Stadt der Gläsernen von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Vanderbuilt — Der ehemalige Astronaut in höchster...
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Stadt der Gläsernen von HORST HOFFMANN
Die Hauptpersonen des Romans: Vanderbuilt — Der ehemalige Astronaut in höchster Not. Christine — Eine Unsterbliche. Skip — Er stößt mit seinen Gefährten erneut ins Paralleluniversum vor. Cas’Cahoon — Der junge „Gläserne“ sieht dem Tod ins Auge. Cera — Ein Kind mit ungewöhnlichen Fähigkeiten.
Vorspiel Cas’Cahoon erwachte aus seiner Trance, als die Helligkeit der Blitze durch die geschlossenen Lider drang. Er öffnete die Augen und sah das Flackern am Himmel über der Kristallkuppel. Gleichzeitig verriet ihm die plötzliche Gedankenfülle aus der Kuppel, daß die WIEDERGEBURT DES N’ADOHKAN begonnen hatte. Cas’Cahoon hatte sich damit abgefunden, nicht zu den zweihundert Brüdern zu gehören, die in der Kuppel die Prozedur vornahmen. Der junge Gläserne kniete unter einem durchsichtigen Schutzdach in dem breiten Gürtel um das Allerheiligste, auf dem kein Bauwerk stand. Das Gelände um die Kristallkuppel herum war eine Enklave in der Mitte der Lichtstadt. Nur wenige durften ihren Fuß auf dieses Gelände setzen. Cas’Cahoon gehörte erst seit kurzem zu den Auserwählten. Wieder ballte sich eine unerträgliche Helligkeit über der Kuppel zusammen und machte sich Luft in einem grellen Blitz, der weit über den Himmel fuhr und die Grenzen des künstlichen Firmaments erkennen ließ. Cas’Cahoon fuhr zusammen. Es war wie ein Signal. Er glaubte fast, den kalten Atem dessen zu spüren, das jenseits ihres Kunsthimmels lauerte. Cas’Cahoon richtete sich auf und lauschte. Er konnte jetzt keine Impulse der Brüder in der Kuppel mehr empfangen. Statt dessen war da etwas anderes, das schnell stärker wurde. Das N’ADOHKAN! Cas’Cahoons Herz schlug schneller. Der junge Gläserne spürte Triumph in sich aufsteigen. Sie hatten es geschafft. Nach mehr als einer Milliarde von Jahren erwachte das N’ADOHKAN zu neuem Leben. Ein unbegreifliches Wesen, von dem die Gläsernen bisher nur aus den überlieferten Legenden ihrer Vorfahren wußten, daß es einmal existiert hatte. Die Legenden sprachen davon, daß die Gläsernen das N’ADOHKAN erst dann wieder rufen sollten, wenn die Auseinandersetzung mit den Beherrschern dieses Kosmos in ein entscheidendes Stadium getreten war. Dies war nun der Fall. Vier Fremde aus einem anderen Universum hatten das Signal gegeben. Der schlafende Widerstand gegen das Monstrum, das sich selbst „Schöpfer“ nennen ließ, war auf unzähligen Welten erwacht. Das N’ADOHKAN war unbegreiflich. Eine Legende aus der Zeit des URKAMPFS. Keiner wußte genau zu sagen, was es wirklich war, aber das N’ADOHKAN sollte die entscheidende Waffe im Kampf gegen die Herrscher werden. Seine Machtfülle mußte fast unbeschränkt sein. Wieder ertappte sich Cas’Cahoon dabei, daß er sich Fragen stellte. Die Oberen sahen es nicht gerne, wenn die Jungen an den Überlieferungen zweifelten. Cas’Cahoon versuchte immer wieder, sich zu beherrschen, aber die Fragen schoben sich ständig in sein Denken. Wieso hatte das N’ADOHKAN im URKAMPF versagt, wenn es angeblich so mächtig war? Cas’Cahoon esperte. Er versuchte, unter den immer stärker werdenden Impulsen des N’ADOHKAN die Gedanken seiner Brüder aufzufangen. Aber es blieb still. Cas’Cahoon fühlte sich unwohl. Er hatte das Empfinden, daß etwas nicht wie vorhergesehen gelaufen war.
Das N’ADOHKAN machte ihm Angst! Die Impulse waren derart fremdartig und verwirrend, daß der Gläserne sein Schutzdach verließ und von der Kristallkuppel fortlief. Er erreichte die ersten Gebäude der Stadt, wo er von einer Gruppe älterer Gläserner empfangen wurde. „Was hörst du, Cas’Cahoon?“ fragte ihre Sprecherin. „Es ist schwer, durchzukommen“, sagte der Gläserne, während er weiterhin versuchte, sich zu konzentrieren. Er stand hochaufgerichtet da und starrte die Kuppel an. Unter seinem transparenten, schlanken Körper raste das blaue Blut durch die feinen Adern und verriet die Anspannung. Plötzlich schrie Cas’Cahoon auf und sank stöhnend zusammen. Die anderen Gläsernen starrten kurz auf die Kuppel, von der sich wieder Blitze lösten, dann packten sie zu und zerrten Cas’Cahoon in die nächste Wohnkugel. Als der junge Gläserne die Augen aufschlug, sprachen Panik und Wahnsinn aus seinem Blick. Die Umstehenden wichen unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie konnten keine Gedanken lesen wie Cas’Cahoon. Sie hatten keine Ahnung, was sich abspielte. „Was hörst du?“ fragte die Frau wieder. „Sie sind alle tot!“ stieß Cas’Cahoon hervor. „Das N’ADOHKAN lebt! Es hat sie getötet! Es ist...“ Cas’Cahoon preßte die Hände gegen die Schläfen, „... es ist wahnsinnig! Es wird uns alle vernichten! Wir haben eine Bestie zum Leben erweckt!“ Noch, während Cas’Cahoon sprach, spürte er die Impulse, die auf ihn einströmten. Er sah, wie die älteren Gläsernen erstarrten und dann leblos zusammenbrachen. Cas’Cahoon wußte, daß es vor dem N’ADOHKAN keine Rettung gab. Sie hatten nur die Stadt, dahinter lauerten die Schöpfer. Dennoch sprang er auf und rannte schreiend aus der Kugel. Weg von dem, was in der Kristallkuppel zu schrecklichem Leben erwacht war. Überall kamen Frauen und Männer aus ihren Wohnkugeln gestürzt und sanken stöhnend und mit schmerzverzerrten Gesichtern in den roten Sand. Viele wandten sich unter Qualen am Boden, andere starben sofort, wenn die Stoßwelle der Impulse sie erreichte. Wie ein Feuersturm breitete sich das N’ADOHKAN von der Kuppel her in alle Richtungen aus. Das N’ADOHKAN war die große Hoffnung der Rebellen gegen die Herrscher dieses Kosmos gewesen. Jetzt brachte es sie um. Cas’Cahoon wußte nicht einmal, was sich hinter dem Namen verbarg. Nur die Legenden waren bekannt. Und die hatten Lücken.
1. Die Zentrale des Raumschiffs war auf den ersten Blick leer. Nur wer genau hinsah, erkannte, daß eine stämmige Gestalt in einem der schwenkbaren Pilotensessel vor einer Monitorgalerie saß. Über die rechte Armlehne ragte eine kräftige Pranke, in der eine halbvolle Whiskyflasche baumelte. Die rechte Hand verschwand für kurze Zeit aus dem Blickwinkel, und dann ertönte ein glucksendes Geräusch. Die Hand kam wieder zum Vorschein, und die Flasche war sichtbar leerer geworden. „Nicht mit mir!“ brummte der Mann im Sessel vor sich hin und stieß ein heiseres Lachen aus. „Nicht mit mir, soweit kommt’s noch!“ Die linke Hand tauchte auf und spielte an einigen Knöpfen an der Instrumentenbank herum. Bunte Lichter leuchteten auf und erloschen wieder. Dann flackerte ein Bildschirm auf, und das Gesicht einer jungen Frau schälte sich aus dem Farbengewirr. Sie war etwa Mitte Zwanzig und sehr attraktiv. Silbern getöntes, glattes Haar fiel ihr bis auf die Schultern und umrahmte das dunkelbraune Gesicht.
„Harry“, sagte die Frau, und es schien, als müßte sie sich zur Ruhe zwingen. „Jetzt sei vernünftig und laß mit dir reden.“ „Ich denke nicht daran!“ polterte es aus dem Schwenksessel. „Ihr habt euch das schön ausgedacht, du und Skip. Aber Onkel Harry spielt nicht mit. Kindermädchen, pah!“ „Ich weiß gar nicht, was du willst“, sagte die Frau. „Sie hat dich nun mal am liebsten von uns, du solltest stolz sein.“ „Stolz sein, wenn ich das schon höre. Warum kümmert sich der saubere Rabenvater nicht um das Gör?“ „Harry!“ „Jaja, schon gut, aber es ist doch wahr! Skip ist unreif, das ist alles. Er behauptet, das Kind könnte gar nicht von ihm sein, weil er nie mit dir intim war, so drückt man das ja heute aus. Wenn das nicht alles sagt...“ „Waren wir auch nicht, das weißt du ganz genau!“ Der Klotz im Schwenksessel lachte erheitert. „Und wo kommt die Kleine her? Vom Weihnachtsmann?“ Die Frau wurde zur Seite geschoben, und ein schlaksiger junger Mann in einer silbernen Kombination und mit pechschwarzem Haar erschien auf dem Bildschirm. Er sah sehr wütend aus. „Harry Vanderbuilt. Ich sage dir jetzt zum letzten Mal, daß...“ Er kam nicht weiter, denn die linke Hand aus dem Pilotensessel fuhr auf eine Taste zu und schaltete den Schirm aus. Eine Weile war es still in der Zentrale. Schließlich schaltete das Unikum im Sessel den großen Bildschirm über der Galerie ein. Er zeigte einen grünen Planeten, der von dichten, gelben Schwaden überzogen war. Über der Welt hingen mehrere Diskusschiffe im Raum. „Caalis“ murmelte die Stimme. „Hätte ich auf meine Mutter gehört und wäre Pfarrer geworden, dann säße ich jetzt irgendwo in einem gemütlichen Wohnzimmer auf der Erde und könnte tun, was mir Spaß , macht. Aber nein, ich mußte ja zur Luftwaffe gehen und mich von diesen Dingern entführen lassen. Womit habe ich verdient, hier unter lauter Verrückten zu landen?“ Die Stimme hielt inne und schien zu lauschen. „Du hältst die Klappe!“ fuhr sie dann auf, und der Sessel wurde mit Schwung herumgefahren. Aus dem Sitz erhob sich eine stattliche alte Dame! „Das könnte dir so passen!“ schrie das Mannweib seinen unsichtbaren Gesprächspartner an und fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. „Ihr denkt, jetzt, wo man mir einen Weibskörper verpaßt hat, könnt ihr mit mir alles machen. Ich weiß nicht, wie du in mich reingekommen bist, Chris, aber solange wir uns diesen Körper teilen müssen, bin ich der Boß, verstanden?“ Die Dame namens Harry Vanderbuilt wartete auf eine Antwort. Als keine kam, nickte sie zufrieden und kippte sich den Rest der Flasche in den Hals. „Das wollte ich meinen!“ sagte sie dann und grinste triumphierend. Dann verließ sie die Zentrale. * „Wenn er morgen früh nicht hier ist, kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst“, sagte Skip und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Wir werden seinetwegen nicht aufgeben.“ Christine sah zu ihm auf und schüttelte den Kopf. „Er wird auftauchen, denn er ist am schärfsten darauf, seinen alten, Körper zurückzubekommen. Ich frage mich nur, in welcher Verfassung er hier erscheinen wird.“ „Harry hat seine Probleme“, sagte Skip. „Trotzdem sollte er sich beherrschen. Wir zerbrechen
uns die Köpfe darüber, wie wir rüberkommen, ohne daß weitere Teile des Monstrums in unser Universum gelangen, konstruieren eine Fangblase und bringen die Station halbwegs wieder in Ordnung, und er betrinkt sich drüben im Nachbarschiff.“ „Harry ist Harry, daran ändert keiner etwas.“ Skip ließ sich neben Christine in einen Sessel fallen und spielte mit Cera. „Acht. Monate hängen wir nun über dieser Welt, und jeden Morgen kommt der Planet mir wie neu vor. Ich kann mir nicht helfen... Irgend etwas verbirgt sich hinter der Kulisse. Vielleicht werden wir es nie verstehen.“ „Morgen wachen wir zum letztenmal über Caalis auf, Skip.“ Skip nickte. Er dachte an Kholk, das Spinnenwesen aus dem Parallelkosmos, das sich für sie geopfert hatte, damit dem Leben dieses Universums das Schicksal der Welten erspart blieb, auf denen Kholk zu Hause gewesen war, bevor er mit den Menschen ging. Sie mußten noch einmal hinüber. Skip wußte, daß die Suche nach ihren Originalkörpern und nach dem alten Loorden nur ein Vorwand für sie sein konnte. Es ging um mehr. Nur wenn dieses endlose Monstrum, das von der verbannten Urmacht übriggeblieben war, endgültig vernichtet werden konnte, hatten sie die Sicherheit, daß es nicht eines Tages doch über den Welten des Heimatuniversums erschien und das Leben versklavte, das nichts von dem Unheil ahnte. Sie mußten den Wesen drüben den Weg zeigen. Skip wollte nicht mehr daran denken, was ihnen bevorstand. Sie hatten ihr Vorgehen lange durchdiskutiert. Alles hing davon ab, daß sie zur Welt der Geistesformer gelangten, ehe das Monstrum sie in seine Fänge bekam. Dieser Abend sollte ihm und Christine gehören. „Du machst dir immer noch Sorgen wegen Cera“, sagte er, als er Christines in die Ferne gerichteten Blick sah. Das Kind lag in ihren Armen.‘ „Wir können sie nicht mitnehmen, Schatz. Du kannst mir glauben, daß sie hier in bester Obhut ist, bis wir zurückkehren.“ „Wenn wir zurückkommen.“ „Rede nicht so. Cera wird alles haben, was sie benötigt. Wir brauchen unsere Körper und müssen den Alten finden. Außerdem sind wir es Kholk schuldig.“ „Es ist nicht nur das, Skip. Du weißt genau, daß Cera kein normales Kind ist. Nicht nur, daß wir nicht wissen, wo sie überhaupt herkommt, da ich nur fünf Monate schwanger war. Manchmal habe ich Angst, wenn ich in ihre Augen sehe. Cera ist voll von unbekannten Kräften, die irgendwann einmal durchbrechen werden.“ „Vergiß die Gedanken“, sagte Skip und legte den Arm um Christines Schultern. Das Kind hatte sie noch näher zusammengebracht. Skip hatte sogar vergessen können, daß Christine im Grunde unerreichbar für ihn war, denn sie war unsterblich geworden. Sie brachte Cera zu dem kleinen Lager in der Nebenkabine und ließ die Tür offen. Nach zehn Minuten begann Cera im Nebenraum zu lallen. Sie gab solche Geräusche von sich, wenn sie sich freute. Und wenn Harry Vanderbuilt in der Nähe war. Sekunden später knallte auf dem Gang ein Schott. Dann hörten sie die Schritte und eine knarrige Stimme, die eine alte Melodie vor sich hinbrummte. „Nicht schon wieder!“ stöhnte Skip. Cera lachte nebenan. Dann stand Vanderbuilt in der Tür. „Also schön“, sagte das Mannweib, „wo ist das Gör?“ Er hörte Ceras Lachen und setzte sich in Bewegung. Als er im Nebenraum war, schüttelte Christine perplex den Kopf. „Das war wieder so etwas.“ „Was?“ fragte Skip unwirsch. „Woher konnte sie wissen, daß er unterwegs zu uns war... ?“
* Am Anbeginn der Schöpfung hatte es keine Trennung zwischen den Universen gegeben. Unzählige parallele Welträume hatten in ständiger Verbindung gestanden und gegenseitig das Leben in eine längst vergessene Höhe getrieben. Dann kam der Urkampf. Die Urschöpfung spaltete sich, und die positive Komponente verbannte die negative, die dem Leben im Universum entgegenwirkte und es verblassen ließ, in eines dieser parallelen Universen. Sie versiegelte das Tor zwischen den Welten und schnitt damit dem Bösen den Weg zurück für alle Zeiten ab. Die positive Schöpfung erlebte eine erste Blüte, dann starben die alten Völker aus, und mit ihnen verschwand die Erinnerung. Erst nach Milliarden von Jahren kam wieder Leben und Bewegung zwischen die Sterne. Aber dieses Leben hatte seinen Ursprung vergessen. Es wußte nichts von den anderen Welträumen, die jenseits der künstlichen Schranke existierten. Schließlich brach ein Teil der Urerinnerung in einer Rasse durch. Die Loorden hatten alles erreicht, was ihnen die körperliche Existenz bot, und waren darangegangen, den nächsten Schritt in ihrer Evolution zu tun. Sie fanden Caalis und stießen, von unbekannten Kräften gelenkt, auf die besondere Eigenschaft dieser Welt. Aber sie unterlagen einem folgenschweren Irrtum. Als der letzte Loorde den vermeintlichen Schritt zur höheren Existenzstufe tat, landete er in eben jenem Parallelkosmos, in dem der negative Teil der Urschöpfung seit dem Tag der Verbannung auf eine Möglichkeit der Rückkehr und der Rache wartete. Das Monstrum nutzte die Chance und schickte einen Teil seiner Substanz hinüber ins ALTE UNIVERSUM, wo es Caalis unter Kontrolle brachte und an den Rand der Zerstörung trieb. In letzter Sekunde rettete ein Wesen aus dem Parallelkosmos den Planeten und vernichtete das Monstrum. Für die vier Menschen, die dem Loorden gefolgt und wieder zurückgekehrt waren, war aber noch längst nicht alles erledigt. Sie hatten ihre Originalkörper in dem von der negativen Urkraft beherrschten Kosmos zurücklassen müssen. Und sie wußten, daß ihr Freund, der letzte Loorde, sich in Gefahr befand. Sie mußten noch einmal den schweren Weg durch die Weltenschleuse antreten. Sie gelangten durch den goldenen Torbogen, und diesmal verloren sie ihre Körper nicht. Sie trieben reglos in die fließenden Strömungen dieses unfaßbaren Kontinuums hinein. Aus eigener Kraft konnten sie nicht eine der schutzbietenden Dunkelzonen erreichen, wo sie vor den Klauen der Beherrscher dieses Kosmos sicher waren. Ihre Hoffnung ruhte allein auf jenen Wesen, die sich „Geistesformer“ nannten. Durch sie waren sie damals sicher zurück nach Caalis gelangt. Sie würden darauf warten, daß die Menschen zurückkehrten. Das waren Skips und Christines Überlegungen. Natürlich hatten sie einkalkulieren müssen, daß eine entscheidende Veränderung, ein unvorhergesehenes Ereignis ihre Verbündeten daran hindern könnte, sich auf die Weltenschleuse zu konzentrieren. Aber sie hatten die Wahrscheinlichkeit dafür als minimal angesetzt. Sie erkannten ihren Irrtum, als sie zu sich kamen. Rings um sie herum war undurchdringliche Schwärze, die sich wie glühende Nadeln in ihr Bewußtsein bohrte. Von überall her drangen die Impulse des Grauens auf sie ein. Sie waren mitten in das lauernde Monstrum gesprungen. Und sie wußten, daß sie sich jetzt keine Hoffnung mehr zu machen brauchten. Sie waren ein Risiko eingegangen, und sie hatten verloren.
2. Die Welten des fließenden Kosmos standen miteinander in ständiger Verbindung. Selbst jetzt, wo dieses Universum von den. Schöpfern erstickt wurde, bestanden auf allen Planeten Zonen,
auf denen die Rebellion keimte. Irgendein unbekannter Umstand beschützte sie vor dem Zugriff der Herrscher. Als die Nachricht die ersten dieser Welten erreicht hatte, hallte ihr Echo bald überall dort wider, wo Wesen lebten, die sich nicht mit der Versklavung abgefunden hatten: Das n'adohkan ist wiedergeboren! Aber es war kein Triumph darin. Es hieß, das N’ADOHKAN sei wahnsinnig geworden und habe die halbe Bevölkerung der Stadt der Gläsernen ausgelöscht. Und das war so etwa. die schlimmste Nachricht, die man sich in den Widerstandsnestern der Dunkelzonen vorstellen konnte. Die Stadt der Gläsernen war ebenso eine Legende wie das N’ADOHKAN. Es hieß, daß dort das letzte der alten Völker lebte, von dem einmal das Signal zur Befreiung kommen sollte. Die Wesen in den Dunkelzonen gerieten in Aufruhr. Auch auf der Welt der Geistesformer herrschte heillose Verwirrung. Und so verpaßten sie den Moment zum Eingreifen, als die Fremden wieder von der Weltenschleuse ausgespien wurden. Sie befanden sich in der Gewalt der Schöpfer, und jede Hilfe kam zu spät. Die Bewohner der Dunkelzonen hatten große Hoffnungen auf die Fremden aus dem alten Universum gesetzt. Nun war auch die zerstört. Es schien, daß die Macht der Herrscher jetzt für alle Zeiten gefestigt war. Wer sollte sie jetzt noch brechen können? * Cas’Cahoon erwachte und blickte in ein unbekanntes Gesicht. Er zuckte heftig zusammen und wälzte sich zur Seite. Die Erschöpfung war mit einem Mal wie weggeblasen. Obwohl sein ganzes Denken sich darauf konzentrierte, außer Reichweite des sich jetzt periodenweise ausdehnenden N’ADOHKAN zu bleiben, funktionierten die anerzogenen Reflexe. Cas’Cahoon befand sich in den Außenbezirken der Stadt. Er war noch nie in seinem Leben hier gewesen, aber er hatte viel davon gehört. „Nur ruhig, Bruder“, sagte eine wenig vertrauenerweckende Stimme. Unter dem strahlenden Kunsthimmel schälten sich langsam die Konturen eines Mannes heraus, als sich Cas’Cahoons Augen auf die Helligkeit einstellten. „Ich fresse dich nicht“, sagte der Mann und hockte sich neben den jungen Gläsernen. Der Mann war alt und sah zerlumpt aus. Über dem halbtransparenten Körper baumelten, an Riemen festgemacht, alle möglichen Beutel und Lappen. Cas’Cahoon empfand Ekel, als er den Geruch in die Nase bekam, der von dem Alten ausging. Als Cas’Cahoon sich aufrichtete, sah er, daß auch seine Kleider zerfetzt waren. Er wußte nicht mehr, wie lange er durch die leeren Straßen gerannt war, bis er die Außenbezirke erreicht hatte. Er esperte kurz. Das N’ADOHKAN verhielt sich im Moment still. „Wer bist du?“ fragte er den Fremden, während er sich in respektvoller Entfernung von dem Mann hielt. Irgendwie kam ihm der Alte nun doch bekannt vor. Er mußte einmal eine Projektion von ihm gesehen haben. Aber wo? „Das tut nichts zur Sache“, erwiderte der Fremde und winkte energisch ab. „Ich bin ebenso auf der Flucht vor dem Ding in der Kuppel wie du. Wir sollten uns also zusammentun. Oder willst du allein weiter in die Außenbezirke laufen?“ Das fehlte noch! dachte Cas’Cahoon angewidert. Im nächsten Moment tadelte er sich selbst. Irgend etwas war an dem Mann, das nicht in das Bild des verlotterten Straßenräubers paßte. Cas’Cahoon sah sich ihn genauer an: der schlanke, halb durchsichtige Körper, der kantige Kopf auf dem langen, dürren Hals, die harten Gesichtszüge. Erst jetzt bemerkte Cas’Cahoon, daß der Fremde Gedankenmuster ausschickte, wie es nur einer der Gedankenleser tat.
Und dann wußte er, woher er den Mann kannte. „Sco’Sucoon!“ rief er aus. „Der Verräter an der Bruderschaft! Ich habe dein Bild gesehen, oft sogar! Du bist verbannt worden, und...“ „Bist du fertig, Bruder?“ „Nenne mich nicht ,Bruder’!“ rief Cas’Cahoon. „Du hast die Ideen der Bruderschaft verraten, du hast die Überlieferung in Frage gestellt und damit die Oberen!“ „Ich habe nur gesagt, was viele denken“, entgegnete der Alte und schielte in den Himmel. „Du auch!“ Cas’Cahoon hatte eine heftige Entgegnung auf der Zunge, aber dann schwieg er. „Es ist besser, wenn wir uns auf den Weg machen“, meinte Sco’Sucoon mit einem Blick in die Richtung, wo die Kuppel lag. „Das N’ADOHKAN beginnt sich zu regen.“ Cas’Cahoon starrte ihn an wie einen Geist. „Glaubst du wirklich, daß ich mit dir gehe?“ Sco’Sucoon zuckte die Schultern. „Das ist deine Sache, Bruder. Ich habe es dir angeboten. Aber wenn du glaubst, allein mit dem fertig; zu werden, was dort draußen auf uns wartet, dann halte ich dich nicht.“ Der alte Gläserne bückte sich und hob ein paar Fetzen vom Boden auf, dann ging er ohne weitere Worte auf einen Wohnkugelblock zu. Die Kugeln sahen verkommen aus, wie alles in diesem Gebiet. Cas’Cahoon hatte bisher noch keinen der berüchtigten Randstädter gesehen. Er versuchte, die Geschichten zu verdrängen, die man sich von diesen Leuten - Verbannten und Sträflingen - erzählte. Er ließ Sco’Sucoon ziehen. Der Alte sah sich nicht mehr um. Cas’Cahoon spürte, daß das N’A-DOHKAN tatsächlich wieder aktiv wurde. Es war also höchste Zeit, weiterzuziehen. Halbverfallene Wohnkugeln tauchten links und rechts auf. Er mußte sich einen Weg über Schutt und Abfall bahnen. Hier gab es keine ausgebauten Straßen mehr wie in den Zentrumszonen um die Kristallkuppel, wo die Kasten der Bruderschaft und die Mitglieder des Rates mit ihren Familien wohnten. Cas’Cahoon wurde klar, daß er hier eine andere Welt betrat, in der er früher oder später verloren sein würde. In seiner Umgebung sprach man nicht viel von den Leuten, die in den Außenbezirken der Lichtstadt lebten. Sie waren Parias, Ausgestoßene und Verbrecher. Aber Cas’Cahoon mußte weiter in dieses Gebiet hinein. Das N’ADOHKAN war wieder aktiv und trieb die Stoßwelle seiner Impulse, die die einfachen Gläsernen binnen Sekunden tot zusammenbrechen ließ, weiter voran. Es war im Grunde eine sinnlose Flucht, aber Cas’Cahoon war noch jung, und er hing an jeder Minute seines Lebens. Vor ihm tauchte jetzt eine Reihe umgestürzter Wohnkugeln auf. Er mußte zwischen ihnen hindurch. Links und rechts versperrten Berge von Unrat den Weg, und er ekelte sich vor dem Dreck. „Ich sehe bald selbst aus wie einer von ihnen“, murmelte der junge Gläserne, als er an sich herabsah. Seine Füße waren wund und bluteten an einigen Stellen. Cas’Cahoon schrak zusammen und warf sich gegen eine umgekippte Kugel, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Er schielte aus seiner Deckung in die betreffende Richtung und sah sich instinktiv nach einer Fluchtmöglichkeit um. Dies war eine andere Welt für den Bruderschaftszögling. Cas’Cahoon hatte Angst. Überall schienen die Schatten zu leben. Cas’Cahoon hatte das Gefühl, als steckten hinter den Halden, den umgekippten Blocks und Kugeln Augen, die jeden seiner Schritte beobachteten. Die Bewohner dieser Region konnten nicht einfach verschwunden sein. Auch nicht tot, denn noch hatte die Stoßfront der Wahnsinnsimpulse diese Gegend nicht erreicht. Plötzlich vergaß der Gläserne die Bewegung zwischen den Kugeln. Er starrte verwirrt in den Himmel, der sich künstlich über die Stadt spannte. Cas’Cahoon stieg das Blut in den Kopf und ließ ihn schwindlig werden. Er lehnte an der Wand der umgestürzten Wohnkugel und
atmete schwer. Was noch nie passiert war: Der Himmel verdunkelte sich! Die Schöpfer! fuhr es ihm durch den Kopf. Sie dringen in die Stadt ein! Cas’Cahoon wurde von wilder Panik gepackt und lief ziellos weiter in die Außenbezirke hinein. Die plötzliche Dunkelheit verlieh der Umgebung noch mehr Gespenstisches. Überall waren Schatten. Einmal glaubte der junge Mann ein höhnisches Lachen in seinem Rücken zu hören. Er blieb stehen und fuhr herum, aber er sah nur in fade Dunkelheit, aus der ihn tausend unsichtbare Augen anzustarren schienen. Es wurde noch dunkler! Der Himmel hatte aufgehört zu leuchten! Cas’Cahoon rannte weiter. Er stolperte und schlug sich einen Arm blutig. Die Schmerzen spürte er schon gar nicht mehr. Überall die höhnischen Stimmen und die Augen! Cas’Cahoon warf sich, einem plötzlichen Impuls folgend, in eine offenstehende, gut erhaltene Wohnkugel. Er landete hart auf dem Plastikboden der Behausung. Ich darf mich nicht selbst verrückt machen! versuchte er sich einzureden, aber seine Nerven gehorchten ihm nicht. Ein merkwürdiges Geräusch hing in der Luft. Es kam vom Kunsthimmel. Dort oben spielte sich etwas ab, das weit über das Begriffsvermögen des jungen Gläsernen hinaufging. Wieder sah er die Schatten und die Augen, als er aus dem Eingang der Kugel hinaus in die Dunkelheit spähte. Die Dunkelheit war etwas absolut Fremdes. Es gab keine Nacht in der Stadt der Gläsernen. Cas’Cahoon schüttelte heftig den Kopf, um die Alpdrücke loszuwerden, aber diesmal klappte es nicht. Die Schatten waren immer noch da, und sie bewegten sich. „Nein!“ keuchte der Gläserne und richtete sich halb auf. Aber der Spuk blieb. Jetzt sah er die Gestalten deutlicher. Es waren keine Schatten. Mindestens zehn Frauen und Männer kamen langsam, aber zielstrebig auf den Eingang der Kugel zu. „Zurück! Macht, daß ihr wegkommt!“ schrie Cas’Cahoon mit Todesangst in der Stimme. Aus seinen Augen rannen Verzweiflungstränen. Er griff instinktiv neben sich und fand einen handgroßen, schweren Gegenstand. Ohne zu zielen, schleuderte er ihn in die Front der anrückenden Gestalten. Er konnte nicht heraus, ohne ihnen genau in die Hände zu laufen. Sie hatten ihn in der Falle. Cas’Cahoon kroch weiter in das Dunkel des Wohnblocks hinein, bis seine tastenden Finger etwas berührten. Etwas Weiches. Seine Hand fuhr daran hoch und spürte Stoffetzen. Dann zuckte sie schnell zurück, als sie die Wärme fühlte. In diesem Moment ging das Licht in der Wohnkugel an. Cas’Cahoon schrie entsetzt auf und sprang zurück. Seine Augen leuchteten irr, als er das anstarrte, das sich bisher im Dunkel verborgen hatte. Zum erstenmal in seinem Leben sah er die Bewohner dieser Bezirke leibhaftig vor sich. Cas’Cahoon übergab sich. * Irgendwie funktionierte das Bewußtsein noch. Aber das war eigentlich noch schlimmer als die Ohnmacht. Unfähig, sich zu regen oder gar zu wehren, mußte Skip zusehen, wie sich das Dunkel um ihn herum zusammenballte und ihn immer mehr erdrückte. Die Masse bildete feine Finger aus, die sich in seinen Körper schoben. Sein Gehirn drohte von dem Einströmen monströser Impulse zerdrückt zu werden. Er hatte keine Ahnung, wo sich die anderen befanden. Immer wieder hatte er wache
Augenblicke, dann senkte sich der Nebel auf sein Bewußtsein. Schon zweimal hatte er gespürt, wie er begann, fremde Gedanken zu denken. Die Angst, den eigenen Willen zu verlieren, machte ihn wahnsinnig. Sie hatten alles verloren. Ihre Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Irgend etwas mußte hier geschehen sein. Skip dachte an Cera. Das Kind wartete auf sie. Wieder kam eine neue Welle der Dunkelballung heran. Täuschte Skip sich, oder spürte er Verwirrung in den Impulsen des Monstrums, das von einem Ende dieses Universums bis zum anderen reichte? In dem Dunkel entstand ein feiner, hellgrüner Riß. Skip kannte diese Erscheinung. So sahen die Himmelsadern aus, die sich zwischen den Welten spannten. Jähe Hoffnung keimte in dem Raumfahrer auf und durchbrach für einen Moment den Bann des Dunkels. Plötzlich vergrößerte sich der j Spalt. Skip glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, als er in das kleine Gesicht sah, das ihn anlachte. Dann war es so schnell verschwunden, wie es erschienen war. Skip fühlte wieder die Panik sein Rückgrat hochkriechen. Er war bereits verrückt und phantasierte! Und dann wurde er schwach. Das Denken fiel ihm schwer. Aber er erfaßte noch, daß etwas mit ihm passierte.
3. Cera wollte spielen! Aber nicht mit den dummen Robotern. Cera wollte mit der dicken Tante spielen, mit Tante Harry. Das Kind war knapp vier Monate alt, aber es wirkte wie eine Zweijährige. Cera wurde schnell älter. Tante Harry soll kommen! dachte Cera, aber Tante Harry kam nicht. Keiner von ihnen war da, nur die Roboter. Cera konnte die Roboter nicht leiden. Sie waren dumm und leer im Kopf. Wie sollte sie mit ihnen spielen, wenn sie leer im Kopf waren? Tante Harry war da ganz anders. Sie hatte komische Dinge im Kopf, wenn sie mit Cera spielte. Tante Harry war sogar doppelt! Cera zappelte und kroch aus der Decke. Dann ließ sie sich von ihrem kleinen Lager fallen und plumpste auf den weichen Boden. Sofort war einer der Roboter da. „Hau ab, du kümmerlicher Kasten“, lispelte Cera. Das meiste, was sie bisher sprechen konnte, hatte sie von Tante Harry gelernt. Wenn Mam und Pa dabei waren, schimpften sie immer. Aber jetzt waren sie ja weg. Der Roboter verstand wohl nicht, daß Cera ihn nicht leiden konnte. Das Kind richtete sich auf und guckte den Blechkerl drohend an. „Willst du nicht?“ Aber das Ding blieb stehen und machte Anstalten, nach Cera zu greifen. Mit seiner langweiligen Blechstimme versuchte er, auf sie einzureden. Jetzt ärgerte sich Cera über die Begriffsstutzigkeit. Sie wünschte sich, daß er verschwinden sollte. Einfach weg mit dem Kasten! Im nächsten Augenblick war die Stelle, wo der Roboter gestanden hatte, leer. Cera klatschte in die Hände und freute sich königlich. Sie stakste hinüber in die große Kabine und ließ sich in den Sessel fallen, in dem Tante Harry immer saß, wenn sie da war. Zwischen zwei Polstern fand sie ein Bilderbuch. Cera begann begeistert darin zu blättern, aber die Bilder waren immer gleich. Cera sah nur immer wieder Frauen wie Mam. Sie lachten dumm und sahen so aus wie Mam, wenn sie sich abends auszog. Wenn Tante Harry jetzt doch hier wäre! Und Pa und Mam. Es war langweilig so allein. Die dummen Roboter waren nicht lustig. Sie dachte an Tante Harry, Pa und Mam. Cera versuchte, sich ihre Gesichter so plastisch wie möglich vorzustellen. Und dann sah sie sie. Aber Cera erschrak. Denen ging es gar nicht gut! Irgendein scheußliches Ding hatte sie gefangen und hielt sie fest!
Cera bekam Wut. Und sie ließ sie an dem Ding aus. „Das könnte passen!“ kicherte Cera belustigt, als sie sich vorstellte, wie das Ding erschrecken würde. Aber der Spruch stimmte noch nicht ganz. Cera mußte Tante Harry bald einmal fragen, wie das richtig hieß. Cara wurde müde und stieg wieder in ihr kleines Bett nebenan.
4. Skip blinzelte und schloß sofort die Augen wieder. Alles drehte sich, und das, was ihm seine Sinne vorgegaukelt hatten, paßte so recht in den Wahnsinn, der von ihm Besitz ergriffen hatte. Zuerst sah er grüne Fäden in einem Raum, wo es nur grenzenloses Dunkel geben konnte, dann erschien Ceras Gesicht vor ihm, und jetzt, nachdem er das Gefühl gehabt hatte, durch hundert Fleischwölfe gedreht zu werden, sah er sich mitten auf dem großen Platz in der Siedlung der Geistesformer. Der Lift in Skips Kopf fuhr langsamer aufwärts und kam allmählich zur Ruhe. Skip machte einen neuen Versuch. Diesmal war es das gleiche Bild. Er befand sich wirklich auf der Welt der Geistesformer. In einem weiten Kreis sah er die schlanken Körper der transparent wirkenden Humanoiden. Sie verhielten sich ruhig und beobachteten. Skip hörte hinter sich eine bekannte Stimme, die ihm endgültig klarmachte, daß er nicht träumte. „Also raus mit der Sprache: Wer von euch Burschen hat mir diesen Weibskörper verpaßt! Ich verstehe ja einiges an Spaß, aber das geht nun wirklich zu weit. Also heraus damit!“ Skip stöhnte und drehte sich um, während er aufstand. Sofort schoß ihm das Blut in den Kopf und hämmerte in den Schläfen. Nach einer halben Minute war es vorbei, aber er mußte sich vorsichtig bewegen. Christine lag neben ihm am Boden und war noch ohne Bewußtsein. Sie befanden sich tatsächlich auf dem bekannten großen Platz mitten in der Siedlung dieser Wesen. Sie lag in der Dunkelzone ihrer Welt, wo sie vor den Herrschern sicher waren. Der freie Platz wurde von scheinbar frei in der Luft schwebenden Plattformen umrahmt, die bei genauem Hinsehen durch feine Verstrebungen miteinander verbunden waren. Tausende von bunten Leuchtkörpern tauchten die Plattformen in ein visionäres Licht. Skip spürte sofort die magische Wirkung, die davon ausging. Es war wie beim erstenmal, als sie gekommen waren, um die Geistesformer um ihre Hilfe und um neue Körper zu bitten. Nach ihrer Rückkehr ins Universum hatten die Menschen viel über diese geheimnisvolle Rasse gerätselt. Nur durch sie war ihnen die Flucht geglückt. Und keiner hatte die geringste Ahnung, wie sie das angestellt hatten. Ebenso gab es keine Erklärung dafür, wie sie plötzlich aus den Fängen des Monstrums hierhergelangten, nachdem die Hilfe beim Durchgang durch das Weltentor ausgeblieben war. Skip hatte bereits einmal darüber nachgedacht, ob diese dürren Wesen, die über die Fähigkeit verfügten, aus den Kräften ihres Geistes Materie nach ihren Vorstellungen zu formen, nicht vielleicht sogar zu den alten Völkern gehörten, von denen die Legenden sprachen. Auf jeden Fall verdankten die Menschen ihnen das Leben. Und Harry Vanderbuilt brüllte die armen Kerle wegen seines Körpers an! „Also, wird’s bald?“ hörte Skip ihn jetzt wieder. Harry hatte noch nicht bemerkt, daß Skip wach war. Er gestikulierte heftig und hatte sich einen der gläsern wirkenden Humanoiden herausgesucht, auf den er einredete. „Wer ist hier der Führer? Ich will mit ihm reden!“ „Harry! Beherrsche dich!“ rief Skip. Vanderbuilt fuhr herum.
„Skip! Gut, daß du wach bist! Du mußt mir helfen. Sie müssen mir einen anderen Körper verschaffen.“ „Gar nichts müssen sie. Sieh zu, daß du dich um Christine kümmerst, und überlaß das andere mir.“ Vanderbuilt starrte ihn entrüstet an, dann zog er ab, ohne Skip eines weiteren Blickes zu würdigen. Skip erinnerte sich noch gut an das erste Zusammentreffen mit dem Geistesformern. Er machte eine Begrüßungsgeste und fragte nach dem Sprecher. * Die drei saßen zusammen auf einer fast drei Meter hohen, rechteckigen Plattform. Skip hatte lange mit den Wesen dort unten auf dem Platz gesprochen und dabei erfahren, warum sie nicht sofort bei ihrer Materialisation vor der Weltenschleuse eingegriffen hatten. „Irgend etwas ist, wieder zum Leben erweckt worden, das Jahrmilliarden geschlummert haben muß“, erklärte Skip den Gefährten. „Eine Art Geheimwaffe gegen die Schöpfer. „Unser erstes Auftauchen in diesem Kosmos muß einen Funkeneffekt auf den überall schlummernden Widerstand gehabt haben. Sie rechneten mit unserer Rückkehr und haben das N’ADOHKAN wiedergeboren.“ „Das... Was für ein Ding?“ „Sie nennen es N’ADOHKAN. Aber keiner weiß, was wirklich hinter dem Begriff steckt. Es muß noch aus der Zeit des Urkampfs zwischen den beiden Schöpfungsmächten stammen. „Und wo ist dieses... N’ADOHKAN jetzt?“ fragte Christine. „Auf einer Welt, die ebenso Legende ist wie das Ding selbst. Sie reden nur mit größtem Respekt davon. Auf dieser Welt soll noch eines der alten Völker leben, in einer sogenannten Stadt der Gläsernen.“ „Die Burschen da unten sind also keine Angehörigen eines dieser alten Völker, wie wir vermuteten?“ fragte Christine. Skip schüttelte den Kopf. „Sie stammen von diesen Gläsernen ab. Immerhin haben sie einige phantastische Fähigkeiten.“ „Unsere Körper...“, meinte die Frau. Skip nickte. „Auch das. Es ist übrigens sehr interessant, wie sie die Muster dazu bekamen. Das dürfte auch unseren Freund Harry interessieren.“ Hafry Vanderbuilt saß allein in einer Ecke und reagierte nicht. „So?“ fragte Christine mit einem Zwinkern. „Wie denn?“ „Sie fanden sie in unseren Gedanken. Bis zu einem gewissen Grad sind sie ja Gedankenleser wie ihre Vorfahren.“ „Oho!“ machte Christine und lachte belustigt. „Aber das heißt ja...“ „... daß sie sich daran orientierten, welche Idealvorstellungen wir von unseren neuen Körpern tief im Unterbewußtsein hatten. Du und ich, wir waren mit unseren alten Körpern zufrieden, und so bekamen wir fast eine genaue Kopie. Christopher ging es ebenso. Bei Harry allerdings...“ „Du meinst, Harry hat sich schon immer im stillen gewünscht, eine Frau zu sein?“ spann Christine den Faden weiter und hatte Mühe, die Heiterkeit zu unterdrücken. Im nächsten Moment krachte ihr ein Stiefel in den Rücken. „Sie haben nur vergessen, ihm auch damenhafte Manieren beizubringen“, spöttelte Skip und duckte sich, als der zweite Stiefel heranflog. Vanderbuilt stand auf und ging zu der nächsten Verstrebung, über die er nach unten klettern konnte. „Ihr könnt mich alle gern haben!“ brüllte er, daß die unten sitzenden Bewohner dieser Zone erschreckt die Köpfe hoben, und verschwanden.
„Wir sollten ihn nicht dauernd aufziehen“, meinte Christine lachend und sah ihm über den Rand der Plattform nach. „Er verträgt’s.“ Christine kroch zu Skip heran. „Was sagten sie noch?“ „Eine ganze Menge. Zum Beispiel verstehen wir ihre Sprache wie unsere eigene, weil sie eine unbedeutende Manipulation an unserem Gehirn vorgenommen haben, als sie uns die neuen Körper gaben. Wir dürften also auch in der Stadt der Gläsernen keine Schwierigkeiten haben.“ „Du willst... ?“ „Was denkst du?“ fragte Skip überrascht zurück. „Nur dort haben wir eine Chance. Wir müssen wissen, was damals geschah, denn der Schlüssel zur Vernichtung des Monstrums liegt in der Vergangenheit. Diese Welt muß ein zentraler Punkt in diesem Kosmos sein, wenn nicht der Knotenpunkt überhaupt. Außerdem interessiert mich dieses N’ADOHKAN. Angeblich soll es die ultimate Waffe im Kampf gegen die Schöpfer sein. Aber sie sagen, daß es wahnsinnig geworden sei. Es muß dort oben Tod und Schrecken verbreiten, nachdem es der Kontrolle dieser Gläsernen entglitt.“ Christine nickte. Sie hatte etwas auf dem Herzen. „Cera?“ fragte Skip. „Was ist mit ihr? Wissen sie etwas über sie?“ Skip schüttelte den Kopf, nahm Christine in den Arm und strich ihr sanft durch das Haar. „Schlaf jetzt“, sagte er. „Morgen geht’s früh los. Sie sagten, daß sich eine Himmelsader aufbaut.“ Christine erschauderte. Sie dachte an ihren letzten Transport in diesem unfaßbaren Medium, das sich von Welt zu Welt spannte. * Das milliardenarmige Ungeheuer, das seit den Tagen der Verbannung diesen Kosmos beherrschte und in jedem Winkel seine Fühler hatte, war in Aufruhr geraten. Es war etwas erwacht, das die Schatten des URKAMPFS wieder heraufbeschwor. Gleichzeitig waren die Fremden zurückgekehrt. Diesmal aber war es nicht gelungen, einen Teil der Substanz ins ALTE UNIVERSUM zu schleusen. Die Fremden waren gewarnt gewesen und hatten vorgesorgt. Und da war eine Kraft, für die es keine Erklärung gab. Sie kam ebenfalls aus dem ALTEN UNIVERSUM, aber der Weltentunnel war seit dem Erscheinen der Fremden wieder verschlossen. Das Monstrum war verwirrt. Die Rebellen bereiteten etwas vor. Aber sie hatten keine Chance. Die Fühler der Urmacht legten sich über die Welten dieses Kosmos und drangen in die Gehirne der Wesen ein, die nicht durch die dunklen Zonen geschützt waren. Das Monstrum peitschte Haß in ihre Gehirne und trieb sie zum Kampf gegen die Bewohner der Dunkelzonen. Damit war das Signal für einen Krieg gegeben, wie er noch nie zwischen den Intelligenzen dieses Universums getobt hatte. Es war der sichtbare Ausdruck für die Panik, in die die Urmacht geraten war. Bereits einmal war sie von den Wesen des ALTEN UNIVERSUMS geschlagen und verbannt worden. Das war vor Jahrmilliarden gewesen. Die rätselhaften Impulse aus dem ALTEN UNIVERSUM glichen denen der damaligen Sieger. Und sie wurden stärker. *
Früh am nächsten Morgen hatten sich Christine, Skip und Harry, in dem immer noch das Bewußtsein von Christopher Reed steckte, auf den Weg gemacht. Fünf ihrer Gastgeber begleiteten sie bis zu der organischen, von innen heraus leuchtenden Kuppel, über der sich die Ader aufbauen würde. Dann jedoch blieben sie zurück. Die Stadt der Gläsernen war ein Heiligtum für die Geschöpfe dieses Kosmos. Nie würden sie es wagen, sie ohne Aufforderung zu betreten. Das Tabu war tief in ihnen verwurzelt. Die Geistesformer hatten Skip erklärt, wie sie zu dem Planeten kamen. Sie mußten einige Male neue Himmelsadern benutzen, die sich zu ganz bestimmten Zeiten aufbauten. Dabei hatten sie sich zu beeilen, um nicht wieder den Beherrschern dieses Alls in die Hände zu fallen. Am Ende würden sie irgendwo in der Stadt landen. Wo genau, das konnten ihre Führer nicht sagen. Sie wußten auch nicht mehr, als die Legenden hergaben. Selbst die ältesten unter ihnen hatten nie von jemand gehört, der die Stadt der Gläsernen erreicht und lebend wieder verlassen hatte. Einige hatten es versucht, aber man hatte nie wieder von ihnen gehört. Die fünf Geistesformer machten kehrt und gingen zurück zu ihrer Siedlung. Der Weg führte durch die endlose Öde der Dunkelzone. Die Fremden taten ihnen leid. Sie hatten keine Chance, ihr verwegenes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Trotzdem imponierte ihre Entschlossenheit den Rebellen. Jene Wesen, die einst die Schöpfer besiegt und verbannt hatten, mußten so gewesen sein wie sie. Vielleicht schaffen sie es doch. Vielleicht gelang es ihnen, dem N’A-DOHKAN zu entgehen und ihren alten Freund zu befreien. Vielleicht fanden sie ihre verlorenen Körper wieder. Sie wünschten es ihnen.
5. Cas’Cahoon würgte immer noch, als er an die Wand der Kugel zurückwich und in einem Haufen Abfall landete. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Unrat. Cas’Cahoon achtete nicht auf den penetranten Gestank. Er starrte immer noch aus weit aufgerissenen Augen auf die Kreaturen, die im Zwielicht der Kugelbeleuchtung näher kamen. Was er sah, konnte nicht wahr sein! „Weg!“ schrie er und streckte abwehrend die Hände aus. „Macht, daß ihr verschwindet!“ Aber die Kreaturen achteten nicht auf seine Worte. Immer mehr von ihnen quollen durch den Eingang und scharten sich um ihn. Cas’Cahoon sah in warzenübersäte, zahnlose Gesichter. Neben alten Frauen und Männern schoben sich bucklige und grausam verunstaltete Jünglinge heran. Das waren keine Gläsernen mehr! Was da unaufhaltsam auf ihn zukam, waren Gestalten aus einem Alptraum. Aber sie waren real. Mit verrücktem Grinsen und irren Augen traten sie immer näher. Cas’Cahoon versuchte, auf dem Schuttberg weiter hochzuklettern und Raum zwischen sich und die Kreaturen zu bringen. Immer wieder strauchelte er. Die Mauer aus stinkenden, zerlumpten Leibern hielt stets den gleichen Abstand zu ihm. Sie spielen mit mir!, durchfuhr es den jungen Gläsernen. Sie wissen, daß ich ihnen sicher bin! Cas’Cahoon stand jetzt endgültig fest an der nach innen gewölbten Wand. Die lebende Mauer hielt vor ihm an. Und dann begannen die alten Frauen und Männer Cas’Cahoon anzuspucken, während die jüngeren ihn mit Schmutz bewarfen. „Ihr seid ja verrückt!“ schrie Cas’Cahoon ihnen entgegen, während er die Arme hochriß, um sein Gesicht zu schützen. Seine Stimme überschlug sich. „Macht, daß ihr wegkommt! In wenigen Minuten werdet ihr alle sterben, versteht ihr nicht?“
Die Mauer teilte sich, und ein Mann in mittleren Jahren kam zum Vorschein. Sein Gesicht war zerfurcht, die Haut dreckverschmiert. Eine lange Narbe zog sich quer über die haarlose Stirn. „Ja, das ist einer von ihnen“, sagte der Ausgestoßene, nachdem er Cas’Cahoon eingehend gemustert hatte. „Einer von den verdammten Oberen aus dem Zentrum.“ „Du verstehst mich?“ fragte Cas’Cahoon überflüssigerweise. Selbstverständlich hatten die Randstädter die Sprache der Gläsernen nicht verlernt, auch wenn sie Analphabeten waren. Immer wieder bekamen sie Nachschub aus dem Zentrum. „Du mußt sie warnen, in kurzer Zeit wird das N’ADOHKAN hier sein und alle töten. Ich fühle es schon!“ „Spare dir die Luft für den Mast auf“, zischte eine alte Frau ihn an. „Ihr haltet uns für sehr dumm, wenn ihr glaubt, mit solchen Tricks eure Haut retten zu können.“ Cas’Cahoon verzog angewidert das Gesicht. Er sah den Mann an, der vorgetreten war, und erkannte eine Spur von Erschrecken in seinem Gesicht. Er wußte, was ihnen blühte. „Sag es ihnen!“ schrie Cas’Cahoon außer sich. „Sag ihnen, daß es wahr ist!“ Der Mann blickte ihn fast mitleidig an. „Packt ihn!“ rief er dann den anderen zu. „Schafft ihn auf den Platz!“ Als hätten sie lange auf dieses Signal gewartet, stürzten sich die Horrorgestalten auf den jungen Gläsernen, der noch vor wenigen Tagen zur Elite der Lichtstadt gehört und dem man eine glänzende Zukunft prophezeit hatte. Cas’Cahoon schlug wild um sich, aber die Meute war stärker. Unter Schlägen und Beschimpfungen schleppten sie Cas’Cahoon auf den Ausgang zu. * Sie zerrten Cas’Cahoon auf das hinaus, was einmal eine Straße gewesen war und stießen ihn brutal auf den rauhen Boden. Bevor er sich aufrichten konnte, erhielt er einen heftigen Tritt und wurde zwei Meter nach vorn geschleudert. Was muß mit diesen Kreaturen geschehen sein, daß sie so hassen können! dachte Cas’Cahoon bitter, während er auf die Füße kam. Sie ließen ihm keine Ruhe und trieben ihn vorwärts, einem ihm unbekannten Ziel zu. Vor ihm ging nur der Mann, der ihr Anführer zu sein schien. Ein Rudel wilder Tiere! Cas’Cahoon konnte sich nicht vorstellen, daß sie immer so gewesen waren. Irgend etwas mußte sie dazu gemacht haben. Der Gläserne ließ sich treiben und leistete keinen Widerstand. Er spürte, daß es keinen Zweck mehr hatte. Alles war so sinnlos geworden. Seine Brüder lebten nicht mehr. Sie waren gestorben, als das N’ADOHKAN erwachte. Und jetzt bereitete sich das Monstrum , in das sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatten, unaufhaltsam aus. Es würde die letzten Überlebenden bis an die Grenze der Stadt treiben, wo die Fühler der verhaßten Schöpfer lauerten. Cas’Cahoon war so und so verloren. Wer sollte ihn jetzt noch retten können? Aber ihn beschäftigten die Kreaturen, die hier lebten. So schlimm hatte er sich das nicht vorgestellt. Cas’Cahoon spürte, daß er hier etwas kennengelernt hatte, das all seine bisherigen Anschauungen über den Haufen warf. Hatten die Oberen gewußt, welches Elend in den Außenbezirken herrschte? Kam daher der Haß dieser Leute? Er erhielt einen Tritt und wurde erneut vorwärts geschleudert. Dann packte ihn eine Faust und zog ihn nach rechts herum. Eine kleine Gasse zweigte von dem Trampelpfad ab. Über Müll und faulende Lebensmittelreste wurde Cas’Cahoon weiter getrieben. Von was für einem Mast hatte die Alte gesprochen? Cas’Cahoon bekam die Antwort, als sie plötzlich auf einen freien Platz traten. In der Mitte dieses Platzes hatte man einen drei Meter hohen Mast in den Boden gerammt, an dessen oberer Hälfte eine gläserne Gestalt hing, die mit Stricken festgebunden war. Cas’Cahoon begann zu toben und sich herumzuwerfen. Aber der Mob hinter ihm war stärker.
Sie packten seinen Kopf und drehten ihn zurück, so daß er auf den Mast blicken mußte. Es war nicht nur der tote Körper des Mannes, der einen plötzlichen Weinkrampf bei Cas’Cahoon auslöste. Es war das Gesicht. Der Tote am Mast war Sco’Sucoon. * Cas’Cahoon hatte nur den einen Wunsch, daß alles schnell zu Ende gehen möge. Innerhalb kurzer Zeit war eine ganze Welt in dem jungen Gläsernen zusammengebrochen. Er hatte alle Illusionen verloren. Sein bisheriges Leben unter den Mitgliedern der Bruderschaft war in der Harmonie des Glaubens verlaufen. Er hatte sich als Hüter der Tradition und Bewahrer des Erbguts seines Volkes verstanden. Seine Umwelt war eine Idylle gewesen, die durch keinen Mißton gestört wurde. Die Oberen der Bruderschaft, die zugleich die höchsten Verwalter der Lichtstadt waren, hatten diese Harmonie gestärkt. Zwar wußte man im Zentrum, daß es Teile der Stadt gab, in denen die Ausgestoßenen lebten, aber man schwieg darüber. Ebenso wie über die Gürtel direkt an der Grenze der Stadt, die dafür sorgen sollten, daß keine unerwünschten Eindringlinge das Heiligtum betraten. Es hatte nie einen Kontakt zwischen dem Zentrum und den Außenbezirken gegeben. Cas’Cahoon zweifelte nun daran, daß die Oberen ihnen allen die Wahrheit gesagt hatten. Sie, die die Stadt kontrollierten, mußten gewußt haben, was hier vor sich ging. Dann aber hatten sie gelogen und die Jungen getäuscht. Cas’Cahoon schössen viele Gedanken durch den Kopf, während ihn die Meute auf den Mast zutrieb. Es war nun alles gleichgültig. Aber die Gedanken ließen ihn nicht los. Wenn die Oberen sie belogen hatten, gab es dann noch ganz andere Dinge, von denen Cas’Cahoon nichts wußte? Was lag an der Grenze der Stadt? War es möglich, daß die Oberen sogar die Überlieferungen manipuliert hatten? Wußten sie am Ende selbst nicht mehr, was ursprünglich in den Legenden gestanden hatte? War es deshalb zur Katastrophe bei der Wiedergeburt des N’ADOHKAN gekommen? „Schlaf nicht ein!“ zischte ein altes Weib hinter Cas’Cahoon und stieß ihn mit einem Knüppel in den Rücken. Cas’Cahoon krümmte sich vor Schmerzen. Jetzt machten sich drei Männer an dem Mast zu schaffen. Sie kletterten eine Art Leiter hinauf und schnitten Sco’Sucoon los. Der tote Körper fiel auf den harten Boden und wurde von ein paar Frauen an den Rand des Platzes gezerrt. Der Anführer der Meute kam auf Cas’Cahoon zu und blieb dicht vor ihm stehen. Cas’Cahoon versuchte gar nicht erst, seinen Ekel zu verbergen, als ihm der Gestank, der von dem Mann ausging, in die Nase stieg. „Warum?“ fragte er nur. Der Mann sah ihn aus listigen Augen an und grinste leicht. Er war nie im Leben unter diesen Kreaturen aufgewachsen. Cas’Cahoon zweifelte keinen Augenblick daran, daß er es mit einem früheren Angehörigen der Bruderschaft zu tun hatte. Vielleicht sogar mit einem der Oberen, die in regelmäßigen Abständen den sogenannten Erneuerungen zum Opfer fielen und verbannt wurden. „Wir haben lange warten müssen“, sagte der Mann dann mit der Stimme eines Fanatikers. „Jetzt ist unser Tag gekommen!“ Er sah in die Masse der zerlumpten Leiber und hob die Hände in einer theatralischen Geste. „Die Himmel geben das Zeichen!“ rief er mit Pathos in der Stimme. Die Meute begann zu johlen und beruhigte sich erst wieder, als ihr Anführer sie beschwichtigte. Cas’Cahoon sah dem Mann in die Augen. Der Bursche glaubte selbst nicht an das, was er sagte! „Warum tust du das?“ fragte Cas’Cahoon. Die grollenden Frauen und Männer interessierten ihn nicht. In ein paar Minuten würden sie ihn an den Mast binden und ebenso zu Tode quälen
wie Sco’Sucoon. Cas’Cahoon hatte sich damit abgefunden, obwohl er grausame Angst spürte. Aber er war geschult worden, die Realitäten zu akzeptieren. Er konnte die Gedanken der Masse nicht lesen, weil sich darunter anscheinend kein Telepath befand, der als Gegenpol wirkte. Aber er empfing den unbändigen Haß der Leute. Alles, was Cas’Cahoon noch wollte, war Gewißheit. Hatte er sein ganzes Leben für ein Phantom gelebt, den; Betrug einer skrupellosen Clique von MÄCHTIGEN? Der Mann, der eine Art Prophet für die armseligen Kreaturen dieses Außenbezirks der Lichtstadt zu sein schien, hob wieder beschwörend die Hände und verkündete: „Dies ist unser Tag! Der Tag, auf den wir ein Leben lang gewartet haben. Die Oberen im Zentrum sind tot, und den Rest werden wir ins Jenseits befördern wie den da“, er zeigte dorthin, wo Sco’Sucoons Leiche lag. „Wir werden die Stadt übernehmen und die Herrschaft der Oberen ein für alle Mal auslöschen!“ Die Menge grölte noch lauter als vorhin. Der Anführer genoß den Jubel jetzt sichtlich. Er wartete eine halbe Minute, dann streckte er die Hände weit in die Höhe. „Wir werden die Stadt des Lichts wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuführen und den Kampf gegen die Schöpfer aufnehmen, wie unsere Ahnen es von uns erwarteten!“ Er ist verrückt! dachte Cas’Cahoon. Ein Wahnsinniger, dem die Massen willig folgten. Ein Scharlatan, der die Emotionen und das Elend dieser Leute skrupellos ausnutzte, um seinen Hunger nach Macht zu stillen. Cas’Cahoon wußte, daß der Mann Gedankenleser war, wenn er auch einen Block um seine Gedanken legte. Er mußte also wissen, was in diesen Augenblicken im Zentrum geschah. Er wußte bestimmt auch, daß das N’ADOHKAN bereits in wenigen Minuten diese Region erreicht hatte! „Hört nicht auf ihn!“ schrie der junge Gläserne in einem letzten Anflug von Verzweiflung. „Er ist keiner von euch! Er ist ein verstoßener Oberer! Er gehörte vor kurzem noch zu denen, die ihr haßt!“ „Genug!“ unterbrach der Mann Cas’Cahoons Ausbruch. „Bindet ihn an den Mast!“ Als hätte die Meute nur darauf gewartet, schob sie Cas’Cahoon auf den mächtigen Pflock zu und zerrte ihn auf das Leitergestell. Cas’Cahoon schlug mit Händen und Füßen um sich und versuchte, sich loszureißen. Er wußte, daß es sinnlos war, aber die Panik mobilisierte seine letzten Kräfte. Die Todesangst war stärker als die Einsicht. Cas’Cahoon war noch sehr jung, und er wollte leben! Sie zogen ihn hoch. Von unten schoben andere seinen Körper nach oben, wo bereits die ersten Stricke um seine Armgelenke und seinen Hals gelegt wurden. Cas’Cahoon ruckte hoch, als ein Riemen um seine Kehle festgezogen wurde. Einen Moment lang bekam er keine Luft, dann prallte er mit dem Hinterkopf gegen das Holz des Mastes. Sein Körper wurde schlaff, und Cas’Cahoon spürte, wie sich die Riemen um seine Hüften und die Beine spannten. Dann hing er fest. Die Männer stiegen die Leiter herunter und kippten das Gestell beiseite. Cas’Cahoon atmete schwer und blickte hinab auf die Meute. Erst jetzt erkannte er, wie viele von ihnen gekommen waren. Die Frauen und Männer, die Kinder mußten von überall herbeigeströmt sein. Cas’Cahoon blickte in ein Meer von glühenden, erwartungsvollen Augen. Plötzlich taten diese Leute ihm leid. War es nicht ganz natürlich, daß sie diejenigen hassen mußten, die sie in diesem grenzenlosen Elend leben ließen? Cas’Cahoon dachte an die Lehrsätze, die man ihm beigebracht hatte, als er als Schüler auf die Aufnahme in die Bruderschaft wartete. Alle Gläsernen waren Brüder! Keine Feindschaft unter den Gläsernen. Es gab nur einen einzigen Feind. Cas’Cahoon sah zum Himmel auf. In der Dämmerung glaubte er ein dunkelrotes Wabern zu erkennen. Wenn der Himmel einmal instabil wurde, würden die Schöpfer schnell in der Stadt sein. Wenn es doch nur ein Mittel gäbe, das rasend gewordene N’ADOHKAN, was immer das auch in Wirklichkeit war, zum Stillstand zu bringen! Cas’Cahoon merkte, daß sich seine Gedanken um Dinge drehten, die illusorisch geworden
waren. Er hatte mit dem, was durch die Wiedergeburt des mysteriösen N’ADOHKAN eingeleitet worden war, nichts mehr zu tun. Cas’Cahoon hoffte nur noch, daß es schnell gehen würde. „Er gehört euch, Leute!“ rief der Anführer der Außenstädter und griff nach einem Stein. Er hob ihn hoch und schwenkte ihn vor den Gesichtern der Meute, dann schleuderte er ihn auf Cas’Cahoon. Der Gläserne wollte instinktiv ausweichen, aber die Riemen schnitten sich sofort schmerzhaft in sein Fleisch. Der Stein traf ihn an der Stirn. Flimmernde Sternchen erschienen vor Cas’Cahoons Augen. Er sah nur undeutlich, wie die Frauen und Männer unter ihm jetzt in ihre Lumpen griffen und Steine, leere Büchsen und andere schwere Gegenstände zum Vorschein brachten. Dann flogen die ersten Brocken heran und trafen. Cas’Cahoon spürte nach den ersten Treffern keinen Schmerz mehr. Eine endlose Dunkelheit griff nach seinem Geist. Immer wieder tauchten bunte Schemen auf und schienen Formen annehmen zu wollen. Dazwischen wisperten leise Stimmen. Die Erkenntnis traf Cas’Cahoon wie ein Peitschenschlag, der seine schon fast erloschenen Lebenskräfte noch einmal zurückbrachte. Fremde Impulse! Der Gläserne nahm wahr, daß irgend etwas nicht stimmte. Erst nach einiger Zeit merkte er, was es war. Es wurden keine Steine mehr geschleudert, und auch das Gebrüll der Meute war verstummt. Cas’Cahoon öffnete die Augen und starrte auf die toten und sich stumm windenden Körper. Am Rand seines Blickfelds sah er, wie einige Leute davonrannten und in verstopfte Gassen flohen. Und jetzt griff das Chaos auch nach seinem Gehirn. Cas’Cahoon wußte, daß das N’ADOHKAN ihn vor der Meute gerettet hatte. Aber nur, um seinen Todeskampf um ein paar Minuten zu verlängern. Der Gläserne war zwar gewissermaßen abgehärtet, aber auch er konnte nicht lange im Bannkreis dieses Monstrums leben, das aus einer milliardenjährigen Starre erwacht war. Vielleicht stimmten die Dinge, die ihn die Oberen gelehrt hatten, auch gar nicht. Vielleicht hatten sie auch die Überlieferungen über dieses Wesen manipuliert. Die Impulse wurden unerträglich. Und wieder waren da die Schatten und Stimmen! Fremde! schoß es Cas’Cahoon durch den Kopf. Fremde, die in die Stadt eingedrungen waren! Irgendwo am Rand des Kunsthimmels. Er erinnerte sich an die Gerüchte von den vier Fremden, die angeblich vor kurzer Zeit aus dem Alten Universum gekommen waren und die Beherrscher dieses Kosmos in Aufruhr gebracht hatten. Sie waren der Grund für die Wiedergeburt des N’ADOHKAN gewesen! Noch einmal flackerte wilde Hoffnung in Cas’Cahoon auf. Er sah eine neue Auf gäbe, die seinem Leben doch noch einen Sinn geben konnte. Aber gerade das machte alles noch viel schmerzhafter für ihn. Der Würgegriff des Unheimlichen legte sich wie eine eiserne Pranke auf ihn. Hilflos wartete der junge Gläserne auf den Tod. * Es war ein unfaßbarer Kosmos, und nur die Tatsache, daß sie bereits einmal zwischen den Welten dieses Alls gereist waren, ermöglichte Christine, Skip und Vanderbuilt, schnell genug zu reagieren. Ihr Weg führte von der Welt der Geistesformer über ein gutes Dutzend anderer Planeten zu jener Welt, auf der sich die mysteriöse Stadt der Gläsernen befinden sollte. Der Transport von einer Welt zur anderen lief immer nach dem gleichen Muster ab. Auf vielen Planeten dieses Kosmos, der nicht viel gemeinsam mit dem Weltall des
Heimatuniversums hatte, existierten Dunkelzonen, die durch einen unbekannten Faktor vom übrigen Universum abgeschnitten waren. Hier bestanden die Bastionen derjenigen Wesen, die immer noch nicht willens waren, sich den Herrschern zu beugen, die vor Urzeiten alles Leben versklavt hatten. Die Planeten dieses Kosmos standen nicht im leeren Raum, sondern zogen ihre Bahn in einer zusammenhängenden Masse. Die wenigsten umkreisten eine Sonne. Viele Welten lebten von innen heraus und spendeten sich ihr eigenes Licht. Von jeder dieser Dunkelzonen spannten sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Brücken zu den anderen Welten, sogenannte Himmelsadern. Zu bestimmten Zeiten entzogen sich diese Adern der Kontrolle des alles beherrschenden Monstrums. Dann konnte man in ihnen zu den anderen Welten getragen werden. Die Orientierung in diesem vollkommen fremdartigen Universum gelang den Menschen nur, weil sie sich in den letzten Monaten abgewöhnt hatten, Fragen zu stellen. Sie hatten zuviel erlebt. Heute waren sie in der Lage, sich sofort auf eine neue Situation einzustellen. Dennoch waren sie verwirrt, als sie die Endstation ihrer Reise erreichten. Sie standen in einer von fadem Dämmerlicht erfüllten Landschaft. Der Boden war fest, aber von Staub und Sand bedeckt. Hier und da standen kugelförmige Bauten mit kleinen Fenstern darin. Zwischen ihnen ragten Türme in die Luft und schienen den flackernden Himmel zu berühren. „Der Kunsthimmel, von dem sie sprachen“, stellte Skip fest und zeigte nach oben. „Wie ich mir’s dachte“, kommentierte Vanderbuilt. „Ein riesiger Schirm, der sich über die Stadt spannt und das Monstrum abhält.“ „Ja, aber nur dasjenige dort draußen.“ Sie drehten sich um. Hinter ihnen neigte sich der Himmel und vereinigte sich mit dem Boden. Sie waren am äußersten Rand der Stadt aus der Ader gekommen, die sich sofort wieder aufgelöst hatte. Das hieß, daß der Weg zurück abgeschnitten war. Sie mußten zum Zentrum. Aus den Berichten der Geistesformer wußten sie, daß die Stadt in mehrere Ringe aufgeteilt war. Im Zentrum befand sich die sogenannte Kristallkuppel. Dort sollte sich dieses N’ADOHKAN befinden, was immer das auch sein mochte. Die Frage war, inwieweit die Überlieferungen noch den Realitäten entsprachen. „Lichtstadt, pah!“ sagte Vanderbuilt. „Wenn die Beschreibung dieser Körperverdreher stimmt, dann müssen hier einige Röhren ausgefallen sein.“ Skip antwortete nicht. Er hatte ein ungutes Gefühl, als er in den flackernden Himmel spähte. Skip mußte immer wieder an die Andeutungen denken, die dieses Ding betrafen, das wiedergeboren sein sollte. Hatte die offensichtliche Instabilität damit zu tun? Dort, wo das Zentrum sein mußte, verdichteten sich die seltsamen Bauten. In der Ferne konnte Skip die schemenhaften Umrisse einiger höherer Kugeln erkennen. „Dort müssen wir hin“, erklärte er und setzte sich in Bewegung. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, also los!“ Christine ging mit ihm. Vanderbuilt folgte als letzter. Er blieb immer wieder stehen und schien in sich hineinzulauschen. Einmal winkte er mit der Hand ab, als redete er mit jemandem. Dabei stieß er ein lautes „Pah!“ aus. Skip blieb stehen. „Was ist los?“ „Christopher!“ donnerte das Mannweib Vanderbuilt. „Er will mir weismachen, daß wir lieber umkehren sollten, weil... weil... , ach, er redet dauernd in meinem Kopf und weiß selbst nicht, was er will!“ „Eine Gefahr?“ fragte Christine. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Skip. Keiner hatte eine Ahnung, was mit Christopher Reed eigentlich genau passiert war, als er einen Teil der Station auf Caalis gesprengt hatte. Er war gestorben, aber auf seltsame Weise in Vanderbuilt wieder lebendig geworden. Seitdem steckte er in dessen Bewußtsein und meldete sich nur
sporadisch. Aber was sonst noch mit Reed passiert war, wußte niemand. „Moment“, sagte Vanderbuilt und lauschte auf etwas. Dann nickte er mit grimmiger Miene vor sich hin. „Wie ich vermutete. Er meldet sich nicht mehr. Hat keine Ahnung, aber macht die Leute verrückt.“ .. Komm letzt“, sagte Skip. Er wirkte gereizt. Es war nicht das erstemal, daß Vanderbuilt seine Angst durch burschikose Sprüche zu verbergen suchte. Aber wehe, man sagte ihm das. Wenn Skip bisher nur ein vages Gefühl einer sich anbahnenden Gefahr gehabt hatte, so war er jetzt sicher, daß etwas auf sie zukam. Sie mußten sich in acht nehmen. Es war bereits viel zu spät dazu, aber das konnte auch Skip nicht wissen. * Die Stadt der Gläsernen hatte einen Durchmesser von knapp dreißig Kilometern von einem Ende zum anderen. Das Ende wurde jeweils von dem Schirm gebildet, der sich kuppeldachförmig über die Stadt spannte. Die Lichtstadt bestand aus vier Gürteln, die sich ringförmig um das Zentrum, die Kristallkuppel, legten. Der erste Ring war jene Zone, die nur von den Angehörigen der Bruderschaft betreten werden durfte. Er hatte eine Breite von etwa zweihundert Metern. Der zweite Ring wurde von den Wohnkugeln und Kommunikationszentren der hochgestellten Gläsernen, meist Angehörigen der Bruderschaft oder deren Angehörigen, gebildet. Hier spielte sich das ab, was Cas’Cahoon als seine Welt angesehen hatte. Der dritte Ring war die Region der Ausgestoßenen und durch unbeschreibliches Elend und Anarchie gekennzeichnet. Unbarmherzige Mechanismen sorgten dafür, daß die Kreaturen dieser Zone nicht ins Zentrum eindrangen. Der vierte Ring schließlich war jener Teil der Stadt, der bis hin zur Grenze reichte, wo sich der Kunsthimmel und der Boden vereinigten. Dieser Gürtelstreifen stellte eine einzige Falle für ungebetene Eindringlinge dar. Die Verbindungen zu den anderen Welten lagen unmittelbar am Rande der Stadt. Hier mündeten die Himmelsadern. Unzählige Kontrollsegmente sorgten für eine Identifizierung der Ankömmlinge. Wenn keine Informationen über einen erwarteten Besucher vorlagen, wurden die Eindringlinge als unerwünscht eingestuft. Die Kontrollelemente leiteten einen entsprechenden Impuls weiter an das unüberschaubare System von Fallen, das dafür sorgte, daß kein ungebetener Besucher das Heiligtum betrat. Bisher war es niemandem gelungen, den Todesfallen zu entkommen. Sie waren so perfekt, wie es sich nur ein krankes Gehirn ausgedacht haben konnte. Noch bevor sich Skip und seine Gefährten in Richtung Zentrum in Bewegung gesetzt hatten, waren sie als unerwünscht klassifiziert worden. Der Impuls war sofort weitergegeben worden. Ein perfektes Mordsystem erwachte zum Leben und richtete sich auf die Ankömmlinge ein... * Harry Vanderbuilt war alles andere als wohl zumute, aber er schwieg und folgte Christine und Skip. Sie mußten hinein in diese Stadt, wenn sie je ihre Originalkörper zurückbekommen wollten. Und das wollte Harry um jeden Preis. Natürlich würde Skip darauf bestehen, den Alten zu suchen, dem sie diesen ganzen Schlamassel zu verdanken hatten. Wenn sie dieses Ding fanden und es zur Vernunft bringen konnten, von dem die Geistesformer geredet hatten, würden sie vielleicht mithelfen können, daß dieser Kosmos wieder frei wurde. Vanderbuilt stöhnte leise, als ihm bewußt wurde, worauf sie sich eingelassen hatten. Irgendwann einmal hatte ein Kampf zwischen Mächten stattgefunden. Und es sah ganz so aus, als würde es nach vielen Jahrmilliarden bald wieder losgehen. Und sie steckten mitten drin! „Wahnsinn!“ murmelte Vanderbuilt. Direkt vor ihm ragten jetzt die ersten dieser Kugeln aus
dem Boden. Sie waren mindestens drei Meter hoch. Skip blieb an einer stehen und betrachtete den Eingang. Das fehlte noch! dachte Vanderbuilt, aber seine Befürchtungen waren grundlos. Skip machte kehrt und ging mit Christine weiter. Angst, Harry? Vanderbuilt hatte einen Fluch auf der Zunge, hielt aber den Mund. Sie warteten doch nur darauf, sich über ihn lustig machen zu können. Alle! Auch Christopher, den er lange für seinen besten Freund gehalten hatte. Er war ebenso übergeschnappt wie Skip und Christine! Vanderbuilt beobachtete die beiden. Inzwischen hatten sie sich einigermaßen beruhigt, aber Harry hatte noch gut in Erinnerung, welche Redensarten sie nach dem Sieg über den Ableger dieses Monstrums auf Caalis zum Besten gegeben hatten. Wächter von Caalis hatte Christine sie genannt! Vanderbuilt war der Ansicht, daß sie sich erst einmal darum kümmern sollte, woher ihr Kind stammte. Cera! Sie war noch der einzige vernünftige Mensch gewesen während der letzten Monate. Christine und Skip schwebten in höheren Regionen, sie war unsterblich geworden, als sie sich mit dem Verformungsvirus infiziert hatte, und er sah sich schon als kosmischen Menschen. Bist du neidisch auf ihn, Harry? Christopher! Dieser scheinheilige Bruder! Eines Tages würde er ihm von Mann zu Mann gegenüberstehen, und dann bekam er die längst fällige Abreibung. Oho! Darauf kannst du Gift nehmen, Freund! dachte Harry zurück und malte sich bildlich aus, was er mit ihm anstellen würde. Im Übrigen hatte Vanderbuilt noch einen viel schlimmeren Verdacht: Wenn Skip tatsächlich nicht der Vater von Cera war, dann konnte nur Christopher dahinterstecken. Und wenn sich das einmal herausstellen sollte, dann... Du bist ein selten dummer Mensch, Harry Vanderbuilt! „Halte jetzt endlich den Mund!“ Schrie Vanderbuilt laut. Im nächsten Moment preßte er die Lippen fest zusammen und wartete auf irgendeine Bemerkung von Skip, doch sie blieb aus. Vanderbuilt sah auf. Während der „Unterhaltung“ mit Reed hatte er automatisch einen Fuß vor den anderen gesetzt und nicht auf die Umgebung geachtet. Wo waren die beiden? Das geschieht dir recht, altes Ekel, vernahm Vanderbuilt wieder in seinem Kopf. Ich habe dich gewarnt, es wird ungemütlich. „Wo sind Skip und Christine, wenn du so schlau bist?“ Sie sind weg, Harry. Verschwunden. Und nun sieh zu, daß du uns aus dem Schlamassel wieder rausbringst. Ich habe nämlich Angst! Vanderbuilt blieb wie angewurzelt stehen. Christopher gab zu, daß er Angst hatte? Verdammte Angst, Harry! Sieh dich um! Harry Vanderbuilt gehorchte. * „Wo ist Harry?“ Skip drehte sich um und fluchte. „Keinen Augenblick kann man dieses Weibsbild allein lassen. Was ist ihm jetzt schon wieder in den Kopf gefahren?“ Christine betrachtete sich die Umgebung, während Skip zurücklief und nach dem Gefährten suchte. Irgend etwas paßte nicht zusammen. Aber was? „Keine Spur“, meldete Skip und kam zurück. „Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen...“, meinte Christine, aber sie schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Immer noch betrachtete sie die Gegend, die vom heftigen Wabern am Himmel in ein gespenstisches Licht getaucht wurde. Skip bemerkte ihre Unsicherheit. „Was ist?“ fragte er.
„Ich... ich weiß nicht, Skip. Irgend etwas ist anders...“ „Es sind die Nerven, Chris. Glaubst du, mir geht’s besser? Wir sind alle ein wenig durcheinander.“ Christine schüttelte den Kopf. „Komm, wir müssen weiter!“ drängte Skip. „Und Harry?“ fragte Christine. „Wir können ihn doch nicht einfach hier allein herumirren lassen!“ „Dieser verdammte Dickkopf“, brummte Skip. „Als ob wir nicht schon genug Ärger hätten.“ „Skip, ich habe Angst!“ „Ich auch, mein Gott, glaubst du, daß nur dich das hier...“ Skip sah Christines Gesicht. Und allein das reichte, um ihm die Beine weich werden zu lassen. „Skip...“ Christine flüsterte die Worte kaum hörbar. Skip machte zwei schnelle Schritte auf sie zu und kam gerade noch rechtzeitig, um sie aufzufangen. Ihr Körper hatte keine Kraft mehr. Aber ihr Blick ließ nicht von dem ab, was sie gesehen hatte. Irgend etwas in Skips Rücken. Bevor der Raumfahrer sich umdrehte, fragte er sich, was eine Frau, die mit knapper Mühe und Not dem Tod durch eine Seuche entgangen war und die die Todesangst in den Klauen dieses allumspannenden Monstrums kennengelernt hatte, noch dermaßen aus der Fassung bringen konnte. Als er es dann sah, verlor er fast den Verstand. * „Du meine Güte!“ stieß Harry Vanderbuilt hervor. „Chris, was mache ich nur?“ Daß ich das erleben darf. Harry Vanderbuilt, der Retter der Erde, weiß keinen Ausweg! Vanderbuilt sagte nichts. Er spürte, daß Reed versuchte, seine Panik zu verdecken. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten. Vanderbuilt drehte sich um seine Achse. Immer wieder suchte er nach einer Gasse, durch die er fliehen konnte. Statt dessen sah er nur, wie sich die Dinger immer näher schoben. Die Kugeln standen wahllos verstreut in der Landschaft. Es war, als. hätten ihre Konstrukteure sie einfach in den roten Sand gerammt. Harry befand sich auf einer Art freiem Platz. Ein gutes Dutzend dieser Kugeln bildete eine Art Kreis um ihn. Es hatte damit angefangen, daß die Dinger auf einmal Licht produzierten. Schwach zuerst, dann allmählich stärker werdend. Aus den plötzlich offenstehenden Eingängen, die wie in das Material geschnittene Ovale wirkten, drang das rote Licht nach außen und warf unheimliche Schatten im Sand. Zuerst hatten die Schatten sich bewegt, und dann hatte Harry gesehen, daß etwas aus den Kugelöffnungen herausgekrochen kam. Es war das absolute Grauen gewesen. Vanderbuilt war zurückgesprungen, um dem Etwas zu entgehen, das aus der nächststehenden Kugel auf ihn zukam, bis er ein feines Schaben hinter sich hörte. Sofort war er herumgewirbelt und gerade noch dem Gallertklumpen entkommen, der sich von hinten herangeschoben hatte. Sie kamen von überall! Im Licht der Kugeln wirkten sie... wie dunkelrotes, pulsierendes Plasma. Und die Dinger lebten! „Skip! Christine!“ schrie Vanderbuilt, so laut er konnte. Aber er erhielt keine Antwort. Harry erinnerte sich an die Laserwaffe, die in seinem Gürtel steckte. Er zog sie heraus und schoß auf den erstbesten Plasmaklumpen. Der scharf gebündelte Strahl fraß sich in die Masse und brannte ein dunkles Loch hinein. Von dem Gallertkörper stieg eine Dampfwolke hoch, die sich plötzlich in Bewegung setzte. Vanderbuilt glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die Wolke zuckte, schwebte auf ihn zu und vereinigte sich mit dem Strahl des Lasers! Vanderbuilt reagierte instinktiv. Er schleuderte die Pistole von sich, und sie landete auf dem roten Sand. Einen Augenblick später explodierte sie.
„Das darf nicht wahr sein! Das kann es nicht geben!“ Aber die Gallertklumpen schoben sich weiter heran. Aus den Kugeln quoll immer noch mehr von dem Zeug nach. Harry drehte sich und suchte nach einer Lücke, aber es gab sie nicht. Die Falle war endgültig zugeschnappt. Ein Blitz fuhr durch den Kunsthimmel. Danach wurde es dunkel. Die Kugelöffnungen bildeten nun den Hauptlichtspender und verliehen der Szene etwas Unwirkliches. Harry stellte fest, daß er kaum mehr als drei Meter Bewegungsraum hatte. Die Plasmaströme aus den Kugeln vereinigten sich zu einem Kreis, der sich unaufhaltsam voranschob, und bildeten Ausläufer, die wie gierige Tentakel nach seinen Beinen grillen. Chris! dachte Harry. Ist das wirklich das Ende, Chris? Keine Antwort. Chris? Wieder blieb es still in ihm. Und diesmal war es ganz anders als sonst, wenn Vanderbuilts „Gast“ sich in ihm zurückzog. Christopher Reed war verschwunden! Er hatte Harrys Körper verlassen! „Feigling!“ murmelte Vanderbuilt. Er übersah den Tentakel, der sich vor ihm ausgebildet hatte und auf ihn zuschoß. Erst als er das nasse Ding an seinem Bein spürte, sprang er entsetzt zurück und schrie laut auf. Er landete direkt in der kniehohen Masse, die sich hinter seinem Rücken an ihn herangeschoben hatte. Langsam schlängelte sich etwas an seinen Beinen hoch. Er versuchte, sich loszureißen, aber er hing fest. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Harry Vanderbuilt auf sein Hosenbein, das sich auszubeulen begann. Das glitschige Ding kroch schnell höher und brannte auf der Haut. Vanderbuilt hatte geglaubt, zu wissen, was Angst ist. Jetzt lernte er sie richtig kennen.
6. Cera wachte auf. Sie hatte lange geschlafen und eine Menge geträumt. Komische Leute hatte sie gesehen. Lang und dünn und am ganzen Körper durchsichtig. Aber sie hatten Cera irgendwie gefallen. Eigentlich tat es ihr leid, daß sie wach war. Immer wachte man auf, wenn es am schönsten war! Manchmal träumte Cera von einer Reihe von Türen, so vielen Türen, wie sie gar nicht zählen konnte. Aber immer konnte sie nur eine von ihnen aufstoßen. Dann sah sie die Leute aus Glas. Es machte viel Spaß, durch sie hindurchzusehn. Obwohl da manchmal so ein Ding war, das Cera gar nicht paßte. Es war einfach ein Ding, und ein ziemlich dummes. Die durchsichtigen Leute hatten furchtbare Angst davor. Cera hopste aus dem kleinen Bett und ging wieder hinüber in den großen Raum, wo Mam und Pa zu Hause waren. Sie waren immer noch nicht zurück. Nur die dummen Roboter standen da und glotzten Cera an. Cera ließ sich von einem der Blechkästen füttern, bis sie satt war. Dann ging ihr der Roboter auf die Nerven. Warum merkte das Ding nicht, daß Cera keinen Hunger mehr hatte? „Hör auf“, lispelte sie. „Genug!“ Aber der Robot hielt sie fest und wollte ihr einen neuen Löffel Konzentrat in den Mund schieben. Irgend jemand hatte ein Kinderlied abfahren lassen, das Cera ebensowenig gefiel. Zu allem Überfluß begann der Blechkerl nun auch noch zu summen! Cera konnte ja nicht ahnen, daß ihre Eltern dieses Programm zusammengestellt hatten. Sie hatte jedenfalls keine Lust, sich weiter füttern zu lassen. „Genug“, rief sie noch einmal mit ihrem zarten Stimmchen und strampelte wild mit Armen und Beinen. Aber der Robot begriff nicht. „Hau ab, blöder Kasten!“ Wieder produzierte Cera einen von Tante Harrys lustigen Sprüchen.
Als der Robot sie immer noch dumm anglotzte, wurde Cera wütend. Hau endlich ab, du blödes Ding! dachte sie und wünschte den Robot zum Teufel. Im nächsten Moment war der Roboter verschwunden. Cera plumpste weich in das Polster der Couch, auf der sie mit dem Quälgeist gesessen hatte, und vergaß den Robot. Cera wollte spielen, aber keiner war da. Cera war enttäuscht. Vor allem von Tante Harry. Wieso war Tante Harry nicht da, wenn sie mit ihr spielen wollte? Hatte Tante Harry Cera nicht mehr gern? Cera wurde wieder müde. Träumen! Das war schön! Cera wollte wieder träumen. Sie lief in ihr Zimmer und kroch ins Bett. Irgendeiner von diesen überall herumstehenden Robotern löschte das Licht. Cera summte eine Melodie vor sich hin und wackelte mit dem Kopf, bis sie müde wurde. Dann kam der Halbschlaf. Träumen! dachte sie. Die durchsichtigen Leute hinter der Tür. Ich will sie sehen! Und dann sah sie die Tür. Sie schwang auf. Einen Moment lang spürte Cera den Wunsch, vorbeizugehen und eine der anderen, verschlossenen Türen zu öffnen. Aber dann trat sie durch den offenen Rahmen. Cera kicherte laut, als sie Tante Harry sah! Tante Harry benahm sich unglaublich komisch. Sie strampelte und sprang in einem dicken Brei herum und stieß herrliche Verwünschungen aus. Es wirkte fast so, als hätte Tante Harry Angst. Aber das konnte Cera sich nicht vorstellen. Tante Harry hatte niemals Angst! Aber wieso benahm sie sich so eigenartig? Irgendwie hing sie in dem Brei fest und konnte nicht weg. Tante Harry steckte in der Patsche. Und der komische Brei bewegte sich, als lebte er. Der wollte doch Tante Harry nichts tun? Einen Augenblick überlegte Cera, ob Tante Harry sich wirklich in Gefahr befand. Aber dann sah sie wieder, wie lustig sie in dem Zeug umhersprang, das konnte nur einer von Tante Harrys Spaßen sein. Tante Harry war immer lustig, auch wenn sie selbst das gar nicht wollte. Das schien auch jetzt so zu sein. Aber Tante Harrys Gesicht sah gar nicht lustig aus. Vielleicht hatte sie wirklich Schwierigkeiten mit dem Ding? Das geschieht ihr recht! dachte Cera schadenfroh. Warum ist sie auch nicht hier und spielt mit mir? Tante Harry ist selbst schuld. Cera lachte vor sich hin und versuchte, Mam und Pa zu finden. Wo Tante Harry war, konnte auch sie nicht weit sein. Aber Cera fand sie nicht. Mam und Pa waren weg. Einfach verschwunden.
7. Der Boden hinter ihnen hatte sich verändert. Das rote Glühen schien bis an den Rand der Stadt zu reichen und umgab die beiden Menschen nun halbkreisförmig. Skip hatte Christine instinktiv gepackt und mit sich gerissen. Eine Weile waren sie geflohen und hatten einen gewissen Abstand zwischen sich und die unheimliche Strukturveränderung der Erde gebracht. Es war nicht nur der Anblick der roten Kruste, die sich immer weiter in den Sand und das Geröll fraß. Von dort, wo der Unheimliche herkam, drang eine intensive, suggestive Kraft auf Christine und Skip ein, die sie geradewegs in den Wahnsinn treiben würde, wenn ihnen die Flucht nicht gelang. Das Grauen war nicht sichtbar. Es entstand mitten in ihrem Bewußtsein! „Es hat alles keinen Sinn, Skip!“ „Rede nicht so“, preßte der Mann zwischen den Lippen hervor, während er Christine, die schlapp in seinem Arm hing, weiterzerrte. „Es ist überall! Wir haben keine Chance.“ Skip hatte eine Verwünschung auf der Zunge, aber er schluckte sie herunter. Christine war
mit den Nerven fertig. Und Skip glaubte auch, daß er den Grund kannte. Früher hätte Christine jedenfalls nicht so schnell resigniert. Im Gegenteil! Cera! Sie litt unter der Trennung von ihrem Kind. „Wir müssen weiter“, sagte Skip ruhig und versuchte, ihr Mut zuzusprechen. Wenn er sie weiter schleppen mußte, waren sie nicht schnell genug. Skip blieb stehen. Sie brauchten eine kurze Rast. Wo war Harry? Skip kam der Verdacht, daß einer von ihnen in eine künstliche Ebene versetzt worden war. Nur so ließ sich die Trennung erklären. Christine lehnte sich an einen Brocken aus dem unbekannten Material, aus dem die Kugeln konstruiert waren. Immer wieder kamen sie an auseinandergebrochenen Kugeln vorbei. Jetzt standen die Dinger dichter beieinander und verrieten in ihrer Anordnung schon fast ein System. Skip schätzte, daß er und Christine gute drei Kilometer weit in das Gebiet der Stadt eingedrungen waren. Aber immer waren sie noch weit entfernt von ihrem Ziel. Das Glühen war näher gekommen. Es umschloß sie halbkreisförmig und schien sich am Horizont mit dem blutroten Wabern des Himmels zu vereinigen. Skip ahnte, daß sie nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs sahen. Was war der Grund für diese Aktivität des Schirmes über der Stadt? Manchmal glaubte Skip, den eisigen Atem des Monstrums zu spüren, das seit Bestehen der Stadt darauf wartete, diese Bastion des Widerstands zu brechen. Skip blickte sich unwillkürlich um. Noch hatten sie keinen der Stadtbewohner zu Gesicht bekommen. Er spürte, daß im Zentrum etwas vorging. Auch von diesem N’ADOHKAN hatten sie bisher nichts gesehen oder gespürt. Was hatte es damit auf sich? Der Boden kräuselte sich direkt vor Skips Füßen und begann glasig zu werden. Dann glühte er tiefrot. Skip sprang auf und zog Christine mit sich fort. Jetzt lief auch die Frau. Von beiden Seiten kam das Glühen näher, und der Boden unter den Füßen der Fliehenden wurde plötzlich weich. Sie rannten schneller, immer noch dem Zentrum zu. Die Strahlung! Der Wahnsinn und die Panik entstanden neu in den Köpfen der beiden und trieben sie vorwärts, genau dahin, wo das Verderben lauerte. Skip sah zu spät, daß die Kugeln zu beiden Seiten eine Gasse bildeten. Sie standen im roten Licht wie mächtige Symbole des Untergangs. Starre Begleiter auf dem Weg ins Nichts. Denn dort, wo die Gasse mündete, war das absolute Nichts. Endlose Schwärze, ein leeres Loch, das sich in die Welt vor ihren Augen fraß und alles auflöste, das seinen Rand berührte. „Nein!“ kreischte Christine laut und fing an, hemmungslos zu schluchzen. Skip wurde übel. Er begann zu würgen und übergab sich an der Außenwand einer der Wohnkugeln, deren Bewohner sie immer noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Dann war es wieder in ihnen. Es peitschte sie vorwärts, auf das Loch zu, das immer größer wurde. Skip konnte keine Entfernung abschätzen. Es war, als wäre dort vorne dieses Universum aufgerissen worden. Der Boden wurde weich und heiß. Skip trieb Christine ein letztes Mal an. „Weiter, Chris. Es wäre nicht das erste Mal, daß wir auf eine Illusion hereinfallen. Vielleicht spielt jemand sein verdammtes Spiel mit uns Wir dürfen nicht aufgeben, solange wir noch denken können!“ Christine rannte mit. Es war Wahnsinn, was sie taten. In wenigen Augenblicken würden sie in dem schwarzen Nichts verschwunden sein. Nicht aufgeben! hämmerte es in Skips Gedanken. Weiter! Nur noch wenige Schritte. Das Schwarz schnitt sich immer weiter in das rote Glühen, das jetzt gleichermaßen von hinten, von den Seiten und vom Himmel kam. Ein verdammtes Spiel. Es spielte tatsächlich jemand mit ihnen, aber weder Skip noch Christine konnten ahnen, wer das war. *
Cas’Cahoon lebte! Er konnte wieder denken. Der tiefe Schlund der ewigen Finsternis hatte ihn wieder ausgespien, bevor er ganz von ihm Besitz ergriffen hatte. Der Gläserne schlug die zerschundenen Augen auf und starrte auf die Szene, die sich ihm bot. Die Erinnerung setzte schlagartig ein und versetzte ihm einen Schock. Gleichzeitig kamen die Schmerzen. Cas’Cahoon hing an einem starken Mast. Unter ihm auf dem freien Platz lagen die Toten. Alles war still. Das N’ADOHKAN! Cas’Cahoon erinnerte sich noch, wie es nach ihm gegriffen hatte. Dann wußte er nichts mehr. Daß er noch lebte und klar denken konnte, bedeutete, daß das N’ADOHKAN wieder still geworden war. Aber jeden Augenblick konnte es wieder erwachen und sich weiter ausbreiten. Bis dahin mußte er hier weg sein, wenn er überleben wollte. Noch einmal würde er das Glück nicht mehr haben. Cas’Cahoons Weltbild war zusammengestürzt. Er hatte erkennen müssen, daß er für eine Clique von herrschsüchtigen Oberen gelebt hatte, die die alten Überlieferungen für ihre Zwecke passend manipuliert hatten. Die Fremden! Cas’Cahoon hatte ihre schwachen Impulse aufgefangen. Es gab keinen Zweifel darüber, daß sie in die Lichtstadt eingedrungen waren. Seit Generationen war das nicht mehr der Fall gewesen. Jeder Bewohner dieses Kosmos wußte, daß niemand ungebeten in die Stadt gelangen konnte. Es mußten die Fremden sein, die aus dem Alten Universum herübergekommen waren. Aber dann befanden sie sich in größter Gefahr. Cas’Cahoon hatte nur vage Dinge über den Sperrgürtel am Stadtrand gehört, aber diese Berichte genügten, um alle Illusionen platzen zu lassen. Selbst sie, die aus der Weltenschleuse gekommen waren, konnten bei all ihrer Macht, nichts gegen die Fallen ausrichten. Cas’Cahoon mußte ihnen helfen! Er mußte die Fremden finden und mit ihnen gemeinsam versuchen, zur Kristallkuppel vorzudringen. Der Gläserne machte sich keine Illusionen. Er mußte das Gebiet der Ausgestoßenen bis hin zum Sperrgürtel durchqueren. Dabei war es nicht ausgeschlossen, daß er abermals auf die Bewohner dieser Region stieß, die dem N’ADOHKAN hatten entkommen können. Vielleicht treffe ich diesen Verrückten wieder, durchfuhr es Cas’Cahoon. Er brannte darauf, diesem Scharlatan genau die Strafe zukommen zu lassen, die er verdiente. Cas’Cahoon hatte Mitleid mit den Kreaturen, die ihn noch vor wenigen Stunden gehetzt hatten. Er fühlte sich sogar schuldig an ihrem Elend. Dieser Bursche aber, von dem Cas’Cahoon nicht einmal den Namen kannte, nutzte ihr Leid für seine Zwecke aus und mißbrauchte sie. Das war noch zehnmal schlimmer als das, was die Oberen mit ihnen gemacht hatten. „Zuerst einmal muß ich loskommen“, murmelte Cas’Cahoon. Er drehte den Kopf, so gut es ging. Die Stricke saßen fest und schnitten in die nur noch teilweise transparent schillernde Haut. Cas’Cahoon sah an einigen Stellen die zusammengedrückten Adern, in denen sich das Blut staute. Einmal versuchte er, sich loszureißen, aber der Schmerz brachte ihn schnell von diesem Vorhaben ab. Plötzlich spürte er einen leichten Druck im Kopf. Dann wußte er, was nach ihm griff. Das N’ADOHKAN wurde wieder aktiv! Was mochte das für ein Wesen sein? fragte sich der Gläserne. Was geschah, wenn es sich über die ganze Stadt ausgebreitet hatte? Der Himmel flackerte blutrot und tauchte alles in ein grausames Lichtspiel. So etwas hatte es noch nie in der Lichtstadt gegeben. Cas’Cahoon fragte sich, wie lange seine Welt noch stabil blieb. Er mußte zu den -Fremden. Vielleicht waren sie noch nicht verloren. Vielleicht konnte er sie in die Stadt bringen. Vielleicht waren sie immun gegen die Impulse des N’ADOHKAN. Dann hatten sie eine Chance, dem Treiben des Wesens ein Ende zu setzen. Eine neue Welle von Schmerzimpulsen überflutete den Gläsernen. Er bäumte sich wild auf und sprengte die Stricke, die um seine Hüften gespannt waren. Der Erfolg verlieh ihm neue Kräfte. Cas’Cahoon ignorierte alle Schmerzen und zerrte an den Fesseln, die seine Hände an
den Pflock banden. Noch einmal warf er sich nach vorn, dann waren die Hände frei. Cas’Cahoon atmete tief durch. Dann griff er zum Hals und löste die , Knoten der Fesseln. Das andere war ein Kinderspiel. Mit einer Hand hielt er sich am Mast fest, während er mit der anderen die Fußfesseln löste. Dann war er frei und ließ sich auf den Boden gleiten. Jetzt erst spürte er die Schmerzen, aber er hatte keine Zeit für Selbstmitleid. Wie ein Verrückter spurtete er los und rannte auf die erstbeste Gasse zu, die nach außen führte. Nur weg vom Zentrum! Immer wieder sprang er über die Leiber von Frauen und Männern, die sich nicht rechtzeitig hatten in Sicherheit bringen können. Er trieb sich zu Höchstleistungen an. Rechts und links von ihm lagen Tote in den offenen Kugeleingängen, aus denen der Schutt quoll. Cas’Cahoon rannte weiter. Immer noch spürte er das Ding in seinem Rücken, das die Oberen zu gespenstischem Leben erweckt hatten. Glaubten sie wirklich, es in den Kampf gegen die Schöpfer werfen zu können? Cas’Cahoon bezweifelte es. Der Gläserne war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er einen Augenblick lang nicht auf seinen Weg achtete. Er hatte in hohen und weiten Sprüngen über kleinere Müllberge hinweggehetzt. Der Druck des N’ADOHKAN war in den letzten Minuten schwächer geworden. Dennoch lief der junge Gläserne wie eine Maschine weiter. ER mußte sich jetzt fast an der Grenze zur eigentlichen Randstadt befinden, wo die Fallen begannen. Noch einmal mußte er springen. Und diesmal landete er unglücklich und verstauchte sich den rechten Fußknöchel. Mit einem lauten Schmerzensschrei fiel Cas’Cahoon auf den rauhen Boden. Er zog den Fuß zu sich heran und massierte ihn. Plötzlich nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. „Komm hervor“, rief er. „Hilf mir auf die Beine!“ Aus einer der nächsten Wohnkugeln tauchte eine Männergestalt auf. Cas’Cahoon stöhnte auf, als er das verschmitzte Gesicht erkannte. * Sie nannten sich die Schöpfer. Doch sie waren vor Jahrmilliarden aus einem anderen Universum gekommen, um alles Leben dieses Kosmos mit einem grauen Schleier zu überziehen. Die Schöpfer waren nichts anderes als die Essenz einer Macht, die sich von der Urschöpfung abgespalten hatte und hierher verdammt worden war, weil sie sich dem Leben entgegengestellt hatte. Milliarden Jahre hatten sie diesen Kosmos beherrscht. Nun schien der^ Kampf von neuem aufzuflackern, der einstmals den RING DER UNIVERSEN gesprengt und zur Isolation der Lebensebenen geführt hatte. Die Erinnerung weckte Panik. Und die Schöpfer zogen ihre Macht über jener Welt zusammen, von der die Kreaturen dieses Kosmos ihre Befreiung erwarteten. Dadurch waren sie gezwungen, an anderen Stellen die Konzentration zu, vermindern. So kam es, daß irgendwo in dem unendlichen Fluß dieses Weltalls ein Bewußtsein an die Oberfläche trieb, das sich schon damit abgefunden hatte, auf ewig in den Krallen dieses Monstrums dahinvegetieren zu müssen. Es begann, die ersten Eindrücke zu sondieren und sich ein Bild zu schaffen. Dann wartete es ab. Noch war es zu schwach, um sich loszureißen. Es wartete auf einen günstigeren Moment, um zu fliehen. * „Du bist zäh“, sagte der Mann, der aus der Wohnkugel getreten war. „Ich hätte nicht gedacht, daß du es schaffen würdest.“ Cas’Cahoon sah den anderen voller Haß an.
„Ich wünschte, ich wäre zäh genug, dir auf der Stelle den Hals umzudrehen.“ Der Mann lachte laut, riß ein langes Messer aus einem unter den Lumpen verborgenen Gürtel und kam auf Cas’Cahoon zu. Der junge Gläserne zweifelte keinen Augenblick daran, daß der Verräter ihn kaltblütig niederstechen würde. Wenn er sich nur wehren könnte! Cas’Cahoon war nicht einmal in der Lage, aufzuspringen und wegzurennen. Der Mann über ihm war kräftig. „Warte!“ rief der Gläserne und hob eine Hand. „Sage mir erst, wie du heißt. Ich will wissen, wem ich mein Elend zu verdanken habe.“ „Dir selbst“, antwortete der Mann. „Wie heißt du? Bist du zu feige, deinen Namen auszusprechen? Klebst soviel Schmutz daran, daß du...“ „Schweig!“ herrschte der Mann ihn an. Dann sah er Cas’Cahoon lange in die Augen. „Ich bin Mor’Tudann!“ Cas’Cahoon glaubte, sich verhört zu haben. „Du lügst. Mor’Tudann ist schon lange tot.“ Der Mann in den Lumpen kicherte in sich hinein. Das war wieder einer dieser Augenblicke, in dem Cas’Cahoon erkannte, daß sein Gegenüber nicht mehr bei Sinnen war. Wenn es ihm gelang... „Wann hörst du endlich auf, das zu glauben, was dir die Oberen erzählt haben?“ fragte der angebliche Mor’Tudann. „Mor’Tudann war einer der Angesehensten unter den Schriftendeutern. Er war der mächtigste der Oberen, bis er umkam.“ „Das ist die offizielle Version. In Wirklichkeit war ich ihnen zu mächtig geworden, und sie hatten eine Handvoll Mörder organisiert, um mich beiseite zu schaffen. Aber sie hatten nicht damit gerechnet, daß ich ihre Absicht durchschaute. Sie töteten den falschen Mann. Ich floh in die Außenbezirke und tauchte unter. Es war nicht schwer, das Lumpengesindel auf meine Seite zu bringen. Sie gehorchen mir aufs Wort. Das heißt... sie taten es. Meine Anhänger sind tot, umgekommen durch das N’ADOHKAN.“ „Wenn du tatsächlich Mor’Tudann bist, mußt du mehr über das N’ADOHKAN wissen“, sagte Cas’Cahoon. „Stellt es wirklich eine Waffe gegen die Schöpfer dar?“ Mor’Tudann winkte lässig ab. „Mehr als das. Was jetzt Besitz von der Stadt ergreift, ist nur eine Vorstufe. Die eigentliche Macht entfaltet das Ding, wenn es überall ist. Aber das hilft uns nicht mehr. Es wurde ein Fehler gemacht. Das N’ADOHKAN ist zur Gefahr geworden und muß beseitigt werden.“ „Du bist verrückt!“ „Hah!“ rief der Zerlumpte. „Wir werden sehen, wer verrückt ist!“ Cas’Cahoon verstand. Dieser Mann hatte nur ein Ziel vor Augen: Die Rache an den Oberen. Was wollte er noch? Die Oberen waren in der Kristallkuppel umgekommen. „Genug geredet“, sagte der angebliche Mor’Tudann. Er hob das Messer und holte aus. Als Cas’Cahoon schon die Augen geschlossen hatte, hielt er inne. „Ich habe eine bessere Idee“, verkündete der Mann. „Steh auf. Du wirst mich begleiten.“ „Wohin? Du weißt, daß ich nicht gehen kann.“ „Du kannst“ Cas’Cahoon zögerte. Das Messer näherte sich seinem Hals. „Du hast die Wahl.“ Cas’Cahoon versuchte aufzustehen. Der Schmerz im Fußgelenk war mörderisch. Der Gläserne knickte zusammen und sah das Messer vor sich. Wieder biß er die Zähne zusammen, und diesmal klappte es. Cas’Cahoon humpelte auf den Mann zu. „Sehr schön“, meinte Mor’Tudann grinsend. Er behielt das Messer in der Hand. „Vorwärts!“ Cas’Cahoon hinkte unter grausamen Schmerzen vor ihm her. „Schneller!“ zischte Mor’Tudann. Plötzlich rollte ein Donner über den Kunsthimmel. Wozu braucht der Bursche mich? fragte sich Cas’Cahoon. Ich bin ihm eher hinderlich. Ohne mich ist er viel schneller! Er erfuhr es, als sie auf die erste Gruppe von flüchtenden Außenstädtern trafen. Es waren etwa zehn Männer. Eine Patrouille! sagte sich Cas’Cahoon. Wahrscheinlich gehörten sie zu einer größeren Gruppe. Die Frauen und Kinder mußten sich irgendwo versteckt halten. Aber was suchten
sie? War es ein Zufall, daß der junge Gläserne gerade jetzt daran dachte, wie sich diese Leute in den Außenbezirken ernährten? In Cas’Cahoons Wohnbezirk hatte jede Wohneinheit ihre eigene Nahrungsversorgung. Kleine Apparate, die aus den anfallenden Abfallstoffen wieder hochwertige Nahrung produzierten. Daß dies hier nicht funktionieren konnte, sah er allein an den Müllbergen auf den Straßen. Aber wovon lebten diese Wesen dann? Sein Verstand weigerte sich, die Wahrheit zu akzeptieren. Er sträubte sich immer noch gegen die Erkenntnis, als er von Mor’Tudann einen heftigen Stoß in den Rücken erhielt und genau vor die Füße der bewaffneten Männer fiel. Als er aufblickte, starrten ihn aus ausgehungerten Gesichtern gierige Augen an. „Freundschaft!“ hörte er Mor’Tudann hinter sich rufen. „Hebt ihn auf, er gehört euch!“ Helft mir! dachte der Gläserne intensiv. Helft mir doch! Als sie glaubten, mitten hinein in das schwarze Vakuum zu stürzen, spürten sie plötzlich festen Boden unter den Füßen. Wenig später änderte sich das Bild. Das rote Leuchten war verschwunden. Dafür schälten sich aus dem Dunkel bekannte Konturen heraus. „Nein, Skip!“ stöhnte Christine. „Sag, daß wir träumen!“ Aber Skip sah sich nur um. Der leichte Wind, der ihnen entgegenkam, der Schwefelgeruch, der Anblick des Himmels mit den bekannten Sternen. Es konnte keinen Zweifel geben. „Wir sind auf Caalis, Chris. Du träumst nicht.“ „Aber wie... ?“ „Wenn es eine Antwort gibt, bekommen wir sie früh genug. Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Das Wichtigste ist jetzt, ein Schiff auf uns aufmerksam zu machen.“ Er blickte in den nächtlichen Himmel. Nach einiger Zeit erkannte er zwei der in großer Höhe über Caalis stehenden Diskusse. „Harry“, meinte Christine. „Was ist mit Harry?“ Skip gab keine Antwort. Er überlegte, wie er eines der Schiffe erreichen könnte. Es schien fraglich, ob das schwache Armbandfunkgerät stark genug war. Außerdem war nicht sicher, ob die Autopiloten reagieren würden. Sie mußten sich auf eine längere Wartezeit einrichten. „Setze die Haube auf“, sagte Skip und griff in eine Falte der Kombination. Christine folgte seinem Beispiel. Sie hatten auf schwere Raumanzüge verzichtet, weil sie ihnen nur hinderlich gewesen wären. Alles, was sie beim Durchgang in den Parallelkosmos bei sich gehabt hatten, war die Kombination mit den daran angebrachten Instrumenten gewesen, sowie eine Laserwaffe. Drüben im anderen Kosmos brauchten sie keine Atemgeräte. Ihre Kunstkörper schienen noch einige Überraschungen auf Lager zu haben. Während sie sich drüben keine Sorgen über den Stoffwechsel zu machen brauchten, mußten sie hier auf Caalis die Atemhauben aufsetzen, da die Luft immer noch von Schwefel und Giftgasen durchzogen war. Wahrscheinlich würde der Planet sich niemals wieder ganz von den Ereignissen der letzten Monate erholen können. Mit wenigen Griffen befestigten sie die Hauben am Halsansatz der Kombinationen, wo sie sich selbständig abdichteten. Sofort strömte Frischluft in die Hauben, die zusammengelegt nur die Größe eines Taschentuchs besaßen und blähte sie auf. Während Christine versuchte, eines der Schiffe zu erreichen, begann Skip, ihren Standort zu bestimmen. * Cera lachte und warf sich vor Freude im Bettchen herum. Mam und Pa waren wieder da. Bald würden sie bei Cera sein. Irgendwie wußte das Kind, daß dann der Spaß vorbei war. Manchmal waren die beiden ziemlich streng, und Mam schaute immer so komisch, wenn Cera
spielte. Sie zog sich die Decke über den Kopf und wollte träumen. Wieder sah sie die Türen. Und immer war es nur die eine, die offenstand. Cera suchte die Leute aus Glas. Aber dann erschrak sie und begann zu zittern, als sie eine Gruppe dieser komischen Menschen sah. Und mitten unter ihnen befand sich dieser eine Glasmann, den Cera schon früher beobachtet hatte. Cera hatte ihn gern. Und was machten die anderen mit ihm? Sie verprügelten ihn und schleppten ihn in eine ihrer dreckigen Wohnungen. Cera ärgerte sich vor allem über diesen Lumpenkerl, der sich so aufspielte. Und Tante Harry? Tante Harry hatte nichts weiter zu tun, als immer noch wild in dem Brei herumzuspringen, anstatt dem armen Mann zu helfen. Wenn sie jetzt nicht bald mit dem Gehopse aufhörte, würde Cera sich sehr über sie ärgern.
8. Es schmerzte höllisch, aber der Schmerz war nichts gegen die Panik. Vanderbuilt steckte bis zu den Knien in der Masse, die sich jetzt ganz um ihn herum geschlossen hatte. Er konnte kein Ende erkennen. Der blutrote Himmel spendete wenig Licht, dafür glühte es aus den Öffnungen der Kugeln. Sie beschienen die Szene. Vanderbuilt war nahe daran, den Verstand zu verlieren. Er versuchte, sich loszureißen, aber immer landete er in dem Plasma. Es hatte schon fast seine Hüften erreicht. „Hilfe!“ brüllte er aus Leibeskräften. „Skip! Christine! Wo steckt ihr?“ Alle Versuche, mit Hilfe des Armbandfunks Kontakt mit ihnen zu bekommen, waren bisher ohne Ergebnis geblieben. Dabei konnten sie sich gar nicht so weit weg befinden, um außer Reichweite zu sein. So groß war die ganze Stadt nicht. Harry sprang mit beiden Beinen gleichzeitig in die Höhe. Einen kurzen Augenblick lang hing er frei in der Luft über dem Plasma. Er ruderte mit den Armen, dann klatschte er mit dem ganzen Körper in die Masse, die sich mit schmatzenden Geräuschen um ihn schloß. Mach Schluß, Harry! sagte es in ihm. Es hat keinen Zweck mehr. „Das könnte dir so passen!“ schrie Vanderbuilt, und wie ein Berserker wehrte er sich gegen das Unvermeidliche. Dann geschah das Wunder. Die Gallerte löste sich in Luft auf, und Vanderbuilt krachte auf den harten Boden. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, um sich zu vergewissern, daß er nicht träumte. Was war das nun wieder? Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, tauchte eine kleine Gestalt vor ihm auf. Ihre hellblonden Locken waren in den blutroten Schein des Himmels getaucht, genau wie das Kleidchen. „Tante Harry!“ sagte eine helle Stimme. „Bist du noch ganz bei Trost?“ Harry Vanderbuilt schluckte. Das konnte nicht wahr sein. Jetzt rächte es sich, daß er in den letzten Monaten zu oft zur Flasche gegriffen hatte. Das Delirium! „Tante Harry!“ hörte er es wieder. Er sah genau hin. Das war keine Halluzination. „Cera!“ Harry kam auf die Beine und achtete nicht auf die Schmerzen. Er humpelte auf das Mädchen zu und wollte es packen, aber seine Hände griffen ins Leere. Also doch nur Einbildung. Mach dich nicht lächerlich, Dummkopf! „Mund halten!“ stieß Vanderbuilt verärgert hervor. Dann blickte er wieder auf Cera. „Bist du’s wirklich; Aber wie... ?“ Cera gab keine Antwort. Statt dessen drehte sie sich zur Seite und hob einen Arm. Während sie Vanderbuilt streng ansah, zeigte ihr Händchen auf das Zentrum der Stadt. Vanderbuilt verstand die Geste.
„Du meinst, ich soll... wir sollen...“ Aber er sprach ins Leere. Cera war so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen war. Vanderbuilt wußte nun gar nichts mehr. Er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben vollkommen hilflos. Du sollst weitergehen! hörte er die Stimme in seinem Kopf. Weiter hinein in die Stadt! „Das verstehe ich auch, Herr Besserwisser. Aber was soll das? Wo ist das Plasmading, und überhaupt...“ Plötzlich verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen, und seine Miene nahm einen diabolischen Zug an. „Wo kommst du überhaupt her? Ich kann mich erinnern, daß du dich ganz klammheimlich verdrückt hattest, als es brenzlig wurde?“ Dafür haben wir später Zeit, kam es von Reed. Cera wollte dir etwas zeigen. Du mußt hin, Harry. Harry Vanderbuilt zuckte hilflos die Schultern und y stieß einen verzweifelten Laut aus. „Aber das ist doch Wahnsinn!“ rief er dann. „Weißt du überhaupt, was für einen Unsinn du verzapfst? Cera ist im Schiff, in einem anderen Universum! Wie soll das Kind hierherkommen?“ Diesmal blieb Reed still. Er hatte sich wieder zurückgezogen. „Das dachte ich mir. Wenn’s kompliziert wird, bin ich auf mich allein gestellt.“ Vanderbuilt stand einsam und verlassen zwischen den Kugeln. Das Leuchten in ihnen war verschwunden. Erst jetzt kam er dazu, sich seinen Körper anzusehen und hielt den Atem an. Die Kombination war an den Beinen aufgerissen und auch an den Armgelenken geplatzt. Sie war von innen gesprengt worden, als sich das Plasma unter die Kombination geschoben hatte. Was Vanderbuilt jedoch das Blut in den Kopf trieb, war der Zustand seiner Beine. Die Haut war dunkelrot, verkrustet und teilweise aufgesprungen. Ein gelblicher Saft drang aus den Rissen, wenn er sich bewegte. Trotzdem hatte er großes Glück gehabt. Die Muskeln funktionierten noch, wenn auch unter Schmerzen. Harry Vanderbuilt nahm sich zusammen. Er war allein und konnte keine Hilfe mehr erwarten. Über den Vorfall mit Cera wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter in Richtung Zentrum zu gehen. Er hatte nichts zu verlieren. Wenn Skip und Christine noch lebten, würden sie ebenfalls auf dem Weg zur Stadtmitte sein, dort hatte er also die beste Chance, die beiden wiederzufinden. Vanderbuilt hatte keine Ahnung, daß sie längst nicht mehr in der Stadt waren. Ebensowenig konnte er wissen, daß sein Schutzengel nur solange die helfende Hand über ihn hielt, bis Skip und Christine in ihrem Schiff waren und sich um Cera kümmerten. Noch begleitete sie ihn auf unfaßbare Weise und bewahrte ihn vor den Fallen dieser Region auf seinem Weg zum Zentrum. Harry Vanderbuilt humpelte zuerst, dann normalisierte sich sein Gang. Er biß die Zähne zusammen und setzte einen Fuß vor den anderen. Die Kugeln wurden dichter und auch größer. Immer wieder aufkommender Donner mit ersten Blitzen trieb seine Schritte an. Harry spürte, daß irgendwo dort im Zentrum etwas vorging, das sich verheerend auf die Stadt auswirken konnte. Und er hatte keine Lust, noch einmal dem Monstrum über dem Kunsthimmel in die Klauen zu fallen. Er konnte das N’ADOKHAN nicht spüren, weil es diesen Stadtgürtel noch nicht erreicht hatte. Auch als er den Ring der Fallen hinter sich ließ und (für ihn nicht erkennbar) das Gebiet der Ausgestoßenen erreichte, ahnte er nicht, was auf dem Weg zu ihm war. Aber er fühlte die Augen in seinem Rücken. Überall steckten sie und beobachteten seine Schritte. Und diesmal hatte Vanderbuilt es mit realen, faßbaren Gegnern zu tun, das spürte er deutlich. Und das gab ihm neue Zuversicht. Er fuhr immer wieder herum, um einen der Beobachter zu Gesicht zu bekommen, aber sie waren schneller. Der Weg wurde jetzt schwieriger. Es stank bestialisch nach Verfaultem, und auf dem Boden lagen Berge von Müll.
Fast wie in deiner Kabine, Harry. Vanderbuilt stöhnte, verkniff sich aber einen Kommentar. Er würde es seinem angeblichen Freund Christopher schon noch heimzahlen. Wütend stieg Vanderbuilt über den Unrat und orientierte sich nach dem Himmel. Dort, wo die von allen Seiten kommenden roten Entladungen zusammenflössen, mußte das Zentrum des Schirmes und auch der Stadt sein. Wenn er doch endlich einen dieser geheimnisvollen Gläsernen zu Gesicht bekäme. Wieso versteckten sie sich? Alles war ganz anders, als er es nach den Erzählungen der Geistesformer erwartet hätte. Sie hatten von einer heiligen Stätte berichtet, von einer Enklave des Lichtes und der Reinheit, mitten im Dunkel des unterjochten Alls. Licht! Harry Vanderbuilt mußte sich seinen Weg in einer faden Dämmerung suchen. Das einzige Licht war dieses ewige, rote Leuchten, das ihm langsam verrückt machte. Und wie paßte diese Lumpenlandschaft zu den Heiligen, zu all den Würden-- trägem, die er hier zu finden erwartet hatte? „Hmm“, machte Vanderbuilt und schielte verstohlen zur Seite. Vor ihm lag eine schmale Gasse, die zwischen einem halben Dutzend dieser langsam langweilig werdenden Kugeln hindurchführte. Einige der Bauten waren zu der Gasse hin offen. Vanderbuilt stieg über einen Abfallberg, bis er eine Kugel fand, deren Eingang seitlich angebracht war, in Richtung Zentrum. Er tat so, als wollte er weiter geradeaus gehen, dann sprang er mit einem Satz direkt in die Kugelöffnung. Er preßte sich von innen an die Wand und wartete. Wenn er Glück hatte, konnte er einen seiner Verfolger erwischen. Sein Blick fiel in das Halbdunkel im Innern der Kugel. Fünf Meter im Durchmesser, schätzte er. Der Boden war der Straße angepaßt und glatt. Er strengte die Augen an, um das zu erkennen, was etwa in der Mitte zwischen einem Haufen alter Fetzen lag. Dann erkannte er ein Skelett. Harry lief es kalt den Rücken herunter. Was war mit den Bewohnern der Stadt los? Waren sie ausgestorben? Lebten nur noch einige von ihnen? Draußen hörte er jetzt Schritte. Vanderbuilt preßte sich noch enger an die Innenwand und lauschte weiter. „Komm nur, Freundchen“, flüsterte er grimmig. Die Schritte kamen näher. Dann war der Verfolger heran. Harry Vanderbuilt holte tief Luft, schoß aus der Öffnung und griff zu. Im nächsten Moment ließ er das Opfer los. Es war eine Frau. Sie reagierte sofort, warf sich herum und wollte fortlaufen. Aber Vanderbuilt machte einen Satz und bekam sie am Arm zu fassen. Einen Augenblick später sah er in ihr verkrustetes Gesicht, das an noch sauberen Stellen wie reines Glas schimmerte. „Was ist hier los?“ fragte er schroff, und seine Lippen produzierten automatisch Worte in der Sprache der Geistesformer, die auch hier verstanden werden mußte. „Wo sind meine Freunde?“ Selbst wenn sie geantwortet hätte, würde Harry es nicht mehr verstanden haben. Über den Kugeln hing ein markerschütternder Schrei, wie ihn nur ein Wesen in echter Todesangst ausstoßen konnte. Irgend jemand rief um Hilfe. In der Stimme lag eine Qual, die Vanderbuilt das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Terraner ließ die Frau stehen und spurtete los. Nur einmal hielt er an, um eine massive Latte vom Boden aufzuheben. Als er schließlich einen freien Platz erreichte, wartete er. Dann hörte er ein Wimmern. * Cas’Cahoon schluchzte, heulte, schrie und tobte. Alles half nichts. Er wurde von stämmigen Armen gehalten in eine auffallend große Kugel geschleppt, in der die restliche Gruppe versammelt war und wartete. Frauen und Kinder. Die Skelette, die Cas’Cahoon erkennen
konnte, waren der letzte Beweis. Die Ausgestoßenen waren zu Barbaren geworden. Und er, Cas’Cahoon stellte Mor’Tudanns Gastgeschenk dar. Eine furchtbare Vision entstand in Cas’Cahoons Gedanken: War es möglich, daß die Oberen, deren Diener und Schüler er ein Leben lang gewesen war, die Männer und Frauen in die Barbarei getrieben hatten? Hatten sie ihnen die Nahrungsversorgung abgestellt? Cas’Cahoon wußte, daß die Energie, die die Aggregate speiste, von der Kristallkuppel kam, wo alle Fäden der Lichtstadt zusammenliefen. Als er die irren Augen der Frauen sah“ die mit Messern auf ihn zukamen, wurde der Verdacht zur Gewißheit. Nicht die hier waren Ungeheuer, die wahren Schuldigen hatten im Zentrum gesessen. Und er war einer von ihnen. Cas’Cahoon konnte diesen Kreaturen nicht einmal einen Vorwurf machen. Selbst jetzt wurden sie von einem der Oberen angetrieben, wenn auch in der Maske eines Ausgestoßenen. Aber in wenigen Momenten würden sie ihn, Cas’Cahoon, töten, um zu überleben. Der Gläserne bekam einen neuen Tobsuchtsanfall und entwickelte Kräfte, die er nie für möglich gehalten hätte. Aber die Männer waren stärker. Cas’Cahoon verausgabte sich total, bis er schlaff in ihren Armen hing. Sie legten ihn flach auf den Rücken. Und dann sah er es wieder durch die Schleier, genau wie am Mast: Bilder, die sich langsam herausschälten. Diesmal war es nur einer von den Fremden. Er war in der Nähe! Und er suchte ihn! Cas’Cahoon sah die Frauen bereits über sich. Wenn er nur ein paar Minuten Zeit gewann! Er erinnerte sich an eine Droge, die unter den Gläsernen sehr gefragt war. Vielleicht... „Wartet!“ preßte er mit letzter Kraft hervor. Die Frauen hielten inne. „Laßt euch nicht täuschen“, sagte Mor’Tudann irgendwo hinter dem jungen Gläsernen. „Freßt euch den Bauch voll, und dann übernehmen wir die Stadt!“ Der Haß auf diesen Mann brachte Cas’Cahoon zum Zittern. Wenn er nur einmal noch die Gelegenheit hätte, ihm im Kampf gegenüberzutreten! Die Frauen bewegten sich wieder. „In meinem Umhang“, keuchte Cas’Cahoon. „Ich habe Col’Co bei mir. Viel Col’Co. Laßt mich laufen, und ihr bekommt alles!“ Cas’Cahoon glaubte keine Sekunde lang daran, daß sie das Geschäft machen würden. Aber sie würden sich vergewissern, ob er die Wahrheit sagte. „Er lügt!“ rief Mor’Tudann. „Macht endlich Schluß mit ihm!“ ‘ Die Frauen warfen ihren Männern unsichere Blicke zu. Cas’Cahoon hatte recht gehabt. Die Droge mußte auch hier begehrt sein. Zeit! dachte Cas’Cahoon und versuchte, Impulse von dem Fremden aufzufangen. Sie kamen verschwommen. Der Mann war kein Telepath. Aber er kam näher. Eine alte Frau drängte sich nach vorne und beugte sich über den Gläsernen. Er befürchtete schon, jetzt den Todesstoß zu empfangen, aber dann begann die Alte, ihm die Kleider vom Leibe zu reißen. Eine Gestalt schob sich ins Blickfeld des jungen Gläsernen. Mor’Tudann! Er stieß die Frau brutal in die Menge zurück. „Packt ihn doch endlich!“ schrie Cas’Cahoon unbeherrscht den Leuten zu. „Er ist keiner von euch. Warum laßt ihr euch wie Tiere behandeln?“ Mor’Tudann riß einer jungen Frau das Messer aus der Hand und stellte sich breitbeinig über Cas’Cahoon. Die Außenstädter wichen zu beiden Seiten zurück, als Mor’Tudann es mit beiden Händen hob und ausholte. Die Impulse! Plötzlich war ein Schatten im Eingang. Dann krachte ein schwerer Gegenstand in Mor’Tudanns Rücken und warf ihn zur Seite. Noch während der Scharlatan kippte, griff eine Hand nach ihm und riß ihn hoch. Eine andere Hand schlug mit voller Wucht in das Gesicht
Mor’Tudanns, und Cas’Cahoon hörte ein lautes Krachen. Der Fremde blickte sich kurz um. Er glich einem lebenden Energiebündel. Dann sah er Cas’Cahoon. „Steh auf!“ rief er ihm zu und reichte ihm die Hand. Cas’Cahoon ergriff sie und wurde emporgerissen. Die Ausgestoßenen in der Kugel wichen entsetzt bis dicht an die Kugelwand zurück und sagten kein Wort, bis Cas’Cahoon mit seinem Retter im Freien war. „Kannst du laufen?“ Cas’Cahoon nickte. Dann folgte er dem Fremden. Der Schock kam erst, als Cas’Cahoon seinen Befreier zum ersten Mal bewußt musterte. Cas’Cahoon war Gedankenleser. Auch die Impulse von Nichttelepathen konnte er unter gewissen Umständen empfangen. Jetzt, wo er den Fremden genau ansah, zweifelte er an seinen Wahrnehmungen. Die Impulse kamen eindeutig von einem Mann. Aber der Körper war der einer Frau! „Was ist?“ fragte der Fremde. „Sollen sie sich’s anders überlegen und uns einholen?“ Kaum hatte der Fremde die Worte ausgesprochen, da wußten beide, daß diese Befürchtung überflüssig war. Aus der Wohnkugel hinter ihnen drang ein markerschütternder Todesschrei. Cas’Cahoon erkannte die Stimme sofort. Der Hunger der Kreaturen war größer als die Furcht. Und da Cas’Cahoon ihnen entkommen war, nahmen sie Mor’Tudann. * Erst als sie glaubten, eine sichere Entfernung zwischen sich und die Außenstädter gebracht zu haben, erlaubten sie sich eine Rast. Cas’Cahoon war dem Fremden nur widerwillig gefolgt, weil er auf das Zentrum zulief, wo sich das N’ADOHKAN befand. Aber bisher hatte der Gläserne keine Impulse gespürt. Sie saßen sich gegenüber im Sand und starrten sich an. Cas’Cahoon merkte, daß es seinem neuen Freund unangenehm war. Freund? Wie gönnte der Gläserne nach so kurzer Zeit annehmen, daß er einen Freund gewonnen hatte? „Also hör einmal zu“, begann der Mann mit dem Frauenkörper (Cas’Cahoon hatte sich entschlossen, den telepathischen Impulsen zu glauben und die optische Erscheinung zu ignorieren). „Du scheinst mir der einzige hier zu sein, der normal ist. Was wollten die Burschen von dir?“ Cas’Cahoon wunderte sich über die Art und Weise, wie der Fremde redete. Er versuchte, so gut es ging, die Ereignisse der letzten Stunden zu schildern. Der Fremde nickte. „Wie ich mir das gedacht habe. Dieses N’ADO... N’ADO... also dieses Ding da in eurer Kuppel hat eure Führer umgebracht und breitet sich jetzt immer weiter aus. Dazwischen braucht es eine Pause, so wie jetzt, stimmt das?“ „Das ist richtig“, antwortete Cas’Cahoon. „Und es sollte als Waffe gegen die Schöpfer eingesetzt werden, drehte aber durch, weil eure Oberpriester es nicht richtig aufweckten. Habe ich recht?“ Cas’Cahoon war bestürzt darüber, wie dieser Fremde über die Oberen redete. Gleich darauf korrigierte er sich. Er hatte erkannt, daß all das, an das er sein Leben lang geglaubt hatte, blanke Fassade gewesen war. Trotzdem steckte noch ein Rest von Ehrfurcht in ihm. „Richtig.“ Der Fremde nickte wieder. „Das Problem ist also“, sagte er dann, „das Ding zur Vernunft zu bringen, damit er seinen Auftrag erfüllt, anstatt euch alle umzubringen. Wir müssen also zu dieser Kristallkuppel.“
Der Gläserne erschrak. Diesen Gedanken hatte er schon selbst einmal gehabt, am Mast, aber er war nicht durchzuführen. Wo das N’ADOHKAN Fuß gefaßt hatte, gab es kein Überleben mehr. Nein, dachte Cas’Cahoon. Nie mehr zurück in diese Hölle. Der Fremde schien Cas’Cahoons Bedenken zu spüren. Er lenkte plötzlich ab. „Ich heiße übrigens Harry“, sagte er unvermittelt. Cas’Cahoon wußte wirklich nicht, was er von diesem Burschen halten sollte. Seine direkte Art widersprach total den in der Lichtstadt geltenden Gewohnheiten. „Cas’Cahoon“, stammelte er. „Aha“, machte Harry. Cas’Cahoon nahm all seinen Mut zusammen, und stellte die Frage, die ihm schon lange auf der Seele lag. „Deine Gedanken und dein Körper...“, begann er vorsichtig. „Sie passen nicht zusammen. Einerseits bist du...“ „Ach, das!“ Harry winkte ab. „Hast du schon einmal von einem Volk gehört, das sich Geistesformer nennt?“ „Selbstverständlich. Sie stammen von uns ab. Sie sind eng mit uns Gläsernen verwandt.“ „Feine Verwandte! Kurpfuscher sind das! Sie haben mir diesen Weibskörper verpaßt. Mir, einem gestandenen Mann!“ Cas’Cahoon wußte nicht, was er antworten sollte. Er verstand nicht ganz, was der Fremde meinte. „Vergiß es“, sagte Harry abwinkend. „Was hast du denn?“ Cas’Cahoon war aufgesprungen und zitterte. Ganz deutlich spürte er das N’ADOHKAN. Es kam viel schneller näher als beim letztenmal. Und es war stärker geworden! „Das Ding aus der Kuppel?“ fragte Harry. Cas’Cahoon nickte und suchte eine Gasse, durch die er schnellstens verschwinden konnte, obwohl er bezweifelte, daß er jetzt noch eine Chance hatte. Harry schien seine eigenen Ansichten über das N’ADOHKAN zu haben. Einen Moment lang stand er wie lauschend da, dann brummte er etwas Unverständliches vor sich hin. Immer noch hatte er die Latte in der Hand. Harry wartete, bis Cas’Cahoon losrennen wollte. Dann schlug er ihm den Knüppel über den Kopf. „Tut mir leid, Freund, aber ich hoffe, am Ende wirst du mich verstehen.“ Und dann lud Vanderbuilt den Bewußtlosen über eine seiner stämmigen Schultern und machte sich auf den Weg zum Zentrum. In diesem Moment war eine Entscheidung gefallen. Am Ende würde entweder der Erfolg oder der sichere Tod stehen. * Das Bewußtsein schwamm weiter an die Oberfläche. Die Erinnerung war jetzt vollkommen zurückgekehrt. Das Monstrum, in dem es gefangen war, war eine einzige, allgegenwärtige Masse, nicht körperlich, aber kaum Weniger intensiv. Es bestand aus vielen Millionen und Abermillionen Zellen, die fast jeden Winkel dieses Universums ausfüllten. Aber es war eins. Sobald an einer Ecke des Monstrums etwas geschah, war die Information überall. Ohne Zeitverlust durcheilte sie das Kontinuum. Und so wußte das Bewußtsein, was über der Welt der Gläsernen vorging. Neue Hoffnung keimte auf. Sie waren tatsächlich zurückgekehrt. Das aber konnte nur bedeuten, daß der erste Angriff abgewehrt war. Überall schwoll der Wille zum Widerstand an. Das Bewußtsein versuchte, sich zu lösen, ohne die Aufmerksamkeit des Monstrums auf sich zu ziehen. Es mußte vorsichtig sein. Das Wissen, das das Bewußtsein des alten Loorden jetzt besaß, ließ es die Dinge in einem anderen Licht sehen, als noch vor der Aufopferung für seine Gefährten. Wenn auch die Entscheidung über das Schicksal dieses Universums über der Welt der Gläsernen fallen würde der wirkliche Schlüssel zu dem, was durch die Spaltung der
Urschöpfung zerstört wurde, war Caalis. Das Bewußtsein gewann seine Identität zurück. Der alte Loorde löste sich von dem Monstrum und orientierte sich. Es wußte, daß es nur ein Ziel geben konnte.
9. Als sie schon fast die Hoffnung aufgeben wollten, reagierte eines der beiden Schiffe, die genau über ihnen im Orbit um Caalis standen. Wenig später sahen sie den hellen Lichtpunkt eines sich nähernden kleinen Beiboots am Himmel. „Das wurde auch Zeit“, murmelte Skip. Sie wußten inzwischen, daß sie sich weit weg von der Station befanden, auf der anderen Seite des Planeten. Christine blieb stumm. Seit ein paar Stunden hatte sie nichts mehr von sich gegeben. „Du denkst an Harry, stimmt’s?“ Sie nickte still. Dann sah sie Skip unsicher an. „Wenn er nicht zurückkommt, Skip, was machen wir dann? Wir können ihn nicht einfach im Stich lassen, dort drüben. Überhaupt haben wir nichts erreicht. Wir haben unsere Körper nicht, wir haben den Alten nicht gefunden, wir wissen bloß, daß dort in dieser Stadt der Gläsernen etwas entstanden ist, das... vielleicht noch viel schlimmer ist als das Monstrum...“ Skip spürte einen Kloß im Hals. Auch er machte sich Sorgen um Harry. Harry Vanderbuilt war ein Ekel, aber ein Ekel, das man gern haben mußte. Der Punkt am Himmel wurde größer und kam rasch näher. „Wir werden sehen, Chris, mach dir keine Vorwürfe, wir haben ihn nicht im Stich gelassen. Erstens ist er plötzlich verschwunden, und zweitens haben wir beide keine Ahnung, wie wir überhaupt hierherkamen.“ „Da bin ich nicht so sicher...“, meinte Christine. Der Gleiter schwebte über ihnen und setzte wenige Meter entfernt sanft auf. Er war unbemannt. „Auch das noch“, stöhnte Skip. „Jetzt müssen wir das Ding selbst zu unserem Diskus steuern. Vielleicht hättest du wirklich besser ein paar von den Androiden mitgebracht, die auf Loord herumlaufen.“ „Du weißt genauso gut wie ich, daß sie unberechenbar sind.“ Skip brummte etwas vor sich hin. Dann schloß er die Haube des Bootes und startete. Wie eine Perlenkette standen die einundzwanzig Diskusschiffe über Caalis. Es dauerte fast eine Stunde, bis Skip an ihrem anlegen konnte. * Skip bediente sich erst einmal aus Harrys „geheimem“ Whiskyvorrat, danach fühlte er sich besser. Drüben, im Nebenzimmer, hörte er Christine mit Cera reden. Das Kind war schon wieder um Monate gealtert, und das innerhalb von ein paar Tagen! Manchmal hatte Skip Angst um Cera. Immer wieder drängte sich ihm die Frage auf, woher sie überhaupt kam. Er hatte zu jener Zeit tatsächlich noch keinen Intimverkehr mit Christine gehabt. Im Gegenteil: Sie hatten sich in den Körpern von vollkommen fremdartigen Wesen befunden, die wie wandernde Muscheln aussahen. Aber der Wunsch war dagewesen. Beide, Chris und er, hatten ein Kind gewollt. Genügte das drüben schon, um Wirklichkeit zu werden? Oder hatte am Ende jemand seine Hand im Spiel gehabt, von dessen Existenz sie alle noch nichts ahnten? Skip hatte sich daran gewöhnt, jedes Mal, wenn er glaubte, an die Grenze des gerade noch Faßbaren gestoßen zu sein, mit etwas noch Phantastischerem konfrontiert zu werden. Aber wenn sie das hier hinter sich gebracht hatten, war Schluß, das schwor er sich. Sie
würden mit den Loord-Schiffen zurück zur Erde fliegen. Vielleicht kamen sie dort endlich zur Ruhe. Wie immer, wenn er an die Erde dachte, erschrak Skip. Wie weit hatten sie sich, außer Harry vielleicht, von den Menschen dort entfernt! Christine, die Unsterbliche, Christopher, von dem keiner wußte, was er eigentlich darstellte, weil er immer noch als bloßer Impuls in Harrys Frauenkörper steckte. Und er selbst, Skip. Er wehrte sich dagegen, aber er spürte, daß er auf der Erde keine Ruhe finden würde. Sie alle steckten in diesem Strudel, in den sie seit ihrer Entführung und der ersten Begegnung mit Caalis gerissen worden waren. Cera! Skip hatte keine Ahnung, was einmal aus ihr werden würde. Sie entwickelte sich unnatürlich schnell und verfügte über Kräfte, die er nicht begreifen konnte. Skip sah auf, als Christine mit dem Kind in die große Kabine kam. Sie drückte ihm Cera in die Arme. Die Kleine freute sich königlich. Wieso fragte sie nicht nach Harry? Als ob sie Skips Gedanken gelesen hätte, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. Cera streckte die kleinen Ärmchen in die Luft und erzählte: „Tante Harry ist ganz groß! Tante Harry ist ein Schlitzerohr!“ „Schlitzohr heißt das“, sagte Skip und warf Christine einen verzweifelten Blick zu. Ceras halber Sprachschatz bestand aus Harry Vanderbuilt-Zitaten. „Was ist mit Tante Harry?“ fragte Christine. Cera drehte sich zu ihr um. „Tante Harry ist ein Held! Sie und der Glaskerl ganz allein!“ Skip zuckte unwillkürlich zusammen. Was faselte Cera? Glaskerl? Christines Blick verriet, daß sie das gleiche dachte. Aber Cera hatte plötzlich keine Lust mehr, Erklärungen abzugeben. Sie sprang von Skips Schoß und hüpfte hinüber in ihr Zimmer, einen kleinen Nebentrakt von Skips und Christines Kabine, das sie als provisorisches Kinderzimmer ausgebaut hatten. Christine und Skip sahen sich immer noch sprachlos an, als Cera auf ihr Bettchen sprang. Aber jetzt konnte sie nicht mehr träumen. Mam und Pa störten sie. Was machte wohl aus Tante Harry werden... ? Sie hörte die Stimmen aus dem Nebenraum. Mam und Pa zerbrachen sich die Köpfe über Cera und außerdem schienen sie nicht daran zu glauben, daß Tante Harry zurückkäme. Cera fand, daß die beiden ziemlich dumm waren. Selbstverständlich würde Tante Harry zurückkommen. Sie war schließlich ein Held. Und was sollte Cera ohne Tante Harry anfangen? Denn Mam und Pa waren meistens ziemlich langweilig...
10. Das N’ADOHKAN war wiedergeboren. Es lebte. Aber es war kein bewußtes Leben. Das, was von der Kristallkuppel in der Mitte der Lichtstadt ausging, war ein Wust von ungesteuerten Reflexen. Unkontrollierte Kräfte verbreiteten Chaos und waren drauf und dran, genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was seit der Invasion der Schöpfer der Zweck des N’ADOHKAN war. Das N’ADOHKAN konnte nicht mit den Urkräften des ALTEN UNIVERSUMS verglichen werden, denn es war ein Konzentrat der mentalen Lebensenergie, die diesen Kosmos, zu dem die Lichtstadt gehörte, erfüllt hatte, bevor die negative Urkraft herübergekommen war. Eines der alten Völker hatte es verstanden, diese Energie zu bündeln und in Form von Kristallen festzuhalten. Dort hatte sie geruht, bis die Nachkommen dieses Volkes es zu neuem Leben erweckt hatten. Aber sie hatten einen Fehler gemacht. Sie waren nicht mehr rein wie ihre Vorfahren. Nur ein
Wesen, das noch die Ursprünglichkeit der Vorfahren bewahrt hatte, konnte den Fehler korrigieren und das N’ADOHKAN seiner wahren Bestimmung zuführen. Das N’ADOHKAN - außer Kontrolle geratene Energie, die stark genug war, ein Universum aus den Angeln zu heben. Selbst jene Macht, die sich „Die Schöpfer“ nannte, würde von ihm hinweggefegt werden, wenn sie von der konzentrierten Stärke dieses Wesens getroffen wurde. Aber im Moment war das N’ADOHKAN ein unbewußt handelndes Mordinstrument. Das N’ADOHKAN breitete sich weiter aus. Nach jeder Ruheperiode verschlang es weitere Lebenszonen der Lichtstadt und erreichte die Gläsernen, die nicht schnell genug flohen. Gleichzeitig baute sich eine zweite Komponente auf. Unsichtbare Finger fraßen sich in den Himmel über der Stadt und zerstörten die Stabilität. Ohne es zu wollen, schuf das N’ADOHKAN dem draußen lauernden Monstrum jene Bresche, auf die es seit seiner Machtübernahme gewartet hatte... * Harry Vanderbuilt legte den schweren Körper ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah besorgt zu dem flackernden Himmel auf, der in den letzten Minuten noch finsterer geworden war. Der Terraner setzte sich einen Augenblick neben Cas’Cahoon in den roten Sand. Es war eine komische Stadt. Ein Heiligtum hatte Harry sich anders vorgestellt: glänzende Paläste, Marmorboden, weite Parks, leichtgeschürzte Dienerinnen... Pfui! „Was heißt ,Pfui!’? Mußt du auch wieder deinen Senf beisteuern?“ Du solltest dich schämen, Harry Vanderbuilt! Die Leute hier sind tot, und du denkst an... „Ach, sei still“, maulte Vanderbuilt, aber es kam ziemlich kleinlaut heraus. Eigentlich hat er recht, dachte das Mannweib. Cas’Cahoon rührte sich. Vanderbuilt fiel ein Stein vom Herzen. Er war sich seiner Sache lange nicht so sicher, wie er sich selbst vorzumachen versuchte. Sein Handeln war von der Annahme ausgegangen, daß diese Gläsernen nur in wachem Zustand für die Impulse anfällig waren, die von diesem Ding im Zentrum ausgingen. Er selbst mußte immun sein, denn er spürte nichts. Zwischen ihm und diesem Wesen gab es anscheinend keine Beziehung, die einen Berührungspunkt lieferte. Das aber hieß auch, daß er selbst nichts dagegen würde ausrichten können. Wenn er es hingegen schaffte, Cas’Cahoon in die Kristallkuppel zu bringen, ohne daß er vorher getötet wurde, fände sich vielleicht eine Möglichkeit. Es war ein gewagtes Spiel. Der junge Gläserne kam zu sich. Er starrte Harry an wie einen Geist, dann bemerkte er die Umgebung. Mit einem lauten Schrei fuhr Cas’Cahoon auf und wollte davonrennen. Harry packte ihn schnell an einem Bein und hielt ihn fest. Der Gläserne kippte um und schlug unsanft auf. „Tut mir leid“, entschuldigte sich der Terraner. Cas’Cahoon sah ihn mit unverhohlenem Haß an. „Ich habe dir gesagt, daß wir ins Zentrum gehen“, erklärte Vanderbuilt. „Oder willst du weglaufen, bis du an die Grenze der Stadt kommst? Willst du dort warten, bis dich das Ding einholt und tötet?“ In den Haß mischte sich Unsicherheit. Cas’Cahoon sah sich wieder um. Er schien nicht begreifen zu können, wo er war. „Du gehörst zu denen, die die Stadt verwalten“, fuhr Harry Vanderbuilt fort. „Was weißt du von dem Ding in der Kuppel? Kannst du es abstellen?“ „Du bist verrückt!“ entfuhr es dem Gläsernen. „Ich war nie in der Kuppel. Ich...“ „Aber du weißt, wie es da drinnen aussieht?“ „Schon, aber...“
„Du weißt, was das für ein Ding ist, dieses N’ADOH...“ „N’ADOHKAN“, sagte Cas’Cahoon, und er berichtete, was er aus den Überlieferungen wußte. Viel war es nicht, aber Harry nickte. „Hol mich der Teufel, aber wir...“ „Wer?“ fragte Cas’Cahoon erstaunt. „Ach, vergiß es. Cas’Cahoon, ich weiß, daß du dich verantwortlich für die Verbrechen deiner Oberen fühlst. Willst du mir helfen, das Unheil abzuwenden, das sie heraufbeschworen haben? Nur versuchen, einverstanden?“ Der Gläserne war nun vollkommen verwirrt. Die Scheu vor dem N’ADOHKAN war zu groß. Der Fremde hatte es geschafft, ihn bis hierher, hart an die Grenze zu den Wohnbezirken der Bruderschaft zu bringen, ohne daß er getötet worden war. Er traute ihm sogar zu, es bis zur Kristallkuppel zu schaffen. Aber was erwartete dieser Harry Vanderbuilt von ihm? Cas’Cahoon war noch nie in seinem Leben in der Kuppel gewesen. Allein der Gedanke daran war Frevel! Harry blickte Cas’Cahoon fest an, so daß dieser gar nicht erst auf die Idee kam, daß Harry selbst nur auf ein Gefühl hin handelte und keine Ahnung hatte, wie es in der Kuppel weitergehen sollte. „Wie?“ fragte Cas’Cahoon. „Wie soll ich dir helfen, das...“ Harry sah, wie der Blick des Gläsernen starr wurde. Natürlich! Das Ding wurde wieder aktiv. In wenigen Sekunden würde Cas’Cahoon wieder durchdrehen. Harry griff nach dem Knüppel. Dann lud er sich den Bewußtlosen erneut auf die Schulter und setzte seinen Weg zur Kuppel fort. Als er die Veränderung sah, die mit den Wohnkugeln dieser Stadtbewohner vor sich ging, glaubte er bereits, den schlimmsten Teil des langen Weges hinter sich zu haben. Hier wohnten ohne Zweifel die’ Herren der Lichtstadt. Aber Harry Vanderbuilt täuschte sich. Über ihm begann das Inferno. * Über den beiden Männern riß der Himmel auf. Mitten in dem glutroten Schirm, der die Stadt vor dem Monstrum schützte, bildete sich ein schwarzer Riß, der sich von einem Ende der Glocke zur anderen zog. Der Himmel schien sich dagegen aufzulehnen, denn von allen Seiten her huschten grelle Blitze auf den Riß zu und tauchten die Szene in ein gleißendes Licht. Funkenregen prasselten auf die Stadt. Vanderbuilt schluckte heftig, als er sah, was sich über ihm und Cas’Cahoon tat, dann stürzte er auf die nächstbeste Wohnkugel zu. Er erreichte den offenen Eingang und lud den Gläsernen ab. Die ersten Funken landeten im Sand und fraßen kleine, schwarze Löcher hinein. Vanderbuilt warf sich in die Kugel und erschrak, als er die Leichen sah. Die Gläsernen in dieser Region mußten von dem Ausbruch, den das Erwachen des Monstrums in der Kuppel verursacht hatte, überrascht worden sein. Sie hatten nicht einmal Zeit zur Flucht gehabt. Draußen krachte und blitzte es. Ein paar Funken wurden in die Kugel getrieben. Getrieben! Dann mußte die Luft in Bewegung sein. Der Schock ließ Vanderbuilt die Beine weich werden. Solange die Stadt abgeschirmt war, gab es keine Luftbewegung. Der Spalt im Himmel! Vanderbuilt fühlte förmlich, wie die eiskalte Hand des Monstrums nach ihm griff. War denn tatsächlich alles umsonst gewesen? Waren diese Leute umsonst gestorben? Harry wurde sich dessen bewußt, daß er die ganze Zeit über gehofft hatte, von hier aus könnte eines Tages das grauenhafte Etwas, das sich über die Welten dieses Kosmos gelegt hatte, besiegt und endgültig geschlagen werden. Das hatte ihn vorangetrieben. Er wollte es nicht wahrhaben, aber das war ihm wichtiger als ein neuer Körper. Bin ich denn verrückt? fragte er sich. Genau wie Skip und Christine? Was ist in uns alle gefahren, daß wir uns in Dinge einmischen, die über unseren Horizont gehen? Wieder fuhr eine Funkengarbe in die Wohnkugel und erhellte für Sekundenbruchteile den
Raum. Vanderbuilt sah die verdrehten Augen der Toten, aus denen Entsetzen und Unverständnis sprachen. Das trieb ihn vorwärts. Das hat lange gedauert! Du mußt dich beeilen, Harry! Reeds Stimme brachte das Faß zum Überlaufen. Vanderbuilts Aggressionen hatten plötzlich wieder einen sehr konkreten Angriffspunkt. Auch wenn er in einem Weiberkörper steckte, machte er ihnen allen noch eine Menge vor. Er bewahrte sich seinen gesunden Menschenverstand! Und wenn er nun sein Leben riskierte, um mit Cas’Cahoon die Kristallkuppel zu erreichen, dann tat er das lediglich, um Christopher Reed und allen anderen zu beweisen, daß er auch ohne ihre Hilfe zurechtkam. Dermaßen motiviert, packte er den immer noch bewußtlosen Gläsernen, lud ihn sich auf den Rücken, trat zum Ausgang und blickte in den Himmel. Der Riß war breiter geworden. Er, Vanderbuilt, hatte wirklich nicht mehr viel Zeit. Als wieder eine Lichtwelle über den Himmel gewandert war und den Rand des Risses erreicht hatte, wartete Harry den Funkenregen ab, dann lief er los. Er glaubte, in der Ferne die große Kuppel sehen zu können, wenn es blitzte. Damit hatte er die Richtung. Paß auf den Jungen auf, Harry! Er muß heil in die Kuppel! „Das weiß ich auch“, murmelte Vanderbuilt. Er lief an einer Reihe von Kugeln entlang, so daß er jederzeit in einer von ihnen Schutz suchen konnte. Die Dunkelheit erschwerte beträchtlich die Orientierung. Ein heller Schemen huschte über den Boden. Vanderbuilt sah kurz nach oben und eilte auf die nächste Kugelöffnung zu. Keinen Augenblick zu früh, denn schon blitzte es über ihm auf. Funken regneten wieder herab und fuhren wie eine Ladung Schrot in die Kugel. Harry schrie auf und fluchte, als sein Arm getroffen wurde. Es brannte teuflisch. Der Funkenschauer hörte auf. Harry lud sich Cas’Cahoon auf den Rücken und lief wieder los. Kaum befand er sich ein paar Meter vor der Kugel, als er spürte, wie ihm sein Körper wegsackte und er haltlos vornüber kippte. Einen Augenblick lang wußte er nicht, was los war. Dann sah er den Schatten. Ein breiter, dunkler Strich, der sich über den Boden zog. Und die beiden so unterschiedlichen Männer lagen mitten drin. Cas’Cahoon rührte sich nicht. Das N’ADOHKAN mußte also noch aktiv sein. Steh auf, Harry! Weiter! Eine eiskalte Hand griff nach Vanderbuilts Bewußtsein. Er glaubte, Reed in sich aufschreien zu hören. Das, was sich da als Schatten auf den Boden der Stadt senkte, waren die ersten tastenden Fühler des Monstrums, das durch den rissigen Schirm eindrang. In wenigen Stunden würde es die Stadt beherrschen! Weiter, Harry! Vanderbuilt richtete sich unter Schmerzen auf. Er stöhnte. Irgend etwas wollte ihn festhalten, ließ seine Glieder nicht los. Es war, als klebte er am Boden fest. Mach schnell, Harry, sonst ist es zu spät! Harry Vanderbuilt bäumte sich wild auf, und dieses Mal schaffte er es. Er bückte sich und kämpfte gegen das an, was sich in sein Gehirn schleichen wollte und den Willen zu lahmen versuchte. Irgendwo ertasteten seine Finger eine schlaffe Hand. Cas’Cahoon! Er ergriff sie und riß den Bewußtlosen mit sich. Du schaffst es, Harry! Noch ein paar Meter. Vanderbuilt sah bereits das Ende des Schattens vor sich. Die Angst verlieh ihm Riesenkräfte. Jetzt war er draußen. Trotzdem lief er weiter und zog Cas’Cahoon hinter sich her. Der Körper des Gläsernen schleifte durch den roten Sand, und an einigen Stellen riß die Haut auf. Aber erst an der nächsten Wohnkugel blieb Vanderbuilt stehen. Er erschrak, als er Cas’Cahoon sah. Während der letzten Minuten hatte er fast automatisch gehandelt. Er wollte um keinen Preis noch einmal das erleben, was er mitgemacht hatte, als sie in dem Monstrum gefangen waren. Damals hatten sie Glück gehabt, aber das würde sich
nicht wiederholen. Harry atmete tief durch und spürte das Ziehen in den Waden. Überhaupt tat ihm alles weh, aber er mußte es bis zur Kuppel schaffen. Er schulterte erneut den Bewußtlosen und wartete die nächste Entladung am Himmel ab. Dieses Mal spähte er vorsichtig hinaus, bevor er losrannte, um einen dieser Schatten, die in Wirklichkeit gebündelt einfallende Fühler der Schöpfer waren, sofort im Ansatz erkennen zu können. Dann rannte er hinaus. Ein Blitz von bisher nicht dagewesener Intensität erhellte einen Augenblick lang die Stadt. Und jetzt sah Harry deutlich die große Kuppel. Gleichzeitig bemerkte er, daß die Wohnkugeln nicht mehr so dicht beieinander standen. Er mußte bald den Streifen erreicht haben, von dem Cas’Cahoon erzählt hatte. Aber was machte er, wenn er bei der Kuppel war? Er mußte wohl oder übel warten, bis Cas’Cahoon erwachte. Und da konnte bereits alles zu spät sein. Vanderbuilt warf sich zur Seite und preßte sich fest an eine der Wohnkugeln, als ein neuer Funkenregen vom Himmel kam. Lange hielt der Schirm nicht mehr. Daß er nicht schon längst zusammengebrochen war, konnte daran liegen, daß selbst dort, wo die schwarzen Risse sich hineinfraßen, noch eine gewisse Restsubstanz existierte. Es war kein gewöhnlicher Schirm, wie Vanderbuilt ihn von Loord her kannte. Er wurde nicht von Projektoren erzeugt, sondern mußte etwas mit dem geheimnisvollen Stoff zu tun haben, der auch die Dunkelzonen abschirmte. Vanderbuilt bezweifelte, daß er jemals ohne massive Einwirkung von innen auseinandergebrochen wäre. Und die Einwirkung kam aus der Kuppel da vorne! Also los, Harry, du hast nicht mehr viel Zeit! Vanderbuilt schnaufte und stieß sich von der Wand ab. Er erreichte die letzten Wohnkugeln, dann sah er die Kristallkuppel in der Mitte einer freien Zone. Ein ebener Ring von zweihundert Metern Breite umgab die Kuppel, die, trotz des seltsamen Lichtes in der Stadt, ihre Wirkung auf Vanderbuilt nicht verfehlte. Jetzt spürte er diesen Hauch des Ewigen. Die Kristallkuppel mochte etwa fünfzehn Meter hoch sein und eine Grundfläche von fünfzig Metern Durchmesser besitzen. Natürlich hatte Vanderbuilt keine Ahnung, wie es drinnen aussah. Er wußte nur, daß dort etwas wütete, das er nicht fühlen konnte. „He“, sagte Vanderbuilt und setzte Cas’Cahoon bei der letzten Wohnkugel ab. Er tätschelte seine Wangen, um ihn wach zu bekommen. Aber er hatte keinen Erfolg. Vielleicht wachte der Gläserne automatisch auf, sobald das N’ADOHKAN in die nächste Ruhephase trat. Wenn das nicht bald geschah... Harry Vanderbuilt kniff die Augen zusammen und sah in den Himmel. Das schwarze Muster war noch eindringlicher geworden. Dort oben mußten Energien gegeneinander kämpfen, die sein Fassungsvermögen überstiegen. Aber es half nichts. Sie mußten zur Kuppel. Zweihundert Meter ohne Schutz. „Wenn er wenigstens laufen könnte“, murmelte Vanderbuilt und betrachtete Cas’Cahoon. Der Gläserne war zerschunden, die Kleider hingen ihm nur noch in losen Fetzen vom Leib. Vanderbuilt spürte Mitleid mit dem jungen Burschen. Eigentlich standen ihre Chancen eins zu unendlich. Wie sollte dieses Wrack jemals das Ding in der Kuppel manipulieren, von dem Cas’Cahoon lediglich aus alten Legenden gehört hatte? Und die waren noch dazu verfälscht worden. Keine Sentimentalitäten, Harry! Zur Kuppel! Eine rote Welle raste über den Himmel und tauchte die Landschaft in gleißendes Licht. Wenig später folgte eine Detonation. Diesmal schien der ganze Himmel herabzustürzen. Harry Vanderbuilt zog den Gläsernen in die Kugel und schloß die Augen. Trotzdem war er geblendet von der Helligkeit. „Also schön!“ sagte Harry und packte den Gläsernen. Täuschte er sich, oder begann Cas’Cahoon sich zu rühren? Zur Kuppel! Reeds lautlose Stimme verriet Panik. Die Angst übertrug sich auf Vanderbuilt
und verlieh ihm neue Kraft. Er nahm Cas’Cahoon einfach auf die Arme und lief auf die Kristallkuppel zu. Es blitzte über ihm, aber Vanderbuilt lief weiter. Funken regneten auf die Stadt herab, und etliche brannten sich durch Harrys Kombination in sein Fleisch. Nicht stehenbleiben, weiter! Harry bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich eine dunkle Bahn neben ihm bildete und auf die Kuppel zuschoß. Es sah aus, als würde der rote Sand des Bodens einfach geschluckt. Der Schattenfinger erreichte die Wandung der Kuppel, dann versank die Welt in einem strahlenden Inferno aus Farben und Mustern. Die Helligkeit ging von überall aus, und Harrys Körper wurde von allen Seiten gepackt und von unbekannten Kräften durchgeschüttelt. Er verlor den Halt und torkelte hin und her, aber er ließ Cas’Cahoon nicht los. Zusammen mit ihm schlug er schwer zu Boden. Alles drehte sich jetzt vor seinen Augen, die nichts anderes sahen als nur helle Muster. Vorwärts, Harry, weiter! Vanderbuilt kam auf die Beine. Immer noch hielt er den Gläsernen in den Armen und schob ihn vor sich her. Erneut stürzten sie, und jetzt bewegte sich der Terraner auf den Knien vorwärts. Er spürte nicht, wie die Kruste, die einmal eine Haut gewesen war, aufsprang und das blanke Fleisch über den Sand scheuerte. Irgendwann muß doch die Kuppel kommen! Weiter, Harry! Cas’Cahoon bäumte sich plötzlich auf und begann zu stöhnen. Wie eine Maschine schob sich Vanderbuilt weiter und preßte den Gläsernen an sich. Harrys Glieder wurden schwer, aber ein unbändiger Wille trieb ihn vorwärts. Irgendwann mußte er an der Kuppel sein. Nur nicht schlappmachen. Und dann stieß Vanderbuilt mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Er ließ Cas’Cahoon seitwärts zu Boden gleiten und streckte tastend beide Hände aus. Vor seinen Augen tanzten immer noch rote Schleier, und das Rauschen in seinem Kopf schluckte jeden Laut. Harrys Finger berührten die kalte Hand. Du hast es geschafft, Harry, jetzt mußt du... Vanderbuilt hörte nicht mehr, was er mußte. Erlösende Ohnmacht umfing ihn. * Alles war in Bewegung geraten. Etwas Entscheidendes bahnte sich an. Erinnerungen durchzuckten das, was von der einstmals geschlagenen Urmacht geblieben war. Der URKAMPF wurde neu heraufbeschworen. Die Macht des Monstrums zog sich über die Welt der Gläsernen zusammen. Das Bewußtsein des alten LOORDEN hatte sich lösen können. In eine Lebensblase gehüllt, schwebte er auf eine der überall treibenden Welten zu und wartete ab, bis sich über ihr eine Himmelsader bildete. Dann fädelte es sich ein. Das Ziel war die Welt der Geistesformer. Der Alte wußte, daß der Weg zurück nach Caalis über diese Wesen führte. Und wenn dieser Mensch, den er immer mehr bewunderte, tatsächlich seine Mission überlebte, würde auch er hierher zurückkehren. Der Alte mußte warten. Er wußte, daß in diesen Augenblicken über die Zukunft dieses Universums entschieden wurde. Aber er wußte inzwischen auch, daß dies nur ein Glied in der Kette war, die ihn und seine Freunde umgab. Sie würden nicht zur Ruhe kommen, bevor sie nicht den Weg bis zum Ende gegangen waren. Und dieser Weg war erst dort zu Ende, wo die Erinnerung in verschwommenem Dunkel lag. Dort, wo alle Legenden ihren Ursprung hatten. DER RING DER UNIVERSEN! Immer wieder hallte der Begriff im Bewußtsein des Alten wider. Alles, was im Heimatuniversum längst vergessen war, spiegelte sich darin. Der Loorde verließ die Ader und fädelte sich in eine andere ein. Vor allem brauchte er einen Körper.
* Cas’Cahoon kam langsam zu sich. Es dauerte ein paar Minuten, bis er erkannte, daß er nicht träumte. Nur kurz blickte der Gläserne auf. Er konnte den Anblick des von schwarzen Rissen gespaltenen Firmaments nicht ertragen. Cas’Cahoon wußte, daß er den Weltuntergang miterlebte. Er schwebte in einer Art Rauschzustand. Das, was um ihm war, konnte nur eine Vision sein! Hier bei der Kuppel konnte er sich nicht wirklich befinden. Der Fremde lag bewußtlos auf dem roten Sand. Cas’Cahoon wurde übel, als er die zerschundenen Beine des Mannes sah. Überall war die verkrustete Haut aufgeplatzt. Der Körper bewegte sich noch, wenn Harry atmete, aber lange würde er nicht mehr leben. Was blieb ihm eigentlich noch? fragte sich der Gläserne. Alles hat keinen Sinn mehr. Alles stirbt, warum lebe ich noch? Was hatte der Fremde gesagt? Er sollte in die Kuppel gehen und versuchen... Cas’Cahoon registrierte plötzlich erstaunt, wie sich seine Füße in Bewegung setzten. Er taumelte an der Kuppelhülle entlang und wußte, daß er den Eingang suchte. Cas’Cahoon ließ sich treiben. Er hatte das Gefühl, als ob tief in seinem Innern eine Schale abbröckelte und etwas freilegte, das ihn erschreckte. Du mußt hinein, Cas’Cahoon. Du bist stark! Der Gläserne fuhr zusammen und erstarrte. Wer hatte da geredet? Er sah sich um. Überall brannte es, nirgendwo konnte er einen Menschen ausmachen. Ich bin in dir, stelle jetzt keine Fragen. In die Kuppel! Cas’Cahoon bewegte unsicher die Beine und schob sich weiter an der Kuppel entlang. Er zitterte. Jetzt erinnerte er sich, daß er manchmal geglaubt hatte, dieser Fremde rede mit einem unsichtbaren Partner. Was war Harry wirklich? Du bist es deinem Volk schuldig, Cas’Cahoon! Etwas brach in dem Gläsernen durch. Zuerst war es das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben. Er stand mit dem Rücken zur Wand und konnte nur gewinnen. Sein Leben konnte einen Sinn erhalten. Aber das N’ADOHKAN! Es schläft noch, aber es wird wieder ;| zu sich kommen! Beeile dich! Aber wie sollte er... ? Frage nicht. In die Kuppel! Irgend etwas sagte Cas’Cahoon, daß das Fremde in ihm recht hatte. Seine Hände tasteten sich im roten Halbdunkel über die glatte Außenwand der Kristallkuppel, bis er die Rille fand. Dann stand er vor dem Einstieg. Cas’Cahoon zitterte. Er wollte ja hinein, aber wie konnte er mit einem Etwas Kontakt aufnehmen, das er nicht begriff? Gehe hinein und öffne dich! Die Wand fuhr zur Seite und gab den Blick auf das Innere des Kristallkuppel frei. Cas’Cahoons Augen spiegelten das wider, was er sah. Seine Bewegungen erfolgten ohne die Steuerung des Bewußtseins. Was er jetzt tat und dachte, hatte seinen Ursprung viel tiefer. Seine Füße überschritten die Schwelle. Fast lautlos schloß sich die Kuppelhülle hinter ihm. Die Stimme war verschwunden. Cas’Cahoon kniete nieder, als er einige Meter gegangen war. Vor ihm, im Zentrum der Kristallkuppel, strahlte das N’ADOHKAN. * Während sich in der Kristallkuppel im Zentrum der Stadt der Gläsernen das Schicksal eines
andere Universums entschied, das auf unverständliche Weise mit dem eigenen verbunden war, zeigten die Schirme der im Orbit stehenden Schiffe die ersten Anzeichen der Veränderung, die mit Caalis vorging. Christine eilte in die Zentrale, als sie Skips Anruf erhielt. Cera lag in ihrem Bettchen und schlief. Sie träumt, dachte Christine beruhigt, als sie das erheiterte Zucken um den Mund des Kindes sah. Eine Minute später war sie bei Skip. Er brauchte nicht viel Worte zu machen. Sie sah es sofort. Die Umrisse des Planeten begannen zu verschwimmen! „Um Himmels willen!“ stieß sie hervor und setzte sich in einen Pilotensessel. „Was geht da vor, Skip?“ „Ich weiß es nicht. Es begann vor zehn Minuten.“ „Das ist doch nicht möglich. Was sagen die Instrumente?“ Sie zeigte auf die Konsolen mit den verschiedensten Meßapparaturen. Wenn es keine Halluzination für sie war, dann mußte das, was mit Caalis vorging, erfaßbar und in Zahlen auszudrücken sein. Aber Skip schüttelte nur den Kopf. „Nichts“, sagte er schulterzuckend. „Rein gar nichts. Es ist, als gäbe es den Planeten schon gar nicht mehr.“ „Aber... wir sehen es doch! Skip, fängt es jetzt hier auch schon an? Oder sind wir alle verrückt? Wir träumen einen schrecklichen Traum, Skip!“ Er schüttelte stumm den Kopf. Drüben zählten keine der bekannten Naturgesetze, dort war alles im Fluß und für menschliche Begriffe unkompliziert. Aber das hier war etwas anderes. „Wir können nur eins tun“, erklärte der Raumfahrer. Dann gab er einige Anweisungen an die Bordpositronik. Ein Beiboot wurde ausgeschleust. „Wir warten also?“ „Was denkst du? Ich habe nicht die Absicht, Harry zurückzulassen.“ Seltsamerweise zweifelte er nicht daran, daß Harry noch lebte. Er fragte sich oft, wieso er so sicher sein konnte. Die Antwort war so naheliegend. Aber es sollte noch viel Zeit vergehen, bis Skip sie erhielt. Caalis stabilisierte sich wieder. „Für wie lange?“ fragte Skip.
12. Harry Vanderbuilt kam zu sich. Er sah nur rote Muster. Er richtete sich auf und fühlte etwas Hartes in seinem Rücken. Vanderbuilt lehnte sich gegen die Wand der Kuppel. Alles tat weh, der ganze Körper war wund. Dieser verdammte Weibskörper! durchfuhr es Vanderbuilt. Wenn er nicht bald einen neuen bekäme... Wie schön war doch sein alter Körper gewesen. Harry dachte an den stattlichen Schnauzbart, den er sich hatte wachsen lassen, bevor das Unglück geschah. Erst nach ein paar Minuten merkte Harry, wie unpassend seine Gedanken waren. Die Erinnerung kam schlagartig zurück. Vanderbuilt lehnte mit dem Rücken an der Kuppelhülle und starrte in das rote Glühen, das ihn umgab. Er konnte keine zehn Meter weit sehen. Überall war die Luft in Bewegung. Dann und wann fuhren dunkle Schatten wie Pfeile in das Rot und erzeugten blitzartige Entladungen, in denen sie vergingen. Wo war Cas’Cahoon? Er hatte den Gläsernen bis hierher geschleppt. Cas’Cahoon hatte sich
gerührt. Er mußte erwacht sein. Und das hieß, daß das N’ADOHKAN sich in einer Ruheperiode befand, sonst wäre der junge Bursche auf der Stelle gestorben. Wo war er jetzt? Als Vanderbuilt sich aufrichten wollte, sah er seine Beine. Fast hätte er wild aufgeschrien und sich übergeben. Selbst für ihn, der einiges gewohnt war, bot das, was seine Augen ihm vermittelten, ein Bild des Grauens. Dort, wo seine Haut aufgerissen war, konnte er zentimetertief hineinsehen. „Verdammt!“ Er versuchte, sich durch einen Fluch Luft zu machen, ohne Erfolg. Das Grauen saß zu tief. Er schleppte es mit sich herum, es war an ihm! Harry Vanderbuilt ekelte sich vor seinem Körper. Er richtete sich an dem Material der Kuppel auf. Ein paar Schritte nur! Weg von hier, irgendwohin! Dann wurde es wieder schwarz vor seinen Augen. Noch einmal dachte er an Christine, an Skip und an Christopher. Christopher? Wo steckte er? Warum meldete er sich nicht? Harry Vanderbuilt fühlte sich unsagbar allein. Dann wurde er wieder bewußtlos. * Cas’Cahoon verstand nicht, was er sah. Es war eine ganze Welt, ein ganzes Universum, das ihn umschlang. Er spürte, daß es den tausendfachen Tod bedeutete, aber gleichzeitig wußte er, daß er sich sein ganzes Leben lang danach gesehnt hatte. Links und rechts von ihm lagen die toten Körper der Oberen auf dem Boden. Aber Cas’Cahoon nahm keine Notiz davon. Er blickte starr geradeaus. Das also war das N’ADOHKAN. Es war mehr als nur der Begriff. Cas’Cahoon sah hinein in eine funkelnde Welt bunter Lichter, und jedes Licht hatte eine Geschichte zu erzählen. Für Cas’Cahoon wurde die Vergangenheit lebendig. Jedes Licht ein Volk seines Universums! Aber etwas stimmte nicht. Eine wichtige Komponente“ fehlte in dem Kristallzauber. Cas’Cahoon spürte es lediglich, er hätte es niemals definieren können. Es war so, als ob die unfaßbaren, noch schlafenden Energien ohne die Seele waren, die sie zusammenhielt und kontrollierte. Es waren wirre Impulse, die in chaotischer Unordnung zusammenspielten und so jene verhängnisvolle Schwingungen erzeugten, die draußen in der Stadt das Chaos schufen. Die Seele des Ganzen! durchfuhr es Cas’Cahoon immer wieder. Irgendwo mußte sich das letzte Stück dieser noch unvollkommenen Einheit befinden. Cas’Cahoon wußte nicht, wie die Zeremonie der Wiedergeburt vonstatten gegangen war, aber hier mußte der Fehler gelegen haben. Wenn es ihm gelang... Heftige Zweifel wechselten sich ab mit einer immer stärker werdenden Euphorie, für die es rational keine Erklärung gab. Wo war die Stimme, die ihm das Gefühl gegeben hatte, nicht allein vor das Unfaßbare zu treten? Impulse! Cas’Cahoon erstarrte. Es wird aktiv! Die Ruheperiode geht zu Ende! Panik ergriff ihn. Aber da war plötzlich etwas anderes, das ihn daran hinderte, einfach aufzuspringen und wegzulaufen. Wieder waren es nur Gefühle: ein Hauch einer alten, hellen Welt voller Licht. Cas’Cahoon glaubte, daß irgend etwas in ihm zu einem vergessenen Ursprung zurückkehrte. Der Gläserne sank in die Knie und senkte langsam den Kopf. In diesem Augenblick wurde ihm bewußt, was der Begriff „Heiligtum“ wirklich bedeutete. Es waren keine heruntergeleierten Formeln, keine Gebete, die man sprach, ohne zu denken. Was Cas’Cahoon erlebte, war die Begegnung mit einem Wesen, das einen Bezugspunkt
gefunden hatte, um endlich vollständig zu materialisieren. Eine lautlose Unterhaltung entwickelte sich in der Kristallkuppel, während die Energien des N’ADOHKAN wieder anschwollen und nach außen drangen. Mitten zwischen den Impulswellen kniete Cas’Cahoon. Der Gläserne wußte nicht, was er tat. Er öffnete sich vollkommen und ließ die suchenden Fühler des N’ADOHKAN in sich eindringen. Cas’Cahoon befand sich immer noch in Trance, als draußen, über der Stadt, der Weltuntergang begann.
13. Harry Vanderbuilt erwachte nach einem grauenhaften Alptraum. Er war zehnmal gestorben, durch Feuerstürme gerannt und immer wieder gestürzt. Seine Beine hatten sich aufgelöst, und er war weitergekrochen. Die Stadt! Die Kuppel! Der Traum wurde gefährlich plastisch. Da war dieser durchsichtige Kerl gewesen. Er war in der Kuppel verschwunden. Harry versuchte, sich aufzurichten. Aber er war auf seiner Liege festgeschnallt. Er konnte nur den Kopf bewegen, nicht aber Arme und Beine. Liege? Wo, zum Teufel, befand er sich überhaupt? Über sich sah Harry eine von verborgenen Leuchten angestrahlte schwarze Decke, die frei zu schweben schien. Wände gab es keine. Er lag im Freien. Aber jetzt sah er weitere dieser Plattformen in einigen Metern Entfernung. Das konnte nicht wahr sein! Wie kam er in die Dunkelzone der Geistesformer? „He!“ rief Vanderbuilt laut. „Ist hier einer?“ Sofort erschien einer dieser dürren Burschen, der ebenso durchsichtig wirkte. Harry stöhnte. Er sehnte sich danach, endlich wieder einen richtigen Menschen zu sehen. „Wie komme ich hierher?“ fragte Harry. Immer mehr dieser Wesen tauchten auf und betrachteten ihn wie einen Exoten. Harry; fühlte sich unbehaglich. Was ging hier vor? Einer der Geistesformer trat vor und redete unverständliches Zeug. Wahrscheinlich sollte es eine Erklärung sein. Harry verstand nur, daß man ihn von der Welt der Gläsernen über die Himmelsadern hierhertransportiert hatte. Man? Wer war „man“? Das hatte Zeit. Wichtiger war, weshalb man ihn in ein Bett gelegt und noch dazu festgebunden hatte. „Wollt ihr mich zusammenflicken?“ fragte Harry Böses ahnend. Er erinnerte sich an seine Beine. „Du hast einen neuen Körper bekommen“, verkündete der Sprecher der Wesen. „Du mußt noch liegen, bis...“ Vanderbuilt hatte den Eindruck, daß der Bursche nach einer Ausrede suchte. „Bis sich die Struktur stabilisiert hat.“ Ich sehe ihm an der Nase an, daß er lügt! dachte Vanderbuilt, aber er schwieg. Alles war besser als der Weibskörper, den sie ihm beim erstenmal verpaßt hatten. „Habt ihr auch darauf geachtet, daß ich ein Mann bin?“ fragte er dennoch. „Wir... nun...“ Harrys Verdacht vergrößerte sich. Was hatten sie diesmal mit ihm angestellt? Bevor der Sprecher eine Antwort geben konnte, teilte sich die Schar der Schaulustigen. Ein bekanntes Gesicht erschien. Aber es war nicht mehr verkrustet und schmutzig, sondern strahlte in einer Reinheit, die ihm eine gewisse Verklärtheit verlieh. „Cas’Cahoon!“ stieß Vanderbuilt hervor. Der Gläserne nickte ihm freundlich zu und setzte sich auf die Kante der Liege. Die anderen wichen respektvoll zurück. Täuschte der Eindruck, oder brachten sie ihm Ehrfurcht entgegen?
„Cas’Cahoon! Hast du mich... ?“ „Mach dir keine Gedanken, Harry“, sagte der Gläserne mit ungewohnt weicher Stimme. Was war mit ihm los? Das war nicht mehr der Bursche, den Harry zur Kuppel geschleppt hatte. Was war inzwischen geschehen? Cas’Cahoon erzählte alles der Reihe nach. Wie er in die Kuppel getreten war und dem N’ADOHKAN gegenübergestanden hatte, wie er gegen tausend Ängste gekämpft und das Neue in sich gespürt hatte. Er erzählte von dem ersten vagen Kontakt bis hin zur Wiedergeburt. „Wiedergeburt? Ich denke, das Ding war bereits durch eure famosen Oberen...“ Der Gläserne schüttelte den Kopf. „Das, was sie aus dem Urschlaf gerissen hatten, waren nichts als bloße Energien, die den Aktivierungsimpulsen folgten und sich chaotisch ausbreiteten. Das Gehirn des Wesens hatten sie nicht rufen können. Sie hatten sich schon soweit von den Ursprüngen entfremdet, daß sie nicht in der Lage waren, einen Kontakt zu schaffen. „Du konntest es?“ „Es scheint so“, sagte Cas’Cahoon lächelnd. „Ich weiß nur, daß ich in der Kuppel wieder zu mir kam und irgend etwas in mir trug, das mich mit dem N’ADOHKAN verband. Als ich die Kuppel verließ, fand ich dich bewußtlos und schleppte nun dich durch die Stadt zur nächsten Himmelsader. Gerade noch rechtzeitig, bevor die beiden Mächte aufeinanderprallten.“ „Was heißt das?“ „Das wiederauferstandene Gehirn des N’ADOHKAN übernahm sofort die Kontrolle über die Energien und warf sie gebündelt den eindringenden Fühlern des Monstrums entgegen. Ich kann dir sagen, es war nicht leicht, durch das Chaos zu entkommen. Glücklicherweise hielten uns keine Banden auf. Aber trotzdem, Harry, eines muß ich schon sagen: Du wiegst einige Kilo zuviel.“ „Pah!“ machte Vanderbuilt und warf den. herumstehenden Geistesformern einen verächtlichen Blick zu. „Du kannst dich bei ihnen beschweren. Im übrigen...“ Er schielte dorthin, wo der Sprecher der Wesen stand, dann winkte er Cas’Cahoon heran. „Die Burschen sagen, sie hätten einen neuen Körper für mich fabriziert“, flüsterte er verschwörerisch. „Hast du eine Ahnung, wie ich aussehe? Sie haben mich ja festgebunden. Aber ich traue ihnen nicht. Haben sie mich wieder in ein altes Weib gesteckt?“ Der Gläserne lächelte. „Mache dir keine Sorgen, Harry. Du kannst stolz auf deinen neuen Körper sein. Du wirst schon sehen!“ Harry atmete beruhigt auf. Er glaubte nicht, daß Cas’Cahoon ihn belog. „Du mußt wissen, das ist ungeheuer wichtig für mich. Ich möchte ja einmal wieder zurück zur Erde. Und da habe ich einige gute... Bekannte, denen ich nicht gerne in einem Weiberaufzug gegenübertreten will. Vielleicht kannst du mich verstehen.“ „Vollkommen.“ Cas’Cahoon lächelte. Jetzt erst kam Vanderbuilt dazu, ihn genauer zu mustern. Der Gläserne war in einen weißen Umhang gekleidet, der mit kleinen Symbolen verziert war. Über der Brust baumelte ein eigroßes Amulett. „Du hast dich ja herausgeputzt, als ob...“ Vanderbuilt kam ein Gedanke. „Wie lange sind wir eigentlich aus der Stadt weg?“ „Fünf Tage, Freund“, sagte Cas’Cahoon. „Das N’ADOHKAN steht im Kampf mit den Schöpfern. Wenn die beiden Mächte aufeinandertreffen, entsteht ein gewisser Neutralisierungseffekt. Wir wissen noch nicht genau, was mit dem Monstrum vor sich geht, aber es gerät mehr und mehr in Bedrängnis.“ „Wer ist ,wir’?“ „Alle Wesen der Dunkelzonen sind dem Aufruf zum Widerstand gefolgt und kämpfen auf ihren Welten gegen die Schöpfer. Sie haben mich zu ihrem Führer gemacht, als letzten der Gläsernen. Überall glimmt der Funke der Hoffnung wie nie zuvor. Und das verdanken wir dir, Harry. Ohne dich hätte ich nie den Weg zur Kuppel gefunden.“ Vanderbuilt war verlegen. „Nicht doch. Eigentlich wollte ich’s ja nur diesem affektierten, aufgeblasenen Quälgeist
zeigen, den ich einmal für meinen besten Freund hielt.“ „Wem?“ fragte Cas’Cahoon, wobei er Überraschung vortäuschte. Vanderbuilt winkte ab. Er konnte nicht wissen, daß Reed ihn für kurze Zeit verlassen hatte, um den Gläsernen in die Kuppel zu treiben. Vanderbuilt erinnerte sich plötzlich daran, weshalb sie eigentlich gekommen waren. Außerdem mußte er wissen, was mit Christine und Skip geschehen war. „He, du!“ rief er den Sprecher der Geistesformer herbei. „Was wißt ihr über unsere Originalkörper? Bekommen wir sie nun zurück oder nicht?“ Der dürre Humanoide war sichtlich eingeschüchtert. Harry mußte in seinen Augen ein Monstrum sein. Cas’Cahoon antwortete für ihn. „Sie wissen nichts davon. Eure Körper treiben irgendwo in diesem Kosmos. Vielleicht auch in einem Zwischenkontinuum. Aber etwas anderes haben sie für dich.“ Harry kniff die Augen zusammen. Was sollte das nun wieder? Cas’Cahoon lächelte ihm aufmunternd zu. Dann verschwand er. An seiner Stelle schob sich eine andere Gestalt durch die Masse der Umstehenden. Eine alte Gestalt. „Ich werde verrückt!“ stöhnte Harry. * Zur gleichen Zeit ging eine Veränderung mit der Weltenschleuse vor sich. Die Nachricht verbreitete sich schnell und erreichte die Welt der Geistesformer. Wieder griff die Panik nach den Gehirnen der Wesen. Für Vanderbuilt, der gerade erst der Hölle entronnen war, bedeutete sie, daß die Rückkehr in Frage gestellt war. Ohne eine Sekunde zu verlieren, machten sich die Geistesformel an die Arbeit.
14. „Mein Gott!“ stöhnte Christine. Skip schwieg und starrte ungläubig auf das Bild, das ihm die Schirme zeigten. „Glaubst du immer noch, daß es Sinn hat, zu warten?“ fragte sie. „Wir bleiben hier, bis dieser verdammte Planet endgültig verschwunden ist.“ „Ich muß nach Cera sehen.“ Skip sah ihr besorgt nach. Seitdem dort unten die Veränderung eingesetzt hatte, war Cera unruhig geworden. Das Kind wälzte sich im Bett umher und schlug wild um sich. Caalis stabilisierte sich wieder. Es war ein unaufhörliches Auf und Ab. Plötzlich wurde der Planet halb transparent, seine Konturen verschwammen, dann nahm er wieder feste Formen an. Wir müssen abwarten! sagte Skip sich immer wieder. Wenn sie während einer stabilen Phase zurückkehren, haben sie eine Chance. Unten, bei der Station, wartete ein startbereites Beiboot. Sobald jemand einstieg, würde es automatisch aufsteigen und zum Schiff zurückkehren. Skip hatte den Gedanken kaum zu Ende geführt, als eine Signallampe aufflammte. Sie haben es geschafft! * Cera schwitzte. Ihr Herz schlug wild, wenn sie die Bilder sah, die auf sie einströmten, aber sie konnte sie nicht abstellen. Es war wie ein Wachtrum. Cera war gefangen hinter der Tür, durch die sie die Glasmänner und Tante Harry beobachtet
hatte. Irgend etwas hinderte sie daran, sie zu schließen und wegzulaufen. Mams Gesicht tauchte auf, aber das nahm Cera ebensowenig wahr wie die Hand, die über ihre Stirn fuhr. Hinter der Tür war es furchtbar heiß. Alles verbrannte! Weg! dachte Cera, und sofort spürte sie wieder, daß die Tür verschwamm und sich aufzulösen begann. Aber es dauerte nie lange. Sie stemmte sich dagegen und versuchte, auf den Korridor zu kommen. Eine der anderen Türen! Aber die waren immer noch verschlossen. Cera mußte hinein! In alle! Wieder wurde es so furchtbar heiß. Weg! Die Tür bröckelte ab. Cera schwitzte. Sie soll nicht wieder fest werden! Jetzt verschwand der Rahmen fast ganz. Das Feuer dahinter wurde schwächer. Cera spürte nicht, wie ihr Herz schlug. Jetzt hörte der Prozeß wieder auf, und die Tür baute sich schon wieder auf. Weg l dachte Cera. Weg damit’ Die Tür blieb verwaschen als Schemen vor Ceras geistigem Auge stehen. Weg! Und dann war Cera draußen auf dem kleinen Korridor. Die Tür war verschlossen. Cera wachte auf und sah in Mams Gesicht. Wieso weinte sie? * Noch während das Beiboot auf das Schiff zuraste, verschwand der Planet Caalis aus dem Einsteinraum. Er wurde durchsichtig und löste sich auf. Skip nahm Verbindung zu dem Boot auf und erfuhr zu seiner großen Freude, daß nicht nur Harry an Bord war, sondern auch der alte Loorde. Es schien, als hätten sie die Strapazen doch nicht umsonst auf sich genommen. Auch, wenn sie ihre Originalkörper immer noch nicht zurückbekommen konnten. Das soll mir jetzt egal sein, sagte sich Skip. Sobald sie an Bord sind, verschwinden wir für immer von hier. Skip wußte, daß er sich etwas vormachte. Er würde auf der Erde kein Zuhause mehr finden, von Christine und Cera ganz zu schweigen. Sie gehörten hierhin, in jenes Spiel, zu dessen Figuren sie geworden waren. Aber er hatte Angst vor dem, was als nächstes kommen würde. Sie waren trotz allem Menschen, die auf der Erde geboren worden waren. Der Gleiter erreichte das Schiff, und Skip öffnete von der Zentrale aus eine Hangarschleuse. Bevor er sie wieder schließen konnte, schoß das Boot wieder heraus und nahm Kurs auf das Nachbarschiff. „Was soll das schon wieder?“ fragte Skip. Er tippte eine Taste. „Harry, bist du das?“ Das Boot erreichte das. andere Schiff und verschwand in einem aufgefahrenen Hangar. Skip bekam keine Antwort. Wenig später stand der Alte in der Zentrale. Christine erschien auch, nachdem Cera sich beruhigt hatte und schlief. Die Begrüßung war mehr als herzlich. Sie alle verdankten diesem alten Mann ihr Leben. Ohne ihn wären sie nie in den Besitz des Serums gekommen, das sie von der Verformungsseuche geheilt hatte. Und dazu die gesamte Menschheit, die ebenfalls infiziert worden war. Der Loorde erzählte. Christine und Skip erhielten einen fast vollständigen Bericht über das, was drüben geschehen war. „Und es war tatsächlich Harry, der diesen Gläsernen in die Kuppel brachte?“ „Harry und Christopher. Harry würde es niemals zugeben, daß er aus Motiven handelte, die er
als. verrückt’ bezeichnet. Aber sie feiern ihn drüben als den großen Befreier, neben Cas’Cahoon.“ „Ich hätte den Gläsernen zu gerne kennengelernt“, sagte Skip. Er rätselte immer noch daran herum, was sie nach Caalis zurückgeworfen hatte. „Sie kämpfen wie besessen gegen die Macht, die sie bis heute versklavt hat. Und ich bin sicher, daß eines Tages die Lebewesen dieses phantastischen Universums wieder frei atmen können.“ „Wir werden es nie erfahren“, murmelte Christine. „Es gibt keine Verbindung mehr nach drüben.“ „Vielleicht doch“, sagte der Alte mit einem geheimnisvollen Lächeln. Was wußte er? Skip spürte, daß es Zeit wurde. Er kannte dieses Lächeln. Skip hatte den Kurs zur Erde längst in die Computer eingespeichert. Auf einen Impuls hin formierten sich die 21 Schiffe zu einer Kette und nahmen Fahrt auf. „Was ist mit Harry los?“ fragte Christine. Aber der Alte lächelte nur weiter. „Er scheint ein paar Probleme zu haben“, erklärte er ausweichend. Skip stöhnte. „Ich wette, er fängt schon an, seine Memoiren zu schreiben. Sicher ist er mit seinen Gedanken bereits auf der Erde und überlegt sich, wie er das Beste aus seinem plötzlichen Ruhm schlagen kann.“ „Du weißt, was wir beschlossen haben“, erinnerte Christine. „Ich weiß: Wir tun so, als wäre gar nichts geschehen, präsentieren ihnen die Schiffe und ziehen uns in die Anonymität zurück.“ Sie sah ihn böse an. Aber noch etwas anderes lag in ihrem Blick. Skip verstand. Unter dem Vorwand, nach Cera sehen zu wollen, ließ er sie mit dem Loorden allein. „Ach“, fragte er noch, „was ist mit den Bewohnern dieser Elendsgebiete in der Stadt der Gläsernen? Sind sie alle umgekommen?“ Der Alte schüttelte den Kopf. Seine Miene wurde finster. „Das ist Cas’Cahoons größtes Problem. Er macht sich Vorwürfe, obwohl er im Prinzip an den Verbrechen seiner früheren Oberen schuldlos ist. Er wird sich um die Leute kümmern, wo er sie findet. Das Chaos über der Stadt können nur wenige überlebt haben.“ Dann war Christine mit ihm allein. „Du hast doch einen Verdacht, alter Freund“, sagte sie ohne Umschweife. „Du weißt etwas über das, was uns zurückholte...“ Der Loorde sah sie forschend an. Dann nickte er. „Es war eine Kraft, die von hier hinüberwirkte, und zwar, ohne das Weltentor zu benutzen. Sie trat schon vorher in Erscheinung. Aber sie holte euch genau in dem Augenblick zurück, als ihr im Begriff wart, euch in den Tod zu stürzen.“ „War es das Kind?“ Der Alte sah, daß Christine zitterte. Er hätte ihr gerne eine genauere Auskunft gegeben. Aber auch er wußte noch nicht genug. Und mit Spekulationen war keinem geholfen. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Möglich, daß die Kleine etwas damit zu tun hat. Ich werde noch ein Stück mit euch fliegen“, erklärte er anschließend. „Dann nehme ich ein Schiff und kehre nach Loord zurück.“ Er schmunzelte. „Wenn ihr mir eines gebt...“ Christine brachte ebenfalls ein Lachen zustande. „Selbstverständlich“, sagte sie. Sie mußte daran denken, daß sie immer noch nicht wußten, wo Caalis und Loord sich in Relation zur Erde überhaupt befanden. Nur die Computer des Schiffes kannten die Position, aber sie war unzugänglich. Caalis und Loord gehörten der gleichen Galaxis an, doch zwischen der und der Milchstraße lagen viele Millionen Lichtjahre. Eine Positionsbestimmung während des Fluges wäre nur im Einsteinraum möglich gewesen, aber dazu hatten sie keine Zeit. Obwohl ich unsterblich bin! durchführ es Christine. Was wird die Zukunft bringen? Skip wird
älter werden, ebenso wie damals Christopher. Und was wird aus Cera werden? „Sie ist eine Gefahr, nicht wahr?“ fragte sie den Alten. Der Loorde blickte sie lange an. Was wußte der Mann? „Später einmal werdet ihr vieles verstehen, das euch jetzt vollkommen rätselhaft ist. Vieles scheinbar Unmögliche wird eine einfache Erklärung finden. Aber noch ist es zu früh.“ Christine spürte, daß sie sich damit zufriedengeben mußte. Aber der Schmerz und die Ungewißheit tief in ihr würden bleiben. Würden sie auf der Erde noch eine Heimat finden, oder erwartete sie eine neue Hölle? Wo gehörten sie eigentlich hin? „Manchmal beneide ich Harry“, sagte Christine. „Er wird zu Hause keine Schwierigkeiten haben, wird sich wieder auf Partys feiern lassen und das Leben nehmen, wie es kommt. Und jetzt, wo er diesen Frauenkörper los ist, wird er alles nachholen, das er versäumen mußte. Harry hat’s gut, ich wünschte, ich könnte alles so leicht nehmen wie er...“ Der Loorde setzte wieder sein rätselhaftes Lächeln auf. Die Geistesformer hatten seinen alten Körper fast perfekt kopiert. Sein Gesicht wirkte weise. „Ich weiß nicht...“, orakelte er. * Ein paar Stunden später wurde es ihnen zu dumm. „Versuche du’s, Skip. Vielleicht hört er auf dich...“ Christine zuckte resignierend die Schultern und stieg aus dem Sessel vor den Videofunkschirmen. Skip nahm Platz und drückte eine Taste. Der Schirm vor ihm blieb dunkel. „Harry!“ appellierte er. „Harry, jetzt komme endlich herüber und lasse das Theaterspielen sein! Willst du dich verkriechen, bis wir auf der Erde sind?“ In den Lautsprechern war ein Knacken. Dann erklang eine tiefe Stimme: „Nie im Leben! Keine zehn Pferde bekommen mich auf die Erde. Ich bleibe im Schiff!“ „Bist du endgültig verrückt geworden? Wie stellst du dir das vor? Sie brauchen die Schiffe. Sie werden sie bemannen und in die Nachbarsysteme schicken.“ „Nie im Leben!“ Skip sah Christine und den Alten verzweifelt an. „Willst du nicht endlich das Video einschalten?“ fragte er schließlich, ohne viel Hoffnung. „Oder besser noch, komme endlich herüber zu uns. Cera fragt laufend nach dir.“ Aus den Lautsprechern erklang ein seltsames Gurgeln, dann ein lautes „Pah!“ „Was heißt das, Harry?“ Skip sah den Alten an. Sollte er etwas verschwiegen haben? „Was soll das Ganze? Ich denke, du hast einen neuen Körper?“ „Das könnte euch so passen! Darauf wartet ihr doch nur. Ich wette, er hat den Mund nicht halten können. Hätte ich mir auch gleich denken können.“ „Harry, was... ?“ „Du hältst den Mund, verstanden?“ Skip zuckte zusammen. „Bist du wahnsinnig?“ „Tür mir leid, Skip, ich meinte nicht dich“, kam es aus den Lautsprechern. „Ich redete mit Christopher.“ „Aha!“ machte Skip und stöhnte. Er sah sich hilfesuchend um. „Laß ihn doch“, meinte Christine. Und als sie sah, daß der Funkkontakt immer noch stand, rückte sie ein wenig näher ans Mikrophon und fügte hinzu: „Wenn das alte Ekel es so will, soll es in seinem Schiff bleiben. Wir vermissen es nicht. Und Cera hat sich ja inzwischen mit unserem alten Freund getröstet...“ Eine Weile blieb es still. Dann fragte die Stimme, die so seltsam klang: „Was hat sie?“ Bevor Skip reagieren konnte, schnellte Christines Hand vor und unterbrach den Kontakt. „Wetten, daß das wirkt? In spätestens einer Stunde ist er hier!“ Drei Stunden waren vergangen, und von Harry Vanderbuilt war noch immer keine Spur. Der Loorde hatte sich verabschiedet und in eine provisorisch eingerichtete Kabine zurückgezogen.
Er wollte allein sein mit seinen Gedanken. Skip und Christine hatten den Eindruck, daß es eine Menge Dinge gab, über die er nicht mit ihnen sprechen wollte. Noch nicht. Aber auch sie wollten allein sein. Bald hatten sie keine Zeit mehr dazu. Auf der Erde standen ihnen anstrengende Tage bevor. Als Cera schlief, kam Christine in die Kabine und zog sich aus. Sie stieg zu Skip ins Bett. „Eines Tages haben wir unsere Ruhe“, sagte sie und schmiegte sich an ihn. Skip strich ihr durch das lange Haar. „Laß uns einfach abschalten“, schlug er vor. „Ein paar Stunden nicht an diesen Alptraum denken, an Loord, Caalis, diese andere Welt und...“ Er horchte auf. „Hast du das gehört?“ fragte er; Christine. „Was?“ „Dieses Geräusch, das Rumpeln auf dem Gang!“ „Ach was“, sagte sie und küßte ihn. „Du bildest dir das ein.“ Drüben begann Cera zu lachen. Skip kannte dieses Kichern. „Nein!“ stöhnte er. „Nur das nicht! Nicht schon wieder!“ Aber dann hörte er erneut das Gepolter im Gang, und dann pochte es an die Kabinentür. „Tante Harry!“ rief es von dort, wo Cera lag. „Komm rein!“ rief Skip und fluchte hemmungslos. „Kann dieser Mensch uns nicht ein einziges Mal in Ruhe zusammen sein lassen?“ Auf einen Impuls hin sprang die Tür auf. Ein Körper schob sich im Schein der Gangbeleuchtung in die Kabine. Christine rieb sich die Augen. „Das kann doch nicht sein!“ „Wo ist das Gör?“ fragte eine Baßstimme. Dann folgte ein Rülpsen. „Drüben“, sagte Christine und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. „Sie ist drüben, aber...“ Sie tastete nach dem Lichtschalter. Diese Stimme! Sie war tief, aber... Das Licht flammte auf. Mitten im Raum zuckte eine graziöse Gestalt zusammen. Langsam drehte sie sich um. „Harry!“ rief Skip aus. „Ich dachte, sie hätten dir einen neuen Körper verpaßt? Wieso bist du... wieso bist du schon wieder eine Frau?“ Einen Augenblick lang stand Vanderbuilt still und suchte nach Worten. Eine grauenhafte Whiskyfahne erfüllte den Raum. Dann platzte es aus Harry heraus. „Diese verdammten Dilettanten! die müssen pervers sein! Ich habe ihnen zehnmal gesagt, daß ich ein Mann bin, und was machen sie? Sie setzten sich hin und sagen, daß alles in Ordnung käme, und dann... dann...“ Vanderbuilt konnte nicht weiterreden. Mit einem Fluch rannte er in Ceras Kammer, wo ihn ein begeistertes Gejohle empfing. „Verstehst du das?“ fragte Skip. Christine schüttelte den Kopf. Plötzlich sah sie Skip aus zusammengekniffenen Augen an. „He!“ sagte sie, „sieh ihm nicht so nach!“ „Wieso?“ fragte er verdutzt. Dann mußte er schallend lachen. Er nahm Christine und zog sie unter die Decke. Sie war eifersüchtig! Skip lachte still in sich hinein. Und das nur wegen Harrys neuem Körper. Weil die Geistesformer ihm diesmal einen jüngeren Korpus gegeben hatten. Harry sah jetzt aus wie Jane Mansfield. * Diesmal war die Rückkehr endgültig. Mit dem Verschwinden von Caalis war jede
Möglichkeit, noch einmal in den anderen Kosmos einzudringen, zerstört worden. Was drüben geschah, lag außerhalb des Eingriffsvermögens der Menschen. Das Weltentor existierte nicht mehr. Vor langer Zeit einmal hatte es keine Trennung der Universen gegeben. Keine der Türen, von denen Cera geträumt hatte, war verschlossen gewesen. Das war vergessen, doch der Funke der Erinnerung war von dem parallelen Universum übergesprungen. Er steckte in dem alten Loorden, und der würde nicht rasten, bis er die Spuren der Vergangenheit gefunden hatte. Die unbegreifliche Kraft, die die Menschen vorantrieb, steckte in ihnen allen. Sie würde ihnen keine Ruhe lassen, bis der Kreis sich geschlossen hatte. DER RING DER UNIVERSEN... Der Weg führte in die Vergangenheit. Sie würden ihn gehen. Und es gab keine Rückkehr...
ENDE