu¿gen Handlungspraxis ergibt. Häu¿g in mimetischer Orientierung an anderen Mädchen eignen sich die Fan-Novizin nen über ein spielerisches gemeinsames „Machen“ (vorzugsweise in der Freundinnen-Dyade) den Status des Fans an. Insofern es sich hierbei um eine im Handlungsvollzug hervorgebrachte Realität handelt, lässt sich von einer performativen Annäherung an diesen Status sprechen.133 Das Fan-Sein wird zum einen mit einem bestimmten jugendkulturellen Stil in Verbindung gebracht. Am Beispiel der Gruppe ‚Tanz‘ zeigt sich, dass auch stilistische Wechsel auf einer performativen Ebene statt¿nden: Nachdem die Mädchen begonnen hatten, zu HipHop zu tanzen, erschien die vorherige Vorliebe für die BACKSTREET BOYS mit einem Schlag „peinlich“. Derartige performative Aneignungen jugendlicher Stile sind als Suchbewegung charakterisierbar: Über einen spielerischen Handlungsvollzug werden unterschiedliche Stile erprobt, zeitweilig angeeignet und bei Bedarf auch verworfen oder gewechselt. Der Status des Boygroup- oder Girlgroup-Fans steht jedoch nicht nur für einen spezi¿schen Jugend-Stil, sondern wird auch mit diversen attraktiven Subjektpositionen assoziiert. So beschreiben SPICE GIRLS-Fans ihr Verhältnis zur Band als stark mimetisches, was auch bedeutet, dass das eigene Fan-Sein als eine Art Vorstufe zu einer – von der Band symbolisierten – selbstbewussten, durchsetzungsfähigen und stilistisch gefestigten, älteren Jugendlichen verstanden wird: Die Fan-Aktivitäten etwa im Rahmen einer „Mini-Spice-Girls-Bande“ sind insofern als ‚work in progress‘ auf dem eigenen Weg in Richtung dieser Subjektposition anzusehen. Performative Annäherungen an den Status des Boygroup-Fans wiederum sind oft auch Annäherungen an den weiblichen Part in einer heterosexuellen Paarkonstellation. Derartige performative Verhandlungen identitärer Anforderungen werden auf einer spielerischen und einer körperlichen Ebene auch dann fortgesetzt, wenn der eigene Status als Fan gesichert ist: Meine Probandinnen beschreiben eine spielerische Übernahme bestimmter Subjektpositionen im Rahmen von Selbstanrufungen („ich bin die Sportliche“), von Tanz-Performances und von Puppenspielen. Gunter Gebauer (1997: 281) charakterisiert Kinderspiele als Gelegenheiten, die Fähigkeit auszubilden, sich in einem bestimmten sozialen Feld und dessen
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Zum Performativitätsbegriff vgl. A 2.2.
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Normen und Erwartungen selbstverständlich bewegen zu können.134 Die Spiele von Mädchen – so Gebauer – entwickeln diese Fähigkeit vorzugsweise mittels Praktiken der eigenen Verwandlung in andere („Mimikry“) und auch der Weitergabe bestimmter Bewegungen untereinander (etwa beim Seilspringen):135 „Sie dehnt ihren Erfahrungsraum aus, indem sie die Aufführung der vorherigen Spielerin fortsetzt. Durch den Tausch der Positionen wird die eine zur anderen, aber nicht durch Introspektion, sondern durch sukzessive Gestaltung ein und derselben Bewegungsfolge. Beide Mädchen stellen ein gemeinsames Ergebnis her, das äußerlich sichtbar als „Choreographie“ aufgeführt und von den Spielerinnen als gemeinsamer propriozeptiver und bühnenartiger Raum erzeugt wird.“ (a. a. O.: 268)
Die hier beschriebene mimetische Orientierung an anderen Mädchen lässt sich sowohl bei ersten Versuchen der Orientierung in der Fan-Kultur als auch beim Einüben bestimmter Tanzschritte beobachten („ich tanze, sie sagt so, zeig mir Schritte“, Gruppe ‚Tanz‘). Die gegenseitige Beobachtung und Nachahmung ist dabei meines Erachtens als besonders dynamische Erweiterung des eigenen Erfahrungsraumes in Richtung anderer Subjektpositionen zu betrachten: Eine kurzzeitige Verkörperung etwa der Rolle von ‚sporty spice‘ ist nicht als Identi¿zierung zu verstehen, gerade viele jüngere Mädchen beschreiben rasche Rollenwechsel im Zuge derartiger Spiele, ein kurzes Einfühlen in die entsprechende Position wird offensichtlich als ausreichend empfunden. Im Interview mit Julia dokumentiert sich darüber hinaus, dass eine spielerische Mimikry nicht notwendig als Auseinandersetzung mit besonders begehrten Subjektpositionen zu interpretieren ist: Während des Barbie-Spiels mit ihrer Freundin sah Julia nicht sich selbst in der Position der Puppe, sondern eine mögliche Konkurrentin um die Liebe der Stars, die sie an deren Seite die negativen Aspekte des heterosexuellen Paarlebens erleiden ließ („wir ham, den Barbies auch nicht, dass wir, wir selber das sind, sondern das waren schon andere, aber da haben wir das ja selber kontrollieren können, irgendwie, wie das mit den Freundinnen abläuft“). Im Unterschied zu Gebauer, der das Puppenspiel als „Machen einer Person, die wie die Spielerin beschaffen ist“ (a. a. O.: 278) beschreibt, halte ich derartige Renate Luca (1998b: 58) betont die Bedeutung der Auseinandersetzung mit medial vermittelten Idolen und Szenen im Rahmen derartiger spielerischer „Aneignungen der Welt“, die ihres Erachtens auch in der Jugendphase noch wichtig sind. 135 Roger Callios (1982) entwarf die Konzeption der Mimikry als eine von insgesamt vier Kategorien des Spielens. 134
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Teil C: Diskussion
spielerische, performative Annäherungen an bestimmte Subjektpositionen für einen äußerst dynamischen, aktionistischen Vorgang, im Zuge dessen auch eine Übernahme negativ besetzter Identitätsentwürfe möglich ist, auf dass potenzielle Schattenseiten der eigenen Zukunftsplanung mimetisch antizipiert werden können. Neben ihrer spielerischen Dimension erweist sich die Ebene der KörperPräsentation als zentral beim Vollzug performativer Akte in der Fan-Kultur: So wird etwa die mimetische Übernahme stilistischer Details mit bestimmten Subjektpositionen in Verbindung gebracht (beispielsweise symbolisiert für Tanja das von ‚Mel C‘ inspirierte Nasen-Piercing eine jugendliche Rebellion gegen Konventionen). Im Zuge von Tanz-Praktiken erkunden die Mädchen Lust- und Schamgefühle beim Exponieren des eigenen Körpers und experimentieren mit verschiedenen Selbstinszenierungsmöglichkeiten, die häu¿g mit spezi¿schen Subjektpositionen verknüpft werden („dann war ich irgendwann Mel B und war eben die Selbstbewusste, die ganz vorne war“, Julia). Insofern bietet die Fan-Kultur ein Forum zur Erkundung verschiedener Möglichkeiten, den eigenen Körper zur Präsentation bestimmter Haltungen und Stile einzusetzen. Auffällig ist auch, wie wichtig die Selbstinszenierungs-Funktion des Körpers in diesem Zusammenhang ist: Die Praktik des Tanzes etwa steht im Zeichen des Vorzeigens und Gesehen-Werdens und nicht etwa der sportlichen Ertüchtigung.136 Ganz anders thematisieren gleichaltrige Jungen ihre Körper-Praktiken: In Sabine Jöstings (2005: 245 ff) rekonstruktiver Auswertung von Gruppendiskussionen mit Jungen erweist sich die sportliche Leistungsfähigkeit des Körpers als zentraler Bezugspunkt einer Selbstdarstellung als „richtiger Junge“. Unter Bezug auf Judith Butler ließ sich in Teil A 3.1 aufzeigen, dass sich normative Anforderungen bezüglich der Geschlechtsidentität immer auch auf die Erscheinungsweisen der Geschlechtskörper, also auf die „gender performances“ auswirken, wobei die Wiederholung geschlechtlich konnotierter Selbstinszenierungen langfristig zur Habitualisierung eines „leiblichen Stils“ führt. Geschlechtszugehörigkeit wird auch über bestimmte Körperpraktiken hergestellt, oder, wie Anja Tervooren es formuliert (2001b: 240): „Aufführungen von Geschlecht zeigen sich besonders in Stilen und Bewegungen“ (vgl. auch Tervooren 2006: 65 ff). Performative Identitätsverhandlungen im Rahmen der Fan-Kultur bringen demzufolge über die Aufführung bestimmter Stile und Wiederholungen „gender performances“ hervor, auf einer körperlichen Ebene wird eine Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und auch ein bestimmter „weiblicher Stil“ (etwa: selbstbewusst, sexy, schüchtern) inszeniert. Allerdings kann es im Rahmen der Lediglich in den Beschreibungen der Konzertbesuche wird der Körper nicht in seiner Inszenierungsfunktion thematisiert: Bei dieser Gelegenheit wird er stattdessen zum Medium von Grenzerfahrungen und Rauschzuständen.
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Fan-Kultur, wie am Beispiel der Gruppe ,Tanz‘ deutlich wird, auch zu „crossgender-performances“ kommen. Ebenso wie Tervooren (a. a. O.: 240 ff) beobachtet, dass Kinder, die den Stil eines bestimmten Spiels beherrschen, dieses auch dann mitmachen können, wenn es als typisch für das jeweils andere Geschlecht gilt, verwandelten sich die Teilnehmerinnen der Gruppe ‚Tanz‘ auf der Basis ihrer tänzerischen Kompetenzen ohne viel Aufhebens in eine männliche Boygroup. Auf diese Weise gelang es ihnen, Anerkennung für ihre Leistungen zu bekommen, ohne gleichzeitig dem Verdacht ausgesetzt zu sein, ihre Weiblichkeit auf eine zu offensive, möglicherweise zu sexualisierte Weise zu exponieren. Es ist denkbar, dass gerade das Medium des Tanzes sich speziell eignet für derartige Erfahrungen, die das Korsett geschlechtlicher Zuweisungen sprengen. In diesem Sinne argumentiert Gabriele Klein (1996: 9), die mit dem Hinweis auf die dynamischen und relationalen Aspekte des Tanzes vermutet, dass es in dessen Rahmen auf besondere Weise möglich ist, Bewegungen zu erleben, die die geschlechtsspezi¿sche Gebärdensprache überschreiten. Die Fan-Kultur erlaubt auf einer spielerischen und körperlichen Ebene performative Annäherungen an besonders attraktive, jedoch auch an negativ besetzte und an ungewöhnliche Subjektpositionen. Vor allem bei den jüngeren Mädchen etwa der Gruppe ,Die Kleinen‘ zeigt sich, dass es hierbei nicht unbedingt um eine langfristige Identi¿zierung mit diesen Positionen oder auch um eine Habitualisierung bestimmter Handlungsmuster oder „leiblicher Stile“ gehen muss: Gerade die Flüchtigkeit experimenteller Selbstanrufungen scheint in dieser Orientierungsphase von größerer Bedeutung zu sein als der Wunsch, sich auf eine bestimmte Identität festzulegen. Ältere Mädchen wie Antje, Julia oder Bianca visieren hingegen durchaus bestimmte identitäre Entwicklungen an: Die SPICE GIRLS inspirierten Bianca zum Identitätsentwurf der selbstbewussten Jugendlichen, den sie sich performativ aneignete, indem sie über wiederholte aktionistische Enaktierungen eines selbstbewussten Handelns dieses in den eigenen Habitus zu über führen suchte. Die Gruppe ,Tanz‘ wiederum bildete im Rahmen ihrer Fan-Kultur habituelle Übereinstimmungen im Bereich ihrer Beziehungspraktiken heraus und konnte auf diese Weise ihren Zusammenhalt als Mädchengruppe stabilisieren. Sind derartige Habitualisierungen erfolgreich vollzogen, hat das fankulturelle Engagement seinen Sinn verloren und kann getrost als nunmehr überwundene Phase der eigenen Entwicklung betrachtet werden.
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Teil C: Diskussion
Fan-Sein als kontrollierbare Leidenschaft „Für Medienfans ist wohl charakteristisch, dass sie enthusiastisch sind und exzessiv ihrer Leidenschaft nachgehen.“ (Winter 1993: 71)
‚Fan‘ kommt von ‚fanatic‘ und das Engagement von Fans gilt, wie Rainer Winter verdeutlicht, als ein besonders leidenschaftliches und insofern emotionales Engagement.137 In seiner Untersuchung zu Fans von Horror-Videos kann Winter (1995) den zentralen Stellenwert eines strategischen Umgangs mit den eigenen Gefühlen in dieser Kultur aufzeigen: Horror-Fans müssen Gefühle wie Angst und Ekel konfrontieren und lernen im Laufe ihrer Fan-Karriere, diese zu überwinden, ohne gleichzeitig völlig abzustumpfen und sich zu langweilen. Negative Gefühle werden von fortgeschrittenen Fans in Lust transformiert, ebenso wie das Verstehen von Spezialeffekten zu einem Genuss führen kann. Die „Lust am Text“ (Barthes), die Winter hierbei beobachtet, war eben nicht von vornherein gegeben, sondern ist das Ergebnis einer aufwendigen Schulung des eigenen Gefühlslebens, die langfristig einen „imaginativen Hedonismus“ (a. a. O.: 211) beim Horror-Video-Konsum erlaubt. Auch Pop-Fans (und womöglich gerade sie) gelten als besonders gefühlsbetont und BeobachterInnen ihrer Praktiken neigen dazu, diese in erster Linie als zügellos und irrational zu verstehen. Die Leidenschaften der Fans werden mit einem unkontrollierten und kopÀosen Verhalten assoziiert. (Vgl. A 1.3.) Im Verhältnis zu dieser Commonsense-Konzeption wirken die Selbstbeschreibungen meiner Interviewpartnerinnen auffällig reÀektiert und vernünftig. Das emotionale und selbstläu¿ge Element ihres Fan-Seins scheint eher in Abgrenzungsgesten durch, als dass sie hierauf positiv Bezug nähmen. Wie bereits erörtert, gehe ich davon aus, dass Pop-Fans zum einen ein Interesse haben, sich von den erwähnten diskriminierenden Ansichten über ein „hysterisches“ FanVerhalten abzugrenzen. Andererseits ist die Vorstellung eines Verlustes der Kontrolle über das eigene Leben in einer Schwellenphase, die von Brüchen und neuen Verantwortungen gekennzeichnet ist, besonders bedrohlich. Im Folgenden werde ich aufzeigen, dass die leidenschaftliche Seite des Fan-Seins dennoch in allen Interviews durchscheint, wobei bei genauerem Hinsehen deutlich wird, dass diese durchaus auch positiv besetzt ist. Vordergründig distanzieren sich alle meine Probandinnen von der Vorstellung, ihre Fan-Kultur habe leidenschaftliche und eigendynamische Anteile: Ein besonders intensives und emotionales Engagement wird entweder anderen Fans zugewiesen, die sich „hysterisch“ oder „distanzlos“ verhalten oder aber der eige137
Zum Verhältnis von Fans und Emotionen vgl. auch Schäfer 2010.
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nen, nunmehr überwundenen Vergangenheit. So beschreibt etwa Antje ihre Zeit intensiver Fan-Aktivitäten als „verrückt“, Nicole rekurriert auf ein exzessives Konsumverhalten und Julia charakterisiert ihre einst verfolgten Praktiken als besessen und selbstläu¿g. Dieses intensive Engagement hat eine unheimliche und im Nachhinein auch schwer nachvollziehbare Dimension, dennoch wird immer wieder deutlich, dass ihm eine eigene Faszination innewohnt. Antje schildert beispielsweise, dass die vormals ziellose und gleichgültige Medien nutzung mit ihrer Freundin nunmehr zum Abenteuer wurde, da sie als Fans ein Interesse hatten: Leidenschaftlich zu sein, bedeutet auch, eine Position zu beziehen, sich zu engagieren und bietet somit einen Ausweg aus der Langeweile. Gleichzeitig gilt ein „verrücktes“ Handeln auch als durchaus jugendtypisch: Gerade die normative Aufforderung an Jugendliche, eine individuelle Persönlichkeit herauszubilden, geht letztlich mit der Erwartung einher, dass sie Konventionen überschreiten und „über die Stränge schlagen“ (vgl. hierzu auch Bohnsack/Nohl 2001: 25). In diesem Sinne wird von einigen meiner Probandinnen etwa das „Scheiße bauen“ als eine typische Beschäftigung Jugendlicher charakterisiert (Gruppe ‚Tanz‘, Nicole). Ein unreÀektiertes, unvernünftiges und leidenschaftliches Handeln ist weiterhin ein wichtiges Element der romantischen Liebe, die einen zentralen Bezugspunkt des Fan-Engagements einiger meiner Interviewpartnerinnen konstituiert: Liebesgefühle gelten als romantischer, je irrationaler und spontaner – also aktionistischer – sie „wie ein Blitz vom Himmel“ und „auf den ersten Blick“ erlebt werden. Marlene Stein-Hilbers (2000: 86 f) weist darauf hin, dass gerade die mit Sexualität verbundenen Gefühle für ursprünglich und persönlich gehalten werden, tatsächlich jedoch kulturell und individuell herausgebildet werden müssen: „Menschliche Gefühle sind keine quasi-natürlichen oder naturwüchsigen psychischen Reservate, sondern entwickeln sich innerhalb einer Matrix gesellschaftlicher Beziehungen, die subjektive Bereitschaften ebenso beinhaltet wie kulturelle GepÀogenheiten und wirtschaftliche Notwendigkeiten (…).“ (a. a. O.: 86)
Die Mädchen sind also mit dem Eintritt in die Jugendphase vor die Anforderung gestellt, sich auch einmal „verrückt“ zu verhalten und leidenschaftliche Gefühle zu entwickeln, um sich angemessen als Jugendliche und als heterosexuell begehrende Person inszenieren zu können. Diese Aufgabe ist für sie offensichtlich ebenso lustvoll wie bedrohlich besetzt, weshalb die Versuche, ihr nachzukommen, häu¿g zwischen einem Einlassen auf intensive Emotionen und selbstläu¿ges Handeln und gleichzeitigen Gesten der Absicherung oszillieren. Sowohl die Girlgroup SPICE GIRLS als auch die verschiedenen bevorzugten Boygroups boten für meine
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Interviewpartnerinnen offensichtlich ein besonders geeignetes Forum für diese Verhandlungen kontrollierter Leidenschaften. Mehrere Girlgroup-Fans betonen, dass sie die SPICE GIRLS (vor allem die Künstlerin Geri) besonders dafür schätzten, dass sie als verrückt und auch vernünftig galten, in Tanjas Worten symbolisierten sie einen „Wahnsinn mit Methode“. Die Girlgroup bot eine Vorlage für unkonventionelles jugendtypisches Verhalten, die insofern faszinierte, als es bislang vorrangig Vorbilder einer männlich-jugendlichen Rebellion gab und außerdem wenig risikobehaftet erschien, da das ‚AusÀippen‘ der Stars letztendlich eben doch im Rahmen blieb. Boygroups wiederum bieten einen Fluchtpunkt für erste Annäherungen an die irrationalen Leidenschaften der romantischen Liebe, der gerade aufgrund seiner offensichtlichen Unerreichbarkeit besonders attraktiv ist. Die dem Fan-Engagement von Boygroup-Fans zugrundeliegende paradoxe Struktur der verhinderten Wunscherfüllung erlaubt die Entwicklung romantischer Verliebtheitsgefühle, die allein deshalb nicht aus dem Ruder laufen können, weil sie die Unerfüllbarkeit des Wunsches nach Nähe mit den Stars bereits miteinkalkulieren.138 Das in der Fan-Kultur praktizierte Gefühlsmanagement beinhaltet insofern ein lustvolles Ausleben bestimmter Leidenschaften, wobei gleichzeitig immer wieder die Grenzen zu einem völligen Kontrollverlust getestet werden. Ein aktionistisches Fan-Engagement (das etwa zu einer Besessenheit beim Sammeln oder zu intensiven emotionalen Erlebnissen bei Konzertbesuchen führen kann) dient einerseits der Selbstinszenierung als Jugendliche, die manchmal „über die Stränge schlägt“, beziehungsweise der leidenschaftlich heterosexuell Begehrenden, wird jedoch auch als risikoreich erlebt. In diesem Sinne thematisiert Tanja explizit ihre Angst vor einer Pathologisierung bei einem zu „wahnsinnigen“ Verhalten und ein wirklich exzessives Engagement wird immer eher bei den anderen Fans verortet. Kreative Normverhandlungen im Zuge kollektiver Efferveszenzerfahrungen Die passionierte und unkontrollierte Seite des Fan-Engagements kommt auf besondere Weise bei Konzertbesuchen zum Ausdruck.139 Wie erläutert, sind die Begegnungen mit einer Fan-Proto-Gemeinschaft für die Mädchen durchaus ambivalent besetzt: Sie können Verschmelzungsgefühle im Sinne einer CommunitasIn Ausnahmefällen können leidenschaftliche Gefühle für eine Boygroup tatsächlich entgleiten und gefährliche Folgen haben. Dies zeigte sich insbesondere anlässlich der AuÀösung der Band TAKE THAT, die bei einigen Fans einen enormen Schock bis hin zu Suizidversuchen auslöste. Dieses Risiko war jedoch allen von mir interviewten Mädchen durchaus bewusst und sie waren sehr darauf bedacht, die Kontrolle über ihre Leidenschaften zu behalten. 139 Auch Bohnsack/Nohl (2001: 30) beschreiben das Event als „organisatorische Überhöhung von Aktionismen“. 138
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Modi fankultureller Normverhandlungen
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bildung mit sich bringen, jedoch ebenso Konkurrenz und Entsolidarisierungen.140 Aber auch diejenigen meiner Interviewpartnerinnen, die sich als von der Menge der Fans unterschieden wahrnehmen (Gruppe ‚Tanz‘), schildern das Konzert als intensives emotionales, rauschhaftes und sinnliches Erlebnis. Julia wiederum charakterisiert ihre Teilnahme an derartigen Live-Events als Zenith ihrer paradoxen Gefühle für die Boygroup CAUGHT IN THE ACT: Es war schön, die Band zu sehen, gleichzeitig jedoch auch enttäuschend, da die Unerreichbarkeit der Stars nun umso deutlicher war. Die Anstrengung der Bewältigung derartiger widersprüchlicher Gefühle und die körperlichen Entbehrungen der Konzertbesuche führen schließlich zu intensiven somatischen Erfahrungen wie Ohnmachten und dem Zwang, zu weinen („man konnte einfach gar nicht anders, als zu heulen“, Julia). Insofern lässt sich die Gemeinschaft der KonzertbesucherInnen durchaus im Durkheimschen Sinne als „Ansammlung, die leidenschaftliche Energien freisetzt“ (1994: 289) bezeichnen, also als Phänomen der kollektiven Efferveszenz, bei dem die Einzelnen die moralischen Kräfte der Gemeinschaft spüren (vgl. A 2.1). Was für eine „Moral“ wird hierbei jedoch verhandelt ? Den Schilderungen der Boygroup-Fans zufolge positionierten sie sich der auftretenden Band gegenüber als heterosexuell Begehrende.141 Das Setting eines Boygroup-Konzerts legt, wie ich auch im Rahmen meiner teilnehmenden Beobachtung beim Konzert der BACKSTREET BOYS feststellen konnte, eine solche Positionierung durchaus nahe: Bereits am Eingang werden blinkende rote Herzen verkauft und von zunächst auf die Bühne geschickten „Anheizern“ erfolgt eine Anrufung des Publikums als Menge, die sich begehrend auf die Stars bezieht („Seid ihr schon ganz heiß ?“ etc.). Der institutionelle Rahmen derartiger Konzerte ruft in diesem Sinne stereotype Muster auf und legitimiert diese.142 Das leidenschaftliche Engagement von Mädchen bei Boygroup-Konzerten lässt sich vor diesem Hintergrund als gemeinschaftliche Einwilligung in das heterosexuelle Arrangement und die Übernahme des komplementären weiblichen Parts deuten. Eine solche Lesart vernachlässigt jedoch meines Erachtens den Moment des Exzesses, der häu¿g im Fan-Engagement, besonders jedoch bei den Konzertbesuchen mitschwingt: Das hierbei kollektiv inszenierte Begehren bestätigt die heterosexuelle Norm, übersteigt diese jedoch auf eine nahezu parodistische Weise,
Zum Communitasbegriff bei Turner vgl. A 2.1. Da die SPICE GIRLS in dem für meine Erhebung relevanten Zeitraum keinen Auftritt in Deutschland hatten, kann ich mich leider nur zu Boygroup-Konzerten äußern. 142 Hiermit soll nicht in Frage gestellt werden, dass sich auch Jungen und Männer von solchen „Anrufungen“ angesprochen fühlen können. 140 141
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Teil C: Diskussion
indem es laut und offensiv und gemeinschaftlich vorgetragen wird.143 Während eine Selbstinszenierung als heterosexuell Begehrende Mädchen üblicherweise in eine Konkurrenzsituation versetzt (die teilweise auch während der Konzertbesuche verspürt wird), kann die spontane Communitas der Konzertbesucherinnen dennoch gleichzeitig auch einen Schutz der Gemeinschaft gewähren. Das Moment der Übertreibung wiederum erhebt die Akteurinnen über die Norm, die sie inszenieren: „Norms that are exceeded lose their invisibility, lose their status as natural common sense and are brought out into the open agenda.“ (Fiske 1991: 114)
Der Gestus der Übertreibung, mit dem die Norm hierbei erfüllt wird, geht also mit deren Ausstellung einher, entkleidet sie ihrer Selbstverständlichkeit und kann somit auch als Gestus einer spielerischen Distanzierung von ebendieser Norm interpretiert werden. Des Weiteren ist eine offensiv-aggressive Demonstration des eigenen Begehrens traditionellerweise Part des männlichen Geschlechts und indem Boygroup-Fans ihre Stars zu Sex-Objekten machen, die sie ‚anmachen‘ können, eignen sie sich darüber hinaus eine für Mädchen unkonventionelle Artikulationsform an.144 Als kollektive Aktionismen, die insofern efferveszent sind, als sie Prozesse wechselhafter Steigerung umfassen, lassen sich jedoch auch diejenigen Praktiken der Fans bezeichnen, die jenseits institutioneller Vorgaben in den „Spiel-Räumen“ der Mädchenclique statt¿ nden.145 Im Zuge der Entwicklung gemeinsamer Leidenschaften kommt es in diesem Rahmen, ganz im Sinne von Durkheim dazu, dass „man sich notwendigerweise außerhalb und über der gewöhnlichen Moral erhebt“ (Durkheim 1994: 297 f), oder, anders ausgedrückt: Den normativen Anforderungen, denen die Mädchen sich ausgesetzt fühlen, kann hierbei auf besonders eigenwillige und kreative Weise begegnet werden. Besonders deutlich zeigt sich dies in den selbst inszenierten BoygroupPerformances der Gruppe ‚Tanz‘: Diese begeisterten ihr weibliches Publikum 143 So tragen beispielsweise manche Fans Plakate mit der Aufschrift: „Fuck me, XJ“. Auch Waldemar Vogelgesang (1991: 260) beschreibt, dass in der Fan-Kultur jugendlicher Video-Cliquen Alltagsszenarien in spielerisch-karnevaleske Sondersituationen transzendiert werden. 144 Ebenso argumentieren Barbara Ehrenreich, Elizabeth Hess und Gloria Jacobs (1992) in Bezug auf weibliche Beatles-Fans: Deren offensives Auftreten als sexuell Begehrende interpretieren die Autorinnen als Revolte gegen die Doppelmoral einer sexualisierten Gesellschaft und insofern als „women’s sexual revolution“ (a. a. O.: 85, Herv. B. E., E. H., G. J.) An anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang für eine verstärkte „Exzess-Forschung“ plädiert, vgl. Fritzsche (2010a: 245 ff). 145 Zur Beschreibung der Mädchen-Fan-Cliquen als „Spiel- und Experimentier-Räume für junge Frauen“ (King 1997: 43) vgl. C 2.
4 Fazit und Ausblick
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derartig, dass es zu einer kollektiven leidenschaftlichen Entwicklung einer gegenseitigen Bezugnahme kam, die sich einer eindeutigen Zuordnung in die Dichotomien von Hetero- und Homosexualität nachdrücklich entzieht. Kollektive Aktionismen dienen in diesem Kontext als Weg der Kreation einer neuen Art der Sozialität, die sich über gesellschaftliche Stereotypen hinwegsetzt. Auch im intensiven gemeinsamen Barbie-Spiel zwischen Julia und ihrer Freundin befreiten sich diese von der Subjektposition einer passiv heterosexuell Begehrenden und verwandelten sich in ‚Meisterin nen des Geschehens‘, die andere die negativen Aspekte der heterosexuellen Paarbildung durchleiden lassen. Ebenso zeigt sich die kreative Seite kollektiver Aktionismen am Beispiel der Clique von Tanja, die gezielt die Selbstverständlichkeiten ihrer Umgebung in Frage stellte und somit Grenzziehungen zwischen Normalität und Wahnsinn ad absurdum führte. Gerade die aktionistische Seite ihrer eigenen Fan-Kultur erscheint den Akteurinnen im Nachhinein oft nicht mehr nachvollziehbar und lässt sie das einstige Engagement als „peinlich“ oder „verrückt“ abtun. Angesichts der verbreiteten Commonsense-Ansichten über „hysterische“ Fans sind diese Selbst-Verurteilungen verständlich. Vor dem Hintergrund der in meiner Studie zu beobachtenden kreativen Aspekte der Fan-Aktionismen erscheint die Abwertung eines nichtreÀexiven, selbstläu¿gen jugendlichen Handelns als notwendig irrational oder sogar destruktiv allerdings äußerst problematisch. Insbesondere im Rahmen der Erziehungswissenschaft wäre eine verstärkte Sensibilisierung für die Produktivität aktionistischer Handlungen meines Erachtens sehr fruchtbar und könnte langfristig dazu führen, dass Mädchen (ebenso wie Jungen) auch im pädagogischen Rahmen darin bestärkt werden, das eigene Handeln auch retrospektiv als sinnhaft anzuerkennen.146 4
Fazit und Ausblick
In Bezug auf die Auseinandersetzung der Fans mit Normen, die sich auf ihr Geschlecht und ihre Identität als Kinder beziehungsweise Jugendliche beziehen, lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Studie festhalten, dass die medial vermittelten Bedeutungen von Weiblichkeit und Männlichkeit zwar Vorlagen liefern, die für die Orientierungen der Mädchen durchaus bedeutsam sind, wobei deren Bearbeitung allerdings in Praktiken erfolgt, die teilweise nur noch marginalen oder auch gar keinen Bezug mehr zur ursprünglichen Medieninformation aufweisen. Die geschlechtshomogenen peer culture bietet oftmals den Rahmen für Für eine Diskussion der Bedeutung von Aktionismen bei Prozessen der Mediensozialisation vgl. auch Fritzsche 2010b.
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diese Praktiken, wobei im Zuge intensiver gemeinsamer Erfahrungen eine habituelle Übereinstimmung und somit ein konjunktiver Erfahrungsraum erzeugt wird. Dieser wird von den Akteurinnen als mädchenspezi¿scher Erfahrungsraum verstanden, wodurch in einem zirkulären Prozess gleichzeitig ihre weibliche Geschlechtsidentität kon¿rmiert wird. Die Fan-Gemeinschaft bietet ein Forum für verschiedene körperliche Praktiken beziehungsweise Praktiken der Verkörperung, die es einerseits erlauben, Inszenierungen des eigenen, jedoch auch des anderen Geschlechts spielerisch zu erproben und somit einen eigenen Stil der Selbst-Präsentation zu ¿nden. Andererseits ermöglichen es diese Inszenierungen auch, die eigene Wirkung auf andere zu erproben und sich auf diesem Wege mit Fragen von Erotik und Begehren zu beschäftigen. Auch Zustände kollektiver Efferveszenz im Rahmen der Fan-Kultur lassen sich als Auseinandersetzung mit der Norm der Heterosexualität und mit dem eigenen Begehren deuten: In ihrem Rahmen können bestimmte normative Anforderungen erfüllt, gleichzeitig jedoch unter der Hand spielerisch übertreiben oder auch unterlaufen werden. Die facettenreichen Worte, Klänge und Bilder, die uns täglich massenmedial bereitgestellt werden, dienen zu weit mehr als zur bloßen Informationsverarbeitung; gerade im Hinblick auf ihre Bedeutung für Prozesse der Subjektkonstitution lässt sich von einem „Identitätsmarkt“ sprechen, der den KonsumentInnen schwierige Prozesse der Auswahl und Aneignung abverlangt.147 Gerade in Bezug auf Auseinandersetzungen mit Geschlechtsidentität sind RezpientInnen nach wie vor mit besonders traditionellen und klischeehaften medialen Vorgaben konfrontiert. Allerdings zeigen mittlerweile etliche empirische Studien,148 dass es sich bei der Mediensozialisation um einen äußerst aktiven und dynamischen Prozess handelt, der von wesentlich mehr Faktoren beeinÀusst ist als lediglich von den Medien und der durchaus auch eigensinnige Formen von deren Aneignung einschließen kann. Ebenso wie viele andere Pop-Formationen wurden die meisten der in meiner Untersuchung relevanten Boygroups und Girlgroups nach dem „Top oder Flop“Prinzip mit dem Ziel konzipiert, ein Millionenpublikum zu begeistern. Ihre gesamte Inszenierung ist an vermarktungsstrategischen Überlegungen orientiert und mitnichten an emanzipatorischen Zielen wie etwa der Subversion normativer Zwänge oder auch einer Förderung der Emanzipation von Mädchen. Zurecht sind derartige Medien-Idole gerade von feministischer Seite immer wieder als unzulänglich und eindimensional kritisiert worden. Eine Studie, die die medial inspirierte Kultur von Kindern und Jugendlichen fokussiert, macht Medienkritik nicht überÀüssig. 147 148
Zum „Identitätsmarkt Fernsehen“ vgl. Mikos 2010. Vgl. z. B. Bausch u. a. 2001; Bechdolf 1999; Mattig 2009; Wegener 2008.
4 Fazit und Ausblick
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Die in Abschnitt B 2. resümierten kritischen Perspektiven auf den gefälligen Feminismus der SPICE GIRLS und die stereotypen Männlichkeits-Inszenierungen von Boygroups sind nach wie vor ebenso berechtigt wie Forderungen nach einer größeren Vielfalt der in den Medien repräsentierten Männer- wie Frauen-Figuren.149 Ein breiteres Spektrum medial vermittelter Bedeutungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und eine größere Sichtbarkeit von Selbstinszenierungen und Lebensweisen, die Versuchen eindeutiger geschlechtlicher Zuordnung widerstehen, würden die Möglichkeiten von Jugendlichen erweitern, sich über Medienaneignungsprozesse mit geschlechternormativen Anforderungen auseinander zu setzen. Eine bedeutendere mediale Präsenz von Menschen, deren Körper und ihre Inszenierung auf unterschiedliche Weise von den Normierungen des Schönheitsideals abweichen, wäre eine wichtige Vorbedingung gerade für jugendliche MediennutzerInnen, um einen positiven Bezug zum eigenen Körper aufzubauen (vgl. Hoffmann 2008). Ängste, den Anforderungen der Heteronormativität nicht gerecht zu werden, würden durch eine größere mediale Sichtbarkeit von anderen Formen des Begehrens entschärft. Schließlich sind die seltenen Darstellungen von MigrantInnen, Flüchtlingen und schwarzen Deutschen gerade in der bundesdeutschen Medienlandschaft mit wenigen Ausnahmen eher stereotyp. Ein diesbezüglich heterogeneres Medienangebot wäre eine zentrale Voraussetzung, um sowohl Rassismen der Mehrheitsgesellschaft als auch den Marginalisierungserfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund entgegenzuwirken. Die Geschlechterrepräsentationen der Kinder- und Jugend medien werden – wie sich im Rahmen feministischer Rezeptionsforschungen feststellen ließ – gerade von Mädchen häu¿g sehr kritisch beurteilt (vgl. z. B. Theunert 1995, Currie 1997). Dennoch lässt sich der Umstand nicht übersehen, dass Gruppen wie die BACKSTREET BOYS und die SPICE GIRLS deshalb bekannt wurden, weil sich sehr viele Kinder und Jugendliche für ebendiese Bands begeisterten. In der vorliegenden Studie konnte aufgezeigt werden, dass Boygroups und Girlgroups als symbolische Ressourcen für eine Mädchenkultur dienen, in deren Rahmen intensive Auseinandersetzungen sowohl mit unterschiedlichen normativen Anforderungen als auch mit den eigenen Emotionen und mit Beziehungen in der Gleichaltrigengruppe vollzogen werden. Eine berechtigte Kritik an der medialen Repräsentation der entsprechenden Bands sollte in diesem Sinne vorschnelle Rückschlüsse in Bezug auf deren Aneignung durch ein junges Publikum vermeiden. Prognosen über die Rezeption derartiger Medien-Inszenierungen scheinen häu¿g auf der impliziten Annahme zu basieren, Kinder und Jugendliche gingen inkompetenter an Medien heran als Erwachsene, jedoch im Prinzip mit dem149
Vgl. auch McRobbie 2010: 31 ff zur Ambivalenz „neuer Frauenbilder“ in den Medien.
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selben Gestus. Wie sich in meiner Analyse zeigt, ist die Mediennutzung gerade jüngerer Fans jedoch nicht als Vorgang der Rezeption im Sinne einer bestimmten Lesart oder Interpretation des Medientextes zu verstehen, tatsächlich wird dieser eher auf wenige Symbole reduziert, die sich in eine an den eigenen Interessen und Bedürfnissen orientierte Kultur einbauen lassen. Bei aller berechtigter Kritik an stereotypen Geschlechterdarstellungen in den Medien,150 wird im Rahmen der Studie deutlich, dass gerade eine eher holzschnittartige Repräsentation von Stars auf besonders einfache Weise als symbolische Ressource in einer Populärkultur verwendet werden kann. Für weitere empirische Forschungen in diesem Bereich ebenso wie für medienpädagogische Ansätze wäre eine besondere Aufmerksamkeit für diese spezi¿sche Umgangsweise mit medialen Vorgaben, die vor allem für Kinder und jüngere Jugendliche typisch ist, wichtig. Eine Anerkennung kreativer Umgangsformen mit medialen Vorgaben durch ein junges Publikum bedeutet nicht, diese Art der Mediennutzung und die Populärkulturen, in die sie eingebettet ist, notwendig als „widerständig“ zu begreifen. Am Beispiel des Engagements von Pop-Fans ließ sich aufzeigen, dass diese Jugendkultur nicht per se als Ort der Rebellion gegen bestimmte Konventionen anzusehen ist, in ihrem Rahmen jedoch auch keine bloße Anpassung an normative Erwartungen statt¿ndet. Die gerade in den Cultural Studies oft zentrale Frage, welche „oppositionellen Lesarten“ ein Medium zulässt, stößt in diesem Kontext schnell an die Grenzen ihrer Produktivität. Versuche festzulegen, welche Handlungen widerständig sind und welche nicht, gestalten sich auch deshalb problematisch, als es häu¿g schwierig ist, verbindlich auszumachen, wogegen sich ein solcher Widerstand richten sollte. Wie am Beispiel meiner Inter views mit Bianca und Tanja deutlich wird, kann eine Persönlichkeitsentwicklung, die möglichst eigenständig und unabhängig von gesellschaftlichen Anforderungen erfolgt, mittlerweile selbst als normatives Leitbild empfunden werden: Ein Widerstand gegen die „bestehenden Strukturen“ kann in diesem Sinne ebenso als Konformismus interpretiert werden.151 Als Alternative zu Versuchen, Fan-Aktivitäten als „angepasst“ oder eben „widerständig“ einzuordnen, lässt sich Lawrence Grossbergs Charakterisierung der Fan-Kultur als Ort des „empowerments“ charakterisieren: „Empowerment is an abstract possibility; it refers to a range of effects operating at the affective level. It is not synonymous with pleasure (…), nor does it guarantee Vgl. Gangloff 2007; Geßmann 2006; Luca 1998a; Mühlen-Achs 1997; Mühlen-Achs/Schorb 1995; Schmerl 1984, 1992; Weiderer 1993 und Weinbach 2004. 151 In diesem Sinne argumentieren auch aktuelle, poststrukturalistisch fundierte Studien zur Subjektkonstitution von Kindern und Jugendlichen, vgl. Davies 2005; Fritzsche 2011. 150
4 Fazit und Ausblick
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any form of resistance to or evasion of existing structures of power, although it is a condition of the possibility of resistance. (…) Empowerment refers to the generation of energy and passion, to the construction of possibility“ (Grossberg 1992: 64)
In einem solchen Verständnis der Fan-Kultur bringt diese nicht notwendig Widerstand hervor, stellt jedoch als Ort der Ermächtigung die Bedingung der Möglichkeit eigensinniger und widerständiger Handlungen her. Diese Beschreibung Grossbergs kann die Dichotomien von Anpassung und Widerstand produktiv überwinden und wird somit dem in der vorliegenden Studie eruierten Erfahrungswissen der Fans gerecht. In einer biographischen Phase habitueller Verunsicherungen und neuer Anforderungen ist das fankulturelle Engagement eine wichtige Ressource bei der Auseinandersetzung mit vielfältigen normativen Erwartungen. Diese Kultur eröffnet einen Experimentier-Raum für Mädchen, den sie als ermächtigend erleben und der sie auch ermutigen kann, sich gegen bestimmte Anforderungen zur Wehr zu setzen. Eine Auseinandersetzung mit Fan-Kultur als Ort des Exzesses (Fiske 1991: 114), in dem Normen ausgestellt, bestätigt und teilweise auch unterlaufen werden wie in den geschlechtsübergreifenden Inszenierungen der Gruppe „Tanz“ (vgl. Kap. B 3.7) ist insbesondere auch interessant für eine Geschlechterforschung, die sich nicht auf ein Aufspüren von Mechanismen der Reproduktion „typischer“ Geschlechterverhältnisse beschränken, sondern vielmehr selbst zu einer Destabilisierung von Geschlechtstypisierungen beitragen will. Die Frage, inwiefern welche Medien von welcher Zielgruppe als symbolische Ressource bei der Konstitution einer ermächtigenden Kultur genutzt werden, ist auch insbesondere für Auseinandersetzungen mit der Frage der Bedeutung von Geschlecht im Sozialisationsprozess von Interesse. Gerade qualitative empirische Untersuchungen erlauben es mit ihrer Perspektive auf die „Strukturlogik des Prozesses selbst“ (Dausien 1999: 236), auch der Unabgeschlossenheit und Widersprüchlichkeit von Prozessen der Identitätsbildung gerecht zu werden und in diesem Sinne die Sinnhaftigkeit von Praktiken heraus zu arbeiten, die auf den ersten Blick als destruktiv und chaotisch erscheinen mögen. Ebenso wie eine solche Perspektive auf Fans für die gender studies interessant sein kann, ist der Blick auf Fan-Kulturen als Ort der exzessiven Übertreibung und teilweisen Unterminierung hegemonialer Normen auch eine gewinnbringende Perspektive in der Fan-Forschung: Mehr als bisher sollte diese sich meines Erachtens dem Fan-Sein als Möglichkeit des Empowerments in Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse zuwenden (vgl. Fritzsche 2010a). Während die untersuchten Boygroups und Girlgroups offensichtlich insbesondere mit Verhandlungen geschlechtsbezogener normativer Erwartungen und der heterosexuellen Norm in Verbindung gebracht werden, zeigen viele empi-
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Teil C: Diskussion
rische Stduien, dass andere medial vermittelte Vorlagen Auseinandersetzungen mit anderen Themen nach sich ziehen.152 Angesichts der anhaltenden Beliebtheit von Castingshows, in denen heute viele Pop-Gruppen zusammengestellt werden, drängt sich auch die Vermutung auf, dass die Themen Leistung und Erfolg eine große Rolle in den aktuellen Beschäftigungen Jugendlicher mit diesem „MedienArrangement“ spielen: In solchen Shows werden Körper, Charakter und Kompetenz der potenziellen KandidatInnen von Jurys und vom Publikum gesichtet und bewertet, was auch heißt, dass der Star erlebt wird, noch bevor er ein Star ist. Dies geht mit einer stärkeren Identi¿zierungsmöglichkeit für das Publikum einher, das gleichzeitig eine machtvolle Position bei der Kreation neuer Stars einnimmt. Die Stars werden dadurch vermenschlicht und konsumierbarer gemacht, dem Publikum wird suggeriert, dass letztlich wirklich alle die Chance haben, eines Tages ein Star zu werden.153 In diesem Sinne werden Castingshows von Tanja Thomas (2004) als „Werkstatt des neoliberalen Subjekts“ bezeichnet und erste empirische Befragungen ihrer RezipientInnen zeigen auf, dass diese die Shows nutzen, um normative Diskurse zu aktualisieren und gesellschaftliche Spielregeln auszuhandeln (vgl. Klaus: 2009: 43). Interessant wäre es sicherlich, in zukünftigen Forschungen zu analysieren, inwiefern solche Auseinandersetzungen mit den Anforderungen einer neoliberalen Gesellschaft (z. B. mit dem Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz) auch mit Verhandlungen von Fragen der Geschlechtsidentität verknüpft sind. Voraussetzung für eine fruchtbare Untersuchung solcher Phänomene im Bereich der Populärkultur ist jedoch eine Forschungsperspektive, die die potenzielle Einbettung der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in eine Alltagskultur berücksichtigt und die sich dieser Kultur jenseits vorgefasster normativer Vorstellungen über eine optimale jugendliche Persönlichkeitsentwicklung anzunähern sucht.
In diesem Sinne arbeitet beispielsweise Wegener (2008) heraus, dass Robbie Williams als Symbol für Omnipotenz gelten kann und Mattig (2009) verweist auf die religiöse Bedeutung bestimmter Fan-Kulturen. 153 Auch die Beliebtheit von Amateur-Videos im Internet verweist auf diese Tendenz: „Normale Menschen“ können heute einfacher als früher zu Stars werden, wenngleich zumeist nur für kurze Zeit. 152
Anhang
Transkriptionsrichtlinien
FAN wow halt=halt sol, (4) ((leise)) / (…) ( )
= = = = = = = = = =
(so sehr) Ŋ //mhm// me:
= = = =
laut betont schneller Anschluss Abbruch kurzes Absetzen Dauer der Pause in Sekunden Kommentar der Transkribierenden Einsetzen des kommentierten Phänomens Auslassung im Transkript Inhalt der Äußerung ist unverständlich; Länge der Klammer entspricht etwa Länge der Äußerung unsichere Transkription Beginn einer Überlappung Hörersignal der Interviewerin mehrere sprechen gleichzeitig
B Fritzsche, Pop-Fans, DOI 10.1007/978-3-531-92885-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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