Nichts weiter als ein Herz Roman von Leni Behrendt
Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof ritt...
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Nichts weiter als ein Herz Roman von Leni Behrendt
Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof ritt, horchte betroffen auf die zornige Stimme seines Onkels. Markig schallte sie durch die geöffneten Fenster der Rentmeisterei über den abendstillen Hof, und die Wortfetzen, die das Ohr des Lauschenden auffing, ließen vermuten, daß der Gutsherr mit einem seiner Untergebenen unbarmherzige Abrechnung hielt. Dann wandte der Blick des Reiters sich dem Burschen zu, der vom Stall her eilig auf ihn zukam. »Was ist denn los, Erwin? Wer wird da so erbärmlich heruntergepudelt?« »Ich glaube, es ist der Rentmeister, Herr Baron. Was mag der ausgefressen haben, daß unser Herr ihn so andonnert!« Damit nahm der Bursche das Pferd am Zügel und rannte mit ihm dem Stall zu. Der junge Mann sah ihm lachend nach und pirschte sich dann vorsichtig zum Fenster der Rentmeisterei. Drinnen stand der Gutsherr vor dem todblassen Rentmeister, auf dessen gebeugtes Haupt gerade die Schlußworte der Standpauke niederprasselten: »Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen, Sie Betrüger! Ich habe keine Lust, mich von einem ungetreuen Beamten an den Bettelstab bringen zu lassen. Und wenn nicht innerhalb drei Tagen das unterschlagene Geld auf meinem Tisch liegt, übergebe ich Sie rücksichtslos der Polizei -!« Damit wandte er sich zum Gehen. Gefolgt von seinem Neffen, der ein wenig abseits gestanden und den Zornesguß des Onkels mit Genugtuung angehört hatte. Jetzt sprang der Lauscher vom Fenster fort und verbarg sich hinter der Hausecke. Als die beiden Herren im Gutshaus verschwunden waren, betrat er die Rentmeisterei, wo der Rentmeister regungslos stand – ein Bild des Jammers! Er regte sich auch nicht, als der Eingetretene auf ihn zuging, ihn bei den Schultern packte und schüttelte.
»Menschenskind, Karbach, so kommen Sie doch zu sich!« Dann drückte er ihn in den nächsten Stuhl und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Das scheint ja was Schönes zu sein, das Sie sich da eingebrockt haben, Sie Unglücksmensch.« Er schritt zu einem der großen Schränke, ergriff eine Kognakflasche nebst Glas und ging damit zu dem auf seinem Stuhl kauernden Mann zurück. »So, nun trinken Sie erst einmal.« Er hielt das gefüllte Gläschen hin, das in die zitternde Hand des Verstörten wanderte. Nachdem noch zwei weitere Schnäpse in die geengte Kehle gegossen waren, bekam das blasse Antlitz langsam Farbe. »Na also – «, nickte der junge Baron befriedigt, brachte die Flasche an ihren Platz zurück und setzte sich dem Rentmeister gegenüber. Karbach legte wie erschöpft den Kopf gegen die hohe Stuhllehne, und sein Gegenüber sah, wie sich dicke Tränen unter den Lidern hervorstahlen. »Herr Karbach, nun reißen Sie sich zusammen, ja!« sagte er energisch. »Sie sind doch sonst ein ganzer Kerl! Was also hat Sie so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht? Sprechen Sie – und ich will Ihnen zu helfen versuchen.« Ohne seine Stellung zu ändern, gab der Rentmeister Antwort – müde und gequält: »Mir ist nicht zu helfen, Herr Baron. Ihr Herr Onkel ist im Recht, wenn er mich mit Schimpf und Schande vom Hof jagt…« »Donnerwetter, Karbach, zum Rätselraten habe ich die Ruhe nicht! Nun mal raus mit der Sprache! Was hat es gegeben?« »Ich habe – hundert Mark – unterschlagen…« »Das ist allerdings fatal. In solchen Dingen versteht mein Onkel wenig Spaß. Sie sind doch sonst so ein korrekter Mensch. Was hat Sie zu diesem Fehlgriff bewogen?« Der Rentmeister richtete sich auf und fuhr sich hastig über die Augen.
»Was mich dazu zwang, war bittere Not. Wollen Sie mir das glauben, Herr Baron?« »Unbedingt.« »Ich danke Ihnen. Vor einer Woche starb nämlich der Bruder meiner Braut. Wie Sie wissen, muß sie sich ihr Brot durch armselige Schneiderei mühsam verdienen und damit nicht nur die kranke Mutter, sondern auch den kleinen Bruder unterhalten. Vor einigen Monaten wurde der Junge von einer tückischen Krankheit befallen. Da meine Braut sehr an dem kleinen Kerl hing, tat sie alles, um das geliebte Leben zu erhalten. Sie suchte mit dem Jungen berühmte Arzte auf, kaufte die teuersten Stärkungsmittel. Dabei gingen nicht nur ihre, sondern auch meine Spargroschen drauf. Und als das Kind trotz aller Mühe und Opfer starb, hatten wir nicht einmal mehr das Geld, es unter die Erde bringen zu können. Der Sarghändler wollte uns den Sarg nicht stunden, da der des Vaters meiner Braut, der auch vor kurzem heimging, noch immer nicht bezahlt war. Kurz und gut: Unsere Not war groß. Und da mir hier so viel Geld durch die Hände geht, griff ich in meiner Verzweiflung zu, zumal es zehn Tage vor dem Ersten geschah. Nach der Gehaltszahlung wollte ich den Schein wieder an Ort und Stelle tun – und niemand hätte von meiner vorübergehenden Veruntreuung gewußt. Allein – ausgerechnet heute, zwei Tage vor dem Ersten, revidierte Herr Busso die Bücher, vermißte das Geld – und da er kein Erbarmen kennt, berichtete er brühwarm dem Onkel von der Unstimmigkeit – na ja – und so ist denn alles gekommen.« Mit Teilnahme war der Zuhörer dieser Beichte gefolgt. Nun sah er den Mann mitleidig an. »Haben Sie meinem Onkel Ihre traurige Lage so geschildert wie mir?« »Dazu kam ich gar nicht; er ließ mich überhaupt nicht sprechen. Kanzelte mich ab, wie den gemeinsten Verbrecher. Und wenn ich das Geld nicht innerhalb drei
Tagen zurückzahlen kann, dann übergibt er mich der Polizei – und das wäre dann wohl das Ende für mich.« »Das glaube ich auch. Ein so nachsichtiger Gebieter mein Onkel sonst ist, in bezug auf Veruntreuung kennt er keine Gnade. Aber geschehen ist nun mal geschehen. Einen Vorwurf kann ich Ihnen jedoch nicht ersparen, Herr Karbach. Warum wandten Sie sich nicht an mich in Ihrer Not?« Ein schattenhaftes Lächeln huschte über das blasse Antlitz des Rentmeisters. »Was hätte das genützt, Herr Baron? Hier ging es doch um Geld – und das haben Sie ja auch nicht.« »Ich hätte aber versucht, von irgendwo Geld aufzutreiben. Schließlich handelt es sich ja nicht um eine riesige Summe. Soviel Kredit habe ich noch. Sie hätten mir nach Ihrer Gehaltszahlung die verauslagte Summe wiedergegeben, ich hätte sie meinem Gläubiger zurückgezahlt, somit wäre der gräßliche Klamauk vermieden worden, und Sie säßen nach wie vor auf Ihrem behaglichen Posten. Was werden Sie nun beginnen?« Der Rentmeister lachte hart auf. »Das Kopfzerbrechen kann ich getrost dem Gericht überlassen, da ich ja nicht in der Lage bin, innerhalb drei Tagen das Geld auf den Tisch zu legen. Werde also ins Kittchen wandern, womit ich denn für einige Zeit untergebracht wäre.« »Na – davor kann ich Sie wenigstens bewahren.« Damit zog der Baron seine Brieftasche und steckte dem Verblüfften einen Hunderter in die zitternde Hand. »Schicken Sie ihn sofort meinem Onkel, dann kann er Ihnen nicht mehr an den Kragen. Ferner schnüren Sie ihr Bündel, gehen Sie zu Ihrer Braut – und damit diese Sie fürs erste durchfüttern kann…« Noch so eine blaue Kostbarkeit wanderte zu der ersten – und dann lachte der großzügige Geber amüsiert auf. »Machen Sie den Mund zu, Karbach. Sonst sehen Sie gar zu dämlich aus.«
»Aber Herr Baron – ich beschwöre Sie – woher haben Sie zwei Tage vor dem Ersten das viele Geld!?« »Durch einen Glückszufall erworben. Danken wir dem lieben Gott, daß er mir den unverhofften Segen zur rechten Zeit beschert hat. Und nun Kopf hoch, Herr Karbach. Sehen Sie nicht zu schwarz. Ich will mich bemühen, einen neuen Posten für Sie zu finden. Aber ich bitte Sie: Gefälligst keine Dummheiten gemacht, mein Lieber! Hier haben Sie meine Hand, in die Sie mir versprechen müssen, voller Zuversicht abzuwarten.« »Herr Baron, meine Hand ist die eines – eines…« »Nanu man hoppla -!« unterbrach ihn dieser unwillig. »Wenn ich davon überzeugt wäre, daß Sie so einer sind, dann reichte ich Ihnen meine Hand wahrhaftig nicht.« Da ergriff der erschütterte Mann die dargebotene Rechte. Doch ehe er etwas erwidern konnte, hatte sein Wohltäter das Zimmer wieder verlassen. Edzard von Rittersreuth schlüpfte in den Schlafanzug und streckte sich mit einem wohligen Seufzer auf das Bett. Das war heute ein heißer Tag gewesen! Morgens die Standpauke des Onkels, der wieder einmal unzufrieden mit ihm war, nachmittags die aufregenden Stunden auf dem Rennplatz und abends die tragische Geschichte mit dem Rentmeister. Daß er beim Onkel doch immer Wieder anecken mußte! Zum Teufel, er tat doch genauso seine Pflicht wie sein Bruder Busso. Als acht- und zehnjährige Knaben waren die Brüder in das Haus des Onkels gekommen, nachdem ihr Vater, ein bekannter Herrenreiter, tödlich verunglückte. Die Mutter hatten sie schon einige Jahre früher verloren. Der Bruder des Verunglückten, der als Ältester auf dem Familiengut Reuth saß, nahm sie als Ersatz für seine beiden im Krieg gebliebenen Söhne und räumte ihnen das Recht leiblicher Kinder ein. Er ließ sie die besten Schulen besuchen, später Landwirtschaft studieren, sorgte für sie wie ein gewissenhafter Vater es nicht besser gekonnt – aber
er verlangte dafür auch den gebührenden Dank. Der wurde ihm von dem ältesten Neffen in reichem Maße zuteil. Der war folgsam und verständig, ein Musterschüler, ein strebsamer Student, während sein um zwei Jahre jüngerer Bruder, ein ungebärdiger Bengel und liebenswürdiger Tunichtgut, in der Schule mit knapper Not mitkam und als Student ein flottes, unbekümmertes Leben führte. Zwar bestand auch er Abitur und Hochschulexamen zur festgesetzten Zeit, aber nicht so glänzend wie Busso. Dann kamen die Brüder nach Reuth zurück, wo der Onkel ihnen in der Landwirtschaft einen festen Pflichtenkreis zuteilte. Und da war es wieder Busso, der sich glänzend bewährte, so daß er dem Gutsherrn unentbehrlich wurde, während Edzard nach wie vor sein Sorgenkind blieb. Wohl tat er auch seine Pflicht, aber an den Bruder reichte er nicht heran, der in den Augen des Onkels ein unübertrefflicher Landwirt war. Allerdings das Urteil aller andern, die auf Reuth lebten, war weniger schmeichelhaft. Da galt Busso als einer, der nach oben Speichel leckte und nach unten trat. Ein widerlicher Angeber und Denunziant, der über Leichen ging, wenn er sich dadurch Vorteile verschaffen konnte! Dagegen Edzard – das war nun mal ein ganzer Kerl! Der war ein Vorgesetzter, wie man ihn sich wünschen konnte. Wenn der in seinem Bereich auf eine Unstimmigkeit stieß, dann meldete er es nicht gleich dem Onkel, sondern pudelte den Schuldigen an Ort und Stelle ab und damit holla. Nahm so manches auf seine Kappe, um einen Untergebenen zu schützen. Aber wehe, wenn Busso hinter eine Unstimmigkeit kam! Die wurde dem Gutsherrn dann brühwarm berichtet und ganz gewiß noch aufgebauscht. Warum das alles so war, darüber war man sich allgemein klar. Ging es doch um Reuth, das der alte Baron nur dem Neffen vermachen würde, den er als Nachfolger für würdig erachtete. Und daß seine Wahl auf Busso fallen würde, darüber gab es wohl kaum einen Zweifel.
Aber wenn man jetzt auch schweigen mußte, weil man seine gutbezahlte und auch sonst angenehme Stellung nicht verlieren wollte, so würde man vereint hervortreten, wenn die Würfel endgültig gefallen waren. Dann wollte man dem Baron über den erbärmlichen Erbschleicher schon die Augen öffnen. Busso sollte sich nur nicht einbilden, daß seine so raffiniert getarnten Seitensprünge unentdeckt geblieben waren. Oh, man wußte genau Bescheid! Der Gutsherr sollte seinen Liebling noch erkennen, er sollte seinem unterschätzten und ständig zurückgesetzten Neffen Edzard noch so manche Ungerechtigkeit abbitten und ihn dahin setzen, wohin er gehörte – als Herr über Reuth. Von diesem aufsässigen Vorhaben der Gutsleute hatte Edzard keine Ahnung. Er machte sich um seine Zukunft viel weniger Sorgen, als sie es taten. Edzard wollte gerade die Nachttischlampe ausknipsen, als sich die Tür des Nebenzimmers öffnete und Busso eintrat. »Wünschest du etwas von mir?« fragte Edzard den Bruder. »Ja – eine Zigarette – « »Auf dem Tisch liegen welche, bediene dich. Und dann mach, daß du raus kommst, damit ich die paar Stunden schlafen kann.« Busso dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er steckte eine Zigarette in Brand und machte es sich auf dem Stuhl neben dem Bett des Bruders bequem. Die Brüder ähnelten einander. Beide hatten sie sehnige Reitergestalten. Nur daß die Edzards höher und breiter war, sein blondes Haar leuchtender, der Blick der blauen Augen freier, das Antlitz härter und kantiger. Außerdem gab die große schwarzumrandete Brille, die Busso wegen Kurzsichtigkeit trug, seinem Gesicht eine ganz andere Note. In Charakter und Gebaren aber waren die Brüder grundverschieden. Edzard von einer ungestümen kraftstrotzenden Männlichkeit, Busso gemessen und salbadrig. Edzard wußte sehr wohl, weshalb der Bruder ihn zu so
später Stunde noch aufsuchte. Denn daß er ihm mit einer Zigarette aushelfen sollte, war nur ein Vorwand. Und schon kam das, worauf er wartete. »Sag mal, was hältst du eigentlich von diesem Karbach?« begann Busso harmlos. »Dieser Diebstahl ist einfach ein Skandal. Der Mensch bezieht doch ein Gehalt, von dem er glänzend leben kann. Ob er Weibergeschichten hat?« »Was weiß ich – «, murmelte Edzard. »Die ganze Begebenheit ist doch unten bis zum Überdruß durchgehechelt worden. Laß mich jetzt damit in Frieden. Der Mann hat seine Strafe weg und damit holla.« »So wenig interessiert es dich, was auf unserm Eigentum geschieht?« »Unserm Eigentum? Werde bloß nicht größenwahnsinnig! Onkel ist erst Mitte fünfzig und verfügt über eine Bärengesundheit. Daß er seinen Besitz vor seinem Tod nicht aus den Händen gibt, darüber sind wir uns doch längst klar. Zerbrich dir also nicht den Kopf über ungelegte Eier, sondern sei froh, daß du so ein Herrendasein führen kannst.« »Herrendasein?« lachte Busso perfid. »Na, ich danke! Wir müssen uns doch wahrlich schinden und plagen, um den anspruchsvollen Gutsherrn zufriedenzustellen – mehr als die Inspektoren.« »Wer schindet sich denn? Ich wahrhaftig nicht! Ich tue das, was der Onkel von mir verlangt. Mir fällt es gar nicht ein, am Sonntagnachmittag die Bücher der Rentmeisterei zu revidieren. Wenn du das tust, ist es dein eigener Wille. Verlangt hat es der Onkel bestimmt nicht.« »Es schien mir nötig zu sein«, grinste Busso – und da stieg dem Bruder die Zornesröte ins Gesicht. »Du Schuft -!« stieß er hervor. »Mach bloß, daß du verschwindest! Wenn ich mir schon die Nacht um die Ohren schlagen will, dann tue ich es auf amüsantere Weise, als daß ich mir dein niederträchtiges Gewäsch anhöre.« Busso schien die Grobheit des Bruders absolut nicht zu stören. Gähnend streckte er sich.
»Hast recht, schlafen wir die paar Stunden. Um halb sechs ist ja sowieso die Nacht für uns vorbei. Ein Sklavenleben! Wann wird das einmal aufhören?« »Wahrscheinlich, wenn du Opa bist«, lachte Edzard schadenfroh. »Um das zu werden, dazu gehören Frau und Kind«, seufzte Busso. »Eigentlich ein Skandal, daß wir mit achtundzwanzig und dreißig Jahren noch unbeweibt sind.« »Es steht dir frei, dich zu beweiben.« »Du vergißt wohl, daß wir auch in der Beziehung von dem Alten abhängig sind. Dem dürfen wir als Schwiegernichte doch nur bringen, die nach seiner Nase ist.« »Mit deinem derzeitigen Nuckchen darfst du ihm allerdings nicht kommen – « »Und du vielleicht mit deiner Vera?« höhnte Busso dazwischen – und da fuhr Edzard aus seiner Gelassenheit auf. »Mensch, nimm diesen Namen nicht in den Mund – sonst…« »Na, was denn – sonst?« wurde mit niederträchtigem Lächeln dagegengefragt, worauf es in Edzards Augen gefährlich aufblitzte. »Sonst beklopfe ich dir dein Maul, daß es dir eine Woche lang zuschwillt. Und nun zum letzten Mal – rrauss…!« Zwei Tage später saß die Herrin von Reuth mit ihren beiden Neffen beim Frühstück. Mittelgroß und mollig, elegant und gepflegt bot die Dame einen erfreulichen Anblick. Das mittelblonde, tadellos frisierte Haar zeigte bei der Zweiundfünfzigjährigen noch keinen weißen Faden. Dabei hatte Frau Nataly es nicht leicht mit ihrem leicht aufbrausenden Gatten. Doch ihre kluge Besonnenheit, ihre unerschütterliche Ruhe boten stets einen guten Ausgleich. Somit war sie die denkbar beste Frau für den schwierigen Herrn. Er liebte sie auch von ganzem Herzen, stand mehr unter ihrem Einfluß, als er sich bewußt war. Nur was die Neffen betraf, da konnte sie mit ihrem Einfluß nichts ausrichten, so oft sie es auch versucht hatte. In
punkto Busso war er ihrer Ansicht nach total vernagelt und verbohrt, ließ sich von diesem Blender umschmeicheln und umgarnen. Wo da seine sonstige Scharfsichtigkeit blieb, konnte nur der liebe Herrgott wissen. Natürlich gab Busso sich alle Mühe, sich auch bei der Tante Liebkind zu machen. Aber da biß er auf Granit, weil sie diesen Heuchler durchschaut hatte von Anfang an. Sie war indes klug genug, ihre Abneigung gegen ihn geschickt zu verbergen. Tat es um des lieben Friedens willen und um Edzard nicht zu schaden. Ihr Mann war nämlich der Ansicht, daß seine Frau zu lieben hatte, was er liebte, daß sie zu hassen hatte, was er haßte. Und da Busso für ihn der Gott war, neben dem keine anderen Götter aufkommen durften, so hatte sie sich danach zu richten und ihm gleich zu tun – basta! Wehe also, wenn sie sich offen auf Edzards Seite gestellt, das hätte der arme Junge schwer büßen müssen. Oftmals war es allerdings sehr bitter für sie gewesen, mitanzusehen, wie empfindlich Edzard für seine harmlosen Knabenstreiche von dem Pflegevater gestraft wurde. Aber dagegen war sie nun einmal machtlos. Dafür hätschelte sie heimlich ihren geliebten Jungen, gab ihm Liebe in reichem Maße und besaß dafür auch sein ganzes, stürmisches Herz. Sie war für ihn das liebste Muttichen und später das Natchen, wie er sie als Erwachsener nannte. Auch jetzt sah er lachend zu ihr hin. »Natchen, dir schmeckt’s wieder einmal gut, wie?« neckte er. »Denke bloß an deine Taille, die schon beängstigend mollig ist.« »Eine komische Art hast du, mit unserm geliebten Pflegemütterchen zu sprechen«, salbaderte Busso, doch sie meinte trocken: »Mich stört es nicht zumal der Junge recht hat. Aber wer kann dafür, wenn es so gut schmeckt?« »Guten Morgen, Philipp«, begrüßte sie dann fröhlich den eintretenden Gatten. »Guten Morgen«, entgegnete er kurz. Nahm am Tisch Platz und aß schweigend.
Nachdem er die guten Bissen achtlos vertilgt hatte, zündete er die gewohnte Morgenzigarre an, legte sich in den Stuhl zurück und polterte los: »Was man sich von seinen Untergebenen so alles bieten lassen muß. Schickt mir heute der Karbach die unterschlagenen hundert Mark mit einem Begleitschreiben, das an Hohn nichts zu wünschen übrig läßt. Hört und staunt.« Dann las er laut: »Sehr geehrter Herr Baron, da sich ein Wohltäter gefunden hat, bin ich in der Lage, Ihnen das vorübergehend entwendete Geld zurückzuzahlen. Es gibt eben doch noch barmherzige Menschen, die nicht gleich jede Geldentwendung mit Unterschlagung und Diebstahl bezeichnen. Denn ich bin kein gemeiner Dieb, sondern ein Mensch, der in seiner Not nicht aus noch ein wußte. Das mußte ich Ihnen sagen, Herr Baron. Hochachtungsvoll Karbach.« »Was regt dich dabei eigentlich so auf?« fragte Nataly. »Der Mann will doch nur…« »… mich verhohnepiepeln«, unterbrach er hitzig. »Mir sagen, daß ich unbarmherzig bin, wie?« Busso legte seine Hand auf die trommelnden Finger. »Aber wie kannst du dich nur so aufregen, Onkel? Undank ist der Welt Lohn. Du behandelst deine Untergebenen viel zu gut, da müssen sie ja unbotmäßig werden. Statt daß der Mann dich um Entschuldigung bittet, setzt er sich aufs hohe Pferd. Er hat einen Denkzettel verdient. Du müßtest ihn, obgleich er die gestohlene Summe zurückerstattet hat, trotzdem belangen – « »Ach was -!« fuhr der Onkel ihm unwirsch in die Rede. »Das kann ich nicht. Habe ihm nur mit Anzeige gedroht, falls ich innerhalb drei Tagen nicht im Besitz meines Geldes bin. Möchte bloß wissen, woher er das Geld hat. Wer der barmherzige Mensch ist, der für Veruntreuung so viel Verständnis aufbringen kann. Falls er sich gar in meinem Betrieb findet, müßte man ihn ein wenig unter die Lupe nehmen. Aber ich glaube nicht, daß er so viel Mut hat, sich zu seiner Barmherzigkeit zu bekennen.«
»Doch, den hat er«, sagte Edzard nun gelassen. »Ich bin der Barmherzige, der Herrn Karbach das Geld gab.« Augenblicklang war es sehr still. Doch dann schlug die Faust des gereizten Mannes auf den Tisch, daß das Geschirr darauf beängstigend klirrte. »Also doch – also hat der Busso doch wieder recht gehabt«, verplapperte sich der Baron, und dann brüllte er los: »Das hast du gewagt -? Das hast du wirklich gewagt -? Mit meinem Geld hast du die Veruntreuung meines Beamten gedeckt?!« »Entschuldige, Onkel, nicht mit deinem Geld – « »Na, mit wessen denn sonst? Wer gibt dir denn das Geld, he-?!« »Du natürlich. Aber dafür arbeite ich auch – « »Nur mäßig, mein Sohn, nur mäßig. Zum Arbeiten bleibt dir nämlich wenig Zeit, da du dich ständig auf den Rennplätzen herumtreibst. Na was, das Geld fliegt dir ja so leicht zu. Wenn es nicht ausreicht, dann muß der Alte eben was draufgeben oder gar noch Schulden bezahlen. Und später erbt man sowieso den ganzen Krempel hier. Aber wenn du dich da nur nicht irrst! Ich will meine Hinterlassenschaft in guten Händen wissen, wenn ich einmal die Augen schließe. Du wirst dich also verdammt zusammenreißen müssen, wenn du Miterbe werden willst. Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder. An dem habe ich nur Freude gehabt, während du leichtsinniger Patron mich stets geärgert hast, von Anfang an. Ich verfluche die Stunde, da ich dich in mein Haus nahm…« »Philipp – «, mahnte die Gattin, blaß bis in die Lippen, und zeigte mit den Augen auf Edzard, dem jeder Blutstropfen aus dem Antlitz gewichen war. Darauf wollte der zornige Mann seine Verwünschung abschwächen, doch der Neffe erhob sich stumm, was den Onkel neu ergrimmte. »Du bleibst hier!« herrschte er ihn an. »Das könnte dir so passen, feige zu kneifen. Sei froh, daß ich dich nicht hinausjage und dich deinem Schicksal überlasse, damit du
vor die Hunde gehst… Hiergeblieben -!« brüllte er dem Neffen nach, der soeben durch die Tür ging. Und dann war Stille. Mit tiefem Unbehagen ging Philipps Blick zur Gattin hin, die blaß war wie eine Tote. »Verflixter Bengel – «, brummte er. »Man kann sich über ihn die Galle ins Blut ärgern. Und doch ist man immer wieder geneigt, ihn für besser zu halten, als er ist. Wollte es Busso zuerst gar nicht glauben, daß Edzard dem Karbach das Geld gegeben hat. Aber da er es in aller Seelenruhe bestätigte, muß ich es ja glauben.« »So, so – also von Busso stammt deine Weisheit – «, sagte Nataly jetzt ruhig. »Dem Jungen entgeht doch wirklich nichts. Nicht wahr, mein Sohn?« »Man tut, was man kann, geliebtes Tantchen«, wehrte er bescheiden. »Schließlich bin ich ja dazu da, meinen Posten voll auszufüllen und die Interessen meines Wohltäters wahrzunehmen. Anders wäre es ja eine himmelschreiende Undankbarkeit. Ich heiße doch nicht Edzard, sondern Busso.« »Und dieser Name verpflichtet natürlich«, nickte die Tante freundlich. »Aber laß es dich nicht verdrießen, ein schwarzes Schaf muß nun einmal in einer so vorbildlichen Familie sein, das ist direkt Tradition. Daß du es nicht bist, darüber sei unserm Herrgott dankbar.« Edzard sah der Tante entgegen, die sein Zimmer betrat. »Das sieht ja hier schön aus, mein Jungchen. Wie ich sehe, hast du bereits gepackt.« »Ja, aber nur einen Koffer mit dem Nötigsten. Alles andere kannst du mir nachschicken, wenn ich erst weiß, wohin ich mein Haupt betten werde.« »Ängstlich bist du gar nicht«, entgegnete sie trocken. »Wo willst du eigentlich hin?« »Das mögen die Götter wissen.« »Na, auf deren Weisheit würde ich mich nicht verlassen. Hast du Geld?« »Ein wenig schon.«
»Richtig, heute ist ja der Erste.« »Natchen, du nimmst doch nicht im Ernst an, daß ich nach dem, was heute war, mich noch weiter für meine so nachdrücklich betont mäßige Arbeit besolden lasse?« »Nein, das nehme ich nicht an. Ich habe Angst um dich, mein Junge.« »Wie töricht, Natchen. Ich werde bestimmt nicht vor die Hunde gehen, wie der Onkel es mir so liebevoll prophezeite. Schließlich kann ich ja arbeiten, wenn mir das von der gleichen Seite auch abgestritten wird.« »Du denkst dir das so einfach, Edzard! Aber Stellen, die für dich in Frage kommen, sind sehr knapp. Außerdem bist du hier rundum so bekannt, daß jeder sich scheuen würde, dich einzustellen, um es mit dem Onkel nicht zu verderben.« »Aber Natchen, der liebe Gott läßt doch nicht nur in dieser Ecke Korn wachsen. Da muß ich eben in die Ferne ziehen.« »Ach du großer Junge! Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so, um mich nicht zu beunruhigen? Zu deiner Ehre will ich annehmen, daß letzteres der Fall ist. Also wirst du dir wohl denken können, daß jeder Brotgeber genau wissen will, wen er in seinen Betrieb bekommt. Wird sich daher um Auskunft an den Onkel wenden, und wie die ausfallen würde, das kannst du dir wohl an den Fingern abzählen.« »Dann geht es mir genau wie Karbach. Und da habe ich noch großartig geprahlt, daß ich ihm zu einer Stelle verhelfen will.« »Was war das nun richtig mit Karbach? Ich kann mir nicht denken, daß sich alles so verhält, wie Onkel und Busso es schilderten. Gerade auf Karbach habe ich immer große Stücke gehalten. Weißt du etwas Bestimmtes über seine Entgleisung?« Edzard schilderte kurz dessen Notlage, und die Tante atmete befreit auf. »Armer Kerl. Und wie kam es, daß du Leichtfuß zwei Tage vor dem Ersten noch soviel Geld hattest, um aushelfen zu können?«
»Ich hatte am Sonntag auf dem Rennplatz beim Wetten Glück.« »Weshalb hast du dem Onkel das nicht gesagt?« »Er ließ mich ja nicht zu Wort kommen, nichts zu meiner Verteidigung sagen und dann – nachdem er die Stunde verfluchte, da er mich in sein Haus nahm… verlangst du da, daß ich um Gnade winseln sollte wie ein getretener Hund?« »Bei Gott nicht, mein Junge«, wehrte sie entschieden ab. »Dann wärest du kein Mann mit Ehrbegriff. Sobald der Ärger des Onkels verraucht ist, wird es ihm schon zum Bewußtsein kommen, wie weit er sich hat hinreißen lassen.« »Das könnte mir nichts mehr nützen. Die Würfel sind gefallen. Jetzt hat mein lieber Bruder endlich erreicht, worauf er zwanzig Jahre lang hinarbeitete: Darf sich nun stolz als Alleinerbe betrachten – « »Na, na – man immer vorsichtig, Jungchen«, unterbrach die Tante. »Sooo weit ist es noch lange nicht. Schließlich bin ich auch noch da und mit mir viele auf Reuth, die da gehörig quertreiben würden.« Jetzt huschte ein Lächeln über des Mannes Antlitz. »Natchen, renommiere nicht. So viele Intrigen traue ich dir bestimmt nicht zu.« »Wenn du dich nur nicht irrst, mein Sohn. Warum schwieg ich bei des Onkels Ungerechtigkeiten dir gegenüber, obgleich mir mehr als einmal die Galle zu platzen drohte? Um dir nicht zu schaden. Das hätte ich gewiß getan, wenn ich meiner Empörung Luft gemacht hätte. Doch da du nun vom Schuß kommst, werde ich langsam aber sicher dem Onkel die Augen öffnen.« Sie zog unter dem Gürtel ihres Kleides ein Päckchen Geldscheine hervor. Lachend sah sie in sein finsteres Gesicht: »Nun nimm schon, dummer Bengel!« rief sie. »Natchen, nach alledem, was vorgefallen ist, soll ich Geld nehmen?«
»Für wie geschmacklos hältst du mich eigentlich, hm? Das Geld stammt von dem Erbteil, das mein Bruder mir kürzlich auszahlte. Nimmst du es nun oder nicht, du verflixter Bengel?« Nun lachte der Mann befreit auf, indem er nach den Scheinen griff. »Wenn es so ist, mit tausend Freuden, mein Natemuttileinchen.« Er nahm sein Taschentuch und trocknete die Tränen, die über das traurige Frauenantlitz liefen. Fest schlossen sich seine Arme um die rundliche Gestalt. »Ich werde dir keine Schande machen, Natchen – du liebes, bestes! Für so gewissenlos darfst du deinen Jungen nicht halten.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, löste sie sich aus seinen Armen, schneuzte sich dann und lachte ihn an. »Wir werden dem verbohrten Onkel noch zeigen, wer wir sind. Und nun mach, daß du wegkommst. Wenn es schon einmal sein muß, was ich übrigens billige, dann möglichst kurz und schmerzlos.« Sie drehte sich um. »Ah, da ist ja auch der liebe Busso – «, begrüßte sie den Eintretenden. So sehr der sich auch sonst bemühte, in Gegenwart der Tante den Vortrefflichen zu spielen, so ließ ihn doch die Freude, die er angesichts des gepackten Koffers empfand, höchst unvorsichtig werden. »Also willst du doch feige kneifen, mein Lieber? Sieht dir ähnlich. Bist du dir auch dessen bewußt, daß du mit dieser undankbaren Handlung das Tischtuch zwischen Onkel und dir zerschneidest? Daß es dann kein Zurück mehr gibt? Daß du vor die Hunde gehen mußt?« Edzard gab sich Mühe, diese boshaften Worte zu ignorieren. Als er jedoch in die hohnlachende Visage sah, stieg der Grimm allgewaltig in ihm auf. Alles das, was dieser erbärmliche Denunziant ihm in zwanzig Jahren angetan, ließ einen gesunden Zorn in ihm hochsteigen. Die Zähne bissen aufeinander, in den Augen glitzerte es auf wie
Eiskörner. Zwei langsame Schritte – dann stand er vor ihm, der feige zurückwich. Doch schon hatte er ihn bei den Rockklappen gepackt, nahm ihm ruhig die Brille ab und dann schlug seine Faust zu. »Pfui Teufel – «, er wischte danach die Hand an seinem Taschentuch ab, und sah kaltlächelnd auf die Nase seines Gegenübers, aus der Blut floß. »So – nun ist mir leichter – «, atmete er befreit auf, packte die Gelenke der Hände, die auf ihn losfuhren, und drückte sie so hart, daß sein Angreifer stöhnend von ihm abließ. »Na, was denn, was denn, mein Bürschchen. Etwas muß der Mensch doch als Genugtuung haben für die Niedertrachten, mit denen du mich seit zwanzig Jahren beehrst. Wie nett deine Nase aussehen wird, wenn der Bruch wieder geheilt ist.« Noch einmal wollte Busso, dessen Gesicht zur Fratze verzerrt war, auf den Bruder los – und wieder spürten seine Gelenke den eisenharten Griff. »Laß meine Hände los – du – du Verbrecher!« schrie er in ohnmächtiger Wut. Und als Edzard sie freigab, trat er, die Fäuste schüttelnd, zurück. »Das sollst du mir büßen -!« brüllte er, daß seine Stimme überschnappte. »Diese Stunde vergesse ich dir nie! Werde schon dafür sorgen, daß der Onkel dich von der Tür jagt wie einen räudigen Hund, wenn du bettelnd davorstehst!« »Ich weiß, daß das Hebe Jungchen sich hinter dem Rock des Onkels verkriechen wird. Und das will nun mein Bruder sein. Die Eltern müssen sich ja noch im Grabe grämen, daß sie so was Erbärmliches in die Welt gesetzt haben. Mach, daß du mir aus den Augen kommst, bevor ich dich mit der Reitpeitsche aus dem Zimmer prügele.« Die drohende Haltung und die Augen, die wie bläuliches Eis glitzerten, kannte Busso nur zu gut. Und da er an dem einen Faustschlag genug hatte, hielt er es für ratsam, abzuziehen, obgleich er über die Niederlage, die er erlitten – und gar noch unter den Augen der Tante –, vor Wut
kochte und alles in ihm nach Rache schrie. Die Tür knallte hinter ihm zu – und dann war Ruhe, in die Nataly gemütlich hineinlachte. »Junge, wo du hinhaust, da wächst kein Gras mehr«, meinte sie anerkennend. »Diese Abrechnung war direkt ein Labsal für mein Herz. Aber nun verschwinde schleunigst, damit der Onkel dich nicht erwischt. Komm, gib mir einen Kuß, du Schlingel, halte die Ohren steif, bleib anständig und brav, damit ich stolz auf dich sein kann, und melde dich bald, hörst du…?« Edzard küßte die Tante stürmisch ab, biß dann die Zähne zusammen und verließ das Zimmer. Nataly wischte sich energisch die Tränen ab und begann die Kleidungsstücke fortzuräumen, die kunterbunt überall herumlagen. Und kaum waren zehn Minuten vergangen, da erschien auch schon Herr Philipp, gestachelt wie kaum jemals zuvor. Nataly tat, als merke sie sein Eintreten nicht. Erst als seine gedrungene Gestalt vor ihr stand, sah sie mit gespieltem Erstaunen auf. »Du, Philipp…?« »Jawohl – ich – «, polterte er los. »Wo ist der vertrackte Bengel?« »Wenn du Edzard damit meinst: wo der ist, weiß ich nicht.« »Das weißt du nicht? Nataly, mach mir keine Mätzchen vor! Busso hat doch gesehen, wie du Edzard Geld gabst.« »Oh, er hat gelauscht?« »Busso lauscht nicht, verstanden?« »I wo, er wird doch -!« nickte sie, seelenruhig einen Anzug über den Bügel hängend. »Bei dem vortrefflichen Herrn heiligt der Zweck alle Mittel.« »Laß das jetzt -!« verlangte er herrisch. »Wie kommst du überhaupt dazu, die Unordnung zu beseitigen, die der unverschämte Patron hinterlassen hat?« »Schön – «, meinte sie friedfertig, indem sie sich setzte und zusah, wie er mit langen Schritten das Zimmer durchmaß.
Doch als das kein Ende nehmen wollte, sagte sie kläglich: »Philipp, wenn ich nicht seekrank werden soll, dann höre mit dem Gerenne auf. Möchte wissen, was dich so in Harnisch gebracht hat.« »Das fragst du noch -?« lachte er grimmig, indem er sich in einen Sessel fallen ließ. »Da soll man nicht in Harnisch geraten, wenn die eigene Frau das Geld, das der Mann sauer verdienen muß, an einen Tunichtgut verschleudert, der wiederum sein Geld, das der Onkel ihm gegeben, an einen ungetreuen Beamten dieses Onkels verschleudert… Ich weiß nicht, was plötzlich hier los ist. Seid ihr alle verrückt geworden, oder bin ich es?« »Warum sollen wir wohl verrückt sein?« fragte sie trocken. »Verrückt ist höchstens dein Vergötterter Neffe Busso – und zwar vor Ehrgeiz, weil er am Sonntagnachmittag die Bücher in der Rentmeisterei prüft und wegen lumpiger hundert Mark so viel Trara macht. Hätte er nur ein wenig Verständnis für die Notlage des Rentmeisters gehabt, dann hätte es Edzard nicht nötig gehabt, die Stätte, die ihm bisher Heimat war, zu verlassen.« »Also nimmst du den Bösewicht noch in Schutz -!« schrie der Gutsherr. »Verschleudert mein Geld an einen Verschwender…« »Nicht dein Geld – sondern meines«, unterbrach sie ihn gelassen. »Das stammt nämlich von meinem Erbteil, damit du es weißt. Und das Geld, das Edzard dem Rentmeister gab, hatte er auf dem Rennplatz gewonnen.« »Warum hat er mir das nicht gesagt?« »Weil du ja in deiner Rage nie einen Menschen zu Wort kommen läßt. Anscheinend weißt du gar nicht, was du dem Jungen blindwütig an den Kopf geworfen hast. Darf ich dir die Beleidigungen wiederholen? Ich verfluche die Stunde, da ich dich in mein Haus nahm! Sei froh, daß ich dich nicht hinausjage und deinem Schicksal überlasse, damit du vor die Hunde gehst… Ja, sieh mich nur so erstaunt an, mein lieber Philipp. Leider ist es deine Art, die Worte nicht zu wägen, die du im Zorn
hinausschreist. Aber denjenigen, für den sie bestimmt sind, müssen sie treffen bis ins Mark. Also wundere dich nicht, daß Edzard nun fort ist – und, soweit ich ihn kenne, eher vor die Hunde gehen wird als daß er wiederkommt.« Diese ruhigen Worte hatten ihre Wirkung auf den Mann nicht verfehlt, was er natürlich nicht zugeben wollte. Er gehörte nämlich zu den Menschen, die es nicht vertragen konnten, wenn man ihnen ihre Handlungsweise gleich einem Spiegel vorhält, weil sie sich, sofern ihr Zorn verflogen ist, schämen und ihre Unbeherrschtheit bereuen. An seinem unsicheren Blick, den hastigen Bewegungen, mit denen er sich über Kopf und Bärtchen strich, merkte sie, daß er sich fast schon in dem Stadium befand, in dem man vernünftig mit ihm reden konnte. Als er nun sprach, grollte seine Stimme wohl immer noch, aber das klang schon mehr nach Gekränktsein: »Der kommt wieder, verlaß dich drauf. Der ist zu sehr an unser Brot gewöhnt. Schließlich darf ich, kraft meiner Vaterrechte, ihm doch mal meine Meinung sagen, oder etwa nicht?« »Gewiß, aber nicht seine Ehre angreifen, Philipp. Das darf selbst ein Vater bei seinem leiblichen Sohn nicht.« »Laß doch diese Redensarten. Wenn man so voll Grimm sitzt, wägt man seine Worte nicht. Edzard muß für seine Nichtsnutzereien ab und zu eine Standpauke kriegen, sonst nehmen sie überhand. Schon allein wie er Busso zugerichtet hat, ein Skandal. So ein roher Patron! Der soll mir nur kommen! Und du siehst dir in Seelenruhe mit an, wie er den armen Jungen zusammenschlägt? Schäme dich, Nataly!« »Ich soll mich schämen?« lachte sie amüsiert. »Na, das wäre! Warum hat Busso sich nicht gewehrt?« »Weil er zu vornehm dazu ist.« »Ach, sieh mal an. Ich habe zwar eine andere Bezeichnung dafür, doch die möchte ich lieber für mich behalten. Wo ist Busso jetzt?« »Zum Arzt gefahren. Ganz erbärmlich sah der Junge aus.
Was der schon alles unter seinem nichtsnutzigen Bruder hat leiden müssen, geht auf keine Kuhhaut.« Jetzt lachte Nataly hell auf, was ihr einen grimmigen Blick eintrug. »Du bist manchmal albern wie ein Backfisch. Sage mir lieber, wo Edzard ist.« »Ich weiß es wirklich nicht, Philipp.« »Hat er wenigstens genügend Geld?« »Fürs erste ja.« »Na, dann wird er schon sorgen, daß es recht bald unter die Leute kommt. Womöglich kann ich noch seine Schulden bezahlen. Wie verhält sich nun die Sache mit Karbach? Edzard wird dir den Sachverhalt ja wohl genau erzählt haben?« Nataly sagte, was sie wußte und lachte in sich hinein, als der Gatte verlegen brummte: »So verhält sich die Geschichte – hm, hm. Statt daß der Mensch zu mir kommt und um Vorschuß bittet, macht er solche Dummheiten. Busso hat mir das alles ganz anders geschildert – hm, hm – « »Vielleicht ist es besser, wenn du dich auf Bussos Urteil doch nicht so fest verläßt?« »Wie meinst du das?« »Och – jeder Mensch kann doch einmal irren.« »Das tut er sonst eigentlich nie. Aber man muß ja auch…« Die letzten Worte kamen schon von der Tür her, durch die er brummend verschwand. Nataly sah ihm aufatmend nach. Ach ja, ihr Philipp war schon ein guter Kerl. Nur wenn es um Busso ging, schien er ein Brett vor dem Kopf zu haben. Der Sturm war vorüber, und es hätte alles gut sein können, wenn Edzard noch hier wäre. Der arme Junge! Nun konnte sich Busso immer tiefer ins weiche Nest kuscheln. Aber daß dieses Nest härter und härter wurde, dafür wollte sie schon sorgen. Ganz allmählich sollten die weichen Daunen daraus verschwinden. Edzard ritt auf seinem Trakehner dahin. Ihm war weh ums Herz.
Wie glücklich hatte er sich auf Reuth gefühlt, trotz des Onkels Ungerechtigkeiten! Aber was der ihm heute ins Gesicht geschrien hatte, das war ehrverletzend und nicht mehr tragbar. Daher gab es für ihn keinen Weg mehr nach Reuth zurück. Seine ganze Hoffnung setzte er jetzt auf seinen Freund Hubert Syder, der auf Gut Harlerode saß und großes Ansehen genoß. Der mußte seinen Einfluß geltend machen und ihm eine Inspektorstelle verschaffen. Doch als er das Gut erreicht hatte, sagte ihm der Inspektor, daß der Herr mit seiner Gattin zur Stadt gefahren wäre. Sie würden um die Kaffeezeit in der bekannten Konditorei B. anzutreffen sein. Er müßte auch zur Stadt, ob der Herr Baron mitkommen wolle? »Mit dem größten Vergnügen, Herr Warrert. Wollen Sie dafür sorgen, daß mein Gaul in den Stall kommt? Den Koffer muß ich allerdings mitnehmen.« Zehn Minuten später fuhren die Herren davon. Edzard belegte in einem Hotel ein Zimmer und begann sich dort sorgfältig umzukleiden, weil er seine zukünftige Braut, Vera von Kardas, aufsuchen wollte. Wie würde sie seine Lebensänderung aufnehmen? Würde das verwöhnte Mädchen geneigt sein, die Frau eines Inspektors zu werden, und mit dem haushalten können, was er verdiente? Leicht war ihm nicht ums Herz, als er sein Ziel erreicht hatte. Er war gerade im Begriff, an der Korridortür der kleinen eleganten Wohnung, die Vera mit ihrer Mutter bewohnte, zu läuten, als das Hausmädchen zum Ausgehen heraustrat. »Guten Tag, Herr Baron«, grüßte es freundlich. »Treten Sie bitte ein. Herr Busso ist gerade bei dem gnädigen Fräulein.« Diese Eröffnung befremdete Edzard ungemein. Busso bei Vera? Wie kam er zu ihr, die er kaum kannte? »Ist gut, Gerda«, sagte er zerstreut. »Halten Sie sich bitte nicht auf. Ich finde den Weg schon allein.« Beunruhigt betrat er die kleine Diele und wollte an die Tür
klopfen, da bemerkte er, daß diese nur angelehnt war. Durch die obere Scheibe, die von innen mit einer duftigen Gardine verhängt war, konnte er bequem das Zimmer übersehen. Und was er da sah, ließ ihn regungslos verharren. Auf dem Sofa saßen Vera und Busso eng aneinandergeschmiegt. Edzard hatte das Gefühl, als wanke der Boden unter seinen Füßen. Haltsuchend umkrampften seine Hände den Türpfosten. Was nun? Er konnte doch unmöglich hier stehen bleiben und das mitansehen! Hin zu diesem heimtückischen Burschen, ihn niederschlagen! Abrechnung halten mit dem treulosen Mädchen! Doch damit schaffte er das Entsetzliche nicht aus der Welt. Also fort von hier, weit fort. Aber nein, noch nicht. Erst mußte er hören, was die beiden sich zu sagen hatten. Ganz deutlich konnte er jedes Wort verstehen: »Du glaubst also wirklich, daß dein Onkel ihn enterben wird?« fragte Vera und strich dabei liebkosend über die geschwollene Nase, die kreuz und quer mit Pflaster beklebt war. »Das ist nun so gewiß, wie das Amen in der Kirche, mein süßes Mädchen«, erfolgte die siegessichere Antwort. »Es ist dir ja bekannt, daß mein Onkel nie was von ihm gehalten hat. Aber nun ist er aus der Familie ausgestoßen. Reuth darf er nicht mehr betreten. Meine Tante hat ihn bereits als schwarzes Schaf erklärt. Soviel ich hörte, will er sich eine Inspektorstelle suchen. Aber erstens wird er nie eine solche bekommen, und zweitens wird er in fremden Diensten vollkommen versagen. Sei froh, daß du noch nicht seine Frau bist. Dann müßtest du jetzt sein Vagabundenleben teilen.« »Sollte mir einfallen -!« lachte sie auf. »So gut habe ich meine Komödie gespielt, daß er in dem Wahn lebt, von mir geliebt zu werden!«
»Na höre, Veraherz, manchmal sah es verdammt echt aus. Vor Eifersucht hätte ich bald die Karten aufgedeckt und dem Narren verraten, welch lächerliche Figur er in der Komödie spielte, die wir in Szene setzen mußten, damit mein Onkel auf dich aufmerksam wurde. Sollst mal sehen, mit welcher Freude er dich als Schwiegertochter begrüßen wird.« Lachend küßten sie sich. Edzard hatte genug gesehen und gehört. Ein Ekel würgte ihn vor sich selber, daß er in diesem Intrigenspiel so tölpelhaft mitgemacht hatte. Jetzt nur fort, bevor er sich doch noch vergaß und vor diese nichtswürdigen Kreaturen hintrat, um Abrechnung zu halten. Leise schlich er aus dem Korridor, zog die Tür hinter sich zu und stürzte dann die Treppe hinunter. Lange irrte er planlos durch die Straßen der Stadt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Erst als der Verstand sich langsam einzuschalten begann, ließ der bohrende Schmerz nach. Und der Verstand gab ihm dann auch allmählich ein klares Bild. Vera hatte sich beide Brüder Untertan gemacht, dabei abwartend, wer ihr am meisten zu bieten haben würde. Da sich nun entschieden hatte, daß Busso der Alleinerbe Reuths war, ergab sie sich ihm. Und er hatte dieses kaltberechnende Geschöpf für lieb und gut gehalten, für eine Frau mit Herz? Konnte er nun nicht froh sein, daß ein Zufall ihn über Veras wahren Charakter unterrichtet hatte? Daß er sie sehen durfte, wie sie in Wirklichkeit war: Arm an Herz, kaltberechnend und hinterhältig? O ja, natürlich war es gut – aber dennoch – so schnell läßt sich eine Liebe nicht aus dem Herzen reißen. Es waren schmerzliche Gedanken, die den langsam dahinschreitenden Mann gefangen nahmen. Doch dann regte sich der verletzte Mannesstolz. Wie mochten Vera und Busso noch immer über den armen Narren spotten, der auf ihre Hinterhältigkeit so tölpelhaft
hereingefallen war! Sicher würde das skrupellose Paar jetzt schleunigst dafür sorgen, daß diese amüsante Geschichte unter die Leute kam, die dann nach Herzenslust ihre Glossen reißen konnten. Der Gedanke ließ glühheiße Scham in ihm aufsteigen und gleichzeitig verbissene Rachegelüste. Der Kokotte beweisen, daß sie nicht mit ihm gespielt – sondern er mit ihr! Mit seiner Verlobung der ihren zuvorkommen und somit auch dem hinterlistigen Bruder beweisen, daß sein Schlag, mit dem er ihn ins Herz treffen wollte, absolut fehlgegangen war! Edzard warf energisch alle quälenden Gedanken von sich und schritt rasch aus. Wenige Minuten später betrat er die Konditorei. In einer Nische entdeckte er seinen Freund mit Gattin, die es sich bei Kaffee und Kuchen gut sein ließen. Sie sahen erfreut auf, als er so unerwartet vor ihnen stand. Hubert Syder war das, was man einen herzensguten Kerl nennt. Groß und breit von Gestalt, mit einem frischen Gesicht, strohblondem Haar und lachenden Blauaugen. Seine Frau, rassig und elegant, wirkte sehr interessant mit ihrem brünetten Typ. »Ei, sieh da, der Edzard«, lachte sie vergnügt, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte. »Was willst du während der Arbeitszeit an dieser Schlemmerstätte?« »Dasselbe, was du willst«, gab er zurück. Nachdem Edzard auch den Freund begrüßt hatte, nahm er Platz und bestellte ein Kännchen starken Kaffee. »Was ist los mit dir, mein Junge?« fragte Hubert. »Du siehst blaß und verärgert aus, um nicht zu sagen – verbittert. Hat es wieder einmal Krach mit deinem Onkel gegeben?« Edzard wartete mit der Antwort, bis der Ober den Kaffee auf den Tisch gestellt und sich wieder entfernt hatte. Dann trank er die erste Tasse in einem Zuge leer, steckte eine Zigarette in Brand und erzählte, was sich zwischen ihm und dem Onkel zugetragen, verschwieg auch die Begebenheit in Veras Wohnung nicht.
Das Ehepaar hörte gespannt zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als er geendet, meinte Hubert ruhig: »Das alles habe ich schon längst kommen sehen, Edzard. Wenn man so einen gefährlichen Schleicher auf der Nase sitzen hat wie deinen Bruder Busso und sich in eine Liebe zu einer Vera verrennt, das kann kein gutes Ende nehmen. Sieh mich nicht an, als ob du mich fressen wolltest, sondern gib mir recht. Was wirst du nun beginnen?« »Mir eine Stelle als Inspektor suchen.« »Schwierige Angelegenheit, mein Lieber. Wenigstens in unserer Ecke hier, wo dein Onkel Respektsperson ist.« »Das weiß ich«, gab Edzard finster zurück. »Daher bin ich auch gekommen, um deine Hilfe zu erbitten.« »Ehrensache, mein Freund. Was ich für dich tun kann, soll geschehen. Am besten ist jetzt, wenn du an einen netten Ort weit vom Schuß fährst und dich erst wiederfindest. Denn die ganze Geschichte, eingeschlossen Veras Untreue, wird dir verdammt an die Nieren gegangen sein. In der Zeit werde ich hier segensreich für dich wirken. Hast du genügend Geld?« »Ja. Damit hat Natchen mich versorgt, mit ihrem eignen.« »Was sagt sie zu alledem?« »Sie macht sich Sorge um mich.« »Begreiflich! Eigentlich sonderbar, daß diese kluge Frau ihn nicht aus seiner Verblendung reißen kann. Wie ist deine Ansicht darüber, Susann?« »- daß gegen männliche Hirnverbranntheit nichts auszurichten ist«, gab sie lachend zurück. »Jedenfalls wird sie schon wissen, was sie tut, wird diesen Busso schon entlarven, wenn sie es an der Zeit hält. So ein Halunke! Der hat sich doch nur an diese Vera herangemacht, um sich an Edzard zu rächen. Solche Burschen pflegen sehr nachtragend zu sein. Diese Gemeinheit darfst du dir einfach nicht gefallen lassen, Edzard. Du mußt dieses einander so würdige Paar einfach düpieren!« »Mir ganz aus der Seele gesprochen, Susann. Ich weiß auch bereits, wie das geschehen kann.«
»Wie denn?« fragten die Gatten wie aus einem Munde. »Indem ich mit meiner Verlobung der Veras zuvorkomme. Dann hat es den Anschein, als hätte ich mit ihr gespielt, nicht sie mit mir.« »Herrlich -!« lachte die junge Frau. »Hast du die Braut schon gefunden?« »Noch nicht. Aber es gibt ja so viele heiratslustige Mädchen.« »Du Tollkopf kriegst es wahrhaftig fertig, dir aus purer Rache irgendein weibliches Wesen auf den Hals zu laden«, lachte Hubert amüsiert. »Na, vielleicht lachst du dir eine an, die dir ein Gut in die Ehe bringt.« »Gott soll mich bewahren! O nein, die Frau, die ich suche, braucht nicht reich zu sein, nicht schön, auch nicht klug. Sie muß nur ein Herz haben – nichts weiter als ein Herz.« »Das nennst du womöglich noch anspruchslos, du sonderbarer Heiliger? Nichts weiter als ein Herz – ganz einfach nur das. Mein lieber Freund, laß dir gesagt sein, daß reiche, schöne und kluge Frauen viel leichter zu finden sind als solche, die ein Herz haben.« »Warum? Du hast ja auch eine gefunden und Onkel Philipp gleichfalls. Warum sollte es nicht auch mir glücken?« »Oh, diese Optimisten -!« Hubert schüttelte bekümmert sein Haupt. »Wie ich verstanden habe, willst du mit deiner Verlobung der Bussos zuvorkommen. Da wirst du also rasch zugreifen müssen. Und dann – und überhaupt ist es denn schon ganz sicher, daß dein Onkel zu Bussos Verlobung die Einwilligung geben wird? Soviel ich beobachten konnte, scheint Vera ihm nicht besonders zu gefallen.« »Hast du eine Ahnung -!« lachte Edzard bitter auf. »Den bekommt Busso schon dahin, wohin er ihn haben will. Höchstens, daß Natchen da ein wenig quertreiben würde.« »Trotzdem wolltest du sie heiraten«, bemerkte der Freund trocken. »Das hätte in der Ehe ein böses Erwachen für dich gegeben, mein lieber Edzard. Denn das Herz, das du
verlangst, hat diese Vera bestimmt nicht.« »Komisch, daß du mir das jetzt erst sagst?« »Na, weißt du, mit Verliebten läßt sich ebensowenig reden wie mit Verrückten. Aber nun mach ein anderes Gesicht, Edzard. Daß du Reuth aufgeben mußt, ist gewiß schmerzlich für dich. Aber daß dir über Vera noch rechtzeitig die Augen aufgegangen sind, darüber kannst du nur froh sein. Natürlich kannst du mit der Enttäuschung nicht von heute auf morgen fertig werden. Wirst eine gewisse Zeit brauchen, bis du es geschafft hast. Darum rate ich ernstlich, dir Abwechslung zu suchen. Und die findest du am sichersten an einem amüsanten Ort. Am besten wäre das feudale Höhenlust für dich, falls das dein Geldbeutel verträgt.« »Ganz wie für mich geschaffen«, nickte Edzard ironisch. »Mein Lieber, es scheint dir noch nicht ganz klar zu sein, daß ich nun nicht mehr Erbe des Barons von Rittersreuth bin, sondern ein armer Schlucker, der sich glücklich schätzen wird, wenn er irgendwo als Inspektor unterkriechen kann. Viel mehr als das Sattessen werde ich meiner Frau nicht bieten können. Daher werde ich nicht nach Höhenlust gehen sondern nach Ridden.« »Nach dem langweiligen Nest? Da wirst du nur unter Fischermädchen wählen können.« »Warum nicht? Wenn ich unter ihnen ein liebes, braves Geschöpf finde, sollte es mir wohl recht sein. Du weißt ja, was ich verlange – nichts weiter als ein Herz.« »Hm. Und wie willst du das finden? Willst du etwa an jedes weibliche Wesen herantreten und höflich fragen: Mein Fräulein, haben Sie ein Herz? Oder soll es das in der Hand halten?« »Hör bloß auf, du Spötter -!« unterbrach Susann lachend. »Laß ihn nur machen, er wird schon seine herzliche Dame finden. Dann bringst du sie mir, Edzard, hörst du? Ich werde meine ganze Evaslist aufbieten, um herauszufinden, ob du die Richtige gefunden hast. Einverstanden?« »Einverstanden!«
»Und wenn jene Eva noch listiger ist und diese Eva hier zu überlisten versteht?« fragte Hubert schmunzelnd. »Wenn sie mit einem goldenen Herzen spiegelt und erst in der Ehe erkennen läßt, daß es nur Talmi ist, was dann?« »Dann lasse ich mich scheiden«, entgegnete Edzard gelassen. »Ganz kurz und schmerzlos. Die Hauptsache, daß ich noch vor Bussos Verlobung mit einer Braut aufwarten kann. Natürlich werde ich sie auch heiraten, um meine Rache ganz und voll zu haben. Gefällt mir meine Frau, dann lebe ich friedlich mit ihr zusammen und bleibe ihr treu. Ist sie nicht das, was ich von ihr erwarte, dann trenne ich mich in aller Güte von ihr.« »Und wenn sie sich nicht scheiden läßt?« »Das werde ich bei meiner Werbung zur Bedingung stellen.« Diese Eröffnung ließ Hubert verblüfft den Kopf schütteln. »Ja, Menschenskind – willst du denn dem Mädchen – oder der Frau – etwa sagen…« »Gewiß will ich das«, fiel Edzard ihm in die Rede. »Anders wäre es ein Betrug. Der käme über kurz oder lang doch heraus.« »Das ist allerhand, was du da verlangst«, sagte der Freund ernst. »Wenn sich tatsächlich ein weibliches Wesen finden sollte, das auf das alles eingeht, muß es allerdings ein großes, gütiges Herz haben. Gott gebe, daß du es findest. Ich sehe schwarz. Und du, Susann?« »Nicht unbedingt, Hubert«, gab sie versonnen zurück. »Es gibt bestimmt liebe, warmherzige Mädchen, die sich aus dem Beruf in eine eigene Häuslichkeit sehnen. Und wenn sie dann noch einen so schneidigen und anständigen Kerl wie Edzard als Mann bekommt, das wäre für sie der Himmel auf Erden. Also Edzard, ich wünsche dir alles Glück.« »Danke, Susann. Doch nun ist es höchste Zeit, daß ich mich verabschiede. Morgen früh also geht es nach Ridden. Und nun noch eine Bitte, Hubert: Gewähre meinem Pferd Unterkunft, bis ich zurückkomme. Ich habe es bereits nach
Harlerode gebracht.« »Eine Selbstverständlichkeit bedarf keiner Bitte, mein Lieber. Wenn du dort bist, gib deine Anschrift bekannt, damit ich dich jederzeit erreichen kann. Komm gesund und froh wieder, möglichst mit deiner herzlichen Angelegenheit am Arm.« Eine Woche später betrat Busso nach dem Mittagessen das Arbeitszimmer seines Onkels, der in einem Sessel saß. »Entschuldige, lieber Onkel, ich wollte dich um eine Unterredung bitten – « »Was ist los, du siehst ja ordentlich feierlich aus?« »Mir ist auch danach zumute«, gestand Busso. »Ich möchte nämlich heiraten.« »I der Dausend – «, schüttelte Philipp verblüfft den Kopf. »Davon habe ich ja noch gar nichts gemerkt. Ist dir der Einfall so plötzlich gekommen?« »O nein, schon lange, lieber Onkel. Aber offen gesagt, fürchtete ich mich, dir mit meinem Ansinnen zu kommen.« »Bin ich denn so ein Unmensch, he?« »Um Gott, Onkel, du bist der gütigste Mensch von der Welt! Ich habe jedoch immer das Gefühl gehabt, als würdest du meine Heirat nicht gern sehen. Aber schau mal, Onkelchen, ich bin immerhin schon dreißig Jahre, sehne mich daher nach Frau und Kind. Kannst du das begreifen?« »Warum nicht? Ich habe ja auch geheiratet. Daher werde ich es dir bestimmt nicht verbieten. Vorausgesetzt, daß die Frau, die du dir ausgesucht hast, hierher paßt. Wer ist die Auserwählte?« »Fräulein Vera von Kardas.« »Wer ist das? Kenne ich nicht.« »Aber Onkel, du bist mit der jungen Dame doch schon öfter auf Gesellschaften und öffentlichen Festen zusammengetroffen. Sie ist in ihrer Schönheit und mit ihrem Charme doch nicht zu übersehen.« »Schönheit und Charme – schon faul. Mir ist die Hauptsache, daß deine Zukünftige ihren wirtschaftlichen
Kram versteht, dir eine gute Frau und den späteren Kindern eine gute Mutter ist. Alles andere ist Schnickschnack.« »Die Voraussetzungen sind bestimmt vorhanden, lieber Onkel. Aber Schönheit ist dabei noch eine beglückende Zugabe, will ich meinen.« »Na, wenn es Zugabe ist, habe ich nichts dagegen. Wie steht es mit dem Geld? Das ist eine weitere gute Zugabe, will ich nun wiederum meinen.« »Davon ist allerdings so gut wie nichts vorhanden«, mußte Busso bekennen. »Sie lebt mit ihrer Mutter von der Pension, die diese alte Witwe eines höheren Beamten erhält.« »Einen Beruf hat sie demnach nicht, liegt also ihrer Mutter auf der Tasche. Wie alt?« »Neunundzwanzig.« »Wenn sie nun so schön, charmant, wirtschaftlich und gut ist, müßte sie schon längst einen Mann gefunden haben. An solchen Weiblichkeiten pflegen die Männer nicht achtlos vorüberzugehen. Wie kommt es also, daß sie noch immer unbemannt ist?« »Aber Onkel – wahrscheinlich ist sie dem Richtigen noch nicht begegnet.« »Somit bist du endlich der Richtige?« »Ja – wir lieben uns von Herzen.« Danach war es eine Weile still. Herr Philipp sah gedankenvoll vor sich hin, dann sagte er kurz: »Ist gut, Busso. Bringe mir das Fräulein. Ansehen kostet ja nichts. Ich will die Dame auf Charakter und Herz prüfen… Was ist übrigens mit deiner Nase – heilt sie gut?« »Vorzüglich. Ich kann das Pflaster bald abnehmen.« »Ein Glück, daß die Sache so harmlos verlaufen ist. Sonst hätte dein Bruder sich auf etwas gefaßt machen können. Hast du von ihm gehört?« »Nein, Onkel. Du auch nicht?« »Bewahre. Das Bürschchen wird sicherlich warten, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist. Aber da mag er sich nur nicht täuschen – das Gras wächst nie!«
»Onkelchen, so nachtragend darf man nicht sein«, bemerkte Busso. »Ich habe Edzard schon längst verziehen. Er ist doch mein Bruder.« »Bist ein guter Junge«, lobte Philipp. »Ich wünschte, daß dein Bruder nur annähernd deinen Charakter hätte. Aber leider! Wer weiß, wo er herum vagabundiert und Schulden macht. Mit dem Geld, das Tante ihm gab, wird er schon längst fertig sein. Man kommt aus der Sorge um diesen Bengel nicht mehr heraus!« »Er wird schon wiederkommen, Onkel. Und dann sei bitte nicht so hart zu ihm.« »Muß ich, mein Junge, muß ich. Sonst verlumpt er uns noch ganz. Der braucht eine harte Faust, das sehe ich immer mehr ein. Deshalb darfst auch du nicht so nachsichtig mit ihm sein. Und nun geh, mein Junge. Bringe uns das Fräulein, dann werden wir weiter sehen.« »Ich danke dir, Onkel Philipp«, sprach Busso mit schwankender Stimme. »Ich schulde dir so unendlichen Dank, daß ich den nie im Leben abtragen kann. Wie ist es mir doch schmerzlich, daß mein Bruder dir so viel Kummer bereitet. Wirklich, Onkel, ich schäme mich für ihn…« »Na, na, na – «, winkte der ab. »Dafür kannst du ja nichts. Vielleicht besinnt er sich doch noch einmal auf das, was er mir schuldig ist.« Damit ging er, und Philipp hielt nach der Gattin Umschau, die er lesend in ihrem Wohnzimmer fand. »Störe ich, Nataly?« »Seit wann störst du mich jemals?« fragte sie verwundert. »Nimm Platz und beichte. Denn daß du etwas auf dem Herzen hast, das sehe ich dir an.« »Kluge Frau. Also höre: Busso will heiraten.« »Ach du meine Güte! Wen denn?« »Ein Fräulein Kardas.« »Aber die hatte Edzard doch aufs Korn genommen«, forschte sie mißtrauisch. »Wie kommt der Busso denn zu ihr?«
»Keine Ahnung. Ich kenne die Dame nicht. Und Edzard, sagst du? Kein Wunder, der läuft ja jeder hübschen Schürze nach. Sowie ein frisches Gesicht auftaucht, ist er Feuer und Flamme…« »… oder die Mädchen für ihn«, warf Nataly trocken ein. »Kunststück, bei dem schneidigen Kerl!« »Mir gefällt Busso besser.« »Na, also, deshalb hat das Fräulein sich ja auch für ihn entschieden«, meinte sie friedfertig. »Kennst du die Dame, Nataly?« »Natürlich – und du kennst sie auch. Entsinnst du dich der hochblonden Mondänen mit dem seelenvollen Augenaufschlag, die bei jeder Fete erwünscht oder unerwünscht sang, um mit ihrer netten Stimme zu brillieren?« »Jetzt dämmert es bei mir. Also die ist es. Gefällt sie dir?« »Nein!« »Na, erlaube mal, Nataly…« »Was heißt hier erlauben? Du hast gefragt, und ich habe geantwortet.« »Das Urteil klang aber verdammt abschließend.« »Ist es auch. Ich hatte schon Angst, daß Edzard sie uns eines Tages offerieren würde. Und nun kommt Busso mit ihr an. Meinetwegen mag er mit ihr selig werden. Ich hab ja gottlob nichts mit ihr zu tun.« »Aber du mußt doch mit ihr unter einem Dach leben, Nataly…« »Das kommt nicht in Frage. Ich will mir nicht einen mir unsympathischen Menschen auf die Nase setzen lassen.« »Wie soll ich das verstehen?« »Genau so, wie es gemeint ist. Gib dem jungen Paar als Wohnsitz ein Nebengut, auf dem es herrlich und in Freuden leben kann. In Reuth will ich meine Ruhe haben.« Langsam stieg Philipp die Zornesröte ins Gesicht. »Nataly, was ist das für eine Sprache. Die kenne ich an dir noch gar nicht!« »Nein, Gott sei’s geklagt. Ich habe dir bisher noch nie in
die Angelegenheit deiner Neffen dreingeredet. Nun, da es jedoch um meine Behaglichkeit geht, werde ich mich wohl wehren müssen.« »So, so! Und wenn ich dir nun sage, daß Busso mit seiner Frau auf Reuth wohnen wird, was dann?« »Dann gehe ich.« »Das werden wir abwarten müssen-!« »Gut, warten wir ab. Daß du doch immer gleich den wilden Mann markieren mußt, Philipp. Ist es denn überhaupt schon spruchreif, daß die Dame Bussos Frau wird?« »Bis jetzt noch nicht. Ich will sie erst einmal kennenlernen.« »Na also – «, lachte sie gemütlich. »Hat Busso von dir die Erlaubnis, die Dame ins Haus zu bringen?« »Ja, ich kann dem Jungen doch nicht das Heiraten verbieten.« »Meinetwegen mag er des Teufels Großmutter heiraten, das schert mich nicht. Ich will mit dem Paar nur nicht in einer Hausgemeinschaft leben.« »Nataly, was ist bloß in dich gefahren. Von den wenigen Malen, die du mit der Dame zusammengekommen bist, kannst du dir doch unmöglich ein abschließendes Urteil bilden«, versuchte er ihr zuzureden. Doch das machte keinen Eindruck auf sie. »Wenn mir ein Mensch unsympathisch ist, dann ist er es eben«, blieb sie hartnäckig. »Das ist reinste Gefühlssache. Die Dame mag ja ein vortrefflicher Mensch sein – aber mir gefällt sie nun einmal nicht.« »Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen«, erwiderte er schroff. »Wenn sie mir gefällt und in ihren Verhältnissen alles stimmt, dann wird sie Bussos Frau, basta! Und wenn er sie herbringt, dann bitte ich mir aus, daß du sie als Gast höflich behandelst.« »Natürlich. Es ist nicht meine Art, unhöflich zu sein, zumal es sich um die zukünftige Frau deines Busso handelt, aber du siehst mir aus, als ob du noch etwas auf dem Herzen hättest. Also runter damit!«
»Nataly, es will mir fast scheinen, als machtest du dich über mich lustig – «, forschte er mißtrauisch, und sie machte ein ganz unschuldiges Gesicht. »Aber Philipp, wie könnte ich das wagen?« »Na, – trau, schau, wem«, brummte er. »Ich wollte dich nur fragen, ob du – na ja – ob du etwas von Edzard weißt…« »Nein, Philipp.« »Wo der widerspenstige Bengel sich nur herumtreiben mag! Paß auf, der macht Schulden über Schulden – « »Wäre das so schlimm?« »Na, erlaube mal! Ich habe mein Geld doch nicht, um es von einem leichtsinnigen Burschen vergeuden zu lassen. Er hat mich wahrlich schon genug gekostet.« »Mehr als Busso?« »Das natürlich nicht«, mußte der Mann widerwillig zugeben. »Na, siehst du. Wenn du Busso nun Heiratszulage bewilligen wirst und bei seiner Heirat sonst noch Unkosten hast, dann verbuche diese Summen auch fein säuberlich und schreibe dieselben auf Edzards Konto. Damit kannst du dann Schulden bezahlen, noch und noch. Denn du wirst doch einen Neffen vor dem andern nicht bevorzugen wollen? Das sähe dir so gar nicht ähnlich.« »Wozu das?« fragte er unbehaglich. »Weil es beide deines Bruders Söhne sind, die beide dasselbe von dir bekommen müssen.« »Als wenn das nicht immer der Fall gewesen wäre. Aber dafür ernte ich bei Busso Dank, bei Edzard Undank.« »Das bildest du dir ein, Philipp. Edzard hängt sehr an dir, wirklich, er kann es nur nicht so zeigen.« »Hat er bewiesen. Geht einfach davon und meldet sich nicht. Was habe ich ihm schon groß gesagt? Bestimmt nicht so viel, daß er davonlaufen mußte. Aber laß ihn mir nur kommen, dann kriegt er sogar noch eine Ohrfeige, jawohl…« Nun ging er hinaus, und Nataly sah ihm lächelnd nach. Er
schien an dem Jungen doch mehr zu hängen, als sie angenommen hatte. Am Sonntag brachte Busso seine Auserwählte nach Reuth, die auf den Herrn des Hauses einen günstigen Eindruck zu machen schien. Sie tat aber auch rührend bescheiden und sprach viel über Hauswirtschaft. Dazu der seelenvolle Augenaufschlag, das liebe Lächeln… Aber Nataly ließ sich nicht täuschen. Sie behandelte den Gast liebenswürdig und dachte sich ihr Teil. Als Busso mit dem Mädchen im Auto abgefahren war, um es zur Stadt zu bringen, fragte Philipp aufgeräumt: »Nun, Natchen, besteht deine Antipathie noch?« »Ja-«, kam die unerwartete Antwort. »Das glaubst du doch selbst nicht, Nataly. Du willst nur nicht zugeben, daß du dich geirrt hast.« »Meinetwegen. Die Hauptsache, daß sie dir gefällt.« »Gewiß gefällt sie mir. Es ist ein bescheidenes, vernünftig denkendes Mädchen, das zu Busso gut paßt. Es wäre ja auch sonderbar gewesen, wenn der sein Herz an einen Firlefanz gehängt haben sollte.« »Es freut mich, daß du mit Bussos Wahl zufrieden bist. Wann soll die Verlobung steigen?« »So weit ist es noch nicht«, wehrte er ab. »Da muß ich das Fräulein doch noch näher kennenlernen. Vor allen Dingen ihre Mutter. Auf keinen Fall wollen wir etwas überstürzen. Wollen mal erst die Ernte sicher haben, ehe wir ans Feiern denken. Oder bist du anderer Ansicht, Nataly?« . »O nein, ich bin sogar sehr einverstanden!« »Das freut mich, dann wären wir uns ja wieder einmal einig, liebste Frau.« Edzard war gut in Ridden angekommen. So sehr dem Naturfreund das romantisch gelegene Seebad gefiel, so konnte er sich dem Zauber doch nicht uneingeschränkt hingeben, weil die Sorge um seine Existenz ihm keine Ruhe ließ. Auch quälte ihn die Unrast, mit der er Ausschau nach einer passenden Frau hielt. Bisher war ihm noch kein weibliches Wesen, das sich seiner Ansicht nach dazu
geeignet hätte, begegnet. Dazu meinte es der Wettergott gar nicht gnädig. Es gab regnerische, kühle Tage. Er streifte trotzdem viel am Strand und im Wald herum, aber die Damen zogen es vor, sich lieber im wohlig durchwärmten Kurhotel zu vergnügen. So begrüßte es Edzard, als am zehnten Tage ihn ein Telegramm des Freundes nach Harlerode rief. Noch am selben Tage reiste er ab und erreichte am Abend sein Ziel. »Nanu, Edzard, so ganz solo?« begrüßte ihn der Freund. »Wo hast du denn deine Braut?« »Fehlanzeige.« Er zuckte resigniert die Achsel. »Es war verflixt wenig Auswahl.« »Habe ich dir das nicht gesagt?« triumphierte Hubert. »Um auf die Freite zu gehen, begibt man sich nicht nach Ridden. Da ist während der Saison nichts los und um diese Jahreszeit schon gar nichts. Nun haben wir umsonst den Sekt kaltgestellt.« »Der wird uns auch ohne Verlobung schmecken«, stellte sich Edzards frohe Laune ein. »Weise mir gütigst ein Zimmer an, Susann, damit ich meinen Reisestaub loswerde. Und dann möchte ich essen.« »Wird gemacht«, lachte sie vergnügt. »Ein Zimmer ist bereit und ein gutes Mahl ebenfalls.« Als Edzard eine Weile später tadellos gekleidet erschien, setzte man sich an den einladend gedeckten Tisch. Er mußte erzählen, was er auf der Reise erlebt hatte. Nach dem Essen zog man sich in ein lauschiges Zimmerchen zurück. Der Kamin verbreitete angenehme Wärme, die man an dem kühlen Tag gut vertragen konnte. Man gruppierte sich um ihn, griff nach den Zigaretten, und da fragte Edzard den Freund, warum er ihn telegrafisch zurückgerufen hatte. »Weil ich eine Stelle für dich habe…« Edzard ließ vor Überraschung die Zigarette sinken. »Hubert, das ist doch wohl nicht möglich – in der kurzen Zeit. Oder willst du mich zum Narren halten?« »I, wo werde ich«, wehrte der Freund. »Ich staune ja selbst
über deinen Dusel. Hör zu: Am Tage nach unserer Aussprache in der Konditorei steckte ich sofort meine Fühler aus. Es sah traurig damit aus, aber ich ließ den Mut nicht sinken. Bis ein Zufall mir zu Hilfe kam. Als ich nämlich vorgestern abend die landwirtschaftliche Zeitung studierte, fiel mein Auge auf ein Inserat. Fett gedruckt stand da, daß auf Ritters ein Inspektor gesucht wird. Kurz und gut: Gestern suchte ich den Oberinspektor in Ritters auf, schenkte ihm reinen Wein ein, den er ganz gemütlich schluckte. Kennst du Oberinspektor Bitterling?« »Nur flüchtig…« »Ich sage dir, das ist ein urgemütliches Haus, das seinen bitteren Namen wahrlich zu Unrecht trägt. Na, dann schicken Sie mir man diesen Ausreißer, schmunzelte er, nachdem ich die Beichte beendet hatte. Ich werde ihm schon die Hammelbeine langziehen, wenn er hier Kapriolen machen will. Daß er von dem landwirtschaftlichen Kram was versteht, ist für mich die Hauptsache. Seine Familienverhältnisse gehen mich nichts an. Was sagst du nun, Edzard?« »Ich kann es kaum fassen«, entgegnete er ganz benommen. »Ich so^ wirklich zur Vorstellung?« »Ganz und gar wahrhaftig!« lachte Hubert. »Und wenn er mich doch nicht einstellt?« »Dann würde er dich gar nicht erst hinbestellen, du Zweifler. Inspektor auf Ritters zu werden, ist bestimmt Dusel. Der moderne Betrieb dort, die großartige Wirtschaftsführung, dazu einen so prächtigen Vorgesetzten, besser konntest du es nicht treffen, Edzard. Und was dein Onkel erst für Augen machen wird, wenn er erfährt, daß sein verpönter Neffe auf Ritters schaltet und waltet. So – und nun wollen wir Sekt trinken, damit er nicht unnötig kalt gestellt wurde.« Also stieß man fröhlich an. Die Gatten gerieten dann auch bald in Stimmung, die der nachdenkliche Freund nicht unbedingt teilen konnte. Es schien ihm doch sehr als ein Wunder, daß er so schnell
eine Existenz haben sollte. Jedenfalls war er sehr skeptisch, was er sich jedoch nicht merken ließ, um den beiden nicht die Stimmung zu verderben. Dann fiel ihm etwas ein. »Sag mal, Hubert, ist der Besitzer von Ritters nicht vor einiger Zeit gestorben?« »Ja. Der alte Professor hat vor ungefähr einem Jahr das Zeitliche gesegnet.« »Und wer ist der Erbe?« »Ein Neffe; denn der alte Herr starb ja als Junggeselle.« »Und wenn der jetzige Besitzer ein Landwirt ist?« »Dann wird er sich freuen, ein so feudales Gut wie Ritters geerbt zu haben.« »Ja aber – wenn er dann – ich meine, falls der Besitzer Ritters nun selber bewirtschaften will, dann kann der Verwalter mich ohne seine Einwilligung doch nicht einstellen.« »Darüber laß dir keine grauen Haare wachsen. Der Mann wäre ja ein Narr, wenn er den Bitterling, der so segensreich auf Ritters wirkt, an die Seite schieben wollte. Außerdem wird der Professor in seinem Testament schon die Bedingung gestellt haben, daß Bitterling Verwalter auf Ritters bis zu seinem Tode bleibt. Auch glaube ich nicht, daß der Besitzer Landwirt ist. Dann hätte er sein Gut schon längst in Augenschein genommen. Das ist da so eine gelehrte Familie von lauter Professoren und Doktoren, die ganz andere Interessen haben. Na, wirst ja morgen mehr hören. Und nun Prosit! Übrigens hörte ich, daß dein Bruder Busso seine Vera nach Reuth gebracht haben soll, die von deinem Onkel sehr freundlich empfangen worden ist.« »Kunststück, wenn Busso sie offeriert«, sagte Edzard trocken. »Ach«, unterbrach er sich, »da fällt mir ein: Morgen steigt ein Maifest in der Stadthalle, wo wir unbedingt dabei sein müssen. Du hältst doch mit, Edzard?« »Ich weiß nicht recht…« »Sei kein Frosch! Morgen ist erst der Zwölfte. Am
Dreizehnten schläfst du dich aus, am Vierzehnten siedelst du nach Ritters über und am Fünfzehnten stürzt du dich löwenmutig in die Arbeit.« »Bitte, bitte, Edzard, komm doch mit«, bettelte Susann, und da war er besiegt. Am nächsten Vormittag machte sich Edzard auf den Weg nach Ritters. Sehr wohl war ihm dabei nicht zumute, als er auf seinem Gaul dahinritt. Was der Onkel denken würde, wenn er hörte, daß sein Neffe ausgerechnet Stellung auf Ritters gefunden hatte! Ritters und Reuth hatten seit erdenklichen Zeiten der Familie gleichen Namens gehört. Bis der Großvater Philipps in Schwierigkeiten geriet und den Familienbesitz auseinanderreißen mußte. Seitdem befand sich Ritters, das noch feudaler war als Reuth, in anderen Händen. Den Familienbesitz wieder zu verschmelzen, war nun Philipps größter Wunsch. Wohl war Reuth ein einbringlicher Besitz, der den Besitzer zum wohlhabenden Mann gemacht hatte. Aber so viel Geld hatte er noch lange nicht, um Ritters zurückkaufen zu können. Das wurmte Herrn Philipp gewaltig. Wie oft hatte er sich den Groll vom Herzen gepoltert, daß Menschen, die keine Landwirte waren, dieses herrliche Stückchen Erde ihr eigen nannten. An all das dachte Edzard, als er sich Ritters näherte. Und als er es erreicht hatte, sah er entzückt auf das stattliche Gut, auf dem eine vorbildliche Ordnung herrschte. Er übergab sein Pferd einem Stallburschen, ließ sich das Inspektorhaus zeigen und stand gleich darauf vor dem Verwalter, der ihn gutgelaunt empfing. »Da sind Sie ja, mein lieber Rittersreuth. Nehmen Sie Piatz, greifen Sie sich einen Glimmstengel und lassen Sie uns wie vernünftige Menschen reden.« Edzard kam der gemütlichen Aufforderung nach. Verstohlen betrachtete er den Mann, der ihm vom ersten Augenblick an sympathisch war. Aus dem hageren Gesicht sahen zwei tiefblaue Augen klug und abschätzend den Stellungsuchenden an. Dann blitzte es humorvoll darin
auf. »Mein lieber Baron, daß Ihnen nicht sehr wohl in Ihrer Haut ist, das kann ich mir denken. Denn so einfach kann es ja nicht sein, von des Onkels Fleischtöpfchen hinweg sich andere suchen zu müssen. Aber lassen Sie nur, auch aus denen hier wird es Ihnen ganz gut schmecken.« Da mußte Edzard lachen. »Mir ist nicht bange darum, Herr Verwalter.« »Na, diese Betitelung wollen wir von vornherein lassen. Benutzen Sie ruhig meinen bitteren Namen. Seinetwegen habe ich nämlich keine Frau bekommen. Aber nun zur Sache…« Kurz und sachlich machte er Edzard mit seinen Pflichten bekannt, nannte ihm ein annehmbares Gehalt und fragte dann: »Nun, wollen Sie zugreifen?« »Mit tausend Freuden, Herr Bitterling! Wenn Sie nur mit mir zufrieden sein werden. Ich habe in einem fremden Betrieb noch nie gearbeitet.« »Aber bei Ihrem Onkel, wo Sie tüchtig heranmüssen, wie mir bekannt ist. Mehr brauchen Sie hier auch nicht zu tun. Also, wann kann ich Sie erwarten? Geht es am Fünfzehnten?« »Selbstverständlich, Herr Bitterling.« »Das ist mir lieb. Denn gerade jetzt, wo für den Landwirt die Arbeit richtig anfängt, läßt mich der Inspektor im Stich, um eine Bauerntochter zu heiraten. Und nun wollen wir zum gemütlichen Teil übergehen.« Er holte eine Flasche Wein, füllte die Gläser und stieß mit Edzard an: »Auf gute Zusammenarbeit, lieber Baron. Es müßte mit dem Deubel zugehen, wenn wir beide uns nicht vertragen wollten. Aber Sie sehen mir so aus, als ob Sie noch etwas auf dem Herzen hätten.« »Ganz recht, Herr Bitterling. Ich möchte nämlich heiraten…« »So, heiraten wollen Sie«, schmunzelte Matthias Bitterling.
»Dann man zu. Ihr Deputat bekommen Sie, Gehalt auch, und der Kasten hier ist groß genug, um ein Frauchen mit zu beherbergen und ein halbes Dutzend Gören noch dazu.« Ach, wie wurde Edzard da froh ums Herz, wie konnte er herzlich lachen! Mit einem vorschriftsmäßigen Vertrag in der Tasche verabschiedete er sich von dem patenten Mann mit warmen Worten. Schwang sich auf sein Pferd und ritt in schlankem Trabe Harlerode zu, wo er bereits ungeduldig erwartet wurde. »Na, hat’s geklappt?« erkundigte sich Hubert. »Jawohl. Ihr seht den Inspektor von dem herrlichen Rittergut Ritters vor euch«, antwortete er übermütig. »Kinder, habt ihr eine Ahnung, welch ein Granitblock mir vom Herzen gepoltert ist!« Daß in der Stadthalle der naheliegenden Stadt das Maifest am zwölften Mai gefeiert wurde, war Tradition, ob nun ein Mailüfterl wehte oder ob es in Strömen regnete. Das tat es denn heute auch. Es regnete Bindfäden. Aber das tat der Freude der Vergnügungslustigen keinen Abbruch. Die Räume der Stadthalle waren maimäßig geschmückt. Maibowle gab es auch, zu tanzen gleichfalls, also würde man trotz des Regens schon auf seine Kosten kommen. Als die Syderschen Gatten mit Edzard den Gesellschaftsraum der Stadthalle betraten, war er schon voll besetzt. Wie gut, daß sie sich einen lisch hatten reservieren lassen, den der Ober ihnen in einer Nische anwies, in der noch ein anderer unbesetzter Tisch stand. Man nahm Platz und bestellte Maibowle, die es in sich hatte und bald zu einem niedlichen Schwips verhalf. Susann, entzückend anzuschaun in ihrem feuerroten Seidenkleid, sprudelte vor Übermut, der die Herren langsam mitriß. Auch an den andern Tischen war man recht vergnügt. Immer wieder klang Lachen auf. Aus dem danebenliegenden Saal tönte einschmeichelnde Tanzmusik.
»Edzard, wollen wir tanzen?« lachte Susann ihn an. »Hubert kann sich eine anlachen und uns folgen.« »Das sollte mir fehlen«, brummte er gemütlich. Lachend zog das Paar von dannen, von manchem bewundernden Blick gefolgt. Die entzückende Frau in ihrem aparten Kleid, der rassige, distinguierte Herr im Abendanzug, das war schon etwas, das man nicht alle Tage sah. Erhitzt vom Tanz und strahlend froh kehrte Susann am Arm ihres Tänzers zurück. Ließ sich in den Sessel fallen und fächelte sich Luft zu. »Puh, wie ist mir heiß – aber schön war’s doch. Edzard ist ein fabelhafter Tänzer-« Sie hielt inne und sah interessiert dem Paar entgegen, das auf die Nische zukam. Der Herr, gesetzten Alters, mit einem Bäuchlein und Glatze, die Dame… Wie gebannt schaute Susann auf die Erscheinung im raffiniert einfachen weißen Seidenkleide. Ein stolzes Antlitz, herb und süß zugleich, mit Augen gleich leuchtenden Saphiren. Wie eine Krone aus Gold umschmiegte die kunstvolle Abendfrisur den feinen Kopf. Und was gleißte und blitzte da auf der schimmernden Seide des Kleides wie Blut so rot-? Ein Herz – ein Herz aus funkelnden Rubinen, eingefaßt von herrlichen Brillanten! Dicht neben dem Herzen lag es, das in der Brust dieses schönen Menschenkindes schlug. Wie erstarrt saßen Susann und die beiden Herren da, keinen Blick von dieser Frau lassend, die stolz und formell das Haupt gegen die Fremden neigte, bevor sie mit ihrem Begleiter am Nebentisch Platz nahm. Der Herr bestellte Maibowle, der er fleißig zusprach, während die Dame nur daran nippte. Sie sprachen halblaut miteinander, so daß die am Nebentisch Sitzenden zu ihrem Leidwesen nichts verstehen konnten. Nun horchten alle auf; denn inmitten des Raumes wurde eine Stimme laut. Da stand ein Herr, der die Anwesenden mit humorvollen Worten bat, sich heute als eine große Familie zu betrachten und ganz zwanglos miteinander zu
tanzen. Ein freudiges Hallo entstand. Die Herren beeilten sich, die schon längst aufs Korn genommenen Damen zu engagieren. Auch der Herr am Nebentisch verbeugte sich vor seiner Dame und ging mit ihr zum Tanzsaal. Kaum, daß sie außer Hörweite waren, lachte Hubert laut auf. »Edzard, hast du gesehen, der hängt ja das Herz direkt zum Halse heraus! Na, offensichtlicher präsentieren kann sie es dir doch wirklich nicht.« »Und der Ring an ihrer Linken ist ebenfalls mit einem Rubinherz geschmückt-«, jubelte Susann. »O Edzard, ich glaube, dein Schicksal naht -!« »Na – «, zweifelte Hubert. »Die Schöne sieht mir verflixt distinguiert aus. Vielleicht ist der Herr sogar ihr Gemahl – « »Das glaube ich nicht-«, widersprach Susann. »Das wäre ja so, als hätte ein Kohlkopf eine Rose geehelicht. Sie trägt ja auch keinen Ehering.« »Das sagt nichts – «, meinte Hubert. »Wer wird den Ehering tragen, wenn er zum Fest geht? Wärest du nicht hier, dann steckte meiner bestimmt in der Westentasche.« »Untersteh dich -!« Sie machte eine allerliebste Faust, so daß der Herr, der auf sie zukam, unwillkürlich den Schritt verhielt. »Treten Sie ruhig näher, mein Herr«, ermunterte Hubert ihn gemütlich. »So böse, wie die Dame hier tut, ist sie nicht.« Da verbeugte der Herr sich lachend und führte sie zum Tanz. »Unser Susannchen wären wir somit glücklich los«, schmunzelte Hubert. »Wenn die Herren erst heraushaben, wie gut sie tanzt, wird sie bestimmt nicht als Mauerblümchen das Fest verbringen. Ergo: Suchen wir uns ein schönes Kind, das wir beglücken können. Schau her, da naht die Dame mit dem feurigen Herzen wieder. Nun verpasse den Anschluß nicht, Langer! Stürze dich, sobald der nächste Tanz beginnt, mutig auf sie und suche zu ergründen, ob ihr Herz, das sie in der Brust trägt, von
warmem Blut durchpulst ist oder kaltglitzernd darin liegt, wie das auf der schmiegsamen Seide ihres Kleides. Oder wagst du dich an so viel stolze Schönheit nicht heran?« »Das wäre – «, lachte Edzard und verfolgte mit Interesse, wie die Unbekannte am Nebentisch Platz nahm. Horchte bei der warmen, melodischen Stimme auf. »Nun stärken Sie sich zuerst einmal, Herr Wanger; so ein Tanz ist für manchen so eine anstrengende Angelegenheit.« »Du, ein Ehepaar ist das nicht«, flüsterte Hubert dem Freund zu. »Sie spricht ihn mit Sie an.« Der Tanz war beendet, und die Paare kamen an ihre Plätze zurück. Die Kapelle spielte fleißig; denn bald klang ein neuer Tanz auf. Und schon stand Edzard am Nebentisch und verbeugte sich vor der Unbekannten, die ihm lächelnd in den Saal folgte. Dort legte er seinen Arm um ihre Mitte und führte sie mit der Sicherheit eines eleganten Tänzers. Schweigend sah er eine Weile nieder auf das schimmernde Haupt, bis sie es hob und ihn fragend ansah. Da begann er mit der gewiß nicht alltäglichen Unterhaltung: »Wissen Sie auch, gnädiges Fräulein, daß ich Sie seit zwölf Tagen sehnsüchtig gesucht habe?« »Zwölf Tage nur?« lächelte sie, während es in ihren Augen humorvoll aufblitzte. »Das ist eine kurze Zeit. Manche brauchen Jahre, um das zu finden, was sie suchen. Aber darf ich fragen, warum Sie ausgerechnet mich suchten – und was Sie bei mir zu finden hoffen?« »Ihr Herz.« Nun lachte sie amüsiert auf. »Mein Herz also. Bescheiden scheinen Sie gerade nicht zu sein, Herr…?« »Rittersreuth. Edzard Rittersreuth.« »Danke. Und ich heiße Andrea Müller. Warum sehen Sie mich so seltsam an? Gefällt Ihnen mein Name nicht? Er ist zwar nicht so klangvoll wie der Ihre, aber bestimmt so alt…« »Und so häufig, daß er ein wunderbares Inkognito gibt.«
»Sollte mir einfallen.« Sie schnitt eine allerliebste Grimasse. »Ich bin weder eine hochstehende Persönlichkeit, noch habe ich etwas zu verbergen, daß ich mich eines Inkognitos bedienen müßte.« »Also – Andrea Müller – «, sprach er weich, fast zärtlich vor sich hin. »Wie schön!« »Sehen Sie, das finde ich auch. Aber da Sie mich nun neugierig gemacht haben, müssen Sie mir auch sagen, warum Sie bei Ihrer sonderbaren Herzsuche ausgerechnet auf mich verfallen sind. Was also bewirkte den Anlaß?« »Das da – «, zeigte er mit den Augen auf das Rubinherz auf ihrer Brust und an das an ihrer Hand. »Nanu, sind Sie etwa Schmucksammler? Dann will ich Ihnen sagen, daß beide Herzen unverkäuflich sind.« Er kam zu keiner Antwort, da die Musik schwieg, mußte sie auch schuldig bleiben, während er Andrea zu ihrem Tisch führte. Denn die Paare hinter ihnen sprachen so lebhaft, daß er hätte schreien müssen, um sich verständlich zu machen. Und das, was er ihr zu sagen hatte, war wahrlich nicht für die andern bestimmt. So lieferte er sie mit höflicher Verbeugung bei ihrem Begleiter ab, der von der vorzüglichen Bowle schon blanke Augen hatte, nahm dann an seinem Tisch Platz, auf den Susann und Hubert Arm in Arm lossteuerten. »Hast du etwa mit deiner Frau getanzt?« fragte Edzard lachend. »Nur den Pflichttanz«, kam es vergnügt zurück. »Fortan sind wir gewillt, uns auf eigne Faust zu amüsieren.« »Sehr richtig – «, lärmte Herr Wanger, sein Glas dabei hebend. »Prosit, meine Herrschaften!« »Prosit!« klang es dreistimmig auf, wobei dem fidelen Herrn eifrig Bescheid getan wurde. Dann meinte Hubert harmlos: »Ist es nötig, daß wir uns per Distanz zuprosten müssen? Wenn die Dame und der Herr sich einfachhalber zu uns setzen würden, wäre es dann nicht gemütlicher?« »Mir schon – «, erwiderte Herr Wanger zögernd. »Ich weiß
nur nicht recht, ob das gnädige Fräulein damit einverstanden ist.« »Warum nicht – «, lächelte sie. »Wir sind doch aufgefordert worden, uns heute als Familie zu betrachten.« Also ging die Übersiedlung vor sich. Die Vorstellung war bald erledigt. Und da die fünf Menschen sich untereinander recht sympathisch waren, fanden sie gleich die passenden Worte, um das Fremdsein zu überbrücken. Kaum daß die Musik erneut aufklang, verbeugte sich Edzard wieder vor Fräulein Müller, während Herr Wanger das vor Susann tat. Edzard tanzte mit seiner Partnerin an ihnen vorüber. Vergnügt nickte Wanger ihnen zu. Susann dachte darüber nach, wie sie es wohl anstellen könnte, ihren Tänzer über Andrea Müller auszuhorchen. Denn in seiner Weinseligkeit würde er sicherlich das Herz auf der Zunge tragen. Und schon kam er ihr zur Hilfe. »Dieses Fräulein Andrea ist doch ganz was Blitzsauberes«, begeisterte er sich. »Ich bin ordentlich verliebt in sie.« »Vielleicht erwidert sie das Gefühl?« neckte Susann. »Um Himmels willen, gnädige Frau, ich bin ein alter Eheknüppel mit vier heranwachsenden Kindern.« »Kennen Sie Fräulein Müller schon lange?« forschte sie vorsichtig. »Erst seit zwei Tagen. Da ist kennen wohl zuviel gesagt. Wir speisen im Hotel an einem Tisch, an dem auch der Chef des Fräuleins seinen Platz hat.« »Dann ist Fräulein Müller berufstätig?« »Ja. Sie ist Sekretärin. Sie muß bei ihrem Gebieter gut angeschrieben sein, denn er kommt ihr stets mit Achtung entgegen. Er wollte sie auch heute auf das Fest begleiten, mußte jedoch eine unvorhergesehene Reise antreten. An der Mittagstafel sprach er Fräulein Müller sein Bedauern darüber aus. Aber ohne Begleitung könne sie unmöglich auf das Fest. Da bot ich mich als solche an. Na ja – und nun bin ich hier und amüsiere mich. Und wie ich feststellen kann, tut Andrea das auch. Ich bin ordentlich
stolz auf meinen Schützling.« »Können Sie auch, Herr Wanger. Einen so entzückenden Schützling hat nicht jeder aufzuweisen. Was die Dame für einen wundervollen Schmuck trägt. So etwas Apartes sah ich noch nie.« »Der ist bestimmt nicht echt«, meinte er treuherzig. »Wenn ihr Gehalt auch ganz anständig sein wird, aber für solch echten Schmuck reicht es denn doch nicht. Schon die Imitation kann nicht billig sein.« Sehr befriedigt war Susann und hielt Ausschau nach Andrea, die im Arm ihres eleganten Tänzers dahinschwebte. Zu gern hätte sie gewußt, was die beiden miteinander sprachen. Die beiden führten das Gespräch fort, das sie nach dem ersten Tanz abbrechen mußten. Kaum hatte Edzard den Arm um seine Partnerin gelegt, da sagte er: »Nein, ein Schmuckhändler bin ich nicht, gnädiges Fräulein. Trotzdem suche ich ein Herz – nichts weiter als ein Herz.« »Dunkel ist Ihrer Rede Sinn, mein Herr«, lächelte sie zu ihm auf. »Damit machen Sie meine Neugierde immer größer. Wollen Sie diesen dunklen Sinn nicht entwirren?« »Nein, gnädiges Fräulein – nicht hier. Denn die Entwirrung ist nicht so einfach. Braucht längere Zeit und einen anderen Ort als den Tanzsaal. Würden Sie mir daher ein Wiedersehen schenken? Sagen Sie bitte nicht nein.« Augenblick lang zögerte sie. »Bitte, gnädiges Fräulein.« »Nun gut. Es ist zwar nicht meine Art, mich mit Tanzbekanntschaften zu verabreden, aber diesmal werde ich eine Ausnahme machen. Morgen ist Sonntag, da geht es auch sehr gut. Sagen wir am Nachmittag, Treffpunkt vor diesem Lokal.« »Könnte es nicht schon am Vormittag sein?« »So lange brauchen Sie, um Ihre dunkle Rede zu entwirren?« fragte sie amüsiert. »Schön, sollen Sie Ihren Willen haben. Dann um elf Uhr,
zufrieden?« »Herzlichen Dank, gnädiges Fräulein.« Er lachte froh. »Und nun, da alles so wundervoll geklärt ist, wollen wir uns unbeschwert dem Tanz hingeben. Hören Sie, was die Geige singt? Ganz wie für uns geschaffen – « »Ich brauche dein Herz, um glücklich zu sein«, sang er ihr leise ins Ohr und sah mit Entzücken, wie ihr langsam die Röte ins Antlitz stieg. Noch einige Drehungen, dann war der Tanz zu Ende, und Edzard führte seine Partnerin an den Tisch zurück, wo Susann und Hubert auch soeben angelangt waren. »Fräulein Müller, Herr Wanger läßt sich vielmals entschuldigen«, bestellte erstere. »Er hat einen alten Bekannten getroffen, mit dem er das Wiedersehen begießen will. Er meinte, Sie wären bei uns so gut aufgehoben, daß sie ihn bestimmt nicht vermissen werden. Stimmt das?« »Auffallend – «, nickte Andrea lachend. »Ich gönne dem Herrn von Herzen die feuchtfröhliche Wiedersehensfeier.« Die Stunden eilten dahin wie im Fluge. Man war froh, amüsierte sich und gab sich eifrig dem Tanz hin, an dem Hubert nun auch Gefallen gefunden hatte. Susann, die natürlich keinen Tanz ausließ, hatte für jeden einen andern Partner – nur Edzard blieb Andrea treu. Die Gatten bemerkten das mit Vergnügen. Susann freute sich schon auf den Augenblick, da sie Edzard berichten konnte, was sie von Herrn Wanger gehört hatte. Hoffentlich wußte er es nicht bereits von Fräulein Müller selbst, das hätte ihr den ganzen Spaß verdorben. Aber Edzard dachte gar nicht daran, seine Partnerin nach persönlichen Dingen zu fragen. Man gab sich dem Tanz hin, ohne viel dabei zu sprechen. Leider gehen die schönen Stunden immer viel zu schnell vorbei. So kam denn auch die Zeit, wo man an den Aufbruch denken mußte. Als Wanger sich einfand, bat Andrea ihn, Schluß zu machen. »Aber natürlich, Andreachen«, lärmte er fidel. Als sie zu den Garderoben schritten, fragte Edzard das
Mädchen: »Werden Sie auch gut nach Hause kommen, gnädiges Fräulein? Ihr Begleiter ist alles andere als taktfest.« »Keine Angst«, gab sie lachend zurück. »Ich werde ihn gut und sicher heimgeleiten. Wir wohnen gegenüber im Hotel.« Auch die Syders und Edzard von Rittersreuth begaben sich nach Hause. Die kurze Strecke bis Harlerode war im Auto bald zurückgelegt. Als Edzard sogleich nach seinem Zimmer wollte, hielt Susann ihn zurück. »Bleib noch ein Viertelstündchen. Ich plaudere nach einem Fest immer noch so gern.« »Na schön, aber wirklich nur ein Viertelstündchen«, erklärte der Mann. Kaum daß sie Platz genommen hatten, platzte Susann heraus: »Ich weiß, wer die Dame mit dem leuchtendroten Herzen ist, Edzard. Du nicht?« »Eigentlich nein…« »Schau nur, Hubert, was er für hungrige Augen hat«, lachte sie hellauf. »Wollen wir ihn bis morgen zappeln lassen?« »I bewahre«, protestierte er. »Ich bin selbst neugierig.« Fast wörtlich gab Susann die Unterredung mit Herrn Wanger wieder und amüsierte sich dann über die verblüfften Gesichter der Herren. »Sekretärin ist sie also«, grübelte Hubert. »Na schön, das will ich glauben. Aber daß der Schmuck nicht echt sein soll – nein Kinder, das will mir nicht in den Kopf. Was meinst du dazu, Edzard? Du hast sie ja nebst Schmuck an dein Herz gedrückt, ihn daher dicht vor Augen gehabt.« »Der Schmuck ist echt.« »Du, es gibt vorzügliche Imitationen, die einem Laien nicht auffallen und gewiß nicht ganz billig sind«, tat Susann ihre Weisheit kund, doch er winkte nachlässig ab. »Wenn schon. Was hat der Schmuck überhaupt mit dem Mädchen zu tun? Mir nur recht, wenn er unecht wäre. Daß Fräulein Müller ein Mädchen ist, das ihren Lebensunterhalt verdienen muß, macht mich direkt froh.
Da brauche ich keine Hemmungen zu haben, mit meinem Anliegen herauszurücken. Denn ein Leben, wie sie es jetzt führt, kann ich ihr auch bieten. Dabei hätte sie es bequemer. Brauchte nichts weiter zu tun, als ihren kleinen Haushalt in Ordnung zu halten, wozu ich ihr sogar eine junge Kraft zur Verfügung stellen werde.« »Du bist tatsächlich entschlossen, um sie zu werben?« fragte Hubert unbehaglich. »Ja! Hoffentlich mag sie mich.« Sekundenlang war es sehr still, bis Susann leise fragte: »Sag mal, Edzard, ist dir dies Mädchen nicht zu schade für das – Spiel?« »Was heißt hier Spiel? Ich denke nicht daran, ein Spiel mit ihr zu treiben. Sie wird die volle Wahrheit erfahren.« »Na, Edzard, da sehe ich schwarz.« Hubert kratzte sich den Kopf. »Die sieht mir nicht danach aus, daß sie gewillt sein könnte, einem fremden Mann als Rachewerkzeug zu dienen. Muß diese Rache überhaupt sein – immer noch?« Des Freundes Antlitz wurde hart, in die Augen trat ein kaltes Glitzern. »Ja – sie muß sein -!« klirrte seine Stimme auf. »Glaubst du etwa, ich ließe ein so frevles Spiel mit mir treiben, ohne mich zu wehren? Busso würde mich mit seinem Hohn verfolgen mein Leben lang, außerdem mit meiner Niederlage überall herumhausieren – womit er bestimmt schon begonnen hat – und mich zum Gespött meiner Mitmenschen machen. Könnt ihr denn nicht verstehen, daß ich mich dagegen wehren muß?« »Hast recht«, nickte der Freund ernst. »Es war unüberlegt, was ich sagte.« »Aber sehr«, bekräftigte Susann. »Mit seiner Liebe spielen lassen, muß entsetzlich herabwürdigend sein.« »Bist ein kluges Kind«, lobte Hubert. »Was du da sagtest, ist auch meine Ansicht. Na, da wird Vera schön springen, wenn du plötzlich mit einer Braut anrückst, Edzard. Sie weiß ja nicht, daß du ihr Geschnäbel mit Busso
mitangesehen hast.« »Also«, nickte Edzard grimmig, »ich bin gezwungen, diese Braut nicht im Unklaren zu lassen.« »Na schön«, meinte Hubert friedfertig. »Und wann soll nun die Probe aufs Exempel beginnen?« »Heute vormittag. Ich bin verabredet.« »Erstaunlich! Jedenfalls wünsche ich dir den besten Erfolg. Wenn du sie fest hast, rufe an, damit wir hier zur Verlobung alles vorbereiten können.« Als Edzard bei der Stadthalle anlangte, lachte die Sonne vom blauen Himmel hernieder. Also hatte das Wetter sich ausgetobt und schickte sich an, dem Wonnemonat gerecht zu werden. Es war genau eine Minute vor elf, als er die Erwartete aus dem Portal des gegenüberliegenden Hotels treten sah. Dann stand sie vor ihm, mit ausgesuchter Eleganz gekleidet. Unter dem geöffneten hellen Mantel ein zartfarbenes Kleid, in dessen Spitzenfichu das Rubinherz funkelte und gleißte. Die schlichte Frisur, heute in ungekünstelten Locken zum Nacken niederfallend, gab dem Gesicht ein ganz anderes Gepräge als gestern das kleine Kunstwerk des Friseurs. Und da war auch das bezaubernde Lächeln wieder, mit dem sie ihm die Hand entgegenstreckte. »Guten Tag, gnädiges Fräulein. So pünktlich?« »Bin ich immer.« »Seltene Eigenschaft bei einer Dame. Was wollen wir nun beginnen? Uns ein Auto nehmen und in die Gegend fahren? Das Wetter ist ja verlockend genug.« »Ich möchte lieber eine gute Strecke langsam dahinschlendern.« »Das geschieht denn auch. Ich weiß ungefähr vier Kilometer von hier ein romantisch gelegenes Waldhaus, dicht an einem verträumten See. Was für Auge und Herz. Für den Magen ein vorzügliches Essen. Haben Sie Lust, dahin zu wandern?«
»Große sogar. Ich bin nämlich Naturschwärmerin, und gegen ein gutes Mahl habe ich nie etwas einzuwenden.« »Paßt ja großartig. Also dann – frischauf!« Während sie durch die belebten Straßen gingen, sprachen sie wenig und nur Nebensächliches. Erst als sie die lange Allee betraten, die rechts und links von Villen und ihren Vorgärten umsäumt war, erkundigte sich Edzard, ob sie mit ihrem nicht mehr taktfesten Begleiter das Hotel wohlbehalten erreicht hätte. Fröhlich lachte sie auf. »O ja, ich habe Herrn Wanger wohlbehalten an seiner Zimmertür abgeliefert. Ganz ohne weiteres ging das allerdings nicht vonstatten. Er machte mir eine glühende Liebeserklärung, wobei er mich in treuherzigster Weise ansang. Doch als ich heute den Frühstücksraum betrat, fand ich auf meinem Platz einige Rosen und ein Schreiben, in dem er mir mitteilte, daß er von seiner Firma telegraphisch abgerufen sei. Er bat um Entschuldigung für etwaige dumme Reden, deren er sich dunkel entsinnen könne.« Wieder lachte sie ihr herzhaftes Lachen, in das Edzard ergötzt einstimmte. Nach einer Weile lag vor ihnen ein Tal mit saftigen Wiesen, auf denen das Vieh friedlich graste. Mittendurch schlängelte sich ein Bach. Die roten Ziegeldächer der verstreuten Höfe leuchteten, die Fenster blinkten im Sonnenlicht. Weiter hinten zog sich herrlicher Mischwald hin. »Wollen wir den Wiesenpfad entlanggehen?« bat Andrea. »Ich weiß nicht, wo wir da hinkommen.« »Das ist doch ganz gleich. Bitte, Herr Rittersreuth.« Sie schlenderten vergnügt dahin, mitten durch die grüne Wiese. Es gab Drahtzäune zu durchkriegen. Gräben zu überspringen, was Andrea so erheiternd fand, daß sie immer wieder fröhlich lachte. Aber dann standen sie plötzlich vor dem See, der ihnen den Weg zum Walde abschnitt. Er war nicht sehr breit, aber dafür sehr langgestreckt.
»Ja, da müssen wir denn schon umkehren«, sagte Edzard bedauernd. »Wären wir den geraden Weg gewandert, wäre es uns besser ergangen.« »Wie schade – « Andrea zog ein Mäulchen, das ihr allerliebst stand. »Müssen wir wirklich umkehren, Herr Rittersreuth? Es ist doch hier so schön.« »Wenn wir den See nicht durchschwimmen wollen… Halt, ich sehe einen Kahn.« Er zeigte nach dem Schilf, in dem ein Boot schaukelte. »Sicherlich gehört er zu dem Gehöft dort, von dem ein Mann auf uns zukommt. Den werde ich fragen, ob er uns nicht über den See rudern möchte.« Das tat er denn auch, als der Mann herangekommen war. »Der Kahn gehört mir schon«, meinte er bedächtig. »Aber mitkommen kann ich nicht. Vielleicht rudern die Herrschaften allein rüber…« »Natürlich – « Edzard war sofort einverstanden. »Nur, wie kommt das Boot wieder hierher zurück?« »Drüben am Waldrand wohnt mein Bruder, der sorgt schon dafür, daß alles in Ordnung geht.« »Das ist ja großartig. Ich mache den Kahn drüben fest und sage Ihrem Bruder Bescheid.« »Ist recht – «, nickte der Bauer, löste das Fahrzeug und bedankte sich erfreut für den Schein, den Edzard ihm in die Hand drückte. Der sprang ins Boot, half Andrea hinein, ergriff die Ruder, und fort ging es vergnügt und guter Dinge. Andrea saß Edzard gegenüber, den Rücken lässig gegen den Bug gelehnt. Ihre Augen strahlten. »O wie schön! So unbeschwert, frei und froh wie jetzt habe ich mich schon lange nicht gefühlt. Am liebsten möchte ich jauchzen wie ein übermütiges Kind.« »Tun Sie es«, lächelte Edzard. »Jedenfalls freue ich mich, daß ich mit dem Bummel in die Natur das Richtige getroffen habe. Wenn der Wettergott nicht so gnädig wäre, müßten wir uns jetzt in einem Lokal herumtreiben. Gräßlicher Gedanke!« »Der alte Herr meint es eben gut mit uns«, lachte sie.
»Wahrscheinlich sind wir beide recht artig gewesen, und das wonnevolle Wetter soll unsere Belohnung sein.« Langsam näherte sich das Boot dem Ufer. Schilfinseln tauchten auf. »Schauen Sie nur diese wundervollen Seerosen -!« rief Andrea plötzlich entzückt und zeigte nach der Stelle, wo es schneeweiß aufleuchtete. Er fuhr an die Schilfinsel heran, pflückte drei Rosen mit geübtem Griff und warf sie Andrea zu. »Danke – «, lachte sie ihn an, legte eine Blüte auf den Handteller und vertiefte sich in ihren Anblick. Edzard konnte seinen Blick nicht wenden von dem zarten Mädchengesicht, das nun einen ungemein verträumten, zärtlichen Ausdruck hatte. Er bewegte die Ruder langsam, um die Träumerin nicht zu stören. Erst als sie aufsah, tat er einige kräftige Ruderschläge, und schon stieß das Boot auf Land. »Oh, wir sind schon da?« fragte sie, sich erstaunt umwendend. »Das ist aber schnell gegangen. Eigentlich tut es mir leid – die Fahrt war wunderschön.« Edzard sprang an Land, hob Andrea aus dem Boot und wandte sich dann an den Jungen, der wie hergezaubert vor ihnen stand. »Na, mein Sohn. Wo kommst du denn so plötzlich her?« »Ich sah Sie kommen und will den Kahn festmachen. Er gehört meinem Onkel. Ich muß aufpassen, daß er nicht geklaut wird.« »Sehr liebenswürdig«, lachte Edzard. »Also, walte deines Amtes.« Er warf dem Jungen ein Geldstück zu, das dieser geschickt auffing. Dann schob er seine Hand unter Andreas Arm, was sie sich ruhig gefallen ließ. Sie trug die Rosen behutsam in den Händen, die sie zu einer Schale geformt hatte, und sah immer noch verträumt darauf nieder. Ganz unerwartet verhielt der Mann den Schritt, hob ein Stück frische, biegsame Birkenrinde auf, schnitt sie mit dem Taschenmesser zurecht, formte
geschickt daraus ein Körbchen, dessen Ecken er mit dünnen Reisern zusammen band. Dann rupfte er Moos vom Waldboden, tat es in das Körbchen und überreichte es Andrea, die dem allem mit großen Augen zugeschaut hatte. »Das ist ja goldig – «, freute sie sich wie ein beschenktes Kind. »Darin soll ich nun meine Rosen betten?« »Ja, dann tragen sie sich bequemer.« Die zarten Blüten wurden in ihr weiches Bettchen gelegt, dann konnte der Weg fortgesetzt werden. Doch schon in wenigen Minuten war das kleine Waldhaus erreicht, wo ihnen ein Hund knurrend entgegenkam. Dann ein Stutzen – und schon schoß er vor Freude jaulend auf Edzard zu, der ihn tätschelte. »Na siehst du, Max, bald hättest du mich nicht erkannt. Wo ist denn dein Frauchen?« »Hier – «, kam es lachend vom Gartentor, in dem eine wohlgenährte Frau stand. »Guten Tag, Herr Baron, das ist aber eine Freude. Und das ist wohl das Fräulein Braut?« »Noch nicht – «, schmunzelte Edzard, während Andrea heiß errötete. »Erst mal guten Tag, Muttchen Wallenbusch.« Er reichte ihr die Hand hin. Auch Andrea begrüßte die freundliche Frau mit Handschlag. »O die schönen Rosen«, rief sie und zeigte auf das Körbchen. »Und das Dingchen hat doch sicher der Herr Baron gemacht. Mir brachte er auch einmal so eines mit Walderdbeeren gefüllt…« »Als Dank dafür, daß Sie mir meine Hosen flickten, die ich im Wald zerrissen hatte«, ergänzte Edzard lachend. »Das waren noch Zeiten, Muttchen Wallebusch, was?« »O ja, Herr Baron. Da waren wir noch jung und knusprig. Sind die Herrschaften übern See gekommen?« »Ja – « »Dann werden Sie schön hungrig sein. Da muß ich sehen, daß ich etwas Extrafeines zusammenbringe.« »Die Arbeit dürfen Sie sich am Sonntag nicht machen«, wehrte Edzard. »Ist nicht noch etwas vom Mittag übriggeblieben?«
»Das schon, aber ich kann doch den Herrschaften keine Reste anbieten…« »Warum nicht? Wenn sie gut sind. Was hat’s gegeben?« »Kalbsbraten mit jungem Salat und Pudding. Am Sonntag leben wir immer üppig.« »Dann her damit, Muttchen Wallebusch! Wir suchen indes meinen Stammplatz auf.« Schon war sie fort, und Edzard sah ihr lächelnd nach. »Immer noch die alte, immer noch so flink und beweglich, wie ich sie vor zwanzig Jahren kennenlernte. Damals war sie noch eine ganz junge Frau, aber schon urgemütlich und fidel.« »So lange kennen Sie die gute Frau schon?« fragte Andrea interessiert. »Ja. Sie war die mutige Verteidigerin all meiner Knabenstreiche. Hat mich so manches liebe Mal abgeschrubbt, um mir die Hiebe von Onkelhand zu ersparen. Und auch manches liebe Mal habe ich mir an den Leckerbissen, die sie für mich bereithielt, den Magen verdorben.« Während er das erzählte, hatte er Andrea in den kleinen Garten geführt. An den Bäumen und Sträuchern prangten die Fliederdolden, vom hellsten bis zum dunkelsten Lila. Und in einer besonders schönen Fliederhecke standen ein Tisch und zwei Korbsessel. »Ist dieses Ihr Stammplatz?« fragte Andrea. »Ja. Hier habe ich oft meine Schularbeiten gemacht, verbotene Lektüre verschlungen, gespielt, geweint und gelacht. Immer treu behütet von Muttchen Wallebusch.« Gleich nachdem sie Platz genommen, kam ein junges Mädchen herbei, das übers ganze Gesicht strahlte. »Guten Tag, Tülle -!« rief Edzard ihr lachend entgegen. »Wie geht’s? Immer noch das Leben frisch?« »Guten Tag, Herr Baron. Natürlich ist das Leben frisch, hauptsächlich bei dem schönen Mai wetter.« »Was macht der Schatz?« »Aber, Herr Baron, ich hab doch gar keinen.«
»Dann wird’s aber Zeit, Tullchen. Hübsch genug bist du, um dir einen anzulachen.« Währenddem hatte das Mädchen eine blütenzarte Decke über den Tisch gebreitet und eine Vase mit Flieder darauf gestellt. Dann eilte es leichtfüßig davon. »Ein hübsches Mädchen ist die kleine Else geworden«, sagte Edzard vergnügt. »Wie das alles so heranwächst, kaum zu glauben. Als ich sie das erste Mal sah, lag sie noch in der Wiege. Unsere Freundschaft begann damit, daß sie mir, als ich mich zu ihr neigte, mit ihren flinken Fingerlein das Gesicht zerkratzte.« Andrea mußte hellauf lachen, und Muttchen Wallebusch, das mit einem vollgepackten Tablett anrückte, lachte herzlich mit. »So – da habe ich hier schnell was geschmort, hoffentlich wird es schmecken.« Damit stellte sie wohlgefüllte Schüsseln mit Fleisch, Salat, Kartoffeln, Soße, Pudding und zwei Flaschen Bier auf den Tisch. »Erbarmen Sie sich, Muttchen Wallebusch, das alles sollen wir essen -?« »Warum nicht? Ein junger Magen kann viel vertragen. Hauptsächlich nach einer Kahnfahrt auf dem See. Wie geht es auf Reuth, was macht die liebe Tante Natchen?« »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Muttchen Wallebusch«, entgegnete Edzard, indem er Andrea den Teller vollpackte und sich dann selbst versorgte. »Ich bin nämlich seit zwei Wochen von Reuth fort.« – »Ach, du liebe Güte, warum denn?« »Krach mit dem Onkel, der diesmal zum Bruch führte. Übermorgen trete ich meine Inspektorstelle in Ritters an.« Frau Wallebusch mußte sich auf einen Gartenstuhl setzen, so sehr zitterten ihr die Beine. Nun legte sich ihr gutes Vollmondgesicht in grimmige Falten. »Ich lasse mich hängen, wenn da nicht wieder dieser Schleicher Busso dahintersteckt!« erboste sie sich. »Sie brauchen nicht nach dem Strick zu greifen«, lachte
Edzard. »Ihre Annahme stimmt.« »Na, so ein Scheusal! Aber lassen Sie man, Herr Baron, unser Herrgott sieht sich das nicht mehr lange mit an. Wenn Sie noch lachen können, dann hat sie das alles ja nicht so arg mitgenommen. Und nach Ritters gehen Sie? Gut so, das wird den Onkel wurmen! Aber nun werde ich gehen, damit die Herrschaften in Ruhe essen können. Gleich bringe ich die beiden Schaukelstühle her, dann wird ein Mittagsschläfchen gehalten unter dem blühenden Flieder. Nachher gibt’s Kaffee.« »Max, willst du wohl -!« wollte sie den Hund verscheuchen, der sich in den Garten geschlichen hatte und nun den Kopf zutraulich auf Andreas Schoß legte. »Lassen Sie ihn nur«, legte diese ein gutes Wort für ihn ein. »Er spürt, daß ich Hunde gern mag. Überhaupt alle Tiere.« »Dann sind Sie auch ein guter Mensch, Fräuleinchen«, nickte Frau Wallebusch zufrieden, ließ den Hund, wo er war, und eilte davon. »Das ist ja ein ganz goldiges Muttchen«, sagte Andrea entzückt. »Das könnte ich direkt liebhaben.« Unwillkürlich mußte Edzard daran denken, wie er einmal mit Vera hergekommen war und wie sie über das ganze Milieu hier die Nase gekraust, die freundlichen Menschen herablassend behandelt und den Hund aus Angst um ihre elegante Toilette verscheucht hatte. Sein Antlitz verfinsterte sich. Er aß schnell seinen Teller leer, bot Andrea, die sich gesättigt in den Sessel zurücklehnte, eine Zigarette an, reichte ihr Feuer und versorgte sich dann selbst. »Nanu, Baron, was hat Ihnen denn so plötzlich den Appetit verdorben?« fragte sie verwundert, und da lachte er bitter auf. »Unerquickliche Gedanken, gnädiges Fräulein. Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich mit dem, was mir Herz und Seele vergiftet, nicht fertig werden kann.« »Dafür muß es doch ein Gegenmittel geben.« »Das gibt es«, nickte er ihr da herzlich zu. »Und das sollen
Sie mir verabfolgen.« »Ich -? Was habe ich denn damit zu tun – « »Mehr als Sie ahnen…« Weiter konnte er nicht sprechen, weil Mutter und Tochter mit den Schaukelstühlen anrückten. Andrea belegte den ihren sofort mit Beschlag, sagte dann so recht aus Herzensgrund: »O Muttchen Wallebusch, wie schön ist es doch bei Ihnen!« Edzard lachte fröhlich auf. Das liebe Muttchen war so stolz, als hätte es einen Orden bekommen, und ging tief befriedigt davon. Edzard nahm nun auch seinen Schaukelstuhl ein. Sie wiegten sich hin und her, ließen ihre Blicke über die bunte Blütenpracht schweifen und genossen dieses Ruhestündchen aus vollem Herzen. Nach langen Minuten fragte der Mann leise: »Finden Sie die Menschen hier auch vulgär, gnädiges Fräulein?« Langsam wandte Andrea ihm den Kopf zu und sah ihn befremdet an. »Welch ein häßliches Wort, Baron, mitten in dieser herrlichen Umgebung. Wie kann man Menschen wie Muttchen Wallebusch als vulgär bezeichnen?« Da ergriff Edzard die zarte Hand und führte sie stumm an die Lippen. Dann schwiegen sie wieder. Horchten auf, als eine warme Männerstimme durch das geöffnete Fenster des Hauses zu ihnen drang. Sie sang ein altes, schlichtes Lied, nicht sentimental, sondern einfach und herzgewinnend. »Ich steh so gern vor deiner Hütte, im gold’nen Abendsonnenschein. Erblick in dunkler Waldesmitte dein rebumranktes Fensterlein. Sieh diese Pracht von Fliederbäumen, ich bring’ sie dir, du schönste der Frau’n, an deinem Herzen laß mich träumen, o gönne mir den Frühlingstraum…« Dann war es still. Andrea lag regungslos, den offenen. Blick
zum Himmel gerichtet. Dann fielen die Lider darüber, der Kopf neigte sich zur Seite, tiefe Atemzüge verrieten, daß sie eingeschlafen war. Greifbar nahe war dem Mann das zarte Antlitz. Wie schön sie ist, dachte er bewegt. Von einer klaren, ungekünstelten Schönheit. Herb und süß zugleich. Hatte er das Recht, ein so bezauberndes Menschenkind aus Rachedurst an sich zu binden, ein frevles Spiel mit ihm zu treiben? Was wußte er überhaupt von dem Mädchen? Nichts weiter, als daß es Andrea Müller hieß, Sekretärin und bezaubernd schön war, außerdem stolz abweisend und herzfroh sein konnte. Das war alles. So grübelte er, den Blick auf Andrea gerichtet. Bei einer Bewegung glitt das Rubinherz von der Brust und zeigte nun die Rückseite aus schwerem Gold mit winziger Gravierung darin. Wie gebannt schaute er auf die blanke Fläche. Er schrak zusammen, als der Hund Max, der zusammengerollt zu seinen Füßen lag, plötzlich anschlug und so auch Andrea aus ihrem Schlummer riß. Noch traumumfangen setzte sie sich auf, lachte verlegen. »Da habe ich doch tatsächlich fest geschlafen. Daß ich so müde werden konnte, macht die halbdurchtanzte Nacht und der Aufenthalt in der herben Waldluft. Entschuldigen Sie, Baron.« »Da gibt es doch nichts zu entschuldigen, gnädiges Fräulein. Schauen Sie, da kommt Muttchen Wallebusch bereits mit dem Kaffeegeschirr.« »Kann ich mich hier irgendwo ein wenig frisch machen?« fragte Andrea. »Ich habe ein unbezwingliches Verlangen danach.« »Kommen Sie nach dem Fremdenstübchen, da können Sie planschen nach Herzenslust. Und der Herr Baron sollte ein Gleiches tun.« »Wird gemacht, Muttchen Wallebusch.« Edzard sprang auf. »Ich werde die Waschstube aufsuchen, in der Sie mich oft abgeschrubbt haben.«
Geschäftig führte sie Andrea in die kleine Oberstube, sorgte für Wasser nebst Handtuch und Seife und lachte das Mädchen freundlich an. »So, Fräuleinchen, jetzt können Sie sich frisch machen. Wissen Sie, mir lachte das Herz im Leibe, als ich Sie mit unserm Edzardchen ankommen sah. Sie gefielen mir gleich auf den ersten Blick«, gestand sie treuherzig. »Er scheint viel von Ihnen zu halten, weil er Sie hierher brachte. Mit seinen Liebschaften, die ein Mann vor der Ehe ja immer hat, hauptsächlich wenn er so aussieht wie der Edzard, dem die Mädchen förmlich nachlaufen – na ja, mit denen hat er sich nicht hergetraut. Bloß eine brachte er einmal mit, das soll ja aber auch so ein Stück Braut von ihm gewesen sein. Du meine Zeit, war das eine Prise! Tat sehr vornehm, rümpfte über alles hier die Nase. Und den Hund hat sie behandelt; daß Gott erbarm! Wer schon für Tierzeug nichts übrig hat, an dem ist nicht viel dran. Ich habe mir richtige Sorgen gemacht, daß unser Edzard die heiraten könnte. Aber jetzt hat sie ja den Busso, soviel ich hörte. Dem gönne ich sie. Das ist vielleicht ein Schubbejack, Fräuleinchen! Der kann sich beim Onkel so richtig Liebkind machen. Ewig gehetzt und gepetzt hat er über seinen Bruder. Der alte Baron glaubte ihm alles aufs Wort, hat den armen Edzard getriezt sein Leben lang. Und zwar, damit der Schubbejack alles erbt und der arme Jung’ hier leer ausgeht. Was der Busso für einer ist, will ich Ihnen erzählen. Dem steckte schon als Jung’ der Teufel im Leib, aber getan hat er wie ein Engel. Der Edzard sollte gar nicht hierher kommen, das wollte der alte Baron nicht haben, weil wir bloß eine Waldhüterfamilie aus seinem Wald sind. Aber der Jung’ kam doch, weil er hier Herzen fand. So oft der Busso ihn hier ertappte, ging die Petzerei beim Onkel los. Seitdem habe ich aufgepaßt wie ein Luchs. Aber einmal erwischte er ihn denn doch wieder und pöbelte ihn an. Das hörte meine Else, die damals drei Jahre alt war. Die wollte dem Edzardchen beistehen, dem sie so
gut ist. Und was tat der Busso? Der schlug ihr ins Gesicht, daß Blut aus der Nase kam. Aber da hätten Sie unsern Edzard sehen sollen. Der wurde weiß wie die gekalkte Wand, holte aus und gab dem Busso eins vor die Stirn, daß er gleich überkippte. So hat er meine Else verteidigt, obgleich er dafür von dem Onkel furchtbare Prügel bekam. Aber du liebe Zeit, nun verplappere ich mich hier, und unten wird der Kaffee kalt. Machen Sie sich man schön, Fräuleinchen, ich muß jetzt gehen.« Als Andrea in den Garten kam, wartete Edzard schon dort. Hinterher erschien dann auch die Hausfrau, die außer einem extraguten Kaffee einen hochgetürmten Teller mit goldgelben Waffeln brachte. Nachher plauderte sie noch mit den Gästen, bis es Zeit für diese würde, aufzubrechen. Edzard hatte dann noch einen Kampf mit der Betreuerin zu bestehen, die den Schein, den er ihr in die Schürzentasche steckte, durchaus nicht nehmen wollte. Erst als er ernstlich böse wurde, gab sie kleinlaut nach. Und als Andrea ihr mit ihrem bezaubernden Lächeln die Hand reichte, dabei beteuernd, wie köstlich alles geschmeckt und wie sie sich wohl gefühlt hätte, da strahlte das gute Vollmondgesicht. Sie wurde jedoch ernst, als Edzard sich nach Else erkundigte, von der er sich verabschieden wollte. »Die ist wieder bei ihrem Jäger«, seufzte sie bedrückt. »An dem hat sie nun mal ihren Narren gefressen, ebenso wie er an ihr. Er ist ja auch ein anständiger Mensch. Aber bis er ans Heiraten denken kann, sind die beiden alt und grau. Der Förster, bei dem er arbeitet, nutzt ihn so richtig aus. Der ist überhaupt nicht ehrlich, doch man kann ja nichts sagen, weil einem die Stelle hier lieb ist. Elses Schatz, der Barleit, versteht viel mehr als der Förster. Ihm fehlt bloß noch eine Prüfung, damit er selber Förster werden kann, und bestimmt ein guter. Dazu fehlt dem Jungen leider das Geld. Sein Vater ist Waldhüter mit sieben Kindern.« »Zu welchem Gut gehört die Försterei?« fragte Edzard. »Zu Ritters.«
»Da wundere ich mich, daß der Verwalter mit dem Förster zufrieden ist.« »Ist er bestimmt nicht, Herr Baron. Dem kann keiner so leicht was vormachen, der sieht dem Menschen durch die Kleider ins Herz. Der wartet bloß ab, bis er dem aalglatten Kerl was Bestimmtes nachweisen kann, dann macht er kurzen Prozeß. Aber davon hätte der Jung’ ja auch nichts«, schloß sie betrübt. Edzard streichelte ihr die Wange. »Lassen Sie man, Muttchen Wallebusch. Kommt Zeit, kommt Rat. Grüßen Sie die Tülle schön, sie soll ihr Köpfchen nicht hängen lassen.« Damit brachen die Gäste auf. Andrea hatte das Körbchen mit den Seerosen nicht vergessen und trug es vorsichtig in den Händen. Es war eine Wonne, durch den Wald zu schreiten, in dem die Laubbäume sich mit zarten Blättern und die Tannen mit zartgrünen Trieben frühlingsgemäß geschmückt hatten. Die beiden sprachen nur wenig, um die schöne Stimmung so recht genießen zu können. Edzard war jetzt niedergedrückt, was Andrea nicht entging. Immer wieder musterte sie sein Gesicht verstohlen, bis sie dann leise fragte: »Ist Ihnen nicht wohl, Baron? Wollen wir uns ein Weilchen auf diese Bank setzen?« »Ja – «, atmete er auf. Nachdem sie Platz genommen, schloß Edzard die Augen, lehnte sich gegen die Banklehne und verschränkte die Arme über der Brust. Still saß Andrea neben ihm und sah bang in das vornehme, rassige Männerantlitz, über das ab und zu ein nervöses Zucken lief. Die Sonne stand schon tief am Horizont, überflutete wie als letzten Gruß die Wipfel der hohen Bäume mit ihrem goldenen Schein. Die Vögel jubilierten nicht mehr so hell, ihre Stimmen klangen schon verträumt. Hin und wieder schrie bereits ein Käuzchen dazwischen. Von der Stadt her drang das Getöse deutlich bis zu dem stillen Plätzchen
hier. Und plötzlich fing der Mann an zu sprechen, monoton – als führe er ein Selbstgespräch. Mit dem Tage begann er, da er in das Haus des Onkels gekommen. Andrea bekam alles zu hören, restlos alles, wahrheitsgemäß, klar und sachlich. Reglos saß sie da, die Arme seitlich über die Banklehne gestreckt. Sie rührte sich auch nicht, als Edzard den Kopf nach ihr wandte. »Gnädiges Fräulein, haben Sie mir eigentlich zugehört?« fragte er leise. »Ganz genau, Baron – Wort für Wort.« »Und auch alles begriffen?« »Nur zu gut.« »Dann will ich noch einmal wiederholen, was ich zu meinem Freund sagte: Meine Frau braucht nicht schön zu sein, nicht reich und nicht klug. Nur ein Herz muß sie haben – nichts weiter als ein Herz.« »Das ist sehr viel, Baron – eigentlich alles.« »Dann verstehen Sie mich nicht – und nicht meinen Wunsch nach Vergeltung?« »Doch, Baron, weil ich mich in derselben Lage befinde wie Sie.« Nun fuhr er auf. »Aber dann müssen wir uns doch zusammentun. Wollen Sie das?« »Nicht jetzt – «, erhob sie sich hastig. »Ich muß erst mit mir ins reine kommen. Denn es ist ja keine Kleinigkeit, die Sie von mir verlangen.« »Wann werden Sie mir Ihren Entschluß mitteilen können, gnädiges Fräulein?« »Morgen früh, Baron. Mittags muß ich abreisen.« Während sie nun rasch der Stadt zuschritten, wurde kein Wort mehr gesprochen. Erst als Edzard sich im Vestibül des Hotels über ihre Hand neigte, fragte er leise: »Wann darf ich Sie morgen hier erwarten?« »Morgen um neun Uhr.« Damit ging sie die Treppe hinauf. Edzard bestellte beim
Portier ein Zimmer und rief dann Harlerode an, wo das Stubenmädchen das Gespräch in Empfang nahm. Sie sollte der Herrschaft bestellen, daß er im Hotel übernachten würde. Pünktlich um neun Uhr fand Andrea sich in der Hotelhalle ein, wo Edzard bereits auf sie wartete. Verstohlen ging sein Blick über sie hin. Nichts mehr erinnerte an das fröhliche, unbeschwerte Menschenkind, das sie gestern gewesen. Das zarte Antlitz hatte einen direkt hochmütigen Ausdruck. Ebenso hochmütig klang es, als sie sagte: »Hier kann man wohl kaum ungestört sprechen. Daher mache ich den Vorschlag, uns einen Platz woanders zu suchen.« »Das Wetter ist heute nicht so schön wie gestern, gnädiges Fräulein.« »Das macht nichts, ich habe mich danach angezogen.« Sie trug ein tadellos gearbeitetes Kostüm, welches das Vornehme ihrer Erscheinung so recht zur Geltung brachte. Und Edzard schoß es durch den Sinn, daß an der ausgesucht eleganten Kleidung gemessen, ihr Gehalt doch recht hoch sein müsse. Sie traten auf die Straße und schlugen den Weg ein, den sie gestern gegangen. So waren sie bald im Wald angelangt, der düster und geheimnisvoll vor ihnen lag. An der ersten Bank machten sie halt. »So, hier sind wir ungestört«, sagte Andrea und nahm Platz. Edzard setzte sich neben sie und wartete mit hartklopfendem Herzen der Dinge, die da kommen sollten. Und schon begann sie sachlich und kühl: »Wie ich Ihnen versprach, Baron, habe ich mir Ihr Anerbieten reiflich überlegt. Übrigens hätte ich es gestern schon kurzweg abgeschlagen, wenn Sie geheuchelt und mir Liebe auf den ersten Blick vorgetäuscht hätten. Ihr Mut zur Wahrheit hat mir jedoch Hochachtung abgenötigt. Wenn ich nun Ihr Anerbieten annehme, Baron… Halt -!« unterbrach sie sich, als er nach ihren Händen
greifen wollte. »Ich bin noch nicht zu Ende. Also, wenn ich Ihr Anerbieten annehme, dann trägt viel dazu bei, was ich gestern von Frau Wallebusch hörte. Es gibt mir die Gewähr, daß ich es mit einem Ehrenmann zu tun habe. Die Frau sprach in so warmen, rührenden Worten von Ihnen, die mich überzeugten, daß Sie ein guter Mensch sind. Dann sah ich Ihre herzliche Freundschaft mit Frau und Herrn Syder, die mir so gut gefallen. Daß diese Menschen Ihnen innig zugetan sind, spricht ebenfalls für Sie. Doch nun zuerst einmal die Frage: Wie denken Sie sich unsere – Ehe? Soll sie wirklich eine werden?« Edzard stieg das Blut in die Schläfen; abwehrend hob er die Hände. »Um Gott, gnädiges Fräulein – so gewissenlos bin ich nicht…« »Danke, das genügt mir. So offen wie Sie gestern zu mir waren, so offen will ich heute zu Ihnen sein. Es ist nicht einfach für mich, unter den vorliegenden Verhältnissen Ihre Frau zu werden – und sei es auch nur dem Namen nach. Dazu gehört wirklich ein großmütiges, verstehendes Herz. Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, Ihren Herrn Onkel und Ihren Bruder Busso gleichfalls nicht. Aber ich kann mir nicht denken, daß ersterer so sehr mit Blindheit geschlagen sein soll, daß er nicht doch eines Tages hinter den wahren Charakter seines Neffen Busso kommen sollte. Dann wird er Ihren Wert um so mehr erkennen, wird Ihnen unlösliche Rechte auf Reuth geben. Und dann – was wird dann aus mir? Dann wird der Groll, den Sie jetzt gegen Fräulein von Kardas haben, sich bestimmt legen. Sie werden zum Verzeihen bereit sein. Sie werden alles vergessen. Und ich? Ich kann die Worte zitieren: >Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen<. Das würde mir nichts weiter ausmachen, wenn ich als guter Kamerad neben Ihnen gelebt hätte… Aber als Ihre wirkliche Frau -? Ist es Ihnen vielleicht möglich, sich in meine Lage zu versetzen, Baron?« Blaß bis in die Lippen war Edzard ihren Worten gefolgt.
»Gnädiges Fräulein – «, sprach er langsam und hart betont. »In dem Punkt scheinen Sie meine Worte falsch aufgefaßt zu haben. Ich habe gesagt, daß ich die Frau, die ich unter so ungewöhnlichen Umständen an mich binde, in der Ehe erst charakterlich kennenlernen will. Wenn ich das bei Ihnen finde, was ich ersehne nichts weiter als ein Herz –, dann werde ich Ihnen das meine bestimmt nicht verschließen – und in einer glücklichen Ehe glücklich sein.« »Das ist gut«, atmete sie befreit auf. »So mache ich den Vorschlag, eine Probezeit zu vereinbaren, sagen wir auf ein halbes Jahr. Finden wir bis dahin nicht das, was wir beide untereinander suchen, dann trennen wir uns in aller Güte. Noch ist es Zeit, noch können Sie Ihr Anerbieten rückgängig machen, Baron – «, warnte sie. Doch da wurde sein Antlitz hart. »Nein, das tue ich auf keinen Fall – jetzt nicht mehr.« »Baron, Sie wissen von mir nichts mehr als meinen Namen…« »Das ist mir gleichgültig«, beharrte er. »Ich habe ja ein halbes Jahr Zeit, um alles Weitere zu ergründen. Mit welchem Tag soll die Probezeit beginnen?« »Mit dem Hochzeitstag«, lächelte sie. »Aber ich will großmütig sein und bereits heute einen festen Termin bestimmen und zwar Silvester. Dann sprechen wir uns aus – und wenn wir uns gegenseitig enttäuscht haben, trennen wir uns am ersten Tag des neuen Jahres in aller Güte.« »Hm – heute haben wir den vierzehnten Mai – das wären also noch siebeneinhalb Monate. Na schön, sollen Sie Ihren Willen haben«, meinte er leise. Froh klang das allerdings nicht. Und als er dann fragte: »Haben Sie nun meinen Antrag angenommen oder nicht?« da lachte sie wieder ihr herzfrohes Lachen. »Ich glaube ja. Doch am Ende tut es Ihnen leid?« »Das wäre -!« lachte er nun auch, griff in die Rocktasche und förderte ein kleines Etui daraus hervor, das er aufspringen ließ. Ein schwergoldener Wappenring funkelte auf.
»Ihr Verlobungsring, Andrea. Und das ist das Gegenstück dazu.« Er zeigte auf seinen Finger der Linken, auf dem der gleiche Reif glänzte. »Es sind die Ringe meiner Eltern, die laut Testament mir zufielen, weil ich ihr Lieblingssohn war. Bitte Ihren Finger.« Ohne Ziererei reichte sie diesen ihm hin. Und nachdem er den Ring daraufgeschoben, drückte er seine Lippen fest auf ihre Hand. »So, Andrea, jetzt bist du meine Braut. Versprechen will ich dir nichts – « »Ist auch nicht nötig«, wehrte sie errötend ab. »Ich verstehe mich schon zu wehren – darauf können Sie sich verlassen.« »Sie - Andrea?« »Meinetwegen auch – du.« »Wie gnädig«, spottete er. »Ein bißchen mehr Freundlichkeit hätte ich wohl verdient – da heute nämlich mein Geburtstag ist.« »Wie schön das paßt-!« lachte sie hellauf. »Da muß ich wohl allerherzlichst gratulieren und dir Glück wünschen. Wie alt wird denn mein Herr Bräutigam?« »Andrea, ich möchte dich darauf aufmerksam machen, daß ich in gewissen Dingen keinen Spott vertrage – « »Ich spotte nicht, Edzard, ich freue mich, daß deine Verlobung auf deinen Geburtstag fällt. Und da nun alles so schön geklärt ist, müssen wir an den Rückweg denken. Zwischen eins und zwei fährt nämlich mein Zug.« »So bald schon?« entgegnete er erschrocken. »Da haben wir ja nur noch knappe zwei Stunden Zeit. Muß es sein, daß du ausgerechnet heute fährst?« »Ja – «, erwiderte sie fest. »Mein Chef erwartet mich.« »Wann wirst du dein Dienstverhältnis lösen?« »Morgen, am Fünfzehnten.« Sie gingen nun rasch zur Stadt zurück. Es war später geworden, als sie angenommen hatte. Nun mußte sie sich beeilen, um zum Zug zurechtzukommen. Edzard brachte sie zur Bahn und besorgte noch schnell Süßigkeiten nebst Zeitschriften, die er ihr durch das
Wagenfenster reichte. Rasch gab er ihr noch seine Adresse. »Damit du an mich schreiben kannst.« Er erhaschte noch ein süßes Lächeln dann war sie seinen Augen entschwunden. Während er dem Bahnausgang zuschritt, fiel ihm ein, daß er in der Eile ganz vergessen hatte, wohin sie eigentlich fuhr. Als Edzard von Rittersreuth in Harlerode ankam, waren die Freunde verwirrt. »Was, Edzard, du kommst allein?« fragte Susann enttäuscht. »Hat es mit der Verlobung nicht geklappt?« »Doch, aber Andrea mußte abreisen, weil ihr Chef sie erwartete.« »Wie schade. Wohin ist sie gefahren?« »Das weiß ich nicht, Susann.« »Das weißt du nicht -?« fragte sie entsetzt, während Hubert schallend lachte. »Großer Gott, was bist du für ein seltsamer Bräutigam!« »Das kann man wohl sagen – «, bekräftigte der Gatte. »Hat sie es dir denn nicht gesagt?« »Nein. Und ich habe in der Eile vergessen, sie danach zu fragen.« »Mir schwant, daß sie dich ein bißchen an der Nase herumgeführt hat«, murmelte Hubert. »Laß ihn in Ruhe!« gebot Susann energisch. »Siehst du denn nicht, wie blaß er ist? Komm, Edzard, trinke zuerst einmal eine Tasse Kaffee, dann wird dir gleich wohler werden.« Das tat er. Und nachdem er noch einen Schnaps intus hatte, begann sich seine Verstimmung langsam zu legen. Kurz schilderte er, wie Andrea seine Werbung aufgenommen, verschwieg jedoch, welche Bedingung sie gestellt hatte. »Na also, dann ist ja alles in Butter«, der Freund nickte zufrieden. »Wo hast du dich eigentlich gestern so lange herumgetrieben, daß du nicht mehr herkommen konntest?«
Er erzählte, wie sie nach ihrem Spaziergang bei Muttchen Wallebusch gelandet waren. Wie er erst auf dem Rückweg dazu kommen konnte, Andrea sein Anliegen zu unterbreiten, und wie sie sich Bedenkzeit ausgebeten hatte. »Hm – «, schmunzelte Hubert. »Wie alt ist sie eigentlich?« »Zweiundzwanzig.« »Gutes Heiratsalter. Bei wem ist sie angestellt?« »Weiß ich nicht.« »So, so. Dann weißt du von deiner Braut nur, daß sie Andrea Müller heißt und bei irgendeinem Herrn als Sekretärin angestellt ist?« »Genügt mir für meinen Zweck vollkommen.« »Na schön. Wollen abwarten, wie die interessante und gewiß nicht alltägliche Verlobung sich entwickeln wird. Hattest du überhaupt einen Ring bei dir?« »Sie trägt den Ring meiner Mutter.« »Edzard -!« rief Susann erschrocken. »Dieses Kleinod hast du dem fremden Mädchen gegeben, von dem du nicht einmal weißt, wohin es gefahren ist-?« »Nimmst du etwa an, daß sie mit ihm über alle Berge ist?« »O Himmel, nein, Edzard! Das nehme ich natürlich nicht an. Aber ich will lieber den Mund halten – « »Recht tust du damit«, schmunzelte Hubert. »Doch nun mal Scherz beiseite. Mag an der Verlobung auch so manches sonderbar anmuten, was hauptsächlich auf dein Konto geht, mein Langer, so kannst du zufrieden sein, daß dein guter Stern dir die Andrea in den Weg schickte, die einen außerordentlich guten Eindruck auf mich gemacht hat. Du hättest mit deinem Schwur ganz gehörig hereinfallen können, mein Lieber. Was siehst du so krampfhaft auf deine Uhr, Edzard?« »Ich muß nach Ritters. Morgen beginnt mein Dienst.« »Richtig -!« rief Hubert lebhaft. »Morgen ist ja der Fünfzehnte. Und heute… Menschenskind, Edzard, du hast ja heute Geburtstag! Den habe ich bei der Aufregung tatsächlich vergessen. So ein Skandal! Komm her, alter Junge, laß dir alles Gute wünschen.« Er schüttelte dem
Freund herzlich die Hand, wonach Susann dasselbe tat. Der Fernsprecher schlug an, Hubert nahm das Gespräch entgegen. »Syder – Harlerode – «, sprach er in den Apparat. »Ja, höchst persönlich. Mit wem spreche ich? Oh, gnädiges Fräulein, das ist mal eine Überraschung! Der Edzard? Ja, der ist hier. Steht neben mir…« Edzard nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Andrea – du -? Woher sprichst du? Das dürfte mich nicht interessieren? Na, erlaube mal! – Nein, meinen Geburtstag werde ich nicht feiern, weil ich gleich nach Ritters muß – Was sagst du da, Andrea?! Das ist ja unerhört! Warum hast du mir das nicht gesagt! Unwichtig ist das, meinst du…?« Das Pausenzeichen wurde im Apparat hörbar, ein Zeichen, daß am anderen Ende abgehängt worden war. »Sie ist fort-«, stellte Edzard ärgerlich fest. »Na, so eine kleine Kanaille!« »Was hat sie denn gesagt?« drängte Susann. »Was sie gesagt hat? Daß heute auch ihr Geburtstag ist. Wenn wir auf den meinen Anstoßen, möchten wir auch einen Schluck auf ihr Wohl trinken. Was gibt es darüber zu lachen, Hubert?« »Na, soll ich weinen? Es ist einfach köstlich, wie die Kleine mit dir umspringt! Mein lieber Freund, ich glaube, mit der Frau wirst du es nicht leicht haben. So und nun werde ich in den Keller steigen und einen guten Tropfen holen, damit wir die beiden Geburtstagskinder hochleben lassen können.« »Laß das, Hubert, ich muß nach Ritters…« »Man immer gemütlich, alter Freund. Dahin kommst du noch früh genug.« Also trank man den Wein, der aus seiner Privatschatulle stammte, wie Hubert versicherte. Das erste Glas wurde auf Andreas Wohl geleert. »Prosit, deine herzliche Braut soll leben«, schmunzelte Hubert. »Noch recht lange, damit sie dir noch viel zu schaffen macht. Aber das schadet dir gar nichts, mein
Lieber. Strafe muß sein für so viel Leichtsinn, mit dem du auf die Freite gingst.« »Na schön – «, meinte Edzard friedfertig. »Jedenfalls bin ich froh, daß sie mir keinen Korb gegeben hat. Aber worum ich dich noch bitten wollte, Hubert: Möchtest du nicht meine Sachen von Reuth nach Ritters schaffen lassen?« »Selbstverständlich, Edzard, das machen wir schon. Wird ein Kastenwagen genügen, oder muß es gleich ein Leiterwagen sein?« »Unverbesserlicher Spötter! Doch nun muß ich aufbrechen, wenn ich noch vor Arbeitsschluß in Ritters sein will. Werde mich in den Reitanzug stürzen und auf den Gaul klemmen.« »Ersteres kannst du. Aber den Gaul laß in Ruhe, den schicke ich dir morgen nach. Wir haben ja schließlich ein Auto.« So kam Edzard denn rasch nach Ritters, wo er sich sofort bei Bitterling meldete, der ihn freundlich empfing. »Da sind Sie ja, Rittersreuth. Kommen Sie, ich will Ihnen gleich Ihre Bude zeigen, damit Sie sich heute noch einrichten können.« Es war ein einfach möbliertes Zimmer, in das der Verwalter ihn führte. Dem schlossen sich zwei weitere an, sowie Küche und ein kleines Bad. »Hier können Sie Ihr Nest bauen«, schmunzelte sein Gebieter. »Platz genug werden Sie haben. Zwei kleine Rittersreuthchen können Sie hier noch gut hinstoppen, und für das weitere halbe Dutzend bauen wir eben an.« »Gott soll mich bewahren -!« hob Edzard entsetzt die Hände. »Na, lassen Sie man. Satt werden alle werden. Ritters liefert genug Brot. Und nun machen Sie sich frisch, damit wir ins Herrenhaus an die Futterkrippe können.« Als Edzard an des Verwalters Seite das Haus betrat, das mit der Behaglichkeit aller feudaler Gutshäuser eingerichtet war, wunderte er sich über den wohnlichen Eindruck. Matthias Bitterling bemerkte es und lachte.
»Da staunen Sie, was? Hier sorgt ein Ehepaar nebst Hausmädchen für mustergültige Ordnung, obgleich der frühere Herr nur seine Ferien hier verlebte.« »Wie ich hörte, war er unverheiratet?« »Ja. Außerdem Universitätsprofessor, der von Landwirtschaft keine Ahnung hatte. Verkaufen wollte er jedoch das Gut nicht, das ihm als Erbe zufiel. So stand der Kasten denn seit zehn Jahren größtenteils leer. Hoffentlich wird der Nachfolger mit einer großen Familie fröhliches Leben hier hereinbringen.« Sie betraten das Speisezimmer, wo im Erker ein Tisch für zwei Personen gedeckt war. Gleich darauf brachten die Wirtschafterin und das Hausmädchen ein ländliches Abendessen. »Hier haben Sie Ihren neuen Pflegling, Frau Brötte«, stellte der Verwalter den Inspektor vor, der der Frau freundlich die Hand reichte. »Füttern Sie ihn gut, damit er uns nicht davonläuft.« »An mir soll’s nicht liegen«, war die lachende Antwort. »Meinetwegen kann der Herr Inspektor hier alt und grau werden.« »Das wollen wir hoffen«, schmunzelte Bitterling. »Nun bringen Sie uns noch eine gute Flasche Wein, damit wir es uns eine Weile gemütlich machen können.« Die Herren ließen sich’s schmecken und plauderten da; bei von diesem und jenem, was sich hauptsächlich auf die Landwirtschaft bezog. Als man sich dann erhob, um in das Inspektorhaus hinüberzugehen, sagte Bitterling freundlich: »Wenn Ihnen irgend etwas unklar ist, mein lieber Baron, dann kommen Sie ruhig zu mir. Falsche Scham wäre da unangebracht. Schließlich können Sie, der Sie erst einige Jahre praktisch in der Landwirtschaft tätig sind, nicht so viel Erfahrung haben wie ich alter Stoppelhopser.« Edzard bedankte sich erfreut. Und dann stand er in seinem Zimmer, das noch kahl und ungemütlich wirkte. Obgleich er sehr müde war, suchte er aus seinem Koffer Briefpapier
hervor, um an Natchen zu schreiben. Dann räumte er seine Kleider in den großen Schrank, zog sich aus und ging ins Badezimmer hinüber, wo er sein Duschbad nehmen wollte. Dazu mußte er durch die beiden Zimmer und die Küche, die in ihrer Leere trostlos anmuteten. Sorge stieg in ihm auf, woher er wohl das Geld nehmen sollte, um die Wohnung zu möblieren. Er selbst besaß so gut wie nichts; denn die Summe, die ihm Natchen zugesteckt hatte, war fast aufgebraucht. Und Andrea hatte wahrscheinlich auch nicht so viel Geld, um das, was zu einem Hausstand gehörte, anzuschaffen. Also mußte er zusehen, daß er alles Notwendige auf Abzahlung bekam. Das waren Sorgen, die Edzard bisher nicht kennengelernt hatte. Einige Herzschläge lang wollte er sich einen Narren schelten, der sich durch seine fixe Idee diese Sorgen auflud. Dann wurde sein Gesicht hart. Nein, jetzt gab es kein Zurück mehr! Irgendwie mußte er es schaffen. Als Frau Nataly des Neffen Brief erhielt, saß man in Reuth gerade beim Nachmittagskaffee. Vera war auch zugegen. »Nanu, woher kommt denn der Brief?« erkundigte sich der Gatte mißtrauisch, »Die Post pflegt doch am Vormittag zu kommen.« »Wahrscheinlich hat ihn ein Bote gebracht«, gab Nataly sich Mühe, gleichmütig zu bleiben. Hastig überflogen ihre Augen die Zeilen – und dann hatte sie wieder Mühe, ihre Freude zu unterdrücken. »Nun?« forschte Philipp gespannt. »Der Brief ist von Edzard. Er hat gestern eine Stelle als Inspektor in Ritters angetreten und bittet mich, ihm seine Sachen zu packen, die ein Wagen abholen wird.« »So ein vermaledeiter Schlingel! Ausgerechnet in Ritters ist er. Na, da wird er mich ja schön blamieren!« »Warum?« »Weil er da total versagen wird. Der Verwalter dort ist ein ausgezeichneter Landwirt, der viel von seinen
Untergebenen verlangt. Ja, wenn Busso es wäre, könnte ich ganz ruhig sein, der würde überall seinen Mann stehen. Aber doch nicht Edzard mit seinen mäßigen Kenntnissen. Den behält der Bitterling keinen Monat. Was sagst du dazu, Busso?« Nun, seine wahre Meinung konnte der natürlich nicht kundtun, weil er genau wußte, daß sein Bruder nicht so untüchtig war, wie der Onkel annahm, und wie er es dem immer wieder eingeflüstert hatte. Nie hätte er damit gerechnet, daß Edzard in der Umgebung eine Stellung finden könnte. Und nun gar auf Ritters, das an Reuth grenzte. Das machte ihm einen dicken Strich durch seine schlau ausgeklügelten Pläne. Durch seine Wut wurde er unvorsichtig. »Das darfst du auf keinen Fall dulden Onkel«, sagte er verbissen. »Du mußt den Verwalter aufsuchen und ihm erklären, daß der mit dem Tunichtgut nur Ärger haben wird…« Langsam kam er dann zur Besinnung und nicht allein durch das Befremden des Onkels, das sich deutlich auf seinem Gesicht wiederspiegelte, sondern auch durch das Veras. Sekundenlang herrschte peinliches Schweigen, bis Philipp sagte: »Das ist doch zu viel verlangt, mein Sohn. Ich werde doch nicht sozusagen in mein eigenes Nest spucken. Schließlich würde ich mir selbst ein schlechtes Zeugnis über mein Erziehungsresultat ausstellen. Ist dir das klar?« »Gewiß, lieber Onkel, verzeih mir – «, tat Busso zerknirscht. »Ich meine nur, wir hätten die Schande nicht, wenn Edzard weit von hier untergekommen wäre.« »Na, na – Schande dürfte doch wohl übertrieben sein«, wehrte Herr Philipp. »So betragen wird der Bengel sich doch wohl nicht. Er ist ja auch nicht gerade schlecht, nur leichtsinnig und untüchtig. Wenn Bitterling ihn ein wenig an die Kandare nimmt, vielleicht kann sogar noch etwas aus ihm werden. Wozu das überhaupt?« ergrimmte er sich wieder aufs neue.
»Hatte der Junge es nötig, von hier zu gehen? Das ist ja der reinste Hohn! Ich muß jetzt hier einen Inspektor an seine Stelle setzen, und mein Herr Neffe begibt sich in fremde Dienste. Rütteln und schütteln könnte ich diesen Dickkopf!« Damit ging er grollend hinaus. Kaum, daß sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, bat Busso mit seinem liebenswürdigsten Lächeln: »Darf ich den Brief von Edzard einmal lesen, Tantchen?« »Nein, mein geliebter Neffe. Wie kann dich ein Brief, der nicht für dich bestimmt ist, wohl interessieren?« »Aber Tantchen«, entgegnete er vorwurfsvoll. »Edzard ist doch mein Bruder, um den ich mir Sorgen mache.« »Das ehrt dich, mein Sohn. Sicherlich wird er auch an dich schreiben – und gewiß ausführlicher – da du ja eben sein Bruder bist. Dann kannst du ihm deine Sorge zur Kenntnis bringen.« Ihm freundlich zulächelnd, ging auch sie hinaus. Da sagte Vera zögernd: »Ich weiß nicht, Busso, die Dame kommt mir manchmal so merkwürdig vor.« »Das gute Altchen?« tat er wegwerfend ab. »Das ist doch weiß Gott harmlos.« »Hm. Aber dein Onkel scheint auf Edzard gar nicht so geladen zu sein, wie du es mir geschildert hast.« »Na ja, er will sich vor dir keine Blöße geben. Wenn du erst zur Familie gehören wirst, wird er schon freiweg reden. Und dann wirst du hören, wie total fertig er mit dem Burschen ist.« »Wann wird das sein?« sah sie ihn mit seelenvollem Blick an. Und Busso, der das Mädchen wirklich liebte, riß es in seine Arme und küßte sich an den kunstvoll gefärbten Lippen satt. Hätte er nur geahnt, wie widerwillig die Geliebte seine Küsse ertrug, so wäre er aus seinem Siegestaumel gerissen worden, der ihn gepackt hatte, nachdem der gefährliche Gegner aus dem Feld geschlagen war. Daß er dabei unfair
vorgegangen war, hielt er für sein gutes Recht. Er hatte seinem Bruder nie etwas gegönnt, aber am wenigsten Vera. Sofort begannen seine Intrigen, die zuerst ohne Erfolg waren. Doch er ließ nicht locker, bis Vera begann, den Mantel auf beiden Schultern zu tragen. Zwar liebte sie Edzard, mußte sich jedoch auch den Bruder warmhalten. Wenn der alte Baron Edzard wirklich enterben sollte, dann mußte sie ihn blutenden Herzens aufgeben. Denn ein Leben in Armut konnte und wollte sie nicht führen. Und dann war Busso eines Tages gekommen. Hatte ihr von der Enterbung des Bruders erzählt und durchblicken lassen, daß sein Onkel ihm in allernächster Zeit Reuth übergeben würde, wahrscheinlich schon an seinem Hochzeitstag… Kurz und gut: Er hatte nicht nur das Blaue vom Himmel versprochen, sondern auch das Blaue vom Himmel gelogen. Vera war darauf hereingefallen, hatte sich mit ihm verlobt – was sie nun langsam zu bereuen begann. Aber nichts übereilen, abwarten, beobachten – und schöntun. Das waren Veras Gedanken, während sie in Bussos Armen lag, sich küssen ließ und sich seine läppischen Liebesbeteuerungen geduldig anhörte. Schon drei Wochen weilte Edzard auf Ritters. Er hatte sich überraschend schnell in seinen Wirkungskreis hineingefunden. Der stramme Dienst machte ihm nichts aus, daran war er von Reuth aus gewöhnt, und Organisationstalent besaß er genügend, also klappte alles wie am Schnürchen. Der Verwalter behandelte ihn wie einen jungen Freund, und so hätte er vollauf zufrieden sein können, wenn die Ungewißheit mit Andrea nicht gewesen wäre. Diese hatte sich seit dem Telefongespräch nicht mehr gemeldet, so daß er nun wirklich annehmen mußte, sie habe ihn an der Nase geführt. Wenn er sie wenigstens zur Rechenschaft ziehen könnte, aber er wußte ja gar nicht, wo sie sich aufhielt. Wie gut, daß er seine Arbeit hatte, die ihn so müde machte,
daß er abends ins Bett sackte und bis zum Morgen schlief. Sonst hätte er sich auch noch während der Nachtstunden mit seinen Sorgen herumschlagen müssen. Sein Antlitz wurde hart und schmal, die Augen verloren den lachenden Blick, so daß der Verwalter ihn oft forschend betrachtete und ihn einmal fragte, ob ihm etwa die Arbeit zu viel würde. Hastig hatte er versichert, daß ihm diese ein Kinderspiel wäre. Ob Bitterling ihm das glaubte, wußte er zwar nicht, hatte jedoch das Gefühl, daß dieser mit seiner Arbeit zufrieden war. Und das stimmte. Der Verwalter war sogar sehr zufrieden mit seinem neuen Inspektor. Das zu verkünden, sollte er bald Gelegenheit haben. Als er an einem Abend in einem Hotel saß, in dem die Landwirte einzukehren pflegten, um nach stundenlangen Besorgungen einen Imbiß zu nehmen, betrat der alte Baron Rittersreuth das Lokal. Als er des Verwalters ansichtig wurde, stutzte er und trat an dessen Tisch. »Guten Abend, Herr Bitterling. Haben Sie ein Plätzchen für mich frei?« »Guten Abend, Baron. Bitte sehr, Gesellschaft ist mir stets willkommen.« Nachdem Philipp sich gesetzt hatte, bestellte er beim Ober eine Flasche Wein, zu der er den Verwalter liebenswürdig einlud. Langsam kam man ins Gespräch, das sich schließlich um die Landwirtschaft drehte. Daher fiel es nicht auf, als der Reuther Gutsherr fragte: »Wie sind Sie mit Ihren Arbeitskräften zufrieden, Herr Bitterling?« »Ich kann nicht klagen, Baron. Habe kaum Ärger mit ihnen.« »Hm – das hört man gern. Ja – und was ich noch fragen wollte: Wie kommen Sie mit meinem Neffen aus?« »Gut, sehr gut sogar. Einen besseren Inspektor kann ich mir nicht wünschen.« »So, so – mir hat der Junge manchmal Sorgen gemacht.« »Es kommt oft vor, daß die Väter oder deren Stellvertreter
mit ihren Jungen nicht zufrieden sind«, lachte Bitterling behaglich. »Wahrscheinlich verlangen sie ganz besondere Leistungen von ihnen.« »Ich habe gewiß nicht mehr von ihm verlangt als von meinem Neffen Busso. Während in dessen Bezirk stets alles in Ordnung war, haperte es in Edzards so manches liebe Mal.« »Mag sein«, tat der andere gemütlich ab. »Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. In Ritters jedenfalls ist der Junge schwer auf dem Posten. Ist ein guter Organisator und hat es prächtig raus, die Leute zu nehmen.« »So, so – hm, hm – das freut mich. Wissen Sie auch, daß mir der verflixte Bengel einfach davongelaufen ist?« »Nein – «, log Matthias freundlich. »Um die Privatangelegenheiten meiner Beamten kümmere ich mich nicht. Mir ist die Hauptsache, daß sie auf dem Platz, auf den ich sie stelle, ihren Mann stehen.« Herr Philipp hatte Durst, daher trank er den Wein wie Wasser. Die Wirkung blieb denn auch nicht aus. Er wurde redselig und erzählte, wie es zu dem Krach mit dem Neffen gekommen war, worauf dieser dann stillschweigend verschwand. Nachdem er mit seiner geharnischten Rede fertig war, meinte sein Zuhörer: »Darüber können Sie sich so aufregen, Baron? Ich finde es höchst anständig von dem Jungen, daß er dem armen Teufel von Rentmeister so großzügig aus der Patsche half. Zumal er noch das gewonnene Geld hergab, das er sehr gut hätte selbst gebrauchen können.« »Na ja – gewiß. Daß er die Unterschlagung mit dem gewonnenen Geld deckte, erfuhr ich erst später. So jedoch mußte ich annehmen, daß es mit meinem Geld geschah.« »Wieso, nahmen Sie an, daß Ihr Neffe das Geld von Ihnen gestohlen hätte?« fragte Matthias lachend, und Philipp sah ihn ärgerlich an. »Das natürlich nicht. Sie Speilzahn. Ich zahle ihm aber Gehalt…«
»… mit dem er machen kann, was er will«, warf der andere seelenruhig ein. »… das er von mir bekommt…«, beharrte der Baron eigensinnig. »… für seine Arbeit«, ging es hartnäckig weiter. »Sie können doch nicht Rechenschaft fordern über das Gehalt, das Ihr Inspektor erhält! Das würde ich mir energisch verbitten. Ich weiß zwar nicht, was Sie Ihrem Neffen alles gesagt haben, glaube aber, daß Sie seine Ehre angegriffen haben, und das kann ein Mann nicht vertragen. Ich habe jedenfalls meine helle Freude an dem Jungen.« »Das freut mich, aber nun muß ich gehen, meine Frau wartet mit dem Abendessen. Auf Wiedersehen, Herr Bitterling.« »Auf Wiedersehen, Baron, sicher werden Sie noch einmal stolz auf Ihren Neffen sein.« Lächelnd sah Bitterling dem Baron nach. Ein sonderbarer Kauz! Statt daß er sich über die gute Auskunft freute, ergrimmte sie ihn. Na, die Menschen müssen eben verbraucht werden, wie sie sind. Denselben Gedanken hatte auch Frau Nataly, die bei dem Eintritt des Gatten ins Speisezimmer feststellte, daß ihm wieder einmal eine Laus über die Leber gekrochen war. »Wo ist Busso?« fragte er unwirsch. »Keine Ahnung. Aber da kommt er ja.« »Wo warst du?« pfiff er seinen Liebling in ungewohnter Weise an. »Es ist schon längst über die Abendbrotzeit.« »Ich war bei Vera«, gab Busso bescheiden zurück. »Vera – ich höre immer Vera«, lachte der gereizte Baron auf. »Du scheinst nichts anderes mehr im Kopf zu haben.« »Aber Onkel, ich liebe das Mädchen doch«, blieb Busso sanftmütig. »Da möchte ich mit ihm auch ab und zu zusammen sein. Ja, wenn du mir die Einwilligung zur raschen Verlobung und Heirat geben wolltest – « »Hör’ auf!« schrie der Onkel dazwischen. »Jetzt habe ich aber von der Sache bald genug. Ich habe dir gesagt, daß du dich nach der Ernte verloben kannst, damit basta!«
Er nahm am Tisch Platz, aß hastig und zündete sich dann die Abendzigarre an. Dabei legte sich sein Ärger. Es klang schon wieder ruhig, als er sagte: »Entschuldige, Nataly, daß ich mich verspätete. Ich traf im Hotel den Bitterling und habe mit ihm eine Flasche Wein getrunken.« »Und dann bist du so ungemütlich?« fragte die Gattin lachend. »Na, ja. Ich horchte den Verwalter vorsichtig über Edzard aus – und siehe da, er ist mit ihm sehr zufrieden. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen soll. Ja, wenn er mir nicht davongelaufen wäre – darüber komme ich einfach nicht hinweg. Warum war er denn hier nicht so tüchtig?« »Natürlich mußt du dich darüber freuen, lieber Onkel«, tat Busso scheinheilig. »Ich habe ja immer gesagt, daß Edzard in seinem Fach was versteht.« »So -?« Der Onkel sah ihn durchdringend an. »Bis jetzt hast du immer das Gegenteil behauptet.« »Na ja – gewiß. Er hat seine Kenntnisse hier leider nicht voll verwertet – und das hat mir immer weh getan.« Du erbärmlicher Heimtücker, dachte Nataly ergrimmt. Na warte nur, du wirst dir von deiner Niedertracht noch selber einen Strick drehen! Als Edzard an einem Vormittag das Amtszimmer des Verwalters betrat, lachte der ihm vergnügt entgegen. »Na, Rittersreuth, nun ist endlich unsere zahlreiche Herrschaft eingetroffen. Sie müssen gleich ins Herrenhaus hinüber und dort Ihren Diener machen.« »Ach du lieber Himmel -!« lachte der Inspektor. »Muß ich mich da in Wichs schmeißen?« »Das wäre! Wischen Sie sich den Staub von den Stiebein, waschen Sie sich die Pfoten – und dann hinein ins Vergnügen! Haben Sie etwa Herzklopfen?« Als Edzard im tadellos gesäuberten Reitanzug an der Portaltür des Herrenhauses den Ring im Löwenmaul in
Bewegung setzte, erschien das Hausmädchen. »Bitte, Herr Inspektor, Sie werden schon erwartet«, sagte es freundlich und führte ihn durch die Halle zu einer der großen Flügeltüren, die es nach vorschriftsmäßigem Klopfen öffnete, den Inspektor an sich vorüber ins Zimmer treten ließ und dann die Tür leise schloß. Er stand nun in einem weiten Gemach mit wuchtigen Möbeln. Alles sehr vornehm und gediegen – aber gewiß nicht so, daß er Grund hatte, wie erstarrt an der Tür zu verharren. »Nun, Edzard, tritt nur näher«, forderte ihn eine Stimme auf, die ihn zusammenzucken ließ. »Andrea – du -?« rang es sich endlich von den Lippen des fassungslosen Mannes. »Wo kommst du denn her?« »Geradewegs von der Reise in mein Heim.« Er faßte sich an die Stirn, als wäre in seinem Gehirn etwas in Unordnung geraten. Dabei starrte er immer noch auf das stolze junge Geschöpf, als wäre es ein Gespenst. »Ja – Andrea – willst du mir nicht erklären?« »Mit wenigen Worten ist das gesagt. Ich bin die Besitzerin von Ritters.« Nun hatte er endlich begriffen – und da ging eine Veränderung mit ihm vor. Die hohe Gestalt straffte sich, das Antlitz wurde hart, die Augen kalt und glitzernd. »Also haben Sie doch ein frevles Spiel mit mir getrieben, gnädiges Fräulein oder gnädige Frau?« »Immer noch Fräulein Andrea Müller«, entgegnete sie lächelnd. »Und warum frevles Spiel?« »Das fragen Sie noch, mein Fräulein?« »Ja – und mit Recht. Doch nun werde gemütlich und nimm Platz.« »Nein -!« peitschte seine Stimme auf. »Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich werde den Verwalter um meine sofortige Entlassung bitten – « Nach einer frostigen Verbeugung wollte er gehen, doch schon war Andrea an der Tür, gegen die sie den Rücken lehnte. »Geben sie die Tür frei, gnädiges Fräulein -!« »Fällt mir gar nicht ein.« Jetzt fiel sein Blick auf den
Siegelring an ihrer Hand. »Ich bitte um den Ring – «, verlangte er schroff. »Es ist mein Verlobungsring, Edzard.« »Taktlos genug, mich jetzt darauf hinzuweisen«, bebte seine Stimme. »Wenn Sie sich von ihm nicht trennen mögen, dann behalten Sie ihn zum Andenken an den größten Trottel unter der Sonne.« »Wie hart du mit mir umgehst«, lachte sie hellauf, indem sie wie spielend das Rubinherz in ihren Fingern drehte. »Komm, setze dich erst einmal und rauche eine Zigarette, dann wirst du ruhiger werden. Du kannst doch nicht gehen, bevor du meine Rechtfertigung angehört hast.« »Schön, sollen Sie Ihren Willen haben«, entschied er in eisiger Haltung. Sah schweigend zu, wie sie in einem Sessel Platz nahm, ließ sich dann in den gegenüberstehenden fallen. Auf ihr Rufzeichen erschien das Mädchen mit einer Flasche Wein nebst zwei Gläsern. »Sieh dich doch einmal um, Edzard«, klang ihre warme Stimme auf. »Ist es nicht schön bei uns?« »Gnädiges Fräulein, bitte keine Ironie – « »O über diesen unzulänglichen Menschen«, seufzte sie. »Du wirfst mir vor, daß ich ein frevles Spiel getrieben habe. Inwiefern, Edzard?« »Weil Sie mich belogen haben.« »Belogen? Nicht daß ich wüßte.« »Gnädiges Fräulein, wir wollen diese Unterredung möglichst schnell beenden. Ich muß zugeben, daß mein Antrag sonderbar war – nichtsdestoweniger war er ehrlich. Nie wäre er erfolgt, wenn ich gewußt hätte, daß Sie die Besitzerin von Ritters sind. Aber Sie gaben sich als Sekretärin aus…« »Halt – «, unterbrach sie ihn. »Du hast mich überhaupt nicht nach meinen Beruf gefragt…« »Allerdings«, mußte er zugeben. »Sie hätten jedoch Herrn Wangers Aussage dementieren müssen – « »Ich habe keine Ahnung, was der Herr über mich gesagt hat…«
»Daß Sie Sekretärin sind…« »Stimmt ja auch«, lächelte sie ihn lieblich an – und da glitzerte es in seinen Augen auf. »Gnädiges Fräulein, jetzt ist es aber genug – «, sagte er warnend. »Wenn ich mich auch trottelig genug benommen habe, aber verhöhnen lasse ich mich dennoch nicht.« »Das liegt mir fern, Edzard. Ich bin wirklich Sekretärin gewesen – bis gestern. Und zwar ein halbes Jahr bei einem Landwirtschaftsrat. Sieh mich nicht so ironisch an, Edzard, das ist wahr. Um dir das klarzumachen, muß ich ein wenig zurückgreifen. Meine Mutter, die einen Arzt heiratete, starb bei meiner Geburt. Mein Vater folgte ihr fünf Jahre später. Der Bruder meiner Mutter, der Onkel hier, nahm sich meiner an. In seinem Hause bin ich aufgewachsen. Als ich zwölf Jahre alt war, erbte er Ritters, mit dem er nichts anzufangen wußte, da er kein Landwirt war. Zuerst trug er sich mit dem Gedanken, es zu verkaufen. Als er jedoch merkte, wie gern ich hier weilte, wie mich alles interessierte, was mit Landwirtschaft zusammenhing, kam er davon ab. Ritters sollte nach seinem Tode mein Eigentum werden. Nachdem ich das Abitur hinter mir hatte, besuchte ich eine Handelshochschule. Ein halbes Jahr, bevor ich sie absolvierte, starb der Onkel, und Ritters wurde mein. Nach dem Examen nahm ich die Stelle als Sekretärin bei einem dem Onkel befreundeten Landwirtschaftsrat an, um so eine Ahnung von der Landwirtschaft zu bekommen. Fünf Monate arbeitete ich bei ihm, als ich dich kennenlernte. Alles weitere ist dir bekannt.« Edzard, der ihr interessiert zugehört hatte, sagte nun langsam: »Nicht alles, gnädiges Fräulein. Warum reisten Sie an unserm Verlobungstag ab, ohne mir das Ziel zu nennen – und warum ließen Sie mich vier Wochen lang ohne Nachricht?« »Du hast mich ja gar nicht nach dem Wohin gefragt,
Edzard. Ich mußte an dem Tage unbedingt zu meinem Chef, der mich in Königsberg erwartete. Meine Kündigung kam ihm ungelegen, da es gerade viel Arbeit gab. Da erbot ich mich, meine Nachfolgerin einzuarbeiten, was eben diese vier Wochen in Anspruch nahm. Und warum ich mich nicht gemeldet habe? Lieber Edzard, ich kenne dich zwar erst wenig, aber doch schon gut genug, um zu wissen, daß du deine Stelle in Ritters nie angetreten hättest, wenn du gewußt hättest, daß ich die Besitzerin des Gutes bin. Stimmt das?« »Unbedingt.« »Na, siehst du. Hätte ich dir geschrieben, so wäre ich gezwungen gewesen, mein teilweises Inkognito zu lüften. Darum schwieg ich ganz. Nahm an, daß, wenn ich dir Auge in Auge meine Gründe klarlegte, du sie auch anerkennen würdest.« Prüfend sah er in das klare Mädchengesicht, das nun wieder den stolzen Ausdruck hatte. Wie ein riesiger Tropfen Blut lag das Rubinherz auf der hellen Seide des Kleides. Wohl eine Minute lang war es still, bis er spöttisch* fragte: »Warum nahmen Sie meinen Antrag überhaupt an, gnädiges Fräulein? Ihnen dürfte es doch wahrlich nicht an Bewerbern fehlen.« »O nein – «, entgegnete sie. »Es werden sich schon genug Glücksritter finden, denen mein Gut wertvoll erscheint. Und warum ich Ihren Antrag annahm? Weil ich mich rächen will, genau so wie Sie, Baron. Sie können jedoch den Kontrakt, den wir schlossen, noch rückgängig machen, denn meinen Stolz verletzen lasse ich nicht.« Als er sah, wie sie den Siegelring abstreifen wollte, kam er zur Besinnung. Beugte sich vor und hielt die nestelnden Finger fest. »Nicht, Andrea – bitte. Verzeih meine Schroffheit. Aber die Überraschung, dich hier als Herrin zu sehen, hat mir einen harten Schlag versetzt. Mußte ich doch annehmen, daß du einen Scherz mit mir treiben wolltest. Doch nachdem du dein Verhalten motiviertest, erhält alles ein anderes Bild.
Deinen Stolz verletzen will ich natürlich nicht. Verzeih mir.« Bittend sah er sie an, drückte seine Lippen auf ihre Hand und schob den Ring fest. Hob ihr sein Glas entgegen. »Nun, Andrea, willst du mir Absolution erteilen?« »Was soll ich schon anderes mit dir machen, du schwieriger Herr?« Sie trank ihr Glas in einem Zuge leer, worauf er ihrem Beispiel folgte. Während er die Gläser frisch füllte, meinte er wie beiläufig: »Wie denkst du dir nun alles weiter, Andrea?« »Ich hätte schon einen Plan. Fragt sich nur, ob du damit einverstanden bist. Hast du erfahren können, wie es um die Verlobung deines Bruders steht?« »Ja. Meine Tante, die ich schriftlich bat, meine Sachen in Reuth zusammenzupacken und sie dem Harleroder Boten zu übergeben, gab auch einen Brief für mich mit. Wie ich daraus ersehen konnte, soll die Verlobung auf Wunsch meines Onkels erst nach der Roggenernte stattfinden. Das wäre, wenn alles gutgeht, Ende August.« »Dann können wir uns ja Zeit lassen. Ich habe es mir so gedacht: Übermorgen, also am Sonntag, werde ich mit den Besuchen in der Nachbarschaft beginnen. Ich lade die Besuchten dann gleich zu einem Sommerfest ein, das wir wohl am besten auf den Sonnabend legen, damit die Leutchen sich am Sonntag ausschlafen können. Am Festabend geben wir dann unsere Verlobung bekannt. Was meinst du dazu?« »Daß dein Plan vortrefflich ausgeklügelt ist. Wir sprechen noch ausführlicher darüber. Jetzt muß ich an die Arbeit gehen. Mutet es nicht wie ein Wunder an, daß ich ausgerechnet in Ritters meine Stelle bekam?« »O ja – «, nickte Andrea. »Es geschehen manchmal Zeichen und Wunder. Da läutet eben die Hofglocke die Mittagsstunde ein. Gleich wird der gute Onkel Bitterling zur Atzung erscheinen.« »Essen wir dann nach wie vor hier?«
»Natürlich«, lachte sie verschmitzt. »Ihr gehört doch beide zur Familie. Gehen wir also ins Speisezimmer.« »Eine Frage, Andrea: Weiß Herr Bitterling um unsere Verlobung?« »Nein, er soll gleich den andern damit überrascht werde.« Mit dem Gongschlag zugleich, der durch das Haus hallte, trat der Verwalter in Erscheinung. »Tag, Reakind«, schmunzelte er. »Was sagst du zu unserm schneidigen Inspektor? Ist er beim Anblick seiner Herrschaft nicht gleich vor Überraschung aus den Schlorren gekippt?« »Sie haben mich mit der zahlreichen Herrschaft schön aufs Glatteis geführt«, lachte Edzard. »Ich erwartete zum mindesten eine achtköpfige Familie – nur eine einzelne junge Dame nicht.« »Schön habe ich das gemacht«, rieb sich Matthias die Hände. Lachend nahm man am Tisch Platz, der heute festlich gedeckt war. Nach dem Mahl nahm man den Mokka in dem nebenanliegenden lauschigen Gemach und kam dann ins Plaudern. »Sehen Sie, Rittersreuth, diese junge Dame kannte ich schon, als sie noch ein kleines Dinglein war. Und das soll nun meine Chefin sein. Kurioser Gedanke!« »Ich bin mir meiner Würde voll bewußt«, blitzte sie ihn übermütig an. »Bitte mir daher Respekt aus, Herr Verwalter.« »Auch das noch – na schön. Ehre, wem Ehre gebührt, Fräulein Chefin. Was habe ich bloß für eine Mordsfreude, daß du endlich da bist, Reakind! Da wird doch wieder Leben in die Bude kommen! Oder gedenkst du dich einzuspinnen wie eine Seidenraupe?« »Sollte mir einfallen! Gleich am Sonntag beginne ich mit den Besuchen in der Nachbarschaft und gebe einige Wochen später hier ein Gartenfest.« »Alle Wetter, Mädchen, du legst dich ja gut ins Zeug! Wirst du dir da womöglich einen Chef für uns anlachen? Tu es
nicht, ich rate dir gut. Die wollen ja doch alle bloß dein Ritters. Nimm lieber mich, ich bin gut und treu.« »Onkel Bitterchen, du bist verwildert«, lachte sie. »Höchste Zeit, daß ich dich unter meine Fuchtel bekomme.« Edzard hörte sich das Geplänkel schweigend mit an. Alles, was er heute erlebte, machte ihm immer noch schwer zu schaffen. Was hatte er von seiner Braut, die er dem Schicksal abgetrotzt, verlangt? Weder Schönheit, Klugheit noch Reichtum, sondern nur ein Herz. Und was hatte ihm das herausgeforderte Schicksal beschert? Alles, was er nicht verlangt… »Nanu, Rittersreuth, wo sind Sie denn mit Ihren Gedanken?« riß der Verwalter ihn aus seinen Grübeleien. »Sie machen ja ein Gesicht, als hätten Sie versehentlich in eine Zitrone gebissen. Ist sie so sauer, an die Sie denken?« Edzard mußte lachen. »Manchmal ja; denn ich dachte an meine Arbeit.« »Hört, hört – «, schmunzelte Matthias. »Dabei tut er so, als ob er ohne sie nicht leben könnte.« Am Sonntagvormittag begab sich Andrea auf ihre Besuchstour. Zuerst sprach sie in Reuth vor, weil es am nächsten lag. Sie gab dem Diener ihre Karte ab, der sie dann in ein Zimmer führte, wo ihr vier Augenpaare gespannt entgegensahen. Die Herren sprangen auf. »Guten Tag«, lächelte sie mit aller Liebenswürdigkeit, die ihr zu Gebote stand. »Ich möchte nicht verfehlen, als Besitzerin von Ritters meinen nachbarlichen Besuch zu machen.« Ja, da waren sie alle platt. Frau Nataly erholte sich zuerst von ihrer Überraschung. »Seien Sie uns willkommen, Fräulein…?« »Müller-«, half „ Andrea freundlich aus, indem sie sich über die feine Frauenhand beugte. Nachdem sie dann die anderen formell begrüßt hatte, nahm sie den Sessel, den Busso ihr zurechtrückte. Nun setzten sich auch die Herren – und dann war peinliche Stille.
Man wußte anscheinend nicht, was man mit der Fremden sprechen sollte, die da so selbstbewußt vor ihnen saß. Herr Philipp erboste sich, daß dieses >grüne Ding< Ritters besaß, das nun einmal der wunde Punkt in seinem Leben war. Da er seinem Grimm über die Ungerechtigkeit des Schicksals nicht gut Luft machen konnte, schwieg er. Bussos Gefühle für die Besucherin waren recht gemischt, und Vera, die auch wieder in Reuth weilte, musterte das Fräulein Müller ziemlich ungeniert. Daß sie die Besitzerin von Ritters war, berührte sie nicht. Aber ihre Sicherheit, ihre Eleganz und der eigenartige Schmuck, das alles erregte ihren Neid. Frau Nataly hingegen betrachtete die Besucherin mit Wohlgefallen. Sie war es auch, die das Gespräch eröffnete. »Gedenken Sie in Ritters seßhaft zu werden, Fräulein Müller?« fragte sie freundlich. »Ja, Baronin! Ich liebe das Landleben und interessiere mich für die Landwirtschaft. Daher hat mein Onkel Ritters auch nicht verkauft, wie er anfänglich wollte, sondern es für mich verwalten lassen.« »Dann ist Ihnen Bitterling bekannt?« »Er war der beste Freund meines Onkels, Baronin. Ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr stets die Ferien in Ritters verlebt.« »Wie kommt es, daß Sie in der Umgegend so unbekannt bleiben konnten?« »Oh, ein Fräulein Müller übersieht man«, entgegnete Andrea mit ihrem bezaubernden Lächeln. Humorvoll meinte Frau Nataly: »Eine Persönlichkeit wie Sie dürfte sich schwer übersehen lassen. Sie müssen sehr zurückgezogen gelebt haben.« »Allerdings. Mein Onkel, der außer seinen Universitätsferien oft auch einmal das Wochenende auf Ritters verbrachte, wollte sich ausruhen und hat daher keine Geselligkeit gesucht. Und wenn ich in den Schulferien allein dort war, hielt ich es genau so. Doch nun gedenke ich den nachbarlichen Verkehr zu pflegen und
bitte die Damen und Herren, am 7. Juli bei einem zwanglosen Gartenfest meine Gäste zu sein.« »Wir kommen gern«, nahm Nataly die Einladung an, obgleich sie wußte, daß es nicht im Sinne ihres Gatten war. Sie lachte in sich hinein, als sein Gesicht sich vor Unwillen rötete. Nachdem sie noch einige belanglose Redensarten mit Andrea gewechselt hatte, verabschiedete diese sich. Und kaum, daß sie in Bussos Begleitung das Zimmer verließ, machte Philipp seinem Unwillen schon Luft: »Nataly, wie kommst du dazu, so eigenmächtig für uns alle die Einladung anzunehmen -?« »Ihr hättet sie ja ausschlagen können.« »Damit dieses Fräulein Müller uns für Menschen ohne Benehmen hält, wie? Ausgerechnet nach Ritters soll ich nun gehen. Sicherlich läuft einem da noch der Herr Inspektor über den Weg.« »Ich glaube nicht, daß Edzard das Fest mitmachen wird«, vermutete Busso, der wieder eintrat. »Er wird es nicht wagen, dir unter die Augen zu treten.« Doch Herr Philipp überhörte die Worte. Brummend verschwand er, um sich auf sein Roß zu schwingen und seinen Ärger auszutummeln. Andrea machte noch zwei Besuche und traf daher zu Hause verspätet zum Mittagessen ein. »Na endlich – «, empfing Matthias sie, der mit Edzard im Speisezimmer auf sie wartete. Bei Tisch konnte man des servierenden Dieners wegen nur über belanglose Dinge sprechen. Doch als man beim Mokka saß, fragte Bitterling, wie es ihr auf der Besuchstour gefallen hätte. »Nett war es«, erzählte sie vergnügt. »Um mit dir zu sprechen, >kippte man vor Überraschung fast aus den Schlorren<, als ich mich als Besitzerin von Ritters vorstellte. Doch dann wurde man sehr liebenswürdig und nahm meine Einladung zum Gartenfest erfreut an.« »Warst du auch in Reuth?«
»O ja. Die Herrschaften werden gleichfalls am 7. Juli hier erscheinen.« Taktvoll unterdrückte Matthias Bitterling eine ironische Bemerkung und erhob sich. »Jetzt werde ich mich ein Stündchen aufs Ohr legen. Mit Kaffee und Abendessen warte nicht auf mich, Realein. Ich gehe nach dem Schläfchen in den Skatclub.« Damit entfernte er sich. Andrea sah Edzard, der sich schweigsam verhalten hatte, spitzbübisch an. »Sehr liebenswürdig empfing man mich in Reuth gerade nicht, Herr Inspektor«, neckte sie. »Wenn deine Tante nicht einige Worte mit mir gesprochen, so hätte ich annehmen müssen, unter Taubstumme geraten zu sein. Der Herr Baron sah aus, als ob er jeden Augenblick los wettern wollte, Herr Busso tat sehr reserviert und Fräulein Vera taxierte mich unverhohlenen Blickes.« »Die war also auch wieder da«, brummte Edzard. »Das war gut. Da konnte ich sie gleich mit einladen. Hat alles auf Anhieb geklappt. Deine Tante gefällt mir übrigens sehr gut.« »Und der Onkel?« »Eigentlich auch – «, meinte sie versonnen. »Und Busso? Und Vera?« »Gar ‘nicht. Nicht etwa, daß mein Urteil befangen ist. Das pflege ich mir ohne jede Voreingenommenheit zu bilden. Jedenfalls sind mir die beiden so unsympathisch, daß ich nie mit ihnen warm werden könnte. Enttäuscht dich das sehr, Edzard?« »Durchaus nicht – «, entgegnete er kühl. »Ein Zeichen mehr für meine Blindheit. Doch wie ist es, Andrea, kommst du mit nach Harlerode?« »Wenn es angebracht ist…« »Warum nicht? Deinen Besuch wirst du dort doch auch machen wollen.« »Selbstverständlich.« »Na siehst du. Dann erledigst du ihn gleich heute. Ich werde dort zum Kaffee erwartet. Susann, die ich
fernmündlich sprach, wurde ordentlich böse, als ich mit einer Absage kommen wollte. Sie war empört, daß ich mich seit vier Wochen nicht in Harlerode habe sehen lassen.« »Wie konntest du deine Freunde auch so vernachlässigen«, meinte sie vorwurfsvoll. »Wissen Sie, daß ich hier bin?« »Nein. Dein Erscheinen soll eine Überraschung für sie werden – und mir eine Genugtuung.« Der schnittige Wagen, den Andrea angeschafft hatte, weil der alte schon gar zu schäbig war, brachte sie in zehn Minuten nach Harlerode. Edzard saß am Steuer. Sie sah ihm an, wieviel Freude es ihm machte, das wundervolle Gefährt zu lenken. Er bog in eine Allee ein und hielt gleich darauf vor einem schmucken Gebäude. Edzard betrat mit Andrea die Halle des Herrenhauses. Ein Diener nahm sie in Empfang und führte sie nach der Terrasse, wo Susann und Hubert in Korbsesseln saßen und lasen. Sie waren in ihre Lektüre so vertieft, daß die Umwelt für sie versunken schien. Edzard schob Andrea hinter sich, so daß sie von seiner Gestalt verdeckt war. Dann rief er den Versunkenen zu: »So läßt man seinen Gast an der Tür stehen-« »Endlich!« sprang Hubert erfreut auf. »Ich dachte schon, du würdest auch heute nicht kommen.« »Dann hätte er aber was erleben können!« drohte Susann. Man begrüßte sich herzlich, dann trat Edzard aus der Tür und weidete sich an der Verblüffung der beiden, von der die junge Frau sich zuerst erholte. Mit ausgestreckten Händen eilte sie Andrea entgegen. »Das ist mal eine freudige Überraschung, Fräulein Müller! Seien Sie uns herzlich willkommen.« »Jawohl, herzlich willkommen«, echochte Hubert, den unerwarteten Gast froh begrüßend. »Ist bloß gut, daß Sie endlich da sind, gnädiges Fräulein. Der lange Kerl da war schon nicht mehr zu genießen.« »Wie weißt du denn das?« fragte er lachend. »Du hast mich
doch seit vier Wochen nicht mehr gesehen.« »Aber fernmündlich gesprochen. Da warst du immer verdammt kurz angebunden, alter Freund.« Fröhlich gruppierte man sich um den Kaffeetisch, der bereits gedeckt war. Der Diener brachte ein viertes Gedeck nebst Kaffee und Kuchen. Vergnügt plaudernd tat man sich daran gütlich. Das duftige Sommerkleid kleidete Andrea so vortrefflich, daß die Gastgeber sie immer wieder verstohlen mustern mußten. Sie gefiel ihnen heute noch besser als an dem Festabend. Man kam auch auf Ritters zu sprechen, und da sagte Hubert lebhaft: »Ich habe gehört, daß dein Herr und Gebieter erwartet wird, Edzard. Stimmt das?« »Nicht ganz. Sie wird nicht erwartet, sie ist bereits da, meine Herrin und Gebieterin.« »Wie bitte? Ist’s denn eine Dame?« »Erraten.« »Verheiratet?« »Ledig.« »Auch das noch. Das wird ja eine schöne Weiberwirtschaft bei euch werden. Womöglich ist es gar eine vorsintflutliche Schraube mit asthmatischem Mops und Pompadour?« »Vielleicht…« »Was heißt hier vielleicht. Nun mal raus mit der Sprache!« »Wirklich, Edzard, das hast du glänzend heraus, einen auf die Folter zu spannen«, ‘beklagte sich die junge Frau. »Wie heißt sie?« »Müller.« »Was – auch -?« fragte sie so verblüfft, daß Edzard herzlich lachen mußte, zumal Hubert auch nicht gerade ein schlaues Gesicht machte. »Na so was – « Er schüttelte den Kopf. »Aber dann führt es sicherlich den Vornamen Euphrosine oder Agrippina, das bemooste Haupt.« »Du wirst staunen – sie heißt Andrea – «, verriet der Freund mit blitzenden Augen. Diese konnte das Lachen nun nicht
länger zurückhalten. »Ist das nun nett, gnädiges Fräulein?« »Noch viel zu nett, Herr Syder, der Sie mich eine vorsintflutliche Schraube mit Mops, Pompadour und einem bemoosten Haupt betiteln…« Jetzt mußte Hubert rasch die Tasse hinstellen, die er gerade zum Munde führen wollte. »Na, nu schloag de Bur den Düwel dot -!« machte er seinem bedrängten Herzen Luft. »Sind Sie das, gnädiges Fräulein – wirklich Sie?« »Ich bin so frei-« Da lachte er schallend auf, begleitet von seiner Frau, die nun auch begriffen hatte. Fragen wurden gestellt, kreuz und quer, bis sie bis ins kleinste unterrichtet waren. Hubert hatte seinen Mordsspaß an alledem. »Na, Edzard-«, neckte er. »Da hast du dir ja was Schönes an den Hals orakelt! Das ist ja eine listige Eva, wie sie im Buch steht. Einen Dusel hast du, der einzig dasteht. Was meinst du, wie deine Verlobung Furore machen wird. Ich kann sie kaum noch erwarten.« »Ich auch nicht.« Susann war ordentlich aufgeregt. »Das gibt eine Sensation ersten Ranges. Wann dürfen wir Neugierigen die erleben?« »Am 7. Juli«, gab Andrea Auskunft. »Dann steigt in Ritters ein Gartenfest.« »Raffiniert!« Hubert nickte anerkennend. »Bin nur gespannt, wie sie in Reuth die Einladung aufnehmen werden.« »Entspannen Sie sich«, lachte das Mädchen. »Es ist heute bereits geschehen. Habe am Vormittag dort meine Einladung angebracht.« »Wie reagierten sie?« »Sauer – «, kam die Antwort prompt. »Wenigstens die beiden Herren und Fräulein von Kardas.« »Die war auch da?« »Ja – und ist mit eingeladen.« »Herrlich -!« jubelte Susann, und der Gatte lachte wieder
schallend auf: »Kinder, das klappt ja großartig! Na, Edzard, da wirst du deine Rache haben, voll und ganz. Darauf müssen wir schon jetzt einen trinken!« Der Wein hob noch die Stimmung. Nur Edzard allein blieb still. Der Freund, der ihn so gut kannte, machte sich Sorge um ihn: denn da schien etwas nicht zu stimmen… Als man einige Tage später in Ritters beim Abendessen saß, fragte der Verwalter den Inspektor: »Sagen Sie mal, Baron, was ist eigentlich aus dem Rentmeister geworden, der vor Wochen seinen Dienst in Reuth verlassen mußte?« »Der hat kürzlich geheiratet und wohnt mit seiner jungen Frau und deren Mutter im Dorf.« »Hat er noch keine Stellung gefunden?« »Nein. Vorläufig zieht er mit einem anderen durch die Dörfer und fidelt zum Tanz auf. Ich habe ihm damals meine Hilfe versprochen und bemühe mich auch mein Wort zu halten. Jedem Bewerbungsschreiben legt er eine Empfehlung von mir bei. Aber da ich selbst so ein einflußloser Mensch bin, wird man auf meine Referenz keinen Wert legen. Jedenfalls hat Karbach auf seine Bewerbungen stets negativen Bescheid erhalten.« »Das klingt verdammt resigniert, mein lieber Baron. Mir würde eine Empfehlung, die von einem Menschen kommt, der brav und treu seine Pflicht tut und auch sonst ein anständiger Kerl ist, vollauf genügen. Ob er da Großgrundbesitzer oder Inspektor ist. Um das zu beweisen, werde ich den Karbach hier als Rentmeister einstellen.« Edzards finstere Miene hellte sich auf. »Tatsächlich, Herr Bitterling? Wollen Sie einen Mann in Ihre Dienste nehmen, dem der Makel der Unterschlagung anhaftet?« »Tatsächlich, Sie Zweifler! Es kommt nämlich immer darauf an, welches Motiv einer Unterschlagung zugrunde liegt. Unser bisheriger Rentmeister hat auch solche gemacht, aber nicht aus Not, sondern um Geld für seine
Liebesabenteuer zu haben. Und das gefällt mir nicht. Also hab ich ihn gestern laufen lassen. Die paar hundert Mark können wir verschmerzen. Nicht wahr, Andrea?« »Ohne weiteres«, nickte diese, die dem Gespräch mit Interesse gefolgt war. »Aber nun brauche ich einen neuen Rentmeister, und ich glaube, in Karbach den richtigen gefunden zu haben. Vorausgesetzt, daß unsere Gebieterin hier damit einverstanden ist. Kennst du überhaupt den ganzen Vorgang, Andrea?« »Ja.« »Auch, daß unser Inspektor dem armen Teufel aus der Klemme half?« »Auch das weiß ich«, lächelte sie. »Deshalb wollen wir uns von seiner Großherzigkeit nicht beschämen lassen und Herrn Karbach Vertrauen entgegenbringen.« »Das war wieder einmal ganz Andrea«, schmunzelte Matthias. »Also zitieren Sie Ihr Sorgenkind her, Rittersreuth.« Bitterling wurde mit dem neuen Rentmeister schnell einig. Lachend rief Edzard: »Na, sehen Sie, Karbach, jetzt scheint die Sonne wieder. Bedanken Sie sich beim Herrn Verwalter.« »Der Herr Verwalter sagte mir, daß ich meine Stellung Ihnen zu verdanken habe, Herr Baron – « »Stimmt«, meldete sich Bitterling. »Streiten, wir uns nicht. Machen wir es wie vernünftige Leute und trinken wir einen Schnaps.« Nachdem das geschehen war, fragte er: »Wie steht es mit Ihrem Hausrat, Herr Karbach?« »Der kommt schon noch«, sagte dieser verlegen. »Das Notwendigste besitzen wir, und das Fehlende schaffen wir uns nach und nach an. Die Hauptsache ist, daß ich nun wieder eine Stellung habe.« Lachend verabschiedete man sich. Beim Mittagessen erkundigte sich Andrea, ob die Herren Karbachs Dank standgehalten hätten. Matthias
schmunzelte: »Einer Schob die Schuld auf den andern, somit ging es prächtig. Jetzt kannst du dir noch gebührenden Dank verdienen, Reakind.« »Da bin ich aber neugierig…« »Paß mal auf: In diesem Kasten hier gibt es doch sicherlich Möbelstücke, die übrig sind. Kannst du die nicht dem Rentmeisterpaar zur Verfügung stellen, damit es sich wohnlicher einrichten kann? Was die Leutchen besitzen, wird meiner Ansicht nach gleich Null sein.« »Von Herzen gern. Ich werde geeignete Sachen aussuchen und sie in die Rentmeisterwohnung schaffen lassen.« Andrea ging mit Eifer daran, die Wohnung wohnlich einzurichten. Als sie damit fertig war, betrachtete sie ihr Werk mit Wohlgefallen. »Wie soll ich Ihnen nur danken, gnädiges Fräulein?« »Gar nicht, Frau Karbach«, reichte sie der Frau mit herzlichem Lächeln die Hand. »Fühlen Sie sich in Ihrem Heim wohl, das ist mir Dank genug. Und Ihnen, Herr Rentmeister, wünsche ich dasselbe«, wandte sie sich an den Mann, der sich stumm über ihre Hand neigte. »Ich freue mich, daß wir einen so tüchtigen Menschen wie Sie in unsern Betrieb bekommen.« Dann klappte die Tür hinter dem Ehepaar zu. Lachend sah Andrea die beiden Herren an, die Zeuge der kurzen Unterredung gewesen waren. »Die versteht’s«, schmunzelte Matthias. »Da können wir noch viel lernen, Rittersreuth. Was ich noch fragen wollte, Andrea: Begibst du dich am morgigen Sonntag wieder auf Besuchstour?« »Ja.« »Müssen wir dann wieder mit dem Essen auf dich warten?« »Nein, du Armer. Wenn ich um die gewohnte Zeit nicht zurück bin, eßt ruhig ohne mich.« »Das ist langweilig. Sei lieber pünktlich, wie wir es ja auch sein müssen. Jeder Herr soll seinen Untergebenen mit gutem Beispiel vorangehen.«
»Da hast du recht, Onkelchen. Aber Ausnahmefälle muß man gelten lassen.« »Wann ist eine Frau einmal um eine Ausrede verlegen? Oh, diese Evas! Halten Sie sich die bloß fern, Baron, wie auch ich es getan habe.« Edzard, der dem Geplänkel amüsiert gefolgt war, erhob sich lachend. »Wenn die Evas nur nicht so reizend wären! Wie heißt es so richtig: Man sagt, die Ehe ist ein Übel, ein unerträglich schweres Joch. Ich glaub, sie ist wie eine Zwiebel, man weint dabei – und ißt sie doch.« »Dem ist nicht mehr zu helfen«, lachte Matthias herzlich. »Der läuft bestimmt sehenden Auges in sein Verderben.« Der siebente Juli brachte einen strahlend schönen Sonnentag. Ganz vorzüglich hatte die Gastgeberin alles arrangiert, um es den Gästen so behaglich wie möglich zu machen. Die erschienen dann auch um die Kaffeezeit. Sie brachten alle frohe Laune mit, und so herrschte denn gleich von Anfang an eine zwanglose Fröhlichkeit. Nur einer war darunter, der höchst ungern zu dem Fest gekommen war – Herr Philipp. Als müßte er mit seinen Blicken Löcher in die Mauer des feudalen Hauses bohren, so kampfbereit stand er davor. Und wer weiß, ob er nicht noch Reißaus genommen hätte, wenn nicht im rechten Augenblick der Diener erschienen wäre. Dann stand man vor der Gastgeberin, die einfach ein Gedicht von Kleid trug. Darauf funkelte wieder das Rubinherz, das in seiner leuchtenden Röte aller Blicke auf sich zog. Und erst das Lächeln, mit dem Andrea die Gäste begrüßte, das mußte selbst den ärgsten Griesgram betören! Da hatte Vera bestimmt damit gerechnet, die Schönste auf diesem Feste zu sein, wozu unter der hausbackenen Weiblichkeit nicht viel gehörte. Sie sah auch wirklich reizvoll aus – doch gegen Andrea kam sie nicht auf. Nein, mit so viel natürlicher Schönheit und Jugend konnte die fast dreißigjährige Vera nicht in Konkurrenz treten. Und
wie dieses Fräulein Müller sprach, wie es sich gab, das war einfach angeborene Vornehmheit! Und wer erschien da in all seiner sieghaften Männlichkeit? Der Herr Inspektor! Bewegte sich so zwanglos, als ob er hier ein bevorzugter Gast und nicht ein Angestellter wäre. Begrüßte seine Verwandten nebst Vera so unbefangen, als ob er mit ihnen in schönster Harmonie lebte. Schon längst hatte Vera bereut, daß sie sich Busso so voreilig anverlobt und damit Edzard verlor. Denn so viel wie sie erwartete, würde bei einer Ehe mit ersterem nicht herauskommen. Der stand zu sehr unter der Fuchtel seines Onkels. Da war Edzard hier bestimmt viel mehr sein eigener Herr, zumal er sich der Gunst seiner Vorgesetzten zu erfreuen schien. Jedenfalls konnte es nichts schaden, wenn sie sich bei ihm wieder in Erinnerung brachte und ihm zu verstehen gab, daß ihr Herz ihm nach wie vor gehörte. Also mußte sie versuchen, ihn allein zu sprechen. Diese Gelegenheit bot sich erst beim Tanz und da noch viel zu spät für ihre Ungeduld. Man tanzte gleich nach der Kaffeetafel; denn unter den alten Parkbäumen war es schattig und kühl. Doch bis die Herren die Pflichttänze mit den älteren Damen erledigt hatten, dauerte es eine gute Weile. Und endlich, endlich verneigte er sich dann vor ihr. Nun sie ihm nach langer Zeit wieder so nahe war, erfüllte sie ein Glücksgefühl ohnegleichen. »Edzard, endlich sehe ich dich wieder«, flüsterte sie. »Weißt du auch, du Böser, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe?« »Wirklich, Vera? Das tut mir aber leid«, lachte er mitten in ihre Augen hinein. »Ich dachte, die Braut meines Bruders…« »Ich bin es noch nicht«, unterbrach sie ihn erregt. »Wenn ich dir alles erklärt haben werde, wirst du erkennen müssen, daß der Schein trügt. Warum hast du mich damals so schnöde im Stich gelassen?«
»Weil ich dachte, daß dir an einem Inspektor nichts liegen könnte.« »Wie häßlich, Edzard! Ich hätte mich sehr gut in deine veränderten Verhältnisse hineingefunden.« »Das hätte ich wissen müssen. Aber jetzt ist es ja zu spät.« »Zu spät ist es noch lange nicht. Du hast mir zwar weh getan, als du dich so plötzlich von mir wandtest, doch ich will dir gern verzeihen; denn – ich liebe dich. Willst du mir das glauben?« »Warum nicht? So was glaubt ein Mensch immer gern«, lachte er unbekümmert. »Bist ein liebes Kind, Verachen.« Fest schmiegte sie sich in seinem Arm und flüsterte zu ihm empor: »O Edzard, jetzt bin ich wieder glücklich. Wir müssen uns unbedingt einmal aussprechen.« Er kam zu keiner Antwort, da die Musik schwieg. Mit einem Blick, den sie sich nicht erklären konnte, löste er seinen Arm von ihrer Mitte, brachte sie an ihren Platz zurück und ging davon, bevor sie ihn zurückhalten konnte. Am liebsten hätte sie die Herren, die sie zu den weiteren Tänzen holten, schroff abgewiesen. Da das jedoch nicht gut ging, mußte sie ihnen zum Tanz folgen und hatte so nicht mehr die Gelegenheit, Edzard scharf zu beobachten. Eben klang ganz in der Nähe sein sonores Lachen auf. Vera wandte den Kopf und sah ihn mit Susann Syder vergnügt schunkeln. Wie vertraut sie taten, wie sie zusammen tuschelten und dann lachten, das alles konnte die enttäuschte Vera kaum noch mit ansehen. Es war gut, daß Busso sie zum nächsten Tanz holte. Da konnte sie ihrer gereizten Stimmung freien Lauf lassen. Doch zu ihrem Pech befand auch er sich in keiner rosigen Laune – und daran war auch Edzard schuld. Auch er wollte ihn in seiner stillen Klause aufsuchen, aber nicht um ihn zu trösten, sondern mit höhnischen Bemerkungen zu bedenken. Und nun bewegte der Herr Inspektor sich hier, als wäre er der Gastgeber. Wenn einen das nicht erbosen sollte!
Also fiel Veras ungnädige Bemerkung, daß er sie nicht so auffallend an sich pressen sollte, auf vulkanischen Boden. »Hab dich doch nicht so dumm!« fuhr er sie wütend an. »Was sollen die Menschen denken«, zischte sie zurück. »Daß sie ein angehendes Brautpaar vor sich haben. Je früher sie das bemerken, um so eher wird der Alte sich bequemen müssen, die Einwilligung zur Verlobung zu geben.« Am liebsten hätte sie geantwortet, daß ihr daran nichts mehr läge. Aber soviel Besinnung hatte sie denn doch noch, um diese Bemerkung zu unterdrücken. Das waren nun schon zwei, die sich über den unschuldigen Edzard ärgerten. Als dritter schloß sich ihnen Herr Philipp an. Aber den ärgerte heute ja schließlich auch die Fliege an der Wand. Und da es hier nicht gut anging, den wilden Mann zu markieren, so war er gezwungen, den Ärger in Alkohol zu ertränken. »Nun, Onkelchen, dir scheint’s ja zu schmecken, wie?« »I du verflixter Schlingel«, knurrte der Geneckte. »Eigentlich dürftest du mir ja nicht unter die Augen treten, ohne dabei zu Kreuze zu kriechen, willst du das?« »Bewahre, Onkel. Wozu auch? Habe ich denn so viel Ehrenrühriges verbrochen?« »Ausgerissen bist du. Das vergesse ich dir nie, mein Jungchen. Ausgerechnet nach Ritters mußtest du gehen, das für mich das ist, was dem Stier das rote Tuch. Darüber soll ich mich wohl nicht ärgern, was?« »Darüber könntest du dich höchstens freuen – « »Ach was – freuen – «, unterbrach er ihn unwirsch. »Dazu habe ich auch allen Grund. Mußte mir einen Inspektor suchen, während mein Neffe einen Hasensprung weiter in Stellung steht. Das auch noch auf Ritters, das man von Reuth abgehackt hat wie die Krone von einem Baum. Beides ist nun nichts Ganzes, auch nichts Halbes. Ritters gehört nun einmal zu Reuth, wie es schon unser Name besagt. Von Rechts wegen dürften wir uns nur Reuth nennen«, stellte er tiefsinnig fest. »Aber wir haben ja nicht
einmal einen Namen, den wir davorsetzen können. Da hat Fräulein Müller es besser. Die kann sich Müller-Ritters nennen…« In diese Rede lachte Edzard so herzlich hinein, daß Frau Nataly, Andrea und das Ehepaar Syder, die in der Nähe standen, zu den beiden Herren traten. »Was amüsierst du dich denn so, mein Sohn?« fragte die Tante. »Dürfen wir mitlachen?« »Jawohl, auf meine Kosten«, brummte Philipp gemütlich. »Der Bengel lacht mich ganz respektlos aus, weil ich Ihnen einen so schönen Namen gegeben habe, gnädiges Fräulein.« »Da bin ich aber neugierig, Baron«, lächelte Andrea. »Tja, mein kleines Fräulein«, nickte er wehmütig. »Sie haben wenigstens einen Namen, den Sie vor Ritters setzen können. Aber wir, die wir nur noch Reuth unser eigenen nennen, sind übel dran. Denn Reuth-Reuth geht doch schlecht, nicht wahr? Doch Müller-Ritters, das geht gut.« »Oh, wie schön -!« lachte Andrea hellauf. »Wird gemacht, Herr Baron. Und da jede Taufe begossen werden muß, soll es gleich an Ort und Stelle geschehen.« Sie bestellte bei einem Diener Sekt, der gleich darauf in den Gläsern perlte. Bald herrschte eine Fröhlichkeit am Tisch, die immer mehr Gäste herbeilockte, darunter auch Vera und Busso. Die machten große Augen, als sie sahen, wie Herr Philipp Andrea becourte, und ärgerten sich über die entzückende Art, mit der sie die altväterlichen Komplimente entgegennahm. Als man gesättigt war und ungeduldig die Aufhebung der Tafel erwartete, damit man wieder das Tanzbein schwingen konnte, schlug Edzard an sein Glas. »Keine Angst, meine Herrschaften«, rief er lachend, als er die enttäuschten Gesichter rundum bemerkte. »Ich will Ihre Ungeduld auf keine Probe stellen. Will das, was ich zu sagen habe, in einen Satz fassen: Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, meine
Verlobung mit Fräulein Andrea Müller bekanntzugeben.« Nach diesen Worten war es sekundenlang still, so sehr waren die Menschen überrascht. Doch dann brach ein kaum endenwollender Jubel los. Alle drängten sich dem Brautpaar zu, um mit ihm anzustoßen. Nur Susann hielt sich abseits und betrachtete Vera und Busso, die dicht nebeneinander standen, mit unbändigem Vergnügen. »Nun komm schon«, wollte Hubert sie mit sich ziehen, doch sie sperrte sich dagegen. »Nein, laß – und bleibe du auch hier. Ich habe etwas vor. Dazu muß ich jedoch abwarten, bis die erregten Gemüter sich beruhigt haben«, verriet sie mit blitzenden Augen. »Sieh dir die beiden Leutchen dort an«, flüsterte sie ihm mit unterdrücktem Lachen zu. »Sehen sie nicht aus, als müßten sie jeden Augenblick Gift und Galle spucken? Grün genug sieht Bussos Gesicht aus – und Veras nicht minder, was man unter der Puderschicht allerdings nur ahnen kann. Aber beherrschen tun sie sich, das muß ihnen der Neid lassen.« »Fein hat Edzard das gemacht«, freute sich Hubert. »Man muß allgemein annehmen, daß die Herrin sich in ihren Inspektor Hals über Kopf verliebt hat. Sie spielen die Komödie fabelhaft.« »Hach, da sollst du erst einmal sehen, wie ich die meine spielen werde«, machte Susann ein Gesicht, daß der Gatte lachend fragte, ob sie womöglich auch Gift und Galle spucken möchte. »Nein, aber die Perfidie rächen«, funkelten ihre Augen kampflustig. »Edzard soll seine Genugtuung haben – ich warte nur auf ein passendes Stichwort.« Als wäre ein jovialer Herr mit ihr im Komplott, ließ er das Stichwort fallen: »Na, wenn das nicht Liebe auf den ersten Blick war – « »O nein – «, trat Susann nun lachend vor. »Die besteht schon recht lange, meine Herrschaften – « Sie fiel Andrea um den Hals, herzte und küßte sie -. »Laß
dir Glück wünschen, mein Liebes. Ein ganz, ganz großes Glück, du prächtiges Menschenkind…« Und sich dann an Edzard wendend: »Hast du sie nun endlich? Laß auch dir Glück wünschen, obgleich das gar nicht nötig ist, da es dir aus den Augen strahlt. Ja, meine Herrschaften, da staunen Sie, nicht wahr?« rief sie den Menschen zu, die wie erstarrt standen. »Drei Jahre hat dieser hartnäckige Mann um seine stolze Dame getoggenburgert. Obgleich sie auf dem Standpunkt steht: Er soll dein Herr sein… wollte sie sich so viel wirtschaftliche Kenntnisse aneignen, um ihm in der Arbeit Kamerad sein zu können. Daher hat sie ihn so lange zappeln lassen.« »Na so was – «, sagte Herr Philipp so verblüfft, daß alle rundum in erlösendes Lachen ausbrachen. Hubert rief ihm neckend zu: »Wir drei sind die einzigen gewesen, die den Duft des Veilchens, das mehrere Wochen im Jahr hier im Verborgenen blühte, verspürt haben. Komm, Andrea, mein Mädchen, laß dir auch von mir Glück wünschen.« Als wäre es ganz selbstverständlich, zog er sie an sich und küßte ihren lachenden Mund. Der Bräutigam wurde von allen Seiten mit neckenden Bemerkungen bedacht! Susann hatte ihre Sache so fabelhaft gemacht, daß niemand ihre Worte auch nur im entferntesten anzweifelte. Selbst Bitterling hatte bei ihrer kühnen Behauptung mit keiner Wimper gezückt. Jedenfalls war Edzard vollste Genugtuung geworden. Das merkten die Eingeweihten an Veras und Bussos Fassungslosigkeit. Die andern, deren Interesse dem Brautpaar gehörte, bemerkten nicht die unterdrückte Wut, die den Gefoppten aus den Augen flackerte. Busso befand sich in einer Verfassung, die man mit verheerend bezeichnen konnte. Er hatte den Bruder treffen wollen bis ins tiefste Herz, indem er ihm das geliebte Mädchen fortnahm. Und nun stellte sich heraus, daß dessen Liebe seit drei Jahren Fräulein Müller gehörte, von
deren Existenz man bis vor drei Wochen noch keine Ahnung gehabt hatte. Also war Vera ihm nichts weiter als ein Zeitvertreib gewesen. Schon immer war er auf Edzard neidisch gewesen, weil dem alles so leicht in den Schoß fiel, was er sich schwer erkämpfen mußte: Die Herzen der Menschen, das Wissen auf den Schulen und anderes mehr. Er lebte dabei sein unbekümmertes Leben, während er den Musterknaben mimen mußte, um wenigstens den Onkel auf seiner Seite zu haben. Und jetzt – jetzt wurde er Herr auf dem feudalen Ritters. Er brachte es somit der Familie zurück, wofür der Onkel ihn in den Himmel heben würde – statt ihn zu enterben, wie er, Busso, zuversichtlich gehofft. Dazu hatte er Jahrzehnte hindurch gegen den Bruder intrigiert. Das alles dachte Busso, während er zusah, wie sein Bruder von den Menschen umringt und geehrt wurde. Wie ein giftiger Wurm fraß der Neid an Bussos Herzen. Und Vera? Die beneidete wiederum das Mädchen, das nun die Braut des Mannes war, den sie so heiß für sich begehrte. Jetzt, nachdem er ihr endgültig verloren, wußte sie erst, wie sehr sie ihn liebte. So sicher war sie seiner Liebe gewesen – und nun stellte sich heraus, daß er nur ein müßiges Spiel mit ihr getrieben hatte. Wenn das hochmütige Geschöpf nur wüßte, daß der Liebste, der es seit drei Jahren umgarnt, sich in der Zwischenzeit amüsanten Zeitvertreib gesucht – o wie würde das Lärvchen sich in bitterböse Falten ziehen. Na, warte nur, mein stolzes Kind, du sollst schon noch von mir erfahren, welch ein Heuchler dein Bräutigam ist! Dann wirst du ihm schon den Laufpaß geben – und mich damit rächen. Am liebsten hätte Vera ihre Wut und auch ihren Schmerz laut hinausgeschrien. Statt dessen mußte sie hier verharren und so tun, als ob sie sich über die Verlobung freute. Mußte lächelnd nicken, als Busso ihr zuflüsterte, daß man
die frohe Stimmung bei dem Alten ausnutzen und ihm die Einwilligung zur baldigen Veröffentlichung ihrer Verlobung erpressen müßte. Sie zuckte zusammen, als Philipp ihnen zurief: »Na, ihr beiden, was steht ihr denn da so verlassen. Kommt doch näher – so ist’s recht. Das ist aber mal ein Glück, Busso, was? Ritters kommt wieder zu Reuth. Daß ich diesen Tag erleben durfte, dafür will ich unserm Herrgott danken.« Seine Freude war so rührend, daß sie allgemein Widerhall fand. So waren Vera und Busso gezwungen, ebenfalls Freude zu heucheln. Das Ausschlafen hatte man in Reuth gut besorgt, wenigstens der Herr des Hauses. Er begrüßte die Gattin gutgelaunt, und als er nach dem Essen seine Zigarre angesteckt hatte, kam er mit dem heraus, was ihm anscheinend sehr am Herzen lag. »Was ich sagen wollte, Nataly – hm, schau mal, das ist so: Da nun Edzard sein Glück gemacht hat, das auch unser Glück ist, da Ritters wieder zu Reuth gehört, da dachte ich – hm – man müßte Busso da auch eine Freude machen. Meinst du nicht auch?« »Natürlich.« »Na siehst du. Als wir vom Fest nach Hause kamen, hat der Junge mich flehentlich gebeten, auch bald Verlobung feiern zu dürfen – was ich denn auch halb und halb zusagte. Na ja – warum auch nicht? Die Leutchen lieben sich und wollen daher auch heiraten. Das ist doch zu verstehen.« »Allerdings.« »Na also, Frauchen, ich habe ja gewußt, daß du vernünftig sein wirst. Nun dachte ich es so: Wir geben die Verlobung bekannt, feiern sie am Sonntag im engsten Familienkreise und richten dafür im Herbst die Hochzeit groß aus. Als Wohnung überlassen wir ihnen die drei zusammenhängenden Zimmer oben, die du ihnen nett einrichten kannst. Essen können wir der Einfachheit halber alle aus einem Topf. Wie gefällt dir mein Plan?« »Gar nicht.«
»Aber Nataly!« Jetzt wurde er ungemütlich. »Was hast du daran auszusetzen?« »Bis auf Verlobung und Hochzeit alles.« »Also, daß das junge Paar hier wohnen soll? Warum?« »Weil ich mit Vera nicht zusammen wohnen möchte.« »Nataly, wie kann man bloß so verbohrt sein! So übel ist Vera doch nun wirklich nicht, daß du ihr so abgeneigt sein mußt. Was hat sie dir bloß getan, daß du sie so verurteilst. Gerade dir gegenüber ist sie stets bemüht, recht lieb und gut zu sein.« »Eben – sie ist bemüht«, nickte sie seelenruhig. »Das verlange ich ja gar nicht, weil es meine Sympathie oder Antipathie durchaus nicht beeinflußt. Andrea war bei ihrem Antrittsbesuch gar nicht bemüht, lieb und gut zu sein – und doch flog ihr mein Herz sofort zu.« »Nun?« dehnte Philipp. »Sprach da nicht dein Herz, weil sie die Besitzerin von Ritters ist?« »Darauf bleibe ich dir die Antwort schuldig, mein lieber Philipp. Streiten wir nicht herum, sondern kommen wir zum Ende der Unterredung. Du hast meine Meinung hören wollen, hier ist sie: Ich habe absolut nichts dagegen, daß Busso Vera heiratet, meinetwegen morgen schon. Weise ihnen Praddeln als Wohnsitz an. Das Haus ist recht passabel und dazu gemütlich eingerichtet. Ich habe auch nichts dagegen, daß du Busso Reuth vermachst, nur nicht, solange ich die Herrin darin bin.« »Wer spricht denn davon? Ich denke gar nicht daran! Wenigstens nicht, so lange ich lebe. Was hier zur Debatte steht ist, daß das junge Paar in Reuth wohnen soll.« »Dann können wir die Debatte beenden. Denn ich sage nein – und nochmals nein.« »Was soll das heißen?« »Daß ich von Reuth gehe, sofern du Busso mit seiner Frau Wohnrecht darauf zubilligst. Genügt dir das?« »In drei Kuckucks Namen – nein!« Jetzt stand sein Zorn in hellen Flammen. »Du kannst Busso nur nicht leiden und mißgönnst ihm sein Glück!«
»Großer Gott, wie niedrig schätzt du mich ein. Ich kann Busso weder nicht leiden, noch ist er mir ans Herz gewachsen – ich verabscheue nur seinen minderwertigen Charakter. Ich habe mir nämlich nicht von dem scheinheiligen Burschen Sand in die Augen streuen lassen wie du. Bin daher sehend geblieben – und du wurdest blind. Merktest nichts von seinen infamen Intrigen, die er gegen seinen Bruder spann. Ruhig, jetzt spreche ich erst einmal zu Ende -!« herrschte sie ihn an, als er ihr in die Rede fahren wollte, so daß er vor Erstaunen den Mund offen behielt. »Mach den Mund getrost zu. Sperre lieber dafür die Augen auf und schaue um dich. Dann wirst du bald merken, für welch einen Narren man dich überall hält, der sich von einem intriganten Burschen so völlig verblenden ließ. Dem seine Einflüsterungen wie ein Evangelium waren, so unantastbar, und wenn dir meine Worte unglaublich erscheinen, dann geh zu deinen Leuten und fordere sie auf, ihre Meinung über deinen Abgott laut werden zu lassen. Dann wirst du Dinge zu hören bekommen, daß dir die Haare zu Berge stehen. Seiner Niedertrachten sind so viele, daß ich sie dir nicht alle aufzählen kann. Nur eines sei dir gesagt: Zwanzig Jahre hat der Bursche darauf hingearbeitet, daß du Edzard enterben solltest, damit er Alleinherrscher auf Reuth wird. Schritt für Schritt ist er in gewissenlosester Weise vorgegangen, um seinen Bruder aus dem Wege zu räumen. So – das ist Busso. Und bezüglich Vera scheinst du genau so verblendet zu sein. Sonst hättest du sehen müssen, daß ihr ganzes Getue nichts weiter als Scheinheiligkeit ist. Wenn sie erst fest auf Reuth sitzt, wird sie ihren wahren Charakter zeigen. Das ist der Grund, warum ich nicht mit ihr zusammenwohnen will. Gott sei Dank – jetzt ist mir wohler. Auf diesen Augenblick habe ich gewartet, zwanzig Jahre lang. Habe geschwiegen und immer wieder geschwiegen, obgleich mir über die Ungerechtigkeit, mit der du Edzard behandelt hast, manchmal fast das Herz brechen wollte. Doch ich mußte
schweigen, um dem armen Jungen nicht zu schaden. Und nun mache, was du willst. Es ist dein Reuth, es ist dein Neffe. Mit dem Moment, wo du dich entschieden hast, gehe ich. Gottlob habe ich soviel eigenes Geld, um bescheiden davon leben zu können. Und zwar in Frieden. Wenn Vera hier festen Fuß gefaßt hat, wird der Teufel los sein. Das mitzumachen, dafür danke ich.« Philipp war dem allen, was da ruhig, aber fest und klar gesagt wurde, wie erstarrt gefolgt. Erst als die Stimme schwieg, die ihm so unbarmherzig die Wahrheit enthüllt hatte, kam er zu sich. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit polterte er nicht los, sondern sprach voll Verachtung: »Pfui Teufel noch einmal! Wie kann ein Mensch nur einen andern in so gehässiger Weise verleumden. Busso wird mit seiner Frau hier wohnen – « »Schön.« Damit erhob sie sich. »Dann ist die Entscheidung gefallen. Ich wünsche dir nur, daß du diese Stunde nie bereuen mögest.« Damit klappte die Tür hinter ihr zu. Auch in Ritters traf man erst zum Mittagessen zusammen, ausgeschlafen, frisch und munter. Hauptsächlich Matthias Bitterling befand sich in allerbester Laune. »Nun, hier hängt wohl der Himmel voller Geigen«, begrüßte er das Brautpaar, das sich bereits im Speisezimmer befand. »Kinder, Kinder, ihr habt es fein raus, eure Mitmenschen zu überraschen. Dämlicher kann ich noch nie ausgesehen haben, als nach der Bekanntmachung eurer Verlobung. Und was Frau Syder anschließend erzählte, das konnte mein Hirn überhaupt nicht fassen. So – «, schloß er verschmitzt, »und jetzt möchte ich essen.« »Da mußt du dich noch gedulden, Onkelchen, Syders kommen zur Nachfeier, um sich so richtig mit uns auszuplauschen. Auf dem Fest konnte man ja kein vertrautes Wort miteinander reden. Da sind sie bereits. Kommt bloß schnell, sonst verhungert uns unser Bitterchen
noch.« Als man während des Essens lebhaft von dem Fest plauderte, kam man natürlich auch auf die kleine Komödie zu sprechen, die Susann so wirkungsvoll in Szene gesetzt hatte. Diese sah Andrea unsicher an, die den Blick sofort verstand. Lachend winkte sie ab. »Vor Bitterchen brauchst du kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Daß du geschwindelt hast, weiß er ganz genau. Aber weshalb das geschah, darüber darf er sich ruhig den Kopf zerbrechen.« »Mein armer Kopf. Na ja, so geht es unsereins, wenn man zwischen Frauensleut gerät. Ich habe Sie ja gewarnt, Rittersreuth, doch Sie wollten nicht hören.« »Wo haben Sie als Junggeselle nur die Erfahrung gesammelt?« erkundigte Edzard sich amüsiert. Worauf die tiefsinnige Antwort erfolgte: »Auch ich war einmal jung und schön…« »Das will ich sogar glauben«, kam es von der Tür her. Die Köpfe fuhren herum und da stand Natchen – fidel, charmant, gepflegt wie gewöhnlich. »Natchen, das ist mal eine freudige Überraschung -!« lachte Edzard über das ganze Gesicht. »Ob sie so freudig ist, muß mal erst festgestellt werden. Zuerst gebt mir was zu essen.« Obgleich sie mit gutem Appetit aß und auch keine Erregung zeigte, fühlten die andern doch, daß etwas nicht stimmte. Man gab sich Mühe, die Unterhaltung fortzusetzen, bis Nataly nach einer Zigarette griff und sich zurücklehnte. »Da wir ja so nett unter uns sind, kann ich freiweg reden. Also kurz die Rede, lang der Sinn: Ich bin ausgerückt. Genau so wie Edzard damals. Und da er in Ritters so gute Aufnahme gefunden hat, hoffe ich sie gleichfalls zu finden.« »Natchen, was ist denn passiert -?« fragte Edzard erschrocken. »Nichts Besonderes, mein Sohn. Nur daß Busso den Onkel
wieder einmal so weit gekriegt hat, wie er wollte. Seine Verlobung soll schon am Sonntag veröffentlicht werden. Das hätte mich nicht weiter berührt. Nur daß das junge Paar in Reuth wohnen soll, dagegen erhob ich Einspruch. Machte dem Onkel den Vorschlag, den Neuvermählten Praddeln als Wohnsitz anzuweisen, was ihn entrüstete. Ein Wort gab das andere, wobei jeder auf seinem Willen beharrte. Er, daß sie unbedingt auf Reuth wohnen werden, ich, daß ich Reuth verlasse, sobald die Sache spruchreif wäre. Da warf er mir vor, daß ich Busso nicht leiden könne und ihm sein Glück mißgönne – und da war endlich der Augenblick da, auf den ich zwanzig Jahre warten mußte. Er bekam alles zu hören, was ich auf dem Herzen hatte. Ganz unbarmherzig habe ich ihm die Wahrheit gesagt. Ach, war das eine Wohltat -!« »Dann hast du ihn über Bussos Charakter aufgeklärt?« fragte Edzard unsicher. »Und ob, mein Jungchen!« »Das glaubt der Onkel dir im ganzen Leben nicht-« »Tat er auch nicht. Nachdem ich alles vom Herzen herunter hatte, war er so erschlagen, daß er verachtungsvoll sagte: Pfui, Teufel, wie kann ein Mensch nur einen andern in so gehässiger Weise verleumden. Busso wird mit seiner Frau hier wohnen. Na ja – und so bin ich hier.« »Aber Natchen, wie konntest du dich meinetwegen mit Onkel entzweien…« »Nicht deinetwegen, mein Junge, meinetwegen geschah das. Glaubst du etwa, ich habe Lust, mit so einem verlogenen Geschöpf wie Vera – von Busso ganz zu schweigen – tagtäglich zusammenzusein. Ich will im eignen Hause meinen Frieden haben. Ist das zu viel verlangt?« »Nein, Frau Baronin«, meldete sich Bitterling. »Dieser Herr Busso muß doch eine unglaubliche Macht über seinen Onkel haben.« »Hat er – «, bekräftigte Nataly. »Das bekam der arme Edzard so manches Mal zu spüren.«
»Laß gut sein, Natchen«, lächelte der. »Du hast wieder alles wettgemacht, indem du mich über Gebühr verwöhntest.« »War auch nötig, mein Jungchen. Sonst hättest du dich nicht zu solch einem prächtigen Kerl entwickeln können. Wärest verbittert und oft gar am Leben verzweifelt über so viel Ungerechtigkeit.« »Die habe ich in ihrer ganzen Schwere gar nicht mal empfunden, weil du immer gleich zur Stelle warst, wenn der Onkel mir weh getan hatte. Da ist es mir besser gegangen als Busso, der den Musterknaben spielen und stets neue Intrigen ersinnen mußte, um in der Gunst des Onkels zu bleiben«, schloß er lachend. Liebevoll strich sie ihm über den Kopf und sah ihn dann vergnügt an. »Eigentlich hast du recht, du Schlingel. Wohl mir, daß ich dazu imstande war, die Stiche und Püffe zu heilen, damit sie keine Wunden hinterließen, mein lieber Junge. Mehr für dich zu tun, war mir leider nicht möglich. Was meinst du wohl, wieviel Schlauheit dazu gehörte, den Onkel immer wieder zu beschwichtigen.« »Du armes Natchen«, streichelte er lachend ihre Hand, »was hast du schon für eine Not mit mir gehabt.« »Darum bist du mir ja so ans Herz gewachsen, du Bengel«, gab sie ebenfalls lachend zurück. »Aber jetzt haben wir beide es geschafft. Du hast Karriere gemacht, und ich habe mir endlich mein Herz erleichtern können, ohne dir damit zu schaden.« »Mir nicht, aber dir.« »Ach was, bei meinem Mann wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Er ist nämlich ein herzensguter Kerl, bis auf seinen Spleen mit Busso. Aber ich glaube, der beginnt langsam die Macht über ihn zu verlieren, wozu meine schonungslose Aufklärung viel beitragen wird.« »Woraus schließt du das?« »Weil der Onkel nicht gleich Bussos Verlobung veröffentlichte. Ferner, weil er über deinen Fortgang aus Reuth mehr gekränkt als erbost ist. Im Grunde hängt er
nämlich mehr an dir, als wir alle geglaubt. Und nun du dir gar noch die Besitzerin von Ritters angelacht hast, muß er annehmen, daß doch recht viel an dir dran sein müßte.« »Wenn er nun aber Busso mit seiner Frau Wohnrecht auf Reuth zubilligt, was dann, Natchen?« »Dann bleibe ich hier. Vorausgesetzt, daß Andrea mich haben will.« »Daran darfst du nicht zweifeln, Natchen«, erwiderte diese herzlich. »So gern ich dich hier haben möchte, so hoffe ich doch stark, daß der Onkel zur Einsicht kommen und dich zurückrufen wird.« »Das geschieht, mein Kind, verlaß dich drauf. Denn ohne mich kann er ja doch nicht leben«, gestand sie spitzbübisch. Da schlug der Fernsprecher an. Edzard nahm das Gespräch entgegen. »Guten Tag, Onkel«, hörte man ihn sagen. »Ja, Natchen ist hier. Gut, ich werde sie rufen.« Mit lachendem Gesicht winkte er der Tante zu, die dann zu sprechen anhub: »Guten Tag, Philipp. Zurückkommen soll ich? Gern, wenn du meinem Wunsch nachgibst. Fällt dir nicht ein? Dann bleibe ich eben hier. Dann läßt du dich scheiden? Bitte sehr…« »Abgehängt«, zwinkerte sie dann den andern zu. »Ja, ja, mein lieber Mann macht Ernst. Ist zu verstehen. War der angefüllt mit Grimm und Groll – herrlich! In Bussos Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Der muß bestimmt für alles herhalten. Wie ich ihm das gönne, dem Leisetreter. Ach, Kinder, Rache ist ja so süß!« Wenn Natchen die Sache so auffaßte, dann konnte man getrost lachen, was man denn auch von Herzen tat. Aber neugierig war man doch, wie diese Angelegenheit sich entwickeln würde. Nun, daß seine Frau ihn kaltlächelnd verlassen hatte, traf Phillip schwer. Er befand sich in einer ganz miserablen Stimmung, die, wie Nataly recht vermutete, Busso über sich
ergehen lassen mußte. Als er mit Vera von seiner Autotour zurückkehrte und den vor sich hin brütenden Onkel fragte, wo die Tante sei, wurde er angefahren, wie nie in seinem Leben zuvor. »Was weiß ich, wo sie steckt. Jedenfalls ist sie auf und davon – und zwar deinetwegen!« »Meinetwegen?« verfärbte Busso sich. »Ich habe ihr doch nichts getan.« »Meinst du. Sie ist jedoch anderer Ansicht. Jedenfalls will sie nicht, daß du nach deiner Heirat hier wohnen bleibst. Als ich darauf bestand, ist sie gegangen. Punktum!« »Aber Onkel, wie konntest du nur«, tat der Neffe scheinheilig. »Wenn Tante es nicht haben will, dann…« »Hör bloß auf -!« unterbrach der tiefgereizte Mann ihn unwirsch. »Ich weiß ganz genau, was ich zu tun und zu lassen habe…!« Damit knallte die Tür hinter ihm zu und das Paar sah sich an, blaß vor Schreck. »Ich habe dir ja immer gesagt, daß deine Tante mich nicht leiden kann«, lachte Vera ärgerlich auf. »Ach was, die alte ¦ Schraube hat hier gar nichts zu sagen. Die muß tanzen, wie der Alte pfeift. Die Hauptsache, daß wir ihn auf unserer Seite haben.« Das hätte er nicht sagen sollen. Denn Philipp, durch die Aufklärung seiner Frau mißtrauisch geworden, tat das, was seiner Art sonst zuwider war – er horchte an der Tür. Und hörte noch mehr. »Sei du deiner Sache nur nicht so sicher«, sprach Vera laut und vernehmlich. »Das alte Ekel ist doch wetterwendisch wie ein Barometer. Mir liegt übrigens gar nicht so viel daran, hier zu wohnen und immer weiter das brave Haushuhn zu spielen. Das wird auf die Dauer lästig und beschwerlich. Laß ihn uns doch ein Nebengut als Wohnsitz anweisen, da können wir tun und lassen, was uns gefällt. Wenn Reuth uns erst gehören wird, können wir dem Despoten immer noch die Zähne zeigen – « Damit hatte Philipp genug gehört. Wie ein Kranker
taumelte er von der Tür fort in sein Arbeitszimmer, ließ sich in den nächsten Sessel sinken und barg aufstöhnend das Haupt in den Händen. Zum Abendessen traf man dann wieder zusammen. Der Hausherr, befand sich in ungewohnt sanftmütiger Stimmung, so daß das Pärchen sich immer wieder verstohlen zuzwinkerte. Busso war um den Onkel bemüht, wie um einen schonungsbedürftigen Menschen, wobei Vera ihn eifrig unterstützte. »Sei nicht traurig, Onkelchen«, tröstete er liebevoll. »Unser gutes Tantchen wird bestimmt bald wiederkommen. Und wenn sie wieder hier ist, dann feiern wir Verlobung, nicht wahr?« Philipp sah sehr wohl den lauernden Blick des Neffen sowie den Veras. Wohl war seiner geraden Art jede Verstellung zuwider, aber hier hielt er es für notwendig, auch einmal den Fuchskopf aufzusetzen. »Daraus wird wohl nichts werden, mein Sohn«, meinte er bedauernd. »Nächsten Sonntag findet die Hundertjahrfeier unseres Jagdvereins statt, den darauffolgenden bin ich wohl noch auf der Reise, die ich für den Verein unternehmen muß, und am übernächsten Sonnabend heiratet Edzard…« »So rasch?« fragte Busso dazwischen. »Ja. Das will mir ja auch nicht gefallen, aber schließlich ist der Junge nicht mehr von mir abhängig und braucht daher auf meine Wünsche keine Rücksicht zu nehmen.« Diese Bemerkung traf Busso an seiner empfindlichsten Stelle. Denn unabhängig von seinem Onkel zu werden und dann auch tun und lassen können, wie es ihm beliebte, darin gipfelte sein ganzes Sinnen und Trachten. Glühender Neid auf den Bruder erfaßte ihn, so daß er Mühe hatte, nicht aus seiner gutgespielten Rolle zu fallen. Was er nun sagte, sollte wie gutmütiger Spott klingen, hatte jedoch einen gehässigen Unterton, der dem Onkel nicht entging. »Na, von unabhängig kann man da wohl nicht sprechen, Onkelchen. Er ist ja doch nur der Mann seiner Frau.« »Ganz recht«, nickte Philipp. »Doch das ist immer noch
besser für ihn, als daß er von mir abhängig wäre. Meinst du nicht auch?« »Ja – «, würgte er hervor. Was hatte der Alte heute nur. Sollte das etwa eine Anspielung auf ihn sein? Es war wohl besser, wenn er jetzt ging, bevor er sich zu Antworten hinreißen ließ, die unterbleiben mußten. Aus der Verlobung wurde in den nächsten Wochen doch wieder nichts, warum sich da das Geschwafel des Alten mitanhören? Innerlich über seine Niederlage fluchend, doch äußerlich mit fast demütiger Bescheidenheit, bat er: »Gestattest du, daß ich aufstehe, Onkelchen? Ich muß Vera jetzt nach Hause bringen, sonst wird es allzu spät.« Damit wünschte er mit überschwenglicher Freundlichkeit gute Nacht, ging mit Vera davon – und der Onkel sah ihm grimmig nach. Dazu sollte er noch öfter Gelegenheit haben. Denn nun war sein Mißtrauen hell wach. Das ließ ihn in aller Heimlichkeit forschen und spüren, ließ ihn zum Schnüffler und Lauscher werden, wobei er noch so manches Gespräch zwischen Vera und Busso zu hören bekam. Dann ließ ihn ein Zufall Zeuge einer widerwärtigen Szene werden. Er kehrte früher aus der Stadt zurück, als zu erwarten war. Und zwar zu Fuß, da das Auto wieder einmal in Reparatur gegeben werden mußte. Daher bemerkte ihn niemand, als er den Gutshof betrat, wo ihn eine kleine Menschenansammlung vor der Scheune aufmerksam werden ließ. Da er Busso darin erspähte, trat er hinter einen Bretterstapel, durch dessen Spalten er alles übersehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Und nun sah er seinen Liebling so, wie er ihn noch nie zuvor gesehen. Mit wutverzerrtem Gesicht stand Busso vor einem jungen Arbeiter, der ihn hohnlachend ansah. »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, Sie aufsässiger Patron
-!« schrie er in heller Wut. »Sonst sorge ich dafür, daß Sie heute noch fliegen, verstanden?« »Nee – «, meinte der junge Mann gemütlich, indem er seine Hände in die Hosentaschen bohrte. »Nehmen Sie gefälligst die Hände aus den Taschen, wenn der Herr mit Ihnen spricht -!« »Ach nee – mein Herr ist immer noch der Herr Baron.« »Kerl, werden Sie nicht immer frecher! Sonst schlage ich Ihnen die Reitpeitsche um die Ohren!« »Wenn Sie nicht zu feige dazu sind, denn man zu.« Schon hob sich die Peitsche, doch sie erreichte nicht ihr Ziel. Der stämmige Bursche hatte Bussos Handgelenk gepackt, so daß dieser vor Schmerz aufstöhnte. Da ließ der Bedrohte lachend ab. »Na wat denn, wat denn? Mein Griff war doch man ganz sacht. Da sollen Sie mal sehen, wenn ich herzhaft zupacke.« »Kerl, das werden Sie mir büßen! Noch heute fliegen Sie!« »Dann geh ich zu Baron Edzard, der nimmt mich bestimmt«, lachte der junge Mann höhnisch. »Genauso wie er den Rentmeister genommen hat, den Sie hier rausgegrault haben. Baron Edzard ist nämlich nicht so ein Menschenschinder wie Sie…« »Halten Sie Ihr Maul…« »Ich hab immer noch einen Mund, weil ich ein Mensch bin. Und zwar einen sauberen, der noch nie gegen den eignen Bruder gehetzt hat. Schade, daß uns Edzard die Schweinerei hier nicht mitansehen kann. Der würde diesmal bestimmt das Nasenbein ganz durchschlagen oder soll ich es für ihn tun?« Die Männer, die ringsum standen und mit Interesse die Auseinandersetzung verfolgt hatten, hielten vor Spannung den Atem an. Doch siehe da, es geschah nichts. Mit einem Achselzucken wandte Busso sich ab, schwang sich auf das Pferd, das neben ihm gestanden hatte, und jagte davon, von dem
Gelächter der Arbeiter begleitet – das dann jäh verstummte, als ihr Herr plötzlich vor ihnen stand. Die Mützen flogen von den Köpfen. Still wollte man sich verdrücken, doch eine herrische Handbewegung hielt sie zurück. »Was war denn hier los?« Betretenes Schweigen. Mit gesenkten Köpfen erwarteten sie alle ein Donnerwetter und sahen dann unsicher auf, als der Gefürchtete ruhig fragte: »Tiebuck, haben Sie meinem Neffen den Gehorsam verweigert?« Dieser stand mit trotzig vorgeschobenem Kinn da und schwieg. Da wandte der Baron sich dem ältesten Kämmerer zu. »Kurbat, dann sprechen Sie. Was auch vorgefallen sein mag, dem Tiebuck geschieht nichts. Darauf gebe ich mein Wort.« Verlegen drehte der Mann seine Mütze, sah seinen Herrn dabei jedoch ehrlich an. »Es war nämlich so, Herr Baron«, begann er in seiner bedächtigen Art. »Die vom Gespann sind doch alles sehr für ihre Pferde. Und nun lahmt die Lise aus dem Tiebuck seinem und da wollte er sie nicht einspannen. Ausfallen sollte sein Gespann ja deshalb nicht. Er wollte mit drei Pferden fahren und das Fuder dafür kleiner laden lassen. Da wurde der Herr Busso wild – na ja – ein Wort gab das andere. Es war nicht recht, daß der Tiebuck so obstinatsch wurde, aber Herr Busso hat ihn so beschimpft, daß es seine Ehre angriff. Und das braucht er sich doch nicht gefallen lassen, nicht, Herr Baron?« »Nein, Kubat, das braucht er nicht«, lächelte Philipp. »Zumal er in seinem Recht ist. Besonders geschont können die Pferde in der drängenden Arbeitszeit nicht werden, aber schinden darf man sie natürlich auch nicht, das ist Tierquälerei. Hat mein Neffe schon oft so unsinnige Anforderungen gestellt? Sprechen Sie ruhig, Kurbat:« »Das schon. Er wollte immer beim Herrn Baron für doll
tüchtig angesehn werden, und da sollte manchmal was möglich gemacht werden, was nu nich möglich war. Und denn gab es Krach.« »Hm – und wie war mein Neffe Edzard?« Da leuchtete es in den Augen des Mannes auf. Ordentlich warm klag es, als er sagte: »Oh, ons Edzard! Dat war schon e ganzer Körl! Wenn man dem sagte: Herr Baron, das geht nich – denn fragte er: Warum nicht? Und wenn er das wußte, denn war es gut. Denn machte er es anders. Und wenn ihm der Herr Busso dazwischenredete, denn sagte er ihm, was er dachte. Manchmal sagte er auch: Du scheinheiliger Hund – « Jetzt fingen die Männer, die rundum standen, an zu lachen, und auch Herr Philipp strich schmunzelnd sein Bärtchen. »Hatte er denn recht damit?« »Immer – «, nickte Kurbat eifrig. »Der hatte ein Herz für uns Arbeiter und behandelte uns menschlich. Immer in Schutz genommen hat er uns vor’n Herrn Busso. Und wenn der ihn deshalb allzu doll beschimpfte und beleidigte, dann vergerbte er ihn.« »Wie ich sehe, Kurbat, wissen Sie Bescheid. Von jetzt ab wird hier ein anderes Lüftchen wehen. Sagt meinem Neffen nichts von dem, was wir gesprochen haben. Es wird Zeit, daß ich ihm auf die Finger sehe. Und wenn jemand ernstliche Klage über ihn zu führen hat, dann kommt ruhig zu mir. Ich räume dann schon auf.« »Gott sei Dank, Herr Baron. Jetzt haben wir doch wieder einen Herrn, dem wir klagen können, was nottut. Solange gingen wir damit zu ons Edzard, der brachte alles in Ordnung. Doch seitdem der fort ist, geht es uns schlimm. Nichts für ungut, Herr Baron.« »Gewiß nicht, Kurbat. Geht jetzt an eure Arbeit. Und pflegen Sie die Lise gut, Tiebuck. Wenn es nötig sein sollte, muß der Tierarzt geholt werden.« Damit ging er davon. Ein Grimm war in ihm, der ihn fast erstickte – und zwar über sich selbst, über die Blindheit, mit der er geschlagen gewesen war…
Edzard ging nach dem Inspektorhaus, um in seinem Zimmer das Frühstück einzunehmen. Wohl hatte die Hofglocke die Frühstücksstunde noch nicht eingeläutet, aber da er seit dem Ankleiden nichts gegessen hatte, machte sich jetzt ein starkes Hungergefühl bemerkbar. Er wollte gerade den Flur betreten, als er angerufen wurde. Überrascht sah er Andrea entgegen, die hoch zu Roß auf ihn zuritt. »Guten Morgen, Herr Inspektor!« rief sie vergnügt. Ehe Edzard ihr noch behilflich sein konnte, war sie schon aus dem Sattel geglitten und sah nun lachend dem Gaul nach, der wiehernd nach dem Stall trabte. »Guten Morgen, Andrea!« Der Verlobte zog ihre Hand an die Lippen. »Kehrst du etwa schon von einem Ritt zurück?« »Ja. Das Wetter war zu verlockend. Hast du schon gefrühstückt?« »Nein.« »Ich auch nicht. Tun wir uns also zusammen.« »Ich müßte mich dann erst ein wenig auffrischen – « »Wozu? Du hast noch nicht einmal Staub an den Stiefeln. Überlege nicht lange. Sonst wird die Frühstücksstunde eingeläutet und dann erscheint Natchen.« »Nanu, ist sie dir etwa im Wege?« »Jetzt ja«, gab sie lachend Antwort. »Verstehe ich nicht. Also gut, ich komme. Will mir nur noch die Hände waschen. Geh schon voran.« Fünf Minuten nach ihr betrat er die Terrasse, wo Andrea im Schaukelstuhl wippte. Jetzt nahm sie einen Briefbogen aus der Hosentasche. »Lies und ergötze dich daran, wie ich es bereits getan habe.« »Die hat es aber eilig«, meinte er ironisch, nachdem er Veras Schrift erkannte. »Drei Tage nach unserer Verlobung ist der Wisch schon da.« Während er las, beobachtete sie ihn gespannt. Sein Antlitz blieb unbeweglich, nichts darin verriet, was er dachte. Dann zerriß er den Bogen in kleine Fetzen, tat sie in die
Aschenschale und zündete sie an. »Ein Häuflein Asche!« lachte Andrea amüsiert. »Streue sie nun noch in alle Winde, dann soll verweht und vergessen sein, was so ein armes Hirn da ausgebrütet hatte.« »Ja, es ist perfid«, sagte er, nachdem er ihrem Wunsch nachgekommen war. »Es tut mir leid, Andrea, daß du dir deine Hände mit dem Wisch beschmutzen mußtest. Ein Wunder, daß sie den Mut hatte, ihren Namen darunter zu setzen.« »Nun, sie sagte doch die Wahrheit.« »Zehn Prozent allerdings, die andern sind erlogen. Darüber mußt du dir klar sein, Andrea. Habe ich doch recht gehandelt, daß ich dir die Verhältnisse klarlegte, bevor ich um dich warb. Sonst würdest du mir jetzt bestimmt den Laufpaß geben.« »Wenn du mir, wie die Schreiberin annimmt, drei Jahre lang heiße Liebe vorgetäuscht – und ihr zwischendurch auch – dann allerdings. Aber so weiß ich ja, daß du sie geliebt…« »Bitte, Andrea, laß das«, wehrte er nervös. »Ich kann das Wort nicht mehr hören. Solche frivolen Kreaturen sorgen schon dafür, daß es zur Banalität wird. Nur eines ist noch zu klären, Andrea: Wer ist der Mann, dem dein Herz gehört? Willst du ihn mir nicht nennen?« »Nein«, wehrte sie so entschieden ab, daß er verletzt schwieg. Die Hofglocke ertönte, und gleich darauf betrat Frau Nataly die Terrasse. »Oh, der Herr Inspektor«, lachte sie vergnügt. »Wie kommt es, daß man dich um diese Zeit hier sieht?« »Ich bin hungrig…« »Recht so, ich auch. Frühstücken wir also ergiebig.« »Na – «, meinte er. »Kein bißchen unruhig, Natchen?« »O nein. Meine Ruhe ist unerschütterlich, und meine Geduld ist lang.« Das schien tatsächlich der Fall zu sein. Denn als Philipp sich auch nach zwei Wochen noch nicht gemeldet hatte, blieb Nataly immer noch seelenruhig.
Man saß in Ritters auf der Terrasse und gab sich der Sonntagsruhe hin. Bis Edzard dann ein heikles Thema anschnitt. »Natchen, glaubst du immer noch, daß dein Philipp dich holen kommt?« »Natürlich. Zu mindesten wird er am Sonnabend zur Hochzeit hier in Erscheinung treten. Dann werden wir feststellen können, wie das Barometer steht: Auf Regen, Sturm oder Sonnenschein.« In dem Augenblick trat der Diener hinzu und meldete, daß der Herr Baron von Rittersreuth die Frau Baronin zu sprechen wünsche. Er warte im Blauen Salon. »Schön, ich komme.« Natchen war gar nicht überrascht wie ihre Hausgenossen. Sie warf ihnen einen verschmitzten Blick zu und ging dann nach dem bezeichneten Zimmer, wo der Gatte ihr verlegen entgegensah. »Dir scheint es ja hier recht gutzugehen – «, stellte er mit einem Blick auf ihr lachendes Gesicht fest. »Natürlich, Philipp. Du glaubst gar nicht, welch ein herrliches Leben das hier ist! So voller Frieden und Harmonie.« »Das soll wohl auf mich gehen«, knurrte er. »Ich bin gekommen, um dich zur Rechenschaft zu ziehen.« »Dazu wollen wir uns setzen, Philipp.« Nachdem sie Platz genommen hatten, sah er seine Frau forschend an. Anscheinend suchte er nach passenden Worten, bis er sie dann nach mehrmals gebrummten: »Hm, hm – na ja – «, endlich gefunden hatte: »Was hast du dir eigentlich gedacht, als du mir davonliefst, Nataly? Tut das eine Frau, die am Altar gelobt, dem Mann Untertan zu sein?« »Bis zu einer bestimmten Grenze nicht. Aber was du von mir verlangtest, ging darüber hinaus. Das war schon Sklaverei.« »So, so – Sklaverei. Ich bin nicht hergekommen, um mir deine spitzfindigen Bemerkungen anzuhören, sondern um dich aufzufordern, nach Hause zurückzukehren.«
»Gern, Philipp, sobald du das Streitobjekt aus dem Wege geräumt hast.« »Streitobjekt – wenn ich das schon höre! Ich gebe mir die redlichste Mühe, ein solches nicht aufkommen zu lassen, aber du läßt ja nicht eher Ruhe, bis es da ist. Na ja, einer muß nun wohl nachgeben – und so will ich es diesmal wieder sein. Vera wird also nicht in Reuth wohnen…« »Oh, Philipp, dafür danke ich dir«, sagte sie herzlich. »Ist das wirklich der Fall – oder tust du nur so?« brummte er. »Bestimmt nicht. Glaube mir, du wirst noch einmal froh sein, meinem Wunsch nachgegeben zu haben. Wozu hast du dich entschlossen?« »Vorläufig zu nichts. Es ist noch sehr fraglich, ob ich Busso die Einwilligung zur Heirat mit diesem Mädchen geben werde.« »Die kannst du ihm nicht verweigern«, meinte sie ernst. »Laß nur, Nataly. Wenn du wüßtest, was ich weiß – « Zuerst stockend und sehr befangen, dann jedoch immer sicherer werdend, sprach er über alles, was er erlebt hatte. Das Triumphgefühl, das sie jetzt hatte empfinden müssen, blieb jedoch aus. Im Gegenteil, der Mann erbarmte sie, der da so verbittert sprach. Als er geendet, legte sie ihre Hand auf die seine und sagte herzlich: »Es tut mir aufrichtig leid, lieber Philipp, daß dich die Erkenntnis so getroffen hat. Wenn man von einem Menschen so viel gehalten hat wie du von Busso und dann enttäuscht wird, das tut bitter weh. Was wird nun geschehen?« »Weiß ich?« Er zuckte resigniert die Achsel. »Am liebsten möchte ich diesen erbärmlichen Schleicher und Intriganten zum Hause hinauswerfen. Ekel* Despot – «, lachte er bitter auf. »Bin ich das wirklich, Nataly?« »Nein, du lieber Mann«, beschwichtigte sie gütig. »Daß du leicht aufbraust, liegt in deiner Natur. Unterdrückt und tyrannisiert hast du jedoch noch keinen Menschen.« »Du warst es aber, die behauptete, daß ich das bei Edzard getan habe.«
»Ganz so arg war es nicht, Philipp. Nur sehr ungerecht bist du gegen ihn gewesen.« »Warum hast du mir das nie gesagt, Nataly? Warum mich nicht über Busso aufgeklärt?« »Hand aufs Herz, Philipp – hättest du mir geglaubt?« Da senkte er das Haupt und schwieg. »Nun laß gut sein, liebster Mann«, klang ihre warme Stimme auf. »Fehler machen wir alle. Die Hauptsache ist, daß wir sie einsehen, solange noch Zeit ist.« »Hm…. was meinst du, ob Edzard mir meine – meine – Ungerechtigkeit nachträgt?« »Der Edzard?« lachte sie herzlich. »Da kennst du den Jungen schlecht! Sollst einmal sehen, wie froh er ist, wenn du ihm zu verstehen gibst, daß wieder alles gut zwischen euch ist. Er hat dich nämlich sehr gern, Philipp.« Da seufzte der Mann schwer. Es klang recht kläglich, als er sagte: »Wenn du mich genau anschaust, Nataly, dann siehst du einen alten Esel vor dir.« »Erlaube mal!« protestierte sie. »Mit dieser Feststellung setzt du mich herab, die ich mich in einen alten Esel verlieben konnte. Aber nachdem nun alles so schön geklärt ist, wollen wir zu den Kindern gehen, die uns schon sehnsüchtig erwarten werden.« »Mich auch? Werden Sie mich nicht verspotten – weil ich – hm – « »Wo denkst du hin. Dazu haben sie dich viel zu gern. Du glaubst gar nicht, welch ein liebes Geschöpf die Andrea ist. Auf die können wir stolz sein.« »Kommst du nachher mit mir nach Hause?« »Natürlich. Ich habe ja jetzt keinen Grund mehr, es nicht zu tun. War’s schlimm ohne mich, Alterchen?« »Mir hat’s gelangt. Weiß der Kuckuck, daß man in solche Hörigkeit zu einer Frau geraten kann. Ihre Gegenwart findet man als selbstverständlich. Erst wenn sie fort ist, wird einem bewußt, daß man ohne sie einfach nicht leben kann.«
»Dafür muß ich dir einen Kuß geben. So – und nun zeigen wir uns dem staunenden Publikum.« Arm in Arm erschienen sie dann auf der Terrasse, wo der Onkel mit so viel ehrlicher Freude empfangen wurde, daß kein Peinlichkeitsgefühl in ihm aufkommen konnte. Und als er unter den Menschen saß und ihre warme Herzlichkeit spürte, legte es sich wie Balsam auf seine verbitterte Seele. Der Hochzeitstag von Andrea und Edzard war gekommen. Zuerst hatte keine große Feier stattfinden sollen, aber dann entschloß man sich doch dazu, alle, die das Verlobungsfest mitgemacht hatten, auch zur Hochzeit einzuladen. Voll Freude war man vollzählig erschienen – bis auf Vera. Zwei Tage vorher war ihre Absage gekommen. Als Grund hatte sie eine unaufschiebbare Reise angegeben. Es war nämlich zwischen ihr und Busso zu Auseinandersetzungen gekommen. Sie konnte sich das plötzlich leisten, weil sie zehn Tage vor der Hochzeit auf Ritters einen älteren Kaufmann kennenlernte, der sich Hals über Kopf in sie verliebte und ihr bereits eine Woche später einen Heiratsantrag machte. Da er im Wohlstand lebte, versprach sie sich in seinem Hause ein weit besseres Leben als auf Reuth. Also nahm sie seinen Antrag an – und führte dann den Bruch gewaltsam herbei. Wie ein Trunkener taumelte Busso auf die Straße, irrte in der Stadt umher, von dem Gedanken gepeinigt, daß Vera ihm verloren sei. Er sprach am nächsten Tage wieder in ihrem Hause vor – und mußte von dem Portier erfahren, daß Mutter und Tochter am Morgen abgereist wären. Das war das Ende seiner »Liebe«. Die gerechte Strafe für all das Unrecht, das er in seinem Leben begangen – und diese Strafe war bitter hart. Als nun an der Hochzeitstafel in Ritters die Telegramme verlesen wurden, war auch eins von Vera darunter, die dem jungen Paar Glück wünschte und gleichzeitig ihre Verlobung bekanntgab. Die Hochzeitsgäste sowie das junge Paar sahen sehr wohl,
wie jeder Blutstropfen aus Bussos Antlitz wich, waren jedoch taktvoll genug, sich nichts anmerken zu lassen. Als Tischdame hatte man Busso die Witwe Hetchen, Schwester einer Gutsnachbarin gegeben, deren Mann vor drei Jahren gestorben war. Nun war sie auf der Suche nach einem anderen Gatten, machte kein Hehl daraus, wie gut ihr der Tischherr gefiel, was dieser gar nicht, merkte. Der Trubel ringsum tat ihm weh. Sehnsüchtig wünschte er das Ende des Festes herbei. Dasselbe tat auch der junge Ehemann, den alles an diesem Tage unsagbar peinigte. Andrea, die in ihrem Brautstaat bezaubernd aussah, die Trauung, die nichts weiter war als eine Farce, das anschließende Fest, die frohen Gäste – alles war ihm zuwider. Mit einem bitteren Gefühl im Herzen schweiften seine Blicke über die Menschen am Tisch. Diese Ehe war jetzt so sinnlos geworden. Vera hatte nun Busso genauso betrogen wie ihn. Hatte einen Dritten genommen. Somit konnte seine Rache sie nicht mehr treffen – und Busso war durch ihren Treubruch empfindlich genug bestraft. Nun saß er hier als Staffage. Von einer Hochzeitsreise hatte man abgesehen, da Edzard während der Roggenernte schlecht abkömmlich war. Also begab er sich nach Schluß des Festes in sein jetziges Schlafzimmer, das vorschriftsmäßig neben dem seiner jungen Frau lag. Verdrießlich kleidete er sich aus, nahm sein gewohntes Duschbad und streckte sich dann auf das elegante Bett. Gott sei Dank, er konnte gründlich ausschlafen, da heute ja Sonntag war. Und er schlief fest und lange - bis ein klingendes Lachen ihn aus dem Schlummer riß. Er fuhr hoch und starrte auf Andrea, die in der breiten Glastür stand, frisch, rosig, berückend schön in ihrem duftigen Kleid. »Das nennt man schlafen«, lachte sie übermütig. »Nun mal raus aus den Federn, mein Herr und Gebieter! Ich habe die
Reuther und die Harleroder fernmündlich zu Mittag eingeladen, damit sie uns die Reste verzehren helfen. In einer halben Stunde werden sie eintreffen.« Sie eilte davon, und Edzard sah nach der Uhr. Eine halbe Stunde über zwölf, da hatte er sich ja gut verschlafen! Also raus aus dem Bett, unter die kalte Dusche. Dann rasiert, angekleidet und hinunter auf die Terrasse, wo unter der schattenspendenden Markise der Mittagstisch bereits gedeckt war. Andrea lag im Schaukelstuhl, lachte ihm entgegen. »Mach ein anderes Gesicht, Edzard! Sonst müssen unsere Gäste annehmen, daß du unglücklich verheiratet bist.« »Laß das, Andrea!« entgegnete er schroff. »Solche Scherze kann ich nicht vertragen.« »Du Armer! Komm, ich kredenze dir eine Tasse Kaffee.« Er genoß das aromatische Getränk, das in der Maschine heiß geblieben war, mit Behagen. Nachdem er noch die zweite Tasse geleert hatte, wurde ihm wohler. Er zündete eine Zigarette an und sah zu Andrea hin, die ihren Platz im Schaukelstuhl wieder eingenommen hatte. Gleich darauf standen Nataly und Philipp vor ihnen in allerbester Stimmung. Bei der Begrüßung erkundigte Edzard sich, warum sein Bruder nicht mitgekommen sei. Der Onkel zuckte gleichgültig die Achsel. »Er hatte keine Lust. Na, immer wie jedem schön ist. Ah, da ist ja auch Susannchen. Gut geschlafen, kleine Frau?« »Wo denkst du hin, Onkel Philipp«, blitzte sie ihn an, mit dem sie wie mit Nataly und Matthias seit gestern das trauliche Du tauschte. »Unser Fräulein Tochter nimmt keine Rücksicht auf ihre Umgebung. Kräht zur gewohnten Zeit alles munter.« »Das kann man wohl sagen«, bekräftigte Hubert schmunzelnd. »Hauptsächlich auf mich hat sie es abgesehen, die energische kleine Dame. Ein Wunder, daß sie mir noch nicht sämtliche Haare ausgerissen hat. Müßte mir gut stehen, eine Glatze.« »Ich höre immer Glatze«, trat Matthias hinzu. »Ich habe
keine.« »Du hast ja auch keine Tochter, Bitterchen.« Man setzte sich zum Mahl zusammen, plauderte angeregt und kam auch auf die Witwe Hetchen zu sprechen. »Das scheint mir eine energische Person zu sein«, zwinkerte Matthias. »Aber blitzsauber. Wäre eigentlich eine Frau für mich.« »Versuch doch dein Heil«, zwinkerte Hubert zurück. »Wie ich von ihrer Schwester hörte, will Hetchen sich in unserer Ecke einkaufen, um in der Nähe der Verwandten zu bleiben. Also man los, Bitterchen, packe dein Glück beim Schopf.« »Ach nein – «, tat er todernst. »Die ist mir zu alt, für mich kommt nur eine Achtzehnjährige in Frage. Weißt du was, Susannchen, ich warte auf deine Tochter.« So gingen die Neckereien hin und her. Zu einem ernsten Gespräch schien keiner Lust zu haben. Warum auch. Es gab für die Landwirte jetzt so saure Arbeitswochen. Wenn man zwischendurch ein wenig feiern durfte, wollte man lachen und fröhlich sein. * Für Edzard war es ein Segen, daß es die Arbeitswochen gab. Denn die strenge Arbeit lenkte ihn wohltuend von seinen quälenden Gedanken ab. Mit Andrea kam er nur zu den Mahlzeiten zusammen. Abends war er so müde, daß er sich gleich nach dem Essen in sein Schlafzimmer zurückzog. Morgens ging er mit frischem Mut an die Arbeit. So ließ sich das Leben ganz gut ertragen. Aber wie würde es werden, wenn Herbst und Winter mit den langen Abenden kamen? Ach, darüber wollte er sich heute noch nicht den Kopf zerbrechen. Vielleicht verreiste er und blieb so lange fort, bis sich sein Schicksal entschieden hatte. An einem Sonntag bei der Mittagstafel brachte Bitterling das Gespräch auf den Jäger Barleit. »Sag mal, Andrea, ließe es sich ermöglichen, daß wir den
jungen Mann auf eine Schule schicken, damit er dort seine Försterprüfung machen kann? Mit dem Förster in Jagen drei geht es nicht mehr lange, der muß fort. Dann hätten wir in dem Barleit guten Ersatz. Das ist ein fixer Junge, dem unbedingt geholfen werden muß.« »Aber natürlich«, willigte die junge Frau sofort ein. »Das tu ich schon Muttchen Wallebusch zuliebe, dieser prächtigen Frau, die sich um das Fortkommen ihres zukünftigen Schwiegersohnes Sorge macht.« »Er könnte dir später das Geld in kleinen Raten zurückzahlen«, schlug Matthias Bitterling vor. »Das würde ihn nur unnötig belasten. Wir können froh sein, daß wir später in ihm einen zuverlässigen Förster bekommen.« »So habe ich es mir auch gedacht«, schmunzelte Bitterling behaglich. »Wenn du meinen Vorschlag abgetan hättest, dann hätte der Junge das Geld von mir bekommen. Aber ich wollte zuerst deine Meinung hören, die ja nun so ausgefallen ist, wie ich erwartet habe. Wärest auch sonst nicht der Mensch mit dem großmütigen, guten Herzen, als den ich dich allzeit einschätzen durfte.« Andrea stieg heiße Röte bis zur Stirn hinauf. Unwillkürlich ging ihr Blick zu Edzard hin, der sie forschend ansah. Da senkte sie verwirrt den Kopf. Bitterling, der ja keine Ahnung hatte, welch einen schwerwiegenden Ausspruch er getan, lachte gemütlich. »Nanu, kleine Frau, hat dich mein Lob denn so beschämt?« Nun zwang sie sich auch zu einem Lachen. »Weißt du, Bitterchen, ein Lob kann manchmal ebenso peinlich sein wie eine Rüge. Jedenfalls werde ich mich jetzt auf mein Roß schwingen und zu Muttchen Wallebusch reiten, das ich schon längst besuchen wollte. Hast du Lust mitzumachen, Edzard?« Schon wollte sein Mund sich zu einer Absage öffnen, als Matthias augenzwinkernd sagte: »Das wäre ja noch schöner! Keine Lust zu haben, wenn die Liebste um Begleitung bittet? Das ist Minnedienst, mein
Sohn, der genau so ernst ist wie jeder andere. Ich finde, daß du deine junge Frau schon ohnehin sträflich vernachlässigst.« »Hast recht – «,’gab der gelassen zu. »Also verfüge über mich, Andrea.« Eine Viertelstunde später ritten sie davon. Die Luft war noch sommerlich warm, doch der leise Wind, der über die Stoppelfelder wehte, ließ ahnen, daß der Herbst nahe war. Zwischen den Reitern wurde kaum ein Wort gesprochen. Immer wieder ging Andreas Blick zu Edzard hin, der tief in Gedanken versunken zu sein schien. Als sie ihn ansprach, zuckte er zusammen. »Wünschest du etwas, Andrea?« »Ja. Schau mal, Edzard, du bist doch nun der Herr von Ritters…« »Für wie lange?« warf er ironisch ein. »Zum mindesten bis Silvester. Was wir beide zwischen uns abgemacht haben, geht keinen andern etwas an. Darum müssen wir bemüht sein, den äußeren Schein zu wahren. Dazu gehört, daß du dem Barleit das Anerbieten machst.« »Nein – «, entgegnete er hart. »Da ich dem jungen Mann das Geld nicht gebe, habe ich nichts damit zu schaffen.« »Es kommt aber von Ritters«, beharrte sie fest. »Stelle dir vor, was es für einen Eindruck machen müßte, wenn ich mit dem jungen Mann verhandeln wollte, während du dabeisitzt. Es könnte leicht den Eindruck erwecken, daß du der Mann… deiner Frau bist.« Edzards Pferd bäumte hoch, so hart spürte es die Faust am Zügel. Stand da wie angegossen, worauf auch Andrea Halt gebot. Kopf an Kopf standen die Pferde. Kaum eine Armlänge voneinander entfernt, saßen die Reiter. Edzard biß die Zähne zusammen, daß die Wangenmuskeln spielten. »Das war gemein – «, stieß er hervor. »Oder zum mindesten unglaublich taktlos, mich an meine – Machtlosigkeit zu erinnern.« Unbändiger Stolz flammte in ihren Augen auf.
»Ich sehe nicht ein, warum ich nicht auch einmal taktlos sein soll. Denn in unserm Eheverhältnis steht mir das gleiche Recht zu wie dir.« »Andrea – hüte dich -!« wurde er eisig. So wenig ratsam es schien, ihn noch mehr zu reizen, sprach die junge Frau unerschrocken weiter: »Die Taktlosigkeiten, die ich mir von dir habe bisher bieten lassen müssen, sind so zahlreich, daß ich sie dir nicht alle aufzählen kann. Nur zwei will ich dir nennen: Du läßt dir von dem Rentmeister dein Gehalt auszahlen, als wärest du ein Angestellter. Kommt dir nie der Gedanke, wie eigenartig das den Mann berühren muß? Daß du in den seltenen Stunden, wo wir allein sind, kein freundliches Wort für mich findest – na schön, damit finde ich mich ab. Daß du mich jedoch in Gegenwart anderer wie eine Fremde behandelst, das setzt mich herab. Susann und Hubert wissen ja Bescheid. Aber Natchen, der Onkel und Bitterchen, was sollen die wohl davon denken? Jetzt kannst du deine Vernachlässigung mir gegenüber mit Arbeit motivieren, obgleich du diese übertreibst. Aber wenn dies im Spätherbst und Winter nachläßt, wenn die langen Abende kommen, willst du dann etwa auch gleich nach dem Abendessen zu Bett gehen? Da wird die Dienerschaft ja schön was zu tuscheln haben. Deine Absicht war, in der Probezeit mein Herz und meinen Charakter zu ergründen. Wie willst du das, wenn du mich fliehst, als hätte ich eine todbringende Krankheit?« Edzard hatte ihre schonungslosen Worte mit angehört, ohne ihnen Einhalt zu gebieten. Nachdem sie geendet, sagte er kalt: »Das sind Vorwürfe, die ich zurückweisen muß. Was bin ich denn auf Ritters anders als dein Angestellter? Danach richte ich mich in jeder Beziehung. Soll ich etwa in Gegenwart anderer den verliebten Ehemann spielen? Das ist mir zuwider. Was willst du überhaupt von mir? Ich habe meine herzliche Kameradschaft dem einfachen Fräulein Müller
versprochen und nicht der Herrin von Ritters.« »Stempelt diese von dir so hervorgehobene Würde mich etwa zu einer anderen Person?« fragte sie ironisch. »Ich sehe schon – du willst mich nicht verstehen. Darum werde ich jetzt umkehren. Denn Muttchen Wallebusch auch noch hellsichtig zu machen, dazu habe ich keine Lust.« »Dann packe ich heute noch meine Koffer.« »So, so – feige kneifen willst du…« Sie sprach nicht weiter, da sie sah, daß er zusammenzuckte wie unter einem Hieb. Ohne sie weiter zu beachten, setzte er sein Pferd in Bewegung. Fünf Minuten später hatten sie ihr Ziel erreicht, wo Muttchen Wallebusch sie glückstrahlend empfing. »Na, so eine Freude! Die Frau Baronin und der Herr Baron. Hab mir doch damals gleich gedacht, daß sich da was anspinnen wird.« »Auch gewußt, daß meiner Frau Ritters gehört?« neckte Edzard. »Na, nein, so hellsichtig bin ich nun auch wieder nicht. Die Herrschaften können schon in die Laube gehen, und ich werde Kaffee kochen.« »Aber keine Waffeln backen!« rief er ihr nach. Dann saßen sie wieder in dem Garten wie damals. Nur daß jetzt statt Frühlingsblumen die des Herbstes in leuchtender Fülle auf den Beeten blühten. Wieviel dazwischen lag, daran dachten beide. Dann horchten sie auf. Aus einem Fenster tönte eine Männerstimme und sang: »Nur einmal möchte ich dir sagen, wie so unendlich lieb du mir bist…« Reglos saßen die beiden da, horchten gequält auf das kleine, schlichte Liedchen, das in seiner Innigkeit ans Herz griff. »Wie Morgenrot will ich umsäumen die Lieb in meines Herzens Raum. An deinem Herzen laß mich träumen – «, sang die einschmeichelnde Männerstimme gerade, als Muttchen Wallebusch mit dem Kaffeegeschirr erschien.
»Kaffeemusik gibt es auch noch. Na, mehr können die Herrschaften nun wirklich nicht verlangen. Ich kann das Lied schon nicht mehr hören. Seit einem halben Jahr, wo der Schatz1 ihr die Platte schenkte, dudelt die Else es den ganzen Tag. Da sitzen sie nun Hand in Hand, hören sich das Lied an und machen sich damit das Herz immer schwerer. Es ist schon ein Jammer, wenn so junges Volk nicht zusammenkommen kann – « Husch war sie davon, erschien jedoch gleich darauf in Begleitung ihrer Tochter wieder. »Na, Tülle, da hast du mich damals ja schön beschwindelt, als du behauptetest, keinen Schatz zu haben«, neckte Edzard. »Hole ihn mal her, ich möchte mit ihm sprechen.« »Hat er denn was verbrochen?« fragte das Mädchen erschrocken. »Im Gegenteil. Hol ihn ruhig her.« »Zuerst wird Kaffee getrunken«, entschied Muttchen, was denn auch geschah. Heute gab es keine Waffeln, dafür aber Küchen, der köstlich mundete. Dann war der Augenblick da, wo Else mit ihrem Schatz erschien, der angesichts seiner Herrschaft sehr verlegen wurde. Ein schmucker Bursche, das mußte ihm der Neid lassen. So ein echter Jägersmann nach dem Herzen Gottes. Nachdem Andrea und Edzard ihn begrüßt, wurde er gebeten, Platz zu nehmen. Mutter und Tochter, die sich entfernen wollten, wurde bedeutet, dasselbe zu tun. Und dann begann Edzard dem jungen Mann seinen Vorschlag zu unterbreiten. Je länger er sprach, um so heller strahlten die Augen des Beglückten. Er konnte kaum sprechen, so erregt war er. »Und da fragen der Herr Baron noch, ob ich einverstanden bin?!« schluckte er vor Aufregung. »Wie gern – o wie gern!« Daß er sich freute, war ja zu verstehen. Aber daß Else und ihre Mutter weinten, als wäre ihnen ein Leid geschehen, war eigentlich unverständlich. Edzard klopfte der gerührten Frau beruhigend den molligen Rücken. »Aber Muttchen Wallebusch, warum weinen Sie so
fürchterlich?« »Vor Freude, Herr Baron, doch bloß vor lauter Freude. Ach du lieber Gott, was hast du doch für gute Menschen erschaffen!« Nachdem der Freudensturm sich gelegt hatte, wurde alles näher besprochen. Schon am ersten Oktober sollte Barleit auf die Schule und nach der Prüfung seine Forsterstelle antreten. Man sah erstaunt auf, als Matthias Bitterling plötzlich sichtbar wurde, der sich bei Muttchen Wallebusch beklagte, daß er in Ritters keinen Kaffee bekommen hätte. Nun, er wurde satt. Und nachdem man noch ein Stündchen verplaudert hatte, rüstete man sich zum Heimritt. Edzard war froh, daß Bitterchen dabei neben ihm auf seinem Gaul dahintrabte. Denn nach der vorherigen Aussprache mit Andrea allein zu sein, wäre ihm eine Qual gewesen. Ob sie mit ihm nun zufrieden war? Das konnte er erst feststellen, als er sich zur Gutenacht über ihre Hand beugte. Bezaubernd lächelte sie ihn an. »Ich danke dir, Edzard.« Busso sollte bald erfahren, was die Glocke für ihn geschlagen hatte. Immer deutlicher wurde ihm bewußt, daß seine Macht über den Onkel zu Ende war. Das konnte nur Edzard bewerkstelligt haben! Wie der Neid an seinem Herzen bohrte und fraß. Was hatte ihn nun sein jahrelanges Intrigenspiel genützt? Nichts! Das Schicksal war stärker gewesen. Der Bruder hatte mühelos das erreicht, wonach er ehrgeizig gestrebt. Der war selbständig, während er unter seinem Joch stöhnen mußte. So war es für ihn direkt ein Fingerzeig des Geschickes, als er die Bemühungen Frau Hetes bemerkte. Sie gefiel ihm nicht, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Auch nicht, daß sie acht Jahre mehr zählte als er. Sie hatte das Geld, das er brauchte, um seinen ehrgeizigen Plan durchzuführen. Ihr Geld wollte er in Reuth stecken, um dessen Teilhaber zu werden. Damit wurde er gleichberechtigt und sicherte sich sein Erbe.
Also warb er um sie und trat dann vor den Onkel, um ihm seinen Plan zu unterbreiten. Der sah dem Neffen so ablehnend entgegen, daß es diesem nicht leicht wurde, seine Scheinheiligkeit festzuhalten. So sagte er denn demütig: »Lieber Onkel, ich wollte dich fragen, ob ich heiraten darf.« »Warum denn nicht? Du bist doch alt genug.« »Das schon, lieber Onkel. Ich bin dir jedoch zu so großem Dank verpflichtet…« »Laß das -!« wurde er unwirsch unterbrochen. »Komm zur Sache. Wer ist die Auserwählte?« »Frau Hete.« »Hm. Bist du schon einig mit ihr?« »Ja. Sie hat eine gute Stange Geld, lieber Onkel. Da wollte ich dir nun den Vorschlag machen, es auf Reuth eintragen zu lassen. Dann wirtschaften wir halb auf halb.« Durchdringend ruhte des Onkels Blick auf ihm. »Hm, hm – na ja. Aber weißt du, mein lieber Busso, ich möchte das Bestimmungsrecht über Reuth lieber allein behalten. Ich kann es ja verstehen, daß du selbständig werden möchtest. Dazu will ich dir verhelfen. Du bekommst als Erbteil Praddeln von mir, mit dem du dann ein für allemal abgefunden bist.« Todblaß, mit aufgerissenen Augen starrte Busso den Onkel an. Seine Lippen zitterten so heftig, daß er zuerst nicht sprechen konnte. Philipp wußte sehr wohl, welche stolzen Hoffnungen er soeben zerschlagen hatte, und empfand darüber eine grimmige Freude -. So, mein Sohn, dachte er, das war die Quittung für deine Niedertracht in den verflossenen zwanzig Jahren -! Endlich hatte Busso sich soweit gefaßt, daß er wenigstens sprechen konnte. »Aber Onkel, wie kannst du mir einen solchen Bettel anbieten?! Praddeln ist ein Vorwerk von achthundert Morgen.« »Wenn du es nicht haben willst, kannst du es ja bleiben
lassen.« »Und wer soll Reuth bekommen?« »Reuth? Das gehört mir. Hoffentlich noch recht viele Jahre. Ich will mich doch schließlich noch meines Lebens freuen.« »Wenn ich nun den Bettel ausschlage?« »Dann bekommst du nichts.« Da sprang Busso auf, stürmte zur Tür, die dann hinter ihm zuknallte. Daher hörte er nicht, wie der Onkel lachte – so frei und froh, wie ein Mensch nur lachen kann, der wohlverdiente Rache genommen hat. Am nächsten Tage war Busso wieder da und verlangte eine schriftliche Erklärung, die ihm Praddeln sicherte. »Sollst du haben«, nickte Herr Philipp gemütlich. »Die Auflassung kann dann in aller Ruhe erfolgen. So, da ist das Gewünschte. Alles Gute für die Zukunft.« »Danke – «, wurde frostig erwidert. »Von einer Verlobungsfeier wollen Hete und ich absehen, weil nach drei Wochen die Hochzeit sein soll, die im Hause ihrer Verwandten gefeiert wird. Wie ist es, kann ich meinen Dienst sofort verlassen? Oder wird es dir schwerfallen, gleich einen Ersatz für mich zu finden?« »Zu ersetzen ist jeder Mensch. Bis ich den Ersatz habe, springt Edzard gern ein. Der Junge ist ja so tüchtig, daß er diese Mehrarbeit spielend bewältigen wird.« Der Hieb saß, wie Philipp mit Vergnügen feststellte. Grün wurde Bussos Gesicht. In den Augen glomm eine mühsam gedämmte Wut. »Na ja – dann wäre somit alles geregelt«, kam die Antwort mit kehliger Stimme. »Laß es dir gutgehen, Onkel!« »Dir auch, Busso.« Eine frostige Verbeugung, ein schwacher Händedruck – und fort war er. Herr Philipp rieb sich die Hände vor Vergnügen, suchte dann seine Frau auf, um brühwarm zu berichten. Wie zwei Spitzbuben lachten sie sich zu, denen ein Streich geglückt ist…
Drei Jahre später fand man auch zu Bussos Hochzeit zusammen. Man sah es der Braut an, daß sie von Herzen zufrieden war. Der Bräutigam nicht, wie alle, die ihn genau kannten, feststellen konnten. Nach dem üblichen Zeremoniell und der ebenso üblichen Hochzeitstafel begann der gemütliche Teil. Die Jugend tanzte, während die älteren Herrschaften zum Teil mithielten, zum Teil behaglich Lauschten. Dazu gehörten auch die Reuther nebst Bitterling, die natürlich zusammensaßen. Es war in ihrer Ecke so traut, daß sich bald die Edzards und die Huberts, wie sie der Einfachheit halber genannt wurden, dazufanden. Später gesellte sich auch noch die Braut zu ihnen, deren Wortschwall alle standhalten mußten. »Gott in deine Hände, die Frau kann einen ja in Narkose reden«, klagte der Verwalter, als sie endlich wieder davongehuscht war. »Laßt man gut sein, die ist ganz in Ordnung«, amüsierte sich Edzard. »Bei der wird Busso bestimmt zum Schweiger.« Nun war es Herbst geworden. Der Wind wehte über die abgeernteten Felder und brachte viel Regen mit. In den Gutshäusern sorgten Kachelöfen und Zentralheizungen für mollige Wärme. Die Abende waren schon so lang, daß man nach dem Abendessen noch einige Stunden im trauten Familienkreise Zusammensein konnte. Darauf schien Edzard keinen Wert zu legen. Auf seine Veranlassung war man vier Abende in der Woche mindestens außerhalb. Besuchte Theater, Kino, Konzerte, fuhr nach Reuth oder zu den Gutsnachbarn, wobei Bitterchen treu und brav mithielt. Andrea und Edzard waren sich noch immer nicht nähergekommen. Wohl war er in Gegenwart anderer aufmerksam und herzlich zu ihr, um so unnahbarer zu sein, wenn sie einmal allein waren. Er bezog auch kein Gehalt mehr, verbrauchte jedoch für sich so lächerlich wenig, daß Andrea nur den Kopf schütteln konnte. So gingen die Tage dahin. Der November kam mit seinem
unfreundlichen Wetter, so daß selbst Edzard es vorzog, die Abende öfter zu Hause zu verbringen. Dann spielte er mit Matthias Schach oder lauschte den musikalischen Darbietungen seiner Frau. Auch Bitterchen ließ sich von der herzwarmen Stimme so einspinnen, daß er immer erst spät zu seiner stillen Klause fand. Kaum daß er gegangen war, verneigte sich Edzard vor der Gattin, zog ihre Hand an die Lippen, wünschte ihr gute Nacht und ging in sein Schlafzimmer… An einem Nachmittag Ende November kam er von Reuth zurück, wohin der Onkel ihn bestellt, um ihn in einer landwirtschaftlichen Angelegenheit um Rat zu fragen. Hinterher hatte man gemütlich Kaffee getrunken, und dann mußte Edzard sich verabschieden, um noch vor Dunkelheit zu Flause zu sein. Durch die Sonnenstrahlen über Mittag verleitet, war er zu Pferd hergekommen. Jetzt jedoch sah der Himmel so aus, als ob er jeden Augenblick seinen nassen Segen spenden wollte. Daraufhin bot ihm die Tante besorgt das Auto an, wogegen er sich lachend wehrte. »Euer Familienvehikel? Nein. Natchen, da bin ich auf meinem Gaul doch sicherer.« »Hör dir bloß diesen frechen Bengel an, Philipp!« entrüstete sie sich, worauf er schmunzelnd sagte: »Laß ihn man, Natchen, der soll uns die längste Zeit mit unserm ehrwürdigen guten Stück aufgezogen haben. Ihm zum Trotz soll ein Auto her, das ihn vor Neid erblassen läßt. Auch einen Chauffeur bekommst du in schmucker Livree. Was die in Ritters können, das können wir auf Reuth schon lange.« »Herrlich -!« jubelte Nataly. »Ist mein Philipp nun ein guter Kerl oder nicht?« »Woran ich nie gezweifelt habe, mein Natenmuttileinchen.« Nach herzlichem Abschied ritt Edzard davon. Zuerst hielt sich das Wetter noch. Doch kurz bevor er Ritters erreicht hatte, öffnete der Himmel seine Schleusen,
so daß der Reiter pudelnaß zu Hause anlangte. So nahm er denn ein Bad, kleidete sich frisch von Kopf bis Fuß und betrat dann sein Schlafzimmer, um sich dort auf den Diwan zu strecken. Da fiel sein Blick auf die Glastür, die offenstand, was sonst nie der Fall war. Auch die gegenüberliegende Tür, die nach Andreas Wohngemach führte, stand weit geöffnet. Klavierspiel drang an sein Ohr und die Stimme seiner Frau, die das Lied von der Seerose sang – und zwar unendlich traurig und tränenerstickt. Und das Lied, das nun folgte, durchdrang wehes Schluchzen. Tief beunruhigt eilte Edzard hinüber. Da saß Andrea am Flügel, spielte und sang das alte, schlichte Lied. Dicke Tränen rollten unter den geschlossenen Lidern hervor über die heute so blassen Wangen. Und was stand da auf dem Flügel dicht am Rande? Das Körbchen, das er ihr für die Seerosen im Walde zusammengebastelt hatte. Wie ihre unsagbar traurige, tränenverdunkelte Stimme an seinem Herzen zerrte und riß! »Nur einmal möchte ich dir sagen, wie so unendlich lieb du mir bist…« Die Hände glitten von den Tasten, die Stirn neigte sich auf den Flügelrand und dann war nur noch bitterliches Weinen hörbar. »Andrea -!« rief er sie an, aufgewühlt bis zum tiefsten Herzensgrund. Sie sprang auf – und starrte den ihr Gegenüberstehenden entsetzt an. »Wo kommst du her? Ich glaubte dich in Reuth.« »Da bin ich auch gewesen. Und nun möchte ich wissen, Andrea, was das hier bedeutete.« Er griff nach dem primitiven Körbchen, in dem die sauber gepreßten Rosen im verblaßten Moos lagen. Mitten darauf ruhte das Rubinherz leuchtend rot. Hastig wollte sie an ihm vorbei aus dem Zimmer eilen,
doch er hielt sie. am Arm zurück. »Andrea, so kommst du mir nicht davon. Warum hast du geweint? Komm mir nicht mit Ausflüchten, ich will nun endlich die Wahrheit wissen.« Ihr Kopf flog in den Nacken. »Das da – sind die Rosen – und das da ist mein Herz.« »Warum das alles, Andrea? Habe jetzt endlich den Mut zur Wahrheit.« Da senkte sich der Kopf mit dem schimmernden Gelock wie schuldbeladen. Die Lippen preßten sich zusammen wie im Schmerz. Sekundenlang war es so still, daß einer des andern Herzschläge zu hören glaubte. »Andrea, ich möchte dir so gern etwas sagen. Aber ich darf doch nicht mein Wort brechen. Wir haben heute noch nicht Silvester. Entbindest du mich von meinem Versprechen, Andrea – ja?« Ein heftiges Nicken – und dann drei Worte nur, ganz schlicht und einfach gesagt: »Ich liebe dich.« Kaum waren die schwerwiegenden Worte gefallen, da blitzte ein Lachen durch die Tränen wie Sonnenschein durch Tautropfen. Ein befreiender Seufzer hob ihre Brust. »Das mußte ich erst von dir hören, Edzard. Und nun will ich sprechen. Nimm bitte Platz.« Sie setzten sich in zwei gegenüberstehende Sessel, dann begann sie mit leiser Stimme: »Es war einmal ein kleines, schlichtes Mädchen, das hieß Andrea Müller. Dessen ganze Freude gipfelte darin die Ferien auf dem Gut des Onkels zu verleben. Und da sie gleich den meisten Mädchen voller Ideale steckte und ein großes Glück erträumte, das ein Prinz ihr bringen sollte, so begegnete sie diesem auch mit sechzehn Jahren. Hoch zu Roß kam er daher, genau so, wie sie ihn sich erträumt. Aber ach, er sah die kleine Andrea nicht, der stolze Baron von Rittersreuth. Ganz demütig wurde sie in ihrer ersten, schwärmerischen Liebe. Er sah sie nie – sie ihn um so mehr. Sie kauerte oft in
einem Versteck unweit von Reuth – stundenlang, hoffend und geduldig. Sie sah ihn dann auf seinem Pferd, betrachtete ihn mit glückseligen Augen. Die Jahre vergingen. Aus der kleinen schwärmerischdemütigen Andrea wurde ein fertiger Mensch -- wurde ich. Die Liebe war mit gewachsen, die ich nun stolz im Herzen verschloß. Das blutete aus tausend „Wunden, als ich hörte, daß du dir deine Liebste erwählt. Dann erbte ich Ritters, das ich nicht zum Wohnsitz wählte, weil es mir zu schmerzlich war, dich mit der andern zu sehen. Nur ab und zu kam ich her, um mich wenigstens bei Bitterchen sehen zu lassen. Und als ich eines Tages in der Konditorei saß, in einer Nische so ganz allein, drohte mein Herz fast stillzustehen vor freudigem Schreck, als ich dich auf die Nebennische lossteuern sah. Ja – und dann hörte ich das ganze Gespräch, gut verdeckt durch die hohe Sofalehne. Da weinte mein Herz vor Jammer um dich. Ein heißes Gebet stieg empor zu Gott, der mir Kraft geben möge, dir zu helfen. Etwas Herzliches mußte die Frau haben, die du suchtest – und ich besaß das Rubinherz, das Einsegnungsgeschenk meines Onkels. Wie habe ich gezittert und gebangt, daß du auf der Reise die passende Frau finden könntest. Aber du kamst gottlob ohne Braut zurück, erhieltest gar die Stelle auf Ritters – dafür könnte ich das ahnungslose Bitterchen noch heute in Gold fassen lassen. Dann kam das Fest, deine Werbung, bei der du ein Herz zur Bedingung stelltest, nichts weiter als ein Herz. Das konnte ich dir geben, ganz und ungeteilt verlangte jedoch dafür auch das deine. Da stellte ich meine Bedingung, erfand den Mann, der mich verschmäht und an dem ich mich rächen wollte. Denn irgendwie mußte ich mein rasches Zugreifen bei deinem Antrag doch motivieren. In der Zeit bis Silvester wollte ich ergründen, ob dein Herz sich von der andern gelöst hatte oder nicht. Und darauf habe ich dann gewartet, mit angstzitterndem Herzen. Du warst so eiskalt, so hart und unzugänglich.
Ach, Edzard, wie hat das alles weh getan! Tagsüber konnte ich tapfer sein – aber nachts – ja, da habe ich oft weinen müssen. Heute war ich so verzweifelt, daß auch am Tag die Tränen kamen. Ich unterdrückte sie nicht, da ich dich in Reuth glaubte. Doch du überraschtest mich. Und hast mir dann endlich gesagt, worauf ich mit quälenden Schmerzen gewartet habe. Da erst erlaubte es mir mein Stolz zu sprechen.« Die leise Stimme schwieg, der Edzard atemlos gelauscht. Jetzt erhob er sich, trat vor sie hin, zog sie an den Händen zu sich empor. Er war so bewegt, daß er nicht sprechen konnte. In seinen Augen glänzten Tränen, als er sie fest an das hartklopfende Herz drückte und mit heißem Kuß die Lippen schloß, die ihm so viel Beseligendes gesagt. Wieder war es Herbst geworden und wieder Winter. Und an einem kalten Februar schrie sich ein kleiner Rittersreuth auf Ritters ins Leben. Daß sein Erscheinen große Freude hervorrief, war zu verstehen. Doch am närrischsten gebärdete sich der Großonkel Philipp, der den Großneffen stolz aus der Taufe hob. Zu dem anschließenden Fest waren die üblichen Gäste geladen, also auch Busso nebst Gattin. Er war unter der redseligen Frau wirklich zum Schweiger geworden und führte dabei ein faules Leben. Als er jedoch heute das strahlende Glück des jungen Elternpaares sah, zuckte der Neid auf den vom Glück begünstigten Bruder heiß in seinem Herzen auf. Wie dem die Liebe aus den Augen lachte, wenn er seine wunderschöne Frau ansah. Ja, auf so eine Frau konnte man wohl stolz sein. Aber er auf seine? Nun, er wollte nicht ungerecht sein, die Schlechteste war Hetchen nicht. Wo sie jetzt steckte, wußte Busso zwar nicht, aber er hörte ihre Stimme. Ihr Mundwerk war wieder einmal klar zum Gefecht. Mochte sie reden, er trank hier dafür den süffigen
Wein und sah gleichmütig auf, als Bitterling zu ihm trat. »Na, Herr Baron, ganz solo? Hören Sie das Vöglein zwitschern? Wo die liebe Gattin auftaucht, ist gleich Leben in der Bude. Da naht sie bereits – « »Ach, bei meinem Busso sind Sie, Bitterchen? Das ist recht, da wird er gleich lachen. Habt ihr euch auch den kleinen Edzard gut angesehen? Na, so was Süßes gibt es nicht noch einmal. Kunststück bei den Eltern. Die Andrea ist bestimmt noch hübscher geworden, und der Edzard ist sowieso ein Bild von einem Mann. Aber was stellt sich der Onkel Philipp so in Positur? Sieht beinahe aus, als ob er eine Rede halten will. Da muß ich schnell mal hin – « Auch die beiden Herren traten zu der Gruppe, in der Herr Philipp stand, ein Sektglas in der Hand haltend. »Meine Herrschaften -!« erhob sich seine Stimme. »Bewaffnen Sie sich alle mit einem Glas Schampus. Denn was ich Ihnen verkünden werde, darauf müssen wir anstoßen.« Nachdem sie alle ihr Glas hatten, trat erwartungsvolle Stille ein, in die Herr Philipp schmunzelnd rief: »Stoßen wir an auf meinen Erben, auf Klein-Edzard von Rittersreuth-!« Ein Tumult entstand, den eine helle Stimme überschrie: »Philippchen, das hast du gut gemacht -!« -ENDE-
LENI BEHRENDT wurde am 5. März 1894 als Tochter der Eheleute Blasinsky in Insterburg/Ostpreußen geboren. Ihr Vater war selbständiger Schneidermeister. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern lebte sie bei Verwandten, die ihr auch die Ausbildung als Lehrerin ermöglichten. Als Privatlehrerin auf verschiedenen großen Gütern gewann Leni Behrendt einen tiefen Einblick in die adelige Gesellschaft. Sie hat oft davon erzählt, und in ihren Romanen spiegeln sich die Bilder jener Zeit wider. Aus diesen Erlebnissen stammen ganz sicher auch der Reichtum ihrer Anschauungen und die Glaubwürdigkeit ihrer moralischen Welt. Wie sie Land und Leute charakterisiert, beweist ihr großes Einfühlungsvermögen, und wie sie den Zauber der Liebe enthüllt, macht deutlich, mit welcher sittlichen Einstellung sie ihre Helden schuf. Stolze, aufrichtige, pflichtbewußte Menschen begegnen uns in ihren Romanen. Schon als junges Mädchen fabulierte Leni Behrendt. In kleinen Geschichten und Gedichten übte sie sich, bis ihr der erste große Roman »Warum quälst du mich?« gelang, der gedruckt wurde. Dieses große Erlebnis war der Anfang ihrer schrifstellerischen Laufbahn, aber ihre Berufung empfand sie als Mutter. Nach ihrer Verheiratung mit dem Bankdirektor Paul Gero Behrendt erlebte sie mit ihren beiden Kindern (Sohn und Tochter) das wahre Glück einer Mutter. Das Schicksal hat sie am Ende des Krieges Furchtbares erleben lassen. Beide Kinder verlor sie, und auf der Flucht von Ostpreußen in eine unbekannte Zukunft fand sie die Kraft, nicht gegen das Schicksal, sondern mit ihm zu leben. Auf sich allein gestellt, wünschte sie sich einen Stall, eine Kiste, auf der sie sitzen konnte, Bleistift und Papier, um schreiben zu können. Ihre erste Unterkunft nach der Flucht war dann auch nur eine kalte Kammer. Sie schrieb darin den köstlichen Roman »Sieben Töchter und kein Geld«. Als sie wieder Verbindung mit ihrem Mann bekam, der als Offizier im Krieg war, begann ein neues Leben in einer kleinen, einfachen Wohnung im Lippischen Land. Wer sie dort erlebte, kann bescheinigen, wie diese beiden wertvollen Menschen an ihrer Zukunft zimmerten und in der Bescheidenheit das höchste Glück erkannten. Trotz der großen Erfolge ihrer Romane blieb Leni Behrendt die einfache, schlichte und anspruchslose Frau, die ihren geraden Weg nie verließ. Sie
hätte lieber trockenes Brot gegessen, als Schulden zu machen. Um so glücklicher war sie, als sie sich dann durch die Erfolge ihrer Romane ein kleines Waldhaus in der Nähe von Köln kaufen konnte, in dem sie noch viele frohe Jahre bis zu ihrem Tod am 2. November 1968 verleben konnte. Ihr Wunsch, mit ihren Romanen ein bißchen Freude in einsame Stunden zu bringen, kann von Millionen Lesern bestätigt werden, die ihre Romane mit heller Begeisterung lesen.