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Ellis Kaut
Pumuckl spukt weiter 16 Geschichten Illustriert von Barbara von Johnson
Herold Verlag Brück KG
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Ellis Kaut
Pumuckl spukt weiter 16 Geschichten Illustriert von Barbara von Johnson
Herold Verlag Brück KG
1. Auflage © 1982 by Herold Verlag Brück KG © 1966/1972/1974 für die Einzelbände Pumuckl spukt weiter Pumuckl und Puwackl Pumuckl auf heißer Spur Alle Rechte vorbehalten Einbandgestaltung: Brian Bagnall nach Motiven von Barbara von Johnson © 1982 Buchagentur München Illustrationen: Barbara von Johnson Druck und buchbinderische Verarbeitung: Salzer - Ueberreuter, Wien ISBN 3-7767-0376-8
Inhalt
Pumuckl und der Schnupfen Das Weihnachtsgeschenk Die geheimnisvolle Schaukel Der Gartenzwerg Pumuckl und der Geburtstag Pumuckl und Puwackl Der große Krach Der Krach und seine Folgen Pumuckl und die Maus Pumuckl hütet Fische Der verdrehte Tag Hilfe - eine Aushilfe! Pumuckl und die Uhr Pumuckl auf heißer Spur Pumuckl und die Silberblumen Der verflixte Föhn
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Pumuckl und der Schnupfen Es war an einem regnerischen Herbsttag. Meister Eder arbeitete in seiner Schreinerwerkstatt und war recht missmutig, weil es überhaupt nicht richtig Tag werden wollte. Er mochte Regenwetter gar nicht. Ganz im Gegensatz zu dem kleinen Kobold Pumuckl, der gerne den Regentropfen zuguckte, wenn sie auf die Fensterscheibe prallten und dann im Herunterrinnen sich gegenseitig nachzulaufen und zu fangen schienen. Er mochte auch die vielen glitzernden Tropfen, die draußen im Hof an den schon herbstlich kahlen Ästen der Kastanie hingen und ständig auf die nassglänzenden Steine plumpsten. Und wie immer, wenn dem Kobold etwas besonders gefiel, fing er zu dichten an. Während er auf dem Schraubstock hockte und mit seinen kleinen Beinen baumelte, krähte er vergnügt: „Überall Wasser überall nasser schrecklich viel Spasser!” „Spasser ist doch kein richtiges Wort!”, brummte Meister Eder. „Schön, vielleicht ist es kein richtiges Wort, aber dafür ist es ein dichtiges Wort”, beharrte Pumuckl. Trotzdem dachte er ein wenig nach. Und dann erklärte er strahlend: „Ich hab's! Es muss heißen: ‚Überall Nässe, schrecklich viel Spaße!’ ” Meister Eder warf einen Blick zum Fenster hinaus und murmelte: „Von Spaß keine Rede. Bei diesem ekelhaften Regenwetter spür ich immer meinen Rheumatismus.” Da ein Kobold von den Plagen eines Rheumatismus keine -7-
Ahnung haben kann, verteidigte der Pumuckl den Regen weiter. „Weißt du, der Regen macht so schöne Pfützen. Bist du schon einmal in eine Pfütze gestiegen?” „Wenn ich es vermeiden kann, dann steige ich in keine Pfütze.” „Das solltest du aber tun. Alle Menschen steigen in Pfützen!” „Alle?” „Nun ja, die großen Menschen nicht so sehr, aber alle kleinen Menschen.” „Du meinst die Kinder. Das kann schon sein. Und hinterher kriegen sie dann einen schrecklichen Schnupfen.” Das beeindruckte den Kobold gar nicht, im Gegenteil, seine Augen glitzerten sehnsüchtig, als er sagte: „Ich möchte auch in Pfützen steigen. Schließlich bin ich ein Ururenkel der Klabautermänner, und die lebten auf dem Meer. Und darum liebe ich Pfützen - glaube ich. „Trotzdem würde ich dir abraten, da reinzusteigen, da wirst du nur pitschnass, und glaube mir, ein Schnupfen ist eine sehr unangenehme Erkältung.“ „Ich werde nicht pitschnass, weil ich unsichtbar bin. Hast du schon mal etwas Unsichtbares nass werden sehen?“ „Nein, aber schließlich bist du für mich sichtbar, solange ich dich anschaue, und du weißt ganz genau: Wenn du sichtbar bist, kann dir alles passieren, was Menschen passiert.“ „Aber wenn du nicht hinschaust, wenn ich in eine Pfütze steige, dann bin ich auch nicht sichtbar, und wenn ich nicht sichtbar bin, werde ich auch nicht nass, und wenn ich nicht nass werde, dann wird mir auch nicht kalt, und wenn mir nicht kalt wird, bekomme ich auch keine -8-
Erkaltung. Ist doch ganz einfach.“ „Es heißt nicht Erkaltung, sondern Erkältung. Und außerdem kann ich mir ja nicht die Augen verbinden, und wenn ich dann zufällig zum Fenster hinausschaue, sehe ich dich. Und schon haben wir die Bescherung.“ „Ich denke, ein Schnupfen ist eine Erkältung. Jetzt ist er auch noch eine Bescherung. Was ist eigentlich ein Schnupfen?“ Der Pumuckl war vom Schraubstock herunter- und auf das Brett gehüpft, das Meister Eder gerade bearbeitete. Wie der kleine Kobold so vor ihm stand, dachte Meister Eder zum tausendsten Mal, wie jammerschade es sei, dass niemand diesen putzigen wuschelköpfigen Burschen sehen konnte. „Was ist ein Schnupfen?“ wiederholte Pumuckl. Meister Eder lächelte. „Ein Schnupfen ist etwas Abscheuliches. Man muss niesen, und die Nase fängt an zu laufen.“ Pumuckl griff an seine Nase und stellte fest: „Eine Nase kann gar nicht laufen, hat ja keine Beine und ist festgewachsen.“ Er zerrte an seiner Nase. „Schau nur, wie fest die angewachsen ist!“ „Das nützt der Nase überhaupt nichts - sie läuft trotzdem!“ Pumuckl stampfte auf. „Nein, nein, das ist nicht wahr! Ich hätte doch sonst schon irgendwo eine Nase spazierenlaufen sehen, zumindest eine Kindernase, weil alle Kinder in Pfützen steigen und nass werden.“ „Trotzdem rate ich dir gut, wenn ich sage, steig nicht in die Pfützen da draußen.“ Pumuckl sprang auf das Fenstersims. Und dann jammerte er: „Oh, oh - und gerade vor dem Fenster sind die schönsten Pfützen, die es gibt. Und Holz liegt auch -9-
herum, das könnte ich darauf schwimmen lassen, und kleine Steine, die ich hineinwerfen könnte, und. . . und ...“ Pumuckl drückte an der Fensterscheibe seine Nase ganz platt vor Kummer. Meister Eder sah das und erinnerte sich, wie er als Bub auch immer in Wasserlachen gestiegen war, und dass das durchaus ein Vergnügen gewesen war, auch wenn er heute nicht mehr so recht verstand, warum. Und deshalb sagte er: „Vielleicht gibt es woanders ebenso schöne Pfützen, und da kannst du hineinsteigen, ohne dass ich dich sehe obwohl das keine sehr appetitliche Sache ist, in jeder Pfütze ist so viel Schmutz!“ Pumuckl ließ ihn nicht weiterreden. „Nein, Pfützen sind sauber, man sieht bis auf den Grund, jawohl. Und überhaupt steige ich nur mit den Füßen rein, und die Füße sind vom Boden sowieso schmutzig und - Wasser macht immer alles sauber.“ Der Pumuckl war so sichtbar stolz auf diesen klaren Beweis der Sauberkeit von Pfützenwasser, dass es Meister Eder dabei beließ und lächelnd sagte: „Na gut, wenn dein Glück davon abhängt! Aber plansch bitte nicht auf der Straße herum, sondern geh in den nächsten Hof rüber, ja?“ Pumuckl versprach es, und während er hinausschaute, rief er noch: „Du wirst sehen, meine Nase läuft nicht, sie bleibt, wo sie ist!“ Weil Pumuckl nun ganz sicher sein wollte, dass Eder ihn nicht sehen konnte, lief er nicht nur in den nächsten Hof, sondern in den überübernächsten. Dort war eine wunderschöne, große Pfütze. Der Kobold sprang und planschte darin herum und warf Steine hinein. Wenn ein Mensch einen Blick auf die Pfütze geworfen - 10 -
hätte, dann wäre er sehr verwundert gewesen, was sich da alles auf geheimnisvolle Weise bewegte. Aber es warf niemand einen Blick darauf. So wäre alles gut gegangen, wenn nicht Meister Eder einen reparierten Stuhl hätte liefern müssen, und wenn dieser Stuhl nicht ausgerechnet in jenes Haus gehört hätte, dessen Eingang im Hof neben Pumuckls Pfütze lag. Während der Schreinermeister es auf dem Weg dorthin sorgsam vermieden hatte, in irgendwelche Häuserwinkel oder Höfe zu schauen, in denen Wasserlachen stehen konnten, ging er in diesen Hof, ohne an den Pumuckl zu denken. Er war ganz sicher, dass der Kobold nicht so weit gelaufen sei. Und - da nützte jetzt auch das Wegschauen nichts mehr - direkt vor seinen Augen planschte der Kobold. Im gleichen Augenblick aber war der Pumuckl auch schon pitschnass! Und wenige Sekunden später spürte er nicht nur die Nässe, sondern auch die Kälte. Aber Pumuckl ließ sich dadurch nicht drausbringen. Wie ein Gummiball sprang er hoch und platschte mit beiden Beinen in die tiefste Stelle der Pfütze und schrie dazu übermütig: „Ist kalt, aber lustig! Überall nass, überall Spaß! Sichtbar planschen macht sogar noch viel mehr Spaß, weil es noch viel lauter platscht!“ Und wieder hüpfte und sprang er wie toll. Eder fand das gar nicht sehr lustig. „Du bist wohl verrückt! Ich krieg dich ja nie mehr sauber. Auf der Stelle läufst du jetzt nach Hause und ziehst alles aus und setzt dich ganz nahe an den Ofen. Am besten, du legst dich sofort ins Bett und bleibst dort, bis ich wiederkomme!“ - 12 -
Pumuckls Zähne klapperten schon vor Kälte, aber er widersprach: „N-nein, es ist d-doch s-so schön!“ Meister Eder wollte seinen Pumuckl gerade energisch beim Schöpf aus der Pfütze ziehen, da kam Frau Berger aus dem Haus. Frau Berger, der er den Stuhl bringen wollte! Sie sah, wie der Schreiner mit gerunzelter Stirn vor der Pfütze stand und fragte: „Ist Ihnen da was reingefallen?“ Eder wurde, wie immer, wenn er nicht die Wahrheit sagen konnte, verlegen: „Nein - das heißt - eigentlich ja...“ „Kann ich Ihnen suchen helfen?“ „Nein, danke, es - es ist nämlich etwas, das Sie nicht sehen können.“ „Aber ich bitte Sie, ich bin doch nicht blind!“ protestierte Frau Berger. Und dann tat sie einen Schrei. Sie war nass gespritzt bis zum Rocksaum! Da sie glaubte, der Schreinermeister habe einen ungeschickten Schritt in die Pfütze getan, rief sie vorwurfsvoll: „Aber Herr Eder sehen Sie nur, wie Sie mich jetzt voll gespritzt haben!“ Eder, der wohl wusste, dass das ein Werk des Pumuckls war, zog es vor, sich zu entschuldigen. Aber während er noch sagte: „Es tut mir leid“, platschte es wieder in der Pfütze, und der nächste Wasserschwall ergoss sich über Frau Bergers Schuhe. Da sich aber diesmal Meister Eder überhaupt nicht gerührt hatte, schaute sie empört zu den Fenstern des Hauses empor. „Da muss jemand von oben etwas in die Pfütze geworfen haben! So eine Frechheit! Kommen Sie, Herr Eder, gehen wir schnell ins Haus, sonst werden wir noch von oben bis unten nass!“ Sie lief so schnell sie konnte in den Hausgang. Eder folgte ihr, drehte sich aber vorher noch kurz um und flüsterte - 13 -
streng: „Pumuckl, du gehst auf der Stelle nach Hause, verstanden?“ Nun, so „auf der Stelle“ wollte der Kobold sein Vergnügen nicht aufgeben, obwohl er jetzt schon tüchtig fror. Er planschte noch so lange herum, bis er es vor Kälte nicht mehr aushaken konnte. Dann erst trottete er nach Hause. Dort angekommen, griff er sich vorsichtig an die Nase. Aber die war immer noch schön festgewachsen, und das beruhigte ihn derart, dass er es überflüssig fand, das nasse Zeug auszuziehen. So kam es, wie es kommen musste: Am nächsten Tag hatte er Halsweh, und sein Kopf fühlte sich an wie ein riesiger Ball, und seine Glieder waren schwer. Außerdem fror er auch dann, wenn er sich ganz nahe an den Ofen stellte. „Mein Hals, oh, oh, mein Kopf, oh, oh!“ jammerte er. Meister Eder sah ihn besorgt an: „Das fehlt mir gerade noch, dass du krank wirst. Zeig mir mal deine Zunge, Pumuckl!“ „Meine Zunge ist aber das einzige, was mir nicht weh tut! Du musst da unter den Haaren nachschauen - da tut's weh!“ Meister Eder nahm den kleinen Kobold hoch und setzte ihn auf seine große, schwielige Hand. „Komm, Pumuckl, zeig schön deine Zunge her.“ Pumuckl streckte die Zunge heraus und krächzte dabei jämmerlich: „Wenn die aber doch gar nicht weh tut!“ „Aber sie ist belegt“, stellte Eder fest. Pumuckl zog schleunigst seine Zunge zurück und fragte entsetzt: „ Belegt?! Ich habe aber bestimmt nichts draufgelegt. Ich will auch nichts drauflegen - ich habe gar keinen Hunger!“ Eder fühlte an Pumuckls Stirne. - 14 -
„Und glühend heiß bist du auch.“ „Nein, nein, das ist nicht wahr! Nur mein Kopf ist heiß, aber sonst ist mir kalt, ganz kalt“, und tatsächlich, der kleine Kerl zitterte am ganzen Leib. „Das ist das Fieber. Du musst sofort ins Bett!“ Pumuckl hüpfte schleunigst von der Hand herunter. „Ich will nicht ins Bett! Im Bett ist es langweilig! Ich bin auch kein bisschen müde, mir - mir ist nur k-kalt!“ „Du tust, was ich sage! Los, ins Bett!“ „Ich will aber nicht ins Bett!“ Pumuckl versteckte sich hinter einem Bretterstapel. „Hab ich das gestern nicht gesagt! Schon gleich am Abend haben deine Augen so komisch geglänzt!“ „Du hast gesagt, dass die Nase läuft! Die läuft aber gar nicht - ha - ha - hatschi!“ Niesend kam der Pumuckl wieder hinter seinem Bretterstapel hervor. Meister Eder gab ihm ein frisches Taschentuch, das allerdings so groß war, dass sich der ganze Pumuckl hätte drin einwickeln können. „Da - das ist gegen die laufende Nase!“ „Nein!“ schrie der Pumuckl. „Sie läuft nicht!“ Und damit sie auch wirklich nicht davonlaufen konnte, wickelte er sich das Taschentuch um den ganzen Kopf. Meister Eder musste trotz seiner Sorge lachen. „Nein, Pumuckl, sie läuft nicht, beruhige dich. Ich weiß aber etwas, das dich gesund machen wird: Ich habe eine Tablette gegen Grippe!“ Und damit holte er ein Glasröhrchen, entnahm ihm eine weiße, runde Pille und brach davon ein Stück ab. „Du musst das hinunterschlucken ohne draufzubeißen. Es schmeckt nämlich abscheulich.“ „Ich beiße aber immer alles! Ich kann nicht schlucken, ohne zu beißen!“ schimpfte Pumuckl aus seinem - 16 -
Taschentuch heraus. „Natürlich kannst du das!“ Meister Eder wickelte Pumuckls Wuschelkopf aus dem Taschentuch. „Da nimm die Tablette!“ Und schon hatte er sie dem Pumuckl in den Mund gesteckt. Der spuckte sie aber gleich wieder in hohem Bogen aus. „Pfui, pfui, ich mag das nicht pfui!!“ Meister Eder brach geduldig noch ein Stückchen Tablette ab, löste es diesmal aber in Wasser auf. Aber Pumuckl wollte nicht trinken und presste die Zähne fest zusammen. Nicht einmal das Versprechen, dass er gleich hinterher ein Stück Schokolade bekommen würde, nützte etwas. Pumuckls Schüttelfrost wurde immer stärker. Er zitterte und klapperte mit den Zähnen zum Herzerweichen. Eder wurde es angst und bang um den kleinen Kerl. „Was mach ich nur mit dir?! Das kann ja auch eine Lungenentzündung werden oder sonst etwas Schlimmes. Wenn ich wenigstens einen Arzt holen könnte, aber für den bist du ja nicht sichtbar! Was tue ich nur, was tue ich nur?“ Da kam ihm ein Gedanke, den er für sehr gut hielt: Wenn er den Arzt nur anrufen und telefonisch um Rat fragen würde? Doktor Schredlbach war ein alter Kunde von ihm, der würde ihm bestimmt auch am Telefon Auskunft geben. Meister Eder rief also an. Doktor Schredlbach war gleich selbst am Apparat. Meister Eder suchte nach Worten. „Ja, Herr Doktor, ich will Sie nur etwas fragen, es ist nämlich so, dass ... dass ... Was tut man denn gegen hohes Fieber und Schüttelfrost und Appetitlosigkeit?“ „Tja, Herr Eder“, Doktor Schredlbach zögerte, „mit - 17 -
diesen Symptomen gehen viele Krankheiten an. Liegen Sie im Bett?“ „Ich? Aber nein!“ „Dann müssen Sie sich als erstes sofort ins Bett legen, das ist das wichtigste!“ Da Doktor Schredlbach wusste, dass Eder ganz allein lebt, kam er gar nicht auf die Idee, dass es sich um einen anderen Patienten handeln könne als um den Schreinermeister selbst. „Aber nein, Herr Doktor, ich bin ja nicht...“ „Legen Sie sich ins Bett, ich komme dann gleich vorbei!“ Das war genau das, was Meister Eder vermeiden wollte! Schnell sagte er: „Nein, nein, das ist nicht nötig, bestimmt nicht, Herr Doktor!“ „Aber ich muss Sie mir doch anschauen!“ „Nein, das müssen Sie nicht! Sie sehen da nämlich überhaupt nichts!“ „Das meinen Sie nur, Herr Eder. Ich sehe schon, was ich sehen muss.“ „Sie können nichts sehen.“ Eder sagte das mit Nachdruck. Aber Doktor Schredlbachs Stimme wurde nur noch um einen Grad milder. „Haben Sie schon Fieber gemessen?“ „Fiebermessen? Das geht nicht.“ „Warum geht das nicht? Haben Sie denn kein Fieberthermometer?“ „Doch, aber - aber das ist viel zu groß!“ „Zu groß? Das gibt es nicht!“ entschied der Arzt energisch. „Doch, das gibt es!“ beteuerte Eder. „ Wie - wie soll ich Ihnen das erklären, ohne dass Sie mich auslachen.“ Eders Stimme bekam einen verzweifelten Klang. Doktor Schredlbach wurde immer besorgter: „Herr Eder, ich - 18 -
glaube, Sie fantasieren schon! Hören Sie - machen Sie einen kühlen Wadenwickel, das zieht die Hitze aus dem Kopf und erleichtert.“ „Wadenwickel!“ rief Eder, tatsächlich erleichtert. „Das ist gut! Daran habe ich noch nicht gedacht. Ein Wadenwickel kann auch nichts schaden, nicht wahr, das kann man sogar ganz, ganz kleinen - äh - Menschen geben?“ „Ja, sogar Säuglingen.“ „Er ist zwar noch kleiner als ein Säugling“, murmelte Eder, „aber das wird nichts ausmachen.“ „Ich verstehe nicht - wer ist noch kleiner als ein Säugling?“ „Der Pu-“, Eder schluckte schnell und rettete sich dann in ein verlegenes Lachen: „Ich bin klein, ganz klein, Herr Doktor!“ Das machte aber die Sorge des Arztes erst voll. Eder musste schrecklich krank sein, dass er solch irres Zeug redete! „Herr Eder, ich komme sofort zu Ihnen“, rief Doktor Schredlbach und hängte ein. Auch Eder legte auf. Nun, irgendetwas würde er dann dem Arzt schon sagen. Jetzt nur schnell einen Wadenwickel für den Pumuckl. Er holte ein Taschentuch und schnitt einen schmalen Streifen herunter, so dass er gerade um Pumuckls kleine Waden passte, und diesen Stoffstreifen machte er nass. Aber er hatte nicht mit dem Kobold gerechnet! Der zappelte und strampelte und schrie, wenn Eder mit dem feuchten Wickel auch nur in die Nähe seiner Beine kam. „Willst du stillhalten, zum Kuckuck!“ schimpfte Eder. Aber Pumuckl wollte nicht stillhalten. „Ist kalt!“ schrie er. „Ist kalt wie Wasserpfütze! Kalte Pfütze hat mich - 19 -
krank gemacht, kaltes Tuch macht mich noch kränker! Will nicht! Will nicht! Will nicht!“ Wer schon einmal versucht hat, einem zappelnden Wesen etwas um den Fuß zu wickeln, weiß, dass man dazu einfach zu wenig Hände hat. Man müsste zwei Hände zum Festhalten und zwei zum Wickeln haben. Meister Eder wurde wütend. Er packte den zappelnden Kobold und stopfte ihn in das kleine Puppenbett, deckte ihn bis zur Nasenspitze zu und wickelte die nächstbeste Schnur herum, als wäre das Bett mitsamt dem Pumuckl ein Paket. Pumuckl schrie, aber Meister Eder atmete auf: „So, jetzt wird dir erst mal schön warm werden, und wenn dir warm ist, dann bekommst du den Wadenwickel. Du wirst sehen, wie wunderbar dann so ein kühler Wadenwickel ist.“ In diesem Augenblick klingelte es. Meister Eder behielt das umwickelte Bettchen in der Hand und öffnete so die Türe. Draußen, stand Doktor Schredlbach. Als er Eder sah, sagte er vorwurfsvoll: „Jetzt wird sofort ins Bett gegangen.“ Eder schaute etwas hilflos vom Arzt auf das kleine Bett und dann wieder zum Arzt. „Was haben Sie denn da in der Hand?“ fragte Doktor Schredlbach. „A - ach - das ist etwas, das ich einwickeln wollte!“ Eders Augen suchten nach einem Platz, wo er schnell das Bettchen hinstellen konnte. Aber der Arzt griff danach. „Ist ja ein reizendes Puppenbettchen - aber warum wickeln Sie da gleich zwanzigmal eine Schnur herum?“ „Weil er sonst nicht im Bett bleibt!“ rutschte es Eder heraus. Schredlbach sah Eder prüfend an: „Wer? Wer bleibt nicht in diesem Bett?“ - 20 -
Da dachte Eder, dass es doch das gescheiteste wäre, die Wahrheit zu sagen: „Nun, wenn Sie es schon wissen wollen, der Pumuckl will nicht im Bett bleiben. Sie können ihn nicht sehen, ich auch nicht, solange Sie anwesend sind, trotzdem liegt er hier drin.“ „Der - wer?“ „Nun, der Kranke eben.“ Der Arzt dreht das Bett hin und her, dass Eder dachte, es müsse dem Pumuckl ganz schwindelig dabei werden. Dann schaute der Doktor den Schreinermeister mitleidig an: „Natürlich - hier liegt er drin. Aber Sie gehen jetzt sofort ins Bett, kommen Sie.“ „Aber nein, mir fehlt nichts - dem fehlt doch was! Ich wollte ihm schon einen Wadenwickel machen - aber er zappelte derart, dass...“ „Im ersten Stock ist doch Ihr Schlafzimmer, nicht wahr?“ „Ja, aber glauben Sie mir doch ...“ „Ich glaube alles“, sagte Dr. Schredlbach milde und klopfte Eder beruhigend auf die Schulter. „Das gehört alles zum Krankheitsbild. Kommen Sie - schnell!“ Er schob Eder die Treppe hinauf. Eder merkte genau, dass der Arzt ihm kein Wort glaubte, sondern ihn für übergeschnappt hielt. Da dachte er, es sei am besten, wenn er einfach nachgäbe und sich ins Bett legte. Dann würde der Arzt ihm etwas verschreiben und wieder weggehen, und alles wäre in Ordnung. Er zog sich also aus und legte sich ins Bett. Der Arzt betrachtete währenddessen das kleine zugeschnürte Bettchen, schüttelte immer wieder den Kopf und löste dann, mehr zum Zeitvertreib, die Schnur. Eder sah das und rief erschrocken: „Nicht! Nicht die Schnur lockern! Er hüpft doch sonst heraus!!“ - 21 -
„Lassen Sie ihn ruhig heraushüpfen, Herr Eder vielleicht werden auch Sie dann wieder gesund. Und jetzt wollen wir Sie mal gründlich untersuchen.“ Eder seufzte. „Von mir aus, untersuchen Sie. Aber es darf nicht lange dauern - ich muss den Pumuckl wieder einfangen und ins Bett stecken!“ Der Arzt konnte natürlich keine Krankheit an Eder feststellen. Es musste sich um irgendeine geistige Störung handeln. Am besten, er gab dem Schreinermeister eine Beruhigungsspritze, vielleicht würden sich dann diese Fantastereien legen. Er kramte in seiner Arzttasche. „Es ist nichts Schlimmes, Herr Eder ich gebe Ihnen jetzt eine kleine Spritze, und dann werden Sie ein wenig schlafen.“ „Ich habe aber zum Schlafen keine Zeit“, rief Eder aufgeregt und wollte aufspringen. Doch der Arzt hielt ihn fest. „Nur ruhig bleiben, schön ruhig bleiben. Sehen Sie, ich stelle das Bettchen da auf Ihr Nachtkästchen, und wenn Sie sich schön die Spritze geben lassen, dann wird auch Ihr - wie heißt er nur gleich? - wieder gesund.“ „Nein, der holt sich jetzt den Tod!“ „Geben Sie mir bitte Ihren Arm!“ „Herr Doktor, wenn ich Ihnen noch mal sage, dass mir nichts fehlt - ich will die Spritze nicht!“ „Seien Sie vernünftig. Sie wollen doch nicht, dass ich Sie festbinde, oder?“ Das fehlte gerade noch: Eder gesund im Bett festgebunden und der Pumuckl, den Eder hatte festbinden wollen, hüpfte frei herum! Eder ließ sich die Spritze geben. „Schön, dass Sie jetzt vernünftig sind. Sie werden gleich - 22 -
einschlafen und morgen schaue ich dann wieder vorbei.“ Der Arzt verließ Eder mit dem zufriedenen Gefühl, das Richtige getan zu haben. Eder spürte, wie er müder und müder wurde. Trotzdem versuchte er, irgendwo den Pumuckl zu erspähen, denn wie er richtig vermutet hatte - der Kobold war nicht mehr im Bett. Schließlich sah er den Pumuckl mit bleichem Gesicht auf dem Bettvorleger sitzen. Als sich ihre Blicke begegneten, war Pumuckls Koboldslächeln etwas kläglich. „Wäre ja sooo lustig, die Geschichte, sooo lustig, wenn mir nicht sooo schlecht wäre!“ „Ich würde dich ja sooo verdreschen, wenn ich nicht sooo müde wäre!“ „Mein Herz klopft ganz schnell- oooh.“ „Und meines langsam.“ Eder schloss die Augen. „Ich möchte eigentlich auch gerne ins Bett“, flüsterte Pumuckl, „aber meine Knie zittern so, dass ich nicht auf das Nachtkästchen klettern kann.“ Eder öffnete mühsam die Augen. „Du willst wirklich brav ins Bett?“ „Ja, ich will alles tun, Tablette essen und schwitzen und Wadenwickel haben. Wenn mir nur wieder gut wird.“ Meister Eder war es zwar abscheulich schwindlig von der Spritze, aber er konnte den Kobold noch ins Bett stecken, ihm ein feuchtes Tüchlein um die Waden wickeln und noch ein winziges Stück Tablette geben. Pumuckl schüttelte sich zwar vor Abscheu, aber er schluckte es. Dann lagen sie beide im Bett und schlossen erschöpft die Augen. Pumuckl murmelte noch: „Ich steige nie mehr in eine Pfütze“, und schlief dann ein. Eder hörte es noch, und dann schlief auch er. - 23 -
Am nächsten Tag waren sie alle beide recht wackelig auf den Beinen, Eder von der Beruhigungsspritze und Pumuckl vom Fieber. Aber das Schlimmste war überwunden. Pumuckls Krankheit hatte sich in einen gewaltigen Schnupfen aufgelöst, der die Koboldsnase so rot werden ließ, dass sie beinahe auch dann noch leuchtete, wenn er sonst unsichtbar war. Und es war ein Glück, dass Meister Eder viele riesige Taschentücher besaß. Als der Arzt kam, um nach Eder zu sehen, stand das kleine Bettchen unverschnürt auf der Kommode. Doktor Schredlbach sah das zufrieden, hütete sich aber, nach dem unsichtbaren Patienten zu fragen. Und Eder hütete sich ebenfalls, ein Wort darüber zu verlieren. So kam es, dass der Arzt glaubte, seine Behandlung wäre ein voller Erfolg gewesen. Pumuckl hat eine Menge bei der Geschichte gelernt, unter anderem, dass eine Nase keine Füße braucht, um laufen zu können. Und wenn er und Meister Eder jetzt an einer Pfütze vorbeigehen, dann sehen sie sich nur an, machen einen weiten Bogen drumherum, und dann kann es sein, dass man den Schreinermeister mitten auf der Straße lachen sehen kann. Ganz ohne Grund, wie die Leute meinen - und doch nicht ganz ohne Grund, wie wir wissen.
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Das Weihnachtsgeschenk Der erste Schnee, der im November schon gefallen war, wurde schmutzig und schmolz wieder weg, und so viel auch Pumuckl zum Himmel guckte - es kam nur Regen herunter. Erst an einem Nachmittag im Dezember fing es wieder leise zu schneien an. Obwohl es schon dunkelte, lief Pumuckl hinaus. Die Straßenbeleuchtung wurde eben eingeschaltet, und verzückt schaute der Pumuckl zu, wie die Schneeflocken unter dem Lichtkegel einer Bogenlampe tanzten. Weil er es aber nicht nur unter der einen Bogenlampe sehen wollte, sondern auch unter der nächsten und wieder unter der nächsten, lief er die ganze Straße entlang. Und da sah er etwas, was er noch nie gesehen hatte: An der Hauswand über einer Bäckerei war ein Tannenbaum angebracht worden, und auf dem Tannenbaum leuchteten viele elektrische Kerzen und spiegelten ihr Licht in silbernen Lamettafäden, die sich leise im Wind bewegten. Pumuckl war ganz starr vor Staunen. Auch das Schaufenster der Bäckerei war verwandelt! Weihnachtlich geschmückte Tannenzweige mit glitzernden Kugeln daran hingen dort, wo sonst Schokoladetafeln und Pralinenschachteln kunstvoll aufgeschichtet lagen, und bärtige kleine Männer, zum Teil in buntes Stanniolpapier gewickelt, mit Säcken auf dem Rücken, standen auf kleinen Regalen. Es dauerte eine Weile, bis sich der Pumuckl von seinem Staunen erholt hatte, dann aber sauste er wie der Blitz zurück zum Meister Eder. Er hüpfte dem Schreiner, der gerade vor seiner lärmenden Säge stand, auf die Schulter und schrie ihm ins Ohr: - 26 -
„Aufhören! Aufhören! Stelle deine dumme Säge ab, du musst aufhören. Es ist was passiert!“ Meister Eder, der schon dachte, dass irgendwo im Haus ein Feuer ausgebrochen sei, stellte sofort die Säge ab. „Du musst mitkommen, du musst mitkommen!“ schrie der Pumuckl. „Das musst du anschauen!“ „Was denn, um Himmels willen!“ „Sie haben einen Baum an ein Haus geklebt, und der Baum glitzert und leuchtet. Und wo früher der Bäckerladen war, ist jetzt ein Goldpapierrucksackmännerverkaufsladen und ein - ein Glitzerkugelverkaufsladen!“ Jetzt verstand Meister Eder: die Weihnachtszeit hatte begonnen, und was ihm, dem alten Schreiner, längst eine Selbstverständlichkeit war - geschmückte Schaufenster, Christbäume, Weihnachtskugeln -, musste etwas völlig Neues für den Kobold sein. Wusste der kleine Kerl überhaupt, was Weihnachten war? Pumuckl zog den Meister Eder fest am Ohr, als könnte er ihn damit zur Tür auf die Straße hinausziehen. „Du musst mitgehen und das anschauen. Das ist schööön! Das ist so schön, dass da innen drin in mir alles vor Vergnügen hüpft, so, dass ich mithüpfen muss. Lauter goldene, rote, grüne, silberne Kugeln und silberne Fäden, und das glitzert und ...“ Pumuckl musste nach Luft schnappen. „Das sind Christbaumkugeln“, belehrte ihn Meister Eder. „Du musst sie anschauen! Und zwar gleich!“ „Aber Pumuckl, ich muss arbeiten - ich hab schon oft Christbaumkugeln gesehen.“ „Die kann man nicht oft genug sehen. Ich will sie jeden und jeden Tag sehen!“ Der Kobold sprang von Eders - 27 -
Schulter und setzte sich auf das Brett, das der Schreiner eben bearbeitete. Er sagte sehnsüchtig: „Ich möchte eine Glitzerkugel haben, die würde ich dann immer anschauen und damit kugeln und ballspielen und ...“ „Und dann wäre sie kaputt. Die Kugeln sind nämlich aus ganz dünnem Glas.“ Pumuckl schüttelte energisch den Kopf: „Nein, die ich meine, die sind nicht aus Glas, die sind aus Silber und Gold und - hast du so viel Geld, dass du mir eine solche Kugel schenken kannst?“ Eder schob den Pumuckl vom Brett herunter, weil er weiterarbeiten wollte, und sagte: „Vielleicht kriegst du eine zu Weihnachten.“ „Warum zu Weihnachten und nicht jetzt? Ich will jetzt eine Glusterglitzeglänzekugel. Ich werde ganz, ganz vorsichtig damit spielen.“ „Aber Pumuckl, die Kugeln sind nicht zum Spielen da, die gehören auf den Christbaum.“ „Dann musst du mir eben einen Christbaum dazu kaufen.“ Eder legte das Brett genau an die Säge an. „Ja, an Weihnachten .“ Schon wollte er wieder die Säge einschalten, da zog ihn der Pumuckl wütend am Ärmel: „Was hast du nur mit dem dummen Weihnachten. Wer weiß, wann das ist. Sicher irgendwann einmal und ich will jetzt - -” „Nein, das ist nicht irgendwann, sondern am 24. Dezember. Und da feiern wir zwei das Fest mit einem Christbaum, Kugeln und Kerzen dran.“ „Warum feiern wir das nicht schon heute und dann jeden Tag, morgen und übermorgen und überübermorgen?“ „Weil das nicht geht.“ - 28 -
„Warum nicht?“ „Nun - weil das ein einmaliges Fest ist, und außerdem schenkt man sich da was und ...“ „Wer ist ‚man’?“ „Alle Menschen eben.“ „Alle Menschen schenken allen Menschen was -schenkst du auch allen Menschen was?“ „Nicht allen. Nur denen, die man gern hat.“ „Hast du mich gern?“ „Wenn du brav bist, ja.“ „Was schenkst du mir denn, wenn ich brav bin?“ „Das sag ich nicht. Das ist ein Geheimnis.“ „Haben dann alle Menschen, die was schenken, jetzt ein Geheimnis?“ „Ja.“ Pumuckls Gesicht wurde jetzt richtig feierlich. „Das finde ich - also das finde ich unheimlich heimlich, so viele Geheimnisse auf einmal! Da muss man ja flüstern!“ Der Kobold stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte: „Ich habe auch ein Geheimnis!“ und guckte drein, als hätte er einen Millionenschatz vergraben. „Was hast du denn für ein Geheimnis?“ Pumuckls Schatzgesicht wurde ratlos. „Das - das ist so geheim, dass ich es selbst nicht mal weiß“, meinte er betreten. Wo sollte er nur schnell ein Geheimnis hernehmen! Da fiel sein Blick auf die herumliegenden Holzklötzchen. „Wenn ich dir nun zu Weihnachten ein Stück Holz schenke, ist das dann ein Geheimnis? Oder wären das dann zu viele Geheimnisse, weil zu viele Hölzer hier herumliegen?“ - 29 -
„Wenn du es mir sagst, ist das schon kein Geheimnis mehr.“ „Schade“, sagte Pumuckl und begann nachzudenken, woher er ein Weihnachtsgeheimnis nehmen könne. Aber es fiel ihm nichts ein. Nach einiger Zeit meinte er: „Das mit den Geheimnissen kommt mir sehr schwierig vor. Aber wenn du sagst, dass alle Menschen eines haben, dann muss ich mir mal die Menschen näher anschauen. Das muss man doch merken, dass sie alle Geheimnisse haben - oder?“ „Doch - man merkt es schon. Man muss nur sehen, wie sie sich in die Geschäfte drängen und suchen und ...“ „Dann suche ich auch in Geschäften“, jubelte Pumuckl und schon rannte er hinaus. Draußen war es inzwischen dunkel geworden, der Straßenlärm klang gedämpft, weil der Schnee die Straßen schon zu polstern begann. Die Schaufenster waren hell erleuchtet, und die Menschen drängten sich tatsächlich in den Läden. Pumuckl hüpfte und sprang vor Vergnügen. Das war eine richtige Koboldsbeschäftigung, Geheimnisse zu entdecken. Zuerst schlüpfte er in den Bäckerladen. Er guckte sich nun die Kugeln ganz aus der Nähe an, tippte vorsichtig an eine glänzende rote Kugel und hätte fast gejauchzt, als sie zu schwingen begann und dabei die Lichter widerspiegelte. Er tippte noch an eine blaue und an eine grüne, und dann erst besann er sich, dass er hauptsächlich deswegen hier war, um etwas über die Weihnachtsgeheimnisse der Menschen zu erfahren. Pumuckl setzte sich neben einen Schokoladenikolaus und hörte zu, was die Leute redeten. Aber er hörte die Kunden nur Brot oder Mehl oder Kuchen verlangen. Sie fragten nach dem Preis, bezahlten - 30 -
und gingen. Gerade wollte der Pumuckl etwas enttäuscht wieder aus dem Laden schlüpfen, als er eine Frau sagen hörte: „Ich kann nicht genug Weihnachtsgebäck herbringen“, sagte sie, „mein Mann ebenso wie meine Jungens schlecken ständig heimlich. Natürlich glauben sie, dass ich das nicht merke!“ Die Frau lachte: „Ich lasse sie bei dem Glauben!“ Die Bäckersfrau sagte lächelnd: „Vor Weihnachten schmeckt's auch am besten!“ „Und heimlich schmeckt's doppelt so gut!“ ergänzte die Frau, und die anderen Kunden nickten dazu verständnisvoll. Pumuckl nickte begeistert mit. Das war ein Weihnachtsgeheimnis, das er voll und ganz verstand. Er überlegte, ob er nicht auch gleich mit dem Heimlichschlecken anfangen und eines der vielen Plätzchen, die hier herumlagen, anknabbern sollte. Da er aber nie Hunger spürte, wenn er unsichtbar war, ließ er es bleiben. Er wollte lieber noch in einen anderen Laden gehen und andere Weihnachtsgeheimnisse erforschen. Nicht weit von der Bäckerei entfernt war eine Parfümerie. Zwei ungefähr zwölfjährige Mädchen gingen gerade hinein. Das eine der beiden - Monika hieß es sagte zu der Verkäuferin: „Ich möchte etwas, in das man Parfüm reintun und dann dann damit das Parfüm verspritzen kann.“ „Ein Flakon? Da haben wir eines für 8 Mark und eines für 12 Mark und ...“ Die Verkäuferin hörte auf, Preise zu nennen, weil sie das bestürzte Gesicht Monikas sah. „Wie viel Geld hast du denn?“ „Nur fünf Mark.“ - 32 -
„Nein, so billig gibt's keine Flakons - soll es ein Weihnachtsgeschenk für die Mutti sein?“ „Ja - eine Überraschung.“ Monikas Gesicht war rot geworden. „Hm - da musst du dir schon etwas anderes ausdenken ...“ „Danke schön“, sagte Monika verlegen, und die beiden Mädchen verließen den Laden. Pumuckl hinterdrein. Weihnachtsgeschenke ausdenken, da war er einem richtigen Weihnachtsgeheimnis auf der Spur. Vor dem Laden sagte Monika zu ihrer Freundin Elfriede: „Das ist ja blöd, dass das so teuer ist. Was mache ich jetzt?“ „Musst ihr eben auch etwas Selbstgemachtes schenken. Ich hab was Tolles gebastelt: eine Schachtel mit Stoff überzogen, innen Fächer für die Nähseiden und dazu aus dem gleichen Stoff ein Nadelkissen. Süß sieht das aus! Die Mutti hat keine Ahnung!“ Monika überlegte. „Ob ich das auch mache? Zeigst du mir's?“ „Ja, komm mit! Kannst dir's bei mir anschauen.“ Nicht nur Monika kam mit, sondern auch der Pumuckl. Das Schachtelgeheimnis wollte er unbedingt sehen. Auf dem Weg zu Elfriedes Wohnung lernte er noch einiges über Weihnachtsgeschenke dazu. Elfriede erzählte: „Ich lass die Mutti immer raten. Ich hab gesagt, sie kriegt etwas für die Ordnung. Und da hat sie alles mögliche geraten, Abfalleimer, Küchenbesen, aber auf eine Nähschachtel ist sie nicht gekommen.“ „Auf das Flakon wäre meine Mutti auch nicht gekommen.“ „Ach, hör doch mit dem Flakon auf. Was Selbstgemachtes ist immer viel schöner. Unsere Lehrerin - 33 -
hat gesagt, bei einem Geschenk ist es das Wichtigste, das man spürt, dass man sich etwas gedacht hat. Und das spürt man am meisten, wenn man es mit Liebe selber macht.“ Pumuckl prägte sich jedes Wort ein. Er fand, dass die Menschen recht freundliche Sitten hätten. Elfriede zeigte Monika das Nähkästchen. Es war wirklich hübsch. Dem Pumuckl aber gefiel das Nadelkissen besonders. Es war rund wie ein kleiner Ball und außen herum hatte es eine Seidenschnur mit einer Schleife zum Aufhängen. Monika war sehr beeindruckt. Sie schaute es genau an und ließ sich von Elfriede einige Ratschläge geben, wie sie den Stoff um die Schachtel kleben musste, damit es schön gleichmäßig wird. Plötzlich schraken die beiden zusammen. Draußen war die Türe gegangen, und Elfriedes Mutter kam nach Hause. Schnell wurde das Geschenk unter die Couch geschoben, und als die Mutter hereinkam, taten die Mädchen so, als unterhielten sie sich über die Schule. Pumuckl war sehr zufrieden. Sobald er konnte, wischte er zur Türe hinaus und lief zum Meister Eder. „Ich weiß Geheimnisse, viiiele Geheimnisse!“ schrie er schon unter der Türe. „Alle Menschen haben Geheimnisse, wie du es gesagt hast. Ein Mann darf heimlich Plätzchen schlecken und ... und - am schönsten ist etwas, das man ausgedacht hat und mit Liebe gemacht hat.“ Pumuckl war sehr stolz, dass er sich das so gut gemerkt hatte. „Reimt sich auch noch“, stellte er beglückt fest. „Großartig“, sagte Meister Eder, „woher weißt du das alles?“ „Von Menschen und Kindern und Lehrerinnen“, sagte - 34 -
Pumuckl strahlend. „Nur eines verstehe ich nicht: Warum brauchen Nadeln ein Kissen? Können die denn schlafen?“ „Wie kommst du darauf?“ „Weil die Elfriede ein Nadelkissen gemacht hat.“ „Aber nein - die werden nur in das Kissen hineingesteckt.“ „Dann wird das Kissen ja zerstochen!“ „Dazu ist es aber da.“ „Wenn das Kissen für die Nadeln da ist, dann verstehe ich noch was nicht.“ „Was denn?“ „Dann ist das Kissen doch ein Geschenk für die Nadeln und nicht eines für die Mutter.“ „Aber Pumuckl, das ist doch so: Wenn ich einen Knopf annähen muss, dann brauche ich eine Nadel, aber oft finde ich nicht gleich die richtige. Wenn nun die Nadeln in einem Nadelkissen stecken, dann muss ich nicht suchen. Darum ist das Nadelkissen nicht nur für die Nadeln, sondern auch für die Mutter ein Geschenk.“ Pumuckl verstand. Voll Bewunderung sagte er: „Da hat die Elfriede aber toll gedacht und mit Liebe gemacht!“ Pumuckls Gesicht verfinsterte sich: „Oooh - ich möchte auch denken und mit Liebe schenken. Ich - ich habe immer noch kein Geheimnis.“ „Pumuckl, ehrlich gesagt, mir ist's lieber so. Wenn du zu denken anfängst, weiß man nie, was dabei herauskommt.“ Trotzdem fing Pumuckl noch am gleichen Abend an zu denken. Und erdachte das: „Kaufen kann ich nichts, weil ich kein Geld habe. Nadelkissen machen kann ich nicht, weil ich das eben - 35 -
nicht kann. Aber ich kann dem Meister Eder mein Kopfkissen für seine Nadeln schenken. Dann habe ich auch ein Geheimnis.“ Und dann dachte er weiter: „Mein Kopf muss dann aber hart liegen, so ganz ohne Kissen! Wenn ich nun meinem Kopf das Nadelkissen von der Elfriede schenke, dann ist das ein Geheimnis, das ich vor meinem Kopf habe.“ Pumuckl strahlte, er hatte dann schon zwei Geheimnisse! Doch er hörte mit Denken noch nicht auf: „Ich muss dazu nur der Elfriede das Nadelkissen heimlich wegnehmen. Das darf man an Weihnachten, wie der Mann auch heimlich Plätzchen stibitzen darf. Wenn Plätzchenstehlen ein Weihnachtsgeheimnis ist, dann ist Nadelkissenstehlen auch eines. Dann hab ich gleich drei Geheimnisse! Und alles ist so, wie Elfriedes Lehrerin gesagt hat: Viel gedacht und mit Liebe gemacht!“ Pumuckl war sehr stolz und froh, dass er so logisch denken konnte. In der Nacht, als Meister Eder schon fest schlief, ist Pumuckl dann hinausgeschlüpft und durch die nächtlichen Straßen gesaust und bei einem offenen Fenster von Elfriedes Wohnung hineingeklettert, hat das Nadelkissen, das immer noch in der Nähschachtel unter der Couch war, herausgeholt und ist damit glückselig heimgerannt. Das Nadelkissen versteckte er hinter einem Bretterstapel. Am nächsten Morgen empfing der Pumuckl den Meister Eder gleich mit einem Gedicht. Auf der Kante der Hobelbank sitzend, krähte er: „Ei, wer hätte das gedacht, hab ich für die Weihenacht ein Geheimnis und noch eines Meister Eder, der weiß keines!“ - 36 -
Dann sprang er von der Hobelbank herunter, hüpfte übermütig zwischen Hobelspänen herum und verkündete: „Ich habe drei Geheimnisse. Drei Stück Geheimnisse auf einmal! Aber ich sage nichts, kein Wort! Nein!“ „Erschreck mich nicht!“ „Du musst raten: Es ist etwas für die Ordnung!“ „Für die Ordnung?“ „Aber es ist kein Abfalleimer und kein Küchenbesen!“ Pumuckl hatte sehr gut aufgepasst „Ich verstehe nicht . . . ?“ „Aber ich verstehe es. Ich habe für dich ein Geschenk und ich habe für mich ein Geschenk und ich habe für die Na - “, Pumuckl schluckte gerade noch das Wort „Nadein“ hinunter und verbesserte schnell „für die Nanachtruhe was. Und was ich jetzt für die Nachtruhe habe, das bekommst du, juchhu!“ Pumuckl schlug vor Begeisterung einen Purzelbaum. „Sag mal, Pumuckl, bist du übergeschnappt?“ „Nein, ich bin nicht übergeschnappt, aber ich hab was geschnappt - alles klappt! Feiner Reim!“ Und beschwörend flüsterte er: „Reim für meine Weihnachtsgeheimnisse!“ Meister Eder wurde es etwas unbehaglich zumute. „Hoffentlich hast du nichts angestellt!“ „Man muss was anstellen, wenn man was herstellen und hinstellen will. Anders geht's nicht. Aber du wirst alles erfahren. Wann ist endlich Weihnachten?“ „Am vierundzwanzigsten. Aber - Pumuckl, willst du mir nicht doch etwas über deine Geheimnisse sagen?“ Pumuckl tanzte vor dem Bretterstapel herum, hinter dem er das Nadelkissen versteckt hatte. „Nein, ich sage nichts, denn ich habe mein Geheimnis - 37 -
versteckt!! Guuut versteckt!“ Da dem Meister Eder der Bretterstapel als Pumuckls liebstes Versteck bekannt war, ging er auf ihn zu, und tatsächlich schrie der Pumuckl auch gleich: „Halt! Halt! Nicht hier herkommen! Nicht!“ „Wenn ich doch ein Brett brauche!“ „Nein, du darfst eben kein Brett brauchen, weil ...weil ...” Da hatte Meister Eder schon das Nadelkissen entdeckt. Pumuckl jammerte: „Nicht! Nicht hinschauen! Das ist doch mein Geheimnis!!“ Meister Eder schaute doch. Er hob das Nadelkissen auf. Und es fiel ihm natürlich sofort die gestrige Unterhaltung über das Nadelkissen ein. „Sag mal - hast du dem Mädchen das Nadelkissen weggenommen?“ „Nicht genommen, sondern - sondern nur ein bisschen ausgeliehen!“ verteidigte sich Pumuckl. „Unsinn - was heißt da ,ausgeliehen'! Das ist gestohlen!“ Auf Eders Stirn erschien eine strenge Falte. Pumuckl aber fühlte sich trotzdem im Recht. „Das ist nicht gestohlen. Vor Weihnachten darf man was wegnehmen. Der Mann durfte auch Plätzchen wegnehmen!!“ „Das ist etwas anderes. Du trägst das augenblicklich zurück! Pumuckl, ich will kein Geschenk, das du gestohlen hast!“ „Aber das ist doch gar nicht für dich. Das ist für mich. Du bekommst für deine Nadeln ja mein Kopfkissen, und ich kriege für meinen Kopf dieses Kissen. Dann hast du etwas und ich habe auch etwas und ...“ plötzlich verzog sich Pumuckls Gesicht: „Oooh, jetzt habe ich mein Geheimnis gesagt! Oooh, mein Geheimnis ist jetzt kein - 38 -
Geheimnis mehr! Oooh! Und ich habe mich sooo gefreut! Und ich habe sooo fest gedacht!“ Zwei dicke Tränen kullerten aus Pumuckls Augen. Meister Eder tat der kleine Kerl leid. „Musst nicht weinen, Pumuckl. Ich verstehe, dass du das nicht böse, sondern nur lieb gemeint hast. Es freut mich auch, dass du mir unbedingt etwas schenken willst. Dein guter Wille genügt mir, und jetzt trägst du das Nadelkissen schön zurück. Schau, das hat die Elfriede doch für ihre Mutter und nicht für dich gemacht!“ Pumuckl schluckte. „Gut, ich trage es zurück. War ja bloß für meinen Kopf. Du kriegst nämlich für deine Nadeln mein schönes Kopfkissen. Ich - ich schlafe dann eben ohne Kissen. Aaarmer Pumuckl!“ „Aber Pumuckl, ich brauche doch kein Kissen für meine Nadeln. Ich kann sie auch in eine Zündholzschachtel tun.“ „Du hast gesagt, dass du die richtige Nadel nicht mehr suchen musst, wenn sie in einem Nadelkissen steckt.“ „Dann suche ich eben ein bisschen. Vielleicht suchst du in Zukunft immer für mich?“ Pumuckl schüttelte traurig den Kopf. „Ich finde ja doch nichts.“ Pumuckl trug das Nadelkissen zurück. Das war, jetzt am hellen Tag, nicht so einfach, denn ein Nadelkissen wird nun mal nicht unsichtbar. Wenn jemand aufgepasst hätte, dann hätte er gemerkt, dass ein Nadelkissen zur Toreinfahrt und von dort von Kellerfenster zu Kellerfenster sauste, sich immer wieder in dunkle Ecken drückte und dann in einem Fenster verschwand. Aber niemand hat es gesehen. Und weil die Straßen nass waren, hat auch keiner gesehen, dass ab und zu eine - 39 -
große Pumucklträne auf den Boden fiel. Endlich in Elfriedes Zimmer angekommen, schleppte der Pumuckl das Nadelkissen unter die Couch. Da stand immer noch die selbst gebastelte Schachtel. Vorsichtig hob der Pumuckl den Schachteldeckel und ließ das Nadelkissen hineinfallen. Dann machte er sich wieder auf den Heimweg. Als Elfriede die Schachtel wieder aus dem Versteck zog, merkte sie nichts davon, dass das Nadelkissen eine nächtliche Wanderung gemacht hatte, den kleinen Schmutzfleck, den es von einer Kellerfensterecke bekommen hatte, wischte sie ab, ohne sich darüber weiter Gedanken zu machen. Als der Pumuckl nach Hause trottete, und, weil er traurig war, nicht auf den Weg achtete, stolperte er über eine Zündholzschachtel. Er wollte ihr schon einen Tritt versetzen, da fiel ihm etwas ein: Hatte Meister Eder nicht gesagt, dass er die Nadeln auch in eine Schachtel tun könnte? Und hatte nicht auch Elfriede eine Schachtel mit Stoff überzogen, um daraus ein Geschenk zu machen? Der Pumuckl betrachtete die Zündholzschachtel nachdenklich. Sie war noch unversehrt, wenn man von ein wenig Straßenschmutz absah. Aber darüber kam ja Stoff! Pumuckls Trauer verflog auf der Stelle. Wenn er Meister Eder die Zündholzschachtel schenkte, dann konnte er sein Kopfkissen behalten, und er hatte trotzdem ein Geheimnis. Pumuckl sah sich vorsichtig um. Kein Mensch war in der Nähe! So kam es, dass jetzt nicht ein Nadelkissen, sondern eine Zündholzschachtel von Kellerfenster zu Kellerfenster sauste, dann in die Toreinfahrt einbog und in einer Schreinerwerkstatt verschwand. Der Kobold, diesmal noch fester - 40 -
entschlossen, sein Geheimnis nicht zu verraten, tat so, als wäre er noch ein wenig traurig, während er die Zündholzschachtel schnell in eine dunkle Ecke schubste. Meister Eder merkte nichts. Als sich der Schreiner nach dem Mittagessen niederlegte, war der richtige Augenblick für den Pumuckl gekommen. Er schlich zu Eders Wäscheschrank, zog ein wenig die Schublade auf und zerrte ein weißes Taschentuch heraus. Damit rannte er in die Werkstatt. Er hatte den Stoff, mit dem er die Zündholzschachtel bekleben wollte! Nur war das Taschentuch viel zu groß. Er fand eine Schere, die fast so groß war wie der Pumuckl selbst, und schleppte sie zum Taschentuch. Er wusste, wie Scheren schneiden, aber er brauchte beide Arme, um sie zu öffnen und dann wieder zusammenzudrücken. Es war eine schreckliche Arbeit für den kleinen Burschen, und er schnitt einfach irgendwo in das Taschentuch hinein. Das Stück, das er herunterschnipselte, war viel zu klein für die Zündholzschachtel. Und das restliche Stück war immer noch viel zu groß. Der Pumuckl war außer Atem vor Anstrengung. Sollte er noch mal mit dieser mühsamen Schneiderei anfangen? Mit schiefgelegtem Wuschelkopf betrachtete er Zündholzschachtel und Taschentuch. Da kam ihm eine Idee! „Ich pappe den Stoff einfach an einer Zündholzschachtelecke an, und dann kann man ihn so oft herumwickeln, wie man will. Gibt eben eine Wickelschachtel!“ entschied Pumuckl. „Wickelschachteln sind etwas sehr Schönes. Man kann dann die Nadeln in die Schachtel tun oder in den herumgewickelten Stoff stecken oder - oder ...“ und dann - 41 -
fiel ihm noch etwas Besseres ein: „Ich stecke das kleine Stück Taschentuch in die Schachtel hinein und das große wickele ich um die Schachtel herum, dann ist das kleine Tuch ein Nadelkissen und das andere eine Nadelkissenschachtel!“ Diese Lösung befriedigte den Pumuckl sehr. Er schleppte Zündholzschachtel und die Taschentuchteile zum Leimtopf und sang dazu vor sich hin: „Her mit dem Leim, geklebt muss es seim!“ Er rührte mit dem Leimpinsel in dem Topf herum. „Wenn meine Klabauterahnen ahnen würden, was für Geheimnisse der Pumuckl machen kann, dann würden sie mich zum Klabauterkönig ernennen!“ Er warf sich in die Brust und - ja, da war es geschehen: Nicht das Taschentuch - er selbst blieb am Topf hängen. Er pappte wie eine Fliege am Fliegenleim, und je mehr er zappelte, umso schlimmer wurde es. Er fing zu schreien an: „Weg von mir, du dummer Leimtopf, ich soll doch nicht an dir pappen, sondern das Taschentuch soll an der Schachtel pappen - verstehst du denn nicht?! Ich will weg, ich will nicht angepappt sein! Geh weg von mir, du dummerTopf!“ Aber genau das Gegenteil geschah. Der Kobold klebte nun schon mit beiden Ärmeln und der Hose fest. Er hüpfte hin und her, und der Topf hüpfte mit. Da wurde es dem Pumuckl angst und bang. „Hiiilfe! Hiiilfeee!“ Meister Eder kam in die Werkstatt. „Um Himmels willen, was ist denn los?!“ „Ich klebe am Topf und der Topf klebt an mir, und das Taschentuch klebt an meiner Hose und die Schachtel klebt an gar nichts!!“ jammerte der Pumuckl. Eder sah die Bescherung. - 43 -
„Ja zum Kuckuck, du weißt doch, dass du nicht an den Leimtopf hinkommen darfst! Wie du ausschaust!“ Pumuckl zappelte: „Mach mich doch los! Mach mich doch weg!“ „Wenn du nicht stillhältst, kann ich dich nicht losmachen!“ Da blieb Pumuckl wie ein Denkmal stehen. Meister Eder löste ihn vorsichtig vom Leimtopf ab. Kaum war der Kobold vom Leimtopf befreit, schimpfte er: „Pfui, pfui, pfui! War das dumm von dem Topf!“ Eder nahm das Taschentuch und wollte den Kobold damit abputzen. Aber da schrie der Pumuckl: „Nicht mit dem Tuch abwischen. Ich brauche es doch!“ Meister Eder sah es jetzt erst genauer an. Das war doch eines seiner Taschentücher, und zwar eines der besten! „Wer hat denn das zerschnitten?“ „Ich. War große Arbeit!“ Eder drehte und wendete das Tuch. „Ich verstehe nicht recht - das ist ja voller Leim und pappt überall.“ „Es pappt? Pappt es wirklich? Dann schnell auf die Schachtel kleben, ganz schnell, komm!“ Pumuckl zerrte Meister Eder am Hosenbein zur Zündholzschachtel. „Den Fetzen soll ich um die Zündholzschachtel kleben?“ „Ja, bitte schnell. Ich kann es nicht tun, weil ich sonst auch noch an der Schachtel pappen bleibe, und ich bin doch keine Nadel und - schnell, papp es an, schnell!!“ „Pumuckl, sag mir um Himmels willen, was soll das?“ Da verkündete Pumuckl mit Würde: „Das? Das ist mein Weihnachtsgeheimnis!“ „Dein - was?“ „Mein Weihnachtsgeheimnis. Kleb es mal schön da - 44 -
drauf, dann verrate ich's dir. Man kann doch wohl auch zu zweit ein Geheimnis vor dir haben - oder nicht?“ Eder verkniff sich das Lächeln. „Natürlich kann man das!“ er klebte das größere Taschentuchteil mit einer Ecke an die Schachtel. „Und jetzt?“ fragte er dann. „Jetzt ist das eine Schachtel für deine Nadeln. Und zwar eine, die du selbst mit Stoff überziehen kannst. Du musst nur das, was vom Taschentuch noch herunterhängt, herumwickeln. Eine Wickelschachtel, jawohl! Habe ich erfunden. Aber wenn es dir mehr Freude macht, dann wickle ich es für dich herum. Ich finde aber, dass es auch sehr praktisch ist, wenn du das Tuch herunterhängen lässt. Dann kannst du immer noch deine Nase hineinputzen. Fein, was?“ „Sehr fein!“ „Das kleine Stück Stoff musst du in die Schachtel rein tun als Nadelkissen. Da Nadeln ja nicht schlafen müssen, sondern bloß drinstecken, kann man sie auch in ein Tuch stecken - oder nicht?“ „Großartig!“ „Nicht wahr, viel gedacht und mit Liebe gemacht!“ Pumuckl strahlte. „Und vor allem: Mit viel Papp. Aber jetzt waschen wir dich von oben bis unten ab. Komm her.“ Er setzte den kleinen Pumuckl auf seine Hand. Pumuckl sah den Schreinermeister beschwörend an: „Aber vorher musst du mir versprechen, dass du mein Geheimnis niemandem weitersagst.“ „Niemandem“, erklärte Eder feierlich. „Und wenn ich wieder sauber bin, dann steckst du deine Nadeln in mein Geschenk, ja?“ - 45 -
„Klar.“ „Und dann musst du nie mehr suchen, und das ist ein sehr schönes Geschenk, ja?“ „Sehr schön. Vielleicht machen wir es mitsammen noch ein bisschen schöner, und dann legen wir es an Weihnachten unter den Christbaum.“ Der Pumuckl jauchzte so, dass er beinahe von Eders Hand gepurzelt wäre. „Ich bin seeehr zufrieden, du auch?“ fragte er, indem er sich gerade noch an Eders Daumen festhielt. „Ungeheuer zufrieden!“ murmelte Eder und trug den Kobold ins Badezimmer. Es war eine schwierige Arbeit, den Kobold wieder sauber zu kriegen. Aber es gelang. Und hinterher machte sich Meister Eder noch die Mühe und verschönte das Koboldsgeschenk gemeinsam mit dem Pumuckl. Und dabei waren die beiden sehr vergnügt. Am Weihnachtsabend lag dann die Wickelwackelnadelschachtel unter dem Christbaum. Und noch was lag da: Eders Weihnachtsgeheimnis! Er hatte für den kleinen Kobold eine richtige Schiffschaukel gebastelt, damit er sich ein wenig wie ein Klabautermann auf dem Meer vorkommen konnte. Pumuckl brachte vor Überraschung kein Wort heraus. Dazu die Christbaumkugeln, die um die Wette glänzten und die brennenden Kerzen widerspiegelten - der Pumuckl war so glücklich wie noch nie in seinem Koboldsleben. Meister Eder aber nahm die Zündholzschachtel in seine großen, verarbeiteten Hände und lächelte. Ihm war das Geschenk lieber als die Wagenladungen voll Geschenke, die sich zur gleichen Stunde wohl andere Menschen machten. - 47 -
Die geheimnisvolle Schaukel Pumuckls größtes Vergnügen war seine Schiffschaukel. Meister Eder hängte sie unter einem Wandschrank in der Werkstatt auf, und Pumuckl behauptete, denken und dichten und brav sein und lustig sein könne er nur, wenn er schaukelte. Lästig waren dem Pumuckl nur die Kunden, die zu Eder kamen. Nicht, weil jeder diese bunte entzückende Schiffschaukel bewunderte, sondern weil die meisten Menschen „mit den Fingern schauen“ müssen. Ab und zu kniff dann Pumuckl die Leute in die Finger, so, dass sie glaubten, sie hätten sich irgendwo gezwickt. Wo allerdings, das konnten sie nie herausbringen. Eines Tages kamen zwei Buben in die Werkstatt, Fritz und Karli, um sich ein Brett für eine Laubsägearbeit zu erbitten. Sie machten es wie alle Leute: Obwohl Meister Eder sagte, sie sollten die Schaukel nicht anrühren, gaben sie ihr doch einen Schubs, und Fritz wurde prompt gezwickt. Aber das verwunderte ihn weniger als das eigentümliche Verhalten der Schaukel: Sie schwang nach dem Schubs nur einmal hin und her und blieb dann stehen, als würde sie mitten im Schwung von unsichtbarer Hand angehalten. Was heißt „als würde“! Sie wurde angehalten, und zwar von dem ungehaltenen Pumuckl. Wenn jemand die Schaukel in Bewegung setzen durfte, dann nur er! „Herr Eder, warum bleibt die Schaukel mittendrin stehen?“ fragte Fritz. „Weil du mir nicht folgst und die Schaukel nicht in Ruhe lässt.“ - 48 -
„Aber eine Schaukel ist doch zum Schaukeln da, das kann ihr doch nichts schaden?“ „Der Schaukel schadet es weniger, aber dir vielleicht.“ „Wieso mir?“ „Weil du gezwickt wirst.“ Fritz und Karli wunderten sich noch mehr. „Ja, mich hat etwas gezwickt“, sagte Fritz. „Was soll denn da schon zwicken?“ sagte Karli und gab der Schaukel schnell auch einen Stoß. „Au“, rief er im gleichen Augenblick. „Hab ich's nicht gesagt?“ meinte Eder. „Hier, nehmt euer Brett und lasst die Schaukel in Ruh!“ Fritz nahm das Brett. „Wir rühren sie ja nicht mehr an, aber sagen Sie es uns doch bitte, was zwickt da?“ „Das kann ich euch schon sagen, aber ihr glaubt es ja doch nicht.“ „Natürlich glauben wir, was Sie uns sagen“, beteuerten die Buben. „Nun gut: In der Schaukel sitzt ein Kobold.“ Karli, der jüngere der beiden, machte große Augen. Aber Fritz lachte nur überlegen: „Das glauben Sie ja selbst nicht, Herr Eder!“ „Na, dann nicht. Trotzdem ist es die Wahrheit.“ „Das müssen Sie meiner Schwester erzählen, die ist vier Jahre alt, die glaubt so was. Ich bin zwölf!“ Fritz machte sein erwachsenstes Gesicht. Eder nickte: „Ja, das ist das Alter, wo man solche Dinge nicht mehr glaubt. Wenn du aber meine Erfahrungen hättest, würdest du es glauben.“ Karli warf einen unsicheren Blick von Eder auf die Schaukel, während Fritz überlegen die Schultern zuckte. Die Buben bezahlten das Brett und gingen. - 49 -
Als sie bei der Türe draußen waren, sagte Fritz: „Der Eder wollte uns schön verkohlen.“ „Er hat es aber ganz ernst gesagt.“ „Klar, so was muss man ernst sagen, sonst glaubt's ja nicht mal ein kleines Kind.“ „Er hat es aber so ernst gesagt, dass ich ein komisches Gefühl gekriegt hab“, beharrte Karli. „Du bist ja blöd! Was wetten wir, dass Eder nur Spaß gemacht hat? Ich schenk dir mein neues Taschenmesser, wenn in der Schaukel ein Kobold sitzt.“ Fritz war vollkommen sicher, dass für sein Taschenmesser keine Gefahr bestand. Karli wurde unsicher. „Ich glaub's ja auch nicht, aber irgendwas ist doch komisch mit der Schaukel. Wie die plötzlich stillgestanden hat und dann das Zwicken . ..“ „Ja, das war komisch. Aber sicher hat das nichts mit dem Kobold zu tun, sondern da ist irgendein Mechanismus drin - das ist alles.“ „Gibt es einen Mechanismus, der zwickt?“ „Ich weiß nicht - vielleicht war's ein kleiner elektrischer Schlag. Bei meiner Eisenbahn hab ich auch mal einen Schlag auf die Finger bekommen.“ „Und wenn doch ein Kobold - dann würde ich dein Taschenmesser bekommen?“ „Auf der Stelle!“ „Wollen wir Herrn Eder noch mal fragen?“ Karlis Angst vor Kobolden wurde durch die Vorstellung des Besitzes eines Taschenmessers überwunden. „Von mir aus: Fragen wir noch mal“, sagte Fritz. Die Buben gingen in die Werkstatt zurück. „Entschuldigen Sie, Herr Eder“, sagte Fritz, „aber ich hab mein Taschenmesser verwettet, dass in der Schaukel kein - 51 -
Kobold sitzt.“ Eder schaute von seiner Arbeit hoch: „So, dein Messer hast du verwettet? Ich glaube kaum, dass dir dein Vater ein Messer schenkt, damit du es leichtsinnig verwettest.“ „Aber das ist doch nicht leichtsinnig. Ich weiß doch sicher, dass es keine Kobolde gibt.“ „Tut mir leid, aber das Messer bist du los - es gibt einen. Pumuckl heißt er, wenn du's genau wissen willst.“ „Dann zeigen Sie uns doch den Pumuckl!“ sagte Fritz keck. Karli zog Fritz ängstlich am Ärmel und atmete hörbar auf, als Eder sagte: „Leider - zeigen kann ich ihn euch nicht.“ Fritz lachte auf: „Haha - da haben wir's schon! Sie schwindeln ja! Hab ich gleich gewusst!“ „Nichts hast du gewusst, überhaupt nichts!“ sagte Eder ernst. „Was ich nicht sehen kann, das glaub ich auch nicht!“ triumphierte Fritz weiter. „Ach, diese alten Sprüche“, seufzte Eder, „du kannst deinen Verstand ja auch nicht sehen und glaubst doch, dass du einen hast.“ „Aber Herr Eder, das ist doch was anderes: Mit dem Verstand kann ich denken, und das, was ich denke, kann ich sagen.“ „Und der Pumuckl kann etwas anstellen, und das was er anstellt, kann man sehen!“ „Dann lassen Sie ihn doch was anstellen.“ Eder überlegte. „Hm - ich weiß nicht, ob er mag.“ „Das ist wieder eine Ausrede! Karli - was sagst du?“ Karli sagte vorsichtshalber nichts. Eder aber wollte dem selbstsicheren Fritz doch ein wenig diese Selbstsicherheit - 52 -
nehmen. Darum sagte er: „Pumuckl, zeig's den beiden doch mal, wirf eine Nagelschachtel runter!“ „Nicht! Nicht!“ flüsterte Karli. Fritz gab Karli einen Stups. „Geh zu, da gibt's doch nichts zum Fürchten, Karli, die Nagelschachtel bleibt so gusseisern stehen wie der Eiffelturm!“ Sie blieb wirklich unverrückt an ihrem Platz. „Der Pumuckl mag nicht“, sagte Eder bedauernd. Da fing die Schaukel von allein zu schaukeln an. „Der Pumuckl schaukelt lieber!“ erklärte Eder. „Ui - und wie er schaukelt!“ rief Karli bestürzt. „Ach was, da hat eben jemand drangestoßen.“ Kaum hatte aber Fritz das ausgesprochen, hielt die Schaukel mit einem Ruck. „Da - sie steht wieder plötzlich!“ rief Karli, „obwohl wir weit weg stehen!“ „Unsinn - das ist ein Mechanismus!“ „Nein, das ist kein Mechanismus“, sagte Eder, nun ein wenig ärgerlich, „das war der Pumuckl. Du hast dein Messer verwettet - und ich hab jetzt keine Zeit mehr für euch. Verdrückt euch wieder.“ „Komm, Fritz, gehen wir!“ flüsterte Karli. „Ja, ich geh ja schon - aber hinter den Trick komm ich schon noch. Wiederschaun, Herr Eder, und ...“ „Und seien Sie uns nicht bös!“ ergänzte Karli. Die Kinder zogen ab. Kaum waren sie draußen, fing Pumuckl wild zu schaukeln an. „Dumme Kinder! Dumme Kinder! Ein Trick - pah! Der Pumuckl ist kein Trick, Trick hab ich dick!“ „Warum hast du denn die Nagelschachtel nicht heruntergeworfen? Wäre doch ein Spaß gewesen, diesen - 53 -
Großsprecher Fritz zu erschrecken!“ „Mag nicht auf Befehl. Mag nur, wenn ich mag. Mag jetzt!“ Und schon flog mit Gepolter die Nagelschachtel auf den Boden. „Zum Kuckuck - jetzt kann ich solche Späße auf keinen Fall brauchen!“ „Eben drum! Eben drum!“ Pumuckl hüpfte vergnügt von einem Bein aufs andere. „Räum die Nägel auf der Stelle wieder ein, Pumuckl!“ „Iiich?! Nein, das sollen die Kinder tun, wenn sie wiederkommen.“ „Die kommen nicht wieder.“ „O doch - ich spüre das. Die sind neugierig. Aber wenn sie wiederkommen, dann schaukle ich und schaukle und hör nicht mehr auf, und nichts steht still. Dann merken sie überhaupt nichts mehr davon, dass ein Pumuckl da ist.“ „Von mir aus!“ brummte Meister Eder und hob die Nägel auf. „Und du sagst auch nichts mehr vom Pumuckl. Du sagst, es war alles Spaß, dann sind wir sie los.“ „Du hast recht, die Buben sollen doch glauben oder nicht glauben, was sie wollen!“ Der Pumuckl hatte richtig „gespürt“. Obwohl Fritz sich sehr überlegen gefühlt hatte, ging ihm die Schaukel doch nicht aus dem Kopf. Zumindest wollte er hinter das technische Geheimnis kommen. Aber noch einmal in die Werkstatt gehen, das schien ihm etwas aufdringlich. Auch Karli streikte. Aber von außen durch das Werkstattfenster schauen, das durfte man wohl? Die Buben pirschten sich an die Werkstatt heran. Sie - 54 -
sahen die Schaukel. Sie schaukelte ohne anzuhalten, hin und her und hin und her, wie der Perpendikel einer Uhr. Nach einer Zeit aber hielt sie plötzlich still. Dann schaukelte sie wieder, und das alles, obwohl Eder an der Hobelbank hantierte und keinen Blick auf die Schaukel warf. Lange guckten sie zu. Dann hielt es Fritz nicht mehr aus. „Ich geh rein und frag ihn, ob er noch ein zweites solches Brett hat. Und dabei schleich ich mich unauffällig an die Schaukel ran.“ Karli konnte ja von draußen zuschauen, wenn er nicht mitkommen wollte! Gesagt, getan. Meister Eder schaute etwas ungehalten von seiner Arbeit hoch, als Fritz noch mal erschien. Fritz brachte sein Anliegen vor, und während Eder sich nach einem Brettchen umsah, machte sich Fritz an die Schaukel heran. Er versuchte, sie anzuhalten. Fast hätte er laut „au!“ geschrieen, so sehr wurde er gezwickt. Aber - die Schaukel schaukelte weiter! Noch mal versuchte Fritz, die Schaukel zu bremsen - wieder das gleiche. Pumuckl tat, was er sich vorgenommen hatte, er schaukelte wie wild. Da drehte Eder sich um und sagte: „Leider habe ich kein zweites Brett in der Stärke mehr!“ Er lächelte dabei etwas eigentümlich. Natürlich hatte er Fritz durchschaut und genau gewusst, dass das Brett nur eine Ausrede war. Es hatte ihn auch sehr erheitert, als er merkte, wie vorsichtig sich Fritz an die Schaukel schlich und wie er vergeblich ersuchte, sie anzuhalten. Als der Bub draußen war, sagte er zum Pumuckl: „Ich weiß nicht, ob es richtig war, dass du weitergeschaukelt hast - du wolltest doch, dass die Kinder nichts mehr merken und Ruhe geben sollten!“ - 55 -
„Ja, deshalb hab ich doch geschaukelt und sie nicht angehalten. Sie waren doch verwundert, weil ich vorhin die Schaukel angehalten hatte!“ „Aber Pumuckl, das ist doch unnatürlich. Wenn jemand eine Schaukel bremst, dann muss sie doch auch stehen bleiben!“ „Muss sie?“ „Natürlich. Jetzt ist es dem Fritz erst recht unheimlich geworden.“ „Und wie kriegt man ihn jetzt wieder heimlich?“ „Hm - das weiß ich nicht. Ist mir aber auch egal - ich habe Hunger, Pumuckl, komm wir sperren die Werkstatt zu und gehen essen.“ Pumuckl war damit sehr einverstanden. Eder sperrte die Werkstatt zu, und die beiden gingen hinauf in die Wohnung. Aber leider hatte Eder übersehen, dass er das Fenster nicht ganz geschlossen hatte. Es war nur angelehnt. Die beiden Buben waren von dem neuesten Verhalten der Schaukel ganz verwirrt und aufgeregt. Sie standen im Hof und berieten, als sie sahen, dass Eder absperrte und in die Wohnung ging. „Du - jetzt ist niemand in der Werkstatt!“ flüsterte Fritz. „Aber er hat doch abgesperrt!“ flüsterte Karli zurück. „Das Fenster ist offen. Da können wir einsteigen.“ „Nein - wenn wir erwischt werden !“ „Unsinn - wir wollen ja nichts stehlen, wir wollen doch nur hinter den Trick mit der Schaukel kommen. Das geht ganz schnell, glaub mir!“ Karli zögerte noch, aber Fritz war schon am Fenster und kletterte hinein. Er winkte Karli. „Komm, es ist ganz einfach!“. Karli folgte seinem Beispiel. - 56 -
Die Schaukel stand jetzt still. Nichts rührte sich. Vorsichtig schlichen die Buben hin. Sie schauten sich die Schiffschaukel von allen Seiten an: Nichts war zu entdecken, keine elektrische Schnur, kein Magnet, kein Anschluss an einen Draht oder sonst etwas. Vorsichtig gab Fritz der Schaukel einen Stoß. Nichts zwickte ihn. Das bunte Schiffchen schaukelte völlig normal und schwang auch aus, ohne Ruck oder plötzliches Bremsen. Karli wollte eben auch die Schaukel anstoßen, da kam er, ohne es zu merken, mit dem Fuß an ein Brett. Und weil das nur angelehnt gewesen war, fiel es polternd um. Karli schrie vor Schreck auf. Auch Fritz war erschrocken. „Hast du das umgeworfen?“ fragte er halblaut. „N-nein - es ist einfach umgefallen. Komm - gehen wir!“ Karli versuchte Fritz wegzuziehen. Aber Fritzens Forscherdrang war größer als alle Bedenken. „Lass mich doch richtig schauen, vielleicht entdecke ich doch noch irgendwas an der Schaukel!“ Wieder gab er ihr einen Stoß. Die Schaukel schaukelte wie sich's gehörte, aber diesmal war Fritz mit dem Fuß an eine leere Bierflasche gestoßen. Sie kullerte über den Boden, als hüpfte jemand davon. Fritz stand starr. „Was war das?“ Hätte Fritz ein gutes Gewissen gehabt, dann hätte er gemerkt, dass das nur eine Bierflasche war, so aber überlief ihn eine Gänsehaut, und er sagte: „Irgendwas stimmt hier wirklich nicht!“ „Aber die Schaukel zwickt nicht mehr, oder?“ wollte Karli wissen. „Nein, die ist jetzt ganz normal. Aber als Eder da war, hat sie gehalten, ohne dass sie jemand gebremst hat, und dann hat sie weitergeschaukelt, obwohl ich sie gebremst habe!“ - 57 -
„Vielleicht geht das nur, wenn Herr Eder da ist!“ „Aber der kann doch nicht hexen!“ „Warum nicht?“ Karlis Augen waren angstgeweitet: „Vielleicht ist er ein Hexer!“ In diesem Augenblick ging die Türe auf, und Eder stand wie aus dem Boden gewachsen vor den beiden Kindern. Karli schrie laut auf. „Habe ich euch also erwischt?!“ schimpfte Eder. „Bitte, bitte, verhexen Sie uns nicht!“ kreischte Karli. „Ich euch verhexen? Wenn ich das könnte, dann würde ich euch in zwei Bretter verwandeln und Mäuse draus schnitzen!“ „Bitte nicht!“ Karli war richtig bleich. Aber auch die Gesichtsfarbe Fritzens war nicht gerade rosig. „Also - warum seid ihr hereingestiegen?“ fragte Eder streng. „Ihr wisst genau, dass das ein schwerer Verstoß ist!“ „Wir - wir wollten bloß ...“ stotterte Karli. „... bloß die Schaukel anschauen“, ergänzte Fritz. „Wir - wir h-haben gedacht . . .“ fing Karli wieder an. „Gedacht habt ihr recht wenig, scheint mir. Aber weiter“, befahl Eder. „Ich hab doch mein Messer verwettet, dass - dass Sie keinen Kobold haben. Aber ...“ „Aber wenn Sie zaubern können, dann ...“ „Quatsch, ich kann nicht zaubern. Ihr seid imstande und erzählt allen Leuten, der alte Eder kann zaubern! Dabei ist alles ganz einfach. Aber das Einfache wollt ihr ja nicht glauben. Bitte - dann kann ich's euch auch kompliziert erklären, nur damit ich meine Ruhe hab. Es ist so: Meine Schaukel tut, was ich will“, dabei zwinkerte Eder in Richtung zur Schaukel, damit Pumuckl aufmerken sollte - 58 -
und ihm jetzt folgen. Der Pumuckl begriff das auch gleich. Und Eder kommandierte: „Schaukeln!“ Die Schaukel fing zu schwingen an. „Stillstehen!“ Die Schaukel stand still. „Schaukeln! - Stillstehen!“ „Es ist, wie wenn's jemand anstoßen und dann wieder festhalten würde“, flüsterte Fritz. „Aber wie geht das denn, Herr Eder?“ Eder machte ein Gesicht wie ein Universitätsprofessor. „Ganz einfach: Das geht über Wellen. Und zwar geht mein Befehl mit zwei Halbleiterkristallen und zwei unsichtbaren Elektroden über das Germanium mit mindestens zwei Zonen durch die Defektelektroden ins Indium. Dann wird die Gleichrichterwirkung in einen hohen Flussstrom gebracht zwischen Diffusion und Raumladung, und wenn dann der Sperrwiderstand den Kollektor durch die Defektelektronen anzieht, dann dann schaukelt es eben. Und wenn ich das Ganze umgekehrt mache, dann steht sie still. Verstanden?“ Fritz nickte hilflos. „So ist das also?“ „Genau so“, sagte Eder und verbiss sich mühsam das Lachen. „Und jetzt erzählt das euerm Lehrer, der kann es euch dann noch näher erklären - hoffe ich. Wenn ihr's mal richtig verstanden habt, dann baut euch selber so eine Schaukel, ja?“ Fritz nickte eifrig. „Dann ist es also kein Kobold, und ich kann mein Messer behalten?“ „Ja, behalte es. Und wenn ihr jetzt nicht auf der Stelle abhaut, dann nehme ich eine geringe Spannungsänderung am Detektor vor und jag euch durch den Kollektor - 59 -
zwischen sämtlichen Elektronen zur Türe hinaus.“ Das verstanden die beiden auf der Stelle - auch ohne Spannungsänderung an irgendwas. Sie liefen wie begossene Pudel davon. Eder schaute ihnen nach und lachte: „Und wie sie rennen! Was doch ein paar elektrische Sprüche ausmachen. Sagt man das Einfachste der Welt, nämlich dass ein Kobold da ist, dann glauben sie's nicht, macht man ihnen aber einen technischen Brimbori vor, dann kriegen sie Respekt. Was sagst du dazu, Pumuckl?“ Eder drehte sich um - sah aber keinen Pumuckl. „Pumuckl! Pumuckl! Wo bist du denn ?“ rief er. Da kam die Stimme des Kobolds ganz oben vom Ofenrohr herunter: „Da bin ich!“ „Ja, was tust du denn dort oben?“ „Mich fürchten.“ „Fürchten, wovor?“ „Vor den vielen Ohren! Defekt-or, Kollekt-or, Detekt-or wo hast du die denn alle ?“ „Erfunden, Pumuckl. Komm nur her. Alles ist völlig normal: deine Schaukel, du und ich. Setz dich nur wieder rein und schaukle weiter und erfinde auch was, wenn du magst.“ Pumuckl setzte sich vorsichtig in die Schaukel, über die Meister Eder so seltsame Dinge zu sagen wusste und fragte: „Was soll ich denn erfinden?“ Da lachte Eder: „Von mir aus ein Gedicht mit recht viel Ohren.“ Da begann Pumuckl zu schaukeln und dazu im Rhythmus zu singen:
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„Was haben die vielen Ohren bei uns hier drin -“ „Verloren!“ ergänzte Meister Eder. Und Pumuckl fuhr schaukelnd fort: „Wir sind auch nur geboren mit rechts und links zwei Ohren!“ „Stimmt nicht, Pumuckl, wir haben doch nur rechts und links je ein Ohr.“ „Aber du hast doch gesagt, ich soll ein Gedicht mit recht viel Ohren machen - jetzt sind dir schon vier Stück zuviel!“ Pumuckl schaukelte vor Empörung so hoch, dass die Schaukel an dem Brett, an dem sie hing, anstieß. Sie klopfte beim Vor- und Rückschwingen jedes Mal an das Regal. Wenn das erst die Buben gesehen hätten! Aber die kamen nicht wieder. Vielleicht zerbrechen sie sich heute noch den Kopf über den elektrisch-elektronischen Mechanismus der Schaukel - vielleicht aber hat ihnen ihr Lehrer auch etwas über Fernsteuerung erzählt. Das gibt's ja tatsächlich. Allerdings nicht beim Meister Eder - da wird die Schaukel nach wie vor vom Pumuckl höchstpersönlich gesteuert.
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Der Gartenzwerg Eine Folge aber hatte die Geschichte mit der Schaukel doch: Karli hatte zu Hause zwar verschwiegen, dass er mit Fritz heimlich in die Werkstatt gestiegen war, aber dass der Meister Eder ihnen weismachen wollte, er hätte einen Kobold in einer kleinen Schiffsschaukel, das hat er erzählt. Die Mutter, die den alten Schreiner gut leiden konnte, lachte über die Geschichte. Sie fand es nett vom Meister Eder, dass er sich für Kinder solche Märchen ausdachte. Als dann einmal im Milchladen die Rede auf den Schreinermeister kam, erzählte sie Frau Langenschmid, so hieß die Ladeninhaberin, das „Märchen“ vom Kobold in der Schaukel weiter. Die beiden Frauen waren sich darüber einig, dass Eder ein liebenswerter, versponnener alter Junggeselle sei. Es war inzwischen Frühling geworden, und Meister Eder hatte seine Geranienkästen vor das Fenster gestellt, als Frau Langenschmid zu dem Schreiner gehen musste, um sich einen Hängeschrank anfertigen zu lassen. Kaum hatte sie die Werkstatt betreten, sagte sie: „Ah - da ist ja die Schaukel! Reizend, wirklich reizend! Haben Sie immer noch ihren Kobold drin sitzen?“ Eder antwortete wahrheitsgemäß: „Nein, im Moment sitzt er nicht drin.“ Natürlich nahm Frau Langenschmid ihre Frage ebenso wie die Antwort als Scherz. Da fiel ihr Blick auf das kleine Pumucklbett, das Eder gleich zu Anfang seiner Bekanntschaft mit dem Kobold geschreinert hatte. „Ist das aber niedlich!“ rief sie aus. „Schläft da der Kobold drin?“ - 62 -
„Ja.“ „Sie sagen das, wie wenn Sie tatsächlich selbst dran glauben!“ „Was heißt da, glauben' - es ist so!“ Frau Langenschmid sah den Schreiner ein paar Sekunden prüfend an. „Ich verstehe Sie, Herr Eder“, sagte sie dann, „ich mag Spielsachen auch gern. Als ich noch einen Garten hatte, da hab ich immer Gartenzwerge aufgestellt. Die stehen heute noch auf dem Speicher. Schade, dass ich keinen Garten mehr hab - sind doch was Nettes, die Gartenzwerge!“ Eder nickte. Ihm war es gleichgültig, ob Frau Langenschmid glaubte, sein Pumuckl sei nur eine Art Gartenzwerg. Frau Langenschmid aber nahm das Nicken als Zustimmung für die gipsernen Zwerge. „Wissen Sie was, Herr Eder, ich schenke Ihnen einen für ihr Geranienfenster! Da passt er gut hin!“ Eder wehrte erschrocken ab: „Aber nein, Frau Langenschmid, vielen Dank! Ich - ich kann keinen Gartenzwerg bei mir aufstellen.“ „Warum denn nicht? Glauben Sie mir, alle Leute, die zu Ihnen kommen, werden Ihr Fenster bewundern!“ „Aber nein, wirklich ... vielen Dank!“ „Zieren Sie sich nicht, Herr Eder. Ich freue mich, wenn wenigstens einer von den putzigen Burschen wieder zu Ehren kommt!“ Das Verhängnis war nicht aufzuhalten. Frau Langenschmid holte den Gartenzwerg. Kaum war sie aus der Werkstattüre draußen, kam Pumuckl aus der Ecke geschossen: „Gartenzwerge! Gartenzwerge!“ Pumuckls Stimme - 63 -
schnappte über vor Verachtung. „Warum sagst du nicht, dass das dummes, albernes Zeug ist!?“ „Pumuckl, ich wollte ja ablehnen, aber du hast selbst gehört ...“ „Gartenzwerge vor dem Fenster!! Ich kann dann nie mehr hinausschauen, ohne den dummen Gartenzwerg zu sehen! Und du auch nicht! Und am Ende hältst du mich auch noch für einen Gartenzwerg!!“ „Frau Langenschmid will mir doch nur eine Freude machen!“ „Eine was machen?! Eine Freude?! Ein anständiger Schreiner lässt sich keine Freude machen mit etwas, das der Pumuckl nicht ausstehen kann. Das ist so, als würde man einem Menschen einen - einen ausgestopften Affen vor das Fenster stellen!“ „Aber Pumuckl!“ Pumuckl warf sich in die Brust, und seine Stimme bebte vor verletzter Würde: „Du vergisst, dass ich von dem ururalten Geschlecht der Klabautermänner abstamme, von vornehmen Kobolden, die das Geschick der Segelschiffe lenkten, die in Sturm und Wind, auf Meereswellen und Wogen - äh - gewogt haben, jawohl, während die Heinzelmännchen ein emsiges Landpack waren! Heinzelmännchen und Gartenzwerge, emsig, niedrig, untertänig ...“ Pumuckl musste Luft holen. „Jetzt hör aber auf! Gartenzwerge gibt es doch nicht in Wirklichkeit, das ist nur ein Spaß, den sich die Menschen machen.“ „Ein Spaß! Ein Spaß'„ Pumuckl raufte sich die Haare. Der Streit wurde von Frau Langenschmid unterbrochen. Sie brachte einen knallbunt angemalten Gartenzwerg, der - 64 -
einen Schubkarren vor sich herschob. „Ist er nicht lieb?“ sagte sie strahlend. „Ist doch schade, wenn er bei mir im Speicher verstaubt. Wie er freundlich lacht, nicht wahr?“ Sie sah Eder erwartungsvoll an. „Ja, ja - er lacht wirklich freundlich“, sagte Eder ausweichend. „Ich stelle ihn gleich vor ihr Fenster!“ Frau Langenschmid ging hinaus, betrachtete prüfend die Geranien und fand einen Platz für den Wicht. Genau in der Mitte des Fensters! „Lustig, nicht wahr?“ rief sie begeistert. „Sehr lustig“, fauchte Pumuckl halblaut. Nachdem Frau Langenschmid gegangen war, nahm sich Eder den Pumuckl vor. „Jetzt hör mal gut zu, Pumuckl. Dein Zorn ist überflüssig. Der Gartenzwerg tut niemandem etwas, weder dir noch mir. Er sitzt da und lacht freundlich, das ist alles!“ „Er lacht dumm! Und auf dem Kopf hat er eine Zipfelmütze! Was Dümmeres kann man gar nicht auf dem Kopf haben!“ höhnte Pumuckl. „Und was hat er denn unter dem Kopf?!“ „Unter dem Kopf?“ „Einen Bart! Wenn man so klein ist, hat man keinen Bart. Bärte sind - Bärte sind das Allerletzte, was man haben kann! Und dieser Bart sieht aus wie ein gefrorener Wasserfall!!“ „Na, wenn schon!“ „Ich glaube, der gefällt dir wirklich, der widerliche Zwerg! Ich weiß schon, du hättest lieber einen Gartenzwerg als einen Kobold, aber ich kann nichts dafür, dass ich ein Kobold bin und kein Gartenzwerg - 65 -
ich werde auch nie so geschleckt aussehen wie so ein blöder Wicht. Aber ich werde dafür auch nicht in Scherben gehen, jawohl, und der da draußen geht in Scherben, und zwar bald! So wahr ich Pumuckl heiße! Der Wicht zerbricht, schlicht, zerbricht, ist meine Pflicht.“ Pumuckl schlug wild um sich. Ein Herr kam über den Hof auf die Werkstatt zu. „Sei still“, sagte Eder schnell, „es kommt jemand!“ „Das ist gut! Wenn jemand kommt, muss er die Türe aufmachen, ich werde hinausspringen und - peng - wird der Gartenzwerg hinunterfallen.“ Ja, genauso würde es kommen, das war Eder klar. Was sollte er nur machen? Sein Blick fiel auf den Kasten. Wenn er Pumuckl da einfach einsperrte? Das war wohl das Beste. „Tut mir Leid, Pumuckl“, sagte er, „aber es muss sein!“ Er packte ihn mit einem schnellen Griff und sperrte ihn in den Kasten. Der Pumuckl platzte fast vor Zorn. „Ich werfe hier drinnen alles durcheinander, wenn du mich nicht herauslässt!“ schrie er drohend aus dem Kasten. Eder konnte nur noch „Sei bitte still!“ sagen, da öffnete sich auch schon die Werkstattüre. Es war Herr Winkler, der das Gestell für einen Polsterstuhl abholte. Er lobte Eder für die pünktliche und saubere Arbeit. Da hörte er ganz deutlich aus dem Schrank Stampfen und Poltern. „Was poltert denn da so in Ihrem Schrank?“ fragte Winkler verwundert. „Nichts, wirklich nichts“, beteuerte Eder. „Das klingt, als wäre ein Hund oder sonst ein Tier drinnen!“ „D-das klingt nur so“, stotterte Eder und schaltete schleunigst die Säge ein. Die lärmte so, dass man - 67 -
schreien musste, um sich zu verständigen. Herr Winkler schrie also: „Da ist jemand drin! Hören Sie denn das nicht?“ Eder tat, als hörte er weder Herrn Winkler noch das Poltern. Herr Winkler ging entschlossen zum Schrank. „Nicht öffnen!“ rief Eder - aber es war schon zu spät. Der Pumuckl war entwischt. Herr Winkler aber sah im Schrank außer einem Durcheinander - gar nichts. Eder stellte die Säge ab. „Zum Kuckuck, jetzt haben Sie ihn herausgelassen!!“ entfuhr es ihm. „Wen?“ „Den Pumuckl!“ „Sie irren, Herr Eder, es war niemand im Schrank. Entschuldigen Sie bitte meine Eigenmächtigkeit!“ „Jetzt ist er jedenfalls draußen. Und sobald Sie die Werkstattüre öffnen, ist's passiert.“ „Aber was denn, um Himmels willen?“ „Ach - nichts.“ Herr Winkler sah den Schreiner an, wie man jemanden ansieht, an dessen Verstand man zweifelt. Stillschweigend nahm er das Stuhlgestell und bezahlte. Doch kaum hatte er die Türe geöffnet, knallte es neben ihm, dass er den Stuhl vor Schreck fallen ließ. Die Scherben eines Gartenzwerges lagen zu seinen Füßen. „Hab ich jetzt mit dem Stuhl den Gartenzwerg heruntergeworfen?“ fragte er. Eder nickte wissend. „Hab ich's nicht gesagt - jetzt ist er hin!“ „Selbstverständlich ersetze ich den Gartenzwerg!“ „Nein, um Himmels willen nicht! Sie können nichts dafür, jedenfalls im Augenblick nicht!“ - 68 -
„Herr Eder, ich verstehe das alles nicht.“ „Ich glaube, es ist am besten, Sie vergessen das alles, Herr Winkler. Seien Sie mir nicht böse. Lassen Sie das nur liegen - ich kehre es schon zusammen!“ Herr Winkler konnte nichts weiter tun als gehen. Aber er schüttelte auf dem Nachhauseweg immer wieder nachdenklich den Kopf. Eder holte Besen und Schaufel. In der Werkstatt sprang ein glücklicher, vergnügter Pumuckl hin und her und sang dazu übermütig: „Pumuckl ist voll des Glücks, der Zwerg ist jetzt in tausend Stücks!“ Dann kicherte er: „Schönes Gedicht, das Gedicht eines Siegers über einen Gartenzwerg! Sag sofort, dass das Gedicht schön ist!“ „Ich sage gar nichts. Ich kehre jetzt die Scherben zusammen.“ Meister Eder ging hinaus. Pumuckl sauste eifrig hinterdrein. „Der liebe, ordentliche Pumuckl hilft dir mit Vergnügen! Du stellst die Schaufel hin und ich schiebe einen Scherben hinauf.“ Pumuckl schob einen Scherben vor sich her. „Seeehr schöne Scherben, so bunt, nicht wahr? Gartenzwergscherben liebe ich ganz besonders.“ „Gib Obacht, sonst kehre ich dich mit auf die Schaufel.“ Eder schwang energisch den Besen. „Halt, nicht den Schubkarren wegkehren! Der ist noch ganz! Der ist aus Holz und hat richtige Räder. Da kann sich ja der Pumuckl hineinsetzen! Und du kannst mich schieben!“ Pumuckl zwängte sich hinein. „Schieb mal!“ „Ich bin doch nicht verrückt! Zuerst ärgerst du mich, - 69 -
dann soll ich dich auch noch schieben!“ Pumuckl kletterte wieder heraus. „Das sehe ich ein“, meinte er friedfertig, „bis du dich ausgeärgert hast, werde ich den Schubkarren selbst schieben. Oder-“ Pumuckl überlegte - „ich tu ein Stück Gartenzwerg hinein und schieb das dann auf deine Schaufel.“ „Noch umständlicher geht's wohl nicht?“ „Nein, umständlicher geht's nicht“, bestätigte Pumuckl und lud ein Stück Gartenzwerg auf. Dann schob er den Schubkarren zur Schaufel. Eder schaute den karrenschiebenden Pumuckl an. „Weißt du, wie du jetzt aussiehst! - Genau wie ein Gartenzwerg mit Schubkarren!“ Pumuckl ließ den Schubkarren fallen, als hätte ihn eine Schlange gebissen und sprang so hoch, dass er beinahe in den Geranien gelandet wäre. Dann stob er in die Werkstatt. Am nächsten Tag kam Frau Langenschmid vorbei. Sie war recht erstaunt, als sie nirgends ihren Gartenzwerg entdeckte. Sie fragte Eder, wo der Zwerg denn hingekommen sei. Eder erzählte ihr, dass ihn - leider ein Kunde mit dem Stuhlfuß heruntergestoßen hätte und erbot sich, den Zwerg zu ersetzen. Frau Langenschmid aber wehrte ab. „Ach Unsinn, ersetzen! Der hat ja doch nur auf meinem Speicher herumgestanden. Ich hab ja noch einen. Wissen Sie was - wir setzen eben den zweiten jetzt in die Geranien. Er hat zwar keinen so schönen Schubkarren, aber dafür eine Angel.“ Obwohl Eder eindringlich versicherte, dass er das nicht annehmen könne und dürfe - es half nichts, Frau Langenschmid ging weg, um den Gartenzwerg mit der - 71 -
Angel zu holen. Pumuckl starrte ihr nach. „Sag mal, hab ich da recht und ganz richtig mit meinen zwei links und rechts angewachsenen Ohren gehört?! Bringt die Frau wirklich einen neuen?“ „Ja, wirklich“, seufzte Eder. Da warf der Pumuckl vor Zorn alles Werkzeug, das er finden konnte, auf den Boden und tobte dabei: „Gartenzwerge! Gartenzwergeberge! Gartenzwergescherbenberge! Lauter Scherbenberge macht der Pumuckl aus Gartenzwerge! Jawohl! Jawohl! Jawohl!!!“ Und dann brachte Frau Langenschmid den Gartenzwerg mit der Angel! Als sie gegangen war, hielt Eder dem Pumuckl eine Rede: „Also, Pumuckl, hör mal gut zu: Man kann nicht immer alles, was einem nicht passt, kaputtmachen. Wo kämen wir da hin? Und man kann auch nicht zu jemandem, der einem eine Freude machen will, sagen: ‚Bleib mir mit deiner Freudemacherei vom Hals.’ Es ist eben mal so, dass dem einen etwas gefällt, was dem anderen überhaupt nicht gefällt. Man muss jeden auf seine Art selig werden lassen.“ „Bist du mit dem Gartenzwerg auf deine Art selig?“ „Nein, aber ...“ „Bin ich auf meine Art selig?“ „Nein, aber die Frau Langenschmid.“ „Gehören die Geranien dir oder Frau Langenschmid?“ „Natürlich mir, aber ...“ „Wen hast du lieber: Frau Langenschmid oder mich?“ „Nun, dich, aber . . .“ „Was ist dir lieber: ob Frau Langenschmid gekränkt wird oder ich?“ „Was heißt da, ‚kränken’? Ich will dich keineswegs - 72 -
kränken, aber ...“ „Genug mit der Aberei! Wenn alles so ist, wie du sagst, dann kann ich den Gartenzwerg hinunterwerfen.“ „Nein, das kannst du nicht! Ich werde den Gartenzwerg festbinden. Basta!“ „Ich werfe ihn hinunter, während du ihn anbindest.“ „Irrtum!“ sagte Eder ruhig, griff sich den Pumuckl und nahm ein Stück Schnur. „Ich werde zuerst dich anbinden!“ Pumuckl schrie wie am Spieß und zappelte wie eine gefangene Katze, aber es nützte ihm nichts. Meister Eder band ihn am Schraubstock fest. Oh, war das eine Kränkung für den Kobold! Er kratzte, spuckte, fauchte. Eder aber ging hinaus und stellte den Gartenzwerg zwischen die Geranien. Dann schlug er einen Nagel in den Fensterrahmen, befestigte daran auch eine Schnur und dann - ja, dann blieb er mit dem Ärmel an der Angel hängen. Es tat einen Knall - und der Gartenzwerg lag in tausend Scherben auf dem Boden. Vom Meister Eder selbst heruntergeworfen ! Der Schreinermeister war starr vor Schreck. Aus der Werkstatt tönte hoffnungsvoll Pumuckls Stimme. „War das, was jetzt heruntergefallen ist, der Gartenzwerg?“ „Ja, ich selbst bin ...“ Pumuckls Triumph war grenzenlos. „Jetzt schimpf dich mal selber! Aber binde mich vorher los! Ich verzeihe dir großmütig, dass du mich angebunden hast, weil du den Gartenzwerg kaputtgemacht hast!“ Eder band den Kobold los. Der sprang in seine Schaukel und schaukelte vor Freude wild hin und her und jubelte - 73 -
dazu: „Zwischen den Geranien hier und auch in Spanien fallt - du wirst's kaum ahnien jeder Zwerg hinanien!“ Eder holte wieder Besen und Schaufel. Herablassend meinte Pumuckl: „Die Angel kannst du mir schenken. Angeln sind praktisch, weil ich mich dann nie mehr bücken muss, um etwas aufzuheben. Ich werde in Zukunft alles nur noch heraufangeln!“ Meister Eder kehrte zusammen und warf die Scherben zu den anderen in eine Aschentonne. Eben wollte er in die Werkstatt zurückgehen, da sah er Herrn Winkler in den Hof kommen. Er trug ein großes Paket unter dem Arm. „Herr Eder“, sagte Herr Winkler, „die Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf. Ich möchte Ihnen doch den Gartenzwerg ersetzen. Ich habe zwar keinen mit einem Schubkarren bekommen, aber dafür mit einer Laterne und ich hoffe - -“ Aus der Werkstatt kam ein schauerlicher Schrei. „Was war das?!“ Herr Winkler hätte vor Schreck fast das Paket fallen lassen. „Das, das war- das muss aus dem Vorderhaus gekommen sein. Da wohnen Kinder, die schreien immer so“, schwindelte Meister Eder. Winkler sah den Schreiner sonderbar an. „Es ging mir durch Mark und Bein.“ „Mir auch, glauben Sie, mir auch!“ sagte Eder, und das war nicht geschwindelt. Herrn Winklers Blick fiel auf die Schnur, die noch an dem Nagel baumelte. „Mit der Schnur können wir ja diesmal meinen Gartenzwerg festbinden. Dann können - 74 -
ungeschickte Kunden wie ich nichts mehr kaputtmachen.“ Dabei nahm er den Gartenzwerg aus der Verpackung. „Binden wir ihn doch gleich fest.“ So kam es, dass nun der Gartenzwerg mit der kleinen Laterne festgebunden war, noch ehe der Pumuckl etwas dagegen tun konnte. Der gute Mann ging sehr zufrieden und mit gutem Gewissen nach Hause. Meister Eder und der Pumuckl aber standen in der Werkstatt und schauten schweigend auf den Zwerg. Von Zeit zu Zeit schüttelte Eder den Kopf, und von Zeit zu Zeit seufzte der Pumuckl. Es war einfach zu viel! Selbst für den Zorn des Kobolds war es zuviel. Nachdem er genug geseufzt hatte, meinte der Pumuckl versonnen: „In der Laterne ist eine richtige kleine Birne. Ob die brennt?“ „Sicher kann man das Laternchen an eine Batterie anschließen.“ „Dann würde nachts die Laterne die Geranienblätter beleuchten?“ „Und den Gartenzwerg.“ „Dann sieht man den Zwerg auch noch nachts?“ „Auch noch nachts.“ Beide schwiegen und stellten sich das Ganze beleuchtet vor. Pumuckl fuhr sich nachdenklich durch seine Wuschelhaare. „Hast du eine Batterie?“ „Sicher. In der Taschenlampe.“ „Das Licht kann man doch auch wieder auslöschen - oder nicht?“ „Natürlich kann man das.“ „Dann können wir's ja mal ausprobieren, wenn es dunkel ist.“ - 75 -
„Wenn du meinst?“ sagte Eder. Dann sprachen beide nicht mehr über Gartenzwerge. Als es dämmerte, erinnerte der Pumuckl den Meister Eder an die Laterne. Eder kramte die Taschenlampe aus der Schublade, entnahm ihr die Batterie und schloss sie an die kleine Laterne an. Sie brannte tatsächlich. Das kleine Licht sah hübsch aus zwischen den Blättern der Geranien. „Sieht aus wie Sommernacht und Leuchtkäfer“, stellte Pumuckl fest und fügte hinzu: „Ich mag Sommernacht und Leuchtkäfer.“ „So?“ „Ich möchte mich unter die Laterne setzen. Mitten ins Leuchtkäfersommerlicht.“ „Und dann willst du den Zwerg herunterwerfen!“ „Erstens ist er festgebunden, und zweitens“ - Pumuckl sprang auf das Fensterbrett und setzte sich so, dass der Gartenzwerg die Laterne direkt über seinen Kopf hielt. „Und zweitens?“ Pumuckl lehnte sich an den Zwerg. „Und zweitens sehe ich ihn so gar nicht. Nur sein roter und grüner Lack glitzert. Und der glitzert mir angenehm.“ Es war ein seltsames Bild: ein echter Kobold saß unter einem unechten Gartenzwerg und drumherum die fast geheimnisvoll beleuchteten Geranienblätter. „Nett von ihm, dass er für mich die Laterne hält. Ich werde ihn nicht kaputtmachen.“ „Nun, dann war das Geschenk von Herrn Winkler doch nicht so schrecklich, wie wir dachten. Ende gut, alles gut!“ Meister Eder war ausgesprochen erleichtert. „Dann kann ich dich jetzt mit dem Gartenzwerg allein lassen und das Abendessen richten?“ - 76 -
„Ja, das kannst du. Meister Eder richtet, Pumuckl dichtet!“ Es war dem Kobold sehr poetisch zumute. „Ich glaube, das ist der einzige Gartenzwerg der Welt, den ich leiden kann! Ich finde zwar die Zipfelmütze immer noch dumm, aber der Bart - nun, der Bart steht ihm recht gut.“ Meister Eder ging in die Wohnung hinauf und Pumuckl saß glücklicher, als er zugeben wollte, zu Füßen des Gartenzwerges. So wäre alles gut gewesen, wenn man nicht das Leuchten der Laterne bis zum Vorderhaus gesehen hätte. Und dort spielte Lothar gerade mit seinem Freund Klaus auf dem Balkon. „Ui, schau, was dort ist“, sagte Klaus, und deutete auf die Werkstatt. „Schön - du, gehen wir doch runter und schauen wir, was da leuchtet!“ schlug Lothar vor. Die Buben liefen hinunter. Sie waren begeistert. „Ob das an einer Batterie angeschlossen ist?“ wollte Lothar wissen. Die beiden Buben waren nicht groß genug, um das Werkstattfenster richtig sehen zu können. Aber dem konnte man abhelfen, wenn der eine den anderen hochhob. Klaus, der Stärkere, hob Lothar hoch. Lothar drehte den Gartenzwerg um, um die Batterie ganz genau sehen zu können, da verließ Klaus die Kraft. Er ließ los, und Lothar plumpste einfach herunter. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn Lothar dabei den Gartenzwerg losgelassen hätte. So aber zog er ihn mit. Die Schnur riss und der Zwerg fiel auf den Boden. Er zersprang wie seine Vorgänger in tausend Scherben. Die Laterne war erloschen. Die Buben sahen sich erschrocken an. Dann rannten sie, - 77 -
wie von tausend Teufeln gejagt, davon. Meister Eder, der den Krach des zersplitternden Gartenzwerges gehört hatte, kam herunter. „Hast du ihn doch wieder kaputtgemacht?!“ Da sah er den Kobold wie ein Häuflein Elend zwischen den Geranien sitzen. „Es war der erste und der einzige Zwerg der Welt den ich leiden mochte“, schluchzte der Kobold, „ich mochte sogar seine Zipfelmütze, auch wenn ich es nicht gesagt habe und jetzt, jetzt ... Zwei Buben waren da und - ooh, warum habe ich sie bloß nicht gepiekt und gezwickt! Ich dachte, sie wollten ihn nur anschauen und dann ...“ Meister Eder erinnerte sich jetzt auch, Kinderstimmen und Schritte gehört zu haben. „Pumuckl - du weinst ja wegen dem Gartenzwerg?!“ „Man darf doch nicht einfach meinen Gartenzwerg runterwerfen!“ „So? Aber du hast heut doch selbst - -“ „Das war etwas anderes: Den mochte ich nicht leiden.“ „Aber die Frau Langenschmid mochte ihn - das war dir aber egal. Nur, wenn du was leiden kannst, dann darf das niemand kaputtmachen?“ „Ist ja auch was anderes!“ „Ist gar nichts anderes.“ Eder bückte sich nach den Scherben. Dabei stieß er an die Laterne und plötzlich leuchtete sie auf. Es war nur der Kontakt ein wenig verrutscht gewesen. Mit einem freudigen Aufschrei sprang Pumuckl mitten unter die Scherben. „Meine Laterne! Meine Laterne!“ rief er glücklich. Er hielt sie hoch und beleuchtete die Scherben, die bunt im Licht glitzerten. „Kannst du die nicht wieder zusammenleimen? Du hast doch einen - 78 -
Leimtopf!“ fragte er hoffnungsvoll. „Hm - wir können es ja versuchen. Wenn du mir hilfst dabei?!“ Pumuckl half. Den ganzen Abend klebten die beiden den Gartenzwerg zusammen. Pumuckl hielt jede Scherbe so lange fest, bis sie richtig klebte. Es war eine mühselige Arbeit. Am Schluss konnte der Zwerg tatsächlich wieder die Laterne halten. Aber sie stellten ihn nicht mehr zwischen die Geranien, das schien dem Pumuckl viel zu gefährlich. Der Gartenzwerg bekam seinen Platz auf einer kleinen Kommode, die in einer dunkleren Ecke des Zimmers stand. „Damit ihn nicht jeder gleich sieht“, meinte Meister Eder. „Und ihn keiner hinunterwerfen kann“, ergänzte Pumuckl. Er zündete das Laternchen an. „Außerdem leuchtet das Licht aus einer dunklen Ecke viel schöner.“ Was sie zu Frau Langenschmid sagen würden, wenn sie wiederkam? Die Wahrheit natürlich. Nämlich, dass der Gartenzwerg hochgeehrt oben in der Wohnung steht. Welcher? Nun ja, das würde sie nicht fragen, denn sie konnte doch nicht wissen, dass es drei von der Sorte gegeben hatte.
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Pumuckl und der Geburtstag Ein Geburtstag ist eine feine Sache: Man lässt es sich gut gehen, man bekommt etwas geschenkt, und dass man ein Jahr älter wird - nun, das nimmt man in Kauf, Hauptsache, man hat überhaupt einen Geburtstag. Lacht nicht, es gibt nämlich jemanden, der keinen Geburtstag hat, beziehungsweise hatte: der Pumuckl. Warum? Ganz einfach: Niemand weiß, wann und wo Kobolde geboren werden, in kein Tauf- oder Geburtsregister der Welt ist jemals ein Kobold eingetragen worden. Nun, normalerweise stört das Kobolde überhaupt nicht, auch den Pumuckl hätte es nicht weiter gestört, wenn nicht an einem Samstagmorgen der Postbote ein Paket gebracht hätte. Meister Eder nahm es in Empfang, schnupperte daran und sagte dann: „Meine gute Schwester Anni! Nie vergisst sie meinen Geburtstag. Pünktlich schickt sie jedes Jahr meinen Lieblingskuchen!“ Er gab dem Postboten ein so reichliches Trinkgeld, dass der gute Mann dem Meister Eder ein besonders langes und besonders glückliches Leben wünschte. Vergnügt summend ging Eder in die Wohnung zurück. „Wird erst morgen am Geburtstag geöffnet!“ verkündete er. Der Pumuckl hüpfte auf den Tisch und schnupperte ebenfalls an dem Paket. Er hörte gar nicht mehr auf zu schnuppern, so gut roch es aus dem Papier. „Gleich aufmachen!“ rief er. „Gleich essen!“ „Nichts da! Ein Geburtstagskuchen schmeckt erst am Geburtstag!“ - 80 -
„Eben darum müssen wir ihn heute schon probieren. Sonst wissen wir nicht, ob er uns auch morgen schmeckt!“ „Keine Sorge, ich kenne die Kuchen meiner Schwester.“ „Aber ich doch nicht!“ Der Pumuckl versuchte, mit einem Finger ein Loch in das Packpapier zu bohren. Meister Eder nahm das Paket weg und sperrte es in den Küchenkasten. „Morgen erst!“ maulte der Pumuckl. „Bloß weil du morgen Geburtstag hast! Menschen sind sehr komisch!“ „Möglich!“ gab Meister Eder zu. „Wir haben nun mal gern Tage, auf die wir uns aus irgendeinem Grund freuen.“ „Und wenn ich mich auf heute gefreut habe, weil“ - der Pumuckl dachte ein bisschen nach und verkündete dann strahlend - „weil heute mein Geburtstag ist?“ Meister Eder schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Kobolde haben keine Geburtstage.“ „Andere Kobolde! Aber ich habe trotzdem einen, weil ich ...“ Beim besten Willen fiel dem Pumuckl nicht ein, warum er einen Geburtstag haben sollte. Etwas kleinlaut fügte er hinzu: „Was muss man denn tun, damit man einen Geburtstag bekommt?“ „Nichts weiter. Man muss nur ganz genau den Tag wissen, an dem man auf die Welt gekommen ist, und auch den Ort. Der Geburtstag ist nämlich ein Gedenktag, den man jedes Jahr feiert. Da ist man dann immer um ein Jahr älter geworden.“ Da ging ein Leuchten über das Gesicht des kleinen Kobolds. Wenn das alles war! „Gut, dann weiß ich es eben ganz genau: Mein Geburtstag war heute vor siebzigunddreizehn Jahren, und - 81 -
der Ort war ein Segelschiff. Ein riesiges Segelschiff. Und es war gerade ein großer, großer Sturm -huiii!“ Der Pumuckl pfiff und heulte wie ein mittlerer Orkan, und dann fantasierte er weiter: „Ja, und der Sturm war so gewaltig, dass ich aus lauter Angst auf die Welt gekommen bin.“ Der kleine Kobold war sehr zufrieden mit seiner „genauen“ Geschichte. Meister Eder lächelte. „Aber Pumuckl, man kann nicht aus Angst auf die Welt kommen.“ „Doch, Kobolde können das!“ behauptete der Pumuckl schlicht. „Ja, wenn es so ist ...“ Meister Eder versuchte sein Schmunzeln zu verbergen, „dann hast du sicher einen Geburtstag.“ Der Pumuckl wollte schon triumphieren, aber Meister Eder fuhr fort: „Die Sache hat nur einen Haken: Da Kobolde nicht bis zehn zählen können - von Rechnen ganz zu schweigen -, können auch die siebzigunddreizehn Jahre nicht stimmen.“ Oh, Meister Eder hatte Recht, das mit dem Zählen ging einfach nicht in den kleinen Koboldskopf. Dem Pumuckl fiel darauf keine Entgegnung ein. Er schaute recht betreten. In Meister Eders Augen blinkte es verdächtig, als er ernsthaft fortfuhr: „Menschen können rechnen, ich kann es sogar sehr gut. Und wenn ich genau nachrechne“ - Meister Eder legte die Stirn in Falten, als würde er die Fertigstellung von zwanzig Kleiderschränken ausrechnen -, „dann bringe ich siebzig-undvierzehn Jahre und einen Tag heraus. Du hast morgen Geburtstag, am gleichen Tag wie ich. Und darum essen wir den Kuchen erst morgen!“ triumphierte nun der Schreinermeister. Der Pumuckl kratzte sich hinter seinem großen rechten - 82 -
Ohr. War es nicht vielleicht doch besser, morgen Geburtstag zu haben als überhaupt keinen? „Was tut man denn an einem Geburtstag?“ fragte er vorsichtshalber. „Isst man den ganzen Tag Kuchen?“ „Nun, man ist auch sonst vergnügt und lässt es sich gut gehen.“ „Och, nur einfach so vergnügt sein, ist ja langweilig!“ Der Pumuckl war etwas enttäuscht. „Darf man sich am Geburtstag etwas wünschen, so wie an Weihnachten?“ „Eine Kleinigkeit schon.“ Pumuckls Augen leuchteten auf. „Dann wünsche ich mir zu meinem Geburtstag eine Kleinigkeit Wurst und eine Kleinigkeit Kuchen und eine Kleinigkeit Schokolade und eine Kleinigkeit Bier.“ „Gut, genehmigt“, schmunzelte Eder, „hoffentlich bekommt es dir.“ Der Pumuckl freute sich riesig, auch einen Geburtstag zu haben. Er hüpfte aufgeregt hin und her und erklärte: „Ich werde morgen nicht nur um ein Jahr, sondern gleich um viele Jahre älter als du! Und für jedes Jahr bekomme ich ein Stück Kuchen mehr. Ich muss gleich nach dem Aufwachen mit Kuchenessen anfangen!“ „Nein, nach dem Aufwachen müssen wir uns zuerst gratulieren“, korrigierte Eder. „Und wie macht man das?“ „Man sagt: ‚Ich wünsche dir zum Geburtstag, dass du gesund bleibst und recht lange lebst.’ ” „Wünscht man sich denn an Nichtgeburtstagen, dass man Schnupfen kriegt und nur kurz lebt?“ wunderte sich der Pumuckl. „An Geburtstagen spricht man es eben aus.“ Das fand der kleine Kobold zwar ziemlich überflüssig, - 83 -
aber er prägte es sich doch gut ein. „Und was tut man sonst noch?“ „Nichts mehr. Das heißt, ich tue nichts mehr. Andere Leute machen da oft große Feste, laden Bekannte und Freunde ein. Das ist nichts mehr für mich. Ich feiere meinen Geburtstag am liebsten stillvergnügt.“ „Und wenn ich ihn am liebsten lautvergnügt feiern möchte? Wenn ich hüpfen und tanzen und singen und springen und dichten möchte?“ „Dann darfst du es tun. Ich hab nur einen Geburtstagswunsch: Dass du mich nicht ärgerst!“ „Gut, genehmigt“, sagte der Pumuckl und ahmte Eders Stimme von vorhin nach: „Hoffentlich bekommt es dir.“ Dann aber kam ihm eine so gute Idee, dass er einen Luftsprung machte: „Ich weiß was: Ich darf dich nicht ärgern, und du darfst mich nicht schimpfen. Das eine ist dein Geburtstagswunsch, und das andere ist der meine!“ „Abgemacht: Ich verspreche dir, dass ich nicht schimpfe, und du versprichst mir, dass du brav und folgsam bist.“ Meister Eder streckte dem Pumuckl die Hand hin. Der Pumuckl zögerte etwas. „Ob das sehr lustig wird?“ fragte er und legte langsam seine kleine Hand in Eders große. Und dann kam der Geburtstag. Der Pumuckl wachte zuerst auf. Und da er sich gut gemerkt hatte, wie man einen Geburtstag beginnt, hüpfte er auf die Bettdecke des noch schlafenden Meisters und krähte so laut er nur konnte: „Ich wünsch dir, dass du gesund bleibst und dass du lange lebst!“ Meister Eder fuhr hoch: „Was ist los?“ „Ich wünsche dir, dass du gesund bleibst und dass du lange lebst!“ „Ach so, ja - aber deswegen brauchst du mich doch nicht - 84 -
zu wecken!“ Eder drehte sich um, um noch ein bisschen weiterzuschlafen. Aber das ließ der Pumuckl auf keinen Fall zu. Er setzte sich direkt neben Eders Ohr und rief: „Nicht schlafen! Es ist Geburtstag, und jetzt musst du zu mir auch den Satz sagen! Ich habe auch Geburtstag.“ „Was für einen Satz denn?“ brummte Eder schlaftrunken. „Mit dem langen Leben!“ „Ach so!“ Meister Eder gähnte herzhaft. „Nicht gähnen! Aufwachen! Glückwunsch sagen!“ befahl der Pumuckl streng. Meister Eder wurde ärgerlich: „Lass mich doch ausschlafen. Schon in aller Frühe geht's los mit deinem Geschrei ...“ „Haaalt! Nicht schimpfen! Das habe ich mir gewünscht!“ „Und ich habe mir gewünscht, dass du brav bist!“ Meister Eder drehte sich zur Wand. Der Pumuckl hockte auf der Bettdecke, und langsam füllten sich seine Augen mit Tränen. „Du wünschst mir gar kein langes Leben. Sicher lebe ich nur ganz kurz und kriege Schnupfen und Bauchweh und“ - zwei Tränen kullerten ihm aus den Augen -, „und ich habe schon Bauchweh vor lauter Hunger - oooh.“ In aller Frühe schon Tränen, das war nicht gerade das, was Meister Eder sich wünschte. Schnell sagte er: „Aber selbstverständlich wünsche ich dir alles Gute zu deinem Geburtstag und dass du lange lebst und gesund bleibst.“ Der Pumuckl wischte sich die zwei Tränen ab. „Danke, dann werde ich vielleicht doch noch ein bisschen länger leben.“ Wenn nun Meister Eder gehofft hatte, seinen Morgenschlaf noch ein wenig fortsetzen zu können, dann - 85 -
war das ein Irrtum. Denn der Pumuckl versuchte, ihm die Bettdecke wegzuziehen. „Aufstehen und Kuchen essen!“ forderte er. Meister Eder hielt die Bettdecke mit beiden Händen fest. „Später!“ „Aber unser Geburtstag ist doch jetzt schon und nicht erst später. Ich wünsche mir jetzt Kuchen!“ „Und ich wünsche mir jetzt noch etwas Ruhe, zum Kuckuck!“ Meister Eder verlor die Geduld. Und prompt fingen die nächsten zwei Tränen beim Pumuckl zu kullern an. „Du schimpfst schon wieder! Oh, hätte ich doch an einem Tag Geburtstag, an dem du nicht immer schlafen willst. Morgen oder übermorgen oder in drei Tagen. Aber da hast du dann keinen Kuchen mehr! Oooh - ich bin gar nicht vergnügt, und ich kann es mir gar nicht gut gehen lassen!“ Der Pumuckl tat sich schrecklich leid. Meister Eder seufzte und unterdrückte nur mühsam den Satz: „Warum muss ausgerechnet ein alter Mann wie ich einen Kobold haben!“ Er richtete sich gähnend auf, zog sich an und machte das Frühstück. Der Kuchen schmeckte wirklich wunderbar. Dem Meister Eder ebenso wie dem Pumuckl. Die Stimmung der beiden hob sich wieder. Nach dem Frühstück wollte sich Eder gemütlich in seinen Lehnstuhl setzen und lesen. Der Pumuckl allerdings wollte etwas ganz anderes. „Jetzt dichte ich ein Geburtstagslied, und das musst du dann mit mir singen.“ „Singen? Ich? Jetzt? Nun - dichte mal zuerst den Text, dann sehen wir weiter!“ „Ist schon gedichtet: ‚Geburtstag ist ein schöner Tag, ich jeden Tag Geburtstag mag!’ ” - 86 -
„Ist das alles?“ „Das ist seeehr schön. Und jetzt sing es mal!“ Meister Eder brummte: „Geburtstag ist ein schöner Tag, ich jeden Tag Geburtstag mag.“ Es klang nicht sehr überzeugend. „Das ist nicht richtig gesungen! Noch mal! Mit höherer Stimme!“ kommandierte der Pumuckl. „Ein Geburtstag ist ein Gedenktag und kein Gesangstag!“ wehrte sich Meister Eder. Der kleine Kobold sah das erstaunlicherweise ein. „Gut“, gab er nach, „gedenken wir. Was muss man denn denken, wenn man geburtstaggedenkt?“ „Nun, dass wir auf die Welt gekommen sind!“ Meister Eder sagte das nur so hin und sollte es auch bald bereuen. Der kleine Kobold nahm das nämlich sehr wörtlich. „Dann brauche ich aber ganz schnell einen Sturm. Ohne Sturm geht das Gedenken nicht. Du musst Sturm machen! Mach mal huiii!“ Der Pumuckl machte es außerordentlich laut vor. Meister Eder „huiiite“ daraufhin gutwillig, aber keineswegs stürmisch. Das war dem Pumuckl zu wenig. „Du musst es so machen, dass ich Angst kriege.“ „Tut mir leid, Pumuckl, ich fürchte, das schaffe ich nicht so recht.“ Der Pumuckl überlegte. „Gut, dann ohne Angst. Dafür aber mit Wasser. Bitte, komm schnell mit mir in die Küche!“ Der kleine Kobold zerrte kräftig an Eders Hosenbein. Eder gab nach. In der Küche drehte der Pumuckl den Wasserhahn auf und ließ das Spülbecken vollaufen. Dann befahl er Eder, eine Kaffeetasse auf dem Wasser schwimmen zu lassen. „Das ist das Schiff, auf dem ich zur Welt gekommen bin, - 88 -
verstehst du?“ Eder verstand und ließ die Tasse schwimmen. „Und jetzt mach richtig lang huiii!“ Meister Eder machte richtig lang huiii. Der Pumuckl patschte in das Wasser, so dass die Tasse ins Schaukeln kam. Dabei schwappte einiges auf den Boden. „Du richtest ja eine Überschwemmung an, Pumuckl.“ „Macht nichts! Ich gedenke jetzt. Gleich komme ich nämlich auf die Welt. Ruf doch mal ‚Huiii, Pumuckl, komm auf die Welt!’“ „Huiii“, rief Eder folgsam, „Pumuckl, komm auf die Welt!“ Da sprang der Pumuckl mit einem Riesensprung mitten in das Spülbecken. Das Wasser spritzte durch die Küche, und die Tasse flog in hohem Bogen auf den Boden. „Bist du verrückt?“ rief Eder entsetzt. Aber der Pumuckl tauchte strahlend aus dem Wasser und verkündete: „Es ist sehr schön, auf die Welt zu kommen!“ Und da Eder so aussah, als teile er diese Ansicht nicht ganz, fügte der Pumuckl schnell hinzu: „Auf eine sehr schöne Welt, auf der ich an meinem Geburtstag nicht geschimpft werden darf!“ Was blieb Meister Eder da anderes übrig, als die Scherben der Tasse einzusammeln, den Boden aufzuwischen und den Pumuckl aus dem Wasser zu ziehen. Als das geschehen war, tat Eder etwas, das er sich wirklich nur an seinem Geburtstag erlaubte: Er schenkte sich ein Glas Schnaps ein und trank es in einem Zug leer. Dieser Schnaps bewirkte, dass er das nächste vom Pumuckl geplante „Geburtstagsgedenken“ nicht rechtzeitig verhinderte. „Und jetzt musst du auf die Welt kommen!“ verkündete also der pitschnasse Pumuckl. - 89 -
„Bin schon da“, behauptete Meister Eder. Doch das überhörte der kleine Kobold. Er hüpfte, eine deutliche Wasserspur hinterlassend, zur Küche hinaus und hinunter in die Werkstatt. Nach kurzer Zeit kam er wieder. Beide Arme voller Hobelspäne. Aber nicht nur beide Arme - er selbst war, da er nass war, auch von oben bis unten voller Späne wie ein Vogel voller Federn. Und in seinen Wasserspuren auf der Treppe und in der Küche schwammen auch noch Hobelspäne. „Um Himmels willen“, rief Eder, „was sollen denn die Hobelspäne in der Küche?“ „Sind noch nicht alle, muss noch mehr holen!“ „Pumuckl, lass das - was soll das denn bedeuten?“ Eder sprang entsetzt zur Küchentür und hielt sie zu. „Aber jetzt muss doch ich huiii machen und du springst dann in die Hobelspäne so wie ich ins Wasser. Denn du bist sicher in einem Sturm in einer Schreinerwerkstatt auf die Welt gekommen!“ In diesem Augenblick klingelte es. „Niemand hereinlassen!“ flüsterte der Pumuckl schnell. „Wir sind nicht da, wir- wir sind doch noch gar nicht richtig auf der Welt!“ Da Meister Eder sich jedoch durchaus auf der Welt fühlte, ging er zur Tür. Draußen stand Herr Gerstl, ein alter Kunde von Meister Eder. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie am Sonntag störe“, sagte Herr Gerstl, „aber erinnern Sie sich an das Gespräch, das wir vor einem halben Jahr hatten? Da stellten wir doch fest, dass wir zufällig am gleichen Tag Geburtstag haben. Und da dachte ich mir, schau mal schnell vorbei!“ Herr Gerstl trug eine Flasche Sekt in der Hand. „Stoßen wir doch auf unseren gemeinsamen Geburtstag an! Meine Frau lässt Sie auch schön grüßen und wünscht Ihnen alles Gute!“ - 90 -
Meister Eder bat Herrn Gerstl herein. Der warf einen etwas erstaunten Blick auf die Wasserspuren und die darin herumschwimmenden Hobelspäne. „Das kommt von einer kleinen Geburtstagsfeier“, erklärte Eder, und um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, öffnete er schleunigst die Sektflasche. Die Herren stießen an und tranken. Dem Pumuckl passte das natürlich nicht. Er überlegte. Wie war das nur: Er sollte brav sein, und Meister Eder durfte nicht schimpfen. Eben! Dann war es doch ganz dumm, brav zu sein, wenn man sicher wusste, dass man nicht geschimpft würde! Andererseits, wenn der Pumuckl nicht brav war, dann hatte Meister Eder kein Geburtstagsgeschenk. Der kleine Kobold fand sich nicht zurecht. Es schien ihm sehr verlockend, Herrn Gerstls Sektglas hinunterzuwerfen. Das war zweifellos nicht sonderlich brav. Einerseits. Wenn aber niemand schimpfte, war es dann nicht doch ein bisschen erlaubt? Er probierte es. Aber Meister Eder kannte seinen Kobold und fing Gerstls Glas gerade noch auf, bevor es kippte. „Ich fürchte, Sie müssen Ihr Sektglas festhalten“, sagte er zu Herrn Gerstl, „sonst gibt's heute Scherben!“ Herr Gerstl schaute etwas verwundert auf Eder, der beide Sektgläser festhielt, als befänden sie sich auf einem schwankenden Schiff. „Ich glaube, Sie dürfen mein Glas schon auslassen. Ich werfe es nicht hinunter“, beteuerte Herr Gerstl. Meister Eder ließ es aus. Und wenige Sekunden später krachte es: das Glas mitsamt Sekt landete auf dem Boden. Einige Hobelspäne schwammen in kleinen Sektpfützen. Ein Glasstück voller Sekt aber leerte sich auf geheimnisvolle Weise. „Hick“, machte es leise, denn es war der erste Sekt, den der Pumuckl je - 92 -
getrunken hatte. Eder aber knurrte: „Habe ich es nicht gesagt! Und nicht einmal schimpfen darf ich heute!“ Herr Gerstl wurde verlegen. „Bitte, schimpfen Sie mich ruhig. War ja zu dumm von mir. Ich ersetze selbstverständlich das Glas!“ „Aber nein, Sie können ja nichts dafür - ich müsste jemand anderen schimpfen. Doch Moment mal - ich schimpfe nicht, ich halte eine kleine Rede. Vielleicht nützt das etwas.“ Herr Gerstl meinte daraufhin gutgelaunt: „Schön, halten Sie eine kleine Geburtstagsrede, das kann nie schaden!“ „Hick“, tönte es ein zweites Mal unter dem Tisch hervor. Meister Eder hörte es und begann schnell seine „Rede“. „Also, Pumuckl, hör mal zu . . .“ „Herr Eder, ich heiße Alexander und nicht Pumuckl“, korrigierte Herr Gerstl. „Hick“, tönte es jetzt aus der Nähe von Eders Sektglas. „Pumuckl, trink nicht soviel, dir wird's doch immer schlecht vom Alkohol!“ rief Eder. „Das stimmt“, nickte Herr Gerstl, „ich vertrage nicht viel Alkohol. Trotzdem heiße ich Alexander und nicht Pumuckl! Darf ich Sie um ein neues Glas bitten?“ Meister Eder entschuldigte sich für seine Unachtsamkeit und brachte ein neues Glas. Herr Gerstl schenkte ein und bestand darauf, das nächste Glas Sekt in einem Zug leerzutrinken. Auf die Gesundheit. Und dann schenkte er noch mal ein. Seine Wangen röteten sich schon - er vertrug wirklich nicht viel, und wäre seine Frau dabei gewesen, hätte sie jetzt gesagt: „Alexander, hör auf zu trinken, du hast schon einen Schwips.“ So aber trank er auch das nächste Glas leer. Er wurde sichtbar lustiger. „Herr Eder, Sie schulden mir noch die Rede von vorhin!“ - 93 -
rief er. „Nicht mehr nötig“, rutschte es Eder heraus, „der Pumuckl ist ja schon wieder brav.“ Er merkte, dass er sich versprochen hatte, aber seltsamerweise wurde er nicht verlegen. Im Gegenteil: der Sekt machte ihn richtig mitteilungsbedürftig. „Der Pumuckl ist nämlich mein Kobold. Er hat heute auch Geburtstag. Wir haben einfach beschlossen, dass wir beide am gleichen Tag Geburtstag haben.“ „Wie reizend“, sagte Herr Gerstl und fand in diesem Augenblick Kobolde die natürlichste Sache der Welt. „Dann hat mein Kobold auch heute Geburtstag. Prost, Herr Eder!“ Beide Herren tranken. „Sie glauben mir nicht, Herr Gerstl, aber ich habe wirklich einen Kobold!“ „Ich glaube Ihnen jedes Wort. Sie haben einen grünen Kobold und ich habe einen gelben.“ Herr Gerstl gefiel dieser Gedanke sehr. Eder hingegen ereiferte sich: „Stimmt nicht. Meiner hat rote Haare!“ „Der meine hat blaue Haare!“ Diesmal wackelten zwei Sektgläser. Die beiden Herren konnten sie aber gerade noch rechtzeitig auffangen. Meister Eders Stimme bekam etwas Flehendes. „Lass das, Pumuckl, das ist ja ungemütlich! Ich mag nicht ständig auf die Gläser Acht geben. Versteck lieber zur Abwechslung irgendetwas, das tust du doch gern. Hier zum Beispiel meine Schlüssel.“ Meister Eder zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. Herr Gerstl sah und hörte interessiert zu. Dann griff auch er in seine Tasche. „Mein Kobold darf auch meine Schlüssel verstecken! Hier Mupuckl!“ Gerstls Stimme gehorchte ihm nicht - 94 -
mehr so ganz. „Aber nein, er heißt doch Pumuckl!“ verbesserte Eder viel eifriger, als er es ohne Sekt getan hätte. „Ja, der Ihre! Aber mein Kobold, der mit den blauen Haaren, heißt eben Mupuckl!“ Herr Gerstl legte seinen Schlüsselbund neben Eders Schlüsselbund. „Beide Kobolde dürfen jetzt Schlüsselbunde verstecken!“ Der Pumuckl war richtig in Verlegenheit. Bedeutete Bravsein - wenn es ein Geburtstagsgeschenk sein sollte jetzt Schlüsselbundverstecken? Er nahm schnell einen Sektschluck aus Eders Glas, um besser nachdenken zu können. Dann gab er einfach beiden Schlüsselbunden einen Fußtritt, so dass sie in hohem Bogen auf den Boden fielen. Herr Gerstl betrachtete mit einer Art wissenschaftlichem Interesse die auf dem Boden liegenden Schlüssel. „Das ist hinuntergeworfen und nicht versteckt“, stellte er schließlich fest. „Mupuckl, wirf bitte meine Schlüssel wieder herauf!“ „Da können Sie lange warten!“ lachte Eder. „Hick“, tönte es vom Boden herauf. „Der Pumuckl ist auch schon blau!“ rief Eder. „Nein, grün mit roten Haaren!“ widersprach Herr Gerstl. „Und meiner ist gelb mit blauen Haaren, und der wirft jetzt schön brav die Schlüssel wieder herauf. Mupuckl, bitte!“ Da flogen die Schlüssel mit einem geradezu eleganten Bogen wieder auf den Tisch. „Na, sehen Sie“, triumphierte Herr Gerstl und steckte zufrieden die Schlüssel ein. Meister Eder traute seinen Augen nicht. Das hatte der Pumuckl noch nie getan. Und wie selbstverständlich Herr - 95 -
Gerstl die Schlüssel wieder einsteckte! Kein bisschen Erschrecken, kein bisschen Verwundern. Vielleicht - das Zimmer begann sich leicht um Meister Eder zu drehen -, vielleicht gab es tatsächlich einen Mupuckl! „Würden Sie Ihren Kobold bitten, auch meine Schlüssel auf den Tisch zu werfen?“ bat Eder vorsichtig. „Aber selbstverständlich. Gerne. Mupuckl, bitte Herrn Eders Schlüssel!“ Meister Eders Schlüssel flogen auf den Tisch. Herr Gerstl blinzelte etwas, fuhr sich über die Augen, sagte dann aber gemessen: „Danke schön, Mupuckl!“, stand auf und verbeugte sich ein wenig schwankend. Allerdings in eine ganz andere Richtung als in die, wo sich der Pumuckl befand. „So was!“ sagte Meister Eder nur. „Ich habe eben einen äußerst höflichen Kobold!“ erklärte Herr Gerstl. „Hick“, tönte es diesmal von Eders Schulter. „Sie müssen die Luft anhalten“, riet Herr Gerstl. „Das war jetzt bestimmt der Pumuckl!“ rief Eder erleichtert. „Nein, das waren Sie. Kobolde sagen nicht ‚hick’, Kobolde können überhaupt nicht reden!“ Herr Gerstl hieb auf den Tisch, als verkünde er ein neues, strenges Gesetz. Auch Eder hieb auf den Tisch. „Der meine kann aber reden!“ „Ha, ha. Was kann Ihrer denn schon reden?“ höhnte Gerstl. „Papperlapapapapp!“ krähte der Pumuckl, dem die Sache sehr gefiel. „Ist das alles?“ Herr Gerstl legte sein Gesicht in betont mitleidige Falten. „So was Dummes würde mein Kobold - 97 -
niemals sagen. Lauter a. Meiner spricht hauptsächlich mit ü. Püpperlüpüpüpüpüp. Klingt viel besser.“ „Aha“, sagte Eder entwaffnet. „Ühü“, tönte es aus einer Ecke des Zimmers. „Richtig so!“ Herr Gerstl nickte sehr zufrieden und schenkte sich den Rest Sekt ein. Und nachdem er davon einen großen Schluck getan hatte, fügte er hinzu: „Also, Mupuckl, jetzt sprich einmal schön mit ü.“ Meister Eder, der natürlich an dem Ühü seinen Pumuckl erkannt hatte, warnte: „Tu's nicht, Pumuckl, der Herr Gerstl fällt sonst in Ohnmacht!“ „Ich und in Ohnmacht!“ Herr Gerstl lachte dröhnend. „Nur weil mein blauhaariger Ü-Kobold sprücht! Das glauben Sü doch selbst nücht! Sprüch, Kübüld!“ Da flüsterte der Pumuckl wie ein richtiges Schlossgespenst: „Gübürtstüg üst ün schüner Tüg, üch jüden Tüg Gübürtstüg müg!“ Herr Gerstl hörte das, wurde bleich, stieß einen leichten Seufzer aus und - fiel in Ohnmacht. Meister Eder konnte ihn gerade noch auffangen und auf das Sofa legen. Der Pumuckl aber wurde - da Herr Gerstl durch Ohnmacht sozusagen abwesend war - sichtbar. „Hab gar nicht gewusst, dass folgen so schön ist!“ behauptete er strahlend. „Der Mupuckl ist der aller folgsamste Kobold, den es gibt. Ist heute erst auf die Welt gekommen und ...“ Plötzlich musste sich der Pumuckl festhalten. Da er sichtbar war, wurden auch die Folgen des Sekts bei ihm sichtbar. „Pumuckl, das ist doch nicht dein Ernst. Es gibt doch nicht wirklich seit heute hier zwei Kobolde!“ Meister Eder wurde bei dieser Vorstellung schlagartig nüchtern. „Pumuckl, gibt's einen oder zwei Kobolde?“ - 98 -
„Ich bin - oh“, der kleine Kobold wurde bleich, „oh - ich bin zwei Kobolde!“ Er seufzte und fiel um. „Wenn es zwei Kobolde gibt, dann falle ich auch noch um!“ stöhnte Eder. „Vier Geburtstage an einem Tag, das ist einfach zuviel für einen alten Mann!“ Aber er fiel nicht um. Herr Gerstl kam wieder zu sich, der Pumuckl wurde wieder unsichtbar und spürte somit auch die Folgen des Alkohols nicht mehr. Herr Gerstl benötigte eine Weile, bis er sich zurechtfand. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. „Entschuldigen Sie bitte- man verträgt nichts mehr, wenn man älter wird. Ich muss eingeschlafen sein.“ Er stand vom Sofa auf. „Wissen Sie, was ich gerade geträumt habe?“ Er lachte. „Ich hatte einen Kobold, der die Ü-Sprache gesprochen hat. Wie wir als Kinder!“ Meister Eder lächelte. „Ja, ja, es war ein bisschen zuviel ...“ Er sagte nicht, was zuviel war. „Aber es war wirklich ganz reizend!“ Herr Gerstl reichte Eder die Hand. „Habe selten einen so amüsanten Geburtstagsvormittag erlebt. Ich muss jetzt nach Hause, meine Frau wartet mit dem Essen.“ „Soll ich Sie nach Hause bringen?“ fragte Eder etwas besorgt. „Nein, danke, ich bin nur ein bisschen eingenickt, das passiert mir in letzter Zeit häufig.“ Die Herren schüttelten sich die Hände, gratulierten sich noch einmal, und dann ging Herr Gerstl. Als Eder wieder ins Zimmer kam, lag der Pumuckl schlafend auf einem Sofakissen. Im Halbschlaf murmelte er: „Müde Pümückl müssen - üüüch - schlüfen üüüchchch.“ Meister Eder fuhr ihm über den Wuschelkopf: „Ja, schlaf - 99 -
nur ...“ Sein Blick fiel auf den Boden: „Ausschauen tut's da, Hobelspäne, Wasser, Sekt, Scherben - ts, ts, ts . . .“ „Nücht schümpfen“, murmelte der kleine Kobold. „Geburtstag ist ein schöner Tag, ich jeden Tag Geburtstag mag“, sang Meister Eder. „Üüüh“, seufzte der Pumuckl, „einer genüüügt!“ und schlief endgültig ein. Er wachte erst zur nachmittäglichen Kaffeestunde wieder auf. Da stand auch schon der Rest des köstlichen Kuchens auf dem Tisch. Der schmeckte dem Meister Eder und seinem Pumuckl jetzt vorzüglich. Sie waren beide sehr zufrieden: Meister Eder, weil es nur einen Kobold, und der Pumuckl, weil es nur einen Geburtstag gab. Strikter Gehorsam ist als Geburtstagsgeschenk nämlich sehr anstrengend, viel anstrengender als Nichtschimpfen dürfen. Letzteres ist sogar das Allereinfachste der Welt, wenn man einen so braven Kobold hat, wie es für den Rest des Tages der Pumuckl gewesen ist.
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Pumuckl und Puwackl Und dann gab es doch eines Tages zwei Kobolde. Nun, nicht zwei richtig lebendige, aber immerhin ein bisschen lebendig - nun, ich will euch nicht auf die Folter spannen. Das Ganze kam so: Eines Tages entdeckte Meister Eder beim Aufräumen ein schönes dickes Stück Lindenholz, so richtig geeignet, etwas daraus zu schnitzen. Er drehte es in der Hand hin und her und erinnerte sich, dass er vor vielen Jahren daraus den Kopf eines Barockengels hatte schnitzen wollen. Er legte das Holz auf den Werkzeugkasten. Da lag es nun, und je öfter Meister Eders Blick darauf fiel, desto mehr überkam ihn die Lust, wieder einmal ein Schnitzmesser in die Hand zu nehmen. Eines Tages nach Feierabend war es dann soweit: Der Schreinermeister holte die Schnitzmesser, schliff sie und saß versonnen vor dem Stück Lindenholz. Plötzlich rief er: „Pumuckl, komm doch bitte mal her zu mir!“ „Warum?“ wollte der Pumuckl wissen, bevor er sich aus seiner Schaukel bequemte. „Weil ich deinen Kopf schnitzen will!“ „Wie bitte?“ Der Pumuckl hörte auf der Stelle zu schaukeln auf. Entsetzen klang in seiner Stimme. „Was willst du mit meinem Kopf? „Ihn in Holz schnitzen.“ Der Pumuckl hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest, als wäre er ein Fußball, den man ihm wegnehmen wollte. „Meinen Kopf in Holz - mein Kopf geht überhaupt in kein Holz hinein!“ Der kleine Kobold war ehrlich entsetzt. - 101 -
„Aber Pumuckl, ich will doch deinen Kopf nicht hinein-, sondern aus dem Holz herausschnitzen!“ Doch auch das beruhigte den Pumuckl nicht. „Mal rein, mal raus, und das alles mit meinem Kopf! Nein, nein, mein Kopf bleibt auf meinem Hals, und mein Hals bleibt auf meinem Bauch, und mein Bauch bleibt auf meinen Beinen, und meine Beine bleiben auf dem Boden!“ Meister Eder schüttelte den Kopf. „Was du dir vorstellst! Ich will dich doch nur porträtieren, verstehst du?“ „Nein! Porträtieren mag ich nicht!“ „Pumuckl, ich will doch bloß ...“ Aber der kleine Wicht ließ den Meister nicht ausreden. Voller Ekel rief er: „Porträää - äää - und dann auch noch tieren!“ Meister Eder versuchte ihm zu erklären, dass „jemanden porträtieren“ einfach jemanden abbilden heißt. Doch der Pumuckl war und blieb dagegen. „Dann habe ich ja plötzlich zwei Köpfe! Meinen eigenen und einen hölzernen!“ „Das ist sehr praktisch, Pumuckl“, versuchte Eder zu scherzen, „der eine Kopf kann unsichtbar werden und der andere bleibt immer sichtbar.“ Das hätte er nicht sagen sollen. Der Pumuckl sprang vor Empörung fast bis zur Decke. „Ein sichtbarer Pumucklkopf, einen den du immer siehst und den ich immer sehe? Ich will mich gar nicht immer und immer sehen. Wenn ich da bin, bin ich gleich zweimal da, und wenn ich weg bin, bin ich immer noch da. Das will ich nicht, nein, das will ich nicht!“ Der kleine Kerl sprang auf einen Bretterstapel, dass es nur so staubte. Da meinte Meister Eder: „Aber mir macht es Freude, dich immer sehen zu können, auch wenn du einmal nicht - 102 -
da bist. Das ist doch ein Kompliment für dich.“ Das fand der Pumuckl überhaupt nicht. „Du sollst dich nicht freuen, wenn ich weg bin, du sollst traurig sein und mich suchen und sagen: ‚Lieber, lieber Pumuckl, komm doch wieder!’ ” „Ein Holzkopf kann dich doch nicht ersetzen, Pumuckl, der ist doch nicht lebendig, der kann doch nicht mit mir reden.“ „Aber du mit ihm!“ Der Pumuckl war auf dem besten Weg, richtig eifersüchtig zu werden. Doch da kam ihm eine fabelhafte Idee. „Wenn du schimpfen willst, dann darfst du mit ihm reden. Wenn ich etwas angestellt habe, dann kannst du den dummen Holzkopf schimpfen!“ Der Gedanke gefiel dem Pumuckl so gut, dass er sich auf den Tisch vor Meister Eder setzte und hochmütig verkündete: „Bilde mich ab, bitte schön!“ Meister Eder, der schon während des Gesprächs zu schnitzen begonnen hatte, war zufrieden. Er arbeitete sehr schnell und geschickt. Dem Pumuckl wurde es nur leider bald langweilig, still zu sitzen. Er machte zur Abwechslung einen Kopfstand. „Pumuckl, so kann ich dich doch nicht porträtieren. Da schnitze ich doch sonst deine Nase verkehrt herum.“ „Macht nichts“, behauptete der Kobold Kopf stehend. „Setz dich hin und mach ein schönes Gedicht. Bitte!“ Der Pumuckl strampelte mit den Beinen in der Luft und behauptete: „Ein echter Dichter dichtet nur, wenn er gerne dichtet, und wenn ihm etwas einfällt!“ „Die dichten auch, wenn ihnen nichts einfällt“, beteuerte Eder aufs Geratewohl, „glaub mir, dann dichten sie gerade am meisten!“ „Das glaube ich aber nicht“, sagte der Kobold. - 103 -
„Und wenn du von mir ein Stück Schokolade für ein Gedicht bekommst? Viele Dichter dichten, wenn sie nachher etwas dafür bekommen.“ Das veranlasste den Pumuckl, nicht mehr auf dem Kopf, sondern auf den Füßen zu stehen. Und - sofort zu dichten. Und zwar ganz schnell: „Nachher krieg ich Schokolade? Nein, ich krieg sie gleich! Denn es juckt in meiner Wade und voll Hunger ist mein Beich.“ Und schon stand der Kobold vor Eder und hielt die Hand auf für die Schokolade. „Das war nicht gut. Es heißt nicht ‚Beich’, sondern ‚Bauch’ ”, beanstandete Eder. „Wenn der Bauch vor lauter Hunger bleich ist, dann ist er kein Bauch, sondern ein Beich“, behauptete der Pumuckl. Meister Eder gab daraufhin dem Pumuckl das Stück Schokolade. Der Pumuckl ließ es sich schmecken und guckte dem Meister Eder zu. Nach einiger Zeit sagte er: „Du schnitzt ja lauter Ecken in meinen runden Kopf! Das wird ja ein Rauh-Eck-Kopf! Und was sollen die zwei Hörner da?“ „Das sind keine Hörner, sondern das werden deine großen Ohren!“ Auch das hätte Meister Eder nicht sagen sollen. Der Pumuckl hielt sich beide Ohren zu und rief empört: „Ich habe keine großen Ohren, meine Ohren kann man überhaupt nicht sehen!“ Und schon sauste er blitzschnell zum Garderobenhaken, holte Meister Eders Hut herunter und stülpte ihn sich über den Kopf, so dass man weder Ohren noch Augen, noch die Nase sehen konnte. „Bitte, Pumuckl, tu den Hut herunter“, bat Eder, „ich - 104 -
mache dir bestimmt keine großen Ohren.“ Aber der Pumuckl blieb unter dem Hut. Nur dumpf klang seine Stimme hervor: „Ist sehr gemütlich hier. Unter einem Hut kann man besonders gut dichten: Im Hut ist's gut, da ruht der Mut; drum tut man gut, ruht man im Hut.“ Meister Eder seufzte: „Dann bleib von mir aus unter deinem Hut! Deinen Kasperlkopf krieg ich auch ohne dich hin.“ Tatsächlich waren schon die Umrisse des Pumucklkopfes zu erkennen. Als der Pumuckl merkte, dass Meister Eder einfach weiterarbeitete, wurde es ihm langweilig unter dem Hut. Und zu warm wurde es ihm auch. Zentimeter um Zentimeter schob er den Hut wieder hoch. Und dann warf er ihn auf den Boden, sprang in sein Bett und zog sich die Decke über die Ohren. Er wollte zwar nur seinen Kopf verstecken, unversehens aber schlief er dabei ein. Als der Meister Eder das merkte, zog er ihm vorsichtig die Decke vom Gesicht und konnte so in aller Ruhe weiterschnitzen. Es gelang ihm wunderbar, bis auf die Augen, die der Kobold ja nun geschlossen hatte. Die wollte Eder am nächsten Tag fertigmachen. Gleich am nächsten Morgen, noch ehe er mit seinem Tagewerk begann, schnitzte er weiter. Er hätte sogar seine Schreinerarbeit vernachlässigt, wenn nicht eine Kundin in die Werkstatt gekommen wäre. Es war Frau Hörmann, die sich nach dem bestellten Eckschrank erkundigte. Natürlich sah sie gleich den Pumucklkopf und musste richtig lachen über das verschmitzte Holzgesicht. „Der ist ja zum Verlieben“, rief sie - 105 -
begeistert, „wird das eine Puppe für ihre kleine Nichte?“ „Nicht direkt“, wich Meister Eder aus. „Machen Sie doch eine Marionettenpuppe daraus, ich finde es so wunderbar, wenn man eine Puppe mit Fäden richtig lebendig werden lassen kann.“ Auf diesen Gedanken war Meister Eder noch nicht gekommen. Aber er leuchtete ihm sofort ein. Ein Holzpumuckl, der hüpfen und springen konnte wie der echte! Der Gedanke begeisterte ihn. Nur - eine Puppe musste auch Kleider haben, und nähen konnte er überhaupt nicht. „Woher nehme ich aber ein Hemd und eine Hose für eine Marionettenpuppe?“ fragte er. „Kleinigkeit, die nähe ich. So was macht mir einen Heidenspaß!“ Es hatten sich die beiden Richtigen gefunden. Sie waren Feuer und Flamme für diesen Plan und verabredeten, dass Meister Eder zu dem Kopf noch Arme und Beine und einen Körper schnitzen und das Ganze dann Frau Hörmann bringen sollte. Die beiden freuten sich wie Kinder. Nicht so der Pumuckl. Er hatte das alles mitgehört und sagte, kaum dass Frau Hörmann die Werkstatt verlassen hatte: „Das ist ja dumm, wenn der Kopf an einem Faden hängt, und der Fuß auch und der Arm und der Bauch, das sieht bestimmt scheußlich aus!“ „Die Fäden sieht man kaum, man meint, dass sich die Puppe ganz allein bewegt.“ Der Pumuckl zog ein verächtliches Gesicht. „Ich meine das dann aber nicht. Und außerdem kann man die Fäden alle durcheinander bringen, und dann bewegt sich die dumme Puppe überhaupt nicht mehr.“ „Ich möchte nur wissen, was du gegen den geschnitzten - 107 -
Pumuckl hast. Er ist doch so lieb!“ Das machte den Pumuckl aber gerade fuchsteufelswild. „Er ist nicht lieb. Nur ich bin lieb. Es gibt überhaupt keinen zweiten Pumuckl - es darf keinen sichtbaren Pumuckl geben. Das ist Koboldsschande! Das geht gegen alle Koboldsgesetze!!“ Der Pumuckl heulte fast. Ging es wirklich gegen irgendein Koboldsgesetz? Meister Eder streichelte den roten Wuschelkopf. „Wenn aber der Holzkopf kein Pumuckl, sondern ein Puwackl ist? Und der Puwackl auch kein Kobold, sondern nur ein Bold ist - ein Marionettenbold?“ „Ein Mariogarnichtnettenbold“, verbesserte der Pumuckl. „Gut, ein Marionichtnettenbold. Ist's dann erlaubt?“ Der Pumuckl nickte gnädig. „Vielleicht.“ Der Schreinermeister schnitzte und bastelte bis in die späte Nacht hinein. Und gleich am nächsten Vormittag wanderte er mit dem fertigen Puwackl zu Frau Hörmann. Er sagte ihr genau, wie der Pumuckl-Puwackl gekleidet sein müsse, und Frau Hörmann machte sich gleich an die Arbeit. Und zwei Tage später war die Marionette fertig. Meister Eder holte sie abends ab. Er war begeistert, und als Dank gab er für Frau Hörmann eine richtige Pumucklvorstellung. Da der Schreinermeister alle ihm so wohlvertrauten Pumucklsprüche und noch einige Gedichte dazu auswendig konnte, kam Frau Hörmann aus dem Lachen nicht mehr heraus. „Sie sollten das alles aufschreiben“, sagte sie immer wieder, „Sie sollten ein Theaterstück schreiben.“ Es wurde ziemlich spät. Als Eder nach Hause kam, war der Pumuckl noch wach. Meister Eder stellte die Puwacklmarionette auf den Boden, ließ sie sich verneigen und sagen - Meister Eder ahmte Pumuckls - 108 -
Stimme ziemlich gut nach -: „Grüß Gott, Pumuckl! Wie gut, dass du noch wach bist!“ Die Marionette machte eine tiefe Verbeugung. „Darf ich mich vorstellen: ich bin der Pu ...“ Weiter kam Eder nicht. Der Pumuckl war mit einem Schrei aus seinem Bett herausgesprungen, seine Augen starrten angstgeweitet auf die Puppe. „Nein! Nein! Du bist gar nichts!“ schrie er. „Hör auf, dich zu bewegen!“ Der kleine Kerl zitterte fast. Kein Zweifel, der Pumuckl, der noch nie in einem Theater gewesen war und noch nie eine bewegliche Puppe gesehen hatte, fürchtete sich vor ihr. „Aber Pumuckl - das ist doch der Holzpuwackl“, versuchte Eder den Kobold zu beruhigen. Vielleicht wirkte die Puppe im Lampenlicht besonders echt? „Ich mag ihn nicht. Tu ihn weg. Er glotzt mich so an.“ Der Pumuckl hielt sich beide Augen zu. „Aber Pumuckl, die Puppe hab doch ich geschnitzt - sie sieht dir doch ähnlich!“ Der kleine Kobold schaute nicht hin. „Ich will aber so nicht aussehen.“ Er weinte. „Aber der Puwackl ist doch ein lieber Puwackl“, versuchte Meister Eder sich und sein Werk zu verteidigen. „Du hast dir doch immer jemanden gewünscht, mit dem du spielen kannst! Jetzt hast du den Puwackl. Schau her, wie der sich gut bewegen kann, richtige Schritte kann er machen.“ Meister Eder ließ die Puwacklpuppe ein paar Schritte und noch mal eine Verbeugung machen und sagte dazu wieder mit einer „Puwacklstimme“: „Darf ich zu dir kommen und dich begrüßen?“ Der kleine Kobold wich in die hinterste Ecke seines - 109 -
Bettes und zog die Decke bis zur Nase hinauf. „Nein! Nein, das darfst du nicht. Und in mein Bett darfst du auch nicht. Nein! Nein! Du bist ein ganz hässlicher, dummer Puwackl!“ „Aber Pumuckl, da weint ja der Puwackl gleich - huhuhuuu.“ Meister Eder versuchte so komisch zu weinen, wie es ihm nur möglich war, damit der Pumuckl lachen würde. Doch der Pumuckl lachte nicht. „Soll er doch weinen! Los, wein doch weiter!“ rief er. Meister Eder nahm die Puppe auf den Arm und streichelte sie. „Ist doch ein lieber Puwackl, schau!“ Der Pumuckl aber fauchte: „Ein dummer, hässlicher Holzkopf ist er. Eine Koboldsschande ist er! Er kann überhaupt nichts! Wie dumm jetzt seine Arme herunterhängen! Pah, die kann ich ihm ja ausreißen! Meister Eder begann sich zu ärgern. „Das wirst du nicht tun. Ich habe mir die ganze Arbeit nicht gemacht, damit du deine Bosheit daran auslässt. Ich geh jetzt ins Bett und nehme den Puwackl mit. Gute Nacht!“ Und damit ging Meister Eder hinaus. Mit finsterem Gesicht hockte der Pumuckl in seinem Bett und knurrte: „Geh nur zu mit deinem Wacklkopfpuwackl.“ Und dann rief er laut hinter Eder her: „Er darf überhaupt nicht Puwackl heißen, sondern nur Wackl. Das Pu gehört mir. Wicklwackl darf er heißen, Fadenwickelwackel. Gib Acht, dass ihr euch nicht in den vielen Fäden verwickelt, sonst muss ich sie alle abschneiden und ...“ Der Pumuckl hörte mitten im Satz auf, weil ihm bei dem Wort „abschneiden“ etwas durch den Kopf gefahren war. Wenn er die Fäden einfach abschnitt, dann konnte sich der Puwackl nicht mehr - 111 -
bewegen, und dann konnte Meister Eder auch nicht mehr mit dem Puwackl spielen! Der kleine Kobold wartete, bis in Eders Zimmer das Licht ausgelöscht wurde. Es war totenstill im Haus. Der Mond schien zu den Fenstern herein, die Fensterkreuze warfen ihre schwarzen Schatten auf den Boden. Der Pumuckl schlich in das Wohnzimmer, um dort eine Schere zu holen. Es war so hell, dass er alles deutlich sehen konnte. Im Flur entdeckte er die Puppe an einem Garderobenhaken. Eigentümlich bleich und bewegungslos hing sie an ihren Fäden. Im Mondlicht schien ihr Mund nicht zu lachen, sondern breit zu grinsen. Starr blickte sie auf den Pumuckl. Das Herz des kleinen Kobolds klopfte; er spürte das Klopfen von der Zehenspitze bis unter die Haare. Die Schere in seiner Hand zitterte. „Schau nicht so“, flüsterte er dann, „du kannst mir nichts tun, weil du ja an Fäden hängst und dich nur mit deinen dummen Fäden bewegen kannst. Aber ich kann mich ohne Fäden bewegen.“ Er hüpfte von einem Bein auf das andere. Das machte ihn mutiger. „Ich kann mit dem Kopf wackeln, ohne dass jemand an einem Faden zieht; ich kann tun, was ich will, aber du musst tun, was die anderen wollen!“ Das machte ihn geradezu übermütig. „Du musst sogar tun, was ich will. Soll ich mal an einem Faden ziehen und deinen dummen Wacklkopf wackeln lassen?“ Hatte sich die Puppe jetzt nicht bewegt? Der Pumuckl sprang mit einem Satz hinter Meister Eders Mantel. Erst nach einiger Zeit wagte er, wieder hervorzulugen. Als er sah, dass die Marionette unverändert an ihrem Platz hing, wurde er mutiger. Er flüsterte, indem er - 112 -
zitternd seine Schere schwang: „Ich habe keine Angst. Du musst vor mir Angst haben. Ich schneide dir jetzt nämlich die Fäden ab.“ Er kletterte an Eders Mantel hoch wie an einer Strickleiter. Oben angekommen, turnte er zu dem Kleiderhaken vor, an dem die Puppe aufgehängt war. Von dort besehen verlor die Marionette alles Unheimliche. Da waren nur an Hölzchen befestigte Fäden und unten hing nichts weiter dran als ein Ding mit einem roten Haarschopf. Es war eine Kleinigkeit, die Fäden abzuschneiden. Er durchtrennte einen nach dem anderen. Beim letzten gab es ein dumpfes Poltern - die Puwacklpuppe lag auf dem Boden, die Arme von sich gestreckt. Der Pumuckl hatte einmal eine tote Katze gesehen. Alle Haare waren ihm bei diesem Anblick zu Berge gestanden, und auch jetzt begannen sich seine Haare wieder aufzustellen, bis in den Nacken hinunter fühlte er es. Die Puppe sah wie eine tote Katze aus. Er sprang mit einem Satz von der Garderobe und rannte, so schnell er nur konnte, zu seinem Bett. Die Schere warf er unterwegs weg. Dann verkroch er sich unter der Bettdecke, so dass er nichts mehr sehen und hören konnte. Er drückte die Augen zu, um so schnell wie möglich einzuschlafen. Aber das Augenzudrücken nützte nichts. Er sah immer noch den Puwackl auf dem Boden liegen. Als er nach langer Zeit endlich einschlief, träumte er von lauter unheimlichen Puwacklgespenstern. Auch das Aufwachen war nicht schön. Die Angst vor der Puppe war weg, aber nicht die Angst vor Meister Eder. Der Schreinermeister hatte die Puppe mit den abgeschnittenen Fäden morgens bei hellem Tageslicht - 113 -
auf dem Boden entdeckt. Kein Zweifel, das hatte der Pumuckl getan. Meister Eder betrachtete die Marionette und ihm fiel das entsetzte Gesicht des kleinen Kobolds ein, er sah, wie der kleine Kerl vor der sich verbeugenden Puppe zurückgewichen war. Und mit einem Mal war Eder nicht auf den Pumuckl böse, sondern auf sich selbst. Er erinnerte sich nämlich, dass er als Kind einmal in einem Kasperltheater gewesen war und dass er sich genauso wie der Pumuckl vor einer dieser Handpuppen gefürchtet hatte, und das, obwohl er eigentlich genau gewusst hatte, dass es eine Puppe war und obwohl es nicht abends, sondern am hellen Tag gewesen war. Meister Eder betrachtete seinen Holz-Puwackl. Der Puppe selbst war nichts geschehen, die Fäden ließen sich leicht wieder neu knüpfen. Er hob sie auf und trug sie in sein Zimmer. Er legte die Puppe ganz oben auf den Kleiderschrank, und dann ging er hinunter in die Werkstatt. Der Pumuckl tat, als schliefe er tief. Aber Meister Eder wusste es besser. Er rief, als sei nichts geschehen: „Guten Morgen, Pumuckl!“ Als Antwort kam ein etwas übertriebenes Schnarchen. „Pumuckl, möchtest du gern eine Tasse Schokolade haben?“ Der Pumuckl, der gerade zu einem neuen mächtigen Schnarcher ansetzen wollte, unterbrach sich. „Wie bitte? - Was hast du gesagt?“ fragte er ungläubig. „Ob du eine Tasse Schokolade haben möchtest.“ Der Pumuckl wollte schon freudig ja schreien, doch der Gedanke an den Puwackl hinderte ihn daran. „Ich - ich habe gar keinen Hunger und gar keinen Durst.“ Meister Eder strich seinem Kobold über die Wuschelhaare. „Ist dir nicht gut?“ - 115 -
Der Pumuckl glaubte nicht recht zu verstehen. Warum schimpfte Eder nicht? Vielleicht hatte Eder noch nichts bemerkt? „Kann der Puwackl unsichtbar werden wie ich?“ fragte er vorsichtig. „Nein, der Puwackl bleibt immer sichtbar.“ Der Pumuckl ließ alle Hoffnung, nicht bestraft zu werden, fahren. „Dann - dann kann der sichtbare Puwackl die Schokolade haben.“ „Aber Pumuckl ...“ „Du kannst ihn ja dann auch schimpfen.“ „Warum soll ich ihn denn schimpfen?“ Da hielt es der Pumuckl nicht mehr länger aus: „Weil weil er alle seine Fäden abgeschnitten hat“, platzte er mit einer kleinen Verdrehung der Wahrheit heraus, „und weil er sich jetzt nicht mehr bewegen kann. Und weil er auf dem Boden liegt.“ Meister Eder musste ein Lächeln verbergen. „Ja, den müsste ich schimpfen“, sagte er dann ernst. „Der freche Puwackl hat dich gestern Abend so erschreckt. Aber ich habe ihn jetzt oben auf den Schrank gelegt, ganz hinten hin.“ „Ganz weit hinten?“ „Ganz weit.“ „Und - und du schimpfst kein bisschen?“ „Wen? Den Puwackl?“ Der Pumuckl zupfte verlegen an seiner Bettdecke. Dann sagte er leise: „Nein, den Pumuckl.“ „Nein, den Pumuckl schimpf ich nicht.“ Eders Stimme klang so nett, dass der Pumuckl schlucken musste. „Aber ich habe doch mit der Schere ...“ „Ich weiß, Pumuckl. Aber ich hab mir einen Spaß auf deine Kosten gemacht, und das war nicht richtig. Ja, - 116 -
wenn du auch eine Freude an dem Puwackl gehabt hättest, und wenn wir beide, du und ich, gemeinsam eine richtige Gaudi mit ihm gemacht hätten, wenn du ihn hättest tanzen lassen und ich ihn auch - aber so ...“ „Aber so lassen wir ihn einfach auf dem Schrank ohne Gaudi!“ jubelte der Pumuckl und strahlte wieder über das ganze Gesicht. Meister Eder konnte einen kleinen Seufzer nicht ganz unterdrücken. „Nicht seufzen!“ bat der kleine Kobold schnell. „Nun ja, das darf ich wohl noch, immerhin ist jetzt etwas kaputt, was mir Spaß gemacht hatte.“ Da seufzte der Pumuckl auch. „Und warum seufzt du?“ fragte Eder. „Weil ich auch seufzen darf, wenn das kaputt ist, das dir Spaß gemacht hat.“ Und dann seufzte der Pumuckl noch einmal. Aber das war eine Stunde später. Meister Eder war weggegangen, um ein paar Besorgungen zu machen. Der Pumuckl saß in seiner Schaukel und dachte nach. Und seltsam - der Puwackl auf dem Schrank begann, ihm leid zu tun. Und Meister Eder auch. Und überhaupt -und da musste er tief seufzen. „Ist keine schöne Gaudi, wenn der Wackl auf dem Schrank liegt. Ist viel gaudiger, wenn er tanzt.“ Er musste noch mal seufzen. Der Anblick der auf dem Boden liegenden Puppe stand ihm deutlich vor den Augen. Der Pumuckl ging langsam in Eders Zimmer und dort zum Kleiderschrank. Nach einigem Zögern hüpfte er hinauf. Da lag die Marionette und lachte ihn pfiffig an. Der Pumuckl näherte sich ihr nur vorsichtig. „Magst du Gaudi machen?“ Der Puwackl lachte weiter. „Du siehst ja kein bisschen traurig aus, nur deine Ohren - also deine - 117 -
Ohren sind viel zu groß!“ Er zog den Puwackl an einem Ohr, wodurch die Puppe mit dem Kopf wackelte. Das sah sehr echt aus. Der Pumuckl ließ den Puwackl gleich noch mal mit dem Kopf nicken. Und dann hob der Kobold den rechten Puppenfuß hoch und dann den linken, dann die Arme, und plötzlich war er mitten im Spiel drin. Nur die herumhängenden Fäden störten. „Hm - sag mal, du dummer Wackl, soll ich dir die Fäden wieder ganz machen?“ Und da die Puppe nicht mit dem Kopf nickte, warf sich der Pumuckl in die Brust: „Ich bin nämlich ein großer Fädenwiederganzmacher. Jawohl! Wir haben hier nämlich eine Schreinerei, und da gibt es Leim, und mit Leim kann man alles, alles leimen. Auch Fäden.“ Die Puppe rührte sich wieder nicht, doch ihr pfiffiger Blick ruhte direkt auf dem Pumuckl. „Schau nicht so schlau, ich bin viel schlauer, merk dir das“, brummte der Pumuckl und zog die Puppe bis zum Rand des Schranks. Wie sollte er bloß die Puppe in die Werkstatt bringen? Er konnte sie nicht beim Hinunterhüpfen tragen, dazu war sie viel zu schwer. „Entschuldige, aber da musst du selbst hinunterspringen anders geht's nicht!“ Und er gab der Puppe einen kräftigen Stoß. Sie landete polternd auf dem Boden. Der Pumuckl sprang hinterdrein. Aber - oh Entsetzen - was sah er: ein Ohr war abgesprungen. Das Stückchen Holz lag neben der Puppe. Der Pumuckl hob es auf. „Kannst du denn nicht auf deine Ohren Acht geben?“ schimpfte er. „Ich wollte dich doch wieder ganz machen, und jetzt machst du dich stattdessen kaputt. Weil du nicht ordentlich von einem Schrank hüpfen kannst. Weil - weil du mit den Ohren hüpfst!!“ Aber das Schimpfen nützte nichts. Der Pumuckl war - 118 -
nahe am Weinen. „Ohne Ohr siehst du gar nicht mehr schön aus! Mit Ohr warst du fast ein Puwackl, aber ohne ...“ Gegen seinen Willen kullerte ihm eine Träne über das Gesicht. „Armer Puwackl ohne Ohr.“ Er dachte an Meister Eder und dass der jetzt doch schimpfen würde und fügte hinzu: „Und armer Pumuckl mit Ohr.“ Doch dann fiel ihm ein, dass er ja mit Leim nicht nur Fäden „wiederganzleimen“ könnte, sondern auch das Ohr. Schleunigst zog er die Puppe in die Werkstatt. Da stand der Leimtopf. Zuerst tunkte er das abgeschlagene Ohr tief in den Leim. „Je mehr Leim, desto besser“, dachte er. Und dann sollte es mit der „Reparatur“ losgehen. Doch noch bevor er mit dem Ohr an den Puppenkopf kam, kam er mit seiner Hand an die Fäden und mit den Fäden an die Haare und die Fäden klebten an Hand und Ohr und am Haar. Und wenn der Pumuckl mit einer Hand einen Faden wieder lösen wollte, blieb der an der anderen Hand hängen, und dann blieben alle Fäden an seiner Kleidung hängen, und zu guter Letzt klebte alles an allem - nur nicht dort, wo es kleben sollte. Der Pumuckl focht einen verzweifelten Kampf aus, aber es ging ihm wie einer Fliege im Spinnennetz: je mehr er zappelte, desto mehr verwickelte er alles. Es war gut, dass Meister Eder bald von seinen Besorgungen zurückkam. Er sah die Bescherung und brachte nur heraus: „Ja, um Himmels willen - wie siehst du denn aus!“ „Verwickelt, verklebwickelt, verfadenverklebt, und das Ohr“, und dann fing Pumuckl herzzerbrechend zu weinen an, „das Ohr ist voller Fäden, und dafür ist der Kopf ohne Ohr, und - ich wollte alles gutmachen und wollte Gaudi - 119 -
mit dir machen und - der dumme, dumme Puwackl ist einfach auf sein Ohr gefallen, statt herunterzuhüpfen!“ Eder begann das ganze Knäuel auseinanderzuwickeln. „Warum sind nur die Fäden alle voller Leim?“ „Weil ich sie doch zusammenpappen wollte. Damit der Puwackl wieder tanzen kann.“ „Aber Pumuckl, Fäden kann man doch nicht leimen, die muss man zusammenknüpfen.“ „Und das Ohr? Muss man das auch knüpfen?“ Da musste Meister Eder lachen. „Nein, das leimen wir wieder an. Aber - vielleicht sollten wir das Ohr weglassen und das andere auch noch wegschlagen?“ „Nein!“ schrie der Pumuckl entsetzt und hielt sich seine eigenen Ohren. „Ich dachte, dass dir gerade die Ohren am Puwackl nicht gefallen haben.“ Der Pumuckl ließ die Hände von seinen Ohren sinken. „Gefallen dir meine Ohren?“ „Und wie!“ beteuerte Meister Eder. „Dann gefallen mir auch die Puwackl-Ohren - und wie!“ Es war eine Heidenarbeit für den Meister Eder, alle Fäden neu einzuziehen und zu knüpfen und das Ohr anzuleimen und vor allem: den Pumuckl ebenso wie den Puwackl vom Leim zu säubern. Aber als dann alles wieder in Ordnung war, da kam der Augenblick, auf den sich nicht nur der Meister Eder, sondern auch der Pumuckl freute: die große Vorstellung vom Puwackl. Sie wurde wirklich das, was Eder mit „Gaudi“ gemeint hatte. Einen ganzen Nachmittag lang spielten sie, und es war gut, dass es ein Samstagnachmittag war, sonst hätte wieder einmal einer von Meister Eders Kunden auf einen späteren Tag vertröstet werden müssen. - 120 -
Von da an fürchtete sich der Pumuckl vor dem Puwackl überhaupt nicht mehr, im Gegenteil: der Puwackl saß jede Nacht neben dem Bett des Pumuckl und bewachte ihn. Vor was, das wussten beide nicht, aber alle waren sehr zufrieden damit.
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Der große Krach Der Meister Eder hat viel Spaß mit seinem Kobold, aber auch oft viel Ärger. Im Großen und Ganzen gleicht sich das aus, und Meister Eder versöhnt sich auch immer wieder gern mit dem drolligen kleinen Kerl. Einmal aber trieb es der Pumuckl doch zu weit. Eigentlich hatte der Tag friedlich begonnen. Der Pumuckl saß in seiner Schaukel, und Meister Eder arbeitete. Ab und zu hüpfte der Kobold aus seiner Schaukel heraus, um sich eine der Zwetschgen zu holen, die Meister Eder in eine Schüssel auf der Fensterbank gelegt hatte. „Pumuckl, iss aber nicht zu viele Zwetschgen, sonst kriegst du Bauchweh“, warnte Eder. Aber der Pumuckl erklärte ihm vergnügt schmatzend: „Von Zwetschgen kriege ich nur Bauchwohl und nie Bauchweh!“ „Gib auf die Kerne acht!“ Der Pumuckl lutschte an einem Kern und reimte: „Kerne isst niemand gerne - man spuckt sie in die Ferne!“ Und damit spuckte er seinen Kern in hohem Bogen mitten in die Werkstatt. „Aber Pumuckl! Das geht doch nicht. Heb den Kern wieder auf, sonst rutsche ich darauf aus, und das willst du doch nicht.“ Das wollte der Pumuckl wirklich nicht. Er hob den Kern auf und legte ihn vor Eders Nase auf die Hobelbank. „Aber hier kann ich ihn doch nicht brauchen!“ protestierte Eder. „Wo kannst du ihn dann brauchen?“ „Nirgends.“ „Warum sind in Zwetschgen eigentlich Kerne drin, wenn - 122 -
man sie nirgends brauchen kann?“ „Aber das weißt du doch! Damit aus den Kernen neue Zwetschgenbäume werden.“ Der Gedanke gefiel dem Pumuckl ungeheuer. Er strahlte: „Oh, dann will ich einen Zwetschgenbaum haben!“ „Da musst du aber lange warten. Komm, wirf den Kern weg!“ Meister Eder hielt die Sache für abgetan. Nicht aber der Pumuckl. „So etwas Schönes wie einen Zwetschgen-werde-Baum darf man nicht wegwerfen!“ behauptete er und ließ den Kern liegen. Da Meister Eder nicht lange herumstreiten wollte, nahm er den Kern und warf ihn auf den Haufen zusammengekehrter Hobelspäne. „Nein! Nicht!“ schrie der Pumuckl. „Du machst ja meine schönen Hobelspäne voller Kerne und meinen schönen Kern voller Hobelspäne!“ Und schon hüpfte er hin und holte den Kern wieder heraus. Meister Eder seufzte: „Von mir aus, häng ihn dir um den Hals, damit endlich Friede ist!“ Das war nur so eine hingeworfene Redensart, aber der Pumuckl nahm sie ernst. „Einen Kern kann man sich doch nicht um den Hals hängen! Kein Mensch kann das, und kein Kobold kann das. Außer, du machst mir eine Kette dran. Machst du mir eine Kette dran?“ Meister Eder verlor die Geduld. „Nein, zum Kuckuck!“ „Aber ich hätte gern eine Halskette. Auch ohne Kern.“ „Geh zu, das haben doch nur Mädchen!“ „Und Kobolde! Alle meine Ururahnen haben Halsketten getragen!“ „Und du trägst eben keine! Punktum!“ Meister Eder hatte genug von dem Thema. Nicht aber der Pumuckl. Er warf den Kern wieder auf den Boden. - 124 -
„Wenn ich keine Kette für die Kerne bekomme und sie mir nicht um den Hals hängen kann, dann sollen eben hier lauter Zwetschgenbäume wachsen, einer aus dem Boden, einer aus deinem Bett, einer aus der Küche gleich neben dem Herd, einer aus der Säge.“ Der Kobold griff sich eine Handvoll Zwetschgen, um die Drohung gleich wahr zu machen. „Pumuckl, lass den Unsinn. Aus Zwetschgenkernen werden nur Bäume, wenn man sie in die Erde steckt. Hier im Haus kann keiner wachsen.“ „Du hast aber gesagt ...“ „Kreuzbirnbaumundhollerstauden, hörst du jetzt auf!“ fuhr Eder hoch. „Nein!“ sagte der Pumuckl, kicherte boshaft und warf drei Zwetschgenkerne vor Eders Füße. Jetzt wäre eine Strafe fällig gewesen, aber Eder kam nicht dazu, denn genau in diesem Augenblick kam Frau Gruber mit ihrer zehnjährigen Tochter Erika in die Werkstatt. Meister Eder schubste schnell mit dem Fuß die Kerne unter seinen Arbeitstisch. Frau Gruber war gekommen, weil Erika ein Schreibpult bekommen sollte, ganz nach Maß und Wunsch. Das Mädchen hatte sogar einen selbstgezeichneten Entwurf dabei, wie es sich das Pult vorstellte. Es sollte mehrere Fächer haben, und eines davon musste ein „Geheimfach“ sein, mit einem Schlüssel, den sie an ihr Armkettchen hängen konnte. Voller Stolz zeigte sie das Armkettchen, an dem bereits eine Menge zierlicher Anhänger baumelten: ein Dackel und ein Herz und ein Würfel und sonst noch einiges. Es war ringsum vollgehängt und klimperte bei jeder Bewegung. Meister Eder bewunderte es auch gebührend, und dann versprach er, das Pult mit - 125 -
„Geheimfach“ anzufertigen. Er unterhielt sich noch eine Weile mit Frau Gruber und Erika und vergaß dabei vorübergehend Pumuckls Ungezogenheit. Als die beiden gegangen waren, schaukelte der Pumuckl in seiner Schaukel so hoch, dass Eder ein „Fall nicht raus, Pumuckl!“ nicht unterdrücken konnte. Aber der schaukelte nur noch wilder und sang dazu: „Ich falle nicht heraus, ich falle nicht hinein, mir fällt nur mal was ein!“ „Hoffentlich etwas Gescheites“, brummte Eder, und sein Blick fiel auf die Zwetschgen. „Wie wär's, wenn du die Zwetschgenkerne aufheben würdest?“ Erstaunlicherweise hob der Pumuckl die Kerne auf. Dann setzte er sich wieder in die Schaukel und schaukelte wie verrückt. Meister Eder arbeitete besänftigt weiter. Er war mit seinen Gedanken bei dem neuen Auftrag. „Ein Geheimfach zum Absperren - Ansprüche stellen die Kinder heutzutage“, sinnierte er vor sich hin. „Mit einem Schlüssel an einem Armkettchen, ts, ts, ts.“ „An einem sehr schönen Armkettchen mit sehr schönen Sachen dran!“ bestätigte der Pumuckl hin und her schaukelnd. „Das Gebimmel würde mich nervös machen!“ Der Pumuckl schaukelte noch verrückter. „Mich nicht!“ „Aber jetzt hast du selbst gesehen, dass nur Mädchen Kettchen tragen!“ „Hab ich gesehen! Und weil ich ein Kobold und kein Mädchen bin, bekomme ich kein Kettchen. Nein, nein, nein!“ Der Pumuckl sang das geradezu. „Man muss nicht alles haben!“ erklärte Eder. „Seit meiner Jugend habe ich mir auch immer einen echten - 126 -
Gamsbart auf meinem Trachtenhut gewünscht - nie habe ich ihn mir gekauft.“ „Einen Bart auf einem Hut? Das würde ich mir nie wünschen! Nicht mal einen Bart auf dem Kinn.“ „Das verstehst du nicht.“ „Ich versteh was nicht, und du verstehst auch etwas nicht. Aber das ist auch nicht nötig!“ Der Pumuckl bremste die Schaukel und holte sich eine Zwetschge. Meister Eder schaltete die Säge ein. Der Pumuckl aber saß auf der Kante seines Bettchens und verspeiste eine Zwetschge. Dabei strich er immer wieder die kleine Bettdecke besonders glatt. Eine etwas verwunderliche Beschäftigung, aber Meister Eder achtete nicht darauf. Plötzlich wurde die Werkstattür aufgerissen und Frau Gruber kam atemlos herein. „Herr Eder, entschuldigen Sie, die Erika hat doch das Armkettchen bei Ihnen angehabt?“ „Freilich. Sie hat's mir doch ganz stolz gezeigt.“ „Und jetzt hat sie's verloren! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das geschehen konnte. Es war ein Sicherheitsverschluss dran.“ Meister Eder dachte gleich an seinen Kobold. Und darum sagte er: „Wenn sie es hier verloren hat, dann werden wir das Kettchen auch wieder finden, dafür garantiere ich!“ Und er begann auf der Stelle zu suchen, überall, auch dort, wo die Erika nicht gewesen war: hinter den Brettern und unter der Hobelbank und unter der Säge. Frau Gruber wehrte ab: „Aber Herr Eder, dort kann ja das Kettchen gar nicht liegen! Wahrscheinlich hat's die Erika auf der Straße oder im Milchladen verloren. Sie ist inzwischen dort hingelaufen. Wissen Sie was? Wenn wir das Kettchen nicht finden, dann machen wir einen Zettel - 128 -
an Ihre Werkstattür und auch in den Milchladen vielleicht meldet sich der Finder?“ Nachdem Meister Eder, seiner Meinung nach, alles abgesucht hatte, ging Frau Gruber wieder. Kaum war sie draußen, schaute Meister Eder seinen Kobold sehr ernst an: „Pumuckl, sag es bitte gleich: Hast du das Kettchen?“ Der Pumuckl schüttelte sich wie ein Pudel. „Du siehst doch, dass ich kein Kettchen habe. Das - das würde ja klimpern, wenn ich mich so schüttle!“ „Hast du's auch nirgends versteckt? Bitte sag's, ich schimpfe nicht, wenn du's gleich sagst.“ „Aber ich kann doch nicht etwas sagen, bloß damit du nicht gleich schimpfst, oder?“ Der Kobold fand das so witzig, dass er laut lachte. Meister Eder lachte nicht mit. „Pumuckl, wenn du das Kettchen hast, dann ist das kein Spaß, sondern Diebstahl, verstehst du?“ „Diebstall ist ein komisches Wort, findest du nicht auch? Heißt das so, weil ein Dieb in einen Stall kommt, wenn man ihn erwischt?“ „Nein, es kommt von stehlen. Ich frage dich noch mal: Hast du das Kettchen?“ „Immer soll ich alles haben! Wer weiß, wo die dumme Erika das Kettchen verloren hat. Soll doch besser Acht geben! Überhaupt muss man nicht alles haben, das hast du selbst gesagt, es lebt sich ohne Kettchen genauso gut. Jawohl!“ Der Pumuckl war jetzt sehr rot im Gesicht. „Also zum letzten Mal“, fragte Eder eindringlich, „du hast weder das Kettchen noch einen Anhänger, noch sonst etwas?“ „Nichts habe ich. Bloß Durst habe ich!“ Und schon sprang der Pumuckl zum Brunnen, wo ein Zahnglas - 129 -
voller Wasser stand, und trank und trank, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. „Pumuckl, um Himmels willen, du hast doch Zwetschgen gegessen. Hör auf, Wasser zu trinken - es zerreißt dich sonst!“ Aber der Pumuckl, der sonst schreckliche Angst vor solchen Dingen wie „Zerreißen“ und „Schlechtwerden“ hat, trank weiter, als wäre er ausgetrocknet. Meister Eder musste ihm das Glas richtig aus der Hand reißen. Er war derart besorgt, dass der Kobold das Wasser auf die Zwetschgen nicht vertragen könnte, dass er nicht mehr weiter nach dem Kettchen fragte. Nach einer halben Stunde kam Erika. Sie hatte einen Zettel in der Hand und sah noch recht verweint aus. Mit einem Schimmer von Hoffnung rief sie: „Herr Eder, haben Sie inzwischen mein Armkettchen gefunden?“ Meister Eder verneinte. Da gab sie ihm einen Zettel, auf dem groß in Druckbuchstaben stand: SILBERNES ARMKETTCHEN MIT VIELEN ANHÄNGERN VERLOREN! DA EIN LIEBES ANDENKEN, BITTE UM RÜCKGABE! „Ich habe so einen Zettel auch bei der Milchfrau aufhängen dürfen. Aber sie sagt, dass solche Sachen nie abgegeben werden. Die Leute sind nicht mehr ehrlich heutzutage, sagt sie.“ Erikas Augen füllten sich wieder mit Tränen. Meister Eder heftete den Zettel mit einem Reißnagel gut sichtbar an die Werkstattüre. „Erika, es gibt noch viele ehrliche Leute auf der Welt. Man sollte schon ein bisschen an die Ehrlichkeit glauben. Komm, nimm eine Zwetschge“, fügte er hinzu, um wenigstens irgendeinen sichtbaren Trost zu bieten. - 130 -
Während sie eine Zwetschge verspeiste, fiel ihr Blick auf die Schaukel, die scheinbar ohne Grund heftig hin und her schaukelte. „Ui - warum schaukelt die?“ fragte Erika erstaunt. Meister Eder zuckte die Schultern. „Im Luftzug vielleicht!“ „Und ein Puppenbett haben Sie auch noch. Wo ist denn die Puppe dazu?“ Sie ging zu Pumuckls Bett, um es näher anzuschauen. Eben wollte sie die Bettdecke hochheben, da schrie sie schon: „Au!“ und schlenkerte ihre Hand. „Ich habe mich an etwas gestochen!“ „Hm - in einer Werkstatt kann man sich leicht an irgendwas verletzen“, sagte Meister Eder leichthin. Nun, der Kobold zwickte des Öfteren Leute, wenn sie seine Sachen anrührten. Trotzdem sagte Eder, nachdem Erika wieder weggegangen war: „Es war überflüssig, das Kind zu zwicken. Sie hätte dir bestimmt nichts weggenommen.“ Doch statt einer Antwort kam nur ein klägliches Stöhnen vom Pumuckl. Käsebleich saß er auf der Kommode. Meister Eder sah es mit Bestürzung. Das Wasser auf die Zwetschgen! „Hab ich's nicht gesagt!? Das verträgt kein Magen der Welt!“ rief Eder. Der Pumuckl wurde noch um einen Grad bleicher. „Zz - zerreißt es jetzt meinen Magenbauch?“ „Ach wo - einen Durchmarsch wird es jetzt geben!“ versuchte Eder ihn zu beruhigen. „Will keinen Durchmarsch, will nicht mal einen Durchspaziergang.“ Der kleine Kobold krümmte sich wieder. „Komm, leg dich ins Bett!“ schlug Eder vor. - 131 -
Doch der Pumuckl schrie „Nein! Nein! Nicht ins Bett - es zwickt schon überhaupt nicht mehr!“ Aber da war es schon geschehen: Meister Eder hob die Bettdecke hoch, und unter der Bettdecke lag - das gesuchte Armkettchen. Meister Eder starrte ungläubig darauf. Dann brachte er nur ein „Da ist es ja“ heraus. Der Pumuckl krümmte sich - aber nicht nur vor Bauchweh. Dann kicherte er kläglich: „Hi, hi, hi, da ist es ja!“ „Pumuckl!“ Eder sagte es beängstigend leise. „Oh - oooh, mein Bauch - ooh - ich muss schnell rausgehen - ganz schnell!“ Er versuchte davonzuhüpfen; aber Eder hielt ihn fest. „Nein, du musst nicht hinausgehen!“ donnerte er. „Aber die Zwetschgen wollen wieder zu meinem Hals hinaus!“ schrie der Pumuckl. „Das ist mir egal. Du hast also das Armkettchen gestohlen. Und dann hast du mir frech ins Gesicht gelogen. Und das, obwohl ich dich so sehr gebeten habe, dass du die Wahrheit sagen sollst.“ Der Pumuckl zappelte verlegen. „Aber - aber ich habe doch das Kettchen nicht gehabt, mein Bett hat das Kettchen gehabt ...“ Eder schlug mit der Faust auf die Hobelbank. „Red kein so dummes Zeug! Gestohlen hast du's!“ Und dann murmelte er fassungslos: „Und das ist mein kleiner Pumuckl, mein Hausgeist, und ich habe ihm wirklich geglaubt.“ Dieser Ton war für den Pumuckl das Allerschlimmste. „Ich - ich habe es nicht gestohlen, sondern - sondern nur aufgehoben, und - und ...“ „Und ich wäre als Dieb dagestanden. Wenn die Erika - 132 -
vorhin die Bettdecke hochgehoben hätte, dann hätte sie die Kette gesehen. Darunter, verstehst du? Versteckt! Von wem versteckt? Doch wohl nur von mir. Ist ja sonst niemand da als ich. Die glaubt doch nicht an Kobolde.“ „Aber - aber ich habe doch die Erika noch rechtzeitig gezwickt.“ Eders Gesicht wurde vor Zorn immer röter und röter, eine Ader schwoll sichtbar auf seiner Stirn an. Der Pumuckl sah es und jammerte herzerweichend los: „O mein Bauch, ich sterbe gleich - fast bin ich schon mausetot! Oooh - oooh!“ „Das ist mir egal. Von mir aus zerreißt es dich!“ fauchte Eder. „Wenn ich mir vorstelle, Erika erzählt ihrer Mutter, ich hätte das Armkettchen in einem Puppenbett versteckt und dem Kind und ihr ins Gesicht gelogen, ich wüsste nicht, wo das Kettchen ist ...“ „Ich - ich wollte es doch nur ein bisschen ausleihen.“ „Hör auf!“ schrie Eder. '„Ich will kein Wort mehr von dir hören!!“ „Aber ...“ „Ich will dich überhaupt nicht mehr sehen! Nie mehr! Unter meinem Dach ist kein Platz für einen Dieb!“ In maßlosem Zorn riss Eder die Schaukel herunter und warf das Pumucklbett auf den Boden, so dass ein Fuß davon abbrach. Der Pumuckl schrie auf: „Nein, nein, bitte nicht!“ Aber Meister Eder gab den Sachen noch einen Fußtritt. Dann nahm er das Armkettchen. „So, und jetzt bringe ich es zurück und sage, ich hab's im Hof gefunden. Und merk dir: Das ist das letzte Mal, dass ich wegen dir lüge, um aus einer Verlegenheit zu kommen, in die du mich gebracht hast. Und wenn ich zurückkomme, dann bist du verschwunden. Verstehst du mich - vollkommen verschwunden!“ - 134 -
Der Pumuckl saß wie ein Häuflein Elend auf dem Boden. „Mir - mir ist sooo schlecht“, jammerte er. „Wenn du unsichtbar bist, wirst du davon nichts mehr spüren. Und von jetzt an wirst du für immer unsichtbar bleiben. Verschwinde!“ „O bitte - ich sterbe - oooh.“ Dem Pumuckl war keineswegs mehr so schlecht, aber es fiel ihm einfach nichts Besseres ein. „Such dir einen anderen, der Mitleid mit dir hat. Bis ich zurückkomme, bist du weg!“ Damit schlug Eder die Werkstattür hinter sich zu. Der Pumuckl war allein. Sein Bettchen lag umgekippt auf dem Boden, die Schaukel daneben. Der Kobold weinte. Und weinend wisperte er: „Hab ich doch gar nicht so böse gemeint, bin doch ein Kobold, und Kobolde verstecken gerne was und - und Kobolde hüten gern Schätze, alle Klabauters haben Schätze gehütet, in Höhlen, vielleicht sogar in Betthöhlen.“ Er versuchte, den abgebrochenen Bettfuß unter das Bettgestell zu schieben. Es gelang ihm nicht. Der kleine Kerl sah sich nach einem Werkzeug um. Seine Blicke wanderten durch die Werkstatt, über die Säge, über die Hobelbank, über den Werkzeugschrank. „Ich soll gehen. Ich weiß gar nicht, wohin ich gehen soll!“ Er musste schlucken und schlucken. „Wenn ich nicht mehr sichtbar werde, dann tut mir auch nichts mehr weh, und dann ess ich auch keine Zwetschgen mehr.“ Seltsam, es tat ihm da innen drin etwas schrecklich weh, obwohl er unsichtbar war. Aber das kam wohl nicht von den Zwetschgen. „Und dann habe ich auch nie mehr Hunger und Durst. Und dann habe ich auch keine Schaukel ...“ Zwei dicke, sichtbare Tränen fielen auf den Boden. Der - 135 -
Pumuckl sah es, und es machte ihn wütend. Er stampfte auf: „Ich will das auch alles gar nicht mehr. Nein! Nie mehr! Nie mehr!“ Trotzdem fielen nochmals zwei Tränen auf den Boden. „Und ich gehe jetzt! Jawohl, ich gehe!“ Er marschierte zur Tür. „Ich gehe einfach fort! Und komme nie mehr wieder!“ Er schaute sich nicht mehr um. „Nie mehr! Nie mehr!“ murmelte er und ging hinaus. Er ging über den Hof, am Kastanienbaum vorbei und zum Hoftor hinaus auf die Straße. Als Meister Eder von Frau Gruber zurückkam - die Freude über das wieder gefundene Kettchen war groß gewesen -, da lag noch alles so am Boden, wie Eder es in seinem Zorn hingeworfen hatte, und als er sich kurz umsah, wusste er gleich, dass kein Pumuckl mehr da war. Es war vollkommen still im ganzen Haus. Meister Eder nahm ein Brett, maß es sorgfältig ab und begann, es zurechtzusägen. Nur ein einziges Mal wischte er sich über die Augen. Kurz und energisch. Das war alles. Nach Feierabend drehte er das Radio laut auf, lauter, als der Pumuckl je hätte schreien können. Meister Eder bekam Kopfweh davon. Er drehte ab. Jetzt war das Haus doppelt so still. Da nahm er seinen Hut und ging in seine Stammkneipe.
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Der Krach und seine Folgen Als der Pumuckl die Werkstatt verließ, war es gerade Mittagszeit. Die Straße war leer, und er trottete trotzig an den bekannten Häusern vorbei zur nächsten Querstraße. Und dann zur übernächsten. Gab es nicht noch andere Höfe und andere Schreinereien? Sicher. Vielleicht konnte er irgendwo das Geräusch einer Kreissäge hören? Der Pumuckl blieb immer wieder stehen und horchte. Vergeblich. Nur einmal glaubte er eine Maschine zu hören und lief in einen Hinterhof. Aber er hatte sich geirrt, die Geräusche kamen von einer Baustelle. Der kleine Kobold lief und lief, kreuz und quer, über große Straßen und kleine Gassen, und weil er immer lieber rechts um eine Ecke bog als links, hatte er nach langem Laufen nichts weiter als einen großen Bogen geschlagen. Er merkte es erst, als ihm ein äußerst angenehmer Bratenduft in die Nase stieg - er kam aus dem Gasthaus, wo Meister Eder mit seinen Freunden schon manchen Abend verbracht hatte! Den Pumuckl durchzuckte es, als hätte man ihn mit einer spitzen langen Nadel gepiekt. Sollte er davonrennen oder sollte er ...? In diesem Augenblick öffnete sich die Wirtshaustür. Heraus kam der Mechanikermeister Schmitt. Der Pumuckl kannte ihn recht gut: Ein alter Freund Eders, der den Schreinermeister immer gerne wegen seines Kobolds verspottet hatte. Überflüssig zu sagen, dass Schmitt nicht an Kobolde glaubte und die „Pumuckelei“ für eine kleine Verrücktheit Eders hielt. Der Mechaniker trug zwei Flaschen Bier in der Hand, die er offensichtlich nach - 137 -
Hause trug. Der Pumuckl bekam so etwas wie Herzklopfen. Ob es sich in einer Mechanikerwerkstatt nicht auch recht gut leben ließ? Ob es dort eine Säge gab? Nun, auch ohne Säge machen Autos einen Lärm, der einem Kobold durchaus gefallen könnte. Und wie war das wohl mit den Hobelspänen? Vielleicht gab es nicht gerade Hobelspäne, dafür aber Autospäne? Der Pumuckl überlegte nicht mehr länger und lief hinter Herrn Schmitt drein. Er musste nicht weit laufen. Schmitt bog in einen Hof ein, der ganz ähnlich dem Hof Meister Eders war. Nur war dort kein Kastanienbaum. Die Werkstatt lag auch zu ebener Erde. Der Pumuckl verzog ein wenig die Nase, es roch nach Öl und Benzin. Das war nicht so ganz nach seinem Geschmack. Auch fand er das Blech der Autos lange nicht so schön wie die hellen und dunklen Bretter in der Schreinerei. Über der Werkstatt lag auch hier die Wohnung. Herr Schmitt schaute nur kurz in die Werkstatt, schloss sie dann ab und ging hinauf. In der Wohnung gefiel es dem Pumuckl schon besser. Im Wohnzimmer standen viele kleine Sachen herum, Reiseandenken, Porzellanfigürchen - der Pumuckl widerstand der Versuchung, eines hinunterzuwerfen -, weiche Sofakissen luden auf einer Couch zum Ausruhen ein, und aus der Küche drang ein höchst angenehmer Geruch. Herr Schmitt hängte den Werkstattschlüssel an einen Haken neben der Tür. Auch ein Autoschlüssel hing dort. Es schien in diesem Haushalt überhaupt alles ordentlich immer am Platz zu sein. „Das muss sich ändern“, dachte der Pumuckl und ließ sozusagen im Vorbeigehen die - 139 -
Schlüssel verschwinden. Und zwar unter ein Sofakissen. Und weil er gerade dabei war, angelte der Pumuckl auch noch aus einem Arbeitskittel an der Garderobe einen zweiten Autoschlüssel, für den er einen recht schönen Platz im Schirmständer fand. Pumuckls Laune stieg, und er verspürte Appetit. Das Ehepaar Schmitt aß in der Küche. Keines der beiden bemerkte, dass das Bier im Glas verdächtig schwappte und dass kleine Fleischstücke von den Tellern verschwanden. Auch ein Radieschen, das vom Tisch rollte, fiel niemandem auf. So etwas kommt mal vor. Gleich zweimal fiel Herrn Schmitt die Gabel auf die Hose. Da es aber eine Arbeitshose war, sagte Frau Schmitt bloß: „Bist du nervös heute?“ Herr Schmitt wischte die Gabel mit den Fingern ab. „Viel Arbeit. Muss gleich wieder weg, ein Auto von einem Kunden abschleppen. Getriebeschaden.“ Frau Schmitt trug blonde Haare, hoch aufgetürmt. Das erregte Pumuckls Interesse. Er zupfte ein wenig daran. Da gab das ganze Gebirge nach. „Deine Perücke sitzt schief“, sagte Herr Schmitt daraufhin. Frau Schmitt rückte das Haargebirge wieder zurecht. Der Pumuckl sah es mit Erstaunen und Entzücken. Er beschloss, des Öfteren daran zu zupfen. Gleich nach dem Essen stand Schmitt auf. Er zog seinen Arbeitskittel an und wollte den Autoschlüssel aus der Tasche holen. Aber seine Hand kam leer zurück. „Zum Kuckuck, wo ist denn der Autoschlüssel?“ „Am Haken.“ Seine Frau wusste, dass ihr Mann seine Autoschlüssel oft verlegte. „Nichts ist am Haken!“ rief Herr Schmitt. Die Frau kam aus der Küche. - 140 -
„Du hast mal wieder keine Augen im Kopf.“ Sie schaute zum Haken und stockte. „Tatsächlich“, sagte sie betreten. Hatte sie ihn vielleicht noch in der Handtasche? Sie suchte alle Taschen aus, Herr Schmitt suchte alle Taschen aus. Sie fauchten sich an, aber es nützte nichts. Die Schlüssel waren weg. Nun hat ein Automechaniker in seiner Werkstatt genug Werkzeug, um ein Auto auch ohne Schlüssel in Gang zu bringen. Doch was nützt das, wenn auch die Werkstattschlüssel verschwunden sind! „Irma, zum Donnerwetter, wo hast du die Werkstattschlüssel hingetan?“ Schmitts Stimme dröhnte durch das ganze Haus. „Iiich?“ Frau Irmas Stimme schrillte ein wenig. „Wenn du was verschlampst, dann soll immer ich es gewesen sein!“ „Das gibt's doch nicht, dass drei Paar Schlüssel verschwinden! Das gibt es einfach nicht!“ Der Pumuckl hörte das mit Vergnügen. Er saß auf dem Kissen, unter dem die Schlüssel lagen. Und er saß dort sehr bequem. Das Ehepaar rannte hin und her, und was die beiden zueinander sagten, war viel weniger freundlich als laut. Dem Pumuckl wurde es fast zu laut. Da ließ er einen Schlüssel auf den Boden fallen, einen Autoschlüssel. „Wie kommt denn der daher!?“ rief Schmitt fassungslos. Er hob ihn auf, wobei eine Zigarettenschachtel sich selbständig machte. Sie glitt aus der Rocktasche und verschwand im Papierkorb. Herr Schmitt hatte nun zwar die Autoschlüssel, aber das Abschleppseil, das er benötigte, war in der Werkstatt. Und die hatte er selbst abgeschlossen. Wo, zum - 141 -
Kuckuck, konnte der Schlüssel nur sein!? Herr Schmitt musste zur Beruhigung eine Zigarette rauchen. Er griff in die Tasche - die Zigaretten waren auch weg. Das war zuviel, und das Resultat war unerfreulich: Herr Schmitt brüllte seine Frau an, der Wagen des Kunden wartete vergeblich in einer Seitenstraße, und Frau Schmitt heulte. Sie heulte in das Sofakissen, das ihr der Pumuckl freundlicherweise überlassen hatte. Und so fand sie die Werkstattschlüssel. Die Zigaretten fand niemand. Der Pumuckl war sehr zufrieden, Herr und Frau Schmitt aber waren sich nicht mehr gewogen. Jeder nahm an, der andere habe den nachgerade schwachsinnigen Einfall gehabt, die Schlüssel auf das Sofa zu legen, wo sie dann unter ein Kissen rutschen konnten. Herr Schmitt verließ türenschlagend das Haus. Er beschloss, den Abend nicht zu Hause, sondern in seiner Stammkneipe zu verbringen. So kam es, dass abends in der Wirtschaft „Zum goldenen Eck“ außer dem Schlossermeister und dem Spenglermeister noch Herr Schmitt und - Meister Eder anwesend waren. Meister Eder war auffallend still und Herr Schmitt auffallend nervös. Und es dauerte nicht lange, da begann Schmitt: „Eder, heut hab ich an dich gedacht! Und wie!“ „An mich?“ „Na ja, weniger an dich, als an deinen Kubuckl oder wie der heißt!“ „Geh, hör mir mit dem auf“, sagte Eder unfreundlicher, als es seine Art war. Schmitt erzählte die Aufregung mit den Schlüsseln. Während die Stammtischrunde darüber lachte, blieb Eder völlig ernst. „Sieht ganz nach Pumuckl aus“, sagte er. „Könnte schon sein, dass er bei dir ist. Ich habe ihn - 142 -
nämlich heute hinausgeworfen.“ Die Männer nahmen die Bemerkung nicht ernst. Sie kannten Eder und seine Pumucklgeschichten. Sie hatten es sich angewöhnt, sogar ein wenig mitzuspielen. „Du wirst doch nicht behaupten, dass du seit neuestem ohne deinen Mupuckl lebst.“ „Doch, seit heute Mittag. Der Kerl hat mich fast zum Dieb gestempelt. Ein silbernes Armkettchen hat er geklaut und bei mir versteckt. Ich hab's zurückgebracht!“ „Was du nicht sagst!“ rief der Schlosser in einem Ton, der deutlich machte, dass er Eder nicht ernst nahm. „Geh zu, Eder, wir sind hier nicht im Kindergarten“, sagte der Spengler. „Ich erzähle das nur, damit unser Freund Schmitt weiß, was ihm bevorsteht.“ Eder nahm einen tiefen Schluck aus dem Maßkrug. Schmitts Lachen klang etwas unfrei. „Ich werde deinen Pumuckl fragen, wenn ich nach Hause komme, wie's wirklich zugegangen ist.“ „Ja, frag ihn. Und sag ihm auch gleich, dass ich ihm einen guten Aufenthalt bei dir wünsche!“ Meister Eder sagte das so ernst, dass Schmitt nachdenklich meinte: „Also, wenn man das erlebt hat, was ich heute mit meinen Schlüsseln erlebt habe ...“ Der Schlosser hob sein Glas. „Freunde, dann trinken wir mal auf den Quartierwechsel von Eders Kubuckl!“ Sie tranken recht kräftig, die Herren vom Stammtisch. Mit Ausnahme von Meister Eder, dem das Bier nicht schmeckte, und der sich bald verabschiedete. Am meisten trank an diesem Abend Herr Schmitt. Er musste ein gewisses Unbehagen hinunterschwemmen. Und so kam es, dass er etwas beschwipst in vorgerückter Stunde die - 143 -
Wohnung wieder betrat. Er schwankte leicht. Als er gewohnheitsmäßig die Schlüssel an den Haken hängen wollte, hielt er mitten in der Bewegung inne. „Den hänge ich jetzt hierher an den Haken“, murmelte er, „und die Autoschlüssel sperre ich in den Kasten, und den Schlüssel vom Kasten lege ich in mein Nachtkästchen!“ Herr Schmitt war sehr angetan von dieser Lösung der Schlüsselfrage. „Wollen wir doch seh'n, ob es da einen Pumuckl gibt oder nicht!“ Und plötzlich rief er laut. „Sag's doch gleich, wenn du da bist, dann reden wir ein Wörtchen miteinander. Und zwar ein klares und deutliches Wörtchen. Ich bin nicht so dumm wie der Eder. So ein Theater wie heute mache ich nicht mehr mit. Ich nicht! Verstanden?“ Diesen letzten Satz hatte im Schlafzimmer auch seine Frau verstanden. Sie kam heraus. „Jetzt fang bitte nicht auch noch mitten in der Nacht damit an!“ sagte sie gereizt. „Ich hab bis jetzt nicht einschlafen können deshalb!“ „Ich hab dich nicht gemeint.“ „Wen denn sonst!?“ „Ich hab geredet für den Fall, dass wir einen Kobold haben!“ Frau Schmitt sah ihren Mann genauer an. „Du hast zuviel getrunken. Sieh zu, dass du schleunigst ins Bett kommst.“ Herr Schmitt hielt sich ein wenig am Türrahmen fest. „Ich muss vorher noch einen schönen Gruß ausrichten.“ „So? Von wem?“ „Von unserem Freund Eder.“ „An mich?“ „Nein. An den Kobold Pumuckl. Einen schönen Gruß, - 144 -
und er wünscht ihm einen guten Aufenthalt bei uns.“ Das war Frau Schmitt zuviel. „Jetzt ist's aber genug. Schlaf deinen Schwips aus, und red keinen solchen Koboldsquatsch!“ Damit ging sie wieder ins Schlafzimmer zurück und schloss die Tür mit Nachdruck. Wenn Frau Schmitt geahnt hätte, dass der Pumuckl bei dem Gespräch tatsächlich mitgehört hatte, dann hätte sie das Wort „Koboldsquatsch“ nicht gesagt. Dem Pumuckl standen nämlich prompt ein paar Haarbüschel vor Empörung zu Berge. Aber nicht nur Empörung war im Pumuckl, sondern noch etwas, das ein bisschen wehtat: der Gruß vom Meister Eder. Als das Ehepaar zu Bett gegangen war, hockte der kleine Kobold in der Ecke der Couch im dunklen Wohnzimmer, und es war ihm alles andere als gemütlich zumute. „Ich habe einen guten Aufenthalt, einen sehr guten Aufenthalt sogar“, murmelte er trotzig, „brauch keinen Gruß vom Meister Eder!“ Er versetzte dem Kissen einen Hieb. „Koboldsquatsch!“ äffte er Frau Schmitt nach. „Bin kein Koboldsquatsch.“ Er presste beide Augen zusammen. Jetzt nur ja nicht heulen. Roch es nicht ein bisschen nach Holz? Und klang die fern vorbeifahrende Straßenbahn nicht ein bisschen wie eine Säge? „Kann auch ohne Holz schlafen! Sehr gut sogar!“ Aber der Pumuckl konnte einfach nicht einschlafen. Lag es an der Couch? Oder am Kissen? Oder woran? „Ich werde ein Gedicht machen. Ein Einschlafgedicht. Das nützt bestimmt etwas. Beim Dichten bin ich schon oft eingeschlafen“, redete sich der Pumuckl vor. Er dachte nach. Er hatte nicht die geringste Lust zu dichten. „Ich will schlafen, Augen zu, ich will träumen, flugs im Nu ...“ Er wusste nicht weiter. „Dummes - 145 -
Einschlafgedicht. Dummer Meister Eder.“ Da fiel ihm ein, dass Herr Schmitt gesagt hatte, er sei nicht so dumm wie Meister Eder. Wütend sprang der Pumuckl auf dem Sofa herum. „Der Meister ist nicht dumm! Kein bisschen! Er ist - er ist ...“ Plötzlich weinte der Pumuckl doch. „Er ist sehr dumm. Jawohl! Und euch werde ich's morgen zeigen!“ Das alles war nicht sehr logisch, es war nur sehr traurig. Schließlich schlief der Pumuckl doch ein. Aber alle seine Träume drehten sich um die Schreinerwerkstatt. Auch Meister Eder konnte nicht einschlafen. Ob der Pumuckl wirklich beim Stammtischfreund Schmitt gelandet war? Vergeblich suchte Eder sich einzureden, dass ihm das völlig gleichgültig sei und dass ihm nur der Freund Schmitt Leid täte. Er wälzte sich von der einen Seite auf die andere. „Ach was, der Schmitt ist viel jünger. Den kostet ein Kobold nicht soviel Nerven wie mich. Ich bin schließlich ein alter Mann!“ Hatte nicht eben draußen im Flur etwas geknarrt? Vielleicht war inzwischen der Pumuckl wiedergekommen? Es knarrte noch einmal. Meister Eder stand leise auf und öffnete vorsichtig die Tür. Schnell schaltete er das elektrische Licht ein - aber im Licht stand kein ertappter Pumuckl. Meister Eder angelte nach seinen Hausschuhen. Vielleicht war der Pumuckl in die Werkstatt gesprungen? Die Werkstatt war leer. Meister Eder schaute in das Pumucklbett. Es war leer. Er drehte das kleine Bett in seinen großen Händen hin und her. Dann stellte er es entschlossen wieder an seinen Platz. „Ist besser, er bleibt weg. Morgen trag ich das Bett und die Schaukel auf den Speicher. Aus. Punktum.“ - 146 -
Er ging wieder nach oben in seine Wohnung. Auf halber Treppe blieb er stehen. „Speicher - das ist ja Unsinn. Ich bringe das Zeug dem Schmitt. Der kann es dann aufstellen oder nicht - Pumuckl hin, Pumuckl her-, ich jedenfalls bin's dann los. Endgültig!“ Danach konnte er tatsächlich einschlafen. Der Pumuckl hatte am nächsten Morgen eine Menge zu tun: ein weiches Frühstücksei kullerte unversehens vom Tisch auf den Boden, eine Kaffeetasse kippte und ergoss sich über das Kleid von Frau Schmitt, während Herrn Schmitt der volle Marmeladelöffel auf die Hose fiel. Dann fand Herr Schmitt den Schuhlöffel nicht und die Schnürsenkel gingen dreimal wieder auf. Dafür ging eine Schublade nicht zu, weil sich irgendwas verklemmt hatte. Die Autoschlüssel waren erstaunlicherweise da, dafür blieb das Feuerzeug verschwunden. Das Ehepaar Schmitt wurde von all dem so nervös, dass es sich wieder in die Haare geriet. Doch mitten im Streit sagte Herr Schmitt plötzlich ruhig: „Es hat keinen Sinn, wenn wir uns dauernd anschreien, das geht alles nicht mit rechten Dingen zu! Das ist alles nicht normal!“ „Unsinn. Du lässt heute alles fallen, weil du gestern zuviel getrunken hast. Schau doch nur, wie deine Hände zittern!“ „Dass du die Kaffeetasse über dich schüttest, hat nichts mit meinen Händen zu tun!“ „Gut, mit meinen! Aber auf keinen Fall mit Koboldshänden!“ In diesem Augenblick fiel ein Topfdeckel scheppernd vom Herd. Niemand war in der Nähe des Herdes gewesen. Frau Schmitt starrte auf den Deckel. Stumm. - 147 -
Herr Schmitt sagte leise: „Ich habe gesehen, wie der Deckel einen Stoß bekommen hat!“ Da hielt sich Frau Schmitt beide Ohren zu und schrie: „Hör auf damit! Du willst mich wohl ins Irrenhaus bringen!! Der Topfdeckel hat schief auf dem Topf gelegen. Das ist alles. Alles! Alles!“ In diesem Augenblick klingelte es. Schmitts hätten sich nicht gewundert, wenn jetzt ein Kobold vor der Tür gestanden wäre. Aber es stand nur Meister Eder draußen. Schmitt zog ihn in die Wohnung. „Gut, dass du kommst! Es ist fürchterlich!“ Frau Schmitt brachte nur mühsam ein freundliches Lächeln zustande. „Sie haben meinem Mann einen Floh ins Ohr gesetzt! Mein Mann ist von Natur aus schon so abergläubisch, und jetzt erzählen Sie ihm auch noch solche Gespenstergeschichten!“ Meister Eder hielt das Pumucklbett in seinen Händen. „Entschuldigen Sie“, stotterte er verlegen. „Was haben Sie denn da in der Hand?“ Frau Schmitt deutete auf das Pumucklbett. „Das ist für den Pumuckl.“ Eder wurde richtig rot. Frau Schmitt wurde dafür blass. „Herr Eder, das geht entschieden zu weit. Sie können am Stammtisch Ihre Spaße machen - aber nicht hier und nicht mit mir.“ „Sei doch nicht so!“ Herr Schmitt gab seiner Frau einen unmissverständlichen Rippenstoß. „Das Bett ist doch hübsch, wir können es ja zwischen dem Zeug hier aufstellen, zur Zierde.“ „Ja, zur Zierde“, pflichtete Eder bei, „ich weiß ja auch - 148 -
nicht, ob der Pumuckl wirklich bei Ihnen ist. Aber wenn, dann ...“ „Wie wär's, Herr Eder, wenn Sie Ihren Kobold mitsamt dem Bett gefälligst wieder mit zu sich nach Hause nehmen würden.“ Die Stimme von Frau Schmitt war eiskalt. Aber Eder überging es. „Der Pumuckl kann aber auch sehr nett sein, glauben Sie mir. Sehr nett. Wenn Sie ihn sehen könnten, Sie wären wirklich begeistert!“ „Ich kann und will ihn aber nicht sehen!“ „Das meinen Sie bloß. Sie müssen versuchen, dass er sich irgendwo einzwickt oder dass er an was pappen bleibt, dann wird er sichtbar. Wissen Sie, es ist wirklich schade, wenn niemand mehr den kleinen Kerl sehen kann.“ Meister Eder sagte das so ernsthaft, dass Frau Schmitt zunächst die Sprache wegblieb. Dann wandte sie sich jäh ab und murmelte etwas von Irrenhaus. Schnell griff Herr Schmitt nach dem Bettchen. „Gib's her, Franz, du hast mich auf eine Idee gebracht. Für was bin ich denn Mechaniker! Ich mach aus dem Bett eine Art Mausefalle. Wenn es einen Kobold gibt und er legt sich rein, schnappt sie zu. Aus. Vorbei. Und wenn er drin ist, dann pack ich ihn in eine Kiste und verschick ihn nach Amerika. Ohne Absender. Dann haben wir ihn ein für allemal los.“ Die Augen des Herrn Schmitt glänzten. Er hatte das kleine Bettgestell an sich gerissen. „Nein, gib's wieder her!“ rief Eder. „Bitte! Das wäre ja eine Rohheit!“ Da schrie Frau Schmitt: „Ich kann euren Unsinn nicht mehr länger mit anhören. Ich gehe!“ Sie lief hinaus. Und von draußen schrie sie noch: „Und ich komme erst wieder, wenn ihr mit eurer Spinnerei aufhört!“ Sie knallte - 150 -
die Wohnungstür hinter sich zu und ließ zwei verlegene Männer zurück. „Gib mir bitte das Bett wieder!“ bat Eder. „Kommt nicht in Frage. Ich fange den Burschen, wenn es ihn wirklich gibt. Verlass dich drauf.“ Schmitt sperrte das Bett blitzschnell in den Kleiderschrank. Was sollte Meister Eder tun? Er konnte doch nicht anfangen, sich herumzubalgen. Worte aber nützten nichts. Was blieb dem guten Schreinermeister anderes übrig, als ohne Pumuckl heimzugehen? Er machte sich die bittersten Vorwürfe auf dem Nachhauseweg. Er konnte nur hoffen, dass der Pumuckl das Gespräch mit angehört hatte und somit gewarnt war. Wieder in seiner Werkstatt angekommen, fiel sein Blick auf die leere Stelle, wo vorher das Bettchen gestanden war. Eder musste sehr tief seufzen. „Vielleicht ist er gar nicht beim Schmitt“, murmelte er vor sich hin, um sich wenigstens etwas zu trösten. Da ertönte eine nur zu bekannte Stimme. „Nein, er ist nicht beim Schmitt.“ Es war der Pumuckl. Er hüpfte aufgeregt auf dem Bretterstapel hin und her. „Ich bin doch keine Maus! Ich will doch nicht nach Amerika, schon gar nicht als Paket!“ Und plötzlich fing er zu weinen an: „Oooh, mein schönes Bett wird jetzt eine Mausefalle, wo ich doch sooo gerne wieder drin liegen wollte! Ich - ich habe die ganze Nacht ganz dumm geschlafen, nur weil ich in mein Bett wollte und in meine Schaukel und“, der Pumuckl schluchzte jetzt herzzerbrechend, „und ich habe ein Gedicht gemacht, ein Einschlafgedicht ...“ Weiter kam er nicht. „Ach so - die Schaukel - die wollte - 151 -
ich ja eigentlich auch meinem Freund Schmitt bringen“, sagte Meister Eder ungerührt. Da hörte der Pumuckl auf der Stelle zu weinen auf. Er war empört. „Was!? Wie bitte?! Damit er auch noch Mäuse schaukeln lässt! Nein! “ Der Pumuckl sprang in einem hohen Satz zur Schaukel. „Da setze ich mich ja gleich rein und gehe nie, nie, nie mehr raus!“ Er setzte sich hinein und hielt sich fest, als sei die Schaukel ein Rettungsanker. „Hm - dann müssen wir die Schaukel wohl auf irgendeinen Baum hängen, schließlich haben wir zwei uns ja für immer getrennt.“ Der Pumuckl ließ die Schaukel nicht aus. „Eine Schaukel auf dem Baum ist nicht schön - außerdem geht im Winter da oft ein sehr scheußlicher Wind.“ „Ist Wind für Klabautermänner nicht was Wunderbares?“ „Schon, aber ...“ Dem Pumuckl fiel kein „aber“ ein. Er wollte doch nichts lieber auf der Welt, als wieder hier bleiben dürfen. „Vielleicht möchtest du gerne ein schööönes Gedicht hören? Wenn ich aber auf einem Baum sitzen muss, dann kannst du es nicht hören!“ In Meister Eders Augen glitzerte es. „Nun ja - ein schönes Gedicht wäre schon was Feines. Hast du vielleicht eines auf Lager?“ Da schaukelte der Pumuckl hin und her. „Ja“, rief er eifrig, „ein sehr schönes!“ Und schon setzte er seine Dichtermiene auf und begann: „Bin keine Maus, bin lieber zu Haus; bin kein Paket, lieg lieber im Bett.“ Er hielt die Schaukel jäh an. „Oooh, ich kann ja gar nicht in meinem Bett schlafen - hat ja der Automachemeister! Ooh, wo ich mich doch soo gefreut habe!“ „Nun, dann musst du eben zunächst wieder in den - 152 -
Sägespänen schlafen, wie ganz zu Anfang unserer Bekanntschaft.“ Der Pumuckl sah auf den großen Haufen Hobelspäne und nickte heftig. „O ja, ganz wie damals, ganz wieder von vorne anfangen. Können wir nicht die Sache mit dem Kettchen vergessen und ganz von vorne wieder anfangen, ganz bei dem allerallerersten Koboldsgesetz?“ „Bei welchem?“ Da stieg der Pumuckl aus seiner Schaukel und sagte feierlich: „Ein Kobold muss bei dem bleiben, der ihn einmal gesehen hat. Großes, großes Koboldsgesetz!“ Da lächelte der Schreinermeister sein altes gutes Lächeln. „Gegen Gesetze kann man nichts machen“, sagte er und schaltete schleunigst seine Säge ein. Vielleicht wären jetzt noch mal einige erzieherische Worte nötig gewesen über die ganze Kettchengeschichte. Aber manchmal ist es besser, nichts mehr weiter zu sagen. Vor allem dann, wenn man sowieso weiß, dass eine Geschichte dem anderen zu Herzen gegangen ist. Der Mechanikermeister Schmitt aber hat keine Mausefalle aus dem Pumucklbett gemacht, weil er sich vor dem Spott seiner Frau fürchtete. Er ist nur nachts heimlich aufgestanden und hat schnell einen Sack über das Bettchen geworfen, ihn zugebunden und auf den Speicher getragen. Dort blieb der Sack einige Tage stehen. Vielleicht war der Kobold drin und verhungerte allmählich. Heimlich ging Schmitt auf den Speicher, nahm mit spitzen Fingern den Sack und trug ihn ins Auto. Er fuhr damit bis direkt vor Eders Werkstattür. „Da hast du deinen Pumuckl wieder - falls er mitsamt dem Bett in dem Sack sein sollte!“ sagte er, als wollte er nur einen Scherz machen, und stellte den Sack in die Werkstatt. - 153 -
Meister Eder tat auch so, als wäre alles nur ein Scherz gewesen. Er lachte: „Du willst wohl Porto sparen!“ „Wieso?“ „Du wolltest doch den Pumuckl nach Amerika schicken!“ „Schon - aber kannst du mir sagen, ob Kobolde zollfrei sind?“ Beide Männer lachten und ließen diese Frage unbeantwortet. Als Meister Eder nachher wieder mit dem Pumuckl allein war, wollte der kleine Kobold wissen: „Bin ich nun zollfrei oder nicht?“ Da meinte Meister Eder: „Ich glaube, es käme mich teuer zu stehen, wenn ich dich verschicken wollte“, und stellte das Bettchen wieder an seinen Platz auf der Kommode.
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Pumuckl und die Maus Mit Mäusen geht es vielen Menschen etwas seltsam: Bei ruhiger Überlegung finden sie eine Maus mit ihren schwarzen Knopfaugen und dem spitzen Schnäuzchen recht niedlich. Wenn ihnen aber plötzlich so ein Tier über den Weg läuft - besonders in der Wohnung -, dann schreien sie vor Schreck auf. Jedenfalls vielen Erwachsenen geht es so. Kinder erschrecken da im Großen und Ganzen weniger. Im Gegenteil, sie hätten so einen kleinen Nager, der possierlich Männchen machen kann, gern zum Spielen. Meister Eder gehört zu den Erwachsenen, die etwas dagegen haben, wenn Mäuse im Haus herumspazieren. Er denkt da an den Schaden, den sie anrichten. Der Pumuckl dagegen weiß von Mäusen nichts weiter, als dass sie von Katzen gefressen werden. Er hatte noch nie eine Maus gesehen. Bis zu jenem Tag, an dem diese Geschichte geschah. Auch an besagtem Tag sah der Pumuckl zunächst noch keine Maus, sondern nur kleine, schwarze Krümelchen hinter einem Bretterstapel. Zuerst meinte er, es seien kleine Würmer und ekelte sich, dann aber sah er genauer hin und merkte, dass sich diese „Würmer“ nicht bewegten. Er rümpfte die Nase und sagte zu Meister Eder: „Dort hinter deinen Brettern sollte mal geputzt werden! Da ist schwarzer Würmchenbähbähschmutz!“ Meister Eder schaute nach, und was er sah, freute ihn gar nicht. „Das geht mir gerade noch ab, Mäusedreck!“ rief er entsetzt. - 155 -
„Ich glaube nicht, dass das dir abgeht, sondern der Maus!“ berichtigte der Kobold. Meister Eder holte Schaufel und Besen. „Dagegen muss ich sofort etwas tun. Sofort! Mäuse sind Schädlinge! Die nagen alles an!“ Pumuckls Augen wurden groß. „Auch Kobolde?“ Nein, aber sie gehen an das Essen, an den Zucker, an die Wurst.“ „Auch an meine Schokolade?“ Eder nickte. Da holte sich der Pumuckl den Rest einer Schokoladentafel und stopfte ihn auf einmal in den Mund. Er konnte kaum noch reden, so viel Schokolade mampfte er. Schließlich brachte er heraus: „So, jetzt wird sich die Maus wundern, wenn sie wiederkommt. Schokolade ist weg.“ „Die findet schon was anderes - vielleicht sind es sogar mehrere Mäuse. Die vermehren sich so, dass im Jahr aus einer Maus dreißig Mäuse werden.“ Der Pumuckl war entsetzt. „Dreißig Mäuse- dann ist ja die ganze Werkstatt nur noch voller Mäuse, und wir wissen überhaupt nicht mehr, wo wir schreinern sollen! Und wenn ich schaukeln will, dann schaukelt sicher bald eine Maus mit, und wenn ich schlafen will, dann schläft sicher eine Maus in meinem Bett!“ Meister Eder beruhigte ihn. Er suchte die Wand ab und fand ein kleines Loch neben der Bodenleiste. „Da haben wir's schon - hier kommt sie raus!“ „Durch so ein kleines Loch kommt eine ganze Maus?“ wunderte sich der Pumuckl. „Ich hole jetzt beim Hausmeister eine Mausefalle!“ Eder wandte sich zur Tür. - 156 -
Das passte dem Pumuckl gar nicht. „Und wenn die Maus herauskommt, während du die Falle holst?“ „Ganz einfach: dann fängst du sie. Du hältst sie am Schwanz fest, bis ich komme.“ „Und - und wenn sie mich beißt?“ „Das kann sie doch nicht, du bist ja unsichtbar.“ „Ach so, ja“, sagte der Pumuckl und war nicht ganz sicher, ob er wirklich auch für Mäuse unsichtbar blieb. „Du brauchst dich nicht vor einer Maus zu fürchten, Pumuckl, eine Maus fürchtet sich viel eher vor dir. Da genügt ein Ton von dir, und sie läuft davon.“ Der Pumuckl warf sich in die Brust. „Oh, dann will ich aber gewaltige Töne tönen. Solche Töne iiihhhuuuiii! Oder solche aaahhuaaa! Oder ...“ Meister Eder hielt sich beide Ohren zu, so grässlich waren Pumuckls Töne. „Nein, nicht brüllen sollst du - fangen sollst du die Maus!“ „Schon, aber wenn ich sie gefangen habe, dann soll sie mich fürchten, und dazu muss ich ihuiiiaaauaaah schreien!“ Ein Tier von der Größe eines Kalbes wäre davongelaufen, so schrie der Pumuckl. Meister Eder ging zum Hausmeister. Da nun der Hausmeister die Falle aus dem Keller holen musste und sich dann noch mit Eder über Mäuse im allgemeinen und Mäuse im besonderen unterhielt, war der Pumuckl ziemlich lange allein. Er beäugte etwas unbehaglich das Mauseloch, als sich dort aber nichts rührte, setzte er sich auf einen Bretterstapel und betrachtete aus sicherer Entfernung und von oben herab den Ausschlupf. Gerade in dem Augenblick, als das anfing, langweilig zu werden, sah der Pumuckl - er traute - 157 -
zunächst seinen Augen nicht - den kleinen Mausekopf vorsichtig aus dem Loch kommen. Der Kobold wagte kaum zu atmen. Als dann die Maus ganz aus dem Loch schlüpfte, da wurde der Pumuckl auf der Stelle äußerst mutig. „Ho, die Maus ist ja so klein, dass ich ein riesiger Kobold daneben bin“, dachte er, und er beschloss auf der Stelle, das kleine Tier zu fangen. Leise und unsichtbar pirschte er sich heran. Plötzlich machte die Maus ein Männchen. Possierlich hockte sie auf ihren Hinterbeinen und sah sich um. Der Pumuckl war hingerissen! Die Maus benahm sich ja wie der putzige Pudel aus dem Vorderhaus! Und da die Maus für den Kobold ungefähr so groß war wie ein Pudel für den Menschen, beschloss der Pumuckl auf der Stelle, die Maus sozusagen zu seinem Hund zu machen. Schnell packte er sie beim Schwanz. Als die Maus das spürte, fing sie vor Entsetzen zu fiepen an und zog und zog, um wegzukommen. „Reg dich nicht auf, ich bin keine Katze“, versuchte der Pumuckl die Maus zu beruhigen, „ich bin der Pumuckl und habe noch nie eine Maus gefressen. So was tun Kobolde nicht, glaub mir!“ Als die Maus die Stimme hörte, wurde sie sichtbar noch ängstlicher. Sie zappelte wie verrückt. „Ich weiß, dass es für dich nicht gemütlich ist, wenn ich dich an deinem Schwanz festhalte, aber ich habe keine Kette mit Halsband dran wie das Frauchen vom Pudelhund - das wäre wirklich viel praktischer. Aber warte, ich kann dich auf den Arm nehmen. Das ist für alle Tiere sehr gemütlich!“ Der Pumuckl versuchte, die Maus wie einen Hund auf - 158 -
den Arm zu nehmen, aber die Maus entkam ihm. Sie schoss in ihr Mauseloch. Der Pumuckl schrie lauthals: „Halt! Halt!“ Aber er konnte nur noch in ein dunkles leeres kleines Mauseloch gucken. „Ist in das kleine, kleine Loch verschwunden, ohne sich den Kopf anzustoßen! Eine tolle Maus!“ dachte der Pumuckl bewundernd. Dann rief er in das Loch hinein. „Maus, komm doch wieder, du kriegst von mir was zu essen! Wurst und Schokolade und was du willst!“ Doch nichts rührte sich. „Mausefellchen! Mausefellchen!“ lockte er zärtlich. Aber auch das war vergeblich. Da hüpfte der Pumuckl in die Küche hinauf, holte eine Scheibe Wurst und ein Stückchen Zucker und legte es vor das Mauseloch. Dann setzte er sich in einiger Entfernung davor auf den Boden und wartete. Keine Maus erschien. Dafür kam Meister Eder mit der Mausefalle zurück. „Der Hausmeister hat auch schon festgestellt, dass hier in letzter Zeit überall Mäuse auftauchen“, sagte Eder, „die nehmen allmählich überhand.“ „Das ist lieb von ihnen“, stellte der Pumuckl fest. „Ich will ganz viele Mäuse haben!“ „Wieso denn das!? Vorhin waren wir uns doch einig, dass ...“ „Vorhin ist nicht jetzthin! Und jetzthin mag ich Mäuse! Haben so liebe Kugeläuglein und Schnäuzchen und Öhrchen. Und machen Männchen. Was Hunde für die Menschen sind, sind Mäuse für Kobolde!“ „Das ist ja das Allerneueste! Ich hab dir doch gesagt, dass sich Mäuse vermehren!“ „Macht nichts. Dreißig Stück haben ganz leicht hier - 160 -
Platz, und wenn sie ein bisschen zusammenrücken, dann haben sogar dreißigvierzehnundneun Platz!“ „Gott bewahre! Und der Schaden?“ „Wenn man ihnen freiwillig was gibt, dann ist das kein Schaden, sondern ein Geschenk!“ In diesem Augenblick sah Meister Eder auch Pumuckls „Geschenke“ auf dem Boden. „Hast du das hingelegt?“ „Ja, damit die Maus wiederkommt. Sie hat mich vorhin besucht, aber schreckliche Angst gehabt, und -und das tut mir leid ...“ Meister Eder stellte die Falle vor das Mauseloch. „Gut, wenn sie da herauskommt, dann steht die Falle hier richtig. Aber komm du nicht dran, sonst schnappt sie zu, und das tut scheußlich weh.“ Der Pumuckl war empört. „Dann tut es der Maus ja auch scheußlich weh! Tu die Falle weg! Gleich!“ Der Pumuckl hielt sich beide Hände wie einen Trichter vor den Mund und trompetete: „Maus, nicht rauskommen! Vor dem Loch steht eine scheußliche Falle!“ „Pumuckl, der Mensch muss sich gegen Schädlinge wehren, gleich, ob es Mäuse oder Motten sind.“ „Eine Maus und eine Motte ist überhaupt nicht gleich!“ empörte sich der Pumuckl. „Hast du schon mal eine Motte Männchen machen sehen?“ „Nein, aber ...“ „Oder hast du schon mal eine Maus fliegen sehen?“ „Nein, aber ...“ „Versuch doch mal, eine Motte am Schwanz festzuhalten. Gleich’ - haha, dass ich nicht lache!“ Der Pumuckl lachte kein bisschen. „Ich habe ja nicht gesagt, dass diese Tiere gleich sind, sondern dass es egal ist, ob ...“ - 161 -
Der Pumuckl ließ den Meister Eder nicht ausreden. Seine Stimme schnappte fast über: „Egal, ob man eine Motte kaputtmacht oder eine Maus! Egal!“ Meister Eder musste dem Pumuckl recht geben: das war wirklich nicht so ganz egal. Er mochte eigentlich auch nicht gerne eine tote Maus in der Falle sehen. „Gut, Pumuckl, sollst recht haben. Wir machen es anders: Ich gipse das Loch zu, dann kann sie hier nicht mehr raus. Vielleicht verschwindet sie dann.“ „Und wohin verschwindet sie?“ „Vielleicht in den Hof. Und dort kannst du dann mit ihr spielen. Dann ist uns beiden geholfen.“ Das war ein Vorschlag, der dem Pumuckl nicht übel schien. „Gut“, sagte er, „wenn sie aber nicht in den Hof kommt, was mache ich dann?“ „Wart es mal ab, und dann reden wir weiter.“ Der Pumuckl lief in den Hof hinaus. Meister Eder gipste das Loch zu. Der kleine Kobold wartete und wartete, er untersuchte alle Mauern vom Vorderhaus und Hinterhaus nach Mäuselöchern, aber er fand nicht ein Loch. Er wartete vergeblich auf „seine“ Maus. Enttäuscht kam er wieder in die Werkstatt zurück. „Du musst das Loch gleich wieder aufmachen. Meine Maus ist nirgends herausgekommen, und sicher verhungert sie da hinter der Mauer und ist ganz mausetot“, klagte der Pumuckl. „Unsinn, die gräbt sich einen anderen Ausgang.“ „Ich will aber, dass sie keinen anderen Ausgang, sondern diesen ...“ Ärgerlich unterbrach ihn Eder: „Zum Kuckuck, hör jetzt - 162 -
endlich mit der Maus auf. Ich will davon nichts mehr hören.“ „Nichts kriegt der kleine Pumuckl - gar nichts.“ Der Kobold tat sich sehr leid. Aber Eder, der gerade an einer Schranktüre arbeitete, hatte für Selbstmitleid keine Zeit. „Sei endlich still!“ sagte er. Der Pumuckl war still, aber er dachte angestrengt nach. Und bei dieser Denkerei kam er zu dem Ergebnis, dass er das Mauseloch wieder freibohren würde, sobald Meister Eder aus der Werkstatt ging. Er musste nicht allzu lange warten. Meister Eder musste fort, um Beschläge zu besorgen. Als der Pumuckl allein war, nahm er einen kleinen Handbohrer und begann damit in den Gips zu bohren. Er musste sich sehr anstrengen und brachte trotzdem nur einige tiefe Kratzer im Gips zustande. „Hallo, Maus, könntest du nicht ein bisschen von drüben helfen - du bohrst doch oft solche Löcher“, rief er und trommelte mit dem Bohrer gegen den Gips. „Weißt du, ich bin es nicht gewöhnt, Türen zu bohren, weil Menschentüren nicht gebohrt werden!“ Er horchte an der Wand, ob sich nichts dahinter rührte. Dann schlug er zornig mit dem Fuß gegen den Gips und - plötzlich löste sich ein ganzer Brocken. Der Pumuckl machte einen Luftsprung vor Freude. Dann warf er den Bohrer weg und trat nur noch mit den Füßen gegen den Gips. Und tatsächlich, das weiße Zeug brach heraus. Der Pumuckl war mächtig stolz. Oh, ich bin stark wie dreißigzehn Mäuse! dachte er. Dann bückte er sich und rief in das Loch hinein: „Hallo, du kannst jetzt zu mir kommen!“ Keine Antwort. „Hallo, mach mal fiepfiep!“ - 163 -
Die Maus gab natürlich keinen Laut von sich. Umso mehr Laute aber gab Meister Eder von sich, als er nach Hause kam und natürlich gleich die herumliegenden Gipsbrocken sah. „Warst du das, oder war das die Maus?!“ fragte er streng. „Oooch - ich - ich weiß nicht - der Gips, der ist eben herausgefallen“, antwortete der Pumuckl recht gedehnt. „Na schön, dann wird eben jetzt die Falle aufgestellt!“ entschied Eder. „Nein!“ schrie der Pumuckl auf. „Nein, keine Falle, meine Maus darf nicht tot werden, bittebittebitte!“ „Aber ich habe dir doch erklärt, dass ...“ „Dass du Mäuse nicht brauchen kannst - aber ich kann doch eine Maus brauchen. Ich - ich habe gar niemand zum Spielen! Alle Menschen haben jemanden, nur ich habe niemanden, mit dem ich spielen kann, und den ich streicheln kann, und niemanden, den ich lieb haben kann und ...“ Der Pumuckl musste mächtig schlucken. Meister Eder auch ein bisschen. Seine Stimme klang nicht mehr sehr streng: „Nun ja - ob da gerade eine Maus das Richtige ist?“ „Doch, die ist sehr das Richtige. Ich bin dann nie mehr allein, auch nicht, wenn du weggehst, und auch nicht, wenn du schläfst, und auch nicht, wenn ...“ Dem Pumuckl fiel nichts mehr ein. „Und eben nie mehr!“ schloss er seine Rede. Meister Eder kratzte sich hinter dem Ohr. Der Pumuckl hatte wirklich keinen Spielgefährten, das stimmte. Und schließlich war eine Maus auch nicht schlechter als irgendein anderes Haustier, solange es sozusagen unter Aufsicht stand. „Gut, du sollst deine - 164 -
Maus haben.“ Der Pumuckl machte einen seiner allerhöchsten Freudensprünge. „Gleich!?“ „Zuerst müssen wir sie fangen, ohne dass ihr etwas dabei geschieht. Es gibt auch andere Fallen, die so ähnlich wie kleine Käfige sind. Da legen wir Speck rein, und wenn die Maus reingeht, fällt eine kleine Tür zu.“ Der Pumuckl hüpfte und sprang herum vor Begeisterung. Meister Eder aber sagte: „Eines aber musst du mir versprechen: du musst dich auch um die Maus kümmern, das heißt: Käfig saubermachen, ausmisten, die Maus regelmäßig füttern. Wenn schon, dann darf das Tier nicht leiden.“ Der Pumuckl stellte sich feierlich vor Meister Eder auf: „Großes Klabauterehrenwort, das werde ich alles tun!“ Meister Eder trieb tatsächlich eine Falle auf, wie er sie brauchte. Und dann legte er Speck hinein, und der Pumuckl tat noch das Stückchen Zucker dazu. Und wirklich: am nächsten Tag saß eine Maus in der Falle! Meister Eder holte einen Vogelkäfig vom Speicher, der so mit Glas verkleidet war, dass die Maus nicht herausklettern konnte. Meister Eder baute ihr aus Moos einen Schlupfwinkel hinein. Dann wurde die Maus in ihre neue Behausung gesetzt. Sie entdeckte gleich den Schlupfwinkel und verkroch sich. Der Pumuckl stand vor dem Käfig und wartete, bis die Maus wieder erschien. Als plötzlich ein Schnäuzchen zum Vorschein kam, schrie er so laut: „Sie kommt!“, dass die Maus auf der Stelle wieder verschwand. „Du darfst nicht so schreien, das erschreckt sie doch!“ „Wenn ich aber schreien muss, weil ich. mich so freue!“ „Ich fürchte, dass du dich in diesem Fall nach der Maus - 165 -
richten musst, nicht umgekehrt. Sie bekommt Angst vor dir.“ „Aber vor mir muss sie doch keine Angst haben!“ „Woher soll sie das wissen, Pumuckl?“ „Ganz einfach: von mir. Ich sage es ihr!“ Der Pumuckl stellte sich feierlich vor den Käfig und rief so laut, als hätte sich die Maus nicht nur verkrochen, sondern auch noch die Ohren verstopft: „Hallo, Maus, du musst dich nicht fürchten. Ich bin der Pumuckl, und ich will mit dir spielen!“ „Ich weiß etwas Besseres“, sagte Eder. Er schob ein Stück Speck in den Käfig. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, und die Maus erschien. Sie knabberte am Speck und machte Männchen und war so possierlich, dass der Pumuckl beinahe wieder vor Glück geschrieen hätte. Aber er beherrschte sich. Das Glück dauerte jedoch nicht lange. Die Werkstattür klingelte, und die Maus verschwand. Der Maxl aus dem Vorderhaus kam herein. Er wollte etwas basteln und brauchte dazu zwei kleine Bretter. Natürlich sah er sofort den Käfig, in dem kein Vogel, dafür aber eine Mooshöhle war. „Haben Sie ein Terrarium?“ fragte er interessiert. „Nein, ich habe eine Maus, eine ganz gewöhnliche graue Hausmaus.“ „Grau, das ist ja prima“, rief da der Maxl begeistert, „ich habe eine weiße Maus, und wenn Sie mir Ihre graue Maus leihen, dann gibt's vielleicht scheckige Junge!“ Er strahlte. „Meine Maus ist ein Mäuserich. Sehen Sie doch bitte gleich nach, ob Sie eine Mäusefrau haben!“ „Gelegentlich“, versprach Eder, „jetzt habe ich was anderes zu tun.“ - 166 -
„Aber vergessen Sie es bitte nicht!“ Der Maxl suchte sich zwei kleine Bretter - Meister Eder schenkte sie ihm - und ging wieder, nicht ohne den Meister noch mal an sein Versprechen zu erinnern. Der Pumuckl konnte es kaum erwarten, bis der Maxl draußen war. Er wollte doch unbedingt mit seinem neuen „Freund“, der kleinen Maus, spielen. Ihm war es egal, ob Männchen oder Weibchen. Er klopfte an den Käfig hinter dem Moos-Schlupfwinkel und rief: „So, Maus, jetzt endlich raus. Ich verkrieche mich ja auch nicht. Maus raus, wir spielen!“ Die Maus blieb in ihrem Moosberg. „Maus, ich mache den Moosberg kaputt, dann kannst du dich nicht mehr verkriechen!“ drohte der Pumuckl. „Lass sie in ihrem dunklen Eck. Das ist ihr Schlafplatz, vielleicht ist sie müde.“ „Ich bin auch nicht müde, und ich brauche auch kein dunkles Eck. Außerdem muss die Maus das tun, was ich will, denn sie ist viel kleiner als ich, und ich - ich bin für sie der Meister Pumuckl! jawohl!“ Der Schreinermeister musste lachen. „Also, wenn dir die Maus so folgt wie du mir, dann ...“ „Dann bin ich sehr zufrieden mit ihr! Und jetzt hol bitte, bitte, die Maus heraus, ich will sie ein bisschen streicheln - nur ein ganz kleines bisschen. Weißt du, damit sie sich nicht mehr fürchtet!“ „Die fürchtet sich dann nur noch mehr. Außerdem möchte ich nicht, dass sie uns wieder auskommt.“ „Weißt du was? Wir machen der Maus ein Hundehalsband, dann kann sie nicht auskommen, und ich kann sie überall hinführen!“ Pumuckls Augen glitzerten vor Freude über diesen Einfall. „Du bist wohl närrisch! Das Tier täte mir ja leid.“ - 168 -
„Wieso? Hunde tun dir doch auch nicht leid!“ „Ein Hund ist doch viel kräftiger und größer!“ „Dann kriegt die Maus eben ein viel weniger kräftiges Halsband, und wir binden sie auch weniger kräftig an.“ Meister Eder schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Pumuckl.“ Der Pumuckl machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wenn sie angebunden wäre, dann dürfte sie auch mit mir in meiner Schaukel schaukeln.“ „Das wäre eine schöne Tierquälerei!“ „Aber so hab ich ja nichts von der ganzen Maus! Nicht mal streicheln darf ich sie, gar nichts darf ich!“ „Nun, von mir aus, dann streichle sie eben mal!“ Meister Eder holte die kleine Maus aus dem Käfig. Sie hielt sich ganz ruhig in seiner großen warmen Hand. Der Pumuckl streichelte sie vorsichtig. „Ich will sie auch in die Hand nehmen!“ bat er. „Lieber nicht, dir kommt sie sonst aus!“ Meister Eder setzte die Maus wieder in den Käfig. „Und was kann ich so mit ihr spielen? Gar nichts!“ maulte der Pumuckl. „Du kannst ihr zuschauen und mit ihr reden und ihr Futter geben und den Käfig in Ordnung halten!“ „Zuschauen ist langweilig, und reden auch, wenn man keine Antwort bekommt. Und Ordnung soll die Maus selbst halten!“ In diesem Augenblick sah der Pumuckl, dass in dem Käfig auch schon solche „schwarzen Würmchen“ lagen wie hinter dem Bretterstapel, „Iiih pfui!“ Er schüttelte sich angeekelt. „Was heißt da ‚pfui’? Das gehört dazu, und darum musst du ja den Käfig auch immer wieder putzen.“ „Iiich?!“ Pumuckls Begeisterung für die Maus legte sich - 169 -
mehr und mehr. „Aber du hast mir doch das große Klabauterehrenwort gegeben.“ „Das große? Ich - ich glaube, es war das kleine Klabauterehrenwort.“ „Was, du fängst jetzt schon an, dich vor der Arbeit zu drücken! Dann trage ich die Maus ja gleich in die Anlagen rüber und lasse sie wieder laufen.“ „Nein, das darfst du nicht. Das ist meine Maus. Wenn sie jemand laufen lässt, dann ich!“ Meister Eder sagte daraufhin nichts. War die Begeisterung des kleinen Kobolds so schnell abgeflaut, nur weil er mit dem kleinen Tier nicht so umgehen durfte, wie er es sich vorgestellt hatte, und weil er den Käfig sauber halten sollte? Der Schreinermeister begab sich wieder an seine Arbeit. Der Pumuckl saß noch eine Weile vor dem Käfig. Da sich die Maus aber wieder verkrochen hatte, wurde ihm das bald langweilig. Er setzte sich in seine Schaukel und meinte nach einer Weile: „Meinst du, dass die Maus gerne in den Anlagen spazierenlaufen würde?“ „Wahrscheinlich.“ Da sprang der Pumuckl aus seiner Schaukel und freute sich: „Da kann sie dann auf der Wiese mit mir spielen und - und ich kann ihr nachlaufen, wenn sie davonläuft! Wir spielen Fangen und Verstecken und - und ich muss kein bisschen die Wiese putzen, wenn sie dort schwarze Würstchen macht!“ „Und dann wird sie dir davonlaufen, und vielleicht wird sie dann von der Katze gefressen.“ „Von der Katze wird sie nicht gefressen, ich verjage ganz einfach alle Katzen!“ behauptete der Pumuckl. Meister Eder wollte eigentlich ärgerlich werden; - 170 -
schließlich hatte er sich die Zeit genommen, eine richtige Falle zu besorgen und dann den Käfig herzurichten, und jetzt wollte der Pumuckl die Maus schon wieder laufen lassen. Doch dann überlegte er, dass diese Lösung vielleicht doch für ihn, für Pumuckl und auch für die Maus am besten wäre. „Gut, heute Nachmittag setzen wir die Maus in eine Zigarrenkiste und tragen sie in die Anlagen. Aber wehe dir, wenn du dann ein Wehgeschrei anfängst, falls die Maus auf Nimmerwiedersehen in irgendein Mauseloch verschwindet!“ „Ich setze mich vor das Mauseloch, so dass keine Maus mehr hinein- und keine mehr herauskommt.“ „Also gut“, sagte Eder, nicht ganz überzeugt, dass es nicht doch ein Wehgeschrei geben würde. Am Nachmittag konnte man dann den Schreinermeister mit einer Zigarrenschachtel in der Hand in die Anlagen gehen sehen. Manche guckten ihn etwas verwundert an, weil er die Schachtel vorsichtig trug und ab und zu mit sich selbst zu reden schien. Auf einer großen Wiese angekommen, stellte Meister Eder die Schachtel auf den Boden. In diesem Augenblick sagte jemand: „Herr Eder, was haben Sie denn da?“ Es war Maxl. Meister Eder war etwas verlegen. „Ach weißt du, ich dachte, dass die Maus gern ein bisschen Bewegung hätte ...“ Weiter kam er nicht. „Und wenn sie Ihnen auskommt? Geben Sie die Maus lieber mir. Ich schenk Ihnen dann ein Junges, wenn es mit den karierten Jungen klappt!“ Meister Eder dachte nach. Warum sollte er dem Buben die Maus nicht geben, da der Pumuckl sie ja wohl nicht - 171 -
mehr haben wollte. Er gab dem Maxl die Schachtel. „Bin selbst neugierig, ob es dann grauweiße Mäuse gibt“, sagte er. Der Maxl nahm die Schachtel freudig in Empfang. Aber gerade als er sich bedanken wollte, zwickte ihn etwas so in den Fuß, dass er vor Schreck die Schachtel fallen ließ. Der Deckel klappte auf und die Maus sprang mit einem Satz heraus. Der Maxl schrie auf und jagte hinter der Maus her. Zuerst schien es aussichtslos, sie zu fangen, doch plötzlich blieb die Maus mit einem Ruck mitten im Lauf stehen. Der Maxl sah es erstaunt. Vorsichtig pirschte er sich heran. Und mit einem schnellen Griff packte er sie. Diese Schnelligkeit hätte er sich sparen können: die Maus wurde vom unsichtbaren Pumuckl so festgehalten, als wäre sie angenagelt. Der Kobold hatte den Maxl nur gezwickt, weil er vorher noch sehen wollte, wie die Maus über die Wiese läuft - aber entkommen lassen wollte er sie nicht. So kam es also, dass der Maxl die Maus wieder in das Kistchen setzen und sie zu seinem Mäuserich bringen konnte. Der Bub, der den gleichen Heimweg hatte wie Meister Eder, schwärmte die ganze Zeit von den gescheckten Jungen, die es vielleicht geben würde. Dem daneben herlaufenden Pumuckl war es dabei recht zwiespältig zumute: Einerseits hätte er die Maus gerne behalten, wenn er nicht den Käfig hätte putzen müssen, andererseits fand er scheckige Mäuse eine höchst spannende Angelegenheit. Zu Hause angekommen, machte sich Meister Eder auf ein großes Protestgeschrei gefasst. Doch der Pumuckl guckte nachdenklich den Vogel- beziehungsweise Mäusekäfig an und meinte: „Den lassen wir hier stehen, - 172 -
und du machst noch ein Bettchen dazu für mein kleines Mausekind - oder vielleicht zwei Betten für zwei Mausekinder ...“ „Lieber nicht! Ich bin froh, dass die Mausgeschichte so gut geregelt ist. Der Maxl wird die Maus ganz sicher nicht so schinden, wie du es getan hättest!“ „Ich hätte sie nicht geschunden, sondern erzogen! Du erziehst mich ja auch!“ „Das ist doch was anderes!“ „Nein, das ist Koboldsschinde ...“ Der Pumuckl sprach das Wort nicht zu Ende. Seine Augen wurden groß und größer. Er starrte auf den Boden. „Um Himmels willen, was ist, Pumuckl?“ Der Pumuckl hob langsam die Hand und deutete auf das Mauseloch. Eder drehte sich blitzschnell um. „Was!?“ „Hat eben eine Maus rausgeguckt. Mit kugelrunden, schwarzen Glitzeraugen!“ „Jetzt geht die ganze Geschichte wieder von vorne an!“ stöhnte Eder. Doch der Pumuckl meinte gelassen: „Nicht ganz von vorne. Den Käfig haben wir ja schon hergerichtet.“ Meister Eder sagte daraufhin gar nichts mehr. Er beschloss, diesmal schlauer zu sein. Er ging in ein Fachgeschäft und fragte, wie man am besten Mäuse vertreibt. Ja, wie man sie vertreibt, wollte er wissen. Und da es für Mäuse Gerüche gibt, die sie nicht ausstehen können, hat er ein Mittel erstanden, das die Mäuse sozusagen zum Auswandern veranlasst. Er tat dieses Mittel heimlich in das Mauseloch. Der Pumuckl, den der Geruch keineswegs störte, schaute noch ein paar Tage lang immer wieder nach dem - 173 -
Mauseloch, als sich aber nichts mehr rührte, begann er, die Sache wieder zu vergessen. Leider hat es beim Maxl keine scheckigen Mäuse gegeben. Die graue Maus muss wohl auch ein Mäuserich gewesen sein.
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Pumuckl hütet Fische Ein Kobold und Tiere, das ist immer so eine Sache! Mit Ausnahme von Katzen, die der Pumuckl sehr fürchtet, mag er fast alle Tiere, obwohl er - und das muss leider auch gesagt werden - überhaupt nichts von Tieren versteht. Das zeigte sich nicht nur bei der Maus, sondern auch deutlich bei der Geschichte mit den Fischen. Meister Eder ist ein hilfsbereiter Mensch, das wissen alle, die ihn kennen. So kam es, dass auch Frau Steiner aus dem Vorderhaus den Einfall hatte, Meister Eder um einen Gefallen zu bitten: Sie musste für ein paar Tage zu ihrer Tochter reisen und deren Haushalt und Kind betreuen, während die Tochter sich einer Mandeloperation unterziehen sollte. Frau Steiner aber besaß ein Aquarium und einen Kanarienvogel. „Herr Eder, könnten Sie acht Tage lang meinen Kanarienvogel und meine Fische betreuen? Ich könnte dann in Ruhe wegfahren“, bat Frau Steiner. Meister Eder zögerte - nicht aus Ungefälligkeit, sondern weil er an seinen Kobold dachte. „Frau Steiner, ich habe keine Ahnung von Fischen und Kanarienvögeln. Ich weiß nicht, was man da tun muss.“ „Ganz einfach: Abends die Beleuchtung vom Aquarium ausschalten, morgens einschalten und dabei etwas von dem Trockenfutter ins Wasser werfen und dem Kanarienvogel Körner geben. Da kann überhaupt nichts schiefgehn.“ „Ja - aber die Verantwortung ...“ Doch Frau Steiner wischte diesen Punkt mit einer Handbewegung weg. „Ach, was soll schon passieren! Sie - 175 -
sind der einzige Mensch, zu dem ich Vertrauen habe!“ Was blieb da dem Meister Eder anderes übrig, als zuzusagen, schließlich war es ja auch keine große Sache, zweimal am Tag schnell ins Vorderhaus zu gehen und die Tiere zu füttern. Wenn nur der Pumuckl nicht gewesen wäre! Meister Eder ließ sich also das Aquarium und das Fischfutter, den Kanarienvogel und das Vogelfutter, die Topfpflanzen und die Gießkanne samt täglicher Wassermenge zeigen und übernahm die Wohnungsschlüssel. Als Eder wieder in die Werkstatt zurückkam, saß der Pumuckl auf der Hobelbank und empfing ihn mit großen Augen: „Hat Frau Steiner wirklich Fische, die echt schwimmen?“ „Ja, ein sehr schönes Aquarium, ein Riesending mit Warmwasser und vielen Wasserpflanzen!“ Meister Eder war selbst sehr beeindruckt. „Ist was Schönes, so ein Aquarium“, fügte er hinzu, „da sind Fische, die richtig rot und blau leuchten, und wieder andere, die ganz und gar durchsichtig sind.“ Das hätte er nicht erzählen sollen. Der Pumuckl sprang auf. „Oh, die durchsichtigen Fische, die darf ich mir anschauen, ja?“ Dem Meister Eder war sofort klar, was für einen Fehler er gemacht hatte. „Nein, lieber nicht, wer weiß, was du in einer fremden Wohnung anstellst!“ „Nichts! Ich will bloß schauen!“ Pumuckls Augen bekamen etwas Schwärmerisches. „Klabauters sind Freunde von Fischen. Große Freunde. Ein Urururururgroßvater von mir ist mal auf einem Delphin durch das ganze Meer geritten, und ein noch viel urer Urgroßvater - 176 -
ist von einem Haifisch gefressen worden!“ „Na, das spricht ja nicht gerade von Freundschaft“, wies Eder auf den Widerspruch hin. „Ach weißt du, das war nur ein Versehen von dem Haifisch. Aquariumfische sind ja viiiel kleiner, und die kleinen lieben wir Klabauters. Bitte, bitte, darf ich sie sehen, ich hab noch nie einen echten Fisch echt schwimmen sehen.“ „Pumuckl, das geht nicht. Frau Steiner hat mir ihre Wohnung anvertraut.“ „Wenn ich verspreche, dass du mich in deine Rocktasche stecken darfst und dass ich nur rausgucke und überhaupt nicht heraushüpfe?“ bettelte der kleine Kobold. Da Meister Eders Herz alles andere als aus Stein ist, machte er einen Vorschlag: „Ich kenne eine Tierhandlung, da kannst du Fische anschauen.“ „Ich will aber die schönen leuchtenden und durchsichtigen Fische sehen und den Kanarienvogel und - und überhaupt, wenn ich noch ganz und gar unsichtbar wie früher wäre, dann könnte ich hingehen, wohin immer ich wollte und niemand könnte was dagegen haben.“ Meister Eder wusste, dass der Pumuckl immer noch unsichtbar war und dass sich deshalb doch nichts verhindern ließe. Vielleicht war's besser, er hatte den kleinen Kerl sicher in der Rocktasche. „Gut, du kannst mitkommen. Aber nur ein einziges Mal. Ausgemacht?“ „Ausgemacht“, sagte feierlich der Kobold. Frau Steiner reiste am Nachmittag dieses Tages ab. Meister Eder musste abends das erste Mal in die Wohnung gehen, um das Licht im Aquarium auszuschalten. - 177 -
Es fing schon zu dämmern an, als Eder mit dem Pumuckl in der Rocktasche in Frau Steiners Wohnung kam. Das Aquarium leuchtete geheimnisvoll grün aus der Zimmerecke. Der Pumuckl war hingerissen. „Wie Geister-Zauber-Ober-Unterwasserwelt!“ flüsterte er. Er blieb wirklich brav in der Rocktasche sitzen. Meister Eder ließ ihn die Fische in der Nähe anschauen. Den Pumuckl packte gleich großes Mitleid. „Die müssen aber schrecklichen Hunger haben, weil sie immerzu den Mund auf- und zu- und auf- und zumachen!“ „Das ist nicht Hunger, Fische atmen so“, belehrte ihn Eder. „Was fressen denn Fische?“ Meister Eder öffnete eine Blechbüchse. „Das hier: Getrocknete Flöhe!“ Der Pumuckl wäre vor Entsetzen fast aus der Tasche gesprungen. „Das ist ja scheueueußlich!“ „Aber nein, das ist für Fische so gut wie für dich ein Stück Wurst!“ Das konnte der Pumuckl nicht glauben. „Wetten, wenn die Fische wüssten, wie gut Wurst ist, dann würden sie nie, nie mehr getrocknete Flöhe essen!“ Meister Eder wettete nicht. Er schaltete das Licht aus und schaute nach dem Kanarienvogel. Der Pumuckl stieß einen Entsetzensschrei beim Anblick des Vogels aus: „Der hat ja keinen Kopf!“ Meister Eder sagte ihm, dass Vögel beim Schlafen den Kopf in die Rückenfedern stecken. Der Pumuckl versuchte, seinen Kopf auf den Rücken zu drehen. Das misslang ihm gründlich. „Unbequeme Schlaferei“, urteilte er. - 178 -
Und dann gingen sie. Meister Eder atmete auf. Es war nichts Böses geschehen. „Brav warst, Pumuckl!“ „Brav wie Fische“, bestätigte der Pumuckl und ahmte die Fische nach, indem er den Mund auf- und zu- und aufund zumachte, und dann behauptete er: „Bin genauso hungrig wie die Fische.“ „Gleich bekommst du eine Wurst.“ „Und morgen bringen wir den Fischen auch ein Stück Wurst, nicht wahr?“ Meister Eder schüttelte energisch den Kopf. „Nichts da, wir haben ausgemacht, nur ein einziges Mal.“ „Aber ich will sehen, wie die Fische essen, wenn sie doch den Mund immer voll Wasser haben. Können die durch die Nase essen?“ Meister Eder erklärte dem Pumuckl, wie das mit den Kiemen und dem Fressen bei Fischen sei, der Pumuckl aber meinte am Ende nur: „Aaarme Fische. Kriegen keine Wurst, weil kein Pumuckl sie ihnen bringen kann! Würde sogar den Kiemen besser schmecken.“ Meister Eder gab es auf, dem Pumuckl Tierkundeunterricht zu erteilen. Der Pumuckl aber gab es nicht auf, sich vorzustellen, wie den Fischen Wurst schmecken würde. Beim Abendessen ließ er so ganz nebenbei eine Scheibe Wurst hinunterfallen, die er dann später in einem unbeobachteten Moment unter die Kommode schob. Dort konnte er sie ja herausholen, wenn er zu den Fischen ging. Das hatte er nämlich fest vor. Die Nacht war mondhell, als diese Wurstscheibe, von unsichtbarer Hand getragen, über den Hof hüpfte, auf ein Parterrefenster sprang, sich von dort an einer Fernsehantennenschnur bis zum zweiten Stock - 179 -
emporschob und in einem schräggestellten Entlüftungsfensterchen verschwand. Und dann ging in Frau Steiners Wohnung plötzlich das Licht im Aquarium an. Der Pumuckl hatte gut aufgepasst, auf welchen Knopf Eder gedrückt hatte. Glücklich und wie verzaubert stand der kleine Kobold vor den im schummrigen Grün der Wasserpflanzen schwimmenden Fischen. „Hallo Fische, der Pumuckl ist da“, flüsterte er, „der unsichtbare Pumuckl - aber er hat eine sichtbare Wurst für euch mitgebracht. Da werdet ihr aber schlecken! Ist viel besser als Flohfleisch!“ Er zerzupfte die Wurst in kleine Stücke und warf sie hinein. Tatsächlich kamen die Fische angeschwommen. Einige knabberten an den Wurststückchen. Das freute den Pumuckl sehr. Doch ein Fisch benahm sich seltsam: Er schwamm an der Oberfläche, bewegte sich nur noch schwach und legte sich immer wieder auf die Seite, so dass sein silberner Bauch nach oben kam. Der Pumuckl gab ihm einen kleinen Stups und flüsterte: „Benimm dich nicht so dumm und friss von der Wurst!“ Doch das nützte nichts. Da überlegte der Pumuckl, dass Fische vielleicht beim Schlafen sich auf die Seite legen wie Menschen. „Von mir aus schnarchst du auch noch“, sagte er und drehte das Aquariumlicht aus. „Gute Nacht, Fischlein!“ rief er und verschwand auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen war. Sehr zufrieden legte er sich in sein Bettchen und stellte sich vor, wie es jetzt den Fischen schmecken würde. Leider aber schmeckte den Fischen die Wurst nicht so, dass sie sie ganz auffraßen. Und weil das Wasser warm war, bildeten sich auch noch kleine Fettaugen auf der - 181 -
Wasseroberfläche zwischen den herumschwimmenden Wurststückchen. Meister Eder sah es sofort, als er am nächsten Vormittag das Licht anknipste. Aber erst beim zweiten Hinsehen wurde ihm klar, woher die Wurst kam. Und da entdeckte er auch den Fisch, der mit dem Bauch nach oben auf der Wasseroberfläche schwamm. Er war tot. Ob das von der Wurst kommen konnte? Meister Eder lief in die Werkstatt. „Pumuckl! Komm her! Auf der Stelle!“ rief er. Dem Pumuckl schwante nichts Gutes. „Ich muss - äh - im Hof Spazierengehen ...“ Schnell versuchte er an Eder vorbeizuschlüpfen. Doch der packte ihn mit einem raschen Griff und schüttelte ihn, dass ihm Hören und Sehen verging. „Warst du gestern in der Wohnung von Frau Steiner?“ „Iiich?“ brachte der Pumuckl nur unsicher heraus. „Versuch nicht, mich anzulügen!“ „Die Fische h-haben s-sich s-so gefreut.“ „Ja, sie haben sich so gefreut, dass einer kaputtgegangen ist! Und jetzt wird vielleicht einer nach dem anderen eingehen!“ Meister Eder ließ den Pumuckl so plötzlich aus, dass der hinpurzelte. Doch das war dem Schreinermeister egal. „Das ist eine Katastrophe! Und alles nur, weil du nicht folgen kannst!“ Der Pumuckl fing zu heulen an. „Von Wurst wird man doch nicht kaputt. Ich werde doch auch nicht kaputt!“ „Ja du! Aber du bist doch auch kein Fisch! Bist du denn so dumm, dass du den Unterschied nicht kennst?“ Der Pumuckl hockte wie ein Häuflein Elend auf dem Boden. „Aber das wollte ich doch nicht“, schluchzte er, - 182 -
„ich hab es doch nur gut gemeint! Oooh - was kann ich jetzt bloß tun? Ich will doch lauter lebendige Fische haben!“ „Nichts wirst du tun! Den Fisch werde ich ersetzen. Und dann kann ich bloß hoffen, dass nicht alle eingehen. Und du verschwindest jetzt! Komm mir heute nicht mehr unter die Augen!“ Der Pumuckl wagte nicht die kleinste Widerrede, ging in den Hof hinaus und setzte sich dort auf den Rand eines Kellerfensters und schaute ratlos vor sich hin. Nach einiger Zeit sah er den Meister Eder fortgehen, und wieder nach einiger Zeit mit einem wassergefüllten Plastikbeutel zurückkommen, den er vorsichtig ins Vorderhaus trug. In dem Beutel war ein Fisch. Und dann wieder nach einiger Zeit ging Eder über den Hof zur Werkstatt zurück und sah sich dabei nicht mit einem Blick nach dem Pumuckl um. Dem Kobold war elend zumute. Hatte er doch erst seine Liebe zu kleinen Fischen entdeckt, und jetzt sollten die alle deswegen leiden? Ob inzwischen noch einer mit dem Bauch nach oben herumschwamm? Je länger der Pumuckl darüber nachdachte, desto unerträglicher wurde ihm diese Vorstellung. Er musste, ja er konnte gar nicht anders als nachsehen. Langsam näherte er sich dem Vorderhaus und der Fernsehantennenschnur und - mit einem jähen Entschluss kletterte er hoch und kam auf dem gleichen Weg wie in der Nacht zuvor in Frau Steiners Wohnung. Herzklopfend spähte er in das Aquarium. Alle Fische schwammen ruhig hin und her. Der Pumuckl atmete auf. „Ich werde aufpassen“, flüsterte er, „wenn ein Fisch mit dem Bauch nach oben schwimmt, dann drehe ich ihn - 183 -
schnell um. Ganz schnell. Dann ist der Bauch wieder nach unten, und Meister Eder merkt nicht, dass er tot ist. Niemand merkt es!“ Der Pumuckl war richtig erleichtert über diesen trefflichen Einfall. „Vielleicht wird sogar ein toter Fisch wieder lebendig, wenn der Bauch nicht mehr nach oben schwimmt!“ redete er sich ein. Während nun der Pumuckl vor dem Aquarium stand und sorgenvoll auf die Fische starrte, begann der Kanarienvogel zu trillern. „Sei still, du dummer Vogel! Man singt nicht, wenn der Pumuckl traurig ist“, rief er vorwurfsvoll. Dann klopfte er an das Glas des Aquariums: „He, ist einem von euch schlecht? Spuckt die Wurst einfach wieder aus, ja?“ Der Pumuckl musste richtig schreien, so lärmte der Kanarienvogel. „Sei doch still, wenn ich rede!“ fuhr ihn der Pumuckl an. Dann betrachtete er wieder die Fische. Plötzlich entdeckte er einen langen schmalen Fisch, der wie ein Wurm mit einem Fischkopf aussah. Je länger der Pumuckl diesen Fisch betrachtete, desto ratloser wurde er: „Der Fisch hat überhaupt keinen Bauch! Woher soll ich da jetzt wissen, was bei ihm oben und unten ist?“ Zuerst wollte der Pumuckl ins Wasser greifen und den Fisch umdrehen, dann ließ er es doch sein. „Du musst mehr fressen, damit du einen Bauch kriegst!“ befahl er dem Fisch. Doch das nützte nichts. Die Unsicherheit machte den Pumuckl richtig nervös. Der Kanarienvogel trillerte und trillerte. „Du freust dich wohl, wenn Fische kaputtgehen, weil du gar so singst!“ schimpfte der Pumuckl und fügte in Meister Eders Tonfall hinzu: „Hör auf der Stelle damit - 184 -
auf! Du sollst folgen, verstanden!“ Der Vogel verstand nichts. Er trillerte weiter. Da ging der Pumuckl zum Käfig hin und schüttelte ihn kräftig. Der Vogel flatterte herum, das Badehäuschen verschob sich etwas, und der Kanarienvogel hörte zu trillern auf. Zufrieden mit diesem Erfolg ging der Pumuckl wieder zu den Fischen. Der Vogel aber hatte den Durchschlupf neben dem Badehäuschen bemerkt, und plötzlich hörte der Pumuckl ein Flattern und dann einen fröhlichen Triller von der Vorhangstange herunter. „Sag mal, was tust du denn dort oben? Habe ich dir erlaubt, da hinauf zu fliegen? Komm sofort herunter!“ befahl er empört. Der Vogel legte seinen gelben kleinen Kopf schief und hüpfte auf der Vorhangstange ein wenig hin und her. „Komm herunter, zum Kanarienkuckuck noch mal!“ schrie der Pumuckl. Aber auch das nützte nichts. Der Pumuckl überlegte. Wenigstens mit dem Bauch nach unten saß der Vogel auf der Vorhangstange. Das war schon etwas. Vielleicht kam der Vogel wieder in seinen Käfig, wenn der Pumuckl recht freundlich mit ihm redete? „Lieber, schöner, gelber Vogel, wie wäre es, wenn du wieder in deinen Käfig gingst? Ich rüttle bestimmt nicht mehr daran. Auch nicht, wenn du singst und singst und singst! Bitte komm - ich werde sonst schrecklich geschimpft.“ Der Kanarienvogel trillerte. Da dachte der Pumuckl: „Vielleicht nützt es was, wenn ich auch singe? Vielleicht verstehen Kanarienvögel überhaupt nur Gesang?“ Und schon begann er lauthals zu singen: „Biiitte, koomm heru-u-unter!“ Der Vogel flatterte bei diesem „Gesang“ entsetzt auf, ließ sich aber wieder auf der Vorhangstange nieder. Der - 185 -
Pumuckl versuchte es nun mit Pfeifen. Als auch das nichts nützte, bekam es der Pumuckl so mit dem schlechten Gewissen zu tun, dass er es vorzog, diese Unglücksstätte schleunigst zu verlassen. Er kletterte wieder durch das Entlüftungsfenster hinaus und an der Schnur hinunter in den Hof. Er wagte sich nicht in die Werkstatt. Er zog es vor, sich in die dichteste Stelle des Kastanienbaumes zu verkriechen. Es war zuviel: Zuerst die Fische, jetzt noch der entkommene Vogel! Der Pumuckl hockte lange auf dem Baum, ehe ihm das eigentlich Nächstliegende einfiel: Er war doch unsichtbar, und wenn ihn der Vogel nicht sehen konnte, dann konnte er den Vogel ja fangen! Er trat noch mal den schwierigen Weg in die Steinersche Wohnung an. Doch - dort angekommen - fand er den Vogel nicht mehr auf der Vorhangstange. Soviel der Pumuckl suchte und suchte, da war kein Vogel. Im Käfig war er nicht, auch nicht auf dem Schrank. Vielleicht unter der Couch? Der Pumuckl kroch unter die Couch, um dort den Vogel zu erspähen, und das war gut so. Denn plötzlich kam Meister Eder herein. Auch er hatte keine Ruhe mehr gehabt. Ob inzwischen andere Fische eingegangen waren? Meister Eder sah erleichtert, dass im Aquarium alles in Ordnung war. Doch dann erstarrte er - sah er recht oder irrte er sich? Der Käfig war leer! Das Türchen war zu, aber das Badehäuschen hing schief. Hatte er selbst das Glashäuschen schief hingehängt, als er es mit frischem Wasser füllte? Meister Eder sah sich um. Der Vogel musste irgendwo sitzen, die Wohnzimmerfenster waren ja gottlob geschlossen. - 187 -
Auch er suchte auf dem Schrank, auf der Vorhangstange, auf der Hängelampe. Nichts. „Hansi! Hansi!“ rief Meister Eder und stieg auf einen Stuhl, um auf ein Bücherregal sehen zu können. Fast wäre er vom Stuhl heruntergefallen, denn plötzlich rief eine Stimme gellend: „Dort ist er ja!“ Es war der Pumuckl. Er hatte unter der Couch hervorgespäht und dabei war sein Blick zufällig auf die Blumen am Fenster gefallen. Der Vogel saß dazwischen und knabberte an den Blättern. „Wie kommst denn du da her?“ rief Meister Eder, und das galt nicht dem Vogel, sondern dem Pumuckl. Der verkroch sich sofort in die hinterste Ecke der Couch. „Ich - ich bin gar nicht da!“ beteuerte er. Meister Eder wollte zu schimpfen anfangen, da entdeckte er wieder etwas Schreckliches: Der Kanarienvogel hatte sich Frau Steiners wohlgepflegte Pflanzen gut schmecken lassen. Die schönsten Blätter waren angeknabbert. „Das auch noch!“ rief er und stürzte sich mit einem „Schschsch -“ auf den Vogel. Der flatterte verschreckt piepsend wieder auf die Vorhangstange. „Was sag ich nur zu Frau Steiner!“ jammerte Eder. „Zuerst der Fisch und jetzt die Pflanzen!“ Eder drehte sich zur Couch: „Bestimmt hast du den Vogel herausgelassen. Sag die Wahrheit, sonst . . .!“ Eders Stimme war voll finsterster Drohung. „I-ich hab bloß - ich bin bloß an den Käfig gekommen“, piepste der Pumuckl unter der Couch heraus. „Bloß! Bloß!“ rief Eder. „Und wenn jetzt der Vogel an einer Pflanze genagt hat, die für ihn giftig ist? Was dann? Dann geht der Vogel auch noch ein! Plötzlich fällt er von der Stange - aus!“ - 188 -
Das war sogar für den Pumuckl zuviel des Schlimmen. Er kam unter der Couch hervor. „Nein, bitte, nein! I-ich kann Fische wieder umdrehn, wenn sie mit dem Bauch falschherum schwimmen, ich - ich kann eine neue Blume pflücken, wenn der Vogel hier alle aufgegessen hat, aber ich kann einen Vogel, der von der Stange fällt, nicht immer wieder hinaufsetzen!“ Und voller wirklicher Verzweiflung fügte er noch hinzu: „Das würde der Frau Steiner bestimmt auffallen!“ „Das glaub ich allerdings auch! Das einzige, was du kannst, ist, dass du auf der Stelle verschwindest! Verstanden?“ „Soll - soll ich dir nicht den Vogel fangen helfen?“ wagte der Pumuckl noch vorzuschlagen. Aber Eder fauchte: „Wenn ich dich da herinnen noch einmal erwische, dann sperre ich dich drei Wochen lang in eine Schublade!“ Das brachte den Pumuckl dazu, einen Riesensatz zu machen und wie ein Eichhörnchen zum Entlüftungsfenster hinauszuklettern. Meister Eder war mit seiner Drohung etwas voreilig gewesen. Denn nun musste er den Vogel wieder einfangen, ohne dass ihm der Pumuckl dabei helfen konnte. Er brauchte dazu eine geschlagene Stunde. Als er es endlich geschafft hatte, überlegte er, was er jetzt mit den Pflanzen machen sollte. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgesperrt, und Frau Steiner kam herein. Eders Gesicht wurde deutlich einen Schimmer bleicher. Doch Frau Steiner bemerkte es nicht, fröhlich erklärte sie: „Stellen Sie sich vor, der Arzt, der meiner Tochter die Mandeln herausnehmen sollte, ist selbst krank geworden. Alles um vier Wochen verschoben!“ - 189 -
Und dann trat sie zum Käfig. „Ja, Hansi! Freust dich, dass ich wieder da bin?“ Der Hansi zeigte seine Freude durch Hin- und Herhüpfen. Frau Steiner öffnete die Fenster und atmete tief ein. „Bin ich froh, dass ich wieder da bin. Und Sie haben alles so schön in Ordnung gehalten, Herr Eder, ich bin Ihnen ja so dankbar! Das Futternäpfchen frisch aufgefüllt, das Badewasser frisch - ich hab ja gewusst, dass ich ruhig wegfahren kann!“ Sie schüttelte dem Meister Eder herzlich die Hand. Er war sehr verlegen. Er wollte gerade anfangen, ihr sein Missgeschick zu erzählen, da tat Frau Steiner einen kleinen Schrei und deutete auf den Käfig. „Da sitzt ein Spatz!“ Tatsächlich saß dort ein Spatz. Niemand hatte ihn hereinfliegen sehen. Vorsichtig näherte sich Frau Steiner dem Tierchen. Aber die Vorsicht war überflüssig - der Spatz saß auf dem Käfig wie festgeschmiedet, während der Kanarienvogel darunter wild hin- und herhüpfte. Eder trat näher heran. Da sah er, dass sich der Vogel wohl zu rühren versuchte, dass seine Flügel leicht zuckten, dass er sich aber nicht richtig rühren konnte. Er griff nach dem Vogel. Dabei spürte er deutlich, dass der Spatz von jemandem ausgelassen wurde. Das konnte nur der Pumuckl sein. „Wie leicht der sich von Ihnen nehmen ließ!“ Frau Steiner wunderte sich sehr, doch die Verwunderung machte gleich einer Sorge Platz. „Hoffentlich ist der Spatz nicht krank und steckt meinen Hansi an! Manchmal kommen Tiere in der Todesangst zu Menschen geflogen, um sich helfen zu lassen!“ „Der ist nicht krank“, beruhigte sie Eder, „er ist nur jung und hat sich verflogen. Vielleicht ist er ein bisschen - 190 -
erschöpft von seinem ersten Flug, sonst nichts! Ich setze ihn in den Kastanienbaum.“ Er wandte sich zur Tür. Frau Steiner ließ ihn nicht gehen, ohne sich nochmals herzlich zu bedanken, und im Treppenhaus rief sie ihm nach: „Übernehmen Sie in vier Wochen noch mal die Fische und den Vogel? Ich muss doch dann noch mal wegfahren!“ Doch Eder rief zurück: „Leider geht das nicht - in vier Wochen muss ich auch verreisen!“ Und damit lief er so schnell wie möglich in den Hof. Dort angekommen, setzte er den Spatz vorsichtig in den Kastanienbaum. Dabei entdeckte er, völlig hinter Blättern versteckt, den Pumuckl. Der Kobold lugte nur mit einem Auge hervor. „Ich - ich habe mir gedacht, ich will es wieder gutmachen, wenn der Kanarienvogel an giftigen Blättern stirbt, und will einen anderen Vogel bringen“, brachte er stockend heraus. „Aber Pumuckl! Der Spatz war doch braun und nicht gelb wie der Kanarienvogel!“ „Wir hätten doch den Spatz gelb anstreichen können!“ „Das arme Tier hätte dann schrecklich ausgesehen! Ganz abgesehen davon, dass ein Spatz nicht trillern kann, sondern nur piepsen.“ „Auch nicht, wenn ich mit ihm ein bisschen trillern geübt hätte?“ „Auch dann nicht.“ Der Pumuckl kratzte sich mit beiden Händen seinen Wuschelkopf. Dann meinte er, indem er nun mit beiden Augen durch die Blätter lugte: „Vielleicht wäre Frau Steiner ganz froh, wenn der Vogel nicht so schrecklich trillern würde!“ Auch Pumuckls Nase wurde nun sichtbar. - 191 -
„Ach, Pumuckl“, seufzte Eder, und der Pumuckl sah genau, dass Eders Zorn im Schwinden war. „Ich wollte überhaupt kein bisschen böse sein“, beteuerte der Kobold, „sondern immer nur alles wieder gutmachen - Ehrenwort! Muss ich drei Wochen in die Schublade?“ Eder lächelte kaum merklich. „Komm nur runter.“ „Ich trau mich nicht - ist doch alles kaputt bei Frau Steiner - der Vogel ...“ „Ich hoffe, dass ihm die Pflanzen nicht geschadet haben.“ „Und die Pflanzen?“ „Die Blätter werden nachwachsen.“ „Und die Fische?“ „Die werden es auch überleben.“ „Die werden die Wurst überleben.“ Der Pumuckl strahlte. „Die Wurst und die Tatsache, dass sie von einem Kobold gepflegt worden sind.“ Der Pumuckl sah, dass Meister Eder tatsächlich etwas schmunzelte. Da sprang er mit einem Satz vom Kastanienbaum, so dass der Spatz vor Schreck mit lautem Gepiepse auf und davon flog. Grenzenlos erleichtert hüpfte der Pumuckl in die Werkstatt. Meister Eder aber hatte recht: Es ging wirklich alles ohne weiteren Schaden ab. Der Fisch war in Wahrheit auch nicht an der Wurst eingegangen, sondern ganz einfach deshalb, weil er schon alt gewesen war. Und die angenagten Blätter? Die fielen Frau Steiner deshalb nicht sonderlich auf, weil sie den Vogel oft frei herumfliegen lässt und ihn dabei auch immer wieder von den Pflanzen wegjagen muss. Dass keine der Pflanzen giftig ist, dafür hatte sie gesorgt. Der Pumuckl aber hat sich vorgenommen, in Zukunft besonders vorsichtig im Umgang mit anderer Leute - 192 -
Sachen zu sein. Und noch etwas hat er aus der Geschichte gelernt: dass manches Gutgemeinte schlechter ist als das wirklich Gute.
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Der verdrehte Tag Wer von euch hat nicht schon einmal gedacht: Wenn ich erst mal groß bin, dann ...! Und wenn es möglich gewesen wäre, hättet ihr sofort mit einem Erwachsenen getauscht. Nun, zugegeben, die Erwachsenen können manches tun, was ihr noch nicht könnt, dafür müssen sie aber auch vieles tun, was ihr weder möchtet noch könntet. Glaubt mir, sie haben es auch nicht leichter als ihr. Diese Erfahrung musste auch der kleine Kobold Pumuckl machen. Es war kurz vor dem Mittagessen. Der Schreinermeister Eder musste noch mit dem Handbohrer ein paar Löcher vorbohren, um nach dem Essen das Möbelstück fertigmachen zu können. Der Pumuckl guckte bei der Bohrerei höchst interessiert zu. Und dann meinte er: „Das gibt aber feine Löcher! Kobolde lieben Löcher sehr. Vor allem, wenn man durchgucken kann.“ Er stellte sich auf die äußerste Zehenspitze, doch das Loch war zu klein, um richtig durchsehen zu können. „Du musst größere Löcher bohren und nicht so weit oben! Hier muss ein Loch hin, hier direkt vor meiner Nase!“ forderte der Pumuckl. „Aber Pumuckl, da kann ich doch kein Loch brauchen!“ „Du nicht - aber ich!“ beharrte der Pumuckl. „Ich möchte da ein Loch haben, weil - weil ich ein Lochkobold bin. Jawohl!“ „Aber ich habe keine Lochkunden und bin kein Lochschreiner. Geh bitte weg, ich muss weiterarbeiten.“ Meister Eder schob den Kobold auf die Seite. „Immer soll ich weggehen, und immer soll ich nichts - 194 -
kriegen!“ protestierte der Pumuckl. „Nicht mal ein Loch. Dabei gibt es gar nichts Nichtseres als ein Loch!“ „Dann schau dir doch eines in die Luft“, schlug Eder vor. „Pah, Löcher kann man nicht schauen, Löcher muss man bohren“, und schon sprang der Pumuckl auf den Werkzeugkasten, in dem Bohrer in allen Größen hingen. „Ich werde mir eben selbst das allerallerschönste Loch bohren, das es gibt!“ Meister Eder war mit einem Schritt bei ihm. „Nichts da! Du bist imstande und gehst damit an ein Möbelstück! Wehe, wenn du mir auch nur einen Kratzer reinbringst!“ Mit der Würde eines Großfürsten blickte der Pumuckl vom Werkzeugkasten auf Eder herunter und sagte herablassend: „Ich habe von Bohren und nicht von Kratzen gesprochen. Aber bitte schön, wenn du schon so Angst um deine dummen Möbel hast, dann bohre ich mir eben ein Loch in ein eigenes Pumucklbrett. In ein Brett, das mir ganz allein gehört, und wo ich dann immer und immer durchgucken und viele Dinge sehen kann! Ich bin nämlich ein Durchseher, ein ganz großer Durchseher.“ „Gut, verehrter Durchseher“, lenkte Eder ein, „nach dem Essen bekommst du ein Brett von mir. Aber vorher hilfst du mir ein bisschen zusammenkehren, damit wir schneller zum Essen kommen, ja?“ Meister Eder holte den Besen. Doch der Pumuckl dachte nicht daran zu helfen. „Ich will nicht schneller zum Essen kommen, sondern langsamer“, behauptete er gelassen. „Es geht hier nicht nur um dich, zum Kuckuck.“ Meister Eder verlor die Geduld. Der Pumuckl aber seufzte nur tief und sagte mit seiner wehleidigsten Stimme: „Nichts darf man, wenn man ein Kobold ist, nicht Löcher bohren, nicht Durchseher - 195 -
werden, nicht langsam zum Essen kommen. Nichts. Nur du darfst immer alles!“ „Ich darf auch nicht alles, lieber Pumuckl. Ich darf bloß den ganzen Tag arbeiten. Im Gegensatz zu dir, der du den ganzen Tag faulenzt. Ich wollte, ich hätte ein so feines Leben wie du - ich würde auf der Stelle tauschen!“ Da leuchteten Pumuckls Augen auf. „Und warum tauschen wir dann nicht, wenn wir doch beide so gern tauschen würden?“ „Weil das leider nicht geht, ich kann nicht so klein sein wie du und du nicht so groß wie ich!“ „Aber warum denn nicht!? Das ist doch ganz einfach: Du setzt dich auf den Boden, dann bist du ganz klein, und ich stelle mich auf den Bretterstapel, dann bin ich sogar noch größer als du!“ „Und wie machen wir's mit dem Unsichtbarwerden?“ Meister Eder schaute den Pumuckl etwas spöttisch über den Brillenrand hinweg an. Doch der Pumuckl blieb ernst. „Ach, das mit dem Unsichtbarwerden ist nicht so wichtig. Du kannst dir ja ein Tischtuch über den Kopf ziehen, dann sieht dich auch niemand.“ „Aber ich passe nicht in deine Schaukel rein!“ „Die Schaukel ist nicht wichtig.“ „Als Pumuckl muss ich dichten, und das geht doch nicht ohne Schaukel!“ „Doch, das geht auch ohne, probier's mal.“ „Mir fällt nichts ein.“ Der Pumuckl kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Am Anfang kann ich dir ja beim Dichten helfen“, meinte er dann großmütig. „Ich sag einen Satz, und du musst bloß einen Reim finden. Gib Acht.“ Der Pumuckl dachte kurz - 196 -
nach. „Hab schon einen Satz: Das wird jetzt ein feines Leben...“ „Hoffentlich geht's nicht daneben“, ergänzte Eder den Vers und fügte auch gleich in Pumuckls Tonfall hinzu: „Das war das allerschönste Gedicht, das ich je gemacht habe!“ Der kleine Kobold machte ein Gesicht wie ein Lehrer, der gnadenhalber statt einer Fünf eine Vier gibt. „Es ist nicht gerade ein Pumucklgedicht, aber für ein Edermucklgedicht geht's. Wir können also tauschen. Du bist der Edermuckl und ich, ich bin ...“ „Der Pumeister“, ergänzte Eder folgerichtig. Der Pumuckl machte einen Freudensprung, dass er beinahe mit dem Kopf an der Decke angestoßen wäre, und dann kletterte er auf den Bretterstapel, um die richtige „Größe“ zu bekommen und verkündete: „Der Pumeister braucht jetzt ein Brett, um endlich sein feines Loch zu bohren!“ Meister Eder aber gab ihm kein Brett, sondern setzte sich mit etwas knackenden Gelenken auf den Boden, versuchte Pumuckls Dichtermiene nachzuahmen - was ihm ganz gut gelang und dichtete: „Hol dir doch für das Loch ein altes Brett, sei so nett.“ Auch dem Pumuckl gelang es ganz gut, Eders Stimme und Miene nachzuahmen: „Gut, weil du ein so schönes Gedicht gemacht hast, will ich ein altes Brett nehmen. Aber bring mir bitte jetzt den richtigen Bohrer!“ Meister Eder blieb auf dem Boden sitzen. „Hab leider - 197 -
keine Zeit, muss dichten. Ich bin nämlich ein Nichtbohrerholer.“ „Rede keinen solchen Unsinn, Edermuckl! Zu nichts kann man dich brauchen, zu überhaupt nichts!“ Der Pumuckl seufzte tief. „Aber bitte, ich hole mir den Bohrer selbst!“ Das war für den kleinen Burschen nicht ganz leicht. Der Bohrer war schließlich fast so groß wie er und hing ziemlich hoch im Werkzeugkasten. Der Pumuckl musste sich auf die äußerste Zehenspitze stellen, um ihn zu erreichen. Es gelang ihm auch, den Bohrer aus seiner Halterung zu bringen, aber dann geschah's: Das Werkzeug rutschte ihm aus der Hand und landete direkt auf Pumuckls großer Zehe. Mit einem Schmerzensschrei sprang der Kobold hoch, und dann tanzte er auf einem Bein herum, indem er die große Zehe des anderen Fußes in der Hand hielt. „Oooh, oooh, ohh“, jammerte er, „der Bohrer hätte fast ein Loch in meine Zehe gebohrt - oh, die arme Zehe!“ Meister Eder aber zeigte kein Mitleid. Im Gegenteil, er gab sich die größte Mühe, ein möglichst originalgetreues Pumucklkichern von sich zu geben. Es gelang ihm nicht übel. „Du sollst nicht lachen!“ schimpfte der Pumuckl. „Ich lache nie, wenn du dir wehtust!“ Meister Eder aber wiegte sich hin und her, als säße er in einer Schaukel, und dichtete: „Fällt der Bohrer auf den Zeh, tut das dem Bohrer niemals weh.“ Zufrieden fügte er hinzu: „Eines meiner allerschönsten Gedichte.“ Der Pumuckl wurde rot vor Zorn. „Das ist ein ganz, ganz dummes, schlechtes, albernes Gedicht! Und überhaupt: Ich mag jetzt kein Loch mehr bohren. Ich habe Hunger, - 199 -
und wir werden jetzt essen. Punktum. Keine Widerrede, verstanden!“ Meister Eder stand auf. „Kein schlechter Vorschlag, Pumuckl. Wir gehen in die Küche und essen was, und du bist wieder der Pumuckl, und ich ...“ Weiter kam er nicht! „Nein!“ rief der Pumuckl. „Ich bleibe der Pumeister!“ „Dann müssen wir leider verhungern!“ seufzte Eder. „Schließlich kannst du weder das Fleisch noch die Suppe warm machen. Die Töpfe sind für dich einfach zu schwer.“ „Will gar kein Fleisch, brauche gar keinen Topf. Will Wurst und Brot und Schokolade!“ „Hm - und wer schneidet Brot und Wurst auf?“ „Niemand. Wir beißen einfach so herunter, du vom einen Ende der Wurst, ich vom anderen, du von einem Ende des Brots, ich vom anderen.“ Meister Eder war gespannt, wie weit sich das Spiel treiben ließ, darum sagte er: „Bitte schön, warum nicht?“ „Das wird sehr gemütlich.“ Der Pumuckl strahlte. „Sehr“, brummte Eder. Da sah er einen Kunden, Herrn Küffner, über den Hof auf die Werkstatt zukommen. Du lieber Schreck, das Regal, das dieser Kunde bestellt hatte, war noch nicht fertig! „Der geht mir gerade noch ab“, brummte Eder, „was sag ich denn nur als Ausrede?“ „Du sagst nichts, weil du unsichtbar bist!“ belehrte ihn der Pumuckl. Da das „Unsichtbarsein“ in diesem Augenblick Eder recht gut passte, ging er auf den Vorschlag ein. „Den Kunden überlasse ich dem Pumeister“, sagte er heiter und - 200 -
verdrückte sich in die Küche. Der Pumuckl aber stellte sich auf das alleroberste Brett und erwartete Herrn Küffner. Der streckte zuerst den Kopf zur Tür herein - wobei der Pumuckl allerdings sofort unsichtbar wurde -, und als er niemanden sah, rief er: „Herr Eder? Ich bin's, Küffner - kann ich reinkommen?“ Der Pumuckl antwortete prompt mit seiner tiefsten Stimme: „Hereinkommen können Sie schon. Aber kriegen tun Sie nichts! Außerdem habe ich Hunger und will jetzt was essen.“ Herr Küffner erstarrte. Diese Antwort war weder Eders Art noch seine Stimme. „Mit wem hab ich die Ehre?“ fragte Herr Küffner befremdet und förmlich. „Mit dem Pumeister!“ kam die würdevolle Antwort aus dem Nichts. Herr Küffner sah sich um. „Ich kann Sie leider nicht sehen, Herr Pumeister.“ „Da sind Sie nicht der einzige. Ich bin nämlich von Natur aus unsichtbar. Das ist manchmal sehr lästig und manchmal sehr praktisch!“ Das Ganze war wohl ein Witz! Herr Küffner lachte etwas unsicher. „Kann ich mir vorstellen, kann ich mir vorstellen - aber sichtbar wären Sie mir lieber. Seien Sie doch so freundlich und werden Sie sichtbar!“ „Da nützt leider das Freundlichsein überhaupt nichts!“ erwiderte der Pumuckl wahrheitsgemäß. Aber Herr Küffner hielt diese Wahrheit für eine Frechheit. Er wurde wütend. „Was soll eigentlich der Quatsch? Meinen Sie, ich merke nicht, dass sich da jemand einen Spaß erlaubt?“ Wahrscheinlich hockte - 201 -
irgendwo so ein Lümmel von einem Lehrling, der glaubte, er könnte sich mit den Kunden einen Scherz leisten. „Da haben Sie sich aber geirrt. Ich lasse mir keine Frechheiten gefallen! Ich werde es Herrn Eder erzählen, und der wird Ihnen schon die Ohren lang ziehen! Verlassen Sie sich drauf.“ Der Pumuckl, der Anspielungen auf seine Ohren nicht sehr schätzt, antwortete mit Würde: „Meine Ohren bedürfen nicht des Langgezogenwerdens, meine Ohren sind sehr schön ...“ Weiter kam er nicht, denn Herr Küffner schmetterte die Tür so hinter sich zu, dass der Bretterstapel zitterte, auf dem der Pumuckl saß. „Ein unfreundlicher Kunde“, brummte der Pumuckl und kletterte herunter. Von der Küche kam ein verlockender Essensgeruch. Der Pumuckl rannte schleunigst die Treppen zur Wohnung hinauf. „Ich hab Huuunger, Edermuckl, ich hab Hunger!“ rief er. Meister Eder stellte gerade die Grießsuppe auf den Tisch, was zweifellos seiner Rolle als Edermuckl widersprach. „Na, wie bist du mit Herrn Küffner fertig geworden?“ fragte er. „Ooch, ist kein netter Kunde, er hat mich für einen Lehrling gehalten, dem die Ohren lang gezogen werden sollen. Stell dir meine Ohren lang gezogen vor - dann sehe ich ja aus wie ein Hase!“ Meister Eder lachte und goss die dampfende Suppe in die Teller. „So, und jetzt lass dir's schmecken!“ Der Pumuckl aber warf einen verächtlichen Blick auf die Suppe. „Grießsuppe? Ich mag doch keine Grießsuppe. Ich mag doch Wurst und Schokolade!“ Und mit strengem Meister-Eder-Ton fügte er hinzu: „Was habe ich denn - 202 -
vorhin gesagt? Kannst du nicht hören? Es wird Schokolade gegessen, punktum!“ „Komm, hör jetzt mit dem Spiel auf - sonst wird die Suppe kalt, sie ist sowieso nur lauwarm.“ „Die Suppe darf ruhig kalt werden, ich mag sie warm nicht und kalt nicht und auch nicht lauwarm. Nicht einmal laukalt mag ich sie! Ich darf tun, was ich will! Wir haben getauscht!“ „Komm, Pumuckl, setz dich her zu mir an den Tisch ...“ „Nein, ich setze mich nicht her an den Tisch, ich gehe auf dem Tisch spazieren, Tische sind zum Spazieren da, jupp-heidi und faller ... Ach so, Pumeister dichten ja nicht!“ Und schon sprang der Kobold mitten auf den Tisch und spazierte dort zwischen Suppenschüssel und Suppentellern hin und her. „Hab gar nicht gewusst, wie gemütlich man auf Esstischen Spazierengehen kann!“ behauptete er. „Geh sofort herunter, Pumuckl!“ „Ich bin der Pumeister, ein großer erwachsener Mensch, der alles tun darf!“ „Ich bin nie auf dem Tisch spazierengegangen!“ „Aber ich gehe hier spazieren!“ „Lass das, sonst fällst du mir noch in die Grießsuppe!“ warnte Eder. „Pah, niemand fällt beim Spazierengehen in eine Grießsuppe! Nicht mal beim Spazierenhüpfen!“ Und schon hüpfte der Pumuckl wild auf dem Tisch herum. Meister Eder konnte gerade noch rufen: „Gib doch acht!“ - da war es auch schon passiert: Der Pumuckl rutschte auf ein paar Salzkörnern aus und platschte mitten in Eders Suppenteller! Eder packte ihn schnell und zog ihn heraus. - 203 -
„Hab ich's nicht gesagt!“ schimpfte er. „Wie gut, dass die Suppe nicht mehr allzu heiß war!“ Der Pumuckl heulte los: „War aber heiß - oooh, oooh-, ich hab einen verbrannten Popo!“ „Unsinn, schrei nicht so ...“ Eder stellte den Pumuckl unsanft auf den Stuhl. „Und wie du aussiehst - überall voller Grießsuppe!“ Der Pumuckl sah an sich herunter. Tatsächlich, er pappte nur so vor Grieß. Angeekelt schüttelte er sich: „Bäääh scheuuueußlicher Grieß. Überall - meine Hose, das Tischtuch, der Stuhl, alles voller Grießsuppe!“ Meister Eder holte einen Putzlumpen. „Und ich darf jetzt wieder das Putzen anfangen! Nur weil du immer Blödsinn treiben musst!“ Der Pumuckl stand auf dem Stuhl, beide Arme weit von sich gestreckt, suppentriefend, und befahl: „Zuerst mich abputzen - bääh, wie sehe ich aus, bääh ...“ Da hielt der Schreinermeister plötzlich inne. „Moment mal! Wie komme ich, ein ganz kleiner Edermuckl, dazu, einen so großen Menschen wie den Pumeister abzuputzen? Kann ich ja gar nicht! Bin ich ja viiiel zu klein. Das wäre ja ganz und gar gegen unsere Abmachung!“ Er legte den Putzlumpen weg. Der Pumuckl sah es mit Entsetzen: „Natürlich kannst du mich abputzen. Das musst du sogar! Wenn du mich nicht sofort abputzt, dann sperr ich dich in die Schublade, jawohl!“ „Wenn wir schon die Rollen tauschen, dann richtig.“ Meister Eder setzte sich bequem in einen Lehnsessel. „Ich kann jetzt höchstens ein Gedicht machen, sonst nichts.“ Der Pumuckl stampfte mit beiden Füßen. „Mach auf der - 204 -
Stelle den Grieß von mir ab!“Meister Eder aber machte ein versonnenes Gesicht und dichtete: „Hast du Suppe an der Hose, wasch doch selbst die ganze Chose.“ „Mach keine so abscheulich dummen, schlechten Gedichte! Das Wort Schose kenne ich überhaupt nicht, das gibt's nicht!“ Meister Eder ließ es sich nicht verdrießen und dichtete aufs Neue: „Dann wasch dir doch die Wade, viel Wasser gibt's im Bade.“ Er lächelte sein zufriedenstes Lächeln. „Eines meiner schönsten Gedichte!“ Dann gähnte er kräftig. „Entschuldige bitte, aber ich bin jetzt von dem vielen Dichten so müde, dass ich schlafen muss.“ Der Pumuckl, der nicht nur vor lauter Suppe troff, sondern auch noch nach Suppe roch, war fassungslos. „Niiicht schlafen!“ schrie er. Aber Meister Eder gähnte nur noch lauter. Dann sagte er: „Die Suppe ist jetzt schon auf den Boden getropft. Vergiss bitte nicht, auch den Boden aufzuwischen.“ „Nein, das musst du tun!“ Der Pumuckl war dem Weinen nah. Meister Eder schloss die Augen. „Bin sehr müde. Bin sogar zum Dichten zu müde!“ Er schnarchte. „Du sollst nicht schnarchen!“ schrie der Pumuckl und wagte sich kaum zu bewegen, weil er fürchtete, die Suppe würde noch mehr herumtropfen. Meister Eder öffnete noch einmal die Augen. „Wenn du deine Hose und das Tischtuch auswäschst - das Waschpulver steht im Bad neben dem Handwaschbecken!“ Sagte es und schnarchte so gewaltig wie nur möglich. Jetzt sprang der Pumuckl wie ein Floh auf dem Stuhl - 206 -
herum. Wütend fauchte er: „Wenn du schnarchst, dann gehe ich eben jetzt mit der Grießsuppenhose durch die ganze Wohnung spazieren, jawohl! Und dann mache ich überall Grießsuppenflecke hin, und dann - dann ...“ Er musste Luft holen. Eder unterbrach kurz sein Schnarchkonzert. „Dann kommst du aus dem Putzen überhaupt nicht mehr heraus! Viel Spaß - der Fuchs ist kein Has!“ Und schon schnarchte er wieder. „Hör doch mit dem dummen Schnarchen auf! Ich schnarche nie! Du darfst nicht Sachen tun, die ich nie tue!“ Eder schnarchte noch lauter. Der Pumuckl schrie: „Wenn ich schnarche, dann schnarche ich viel schöner! Und außerdem wird mir kalt! Die Pappsuppe ist nass und kalt, nasskalt und pappkalt!“ Eder ließ sich nicht rühren. Er schnarchte weiter. Nachdem alles nichts nützte, sagte der Pumuckl würdevoll: „Bitte, dann schnarche doch! Ich brauche dich kein bisschen! Hörst du, kein bisschen!“ Eder hörte nicht. Er schnarchte. Der Pumuckl versuchte es mit einer anderen Drohung. „Ich rede überhaupt nicht mehr mit dir. Nie mehr! Da wirst du schrecklich traurig sein! Das weiß ich!“ Aber auch das half nichts. Dem Pumuckl wurde es immer ungemütlicher in seinem pappigen Zeug. Da sprang er vom Stuhl herunter und rief wütend: „Von mir aus, schlaf! Ich brauche dich überhaupt nicht! Ich werde jetzt ein großes Waschpulverwäschewaschen machen. Das ist nämlich etwas sehr Schönes. Seeehr schön ist das!“ Er rannte ins Bad. Da stand tatsächlich ein großes Paket Waschpulver. Der Pumuckl ließ Wasser in das - 207 -
Handwaschbecken laufen und betrachtete das Paket misstrauisch. Dann redete er so laut, dass Eder es bis in die Küche hören musste. „Mit diesem Paket werde ich jetzt einen mächtigen Schaum machen, und mitten in dem mächtigen Schaum wird meine Grießhose sein und mein Grießhemd und mein Grießfuß und mein Grießellenbogen. Im mächtigen Schaum steht dann der mächtige Pumeister und wird mächtig sauber!“ Der Pumuckl wartete ein bisschen, ob Eder ihm nicht doch helfen würde. Aber nichts rührte sich in der Küche. So fuhr der Pumuckl fort: „Du bist dann ganz, ganz schmutzig neben mir! Du wirst's schon sehen!“ Er nahm das Paket in die Hand. „Ich werde jetzt Waschpulver schneien lassen, überallhin werde ich Waschpulver schneien lassen!“ rief er drohend und hielt das Paket über den Kopf. Da Eder immer noch keine Antwort gab, ließ er es tatsächlich „ schneien“. Doch o weh - das Pulver drang ihm in die Augen und in die Nase, und er begann zu niesen und zu husten, und seine Augen tränten, dass er nichts mehr sehen konnte. Je mehr er hustete, desto mehr wirbelte das Waschpulver um ihn herum. Es wirbelte auch in seinen Mund, und wer jemals Waschpulver in den Mund bekommen hat, weiß, wie abscheulich das schmeckt. Der Pumuckl fing verzweifelt zu spucken an, und dann lief er keuchend zu Eder. „Wach auf! Wach auf!“ brüllte er so laut, dass kein Schläfer der Welt hätte weiterschlafen können. „Bist du sauber?“ Eder öffnete die Augen, aber nur kurz, denn der Anblick, der sich ihm bot, war so, dass er sie schleunigst wieder schloss. Der grießsuppenüberzogene Pumuckl war jetzt auch noch vom Waschpulver überpudert! - 208 -
Der Pumuckl heulte: „Ich habe das Waschpulver verschluckt, und jetzt bin ich innendrin sauber, aber nicht außendraußen!“ Dabei fiel ihm ein, dass Waschpulver schäumt. Wenn jetzt innendrin . . .? „Ich bekomme jetzt einen Schaumbauch - oooh“, stöhnte er, „einen Schaumbauch und einen Schaumkopf - oooh.“ „Ein schöner Traum, der Bauch voller Schaum“, reimte Eder, gelassener als ihm zumute war. „Du sollst nicht dichten“, heulte der Pumuckl auf. „Alle Edermuckl dichten!“ „Aber nicht, wenn ich innen voll Waschpulver bin und außen voller Grieß!“ „Vielleicht isst du jetzt Grießsuppe, damit das Waschpulver auch innendrin den Grieß wegwaschen kann?“ „Will aber nicht innendrin gewaschen werden!“ heulte der Kobold. „Schade“, meinte Eder trocken, „hoffentlich hast du den Wasserhahn im Bad abgedreht, sonst musst du nicht nur die Grießsuppe, sondern auch noch die Waschbrühe aufputzen!“ Dieser Gedanke schreckte den Pumuckl so, dass er seinen „Schaumbauch“ vergaß und ins Bad rannte. Das Wasser war tatsächlich gerade am Überlaufen. Der Pumuckl konnte im letzten Augenblick den Wasserhahn zudrehen. Völlig erschöpft setzte er sich an den Beckenrand und starrte in die schaumige Waschbrühe. Vielleicht sollte er doch endlich den ganzen Papp damit abwaschen? Vorsichtig steckte er einen Fuß ins Wasser, zog ihn aber sofort wieder zurück. „Das Wasser ist ja kalt!“ schrie er entsetzt. - 209 -
„Dann mach dir doch ein warmes Wasser“, riet Eder von der Küche aus. „Aber das kann ich doch nicht!“ Pumuckls Stimme klang so verzweifelt, dass er Eder fast Leid tat. Trotzdem dichtete er laut: „Eiskalt gebadet hat selten geschadet!“ Der Pumuckl steckte den Zeigefinger ins Wasser, dann noch mal die große Zehe. Ihn schauderte mächtig. Allmählich begann er in seinen suppennassen Kleidern zu frieren, auch der Hunger meldete sich - er aber pappte und pappte von oben bis unten so voller Grieß, dass ihm vor sich selbst grauste. Was sollte er tun? Völlig niedergeschlagen trottete er wieder zur Küche und erschien vor Eder als ein Bild des Jammers. „Ich - ich kann das alles nicht“, sagte er kleinlaut. „Und überhaupt - ich bin doch der Pumuckl!“ Eder richtete sich auf. „Wer bist du?“ „Der Pumuckl.“ Der kleine Kobold sah Eder flehend an. „Das glaub ich nicht! Du bist heut den ganzen Tag der Pumeister.“ „Doch - du musst es glauben! Schau doch in den Spiegel, du bist groß, und ich bin klein.“ „Erstens hab ich keinen Spiegel da, und zweitens haben wir's ganz anders ausgemacht.“ „Dann machen wir es eben jetzt wieder anders aus! Bitte - ich will wieder der Pumuckl sein.“ In diesem Augenblick hörte Meister Eder von der Werkstatt herauf die Stimme von Herrn Küffner, der nach ihm rief. „Oje“, seufzte Eder, „da muss ich jetzt gleich wieder unsichtbar werden. Pumeister, geh doch runter und sag dem Herrn Küffner Bescheid.“ „Nein“, schrie der Pumuckl, „das tu ich nicht!“ Meister Eder erhob sich scheinbar gelangweilt. „Na ja, - 210 -
mal sehen, was sich machen lässt.“ Im Vorbeigehen nahm er einen Topf mit warmem Wasser vom Gas und goss es in eine Waschschüssel. „Mit sauberen Pumeistern würde ich vielleicht die Rolle wieder tauschen“, sagte er im Hinausgehen. Herr Küffner machte seiner Empörung Luft. „Ich möchte mich ja nicht in die Erziehung mischen, die Sie Ihrem Lehrbuben angedeihen lassen, aber Sie glauben nicht, welche Frechheiten der sich erlaubt, wenn Sie nicht da sind. Leider sind die Zeiten vorüber, wo man Ohrfeigen austeilen darf.“ „Auch wenn's erlaubt wäre, hätten Sie sich da mit Ohrfeigen schwer getan“, sagte Eder der Wahrheit gemäß. „Der, Lehrbub’ ist einfach zu klein dafür.“ „Nun, hoffentlich bessert er sich, wenn er größer wird!“ „Wenn er größer wird?“ Eder musste lächeln. „Ja, dann...“ Herr Küffner sah das Lächeln und fand, dass der Schreinermeister als Lehrherr wahrscheinlich viel zu gutmütig war. Als Meister Eder den vertrösteten Herrn Küffner wieder losgeworden war und zurück in die Küche kam, saß am Rand der Waschschüssel ein strahlender Pumuckl. In der Waschschüssel aber schwamm das Tischtuch. „Schau nur, was ich kann: War eine große Tischtuchschlepparbeit. Und - und der Grieß von meinem Ellenbogen und von meinem Fuß ist dabei an dem Tischtuch hängen geblieben und der von meiner Hose auch. Bin an drei Stellen schon fast ganz sauber. Bin ein groooßer . . .“ der Pumuckl hielt erschrocken inne. „Nein, bin ein ganz kleiner Saubermacher.“ - 211 -
Eder warf einen Blick über die ganze Bescherung. „Nun ja, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ein großer Meister Eder zu sein!“ Er seufzte und griff nach einem Schwamm, um den Pumuckl zu waschen. Der Pumuckl schluckte tapfer seine Abneigung gegen den Schwamm hinunter. „Und - und wenn ich sauber bin, und wenn ich dir den Boden aufwischen helfe: was bin ich dann?“ „Ein lieber Pumuckl!“ „Ein liiieber Pumuckl“, jubelte der Kobold. „Und liiiebe Pumuckl bekommen Wurst und Schokolade und Bier und“, Pumuckl schluckte, „und ganz wenig Grießsuppe.“ Eder tunkte den Schwamm ins warme Wasser. „Deine Vorsätze sind so fabelhaft, dass ich fast gern wieder zum Meister Eder werde“, schmunzelte der Schreinermeister. „Bloß, ob ich das Dichten wieder lassen kann? Daran hab ich mich so gewöhnt!“ „Wir können ja zu zweit dichten“, schlug da der Pumuckl vor. „Du sagst immer die erste Zeile, und ich reime die zweite drauf - meine Reime sind nämlich vielleicht doch ein bisschen besser als deine?“ „Gut“, sagte Eder, „erste Zeile: Du bleibst du, und ich bleib ich ...“ „Denn anders leider klappt es nich!“ „Das ist kein guter Reim, da fehlt ein t“, beanstandete Eder. „Das fehlt gar nicht, das hebe ich mir bloß für einen anderen Reim auf. Zweite Zeile bitte!“ Gehorsam dichtete Eder: „Wir beide waren ganz verdreht ...“ „Vom Kopf bis zu der großen Zeh -t“, reimte der - 212 -
Pumuckl und fügte triumphierend hinzu: „Siehst du, wie gut, dass ich noch ein ‚t’ übrig hatte. Hätte sich sonst überhaupt nicht gereimt!“ Ja, und damit war alles wieder beim alten. Ach ja - was aus dem Loch geworden ist, das doch der Anlass zu der ganzen Geschichte war? Meister Eder hat tatsächlich eines in ein Brettchen gebohrt. Da guckt der Pumuckl jetzt immer durch, wenn er gerade nicht dichtet, nicht isst, nicht schaukelt, nicht schläft und nicht schnarcht. Es ist ein sehr wichtiges Loch in seinem Dasein.
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Hilfe - eine Aushilfe! Sicher erinnert ihr euch, dass zu Meister Eder immer mal wieder Frau Eichinger kommt; die seine Wohnung gründlich putzt. Der Pumuckl, der blitzsaubere Ordnung nicht so ungeheuer schätzt, hat sich mit der Zeit mit der Putzerei der Frau Eichinger abgefunden und versteckt ihr nur noch in Ausnahmefällen den Putzlumpen. Wenn sie da ist, verzieht er sich einfach hinter einen Bretterstapel, hinter den Frau Eichingers Putzeifer nie dringt. Doch eines Tages kam statt Frau Eichinger nur ein Telefonanruf: Sie habe sich den Arm gebrochen, und es könne Wochen dauern, bis sie wieder zu Eder kommen könne. Das traf den Schreinermeister hart, denn die Fenster waren so schmutzig, dass er kaum noch die Häuser von gegenüber sehen konnte, und die Böden erst und vor allem die Wäsche ...! Eder fragte überall herum, ob nicht jemand aushelfen könnte. Und tatsächlich fand er jemanden: Frau Singermeier. Sie versprach, am nächsten Tag zu ihm zum Putzen zu kommen. Meister Eder atmete auf. Zum Pumuckl sagte er: „Ich bitte dich, vergraul die Frau Singermeier nicht! Lass sie in Ruhe arbeiten.“ Der Pumuckl legte den Kopf nachdenklich schief. „Das geht leider nicht, entweder man ruht, dann arbeitet man nicht, oder man arbeitet, dann ruht man nicht ...“ „Du weißt, was ich meine, du sollst sie in Frieden lassen.“ „Und wer lässt mich vor der Putzfrau in Frieden? Niiiemand!“ „Pumuckl, es ist am besten, du bleibst bei mir herunten in - 214 -
der Werkstatt, wenn Frau Singermeier oben die Wohnung putzt, und du bleibst oben, wenn sie herunten putzt. Und wenn du brav bist, bekommst du ein Stückchen Schokolade.“ „Herunten oder droben?“ „Wo du magst, Pumuckl.“ „Dann herunten und droben!“ strahlte der Pumuckl. Meister Eder musste lachen. „Von mir aus!“ Meister Eder gab ihm ein Stückchen Schokolade. „Also abgemacht?“ fragte Eder noch einmal. „Abgemacht“, schmatzte der Pumuckl. Als dann Frau Singermeier kam, setzte sich der kleine Kobold wirklich brav auf Eders Hobelbank. Schon bei der Begrüßung zeigte sich, dass Frau Singermeier ungeheuer viel und schnell redete, so dass Meister Eder kaum zu Wort kommen konnte. Gleich nach seinem ersten Begrüßungssatz: „Es freut mich, dass Sie kommen. Sie wissen ja, ein Mannsbild ist keine besonders gute Hausfrau ...“ unterbrach sie ihn. „Oh, und wie ich das weiß! Mein Mann selig, der hat einen Kehrbesen nicht von einem Staubsauger unterscheiden können, und was ein Fenster ist, hat er überhaupt nicht gewusst, obwohl er sonst ein herzensguter Mann war, aber ...“ Und sie redete und redete. Meister Eder musste eine Schnaufpause in ihrem Redeschwall abwarten, ehe er dazwischen sagen konnte: „Ein paar Kleinigkeiten zum Waschen habe ich für Sie hergerichtet.“ Frau Singermeier hörte gar nicht hin, sondern fuhr fort: „Hoffentlich haben Sie keinen Kanarienvogel, wissen Sie, mit Kanarienvögeln hab ich solches Pech, mir kommen immer alle Kanarienvögel aus, es ist, als ob - 215 -
dieses Viehzeug nur darauf wartet, dass ich ein Fenster aufmache.“ Meister Eder konnte nur verneinend den Kopf schütteln, und schon ging es weiter: „Auch sonst ist hoffentlich nichts in Ihrem Haushalt, auf das ich aufpassen muss? Haben Sie Katzen, Hunde oder etwas Gefährliches?“ „Nein, nein, nichts Besonderes!“ sagte Eder schnell. In diesem Augenblick ging die Werkstattüre auf, und Eders Freund, der Schlossermeister Bernbacher, kam herein. Er sah etwas fragend auf Frau Singermeier, so dass Eder sich veranlasst fühlte zu erklären, dass Frau Singermeier als Aushilfe für Frau Eichinger hier sei. „Das ist nett, dass Sie meinem Freund im Haushalt helfen!“ sagte Bernbacher und fügte scherzend hinzu: „Hoffentlich werden Sie dabei nicht vom Pudackl - oder wie er heißt - gestört!“ Bernbacher konnte sich nie den Namen Pumuckl merken, obwohl er Meister Eder wegen „dieser Verrücktheit“ seit Jahren neckte. „Sie haben einen Dackel?“ Frau Singermeiers Augen weiteten sich. „Davon haben Sie aber nichts gesagt, obwohl ich Sie doch eben gefragt habe! Hunde machen ja solchen Schmutz!“ „Ach wo, ich hab keinen Hund, ich hab überhaupt niemanden und nichts!“ Eder war nun etwas ärgerlich. Doch Bernbacher, der die Leute gern foppt, sagte zu Frau Singermeier so ernst er nur konnte - denn in Wahrheit glaubte er natürlich nicht im Geringsten an Eders Pumuckl: „Hier im Haus ist ein Kobold, ein richtiger unsichtbarer Hausgeist, der überall herumhüpft und herumpoltert ...“ Er senkte geheimnisvoll die Stimme: „Hier im Haus geht's nicht mit rechten Dingen zu!“ - 216 -
Frau Singermeier verschlug es die Sprache, was selten bei ihr vorkommt. „Hör doch auf damit!“ fuhr Eder seinen Freund an. „Du weißt, dass das ein schlechter Scherz ist!“ „Wieso?“ fragte Bernbacher mit Unschuldsmiene. „Ich habe nicht im Scherz, sondern im Ernst darüber geredet. Frau Singermeier, fragen Sie nur mal den Herrn Eder nach seinem Zwidackl oder wie er heißt. Der kann Ihnen Geschichten erzählen, dass sich jedes Ihrer Haare einzeln sträubt!“ Frau Singermeiers Haare fingen bereits an, sich zu sträuben. „Da fürcht ich mich ja gleich! In derartigen übersinnlichen Sachen, da bin ich ja soo empfindlich! Wenn bei mir zu Hause der Boden kracht, dann meine ich schon, ich hält es mit Gespenstern zu tun. Könnte doch sein, dass mein Mann selig ...“ „Beruhigen Sie sich“, unterbrach Eder schroff den Redeschwall. „Ihr verstorbener Mann geistert bei mir bestimmt nicht herum!“ „Ihr Mann nicht, aber der Pu - jetzt hab ich's! - der Pumuckl!“ Dem Bernbacher machte die Sache ungeheuer Spaß: „So fest können Sie das Geschirr nicht in der Hand halten, dass der Kobold es nicht hinunterwirft. Und Schlüssel finden Sie überhaupt nie, von Brillen ganz zu schweigen!“ „Um Himmels willen!“ brachte Frau Singermeier nur heraus. „Lassen Sie sich doch nichts weismachen!“ versuchte Eder die gute Frau zu beruhigen. „Wenn Sie nicht selbst etwas hinunterwerfen, fällt auch bei mir nichts hinunter. Und damit punktum!“ Und an Bernbacher gewandt fuhr er fort: „Für dich, alter Freund, wird's Zeit, dass du mit diesem - 217 -
Thema aufhörst, sonst geht der Pumuckl auf dich los!“ „Jetzt gibt er es selbst zu!“ rief Bernbacher vergnügt. Meister Eder lenkte ab: „Sag mir lieber, wann du mir den Schlüssel bringst, den ich bei dir bestellt habe. Oder hast du ihn schon dabei?“ Der Schlossermeister hatte den Schlüssel angefertigt und war gekommen, um auszuprobieren, ob er passte. Leider schloss er nicht so reibungslos wie er sollte. Diese leidige Tatsache brachte ihn von seiner Fopperei ab. Er musste schnell noch mal nach Hause gehen, um den Schlüssel in seiner Werkstatt entsprechend zu ändern. Eder atmete auf, als Bernbacher gegangen war. Jetzt erst konnte er Frau Singermeier alles zeigen. Er führte sie zuerst in die Wohnung hinauf, und Frau Singermeier begann auch gleich mit Eifer zu putzen. Der Pumuckl saß brav unten in der Werkstatt, schaukelte und dichtete, so dass Meister Eder, als er herunterkam, anerkennend sagte: „So ist's brav, Pumuckl, ich hatte schon Angst, dass dich das dumme Gerede vom Bernbacher zu irgendwas verleiten könnte.“ „Nein, hat mich nicht verleitet. Ich will nämlich nicht mit ‚Männern selig’ verwechselt werden. Diese Art Gespenster sind mir wirklich zu dumm.“ „Da hast du recht!“ sagte Eder und ging an seine Arbeit. Es dauerte nicht lange, da fuhr er zusammen. Oben in der Küche war etwas mit gewaltigem Poltern auf den Boden gefallen. „Wenn das der Schnellkochtopf war, dann hat er jetzt ein paar Beulen abgekriegt!“ stellte Eder fest. „Wie gut, dass ich nicht oben bin!“ nickte der kleine Kobold zufrieden. „Nun ja, es kann jedem einmal etwas hinunterfallen“, meinte Eder entschuldigend. Doch kaum hatte er - 218 -
ausgesprochen, schlug oben ein Fenster klirrend zu und gleichzeitig eine Türe. „Das geht ja gut an“, seufzte Eder. „Ich glaube, dass die Frau Singermeier keinen Kobold braucht, die kann das selbst!“ Der Pumuckl hielt im Schaukeln inne: „Also weißt du“, begann er einigermaßen empört, „niemals werfe ich Fenster und Türen gleichzeitig zu, und noch niemalerer werfe ich Schnelltöpfe auf den Boden. Kein einziger Topf hat vom Pumuckl eine Beule bekommen! Alle Topfbeulen sind von allein ...“ Weiter kam der Pumuckl nicht, denn jetzt klirrte eine Porzellanschüssel zu Boden, und gleichzeitig ertönte ein Schrei der Frau Singermeier. „Wenn die so weitermacht, kostet sie mich ein Vermögen!“ sagte Meister Eder leicht ergrimmt. Da kam Frau Singermeier schon jammernd die Treppe herunter: „Herr Eder, also so etwas ist mir noch nie passiert. Noch nie! Ich ersetze Ihnen natürlich die Schüssel, die ich runtergeworfen habe, aber so was nein, das ist wirklich wie verhext! Ich fange schon an, zu glauben, was Ihr Freund gesagt hat! Es ist wirklich, als wäre ein Kobold im Haus!“ „Frau Singermeier, mein Ehrenwort, das war kein Kobold, das waren schon Sie selbst!“ Meister Eder sagte das sehr bestimmt. Frau Singermeier hörte nur halb hin, ihr nächster Redeschwall ergoss sich über Eder. „Ich sag es ja immer, man soll den Teufel nicht an die Wand malen! Meiner Lebtag ist mir so etwas noch nicht passiert. Ich bin froh, dass ich mit dem Geschirrspülen jetzt fertig bin! Ich wasche jetzt Ihre Sachen aus, ich hab sie eben eingeweicht! Und was soll ich mit Ihren Hosen machen, soll ich die aufdämpfen? Also wissen Sie, mein Mann - 219 -
selig war mit Hosen sehr genau, mit den Bügelfalten, die ich ihm reingebügelt habe, konnte man Brot schneiden, so scharf waren die ...“ Meister Eder duckte sich wie unter einem Wasserfall. Er stellte schnell seine Säge an und sagte: „Entschuldigen Sie, ich muss weiterarbeiten!“ Und er stellte sie erst wieder ab, als Frau Singermeier abgerauscht war. Es dauerte nicht lange, da ertönte von oben der nächste spitze Schrei. „Was ist denn schon wieder los!“ polterte Eder. Jammernd rief Frau Singermeier von oben herunter: „Mir ist das Wasser übergelaufen, ein Socken von Ihnen ist vor den Überlauf gekommen - ogottogottogott! Wo ist denn gleich der Putzlumpen, ich hab den Putzlumpen doch vorhin noch gesehen!“ Meister Eder musste tief Luft holen. Auch der Pumuckl holte tief Luft: „Du hast hoffentlich ganz deutlich gesehen, dass ich immer hier bei dir war, ja?“ „Natürlich, Pumuckl. Diese Frau - das ist ja nicht zum Aushalten! Am besten, ich schau mal rauf.“ Meister Eder stieg die Treppe hinauf. Im Bad war eine richtige Überschwemmung, und Frau Singermeier benahm sich wie eine Wespe im Marmeladenglas. Völlig kopflos sauste sie hin und her und suchte den Putzlumpen. Dazu redete sie unentwegt vor sich hin: „Ich versteh überhaupt nicht, wie ein Socken in den Überlauf kommen kann, das ist ja wirklich, als wäre ein Geist im Haus! Wirklich! Alles ist verhext, auch der Putzlumpen ist verhext!“ „Da im Putzeimer ist er doch!“ unterbrach Eder. „Ich glaube kaum, dass den ein Geist in den Eimer geworfen hat!“ - 220 -
Frau Singermeier schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Wie ist der Putzlumpen da reingekommen, ich habe ihn ja noch gar nicht in der Hand gehabt, das ist rätselhaft, einfach rätselhaft ist das!“ „Ich sehe da überhaupt nichts Rätselhaftes, im Gegenteil!“ Wieder schlug Frau Singermeier die Hände zusammen, diesmal vor Begeisterung. „Sie sind genauso wie mein Mann selig, genauso! Der hat auch nie an Rätsel geglaubt, der hat für alles immer eine natürliche Erklärung gehabt, auch für das Unerklärliche! Wissen Sie, was ich glaube?“ Frau Singermeier senkte die Stimme: „Manchmal denke ich, dass sich sein Unglaube an ihm rächt und er als Geist ... Also mich würde nichts gar nichts! - wundern!“ „Hören Sie auf, Frau Singermeier“, Meister Eder runzelte missbilligend die Stirne. Doch Frau Singermeier bekam jetzt einen prophetischen Zug ins Gesicht. „Geben Sie nur Acht, Ihnen kann es einmal genauso gehen wie meinem Mann selig!“ „Vorerst lebe ich noch, Frau Singermeier“, sagte Eder energisch und deutete auf die Überschwemmung: „Wenn ich nicht in der Überschwemmung da ertrinke!“ Frau Singermeier bekam einen knallroten Kopf: „Bitte, seien Sie mir nicht bös ...“ „Ist schon gut. Aber gewöhnen Sie sich bitte nicht an, für alles und jedes Geister oder Kobolde verantwortlich zu machen!“ „Aber das hab ich doch bloß so dahingesagt, Herr Eder...“ „Das verträgt er nämlich nicht!“ rutschte es Eder heraus, - 221 -
aber er verbesserte sich schnell: „Das vertrag ich nämlich nicht!“ „Ich sag ja schon nichts mehr, kein Wort sag ich mehr, Herr Eder, kein Wort!“ Meister Eder zog es vor, die vielen „keine Wörter“ nicht mehr anzuhören und stapfte wieder in die Werkstatt hinunter. Der Pumuckl hatte das Gespräch drunten mitgehört. Voll Entrüstung sagte er: „Putzlumpen verstecken, Überlauf verstopfen, Sachen hinunterwerfen! Das kann einem wirklich auf die Nerven gehen!“ Meister Eder sah seinen Kobold von der Seite an. „Na, na, da würde ich an deiner Stelle nicht so hart urteilen, schließlich ...“ „Schließlich ist es etwas ganz anderes, wenn ich so was mache! Das sind nämlich dann Koboldsspäße. Es gibt keine Singermeierspäße, weil sie doch wohl kaum von einem Singermeierklabautermann abstammen können!“ „Hoffen wir es jedenfalls!“ seufzte Eder. „Obwohl - ganz sicher bin ich nicht!“ Meister Eder meinte das natürlich im Scherz, aber in solchen Sachen versteht der Pumuckl keinen Spaß. „Wie bitte? Du willst doch nicht etwa behaupten, dass ich mit dieser Dame verwandt bin? Da muss ich dir doch gleich auf der Stelle zeigen, wie ein echter Klabauternachfahre das macht, da muss ich ...“ „Um Himmels willen, nein!“ flehte Eder. „Schone meine Nerven!“ „Und wer schont meine schönen Nerven? Alle meine zweihundertsiebzehnsieben Nerven sind schon kaputtgegangen, nur noch ein ganz, ganz kleiner Nerv ist heil und...“ - 222 -
In diesem Augenblick flog der Putzeimer mit ungeheurem Getöse die Treppe herunter. In die darauf folgende Stille konnte der Pumuckl nur erschüttert sagen: „Und jetzt ist der ganz, ganz kleine Nerv auch noch kaputt!“ „Das darf doch nicht sein!“ stöhnte Eder. Der Pumuckl aber kratzte sich nachdenklich seinen Wuschelkopf. „Vielleicht - vielleicht hat Frau Singermeier doch einen Klabautervorfahren? Oder vielleicht war ihr seliger Mann ein Klabautermann, oder ...“ Pumuckls Augen wurden plötzlich groß, und er flüsterte: „Oder wir haben einen zweiten Kobold im Haus! Einen unsichtbaren zweiten Kobold!“ Das war zuviel für Meister Eder. „Quatsch!“ rief er wütend. „Und wenn, dann jag ich ihn zum Teufel! Und zwar auf der Stelle!“ „Nein, das wirst du nicht tun, weil ich dann einen Freund im Hause habe, und weil dann ...“ „Das werden wir doch gleich sehen, dass das kein Freund von dir ist! Frau Singermeier!“ Der Ruf war wie ein strenger Befehl. Frau Singermeier erschien auch gleich unter der Türe. „Entschuldigen Sie, Herr Eder, am Putzeimer ist wirklich nur ein ganz kleines Stück Emaille weggesplittert, man sieht's überhaupt nicht ...“ „Ich möchte nur eines wissen: Ist er von allein heruntergefallen oder sind Sie darüber gestolpert oder wie ist das zugegangen? Erinnern Sie sich bitte genau!“ Dieser Ton verschlug sogar einer Frau Singermeier die Rede. Sie wurde kreideweiß: „Herr Eder, das klingt ja fast wie ein Verhör bei der Polizei!“ „Sind Sie an den Eimer gekommen, oder ist er ganz von - 223 -
allein umgefallen?“ beharrte Eder streng auf seiner Frage. Die Augen der Frau Singermeier füllten sich mit Tränen: „Natürlich bin ich drangekommen“, schluchzte sie und deutete auf ihren Strumpf, „da - den ganzen Strumpf hab ich mir dabei zerrissen!“ Meister Eder betrachtete den Strumpf: „Dieser Strumpf war nicht schon vorher zerrissen, sondern wirklich durch den Eimer?“ „Aber ja!“ „Dann ist also alles mit rechten Dingen zugegangen?“ Frau Singermeier nickte eifrig. „Dann ist alles in Ordnung“, atmete Eder auf. „Ich möchte nämlich vermeiden, dass hier im Haus alles irgendwelchen Kobolden in die Schuhe geschoben wird!“ Frau Singermeier vergaß das Weinen. „Aber Herr Eder, das mit dem Kobold war doch nur ein Spaß von mir. Ich glaub zwar an Geister und so was, aber an so was Blödes wie Kobolde glaub ich eigentlich überhaupt nicht.“ Und jetzt sagte Eder etwas, das Frau Singermeier nach allem Vorhergegangenen höchlichst verwundern musste: „Kobolde sind nichts Blödes, sondern etwas sehr Nettes!“ Frau Singermeier blieb der Mund eine Weile offen stehen, bevor sie sagen konnte: „Jetzt kenne ich mich nicht mehr aus - wer von uns glaubt nun eigentlich an ...“ Es war gut, dass in diesem Augenblick Freund Bernbacher hereinkam und so Frau Singermeiers Frage unbeantwortet in der Luft hängen blieb. Bernbacher brachte den Schlüssel. „Jetzt muss er passen“, begann er, doch dann merkte er an Frau Singermeiers Gesicht, dass er da in irgendetwas hineingeplatzt sein musste. „Frau Singermeier, Sie sehen aus, als hätten Sie beim Putzen - 224 -
den Ederschen Pumuckl aufgestöbert!“ versuchte er zu scherzen. „Hören Sie doch auf damit!“ fauchte Frau Singermeier. „Ich rede überhaupt kein Wort mehr über so was! Mich können alle Kobolde und Gartenzwerge und Heinzelmännchen - oder wie die ganze alberne Kinderei noch heißt - gern haben! Nur damit Sie es ...“ Das Wort „wissen“ blieb unausgesprochen, denn in diesem Augenblick zerschellte ein Blumentopf auf dem Boden, dass die Scherben auseinanderspritzten. Das entlockte Frau Singermeier den dritten spitzen Schrei des Tages. Auch Bernbacher fuhr erschrocken zusammen. Nur Meister Eder sagte ganz ruhig: „Das war ihm jetzt wirklich zuviel! Wenn ihr es genau wissen wollt: diesen Blumentopf hat der Pumuckl zerschmissen!“ „Ist nicht wahr! Sie selbst sind mit dem Ellenbogen an den Blumentopf gekommen“, trumpfte Frau Singermeier auf. Bernbacher schaute seinen Freund an. „Nein, Eder ist mindestens einen Meter davon entfernt gewesen.“ „Dann ist der Blumentopf eben windschief auf der äußersten Kante auf dem Fensterbrett gestanden!“ beharrte Frau Singermeier nun auf ihrer natürlichen Erklärung. Aber Bernbacher schüttelte den Kopf: „Nein, der Blumentopf ist ganz richtig in der Mitte gestanden.“ Eder musste plötzlich lachen. Frau Singermeier schaute von einem zum anderen: „Sie beide halten gegen mich zusammen! Sie glauben doch wohl nicht, dass ich das nicht durchschaue!“ „Es war wirklich seltsam“, beharrte Bernbacher. - 226 -
„Sie haben es faustdick hinter den Ohren, Herr Bernbacher“, behauptete Frau Singermeier, „das Spielchen mit dem Pumuckl haben Sie und Herr Eder sicher schon oft ausprobiert!“ Sie wischte mit dem Lumpen, den sie noch in der Hand hielt, schnell über die Hobelbank und rauschte mit einem „Mich bringen Sie nicht mehr draus!“ aus der Werkstatt. „Das würde mich beruhigen“, brummte Eder hinter ihr drein. Bernbacher musste über diesen Abgang der Putzfrau lachen. „Der Scherz mit dem Pumuckl wirkt doch immer wieder!“ stellte er zufrieden fest. „Komm, red doch nicht immer vom Pumuckl, sonst lässt er noch einiges verschwinden, nur so, zum Spaß! Und jetzt probieren wir den Schlüssel aus.“ Eder sah sich suchend um. Der Schlüssel war doch gerade noch dagelegen? „Hast du ihn wieder eingesteckt?“ „Ich hab ihn hierher gelegt. Ich erinnere mich genau!“ Trotzdem klopfte Bernbacher seine sämtlichen Taschen ab. Vergeblich. „Hab ich's nicht gesagt!“ Eder wurde jetzt ärgerlich. „Jetzt geht die Sucherei erst los! Gib den Schlüssel bitte her!“ Eder meinte damit den Pumuckl, Bernbacher fühlte sich jedoch betroffen. „Wenn ich ihn doch nicht habe!“ Er suchte eifrig. „Den findest du nie, wenn der Pumuckl ihn versteckt hat!“ Bernbacher schaute seinen Freund unsicher von der Seite an: „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der Pu ... dass der Schlüssel weg ist.“ „Was heißt da glauben?“ fuhr Eder hoch. „Ich weiß, dass - 227 -
den Schlüssel diesmal wirklich der Pumuckl hat!“ In diesem Augenblick kam Frau Singermeier herein. Sie hielt den gesuchten Schlüssel in der Hand: „Entschuldigen Sie, ich hab versehentlich den Schlüssel eingesteckt! Man wird ja einfach konfus hier!“ Eder nahm den Schlüssel. „Jetzt weiß ich selbst nicht mehr, wer was getan hat und wer was nicht getan hat!“ Da tönte Frau Singermeier: „Ich weiß es schon, ich habe nämlich meine fünf Sinne beisammen! Nur damit Sie es wissen!“ „Schön“, seufzte Eder spöttisch, „dann können Sie mich in Zukunft ja immer aufklären.“ Frau Singermeier überhörte den Spott. „Aber bitte, einigen wir uns, Herr Eder, ich spiele das Spiel mit Ihrem Pumuckl mit: Alles, was bei Ihnen passiert, das war eben dieser Pumuckl!“ Meister Eder schloss die Augen. Ihm schwindelte. Doch Frau Singermeier fuhr fort: „Natürlich glaube ich so wenig an Ihren verrückten Kobold wie Sie und Herr Bernbacher!“ Meister Eder duckte sich unwillkürlich. Aber nichts flog herunter. Aufatmend griff er nach dem Schlüssel. Dabei streifte er leider die Nagelkiste, die mit lautem Poltern ... Ja, was sollte man nun da denken? Alle drei zogen es vor, gar nichts zu denken, sondern die Nägel stillschweigend wieder einzusammeln. Erst als Meister Eder mit seinem Pumuckl wieder allein war, fragte er vorsichtig: „Also, das in der Küche oben war weder von dir noch von einem anderen Kobold, der Blumentopf hier - das war doch wohl nicht mein Ellenbogen, sondern das warst doch du, oder?“ „Klar, schließlich hat man nicht dich mit Heinzelmännchen und Gartenzwergen beleidigt, sondern - 228 -
mich!“ „Und die Nagelkiste?“ „Die hast du heruntergeworfen. War sehr nett von dir, dass du mir die Arbeit abgenommen hast!“ „War nicht Absicht. Ich finde es ja eigentlich auch nicht richtig, dass du meinen Blumentopf herunterwirfst, wenn andere Leute dumm daherreden. Schließlich bin ich völlig unschuldig daran.“ „Schon, aber die Leute, die so daherreden, die haben meistens keine eigenen Blumentöpfe dabei, die ich hinunterwerfen könnte!“ Dieser Logik konnte sich Eder nicht ganz verschließen. „Aber hätte zwicken nicht auch schon genügt?“ meinte er. „Nein!“ sagte der Pumuckl sehr bestimmt. „Und warum nicht?“ „Ganz einfach: weil zwicken nicht so schön kracht. Und für eine Wut ist krachen etwas sehr, sehr Schönes. Meine Wut war nämlich sehr groß. Mich in einem Atemzug mit Gartenzwergen und Heinzelmännchen zu nennen! Das kommt davon, wenn man so ungeheuer brav ist. Da wird man sehr leicht mit Heinzelmännchen verwechselt!“ „Dafür hätte man Frau Singermeier ebenso leicht mit einem Kobold verwechseln können!“ Der Pumuckl nickte eifrig mit dem Kopf. „Diese Frau Singermeier wirft Sachen hinunter für zwei Kobolde. Da ist mir Frau Eichinger viel lieber, die tut ihre Arbeit und lässt mich meine Arbeit tun!“ „Deine Arbeit? Welche Arbeit denn?“ wunderte sich Eder. Da sagte der Pumuckl mit Würde: „Nun, die Arbeit, die Frau Singermeier heute für mich getan hat: - 229 -
hinunterwerfen und verstecken. Hoffentlich wird Frau Eichinger bald wieder gesund!“ „Hoffentlich!“ sagte Eder aus vollem Herzen und ging wieder an seine Arbeit. Der Pumuckl aber „arbeitete“ an diesem Tag nichts mehr. Das war gut für alle Nerven, auch für die letzten, ganz, ganz kleinen.
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Pumuckl und die Uhr Uhren hatten bislang in Pumuckls Leben keine große Rolle gespielt. Was ist für einen Kobold schon Zeit? Er misst sie ganz einfach nach Tag und Nacht, nach Frühstück, Mittag- und Abendessen, und außerdem kann er, wie jeder weiß, die Zahlen nicht lesen. Trotzdem hat der Pumuckl eines Tages seine Liebe zu Uhren entdeckt. Genauer: zu ganz kleinen Uhren. Und das kam so: Frau Hoffmann, eine sehr elegante Dame, kam zu Meister Eder in die Werkstatt. „Sie sind mir empfohlen worden, Herr Eder“, sagte sie, „Sie sind Spezialist für Reparaturen antiker Möbelstücke?“ „Spezialist ist zuviel gesagt ...“ Die Dame ließ ihn nicht ausreden. „Ich habe eine Sammlung alter Uhren - Uhren sind nämlich eine Liebhaberei von mir-, darunter eine Standuhr aus dem 18. Jahrhundert. Die hat beim Umzug etwas gelitten, eine Schnitzerei ist abgebrochen. Könnten Sie sich den Schaden ansehen? Ich wohne nicht weit, gleich in der Salbeistraße.“ Meister Eder meinte: „Nun ja, ansehen kann ich sie mir ja. Passt es Ihnen morgen Abend?“ „Ja, das passt vorzüglich!“ Die Dame atmete ebenso erfreut wie heftig auf, und dabei kam eine feine, kleine Uhr, die sie an einer Kette um den Hals trug, so ins Baumeln, dass Meister Eder unwillkürlich hinguckte. „Kein antikes Stück“, lächelte die Dame. „Aber sehr geschmackvoll“, sagte Eder bewundernd. Noch jemand schaute die kleine baumelnde Uhr voller Bewunderung an: der Pumuckl. Er schaute sie ganz nah - 231 -
an, so nah, dass er das feine Ticken hören konnte. Er war entzückt! Kaum war die Dame weggegangen, sagte er: „Uhren sind auch von mir eine Liebhaberei, weißt du das eigentlich?“ „Das ist mir ziemlich neu.“ „Habe sie sehr lieb, hab ich eben entdeckt. Wenn die kleine Uhr nicht an der dummen Kette gehangen wäre, dann ...“ „Was dann?“ fragte Eder mit gerunzelter Stirne. „Oooch - dann wäre sie eben nicht an der Kette gehangen“, sagte der Pumuckl schnell und stellte sich vor, wie die kleine Uhr neben seinem Bett fein und leise getickt hätte. Meister Eder deutete diesen verträumten Ausdruck in Pumuckls Augen richtig. Er zog seine Taschenuhr heraus und legte sie vor den Pumuckl hin. „Schau, wir haben auch eine schöne Uhr.“ Der Pumuckl warf einen verächtlichen Blick auf das wohlvertraute Ding. „Ist viiiel zu groß und viiiel zu dick und tickt viiiel zu laut, und niemand kann sie um den Hals an einer Kette tragen.“ „Wer will das schon!“ Eder steckte seine Uhr wieder ein. „Der Pumuckl will das. Eine kleine Uhr, die zu mir passt und fein an meinem Hals tickt! Und überhaupt: Alle Menschen haben Uhren, nur der Pumuckl hat keine.“ „Kein Kobold der Welt hat eine Uhr, glaub mir's. Das war ja auch blödsinnig - du kennst ja die Zahlen und die Zeit nicht.“ Dem Pumuckl sträubten sich auf der Stelle alle Haare vor Empörung: „Hast du im Zusammenhang mit Kobolden blödsinnig gesagt?! Das ist - das ist ... Oooh, ich werde es dir schon zeigen, dass Kobolde alles andere als blödsinnig sind. Ich werde eine Uhr kriegen, jawohl, und - 233 -
ich werde die Zahlen und die Zeit kennen lernen. Persönlich!“ Der Pumuckl fauchte richtig. Eder zog seine Uhr wieder heraus. „Bitte schön - hier kannst du beides kennen lernen, soviel und so lang du willst!“ „Will nicht deine Uhr, will eine kleine baumelnde Pumuckluhr, die fein tickt, ganz fein - oooh!“ Seine Augen glänzten, wenn er an die Uhr von Frau Hoffmann dachte, und leise fügte er hinzu: „Ich werde sie schon kriegen!“ Er sagte es jedoch nicht so leise, dass Eder es nicht gehört hätte. „Was hast du da gerade gesagt?“ „Och, nichts!“ Der Pumuckl machte ein scheinheiliges Gesicht. Meister Eder wurde sehr ernst. „Pumuckl, eines sage ich dir: Wenn du eine Uhr stiehlst, und man findet die hier bei uns, dann kommt die Polizei und sperrt mich ein. Unweigerlich! Denn keine Polizei der Welt glaubt mir, dass ich einen Kobold habe, der Uhren stiehlt. Die lachen bloß, wenn ich so etwas behaupte.“ „Lustige Leute, die Polizisten!“ „Pumuckl, willst du, dass ich ins Gefängnis komme, bei Wasser und Brot, und dass die Werkstatt geschlossen wird und dass ich dann völlig ruiniert sein werde auf meine alten Tage?“ Meister Eder sagte das so ernst und so eindringlich, dass der Pumuckl den alten Mann schon bei Wasser und Brot eingesperrt vor sich sah. Schnell schüttelte er seinen Wuschelkopf. „Nein, das will ich nicht, wirklich nicht. Ich verspreche es dir bei meiner Koboldsehre, dass ich das nicht will!“ Nun, das beruhigte Meister Eder einigermaßen. Er ging - 234 -
wieder an seine Arbeit, und es fiel kein Wort mehr über die Uhrengeschichte. Um sechs Uhr abends hörte der Schreinermeister zu arbeiten auf und schloss die Werkstatt. Es war ein milder Frühlingsabend, und darum schlug Meister Eder vor: „Wie wär's mit einem kleinen Spaziergang, nur um den Häuserblock herum, um ein bisschen Luft zu schnappen?“ „Schnappen ist eine sehr schöne Beschäftigung!“ rief der Kobold vergnügt und hüpfte gleich voraus auf die Straße hinaus. Die beiden gingen also die Straße entlang, und es wäre alles in schönster Ordnung gewesen, wenn nicht am Ende der Straße ausgerechnet ein Uhrengeschäft gewesen wäre. „Uiii, die vielen Uhren, schau!“ flüsterte der Pumuckl. Und schon hüpfte er auf den Mauervorsprung unter dem Schaufenster. „Da - da ist genauso eine kleine runde Uhr, die man an der Halskette tragen kann! Die ist bestimmt ganz, ganz billig, so billig wie - eine Wurst vielleicht. Ich esse dann drei Tage keine Wurst, und dann kaufst du sie mir, ja?“ „Nein. Außerdem ist der Laden bereits geschlossen.“ „Der wird sicher morgen früh wieder aufgeschlossen!“ „Auch dann werde ich dir keine Uhr kaufen, punktum. Und jetzt komm!“ Ein Herr, der gerade vorbeiging, schaute den so energisch offenbar mit sich selbst redenden Schreinermeister verwundert an. Der Pumuckl rüttelte noch ein bisschen an der Tür. Aber der Laden war so verschlossen, dass keine Maus hineingekommen wäre. Da fügte sich der Pumuckl und ging mit Meister Eder weiter. Die Abendluft war so köstlich, dass Eder nicht - 235 -
nur um den einen Häuserblock, sondern noch ein paar Straßen weiter spazierte. Und dort - er sah es zu spät war noch ein Uhrengeschäft. Es brannte im Laden noch Licht. „Da ist noch nicht geschlossen, da kann man noch Uhren kaufen“, rief der Pumuckl, und schon presste er seine Nase an die Scheibe. „Ich seh sogar noch einen Mann drin!“ „Das ist der Uhrmacher, der arbeitet wahrscheinlich noch. Trotzdem ist bereits geschlossen!“ Eder drückte zum Beweis die Türklinke hinunter. „Gib jetzt endlich Ruhe mit diesen vermaledeiten Uhren!“ „Ich gebe keine Ruhe!“ Und schon klopfte der Pumuckl kräftig gegen die Türe. Mit einem schnellen Griff packte Meister Eder den kleinen Kerl und schob ihn in seine große Manteltasche. „So, Schluss jetzt damit!“ sagte er zufrieden. Der Pumuckl aber zappelte in der Tasche, dass die Nähte krachten. „Lass mich raus! Ich will raus! Du hast gesagt, wir gehen Luft schnappen. Hier drin ist überhaupt keine Luft, die ich schnappen kann! Ich ersticke - pfff - puuuh schnapp ...“ Doch diese Töne rührten Eder nur wenig. „Mach kein Theater, du kriegst genug Luft. Und außerdem gehen wir jetzt gleich durch die Salbeistraße wieder heim. In der Straße gibt's keine Läden!“ „Durch die Salbeistraße!“ Der Pumuckl vergaß seine Luftschnapperei. „Dort wohnt doch Frau Hoffmann!“ Meister Eder erschrak. Hatte sich der Pumuckl doch tatsächlich die Straße gemerkt! „Pumuckl, du darfst sofort aus der Tasche raus, wenn du mir fest versprichst, dass du nie heimlich zu Frau Hoffmann gehst.“ - 236 -
„Kann ich leicht versprechen, weiß ja nicht, welches Haus und welche Wohnung.“ „Versprich mir, dass du auch nicht danach suchst! Du weißt, was mir passiert, wenn du ...“ „Du musst keine Angst vor den Lachpolizisten haben, ich verspreche es.“ „Bei deiner Koboldsehre?“ „Bei meiner Koboldsehre.“ Daraufhin ließ Meister Eder den Kobold aus der Tasche hüpfen. Der weitere Abend verlief friedlich. Auch der nächste Vormittag. Dann kam das Mittagessen, und dann hielt Meister Eder seinen Mittagsschlaf. Der Pumuckl langweilte sich, und darum hüpfte er in den Hof hinaus. Im Hof langweilte er sich aber auch, und darum lief er auf die Straße. Diese Straße hätte ihn vielleicht auch gelangweilt, wenn ihm nicht eingefallen wäre, dass an ihrem Ende das Uhrengeschäft war. Dorthin zu spazieren und im Schaufenster die Uhren anzugucken, das war doch ganz sicher nicht verboten. Und gegen das Koboldsehrenwort verstieß es auch nicht. Der Pumuckl hüpfte also los, und er hätte wirklich die Uhren nur vom Schaufenster aus betrachtet, wenn nicht zufällig ein Kunde die Ladentür geöffnet hätte. Der Pumuckl schlüpfte flink mit hinein. Sein Herz klopfte vor Glück: Überall tickte es. Langsam und schnell, leise und laut. Leider waren die kleinen Uhren alle in verschlossenen Vitrinen, aber das störte den Pumuckl nicht. Ihm gefielen die tickenden Wecker auch sehr gut und vor allem eine große Standuhr mit einem schwingenden Perpendikel. Er setzte sich darauf und ließ sich mit hin- und herschwingen. - 237 -
Da die Stunde gerade voll war, fing die Standuhr zu schlagen an, mit vier hellen Tönen und dann zwei dunklen - es klang wunderschön. Und kaum war das Schlagen der großen Uhr verklungen, begannen ein paar kleine zu schlagen. Und dann die Kuckucksuhren! Ihr „Kuckuck! Kuckuck!“ entzückte den Pumuckl so, dass er ebenfalls „Kuckuck-Kuckuck-Kuckuck“ rief. Er rief es allerdings statt zweimal gleich dreimal, was den Uhrmacher aufhorchen ließ. „Da schlägt wieder einmal eine falsch!“ murmelte er und sah sich prüfend um. Dann nahm er eine der Uhren und trug sie in die Werkstatt, die hinter dem Laden lag. Der Pumuckl lief mit. Was er da in der Uhrmacherwerkstatt sah, übertraf alle Erwartungen. Die geöffneten Uhren mit ihren kleinen, sich emsig bewegenden Rädchen, die silbern oder golden glitzerten, der Pumuckl konnte sich nicht satt sehen. Es gab so viel zu sehen, dass ihm die Zeit im Nu verging. Meister Eder war längst von seinem Mittagsschlaf erwacht und wieder an die Arbeit gegangen. Da es keine Seltenheit ist, dass sich der Kobold irgendwo im Hof oder auf der Straße herumtreibt, machte er sich keine Sorgen. Erst als es immer später wurde und die Zeit kam, in der sich der Pumuckl wegen seines „Nachmittagshungers“ zu melden pflegte, und immer noch kein Kobold auftauchte, begann der Schreinermeister unruhig zu werden. Dazu hatte er auch einigen Grund. Als nämlich der Pumuckl genug gestaunt, gehorcht und herumgeschnüffelt hatte, wollte er wieder gehen. Da betrat ein Kunde den Laden und verlangte eine der kleinen Uhren, die in dem Schubfach unter Glas lagen. Der Uhrmacher holte das Schubfach heraus und breitete - 238 -
die Uhren vor dem Kunden aus. Da konnte der Pumuckl nicht widerstehen, er sprang auf den Ladentisch und setzte sich mitten unter die kleinen Uhren. Dann legte er sich auf den Bauch und horchte ganz nahe, welche von den Uhren tickte und welche nicht, wobei ihn eine goldene Uhr mit kleinen Edelsteinen besonders entzückte. Er war so vertieft, dass er nicht bemerkte, wie die Schublade wieder in die Glasvitrine geschoben wurde und - sich ein Schlüssel im Schloss umdrehte. Als er es endlich merkte, erschrak er zunächst heftig, doch da es ja in dieser Schublade mit dem Glas darüber hell war, bekam er es nicht allzu sehr mit der Angst zu tun. Sicher würde bald ein anderer Kunde kommen und eine der wunderschönen kleinen Uhren haben wollen, und dann konnte er ja wieder heraushüpfen. Leider sind Menschen, die teure kleine Uhren kaufen, recht selten, und so kam es, dass der Pumuckl um sechs Uhr bei Geschäftsschluss immer noch in der Schublade saß. Der Uhrmacher drehte die Lichter aus und schloss den Laden. Der Pumuckl pochte heftig gegen das Glas, aber das Glas war dick und die große Uhr schlug gerade laut die Zeit, so dass der Uhrmacher nichts hörte. Auch Meister Eder schloss die Werkstatt. Da er Frau Hoffmann versprochen hatte, die Standuhr anzusehen, zog er sich um. Wo nur der Pumuckl war? Hoffentlich nicht bei... Eder bekam richtig Herzklopfen bei dem Gedanken, dass der Pumuckl in die Salbeistraße gelaufen war und dass Frau Hoffmann jetzt vielleicht schon überall ihre Uhr suchen musste. Zwar war da das Koboldsehrenwort, aber wusste der Pumuckl nicht immer wieder schlaue Ausreden, mit denen er sich über alles - 239 -
Mögliche wegschwindelte? Meister Eder lief so schnell in die Salbeistraße, dass er atemlos bei Frau Hoffmann ankam. Sie empfing ihn mit großer Liebenswürdigkeit und freute sich über seine Pünktlichkeit. Sie zeigte ihm die Standuhr. Das Gehäuse war leicht zu reparieren, doch Meister Eder war nicht recht bei der Sache. Auf den ersten Blick hatte er nämlich bemerkt, dass Frau Hoffmann die kleine Uhr nicht an der Kette um den Hals trug. Er wartete einen geeigneten Augenblick ab und sagte dann so nebenbei wie möglich: „Heute haben Sie aber Ihre hübsche Uhr nicht um.“ Frau Hoffmann griff gewohnheitsmäßig danach, dann lachte sie und meinte: „Ach, die hat mich beim Arbeiten in der Küche gestört. Ich habe sie abgelegt.“ „In der Küche?“ rief Eder entsetzt. „Wieso nicht?“ Der Schreinermeister wurde ein wenig rot im Gesicht. „Weil - weil das doch gefährlich ist.“ „Aber wieso denn gefährlich? Ich hab sie ja nicht in die Spülmaschine geworfen.“ Frau Hoffmann lachte bei der Vorstellung. Eder aber blieb ernst. „Könnten Sie mir den Gefallen tun und nachsehen, ob die Uhr noch in der Küche ist?“ Frau Hoffmann schüttelte verwundert den Kopf. „Warum sollte sie nicht mehr dort liegen?“ „Vielleicht - hm - vielleicht hat sie jemand weggenommen.“ „Außer uns beiden war heute den ganzen Tag niemand in der Wohnung.“ „Das weiß man nie so sicher.“ Eder schaute die Frau fast flehend an. „Bitte, schauen Sie nach.“ - 240 -
Eders Gebaren fing allmählich an, Frau Hoffmann unsicher zu machen. „Ich - ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Eder! Wieso ängstigen Sie sich ausgerechnet um meine kleine Uhr?“ Das Rot in Eders Gesicht wurde noch etwas dunkler. „Weil - weil“, stotterte er, „wissen Sie, ich träume manchmal so seltsame Sachen, und die gehen dann in Erfüllung, und - und so habe ich geträumt, dass Ihnen die Uhr gestohlen worden ist.“ Frau Hoffmann atmete auf. „Ach so, Sie sind abergläubisch! Warten Sie, da will ich Sie gleich beruhigen.“ Damit ging sie hinaus und kam nach kurzer Zeit mit der Uhr in der Hand wieder herein. „Da ist sie. Ihre Träume sind Schäume, Herr Eder!“ Auch der Schreinermeister atmete auf. „Sperren Sie mir zuliebe aber die Uhr jetzt gleich weg“, bat er, „schließlich könnte es ja immer noch sein ...“ „Wie kann man nur an seine Träume glauben.“ Frau Hoffmann schüttelte mit liebenswürdiger Verständnislosigkeit den Kopf. „Aber bitte, wie Sie meinen, Herr Eder.“ Sie sperrte die Uhr tatsächlich weg. Meister Eder atmete auf. Er versprach, die Reparatur bald auszuführen und verabschiedete sich. Draußen hatte es bereits zu dämmern begonnen. Alle Läden waren längst geschlossen. Der Pumuckl saß immer noch in seiner Schublade. Rings um ihn tickte und tickte es, doch die Freude daran war längst verflogen. Das Ticken ging dem Kobold nur noch auf die Nerven. „Ich will raus!“ heulte er. „Hört auf mit der dummen Tickerei, ihr dummen, dummen Uhren! Ich will heraus!“ Er schob die kleinen Uhren in die hinterste Ecke der Schublade, um sie nicht mehr so nah hören zu müssen. - 241 -
Dann klopfte er wie wild mit den Fäusten gegen die Vitrinenwände. Aber niemand hörte ihn. Meister Eder war auf dem Nachhauseweg. Er war sehr erleichtert, dass seine Befürchtungen wegen der kleinen Uhr an der Kette nicht zugetroffen hatten, und hoffte, dass der Pumuckl inzwischen zu Hause sein würde. Sein Weg führte ihn an dem Uhrengeschäft vorbei. Nachdenklich blieb er vor dem Schaufenster stehen, an dem er schon gestern mit dem Pumuckl vorbeigekommen war. Da lagen die kleinen Uhren in der Auslage. Meister Eder betrachtete sie, und plötzlich bemerkte er, dass genau in der Mitte eine Lücke in der Uhrenreihe war. Da mussten eine oder zwei Uhren gelegen haben, die aus dem Fenster genommen worden waren. Eder wurde es abwechselnd heiß und kalt. Er versuchte, einen Blick in den Laden zu tun. Aber alles war völlig dunkel. Da klopfte er vorsichtig an das Fenster und rief halblaut: „Pumuckl! Pumuckl, bist du da drin?“ Nichts rührte sich. Eder pochte noch ein bisschen lauter. „Hallo, Pumuckl, ich bin's!“ Wieder horchte er eine Weile, dann versuchte er es an der Tür. Er rüttelte daran. „Pumuckl!“ Plötzlich packte ihn jemand am Arm. Meister Eder fuhr herum. Ein Mann stand neben ihm. „Was treiben Sie hier!? Warum rütteln Sie an der Tür?“ „Ich? Ich wollte sehn, ob - ob der Uhrmacher noch da ist“, brachte Eder heraus. „Ich bin der Uhrmacher. Was wollen Sie von mir?“ „Entschuldigen Sie, ich wollte nur wissen, ob noch alle Uhren da sind! Sehen Sie, da - hm - da ist eine Lücke, und da dachte ich ... Verstehen Sie?“ „Ich verstehe überhaupt nichts. Die Uhren habe ich selbst herausgenommen und in den Tresor gelegt.“ - 242 -
„Da bin ich aber froh!“ sagte Eder und ließ den verblüfften Uhrmacher stehen. Meister Eder ging jetzt schnell nach Hause. Dabei kam er auch an dem anderen Uhrengeschäft vorbei, in dem der Pumuckl vor sich hin weinend in der Glasvitrine hockte. Der Schreinermeister schaute auch in dieses Schaufenster, da er jedoch dort nirgends eine Lücke entdeckte, in die vielleicht eine Uhr gehört hätte, ging er weiter. Sicher war der Pumuckl inzwischen daheim eingetroffen, und er machte sich alle Sorgen umsonst. Der Pumuckl aber, dem weder das Klopfen noch das Weinen etwas nützte, kam auf eine andere Idee. Er klopfte nicht mehr mit der Faust, sondern mit einer der Uhren gegen das Glas. Das gab einen viel helleren Klopfton, der vielleicht gehört werden konnte. Er klopfte einige Zeit. Als das auch zu nichts führte, kroch er zum Schlüsselloch. Wenn er durch das Loch hinausschrie, musste es doch gehört werden. Er legte also den Mund an das kleine Schlüsselloch und schrie: „Ich will raus, ich will raus! Ich schlage alles kaputt, wenn man mich nicht rauslässt. Ich will raus!“ Genau in diesem Augenblick kam das Ehepaar Zirngibel vorbei, ältere Herrschaften, die ein paar Häuser entfernt wohnten. Die Frau blieb mitten im Schritt stehen. „Da schreit doch jemand!“ sagte sie und hielt ihren Mann am Ärmel zurück. Beide blieben stehen. Jetzt konnte auch der Mann die Stimme hören. „Raus!“ hörte er und noch mal „Raus!“ Herr Zirngibel legte sein Ohr an die Tür. Und wieder hörte er: „Ich will raus! Ich schlage alles kaputt!“ „Um Himmels willen!“ flüsterte seine Frau. „Gehen wir weiter, wer weiß, in was wir da hineingeraten!“ - 243 -
Der Mann aber sagte entschlossen: „Wir müssen Herrn Meiselt davon verständigen, was da in seinem Uhrengeschäft vorgeht! Vielleicht hat er einen Kunden eingesperrt?“ Herr Meiselt wohnte gleich gegenüber, das Ehepaar kannte ihn, wie man eben Geschäftsleute kennt, die in der gleichen Straße wohnen. Aufgeregt erzählten sie dem Uhrmacher, was sie gehört hatten. „Ich habe ganz sicher niemanden dort eingesperrt - das muss ein Einbrecher sein“, sagte der Uhrmacher, und sein Gesicht verlor das gesunde Aussehen. „Vielleicht ist er über die kleine Treppe zur Werkstatt gestürzt und hat sich was gebrochen und kann nicht aufstehen und ruft um Hilfe“, meinte Herr Zirngibel. Herr Meiselt holte die Ladenschlüssel. Seine Hände zitterten und seine Knie auch. „Wenn der Kerl aber ein Schießeisen hat und er schießt sich den Weg frei, sobald ich aufgesperrt habe?“ Herr Meiselt schaute sich mit Vorliebe im Fernsehen Krimis an, wobei ihm allerdings immer viel angenehmer schauderte als jetzt. „Sie müssen ja nicht gleich aufsperren - reden Sie erst mal von außen mit dem Burschen!“ schlug Herr Zirngibel vor. „Wenn er aber doch meine Uhren kaputtschlägt - da muss ich doch gleich etwas dagegen tun“, jammerte der Uhrmacher, rührte sich aber keinen Schritt von der Stelle. Er war ein kleiner, bebrillter, schmächtiger Mann, der sich alle Einbrecher riesengroß und bärenstark vorstellte. Dieser Einbrecher war sicher einer der größten. „Ich rufe die Funkstreife an, die können mit Einbrechern viel besser umgehen“, sagte Herr Meißelt und griff zitternd zum Telefon. - 244 -
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Funkstreifenwagen kam. Die drei gingen mit den Polizisten zu dem Uhrengeschäft über die Straße. „Polizei! Ist jemand da?“ rief der erste Polizist. Dann horchte er. Kein Laut war zu hören. Auch der Uhrmacher fand den Mut zu horchen. Nichts. „Wenn wir's nicht alle beide gehört hätten!“ murmelte Herr Zirngibel. „Ich glaube nicht an Ihren Einbrecher“, sagte der Polizist, „diese Burschen pflegen nämlich bei ihrer Beschäftigung nicht laut zu schreien!“ Der Beamte schloß auf und ging in den Laden. Nach einer Weile kam er wieder. „Da drin ist keine Maus. Auch keine Spur eines Einbruchs. Die Fenster sind fest von innen verschlossen.“ Herr Meiselt fand auf der Stelle seinen Mut wieder. Vorwurfsvoll sah er das Ehepaar Zirngibel an. „Was Sie da wohl gehört haben?“ Die beiden waren sehr verlegen und beteuerten bei allem, was ihnen heilig war, dass die Stimme aus dem Laden gekommen sei und dass sie „Raus!“ geschrieen hatte und „Ich schlage alles kaputt!“ Der Polizist zuckte nur die Schultern und sagte zu seinem Kollegen: „Ich glaube, wir können gehen, hier ist alles in Ordnung!“ Freundlich grüßend verließen sie den Laden. Das Ehepaar Zirngibel und Herr Meiselt standen ratlos im Laden. Herr Zirngibel aber sagte: „Da lasse ich mich doch gleich hängen, wenn die Stimme nicht aus dem Laden gekommen ist! Machen Sie, was Sie wollen, der Sache muss ich nachgehen. Wir stehen ja da, als wären wir verrückt. Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Meiselt, dann setzen wir uns eine Weile ganz still hier in den Laden und warten, ob wir die Stimme nicht noch - 245 -
einmal hören!“ Herr Meiselt, der inzwischen die Kasse geprüft und festgestellt hatte, dass sie unbeschädigt geblieben war, fühlte sich wieder einigermaßen sicher. Darum meinte er: „Wahrscheinlich ist die Stimme aus dem Hinterhof gekommen - aber bitte, wir können ja eine Zeitlang horchen.“ So kam es, dass die drei im Laden saßen und lauschten. Aber sie hörten nicht das leiseste Geräusch. Der Pumuckl saß nämlich reglos in der Schublade. Als er das Wort „Polizei“ gehört hatte, war er zu Tode erschrocken. Alles war ihm eingefallen, was Meister Eder von Gefängnis und Wasser und Brot gesagt hatte. Nein, das wollte er wirklich nicht. Während aufgesperrt wurde, schob er schleunigst alle Uhren an ihren Platz, und dann wagte er nicht mehr, sich zu bewegen. Als nun die kleinen Uhren leise um ihn herum tickten und er sich weiterhin nicht zu rühren wagte, weil er wusste, dass die drei Menschen auf jeden Laut horchten, schlief ihm zuerst der linke, dann der rechte Fuß ein und plötzlich schlief er selbst. Die Aufregungen, das Weinen und Rufen und die Angst waren einfach zuviel für den kleinen Kerl gewesen. Und so kam es, dass das Ehepaar Zirngibel und Herr Meiselt plötzlich doch einen seltsamen Laut hörten: leises Schnarchen. Alle drei fuhren hoch. Das Schnarchen war deutlich aus dem Laden gekommen. „Das gibt es nicht!“ brachte Herr Meiselt heraus. Da beim besten Willen nichts und niemand zu sehen war, blieb nur eines - und Frau Zirngibel sprach es aus: „Das geht nicht mit rechten Dingen zu - das ist ein Geist.“ „Geister schnarchen nicht!“ gab Herr Zirngibel zu - 247 -
bedenken. Doch der „Geist“ schnarchte unverdrossen weiter. Ja, das Schnarchen wurde immer lauter und herzhafter. „Das ist der Beweis!“ rief Frau Zirngibel. „Das ist der Beweis, dass wir nicht verrückt waren und uns die Stimme eingebildet haben. Wir müssen noch mal die Polizei rufen, ganz egal, wo der Kerl liegt.“ Und sie griff zum Telefon. Meister Eder war inzwischen zu Hause angekommen, und entgegen aller Hoffnung fand er den Pumuckl weder in seiner Schaukel noch in seinem Bettchen, noch sonst wo. Alles Suchen und Rufen nützte nichts. Eder überlegte hin und her. Irgendetwas musste passiert sein. Vielleicht war sein Pumuckl irgendwo an einem menschlichen Ding hängen geblieben und Koboldsgesetz - für jemanden sichtbar geworden, und vielleicht war irgendwo jemand darüber verrückt geworden, so dass die Polizei eingreifen musste! Vielleicht war der Pumuckl in höchster Not? Wenn Meister Eder auf die Polizeiwache ginge und sich ganz vorsichtig erkundigen würde - vielleicht bekäme er einen Hinweis? Meister Eder zog noch mal seinen Mantel an und ging zur Polizeiwache. Dort war um diese Abendzeit nicht viel los. So begann Meister Eder, nach einem betont freundlichen „Guten Abend“ vorsichtig: „Ich - ich wollte nur fragen, ob bei Ihnen nicht jemand angerufen hat, weil ihm - äh - jemand erschienen ist ...“ „Wer sollte denn erschienen sein?“ „Ja - äh - ein ganz kleiner, so klein ...“ Meister Eder deutete die ungefähre Größe des Pumuckl an, sprach dann aber nicht weiter. - 248 -
„Ein Hund?“ „Nein, ein Lebewesen, ein ...“ Der Beamte schaute so verständnislos drein, dass Meister Eder sofort wusste, dass von einem Kobold hier nichts bekannt sein konnte. Er musste es andersherum probieren. „Ist irgendwo eine Uhr abhanden gekommen?“ Der Beamte schüttelte den Kopf „Ich verstehe nicht - was hat Ihr ‚Lebewesen’ mit der Uhr zu tun?“ Meister Eder gab sich einen Ruck. „Das Lebewesen ist nämlich ein Kobold! Ich suche einen Kobold ...“ In diesem Augenblick läutete das Telefon. Der Polizeibeamte griff mechanisch nach dem Hörer, während er Eder fassungslos anstarrte. „Wachtmeister Kobold“, sagte er verwirrt, verbesserte sich aber schleunigst, „Wachtmeister Schmidbauer.“ Doch seine Verwirrung steigerte sich noch mehr bei dem, was er am Telefon zu hören bekam. „Wie bitte? Schnarchen!“ rief er. „Wir können uns doch nicht um Schnarcher kümmern, was fällt Ihnen eigentlich ein, wo kämen wir da hin?! Ein Gespenst? Das wird ja immer toller. Hier ist einer, der sucht einen Kobold, und Sie haben ein Gespenst - vielleicht können Sie tauschen!“ Die Stimme auf der anderen Seite redete aufgeregt, Meister Eder konnte leider nicht verstehen, was. Er hörte den Beamten nur weiterpoltern: „Von mir aus haben Sie fünf Uhrengeschäfte mit zehn schnarchenden Gespenstern!“ Er wollte wütend einhängen, doch Eder rief in höchster Aufregung dazwischen: „Bitte, fragen Sie, welches Uhrengeschäft - es kann sich nur um den Pumuckl handeln!“ Die Bitte war so dringend, dass der Polizist tatsächlich - 249 -
fragte: „Wo ist Ihr Geschäft, Herr Pumuckl?“ Und nach einer Pause: „Sie heißen nicht Pumuckl, sondern Meiselt?“ Dann kam wieder vom anderen Ende der Leitung ein Wortschwall, der aber den Beamten nur veranlasste, mit einem „Bedaure, gegen Schnarcher unternehmen wir nichts!“ einzuhängen. Er wollte sich wieder Eder zuwenden - aber der war verschwunden. Meister Eder aber lief, so schnell er konnte, zum Uhrengeschäft Meiselt. Er klopfte gegen die Ladentür. Von drinnen tönte die Stimme von Herrn Meiselt. „Wer ist draußen?“ „Lassen Sie mich herein, ich glaube, ich kann Ihnen helfen!“ Herr Meiselt nahm vorsichtshalber einen schweren, eisernen Aschenbecher in die Hand, als er öffnete. Meister Eder zog höflich den Hut: „Eder ist mein Name. Ich habe auf der Polizei erfahren, dass Sie seltsame Geräusche gehört haben!“ Frau Zirngibel kam aus dem Hintergrund. „Ja, zuerst hat jemand gerufen und geklopft, und jetzt hat jemand geschnarcht, stellen Sie sich vor!“ „Aber jetzt ist wieder nichts zu hören“, ergänzte Herr Zirngibel. „Dann ist er jetzt durch meine Stimme aufgewacht“, stellte Eder zufrieden fest. „Von wo kam denn das Schnarchen?“ „Es klang so, als wäre es aus einer der Schubladen aus dem Kasten gekommen - aber das war wohl ein Irrtum“, meinte Herr Meiselt. Eder betrachtete die Schubladen. „Sind die abgesperrt?“ fragte er. „Selbstverständlich.“ Herr Meiselt hielt den Aschenbecher krampfhaft fest. Eder merkte es wohl. „Sie - 250 -
brauchen keine Angst zu haben, wenn Sie wollen, bleibe ich hier unter der Tür stehen, wenn Sie die Schubladen öffnen. Nur öffnen Sie sie bitte alle.“ „Ich verstehe nicht ...“ sagte Herr Meiselt zögernd. „Ganz einfach: Wenn Sie alle Schubladen aufmachen, dann hört das Schnarchen für immer auf.“ Frau Zirngibel flüsterte: „Das gibt's nicht!“ Herr Meiselt sperrte also schließlich auf. Aber schon beim öffnen der ersten benahm sich dieser Herr Eder sehr eigentümlich. „Au!“ rief er nämlich und lachte über das ganze Gesicht. „Jetzt ist der Schnarcher heraußen“, erklärte er dann und legte die Hand auf eine etwas sehr ausgebeulte Manteltasche. Alle drei starrten ihn an. Da erklärte Eder fröhlich: „Das ist doch alles ganz einfach: Das Holz Ihres Schrankes ist noch jung und ächzt. Da muss man nur die Schubladen aufmachen, dann bekommt das Holz Luft und alles ist vorbei.“ „Das gibt's nicht!“ sagte noch mal Frau Zirngibel. „Glauben Sie nur einem alten Schreiner“, meinte Eder beruhigend, „Holz ist was Lebendiges, manchmal schreit es sogar!“ Er nickte freundlich. „Auf Wiedersehn“, und ging schnell davon. Die drei standen noch einige Zeit ratlos im Laden. Sie kamen sich wirklich dumm vor. Aber es war nicht zu leugnen, auch wenn sie sich völlig still verhielten, kein einziger Schnarchlaut war mehr zu hören. Es war und blieb still. Obwohl Eder froh war, seinen Pumuckl wieder gefunden zu haben, sagte er kein einziges Wort auf dem Nachhauseweg. Der Pumuckl saß in der Tasche, und sein Gewissen schlug heftig. Nach einiger Zeit fing er an: „Bist du mir sehr böse?“ - 251 -
„Es geht.“ „Ich habe aber keine Uhr weggenommen.“ „So?“ „Ich will auch keine mehr haben. Die ticken ekelhaft.“ „So?“ „Bitte, rede einen langen Satz mit mir!“ „Hm.“ „Es war sooo scheußlich!“ „So?“ „Ich will so was nie, nie mehr wieder tun!“ Da endlich sagte Eder den vom Pumuckl ersehnten langen Satz: „Mir knurrt jetzt der Magen vor Hunger. Vor lauter Aufregung hab ich nichts gegessen.“ Da machte der Pumuckl einen Satz, dass die Tasche endgültig ausriss. „Ich habe noch viel länger nichts gegessen - oooh - jetzt spür ich es, ich habe noch einen viel grässlicheren Hunger, und mein Magen knurrt nicht nur, sondern schreit wie - wie junges Holz!“ „Geh zu, Holz kann überhaupt nicht schreien!“ korrigierte Eder. „Doch! Wenn es jung ist und wenn man die Schubladen nicht aufmacht - das hast du selbst gesagt!“ Da lächelte Eder. „Ja, wenn ich's gesagt hab, dann stimmt es wohl auch.“ „Und wenn mein Magen so schreit wie das Holz?“ „Dann müssen wir schleunigst etwas dagegen tun!“ Da lachten beide. Dass dem Meister Eder und seinem Pumuckl das Abendessen schmeckte, muss nicht erzählt werden, und dass nachts beide von Uhren träumten, ist auch nicht weiter verwunderlich. - 252 -
Pumuckl auf heißer Spur Jeder weiß, dass es auf der Welt nicht nur gute und anständige, sondern auch böse und äußerst unanständige Menschen gibt. Das Schwierige an dieser Tatsache ist, dass man, so rein von außen betrachtet, keineswegs immer die Guten von den Bösen unterscheiden kann. Ja, was macht man da? Man kann schließlich nicht jedem Menschen gegenüber misstrauisch sein, aber man darf auch nicht jedem trauen. Eine heikle Sache schon für uns Menschen - für einen Kobold wie den Pumuckl aber kaum zu durchschauen. Und darum ist auch diese Geschichte passiert: Es war an einem Tag, an dem der Meister Eder morgens beim Lesen der Tageszeitung aus dem Kopfschütteln nicht herauskam. Was da alles im Polizeibericht zu lesen war! „Also nein, so was!“ brummte er vor sich hin. „Man kann keinem Menschen mehr trauen. Da hat doch wieder so ein Gauner einen alten Rentner reingelegt und ihm seine ganzen Ersparnisse abgenommen.“ Der Pumuckl hörte interessiert zu. „Wo hinein hat denn dieser böse Mensch den armen Rentner gelegt? In eine Schublade?“ „Nicht hineingelegt, sondern hereingelegt, Pumuckl. Hereinlegen heißt soviel wie betrügen. Der Gauner hat sich für einen Gasmann ausgegeben, und der Rentner hat ihn arglos in die Wohnung hereinkommen lassen. Und schon war die Brieftasche mit der ganzen Rente weg! Man darf wirklich niemanden in die Wohnung lassen, den man nicht ganz genau kennt!“ - 253 -
„Es kommen aber oft Menschen zu uns in die Werkstatt, die du nicht genau kennst!“ „Eine Werkstatt ist keine Wohnung. Außerdem kommen da nur Kunden rein, und Geld bewahre ich nie in der Werkstatt auf.“ „Aber ich bewahre meine Schaukel und mein Bettchen und alle schönen Sachen zum Damitspielen dort auf!“ Sorgenvoll furchte der Kobold die Stirn. „Auf solche Sachen ist ein Gauner nicht scharf.“ „Woher willst du das wissen? Sicher gibt es Geldgauner und Gasgauner und Spielzeuggauner und ...“ „Ach wo, das gibt's nicht, kannst beruhigt sein.“ „Bin aber sehr unberuhigt“, sagte der Pumuckl und machte große ängstliche Augen. Genau in diesem Augenblick klingelte es an der Wohnungstür. „Uiii - da kommt schon einer!“ entfuhr es dem Pumuckl. „Geh bitte nicht an die Tür, ich habe schreckliche Angst vor bösen Gasmännern!“ Eder ging zur Tür, und im Hinausgehen sagte er lachend: „Dir lese ich nie mehr so was aus der Zeitung vor.“ „Im Gegenteil, du musst mir so etwas immer vorlesen, denn alle Klabauters und alle Klabauternachfolger sind große Beschützer. Wenn der Rentner einen Kobold wie mich gehabt hätte ...“ Weiter kam der Pumuckl nicht, denn er hörte draußen ein männliche Stimme sagen: „Guten Morgen, Herr Eder, Strom- und Gasablesen, bitte.“ „Hiii“, schrie der Pumuckl vor Entsetzen und versteckte sich unter dem Sofa. Eder aber musste hellauf lachen und sagte: „Solche Zufälle gibt es! Gerade hab ich in der Zeitung von einem - 254 -
Gasmann gelesen, der ...“ Der Gasmann unterbrach ihn, auch seinerseits lachend: „Sie sind genau der achte, der mir die Geschichte erzählt. Es ist gut, dass mich die Leute kennen, ich glaube, ich käme heute ohne ständige Ausweiskontrolle nicht in die Wohnungen!“ Dabei ging er zum Zähler, um abzulesen. Überflüssig zu sagen, dass Eder diesen wirklich echten Gasmann schon seit Jahren kannte. Nicht so der Pumuckl. Als er den ersten Schreck überwunden hatte, hüpfte er schleunigst zu den beiden Männern, und ehe sich's jemand versah, zwickte er den Gasmann kräftig in die Wade. Der gute Mann fuhr zusammen, als hätte ihn eine Schlange gebissen, griff sich ans Bein, wusste keine andere Erklärung als: „Was hab ich denn? Entschuldigen Sie, das war, als hätte mich jemand gezwickt! Muss ein Nervenschmerz oder so was sein - komisch.“ Meister Eder, der noch mehr solche „Nervenschmerzen“ für den Gasmann befürchtete, sagte schnell in die Richtung, in der er den Pumuckl vermutete: „Das ist doch der echte Gasmann, der tut doch nichts!“ „Wie bitte“, sagte der Gasmann, „wie meinen Sie das?“ „War nur ein kleiner Scherz!“ beeilte sich Eder zu sagen. Der Gasmann suchte vergeblich, den Satz scherzhaft zu finden, ließ es aber auf sich beruhen. Als Meister Eder und der Pumuckl wieder allein waren, sagte Eder: „Pumuckl, das war doch der richtige Gasmann!“ „Das hat der arme Rentner auch gedacht! Und außerdem hat der Mann eine sooo große Nase gehabt, und alle Leute mit großen Nasen ...“ „Red doch keinen Unsinn, Pumuckl, ob einer ehrlich ist - 255 -
oder nicht, das hat wirklich nichts mit der Nase zu tun!“ „Mit was hat es denn dann zu tun?“ wollte der Pumuckl wissen. Eine nicht ganz unberechtigte Frage, fand Eder und gab deshalb auch eine längere Erklärung ab. „Also erstens hab ich den Mann gekannt, zweitens hat er eine Dienstmütze aufgehabt und eine große Mappe, in die er die Ablesezahl reinschreibt, und dann sein ganzes Auftreten, da erkennt man auf den ersten Blick, dass das ein städtischer Beamter ist!“ „Und alle städtischen Beamten dürfen in die Wohnung?“ „Nun ja - wenn es notwendig ist“, wich Eder ein wenig aus. „Und alle haben Mappen und Mützen und sind anständig?“ „Natürlich“, sagte Eder und fühlte sich ein wenig in die Enge getrieben. „Aber jetzt genug, ich muss runter in die Werkstatt und endlich zu arbeiten anfangen.“ Meister Eder ging an die Arbeit, und an diesem Vormittag geschah auch nichts Aufregendes. Es wurde Mittag, und der Schreinermeister ging mit dem Pumuckl in die Wohnung zum Essen hinauf. Da klingelte es wieder. Eder öffnete. Ein ihm unbekannter Herr stand draußen und sagte höflich: „Guten Tag, Herr Eder.“ „Sie wünschen?“ fragte Eder etwas reserviert. „Willhart ist mein Name - entschuldigen Sie, wenn ich Sie ausgerechnet mittags störe, mich schickt ein Freund von Ihnen, der Mechaniker Schmitt, ich bin ein Kunde von Herrn Schmitt, und er meint, dass Sie der richtige Mann für Stilmöbel wären.“ Bei der Nennung des Namens seines Freundes Schmitt - 257 -
ließ Eder seine Zurückhaltung fallen und sagte freundlich: „Bitte schön, kommen Sie nur herein“, und führte ihn in das Wohnzimmer. Der unsichtbare Pumuckl umkreiste Herrn Willhart wie ein Polizeifahnder ein Sprengstoffpaket. Der Mann hat keine Mappe dabei und keine Mütze auf, er schreibt nichts auf und nichts ab - höchst verdächtig, dachte er aufgeregt. Dann fiel ihm ein, dass Eder das Geld in der Kommodenschublade liegen hatte, und mit einem Satz war der Kobold auf der Kommode. Er fletschte von dort richtig die Zähne und nahm sich fest vor, dem Mann den Finger abzubeißen, falls er auch nur den Versuch machen sollte, sich der Schublade zu nähern. Doch er fletschte vergeblich. Herrn Willhart fiel es nicht im Traum ein, der Kommode nahe zu kommen. Alles verlief friedlich, und Meister Eder geleitete den Kunden wieder zur Wohnungstür. Trotzdem überfiel ihn der Pumuckl mit einer regelrechten Strafpredigt, als sie wieder allein waren. „Du lässt alle Menschen in die Wohnung. Alle! Der Mann hat keine Mappe gehabt, und du hast ihn kein bisschen gekannt! Und wie er immer auf die Schublade geschaut hat, gut, dass ich sie bewacht habe! Du wirst noch ein ganz, ganz armer Rentner werden, wenn du zu allen sagst, sie sollen hereinkommen!“ Eder musste lachen. „Aber Pumuckl, das war ...“ Der Pumuckl ließ ihn nicht ausreden. „Ich hätte ihm den Finger abgebissen, wenn er versucht hätte, Geld zu nehmen!“ „Um Himmels willen, du wirst ja noch der reinste Hofhund! Hätte ich dir das bloß nicht erzählt, jetzt ist die nächste Zeit kein Kunde mehr vor dir sicher!“ - 258 -
„Kunden kommen in die Werkstatt und nicht in die Wohnung, hast du gesagt. Der komische Kunde ist aber in die Wohnung gekommen!“ „Geh zu, Pumuckl, dem Herrn hat man doch angesehen, dass er kein Verbrecher ist, sein Auftreten, sein Aussehen ...“ „Er hat genauso ausgesehen wie alle Menschen: eine Nase, zwei Augen, ein Mund, zwei Hände, zwei Beine da kann man überhaupt nichts sehen, haben alles die Bösen auch!“ Damit hatte der Pumuckl zweifellos Recht, Meister Eder suchte nach einem anderen Grund für sein Vertrauen zu Herrn Willhart. „Der Herr Willhart hat ja gleich den Namen von einem Freund von mir gesagt, er ist von meinem Freund Schmitt hergeschickt worden.“ „Das kann jeder sagen, dass er von einem Freund kommt!“ beharrte der Pumuckl. Meister Eder verlor allmählich die Geduld. „Aber bei Herrn Willhart hat man einfach gesehen, dass es stimmt!“ behauptete er etwas ungehalten. „Und woran hat man das gesehen?“ Der Pumuckl war fest entschlossen, der Sache auf die Spur zu kommen. „Nun - direkt sehen konnte man das nicht -, es war mehr eine Sache des Instinkts!“ „Und wo hat man den Instinkt?“ „Instinkt ist, wenn man für etwas einen Riecher, eine Nase hat.“ Das verstand der Pumuckl. „Ach so, wenn jemand stinkt, dann ist er ein böser Mensch?“ Meister Eder gab es auf. „So ungefähr“, sagte er bloß und machte sich daran, für sich und seinen Kobold ein Mittagessen zu kochen. - 260 -
Nach dem Essen legte sich Meister Eder zu einem kleinen Mittagsschläfchen nieder. Der Pumuckl, dem jede Art Mittagsschlaf äußerst langweilig ist, begab sich in die Werkstatt und setzte sich in seine Schaukel und schaukelte genüsslich hin und her. Dabei sang er: „Ich schaukle her, ich schaukle hin, es schaukelt Fuß und Bauch und Kinn!“ Er wollte sich ob dieser dichterischen Leistung gerade sehr bewundern, da klopfte jemand an die Tür der Werkstatt. Der Pumuckl fuhr zusammen, und zwar mehr als üblich, weil ihm immer noch die Gasmanngeschichte in den Knochen steckte. Doch dann ertönte eine Frauenstimme von draußen. „Hallo!“ rief sie und rüttelte an der verriegelten Türe. „Hallo, ist niemand in der Werkstatt?“ Der Pumuckl atmete auf. Eine Frau konnte schließlich nicht gut ein Gasmann sein. Er spähte zum Fenster hinaus und stellte zu seiner weiteren Beruhigung fest, dass die Frau zwar keine Mappe, dafür aber eine große Tasche trug, und er meinte, dass Taschen sicher etwas besonders Anständiges seien. Die Frau rüttelte noch mal an der Türe. „Hallo, ich komme von der Firma Siebenstein - ich kann Ihnen ein Sonderangebot machen.“ Ein Sonderangebot? Ob das vielleicht ein Geschenk war? Der Pumuckl überlegte, ob er für Sonderangebote nicht einfach den Türriegel zurückschieben sollte? Bevor er es tat, schnupperte er heftig durch das Schlüsselloch. Ich glaube, sie stinkt kein bisschen, dachte er dann und schob den Riegel zurück. So kam es, dass die Werkstatttüre nachgab, als die hartnäckige Vertreterin der Firma Siebenstein noch einmal daran rüttelte. Sie wunderte sich ein wenig darüber und trat ein. - 261 -
„Hallo!“ rief sie. „Ist niemand da?“ Sie wartete ein wenig, dann schaute sie sich zum Zeitvertreib in der Werkstatt um. Sie betastete das Holz eines Schrankes, öffnete die Tür eines eben fertig gestellten Kästchens und sah sich dabei immer wieder nach der Türe um, ob nicht jemand hereinkäme. Der Pumuckl guckte ihr dabei zu, ihr Herumschnüffeln wurde ihm unbehaglich. Er beschloss, Meister Eder herunterzuholen, damit er sich das Sonderangebot, das sicher in der Tasche war, geben lassen konnte. In diesem Augenblick hatte die Frau gerade Meister Eders alte goldene Taschenuhr mit Sprungdeckel entdeckt. Der Schreinermeister hängte sie oft an die Wand über die Hobelbank, damit er nicht in seine Tasche greifen musste, wenn er die Hände voller Leim und Beize hatte. Sie nahm die Uhr vom Nagel, ließ den goldenen Deckel aufspringen - und ehe der Pumuckl recht begriff, wie das zugegangen sein konnte, ließ sie die Uhr in der Tasche verschwinden. Darauf ging sie schnell aus der Werkstatt. „Ha - halt“, stotterte der Pumuckl verblüfft, „die Uhr gehört doch dem Meister Eder!“ Er starrte auf den leeren Nagel. „Die darf sie doch nicht einfach wegnehmen!“ Und schlagartig überkam ihn die Erkenntnis: „Das - das war ja doch eine Gasfrau!“ Mit einem Riesensatz und grenzenloser Empörung lief er der Frau nach. Meister Eder aber kam nach seinem Mittagsschlaf nichts ahnend herunter in die Werkstatt. Er gähnte kräftig, aber mitten im Gähnen hielt er inne. Da stand ja die Türe offen! Hatte er sie nicht abgesperrt? „Pumuckl!“ rief er. „Hast du den Riegel zurückgeschoben?“ Da keine Antwort kam, dachte Eder, der Pumuckl sei draußen im Hof und habe deshalb die Türe geöffnet. Wie - 262 -
lange hatte Eder eigentlich geschlafen? Er wollte auf seine Uhr schauen - aber der Nagel war leer. „Hab ich die Uhr mit in die Wohnung genommen?“ brummte er und ging noch mal hinauf, um sie dort zu suchen. Vergeblich. „Pumuckl, komm, bring mir die Uhr wieder!“ rief Eder. „Oder versteckst du dich, weil du mit der Uhr etwas angestellt hast?“ Eder horchte eine Weile, dann ging er wieder in die Werkstatt. „Pumuckl, wenn du die Uhr heruntergeworfen hast und das Uhrenglas ist kaputt - das kann man wieder richten lassen! Komm, bring die Uhr!“ Als sich wieder nichts rührte, begann Eder ärgerlich zu werden. Wenn der Pumuckl mit der Uhr hinausgelaufen war, dann wurde zwar der Kobold, aber nicht die Uhr unsichtbar, und es konnte ihm irgendjemand diese Uhr wegnehmen. Sie war nicht nur ein wertvolles altes Stück, sondern auch das einzige Andenken an seinen Vater. Der Schreinermeister beschloss, nach dem Pumuckl und seiner Uhr draußen zu suchen. Er ging in den Hof und schaute zunächst bei den Aschentonnen, dann suchte er zwischen dem spärlich an den Hofrändern wachsenden Gras. Da kam die Hausmeisterin. „Suchen Sie was, Herr Eder? Kann ich Ihnen helfen?“ „Meine goldene Taschenuhr ist weg“, sagte Eder. „Und die suchen Sie hier? Können Sie denn die goldene Taschenuhr hier verloren haben? Wo haben Sie sie denn zuletzt gehabt?“ „In der Werkstatt am Nagel. Aber ich bin oft so zerstreut, da weiß man nie ...“ „Kann die Uhr jemand gestohlen haben? Es kommen doch die verschiedensten Leute in Ihre Werkstatt! Gerade vorhin wieder hab ich's mir gedacht! Da hat doch eine - 264 -
Frau an Ihrer Türe gerüttelt. Aber schon so unverschämt! Was wollte die denn?“ „Eine Frau? Ich habe keine Frau gesehen!“ antwortete Eder verwundert. .“Doch, sie war in Ihrer Werkstatt, ich hab's gesehen, sie ist gleich wieder rausgekommen und ist ganz schnell weggegangen.“ „Wie hat denn die Frau ausgesehn?“ „So genau hab ich sie mir auch nicht angeschaut, eine Tasche hatte sie dabei und einen Hut hatte sie auf; wenn ich's recht bedenke - die hat ganz so ausgesehn, als ob sie plötzlich allen Grund zur Eile gehabt hätte.“ „Man soll niemanden unnötig verdächtigen“, sagte Eder und ging in die Werkstatt zurück. Er hoffte, der Pumuckl würde auftauchen und die ganze Geschichte erklären. Doch nichts dergleichen geschah. Meister Eder begann sich schon Sorgen nicht nur um die Uhr, sondern auch um den Pumuckl zu machen, da schoss der kleine Kobold zur Tür herein. Er war völlig außer Atem und sprudelte hervor: „Ich weiß, wo sie wohnt, du musst gleich mitkommen, ich habe die Ecken gezählt. Sieben Ecken und drei Treppen und neben dem gelben Haus!“ „Ich versteh dich zwar nicht, aber ich bin froh, dass du da bist!“ „Ich bin aber schon gleich wieder fort, und du musst mitkommen, da wohnt sie nämlich ...“ Pumuckl musste Atem holen, so dass Eder dazwischenfragen konnte: „Wer wohnt ...?“ „Deine Uhr, nein, deine Frau, nein, die Frau, die deine Uhr mitgenommen hat!“ Der Pumuckl war vor Aufregung völlig durcheinander. - 265 -
„Jetzt erzähl erst mal ruhig eines nach dem anderen, Pumuckl. Wie ist das hier alles zugegangen?“ „Es ist gar nichts zugegangen, sondern die Türe ist aufgegangen, und die Frau ist hereingegangen, und die Uhr ist mitgegangen - das heißt, sie hat die Uhr mitgehen lassen, zappzerapp weg in die Tasche. Und wir müssen ihr jetzt zippzeripp nach!“ „Ja, bist du auch ganz sicher ...“ „Ganz sicher, ich weiß sogar, wo sie die Uhr hingetan hat: in eine Schublade, die in einem Tisch drin ist. Komm schnell, sonst vergesse ich die sieben Ecken und drei Treppen und das gelbe Haus!“ „Seit wann kannst du eigentlich bis sieben zählen?“ „Seit die böse Gasfrau da war, jawohl! Aber vielleicht sind es auch nur siebzehnacht Ecken. Ist egal, denn ich weiß genau, wie sie alle aussehen!“ Der Pumuckl zerrte an Eders Hosenbein, dass er endlich mitgehen sollte. Der setzte auch seinen Hut auf, zögerte aber. „Das ist eine peinliche Geschichte! Ich kann doch nicht einfach in die Wohnung einer wildfremden Frau gehen und sagen: ,Sie haben meine Uhr gestohlen!' Die wirft mich doch einfach hinaus - wenn sie mich überhaupt erst hereinlässt.“ „Die lässt dich schon herein, du musst eben wie ein städtischer Mann aussehen mit einer Gasmannmappe und einer Gasmannmütze, und - und dann sagst du, du kommst von ihrem Freund Schmitt und hast ein Auftreten und feinen Instinkt und so was alles, und dann sagt sie ganz bestimmt, ,bitte treten Sie ein'!“ Eder musste lachen, obwohl er anfing, eine mächtige Wut auf diese diebische Dame zu bekommen. „Die Uhr muss sie wieder hergeben, so wahr ich Eder heiße!“ - 266 -
„Du musst die Uhr aus der Küchenschublade holen. Ich hätte es getan, aber ich habe die Schublade nicht aufgekriegt. Dafür habe ich . . .“ der Pumuckl fing in Erinnerung zu kichern an, „eine Suppenschüssel voller Suppe und eine Weinflasche voller Wein und eine Vase voller Blumen - war alles wirklich sehr schön voll! hinuntergeworfen. Da muss sie jetzt zwölfundzwanzig Stunden lang aufwischen!“ Meister Eder setzte keine Gasmannmütze auf und hatte auch keine Gasmannmappe dabei, als er mit dem Pumuckl zum Haus der Frau ging. Der Pumuckl hatte sich wirklich alle Ecken ganz genau gemerkt, und auch das Haus und das Stockwerk wusste er noch. Aber nicht mehr welche Türe! Da waren drei Türen, und eine sah wie die andere aus. Etwas ratlos stand der Pumuckl davor und flüsterte: „Ooh! Ich habe mir doch soo gut gemerkt, dass die Türe braun war und dass sie einen silbernen Griff hat und und jetzt haben alle drei Türen solche Griffe, und braun sind sie auch alle!“ „Hm - was tun wir jetzt da?“ brummte Eder. Aber der Pumuckl hatte eine gute Idee: „Weißt du was, wir läuten eben an allen drei Türen gleichzeitig, und wo eine Frau mit einem Hut aufmacht, da sind wir richtig.“ Eder war zwar der Meinung, dass die Frau den Hut sicher längst abgelegt hatte, aber das mit dem Läuten an jeder Tür schien ihm eine Möglichkeit. „Wir machen es so, Pumuckl, ich läute nacheinander an jeder Tür. Und du zupfst mich, wenn die richtige Frau die Tür öffnet, ja?“ „Und wie ich dich zupfe!“ versicherte der Pumuckl. Eder klingelte also an der ersten Türe. Doch es öffnete nicht eine Frau, sondern ein Mann. - 267 -
„Sie wünschen?“ fragte der Mann. „Oh - ich habe mich geirrt, entschuldigen Sie“, sagte Eder und fügte erklärend hinzu: „Ich suche nämlich eine Frau und nicht einen Mann!“ „Wen suchen Sie denn?“ fragte der Mann hilfsbereit. „Ich weiß nicht, wie sie heißt.“ „Wie sieht sie denn aus - vielleicht kann ich Ihnen helfen!“ Die Liebenswürdigkeit des Mannes brachte Eder in Verlegenheit. „Ich - ich weiß nicht genau, wie sie aussieht, ich weiß nur, dass sie in diesem Stockwerk wohnen soll!“ Eders Erklärungen klangen doch recht eigentümlich, und der Mann begann misstrauisch zu werden. „In welcher Eigenschaft wollen Sie die Frau denn sprechen, haben Sie etwas zu verkaufen, sind Sie Vertreter?“ „Nein, ich bin Schreiner“, sagte Eder wahrheitsgemäß und fügte, etwas weniger wahrheitsgemäß, hinzu: „Ich soll Maße für einen Schrank nehmen.“ „Sie sollen ein Schrankmaß bei jemandem nehmen, von dem Sie weder den Namen noch die Adresse wissen, den Sie nicht einmal gesehen haben. Wenn das nicht seltsam ist ...“ Der Mann hatte ja so Recht! Meister Eder wusste nicht, wie er sich jetzt herausreden sollte. „Es klingt komisch, aber es ist so. Und jetzt läute ich eben an dieser Glocke.“ Damit wandte sich Eder zur nächsten Türe. Der Mann aber trat mit einem schnellen Schritt neben Meister Eder. „Moment mal“, sagte er, „hier wohnt eine allein stehende Dame! Sollten Sie versuchen, bei dieser Frau unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand einzudringen, dann haben Sie mit mir zu rechnen!“ „Ich bin kein Verbrecher! Oder sehe ich so aus?“ - 268 -
empörte sich Eder. Er klingelte. „Ich verbiete Ihnen ...“ Weiter kam der Mann nicht, denn Eder schob ihn energisch zur Seite und sagte: „Ich gebe Ihnen einen guten Rat: wenn das die Dame ist, die ich suche, dann ist es besser, Sie ziehen sich zurück.“ „Ich denke, Sie wollen Maße für einen Schrank nehmen!“ Weiter kam er nicht. Denn die Tür wurde geöffnet und gleichzeitig bewegte sich Eders Hosenbein, als hätte er Schüttelfrost. Auch diese Dame sagte: „Sie wünschen?“ und blickte von Eder zu ihrem Wohnungsnachbarn. Eder begann ohne Umschweife: „Sie waren heute in meiner Werkstatt - Eder ist mein Name.“ „Ich? In einer Werkstatt?“ „Ja, Sie!“ sagte Eder. „Ich habe Sie gesehen und die Hausmeisterin auch. Und jetzt möchte ich mit Ihnen etwas wegen meiner Uhr bereden!“ „Uhr!“ rief der Mann dazwischen. „Ich denke wegen eines Schranks!“ Eder sah die Frau eindringlich an: „Wollen Sie, dass ich alles, was es über die Uhr zu sagen gibt, hier vor dem Herrn bespreche, oder wäre es nicht gescheiter, das unter vier Augen abzumachen?“ Die Frau schaute unsicher von einem zum anderen, in ihrem Gesicht stand jetzt deutlich die Angst und die Verlegenheit. „Ich - ich weiß nicht, was Sie meinen“, stotterte sie und wurde immer röter und röter im Gesicht. „Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, dann kann ich ja die Polizei bitten, einmal in Ihrer Küchenschublade nachzusehen !“ - 269 -
„Lassen Sie sich nichts gefallen, Frau Rißlinger“, rief der Mann, „ich stehe Ihnen zur Verfügung.“ Der gute Nachbar war wirklich Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle - Eder sah es eigentlich mit Bewunderung. Doch die Frau sagte abwehrend: „Ich - ich glaube, es handelt sich um ein Missverständnis. Herr ... Wie war gleich Ihr Name?“ „Eder. Ich habe meinen Ausweis dabei, und wenn Sie ein bisschen vernünftig sind, dann bringen wir die Sache ohne Polizei in Ordnung.“ Die Frau warf einen unsicheren Blick auf ihren Nachbarn und sagte dann: „Kommen Sie doch herein, Herr Eder!“ Meister Eder trat in eine blitzsauber eingerichtete Wohnung. Auch die Frau sah eigentlich ordentlich aus. Wenn der Pumuckl nicht so eifrig gezupft hätte, wäre er niemals auf den Gedanken gekommen, diese Frau könnte jemandem etwas stehlen. Kopfschüttelnd folgte er ihr in die Küche. Die Frau zog die Schublade auf und - fing plötzlich an zu weinen. „Ich - ich wollte wirklich Möbelpolitur verkaufen! Dann hab ich die Uhr gesehen ich weiß auch nicht -, ich kann ja eine goldene Herrenuhr überhaupt nicht brauchen! Bitte, bitte, zeigen Sie mich nicht an, ich verliere meine Stellung - ich habe schon einmal meine Stellung verloren ... Ich bin ja so unglücklich ...“ Meister Eder nahm die Uhr. Er schaute die weinende Frau an. „Ich will nur meine Uhr wieder, sonst nichts“, sagte er dann, „das andere müssen Sie mit sich selbst abmachen. Aber denken Sie immer daran, dass nicht alle Menschen so gutmütig sind wie ich.“ Da weinte die Frau haltlos: „Verzeihen Sie mir - bitte verzeihen Sie mir!“ - 270 -
Meister Eder ging einfach hinaus. Da hörte er hinter sich ein mächtiges Klirren und gleichzeitig den Aufschrei der Frau. Eder drehte sich erschrocken um. Auf dem Boden lag eine Teekanne in tausend Scherben. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu - das ist das vierte Mal, dass etwas herunterfällt, ohne dass ich es berühre! Mich verfolgen schon alle Teufel!“ schrie die Frau hysterisch. „Ob es gerade Teufel sind, weiß ich nicht, aber ein bisschen fürchten würde ich mich schon an Ihrer Stelle!“ sagte Eder und verließ die Wohnung. Er spürte mehr, als er es sehen konnte, dass der Nachbar hinter seiner Türe lauerte. Mochte der Mann denken, was er wollte, und Frau Rißlinger ihm später erzählen, was ihr als Ausrede gerade einfiel. Der Pumuckl war recht hin- und hergerissen, ob er ein schlechtes Gewissen haben sollte, weil er der Frau die Türe geöffnet hatte, oder ob er stolz sein sollte, weil er Eder wieder zu seiner Uhr verhelfen hatte. Zu Hause angekommen, setzte er sich recht nachdenklich in seine Schaukel und meinte dann: „Zu dumm, dass man böse Menschen nicht an ihrer Nase erkennt. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wen ich in die Werkstatt hereinlassen darf und wen nicht!“ „Ganz einfach: wenn ich nicht zu Hause bin, bleibt die Türe zu, ganz egal, wer davor steht. Und wenn es der Kaiser von China wäre!“ Das war nur eine Redensart, aber der Pumuckl bekam große Augen. „Meinst du, dass der auch mal einen Schrank von dir gemacht haben will?“ Eder lachte: „Wer weiß?“ - 271 -
Der Pumuckl aber blieb ernst. „Ein Kaiser hat sicher eine Krone auf, an der kann ich ihn gleich erkennen. Ein Kaiser mit Krone darf herein, nicht wahr?“ „Nein, auch der nicht. Denn selbst eine Krone könnte falsch sein, Pumuckl. Lass die Türe zu.“ „Der arme Kaiser“, meinte der Pumuckl und schaukelte sanft hin und her, „kommt von sooo weit her und wartet und wartet und wartet vor deiner Türe. Da hat es ja noch ein Gasmann besser - ein echter, meine ich!“ Die Uhr hängt seitdem wieder an ihrem Platz am Haken. Der Pumuckl schaut sie oft nachdenklich an. Wenn er auch die Zeit nicht ablesen kann - er liest diese Uhr auf seine Art, ihr Ticken erinnert ihn daran, dass er niemanden hereinlassen darf, wenn er allein zu Hause ist.
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Pumuckl und die Silberblumen Alles was glitzert, gefällt dem kleinen Kobold Pumuckl. Selig erklärt er beim Anblick von Christbaumkugeln oder Silberpapier: „Alle Klabauters lieben Glitzeblitzedinge!“ Wenn er irgendwo ein Silberpapier erwischen kann, dann knistert er vergnügt damit oder knüllt es zu Kugeln oder streicht es glatt und stopft es in eine Schublade. Meister Eder meint dazu nur, dass man über Geschmack nicht streiten kann, und lässt ihn im Großen und Ganzen gewähren. Nur bei dieser Geschichte wurde es dem Schreinermeister ein wenig zuviel des Glitzerns. Und das kam so: Der Pumuckl durfte Meister Eder bei einem Samstagnachmittagsspaziergang begleiten. Dabei kamen sie an einem Laden vorbei, dessen Schaufenster mit Silberblumen dekoriert war. Der Pumuckl hielt den Schreinermeister am Hosenbein fest, so, dass der beinahe gestolpert wäre, und rief: „Stehenbleiben!! Stehenbleiben! Silberblumen! Glitzersilberblumen!“ Meister Eder warf einen kurzen Blick in das Schaufenster und brummte: „Na und?“ und ging weiter. „Da muss man stehen bleiben, laaange!“ Der Pumuckl ließ Meister Eders Hosenbein nicht los. „Ich hab's aber eilig, Pumuckl. Zu Hause wartet eine Menge Arbeit auf mich!“ „Lass sie ruhig warten, Arbeit wartet sehr gerne“, versicherte der Pumuckl, „aber Silberblumen, die mögen gar nicht warten - die wollen, dass du gleich eine für den - 273 -
Pumuckl kaufst! Ich will so eine Blume über meinem Bett haben, wie an Weihnachten die Christbaumkugel.“ „Aber jetzt ist doch nicht Weihnachten, Pumuckl!“ „Es ist nicht Weihnachten, aber Silbernachten“, beharrte der Pumuckl. „Und an Silbernachten bekommt man eine Silberblume.“ „Das ist aber etwas ganz Neues!“ „Nein, das ist was schon ganz Altes: Wenn nämlich in den Läden Schokoladenikoläuse stehen, dann ist Nikolaus, wenn Osterhasen drinstehen, ist Ostern, wenn Maikäfer drin sind, ist Mai, wenn sie Weihnachtssachen ausstellen, ist Weihnachten, und wenn sie Silberblumen ausstellen, dann ist ...“ „Dann ist gar nichts“, unterbrach Meister Eder, „das ist nämlich nur Dekoration.“ „Gut, dann feiern wir eben Dekoration.“ Der Pumuckl strahlte. Meister Eder weniger. „Lass uns jetzt weitergehn, Pumuckl!“ „Bitte, bitte, kauf mir eine Silberblume.“ „Die kann man nicht kaufen, die ist nur so zum Anschauen da. Lass mein Hosenbein los!“ Der Pumuckl ließ nicht los. „Wenn die Silberblumen zum Anschauen da sind, dann schauen wir sie eben an, fünfzehnunddreiundvierzehn Stunden lang.“ Da kam Meister Eder auf eine Idee, die er für sehr gut hielt. „Pumuckl, wir schauen uns jetzt die Silberblumen sehr gut an, und zu Hause machen wir sie nach. Wozu hast du soviel Silberpapier? Ich zeige dir, wie man die Blumen macht, und du wirst sehen, die glitzern genauso schön über deinem Bett wie diese hier.“ Tatsächlich ließ der Pumuckl Eders Hosenbein los. - 274 -
„Machen wir dann ganz, ganz viele Silberblumen?“ „Ganz, ganz viele“, versprach Eder erleichtert. Kaum waren sie zu Hause, bestand natürlich der Pumuckl darauf, dass Eder ihm zeigte, wie man Silberblumen macht. Nun, versprochen ist versprochen, und der Schreinermeister schnitt ein paar silberne Blätter zurecht und drehte ihre unteren Enden zusammen, so dass sie wie Blumen wirkten. Diese Silberblumen sahen zwar nicht ganz so aus, wie die Silberblumen im Schaufenster, aber sie glitzerten trotzdem hübsch, und der Pumuckl war begeistert. Auf der Stelle begann er auch Silberblumen zu basteln. Da er sich aber die Arbeit sehr erleichterte, indem er Silberpapierstücke einfach irgendwie zusammendrehte, entstand ein ganzer Berg recht eigentümlicher „Blumen“-Gebilde. Als er genug davon hatte, verkündete er: „War groooße Arbeit. Und jetzt kommt großes Vergnügen: Überall in der Werkstatt müssen Blumen hin wie im Schaufenster.“ Und schon hüpfte er zum Werkzeugkasten und stopfte eine Silberblume zwischen zwei Schraubenzieher, und eine andere klemmte er zwischen zwei Bretter und die nächste in den Schraubstock. Eder rief: „Du bist wohl närrisch - wir haben da herinnen doch nicht Fasching!“ „Nein, wir haben nicht Fasching“, bestätigte der Pumuckl und befestigte eine Blume an der Säge. „Zum Kuckuck, lass das Silberpapier weg!“ rief Eder. „Ist nicht Silberpapier, ist Pumucklglitzerglimmersilberblume!“ belehrte ihn der Kobold empört. In diesem Augenblick sah Eder eine Kundin über den Hof auf die Werkstatt zukommen. Er sammelte schleunigst die Silberblumen ein, legte sie rund um das - 275 -
kleine Pumucklbett und beschwor den Kobold: „Mach keine Geschichten, Frau Zangl kommt, die lacht mich aus, wenn überall die Silberblumen stecken - aber da um dein Bettchen herum, da sehen sie schön aus. Du wolltest sie eigentlich doch hauptsächlich um dein Bettchen haben, oder nicht?“ Da das Pumucklbett in der hintersten Ecke der Werkstatt stand, hoffte Eder, dass dort die Silberdekoration nicht auffallen würde. „Nicht so fest meine Silberblumen anfassen“, rief der Pumuckl, aber er ließ es sich gefallen. Frau Zangl kam herein. Sie brachte einen Stuhl, den Meister Eder wieder zusammenleimen sollte. Schon wieder im Weggehen, fiel ihr Blick doch noch auf das silberpapierblumenumrahmte Bett. „Haben Sie das gemacht?“ fragte sie. Meister Eder wurde richtig verlegen. „Ach, das ist - das ist ...“ stotterte er. Frau Zangl lachte: „Sie müssen sich nicht genieren. Ich dreh aus Silberpapier auch gern was, meistens einen Storch oder einen Kelch. Mein verstorbener Mann hat immer gesagt, ich hätte was Künstlerisches in mir.“ „Nun ja“, meinte Eder, „von Kunst kann man da wohl nicht gerade reden.“ Doch Frau Zangl widersprach: „Sagen Sie das nicht! Gehen Sie nur mal in Kunstausstellungen. Neben dem Zeug, das dort ausgestellt ist, sind diese Silberblumen geradezu Offenbarungen!“ Erst jetzt betrachtete sie das kleine Pumucklbett genauer. „Haben Sie das selbst gemacht? - Das ist ja entzückend! Wenn ich ein Kind hätte, ich würde Ihnen das Puppenbett abkaufen mitsamt den Silberblumen!“ Den Nachsatz fügte sie lachend hinzu. Der unsichtbare Pumuckl aber wurde vor - 276 -
Stolz mindestens zweieinhalb Zentimeter größer. Kaum war Frau Zangl gegangen, sprang der Pumuckl mit einem Satz auf die Hobelbank. „Hast du's gehört? Sie würde meine Silberblumen kaufen! Sehr, sehr schade, dass sie keine Kinder hat - sehr schade. Dann würde ich viel, viel Geld bekommen und noch mehr Silberblumen machen und ...“ „Und dein Bett hättest du auch los“, dämpfte Eder diese Begeisterung. „Nun, dann ist es nicht mehr ganz so schade, dass sie keine Kinder hat“, räumte der Pumuckl ein. „Aber sie hat etwas genauso Künstlerisches in sich wie ich, und jetzt künstlerische ich weiter und mache lauter Silberoffenbarungen und Silbergeschlossenbarungen.“ Und schon steckte er eine ins Schlüsselloch. „Geschlossenbarung“, murmelte er zufrieden. Und dann legte er zwei auf eine eben fertig gestellte Kommode, und fünf steckte er zwischen die gestapelten Bretter. Da kam Herr Kraus über den Hof. „Pumuckl, tu sofort das Zeug weg, der Herr Kraus ist ein sehr seriöser Mann!“ rief Eder. „Meine Blumen sind auch sehr iös“, beteuerte der Pumuckl. „Sie sind sogar äußerst iös, und darum bleiben sie da!“ Und zwei weitere Silberblumen landeten auf dem Werkzeugkasten. Bevor Eder die Silberblumen einsammeln konnte, betrat Herr Kraus die Werkstatt. Er war ein sehr fein gekleideter Herr mit einer dickrandigen Brille auf der Nase. Er sprach stets nur leise, was besonders vornehm wirkte. Er sammelte alte Kunstgegenstände und schätzte Eders Urteil, wenn es um alte Möbel ging. Herr Kraus - 277 -
also betrat die Werkstatt, und mitten in der Begrüßung stockte er. „Was haben Sie denn da?“ Der Ton drückte äußerste Verwunderung aus, und Herr Kraus deutete auf eine Silberblume, als wäre sie eine glitzernde Kröte. Dann sah er sich um. „Überall haben Sie so was bedeutet das etwas?“ Eder versicherte, dass das nichts bedeute. „Das hat ein ein Kind getan, das zu Besuch hier war. Mit irgendetwas muss man ja Kinder beschäftigen“, redete er sich schnell heraus. Herr Kraus nahm die Brille ab und betrachtete eines von Pumuckls Meisterwerken aus der Nähe. „Das soll wohl eine Blume sein?“ Er lächelte nachsichtig. „Ein ziemlich missratenes Exemplar.“ „Nun ja, er kann's eben nicht besser.“ „Sagen Sie das nicht, jedes Kind kann angeleitet werden, etwas besser zu machen. Man darf Kindern so etwas Kitschiges gleich gar nicht durchgehen lassen.“ Herr Kraus ereiferte sich immer mehr. „Gerade Sie, der Sie so viel von Kunsthandwerk verstehen, sollten ...“ „Aber ich bitte Sie“, unterbrach Meister Eder, „so ernst muss man das ja auch wieder nicht nehmen.“ „Entschuldigen Sie, Herr Eder, Kunsterziehung kann man nicht ernst genug nehmen. Wenn es um Geschmacksfragen geht, dann muss man eben ...“ „Wurst essen und nicht Silberblumen!“ Das war der Pumuckl, der seinem Zorn über das Gerede einfach irgendwie Luft machen musste. Herrn Kraus blieb der Satz in der Kehle stecken. Meister Eder fing schleunigst laut zu lachen an. „Entschuldigen Sie, Herr Kraus, manchmal muss ich einfach so dumme Scherze machen!“ - 278 -
Herr Kraus war völlig verwirrt. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, war das doch eben eine andere Stimme aus einer anderen Ecke gewesen. Aber Meister Eder ließ ihm einfach keine Zeit, darüber nachzudenken. Er legte begütigend die Hand auf die Schulter des Herrn Kraus und sagte: „Sie haben ja nicht unrecht mit Ihrer Theorie, und ich werde das nächste Mal auch in Ihrem Sinn auf den Kleinen einwirken, aber jetzt sagen Sie mir doch lieber, was Sie eigentlich zu mir führt.“ Damit konnte er tatsächlich seinen Kunden von dem heiklen Thema ablenken, und Herr Kraus erläuterte des Langen und Breiten, was für eine wundervolle antike kleine Vitrine er erwerben konnte. Allerdings habe sie einige Schäden erlitten, und die solle Meister Eder jetzt beheben. Die kleine Vitrine hatte er draußen in seinem Wagen. Die beiden Männer trugen das wertvolle Stück in die Werkstatt, und Meister Eder versprach, es gleich zu reparieren. Herr Kraus vergaß darüber die Silberblumen, ganz im Gegensatz zum Pumuckl, der Herrn Kraus beim Hinausgehen noch recht kräftig zwickte. Das veranlasste den Herrn zu einem kleinen, jähen Luftsprung, was ihm leider etwas von seiner Würde nahm. „Pumuckl, lass das!“ zischte Eder. Pumuckl wartete, bis Herr Kraus außer Hörweite war und dann legte er los: „Kitsch hat er gesagt! Und missratenes Explar! Puh! Seine Geschmacksfragenvitrine ist ein noch viiiel missrateneres Explar!“ „Es heißt Exemplar, Pumuckl! Und außerdem sollst du nie laut dazwischenreden.“ „Leise dazwischenreden hört aber doch keiner! Du hast auch noch gesagt, dass er Recht hat! Gar nicht Recht hat er, dieser - dieser Geschmacksfragerich. Und du hast kein - 279 -
einziges liebes, nettes, schönes Wort über meine Blumen gesagt!“ Der Pumuckl begann plötzlich zu schluchzen. „Dabei hast du doch auch eine Silberblume gemacht und meine Silberblumen zuerst auch schön gefunden!“ Der kleine Kobold sah so unglücklich aus, dass Meister Eder schnell beschwichtigte. „Schau, Pumuckl, man muss die Leute doch reden lassen, der Frau Zangl haben deine Blumen gefallen, dem Herrn Kraus nicht, dir gefallen sie ...“ „Und dir?“ Der Pumuckl sah Eder erwartungsvoll an. „Mir gefallen die Silberblumen, die um dein Bettchen liegen. Die anderen, die du überall verstreut hast, gefallen mir nicht.“ „Wenn das aber doch die schönsten sind?“ „Das sind sie nicht. Drum kommen sie jetzt auch gleich weg.“ Meister Eder begann sie auf der Stelle einzusammeln. „Nicht! Nicht!“ schrie der Pumuckl. „Hier in der Werkstatt geht's immer noch nach meinem Geschmack, verstanden!“ „Hier herinnen, aber nicht dort draußen!“ Der Pumuckl entriss dem Schreinermeister etliche Silberblumen, wobei sie keineswegs an Schönheit gewannen. „Ich werde eben die Silberblumen draußen irgendwohin stecken. Ich weiß auch schon wo!“ Der Kobold sprang auf das Fensterbrett, schlüpfte hinaus und stand zwischen den dort stehenden Geranienkästen. Da es Spätherbst war, sahen die Pflanzen recht zerrupft aus, sie bestanden fast nur noch aus gelben und braunen Blättern. Der Pumuckl stopfte seine Silberblumen dazwischen. Das gefiel ihm sehr, und er rief durch das Fenster: „Silberblumen fallen nicht ab und werden nicht alt. Und wenn die Sonne scheint, dann - 280 -
glitzern und glitzern sie! Und der dumme Herr Kraus kann sagen, was er will. Ätsch!“ Dann sang er lauthals: „Vor diesen Kastensilberbluumen, muss der liebe Kraus verstuumen!“ „Es heißt nicht verstuumen, sondern verstummen“, verbesserte Eder - hatte Herr Kraus nicht vorhin ganz richtig gesagt, man sollte immer erzieherisch einwirken? Doch der Pumuckl hatte für diese Erziehung nur ein verächtliches Achselzucken. „In diesem Fall heißt es verstuumen, weil Herr Kraus so stuum sein soll, dass er nicht mal ein richtiges ‚mm’ sagen kann!“ Das überzeugte den Schreinermeister so, dass er alle erzieherische Einwirkung sein ließ und ganz und gar „stum“ beschloss, bei Gelegenheit einfach den Silberschmuck vor dem Werkstattfenster verschwinden zu lassen. Leider wurde dieser diplomatische Vorsatz von der Hausmeisterin durchkreuzt. Sie kam kurze Zeit später auf dem Weg zu den Abfalltonnen an der Werkstatt vorbei, sah das Silberpapier und murmelte: „Wer hat denn da seine sämtlichen Zigarettenpapiere in Eders Blumenkästen gestopft! So was!“ Und laut rief sie: „Herr Eder, haben Sie das schon gesehen?“ Bevor noch Eder etwas dazu sagen konnte, fuhr sie fort: „Aber lassen Sie nur, Herr Eder, ich muss sowieso zu den Abfalltonnen. Ich werfe gleich das ganze Zeug mit weg!“ Und ehe sich der Pumuckl vor Schreck recht fassen konnte, stopfte die Hausmeisterin die ganze Pracht in ihre Kübel und trug sie zu den Tonnen. Der Pumuckl wollte ihr nach, aber Eder hielt ihn fest. Der kleine Kobold zappelte wie verrückt und zischte: „Ich will meine Blumen wieder haben. Ich hole sie aus - 281 -
der Tonne und zwicke und picke und packe und hacke die Hausmeisterin! Ich lasse mir das nicht gefallen! Meine Silberblumen lassen sich das auch nicht gefallen! Lass mich aus!“ Meister Eder ließ ihn nicht aus. Denn schon kam die Hausmeisterin zurück. Sie blieb vor den vertrockneten Geranien stehen und sagte: „Mir fällt gerade was ein, Herr Eder, ich habe im Speicher Kunststoffgeranien, sind in der Wohnung rechte Staubfänger - aber da vor den Fenstern macht das ja nichts. Die sehen wunderbar hier aus, und Sie haben keine Arbeit mit dem Gießen!“ „Vielen Dank“, sagte Eder, der Kunststoffblumen nicht ausstehen kann, „echte Blumen sind mir lieber.“ „Aber die Kunststoffgeranien sind täuschend echt, Sie merken überhaupt keinen Unterschied!“ „Ich - ich möchte nicht, dass sie gestohlen werden“, versuchte Eder seine Ablehnung andersherum zu begründen. Doch da kam er an die falsche Adresse. „Ach, so wertvoll sind sie auch wieder nicht, Herr Eder, ich bringe sie gleich her.“ Und damit lief sie weg. Eder konnte nur seufzen: „Wenn Herr Kraus morgen wieder kommt, dann zweifelt er endgültig an meinem Geschmack. In der Werkstatt Silberblumen, vor der Werkstatt Kunststoffgeranien!“ Der Pumuckl aber zappelte und zappelte. „Du musst es ihr verbieten! Wenn du mir Silberblumen verbietest, dann musst du ihr Kunststoffblumen verbieten!“ „Hast du denn nicht gehört, dass ich mich mit Händen und Füßen gewehrt habe?“ „Ich habe keine Hand und keinen Fuß gehört! Nur mich hältst du an Händen und Füßen fest!“ Eder ließ ihn los, nicht ohne zuerst das Fenster zu - 282 -
schließen. Frau Reindl brachte tatsächlich die künstlichen Geranien und steckte sie in die Erde der Blumenkästen. Sie war begeistert von ihrem Verschönerungswerk. Sie rief durch das Fenster: „Im Winter wird es für Sie eine richtige Freude sein, wenn Sie zum Fenster rausschauen und sehen alles blühen!“ Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete noch mal ihr Werk. „Ich hab gar nicht gedacht, dass das so gut aussieht!“ Was blieb Meister Eder anderes übrig, als die Frau gewähren zu lassen, wenn er sie nicht ernsthaft kränken wollte? Er seufzte tief. „Sehr freundlich von Ihnen - aber seien Sie mir nicht bös, ich muss die Kästen doch in den Keller stellen, weil - weil die Fenstersimse gestrichen werden müssen. Dann geb ich Ihnen die Geranien wieder zurück!“ Frau Reindl aber meinte, das Streichen könnte er sich sparen, die Blumen würden alle Schäden verdecken. Dann ging sie. Der Pumuckl betrachtete die Blumen. Dann hatte er eine Idee. „Eigentlich passen Silberblumen auch sehr gut zwischen diese Kunstgeranien. Ich werde sie aus der Aschentonne holen und wieder dazwischenstecken.“ Das ging dem Meister Eder nun wirklich zu weit. „Nein!“ rief er wütend. „Ich trage auf der Stelle das ganze Zeug in den Keller. Ich will überhaupt keine Blumen mehr sehen!!“ „Gut, dann hole ich sie nicht aus der Tonne, sondern mache neue!“ „Nein!“ schrie Eder. „Nur noch ein paar mehr um mein Bettchen und über mein Bettchen an die Wand und um meine kleine - 283 -
Kommode und um ...“ „Nichts mehr wird gemacht!!“ „Aber die Blumen um mein Bett dürfen bleiben, die hast du selbst hingetan und schön gefunden.“ „Aber auch nicht für alle Ewigkeit.“ „Nicht für alle Ewigkeit, sondern für alle Pumuckeligkeit!“ Der Pumuckl befestigte eine neue, schnell gedrehte Silberblume über seinem Bettchen. „Das Zeug kommt weg, ehe morgen Herr Kraus kommt, verstanden!“ „Bis morgen ist noch sehr lange“, meinte der Pumuckl und legte sich, umgeben von allen seinen Silberblumen, ins Bett. Er guckte in das Geglitzer, und ehe er sichs recht versah, war er richtig eingeschlafen. Er träumte gerade etwas sehr Schönes von silbernen Wäldern und silbernen Vögeln da - platsch - fiel ihm die Silberblume auf die Nase. Er hatte sie nicht richtig über seinem Bett befestigt. Verschlafen griff er nach ihr und steckte sie unter sein Kissen. Doch leider knisterte das Silberpapier unter seinem Kissen so, dass er nicht weiterschlafen konnte. Wütend sprang er aus seinem Bett, doch wohin sprang er? -In eine Silberblume! Wo er hintrat, war eine seiner Silberblumen. Da fand der Pumuckl, dass die Silberblumen eigentlich rechte Ärgerblumen seien. Allerdings gab er das nicht zu. Meister Eder reparierte die kleine Vitrine des Herrn Kraus so, dass man keine Schäden mehr erkennen konnte. Er stellte sie zum Abholen bereit gleich neben seine Werkstattür. „So, und jetzt schleppe ich die Blumenkästen in den Keller, und du entfernst bitte jetzt sämtliche Silberblumen. Jedenfalls für die Zeit, in der Herr Kraus - 284 -
kommt. Ich mag mich nicht wieder dumm anreden lassen. Kannst sie ja in eine Schublade tun und später wieder herausholen.“ „In welche Schublade, bitte?“ fragte der Pumuckl erstaunlich friedfertig. „Egal, wenn das Zeug nur weg ist!“ Eder trug die Blumenkästen in den Keller. Der Pumuckl betrachtete die zerknitterte Silberblume, die er unter seinem Kopfkissen hervorgefischt hatte, und die andere, in die er gesprungen war, und da kam ihm eine wunderbare Idee. Er hatte nämlich bemerkt, dass in der Vitrine des Herrn Kraus zwei kleine Schubladen waren. Der Kobold fing vor Vergnügen zu kichern an. „Was für eine schöne Vitrine! Eine Blumenvitrine, eine Silberblumenvitrine!“ Er zog eine der Schubladen auf. „Viel Platz für viele Silberblumen! Hat Meister Eder nicht gesagt, ich soll sie in eine Schublade tun? “Der Pumuckl trug alles zusammen, was er an Silberblumen fand, und stopfte sie hinein. „So, die sollen jetzt dem Herrn Kraus entgegenpurzeln und entgegenknistern und entgegenärgern!“ Er musste die Silberblumen etwas zusammendrücken, damit sie in die kleine Schublade hineingingen. Doch das störte den Pumuckl nicht. Im Gegenteil. „Jetzt erst sind es richtig missratene Explare!“ stellte er fest und schob die Schublade zufrieden zu. Meister Eder kam aus dem Keller. Er sah, dass tatsächlich auch die Blumen verschwunden waren. „Das ist brav von dir, Pumuckl. Das freut mich, dass du so vernünftig bist.“ „Herr Kraus wird sich bestimmt auch freuen!“ sagte der - 286 -
Pumuckl aufgeräumt. Eder wunderte sich ein wenig darüber, hatte aber keine Zeit mehr, dieser plötzlichen Friedfertigkeit nachzusinnen, denn Herr Kraus betrat die Werkstatt. Beglückt sah er das wiederhergestellte Möbelstück. „Wunderbar! Wunderbar! Die Leute damals im siebzehnten Jahrhundert hatten eben noch ein ausgeprägtes Gefühl für Formen - Sie haben das großartig repariert. Übrigens, weil wir gerade von Geschmack reden: hoffentlich habe ich Sie gestern nicht gekränkt, weil ich so streng über diese Silberblumenkinderei gesprochen habe - ich machte mir nachher Vorwürfe, schließlich ...“ „Sie hatten ja Recht.“ „Wissen Sie, so schlimm ist ja ein bisschen Kitsch auch wieder nicht“, Herr Kraus lächelte sein nachsichtigstes Lächeln. „Jedenfalls ist das Zeug jetzt weg, Herr Kraus, und jetzt tragen wir Ihre wertvolle Vitrine vorsichtig in Ihren Wagen!“ Gut, dass der Pumuckl unsichtbar war! Er rieb sich die Hände vor Vergnügen! „Vorsichtig tragen, damit die Silberblumen auch gut bei Herrn Kraus ankommen!“ flüsterte er. Als Meister Eder wieder in die Werkstatt kam, saß da ein fröhlich kichernder Pumuckl. „Habt ihr das schöne Kästchen aus dem siebzehnunddreiunddreißigsten Jahrhundert gut untergebracht?“ fragte er. „Wenn nicht, dann würde ich das nämlich sehr verübeln! Mehr als ich die Silberblumenkinderei verüble! Ein bisschen Kitsch ist gar nicht schlimm, im Gegenteil, ein bisschen Kitsch macht große, große Freude!“ - 287 -
„Was ist denn nur los, Pumuckl, was hast du denn?“ wunderte sich Meister Eder. „Ich? Ich habe nichts. Nur Herr Kraus hat etwas.“ „Um Himmels willen, hast du irgendwas angestellt?“ „O nein, ich habe nichts angestellt. Ich habe etwas angelegt, oder hineingelegt, wie du willst. Etwas für Leute, die noch Gefühl für Formen haben. Eine Menge Formen und viel Formengefühl habe ich Herrn Kraus geschenkt. Jetzt knistert es und glitzert es in der Vitrinenschublade, das ...“ „Pumuckl, hast du die Silberblumen in die Schublade der Vitrine ...?“ Eder musste sich setzen. Der Pumuckl setzte sich auch. „Jawohl, ich habe die Silberblumen ...“ der Pumuckl dachte kurz nach - „oder sagen wir lieber Silberblummen, weil sich's damit besser reimen lässt: die Silberblummen, die krummen, in dummen Vitrinen brummen!“ „Was wird Herr Kraus von mir denken“, stöhnte Meister Eder. „Hm“, der Pumuckl kratzte sich nachdenklich an der Nasenspitze. „Vielleicht bringt er uns die Silberblumen wieder zurück?“ „Hoffentlich nicht das auch noch - zurück!“ Der Kobold teilte Eders Entsetzen keineswegs. Gelassen meinte er: „Auf zurück reimt sich nur ‚Glück’. Aber so einen billigen Reim mache ich nicht, denn erstens habe ich auch etwas Künstlerisches in mir und dann: mein Formengefühl ist sehr ausgeprägt! Was sagst du?“ Meister Eder sagte nichts. Er fuhr nur noch ein paar Tage lang jedes Mal zusammen, wenn ein Herr über den Hof kam. Aber es war nie Herr Kraus. Er brachte die Silberblumen nicht zurück. Vielleicht sind sie sogar - 288 -
immer noch in der Vitrinenschublade und warten darauf, dass sie eines Tages entdeckt und dann belächelt werden. Oder weggeworfen. Oder doch noch zurück - aber nein, dann ginge ja diese Geschichte wieder von vorne an. Da ist's doch wirklich besser, ich erzähle jetzt gleich eine neue.
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Der verflixte Föhn Wisst ihr eigentlich, was Föhn ist? Ein lauwarmer Südwind, der sozusagen über die bayerischen Berge herunterpurzelt, die Regenwolken vertreibt und den Himmel besonders seidig blau macht. Der Föhn hat seine eigenen Wolken; sie sehen aus wie Fische oder wie Zeppeline. Es gibt Leute, die mögen den Föhn gern, weil er sie besonders munter und fröhlich macht, andere Leute dagegen werden kribbelig, nervös, vergesslich und schlechter Laune. Ja, und streitsüchtig werden sie auch. Leider, so muss gesagt werden, gehört Meister Eder zu den Leuten, die der Föhn ganz konfus macht. Der Pumuckl dagegen könnte an Föhntagen die ganze Zeit hüpfen und springen und Unsinn treiben. Die Geschichte hat sich also an einem Föhntag zugetragen. Weder Meister Eder noch der Pumuckl guckten zum Himmel, als sie aufwachten. Und so war der eine schlechter Laune und der andere fröhlich, und keiner wusste, warum. Als Meister Eder nach dem Aufstehen nicht gleich seinen zweiten Socken fand, suchte er nervös herum und knurrte dann: „Pumuckl, hast du meinen zweiten Socken irgendwo gesehen?“ Der Pumuckl machte gerade quer über Eders Bett einen Purzelbaum. Er krähte vergnügt: „Hab keinen Socken gesehen und keinen Socken gehört und keinen Socken gerochen und keinen Socken ...“ Weiter kam er nicht, denn Eder fuhr ihn an: „Red keinen solchen Schmarrn! Hilf mir lieber suchen!“ Der Pumuckl hörte auf zu purzelbaumen, äugte über den Bettrand auf den Boden, und als er nichts sah, kicherte - 290 -
er: „Vielleicht hat sich der Socken inzwischen auf die Socken gemacht und sockt durch die Werkstatt!“ Er musste bei dieser Vorstellung sehr kichern. Meister Eder verzog keine Miene. „Schau doch mal unter das Sofa, du musst dich nicht so bücken wie ich!“ Der Pumuckl kroch auf allen vieren über den Boden und legte sich bäuchlings unter das Sofa, um dann zu schreien: „Ja, wen seh ich hier hocken? - Einen EderSocken!“ Doch statt zu lachen, sagte Eder nur missmutig: „Dann gib ihn schon her!“ Der Pumuckl, gut gelaunt, wie er nun mal war, gab Meister Eder den Socken. Dann kletterte er auf das Sofa und übte dort Handstand. Meister Eder ging in die Küche, um ein Frühstück zu machen. Dabei setzte er den Teekessel ohne Teewasser auf, was zwar den Kessel zum Glühen, aber keineswegs Wasser zum Kochen brachte, und als er das merkte, verbrannte er sich beim Versuch, den zischenden Kessel mit Wasser zu füllen, die Finger. Beim Brotschneiden rutschte ihm das Messer aus, und als er das Brot mit Butter und Marmelade bestrich, kleckerte er seine Hose mit Marmelade voll. Mit dem Marmeladebrot in der Hand ging er zum immer noch auf der Couch turnenden Pumuckl. „Was ist? Kommst du endlich zum Frühstück?“ fragte er. Der Pumuckl schleckte sich beim Anblick des Marmeladebrotes die Lippen und meinte: „Wenn das liebe Marmeladebrot zu mir kommt, brauche ich nicht zum Marmeladebrot kommen - ich kann es hier essen.“ „Kommt nicht in Frage, du schmierst mir das Sofa damit voll! Jetzt komm schon in die Küche!“ Eder wollte nach dem Pumuckl greifen, dabei rutschte ihm das bestrichene - 291 -
Brot aus der Hand und landete prompt mit der Marmeladeseite nach unten auf dem Sofa. „Schade - um die Marmelade!“ reimte der Pumuckl, stippte schnell seinen Finger hinein und schleckte ihn genüsslich ab. Auf Eders Stirn aber schwoll eine Ader. „Das kommt von deiner ewigen Herumturnerei! Da muss man ja die Nerven verlieren!“ schimpfte er völlig ungerecht. „Du hast aber gar nicht die Nerven verloren, sondern das Marmeladebrot!“ stellte der Pumuckl sachlich richtig. Meister Eder aber fuhr hoch: „Werd nicht auch noch frech!“ Der Pumuckl drehte aus einem Sofakissen eine Wurst, setzte sich darauf und sah Meister Eder vorwurfsvoll an. „Du bist heute nur immer zornig und fauchig. Du hast nicht mal guten Morgen gesagt, für den gefundenen Socken hast du dich nicht bedankt, und wenn ich Spaß wegen des Sockens mache, dann sagst du, ich soll keinen Schmarrn reden.“ „Wenn ich nervös bin, dann kann ich einfach das Gehüpfe und Getue und Gerede nicht vertragen! Sag ja oder nein, wenn man dich etwas fragt, und genug!“ Damit ging Eder in die Küche. Der Pumuckl trottete hinterdrein und schnitt dabei ein paar komische Gesichter. Es dauerte nicht lange, da suchte Meister Eder seine Brille. Er suchte sie so nervös wie vorher den Socken. Schließlich rief er: „Pumuckl, hast du irgendwo meine Brille gesehen?“ „Ja“, antwortete der Pumuckl mit betont höflicher Folgsamkeit. „Dann sag, wo! Du siehst doch, dass ich sie suche!“ fuhr Eder hoch. - 293 -
„Ja“, sagte der Pumuckl. „Was heißt da ‚ja’, wenn ich frage ‚wo’!?“ „Ja.“ „Mach mich jetzt nicht verrückt, Pumuckl!“ „Nein“, sagte der Pumuckl unvermindert höflich. „Wenn du jetzt nicht gleich eine ordentliche Antwort gibst, dann...“ Eder musste Luft holen. „Du hast gesagt, ich soll nur ja oder nein sagen, wenn du mich etwas fragst!“ Der Pumuckl machte ein verdächtig unschuldiges Gesicht. „Jetzt hör mit der Wortklauberei auf - sag schon, wo meine Brille ist!“ Pumuckl betrachtete sinnend den Schreinermeister. „Auf deiner Stirn!“ antwortete er dann schlicht. Meister Eder griff an seine Stirn - tatsächlich, da saß ja die Brille. „Das hättest du auch früher sagen können“, knurrte er. „Ich kann leider bald überhaupt nichts mehr sagen, weil ich schon in dreißigdreizehn Sekunden verhungert sein werde. Das Marmeladebrot liegt nämlich immer noch auf dem Sofa.“ Der Pumuckl seufzte tief. „Was, das ist noch nicht weggeputzt - da muss ich ja gleich mit warmem Wasser ...“ Meister Eder sah sich nach einem Tuch um, mit dem er die Marmelade abwischen konnte. „Wo ist denn wieder das Handtuch hingekommen? Pumuckl, hast du das Handtuch gesehen?“ „Ja.“ „Wo denn?“ „Da!“ Dabei deutete er auf den leeren Haken. „Da hängt es aber doch nicht mehr, zum Kuckuck!“ „Gestern ist es aber noch ...“ - 294 -
„Ich habe dich nicht nach gestern, sondern nach heute gefragt!“ „Nein, du hast mich gefragt, ob ich das Handtuch gesehen habe. Und da habe ich ja gesagt, weil ich es gestern ja ...“ „Hachchch, hör doch auf!“ fauchte Eder. „Ich nehme mein Taschentuch!“ Er griff in die Hosentasche und förderte - das Handtuch zutage! „Mich hat's heut!“ murmelte er und schüttelte seinen Kopf. Und kopfschüttelnd putzte er auch die Marmelade von der Couch. Das Frühstück verlief schweigend. Als Eder aufstand, um an die Arbeit zu gehen, sagte er: „Pumuckl, bitte, versteck heute nichts. Ich habe Kopfweh, dass es da innen drin nur so dröhnt! Du musst mir heut eher helfen als etwas von mir verlangen!“ Der Pumuckl schleckte sorgfältig den letzten Rest Marmelade von seinem Daumen und sagte dann versöhnlich: „Hört das Dröhnen in deinem Kopf auf, wenn ich dir immer sage, wo alles ist?“ „Vielleicht“, sagte Eder und ging in die Werkstatt. Der Pumuckl hüpfte hinterdrein und setzte sich in seine Schaukel. Er suchte gerade nach einem Reim auf Eders dröhnenden Kopf, da sah er, dass der Schreinermeister schon wieder herumsuchte. „Wo ist denn der Schraubenzieher?“ „Der Schraubenzieher liegt auf dem Tisch. Und der Tisch steht auf dem Boden und der Boden ...“ sagte der Pumuckl eifrig. „Ja ja, ist schon gut!“ winkte Eder schnell ab. Er fing an, auf einem Stück Papier etwas auszurechnen, griff - 295 -
nebenbei in die hintere Hosentasche, wo wie gewohnt der Meterstab stecken sollte. Er steckte natürlich nicht da. Der Pumuckl sah das, äugte flink herum und rief dann: „Der Meterstab liegt auf der Hobelbank unter den Zeitungen! Und die Hobelbank steht an der Wand unter dem Fenster. Und das Fenster ist in der Mauer unter dem Dach! Und ...“ Er sah, dass Eders Gesicht schon wieder einen ungeduldigen Ausdruck bekam, und fügte hinzu: „Die Mauer suchst du wohl nicht, oder?“ „Nein, Pumuckl, danke!“ Der Pumuckl freute sich sehr, dass Meister Eder immerhin schon danke sagte. Das beflügelte ihn, weiter hilfreich zu sein. Und schon bald kam auch die nächste Gelegenheit. Es klingelte das Telefon. Meister Eder maß gerade mit gerunzelter Stirn etwas nach, brummte: „Das auch noch“, und hob ab. Am anderen Ende war Herr Obermeier. Meister Eder sagte auch ganz richtig: „Grüß Gott, Herr Obermeier!“ Doch kurz darauf fuhr er fort: „In acht Tagen schon? Nein, das geht nicht, Herr Neumeier! Wissen Sie, Herr Neumeier ...“ „Obermeier“, verbesserte der Pumuckl aus dem Hintergrund. „Ach so, ja - äh, Herr Obermeier“, sagte Eder nach, „ich muss vorher noch eine andere Sache fertigmachen, Herr Neumeier...“ „Obermeier!“ tönte der Pumuckl aus dem Hintergrund. „Himmeldonnerwetter ja!“ Eder meinte den Pumuckl, was jedoch sein Gesprächspartner am anderen Ende des Telefons nicht wissen konnte. „Entschuldigen Sie, Herr Neu-“ „Ober!“ rief der Pumuckl. - 296 -
„Jetzt sei still, zum Kuckuck! - Nein, ich habe nicht Sie gemeint, Herr Obermeier, da ist jemand in der Werkstatt, der mir dauernd dazwischenredet - ich bin schon völlig blöd, Herr Neumeier ...“ „Obermeier, Obermeier, Obermeier!“ „Ja Kreuzbirnbaumundhollerstauden ... Nichts für ungut, Herr Obermeier! Sie kriegen Ihren Schrank nächste Woche. Auf Wiederschaun, Herr ...“ Eder wusste nicht mehr, ob „Neu“ oder „Ober“. „Obermeier!“ ergänzte der Pumuckl freundlich. Wütend hängte Eder ein. „Das geht zu weit, Pumuckl! Wenn ich telefoniere, dann musst du den Mund halten!“ „Wenn du doch alles falsch sagst ...“ „Dann hab ich es eben falsch gesagt, der Herr Neumeier weiß schon, wen ich meine, wenn ich Obermeier sage!“ Der Pumuckl musste sich richtig auf die Zunge beißen, um Eder nicht noch mal zu verbessern. „Ich glaube, ich sage am besten jetzt nichts mehr. Ist es dir lieber, wenn ich singe?“ schlug der Pumuckl vor. Und schon sang er: „Lala, lala, lala.“ Aber schon beim dritten „lala“ fuhr Eder hoch: „Hör auf! Ich kann nicht zwei und zwei zusammenzählen, wenn du singst!“ Dem Pumuckl blieb das vierte „lala“ im Hals stecken. „Nicht singen, nicht reden, bitte schön. Ich verstumme. Der Pumuckl ist der größte Verstummer von allen Kobolden auf der ganzen Welt!“ „Das wäre ein Segen!“ brummte Eder. Der Pumuckl schaukelte vor sich hin und hatte ein bisschen Mühe, seine fröhliche Laune aufrechtzuhalten. Ja, genau genommen fing er schon an, sich ein wenig Leid zu tun. Da kam ein Kunde in die Werkstatt. Es war - 297 -
Herr Singer. Er sagte höflich: „Ich komme, um meinen Stuhl abzuholen.“ Eder sah nur kurz von seiner Rechnerei hoch: „Ihr Stuhl? Der ist noch nicht fertig.“ „Aber er war doch fest für heute versprochen, Herr Eder!“ „Nein, für nächste Woche.“ „Ich weiß es aber ganz bestimmt! Sehen Sie, ich habe es mir sogar ins Notizbuch geschrieben.“ Herr Singer zückte das Notizbuch. Eder warf einen abschätzigen Blick darauf. „In Ihr Notizbuch können Sie alles Mögliche reinschreiben, deshalb muss es noch lange nicht stimmen!“ „Hören Sie, ich bin extra vom anderen Ende der Stadt hier hergefahren! Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich den Stuhl heute brauche, weil wir Gäste haben! Ich kann nicht einen meiner Gäste auf einen Küchenhocker setzen!“ „Abgesehen davon, dass deshalb die Welt auch nicht unterginge, kann ich jetzt nicht zaubern! Das habe ich nämlich nicht gelernt!“ Eders Stimme wurde immer lauter. Die Stimme des Kunden auch: „Das verlangt auch kein Mensch. Wort halten hat bekanntlich nichts mit zaubern zu tun. Und arbeiten auch nicht!“ Eder stemmte beide Arme in die Hüften. „Sie! Wie kommen Sie mir denn vor? Was und wie ich arbeite, geht Sie überhaupt nichts an! Und anschreien lass ich mich auch nicht von Ihnen. Wenn hier jemand schreit, dann ich!“ Eder griff nach dem Stuhl und stellte ihn vor Herrn Singers Füße: „Nehmen Sie Ihren Stuhl mit und lassen Sie ihn reparieren, wo Sie wollen!“ - 298 -
„Das - das ist wirklich der Gipfel, ich werde mich beschweren!“ rief Herr Singer, obwohl er nicht wusste, bei wem er sich beschweren könnte. Er packte seinen Stuhl, als wollte er ihn an die Wand werfen, zog es aber dann doch vor, ihn mitzunehmen, nicht ohne die Türe gewaltig hinter sich zuzuschlagen. Der Pumuckl sagte eine Zeitlang nichts. Dann flüsterte er: „Der Stuhl hätte doch für heute fertig sein müssen, du hast es auch in dein Buch geschrieben.“ „Quatsch!“ Dabei warf er einen Blick in sein Auftragsbuch. „Tatsächlich! Aber das hättest du mir auch früher zuflüstern können!! Dann hätte ich den Stuhl bis heute Abend noch gerichtet - der Herr Singer ist eigentlich ein recht guter Kunde von mir ...“ „Du hast vorhin gesagt, dass ich schweigen soll. Hab sowieso jetzt nur aus Versehen geredet.“ Der Pumuckl zog einen Handschuh unter einem Stück Holz hervor. „Hab den Handschuh von Herrn Singer versteckt, weil er dann vielleicht noch mal zurückkommt, und weil du dann - vielleicht - doch noch den Stuhl ...?“ Der Pumuckl hielt dem Schreinermeister den Handschuh hin. Da musste Eder das erste Mal an diesem Tag lächeln. „Pumuckl, verzeih mir, ich bin heut unausstehlich! Das war wirklich nett von dir. Ich muss mich gleich bei Herrn Singer entschuldigen ...“ In diesem Augenblick kam Herr Singer zurück. Er steckte nur den Kopf zur Türe herein und sagte kühl: „Ich habe meinen Handschuh liegenlassen.“ Eder gab ihm den Handschuh. „Entschuldigen Sie, das mit dem Stuhl, das war ein ...“ „Eine Unverschämtheit war das! Für mich ist die Sache - 300 -
erledigt! Ein für allemal!“ und damit krachte die Tür ein zweites Mal ins Schloss. Eders Hände zitterten. Er ging zu einem kleinen Hängeschränkchen. „Ich bin so nervös heute - ich muss einen Schnaps zur Beruhigung trinken!“ Doch- wie konnte es an solch einem Tag anders sein: die Schnapsflasche war leer. „Dann kauf ich mir eben jetzt einen! Punktum!“ Meister Eder griff in die Hosentasche nach dem Geldbeutel - doch leider war dort keiner. Der Pumuckl sah das und kämpfte sehr mit sich, ob er noch mal „aus Versehen“ reden sollte. Dann sagte er doch: „Der Geldbeutel ist in der Schublade!“ Meister Eder zog die Schublade auf - wirklich, da lag der Geldbeutel. „Danke schön!“ Er nahm ihn und wollte gehen. „Deine Mütze hängt an dem Haken!“ erinnerte ihn der Pumuckl. Eder kehrte um und nahm die Mütze vom Haken. „Deine Brille hast du auf der Nase!“ Eder rückte sie zurecht. „Jjja, hör jetzt wieder auf, Pumuckl.“ Wieder wandte er sich zur Tür. „Dein Mantel ist im Schrank!“ piepste der Pumuckl. Diesmal kehrte Eder nicht mehr um. Er hatte schon die Türklinke in der Hand. „Ich brauch keinen Mantel! Außerdem sollst du mich jetzt auch wieder nicht für blöd halten. Ich weiß, wo mein Mantel hängt.“ „Weißt du auch, wo deine Schuhe sind?“ „Ja, zum Kuckuck!“ „Dann musst du sie auch anziehen. Du hast nämlich noch die Pantoffeln an!“ Eder schaute auf seine Füße. Sie steckten in alten Schlappen. Unmöglich, damit wegzugehen. Meister Eder - 301 -
hätte nun eigentlich ärgerlich auf sich sein müssen, aber wie es nun mal so geht bei schlechtgelaunten Leuten, es ist viel einfacher, auf jemand anderen ärgerlich zu sein. Und da weit und breit kein anderer greifbar war als der Pumuckl, entlud sich Eders Groll wegen seiner eigenen Ungeschicklichkeit, wegen des vergraulten Kunden und des nichtvorhandenen Schnapses einfach über Pumuckls unschuldiges Haupt. „Das kommt davon, weil du mir dauernd dazwischenquatschen musst!“ fing Eder an. „Immer und überall quatschst du dazwischen! Da muss man ja konfus werden! Schließlich bin ich ja nicht mehr der Jüngste, und wenn da morgens schon so ein lästiges Wesen einem dauernd zwischen den Füßen herumhüpft, dann ist das einfach zu viel! Das mag was für junge Leute sein, aber ich bin ein alter Mann! Wissen möchte ich, warum gerade ich alter Mann mit einem Kobold geschlagen sein muss!“ Pumuckls Augen waren während dieser Rede immer größer und bestürzter geworden. So etwas hatte Meister Eder noch nie gesagt! Der kleine Kobold, der doch eigentlich brav in seiner Schaukel gesessen hatte, brachte vor Bestürzung keinen Laut heraus. Eder redete auch schon weiter - und es tat ihm richtig wohl, herumschimpfen zu können: „Das ahnt ja kein Mensch, was ich dauernd mit einem Kobold mitmache! Vor nichts bin ich sicher, tausendmal war ich schon bis auf die Knochen blamiert! Mich nimmt kein Mensch mehr ernst, und das alles nur, weil ich - ausgerechnet ich! - einen Kobold haben muss!“ Wenn Meister Eder in diesem Augenblick den Pumuckl richtig angeschaut hätte, dann hätte er sicher Erbarmen - 302 -
mit ihm gehabt. Aus dem frechen kleinen Koboldsgesicht war ein schrecklich trauriges Klabautergesicht geworden. „Wenn es so ist, dann wäre es ja besser, wenn ich nicht hier wäre!“ sagte der kleine Kerl mühsam, und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Aber ich kann ja nicht weg, ich muss hier bleiben, das - das ist doch Koboldsgesetz! Ich wollte dich heute kein bisschen ärgern, ich war heute doch eigentlich so lustig.“ Und jetzt schluchzte der Pumuckl herzerweichend. „Ich weiß überhaupt nicht, warum du so bist, ich habe dir doch helfen wollen, und - und ...“ Er konnte nicht weiter. Nun ist es ja nicht so, dass ein weiches Herz, wie es Meister Eder hat, plötzlich zu Stein verhärtet; im Gegenteil, was der Pumuckl sagte, tat ihm eigentlich weh. Aber es gibt nun mal solche Teufelstage, an denen man sogar über das eigene weiche Herz wütend wird. Und darum fauchte Eder ärgerlich: „Hör auf! Das Gejammer geht mir auf die Nerven! Mir geht heute einfach alles auf die Nerven, alles! Basta!“ „Ich werde nie mehr lachen und nie mehr hüpfen und nie mehr reden!“ Der Pumuckl sagte es nicht nur trostlos, er meinte es diesmal auch, doch Eder unterbrach ihn nur schroff: „Lass doch endlich diese selbstmitleidigen Sprüche!“ Eder ging, und noch mal an diesem Tag krachte die Werkstattür ins Schloss. Der Pumuckl saß in seiner Schaukel und schluchzte: „Nie mehr! Nie mehr! Nie mehr!“ Meister Eder aber war jetzt - wenn möglich - noch ein wenig schlechter gelaunt. Er unterdrückte mit Gewalt das Gefühl, ungerecht gewesen zu sein. Er ging die Straße entlang und spürte nicht einmal die warme Luft und sah mit keinem Blick den seidigblauen Föhnhimmel. Er trank - 303 -
in seiner Stammkneipe den Schnaps. Doch das Kopfweh wurde nicht besser, sondern schlechter. Dann ging er nach Hause. Der Pumuckl hatte sich in die hinterste Ecke des hintersten Bretterstapels zurückgezogen. Er kniff den Mund fest zusammen. Nie mehr wollte er gesehen werden, und nie mehr wollte er reden. Als Meister Eder die Werkstatt betrat, herrschte also Totenstille. Er hängte die Mütze an den Haken. Er sah sich suchend um. Er fühlte sich bedrückt, mochte sich aber nicht Rechenschaft geben, warum. Lustlos betrachtete er den Schrank, den er gerade in Arbeit hatte. Sollte die Arbeit doch der Kuckuck holen! Und die Werkstatt dazu! Und alle Kunden dazu! Und den Pumuckl dazu - wo war der eigentlich? „Pumuckl!“ rief Eder halblaut. Natürlich, der war ja beleidigt. Sollte er doch! Trotzdem sagte Eder in die Stille: „Ich sperre für heute die Werkstatt zu. Endgültig. Ich lege mich ins Bett. Ich bin krank. Ich sehe überhaupt nicht ein, dass ich wie ein Depp jahraus, jahrein arbeite! Andere Männer in meinem Alter sind längst pensioniert!“ Geräuschvoll sperrte Eder die Werkstattür ab. Nichts regte sich in der Werkstatt. So redete Eder mit sich selbst. „So ein Blödsinn - vergraule ich mir heute einen Kunden! Das ist mir auch schon lange nicht mehr passiert!“ Er stützte sich schwer auf die Hobelbank. „Aber bitte - es kommt mir auf die paar Mark auch nicht mehr an.“ Er griff nach dem Geldbeutel - wie viel Geld hatte er eigentlich noch in der Tasche? Doch die Tasche war leer! Meister Eder suchte in der rechten Hosentasche und in der linken und in der rechten Jackentasche und in der linken - nirgends ein Geldbeutel. - 304 -
„Pumuckl, siehst du irgendwo meinen Geldbeutel?“ rief er. Keine Antwort. Nichts rührte sich. Meister Eder versuchte nachzudenken, wo der Geldbeutel sein könnte. Hatte er ihn in der Kneipe liegenlassen? Er erinnerte sich dunkel, dass er beim Bezahlen den Geldbeutel vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Er suchte noch ein wenig herum, aber je mehr er suchte, desto sicherer schien es ihm, dass der Geldbeutel noch in der Kneipe sein musste - wenn er nicht inzwischen gestohlen worden war! Er beschloss, sofort zurückzugehen. Doch die Werkstattüre war verschlossen! Die hatte er eben abgesperrt, wo war nur der Schlüssel? Wieder ging die Suche quer durch alle Taschen. Der Schlüssel musste doch hier im Raum sein, schließlich hatte er von innen zugesperrt! „Pumuckl, hast du den Schlüssel?“ Keine Antwort. „Himmeldonnerwetter, wo ist denn der Schlüssel! Ich muss meinen Geldbeutel holen, da ist ein Haufen Geld drin! Pumuckl!“ Kein Pumuckl war zu sehen und zu hören. „Hör auf, beleidigt zu sein, zum Kuckuck, ich brauch den Schlüssel! Ich hab keinen zweiten, den hat die Zugehfrau, damit sie morgens zum Putzen hereinkommen kann!“ Auch diese Rede bewirkte nichts. Dafür klopfte draußen jemand an die Werkstattür. „Herr Eder, sind Sie da? Ich bin's, die Hausmeisterin. Ein Herr von der Entstörungsstelle ist da. Er muss irgendwas an Ihren Maschinen prüfen, weil sich Leute über Störungen bei ihren Fernsehapparaten beklagt haben.“ Jetzt tauchte ihr Kopf am Fenster auf. „Herr Eder - 305 -
machen Sie doch bitte schön auf.“ „Wenn ich doch nicht kann!“ brüllte Eder unvermittelt los. „Ich werde noch wahnsinnig, ich schmeiße alles in die Ecke!“ Und schon knallte das Telefonbuch, das zufällig in seiner Nähe gelegen hatte, gegen die Wand. „Aber Herr Eder, was ist denn? Beruhigen Sie sich doch!“ „Nein, ich beruhige mich nicht! Das geht heut den ganzen Tag schon so!“ „Aber ich tu Ihnen doch nichts“, rief der Entstörungsmann dazwischen. „Herr Eder, regen Sie sich doch nicht so auf, in Ihrem Alter bekommt man so leicht einen Schlaganfall, wenn man sich so aufregt - gerade bei Föhn ist das sehr gefährlich!“ „Der Geldbeutel ist weg! Der Schlüssel ist weg! Es ist zum ...“ „Trinken Sie einen Schnaps, Herr Eder“, riet die Hausmeisterin durch das geschlossene Fenster, „das beruhigt!“ „Hab schon einen Schnaps getrunken, das beruhigt überhaupt nicht!“ „Dann gehen Sie ein bisschen spazieren“, riet die ahnungslose Hausmeisterin. „Wie soll ich Spazierengehen, wenn ich hier nicht herauskomme!“ Eder gab einem Holzbrettchen einen Tritt, dass es gegen die Tür flog. Das erschreckte die beiden vor dem Fenster. „Sie brauchen deshalb die Türe nicht aufzubrechen!“ rief schnell der Entstörungsmann. „Ich hab noch in der Gegend zu tun, ich komme später wieder!“ „Ja, wir kommen später wieder“, echote die - 306 -
Hausmeisterin. Beide gingen eilig weg. Meister Eder aber packte nach diesem Zornausbruch jähe Müdigkeit. Erschöpft setzte er sich auf den Hocker. Wo war nur der Schlüssel? Da weit und breit kein Pumuckl zu sehen gewesen war, konnte der ihn auch nicht weggenommen haben. Wer weiß, vielleicht war der Kobold überhaupt weggegangen, während Eder den Schnaps getrunken hatte. Schließlich war er ja wieder einmal recht gekränkt gewesen. „Der Kunde weg, der Geldbeutel weg, der Pumuckl weg!“ murmelte Eder. Und plötzlich dachte etwas in ihm: „Recht geschieht's dir!“ Mühsam erhob er sich. „Ich leg mich jetzt hin!“ sagte er laut. „Mir ist alles Wurst!“ Noch einmal sah er sich suchend um - nicht nach dem Türschlüssel, sondern nach dem Pumuckl. Dann fing er leise an: „Ich weiß nicht, ob du hier bist, Pumuckl, aber ich muss mich entschuldigen. Ich weiß nicht, was mit mir ist, aber ...“ Er hörte mitten im Satz auf. Hatte die Hausmeisterin nicht etwas von Föhn gesagt? Eder schaute zum Fenster hinaus. Und wirklich, da zogen die Föhnwolken wie dicke Zeppeline über den Himmel „Pumuckl“, rief er, „Pumuckl, es ist Föhn! Du bist an nichts schuld, ich bin an - hm - fast nichts schuld, der Föhn ist schuld! An allem, an meinem Kopfweh, an meiner Gereiztheit, an allem! Wenn ich das früher gemerkt hätte, dann - Pumuckl, komm, sag was! Ich mach alles wieder gut. Du hilfst mir den Schlüssel suchen, und wenn wir ihn gefunden haben, dann gehen wir spazieren. Einen langen Föhnspaziergang machen wir, und wenn du willst, kriegst du ein großes Stück Schokolade, und ich verspreche dir, dass ich nie wieder ...“ - 307 -
„Auch bei Föhn nicht?“ kam eine leise Stimme aus dem hintersten Eck des hintersten Bretterstapels. „Auch bei Föhn nicht. Pumuckl, wie schön, dass du da bist!“ Das kam so aus vollem Herzen, dass der Pumuckl unwillkürlich aus seinem Versteck hervorkroch. Man sah ihm noch an, dass er geweint hatte, aber schon fing sein Gesicht wieder zu strahlen an. „Findest du das wirklich?“ fragte er zaghaft. „Pumuckl, willst du mir verzeihen?“ Der Pumuckl schnupfte dreimal kräftig auf. Dann legte er seinen Wuschelkopf schief und sagte: „Also: den Schlüssel hast du mit der leeren Schnapsflasche in den Abfallkorb geworfen und den Geldbeutel hast du in den Werkzeugkasten gelegt, als du hereingekommen bist und eigentlich arbeiten wolltest!“ Eder schaute nach und fand mit einem Seufzer der Erleichterung alles wieder. Von Herzen sagte er: „Es ist gut, dass ich dich habe, Pumuckl!“ „Auch wenn du mit mir geschlagen bist?“ „Auch dann!“ „Auch wenn ich nur was für junge Leute mit guten Nerven bin?“ „Auch dann!“ „Auch wenn ich dir in aller Frühe schon um die Füße herumtanze?“ „Auch dann, Pumuckl. Wenn ich rechtzeitig zum Himmel hinaufgeschaut hätte, dann ...“ „Oooh, dann wollen wir gleich ganz lang und ganz viel zum Himmel hinaufschauen, ja? So lange, bis du lachst, und so lange, bis ich singe, und so lange wir beide Spazierengehen!“ Meister Eder setzte den kleinen Kobold auf seine - 308 -
Schulter. „Damit du den Himmel besser und näher siehst beim Spazierengehen, du Schlingel“, sagte er, und das Wort „Schlingel“ klang wie ein Kosename. So kam es, dass an einem Föhntag ein ehedem grantiger Meister Eder leise vor sich hin lächelnd spazierenging und auf alle Leute einen heiteren Eindruck machte. Und vielleicht hat ein föhnverärgerter Mensch mit ein wenig Neid gedacht: „Schau nur den alten Herrn an, dem macht der Föhn überhaupt nichts aus. Im Gegenteil!“
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Von Ellis Kaut erschien bereits der Sammelband
Meister Eder und sein PUMUCKL 360 Seiten mit vielen Illustrationen von Barbara von Johnson Der Sammelband enthält folgende Geschichten: Einiges über Kobolde Spuk in der Werkstatt Das verkaufte Bett Pumuckl und das Geld Pumuckl will gescheit werden Pumuckl soll Ordnung lernen Pumuckl hat eine Idee Pumuckl und das Schlossgespenst Pumuckl und die Katze Pumuckl ist an gar nichts schuld Pumuckl und die Grippetabletten Die abergläubische Putzfrau Die Weihnachtsüberraschung Pumuckl und das Telefon Pumuckl und die grüne Putzfrau Pumuckl im Zoo Die geheimnisvollen Briefe Pumuckl und die Tauben Pumuckl und die Christbaumkugeln
Immer dieser PUMUCKL 276 Seiten mit vielen Illustrationen von Barbara von Johnson Der Sammelband enthält folgende Geschichten: Der Wollpullover Pumuckl und der erste Schnee Zwidaggl und der Schmutz Pumuckl und die Ostereier Der erste April Pumuckl und die neugierigen Buben Pumuckl und der „Geist des Wassers“ Der geheimnisvolle Hund Pumuckl auf Hexenjagd Pumuckl spielt mit dem Feuer Das Missverständnis Meister Eder bekommt Besuch Pumuckl und der Nikolaus
PUMUCKL geht aufs Glatteis 276 Seiten mit vielen Illustrationen von Barbara von Johnson Der Sammelband enthält folgende Geschichten: Ein Knüller für die Zeitung Pumuckl und die Angst Der Blutfleck auf dem Stuhl Pumuckl und die Schatzsucher Die Gummi-Ente Pumuckl und das eigene Zimmer Pumuckl und der Pudding Pumuckl und das Spielzeugauto Der silberne Kegel Pumuckl und die Obstbäume Die abgerissenen Tulpen Pumuckl geht aufs Glatteis Das Parfumfläschchen
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