Utopia Nr. 276
Clark Darlton
Rückkehr verboten Ein Raumschiff darf nicht zur Erde zurück
Das Problem der Eigenzeit ...
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Utopia Nr. 276
Clark Darlton
Rückkehr verboten Ein Raumschiff darf nicht zur Erde zurück
Das Problem der Eigenzeit ist eines der Interessantesten der neueren Physik. Wenn sich Raumschiffe mit annähernder Lichtgeschwindigkeit bewegen, wird man feststellen können, ob für Raumfahrer tatsächlich ein anderer Zeitmaßstab gilt als für die zurückgebliebene Erde. Was aber, wenn dieser Effekt wirklich vorhanden ist und die zurückkehrenden Raumschiffe eine um Jahrhunderte gealterte Welt mit total veränderten Umständen vorfanden? Dieses Problem behandelt der vorliegende, fesselnde Roman, der auf ernstzunehmenden physikalischen Theorien beruht.
Hier die Hauptpersonen des Romans: Joe Afrikaner – Führer des Raumschiffs Dr. Serkennen – Leiter des gesamten Expeditionsunternehmens Ras Gareni – Diktator der Erde Iren Namar – Tochter seines Stellvertreters Norden, Borgoff, Miller – Besatzungsangehörige
Der Planetoid hatte nur einen Durchmesser von fünfzig Kilometern und umkreiste als einziger Weltkörper seine helle, bläulich strahlende Sonne, die ihm zwar Wärme, aber keine Atmosphäre geben konnte. Sie hatten den Planetoiden TERRA VII getauft, weil er die siebente Station nach dem Start von der Erde war, die sie vor
fünfzehn Jahren verließen. Ein Jahr Flug mit Über-Lichtgeschwindigkeit, dann wieder ein Jahr Pause. Wo es keine Planeten oder größere Asteroiden gab, wurde der leere Raum zum Aufenthaltsort. Die Schiffe und Stationen wurden mit Magnetstrahlen verankert und trieben mit der allgemeinen Strömung um den Mittelpunkt der sich langsam drehenden Milchstraße. TERRA VII war die letzte Station. Hier warteten sie auf Dr. Serkennen, der zurückgeblieben war, um die Verbindung mit der Erde aufrechtzuerhalten. Wenige Lichtjahre von ihnen entfernt, schwebte das mächtige Kugelraumschiff des Wissenschaftlers im unendlichen Raum und mußte bereits unterwegs zu ihnen sein. Joe Afrikaner studierte in der Beobachtungskuppel der Bodenzentrale den Bildschirm, der alle Eindrücke naturgetreu wiedergab, die von den Kameras des großen Schiffes aufgenommen wurden, das den Planeten umkreiste. Es war so, als weile er selbst im Raum. Trotz der Lebensfeindlichkeit von TERRA VII hatten die Forscher es sich hier gemütlich eingerichtet. Die vorgefertigten Einzelteile waren zu einer gigantischen Kuppel zusammengesetzt worden, die Atmosphäre und Wärme speicherte. Kleine Hütten bildeten Laboratorien und Aufenthaltsräume. Aber die Hälfte der Besatzung wohnte nur auf der Kleinwelt; der andere Teil hielt sich im Schiff auf. »Der kleine Stern – das ist unsere Sonne«, murmelte Joe sinnend und zeigte auf einen gelblich leuchteten Punkt auf dem Schirm. Der Mann neben ihm beugte sich vor und nickte zustimmend. Snider war jünger als Joe, der etwa vierzig sein mochte. Er trug die blaue Uniform der Raumflotte mit den Abzeichen des wissenschaftlichen Personals. »Wann wird er kommen?«
»Wer? Serkennen? Wir trennten uns vor fünf Jahren von ihm. Inzwischen erhielten wir nur einen Funkspruch, weil wir keinen Empfänger für Ultrafunk an Bord haben. Er wurde vor Jahren ausgestrahlt, erreichte uns aber erst vor wenigen Wochen. Als wir uns trennten, wurde eine Wartezeit von fünf Jahren vereinbart. Diese fünf Jahre sind nun um.« Snider zog die Stirn kraus. »Wenn er uns nur findet.« Joe Afrikaner lächelte. »Die Funkstation sendet ständig einen Peilstrahl nach allen Richtungen. Serkennen wird ihn auffangen. Er wird uns leicht finden.« Er löste den Blick vom Bildschirm und betrachtete nachdenklich die Landschaft, die sich um die Kuppel erstreckte. Nackte Felsen stachen scharf in den ewig schwarzen Himmel, in dem die blaue Sonne stand. Sie war weit entfernt, und ihre Strahlen reichten gerade aus, die Kuppel am Tage zu erwärmen. In der Nacht mußten die Heizgeräte eingeschaltet werden, wollte man nicht erfrieren. Immerhin vermittelte TERRA VII trotz der geringen Schwerkraft allen Expeditionsteilnehmern die Illusion, auf einer richtigen Welt zu hausen, nicht aber in einem Raumschiff. Im Grunde genommen gab es aber keinen Unterschied. Mit 60 Personen war seinerzeit die größte wissenschaftliche Expedition, die je die Erde verließ, aufgebrochen. Zwei Schiffe waren es: der gewaltige Kugelraumer Dr. Serkennens mit neun Forschern an Bord, und das eigentliche Führungsschiff unter dem Kommando von Dr. Silver. Leider war Silver auf TERRA VII durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen, und Joe Afrikaner war an seine Stelle getreten. »Ich bin auf die Neuigkeiten gespannt, die er uns bringen wird«, bemerkte Snider jetzt. »Es wird inzwischen allerhand
auf der Erde passiert sein.« »Ich glaube kaum«, lächelte Joe und beobachtete den Kabinenwagen, der drüben am nahen Horizont aus einem Gebirgstal rollte und sich der Luftschleuse der Kuppel näherte. »Was soll in fünfzehn Jahren schon groß geschehen?« »Ob inzwischen außer Alpha Centauri noch andere Planeten fremder Systeme kolonisiert wurden?« »Damit ist kaum zu rechnen«, schüttelte Joe den Kopf. »Sie warten erst die Ergebnisse unserer Forschungen ab. Wenn die Rechnungen nicht täuschen und unsere Zeitverlangsamer funktionierten, dürfte der Zeitablauf von Erde und Expedition ziemlich gleichgeschaltet worden sein. Du weißt, das war unser größtes Problem.« »Die Differenz wird nicht groß sein. Wenigstens behauptete das Silver, der ihn ja auch erfand.« Joe erhob sich. »Miller und Borgoff kommen heim. Wollen mal sehen, ob sie Neuigkeiten bringen.« Er schritt voran. Snider folgte langsamer. Er war davon überzeugt, daß die beiden Geologen kaum eine wichtige Entdeckung gemacht hatten. * Der Kabinenwagen mit der druckfesten und durchsichtigen Kuppel war einige Tage unterwegs gewesen und hatte eine kleine Weltreise unternommen. 160 Kilometer bedeuteten auch bei unwegsamem Gelände keine besondere Strapaze. Aber Miller und Borgoff hatten sich Zelt gelassen. Einer fuhr, während der andere Beobachtungen machte oder im Hintersitz schlief. Um sie herum war die tote Landschaft des Kleinplaneten, der durch irgendeinen Zufall entstanden
sein mochte oder vielleicht auch in das System eingewandert war. Auf einem Plateau machten sie die erste Rast. TERRA VII drehte sich so langsam um seine eigene Achse, daß ein Tag fast zwanzig Stunden dauerte. Zehn davon war es dunkel und genau zehn dämmerig. Miller stoppte den Motor. Nur die Heizung und die Klimaanlage summten leise. »Schlagen wir hier unser Lager auf. Ein Platz ist so gut wie der andere. Morgen werden wir drüben die Felsen untersuchen.« Der Russe nickte träge. »Vielleicht finden wir Gold«, knurrte er lustlos. Er lachte und fügte hinzu: »Damit können wir auch nicht viel auf diesem elenden Brocken Fels anfangen.« Miller seufzte. »Immerhin ist mir der Brocken lieber als der verdammte Korridor im Schiff. Hier haben wir mehr Bewegungsfreiheit.« »Stimmt, aber dann darfst du nicht vergessen, den Raumanzug anzuziehen, wenn du einen Spaziergang machen willst. Was essen wir?« »Konserven, was sonst? Die Konzentrate nehmen wir erst dann, wenn nichts anderes mehr da ist.« »Weißt du, worauf ich mal wieder Appetit hätte…?« besann Borgoff, aber der Amerikaner ließ ihn nicht aussprechen. »Ich weiß«, nickte er. »Auf eine anständige Kohlsuppe. Mann, das hast du mir nun schon so oft gesagt, daß ich dich in deiner Heimat besuchen werde, wenn wir zurück sind. Den Wunderfraß will ich an Ort und Stelle probieren.« »Ich werde mir einen Hof zulegen«, schwärmte Borgoff mit verzückten Augen. »Und ringsum nichts als Kohlfelder. Vitamine, Miller! Richtige Vitamine! Die sind gesund.« »Ja, ich glaube es dir. Und nun schalte die Heizplatte ein. Ich
habe mächtigen Hunger.« Die kleine Sonne versank allmählich unter der nahen Rundung des Horizontes, und draußen wurde es jetzt rasch kühl. Obwohl TERRA VII nicht als vollkommene Kugel bezeichnet werden konnte, besaß der Planetoid doch Kugelform. Es gab gewisse Hinweise, daß er einst Teil einer größeren Welt gewesen war, aber der schlüssige Beweis fehlte. Es war Millers Aufgabe, ihn zu finden. Borgoff schlürfte seinen heißen Tee. »Manchmal sehne ich mich nach der Erde«, sann er laut vor sich hin. »Ich bin eben zu sentimental.« »Dann wärest du besser zu Hause geblieben«, warf Miller ihm vor. »Wir wußten damals alle, daß wir lange unterwegs sein würden und vielleicht sogar nie mehr zurückkehrten. Wenigstens nicht zu Lebzeiten unserer zurückgebliebenen Freunde. Jetzt ist es reichlich spät, unfruchtbare Betrachtungen darüber anzustellen.« »Ich meine es ja auch nicht so. Es war nur so ein Gedanke. Immerhin sind wir nun fünfzehn Jahre unterwegs und könnten allmählich an den Heimflug denken. Wir benötigen wieder so lange, und bis wir die Erde wiedersehen, sind wir alt geworden.« »Der Weltraum ist meine Heimat«, gab Miller zu. »Hier fühle ich mich wohl. Nur wird TERRA VII langweilig. Wir sollten weiterfliegen, von mir aus zum Andromedanebel.« »So alt wirst auch du nicht, mein Freund«, schwächte der Russe die Begeisterung seines Kameraden ab. Er sah nach draußen. Die Dunkelheit war hereingebrochen. Nur die Sterne gaben noch spärlich Licht. Die Umrisse des nahen Berges hoben sich schemenhaft gegen den Himmel ab. »Schlafen wir jetzt«, schlug Miller vor. »Morgen haben wir einen anstrengenden Tag vor uns.«
Einmal wachte Miller auf, denn Borgoff schnarchte wie ein Sägegatter. Draußen hatte sich nichts verändert, nur die Sterne waren weitergewandert. Kaum war am anderen Morgen die Sonne über den Horizont gestiegen und gab Licht, da waren die beiden Männer auch schon dabei, ihre Anzüge anzulegen. Im Boden des Fahrzeuges lag die kleine Schleuse verborgen, durch die sie den Wagen ohne Luftverlust verlassen konnten. Es war immer ein besonderes Erlebnis, eine fremde Welt zu betreten, auch wenn man es schon hundertmal getan hat. Die geringe Schwerkraft, die nahen Sterne und die unmittelbare Nachbarschaft des unendlichen Alls machten gerade die atmosphärelosen Kleinplaneten zu einem ständig neuen Abenteuer. »Machen wir ein Wettrennen«, schlug Borgoff vor, aber Miller lehnte ab. Er hatte die schweren Meßgeräte zu schleppen, was ihn sehr behinderte, obwohl sie so gut wie kein Gewicht besaßen. Der Russe resignierte. »Dann eben nicht. Allein macht es keinen Spaß.« Einsam stand ihr Fahrzeug auf dem Plateau. Es gab niemand hier, der es stehlen würde. Soviel wußten sie: Auf TERRA VII gab es außer ihnen kein Leben. Nicht einmal Bakterien. Der Berg war keine fünfhundert Meter hoch, aber für diese kleine Welt bedeutete das eine unglaubliche Erhebung. Mit scharfen und übergangslosen Spitzen ragte er in den dunklen Himmel. Kleinste Risse wurden zu schwarzen Strichen, sonnenbestrahlte Flächen zu grellen Scheinwerfern. Aber nicht mehr am Gipfel. Miller sah es und runzelte die Stirn. Er blieb stehen, um das Phänomen genauer zu betrachten. Bis zur Hälfte etwa besaß der Berg die normale Formation atmosphäreloser »Verwitterung«, Wind und Wasser fehlten. Darüber jedoch wurden die Formen des Berges abgerundeter und die Felsen weniger
schroff. Der Gipfel sah sogar aus wie… Miller nickte. Ja, wie ein abgerissener Tropfen. Eine ungeheure Vermutung beflügelte seinen wissenschaftlichen Eifer. Er hatte nicht auf Borgoff geachtet, aber als er sich nun an ihn wandte, um ihn auf seine Beobachtung aufmerksam zu machen, erlebte er eine Enttäuschung. Denn der Russe stand ebenfalls reglos da und starrte den Berg an. Deutlich sichtbar standen in seinem Gesicht Zweifel und Hoffnung geschrieben. »Was sagst du nun?« brachte Miller nur hervor. »Merkwürdig«, gab Borgoff zurück. »Das sieht so aus, als hätte es hier früher einmal eine Atmosphäre gegeben.« »Eine andere Erklärung fällt dir nicht ein?« »Nein. Dir vielleicht?« Miller gab keine Antwort. Er setzte seine Instrumente ab und studierte den Felsen, als wolle er sich daran machen, ihn zu erklettern. Das bedeutete keine großartige bergsteigerische Leistung unter den herrschenden Umständen. Ein Absturz war keine Gefahr, denn die geringe Schwerkraft verhalf höchstens zu einem sanften Gleitflug. »Ich möchte auf den Gipfel«, sagte er schließlich. Borgoff nickte. »Das habe ich mir gedacht. Wir haben doch immer die gleichen Gedanken. Lassen wir die Instrumente unten?« »Es wird uns kaum etwas anderes übrigbleiben. Die Notausrüstung genügt, um Proben zu brechen. Na, da wollen wir mal sehen, wer von uns besser klettern kann.« Zuerst war es nicht so schwer, denn die scharfen Zacken boten genügend Anhaltspunkte. Sie mußten nur vorsichtig zu Werke gehen, damit nicht ein Riß ihren Anzug beschädigte. Das hätte den sofortigen Tod bedeutet.
In etwas mehr als fünfzig Meter Höhe tat Borgoff einen Fehltritt und segelte, schauerlich fluchend, langsam in die Tiefe. Miller sah ihm interessiert nach, konnte ihm aber nicht helfen. Der Russe landete auf einem Vorsprung und ersparte sich somit zwanzig Meter, die es noch bis zum Plateau sein mochten. »Die Zacke ist abgebrochen«, entschuldigte er sich. »Ein Glück, daß wir nicht den Mount Everest besteigen.« Erneut begann er seine Klettertour, war aber jetzt vorsichtiger. Miller war inzwischen weiter gestiegen und hatte in hundert Meter Höhe ein breites Band erreicht. Von hier an wurde es steiler. Er hatte genug Zeit, sich den besten Weg zu suchen, bis Borgoff herangekommen war. Drei Stunden später standen sie auf dem Plateau, das in abgerundeter Form den Gipfel des Berges darstellte. Die Aussicht war überwältigend, denn man konnte weit nach allen Seiten sehen und fast ein Drittel des Planeten überblicken. Der Horizont fiel überall sehr schnell ab und nur die Spitzen der höchsten Erhebungen blieben auf größere Entfernung hin sichtbar. Keine Atmosphäre und kein Dunst trübten die klare Sicht. Borgoff riß Miller aus seinen Betrachtungen. »Komisch – man könnte fast meinen, hier sei einmal Wasser geflossen. Sieh hier, die Rinne. Eine richtige Mulde.« Miller beugte sich hinab. Dann kniete er sich nieder und löste mit einem Spezialwerkzeug ein Stück Felsen aus dem Boden, dem die üblichen Schroffheiten völlig fehlten. Behutsam legte er es in den bereitgehaltenen Plastikbeutel, der an seinem Gürtel befestigt war. Weitere Proben folgten, bis der Beutel gefüllt war. Nach einer Stunde waren sie fertig. »Es wird Zeit zur Umkehr, wenn wir heute noch weiterkommen wollen«, sagte er
schließlich und sah hinab in die Ebene, wo ihr Fahrzeug klein und winzig wartete. »Vier Stunden bleibt es noch hell.« »Wir können ja auch nachts fahren…« »… und in eine Spalte stürzen? Nein, lieber nicht. Wir haben Zeit genug.« Er grinste. »Nun habe ich mir selbst widersprochen. Na, du verstehst schon. Man hat Zeit und doch keine Zeit.« Borgoff trat an den Abgrund heran. »Wenn ich daheim auf der Erde einen Berg erstiegen hatte, stand ich auch so wie jetzt da und wünschte mir, ich könnte fliegen. Ins Tal segeln, das war mein Wunsch dann immer. Ich hätte am liebsten die Arme ausgebreitet und wäre gesprungen. In solchen Augenblicken konnte ich verstehen, warum ein Selbstmörder in die Tiefe sprang.« »Mir erging es ähnlich«, gab Miller zu. »Es ist wie ein innerer Zwang, dem man nur mit Gewalt widerstehen kann. Die Tiefe lockt, man möchte fliegen können. Ich glaube, auf den Berggipfeln entstand der Wunsch des Menschen, es den Vögeln gleichmachen zu können.« Borgoff zeigte in die Ebene. »Hier könnten wir es wagen. Wir werden fast zehn Minuten lang fallen. Unsere Endgeschwindigkeit wird nicht mehr als ein Meter in der Sekunde sein.« »Etwas mehr schon, anderthalb genau. Aber ich glaube, es ist ungefährlicher, als wollten wir den ganzen Weg zurück klettern. Also los – fliegen wir.« Sie nahmen einen Anlauf und schossen dann, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt, weit über den Rand des Abgrundes hinaus, um dann im großen Bogen langsam in die Tiefe zu sinken. *
Allmählich nur glitt der Rand des Felsens an ihnen vorbei nach oben. Kaum merklich näherte sich ihnen das untere Plateau. Es war ein einmaliges und unbeschreibliches Erlebnis, und fast hätten sie darüber ihre eigentliche Aufgabe vergessen. Borgoff, der trotz der Felsproben, die Miller trug, einige Pfund schwerer als dieser war, landete zuerst. Er knickte nur leicht in den Kniekehlen ein, dann stand er fest. Grinsend sah er nach oben. »Wie ein Luftballon siehst du aus. Beeile dich gefälligst.« Minuten später hatten sie sich der Raumanzüge entledigt und saßen bequem in der warmen Kabine. Die Proben des Gesteines lagen in dem dafür vorgesehenen Behälter. Sie setzten ihre Fahrt fort. Zwei Tage. Drei Tage. Sie fanden nichts mehr, das ihre Aufmerksamkeit hätte erregen können. Ohne Zwischenfall erreichten sie die Station, wo Joe Afrikaner ihnen entgegenkam, kaum daß sie die Luftschleuse passiert hatten. »Eure Funkberichte blieben leider aus, solange ihr auf der anderen Seite von TERRA VII weiltet«, empfing sie der Leiter der Expedition. »Erst vor einer Stunde erreichte uns die Meldung, daß ihr zurückkämt. Was gibt es Neues?« Miller zeigte zum Kabinenwagen. »Nichts, wenn man so will. Ich verstehe nur nicht, warum uns der Tropfenberg bisher nicht auffiel. Wir sind doch nun schon lange genug hier.« Joe lächelte. »Zwar ist diese Welt klein, aber es wird noch lange dauern, bis wir jeden Fleck genau erforscht haben. Warum fragst du? Hat dieser Berg etwas besonders Auffälliges?« »Es sieht so aus, als sei er früher einmal von Luft umgeben gewesen. Ich habe Proben mitgebracht, die ich sofort untersu-
chen werde. Ich gebe dann Bescheid. Inzwischen kann Borgoff dir Bericht erstatten.« Ohne eine Antwort abzuwarten eilte er davon, um seine Vorbereitungen zu treffen. Joe sah ihm kopfschüttelnd nach. Borgoff kam herbei. »Keine besonderen Vorkommnisse«, meldete er. »Bis auf den Tropfenberg. Aber das wissen wir noch nicht so genau. Eine Frage, Boß: Wann kommt Serkennen?« Joe war erstaunt. »Warum? Hast du Heimweh? Außerdem ist noch lange nicht raus, ob wir die Expedition abbrechen, wenn Serkennen kommt. Uns bleibt noch viel zu tun. Unsere Forschungen reichen noch lange nicht aus, der Weltregierung ein klares Bild zu geben. Du weißt, vom Ergebnis unserer Untersuchungen wird es abhängen, ob eine Raumflotte mit Kolonisten aufgestellt wird oder nicht.« Niemand außer Joe wußte, daß es überhaupt keine Rückkehr mehr zur Erde geben würde. Nur Serkennen würde mit dem Ultrafunk die Ergebnisse zur Erde senden und von dort weitere Abweisungen erhalten. Sein Schiff bot die einzige Möglichkeit, sich mit der Erde zu verständigen. Die offizielle Aufgabe der Expedition war es, weit in den Raum vorzudringen und seine Verhältnisse zu untersuchen. Es war ihre nur dem Kommandanten bekannte Aufgabe, so lange vorzudringen, bis auch der letzte Mann der Besatzung gestorben und die letzte Funkmeldung zur Erde abgesetzt worden war. Das aber wußten nur zwei Menschen: Joe Afrikaner und Dr. Serkennen. Joe kehrte in seine Beobachtungskuppel zurück. Vorher hatte er Borgoff gebeten, daß man ihn sofort verständigen solle, wenn die Untersuchung der Felsproben etwas Außergewöhn-
liches ergeben sollte. Er rechnete nun aber nicht mehr damit. Snider erwartete ihn. »Wir haben etwas versäumt, Joe. Vom Schiff kam eine Depesche. Serkennen hat einen Spruch geschickt, der aufgefangen wurde. Wenn die Zeiten stimmen, dürften wir in etwa einer Woche mit seiner Ankunft rechnen. Hier habe ich den Text.« Joe nahm das Blatt Papier und ärgerte sich wieder einmal über die schlechte Handschrift seines Stellvertreters. Nur mit Mühe konnte er die wenigen Sätze lesen: Hier spricht Kugelraumer Serkennen! Hallo, Sternexpedition TERRA. Wir haben euren Peilstrahl gefunden. Erwartet uns in einer Woche. Absendedatum des Funkspruches: 17. Dezember 2300. Ende. Snider beobachtete ihn scharf und bemerkte mit Befriedigung das plötzliche Stirnrunzeln des Kommandanten. »Hat unser Funker sich vielleicht verhört? Das Datum stimmt nicht.« Snider nickte. »Ich habe sofort rückgefragt. Die Meldung wurde auf Tonband aufgenommen, also kann kein Hörfehler entstanden sein. Es ist nur möglich, daß der Mann auf Serkennens Schiff sich irrte und auf die falsche Taste schlug bzw. betrunken war, als er ins Mikrofon sprach. Unsere Kalender zeigen heute den 13. Juli des Jahres 2165 an.« Joe schwieg lang, ehe er sagte: »Hoffentlich haben wir keine Nachricht aus der Zukunft erhalten. Nun, Serkennen wird uns erklären, was das Spiel mit der Zeit bedeuten soll. Wegen der Ultrawellen kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß die Sendung im gleichen Augenblick ausgestrahlt wurde, als wir sie empfingen. Die Wellen benötigen keine Zeit, Lichtjahre zurückzulegen. Du wirst zum Raumschiff zurückkehren, Snider, und alles für den Empfang
Serkennens vorbereiten. Ich komme in fünf Tagen nach. Sorge dafür, daß der Peilstrahl unablässig gesendet wird. Verständige mich, wenn Serkennen wieder sendet. Schalte durch, damit ich mithören kann.« Snider ging und ließ Joe allein zurück. Der Kommandant saß lange Zeit vor den dunklen Bildschirmen und starrte hinaus in die wilde Landschaft der toten Welt, die sich seinen Blicken darbot. Irgendwo in seinem Gehirn, so schien ihm, bildete sich ein Knoten, der das Denken behinderte. Er wußte mit Sicherheit, daß Serkennen keinen Fehler gemacht hatte, als er den Funkspruch abschickte. Es mußte etwas anderes geschehen sein. Aber was? Er kam nicht mehr dazu, weiter darüber nachzudenken, denn der Geologe Miller stürmte in die Kuppel, gefolgt von dem atemlosen Borgoff. In der Hand hielt der Amerikaner ein Stück Fels. Mit einer großartigen Gebärde legte er es vor Joe auf den Tisch. »Da!« sagte er. Mehr nicht. Er gab seinem russischen Kollegen einen Wink, nur kein Wort von dem zu verraten, was sie entdeckt hatten. Der Kommandant sollte es selbst finden. Und Joe fand es sofort. TERRA VII glich einem Asteroiden, der kalt und leblos um eine weit entfernte Sonne kreist. Er besaß keinerlei Atmosphäre und hatte wahrscheinlich auch nie eine besessen. Es gab auf ihm keine Bakterien. Und doch… »Das ist doch…« Joe wagte es nicht weiterzusprechen. Miller nickte. »Jawohl, es ist die Versteinerung eines primitiven Tieres, wie es auch in den Ozeanen der Erde vorkommt. Eine Schnecke, würde ich sagen. Der Gipfel des Tropfenberges wurde einst vom Meer überspült.« Joe legte den Stein auf den Tisch zurück.
»Das ist völlig ausgeschlossen«, sagte er. »Nicht dann«, schüttelte Miller den Kopf, »wenn TERRA VII einst Bestandteil eines größeren Planeten gewesen ist und durch eine kosmische Katastrophe daraus gelöst wurde. Der Berggipfel stak einst tief in der Kruste einer unbekannten Welt, die ihn freigab. Die fast reine Metallegierung hielt sich, während die anderen Teile des losgelösten Mondes deformiert wurden und die übliche Form annahmen. Es kann auch anders gewesen sein. Jedenfalls. gab es hier einst Leben, wenn auch primitives. Fragt sich nur, woher TERRA VII stammt.« »Wir werden es niemals erfahren«. gab Joe zurück. »Aber ich habe auch eine Neuigkeit. Serkennen wird bald eintreffen. Und ich fürchte, wir werden einige Überraschungen erleben. Größere jedenfalls als diese, welche wir euch zu verdanken haben. Macht euch auf einen Schock gefaßt.« Ein bestürzender Funkspruch Irgendwo im Weltall schwebte ein künstlicher Weltkörper. Seine metallisch blitzende Hülle war kugelrund und besaß einen Durchmesser von fast fünfzig Metern. Und doch lebten im Innern des von Menschenhand geschaffenen Planeten nur zehn Männer. Der Hauptteil des Raumers bestand aus Laboratorien und der gigantischen Sende- und Empfangsanlage für den Ultrafunk. Die riesigen Zyklotrone, welche die Wellenteilchen auf millionenfache Lichtgeschwindigkeit beschleunigten, nahmen fast die Hälfte des gesamten Platzes ein. Dafür aber war so möglich, über viele Lichtjahre hinweg eine direkte Funkverbindung aufrechtzuerhalten. Es gab nur zwei solcher Anlagen. Die zweite stand auf der Erde. Dr. Serkennen saß mit Brenner und Barden in der Kontroll-
zentrale des Raumers. Der schlanke Gelehrte starrte gedankenverloren auf die Wand, wo der automatische Schiffskalender hing. Er zeigte das Datum: 3. Juni 2165. Brenner, der Physiker, räusperte sich anzüglich. »Sie haben uns rufen lassen, Serkennen, um uns eine wichtige Mitteilung zu machen?« Der Biologe Barden nickte bestätigend. Man sah seinem Gesicht an, daß er für willkommene Abwechslung dankbar war. Das eintönige Einerlei ihres Daseins bot nicht viel Unterhaltung. Seit Jahren schon schwebte die Kugel im Raum, ohne ein bestimmtes Ziel anzusteuern. »Eigentlich geht es ja alle an«, sagte Serkennen und sah immer noch auf den Kalender, dessen silberne Zahlen ihn zu verhöhnen schienen. »Aber vielleicht ist es besser, wenn ich zuerst mit Ihnen allein darüber spreche. Wir werden die endgültige Entscheidung dann gemeinsam fällen müssen.« »Das hört sich recht geheimnisvoll an«, bemerkte Barden ruhig. »Ist vielleicht der Antrieb nicht in Ordnung?« Serkennen lächelte schwach. »Machen Sie sich keine Sorgen, Barden. Wir können jederzeit alle Ziele des Universums mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit anfliegen, wenn Sie wollen. Nach der Neuinstallierung meines Zusatzes auch mit hundertfacher. Fragt sich nur, wohin.« Brenner beugte sich vor. »Was soll das beißen, Doktor? Wohin?« Serkennen nahm den Blick endlich vom Kalender. Er sah die beiden Männer der Reihe nach an, als wolle er sie prüfen. Aber er begegnete nur festen und abwartenden Blicken. Nun, vielleicht würde sich das bald ändern, wenn er ihnen die Wahrheit mitgeteilt hatte. »Sie wissen, meine Herren, daß wir leider kurz nach dem
Start aus unerfindlichen Gründen die Verbindung mit der Erde verloren. Sie antworteten einfach nicht mehr auf unsere Funksprüche, die wir dann auch aufgaben. Der Sender auf der Erde muß damals ausgefallen sein. Trotzdem blieben wir ständig auf Empfang. Nun, um es kurz zu machen: Wir blieben es nicht vergebens. Heute erhielt ich Funkverbindung mit der Erde. Es war ein reiner Zufall.« »Verbindung mit der Erde? Gott sei Dank!« Serkennen hörte die Erleichterung des Physikers. Brenner war der einzige von ihnen, der gute Freunde auf dem Heimatplaneten zurückgelassen hatte. Ihn würde demnach die Enttäuschung auch am schwersten treffen müssen. »Sie werden sich erinnern, unter welchen Bedingungen wir vor fünfzehn Jahren starteten«, fuhr der Wissenschaftler fort und behielt Brenner im Auge. »Wir verpflichteten uns heilig, unser Leben und Schaffen der Forschung zur Verfügung zu stellen, ohne Rücksicht darauf, jemals die Erde wiederzusehen – wenn das Schicksal es nicht wollte. Es waren nur Männer, die an unserer Expedition teilnahmen. Keiner von uns hat seit fünfzehn Jahren eine Frau gesehen, höchstens im Mikrofilm.« Barden räusperte sich. »Das wissen wir alles, Doktor. Sagen Sie uns nun endlich, was Sie zu sagen haben. Gibt es schlechte Nachrichten von der Erde? Ein Krieg vielleicht?« Serkennen lächelte gezwungen. »Es war kein Krieg, der die Erde heimsuchte. Es war eine Seuche. Sie wurde trotz aller Vorsicht von der Venus eingeschleppt und raffte mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung dahin, ehe man den Erreger entdeckte und bekämpfen konnte. Unsere Zivilisation, wie wir sie kannten, brach zusammen. Sie existiert nicht mehr.« Brenner und Barden warfen sich einen schnellen Blick zu,
dann sahen sie wieder Serkennen an. »Das ist doch nicht möglich!« brach es aus Brenner heraus. »Das kann einfach nicht möglich sein!« »Es geschah aber so, Brenner. Sie werden sich damit abfinden müssen. Unsere Zivilisation brach zusammen. Die Volksmassen stürmten die Raumfahrtbehörde und machte sie für die Katastrophe verantwortlich. Es kam keiner mit dem Leben davon. Alle vorhandenen Raumschiffe wurden zerstört und die Anlagen vernichtet. Der Volkswut fiel damals auch der Ultrasender zum Opfer. Darum hörte die Verbindung so plötzlich auf.« In der Zentrale war lange Zeit Schweigen. Serkennen sah hinaus in die Unendlichkeit des Raumes, als könnten seine Augen dort den gesuchten Halt entdecken. Es schien, als habe er alles gesagt, aber die beiden Männer fühlten, daß da noch etwas war. Etwas Grauenhaftes, Unfaßbares… Sie warteten. Serkennen stand langsam auf und schritt zur Wand, an der der Kalender hing. Er löste ihn von der Energiezuleitung und brachte ihn mit. Während er sich setzte, studierte er die Rückseite. Da gab es einige Knöpfe zur Korrektur des Datums und der Zeit. Er nickte, und während er wieder zu sprechen begann, drehte er mit der rechten Hand den Stellknopf für die Jahre. »Obwohl ich damit gerechnet habe, überraschte mich doch die Feststellung, daß Silvers Zeitverlangsamer nicht funktioniert hat. Mit Hilfe dieser Einrichtung sollte die unweigerlich eintretende Dilatation kompensiert werden. Niemand von uns hat eine Ahnung, wie er das bewerkstelligen konnte. Ja, ich sehe Ihren Gesichtern an, daß Sie zu ahnen beginnen, was sich außerdem noch ereignete. Ganz richtig. Die Zeitebenen ver-
schoben sich. Während für uns fünfzehn Jahre vergingen, wurde die Erde um 150 Jahre älter. Die schreckliche Seuche entstand im Jahr 2180, also dreißig Jahre nach unserem Start. Bevor der Ultrafunk ausfiel, erhielt ich einige widersprechende Meldungen, aber ich wurde daraus nicht schlau. Es wurden auch keine Daten genannt, so daß ich erst heute die ganze Wahrheit erfuhr. Um es kurz zu machen, meine Herren: Auf der Erde weiß schon längst kein Mensch mehr, wer wir sind und waren. Man hat uns vergessen.« Brenner saß zusammengesunken in seinem Stuhl und starrte auf den Kalender, den Serkennen jetzt wieder an die Wand heftete. Das Datum besagte kurz und bündig: 10. November 2300. Barden schien gefaßter zu sein. »Aber Sie sagten doch, Sie hätten Verbindung mit der Erde bekommen. Was sagte man denn, als Sie sich meldeten?« Serkennen zuckte die Achseln. »Ich kam nicht dazu, zu antworten, weil sie auf der Erde nur einen Sender konstruierten, keinen Empfänger. Ich nehme an, es sind inzwischen weitere Schiffe gelandet, die ebenfalls der Zeitdilatation zum Opfer fielen genau wie wir. Der Sender wurde nur deshalb neu gebaut, um eventuell noch zurückkehrende Schiffe zu warnen. Die Besatzungen werden verhaftet, sobald sie irdischen Boden betreten.« »Die Besatzungen werden…?« Barden starrte Serkennen ohne Begreifen an. »Ja, niemand der Raumfahrer darf die Erde betreten. Es wird allen Schiffen empfohlen, Alpha Centauri anzusteuern und dort zu landen. Auf dem zweiten Planeten der Doppelsonne hat sich eine selbständige Kolonie entwickelt. Aber die Erde…?« Er schüttelte den Kopf. »Für uns gibt es keine Erde mehr.«
Brenner sah auf. »Das ist nicht wahr! Sagen Sie, Serkennen, daß es nicht wahr ist! Man kann uns doch nicht einfach vergessen und ausgestoßen haben. Hat denn niemand Interesse an unseren Forschungsergebnissen?« »Der Sprecher behauptete, kein Fahrzeug verließe jemals wieder die Erdatmosphäre, um fremde Weltkörper anzufliegen. Raumfahrt ist verboten, Brenner. Die Angst vor einer neuen Seuche hat die Menschheit in die Primitivität zurückgedrängt. Niemand will uns mehr haben.« »Ja – aber meine Schwester…« »… ist seit mehr als hundert Jahren tot, lieber Brenner. Es gibt nichts mehr, was Sie zur Erde ziehen könnte. Kein Mensch kennt Sie. Niemand weiß, daß jemals eine Raumexpedition unter Dr. Silver startete, um die Bedingungen einer künftigen Kolonisierung auszukundschaften. Niemand weiß noch, daß wir die Pioniere eines galaktischen Reiches waren, das zusammenbrach, ehe es errichtet werden konnte. Ich fürchte, es wird nicht einfach sein, diese Situation zu begreifen – oder sie gar unseren Leuten klarzumachen. Aber welchen Sinn hätte es, ihnen die Wahrheit zu verheimlichen?« »Was wird Afrikaner dazu sagen?« machte Barden sich Sorgen. »Er hat die Aufgabe, es achtundvierzig Männern beizubringen.« »Ich kann es immer noch nicht glauben«, warf Brenner ein. Seine Stimme hatte alle Farbe verloren sowie sein Gesicht. »Das Gespräch wurde auf Tonband aufgenommen«, nahm ihm Serkennen die letzte Illusion. »Eigentlich war es ja kein Gespräch, sondern nur eine sich immer wiederholende Sendung, die keine Antwort mehr erforderlich machte. Uns bleibt nach allem nur eine einzige Frage zu klären: Werden wir überhaupt versuchen, noch einmal zur Erde zurückzukehren?«
Brenner sah ihn an, als zweifele er an seinem Verstande. »Was wollen Sie damit sagen, Doktor? Nicht mehr zur Erde zurück? Wo sollen wir denn bleiben? Den Rest meines Lebens in dieser Kugel? Oder haben wir vielleicht bewohnbare Planeten entdeckt? Na also. Frauen haben wir auch keine. In fünfzig Jahren lebt keiner mehr von uns, und die beiden Schiffe werden ewig mit unseren Leichen durch das All treiben, bis eine Sonne sie einfängt. Oder doch wenigstens mit den Leichen derer, die zuletzt sterben.« Serkennen lächelte andeutungsweise. Es war, als sei ein kurzer Sonnenstrahl über sein Gesicht gehuscht. »Es ist zu früh, irgendwelche Entschlüsse zu fassen. Wir brechen unsere Arbeit hier ab und versuchen, Afrikaner zu finden. Die Funksignale sind ab zwei Lichtjahre aufzufangen. Wir stehen etwa fünf Lichtjahre von ihnen entfernt. Die ungefähre Richtung kennen wir. Es wird also kein großes Problem sein. Von der Entscheidung aller wird abhängen, was geschehen wird. Ich jedenfalls – ich werde hier im Raum bleiben. Ich habe nie viel dafür übriggehabt, mich einem anderen aufzudrängen.« Brenner und Barden schwiegen. Sie wußten nicht, was sie sagen sollten. * Auch Joe Afrikaner schwieg sehr lange, als er von Serkennen erfuhr, was sich ereignet hatte. Das Datum hatte ihn vorbereitet, und der Doktor gab zu, es mit besonderer Absicht gesendet zu haben. So war der Schock für den Expeditionsleiter nicht so groß, denn er war vorbereitet. Endlich sagte Joe: »Und was nun?« Sie saßen in seiner privaten Kabine an Bord des eigentlichen
Hauptschiffes, das TERRA VII umkreiste. Außer ihm und Serkennen war nur noch Snider anwesend. Serkennen hob die Schultern und ließ sie betont langsam wieder absinken. »Ich weiß es nicht, Joe. Ich weiß auch nicht, ob es klug wäre, den Leuten die Wahrheit zu sagen. Man sollte es tropfenweise tun, nach und nach. Der Schock wäre sonst zu groß.« »Vielleicht ist auch das Gegenteil richtig«, warf Snider ein. »Wenn die Männer sehen, daß niemand mehr auf der Erde Wert auf ihr Erscheinen legt, werden sie eher einwilligen, hier zu bleiben.« »Hierbleiben?« machte Joe erstaunt. »Du willst doch nicht hier auf diesem gottverlassenen Brocken Fels den Rest deines Lebens verbringen?« »Warum nicht, Joe? Uns stehen alle technischen Hilfsmittel zur Verfügung, diesen Rest so angenehm wie möglich zu gestalten. Vielleicht suchen wir aber auch weiter und finden einen anständigen Planeten, auf dem wir uns niederlassen können. Ich persönlich will von der undankbaren Menschheit nichts mehr wissen.« »Die anderen werden nicht so denken«, vermutete Serkennen. »Sie werden den Heimflug fordern.« »Wenn es so ist, wie Sie sagen, Serkennen – und ich habe ja eben das Tonband gehört –, kann es zu einer Katastrophe kommen. Die irdischen Behörden werden niemals einer ganzen Besatzung die Landung erlauben. Vielleicht werden sie einen anhören, wenn er Vorsicht verspricht und isoliert werden kann.« Serkennen sah auf. »Sie bringen mich da auf einen guten Gedanken. Joe.« Serkennen war der einzige der Expedition, der jeden mit dem förmlichen »Sie« ansprach und das gleiche auch für sich beanspruchte. »Einer von uns wird zur Erde zurückkehren und für
den Rest der Expedition die Heimkehr fordern. Wäre doch gelacht, wenn man uns das Asylrecht verweigerte.« Joe beugte sich vor. »Und wer wird dieser Botschafter sein?« Serkennen lächelte. »Das werden unsere Männer selbst bestimmen. Es kann einer von ihnen sein, aber genauso gut auch Sie oder Snider. Ich lehne die Mission für meine Person im voraus ab. Ich bleibe im Raum.« »Sie wollen nicht mehr zur Erde?« Serkennen schüttelte den Kopf. »Nie mehr, Joe. Ich will sie nie mehr wiedersehen.« * Miller hockte über seinen Fossilien, aber obwohl er sie anschaute, sah er sie nicht. Borgoff lag lustlos auf seinem Bett, das in dem Labor stand. Sie teilten sich den Raum. Hier wohnten, arbeiteten und schliefen sie. »Schweinerei!« sagte er schließlich mit Nachdruck. Borgoff knurrte etwas Unverständliches, das Miller wohl als Zustimmung werten sollte und es auch tat. »Sie haben uns einfach vergessen und wollen nichts mehr von uns wissen! Nur 150 Jahre sind vergangen – allein das ist unbegreiflich – und soviel hat sich auf der Erde geändert. Wegen einer Seuche haben sie die Raumfahrt aufgegeben! Es sollte mich nicht wundern, wenn man Afrikaner die Landung verwehrte.« Borgoff grunzte angeekelt: »Sie werden es, verlaß dich darauf! Wenn ich daran denke, möchte ich es machen wie Serkennen und nie mehr zurückkehren. Aber Erde ist Erde – ich will zurück. Und wenn es
hundert Jahre dauern sollte.« »Afrikaner wird vorfliegen, wir folgen ihm. Treffpunkt ist Alpha Centauri. Bis wir dort eintreffen, kann er von der Erde zurück sein. Dann werden wir wissen, was tatsächlich geschehen ist.« »Warum kehren wir nicht direkt zur Erde zurück?« Miller seufzte. »Hast du denn bei der Versammlung geschlafen? Serkennen hat doch alles lang und breit erklärt. Wir müssen mit dem Widerstand der neuen Erdregierung rechnen. Afrikaner soll versuchen, die abgerissene Verbindung wieder herzustellen. Erst dann, wenn der Weg geebnet ist, dürfen wir folgen. Keine ideale Lösung, aber immerhin eine. Jedenfalls ist unsere ganze Arbeit sinnlos geworden. Wofür leben wir noch? Vorher besaßen wir wenigstens noch ein Ziel und eine Aufgabe. Jetzt besitzen wir nur noch unser erbärmliches Leben, für das niemand mehr einen Pfifferling gibt – außer wir selbst.« »Bis wir die Erde erreichen, vergehen wieder mehr als hundert Jahre.« »Daran ist nichts zu ändern. Wir wußten es vorher, wenn auch niemand annahm, daß es soviel sein würde. Vielleicht ändert sich bis dahin die Situation.« Borgoff wechselte so abrupt das Thema, daß Miller einige Sekunden überlegen mußte, ehe er antwortete: »Was interessiert dich noch unser Fund vom Tropfenberg? Noch vor kurzer Zeit schien er uns sensationell – heute ist er sinnlos geworden. Aber – vielleicht hast du recht. Arbeit lenkt ab.« »Natürlich lenkt sie ab. Wir können nichts anderes tun, als abwarten. Die letzte Entscheidung wird morgen abend fallen, wenn die große Versammlung abgehalten wird. Es ist sogar gut, wenn man uns Zeit ließ, über das Geschehene nachzuden-
ken.« »Also – entweder arbeiten oder nachdenken!« rief Miller und hielt einen Gesteinsbrocken in die Höhe. »TERRA VII kommt aus einem anderen System. Ob wir herausfinden, woher er einwanderte?« »Nie!« schüttelte Borgoff den Kopf. Aber seine Gedanken waren nicht bei den Forschungen, sondern ganz woanders. »Afrikaner wird allein fliegen, soviel steht fest. Niemand darf ihn begleiten. Er nimmt ein kleines Boot mit hundertfacher Lichtgeschwindigkeit. Serkennen hat den neuen Antrieb entwickelt. In anderthalb Jahren kann er die Erde damit erreichen.« Miller legte seine Gesteinsprobe in das Fach zurück. »Es ist ja doch sinnlos«, murmelte er. »Der Mensch ist für ernsthafte Arbeit nicht mehr zu haben. Was willst du eigentlich tun, wenn du zur Erde zurück könntest? Sie stecken dich in eine Anstalt, glaube mir. Serkennen hat deutlich genug zu verstehen gegeben, was uns erwartet. Er wird im Raum bleiben. Ich auch.« »Ihr könnt machen, was ihr wollt. Ich jedenfalls werde den Brüdern schon zeigen, was ich von ihnen halte. Vielleicht kann doch jemand Afrikaner begleiten.« Miller schüttelte den Kopf. »Du bist ein hoffnungsloser Idealist«, stellte er fegt, »Warten wir den morgigen Tag ab. Wir werden ja dann sehen…« * Doktor Serkennen wartete ab, bis das Stimmengemurmel der Versammlung sich legte. Achtundfünfzig Gesichter sahen ihn erwartungsvoll an. Der Vorführraum des Schiffes bot allen genügend Platz. Von der Decke herab strahlte das künstliche
Sonnenlicht. Es beleuchtete die angespannten Züge der Expeditionsteilnehmer. »Somit ist es kein Problem, alle Schiffe und Begleitboote mit dem neuen Antrieb auszurüsten. Eine Verbesserung des alten, mehr nicht. Immerhin schaffen wir damit hundertfache Lichtgeschwindigkeit. Leider haben wir trotzdem damit keinen Einfluß auf den Ablauf der im Raum vergehenden Zeit bewirkt. Sie vergeht nur zehnmal schneller als bisher, als wir mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit flogen. Mit anderen Worten: Auf unserem Herflug vergingen auf den Schiffen 15 Jahre, auf der Erde aber 150 Jahre. Beim Rückflug werden für uns nur anderthalb vergehen, aber auf der Erde wiederum 150 Jahre. Afrikaner wird die Erde im Jahre 2450 erreichen. Unsere Kalender zeigen dann das Jahr 2167 an, siebzehn Jahre nach dem Start. Die Rechnung hat ein Plus oder Minus von zehn Jahren.« Erneut begann das Gemurmel der verschiedenen Gruppen, die sich gebildet hatten. Serkennen stand allein auf dem Podium und wartete, bis sich die Erregung gelegt hatte. »Das ist die Situation, und sie hat sich nicht geändert. In diesen 150 Jahren, die erneut vergehen, kann sich einiges auf der Erde erneut verändert haben, aber ich glaube nicht, daß man das Gesetz gegen die Raumfahrt geändert haben wird. Jedenfalls wird Afrikaner noch in dieser Woche starten. Ich installiere auf diesem Schiff den neuen Antrieb, dann werden wir ihm folgen. Afrikaner hat somit einen Vorsprung von etwa zwei Wochen. Er wird bereits auf halbem Weg zur Erde sein, wenn wir Alpha Centauri erreicht haben. Dreißig Tage benötigt er von dort bis zur Erde.« Borgoff drängte sich vor. »Warum fliegen wir nicht alle zur Erde und zwingen sie, uns anzuerkennen? Schließlich haben wir nur unsere Pflicht getan. Die Ergebnisse unserer Forschungen sind von größter Wichtig-
keit…« »Aber nicht für jemand, der kein Interesse am Weltraum hat«, unterbrach ihn Serkennen mild. »Die Erdbevölkerung wurde um die Hälfte reduziert. Es besteht keine Veranlassung mehr, Kolonien zu gründen. Man befürchtet eine neue Seuche. Sie haben Angst vor uns. Sie werden sich gegen uns mit allen Mitteln wehren, die ihnen zur Verfügung stehen. Und wir wissen nicht, welche Kriegsmittel sie in 300 Jahren entwickelten. Unsere Strahler sind vielleicht gegen ihre Waffen nichts als Kinderspielzeuge. Nein, wir können unseren Plan nicht ändern, so sehr ich das bedaure. Wir müssen abwarten, was Afrikaner erreicht.« »Sie werden ihn festnehmen oder gar töten«, warf Snider in die Debatte. »Lassen Sie mich zuerst feststellen, Dr. Serkennen, daß ich gegen eine Rückkehr zur Erde bin. Wir gehören dem Weltraum, das steht für mich fest. Aber ich sehe nicht ein, daß jene, die zur Erde zurück wollen, von einem Gesetz davon abgehalten werden sollen. Afrikaner muß denen, die zurück wollen, eine Chance erkämpfen. Aber er kann das nicht allein. Er benötigt Hilfe.« »Er erhält eine Frist gesetzt, die er der Erdregierung weitergeben kann. Hören wir nach Verstreichen dieser Frist nichts von ihm, werden wir einfach ungefragt landen. Wenn wir auch nicht die Waffen dazu haben sollten, so bleibt uns immer noch der Bluff.« Brenner schob Snider zur Seite. »Die neue Erdregierung hat kein moralisches Recht, uns die Rückkehr in die Heimat zu verwehren. Wir sind gesund. Außer Silver starb im Verlauf von fünfzehn Jahren niemand. Wir bedeuten niemals eine Gefahr für die Menschheit.« Serkennen zuckte die Schultern. »Erklären Sie das den Leuten auf der Erde, Brenner. Sie ha-
ben nur einen Sender, keinen Empfänger. Wenn wir nahe genug sind, können wir Funksprüche ausstrahlen.« »Warum soll sich Afrikaner vorher einer Gefahr aussetzen?« »Weil er der Leiter der Expedition ist und die beste Möglichkeit besitzt, die Erdregierung zu überzeugen. Wenn es ihm nicht gelingt, dann gelingt es keinem von uns.« Wieder drängte Borgoff sich vor. Er schob Brenner und Snider rücksichtslos aus dem Weg. »Ich melde mich freiwillig, um Afrikaner zu begleiten!« Einige der Männer lachten, denn das gleiche Angebot war schon mehrmals abgelehnt worden. Es war auch Afrikaner selbst, der nun vortrat und auf das Podium stieg. Serkennen nickte ihm zu und gab ihm die Erlaubnis, seinen Standpunkt zu vertreten. »Einer muß gehen«, begann er und legte seine ganze Betonung auf das zweite Wort. »Dann steht fest, daß ich es bin, der geht. Einen Begleiter muß ich ablehnten, weil es genügt, wenn sich einer von uns in Gefahr begibt. Sollte mir etwas Unvorhergesehenes zustoßen, so übertrage ich die Leitung der Expedition Snider, meinem Stellvertreter. Serkennen bleibt weiterhin der wissenschaftliche Boß. Ich hoffe, man wird Snider ebensoviel Respekt entgegenbringen, wie man es mir gegenüber getan hat. Heute in acht Tagen starte ich. Ihr folgt in drei Wochen. Auf dem Planeten des Alpha Centauri erwartet ihr mich. Ich werde selbst kommen oder eine Botschaft senden. Mehr ist zu dem ganzen Problem nicht zu sagen.« Er nickte Serkennen zu und trat zurück. Eine Weile herrschte Schweigen, dann schwirrten Fragen und Meinungen durcheinander, bis es Serkennen satt hatte. Mit seiner dröhnenden Baßstimme donnerte er: »Wenn noch jemand etwas zu sagen hat, soll er es deutlich sagen. Man versteht ja bald sein eigenes Wort nicht mehr.«
Der Geologe Miller hob den Arm und wartete, bis der Lärm abebbte. Serkennen gab ihm ein Zeichen. »Genau wie Dr. Brenner verzichte ich auf eine Rückkehr zur Erde«, begann er. »Ich möchte das deutlich klarstellen. Von mir aus können wir immer weiter in den Raum vordringen und forschen – meinetwegen nur für uns forschen. Trotzdem – wir kennen und achten Joe Afrikaner nicht nur als vorbildlichen Expeditionsleiter, sondern auch als Kameraden und Freund. Wenn wir ihn schon allein gehen lassen müssen, so sollten wir die Frist nicht zu groß setzen, die verstreichen muß, bis ihm eine zweite Gruppe folgt. Eine Woche, höchstens zwei. Um aber diese kurze Zeit genau einzuhalten, schlage ich vor, daß wir alle gemeinsam bis Alpha Centauri zurückfliegen und unsere beiden Expeditionen von dort aus starten. Außerdem würde es Joe erspart, mehr als 500 Tage allein in einem kleinen Schiff zuzubringen. Und wir könnten dann…« Er kam nicht mehr weiter. Die Männer klatschten wie wild Beifall und riefen ihre Zustimmung, so daß Serkennen nichts anderes übrigblieb, als lächelnd zu nicken. Damit war dieser Punkt ohne viel Worte geklärt. Miller fuhr fort: »Von Alpha Centauri aus kann dann unser Mutterschiff mit einer kleinen Besatzung starten. Joe wird mit dem Beiboot zur Erde fliegen, während das Mutterschiff in einiger Entfernung genau eine Woche wartet. Gibt Joe in dieser Frist keine Nachricht, wird das große Schiff Landung und Auskunft erzwingen. Es kann auch Funkmeldungen empfangen und wird einigermaßen orientiert sein, welche Verhältnisse zu erwarten sind.« Serkennen hob beide Hände, als die Zustimmung erneut einsetzte. »Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag, Dr. Miller. Dann werden wir also in genau drei Wochen gemeinsam starten. So
lange benötige ich für den Umbau des Antriebes. Ich erspare mir eine Menge Arbeit, denn das Beiboot kommt mit der normalen Geschwindigkeit aus. Der Kugelraumer bleibt auf Alpha Centauri, wo wir eine ständige Station einrichten werden. Sonst noch Fragen?« Es stellte sich heraus, daß Miller mit seinem Vorschlag alle bestehenden Probleme beseitigt hatte. Wenn es wirklich noch welche gab, so hatten sie Zeit bis später. Die endgültige Entscheidung war somit auf anderthalb Jahre verschoben worden. Zufrieden lag Borgoff an diesem Abend auf seinem Bett. Er verstand zwar immer noch nicht, wie sein Kollege Miller in aller Ruhe die Gesteinsproben vom Tropfenberg untersuchen konnte, aber er war trotzdem mit ihm zufrieden. »Nun werden wir die Erde doch wiedersehen«. murmelte er voller Genugtuung. »Ich wette, sie werden mich mitnehmen. um Afrikaner aus der Patsche zu helfen, in die er bestimmt geraten wird.« »Warum? Es kann sich viel in der Zwischenzeit geändert haben.« »Vielleicht. Aber ich sage dir: Wenn er sich innerhalb einer Woche nicht gemeldet hat, kann die Erdregierung was erleben.« Miller lächelte. »Erst mal abwarten, wie sie Joe empfangen. Vielleicht ist alles halb so schlimm.« Er beugte sich über das Mikroskop. »Wenn ich mir das hier genauer ansehe, könnte man meinen, der Brocken stamme von der Erde…« Borgoff grinste. »Darum nannten wir diesen Planeten auch TERRA VII«, knurrte er und drehte sich auf die Seite. Kurze Zeit darauf kündeten tiefe Atemzüge an, daß er sanft entschlafen war. *
Inzwischen saßen im Kugelraumer einige Männer beisammen. Joe Afrikaner, Serkennen, Snider, Brenner und Barden planten den Abbruch der Expedition, die vor fünfzehn Jahren so hoffnungsvoll begonnen hatte. »Zusammenfassend können wir sagen«, sagte Serkennen triumphierend, »daß der Weltraum dem Menschen nur wenig Lebensmöglichkeiten bietet. Wir fanden außer dem Planeten des Alpha Centauri nur zwei weitere Welten, die bewohnbar sind. Auf allen drei Planeten existierten bereits primitivere Lebensformen, aber Intelligenzen in unserem Sinne begegneten wir nicht. Für fünfzehn Jahre Forschung ein mageres Ergebnis, aber immerhin eines. Der Entschluß der Erde, die Raumfahrt einer Seuche wegen aufzugeben, erinnert mich an die Schildbürger. Man hätte ja damals auch Afrika aufgeben können, nur weil es dort furchtbare Krankheiten gab. Mir scheint, die Menschheit ist müde geworden, und der alte Pioniergeist starb. Es wird Zeit, daß wir frischen Wind in die absterbenden Flammen blasen.« »Ich will es versuchen«, lächelte Joe Afrikaner wenig hoffnungsvoll. »An mir soll es nicht liegen.« Brenner beugte sich vor. »Wie groß soll die Gruppe sein, die Joe folgt?« Serkennen runzelte die Stirn. »Ich würde zwei Gruppen vorschlagen. Die erste folgt nach acht Tagen. Geht auch diese Gruppe verloren – ich meine das nicht so wörtlich, meine Herren –, folgt eine zweite mit starker Bewaffnung. Sie stellt der Erde ein Ultimatum, Joe und die erste Gruppe freizugeben. Wird dieses Ultimatum abgelehnt…« Er schwieg bedeutungsvoll. Brenner fragte ungeduldig: »Ja, was dann?« Serkennen seufzte.
»Wird das Ultimatum abgelehnt oder nicht beachtet, wird die zweite Gruppe eine eindrucksvolle Demonstration unserer Macht vorführen. Ich hatte Zeit genug, an einiges zu denken. Jedenfalls garantiere ich dafür, daß man danach innerhalb von einer Stunde Joe und die Gruppe auf freien Fuß setzt.« »Wer wird die Gruppen führen?« fragte Snider. »Sie nicht«, entgegnete Serkennen lächelnd. »Sie sind der Kommandant auf Alpha Centauri und später des Schiffes. Ich dachte an diesen Miller, der den ausgezeichneten Vorschlag machte. Er soll die erste Gruppe führen. Brenner wird zusammen mit Sniper das Ultimatum stellen und die Machtdemonstration durchführen, falls es notwendig sein sollte. Ich hoffe jedoch, daß bereits Joe Afrikaner sein Ziel erreicht und den Heimkehrwilligen die Landeerlaubnis erwirkt. Mehr wollen wir ja nicht.« Barden sog an seiner Zigarre. »Und die anderen?« machte er neugierig. »Warten wir ab, was wir auf Alpha Centauri vorfinden«, tröstete ihn Serkennen. »Wer weiß, vielleicht wird man sich dort freuen, wenn sie die Ergebnisse unserer Arbeit auswerten können.« Snider seufzte. »Anderthalb Jahre – das ist noch eine lange Zeit.« Serkennen schüttelte ernst den Kopf. Er lächelte nicht mehr. »Nicht sehr lang. Snider. Hundertundfünfzig Jahre sind viel länger…« Richtung Heimat Fast achtzehn Monate rasten die beiden gigantischen Schiffe durch die Tiefen des Raumes, dann verlangsamten sie ihre Geschwindigkeit. Die Doppelsonne Alpha Centauri war nun be-
reits mit bloßem Auge zu erkennen. Aber als sie näher kamen und die Funkgeräte auf Empfang ließen, erlebten sie eine große Enttäuschung. Die Lautsprecher blieben stumm. Selbst dann, wenn die Kolonie auf AC – wie man Alpha Centauri gern abkürzte – keinen Nachschub von der Erde mehr erhalten hatte, mußte doch eine beachtliche Zivilisation entstanden sein. Vielleicht hatten die Kolonisten sogar die Raumfahrt weiter entwickelt. Sie empfingen keine Funkzeichen. Der Planet kam in Sicht. Sie näherten sich ihm vorsichtig und schickten Funksignale aus. Sie erhielten keine Antwort. Und dann drangen sie in die Atmosphäre des erdgleichen Planeten AC ein. Nach einer Umrandung fanden sie das Landefeld, einstmals von hoffnungsfreudigen Menschen angelegt und Ziel vieler Raumreisen und Auswanderer. Zwei schlanke Schiffe standen dort noch, das sahen sie. Aber sie wirkten schon von weitem tot und verlassen, genauso wie die Stadt. Zwar standen noch die Häuser, aber die Straßen waren leer und ohne Menschen. Eine ungeheuerliche Vermutung bemächtigte sich ihrer. Joe stand neben Snider in der Zentrale. Das Schiff war dicht neben dem Raumer auf der Mitte des Feldes gelandet. Der Antrieb verstummte, und es war still geworden. »Kein Mensch«, sagte er leise. »Aber auch keine Zeichen von Zerstörung. Sie sind einfach ausgestorben.« »Die Verbindung mit der Erde riß ab«, nickte Snider. »Ohne den Nachschub konnten sie nicht existieren. Sie starben.« In der Stimme Joes war Ärger. »Die Erde ist dafür verantwortlich«, stellte er fest. »Sie wird Rechenschaft dafür ablegen müssen. Aber es fehlen die Schiffe. Vielleicht kehrten die Siedler auch zurück, als sie sich verlas-
sen fühlten. Wir werden es bald erfahren.« »Oder auch nicht. Schicken wir einen Erkundungstrupp aus?« »Natürlich. Wir wollen wissen, was geschehen ist.« Aber sie fanden es nicht heraus. Alles war so, als hätten die Bewohner die Stadt vor einigen Jahren freiwillig verlassen. Nicht einmal Leichen wurden gefunden, also war es auch keine Krankheit gewesen, die jene Siedler dahingerafft hatte. Freiwillig mußten sie AC verlassen haben. Der Zeitpunkt ließ sich nicht bestimmen. Die einzelnen Erkundungstrupps kehrten nach einigen Stunden ohne Ergebnis zurück. Sie waren niedergeschlagen, denn die stille Hoffnung, Bundesgenossen gegen die überängstliche Erdregierung zu finden, hatte sich nicht bewahrheitet. Sie waren allein. * Das Mutterschiff stand startklar. Joe hatte sich die Leute selbst ausgesucht, die ihn begleiteten. Miller führte Trupp I, der sieben Mann stark war. Snider und Brenner teilten sich das Kommando des Trupps II, der aus fünfzehn Leuten mit ultimater Bewaffnung bestand. Außerdem stand ihnen der Lähmwellenerzeuger Serkennens zur Verfügung, den dieser in das Mutterschiff eingebaut hatte. Mit dreiundzwanzig Mann startete das Spähschiff. Der Raumer mit den übrigen Expeditionsteilnehmern und Serkennen blieb zurück. Erneut beschleunigte man, überschritt die Lichtgeschwindigkeit und raste durch den interstellaren Raum, einem kleinen und gelben Stern entgegen – der Sonne. Woche auf Woche verging, dann war dieser Stern so groß ge-
worden, daß er alle anderen an Helligkeit weit übertraf. Das Schiff verlangsamte seinen Flug und schoß an Pluto vorbei, um erst kurz vor der Bahn des Mars zum Stillstand zu gelangen. Die Funkgeräte lauschten in Richtung Erde, und diesmal warteten sie nicht vergeblich. Die Erde lebte. Niemand hatte es anders erwartet, und doch spürten sie alle die Erleichterung. Die Enttäuschung von AC konnte nicht so schnell vergessen werden. Ja, die Erde lebte, aber es war eine andere Erde. Es war die Erde des Jahres 2453, wie sie bald feststellen mußten. Seit ihrem Start waren 303 Jahre vergangen. Sie selbst waren genau siebzehn Jahre älter geworden. Es war nicht die Erde von einst, die als grünblauer Stern weit vor ihnen im All schwebte. Fast einen Tag lang lauschte Joe aufmerksam den Stimmen aus dem Äther, dann hatte er ein klares Bild von dem, was ihn erwartete. Die Weltregierung hatte sich zur Diktatur aufgeschwungen, weil sie nur mit Notstandsgesetzen Einigkeit unter den Nationen erzielen konnte. An der Spitze stand Ras Garem, der Diktator. Sein Stellvertreter Jorn Namar vertrat eine gemilderte Richtung, aber im Grunde tat er doch, was Ras Garem befahl. Am Ende dieses Tages erreichte das Schiff die Mondbahn und landete in einem Krater, der auf der Rückseite lag. Die zerfallene Kuppel einer ehemaligen Beobachtungsstation bewies eindeutig, daß es auf der Erde keine Raumfahrt mehr gab. Glasige Trichter verrieten, daß schwere, atomare Auseinandersetzungen erst den heutigen Zustand herbeigeführt hatten. Die Vorgänger Garems hatten radikal durchgegriffen. Joe machte sich bereit. Bevor er das kleine Boot in der Ladeluke
des Mutterschiffes betrat, winkte er den Kameraden zu, die sich zum Abschied eingefunden hatten. »Ich werde spätestens in acht Tagen zurück sein, Freunde. Wahrscheinlich eher. Um unseren Friedenswillen zu dokumentieren, besitze ich keinerlei Waffen. Sollte man versuchen, mich festzunehmen, werde ich mich nicht wehren können. Ich erwarte in acht Tagen eure Hilfe. Und – seid dann nicht zu zaghaft. Zeigt ihnen, daß es vor drei Jahrhunderten noch Männer gab.« Er stand in der offenen Luke des kleinen Bootes und winkte ihnen ein letztes Mal zu. Er wußte, daß Miller darauf brannte, ihm nach Ablauf der acht Tage zu folgen. Auf die übrigen konnte er sich genauso verlassen. Ras Garem würde sich wundern. Wer war dieser Ras Garem überhaupt…? * Dort, wo einst die welligen Sanddünen der Sahara weite Landstriche bedeckten und alles Leben erstickten, dehnte sich heute ein flaches Meer mit seichten Ufern. Bis weit in die ehemalige Wüste hinein reichte der fruchtbare Gürtel bewässerten Bodens und gab einem ganzen Kontinent Arbeit und Brot. Die Welthauptstadt lag am Rande dieses Meeres. Afrikopolis! Aus dem Boden geschossen schienen die gewaltigen Hochhäuser, die schnurgerade Alleen säumten und scheinbar bis in die Wolken ragten, denn trotz aller Fruchtbarkeit war das Land rar und deshalb wertvoll. Im Regierungsviertel standen die Hochpaläste der Nationen, und in deren Mitte befand sich der Bau des Weltparlaments. Doch auch diese Bezeichnung war zu einer Farce geworden,
denn der jeweilige Regierungschef besaß unbeschränkte Vollmachten, der sich die Völker der Erde mehr oder minder freiwillig beugten. Einen einzigen Vorteil besaß diese Diktatur zweifellos. Sie machte einen Weltkrieg unmöglich. Es war der Menschheit nicht gelungen, eine andere Form des ewig währenden Friedens zu finden. Alle acht Jahre wählte das Parlament ein neues Oberhaupt. Ras Garem, ein Neger, war bereits seit drei Jahren im Amt. Er leitete die Geschicke einer geeinten Welt. Weißgekleidet saß er in einem wuchtigen Sessel hinter dem noch wuchtigeren Schreibtisch, der mit Nachrichtengeräten bedeckt war. Von hier aus liefen die Verbindungen in alle Welt und zu den einzelnen Regierungschefs. Von hier aus ergingen die Befehle, und hier liefen alle Fäden einer gigantischen, aber doch dekadenten Zivilisation zusammen. Denn die Menschheit war schlaff geworden. Der Grund war einfach. Es gab keine Kriege mehr, also auch keine Weiterentwicklung technischer Waffen. Man hatte die Raumfahrt aufgegeben und somit auch den zivilisatorischen Fortschritt und den Drang des Menschen, Größeres und Neues zu schaffen. Man wollte einfach nichts mehr erfinden. Die reduzierte Menschheit besaß genügend Nahrung, um keine Sorgen zu kennen. Wetterkontrollen sorgten für ein regelmäßiges Klima in allen Breiten. Jeder hatte seine Beschäftigung, und niemand kannte den Konkurrenzkampf. Es war ein Leben, wie es sich der Mensch stets in seinen Wunschträumen vorgestellt hatte, ein Leben ohne Sorgen und Angst. Aber gleichzeitig bedeutete dieses Leben auch Stillstand, ein seichtes Dahinvegetieren. Und Stillstand ist nichts anderes als Rückschritt. Die riesige Gestalt hinter dem Schreibtisch regte sich, als ein Summen ertönte. Auf einer Silberplatte leuchtete ein rotes Licht auf.
Ras bewegte die Hand und legte einen Hebel um. »Was ist?« fragte er und zündete sich mit der anderen Hand eine Zigarette an. »Die Funkzentrale hat eine wichtige Meldung durchzugeben und will den Diktator selbst sprechen.« »Schalten Sie durch.« Zuerst ertönte ein Knacken, dann kam die aufgeregte Stimme eines Mannes: »Diktator, ein Raumschiff umkreist die Erde und ersucht um Landeerlaubnis.« Ras runzelte die Stirn, aber nicht etwa wegen der Anrede, sondern der Nachricht wegen. Sein offizieller Titel lautete für acht Jahre »Diktator«, das war völlig normal. Aber die Meldung… »Ablehnen!« befahl er. »Sie sollen nach dort zurückkehren, woher sie kamen.« Er wollte schon den Hebel wieder umlegen, da sagte der Sprecher der Funkzentrale: »Der Kommandant will den Diktator unbedingt persönlich sprechen. Er behauptet, wichtige Nachrichten zu haben. Er hat sogar gedroht.« »Gedroht? Was soll das heißen?« »Er will die Landung erzwingen, Diktator. Mit allen Mitteln!« Ras überlegte einen Augenblick. Es war in den vergangenen Jahren nicht selten vorgekommen, daß sich Raumschiffe aus dem All zurückmeldeten. Sie stammten noch aus den Zeiten der Raumfahrt, waren aber durch die Zeitdilatation zu »Versprengten« geworden, die nicht mehr in die neue Gegenwart zurückfanden. Die Landung war ihnen verwehrt worden. Landeten sie trotzdem, nahm man sie gefangen und isolierte sie. Das war Gesetz.
»Na gut, stellen Sie die Verbindung her.« Er wartete ungeduldig, bis das Summen in den Lautsprechern sich verstärkte. Und dann begann die Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die durch drei Jahrhunderte getrennt waren. »Ras Garem? Hören Sie mich?« »Ich höre. Was wünschen Sie?« Eine winzige Pause, dann: »Landeerlaubnis!« »Das ist unmöglich. Ich kann nicht gegen ein Gesetz verstoßen, das seit dreihundert Jahren besteht.« »Sind Sie der Diktator der Erde – oder nicht? Sind nicht Sie das Gesetz? Wenn ja, dann ändern Sie es. Ich bin weder krank, noch habe ich es mit einer Seuche zu tun gehabt.« »Es verstößt gegen unser Prinzip, eine Ausnahme zu machen. Niemand durfte landen, der aus dem Weltraum kam.« »Das ist unmenschlich. Es war die Erde, für die wir einst hinausgingen. Nun kehren wir mit den Ergebnissen unserer Arbeit zurück – und man will uns nicht. Sollen wir im All sterben?« »Im System Alpha Centauri gibt es einen Planeten, der von uns besiedelt wurde. Dort wird euch niemand die Landung verwehren.« »Stimmt genau, Ras Garem. Denn dort lebt niemand mehr. Die Kolonie existiert nicht.« »Dann bauen Sie eben eine neue auf.« »Helfen Sie uns dabei?« »Wir haben keine Raumschiffe, und Sie dürfen nicht landen. Wie sollten wir Ihnen helfen können?« Der Diktator holte tief Luft. »Wer sind Sie überhaupt?« »Der Leiter der Raumexpedition Dr. Silvers, die im Jahre 2150 aufbrach. Sechzig Mann Besatzung. Wir sind siebzehn
Jahre Schiffzeit unterwegs. Die Hälfte unserer Leute will unbedingt zur Erde zurück, um eine neue Heimat zu finden.« Das Gesicht des Diktators verhärtete sich. Joe konnte das nur an seiner Stimme bemerken. »Landeerlaubnis abgelehnt. Wenn Sie trotzdem landen, sind Sie für die Folgen allein verantwortlich. Niemand verwehrt Ihnen, um die Erde zu kreisen, so lange Sie das wollen. Aber kommen Sie nicht tiefer als fünfzig Kilometer. So hoch fliegen unsere Jäger, und so weit reichen unsere Geschosse. Was jenseits der Fünfzig-Kilometer-Grenze liegt, interessiert uns nicht. Haben Sie verstanden?« »Wir sind siebzehn Jahre unterwegs, und niemand von uns starb. Nur Silver erlag einem tragischen Unfall. Genügt Ihnen das nicht als Beweis, daß wir keine Seuchen einschleppen können? Wir haben es absichtlich vermieden, der Venus zu nahe zu kommen.« »Ich sagte schon einmal, daß ich nicht gewillt bin, eine Ausnahme zu machen. Kehren Sie um!« »Wohin?« Ras Garem zuckte die Achseln. »Was weiß ich? Wir wollen Sie jedenfalls nicht.« »Dann werden wir Sie überzeugen, Ras Garem, daß wir unseren Willen durchsetzen können. Ich werde zuerst allein landen, um mit Ihnen zu sprechen. Ich komme waffenlos.« »Gut für Sie, denn dann wird man Sie nicht töten, sondern nur einsperren. Ich glaube kaum, daß wir uns sehen werden, denn die Isolierstationen sind wirklich isoliert.« »Verstehen Sie doch, Garem! Seien Sie ausnahmsweise einmal ein Mensch, kein Diktator. Können Sie nicht begreifen, wie einem Menschen zumute ist, der nach fast zwei Jahrzehnten seine Heimat wiedersieht – und sie nicht betreten darf? Er steht vor dem letzten Schlagbaum, aber die eigenen Zöllner
lassen ihn nicht durch. Dieser Mensch kann wahnsinnig werden. Und Gnade Ihnen Gott, Ras Garem, wenn einige unserer Leute wahnsinnig werden und Amok laufen. Wir besitzen furchtbare Waffen.« »Die Drohung zieht nicht bei mir. Wie heißen Sie? Sie haben mir Ihren Namen immer noch nicht genannt.« »Joe Afrikaner. Ich komme allein; aber auf dem Mond wartet unser Schiff. Es wird mir zu Hilfe eilen, wenn es notwendig sein sollte. Unser Gespräch wird mitgehört, falls es über Funk geht.« Ras Garem räusperte sich. »Ich habe wichtige Dinge zu tun, Afrikaner. Sie stehlen mir meine Zeit. Sie wissen, was Sie zu tun haben, darum sind weitere Worte zwecklos. Landen Sie nicht. Wir sind gewarnt, und die Weltpolizei hat ihre Instruktionen. Es ist ihre Aufgabe, die Menschheit vor weiteren Katastrophen zu schützen, die aus dem Weltall zur Erde gelangen könnten.« »Sie sind rückständig!« schrie Joe unbeherrscht. »Sie sind rückständiger, als es noch meine Vorfahren waren, die jeden Gedanken an die Raumfahrt für ein Hirngespinst hielten. Damals gab es die technischen Voraussetzungen nicht, darum konnte man diesen Leuten verzeihen. Sie aber…« »Genug jetzt!« unterbrach ihn Ras Garem. »Ich habe Sie gewarnt!« Er legte den Hebel um. »Zentrale! Verbinden Sie mich mit Jorn Namar.« Das war sein Stellvertreter und gleichzeitig Chef der Weltpolizei. »Namar.« »Hier Garem. Sie wissen Bescheid, nehme ich an. Ein Raumfahrer hat mit der Landung gedroht. Lassen Sie alle Gebiete der Erde alarmieren, da wir nicht wissen, wo er landet. Sofort
festnehmen und nach Universa bringen lassen. Isoliert einsperren. Er hat keine Waffen, also nicht töten. Das ist alles.« Er lehnte sich zurück und legte die erloschene Zigarette in den Becher. Sein Blick war auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, aber er sah sie nicht. Denn seine Gedanken waren bei jenem Mann, der die Erde vor mehr als dreihundert Jahren verlassen hatte und nun zurückgekehrt war. Ein lebendiger Zeuge der Vergangenheit. Vielleicht wäre es doch ganz interessant, mit ihm zu sprechen… * Joe ging tiefer und umkreiste die Erde in knapp hundert Kilometer Höhe mehrmals. Das Radio war eingeschaltet, und so konnte er die Befehle abhören, die Jorn Namar seinen Dienststellen in aller Welt übermittelte. Natürlich hatte er sich selbst seine Lage erschwert, indem er seine Ankunft nicht verheimlichte. Aber das hatte ihm widerstrebt. Er hatte sich selbst von der Unnachgiebigkeit der Behörden überzeugen wollen. Vielleicht konnte eine persönliche Aussprache mit dem Diktator die Einstellung ändern. Vielleicht. Sicher war Joe sich nicht mehr. Amerika, Europa und Asien lagen unter einer Wolkendecke, so daß er keine Einzelheiten erkennen konnte, aber Afrika war frei. Deutlich erkannte er das neue Meer südlich vom Mittelmeer, nur durch eine schmale Landzunge von ihm getrennt, die vom Atlasgebirge bis zum Suezkanal reichte. Dort etwa, wo einmal Agadés gelegen hatte, war nun die Hauptstadt der Welt, Afrikopolis. Hier würde die Bewachung am strengsten sein, vermutete Joe nicht zu Unrecht. Und trotzdem wollte er es hier versu-
chen. Er ging tiefer und erreichte die befohlene Höchstgrenze. Aber noch immer konnte er keine Angreifer entdecken. Er sah weder einen Jäger noch detonierende Flakgeschosse oder gar Raketen. Er wartete, bis es Abend über der Sahara wurde, dann glitt sein Flugboot in geringer Höhe über das Neue Meer dahin, dessen Fläche spiegelglatt und von keinem Windhauch berührt wurde. Knapp fünfzig Kilometer von Afrikopolis entfernt, landete er in einem Palmenwald dicht bei der Küste. Im ersten Augenblick bedauerte er doch, nicht wenigstens einen kleinen Handstrahler mitgenommen zu haben, aber dann zuckte er die Schultern. Was nützte ihm eine solche Waffe gegen eine ganze Welt? Er konnte sie nur mit seiner Friedfertigkeit überzeugen. Aber es kamen ihm ernste Bedenken, ob ihm das auch gelingen würde. Die Luke öffnete sich, und zum erstenmal seit siebzehn Jahren atmete Joe wieder die frische und reine Luft des Heimatplaneten. In tiefen Zügen genoß er dieses Erlebnis und verstand plötzlich die Sehnsüchte seiner Männer, die das Leben in den Schiffen und Kuppeln satt hatten. Dies hier war die Erde, und für sie gab es keinen Ersatz. Wirklich keinen? Er verschloß die Luke so, daß niemand außer ihm sie öffnen konnte. Dann sah er sich um. Nicht weit entfernt glitzerte die Fläche des Meeres im Mondschein, Wie flüssiges Silber lag sie im Dunkel der beginnenden Nacht. Um ihn herum wurde die Dunkelheit durch die Schatten der Palmen noch mehr hervorgehoben. Irgendwo murmelte eine Quelle. Im nahen Gebüsch raschelte ein kleines Tier. Es wäre selbstverständlich bequemer gewesen, gleich mitten in der Stadt zu landen, aber dort wären seine Chancen, bis
zum Diktator zu gelangen, noch geringer gewesen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu Fuß auf den Weg zu machen. Immer an der Küste entlang nach Osten. Verlaufen konnte er sich unmöglich. Von der Luft her hatte er gesehen, daß die Küste nur wenige Buchten besaß. Es gab also keine zeitraubenden Umwege. Wenn er sich morgen am Tage in einem Wald verborgen hielt, konnte er in der nächsten Nacht die Stadt erreichen. Er zog eine Packung Konzentrat aus der Tasche und begann zu essen. Gleichzeitig setzte er sich ostwärts in Bewegung und hielt sich so, daß links das Meer und rechts die Wälder lagen. Im Falle einer Gefahr, so glaubte er, konnte er zwischen den Bäumen Schutz suchen. Aber er hatte die Polizei der neuen Welt unterschätzt. Wenn es auch keine Kriege mehr gab und somit keine Notwendigkeit, neue Waffen zu entwickeln, so genügten die alten immer noch, einen Menschen zielsicher aufzuspüren. Auf den Bildschirmen der Polizeizentrale in Afrikopolis war Joe deutlich zu erkennen, als er durch die einsame Nacht schritt. Kommandos wurden gegeben, schnelle Flugzeuge stiegen auf, und Lastwagen glitten auf glatten Straßen westwärts, dem gelandeten Raumfahrer entgegen. Noch ahnte dieser nichts von der Gefahr, der er entgegenschritt. Über ihm funkelten die bekannten Sterne, wie er sie vor fast zwei Jahrzehnten auch gesehen hatte. Der Alpha Centauri stand dicht am Horizont. Sehr hell leuchtete der Mond. Rechts hörte der Wald auf und machte weiten Feldern Platz. Joe zögerte einen Augenblick. Nun bot sich ihm keine Deckung mehr. Aber vielleicht erreichte er doch bis zum Morgengrauen wieder eine Oase mit Palmen oder gar einen ganzen Wald.
Hoch oben am Himmel war plötzlich ein feines Singen, dann grellte ein Blitz auf. Eine Leuchtrakete senkte sich an einem Fallschirm langsam zur Erde herab und beleuchtete die Szenerie taghell. Joe blieb stehen. Sie suchten ihn, das war klar. Aber – hatten sie ihn auch entdeckt, oder schossen sie die Raketen wahllos ab, um sich auf den Zufall zu verlassen? Die Flugzeuge verschwanden, kehrten aber bald nach einem weiten Bogen zurück. Diesmal waren sie tiefer und machten kein Hehl daraus, daß sie ihr Ziel erreicht hatten. Der Wald lag nun schon einige Kilometer zurück, und es wäre sinnlos, ihn noch erreichen zu wollen. Wenn sie gefunden hatten, was sie suchten, blieb ihm keine andere Wahl, als sich zu stellen. Er schritt weiter, als ginge ihn das alles nichts an. Solange sie nicht landeten, bestand keine direkte Gefahr. Und wenn sie landeten und ihm Leute entgegenschickten, würde er sich gefangennehmen lassen. Es blieb ihm keine andere Wahl. Weit vor ihm tauchten Lichter auf, dann erkannte er die Scheinwerfer von Autos. Dort mußte eine Straße sein. Sie hielten an. Undeutlich hoben sich dunkle Schatten vor den Lichtern ab, näherten sich ihm. Von rechts kamen sie auch. Sie hatten ihn eingekreist. Joe blieb stehen und erwartete sie. Eine neue Leuchtrakete flammte auf, und in ihrem Schein sah er die Waffen in den Händen der Uniformierten. Die Mündungen waren auf ihn gerichtet. »Warum habt ihr Angst vor mir?« fragte Joe, als die Männer herangekommen waren. »Ich habe nicht die Absicht, mich zu wehren.« Ein Offizier trat vor.
»Sie ergeben sich freiwillig?« fragte er, als sei das ein außergewöhnliches Ereignis. »Sind Sie allein? Wo sind Ihre Kameraden?« »Auf dem Mond«, antwortete Joe wahrheitsgemäß. »Ich möchte den Diktator sprechen.« Der Offizier gab seinen Männern einen Wink. Mit flinken Händen wurde Joe durchsucht. »Er hat wirklich keine Waffen«, meldeten sie betroffen. Der Offizier nickte. »Das erspart Ihnen einige Scherereien, Raumfahrer. Kommen Sie mit uns.« »Wohin? Ich will zum Diktator. Ich habe ihm eine Botschaft zu überbringen.« »Der Diktator hat eine weitere Unterredung mit Ihnen abgelehnt. In Universa wird Jorn Namar Sie verhören. Er fällt das endgültige Urteil, was mit Ihnen zu geschehen hat. Wahrscheinlich Isolierhaft.« »Haft? Man will mich einsperren?« »Es ist nicht so schlimm«, tröstete der Offizier beruhigend. »Sie werden dort noch andere Raumfahrer antreffen. Einige sind schon sehr alt geworden.« »Sie mißverstehen die Situation«, begann Joe, wurde aber von dem Offizier unterbrochen: »Sagen Sie das alles Namar. Ich bin nur Captain und habe meine Befehle, die zu befolgen sind. Sie werden nach Universa gebracht. Alles Weitere ergibt sich dort – und nur dort. Kommen Sie mit.« Joe wollte noch etwas sagen, aber dann zuckte er die Achseln und folgte dem Offizier. Die anderen Polizisten schlossen sich ihm an. Sie hielten ihre Waffen gesenkt. Die Flugzeuge brausten ein letztes Mal dicht über sie hinweg, dann verschwanden sie in östlicher Richtung. Joe kletter-
te neben dem Offizier auf das Hinterteil eines Wagens und nahm auf einer Bank Platz. Ihm gegenüber saßen vier Polizisten. Sie gingen kein Risiko ein und legten die Gewehre nicht aus der Hand. Schwerfällig setzten sich die Fahrzeuge in Bewegung und gelangten bald auf die glatte Betonstraße, die nach der Hauptstadt führte. Aber bevor sie Afrikopolis erreichten, bogen sie ab und fuhren nach Süden. Allmählich wurde es heller. Als die Sonne aufging, erkannte Joe, daß sie schon weit von der Küste entfernt sein mußten, denn die fruchtbaren Felder hatten erneut der Wüste Platz gemacht. Wie in alten Zeiten dehnte sich die sandige Fläche bis zum fernen Horizont. Ein absolut sicherer Sperrgürtel für jemand, der fliehen möchte, dachte er unwillkürlich. Er begann zu ahnen, was Universa war und wo es lag. Das Gefängnis für zurückgekehrte Weltraumfahrer. Zwei der Polizisten waren eingeschlafen, aber der Captain hielt es nicht für nötig, sie zu wecken. Er döste selbst und kümmerte sich kaum um seinen Gefangenen. Das gab Joe neue Hoffnung. Vielleicht konnte er, wenn alle Verhandlungen scheiterten, Fliehen. Irgendwie würde er die Wache schon überwinden. Einzelne Oasen tauchten auf und verrieten spärliches Grundwasser. Die Straße war glatt, aber von einer feinen Sandschicht bedeckt. Das gleichmäßige Brummen des Motors schläferte nun auch Joe ein, aber er hielt sich wach. Seiner Schätzung nach mußten sie nun fast zweihundert Kilometer zurückgelegt haben. Das Tempo verlangsamte sich. Joe konnte nicht in Fahrtrichtung sehen, aber er vernahm erregte Stimmen, als der Wagen hielt. Die nachfolgenden Fahrzeuge stoppten ebenfalls. Dann ruckte er wieder an.
Sie fuhren unter einem Schlagbaum her, der sich wieder herabsenkte. Die Begleitfahrzeuge blieben zurück. Inzwischen war der Captain aufgewacht und nahm erneut eine dienstlichere Haltung an. Er stieß die Schläfer mit dem Fuß wach und ermahnte sie zur Wachsamkeit. Joe grinste. Je weiter man sich von Afrikopolis entfernte, desto freier schien sich seine Wachmannschaft zu fühlen und auch zu benehmen. Das konnte nur von Vorteil für ihn sein. Eine elektrisch geladene Mauer umgab das Gelände, auf dessen Grund sich Universa befand. Einzelne Gebäude, von grünen Anlagen eingerahmt, ließen schnell vergessen, daß es sich um ein gewaltiges Gefängnis handelte, in dem sicher viele Menschen für immer verschwanden. Aber dann erkannte Joe, daß dies erst die Verwaltungsgebäude der Wachmannschaften waren. Erneut hielt eine hohe Mauer sie an. Diesmal war die Kontrolle schon schärfer. Der Captain mußte sich identifizieren und seine Befehle vorzeigen. Joe wurde durchleuchtet und nochmals auf Waffen durchsucht. Dann erst konnte der Wagen passieren. Weiter ging es auf glatten Lagerstraßen. Im Zentrum der weiten Fläche stand ein sechseckiges Gebilde aus Stahl und Beton. Es wies weder Fenster noch Türen auf. sondern schien ein massiver Block zu sein, der keinerlei Verbindung mit der Außenwelt hatte. Die glatten Wände reckten sich fast dreißig Meter hoch in den wolkenlosen Himmel, von dem eine heiße Sonne niederbrannte. Der Wagen hielt an. »Wir sind am Ziel«, sagte der Captain und kletterte auf die Erde hinab. »Folgen Sie mir. Wir gehen allein, aber es wird wohl unnötig sein, Sie auf das Zwecklose einer Flucht hinzuweisen. Sie haben ja selbst erlebt, wie isoliert Universa liegt.« Joe stand neben ihm auf dem glühenden Wüstensand.
»Was geschieht nun? Sie wissen, daß ich mich freiwillig gefangennehmen ließ, um jemand der verantwortlichen Leute der Regierung zu sprechen.« »Jorn Namar besucht Universa regelmäßig jede Woche. Er war erst gestern hier. Sie werden sich also noch sechs Tage gedulden müssen.« Joe fühlte, wie alles Blut zu seinem Herzen strömte. In Sieben Tagen – nein, bereits in sechs Tagen – ging die Frist zu Ende, die er seiner Gruppe I gestellt hatte. Auf keinen Fall durfte er so lange warten. Er schüttelte den Kopf. »Ich muß diesen Namar noch heute sprechen, sonst kann das größte Unheil geschehen. Sagen Sie ihm das.« »Er ist in Afrikopolis. Natürlich melde ich ihm persönlich Ihre Verhaftung und werde nicht vergessen, ihm Ihren Wunsch mitzuteilen. Ihr Ton scheint mir dringend genug.« »Danke«, sagte Joe und schritt neben ihm her, auf die glatte Wand des Gefängnisses zu. Er überlegte sich vergeblich, wie man da hineingelangen könne. Aber dann blieb der Captain stehen und hielt Joe am Ärmel fest. »Warten Sie jetzt. Bleiben Sie bewegungslos stehen. Wir werden nun durch Strahlen abgetastet. Wenn unser ›Schattenbild‹ mit dem vorher übersandten identisch ist, wird sich das Tor gleich öffnen. Da, sehen Sie. Schon passiert.« Ein rechteckiges Stück der fugenlosen Wand glitt plötzlich zur Seite und gab einen Eingang frei. Joe sah, daß die Mauer mindestens einen Meter dick war. Als sie im Innern des Gebäudes standen, schloß sich hinter ihnen wieder das Tor, und Joe wußte mit tödlicher Sicherheit, daß es ohne fremde Hilfe keine Flucht aus diesem vollkommenen Asyl mehr gab. Er sah sich aufmerksam um, während sie weiterschritten.
Sie befanden sich in einem kreisförmigen Saal. Ringsum waren etagenweise Gänge, auf die weitere Korridore mündeten. Aufzüge ersparten das Treppensteigen. Der Boden war glatt und mit Kunstbelag überzogen. Alles blitzte vor Sauberkeit. Überhaupt machte alles einen sehr sterilen Eindruck. Der Captain blieb plötzlich stehen. »Von nun an werden Sie allein gehen. Die Strahlenrobots haben Sie registriert und alle Einzelheiten festgestellt. Man wird sich um Sie kümmern. Ich fliege nach Afrikopolis, um dem Diktator Bericht zu erstatten.« Joe konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Sie wollen mich allein zurücklassen? Was soll ich hier?« »Das werden Sie schon sehen. Man wird Ihnen einen Raum geben, der Ihnen gehört. Wenn es sein muß, bis zu Ihrem Lebensende. In Universa leben nur zurückgekehrte Raumfahrer.« Joe sah sich suchend um. »Und wo sind sie?« Der Captain wandte sich schon zum Gehen. »Man wird Ihnen auch das erklären. Sie müssen isoliert werden, darum werden Sie nur von Maschinen bewacht. Kein Mensch darf mehr mit Ihnen in Berührung kommen, auch wenn Sie gesund sind. Ich selbst muß mich einer Untersuchung unterziehen, bevor ich Universa verlassen darf. Leben Sie wohl.« Er schritt davon. Joe sah ihm so lange nach, bis er durch das sich geheimnisvoll öffnende Tor verschwunden war, dann erst kehrte das Leben in ihn zurück. Mit wenigen Sätzen eilte er dem verschwundenen Offizier nach, aber als er vor der glatten Wand stand, hielt er verwirrt an. Kein Tor öffnete sich. Er konnte es nicht einmal mehr finden. Nur glatte und fugenlose Mauern umgaben ihn, und hoch über ihm schloß eine ebenso glatte Decke den Saal von der Außenwelt ab. Drüben rührte sich was. Joe schnellte herum.
Aber es war nur ein alter Mann, der ihm entgegenschritt. Joe wartete, bis der Fremde herangekommen war, dann fragte er: »Wer bist du?« »Ein Gefangener wie du, mein Freund. Ich sehe, es sind noch nicht alle zurückgekehrt. Immer wieder versuchen sie es, auf der Erde ihre alte Heimat wiederzufinden. Es ist vergeblich. Darf ich dir deine zukünftige Wohnung zeigen?« »Ich will wissen, wer du bist.« Der Alte schien sich über den ungehaltenen Ton nicht zu wundern. Sicher war er ihn gewohnt. »Ich bin der Verwalter. Jedenfalls empfange ich die Neuankömmlinge und weise ihnen ein Quartier zu. Es lebt jeder für sich allein, und nur einmal in der Woche treffen wir uns alle beim Gottesdienst.« »Ich bin noch nicht verhört worden. Vielleicht werde ich entlassen.« Der Alte lächelte milde. »Es ist niemals jemand verhört worden, der hier erst einmal anlangte. Die Ankunft bedeutet soviel wie eine Verurteilung. Du kannst von Glück reden, daß sie dich nicht gleich töteten.« Joe ahnte, daß der Offizier ihn belogen hatte, weil die Situation ihm selbst peinlich war. Eine barmherzige Lüge, sicher, aber immer noch eine Lüge. »Und dieser Namar kommt nicht alle Woche hierher, um die Gefangenen zu verhören?« »Nein. In wichtigen Fällen und bei Auskünften besteht eine Fernsehverbindung. Vielleicht wird er mit dir reden wollen. Aber das kann an deiner Lage auch nichts mehr ändern.« Joe schwieg verbissen und stellte keine Fragen mehr. Er begann zu ahnen, daß er ausgeschaltet war, die nächste Entscheidung nur durch Landung von Gruppe I fallen konnte. Und
wenn nicht, dann eben durch Gruppe II mit dem Raumschiff. Aber dann würde es keine friedliche Entscheidung mehr sein. Wortlos folgte er dem Alten, der mit ihm zur dritten Etage emporfuhr, ihn über endlose Korridore führte und schließlich vor einer der zahlreichen Türen haltmachte. Er sah nicht, auf welche Weise der Verwalter die Tür öffnete, aber sie glitt plötzlich auf. Dahinter lag ein großer Raum mit blanken, verchromten Möbeln. Ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch standen neben einem Schrank. In der Wand eingelassen war ein kleiner Bildschirm. Eine weitere Tür führte in ein Bad. Dahinter lag, soviel konnte Joe erkennen, ein kleiner Garten mit grünen Pflanzen. Künstliches Sonnenlicht drang aus der Decke. »Du wirst dich hier wohl fühlen. Man hat uns zwar zur lebenslänglichen Haft verurteilt, aber man tut es nicht aus Bosheit. Nur aus Angst. Das muß man ihnen zugute halten.« Joe nickte stumm. Langsam trat er über die Schwelle und blieb stehen. »Das Essen wird dir gebracht, wenn die Zeit da ist«, sagte der Alte gütig. »Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern. In der ersten Woche bleibt deine Tür verschlossen, damit du dich eingewöhnen kannst. Später steht es dir frei, die anderen zu besuchen.« Die Tür schloß sich geräuschlos. Joe war allein. Und er wußte plötzlich, daß er noch nie in seinem Leben so allein gewesen war wie jetzt in diesem Augenblick. Selbst nicht auf dem einsamsten Asteroiden im Raum. * Am dritten Tage seiner Haft, als er alle Hoffnung bereits auf-
gegeben hatte, flammte plötzlich der kleine Bildschirm in seiner Zimmerwand auf. Das Gesicht eines Mannes erschien und studierte ihn gewissenhaft. Es war klar ersichtlich, daß dieser Mann ihn nun sehen konnte. Vielleicht hatte man ihn die ganze Zeit beobachtet. »Sie sind Joe Afrikaner?« fragte der Fremde, um gleich fortzufahren: »Ich bin Jorn Namar, der Stellvertreter des Diktators und Oberbefehlshaber der Weltpolizei, in deren Gewahrsam Sie sich befinden. Sie wünschten mich zu sprechen?« Das kam alles viel zu überraschend, dachte Joe verzweifelt. Zwar hatte er tagelang überlegt, was er den Verantwortlichen dieser Welt zu sagen hatte, aber nun, da der Augenblick da war, wußte er nicht sofort, wo er beginnen sollte. »Sie müssen mich sofort freilassen, damit ich Verbindung zu meinen Leuten auf dem Mond aufnehmen kann«, antwortete er hastig. »In drei Tagen läuft das Ultimatum ab, das ich Ihnen noch nicht einmal stellen konnte.« »Ultimatum?« lächelte Namar. »Ein Gefangener stellt ein Ultimatum? Das ist belustigend.« »Dann nicht mehr«, entgegnete Joe ernst. »Ich bin nur das Vorkommando unserer zurückgekehrten Expedition. Ich kam waffenlos. Die nächste Gruppe wird bewaffnet landen. Es kann zu schweren Kämpfen zwischen ihnen und Ihren Polizeitruppen kommen. Meine Leute wollen mich befreien.« »Woher wissen Ihre Kameraden denn, daß Sie Gefangener sind?« »Wir machten eine Frist aus. Ich habe keine Verbindung mit ihnen aufgenommen, also wird man annehmen müssen, daß ich gefangen oder gar tot bin. Sie gaben weder mir noch meinen Leuten eine Chance.« »Was sollte sie Ihnen nützen? Eine Landung auf der Erde ist ausgeschlossen, es sei denn, es entschließen sich alle, freiwillig
nach Universa zu gehen.« »Universa ist trotz allem ein Gefängnis. Wir haben siebzehn Jahre in Raumschiffen und Kuppeln zugebracht und sehnen uns nach frischer Luft und einem richtigen Himmel mit unserer Sonne. Das verweigern Sie uns. Und warum? Wegen einer Seuche, die vor fast drei Jahrhunderten von der Venus eingeschleppt wurde, die wir nicht einmal aus der Nähe sahen. Ihre Gesetze sind veraltet und müssen revidiert werden.« »Wir sind nur vorsichtig, Afrikaner. Ich weiß, daß Sie gesund sind und keine Krankheitskeime in sich tragen, aber es darf keine Ausnahme geben. Wenn wir Sie freilassen, wird Ihre gesamte Mannschaft mit Recht eine Heimkehrbewilligung fordern. Einer von ihnen kann krank sein.« »Dann lassen Sie mich wenigstens mit meinen Leuten reden. Vielleicht kann ich sie zur Umkehr bewegen.« Namar schüttelte den Kopf. »Niemand, der Universa einmal betreten hat, darf es je wieder verlassen.« »Auch so ein Gesetzesfossil, nehme ich an. Aber Ihr Captain, der mich brachte… was ist mit ihm? Er verließ Universa wieder.« »Sollte er Keime in sich tragen, so hatten diese keine Zeit, sich in seinem Körper festzusetzen. Er wurde desinfiziert.« Schon wollte Joe antworten, da blieb ihm das Wort im Halse stecken. Er sah etwas, das er seit siebzehn Jahren nicht gesehen hatte. Namar hatte den Kopf gewendet und rückte ein wenig zur Seite, als wolle er jemand Platz machen. Und dann erschien ein zweites Gesicht auf dem Bildschirm. Eine Frau – nein, ein junges Mädchen. Blonde Haare umrahmten ein liebliches Gesicht, in dem zwei blaue Augen über einer kleinen, frechen Stupsnase standen.
Die geschwungenen Lippen waren von einem natürlichen Rot, das ihn verführerisch anleuchtete. Der schmale Hals verriet einen schlanken Körper, aber den vermochte Joe nicht mehr zu sehen. Aber wahrscheinlich hätte er auch nicht auf ihn geachtet, denn das Gesicht faszinierte ihn derart, daß er sprachlos und stumm in die forschenden Augen des Mädchens blickt. Mein Gott, dachte er verwirrt, wie schön ein Mädchen sein kann! Oder waren es nur die siebzehn Jahre, die ihn so empfinden ließen? Nein, sie war wirklich schön und liebreizend, so voll natürlicher Frische und Unschuld, daß Joe spürte, wie sein Herz wild zu schlagen begann. »Ist das ein Raumfahrer?« fragte sie jetzt und meinte offensichtlich Namar. Der Stellvertreter des Diktators nickte. »Ja, mein Kind, das ist ein Raumfahrer.« »Er ist aber sehr hübsch«, stellte sie naiv fest und wurde nicht einmal rot dabei. »Viel hübscher als unsere Offiziere. Ich möchte ihn mal in Wirklichkeit sehen.« »Leider ist das unmöglich, Iren. Niemand darf zu ihnen. Aber ich habe dir wenigstens erlaubt, ihn über den Bildschirm zu betrachten. Und nun gehe wieder an deine Arbeit. Ich habe auch noch zu tun.« Das Mädchen sah nun Joe wieder an, in dessen Gehirn die Gedanken rasten. Eine unerträgliche Sehnsucht, das Mädchen in den Arm zu nehmen, raubte ihm fast die Besinnung. Es war die Sehnsucht zweier Jahrzehnte, die sich unbewußt in ihm angesammelt hatte. Vielleicht war es die gleiche Sehnsucht, die viele seiner Männer dazu zwang, alle Gefahren auf sich zu nehmen. Er wußte, daß auch er darum kämpfen würde, in Freiheit auf der Erde leben zu dürfen. Und sei es nur wegen dieses Mädchens. Sie war die Tochter Namars, soweit kannte er sie nun. Vielleicht arbeitete sie bei ihm als seine Sekretärin.
Unwillkürlich sprudelte er hervor: »Iren, willst du mir nicht helfen? Die alten Gesetze binden deinem Vater die Hände. Iren, ich möchte dich sehen. Du bist sehr schön.« Plumper hätte er es wohl nicht sagen können, aber Iren mußte wohl fühlen, wie ihm zumute war. In ihre Augen trat ein merkwürdiger Schimmer, als sie nickte und sich dann an ihren Vater wandte: »Kannst du ihm nicht helfen? Warum hat man ihn gefangengenommen und eingesperrt? Was hat er verbrochen?« »Er hat nichts verbrochen, aber er muß sein Leben hinter den Mauern des Wüstengefängnisses verbringen. Er ist ein Raumfahrer.« »Und nur deswegen? Du mußt mir alles über ihn erzählen, denn ich will ihm helfen. Nicht wahr, du versprichst mir das?« Er nickte ihr zu und schob sie dann sanft beiseite. Sein Gesicht war ernst, als er zu Joe sagte: »Da haben Sie etwas Schönes angerichtet, Afrikaner. Meiner Tochter den Kopf zu verdrehen! Wie konnten Sie so etwas tun?« »Ihre Tochter ist sehr hübsch. Ich glaube, ich werde Sie eines Tages um ihre Hand bitten.« »Sie sind verrückt geworden!« grollte Namar und bewegte die rechte Hand. »Ich hätte niemals mit Ihnen reden sollen!« Der Schirm erlosch. Es war, als sei im Zimmer plötzlich das Licht ausgegangen. * Der vierte Tag im Gefängnis und somit der fünfte Tag seines Aufenthaltes auf der Erde, verging ohne Zwischenfall. Ebenso der folgende. Nur noch ein Tag blieb, das Unheil abzuwenden.
Als man ihm mittags das Essen brachte, wandte er sich an den Mann, den er nun schon mehrmals gesehen hatte. »Wenn ich nicht sofort Verbindung mit den Regierungsstellen erhalten kann, geschieht ein Unglück.« Der Mann nickte gleichmütig. »So haben wir alle einmal gesprochen, aber mit der Zeit wird man ruhiger. Unser Schicksal ist unabwendbar. Niemand kümmert sich um uns.« »Gibt es denn keine Möglichkeit, die Behörden zu verständigen? Was ist, wenn jemand stirbt?« »Wir bringen ihn unten in die Halle, vor den Ausgang. Er wird abgeholt.« »Und die Kranken?« »Unser Lazarett kümmert sich darum. Was fragst du? Es ist sinnlos, sich gegen das Schicksal auflehnen zu wollen.« »Wie kommst du nach Universa? Wann ist dein Schiff von der Erde gestartet?« In den Augen des Mannes glomm plötzlich so etwas wie Interesse auf. Er lächelte sogar. »Das muß lange her sein. So um 2175 herum. Wir wollten zum Sirius, aber der Antrieb streikte. Er spielte verrückt. Fast zehn Jahre waren wir unterwegs. Und als wir zurückkehrten – nun, Sie wissen es ja selbst.« »Nichts weiß ich. Wieviel Jahre waren vergangen?« »Fast dreihundert. Unser Schiff landete vor zwanzig Jahren auf der Erde.« »Das ist völlig unmöglich. Sirius ist nur neun Lichtjahre entfernt. Es hätten also im Höchstfall achtzehn Jahre vergehen dürfen.« »Ich sagte Ihnen doch schon, daß etwas mit dem Antrieb nicht klappte. Es war keine gewöhnliche Zeitdilatation, sondern etwas anderes. Auf dem Schiff liefen sogar die Uhren
rückwärts.« Joe wollte etwas sagen, aber dann verstummte er. Was wußte er, welche Streiche die Zeit den Menschen noch gespielt hatte. Im Augenblick hatte er wichtigere Probleme. »Es gibt also keine Möglichkeit, mit dem Diktator zu sprechen?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Drüben haben wir einen Raumfahrer, der es bereits seit mehr als zehn Jahren versucht. Es ist sinnlos.« Joe zuckte die Achseln. »Dann kann ich nichts machen. Ein Fluchtversuch ist ja wohl ebenso zwecklos.« »Völlig«, nickte der andere und schloß die Tür. Joe war wieder allein. Als er sich umdrehte, sah ihm vom Bildschirm das Gesicht eines Mannes entgegen. Es war ein Neger mit ausgeprägten und intelligenten Zügen. »Freut mich, Mr. Afrikaner, daß Sie die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Ich liebe energiegeladene Menschen. Mein Name ist Ras Garem.« Joe benötigte fast eine volle Minute, sich von seiner Überraschung zu erholen. Dann sagte er bitter: »Lassen Sie Ihre Gefangenen ständig bewachen?« »Nein, es ist reiner Zufall, daß ich Ihrer Unterhaltung lauschte. Essen Sie in aller Ruhe, dabei läßt es sich am besten unterhalten. Ja, setzen Sie sich dorthin, dann kann ich Sie sehen. Namar erzählte mir von Ihnen. Sie scheinen ein außergewöhnlicher Fall zu sein.« »Alles hier ist außergewöhnlich«, bemerkte Joe sarkastisch. »Ich würde mich, glaube ich, in dieser veränderten Welt nicht mehr zurechtfinden können.« »Das ist einer der Gründe, warum wir Sie isolierten. Nie-
mand kann einen Zeitsprung von 300 Jahren machen, ohne damit eine natürliche Entwicklung schadlos zu versäumen. Die Welt hat sich geändert, sehr richtig. Sie ist weder schlechter noch besser geworden, nur anders. Früher galt die Diktatur als die schändlichste aller Regierungsformen, heute ist sie selbstverständlich. Der Mensch fand kein anderes Mittel, den Frieden zu bewahren. Vielleicht kann die Demokratie später wieder eingeführt werden, wenn wir reif dazu sind.« »So reden Sie, der Diktator?« wunderte Joe sich ehrlich. »Natürlich, warum sollte ich nicht? Können Sie sich vorstellen, wie hundert Nationen unter einen Hut zu bringen sind, wenn jede tun und lassen kann, was ihr paßt? Glauben Sie mir, man hat es versucht, aber so was muß kläglich scheitern. Nun tröstet sich jede Nation damit, auch einmal innerhalb eines Jahrtausends an die Macht zu kommen. Sie würde sich bitter rächen, wäre ihr Unrecht geschehen. Und somit ist außer dem Krieg auch das Unrecht ausgemerzt worden. Beginnen Sie zu begreifen?« Joe nickte langsam. »Ich glaube schon. Eine Notlösung.« »Ansichtssache. Aber eine Notlösung, die gut funktioniert. Doch kommen wir zu Namar zurück. Er sagte mir, draußen auf dem Mond warteten Ihre Leute auf Sie. Stimmt das?« »Ja, es stimmt. Und wenn ich mich nicht bis morgen bei ihnen gemeldet habe, werden sie auf der Erde landen. Sie müssen glauben, es sei mir etwas zugestoßen.« »Ich habe mir Ihre Akten angesehen. Sie starteten mit der Expedition des Dr. Silver vor mehr als dreihundert Jahren. Wir haben sehr lange auf Ihre Rückkehr warten müssen.« »Taten Sie das?« »Ja. Ich habe mit dem wissenschaftlichen Rat gesprochen, und wir sind zu dem Ergebnis gelangt, daß unser Gesetz tatsächlich einer Revision bedarf. Die Gefahr einer Verseuchung
besteht nicht mehr, aber trotzdem müssen wir vorsichtig bleiben. Auf keinen Fall darf unter den Völkern der Erde der Gedanke an eine neue Raumfahrt lebendig werden, wenn wir Unruhen vermeiden wollen. Der einfache Mann mag die Schrecken der damaligen Seuche Vergessen haben, die Regierung nicht.« »Was heißt Revision? Sie wollen uns freilassen?« »Vielleicht. Der letzte Entscheid ist noch nicht gefallen.« »Sie sind doch Diktator? Wozu benötigen Sie den Rat anderer?« »Ich bin Diktator, aber kein Wissenschaftler. Man überlegt, ob Ihre Expedition nicht den Anfang eines neuen Zusammenlebens machen soll. Wir wissen, in welcher Zeit Sie lebten und wie groß das Wort Freiheit damals geschrieben wurde. Diese Tatsache ist eine größere Gefahr, als jede Seuche sie darstellen könnte. Ihre Gedanken um die Freiheit des einzelnen Individuums könnten die jetzige Menschheit vergiften und das Staatsgefüge, das wir errichteten, ins Wanken bringen. Darum kann es für Sie keine Freiheit im eigentlichen Sinne geben. Wenigstens vorerst nicht. Aber Sie müssen auch nicht in Universa leben. Wir werden Ihnen eine Insel zur Verfügung stellen. Davon gibt es genügend. Später, in fünfzig Jahren vielleicht, können Sie als vollwertige Nation anerkannt und in das Weltparlament aufgenommen werden, Nun, was halten Sie davon?« »Es wäre immerhin eine Lösung«, blieb Joe vorsichtig. »Sie zeigt mir, daß Sie guten Willen besitzen.« Ras Garem nickte langsam. »Natürlich habe ich den, aber das Schicksal der gesamten Erde ist wichtiger als Ihr Einzelschicksal. Ich kann nur versuchen, es zu erleichtern. Wenn ich auch Diktator bin, so muß ich doch stets so handeln, als müsse ich jederzeit Rechenschaft für meine Entschlüsse ablegen, was ja nach Ablauf meiner Tätigkeit auch zu geschehen hat. Habe ich
gefehlt, muß ich dafür büßen. Ich wäre nicht der erste Diktator, der nach acht Jahren Amtszeit verbannt wurde.« Ganz allmählich begann Joe das System zu begreifen, nach dem die Erde regiert wurde. »Geben Sie mir ein Funkgerät, damit ich meine Freunde unterrichten kann. Ich möchte nicht, daß sie den guten Eindruck zerstören, den ich erwecken möchte. Sie wissen, daß morgen das Ultimatum abläuft.« »Ich weiß. Iren Namar erzählte es mir.« Joe erstarrte. »Wer?« »Die Tochter und Sekretärin meines Stellvertreters. Sie setzt sich sehr für Sie ein. Sie werden Ihr eines Tages danken müssen.« »Wie soll ich das, wenn ich mit Menschen nicht in Berührung kommen darf?« »Es wurde vorgeschlagen, daß jede Frau, die Sie später auf die Insel begleiten will, die Genehmigung dazu erhält, wenn sie sich verpflichtet, nie mehr zurückzukehren. Es könnte doch sein, daß Iren es tut.« Joe war zu ergriffen, um sofort antworten zu können. Dieses junge, hübsche Mädchen, Tochter eines der höchsten Regierungsbeamten, hatte seine Sehnsucht verstanden. Er konnte es nicht fassen. Die Stimme des Diktators unterbrach seine Überlegungen. »Es ist bereits ein Kommando unterwegs, das Sie abholen wird. Befolgen Sie alle Anweisungen. Es ist nur zu Ihrem Besten. Ich erwarte Sie noch heute Abend in der Hauptstadt. Es wird ein Empfang stattfinden, an dem auch die Wissenschaftler teilnehmen. Namar und seine Tochter übrigens auch.« Das Bild erlosch. Doch diesmal war es nicht so, als sei das Licht ausgegangen.
Es blieb hell im Raum. Gefährliche Verwicklungen Am sechsten Tag nach Joe Afrikaners Abflug zur Erde startete auch das große Mutterschiff. Snider hatte sich dem Drängen der Leute nicht länger widersetzen können, als auch Miller, der Leiter der ersten Gruppe, sich auf ihre Seite stellte. »Joe hätte längst etwas von sich hören lassen, wenn alles glatt gegangen wäre. Je eher wir eingreifen – desto besser.« »Es wurde eine Frist von sieben Tagen ausgemacht«, gab Snider zu bedenken. »Zugegeben. Aber vielleicht ist gerade der letzte Tag, den wir zögern, für den Ausgang des Unternehmens entscheidend. Joe ist in Gefahr, das spüre ich, wenn wir auch keine entsprechenden Nachrichten auffangen konnten. Nicht in einer einzigen Meldung wird seine Ankunft auf der Erde auch nur erwähnt. Man schweigt uns einfach tot. Damit dürfte erwiesen sein, daß die Öffentlichkeit nichts von uns erfahren hat. Das wiederum besagt, daß man Joe gefangen oder gar getötet hat. Nein, ich stimme den Leuten zu. Die erste Gruppe muß sofort landen und versuchen, ihn zu retten.« Snider blieb skeptisch, obwohl er sich innerlich den Argumenten Millers anschließen mußte. »Auch Serkennen meinte, ein zu frühes Eingreifen könnte gefährlich werden. Auf die vierundzwanzig Stunden kommt es auch nicht mehr an.« Miller machte ein verlegenes Gesicht. »Es kommt darauf an, Snider. Meine Leute weigern sich, länger zu warten. Sie haben bereits das Beiboot besetzt und drohen, ohne mich zur Erde zu starten, wenn ich dich nicht über-
zeugen kann.« Snider schien ähnliches erwartet zu haben, denn er nickte nur und gab seine Einwilligung in dem Glauben, man wolle mit der Landung auf der Erde so lange warten, bis die Frist verstrichen war. Sehr schnell fiel der Mond hinter dem Mutterschiff zurück, während die Erde größer wurde. Die Raumfahrer standen fast ausnahmslos vor den Sichtschirmen und Luken und nahmen das langentbehrte Bild des Heimatplaneten gierig in sich auf. Miller, der sie sehr gut beobachtete, konnte sogar einige Tränen bei den hartgewordenen Männern entdecken. Und gerade diese heimlichen Tränen waren es, die ihn sehr nachdenklich stimmten. Borgoff neben ihm zeigte auf den grünblauen Globus. »Fast hätte ich nicht geglaubt, die Erde wiederzusehen, aber nun ist es doch wahr geworden. Aber wenn ich ehrlich sein soll – ich kann mich nicht so richtig freuen. Als wir damals starteten, hatte alles einen Sinn, und wir wußten, warum wir die Entbehrungen der Reise und der langen Trennung auf uns nahmen. Jetzt kommt es mir so vor, als hätten wir siebzehn Jahre unseres Lebens umsonst geopfert.« »Wenn wir Joe befreit haben, werde ich ihn bitten, daß er mir das Schiff gibt, ich werde nach TERRA VII zurückkehren und von dort weitersuchen, bis ich einen Planeten entdeckt habe, auf dem man leben kann.« Borgoff sah ihn sinnend an, dann seufzte er. »Du weißt, wie sehr ich die Heimkehr wünschte, aber fast glaube ich, daß ich mit dir ginge. Kann man so schnell seine Meinung ändern?« »Man kann, wenn die Menschen der Heimat sich ändern, und diese nicht mehr das ist, was man sich fast zwei Jahrzehnte unter ihr vorstellte. Sicher, Erde bleibt Erde – sie ist ein wun-
dervoller Planet und der schönste, den wir kennen. Aber dreihundert Jahre sind auf ihr vergangen. Sie ist uns fremd geworden, obwohl wir noch nicht landeten.« »Landen möchte ich auf jeden Fall«, sagte der Russe und sah wieder hinab zur Erde, die nun fast das ganze Blickfeld ausfüllte. »Es könnte ja sein, daß alles nicht so schlimm ist…« »Keine falschen Hoffnungen«, schüttelte Miller den Kopf. »Die Erde wird von einem Diktator beherrscht, dem Präsidenten der Weltregierung. Wir verließen unsere Welt, als sie demokratisch regiert wurde. Es ist unmöglich, daß wir uns nun umstellen.« Miller ahnte nicht, daß er mit seinen Worten genau das aussprach, was Ras Garem als die »Seuche der Weltraumfahrer« bezeichnet hatte. Der freiheitliche Gedanke des Einzelindividuums, der Wunsch nach Unabhängigkeit, der einzelnen Nationen – das waren Dinge, die überwunden waren und die Friedhofsruhe der Erde sicherten. Niemand durfte kommen, um die neue Ordnung mit solchen Ideen zu unterminieren. Sie empfingen zwar Radiosendungen, aber diese waren so nichtssagend und unbedeutend, daß ihnen unmöglich etwas zu entnehmen war. Lediglich eine Meldung besagte, daß zur Stunde in Afrikopolis der Diktator mit seinem wissenschaftlichen Rat eine Konferenz abhielt, bei der wichtige Fragen erörtert werden sollten. »Es wäre ein guter Gedanke«, meinte Miller zu Snider, der in der Zentrale stand, »ausgerechnet in der Hauptstadt zu landen und so zu demonstrieren, daß wir nicht gewillt sind, Joe Afrikaner aufzugeben.« Snider blieb skeptisch. »Wir sollten bis morgen warten.« Einige der Anwesenden warfen sich bezeichnende Blicke zu, dann sagte der Pilot:
»Wir sind der Meinung, daß jede Sekunde Verzögerung einen Prestigeverlust für uns bedeutet. Außerdem halten wir alle die Gelegenheit einer wissenschaftlichen Konferenz für so einmalig günstig, ein Kollegium von Experten anzusprechen, daß wir sie nicht versäumen wollen. Wissenschaftler sollten aufgeschlossen sein und unseren Standpunkt verstehen. Wenigstens sie sollten begreifen, warum wir fast zwei Jahrzehnte im Raum weilten, und sich für die Ergebnisse unserer Arbeit interessieren. Morgen schon könnte es zu spät sein.« Das war ein Argument, dem Snider sich nicht verschließen konnte, außerdem spürte er den Widerstand seiner Leute. Wenn er sich nun weigerte, konnte es zu einer Meuterei kommen. Er nickte also langsam. »Gut, Tom. Die Position ist uns aus den Sendungen bekannt. Veranlasse den Start des Beibootes mit Trupp I. Ich möchte nicht eine Landung des Mutterschiffes riskieren, denn es bietet die einzige Möglichkeit der Verbindung mit Serkennen auf dem Mond. Miller, nimm deine Leute und versuche, zu Ras Garem zu gelangen. Aber keine Gewalt, wenn möglich. Entschlossenheit sollt ihr zeigen, aber keine Gewalt anwenden.« »Wird recht schwer sein«, knurrte Miller und gab Borgoff einen Wink. Der Russe nickte und verschwand. Er wußte, was er zu tun hatte. Jeder der beteiligten Männer erhielt einen schweren Lähmstrahler und eine automatische Pistole alten Stils. Man kannte die Bewaffnung der Weltpolizei nicht, aber in jedem Fall waren die Strahler ausreichend, ganze Kompanien feindlicher Soldaten in Schach zu halten. Snider legte dem Piloten die Hand auf den Rücken. »Bleiben Sie in hundert Kilometer Höhe auf der Kreisbahn. Geschwindigkeit halten. Abschußrohr für das Beiboot klarmachen.«
Miller gab Snider die Hand, nickte den anderen Männern zu und verschwand im Gang, wo Borgoff bereits die Waffen austeilte. Die fünf Auserwählten zeigten grimmige und entschlossene Gesichter, als sie sich in Richtung der Bootsluke in Marsch setzten. Miller wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Zwei Minuten später schob sich vor ihnen die Hülle des Mutterschiffes auseinander. Dann preßte ein kurzer und hoher Andruck die sieben Männer in die Polster, bevor das kleine Boot schwerelos zu fallen begann. Millers Hände glitten über die Kontrollen, das Boot ging auf Kurs und näherte sich mit rasender Geschwindigkeit dem riesigen Ball der Erde. Weit über ihnen wurde das Mutterschiff schnell kleiner und war bald verschwunden. Funkverbindung sollte nur im äußersten Notfall aufgenommen werden, um den irdischen Behörden keine Anhaltspunkte zu vermitteln, wie groß die gegnerische Macht sei. »Dort liegt Amerika«, stellte Borgoff fest, als sie in knapp dreißig Kilometer Höhe über die Oberfläche dahinstrichen. »Von hier aus gesehen hat, sich nicht viel verändert.« »Geologisch sind dreihundert Jahre kaum ein Augenblick«, belehrte ihn Miller. »Was sollte sich schon ändern? Und doch – die Sahara wurde zu einem Meer, von Menschenhand geschaffen. Afrika wird bald in Sicht kommen. Gehen wir tiefer.« Schnell versank der amerikanische Kontinent hinter ihnen, einige Minuten sahen sie nichts als Wasser, dann tauchte vor ihnen ein dunkler Küstenstreifen auf. Afrika! Aber sie überquerten nur einen schmalen Landstreifen, dann kam wieder Wasser. Das Neue Meer. Das Boot drosselte die Geschwindigkeit und ging tiefer. Deutlich erkannten sie die Südküste des Neuen Meeres und benutzten sie als Orientierungsmittel. Die Hauptstadt konnte
nicht mehr weit entfernt sein. Es mußte später Nachmittag Ortszeit sein. In wenigen Stunden würde es bereits zu dunkeln beginnen. Miller sah, daß sie sich der Küste zu sehr genähert hatten und steuerte das Boot nach links. Aber die Küste blieb gleich nahe. Auch sank das Boot, obwohl er es auf gleicher Höhe hielt. Für einige Sekunden saß er reglos in seinem Sessel, dann bediente er erneut die Kontrollen, diesmal schneller und hastiger. Aber wieder reagierte das Boot nicht. Stur, als besäße es einen eigenen Willen, ging es langsam tiefer und näherte sich der Küste. Dort tauchten auch bereits die ersten vereinzelten Häuser der Stadt auf. Ein weites Feld, von flachen Gebäuden umgeben, schien ihr Ziel zu sein. Mit einem Fluch lehnte er sich schließlich zurück. »Ich fürchte, wir haben sie unterschätzt!« »Wie meinst du das?« erkundigte sich Borgoff erstaunt, der von dem Vorfall ebensowenig wie die anderen etwas bemerkt hatte. »Sie haben das Schiff unter Fernkontrolle genommen«, murmelte Miller. »Es gehorcht nicht mehr. Nun müssen wir abwarten, was sie mit uns vorhaben. Norden, versuche Funkverbindung zu bekommen. Sage ihnen, daß wir sowieso landen wollten. Sage ihnen aber auch, daß wir uns jedem Zwang energisch widersetzen werden und uns auf keinen Fall gefangennehmen lassen.« Norden verschwand in der engen Funkkabine. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Soll ich Snider verständigen?« Miller überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das wäre ein Fehler. Damit würden die Leute, die uns nun in der Fernkontrolle haben, darauf aufmerksam gemacht,
daß wir nicht allzu stark sind. Außerdem befürchte ich, daß Snider Schwierigkeiten mit den Männern haben wird. Wir werden schon allein fertig mit den Polizisten eines Diktators.« Norden verschwand endgültig. Das Boot stand nun fast unbeweglich in geringer Höhe über dem Flugplatz, an dessen Rand einige Maschinen zu erkennen waren. Die Sonne war bereits tiefer gesunken und warf lange Schatten. Von den Gebäuden her näherten sich uniformierte Gestalten mit blitzenden Gegenständen unter dem Arm. Sie trugen sie wie Gewehre. »Gleich geht es los«, murmelte Miller, und seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Wenn doch wenigstens Norden käme…« Der Funker kam, als hätte man ihn gerufen. »Keine Verbindung. Sie geben einfach keine Antwort.« Miller nickte. »Na gut, dann werden sie vielleicht eine andere Sprache besser verstehen. Borgoff, du gehst mit den Leuten zum Ausstieg. Sobald wir den Boden berührt haben, öffne ich die Luke. Ihr springt sofort heraus und bezieht Stellung. Wir müssen das Boot nach allen Seiten verteidigen können. Wenn möglich, treiben wir sie zurück und folgen ihnen. Unser Ziel: Afrikopolis und der Regierungspalast, wo die Konferenz stattfindet. Joe wird befreit. Wir treffen uns hier beim Boot wieder. Norden wird sich ein wenig näher mit der Sendestation drüben am Südrand befassen. Ich nehme an, daß sich dort die Fernkontrolle befindet. Er macht sie unschädlich. Dann starten wir und stellen vom Mutterschiff aus unsere Bedingungen.« Borgoff gab keine Antwort mehr. In knappen Anordnungen unterrichtete er die Leute, dann standen sie abwartend vor der noch erschlossenen Luke. Miller sah das Feld auf sich zukommen. Es war weit und glatt, aber nicht sauberer Beton blickte ihm entgegen, sondern
feiner, weißer Sand. Der Trupp der Soldaten oder Polizisten war auseinandergeschwärmt und begann, das Boot einzukreisen, das noch gut zehn Meter über dem Boden schwebte. Es waren über hundert Männer, die sich da in entschlossener Haltung näherten. Ein wahrhaft freundlicher Empfang, dachte Miller grimmig und verlor den letzten Rest seiner Bedenken. Nein, da gab es keine zarte Rücksicht. Außerdem wurden sie ja angegriffen und verteidigten sich nur. Selbst Serkennen würde das später anerkennen. Noch zwei Meter. Der Kreis der Bewaffneten hatte sich nun geschlossen, aber er hielt sich in einiger Entfernung. Ein Meter! Miller öffnete die Schleuse. Die Weltpolizei war nach allen Seiten gute hundert Meter entfernt. Für die Strahler war das zu weit, aber nicht für die Schnellfeuerpistolen, mit denen man die Saurier der Venus erfolgreich bekämpft hatte. Borgoff sprang als erster. Er sackte leicht in die Knie und ließ sich dann zu Boden fallen. Deckung bot das ebene Feld nach keiner Seite, aber ihm war das völlig gleich. Er visierte die Köpfe der Polizisten in Richtung Stadt an und jagte die erste Garbe über sie hinweg. Inzwischen landete das Boot. Dem letzten Mann folgte bereits Miller. Er kam neben Norden zu liegen. »Feuern Sie nur auf die Sendeanlage, damit sie uns das Boot nicht entführen können. Ewig will ich nicht hier bleiben.« Norden ließ ein ganzes Magazin der ungemein schnellen Geschosse aus dem Lauf seiner Waffe. Die Projektile durchdrangen mühelos mehrere Meter Beton. Kleine, schwarze Löcher erschienen in der weißen Wand des Gebäudes, auf dessen Dach die Antennen standen. Aber nun hatten die Polizisten sich von ihrem ersten Schreck erholt. Sie warfen sich zu Boden und schossen zurück.
Dicht vor den Raumfahrern wirbelten Staubfontänen hoch und der Sand spritzte ihnen ins Gesicht. Einer schrie auf, als ein Geschoß seinen Unterarm durchschlug. »Genau zielen!« befahl Miller wütend. »Keine Rücksicht mehr nehmen. Aber nur Lähmstrahler gegen die Polizisten einsetzen.« Nur sieben Männer waren es, die gegen eine Übermacht kämpften. Aber in ihnen steckte nicht nur der Mut der Verzweiflung, sondern auch eine unerhörte Verbitterung und tiefe Enttäuschung. So hatte sich keiner von ihnen den Empfang auf der Erde nach fast zwei Jahrzehnten vorgestellt, nachdem sie damals unter Anteilnahme der ganzen Welt gestartet waren. Sie schossen, was die Waffen hergaben – und das war nicht wenig. Einige der Polizisten sprangen auf und rannten davon. Als niemand auf sie feuerte, machte das Beispiel Schule. Mehr als die Hälfte der tapferen Streitkräfte des Diktators flohen, meist mit der Zurücklassung ihrer Waffen. Der Rest war entweder kampfunfähig, oder hatte einen Rest von Disziplin bewahrt. Norden rief Miller zu: »Decke mich. Ich werde die Kontrollanlage der Fernsteuerung außer Betrieb setzen – wenn sie es ist.« Ehe Miller antworten konnte, sprang Norden auf und raste davon, auf das Funkgebäude zu. Im Laufen schoß er mit Lähmstrahlen auf die wenigen Polizisten, die in seiner Richtung lagen, fand eine breite Bresche und lief an ihnen vorbei. Miller sah ihn eine Minute später in dem flachen Haus verschwinden. Der Rest der Polizisten ergab sich; anscheinend erwarteten sie keine Verstärkung. Sie mußten damit gerechnet haben, daß die paar Leute, die in dem kleinen Boot Platz finden konnten, leicht überwältigt waren. Vielleicht vertrauten sie aber auch der Intelligenz ihres Funkers und hofften, er würde Hilfe her-
beirufen. Der Funker war jedoch schon außer Gefecht gesetzt. Norden war in das Gebäude gestürmt und fand mit erstaunlichem Instinkt gleich die Zentrale der Anlage. Einen Posten am Eingang mußte er unschädlich machen, als dieser sein Gewehr auf ihn anlegte. Weiteren Wachmannschaften begegnete er nicht. Mehrere Räume waren leer, aber am Ende des Ganges stand die Tür offen. Vorsichtig betrat er den halbkreisförmigen Saal, der mit Bildschirmen und technischen Anlagen geradezu überfüllt war. Nur wenige Männer waren anwesend und so beschäftigt, daß sie seinen Eintritt nicht sofort bemerkten. Mit einem Blick erkannte Norden das, was er suchte. Auf einem der Bildschirme zeichnete sich deutlich das Beiboot ab. Er erkannte sogar Miller, der eben seinen Männern das Zeichen zum Angriff gab. Außer dem Leichtverwundeten, der in die offene Luke des Bootes stieg, sprangen alle auf und liefen auf den letzten Sperrgürtel der Polizei zu. Vor dem Bildschirm saß ein Mann, der Nordens Eintritt nicht bemerkt hatte. Er hantierte mit einigen Kontrollen und sprach jetzt in ein Mikrofon. Wahrscheinlich gab er einen Bericht zur Lage. Norden zögerte nicht länger. »Hände hoch!« befahl er kalt. Der Funker hörte mitten im Satz auf zu sprechen und drehte sich langsam um. Die Hand, die eben noch auf den Kontrollen gelegen hatte, kam vor und blieb ruhig auf dem Tisch liegen. »Was wollen Sie?« fragte er, aber dann weiteten sich entsetzt seine Augen. Er mußte Norden an seiner Kombination erkannt haben. »Ihr Widerstand ist sinnlos! Ich habe bereits Verstärkung angefordert. Ergeben Sie sich.« »Das könnte euch so passen«, entgegnete Norden kopfschüt-
telnd. »Wir werden auch mit der Verstärkung fertig, wenn ihr keine Vernunft annehmt. Mit den veralteten Feuerspritzen lockt ihr keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Komisch, dabei seid ihr dreihundert Jahre älter als wir.« Der Funker bewegte sich um eine Kleinigkeit. Seine Hand rückte näher an die offene Lade, deren Inhalt von seinem Körper verdeckt wurde. »Das werden Sie auch kaum begreifen«, lenkte er ab. »Wir haben weder Kriege noch Revolutionen – wozu also Waffen? Die einzigen, die Unruhe stiften können, sind die ab und zu zurückkehrenden Raumfahrer mit ihren Idealen von Freiheit und Würde.« Nordens Zeigefinger spannte sich um den Abzug, bis der Knöchel weiß wurde. »Stehen Sie auf, halten Sie die Hände ruhig.« Der Funker zögerte einen Augenblick, dann befolgte er den Befehl. Er behielt die Hände in Brusthöhe und drehte sich nun vollends um. In seinen Augen war ein Flackern, aber auch ein mühsam versteckter Triumph. Norden hörte hinter sich ein Geräusch, aber ehe er sich umwenden konnte, drückte sich ein harter Gegenstand in seinen Rücken. »Lassen Sie Ihre Waffe fallen – na los!« Norden zögerte keine Sekunde. Polternd krachte die schwere Pistole auf den Plastikboden. Der Funker griff nun seinerseits in die Lade und holte sein Schießeisen daraus hervor, um es in den Gürtel zu schieben. Dann sagte er: »Bringe ihn in die Zelle. Ich werde dem Hauptquartier weiter Bericht erstatten.« Norden drehte sich um und sah in das Gesicht eines massigen Polizisten, der ihm nun auch noch die Strahlenwaffe aus dem Halfter zog. Damit war er wehrlos. Aber er ahnte, daß
sich das Blatt sehr bald wieder wenden würde, denn Miller und seine Leute waren bereits zu hören. »Ich sollte ja lieber gleich mit Ihnen kurzen Prozeß machen«, sagte der Polizist wütend, »aber wir haben den strikten Befehl, euch lebendig zu fangen. Wozu diese Rücksicht, ist mir nicht klar.« »Mir auch nicht«, gab Norden zu und grinste schwach. »Haben Sie vielleicht irgendwelche Sprengmittel vorrätig, mit denen man den Laden hier in die Luft sprengen kann? Es handelt sich doch auch um die Kontrolle der Fernsteuerung, wenn ich nicht irre.« »Sie irren nicht. Aber Sie irren doch, wenn Sie annehmen, Sie kämen noch dazu, Sabotage zu üben. Für Sie gibt es nur noch Universa, und zwar bis zum Ende Ihres Lebens.« »Sehr schmeichelhaft. Was ist Universa, nebenbei bemerkt?« »Das werden Sie noch früh genug feststellen können. Sie werden sich dort wohl fühlen.« »Das glaube ich kaum. Aber nun wird es wohl besser sein, Sie geben mir meinen Strahler wieder, ehe Sie Unsinn damit anstellen. Dort kommen nämlich meine Freunde.« Das Schießen war deutlicher geworden. Am Eingang und Ende des langen Korridoren tauchten die ersten Gestalten auf, aber es waren Polizisten, die Deckung suchten. Immerhin ließ der Massige sich verblüffen. Seine Augen rollten wütend, als er sich umdrehte, um dem vermeintlichen Gegner zu begegnen. Norden, der ja im Augenblick keine Waffe besaß, hielt er für ungefährlich. Er irrte sich. * Zu spät begriff er, daß ein Faustschlag auf das Handgelenk
nicht nur schmerzhaft, sondern sogar fatal wirken kann. Er ließ seine Pistole fallen und umfaßte den angeschlagenen Knöchel mit der unverletzten Hand, während Norden sich gemächlich nach seiner Waffe bückte und dann dem Übertölpelten den Strahler abnahm. Erst als dicht über seinen Kopf hinweg ein Lähmstrahl zischte und weiter vorn einen der Polizisten zu Fall brachte, fiel ihm der Funker wieder ein. Er ließ sich fallen und feuerte den Strahler ab, noch ehe er den Boden berührte. Der Funker stieß einen Schrei aus und sank zu Boden. Während sich draußen im Korridor ein heftiger Kampf zwischen den geflohenen Polizisten und den nachdringenden Leuten Millers entspann, zerstörte Norden gewissenhaft die gesamte Anlage. Mit dem Strahler zerschmolz er Generatoren und Sender, Empfänger und Leitungen. Erst als die Zentrale nur noch ein rauchender Trümmerhaufen war und sämtliche Bildschirme flackernd erloschen, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Geschehnissen draußen auf dem Korridor zu. Das Schießen und Zischen der Strahler war verstummt. Miller betrat mit drei Männern die Funkzentrale. Als er Norden inmitten der zerschmolzenen Metallteile erblickte, hellte sich sein Gesicht auf. »Geschafft!« sagte er anerkennend. »Der letzte Rest ist geflüchtet. Leider haben wir aber auch einen Mann verloren. Antonio hat es erwischt. – Was ist mit dem hier?« Er zeigte auf den massigen Polizisten, der stumm und bleich an der Wand stand, beide Hände über den Kopf erhoben. Norden grinste. »Wollte mich einsperren. Frage ihn, wo die Zelle ist, die er mir zudachte. Vielleicht fühlt er sich dort wohler. Ja, und was
machen wir nun?« »Draußen stehen Fahrzeuge. Eines davon nehmen wir und fahren zur Hauptstadt. Wir wollen dem Diktator doch mal zeigen, daß wir Mumm in den Knochen haben. Außerdem interessieren mich die Wissenschaftler dieses goldenen Zeitalters. Borgoff, kümmere dich um den Wagen. King, der einen Armdurchschuß erwischt hat, bleibt im Schiff. Wir müssen uns den Rückzug freihalten.« »Und mit fünf Mann wollen wir eine Welt erobern?« Miller nickte. »Wenn es sein muß – ja!« Zehn Minuten später verließ der gepanzerte Wagen das Rollfeld und nahm Richtung auf Afrikopolis. Die breite Fahrbahn erlaubte Höchstgeschwindigkeit! Und noch ehe es dunkelte, kamen die ersten Barrikaden in Sicht. Dahinter blitzten die Waffen der Soldaten der Weltpolizei. Miller seufzte. »Ich habe es kommen sehen. Borgoff, langsamer fahren. Norden, die Strahler einsetzen, sobald wir bis auf fünfzig Meter ran sind!« Hundert Meter vor den primitiven Barrikaden fielen die ersten Schüsse. Sie hallten schaurig durch die leere Straße. Die Häuser rechts und links warfen das Echo zurück. Damit war der Kampf eröffnet. * Als Joe Afrikaner in Begleitung mehrerer Polizisten den großen Saal betrat, richteten sich die Blicke aller Versammelten auf ihn. Es mochten etwa hundert Männer sein, die an langen Tischen saßen und ihn anstarrten, als sei er das achte Welt-
wunder. Immerhin, so sagte Joe sich, bin ich dreihundert Jahre älter als sie – ein lebendiger Zeuge ihrer Vergangenheit, die sie mit Gewalt vergessen wollen. Auf dem erhöhten Podium stand ein einzelner Tisch. Hinter ihm saßen zwei Männer. Ras Garem und Jorn Namar. Joe suchte das Mädchen, das er auf dem Bildschirm gesehen hatte, aber er konnte sie nicht sofort entdecken. Erst später erkannte er sie an einem der Tische. Sie saß neben einem jungen Mann, was ihm einem feinen Stich in der Herzgegend versetzte. Die Polizisten brachten ihn bis zu dem Podium und zogen sich dann zurück. Ras Garem betrachtete ihn einige Sekunden, ehe er höflich auf den Stuhl zeigte, der vor dem Tisch wartete. »Setzen Sie sich, Joe Afrikaner. Mein Stellvertreter Jorn Namar bestand darauf, daß Sie sich den Fragen unserer Wissenschaftler aussetzen. Wir haben unser bewährtes System für einmal ausgesetzt, und ich werde mich dem späteren Beschluß der Mehrheit beugen. Es kann, das möchte ich schon jetzt betonen, nur zwei Möglichkeiten geben, die realisiert werden. Eigentlich drei. Entweder bleiben Sie, wo Sie bisher waren: in Ihren Schiffen und im Raum. Oder Sie erhalten die Genehmigung, sich auf einer noch zu bestimmenden Insel anzusiedeln. Und dann gibt es noch Universa, wenn Sie sich trotz Verbotes zu einer Landung entschließen sollten.« Joe hatte sich gesetzt. Er rückte den Stuhl ein wenig seitlich, damit er die versammelten Wissenschaftler sehen konnte. Auf dem Tisch standen Mikrofone. Überall im Saal waren weitere Mikrofone verteilt. An den Ecken hingen Lautsprecher an den Wänden. Eine Fernsehkamera surrte leise. »Unsere Ansichten von Freiheit und Demokratie mögen Ihnen veraltet vorkommen«, begann er zögernd, denn er mußte
erst den Kontakt zu den skeptischen Zuhörern herstellen. »Sie leben in einer Diktatur und kennen es nicht anders. Zu meiner Zeit war die Diktatur ein verhaßtes System absoluter Macht. Es erstreckte sich über ein Land, erfaßte eine einzelne Nation und schloß sie von der übrigen, freien Welt ab. Vielleicht ist das bei Ihrer Diktatur alles anders, denn sie hat nichts, vor dem sie sich verschließen könnte. Die ganze Welt ist zu einem einzigen Staat geworden, und es ist mir klar, daß sich hundert verschiedene Nationen nicht demokratisch im alten Sinne regieren lassen. Das Beispiel der damaligen Vereinten Nationen zeigte uns, wie schwach eine Demokratie sein kann, mag sie ethisch auch noch so erstrebenswert sein. Nun, das alles wissen Sie selbst. Was Sie nicht wissen können, ist, daß auch auf unserem Schiff im gewissen Sinn eine Diktatur herrscht. Sagen wir besser: eine gemäßigte Diktatur, die jedem einzelnen Teilnehmer die Möglichkeit gibt, Verbesserungsvorschläge einzureichen und durchzudrücken. Die Verantwortung jedoch liegt beim Leiter der Expedition. Und da er diese Verantwortung trägt, muß er auch befehlen und bestimmen können. Sie sehen also, daß uns Ihr System nicht fremd ist. Wir wenden es selbst an. Ihre Furcht ist daher unbegründet.« Er machte eine Pause, erwartete aber noch keine Fragen. Darum fuhr er fort: »Es gibt sicherlich Leute unter uns, die sich nicht ohne Widerstand Ihrer Staatsgewalt beugen wollen, aber ich besitze genügend Einfluß, sie zu einer Entscheidung zu zwingen. Entweder kehren sie zur Erde zurück und beugen sich dem System, oder aber sie bleiben im Weltraum. Fast die Hälfte nehme ich an, wird Letzteres vorziehen. Dem Rest aber sollten Sie Asyl auf dem Heimatplaneten gewähren. Mehr habe ich nicht zu sagen. Stellen Sie Ihre Fragen.« Nun hatte er Iren entdeckt. Er nickte ihr zu.
Der junge Mann neben ihr lächelte nachsichtig und legte seine Hand auf ihren Arm. Da sah sie auf und lächelte. Es war Joe, als durchflute ihn ein warmer Strom. Ras Garem sagte: »Sie haben gehört, was Weltraumfahrer Joe Afrikaner zu sagen hatte. Bevor Sie Ihre Fragen stellen oder Ihre Entscheidung fällen, lassen Sie mich noch folgendes betonen: Namar und ich sind zu der Überzeugung gelangt, daß die Methode Universa nicht mehr zeitgemäß ist. Wir stecken den Kopf in den Sand, wenn wir die zurückkehrenden Raumfahrer, die durch das erbarmungslose Naturgesetz den Anschluß an ihre Zeit verloren haben, wie gemeine Verbrecher behandeln. Vielleicht sollten wir alle noch in Universa lebenden Raumfahrer begnadigen und mit Joe Afrikaner auf die Insel schicken. Eine neue Nation wird entstehen. Sie allerdings ohne Prüfung unserer Gemeinschaft einzuverleiben – das schiene mir zu gefährlich. Ideale und freiheitliche Gedanken lassen sich nur mit der Zeit in Gehorsam und Gemeinschaftssinn umwandeln. So, und nun bitte ich Sie, Ihre Fragen an Afrikaner zu richten.« In der mittleren Tischreihe zog ein bärtiger Mann das Mikrofon zu sich heran. »Ich möchte keine Frage stellen, sondern ein für alle Mal klarmachen, daß ich gegen jede Änderung der bestehenden Gesetze bin. Sie haben sich bewährt und funktionieren. Ich erinnere nur an jenen Fall, da einem gefangenen Raumfahrer die Flucht gelang. Er verbarg sich bei einfachen Leuten und wiegelte sie mit seinen Ideen gegen die Regierung auf. Er entfesselte sogar eine Rebellion, die nur mit Mühe niedergeschlagen werden konnte. Wir wollen ein derartiges Ereignis doch nicht durch eigene Unvorsichtigkeit noch einmal heraufbeschwören.« Namar winkte ab.
»Ich möchte Sie bitten, Ihre Einwände bis zur Entscheidung aufzubewahren. Die angesetzte Debatte dient der Klärung aller noch vorhandenen Fragen.« Der Bärtige machte eine wegwerfende Geste und begann ein halblautes Gespräch mit seinen Tischnachbarn. Garem bemerkte das stirnrunzelnd, erhob aber keinen Einspruch. Ein jüngerer Mann erhob sich. »Ich hätte eine Frage, aber sie betrifft nicht den politischen Sektor. Ich bin Astronom, kein Staatsmann. Darf ich Joe Afrikaner fragen, was aus der Kolonie auf Alpha Centauri geworden ist, die den Berichten nach auf dem einzigen Planeten des Doppelsonnensystems gegründet wurde?« Joe nickte. »Sie existiert nicht mehr. Die Bewohner müssen ausgewandert sein, denn wir fanden weder Überlebende noch Tote. Auch standen auf dem Hauptlandefeld nur zwei Raumschiffe, die jedoch nicht mehr flugfähig sein dürften. Wir haben angenommen, daß sie entweder zur Erde zurückkehrten, oder daß sie irgendwo im Raum eine neue Heimat suchten – und vielleicht auch fanden.« »Danke.« Der Astronom wollte sich schon setzen, aber dann sagte er doch noch: »Entgegen der allgemeinen Ansicht bedauere ich es sehr, daß wir uns auf der Erde isolierten und kein galaktisches Reich aufbauten, wie es geplant war. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.« Er setzte sich endgültig. Es folgten weitere Fragen, meist wissenschaftlicher Natur, die Joe geduldig beantwortete. Er bemerkte mit dem sicheren Instinkt der Führernatur, daß sich die Stimmung zu seinen Gunsten wandelte. Sachlich und nüchtern gab er seine Antworten, beschönigte nichts, wenn auf die irdische Vergangenheit die Rede kam und verschwieg nichts, wenn die Fragen die
Forschungsergebnisse der Expedition betrafen. Draußen vor den Fenstern begann es schon zu dunkeln, als man zur Abstimmung schritt. Die Debatte wurde heißer, denn es gab immer noch Gegner des Planes, Universa aufzulösen. Joe konnte sich das nicht erklären, aber er war auch zu müde, nach einer Lösung zu suchen. Schweigend lauschte er den erbitterten Redeschlachten, die ihn in einer Diktatur seltsam anmuteten. Schließlich bat Iren Namar ums Wort. Das junge Mädchen stand zuerst ein wenig verlegen im grellen Scheinwerfer der Fernsehkamera, aber dann wurde sie sicherer. Ihre Worte wurden zu einem Bekenntnis ihrer Seele, und die letzten Sätze ihrer Ansprache wurden mehrmals durch lang anhaltenden Applaus unterbrochen. »Auch eine Diktatur hat menschlich zu sein, will sie den Menschen dienen«, sagte sie endlich und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf Joe. »Dieser Mann dort verließ mit seinen Leuten vor dreihundert Jahren die Erde, um der Menschheit zu nützen. Er kam nicht etwa zurück, weil er Dank erwartete, sondern weil seine Männer ihre Heimat liebten. Sie sehnten sich nach all den Jahren der Einsamkeit nach Menschen – und damit nach uns. Wie bitter wurden sie enttäuscht, als sie draußen in der Ferne erfahren mußten, daß es keine Rückkehr mehr für sie geben sollte. Trotzdem kamen sie. Mit Gewalt wollen sie sich ihre Heimat zurückerobern. Afrikaner aber versucht es ohne Gewalt. Er kam allein und waffenlos zu uns. Wir nahmen ihn gefangen. Trotzdem verlor er seine Hoffnung nicht. Er warnte uns sogar vor der Gefahr. Morgen werden seine Leute landen, um ihrer Forderung mit Gewalt Nachdruck zu verleihen. Sie alle wissen, was das bedeuten würde. Zwar besitzen wir eine Polizeitruppe, aber sie kennt den Krieg nur aus Büchern und vom Unterricht her. Entschlossenen Kämp-
fern gegenüber müssen unsere Leute versagen. Es könnte zu einem furchtbaren Krieg kommen, wenn der Aufstand der Raumfahrer bekannt würde. Gäbe es keine menschlichen Gründe, ich würde allein aus diesen Erwägungen heraus dem Vorschlag meines Vaters zustimmen müssen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.« Die Abstimmung erfolgte öffentlich. Nur etwa zehn Männer widersetzten sich der neuen Ordnung – und sie saßen fast ausnahmslos am Tisch des bärtigen Wissenschaftlers. Ras Garem gab das Ergebnis bekannt und sagte: »Damit ist entschieden, daß die Raumfahrer zur Erde zurückkehren dürfen und eine noch zu bestimmende Insel als neue Heimat erhalten. Nach einer Frist von zwanzig Jahren sind Besuche auf den Festländern erlaubt. Vorher wird die Insel streng isoliert. Wer sie betritt, darf sie vor Ablauf der zwanzig Jahre nicht verlassen. Das gilt auch für Männer oder Frauen, die die Raumfahrer begleiten wollen. Damit ist die Sitzung beendet. Joe Afrikaner wird Gelegenheit erhalten, mit Hilfe unserer Funkstation auf dem Flughafen Verbindung mit seinen Leuten aufzunehmen und sie mit unserem Entschluß vertraut zu machen. Die Entscheidung liegt dann bei ihnen, ob das Projekt verwirklicht wird – oder nicht.« Joe beugte sich über den Tisch zu Jorn Namar. »Ich möchte Ihnen noch für Ihr Entgegenkommen danken. Wie ich von Ras Garem erfuhr, ist Ihre Tochter Iren die treibende Kraft gewesen. Darf ich mit ihr sprechen?« Der stellvertretende Weltpräsident nickte und winkte mit der Hand. Das junge Mädchen erhob sich und schritt herauf zum Podium. Das eng anliegende Kleid hob ihre Figur reizvoll hervor. Die zierlichen Füße steckten in Sandalen. Die Blicke der Männer folgten bewundernd ihren hübschen Beinen, als sie die wenigen Stufen emporstieg. »Vater?« fragte sie.
»Joe Afrikaner möchte dir danken«, sagte Namar lächelnd. »Er weiß schon, wer hinter dieser Aktion steckt.« Joe hatte sich erhoben Er streckte dem jungen Mädchen die Hand entgegen, die es zögernd nahm. »Ich weiß nicht, warum Sie sich so für uns einsetzen, aber welche Gründe Sie auch immer haben mögen, es sind gute und menschliche Beweggründe. Wir werden Sie nicht enttäuschen, Miß Namar. Nur – eine Frage hätte ich: Werden wir uns beide im Leben wiedersehen? Wenn wir auf der Insel sind, gibt es keine Rückkehr. Und zwanzig Jahre sind eine lange Zeit.« Sie errötete, aber dann nahm sie seine Hand und gab den Druck zurück. »Es wird keine zwanzig Jahre dauern, bis wir uns wiedersehen«, sagte sie sicher. »Zwei Jahre noch muß ich bei meinem Vater arbeiten, dann bin ich großjährig. Ich werde Ihnen zur Insel folgen.« Es war Joe, als versänke die Welt um ihn. Er sah nicht mehr das erschrockene Gesicht Namars und das verwunderte Augenblinzeln Garems, er hörte nicht mehr das Raunen, das durch die Reihen der Versammelten lief, er blickte nur noch in das liebliche Gesicht Irens, das dem seinen nun so nahe war. Er sah in ihre wunderschönen Augen und erkannte in ihnen die Liebe und Bewunderung. »Danke«, stammelte er fassungslos. »Danke, Iren. Ich werde auf dich warten.« Irgendwo schrillte eine Glocke und ließ alle Gespräche verstummen. Ras Garem wurde blaß, als er den Hebel eines kleinen Gerätes umlegte, und eine aufgeregte Stimme ertönte, die aus dem Tisch zu dringen schien. »… landete das Boot wie vorgesehen auf dem Flugplatz. Noch bevor es aufsetzte, sprangen sieben Männer heraus und
eröffneten ein mörderisches Feuer auf unsere Truppen. Fast die Hälfte wurde kampfunfähig gemacht. Dann stürmten sie das Verwaltungsgebäude und setzten alle Funkanlagen außer Betrieb. Sie nahmen einen Wagen und befinden sich nun auf dem Wege in die Hauptstadt. Vorsicht! Sie sind stark bewaffnet. Die Polizei ist alarmiert und hat die Zuwege zur Stadt besetzt.« Die Stimme verstummte. Joe wußte, daß nur die halbe Meldung angekommen war, aber er konnte sich den Beginn zusammenreimen. Das Beiboot war tiefer als fünfzig Kilometer gegangen und von der Fernkontrolle erfaßt und gelandet worden. Miller mußte sich angegriffen gefühlt haben und hatte sich seinerseits zum verfrühten Gegenangriff entschlossen. Gegen die schwachen Polizeikräfte bedeutete das keine allzu große Schwierigkeit. Und nun war Miller auf dem Vormarsch. »Ras Garem, das alles ist ein Mißverständnis. Sie sollten erst morgen landen. Ihre Fernkontrolle hat die Aktion verfrüht. Ich muß sofort Verbindung mit meinen Leuten aufnehmen und ihnen erklären…« Aber der Bärtige sah seine Chance nur zu deutlich. Er brüllte in sein Mikrofon: »Da haben wir es mit unserer Gefühlsduselei. Wenn eine Frau im Spiel ist, geht alles schief – besonders in der Politik. Die hat mit Gefühlen nicht das Geringste zu tun. Worauf warten Sie denn noch, Ras Garem? Befehlen Sie Ihrer Polizei, diesen Joe Afrikaner sofort nach Universa zu bringen. Mobilisieren Sie Ihre Truppen, bevor es zu spät ist. Schlagen Sie den beginnenden Aufstand nieder.« Die Wissenschaftler erhoben drohend ihre Fäuste gegen Joe, der hilflos auf dem Podium stand. In seiner Hand lag immer noch die zarte Rechte Irens. Das Mädchen sah ihn fragend und
verzweifelt an. Da gab er sich einen Ruck. »Lassen Sie mich ihnen entgegengehen«, bat er den Diktator. »Sie werden mich nur befreien wollen. Dann kann ich ihnen alles erklären. Aber wenn Sie sich nicht schnell entschließen, kann es zu einer Katastrophe kommen. Sobald das Mutterschiff eingreift…« Garem schüttelte den Kopf und winkte seinen Polizisten. »Sie kehren sofort nach Universa zurück, Afrikaner. Es gibt jetzt für mich keine andere Möglichkeit. Wie Sie sehen, hat sich die Stimmung gegen mich und Sie gewandt. Vielleicht ändert sich die Situation, wenn Ihre Männer sich ergeben.« Er wurde unterbrochen. Erneut schrillte das Alarmzeichen. Die Stimme des Sprechers war womöglich noch aufgeregter als zuvor. »Sie haben den Stadtrand erreicht und die ersten Barrikaden einfach überrannt. Unsere Leute wurden von ihren Strahlern gelähmt und zum größten Teil kampfunfähig gemacht. Die Truppen werden zusammengezogen. Das Oberkommando fragt an, ob Flammenwerfer eingesetzt werden sollen.« »Blödsinn!« schrie der Diktator erbost. »Damit unsere ganze Stadt vernichtet wird. Wie groß ist die Gruppe der Raumfahrer?« »Zwischen vier und fünf Mann.« Ras Garem schnaubte verächtlich. »Und deswegen Flammenwerfer? Die werden wir benötigen, wenn das Mutterschiff eine Landung versucht. Kämpft sie mit den Handwaffen nieder.« Joe erblaßte. Nun stand auch Ras Garem auf der Gegenseite. Im stillen verfluchte er den Eifer seiner Leute und nahm sich vor, Miller bei passender Gelegenheit einige Worte zu sagen. Dann aber wurde ihm klar, daß diese Gelegenheit vielleicht niemals kommen würde.
Die vier Polizisten waren auf das Podium getreten. Iren beugte sich vor und flüsterte: »Ich werde dir helfen – leiste keinen Widerstand.« Dann riß sie sich von ihm los und eilte an ihren Tisch zurück, wo der junge Mann sie hilfreich empfing. Er nahm ihren Arm und führte sie aus dem Saal. Joe sah dem Paar verblüfft nach. Er verstand das nicht. Wenn sie einen Freund hatte, warum interessierte sie sich dann noch für ihn? Aber er hatte keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Harte Fäuste griffen zu und brachten ihn an den Reihen der empörten Wissenschaftler vorbei zum Saalausgang, wo ein gepanzerter Wagen sie erwartete. Noch bevor dieser anfahren konnte, ertönten weit hinter ihnen die ersten Schüsse der vordringenden Raumfahrer, die jeden Widerstand beiseitefegten. Der Kampflärm näherte sich dem Regierungsviertel. Dann raste der Wagen davon, in entgegengesetzter Richtung. Bald wurde die Straße breiter und führte hinaus in die Wüste. Weit vor ihnen in der Nacht lag Universa, das Gefängnis der Raumfahrer. * Miller sah keine Zivilisten. Obwohl sie derartige Vorkommnisse sicherlich nicht gewohnt waren, reagierten sie völlig geschult und diszipliniert. Die Angelegenheiten der Staatspolizei gingen sie nichts an. Außerdem war es wohl bei Schießereien stets das Beste, sich in seinen eigenen vier Wänden aufzuhalten. Die erste Barrikade wurde im Sturm genommen. Bewegungslos lagen einige Gestalten im Dunkel. Der Rest der Polizisten hatte sich in Sicherheit bringen können, und Miller hatte
den Befehl erlassen, niemanden zu lähmen, der floh. In rasender Fahrt erreichten sie den weiten Platz vor dem Regierungspalast. Hier empfing sie ein Kugelhagel, vor dem sie nur schleuniges Deckung suchen retten konnte. Der Wagen mit seiner dicken Panzerung reichte für die Geschosse, aber auch nur dann, wenn man ihn seitlich als Brustwehr benutzte. Die Beine blieben dabei gefährdet. »Man sollte ihn einfach umkippen«, rief Borgoff, der Mann der schnellen Entschlüsse. »Und dann sollen sie nur kommen.« »Wenn sie es nicht von hinten tun, habe ich nichts dagegen«, gab Miller zurück. »Aber wir berauben uns damit selbst der Rückzugsmöglichkeit. Nanu – was ist denn das?« Das Schießen hatte plötzlich aufgehört, dafür flammten an verschiedenen Stellen starke Scheinwerfer auf, die ihnen grell, in die Augen stachen. Sie konnten nichts mehr sehen. Langsam gewöhnten sie sich an das Licht. Sie sahen wieder die steil aufragende Mauer des großen Palastes, in dem die Versammlung der Wissenschaftler stattfinden mußte. Irgendwo knackte ein Lautsprecher, dann sagte eine Stimme: »Wenn Sie sofort zum Flugplatz zurückkehren und Ihr Schiff besteigen, wird Sie niemand daran hindern, die Erde wieder zu verlassen. Geben Sie dagegen Ihren Angriff nicht auf, werden Sie vernichtet. Es bleiben Ihnen zwei Minuten, sich zu entscheiden. Danach werden wir das Feuer eröffnen.« Miller fluchte leise. Borgoff grunzte. Norden hantierte an seiner Waffe und füllte das Magazin nach. »Was tun wir?« fragte Miller. »Sie zum Teufel jagen!« rief Borgoff. »Was bleibt uns denn sonst übrig? Es sei denn, sie rücken Joe heraus.« Damit fiel das Stichwort. Sie waren ja gekommen, Joe zu befreien, Wenn sie nun feige flohen, ließen sie ihn im Stich.
Miller richtete sich ein wenig auf, so daß sein Kopf über die Deckung ragte. So laut er konnte, rief er: »Lassen Sie Joe Afrikaner frei, dann verschwinden wir. Ihre Erde interessiert uns sowieso nicht mehr. Aber wir lassen niemand zurück. Und wehe Ihnen, wenn Afrikaner tot ist.« Es kam keine Antwort. Zwei Minuten später setzte das Gewehrfeuer wieder ein. Miller riß seine Waffe hoch und gab damit das Zeichen. Sie zerschossen die Scheinwerfer, und es war wieder dunkel wie zuvor. »Borgoff, sichere unseren Rücken. Es könnte sein, daß sie uns umzingeln wollen. Sobald der Widerstand nachläßt, stürmen wir den Palast und nehmen die Wissenschaftler gefangen. Es wäre doch gelacht, wenn wir mit denen nicht fertig werden. Joe würde seine helle Freude haben, wenn er uns jetzt sähe.« Damit hatte er leider nicht recht. Auch irrte er sich in einer anderen Hinsicht. Er unterschätzte die Weltpolizei. Als Borgoffs Warnung kam, war es bereits zu spät. Gasschwaden wälzten sich von allen Seiten heran und hüllten sie in wenigen Sekunden ein. Miller spürte den beißenden Geschmack im Hals, dann begannen ihm die Augen zu tränen. Seine Stimme keuchte, als er befahl: »Weg hier! Diese Hunde – Gas! Daran dachte niemand von uns…« Aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Sie knickten ein, als er laufen wollte. Er spürte nicht mehr, wie sein Körper mit hartem Aufschlag den Betonboden berührte. Seinen Leuten erging es nicht anders. Zehn Minuten später flammten neue Scheinwerfer auf. Vom Palast her näherten sich Polizisten, die Waffen schußbereit. Aber ihre Vorsicht war unnötig. Die fünf reglosen Gestalten ließen sich widerstandslos einsammeln und auf einen Wagen laden, der sich bald darauf in Richtung Wüste in Bewegung
setzte. Universa würde bald fünf Neuzugänge registrieren können. Schwierige Befreiung Joe saß in seiner alten Zelle. Wortlos hatte der Alte ihn in Empfang genommen und in das Appartement gebracht, von dem Joe angenommen hatte, er würde es nicht wiedersehen. Fast wäre es ja auch so gekommen, wenn seine eigenen Leute ihm keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätten. So ein verfluchtes Pech! Sein Ärger wäre wesentlich größer gewesen, wenn er gewußt hätte, unter welchen Umständen die Landung erfolgt war. Er war ja immer noch der Meinung, man hätte das Beiboot gewaltsam zur Erde herabgeholt. Er legte sich angezogen auf das Bett und versuchte zu schlafen. Aber immer wieder kreisten seine Gedanken um die schöne Iren, die ihm mit leuchtenden Augen versprochen hatte, sie würde ihm helfen. Hatte sie das ernst gemeint, oder war es nichts als eine Phrase gewesen? Aber nein, sie hatte ihn sogar geduzt. Und der junge Mann in ihrer Begleitung? Er hatte deutlich bemerkt, wie der ihm zugenickt hatte, als er mit Iren den Saal verließ. Wie reimte sich das alles zusammen? Für Miller und seine Leute hegte er keinerlei Hoffnung. Sie würden der Übermacht erliegen müssen, auch wenn sie die besseren Waffen besaßen. Wenn sie wenigstens so schlau wären, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, aber damit war kaum zu rechnen. Miller war ein Draufgänger, und er würde sich nicht die zartesten Gemüter für dieses Unternehmen ausgewählt haben. Endlich schlief er ein. Als er wieder wach wurde, starrte ihn
vom Bildschirm herab Ras Garem an. Er mußte ihn schon längere Zeit beobachtet haben. »Ich wollte Sie nicht wecken«, begann der Diktator und blieb so höflich, wie man es von ihm gewohnt war. »Aber ich wollte auch noch einmal mit Ihnen sprechen.« »Sind meine Leute vernünftig geworden?« fragte Joe. Der Diktator schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nicht. Ihre Gruppe wurde gefangengenommen. Das Schiff, mit dem sie kamen, ist gestartet und in den Raum zurückgekehrt. Ich hoffe, es wird die anderen warnen.« »Wieso konnte es starten? Warum holte Ihre Fernkontrolle es nicht wieder herab? Konnte denn ein Mann fliehen?« »Der Pilot blieb beim Schiff, als die anderen Afrikopolis angriffen. Aber wir hätten in jedem Fall einen mit dem Boot zum Mutterschiff geschickt. Ja, um es kurz zu machen: Unsere Pläne sind somit hinfällig. Die Öffentlichkeit ist über das Verhalten der Raumfahrer empört und hat eine strenge Bestrafung der Schuldigen gefordert. Man sagt, lebenslange Haft sei keine Sicherheit. Selbst dann, wenn Universa eine sichere Festung ist, könnte einer der Raumfahrer wieder einmal in Freiheit gelangen. Davor fürchtet man sich – mit einigem Recht, möchte ich sagen.« »Lassen Sie uns frei. Wir versprechen Ihnen, die Erde für immer zu verlassen und nie mehr zurückzukehren.« »Sie können das nicht versprechen, da einige Ihrer Männer nie mehr in den Raum zurück wollen. Sie haben das selbst gesagt. Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln werden sie darum kämpfen, in unsere Gemeinschaft aufgenommen zu werden.« »Ich glaube«, entgegnete Joe langsam und schüttelte dabei den Kopf, »daß Sie sich hier irren. Niemand innerhalb unserer Expedition wird sich aufdrängen wollen. Wenn die Empörung
über Ihr Verhalten auch noch so groß ist, sie besitzen Stolz. Und gerade dieser Stolz verbietet es uns, um Gnade zu bitten. Wenn wir überhaupt um etwas bitten, dann nur um die Freiheit, in den Weltraum zurückkehren zu dürfen.« »Um dann später mit einer gut ausgerüsteten Invasionsflotte zurückzukehren? Nein, Joe Afrikaner, das Risiko darf und will ich nie eingehen. Der Mensch ist ein Geschöpf, das einen großen Teil seiner Willenskraft aus dem Faktor Rache zieht.« »Sie verkennen uns. Vor dreihundert Jahren lebte eine andere Menschheit als heute. Sicher, wir kannten die Rache, aber wir kannten auch den Stolz und die Freiheit des Einzelnen. Nehmen Sie mich. Ich wollte auch zur Erde zurück, weil sie mein Heimatplanet war und ist. Aber heute lege ich keinen Wert mehr darauf, als Verbannter auf einer Insel leben zu dürfen.« Ras Garem lächelte. »Auch dann nicht, wenn Iren Namar Sie begleiten würde?« Joe schwieg einige Sekunden. Dann sagte er: »Ich werde sie bitten, mit mir zu kommen. Der Weltraum ist groß. Mit unseren Erfahrungen werden wir auf Alpha Centauri eine neue Heimat finden. Der Anfang wurde dort bereits gemacht. Nur fehlte den damaligen Siedlern die Ausdauer, die wir heute als Voraussetzung besitzen. Sie warteten auf die Hilfe der Erde, mit der wir nicht rechnen dürfen. Das ist ein großer Unterschied. Ich bin überzeugt, Iren Namar wird das verstehen.« »Sie sind fast sechzig Männer, wenn ich Sie recht verstanden habe. Was soll eine einzige Frau darunter? Ihre Gemeinschaft würde zerstört.« Da hatte Ras Garem nur allzu recht, sah Joe ein. Aber es würde sich auch hier eine Lösung finden lassen. Die Hauptsache war erst einmal, daß er frei kam und Verbindung zu Serkennen oder wenigstens Snider aufnehmen konnte.
»In wenigen Tagen läuft die zweite Frist ab, Ras Garem. Es wird erneut eine Gruppe von Raumfahrern landen, wenn sie vorher keine Nachricht von mir erhalten.« »Wir wurden mit der ersten fertig…« »Die zweite hat andere Befehle. Sie werden mit einem großen Schiff die Erde umkreisen und Bomben werfen. Schreckliche Bomben, ein Überbleibsel aus vergangener Zeit. Ihre Fernkontrolle kann mit einer dieser Bomben ausgeschaltet werden, Afrikopolis wird nur noch ein rauchender Trümmerhaufen sein, wenn die Verzweifelten handeln. Wollen Sie wirklich Menschen opfern, nur weil Sie einem Versprechen nicht glauben wollen?« Diesmal war es Ras Garem, der lange schwieg. Schließlich seufzte er und sagte: »Sie können nicht abstreiten, daß ich mein Möglichstes getan habe, das Schicksal der zurückkehrenden Raumfahrer zu erleichtern. Auch wenn ich ein Diktator bin, so bin ich selbst von Ihrem Standpunkt aus gesehen nicht schlecht oder gewalttätig, also ethisch abzulehnen. Das haben Sie mir selbst bestätigt.« »Zugegeben«, nickte Joe. »Wenn mein Plan scheiterte, so lag die Ursache dazu bei Ihnen, nicht bei mir. Sie tragen also die Schuld.« »Es war ein Mißverständnis, weil ich keine Verbindung zu meinen Leuten aufnehmen konnte. Vermeiden Sie diesen Fehler doch ein zweites Mal. Ich sagte ja schon, daß weitere Überraschungen bevorstehen.« »Ich werde die Wissenschaftler fragen müssen.« »Sie allein können nicht entscheiden?« »Nein.« Joe zuckte die Achseln. »Dann kann ich nur darum beten, daß Snider nicht auf den Gedanken kommt, auch Universa mit einer Bombe zu belegen,
was ich jedoch kaum annehme. In etlichen Tagen, Ras Garem, wird die Welt erzittern, und niemand kann Sie dann mehr retten. Auch nicht das Wohlwollen Ihrer Wissenschaftler oder die Gunst der Nationen.« Im Gesicht des Diktators zuckte es. »Ich muß es darauf ankommen lassen, Afrikaner. Der Rat der Wissenschaftler bezweifelt ernsthaft, ob Sie überhaupt jene sagenhaften Mittel besitzen, die Erde anzugreifen. Bisher erwiesen sich alle Drohungen zurückkehrender Raumfahrer als Bluff.« »Vergessen Sie nicht, daß niemand einen Doktor Serkennen an Bord hatte außer uns.« »Ein Wundertier?« »Nein, aber der genialste Forscher, den es je gab. Ich möchte ihn nicht für eine Sekunde gegen Ihren gesamten Wissenschaftlichen Rat eintauschen. Er hatte siebzehn Jahre Zeit, über gewisse Probleme nachzudenken. Er fand einiges dabei heraus. Ihm werden wir es auch zu verdanken haben, wenn wir unabhängig von der Erde eine Kolonie im System Alpha Centauri aufbauen können.« »Um dann später über uns herzufallen. Nein, Afrikaner, ich kann Ihnen wirklich nicht helfen. Sie haben dort keine Sorgen, man kümmert sich um Ihr Wohlergehen und Sie haben eine nette Wohnung, Was wollen Sie noch mehr?« »Freiheit!« erwiderte Joe kurz. Ras Garem nickte. »Sehen Sie – das ist die Seuche, vor der wir uns schützen müssen. Und darum bleibt für Sie nur eins: Universa. Dort sind Sie frei. In unserer neuen Welt wären Sie stets ein unzufriedener Außenseiter, der eine Gefahr bedeutete. Schluß jetzt, ich habe wenig Zeit, ich muß die Polizei auf den nächsten Angriff Ihrer Leute vorbereiten, Wenn alles vorbei ist, werde ich
mich wieder melden.« »Wenn Sie es noch können«, sagte Joe zu dem verblassenden Bild. Aber vielleicht hatte der Diktator seine Bemerkung schon nicht mehr gehört. * Zwei Tage später erhielt er überraschenden Besuch. Zur ungewohnten Zeit wurde die Tür seines Zimmer geöffnet, und ein junger Mann trat ein. Joe erkannte ihn sofort. Es war der Wissenschaftler, den er in Begleitung Irene gesehen hatte. Zwei Polizisten begleiteten ihn. In ihren Halftern steckten die schwerkalibrigen Schußwaffen, und ihre grimmigen Gesichter verrieten alles andere als eine freundliche Gesinnung. Auch das Gesicht des junges Mannas war kalt und abweisend. »Wir kommen im Auftrag des Diktators«, begann der Besucher und blieb stehen, ohne auf den freien Stuhl zu achten. »Packen Sie Ihre Sachen zusammen. Wir nehmen sie mit.« Joe zuckte die Achseln. »Ich habe kein Gepäck. Was will Ras Garem von mir?« »Das wird er Ihnen schon früh genug mitteilen. Wenn Sie also fertig sind, gehen wir. Wir haben nicht viel Zeit.« Joe erhob sich langsam von seinem Bett. Er witterte eine unbestimmte Gefahr. Außerdem hatte er gehofft, seine Leute hier in Universa sehen zu können, aber noch war seine Tür verschlossen geblieben. »Was ist mit den Männern, die in Afrikopolis gefangengenommen, wurden?« »Ich habe keine Befehle für sie«, entgegnete der Fremde. »Sie
sind zum Diktator zu bringen, sonst niemand. Sind Sie bereit?« Joe zuckte die Achseln. »Wenn ich es nicht wäre, müßte ich wohl trotzdem folgen, nicht wahr.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Also erhielt er auch keine Antwort. Er empfand den jungen Mann als einen Nebenbuhler, obwohl er zugeben mußte, daß er keinen schlechten Eindruck machte. Sein grimmiges Gesicht wirkte fast geschauspielert. Joe wurde nicht klug aus ihm. Der alte Verwalter öffnete die Tür und ließ sie heraus. Schweigend marschierten sie bis zum Lift, fuhren in die Tiefe und schritten genauso schweigend auf den getarnten Ausgang zu, der sich bei ihrer Annäherung geheimnisvoll öffnete. Dann standen sie auf dem freien Wüstenplatz, der in weiter Ferne von den flachen Gebäuden und der Mauer umgeben war. Wie eine Festung lag Universa hinter ihnen. Fast verspürte Joe so etwas, wie Wehmut, denn die Abgeschiedenheit seiner Zimmer erinnerte ihm an sein Raumschiff. Vor ihm lag eine ungewisse Zukunft. Ein geschlossener Panzerwagen wartete auf sie. Einer der Polizisten kletterte an den Volant, während der andere mit Joe in die Kabine stieg. Der junge Mann verschwand vorn und setzte sich neben den Chauffeur. Ohne Schwierigkeiten passierten sie die Kontrollen. Durch das winzige Fenster konnte Joe die Wüste erkennen, durch die das sandbedeckte Straßenband führte, schnurgerade und scheinbar ziellos. Sie mochten etwa eine Stunde gefahren sein, als der Wagen plötzlich mit einem Ruck anhielt. Joe hörte erregte Stimmen; es waren der Fahrer und der Fremde. Dann stieg jemand aus. Eine Diskussion entspann sich, dazwischen eine Frauenstim-
me. Sie kam Joe bekannt vor, aber die fast schalldichte Kabine konnte auch täuschen. Dann hörte man einen dumpfen Schlag, etwas fiel zu Boden. Stille. Der Polizist neben Joe wurde unruhig. Er öffnete die hintere Tür und streckte den Kopf ins Freie. Von irgendwoher aus dem Nichts kam eine Stange und traf ihn an der Schläfe. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte er aus dem Wagen und blieb bewußtlos im Sand liegen. Da wurde Joe sehr lebendig. Er stieß die Wagentür vollends auf und sprang mit einem Satz auf die Straße hinab. Aber ehe er sich bücken konnte, um dem Bewußtlosen die Waffe abzunehmen, ertönte hinter ihm eine weibliche Stimme: »Das ist unnötig, Joe. Es sind keine Feinde mehr in der Nähe.« Langsam richtete er sich auf und stand Iren gegenüber. »Du?« Der junge Mann legte die Stange beiseite und trat neben Iren. »Es wird Zeit, daß ich mich vorstelle, Joe Afrikaner. Bisher fehlte mir die Gelegenheit dazu. Iren ist meine Schwester; ich heiße Ralf Namar. Physiker – wenigstens nennt man es heute so. Iren hat mich dazu überredet, Sie zu befreien. Ich bewirkte also ein neues Verhör beim Diktator und erhielt den Auftrag, Sie zu holen. Daß uns unterwegs dieser bedauerliche Zwischenfall passierte, war natürlich nicht vorgesehen. Wenigstens nicht vom Diktator.« Joe verstand noch immer nicht alles. »Und was nun? Was soll mit mir geschehen? Sie bringen sich in die größte Gefahr.« »Kaum. Der Transport wurde von unbekannten Tätern überfallen. Sie werden mir gleich einen leichten Schlag mit dieser Stange versetzen, damit eine Patrouille drei kampfunfähige
Männer vorfindet. Sie selbst werden zu Iren in den Wagen steigen und davonfahren. Sie weiß schon, wohin Sie sich zu wenden haben. Also – alles Gute, Joe Afrikaner. Hätte ich meines Vaters wegen keine Sorgen, ich käme mit Ihnen. Nur – tun Sie mir einen Gefallen: Schlagen Sie nicht allzu kräftig zu. Ich bin sehr empfindlich am Kopf und benötige ihn noch.« Er nahm Iren in den Arm und küßte sie. »Alles Gute, Schwester. Ich wünsche dir viel Glück. Vielleicht hast du Gelegenheit, später einmal etwas von dir hören zu lassen.« Er wandte sich an Joe. »Passen Sie gut auf, Joe. Und – machen Sie Iren glücklich. Sie hat es verdient.« Er bückte sich und nahm die Stange auf. Wortlos reichte er sie Joe, der sie unschlüssig in der Hand hielt. Iren wandte sich ab. Joe zögerte fast zehn Sekunden, dann schlug er gedämpft zu. Ralf Namar stürzte in den Sand. Iren ergriff seinen Arm. »Schnell, wir müssen fort von hier. Die Streife kann jeden Augenblick eintreffen. Sie patrouilliert in regelmäßigen Zeitabständen.« »Ich verstehe nicht recht…« »Du wirst noch schnell genug verstehen. Jetzt erst einmal weg. Ich habe eine Panne vorgetäuscht, damit der Fahrer anhielt, um mir zu helfen. Kannst du fahren?« »Tapferes Mädchen – wenn du deine Handlung nur nicht zu bereuen hast.« »Du wirst mich mit dir nehmen, Joe?« »Wohin? In den Weltraum?« Sie nickte stumm. »Natürlich nehme ich dich mit. Aber es wäre besser, wenn auch noch andere Frauen…« »Daran habe ich gedacht, Joe. Es sind etwa dreißig Mädchen, die mit uns gingen – wenn ihr uns wollt. Es war gar nicht
schwer, sie zu finden.« Joe startete den Motor, das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. »Wie hast du das nur geschafft. Und – warum?« Zum erstenmal lächelte sie flüchtig. »Ich liebe dich, Joe Afrikaner. Ich habe dich in der ersten Sekunde geliebt, als ich dich auf dem Bildschirm sah. Kann so etwas Wirklichkeit sein?« Er nickte. »Ich fand es grausam, euch die Rückkehr zur Erde zu verweigern. Ihr hattet ein Recht auf die Heimat, für die ihr zwei Jahrzehnte eures Lebens gabt. Ich liebe dich, darum helfe ich dir. Ich fühle Sympathie für euch alle, darum helfe ich euch.« »Gut, ich bin frei. Aber damit haben wir nicht viel erreicht. Es wird nicht lange dauern, bis man meine Flucht entdeckt. Man wird sich Gedanken machen, wer dahintersteckt.« »Dafür ist ebenfalls gesorgt. Deine fünf Kameraden sind unabhängig von dir geflohen. Man wird glauben, sie hätten auch dich befreit. Ihre Flucht war einfacher, denn sie gelangten nicht bis Universa. Das wurde bis heute geheimgehalten.« »Miller in Freiheit? Wo kann ich ihn finden?« »Nach zwanzig Kilometern zweigt eine Nebenstraße ab. Sie führt zu einer Oase. Dort warten sie auf dich. Auch die Mädchen, die mitkommen wollen.« Er legte den rechten Arm um ihre Schultern. »Wie hast du das alles nur geschafft? Ich kann mir denken, daß es nicht einfach war.« »Mein Name ist bekannt, Joe. Er vermag viel. Achtung, da vorn kommt der Streifenwagen. Hoffentlich hält er uns nicht an. Hier – eine Pistole. Aber nur im Notfall verwenden.« Der Panzerwagen kam näher, verlangsamte sein Tempo, fuhr aber dann weiter. Ein Polizist grüßte flüchtig, dann war die Straße frei. In einer Staubwolke verschwand der Wagen hinter
ihnen. »Jetzt schneller«, befahl Iren. »Wir müssen abzweigen, ehe sie den Ort des Überfalles erreicht haben. Dann finden sie unsere Spur nicht mehr, falls sie einen Verdacht schöpfen sollten.« Es dauerte keine zwanzig Minuten, dann bogen sie ab. Sie fuhren jetzt genau nach Westen, hinein in die Unendlichkeit der Wüste. Die Sonne sank tiefer und näherte sich dem Horizont. Iren saß dicht an ihn geschmiegt, als suche sie Schutz. Es dunkelte bereits, als in der Ferne weit vor ihnen Baumwipfel auftauchten. Einige Häuser gruppierten sich malerisch um Palmen. Ein Brunnen spendete frisches und kühles Wasser. Als Joe anhielt und Iren aus dem Wagen half, verwandelte sich der leere Dorfplatz von einer Sekunde zur anderen. Sie hatten sich alle versteckt gehalten und abgewartet, wer der späte Besucher war. Aber jetzt kamen sie aus den Häusern hervor, allen voran Miller und Borgoff. »He, Joe, alter Knabe! Das Mädchen hat also nicht gelogen. So recht glauben konnten wir ihr nicht; es klang alles wie ein Märchen.« »Hallo, Miller. Alle beisammen?« »Bis auf Antonio. Den hat es bei der Landung erwischt. Aber King konnte mit dem Boot entkommen. Ich fürchte, er wird die Burschen im Mutterschiff schon mobil gemacht haben. Sie werden ebenfalls ihre Frist nicht einhalten und früher landen, so wie wir.« Joe stutzte. »Früher landen? Ihr seid absichtlich früher gelandet?« »Ja, natürlich. Wir dachten, du wärest in Gefahr.« Joe begriff alles. Zuerst wollte er wütend werden, aber dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. Er lachte bitter.
»Ihr kamt im unrechten Augenblick, Miller. Ich hatte gerade die Bedingungen für unsere Heimkehr ausgehandelt, als die Nachricht von eurem Angriff dies verpatzte. Na, nun ist es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Die Chance ist vorbei, und sie kehrt niemals zurück. Wir werden niemals auf der Erde landen dürfen.« »Ja, Iren erzählte es uns. Wir sollten eine Insel erhalten, auf der wir leben durften. Mit Frauen. Aber nun haben wir die ja auch ohne Insel. Sieh selbst…« Einige Fackeln beleuchteten das seltsame Bild. Hinter den fünf Raumfahrern standen an die dreißig, meist junge und hübsche, Mädchen, weißhäutig und schwarz, braun und gelb. Sie entstammten allen Nationen der Erde. In ihren Augen leuchtete die Begeisterung einer neuen Zukunft, und Joe fühlte, daß er vor den Müttern eines neuen Menschengeschlechtes stand, das in einem fremden System eine Zivilisation gründen würde. Aber seine hoffnungsfreudigen Gedanken verschwanden sofort, als er an ein neues Problem dachte. »Wir müssen Snider warnen«, sagte er und wandte sich an Iren. »Einen Sender benötigen wir dazu. Einen starken Sender, der die nötige Reichweite besitzt. Der Flugplatz ist zerstört, ebenso die dortige Anlage. Was also tun wir, damit in wenigen Tagen nicht das Unheil über die Erde hereinbricht?« Iren lächelte ihn an. »Keine Sorge, Joe. Für heute ist Ruhe angeordnet. Morgen nimmst du einen Wüstenwagen und fährst von hier aus nach Norden, fast hundert Kilometer durch die Einsamkeit. Falls du dich nicht verfährst und genaue Richtung hältst, wirst du dort ankommen, wo du gelandet bist. Dein Schiff liegt noch dort. Unzerstört und nur von vier oder sechs Posten bewacht. Du hattest doch einen starken Sender an Bord?«
Joe lachte laut auf. »Du bist ein prächtiges Mädel, Iren. Wenn alle diese Mädchen so sind, ist mir um unsere Zukunft nicht bange. Am liebsten führe ich noch heute nacht. Schlafen kann ich doch nicht. Ich fürchte, Snider hat ebenso wenig Geduld wie Miller. Wir müssen ihn warnen.« Borgoff fuchtelte mit beiden Armen In der Luft herum. »Fahren wir doch jetzt gleich! Den Weg werden wir schon finden. Dann sind wir gegen Morgengrauen beim Schiff. Gerade die richtige Zeit, ein paar Polizisten zu übertölpeln.« »Nein«, schüttelte Joe den Kopf. »Wir haben genug Unheil angerichtet. Der Weltstaat meint es gut und hat keine bösartigen Motive, uns die Heimkehr zu verwehren. Wir müssen die Gründe des Diktators verstehen, wenn sie uns auch übertrieben scheinen. Wir werden mit dem Boot umkehren, falls es nicht beschädigt wurde.« Norden übernahm das Kommando in dem Dorf, während Joe, Miller und Borgoff, von den guten Wünschen der Zurückbleibenden begleitet, noch in der gleichen Stunde aufbrachen. In dem Wüstenauto, teils von Rädern, teils von Ketten voranbewegt, fanden sie Waffen in reichhaltiger Auswahl, Verpflegung und Wasser. Der Leuchtkompaß zeigte genau nach Norden, aber auch der Polarstern, dicht über dem Horizont, hätte zur Orientierung dienen können. Die Sanddünen bereiteten einige Schwierigkeiten, und sie kamen sich vor, wie auf einem fremden, toten Planeten. Erst Stunden später ebnete sich das Gelände, der Boden wurde fester und zeigte schließlich erste Spuren einer Bewachsung. Gräser und Büsche verrieten unterirdische Wasserläufe, die zahlreicher und stärker wurden. Dann erreichten sie die Ringstraße, von der aus die Seitenstraße nach Norden abzweigte. Sie
brauchten nicht lange zu suchen, um eine Küstenpiste zu finden. Jetzt ging es schneller voran. Kurz vor vier Uhr morgens schimmerte vor ihnen das Meer. Joe erkannte sehr bald das Gelände wieder, durch das er zu Fuß gewandert war. Unverkennbar der kleine Palmenhain, in dem er Rast gemacht hatte. Das Boot konnte keine zehn Kilometer westwärts liegen. Sie verlangsamten ihr Tempo und fuhren weiter. »Wie sollen wir sie überraschen, wenn wir mit dem Wagen mitten in sie hineinfahren?« fragte Miller. »Das ist Überraschung genug«, widersprach Borgoff und liebkoste seinen Strahler. »Dann öffnen wir die Tür, sagen ›Guten Morgen‹ und schläfern sie ein. Was meinst du, wie schnell die Brüder umkippen?« »Wenn Sie uns Zeit lassen«, zeigte auch Joe Bedenken. »Vielleicht sollten wir vorher anhalten und zu Fuß weitergehen.« »Im Wagen sind wir sicherer«, blieb Borgoff bei seinem Plan. »Da machen uns auch ihre Kugeln nichts aus. Außerdem wissen sie ja gar nicht, wer da mit einem Wagen angefahren kommt. Vielleicht glauben sie, es sei ihr General.« Miller zuckte die Achseln. »Möglich. Aber vielleicht hast du recht. Der Wagen bietet im Notfall mehr Deckung.« Nach zehn Minuten verlangsamte Joe das Tempo. Vor ihnen war der Wald aufgetaucht, in dem das Schiff liegen mußte. Ein Feuer verriet, daß die Posten sich gegen die Nachtkälte zu schützen wußten. Eine Gefahr war für sie ja nicht zu fürchten, so daß sie sich den Luxus wohl erlauben durften. Zwei dunkle Schatten hoben sich gegen den Schein ab. Vier weitere Gestalten lagen, in Decken gerollt, neben dem Feuer. Dahinter blitzte die blanke Hülle des Schiffes.
Joe hielt fünf Meter vor dem Feuer an. Borgoff öffnete das Seitenfenster und warf vier kleine Gasgranaten ins Feuer, ohne auf die Frage des Postens Antwort zu geben. Schleunigst schloß er das Fenster wieder, während Joe den Rückwärtsgang einschaltete und sie in Sicherheit brachte. Einige Schüsse krachten, aber die Projektile zischten weit über sie dahin. Dann detonierten drüben beim Feuer die Gasgranaten. Der sofort entstandene Schwaden verbarg Feuer, Schiff und Polizisten für einige Sekunden den forschenden Blicken der Raumfahrer, dann verwehte der Wind das Gas. Der Rest war ein Kinderspiel. Borgoff packte die sechs Bewußtlosen und schleppte sie in sichere Entfernung, damit sie beim Start des Schiffes nicht verletzt wurden. Miller untersuchte das Schiff außen, fand aber keine Beschädigung. Joe kontrollierte inzwischen das Innere und stellte fest, daß niemand etwas angerührt hatte. »Ich glaube, wir können starten«, gab er bekannt, als die beiden Freunde ihren Teil der Aufgabe erledigt hatten. »Es geht schneller, als führen wir mit dem Wagen zurück. Miller, du übernimmst das Amt des Piloten, während ich mich als Funker betätige. Vielleicht erwische ich Snider.« Sie stiegen langsam auf und nahmen in geringer Höhe Kurs nach Süden. Während sie über die Felder dahinschwebten und sich der Oase näherten, versuchte Joe, Verbindung mit dem Mutterschiff aufzunehmen. Es gelang schließlich. Der Funker meldete sich. »Hast du geschlafen?« erkundigte sich Joe ironisch, um sofort wieder ernst zu werden. »Ich möchte Snider sprechen.« »Ich rufe ihn.« Kurze Pause. »Er kommt gleich. Es ist allerlei bei uns passiert. Wenn wir nicht mit dem dämlichen Satelliten zusammengestoßen wären, hätten wir schon längst einige Bomben geworfen.«
»Mit was zusammengestoßen?« Aber der Funker gab keine Antwort mehr. Snider war im Funkraum angelangt. Er sagte hastig: »Pech, Joe. Der Weltraum ist so groß, aber da müssen wir ausgerechnet mit einer Sonde zusammenkrachen, die seit ewigen Zeiten um die Erde kreist. Ich kenne die Sorte. Man schickte sie einst zu den Nachbarplaneten, um Erd- und Atmosphäreproben zu holen. Nicht sehr groß, aber immerhin wurde das Mutterschiff am Bug beschädigt. In ein paar Tagen sind wir wieder flott.« »Können wir euch helfen?« »Ich dachte, ihr benötigt selbst Hilfe?« »Das ist vorbei. Wir haben es geschafft. Ich wollte ja, daß ihr uns abholt – die Position gebe ich dir noch –, aber ich fürchte fast, ich werde das Beiboot überladen müssen. Wieviel Personen darf ich im Höchstfall befördern?« »Vierundzwanzig«, kam Snider prompte Antwort, aber dann verschluckte er sich fast. »Wieso? Will die Menschheit auswandern?« »Nur ein paar hübsche Mädchen, Snider, kann ich also fünfundvierzig – zum Teil halbe – Portionen einpacken?« Snider atmete schwer. »Mädchen?« machte er gedehnt. »Wie sehen Mädchen eigentlich aus?« Joe lachte. »Wunderbar. Sie sind das Schönste auf der Erde. Wenn wir sie haben, können wir auf die Heimkehr verzichten. Wie hoch seid ihr übrigens?« »Hundert Kilometer.« »Gut. Hier meine Position.« Er nannte einige Koordinaten. »Ich melde mich von der Oase aus wieder. Wir starten in wenigen Stunden.«
»Wir erwarten euch – und die Mädchen.« Joe lächelte und brach ab. Weit links hatte sich der Himmel verfärbt und die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne färbten bisher unsichtbare Wolkenschleier rosig. Die Oase kam in Sicht. Aber sie hatte sich verändert. Ein Kordon schwerer Panzerwagen schloß sie ein, Geschütze drohten nach allen Seiten. Es wimmelte von Polizisten. In der Mitte zusammengetrieben aber entdeckte Joe die Mädchen und die drei verbliebenen Raumfahrer. Die gesenkten Mündungen der Gewehre einiger Posten hielten sie in Schach. Aus einigen Geschützen sprangen Flammen. In unmittelbarer Nähe des Schiffes detonierten Granaten. Eine traf sogar die Hülle und krepierte. Borgoff wäre fast aus seinem Sitz gefallen, so sehr schüttelte es ihn durcheinander. Joe ging auf Kurs zurück und stieg höher. »Verdammt!« sagte er. Mehr nicht. Er übergab wieder dem Amerikaner das Steuer und kehrte zu seinem Funkgerät zurück. Snider meldete sich sofort. »Eure Position«, verlangte Joe. Er bekam sie. Einen Augenblick dachte er nach, rechnete auf einem Stück Papier, dann fuhr er fort; »Schießt in genau fünfzehn Minuten eine Atombombe in Richtung Heck aus dem Schiff, Geschwindigkeit: acht Kilometer pro Sekunde. Sie wird die Kreisbahn verlassen. Zur Erde fallen und über dem neuen Saharameer detonieren. Verstanden? Dort tut sich nichts, aber Garem wird staunen.« »Du kannst dich darauf verlassen«, gab Snider zurück. »Was ist geschehen?« »Kleine Schwierigkeiten. Es bleibt bei unserer Verabredung.« Er schaltete ab. Aber dann legte er den Hebel erneut um und begann, auf der Wellenskala zu suchen, bis er in ein Gespräch hineingeriet, das ihn sehr interessierte.
Eine halbe Minute später wußte er, daß sich Ras Garem mit dem General unterhielt, der die Truppen unten bei der Oase befehligte. »… ist das Schiff soeben zurückgekehrt, Diktator. Wir haben es beschossen, bisher leider ohne Erfolg. Wie lauten Ihre Befehle?« »Das Schiff ist unbedingt zur Landung zu zwingen. Benutzen Sie von mir aus die Gefangenen als Druckmittel. Bereiten Sie eine vorgetäuschte Erschießung vor, damit dieser Afrikaner meint, es bestünde Gefahr für seine Leute – und besonders für Iren Namar.« »Habe verstanden, Diktator. Wir werden eine großartige Schau aufziehen und…« Joe sah auf die Uhr. Noch fünfundzwanzig Minuten bis zur Detonation der Bombe. Nicht mehr viel, wenn man vorher einige Verträge abschließen wollte. Oder doch zumindest einleiten. Denn abgeschlossen würden sie erst nach der Detonation. Er lächelte. Der Diktator wollte ebenfalls bluffen. Niemand machte wirklich ernst. Im Grunde war es nur ein Scheinkrieg, der geführt wurde. »Die Schau ist unnötig, General«, mischte sich Joe in die Funkdebatte. »Leider habe ich mitgehört. Hier spricht Joe Afrikaner. Ras Garem, ich habe Ihnen einige Vorschläge zu unterbreiten.« Für zehn Sekunden war Schweigen, dann sagte Ras Garem: »Sie sprechen vom Schiff aus? Landen Sie sofort. Sie sind entflohen.« »Das war mein gutes Recht. Doch – versäumen wir keine wertvolle Zeit. Sie gestatten uns ungehinderten Abzug, dafür erhalten Sie die Garantie von uns, daß wir keine Landung auf der Erde mehr unternehmen.« »Lächerlich. Was bedeuten mir schon Ihre Garantien?
Nichts!« »Sie gestatten auch den dreißig Mädchen und Iren, mit uns zu kommen, wenn Sie das wünschen. Vielleicht finden Sie noch weitere Frauen, damit wir später keinen Ärger haben. Jeder möchte auf Alpha Centauri schließlich verheiratet sein, nicht nur die Hälfte.« »Sie sind verrückt geworden und…« »Das wäre alles. Nicht viel, was Sie zugeben müssen. Geben Sie also Ihren Truppen den Befehl, die Oase sofort zu räumen.« »Wir werden Sie abschießen! General, hören Sie noch?« »Ja.« »Lassen Sie die Gefangenen erschießen. Zuerst die drei Raumfahrer. Wir müssen endlich beginnen, mit dieser Pest aufzuräumen. Diesmal meine ich es ernst. Kein Schauspiel also, General.« Noch fünfzehn Minuten. »Hören Sie, Ras Garem. Und auch Sie, General. Ich stehe in Verbindung mit dem Mutterschiff, das die Erde umkreist. Wenn Sie die Oase nicht sofort räumen und die Gefangenen freigeben, wenn Sie uns nicht landen und wieder starten lassen, werde ich dem Mutterschiff den Befehl geben, die erste Bombe zu werfen. Sie wird zur Warnung nur über dem Neuen Meer explodieren, aber schon ihr Rauchpilz dürfte Ihnen eine Mahnung sein. Er war in früheren Jahrhunderten das Zeichen des Schreckens und des Todes. Die zweite Bombe fällt woanders! Die Wahl liegt bei Ihnen.« Der General verhielt sich schweigsam. Ras Garem sagte: »Sie können nicht mehr bluffen, Joe Afrikaner. Ich mache nun Ernst. Raten Sie Ihren Freunden, aus der Atmosphäre der Erde zu verschwinden und nie mehr zurückzukehren. Sie selbst haben ebenfalls noch die Möglichkeit, unbeschadet zu verschwinden. Nur Ihre drei Freunde in der Oase, die vermögen
auch Sie nicht mehr zu retten. Ich bin fest entschlossen, ihr Leben einem abschreckendem Beispiel zu opfern. General, Sie haben Ihren Befehl. Führen Sie ihn aus.« »Einen Augenblick noch, Ras Garem«, machte Joe einen letzten Versuch und schaute auf die Uhr. Noch sechs Minuten. »Warten Sie zehn Minuten. Wenn die Bombe fällt – und Sie werden den Lichtschein sowohl in Afrikopolis wie auch hier in der Oase sehen können, dann verhandeln wir weiter. Ich möchte Ihre Worte wiederholen: die Wahl liegt bei Ihnen.« Ras Garem zögerte, dann kam seine Stimme ein wenig brüchig aus dem Lautsprecher: »Also gut. In zehn Minuten.« »Sagen wir fünf«, verbesserte Joe. Er schaltete ab und nahm erneut Verbindung mit Snider auf. »Bald soweit?« »Wir umkreisen die Erde westwärts. Die Bombe wurde bereits abgeschossen. Ich fürchte allerdings, einige Sekunden zu früh, Macht das etwas aus?« »Vielleicht fünfzig Kilometer. Es schadet nicht. Dadurch wird unsere Demonstration nur um so wirkungsvoller. Also gut. Ich melde mich wieder. Es müßte ja jetzt bereits geschehen sein.« Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Sie stand genau im Osten. Im Nordosten lag Afrikopolis. Und in Nordnordost ging jetzt in dieser Sekunde plötzlich eine zweite Sonne auf. Grell stand der flammende Ball für wenige Augenblicke dicht über dem Horizont, ehe er langsam erlosch, um einer gewaltigen Wolke Platz zu machen, die vorher nicht vorhanden gewesen war. Wie ein riesiger Pilz kletterte sie in die Höhe, ließ eine säulenartige Spur zurück, die sich nur wenig seitlich verschob. Die Bombe war keine fünfzig Kilometer von der Hauptstadt entfernt über dem Meer detoniert. Sie konnte nicht viel Scha-
den angerichtet haben. Joe schaltete den Empfänger wieder ein und wartete. Er hatte Zeit genug, zur Oase hinabzuschauen, über der sein Schiff bewegungslos verharrte. Die Mädchen standen immer noch auf dem Marktplatz, aber die Polizisten achteten nicht mehr auf sie. Ihre Blicke waren nach Nordnordosten gerichtet, wo ein für sie unbegreifliches Naturschauspiel stattfand. Eine zweite Sonne hatte noch niemand von ihnen gesehen. Im Lautsprecher knackte es. »Hallo, Afrikaner, hören Sie?« »Ich warte schon lange auf Sie, Ras Garem.« »Die Bombe ist detoniert. Ein zufällig dort kreuzender Flottenverband wurde beschädigt. Sie haben gewonnen. Der Wissenschaftliche Rat kann nun meinen Entschluß auch nicht mehr aufhalten. Nehmen Sie Ihre Leute und verschwinden Sie.« »Und die Mädchen?« Ras Garem zögerte. »Die Mädchen kommen mit uns, Ras Garem. Freiwillig! Und ich verlange, daß Iren Namar Gelegenheit erhält, weitere dreißig auszusuchen. Ich will keine Meuterei unter meinen Leuten.« Der Diktator seufzte. »Also gut – bewilligt. General! Ziehen Sie Ihre Truppen zurück. Iren Namar hat für zwei Tage völlige Bewegungsfreiheit. In drei Tagen muß die Oase geräumt sein. Wer danach von den Raumfahrern noch auf der Erde angetroffen wird, muß mit Gefangennahme rechnen.« »Da fällt mir noch etwas ein«, unterbrach ihn Joe. »Ich möchte Ihre internierten Raumfahrer in Universa fragen, ob sie mit uns kommen wollen. Ich bestehe sogar darauf, denn wir benötigen zur Errichtung einer Kolonie genügend Leute.«
»Universa? Wie wollen Sie das anstellen?« »Ich kenne einen jungen Mann, der das sicherlich für mich tun würde. Iren Namar wird das veranlassen.« »Gut. Aber nun genügt es. Ich hoffe, Sie sind zufriedengestellt.« »Was bleibt mir anderes übrig, will ich nicht gleich die Erde erobern? Leben Sie wohl, Ras Garem. Ich werde noch einmal Verbindung mit Ihnen aufnehmen, bevor wir die Erde verlassen.« Endgültig schaltete er nun das Funkgerät aus. Unten in der Oase änderte sich schlagartig das Bild. Die Truppen wurden zusammengezogen, kletterten in ihre Wagen und fuhren davon. Die Geschütze senkten ihre Rohre, wurden angehängt und von schweren Schleppern abtransportiert. Behutsam landete Joe das kleine Schiff. Als er die Luke öffnete, sah er als erstes die strahlenden Augen von Iren. Sie lachte ihm entgegen und fing ihn auf, als er zu Boden sprang. »Wie froh ich bin, daß du wieder da bist. Sie wollten uns töten und hätten es getan, wenn du nicht rechtzeitig erschienen wärst. War diese helle Sonne am Horizont dein Werk?« »Unser Mutterschiff warf die Bombe. Sie hätte fast Afrikopolis zerstört.« »Und deshalb ließ uns die Polizei in Ruhe?« »Ras Garem befahl den Rückzug. Er hätte euch auch nicht getötet, sondern wollte mich nur erpressen. Norden, Borgoff wird mit dem Boot und zehn Mädchen nun zum Mutterschiff starten. Suche sie aus. Ich habe inzwischen mit Iren noch eine Mission zu erfüllen. Vielleicht lassen wir den kleinen Sender zurück, damit wir ständig Verbindung halten können. Die Schlacht ist zwar gewonnen, aber Überraschungen kann es immer wieder geben.«
»Was hast du vor?« fragte Miller. »Ich möchte Universa einen Besuch abstatten. Du bleibst hier und bedienst den Sender. Sobald die Weltpolizei sich vertragswidrig benimmt oder mich gefangennimmt, veranlasse Snider, eine zweite Bombe zu werfen.« »Wie soll ich wissen, ob dir etwas geschehen ist?« »Die alte Methode – eine Frist. Bin ich morgen mittag nicht zurück, kannst du den Befehl geben. Aber vorher sollte Borgoff nach Universa fliegen. Ich warte dort ab heute abend mit den Raumfahrern, die ihre Heimat für immer verlassen wollen.« »Wozu dann noch hierher zurückkehren?« Joe grinste. »Du hast recht, wie manchmal. Also: ab heute abend vor Universa. Von dort aus erfolgt der Abtransport. Ich denke, wir werden auch noch einige Frauen finden.« »Wäre hübsch«, knurrte Borgoff. »Mein Typ ist bis jetzt noch nicht dabei.« »Kaum ist er zwei Tage unter Menschen, da wird er schon wieder wählerisch«, meckerte Norden und warf einer braunhäutigen Schönen verheißungsvolle Blicke zu. »Ich bin es zwar auch, habe aber trotzdem etwas gefunden.« Joe behielt Iren im Arm. »Wir nehmen den Wagen, mit dem wir gekommen sind. Weitere Fahrzeuge werden sich auftreiben lassen. Ich hoffe nur, Ras Garem hat seinen Dienststellen die entsprechenden Befehle gegeben. Kannst du deinen Bruder veranlassen, mit uns zu fahren?« »Warum?« »Er kennt sich in Universa aus. Kennst du noch Frauen, die mit uns kommen werden?« »Wir passieren die Siedlung für Unverheiratete kurz hinter
Afrikopolis. Ich denke, daß sich mehr als genug melden.« Joe nickte. »Alles klar, Freunde? Dann auf Wiedersehen – heute abend, bei Universa! Bringt ein leeres Schiff mit, wir werden einiges zu verladen haben.« Iren kletterte neben ihn auf den Sitz. Ihr Kopf lag gegen seine Schulter gelehnt, als er den Wagen in die Wüste hinaus steuerte. Zu neuen Welten Die moderne Arche Noah hatte die Erde endgültig hinter sich gelassen. Im Raum zwischen dem Sonnensystem und dem System der Doppelsonne Alpha Centauri fing der diensthabende Funker des Mutterschiffes plötzlich schwache Zeichen auf, die schnell lauter wurden. Die Funkzeichen waren knapp einen Monat alt und kamen vom Planeten AC. Sie stammten von Serkennen. Mit Hilfe des Verlangsamers konnten sie entziffert werden. Sie erzählten die schreckliche Geschichte einer Meuterei. Als das Mutterschiff zur Erde unterwegs war und kaum vier Wochen vergangen waren, forderten zwanzig der zurückgebliebenen Männer den sofortigen Start. Sie wollten zur Erde zurückkehren, ohne das Ergebnis der Mission abzuwarten, die Joe zu erfüllen gedachte. Serkennen weigerte sich entschieden. In dem Kugelschiff kam es zu einem Aufruhr und zum Kampf. Mehrere der Männer verloren dabei ihr Leben, aber Serkennen blieb schließlich Sieger. Allerdings waren der Ultrasender und einige andere technische Einrichtungen zerstört worden. Er schickte einen Hilferuf aus, der Joe warnen sollte, damit er nicht unvorberei-
tet landete. Die Meuterer hatten sich nämlich in der Stadt verschanzt und wollten das Mutterschiff kapern, sobald es landete. Der Funker hatte den Bericht auf Band aufgenommen und spielte ihn vor Joe ab. »So eine Dummheit!« fluchte der Expeditionsleiter verbissen. »Sie hätten auch noch warten können, bis wir zurück waren. Auf keinen Fall dürfen wir der Weltregierung gegenüber unser Wort brechen. Nun, die Frauen und die vierzig Raumfahrer, die wir aus Universa befreiten, werden sie schon zur Vernunft bringen. In vier Tagen können wir AC erreichen.« Mehr war dazu vorerst nicht zu sagen. * Das Mutterschiff war auf dem Planeten im AC-System angekommen und setzte dicht neben dem Kugelraumer auf. Eine kurze Unterhaltung mit Serkennen ließ Joe freie Hand, mit den Rebellen nach eigenem Gutdünken zu verhandeln, nachdem er zu seinem Erstaunen erfahren mußte, daß auch Barden zu ihnen gehörte. Waffenlos verließ Joe das Schiff und schritt langsam auf den nahen Rand der Stadt zu, wo die Rebellen ihn schweigend erwarteten. Seit Wochen schon waren die Kampfhandlungen zwischen ihnen und den Anhängern Serkennen eingestellt worden, aber die Feindschaft blieb bestehen. Barden trat vor, als Joe die Stadt erreichte. Ebenfalls waffenlos stand er plötzlich vor ihm. »Du bist zurückgekehrt? Bedeutet das, daß wir nun endlich zur Erde starten können?« Joe sah Barden lange schweigend an, ehe er den Kopf schüttelte.
»Die Erde ist nicht mehr unsere Erde, Barden. Sie ist eine uns fremde Welt geworden, auf der es nie mehr eine Heimat für uns geben kann. Wir sind zurückgekommen, um aus diesem Planeten eine neue Welt zu machen. Wir werden das Werk fortsetzen, das tapfere Pioniere vor dreihundert Jahren begannen.« »Sie scheiterten.« »Weil sie von der Hilfe der Erde abhängig zu sein glaubten. Wir sind es nicht.« »Lieber Joe, ich werde meine Leute kaum davon überzeugen können, daß wir eine Kolonie ohne Hilfe der Erde aufbauen können, Sie haben ein Recht darauf, zur Heimat zurückkehren zu dürfen. Niemand kann ihnen dieses Recht verweigern.« »Natürlich nicht. Aber bevor du startest – und du erhältst von mir das Mutterschiff, wenn du dich dazu entschließen kannst –, sprich mit jenen Raumfahrern, die ich mitbringe. Ich befreite sie aus dem Gefängnis, das der Weltstaat speziell für die Gestrandeten der Zeit errichtete. Vielleicht änderst du dann deine Meinung.« »Ein Gefängnis? Speziell für Raumfahrer?« »Ja. Auf der Erde gibt es keinen Platz für uns, die wir aus einer anderen Zeit stammen. Man fürchtet die Seuche, die schrecklichste Seuche, die es für eine Diktatur geben kann: den Gedanken der Freiheit. Barden, niemand verweigert dir die Rückkehr. Nimm deine Leute und fliege zur Erde. In Universa ist noch viel Platz.« »Universa? Was ist das?« »Das Altersheim für die Raumfahrer, die auf der Erde eine Heimat zu finden hoffen. Sie erhalten ein Zimmer mit einem Bad und einem kleinen Garten unter einer künstlichen Sonne. Der Unterschied zu einer Kabine des Raumschiffes ist nicht groß, Barden. Aber der Planet AC ist kein Raumschiff. Es ist
eine neue Welt.« Barden nickte langsam. »Ich würde dir recht geben, Joe. Ich würde sogar versuchen, meine Leute umzustimmen. Aber da ist noch ein weiterer Punkt, an dessen Lösung du wohl kaum gedacht hast. Wie sollen wir eine Kolonie aufbauen, wenn wir nicht wissen, wofür wir es tun? Nur für uns, die wir in drei oder vier Jahrzehnten nicht mehr leben?« »Was meinst du?« fragte Joe und lächelte versteckt. »Ich bin Biologe, du solltest also wissen, worauf ich anspiele. Die Männer, so hart sie sich auch geben, tragen alle ihre kleinen Sehnsüchte mit sich herum, ihre versteckten Wünsche und geheimen Gedanken. Joe, wie sollen wir eine neue Zivilisation aufbauen, wenn wir keine Frauen haben, niemals Kinder besitzen? Nur die Erde hätte uns Frauen und damit eine Zukunft geben können.« Joe lächelte noch immer. »Mit Frauen also, glaubst du, wäre das Problem gelöst? Ihr würdet AC als neue Heimat anerkennen, wenn es Frauen hier gäbe?« »Ja.« »Tun es auch Mädchen?« fragte Joe und drehte sich um. Er hob den rechten Arm und winkte zum Schiff zurück. Iren stand in der offenen Luke. Sie winkte ebenfalls. Dann begann sie, langsam die Metalleiter hinabzusteigen. Ein Mädchen nach dem anderen folgte ihr. Ein wenig verloren und hilflos standen sie dann auf dem Boden der fremden Welt. Barden hatte fassungslos und stumm zugesehen, wie sich das Wunder vor seinen Augen vollzog. Er achtete nicht einmal darauf, daß sich drüben beim Kugelraumer ebenfalls die Luke geöffnet hatte. Serkennen kam heraus und schritt in Begleitung mehrerer Männer auf die wartenden Mädchen zu.
»Nun?« machte Joe und drehte sich wieder Barden zu. »Wenn du deinen Leuten nun nicht endlich die Erlaubnis gibst, sich an der Auswahl zu beteiligen, werden sich die anderen zwei Frauen wählen – und ihr geht leer aus«, sagte er scherzend. Aber Barden hörte ihm schon nicht mehr zu. Er war davongegangen, auf die Gruppe der Mädchen zu, die von Serkennens Leuten bereits umringt war. Alles redete durcheinander, lachte, schrie und weinte. Barden unterhielt sich mit einer schlanken Blondine und bemerkte nicht einmal, daß Serkennen dicht neben ihm stand. Der gleiche Serkennen, der gestern noch sein Todfeind gewesen war. Joe mischte sich unter die bunt durcheinandergewürfelte Menge und befreite Iren. »Tut mir leid, Jungs«, sagte er zu den beiden Männern, die sich um sie bemüht hatten. »Aber das ist die einzige, die nicht mehr frei ist. Ihr müßt euch nach jemand anders umsehen. Ich habe genug mitgebracht. Nach Adam Riese bleiben sogar einige übrig.« Er nickte Serkennen und Barden zu, die sich gerade die Hände schüttelten, nahm Iren an der Hand und schritt mit ihr quer über das Landefeld auf die verlassene Stadt zu. Drüben am Horizont lag der Schein der Doppelsonne auf bunten Hügeln. Ein See schimmerte durch den Dunst. »Eine wundervolle Welt«, sagte das Mädchen leise. »Ich bereue es nicht, mit dir gekommen zu sein. Keins der Mädchen bereut es.« Joe lächelte. »So war einst die Erde auch. Aber jede Welt wird das sein, was die Menschen aus ihr machen. Wir haben die Wahl, Iren. Wir können aus Alpha Centauri ein Paradies machen – aber
auch die Hölle. Immerhin sind es die Frauen gewesen, die unserer neuen Heimat den Frieden brachten. Vielleicht ist das ein gutes Omen. Die Erde begann ihre Geschichte anders. Die Frau brachte den ersten Streit…« Iren sah ihn an. »In hundert Jahren werden unsere Enkel nicht mehr wissen, was die Erde war. Sie haben es versessen.« Joe nickte und seufzte. »Es wird besser sein. Gar keine Erinnerung ist besser als eine schlechte.« Und sie schritten weiter, durch die leeren Straßen einer noch toten Stadt, die aber schon bald von neuem Leben erfüllt sein würde. Sie machten auch nicht halt, als sie die letzten Häuser hinter sich ließen. Schweigend und sich an den Händen haltend, gingen sie hinaus in die Natur, die Anfang und Ende aller Zivilisationen ist. ENDE
Hilding Borgholm
Schatz in der Marswüste Ekman findet einen Verschollenen Der junge Kurt Ekman wundert sich, als Raumfahrer Grottumsbraaten ausgerechnet die einsame Ekman-Pension aufsucht, um sich zu erholen. Ekmans Vater gilt seit Jahren als verschollen, aber erst ein Einbruch veranlaßt den Sohn, sich zu einer Marsreise zu rüsten. Seltsame Dinge geschehen im Hyänental. Ein Toter wird ausgegraben, eine unsichtbare grüne Frau taucht auf, und ein fuchsroter Einsiedler jagt Hyänen. Ekman findet seinen Vater, aber ihn erwartet eine große Enttäuschung.