Dirk Freudenberg Theorie des Irregulären
Dirk Freudenberg
Theorie des Irregulären Partisanen, Guerillas und Terroris...
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Dirk Freudenberg Theorie des Irregulären
Dirk Freudenberg
Theorie des Irregulären Partisanen, Guerillas und Terroristen im modernen Kleinkrieg
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15737-5
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis......................................................................................................13 I.
Einleitung ....................................................................................................................21
1.
Anlass und Ziel der Untersuchung ...........................................................................21
2.
Methodik und Vorgehen............................................................................................25
3.
Bedeutung der operativen Faktoren.........................................................................28
4.
Verortung und Literaturkritik..................................................................................30
II.
Hauptteil..................................................................................................................33
1.
Staat und politische Systeme .....................................................................................33 1.1 Der Staat aus staatsrechtlicher Sicht.....................................................................36 1.1.1 Kritik und weiter gefasster Staatsbegriff ......................................................36 1.1.2 Politisches System........................................................................................39 1.1.3 Netzwerke.....................................................................................................41 1.1.4 Das politikwissenschaftliche Pentagon ........................................................42 1.1.5 Neue Ansätze der Interaktion .......................................................................44 1.1.6 Militärische Wirkmittel als ultima ratio einer Gesamtstrategie des Staates ..........................................................................................................45 1.2 Zwischenergebnis.................................................................................................50
2.
Begriff und grundsätzliche Bedeutung der Strategie ..............................................52 2.1 Strategisches Denken ...........................................................................................53 2.2 Ziel und Zweck der Strategie ...............................................................................53 2.3 Definitionsansätze und Wesen der Strategie ........................................................54 2.4 Militärpolitische Bedeutung der Strategie............................................................56 2.4.1 Führungsebenen ...........................................................................................61 2.4.2 Wechselwirkungen zwischen den Führungsebenen .....................................64 2.4.3 Operatives Denken .......................................................................................65
5
3.
Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel und Änderung der Vorstellung über das Kriegsbild ....................................................................................................66 3.1 Die „subjektive“ Bedeutung des Sicherheitsbegriffs............................................68 3.2 Die subjektive Wahrnehmung von Bedrohungen und Forderungen an die Politik ...................................................................................................................69 3.3 Konsequenzen für den politischen Auftrag ..........................................................71 3.4 Änderung der geopolitischen Lage.......................................................................72 3.5 Der „erweiterte Sicherheitsbegriff“......................................................................74 3.5.1 Die neue Qualität der Bedrohungen .............................................................77 3.5.2 Schutz von Wirtschaftsunternehmen ............................................................78 3.5.3 Erweiterung des Bedrohungsspektrums .......................................................79 3.5.4 Unternehmenssicherheit ...............................................................................84 3.5.5 Angriffspunkte und Verletzbarkeit moderner Industriegesellschaften .........84 3.6 Rolle und Selbstverständnis des Staates...............................................................89 3.6.1 Private Sicherheitsdienstleister.....................................................................92 3.6.2 Die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Bürger ...................................93 3.6.3 Verschiebung der Sicherungsaufgaben ........................................................97 3.6.4 Staat, Unternehmenssicherheit und Globalisierung....................................101 3.6.5 PMC / PSC / PSA.......................................................................................102 3.6.5.1 Gründe für das Outsourcing ...................................................................107 3.6.5.2 Unmöglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung von PSC und PMC........107 3.6.5.3 Rechtliche Qualifikation der privaten Sicherheitsunternehmen .............109 3.6.5.3.1 Private Sicherheitsunternehmen und Söldnertum ............................110 3.6.5.3.2 Privilegierung durch Unternehmensziele.........................................112 3.6.5.4 Auflösung des Problems.........................................................................114 3.6.6 Verlust der staatlichen Handlungsfähigkeit................................................115 3.6.7 Zwischenergebnis.......................................................................................116
4.
Totale Kriegführung und begrenzter Krieg...........................................................117 4.1 Terrorismus ........................................................................................................122 4.1.1 Ausgangslage zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ...................122 4.1.2 Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen (MVW)................................124 4.1.2.1 Bio- und Chemieterror............................................................................125 4.1.2.2 Nuklearterrorismus und -Kriminalität ....................................................127 4.1.3 Der Einsatz von MVM im 20. Jahrhundert ................................................130 4.1.3.1 Der Einsatz durch staatliche Akteure .....................................................131 4.1.3.2 Der Einsatz durch Terroristen ................................................................131 4.1.4 Der 11. September 2001 als „Eyeopener“ des Problems............................135 4.1.4.1 Schwer identifizierbare Täterprofile und nichtsstaatliche Akteure ........137 4.1.4.2 Die Unterschiedlichkeit der Akteure, ihrer Motive und Handlungsmuster .....................................................................................................137 4.1.5 Zwischenergebnis.......................................................................................140 4.2 Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus .............................................141 4.2.1 Das Kriegsbild............................................................................................144 4.2.2 Terrorismus und der Begriff des Krieges ...................................................145 4.2.2.1 Sozial- und staatswissenschaftliche Ansätze ..........................................145 4.2.3 Der neuzeitliche Kriegsbegriff ...................................................................148
6
4.2.3.1 Verstaatlichung des Krieges ...................................................................148 4.2.3.2 Globalisierung und Entstaatlichung der Gewalt .....................................150 4.2.3.3 Gleichsetzung von Krieg und Terror ......................................................152 4.2.3.3.1 Der Begriff des Krieges ...................................................................153 4.2.3.3.2 Kriegsbegriff und Low Intensity Conflict........................................155 4.2.3.3.3 Zweck, Mittel, Rationalität ..............................................................159 4.2.3.3.4 Kleiner Krieg ...................................................................................161 4.2.3.3.4.1 Kriegsbegriff und Kriegsbild ....................................................161 4.2.3.3.4.2 Begriff des „Kleinen Krieges“..................................................162 4.2.3.3.5 Das Wesen des Kleinkrieges ...........................................................165 4.2.3.3.5.1 Verdeckter Kampf ....................................................................168 4.2.3.3.5.2 Gefechtshandlungen im Kleinkrieg ..........................................171 4.3 Asymmetrie und Strategie ..................................................................................172 4.3.1 Symmetrie und Asymmetrie.......................................................................173 4.4 Irreguläre Kräfte.................................................................................................179 4.4.1 Politische Legitimation als Voraussetzung des Irregulären Kampfes ........180 4.4.2 Organisationsstrukturen Irregulärer Kräfte ................................................182 4.4.2.1 Banden....................................................................................................182 4.4.2.1.1 Allgemeine und historische Bedeutung des Begriffs „Bande“ ........183 4.4.2.1.2 Heutige strafrechtliche Bedeutung...................................................184 4.4.2.1.3 Heutige militärische Bedeutung.......................................................185 4.4.3 Ausrüstung und Bewaffnung Irregulärer Kräfte.........................................185 4.4.4 Strategische Phasen irregulärer Kräfte .......................................................188 4.4.4.1 Die Organisations- und Passivphase.......................................................188 4.4.4.2 Die Aktivierungsphase ...........................................................................188 4.4.4.3 Die Expansionsphase..............................................................................189 4.4.4.4 Die Übernahme- und Endphase..............................................................189 4.4.4.5 Zwischenergebnis...................................................................................190 4.4.5 Verhalten und Kampfweise ........................................................................191 4.4.6 Einsatzverfahren und Zielrichtung .............................................................193 4.5 Konsequenzen für die Staatenkriege ..................................................................194 4.5.1 Kriegsführungsregeln .................................................................................195 4.5.2 Konsequenzen für die Völkerrechtsordnung ..............................................195 4.6 Das Problem der Definition des Phänomens „Terrorismus“ ..............................200 4.6.1 Das Definitionsproblem auf der internationalen Ebene..............................202 4.6.1.1 Der Interessenkonflikt bei der Einordnung und Bestimmung ................204 4.6.1.2 Die Einordnung und Bestimmung durch das Völkerrecht......................205 4.6.2 Kriegsrecht und Kleinkrieg ........................................................................206 4.6.2.1 Völkerrechtliche Privilegierung des Irregulären ....................................209 4.6.3 Die Einordnung des Begriffs Terrorismus..................................................211 4.6.3.1 Die Herkunft des Begriffs Terrorismus ..................................................211 4.6.3.2 Definitionsansätze und Abgrenzungen...................................................212 4.6.3.2.1 Terror und Militärisches Objekt ......................................................214 4.6.3.2.1.1 Das militärische Objekt ............................................................215 4.6.3.2.1.2 Der militärische Vorteil ............................................................217 4.7 Islamistischer Terrorismus, Djihadismus und Selbstmordattentäter ..................218 4.7.1 Extreme Strömungen im Islam...................................................................219 7
4.7.2 Selbstmordattentäter...................................................................................221 4.7.2.1 Selbstmord..............................................................................................221 4.7.2.2 Attentat ...................................................................................................223 4.7.3 Das operativ-taktische Problem..................................................................224 4.7.4 Persönlichkeitsaspekte des Selbstmordattentats .........................................225 4.7.5 Zwischenergebnis.......................................................................................226 4.8 Kindersoldaten ...................................................................................................226 4.9 Freibeuter und Piraten ........................................................................................228 4.9.1 Abgrenzungsprobleme................................................................................229 4.10 Motivlage und Zielsetzung der Terroristen ........................................................230 4.10.1 Risikoanalyseansätze..................................................................................230 4.10.1.1 Die Unbrauchbarkeit mathematischer Ansätze.....................................231 4.10.1.2 Chancen und Grenzen von Simulation .................................................234 4.10.1.2.1 Wargaming ....................................................................................236 4.10.1.3 Die Anwendbarkeit von Simulation auf Irreguläre Kräfte....................238 4.10.2 Motivlagen der Terroristen.........................................................................239 4.10.2.1 Abgrenzung zu anderen Erscheinungen ...............................................240 4.10.2.2 Irreguläre Kräfte ...................................................................................241 4.10.2.3 Das Problem der Einordnung und Abgrenzung der Begriffe................243 4.10.2.3.1 Guerilla ..........................................................................................245 4.10.2.3.1.1 Strategie der Guerilla..............................................................250 4.10.2.3.1.2 Bedeutung der Guerilla...........................................................250 4.10.2.3.2 Zwischenergebnis ..........................................................................251 4.10.2.3.3 Partisanen ......................................................................................251 4.10.2.3.4 Zwischenergebnis ..........................................................................252 4.10.2.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Partisan und Guerilla...........253 4.10.2.5 Die Abgrenzung von Partisanen und Guerilla vom Terroristen............254 4.10.2.5.1 Unterscheidung nach der strategischen Ausrichtung ....................254 4.10.2.5.2 Unterscheidung nach der taktischen Ausrichtung..........................255 4.10.2.5.3 Strategisch-operativer Ansatz ........................................................255 4.10.2.5.4 Völkerrechtliche Abgrenzung........................................................256 4.10.2.5.5 Psychologische Abgrenzung..........................................................257 4.10.2.5.6 Das Problem des „regulären“ Kämpfers ........................................257 4.10.2.5.7 Die Akzeptanz der Bevölkerung als Abgrenzungskriterium .........259 4.10.2.5.7.1 Die Rolle der Bevölkerung in der Wechselwirkung zwischen den Akteuren...........................................................259 4.10.2.5.8 Politischer Zweck als Abgrenzungskriterium................................266 4.10.2.5.9 Die normativ-wertende Belegung der Begriffe..............................269 4.10.2.6 Zwischenergebnis .................................................................................274 4.10.3 Terrorismus als Methode............................................................................274 4.10.4 Zwischenergebnis.......................................................................................276 4.10.5 Terroristische Einsatzmittel und Grundsätze..............................................277 5.
8
Die Auflösung der Begriffe zum Irregulären und zum modernen Kleinkrieg....278
6.
Historische Ansätze des Irregulären Kampfes ......................................................279 6.1 Die preußischen Militärreformer........................................................................279 6.1.1 Scharnhorst.................................................................................................280 6.1.2 Gneisenau ...................................................................................................284 6.1.3 Clausewitz ..................................................................................................285 6.1.3.1 Volkskrieg ..............................................................................................287 6.1.3.2 Kleinkrieg...............................................................................................291 6.1.3.3 Diversion ................................................................................................293 6.1.3.4 Gesamtkonzeption der Kräfte.................................................................294 6.2 Zwischenergebnis...............................................................................................295 6.3 Marx und Engels ................................................................................................296 6.3.1 Karl Marx ...................................................................................................297 6.3.2 Friedrich Engels .........................................................................................298 6.4 Lenin ..................................................................................................................300 6.4.1 Partisanenkrieg und Terrorismus................................................................303 6.4.2 Partisanenkampf in der sowjetischen Militärkonzeption............................305 6.4.3 Diversion in der Sowjetischen Militärkonzeption ......................................306 6.5 „Befreiungsbewegungen“ und revolutionärer Krieg ..........................................306 6.5.1 Mao Tse-tung .............................................................................................307 6.5.1.1 Clausewitz’ Bedeutung für die Theorie Maos ........................................307 6.5.1.2 Die Bedeutung des Kleinkrieges in der Theorie Maos ...........................310 6.5.1.3 Maos strategischer Ansatz......................................................................311 6.5.2 Che Guevara...............................................................................................312 6.6 Zwischenergebnis...............................................................................................314
7.
Gefechtsfeld ..............................................................................................................314 7.1 Gegenstand des Gefechtsfeldes ..........................................................................315 7.2 Die Bedeutung des Gefechtsfeldes in den Heeresdienstvorschriften .................317 7.3 Einsatzraum........................................................................................................317 7.4 Definitionsansätze ..............................................................................................318 7.4.1 Die Einzelfaktoren des Begriffs „Gefechtsfeld“.........................................320 7.4.1.1 Die Bezugsgrößen des Begriffs ..............................................................321 7.4.1.2 Der Raum als Einflussgröße des Gefechtsfeldes ....................................321 7.4.1.3 Das Gefechtsfeld in seinen Beziehungen zu den geopolitischen Rahmenbedingungen ..............................................................................328 7.5 Der Einfluss moderner EDV auf das Gefechtsfeld.............................................330 7.5.1 Elektronische Kriegführung .......................................................................332 7.5.2 Die Folgen der Technologisierung des Gefechtsfeldes ..............................336 7.5.3 Die Gefahren der Technologisierung auf dem Gefechtsfeld ......................338 7.5.4 Die Folgen für das Führen auf dem Gefechtsfeld.......................................340 7.5.5 Die Bedeutung des Kämpfers auf dem Gefechtsfeld..................................341 7.5.6 Die Mittel als Einflussgröße auf das Gefechtsfeld .....................................343 7.6 Gefechtsfeld und Kriegsbild...............................................................................343 7.6.1 Urbane und ländliche Räume .....................................................................345 7.7 Zwischenergebnis...............................................................................................347
9
8.
Paradigmenwechsel im Strategieansatz gegen Irreguläre ....................................349 8.1 Ganzheitlicher Gesamtansatz .............................................................................351 8.2 Repressive Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung .......................................354 8.2.1 Drei Lösungsansätze: Preemption, Vergeltung und Non-Lethal Weapons .....................................................................................................355 8.3 Vernetzte Antworten auf komplexe Bedrohungen .............................................358 8.4 Instrumente zur Sicherheitsvorsorge ..................................................................360 8.4.1 Räumliche Trennung von Polizei und Militär ............................................361 8.4.2 Unterschiedliche Einsatzmittel und Waffen zur Bekämpfung Irregulärer Kräfte..........................................................................................................367 8.5 Ganzheitliche Terrorbekämpfungsansätze .........................................................369 8.6 Nachrichtendienstliche Bekämpfungsansätze ....................................................370 8.7 Militärische Macht als Mittel zur Problemlösung und die Bedeutung der räumlichen Dimensionen....................................................................................371 8.7.1 Konzeptionelle Ansätze der Partisanenbekämpfung im Zweiten Weltkrieg....................................................................................................371 8.7.1.1 Polizeiliche Ansätze ...............................................................................373 8.7.1.2 Feind und polizeiliches Gegenüber ........................................................374 8.8 Der Schutz der Streitkräfte .................................................................................375 8.8.1 Notwendigkeit des Schutzes von Streitkräften ...........................................375 8.8.2 Begriffsbestimmung „Force Protection“ ....................................................376 8.8.3 Force Protection und Kampf gegen Irreguläre Kräfte ................................378 8.9 Lösungsansätze...................................................................................................380 8.9.1 Betrachtung des Gegenübers ......................................................................380 8.9.2 Präventive Schutzkonzepte.........................................................................381
9.
Bewaffnete Reaktionen und Verdeckter Kampf....................................................383 9.1 Gladio.................................................................................................................384 9.2 Ähnliche Formationen in der „DDR“.................................................................386 9.3 Heutige Bedeutung des Kleinkrieges .................................................................386 9.4 Zwischenergebnis...............................................................................................387 9.5 Indirekte Strategie und Indirektes Vorgehen......................................................387 9.6 Resymmetrierung ...............................................................................................389 9.7 Moderne Formen der militärischen Reaktion.....................................................390 9.7.1 Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte ....................................393 9.7.1.1 Kommandounternehmen und Jagdkampf ...............................................393 9.7.1.1.1 Kommandounternehmen..................................................................393 9.7.1.1.2 Jagdkampfunternehmen...................................................................393 9.7.1.1.2.1 Jagdkampf im rückwärtigen Gebiet..........................................394 9.7.1.1.2.2 Jagdkampf im erweiterten Einsatzspektrum .............................395 9.7.1.2 Swarming ...............................................................................................396 9.7.1.3 Zwischenergebnis...................................................................................397
10
10. Folgerungen ..........................................................................................................397 10.1 Der Einsatz während der Olympischen Spiele 1972 als Beispiel für Misserfolg aus Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel...................................399 10.1.1 Handlungsalternativen................................................................................402 10.1.1.1 Ausgangslage........................................................................................402 10.1.1.2 Der polizeiliche Einsatz in Fürstenfeldbruck........................................403 10.1.1.2.1 Plan für den Einsatz und Ablauf der Aktion..................................403 10.1.1.3 Bewertung.............................................................................................404 10.1.1.4 Zwischenergebnis .................................................................................405 10.1.2 Möglichkeiten des Handelns ......................................................................406 10.1.2.1 Mögliche Alternative und Idee des Gefechts........................................407 10.1.2.2 Der Lösungsansatz über den staatlichen Notstand................................408 10.1.2.2.1 Staatsnotstand und Staatsnotrecht..................................................409 10.1.2.2.2 Staatsnotstand und Grundgesetz ....................................................412 10.1.2.2.3 Übergesetzlicher Notstand.............................................................414 10.1.2.2.3.1 Bedingungen und Wirkrichtung des übergesetzlichen Notstands ................................................................................416 10.1.2.2.3.2 Die faktische Existenz des übergesetzlichen Notstands..........418 10.1.3 Zwischenergebnis.......................................................................................420 11. Konstruktion der „Strategischen Fälle“.............................................................420 11.1 Anschlag durch den transnationalen Terrorismus als strategischer Fall.............422 III.
Zusammenfassung und Schluss..........................................................................425
Literatur- und Quellenverzeichnis..................................................................................429
11
Abkürzungsverzeichnis
4GW a.D. ABC Abs. AKNZ AMF AMF (L) AMilGeo AOO AOR APRODEV APuZ ARBC ARRC Art Btl Art. ASMZ BAkS BAKS BayVBl BBK Bd. BDI BF BFZ BG BGS BGSG BICC BID
fourth-generation warfare außer Diensten Atomar, Biologisch, Chemisch Absatz Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz Allied Command Europe Mobile Forces Allied Command Europe Mobile Forces (Land) Amt für Militärgeographie Area of Operation Area of Responsibility Association of World Council of Churches related Development Organisations in Europe Aus Politik und Zeitgeschichte Atomar, Radiologisch, Biologisch, Chemisch Allied Rapid Reaction Corps Artilleriebataillon Artikel Allgemeine Schweizerische Militärische Zeitschrift Bundesakademie für Sicherheitspolitik Bundesakademie für Sicherheitspolitik Bayerische Verwaltungsblätter Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Band Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Abteilung Bildung und Forschung Berliner Forum Zukunft Brigadegeneral Bundesgrenzschutz Bundesgrenzschutzgesetz Bonn International Center For Conversion Business Improvement District
13
BIOST BKA BMVg BSR BVerfG BVerfGE Bw bzw. CBRN CDI CENTAG ChefStab Fü H CIA CJTF CJTFHQ COA ConOp CONOPS DBK DDR DGAP Dipl.Kfm. DOD DOKFIZBw DOKNR DÖV Dr. DSCS DSO DVBL e.V. EDV EinsKonzept OpIK EloKa engl. ESDI
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Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Bundeskriminalamt Bundesministerium für Verteidigung Bundessicherheitsrat Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bundeswehr beziehungsweise Chemisch, Biologisch, Radioaktiv, Nuklear Center for Defense Information Central Army Group Chef des Stabes im Führungsstab des Heeres Central Intelligence Agency Combined Joint Task Force Combined Joint Task Force Headquarters Causes of Action Concept of Operation Concept of Operations Dominant Battlespace Knowledge Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Diplomkaufmann Department of Defense Dokumentations- und Fachinformationszentrum der Bundeswehr Dokumentennummer Die Öffentliche Verwaltung Doktor Defense Satellite Communication System Division Spezielle Operation Deutsches Verwaltungsblatt eingetragener Verein Elektronische Datenverarbeitung Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte Elektronische Kampfführung Englisch European Security and Defence Identity
ESS ESVI ETA ETL EU EURO-SIPLA EVG ExpGrpSchutz f. F.H.Qu F.u.G. FAWEU FAZ FBI ff. FIBUA FIZBw FM FN FP FschJgBtl FüH FüS G GE GenLt GewArch GfW GG GIA GL GM GO GOP GSG 9 GÜZ HDv HFüKdo
Europäische Sicherheitsstrategie Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität Euskadi Ta Askatasuna Eisenbahntransportlinie Europäische Union Europäische Sicherheitsplanung Europäische Verteidigungsgemeinschaft Expertengruppe Schutz folgende Führerhauptquartier Führung und Gefecht der verbundenen Waffen Forces answerable to WEU Frankfurter Allgemeine Zeitung Federal Bureau of Investigation fortfolgende Fighting in Built-up Areas Fachinformationszentrum der Bundeswehr Field Manual Fußnote Force Protection Fallschirmjägerbataillon Führungsstab des Heeres Führungsstab der Streitkräfte General Germany Generallieutenant Gewerbearchiv Gesellschaft für Wehrkunde Grundgesetz Algerian Armed Islamic Group Generalleutnant Generalmajor Governmental Organisation Guidelines for Operational Planning Grenzschutzgruppe 9 Gefechtsübungszentrum Heeresdienstvorschrift Heeresführungskommando 15
HIC HlbBd. HLKO HQ Hrsg. i.G. IABG IAP IDSS IED IEDD IFDT IK InfS IO IR IRA IT IW Jg. J-STARS JURA JZ Kdr Kdr DHKtgt KFOR KPD KSK lfd. Nr. LIC LL-Brig LLW LtCol MCWP MEK MfNV MfS Mio. 16
High-Intensity Conflict Halbband Haager Landkriegsordnung Headquarter Herausgeber im Generalstabsdienst Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH Informationen Analysen Perspektiven Institute of Defence and Strategic Studies Improvised Explosive Device Improvised Explosive Device Disposal Information für die Truppe. Zeitschrift für Innere Führung Irreguläre Kräfte Infanterieschule International Organisation Infrarot Irish Republican Army Informationstechnologie Information Warfare Jahrgang Joint Surveillance Target Aquisition Radar System Juristische Ausbildung Juristenzeitung Kommandeur Kommandeur Deutsches Heereskontingent Kosovo Force Kommunistische Partei Deutschlands Kommando Spezial Kräfte laufende Nummer Low Intensity Conflict Luftlandebrigade Less-Lethal-Weapons Lieutenant-Colonel Marine Corps Warfighting Publication Mobiles Einsatzkommando Ministerium für Nationale Verteidigung Ministerium für Staatssicherheit Millionen
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ZK ZSG
20
Zentralkommitee Zivilschutzgesetz
I. Einleitung
1.
Anlass und Ziel der Untersuchung
Die Beschäftigung mit den Phänomenen und Auswirkungen Irregulärer Kräfte ist nicht neu. T.E. Lawrence sprach gar von einer „Wissenschaft der Irregulären Kriegführung“.1 Bei seinen Betrachtungen bezog er sich auf seine Erfahrungen2 aus dem Aufstand der arabischen Völker gegen das Osmanische Reich3 und hatte somit einen starken Fokus auf genau diesen Konflikt. Doch die Erkenntnisse reichen viel weiter zurück. Der Kampf von Irregulären gegen staatliche Akteure in Uniform ist so alt wie die Versuche, zentralstaatliche Herrschaft zu errichten4, und so alt wie die Geschichte selbst.5 Auch wenn diese Art der Kriegführung erst relativ spät theoretisch und konzeptionell erfasst und beschrieben wurde, stellen seine Erscheinungen grundsätzlich keine „Neuen Kriege“6 dar, wie auch der irregu1 2 3 4
5
6
T.E. Lawrence, Science of Guerrilla Warfare, in: The Encyclopaedia Britannica, 14. Aufl., London, New York 1932, S. 950 ff.; 950 vgl. T.E Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit, 15. Aufl., München 2005 T.E. Lawrence, Science of Guerrilla Warfare, in: The Encyclopaedia Britannica, 14. Aufl., London, New York 1932, S. 950 ff.; 950 ff. Klaus Schlichte, Neue Kriege oder alte Thesen? Wirklichkeit und Repräsentation kriegerischer Gewalt in der Politikwissenschaft, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 111 ff.; 115; vgl. Lewis H. Gann, Guerrillas and Insurgency: An Interpretive Survey, in: Military Review 1966, S. 44 ff.; 44; vgl. Paul Wimmer, Kleinkrieg – wesentliche Grundlagen, in: ÖMZ 1965, S. 440 ff.; 440; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. From Revolution to Apocalypse, 2. Aufl. Washington, D.C. 2005, S. 1; vgl. Ian W. Beckett, Introduction, in: Ian W. Beckett, The Roots of Counter-Insurgency. Armies and Guerrilla Warfare, 1900 – 1945, London, New York, Sydney, 1988, S. 6 ff.; 6; vgl. Walter Laqueur (Hrsg.), Voices of Terror, Manifestos, Writings and Manuels of Al Qaeda, Hamas, and other Terrorists from around the World and throughout the Ages, New York 2004 George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 529; vgl. Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 501; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 1; vgl. Ian F. W. Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies. Guerrillas and their Opponents since 1750, London, New York 203, S. 1 ff.; Im Gegensatz hierzu qualifiziert von der Heydte den Kleinkrieg als ebenso neuen Kriegstyp wie den Atomkrieg. (vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 2 f.); Stürmer nennt die Erscheinungen insofern „… so alt wie die Menschheit und so jung wie Massenvernichtungswaffen und Terror.“ (Michael Stürmer, Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Hamburg 2006, S. 168) Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002; vgl. Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international – Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. - 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Der Bürger im Staat, Heft 4, 2004, S. 179 ff.; vgl. Ulrich Albrecht, Michael Kalman, Sabine Riedel, Paul
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läre Kampf nicht neu ist7; doch die Tatsache der heutigen Aktualität lässt annehmen, dass die strategische, taktische und theoretische Entwicklung der Phänomene neue Impulse erhalten wird.8 Kitson hat bereits in den 1970er Jahren auf den Gegensatz hingewiesen, dass der Irreguläre Kampf zum einen als eine traditionelle Konfliktform beschrieben wird, zum anderen aber im selben Zusammenhang von moderner Kriegführung9 und modernem Kleinkrieg10 gesprochen wird. Möglicherweise verstellen die unterschiedlichen Betrachtungen und Fokussierungen verschiedener Autoren, die aus Ihrer Sicht zu unterschiedlichen Begriffen und Ergebnissen kommen, auch den Blick auf das Grundsätzliche, das Bleibende und Immergültige. Nicht zuletzt der Dritte Golfkrieg (2003) hat gezeigt, dass Irreguläre Kräfte entscheidenden Einfluss auf einen „Krieg“ oder – an diesem Beispiel zu sehen – auf eine Nachkriegsordnung haben können. Während es den Koalitionstruppen gegen einen klar erkennbaren Feind, auch aufgrund überlegener Waffentechnik, recht leicht gefallen ist, den Krieg zu entscheiden, fällt der Kampf gegen einen nicht erkennbaren Feind oder dessen Strukturen umso schwerer. Ein ständig „mutierender“ und ideologisch angetriebener globaler irregulärer Kampf, der ausgelöst wird von staatenlosen, angepassten, komplexen und vielgründigen Ursachen erscheint herausfordernder als herkömmliche Phänomene.11 Das altbekannte Kriegsbild12, als Gesamtkonzeption konkreter Untersuchungen über alle möglichen Erscheinungsformen eines Krieges oder bewaffneten Kampfes,13 ist verwischt. Stahel meint sogar, dass der Krieg zu seiner ursprünglichen Form der Primitivität des Totschlags
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Schäfer (Hrsg.), Das Kosovo-Dilemma. Schwache Staaten und neue Kriege als Herausforderung des 21. Jahrhunderts, Münster 2002; vgl. Jakob Schissler, Gerhard Preyer, Globaler Krieg oder Frieden? Zu den neuen Mechanismen internationaler Gewalt, in: Auftrag 2003, S. 52 ff.; 52; Die Bezeichnung der Erscheinungen irregulärer Kriegführung im heutigen politikwissenschaftlichen Schrifttum als „neu“ ist im Übrigen auch nicht wirklich neu. (vgl. Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.) Erich Vorwerck, Der Revolutionäre Krieg. Sein Wesen und sein bisheriger Verlauf (I), in: Wehrkunde 1964, S. 193 ff.; 193 Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 199 f.; Insofern ist auch der Ansatz abzulehnen, der im Zusammenhang mit den modernen Erscheinungen des irregulären Kampfes von einem „Krieg der 4. Generation (fourth-generation warfare, 4GW)” spricht. (vgl. Thomas X. Hammes, The Sling and the Stone. On War in the 21st Century, o. O.A. 2004, S. 1 ff.; vgl. Thomas X. Hammes, Rethinking the Principles of War. The Future of Warfare, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 263 ff.; 270 ff.; vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 135 ff.; vgl. Robert J Bunker, Introduction and Overview: Why Response Networks?, in: Robert J. Bunker [Hrsg.], Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 1 ff.; 1; vgl. Antulio J. Echevarria II, Fourth-Generation War and other Myths, o.OA, November 2005). Darüber hinaus geht die Einteilung von Manwarning bereits bis in die 6. Generation von Kriegführung zurück. (vgl. Max G. Manwarning, The New Global Security Landscape, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 8 ff.; 29 f.) Frank Kitson, Low Intensity Operations, Subversion, Insurgency and Peacekeeping, London, Boston 1991, S. 15; vgl. Robert Taber, War of the Flea. The Classic Study of Guerrilla Warfare, Washington D.C. 2002, S. 150 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986; vgl. Karl Johanny, Der Tatbestand des Kriegsverbrechens und Moderner Kleinkrieg unter Berücksichtigung der Legitimität der Teilnehmer, Dissertation, Würzburg 1966 vgl. Robert M. Cassidy, Counterinsurgency and the Global War on Terror. Military Culture and Irregular War, Westport, London 2006, S. 3 Zum Gegenstand der Kriegsbildforschung vgl. Roland Flor, Kriegsbildforschung im Kleinstaat, in: ÖMZ 1988, S. 519 ff. Joachim Niemeyer, Elemente des modernen Kriegsbildes aus historischer Sicht, in: Truppenpraxis 1976, S. 73 ff.; 73
zurückgekehrt sei.14 Wo früher der Gegner und dessen Strukturen klar erkennbar waren, lassen in den heutigen Konflikten die Erscheinungsbilder der Kämpfer eine klare Zuordnung selten zu. Zur erfolgreichen Stabilisierung und Auftragserfüllung kommt es wesentlich darauf an, drohende oder bereits stattfindende Aufstände irregulärer Kräfte wirkungsvoll bekämpfen zu können.15 Wenn wir somit ein heutiges, mögliches Kriegsbild betrachten, müssen wir Irreguläre Kräfte – als die eigentlichen Träger der „besonderen Formen“ gewaltsamer Auseinandersetzungen16 – und die besonderen Einsatzverfahren zu ihrer Bekämpfung in unsere Überlegungen mit einbeziehen.17 Derartige Konfliktlagen bergen neben den rein militärischen Fachfragen umfassend komplexe und vielschichtige politische Interdependenzen auf allen Handlungsebenen und -bereiche. Krieg und Frieden sind zudem als zwei unterschiedliche Aggregatzustände des Politischen zu betrachten.18 Die Übergänge in die unterschiedlichen Zustände können fließend sein. Unser Nachdenken über Sicherheitspolitik und Strategie ist somit insgesamt herausgefordert. Die Verantwortungsträger aus Politik und Exekutive sehen sich vor umfassende Anforderungen und Aufgaben gestellt, die einer eingehenden und vor allem realitätsbezogenen Analyse bedürfen.19 Dies ist umso notwendiger als dass behauptet wird, dass Kriege von Irregulären nie gewonnen, aber von ihren Gegnern oft verloren würden.20 Wenn die Voraussetzungen stimmen und Menschen das Gefühl haben, dass ihnen auf Dauer ihre Rechte genommen sind oder sie in ihrem eigenen Land unterdrückt werden, kann in jeder Gesellschaft eine irreguläre Bewegung entstehen.21 Der Kleinkrieg erweist sich in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Wirkungsmöglichkeiten als ebenso abhängig von den jeweiligen Bedingtheiten und Impulsen einer Epoche wie von den besonderen politischen, sozioökonomischen, historischen und geographischen Verhältnissen der einzelnen Länder, und daher gibt es kein Musterbeispiel des Kleinkrieges im Sinne eines Idealschemas.22 Carl Schmitt, der „brillanteste rechtskonservative Denker der Weimarer 14 15 16 17 18
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Albert A. Stahel. Primitive Kriege der Gegenwart, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 113 ff.; 114 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 6 Wolfgang Gülich, Zur Bedeutung der „besonderen Formen“ gewaltsamer Auseinandersetzungen; ihre Wirkung in der kriegsvölkerrechtlichen Literatur, Führungsakademie der Bundeswehr, 14. Generalstabslehrgang H (71), Hamburg 1972, S. 1 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 42 Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international – Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. - 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 18; Gottfried Greiner, Heimatschutz – das veränderte Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 125 ff.; 126 Charles W. Thayer, Guerillas und Partisanen. Wesen und Methodik der irregulären Kriegführung, München 1963, S. 19; vgl. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 75 vgl. John Lee Anderson, Guerillas. Töten für eine bessere Welt, Berlin 2005, S. 11; vgl. Georgios GrivasDighenis, Partisanenkrieg heute. Lehren aus dem Freiheitskampf Zyperns, Frankfurt am Main 1964 S. 19 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 504
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Republik“23 und einer der wohl umstrittensten, einflussreichsten und bedeutendsten deutschen Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts24, hat wohl als erster moderner Wissenschaftler mit seiner „Theorie des Partisanen“25 – in Ergänzung der 1927 zuerst erschienenen Schrift „Der Begriff des Politischen“,26 der das Staatliche als eine Möglichkeit unter vielen einer nicht näher gekennzeichneten Charakterisierung des Staatlichen einschließt27 – versucht, den Horizont „Irregulärer Kräfte“ zu erfassen und die Überkreuzung der beiden Gegensatzpaare der militärtechnischen Einordnung von regulär-irregulär und dem völker- und verfassungsrechtlichen Sinn von legal-illegal in den Zusammenhang von revolutionärem Krieg, Volkskrieg und regulärer Kriegführung zu stellen.28 Schmitt wollte mit seinen Schriften den „Anfang einer rationalen Erörterung dieses schwierigen und im Kern vielleicht irrationalen Vorgangs „Partisanentum“ machen.29 Die vorliegende Arbeit soll ein Ansatz sein, die vielschichtigen und mehrdimensionalen Fragestellungen des heutigen inter- und transnationalen30 Terrorismus aufzuzeigen und den Begriff des Terrorismus terminologisch von anderen Erscheinungen abzugrenzen. Dies ist notwendig, da es scheint, dass die Begriffe und Begrifflichkeiten in Unordnung geraten sind.31 Eine solche Abgrenzung dient nicht nur der wissenschaftlichen Aufarbeitung, sondern auch der sicherheitspolitischen Einordnung von Einzelfällen, die helfen kann, Qualitätsänderungen in der Anwendung politischer Gewalt rechtzeitig zu erkennen.32
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Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, S. 214 Gerhard Robbers, Die Staatslehre der Weimarer Republik. Eine Einführung, in: JURA 1993, S. 69 ff.; 70; vgl. Mathias Schmoeckel, Ortung und Ordnung. Carl Schmitt im Nationalsozialismus, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51 / 96, S. 34 ff.; 34; vgl. Piet Tommissen, Über Carl Schmitts „Theorie des Partisanen,“ in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 709 ff.; 711; vgl. Stefan May, Carl Schmitt. Politische Theologie, in: Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann, Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart 1997, S. 434 ff.; 434; vgl. Bernd Rüthers, Wer war Carl Schmitt? Bausteine zu einer Biographie, in: NJW 1994, S. 1681 ff. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 6. Aufl., Berlin 1996 vgl. Stefan May, Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann, Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart 1997, S. 440 ff.; 441 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 23 Carl Schmitt und Joachim Schickel, Gespräch über den Partisanen, in: Joachim Schickel (Hrsg.), Guerrilleros, Partisanen. Theorie und Praxis, Regensburg 1970, S. 10 ff.; 10 f. Transnationalität bezeichnet die Aktivitäten nichtstaatlicher Akteure über nationale Grenzen hinweg. Die grenzüberschreitende Politik vornehmlich nichtstaatlicher Akteure in der transnationalen Politik steht in einem Spannungsverhältnis zur nationalstaatlichen Souveränität durch die rein funktionale Interaktion zwischen mehreren Gesellschaften in bestimmten Sachbereichen. (vgl. Ulrike Rausch, Transnationale Politik, in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 650 f.; 650 f.) Transnationale Akteure wirken zwar in der internationalen Staatstätigkeit mit, sind aber nicht oder nur schwach im Nationalstaat verankert und somit existieren und agieren sie eigenständig. (Arthur Benz, Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse, München, Wien 2001, S. 250 ff.) so auch Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international – Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. - 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 15 P. B., Tendenzen im europäischen Terrorismus, in: ÖMZ 1985, S. 434 ff.; 435
2.
Methodik und Vorgehen
Der Terrorismus muss in seinen Strukturen, den dahinter steckenden Impulsen wie in seinen verschiedenartigen Möglichkeiten sorgsam, mit kritischem Sachverstand studiert werden.33 Der internationale Terrorismus wird als die wohl offensivste Form der strategischen Asymmetrierung von Gewaltanwendung angesehen, die sich vor allem hinsichtlich seiner Ursprünge und seiner Erscheinungsformen als extrem komplex präsentiert. Der politische Zwang zum Handeln darf die wissenschaftliche Debatte über die Rechtmäßigkeit staatlicher Handlungen nicht verdrängen; ebenso machen es die neuen „asymmetrischen“ Bedrohungsszenarien auch erforderlich, über die Legitimität zusätzlicher Instrumente zu ihrer Bekämpfung nachzudenken.34 Hierzu bedarf es einer umfassenden Analyse, die zunächst die wesentlichen Begrifflichkeiten einer kritischen Würdigung hinsichtlich ihrer aktuellen Bedeutung unterzieht und – soweit möglich – versucht, diese der gegenwärtigen Lage anzupassen. Jeder Versuch, ihn in allen seinen Erscheinungsformen zu erklären, muss von vorneherein äußerst vage oder aber völlig falsch35 und dazu verurteilt sein, statt Klarheit nur noch mehr Verwirrung zu schaffen.36 So soll in der vorliegenden Arbeit nicht die Begriffsverwirrung vergrößert werden, auf die schon anderweitig hingewiesen wurde37, und es soll auch nicht den vielen Begriffen ein neuer hinzugefügt werden, „… denn in der Theorie soll man durch eigene Benennungen auch nur Eigentümliches bezeichnen.“38 Es soll aber dennoch versucht werden, eine Verknüpfung zwischen den theoretischen Ansätzen in ihren Verästelungen der politik- und militärwissenschaftlichen, staats- und völkerrechtlichen Fakultäten und den Praktiken der Sicherheitsorgane herzustellen, soweit es dem Gegenstand der Untersuchung nützlich ist. So ist denn auch die Kriegstheorie, ebenso wie der Krieg selbst, niemals eine isolierte Erscheinung, und es wäre daher wenig sinnvoll, sie lediglich „militär-historisch“ in Verbindung mit der Kriegskunst zu behandeln,39 denn es geht am Ende immer um den Erfolg im Einsatz, also um die militärische Effizienz der eingesetzten Streitkräfte bzw., bei 33 34 35 36 37 38
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Werner Hahlweg, Theoretische Grundlagen der modernen Guerilla und des Terrorismus, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 13 ff.; 16 Dieter Weingärtner, Vorwort, in: Dieter Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorbekämpfung durch Streitkräfte. Legal Issues of Military Counter-Terrorist Operations with English Executive Summary, S. 9 Walter Laqueur, Interpretationen des Terrorismus: Fakten, Fiktion und politische Wissenschaft, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 37 ff.; 37 Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart-Degerloch, 1974, S. 17; vgl. Herfried Münkler, Guerillakrieg und Terrorismus, in: Neue Politische Literatur 1980, S. 299 ff.; 299 So beispielsweise auch Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart-Degerloch, 1974, S. 17; vgl. Herfried Münkler, Guerillakrieg und Terrorismus, in: Neue Politische Literatur 1980, S. 299 ff.; 299 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 829; Mithin geht es in dieser Arbeit insgesamt nicht um ein „Theoretisieren im Militärwesen“, das immer wieder beklagt wird (vgl. Heinz Karst, Vorwort, in: Ulrich Zwygart, Menschenführung im Spiegel von Kriegserfahrungen, 3. Aufl., Frauenfeld 1992, S. 9 ff.; 10), oder um die Ergründung rein philosophischer Fragestellungen, um den umfangreichen Interpretationen und Analysen der hier behandelten Denker eine weitere hinzuzufügen, ohne mit einer gedanklichen Reflexion auf deren aktuellen praktischen Nutzen zu verweisen. Wie bereits Arnold Brecht herausgearbeitet hat, liegt der Gebrauch der Worte „Philosophie“, „Wissenschaft“ und „Theorie“ nicht endgültig fest. (vgl. Arnold Brecht, Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens im 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1976, S. 15) Werner Hahlweg, Krieg – Kriegskunst - Kriegstheorie, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 7 ff.; 9
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der hier zu behandelnden Fragestellung, auch des eingesetzten Sicherheitsdispositivs insgesamt. Mithin kommt man bei der Bearbeitung der hier aufgeworfenen Fragen – ob man will oder nicht – auch nicht an den einschlägigen Schriften Clausewitz’ vorbei. Die Fragen nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis ergaben auch für Carl von Clausewitz, der in seiner Kriegstheorie nach dem zeitlos Gültigen gesucht hat, welches sich mit Denknotwendigkeit aus der Natur der Sache ergibt,40 in der Betrachtung des irregulären Widerstandes der Spanier gegen Napoleon besondere Aspekte41 in seinem Werk, das durchzogen ist von dem Bestreben, die Theorie mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen,42 mit der fundamental wichtigen Intention, die Theorie mit der Praxis zu versöhnen.43 Trotz seiner theoretischen Grundorientierung betonte Clausewitz den Wert der Praxis für die Theorie besonders, und gerade diese Betonung macht einen großen Teil seiner Wirkung aus.44 Clausewitz wollte mit dem programmatischen Charakter seiner Ausführungen die Theorie weiterentwickeln und auf eine umfassende Grundlage stellen.45 Für Clausewitz stand somit das TheoriePraxis-Verhältnis im Mittelpunkt, das heißt die Frage, wie eine Theorie beschaffen sein müsste, in welcher Vorstellung und Wirklichkeit übereinstimmen würden.46 Ableitung, Prüfung und Verbesserung der Theorie aufgrund der Erfahrung und gleichzeitig die Erprobung und Anwendung der Theorie an der Erfahrung sind bezeichnend für den dialektischen Vorgang im Denken von Clausewitz.47 Darum war Clausewitz alles andere als ein truppenfremder, abstrakter Truppenführer,48 wenngleich es sein Ziel war, eine Kriegstheorie zu schaffen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.49 Mithin wird dieses enge Zusammenwirken von Philosophie und Erfahrung auch als das bedeutsamste und einzigartige Merkmal der clausewitzschen Kriegsanalyse beurteilt,50 in der sich militärisches Fachwissen und Philosophie zu einer Einheit verbinden.51 Dennoch war es Clausewitz bewusst, „… 40 41 42 43 44 45 46 47
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Friederich von Cochenhausen (Hrsg.), Karl von Clausewitz , Vom Kriege, Leipzig 1940, S. 54 Carl Schmitt, Clausewitz als politischer Denker. Bemerkungen und Hinweise, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 419 ff.; 426 Generaloberst Graf Schlieffen, Einführung, in: Ihno Krumpelt, Die großen Meister der Kriegskunst, Clausewitz, Moltke, Schlieffen, Braunschweig 1960, S. 3 ff.; 3; vgl. Daniel Reichel, Jomini, ein „AntiClauswitz“?, in: ÖMZ 1988, S. 241 ff.; 247 Hans Ulrich Wehler, „Absoluter“ und „Totaler“ Krieg. Von Clausewitz zu Ludendorf, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 474 ff.; 477 Reinhard Stumpf (Hrsg.), Kriegstheorie und Kriegsgeschichte. Carl von Clausewitz und Helmuth von Moltke, Frankfurt am Main 1993, S. 678 vgl. Peter Paret, Clausewitz und der Staat. Der Mensch, seine Theorien und seine Zeit, Bonn 1993, S. 195 Werner Hahlweg, Philosophie und Theorie bei Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 325 ff.; 325 Eberhard Wagemann, Hilfe von Clausewitz. Versuch einer Bestandsaufnahme militärpolitischer und strategischer Probleme der Gegenwart im Lichte des theoretischen Ansatzes von Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 23 ff.; 24 Werner Hahlweg, Geleitwort, in: Erich Vad, Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute, Herford, Bonn 1984, S. 7 f.; 8 Uwe Hartmann, Carl von Clausewitz. Erkenntnis, Bildung, Generalstabsausbildung, München 1998, S. 48 Hans Rothfels, Clausewitz, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 261 ff.; 264; vgl. Friederich von Cochenhausen (Hrsg.), Karl von Clausewitz , Vom Kriege, Leipzig 1940, S. 54 Werner Hahlweg, Geleitwort, in: Erich Vad, Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute, Herford, Bonn 1984, S. 7 f.; 8; Dementsprechend wird das Wirken Clausewitz nicht eingeschränkt als Niederschlag von Kriegserfahrung und Kriegserlebnissen verstanden, sondern auch als eine philosophische Lehre von ei-
daß man in der Kriegskunst die logischen Formen nicht so streng nehmen muß wie in der Philosophie und Mathematik. In der Kriegskunst, wo man mit lauter Anstrengungen zu tun hat, ohne sich gleichwohl wie in der Mathematik die Anschauungen selbst zu schaffen, sind es immer die meisten Fälle, welche für das Allgemeine stehen.“52 Dennoch: „Untersuchung und Beobachtung, Philosophie und Erfahrung dürfen einander nie verachten noch ausschließen; sie leisten einander gegenseitige Bürgschaft.“53 Der hier verfolgte Ansatz der vorgelegten Arbeit entspricht somit dem Philosophieverständnis des Kriegsphilosophen Clausewitz, der vor einer Übersteigerung des rein Militärischen gewarnt hatte, kategorisch den Primat der Politik forderte und die vernünftige Relation von Zweck, Ziel und vorhandenen Mitteln zu denen der Gegenseite verlangt hatte54: Damit sind Zweck, Ziel und Mittel auch Kernbegriffe der clausewitzschen Theorie.55 Die Theorie soll die Wirklichkeit erfassen und praktisch werden. Damit bestimmen denn auch die Analyse56 und der Vergleich57 die Methodik der vorliegenden Arbeit. Des Weiteren kann der Ansatz der vorliegenden Untersuchung nicht der sein, nach tradierten Zuständigkeiten und Aufgaben zu fragen. Vielmehr ist es erforderlich, die Risiken und Zuständigkeiten in der nationalen und multinationalen Sicherheitsvorsorge zu überdenken.58 Die nachstehenden Ausführungen sollen in der gegenwärtigen Diskussion um die derzeitige Gefährdung durch terroristische Aktivitäten einen Beitrag leisten, die Erscheinungen ganzheitlich zu erfassen und diesen entsprechend die Reaktionen des präventiven und reaktiven Krisenmanagements hierauf abzustimmen. Dabei muss es um einen ganzheitlichen Strategieansatz gehen und nicht um kurzlebige, medien- und öffentlichkeitswirksame Lösungen. Der Beitrag soll helfen, allgemeine Leitlinien, Handlungsmuster, Charakterzüge des irregulären Kampfes aufzuzeigen, um ihm lagebezogen, wirkungsorientiert und angemessen, aber vor allem auch nachhaltig entgegentreten zu können. Insofern gilt es auch dem teilweise in der Literatur geäußerten Vorwurf entgegen zu treten, dass es bei dem Kampf gegen die terroristische Bedrohung keine politischen oder völkerrechtlichen Handlungsschranken geben dürfe und dass der sicherheitspolitische Diskurs manchmal totalitäre Züge annehme.59 Die Fragestellung muss vielmehr zielgerichtet dahin gehen, wie man unter dem Gesichtspunkt der Effektivität den Erscheinungen nachhaltig begegnen kann. Das gilt umso mehr, als dass tendenziell die traditionelle Trennung
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nem der stärksten Erscheinungen der Wirklichkeit, dem Kriege. (Walter Malmsten Schering, Wehrphilosophie, Leipzig 1939, S. 88) Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 48, FN * Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 82 Wilhelm von Schramm, Clausewitz, Leben und Werk, Esslingen am Neckar, 1976, S. 557 f. Kai Rohrschneider, Krieg und Politik im Denken von Carl v. Clausewitz, in: Dermot Bradley, HeinzLudger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 6, Osnabrück 2000, S. 562 ff.; 562 vgl. Dieter Nohlen, Analyse, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 2, Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 23 ff. vgl. Dieter Nohlen, Vergleichende Methode, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 2, Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 507 ff. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Peter Lock, Die High-Tech-Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Ulrich Albrecht, Michael Kalman, Sabine Riedel, Paul Schäfer (Hrsg.), Das Kosovo-Dilemma. Schwache Staaten und neue Kriege als Herausforderung des 21. Jahrhunderts, Münster 2002, S. 127 ff. 128
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von Militäreinsatz und Verbrechensbekämpfung durch die Heranziehung des Militärs für die innerstaatliche Terrorbekämpfung60 und von Polizeieinheiten für den Einsatz im Ausland61 zunehmend durchbrochen wird. Insofern gilt es auch den Strukturen und Verhaltenweisen von Guerillagruppen, Partisanenverbänden und terroristischen Gruppen zu begegnen, die sich in ihren bewaffneten Organen oftmals traditionell in Organisation, Bewaffnung, Ausrüstung und Begrifflichkeiten an militärische Strukturen und Vorlagen angelehnt haben und sich nicht zuletzt dadurch auch den Status von Kombattanten zurechnen lassen wollen. Und umgekehrt haben seit der Antike militärische Listen, Kampfverfahren, Einsatzgrundsätze, Ausrüstung, Bewaffnung und Material immer wieder Orientierung und Anleitung an irregulären Kräften gesucht,62 doch erst seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der Napoleonischen Zeit ist diese Form des Kampfes, der Kleine Krieg, von einer Rand- oder Begleiterscheinung des Kampfes regulärer Truppen, des Großen Krieges, zur eigentlichen Form des Kampfes, des Volkskriegs oder auch des revolutionären Krieges sowie der Befreiungskriege verschiedener Völker weitergedacht worden. Dieses Vorgehen verlangt gleichfalls die Betrachtung der Phänomene des Irregulären und seines Handelns – wie auch seines Gegenübers – in Bezug auf die unterschiedlichen Ebenen, sowie in ihrem Wechselspiel und Zusammenwirken mit- und untereinander. 3.
Bedeutung der operativen Faktoren
Kernstück der strategischen Lagebeurteilung sind die Schlüsselaspekte militärischer Fähigkeiten, Kräfte, Zeit, Raum und strategische Absichten.63 Das sich daraus ableitende traditi60
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vgl. Christopher Daase, Terrorismus: Der Wandel von einer reaktiven zu einer proaktiven Sicherheitspolitik der USA nach dem 11. September 2001, in: Christopher Daase, Susanne Feske, Ingo Peters (Hrsg.), Internationale Risikopolitik. Der Umgang mit neuen Gefahren in den internationalen Beziehungen, Baden-Baden 2002, S. 113 ff.; S. 134 vgl. NN., Schily und Struck sprechen über Auslandseinsätze des BGS, in: FAZ vom 30.11.2004, S. 4 Grundsätzlich ist der Kleinkrieg keine moderne Erscheinung. Bereits Sunzi hatte im alten China militärische Taktiken gelehrt, von denen vieles an die hier behandelten Lehren vom Kleinen Krieg erinnern und ihn möglicherweise auch beeinflusst haben. (vgl. James Clavell, (Hrsg.), Sunzi, Die Kunst des Krieges, München 1989) Aber auch für das antike Europa gibt es Beispiele. Bereits Thukydides beschreibt diese Konfliktform.(vgl. Thukydides, Der Peleponesische Krieg; Düsseldorf, Zürich 2002,S. 431) So hat weiterhin die Niederlage der Römer mit der Vernichtung dreier römischer Legionen im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. dazu geführt, dass sie nach einer 10-jährigen Strafexpedition auf alle weiteren Versuche verzichteten, ostwärtig des Rheins eine Provinz zu errichten. (Caleb Carr, Terrorismus, die sinnlose Gewalt. Historische Wurzeln und Möglichkeiten der Bekämpfung, München 2002, S. 27) Auch SécurCabanac führt dieses Beispiel als „klassisch“ für einen erfolgreichen Kleinkrieg mit der Vernichtung eines weit überlegenen „Aggressors“ an. (August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 15) Die Niederlage führte aber als „Spätwirkung“ bzw. Rückgriff in der Auswertung zu einer umfassenden Abhandlung über die feindlichen Völkerschaften und damit zur Analyse landeskundlicher Aspekte. (vgl. Tacitus, Germania, Stuttgart 1952) Zudem sind auch weiterführende Lehren für die Kriegführung bei den Römern entwickelt worden. (vgl. Friedhelm L. Müller, Vegetius. Abriß des Militärwesens, Stuttgart 1997) Darüber hinaus erfuhr das historische Beispiel im Drama „Die Hermannsschlacht“ im Jahre 1808 Widerhall in der nationalen Befreiungssehnsucht der Deutschen (Heinrich von Kleist, Die Hermannsschlacht, in: Joachim Schickel [Hrsg.], Guerrilleros, Partisanen. Theorie und Praxis, Regensburg 1970, S. 33 ff.) Interessanterweise ist die Schlacht im Teutoburger Wald auch im kommunistischen Machtbereich als Beispiel für erfolgreiche Kleinkriegsführung angesehen worden. (Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik [Hrsg.], Wörterbuch zur Deutschen Militärgeschichte, Mi – Z, Berlin 1985, S. 968) Laurent F. Carrel, Sicherheitspolitisch-strategische Lagebeurteilung. Neue Herausforderungen an die Methodik; in: ÖMZ 1994, S. 227 ff.; 228
onelle Verständnis von operativer Führung ist das Denken und Handeln in größeren Dimensionen von Kräften, Raum und Zeit,64 wobei das Verhältnis zwischen den Faktoren ständig wechselt.65 Die Faktoren Raum, Zeit und Kraft bilden damit auch die Grundlage jeder militärischen Aktion.66 Die Kunst der Kriegführung besteht darin, die richtigen Kräfte zur richtigen Zeit am richtigen Ort einzusetzen.67 Auch der Kampf Irregulärer Kräfte basiert auf den Faktoren Raum, Kraft und Zeit.68 Allerdings gewinnt der Faktor Zeit im Vergleich zu den Faktoren Raum und Kraft zunehmend an Bedeutung, da mittels moderner Technologien und Präzisionswaffen Entfernungen in Minuten überwunden werden können, geographische Räume zusammenschrumpfen und demzufolge die frühere Dominanz des Raumes relativieren.69 Geschwindigkeit wird außerordentlich zunehmen.70 Ebenso vollzieht sich der Transport von Informationen über territoriale und nationalstaatliche Grenzen hinweg praktisch ohne Zeitverzug, und so spielen schon bei Telefon- und Telefaxverkehr räumliche Entfernungen eine untergeordnete Rolle, die beispielsweise durch vernetzte Computer noch weiter minimiert wird.71 Folglich werden geographische Entfernungen in der sicherheitspolitischen Lagebeurteilung ein Faktor von immer geringerer Bedeutung.72 Mithin hat auch die Schutzwirkung der geographischen Distanz abgenommen73 und wird weiter abnehmen. Hinsichtlich des Einflusses der Faktoren Raum und Zeit wendet Schmidl ein, dass diese für Irreguläre weniger gelten würden.74 Bei dieser Betrachtung bleibt aber unberücksichtigt, dass auch das Verhalten des Irregulären erheblich von der Strategie, den operativen Fähigkeiten und dem taktischen Verhalten des Gegenübers abhängig ist, Irreguläre Kräfte dieses beurteilen können müssen, um sich darauf einstellen und entsprechend reagieren zu können. Mithin handelt es sich auch hinsichtlich der Faktoren von Raum und 64 65 66 67 68 69
70
71 72 73 74
Dieter Brand, Plädoyer für freie Operationen, in: ÖMZ 1998, S. 151 ff.; 154 Bundesminister der Verteidigung, HDv 100/100, Truppenführung, Bonn 1987, RN 728 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47 Erich Vad, Operative Führung, Grundlagen, Merkmale und Perspektiven, in: ÖMZ 1998, S. 129 ff.; 134 f.; vgl. Laurent F. Carrel, Sicherheitspolitisch-strategische Lagebeurteilung. Neue Herausforderungen an die Methodik; in: ÖMZ 1994, S. 227 ff.; 230 Der Gedanke, dass die moderne Technik die Entfernungen schrumpfen lässt, findet sich aber auch schon früher. (vgl. Generaloberst Guderian, Kann Westeuropa verteidigt werden, Göttingen 1950, S. 11; vgl. Oskar Di Giamberardino, Kriegskunst in unserer Zeit, Darmstadt 1961, S. 39) Insofern beurteilt auch Guderian das Problem von Raum und Zeit in der Strategie als zeitlos. (Heinz Guderian, So geht es nicht! Ein Beitrag zur Frage der Haltung Westdeutschlands, Heidelberg 1951, S. 9) David S. Alberts, Information Age Transformation. Getting to 21st Century Military, 2. Aufl., o.OA. 2003, S. 40; In diesem Zusammenhang ist auch vom “Just-in-Time-Warfare” die Rede. (Stuart E. Johnson, DBK: Opportunity and Challanges, in: Stuart E. Johnson, Martin C. Libicki [Hrsg.], Dominant Battlespace Knowledge, 2. Aufl., o. OA. 1996, S. 15 ff.; 21); vgl. Brian Steed, Armed Conflict.The Lessons of Modern Warfare, New York 2002, S. 180 ff. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 40 Karl-Heinz Kamp, Eine “globale” Rolle für die Nato, in: FAZ vom 02.04.1998, S. 8; vgl. Friedrich Ruge, Politik und Strategie, Strategisches Denken und politisches Handeln, Frankfurt a. M., 1967, S. 20 Samuel Schmid, Der sicherheitspolitische Verfassungsauftrag im heutigen strategischen Umfeld, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 11 ff.; 12 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 129
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Zeit um ein Wechselspiel von Aktion und Reaktion, Ausweichen, Dislozieren, Verbergen und Tarnen, rasches Zuschlagen und erneutes Ausweichen. Folglich sind gerade auch die Faktoren Raum und Zeit wesentliche Einflussgrößen für Irreguläre Kräfte. Diese Einflussgrößen und ihre Wechselwirkungen gilt es im Folgenden näher zu betrachten, und so soll entsprechend der Clausewitzschen Methode der Analyse „...die einzelnen Elemente unseres Gegenstandes, dann die einzelnen Teile oder Glieder desselben und zuletzt das Ganze in seinem inneren Zusammenhang...“75 beschaut werden. Im Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung sollen daher zunächst die anwendungsbezogenen Theorieansätze bestimmter Denker stehen. Das heißt, es soll dargestellt werden, wie die hier betrachteten Protagonisten die Mittel des Irregulären postuliert oder auch angewandt haben. Im zweiten Teil der Darstellung sollen die Auswirkungen und Einflüsse auf die regulären bewaffneten Strukturen und ihre Wechselwirkungen und Reaktionen auf die irregulären Kräfte und ihr Vorgehen. Im dritten Teil der Arbeit soll am Beispiel eines historischen Falls einer Terrorlage erarbeitet werden, wie das Beharren auf formale Zuständigkeiten und Kompetenzen einen erfolgreichen Zugriff verhindert hat, und es soll an Hand eines Plans für den Einsatz / Operationsplan vorgestellt werden, wie dieser Zugriff mit den damals vorhandenen Kräften und Mitteln erfolgreich hätte durchgeführt werden können. 4.
Verortung und Literaturkritik
Also ergibt sich hier gleichwohl die Tatsache, dass die Gegenstände der Untersuchung nicht isoliert stehen, sondern ihren Zweck und ihre Bedeutung erst durch die Zuordnung und Verbindung zu anderen Dingen erlangen; sie also in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet werden müssen. Daher sind auch gerade hinsichtlich der geopolitischen, soziologischen, völkerrechtlichen und technologischen Entwicklungen abweichende und neuere Tendenzen und Hauptlinien der polizei- und militär- bzw. wehrwissenschaftlichen Bezüge der Begriffe aufzuzeigen. Demzufolge ist die Arbeit im Schwerpunkt in der Politikwissenschaft verortet, weist aber gleichfalls vertiefende Ansätze anderer Wissenschaftszweige auf; insbesondere in der Wehrwissenschaft, die als angewandte Wissenschaft ihren Stoff aus anderen Wissensfächern entnimmt und die sie damit als Hilfswissenschaften betrachtet. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich aus der zuvor bereits skizzierten Tatsache, dass die Gegenstände der Betrachtung nicht isoliert stehen und ihrerseits ebenfalls, je nach dem Fokus der jeweiligen Betrachtung, in den verschiedenen Wissenschaftsfeldern verortet sind; zum Beispiel der Geschichte, der Geographie und Geopolitik, des Staats- und Völkerrechts.76 Zudem beeinflussen die Erkenntnisse der Wehrwissenschaft ihrerseits die Internationalen Beziehungen, die Außen-, aber auch die Innenpolitik, die (Außen-) Wirtschafts- und Sozialpolitik und strahlen in andere Bereiche hinein.77 Somit steht die Wehrwissenschaft in ständiger Wechselbeziehung zu den anderen Wissenschaftsfeldern. 75 76
77
30
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 13 Insofern liegt auf dem Gebiet der Wehrpolitik, die über das rein militärische, vom eigentlichen politischen getrennte Denken hinausgeht, eine große Aufgabe in der Konfrontation mit dem unmittelbaren Fluss des politischen Geschehens. (vgl. Wolfgang Reineke, Dietmar Schössler, Wissenschaft und Sicherheit. Ein Beitrag zur Vergesellschaftung der Abwehr, Heidelberg 1966, S. 16 f.) vgl. Horst Günter Tolmein, Aufmarsch gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die militärische Feindlage zwischen Ost und West, Landshut 1976, S. 87
Hieraus ergibt sich auch die Kritik an der vorliegenden, dass Thema bestimmenden Literatur: Zwar gelingt es gerade vielen zeitgenössischen Autoren, die sich mit dem Thema des Irregulären und des Terrorismus befassen, den Gegenstand ihrer jeweiligen Untersuchungen herauszuarbeiten, zu isolieren und hierüber neue Erkenntnisse zu entwickeln; doch fehlt es zumeist an einer Beschäftigung mit den sich hieraus ergebenden konkreten Reaktionen. Der klassische Dreiklang – ansprechen, beurteilen, folgern – wird somit in diesen Darstellungen oftmals nicht vollständig angewendet. Folglich fehlt es zumeist auch an konkreten strategischen und vor allem operativ-taktischen konzeptionellen Umsetzungen von Möglichkeiten der Begegnung und des Umgangs mit den Erscheinungen und ihren Auswirkungen. Mithin ergibt sich bei diesen, zumeist ideengeschichtlich angelegten, Arbeiten eine Lücke auf der fachlichen Ebene. Umgekehrt haben wir es oftmals mit fachspezifischen Abhandlungen bestimmter Erscheinungsformen des Untersuchungsgegenstandes zu tun, welche einen wehrwissenschaftlichen Gegenstand untersuchen, ohne dass der ideengeschichtliche Hintergrund angemessen beleuchtet wird. Somit fehlt es hier oftmals am übergreifenden theoretischen Überbau und damit ebenfalls an einer entsprechenden Verknüpfung. Auf diese Feststellungen soll im Verlauf der Arbeit an den entsprechenden Anknüpfungspunkten des Untersuchungsgegenstandes noch näher eingegangen und somit insgesamt der Versuch unternommen werden, die bereits in der Literatur vorliegenden, grundsätzlich richtigen theoretischen Aussagen mit den Möglichkeiten des praktischen Handelns zu verknüpfen und so zwischen ideengeschichtlicher Analyse und praxisorientierter Anwendung Ziel führend zu vermitteln. „Alle Praxis ist, wenn sie nicht hilflos ganz von vorne anfängt, angewandte Theorie.“78 Und alle menschliche Praxis, wird immer dann und immer dort politisch im Sinne eines erweiterten Politikbegriffs, wenn und wo das Miteinander der Menschen als solches zu einem Problem wird; zu einem Problem, dessen Lösung spezifische Anstrengungen erfordert.79 Somit soll der Beitrag auch helfen, eine Lücke zu schließen. Es steht also im Folgenden an zu untersuchen, wie die Umgebung der Erscheinungen gestaltet ist bzw. vor welchem systemischen Hintergrund die Phänomene auftauchen.
78
79
Arnold Brecht, Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens im 20. Jahrhundert, 2. Aufl. 1976, S. 14; So hat beispielsweise bereits Niccolò Machiavelli Geschichtsphilosophie und politische Handlungsweisen systematisch verknüpft und damit die politische Theorie aus ihrer Subsumtion unter Ethik und Theologie herausgelöst und somit als Wissenschaft begründet, indem die Richtigkeit politischen Handelns nicht mehr anhand von ethischen oder theologischen Normen überprüft wird, sondern allein daran, ob es hinsichtlich der historisch jeweils gegebenen Situation und den aus ihr entstandenden Anforderungen an die Politik effektiv ist oder nicht. (Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt am Main 1985, S. 397) Machiavelli vergleicht somit seine politischen Erfahrungen und Beobachtungen mit den Schriften antiker Historiker und leitet aus diesem Vergleich Anweisungen zu erfolgsversprechendem Handeln ab. (Herfried Münkler, Staatsraison und politische Klugheitslehre, in: Iring Fetscher, Herfried Münkler [Hrsg.], Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3, Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München 1985, S. 23 ff.; 32) Auch nicht die Befolgung sittlicher Imperative, sondern die Betrachtung der Eigengesetzlichkeit politischer Entwicklungen macht für ihn das Geheimnis der Staatskunst aus. (Phillipp Rippel , Nachwort, in: Phillipp Rippel [Hrsg.], Niccolò Machiavelli, Il Principe. Der Fürst, Stuttgart 1995, S. 225 ff.; 238) „Da es aber meine Absicht ist, etwas Nützliches für den zu schreiben, der es versteht, schien es mir wichtiger zu sein, den Dingen nachzugehen als den bloßen Vorstellungen über sie.“ (Niccolò Machiavelli, Il Principe. Der Fürst, Stuttgart 1995, S. 119) Bernhard Sutor, Joachim Detjen, Politik. Ein Studienbuch zur politischen Bildung, Paderborn 2001, S. 29
31
II. Hauptteil
1.
Staat und politische Systeme
Für Jahrhunderte war der moderne Staat die dominierende Einrichtung in politischen und internationalen Angelegenheiten in Fragen der Macht und der Lenkung der politischen Geschicke.80 Rechtlich und insbesondere völkerrechtlich gesehen hat der Staat der Völkerrechtsordnung das wesentliche, rechtliche Gepräge gegeben.81 Der Dialog und die Auseinandersetzungen zwischen Staaten verliefen in bestimmten kooperativen Ordnungen. Galten vor wenigen Jahrzehnten die Staaten noch als „die Grundeinheiten der Weltpolitik“82, geht es heute in der Debatte um die „Entgrenzung der Staatenwelt“ unter anderem um die abnehmende territoriale Kongruenz von Wirtschaft, Gesellschaft und politischem System83 durch ungleichmäßige Denationalisierung, um die Herausbildung transnationaler sozialer Räume durch neue Migration, um die Virtualisierung von Räumen durch elektronische Kommunikation und um Grenzräume als neue Wirtschaftsräume.84 Auch die Erscheinungen Irregulärer Kräfte stehen mit diesen Einflussgrößen in ständigen Wechselwirkungsbeziehungen. Der Aufstieg vielfältiger nichtstaatlicher Akteure stellt eine große Herausforderung für das auf den Staat ausgerichtete System dar.85 Insofern wird befürchtet, dass der Zusammenbruch der kooperativen internationalen Ordnung in dieser „Weltordnungskrise“86 möglicherweise schneller kommt, als man sich das vorstellen kann.87 Gerade die Erscheinungen des Terrorismus bilden hier eine existenzielle Bedrohung. Alle internationalen und supranationalen Organisationen – wie VN, NATO und EU – sind Gebilde, in denen grund80 81 82 83
84 85 86 87
Peter Malanczuk, Globalisierung und die zukünftige Rolle souveräner Staaten, in: Matthias LutzBachmann, James Bohman (Hrsg.), Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee einer Weltrepublik, Frankfurt am Main 2002, S. 172 ff.; 172 Stephan Hobe, Die staatsfreien Räume – insbesondere der Weltraum, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 79 ff.; 79 Wilhelm W. Grewe, Spiel der Kräfte in der Weltpolitik. Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1981, S. 20 Unter System versteht man zunächst allgemein ein (gegenständliches) Gebilde oder (gedankliches) Konstrukt, eine Einheit (oder Ganzheit) bestehend aus verschiedenen Elementen und Prozesse, die untereinander in gewisser Beziehung und Wechselwirkung stehen; in der Systemtheorie versteht man hierunter eine aus einzelnen Teilen (Teilsysteme) bestehende Einheit, die über eine eigenständige innere Struktur verfügt, die einen bestimmten grad der Geschlossenheit gegenüber der Umwelt ausweist und auf ein Systemgleichgewicht orientiert ist, das heißt, kreativ die Selbsterhaltung zu gewährleisten sucht. (Dieter Nohlen, System [Systemanalyse], in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 635 f.; 635 Gert Krell, Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen, 3. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 97 f. Stephen Sloan, Foreword: Responding to the Threat, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. xx ff.; xxi Alfredo Märker, UNO und Völkerrecht in der Weltordnungskrise, in Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43 / 2004, S. 3 ff. Joachim Krause, Die internationalen sicherheitspolitischen Herausforderungen, in: Europäische Sicherheit, Heft 10, 2006, S. 12 ff.; 13
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sätzlich souveräne Staaten zusammenarbeiten. Grundsätzlich sind alle Staaten vor dem Völkerrecht gleich.88 Anknüpfungspunkt der Zusammenarbeit sind also staatliches Interesse und staatliche Macht. Staat89 und Staatengemeinschaften sehen sich zunehmend mit Phänomenen von Gewalt, also Handeln, das menschliches Leben unmittelbar verletzt, bedroht oder mittelbar gefährdet90, Terrorismus und Auflösung konfrontiert. In der politik- und staatswissenschaftlichen Debatte ist in diesem Zusammenhang immer wieder vom „… Untergang des Staates“91 bis hin zum „Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform“92 die Rede. Der Staat ist vorwiegend insofern Thema, als dass man vom Niedergang der Souveränität der Nationalstaaten93 und seiner absehbaren Überwindung94 spricht. Gleichfalls wird diskutiert, ob es nicht an der Zeit sei, Abschied vom „Westfälischen System“ zu nehmen, das an die seit der Antike bestehende Tradition der Bindung einer wie immer organisierten Form von Herrschaft an räumlich begrenzte Gemeinwesen anknüpfte, institutionalisierte und den neuzeitlichen Territorialstaat als die souveräne politische Einheit nach innen und außen – zunächst nur für Europa, dann auch weltweit – legitimierte.95 In diesem Zusammenhang ist auch zunehmend von „Gewaltmärkten“,96 „Bürgerkriegsökonomien“,97 der „Ökonomie des Terrors“98 und der „Privatisierung der Weltpolitik“99 zu lesen. Von daher fällt es auch nicht schwer vom „Kampf der Kulturen“100 und vom „Krieg der Zivilisationen“101 zu reden. Bei diesen Postulaten bleibt allerdings fraglich, ob es sich bei ihnen um auf die Zukunft gerichtete Analysen bestehender Situationen oder gar um politische Agenden handelt. Tatsächlich sind Gewaltzustände instabile Zustände, die nach der
88 89 90 91 92 93 94
95 96 97 98 99 100 101
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Bardo Fassbender, Die souveräne Gleichheit der Staaten – ein angefochtenes Grundprinzip des Völkerrechts, in. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/2004, S. 7 ff.; 7 Zum weitreichenden und umfassenden Inhalt des Staatsbegriffs und seiner etymologischen Herkunft und Entwicklung vgl. Paul-Ludwig Weinacht, Staat, Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1968 Otfried Höffe, Lexikon der Ethik, 6. Aufl., München 2002, S. 92 Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999 Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die Massendemokratische Postmoderne, Weinheim 1991 Michael Hardt, Antonio Neggri, Multitude, Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt, New York 2004, S. 17; vgl. Robert Cooper, The of Breaking Nations. Order and Chaos in the Twenty-First Century, New York 2003 vgl. Florian Oberhuber, Sicherheit, Anthropologie und die Ökologie des Konflikts, in: ÖMZ 2003, S. 318 ff.; 318; Oberhuber führt diesen Trend auf den Wandel der Weltordnung nach 1989 zurück, als man in einer Phase des Postulats des ‚post-staatlichen, post-nationalen, post-souveränen’ und einer Welt der ‚deregulierten Governance’ (Regieren ohne Herrschaft) „vergessen“ hatte, wie prekär und labil alle Ordnungen menschlichen Zusammenlebens im Großen wie im Kleinen seit jeher sind und Konflikte und Gewalt beiseite geschoben werden, und „vergessen“ hatte, dass deren Zivilisierung oder Einhegung ausgesprochen voraussetzungsreich sind. Karl Schmitt, Vorwort des Herausgebers, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 7 ff.; 7 Erhard Eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?, Frankfurt 2002 Francois Jean, Jean-Cristophe Rufin (Hrsg.), Ökonomie der Bürgerkriege, Hamburg 1999 Loretta Napoleoni, Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus, München 2004 Tanja Bühl, Tobias Debiel, Brigitte Hamm, Harwig Hummel, Jens Martens (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Bonn 2001 Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München, Wien 1996 Bassam Tibi, Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus, Hamburg 1995
allseits akzeptierten, stabilisierenden Ordnung, dem Recht, verlangt,102 gleichzeitig aber einer Institution bedarf, diese Ordnung und damit das Recht zu bewahren, zu schützen und gegebenenfalls wiederherzustellen. Wenngleich eine differenzierte Ansicht davon ausgeht, dass Politik sich zukünftig mehr als je zuvor oberhalb, zwischen und unterhalb den lokalen, subnationalen, nationalen und supranationalen Ebenen, also in einem Mehrebenensystem stattfinden wird103, muss eine ordnende Institution vorhanden sein. Eine solche Institution ist der Staat. Diese wird in dem Mehrebenensystem auch nicht verschwinden, seine Rolle könnte sich allerdings verändern.104 Diese Diskussion um das Ende und die Zukunft der Staatlichkeit ist jedoch im Kern nicht ganz neu. Helmut Kuhn verweist bereits zu Ende der 1960er Jahre auf Carl Schmitt, welcher seiner Ansicht nach den Universalbegriff „Staat“ nur verworfen habe, um ihn durch den der „politischen Organisationsform“ zu ersetzen.105 Für Carl Schmitt bedeutet der Staat den Gesamtzustand staatlicher Ordnung.106 Der Staat ist Bestandteil der objektiven Realität, die aber geprägt ist durch Ideen und Theorien, und was dabei der Staat ist, hängt eng damit zusammen, wie der Begriff des Staates verstanden wird.107 Tatsächlich kennt die Staatslehre keine allgemein gültige Definition des Staates; vielmehr muss der Staatsbegriff historisch und sich ständig wandelnd – nicht als ein universaler, sondern als ein partikularer Begriff – aus einem zeitlichen und räumlichen Umfeld sowie aus dem ihm innewohnenden konkreten Spannungsverhältnis zwischen Statik und Dynamik interpretiert werden.108 Aufgrund der Komplexität seines Aufbaus und seiner Tätigkeit ist eine erschöpfende Definition des heutigen Staates schwierig.109 Die Bezeichnung und der Begriff des Staates werden in der wissenschaftlichen Diskussion heute in einem zweifachen, inhaltlich unterschiedlichen Sinn gebraucht, als dass zum einen „Staat“ als universeller, epocheübergreifender, in seinem Geltungsanspruch weder räumlich noch zeitlich begrenzter Allgemeinbegriff verstanden wird, zum anderen als ein konkreter, an Zeitepochen gebundener Begriff gebraucht wird.110 Die wissenschaftlichen Anknüpfungspunkte sind denn auch oftmals – in Abhängigkeit vom Standort des Betrachters – im Schwerpunkt politikwissenschaftlicher oder juristischer Natur. Seine wissenschaftlichen Existenzen lassen sich aber nicht völlig voneinander trennen.
102
103 104 105 106 107 108 109 110
vgl. Norbert Bieskorn, Ethnische Betrachtungen auf der Suche nach ethisch-rechtlichen Kriterien für vorbeugende Militäreinsätze, in: Deutsche Atlantische Gesellschaft (Hrsg.), Auf der Suche nach ethischrechtlichen Kriterien für vorbeugende Militäreinsätze. Lehren aus dem Irak-Krieg, Ein Diskurs zwischen Prof. Dr. iur. utr. Norbert Bieskorn SJ und Prof. Dr. Matthias Herdegen Bonn 2005, S. 9 ff.; 10 Claus Leggewie, Richard Münch, Einleitung: Politik in entgrenzten Räumen, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 9 ff.; 9 vgl. Claus Leggewie, Richard Münch, Einleitung: Politik in entgrenzten Räumen, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 9 ff.; 9 Helmut Kuhn, Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 43 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 8. Aufl., Berlin 1993, S. 5 Arthur Benz, Der moderne Staat, München, Wien 2001, S. 44 Alfred Katz, Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, 15. Aufl., Heidelberg 2002, S. 12 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 15 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter, Tübingen 2002, S. 4
35
1.1
Der Staat aus staatsrechtlicher Sicht
Das Wort „Staat“ ist ein Wort der Neuzeit111, und der Staat stellt seit seiner „Erfindung“ das politische System schlechthin dar, welches sich nicht nur in der westlichen Perzeption, sondern – abgesehen von einigen wenigen regionalen Gebieten – seit dem Mittelalter von Europa ausgehend fast global juristisch-völkerrechtlich als das anerkannte Herrschaftskonstrukt (unterschiedlichster Ausprägung) herausgebildet hat. Es tritt also das Moment der handelnden Führung und der spezifischen Führungskunst hervor.112 Im juristischvölkerrechtlichen Sinne ist der Staat nach der klassischen „Dreielementelehre“ eine Einrichtung, durch die eine Gesamtheit von Menschen auf einem bestimmten Teil der Erdoberfläche unter einer hoheitlichen Gewalt in einer Gemeinschaft zur Verwirklichung von Gemeinschaftszwecken verbunden ist und nach der die staatlichen Begriffsmerkmale in drei Elementen begründet ist: Staatsgebiet – Staatsvolk – Staatsgewalt.113 Der Staat ist dabei eine nach einem Gebiet abgegrenzte Einheit, er ist intern territorial untergliedert in regionale oder/und lokale Gebietskörperschaften und er bildet mit anderen Territorialstaaten ein internationales System.114 1.1.1
Kritik und weiter gefasster Staatsbegriff
Da das Staatsgebiet lediglich einen Raum bezeichnet, über den sich die Einheit des Staates erstreckt, das Staatsvolk die Menschen, die den Staat tragen, und die Staatsgewalt die Macht, die von ihm ausgeht, lässt sich der Staatsbegriff nicht vollständig mit der Dreielementelehre erfassen.115 Darüber hinaus wurde in der Literatur auch kritisiert, dass eine vorwiegend statische Analyse der Politik Aspekte des Wandels und die Untersuchung dynamischer Prozesse häufig vernachlässige und damit die traditionelle Behandlung politischer Ordnungsfunktionen auf den europäischen Raum und die angelsächsisch geprägten Überseegebiete beschränkt bleibe.116 So stellt denn auch Isensee fest, dass das Dilemma der Staatsbegriffe darin liege, dass ihnen ihr Objekt immer wieder entgleite; dass es sich im Strom der Geschichte bewege und sich nicht endgültig fixieren lasse.117 Dennoch ist für Isensee Staat Wirklichkeit, der als solche aller Begrifflichkeit voraus liege und der sich
111 112 113
114 115 116 117
36
Josef Isensee, Paul Mikat, Martin Honecker, Ernst Chr. Suttner, Staat, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, 5. Bd., 7. Aufl., Freiburg, Basel, Wien 1995, S. Spalte 133 ff. vgl. Dolf Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, 1. Aufl., o. OA 1984, S. 27 Alfred Katz, Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, 15. Aufl., Heidelberg 2002, S. 12 f.; vgl. Ekkehart Stein, Staatsrecht, 11. Aufl., Tübingen 1988, S. 7; vgl. Eric Hilgendorf, dtv-Atlas Recht, Bd. 1, Grundlagen. Staatsrecht. Strafrecht, München 2003, S. 87; vgl. Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 89; vgl. Rainer-Olaf Schultze, Staat, in: Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 2., N-Z, München 2004, S. 909 f.; 909 Arthur Benz, Multilevel Governance – Governance in Mehrebenensystemen, in: Arthur Benz (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung, Wiesbaden 2004, S. 125 ff.; 126 Ekkehart Stein, Staatsrecht, 11. Aufl., Tübingen 1988, S. 7 Dirk Berg-Schlosser, Theo Stammen, Einführung in die Politikwissenschaft, 6. Aufl., München 1995; S. 161 Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 3 ff.; 33
daher auch nicht abschließend „auf den Begriff bringen“ lasse.118 Ein weiter gefasster Staatsbegriff entspricht dem einer rechtlich verfassten Gemeinschaft als einer Gesamtheit von Menschen, deren Verhalten durch eine wirksame rechtliche Normenordnung in spezifischer Weise koordiniert ist119 und der im weitesten Sinne die Gesamtheit der öffentlichen Institutionen umfasst, die das Zusammenleben der Menschen gewährleistet bzw. gewährleisten soll.120 In diesem Sinne lässt sich Staat auch als politisches Gemeinwesen betrachten, das nach seiner inneren Ordnung, seinem sozialethischen Prinzip, seinen Kernaufgaben und einem für ihn spezifischen Mittel charakterisiert ist.121 Insofern wird auch der Staat als ein geordneter Zusammenhang menschlichen Zusammenwirkens, das sich in zahlreiche Untersysteme gliedert, und damit insgesamt als System, bezeichnet.122 Daher verstehen auch die Soziologen den Staat als gesellschaftliches System.123 Zudem gibt es Tendenzen einer Deterritorialisierung von Politik, einer Abschwächung von Ordnungsleistungen von Grenzen staatlicher Gebietskörperschaften als zwingende Konsequenz der Tatsache, dass viele gesellschaftliche Aktivitäten und Beziehungen nicht mehr an bestimmte Räume gebunden sind oder jedenfalls in Räumen stattfinden, die sich nicht mit den durch die Staatsorganisation festgelegten Grenzen decken.124 Behr spricht in diesem Zusammenhang auch vom „grundlegend entterritorialen Charakter“ transnationaler Politik.125 Fraglich ist somit weiterhin, ob es im Zeitalter der Globalisierung überhaupt einen universellen Staatsbegriff geben kann. Die Transformation nationalstaatlicher Souveränität als zentrales Thema politischer Globalisierungsaspekte wird insbesondere auch auf die weltweite Verflechtung öffentlicher bzw. politischer Institutionen zurückgeführt.126 Der Begriff „Globalisierung“ als „diffuser“,127 „unscharfer und damit missverständlicher Begriff“128 charakterisiert dabei seit Mitte der 1990er Jahre die zunehmende weltweite Verflechtung der Ökonomien sowie der Finanzmärkte und die davon ausgehenden Prozesse fortschreitender und beschleunigter Modernisierung von Kommunikation, Produktion von Wissen und Gütern, Transport, aber auch die Problemfelder der Internationalen Sicherheit, Organisierte Kriminalität, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, Krieg und Migration.129 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129
Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 3 ff.; 33 vgl. Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft), 12. Aufl. 1994, S. 47 Rainer-Olaf Schultze, Staat, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7. Politische Begriffe, S. 606 ff.; 606 Paul-Ludwig Weinacht, Staat, in: Gerlinde Sommer, Raban, Graf von Westphalen: (Hrsg.), Staatsbürgerlexikon. Staat, Politik, Recht und Verwaltung in Deutschland und der Europäischen Union, München, Wien 2000, S. 838 ff.; 838 Reinhold Zippelius, Das Wesen des Rechts. Eine Einführung in die Rechtsphilosophie, 5. Aufl., München 1997, S. 31 Arthur Benz, Der moderne Staat, München, Wien 2001, S 57 Arthur Benz, Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse, München, Wien 2001, S. 250 ff.; 255 Hartmut Behr, Transnationale Politik und die Frage der Territorialität, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 65 Ina Kerner, Globalisierung, in: Gerhard Göhler, Mattias Iser, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S 190 ff.; 197 Hartmut Behr, Transnationale Politik und die Frage der Territorialität, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 59 Stefan A. Schirm, Raum, Globalisierung und Theorien internationaler Beziehungen, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 43 ff.; 44 Dieter Nohlen, Globalisierung, in: Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 1, A-M, 2. Aufl., München 2004, S. 301 ff.; 301; vgl.
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Um Krieg zu führen, braucht es den Staat nicht; sub- und parastaatliche Akteure haben sich schnell in diesem Geschäft etabliert.130 Und weiterhin ist fraglich, ob ein neuer Institutionalismus, der auf internationale Organisationen und Regelwerke vertraut, ein Regieren ohne Staat ermöglichen kann. Für Otfried Höffe gewinnt ein solches Zusammenleben unter bestimmten Umständen sogar einen gewissen Staatscharakter.131 Tatsächlich hat man es zunehmend mit Akteuren zu tun, die keinen „staatlichen Körper“ haben. Es entstehen Organisationen als „Einheiten des Unterschiedenen“132 im Gesellschaftssystem und nicht in dessen Umwelt, wobei sich aber Gesellschaftssystem und Organisationssystem nicht wie getrennte Einheiten gegenüberstehen,133 sondern miteinander in unterschiedlichen Formen und Intensitäten verbunden sind. Möglicherweise muss sich die internationale Staatenwelt – Nationalstaaten und staatliche Gemeinschaften – darauf einstellen, zukünftig oftmals kein entsprechendes bzw. staatliches Gegenüber zu haben. Das hat möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf das Völkerrecht134; geht doch die Charta der Vereinten Nationen vom Prinzip der Staaten als Akteure aus und ist mit ihrem Instrumentarium hierauf ausgerichtet. Als diametrale Erscheinung der Globalisierung bilden sich regionale und örtliche Machtstrukturen heraus, die als neue Akteure aus zerfallenden Staaten hervorgehen oder aus bereits zuvor bestehenden Subsystemen empor- und aufsteigen. Es bilden sich neue grenzüberschreitende gesellschaftliche Strukturen heraus, z. B. auch über Religionsgemeinschaften.135 Diese transnationalen Akteure handeln nicht innerhalb des territorialen Rahmens von Nationalstaaten bzw. in den Institutionsgefügen der internationalen Ordnung, sondern überschreiten nationalstaatlich territoriale Grenzen und Räume.136 Daher ist es auch fraglich, ob diese Akteure überkommene völkerrechtliche und staatsrechtliche Kodifikationen und Gewohnheiten akzeptieren, ja oftmals überhaupt kennen. Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen stellen die nationale Handlungsfähigkeit in Frage und die dominierende Rolle des Nationalstaates schwindet.137 Das Gegenüber des Staates bzw. eine Vielzahl der Opponenten sind zunehmend Akteure, welche nicht im überkommenen Sinne staatlich verfasst sind, die aber faktisch Macht und Herrschaft ausüben und dementsprechend den Staaten asymmetrisch im Sinne von Kongruenz entgegenstehen. Diese Auseinandersetzung könnte für den Staat insofern gefährlich sein, als dass seine Niederlage zu Auflösung und damit zum Rückfall in ein vor-
130 131 132 133 134 135 136 137
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Wolfgang Pippke, Andreas Gourmelon, Hans Eberhard Meixner, Birgit Mersmann, Organisation, München 2005, S. 204 f.; Zum Problemfeld der Migration vgl. Sigrid Baringhorst, Internationale Migration, Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291/2006, S. 17 ff.; vgl. Peter Arbenz, Sicherheit und Migration, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 301 ff. Florian Oberhuber, Sicherheit, Anthropologie und die Ökologie des Konflikts, in: ÖMZ 2003, S. 318 ff.; 318 Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 2002, S. 267 f. Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, Opladen, Wiesbaden 2000, S. 39 Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000, S. 229 Es ist in diesem Zusammenhang sogar von „… einer Aushöhlung des Völkerrechts …“ die Rede. (Jakob Schissler, Gerhard Preyer, Globaler Krieg oder Frieden? Zu den neuen Mechanismen internationaler Gewalt, in: Auftrag 2003, S. 52 ff.; 52) Wilhelm Dietl, Kai Hirschmann, Rolf Tophoven, Das Terrorismuslexikon. Täter, Opfer, Hintergründe, Frankfurt am Main 2006, S. 11 Hartmut Behr, Transnationale Politik und die Frage der Territorialität, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 65 f. Wilhelm Dietl, Kai Hirschmann, Rolf Tophoven, Das Terrorismuslexikon. Täter, Opfer, Hintergründe, Frankfurt am Main 2006, S. 11
staatliches oder gar archaisches System bedeuten könnte. Denn nach bestimmten Überzeugungen ist der Staat selbst im Sinne der Emergenz von sozialen Asymmetrien in zunächst tribalen, segmentär differenzierenden Gesellschaften entstanden.138 Emergenz bezeichnet bei der Erklärung komplexer Systeme das Entstehen höherer Seinsstufen aus niederen durch überraschend auftauchende Qualitäten in den Stufen der Evolution der Natur.139 In diesem Zusammenhang könnte der weit gefasste Staatsbegriff Clausewitz’ greifen, der zwar auch auf die Elemente Staatsmacht, Staatsgebiet hinweist, aber vor allem auf die Bedeutung von äußeren und inneren Einflüssen und Interaktionen. Dementsprechend versteht er unter Staat: „Vor allen Dingen seine Streitkraft, dann seine Oberfläche; aber freilich auch noch vieles andere, was durch individuelle Umstände eine vorherrschende Wichtigkeit bekommen kann; vorzüglich gehören dahin äußere und innere politische Verhältnisse, die zuweilen mehr entscheiden als alles Übrige.“140 Im internationalen System hat man es jetzt zunehmend mit Akteuren zu tun, die keinen „staatlichen Körper“ haben. Man hat es jedenfalls bei den Organisationsformen, die dem Staat gegenübertreten, mit politischen Systemen zu tun, die zwar anders organisiert sind, mit denen man sich aber auseinandersetzen muss. Gegenstandsbereiche und Reichweite des politischen sind in besonderem Maße von Raum, Zeit und Kultur abhängig; zudem variieren Form, Prozesse und Inhalte der Politik.141 Die Vervielfältigung der politischen Akteure, die nunmehr neben Staaten auch religiöse und ethnische Gruppen umfasst, macht es immer schwieriger, alle Akteure und deren Interessen zu koordinieren.142 Hier sieht sich die juristische Staatslehre mit einem politologischen Konzept konfrontiert, das mit Blick auf die Elemente seiner Binnenstruktur und im Blick auf eine darauf abzugrenzende Umwelt als „politisches System“ moduliert wird. Ein Kommunikationsstillstand mit dieser Herausforderung, der oftmals völlig andere kultur- und religionsbedingte Mechanismen und Ordnungsfunktionen zu Grunde liegen, darf nicht eintreten. Folglich ist es notwendig, die dahinter liegenden politischen Systeme oder Systeme des Politischen zu erkennen und in der Komplexität ihrer Gesamterscheinung tiefgehend und umfassend zu begreifen. Es handelt sich als um ein System-Konzept. Dabei ist der Staat als politologische Form der Betrachtung des Staates und der Staatlichkeit hier einzubeziehen. 1.1.2
Politisches System
Ein System ist zunächst ein kompliziertes Gebilde, das irgendwie geregelt funktioniert.143 Systeme bestehen aus verschiedenen Elementen und deren Beziehungen zueinander, die in
138 139 140 141 142 143
vgl. Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000, S. 189 vgl. Manfred Stöckler, Emergenz, in: Peter Prechtl, Franz-Peter Burkard (Hrsg.), Metzler Philosophielexikon, 2. Aufl., Stuttgart, Weimar 1999, S. 129 f.; 129; vgl. Duden, Fremdwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim, Wien, Zürich 1982, S. 214 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, 706 vgl. Rainer-Olaf Schultze, Politik/Politikbegriffe, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 488 f.; 488 Wilhelm Dietl, Kai Hirschmann, Rolf Tophoven, Das Terrorismuslexikon. Täter, Opfer, Hintergründe, Frankfurt am Main 2006, S. 11 Margot Berghaus, Luhmann leicht gemacht, 2. Aufl., Köln 2003, S. 39
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ihrer Gesamtheit von einander abgegrenzt sind,144 und welche auf die kreative Selbsterhaltung der internen Strukturen bezogen sind.145 Das System definiert sich durch einen Systemzweck, als eine bestimmte Funktion; es besteht aus einer bestimmten Konstellation von Systemelementen und Wirkungsverknüpfungen (Relationen), die seine Funktion bestimmen, und es verliert seine Systemidentität, wenn seine Systemintegrität zerstört wird; es ist also nicht teilbar.146 Soziale Systeme bilden und stabilisieren sich über eine sinngeleitete Differenzierung von Innen (zum System gehörig) und Außen (Umwelt).147 Als politisches System wird im allgemein politikwissenschaftlichen Verständnis ein für die Analyse des Politischen grundlegender Terminus verstanden, der entsprechend dem dreidimensionalen Politikbegriff die Gesamtheit der politischen Institutionen (Polity148), der politischen Prozesse (Politics149) und der Inhalte politischer Entscheidungen (Policy150) umfasst.151 Dabei wird „System“ verstanden als ein Komplex interdependenter, interagierender Teile, der nach außen abgrenzbar ist, also als ein Gefüge von Teilen gegenseitiger Abhängigkeit.152 Das politische System gilt wiederum als Subsystem des Gesamtsystems „Gesellschaft“, steht mit anderen Subsystemen in Interdependenz und übernimmt als wichtige Leistungen für das Gesamtsystem die „Zielerreichung“ bzw. die „verbindliche Zuteilung von Gütern“ an konkurrierende gesellschaftliche Sektoren oder Gruppen.153 Dementsprechend kann das gesellschaftliche und politische Handeln unter Begriffen der Leistung (Funktion), des Leistungsaustausches und des Beitrages zur Zielerreichung analysiert werden.154 Dabei wird
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Karl Pirchlkastner, Bernhard Meurers, Führungs- und Organisationslehre I. Methodisches Vorgehen und Arbeitstechniken, Wien 1996, S. 26 Arno Waschkuhn, Systemtheorie, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1996, S. 760 ff.; 760 Hartmut Bossel, Modellbildung und Simulation. Konzepte, Verfahren und Modelle zum Verhalten dynamischer Systeme, 2. Aufl., 1992, S. 16 Stefan Lange, Dietmar Braun, Politische Steuerung zwischen System und Akteur. Eine Einführung, Opladen 2000, S. 32 Dieser politikwissenschaftliche Anglizismus verweist auf die formale Dimension von Politik, die im deutschsprachigen Raum auch als die institutionelle Ordnung politischer Systeme bezeichnet wird. (Klaus Schubert, Polity, in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1988, S. 513 f.) Dieser Begriff verweist auf eine prozessuale Dimension von Politik, die im deutschsprachigen Raum meist Synonym mit dem vieldeutigen Begriff Politik gesetzt wird und bezeichnet damit den aktiven, mehr oder weniger konflikthaften Prozess politischer Gestaltung, der vor allem in politischen Verhandlungen und Tauschprozessen ausgetragen wird und bei dem auf die unterschiedlichen, teilweise gleich gelagerten oder widerstreitenden, teilweise neutralen, teilweise koalierenden Interessen, Parteien und deren politischen Absichten, Forderungen, Ziele etc. Rücksicht genommen wird. (Klaus Schubert, Politics, in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 7., Politische Begriffe, München 1988, S. 487 Dieser Anglizismus verweist darauf, dass es neben der formalen und prozessualen eine inhaltliche bzw. materielle Dimension von Politik gibt. (Klaus Schubert, Policy, in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 7., Politische Begriffe, München 1988, S. 484) Dieter Nohlen, Bernhard Thibaut, Politisches System, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7. Politische Begriffe, München 1988, S. 511 ff.; 511 Dirk Berg-Schlosser, Theo Stammen, Einführung in die Politikwissenschaft, 6. Aufl., München 1995; S. 162 Udo Kempf, Paul-Ludwig Weinacht, Die Lehre vom politischen System – am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, in: Paul-Ludwig Weinacht, Udo Kempf, Hans-Georg Merz (Hrsg.), Einführung in die Politische Wissenschaft, 1. Aufl., Freiburg 1977, S. 79 ff.; 82 Udo Kempf, Paul-Ludwig Weinacht, Die Lehre vom politischen System – am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, in: Paul-Ludwig Weinacht, Udo Kempf, Hans-Georg Merz (Hrsg.), Einführung in die Politische Wissenschaft, 1. Aufl., Freiburg 1977, S. 79 ff.; 82
nach der Systemtheorie155 der Staat nicht einfach als besonderes gesellschaftliches Teilsystem verstanden, sondern nur als das Modell, das sich das politische Modell von sich macht, und daher begreift die Systemtheorie den Staat nicht als reales Phänomen, sondern als gedankliches Konstrukt, als Leitidee der Politik von sich selbst.156 Der Begriff des Staates dient der Abgrenzung des politischen Systems gegenüber anderen politischen Systemen sowie der Legitimation.157 Moderne Gesellschaften als Einheiten der Gesamtheit des Sozialen158 sind insgesamt somit als Systeme zu begreifen, die verschiedene Teilsysteme ausbilden, die der Erfüllung jeweils spezifischer Funktionen dienen.159 Die Vertreter politischer Systeme stellen dabei oftmals keine Einzelakteure dar, sondern sind durch netzwerkartige Strukturen gekennzeichnet, in denen Einzelakteure lediglich (mehr oder wichtige) Repräsentanten weiterer Verflechtungen sind. 1.1.3
Netzwerke
Der Handlungsraum der Akteure wird nicht mehr durch ein Territorium bestimmt, sondern durch Netzwerke und Funktionszusammenhänge, die ihre eigenen Grenzen besitzen.160 Als Netzwerk kann man vereinfacht eine Reihe miteinander signifikant verbundener Knoten verstehen, welche aus Individuen, Organisationen, Firmen oder Computern besteht.161 Der Netzwerkbegriff wird zur Abgrenzung von hierarchischen, formalisierten Organisationsformen genutzt.162 „Netzwerk“ ist auch ein politisch-soziologischer Begriff für ein Geflecht sozialer, wirtschaftlicher und / oder politischer Beziehungen, das mehr oder weniger auf Kontinuität angelegt ist, der mehr auf Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit beruht und der (neben den freien, in der Regel anonymen Marktbeziehungen und den hierarchischen, auf Über- und Unterordnung beruhenden Beziehungen) auf eine dritte Kategorie von Beziehungen verweist: Personen oder Organisationen unterhalten oder streben Beziehungen zu 155
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Durch diese Formulierung soll nicht etwa der Eindruck erweckt werden, dass es eine einzige Systemtheorie gebe, es sich also um etwas handle, was im Singular vorhanden wäre. Tatsächlich gibt es mehrere allgemeine Systemtheorien sowie Versuche, systemtheoretische Ansätze zu verallgemeinern. (vgl. Niklas Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, 2. Aufl., Heidelberg 2004, S. 41 ff.; vgl. Dieter Nohlen, Systemtheorie und Politik, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1, Politische Theorien, München 1995, S. 625 ff.) „Systemtheorie“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Analyseebenen. (Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1987, S. 15) Dementsprechend ist es nicht der Ansatz – und kann es auch gar nicht sein – einer (bestimmten) Systemtheorie zu folgen oder gar eine neue einzuführen, sondern sich an dieser Stelle bestimmter allgemeiner Erkenntnisse ansatzweise zu bedienen, um die Probleme deutlicher herauszuarbeiten. Dabei steht der Begriff „Systemtheorie“ für theoretische Ansätze, die in bewusster Absetzung von den Handlungstheorien nicht die handelnden Akteure in den Vordergrund stellen, sondern komplexe soziale Prozesse als Netz- oder Regelwerk von Funktionszusammenhängen deuten. (Mark Arenhövel, Systemtheorie, in: Hanno Drechsler, Wolfgang Hilligen, Franz Neumann [Hrsg.], Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, 10. Aufl., München 2003, S. 958 ff.; 958 f.) Arthur Benz, Der moderne Staat, München, Wien 2001, S. 61 Arthur Benz, Der moderne Staat, München, Wien 2001, S. 61 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1987, S. 555 vgl. Arthur Benz, Der moderne Staat, München, Wien 2001, S 60 Arthur Benz, Der moderne Staat. Grundlagen der politologischen Analyse, München, Wien 2001, S. 250 ff.; 255 Phil Williams, Transnational Criminal Networks, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 61 ff.; 66 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 72
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anderen Personen oder Organisationen an, mit dem Ziel der Kooperation, der Unterstützung, des Austauschs etc.163 Dieses Beziehungsgeflecht beruht vor allem auf Dauerhaftigkeit, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit.164 Es ist im Wesentlichen durch informelle Beziehungen, die horizontale Koordinierung von Aktivitäten und eine dezentrale Struktur gekennzeichnet.165 Mithin sind komplexe Systeme das Gegenteil von hierarchischen Gliederungen.166 Zudem ist es ein Charakteristikum von Netzwerkstrukturen, dass diese nicht starr interagieren, sondern sich ständig in Bewegung befinden und Veränderungsprozesse erzeugen.167 Netzwerke werden auch als die am häufigsten anzutreffende Form sozialer Organisationen gesehen, welche gleichzeitig unberührbar, unsichtbar, einzigartig, überall und nirgends seien.168 In der Literatur wird sogar die Ansicht vertreten, dass dereinst Netzwerke die Hauptform von Organisationen sein könnte.169 Konflikte könnten somit zukünftig eher von Netzwerken, als von Hierarchien geführt werden.170 Problematisch hierbei ist, dass man es nicht mit einem einzigen Gegner oder Feind an der Spitze einer hierarchischen Organisation zu tun hat. Damit existiert auch nicht nur Ziel, welches ausgeschaltet oder neutralisiert werden muss.171 Demzufolge können in dezentralisierten Netzwerken anstelle eines einzigen Knoten, der das Netzwerk führt, verschiedene Knoten existieren, wobei jeder die Fähigkeit besitzt, die Organisation zu führen und zu leiten.172 Das bedeutet aber zugleich, dass wir es mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen und -strukturen zu tun haben, in denen entsprechend andere Vorstellungen vorherrschen, die insofern auch anderen Legitimationen unterliegen. Folglich leiten sich hieraus auch andere gesellschaftliche Funktionen ab. Also haben wir es auch eher mit Netzwerken innerhalb von Netzwerkstrukturen und -verbindungen zu tun. 1.1.4
Das politikwissenschaftliche Pentagon
Das bedeutet, dass die Phänomene des dreidimensionalen Politikbegriffs nicht isoliert zu betrachten sind, sondern in Zusammenhang mit dem von Weinacht durch den Begriff der
163 164 165 166 167 168 169 170 171 172
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Klaus Schubert, Netzwerk, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7., Politische Begriffe, München 1988, S. 418 f.; 418; vgl. Klaus Schubert, Martina Klein, Das Politiklexikon, 4. Aufl., Bonn 2006, S. 206 Klaus Schubert, Martina Klein, Das Politiklexikon, 4. Aufl., Bonn 2006, S. 206 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 72 vgl. Armando Geller, Zur Komplexität asymmetrischer Konflikte mit Afghanistan, in ASMZ, Heft 11, 2006, S. 18 f.; 18 Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 140 vgl. Phil Williams, Transnational Criminal Networks, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 61 ff.; 64 David Ronfeldt, John Arquilla, What Next for Networks and Netwars?, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 311 ff.; 311 John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar (Revisted), in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 1 ff.; 1 vgl. Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. 101 f. Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. 102
„Politicians“ (Politiker) zum Politikwissenschaftlichen Viereck173 erweiterten Dreieck174 aus „Polity“, „Politics“ und „Policies“ stehen. Weinacht erweitert hiermit das bis dahin auf Sachdimensionen beschränkte „politologische Dreieck“ um die persönliche Mittlerebene des Politician (und des Citizen / Bürgers) und damit den Politik-Begriff um die Dimension der Person, die ihn befähigt, dem Grundverhältnis von Befehl und Gehorsam, Führung und Fügsamkeit Raum zu geben.175 Damit bringt Weinacht die Dinge, um die es im Politischen gerade geht, und ihre Handlungsweisen mit den politischen Akteuren in untrennbare Beziehung. Doch diese Akteure agieren nicht in einem Vakuum, sondern sind auch in ihren Wechselbeziehungen im und zum Raum zu betrachten. In diesem Raum entstehen an den Kontaktpunkten der Beziehungsgeflechte Netzknoten. Diese Netzknoten oder Knotenpunkte sind die Schaltstellen, die die innere Stabilität aufrecht erhalten und für ein Mindestmaß an Hierarchisierung sorgen; wobei aber gleichzeitig durch eine dezentrale Organisation sichergestellt sein muss, dass bei Ausfall von Knotenpunkten das Netzwerk weiterexistieren kann.176 Die Beziehungen dagegen, die hier zu untersuchen sind, sind in ihren Wechselbeziehungen und Vernetzungen mehrdimensional aktiv. In dieser Vernetztheit beeinflussen sich die einzelnen Elemente gegenseitig auf unterschiedliche Art und Weise und das Handeln führt zu Nebenwirkunken, wobei die Effekte einzelner Handlungen oftmals schwer erkennbar sind.177 Gleichzeitig sind sie auch von unterschiedlicher Kontinuität und Intensität, wobei auch die „Spannungsstärke“ variabel ist. Es bedarf also eines komplexen, mehrdimensionalen räumlichen Modells, einer Art Pentagon, in dem die Interaktionen der politischen Akteure, die miteinander mehr oder weniger vernetzt sind, stattfinden. Dieses politikwissenschaftliche Pentagon ist allerdings auch kein starrer, unbeweglicher Körper, der für sich allein und ohne Außenbeziehungen stehen muss. In diesem Netzwerk sind alle Glieder bzw. Knoten miteinander verbunden, so dass Informationen zielgerichtet von Sender zu Empfänger kommuniziert werden können, ohne dass weitere Glieder involviert sind.178 Gleichzeitig verfügt jeder Netzknoten, der ein Individuum, eine Gruppe, eine Institution oder Teil einer Gruppe oder Institution, aber auch ein Nationalstaat sein kann, über die Möglichkeit, mit allen übrigen Netzknoten zu kommunizieren.179 An den Netzknoten hängen somit heute Akteure, welche die Vorteile der Globalisierung nutzen und entspre-
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Paul-Ludwig Weinacht, Die politische Person und das Persönliche an der Politik, in: Karl Graf Ballestrem, Heinz Buchheim, Manfred Hättich, Heinz Hürten (Hrsg.), Sozialethik und Politische Bildung, Festschrift für Bernhard Sutor zum 65. Geburtstag, Paderborn, München, Wien, Zürich 1995, S. 55 ff.; 61 ff. vgl. Dirk Berg-Schlosser, Theo Stammen, Einführung in die Politikwissenschaft, 6. Aufl., München 1995, S. 33 vgl. Paul-Ludwig Weinacht, Die politische Person und das Persönliche an der Politik, in: Karl Graf Ballestrem, Heinz Buchheim, Manfred Hättich, Heinz Hürten (Hrsg.), Sozialethik und Politische Bildung, Festschrift für Bernhard Sutor zum 65. Geburtstag, Paderborn, München, Wien, Zürich 1995, S. 55 ff.; 61 ff. Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 73 vgl. Gesine Hofinger, Fehler und Fallen beim Entscheiden in kritischen Situationen, in: Stefan Strohschneider (Hrsg.), Entscheiden in kritischen Situationen, Frankfurt 2003, S. 115 ff.; 116 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 119 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 119
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chend an Staaten vorbei bzw. gegen Staaten aktiv sind.180 Die Organisationsformen Irregulärer Kräfte weisen zunehmend derartige Netzwerkstrukturen auf.181 Demzufolge sind diese Netzwerke die Systeme des Politischen. 1.1.5
Neue Ansätze der Interaktion
Diese Erkenntnisse führen zwangsläufig zu neuen Ansätzen in der Interaktion mit diesen Netzwerken. Das staatliche Handeln mit den klassischen Instrumenten der (Außen-) Politik ist möglicherweise nicht mehr (allein) Ziel führend. Das gilt insbesondere für das Handeln auf sicherheitspolitischem Gebiet. Es ist nicht mehr primäres Ziel, Konflikte final und möglicherweise militärisch zu lösen.182 Es stellt sich also die Frage, wie mit den Akteuren in politischen Verkehr, in Interaktion zu treten ist. Interaktion mit einem Akteur an diesem Netzknoten bedeutet immer Bewegung oder gar Veränderung des Netzwerks. Die Beziehungsstrukturen bestehen aus Relationen, also einer Menge von Knoten, die Akteure symbolisieren.183 Das bedeutet zugleich, dass ein Eingriff in dieses komplexe Netzwerk, die Veränderung seiner inneren Struktur oder gar das Herausnehmen, das „Ausschalten“ oder gar „Vernichten“184 eines der Akteure Auswirkungen auf das Beziehungsgeflecht, die Beziehungsstrukturen und das Gesamtgefüge als Ganzes haben muss. Ein Eingriff, der einen Teil des Systems betrifft oder betreffen soll, wirkt auch auf viele andere Teile des Systems.185 Das ist zunächst unabhängig davon, ob der Eingriff mit kinetischer Energie, also Waffengewalt, oder mit anderen, nichtmilitärischen Mitteln stattfindet. Aber auch das Mittel der Wahl ist nicht nur von seiner direkten Auswirkung im Ziel, also an einem der Netzknoten innerhalb des politikwissenschaftlichen Pentagons zu betrachten, sondern es muss auch beachtet werden, welche mittelbaren Einflüsse sich auf das Pentagon ergeben und welche Verzerrungen und Verschiebungen mit welchen weiterreichenden Auswirkungen und Folgen auf die unterschiedlichen Ebenen des Systems hier wiederum stattfinden und das Pentagon möglicherweise erweitern. Somit sollen also Kollateralschäden und andere unerwünschte Nebeneffekte, Begleiterscheinungen und mittelbare Auswirkungen vermieden werden. Damit ist die physische Gewalt, „killing people“ und „destroying things“ – als
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vgl. Dirk Freudenberg, Veränderte Rahmenbedingungen der Internationalen Zusammenarbeit. Einführung in die Sicherheitssituation heute, in: Notfallvorsorge 2005, Heft 4, S. 10 ff.; 10; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus und Zivilschutz, in: Informationsdienst Terrorismus 2004, Heft 3, S. VII vgl. Thomas Dempsey, Counterterrorism in African failed States: Challenges and Potential Solutions, o. OA. April 2006, S. v; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 6 Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 139 vgl. Volker Schneider, Akteurkonstellationen und Netzwerke in der Politikentwicklung, in: Klaus Schubert, Nils C. Bandelow (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse, München, Wien 2003, S. 107 ff.; 135 Der Begriff “Vernichtung” im Zusammenhang mit dem hier zu untersuchenden Gegenstand des Irregulären soll hier nicht so verstanden werden, dass nun alle gleich im Kampf oder durch Standgerichtsurteil ihr Leben einbüßen sollen, sondern dass der Akteur als Faktor ausgelöscht wird. (vgl. Hans Doerr, Kriegführung, Besatzungspolitik und Partisanen, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1961, Heft 6/7, S. 25 ff.; 29) Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens, Strategisches Denken in komplexen Situationen, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2006, S. 61
alleiniger unmittelbarer militärischer Effekt186 – möglicherweise nicht mehr der Kern der kriegerischen Auseinandersetzung.187 Demzufolge rückt der Umgang mit dem Konflikt dergestalt in den Mittelpunkt, dass der Konflikt nicht unbedingt abgeschafft werden muss, sondern entschärft und in eine nutzbare Ressource der Veränderung transformiert werden kann.188 1.1.6
Militärische Wirkmittel als ultima ratio einer Gesamtstrategie des Staates
In der Literatur ist bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen worden, dass beim Kampf gegen Irreguläre Kräfte eine einseitige und alleinige Ausrichtung auf militärische Fähigkeiten nicht Ziel führend sein kann. Insofern wurde konkret kritisiert, dass die Ordnungsmächte einerseits den Gegner nur auf bestimmten Gebieten bekämpften – besonders auf militärischem – während sich in Wirklichkeit der Kampf auf alle Gebiete, auf Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur usw. erstrecke oder, selbst wenn der Kampf in allen diesen Sektoren geführt werde, seien die Maßnahmen meist nicht genügend aufeinander abgestimmt.189 Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Die Fähigkeit, gegnerische Ziele auszuschalten bzw. zu vernichten bedeutet nicht, dass dieses die erste Handlungsoption ist und das zwangsläufig so geschehen muss.190 Der politische Sieg ist heute weit entfernt von einem „Gewinnen“ auf dem Schlachtfeld.191 Die Ansatzpunkte und Strategien konstruktiver Konfliktbearbeitung in der Staaten- und Gesellschaftswelt können in Anlehnung an die Trias „Prävention – Eindämmung – Nachsorge“ in drei Handlungsfelder eingeteilt werden: Gewaltprävention, Krisen- und Konfliktmanagement und Friedenskonsolidierung.192 Die Problemlösungsansätze sind entsprechend den Herausforderungen komplexer geworden. Militäreinsätze gelten, soweit die Anwendung direkter Gewalt bzw. die Ausübung unmittelbaren Zwangs betroffen ist, als „ultima ratio“, was aber nicht heißen kann, dass militärische Komponenten einer Mission immer und unbedingt als zeitlich letztes Mittel eingesetzt werden.193. Der Einsatz militärischer Mittel erfolgt in der Regel nicht mehr zeitlich als „ultima ratio“, sondern komplementär zu einem Policy-Mix aus Außen-, Innen-, Ent-
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so jedenfalls Rupert Smith, The Utility of Force. The Art of War in the modern World, London 2005, S. 6 Stefan Kaufmann, Der Soldat im Netz digitalisierter Gefechtsfelder. Zur Anthropologie des Kriegers im Zeichen des Network Centric Warfare, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke (Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 285 ff.; 288 Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 139 f. J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 538 David S. Alberts, Information Age Transformation. Getting to 21st Century Military, 2. Aufl., o.OA. 2003, S. 40 Arthur K. Cebrowski, Foreword, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. ix ff.; xi Tobias Debiel, Konfliktbearbeitung in Zeiten des Staatszerfalls, in: Ursula Blanke (Hrsg.), Krisen und Konflikte. Von der Prävention zur Friedenskonsolidierung, Berlin 2004, S. 21 ff.; 24 Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http//www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 2
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wicklungs-194, Finanz-, Rechts-, und Justizpolitik.195 Network Enabled Capabilities, also Fähigkeiten, die auf der Vernetzung von Strukturen beruhen, stehen nicht allein im Raum und sind kein Selbstzweck.196 Die Fähigkeitsorientierung ist somit nicht allein auf das Einsatzspektrum militärischer Streitkräfte beschränkt und soll alle sicherheitspolitischen Aufgaben und Akteure umfassen.197 Dabei sind auch hier Netzwerke flexibler und anpassungsfähiger als Hierarchien, die ihrerseits oftmals zu sehr in der Horizontalen anstatt in der Vertikalen denken und oftmals ihren organisationsspezifischen Interessen verhaftet sind, welche bisweilen wiederum in eklatantem Widerspruch zu übergeordneten Interessen stehen können.198 Ausdruck für eine solche Vernetzung ist der „Interagency-Prozess“, das heißt, die Vernetzung aller staatlichen Akteure und die mögliche Einbindung nichtstaatlicher Institutionen.199 Dieses können wissenschaftliche Institute, Think-Tanks, Wirtschaftsunternehmen, Finanzdienstleister, aber auch Hilfsorganisationen sein.200 Diese können eingeschaltet werden, um bestimmte, spezielle Wirkungen zu erzielen. Ihre Wirksamkeit beruht auf ihren speziellen Fähigkeiten, die sie nun zu Gunsten des Netzwerkes einsetzen, um bestimmte Effekte zu erreichen. Netzwerke sollen also Netzwerke bekämpfen201 bzw. gegen diese zur Wirkung gebracht werden. An diesem Netzwerk sind somit alle Organisationen und Institutionen zu beteiligen, die zur Terrorismusbekämpfung beitragen.202 Damit werden die klassischen Instrumente, Diplomatie, ökonomische Maßnahmen und der Gebrauch militärischer Macht203, erweitert. In den Überlegungen aller sicherheitspolitischen Akteure, Methoden, Strategien und Strukturen zu entwickeln, um Krisenbewältigung durchzuführen und ein hohes Maß an Stabilität zu erhalten bzw. wiederherzustellen, stellen die Streitkräfte, neben anderen, insofern nur eine Komponente dar.204 Krisenvorsorge und Krisenmanagement müssen auf einen breiten, ressortübergreifenden Ansatz gestellt wer-
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Zum Zusammenhang zwischen „Sicherheit“ und „Entwicklung“ vgl. Clive Robinson, Wessen Sicherheit? Zusammenführung und Eigenständigkeit der Sicherheits- und Entwicklungspolitik der Europäischen Union. Eine Untersuchung im Auftrag der „Association of World Council of Churches related Development Organisations in Europe” (APRODEV), Dezember 2005, S. 13 ff. Manfred Engelhardt, Militärische Instrumente der Konfliktbearbeitung, in: Ursula Blanke (Hrsg.), Krisen und Konflikte. Von der Prävention zur Friedenskonsolidierung, Berlin 2004, S. 91 ff; 91 Wolfgang Schneiderhan, Vortrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) am 18. November 2003 in Berlin, in: http://www.bmvg.de/ portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzK, Internet vom 13.06.2006, S. 1 Heiko Borchert, Reinhardt Rummel, Von segmentierter zu vernetzter Sicherheit in der EU der 25, in: ÖMZ 2004, Heft 3, S. 259 ff.; 264 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 144 Dirk Freudenberg, Veränderte Rahmenbedingungen der Internationalen Zusammenarbeit. Einführung in die Sicherheitssituation heute, in: Notfallvorsorge 2005, Heft 4, S. 10 ff.; 11 Hans Reimer, Dirk Freudenberg, Multinationale Interagency Groups – Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz. Zu Hintergrund, Sachstand und Perspektiven im Themenfeld „Interagency Interaction“, Internet vom 04.11.2004, www.baks.com/transformation/mi.doc John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar (Revisted), in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 1 ff.; 15 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 144 vgl. Roger W. Barnett, Asymmetrical Warfare. Today’s Challenge to U.S. Military Power, Washington D.C. 2003, S. 2 Peter Vorhofer, Civil-Military Cooperation. Zur Evolution einer neuen Aufgabe in der Krisenbewältigung, in: ÖMZ 2003, Heft 6, S. 753, 753
den.205 Die Einbindung nicht-militärischer Akteure aus verschiedenen Disziplinen könnte die Bestrebung zur Zielerreichung gewinnbringend katalysieren und oftmals sogar eine bessere Alternative zur Anwendung militärischer Gewalt darstellen.206 Militärische Stärke kann sich gegen asymmetrische Bedrohungen nur mehr im Verbund mit anderen staatlichen und internationalen Akteuren und Institutionen wirksam entfalten207 und umfassende militärische Fähigkeiten sind Teil eines mehrdimensionalen Ansatzes aus politischen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und sicherheitspolitischen Instrumenten, um im multilateralen Zusammenwirken mit Verbündeten und Partnern die regionale und / oder globale Sicherheit zu stärken.208 Operationspläne (Concepts of Operation, ConOps) werden sich mehr auf eine Vielzahl von Effekten konzentrieren, weniger auf den Einsatz von Streitkräften.209 Gleichzeitig sind auch innerstaatliche Szenarien denkbar, welche eine enge Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten, diplomatischen Diensten und die Koordination von Einsatzkräften der Polizeien, Rettungsdienste, Hilfsorganisationen und der Streitkräfte erfordern.210 Auf der organisatorischen Ebene geht es darum, die hierarchischen und netzwerkartigen Formen der Kooperation zwischen Behörden und anderen Akteuren zu optimieren, wobei die verschiedenen Hierarchien innerhalb dieses Netzwerkes in der Lage sein müssen, miteinander zu kooperieren und durch Koordination Informationen aus verschiedenen Teilen des Netzwerkes zu einem gemeinsamen Bild zusammenzufügen und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen.211 Im Zentrum der Überlegung steht also ein Ressort und Institutionen übergreifender Ansatz. Fraglich könnte allerdings hier sein, ob es wirklich gelingen kann, die volle Komplexität und umfassende Form der Interoperabilität zwischen allen Sicherheitskräften sowie zwischen diesen und den zivilen Akteuren zu erreichen.212 Die bejahende Ansicht sieht zwar, dass es bereits beim Zusammenwirken staatlicher Kräfte wie Polizei und Militär anspruchsvolle Schnittstellenprobleme gibt.213 Diese werden durch das Problem der Multinationalität und die hierdurch bedingten vielschichtigen und mehrdimensionalen Interoperabilitätsprobleme noch verstärkt.214 Die sicherheitspolitische Ant205
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Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http//www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 2 Dirk Freudenberg, Hans Reimer, Multinationale Interagency Groups. Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz, in: ÖMZ 2006, S. 323 ff.; 325 Bernhard Lauring, Network Centric Warfare. Die Supermacht Amerika hebt endgültig ab, in: ÖMZ 2003, Heft 6, S. 760 ff.; 761 Manfred Engelhardt, Militärische Instrumente der Konfliktbearbeitung, in: Ursula Blanke (Hrsg.), Krisen und Konflikte. Von der Prävention zur Friedenskonsolidierung, Berlin 2004, S. 91 ff; 92 David S. Alberts, Information Age Transformation. Getting to 21st Century Military, 2. Aufl., o.OA. 2003, S. 40 vgl. Helmut Habermayer, Network-Centric Warfare – Der Ansatz eines Kleinstaates, in: ÖMZ 2004, Heft 3, S. 269 ff.; 270 f. Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 144 vgl. Heiko Borchert, Reinhardt Rummel, Von segmentierter zu vernetzter Sicherheit in der EU der 25, in: ÖMZ 2004, Heft 3, S. 259 ff.; 265 So gilt zum Beispiel für die Bundesrepublik Deutschland das gesetzliche Trennungsgebot von Polizei und Militär, sowie das Trennungsgebot zwischen Polizei und geheimen Nachrichtendiensten. Zudem bestehen in diesen Organisationen auch unterschiedliche Organisationskulturen. Hans Reimer, Dirk Freudenberg, Multinationale Interagency Groups – Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz. Zu Hintergrund, Sachstand und Perspektiven im Themenfeld „Interagency Interaction“, Internet vom 04.11.2004, www.baks.com/transformation/mi.doc; vgl. Dirk Freuden-
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wort auf diese Herausforderungen wird denn auch im Erkennen der gegenseitigen Abhängigkeiten der Gesellschaften und der globalen Wirtschaft sowie der Notwendigkeit der gemeinsamen Vernetzung gesehen.215 Dementsprechend soll – nach diesem neuen, wirkungsorientierten Ansatz – der Schwerpunkt nicht auf einem engen militärischen Fokus liegen, sondern es ist vielmehr ein systemischer Ansatz gefordert, der Ziele, Instrumente, Fähigkeiten und Ressourcen in umfassender Weise aufeinander abstimmt und damit die unterschiedlichen staatlichen Wirkmittel aus den Bereichen Diplomatie, Information, Militär und Wirtschaft (DIME-Spektrum) aufeinander abstimmt.216 Dabei wird im deutschen Ansatz der Faktor „Militär“ im DIME-Spektrum durch „bewaffnete Organisationen“ ersetzt, was der Einsatzrealität wesentlich näher kommt.217 Bewaffnete Organisationen in diesem Sinne sind alle nationalen, multinationalen und internationalen Organisationen, die mit der Befugnis ausgestattet sind, Recht und Ordnung nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt durchzusetzen.218 Mit der Anwendung dieses weiten DIME-Spektrums im InterAgency-Ansatz sollen also Kollateralschäden und andere unerwünschte Nebeneffekte, Begleiterscheinungen und mittelbare Auswirkungen vermieden werden. Damit ist die physische Gewalt – wie bereits oben dargestellt – möglicherweise nicht mehr der Kern der kriegerischen Auseinandersetzung. Gleichzeitig ändert sich unter Umständen die Wirkrichtung des Eingriffs: An Stelle des Gravitationspunktes, als die verwundbarste Stelle des Gegenübers, kann die Wirkung auch an der Peripherie der Systeme ansetzen, um den Gegner von Handlungsoptionen abzuschneiden. Hierbei wird der Einsatz militärischer Mittel in den Gesamtkontext der diplomatischen, ökonomischen und militärischen Maßnahmen eingeordnet, sowie mit den Wechselmechanismen im Informationsspektrum in Beziehung gesetzt.219 Insofern soll ein festgelegter strategischer Zweck durch die ausgewählten synergetischen kumulativen Anwendungen des gesamten Spektrums militärischer und nichtmilitärischer Fähigkeiten auf taktischer, operativer und strategischer Ebene erreicht werden.220 Das übergeordnete Handlungsprinzip
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berg, Hans Reimer, Multinationale Interagency Groups. Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz, in: ÖMZ 2006, S. 323 ff.; 324 vgl. Andreas Moschin, Network Enabled Operations – vernetzte Operationsführung; nicht nur eine technologische Herausforderung, in Land Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 3, Beilage zur ASMZ Heft 12, 2005, S. 7 ff.; 7 Franz-Josef Schulz, Raoul Gruninger, Wirkungsorientierte Operationsführung. Neue Anforderungen an die sicherheitspolitische Wissensgrundlage, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Verstehen, dass die Welt sich verändert hat. Neue Risiken, neue Anforderungen und die Transformation der Nachrichtendienste, BadenBaden 2005, S. 34 ff.; 34. Der Begriff „DIME“ steht hierbei für die zusammengesetzten englischen Begriffe „Diplomacy, Information, Military, Economy“. Hans Reimer, Dirk Freudenberg, Multinationale Interagency Groups – Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz. Zu Hintergrund, Sachstand und Perspektiven im Themenfeld „Interagency Interaction“, Internet vom 04.11.2004, www.baks.com/transformation/mi.doc; vgl. Dirk Freudenberg, Hans Reimer, Multinationale Interagency Groups. Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz, in: ÖMZ 2006, S. 323 ff.; 324 Hans Reimer, Dirk Freudenberg, Multinationale Interagency Groups – Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz. Zu Hintergrund, Sachstand und Perspektiven im Themenfeld „Interagency Interaction“, Internet vom 04.11.2004, www.baks.com/transformation/mi.doc; vgl. Dirk Freudenberg, Hans Reimer, Multinationale Interagency Groups. Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz, in: ÖMZ 2006, S. 323 ff.; 324 Ralph Thiele, Innovation an der Spitze des Fortschritts. Die deutsche Beteiligung an US Multinational Joint Transformation, in: Europäische Sicherheit 2003, Heft 11, S. 25 ff.; 27 Robert E. Scurlock, Jr., The Human Dimension of Transformation, in: Williamson Murray (Hrsg.), A Nation at War in an Era of Strategic Change, o.OA. 2004, S. 343 ff.; 348
transformierter Streitkräfte als vernetzte teilstreitkraftgemeinsame Truppen, die in der Lage sind, schnelle, entscheidende Operationen (Rapid Decisive Operations, RDO) an jedem Ort der Erde durchzuführen, ist das der wirkungsorientierten Operationen oder Effects Based Operations (EBO221), die zum Erreichen der strategischen Ziele das ganze Spektrum gegnerischer Verwundbarkeiten und Schwächen ausnutzt und nach Möglichkeit auf ein direktes militärisches Kräftemessen oder gar einen Zermürbungskrieg verzichtet:222 Wirkung geht vor Zerstörung.223 Die Effekte können vielfältig sein und zu einer einzigartigen Situation führen.224 Der Fokus liegt somit weniger auf militärischen Zielen und deren Vernichtung als auf Aktionen und ihren Auswirkungen auf Verhalten, Beeinflussung und Reaktion.225 In der Praxis geht es also um eine Abstimmung militärischer mit zivilen Operationen, um eine positive Wirkung zu erzielen und Land, Bevölkerung und Feinde im eigenen Sinne zu beeinflussen.226 Der Schwerpunkt der Operationen und der zum Einsatz kommenden Instrumente und Mittel liegt hierbei in dem Bereich, der am effektivsten zur Zielerreichung beitragen kann. Dabei wird der potentielle Gegner als komplexes System mit den Untersuchungsthemen Politik, Militär, Wirtschaft, Soziales, Infrastruktur und Information (Political, Military, Economic, Social, Infrastructure, Information, PMESII) analysiert und als Systemverbund definiert, um die wesentlichen Beziehungen, Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten zu verstehen.227 Folglich geht es in diesem Prozess um die rasche Generierung und Aufbereitung und damit um die schnelle Verfügbarmachung von Informationen.228 Information ist somit eine unerlässliche Größe.229 Informationsgewinnung und das 221
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Zum Gesamtansatz aus operativer Sicht vgl. ausführlich: Joint Warfare Center, Joint Concept Development an Experimentation Directorate, Standing Force Headquarters, Commander’s Handbook for an Effects Based Approach to Joint Operations, Suffork, 2006; Kritisch hinsichtlich der Bewertung, dass EBO tatsächlich eine wesentliche Neuerung der Kriegführung darstellen vgl.: Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 143 f. Fastabend fragt ebenso kritisch, was die Elemente des operativen Designs (operational design) sind, welche die EBOs zusammenfassen und wie sie gegenüber den klassischen Elementen vergleichbar und unterscheidbar sind. (David A. Fastabend, Transformation and Operational Art, in: Anthony D., Mc Ivor [Hrsg.], Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 155; 161) Inzwischen wird in der Diskussion auch der Begriff “Effects Based Approach Operations” (EBAO) verwendet, der unterstreichen soll, dass es sich bei der Vorgehensweise um einen flexiblen Ansatz handelt. (vgl. United States Joint Forces Command. Joint Experimentation Directorat, Effects-Based Approach To Multinational Operations. Concept of Operations [CONOPS] With Implementing Procedures, Version 1.0, Suffork, VA, 31. Juli 2006) Burkhard Theile, Transformation: Veränderte Streitkräfte und neue Rüstungstechnik, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Vernetzte Sicherheit. Leitidee der Sicherheit im 21. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 20 ff.; 25 Michael Traut, Klaus Engel, Vernetzte Operationsführung – mit besonderer Bedeutung für Luftstreitkräfte, in: Europäische Sicherheit 2004, Heft 3, S. 48 ff.; 51 vgl. Sir Ian Forbes, Future Warfare and the Principles of War, in: Anthony D., Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 143 ff.; 147 vgl. Edward A. Smith, Effects Based Operations, Applying Network Centric Warfare in Peace, Crisis and War, o. OA. 2002, S. xiv; vgl. Paul K. Davis, Brian Michael Jenkins, Deterence & Innfluece in Counterterrorism. A Component in the War on al Quaeda, Santa Monica 2002, S. 73 Lothar Rühl, Die Zielkonflikte der NATO in Afghanistan, in: NZZ vom 17. Januar 2007, S. 3 Burkhard Theile, Transformation: Veränderte Streitkräfte und neue Rüstungstechnik, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Vernetzte Sicherheit. Leitidee der Sicherheit im 21. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn, 2004, S. 20 ff.; 26; vgl. Robert R. Leonhard, From Operational Art to Grand Strategy, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 208 ff.; 219 Dirk Freudenberg, Hans Reimer, Multinationale Interagency Groups. Unterstützung der Sicherheitsvorsorge im gesamtstaatlichen Ansatz, in: ÖMZ 2006, S. 323 ff.; 324 vgl. Robert David Steele, Information Operations: Putting the “I” back into DIME, o.OA., February 2006, 36 f.
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rasche, zeitnahe Umsetzen von Informationen in Aktionen war in allen Epochen und zu allen Zeiten für effektives und erfolgreiches militärisches Handeln von entscheidender Bedeutung. Im Zeitalter des Wandels vom Industriezeitalter hin zum Informationszeitalter und zur Wissensgesellschaft unter den Bedingungen der zunehmenden Globalisierung ist diese Bedeutung von Informationen bei der Entscheidungsfindung von noch größerer Bedeutung, als dass dies in der Vergangenheit bereits schon der Fall gewesen war. Informationsüberlegenheit und die Umsetzung in Entscheidungsüberlegenheit ist Voraussetzung, um zur Handlungsüberlegenheit über den Gegner gelangen zu können.230 Zudem geht es auch um das rasche, zeitnahe Umsetzen von Information in Aktion. Doch die Umsetzung von schnell verfügbaren Informationen in diesem Kontext ist kein Knopfdruckunternehmen im Sinne eines Quick-Impact-Resultats. Voraussetzung für den Erfolg sind vielmehr Ansätze, die aufgrund einer langfristig angelegten Strategie auf eine nachhaltige und dauerhafte Wirkung angelegt sind. Dabei besteht die Schwierigkeit des Staates und von Staatenverbindungen darin, mit diesen Netzwerken und Systemen in Dialog und Austausch zu treten. Die Herausforderung liegt vor allem darin, das Gegenüber mit seinen Potentialen und Fähigkeiten, Umfang und Grenzen seines räumlichen und sozialen Machtbereichs zu erkennen, zu identifizieren du die geeignete Schnittstelle für die Durchführung zu finden, um zu einem verlässlichen und dauerhaft belastbaren Austausch zu kommen. Folglich handelt es sich um ein Problem der Ordnung, in dem die unterschiedlichen Akteure in ein System gebracht werden müssen, um entsprechende Interaktion und Zusammenarbeit überhaupt erst zu ermöglichen. Allerdings setzt ein Dialog eine – wie auch immer geartete – Anerkennung voraus. Dementsprechend verlangen derartig komplexe Vorgänge zu ihrem Verständnis ein Denken in Zusammenhängen, das sich an der Struktur organisierter Systeme und ihrer dynamischen Struktur orientiert.231 Um für das komplexe System des politikwissenschaftlichen Pentagons eine langfristig richtige und Ziel führende Lagebeurteilung anzustellen, bedarf es eines umfangreichen und vor allem auch gegenüber den gegnerischen Akteuren überlegenem Wissens und eines entsprechenden Wissensmanagements. Allerdings soll direktes militärisches Wirken im Ziel, im Sinne von kinetischer Energie zum Bekämpfen, Ausschalten oder Vernichten eines potentiellen Gegners ein subsidiäres Mittel zur Zielerreichung darstellen. Nur der Mensch kann diesen Prozess in seiner Gesamtheit leisten. 1.2
Zwischenergebnis
Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich durch Mitsprache und Mitgestaltung und mit einem substanziellen Ressourceneinsatz an der Anlage von Experimenten und der Erarbeitung von Konzepten und Doktrinen am US-initiierten Multinational Joint Transformation Process. Transformation ist ein permanenter Prozess der Anpassung an Veränderung der sicherheitspolitischen Gegebenheiten an technologische Innovationen und an vorhersehbare
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vgl. Martin Neujahr, Vernetzte Operationsführung und das neue operative Umfeld: Gesteigerte Einsatzwirksamkeit durch verbesserte Führungsfähigkeit, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Vernetzte Sicherheit. Leitidee der Sicherheit im 21. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 38 ff.; 39 Frederic Vester, Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, 4. Aufl., München 2004, S. 16
Trends in der Wissenschafts-, Technologie- und Gesellschaftsentwicklung.232 Dabei beschreibt Transformation einen umfassenden gesamtstaatlichen Entwicklungsgang der Neuausrichtung, die nahezu alle Bereiche staatlichen Handelns umfasst und in dem es um multinationale, kooperative Sicherheitsvorsorge, Krisenmanagement, Krisenprävention, aber – wenn erforderlich – auch um die Fähigkeit zur Eindämmung und Beendigung drohender oder bereits ausgebrochener Konflikte geht – unter Nutzung modernster Technologie und Integration militärischer Fähigkeiten in das Gesamtpaket „staatlicher Maßnahmen“.233 Beruhend auf der Unterstützung mit hochmoderner Informationstechnologie zur Beschleunigung des Prozesses der Beeinflussung eines Gegners führen neue Konzeptionen zur Anpassungen in den Bereichen Militärdoktrien, Organisation, Ausbildung, Ausrüstung, Infrastruktur, ressortübergreifender Interaktion, Führung, Personal, sowie Anlagen und Einrichtungen.234 Das Konzept von Interagency Operations sieht sich der Herausforderung ausgesetzt, dass die Akteure – staatliche und nichtstaatliche – auf Zusammenarbeit und Zusammenwirken angewiesen sind.235 Voraussetzung für das Funktionieren dieses Ansatzes ist die Abstimmung der Akteure auf verschiedenen Ebenen. So müssen die Interagency Mechanismen auf organisatorischer Ebene angeglichen werden; die konzeptionellen Prozesse und technologischen Systeme aufgebaut und angepasst sowie auf gesellschaftlicher Ebene neue Ansätze zur Personalauswahl, Ausbildung und Handeln in Netzwerkbegriffen übernommen werden.236 Dazu bedarf es aber vor allem einer ressort- und institutionsübergreifenden Abstimmung der Maßnahmen und Wirkmittel, die vor allem auf eine gemeinsame Ziel- und Zweckerreichung ausgerichtet sind.237 Die gemeinsame Festlegung eines Endzustandes („End-State“) auf der politisch-strategischen Ebene vor Beginn eines Einsatzes, welche die Bedingungen für die Durchführung und vor allem den Zustand der Einsatzbeendigung beschreibt und festlegt, ist conditio sine qua non für den strategischen Erfolg. Diese Tatsache wirkt sich auf den Ablauf von Operationen aus. Der letztendliche Zwang zum Konsens macht den Entscheidungsfindungsprozess kompliziert und verlangsamt somit den Führungsvorgang und die Umsetzung von Entscheidung. Das gilt auch insofern, als dass dem Ziel entgegen gesetzte Nebeneffekte in die Überlegungen einzubeziehen und somit Risiken 232
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Gerhard Schulz, Hans Reimer, Transformation der Bundeswehr – Der Weg in die Zukunft, in: Europäische Sicherheit 2004, Heft 5, S. 31 ff.; 31; Wichtig zum Verständnis ist, dass „Transformation“ einen Prozess und keinen Endzustand beschreibt. (vgl. Douglas A. Macgregor, Ressurrecting transformation fort the post-industrial era, in: Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan [Hrsg.], Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 46 ff.; 47) Ralph Thiele, Innovation an der Spitze des Fortschritts. Die deutsche Beteiligung an US Multinational Joint Transformation, in: Europäische Sicherheit 2003, Heft 11, S. 25 ff.; 25 Hans Reimer, Netzwerkgestütztes Management von humanitärer und Katastrophenhilfe im Informationszeitalter, in: ÖMZ 2006, S. 596 ff.; 596 vgl. David S. Alberts, Richard E. Hayes, Power to the Edge. Command, Control … in the Information Age, o. OA. 2003, S. 103 John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar, Santa Monica 1996, S. 85 In diese Richtung weist auch der vom Bundeskabinett verabschiedete Aktionsplan (vgl. Die Bundesregierung, Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, Mai 2004; vgl. Auswärtiges Amt, Ein Jahr Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, Berlin 2005) Auf diesen Aktionsplan, wie auch auf die ESS, verweist auch das Weißbuch aus dem Jahr 2006 und betont ausdrücklich den Ressort- und Institutionen übergreifenden Ansatz. Auch dieses Weißbuch ist – wie alle Weißbücher - vom Bundesminister der Verteidigung herausgegeben. Aber im Gegensatz zum letzten Weißbuch aus dem Jahre 1994 verzichtet es auf den Hinweis im Klappendeckel, dass es „im Auftrag der Bundesregierung“ herausgegeben wurde. (vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch 1994. Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr, Bonn 1994)
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und Nebenwirkungen aller Aktionen umfassend zu beleuchten sind. Die Erreichung strategischer Ziele hat gleichzeitig Rückwirkungen auf die Erreichbarkeit anderer strategischer Ziele. Damit ist dieser Ansatz gegenüber schnell ablaufenden Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen dort im Nachteil, wo es auf schnelles, zeitnahes Handeln in dynamischen Lagen ankommt. 2.
Begriff und grundsätzliche Bedeutung der Strategie
Die politische und kämpferische Herausforderung des Terrorismus gegenüber Staaten und Staatengemeinschaften erfordert es, den Terrorismus auf seine strategischen Aspekte hin zu untersuchen. So ist denn auch Münkler der Ansicht, dass die Entwicklung des internationalen Terrorismus weniger von seiner Ideologie, als von seiner Strategie her zu entschlüsseln sei.238 Die Ereignisse um den 11. September 2001, als strategische Überraschung,239 haben auch in Deutschland deutlich gemacht, dass auch nach dem Zerfall der bipolaren Ordnung des „Kalten Krieges240“ nicht der ewige Frieden ausgebrochen ist. Der utopische Zustand eines ewigen Friedens ist in der Realität wohl nur der, den Kant gleich zu Beginn seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ mit dem Zustand einer Friedhofsruhe gleichsetzt.241 Allerdings muss es Aufgabe einer jeden politischen Führung sein, durch verantwortliches Handeln den Frieden zu wahren bzw. wieder herzustellen. Mittel hierzu ist die Strategie. Strategie setzt eine Logik der Akteure und eine Zusammenfassung aller geeigneten Mittel und Kräfte im Hinblick auf einen noch so weit entfernten Enderfolg voraus.242 Sie ist imstande, 238 239
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Herfried Münkler, Ältere und jüngere Formen des Terrorismus. Strategie und Ordnungsstruktur, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 29 ff.; 29 Walter Laqueur, Der 11. September als strategische Überraschung, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2002, Bd. 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 139 ff.; 139; Tatsächlich betrifft die Überraschung bzw. das Überraschtsein mehr die breite Öffentlichkeit als die informierten Sicherheitskreise. Es gab allerdings bereits im Dezember 1994 ein ähnliches Ereignis, welches ähnliche Auswirkungen gehabt haben könnte, wenn sich der von den Terroristen angestrebte tatbestandliche Erfolg realisiert hätte. Seinerzeit hatten islamische Terroristen der algerischen bewaffneten islamischen Gruppe (GIA) in Algier ein Passagierflugzeug der Air France mit 283 Passagieren entführt, um es über Paris zu sprengen und die brennenden Trümmer über der Stadt abstürzen zu lassen bzw. die Maschine in den Eifelturm zu rammen. (Bruce Hoffman, Terrorism Trends and Prospects, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini [Hrsg.], Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S.7 ff.; 18; vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 75) In der Literatur wird zudem von einer Erpressung mit einem Nuklearanschlag berichtet, bei dem im Herbst 1994 serbische Terroristen gedroht hätten, über der Stadt München eine mit nuklearen Abfällen gefüllte Granate explodieren zu lassen. (Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 148 f.) Unter Kalter Krieg ist ein Verhältnis zwischen Staaten oder Staatengruppen zu verstehen, in dem die bona fides, die normalerweise Grundlage aller zwischenstaatlichen Beziehungen im Frieden ist, weitgehend zerstört ist. Der Kalte Krieg, dessen Ziel es ebenso wie des Krieges im eigentlichen Sinn ist, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen, ist der Krieg des „indirekten Vorgehens“ und sucht letztendlich der Auseinandersetzung mit den Waffen auszuweichen und die Entscheidung durch allmähliche Zermürbung des Gegners ohne militärischen Kampf zu erreichen. (Friedrich August Frhr. von der Heydte, Kalter Krieg, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. 4, 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1959, Spalte 750 ff.; 750) vgl. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 1996, S. 3 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 101
Einzelaktionen in ihrem Ablauf und in ihrer Wirkung auf das Endziel hin zu koordinieren und beruht damit in hohem Maße auf rationalem Denken und Durchhaltewillen.243 2.1
Strategisches Denken
Strategisches Denken regelte von jeher das Verhalten von Gemeinschaften, Organisationen und Staaten in der Verfolgung ihrer vitalen Interessen, insbesondere im Falle gewaltsamer Auseinandersetzungen.244 Gleichzeitig spielt im strategischen Denken die Intuition, also eine aus Erfahrung, Studium kritischer Faktoren und Reflexion gewonnene Erkenntnis, die sich mit dem schlussfolgernden Denken zur „Imagination“ vermischt, eine mehr oder weniger starke Rolle.245 Strategisches Denken unterscheidet Konstanten von Variablen.246 Strategisch denkt, wer eine klare Zielhierarchie aufbaut, wer die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Instrumente und Mittel zu einer optimalen Synergie zusammenzuschweißen vermag und wer die Interessen, Absichten und Fähigkeiten der übrigen Mitspieler möglichst genau einkalkuliert, wer künftige Entwicklungen möglichst präzise zu antizipieren versteht sowie die eigenen Optionen erweitert, die seiner Konkurrenten aber einzuschränken versteht.247 Strategisches Denken ist vorausschauend im Wesentlichen auf räumliche und zeitliche Dimensionen ausgelegt. Eine wesentliche Eigenschaft, die von Führungskräften verlangt wird, besteht somit auch in der Fähigkeit, sich von jeder vorgegebenen Theorie zu lösen.248 Strategisch denken heißt dennoch in systemischen Gesamtzusammenhängen zu denken.249 Wer strategisch denkt, braucht allerdings hiefür heute mehr als je zuvor überlegenes Wissensmanagement.250 2.2
Ziel und Zweck der Strategie
Das grundsätzliche Ziel einer jeden Strategie ist der Erfolg. Das grundsätzliche Ziel einer Kriegführung und damit jeder Strategie ist der Sieg.251 Für Clausewitz zielt der Akt der Gewalt dabei auf die Wehrlosmachung oder Niederwerfung des Gegners; Niederwerfung 243 244 245 246 247 248 249 250 251
Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 101 f. Josef Feldmann, Paul Krüger, Die Systematik der strategischen Führung. Leitfaden zum strategischen Führen auf der Basis einer vollständigen strategischen Architektur, Beilage zur „Allgemeinen Schweizerischen Militärischen Zeitschrift“ ASMZ, Nr. 1, 2007, S. 4 Georg Bindschedler, Bruno Frick, Ulrich Zwygart, Alexander oder Die Aufforderung an Führungskräfte, Grenzen zu überwinden, Bern 1998, S. 94; bgl. William Duggan, Coup d’Oeil: Strategic Intuition in Army Planning, o.OA., November 2005 Hans Bachofner, Armeereform in der Beschleunigungsfalle. Ein Aufruf zu mehr strategischem Denken, in: sifa-Broschüre, Heft 1, 2006, S. 19 Rudolf Adam, Ansprache des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAkS) zum Abschluss des Seminars für Sicherheitspolitik 2006, Schönhausen, 30. Juni 2006, S. 3 f. Bolko von Oettinger, Tiha von Ghyczy, Christopher Bassford (Hrsg.), Clausewitz. Strategie Denken, München, Wien 2001, S. 24 Rudolf Adam, Ansprache des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAkS) zum Abschluss des Seminars für Sicherheitspolitik 2006, Schönhausen, 30. Juni 2006, S. 7 Rudolf Adam, Ansprache des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAkS) zum Abschluss des Seminars für Sicherheitspolitik 2006, Schönhausen, 30. Juni 2006, S. 7 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 19
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bedeutet, dem Gegner seine Kräfte zur Kriegführung zu nehmen, also alle Mittel zur Kriegführung.252 Allerdings ist dieser gerade in den heutigen Konflikten nicht allein durch die Niederwerfung der regulären gegnerischen Kräfte definiert, sondern ist durch einen finalen Status (engl.: „end state“) darzulegen, der das gesamte politische Umfeld betrachtet. Dieser finale Status ist der Zweck der Strategie. Dieser „end state“, also der Zweck, ist das, was Clausewitz mit „beabsichtigter Friede“ meint: „Die Erhaltung der eigenen Streitkräfte, die Vernichtung der feindlichen, mit anderen Worten der Sieg ist der Gegenstand des Kampfes; aber er ist freilich nicht der letzte Zweck. Die Erhaltung des eigenen Staates und die Niederwerfung des feindlichen ist dieser Zweck, und wieder mit einem Wort: der beabsichtigte Friede, weil in ihm sich dieser Konflikt ausgleicht und in einem gemeinschaftlichen Resultat endigt.“253 Clausewitz erarbeitet folglich mit seiner Theorie des Krieges, der Herausarbeitung prinzipieller Relationen von Politik, Gesellschaft, Krieg und Friedensordnung eine zukunftsweisende Studie,254 welche bereits hier die Zusammenhänge gesamtgesellschaftlicher Wechsel- und Außenwirkungen hervorhebt. 2.3
Definitionsansätze und Wesen der Strategie
Die Definitionen des Begriffes Strategie, der mit seiner inflationären Ausweitung einer Vielzahl von Bedeutungen unterliegt,255 und ihr Zusammenhang mit der Politik sind im Wechsel der Geschichte unklar geblieben.256 Der Begriff der Strategie wird in vielfältiger Hinsicht und in vielen Lebensbereichen gebraucht und die Vielfalt des Gebrauches ist nicht vollständig erfassbar257 und hat sich auch in den Jahrhunderten seiner Existenz einer Wandlung unterzogen.258 Für Raymond Aron ist gar der Bezug auf den militärischen Aspekt der
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Kai Rohrschneider, Krieg und Politik im Denken von Carl v. Clausewitz, in: Dermot Bradley, HeinzLudger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 6, Osnabrück 2000, S. 562 ff.; 562 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 706 vgl. Werner Hahlweg, Einleitung, in: Carl von Clausewitz, Verstreute kleine Schriften, Osnabrück 1974, S. IX ff.; XII Roland Kästner, Strategie gestern, heute und morgen – Grundlagen der Srategieentwicklung, in: Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich SPS (Hrsg.) Materialienband Strategie denken im 21. Jahrhundert, S. 1 ff;1 Jochen Löser, Die Entwicklung der Strategie von der Antike bis zur Gegenwart, in: Jochen Löser, Gegen den dritten Weltkrieg. Strategie der Freien, 1. Aufl., Herford 1982, S. 19 ff.; 19 vgl. Erich Eder, Definition und Gebrauch des Begriffes der „Strategie“, in: ÖMZ 1998, S. 121 ff.; 121; vgl. John Chipman, Höhere Strategie und Strategische ‚Arthritis’, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), 1992 – 2002 Jubiläumsschrift, Bonn 2002, S. 107 ff; 107; vgl. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts. Deutsche Friedenspolitik und die Weltmächte, Stuttgart-Degerloch, 1970, S. 15; von Raven kritisiert beim Gebrauch des Begriffes für langfristige Planungen eine „Tendenz der Militarisierung der Umgangssprache, der Politiker und Journalisten gleichermaßen verfallen sind [und die] aus dem Wort Strategie eine abgewetzte Münze gemacht [hat], die ihre eigentliche Prägung kaum noch zu erkennen gibt.“ (Wolfram von Raven, Strategie im Weltraum. Der kosmische Kampf der Giganten, Stuttgart-Degerloch o.JA., S. 36) Dabei übersieht von Raven allerdings – wie noch zu zeigen sein wird – Ursprung und Bedeutung des Strategiebegriffs und schränkt ihn auf seine militärische Verwendung ein. Beatrice Heuser, Was ist Strategie? Definitionen zur Kunst des Feldherrn, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, Heft 3, 2005, S. 18 ff.; 18
Strategie in den Hintergrund geraten.259 Moderne Strategie versteht sich als Teil der Sicherheitspolitik und als Methode zum Erreichen sicherheitspolitischer Ziele,260 indem sie Diplomatie und Außenpolitik, Verteidigungspolitik sowie Finanz-, Wirtschafts-, Entwicklungs-, Technologiepolitik auf ein Ziel hin ausrichtet und in diesem integrativen Verständnis Antworten auf das gesamte Spektrum moderner Risiken bereithält.261 Allgemein wird Strategie heute als eine Methode zur Erreichung bestimmter Ziele verstanden;262 als Plan für das Vorgehen,263 wobei zwischen Zielen und Mitteln eine Übereinstimmung angestrebt wird. In seiner umfassendsten Bedeutung beinhaltet der Begriff der Strategie die Planung und den Einsatz aller Mittel zum Zwecke der Erreichung eines grundsätzlichen Zieles.264 Allerdings bezieht sich der Begriff auf eine hohe Handlungs- oder Führungsebene, die hiermit die Verwirklichung eines Gesamtkonzeptes versucht.265 Gegenstand der Strategieplanung ist somit zum einen die Zielplanung, das heißt die Entwicklung und Überprüfung der sicherheitspolitischen Zielvorstellungen (Zieldefinition) und deren Umsetzung in operationale Kriterien und Handlungsziele und zum anderen die Aufstellung eines Handlungsplanes, der die Vorstellungen darüber enthält, wie bzw. mit welchen Mitteln diese Ziele unter Maßgabe der verfügbaren Ressourcen und denkbaren Eventualfällen verwirklicht werden sollen.266 Strategie geht also von einem aktiven, planmäßigen, zielorientierten Handeln aus und nicht von einem eher zufälligen bzw. durch Zufälle geprägten Lauf der Dinge. Mit dem wesentlichen Element der Planmäßigkeit steht der Begriff der Strategie also im Gegensatz zum Begriff des Zufalls. Das schließt nicht aus, dass auch auf die Umsetzung einer Strategie Unvorhergesehenes einwirken kann; sich im Laufe der Dinge die Lage ändert. Dieses kann ebenso bedeuten, dass eine Strategie sich auf Grund der geänderten Voraussetzungen für die Zukunft plötzlich als falsch erweist und sie deshalb geändert werden muss. Eine solche Entwicklung führt im Extremfall zu einem Paradigmenwechsel in der strategischen Ausrichtung, in der alle bisher gültigen Annahmen und Vorgaben in der Planung völlig neu bewertet und gegebenenfalls ausgetauscht und ersetzt werden müssen.267 Diese Veränderlichkeit der Voraussetzungen und Parameter hat auch Clausewitz in seine Überlegungen 259 260 261 262 263 264 265 266
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Raymond Aron, Zum Begriff einer politischen Strategie bei Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 41 ff.; 43 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, 5. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 337 Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 384 Werner Kaltefleiter, Vorwort, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, FranzJoseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 7 ff.; 7 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., Berlin, New York 1999, S. 800; vgl. Duden, Das Fremdwörterbuch, 4. Aufl., Mannheim, Wien, Zürich 1982, S. 730 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 102 vgl. Albert A. Stahel, Strategisch denken. Ziel – Mittel – Einsatz in Politik, Wirtschaft und Armee, Zürich 1997, S. 1 Reiner K. Huber, Systematische Instrumente der sicherheitspolitischen Analyse und Strategieplanung, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 2, Herford, Bonn 1990, S. 481 ff., 481; vgl. U.S. Department of Defense, Joint Chiefs of Staff, Dictionary of Military Terms, London, Mechanicsburg, 1999, S. 362 f.; vgl. Department of Defence, Dictionary of Military and Associated Terms, Amsterdam, 2002, S. 414 Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff., 22
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einbezogen: „Da sich alle diese Dinge meistens nur nach Voraussetzungen bestimmen lassen, die nicht alle zutreffen, eine Menge anderer, mehr ins einzelne gehende Bestimmungen sich aber gar nicht vorher geben lassen, so folgt von selbst, daß die Strategie mit ins Feld ziehen muß, um das Einzelne an Ort und Stelle anzuordnen und für das Ganze die Modifikationen zu treffen, die unaufhörlich erforderlich werden. Sie kann also ihre Hand in keinem Augenblicke von dem Werke abziehen.“268 Clausewitz fasste den Strategiebegriff weder nur militärisch oder nur politisch auf.269 Er folgte einer übergreifenden Betrachtung und entwickelte demzufolge auch einen ganzheitlichen Ansatz. Clausewitz’ Strategiebegriff ist demnach als untrennbarer Bestandteil des Gesamtverständnisses von Gesellschaft, Politik und Krieg aufzufassen.270 2.4
Militärpolitische Bedeutung der Strategie
Neben einer allgemeinen Anwendung zur Darstellung einer Zielerreichung im Dasein der Menschen wird „Strategie“ vorwiegend im sicherheitspolitischen bzw. militärischen Bereich verwendet.271 Im militärischen Handeln ist etwas Großes angesprochen.272 Unter „Strategie“ wird, im Gegensatz zur „Operation“ und zur „Taktik“, immer das Höhere verstanden.273 Strategie umfasst hier alle militärischen Gedanken, Entschlüsse und ihre Durchführung, die aus der Gemeinsamkeit der geistigen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führung in einem modernen Kriege erwachsen: Das Zusammenwirken der Führungsstellen des Staates oder einer Koalition für das gemeinsame Ziel.274 Demzufolge lässt sich ein auf die Sicherheit von Völkern und Gesellschaften übertragener Strategiebegriff als der umfassend konzipierte Einsatz aller geeigneten zivilen (geistigen, politischen, wirtschaftlichen) und militärischen Mittel eines Staates zur Verwirklichung seiner politischen Ziele gegenüber einer zum Machtgebrauch bereiten Umwelt bezeichnen.275 Zur Entschei268 269
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Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 243 Dietmar Schössler, Der Strategiebegriff bei Clausewitz. Die Kategorien: Zweck-Ziel-Mittel als ‚Achse’ des Strategisierungs-Theorems bei Clausewitz, in: Dietmar Schössler (Hrsg.), Clausewitz-Studien, Heft 1, 1996, S. 56 ff.; 56; Schössler zeichnet in diesem Aufsatz auch die wissenschaftliche Entwicklung des Strategiebegriffes bei Clausewitz durch seine verschiedenen Abhandlungen und Werke nach. Dietmar Schössler, Der Strategiebegriff bei Clausewitz. Die Kategorien: Zweck-Ziel-Mittel als ‚Achse’ des Strategisierungs-Theorems bei Clausewitz, in: Dietmar Schössler (Hrsg.), Clausewitz-Studien, Heft 1, 1996, S. 56 ff.; 66 Erich Eder, Definition und Gebrauch des Begriffes der „Strategie“, in: ÖMZ 1998, S. 121 ff.; 121; vgl. Jochen Löser, Die Entwicklung der Strategie von der Antike bis zur Gegenwart, in: Jochen Löser, Gegen den dritten Weltkrieg. Strategie der Freien, 1. Aufl., Herford 1982, S. 19 ff.; 19; vgl. L-t., Strategie, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 9. Bd., Bielefeld, Leipzig 1880, S. 87 f.; vgl. Wilhelm Arnold, Die Psychologie in der strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 11 ff.; 11 Edwin Rühli, Strategische Führung von Unternehmungen, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 209 ff.; 209 Günther Blumentritt, Strategie und Taktik. Ein Beitrag zur Geschichte des Wehrwesens vom Altertum bis zur Gegenwart, Konstanz 1960, S. 6 Ludwig Beck, Strategie, Einige Beiträge zur Klärung, in: Hans Speidel (Hrsg.), Ludwig Beck, Studien, Stuttgart 1955, S. 64 ff.; 67 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 102
dung militärpolitischer Fragen gehört also auch das In-Betracht-Ziehen der politischen, wirtschaftlichen, psychologischen und technischen Situation.276 Insofern bezieht der moderne Gebrauch des Begriffs alle kriegswichtigen Bereiche der Politik mit ein, insofern als dass sie von Interesse sind. Aron stellt fest, dass der Begriff der „politischen Strategie“ nicht in das Vokabular von Clausewitz gehöre, schränkt aber zugleich selbst die Reichweite seiner Aussage dahingehend ein, dass er konstatiert, dass nach Clausewitz’ Auffassung der Krieg die Fortsetzung der Staatspolitik ist und somit die Politik das Ziel bestimmt, um dessenwillen die Strategie die Kämpfe führt.277 Clausewitz, dessen Strategieverständnis insbesondere für die Neuzeit prägend war,278 teilte die Kriegskunst, die den Gebrauch der ausgebildeten Mittel lehrt, in Strategie und Taktik.279 Für Clausewitz war die Taktik die Lehre vom Gefecht; die Strategie die Lehre von der Verbindung der einzelnen Gefechte zum Zweck des Krieges:280 Diese Definition setzt Kuster gleich mit der heutigen Bedeutung der operativen Ebene und zieht daraus den Schluss, dass Clausewitz sich nur mit dieser beschäftigt habe, die strategische Dimension bei ihm weitgehend fehle281 und er mit Strategie die Operation meine.282 Allerdings bedeutet für Clausewitz Operation nicht gleich Strategie. Der Operationsbegriff ist vielmehr Teil der Strategie.283 Clausewitz hatte – wie auch Kuster284 einräumt – das Beispiel Napoleons vor Augen, der oberster Staatsmann und Feldherr zugleich war. Da die Funktionen durch die gleiche Person ausgeübt wurden, ist es verständlich, dass die beiden Aufgaben Leitung der Politik und Führung von Kriegen nicht immer klar auseinandergehalten wurden285 Tatsächlich tritt der Operationsbegriff erst im 276 277 278
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Helmut Schmidt, Verteidigung oder Vergeltung. Ein deutscher Beitrag zum strategischen Problem der NATO, Stuttgart-Degerloch, 2. Auf., 1961, S. 13 vgl. Raymond Aron, Zum Begriff einer politischen Strategie bei Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 41 ff.; 41 Wilhelm Tobias Albry, Zwischen Recht und Macht. Seestrategische Konzeptionen und das Völkerrecht, in: Marineforum 2005, Heft 4, S. 4 ff.; 4; Zur Schöpfung des Strategiebegriffs unmittelbar vor und nach Clausewitz vgl. Generalleutnant v. Caemmerer, Die Entwickelung der Strategischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Berlin 1904 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; Stahel verweist darauf, dass bereits die alten Griechen die Begründer der klaren Trennung zwischen den beiden Ebenen der Kriegführung „Strategie“ und „Taktik“ waren. (Albert A. Stahel, Zum Strategiebegriff, in: Albert A. Stahel, [Hrsg.] Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 3 ff.; 3) Eberhard Kessel (Hrsg.), Clausewitz, Strategie aus dem Jahr 1804 mit Zusätzen von 1808 und 1809, 3. Aufl., Hamburg, o.JA, S. 78 f.; vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 53, S. 77, S. 239 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (1. Teil), Einführung, in: ASMZ 2006, Heft 5, S. 32 f. 33; Mit dieser Kritik stimmt er im Übrigen u. a. mit Liddell Hart überein. (Basil Henry Liddell Hart, Strategy, 2. Aufl., London 1991, S. 319) Matthias Kuster, Operatives Denken in Armee und Wirtschaft, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?artikel=745, S. 4; vgl. Matthias Kuster,Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (3. Teil), Clausewitz für Generäle, in: ASMZ, Heft 7/8, 2006, S. 55 vgl. Albert A. Stahel, Strategisch denken. Ziel – Mittel – Einsatz in Politik, Wirtschaft und Armee, Zürich 1997, S. 28; vgl. Dietmar Schössler, Die Weiterentwicklung der Militärstrategie. Das 19. Jahrhundert, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 31 ff.; 37 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (3. Teil), Clausewitz für Generäle, in: ASMZ, Heft 7/8, 2006, S. 55 Hans Senn, Der Beitrag Gustav Dänikers zur Entwicklung des operativen und strategischen Denkens, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strate-
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19. Jahrhundert wegen der gesteigerten technischen Möglichkeiten immer stärker hervor.286 Der Operationsbegriff bezeichnet heute eine oder mehrere militärische Handlungen von Großverbänden auch unterschiedlicher Teilstreitkräfte, in denen mit gemeinsamer taktischer Zielsetzung in einem Operationsgebiet durch zielgerichtetes, räumliches und zeitlich zusammenhängendes Handeln einem Gegner das eigene Handeln aufgezwungen werden soll.287 Allerdings ist für Clausewitz der Krieg gar nicht abstrakt zu denken, sondern immer unter bestimmten persönlichen, geographischen und politischen Bedingungen, die selbst bis auf das Schlachtfeld hinaus noch einwirken.288 Insofern übersieht Kuster die weitergehende Sicht Clausewitz’ und interpretiert ihn verkürzt. Kuster entgeht, dass Clausewitz den Krieg in Zusammenhang mit Ziel und Zweck desselben setzt und der Zweck des Krieges ist politischer Art. „Die Strategie ist der Gebrauch des Gefechts zum Zweck des Krieges; sie muß also dem ganzen kriegerischen Akt ein Ziel setzen, welches dem Zweck desselben entspricht, d.h. sie entwirft den Kriegsplan, und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben führen sollen, d.h. sie macht die Entwürfe zu den einzelnen Feldzügen und ordnet in diesen die einzelnen Gefechte an.“289 Mithin vermeidet Clausewitz die Verengung des strategischen Denkens auf seine militärisch-operative Komponente und stellt den Vorrang des Politischen für Strategie und Taktik heraus.290 „Vermittelst dieses Sieges erreicht die Strategie den Zweck, welchem sie dem Gefecht gegeben hat und der seine eigene Bedeutung ausmacht.“291 Auch für den Kleinen Krieg, der die allgemeinen Grundsätze von Strategie und Taktik nicht ignorieren kann,292 sollte diese Einteilung Geltung haben: „Taktik ist nach unserer Meinung die Lehre von der Anwendung der Leitung der Streitkräfte im Gefecht; Strategie die Lehre von der Anwendung, dem Gebrauch des Gefechts.“293 Mit dieser auf Fragen des Krieges fokussierten Betrachtung kommt der Begriff der Strategie seiner ursprünglichen Bedeutung nahe: So verstanden doch die alten Griechen unter dem „strategós“ den Feldherrn, Heerführer, also den in der Feldherrnkunst Erfahrenen294 und noch heute ist das griechische Wort für General „Strategós“.295 Folglich hat
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gie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 29 ff.; 29 Dietmar Schössler, Die Weiterentwicklung der Militärstrategie. Das 19. Jahrhundert, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 31 ff.; 39 Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 314 W. von Janko, Clausewitz, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 2. Bd., Bielefeld, Leipzig 1877, S. 261 f.; 262 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 243 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, 5. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 337 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 190 vgl. Virgil Ney, Guerillakriegführung und moderne Strategie, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 60 ff., 63 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 49 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 3; vgl. Hans Bachofner, Armeereform in der Beschleunigungsfalle. Ein Aufruf zu mehr strategischem Denken, in: sifaBroschüre, Heft 1, 2006, S. 19; Senn führt in diesem Sinne das Wort zudem auf den Zusammenhang zwei-
dieser Begriff auch von seiner ursprünglichen Bedeutung her einen deutlichen Bezug zum Führen,296 zur Feldherrenkunst297 und in Verbindung mit der Taktik zur Kriegskunst298; wenngleich Keegan feststellt, dass man es bei einer Einschränkung der Begriffe „Strategie“ und „Stratege“ auf die militärische Bedeutung mit einem „verkrüppelten und irreführenden Begriff“ zu tun hat.299 Es wäre denn auch eine zu enge Betrachtung, den Begriff von seiner Entstehung her auf eine rein militärische Bedeutung einzugrenzen, waren doch die klassischen Heerführer eben so sehr Staatsmänner, welche mit der Anwendung militärischer Mittel ein Instrument ihrer Machtmittel zur Erreichung (außen) politischer Zielsetzungen einsetzten.300 So wurde in verschiedenen griechischen Staaten mit der Bezeichnung „Stratege“ ein hoher Beamter bezeichnet, dessen Befugnisse oft über das Militärische hinausgingen und Perikles verband mit diesem Amt in Athen die politische Führung.301 In diesem Sinne kommt heutzutage der Begriff des strategischen Akteurs in seinem Wesen seiner ursprünglichen Bedeutung wieder sehr nahe. Der Stratege versucht, eine möglichst klare eigene Zielvorstellung zu formulieren und dann den Weg zu diesem Ziel zu planen und zu ebnen.302 Seit sich die Philosophen mit den Fragen von menschlichen Gemeinschaften, mit Staat und Politik befassen, ist die Verbindung zwischen Philosophie und politischer Führung eine Selbstverständlichkeit.303 Die militärische Führung in der höchsten Ebene, also die Militärstrategie, ist stets nur als Teil der politischen Führung denkbar gewesen.304 Und auch Machiavelli machte sich in „Der Fürst“305 Gedanken über die politische Dimension des Krie-
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er griechischer Wörter zurück: „stratia“, also Herr der Bewegung und „again“, also führen. (Hans Senn, Der Beitrag Gustav Dänikers zur Entwicklung des operativen und strategischen Denkens, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker [Hrsg.], Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 29 ff.; 29) Rolf Friedemann Pauls, Der umfassende Strategiebegriff der Gegenwart, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 67 ff.; 67; vgl. Stefan Link, Wörterbuch der Antike, 11. Aufl., Stuttgart 2002, S. 864 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., Berlin, New York 1999, S. 800 vgl. L-t., Strategie, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 9. Bd., Bielefeld, Leipzig 1880, S. 87 f.; 87, der Stategie mit Feldherrnkunst gleichsetzt. So auch Stefan Link, Wörterbuch der Antike, 11. Aufl., Stuttgart 2002, S. 865 L-t., Taktik, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 9. Bd., Bielefeld, Leipzig 1880, S. 110 ff.; 110 John Keegan, Die Maske des Feldherrn. Alexander der Große, Wellington, Grant, Hitler, Weinheim, Berlin 1997, S. 16 f. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff., 22 Gerhard Löwe, Heinrich Alexander Stoll, Lexikon der Antike. Griechenland und das römische Weltreich, Wiesbaden 1997, S. 354; vgl. Stefan Link, Wörterbuch der Antike, 11. Aufl., Stuttgart 2002, S. 864; vgl. Peter Span, Perikles – Charisma und Demokratie, in: Wilfried Nippel (Hrsg.), Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München 2000, S. 23 ff.; 23; vgl. Jochen Löser, Die Entwicklung der Strategie von der Antike bis zur Gegenwart, in: Jochen Löser, Gegen den dritten Weltkrieg. Strategie der Freien, 1. Aufl., Herford 1982, S. 19 ff.; 19 Rudolf Adam, Ansprache des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAkS) zum Abschluss des Seminars für Sicherheitspolitik 2006, Schönhausen, 30. Juni 2006, S. 6 Rolf Elble, Die Rolle der Geisteswissenschaften in einer modernen strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 18 ff.; 18 Rolf Elble, Die Rolle der Geisteswissenschaften in einer modernen strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 18 ff.; 18 Niccolò Machiavelli, Il Principe. Der Fürst, Stuttgart 1986
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ges, eine Dimension, die der Kriegskunst und der Taktik übergeordnet war, und so war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass der Krieg ein Instrument der Politik sei – so selbstverständlich, dass er das nie in seinen Werken formulierte.306 Die Originalität der Betrachtungsweise Machiavellis liegt in seinem in aller Unmittelbarkeit praktizierten Denkstil, technische Fragen der Politik zu isolieren und aus den herkömmlichen theologischen und moralischen Verflechtungen herauszulösen; sie liegt in der methodisch geübten Verengung des Blickfeldes auf technische Probleme der Politik.307 Die Wechselwirkung zwischen politischer Organisation und politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen war für den Staat von dauerndem Belang, und weder die politische und militärische Literatur zu Zeiten Clausewitz oder auch aus früheren Jahrhunderten ignorierte diese Bindungen und Konsequenzen.308 Doch Clausewitz war der erste, der die Politik in eine analytische Definition des Gesamtphänomens einbezog, und ein Konzept und eine Methode entwickelte, die die systematische Analyse der politischen Komponente in ihrer Beziehung zu den anderen grundlegenden Faktoren des Krieges ermöglichte.309 Folglich war der Krieg für Clausewitz ein rationales Mittel zur Durchsetzung von Staatsinteressen.310 In ihm dominiert der „politische Zweck“.311 Auch für spätere große Staatsmänner gilt, dass sie die Anwendung militärischer Mittel nicht um den Einsatz selbst wegen unternahmen, sondern sie ihre militärischen Anstrengungen in den Dienst ihrer politischen Ambitionen stellten.312 Insofern ist Strategie mehr als nur die Kunst, militärische Gewalt zur Erreichung der von der Politik bestimmten Ziele einzusetzen; Strategie ist vielmehr nach moderner Auffassung die Kunst, Macht schlechthin bei der Durchsetzung politischer Ziele zur Geltung zu bringen.313 Die Strategie hat also die Aufgabe, auf allen politischen Feldern den politischen Handlungsspielraum zu behaupten.314 Man muss die Strategie als Ganzheit verstehen, als ein umfassendes politisches und militärisches Wirken, für das alle Kräfte eines Volkes mit herangezogen werden müssen, um eben dieses Volk auch unter den größten Schwierigkeiten optimal in seiner Gesell-
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Beatrice Heuser, Was ist Strategie? Definitionen zur Kunst des Feldherrn, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, Heft 3, 2005, S. 18 ff.; 18; vgl. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 55 Reinhold Zippelius, Über den Denkstil Niccolo Machiavellis, in: Franz Mayer (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. Festgabe für Günther Küchenhoff, Göttingen 1967, S. 360 ff.; 360 Peter Paret, Die politischen Ansichten von Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 333 ff.; 333 Peter Paret, Die politischen Ansichten von Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 333 ff.; 333 Sven Chojnacki, Kriege im Wandel. Eine typologische und empierische Bestandsaufnahme, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 47 ff.; 47 NN. Vorwort, in: Donald G. Brennan, Uwe Nerlich, Strategie der Abrüstung. Achtundzwanzig Problemanalysen, Gütersloh 1962, S. 5 ff.; 12 vgl. hierzu im Überblick: Peter Paret (Hrsg.), Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Princeton, New Jersey 1986 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 50 Jochen Löser, Die Entwicklung der Strategie von der Antike bis zur Gegenwart, in: Jochen Löser, Gegen den dritten Weltkrieg. Strategie der Freien, 1. Aufl., Herford 1982, S. 19 ff.; 19
schaftsstruktur zu erhalten.315 Folglich ist bei der Betrachtung des Begriffes eine isolierte Sicht auf das Militärische unzulässig. Sieht man die Strategie einzig im Zusammenhang mit der Kriegskunst, so verengt man ihren eigenen Sinn und verwechselt sie häufig mit der Taktik.316 Vielmehr muss der Gebrauch militärischer Macht als ein Werkzeug (unter vielen) des politischen Handelns im Allgemeinen und der Staatskunst im Besonderen angesehen werden. Denn das wahre Anliegen der Strategie gilt nicht nur dem Krieg und den Schlachten, sondern darüber hinaus der Anwendung oder Beibehaltung von (Gewalt-) Mitteln, damit diese auf wirksamste Weise zur Erreichung politischer Ziele beitragen.317 Dabei geht es also letztendlich auch darum, Macht durchzusetzen. Denn eins muss klar sein: Macht schafft Recht, nicht umgekehrt; denn ein Recht ohne Macht gilt nicht und Macht ohne Recht ist ein Unheil.318 Für den Bereich des irregulären Kampfes und seiner Führer gilt diese weite Betrachtung der Strategie, der Zusammenhang von politischer und militärischer Führung in besonderem Maße. Keiner der bekannten Führer irregulärer Bewegungen war nur militärischer Führer oder nur politischer Führer.319 2.4.1
Führungsebenen
Neben der inhaltlichen Bedeutung lässt sich der Strategiebegriff zu einer Ebenenhierarchie von Gesamtstrategie320, als umfassende Konzeption für die Realisierung außen und sicherheitspolitischer Ziele im Sinne einer planmäßigen Zusammenfassung aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln, welche unter Berücksichtigung der geopolitischen, geostrategischen und bündnispolitischen Faktoren im Rahmen der verfassungsmäßigen Vorgaben die Durchsetzung nationaler Interessen allein oder in kollektiven Bündnissen Gewährleisten soll,321 Militärstrategie, Operativer Führung und Taktik erweitern.322 Der
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Rolf Elble, Die Rolle der Geisteswissenschaften in einer modernen strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 18 ff.; 22 Alastair Buchan, Der Krieg in unserer Zeit. Wandlungen und Perspektiven, Politik, Strategie und Technik, Gefahren und Kontrolle, München 1968, S. 101 vgl. Alastair Buchan, Der Krieg in unserer Zeit. Wandlungen und Perspektiven, Politik, Strategie und Technik, Gefahren und Kontrolle, München 1968, S. 101 Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4. Auch bei der Betrachtung der Strategie zeigt sich also, dass der Machtbegriff im Zwielicht der Mehrdeutigkeit, des Ungewissen und des zutiefst Unheimlichen steht und diese „Dämonie der Macht“ Voraussetzung für das Zustandekommen großer Machtgebilde ist, gleichzeitig aber gefährlich zerstörerischer Kräfte in sich schließt. (vgl. Gerhard Ritter, Machtstaat und Utopie. Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus, München, Berlin 1941, S. 9) vgl. Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 45 f. Im anglo-amerikanischen Bereich wird hierfür der Begriff „Grand Strategy“ benutzt. (vgl. u.a. Paul Kennedy, Grand Strategy in War and Peace, in: Paul Kennedy, Grand Strategies in War and Peace, New Haven, London 1991, S. 1 ff.; vgl. Josef Feldmann, Paul Krüger, Die Systematik der strategischen Führung. Leitfaden zum strategischen Führen auf der Basis einer vollständigen strategischen Architektur, Beilage zur „Allgemeinen Schweizerischen Militärischen Zeitschrift“ ASMZ, Nr. 1, 2007, S. 11) Diese Benennung wird im deutschen auch als “Höhere Strategie” übersetzt. (vgl. B. H. Liddell Hart, Strategie, Wiesbaden o. JA., S. 396) Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 150
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Strategiebegriff dieses Beitrages behandelt insofern die militärpolitische Ebene in den Beziehungen zwischen den Akteuren internationaler Systeme und ist zum einen enger gefasst als die ganz allgemeine Bedeutung; zum anderen ist er aber auch deutlich weiter gefasst als der klassische Begriff der Militärstrategie, der sich auf militärische Machtmittel abstützt und dabei geographische, wirtschaftliche, soziale, soziologische, politische und technologische Bedingungen berücksichtigt, die zeitabhängig sein können.323 Im militärischen Verständnis korrespondiert der Begriff der Strategie mit den Begriffen der Taktik und der Operation bzw., in Ebenen ausgedrückt, mit der taktischen und der operativen Ebene.324 Im militärischen Bereich spricht man daher von der strategischen als der obersten, von der operativen als der mittleren und der taktischen als der unteren, der vollziehenden, Führungsstufe.325 Die strategische Ebene behandelt die gesamte Palette von Strategien und Aktionen, die sich mit der Gesamtheit der Sicherheitspolitik befassen, und liegt in der Verantwortung von Regierung und Parlament.326 Dabei ist die militärstrategische Ebene der politischen Führung direkt nachgeordnet und wirkt eng mit ihr zusammen, indem ihre wesentliche Aufgabe darin besteht, das militärstrategische Ziel und Auflagen festzulegen, Kräfte zuzuteilen und eine zweckmäßige Führungsorganisation zu schaffen.327 Insofern wird auf der militärstrategischen Ebene der Einsatz aller verfügbaren militärischen Kräfte so aufeinander abgestimmt und auf die politische Gesamtkonzeption hin ausgerichtet, dass die von der politischen Führung vorgegebenen Ziele erreicht werden.328 Militärstrategie kann insofern auch als Unterbegriff der Strategie und die militärstrategische Ebene als Unterebene der strategischen Ebene angesehen werden. Die Strategie lässt sich über den
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Wilhelm Tobias Albry, Zwischen Recht und Macht. Seetrategische Konzeptionen und das Völkerrecht, in: Marineforum 2005, Heft 4, S. 4 ff.; vgl. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 34 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, 5. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 245 vgl. hierzu: Gustav Däniker, Zwischen Strategie und Taktik. Operative Führung aus Schweizer Sicht, in: ÖMZ 1994, S. 339 ff.; vgl. Josef Feldmann, Paul Krüger, Die Systematik der strategischen Führung. Leitfaden zum strategischen Führen auf der Basis einer vollständigen strategischen Architektur, Beilage zur „Allgemeinen Schweizerischen Militärischen Zeitschrift“ ASMZ, Nr. 1, 2007, S. 5 Georg Bindschedler, Bruno Frick, Ulrich Zwygart, Alexander oder Die Aufforderung an Führungskräfte, Grenzen zu überwinden, Bern 1998, S. 90; vgl. Josef Feldmann, Paul Krüger, Die Systematik der strategischen Führung. Leitfaden zum strategischen Führen auf der Basis einer vollständigen strategischen Architektur, Beilage zur „Allgemeinen Schweizerischen Militärischen Zeitschrift“ ASMZ, Nr. 1, 2007, S. 5 f.; Davon abweichend ordnet ein Online-Verwaltungslexikon den Begriff „taktisch“ zwischen „strategisch“ und „operativ“ ein. Insofern werden hier die Ebenen vertauscht. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt hierbei gleichzeitig auf zeitlichen Dimensionen. (vgl. Burkhardt Krems, Management-Ebenen: operativ – taktisch – strategisch, in: Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.0, http://www.olev.de/o/operativ_usw.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 1) Andere Darstellungen verzichten in ihren Bezeichnungen der Ebenen auf den Begriff der „Taktik“ und Beschränken sich auf die strategische und die operative Ebene (vgl. Wolfgang Pippke, Andreas Gourmelon, Hanns-Eberhard Meixner, Birgit Mersmann [Hrsg.], Organisation, Köln, Berlin, München 2005, S. 47 ff.) Tatsächlich sind hierbei oftmals die strategische und die taktische Ebene gemeint. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 34 Friedmar Teßmer, „Diese Richtung wie ich zeige...“ Über den Einsatz von Streitkräften, Darmstadt 2002, S. 12 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 34; vgl. Erich Vad, Operative Führung, Grundlagen, Merkmale und Perspektiven, in: ÖMZ 1998, S. 129 ff.; 133
Zeithorizont von der Taktik abgrenzen.329 Strategie und Taktik sind für Clausewitz Teil der Kriegskunst.330 Zwischen Strategie und Taktik rangiert die operative Ebene, wobei „Operation“ zum Teil auch als Unterbegriff der Strategie verstanden wird331, als „Scharnierfunktion“, die in der Regel phasenweise Ziele und Vorgaben der militärischen Führung in Weisungen und Aufträge an die taktische Ebene umsetzt332 und somit die heterogenen Funktionen von Strategie und Taktik miteinander verbindet.333 Die operative Ebene ist quasi als Zwischenstück zwischen Strategie und Taktik eingeschoben.334 Sie definiert Ziele, entwickelt Handlungsmöglichkeiten, fasst diese in Konzepte und Pläne und koordiniert die Gesamtheit der dazu erforderlichen Maßnahmen, wobei sie grundsätzlich teilstreitkräfteübergreifend wirkt und die Gesamtheit der Operationen militärischer Verbände zur Erreichung militärstrategischer Ziele umfasst.335 Der operativen Ebene obliegt es somit, die widerstreitenden Interessen der strategischen und der taktischen Ebene in Einklang zu bringen.336 Dagegen ist die taktische Ebene auf überlegene Wirkung von Kräften und Waffen ausgelegt.337 Auf der taktischen Ebene werden die Vorgaben, Weisungen und Befehle der operativen Führungsebene in Pläne und Befehle für das taktische Handeln umgesetzt.338 Die Taktik ist ein Ensemble von Verhaltensregeln, die im Durchführungsverlauf beachtet wer-
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Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 143 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 47, FN* Jehuda L. Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. Die Lehren von Clausewitz und Schlieffen und ihre Wirkungen in zwei Weltkriegen, Frankfurt am Main 1967, S. 18; vgl. Günther Blumentritt, Strategie und Taktik. Ein Beitrag zur Geschichte des Wehrwesens vom Altertum bis zur Gegenwart, Konstanz 1960, S. 8; Dementsprechend bringt das ein älteres militärwissenschaftliches Wörterbuch zum Ausdruck, indem es strategische Operationen als „… die Bewegungen der großen Heermassen zu kriegerischen Zwecken“ beschreibt. (L-t., Strategie, in: Bernhard von Poten [Hrsg.], Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 9. Bd., Bielefeld, Leipzig 1880, S. 87 f.; 87); Abegglen versteht die operative Ebene gar als „Strategie im engeren Sinne“ und setzt ihn gleich mit Begriff und Ebene der Militärstrategie als derjenige Zuständigkeitsbereich der Armeespitze, in welchem die Vorgaben der strategischen Ebene in operative Ziele für die Teilstreitkräfte umformuliert werden. (C.M.V. Abegglen, Abriss über das Zusammenwirken der taktischen, operativen und strategischen Ebenen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/ papers/strategisches_denken.html, Internet vom 13. Juni 2006, S. 1) Friedmar Teßmer, „Diese Richtung wie ich zeige...“ Über den Einsatz von Streitkräften, Darmstadt 2002, S. 13; vgl. Milan Vego, Operational Thinking, in: ASMZ 2006, S. 44 f.; 45; vgl. Christoph M. V. Abegglen, Die Operative Kunst – die in der Schweiz wenig bekannte Ebene der Kriegführung, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/operative_kunst.html, Internet vom 13.06.2006, S. 2; vgl. Matthias Kuster, Operatives Denken in Armee und Wirtschaft, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?artikel=745, S. 1 Erich Vad, Operative Führung, Grundlagen, Merkmale und Perspektiven, in: ÖMZ 1998, S. 129 ff.; 130 Josef Feldmann, Paul Krüger, Die Systematik der strategischen Führung. Leitfaden zum strategischen Führen auf der Basis einer vollständigen strategischen Architektur, Beilage zur „Allgemeinen Schweizerischen Militärischen Zeitschrift“ ASMZ, Nr. 1, 2007, S. 6 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 34 Matthias Kuster, Operatives Denken in Armee und Wirtschaft, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?artikel=745, S. 1 Friedmar Teßmer, „Diese Richtung wie ich zeige...“ Über den Einsatz von Streitkräften, Darmstadt 2002, S. 13 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 34
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den müssen.339 Mithin ist die Taktik auch eine Frage des Wissens; die Operation eine Frage des Denkens.340 Trotz des von Clausewitz geforderten Primats der Politik gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen Politik und Militär, das aufgabenbedingt und kreativ ist, solange es von einer verantwortungs- und ihrer Aufgabe bewussten politischen Führung beherrscht werden kann.341 Der Strategiebegriff der militärpolitischen Ebene ist ein komplexes Phänomen von Geschichte und Gegenwart mit Funktionsverbindungen zu Gesellschaftsstrukturen, Ökonomie und geistig-philosophischen Grundlagen.342 Es geht darum, im weiten Spektrum heutiger und künftiger Sicherheits- und Stabilitätsrisiken mit seinen vielfältigen Ursachen ein politisches Konzept zu finden, das ganzheitlich vorausschauend diplomatische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und militärische Maßnahmen verbindet, um Krisen und Konflikten möglichst schon am Ort ihres Entstehens zu begegnen.343 So wurde bereits schon in den frühen 1960er Jahren mit Verweis auf die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und die Entwicklungen in Indonesien, Indochina und Korea darauf verwiesen, dass Guerillakriegführung zu einem wesentlichen Teil moderner Strategie geworden ist und damit zu einem Faktor, der von den militärischen Führern nicht übersehen werden sollte.344 Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und den Erscheinungsformen (neu) auftretender Konflikte und bewaffneter Auseinandersetzungen stellt sich die Frage, wie den sich hieraus ergebenden Bedrohungen und Herausforderungen wirksam begegnet werden kann. 2.4.2
Wechselwirkungen zwischen den Führungsebenen
Der Strategiebegriff ist also ein komplexer, auf die Zukunft gerichteter Planungs- und Umsetzungsbegriff, der Bezüge zu verschiedenen Führungsebenen aufweist und somit horizontale Rangstufen (Ebenen) sowie vertikale Beziehungen (Raum und Zeit) offenbart. Dabei können Handlungen und Ereignisse auf den unteren Ebenen, der operativen wie auch der taktischen, strategische Auswirkungen haben. Dabei können sich Fehler oder sogar Erfolge auf der taktischen Ebene diametral umgekehrt auf der strategischen Ebene auswirken. Mithin korrespondieren die Ebenen fortwährend miteinander und stehen in ständiger Interdependenz zueinander. Demzufolge müssen Führungskräfte in der Lage sein, in höheren Führungsebenen zu denken und gleichzeitig ein Gefühl für die Befindlichkeiten und Bedürfnis339 340 341 342 343 344
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Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 143 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (3. Teil), Clausewitz für Generäle, in: ASMZ, Heft 7/8, 2006, S. 55 Rolf Friedemann Pauls, Der umfassende Strategiebegriff der Gegenwart, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 67 ff.; 67 f. vgl. Werner Hahlweg, Zum Begriff der Strategie und seine Entwicklung, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 10 ff.; 11 Ulrich Weisser, Sicherheit in ganz Europa. Die atlantische Allianz in der Bewährung, Stuttgart 1999, S. 16 f. Ernst von Dohnányi, Kampf gegen sowjetische Guerillas, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 153 ff.; 153; vgl. Frank Kitson, Low Intensity Operations, Subversion, Insurgency and Peacekeeping, London, Boston 1991, S. 14
se der unterstellten Bereiche besitzen. Deshalb müssen die Führungskräfte die Unterscheidungen der Führungsebenen verstehen und wissen, wie sich Entscheidungen und Handlungen einer Ebene auf andere auswirken.345 Der Operativen Ebene als Bindeglied346 oder als „Scharnierfunktion“ zwischen (militär-) strategischer und taktischer Ebene kommt hier eine entscheidende Bedeutung zu. Sie reicht somit in die Strategie und in die Politik hinein und erfordert damit erhebliche Kenntnisse dieser Bereiche, um in ihrem Sinne wirken zu können.347 Das gilt umso mehr, als dass auf der einen Seite sicherheitspolitische Zusammenhänge immer komplexer und komplizierter werden und auf der anderen Seite das Wissen und das Verständnis um militärische Zusammenhänge und Fähigkeiten ebenfalls schwerer erfassbar wird. Somit ist eine Begabung zur dynamischen Reflexion, zum Erfassen, Begreifen und Verstehen komplexer Situationen und Sachverhalte verlangt. Dieses muss ebenenübergreifend zielorientiert auf die Zukunft gerichtet sein. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die Faktoren Raum, Kräfte, Zeit und Information ihrerseits in das rechte Verhältnis gerückt werden. Diese Begabung ist die Befähigung zum Operativen Denken. 2.4.3
Operatives Denken
Operatives Denken ist ein nicht rein taktischer, operativer oder strategischer Begriff.348 Er ist auch mehr als die Summe taktischer Teile, sondern eine Verbindung auf höherer Ebene.349 Operatives Denken ist eine Vorbedingung für die Grundsatzentscheidung Mittel und Kräfte zur Erreichung operativer und strategischer Ziele einzusetzen. Die operative Perspektive ist auf den Operationsraum und einen Interessenraum gerichtet.350 Das Operative Denken verlangt die Fähigkeit zur situativen Wahrnehmung über den eigenen Verantwortungsbereich hinaus in den Interessenbereich hinein und zukunftorientiert auf die eine oder andere Art zu reagieren. Der operative Führer muss daher eine breite vielseitige Bildung aufweisen und sowohl über politisches Gespür als auch über taktische Kenntnisse verfügen.351 Das politisch-gesellschaftliche System, in das die militärische Führung eingebettet ist, wird zukünftig noch mehr als früher durch Komplexität, Unsicherheit und Dynamiken gekennzeichnet sein. Operatives Denken ist Voraussetzung dafür, diese Zusammenhänge zu erfassen, zu ordnen sowie Ziel führend und wirkungsorientiert steuernd einzuwirken, also zu führen. Operative Führung, deren Aufgabe es ist, die politischen Absichten und militärstrategischen Vorgaben in Weisungen oder Aufträge an die unterstellten Kräfte umzusetzen,352 führt Kräfte, Mittel und Informationen in Zeit und Raum so zusammen, dass der 345 346 347 348 349 350 351 352
Milan Vego, Operational Thinking, in: ASMZ 2006, S. 44 f.; 45 Volker Bieta, Wilfried Siebe, Prozessorientiertes Krisenmanagement als Verhandlungsspiele politischer Netzwerke, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 139 ff.; 143 Erich Vad, Operative Führung, Grundlagen, Merkmale und Perspektiven, in: ÖMZ 1998, S. 129 ff.; 130 Milan Vego, Operational Thinking, in: ASMZ 2006, S. 44 f.; 44; vgl. Milan Vego, Operational Art and Doctrine, in: Anthony D., Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 167 ff.; 172 f. Edward Luttwak, Strategie. Die Logik von Krieg und Frieden, 1. Aufl., Lüneburg 2003, S. 156 Milan Vego, Operational Thinking, in: ASMZ 2006, S. 44 f.; 45 Matthias Kuster, Operatives Denken in Armee und Wirtschaft, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php? artikel=745, S. 1 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, 5. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 295;
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Gegner im Sinne der strategischen Zielsetzung mit dem Mittel der Taktik gezwungen wird, sich den eigenen Absichten zu unterwerfen.353 Die operative Führung ist demnach zwischen politisch-strategischer Leitung und taktischer Führung angesiedelt; sie ist also ein Mittel der Strategie, so wie die Taktik zum Mittel der operativen Führung wird.354 In der Interaktion zwischen den horizontalen Ebenen und der vertikalen Dimension der Führungsebenen liegt die verbindende und koordinierende Dimension der Strategie. Die Fähigkeit hierzu ist das operative Denken. 3.
Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel und Änderung der Vorstellung über das Kriegsbild
Ende der achtziger Jahre, noch unter dem Eindruck der Bedingungen des Kalten Krieges und seiner bipolaren Ordnung, hatte sich – zumindest in Deutschland – die Meinung gefestigt, dass Kriege im möglichen Wirkungsbereich nuklearer und höchstentwickelter konventioneller Waffensysteme „durch die revolutionierendste Folge der technologischen Sturmflut“ unführbar gemacht wurden und dass somit die Strategie vom Kriege nur noch Kriegsverhinderungsstrategie im Sinne der Abschreckung sein könne.355 Der Krieg in der Zeit der Massenvernichtungsmittel führe zur Selbstvernichtung und verliere damit jeden Sinn.356 Militärpolitik war in der Zeit der Bipolarität im Kern auf die Vorbereitung eines Krieges gerichtet, der nie stattfinden durfte.357 Dementsprechend sollten die Militärstrategien der Vorsorge und Vorbeugung dienen und selbst im Falle eines aufgezwungenen Krieges ginge es nicht um „Sieg“, sondern um baldige Einstellung der Kriegshandlungen bei gleichzeitiger Anerkennung des Status quo.358 Die Zuversicht, dass Kriegführung in Anbetracht der Atombombe veraltet sei, hat sich als zu optimistisch erwiesen.359 Nach der Überwindung
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vgl. Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 320 Thomas Will, Operative Führung. Versuch einer begrifflichen Bestimmung im Rahmen von Clausewitz’ Theorie „Vom Kriege“, Hamburg 1997, S. 285; vgl. Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, HeinzUwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 320 Gerhard P. Groß, Einführung, in: Gerhard P. Groß (Hrsg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20, Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 1 ff.; 2 Rolf Friedemann Pauls, Der umfassende Strategiebegriff der Gegenwart, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 67 ff.; 68; vgl. John Keegan, Nachwort, in: John Keegan, Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1415, Waterloo 1815 und an der Somme 1916, Frankfurt am Main, New York 1991, S. 403 ff.; 405 Dieses Urteil als „Fehldeutung“ aufnehmend: Ulrich De Maizière, Politische Führung und militärische Macht, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 91 ff.; 91 Wegen der überdimensionalen Zerstörungskraft nuklearer Kampfmittel erschien es bereits in den frühen 1970er Jahren es kaum noch möglich, von einer quantitativen atomaren Überlegenheit im herkömmlichen Sinne zu sprechen, zumal kein Verhältnis mehr zwischen Wirkung und dem notwendigen militärischen Effekt bestand. (Ferdinand Otto Mitschke, Rüstungswettlauf. Ursache und Auswirkungen, Stuttgart-Degerloch 1972, S. 17) Jochen Hippler, „Counterinsurgency“ – Neue Einsatzformen für die NATO?, Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 43, 2006, S. 24 ff.; 24 Wolf Graf von Baudissin, Vorwort, in: Peter Gödecke, Elmar Stuckmann, Martin Vogt (Hrsg.), Kriege im Frieden, Braunschweig 1983, S. 6 ff.; 9 Willi Gautschi, Mythos und Macht der Geschichte. Über historische Grundfragen, Zürich 2001, S. 261
des Ost-West-Konfliktes wurde diese Ansicht auch in der politischen Wissenschaft modifiziert. Es seien vor allem – infolge der technologischen Entwicklung, der Vernichtungskraft von Nuklearwaffen und der dramatisch gestiegenen Verletzlichkeit moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften – die Staatenkriege unführbar geworden und somit sei die Ära des klassischen zwischenstaatlichen Krieges, nicht des Krieges generell zu Ende gegangen.360 Darüber hinaus sei der Krieg allgemein als Methode zur Erreichung von Zwecken diskreditiert und damit schlechthin undenkbar und obsolet geworden.361 Diese Thesen sind in mehrfacher Hinsicht überholt. „Die Unabdingbarkeit des Friedens …, ohne den … die Fortexistenz von Völkern und Staaten schwer vorstellbar“362 ist, hat nicht mehr die unbedingte Gültigkeit. Das überkommene Denken, das Sicherheit primär aus einem System gegenseitiger möglicher Vernichtung durch Kernwaffen ableite, greift nicht mehr.363 Zuvor marginalisierte Konflikte erhalten nun eine erhöhte Aufmerksamkeit.364 Das Verständnis, nach dem Krieg als „Katastrophe und Fehlverhalten“365 gilt, trägt nicht mehr. Nicht zuletzt der Kosovo-Konflikt hat deutlich gezeigt, dass auch in Europa Kriege mit höchstentwickelten Waffensystemen möglich sind. In diese Auseinandersetzungen sind die wirtschaftlichen Potenziale der Konfliktparteien einzubeziehen; einschließlich die Kritischen Infrastrukturen, die es gilt (zumindest vorübergehend) auszuschalten und zu lähmen, um den Gegner nachhaltig zu schwächen und seinen militärischen Zusammenbruch weiter zu beschleunigen. Und in diesen Konflikten geht es auch nicht mehr darum, das Gegenüber, den Gegner zu stabilisieren, ihn an einer Expansion zu hindern, indem man ihn durch die Androhung militärischer Gewalt als „ultima ratio“ abschreckt, sondern um erfolgreiche, also siegreiche, schnelle Beendigung der Auseinandersetzung mit wenigen Opfern, sowohl auf der eigenen Seite als auch auf der Seite des Gegners. Infolgedessen sind nach wie vor auch zwischenstaatliche Kriege – wie der Zweite und Dritte Golfkrieg verdeutlicht haben – weiterhin möglich und werden auch geführt werden, wenn es einen sichtbaren Gegner gibt, der sich stellt.366 Demzufolge ist Stabilität selten und der Wandel konstant367 und es ist notwendig, einen breiteren und umfassenderen Ansatz der Sicherheit zu entwickeln, so dass es also zu einem Paradigmenwechsel im sicherheitspolitischen Verständnis 360
361 362 363 364 365 366
367
Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 13; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Der Bürger im Staat, Heft 4, 2004, S. 179 ff.; 179; vgl. Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges, in: loyal, Heft 10, 2006, S. 22 ff., 22 John Mueller, The Obsolence of Major War, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force, 5. Aufl. Lanham, Boulder, New York, Oxford 1999, S. 427 ff.; 427 Hans Apel, Vom Kriege – Vom Frieden, Zur Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 13 ff.; 14 Erich Vad, Carl von Clausewitz, die Verfassung und Verteidigungsfähigkeit des Staates, in: Dietmar Schössler (Hrsg.), Clausewitz-Studien, Heft 1, 1999, S. 151 ff.; 151 Steven Metz, Raymond A. Millen, Future War / Future Battlespace. The Strategic Role of American Landpower, Honolilu, Hawai 2005, S. vii Peter Rudolf, Krieg / Theorien über Kriegsursachen, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1, Politische Theorien, München 1995, S. 279 ff.; 283 Insofern wird der Kriegstypus des zwischenstaatlichen Krieges auch mit Hinweis auf den Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien sowie dem Indien-Pakistan-Konflikt als „ …nach wie vor relevant… “ beurteilt. (Volker Böge, Tobias Debiel, Kriege und Konfliktbewältigung, in: Stiftung Entwicklung und Frieden [Hrsg.], Globale Trends, Fakten, Analysen, Prognosen 2004 / 2005, Bonn 2003, S. 309 ff.; 312 f.) Hans Bachofner, Vorwort, in: Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), ArmeeEinsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996, S. III ff.; III
67
kommen muss.368 Zwischen den Gewissheiten des Kalten Krieges und den Ungewissheiten einer Welt ohne Weltordnung369 müssen sich dementsprechend die sicherheitspolitischen Parameter neu kalibrieren. 3.1
Die „subjektive“ Bedeutung des Sicherheitsbegriffs
Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen und ein klassisches Kollektivgut, dessen Bewahrung oder Wiederherstellung im Wertehaushalt der Bevölkerung einen hohen Stellenwert hat.370 Insgesamt betrachtet kommt heute der erweiterte Begriff der „Sicherheit“ in der Breite und Vielfalt seiner Dimensionen seinem ursprünglichen Wortsinn wieder sehr nahe: dem Lateinischen „securus; se(d) cura“, welches „ohne Sorge“ heißt.371 Folglich ist der Begriff „Sicherheit“, den man als einen Zustand beschreiben kann, dessen Stabilität weder von innen noch von außen gefährdet ist,372 auch eng verbunden mit der subjektiven Wahrnehmung vermeintlicher oder tatsächlich existierender, oft auch verdeckt vorhandener, realer Bedrohungen und Risiken. Auch wenn es Kriterien gibt, anhand derer Sicherheit objektivierbar festgemacht werden können, sind „Sicherheit“ wie auch „Unsicherheit“ subjektiv determinierte Begriffe.373 Sicherheit ist somit auch eine gesellschaftliche bzw. politische Konstruktion von Wirklichkeit.374 Sicherheits- und Bedrohungsvorstellungen hängen ihrerseits zudem unmittelbar mit Wertvorstellungen zusammen; wandeln sich diese, verändern sich jene.375 Hierin liegt denn auch eine besondere Gefahr: Wenn beispielsweise die subjektive Wahrnehmung von Bedrohungen abhängig ist von der Nähe bzw. der geographischen Entfernung und diese Wahrnehmung auch nur am unmittelbaren „Verspüren“ der Auswirkungen bewusst wird, werden Bedrohungen unter Umständen erst realisiert, wenn sie sich in einem Stadium unmittelbarer Gefahr manifestiert haben bzw. ohne die Möglichkeit zur Abwehr bereits realisiert haben. Ein solches subjektives Verständnis von Sicherheit verengt allerdings zudem die Perspektive, deren Ausgangspunkt immer der eigene Standort ist, der nur einen bestimmten Blickwinkel und eine bestimmte Sichtstrecke
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372 373 374 375
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Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Einleitung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 9 ff.; 9 Michael Stürmer, Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Hamburg 2006, S. 9 Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 3 vgl. Ulrike Rausch, Sicherheit, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 582 f.; 582; vgl. Heinz Magenheimer, Die Sicherheit in Europa: Neue Maßstäbe und Erfordernisse, in: ÖMZ 1993, S. 107 ff.; 107; vgl. Sabine Jaberg, Systeme kollektiver Sicherheit in und für Europa in Theorie, Praxis und Entwurf. Ein systemwissenschaftlicher Versuch, Baden-Baden 1988, S. 96; vgl. Tillmann Schulze, Bedingt abwehrbereit. Schutz kritischer Informationsstrukturen in Deutschland und den USA, 1. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 42; Zur Entwicklung des Sicherheitsbegriffs vgl. auch Rudolf Adam, Der Sicherheitsbegriff in der Gesellschaft im Wandel der Zeit, Vortrag vor der Tafelrunde „TSystems“, Berlin 29. September 2006 Gerhard Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht. Militärische Zwangsanwendung, Selbstverteidigung und Schutz der Internationalen Sicherheit, Aachen 1998, S. 1 Ernst-Heinrich Ahlf, Erweiterter Sicherheitsbegriff und Polizei – Ein Essay -, in: Die Polizei 2002, S. 93 ff.; 96 Ernst-Heinrich Ahlf, Erweiterter Sicherheitsbegriff und Polizei – Ein Essay -, in: Die Polizei 2002, S. 93 ff.; 96 Paul M. Strässle, Krieger versus Soldat, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 9 ff.; 31
zulässt.376 Aus dieser subjektiven Dimension ergibt sich daher die grundsätzliche Gefahr einer falschen Beurteilung der Lage, die sich mittel- und langfristig auf falsche sicherheitspolitische Strategien und damit verbundene Strukturen auswirken kann.377 3.2
Die subjektive Wahrnehmung von Bedrohungen und Forderungen an die Politik
Sicherheit gehört – wie bereits festgestellt – zu den elementarsten menschlichen Grundbedürfnissen und Menschen erwarten vom Gemeinwesen, dass es sie schützt und ihnen ein sicheres Leben als Basis für freie private und berufliche Entwicklung ermöglicht.378 Wenngleich es eine grundlegende Aufgabe der Politik ist, Unsicherheiten abzubauen, müssen alle Menschen, Individuen, Gruppen, Staaten und Gesellschaften damit leben, dass ihre Existenz von Unsicherheiten geprägt ist.379 Zu den zentralen Aufgaben staatlicher Sicherheitspolitik gehört es, Bedrohungen und Gefahren für das Wertesystem, die politische Ordnung und schließlich den Fortbestand des Staates zu identifizieren und geeignete Strategien und Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu entwickeln und einzusetzen.380 Dabei stoßen demokratische Systeme immer mehr auf die Schwierigkeit, ihren Gesellschaften die Notwendigkeit von militärischer Rüstung und den Gebrauch militärischer Macht erklärbar zu machen381 und dementsprechend den hierauf gerichteten Wehrwillen382 zu entwickeln. Der Abbau der Blöcke, die Aufhebung von vorher fast unüberwindlichen Grenzschranken, erfolgreiche Rüstungskontroll- und Abrüstungsmaßnahmen haben in der Bevölkerung eine Stimmungslage bewirkt, die dahin tendiert, militärische Bedrohung der eigenen Lebenswelt entweder mit einer gewissen Sorglosigkeit nicht mehr zu sehen oder sie aber in Teile der Welt zu verlagern, die das eigene Land geographisch nicht mehr tangieren.383 Damit steht unmittelbar im Zusammenhang die Notwendigkeit der Rechtfertigung der (finanziellen) Kosten, die für die Sicherheit aufzubringen sind. Gleichzeitig ist es den heutigen Wohlstandsgesellschaften schwierig zu vermitteln, dass der Gebrauch militärischer Macht – auch bei größter Überlegenheit – auch immer das Risiko eigener Verluste beinhaltet. „Menschenwürde“ und die „Heiligkeit“ jedes individuellen Lebens machen moderne westliche Gesellschaften 376 377 378 379 380 381 382
383
Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATOund WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 43; vgl. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 24 Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATOund WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 43; vgl. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 24 Ulrich Zwygart, Die Schweizer Armee: Zweck, Aufgaben und Spannungsfelder, in: Hubert Annen, Rudolf Steiger, Ulrich Zwygart, Gemeinsam zum Ziel. Anregungen für Führungskräfte einer modernen Armee, Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2004, S. 17 ff.; 19 Wilfried von Bredow, Neue Herausforderungen, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 291/2006., S. 4 ff.; 4 Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 16 Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 25 Diese Problematik sah bereits das erste – und bis heute einzige – Weißbuch zur zivilen Verteidigung, das bemängelte, dass seinerzeit weite Kreise der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland der zivilen Verteidigung gleichgültig, teilweise sogar ablehnend gegenüberstanden. (Bundesminister des Inneren, Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 12.04.1972, S. 17) Paul M. Strässle, Krieger versus Soldat, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 9 ff.; 32
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widerwillig, Einzelleben für Kollektivinteressen zu opfern.384 Dementsprechend zielt die moderne Kriegführung zumeist darauf ab, die eigenen Verluste gegen Null zu halten.385 Die militärische Interventionsfähigkeit „postheroischer Gesellschaften“386 ist somit abhängig von der Minimierung eigener Verluste387 und darüber hinaus auch der des Gegners.388 Denn gerade der irregulär kämpfende Gegner wird zivile Objekte und Personen als Waffen und Schutzschilde einsetzen und dadurch „Kollateralschäden“ provozieren oder auch bewusst selbst herbeiführen.389 Der Verlust von Menschenleben ist somit grundsätzlich zu vermeiden, unabhängig von der Zugehörigkeit der Betroffenen zu Freund oder Feind.390 Die Intensivierung eines Konfliktes zur Niederwerfung eines nichtstaatlichen Gegners kann sich gerade in einem Kleinen Krieg leicht als kontraproduktiv erweisen; insbesondere dann, 384 385
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vgl. Rudolf Adam, Postmoderne Konfliktmuster. Welche Rolle kann, welche Rolle soll militärische Gewalt spielen?, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 75 ff.; 78 Stig Förster, Der totale Krieg, Konzeptionelle Überlegungen für einen historischen Strukturvergleich der Epoche von 1861 bis 1945 in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 60; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 53; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 5 Münkler bezeichnet mit postheroischen Gesellschaften solche, die nicht etwa unheroisch seien, sondern solche, die bereits eine heroische Phase mit mehreren verlustreichen Kriegen in ihrer Geschichte durchlaufen hätten, welche noch nicht lange zurücklägen und dementsprechend im kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaft eine bedeutende Rolle spietlen, diese aber überwunden sei. (Herfried Münkler, Terrorismus als neue Ermattungsstrategie, in: Erich Reiter [Hrsg.], Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 193 ff. 197) Die Bezeichnung „postheroischen Kriegführung“ geht im Übrigen auf einen Aufsatz Luttwaks zurück (Edward N. Luttwak, Toward Post-Heroric Warfare“, in: Foreign Affairs, Mai/Juni 1995, S. 109 ff.) und setzt somit als gesellschaftliches Konzept eine militärpolitische Konzeption Luttwaks fort. (vgl. Edward N. Luttwak, A Post-Heroric Military Policy, in: Foreign Affairs, Juli/August 1996, S. 33 ff.) Herfried Münkler, Die iranische Bombe, in: Die Welt vom 03.02.2005, Literarische Welt, S. 7; „… to kill but not to die …“ Evans forderrt in diesem Zusammenhang mit Verweis auf weitere Autoren, dass diese zurückhaltende Einstellung überwunden werden muss. (vgl. Michael Evans, Introduction, in: Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan [Hrsg.], Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 1 ff.; 10) Somit tritt wieder die alte – gerade in westlichen Demokratien lange verdrängte – Erkenntnis hervor, dass der Krieg nicht nur die weitreichenste Form legitimitierten Tötens von Artgenossen darstellt, sondern auch zugleich das passive Erleiden des Todes in Kauf nimmt. (vgl. Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATO- und WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 93) Leben zu nehmen und zu geben ist entscheidendes Wesensmerkmal soldatischen Dienens. vgl. Nikolas Busse, Neue Abschreckung. Die internationale Sicherheit nach dem Irakkrieg, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 53 ff.; Darüberhinaus sehen sich westliche Armeen im Einsatz oftmals einer „ständigen Überwachung“ durch Video, Mobiltelefone und Satelliten ausgesetzt, wohingegen der Gegner keinerlei moralische, humanitäre, juristische oder internationale Rücksichten nehmen muss: Im Gegenteil: Der Gegner benutzt die Freiheitsrechte demokratischer Medien, um eigene Verbrechen zu vertuschen und die Gegenseite auf die Anklagebank zu setzen. (vgl. NN, Großbritannien verteidigt seine Armee, in: NZZ vom 22. Februar 2006, S. 1; vgl. Gal Hirsch, On Dinosaurs and Hornets. A critical View on Operational Moulds in Asymmetric Conflicts, in: RUSI Journal 2003, S. 60 ff.; 61) Simon Branch-Evans, Evolution of Warfare: How will the Revolution of Military Affairs Make a Difference?, in: Ron Matthews, John Treddenick, Managing the Revolution in Military Affairs, Hamshire 2001, S. 36 ff.; 49; vgl. Stefan Hartwig, Nicht-tödliche Technologien im Einsatz, in: Loyal, Heft 7/8, 2001, S. 24 Burkhard Theile, Transformation: Veränderte Streitkräfte und neue Rüstungstechnik, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Vernetzte Sicherheit. Leitidee der Sicherheit im 21. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 20 ff.; 24
wenn eigene Verluste an Menschenleben für den staatlichen Akteur ein größeres Problem darstellen als für den nichtstaatlichen Gegner.391 Es muss also Aufgabe einer verantwortungsvollen Staatsführung, der Politik, sein, der Gesellschaft zu erklären, dass sie als Lohn für die Durchsetzung ihrer Interessen auch einen Preis zu zahlen bereit sein muss: Notfalls das Leben ihrer Soldaten, ihrer Staatsbürger. Tut eine Staatsführung dies nicht, macht sie sich erpressbar: Sie wird niemals tatsächlich ein „robustes Mandat“ zur Durchsetzung eines Auftrages umsetzen, da zum Wesen des Militärischen nun einmal in letzter Konsequenz der Kampf mit der Waffe gehört und jeder Akteur im Wissen um diese Erpressbarkeit diese Karte spielen wird. Folglich arrangiert man sich mit einer solchen Haltung mit diesen Akteuren, lässt sich auf Kompromisse ein und hindert damit gleichzeitig die eigenen Kräfte an der effektiven Durchführung ihres Auftrages oder man zieht sich zurück; spätestens dann, wenn die Bilder der ersten eigenen Toten in den heimischen Medien präsentiert werden.392 3.3
Konsequenzen für den politischen Auftrag
Dennoch war trotz der geänderten Rahmenbedingungen der weltpolitischen Lage schon seit geraumer Zeit erkennbar, dass die europäischen Staaten, dass Europa als Ganzes auch zukünftig in der Lage sein muss, seine Interessen zu sichern und sich vor äußeren Gefahren zu schützen – ein Aspekt, der wichtige neue Kriterien für Aufträge und Strukturen künftiger Streitkräfte in Europa beinhaltet und vorsieht, dass das „Kontinuum der Abschreckung“, das lückenlose Spektrum nuklearer Einsatzoptionen, einer Konzeption nuklearer Einsatzoptionen Platz macht, welches dem politischen Zweck dienen soll, ein europäisches Sicherheitsgefüge zu stabilisieren und Nuklearwaffen somit „Mittel letzter Zuflucht“ werden.393 Streitkräften kommt nunmehr – auch in Deutschland – eine aktive Rolle zu. Sie sind ein wichtiges Element vor allem für die Fälle, in denen es nicht gelingt, krisenhafte Entwicklungen und den Zerfall staatlicher Ordnung mit politischen Mitteln allein zu stoppen.394
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vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 22; Das gilt zumindest solange, wie die Konflikte für die eigene Bevölkerung in nicht unmittelbar wahrnehmbarer Entfernung stattfinden. Die Reaktion auf die Anschläge vom 11. September und die große Zustimmung des amerikanischen Volkes zu den anschließenden militärischen Einsätzen belegen dass. Allerdings müssen derartige Aktionen schnell und erfolgreich ablaufen und schleunigst zu einem Ende gebracht werden; zumindest rasch erkennbare und nachvollziehbare Erfolge vorweisen. Andernfalls nimmt die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Einsatz wiederum schnell ab, unvermeidliche Verluste werden nicht mehr mitgetragen, und die Zustimmung schlägt schließlich in Ablehnung um. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 25 Ulrich Weisser, Europäische Sicherheitsstrukturen und strategische Konzepte, Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 2, Herford, Bonn 1990, S. 543 ff.; 548 vgl. Ulrich Weisser, Sicherheit in ganz Europa. Die atlantische Allianz in der Bewährung, Stuttgart 1999, S. 17
71
3.4
Änderung der geopolitischen Lage
Die Sicherheitspolitik gehört zu jenen Politikfeldern in Deutschland, die sich seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990 fundamental geändert haben.395 Das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands ist durch veränderte Risiken und neue Chancen gekennzeichnet.396 Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Auseinanderbrechen des Warschauer Paktes sowie der Annäherung und Einbindung der ostmitteleuropäischen Nachbarstaaten in die NATO und die EU hat sich die geostrategische Lage Deutschlands grundlegend verbessert: Die Aussicht, Hauptkampfgebiet einer groß angelegten, Infrastruktur zerstörenden militärischen Auseinandersetzung in Mitteleuropa zu werden, in der neben hochwirksamen konventionellen auch nukleare Waffen eingesetzt werden, ist derzeit nach herrschender Ansicht eher unwahrscheinlich. Für Adam ist damit auch das Zeitalter der großen Volkskriege, der gewaltigen Luft- und Seeschlachten vorbei.397 Dieses entspricht auch der Kernaussage der Risikoanalyse der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR),398 welche ebenso in der Konzeption der Bundeswehr (KdB) niedergelegt ist. 399 Die Konzeption der Bundeswehr verweist hier auf die NATO, die für die nächsten zehn Jahre keine Existenz gefährdende Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten sieht, der sie nicht gerecht werden könnte.400 Allerdings ist diese Aussage zum einen mit Blickrichtung auf das Konfrontationsszenario der Ost-West-Konfrontation getätigt und somit mit dem engen Blick auf Europa in gewisser Weise schon wieder rückwärtsgewandt. In der Zeit des Kalten Krieges stand eine direkte Konfrontation der Supermächte im Blickpunkt des Sicherheitsdenkens.401 Diese Lage hat sich grundlegend geändert, wenngleich im militärischen Planungshorizont zehn Jahre eine äußerst geringe Zeitspanne sind, wenn es darum geht, Streitkräftestrukturen zu planen, aufzustellen, auszurüsten und auszubilden. Der Aufbau und die Ausrüstung von erweiterten militärischen Kapazitäten nehmen viele Jahre in Anspruch, wenn man über keine ausbaufähigen Grundkapazitäten verfügt, weil man seine Reserven aufgegeben oder vernachlässigt hat.402 Und die Zeitspanne 10 Jahre bezieht sich vom Ausgang her auf das Jahr 2004! Nicht zuletzt die aktuellen Erfahrungen mit der „Transformation“ der Streitkräfte machen deutlich, welcher Anstrengungen es bedarf, militärische Strukturen zukunftsfähig zu machen. Dennoch wäre es zu kurz gedacht, wollte man militärische Auseinandersetzungen in Europa403 ausschließen oder leug395 396 397 398 399 400 401
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Johannes Varwick, Militär als Instrument der Politik, in: Sven Bernhard Gareis, Paul Klein (Hrsg.), Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, S. 102 ff.; 102 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, Berlin, 21. Mai 2001, S. 19 Rudolf Adam, Postmoderne Konfliktmuster. Welche Rolle kann, welche Rolle soll militärische Gewalt spielen?, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 75 ff.; 75 Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, Berlin, 21. Mai 2001, S. 8 Bundesministerium der Verteidigung, Grundzüge der Konzeption der Bundeswehr, Berlin 2004, S. 7 Bundesministerium der Verteidigung, Konzeption der Bundeswehr, Berlin 2004, S .7 Fouzieh Melanie Alamir, Der erweiterte Sicherheitsbegriff in der Umsetzung. Entwicklung, Diskrepanzen und Perspektiven, in: Reader Sicherheitspolitik, Ergänzungslieferung 01/06, V.2.A., S. 2 ff.; 3; vgl. Reinhard W. Hutter, Sicherheit und Risiken vernetzter Gesellschaften, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 539 ff.; 539 vgl. Dieter Wellershoff, Für eine Bundesexekutivtruppe und eine freiwillige Einsatzreserve, in: FAZ vom 19.09.2001, S. 10 Gray hat hier beispielsweise die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, mögliche Auseinandersetzungen zwischen Russland und den baltischen Staaten und Griechenland gegen die Türkei vor Au-
nen, dass großangelegte militärische Auseinandersetzungen denkbar sind, die zumindest mittelbare Auswirkungen auf Europa404 haben. Doch bekommt das Problem der Risikound Bedrohungsanalyse noch eine weitere Dimension: Massenvernichtungswaffen, die früher fast ausschließlich im Besitz von stabilen Staaten vorhanden waren, können nun in den Besitz von Gruppen oder instabilen, „undurchsichtigen“ Staaten gelangen, wie die Auseinandersetzungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm405 deutlich machen.406 Der Fokus der Betrachtung ist hier demzufolge zu eng gestellt. Darüber hinaus ist auch die einseitige Fokussierung auf ein zukünftiges Kriegsbild, also eine beengte Vorstellung darüber, wie militärische Auseinandersetzungen der Zukunft aussehen werden abzulehnen. So hatte auch bereits von der Heydte seinerzeit unter anderen strategischen Vorzeichen davor gewarnt, bei der Gesamtplanung der zivilen und militärischen Verteidigung eines Landes nur auf einen Typus eines Kriegesbildes abzustellen.407 Es besteht folglich die Notwendigkeit, den sicherheitspolitischen Fokus weiter zu stellen, um die globale Situation zu sehen. Insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland liegt die Herausforderung darin, den Blickwinkel zukünftig nicht nur einseitig nach Osten – auf kurze Distanz – auszurichten, sondern nunmehr eine weite Rundumsicht vorzunehmen. In diesem Sinne gestalten sich mit dem Wegfall der bipolaren Ordnungsstrukturen die Versuche der Neubestimmung der Sicherheitspolitik wesentlich komplexer und vielschichtiger. Insofern wird die Sicherheit Deutschlands zunehmend von Risikofaktoren weit entfernter regionaler Krisen und Konflikte sowie durch nichtstaatliche Akteure und asymmetrische Bedrohung gefährdet.408
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gen. (vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 181 f.) Zudem ist ein auch Scheitern der Stabilisierungspolitik auf dem Balkan nicht völlig undenkbar, mit der Folge, dass sich die nach 1991 aus dem ehemaligen Jugoslawien neu entstandenen Staaten noch einmal neu formieren. Demnach ist es auch nicht schlüssig, wenn in der Literatur behauptet wird, dass der zentrale Auftrag der Bundeswehr aus den alten Zeiten der Bundesrepublik, die „Landesverteidigung“, nunmehr hinfällig sei. (Gunther Hellmann, Sicherheitspolitik, in: Siegmar Schmidt, Gunter Hellmann, Reinhard Wolf [Hrsg.], Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden 2007, S. 605 ff.; 616) Gray denkt hier unter anderem an eine zukünftige chinesisch-russische Achse gegen die USA, eine chinesisch-amerikanische Konfrontation, eine russisch-chinesische Konfrontation, eine kriegerische Auseinandersetzung Pakistan gegen Indien, eine amerikanisch-iranische Auseinandersetzung, ggf. unter Einbeziehung Israels, möglicherweise auch im israelischen Alleingang, Nordkorea gegen Südkorea und die Vereinigten Staaten von Amerika. (Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 178 ff.) Zu den strategischen Optionen und Wirkungen des Iranischen Programms vgl: Lothar Rühl, Was will Iran mit Atomwaffen? Grüde und Möglichkeiten – folgen einer Nuklearmacht am Golf, in: NZZ vom 7. Juli 2006, S. 6; vgl. Oliver Thränert, Das iranische Atomprogramm, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 48/2005, S. 10 ff. vgl. Jörg Eckhart Reschke, Innere und äußere Sicherheit – ein zwingender Verbund und die Notwendigkeit einer Europäischen Perspektive, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, Nr. 1/1. Quartal 2006, S. 1 ff.; 2 Friedrich August Freiherr von der Heydte, Strategie als Wissenschaft, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 37 ff.; 40 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 5; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 7
73
3.5
Der „erweiterte Sicherheitsbegriff“
Während des Kalten Krieges waren alle Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik Deutschland darauf gerichtet, die territoriale Unversehrtheit und politische Handlungsfreiheit des Staates aufrecht zu erhalten. Das herkömmliche Konzept der Selbstverteidigung ging von einer Invasion aus.409 Die Bürger der damaligen Bundesrepublik Deutschland, an der Nahtstelle zweier antagonistischer Systeme gelegen, partizipierten mehrheitlich eine Bedrohung durch die damalige Sowjetunion und die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes.410 Die mit der gestiegenen Schnelligkeit und der gewaltigen Vergrößerung der Reichweite auch über Hindernisse hinweg vorgetragene Angriffe ermöglichen es, an jedem beliebigen Ort, in jeder beliebigen Form und mit jeder beliebigen Gewaltanwendung die Zivilbevölkerung zu treffen und alle Heimatgebiete zum Kampfschauplatz zu machen.411 Allerdings erforderten schon zu jener Zeit die Offensivstrategie des Warschauer Paktes, die geopolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland sowie die damals möglichen Erscheinungsformen eines Krieges, dass die Fähigkeit zu wirksamer Verteidigung nicht nur in militärischen Vorbereitungen bestehen konnte.412 Demzufolge wurde der Verteidigungsbegriff Mitte der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts als ein Gefüge ziviler und militärischer Verteidigungsvorbereitungen verstanden, das sich zu einer Gesamtaufgabe des Staates entwickelt hatte und vom Behauptungswillen der Bevölkerung getragen werden musste. „Verteidigung“ ließ sich damals, im Gegensatz zum früheren Verständnis, als der militärische Bereich noch klar durch die „kämpfende Truppe“ mit autarker Bedarfsdeckung abgegrenzt werden konnte, nur noch als Gesamtverteidigung413 verstehen. Der Einsatz sämtlicher geeigneter militärischer und ziviler Mittel sollte die Durchhaltefähigkeit maximieren.414 Dieses Verständnis beruhte auf der Erkenntnis, dass der moderne Krieg nicht mehr in der rein militärischen Dimension geführt wird.415 Die Gesamtverteidigung umschließt den koordinierten Einsatz aller politischen, psychologischen, wirtschaftlichen und
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411 412 413 414 415
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Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 7; Die Tatsache, dass der Friede in Europa nur aufgrund der Aufrechterhaltung von Gleichgewicht und Stabilität gesichert werden konnte, zeigen die vielfältigen gewaltsamen Konflikte, die während des „Kalten Krieges“ in anderen „Schlüsselregionen“ der Erde geführt wurden. (vgl. David Stone, Wars of the Cold War. Campaigns & Conflicts 1945 – 1990, London 2004; vgl. Peter G. Tsouras [Hrsg.], Cold War Hot. Alternative Decisions of the Cold War, London 2003; vgl. Bernd Greiner, Christian Th. Müller, Dierk Walter [Hrsg.], Heiße Kriege im Kalten Krieg, Studien zum Kalten Krieg, Bd. 1, Hamburg 2006) Annette Bußmann, „Äußere Sicherheit und grenzüberschreitende staatliche Zusammenarbeit“ in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, BadenBaden 2005, S. 83 ff.; 83 f. Gerhard Schäfer, Die äußere Sicherheit des Staates durch Zivile Verteidigung, Dissertation, Würzburg 1974, S. 1 vgl. Bundesminister des Inneren, Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1972, S. 11 vgl. Bundesminister des Innern, Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – vom 10. Januar 1989, Bonn 1989 Gustav Däniker, Zwischen Hoffnung und Vorsicht, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 273 ff.; 274 Ulrich Zwygart, Die Gesamtverteidigungskonzeption unter besonderer Berücksichtigung der strategischen Fälle, Diessenhoven 1983, S. 1
militärischen Mittel eines Staates im Sinne einer umfassenden Landesverteidigung.416 Zivile417 und militärische Verteidigung wurden demnach als untrennbare Teile der Gesamtverteidigung gesehen.418 Unter ziviler Verteidigung werden im Rahmen der Gesamtverteidigung somit alle nicht-militärischen Maßnahmen verstanden, die sich auf die Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsgewalt, den Zivilschutz sowie die Versorgung und Unterstützung der Streitkräfte beziehen.419 Die Streitkräfte bedurften zur Durchführung ihres Auftrages – politisch gewollt – in vielfacher Form der Hilfe ziviler und militärischer Institutionen, sei es zur Bedarfsdeckung mit Gütern aller Art oder sei es zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen, die zivile Institutionen allein erbringen können. Hieraus resultierte in vielen Bereichen eine Gemengelage ziviler und militärischer Institutionen, deren Verflechtung teilweise umfassend war und sich funktionsbedingt nicht mehr strikt in räumlicher, sächlicher und persönlicher Hinsicht abgrenzen ließ. Landesverteidigung ließ sich in dieser Ausgestaltung nur noch als Gesamtkonzept verstehen, das die zivile Infrastruktur in die Militärische einband.420 Entsprechend wurde der Zivilschutz per definitionem als Sammelbezeichnung für öffentliche und private Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall gesehen. Oberstes Ziel auch der Zivilen Verteidigung war es, Staat und Regierung funktionsfähig zu erhalten.421 Zivilverteidigung wurde als „… untrennbarer und 416 417
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Hans Rudolf Kurz, Clausewitz und der Sonderfall Schweiz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 289 ff.; 296 Gemäß RN 18, Abs. 1 der Gesamtverteidigungsrichtline umfasst die nationale zivile Verteidigung folgende Aufgaben: „Die zivile Verteidigung umfasst die Planung, Vorbereitung und Durchführung aller ziviler Maßnahmen, die zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit einschließlich der Versorgung und des Schutzes der Zivilbevölkerung erforderlich sind. Dazu gehört es, 1. die Staats-und Regierungsfuktionen aufrecht zu erhalten; 2. die Zivilbevölkerung vor den im Verteidigungsfall drohenden Gefahren zu schützen, die unmittelbaren Auswirkungen von Feindseligkeiten zu beseitigen oder zu mildern und die für das Überleben der Zivilbevölkerung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen (Zivil schutz); 3. die Zivilbevölkerung und die Streitkräfte mit den notwendigen Gütern und Leistungen zu versorgen; 4. die Streitkräfte bei der Herstellung und Aufrechterhaltung ihrer Verteidigungsfähigkeit und Operationsfreiheit zu unterstützen. (Bundesminister des Innern, Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – vom 10. Januar 1989, Bonn 1989, S. 15) Für einen Überblick der Entwicklung der Konteption und Strategien der Zivilen Verteidigung in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 1998 vgl. Werner Schmitt, Paul Wilhelm Kolb, Zivile Verteidigung. Ein historischer Abriß, in: Notfallvorsorge 1998, Heft 1, S. 25 ff. Bundesminister der Verteidigung, Weißbuch 1973 / 1974. Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr, Bonn 1974, S. 39; zu den rechtlichen Problemen der Gesamtverteidigung vgl. Florian Festl, Die Gesamtverteidigung in der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsgrundlagen und ausgewählte Probleme, Dissertation Universität der Bundeswehr München / Neubiberg 1988 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 34 Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 2 Bundesminister der Verteidigung, Weißbuch 1973 / 1974. Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr, Bonn 1974, S. 39
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unverzichtbarer Bestandteil …“422 und als die zweite Säule der Gesamtverteidigung bezeichnet.423 Allerdings lässt sich der Sicherheitsbegriff nicht nur auf einen nationalen Fokus verengen. Die Bundesrepublik Deutschland ist in einen Verbund von supra- und internationalen Staatengemeinschaften eingebunden, für die das Thema Sicherheit ebenfalls essentiell ist. Folglich ist der Zivilschutz auch politisches Instrument des westlichen Verteidigungsbündnisses.424 Mit der vorgestellten Entwicklung korrespondiert auch das veränderte Verständnis eines „erweiterten Sicherheitsbegriffes“. Hier wird Sicherheit im Kontext gegenwärtiger Rahmenbedingungen als Komplex verstanden, der globale, regionale und nationale Aspekte von Sicherheit und Sicherheitspolitik integriert.425 Das Verständnis von Sicherheitspolitik muss folglich breiter sein, alle Facetten der internationalen Politik berücksichtigen und über enge regionale Bezüge hinausgehen.426 Damit tritt der früher beherrschende militärstrategische Aspekt der internationalen Sicherheit allmählich zurück.427 Unter dem Vorzeichen von Globalisierung und wachsenden (asymmetrischen) Interdependenzen von Akteuren haben Bedrohungen anderer Art an Bedeutung gewonnen.428 Das Sicherheitsverständnis in seiner allgemeinsten und umfassendsten Form erschöpft sich heute nicht mehr in der militärischen Sicherheit.429 Die ökonomische und soziale Bedeutung der Sicherheit wird in dem Maß weltweit an Bedeutung gewinnen, in dem militärische Macht als weniger brauchbar angesehen wird.430 Folglich sind sicherheitspolitische Fragen heute gesamtpolitische Aufgaben, die einen konzeptionellen Gesamtkatalog aller relevanten Aspekte des Politischen, SozioÖkonomischen, Ökologischen, Humanitären und Militärischen beinhalten.431 Insofern wird 422 423 424 425
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Bundesminister des Inneren, Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1972, S. Gerhard Schäfer, Die äußere Sicherheit des Staates durch Zivile Verteidigung, Dissertation, Würzburg 1974, S. 11 Ewald Andrews, Bevölkerungsschutzpolitik. Studien und Betrachtungen zur Risikobeherrschung durch Krisenmanagement, Köln, Berlin, Bonn, München 1989, S. 141 Ina Plath, Militärische Sicherheit und das Problem kollektiver Güter, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (Hrsg.), SOWI-Arbeitspapier Nr. 106, Strausberg 1997, S. 7; vgl. Rolf Wagner, Zu einigen militärökonomischen Aspekten des militärischen Erneuerungsprozesses, in: Forschungsinstitut für Militärökonomie und angewandte Konversion Berlin, Gesellschaft für Militärökonomie e. V. Koblenz (Hrsg.), Verteidigung und Ökonomie, 1992, S. 69 ff.; 69 Klaus Naumann, Bundeswehr und Verteidigung, in: ÖMZ 1991, S. 35 ff.; 35 Lothar Rühl, Die strategische Lage zum Jahreswechsel, in: ÖMZ 1999, S. 3 ff.; 5; vgl. Wilfried von Bredow, Sicherheitspolitik, Streitkräfte und Wehrstruktur vor den Herausforderungen einer turbulenten Weltordnung, in: Ludwig Jacob, Heinz-Gerhard Justenhoven (Hrsg.), Wehrstruktur auf dem Prüfstand. Zur Debatte um die neue Bundeswehr, Stuttgart, Berlin, Köln 1998, S. 11 ff.; 12; vgl. Korkisch, der ebenfalls die Bedeutung der Faktoren der Geo-Ökonomie betont. (Friedrich Korkisch, Neue Bedrohung für Europa. Droht eine Rückkehr zu den „alten Bedrohungen“, in: ÖMZ 1995, S. 11 ff.; 16) Wilfried von Bredow, Sicherheitspolitik, Streitkräfte und Wehrstruktur vor den Herausforderungen einer turbulenten Weltordnung, in: Ludwig Jacob, Heinz-Gerhard Justenhoven (Hrsg.), Wehrstruktur auf dem Prüfstand. Zur Debatte um die neue Bundeswehr, Stuttgart, Berlin, Köln 1998, S. 11 ff.; 12 Rolf Wagner, Zu einigen militärökonomischen Aspekten des militärischen Erneuerungsprozesses, in: Forschungsinstitut für Militärökonomie und angewandte Konversion Berlin, Gesellschaft für Militärökonomie e. V. Koblenz (Hrsg.), Verteidigung und Ökonomie, 1992, S. 69 ff.; 69 Robert O’Neill, Europas Sicherheit in den neunziger Jahren. Eine neue Organisation für eine neue Herausforderung: Die Europäische Entwicklungsallianz, in: ÖMZ 1991, S. 102 ff.; 107 Hartmut Bühl, Europäische Verteidigungsidentität. Das Eurokorps als ein erster militärischer Ansatz, in: ÖMZ 1994, S. 609 ff.; 610; vgl. Robert O’Neill, Europas Sicherheit in den neunziger Jahren. Eine neue Organisation für eine neue Herausforderung: Die Europäische Entwicklungsallianz, in: ÖMZ 1991, S. 102 ff.; 107; vgl. Werner Hahlweg, Krieg – Kriegskunst - Kriegstheorie, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 7 ff.; 9 f.
deutlich, dass heute zivile und militärische Mittel im Blickfeld der Sicherheitspolitik stehen.432 Mit diesem sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel haben sich auch die Bedingungen für den Zivilschutz grundlegend verändert.433 Folglich muss es das Ziel der Sicherheitspolitik sein, den Grad der Verwundbarkeit gegenüber zahlreichen Möglichkeiten der Verletzungen zu reduzieren.434 Allerdings wird in der Literatur darauf verwiesen, dass die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften steigt.435 Damit befindet sich die Sicherheitspolitik in einem Dilemma, auf die sie die geeigneten Antworten finden muss. Es ist ein Wesensmerkmal des Terrorismus, dass es für einen Staat oder eine Gesellschaft schlechterdings keinen absoluten Schutz gegen ihn gibt und geben kann, weil zum einen alle Bestandteile einer Gesellschaft zu potentiellen Angriffszielen geworden sind (und man nicht alles schützen kann) und sich zudem der terroristische Gegner teilweise unerkannt in den „eigenen Reihen“ befindet.436 Insofern ist „absolute Sicherheit“ nicht herstellbar und es gibt folglich auch keine Garantie von Sicherheit, sondern bestenfalls die Reduktion von Unsicherheit.437 3.5.1
Die neue Qualität der Bedrohungen
Die neue Qualität der heutigen Bedrohungen, insbesondere des transnationalen Terrorismus, liegt nunmehr darin, dass die Realisierung von Anschlägen im Inland nur schwer prognostizierbar ist. Die Bedrohung liegt in diffusen Gefahren, die ihren Ursprung oftmals in weit entfernten Regionen haben, aufgrund der Globalisierung aber Wirkung als Ausfluss eines „allgemeinen Lebensrisikos“438 im Innland entfalten können.439 Es fehlt weitgehend an klaren und konkreten Gegner- (oder Täter-) und Fähigkeitsprofilen, deren Potenziale und Einsatzgrundsätze bekannt sind und auf die sich die Stellen staatlicher Gefahrenabwehr 432 433 434 435
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Jörg Eckhart Reschke, Innere und äußere Sicherheit – ein zwingender Verbund und die Notwendigkeit einer Europäischen Perspektive, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, Nr. 1/1. Quartal 2006, S. 1 ff.; 3 vgl. Dietrich Läpke, Die Neuausrichtung der zivilen Sicherheitsvorsorge und des Zivil- und Katastrophenschutzes, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Ergänzungsband 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 107 ff.; 107 Dieter Dettke, Begriffe I. Der Sicherheitsbegriff, in: Richard Rinke, Wichard Woyke (Hrsg.), Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Eine Einführung, Opladen 2004, S. 9 ff.; 11 vgl. Laurent F. Carrell, Leadership in Krisen. Ein Handbuch für die Praxis, Zürich 2004, S. 117; vgl. Hans Joas, Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Weilerswist 2000, S. 259; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Konzeption der Bundeswehr, Berlin 2004, S. 7; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, S. 25 Johann Schmid, Ein Neuansatz in der Auseinandersetzung mit dem internationalem Terrorismus, in: Europäische Sicherheit 2005 S. 75 ff.; 77 Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 5 vgl. NN., Anschläge als allgemeines Lebensrisiko, in: IAP-Dienst Wirtschaft, Nr. 10 / Oktober 2004, S. 10 Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http://www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 1
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personell, materiell und von den Abläufen des eigenen Krisenmanagements her verbindlich – checklistenartig – einstellen können.440 Insofern gibt es weder einheitliche Muster über Begehungsweisen, noch liegt ein typisches Täterprofil vor. Gleiches gilt für mögliche Anschlagsziele und deren Auswahl; hier ist ein breites Zielspektrum von „harten“, symbolträchtigen Zielen bis hin zu „weichen“ Zielen (Menschenansammlungen) zu erkennen. Auf Grund der Globalisierung, deren wesentliches Element die zunehmende Mobilität der Wirtschaft, aber auch von Individualpersonen ist, ist eine starke Vulnerabilität441 nicht nur innerhalb Deutschlands oder im grenznahen Ausland gegeben, sondern auch in überseeischen und transkontinentalen Produktionsstätten, Handelszentren und Touristenzielen. Dementsprechend werden feindlich gesinnte Kräfte ihr Verhalten grundsätzlich an folgenden Zielparametern ausrichten:
x x x x x
Identifikation von Schwachstellen und Nutzung des schwächsten Glieds in der Kette des anzugreifenden oder zu schädigenden Systems. Minimierung des Aufwands sowohl für die Erzeugung des Angriffspotenzials als auch für die Durchführung der Operationen. Maximierung der Wirkung und damit des Schadens des Anzugreifenden. Schutz vor Entdeckung und vor Gegenmaßnahmen des Angegriffenen. Nutzung modernster Verfahren und Technologien.442
Damit wird aber auch die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit zunehmend schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. 3.5.2
Schutz von Wirtschaftsunternehmen
Die Bedeutung des Schutzes von Wirtschaftsunternehmen wurde bisher vornehmlich aus Sicht des Staates in dem Gesamtzusammenhang des Kalten Krieges betrachtet.443 Maßnah440
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442
443
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Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 22; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus und Zivilschutz, in: Informationsdienst Terrorismus 2004, Heft 3, S. VII; vgl. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 304; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 3 Vulnerabilität bzw. Verwundbarkeit wird grundsätzlich nach mehreren Kategorien unterschieden: Natürliche Vulnerabilität (alle Lebewesen sind bereits aufgrund der Tatsache, dass sie leben, auch verwundbar), Pysische Vulnerabilität, ökonomische, soziale, politische, technische, kulturelle, pädagogische, ökologische und institutionelle Vulnerabilität (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 7) Reinhard Hutter, „Cyber-Terror“: Risiken im Informationszeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 31 ff.; 31; vgl. Reinhard Hutter, Risiken im Informationszeitalter, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 483 ff.; 483 f. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 2
men der militärischen und auch der zivilen Verteidigung wurden grundsätzlich als reaktiv verstanden.444 Neben den präventiven und repressiven polizeilichen Maßnahmen im Frieden war staatlicher Schutz vor Sabotage, Subversion und verdeckt operierenden Kräften im Wesentlichen nur im Rahmen des (zuvor festgestellten) Spannungs- oder Verteidigungsfalles vorgesehen.445 Allerdings wurden insbesondere aus Sorge vor terroristischen Angriffen gegen Kernkraftwerke und dem Luftverkehr den Betreibern umfangreiche Eigensicherungspflichten aufgegeben.446 Darüber hinaus war das Krisen447- und Sicherheitsmanagement der Unternehmen vor allem deren eigene Angelegenheit.448 Zudem beschränkten sich die Unternehmen auf den Schutz ihrer Interessen gegenüber kriminell motivierten Tätern als Ausdruck der Überzeugung, dass die größte Gefahr von Tätern ausginge, die es auf die Ressourcen der Zielunternehmen abgesehen hätten, während Terroristen ihre Aktivitäten auf politische Ziele konzentrieren würden.449 Allerdings waren zu jener Zeit die Kritischen Infrastrukturen (Verkehr, Telekommunikation, Energie, Postwesen etc.) im Besitz der öffentlichen Hand, also des Staates. Demzufolge wurden sie auch als staatliche Einrichtungen und nicht als Unternehmen betrachtet. 3.5.3
Erweiterung des Bedrohungsspektrums
Sicherheitspolitik findet seit dem Ende des Kalten Krieges verstärkt unter den Bedingungen von Unsicherheit statt, die durch eine multipolare Ordnung, wirtschaftliche Globalisierung, die Informationsrevolution und die durch sie hervorgerufene tief greifende mentale und kulturelle Veränderungen, die beschleunigte Ablösung industriegesellschaftlich geprägter Sozialstrukturen und sozialer Milieus, demographische Entwicklungen und Wanderungsbewegungen, welche die Grundfesten der tradierten sozialen Sicherungssysteme erodieren lassen, gekennzeichnet sind.450 Insofern besteht heute eine Konfrontation mit einem erwei444 445 446
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448 449 450
Bundesminister des Inneren, Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1972, S. 12 f. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 2 vgl. Udo Behrendes, Thomas Jungbluth, Josef Twickler, Polizeiliche Zusammenarbeit mit Privaten? Das Spannungsfeld zwischen hoheitlicher und privater Gefahrenabwehr, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis, Essen 1996, S. 201 ff.; 211; Zu den rechtlichen Problemen beim Schutz von Kerkraftwerken bei terroristischen Bedrohungen vgl. Thomas von Danwitz, Rechtsfragen terroristischer Angriffe auf Kernkraftwerke, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2002 Unter Krise ist eine, vom Normalzustand abweichende Lage zu verstehen, die durch ein Risikopotential gekennzeichnet ist, das Gefahren und Schäden für Leib und Leben von Menschen oder bedeutende Sachwerte in sich birgt. (Ewald Andrews, Bevölkerungsschutzpolitik. Studien und Betrachtungen zur Risikobeherrschung durch Krisenmanagement, Köln, Berlin, Bonn, München 1989, S. 64) Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 2 Christoph Rojahn, Internationaler Terrorismus als Herausforderung für die moderne Unternehmenssicherheit, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 441 ff.; 441 Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 366; vgl. Annette Bußmann, „Äußere Sicherheit und grenzüberschreitende staatliche Zusammenarbeit“ in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte
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terten Spektrum von Risiken und Bedrohungen. Durch die Veränderung regionaler Strukturen und gleichzeitigen Bedeutungsverschiebungen zwischen räumlichen Maßstabsebenen haben sich die Probleme der äußeren Sicherheit verändert.451 Heute ist längst erkannt, dass die neuen Bedrohungen nicht mehr (nur) von Staaten ausgehen, deren Bedrohungspotenzial bekannt ist und auf die man sich durch nationale Vorsorge – eingebunden in supra- und internationale Strukturen – einstellen kann, sondern zunehmend von transnationalen, nichtstaatlichen Akteuren, welche, die Vorteile der Globalisierung nutzend, entsprechend an Staaten vorbei bzw. gegen Staaten aktiv sind.452 Die Kehrseite der Globalisierung, des freien Austausches von Informationen und Ideen liegt im Risiko der illegalen Aneignung und des Missbrauchs von sensiblem Wissen, Technologien und neuen Fähigkeiten.453 Die grenzüberschreitende Politik vornehmlich nichtstaatlicher Akteure in der transnationalen Politik steht in einem Spannungsverhältnis zur nationalstaatlichen Souveränität durch die rein funktionale Interaktion zwischen mehreren Gesellschaften in bestimmten Sachbereichen.454 Dieses bedeutet eine neue Qualität der Bedrohung. Wenn kriegerische Auseinandersetzungen im modernen Zeitalter vorwiegend zwischen einzelnen Staaten stattfanden und sich zumeist an ideologischen oder territorialen Streitfragen entzündeten, brechen heute gewaltsam ausgetragene Konflikte immer häufiger innerhalb einzelner Gesellschaften auf, wobei es um Fragen der nationalen Identität und der Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Staatsgebilde geht.455 Die Träger dieser innerstaatlichen Konflikte sind somit nicht mehr (ausschließlich) Regierungen, sondern beispielsweise um Autonomie und Sezession kämpfende Gruppen mit ethnischer, religiöser oder innerstaatlich-nationaler Motivation.456 Die statischen strategischen Konfliktlinien als feststehende und überschaubare Bedrohungsgrößen haben sich in eine strategische Unübersichtlichkeit aufgelöst. Globalisierungs- und Fragmentierungsprozesse stehen sich ebenso diametral gegenüber wie Integrations- und Zerfallsprozesse. Insofern hat sich auch die Wahrnehmungsperspektive geändert: Da sind
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Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 83 ff.; 84; Paul Kennedy prognostizierte bereits 1992 entsprechend demographisch getriebene soziale Unruhen, politische Instabilität und regionale Kriege mit Auswirkungen auf die internationale Sicherheit. (Paul Kennedy, In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1993, S. 53) Zu den Dimensionen von Sicherheitspolitik vgl. Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATO- und WEU-Staaten im Vergleich, BadenBaden 2005, S. 37 ff. Klaus-Achim Boeseler, Neue Ansätze der Politischen Geographie und der Geopolitik zu Fragen der Sicherheitspolitik, in: Wolf-Ulrich Jorke, (Hrsg.), Sicherheitspolitik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Ausgewählte Themen – Strategien – Handlungsoptionen. Festschrift für Dieter Wellershoff, S. 75 ff. 75; zum Paradigmenwechsel der Sicherheitspolitik vgl. Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATO- und WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 104 ff. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 3 Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, S. 23 vgl. Ulrike Rausch, Transnationale Politik, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 650 f.; 650 f. Robin Wright, Doyle McManus, Aufstand im globalen Dorf. Auf der Suche nach der neuen Weltordnung, Düsseldorf 1995, S. 16 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 22
die neben den Nationalstaaten entstandenen anderen Akteure, die grenzüberschreitenden Ströme und Abhängigkeiten, die entstehenden transnationalen Wirtschaftszonen, die eben auch Identität stiftende Kulturräume jenseits nationaler Staatlichkeit und die Bildung neuer Identitäten und Loyalitäten z.B. über Religionsgemeinschaften, bei denen grenzüberschreitende Zugehörigkeiten dominieren.457 Zudem sind die Akteure im Zuge der Schattenglobalisierung mit der Weltwirtschaft verbunden und beziehen daher ihre Ressourcen.458 Die Risiko- und Bedrohungsszenarien sind somit fluider Natur und diffus. Private organisierte Clans treten hier ebenso auf wie Akteure mit mafiösen Strukturen. Auch hier können die Übergänge fließend sein. In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, dass ehemals vor allem lokal operierende Kriegsherren inzwischen internationale Verbindungen aufgebaut haben, die sie ebenfalls zu bedeutsamen Akteuren der Weltpolitik werden lassen.459 Seitens der Akteure besteht aus diesem Blickwinkel oftmals gar kein Interesse, die Zustände zu verändern,460 da sie mit einer Veränderung der Bedingungen ihre eigene Machtposition in Frage stellen würden und gefährden könnten. Somit sind die Akteure in Kriegen heute untereinander verflochtene Machtzentren von demokratischen Staaten und Regierungen bis hin zu vernetzten Agenturen und Organisationen aus verschiedensten Bereichen mit unterschiedlichsten Interessenlagen.461 Wenn also irreguläre Organisationen transnationale Strukturen annehmen, „Heilige Kriege“ zu führen glauben und potentiell weltweit operieren, stehen die VN und das Völkerrecht vor einer neuen Herausforderung.462 Auch für die Innere Sicherheit des Staates, der präventiv und repressiv bisher im Schwerpunkt auf die innerstaatliche Verbrechensbekämpfung ausgerichtet war, hat dieses grundlegende Folgen: An die Stelle klassischer militärischer Konflikte treten in zunehmendem Maße kleine und asymmetrische Kriege, in denen das Handeln der nicht-staatlichen Akteure meist nicht gegen militärische Ziele gerichtet ist, sondern auf die Erzielung eines größtmöglichen – insbesondere psychologischen – Effektes in der Gesellschaft.463 Es kämpfen sehr „unterschiedliche“ Kontrahenten mit „ungleichen Mitteln und Maßnahmen“ ge-
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459 460
461 462 463
Kai Hirschmann, Risiken II. Internationaler Terrorismus als sicherheitspolitische Herausforderung, in: Bernhard Rinke, Wichard Woyke (Hrsg.), Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Eine Einführung, Opladen 2004, S. 77 ff.; 78 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 22 Boaz Ganor, Defining Terrorism: Is One Man’s Terrorist Another Man’s Freedom Fighter?, http://www.ict.org.il/articles/ define.htm, Internet vom 21.12.2006, S. 5 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23 Hermann Jung, Zum Nachdenken: Änderung des Kriegsbildes – Folgen für die Streitkräfte, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=190&print=1, Internet vom 29. November, 2006, S. 1 Dieter Wiefelspütz, Sicherheit vor Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?, in: NZWehrr 2003, S. 45 ff.; 51 Martin Neujahr, Vernetzte Operationsführung und das neue operative Umfeld: Gesteigerte Einsatzwirksamkeit durch verbesserte Führungsfähigkeit, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Vernetzte Sicherheit. Leitidee der Sicherheit im 21. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 38 ff.; 38 f.; vgl. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 31
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geneinander.464 Die Akteure sind zunehmend weltweit vernetzt und transnational tätig mit der Folge, dass die innere und äußere Sicherheit immer mehr ineinander ineinander übergreifen465, die Grenzen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen und nur unklar zu definieren sind. Insofern ist ein Umfeld entstanden, in dem interne und externe Sicherheitsaspekte nicht mehr voneinander zu trennen sind.466 Innere Sicherheit ist vielmehr auch Voraussetzung für eine wirksame Abwehr äußerer Bedrohungen.467 Gleichfalls gerät die Grenze zwischen Völkerrecht und staatlichem Recht ins Schwimmen468 und ebenso verwischen die Ränder zwischen polizeilicher, militärischer Gefahrenabwehr469 und nachrichtendienstlicher Aufklärung und Aktion. Mithin ist die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit heute kein griffiges analytisches Instrument mehr.470 Speziell die Zäsur des 11. Septembers 2001 verdeutlicht stärker als alle anderen grenzüberschreitenden Gefährdungen zuvor, wie stark die äußere und die innere Sicherheit der Staaten miteinander verflochten ist, und zeigt gleichzeitig die Dringlichkeit der internationalen Kooperation zur Gefahrenabwehr auf.471 Mit den Erscheinungsformen des neuen internationalen bzw. transnationalen Terrorismus werden in völker- und staatsrechtlicher Hinsicht vielfältige Fragen über die Einordnung der Erscheinungen, Auswirkungen und die Behandlung der Akteure aufgeworfen. Problematisch ist für Münkler hier unter anderem, ob es sich beim Terrorismus um Formen einer stecken gebliebenen Revolution handelt, also 464 465 466
467 468 469 470
471
82
Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 4 Peter Arbenz, Sicherheit und Migration, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 301 ff.; 301 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 2; vgl. Gottfried Greiner, Heimatschutz – das veränderte Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 125 ff.; 126; vgl. Jörg Eckhart Reschke, Innere und äußere Sicherheit – ein zwingender Verbund und die Notwendigkeit einer Europäischen Perspektive, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, Nr. 1/1. Quartal 2006, S. 1 ff.; 1; vgl. Thomas Pankratz, Tibor Benczur-Juris, Asymmetrie in der Symmetrie: Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation von Nachrichtendiensten am Beispiel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus im Rahmen der Europäischen Union, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 53 ff.; 53; vgl. Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld, Vorwort der Herausgeber, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 9 ff.; 9; Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http://www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 2 Manfred Funke, Zwischen Staatsvernunft und Gefühlskultur: Aspekte innerer und äußerer Sicherheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 3 ff.; 3 Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 93 Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 83 Samuel Schmid, Der sicherheitspolitische Verfassungsauftrag im heutigen strategischen Umfeld, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 11 ff.; 11; vgl. Christof Gramm, Die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Grenzen in der Verfassung, in: NZWehrr 2005, S. 133 ff.; 135 Steffen Angenendt, Innere Sicherheit und internationale Politik, in: Wolfgang Wagner, Helmut Hubel, Karl Kaiser, Hans W. Maull, Klaus-Werner Schatz (Hrsg.), Jahrbuch Internationale Politik 2002 / 2003, München 2004, S. 33 ff.; 33
Versuche, durch die funktionalen wie symbolischen Effekte demonstrativer Gewalt eine Mehrheit der Bevölkerung auf die eigene Seite zu ziehen, oder ob der Terrorismus, zumindest in seinen jüngeren Formen, eine neue Form der Kriegführung ist, die bevorzugt von substaatlichen bzw. halbprivaten Politikakteuren bevorzugt wird, weil hier die Eintrittsschwelle zur Kriegsführungsfähigkeit eher niedrig ist und schon mit geringen Mitteln beachtliche Effekte erzielt werden können.472 Die klassischen Definitionen von Kombattanten und Straftätern scheinen jedenfalls so nicht mehr zu passen. Diese Akteure fügen sich nicht nahtlos in die tradierte Zuständigkeitsverwaltung.473 Dabei muss eine umfassende Sicherheitsvorsorge auch technische, wirtschaftliche und ökologische Risiken und Kausalketten im Auge behalten, nicht zuletzt, weil sich hieraus Tatgelegenheiten und Wirkungsverstärker für terroristische Anschläge ergeben können.474 Daher ist zukünftig das nationale Sicherheitssystem nicht mehr allein auf den Verteidigungsfall (V-Fall) zu fokussieren, sondern es sind alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge fachübergreifend zu berücksichtigen und zu einem wirksamen Schutzsystem für die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen zu verknüpfen. Folglich sind Sicherheitsvorsorge und Verteidigung gesamtstaatliche Aufgaben und nicht solche einzelner Ressorts.475 Dementsprechend wird der engere Begriff, die traditionell mit dem Verteidigungsfall verknüpfte Bezeichnung „Zivilschutz“, heute durch den Begriff „Bevölkerungsschutz“476 erweitert. Mithin ist Bevölkerungsschutz eine – wenn auch nicht legal definierte – Staatsaufgabe.
472
473 474 475 476
Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international – Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. - 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 15 vgl. Klaus G. Meyer-Teschendorf, Neue Strategie für die zivile Sicherheitsvorsorge, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 2, S. 5 ff.; 6 Lutz Diwell, Gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Ergänzungsband 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 47 ff.; 48 Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 84; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Wenngleich das Zivilschutzgesetz (ZSG) in der seit dem 1. Mai geltenden Fassung den Schutz der Bevölkerung erwähnt, wird in dieser Vorschrift der Begriff „Bevölkerungsschutz“ nicht definiert. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Bevölkerungsschutz (BBK) verwendet als Arbeitsbegriff derzeit die folgende Definition: „Bevölkerungsschutz ist die Summe aller nicht-polizeilichen und nicht-militärischen Maßnahmen, die erforderlich ist, um die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen bei Katastrophen, in Notlagen und im Falle bewaffneter Konflikte zu schützen sowie zur Verhinderung, Begrenzung und Bewältigung von Schadensereignissen beizutragen.“ (Hans-Peter Weinheimer, Schutz durch Kooperation und Kompetenz. Plädoyer für einen modernen Bevölkerungsschutz im Zeitalter asymmetrischer Konflikte, in: Europäische Sicherheit, Heft 12, 2006, S. 59 ff.; 59) Die Abgrenzung der vorstehenden Definition zu polizeilichen und militärischen Maßnahmen verkennt die Notwendigkeit der Vernetzung der staatlichen Institutionen zur Gefahrenabwehr und die sich hieraus ergebenden Überschneidungen und geht somit auch hinter den Begriff der Gesamtverteidigung zurück. Mithin ist nach der hier vertretenden Meinung die Definition des BBK zu eng gefasst. An anderer Stelle wird denn auch Bevölkerungsschutz als „Sammelbezeichnung für öffentliche und private Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung unabhängig vom Grund des Schadensereignisses“ erläutert. (Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz, Wörterbuch für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, 2. Aufl., Köln 2006, S. 8)
83
3.5.4
Unternehmenssicherheit
Es gilt also, alle Systeme nachhaltig zu schützen, welche in einem geographischen oder organisatorischen Bereich definierte Leistungen für eine Vielzahl von Nutzern bereitstellen und deren Einschränkung ihrer Funktionsfähigkeit erkennbar dazu führen kann, dass wichtige Aufgaben in einem Unternehmen oder gar im Staat nicht mehr wahrgenommen und damit wesentliche Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden können. Fraglich ist hier, ob – außer einigen für die Sicherheit direkt Verantwortlichen – in den Unternehmen der Wirtschaft ein ausreichendes Bewusstsein dafür vorherrscht, dass die Sicherheit nicht erst am Werkszaun beginnt bzw. dort aufhört.477 Auch die Unternehmenssicherheit hat über den eigentlichen Verantwortungsbereich, das Unternehmensgelände, hinaus einen Interessenbereich wahrzunehmen und zu definieren, aus dem in unterschiedlicher Weise auf das Unternehmen gewirkt werden kann und aus dem heraus sich – unmittelbar und mittelbar – Bedrohungen für das Unternehmen ergeben könnten.478 In diesem Sinne muss sich moderne Unternehmenssicherheit als Risikomanagement verstehen, das Sicherheitsaufgaben nicht mehr inselartig, sondern ganzheitlich, als „integrale betriebliche Gefahrenabwehr“, durchführt, bei der das präventive und operative Krisenmanagement eine immer wichtigere Rolle spielt.479 Diese Überlegungen müssen auch Eingang in die ganzheitlichen Sicherheitskonzepte480 der Unternehmen finden und zur Herausarbeitung von Maßnahmen und Forderungen zu ihrer Umsetzung führen, die diesen Bedrohungen in angemessener Weise begegnen. Diese Unternehmen stehen bei der Wahrnehmung ihrer Sicherungsaufgaben in einem Spannungsverhältnis zur wirtschaftlichen Marktsituation, die sie zwingt, im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit die Aufwendungen und Kosten für die Bereitstellung ihrer Leistungen und ggf. redundanter Systeme gering zu halten.481 Unternehmenssicherheit muss wesentlicher Bestandteil des Shareholder-Value werden. Dazu gilt es auch hier bei Vorständen, Geschäftsführern, der Belegschaft und den Aktionären ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln. 3.5.5
Angriffspunkte und Verletzbarkeit moderner Industriegesellschaften
Gerade der Staat der modernen technologieabhängigen Industriegesellschaft, die zugleich Informations- bzw. Kommunikationsgesellschaft ist, ist durch Gewalt besonders verwund477 478 479
480 481
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Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 7 Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.;7 Norbert Wolf, Sicherheitskooperationen als weltweite Zweckbündnisse aus Sicht der Wirtschaft, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 38 ff.; 42 vgl. hierzu beispielhaft: Dieter Sack, Corporate Security – ein Konzept für konzernweiten Unternehmensschutz, in: WIK 2000, Heft 5, S. 17 ff. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.;8
bar.482 Mit vergleichsweise geringem Aufwand lassen sich schwere Schäden gegen die Nervenzentren der modernen Industriegesellschaft führen.483 Hochindustrialisierte Wirtschaftsnationen wie die Bundesrepublik Deutschland haben ein großes Potenzial an Kritischer Infrastruktur, deren Störung, Ausfall oder Vernichtung in Teilen oder in Gänze unmittelbar wie auch mittelbar zu massiven Beeinträchtigungen des öffentlichen und privaten Lebens führen könnte.484 Unter Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) werden Organisationen und Einrichtungen mit (lebens-) wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen verstanden, bei deren Ausfall oder Störung für größere Bevölkerungsgruppen nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe oder andere dramatische Folgen eintreten.485 Insofern zählen zu den Kritischen Infrastrukturen insbesondere die Energieversorgung486, die Informations482
483
484
485
486
Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2; vgl. Hans Joas, Kriege und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Weilerswist 2000, S. 260; vgl. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 31; vgl. Stephan Loretan, Martin Dietrich, Bedrohung und Schutz der Informationsgesellschaft, in Land Power Revue der Schweizer Armee Nr. 3, 2005, Beilage zur ASMZ Heft 12, S. 5 ff.; 5 NN. Neue Formen des internationalen Terrors, in: NZZ vom 13. September 2001, S. 7; vgl. David Last, Special Operation Forces in Conventional Armies. “Salvation Army” or “Dirty Dozen”?, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last (Hrsg.), Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 35 ff.; 38 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 301; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 4; vgl. Norman R. Augustine, Foreword, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. TwentyFirst-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. vii ff.; xi Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 1; vgl. Bundesministerium des Inneren, Schutz Kritischer Infrastrukturen – Basisschutzkonzept. Empfehlungen für Unternehmen, Berlin 2005; vgl. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 70; vgl. Tillmann Schulze, Der Schutz Kritischer Informationsstrukturen als staatliche Aufgabe, in: Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung (Hrsg.), Sicherheitskommunikation in Großräumen, Stiftungsreihe 69, S. 16 ff.; 16; vgl. Ralph Alexander Lorz, Lars Mammen, Bedeutung multilateraler Konventionen für das Vorgehen gegen Terrorismus, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 321 ff.; 322 f. Kritische Punkte sind allerdings nicht nur die Anlagen zur Ernergieversorgung im Lande. Strategisch und operativ sind in einem weiteren Zusammenhang auch die Ressourcenfelder (z.B. Öl, Gas), Förderungsanlagen und Infastrukturanlagenanlagen (Pipelines, Verschiffungshäfen und Transportrouten etc.) als strategische Punkte und Linien zu sehen, die es gilt zu sichern und ggf. auch aktiv zu schützen Zu den Fragen der Energiesicherheit als sicherheitspolitischen Faktor vgl. Marco Seliger, Der Wettlauf um die Schätze der Erde, in: loyal, Heft 6, 2006, S. 8 ff.; vgl. Frank Umbach, Die Zukunft der Energiesicherheit, in: Wolfgang Wagner, Helmut Hubel, Karl Kaiser, Hanns W. Maull, Klaus-Werner Schatz (Hrsg.), Jahrbuch Internationale Politik 2001/2002, München 2004, S. 141 ff.; vgl. Aschot Manutscharian, Machtfrage. Wer besitzt die Welt, in: Y. Magazin der Bundeswehr, Heft 10, 2006, S. 10 ff.; vgl. Andreas Knudsen, Sicherheitsrisiko Ostseepipeline, in: Marineforum, Heft 1/2 2007, S. 9 ff.; vgl. Joachim Krause, Die internationalen sicherheitspolitischen Herausforderungen, in: Europäische Sicherheit, Heft 10, 2006, S. 12 ff.; 18; Zur aktuellen Bedeutung der Transportwege über See vgl. u.a. ms, Verwundbare Transportadern, in: loyal, Heft 6, 2006, S. 16 ff.; vgl. Thomas Kunze, Sicherheit im Hafen und auf See, in: Homeland Security, Heft 4, 2006, S. 70 ff.; 70 vgl. Thomas Kahl, Gefährliche Gewässer, in: Y. Magazin der Bundeswehr, Heft 8, 2006, S. 10 ff.; Dem Seetransport kam allerdings auch bereits während des Kalten Krieges eine entscheidende strategische und operative Bedeutung zu. (Friedrich Korkisch, Seetransport, in: ÖMZ
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technologien und die Telekommunikation, das Notfall- und Rettungswesen, das Gesundheitswesen, Transport und Verkehr, die Ver- und Entsorgung, das Banken- und Versicherungswesen sowie Regierung und öffentliche Verwaltung,487 Medien, Großforschungseinrichtungen und Kulturgüter.488 Im Fokus stehen hierbei auch ganz besonders Wasserverund entsorgung sowie Ernährung.489 Das betrifft insbesondere Ballungsgebiete und Großstädte mit hoher Einwohnerzahl und -dichte. Mit dem Ausfall Kritischer Infrastrukturen könnte gleichzeitig ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden verbunden sein. Genau dieses könnte bezweckt sein.490 Angriffe auf kritische Infrastrukturen haben somit ein großes schadenspotential und treffen die Lebensadern moderner Gesellschaften.491 Die Abhängigkeit von der qualitativen und quantitativen Versorgung mit Strom, Wärme, Wasser, Nahrungsmitteln, die Notwendigkeit des Offenhaltens unserer Verkehrswege (zu Lande, zu Wasser und in der Luft), die Notwendigkeit intakter Organisationsstrukturen und Kommunikationseinrichtungen macht Industrienationen erpressbar.492 Damit unterscheiden sich diese Hochindustriegesellschaften diametral von unterentwickelten Ländern, die nicht über ein solches Potenzial Kritischer Infrastrukturen verfügen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine solche Bedrohung in solchen Ländern kaum
487
488 489 490 491 492
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1980, S. 23 ff.) Zur aktuellen Lage der Energieversorgung vgl. Hans Frank, Wie steht es um die Sicherheit unserer Energie, in: Europäische Sicherheit, Heft 5, 2006, S. 14 ff.; Hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands weist Adam darauf hin, dass kein anderes Land vergleichbarer Größe so stark in den Welthandel verwoben und so stark vom Weltmarkt abhängig ist wie die Bundesepublik Deutschland. (Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft [BFZ] der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http://www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 1 f.; vgl. Rudolf Adam, Geostrategische Risiken für die Energieversorgung in Deutschland, Vortrag auf der Winterarbeitstagung des Industrieverbandes Steine und Erden BadenWürttemberg e.V. und des Bayerischen Industrieverbandes Steine und Erden e.V. Lenzerheide, 10. Januar 2007) Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 1; vgl. Myriam Dunn, Isabelle Wigert, Critical Information Infrastructure Protection. An Inventory and Analysis of Protection Policies in Forteen Countries, Zürich 2004, S. 97; vgl. Stephan Loretan, Martin Dietrich, Bedrohung und Schutz der Informationsgesellschaft, in Land Power Revue der Schweizer Armee Nr. 3, 2005, Beilage zur ASMZ Heft 12, S. 5 ff.; 5; vgl. Reinhard W. Hutter, Sicherheit und Risiken vernetzter Gesellschaften, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 539 ff.; 542 Tillmann Schulze, Der Schutz Kritischer Informationsstrukturen als staatliche Aufgabe, in: Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung (Hrsg.), Sicherheitskommunikation in Großräumen, Stiftungsreihe 69, S. 16 ff.; 16 vgl. William R. Schilling, Nontraditional Warfare Threats, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 3 ff.; 6 vgl. Norman R. Augustine, Foreword, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. TwentyFirst-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. vii ff.; xi vgl. Jörg Ziercke, Innere Sicherheit in Deutschland – Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Wirtschaftskonferenz des Bundeskriminalamtes in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft e.V., Berlin 2006, S. 5 ff.; 6 Dirk Freudenberg, Terrorismus: Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 20; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 4
existiert; der geringe Entwicklungstand bewirkt auch eine geringere Erpressbarkeit.493 Militärische Hochtechnologie wird versagen, wenn sie auf einen zu allem entschlossenen Gegner trifft, der die asymmetrische Auseinandersetzung sucht und die Schwachstellen der Industriegesellschaft ausnutzt.494 Die Feststellung, dass der Terror von diesen Verwundbarkeiten lebt und die hiermit verbundene Forderung, die Verwundbarkeiten zu identifizieren und zu minimieren,495 ist schwierig und auch nur bedingt umsetzbar. Dieses verlangt in der Praxis einen oftmals erheblichen personellen, technischen, organisatorischen, logistischen und finanziellen Aufwand, der sehr häufig in den alltäglichen Arbeitsabläufen nicht hundertprozentig durchzuhalten ist. Zugleich ist der Nutzen der Energie in ihren verschiedenen Formen so evident und zugleich so selbstverständlich in den Industriestaaten geworden, dass die Verfügbarkeit praktisch wie ein „Grundrecht“ im Bewusstsein der Menschen verankert ist.496 Doch die Situation ist im Grundsatz nicht völlig neu. Über die grundsätzliche Gefährdung der Kritischen Infrastrukturen durch feindliche, insbesondere terroristische Aktionen mit spektakulärer Wirkung war man sich allerdings früher schon bewusst.497 Auch Begehungsarten, wie beispielsweise, die Erpressung mit Angriffen oder ebenso tatsächliche Anschläge mit Hilfe von gestohlenen bzw. entführten Luftfahrzeugen sind in der Literatur beschrieben und waren real vorstellbar.498 Allerdings war auch die damals vorherrschende Vorstellung, dass es sich hierbei vornehmlich um Maßnahmen eines konventionellen Krieges handelt, welche eine schnelle Entscheidung anstreben, indem man ein feindliches Land möglichst schnell kampfunfähig zu machen sucht, ohne Rücksicht darauf, ob seine Bevöl-
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Dirk Freudenberg, Terrorismus: Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 20; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Herbert Ehses (Hrsg.), Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 4 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23; vgl. Erich Vad, Militär und die neuen Formen der Gewalt als Mittel der Politik, in: Gerhard P. Groß (Hrsg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20, Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 57 ff.; 68 Rudolf Adam, Prävention und moderne Terrorismusformen, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 195 ff.; 197 Eberhard Jochem, Lernen, die Risiken der Energieanwendung wahrzunehmen, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 349 ff.; 349 vgl. Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald, Bremen 1964, S. 31 f.; vgl. Horst Günter Tolmein, Partisanen unter uns. Der Kommunismus probt den Aufstand, Mainz 1972, S. 9; vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 108, 264; vgl. Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 29 f.; vgl. Erich Vorwerck, Der Revolutionäre Krieg. Sein Wesen und sein bisheriger Verlauf (II), in: Wehrkunde 1964, S. 267 ff.; 268; vgl. Herbert Golz, Kleinkrieg und Heimatverteidigung. Sichern gegen Kleinkriegsunternehmen und Kampf gegen Banden, in: Wehrkunde 1961, S. 580 ff.; vgl. Walter „R“ Thomas, Guerrilla Warfare: Cause and Conflict, A 21st Century Successs Story?, Honolulu, Hawaii 2005, S. 54 vgl. Georg Leber, Vom Frieden, Stuttgart 1997, S. 227 ff.; vgl. Dieter Fleck, Einführung, in: Dieter Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorbekämpfung durch Streitkräfte. Leagal Issues of Military CounterTerrorist Operations with English Executive Summary, Baden-Baden 2004, S. 15 ff.; 15; vgl. Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 148 f.
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kerung damit zugleich lebensunfähig gemacht wird.499 Hierbei ging es in den damaligen Analysen im Wesentlichen um Randerscheinungen einer militärischen Auseinandersetzung, welche keine grundsätzlich veränderten konzeptionellen Handlungsoptionen der Reaktion und vor allem Prävention nach sich zogen. Präventive Sicherungs- und Schutzmaßnahmen waren demzufolge auch grundsätzlich auf die Anstrengungen der Gesamtverteidigung abgestellt und griffen denn auch erst zeitlich mit dem Beginn des Verteidigungsfalls. Dementsprechend waren die Gegenmaßnahmen vornehmlich militärischer Natur oder ziviler Art, welche darauf gerichtet waren, die Überlebensfähigkeit und die Durchhaltefähigkeit der (kriegswichtigen) Vitalfunktionen aufrecht zu erhalten. Daher sind heute – mehr denn je – die Fachleute der zivilen Verwaltung und aus den Unternehmen gefragt. Kriegerische oder terroristische Aktionen können katastrophenähnliche oder -gleiche Auswirkungen haben. Bei Katastrophen- und Existenzsicherungseinsätzen sind die Spezialisten aus den Bereichen der Kritischen Infrastrukturen, der Feuerwehren, des Technischen Hilfswerkes, der Polizeien usw. die fachtechnischen Schlüsselpersonen, durch deren Fachwissen der gebündelte und zielgerichtete Einsatz militärischer Formationen erst ermöglicht wird und welche die lokalen und regionalen Verhältnisse kennen und in der Regel diejenigen sind, welche die konkreten Bedürfnisse für den Einsatz des Militärs formulieren sowie die Prioritäten des Arbeitsablaufes planen können.500 Die Störung kritischer Infrastrukturen, wenn diese teilweise oder gar nicht funktionsfähig sind, hat nicht nur Auswirkungen auf Sicherheit, Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung, sondern auch auf freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, auf den Investitionsstandort, auf das Wirtschaftswachstum und die Funktion von staatlichen Einrichtungen, die die Wirtschaft benötigt.501 Dabei sind die möglichen Realisierungen von Risiken und Bedrohungen nicht nur unmittelbar auf die Menschen, das Volk und die Bevölkerung beschränkt. Ist ein Land bedroht, sind es immer auch die Unternehmen, die in diesem Land produzieren und Leistungen verwerten möchten, und insofern ist der Weg von der politischen Bedrohung zur unternehmerischen Krise oft nur ein recht kurzer.502 Dabei liegt es im gemeinsamen Interesse von Staat und Wirtschaft, dass Unternehmen frühzeitig Kenntnis über gefährdungsrelevante Sicherheitslagen erhalten.503 Internationale Entwicklungen, die den Schutz menschlichen Daseins dauerhaft untergraben, stellen das sicherheitspolitische Leitbild des Staates, in dessen Zentrum die legitime Gewalt des Staates steht, grundsätzlich in Frage.504 Aber auch trotz der zunehmenden Tendenz von Zusammenarbeit und Verzahnung auf der internationalen Ebene bleiben nationale Unterschiede in der Bewertung von Risiken und Bedrohungen. Otfried Höffe hält denn auch die These, dass der mehr und mehr entmachtete Einzelstaat am Ende ganz abgeschafft werde weder empirisch für richtig noch 499 500 501 502 503 504
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Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 30 Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 18 Fouzieh Melanie Alamir, Der erweiterte Sicherheitsbegriff in der Umsetzung. Entwicklung, Diskrepanzen und Perspektiven, in: Reader Sicherheitspolitik, Ergänzungslieferung 01/06, V.2.A., S. 2 ff.; 11 Ernst Kligus, Unternehmensführung in strategischen Krisenlagen, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 227 ff.; 227 Lutz Diwell, Gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Ergänzungsband 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 47 ff.; 63 Hans-Ulrich Seidt, Staatszerfall und Anomie, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Ergänzungsband 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 293 ff.; 293
normativ für geboten, und er verweist hier von den ersten großen Vertretern, Platon und Aristoteles, über römische Theoretiker wie Cicero bis zum Mittelalter, und erneut von der Neubegründung der Rechts- und Staatstheorie in der Moderne bis in unser Jahrhundert, wo die entscheidende Bezugsgröße der Rechts- und Staatsphilosophie im partikularen Gemeinwesen liege.505 Folglich bleibt hier auch zukünftig die entscheidende Betriebsgröße das nationale Interesse. Demzufolge nimmt im Spannungsverhältnis von Souveränität und weltwirtschaftlicher Vernetzung die grundsätzliche Bedeutung des Staates nicht ab; er bildet die Elementarform der internationalen politischen Ordnung.506 3.6
Rolle und Selbstverständnis des Staates
Vorsorge für den Schutz der Bevölkerung und des Staatsgebietes wurden bislang als Obliegenheit des Staates im Sinne einer Daueraufgabe angesehen507 und gehörten mit der Verteidigung seiner Unabhängigkeit gegen Angriffe von Außen zu seinen wesentlichen Aufgaben.508 Insofern ist die Garantie von Sicherheit nach Außen und im Inneren eines Gemeinwesens Aufgabe staatlicher Instanzen.509 Max Weber hat im Staat die moderne, rationalisierte Betriebsform gesehen, der allein von allen sozialen Gemeinschaften die „legitime“ Macht über Leben, Tod und Freiheit zugeschrieben wird und der im Krieg „der Träger der schrankenlosesten Verfügung über alle ihm zugänglichen Wirtschaftsgüter“ ist.510 In den verschiedenen Konzeptionen zur Bewältigung dieser Probleme gibt es Ansätze, die die Bedeutung des souveränen Nationalstaates vermindert sehen. In der Literatur wird angeführt, dass die modernen Staaten bereits jetzt an ihre Leistungsgrenzen gestoßen seien oder diese bereits überschritten haben, so dass die bisherige Strategie, alle erdenklichen Bedrohungen zu beseitigen oder zumindest entscheidend zu minimieren, nicht länger aufrechterhalten werden könne.511 Die Gegenmeinung hat verstärkt die Zerfallsprozesse im Blickpunkt und setzt auf das Konzept der ordnenden Staatlichkeit. Dabei schließen sich beide Ansätze nicht unbedingt aus. Die wachsende Bedeutung von transnationalen Akteuren und globaler Vernetzung verlangt nach mehr supranationaler Steuerung über komplexe Governance-Prozesse, das heißt nach mehr Kooperation und integrativer Vernetzung.512 Die alt505 506 507 508 509 510 511 512
Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 2002, S. 14 Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 17 Gerhard Stoltenberg, Wolfgang Schäuble, Vorwort der Bundesminister des Inneren und der Verteidigung, in: Bundesminister des Innern, Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – vom 10. Januar 1989, Bonn 1989, S. 2 f.; 2 Bundesminister des Innern, Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung – Gesamtverteidigungsrichtlinien – vom 10. Januar 1989, Bonn 1989, S. 8 Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 4 Max Weber, Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, 6. Aufl., Stuttgart 1992, S. 308 Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 366 Hans-Georg Ehrhard, Staatszerfall, Gewaltkonflikte und „Nation-building“ als politische Herausforderung für die EU, in: Hans-Georg Ehrhard, Burkhard Schmitt (Hrsg.), Die Sicherheitspolitik der EU im Werden. Bedrohungen, Aktivitäten, Fähigkeiten, Baden-Baden 2004, S. 45 ff.; 45; vgl. Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 2002, S. 169
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hergebrachte Staatsaufgabe, Sicherheit zu gewährleisten, bildet zunehmend auch eine europäische Herausforderung.513 Dies gilt für die äußere Sicherheit durch die Bildung von Bündnissen schon lange. Gleiches gilt nun aber auch für die innere Sicherheit. Der 11. September 2001 wird insofern auch als „Katalysator“ für gemeinsame europäische Bemühungen gesehen.514 Grenzüberschreitende Drogen-, Wirtschafts-, und Terrorismuskriminalität lassen sich nicht mehr vollständig in staatlicher Eigenverantwortung lösen.515 Als Antwort auf durch den Nationalstaat nicht mehr allein zu bewältigende Herausforderungen und auch als Konsequenz der politischen Finalität der europäischen Integration beginnt die Europäische Union mit ihrem Ziel eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als neuer überstaatlicher Akteur der Gewährleistung innerer Sicherheit neben den Staat zu treten.516 Indem heute kein Staat mehr in der Lage zu sein scheint, alleine die äußere Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, stößt er aus einer funktionalen Betrachtung, das heißt im Blick auf die Fähigkeit, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, an Grenzen.517 Das Recht auf Sicherheit ist nunmehr durch die Integration der Charta der Grundrechte der Union im europäischen Verfassungsentwurf verankert.518 Dabei gewinnt auch im europäischen Integrationsprozess die Schutz- und Vorsorgeverantwortung der Europäischen Union (EU) mit der Entwicklung zu einem gemeinsamen kriminalgeographischen Raum wachsende Bedeutung für die innere Sicherheit.519 In diesem auch kriminalgeographischen Raum spielt Deutschland als Zentrum eines europäischen Binnenmarktes eine besondere Rolle.520 Dementsprechend werden die nationalen Bekämpfungsstrategien, insbesondere die 513
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vgl. Robin van der Hout, Äußere Sicherheit durch gute Nachbarschaft? – Die sicherheitspolitische Dimension der Europäischen Nachbarschaftspolitik, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 145 ff.; 145; vgl. Cornelie Sonntag-Wolgast, Überlegungen zur Entwicklung der Sicherheitsarchitektur im nationalen und europäischen Rahmen, in: Martin H. W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004/2005, Frankfurt 2005, S. 13 ff. Heinrich Neisser, Maßnahmen der Europäischen Union zur Terrorismus-Abwehr, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 227 ff.; 228 Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 2002, S. 169; vgl. Jörg Eckhart Reschke, Innere und äußere Sicherheit – ein zwingender Verbund und die Notwendigkeit einer Europäischen Perspektive, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, Nr. 1/1. Quartal 2006, S. 1 ff.; 2 Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 5; vgl. Ralph Berthel, Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt. Bericht zur Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) 2005, in: DIE POLIZEI 2006, S. 73 ff.; 73 Bernhard Sutor, Joachim Detjen, Politik. Ein Studienbuch zur politischen Bildung, Paderborn 2001, S. 369; vgl. Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 2002, S. 13 Thomas Läufer (Hrsg.), Vertrag über eine Verfassung von Europa, Bonn 2004, S. 53 Rainer Pitschas, Europarechtliche Grundlagen des Sicherheitsgewerberechts und Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr, in: Harald Stolzlechner, Rolf Stober (Hrsg.), Übertragung von Aufgaben der staatlichen Gefahrenabwehr auf private Sicherheitsunternehmen. Ergebnisse eines deutschösterreichischen Symposiums zum Sicherheitsgewerberecht, Köln, Berlin, Bonn, München 2002, S. 5 ff.; 5; vgl. Manfred Klink, Nationale und Internationale Präventions- und Bekämpfungsstrategien, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 241 ff.; 251 f. Jörg Ziercke, Sicherheitsstrategische Grundlagen des Sicherheitsgewerbes im Rahmen staatlicher Sicherheitsgewährleistung, in: Rolf Stober, Harald Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts München 2004, S. 58 ff.; 65; Ahlf ist insofern der Ansicht, dass es viel zu kurzsichtig sei, bei der Betrachtung der Sicherheitsarchitektur nur die deutsche Perspektive zu berücksichtigen; vielmehr müsse eine „neue Sicherheitsarchitektur“ auch eine europäische Dimension haben. (Ernst-Heinrich Ahlf, Erweiterter Sicherheitsbegriff und Polizei – Ein Essay -, in: Die Polizei 2002, S. 93 ff.; 94)
Bekämpfung des Terrorismus, noch stärker mit europäischen und weltweiten Ansätzen verbunden sein müssen.521 Internationalisierung und Globalisierung haben zur Folge, dass einzelne Kriminalitätsfelder wie Terrorismus, Wirtschafts- und Organisierte Kriminalität (OK) nicht mehr isoliert betrachtet werden können, da die der Entwicklung dieser Kriminalitätsformen zugrunde liegenden Rahmenbedingungen teilweise enge Überschneidungen aufweisen.522 Lange zweifelt indes nicht an einer „vielfachen Symbiose von OK und Terrorismus“.523 Die nationalen Handlungsoptionen zur Gewährleistung der Staatsaufgabe Sicherheit werden im Zuge der so genannten Globalisierung und der damit einhergehenden „Entstaatlichung“ zunehmend eingeschränkt.524 In diesem Sinne streicht auch die europäische Sicherheitsstrategie (ESS) klar heraus, dass durch die Öffnung der Grenzen seit dem Ende des Kalten Krieges ein Umfeld entstanden ist, in dem die internen und externen Sicherheitsaspekte nicht mehr voneinander zu trennen sind.525 Somit wurde mit der ESS ein Prozess eingeleitet, der auch eine eigene Dynamik entwickeln kann.526 Allerdings ist das 521 522
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Jörg Ziercke, Sicherheitsstrategische Grundlagen des Sicherheitsgewerbes im Rahmen staatlicher Sicherheitsgewährleistung, in: Rolf Stober, Harald Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts München 2004, S. 58 ff.; 68 Jörg Ziercke, Begrüßung, in: Bundeskriminalamt, (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international – Vorträge anlässlich der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, München 2006, S. 1 ff.; 1; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 8; Bakonyi und Jakobeit präzisieren in diesem Kontext vor dem Hintergrund der Globalisierung und den transnationalen Erscheinungen den Begriff der internationalen organisierten Kriminalität (IOK) zum Begriff der transnationalen organisierten Kriminalität (TOK) da es nicht um die Klärung der Frage geht, inwieweit Staaten untereinander kriminell agieren. (Jutta Bakonyi, Cord Jakobeit, Internationale Kriminalität/Internationaler Terrorismus, in: Siegmar Schmidt, Gunter Hellmann, Reinhard Wolf [Hrsg.], Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden 2007, S. 660 ff.; 660) Klaus Lange, Reformzwänge bei den geheimen Nachrichtendiensten? Überlegungen angesichts neuer Bedrohungen, München 2005, S. 22 Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 19 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 2; vgl. Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 19; vgl. Christian Meiser, Die außen- und sicherheitspolitischen Kompetenzen der EU nach der Verfassung für Europa, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 125 ff.; 127 Erich Reiter, Zur Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 293 ff.; 239; Allerdings werden der multilaterale Ansatz und die Betonung der zivil-diplomatischen Konfliktlösungsinstrumentarien als ernsthafte und strategische Antworten auf die aktuellen Bedrohungen und Risiken hinterfragt, da die ESS insgesamt in ihren Aussagen zu vage sei und die Überbetonung von Multilaterismus und Zivilmachtdenken in der militärischen Schwäche der EU-Staaten begründet sei. (Erich Vad, Zur Zukunft der Europäischen sicherheits- und Verteidigungspolitik [ESVP] nach dem Dritten Golfkrieg, Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder [Hrsg.], Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 206 ff.; 210) Dementsprechend wird die ESS auch hinsichtlich der Formulierung der Ziele europäischer Sicherheitspolitik als „zu unscharf“ kritisiert. (Lennart Souchon, Carl von Clausewitz und eine Strategie Europas, in: Clausewitz-Gesellschaft [Hrsg.], Jahrbuch 2006, S. 187 ff.; 187)
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Bewusstsein für die fortdauernde Bedeutung der Wahrung von Frieden und Sicherheit im Inneren und das dafür erforderliche Gewaltmonopol als institutioneller Begriff, der als Synonym für die Agenturen der Sicherheit (Polizei und Militär) steht527 und welcher die diffundierte, private Gewalt in der Gesellschaft dadurch limitiert, dass sie die Legitimation und Mittel der Gewaltausübung beim Staat zentralisiert und somit prinzipiell monopolisiert,528 nicht übermäßig lebendig.529 3.6.1
Private Sicherheitsdienstleister
Auch im innerstaatlichen Bereich werden zunehmend Schutz- und Sicherheitsaufgaben von privaten Sicherheitsunternehmungen und Sicherheitsdienstleistern wahrgenommen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes spricht hier sogar von einer „… strategische[n] Kooperation mit den privaten Sicherheitsdienstleistern …[in der] die Potenziale für eine engere Kooperation mit den Polizeien noch entwicklungsfähig“ seien.530 Und darüber hinaus seien „ …die privaten Sicherheitsdienstleister … mit ihren 150 000 Beschäftigten in Deutschland ein nicht hinweg zu denkender Bestandteil der Sicherheitsarchitektur.“531 Diese Ansicht erscheint fragwürdig. Mit der Qualifikation als Bestandteil der Sicherheitsarchitektur wird impliziert, dass die privaten Sicherheitsdienstleister ein Stützfeiler staatlicher Sicherheit seien, bei dessen Wegbrechen die Gesamtstatik der nationalen Sicherheit gefährdet sei, möglicherweise das ganze Gebäude staatlicher Sicherheit zum Einsturz komme. In diesem Zusammenhang wird von Ziercke selbst darauf hingewiesen, dass für die öffentliche Hand, den Staat, der Grundsatz der Beschränkung auf die „Kernkompetenz“ gelte.532 Wenngleich Ziercke auch selbst die Frage aufwirft, wie sich in eine Sicherheitspartnerschaft das Leistungspotenzial der Privaten sinnvoll und rechtsstaatlich zulässig integrieren lässt, geht er davon aus, dass es weitere Möglichkeiten der Entlastung gibt.533 Ein wesentlicher Grund 527 528 529 530
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vgl. Hans-Joachim Heuer, Gewaltmonopol, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, 2006, S 107 ff.; 108 Jochen Hippler, Völkerrecht und zwischenstaatliche Gewalt, in: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Globale Trends, Fakten, Analysen, Prognosen 2004 / 2005, Bonn 2003, S. 83 ff.; 84 vgl. Albrecht Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1987, S. 691 ff.; 694 Jörg Ziercke, Internationale Erscheinungsformen von Kriminalität und Gewalt – internationale Kooperationsformen und die Rolle des BKA, in: BKA [Hrsg.], Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 25 ff.; 33 Jörg Ziercke, Internationale Erscheinungsformen von Kriminalität und Gewalt – internationale Kooperationsformen und die Rolle des BKA, in: BKA [Hrsg.], Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 25 ff.; 33 Jörg Ziercke, Sicherheitsstrategische Grundlagen des Sicherheitsgewerbes im Rahmen staatlicher Sicherheitsgewährleistung, in: Rolf Stober, Harald Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts München 2004, S. 58 ff.; 59; vgl. Jörg Ziercke, Internationale Erscheinungsformen von Kriminalität und Gewalt – internationale Kooperationsformen und die Rolle des BKA, in: BKA [Hrsg.], Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 25 ff.; 33 Jörg Ziercke, Internationale Erscheinungsformen von Kriminalität und Gewalt – internationale Kooperationsformen und die Rolle des BKA, in: BKA [Hrsg.], Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 25 ff.; 33; Als konkrete Kooperationsfel-
hierfür ist die Tatsache, dass die Gewährleistung von Sicherheit nicht unerhebliche Kosten verursacht.534 Fraglich ist in diesem Zusammenhang zunächst, ob der Staat mit seinem Rückzug aus dem Bereich der Sicherheit, als die wichtigste Funktion der Körperschaft Staat,535 nicht eine seiner wesentlichen Aufgaben vernachlässigt, die den modernen Staat gegenüber seiner Fundamentalalternative, der Anarchie, rechtfertigt,536 nämlich die Sicherheitsaufgabe zu einer staatlichen Garantie der Sicherheit zu verdichten.537 Diese Tendenz wird noch verstärkt, wenn postuliert wird, dass nicht nur die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu hinterfragen sei, sondern auch die zwischen privater und staatlicher Sicherheit,538 und dass nur im Rahmen einer „sicherheitspolitischen Verantwortungspartnerschaft“ vor den Herausforderungen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung eine nennenswerte Entlastung der polizeilichen Kräfte erreicht werden könnte.539 Eine solche Strategie der Rückverlagerung der Aufgaben des Staates in die Gesellschaft im Kernbereich staatlicher Souveränität der Sicherung von Ruhe und Ordnung und der Abwehr von Gefahren von Außen ist jedoch mit erheblichen Risiken behaftet.540 Dazu bildet der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG eine elementare Schranke für die Übertragung von Aufgaben der Gefahrenabwehr auf Private, wonach die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.541 3.6.2
Die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Bürger
Der Staat stellt kein Naturereignis, sondern eine rationale Zweckschöpfung dar.542 Nach der klassischen Dreielementelehre setzt Staatlichkeit neben Staatsgebiet und Staatsvolk auch effektive Staatsgewalt voraus, die auf einer Form der Selbstregierung nach innen und Unabhängigkeit der nach außen bestehenden Souveränität beruht.543 Auch wenn sich nirgends
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der betrachtet Ziercke u.a. den Objektschutz, die Überwachung des ruhenden Verkehrs und den Schutz von Veranstaltungen. (vgl. Jörg Ziercke, Kooperationsfelder Polizei – Private Sicherheit, in: Der Sicherheitsdienst, April 2006, S. 11 ff.; 11 ff.) Rudolf Ochs, Zusammenarbeit zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten, in: Die Polizei, 2005, Heft 3, S. 69 ff.; 70; vgl. Albert Krölls, Die Privatisierung der inneren Sicherheit, in: GewArch 1997, S. 445; 445 Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999, S. 447 vgl. Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin, New York 1983, S. 3 Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 5 vgl. Ralph Berthel, Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt. Bericht zur Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) 2005, in: DIE POLIZEI 2006, S. 73 ff.; 75 Rainer Pitschas, Verantwortungspartnerschaft von Polizei und Sicherheitsgewerbe, in: Der Sicherheitsdienst, April 2004, S. 5 ff.; 5 Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 367 hierzu ausführlich: Albert Krölls, Die Privatisierung der inneren Sicherheit, in: GewArch 1997, S. 445; 451 ff. Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 13 Oliver Fröhler, Grenzen legislativer Gestaltungsfreiheit in zentralen Fragen des Wehrverfassungsrechts. Eine staatsrechtliche Analyse unter vergleichender Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage,
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im Grundgesetz eine Staatszielbestimmung Sicherheit findet und das staatliche Gewaltmonopol an keiner Stelle ausdrücklich verankert ist, setzt das Grundgesetz beides als seine Grundlage voraus; es geht von einer insoweit funktionierenden Staatsgewalt letztendlich ebenso aus, wie es Staatsgebiet und Staatsvolk als vorgegeben hinnimmt.544 Das Gewaltmonopol des Staates bedeutet, dass der Einzelne oder auch Gruppen Rechtsansprüche oder politische Zielsetzungen nicht eigenmächtig mit Gewalt durchsetzen dürfen, sondern nur in den gesetzlich vorgesehenen Verfahren, durch staatliche Organe, insbesondere durch die Gerichte und deren Vollstreckungsorgane.545 Senghaas beurteilt das staatliche Gewaltmonopol, das heißt die Sicherung der Rechtsgemeinschaft, als für jede moderne Friedensordnung von grundlegender Bedeutung.546 Wo das Gewaltmonopol zusammenbricht und es zu einer Wiederbewaffnung der Bürger kommt, auferstehen das Fehdewesen und die Kriegsherren in neuem Gewand.547 Der Staat beruht insofern im Kern auf Gewalt, beruht auf der Monopolisierung der Gewaltmittel und auf dem in seinen Händen monopolisiertem Recht der Ausübung legaler Gewaltsamkeit.548 Rechtsstaatlich verfasste Ordnungen hegen das Gewaltmonopol ein; erst dadurch wird es legitim.549 Das Gewaltmonopol ist demnach auch heute noch ein Schlüsselbegriff der Staatstheorie550 und ein grundlegendes Element des Rechtsstaates,551 hat zivilisierende Bedeutung.552 Ein Staat, der seine Pflichten gegenüber Land, Volk und Demokratie ernst nimmt, muss zwingend über das Gewaltmonopol verfügen.553 Zur Durchsetzung dieses Gewaltmonopols übt der Staat täglich in gewissem Umfang Gewalt gegenüber Widerstrebenden aus, wenn auch zumeist nicht in militärischer Form, sondern als Polizeigewalt.554 Wo der Widerstand gegen die Organe der Staatsgewalt aber so massiv wird, dass die Störung der staatlichen Ordnung mit polizeilichen Mitteln nicht mehr abgewehrt werden kann, greifen die Staaten durchweg auch auf militärische Mittel im Kampf gegen organisierte Widerstandsbewegungen zurück.555 Die Durchsetzung
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545 546 547 548 549 550 551 552 553 554 555
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Berlin 1995, S. 51 f.; vgl. Ekkehart Stein, Staatsrecht, 11. Aufl., Tübingen 1988, S. 7; vgl. Jörn Ipsen, Staatsorganisationsrecht (Staatsrecht I), 2. Aufl., 1989, S. 34 Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 13 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 596 Dieter Senghaas, Zum irdischen Frieden, Frankfurt am Main 2004, S. 31 Dieter Senghaas, Zum irdischen Frieden, Frankfurt am Main 2004, S. 31 Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 291 Dieter Senghaas, Zum irdischen Frieden, Frankfurt am Main 2004, S. 31 Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 596 Gert Krell, Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen, 3. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 90 Ulrich Zwygart, Die Schweizer Armee: Zweck, Aufgaben und Spannungsfelder, in: Hubert Annen, Rudolf Steiger, Ulrich Zwygart, Gemeinsam zum Ziel. Anregungen für Führungskräfte einer modernen Armee, Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2004, S. 17 ff.; 20 Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 291 Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 291 f.
des Gewaltmonopols erfordert aber, dass die erzwingende Gewalt an das Gesetz gebunden, aber als Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist.556 Damit wird heute im Angesicht zerfallender oder gar nicht erst gebildeter staatlicher Gewaltmonopole deutlich, dass das staatliche Gewaltmonopol auch eine befriedende Funktion hat.557 Wo die staatliche Ordnungsmacht das Gewaltmonopol verloren hat, haben sich private Gruppen, Banden oder Warlords gebildet, die untereinander „Privatkriege“ ausfechten.558 Sicherheit ist nicht nur Staatsziel, sondern primärer Staatszweck.559 Auch wenn ein allgemein und ewig bestehender Staatszweck schwierig zu definieren ist, kann die innere und äußere Sicherheit als der wichtigste und immer geltende Staatszweck betrachtet werden.560 Die Legitimierung des staatlichen Machtmonopols besteht in der Errichtung und Durchsetzung einer Rechtsordnung im Inneren, welche die Gemeinschaft schützt, sowie in der Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft gegen Bedrohungen von außen.561 Zudem ist allgemein ein Vertrauensschutzprinzip anerkannt, das den Staat verpflichtet, den einzelnen Bürger vor militärischen Angriffen fremder Staaten zu schützen.562 Dieses ergibt sich daraus, dass der moderne Rechtsstaat der Bevölkerung grundsätzlich das Mittel der Selbsthilfe gegen rein innerstaatliche Gefährdungen verbietet und sich das Gewaltmonopol vorbehält. Das Gewaltmonopol ist das Mittel, mit dem der moderne Staat den ihn legitimierenden Fundamentalstaatszweck Sicherheit umsetzt.563 Diese Schutzpflicht des Staates stellt somit die Kompensation für die Akzeptanz des Gewaltmonopols im Interesse der allgemeinen Sicherheit dar.564 Dieses Vertrauensschutzprinzip, das sich aus dem staatlich auferlegten Selbstverteidigungsverbot und dem Selbstvorbehalt des staatlichen Gewaltmonopols derartige Angriffe abzuwehren ableitet, müsste auf nicht-staatliche Angriffe 556 557 558 559
560 561 562 563
564
Georg Elwert, Weder irrational noch traditionalistisch. Charismatische Mobilisierung und Gewaltmärkte als Basis der Attentäter des 11. September, in: Lars Clausen, Elke M. Geenen, Elísio Macamo (Hrsg.), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophe, Münster 2003, S. 95 ff.; 121 Anna Geis, Das staatliche Gewaltmonopol zwischen Behauptung und Infragestellung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 21 ff.; 21 Frank Pfetsch, Globale Wandlungen im Konflikt- und Kriegsgeschehen. War das 20. Jahrhundert ein kriegerisches?, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 223 ff. 231 Ernst-Heinrich Ahlf, Erweiterter Sicherheitsbegriff und Polizei – Ein Essay -, in: Die Polizei 2002, S. 93 ff.; 93; vgl. Mathias Bohlender, Metamorphosen des Gemeinwohls, Von der Herrschaft guter polizey zur Regierung durch Freiheit und Sicherheit, in: Herfried Münkler, Harald Blum (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin 2001, S. 247 ff.; 268; vgl. Michael Walter Hebeisen, Staatszweck. Staatsziele. Staatsaufgaben. Leistungen und Grenzen einer juristischen Behandlung von Leitideen der Staatstätigkeit, Zürich 1996, S. 125 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 14 Robert Bossard, Die Gesetze von Politik und Krieg, Bern, Stuttgart 1990, S. 56 Oliver Fröhler, Grenzen legislativer Gestaltungsfreiheit in zentralen Fragen des Wehrverfassungsrechts. Eine staatsrechtliche Analyse unter vergleichender Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, Berlin1995, S. 54 f. Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 18; vgl. Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2 Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2
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übertragbar sein.565 Gerade die Herrschafts- und Friedensfunktion, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Staat ein gewisses Maß an Sicherheit und Schutz vor inneren und äußeren Gefahren durch seine Organe und Strukturen erreichen soll, ist nach den in den Demokratien westlicher Prägung herrschenden relativen Staatszwecklehren, die auch die konkreten historischen Entwicklungen berücksichtigen sollen, eine wesentliche Aufgabe des modernen Staates.566 Die öffentliche Sicherheit und Ordnung steht im Zentrum staatlicher Aufgabenzuweisung.567 Daher ist das Vertrauensschutzprinzip auf die Aktivitäten nicht-staatlicher Akteure übertragbar.568 Die Bewältigung von Gewalt durch deren Zivilisierung durch die staatliche Herrschafts- und Friedensordnung ist die grundlegende Leistung des modernen Staates.569 Es drängt sich aber die Frage auf, ob der Staat, der nicht in der Lage ist, seine Bürger wirksam zu schützen, nicht obsolet geworden ist570 und seine Legitimation verliert.571 Zur Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols wurde die Gewalt, verbunden mit qualitativer und quantitativer Steigerung mehr und mehr in den Händen professioneller Gewaltspezialisten, Polizei und Militär, konzentriert, denen auf der anderen Seite das Berufsverbrechertum gegenüberstand, während der Rest der Bevölkerung in den meisten Ländern total entwaffnet wurde.572 In diesem Zusammenhang wird zunehmend die Feststellung getroffen, dass der Staat, der bislang der einzige legitime Träger von Gewalt war, zunehmend sein Gewaltmonopol an nichtstaatliche Akteure verliert.573 Gegenüber innerstaatlichen Gefährdungen durch private Dritte wird eine staatliche Schutzpflicht damit begründet, dass der moderne Staat der Bevölkerung grundsätzlich das Mittel der Selbsthilfe verbietet und sich selbst das Gewaltmonopol vorbehält sowie diese Schutzpflicht auf die Abwehr von außerhalb drohender militärischer Aggression überträgt.574 Folglich geben die Menschen im Staat ihr Recht auf unbeschränkte Gewaltausübung auf, um in der Obhut des Staates aufgehoben zu sein, der das einzige legitime Recht der Gewaltausübung hat und 565 566 567
568 569 570 571 572 573 574
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Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 302 vgl. Alfred Katz, Staatsrecht. Grundkurs im öffentlichen Recht, 8. Aufl., Heidelberg 1987, RN 45 f. Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 365; vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1011/2002, S. 3 ff.; 3 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 302 Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 57 vgl. Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force, 5. Aufl. Lanham, Boulder, New York, Oxford 1999, S. 70 ff.; 77 Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 7 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 2000, S. 354; vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 7 Patrick Fitschen, Network Centric Warfare (NCW) und der Golfkrieg: Möglichkeiten und Grenzen, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder (Hrsg.), Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 86 ff.; 87 Oliver Fröhler, Grenzen legislativer Gestaltungsfreiheit in zentralen Fragen des Wehrverfassungsrechts. Eine staatsrechtliche Analyse unter vergleichender Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, Berlin 1995, S. 54 f.
damit Sicherheit bietet, indem er den Einzelnen vor Übergriffen anderer schützt.575 Entstehungsgrund des Staates ist also die Sicherheit,576 denn der Staat ist natürlich gerade aus dem Sicherheitsbedürfnis seiner Bürger erwachsen,577 und die staatliche Rechtsherrschaft entsteht aus der Verwandlung der Gewaltherrschaft, unter Beibehaltung der Gewalt als Mittel.578 Die Durchsetzung des Gewaltmonopols als vitales Lebensinteresse des Staates verlangt, dass der Staat keine andere Befehls- oder Zwangsgewalt neben sich duldet, da jede andere von ihm unabhängige Befehlsgewalt seine Souveränität in Frage stellt und die Durchsetzung von Gesetz und Befehl und damit die tatsächliche Herrschaftsgewalt als unabdingbare Voraussetzung der Souveränität gefährdet.579 Damit ist der Staat ohne dieses Gewaltmonopol, mit dem er sich von anderen gesellschaftlichen Organisationen abgrenzt,580 nicht lebensfähig.581 Wo dieses Monopol legitimer Gewaltsamkeit fehle, da fehle der Staat, folgerte bereits Max Weber.582 An dieses Monopol legt der Terrorismus die Axt. Der Terrorist beansprucht den grundsätzlichen Vorrang seines politischen Zieles vor dem Frieden und damit vor der staatlichen Herrschafts- und Friedensordnung und er unterscheidet sich somit von anderen Gewalttätern, die das staatliche Gewaltmonopol nur beiläufig in Frage stellen.583 Mithin hat der Terrorismus eine zusätzliche Dimension, die das gemeine Verbrechen in den Schatten stellt, indem er die Grundwerte angreift, auf denen gesellschaftliche Existenz beruht.584 Ein wirksamer Schutz des Staates gegen seine Feinde ist Voraussetzung dafür, dass im Schutz des staatlichen Gewaltmonopols die offene Gesellschaft ihre spezifische Dynamik entfalten konnte und kann.585 3.6.3
Verschiebung der Sicherungsaufgaben
Im Zuge der allgemeinen Tendenz zur Privatisierung staatlicher Funktionen und öffentlicher Dienstleistungen ist auch der klassische Aufgabenbereich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit insbesondere der Gefahrenabwehr ein bevorzugter Gegenstand von 575 576 577 578 579 580 581 582 583 584 585
Peter-Tobias Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, Tübingen 2003, S. 4 Michael Kniesel, Staatsaufgabe Sicherheit, Grundgesetz und Polizei, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis, Essen 1996, S. 41 ff.; 46 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 103 Helmut Kuhn, Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 219; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 19 Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975, S. 32 f. Karl-Heinz Seifert, Dieter Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Taschenkommentar, 7. Aufl., 2003, vor Art. 20, RN 2 Hans-Jürgen Becker, Das Gewaltmonopol des Staates und die Sicherheit des Bürgers, in: NJW 1995, S. 2077 ff.; 2081 Max Weber, Soziologie. Universalgeschichtliche Analysen. Politik, 6. Aufl., Stuttgart 1992, S. 453 f.; vgl. Max Weber, Politik als Beruf, Stuttgart 1992, S. 72 Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 65 Christian Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, in: DÖV, 2006, S. 357 ff.; 357 Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzesznick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 81
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Privatisierungsmaßnahmen und -initiativen geworden.586 Die Folge einer zunehmenden Privatisierung ist die Fragmentierung und Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols587 und das Nebeneinander bzw. die Konkurrenz staatlicher und nichtstaatlicher Machtausübung588 bis hin zum Rückzug des Staates und der Kommerzialisierung von Sicherheit.589 An die Stelle des Staates treten zunehmend nichtstaatliche Organisationen und supranationale Akteure, die weltweite Ungleichgewichte und Verwerfungen herbeiführen.590 Dabei wird kritisiert, dass mit der Verheißung einer Kostenverminderung der Markt zunehmend klassische Staatsaufgaben an sich zieht, sich aber im Endeffekt dadurch weniger das PreisLeistungsverhältnis als vielmehr die Art der Leistungserbringung und die Sorge um das andere, was klassisch einmal Gemeinwohl genannt worden ist.591 Konzeptionell und in der staatlichen Wirklichkeit werden staatliche Funktionen abgebaut.592 Private Sicherheitsdienstleister kommen hier als Teil der staatlichen Sicherheitsarchitektur im Rahmen einer Verlagerungsstrategie ins Spiel. Dabei werde das staatliche Gewaltmonopol ausgehebelt, indem dass Kollektivgut Sicherheit immer mehr zum Aufgabengebiet nichtstaatlicher Experten werde und private Sicherheitsdienstleistungen, Sicherheitsgewährleistung durch räumliche Segregation (z.B. gated cities) seien Tendenzen, die auf eine Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und eine Entstaatlichung von Sicherheit hinausliefen und damit eine wesentliche Errungenschaft moderner Staatlichkeit in Frage stellten.593 Hierbei wird nicht nur die „Professionalisierung des öffentlichen Raumes“ befürchtet, sondern auch
586 587 588
589
590 591
592 593
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Albert Krölls, Die Privatisierung der inneren Sicherheit, in: GewArch 1997, S. 445 ff.; 445 zu dieser Diskussion vgl. Volker Eick, Private Sicherheitsdienste, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, 2006, S 247 ff. vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 19; vgl. August Reiter, Asymmetrie im 21. Jahrhundert – Verteidigungs- und Militärpolitische Schlussfolgerungen, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 181 ff.; 183 Diese Tendenz sieht Eick mit Hinweis auf Shearing im Ergebnis so nicht. Nach seiner Meinung vollzieht sich eher ein Form- und Funktionswandel des Staates. (vgl. Volker Eick, Policing for Profit. Der kleine Krieg vor der Haustür, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter [Hrsg.], Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 201 ff.; 201 f.) Shearing argumentiert hier, dass durch die Entwicklung von Partnerschaften nichtstaatliche Ressourcen mobilisiert werden, um Sicherheitsnetzwerke zu schaffen, die nach den Grundsätzen des Risikomanagements arbeiten und ohne dass der Staat das Gewaltmonopol aufgibt. Es entstehe somit ein arbeitsteiliges System, indem der Staat die verfügbaren Ressourcen koordiniere und gleichzeitig den staatlichen Anspruch auf das staatliche Gewaltmonopol schütze. (vgl. Clifford Shearing, Gewalt und die neue Kunst des Regierens und Herrschens. Privatisierung und ihre Implikationen, in: Trutz von Trotha [Hrsg.], Soziologie der Gewalt, 0pladen, Wiesbaden 1997, S. 263 ff.; 273) Zudem sieht March eine Tendenz zum Selbstschutz der Bürger dort, wo der Staat diesen nicht mehr ausreichend Sicherheit bietet. (vgl. Ulrich March, Das Ende des klassischen Staates, Frankfurt am Main 2002, S. 71 ff.) Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 21 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 16 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 20 Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 3 ff.; 12 f.; vgl. Udo Ulfkotte, Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern, Frankfurt am Main 2003, S. 205
ein wahrhafter „Nihilismus der Verteidigung.“594 March ist sogar der Ansicht, dass der Staat klassischer Prägung, der den Schutz seiner Bevölkerung nicht mehr gewährleisten könne, in einem wesentlichen Punkt seine Legitimation verloren habe.595 Ganz eng mit diesem Phänomen werden in der Literatur zwei Phänomene etikettiert: Zum einen die Erscheinung der „Enthoheitlichung“, womit eine Veränderung des Modus der Interaktion zwischen dem Staat und seinen Bürgern beschrieben wird und staatliche Funktionen nicht mehr nur hoheitlich, das heißt auf der Basis von Anweisungen und Befehlen wahrgenommen werden, und wo – ergänzend oder substituierend – Elemente hinzukommen, welche zum Beispiel durch kooperative Absprachen und Verträge gekennzeichnet sind.596 Zum anderen ist dort die Erscheinung der „Entgrenzung“, die eine Veränderung auf der Ebene der Akteure bei der Wahrnehmung von Staatsfunktionen verdeutlicht und wobei die Eindeutigkeit der Wahrnehmung durch die verstärkte Einbindung privater Akteure in die Erfüllung öffentlicher Funktionen zunehmend verloren geht.597 Dieser Wahrnehmungsverlust des Staates führt auch zum Akzeptanzverlust. In diesem Sinne muss der Staat Acht geben, dass er sich nicht selbst skelettiert. Daher bestehen auch Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Staates, die in Überlegungen zur Ausweitung seiner Befugnisse sowie in eine zunehmende Tendenz, Aufgaben und Pflichten auf die Gesellschaft zu verlagern, münden.598 Gleichzeitig konzentrieren die Staaten ihre Sicherheitsanstrengungen nach dem 11. September, auch wegen der angespannten Haushalts- und Personallage, auf bestimmte Aspekte wie Terrorbekämpfung und einen abgrenzenden Personen- und Objektschutz.599 Hier wird nach einer Strategieerweiterung gesucht, wobei in diesem Zusammenhang auch der Kooperation mit dem privaten Sicherheitsgewerbe besondere Bedeutung zukommt.600 Die konzeptionellen Überlegungen gehen sogar soweit, so genannte „Business Improvement Districts, BID“ zu ermöglichen und in diesen auch vor dem Hintergrund leerer öffentlicher Kassen die Polizei durch private Sicherheitsdienstleister unterstützen zu lassen. BIDs sind räumlich begrenzte städtische „Innovationsbereiche“, in denen auf Initiative der ansässigen Grundstückseigentümer und Gewerbetreibenden und von diesen allein betreut über einen begrenzten Zeitraum Maßnahmen zur Verbesserung des unmittelbaren geschäftlichen und städtischen Umfeldes durchgeführt werden sollen.601 Eine Privatisierung des Raumes, die soweit geht, dass das Tun eines privaten Sicherheitsdienstes über den Schutz der materiellen Rechte der Auftraggeber hinausgeht, wird abgelehnt; die öffentliche Sicherheit aller derjenigen zu bewahren, die den Bereich des BID betreten, ist nicht Aufgabe der notwendigerweise an die Interessen des BID gebundenen Sicherheitsdienste und der des BID selber und darf es auch nicht wer594 595 596 597 598 599 600 601
Paul Virilio, Die überbelichtete Stadt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 3 ff.; 4 Ulrich March, Das Ende des klassischen Staates, Frankfurt am Main 2002, S. 87 Peter Kolbe, Staatlichkeit im Wandel am Beispiel der Kriminalprävention, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46/2005, S. 9 ff.; 9 Peter Kolbe, Staatlichkeit im Wandel am Beispiel der Kriminalprävention, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46/2005, S. 9 ff.; 9 Peter-Tobias Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, Tübingen 2003, S. 15 Rolf Stober, Moderne Dimensionen des Sicherheitsgewerberechts, in: Rolf Stober, Harald Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, München 2004, S. 1 ff.; 4 Franz-Ludwig Knemeyer, Die Reaktion des bundesrepublikanischen Gesetzgebers auf den 11. September 2001, in: Bernd Rill (Hrsg.), Terrorismus und Recht. Der Wehrhafte Rechtsstaat, München 2003, S. 19 ff.; 20 Andreas Mackeben, Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit: Sicherheitsdienstleistungen im Innovationsbereich “Business Improvement District (BID)”, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 247 ff.; 247
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den.602 Wegen des grundgesetzlich fundierten rechtsstaatlichen Verbotes zur Parteilichkeit bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit in Form einer nicht entäußerbaren staatlichen Verantwortung zur Gewährleistung unparteilicher Sicherheit und freien Entfaltung der Rechte aller Bürger im öffentlichen Raum ist dieses eine notwendige Staatsaufgabe, die die staatliche Pflicht zur Verhinderung privilegierter Rechtswahrnehmung durch Einzelne im öffentlichen Raum auf Kosten gleichgestellter Rechte Dritter verbietet.603 Allerdings bestehen derzeit noch erhebliche Unsicherheiten bei der Frage, wo die rechtlichen Grenzen für die privatisierungswillige Legislative und Exekutive verlaufen.604 Verfassungsmäßig und gesellschaftspolitisch sollen Zusammenarbeitsformen zwischen staatlichen und privaten Stellen insofern legitimiert sein, als dass die Kriminalprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, deren Gewährleistung zwar eine originäre Staatsaufgabe darstelle, für die es aber keine exklusive Wahrnehmungszuständigkeit des Staates für den Schutz der inneren Sicherheit gebe.605 Demzufolge müsse der Staat die Aufgabe der Sicherheitsvorsorge nicht selbst erfüllen, sondern er genüge der ihm aufgegebenen Gewährleistungsverantwortung auch dadurch, dass er ergänzend private Institutionen an der Gewährleistung der inneren Sicherheit beteiligt.606 Wesentliches Abgrenzungskriterium zwischen staatlicher und privater Gefahrenabwehr soll allerdings die Wahrscheinlichkeit und Intensität von Grundrechtseingriffen sein.607 Darüber hinaus gilt das Subsidiaritätsprinzip der privaten gegenüber der staatlichen Gefahrenabwehr.608 In jedem Fall setzt die Garantiefunktion des Art. 79 Abs. 3 GG der Entstaatlichung nach innen und damit einer Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols durch die Privatisierung der Hoheitsgewalt, welche dem Rechtsstaat der Durchsetzungschance beraubt, Grenzen.609 Das deutsche Polizeimodell geht von der Staatlichkeit der Polizei aus: Die Polizei bedarf der Staatlichkeit der Legitimation, die staatliche Legitimation begründet sich wiederum im staatlichen Sicherheitszweck.610
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Andreas Mackeben, Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit: Sicherheitsdienstleistungen im Innovationsbereich “Business Improvement District (BID)”, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 247 ff.; 251 Andreas Mackeben, Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit: Sicherheitsdienstleistungen im Innovationsbereich “Business Improvement District (BID)”, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 247 ff.; 252 Fabian Jungk, Police Private Partnership. Eine Untersuchung anhand verschiedener Modelle, Köln, Berlin, Bonn, München 2002, S. 131 Andreas Peilert, Sicherheitspartnerschaften, in: Martin H. W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 1459 f., 1459 Andreas Peilert, Sicherheitspartnerschaften, in: Martin H. W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 1459 f., 1459 Udo Behrendes, Thomas Jungbluth, Josef Twickler, Polizeiliche Zusammenarbeit mit Privaten? Das Spannungsfeld zwischen hoheitlicher und privater Gefahrenabwehr, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis, Essen 1996, S. 201 ff.; 205 Udo Behrendes, Thomas Jungbluth, Josef Twickler, Polizeiliche Zusammenarbeit mit Privaten? Das Spannungsfeld zwischen hoheitlicher und privater Gefahrenabwehr, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis, Essen 1996, S. 201 ff.; 206 Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 3 ff.; 103 Hans Jürgen Lange, Innere Sicherheit im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1999, S. 77
3.6.4
Staat, Unternehmenssicherheit und Globalisierung
Auf der anderen Seite muss der Staat erkennen, dass sich im Zuge der zunehmenden Globalisierung Unternehmen global aufstellen und entsprechend weltweit aktiv sind.611 Folglich handeln diese zunehmend selbst als transnationale Akteure neben dem Staat. Die Bedeutung des Staates im Vergleich zur privaten Industrie nimmt entsprechend ab.612 Viele dieser transnationalen Unternehmen sehen sich auch keinen nationalen Interessen verpflichtet, sondern haben im Wesentlichen ihre Unternehmensziele im Auge, die auch nationalen Interessen entgegenlaufen können. Zudem wird postuliert, dass transnationale Unternehmen einen Machtzuwachs verzeichnen, der traditionelle politische Formen wie souveräne Nationalstaaten in ihrer künftigen Existenz bedroht.613 Hieraus ergibt sich ebenfalls, dass auch die Sicherheitsinteressen der Unternehmen weltweit zu betrachten und wahrzunehmen sind und nicht an den nationale Grenzen, an den Küstenlinien oder in Küstengewässern enden.614 Folglich muss auch der transnationalen Kriminalität, insbesondere dem transnationalem Terrorismus, entsprechend dem Transnationalitätsprinzip der Vernetzung und Kooperation auf europäischer615 und weltweiter Ebene entgegengetreten werden. Die Antwort auf eine zunehmende Globalisierung der Kriminalität muss eine zunehmende globalisierte Kriminalitätsbekämpfung sein.616 Das erfordert den Ausbau und die Intensivierung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit. Dies muss auch im vitalen Interesse von nationalen und supranationalen Akteuren sein; sowohl der Nationalstaat als auch die EU, die VN sowie die national aufgestellten Unternehmen und international konstituierten Konzerne sind auf die jederzeitige vollständige Funktionsfähigkeit des Systems der Kritischen Infrastrukturen angewiesen. Dem Staat kommen somit wichtige Organisations-, Koordinierungs-, und Steuerungsaufgaben in einer Zeit zu, in der die Rolle des Staates selbst relativiert wird.617 Callies propagiert an dieser Stelle eine Neubewertung des Staatszwecks Sicherheit samt dem korrespondierenden Gewaltmonopol des Staates als Schlüssel zur Bewältigung
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Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 8; Kritische Betrachtungen hierzu liefern Tanja Brühl, Heidi Feldt, Brigitte Hamm, Harwig Hummel, Jens Martens (Hrsg.), Unternehmen inder Weltpolitik. Politiknetzwerke, Unternehmensregeln und die Zukunft des Multilateralismus, Bonn 2004 Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 85 Johann Engelhard, Silvia Hein, Globale Unternehmungen, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 27ff.; 27 Dirk Freudenberg, Terrorismus, Zivilschutz und Unternehmenssicherheit, in: Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 4., S. 1 ff.; 8 Jörg Ziercke, Sicherheitsstrategische Grundlagen des Sicherheitsgewerbes im Rahmen staatlicher Sicherheitsgewährleistung, in: Rolf Stober, Harald Olschok (Hrsg.), Handbuch des Sicherheitsgewerberechts München 2004, S. 58 ff.; 62 Otto Schily, Die Bildung von Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt als nationale und internationale sicherheitspolitische Herausforderung, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 8 ff.; 8 Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 85
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des Problems.618 Hierbei will er die Staatsaufgabe Sicherheit weiter institutionalisieren und die Kompetenzen der Vereinten Nationen weitergehend stärken, räumt aber selbst ein, dass sein Ansatz angesichts der politischen Realitäten dann problematisch ist, wenn die Vereinten Nationen, insbesondere der Sicherheitsrat, nicht handlungsfähig sind.619 Das ist besonders dann der Fall, wenn es keine qualifizierte Mehrheit gibt bzw. eine Macht ihr Veto gegen einen Beschluss des Sicherheitsrates eingelegt hat. Darüber hinaus besitzen die VN keine eigenen Exekutivelemente in Form von Polizei oder Militär, so dass sie darauf angewiesen sind, dass diese Kräfte ihnen von Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden, um ein Mandat der VN auszuführen.620 3.6.5
PMC / PSC / PSA
Die Betrachtung der Privatisierung der Sicherheit im Inneren hatte ergeben, dass der Staat Gefahr läuft, durch die Aufgabe bzw. den Verlust des Gewaltmonopols seine Funktionalität zu verlieren. Wie ebenfalls im Verlauf der vorliegenden Arbeit mehrfach festgestellt, korrespondiert die innere Sicherheit zunehmend mit der äußeren Sicherheit, und beide Bereiche sind faktisch oftmals nicht mehr voneinander zu trennen. Insofern soll an dieser Stelle untersucht werden, ob die Tendenz zur Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols auch für den äußeren Bereich der staatlichen Macht zutrifft. Die Auflösung staatlicher Strukturen und staatlicher Ordnung durch Aufgabe staatlicher Verantwortung spielt dem Irregulären, der ja antritt, um diese Ordnung zu unterlaufen und diese Strukturen und damit schlussendlich den Staat selbst zu zerstören, in die Hände. Der zunehmende Rückzug des Nationalstaates traditioneller Prägung auch im Sicherheitsbereich auf essentiell wahrgenommene Kernkompetenzen führt dazu, dass die traditionelle Rolle des Staates als Gewährleister der Sicherheit für moderne Unternehmen nur bedingt Bestand hat.621 Zudem wird die Ansicht vertreten, dass sich der historisch überlieferte, auf staatliches Gewaltmonopol und Friedenspflicht der Bürger gegründete Staatszweck Sicherheit im Kontext der Globalisierung internationalisiert habe.622 Es ist ein weltweit zu beobachtendes Phänomen, dass Staaten zunehmend das Monopol militärischer Macht an Netzwerke, selbstständig handelnde War-
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Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 29 vgl. Christian Callies, Die Staatsaufgabe der Äußeren Sicherheit im Wandel: Staatstheoretische Grundlagen und völkerrechtliche Konsequenzen, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 13 ff.; 27 ff. Zu den vielschichtigen Problemen der Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben und -interessen durch die VN vgl.: Manfred Eisele, Die Vereinten Nationen. Ein Insider Bericht, Franfurt am Main, Freiburg i.Br. 2000; vgl. Dieter Göthel, Die Vereinten Nationen: Eine Innenansicht, 2. Aufl., Berlin 2002. Christoph Rojahn, Internationaler Terrorismus als Herausforderung für die moderne Unternehmenssicherheit, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 441 ff.; 442 Christian Callies, Julia Legleitner, Vorwort, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 5
lords, Terroristen und Terrororganisationen mit internationalem Aktionsradius verlieren.623 Die Dominanz privater Gewaltakteure auf vielen Kriegsschauplätzen wird auch als Indiz für die Existenz nichtstaatlicher Gewaltordnungen und alternativer Formen der Produktion von Sicherheit gesehen.624 Die Privatisierung der Gewalt geht zudem einher mit einer veränderten Kriegswirtschaft unter den Bedingungen der Globalisierung.625 Somit resultiert die Entgrenzung des Krieges aus der Entmonopolisierung und Privatisierung organisierter Gewalt.626 Dementsprechend wird prognostiziert, dass die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Bedeutung von Privaten in bewaffneten Konflikten weiter zunehmen wird.627 Die Privatisierung von Gewalt und Krieg zeigt sich nicht nur in den irregulären bewaffneten Formationen von Terroristen und Guerillas, sondern auch in der Zunahme privater Sicherheitsdienste628 in westlichen Industriegesellschaften.629 In jüngster Zeit wird in der Literatur zunehmend davor gewarnt, dass privatwirtschaftliche Unternehmen als „Private Military Companies, PMC“ oder auch als „Private Security Companies, PSC“630 in Zukunft Teilbereiche bislang staatlich verantworteter Sicherheit übernehmen und sich damit eine allgemeine Tendenz zur Entstaatlichung des Krieges entwickeln werde.631 Zudem wird 623 624 625 626 627 628 629 630
631
Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22 Sven Chojnacki, Privatisierte Sicherheit. Substaatliche Kriege und Formen alternativer Gewaltproduktion, in: Internationale Politik, September 2005, S. 34 ff.; 34 mr, Neue Kriege und Staatszerfall, in: Bernhard Chiari, Dieter H. Kollmer (Hrsg.), Wegweiser zur Geschichte. Demokratische Republik Kongo, Paderborn, München, Wien, Zürich 2006, S. 106 f.; 107 vgl. Ulrich Beck, Der kosmopolitische Blick oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt am Main 2004, S. 200 Christian Schaller, Zur Auslagerung militärischer Aufgaben: humanitär-völkerrechtliche Aspekte des Einsatzes Privater in bewaffneten Konflikten, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 120 ff.; 120 Zur Vielschichtigkeit und Komplexität des Problems vgl. ausführlich: P. W. Singer, Corporate Warriors. The Rise of the Privatized Military Industry, Ithaca, London 2003 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22 Thomas K. Adams, Private Military Companies: Mercenaries for the 21st Century, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 55 ff.; 56; Georg Weingärtner, Krieg als Geschäftszweig. Private Sicherheitsdienstleister und Söldner im Lichte des Kriegsvölkerrechts, in: ÖMZ 2004, S. 149 ff.; 149 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 68 f.; vgl. Boris Kanzleiter, Krieg & Frieden GmbH. Privatarmeen und private Militärunternehmen als Akteure der Neuen Kriege, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hrsg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 175 ff.; 175; vgl. Dario Azzellini, Boris Kanzleiter, Einleitung, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hrsg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 7 ff.; 10; vgl. Peter Lock, Sicherheit à la carte? Entstaatlichung, Gewaltmärkte und die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols, in: Tanja Bühl, Tobias Debiel, Brigitte Hamm, Hartwig Hummel, Jens Martens (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Bonn 2001, S. 200 ff.; vgl. Peter Lock, Ökonomie der neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 53 ff.; 66; vgl. Horst Weise, Die private Militärindustrie boomt. Landkrieger, Cooperate Warriors, Söldner, in: Europäische Sicherheit 2005, Heft 6, S. 56 ff.; vgl. Arno Meinken, Kriegshandwerk und Profiteure. Organisierte Privatarmeen in Afrika, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 11 ff.; vgl. Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff.; 79; vgl. Georg-Maria Meyer, Rent a Soldier! – Zur Privatisierung militärischen Gewaltpotentials, in: Gerhard Kümmel, Sabine Collmer (Hrsg.), Europäische Streitkräfte in der Postmoderne, 1. Aufl. 2002, S. 81 ff.; vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 368; vgl. Peter Lock, Gewalt als Regulation: Zur Logik der
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in diesem Zusammenhang auch eine zunehmende Kommerzialisierung von Krieg und Gewalt kritisiert,632 das „Outsourcen von Konfliktmanagement“633, das im Ergebnis ein akzeptiertes Outsourcen des staatlichen Gewaltmonopols an private Akteure bedeutet.634 Weiterhin wird kritisiert, dass private Firmen das Produkt „Sicherheit“ als bezahl- und handelbare Ware anbieten, dessen Qualität sich danach richtet, wie viel der Kunde zu zahlen bereit ist.635 Tatsächlich sind seit dem Ende des Kalten Krieges die Zahl und Aktivitäten privater Militär- und Sicherheitsunternehmen, die sich durch Bereitstellung von Logistik, militärischem oder zivilem Personal in Kriegen und Bürgerkriegen weltweit engagieren, rasant angestiegen.636 Es geht darum, dass sich der klassische Träger von Kriegshandlungen, das staatliche Militär, von Teilen seiner Aufgaben zurückzieht und neue Akteure als „Private Militär-Unternehmer“ bzw. „Private Sicherheitsunternehmer“ die entstandenen Lücken füllen.637 Damit ist die PMC / PSC-Industrie, für die auch der übergeordnete Begriff „Priva-
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Schattenglobalisierung, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 40 ff.; 55; vgl. Ulrich Zwygart, Die Schweizer Armee: Zweck, Aufgaben und Spannungsfelder, in: Hubert Annen, Rudolf Steiger, Ulrich Zwygart, Gemeinsam zum Ziel. Anregungen für Führungskräfte einer modernen Armee, Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2004, S. 17 ff.; 20; vgl. Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; vgl. Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22; vgl. Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 265 ff.; vgl. Jakob Schissler, Gerhard Preyer, Globaler Krieg oder Frieden? Zu den neuen Mechanismen internationaler Gewalt, in: Auftrag 2003, S. 52 ff.; 53; vgl. Michael Hardt, Antonio Neggri, Multitude, Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt, New York 2004, S. 64 f.; vgl. Reto Sidler, Private Militärfirmen stellen staatliches Gewaltmonopol in Frage, in: ASMZ, Heft 7/8, 2004, S. 37 ff.; Robert J. Bunker, Introduction and Overview: Why Response Networks?, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 1 ff.; 2; vgl. Michael Pesendorfer, Die Wiederkehr der Söldner (I). Kämpfer für Geld in den Konflikten der Zukunft, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ ausgaben/artikel.php?id=489&print=1, Internet vom 29.11.2006 vgl. Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff.; 79 Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4; vgl. Sven Chojnacki, Privatisierte Sicherheit. Substaatliche Kriege und Formen alternativer Gewaltproduktion, in: Internationale Politik, September 2005, S. 34 ff.; 34 vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 20 Michael Pesendorfer, Die Wiederkehr der Söldner (II). Private Militär- und Sicherheitsfirmen und gültiges Recht, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=523&print=1, Internet vom 29.11.2006, S. 2 Andreas Kalb, Helm auf zum Profit. Die Rückkehr des privaten Kriegsunternehmertums, in: FAZ vom 17. Mai 2006 S. N 3; vgl. Martin Binder, Private Sicherheits- und Militäranbieter im Dienste westlicher Demokratien: Die Bürgerkriege in Bosnien-Herzegowina und Sierra Leone, in: Die Friedens-Warte, Heft ½, 2005, S. 131 ff.; 131; vgl. Christian Schaller, Private Sicherheits- und Militärfirmen in bewaffneten Konflikten. Völkerrechtliche Einsatzbedingungen und Kontrollmöglichkeiten, in: SWP-Studie, September 2005, Berlin 2005, S. 5; vgl. John P. Sullivan, Terrorism, Crime and Private Armies, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 69 ff.; 76; Einen Überblick über die historische Entwicklung derartiger Unternehmungen gibt Michael Lee Lanning, Mercenaries. Soldiers of fortune from Ancient Greece to today’s Private military Companies, New York 2005 Christian Clausen, Die Entstaatlichung von Kriegen, in: ÖMZ 2004, S. 175 ff.; 175
te Sicherheitsagenturen, PSA“638 gebraucht wird, als ein „neues Unternehmertum“639 Teil moderner Konflikte geworden.640 Große, meist internationale Konzerne schützen ihre Produktionsanlagen und den Ressourcenabbau durch private Militärunternehmen oder nehmen das nicht oder schlecht bezahlte Militär zum Schutz ihrer Anlagen informell in Sold.641 Seit Beginn der neunziger Jahre erleben private Anbieter von Sicherheitsdienstleistern im Rahmen von bewaffneten Konflikten einen kontinuierlichen Aufschwung.642 Die zunehmende Verbreitung und der entsprechende qualitative Schub wird unter anderem mit den nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung entstandenen neuen Konfliktlinien erklärt, die wiederum aus den häufig schwierigen und unübersichtlichen Nationen- und Staatsbildungsprozessen und dem Wegfall externer Stabilisierung über Instrumente wie Wirtschafts-, Entwicklungs-, und Militärhilfe und deren Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit gedeutet werden.643 Derartige Unternehmen übernehmen mittlerweile polizeiliche und militärische Aufgaben bis hin zu Kampfaufträgen und Aufgaben im Rahmen von VN-Einsätzen.644 In dieser Tendenz wird sogar „… ein Wandel im 638 639 640 641 642
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Sven Chojnacki, Privatisierte Sicherheit. Substaatliche Kriege und Formen alternativer Gewaltproduktion, in: Internationale Politik, September 2005, S. 34 ff.; 38 Jakob Schissler, Gerhard Preyer, Globaler Krieg oder Frieden? Zu den neuen Mechanismen internationaler Gewalt, in: Auftrag 2003, S. 52 ff.; 53 Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4 Peter Lock, Ökonomie der neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 53 ff.; 66; vgl. Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff. 75 f. Georg Weingärtner, Krieg als Geschäftszweig. Private Sicherheitsdienstleister und Söldner im Lichte des Kriegsvölkerrechts, in: ÖMZ 2004, S. 149 ff.; 149. Weingärtner grenzt hier PSCs und PMCs grundsätzlich dahingehend ab, dass PSCs den Hauptteil ihrer Unternehmensgewinne mit präventiven Bewachungsund Ordnungsaufgaben in Low-Risk-Situationen erwirtschaften; PMCs hingegen Unternehmen sind, die Dienstleistungen in High-Risk-Gebieten, insbesondere im Rahmen von bewaffneten Konflikten erbringen. Allerdings räumt Weingärtner ein, dass in Anbetracht ihrer vielfach ähnlichen Tätigkeitsbereiche und strukturellen Gemeinsamkeiten, aber auch wegen der zunehmenden oftmals kriegerischen Zustände in den Einsatzräumen der PSC und der durch diese erfolgende Rückgriff auf Personal mit militärischem Hintergrund eine tatsächliche Abgrenzung Schwierigkeiten bereitet. In diesem Zusammenhang spricht Kanzleiter wegen der Nähe ehemaliger hochrangiger Militärs als Mitarbeiter und Miteigentümer von PMCs und staatlichem Militär von einer „ Integration von privaten Unternehmen und regulären Armeen zu einer Private Public Partnership sui generis… , die sich auch an der Verquickung ihres Personals deutlich“ mache. (Boris Kanzleiter, Krieg & Frieden GmbH. Privatarmeen und private Militärunternehmen als Akteure der Neuen Kriege, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter [Hrsg.], Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 175 ff.; 186) vgl. Gerhard Kümmel, Modernes Söldnertum. Private Sicherheits- und Militärunternehmen, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 4 ff.; S. 6 f. vgl. Boris Kanzleiter, Krieg & Frieden GmbH. Privatarmeen und private Militärunternehmen als Akteure der Neuen Kriege, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hrsg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 175 ff.; 175; vgl. Dario Azzellini, Boris Kanzleiter, Einleitung, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hrsg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 7 ff.; 7 f.; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 68; vgl. Gerhard Kümmel, Modernes Söldnertum. Private Sicherheits- und Militärunternehmen, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 4 ff.; S. 5; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 49; vgl. William Fowler, Operation Barras. The SAS Rescue Mission: Sierra Leone 2000, London 2004; S. 49; vgl. Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4; vgl. Michael Pesendorfer, Die Wiederkehr der Söldner (II). Private Militär- und Sicherheitsfirmen und gültiges Recht, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=523&print=1, Internet vom 29.11.2006, S. 1
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Militärwesen“645 gesehen und eine „Outsourcing-Euphorie“ erkannt, in die der Bereich der Sicherheit der Verteidigung und des Militärs gerät.646 In Form von Public-PrivatePartnerships647 (PPP) wird verstärkt Material einschließlich dessen Bedienung gepachtet, wodurch sich die Spielräume für militärische Beschaffung erweitern sollen.648 Die Wahrnehmung militärischer Aufgaben durch Private ist kein Phänomen des 20. oder 21. Jahrhunderts.649 Die Warnung vor derartigen Kriegsunternehmern ist allerdings auch nicht ganz neu; bereits Machiavelli hatte in seinem Werk „Der Fürst“ hiervor gewarnt und „Söldner und Hilfstruppen“ als nutzlos und „gefährlich“ bezeichnet,650 doch zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wird dieser lang andauernde Konsens durchbrochen, indem sie von Regierungen als zunehmend nützlich empfunden werden.651 Nach der hier vertretenen Auffassung übersehen die uneingeschränkten Befürworter von privaten Sicherheitsunternehmen, dass im Zentrum des staatlichen Handelns das nationale Interesse steht. Das Interesse der Unternehmen ist auf die Vergütung jeden Aufwandes und jedweden Mehraufwandes ausgerichtet und insoweit nur auf Geld.652 Mair sieht den Grund für das enorme Wachstum von PMCs nach dem Ende des Kalten Krieges im Sinken der grundsätzlichen Bedenken von Staaten gegen die Privatisierung essentieller Staatsfunktionen.653 Dabei stehe der schlanke Staat, Effizienzsteigerung durch Wettbewerb und Outsourcing für einen normativen Wandel, in dem sich staatliches Handeln zunehmend Marktgesetzen unterwerfen muss – selbst in Kernbereichen wie der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols.654 Tatsächlich stellt sich für die Staaten die Frage, inwieweit sie selbst durch das Outsourcing von Sicherheitsfunktionen den Trend der Privatisierung verstärken und welches Interesse sie überhaupt an der Regulierung des privaten Sicherheitssektors haben.655 645 646 647
648 649 650 651 652 653 654 655
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Horst Weise, Die private Militärindustrie boomt. Landkrieger, Cooperate Warriors, Söldner, in: Europäische Sicherheit 2005, Heft 6, S. 56 ff. 56 Gerhard Kümmel, Modernes Söldnertum. Private Sicherheits- und Militärunternehmen, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 4 ff.; 8 Mit Public Private Partnership wird die in vielfältigen Rechts- und Organisationsformen geregelte, in beiderseitigem Nutzen liegende partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft bei der Erfüllung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben bezeichnet. (Gabriele Gotthardt, Public Private Partnership, in: Hanno Drechsler, Wolfgang Hilligen, Franz Neumann [Hrsg.], Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, 10. Aufl., München 2003, S. 797) Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 264 Christian Schaller, Zur Auslagerung militärischer Aufgaben: humanitär-völkerrechtliche Aspekte des Einsatzes Privater in bewaffneten Konflikten, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 120 ff.; 120 Rudolf Zorn, (Hrsg.), Machiavelli, Der Fürst “Il Principe”, 6. Aufl., Stuttgart 1978, S. 49 Thomas K. Adams, Private Military Companies: Mercenaries for the 21st Century, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 55 ff.; 55 Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 265 ff.; 268 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 263 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 263 Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff. 76
3.6.5.1
Gründe für das Outsourcing
Von Vorteil für den Einsatz dieser Kräfte ist, dass sie eben nicht den regulären Streitkräften angehören und damit nicht einer strikten parlamentarischen Kontrolle unterliegen sowie nicht im Blickpunkt einer interessierten Öffentlichkeit stehen, die sensibel auf Verluste der Streitkräfte reagiert. Insofern sind sie – im Gegensatz zum Militär – der Öffentlichkeit keine Rechenschaft schuldig.656 Zudem können sie nach Bedarf eingestellt, beschäftigt und wieder entlassen werden. Das militärische Risiko wie auch die politischen Kosten werden somit auf eine kleine gesellschaftliche Gruppe – private Unternehmen – abgewälzt und reduziert.657 Ein stehendes Heer kostet immer knappe Ressourcen.658 Für den Staat sind die privaten Sicherheitsdienstleister somit auch deshalb attraktiv, weil nur für die aktuelle Dienstleistung gezahlt werden muss, die angefordert und erhalten wird.659 Eine Meinung in der Literatur hält es vor dem Hintergrund der Entwicklung der westlichen Demokratien hin zu einer „zero-loss-acceptance-Gesellschaft“ für andenkenswert, bestimmte „unangenehme, nicht glamour-Operationen“ zum Beispiel im Verdeckten Kampf, einschließlich der Bekämpfung von Partisanen, an der Schnittstelle von Armee und Polizei auf private Sicherheitsdienste zu übertragen.660 Diese Ansicht ist aus mehreren Gründen bedenklich. Zum ersten ist es das Wesen verdeckter Operationen, dass sie unter (absoluter) Geheimhaltung ablaufen. Ein „Outsourcing“ aus diesem innersten Kernbereich staatlicher Gewaltausübung, der immer die Gefahr politischer Implikationen – bis hin zur politischen Destabilisierung und Sturz des Auftraggebers – in sich trägt, verstärkt das Problem der politischen Kontrolle derartiger Aktionen. Zudem ist es kaum vorstellbar, die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg derartiger Operationen aus der Politik zur Wirtschaft zu transformieren. Die Entscheidung über die Durchführung von verdeckten Operationen muss folglich eine politische sein und die Führung muss eng an die politische Verantwortung gebunden bleiben. Alles andere muss – auch und gerade aus der Sicht der politischen Führung – als kontraproduktiv beurteilt werden. Somit scheidet ein Outsourcing im vorangestellten Sinne hier aus. 3.6.5.2
Unmöglichkeit einer eindeutigen Abgrenzung von PSC und PMC
Die Unterscheidung zwischen PSC und PMC gestaltet sich als schwierig; es müsste ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal geben. Fraglich ist hier allerdings, wie dieses aussehen könnte. Im Zentrum einer solchen Betrachtung müsste die Frage stehen, was ist originär militärisches und was ist dagegen spezifisch polizeiliches Handeln. Mair will bei seiner Einordnung und Bewertung auch tatsächlich zunächst zwischen PSCs und PMCs abgrenzen: Für ihn sind PSCs Unternehmen, die den Schutz von Privatpersonen besorgen, 656 657 658 659 660
Michael Hardt, Antonio Neggri, Multitude, Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt, New York 2004, S. 65 Martin Binder, Private Sicherheits- und Militäranbieter im Dienste westlicher Demokratien: Die Bürgerkriege in Bosnien-Herzegowina und Sierra Leone, in: Die Friedens-Warte, Heft ½, 2005, S. 131 ff.; 133 f. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 54 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 54; vgl. Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4 Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 265 ff.; 266
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Gebäude, Produktionsanlagen, Minen, Erdölfelder sowie öffentliche Einrichtungen überwachen und dabei im Notfall auch Gewalt einsetzen. Den Unterschied zu den PMCs sieht Mair darin, dass die Gewalt zur Erfüllung des Auftrages „… aber nie in militärischer Form …“ eingesetzt werde.661 Allerdings definiert Mair hier nicht, was er unter „militärischer Form“ versteht. Außerdem kann der von Mair angesprochene Auftrag „Überwachen“ ein originär militärischer sein. Der Terminus entspricht insofern einer der „Allgemeinen Aufgaben im Einsatz“662, wie sie im militärischen Sinne definiert werden. Darüber hinaus können die angesprochenen Aufgaben Objekt- und Raumschutzaufgaben sowohl polizeilich wie auch militärisch sein. Das ist primär eine Frage von Zuständigkeiten und liegt nicht originär in der Tätigkeit begründet. Insofern räumt Mair auch ein, dass der Übergang zwischen PSCs und PMCs auch fließend sei und sich die Unternehmen nur schwer eindeutig zuordnen lassen.663 Da sich Zuständigkeiten nach gesetzlichen Regelungen richten, die eine gewisse Ordnung anstreben, die Aufgaben zwischen Polizei und Militär zu verteilen und ihre Wahrnehmung zuordnen wollen, kann der Versuch der Unterscheidung von PSCs und PMCs hier nur ins Leere greifen, soweit versucht wird, sich an staatsrechtlichen Modellen und Begrifflichkeiten zu orientieren. Derartige Unternehmen orientieren sich an staatlichen Ordnungen insoweit, als dass sie sich allenfalls an den durch den Staat vorgegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen orientieren. Fehlt der Staat, tritt an seine Stelle die Ordnungsmacht im Raum. Diese setzt dann die Bedingungen und Maßstäbe, unter denen die privaten Sicherheitsdienste agieren dürfen. Fehlt eine solche Orientierung, operieren diese Kräfte möglicherweise in einem rechtlichen Vakuum. Ansonsten orientieren sich die Unternehmen am Markt, bieten ihre spezifischen Fähigkeiten an, entwickeln weitere oder „kaufen“ Fähigkeiten dazu, um Aufträge zu akquirieren und zur „Kundenzufriedenheit“ durchführen zu können. In diesem Sinne folgen private Sicherheitsunternehmen den Gesetzen des Marktes.
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Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff. 261 Mit „Allgemeinen Aufgaben im Einsatz“ werden diejenigen Tätigkeiten bezeichnet, die Truppen und Truppenteile unabhängig von der jeweils vorherrschenden Gefechtsart stets auszuführen haben. (Matthias Bellmann, Uwe Schrader, Handbuch für Übung und Einsatz. Grundlagen, Fakten und Hilfsmittel im Bereich der Taktik, 7. Aufl., Regensburg, Berlin 2001, S. 47) Allgemeine Aufgaben im Einsatz sind somit: Nachrichtengewinnung und Aufklärung, Erkundung, Sicherung, Verbindung, Tarnen und Täuschen, elektronische Schutzmaßnahmen, Marsch, Bewegungen über Gewässer, Fördern und Hemmen von Bewegungen, Lähmung, Abwehr von Bedrohung aus der Luft, Führungsunterstützung und Einsatzunterstützung (Heeresamt, Abteilungsleiter II [Hrsg.], Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1223). Nachrichtengewinnung erstreckt sich auf alle Informationen, die für die militärpolitische und militärische Nachrichtengewinnung und die Planung und Durchführung des Einsatzes von Streitkräften von Interesse sind. Neben Erkenntnissen zur Lage anderer Staaten sind dies auch Informationen zur geographischen, politischen und wirtschaftlichen Lage eines Landes. (Heeresamt, Abteilungsleiter II [Hrsg.], Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 6003) Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff. 261
3.6.5.3
Rechtliche Qualifikation der privaten Sicherheitsunternehmen
Problematisch könnte an dieser Stelle die rechtliche Qualifikation bzw. die generelle Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit derartiger Unternehmen sein. Die Präsenz solcher Vertragskämpfer verkompliziert die Regeln des Krieges, sofern es sie gibt und sie überhaupt beachtet werden.664 Dementsprechend ist es fraglich, ob und in wieweit private Sicherheitsunternehmen mit Söldnerorganisationen gleichzusetzen sind und somit auch eine Ächtung erfahren müssen. Für Mair liegt der wesentliche Unterschied zwischen PMCs und Söldnern im klassischen Sinne in der Organisationsform. Nach seiner Meinung werden Söldnergruppen ad hoc für die Erledigung eines spezifischen Auftrages gebildet und lösen sich nach dessen Erledigung wieder auf; hingegen seien PMCs auf Dauer angelegte Unternehmen, die eine feste Organisationsstruktur haben, als Betrieb registriert sind und Steuern zahlen.665 Dagegen sei für Söldnergruppen die kurzfristige Gewinnmaximierung oberstes Ziel, dabei könnten sie sich jederzeit gegen einen Auftraggeber wenden, wenn dessen Konkurrent höhere Entlohnung verspricht.666 Als zusätzliches Unterscheidungskriterium fügt Mair an, dass bei der Wahl ihrer militärischen Mittel Söldner jenen den Vorzug gäben, die die geringsten materiellen Kosten verursachen – auch wenn dies die Zahl der Opfer erhöhe.667 Die von Mair vorgebrachten Kriterien zur Abgrenzung von Privatunternehmungen und Söldnern überzeugen nicht. Zum einen ist es nicht einsichtig, warum ein kurzfristiger Zusammenschluss von Akteuren eine andere Beurteilung erfahren soll als eine langfristige. Entscheidender Anknüpfungspunkt für eine Wertung muss der Zweck der Verbindung sein. Ist dieser als verwerflich anzusehen, so ist doch die auf Dauer angelegte Vereinigung die schädlichere und damit eher abzulehnen.668 Für eine umgekehrte Privilegierung ist kein Grund ersichtlich. Ist der Zweck des Zusammenschlusses jedoch ein legitimer, so entspricht es den Grundsätzen der Privatautonomie, Inhalt und auch die Dauer der Vereinigung frei zu bestimmen. Insofern ist auch die Gewinnmaximierungsabsicht als qualifizierend anzusehen, wenn diese sich auf einen verwerflichen Zweck bezieht. Das gleiche gilt für die Wahl der Mittel, die Mair als Abgrenzungskriterium hier anführt. Abgesehen davon, dass er nicht definiert, was er unter „Militärischen Mitteln“ versteht, muss jede Organisation, die erfolgreich sein will, mit ihren Ressourcen sparsam umgehen. Die Vermeidung von „unschuldigen Opfern“ ist nicht nur das Ziel von legitimer Macht, sondern muss alleine schon aus „Imagegründen“ auch von illegalen Vereinigungen beachtet werden, um nicht durch das mediale Interesse die (Welt-) Öffentlichkeit gegen sich zu haben, unter deren Druck sich Regierungen oder internationale Organisationen genötigt sehen, dem Treiben Einhalt zu 664 665 666 667 668
Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 261 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 261 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 261 Demensprechend knüpfen im innerstaatlichen Recht auch bestimmte Straftatbestände aber auch Strafschärfungsvorschriften bei der Qualifizierung der „Schwere der Tat“ an den auf Dauer angelehnten Zusammenschluß bzw. an die fortgesetze Begehung an. (vgl.z. B. § 250 I Nr. 4 StGB „… Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat …“)
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bieten und aktiv dagegen vorzugehen. Zudem entsprechen bei einem verwerflichen Zweck die auf Dauer angelehnte Vereinigung und der Gewinnmaximierungsvorsatz den Qualifikationsmerkmalen der organisierten Kriminalität. Allerdings räumt Mair auch an dieser Stelle ein, dass die Übergänge zwischen PMCs und Söldnern fließend seien, es PMCs gebe, deren Organisationsformen kaum weniger flüchtiger Natur seien als die von Söldnergruppen und PMCs ihr Personal zum Großteil aus demselben Reservoir wie Söldnergruppen rekrutieren.669 Weiterhin gesteht er selbst auch zu, dass sich PMCs bemühen, durch Beachtung von internationalen Regeln der Kriegführung breite Akzeptanz auf der Nachfrageseite und in der Weltöffentlichkeit zu gewinnen, dass sich Gewinnorientierung und Orientierung an ethischen Maßstäben nicht grundsätzlich ausschließen und dass die langfristigen Konsequenzen für die Geschäftsinteressen diese eher davor zurückschrecken lassen, exzessiv Gewalt anzuwenden.670 Mithin sind Mairs Argumentationslinien in sich widersprüchlich und mitsamt auch nicht logisch. Sie helfen folglich nicht, die Erscheinungen abzugrenzen und einzuordnen. Daher fehlt es bei Mair im Ganzen auch an klaren Abgrenzungskriterien, die eine Einordnung und Qualifizierung der Erscheinungen zulassen. Insbesondere rechtliche Anhaltspunkte sind bei Mair schlussendlich nicht gegeben. Allerdings sieht auch Gimmler durchaus erhebliche Probleme der Rechtsstellung derartiger privater Akteure, insbesondere hinsichtlich des Kombattantenstatus.671 3.6.5.3.1
Private Sicherheitsunternehmen und Söldnertum
Freilich ist aus völkerrechtlicher Sicht die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes von Dienstleistern der privaten Sicherheitsindustrie bei der direkten oder indirekten Teilnahme an bewaffneten Konflikten fraglich. Insbesondere die Frage, ob private Sicherheitsdienstleister im Sinne des Kriegsvölkerrechts und des Humanitären Völkerrechts als „Söldner“ zu qualifizieren sind, ist umstritten. Sidler will die Militärunternehmen durch ihre moderne körperschaftliche Gesellschaftsform, die hierarchische Organisationsstruktur, die offene Personalrekrutierung und das breite Serviceangebot von Söldnern unterscheiden.672 Diese Abgrenzung ist hier allerdings zu unbestimmt. Schneckener setzt dagegen beide Gruppen, Söldner und private Sicherheitsdienstleister, gleich, indem er ausführt, es handele sich bei diesen um angeworbene Freiwillige, die gegen eine entsprechende Entlohnung in bestehende Kampfverbände integriert oder in eigener Regie mit Sonderaufgaben betraut 669 670 671
672
110
Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 262 Stefan Mair, Die Rolle von Private Military Companies in Gewaltkonflikten, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 260 ff.; 265 Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 266 f.. So auch eine weitere Meinung in der Literatur, die darauf abstellt, dass der Ausgangspunkt für die Bestimmung der humanitär-völkerrechtlichen Rechtsstellung Privater in internationalen bewaffneten Konflikten deren formale Rechtsbeziehung zu den Streitkräften desjenigen Staates ist, in dessen Auftrag sie Tätig werden. (Christian Schaller, Zur Auslagerung militärischer Aufgaben: humanitärvölkerrechtliche Aspekte des Einsatzes Privater in bewaffneten Konflikten, in: Clausewitz-Gesellschaft [Hrsg.], Jahrbuch 2006, S. 120 ff.; 123) Reto Sidler, Private Militärfirmen stellen staatliches Gewaltmonopol in Frage, in: ASMZ, Heft 7/8, 2004, S. 37 ff.; 37
würden und die dabei unterschiedlichen Herren – von der Armee eines Staates bis hin zum Warlord – dienen könnten.673 Diese Definition weist allerdings eine gewisse Unschärfe auf. Als Söldner im Sinne Art. 47 des I. Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen gilt, wer aus persönlichem Gewinnstreben ummittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt, ohne Staatsangehöriger oder Mitglied der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei zu sein.674 In der Tat wirft diese Legaldefinition die Problematik auf, dass die Kriterien der Definition unter anderem kumulativ erfüllt werden müssen.675 So will Weingärtner PMCs und PSCs auch nicht unter den Begriff „Söldner“ subsumieren. Nach dieser Ansicht unterscheiden sich PMCs von Söldnern bereits grundsätzlich dadurch, dass sie praktisch ausschließlich für offizielle, im völkerrechtlichen Sinn legitimierte Regierungen, nicht aber für inoffizielle bewaffnete Gruppierungen oder Private tätig wurden676 und somit der Ausschluss einer wesentlichen Eigenschaft für die völkerrechtliche Einordnung als Söldner vorliege.677 Daher legen die modernen Militärfirmen Wert darauf, als normale Unternehmen zu agieren, und achten in der Regel sorgsam darauf, wenigstens eines der Kriterien für das Söldnerwesen unerfüllt zu lassen, damit ihre Angestellten nicht als Söldner belangt werden können.678 Dieser grundsätzlichen Argumentationslinie folgt auch eine weitere Meinung, die feststellt, dass die Unternehmen sich in einer militärischen und rechtlichen Grauzone befinden und somit nicht den Bestimmungen des internationalen Völkerrechts unterliegen und sich auch weitgehend jeder Kontrolle entziehen.679 Mithin erweist sich der Vorwurf des Söldnertums
673 674 675 676 677
678 679
Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 34 Dieter Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, RN 303; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 64 Georg-Maria Meyer, Rent a Soldier! – Zur Privatisierung militärischen Gewaltpotentials, in: Gerhard Kümmel, Sabine Collmer (Hrsg.), Europäische Streitkräfte in der Postmoderne, 1. Aufl. 2002, S. 81 ff.; 83 Georg Weingärtner, Krieg als Geschäftszweig. Private Sicherheitsdienstleister und Söldner im Lichte des Kriegsvölkerrechts, in: ÖMZ 2004, S. 149 ff.; 150 Gem. Art. 47 II des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) gilt als Söldner, a) wer im Inland oder im Ausland zu dem besonderen Zweck angeworben ist, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen, b) wer tatsächlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt, c) wer an Feindseligkeiten vor allem aus dem Streben nach persönlichem Gewinn teilnimmt und wer von oder im Namen von einer am Konflikt beteiligten Partei tatsächlich die Zusage einer materiellen Vergütung erhalten hat, die wesentlich höher ist als die den Kombattanten der Streitkräfte dieser Partei in vergleichbarem Rang und mit ähnlichen Aufgaben zugesagte oder gezahlte Vergütung, d) wer weder Staatsbürger einer am Konflikt beteiligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt beteiligten Partei kontrollierten Gebiet ansässig ist, e) wer nicht Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei ist und f) wer nicht von einem am Konflikt beteiligten Staat im amtlichen Auftrag als Angehöriger seiner Streitkräfte entsandt worden ist. (Christian Tomuschat [Hrsg.], Völkerrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 2004, Nr. 35a) Diese Merkmale müssen kumulativ vorliegen. (Dieter Fleck [Hrsg.], Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, RN 303; vgl. Georg Weingärtner, Krieg als Geschäftszweig. Private Sicherheitsdienstleister und Söldner im Lichte des Kriegsvölkerrechts, in: ÖMZ 2004, S. 149 ff.; 153) Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 64 Dietrich Alexander, Die gemietete Armee, in: DIE WELT vom 3. Mai 2004, S. 4
111
grundsätzlich als unbegründet, da Artikel 47 des I. Zusatzprotokolls so eng gefasst ist, dass er kaum praktische Bedeutung erlangt.680 3.6.5.3.2
Privilegierung durch Unternehmensziele
Allerdings finden sich in der Literatur zahlreiche Hinweise auf den Einsatz privater Sicherheitsdienstleister gerade nicht nur für privatwirtschaftliche Unternehmungen, sondern sogar auch für staatliche und nichtstaatliche Hilfsorganisationen681, die (in Ausnahmefällen) ebenfalls derartige Dienstleistungen in Anspruch nehmen,682 um Sicherheit im humanitären Raum zu haben.683 Daher will Kümmel die privaten Sicherheits- und Militärunternehmen dadurch von Söldnern unterscheiden, dass sie in der Form von Geschäftsunterneh680
681 682
683
112
Christian Schaller, Private Sicherheits- und Militärfirmen in bewaffneten Konflikten. Völkerrechtliche Einsatzbedingungen und Kontrollmöglichkeiten, in: SWP-Studie, September 2005, Berlin 2005, S. 9; Pesendorfer will daher Söldner von Nichtsöldnern nach funktionalen Gesichtspunkten abgrenzen, indem er für die Qualifikation als Nichtsöldner darauf abstellt, dass diese Funktionen übernehmen, die originär von der Polizei übernommen werden. (Michael Pesendorfer, Die Wiederkehr der Söldner [II]. Private Militär- und Sicherheitsfirmen und gültiges Recht, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=523&print=1, Internet vom 29.11.2006, S. 6) Allerdings wirft dieser Abgrenzungsansatz wiederum die Frage auf, was originär polizeiliche Aufgaben sind; diese Abgrenzung ist in der Regel abhängig vom jeweiligen Verfassungsrecht der Staaten und daher können polizeiliche und militärische Aufgaben völkerrechtlich nicht scharf von einander unterschieden werden. GOs / ROs und NGOs / NROs vgl. Thomas K. Adams, Private Military Companies: Mercenaries for the 21st Century, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 55 ff.; 57; vgl. Christian Clausen, Die Entstaatlichung von Kriegen, in: ÖMZ 2004, S. 175 ff.; 175 ff.; vgl. Arno Meinken, Kriegshandwerk und Profiteure. Organisierte Privatarmeen in Afrika, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 11 ff.; vgl. Peter Lock, Sicherheit à la carte? Entstaatlichung, Gewaltmärkte und die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols, in: Tanja Bühl, Tobias Debiel, Brigitte Hamm, Hartwig Hummel, Jens Martens (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Bonn 2001, S. 200 ff.; 219 ff.; vgl. Horst Weise, Die private Militärindustrie boomt. Landkrieger, Cooperate Warriors, Söldner, in: Europäische Sicherheit 2005, Heft 6, S. 56 ff. 58; Gerhard Kümmel, Modernes Söldnertum. Private Sicherheits- und Militärunternehmen, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 4 ff.; vgl Koenraad van Brabant, Operational Security Management in Violent Environments. A Field Manuel for Aid Agencies, London 2000 S. 345 ff.; vgl. Georg-Maria Meyer, Rent a Soldier! – Zur Privatisierung militärischen Gewaltpotentials, in: Gerhard Kümmel, Sabine Collmer (Hrsg.), Europäische Streitkräfte in der Postmoderne, 1. Aufl. 2002, S. 81 ff.; 89; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 49; vgl. Andreas Kalb, Helm auf zum Profit. Die Rückkehr des privaten Kriegsunternehmertums, in: FAZ vom 17. Mai 2006 S. N 3; vgl. Sven Chojnacki, Privatisierte Sicherheit. Substaatliche Kriege und Formen alternativer Gewaltproduktion, in: Internationale Politik, September 2005, S. 34 ff.; 34; vgl. Oldrich Bures, Private Military Companies: A Second Best Peacekeeping Option?, in: International Peacekeeping, Heft 4, 2005, S. 533 ff.; 533; vgl. Elke Krahmann, Regulating Private Military Companies: What Role fr the EU?, in: Contemporary Security Policy, Heft 1, 2005, S. 103 ff.; 104; vgl. Martin Binder, Private Sicherheits- und Militäranbieter im Dienste westlicher Demokratien: Die Bürgerkriege in Bosnien-Herzegowina und Sierra Leone, in: Die Friedens-Warte, Heft ½, 2005, S. 131 ff.; 131; vgl. Christian Schaller, Private Sicherheits- und Militärfirmen in bewaffneten Konflikten. Völkerrechtliche Einsatzbedingungen und Kontrollmöglichkeiten, in: SWP-Studie, September 2005, Berlin 2005, S. 8; vgl. John P. Sullivan, Terrorism, Crime and Private Armies, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 69 ff.; 76; vgl. Michael Pesendorfer, Die Wiederkehr der Söldner (I). Kämpfer für Geld in den Konflikten der Zukunft, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=489&print=1, Internet vom 29.11.2006, S. 1 Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff.; 75
men organisiert sind, sie also nicht primär durch individuelles Profitstreben motiviert seien, sondern durch das Streben nach Unternehmensprofit, und sie eine wesentlich größere Bandbreite an Sicherheitsdienstleitungen anböten, eine breitere Zahl von Akteuren zu ihren Kunden gehöre, ihre Mitarbeiter professioneller und systematischer rekrutierten, auf einem offenen Markt international tätig seien, institutionalisierte Eigentums- und Besitzverhältnisse aufweisen und breit und umfassend mit anderen Wirtschaftsunternehmen vernetzt oder Bestandteil einer größeren Unternehmensholding seien.684 Diese Meinung stellt also auf die unternehmerische Zielsetzung der Gewinnerstrebungsabsicht ab. Abgrenzungskriterium soll hiernach sein, ob dem Einzelnen oder dem Unternehmen der Gewinn zufällt. Allerdings ist auch die Entlohnung des Einzelnen durch das Unternehmen in der Regel immer Teil des Unternehmensprofits und richtet sich somit nach den Gesetzen der Marktwirtschaft. Diese Argumentation überzeugt daher nicht. Zum einen sind die oben aufgeführten Eigenschaften des Söldnertums durch die von Kümmel beschriebene Organisationsform nicht aufgehoben. Zum anderen könnte man dieser Definition entgegenhalten, dass man rechtswidrige oder gar kriminelle Handlungen dadurch legalisiert, dass man ihnen eine marktwirtschaftliche Organisationsform gibt und diese Unternehmen mit einem entsprechenden Geschäftsgebaren auftreten. Genau dieses ist auch ein wesentliches Merkmal der Organisierten Kriminalität. Wollte man also dieser Argumentationslinie folgen, könnte man in gleicher Weise auch die Legalität des organisierten Verbrechens685 konstruieren. Das kann nicht gewollt sein. Dennoch erscheint es im Ergebnis auch als unbefriedigend und unbillig, Unternehmungen, die den Schutz und die Sicherheit von legitimen staatlichen oder auch privatwirtschaftlichen Interessen organisieren, pauschal zu kriminalisieren bzw. ihre Angehörigen als Söldner zu qualifizieren. Und lediglich die wirtschaftlichen Kalküle multinationaler Konzerne für den Einsatz privater Sicherheitsfirmen zu unterstellen, könnte eine allzu einseitige Betrachtung dieses komplexen Sachverhaltes darstellen, der für die Unternehmen im Übrigen auch erhebliche wirtschaftliche Aufwendungen bedeutet. So differenziert ein anderer Autor den auch bei der Bewertung des operativen Spektrums. Dieses reiche von legalen Aktivitäten, die kompatibel mit dem humanitären Völkerrecht seien, etwa der Unterstützung von Friedensmissionen oder auch Sicherheitsaufgaben bei humanitären Notsituationen, über nichtregulierte oder nur schwer erfassbare Grauzone, zum Beispiel militärische Ausbildung bis hin zu illegalen Aktivitäten, der direkten Beteiligung an bewaffneten Konflikten auf Seiten der Kriegsparteien oder zur Sicherung der Interessen externer Staaten und multinationaler Unternehmen.686 Doch auch diese Differenzierung ist im Ergebnis zu unbestimmt.
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686
Gerhard Kümmel, Modernes Söldnertum. Private Sicherheits- und Militärunternehmen, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 4 ff.; 6 f. Gerade die Aussicht auf hohe Gewinne in relativ kurzen Zeiträumen hat zunehmend dazu geführt, dass kriminelle Gruppierungen der organisierten Kriminalität (OK) heute insbesondere Kriminalitätsbereiche wie den illegalen Rauschgifthandel, die Herstellung und die Verbreitung von Falschgeld, den illegalen Waffenhandel, Teile der Eigentums- und Wirtschaftskriminalität steuern. (vgl. Polilex. Polizeiliche Fachbegriffe von A – Z, 3. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2001, S. 43) Sven Chojnacki, Gewaltakteure und Gewaltmärkte, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 73 ff.; 79; So geht Wulf denn hier auch bei der Tätigkeit privater Sicherheitsfirmen als Werkschutz von Firmen in Krisengebieten von einer juristischen Grauzone aus. (Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 59)
113
3.6.5.4
Auflösung des Problems
Wirtschaftliche Globalisierungsprozesse führen dazu, dass sich für Unternehmen kritische Ressourcen an Orten befinden, die nicht notwendigerweise im Fokus der nationalen Außenund Sicherheitspolitik liegen687, oder der Staat aus Gründen eines übergeordneten (politischen) Interesses den Schutz von Unternehmen oder deren Angehörigen nicht im umfassendsten Sinne wahrnehmen kann, um deren Sicherheit zu garantieren. Es handelt sich hier also um ein Spannungsverhältnis zwischen der Schutzverpflichtung des Staates und der Staatsraison. Fraglich ist hier, ob in derartigen Fällen, in denen auch von der regionalen oder örtlichen Ordnungsmacht kein ausreichender Schutz zu erwarten ist, der Einsatz von Sicherheitsunternehmen durch das Recht auf Notwehr gerechtfertigt sein könnte. Innerstaatlich besteht das Notwehrrecht immer, wenn der mit dem Gewaltmonopol ausgestattete Staat nicht effektiv zur Hilfe kommen kann, und das Notwehrrecht entfällt nicht, weil der Staat das Gewaltmonopol innehat, sondern es bleibt bestehen, bis der Staat eingreift.688 Der prinzipielle Ausschluss der Privatgewalt zur Durchsetzung von Rechten im Verhältnis der Rechtsgenossen ist eine Folge des Rechtsbefriedungsmonopols, das ein zentrales Element des staatlichen Gewaltmonopols ist.689 Ein solches Verständnis der Notwehr ist allen entwickelten Rechtsordnungen gemein und gilt daher im Völkerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz.690 Denn wenn, wie oben festgestellt, der Staat und mit ihm die staatliche Ordnung, insbesondere das Strafrecht, und dementsprechend die überstaatliche Ordnung, das Völkerrecht, seine Legitimation und Autorität daraus erfährt, dass der Staat den Bürgern das Notwehrrecht weitestgehend genommen hat, um die Sicherheit nach innen und nach außen zu gewährleisten, dann müsste es in dem Moment, wo dieses Modell nicht mehr gilt, wo der Staat diese Autorität nicht mehr aufrechterhalten und den Schutz und die Sicherheit nicht mehr gewährleisten kann, wieder an den Bürger zurückfallen, der sie nun wieder selbst in die Hand nimmt. Denn der Staat hat dem Einzelnen nur das Notrecht belassen, wogegen jeder andere Zwang auf den Staat übergegangen ist.691 Dementsprechend müssten auch Unternehmen, die in Ländern investieren, notwendige Infrastrukturen aufbauen und damit auch wieder die Grundlage für Stabilität, Sicherheit und staatliche Souveränität schaffen, gerechtfertigt sein, ihre Aktivitäten abzusichern und zu schützen und sich dabei ggf. auf eigene oder auch privatwirtschaftlich organisierte Sicherheitskräfte abstützen können. Dieses muss zumindest dann gelten, wenn ein Vakuum an staatlicher Sicherheit vorhanden ist; entweder weil die staatliche Ordnung zerfallen ist, sie dieses Vakuum (nicht ausreichend) füllen kann und auch andere Staaten aus (innen-) politischen Gründen, nicht aus Legitimitätsdefiziten, hier nicht einspringen wollen. Lock sieht daher in dem Tätigwer-
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Christoph Rojahn, Internationaler Terrorismus als Herausforderung für die moderne Unternehmenssicherheit, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 441 ff.; 442 vgl. Jürgen Bröhmer, Gewaltverbot und Humanitäre Intervention, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 33 ff.; 48 Albert Krölls, Die Privatisierung der inneren Sicherheit, in: GewArch 1997, S. 445; 448 vgl. Jürgen Bröhmer, Gewaltverbot und Humanitäre Intervention, in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 33 ff.; 48 Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, 2. Aufl. Berlin 2004, S. 100 f.
den privater Militärunternehmen ein staatliches Versagen, Sicherheit zu gewährleisten.692 Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass es auch im Interesse des Staates liegen könnte, dass Handel und Wandel auch in unsicheren Gebieten zu unsicheren Zeiten weiterlaufen. Das betrifft sowohl politische als auch wirtschaftliche Interessensfelder693. Wer eine moderne Industrie- und Exportnation wie Deutschland verwunden will, braucht schon lange nicht mehr in Deutschland selbst zuzuschlagen.694 Mithin sind privatwirtschaftliche Aktivitäten auf dem Sicherheitssektor dann gerechtfertigt, wenn sie nicht dem erklärten oder auch objektiven Willen, Handeln und Interessen eines Staates widersprechen, im Schwerpunkt darauf abzielen, den Schutz von Personal, Infrastruktur und Investitionen zu gewährleisten, und dazu beitragen, Grundlagen für Stabilität und staatliche Ordnung zu schaffen. Der Staat hat es also durch sein Verhalten in der Hand, ob derartige Machtvakuen entstehen, die den Einsatz privater Gewalt zulassen. 3.6.6
Verlust der staatlichen Handlungsfähigkeit
Wirklich bedenklich in diesem Zusammenhang aus der Sicht des Staates ist, dass der Staat durch zunehmendes Outsourcing von kritischen Dienstleistungen im Bereich Führung, Ausbildung Einsatzunterstützung / Logistik und Kampfunterstützung eigene Kernkompetenzen unwiederbringlich aufgibt, eigene Kompetenzen und Fähigkeiten verliert und sich auch in den Bereichen Bedienung, Instandhaltung und Wartung moderner Waffensysteme und Fahrzeuge in Abhängigkeit privater Firmen begibt. Der Staat verliert demzufolge hier nicht nur das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit, sondern auch das Monopol der faktischen Kriegsführungsfähigkeit.695 Fraglich ist in diesem Zusammenhang zudem, ob diese Firmen und ihre Mitarbeiter, die sich ausschließlich an wirtschaftlichen Interessen orientieren, auch zur Stelle sind, wenn es auf dem Gefechtsfeld kritisch, das heißt, nicht 692
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Peter Lock, Ökonomie der neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 53 ff.; 66. Einen besonderen Präzedenzfall könnte hier die von dem amerikanischen Unternehmer und späterem Präsidentschaftskandidaten Ross Perot gestartete Befreiungsaktion zur Rettung von Mitarbeitern seines eigenen Unternehmens aus dem Iran 1979 darstellen. Vgl. zu Hintergründen, Vorbereitung und Durchführung dieser Aktion: Ken Follet, Auf den Schwingen des Adlers, Bergisch-Gladbach 1983 Der „Exportweltmeister“ Bundesrepublik Deutschland bringt mit seinen Waren und Dienstleistungen auch Beschäftigte in alle Welt und die Sicherheitsverantwortlichen in den Unternehmen tragen Sorge dafür, dass sie gesund wiederkehren und ihnen im Notfall geholfen wird. (Ute Göggelmann, Gefährlicher Auslandseinsatz, , in: Capital 2006, Heft 6, S. 81 ff.; 82); Rojahn weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ca. zwei Drittel des Umsatzes der 30 deutschen DAX-Unternehmen außerhalb der deutschen Landesgrenzen erzielt werden und gleichzeitig etwa ein Drittel deren Kapitals nicht deutschen Eigentümern gehört. (Christoph Rojahn, Internationaler Terrorismus als Herausforderung für die moderne Unternehmenssicherheit, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld [Hrsg.], Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 441 ff.; 447) Rudolf Georg Adam, Fortentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur – Ein nationaler Sicherheitsrat als strukturelle Lösung? Vortrag vor der Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Gesamtstaatliche Sicherheit“, Berliner Forum Zukunft (BFZ) der DGAP und Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Berlin 13. Januar 2006, in: http://www.bits.de/public/articles/Rede_Adam_060113.pdf, Internet vom 15. März 2006, S. 2 Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 15 f.; Münkler verweist an dieser Stelle auch explizit auf das Beispiel der USA.
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unerhebliche Gefahren für Leib und Leben entstehen und ob sie sich dann im Sinne der Streitkräfte verantwortlich verhalten werden.696 Im Unterschied zu Staaten kalkulieren Firmen nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Zweck-Mittel-Rationalität.697 Die Privatisierung ist eben eine Privatisierung: Die Sicherheit des öffentlichen Rechts mit dem Grundsatz von Befehl und Gehorsam ist nicht mehr da, man befindet sich hier im Bereich der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit, wo unterschiedliche Rechtsauffassungen bei Verträgen zur Aufrechnung, zur Zurückbehaltung von Leistungen, also zum Abbruch der Versorgungssicherheit führen können.698 Derartiges Handeln zwingt den militärischen Vertragspartner, umfassende Absicherung dafür zu treffen, dass er jederzeit in Bedarfsfällen Zugriff auf die Leistung, das Equipment usw. hat, und insofern wird vorgeschlagen, in Anlehnung an die notstandsgesetzlichen Regelungen und den Regeln des Bundesleistungsgesetzes zahlreiche Anwendungs- und Verfahrensablaufregelungen zu erlassen.699 3.6.7
Zwischenergebnis
Es wird deutlich, dass die wirtschaftliche Situation eines Staates mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheitslage des Staates haben. Wirtschaftliche Fragen sind also – wie oben ausgeführt – zu Recht immanenter Bestandteil des erweiterten Sicherheitsbegriffs. In einer Zeit, in der die Haushaltslage des Staates angespannt ist, werden auch Fragen der Sicherheit mehr denn je unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen. Folglich kann nur eine starke Volkswirtschaft die erforderlichen sicherheitspolitischen Grundentscheidungen treffen und die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen und Vorkehrungen treffen. Aber umgekehrt sind auf Dauer nur in einem sicheren Umfeld die Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine stabile und nachhaltig wachsende Wirtschaft gegeben. Es bestehen also wichtige Interdependenzen zwischen Ökonomie und Sicherheit. Es darf aber nicht dazu kommen, dass auf Grund einer (vorübergehenden) Schwäche bestimmte sicherheitspolitische Fragen ausgeklammert werden und die entsprechenden Antworten unter dem Übergewicht wirtschaftlicher Interessen gegeben werden. Das gleiche gilt für die sich hieraus ergebenden rechtlichen Fragestellungen und ihrer konstitutionellen und strukturellen Umsetzung. Der Staat muss also weiterhin die normativen Rahmenbedingungen für die Sicherheit – einschließlich der privaten Sicherheit – setzen. Dabei ist im Zweifel den Fragen der Sicherheit ein angemessener Vorrang vor ökonomischen einzuräumen. Es gilt also der Primat der Sicherheit: Die Sicherheit bleibt die vornehmste Aufgabe des Staates und der politischen Institutionen.
696 697 698 699
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Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 69 Jakob Schissler, Gerhard Preyer, Globaler Krieg oder Frieden? Zu den neuen Mechanismen internationaler Gewalt, in: Auftrag 2003, S. 52 ff.; 53 Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 268 Karl-Heinz Gimmler, Privatisierung und Landkriegsführung, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 268
4.
Totale Kriegführung und begrenzter Krieg
In der Literatur wird zum Teil unter Verweis auf Clausewitz der „Totale Krieg“ mit dem „Absoluten Krieg“ gleichgesetzt.700 Clausewitz zielte auf alle Erscheinungsformen des Krieges ab – vom „Kleinen“, dem Guerillakrieg, bis hin zum „absoluten Krieg“, der für ihn extremer gedanklicher Fixpunkt ist, ein Modell, das auf alle historische Erfahrung bezogen werden muss.701 Die strategischen Oberbegriffe gehören einer entsprechenden Strategie an. Es ist beispielsweise abzuklären, was die „Vernichtung des Gegners“ bedeutet: etwa die „Liquidierung“ oder nur die Ausschaltung seiner bewaffneten Kampfverbände.702 Tatsächlich hat Clausewitz in diesem Zusammenhang die Allumfassendheit des Krieges gesehen: „Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt, wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinander folgenden Gefechte steht, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht, wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man unaufhörlich sagen muss: das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganze[s], dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Wert haben in Beziehung auf dies Ganze.“703 Clausewitz ist in seinen Schriften – insbesondere in „Vom Kriege“ – bestrebt, „… das Wesen der kriegerischen Erscheinungen zu erforschen, ihre Verbindung mit der Natur der Dinge, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu zeigen.704 Daher dürfen diese Gedanken Clausewitz’ auch nicht isoliert von seinem Postulat gesehen werden, dass der Krieg ein Mittel der Politik ist, „… eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln…“705 und nicht reduzierend lediglich „… Wesen des Lebenskampfes…“ eines Volkes, wie ihn später General Ludendorff vertrat.706 Die Erkenntnis Clause700
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706
vgl. Herfried Münkler, Clausewitz’ Theorie des Krieges, 1. Aufl., Baden-Baden 2003, S. 13 ff. In diesem Sinne missversteht auch Rauchensteiner die Ausführungen Clausewitz’ über den „absoluten Krieg“. (vgl. Manfried Rauchensteiner, Betrachtungen über die Wechselbeziehungen von politischem Zweck und militärischem Ziel, , in: Clausewitz-Gesellschaft [Hrsg.], Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur StrategieDiskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 57 ff.; 57) Hans Ulrich Wehler, „Absoluter“ und „Totaler“ Krieg. Von Clausewitz zu Ludendorf, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 474 ff.; 476 ff. vgl. Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 45, der diese Fragesstellung hier aus der Perspektive des Irregulären auf dessen Gegner gerichtet stellt. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 854 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 82 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 108; Dagegen ignoriert Jung das bereits von Clausewitz postulierte Wesen des Krieges, wenn er – fast in der clausewitzschen Diktion – die Ansicht vertritt, dass es in den heutigen Kriegen – und damit im Gegensatz zu früheren Kriegen – nicht primär um die Vernichtung von Menschen („Gegnern“) gehe, sondern um den politischen Einfluss auf diese, also um Macht und um die Durchsetzung des eigenen politischen Willens. (Hermann Jung, Zum Nachdenken: Änderung des Kriegsbildes – Folgen für die Streitkräfte, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php? id=190&print=1, Internet vom 29. November, 2006, S. 1) General Ludendorff, Der totale Krieg, 1. Aufl., München 1935, S. 3
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witz’ geht insofern tiefer, als dass sie zeigt, dass die Politik bei Kriegsbeginn nicht etwa abbricht, sondern dass sie durchlaufend das führende Element ist und sich die Mittel auswählt, die sie braucht, um ihre Ziele zu erreichen.707 Der Begriff des „Totalen Krieges“ wird somit auch in der Literatur auf General Ludendorff zurückgeführt, für den Clausewitz, abgesehen von dessen Ausführungen über den „… Vernichtungsgedanken auf dem Schlachtfeld, …einer vergangenen weltgeschichtlichen Entwicklung [angehört] …“ und weitgehend überholt sei und sein Studium sogar verwirrend sein könnte.708 Ludendorff erhob vielmehr den Anspruch, an Stelle der „überholten“ Gedanken von Clausewitz einer neuen Zeit die ihr gemäßen Maximen des Krieges zu entwickeln.709 Mithin hat die Vorstellung des Clausewitzschen absoluten Krieges durch die Gedanken Ludendorffs über den Totalen Krieg eine Steigerung erfahren,710 deren Fehlinterpretation verhängnisvolle Wirkungen in der Praxis hatte.711 In diesem Sinne wollte Ludendorff zudem das Postulat Clausewitz’ über das Wesen des Krieges ändern und ergänzen: „Der Krieg ist die äußere Politik mit anderen Mitteln. … Im Übrigen hat die Gesamtpolitik dem Krieg zu dienen.“712 Somit betrachtete Ludendorff die Politik als Dienerin des Krieges.713 Mit dieser Prämisse stellt er sich völlig gegen Clausewitz und diesen damit quasi auf den Kopf.714 Hiermit erreichte Ludendorff die Ära des totalen Krieges715 und stellte somit den Höhepunkt der Abkehr von Clausewitz dar,716 indem gegenüber aller preußisch-deutschen Denkweise seit der Reformzeit ein radikaler Schnitt angesetzt wird.717 Das Ziel des totalen Krieges ist der totale Sieg
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717
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Friedrich Ruge, Politik und Strategie, Strategisches Denken und politisches Handeln, Frankfurt am Main 1967, S. 16 f. General Ludendorff, Der totale Krieg, 1. Aufl., München 1935, S. 3 Hans Ulrich Wehler, „Absoluter“ und „Totaler“ Krieg. Von Clausewitz zu Ludendorf, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 474 ff.; 474 Ludwig Beck, Strategie, Einige Beiträge zur Klärung, in: Hans Speidel (Hrsg.), Ludwig Beck, Studien, Stuttgart 1955, S. 64 ff.; 121; Dieser gedankliche Fehlschluss findet sich u.a. auch bei NN. Vorwort, in: Donald G. Brennan, Uwe Nerlich, Strategie der Abrüstung. Achtundzwanzig Problemanalysen, Gütersloh 1962, S. 5 ff.; Uwe Hartmann, Carl von Clausewitz. Erkenntnis, Bildung, Generalstabsausbildung, München 1998, S. 12; vgl. Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (1. Teil), Einführung, in: ASMZ 2006, Heft 5, S. 32 f. 33 Erich Ludendorf, Kriegführung und Politik, Berlin 1921, S. 23; Diesen Gedanken vom Primat des Militärischen deutet Ludendorff bereits in seinen Kriegserinnerungen an. Erich von Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen 1914 – 1918, Berlin 1919, S. 5 f. Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (1. Teil), Einführung, in: ASMZ 2006, Heft 5, S. 32 f.; 32 Zu diesem Schluss kommt auch Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 82; vgl. Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (1. Teil), Einführung, in: ASMZ 2006, Heft 5, S. 32 f. 33 Cora Stephan, Das Handwerk des Krieges, Berlin 1998, S. 185 Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz, in: Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg (Hrsg.), Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, 2. Bd., Berlin 1956, S. 491 ff.; 500; Hans Delbrück hatte in seinem Werk festgestellt: „Der Krieg aber ist eine Handlung der politischen Strategie und die Strategie darf daher überhaupt nicht isoliert, sondern immer nur im Zusammenhange mit der Politik gesehen werden. Wer sich darüber beschwert, daß die Politik in die Kriegführung gemischt habe, sagt etwas logisch Widersinniges und meint in Wahrheit, daß die sich einmischende Politik ihm falsch erscheine.“ (Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 4. Die Neuzeit, Berlin New York 2000, S. 597) Dietmar Schössler, Die Weiterentwicklung der Militärstrategie. Das 19. Jahrhundert, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 31 ff.; 49
und damit die totale Vernichtung des Gegners, nicht nur seine militärische Niederlage.718 Die Konzeption des totalen Krieges, als die Missachtung der völkerrechtlichen Unterscheidung zwischen Krieg führenden Streitkräften und nichtkämpfender Zivilbevölkerung,719 setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, darunter die zweifache Beteiligung von Zivilisten als aktiv Handelnde und als Opfer; zudem zeichnet sich ein totaler Krieg unter anderem durch Kriegshandlungen von und gegen Zivilisten aus.720 Eine solch weittragende Konzeption, welche die Zivilbevölkerung als direktes Ziel kriegerischer Handlungen sieht, ist bei Clausewitz nicht zu finden und geht somit über dessen Volkskriegkonzeption, in der das Volk zur Teilnahme am Kampf aktiviert und mobilisiert wird, als dem des absoluten Krieges weit hinaus. Der absolute Krieg im Sinne Clausewitz’, der so oft mit Ludendorffs Theorie vom „totalen Krieg“ verwechselt wird,721 beschränkt sich auf den Krieg zwischen Streitkräften; Ludendorff dagegen dehnt den Krieg auf alle Bereiche eines Staates aus.722 Ludendorffs Thesen über den totalen Krieg sind somit nicht mit dem absoluten Krieg von Clausewitz zu verwechseln.723 Er vergaß nämlich nie, dass diese auf die Vernichtung der feindlichen Willenskraft abzielende, in sich geschlossene Form der Strategie keinesfalls für den Krieg allgemein zutreffend war.724 Clausewitz’ Vision vom totalen Krieg beinhaltete weder das unterschiedslose Niedermetzeln von Zivilisten noch den Mord oder die Folter von Kriegsgefangenen.725 Gleichwohl setzt Clausewitz die Anstrengungen und Opfer, die im Kriege zu erbringen sind, mit dem politischen Zweck ins Verhältnis.726 Es war aus seiner Sicht für eine erfolgreiche Kriegführung und dem Überleben des preußischen Staates notwendig, die Potenziale der ganzen Nation zu mobilisieren.727 In Zusammenhang mit Angriffsoperationen greift Clausewitz auch den Begriff der „Vernichtung“ auf, indem er darauf abstellt, dass die Vernichtung des Gegners verschiedene Gesichtspunkte aufweist: Zum einen „… nur soviel zu vernichten, als es der Angriff erfordert;“ oder zum anderen „… als überhaupt möglich ist …“728 In der Literatur wird, hierauf verweisend, die Ansicht vertreten, der Zweck des Krieges, die Niederwerfung des Gegners sei mit der Absicht dessen Vernichtung gleichzusetzen.729 Hieraus folgern einige Autoren, die Clause-
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Friedrich August Frhr. von der Heydte, Totalitarismus, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 7, 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1962, Spalte 1018 ff.; 1019 Reinhard Meyers. Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, S. 26 Stig Förster, Der totale Krieg, Konzeptionelle Überlegungen für einen historischen Strukturvergleich der Epoche von 1861 bis 1945 in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 60 Jehuda L. Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972, S. 185 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 206 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 205 f.; vgl. Jehuda L. Wallach, Misperceptions of Clausewitz’ On War by the German Military, in: Michael I. Handel (Hrsg.), Clausewitz and Modern Strategy, Abingdon 2004, S. 213 ff.; 218 Herbert Rosinski, Die Deutsche Armee. Eine Analyse, Düsseldorf, Wien 1970, S. 114 Michael Ignatieff, Die Zivilisierung des Krieges, Hamburg 2000, S. 147 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 98 Andreas Herberg-Rothe, Das Rätsel Clausewitz. Politische Theorie des Krieges im Widerstreit, München 2001, S. 88 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 779 vgl. Jürgen Luh, Kriegskunst in Europa 1650-1800, Köln, Weimar, Wien 2004, S. 2
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witz’sche Analyse sei für die Zukunft unbrauchbar, wenn nicht gar schädlich.730 In diesem Sinne werde Clausewitz auch als Wegbereiter des totalen Krieges gesehen.731 Eine solch weitergehende Konzeption allein aus den historischen Erfahrungen nach Clausewitz diesem zu unterstellen, ist nicht nur historisch fragwürdig. Im Gegenteil: Sie steht der Position Clausewitz’ geradezu diametral gegenüber.732 „Das Gesetz des Äußersten [ist für Clausewitz], den Gegner wehrlos zu machen, ihn niederzuwerfen …“733 Mithin versteht Clausewitz unter Vernichtung den Zustand, in dem der Kampf einer Seite nicht mehr fortgesetzt werden kann.734 Der Zweck ist folglich nicht die totale physische Vernichtung des Gegners, sondern seine Schwächung nur insoweit, als dass er nicht weiter fähig ist, den Kampf fortzusetzen. Dieses bestimmt Clausewitz genauso ganz explizit bereits zu Beginn seiner Hauptschrift: „… sein nächster Zweck ist, den Gegner niederzuwerfen und dadurch zu jedem ferneren Widerstand unfähig zu machen.“735 Clausewitz hat freilich selbst die Gefahr eines solchen Missverständnisses gesehen und dementsprechend unmissverständlich an die vorstehende Aussage angefügt: „Wir erklären hierbei, das wir in der Folge bei dem Ausdruck ‚Vernichtung’ nur dieses verstehen werden.“736 Demnach hat der Kriegführende in der Konzeption Clausewitz’ ein begrenztes Ziel: Er will den Gegner zur Erfüllung seines Willens zwingen; dazu braucht er den Gegner nicht zu vernichten, er darf ihn nicht einmal vernichten, sondern muss ihn zwar besiegen, aber auch erhalten, da ein vernichteter Gegner seinen Willen nicht mehr erfüllen kann.737 Folglich wäre die vollständige physische Vernichtung des Gegners nach der Clausewitzschen Konzeption auch geradezu kontraproduktiv. Es handelt sich bei dieser Auslegung also um eine Fehlinterpretation,738 die den absoluten mit dem totalen Krieg gleich und in Gegensatz zum begrenzten Krieg setzten will und Clausewitz als einen Vertreter des Totalen Krieges einordnet. Somit lehrte Clausewitz die Vernichtung, doch in seiner Theorie bedeutet sie für ihn nur einen Bestandteil innerhalb einer umfassenden Skala anderer Mittel, die zur Erfüllung der Zwecke eines bestimmten Krieges führen könnten.739 Dass die Gleichsetzung von „absolutem“ mit „totalem“ Krieg niemals in Clausewitz’ Sinne sein konnte, zeigt sich auch in seiner Betrachtung des Problems aus der Sicht des Unterlegenen einer bewaffneten Auseinandersetzung: „Endlich ist selbst die Totalentscheidung eines ganzen Krieges nicht immer für eine absolute anzusehen, sondern der erliegende Staat sieht darin oft nur ein vorübergehendes Übel, für welches in 730 731 732 733 734 735 736 737 738 739
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Thomas Rid, Vom künftigen Kriege. Zur Clausewitz-Rezeption der amerikanischen Streitkräfte, in: ÖMZ 2004, S. 181 ff.; 181 vgl. Thomas Rid, vom künftigen Kriege. Zur Clausewitz-Rezeption der amerikanischen Streitkräfte, in: ÖMZ 2004, S. 181 ff.; 181, der hier auf die Bewertung von Keegan verweist. Andreas Herberg-Rothe, Das Rätsel Clausewitz. Politische Theorie des Krieges im Widerstreit, München 2001, S. 89 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 98 Erich Vad, Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute, Herford, Bonn 1984, S. 103 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 89 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 24 Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 14 vgl. Heinz Kozak, Zur Theorie des Begrenzten Krieges, in: ÖMZ 1993, S. 129 ff.; 130 Jehuda L. Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. Die Lehren von Clausewitz und Schlieffen und ihre Wirkungen in zwei Weltkriegen, Frankfurt am Main 1967, S. 30; vgl. Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 157 f.
den politischen Verhältnissen späterer Zeiten noch eine Abhilfe gewonnen werden kann.“740 Folglich kann der Gegner in Clausewitz’ Vorstellung auch zu einem späteren Zeitpunkt – in Abhängigkeit der politischen und faktischen Verhältnisse – die Auseinandersetzung wieder aufnehmen. Dieses widerspricht der Theorie von der totalen physischen Vernichtung zusätzlich. Clausewitz wollte die Notwendigkeit der politischen Kontrolle und der Kongruenz von Mitteln und Zielen in der Realität des politisch-militärischen Prozesses in einem Krieg unterstreichen.741 Da dem militärischen Ziel aber bekanntlich nach Clausewitz’ Theorie der politische Zweck übergeordnet ist, kann dieser auch etwas ganz anderes diktieren als die Niederwerfung des Feindes und die Vernichtung seiner Streitkräfte.742 Mithin sind auch die Gedanken und Begriffe Clausewitz’ und Ludendorffs nicht gleichzusetzen und die Proklamation der Strategie eines totalen, alles erfassenden und vernichtenden Krieges und derartige Intentionen sind schon gar nicht auch Clausewitz zuzuschreiben. Interessanter Weise wird Clausewitz auch in der modernen Literatur – freilich in anderem Geist aber in ähnlicher Semantik – unterstellt, seine Gedanken über den Krieg als Fortsetzung der Politik seien „beschränkt und irreführend“.743 Clausewitz übersehe die Tatsache, dass die weitaus größte Zahl der Kombattanten meist weder wisse noch wissen wollte, welcher Politik sie als Instrument diene, und die Bereitschaft zum Kämpfen komme aus völlig anderen Quellen, über die Clausewitz wenig zu sagen wisse.744 Zum einen ist bei dieser Ansicht fraglich, welchen Begriff der Verfasser von der Politik hat; zum anderen übersieht er, dass die Entscheidung zum Kriege und über dessen Führung in den wenigsten Fällen zur umfassend freien Disposition der einzelnen Teilnehmer steht. Dieses gilt für Demokratien ebenso wie für totalitäre Regime. Daher ist auch van Creveld745 entgegenzuhalten, dass Clausewitz zunächst zwar aus der Situation Preußens und damit des Staates heraus dachte, er aber den Krieg in seinen unterschiedlichsten Ausformungen untersucht hat, und somit Creveld hier – wie andere auch, die meinen Clausewitz’ Lehre sei heute
740 741 742 743 744 745
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 97 Heinz Kozak, Zur Theorie des Begrenzten Krieges, in: ÖMZ 1993, S. 129 ff.; 130 Manfried Rauchensteiner, Betrachtungen über die Wechselbeziehungen von politischem Zweck und militärischem Ziel, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur StrategieDiskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 57 ff.; 62 John Keegan, Die Kultur des Krieges, 1. Aufl., Berlin 1995, S. 52 Martin van Creveld, Die Zukunft des Krieges, München 1998, S. 13; In diesem Sinne argumentiert van Creveld auch in: Martin van Creveld, The Transformation of War Revisited, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 3 ff.; 12 ff. Waldmann bezeichnet Crevelds Werk denn auch als einen „ …polemischen Kommentar… [der die] Clausewitzschen Verdienste um die Entwicklung der Kriegs- und Strategielehre… unangetastet [lässt], sondern… ihn gewissermaßen einkreist und in seiner Bedeutung relativiert…[indem] …van Creveld [zu] zeigen versucht, dass das Clausewitzsche Kriegsmodell allenfalls für eine historische Epoche, im Wesentlichen die durch die Dominanz des Staates gekennzeichneten Jahrhunderte von 1648 (Ende des Dreißigjährigen Krieges) bis 1945, Gültigkeit hatte, während der Zeit davor und auch danach durch eine umfassendere und zugleich naturwüchsichere Kriegsauffassung bestimmt war.“ Peter Waldmann, Vorwort, in: Martin van Creveld, Die Zukunft des Krieges. Wie wird Krieg geführt und Warum, 3. Aufl., München 2004, S. 7 ff.; 7
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weniger relevant746 – etwas kurz gegriffen hat. Clausewitz hat den Krieg weder gefordert noch als unabwendbar angesehen; er hat ihn definiert und seine Gesetze aufgezeigt.747 Im Gegensatz zu der Konzeption des absoluten Krieges wie vielmehr noch des totalen Krieges steht heute die Konzeption des begrenzten Krieges. In diesem Sinne werden heutzutage Kriege mit begrenzten, wenn auch hochtechnisierten Mitteln um begrenzte Ziele geführt.748 In den siebziger und achtziger Jahren hatte der Terrorismus unter dem Einfluss der Ideologie des Marxismus-Leninismus in der Dritten Welt und in Europa eine Hochblüte erlebt.749 Ein konventioneller Krieg, der zwangsläufig zu einem „totalen Krieg“, zu einem „Weltkrieg“ auszuarten drohte,750 war infolge der nuklearen Abschreckung nicht möglich und insofern verlagerte sich die Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und dem Westen auf die Ebene des Terrorismus, der Spionage und des Einsatzes von Einflussagenten.751 Nachdem die nukleare Abschreckung beinahe bedeutungslos geworden ist, können Kriege nicht mehr verhindert werden und sind Kleine Kriege wieder führbar geworden.752 4.1 4.1.1
Terrorismus Ausgangslage zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts
Anfang der 1970er Jahre hatte man es weithin noch für unmöglich gehalten, dass kleine Gruppen einen hoch industrialisierten Staat angreifen, sein sorgfältig ausbalanciertes Gefüge politischer, wirtschaftlicher und sozialer Funktionen lähmen oder zerschlagen und sein vielfach überlegenes militärisches Potenzial unterlaufen könnten.753 Man glaubte allgemein, dass die terroristische Bedrohung in tolerablen Grenzen eingedämmt sei.754 Allerdings erlebte der Terrorismus in den siebziger und achtziger Jahren unter dem Einfluss der Ideologie des Marxismus-Leninismus in der Dritten Welt und in Europa eine Hochblüte.755 In der Vergangenheit wurden Terroranschläge durch eine Gruppe von Individuen verübt, die einer identifizierbaren Organisation mit einer klaren Kommandostruktur und einem definierten Spektrum an politischen, sozialen oder ökonomischen Zielen angehörten.756 Die Anschläge sollten die Voraussetzung für die Auslösung eines Massenaufstandes in den 746 747 748 749 750 751 752 753 754 755 756
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Arthur K. Cebrowski, Foreword, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. ix ff.; xii Ulrich de Maizière, Politische Führung und militärische Macht, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. Stig Förster, Der totale Krieg, Konzeptionelle Überlegungen für einen historischen Strukturvergleich der Epoche von 1861 bis 1945 in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 59 ff.; 60 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 228 J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 533 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 228 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 228 Hans-Joachim Müller-Borchert, Guerilla im Industriestaat. Ziele, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten, Hamburg 1973, S. 9; Eine Übersicht über Terrorgruppen, -strukturen / Organisation, Ziel und Aktionen findet sich in : Jane’s World Insurgency and Terrorism, Coulsdon 2004 vgl. David Frum, Richard Perle, An End to Evil. How to win the War on Terror, New York, 2004, S. 34 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 228 Bruce Hoffmann, Terrorism Trends and Prospects, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S. 7 ff.; 8
Städten oder die Eröffnung eines Partisanenkrieges auf dem Lande schaffen und deshalb waren unter diesen Umständen nur „Anschläge mit hoher Präzision“ möglich.757 Bruce Hoffman hat aufgezeigt, wie sich der Terrorismus im letzten Jahrzehnt – beginnend mit dem ersten Anschlag auf das World Trade Center bis zu den Attacken auf die U.S. Botschaften in Kenia und Tansania im Jahre 1998 – entwickelt hat.758 Für Brian Jenkins hat sich der Terrorismus inzwischen zu einem neuen Element in den internationalen Beziehungen entwickelt.759 Dabei ist zu beachten, dass sich die Fälle und ihre Auswirkungen überschneiden können.760 Der Grund hierfür liegt darin, dass die Bereitschaft und Fähigkeit bestimmter Terrorgruppen zur massiven Zerstörung gestiegen ist.761 Kleine Gruppen sind nun in der Lage, über eine geringe Anzahl von Waffen mit hoher Zerstörungskraft zu verfügen und damit andere Gruppen, Gesellschaften oder Staaten zu verschiedenen Zwecken zu terrorisieren oder zu erpressen.762 Dementsprechend hat sich die terroristische Bedrohung signifikant in den letzten Dekaden aus folgenden Gründen verschärft:
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Zunehmende Zentralisation Kritischer Infrastrukturen; Konzentration eher auf Zerstörung ziviler Objekte als militärischer Ziele; Ausbildung in Technologien und Taktiken potentieller terroristischer Gruppierungen durch Elemente aus der ehemaligen Sowjetunion oder anderer nationaler Regierungen763; Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 Bruce Hoffmann, Terrorism Trends and Prospects, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S. 7 ff.; 17 ff. Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force. Military Power and International Politics, Oxford 1999, S. 70 ff.; 70 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 301 Ulrich Schneckener, Trends des internationalen Terrorismus. Der Terrorismus-Bericht des US-Außenministeriums, in: SWP-Aktuell 21, Juni 2002, S. 1 Clife G. Whittenbury, Impact of Advanced Technology on Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 261 ff.; 261 Die Zahl der Staaten, die nicht zuletzt aufgrund ziviler Nutzung von Atomenergie inzwischen über die erforderlichen technischen Fähigkeiten zur Herstellung von Atomwaffen verfügen ist im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gestiegen und infolge des Zerfalls der Sowjetunion und der wirtschaftlichen Krise der Nachfolgestaaten sah man bereits früh einen gefährlichen illegalen Plutoniumhandel im Entstehen und darüber hinaus auch die Abwanderung von tausenden russischer Atomexperten in interessierte Staaten. (Peter J. Opitz, Zur Einführung, in: Peter J. Opitz (Hrsg.), Weltprobleme, Bonn 1995, S. 15 ff.; 19) Abwanderungstendenzen von Forschen aus den Staaten der früheren UdSSR, verursacht durch die Bedrohung oder den Verlust ihrer materiellen Existenzgrundlagen, boten somit anderen Staaten die Gelegenheit, militärisches Fachwissen rasch und kostengünstig zu erlangen; gleichzeitig ermöglichte der zunehmende Verfall der Disziplin ehemals sowjetischer Militärs und eine parallel dazu entstehende organisierte Kriminalität den illegalen Transfer von Kriegsmaterialien, Handel mit spaltbarem Material und dual-use-Gütern aller Art auf dem „freien Weltmarkt“ und neben der Beschaffung der begehrten Hochtechnologie gab es aber auch den regulären Einkauf in beschränktem Umfang in jenen Ländern, die sich der Exportpolitik der westlich dominierten Nichtverbreitungsregime widersetzen.(Hans Hamberger, Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle. Von nuklearer Rüstungskontrolle zum Verbot von „KleinWaffen“, in: ÖMZ 1997, S. 621 ff.; 626) Auch die Möglichkeiten des Zugangs zu diesen Mitteln durch Irreguläre Kräfte wurde bereits früh erkannt. Angesichts der Schwächung der Russischen Föderation als
123
x x 4.1.2
Einfacher Zugang zu Informationen und Informationstechnologien; Einfacher Zugang zu Massenvernichtungstechnologien.764 Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen (MVW)765
Die Erfindung von Massenvernichtungswaffen kann nicht rückgängig gemacht werden.766 Massenvernichtungswaffen werden grundsätzlich in drei Kategorien eingeteilt: biologische, chemische und nukleare (atomare).767 Die Proliferation von „Dual-Use“, Hochtechnologien und Massenvernichtungswaffen einschließlich der dazugehörenden Trägersysteme, gehört zu den größten Sicherheitsrisiken.768 „Die größte Gefahr für die Freiheit liegt an der gefährlichen Kreuzung von Radikalismus und Technologie. Wenn die Verbreitung chemischer, biologischer und Nuklearwaffen zusammen mit der Technologie ballistischer Flugkörper – wenn dies geschieht, können selbst kleine Staaten und kleine Gruppen von Personen Kapazitäten erreichen, große Nationen mit katastrophalen Folgen anzugreifen.“769 Die Sicherstellung von Substanzen und Aktionsplänen bei Terroristen zeigt, dass ein Terroranschlag mit gefährlichen Viren oder Bakterien heute als ein realistisches Szenario betrachtet werden muss.770 Terroristen sind grundsätzlich in der Lage, einen atomaren,
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Zentralmacht wurde die Gefahr in Rechnung gestellt, dass sich separatistische, terroristische oder kriminelle Kräfte Teilen jener Arsenale bemächtigen und damit bisher unbekannte Gefahren heraufbeschwören könnten. (Hartmut Hubel, Regionale Krisenherde der Weltpolitik, in: Karl Kaiser, Hans-Peter Schwarz [Hrsg.], Die neue Weltpolitik, Bonn 1995, S. 347 ff.; 350; vgl. Walter Schilling, Proliferation nuklearer Waffen. Politische und militärstrategische Konsequenzen, in: ÖMZ 1995, 157 ff.; 160) Nach Angaben des früheren Sicherheitsberaters Alexander Lebed, denen von russischer Regierungsseite widersprochen wurde, sind bereits Atomsprengsätze abhanden gekommen. (NN, Lebed: Rußland vermißt mehr als 100 Atombomben, in: DIE WELT vom 06./07. August1997, S. 1) Zudem ist aus zivilen Nuklearanlagen nachweislich spaltbares Material auf dem Schwarzmarkt angeboten worden. (Lothar Rühl, Unsichere fünf Prozent, in: DIE WELT, 06./07. August 1997, S. 1; vgl. Friedrich Mielke, Die Außenpolitik der Clinton-Regierung, in: Rissener Rundbrief 1996, Nr. 12, S. 183 ff.; 200) William R. Schilling, Nontraditional Warfare Threats, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 3 ff.; 6 Im internationalen Bereich wird entsprechend die englische Abkürzung WMD für Weapons of Mass Destruction verwendet. Joseph D. Douglas, William R. Schilling, The Future with Nuclear Weapons, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 229 ff.; 229 Brian Steed, Armed Conflict.The Lessons of Modern Warfare, New York 2002, S. 187 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23; vgl. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 41; vgl. Walter Schilling, Proliferation nuklearer Waffen. Politische und militärstrategische Konsequenzen, in: ÖMZ 1995, 157 ff.; 159; vgl. Werner Heidemann, Möglichkeiten und Grenzen der Eindämmung, Raketenproliferation in der dritten Welt, in: Europäische Sicherheit 1992, S. 144 ff.; 144 Präsident George W. Bush, zitiert nach Lawrence Freedman, Die Auswirkung des Terrorismus auf die internationale Sicherheit, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2002, Bd. 2, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 483 ff.; 483; Zu den Möglichkeiten und Auswirkungen der Bedrohung durch den Nuklearterrorismus vgl. Graham Allison, Nuclear Terrorism, The ultimate preventable Catastrophe, New York 2004 Hans-Ulrich Helfer, Bioterror, in: Sicherheitspolitik 2005, Heft 6, S. 14 ff.; 14; vgl. Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76; vgl. Joshua Sinai, Forecast-
biologischen oder chemischen Anschlag auszuführen.771 Massenvernichtungswaffen stellen auch nach der Beurteilung der Europäischen Sicherheitsstrategie die potenziell größte Bedrohung für die Sicherheit dar772 und eine der Hauptbedrohungen für die moderne Zivilisation ist der technologische Terrorismus.773 Im Zusammenhang mit dem erleichterten Zugang, kombiniert mit einem Anwachsen fanatisierter religiöser und ethnischer Extremistengruppen wird in der Literatur auch der Terminus „Super-Terrorismus“ benutzt.774 Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen wird somit auch als „Quantensprung“ beurteilt, da der Terrorismus nicht nur die subkonventionelle Ebene verlassen würde, sondern zur höchsten Stufe des bewaffneten Konfliktes eskalieren würde.775 4.1.2.1
Bio- und Chemieterror
Im Rahmen der Diskussion um Ausmaß und Natur möglicher zukünftiger terroristischer Anschläge spielt die Frage der Verwendung von Massenvernichtungswaffen denn auch eine immer größere Rolle und es bestehen in der Fachwelt keinerlei Zweifel daran, dass es für terroristische Organisationen keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darstellen würde, in den Besitz chemischer776 oder / und biologischer Kampfstoffe777 zu gelangen.778 Diese
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ing Terrorists’ Warfare: ‘Conventional’ to CBRN, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 397 ff.; 398 f; vgl. Thomas Wandinger., Bio-Waffen und Terrorismus, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 11 / November 2006, S. 10; vgl. Thomas Wandinger., Bio-Technologie als Risiko, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 11 / November 2006, S. 10 Hans-Ulrich Helfer, Bioterror, in: Sicherheitspolitik 2005, Heft 6, S. 14 ff.; 14 ; vgl. Roger W. Barnett, Asymmetrical Warfare. Today’s Challenge to U.S. Military Power, Washington D.C. 2003, S. 18 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 3; Dementsprechend bereitet sich die Bundesrepublik Deutschland auf die Abarbeitung derartiger Schadensbilder vor. (vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe [Hrsg.], Aufbau und Ablauf der Dekontamination und Notfallversorgung Verletzter bei Zwischenfällen mit chemischen Gefahrstoffen, Bonn 2005) Alexander Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus, in: ÖMZ 1997, S. 123 ff.; 123 Robert W. Chandler, The New Face of War. Weapons of Mass Destruction and the Revitalization of America’s Transoceanic Military Strategy, McLean, Virginia 1998, S. 177 ff. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 32 Chemische Kampfstoffe sind militärisch verwendete Chemikalien zum Zweck der Kriegführung, welche die biologischen und physischen Funktionen von Mensch und Tier stören und zum Tod führen. (Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 177) Unter „Bioterrorismus“ wird die vorsätzliche Freisetzung pathogener biologischer Substanzen gegen Menschen, Tiere und / oder Pflanzen mit dem Ziel, möglichst viel Schaden zuzufügen und / oder Panik zu stiften, bezeichnet. (Erwin Richter, „Bioterrorismus“. Mythos und Realität, in: ÖMZ 2004, S. 56 ff.; 56) Biologische Kampfstoffe im engeren Sinne werden als natürliche und in der Regel vermehrungsfähige, zum Teil als ausgestorben erklärte Krankheitserreger bezeichnet, welche durch die Art der technischen Ausbringung, durch gentechnische Veränderung oder duch physikalisch-chemische Behandlung eine hohe Wirksamkeit erzielen sollen. Der Einsatz solcher Erreger bindet durch die unter Umständen expotentiell ansteigende Erkrankungsrate viele Hilfskräfte, wobei Ausbreitungsgeschwindigkeit und Ausbreitungsrichtung nur schlecht zu prognostizieren sind. (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotenziale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 25 f.) Für Schäfer sind Biowaffen allerdings nicht unbedingt solche biologischer Herkunft oder Natur, sondern nur Mittel, die eine biologische Wirkung auslösen und damit ausschließlich gegen Lebewesen wirken und somit von
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Substanzen sind vor allem wegen ihrer Zerstörungswirkung, ihrer Transportierbarkeit und der Möglichkeit auf ihren Zugriff so gefährlich779 und stellen somit in den Händen von Terroristen eine asymmetrische Bedrohung besonderer Art dar.780 Zudem sind sie leichter und preiswerter zu produzieren.781 Gerade biologische Agenzien, also Pathogene wie Viren, Bakterien und Toxine, und chemische Substanzen werden wegen ihrer Verwendung im medizinischen Bereich oder der Möglichkeit ihres legalen Erwerbs und der damit verbundenen geringen Schwierigkeit ihrer Beschaffung häufig auch als die „Atombombe der Armen“ bezeichnet.782 Die Fortschritte im Bereich der biologischen Wissenschaften können die Wirkung von biologischen Waffen in den kommenden Jahren noch weiter verstärken.783 Die raschen Fortschritte in der Biotechnologie, in der Produktion von Lebensmitteln und Pharmazeutika machen es immer leichter, tödliche biologische Waffen herzustellen, und ergeben zugleich neue Gefahren für die Proliferation auf eben diesem Feld.784 Insofern ist nichts besser geeignet, einen hoch überlegenen Gegner wirksam zu treffen, nichts, was sich besser verstecken ließe, nichts, was billiger zu produzieren wäre, und nichts, wo man mit einem vergleichsweise bescheidenen Einsatz von Mitteln eine derartige Massenvernichtung von Menschenleben auslösen kann.785
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Waffen abzugrenzen, die eine mechanische oder chemische Wirkung erzielen. (Achim Th. Schäfer, Bioterrorismus und biologische Waffen, Gefahrenpotenzial – Gefahrenabwehr, 1. Aufl., Berlin 2002, S. 5) Klaus Lange, Einführung, in: Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 5 f.; 5; vgl. Gustav Däniker, Die „neue“ Dimension des Terrorismus – Ein strategisches Problem, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 121 ff.; 128; vgl. Lutz Wittenberg, Biologische und chemische Waffen erfordern einen besseren Schutz der Bevölkerung, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 24 ff.; 26; vgl. Johann Schmid, Ein Neuansatz in der Auseinandersetzung mit dem internationalem Terrorismus, in: Europäische Sicherheit 2005 S. 75 ff.; 75; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 176; vgl. Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76; vgl. David Last, Special Operation Forces in Conventional Armies. “Salvation Army” or “Dirty Dozen”?, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last (Hrsg.), Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 35 ff.; 39 f. Götz Neuneck, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen: eine neue Symbiose?, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 169 ff.; 171 Erwin Richter, „Bioterrorismus“. Mythos und Realität, in: ÖMZ 2004, S. 56 ff.; 56; vgl. Yael Shahar, Non-Conventional Terrorism: Challenge & Response, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 361 ff. John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 254 f. Kai Hirschmann, Das Phänomen ‚Terrorismus‘: Entwicklungen und neue Herausforderungen, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 453 ff.; 466; vgl. James J. Valdes, Vulunerability to Biological Weapons in Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 43 ff.; 43 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S 4 Ulrich Weisser, Die veränderte Sicherheitslage. NATO und EU vor neuen Herausforderungen – Konsequenzen für deutsche Sicherheitspolitik und Streitkräfte, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 69 ff.; 72 Kurt Langbein, Christian Skalnik, Inge Smolek, Bioterror. Die gefährlichsten Waffen der Welt. Wer sie besitzt. Was sie bewirken. Wie man sich schützen kann, Stuttgart, München 2002, S. 9 f.
4.1.2.2
Nuklearterrorismus und -Kriminalität
Die spektakulärste Position im Bedrohungsspektrum des internationalen Terrorismus kommt der Gefahr des Nuklearterrorismus786 und der Nuklearkriminalität787 zu. Auch der Nuklearterrorismus wird bereits heute als praktische Realität wahrgenommen.788 Dabei wird Nuklearterrorismus in zwei Varianten definiert: Zum einen als eine besondere Form der Weiterverbreitung von Kernwaffen, bei welcher terroristische Organisationen außerhalb der staatlichen Kontrolle in den Besitz nuklearer Materialien, allenfalls von nuklearen Sprengvorrichtungen, gelangen und diese für Erpressungs-, Sabotage- oder Vernichtungszwecke benutzen; die zweite Variante stellt die Sabotage einer Nuklearanlage oder den Angriff auf eine Nuklearanlage dar.789 Unter Nuklearkriminalität werden alle illegalen Aktivitäten verstanden, die im Zusammenhang mit radioaktiven Stoffen bzw. solchen Stoffen stehen, von denen Tatbeteiligte behaupten, sie seien radioaktiv.790 Ein besonderes Ge786
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Karl-Heinz Kamp, Nuklearterrorismus – Fakten und Fiktionen, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 191 ff.; 193; vgl. Christiane Rodenbücher, Zivilschutz. Gefahr im Blick, in: Y. Magazin der Bundeswehr, 2002, Heft 3, S. 18 f.; vgl. Dieter Ruloff, Ultima ratio regium. Ist Krieg als Mittel der Politik wieder aktuell ?, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 87 ff.; 97 f.; vgl. Dieter Franke, Bernd Domres, Stefan Brokmann, Michael Kay, Andreas Manger, Rainer Wenke, Terroristische Gefahren, in: Hanno Peter, Klaus Maurer (Hrsg.), Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen, Edewecht, Wien, 2005, S. 187 ff. vgl. Peter Kröner, Nuklearkriminalität, - Lage in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bundesamt für Zivilschutz (Hrsg.), 43. und 44. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren – Vorträge -, Bonn 1997, S. 217 ff.; Zur Zeit des Kalten Krieges wurden die vorhandenen Nuklearbestände streng überwacht; eine unbemerkte Entnahme und Weiterleitung an unbefugte Personenkreise war beinnahe auszuschließen.(Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 38); Während man Ende der 1990er Jahre zwar die Gefahren der Nuklearkriminalität gesehen hat, ging man jedoch seinerzeit noch davon aus, dass es für den „echten“ Nuklearschmuggel keinen echten Markt gebe und es zudem mit anderen, relativ leicht zu beschaffenden Waffen oder Giften, einfacher sei, Personen zu schädigen oder zu bedrohen. (Horst Miska, Nuklearschmuggel und Planung von Abwehrmaßnahmen – dargestellt am Beispiel des Bundeslandes Pheinland-Pfalz, in: Bundesamt für Zivilschutz [Hrsg.], 43. und 44. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren – Vorträge -, Bonn 1997; S. 235 ff.; 236; vgl. Joachim Fechner, Nuklearspezifische Gefahrenabwehr in Deutschland einschließlich internationaler Bezüge, in: Bundesamt für Zivilschutz [Hrsg.], 43. und 44. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren – Vorträge -, Bonn 1997; S. 225 ff.) Allerdings sah man damals bereits als Risikopotenzial neben der Freisetzung von Strahlung im Zuge des Nuklearschmuggels besonders ein großes Erpressungs- und Drohpotenzial durch kriminelle oder terroristische Gruppen und daraus folgend die Aufgabe zu vorsorglichen Gefahrenabwehrmaßnahmen zum Schutze der Bevölkerung. (Joachim Fechner, Nuklearspezifische Gefahrenabwehr in Deutschland einschließlich internationaler Bezüge, in: Bundesamt für Zivilschutz [Hrsg.], 43. und 44. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren – Vorträge -, Bonn 1997; S. 225 ff.; 227) Joseph D. Douglas, William R. Schilling, The Future with Nuclear Weapons, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 229 ff.; 235 ff.; vgl. David Last, Special Operation Forces in Conventional Armies. “Salvation Army” or “Dirty Dozen”?, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last (Hrsg.), Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 35 ff.; 39 f.; vgl. Curt Gasteyger, Atomwaffen für alle?, in: NZZ vom 5. Januar 2007, S. 5 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 12; vgl. Robert Burke, Counter Terrorism for Emergency Responders, London, New York, Washington D.C. 2000, S. 139 ff. Peter Kröner, Nuklearkriminalität, - Lage in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bundesamt für Zivilschutz (Hrsg.), 43. und 44. Jahrestagung der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren – Vorträge -, Bonn 1997, S. 217 ff.; 218
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fahrenpotenzial ergibt sich in diesem Zusammenhang aus den Proliferationsrisiken von spaltbarem Material, das heißt dem Durchsickern und der schleichenden Verbreitung aus destabilisierten Regionen, wobei hier die Gefahr der so genannten „loose nukes“ zu nennen ist, also die Gefahr der illegalen Veräußerung von spaltbarem Material aus der medizinischen und technischen Anwendung sowie der Veräußerung von hoch angereichertem Uran oder Plutonium.791 In neuerer Zeit wird daher auch immer wieder der Einsatz unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV)792, also nuklearer bzw. radiologischer Bomben, die umgangssprachlich als „Schmutzige Bomben“ bezeichnet werden (Strahlenterrorismus793), diskutiert und auch als ernstzunehmende Gefahr eingeschätzt.794 Diese – für den militärischen Einsatz wegen ihrer verzögerten und nicht vorhersehbaren Wirkung unbrauchbaren Waffen – könnten gerade für Terroristen interessant sein, da nicht die massenhafte Vernichtung die Folge eines Einsatzes wäre, sondern eine Massenpanik.795 Daneben wird ebenfalls die Gefahr der Entwendung einer Nuklearwaffe (Atomterrorismus796) oder eines konventionellen Angriffs auf eine industriell-nukleare Einrichtung gesehen.797 Die Schädigung eines Kernkraftwerkes beispielsweise kann nicht nur durch einen vorsätzlichen oder fahrlässig verursachten Flugzeugabsturz verursacht werden, sondern auch durch Explosivstoffe, die an geeigneten Stellen innerhalb oder außerhalb des Reaktors angebracht werden.798 Gleichzeitig wird aber auch die Frage gestellt, warum bis heute keine relevanten 791
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Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23; vgl. Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 10; vgl. Paul R. Pillar, Terrorism and U.S. Foreign Policy, Washington D.C. 2001, S. 21 ff. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23 Alexander Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus, in: ÖMZ 1997, S. 123 ff.; 123 f. vgl. Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S 4; vgl. Dieter Franke, Bernd Domres, Stefan Brokmann, Michael Kay, Andreas Manger, Rainer Wenke, Terroristische Gefahren, in: Hanno Peter, Klaus Maurer (Hrsg.), Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen, Edewecht, Wien, 2005, S. 187 ff.; 191 ff.; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad NeuenahrAhrweiler, 2005, S. 23; vgl. Urs Lauk, Nuklearterrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print=&artikel=295, Internet vom 25.08.2006, S. 1 Michael A. Levi, Henry C. Kelly, Schmutzige Bomben als Terrorwaffe, in: Spektrum der Wissenschaft, März 2003, S. 28 ff.; 29 f.; vgl. Alexander Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus, in: ÖMZ 1997, S. 123 ff.; 128 f.; vgl. Alexander Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus: Reale Option oder eingebildete Gefahr, in: ÖMZ 2003, S. 305 ff.; 306; vgl. Urs Lauk, Nuklearterrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print=&artikel=295, Internet vom 25.08.2006, S. 2 Alexander Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus, in: ÖMZ 1997, S. 123 ff.; 123 f. Alfred Schätz, Der transnationale Terrorismus nach dem 11. September. Sicherheitspolitische und nachrichtendienstliche Konsequenzen, in: ÖMZ 2002, S. 279 ff.; 284; vgl. Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4: vgl. Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 12 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad
Akte von Nuklearterrorismus stattgefunden haben.799 Die Antwort auf diese Frage liegt wohl in der Komplexität und den, mit dem Bau nuklearer Sprengvorrichtungen verbundenen, Schwierigkeiten in der Umsetzung eines solchen Vorhabens von der Theorie in die Praxis. Zwar gehörten die theoretischen Grundlagen zum Bau von Kernwaffen zum Basiswissen der Physik, dennoch sei derzeit tatsächlich nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Nuklearphysikern, Ingenieuren, Chemikern, Metallurgen und Sprengstoffspezialisten in der Lage, eine Atom-Bombe als „A-Bastlerbombe“ mit einem nicht unbeträchtlichen Kaliber herzustellen, vorausgesetzt, sie verfügten über eine genügende Menge geeigneten Spaltmaterials.800 Ein Hauptgrund dafür, dass die nukleare Terroroption bisher nicht ergriffen wurde, wird zudem darin gesehen, dass spezifische Fachkenntnisse im Bereich der Nuklearphysik und des Strahlenschutzes in allen Phasen eines nuklearen Terroraktes, von der Beschaffung des nuklearen Materials bis hin zur Planung, Ausführung oder Drohung mit einem solchen, unerlässlich wären, weswegen es sich beim Nuklearterrorismus um „high-tech“-Terrorismus handele.801 Dennoch wird diese Gefahr für die Zukunft nicht aus dem Auge gelassen. Denn wenn auch die Herstellung nuklearer Waffen für terroristische Gruppen derzeit technisch noch immer zu kompliziert sein mag, so wird dennoch die Möglichkeit gesehen, diese käuflich zu erwerben.802 In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Weitergabe nuklearer Sprengkörper an Terroristen zum Zweck einer ferngesteuerten Aggression gegen andere Länder diskutiert.803 Sollte eine terroristische Gruppierung in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen, wäre eine kleine Gruppe in der Lage, einen Schaden anzurichten, der eine Größenordnung erreicht, die bislang nur für Staaten und ihre Armeen vorstellbar war.804 In diesem Zusammenhang ist es
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Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 31; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 176 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 12 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 13; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 31 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 13 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 24; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 175 f.; Netanyahu weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr hin, dass gerade islamistische Gruppierungen nicht auf Trägersysteme wie Luftfahzeuge oder Interkontinentalraketen angewiesen sein könnten; sie selbst könnten die Nuklearwaffen verbringen und damit das „Trägersystem“ darstellen. (Benjamin Netanyahu, Fighting Terrorism. How Democracies Can Defeat the International Terrorist Network, New York 2001, S. 125) vgl. Lothar Rühl, Was will Iran mit Atomwaffen? Grüde und Möglichkeiten – folgen einer Nuklearmacht am Golf, in: NZZ vom 7. Juli 2006, S. 6; vgl. Curt Gasteyger, Atomwaffen für alle?, in: NZZ vom 5. Januar 2007, S. 5 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S 4; vgl. Achim Th. Schäfer, Bioterrorismus und biologische Waffen, Gefahrenpotential – Gefahrenabwehr, 1. Aufl., Belin 2002, S. 3; vgl. Walter Laqueur, Strategien für den schlimmsten Fall. Reaktionsoptionen auf terroristische Angriffe mit Massenvernichtungswaffen, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 177 ff.; 177
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bemerkenswert, dass alle EU-Nationen in einer gemeinsamen Erklärung805 der Außenminister beschlossen haben, künftig nach dem Scheitern diplomatischer Bemühungen mit „Zwangsmaßnahmen“, die den Einsatz von militärischer Gewalt als letztem Mittel nicht ausschließen, gegen Staaten vorzugehen, denen – völkerrechtlich nicht gestatteter – Besitz oder Herstellung von Massenvernichtungswaffen nachgewiesen wird.806 Noch wichtiger als die Verursachung von Terror durch die Akteure ist im Zusammenhang mit den Konsequenzen des Nuklearterrorismus, dass die Menschen das Vertrauen in ihre Regierungen verlieren und sie zu glauben beginnen, dass keine Regierung Sicherheit und Frieden gewährleisten kann.807 Mithin könnte hier der Staat als solcher seine Glaubwürdigkeit verlieren. 4.1.3
Der Einsatz von MVM im 20. Jahrhundert
Die Zahl der Staaten, die nicht zuletzt aufgrund ziviler Nutzung von Atomenergie inzwischen über die erforderlichen technischen Fähigkeiten zur Herstellung von Atomwaffen verfügen, ist im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gestiegen und infolge des Zerfalls der Sowjetunion und der wirtschaftlichen Krise der Nachfolgestaaten ist ein illegaler Plutoniumhandel entstanden und darüber hinaus sind vermutlich auch tausende hochqualifizierte Wissenschaftler in interessierte Staaten abgewandert.808 Der damit verbundene Wissenstransfer sowie die relativ einfache und billige Art der Herstellung chemischer Kampfmittel haben insbesondere die Einsatzmöglichkeiten dieser Stoffe zu Terror- und Sabotagezwecken erleichtert.809 Begünstigt durch den zunehmenden Zerfall der Disziplin des sowjetischen Militärs und eine parallel dazu entstehende organisierte Kriminalität wurde der illegale Transfer von Kriegsmaterialien, Handel mit spaltbarem Material und „Dual-Use“Gütern aller Art auf dem „freien Weltmarkt“ ermöglicht, wodurch anderen Staaten somit die Gelegenheit geboten war, militärisches Fachwissen rasch und kostengünstig zu erhal-
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Basic Principles for an EU Strategy against Proliferation of Weapons of Mass Destruktion, Internet v. 30.03.2005, http://ve.eu.int/uedoes/cmstupload/st15708.en03.pdf, Armin A. Steinkamm, Der „Irak-Krieg“: Eine Herausforderung an das Völkerrecht, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., BadenBaden 2004, S. 260 ff.; 278 vgl. Joseph D. Douglas, William R. Schilling, The Future with Nuclear Weapons, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 229 ff.;237 Peter J. Opitz (Hrsg.), Zur Einführung, in: Peter J. Opitz, Weltprobleme, Bonn 1995, S. 15 ff.; 19; vgl. August Hanning, Proliferation, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 435 ff.; 437 f. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 28; vgl. William R. Schilling, Effects of Global Stress Points on Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 9 ff.; 14
ten.810 Die internationalen Verträge und Ausfuhrkontrollregelungen haben die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nur verlangsamt.811 4.1.3.1
Der Einsatz durch staatliche Akteure
Nach den Erfahrungen des 1. Weltkrieges mit chemischen und biologischen Kampfstoffen kam es in Europa in den weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts zu keinen weiteren Einsätzen von Massenvernichtungswaffen. Dennoch kam es im vorigen Jahrhundert außerhalb Europas zu C-Waffen-Einsätzen: Im Jahre 1925, in dem Jahr der Genfer Ächtung der C-Waffen als „besonders heimtückische Mittel der Kriegführung“, setzten die Spanier C-Waffen in Marokko ein; im Krieg gegen China setzen die Japaner zwischen 1937 und 1945 mehr als 800 mal Giftgas ein; in Abessinien wurde in den 1940er Jahren von Italien Giftgas eingesetzt; die USA setzten im Vietnamkrieg C-Waffen ein; in den 1970er Jahren wurden in den bewaffneten Auseinandersetzungen in Angola, Afghanistan und Kambodscha chemische Kampfstoffe eingesetzt und im 1. Golfkrieg (1980-1988) setzte der Irak Giftgas sowohl gegen den Iran als auch gegen aufständische Kurden im eigenen Land ein.812 Biologische Kampfstoffe, nämlich Pesterreger, wurden von den Japanern zwischen 1940 und 1944 gegen mindestens 11 chinesische Städte eingesetzt.813 4.1.3.2
Der Einsatz durch Terroristen
In den sechziger Jahren ging man noch davon aus, dass Waffen, die vom moralischen Standpunkt aus als „verwerflich“ anzusehen oder von so allgemein zerstörerischer Wirkung sind, nicht eingesetzt würden, da derjenige, der sie benützt, damit seine politischen Ziele absolut verfehlen würde.814 Damals bezog sich die Analyse aber auf die damaligen staatlichen Akteure. Nichtstaatliche Akteure waren in diese Betrachtungen noch nicht einbezogen worden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang heute allerdings, wie hier „verwerflich“ zu definieren ist, und ob eine solche Definition auch über unterschiedliche Ideologien und Kulturen hinweg in gleichem Maße geteilt wird. Das gleiche gilt für das Problem der „allgemein zerstörerischen Wirkung“. Vielleicht kommt es dem, der derartige Mittel einsetzt, gerade auf die Zerstörung an. Vielleicht besteht genau in der Vernichtung sein „politisches 810 811 812
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Hans Hamberger, Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle. Von nuklearer Rüstungskontrolle zum Verbot von „Klein-Waffen“, in: ÖMZ 1997, S. 621 ff.; 626; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S 3 Berndt Georg Thamm, Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer, Hilden/Rhld. 2002, S. 148 f.; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 28 Oliver Thränert, Biologische Kampfstoffe: Die Gefahren der Gentechnologie und die Weiterverbreitung in der dritten Welt, in: ÖMZ 1990, S. 403 ff.; 404 Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 41
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Ziel“, so dass er es eben nicht verfehlt, sondern – im Gegenteil – exakt durch die Vernichtung verwirklicht sieht. Demnach folgen Terroristen einem logischen Prozess, der aufgedeckt und erklärt werden kann, und der als Ausdruck einer politischen Strategie verstanden werden kann.815 Terrorgruppen haben seit dem neunzehnten Jahrhundert die Möglichkeit des Einsatzes von Giften untersucht816 und seit Mitte der 1970er Jahre gibt es Hinweise darauf, dass Einzelpersonen und Gruppen in den USA und Europa versucht haben, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu kommen; so soll beispielsweise die deutsche Rote Armee Fraktion (RAF)817 in den Diebstahl von Senfgas aus einer amerikanischen Kaserne verwickelt gewesen sein und im Oktober 1980 wurde in Paris eine Zelle der RAF entdeckt, die Biokampfstoff (Botulinium produzierende Bakterien) kultiviert hatte.818 Entsprechend diesen Ereignissen hatte man bereits Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts festgestellt, dass der Terrorismus in der Lage ist, zeitbedingte Dimensionen anzunehmen und in Abhängigkeit vom technischen Fortschritt ein beträchtliches Zerstörungspotenzial zu entwickeln.819 Tatsächlich hat der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln durch Terroristen somit längst stattgefunden und ist zumindest auch Teil des Kalküls bei der Abwägung der Mög815 816
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Martha Crenshaw, The logic of terrorism: Terrorist behavior as a product of strategic choice, in: Walter Reich, (Hrsg.), Orgins of Terrorism, Psychologies, Ideologies, Theologies, States of Mind, Washington D.C. 1998, S. 7. ff.; 7 Walter Laqueur, Postmodern Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 151 ff.; 154; Dementsprechend relativiert Lauk auch die Einsatzwahrscheinlichkeit dahingehend, indem er ausführt, dass es sich bei den wenigen echten BC-Alarmen im Wesentlichen um die Freisetzung chemischer Substanzen gehandelt habe, wobei – mit Ausnahme der von der AUM-Sekte hergestellten Nervengifte – es sich zumeist um relativ leicht zu beschaffende Industriechemikalien gehandelt habe und diese meist zu Mordzwecken gegen Einzelpersonen, weniger in der Absicht, Massenverluste zu produzieren, eingesetzt wurden. (Urs Lauk, BC-Terrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print=&artikel=314, Internet vom 25.08.2006, S. 1) RAF ist die Selbstbezeichnung der linksextremen Gruppierung zwischen 1970 und 1998 mit dem Ziel der Bekämpfung der bestehenden Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines „weltweiten Kampfes gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Imperialismus“, die nach ihren Gründern auch BaaderMeinhof-Gruppe oder –Bande genannt wurde. (Dieter Gündisch, Franz Neumann, Rote Armee Fraktion, [RAF], in: Hanno Drechsler, Wolfgang Hilligen, Franz Neumann [Hrsg.], Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, 10. Aufl., München 2003, S. 847 f.; 847) Zur Geschichte der RAF vgl. Klaus Pflieger, Die Rote Armee Fraktion –RAF – 14.5.1970 bis 20.4.1998, Baden-Baden 2004; vgl. Stefan Aust, Der Baader Meinhof Komplex, 9. Aufl., Hamburg 1987; vgl. Butz Peters, Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Berlin 2004; vgl. ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion, Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997; vgl. Hans Heigert, Die Baader-Meinhof-Gruppe, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 39 ff.; vgl. Kurt Kister, der „antiimperialistische Widerstand, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 50 ff.; vgl. Herbert Heß, Chronik des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 61 ff. Oliver Thränert, Terrorismus mit biologischen und chemischen Kampfstoffen, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 199 ff.; 201; vgl. Markus Stemmler, Bioterroristische Aktivitäten, in: Bundesverwaltungsamt, Zentralstelle für Zivilschutz (Hrsg.), Kehren die Seuchen zurück? (Neue) Gefahren durch biologische Kampfstoffe. Workshop II, Bergheim 2002, S. 19 ff.; 23; vgl. Oliver Thränert, Terror mit chemischen und biologischen Waffen. Risikoanalyse und Schutzmöglichkeiten, SWP-Studie, S 14, Berlin April 2002, S. 12; vgl. Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force. Military Power and International Politics, Oxford 1999, S. 70 ff.; 75 f. vgl. Werner Hahlweg, Moderner Guerillakrieg und Terrorismus. Probleme und Aspekte ihrer theoretischen Grundlagen als Widerspiegelung in der Praxis, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 118 ff.; 126
lichkeiten des Handelns. Gewalttätige, nicht-staatliche Organisationen traten bereits mit dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln bei dem Anschlag in Matsumoto 1994, wo 600 Menschen mittels des Nervengiftes Sarin vergiftet wurden und 7 starben,820 und 1995 mit dem Attentat der japanischen AUM Shinri-Kyo-Sekte821 („Höchste Wahrheit“822) auf die Tokioter U-Bahn öffentlich in Erscheinung. Damals setzten die Täter ebenfalls das Giftgas Sarin ein und töteten 11 Menschen und verletzten fast 5000.823 Dabei verfügte die Gruppe auch über Kenntnisse zur Herstellung von biologischen Waffen824 und hatte auch mehrfach versucht, biologische Kampfstoffe von einem Lastwagen aus zu versprühen, allerdings ohne Schaden anzurichten.825 Damit war das erste Mal eine Schwelle zum Ein820
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Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23; vgl. Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz (Hrsg.), Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren. Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall, Bonn 2001, S. 22 Zu den Hintergründen und der Geschichte der Sekte vgl.: David E. Kaplan, Andrew Marshall, AUM. Eine Sekte greift nach der Welt, Berlin 1998; vgl. Roberts S. Robins, Jerrold M. Post, Die Psychologie des Terrors. Vom Verschwörungsdenken zum politischen Wahn, München 2002, S. 189 ff.; vgl. Robert Burke, Counter Terrorism for Emergency Responders, London, New York, Washington D.C. 2000, S. 24 ff.; vgl. Russel D. Howard, Reid L. Sawyer, Terrorism and Counterterrorism. Understanding the New Security Environment. Readings & Interpretations, Guilford, Connecticut, S. 557 f. Berndt Georg Thamm, Der globale Djihad-Terrorismus militanter Islamisten. Die Ursachen, Entwicklung, Verbreitung und Fähigkeiten, in: Homeland-Security, Heft 2, 2006, S. 5 ff.; 11 Thomas Gandow, Exkurs: Das Beispiel der AUM Shinri-Kyo (Japan), in: Berndt Georg Thamm, Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer, Hilden/Rhld. 2002, S. 351 ff.; 351; vgl. Oliver Thränert, Terror mit chemischen und biologischen Waffen. Risikoanalyse und Schutzmöglichkeiten, SWP-Studie, S 14, Berlin April 2002, S. 12; vgl. Jochen Gartz, Chemische Kampfstoffe, Löhrbach 2003, S. 115; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 177; vgl. Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz (Hrsg.), Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren. Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall, Bonn 2001, S. 22; vgl. Berndt Georg Thamm, Der globale Djihad-Terrorismus militanter Islamisten. Die Ursachen, Entwicklung, Verbreitung und Fähigkeiten, in: Homeland-Security, Heft 2, 2006, S. 5 ff.; 11; vgl. Ulla Jasper, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen, in: http://www.weltpolitik.net/print/860.html, Internet vom 26.07.2006, S. 1 Götz Neuneck, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen: eine neue Symbiose, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 129 ff.; 140; vgl. Achim Th. Schäfer, Bioterrorismus und biologische Waffen, Gefahrenpotential – Gefahrenabwehr, 1. Aufl., Berlin 2002, S. 3; vgl. Achim Th. Schäfer, Lexikom biologischer und chemischer Kampfstoffe und der Erreger von Tier- und Pflanzenkrankheiten, die als Kampfstoff nutzbar sind, 1. Aufl., Berlin 2005, S. 1; vgl. Oliver Thränert, Terror mit chemischen und biologischen Waffen. Risikoanalyse und Schutzmöglichkeiten, SWP-Studie, S 14, Berlin April 2002, S. 12; Gartz führt in diesem Zusammenhang aus, dass diese Gruppe nicht nur kleinere Mengen Sarin, also ein hochgiftiges Nervengas hergestellt hatte, sondern bereits 1990 versucht hatte, Butulinustoxin („Botox“) und 1993 Milzbrand-Erreger (Anthrax) mit der Absicht zu töten, zum Einsatz gebracht hatte. (Jochen Gartz, Chemische Kampfstoffe, Löhrbach 2003, S. 115; vgl. Ulla Jasper, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen, in: http://www.weltpolitik.net/ print/860.html, Internet vom 26.07.2006, S.3; vgl. Thomas Wandinger., Bio-Waffen und Terrorismus, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 11 / November 2006, S. 10) Oliver Thränert, Terrorismus mit biologischen und chemischen Kampfstoffen, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 199 ff.; 202; vgl. Götz Neuneck, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen: Eine neue Symbiose?, in: Hans Frank, Kai Hirschmann
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satz von Massenvernichtungswaffen überschritten826 und hat weiterhin ein Tabu hinsichtlich eines solchen Einsatzes durchbrochen.827 Dass derartige Kampfstoffe durch Terroristen erst in sehr wenigen Fällen wirksam zum Einsatz gebracht wurden, liegt daran, dass die Ausbringung von B- und CKampfstoffen vergleichsweise kompliziert und die Wirkung oft unkalkulierbar ist; es ist allerdings nicht auszuschließen, dass gerade die Unkalkulierbarkeit beim Einsatz von Bund C-Waffen das Gefühl einer besonders unheimlichen Bedrohung hervorruft, was diese Mittel für die Terroristen besonders attraktiv erscheinen lassen kann.828 Anders als bei „mechanisch“ ausgelösten konventionellen Sprengstoffanschlägen, ist bei einem bioterroristischem Anschlag der Zeitpunkt des Erkennens der Gefahrenlage nicht unbedingt identisch mit dem Ereigniszeitpunkt, da B-Kampfstoffe lautlos und unsichtbar zu verbreiten sind, mit menschlichen Sinnesorganen nicht wahrnehmbar und derzeit noch nicht mit Warnsystemen nachweisbar sind.829 In diesem Zusammenhang unterscheidet Hacker auch zwischen „Biokrieg“ und „Bioterror“: Bioterror hat viel mit Psychologie zu tun, und das Ziel von Terroristen ist es immer, Ängste zu schüren, das öffentliche Leben zu lähmen und die Gesellschaft zu verunsichern.830 Damit ist mit dieser Problematik unmittelbar auch der psychologische Faktor einer solchen Bedrohung angesprochen, dem – wie immer – nicht nur die objektive Gefahr zugrunde liegt, sondern auch im besonderen Maße das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger, das in enger Wechselwirkung mit medialer Betrachtung und entsprechenden politischen Reaktionen auf das Thema steht. Demzufolge beinhalten professionelle Einsatzpläne nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch umfassende Informationspläne, die darauf ausgerichtet sind, das Vertrauen der Bevölkerung im Ernstfall zu bewahren oder schnellstmöglich zurückzugewinnen.831 Zukünftig werden sich Terroristen auch Massenvernichtungswaffen bedienen, zumal die technische Entwicklung fortschreitet und sie lernen werden, derartige Materialien, die tödlicher wirken als jede Bombe in der
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(Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 169 ff.; 195; vgl. Erwin Richter, „Bioterrorismus“. Mythos und Realität, in: ÖMZ 2004, S. 56 ff.; 58 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 31; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22 John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 255 Klaus Lange, Einführung, in: Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 5 f.; 5; vgl. Oliver Thränert, Terror mit chemischen und biologischen Waffen. Risikoanalyse und Schutzmöglichkeiten, SWP-Studie, S 14, Berlin April 2002, S. 116 f.; vgl. Bruce Hoffmann, New Forms of Terrorism, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), 1992 – 2002 Jubiläumsschrift, Bonn 2002, S. 235 ff.; 235 ff.; Hedén hat bereits Ende der sechziger Jahre darauf hingewiesen, dass die Vorstellung vom „geheimnisvollen Mann mit dem Koffer“, der Wasserversorgung und Lüftungsanlagen vergifte, eben kein „Hirngespinst“ sei, sondern dass moderne Gesellschaften mit ihrer zunehmenden Verstädterung, wachsenden Größe von Schlachthäusern, Molkereien und Lebensmittelfabriken, die allgemeine Verwendung gleichartiger Getreidesorten, großer Viehherden und die Konzentration von Futtererzeugung die Angriffsmöglichkeiten auf die Lebensmittelversorgung erhöht hat, gleichwie der Ausbau großer Wasserreservoire die Wirksamkeit individueller Angriffe in diesem Bereich verstärkt hat. (Carl-Göran Hedén, Das infektiöse Aerosol, in: Nigel Calder [Hrsg.], Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 157 ff.; 165) Rüdiger Fock, Biologische Lagen, in: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.), Biologische Gefahren. Beiträge zum Bevölkerungsschutz, 2. Aufl., Bonn 2005, S. 15 ff.; 18 Jörg Hacker, Menschen, Seuchen und Mikroben. Infektionen und ihre Erreger, München 2003, S. 112; Hans-Ulrich Helfer, Bioterror, in: Sicherheitspolitik 2005, Heft 6, S. 14 ff.; 15 Hans-Ulrich Helfer, Bioterror, in: Sicherheitspolitik 2005, Heft 6, S. 14 ff.; 15
Vergangenheit, einzusetzen.832 Dieses wird in Abhängigkeit von Möglichkeiten und Intentionen auch geschehen. 4.1.4
Der 11. September 2001 als „Eyeopener“ des Problems
Die Anthrax-Anschläge in Folge des 11. Septembers 2001833 in den USA, das Auftauchen kontaminierter Postsendungen in anderen Ländern und die Reaktionen auf die zahllosen Trittbrettfahreraktionen haben auch in Europa und besonders in Deutschland deutlich die potentielle Angreifbarkeit moderner und hochkomplexer Industriegesellschaften auch nach Ende des Kalten Krieges unterstrichen. Bereits der vage Verdacht eines Einsatzes derartiger Mittel erzeugt Angst und Panik bis hin zur Hysterie und lähmt gesellschaftliche Funktionsabläufe.834 Die Realisierung derartiger Szenarien stellt eine enorme Herausforderung für die Organisationsfähigkeit und Einsatzbereitschaft offener Gesellschaften dar.835 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass bereits im Jahre 1996 eine islamische Splittergruppe tschetschenischer Separatisten eine „Dirty Bomb“, bestehend aus Cäsium 137 und Dynamit im Iamailovo-Park mitten in Moskau platziert habe, die aber nicht zur Explosion kam.836 Die Folgen eines Anschlages mit einer „dirty bomb“ werden nicht, wenn überhaupt, in einer großen Anzahl von Toten gesehen, sondern in den direkten und indirekten wirtschaftlichen Schäden und entsprechenden Kosten, verursacht durch Evakuierung, Dekontamination, unter Umständen Abbruch in den kontaminierten Gebieten837 als eine Art „terroristische Umweltverschmutzung“.838 In diesem Sinne ist eine „Dirty Bomb“ nicht eine zerstörerische (destructive), sondern eine störende (disruptive) Terrorwaffe.839 Die zunehmende 832 833
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Robert Burke, Counter Terrorism for Emergency Responders, London, New York, Washington D.C. 2000, S. 17 vgl. hierzu: John Wright, Counter-Terrorist Forces with the CIA, o. O.A. 2003, S. 73 ff.; vgl. David L. Bongard William R. Schilling, International Initatives for Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 241 ff. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 303 Manfred Funke, Terrorismus - Ermittlungsversuch zu einer Herausforderung, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 9 ff.; 9; vgl. Kurt Langbein, Christian Skalnik, Inge Smolek, Bioterror. Die gefährlichsten Waffen der Welt. Wer sie besitzt. Was sie bewirken. Wie man sich schützen kann, Stuttgart, München 2002, S. 10 f. Berndt Georg Thamm, Der globale Djihad-Terrorismus militanter Islamisten. Die Ursachen, Entwicklung, Verbreitung und Fähigkeiten, in: Homeland-Security, Heft 2, 2006, S. 5 ff.; 11; vgl. Berndt Georg Thamm, Al-Qaida. Das Netzwerk des Terrors, Kreuzlingen, München 2005, S. 128 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16; vgl. Erwin Richter, Die Schmutzige Bombe, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=62&print=1, Internet vom 29.11.2006; vgl. Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 10; vgl. John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 254 Braunberger zeichnet ein mögliches Szenario der Auswirkungen. (Gerald Braunberger, Am Ende lohnt sich Terror nicht, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 3. September 2006, B 6) Kai Hirschmann, Terrorismus in neuen Dimensionen. Hintergründe und Schlussfolgerungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 7 ff.; 9 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16; vgl. Yael Shahar, Non-Conventional Terrorism: Challenge & Response, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 361 ff. 365
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Verbreitung von so genannter „Dual-Use-Technologie“, welche sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendbar ist, durch eine verbesserte Zusammenarbeit der Proliferateure sowie ein veränderter politischer und kultureller Kontext verschärfen das Problem.840 Die Verletzlichkeit des hoch technisierten Lebens in den westlichen Industriestaaten und deren liberales politisches System sowie der relativ leichte Zugang zu sehr wirksamen Waffen und Vernichtungswaffen fördern den internationalen Terrorismus.841 Der 11. September hat auch gezeigt, dass international agierende Terroristen ihre Aktionen bis dahin unvergleichlichen Ausmaßes ins eigene, sichere Hinterland tragen können.842 Die Dimension der terroristischen Ziele, das gesamte politische System der Gegenseite zu vernichten, die Dimension der terroristischen Organisation mit ihren komplexen planerischen Fähigkeiten, die Wahl der Mittel und die Dimension des entstehenden Schadens stellen einen Quantensprung terroristischer Aktivitäten dar.843 Folglich sind erst durch die Ereignisse im Umfeld des 11. Septembers die Problemfelder mit dem Einsatz bzw. der Abwehr von Massenvernichtungswaffen insbesondere durch nichtstaatliche Akteure in das öffentliche Bewusstsein gerückt und haben seitens der politischen und staatlichen Verantwortlichen zur Gefahrenabwehr zu erkennbaren Reaktionen geführt.844 Die Fortschritte im Bereich der biologischen Wissenschaften können die Wirkung von biologischen Waffen in den kommenden Jahren verstärken.845 Aber auch Anschläge mit chemischen (Kampf-) Stoffen und radiologischem Material sind eine ernstzunehmende Gefahr und die Verbreitung von Raketentechnologie sorgt für zusätzliche Instabilität.846 Sollten hier also terroristische Gruppierungen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen, wäre eine kleine Gruppe in der Lage, einen Schaden anzurichten, der eine Größenordnung erreicht, die bislang nur für Staaten und Armeen vorstellbar war.847 Auch der inzwischen für möglich gehaltene Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Selbst-
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Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 41; vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 56 f. Rainer Lagoni, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 259 ff.; 260 Jan-Phillip Weisswange, Innere Sicherheit als Aspekt des erweiterten Sicherheitsbegriffs, in: ÖMZ 2002, S. 153 ff.; 153; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.), Aufbau und Ablauf der Dekontamination und Notfallversorgung Verletzter bei Zwischenfällen mit chemischen Gefahrstoffen, Bonn 2005, S. 15 vgl. Heinz Vetschera, Die militärische Dimension im neuen Terror. „Terrorismus“ als sicherheitspolitische Herausforderung, in: ÖMZ 2002, S. 141 ff.; 145 f.; vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www. obh.at/pdf_pool/publikationen/09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 28 Dirk Freudenberg, Terrorismus: Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 22; vgl. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 303 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4
mordattentäter wirft neue Fragen für die zukünftige strategische Sicherheitsplanung auf.848 Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass es für die beiden Extreme des Kriegsbildes, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und den Kleinkrieg, keine verwertbaren Erfahrungen gibt, die die Auswirkungen in einem modernen Industriestaat widerspiegeln.849 Offen bleibt allerdings die Frage, auf welcher theoretischen Grundlage und unter Verwendung welcher analytischen Modelle Risikoeinschätzungen gemacht werden.850 Offen bleibt damit zugleich die Frage, wie verlässlich und wie nachhaltig diese Risikoeinschätzungen sein können. 4.1.4.1
Schwer identifizierbare Täterprofile und nichtsstaatliche Akteure
Erschwerend kommt bei der Betrachtung möglicher Akteure hinzu, dass nicht nur bei innerstaatlichen, sondern auch bei den globalen Konflikten, Konflikt- und Krisenursachen zunächst häufig nicht mehr auf klar identifizierbare Verursacher, sehr oft auch nicht mehr in Gestalt von Verursacherstaaten, zurückzuführen sind.851 Es treten also häufig nicht Staaten gegen Staaten und oft auch keine geordneten Truppenverbände gegeneinander an.852 4.1.4.2
Die Unterschiedlichkeit der Akteure, ihrer Motive und Handlungsmuster
Die Zahl staatlicher und nichtstaatlicher, grenzüberschreitend handelnder Akteure mit teilweise bedeutendem Gewicht und Wirkung in den verschiedenen Politikbereichen einer globalisierten Welt ist erheblich angestiegen.853 Isolierte Staaten können auf militärischem Gebiet erhebliche Machtmittel einsetzen; zudem können Terrorismus und andere Formen der Gewaltanwendung in den Westen „exportiert“ werden, um Unruhe und Chaos zu schaffen.854 Neben den klassischen Streitkräften tauchen weitere nichtstaatliche Akteure auf.855 848
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vgl. Robert J. Bunker, Introduction and Strategic Overview: Epochal Change, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. xix ff.; xx; vgl. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 33 so bereits auch schon August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 12 vgl. Christopher Daase, Terrorismus: Der Wandel von einer reaktiven zu einer proaktiven Sicherheitspolitik der USA nach dem 11. September 2001, in: Christopher Daase, Susanne Feske, Ingo Peters (Hrsg.), Internationale Risikopolitik. Der Umgang mit neuen Gefahren in den internationalen Beziehungen, Baden-Baden 2002, S. 113 ff. 121 Norbert Gottschalk, Neue strategische Trends – Herausforderungen für Strategie und Militärstrategie, Lehrgangsarbeit an der Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg 1998, S. 22; vgl. John L. Clarke, Der Konflikt im Wandel der Zeit. Herausforderungen der sich wandelnden Kriegführung, in: ÖMZ 1997, S. 115 ff. Herfried Münkler, Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges, in: Politische Vierteljahresschrift 2001, Heft 4, S. 581 ff.; 583 Erich Reiter, Perspektiven der globalen strategischen Entwicklung. Das Ende der Ordnung von Jalta, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 36 Robert O’Neill, Europas Sicherheit in den neunziger Jahren. Eine neue Organisation für eine neue Herausforderung: Die Europäische Entwicklungsallianz, in: ÖMZ 1991, S. 102 ff.; 107; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus im internationalen Umfeld, in: Internationale Politik 1999, Heft 11, S. 21 ff. vgl. Henning von Sandrart, Deutschland und die Bundeswehr im veränderten strategischen Umfeld, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strate-
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Feindselige Aktivitäten werden nun von Gruppen angeführt, die sich von Armeen sehr wesentlich unterscheiden856, und nicht-staatliche Akteure beginnen mit militärischen Mitteln zu handeln.857 Die Bezeichnung der Akteure mag dabei vielfältig und umstritten sein, z.B. irreguläre Kämpfer, Aufständische, Terroristen, Freiheitskämpfer oder Gotteskrieger, die nicht im Namen eines staatlichen Interesses, sondern für ihre „gerechte Sache“ kämpfen und oftmals mit dem international organisierten Verbrechen verquickt sind.858 Die organisierte Kriminalität erscheint in diesem Zusammenhang zunächst weniger spektakulär, doch stellt sie ebenfalls eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung dar, weil sie die Sicherheit, das Zusammenleben und damit die Leistungsfähigkeit sowie den sozialen Frieden unter Umständen über einen längeren Zeitraum untergräbt und so zu einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Destabilisierung beitragen könnte.859 Die organisierte Kriminalität ist zunächst einmal unpolitisch, gewinnorientiert und darauf ausgerichtet, die staatlichgesellschaftlichen Strukturen parasitenähnlich auszunutzen, ohne sie zu zerstören; eben hierdurch unterscheidet sie sich vom Terrorismus mit seiner politischen oder religiösen
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gie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 111 ff.; 113 John L. Clarke, Der Konflikt im Wandel der Zeit. Herausforderungen der sich wandelnden Kriegsführung, in: ÖMZ 1997, S. 115 ff.; 116; Hans-Georg Erhart, Militärische Macht als außenpolitisches Instrument im 21. Jahrhundert, in: ÖMZ 2002, S. 683 ff.; 687; vgl. Bruce Berkowitz, The new Face of War. How War will be fought in the 21st Century, New York 2003, S. 1; vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.;19; vgl. David L. Bongard William R. Schilling, International Initatives for Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 241 ff.; 243 ff. Klaus Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO in der Zukunft, Manfred Wörner-Rede, veranstaltet vom Freundeskreis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 20.03.1999 in Bonn, in: Internet vom 18.05.1999, http://www.baks.com/60HotSpot.html, S. 3; vgl. Lutz Krake, Das Schutzkonzept – Antworten auf neue Bedrohungen bei Friedensmissionen, in: Wehrtechnischer Report 2000, Heft 11, S. 18 ff.; 19. vgl. Neal A. Pollard, Globalisation’s Bastards: Illegitime Non-State Actors in International Law, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 40 ff.; 41 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang der innenpolitische Streit in Deutschland um den möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der diese neuen Bedrohungen zu Grunde legt. (NN., SPD streitet über neue Aufgaben der Bundeswehr, in: SZ vom 14.08.1999, S. 5; NN., Transparenz der Truppe, in: Frankfurter Rundschau vom 14.08.1999, S. 2; vgl. NN., Union setzt Debatte über neue Aufgaben für Soldaten fort, in: Generalanzeiger vom 14.08.1999, S. 2; NN., Union: Über Aufgaben der Bundeswehr offen reden, in: Der Tagesspiegel vom 14.08.1999, S. 4) Mit dieser Entwicklung könnte die grundsätzliche Trennung von Bundewehr und Polizei in Frage gestellt sein, wie sie das GG festschreibt. Allerdings läßt das GG auch heute schon im Einzelfall auf Anforderung mit Spezialisten unterstützen. (vgl. Bundesministerium der Verteidigung. Presse und Informationsstab, Zu dem WELT-Artikel „Plant Bundeswehr doch den Truppen Einsatz im Inland?“, Bonn, 21.08.1999) Hans-Georg Erhart, Militärische Macht als außenpolitisches Instrument im 21. Jahrhundert, in: ÖMZ 2002, S. 683 ff.; 687; vgl. Bruce Berkowitz, The new Face of War. How War will be fought in the 21st Century, New York 2003, S. 1; vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.;19; vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 36 f.; vgl. David L. Bongard William R. Schilling, International Initatives for Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 241 ff.; 243 ff. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 23 f.
Zielsetzung und Zerstörungsabsicht.860 Gerade unter den Bedingungen der Globalisierung wird beobachtet, dass transnationale kriminelle Netzwerke das globale Handelssystem nutzen, um ihre illegalen Waren zu vertreiben, das globale Finanzwesen nutzen, um ihr Geld zu bewegen und zu verstecken, das globale Telekommunikationsnetz für Nachrichtenübermittlung und Weitergabe von Anweisungen gebrauchen und sich des globalen Transportsystems für die Verbringung von Personen und Gütern bedienen.861 Diese Gewaltakteure, die relativ stark von Motiven der Bereicherung angetrieben werden, stehen also im Kontext schwacher Staatlichkeit und haben ein dauerhaftes Interesse an der Fortsetzung der Gewalt und an schwacher staatlicher Herrschaft.862 Das gesamte Spektrum subversiver, verbrecherischer, nichtstaatlicher Kräfte, Banden, Partisanen und Terroristen gehört dazu.863 Es sind unter den Akteuren solche, die als „Machetenkrieger“ mit Mobiltelefon ausgestattet sind864 und die in ihrer Symbiose der Kulturen das Mittelalter predigen und dennoch die Kalaschnikow benutzen wie auch den Computer.865 Es handelt sich also um ein diffuses Gemisch unterschiedlicher Gewaltakteure.866 Es fehlt hierbei weitgehend an klaren Täterprofilen und an Fähigkeitsprofilen, auf die sich die militärstrategische Führung personell, materiell, instrumentell und von den Abläufen der eigenen Gefechtsführung her verbindlich einstellen kann.867 Viele dieser Akteure sind Gewalt-868 und Kriegsunternehmer, die den Krieg auf eigene Rechnung führen und sich die dazu benötigten Mittel durch die Unterstützung reicher Privatleute, den Verkauf von Bohr- und Schürfrechten für die von ihnen kontrollierten Gebiete, Betreiben von Drogenhandel, Schutz- und Lösegelderpressung verschaffen.869 Dieses Bild vom Kriegsunternehmer870 erinnert an den Condottiere 860 861
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Günter Erbel, Die öffentliche Sicherheit im Schatten des Terrorismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 14 ff.; 18 Phil Williams, Preface: New Context, Smart Enemies, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. vii ff.; x f.; vgl. Mark Galeotti, Transnational Organiced Crime: Law Enforcement as a Global Battlespace, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 29 ff. vgl. Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 11 Lutz Krake, Das Schutzkonzept – Antworten auf neue Bedrohungen bei Friedensmissionen, in: Wehrtechnischer Report 2000, Heft 11, S. 18 ff.; 19; vgl. Bruce Berkowitz, The new Face of War. How War will be fought in the 21st Century, New York 2003, S. 1; vgl. Wilfried von Bredow, Neue Herausforderungen, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 291/2006., S. 4 ff.; 8 Erich Vad, Militär und die neuen Formen der Gewalt als Mittel der Politik, in: Gerhard P. Groß (Hrsg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20, Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 57 ff.; 63 Frank Schirrmacher, Was gedacht werden kann, wird auch gemacht werden, in: FAZ vom 13.11.2001, S. 51; vgl. Gustav Däniker, Die „neue“ Dimension des Terrorismus – Ein strategisches Problem, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 121 ff.; 128; vgl. Bruce Hoffman, Foreword, in: Gabriel Weimann, Terror on the Internet. The New Arena, the New Challenges, Whashington D.C., 2006, S. ix ff.; ix Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 137 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 75 Herfried Münkler, Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges, in: Politische Vierteljahresschrift 2001, Heft 4, S. 581 ff.; 584 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002, S. 7 Auf einen bedeutenen mittelalterlichen Vertreter diese Typus – Georg von Frundsberg – weist Lorenz Jäger hin: Lorenz Jäger, Kriegsunternehmer Frundsberg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 38
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Cesare Borgia, der sich seinerzeit meisterhaft mit List, Brutalität und Verrat durchzuschlagen verstand und an dem bereits Niccolò Machiavelli mit Interesse studierte, wie in einem zerrissenen Land politische Macht aus dem Nichts gewonnen, gehalten und vermehrt werden kann unter der einzigen Voraussetzung, dass vor keinem Mittel zurückgeschreckt wird.871 Im Vordergrund seiner Betrachtungen steht die Technik des Machterhaltes.872 Und so bedient sich Machiavelli des Krieges auch aus klar politischen Motiven.873 Allerdings eröffnet sich diesen Warlords, als Sammelbezeichnung für Clanchefs, Milizenführer, und Bürgerkriegsgenerale,874 die in Abgrenzung zu den früheren Kriegsunternehmern über zusätzliche Ressourcen verfügen, auf der Grundlage verbesserter Kommunikationsstrukturen und zunehmender internationaler Verflechtungen ein erweitertes Handlungsfeld, das sie in diesem Sinne zu neuen Akteuren im internationalen System macht.875 Der moderne „Warlord“ kann sowohl als Großunternehmer, als politischer und militärischer Führer auftreten.876 Abseits von den staatlich kontrollierten Gebieten entstehen „Warlord-Zonen“, die politisch, militärisch und wirtschaftlich autonom sind, und in diesen parastaatlichen Sektoren spielt neben der Erhebung von Abgaben und Steuern von der örtlichen Bevölkerung die Ausbeutung von Bodenschätzen sowie der Missbrauch humanitärer Hilfe eine bedeutende Rolle.877 In diesem Umfeld bestehen Loyalitäten und Abhängigkeiten, die eine Ressource für die Kriegsführungsfähigkeit der Warlords sind, und so können die von Schmuggel, Diebstahl und Raub lebenden Banden jederzeit als Kriegsparteien wieder mobilisiert werden; vor allem aber bleibt unter diesen Umständen die Gewalt ein zentraler Bestandteil der Ökonomie, so dass die Ausgestaltung einer stabilen Friedensökonomie unmöglich ist.878 4.1.5
Zwischenergebnis
Mithin sind zunehmend Konflikte zu beobachten, die nicht als Krieg zwischen Staaten und ihren Armeen ausgetragen werden, sondern in denen sozial, ethnisch oder religiös definierte Bevölkerungsteile einander bekriegen und Partisanen oder Banden, regionale Kriegsherren 871
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vgl. Eberhard Schmitt: Machiavelli, in: Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer (Hrsg.), Klassiker des Politischen Denkens, I. Bd., Von Plato bis Hobbes, 6. Aufl., München 1986, S. 165 ff.; 167; vgl. Herfried Münkler, Das Ende des „klassischen“ Krieges. Warlords, Terrornetzwerke und die Zukunft kriegerischer Gewalt, in: NZZ vom 14./15. September 2002, S. 49; vgl. Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 322; vgl. Herfried Münkler, Krieg, in: Gerhard Göhler, Mattias Isa, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S. 227 ff.; 237; vgl. Alois Riklin, Die Führungslehre von Niccolo Machiavelli, Bern 1996, S. 32 ff. Uwe Backes (Hrsg.) Schutz des Staates, Opladen 1998, S. 11 Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 55; vgl. Antulio J. Echevarria II, Principles of War or Principles of Battle?, in: Anthony D., Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 58 ff.; 60 Herfried Münkler, Kriege im 21. Jahrhundert, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 83 ff.; 84 Astrid Nissen, Katrin Radtke, Warlords als neue Akteure der internationalen Beziehungen, in: Ulrich Albrecht, Michael Kalman, Sabine Riedel, Paul Schäfer (Hrsg.), Das Kosovo-Dilemma. Schwache Staaten und neue Kriege als Herausforderung des 21. Jahrhunderts, Münster 2002, S. 141 ff., 141 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22 mr, Neue Kriege und Staatszerfall, in: Bernhard Chiari, Dieter H. Kollmer (Hrsg.), Wegweiser zur Geschichte. Demokratische Republik Kongo, Paderborn, München, Wien, Zürich 2006, S. 106 f.; 107 Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges, in: loyal, Heft 10, 2006, S. 22 ff., 24
sowie internationale Söldnerfirmen die entscheidende Rolle spielen.879 Die Akteure können nunmehr hinsichtlich ihrer Erscheinungsformen, Motive und Handlungsmuster völlig unterschiedlich auftreten: Isolierte Staaten können auf militärischem Gebiet erhebliche Machtmittel einsetzen; zudem können Terrorismus und andere Formen der Gewaltanwendung in den Westen „exportiert“ werden, um Unruhe und Chaos zu schaffen.880 Oftmals stehen sich nicht mehr Staaten mit ihren regulären Armeen gegenüber, auch nicht Staaten und Irreguläre, sondern Milizen und bewaffnete Gruppen oder Banden, in denen die Teile der Bevölkerung (zwangs-) rekrutiert werden und die in häufig wechselnden Zusammensetzungen und in sich ändernden Gegnerschaften agieren.881 4.2
Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus
Auch in der Vergangenheit ist bereits die Frage aufgeworfen worden, ob dem Terrorismus mit den herkömmlichen Methoden der Verbrechensbekämpfung oder eher mit den Mitteln der Kriegführung entgegenzutreten ist und ob es sich es sich um eine indirekte Kampfführung zwischen Staaten und die Staatsmacht usurpierenden Organisationen in einer möglicherweise zukünftigen Form globaler Konfliktführung handelt.882 Nach herkömmlicher Ansicht kennt das Völkerrecht – als notdürftige Regelung der Beziehungen zwischen Souveränen883 – nur Kriege zwischen Staaten884 als eine zeitlich und räumlich abgegrenzte Erscheinung.885 Unter das völkerrechtliche Gewaltverbot fällt zum einen jede Art von Waffengewalt – einschließlich der Androhung einer solchen – durch einen Staat gegen das Hoheitsgebiet oder die Streitkräfte eines anderen Staates, zum anderen die mit Waffengewalt durchgeführten Handlungen von bewaffneten Irregulären Kräften, die ein Staat in einen anderen Staat entsendet.886 Inzwischen werden nunmehr auch Schutz und Duldung solcher Handlungen durch einen Staat als Gewalt angesehen, die ein militärisches Vorgehen gegen diesen Staat ermöglicht.887 Die Gewalt Privater wurde immer nur dann auch als 879
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Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 221; vgl. Martin van Creveld, Ohnmacht vor dem Terror, in: WamS vom 03.11.2002, S. 4; vgl. Martin van Creveld, Aufstieg und Untergang des Staates, München 1999, S. 373; vgl. Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff. Robert O’Neill, Europas Sicherheit in den neunziger Jahren. Eine neue Organisation für eine neue Herausforderung: Die Europäische Entwicklungsallianz, in: ÖMZ 1991, S. 102 ff.; 107; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus im internationalen Umfeld, in: Internationale Politik 1999, Heft 11, S. 21 ff. Sylvia Servaes, Gegenmacht, Zivile Konfliktbearbeitung und „neue Kriege“ in: Sabine, Jaberg, Peter, Schlotter (Hrsg.), Imperiale Weltordnung – Trend des 21. Jahrhunderts?, Baden-Baden 2005, S. 239 ff.; 243 vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 30; vgl. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 10 Rolf Schroers, Der Partisan, Ein Beitrag zur politischen Antropologie, Köln, Berlin 1961, S. 272 Oskar Spengler, Der „Verdeckte Kampf“ – Die Kriegform der Zukunft?, in: ÖMZ 1964, S. 415 ff.; 415 Oscar Brettschart, Die Planung militärischer Aktionen in der revolutionären Kriegführung, in ASMZ 1964, S. 747, 747 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 597; In diesem Sinne subsumieren auch Stein und von Buttlar auch die Gewaltakte von „privaten Guerilla- und Terroristengruppen unter den völkerrechtlichen Begriff des „Angriffs“, den sich Staaten zurechnen lassen müssen, sofern sie diese Gruppen „entsandt“ haben. (vgl. Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 300) Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 597
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völkerrechtlich relevant wahrgenommen, wenn sie in einer zurechenbaren Affinität zu staatlichem Handeln stand, und insofern sind die Diskussionen über den völkerrechtlichen Gewaltbegriff in eine neue Phase getreten.888 Nach den Ereignissen des 11. September 2001 zeichnet sich eine Entwicklung ab, welche terroristische Attacken als „bewaffneten Angriff“ im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen889 qualifizieren könnten. Darunter ist zunächst eine militärische Gewaltanwendung zu verstehen, die eine gewisse Intensität erreicht890 und die ihrerseits die Anwendung militärischer Gewalt zulässt.891 In diesem Sinne ist die Resolution 1368 des VN-Sicherheitsrats892 interpretiert worden, um Beistandpflichten und Verteidigungsrechte wahrzunehmen,893 und hat auch die NATO bewogen, zum ersten Mal in ihrer Geschichte Maßnahmen nach Art. V des NATOVertrages zu ergreifen. Nach der bisherigen Auslegung stellten die Aktionen von Terroristen nur dann einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 VN-Charta dar, wenn diese im Auftrag eines Staates handeln.894 Diese Erscheinung stellt völkerrechtlich zunächst „privatisierte Gewalt“ dar, die kriegsähnlichen Charakter erlangt hat.895 Insofern wird in der Literatur auch eine „Elastizität“ und „Lockerungstendenzen“ hinsichtlich des Gewaltverbots der VN-Charta zugunsten der Selbstverteidigung des Staates festgestellt.896 Die Qualifikation der Anschläge vom 11. September 2001 im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen eröffnet dem angegriffenen Staat zunächst die Inanspruchnahme des Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung, stellt aber gleichzeitig einen Quantensprung des Phänomens Terrorismus von der Ebene der politischen Gewaltkriminalität auf die völker-
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Martin Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr, Berlin 2002, S. 40 Zum System, Organen und Aufgaben der Vereinten Nationen vgl. Klaus Hüfner, Das System der Vereinten Nationen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 22/2005, S. 10 ff.; vgl. Klaus Dicke, Die Aufgaben der Vereinten Nationen in der Staaten- und Gesellschaftswelt des 21. Jahrhunderts, in: Matthias LutzBachmann, James Bohman (Hrsg.), Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee einer Weltrepublik, Frankfurt am Main 2002, S. 46 ff. Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 739; vgl. Dieter Wiefelspütz, Sicherheit vor Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?, in: NZWehrr 2003, S. 45 ff.; 52 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 596; Hiermit geht einher, dass inzwischen anerkannt ist, dass ein Staat, der sein Staatsgebiet für private Angriffe gegen einen anderen zur Verfügung stellt oder solche Angriffe duldet, seinerseits zum Angreifer wird. (Oliver Dörr, Gewalt und Gewaltverbot im modernen Völkerrecht, aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/2004 S. 14 ff.; 16) Vereinte Nationen, Sicherheitsrat, Resolution 1368 (2001) verabschiedet auf der 4370. Sitzung des Sicherheitsrats am 12. September 2001, S/Res/1368 (2001), Vorauskopie des Deutschen Übersetzungsdienstes, Vereinte Nationen New York, 12. September 2001; Wenngleich die Resolution das Wort „Krieg“ nicht explizit gebraucht, verweist sie auf „… das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Einklang mit der Charta,…“. Zur Kritik an dieser Entscheidung im Schrifttum vgl. Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 303 Christian Hacke, Die weltpolitische Rolle der USA nach dem 11. September 2001, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 16 ff.; 16; vgl. Peter Dreist, Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Inneren, in: NZWehrr 2004, S. 89 ff., 97 vgl. Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 739 Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 324 vgl. Matthias Herdegen, Völkerrechtliche Betrachtungen auf der Suche nach den ethisch-rechtlichen Kriterien für vorbeugende Militäreinsätze, in: Deutsche Atlantische Gesellschaft (Hrsg.), Auf der Suche nach ethisch-rechtlichen Kriterien für vorbeugende Militäreinsätze. Lehren aus dem Irak-Krieg, Ein Diskurs zwischen Prof. Dr. iur. utr. Norbert Bieskorn SJ und Prof. Dr. Matthias Herdegen Bonn 2005, S. 15 ff.; 15 ff.
rechtliche Ebene des bewaffneten Konflikts mit entsprechend weitreichenden Folgen dar.897 Als problematisch wird hierbei die Bestimmung des Adressaten der ergriffenen Gegenmaßnahme gesehen; Täter von Terrorakten sind nicht nur Staaten, von deren Territorium aus der terroristische Angriff erfolgt, sondern auch so genannte De-facto-Regimes oder nichtstaatliche Gruppen wie terroristische Netzwerke.898 Diese Erscheinung stellt völkerrechtlich „privatisierte Gewalt“ dar, die kriegsähnlichen Charakter erlangt hat.899 Nunmehr wird oftmals im Terrorismus lediglich eine Form der Kriegführung gesehen.900 Die Terroristen werden, völkerrechtlich betrachtet, aufgewertet, indem ihnen der Status von Kombattanten zuerkannt wird.901 Das Selbstverteidigungsrecht der Charta der Vereinten Nationen wird ausgedehnt auf feindliche Privatpersonen und Staaten, die ihnen Unterstützung gewähren.902 Terror als Krieg zu bezeichnen könnte mithin auch bedeuten, die Terroristen quasi diplomatisch anzuerkennen.903 Diese Frage zeigt zudem verstärkt auf, welche Paradigmenwechsel im Kontext der Vorstellungen vom Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben.904 In diesem Zusammenhang wird sogar von einer „fundamentalen Zäsur“ gesprochen.905 Gleichzeitig ist in dieser jüngeren Entwicklung eine Tendenz erkennbar, in der die klassische anglo-amerikanische Kriegsauffassung, nach der der Krieg nicht nur ein Staaten- oder Streitkräftekrieg war, sondern auch Krieg mit und zwischen den Bürgern der Feindstaaten war, und die klassische kontinentaleuropäische Kriegsauffassung, nach der der Krieg die mit Waffengewalt ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Staaten sein sollte,
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Heinz Vetschera, Die militärische Dimension im neuen Terror. „Terrorismus“ als sicherheitspolitische Herausforderung, in: ÖMZ 2002, S. 141 ff.; 144; vgl. Christopher Daase, Terrorismus und Krieg. Zukunftsszenarien politischer Gewalt nach dem 11. September 2001, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 365 ff.; 377; vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www. obh.at/pdf_pool/publikationen/09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 23; Auf der taktischen Ebene hatte Rivers bereits Ende der achziger Jahre gefordert, den Terrorismus als „kriegerischen Akt“ zu definieren. (vgl. Gayle Rivers, Taktik gegen Terror, Zürich, Wiesbaden 1986, S. 206) Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 52 Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 324 Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 2 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 159; vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 23; vgl. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 52; Auch diese Überlegung ist nicht ganz neu. Zu dieser Betrachtung des Problems kommt Schröder bereits im Zusammenhang mit der nationalen terroristischen Bedrohung in den 1970er Jahren und den Äußerungen aus der Politik, dass die Aktionen der Terroristen eine Kriegserklärung an die Zivilisation bedeuteten und man sich mit ihnen im Krieg befinde. (Meinhard Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates. Überlegungen zur Verteidigung des Rechtsstaates in außergewöhnlichen Lagen, in: AÖR 1978, S. 121 ff.; 147) Dagegen: Christian Lutze, Abwehr terroristischer Angriffe als Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr, in: NZWehrr 2003, S. 101 ff.; 111 Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4 vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 22 Walter Feichtinger, Ein Jahr „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, in: ÖMZ 2003, S. 163 ff.; 164 vgl. Christian Meiser, Christian von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, Baden-Baden 2005, S. 7
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als überholt anzusehen sind.906 In der Debatte über die „neuen Kriege“ wird demgemäß auch ein Indiz für den Formenwandel bewaffneter Gewalt gesehen.907 Dabei grenzt sich Gewalt nicht dadurch vom Krieg ab, dass bei Gewaltanwendung nicht getötet respektive kein Risiko des Getötetwerdens eingegangen wird, sondern in ihrer Führung sowie im Grad ihrer Organisation.908 4.2.1
Das Kriegsbild
Der sowohl seiner atomaren Fesseln entledigte wie archaische Formen einbeziehende Kriegsbegriff des ausgehenden 20. Jahrhunderts droht die Totalität909 des Krieges ins Unermessliche zu steigern.910 Attacken von Partisanen, Bomben in siedlungsreichen Gebieten, Angriffe mit Giftgas oder biologischen Waffen definieren inzwischen einen Krieg, der sowohl zeitlich wie räumlich entgrenzt ist; einen Terror, dessen Bedrohungspotenzial global vagiert, und damit sind Kämpfe und Überfälle möglich geworden, die das Schema des klassischen Krieges unterlaufen.911 In diesem Sinne entsteht ein diffuses Kriegsbild.912 Der Anschlag auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 und der Kampf der USA und ihrer Alliierten gegen den Terrorismus in der Golf-Region entsprechen diesem Kriegsbild.913 Die besondere Komplexität des Wirkungsgeflechts, welches das Erscheinungsbild des Krieges – oder besser: die Erscheinungsbilder verschiedener Typen von Kriegen – prägt, macht jeden Blick in die Zukunft spekulativ und riskant.914 906 907 908
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Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 1205 f. Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Einleitung – Neue Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 5 ff.; 5 Christoph Abegglen, Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle – eine grosse Herausforderung, in: ASMZ 1998, Heft 7 / 8, S. 31 ff.; 31; C.M.V. Abegglen, Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmaßnahmen, in: http://mypage.bluewin.ch/ abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der Kriegsschwelle.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 2 Der Begriff des totalen Krieges wird im Zusammenhang mit dem Gegenstand der vorliegenden Untersuchung oftmals in zwei Alternativen gesehen: dem Atomkrieg und dem Kleinkrieg. (vgl. Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967 S. 24 f.; vgl. Hans Speidel, Geleitwort, in: Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 7) Diesen totalen Charakter des Kleinkrieges als Phänomen, in dem sich die ursprüngliche, ungehemmte Form des Krieges offenbare, unterstreicht auch Hoch. (Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18) Und Raimond Aron stellte bereits Anfang der 50er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts die Frage, ob „… der Kalte Krieg die Vorbereitung oder ein Ersatz für den totalen Krieg“ sei. (Raymond Aron, Der permanente Krieg, Frankfurt am Main 1953, S. 297) Erich Vad, Strategie und Sicherheitspolitik. Perspektiven im Werk von Carl Schmitt, Opladen 1996, S. 137 Martin Meyer, Es ist Krieg. Über die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, in: NZZ vom 22./23.03.2003, S. 49 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 322; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 22 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 323 ff.; 323; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 22 Lutz Unterseher, Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 159 ff.; 159
4.2.2
Terrorismus und der Begriff des Krieges
Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden die Begriffe „Terrorismus“ und „Krieg“ schnell gleichgesetzt und diese begriffliche Verwischung erscheint nicht nur sachlich fraglich, sondern auch politisch problematisch.915 Auch völkerrechtlich verschwimmen die Erscheinungen. In dieser Diskussion spiegelt sich zum einen eine Unsicherheit wider, die Phänomene exakt zu benennen und einzuordnen; zum anderen scheinen die traditionellen Definitionen nicht mehr genau zu passen. In der Literatur wird im Zusammenhang mit dem globalen Krieg gegen den Terror (Global War on Terror, GWOT) sogar vom Vierten Weltkrieg gesprochen,916 in dem der internationale Terrorismus als Mittel der globalen Kriegführung eines substaatlichen Akteurs fungiert.917 Krieg und Frieden sind sich wechselseitig ausschließende Zustände.918 Wenn der Frieden durch die Abwesenheit des Krieges definiert werden soll, die Definition aber verloren gegangen ist, gerät man in ein Dilemma, dem man schwierig entrinnen kann.919 Daase kritisiert an dieser Ausweitung denn auch, dass bei dieser Ausweitung nicht mehr feststellbar sei, wo der eine Krieg beginne und der andere aufhöre.920 Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen versuchen sich denn auch dem Problem von ihrem spezialwissenschaftlichen Standort aus zu nähern. 4.2.2.1
Sozial- und staatswissenschaftliche Ansätze
Aus soziologischer Sicht werden gewaltsam ausgetragene Konflikte unter anderem auch anhand des Grades ihrer Organisiertheit typologisiert, wobei die typologische Bandbreite von spontanen Einzelaktionen bis hin zu ausdifferenzierten Aktionen komplexer Gesellschaften reicht und letztere dann in der Regel als „Krieg“ definiert werden.921 Damit soll sich Gewalt vom Krieg nicht darin abgrenzen, dass bei Gewaltanwendung nicht getötet respektive kein Risiko des Getötetwerdens eingegangen wird, sondern in ihrer Führung sowie im Grad ihrer Organisation: Gewalt zeichnet sich durch ihr wenig geplantes, oft im Affekt impulsives Auftreten aus, wobei Rache in Verbindung mit der Fähigkeit, Gescheh915
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Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internet vom 26.07.2006, S. 1; Kritisch gegenüber dieser Betrachtung: Peter S. Probst, How to Counter the Global Jihadists, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 181 ff.; 182 f. vgl. George Friedman, Americas Secret War, Inside the Hidden Worldwide Struggle between the United States and its Enemies, 2. Aufl., 2005, S. ix ff.; vgl. Walter Feichtinger, „Krieg gegen den Terror“. Eine geostrategische Zusammenschau, in: ÖMZ 2006, S. 685 ff.; Kritisch hierzu aus strategischer und operativer Sicht vgl. u.a.: John Blaxland, Revisiting Counterinsurgency: A Manoeuvrist Response to the ‚War on Terror’ for the Australian Army, Duntroon 2006 Thomas Steinmetz, Globale Guerilla – der Internationale Terrorismus als Mittel der globalen Kleinkriegsführung eines Substaatlichen Akteurs, SIP, Nr. 3, 2003 Paul M. Strässle, Krieger versus Soldat, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 8 ff.; 10 Rüdiger Altmann, Der Feind und der Friede, in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 413 ff.; 413 Christopher Daase, Demokratischer Frieden – Demokratischer Krieg: Drei Gründe für die Unfriedlichkeit von Demokratien, in: Christine Schweitzer, Björn Aust, Peter Schlotter (Hrsg.), Demokratien im Krieg, Baden-Baden 2004, S. 53 ff.; 58 Erwin Orywal, Krieg oder Frieden. Eine vergleichende Untersuchung kulturspezifischer Ideale – Der Bürgerkrieg in Belutschistan/Pakistan, Berlin 2002, S. 41
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nisse über lange Zeit in Erinnerung zu behalten, eine zentrale Rolle spielt.922 Allerdings lässt diese Definition auch keine klare Abgrenzung dessen zu, was Krieg eigentlich ist. Insofern kommt es trotz bestimmter soziologischer Klassifizierungen immer wieder zu semantischen Überlappungen der Begriffe Krieg und bewaffneter Konflikt.923 Beide Begriffe werden insofern oft austauschbar verwendet, als sie denselben Gegenstand bezeichnen924 zudem weicht der Begriff des Krieges dem des „bewaffneten Konflikts“, vielfach mit der Ergänzung des „internationalen Charakters“, was zugleich signalisiert, dass es sich nicht um einen „Bürgerkrieg“ in einem Staat, sondern um einen Krieg zwischen Staaten oder Staatengruppen handelt,925 und um die Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Regeln auf die zwischenstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen unabhängig vom Eintritt des „Kriegszustandes“ zu ermöglichen.926 Der Gebrauch des Begriffs des „Konflikts“ lässt erkennen, dass man die Worte „Krieg“ und „Gewalt“ tunlichst aus dem Sprachschatz der Diplomatie und Völkerrechtswissenschaft heraushalten wollte.927 Die heutige Staatenwelt, ihre Politik, ihre Bevölkerung und ihre Militärs leben überwiegend in einem traditionellen Verständnis von Krieg, dass Kriege und Angriffe letztlich immer nach gewissen, nicht zuletzt im Völkerrecht festgelegten Regeln und Vorstellungen erfolgen, und dieses Verständnis wird inzwischen als weitgehend überholt angesehen.928 Dennoch impliziert Krieg ausnahmslos Gewalt und den extensiven Einsatz von Streitkräften, während im Gegensatz dazu ein Konflikt nicht unbedingt den Einsatz militärischer Kräfte von irgendeiner Seite inkludiert.929 Wenn privatisierte Gewalt mit kriegsähnlichen Ausmaßen möglich ist, gerät die klassische Unterscheidung zwischenstaatlicher Gewaltanwendung und illegaler privater Gewaltanwendung als Verbrechen zunehmend ins Wanken.930 Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht liegt das Gemeinsame und zugleich der Wesenskern von Krieg und Terrorismus in der geplanten und organisierten Anwendung von politisch motivierter Gewalt.931 Für von der Heydte wird im Terrorakt das Delikt zur Kriegshandlung; wobei unter 922 923
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C.M.V. Abegglen, Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmaßnahmen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der Kriegsschwelle.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 2 Stephanie Schröder, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Krisenprävention in der europäischen Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik – Konzepte, Kapazitäten, Kohärenzprobleme, Münster 2005, S. 37; vgl. Michael Brzoska, Is there a necssity for new definitions of war?, in: BICC bulletin No. 38, January/February 2006 Milan Vego, War Determination Planning. Wie man Kriege beendet, in: ÖMZ 2006, S. 419 ff.; 419 Armin Steinkamm, Grundlagen und Entwicklung des Kriegsvölkerrechts und ausgewählte Kategorien der Kriegsverbrechen, in: Franz W. Seidler, Alfred M. de Zayas (Hrsg.), Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 313 ff.; 313 Torsten Stein, Christian von Butlar, Völkerrecht, 11. Aufl. Köln, Berlin, München 2005, S. 473 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 57 Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 6 Milan Vego, War Determination Planning. Wie man Kriege beendet, in: ÖMZ 2006, S. 419 ff.; 419 Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 184 Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 6
Terrorakt eine Gewalthandlung zu verstehen ist, die das Strafrecht des Staates, in dem sie gesetzt wird, als vorsätzlich begangene Straftat anspricht.932 Ebenso ist der Sabotageakt aus Sicht des innerstaatlichen Rechts Straftat.933 Allerdings stellt von der Heydte den Terrorakt in Gegensatz zum Sabotageakt, unter dem man gewöhnlich die vorsätzlich gewollte Behinderung, Störung oder Stilllegung eines Unternehmens, eines Betriebes, einer Verkehrs-, Versorgungs-, oder Fernmeldeeinrichtung durch bewusst sachwidrige Einwirkungen, meist – aber keineswegs immer – unter Anwendung von Gewalt versteht, und den er nicht so sehr durch seine äußere – objektive – Tatseite, als vielmehr durch eine andere Zielsetzung vom Terrorakt unterscheidet.934 Im Vordergrund des Sabotageaktes steht die materielle Frage der Aktion, nämlich die faktische, aktuelle Schädigung des Gegners; die psychologische Folge – die Einschüchterung oder Abschreckung einerseits, die Propagandawirkung andererseits –, auf die es beim Terrorakt in erster Linie ankommt, tritt hinter die beabsichtigte und erreichte materielle bzw. psychische Schadenswirkung zurück.935 Die wissenschaftliche Diskussion reflektiert seit einiger Zeit, in welchem Maße unser gewohntes Denken über den Krieg der Realität hinterherhinkt, weil unser Begriff von „Krieg“ nach wie vor relativ stark an den Staat europäischer Prägung gebunden bleibt.936 Dementsprechend ist das politikwissenschaftliche Bild des Krieges im 20. Jahrhundert maßgeblich von der Annahme geprägt, Krieg sei eine staatliche Form der Konfliktaustragung.937 Mithin waren die politikwissenschaftlichen und die juristischen Vorstellungen über den Gegenstand deckungsgleich; zumindest entsprachen die Anknüpfungspunkte politikwissenschaftlicher Deutungen und juristischer Definitionen einander. Die völkerrechtlichen
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Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 196 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 208 f. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 208 f.; vgl. hierzu die Definition, wie sie unter anderem in der Wirtschaft gebraucht wird: Unter Sabotage ist die „planmäßige, heimliche oder scheinbar unbeabsichtigte Beeinträchtigung von Produktionseinrichtungen oder -abläufen durch (passiven) Widerstand oder durch Zerstörung wichtiger Anlagen und Einrichtungen“ zu verstehen. (Herbert Ehses, Sicherheitsrisiken / Bedrohung, in: Herbert Ehses [Hrsg.] Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, A 2, S. 1 ff.; 31) Ähnlich definiert ein Fachlexikon aus der Wirtschaft den Begriff der Sabotage, bindet aber auch militärische Operationen als tatbestandliches Objekt ein und will abweichend auch Terroristen als mögliche Täter definieren, so dass die von Freiherr von der Heydte dargelegte Abgrenzung zum Terrorakt hier nicht entsprechend nachvollzogen wird. (Karlheinz Scheib, Seculex. Security Lexikon. Fachbegriffe aus der Sicherheit in der Wirtschaft von A – Z, 2. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2000, S. 43) In einem Lexikon der Politik wird die Definition „Sabotage“ dahingehend ausgeweitet, als dass sie „zur Tätigkeit der Fünften Kolonne, der Agenten und Partisanen gehöre, mit dem Ziel der Schwächung des Gegners mit allen Mitteln und in allen Bereichen und sei nach dieser Definition sogar ein „legitimes Mittel des Widerstandes der Bevölkerung“. (Franz Neumann, Sabotage, in: Hanno, Drechsler, Wolfgang Hilligen, Franz Neumann, [Hrsg.], Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, 10. Aufl., München 2003, S. 853) Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 209 Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 9 vgl. Sven Chojnacki, Kriege im Wandel. Eine typologische und empierische Bestandsaufnahme, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 47 ff.; 47
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Bemühungen um Hegung des Krieges und Eindämmung des Einsatzes von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung sind so alt wie das Völkerrecht.938 4.2.3
Der neuzeitliche Kriegsbegriff
Der neuzeitliche Kriegsbegriff bezeichnet einen (völkerrechtlichen) Rechtszustand, in dem zwei oder mehrere Gruppen einen Konflikt mit Waffengewalt austragen, und stellt darauf ab, dass die am Krieg beteiligten Gruppen souveräne Körperschaften gleichen Rechtes sind.939 Nach landläufigem Verständnis sind das die mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen zwei Staaten oder Staatengruppen940 und damit Ausfluss der Vorstellung, dass das Völkerrecht die Rechtsordnung des internationalen Systems ist, welches durch die formale Gleichstellung seiner Akteure gekennzeichnet ist.941 Demnach sind Aufstände, Überfälle oder andere Formen gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen rechtlich Ungleichen ausgeschlossen.942 Insofern sind die völkerrechtlichen Regeln für militärische Konflikte in ihrer Grundprägung sehr staatszentriert und erfassten im Ansatz seit dem 19. Jahrhundert zunächst einmal nur die Formen des zwischenstaatlichen Krieges, nicht aber die zahlreichen Formen innergesellschaftlicher Konflikte, die als Bürgerkriege, Aufstandsbewegungen, Guerillakämpfe und innere Unruhen die Staaten immer wieder heimsuchen.943 4.2.3.1
Verstaatlichung des Krieges
Seit dem Westfälischen Frieden wurde der Krieg immer mehr verstaatlicht, das heißt, Krieg konnte nur noch von Staaten geführt werden und Gewaltakte, die nicht vom Staat legitimiert waren, galten danach als kriminell und wurden als solche verfolgt und geahndet.944 938 939 940 941 942
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Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 286 Reinhard Meyers, Krieg und Frieden – Zur Entwicklung von Konflikt und Kooperationsformen im 20. Jahrhundert, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts 2003, S. 9 ff.; 18 f. Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002, S. 181 Manfred Rotter, Am geltenden Völkerrecht scheitert der Friede nicht, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2002, Bd. 2, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 461 ff.; 464; vgl. Reinhard Meyers. Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, S. 25 Reinhard Meyers, Krieg und Frieden – Zur Entwicklung von Konflikt und Kooperationsformen im 20. Jahrhundert, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts 2003, S. 9 ff.; 19; vgl. Reinhard Meyers. Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, S. 25 Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 286 Andreas Herberg-Rothe, Das Rätsel Clausewitz. Politische Theorie des Krieges im Widerstreit, München 2001, S. 240; vgl. Otto Kimminich, Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts in: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd.3, Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München 1985, S. 73 ff.; 92 f.; vgl. Bernhard Sutor, Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden? Stationen und Chancen eines geschichtlichen Lernprozesses, Schwalbach/Ts.
Im Verlauf dieser Verstaatlichung des Krieges wurde ein Regelwerk geschaffen, das sowohl die Anordnung des Einsatzes von Gewalt als auch die Art und Weise von dessen Gebrauch normativen ethisch-moralischen Maßstäben unterwarf.945 Hier begann die Epoche des so genannten „klassischen Völkerrechts“, welche das Recht des Krieges und des Friedens umfasst, wobei nun beide Rechtszustände ohne moralische Wertung nebeneinander standen.946 Das Gewaltmonopol begründete die lange Tradition des Staates als des Monopolisten über Krieg und Frieden.947 Durch die Monopolisierung der Gewalt auf die Staaten sollten die Gesellschaften befriedet werden und so lag in der politischen Enteignung auf Gewaltausübung zugunsten des absolutistischen Staates die zentrale Quelle seiner Legitimation.948 Dieses internationale System des Westfälischen Friedens basierte somit auf dem Doppelaspekt von Limitierung und Legitimierung des Krieges, wobei die Legitimierung in dieser Perspektive die Voraussetzung seiner Limitierung ist.949 Mit diesem Staatsverständnis der Neuzeit waren private bewaffnete Auseinandersetzungen obsolet geworden; Krieg war stets eine staatliche Angelegenheit.950 Innerstaatliche Kriege waren Bürgerkriege, in die sich die Nachbarn nur in Ausnahmefällen einmischen durften.951 Zudem ist seit dem 30jährigen Krieg Bestandteil der Völkerrechtsordnung, dass ein Krieg zeitliche Schranken haben muss: finis belli pax est.952 Wenn die Völkerrechtsordnung nicht dauerhaft Schaden
945 946 947
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2004, S. 39; vgl. Erwin Orywal, Krieg oder Frieden. Eine vergleichende Untersuchung kulturspezifischer Ideale – Der Bürgerkrieg in Belutschistan/Pakistan, Berlin 2002, S. 15 f.; vgl. Robert R. Leonhard, From Operational Art to Grand Strategy, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 208 ff.; 217 Edwin R. Micewski, Moralphilosophische Überlegungen zur Legitimität von asymmetrischer Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 31 ff.; 31 Johannes Sacherer, Der Krieg und seine Regelung im Wandel des Völkerrechts, in: ÖMZ 1990, S. 120 ff.; 121 f. Edwin R. Micewski, Moralphilosophische Überlegungen zur Legitimität von asymmetrischer Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 31 ff.; 31; vgl. Georg Geyer, Zündschnur der Asymmetrie – Grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Politik, Massenkommunikation und Gesellschaft im asymmetrischen Konflikt, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 283 ff.; 284 vgl. Dietrich Jung, Klaus Schlichte, Jens Siegelberg, Kriege in der Weltgesellschaft. Strukturgeschichtliche Erklärung kriegerischer Gewalt (1945 – 2002), 1. Aufl., Wiesbaden 2003, S. 39 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 31; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Das Rätsel Clausewitz. Politische Theorie des Krieges im Widerstreit, München 2001, S. 240; vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18; Williams sieht das System des Westfälischen Friedens nicht unbedingt als aufgelöst an, er sieht aber eine tendenzielle Gefahr, ausgehend von schwachen Staaten, welche ihrer Rolle nicht gerecht werden können, die Ordnung aufrecht zu erhalten und die mithin nicht in der Lage sind, Gewaltakteure zu beherrschen und einzudämmen. (vgl. Phil Williams, Preface: New Context, Smart Enemies, in: Robert J. Bunker [Hrsg.], Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. vii ff.; ix; in diesem Sinne argumentieren auch John P. Sullivan, Robert J. Bunker, Drug Cartels, Street Gangs, and Warlords, in: Robert J. Bunker [Hrsg.], Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 40 ff.; 42) Ulrich March, Das Ende des klassischen Staates, Frankfurt am Main 2002, S. 69; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 19 Rüdiger Voigt, Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 13 ff.; 19 John Keegan, Die Kultur des Krieges, 1. Aufl., Berlin 1995 Dieter Blumenwitz, Vom Krieg zum internationalen bewaffneten Konflikt, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neu-
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nehmen soll, muss am Ende jedes Krieges der Frieden stehen; insoweit bedeutet Krieg eben nur die zeitweise Suspendierung des Friedensvölkerrechts.953 Der Krieg ist im modernen Völkerrecht als die letzte und umfassendste Möglichkeit kollektiver Gewaltanwendung, als Mittel, Recht durchzusetzen, an die Stelle der individuellen Gewaltanwendung getreten.954 Im Zentrum des Friedenssicherungssystems des Völkerrechts steht heute allerdings das Gewaltanwendungsverbot zwischen Staaten, das für Mitglieder und Nichtmitglieder der Vereinten Nationen gleichermaßen gilt.955 Insofern sind hier weitere Fragen für zahlreiche Probleme des Völkerrechts aufgeworfen, da dieses den zeitgenössischen Gewaltdynamiken gegenwärtig nur noch unzureichend Rechnung zu tragen vermag.956 Das Konzept dessen, was „Krieg“ konstituiert, hat die verbindende Identität mit dem Recht des bewaffneten Konflikts verloren.957 Die Begriffe sind mithin nicht mehr in ihrer Kongruenz unbedingt gleichzusetzen. 4.2.3.2
Globalisierung und Entstaatlichung der Gewalt
Das klassische Kriegsrecht kannte klare Unterscheidungen, vor allem die von Krieg und Frieden, von Kombattanten und Nicht-Kombattanten, und von Feind und Verbrecher; der Krieg wurde von Staat zu Staat als ein Krieg der regulären staatlichen Armeen geführt, zwischen regulären Trägern eines Kriegsführungsrechts, die sich auch im Kriege als Feinde respektieren und nicht gegenseitig als Verbrecher diskriminierten, so dass ein Friedenschluss möglich bleibt und sogar das normale, selbstverständliche Ende des Krieges blieb und Irreguläre Kräfte insofern nur Randerscheinungen darstellen konnten.958 Der Krieg als Versuch einer gewaltsamen Lösung kollektiver Konflikte959, in der Gewalt als ein Rege-
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en internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 155 ff.; 164 Dieter Blumenwitz, Vom Krieg zum internationalen bewaffneten Konflikt, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 155 ff.; 164 Friedrich August Frhr. von der Heydte, Internationale Sicherheit, in: Staatslexikon der GörresGesellschaft, Bd. 4, 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1959, Spalte 417 ff.; 417 f. Armin A. Steinkamm, Der „Irak-Krieg“: Eine Herausforderung an das Völkerrecht, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., BadenBaden 2004, S. 260 ff.; 261; vgl. Armin A. Steinkamm, „Der Irak-Krieg“: Eine Herausforderung an das Völkerrecht, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder (Hrsg.), Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 224 ff.; 225 Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 9 vgl. Barnett, Asymmetrical Warfare. Today’s Challenge to U.S. Military Power, Washington D.C. 2003, S. 111 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 16 Zur Vielschichtigkeit des Begriffs „Konflikt“ und seinen unterschiedlichen Bezügen vgl.: Frank R. Pfetsch, Krieg und Frieden in neuerer Zeit. Konflikte in und zwischen Staaten, in: Frank Pfetsch, Lothar Burchardt, Günter Roth, Detlef Junker, Wie Kriege entstehen, Heidelberg 1989, S. 9 ff.; vgl. Reinhard Meyers. Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, S. 28 ff.; vgl. Frank Pfetsch, Globale Wandlungen im Konflikt- und Kriegsgeschehen. War das 20. Jahrhundert ein kriegerisches?, in: Rüdiger Voigt
lungsmechanismus auftritt960, hat sich seiner Fesselungen an die Staatlichkeit, die ihm völkerrechtlich mit dem Westfälischen Frieden angelegt wurden, entledigt.961 Beginn und Ende von Kriegen markieren häufig keine wirklichen Zäsuren im Hinblick auf das Gewaltgeschehen.962 Krise, Krieg und Frieden sind oftmals nicht mehr klar als aufeinanderfolgende Phasen zu trennen und zu unterscheiden. Vielmehr stehen sie häufig – räumlich punktuell oder regional auftretend – nebeneinander oder wechseln in rascher, sich wiederholender Folge. Somit scheint sich auch die zuvor skizzierte „Westfälische Ordnung“ mit dem Ende des Kalten Krieges und der fortschreitenden Globalisierung erledigt zu haben.963 Die Globalisierung führt damit tendenziell zur Privatisierung von Macht und zur Privatisierung des Krieges964 und die Kriege zwischen Staaten werden seltener, wohingegen innerstaatliche und transnationale Kriege zunehmen, womit die Staaten nicht mehr die selbstverständlichen Monopolisten sind, als die sie im 18. und 19. Jahrhundert aufgetreten sind.965 Für Münkler haben dementsprechend inzwischen para- und substaatliche Akteure das Gesetz des Handelns übernommen und Staaten sind für ihn fast nur noch reaktiv in Kriege verwickelt.966 Die privatisierte Gewalt will häufig gar keinen Staat; er wäre nur hinderlich967 und somit wird das Gewaltmonopol von unten untergraben.968 Die Nichtbeachtung des traditionellen staatlichen Gewaltmonopols wird vor allem auf die Aushöhlung staatlicher Kompetenz und Integrationsmacht im Zuge der Globalisierung zurückgeführt, also auf eine multidimensio-
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(Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 223 ff. Karl Otto Hondrich, Risiken des Krieges – Chancen des Friedens, in: Zeitschrift für Politik 1997, S. 304 ff.; 304 Herfried Münkler, Das Ende des „klassischen“ Krieges. Warlords, Terrornetzwerke und die Zukunft kriegerischer Gewalt, in: NZZ vom 14./15. September 2002, S. 49 Peter Lock, Gewalt als Regulation: Zur Logik der Schattenglobalisierung, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 40 ff.; 52 f. Rüdiger Voigt, Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 13 ff.; 19 vgl. Heinrich Kreft, Vom Kalten Krieg zum „Grauen Krieg“ – Paradigmenwechsel in der amerikanischen Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/2002, S. 14 ff.; 14; vgl. Lutz Unterseher, Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 159 ff.; 160 Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 220; vgl. Herfried Münkler, Das Ende des „klassischen“ Krieges. Warlords, Terrornetzwerke und die Zukunft kriegerischer Gewalt, in: NZZ vom 14./15. September 2002, S. 49; vgl. Herfried Münkler, Kriege im 21. Jahrhundert, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 83 ff.; 88 f.; vgl. Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 134; vgl. Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 133; vgl. Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 134 Erhard Eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt, Frankfurt am Main 2002, S. 31 Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000, S. 13; vgl. Fritz B. Simon, Tödliche Konflikte. Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege, Kempten 2001, S. 79
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nale weltweite Verflechtung, die insbesondere bisher schon relativ schwachen Staaten immer weniger Handlungsspielräume lässt.969 Zugleich hat dieser Prozess aber nicht zu einer Stärkung der internationalen Mechanismen geführt, die an die Stelle der Disziplinierungsfunktion des Staates getreten sind mit der Folge, dass Staaten durch Partikularmächte instrumentalisiert oder „gekapert“ werden.970 Zudem wird die Gewaltanwendung, die ansonsten im Frieden verpönt ist, zum akzeptierten Mittel der Konfliktaustragung, da in der allgemeinen Anschauung die Anwendung organisierter Gewalt zum politischen Zweck das wesentliche Merkmal eines Krieges darstellt.971 Zu Beginn des 21. Jahrhundert ist eine wesentliche Äußerung der menschlichen Urinstinkte des Selbsterhaltungstriebes und des Überlebenswillens – der Kampf – durch den rasanten technischen Fortschritt der Mittel, mit denen der Mensch den Menschen bekämpft, ebenso wie die Veränderungen der Gründe für gewaltsame Auseinandersetzungen, sowie die Kampfweisen in einem grundlegenden Wandel begriffen.972 Dabei bleibt der Krieg als Phänomen organisierter, politisch motivierter Gewaltanwendung eine konstante Realität und ebenso bleibt die Aufgabe des Staates, sich selbst und die ihm verfasste Gesellschaft davor zu schützen,973 wie auch vor jedweder anderer äußerer Bedrohung. 4.2.3.3
Gleichsetzung von Krieg und Terror
Diese Entwicklungstendenzen werfen die Frage auf, ob der überkommene Begriff des Krieges, der nach herkömmlichem Völkerrecht definiert ist als „völkerrechtlicher Gewaltzustand unter Abbruch der diplomatischen Beziehungen“974 und damit als Auseinandersetzung zwischen Staaten, noch den gegenwärtigen Erscheinungen entspricht oder ob diese Formen der Auseinandersetzung nicht einer neuen Bezeichnung bedürfen oder aber die Rahmenbedingungen, die unter dem Begriff Krieg subsumiert werden, neu definiert werden müssen.975 Teilweise werden die Begriffe „Krieg“ und „Terror“ bzw. „terroristischer Anschlag“ gleichgesetzt. Diese begriffliche Gleichsetzung erscheint nicht nur sachlich fraglich, sondern scheint auch politisch problematisch.976 Vetschera allerdings lehnt die Be969 970 971 972 973 974 975
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Lutz Unterseher, Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 159 ff.; 160; vgl. Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4 Lutz Unterseher, Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 159 ff.; 160 Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 23 John L. Clarke, Der Konflikt im Wandel der Zeit. Herausforderungen der sich wandelnden Kriegführung, in: ÖMZ 1997, S. 115 ff.; S. 115 Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 83 Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl., Tübingen, Basel 1997, S. 323 Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 23; vgl. Dieter Blumenwitz, Vom Krieg zum internationalen bewaffneten Konflikt, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 155 ff.; 155; vgl. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 304 Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 1
zeichnung terroristischer Aktivitäten bzw. deren Abwehr und Bekämpfung als „Krieg“ im Sinne des Völkerrechts ab, da Organisationen, die außer terroristischen Aktionen sonst fast keine Aktivitäten setzten oder primär durch ihre terroristischen Aktionen definiert werden, die Qualifikation als Völkerrechtssubjekt fehlt.977 Das Problem könnte hier nunmehr darin liegen, dass der völkerrechtliche Kriegsbegriff (nicht mehr zwingend) mit den politischen Erscheinungen oder den Akteuren, militärischen Handlungen und Mitteln übereinstimmt.978 Die klassischen Trennlinien zwischen Staaten- und Bürgerkrieg, zwischenstaatlichen Kriegen und mit Gewalt ausgetragenen innergesellschaftlichen Konflikten haben sich aufgelöst und beide Kriegstypen diffundieren zunehmend.979 Teilweise wird daher auch der Begriff der „Neuen Kriege“ benutzt, der diese Kriege von den vorherrschenden, aus einer früheren Epoche stammenden Kriegskonzeptionen absetzen soll.980 Blumenwitz will, zunächst mit Blick auf eine völkerrechtliche Situation, den Verzicht auf gewaltsame Mittel nur dann hinnehmen, wenn die Vereinten Nationen ein funktionierendes Friedenssicherungssystem zur Verfügung stellen.981 Er will aber die Terrorismusbekämpfung, die auch er primär als „domaine réservée“ dem innerstaatlichen Bereich zuordnet, zu einem Völkerrechtsproblem ausweiten, wenn die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung den innerstaatlichen Raum verlassen und auf die zwischenstaatlichen Beziehungen und auf die territoriale Unversehrtheit eines Staates einwirken.982 Dennoch haben die Militärs, welche die Fehler von Politikern und Diplomaten unmittelbar zu tragen haben, zu Recht die Erwartung auf ein realistisches ius contra bellum, das den neuen Kampfformen und Feindbildern Rechnung trägt und eine klare Sprache spricht.983 4.2.3.3.1
Der Begriff des Krieges
Eine übergreifende, verbindliche Definition des Begriffs Krieg existiert nicht; allgemein versteht man darunter die gewaltsame Austragung von Streitigkeiten zwischen Staaten oder Staatengruppen.984 Das Wort „Krieg“ hatte bis zum Ausgang des Mittelalters keine spezielle Bedeutung; es bedeutet Streit, Konflikt, Meinungsverschiedenheit, Gegensätze, die ebenso durch einen Prozess vor Gericht wie mit Waffen ausgetragen werden.985 Das mittelhochdeutsche Wort „kriec“ hat erst im Laufe des 14. Jahrhunderts die Bedeutung angenommen, 977 978 979 980 981 982 983 984 985
Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 24 f. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 304 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 16 Mary Kaldor, Neue und alte Kriege, Frankfurt am Main 2000, S. 8; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002 vgl. Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 737 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 737 Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4 Bernd Weber, Kriege – Konflikte – Krisen in dieser Welt, Bonn o. JA., S. 4 Otto Brunner, Land und Herrschaft, Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 5. Aufl., Wien 1965, S. 39; vgl. Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 567 ff.; 567
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welche dem lateinischen Begriff „bellum“ entspricht, und so standen bis in die frühe Neuzeit hinein für den Begriff „Krieg“ noch andere Bezeichnungen zur Verfügung: vor allem das alte „urliuge“, das später von „Krieg“ völlig aus dem deutschen Wortschatz verdrängt worden ist und sich als „oorlog“ nur noch im Niederländischen gehalten hat.986 Grundlegend für den mittelalterlichen Kriegsbegriff war die Zuordnung von Krieg und Recht.987 In seiner ursprünglichen Bedeutung umfasste der Begriff Krieg somit lediglich den Rechtsstreit, der erst im Rahmen des Hoch- und Spätmittelalters hin zum „gewalttätigen Rechtsstreit“ verändert wurde; das Rechtssystem des Mittelalters kannte den Begriff der „Fehde“, jenes Privatkrieges, der zwischen Herrscherhäusern oder Adelsgeschlechtern als zulässiges Rechtsmittel an die Einhaltung bestimmter Formen gebunden war.988 Die Fehde war mitten im staatlichen Friedenszustand möglich und die Scheidung von Krieg und Frieden war keineswegs selbstverständlich, sondern musste erst mühsam errungen werden.989 Eine Unterscheidung zwischen Krieg und Fehde als der eines Kampfes zwischen souveränen Staaten in der Völkerrechtsgemeinschaft und der Fehde als innerstaatliche Auseinandersetzung lässt sich tatsächlich nicht durchführen, weil es im Mittelalter keine souveränen Staaten und keine Völkerrechtsgemeinschaft im neuzeitlichen Sinne gab.990 Das Fehderecht hatte allerdings nachhaltige Wirkung auf die Entwicklung des Kriegsrechts.991 Später dann hatte die Rechtfertigung des Krieges über staatliche Interessen zu laufen; der Krieg wurde dahingehend limitiert, dass nur Staaten ihn führen konnten.992 Somit war der „Bürgerkrieg“ als rechtmäßige kriegerische Auseinandersetzung liquidiert.993 Mit der Ausbildung des souveränen Territorialstaates und in seiner Folge des als Gemeinschaft souveräner Nationen begriffenen Staatensystems galt eine bewaffnete Auseinandersetzung nur dann als Krieg, 986 987 988
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Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 567 Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 567 ff.; 568 Christian Stadler, Andreas Stubka, Vom Wesen und Wert des Militärischen überhaupt. Militärwissenschaft im Zeichen der Polemologie, in: ÖMZ 2000, S. 699 ff.; 701; vgl. Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 567 ff.; 567 Robert Bossard, Die Gesetze von Politik und Krieg, Bern, Stuttgart 1990, S. 411 Otto Brunner, Land und Herrschaft, Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 5. Aufl., Wien 1965, S. 39; vgl. Otto Kimminich, Die Entstehung des neuzeitlichen Völkerrechts in Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd.3, Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München 1985, S. 73 ff. Jürg H. Schmid, Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Geltungsbereiches der Genfer Konventionen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949, Zürich 1956, S. 5; vgl. Wilhelm Janssen, Krieg, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 567 ff.; 568b Jürgen Kaube, Gewalt als Manifestation , Schrecken ohne Botschaft, in: FAZ vom 18.09.2001, S. 57; vgl. Wichard Woyke, Einführung,: Krieg und Frieden, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts 2003, S. 5 ff.; 5; vgl. Klaus Jürgen Gantzel, Die Kriegsherde der Welt, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg (Hrsg.), Sicherheitspolitik, Stuttgart, Berlin, Köln 1995, S. 26 ff.; 27; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Das Rätsel Clausewitz. Politische Theorie des Krieges im Widerstreit, München 2001, S. 240; vgl. Dan Diner, Steht das ius in bello in Frage? Über Regulierung und Deregulierung von Gewalt, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 59 ff.; 63 vgl. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl., Berlin 1997, S. 122
wenn geschlossene Gruppen bewaffneter Streitkräfte daran beteiligt waren und es sich zumindest bei einer dieser Gruppen um eine reguläre Armee oder sonstige Regierungstruppen handelte; wenn sich die Tätigkeit dieser Gruppen in organisierter, zentral gelenkter Form entfaltete und wenn diese Tätigkeit nicht aus gelegentlichen, spontanen Zusammenstößen bestand, sondern über einen längeren Zeitraum unter regelmäßiger, strategischer Leitung anhielt.994 Die Hegung des Krieges war somit auch kein Ergebnis einer bestimmten intellektuellen Einstellung oder einer weisen Einsicht, sondern nur der Wirkung objektiver sozialpolitischer Faktoren.995 Insofern war seit dem 17. Jahrhundert der zwischenstaatliche Krieg in Europa die vorherrschende Erscheinungsform.996 Krieg bedeutete das zeitweise Außerkraftsetzen (die Suspendierung) des Friedensvölkerrechts, welches den Normalzustand zwischen den Staaten regelt, und an seine Stelle tritt das Kriegsrecht, das die Anwendung militärischer Gewalt in zeitliche, räumliche sowie persönliche Schranken weist und die Mittel der Kriegführung regelt.997 Der Krieg stellt somit einen Ausnahmezustand des Völkerrechts dar, der den Zustand des Friedens aufhebt.998 4.2.3.3.2
Kriegsbegriff und Low Intensity Conflict
Der Begriff des bewaffneten Konflikts wurde über lange Zeit synonym mit einem Krieg zwischen Staaten verstanden.999 Im bewaffneten Konflikt des 19. Jahrhunderts bildete sich das Grundmuster der konventionellen („regulären“) wie das der subkonventionellen („irregulären“) Erscheinungsform heraus; im 1. Weltkrieg entwickelte sich dort der Übergang zum erweiterten Kriegsbild mit einem verstärkten Übergang zum Subkonventionellen und in der „postkonfrontativen“ Etappe weitet sich dort die Skala von Erscheinungsformen des bewaffneten Konflikts erneut aus.1000 994
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Reinhard Meyers, Krieg und Frieden – Zur Entwicklung von Konflikt und Kooperationsformen im 20. Jahrhundert, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts. 2003, S. 9 ff.; 15; vgl. Klaus Jürgen Gantzel, Über die Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg. Tendenzen, ursächliche Hintergründe, Perspektiven, in: Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten, Paderborn, Wien, München, Zürich 2000, S. 299 ff.; 299 f. Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz – Marx – Engels – Lenin, Stuttgart 1988, S. 145 Martin van Creveld, Brave New World, in: ÖMZ 2003, S. 275 ff.; 277; vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18 Dieter Blumenwitz, Vom Krieg zum internationalen bewaffneten Konflikt, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 155 ff.; 156 Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 123; vgl. Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 6; vgl. Hagen Stock, Der völkerrechtliche Sicherheitsbegriff und seine Abgrenzung zum Friedensbegriff – dargestellt anhand der völkerrechtlichen und politischen Entwicklung seit Ende des 2. Weltkrieges – , Dissertation, Würzburg 1974, S. 6 Dieter Fleck, Zur Rolle des Einzelnen im Völkerrecht, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 73 ff.; 75 Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A.
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Das Phänomen Krieg war zum Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, aber auch aus der völkerrechtlichen Judikatur weitgehend verbannt bzw. wurden diese Erscheinungen als „Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle“1001, „Auseinandersetzungen geringer Intensität“ (low intensity conflict, LIC)1002, interkommunale Gewalt, Konflikt zwischen aufrührerischen Parteien, Einsätze, die keine Einsätze sind,“1003 etc., definiert.1004 Andere Autoren wollen unter dem terminus technicus „Low Intensity Conflict“, also Konflikt niedriger Intensität alle Erscheinungsformen eines konventionellen, begrenzten Krieges abgedeckt sehen, die durch kollektiv und militärisch (paramilitärisch) organisierte Gewaltanwendung gekennzeichnet sind.1005 Das Definitionsproblem ist somit von einem Begriff auf einen anderen verschoben.1006 Folglich sind die Begriffe von ihren konkreten Erscheinungen her zu definieren. In dieser Form der Auseinandersetzung wird den Begriffen „klassischen Operationen“ und „Schlachten“ meist ausgewichen.1007 Dabei reicht die Spanne eines LIC von Subversion bis zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte, wobei solche Konflikte mit einer Kombination von politischen, wirtschaftlichen, militärischen und Informationsmitteln geführt werden.1008 LIC sind oftmals lokal, haben aber vielfach auch regionale und globale Auswirkungen.1009 Für Glatzl ist der LIC eine politisch-militärische Konfrontation zwischen konkurrierenden Staaten oder Gruppen unterhalb der Ebene des konventionellen Krieges, aber oberhalb des friedlichen Wettstreites zwischen Staaten.1010 An anderer Stelle werden hierunter in erster Linie der subversive oder
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Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 196 Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996; vgl. Christoph Abegglen, Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle – eine grosse Herausforderung, in: ASMZ 1998, Heft 7 / 8, S. 31 ff.; 31 Martin van Creveld, Die Zukunft des Krieges, München 1998; Unterseher bezeichnet diesen Ausdruck als Euphemismus, da doch solche Auseinandersetzungen nicht immer sehr intensiv, aber – durch ihre typischerweise lange Dauer – tendenziell zerstörerischer als mancher „regulärer“ Krieg seien. (Lutz Unterseher, Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 159 ff.; 160) John L. Clarke, Der Konflikt im Wandel der Zeit. Herausforderungen der sich wandelnden Kriegführung, in: ÖMZ 1997, S. 115 ff.; 116 Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge 2002, Heft 4, S. 22 ff.; 23; vgl. Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 322 Dietmar Schössler, Reiner Albert, Frank Kostelnik, Bericht über das EURO SIPLA-Pilotprojekt, in: Dietmar Schössler (Hrsg.), Clausewitz-Studien, Heft 1, 1999, S. 129 ff.; 132 Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006, S. 12 mr, Neue Kriege und Staatszerfall, in: Bernhard Chiari, Dieter H. Kollmer (Hrsg.), Wegweiser zur Geschichte. Demokratische Republik Kongo, Paderborn, München, Wien, Zürich 2006, S. 106 f.; 106 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 30; vgl. Richard H. Schultz Jr., Introduction to International Security, in: Richard R. Schultz, Jr., Roy Godson, George H. Quester, Security Studies for the 21st Century, Washington, London 1997, S. 43 ff.; 56 f. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 30 Christian Glatzl, Low Intensity Conflict: Zu Umfang und Inhalt eines sicherheitspolitischen Begriffes, in ÖMZ 1991, S. 46 ff.; 46
verdeckte Kampf, lokale Aufstände sowie der Terrorismus gezählt, den man aber zusehends als eine eigene Kategorie begreift.1011 Insgesamt haben die Begriffsdeutungen, die sich auf das Thema politische Gewalt beziehen, Folgen für die Praxis westlicher Staaten, indem sie helfen, Bedrohungswahrnehmungen von Akteuren zu strukturieren und in der Unordnung globaler Gewalt (vermeintliche) Ordnung zu stiften.1012 Ein gemeinsamer Bezugspunkt dieser unterschiedlichen Begriffe könnte in der Annahme begründet sein, dass sich das Kriegsgeschehen von der staatlichen Ebene „nach unten“ verlagert hat und es sich insofern zumeist um Konflikte handelt, in denen zumindest auf einer Seite nichtstaatliche Akteure beteiligt sind.1013 Dementsprechend wurde oftmals auch auf den Begriff des Krieges überhaupt verzichtet.1014 Carl Schmitt sprach gar vom „diskriminierenden Kriegsbegriff“1015 und machte deutlich, dass man den Krieg nicht dadurch aus der Welt schaffen kann, indem man ihn eine „von Schlachten größeren oder kleineren Umfangs begleitete friedliche Maßnahme“ nennt und dies als „rein juristische Definition des Krieges“ bezeichnet.1016 Die Ächtung des Krieges hatte in erster Linie die europäischen Staaten getroffen als Verbot der Landnahme und der Eröffnung des klassischen Staatenduells; in jedem Fall hat sie die Unterscheidung des Angreifers vom Verteidiger vorausgesetzt, ebenso aber die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen politischen und militärischen Zielen, zwischen Front und Hinterland, zwischen kämpfender Truppe und Zivilbevölkerung, zwischen öffentlichem und privatem Eigentum.1017 Auf der anderen Seite wird davon ausgegangen, dass bis zum Ende des Ost-WestGegensatzes die Aufrechterhaltung der Symmetrie und der Verzicht darauf, zeitweilig entstandene Asymmetrien mit Strategien der systematischen Asymmetrierung zu beantworten, durch die Anstrengungen der Akteure System stabilisierend ausgeglichen wurden.1018 Dabei hatte es zwischen 1945 und 1995, also in der Phase der „strategischen Stabilität“1019, weltweit ca. 190 Kriege gegeben, an denen 105 Staaten beteiligt waren bzw. noch sind,1020 und 1997 waren in keinem der 25 bewaffneten Konflikte auf beiden Seiten Staaten als Konflikt1011 1012 1013
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Dietmar Schössler, Reiner Albert, Frank Kostelnik, Bericht über das EURO SIPLA-Pilotprojekt, in: Dietmar Schössler (Hrsg.), Clausewitz-Studien, Heft 1, 1999, S. 129 ff.; 132 vgl. Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 11 Andreas Herberg-Rothe, Privatisierte Kriege und Weltordnungskonflikte, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 47 ff.; 95 ff.; 95; vgl. Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 152; vgl. Tine Stein, Islamistischer Terror und die Theorie des Kleinen Krieges, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 167 ff.; 168 f. Barbara Merker, Die Theorie des gerechten Krieges und das Problem der Rechtfertigung von Gewalt, in: Dieter Janssen, Michael Quante (Hrsg.), Gerechter Krieg. Idengeschichtliche, rechtsphilosophische und ethische Beiträge, Paderborn 2003, S. 29 ff.; 33 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 2. Aufl., Berlin 1998 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 6. Aufl. Berlin 1998, S. 30 Rüdiger Altmann, Der Feind und der Friede, in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 413 ff.; 415 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002, S. 122 Lothar Rühl, Strategische Stabilität und die politische Dimension militärischer Macht, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 505 ff.; 505 Rüdiger Dingemann, Einführung, in: Rüdiger Dingemann, Westermann Lexikon, Krisenherde der Welt. Konflikte und Kriege seit 1945. Daten, Fakten, Hintergründe, Braunschweig 1996, S. 7
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parteien beteiligt.1021 Der rechtliche Bann gegen den Krieg vermochte also den Krieg weder als eine in der Politik zu berücksichtigende Gefahr auszuschließen, noch die faktische Austragung bewaffneter Konflikte völlig zu verhüten.1022 Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Welt mit jährlich etwa 40 gewaltsam ausgetragenen Konflikten in und zwischen Staaten konfrontiert, denen die verschiedensten politischen, ökonomischen, ethnischen oder religiösen Ursachen und Anlässe zugrunde liegen.1023 In den meisten bewaffneten Auseinandersetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren somit keineswegs überwiegend organisierte staatliche Akteure beteiligt, vielmehr sind in der größten Zahl, zumindest auf einer Seite, nichtstaatliche Akteure Konfliktpartei.1024 Die Konflikte sind somit nach dem OstWest-Antagonismus nicht zum Erliegen gekommen, sie bestehen vielmehr fort, gewinnen an Intensität, und Konflikte, die nur als Erscheinungsformen des Kalten Krieges wahrgenommen wurden, zeigen sich heute als interne Konflikte, deren Gewaltdynamik im Wesentlichen von lokalen Determinanten bestimmt wird.1025 Insofern wird auch kritisiert, dass, ob eine gewaltsame Auseinandersetzung als Krieg bezeichnet wird, in der Praxis von politischen Interessen, rechtlichen Interpretationen und / oder ideologischen Standpunkten, wissenschaftliche Erkenntnisinteressen, fachlichen Betrachtungsweisen und Untersuchungsmethoden abhängig ist.1026 In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zutreffender Weise die Ansicht vertreten, dass die begriffliche Lücke, die der Verzicht auf den Kriegsbegriff hinterlässt, nun durch andere Begrifflichkeiten gefüllt werde, nicht aber die Gewalt zwischen oder innerhalb von Staaten verschwunden sei.1027 Hier scheint eher das Gegenteil der Fall; allerdings geht eine Reduzierung auf das Vorhandensein auf Begrifflichkeiten am Kern des Problems vorbei. Die Verschiebung der Begriffe bzw. die Änderung derselben oder das Ausweichen auf eine andere Terminologie hat dazu geführt, dass bestimmte Sachverhalte nicht mehr unter den völkerrechtlich einschlägigen Tatbeständen subsumiert werden. Damit kommt es zu einer Ausuferung der Erscheinungen. Es wurde also nicht bewirkt, die Anwendung von Gewalt aus der Völkerrechtswirklichkeit zu verbannen; vielmehr hat sich im Gegenteil gezeigt, dass mit dem Versuch, den Krieg zu ächten und das ius ad bellum zu beschränken, das ius in bello immer häufiger und immer intensiver missachtet wird.1028 Neben die Form des klassischen zwischenstaatlichen Krieges, der zunehmend moralisch, rechtlich und politisch eingefriedet wird, tritt eine Art internationales Fehde-
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Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 1204 Ulrich Scheuner, Krieg als Mittel der Politik im Lichte des Völkerrechts, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 159 ff.; 167 Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 199 vgl. Klaus Schlichte, Neue Kriege oder alte Thesen? Wirklichkeit und Repräsentation kriegerischer Gewalt in der Politikwissenschaft, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 111 ff.; 114 Francois Jean, Jean-Christophe Rufin, Vorwort, in: Francois Jean, Jean-Christophe Rufin (Hrsg.), Ökonomie der Bürgerkriege, 1. Aufl., Hamburg 1999, S. 7 ff.; 7 Klaus Jürgen Gantzel, Krieg, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1996, S. 372 ff.; 372 Barbara Merker, Die Theorie des gerechten Krieges und das Problem der Rechtfertigung von Gewalt, in: Dieter Janssen, Michael Quante (Hrsg.), Gerechter Krieg. Idengeschichtliche, rechtsphilosophische und ethische Beiträge, Paderborn 2003, S. 29 ff.; 33 Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tüb ingen 1975, S. 40
recht.1029 Damit werden heute aber oftmals nicht einmal die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die im Mittelalter für die Fehde vorgeschrieben waren.1030 4.2.3.3.3
Zweck, Mittel, Rationalität
Die neuen Konfliktlagen und die Formen ihrer gewaltsamen Austragung erscheinen uns häufig als unverständlich und unverstehbar. Hintergrund und Austragungsmodus gewaltsamer Auseinandersetzungen entsprechen oftmals nicht dem zivilisierten (westlichen) Menschen- und Kriegsbild. Die „neuen Kriege“ sind gekennzeichnet durch den Verfall von Staatlichkeit und das Überhandnehmen privatisierter Gewalt, das Auftreten scheinbar längst der Vergangenheit angehörender Waffenträger wie Söldner, Kindersoldaten und Warlords sowie durch Kämpfe um Identität, Bodenschätze und grundlegende existentielle Ressourcen, wobei das äußere Kennzeichen der „neuen Kriege“ das vermehrte Auftreten irrational scheinender exzessiver Gewalt, Massakern oder das Umschlagen von nachbarschaftlichen Beziehungen in den „Kampf aller gegen alle“ in ethnisch überformten Konflikten ist.1031 Hierzu wird ausgeführt, dass die Anwendung von Gewalt nicht mehr einer begrenzten Rationalität folgte, sondern unbegrenzt und umfassend in einer „nihilistischen Gewaltanwendung“ sich vor allem gegen zivile Ziele richte.1032 Es ist dabei oftmals von gesinnungsloser, sinnloser oder gar irrationaler Gewaltanwendung die Rede,1033 wobei die Irrationalität durch die Verachtung der gesellschaftlichen Ordnung und die grundsätzliche Leugnung des Wertes menschlichen Lebens in ihrer dunkelsten Form in den Alltag einbreche.1034 Gleichzeitig wird behauptet, dass die Zweck-Mittel-Rationalität der symmetrischen Kriege eingebüßt sei.1035 Dabei ist zu beachten, dass sich die irrational erscheinenden Gewaltformen unter Umständen nur für das Gegenüber, den Gegner oder das Opfer, oder den Außenstehenden Beobachter als nicht-rational darstellt. Fraglich könnte hier sein, ob das Verständnis von „Ratio“1036 hier überall dasselbe ist. Hier wird möglicherweise übersehen, dass die
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Henning von Sandrart, Deutschland und die Bundeswehr im veränderten strategischen Umfeld, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker (Hrsg.), Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 111 ff.; 113 Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975, S. 40 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 8 Thomas Pankratz, Tibor Benczur-Juris, Asymmetrie in der Symmetrie: Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation von Nachrichtendiensten am Beispiel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus im Rahmen der Europäischen Union, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 53 ff.; 55 vgl. Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force. Military Power and International Politics, Oxford 1999, S. 70 ff.; 71; vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 14 ff. Christian Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, in: DÖV, 2006, S. 357 ff.; 357 Josef Schröfl, Asymmetrie und Ökonomie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 69 ff.; 70 Nach unserem Verständnis bedeutet „Ratio – rational“ Vernunft, Verstand – vernünftg, aus der Vernunft stammend, von der Vernunft bestimmt. (vgl. Duden, Das Fremdwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim, Wien, Zürich 1982, S. 650)
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Gewalt aus einer Rationalität1037 angewendet wird, die nicht dem christlich-abendländischen, von Humanismus und Aufklärung geprägten europäischen Menschen- und Weltbild entspricht, aber durchaus im Vorstellungsbild und in der planerisch-operativen Zielsetzung auf strategische Ziele eine Rationalität aufweisen kann und aus dieser Sicht einem (anderen oder gar eigenen) Vernunftverständnis entspricht. Die Anschläge auf Hilfsorganisationen1038 und die VN in Krisengebieten stehen dafür. Die humanitäre Hilfe und die Hilfe zum (Wieder-) Aufbau ziviler Infrastrukturen werden als feindlich angesehen, da eine Linderung der Not und eine Normalisierung des täglichen Lebens auch die – möglicherweise fragile staatliche – Ordnung stabilisieren. Diese Stabilisierung widerspricht aber oftmals den widerstreitenden Interessen, welche auf Instabilität ausgerichtet sind, da die Instabilität und das Chaos Grundlage der eigenen Existenz und Macht ist. Insbesondere der Anschlag auf das IKRK in Bagdad im Jahre 2002 kann als Indiz hierfür herangezogen werden. Das IKRK ist nach seiner Idee, seinem „Code of Conduct“ nach und in der Wahrnehmung der Internationalen Gemeinschaft und der Weltöffentlichkeit, die unabhängigste und überparteilichste Institution überhaupt. Eine Attacke auf dieses Symbol bedeutet, dass man auch die Leistung dieser Organisation als feindlich einstuft, weil sie den eigenen Interessen zuwiderlaufen. Durch das Negieren der Neutralität wird diese faktisch zerstört, da eine neutrale Hilfe, die unbeeinflusst von Macht- und Interessen wirken kann, unmöglich gemacht wird. Die Störung der Aktivitäten oder gar die Vernichtung von Menschenleben dieser konkreten Institution sind das Ziel; die Auswirkungen auf die Stellung und das entsprechende Verhalten auch anderer Organisationen und Institutionen, die wegen der Abschreckungswirkung ihre Aktivitäten vermindern, einschränken oder gar einstellen, sind der Zweck. Dazu nutzen die Akteure die Anwendung von Gewalt gegen das „System“ von außerhalb des „Systems“, ohne dass die Regeln des „Systems“ Anwendung finden.1039 Demzufolge sind derartige Aktionen aus der Sicht der Handelnden durchaus als rational zu bewerten. Gleichzeitig sind es Handlungen von strategischer Bedeutung, die auf entsprechenden Auswirkungen abzielen. Die Zweck-Mittel-Rationalität erfolgt mithin von einem anderen Standpunkt und aus einer anderen Perspektive, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik.
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„Rationalität - rationell“ hat neben der Beziehung zur Vernunft auch einen mathematischen, berechnenden Bezug. (vgl. Duden, Das Fremdwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim, Wien, Zürich 1982, S. 650) Somit wird auch deutlich, dass die Schutzwirkung völkerrechtlicher Schutzzeichen auf Grund des Verhaltens der Irregulären Kräfte nicht umfassend gewährleistet ist. (vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 15) Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force. Military Power and International Politics, Oxford 1999, S. 70 ff.; 75
4.2.3.3.4 4.2.3.3.4.1
Kleiner Krieg Kriegsbegriff und Kriegsbild
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Kriege im möglichen Wirkungsbereich nuklearer und höchstentwickelter Waffen als „unführbar“ gehalten.1040 Mit der Unwahrscheinlichkeit eines allgemeinen Krieges im Ost-West-Gegensatz war nicht etwa jede gewaltsame Auseinandersetzung zwischen den Völkern verschwunden.1041 Dieses atomare Patt und das angenommene „Ende des konventionellen Krieges“ hatte für Irreguläre keine Geltung.1042 Der kleine oder revolutionäre Krieg gewann zunehmend an Bedeutung, weil der große Krieg durch das Vorhandensein drohender Massenvernichtungswaffen eher „blockiert“ zu sein schien.1043 Indem der „kleine“ Krieg den „großen“ Krieg allmählich verdrängte, schien es so, als ließe das Gewaltanwendungsverbot des modernen Völkerrechts einerseits und die atomare Drohung anderseits die Menschen auf einen Krieg ausweichen, der sich weitgehend außerhalb der Normen des Völkerrechts abspielt.1044 Insofern erschienen Atombombe1045 und Kleiner Krieg als die beiden Dominanten im Bereich drohender oder tatsächlicher bewaffneter Auseinandersetzungen.1046 Dazwischen hatte man ein Kriegsbild entwickelt, das sich in vielfältigen Formen präsentierte: Diese Formen spannten sich vom Atomkrieg, der einen Dominante als dem einen Extrem eines unkonventionellen Krieges, über den so genannten nichtatomaren Krieg, in dem wiederum verschiedene Möglichkeiten dadurch entstehen, dass der Einsatz atomarer Kampfmittel von einem gewissen Zeitpunkt ab möglich oder wahrscheinlich wird oder vollkommen unwahrscheinlich ist, bis zu dem wiederum anderen unkonventionellem Extrem, der anderen Dominante, dem Kleinkrieg1047 als dem anderen Extrem, dem subversiven Krieg, der keine geschlossenen militärischen 1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046
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Rolf Friedemann Pauls, Der umfassende Strategiebegriff der Gegenwart, in: Gerhard Fels, Rainer Huber, Werner Kaltefleiter, Rolf F. Pauls, Franz-Joseph Schulze (Hrsg.), Strategiehandbuch Bd. 1, Herford, Bonn 1990, S. 67 ff.; 68 Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 1; vgl. Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 7 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 20 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 8 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986, S. 11 Zur Entwicklung der nuklearen Strategien während des Kalten Krieges vgl. auch Lawrence Freedman, The First two Generations of Nuclear Strategists, in: Peter Paret (Hrsg.), Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Princeton, New Jersey 1986, S. 735 ff.; Werner Hahlweg, Typologie des modernen Kleinkrieges, Wiesbaden 1967, S. 7; vgl. Herbert Schwab, Irreguläre Kombattanten als Kriegsgefangene. Die Rechtslage unter Berücksichtigung der derzeitigen Neubestätigung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Der Stand nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 20 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 12; vgl. Harry G. Summers Jr., On Strategy. A Critical Analysis of the Vietnam War, Novato, 1982, S. 71 ff.; Hoch weist darauf hin, dass diese Form der gewaltsamen Auseinandersetzung sowohl bereits in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg wie parallel zum zwischenstaatlichen Krieg in der Zeit nach 1648 präsent war und ist. (vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18) Zu den strategischen Überlegungen vor dem Hintergrund der kriegerischen und bewaffneten Auseinandersetzungen während des Kalten Krieges bis in die 1980er Jahre vgl. auch Michael Carver, Conventional Warfare in the Nuclear Age, in: Peter Paret (Hrsg.), Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Princeton, New Jersey 1986, S. 779 ff.
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Großverbände kennt oder in dem jedenfalls der militärische Großverband nicht mehr die entscheidende Rolle spielt.1048 Diese Art der Kriegführung hat man auch als „einen totalen Krieg in begrenzten Ausmaße“ bezeichnet.1049 Dementsprechend ging man davon aus, dass, wenn es zu Kriegshandlungen zwischen Staaten kommen sollte, diese anders geführt würden als in vergangenen Kriegen; diese möglicherweise weitgehend irregulären Charakter trügen und damit der irregulären Kriegführung im verstärkten Maße Raum geben.1050 Dabei könnten die verschiedenen Formen des Krieges nebeneinander, hintereinander und möglicherweise in verschiedener Reihenfolge zur Anwendung gelangen.1051 Der Kleinkrieg wurde insofern sowohl als Alternative als auch Ergänzung anderer Kriegsformen betrachtet. Somit hat sich das Kriegsbild grundlegend gewandelt; das Spektrum militärischer Konflikte hatte sich von großen konventionellen Kriegen zwischen regulären Armeen souveräner Staaten zu Kriegsformen verschoben, die Guerillataktik und Terrorismus gleichermaßen umfassen, und der bewaffnete Kampf zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren war als Kleiner Krieg die dominierende Form des militärischen Konfliktes geworden.1052 4.2.3.3.4.2
Begriff des „Kleinen Krieges“
Zunächst einmal ist die Bezeichnung „Kleiner Krieg“ „schwammig“ und das Ringen um Begriff und Regelhaftigkeit des Kleinen Krieges spiegelt sich in der Literatur wider1053 und geht somit einher mit den Erfahrungen auf dem Gefechtsfeld und der praxisbezogenen Entwicklung von Einsatzgrundsätzen. Anna Geis verortet die Typologien des Kleinen und
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Friedrich August Freiherr von der Heydte, Strategie als Wissenschaft, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 37 ff.; 40 George A. Kelly, Revolutionskrieg und psychologisches Handeln, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 561 ff.; 561 Günther Moritz, Völkerrechtliche Fragen des „Verdeckten Kampfes“, in: Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 29 ff.; 29; vgl. Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 9; vgl. George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 531; vgl. Rajo Tanaskovich, Modern Weapons and Partisan Warfare, in: Military Review Nr. 7, 1962, S. 25 ff. vgl. August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 12; vgl André Beaufre, Schlachtfelder von 1980, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 25 ff.; vgl. General Beaufre, Abschreckung und Strategie, Frankfurt am Main, Berlin 1966, S. 32 f. Christopher Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung. Wie konventionelle Kriegführung die internationale Politik verändert, Baden-Baden 1999, S. 11 f.; vgl. Herfried Münkler, Ist Krieg abschaffbar?, in: Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege enden. Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn, Wien, München, Zürich 2002, S. 347 ff.; 357; vgl. Dario Azzellini, Boris Kanzleiter, Einleitung, in: Dario Azzellini, Boris Kanzleiter (Hrsg.), Das Unternehmen Krieg. Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung, Berlin, Hamburg, Göttingen 2003, S. 7 ff.; 7; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 22; vgl. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 75 Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 81
des Großen Krieges in der Art der Vergesellschaftungsform der Kriegführenden.1054 Für sie bezeichnet der Große Krieg die Konfliktstruktur zweier gleichartig vergesellschafteter Kriegsakteure: Staatliche Akteure kämpfen gegen andere staatliche Akteure.1055 Dagegen beschreibt Geis den Kleinen Krieg als asymmetrische Konfliktstruktur zwischen ungleich vergesellschafteten Akteuren: Staatliche Kombattanten treffen auf nichtstaatliche Kämpfer, woraus eine unkonventionelle Kriegführung resultiere.1056 Geis erkennt in ihrer Abhandlung zwar, dass der Kleine Krieg seit langem eine Begleiterscheinung des Großen Krieges darstellt und verweist auch richtigerweise unter anderem auf Ausführungen von Clausewitz zu diesem Thema1057, sie verkennt jedoch, dass ebenso gerade Clausewitz den Kleinkrieg neben den Großen Krieg stellt und ihn insofern in unmittelbaren Zusammenhang und nicht als völlig losgelöste und unabhängige Alternative sieht. Im Einzelnen entwirft Clausewitz somit eine taktisch-organisatorische Darstellung des Kleinkrieges, in welcher er Erfahrungen aus der Geschichte neben solchen seiner Zeit zugrunde legt.1058 Clausewitz definiert den Kleinen Krieg als „den Gebrauch kleiner Truppenabteilungen im Kriege. Gefechte von 20, 50, 100, oder 300, 400 Mann gehören, wenn sie nicht Teil eines größeren Gefechtes sind, in den kleinen Krieg.“1059 Mit dieser Definition setzt Clausewitz zunächst die relative Zahl der Kämpfer im Verhältnis zum „Großen Krieg“ und nicht Erscheinungsformen und Einsatzgrundsätze in das Zentrum. Dabei heißt „Kleinkrieg“ im modernen Verständnis zunächst einmal der Krieg mit der „kleinen Waffe“, also mit Maschinenpistole, Handgranate, Sprengstoff und Mine, und ist die taktische Form des Kampfes Irregulärer Kräfte.1060 Eine andere Meinung in der Literatur will den Kleinkrieg nur als „Negation“ in den Zusammenhang von Krieg und Staatsformation stellen: „bewaffneter Kampf aber nicht Krieg.“1061 Begründet wird dieses damit, dass der Krieg historisch und soziologisch auf das engste verknüpft sei mit arbeitsteiliger Spezialisierung und dem Erwerb, der Erhaltung und dem Verlust von Herrschaft und so von Krieg nur als Funktion militärischer Organisation von Herrschaft gesprochen werden könne; die Kleinkriegsführung aber gerade durch die Abwesenheit, die Negation von militärisch hierarchischer Organisation gekennzeichnet 1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060 1061
vgl. Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 21 Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 21 Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 21 vgl. Anna Geis, Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 9 ff.; 21 Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 351 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 47 vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 2 f.; vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 79 Ekkehart Krippendorf, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt am Main, 1985, S. 157
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sei.1062 Diese Ansicht ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: Zum einen kann auch sie nicht den Begriff des Krieges vermeiden. Es besteht hier also bereits eine terminologische Nähe zum Kriegsbegriff. Zum anderen ist das Argument der Ablehnung von hierarchischmilitärischer Organisation – wie noch an den Beispielen von Mao Tsetung und Che Guevara zu zeigen sein wird – schlicht falsch; auch Irreguläre Verbände benötigen – zumindest auf taktischer Ebene - hierarchische Organisationsformen, wenn sie in der Durchführung ihrer Organisationen erfolgreich sein wollen. Diese Notwendigkeit wird zwar von der hier dargestellten Auffassung erkannt, die inneren Widersprüche aber in dialektischer Weise dahingehend aufgelöst, dass der „Guerillakrieg … Volks- bzw. Volksbefreiungskrieg … [und damit] … Gegen-Krieg [sei]“.1063 Die Bedeutung des Kleinkrieges als Volkskrieg ist hier erkannt und deckt sich folglich mit den Erkenntnissen Clausewitz’. Die Qualifikation und die damit verbundene legitimatorische Rechtfertigung wird aber nur konstruiert. Insofern ist diese Meinung wegen ihrer ideologischen Dialektik, welche die inneren Widersprüche nicht zu verbergen weiß, abzulehnen. Das Problem des Kleinkrieges als Mittel der Politik wurde insofern um so drängender, je mehr die Existenz der atomgerüsteten Militärblöcke einen großen, auch einen begrenzten Krieg1064 herkömmlichen Musters aus Gründen der Eskalation praktisch ausschloss1065 und der moderne Kleinkrieg als Hauptkriegstyp im strategischen Denken eine große Rolle spielte.1066 Diese bewaffneten Auseinandersetzungen, die oftmals durch indirekte Beteiligung anderer Staaten – sei es aus ideologischen Gründen oder zur Wahrung ihres Einflusses – einen internationalen Charakter unterhalb der Schwelle des nuklearen Gleichgewichtes gewannen und ihre Beschränkung mehr aus der politischen Lage als aus der Einwirkung der Vereinten Nationen erfuhren.1067 Der Bereich des subkonventionellen Krieges und der Konflikte niedriger Intensität liegt jenseits des Spektrums des unbegrenzten oder totalen Krieges.1068 Damit entwickelte sich der Kleinkrieg nach 1945 zu einer selbstständigen Kampfform und modifizierte die archaische Kampfweise der Jägerstämme aus der frühen Neuzeit, indem der aus dem Hinterhalt geführte Überfall nicht nur mit selbst gebastelten, sondern mit höchst wirkungsvollen modernen Handfeuerwaffen geführt wurde.1069 Und Werner Hahlweg warf bereits in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die Frage auf, ob nicht der Kleine Krieg mehr oder weniger allen künftigen militärischen Auseinanderset1062 1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069
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Ekkehart Krippendorf, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt am Main, 1985, S. 157 Ekkehart Krippendorf, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt am Main, 1985, S. 157 Zur Strategie des begrenzten Krieges zu Anfang der 1960er Jahre vgl. Henry A. Kissinger, Begrenzter Krieg: Konventionelle oder Kernwaffen? Eine Neueinschätzung, in: Donald G. Brennan, Uwe Nerlich, Strategie der Abrüstung. Achtundzwanzig Problemanalysen, Gütersloh 1962, S. 156 ff. Werner Hahlweg, Vorwort, in: Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 7 ff.; 7; vgl. Frank S. Rödiger, Zur deutschen Ausgabe, in: Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart-Degerloch, 1974, S. 7 ff.; 7 f. Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 21; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 2; vgl. Alfred H. Paddock, US Army Special Warfare. Its Origins, o. OA. 2002, S. 1 vgl. Ulrich Scheuner, Krieg als Mittel der Politik im Lichte des Völkerrechts, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 159 ff.; 179 Heinz Kozak, Zur Theorie des Begrenzten Krieges, in: ÖMZ 1993, S. 129 ff.; 134 Horst Günter Tolmein, Aufmarsch gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die militärische Feindlage zwischen Ost und West, Landshut 1976, S. 88 f.
zungen das Gepräge leihen werde, dass er dazu zwinge, die Relation von Politik, Krieg und Friedensordnung, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik neu zu durchdenken,1070 und der Kleinkrieg wies den Weg, Gewaltanwendung als Mittel der Politik wirksam zu praktizieren.1071 Die nahe liegende Verpflichtung, den großen, unbegrenzten Krieg mit Atomwaffen ebenso zu vermeiden wie den konventionellen oder begrenzten Krieg konnte freilich nicht den Verzicht auf gewaltsame Auseinandersetzungen überhaupt bedeuten, ergaben sich doch immer wieder Konflikte im Bereich des politischen, sozialen und ökonomischen Lebens, die nach gewaltsamen Lösungen drängten.1072 Wenn der konventionelle Krieg unmöglich war, fand man andere, weniger riskante Möglichkeiten der Konfliktaustragung.1073 Dieser Gestaltwandel vom „klassischen“ (jedenfalls für die europäische Neuzeit kennzeichnenden) Staatenkrieg zum Kleinkrieg hat einen Konflikttypus entstehen lassen, der durch seinen ideologisch-revolutionären Charakter als „langandauernder Kampf“ mit dem Kalkül des indirekten Vorgehens und verminderter Risiken gekennzeichnet war.1074 Neu war für Hahlweg der Kleinkrieg kaum in seiner Erscheinungsform als Kampfweise kleiner, auf sich gestellter, zerstreut fechtender Einheiten; neu war er für ihn indes im Hinblick auf Breite und Tiefe der dabei aus dem politischen und sozialen Raum aufgebotenen Kräfte, bei denen der Unterschied zwischen Militär und Zivil praktisch verschwand.1075 In diesem Sinne war auch für Carl Schmitt mit dem Kalten Krieg eine Situation erreicht, in der der Partisan von einer bloßen Randfigur des „Irregulären“ der klassischen Kriegführung, wenn nicht zu einer zentralen, so doch zu einer Schlüsselfigur der weltrevolutionären Kriegführung geworden war.1076 Und für Gustav Däniker eröffnete der „Terrorismus“ sogar die Möglichkeit der zukünftigen Form globaler Konfliktführung.1077 Tatsächlich haben sich auch westliche Demokratien in Kleinen Kriegen und Konflikten unterhalb der Kriegsschwelle engagiert.1078 4.2.3.3.5
Das Wesen des Kleinkrieges
Bereits früh hat man sich immer wieder mit dem Phänomen des Kleinkrieges im Hinblick auf die Zukunft auseinandergesetzt und erkannt, dass es sich um ein ganz ausgeweitetes 1070 1071
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Werner Hahlweg, Typologie des modernen Kleinkrieges, Wiesbaden 1967, S. 5 f.; vgl. Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 504 Werner Hahlweg, Vorwort, in: Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 7 ff.; 7; vgl. Basel Henry Liddell Hart, Strategy, 2. Aufl., London 1991, S. 363; vgl. David V. Nowlin, Ronald J. Stupak, War as an Instrument of Policy. Past, Present and Future, Lanham, New York, Oxford 1998, S. 1 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 501 vgl. Charles W. Thayer, Guerillas und Partisanen. Wesen und Methodik der irregulären Kriegführung, München 1963, S. 12 vgl. Klaus Hornung, Streitkräfte im politisch-revolutionärem Krieg, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.), Der Soldat. Dienst und Herrschaft der Streitkräfte, Freiburg, Basel, Wien 1981, S. 60 ff.; 64 Werner Hahlweg, Guerilla. Krieg ohne Fronten, Berlin 1968, S. 15 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 6. Aufl., Berlin 1996, S. 18 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 31 Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 3
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Gebiet einer besonderen Art der Kriegführung mit vielfältig wechselnden Erscheinungsformen handelt.1079 Das Wesen des Kleinkrieges scheint zu verwirren und weist in seinen Beschreibungen immer wieder Widersprüche auf: Die Prinzipien des Kleinkrieges sind wie die des regulären Krieges unwandelbar1080 und für den Kleinkrieg gibt es keine festen Regeln.1081 Auch wenn der Begriff des Kleinkrieges als „… notwendigerweise elastischer inexakter Terminus“1082 gebraucht wird, gilt es, diesen Gegensatz aufzulösen. Denn es ist ebenfalls früh festgestellt worden, dass die Ereignisse, so verschiedenartig sie sein mögen, immer wieder im Entstehen, dem Verlauf und den Folgen häufig Übereinstimmungen zeigen, aus denen Nutzen für die Zukunft gezogen werden kann.1083 Die wichtigsten Wesensmerkmale des modernen Kleinkrieges ergeben sich bereits aus seiner Bezeichnung. Zum einen handelt es sich eindeutig um einen Krieg, wobei unter diesem herkömmlichen Begriff hier jede bewaffnete Auseinandersetzung gemeint sein soll; zum anderen ist dieser Krieg klein. Diese Eigenschaft beruht in erster Linie auf den Umfang der im Konflikt beteiligten Parteien und Kampfmittel.1084 Daher sind die Teilnehmer am modernen Kleinkrieg nicht Großverbände, sondern kleine und kleinste Aktionsgruppen, die den Erfolg nicht in großen Schlachten, sondern auf Grund vieler Einzelaktionen suchen.1085 Der Kleinkrieg heutiger Prägung unterscheidet sich einmal durch verfeinerte Kampfmethoden, durch leicht transportable Kampfmittel von hoher Feuerkraft und zum anderen folgt der Unterschied aus einer anderen Zielsetzung seiner Akteure.1086 Wesen des Kleinkrieges sind ständige und anhaltende Flexibilität und die umfassende Fähigkeit zur Improvisation. Im Verlauf des modernen Kleinkrieges sind gewaltsame Einzelakte die Regel.1087 Die Operationen richten sich nicht nach den sonstigen militärischen Grundsätzen, denn während letztere die Kon1079 1080 1081 1082 1083 1084
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Friedrich von Ditfurth, Betrachtungen über den kleinen Krieg 1870/71, in: Beiheft zum MilitärWochenblatt 1898, Heft 10, S. 1 ff. Virgil Ney, Guerillakriegführung und moderne Strategie, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 60 ff., 63 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 26; vgl. Eike Middeldorf, Handbuch der Taktik für Führer und Unterführer, Berlin, Frankfurt am Main 1957, S. 447 Max Boot, Small Wars and the Rise of American Power. The Savage Wars of Peace, New York 2003, S. xvi Friedrich von Ditfurth, Betrachtungen über den kleinen Krieg 1870/71, in: Beiheft zum MilitärWochenblatt 1898, Heft 10, S. 1 ff.; 1 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 73 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 73; vgl. Friedrich August von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Würzburg 1972, S. 18 Herbert Schwab, Irreguläre Kombattanten als Kriegsgefangene. Die Rechtslage unter Berücksichtigung der derzeitigen Neubestätigung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Der Stand nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 21 Herbert Schwab, Irreguläre Kombattanten als Kriegsgefangene. Die Rechtslage unter Berücksichtigung der derzeitigen Neubestätigung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Der Stand nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 8
zentration der Kräfte und Mittel an der Kampf entscheidenden Stelle erstreben, suchen die Irregulären durch Einzelaktionen eine möglichst große Aufsplitterung der Kampftruppen zu erreichen.1088 Die Zielsetzung der Kleinkriegführung kann in der Unterstützung von Operationen der regulären Truppe – als Begleiter des Großen Krieges 1089 – liegen.1090 Genau hierin wird die besondere Wirkung gesehen, wenn der Einsatz der Kleinkriegskräfte systematisch und koordiniert mit den Hauptkräften geführt wird.1091 Die Kleinkriegführung wird weiterhin dann gewählt, bevor die regulären Kräfte aufgestellt sind, wenn die regulären Kräfte vernichtet sind oder wo diese nicht operieren können.1092 Zudem kann die Zielsetzung die Entfesselung einer nationalen Erhebung sein, um eine feindliche Besatzung zu beenden oder die eigene Regierung zu beunruhigen, zu schwächen und letztendlich zu stürzen.1093 Diese Art der Kriegführung birgt daher politische und militärische Konsequenzen in sich.1094 Die politische Aufgabe ist die Entfesselung eines allgemeinen Volksaufstandes, die militärischen Aufgaben liegen in der mittelbaren und oft unmittelbaren Unterstützung der eigenen sowie der Behinderung der feindlichen Kampfführung.1095 Dazu kommt noch eine wirtschaftliche Aufgabe mit dem Ziel, dem Feind weitgehend die Hilfsmittel des Landes zu entziehen und dem eigenen Kampf nutzbar zu machen.1096 Ein vollständiger militärischer Sieg kann mit Kleinkampfhandlungen nicht errungen werden; sie sind insofern die erste Phase des Kampfes und gewinnen im Zuge der Entwicklung an Bedeutung, mit der die irreguläre Truppe einen regulären Status erhält und damit zu entscheidenden Angriffen und somit zum Sieg befähigt ist.1097 In Bezug auf seine strategische Bedeutung erinnert diese Einschätzung an Mao, der – wie oben ausgeführt – ebenfalls dafür plädiert hat, zur Erreichung des endgültigen militärischen Erfolges nach Erreichung einer bestimmten militärischen Stärke von der Kleinkriegführung zur regulären Kriegführung überzugehen.
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Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 231 f. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 762 George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 532 Jobst Rohkamm, Zum Begriff des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Wehrkunde 1964, S. 377 ff.; 379; vgl. Jobst Rohkamm, Zum Problem des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Spuren und Motive, Heft 78/79, 1989, S. 7 ff.; vgl. J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 601 Samuel P. Huntington, Der Guerillakrieg in Theorie und Politik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 17 ff.; 19 vgl. George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 532 Frederick Wilkins, Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 30 ff.; 30 Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 231; vgl. Eike Middeldorf, Handbuch der Taktik für Führer und Unterführer, Berlin, Frankfurt am Main 1957, S. 445 Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 231 Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 451
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Für den Kleinkrieg ist also charakteristisch, dass er nicht von Armeen in mehr oder weniger geschlossenen, zentral gelenkten Formationen ohne eine feste Front geführt wird.1098 Er erfordert nur ein Minimum an Truppenstärke, aber er setzt ein Maximum an Beweglichkeit – in Zeit und Raum1099 – und Initiative voraus.1100 Der Irreguläre hat insofern zunächst die Initiative, als das er bestimmt, wann er den Krieg aufnimmt, und er bestimmt, wann und wo er zuschlägt; er zwingt somit seinen Gegenüber zu warten und währenddessen wachsam zu sein.1101 Seine Strategie wie auch seine Taktik könnten als die der Nadelstiche1102 bezeichnet werden, wobei es darum geht, einem an Zahl, Ausrüstung und Ausbildung überlegenen Gegner keineswegs frontal gegenüber zu treten, ihm aber doch keine Ruhe zu gönnen.1103 Schließlich, aber nur in letzter Linie hat der irreguläre Kampf das Ziel, die regulären Streitkräfte zu demoralisieren, indem er ihnen Verluste zufügt und in ihren Reihen den Eindruck erweckt, sie befänden sich ständig in einer entschieden feindlichen Umgebung und seien unfähig, den Gegner zu schlagen.1104 Es geht also niemals darum, einen allein entscheidenden Erfolg zu erringen, sondern zahlreiche kleine empfindliche Schläge auszuteilen.1105 Das Hauptbestreben der eingesetzten Kräfte ist daher auch auf die Störung, Belästigung, Zerstörung, Täuschung, Vernichtung physischer und materieller Werte und vor allem auf das Binden hochwertiger Kampftruppen des Gegners angelegt.1106 4.2.3.3.5.1
Verdeckter Kampf
Der Ausdruck „moderner Kleinkrieg“ beinhaltet als Oberbegriff sämtliche Phasen dieser Methode der Kriegführung, während der Begriff des „Verdeckten Kampfes“ für Schwab nur zur Bezeichnung einer Phase des modernen Kleinkrieges vertretbar erscheint, in der nach der Vorbereitungsphase der Übergang zu ersten vereinzelten Gewalttaten und dann weiter sich häufenden subversiven Aktionen vollzogen wird.1107 Der Verdeckte Kampf ist nach einem Definitionsansatz die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Irregulären Kräften und der legalen Staatsmacht, bei der der Angriff – möglichst unerkannt – von au-
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Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15 vgl. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 87 Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15 vgl. Robert Taber, War of the Flea. The Classic Study of Guerrilla Warfare, Washington D.C. 2002, S. 10 f. Diesen Begriff benutzt in dem Zusammenhang bereits Meckel in seinen Ausführungen über den Kleinen Krieg: „So sehr der Gegner seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit auf die großen Schläge gerichtet hat, mit denen er die Entscheidung herbeiführen will, so sehr kann er durch die überraschenden Nadelstiche des Kleinen Krieges beunruhigt und außer Fassung gebracht werden.“ (Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 763 f.) Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15 J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 537 Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 231 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 26; vgl. Eike Middeldorf, Handbuch der Taktik für Führer und Unterführer, Berlin, Frankfurt am Main 1957, S. 447 Herbert Schwab, Irreguläre Kombattanten als Kriegsgefangene. Die Rechtslage unter Berücksichtigung der derzeitigen Neubestätigung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Der Stand nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 24
ßen vorbereitet und nach einem bestimmten Operationsplan durchgeführt wird.1108 Das Angriffsziel bestehe darin, die legale Staatsmacht zu erschüttern und nach Möglichkeit zu stürzen, wobei der Verdeckte Kampf als selbstständige Erscheinungsform der Auseinandersetzungen oder als Vorstufe bzw. Begleiterscheinung des offenen Krieges zwischen Staaten geführt werden könne und in den meisten Fällen unter der Schwelle zum offenen Krieg bleibe.1109 Eine andere Definition stellt darauf ab, dass es das Ziel des „Verdeckten Kampfes“ sei, durch die Anwendung verdeckter Mittel und Methoden und mit irregulären Kräften eine Schwächung des Wehrpotenzials des Gegners zu erreichen.1110 Er sei somit kein offener Kampf zwischen Staaten.1111 Dem entspricht auch die Definition Vetscheras, nach der der Verdeckte Kampf eine Form der militärischen Auseinandersetzung darstellt, die als solche nicht erkannt werden sollte und die sich im Kontext einer möglichen militärischen Auseinandersetzung gegen die militärischen personellen und materiellen Kapazitäten eines potentiellen Gegners richtet und der damit bereits vor Beginn einer allfälligen militärischen Auseinandersetzung geschwächt werden soll.1112 Hierbei stellen Aktionen inhaltlich eigentliche Kriegshandlungen dar, die aber außerhalb einer aktuellen militärischen Auseinandersetzung gesetzt und daher tunlichst verschleiert werden, um nicht als solche erkannt zu werden.1113 Verdeckt kämpfende Kräfte sind nach einer weiteren Definition Angehörige einer fremden Streitmacht, die meist im Zusammenhang mit regulären Operationen oder zu deren Unterstützung in verdeckten Aktionen kämpfen, welche dann auf die Zerstörung militärischer und ziviler Schlüsselobjekte sowie gegen Schlüsselpersonen zielen, wobei das humanitäre Völkerrecht häufig missachtet wird.1114 Für von der Heydte ist wegen des verschleierten Charakters der Aktionen denn auch der verdeckte Kampf nicht wesentlich militärische Auseinandersetzung; die im Zuge des verdeckten Kampfes gesetzten Gewaltakte ließen sich somit meist auch nicht als Gefechtshandlungen deuten.1115 Der Verdeckte Kampf, der die Neigung des Angreifers zu einem hohen Maß an „Deckung“ in vielerlei Gestalt andeutet, wird auch als Ersatz-Kriegsform verstanden, die ebenso gut während eines laufenden Krieges stattfinden kann.1116 Der subversive Krieg, wie der Verdeckte Kampf auch bezeichnet wird, bildet als Zwischenstufe zwischen dem Kalten Krieg und der offenen militärischen Auseinandersetzung die gewaltsame Konfrontation
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Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 7 Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 7; vgl. Oskar Spengler, Der „Verdeckte Kampf“ – Die Kriegform der Zukunft?, in: ÖMZ 1964, S. 415 ff.; 415 Carl-Gideon von Clear, Erkenntnisse des verdeckten Kampfes für die Bundesrepublik Deutschland, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 65 ff.; 65 Carl-Gideon von Clear, Erkenntnisse des verdeckten Kampfes für die Bundesrepublik Deutschland, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 65 ff.; 65; vgl. Oskar Spengler, Der „Verdeckte Kampf“ – Die Kriegform der Zukunft?, in: ÖMZ 1964, S. 415 ff.; 415 Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 20 Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 20 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 154; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2503 ff. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 169 Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald?, Bremen 1964, S. 10 f.
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zwischen Irregulären Kräften und legitimer Staatsmacht.1117 Ziel des verdeckten Kampfes, der mittelbar oder auch unmittelbar bis hin zur offenen Intervention von außen unterstützt wird, ist es also, ein innenpolitisches Chaos als Voraussetzung für die Übernahme der Macht zu schaffen oder auszunutzen, und insofern kann er als selbstständige Form der Auseinandersetzung oder als Vorstufe einer offenen militärischen Konfrontation geführt werden.1118 In diesem Sinne wird der Verdeckte Kampf auch mit den Begriffen „subversiver Krieg“ und „moderner Kleinkrieg“ gleichgesetzt.1119 Dieser Definitionsansatz des Verdeckten Kampfes setzt voraus, dass der Konflikt unterhalb der Kriegsschwelle von fremden Staaten in das Land hineingetragen wird. Damit können nationale Befreiungsbewegungen, die nicht vom Ausland her unterstützt werden, nicht Träger des Verdeckten Kampfes sein. Gleiches gilt nach dieser Definition dem Wortlaut nach auch für Mächte, denen keine Staatenqualität zukommt. Somit könnte hier nicht der Verdeckte Kampf geführt werden. Es bliebe folglich nur die Alternative des Kleinen Krieges. Allerdings geht diese Definition des Verdeckten Kampfes noch vom klassischen Kriegsbegriff aus, der als Kriegsführungsberechtigte nur Staaten zulässt und berücksichtigt nicht, dass es – wie oben ausgeführt – eine zunehmende Tendenz gibt, auch andere Akteure als Kriegsparteien zuzulassen. Mithin erfährt das bisherige Recht in bewaffneten Konflikten weitere Auflockerungen und Erweiterungen, wie es das Kriegsrecht in der Vergangenheit immer wieder erfahren hat. Eine weitergehende Definition des Verdeckten Kampfes verzichtet auf die Verbindung bzw. die Steuerung des Kampfes durch eine fremde Macht bzw. aus dem Ausland. Nach dieser Definition ist unter „Verdecktem Kampf“ die unter Anwendung von Gewalt – insbesondere die Anwendung von Waffengewalt – erfolgenden Maßnahmen Irregulärer Kräfte zur Störung oder Beseitigung der legitimen Ordnungsgewalt innerhalb eines Gebietes zu verstehen und kann sich sowohl innerhalb eines Staatsgebietes gegen die legitime Staatsgewalt als auch innerhalb eines besetzten Gebietes gegen die Besatzungsmacht richten.1120 1117
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Hartmut Schmelt, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber (Hrsg.), Landkriegsführung: Operation, Taktik, Logistik, Mittel. Ein Handbuch, Osnabrück 1992, S. 205 ff.; 210; vgl. Wolfgang Gülich, Zur Bedeutung der „besonderen Formen“ gewaltsamer Auseinandersetzungen; ihre Wirkung in der kriegsvölkerrechtlichen Literatur, Führungsakademie der Bundeswehr, 14. Generalstabslehrgang H (71), Hamburg 1972, S. 3; vgl. Hans-Jürgen Wipfelder, Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Regensburg 1991, RN 1316; vgl. J. Pergent, „Achtung, Subversiver Krieg!“, in Wehrkunde 1961, S. 574 ff.; 574; vgl. Günter Ohme, Das Bild des subversiven Krieges, in: Wehrkunde 1963, S. 71 ff.; Schmelt sieht in dieser Kampfart zwar eine Bedrohung für die unmittelbar kämpfende Truppe und auch für die rückwärtigen Gebiete, glaubt aber, dass der Einfluss dieser Kräfte auf das Gefechtsfeld gering sei. Dabei übersieht er allerdings, dass alle Kriege und bewaffneten Konflikte der Gegenwart durch den Einsatz verdeckt operierender Kräfte vorbereitet werden. Dazu gehört u.a. die Aufklärung feindlicher Kräfte, die Aufklärung und Zielmarkierung von Objekten, die Erkundung, Vorbereitung und Sicherung von Landezonen, Marschrouten, Schlüsselgelände und -objekten und wichtiger Infrastruktur, teilweise auch bereits die Ausschaltung von operativen Zielen. Abweichend hiervon unterscheidet Vetschera die „Subversion“ grundsätzlich dahingehend, dass diese als „subversiv-revolutionärer Krieg“ geführt wird. Er will diesen Begriff aber auch im vorstehenden Sinne ebenso für die gewaltfreie Vorstufe des Verdeckten Kampfes gebrauchen, etwa für vorbereitende Aufklärung, Logistik für spätere Aktionen oder psychologische Aufbereitung des Umfeldes.(Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 20) Hartmut Schmelt, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber (Hrsg.), Landkriegsführung: Operation, Taktik, Logistik, Mittel. Ein Handbuch, Osnabrück 1992, S. 205 ff.; 210; vgl. Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 7 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 22 Günther Moritz, Völkerrechtliche Fragen des „Verdeckten Kampfes“, in: Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 29 ff.; vgl. Joseph P. Kutger, Irreguläre Kriegführung im Zei-
Weiterhin setzt diese Definition einen kollektiven Charakter der Gewaltmaßnahmen organisierter Kräfte mit politischer Zielsetzung voraus und grenzt damit von Gewaltakten unzufriedener Personen oder solchen ohne politischer Zielsetzung ab, die ohne Verbindung zu einer Gruppe und ohne kollektive politische Zielsetzung gegen die legitime Staatsgewalt oder eine Besatzungsmacht vorgehen.1121 Bei solchen handelt es sich somit in der Regel um kriminelle Einzelerscheinungen, die nicht geeignet sind, politische oder militärische Bedeutung zu erlangen.1122 Insgesamt betrachtet, weisen die hier vorgestellten Definitionsansätze des „Verdeckten Kampfes“ eine gewisse Diffusität auf, da sie ohne konkret fassbare Tatbestandsmerkmale eher willkürlich auf einen bestimmten Sachverhalt abstellen. Mithin ist der Verdeckte Kampf unter den Kleinkrieg zu subsumieren. 4.2.3.3.5.2
Gefechtshandlungen im Kleinkrieg
Der (überraschende) Angriff ist die Hauptgefechtsart des Kleinkrieges; in die Verteidigung werden sich die Kleinkriegskräfte nur im äußersten Notfall drängen lassen und auch in diesem Falle immer bestrebt sein, die Initiative wiederzuerlangen oder sich dem Angreifer so gut und so schnell es geht zu entziehen.1123 Ein wesentliches Element des Kleinen Krieges besteht somit in der Überraschung.1124 Die Überraschung besteht darin, den Gegner in jenem Augenblick zu schlagen, wo er unvorbereitet ist.1125 Die Kräfte versuchen von Überraschungsangriffen Gebrauch zu machen und weichen regulären Gefechten aus.1126 Die traditionellen Kampfaufgaben, also taktischen Kampfhandlungen, des Partisanen sind Sabotage, Hinterhalte und Überfälle.1127 Dabei werden Hinterhalte als die überraschende Eröffnung des Kampfes aus einer vorbereiteten Stellung auf einen in Bewegung befindlichen Feind definiert; Überfälle – also im modernen militärischen Sprachgebrauch neutral ausgedrückt: Handstreiche – dagegen sind Überraschungsangriffe auf feindliche Anlagen oder Truppen, wobei sich der Angreifer nach erfüllten Kampfauftrag absetzt.1128 Ein weiteres
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1124 1125 1126 1127
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tenwandel, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 79 ff.; 79 f. Günther Moritz, Völkerrechtliche Fragen des „Verdeckten Kampfes“, in: Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 29 ff.; 29 f. Günther Moritz, Völkerrechtliche Fragen des „Verdeckten Kampfes“, in: Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 29 ff.; 30 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 26 f.; vgl. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 783 Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 764 Elisabeth Peruci, Der subkonventionelle Konflikt, in: ÖMZ 1987, S. 145 ff.; 146 Elisabeth Peruci, Der subkonventionelle Konflikt, in: ÖMZ 1987, S. 145 ff.; 146 Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 16; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 3; vgl. Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15; vgl. Herbert Golz, Bekämpfen von Kleinkriegsunternehmen im Rahmen der Landesverteidigung, in: Wehrkunde 1959, S. 192 ff.; 193 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 24; vgl. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen
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wesentliches Element des Kleinen Krieges ist die Beweglichkeit.1129 Beweglichkeit und Geschmeidigkeit der Operation als Folge der Geländekenntnis, gute und dauernde Feindaufklärung durch einen eigenen Nachrichtendienst und durch die örtliche Bevölkerung sind Voraussetzungen, vorausschauend die Absicht des Gegners zu erkennen und ihn überraschend und unerwartet anzugreifen.1130 4.3
Asymmetrie und Strategie
Der Begriff der „asymmetrischen Kriegführung“ wird heute als Synonym für jene Formen des Krieges verwendet, die sich von den hergebrachten Vorstellungen und Bestrebungen unterscheiden, den Krieg effizient zu führen, ihn rasch zu beenden und den Frieden entweder zu erhalten oder aber wieder zu erringen, und die deshalb Streitkräfte konfiguriert haben, die diesem Ziel entsprechend aufgebaut sind.1131 Die Verwendung des Terminus „Asymmetrie“ im Zusammenhang mit kriegerischen Erscheinungen ist allerdings nicht ganz neu. So wurden die Begriffe „Symmetrie und Asymmetrie“ bereits früher im Zusammenhang mit der Abschreckungspolitik während des Kalten Krieges verwandt.1132 Der Ursprung des Wortes „Asymmetrie“, Ungleichmäßigkeit, Mangel an Symmetrie,1133 bedeutet zunächst das Fehlen einer gemäßen Proportion, eines Verhältnisses, und abgeleitet hiervon, der Mangel eines gemeinsamen Maßes,1134 und bildet somit begrifflich in der Konflikt- und Kriegsbildforschung die Anti-These zum „symmetrischen“ Kriegs- und Konfliktbild traditioneller Prägung.1135 Daher ist der asymmetrische Krieg ein Krieg, dem es an Symmetrie mangelt.1136 Angriffe schwächerer Kräfte gegen stärkere Gegner wurden mit dem Hinweis darauf als unwahrscheinlich angesehen, dass rationale Entscheidungsträger sich in solchen gefährlichen Unternehmungen nicht engagieren würden, da sie hier zwangsläufig unterliegen müssten.1137 Angesichts der aktuellen gewaltsamen Auseinandersetzungen findet sich
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Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 765 Elisabeth Peruci, Der subkonventionelle Konflikt, in: ÖMZ 1987, S. 145 ff. 146 Walter D. Jacobs, Irreguläre Kriegführung und die Sowjets, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 101 ff.; 107 vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 41 vgl. Oskar Morgenstern, Strategie heute, Frankfurt am Main 1962, S. 28; vgl. Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt am Main, 1969, S 270 ff. Klaus-Peter Lohmann, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung. Grundlegende Asymmetrien und eine mögliche Strategie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 57 ff.; 58; vgl. Patrick R. Märki, Krieg heute Guerillakrieg, in: ASMZ, Heft 11, 2006, S. 6 ff.; 11 Claudia Mongini, Ursprünge der Asymmetrie in der Antike. Archimedes als paradigmatisches Beispiel, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 15 ff.; 15 Walter Feichtinger, Asymmetrie im internationalen System. Ein altbekanntes, aber an Bedeutung gewinnendes Phänomen, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 69 ff.; 69 Albert A. Stahel, Armando Geller, Asymmetrischer Krieg: Theorie – Fallbeispiele – Simulation, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 95 ff.; 95 vgl. T.V. Paul, Asymmetric Conflicts: War Initiation by Weaker Powers, Oakleigh, Melbourne 1994, S. ix
heute wiederum die Feststellung, dass Partisanen-, Guerilla- oder Bandenkrieg die neue Kriegsform sei.1138 Insofern ist nicht die Erscheinung „asymmetrischer“ Kriegführung wirklich neu1139, sondern nur die Vielzahl unkontrollierter kriegerischer Akteure und damit verbunden die Erhöhung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines latenten Risikos in räumlicher und zeitlicher Nähe.1140 Dieses Kriegsbild wird durch asymmetrische Komponenten geprägt: quasi mittelalterliche, moderne und auch post-moderne Elemente vermischen sich in ungewohnter Weise.1141 Aber nicht nur die Gegner sind asymmetrisch, sondern auch die Waffen, die sie benutzen.1142 4.3.1
Symmetrie und Asymmetrie
Insgesamt findet sich in der Literatur eine Fülle von unterschiedlichsten Definitionsansätzen dessen, was „Asymmetrie“ bzw. damit korrespondierend „Symmetrie“ bedeutet. Hierfür werden häufig unterschiedliche Ansatz- und Anknüpfungspunkte bestimmt. Dieses hat dann allerdings oftmals den Nachteil, dass wegen der hierin liegenden Beschränkung ein bestimmter Aspekt einer bestimmten These bestätigt erscheint, das Phänomen aber nur aus dieser Perspektive und damit nicht vollständig erfasst und untersucht ist. Mithin liegt im Ergebnis möglicherweise eine unvollständige und damit unzureichende, falsche und vor allem unbrauchbare Definition vor. Für Martin Hoch kennzeichnet die Symmetrie die Beschränkung des Kampfes auf die Kombattanten; hingegen ist für ihn die Charakteristik des Kleinen Krieges durch die bewusst angestrebte Asymmetrie im Kampf gegen die verwundbarste Stelle des Gegners, für ihn die Nichtkombattanten, charakteristisch.1143 Ähnlich argumentiert Gareis, der meint, dass diese Form des Kampfes auf die Identifizierung der schwächsten Stellen des Gegners sowie deren Nutzung für die Herbeiführung größtmöglichen Schadens ziele.1144 Wollte man diesen Definitionsansätzen zustimmen, dann wäre auch der Bombenkrieg im Zweiten 1138 1139
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1144
Ulrich Zwygart, Überwindung von Gewalt, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 6 ff.; 7 zu althergebrachten und überlieferten Erscheinungen von Asymmetrie vgl. u.a. Werner Freistetter, „Asymmetrischer Krieg“ in der Bibel? Theologisch-ethische Überlegungen zu Gewalt und Kriegen im Alten Testament, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 21 ff. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge 2002, Heft 4, S. 22 ff.; 23; vgl. Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 23 Gottfried Greiner, Heimatschutz – das veränderte Kriegsbild, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 125 ff.; 126 Ulrike Borchardt, Die Logik der neuen Kriegführung, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 68 ff.; 75 Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 19; vgl. Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 5; vgl. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counterinsurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 79 Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 186
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Weltkrieg, der sich vor allem und gezielt gegen die Zivilbevölkerung richtete und vor allem die zivile Infrastruktur zerstörte, unter den Begriff „asymmetrische Kriegführung“ zu subsumieren.1145 Dabei wird es gerade an diesem Beispiel offensichtlich, dass angesichts der enormen Verluste an Menschenleben und nachhaltigen, großflächigen Zerstörungen von Städten hier nicht von Kleinkrieg und damit auch nicht von asymmetrischer Kriegführung die Rede sein kann. Insofern kann auch nicht der Ansicht zugestimmt werden, nach der sich die Antagonisten einer asymmetrischen Auseinandersetzung im Wesentlichen auf im Handel erhältliche (Handfeuer-) Waffen wie tragbare panzerbrechende und Flugkörper abwehrende Waffen sowie auf allgemein zugängliche Rohstoffe zur Herstellung von improvisierten Waffen und Sprengstoffen stützen, während die etablierte Macht auf ein Arsenal und auf Vorgehensweisen zurückgreift, die für einen konventionellen, symmetrisch ausgelegten Krieg – Staat gegen Staat – beschafft respektive entwickelt worden sind.1146 Dementsprechend beschreibt Russel den asymmetrischen Krieg als totalen oder zumindest auch extrem starken Unterschied zwischen der strategischen Zielsetzung, Fähigkeiten, Möglichkeiten des Handelns und moralischen Standards der Opponenten.1147 Einer der Beteiligten agiert, organisiert sich und denkt in unterschiedlicher Weise als sein Gegner, um seine Stärken zu vergrößern, die Schwächen des Gegners auszunutzen sowie die Initiative oder größere Aktionsfreiheit zu gewinnen.1148 Der Kleinkrieg oder auch „Graue Krieg“ ist in diesem Sinne – im Gegensatz zum Kalten Krieg – ein heißer und vor allem asymmetrischer Krieg ohne klare Fronten, Armeen und Regeln.1149 Gerade darin liegt auch für Daase der entscheidende Punkt, der Großen von Kleinen Kriegen trennt: Große Kriege werden weitgehend im Rahmen etablierter Regeln und Ressourcen ausgetragen, die dadurch nicht transformiert, sondern gestärkt werden.1150 Kleine Kriege werden dagegen außerhalb dieses normativen Rahmens oder unter Verletzung von Regeln geführt und transformieren deshalb die Struktur politischer Akteure und die Struktur des internationalen politischen Systems gleichermaßen.1151 Das Ziel der asymmetrischen Strategie ist es, den Kampfwillen des Gegners durch Ermüdung zu brechen, meist in der Absicht, durch steigende Kosten oder hohe Opferzahlen einen wachsenden Unwillen von Regierung, Volk oder Koalitionspartnern zu provozieren.1152 Damit sucht der asymmetrisch vorgehende Akteur nicht die schnelle Entscheidung 1145
1146 1147 1148 1149 1150 1151 1152
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Tatsächlich stellt sich für Münkler die Situation mit der anglo-amerikanischen Überlegenheit auf dem europäischen Kriegsschauplatz seit Sommer 1944, die gegenüber Deutschland Luftangriffe größten Ausmaßes ermöglichte, so dar. (Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006, S. 68) Christoph Abegglen, Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle – eine grosse Herausforderung, in: ASMZ 1998, Heft 7 / 8, S. 31 ff.; 31 John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 246; vgl. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 29 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 29 Heinrich Kreft, Vom Kalten Krieg zum „Grauen Krieg“ – Paradigmenwechsel in der amerikanischen Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/2002, S. 14 ff.; 16 Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 152 Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 152 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 29; vgl. Herfried Münkler, Wer ist David? Vom asymmetrischen Krieg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 31
– gerade weil er sie auch nicht herbeiführen kann – sondern er setzt auf die Abnutzung aller Kräfte des Gegners – vor allem auch der moralischen. Folglich ist es das Ziel der Irregulären, den Kampf zu vermeiden, während es das Ziel ihrer Gegner sein muss, den Kampf zu erzwingen.1153 Als symmetrisch bezeichnet man dagegen Kriege, in denen die Kontrahenten nicht unbedingt gleich stark, aber von der Rekrutierung, Ausrüstung und Ausbildung der Kombattanten her gleichartig sind.1154 Die Gegner stimmen in der Organisationsform der Streitkräfte, bei den eingesetzten Mitteln und Fähigkeiten und im technologischen Stand der Rüstung überwiegend überein.1155 In diesem Sinne ist das entscheidende Merkmal symmetrischer Kriege für Münkler nicht die quantitative Gleichheit, sondern die qualitative Gleichartigkeit.1156 Die Vorbereitung von Gewalthandlungen zum Zwecke der Durchsetzung politischer Ziele und Interessen im Kriege orientiert sich am Gedanken der strategischen Konzeption, die von der Ratio geleitet ist, die Potenziale möglicher (politischer) Gegner und die Einflüsse, die aus räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten resultieren, mit den eigenen Ressourcen abzustimmen und in eine adäquate Strukturierung und Organisation physischer Handlungen überzuleiten.1157 Symmetrisch sind somit solche Kriege, in denen beide Seiten mit prinzipiell gleichen Mitteln und Methoden in ein militärisches „Kräftemessen“ eintreten, dessen Ausgang entweder von den quantitativen Verhältnissen der von beiden Seiten aufgebotenen Streitkräfte, vom militärischen Genie eines ihrer Anführer oder auch von begrenzten Qualitätsvorteilen der Streitkräfte einer Seite entscheidend bestimmt werden.1158 Ausgangspunkt für die asymmetrische Kriegführung ist die große Ungleichheit zwischen den Kontrahenten, das heißt, eine Kriegspartei ist militärisch so weit unterlegen, dass sie mit konventionellen Mitteln nicht in den bewaffneten Kampf eintreten kann.1159 Die qualitative Ungleichheit der Konfliktparteien bildet somit für Münkler zunächst das Definitionsmerkmal asymmetrischer Kriege.1160 Für ihn beruht die klassische Form der 1153 1154
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Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 131 Herfried Münkler, Krieg, in: Gerhard Göhler, Mattias Isa, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S. 227 ff.; 235; vgl. Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen?, in: Helmut König, Manfred Sicking (Hrsg.), Der Irak-Krieg und die Zukunft Europas, Bielefeld 2004, S. 101 ff.; 102 f.; vgl. John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 246 Ernst-Christoph Meier, Klaus-Michael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 397 Herfried Münkler, Wandel der Weltordnung durch asymmetrische Kriege, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 85 ff.; 85 vgl. Edwin R. Micewski, Moralphilosophische Überlegungen zur Legitimität von asymmetrischer Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 31 ff.; 31 Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 260; vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 41 Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 55 Herfried Münkler, Wandel der Weltordnung durch asymmetrische Kriege, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 85 ff.; 85
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strategischen Asymmetrie auf der Schwäche des Irregulären, sich nicht zu erkennen zu geben und zum offenen Gefecht antreten zu können und somit aus dem Untergrund operieren zu müssen.1161 Die Asymmetrie, welche den symmetrischen Konflikten zu Grunde liegt, bezieht sich auf das Bestreben, die Symmetrie zu brechen, indem man durch Reduzierung der gegnerischen Kräfte und Fähigkeiten oder Entwicklung eigener Fähigkeiten die Oberhand gewinnt.1162 Dementsprechend bedeutet Asymmetrische Kampfführung für Gujer die Auseinandersetzung zwischen Gegnern, wovon der eine an Zahl, Bewaffnung, Ausbildung und Wirtschaftskraft so weit überlegen ist, dass er einen konventionell geführten Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach gewinnt.1163 Deswegen bezieht sich diese Art der Asymmetrie vorerst auf Kräfte- und Fähigkeitsverhältnisse im Sinne einer Überlegenheit an Anzahl und Stärke. Gujers Ansatz bezieht zudem noch das gesamtgesellschaftliche Potenzial der Mächte mit ein. Somit stellt dieser Ansatz im Ergebnis nichts anderes als einen klassischen Kräftevergleich auf der strategischen Ebene dar und ist somit Teil des strategischen Planungsprozesses. Mithin fußt auch das heute noch vorhandene Bild von der symmetrischen Kriegführung auf dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und der im Zuge der Nationalstaaten aufgestellten modernen stehenden Armeen.1164 Militärische Planungen sind in aller Regel auf „kooperative“ Gegner abgestellt, bei denen sowohl bei ihren strategisch-operativen Zielsetzungen als auch bei materiellen Bedarfsforderungen ein berechenbares Verhalten des potentiellen Gegners unterstellt wird.1165 Die Symmetrie ergibt sich aus der Vergleichbarkeit der gegnerischen Staaten und Streitkräfte.1166 In der symmetrischen Konfliktstruktur führen 1161 1162 1163 1164 1165
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Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges, in: loyal, Heft 10, 2006, S. 22 ff., 23 John Russel, Asymmetric Warfare, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 243 ff.; 246 Eric Gujer, Asymmetrische Kriege – Die Möglichkeiten einer aufgeklärten Gesellschaft, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 53 ff.; 53 Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 6 Franz F. Lanz, Harald Westermann, Überlegungen zu Bewaffnungsalternativen für künftige Kampfplattformen, in: Wehrtechnischer Report. Schlüsseltechnologien für das Heer, Heft 11, 2000, S. 54 ff.; 54; Iser weist in diesem Zusammenhang folgerichtig darauf hin, dass nur wenn die Kriegsparteien die Personen auf der jeweils anderen Seite als grundsätzlich gleichberechtigte Subjekte ansehen, erbitterte Gegner einst wieder zu kooperativen Partnern werden können. (Mattias Iser, Paradoxien des [un]gerechten Krieges, in: Anna Geis [Hrsg.], Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 179 ff.; 182); Stürmer betont in diesem Zusammenhang, dass die USA niemals wieder einen „cooperative enemy“ finden könnten; denn kein Feind werde jemals so töricht sein, die stärkste Militärmacht der Welt mit gleichen Mitteln herauszufordern und nach den von Amerika gesetzten Regeln kämpfen auf einem Schlachtfeld, das Amerika definiert, und der deshalb verlieren muss. (Michael Stürmer, Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Hamburg 2006, S. 167; vgl. Headquarters Department of the Army, Counterinsurgency, FM 3-24, MCWP 3-33., Washington DC, 15. December 2006, S. 1-2) Asymmetrische Vorgehensweisen bzw. Kriegführung ist daher im strategischen Kalkül aktueller Opponenten die einzige Möglichkeit gegenüber dem Westen Macht bei der Durchsetzung der politischen, ideologischen, ideologischen und religiösen Ziele zur Geltung bringen, auch und gerade mit Mitteln der Massenvernichtung, einschließlich der „Nutzung“ kritischer Infrastrukturen in den Industrienationen. (Hans-Peter Weinheimer, Schutz durch Kooperation und Kompetenz. Plädoyer für einen modernen Bevölkerungsschutz im Zeitalter asymmetrischer Konflikte, in: Europäische Sicherheit, Heft 12, 2006, S. 59 ff.; 61) Josef Schröfl, Asymmetrie und Ökonomie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 69 ff.; 70
legitime Gegner einen konventionellen Krieg, der zeitlich und räumlich begrenzt ist.1167 Die grundsätzliche Gleichartigkeit der Streitkräfte war zudem die Voraussetzung der gegenseitigen Anerkennung der Kriegsparteien, auf der wiederum das System des Kriegsvölkerrechts fußte.1168 Die Symmetrie, von der kriegsvölkerrechtliche Regelungen ausgehen, ist nur dann auch durchhaltbar, wenn sie mit einer gewissen Symmetrie in den tatsächlichen Machtrelationen verbunden ist.1169 Die Regelakzeptanz beider Seiten beruht also auf der tendenziellen Gleichverteilung ihrer Chancen auf Sieg und Niederlage.1170 Der klassische Krieg legt seinen entscheidenden Wert auf den Duellcharakter1171 und die symmetrischen Auseinandersetzungen haben damit etwas von Duellsituationen. Fehlt der „kooperative Gegner“, hebt dieser das Prinzip der gleichen Chance, seiner Legalität, auf. Tatsächlich ist Asymmetrie aber ein natürlicher Zustand, da es wohl niemals in einem Konflikt eine Situation gibt, in der die Opponenten die gleichen Fähigkeiten besitzen, einander auf die gleiche Art und Weise zu begegnen, und jede Partei wird den Konflikt auch im Spektrum der eigenen Interessen betrachten.1172 Asymmetrie beschreibt zudem die absolute Chancenungleichheit zwischen den Gegnern.1173 Schröfl und Pankratz spitzen die Beschreibung des Phänomens dahingehend zu, als dass sie für die Asymmetrie eine Situation des Kräftegleichgewichts zwischen ungleichen Gegnern beschreiben.1174 Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich der Kampf gegenüber dem internationalen Terrorismus als Verstärkung des bekannten Phänomens asymmetrischer Konflikte dar.1175 Ein erfolgreiches symmetrisches Vorgehen setzt die Überlegenheit der Kräfte in Raum und Zeit voraus; die Asymmetrie gewinnt ihre Überlegenheit aus ihrer Führungskraft und Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Vorgehens. Zudem entspricht der Symmetrie das Denken in traditionellen militärischen Fähigkeitskategorien. Dieses ist auf das Zerschlagen der gegnerischen Fähigkeiten und Neutralisierung der gegnerischen Potenziale ausgelegt. Asymmetrische Konflikte haben allerdings eine andere Reaktionsdynamik als die Duellkonstellationen.1176 Die asymmetrische Konflikt1167 1168 1169 1170
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1172 1173 1174 1175 1176
Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 75 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen?, in: Helmut König, Manfred Sicking (Hrsg.), Der Irak-Krieg und die Zukunft Europas, Bielefeld 2004, S. 101 ff.; 108 f. Heinz Vetschera, Völkerrecht, Realität und Sicherheit, in: ÖMZ 1980, S. 17 ff.; 19 Herfried Münkler, Krieg, in: Gerhard Göhler, Mattias Isa, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S. 227 ff.; 235; vgl. Josef Schröfl, Asymmetrie und Ökonomie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 69 ff.; 70 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 1 Ian MacFarling, Asymmetric warfare: myth or reality?, Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan (Hrsg.), Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 139 ff.; 142 Josef Schröfl, Asymmetrie und Ökonomie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 69 ff.; 70 Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Einleitung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 9 ff.; 10 Walter Feichtinger, Ein Jahr „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, in: ÖMZ 2003, S. 163 ff.; 164 Herfried Münkler, Wer ist David? Vom asymmetrischen Krieg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 31
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struktur führt zu einem unkonventionellen Krieg, der zeitlich und räumlich entgrenzt ist und der von regulären Streitkräften einerseits und irregulären Streitkräften anderseits, die sich gegenseitig als illegitim ansehen, ausgetragen wird.1177 Irreguläre Kräfte versuchen daher, die geringe Anzahl an Kämpfern durch Organisation, Struktur und die ihnen eigene Tarnung auszugleichen.1178 Münkler hat mit Verweis auf die Geschichte darauf hingewiesen, dass nicht Symmetrie, sondern Asymmetrie der zu erwartende Normalzustand des Krieges ist, gegen den Symmetrie mit kunstvollen politischen Maßnahmen ins Spiel gebracht wurde.1179 Dennoch ist das Moment der Asymmetrie nicht nur im „engen“ Bereich der Kriegführung zu beobachten, sondern scheint im sicherheitspolitischen und strategischen Diskurs überhaupt zu einem bestimmenden Faktor zu werden, was inhaltslogisch dazu führt, den Faktor der Asymmetrie auch jenseits seiner Bedeutung in der modernen Kriegführung zu lokalisieren.1180 Dessen ungeachtet muss sich die hier vorliegende Arbeit auf Bezüge politischer Art insofern beschränken, als dass sie die Erscheinungen des Irregulären soweit tangieren, als dass sie dem Verständnis der Phänomene dienlich sind. Mithin beschreibt der Begriff der asymmetrischen Kriegführung eine Situation, in der signifikante Unterschiede hinsichtlich der eingesetzten Mittel, Methoden, Kräfte sowie Motivation zwischen Gegnern bestehen.1181 Münkler verweist insofern darauf, dass die Asymmetrie nicht auf die operativen Konstellationen beschränkt ist, sondern die gesamte Konfrontation erfasst.1182 Der Gebrauch des Begriffs der Asymmetrie ist jedoch nicht ganz neu. Kozak hat bereits früher darauf hingewiesen, dass die Asymmetrie der Mittel in einem begrenzten Kriege zum Problem werden kann, wenn es sich um einen Krieg zwischen Staaten ungleicher Macht handelt, da die mächtigere Seite den Krieg als begrenzt betrachten könnte, weil sie nicht gezwungen ist, alle verfügbaren Machtmittel einzusetzen, hingegen die weniger mächtige Seite gezwungen sein könnte, alle nationalen Ressourcen und militärischen Mittel einzusetzen.1183 Der begrenzte Krieg der einen Seite kann insofern der totale Krieg der anderen Seite sein.1184 Die Unterschiedlichkeit der Definitionen verdeutlicht die Schwierigkeit, das zu formulieren, was Asymmetrie in Kriegführung wirklich bedeutet und ausmacht.1185
1177 1178 1179 1180
1181 1182 1183 1184 1185
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Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 75 Christian Lutze, Abwehr terroristischer Angriffe als Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr, in: NZWehrr 2003, S. 101 ff.; 112 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 134 Thomas Pankratz, Josef Schröfl, Edwin R. Micewski, Vom Begriff der Asymmetrischen Kriegführung“ zu einem erweiterten Verständnis von Asymmetrie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Edwin R. Micewski, Aspekte der Asymmetrie. Reflexionen über ein gesellschafts- und sicherheitspolitisches Phänomen, Baden-Baden 2006, S. 7 ff.; 7 Josef Schröfl, Thomas Pankratz, Einleitung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 9 ff.; 10 Herfried Münkler, Wer ist David? Vom asymmetrischen Krieg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 31 Heinz Kozak, Zur Theorie des Begrenzten Krieges, in: ÖMZ 1993, S. 129 ff.; 134 Heinz Kozak, Zur Theorie des Begrenzten Krieges, in: ÖMZ 1993, S. 129 ff.; 134 Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 5; vgl. Edward F. Downey, Jr., Theory of Guerrilla Warfare, in Military Review, Mai 1959, S. 45 ff.; 50
4.4
Irreguläre Kräfte
Nach einem älterem militärischen Wörterbuch werden als Irreguläre Truppen „… diejenigen Abtheilungen genannt, welche in ihrer Organisation, Bekleidung und Ausrüstung nicht dieselbe Gleichmäßigkeit zeigen, wie die übrigen Truppen des Heeres, welche im Gegensatz zu ihnen ‚Linien-’ oder besser ‚reguläre Truppen’ genannt werden. Zudem zählen zu den Irregulären Truppen alle aus der Volksbewaffnung hervorgegangenen Truppenkörper, als Landsturm, Milizen, Freischaren, Franctireurs, Guerillas etc.; sie bilden in der Regel keinen integrierenden Bestandteil des Heeres, sondern führen als selbständige Körper den kleinen und Parteigängerkrieg. Dem Heere attachirt, fällt ihnen vorzugsweise der Vorposten- und Aufklärungsdienst zu; für das Gefecht sind sie meist weniger geeignet.“1186 Somit entspricht diese Definition den Kräften, die auch Träger des Kleinkrieges sind. Charakteristisch für die irregulären Kräfte ist, dass sie mit ihrer unkonventionellen Kampfweise in der Regel keine Ziele bieten, die den gegnerischen Kräften die Ausnutzung ihrer waffentechnischen Überlegenheit erlauben würden;1187 Unkonventionell heißt: ohne Konventionen.1188 In der Regel meiden Irreguläre Kräfte den offenen Kampf.1189 Formen und Methoden der Angriffe werden häufig gewechselt; deshalb sind Ort und Zeitpunkt weiterer Aktionen kaum vorhersagbar.1190 Eine solche asymmetrische Konfliktstruktur folgt aus voneinander abweichenden Organisationsformen und sich daraus ergebenden unterschiedlichen Interessendefinitionen und unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich des Konfliktaustragungsmodus.1191 Die Akteure richten sich weder nach den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung noch nach denen der Genfer Konventionen und dementsprechend ist eine zunehmende Deregulierung der Konflikte zu beobachten.1192 Es ist eben das Wesen des Irregulären, dass er keine regulären Vorgaben und Regeln als verbindlich akzeptiert, er sich auch nicht unter bestimmte Regularien subsumieren lässt. Die Asymmetrie der Konfliktstruktur erlaubt es dem nicht-staatlichen Akteur, seine militärische Unterlegenheit durch Guerillastrategien zu kompensieren1193 und durch schrittweise Kompensation in Überlegenheit zu verwandeln.1194 Während der Staat gegen die irregulären Kräfte seine 1186 1187
1188 1189 1190 1191 1192 1193 1194
Hauptmann von Frankenberg, Irreguläre Truppen, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 5. Bd., Bielefeld, Leipzig 1878, S. 27 Lutz Krake, Das Schutzkonzept – Antworten auf neue Bedrohungen bei Friedensmissionen, in: Wehrtechnischer Report 2000, Heft 11, S. 18 ff.; 19; So führt ein Oberstleutnant vor dem Eindruck der Kämpfe in Indochina aus: „Unsere Flugzeuge (die anderen besitzen keine) haben die absolute Luftherrschaft. Unsere Flotte (die anderen besitzen keine) beherrscht das Meer. Unsere Panzer, unsere Bewaffnung und unser technisches Können haben keinen gleichwertigen Gegner. Dieses Material, diese militärische Stärke – alles scheint nutzlos.“ (Marc E. Geneste, Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka [Hrsg.], Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 356 ff.; 356) Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 4 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1812 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 163 Christopher Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung. Wie konventionelle Kriegführung die internationale Politik verändert, Baden-Baden 1999, S. 93 vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 16 Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff.; 18 Herfried Münkler, Wer ist David? Vom asymmetrischen Krieg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 31
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Machtinstrumente Polizei und Streitkräfte, die sich konventionell verhalten, einsetzt, versuchen die substaatlichen Akteure in der Regel, mit ihren Kämpfern „unkonventionell“ zu agieren und dadurch die operative Stärken des Gegners nicht zur Geltung kommen zu lassen.1195 „Konventionelle“ Unterlegenheit bei Kräften, Ausrüstung und Ausbildung sollen durch „unkonventionelle“ Taktiken ausgeglichen werden.1196 Gerade hieraus erzielen diese Akteure ihre Operationsfähigkeit, indem sie sich asymmetrischer Kampfweisen bedienen und die Zivilbevölkerung in die Kampfhandlungen einbeziehen, die sie als Deckung und logistisches Rückrat benutzen oder eben diese Zivilbevölkerung zum Hauptziel ihrer Angriffe machen.1197 Dementsprechend handelt es sich beim Irregulären Kampf um eine Auseinandersetzung zwischen einer nichtherrschenden Gruppe und den herrschenden Autoritäten, in der die erstere politische Ressourcen und Gewalt einsetzt, um die Legitimationsbasis einer Politik zu zerstören oder zu bestätigen.1198 Es fehlt also nach konventionellem Verständnis teilweise ein Gegner mit klar erkennbaren Hierarchien, politischen und militärischen Strukturen und Zielsetzungen1199 und die Unterscheidungen zwischen Aufmarschgebiet und Schlachtfeld, Etappe und Front, Kriegswaffen und Gerätschaften ist aufgehoben und der Krieg hat die gesamte Bevölkerung erfasst.1200 Kleine Gruppen fanatischer, offenbar zu allem entschlossener Menschen kämpfen mit einfachen, aber technisch raffiniert eingesetzten Mitteln gegen eine hochgerüstete Supermacht; ihr Ziel ist aber nicht deren militärisches Potenzial, sondern es sind die Nervenzellen ihrer Lebenswelt.1201 Die Strategie irregulärer Kräfte orientiert sich somit nicht daran, den Gegner im klassischclausewitz’schen Sinn wehrlos zu machen, indem man in einer Entscheidungsschlacht seine Streitkräfte besiegt; sie ist vielmehr darauf gerichtet, Gefechte großen Stils zu vermeiden und statt dessen den Kontrahenten möglichst kleine „Nadelstiche“ zuzufügen, ohne räumliche und zeitliche Begrenzung.1202 4.4.1
Politische Legitimation als Voraussetzung des Irregulären Kampfes
Carl Schmitt verwendet in seiner „Theorie des Partisanen“ vier Kriterien: Irregularität, Mobilität, politisches Engagement und tellurischer Charakter.1203 „Irregulär“ wird als unre1195 1196 1197
1198 1199 1200 1201 1202 1203
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Walter Feichtinger, Der Kriegsprozess in Kolumbien aus der Perspektive der „neuen“ Kriege, in: ÖMZ 2005, S. 187 ff.; 187 f. vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 11 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 16 f.; vgl. Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 137 vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. From Revolution to Apocalypse, 2. Aufl. Washington, D.C. 2005, S. 15 Walter Feichtinger, Ein Jahr „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, in: ÖMZ 2003, S. 163 ff.; 164 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002,, S. 119 Bernhard Sutor, Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden? Stationen und Chancen eines geschichtlichen Lernprozesses, Schwalbach/Ts. 2004, S. 157 Walter Feichtinger, Der Kriegsprozess in Kolumbien aus der Perspektive der „neuen“ Kriege, in: ÖMZ 2005, S. 187 ff.; 188 Udo Schäfer, Partisanen und Kleinkrieg, in: Europäische Sicherheit 1997, S. 48 ff.; 48; vgl. Piet Tommissen, Über Carl Schmitts „Theorie des Partisanen,“ in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 709 ff.; 712 ff.
gelmäßig, ungesetzmäßig, von der Regel abweichend, nicht zu den Truppen des Heeres gehörend und somit als Gegensatz zu „regulär“ definiert.1204 Irreguläre Kräfte verfolgen in der Regel langfristige politische Strategien, die den Umsturz oder die Änderung der bestehenden Verhältnisse zum Ziel haben.1205 Soziale Kohäsion und politische Legitimität hängen eng miteinander zusammen; wo der Eindruck der Rechtmäßigkeit verloren geht, wird auch die Bereitschaft zum Zusammenhalt schwinden,1206 fehlt es bald an der Bereitschaft zur Gefolgschaft und daran, Härten und Entbehrungen zu tragen. Aus Mangel an Einsicht in den politischen Charakter Irregulärer Kräfte bzw. des Irregulären Kampfes erwuchsen auch in der Vergangenheit letztlich alle Misserfolge bei der Bekämpfung.1207 Ohne die Berücksichtigung dieses Zusammenhangs bei der Erstellung von Einsatzgrundsätzen für den Kampf gegen Irreguläre beschränken sich diese auf Regeln über „Waldkampf“, „Gebirgskampf“ etc.1208 Mithin begrenzte sich der Ansatz auf taktische Einsatzgrundsätze, welche die strategische, also die politische Bedeutung und Zielsetzung und damit die entscheidende Ebene außer Acht lässt. Folglich sind bei der Beschäftigung mit dem Phänomen des Irregulären die Ebenen auch immer mit zu betrachten. Wir können somit die Ziele von Irregulären Kräften in langfristige Ziele – also auf der horizontalen Zeitachse strategische – und kurzfristige Ziele – also entsprechend taktische Ziele – trennen, wobei eine deutliche Trennung auch hier nicht immer möglich ist. Langfristige Ziele sind beispielsweise der Umsturz einer bestehenden Ordnung, ethnische Abspaltung, Herausdrängen einer Besatzungs- bzw. Ordnungsmacht, Erpressung / Einschüchterung / Verunsicherung der Bevölkerung oder auch die persönliche Bereicherung der Akteure.1209 Kurzfristige Ziele (Zwischenziele) können beispielsweise sein, gegnerische Kräfte und Mittel zu binden bzw. zu vernichten, Verbindungslinien und Nachschubwege zu unterbrechen, Nachschubbasen und / oder abgelegene Stützpunkte abzuschneiden, Truppenbewegungen zu hemmen oder zu stören, Nutzung von Flugplätzen, Landezonen, Bahnhöfen und Häfen zu stören, Provokation der Regierung bzw. der Ordnungsmacht, Aufsehen erregende PR-Aktionen, ein breites öffentliches Interesse zu erwecken oder Geld- bzw. Materialbeschaffung für weitere Aktionen.1210
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Serges Medien GmbH, Großes Wörterbuch, Köln 2000, S. 379 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9; vgl. Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 39 Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 154 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 20 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 45 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 39 f. vgl. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S.; 9; Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 40
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Diese Aktionen können sich als zunächst taktische Ziele auch direkt gegen die Truppen der Ordnungsmacht richten, um einen bestimmten Erfolg im Einsatzraum zu erreichen. Sie können aber auch ein strategisches Ziel bezwecken, nämlich beispielsweise auf Grund des Druckes der Bevölkerung des Entsendestaates als Reaktion auf das irreguläre Verhalten, den Abzug der Truppen zu erreichen.1211 4.4.2
Organisationsstrukturen Irregulärer Kräfte
Organisation und Struktur Irregulärer Kräfte werden von landesspezifischen Gegebenheiten bestimmt und meistens sind militärische oder paramilitärische Strukturen vorzufinden.1212 Die Organisationsstrukturen Irregulärer Kräfte liegen nicht von Beginn an fest, sondern sind oftmals von Anfang an dynamisch und entwickeln sich im Verlauf des Konflikts. Partisanen- und Guerillaverbände werden zu Beginn eines bewaffneten Konfliktes oft als Terrorgruppe organisiert und geführt. Terrorgruppen bestehen aus meist voneinander abgeschotteten Zellen mit geringer Personalstärke. Kommandoebene und Zellen kennen sich oft nicht.1213 Je höher der Organisationsgrad, desto rigider die Abschottung und damit die Geheimhaltung. Die Zellen sind von ihrer Struktur her zu weitgehend eigenständigem Handeln befähigt. In heutiger Zeit ermöglicht das Internet eine neue, reaktionsschnelle, aber auch schwer zu fassende Organisationsstruktur von Terrornetzen.1214 Verdeckt kämpfende Kräfte sind militärisch organisiert und beachten nicht immer die Konventionen und Regeln des Völkerrechts.1215 Mit personellem Aufwuchs der Organisation werden paramilitärische Strukturen eingenommen und die einzelnen Verbände nach regionalen Gesichtspunkten gegliedert. Partisanen- und Guerillaverbände können in sehr unterschiedlichen Größenordnungen und Bewaffnungen, bis hin zu teilmechanisierten Verbänden, auftreten.1216 4.4.2.1
Banden
Häufig wird im Zusammenhang mit Irregulären Kräften auch das Wort „Bande“ benutzt. Oft steht es auch in Verbindung mit kriminellen Organisationen. Kriminelle Organisationen sind je nach Größenordnung und Zielsetzung meist hierarchisch gegliedert und agieren in
1211 1212 1213 1214 1215 1216
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Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 40 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9; Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 40 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 10 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9
der Regel grenzüberschreitend. Das gilt insbesondere für die internationale Organisierte Kriminalität. Deren Ziele sind eher ökonomisch, weniger politisch bestimmt.1217 4.4.2.1.1
Allgemeine und historische Bedeutung des Begriffs „Bande“
Carl Schmitt weist darauf hin, dass „Bandit“ ein Wort war, das bereits Napoleon mit Vorliebe für den spanischen Guerillero gebrauchte und das eine Kriminalisierung enthielt, die vom Standpunkt der regulären Truppe zu Recht erfolgte.1218 Aber auch Che Guevara grenzt die Räuberbande von der Guerilla ab. Die Räuberbande hat zwar alle Merkmale einer Guerillaarmee; ist also homogen zusammengesetzt, respektiert ihren Führer, hat Mut und ist mit den Einsatztaktiken vertraut, ihr fehlt aber die Unterstützung der Bevölkerung.1219 Die negative Belegung des Begriffs „Bande“ ist historisch begründet. Als „Banden“ wurden im Mittelalter Mietstruppen bezeichnet, die für jede Sache zu kämpfen bereit waren.1220 Darüber hinaus haben die großen Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts einen Nachklang aus einer Zeit, da Polizei und Militär aufgeboten werden musste, um das Räuberunwesen, das sich wie ein großes engmaschiges Netz über Deutschland ausbreitete und mit allen Mitteln des Terrorismus arbeitete.1221 Während des Zweiten Weltkrieges wurden die „Banden“ von den Freikorps und damit von militärischen Verbänden terminologisch abgegrenzt und erhielten somit auch hier den Status von gewöhnlichen Verbrechern und damit auch nicht die Behandlung von Kriegsgefangenen.1222 Gleichzeitig sollte dem Versuch entgegengetreten werden, „der Bandentätigkeit eine nationale Untermauerung zu geben, den Banditen aus dem Hinterhalt zum Freiheitskämpfer, zum Patrioten zu stempeln.“1223 Gleichzeitig wurden hier Banden als „Haufen, die mit Mord, Raub, Plünderung usw., nach Art von Räuberbanden, ihr Leben fristen, wobei ihnen Gesichtspunkte des Partisanenkampfes vorschweben“, deutlich unterschieden von „den militärischen Formationen“, die sich in mehr oder minder intakten militärischen Formationen unter einheitlicher militärischer und politischer Führung stehend und nach einheitlichen Richtlinien gesteuert tätig waren, und den „Einzelbanditen, also jenen Einzelgängern, die sich zur Erleichterung ihres Fortkommens zufällig zusammengeschlossen haben und um ihr nacktes Überleben kämpfen.“1224 Darüber hinaus wurde personell unterschieden zwischen „Bandit“, als dauerhaft einer Ban1217 1218 1219 1220 1221
1222 1223 1224
Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 10 Carl Schmitt, Clausewitz als politischer Denker. Bemerkungen und Hinweise, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 419 ff.; 424 Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 449 Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 12 vgl. Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner, Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie, Frankfurt am Main, 1991, S. 347 f. So unterscheidet Barth auch den Partisan vom „Sozialrebell“, der in vielen Fällen zum Räuber und zum organisierten Verbrecher degenerierte und dessen Aktionen kaum einen politischen Charakter haben. (Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 74) vgl. Gustav Fochler-Hauke, Bolschewistische Heckenschützen, in: Zeitschrift für Geopolitik, 1942, Heft 4, S. 178 ff.; 178 Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung, 1. Ausgabe 1942, S. 4 vgl. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Bandenbekämpfung, 1. Ausgabe 1942, S. 9 f.
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de angehörend; „Bandenhelfer, als nur zeitweilig in der Bande kämpfend oder diese mit anderen Mitteln unterstützend sowie dem „Bandenverdächtigen, also einer Person, bei der vermutet wird, dass sie die Bande unterstützt.1225 Die Bedeutung der Haltung der Bevölkerung bei der Bekämpfung Irregulärer Kräfte wurde auch von der Wehrmacht eingesehen.1226 Zudem wurde auch erkannt, dass die „krassen“ Maßnahmen unter „Sammelverantwortung“ gegen das „Bandenunwesen“ in den besetzten Gebieten kontraproduktiv war, da diese nicht nur Unschuldige traf, sondern zugleich auch den Deutschen gegenüber positiv eingestellte Bevölkerungsteile den Partisanen zutrieb.1227 4.4.2.1.2
Heutige strafrechtliche Bedeutung
Auch heute noch wird im deutschen Strafrecht der Begriff „Bande“ gebraucht. Eine Bande im Sinne des § 244 I, Nr. 2 StGB ist eine lose Gruppe von Personen, die sich ausdrücklich oder stillschweigend zur Verübung fortgesetzter, im Einzelnen noch ungewisser Diebesoder Raubtaten verbunden hat.1228 Hierbei kann die Verbindung von zwei Personen genügen, sofern ein über bloße Mittäterschaft hinausgehender Gesamtwille hinzukommen muss, der zumindest für eine gewisse Dauer gerichtet ist.1229 Mithin wird eine Bande auch als der verabredete, ernsthafte Zusammenschluss mehrerer Personen zur Begehung von im Einzelnen noch unbestimmten Straftaten von unbestimmter Dauer verstanden1230 und die unbefugte Bildung bewaffneter Gruppen gemäß §§ 127, i.V.m. 244 I Nr. 2 StGB als „Bildung bewaffneter Haufen“ mit Strafe bewährt1231 und in engem Zusammenhang mit Verbot der „Bildung krimineller Vereinigungen“ gemäß Art. 9 II GG und § 129 StGB und dem „Verbot terroristischer Vereinigungen“ gemäß § 129 a StGB gestellt.1232
1225 1226 1227 1228
1229 1230 1231 1232
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Oberkommando der Wehrmacht, Bandenbekämpfung, Merkblatt 69/2, F.H.Qu, 6.5.1944; S. 32 Oberkommando der Wehrmacht, Bandenbekämpfung, Merkblatt 69/2, F.H.Qu, 6.5.1944; S. 69 vgl. Otto Pannenbecker, Geheim! Dokumentarische Tatsachen aus dem Nürnberger Prozeß, Düsseldorf 1947, S. 139 ff. Herbert Tröndle, Thomas Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze 52. Aufl. München 2004, § 244, RN 17; vgl. Gerhard Köbler, Juristisches Wörterbuch, 9. Aufl. München 1999, S. 41; vgl. Gerhard Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, Tübingen 1995, S. 37, der auf die Bedeutungsverschlechterung des Begiffs im 18. Jahrhundert hinweist. Abgeleitet wurde der Begriff zunächst von dem französischen „bande“, also Trupp, Schar, und bedeutet „Fähnlein“, was wiederum auf einen germanischen Ursprung zurückgeht. (Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl. Berlin, New York 1999, S. 77; vgl. Lutz Mackensen, Ursprung der Wörter, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Wiesbaden o.JA., S. 58) Albin Eser, § 244, in: Adolf Schönke, Horst Schröder Strafgesetzbuch Kommentar, 27. Aufl., 2006, § 2 44 RN 24 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 155; vgl. Martin H.W. Möllers, Bande in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 182 vgl. Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 251; vgl. Gerhard Köbler, Juristisches Wörterbuch für Studium und Ausbildung, 9. Aufl.,München 1999, S. 41 vgl. Walter, Bildung einer terroristischen Vereinigung, in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 259 f.; 259; vgl. Martin H.W. Möllers, Bande in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 182
4.4.2.1.3
Heutige militärische Bedeutung
Nach modernem militärischem Verständnis sind Banden der Zusammenschluss von Personen zur Begehung von Straftaten, insbesondere Diebstahl und Raub. Sie können von lokalen Autoritäten als Mittel der Machtausübung genutzt werden. In der Regel steht an ihrer Spitze ein Bandenchef, der die Gruppierung zusammenhält. Der Organisationsgrad ist meistens gering. Die Ziele von Banden reichen von der persönlichen Bereicherung bis zur Sicherstellung des Lebensunterhalts aus wirtschaftlicher Not. Besonders nach Bürgerkriegen bilden sich oft Banden aus übrig gebliebenen Kämpfern, die keiner zivilen Beschäftigung nachgehen können oder wollen. Banden aus ehemaligen Soldaten oder sonstigen Kämpfern behalten im Wesentlichen die militärische Struktur, nach der sie zuvor organisiert waren, bei.1233 4.4.3
Ausrüstung und Bewaffnung Irregulärer Kräfte
Die Aktionen Irregulärer Kräfte sind zumeist die preiswerte Form von Gewalt zu geringen Kosten („low cost-high impact“)1234 und beinhalten damit auch ein ökonomisches Problem.1235 Dementsprechend kommen die Mittel zum Einsatz, die verfügbar oder erreichbar sind. Spezielle „terroristische Mittel“ gibt es nicht. Hierin liegt auch das Problem, das es schwer macht, eindeutige und allgemeingültige Täterprofile und Begehungsmuster zu definieren. Irreguläre Kräfte besitzen Zugang zu allen Waffen und Kampfmitteln, die auf dem offenen Weltmarkt oder den Schwarzmärkten verfügbar sind, und haben im Vergleich zu regulären Kräften die Möglichkeit, ihre Ausrüstung und Bewaffnung auf landestypische Begebenheiten und den jeweiligen Einsatz abzustimmen.1236 Die Wahl der Mittel ist für Irreguläre Kräfte somit auch ein logistisches, insbesondere ein finanzlogistisches Problem. Die Wahl richtet sich demzufolge auch nach der Verfügbarkeit der Mittel. Vorwiegend sind Irreguläre mit folgenden Waffen und Kampfmitteln ausgerüstet: Schlagwaffen, Wurfgegenstände sowie Hieb- und Stichwaffen aller Art, handelsübliche Handwaffen, oftmals in Kurzversion, zum Teil auch mit Schalldämpfern und Nachtzielgeräten, Jagdwaffen, Schnellfeuerwaffen und Maschinenwaffen, Handgranaten, Minen in unterschiedlichster Bauart und Sprengstoffe (oft auch selbst hergestellte), Panzerabwehrhandwaffen, Panzerabwehrwaffen (z.B. Panzerabwehrlenkflugkörper), Nachtsichtgeräte, teilweise nach Genfer Konvention geächtete Waffen, Munition oder Sprengmittel wie z.B. Teilmantel-Geschosse usw., behelfsmäßige Sprengvorrichtungen1237, Panzer, Raketen und Artilleriewaffen und 1233 1234 1235
1236 1237
Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 10 Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 10 Rudolf Adam errechnet mit Hinweis auf die „Ökonomie des Terrors“, dass die Anschläge des 11. September 2001 maximal 2 Mio. US $ gekostet haben; der hierdurch ausgelöste volkswirtschaftlichen Gesamtschaden auf ca. 70 Mrd. US$ geschätzt wird und somit eine Hebelwirkung von 1:35000 bedeutet. (Rudolf Adam, Prävention und moderne Terrorismusformen, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld [Hrsg.], Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 195 ff.; 195 ff.; 196) Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 10 Improvised Explosive Devices. Eshel unterscheidet hierbei „Road Side Bombs“ und sogenannte „Daisy Chains“ bei denen mehrere Artilleriegeschosse oder andere, miteinander verbundene Sprengzünder
185
Hubschrauber, Kleinstluftfahrzeuge und Fliegerfäuste.1238 Mithin ist es schlicht falsch wenn in der Literatur behauptet wird, dass es für irreguläre Angriffe charakteristisch sei, dass die Akteure sich regulärer Kriegswaffen nicht bedienten.1239 Aber auch landestypische oder „handelsübliche“ Kraftfahrzeuge erleichtern nicht die Erkennung Irregulärer Kräfte.1240 Zudem können aus Gegenständen ziviler Verwendung in den Händen intelligenter Terroristen tödliche Waffen gegen zivile wie auch gegen militärische Ziele werden.1241 Bestimmte Kampfmittel werden aus vielen Herkunftsländern bezogen oder selbst behelfsmäßig herstellt.1242 Da irreguläre Kräfte häufig auch mit erbeuteten Waffen kämpfen oder solchen, die ihnen auf andere Weise in die Hände gefallen sind, ist damit zu rechnen, dass sie diese auch gegen die ursprünglichen Besitzer richten werden.1243 Der Technologisierungsgrad Irregulärer Kräfte – und damit verbunden Kampfkraft und Gefechtswert – können dann erheblich gesteigert werden, wenn sie von Staaten unterstützt werden und als Stellvertreterorgan fungieren.1244 Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Irreguläre Kräfte in den Besitz von biologischen oder chemischen Kampfmitteln bzw. ARBC-Gefahrstoffen (R= radiologischen, „Dirty Bomb“1245) bringen, sondern es ist davon auszugehen, dass sie es tun werden.1246 Von einer „Dirty Bomb“, „schmutzigen Bombe“, spricht man dann, wenn mit
1238
1239 1240 1241 1242 1243 1244
1245 1246
186
durch Fernzündung oder Zündschnur nahezu gleichzeitig ausgelöst werden. (David Eshel, Schutz vor improvisierten Sprengsätzen, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=555& print=1, Internet vom 08.02.2007, S. 1) Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 10 f.; vgl. Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1814; vgl. Graham H. Turbiville, Jr, Preface: Future Trends in Low Intensy Conflict, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. xi ff., xii f. So jedenfalls Katja Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetztes, Hamburg 2005, S. 53 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 41 Wolfgang Royl, Der nichtkonventionelle Krieg als kulturelle Herausforderung, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder (Hrsg.), Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 126 ff.; 130 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1814 vgl. Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 41 vgl. IAP-Dienst, Hisbollah-Raketenstreitkräfte in: IAP Hintergrundanalyse 07-2006, S.2. Hier wird exemplarisch am Beispiel der Hisbollah herausgearbeitet, wie sich eine irreguläre Truppe auf Grund der logistischen Unterstützung und der Nutzungsmöglichkeit moderner Waffensysteme als Staat im Staate Libanon positioniert und hierzu über ein breites Spektrum an taktisch-operativer Raketenwaffen verfügt. Zur Beurteilung des Potenzials der Hisbollah vgl.: NN., Die Raketenstreitkräfte der Hisbollah, in: IAPDienst Sicherheitspolitik, Nr. 8, August 2006, S. 12; vgl. Peter Forster, Bomben auf Beirut – Raketen auf Haifa. Israel im Krieg gegen die Hisbollah, Frauenfeld, Stuttgart, Wien 2006, S. 31 f.; Zum Hintergrund der Hisbolla vgl. Ahmad Nizar Hamzeh, In The Path of Hisbullah, New York 2004 Radiological Dispersal Device (RDD) Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 32; vgl. Berndt Georg Thamm, Der globale DjihadTerrorismus militanter Islamisten. Die Ursachen, Entwicklung, Verbreitung und Fähigkeiten, in: Home-
Hilfe von konventionellen Sprengstoffen radioaktive Substanzen in der Umwelt zerstreut werden sollen.1247 Eine solche Bedrohung durch den internationalen Terrorismus wird ebenfalls nicht ausgeschlossen.1248 Das Argument, dass Irreguläre derartige Mittel nicht einsetzten, weil sie damit ihr Ansehen in der öffentlichen Meinung gefährden würden,1249 überzeugt nicht vollständig. Gerade für politisch-religiöse Gruppen, die transnational agieren, kann diese Auffassung nicht zum Tragen kommen, da die Vernichtung der anderen Gesellschaften und damit deren Bevölkerungen erklärtes Ziel ist und es ihnen insofern nicht auf deren öffentliche Meinung ankommt. Mithin bedienen sich Irreguläre Kräfte zwar oft einfachster Mittel, können sich aber zum Teil auch modernster Technologien bis hin zu Massenvernichtungsmitteln verschaffen oder herstellen.1250 Auch hinsichtlich Führung und Aufklärung sind Irreguläre Kräfte in der Lage, modernste Technologien zu nutzen, wobei sie auch auf Ressourcen zurückgreifen können, die allgemein zur Verfügung stehen, wie z. B. regionale oder weltweite Kommunikationssysteme sowie technische Mittel, deren Anwendung im nichtmilitärischen Bereich alltäglich ist.1251 Carl Schmitt sprach gar von einem „Teufelskreis von Terror und Gegenterror“, in der die Bekämpfung Irregulärer Kräfte nur ein Spiegelbild des Irregulären Kampfes selbst sei und wies darauf hin, dass die moderne Technik immer stärkere Waffen, Vernichtungsmittel, vollkommenere Verkehrsmittel und Methoden der Nachrichtenübermittlung liefert, die von Irregulären und auch ihren Gegnern genutzt werden.1252 Insgesamt ist festzustellen, dass neue Formen der Kriegführung und neuartige Technologien früher oder später kopiert, nachgeahmt oder gestohlen werden; wo das nicht gelingt oder nicht möglich ist, werden diese Formen durch Irreguläre umgangen oder unterlaufen1253, um sich deren Wirkung zu entziehen. Wesentliche Kriterien für die Steigerung der Fähigkeiten und Wirkungen der Irregularität sind somit die Erweiterung der Mobilität und die gesteigerte Intensität des politischen Engagements.
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land-Security, Heft 2, 2006, S. 5 ff.; 11; vgl. Berndt Georg Thamm, Al-Qaida. Das Netzwerk des Terrors, Kreuzlingen, München 2005, S. 125 ff; Diese Logik hat sogar hinsichtlich taktischer Atomwaffen bereits Carl Schmitt entwickelt. (Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 79) Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 13; vgl. Günther Lachmann, Schäuble: Terrorgefahr nimmt zu, in: WamS vom 29. Januar 2006, S. 1; vgl. Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 10. Darüber hinaus wird auch von „schmutzigen chemischen Bomben“ gesprochen, also Sprengsätzen, die mit giftigem Material versehen sind. (NN. Suche nach Spuren von „schmutziger“ Bombe, in: FAZ vom 06. Juni 2006, S. 2) Günther Lachmann, Schäuble: Terrorgefahr nimmt zu, in: WamS vom 29. Januar 2006, S. 1; vgl. Günther Lachmann, Tom Levine, „Es kann auch bei uns geschehen“, Innenminister Schäuble warnt vor einer neuen Dimension der Bedrohung: Terroranschläge mit nuklearem Material, in: WamS vom 29. Januar 2006, S. 5; vgl. Michael Bauer, Terrorismus – Bedrohungsszenarien und Abwehrstrategien, München 2002, S. 10; vgl. Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, S. 23 vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 39 Markus Lück, Irregular Warfighting – Konzeptioneller Ansatz des Heeres, in: Europäische Sicherheit, Heft 10, 2006, S. 58 ff.; 58 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 19 f. vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 104
187
4.4.4
Strategische Phasen irregulärer Kräfte
In der Literatur werden grundsätzlich bis zu vier strategische Phasen, die Organisationsoder Passivphase, die Aktivierungsphase, die Expansionsphase und die Übernahme- oder Endphase, unterschieden, deren Dauer in der Regel variiert und mehrere Monate oder Jahre umfassen kann, wobei insbesondere die Anfangszeitpunkte einer jeden Phase schwer aufklärbar sind und es somit breite Übergangsphasen in unterschiedlicher Ausprägung und regionaler Differenzierung gibt.1254 Die einzelne Phase ist jeweils dadurch gekennzeichnet, dass ein bestimmtes Verhalten der Akteure – bestimmte Maßnahmen, bestimmte Kampfweisen – in den Vordergrund treten.1255 4.4.4.1
Die Organisations- und Passivphase
In der Organisations- oder Passivphase werden die entscheidenden Grundvoraussetzungen für den Aufbau der Führungsstruktur in Form von Erkennen und Fixieren der Handlungsmotivation sowie Feststellung des Führungspersonals geschaffen, um dann die Entwicklung von Strategie und operativem Vorgehen einleiten zu können.1256 Von der Heydte hält diese Phase für diejenige, in der bereits die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg fällt.1257 4.4.4.2
Die Aktivierungsphase
Die anschließende Aktivierungsphase beginnt, wenn die Ordnungsmacht ihr Gewaltmonopol nicht mehr effektiv gegen die Operativen Basen einsetzen kann.1258 Der Beginn der gewalttätigen Aktionen wird durch das Herstellen der Einsatzbereitschaft taktischer Gruppen eingeleitet.1259 In dieser Phase sind lokal begrenzte Offensiven kleinerer Einheiten gegen schwache Kräfte der Ordnungsmacht charakteristisch, meist unter Ausnutzung schwierigen oder unkontrollierten Geländes; gleichzeitig werden zahlreiche lokale Zellen 1254
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Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 9; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 120; Von der Heydte bezeichnet diese Phasen entsprechend ihrer Unterscheidung auch als Vorbereitung, Verdeckter Kampf, Übergang zum offenen Kampf und schließlich konventioneller Kampf. (Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 8) Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 168 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 9 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 120. Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 9 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 9
gebildet und die öffentliche Ordnung wird durch den Beginn von Sabotageakten und einer Vielzahl von isolierten Gewaltakten weiter destabilisiert, um so eine Ausweitung des politischen Einflusses zu erreichen.1260 Der Vorbereitungsphase folgt also in dieser Phase der „verdeckte Kampf“, an dessen Ende der Übergang zum offenen Kampf steht.1261 4.4.4.3
Die Expansionsphase
In der Expansionsphase kommt es darauf an, die erreichte örtliche Vorherrschaft zu sichern und eine territoriale Ausweitung zu erreichen.1262 Bisher umkämpfte Regionen sollen unter Kontrolle der Irregulären Kräfte gebracht werden, während Teile der durch die Ordnungsmacht kontrollierten Regionen zu umkämpften Regionen werden.1263 Nachdem in den vorhergehenden Phasen in erster Linie verdeckt operiert werden musste, kommt nun die Ausweitung durch Mobilisierung der Bevölkerung bei Demonstrationen, Massenkundgebungen, Nutzung der Medien zu Propagandazwecken sowie parallel durch zunehmende Einschüchterung und Gewaltanwendung gegenüber neutralen oder ablehnenden Bevölkerungsteilen.1264 Diese Phase ist die Phase des Übergangs zum offenen Kampf.1265 Ziel dieser Phase ist es, den Gegner zu isolieren und in einzelne Stützpunkte und Basen, die er zu halten sucht, zurückzudrängen.1266 4.4.4.4
Die Übernahme- und Endphase
Abschließend gilt es in der Übernahme- oder Endphase, die Sicherheitskräfte und Streitkräfte der Ordnungsmacht entweder zu zerschlagen oder zum Abzug zu zwingen, um so die Kontrolle möglichst vieler Bereiche übernehmen zu können.1267 Dieses bedingt, dass nahe1260 1261
1262 1263 1264 1265 1266 1267
Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 9 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 168; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 7 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 8 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 8 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10
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zu alle Schlüsselobjekte und großflächigen Gegenden kontrolliert werden müssen; folglich ist hierzu in aller Regel eine erhebliche Anzahl an Kräften einschließlich konventioneller oder paramilitärischer Truppen notwendig, um das entstehende Vakuum mit eigenen Kräften füllen zu können.1268 Mithin ist hier der Zeitpunkt erreicht, zu dem Irreguläre Kräfte und irreguläre Kampfformen allein nicht mehr ausreichend sind, sondern reguläre Kräfte und Formen verstärkt nützlich werden können. Gleichzeitig stellt sich mit der Ablösung auch die Frage der zukünftigen Existenzberechtigung der Irregulären Kräfte bzw. ihres politischen Machtanspruches innerhalb der eigenen Bewegung. 4.4.4.5
Zwischenergebnis
Die für die einzelnen Phasen des Kleinkrieges charakteristischen Verhaltensweisen lösen einander nicht ab; jede dieser Phasen bedeutet gegenüber der vorhergehenden nur eine Steigerung, wobei in jeder neuen Phase jeweils neue Verhaltensweisen der Akteure zu den bisher gezeigten hinzutreten, ohne dass deshalb die Aktionen und Aktivitäten, die für die vorhergehende Phase kennzeichnend waren, aufgegeben oder auch nur vernachlässigt würden.1269 Der Ablauf der Phasen insgesamt stellt also auch kein lineares Szenario dar und gut organisierte Irreguläre Kräfte sind in der Lage, erlittene Rückschläge durch Neugruppierung und Wiedereintritt in eine bereits durchlaufene Phase zu kompensieren, ohne ihre ursprünglichen Ziele aufzugeben.1270 Dabei nutzen transnational agierende Irreguläre Kräfte oftmals auch Basen außerhalb eines ehemaligen Aktionslandes für die Installation neuer operativer Basen, um ihren abgebrochenen Kampf zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen und fortzusetzen.1271 Um diese Phasen abgestimmt ablaufen zu lassen, müssen Terrorgruppen verschiedene Funktionen abdecken können, um dauerhaft zu bestehen. Anschläge müssen vorbereitet und durchgeführt werden, die dazu notwendigen Ressourcen müssen direkt beschafft werden oder die Mittel hierzu bereitgestellt werden, einzelne Anschläge sowie die Ziele der Organisation müssen vorbereitet werden, Nachwuchs und ein Netz von Helfershelfern muss rekrutiert werden und die Gruppe bedarf der internen Steuerung, so dass diese verschiedenen Aufgaben in einer Gruppe grundsätzlich nicht von den jeweils gleichen Akteuren wahrgenommen werden können.1272 Folglich bedarf es auch – in interdependenter Abhängigkeit der Größe der Gruppe, des Umfangs und der Komplexität der Aktionen – einer organisierten und koordinierten Arbeitsteilung. 1268 1269
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Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 168; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 8 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 10 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 124
4.4.5
Verhalten und Kampfweise
Die Aktionen Irregulärer Kräfte richten sich in der Regel gegen militärische, politische, ökonomische oder sonstige Ziele.1273 Ihre Kampfweise erscheint dem Gegner oft irrational und ist durch überraschende, überfallartige Angriffe oder verdeckte Aktionen geprägt.1274 Überfallartige Angriffe nehmen der eigenen Truppe die notwendige Reaktionszeit.1275 Irreguläre Kräfte stehen unter straffer Führung und führen ihre Aktionen nach sorgfältiger, oft wochenlanger Vorbereitung durch.1276 Spontane Aktionen führen sie nur dann durch, wenn eine günstige Situation den sicheren Erfolg erwarten lässt.1277 Aktionen Irregulärer Kräfte werden häufig unerwartet aus nicht vermuteten Richtungen kommen.1278 Die Angreifer haben das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, beenden den Kampf ebenso plötzlich, wie sie ihn begonnen haben, entziehen sich einer Verfolgung durch Ausnutzung ihrer besseren Ortskenntnisse oder durch Untertauchen in der Zivilbevölkerung und sind oft nur schwer oder nicht mehr auffindbar.1279 Voraussetzung für den Erfolg der Aktion ist hier also die zumindest zeitliche und örtliche Überlegenheit. Meist erfolgen Aktionen unter dem Schutz oder mit Duldung der Zivilbevölkerung.1280 Die Irregulären Kräfte gehen in der Regel verdeckt, d.h. in unauffälligem Zivil oder in unterschiedlichen Uniformen vor. Oft nutzen sie als Ausgangspunkt die Anonymität ziviler 1273
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Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13; vgl. Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 41 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2306 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 41 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13
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Menschenansammlungen.1281 Häufig werden Frauen und Kinder zur Ausspähung und für Kurier- und Transportdienste eingesetzt, wodurch die Unterscheidung von unbeteiligten Zivilisten erschwert wird.1282 Mit Missbrauch von Frauen, Kindern und Gebrechlichen als lebende Schutzschilde ist zu rechnen.1283 Mithin stellen „Unbeteiligte“ und neutrale Kräfte1284 sowohl ein passives wie auch ein potentiell aktives Element der Irregularität dar. Folglich können Provokationen durch Irreguläre zu Überreaktionen und überzogenem Verhalten führen, welches auch wieder mittelbar auf die Öffentlichkeit wirkt. Ihre Anschläge richten Irreguläre Kräfte denn auch häufig gegen leicht erreichbare Ziele oder Ziele mit hohen Opferzahlen, wobei sie sich regelmäßig nicht an das internationale Recht halten1285 und Verluste unter der Zivilbevölkerung hierbei oftmals billigend in Kauf genommen werden.1286 Das Treffen von unbeteiligten Zivilisten durch die Ordnungsmacht wird als Versagen gewertet; die Tötung von Zivilisten durch Irreguläre Kräfte als Erfolg wahrgenommen.1287 Entscheidend ist, dass sich die Irregulären Kräfte zur Durchsetzung ihrer Ziele der Mittel bedienen, die ihnen zur Verfügung stehen und die nach Einschätzung ihrer Akteure gewährleisten, diese Ziele zu erreichen. Entscheidender Orientierungspunkt bei der Wahl der Mittel und Vorgehensweisen ist also nicht die Frage des Rechts, sondern die Frage der Effektivität und Verfügbarkeit der Einsatzmittel und der mögliche strategische Erfolg des taktisch-operativen Vorgehens.1288 Daher können neben konventionellen Waffen auch alle anderen Waffen und Kampfmittel – einschließlich Massenvernichtungswaffen – zum Einsatz kommen.1289 Gleichzeitig kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch gezielte oder 1281
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Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1812 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13; vgl. Simon Branch-Evans, Evolution of Warfare: How will the Revolution of Military Affairs Make a Difference?, in: Ron Matthews, John Treddenick, Managing the Revolution in Military Affairs, Hamshire 2001, S. 36 ff.; 49 Beispielhaft hierfür sei die empörte Reaktion der VN und Weltöffentlichkeit genannt, nachdem die israelische Armee beim Beschuss von Raketenstellungen der Hisbollah im Libanon, die diese gezielt um einen VN-Stützpunkt gruppiert hatte, diesen traf und dabei vier Blauhelme tötete. (vgl. Bruno Schirra, Warnung per E-Mail, in: WamS vom 06. August 2006, S. 8) Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 14 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1812 vgl. Ehud Olmert, „Sie haben Israel sowieso gehasst“, in: WAMS vom 06. August 2006, S. 3 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 42 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 42 f.; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2402; vgl. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 11; vgl. Division
auch unbeabsichtigte Angriffe mit konventionellen Waffen auf Industrieanlagen, vor allem der Nuklear- oder Chemieindustrie, Wirkungen erzielt werden können, die denen eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen nahe kommen.1290 In mehrfacher Hinsicht profitieren Irreguläre Kräfte von asymmetrischen Verhältnissen: Dem Wert des Lebens (auch des eigenen) wird oftmals ein nur geringer Stellenwert beigemessen und sie halten sich nicht an international und für die eigenen Kräfte geltenden Normen und Gesetze.1291 4.4.6
Einsatzverfahren und Zielrichtung
Irreguläre Kräfte verfügen über vielfältige Einsatzverfahren. Sie reichen von Attentaten, Sprengstoffanschlägen, dem Anbringen versteckter Ladungen, Feuerüberfällen und Anschlägen von Heckenschützen über Sabotage, Anschläge gegen Kritische Infrastrukturen und Überfälle auf wichtige Einrichtungen bis hin zu Diebstahl, Festsetzen von Personen, Geiselnahmen, Entführungen, Propaganda, Einschüchterung und Erpressung.1292 Die Aktionsfelder und Taktiken Irregulärer Kräfte sind vielfältig und umfassen vorrangig Hinterhalt und Handstreich, Angriff und Überfall, Bomben- und Brandanschläge, Massaker und Selbstmordkommandos, Erpressung, Störungen des öffentlichen Lebens; Attentate, Einbruch und Diebstahl, aber auch Spionage, Sabotage, Zersetzung sind verbreitet.1293 Mit einem Einsatz von Selbstmordkommandos, die z.B. Fahrzeuge als Autobomben, Flugzeuge als fliegende und Boote als schwimmende Bomben einsetzen, muss gerechnet werden.1294 Dabei haben die Einsatzverfahren zum Teil unterschiedliche Zielrichtungen. Zum Teil sind die Anschläge direkt gegen Angehörige der „Besatzungsmacht“, der Sicherheitskräfte des eigenen Landes oder unliebsamen Personen aus der Zivilbevölkerung gerichtet. Weiterhin sollen sie aber auch auf das direkte Umfeld und die Angehörigen ausstrahlen und zur Einschüchterung und nachhaltigen Verunsicherung beitragen. Überfälle, Raub und Diebstähle bezwecken nicht nur eine Störung des Gegners, sondern haben auch die eigene Versorgung und Bereicherung zum Zweck.1295 Angriffe auf Kritische Infrastrukturen zielen darauf ab, durch Störung der Versorgung die wirtschaftliche, aber auch die gesamtgesellschaftliche
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Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1815 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2404; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 175 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 39; vgl. Christian Lutze, Abwehr terroristischer Angriffe als Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr, in: NZWehrr 2003, S. 101 ff.; 110 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1815; vgl. Walter „R“ Thomas, Guerrilla Warfare: Cause and Conflict, A 21st Century Successs Story?, Honolulu, Hawaii 2005, S. 53 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 41 f.; vgl. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 12 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 14; vgl. Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN RN 1815
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Normalität und das Vertrauen in Sicherheit und Stabilität zu untergraben, das Vertrauen in die Fähigkeiten der Ordnungsmacht zu schwächen, und damit die eigene Position insgesamt nachhaltig zu stärken. 4.5
Konsequenzen für die Staatenkriege
Münkler geht davon aus, dass die „Epoche der Staatenkriege“ vorbei ist.1296 Fraglich ist aber an dieser These zumindest, ob der Staatenkrieg seine bestimmende Stellung verloren hat, ob neben ihm andere Formen kriegerischer Gewaltausübung getreten sind oder ob er ganz aus dem Spektrum bewaffneter Auseinandersetzungen verschwindet. Tatsächlich wird die Monopolisierung militärischer Gewalt durch die Staaten dadurch gefährdet, dass in den letzten Jahren die verschiedenen Formen asymmetrischer Gewalt erheblich an politischer Attraktivität gewonnen haben.1297 Momente des klassischen Krieges, des Bürgerkrieges, des organisierten Verbrechens und der planvollen Verletzung der Menschenrechte sind miteinander verbunden.1298 Dabei machen einen wichtigen Anteil der Machenschaften krimineller Banden der illegale Handel mit Drogen, Frauen, illegalen Einwanderern und Waffen aus.1299 Öffentliche und private, nationale und internationale, regionale und lokale Parteien sind gleichermaßen involviert.1300 Diese Gewaltakteure erhalten nicht den Krieg aufrecht, um ihn zu gewinnen, sondern weil sein rechtsfreier Raum gute Voraussetzungen für ihre Wirtschaftsinteressen bietet.1301 Diese Kooperationen mit dem internationalen und transnationalen Terrorismus stellen eine massive, grenzüberschreitende Gefährdung dar.1302 Wenn man also Terrorismus als neue Art der Kriegführung definiert, so hat der Staat das Monopol der faktischen Kriegsführungsfähigkeit verloren.
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1299 1300 1301 1302
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Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 15 Herfried Münkler, Ist Krieg abschaffbar?, in: Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege enden. Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn, Wien, München, Zürich 2002, S. 347 ff.; 357 Reinhard Meyers, Krieg und Frieden – Zur Entwicklung von Konflikt und Kooperationsformen im 20. Jahrhundert, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts 2003, S. 9 ff.; 19; Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 4 Reinhard Meyers, Krieg und Frieden – Zur Entwicklung von Konflikt und Kooperationsformen im 20. Jahrhundert, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Krieg und Frieden. Prävention, Krisenmanagement, Friedensstrategien, Schwalbach / Ts 2003, S. 9 ff.; 19 Angelika Spelten, Stabilisierung durch „Friedensökonomie“?, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 274 ff.; 275 Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 368
4.5.1
Kriegsführungsregeln
Die neuen Phänomene internationaler Gewaltanwendung scheinen die allseits akzeptierten Regeln der Kriegführung in Frage zu stellen.1303 Die „neue Art von Krieg“ kennt keine völkerrechtlichen Regeln, die denen des Staatenkrieges entsprächen,1304 und das Völkerrecht hatte auch für die irreguläre Form der Kriegführung keine Regeln herausgebildet; es beschränkt sich darauf, auch unter den Bedingungen des irregulären Kampfes die Geltung humanitärer Grundsätze zu sichern.1305 4.5.2
Konsequenzen für die Völkerrechtsordnung
In ein und derselben Völkerrechtsordnung kann es nicht zwei widersprechende Kriegsbegriffe geben.1306 Folglich kommt es zu definitorischen Problemen von gewaltförmigen Konflikten. Denn wenn der ganze Überbau staatsbezogener Begriffe zu Ende geht – wie Carl Schmitt bereits 1963 schreibt – und damit das Politische nicht mehr in einer Ordnung von Staaten gehegt ist, sondern sich verselbständigt und sich mit neuen Akteuren verbindet,1307 ist damit die klassische, klar erkennbare Unterscheidung von Krieg und Frieden aufgegeben und absichtlich verwischt.1308 In diesem Zusammenhang arbeitet Münkler die beständige Veränderung der Erscheinungsform des Krieges heraus1309, die aus einem sich permanent verändernden Zusammenspiel von Gewaltsamkeit im Messen der Kräfte, Kreativität bei deren Einsatz und Rationalität bei der Verfolgung der mit dem Krieg angestrebten Zwecke erwachsen, und erinnert hiermit an den Chamäleonscharakter des Krieges, wie ihn auch Clausewitz beschreibt, und der mit jeder Veränderung seiner Umwelt auch beständig die 1303 1304 1305 1306
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1309
Dan Diner, Steht das ius in bello in Frage? Über Regulierung und Deregulierung von Gewalt, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 59 ff.; 59 Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 91 Ulrich Scheuner, Krieg als Mittel der Politik im Lichte des Völkerrechts, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 159 ff.; 180 f. Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 1; Hoch weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Einhegung des Krieges in seinen kodifizierten Regeln eines immer weiter ausdifferenzierten Kriegsrechts und Kriegsvölkerrechts auf die Beziehungen zwischen europäischen bzw. atlantischen Staaten beschränkt war und nicht auf die Kriege dieser Staaten in ihren Kolonien oder gegen andere, nichteuropäische Staaten zur Anwendung kamen. (Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18) Herfried Münkler, Die Kriege der Zukunft und die Zukunft der Kriege. Von der prekären Verständigung politischer Akteure und der Rolle der Gewalt, in: Wolfgang Knöbl, Gunnar Schmidt (Hrsg.), Die Gegenwart der Kriege. Staatliche Gewalt in der Moderne, S. 52 ff.; 55 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 6. Aufl., Berlin 1996, S. 10 f.; vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 22; vgl. Herfried Münkler, Krieg, in: Gerhard Göhler, Mattias Isa, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S. 227 ff.; 235; vgl. Christoph Abegglen, Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle – eine grosse Herausforderung, in: ASMZ 1998, Heft 7 / 8, S. 31 ff.; 31; vgl. C.M.V. Abegglen, Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmaßnahmen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der Kriegsschwelle.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 3 Herfried Münkler, Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges, in: Politische Vierteljahresschrift 2001, Heft 4, S. 581 ff.; 582 f.
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Gestalt wechsele:1310 „Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Fall seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in Bezug auf die in ihm herrschenden Tendenzen, eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elementes, dem Hass, und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeit und des Zufalles, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeuges, wodurch er dem bloßen Verstand anheim fällt.“1311 Diese drei Tendenzen sind die ursprüngliche Gewaltsamkeit des Krieges, der Kampf zwischen zwei oder mehreren Gegnern sowie die untergeordnete Natur des Krieges als ein politisches Werkzeug, mit denen Clausewitz die Wandelbarkeit des Krieges beschreibt.1312 Schmidl findet diese These Clausewitz’ bestätigt.1313 Thomas Rid glaubt, dass es die Clausewitzsche Sichtweise sei, eine Theorie des Krieges müsse sich nun „… zwischen diesen drei Tendenzen wie zwischen drei Anziehungspunkten schwebend erhalten“1314, und „…entlarve die konkrete historische Perspektive eines Autors des 19. Jahrhunderts“ ; vor allem die mit der Dreiteilung in Politik, Volk und Armee verbundenen Annahmen vom rationalen staatlichen Akteur sowie jene vom emotionsgeladenen Volk seien heute fragwürdig und die Konfliktdynamiken in zerfallenden Staaten, Kriegsökonomien, existenzielle oder religiöse Konflikte sowie grenzüberschreitende Terrornetzwerke zeigten die Grenzen eines Clausewitz’schen Staats- und Gesellschaftsverhältnisses auf.1315 Hierbei 1310
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Herfried Münkler, Krieg, in: Gerhard Göhler, Mattias Isa, Ina Kerner (Hrsg.), Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, Wiesbaden 2004, S. 227 ff.; 279; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 16; vgl. Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen?, in: Helmut König, Manfred Sicking (Hrsg.), Der Irak-Krieg und die Zukunft Europas, Bielefeld 2004, S. 101 ff.; 102 f.; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Der Bürger im Staat, Heft 4, 2004, S. 179 ff.; 180; vgl. Herfried Münkler, Neue Kriege, Terrorismus und die Reaktionsfähigkeit postheroischer Gesellschaften, in: BKA (Hrsg.), Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 15 ff.; 15; vgl. Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, BadenBaden 2006, S. 133 ff.; 137; vgl. Udo Schäfer, Partisanen und Kleinkrieg, in: Europäische Sicherheit 1997, S. 48 ff.; 48; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 26 f.; vgl. Michael Evans, Clausewitz’s chamäleon: military theory and practice in the early 21st century, in: Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan (Hrsg.), Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 26 ff.; 27; Auch Aron hat bereits Ender der 1970er Jahre – allerdings unter anderen Vorzeichen – den „Chamäleonscharakter des Krieges“ herausgestellt. (Raymond Aron, „La guerre est un caméléon“, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel [Hrsg.], Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 25 ff.) Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 23 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 7 f.; vgl. Kai Rohrschneider, Krieg und Politik im Denken von Carl v. Clausewitz, in: Dermot Bradley, Heinz-Ludger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 6, Osnabrück 2000, S. 562 ff.; 562 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 121 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S 71 ff.; 111 Thomas Rid, vom künftigen Kriege. Zur Clausewitz-Rezeption der amerikanischen Streitkräfte, in: ÖMZ 2004, S. 181 ff.; 185
übersieht Rid freilich, dass gerade in den fragilen Regionen mit ihren unterschiedlichen Akteuren und in einer medial beherrschten Welt, in der die Massen emotionalisiert werden, eben genau jene fanatisiert und mobilisiert werden, gleichzeitig die politischen Führer ihre eigenen rationalen strategischen Ziele verfolgen. Jedoch muss diese Rationalität nicht die gleiche sein, wie eine, die durch Christentum, Humanismus und Aufklärung geprägt ist. Allerdings konstatiert Rid auch selbst, dass sich die analytische Trennschärfe dieser Dreiteilung nicht abgenutzt habe und die Unterscheidung in Regierung, Militär und Bevölkerung diene weiterhin als analytischer Dreifuß, um institutionelle und strategische Unterscheidungen daran aufzuhängen.1316 Insofern passt sich der Krieg lediglich – entsprechend dem von Clausewitz beschriebenen chamäleonhaften Charakter des Krieges – den jeweiligen Zeiten und Umständen an. Es offenbart sich in der Debatte über neue Kriege die „NeuEntdeckung“ eines alten Themas: nämlich des ständigen historischen Wandels und der ständigen Anpassung des Chamäleon Krieg an neuartige politische, soziale und ökonomische Herausforderungen und Bedingungen.1317 Erich Vad verweist in Bezug auf die ständige Veränderung des Bildes des Krieges und die Formen gewaltsamer Konfliktaustragung auch auf den chinesischen Kriegsphilosophen Sun Tse.1318 Ebenso stellt auch Brock heraus, dass die Wandlung des Krieges an sich nichts Neues sei; vielmehr vollziehe sich eine Verschiebung aus den Zentren der Weltordnung an deren Peripherie und von der internationalen auf die innerstaatliche Ebene.1319 In diesem Sinne ist dann auch für Münkler die Entstaatlichung des Krieges eine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, wo an die Stelle des Krieges zwischen regulären Armeen, die sich gegenseitig niederzuringen suchen, um den politischen Willen des Gegners wehrlos zu machen und zur Kapitulation zu zwingen, ein diffuses Gemisch unterschiedlicher Gewaltakteure getreten ist, das von Interventionskräften mit dem Mandat internationaler Organisationen bis zu lokalen Warlords reicht, denen es um Sicherung von Macht und Einfluss innerhalb eines begrenzten Gebietes geht.1320 Daher ist, abstrakt betrachtet, der Krieg auch für Will eine besondere, von allen anderen verschiedene Art, politische Konflikte auszutragen, wobei für ihn die Besonderheit nicht in der Absicht liege, dem Kontrahenten den eigenen politischen Willen aufzuzwingen, sondern in der Anwendung des Mittels organisierter Gewalt und insofern unterscheide sich der Krieg nicht in der mit ihm verfolgten Absicht, dem ihm gesetzten Zweck, sondern im Mittel von anderen Arten des Austragens politischer Konflikte.1321 Evans bringt den Gedanken an das chamäleonhafte kriegerischer Auseinandersetzung insofern auf den Punkt,
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Thomas Rid, vom künftigen Kriege. Zur Clausewitz-Rezeption der amerikanischen Streitkräfte, in: ÖMZ 2004, S. 181 ff.; 185 Volker Matthies, Eine Welt voller neuer Kriege?, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 33 ff.; 40 vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 21; Zum Einfluss Sun Tsu’s auf spätere Kriegstheorien vgl. Marc McNelly, Sun Tzu and the Art of Modern Warfare, Oxford, New York 2001; Zum Werk des chinesischen Kriegsphilosophen vgl. auch zusammenfassend: Friedrich Lederer, Sun Zi: Die Kunst des Krieges, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 79 ff. Lothar Brock, Alt und neu, Krieg und Gewalt: Heuristische und normative Aspekte kategorialer Unterscheidungen, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 11 ff.; 13 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 16 Thomas Will, Operative Führung. Versuch einer begrifflichen Bestimmung im Rahmen von Clausewitz’ Theorie „Vom Kriege“, Hamburg 1997, S. 121
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als das er nach der Zukunft des Krieges unter den Bedingungen des schnellen stetigen Wandels und dem Gegensatz von Globalisierung und Fragmentierung herausstellt.1322 Aber auch die Grenzen zwischen Krieg und Frieden sind fließend mit der Folge, dass die gewohnte klare (und in rechtliche Kategorien gefasste) Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden für kleine Kriege nicht mehr getroffen werden kann.1323 Hier wird auch das deutlich, was Clausewitz bereits erkannte: Dass Krieg nämlich ein alle Lebensbereiche umfassender, nie ein isolierter,1324 Akt ist, in welcher Form er sich auch immer zeigen mag.1325 Insofern ist der Krieg auch niemals reduzierbar auf einen rein technischen, materiellen oder auf einen rein militäroperativen Vorgang.1326 Der Krieg war und ist ein ganz wesentlicher Gestaltungsfaktor in der Entwicklung von Staaten und Gesellschaften.1327 Das gilt nicht nur für das Tun sondern auch für das Unterlassen.1328 Insofern zeigt sich auch, dass, wie die Geschichte der Menschheit die Geschichte des Krieges ist,1329 auch die Geschichte des Völkerrechts eine Geschichte des Kriegsbegriffs ist.1330 Somit ist für Strässle Kriegsgeschichte auch immer Friedensgeschichte, da die (militärische) Sicherheit den Frieden gewährleistet.1331 Diese Betrachtungen machen deutlich, dass die Entwicklung der Normen des Völkerrechtes nicht mit den Wandlungen der Vorstellungen der Akteure in modernen Zeiten Schritt halten konnte.1332 Das geltende Recht ist von Staaten für bewaffnete Auseinandersetzungen geschaffen worden, in denen auf beiden Seiten des Streites Staaten als Konfliktparteien auftreten; die offene Anwendung von Gewalt tritt heute aber ganz überwiegend in Konfliktsituationen auf, in denen allenfalls nur eine der Konfliktparteien ein Staat ist, in denen jedoch häufig gar keine staatlichen Konfliktparteien (mehr) vorhanden oder erfassbar sind.1333 Die prinzipielle völkerrechtliche Gleichstellung der Staaten und die Zuerkennung der Souveränität war daran gebunden, dass die Konzentration der militärischen Gewalt auf dem Schlachtfeld erfolgte und die militärische Symmetrie mit den damit verbundenen Nachteilen akzeptiert wurde, die Staaten somit gehindert waren, in der Konfrontation mit kräftemäßig überlegenen Gegnern Zuflucht zu 1322 1323 1324 1325 1326 1327 1328 1329 1330 1331 1332 1333
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vgl. Michael Evans, Clausewitz’s chamäleon: military theory and practice in the early 21st century, in: Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan (Hrsg.), Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 26 ff.; 27 vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 20 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 94 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23 Paul M. Strässle, Krieger versus Soldat, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 8 ff.; 8 vgl. beispielhaft für eine wichtige weltpolitische Periode: Jost Dülffer, Martin Kröger, Rolf-Harald Wippich (Hrsg.), Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg, München 1997 Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 17 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, 2. Aufl. 1988, S. 1 Paul M. Strässle, Krieger versus Soldat, in: Albert A. Stahel, (Hrsg.) Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 8 ff.; 9 f. Dirk Freudenberg, Terrorismus: Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 23 Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 1204 f.
asymmetrischen Strategien zu suchen.1334 Münkler vertritt die Auffassung, dass dieses dem politischen System des zugrunde liegende Systems der Symmetrie sich grundsätzlich auf drei Ebenen bewährte: der Ebene der militärischen Strategie, der politischen Rationalität sowie der völkerrechtlichen Legitimität.1335 Tatsächlich aber zeigt sich, dass die Fragestellungen von Symmetrie und Asymmetrie zunächst auf der militärpolitischen Ebene zu stellen ist, die dann zu entscheiden hat, ob sie das Risiko eingehen will, auf der operativtaktischen Ebene zu dem Mittel zu greifen. Die völkerrechtliche Bewertung tritt dann oftmals dahinter zurück bzw. wird den faktischen Entwicklungen angepasst. Folglich stellt sich gerade heute die Frage, ob der Krieg nicht als Zustand de jure, sondern als Zustand de facto zu definieren und zu begreifen ist.1336 Hier zeigt sich auch die Schwierigkeit, aufgrund unterschiedlicher Perspektiven und Motive vom völkerrechtlichen, staats- und strafrechtlichen, politischen und militärischen Standpunkt das Phänomen materiell einheitlich zu bestimmen, einzuordnen und zu behandeln.1337 Das schließt sowohl die Wahl der Mittel als auch den Umgang mit den Akteuren ein.1338 Politische Attentate, die Unterstützung von Stellvertreterarmeen, militärische Strafexpeditionen sowie der Umsturz ganzer Regime sind hier eingeschlossen.1339 In diesem Zusammenhang wird somit auch von „nichttraditioneller Kriegführung“ (Nontraditional Warfare, NTW) gesprochen.1340 Es sind also Escheinungsformen bewaffneter Auseinandersetzungen und Konzeptionen der organisierten Gewaltanwendung entstanden, denen auf der Basis der klassischen Kriegsauffassungen nicht mehr begegnet werden kann.1341 In diesem Zusammenhang ist auch von der „Erosion des Völkerrechts“1342 die Rede. Es ist daher auch die alte Rechtsauffassung zu überdenken, ob Terroristen als gewöhnliche Kriminelle behandelt und abgehandelt werden müssen oder als Kriegsverbrecher zu ahnden sind, was sie keineswegs zum Soldaten des bewaffneten Kampfes gegen Ungerechtigkeit aufwertet, sondern als Gewaltverbrecher – als Parakriminelle der subkonventionellen Bedrohung1343 – mit besonderem 1334 1335 1336
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Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002, S. 118 f. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002, S. 120 f. Caleb Carr, Terrorismus – Die Sinnlose Gewalt. Historische Wurzeln und Möglichkeiten der Bekämpfung, München 2002, S. 204 f.; vgl. Michaela Schneider, Der 11. September und die militärischen Reaktionen: Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts?, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften, 2001, S. 222 ff.; 222 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 305 Dirk Freudenberg, Terrorismus: Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 1: Was ist Krieg heute?, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 3, S. 20 ff.; 23; vgl. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 305 Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff.; 25 vgl. William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002 Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, S. 1206 Werner Ruf, Die Erosion kodifizierten Völkerrechts durch die politische Praxis der Staaten, in: Sabine Jaberg, Peter Schlotter (Hrsg.), Imperiale Weltordnung – Trend des 21. Jahrhunderts?, Baden-Baden 2005, S. 215 ff. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www. obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 20: In diesem Zusammenhang vertritt Bakonyi die Ansicht, dass der Unterschied zwischen kriminellen Akteuren und Terroristen darin bestehe, dass Kriminelle ihre Taten verbergen und in der Regel, sofern sie vor ein Gericht gestellt werden, abstreiten, Terroristen hingegen – als politische Gewaltakteure – ihre Handlungen bekennen und begründen würden. (Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Ba-
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Status behandelt.1344 Gleichzeitig verwischt die Gleichsetzung von Terrorismus und Krieg eine Grenze, die für Jahrhunderte konstitutiv für die internationale Politik war und gefährdet Institutionen, die innen- und außenpolitisch für Stabilität sorgten.1345 Insofern verliert der Krieg auch seine ordnende oder auch klärende Funktion, wo er mangels friedlicher Konfliktlösung zu einem allerdings oftmals umstrittenen oder zweifelhaften Ausgang führt.1346 4.6
Das Problem der Definition des Phänomens „Terrorismus“
Die Frage, wie man Terrorismus eigentlich definieren könnte, gestaltet sich als außerordentlich schwierig; es wird sogar die Ansicht vertreten, „die semantische Wortklauberei habe die zweckbestimmte Theorie überflügelt“1347 und sei „schon bis zur Langeweile durchgekaut.“1348 Zudem decken sich die Kategorien politischer und historischer Analyse nicht mit denen polizeilicher, juristischer und amtspsychologischer Beschreibungen.1349 Weiterhin wird durch die politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den zahlreichen Phänomenen, auf die man den Begriff anwendet, die Bestimmung dieses politischen Schlag- und Reizwortes auch erschwert.1350 Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Erfassung des Phänomens liegt in den unterschiedlichen Erscheinungsformen, die von Land zu Land und von Generation zu Generation sehr verschieden sein können.1351 Neben der Erscheinung von Akten, die von Angehörigen eines Staates gegen Angehörige desselben Staates begangen werden (nationaler oder auch Binnenterrorismus), stehen Vorgehensweisen, die in einem fremden Land unter denselben Voraussetzungen begangen werden (transnationaler Terrorismus), also gleichsam nationaler Terrorismus auf fremden Staatsgebiet, und Taten, die durch Terrorgruppen gemischter oder einheitlicher Nationalität in Drittlän-
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konyi, [Hrsg.], Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 6 f.) Gustav Däniker, Die „neue“ Dimension des Terrorismus – Ein strategisches Problem, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 121 ff.; 134; In diesem Sinne schlug bereits Klien vor, den illegalen Partisanenkampf und die Beteiligung der Zivilbevölkerung an den Feindseligkeiten als verbotene Kriegshandlungen eines Völkerstrafrechtes einzuordnen, so dass derjenige, welcher dann verbotene Kriegshandlungen begeht, ein Verbrecher ist, der sich strafbar macht. (Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 383) Christopher Daase, Terrorismus und Krieg. Zukunftsszenarien politischer Gewalt nach dem 11. September 2001, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 365 ff.; 365 Curt Gasteyger, Neue Konflikte und internationale Ordnung, in: Sabine von Schorlemmer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO. Die Vereinten Nationen im Lichte globaler Herausforderungen, Berlin, Heidelberg, 2003, S. 1 ff.; 5 Samuel P. Huntington, Der Guerillakrieg in Theorie und Politik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 17 ff.; 17 Lawrence Freedman, Die Auswirkung des Terrorismus auf die internationale Sicherheit, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2002, Bd. 2, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 483 ff.; 458 Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 7 Karl Markus Kreis, Der internationale Terrorismus, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 158 ff.; 158 Walter Laqueur, Interpretationen des Terrorismus: Fakten, Fiktionen und politische Wissenschaft, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 37 ff.; 37; vgl. David C. Wittaker, The Terrorism Reader, London, New York 2001, S. 5 ff.
dern durchgeführt werden (internationaler Terrorismus).1352 Der nationale Terrorismus als interne Erscheinungsform des Terrorismus agiert – vom Grundsatz her – ausschließlich im Heimatstaat der terroristischen Gruppen oder Einzeltäter, wobei Täter und Opfer hier derselben staatlichen Autorität unterstehen, die zu beseitigen oder zu verändern Zweck der Terrorakte ist.1353 Der internationale Terrorismus „älterer“ Prägung folgt wie der interne Terrorismus einer lokalen oder regionalen Zielsetzung, wobei jedoch die Akteure in der Regel eine Strategie der Internationalisierung von lokalen Konflikten verfolgen, indem gezielt ausländische Opfer im eigenen Land angegriffen oder aber terroristische Aktionen im Ausland durchgeführt werden, um auf diese Weise im internationalen Rahmen Aufmerksamkeit zu erregen und um das lokale Problem auf die internationale Agenda zu setzen.1354 Anschläge mit internationaler Dimension wurden in der Vergangenheit einem Staat zugeschrieben und somit als ein Mittel der Außenpolitik dieser Staaten angesehen.1355 Der transnationale Terrorismus stellt in diesem Zusammenhang nicht nur eine Weiterentwicklung und Perfektionierung des Terrorismus „alten Typs dar, indem es ihm gelingt, Zwänge und Abhängigkeiten des nationalen und internationalen Terrorismus zu reduzieren.1356 Die Merkmale des „neuen“ transnationalen Terrorismus sind die multinationale Zusammensetzung der terroristischen Gruppierung, die (vorwiegend) private Unterstützung und Finanzierung1357 sowie ein gleichzeitiges Operieren in mehreren Staaten zugleich und / oder über Staatsgrenzen hinweg mit der Tendenz zur Bildung von Netzwerken, die sich durch dezentrale Organisation und eine hohe Mobilität der Organisationseinheiten auszeichnen.1358 Mithin bedeutet der transnationale Terrorismus das Zusammenwirken zwischen nichtstaatlichen Akteuren, welche nicht von Staaten gesteuert werden.1359 Zweck des transnationalen
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Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 29; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 24; vgl. Kai Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291, Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, 2. Quartal 2006, S. 24 ff.; 24 vgl. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 49; vgl. Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 40 Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.;49 Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 109 ff.; S. 111, FN 2 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 40 ff. Zur Finanzierung der Al Qaida vgl. Michael E. G. Chandler, The Incricadies of Founding the al Qaida Network, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 69 f. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 49; vgl. Jutta Bakonyi, Cord Jakobeit, Internationale Kriminalität/Internationaler Terrorismus, in: Siegmar Schmidt, Gunter Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden 2007, S. 660 ff.; 666 Luise Richardson, Global Rebels: Terrorist Organisations as Trans-National Actors, in: Russel D. Howard, Reid L. Sawyer, Terrorism and Counterterrorism. Understanding the New Security Environment. Readings & Interpretations, Guilford, Connecticut, S. 67 ff.; 68
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Terrors ist die Änderung der internationalen oder regionalen Ordnungen mit zum Teil staatsübergreifenden Gesellschaftsmodellen.1360 4.6.1
Das Definitionsproblem auf der internationalen Ebene
Wenn auch immer wieder eine einheitliche Definition dessen gefordert wird, was „Terrorismus“ ist1361, gibt es für den Begriff zurzeit weder im geltenden Völkerrecht1362 noch auf der Ebene der Vereinten Nationen und ebenso auf wissenschaftlicher Ebene eine einheitliche Definition. Auch innerhalb einzelner Staaten haben unterschiedliche Behörden zum Teil voneinander abweichende Festlegungen.1363 Aus der Tatsache, dass bislang weder eine einheitliche Definition noch eine begrifflich eindeutige Trennlinie zwischen den verschiedenen Gewaltphänomenen gezogen werden konnte, wird abgeleitet, dass sowohl die Komplexität des Gegenstandes als auch die dynamische Realität moderner Gewaltkonflikte sich der definitorischen Subsumtion sperren.1364 Die Definitionsversuche kreisen immer wieder um die Frage der Abgrenzung des Terrorismus von krimineller Gewalt oder militärischer Aktion.1365 Das Gleiche gilt ebenso für die Begriffe „Terror“ und „Terroristen“.1366 Dabei wird angeführt, dass die Schwierigkeit der Abgrenzung von Terrorismus und Krieg weniger in der Komplexität des Gegenstandes selbst begründet sei, als in der Tatsache, dass sich zum einen die Begriffe Krieg und Terrorismus auf unterschiedliche Abstraktionsebenen bezögen und zum anderen in die Bezeichnung eines Gewaltaktes als „terroristisch“ ebenso
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vgl. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 49 So fordert der VN-Generalsekretär Kofi Annan eine Begriffsabgrenzung, „die deutlich macht, dass es sich bei all jenen Handlungen um Terrorismus handelt, die die Absicht haben, den Tod oder schwere körperliche Schäden bei Zivilisten und nicht Kämpfenden herbeizuführen, mit dem Ziel, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation dazu zu zwingen, etwas zu tun oder zu unterlassen.“ (IAP-Dienst-Courier, Tagesmeldungen, Nr. 046/2005 vom 11.03.2005, S.2) Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 50; vgl. Ralph Alexander Lorz, Lars Mammen, Bedeutung multilateraler Konventionen für das Vorgehen gegen Terrorismus, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 321 ff.; 324; vgl. Wolfgang S. Heinz, Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz, in: Holger Zetzsche, Stephan Weber (Hrsg.), Recht und Militär. 50 Jahre Rechtspflege der Bundeswehr, Baden-Baden 2006, S. 123 ff.; 123 So z.B. in den USA. (vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 6) Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 5 f. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 11;vgl. Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699; Brian Jenkins wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, wo eigentlich der Unterschied in dem Verhalten bestehe, einen mit Sprengstoff gefüllen LKW in eine Botschaft zu steuern, oder Bomben auf eine Stadt abzuwerfen. (Brian M. Jenkins, International Terrorism: The Other World War, in: Charles W. Kegley, Jr. [Hrsg.],The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 15 ff.; 16) Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 161
sehr strategisch-politische Interessen wie normative Grundpositionen einflössen.1367 Dennoch werden an die Existenz des Terrorismus zum Teil konkrete Rechtsfolgen gebunden, indem an die Erfüllung spezieller Delikte (z.B. Flugzeugentführung; Geiselnahme) oder die Schädigung bestimmter Personenkreise (z.B. Diplomaten) angeknüpft wird.1368 Dabei wurden bereits im Jahre 1937 in einem durch den Völkerbund erarbeiteten Übereinkommen Terrorakte als „kriminelle Taten, die gegen einen Staat gerichtet sind und das Ziel verfolgen, bestimmte Personen, eine Gruppe von Menschen oder die Allgemeinheit in einen Zustand der Angst zu versetzen“, definiert.1369 Diese Konvention ist allerdings nie in Kraft getreten. Unklar bleibt die rechtlich bedeutsame Unterscheidung zwischen Terrorismus und völkerrechtlich zulässigen Widerstandshandlungen.1370 Dennoch ist das erste wichtige Element jeder internationalen Terrorismus-Bekämpfung die Einigung auf eine gemeinsame Definition.1371 Das Problem des Terrorismus ist für die Vereinten Nationen erst zu Beginn der siebziger Jahre in Reaktion auf zahlreiche vorangegangene Flugzeugentführungen, Geiselnahmen, Anschläge auf Diplomaten und insbesondere den Überfall auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972 mit dem Entwurf einer Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wieder aktuell geworden.1372 Dieser amerikanische Vorschlag wurde vor allem von den Entwicklungsländern und den arabischen Staaten abgelehnt, die der Auffassung waren, dass mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus lediglich versucht werden sollte, den legitimen Kampf von Befreiungsbewegungen als Terrorismus zu brandmarken und zu verhindern.1373 Diese Staaten, in denen es als den Beherrschten 1367 1368 1369
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Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 6 Kirsten Schmalenbach, Der internationale Terrorismus. Ein Definitionsversuch, in: NZWehrr 2000, Heft 1, S. 15 ff.; 16; vgl. Hans-Jürgen Bartsch, Das Europäische Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus, in NJW 1977, S. 1985 ff.; 1986 Doris König, Terrorismus, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 847 ff.; 847; vgl. Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 217 ff.; 220 f.; vgl. Christian Tietje, Karsten Nowrot, Völkerrechtliche Aspekte militärischer Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, in: NZWehrr 2002, Heft 1, S. 1ff.; 2; vgl. Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 50; vgl. Richard J. Erickson, Legitimate Use of Force Against State-Sponsored International Terrorism, Honolulu 2002, S. 28 Birgit Laubach, Ulrich K. Preuß, Joscha Schmierer, Peter-Tobias Stoll, Memorandum. Die Rolle des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Zukunft des Völkerrechts in einer globalisierten Welt, Baden-Baden 2006, S. 11 ff.; 50; vgl. Uwe Backes, Auf der Suche nach einer international konsensfähigen Terrorismusdefinition, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002 / 2003, Frankfurt 2003, S. 153 ff.; 154 Christian Walter, Zwischen Selbstverteidigung und Völkerstrafrecht: Bausteine für ein internationales Recht der „präventiven-Terrorismus-Bekämpfung“, in: Dieter Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorbekämpfung durch Streitkräfte. Legal Issues of Military Counter-Terrorist Operations with English Executive Summary, S. 23 ff.; 32 Doris König, Terrorismus, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 847 ff.; 848; vgl. Rainer Lagoni, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 259 ff.; 259 Doris König, Terrorismus, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 847 ff.; 848; vgl. Norman Paech, Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001, S. 503 f.; vgl. Herfried Münkler, Gewalt und Ordnung. Das Bild des
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selbst vielfach gelang, den Opferstatus zu verweigern und die dabei oftmals selbst zu Tätern wurden und extensiv Gewalt vor und nach der Befreiung einsetzten,1374 sahen hierin den Versuch des „neokolonialistischen Westens“, den Kolonialkampf nachträglich als Verbrechen einzustufen.1375 Insbesondere war die Forderung umstritten, per definitionem den Terrorismus von nationalen Befreiungsbewegungen und Maßnahmen des Selbstbestimmungsrechtes abzugrenzen.1376 Die im 20. Jahrhundert vereinbarte völkerrechtliche Norm des Selbstbestimmungsrechts der Völker hat somit auch ein dynamisches Element in das Völkerrecht eingebracht und zugleich viele Fragen aufgeworfen, die insbesondere mit der gewaltsamen Verwirklichung dieses Rechtes zusammenhängen.1377 4.6.1.1
Der Interessenkonflikt bei der Einordnung und Bestimmung
Die überwunden geglaubte Lehre vom gerechten Krieg hatte mit dem nationalen Befreiungskampf einen neuen Anwendungsbereich erhalten und die Differenzierung zwischen einer „gerechten“ und einer „ungerechten“ Gewaltanwendung kann in der gegenwärtigen Verfassung der Staatenwelt die Friedlosigkeit nicht überwinden.1378 Insofern gibt es heute mehr als hundert verschiedene Terrorismus-Definitionen, wobei es bei der Bewertung, ob eine Person oder eine Gruppe als terroristisch einzustufen ist, in der Praxis oftmals auf die jeweilige Perspektive bzw. das konkrete Interesse des Beurteilenden ankommt.1379 Es bleibt häufig unklar, ob Terrorismus als politischer oder krimineller Akt einzustufen ist1380 und es gibt auch keine allgemein verbindliche Definition dessen, was einen Terroristen aus der Masse sonstiger Krimineller heraushebt.1381 Nach Taus geht es Terroristen nicht darum, persönliche Vorteile zu gewinnen.1382 Terrorismus wird auf der einen Seite in einem Länder und Kulturen übergreifenden Verständnis als illegale und illegitime Anwendung von Gewalt verurteilt, auf der anderen Seite aber die verdeckte Gewaltanwendung auch gegen
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Krieges im politischen Denken, Frankfurt am Main 1992, S. 146; vgl. Herfried Münkler, Guerillakrieg und Terrorismus, in: Neue Politische Literatur 1980, S. 299 ff.; 301; vgl. Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 741 Thomas Lindenberger, Alf Lüdtke, Einleitung, in: Thomas Lindenberger, Alf Lüdtke (Hrsg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt am Main 1995, S. 7 ff.; 8; vgl. Reinhard Kühnl, Krieg und Frieden, Heilbronn 2003, S. 44 Sabine Bennigsen, Befreiungsbewegungen, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 38 ff.; 40; vgl. Paul R. Pillar, Terrorism and U.S. Foreign Policy, Washington D.C. 2001, S. 12 f. Christian Meiser, Christian von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UNCharta, Baden-Baden 2005, S. 20 Hans-Joachim Heintze, Ächtung des Terrorismus durch das Völkerrecht, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 67 ff.; 73 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 741 vgl. Norman Paech, Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001, S. 503 ff. vgl. Beau Grossup, The Newest Explosions of Terrorism. From the Cold War to the World Trade Center/Pentagon Attacs, 2. Aufl., Far Hills, New Jersey 2002, S. 6 Peter Dreist, Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Inneren, in: NZWehrr 2004, S. 89 ff., 92 Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699
unbeteiligte Zivilisten von zahlreichen Befreiungsbewegungen als Mittel in einem legitimen Kampf betrachtet.1383 Für Hirschmann bezeichnet der Begriff „Terrorismus“ ausschließlich eine illegale und menschenverachtende Handlungsmethode, trifft aber keine Aussage über die Legitimität oder Verständlichkeit der angestrebten Ziele.1384 Allerdings sind die Begriffe „illegal“ und „menschenverachtend“ bei Hirschmann auch insofern unbestimmt, als dass er offen lässt, wo deren Anknüpfungspunkte sind. Was für den einen bei der Auslegung ein „terrorist act“ ist, welchen es zu verhindern gilt, mag für den anderen lediglich eine politische Unfreundlichkeit sein, welche von der Meinungsfreiheit oder der politischen Bewegungsfreiheit gedeckt ist.1385 Eben dieser Relativismus macht es unmöglich, eine allgemein akzeptierte Definition des Terrorismus zu formulieren.1386 Insofern ist eine solche Einstufung oftmals von der gelegentlichen oder auch etablierten wechselseitigen Unterstützung und Zusammenarbeit bzw. ihrer fallweisen Nutzung durch interessierte Staaten abhängig. Diese könnten das Mittel des Terrorismus als „Ersatzkrieg“ zur Schädigung oder Beeinflussung anderer Staaten einsetzen, ohne die Schwelle eines offenen Kampfes zu erreichen und ohne selber als Beteiligte in Erscheinung zu treten.1387 Folglich liegt die Schwierigkeit zunächst darin, den Begriff des Krieges zu fassen. 4.6.1.2
Die Einordnung und Bestimmung durch das Völkerrecht
Das Kriegsrecht schränkt den Personenkreis ein, der zum Kämpfen berechtigt und nicht berechtigt ist.1388 Die völkerrechtliche Stellung der irregulären Kämpfer hat ihre wesentliche Grundlage in der Unterscheidung und Abgrenzung der Streitmacht von der Zivilbevöl1383 1384 1385
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Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 184 Kai Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291, Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, 2. Quartal 2006, S. 24 ff.; 24 Bruno Simma, Terrorismus und Völkerrecht, in: Ellen Bos, Antje Helmerich (Hrsg.), Neue Bedrohung Terrorismus. Der 11. Septemer 2001 und die Folgen, Münster 2003, S. 93 ff.; 97; Dementsprechend bringt Däniker es auf den Punkt: „Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer.“ (Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 20); So auch: Uwe Backes, Auf der Suche nach einer international konsensfähigen Terrorismusdefinition, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002 / 2003, Frankfurt 2003, S. 153 ff.; 154; vgl. Luc Giradin, Marcel Peter, Hervé Sanglard, Krieg und Terrorismus – Welche Zukunft? Internationaler Terrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php ?print=&artikel=354, Internet vom 25.08.2006, S. 2; vgl. Peter Dreist, Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Inneren, in: NZWehrr 2004, S. 89 ff., 92; Dieser Ausspruch wird zuweilen auch dem früheren US-Präsidenten Ronald Reagan als Diktum zugeschrieben. (vgl. für viele Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 161) Anet ersetzt diese Diktion durch die Gegenüberstellung von „… Helden… [und] …Kriminelle“. (vgl. Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 12) Eine Studie der IABG spricht gar vom politischen Missbrauch des Begriffs „Terrorismus“ (Manfred Eberhard, Bedrohung durch Kampf gegen irreguläre Kräfte bei Einsätzen im Rahmen der Konfliktverhütung / Krisenbewältigung, 2. Zwischenbericht zur IABG-Studie, Ottobrunn 2004) Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 12 Karl Markus Kreis, Der internationale Terrorismus, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 158 ff.; 170 f. Armin Steinkamm, Grundlagen und Entwicklung des Kriegsvölkerrechts und ausgewählte Kategorien der Kriegsverbrechen, in: Franz W. Seidler, Alfred M. de Zayas (Hrsg.), Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 313 ff.; 318
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kerung, der Kombattanten von den Nichtkombattanten.1389 Das klassische Kriegsvölkerrecht geht von einer scharfen Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten aus; durch diese klare Unterscheidung sollte im Kriegsfalle die Gewaltanwendung auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt bleiben, die Zivilbevölkerung geschützt und der chaotische Volkskrieg vermieden werden.1390 Der Hauptgrund der Kriegshumanität ist, die Zielsetzung durch unerlaubte Kampfmethoden zu verhindern, was mit erlaubten Mitteln nicht oder nur schwer erreicht werden kann.1391 Die Beschränkung der Gewaltanwendung auf bestimmte Personen und bestimmte Mittel ist Inhalt der ältesten Norm des Kriegsrechts und ist im Mittelpunkt des gesamten Kriegsrechts geblieben.1392 Nur Kombattanten dürfen kämpfen und bekämpft werden.1393 Diese Gedanken fußen auf der Überlegung, dass Menschen kriegerische Handlungen vornehmen und gegen Menschen kriegerische Handlungen gesetzt werden, der Mensch also im Mittelpunkt jeder kriegerischen Gewalttat steht.1394 Vom Augenblick des Kriegsbeginns an treten die kriegsfähigen Rechtssubjekte in den Kriegszustand und das Kriegsrecht regelt die gegenseitigen Beziehungen zwischen den „Kriegführenden“1395 mit dem Ziel, bei der Durchführung militärischer Operationen Tod und Zerstörung zu verhindern bzw. zumindest insoweit zu begrenzen, als es die Wirklichkeit des bewaffneten Konflikts zulässt.1396 Aufständische Organisationen oder „kriegführende Parteien“ können nur eine partielle Völkerrechtssubjektivität erlangen, wenn sie eine de facto-Herrschaft erlangt haben, indem sie sich auf einem bestimmten Gebiet längere Zeit behaupten, also ein Territorium effektiv beherrschen.1397 4.6.2
Kriegsrecht und Kleinkrieg
Das Kriegsrecht hat die Kleinkriegskämpfer lange Zeit außerhalb der geltenden Normen gestellt und ihre Akteure dementsprechend auch außerhalb desselben abgeurteilt.1398 Der bewaffnete Gewalt ausübende „Rebell“ ist nach traditioneller Vorstellung tendenziell ein
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Jürg H. Schmid, Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Geltungsbereiches der Genfer Konventionen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949, Zürich 1956, S. 1 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 742 Rudolf Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1939-1945, Augsburg 1982, S. 20 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986, S. 23; vgl. Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 343 Armin Steinkamm, Grundlagen und Entwicklung des Kriegsvölkerrechts und ausgewählte Kategorien der Kriegsverbrechen, in: Franz W. Seidler, Alfred M. de Zayas (Hrsg.), Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 313 ff.; 318 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 69; vgl. Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 343 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 167 Andreas von Block-Schlesier, Zur Frage der Akzeptanz des humanitären Völkerrechts am Ende des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 1999, S. 25 Alfred Verdross, Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl., Berlin 1984, §§ 404 f. vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 31 f.
Verbrecher und kein gerechtfertigter „Kombattant“.1399 Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1899 und 1907 war ein Versuch einer völkerrechtlichen Eingrenzung des Krieges. Die HLKO geht noch von einem kontinentalen Kriegsbegriff im Gegensatz zur angelsächsischen Auffassung als Kampf zwischen den Staaten und nicht als Krieg zwischen den Völkern bis zum letzten Individuum aus und setzt eine Auseinandersetzung in erster Linie zwischen den militärischen Kräften voraus.1400 Diese Konventionen, die vorwiegend Fragen der Führung von Feindseligkeiten, also der Berechtigung zur Teilnahme an Kampfhandlungen, unzulässige Angriffsziele und entsprechende Kampfmittel betreffen, wollten kriegerische Operationen auf das militärisch Notwendige beschränken.1401 Eine enge Fassung des Begriffs des „Kriegführenden“, den die größeren Teilnehmerstaaten der Konferenzen durchsetzen wollten, war gegen den Widerstand der belgischen, niederländischen und schweizer Delegationen nicht durchzusetzen, die den Freischärlerkampf nicht ausgeschlossen wissen wollten und der Ansicht waren, auf den Guerillakrieg nicht verzichten zu können.1402 Durch die Haager Landkriegsordnung waren die Freischaren, die als der regulären Armee angegliedert betrachtet wurden, dem Kriegsrecht unterstellt, und zugleich war die Bevölkerung eines noch nicht besetzten Gebietes, die sich beim Herannahen eines Gegners zum Waffenkampf erhebt, als „leveé en masse“, als Teil der kriegführenden Macht anerkannt.1403 Damit wurden verbindliche Regelungen für Milizen, Freikorps und Volksaufstände getroffen, denen unter engen Bedingungen Kombattantenstatus zugebilligt wurde.1404 Kriegsvölkerrechtlich war hiermit ein schwerwiegendes Problem verbunden, da die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten wegfiel, die wesentliche Einschränkungen der Kriegsgräuel bewirkt hatte, und jeder aktiv am kriegerischen Kampf teilnehmen konnte, auch ohne als Angehöriger einer regulären Truppe erkennbar zu sein.1405 Somit konnte jeder am Tage auf der Straße harmlos erscheinende Zivilist bei Nacht und Nebel ein Partisan, Guerillero, Franktireur, Heckenschütze sein, der sich am Überfall auf Transporte, Versorgungsdepots, einzelne Personen, abgelegene Feldwachen, Kuriere, zurückgebliebene Marschkranke oder Verwundete beteiligte.1406 Gegen Freischärler und die
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Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 287 f. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 13 Dietrich Schindler, Zukunftsperspektiven des humanitären Völkerrechts, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 22. f. 22 Rudolf Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1939-1945, Augsburg 1982, S. 21; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 211 ff. Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1149; vgl. Klemens Fischer, Humanitäts-, Kriegs- und Neutralitätsrecht sowie Kulturgüterschutz. Ein Leitfaden durch das Völkerrecht für die Truppe, Wien 1991, RN 123 Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 70 f.; vgl. Sir Thomas Barclay, Guerrilla, in: The Encyclopaedia Britannica, 14. Aufl. London, New York 1932, S. 950 Volkmar Regling, Grundzüge der Landkriegsführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden. 16481939, Bd. 6, Abschnitt IX Grundzüge der militärischen Kriegsführung 1648-1939, München 1983, S. 11 ff.; 194 Volkmar Regling, Grundzüge der Landkriegsführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden. 1648-
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sie unterstützende Zivilbevölkerung wurde nun besonders in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges am Balkan, in Galizien, in Belgien1407 und Nordfrankreich sowie in der Bukowina mit aller Härte vorgegangen, und im Zweiten Weltkrieg traten diese Formen des Kleinkrieges an nahezu allen Kriegsschauplätzen in Erscheinung, wobei wieder Schwerpunkte am Balkan und Osteuropa zu verzeichnen waren.1408 Alle Widerstandsformen gegen die deutschen Invasions- und Okkupationstruppen wurden in den Nürnberger Prozessen durch Notwehr zur Abwehr eines Aggressionskrieges wegen Nichtanwendbarkeit des formellen Völkerrechts gerechtfertigt und damit sei jede Art von Partisanenkriegsführung inklusive Banditentum erlaubt.1409 Die nicht mehr aufrechterhaltene Identifikation des Partisanen mit dem Kriegsverbrecher findet ihren Ausgangspunkt somit in der Judikatur der Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg.1410 Die vier Genfer Abkommen vom 12.08.1949 und das Zusatzprotokoll von 1977 haben den Schutz des Kriegsrechts auf organisierte Widerstandsgruppen im besetzten Gebiet erweitert, wenn sie durch einen verantwortlichen Führer, ein bestimmtes, bleibendes, aus der Ferne erkennbares Zeichen, das offene Tragen1411 der Waffen und die Beachtung der Regeln und Gebräuche des Krieges erkennbar sind.1412 Damit hat man versucht, auf die Ausbreitung des Guerillakrieges zu reagieren und auch Kleine Kriege einzuhegen.1413 Materiellrechtlich bestehen somit keine allzu großen Unterschiede zwischen internationalem und nicht-internationalem Konflikt mehr, bis auf das Institut der „Kombattantenimmunität“, das an die organschaftliche Stellung des staatlichen Militärs als Träger des staatlichen Gewaltmonopols die Vermutung der Rechtfertigung des Gewalteinsatzes knüpft und diesen damit von jeder Bestrafung für seine Teilnahme an Gewalthandlungen freistellt – mit Ausnahme von Kriegsverbrechen.1414 Eine derartige Straffreistellung kann es für Situationen des Bürgerkrieges und der Aufstandsbe-
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1939, Bd. 6, Abschnitt IX. Grundzüge der militärischen Kriegsführung 1648-1939, München 1983, S. 11 ff.; 194 zu den Vorgängen in Belgien vgl. Herbert Weihmann, Volkskrieg in Belgien – Ereignisse in LÖWEN 25 - 28. August 1914. Recht ist die Grundlage jeden militärischen Handelns, in: Grundsätze der Truppenführung im Lichte der Operationsführung von vier Jahrhunderten. Eine Sammlung der Kriegs- und Operationsgeschichte vom Dreißigjährigen Krieg bis heute, Hamburg, Paris 1999, S. 82 ff. Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 20 vgl. Jürg H. Schmid, Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Geltungsbereiches der Genfer Konventionen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949, Zürich 1956, S. 64 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 245; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 283 ff. Das für die Praxis eine besondere Rolle spielende Merkmal des „offenen Tragens“ der Waffen ist so zu verstehen, dass Tarnung und ähnliche militärische Maßnahmen nicht verboten sind. (Jürgen Schreiber, Partisanen, Widerstandkämpfer, Saboteure, in: Wehrkunde 1961, S. 538 ff.; 539) Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1149; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 330; vgl. Jürgen Schreiber, Partisanen, Widerstandkämpfer, Saboteure, in: Wehrkunde 1961, S. 538 ff.; 539; Sacherer weist im Übrigen darauf hin, dass diese Regelung erst unter dem Einfluss der Konferenzteilnehmer aus der Dritten Welt zustande gekommen ist und zugleich diese Weiterentwicklung des Völkerrechts der marxistischen Lehre von den „nationalen Befreiungskriegen“ und den damit verbundenen sowjetischen Absichten nicht ungelegen kam. (Johannes Sacherer, Der Krieg und seine Regelung im Wandel des Völkerrechts, in: ÖMZ 1990, S. 120 ff.; 124) Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 156 Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 289
kämpfung definitionsgemäß nicht geben, ist die Prärogative der strafrechtlichen Verfolgung der aufständischen Gewalt doch untrennbarer Teil des staatlichen Gewaltmonopols.1415 Folglich kann es auch in der asymmetrischen Situation, die das Verhältnis der Organe des staatlichen Gewaltmonopols zu Verbrechern kennzeichnet, nach traditionellem rechtlichem Verständnis keine Gleichheit der Rechtsstellung geben.1416 4.6.2.1
Völkerrechtliche Privilegierung des Irregulären
Das Privileg des Schutzes bewaffneter Widerstandsgruppen gilt aber nur für den offenen Kampf.1417 Was allerdings diese Unterscheidungspflicht tatsächlich bedeutet, bleibt dunkel.1418 Es stellt sich die Frage nach der praktischen Anwendbarkeit: Je nach Interessenlage haben die Akteure das Recht zu ihren Gunsten ausgelegt, und der Rechtsstatus des Krieges ist umstritten geblieben.1419 Damit ist der Partisanenkampf fast zu einem legitimen Mittel der modernen Kriegführung geworden1420 und der Kreis der legalen Kombattanten erweitert worden.1421 Die neue Bewertung der Zusatzprotokolle zur Genfer Konvention führte zu vielen problematischen Nebeneffekten und lässt den Partisanen, aber auch den Gegnern in der Interpretation noch immer einen weiten Spielraum1422 und ermöglicht es, dass aus tatsächlicher Übung entstandenes Gewohnheitsrecht in die Lücken bricht.1423 Die Unschärfe der Grenzlinie wird unter anderem hervorgerufen durch das Verschwimmen des Kriegsbildes, das in den durch die kriegsvölkerrechtlichen Abkommen gebildeten Rahmen nicht mehr hineinpassen will.1424 Das Völkerrecht hat versucht, die Irregularität des Kleinen Krieges in den Griff zu bekommen, um die besondere Grausamkeit der Kleinkriegsführung zu mindern und die Zivilbevölkerung auch bei dieser Konfliktform zu schützen.1425 Zuweilen wird die Ansicht vertreten, dass bei aller Irregularität von Partisanen und Guerilla auch die von ihnen ausgehende Gewalt auf die Etablierung einer regulären Herrschaft eines Staa1415
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Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 289 f. Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; Stefan Oeter, Entwicklungstendenzen bewaffneter Gewalt und das Völkerrecht, in: Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über)lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004, S. 286 ff.; 289 f. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986, S. 248 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 742; Hinsichtlich der Partisanentätigkeit im Zweiten Weltkrieg und der Tatsache, dass es hier für die Privilegierung als Kombattant zumeist an dem notwendigen Erfordernis des kummulativen Vorliegens aller Voraussetzungen des Art 1 HLKO fehlte vgl. Jürgen Schreiber, Partisanen, Widerstandkämpfer, Saboteure, in: Wehrkunde 1961, S. 538 ff.; 540 Christopher Daase, Die Theorie des Kleinen Krieges revisited, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 151 ff.; 156 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 13 f u. S. 331 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 340 Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 19 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 15 Karl Johanny, Der Tatbestand des Kriegsverbrechens und Moderner Kleinkrieg unter Berücksichtigung der Legitimität der Teilnehmer, Dissertation, Würzburg 1966, S. 6 Christopher Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung. Wie konventionelle Kriegführung die internationale Politik verändert, Baden-Baden 1999, S. 239
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tes ziele, wobei genau jene auf die Anerkennung als „gerechter“ Feind gerichteten Embleme trügen, welche – wenn auch nur rudimentär – den Keim einer zukünftigen staatlichen Ordnung in sich tragen.1426 Die Irregulären genössen also der von ihnen zur Schau getragenen Embleme zukünftiger Staatlichkeit wegen Schutz.1427 Diese Argumentation lässt natürlich viele Freisprechungen zu; tatsächlich dient sie einseitig dem Schutz des Irregulären. Das Gleiche gilt für den immer wieder erhobenen Anspruch von Irregulären auf den Status von Kombattanten. Auch Terroristen fordern immer wieder, gemäß den Bestimmungen der Genfer Konvention als Kriegsgefangene behandelt zu werden, sind aber ihrerseits nicht bereit, die Vorbedingungen dafür zu erfüllen, das heißt, keine Kriegsverbrechen zu begehen.1428 Mit dieser Entwicklung wurde somit eines der ursprünglichen Merkmale des Guerilla, ein „Irregulärer“ zu sein, der als ein abscheulicher Verbrecher einfach außerhalb des Rechts stand,1429 abgetragen und durch den Status des Regulären ersetzt und ihm somit Legalität und Legitimität zugesprochen.1430 Gleichzeitig wurden aber die wesentlichen Unterscheidungen von Krieg und Frieden, Militär und Zivil, Feind und Verbrecher, Staatenkrieg und Bürgerkrieg in Frage gestellt und somit einer Art von Krieg die Tür geöffnet, die diese klaren Trennungen bewusst zerstört1431 und die klare Unterscheidung zwischen legalem Kombattant und Partisan durchlöchert.1432 Damit ist für Münkler auch die wichtigste Errungenschaft des Kriegsvölkerrechts, die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, obsolet geworden.1433 1426 1427 1428 1429 1430
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Dan Diner, Steht das ius in bello in Frage? Über Regulierung und Deregulierung von Gewalt, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 59 ff.; 64 Dan Diner, Steht das ius in bello in Frage? Über Regulierung und Deregulierung von Gewalt, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 59 ff.; 64 Walter Laqueur, Strategien für den schlimmsten Fall. Reaktionsoptionen auf terroristische Angriffe mit Massenvernichtungswaffen, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 177 ff.; 183 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 17 Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 53; Unter Legitimität versteht man gewöhnlich – im Unterschied zur Legalität, die nur die rein äußere, formale Übereinstimmung mit einer konkreten gesetzlichen Ordnung meint – eine inner substanzielle Konformität mit Recht, nicht bloß mit Gesetz; Legalität bedeutet dagegen Rechtfertigung von Herrschaft und Norm aus dem Wesen und vom Inhalt her. (Friedrich August Frhr. von der Heydte, Legitimität, in: GörresGesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 5, 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1960, Spalte 333 ff.; 333; vgl. Hans Boldt, Legalität, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1996, S. 382 f.; vgl. Hella Mandt, Legitimität, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1996, S. 383 ff.; vgl. Thomas Würtenberger, Legitimität, Legalität, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek [Hrsg.], Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 3, Stuttgart 2004, S. 677 ff.; 677) Carl Schmitt diskutiert die Legalität auch als „die höchste Form der Legitimität“, welche die „Irregularität des Partisanen in eine tödliche Illegalität [verwandelt]“. (vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 85) Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 37; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 17 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 742 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 138
Folglich soll an dieser Stelle noch einmal der Versuch gestartet werden, sich dem Problem des Terrorismus von seinem sprachlichen Ursprung her und seinem Gebrauch zu nähern. 4.6.3
Die Einordnung des Begriffs Terrorismus
Als ein politisch umstrittener und wissenschaftlich schillernder Begriff hält Münkler die Versuche, den Begriff des Terrorismus über den Rekurs auf die Legitimität der Ziele oder Illegitimität der Methoden zu definieren, ebenso für gescheitert, wie die Suche nach ähnlichen Motivlagen oder gleichen sozialen Herkunftsbedingungen terroristischer Akteure.1434 Daher soll im Folgenden eine Annäherung an den Begriff „Terrorismus“ von verschiedenen Standpunkten aus versucht werden. 4.6.3.1
Die Herkunft des Begriffs Terrorismus
Von seiner historischen Herkunft lässt sich der Begriff des „Terrorismus“ in die Zeit der französischen Revolution zurückverfolgen, in der die Schreckensherrschaft Robespierres und des Direktoriums mit dem Wort „terreur“ umschrieben wurde.1435 Der Begriff, der sich aus dem lateinischen Wort „terror“ ableitet,1436 bedeutete Formen unmittelbarer Gewaltanwendung unter dem Schutz und im Interesse des französischen Staates.1437 Seither versteht 1434 1435
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Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 Doris König, Terrorismus, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl., München 1991, S. 847 ff.; 847; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 81; vgl. Robert Chr. van Ooyen, Moderner Terrorismus und politische Religion. Zur Rezeption westlicher Ideologien im „Islamismus“, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 181 ff.; 182; vgl. Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/ flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 203; vgl. Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 173; vgl. Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien, Opladen 1981, S. 16 ff.; 17; vgl. Wolfgang Schluchter, Einleitung, in: Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg, Weilerswist 2003, S. 9 ff.; 11 Nina Florak, Terrorismus als Ausdruck eines mangelhaften politischen Systems? Fallbeispiele und Präventionsmöglichkeiten, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 203 ff.; 208; vgl. Frank Bolz, Jr., Kenneth J. Dudonis, David P. Schulz, The Counterterrorism Handbook. Tactics, Procedures, and Techniques, 3. Aufl., New York 2005, S. 3; vgl. Luc Giradin, Marcel Peter, Hervé Sanglard, Krieg und Terrorismus – Welche Zukunft? Internationaler Terrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print=&artikel=354, Internet vom 25.08.2006, S. 2; vgl. Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699 Rudolf Walther, Terror, Terrorismus, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 6, Stuttgart 2004, S. 323 ff.; 323; vgl. J. Paul De B. Taillon, Hijacking and Hostages. Gouvernment Respond to Terrorism, London 2002, S. 12; vgl. Luc Giradin, Marcel Peter, Hervé Sanglard, Krieg und Terrorismus – Welche Zukunft? Internationaler Terrorismus, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print= &artikel=354, Internet vom 25.08.2006, S. 2
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man unter Terrorismus umgangssprachlich ein System, das auf Angst basiert, und vielfach werden auch politisch motivierte Gewalttaten im weitesten Sinne so bezeichnet.1438 Dem Wortsinn nach werden Terroristen im Schrifttum auch nicht als Waffenträger, sondern als Gewaltspezialisten benannt.1439 4.6.3.2
Definitionsansätze und Abgrenzungen
In der Literatur wird verschiedentlich zwischen „Terror“ als staatliche Schreckensherrschaft und „Terrorismus“ als eine bestimmte Form des Angriffs gegen den Staat und die staatliche Ordnung unterschieden.1440 Dabei sei Terror sowohl eine Waffe gegen die Macht als auch eine Waffe der Macht.1441 Terror seien also auf der einen Seite Techniken systematischer Gewaltanwendung im Dienste der Erhaltung des Herrschaftssystems, und dementsprechend spiegelbildlich sei Terrorismus die Erzeugung von Furcht und Schrecken mit dem Ziel der Aushöhlung der bestehenden gesellschaftlich-politischen Ordnung und einer anschließenden tief greifenden Umwälzung.1442Andere Autoren wollen hier zwischen „Terror von oben“ und „Terror von unten“ unterscheiden1443 als eine im Dienste extremistischer Ziele stehende Methode, die zur Festigung oder Destabilisierung und Beseitigung politischer Herrschaft den systematischen Einsatz massiver Machtmittel sieht, und in totalitären Systemen kann Terror von oben eine gängige Herrschaftspraxis sein.1444 Insofern stellt der Staatsterrorismus1445 praktisch einen Missbrauch staatlicher Macht dar, in dem ein Völkerrechtssubjekt gegen seine Pflichten hinsichtlich des Gewaltverbotes und der Menschenrechte verstößt.1446 Der von Privaten oder Gruppen ausgehende Terrorismus hingegen richtet 1438 1439 1440
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Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 217 ff.; 220 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 80 Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 15; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 11 ff.; 15; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; 15; vgl. B. Walter (BW), Terrorismus, in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 1613 f.; 1613 Sebastian Scheerer, Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien, Lüneburg 2002, S. 30 Peter Waldmann, Terrorismus, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1996, S. 779 ff.; 779; vgl. Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 24; vgl. Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69 Hubert M. Mader, Edwin R. Micewski, Andreas B. Wieser, Terror und Terrorismus. Ideengeschichte und philosophisch-ethische Reflexionen, in: ÖMZ 2002, S. 131 ff.; 131 f.; vgl. Hubert M. Mader, Edwin R. Micewski, Andreas B. Wieser, Terror und Terrorismus, Ideengeschichte und philosophischethische Reflexion, in: http://www.bmlv.gv.at/omz/ausgaben/artikel, S. 1 Uwe Backes, Terrorismus, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 5, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 439 ff.; 439 In der Literatur wird der Begriff zum Teil noch weiter in „Staatsterror“, „staatlicher Terrorismus“, „staatlich geförderter Terrorismus“ und „militanter Islamismus als eine Form des Staatsterrorismus“ ausdifferenziert. (Artur Wüst, Islamismus: Eine neue Form des Staatsterrorismus?, in: Guido Korte, Monika Ullmann [Hrsg.], Deutschland – Einfallstor für extremistische Gewalt? Ursachen und Erscheinungsformen islamistischer und anderer ausländerextremistischer Organisationen, Brühl / Rheinland 1998, S. 147 ff.; 157 f.) Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 217 ff.; 222. Schneckener will den Terrorismus abgren-
sich gegen die staatliche Ordnung, wobei es zu Überschneidungen kommen kann, wenn Staaten terroristische Aktionen Privater unterstützen.1447 Derartige Staaten sehen im Terrorismus eine nützliche Fähigkeit, ein „Waffensystem“, welches als preiswerte Möglichkeit gegen andere Nationen oder andere politische sowie andere soziale Strukturen einsetzbar ist.1448 Diese Ansätze behandeln das Phänomen von seiner Erscheinungsform, der Erzeugung von Schrecken, wie er in seinem semantischen Ursprung zum Tragen kommt. Daher lässt sich Terrorismus zunächst wie folgt definieren: Terrorismus ist jedes nach innerstaatlichem Recht und Völkerrecht rechtswidrige, kriminelle Verhalten von Individuen bzw. einer Gruppe von Individuen, das subjektiv darauf gerichtet ist, mit dem Mittel der Angstverbreitung (gesellschafts-) politische Ziele bzw. Veränderungen zu erreichen.1449 Dabei stellt der Terror im sicherheitspolitischen Sinn ein Ereignis dar, das durch besondere Mittel und drastische Auswirkungen auf das Umfeld gekennzeichnet ist, durch die Art des Schreckens besondere Aufmerksamkeit erregt und letztendlich auf die Brechung der Moral eines Gegners abzielt.1450 Dabei will er einerseits Angst und Schrecken verursachen; anderseits sucht er Aufmerksamkeit, Bestätigung, Unterstützung und Autorität zur Veränderung.1451 Nach einer anderen, weitergehenden Definition sind unter „Terrorismus“ planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund, die allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen sollen, zu subsumieren.1452 Dabei soll es – im Gegen-
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zen von staatlich organisierten und zu verantwortenden Verbrechen an der Zivilbevölkerung oder an einzelnen Personen, wobei es sich im Extremfall um eine staatliche Schreckensherrschaft handelt, bei der das Regime Terror unter der Bevölkerung verbreitet oder gezielt gegen Personen einsetzt, um seine Macht zu erhalten oder zu festigen. Allerdings „Staatsterror“ sei hierbei an der Absicherung des Staatus quo orientiert. Insofern verzichtet Schneckener hier auch nicht auf die Begriffe „Terror“ und „Staatsterror“. (Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 21 f.) Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 217 ff.; 222. Für Grzeszick folgt der Terrorismus derselben Logik wie der Staatsterror; an die Stelle der Diskussion der Bürger über die richtige Politik in den Grenzen der Friedlichkeit trete die Durchsetzung der subjektiv für richtig gehaltenen Politik, notfalls mit Gewalt. (Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 67) Brian M. Jenkins, International Terrorism: The Other World War, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 15 ff.; 25 Kirsten Schmalenbach, Der internationale Terrorismus. Ein Definitionsversuch, in: NZWehrr 2000, Heft 1, S. 15 ff.; 20 Norbert Fürstenhofer, Erwin Richter, Die Welt vor und nach dem 11. September. Terror und Massenvernichtungswaffen, in: ÖMZ 2002, S. 173 ff.; 173 Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69 Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; S. 11; vgl. Franz Kohout, Krieg und Terrorismus. Zur Veränderung politischer Konflikte im 21. Jahrhundert, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 343 ff.; 344 f.; vgl Kai Hirschmann, Terrorismus in neuen Dimensionen. Hintergründe und Schlussfolgerungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 7 ff.; 7; vgl. Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 21; vgl. Wolfgang Schluchter, Einleitung, in: Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg, Weilerswist 2003, S. 11; vgl. Peter
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satz zur Sabotage, also nachrichtendienstlich gesteuerte Gewalttaten gegen Sachen und Personen1453 als die andere Zielrichtung der Gewaltanwendung – beim Terrorismus gerade auf diese Bewusstseinslage ankommen.1454 Zudem zielt die terroristische Gewaltanwendung darauf ab, den Gegner in seinem (politischen) Verhalten zu beeinflussen.1455 4.6.3.2.1
Terror und Militärisches Objekt
Eine neuere Ansicht stellt in pragmatischer Weise darauf ab, ob das Ziel des Angriffs ein Militärisches oder ein Ziviles ist.1456 In diese Richtung geht auch der bereits oben zitierte Definitionsansatz des VN-Generalsekretärs. Eine solche Abgrenzung ist allerdings nicht unproblematisch; bedeutet sie doch, dass beispielsweise der Angriff auf die US-Marines 1983 im Libanon ebenso wie der Angriff auf den US-Zerstörer „Cole“ 1998 nicht als „terroristisch“, sondern als „militärisch“ einzustufen und zu werten sind. Allerdings wird diese Definition dahingehend eingeschränkt, dass unterschieden wird, ob das Militärpersonal zum Zeitpunkt des Angriffs unbewaffnet bzw. nicht „im Dienst“ war, so dass man bei Vorliegen dieser Voraussetzungen doch zu dem Ergebnis kommen könnte, dass es sich um einen terroristischen Vorfall handelt.1457 Fraglich ist in diesem Zusammenhang bereits, was im Sinne dieser Ansicht unter „Dienst“ zu verstehen ist. Die Besatzung eines im Hafen liegenden Kriegsschiffes, welche sich an Bord desselben befindet, dürfte sich wohl ebenso im Dienst befinden wie die Angehörigen einer Friedenstruppe, die als Garnisonsstreitmacht im fremden Land keinen Ausgang haben. Diese Abgrenzung verkennt, dass es kaum einen Unterschied machen kann, ob im Augenblick der Attacke „Dienstschluss“ oder „Dienstunterbrechung“ befohlen wurde. Konsequenz hieraus wäre, dass eine sich nicht im Dienst befindliche Person ihren Status als Kombattant verlieren würde. Eindeutiger wäre der Sachverhalt hinsichtlich dieser Unterscheidung allerdings, wenn der Angriff auf einen Angehörigen der Streitkräfte in seinem Heimatland stattfinden würde. Dann wäre dennoch das Motiv des terroristischen Angriffs in der Tatsache zu sehen, dass das Opfer Angehöriger der Streitkräfte ist. Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum dann eine solch heimtückisch begangene Tat, die auf das Opfer als Angehörigen der Streitkräfte zielt und damit genau an diesen Status anknüpft, den Täter privilegieren sollte. Somit führt eine solche Abgrenzung hier nicht weiter.
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Waldmann, Terrorismus, in: Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 2., N-Z, München 2004, S. 980 ff.; 980 f. Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Mathias Uhl, Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 390; vgl. Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699 Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Mathias Uhl, Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 457 Kai Hirschmann, Terrorismus in neuen Dimensionen. Hintergründe und Schlussfolgerungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 7 ff.; 7 vgl. Raphael Pearl, Terrorism, the Future, and U.S. Foreign Policy, in: Issue Brief for Congress, Internet vom 11. April 2003, S. 4; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 24; vgl. Alan B. Krueger, Jitka Malecová, Education, Poverty and Terrorism: Is There a Causal Connection?, in: Journal of Economic Perspectives, Heft 4, 2003, S. 119 ff.; 120; vgl. Alan B. Krueger, David D. Laitin, “Misunderestimating” Terrorism, in: http://www.krueger. princeton.edu/terrorism1.html, Internet vom 29.11.2006, S. 3 vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 5 f.
4.6.3.2.1.1
Das militärische Objekt
Zudem ist auch die Abgrenzung, ob es sich bei den angegriffenen Objekten um Objekte militärischer oder ziviler Natur handelt, oftmals nicht eindeutig zu beantworten. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um Kritische Infrastrukturen handelt, die sowohl ziviler als auch militärischer Nutzung unterliegen. Somit ist hier die Frage nach dem „militärischen Objekt“ aufgeworfen. Denn grundsätzlich dürfen in einem militärischen Konflikt nur militärische Objekte angegriffen werden, als diejenigen Einrichtungen, die aufgrund ihrer eigenen Beschaffenheit, ihrer Bestimmung oder ihrer militärischen Gebrauchsanwendung entweder tatsächlich zu einer militärischen Aktion beitragen oder aber von einem derartigen allgemeinen militärischen Interesse sind, dass ihre völlige oder teilweise Zerstörung demjenigen, der sich zu ihrer Zerstörung veranlasst sieht, unter den augenblicklichen Umständen einen wesentlichen militärischen Vorteil verschafft.1458 Die Beantwortung der Frage, was als militärisches Objekt und was als völkerrechtlich geschütztes nichtmilitärisches Objekt anzusprechen sei, schien im klassischen Völkerrecht nicht schwierig oder zumindest nicht unlösbar: der Krieg des klassischen Völkerrechts war ein Krieg zwischen verhältnismäßig kleinen Truppenverbänden, an dem die übrige Bevölkerung einen für unsere Begriffe geringen Anteil nahm, und die Kriegshandlung war zudem jeweils auf das Gefechtsfeld begrenzt, das im Bewegungskrieg zwar wechselte, dessen größte Ausdehnung jedoch jeweils durch die verhältnismäßig geringe Reichweite der Geschütze bestimmt war.1459 Das eigentliche militärische Objekt ist seit jeher der feindliche Truppenverband,1460 die Kombattanten der Gegenseite.1461 Der Einsatz von Millionenheeren, die Verwendung neuartiger Kampfmittel und die durch diese beiden Faktoren gegebene Ausdehnung der Bedürfnisse der Streitkräfte, die allmählich die Hilfsquellen fast des ganzen Landes und die Arbeitskraft des größeren Teils der Bevölkerung in Anspruch nahm, erweiterten bereits im Ersten Weltkrieg den Begriff des militärischen Objekts: Die Mobilisierung der Gesamtwirtschaft für die Zwecke des Krieges ließ das Kriterium der besonderen militärischen Zweckbestimmung, die Notwendigkeit, die zunehmende Zahl militärischer Objekte zu bewachen, die praktische Schwierigkeit, im konkreten Fall zwischen bloßer Bewachung und tatsächlicher Verteidigung zu unterscheiden, und die erhöhte Bedeutung, die durch die Wirkung moderner Feuerwaffen nicht nur die Feldbefestigungen im engeren Sinn, sondern auch der von ihnen nicht immer leicht zu trennende lose Schutzraum gewonnen hatte, ließ allmählich den Unterschied zwischen verteidigten und nicht verteidigten Objekten verschwimmen.1462 Damit schien jede bisherige Begriffsbestimmung des militärischen Objektes überholt, zumal in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die These aufgestellt wurde, dass nicht bereits die Vernichtung der Kampfmasse der feindlichen Armee den Sieg bedeute, und somit erschien nach solcher Lehre das gesamte Feindgebiet als einziges militärisches Objekt, wobei in dieser Ausweitung des Begriffs die Tendenz zum totalen Krieg angelegt
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vgl. Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 248; vgl. Klaus H. Klang, Moderne Landesverteidigung und Völkerrecht – rechtliche Probleme zivil-militärischer Kooperation, in: NZWehrR 1988, Heft 3, S. 93 Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 328 Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 328; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 139 vgl. Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. München 2004, S. 1246 Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 328 f.
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ist.1463 Erst mit der in Art. 52 Absatz 2 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen gegebenen Definition1464 des militärischen Objekts findet zum ersten Mal eine Regel Eingang in das Völkerrecht, deren Umfang und Ausmaß in der Vergangenheit trotz grundsätzlicher gewohnheitsrechtlicher Anerkennung zwischen den Kriegführenden immer wieder umstritten war.1465 Die in der Vorschrift gegebene Definition militärischer Ziele umfasst drei kumulative Elemente:
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Die Natur, Lage, Zweckbestimmung oder Nutzung eines Objektes, sein wirksamer Beitrag zur militärischen Operationsführung und der durch seine völlige oder teilweise Zerstörung, Einnahme oder Ausschaltung unter den zu jenem Zeitpunkt herrschenden Umständen gegebene eindeutige militärische Vorteil.1466
Die damit vorliegende, umfassende, aber klare Formulierung erleichtert den Konfliktparteien die Bestimmung der zulässigerweise anzugreifenden Objekte.1467 Gleichzeitig vertritt sie den für die Zivilbevölkerung so wichtigen humanitären Schutz.1468 Ob es sich bei einem Objekt seiner Natur nach um ein militärisches Objekt handelt, ist bei Objekten, deren ursprüngliche Eigenschaft als Kern ihrer sächlichen Existenz und damit als wesentliches Element militärischen Charakter haben, in der Regel ohne Schwierigkeiten festzustellen.1469 Ihre Bedeutung zeigt sich besonders in ihrer spezifischen und allgemeinen Bedeutung für die Streitkräfte und ihre Existenz erschöpft sich in ihrer Bedeutung für die bewaffnete Macht.1470 Darüber hinaus gibt es aber zahlreiche Objekte, deren Charakter entweder nicht einwandfrei festgestellt werden kann oder deren Qualifikation als zivile oder militärische Objekte wachsen kann.1471 Bei ihnen kann es sich um zivile Objekte handeln, die zu militä-
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Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 328 f. Art. 52 II: Angriffe sind streng auf militärische Ziele zu beschränken. Soweit es sich um Objekte handelt, gelten als militärische Ziele nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standortes, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt. (Horst Schöttler, Bernd Hoffmann, Die Genfer Zusatzprotokolle – Kommentare und Analysen -, Bonn 1993, S. 29) vgl. Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 123 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 134; vgl. Klaus H. Klang, Moderne Landesverteidigung und Völkerrecht – rechtliche Probleme zivil-militärischer Kooperation, in: NZWehrR 1988, Heft 3, S. 95; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 132 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 139 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 139; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 132 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 134 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 135; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 132 f. Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 135; vgl. Klaus H. Klang, Moderne Landesverteidigung und Völkerrecht – rechtliche Probleme zivil-militärischer Kooperation, in: NZWehrR 1988, Heft 3, S. 89. ff.
rischen werden;1472 oder umgekehrt, militärische Objekte werden zu zivilen Objekten umgewidmet.1473 Eine besondere Bedeutung erlangen auch in diesem Zusammenhang sogenannte Dual-Use-Güter, also Gegenstände, die zunächst für einen zivilen Zweck konstruiert und produziert wurden, aber gleichzeitig auch militärisch nutzbar sind und einen entsprechenden Markt und somit auch Verbreitung finden. Hierunter fallen beispielsweise Fahrzeuge, bestimmtes Gerät sowie Maschinen. Bei der Einordnung muss es also auf die konkrete Nutzung ankommen. Außerdem gibt es zahlreiche Objekte, die sowohl militärische Bedeutung haben und die sich in Objekte mit überwiegend militärischen Charakter (militärisch-zivile Objekte), in solche überwiegend ziviler Natur (zivil-militärische) Objekte und in Objekte, die für den militärischen und zivilen Bereich von gleicher Bedeutung sind, unterteilen lassen.1474 Als Folge des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts greifen Konfliktparteien ganz selbstverständlich auf sämtliche Ressourcen zu, die für Kriegsanstrengungen genutzt werden können, einschließlich der meisten überwiegend zivil genutzten, die damit aber auch Ziel der Schläge des Gegners werden.1475 Für derartige Objekte, beispielsweise Brücken, Pipelines, Eisenbahntransportlinien (ETL), Straßen, Versorgungsbetriebe, Werkstätten etc. reicht demzufolge das Kriterium der „Natur“ nicht aus; vielmehr ist bei ihnen auf das Merkmal der Funktion abzustellen, wobei sich die Funktion des Objektes insbesondere aus seiner Lage, seinem Zweck und seiner Nutzung ergibt.1476 4.6.3.2.1.2
Der militärische Vorteil
Zudem muss der Angriff, die teilweise oder völlige Zerstörung, seine Ausschaltung für den Angreifer einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellen, der in seinem unmittelbaren und wesentlichen Zusammenhang in seinen Auswirkungen auf die laufenden militärischen Operationen deutlich wird.1477 Genau hier liegt das Problem. Die Akteure werden immer versucht sein, auch massive Militärschläge im Rahmen der selbstgesetzten Prämissen mit der Lauterkeit der verfolgten Ziele zu rechtfertigen; die Beschränkung der Kriegführung beruht auf taktischen, weniger auf rechtlichen Erwägungen.1478 Gerade die Kritischen Infrastrukturen sind aus mehreren Gründen für terroristische Aktionen interessant: Sie sind schwer zu überwachen und fast gar nicht vollständig gegen Angriffe zu sichern und damit 1472 1473 1474 1475 1476 1477 1478
Z.B. wenn zivile Gebäude Kraftfahrzeuge, Gerät etc. in Anspruch genommen werden. Z.B. wenn Kasernen oder sonstige militärische Liegenschaften als Krankenhäuser oder Flüchtlingslager genutzt werden. Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 135; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 131 ff. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 21 Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 135; vgl. Klaus H. Klang, Moderne Landesverteidigung und Völkerrecht – rechtliche Probleme zivil-militärischer Kooperation, in: NZWehrR 1988, Heft 3, S. 95 vgl. Friedrich Freiherr von der Heydte, Völkerrecht, Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 330; vgl. Wolf-Ruthard Born, Die offene Stadt. Schutzzonen und Guerillakämpfer, in: Schriften zum Völkerrecht, Bd. 60, 1978, S. 137; vgl. Eckhard Hackel, Das militärische Objekt, Dissertation, Würzburg 1980, S. 138 vgl. Dieter Blumenwitz, Vom Krieg zum internationalen bewaffneten Konflikt, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 155 ff.; 164
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ein fast risikofreies Angriffsziel, das mit verhältnismäßig geringen Mitteln einfach zu bekämpfen ist. Ihr Ausfall behindert nicht nur die Bewegungen oder Versorgung des Gegners, sondern insbesondere und vor allem auch die der Bevölkerung, die Stabilisierung des Raumes und eine wirtschaftliche Stabilisierung oder das Wiedererstarken der Region.1479 Zudem sind die psychologischen Auswirkungen auch auf die Zivilbevölkerung an dieser Stelle nicht zu unterschätzen. Folglich erreichen Angreifer hier mit ihrem schädigenden Tun eine hohe Wirkung im Sinne einer optimalen Zweck-Mittel-Relation, die die gesamtpolitische Situation beeinflusst. Mithin wird in der politikwissenschaftlichen Literatur auch die Meinung vertreten, dass diese Frage, ob es sich um ein legitimes militärisches Ziel handelt, nicht mit Sicherheit und schon gar nicht a priori zu beantworten sei; sondern es komme bei der Entscheidung darüber – zumindest in den westlichen Staaten – auf die Akzeptanz der Militäraktionen in den eigenen Bevölkerungen an, und sei in hohem Maße von den Umständen des Einzelfalles abhängig.1480 Damit werde die Entscheidung in der Regel im Nachhinein getroffen und sei in erster Linie das Ergebnis eines politischen und gesellschaftlichen Diskussionsprozesses, der weder durch eine technische noch durch eine juristische Diskussion herbeigeführt werden könne.1481 4.7
Islamistischer Terrorismus, Djihadismus und Selbstmordattentäter
Als derzeit wesentliche Bedrohung wird der „islamistische Terrorismus“ angesehen,1482 das internationale Terrornetz der Djihadisten1483, dessen Mitglieder, eine kleine Minderheit innerhalb der muslimischen Welt, aufgrund ihrer Interpretation des Islam danach trachten, „feindliche“ Regierungen zu Fall zu bringen.1484 Auch der irreguläre Kampf der Al-Qaida, die inzwischen als Synonym des islamistischen Terrornetzes gilt1485, wird zu den Kleinen Kriegen gerechnet, indem entsprechend dem strategischen Denken die Schwachpunkte beim Gegner ermittelt werden und mit Terroranschlägen Angst und Schrecken verbreitet wird.1486 Seine Zielsetzung ist zudem darauf gerichtet, maximalen Schaden und eine hohe Anzahl von Opfern zu erzeugen, um so größtmögliche Wirkung auf Medien, Öffentlichkeit
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Das Beispiel des Irak (nach dem 3. Irak-Krieg) zeigt, dass die terroristischen Attacken gerade auf Versorgungslinien und Pipelines den Ölexport des Landes nachhaltig gestört und damit einen wirtschaftlichen Aufschwung stark beeinträchtigt haben. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 21 Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 21 vgl. für viele Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69; vgl. Hans-Georg Wieck, Islamischer Terrorismus – eine Herausfordferung für die Nachrichtendienste, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 61 ff.; vgl. Heinz Fromm, Der islamistische Terrorismus – eine Gefahr für Deutschland, in: Homeland Security, Heft 4 2006, S. 2 vgl. Hierzu: Marc Sageman, Jihadi Networks of Terror, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 15 ff. vgl. Richard A. Clarke, Gegen die Krieger des Dschihad. Der Aktionsplan, Hamburg 2005, S. 11 Richard A. Clarke, Gegen die Krieger des Dschihad. Der Aktionsplan, Hamburg 2005, S. 11 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 228
und strategische Gegner zu erwirken.1487 Damit weist der irreguläre Kampf der Al-Qaida weitgehend Übereinstimmung mit dem auf, was wir oben unter dem Begriff „Terrorismus“ diskutiert haben. Auch die Rechtfertigungen der Akteure erinnern an herkömmliche Argumentationen: „Was Du Terrorist nennst, nenne ich Freiheitskampf!“1488 Häufig ist von Fundamentalisten die Rede, wenn von radikalen Formen des Islam die Rede ist.1489 Die Abgrenzungen der Begriffe bereiten auch in den Spezialwissenschaften nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Fundamentalismus und fundamentalistische Strömungen sind in vielen Religionen, so auch in den drei großen monotheistischen Religionen, Christentum, Judentum und Islam, bekannt1490 und nach einer weiten Fassung des Begriffs kann jede Weltanschauung fundamentalistischen Charakter annehmen.1491 4.7.1
Extreme Strömungen im Islam
Unter „Fundamentalismus“ werden Bewegungen oder Ideologien verstanden, welche die eigene religiöse oder weltanschauliche Orientierung mit absolutem Wahrheits- und Überlegenheitsanspruch propagieren, die jeweiligen Dogmen ebenso kompromisslos wie intolerant vertreten und gegenüber anderen Gruppen expansiv und aggressiv auftreten.1492 Eine abweichende Ansicht versteht unter Fundamentalismus eine religiöse Ausprägung, die eine 1487 1488 1489 1490
1491 1492
Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69 So der Anführer der palästinensischen Al-Aksa-Brigaden in einem Interview (Bruno Schirra, „Sie töten uns, wir töten sie.“ in WamS v. 05. März 2006) Peter Heine, Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9 vgl. hierzu ausführlich: Klaus Kienzler, Der religiöse Fundamentalismus, Christentum, Judentum, Islam, 3. Aufl., München 2001; vgl. Ulrich H.J. Körtner, Religion und Gewalt. Zur Lebensdienlichkeit von Religion in ihrer Ambivalenz, in: Adel Theodor Khoury, Ekkehard Grundmann, Hans-Peter Müller, Krieg und Gewalt in den Weltreligionen. Fakten und Hintergründe, Freiburg im Breisgau 2003, S. 99 ff.; 99 ff.; vgl. Bassam Tibi, Der religiöse Fundamentalismus im Übergang zum 21. Jahrhundert, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1995, S. 77 ff.; vgl. Albrecht Metzger, Islamismus, Hamburg 2005, S. 9 vgl. Nina Florak, Terrorismus als Ausdruck eines mangelhaften politischen Systems? Fallbeispiele und Präventionsmöglichkeiten, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 203 ff.; 213; vgl. Peter Heine, Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9; vgl. Bassam Tibi, „Countering Terrorism“ als der Krieg der Weltanschauungen. Der djihadistische Terrorismus als eine neue totalitäre Weltanschauung an die europäische Demokratie, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 87 ff.; 131 ff.; 131; vgl. Artur Wüst, Islamismus: Eine neue Form des Staatsterrorismus?, in: Guido Korte, Monika Ullmann (Hrsg.), Deutschland – Einfallstor für extremistische Gewalt? Ursachen und Erscheinungsformen islamistischer und anderer ausländerextremistischer Organisationen, Brühl / Rheinland 1998, S. 147 ff.; 152 Christine Brost, Islamismus in den Maghrebstaaten und Ägypten, in: Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (Hrsg.), Brühl 1995, S. 4 ff.; 6 Günter Rieger, Fundamentalismus, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, Politische Begriffe, München 1998, S. 199; Dagegen will u.a. Fink etwas differenzierter auch positive Besetzungen des Begriffs „Fundamentalismus“ zulassen, indem Re-Islamisierung auch positive Auswirkungen haben könnte. (Martina Fink, Die Muslimbruderschaft – Entwicklung, Ideologie und Verbreitung –, in: Guido Korte, Monika Ullmann [Hrsg.], Deutschland – Einfallstor für extremistische Gewalt? Ursachen und Erscheinungsformen islamistischer und anderer ausländerextremistischer Organisationen, Brühl / Rheinland 1998, S. 11 ff.; 15; vgl. Christine Brost, Islamismus in den Maghrebstaaten und Ägypten, in: Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (Hrsg.), Brühl 1995, S. 4 ff.; 6)
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wörtliche Auslegung der heiligen Schriften und Traditionen propagiert und jede Modernisierung ablehnt, dabei aber in der Regel nicht gewalttätig ist.1493 Allerdings können sich auch nach dieser Meinung aus dem Fundamentalismus radikale Vorstellungen entwickeln, deren Anhänger auch zur Gewalt greifen, um ihre Vorstellungen durchzusetzen, die dann aber im islamwissenschaftlichen Kontext als Islamisten (arabisch: Islamiyun) oder Radikale bezeichnet werden.1494 Abgrenzungskriterium dieser beiden Ansichten ist somit das Merkmal der Gewalt. Einen anderen Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung extremer Strömungen im Glauben bietet das Element des Politischen. Bassam Tibi will demnach den islamischen Fundamentalismus auch nicht mit der Religion gleichsetzen; für ihn ist der Fundamentalismus eine totalitäre politische Ideologie.1495 Für Tilman Mayer ist der Islamismus eine neue Variante des Totalitarismus.1496 Mithin ist der Islamismus keine Religionsbewegung, sondern eine politische Ideologie, also ein Ideengebäude.1497 Vom religiösen Fundamentalismus werden wiederum die Begriffe „Islamismus“ bzw. „Islamisten“ abgegrenzt, die das ideologische Moment der radikal-islamischen Vorstellungen verdeutlichen.1498 Dementsprechend wird der Islamismus nicht erst in seinen terroristischen Handlungsformen als eine Bedrohung verstanden, sondern als politische Ideologie, die als Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke1499 eine Kampfansage an die universellen Menschenrechte enthalte.1500 1493 1494
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1496 1497
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Peter Heine, Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9 Peter Heine, Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9 f. Zur Entwicklung des islamischen Fundamentalismus vergleiche auch: Stephan Sieczka, Islamischer Fundamentalismus: Eine Gefahr für Europa, in: Guido Korte, Martin Möllers, Monika Ullmann (Hrsg.) Problemfelder der internationalen und nationalen Politik, Brühl / Rheinland 1997, S. 63 ff. Bassam Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, München 2001, S. 236; vgl. Bassam Tibi, Der religiöse Fundamentalismus im Übergang zum 21. Jahrhundert, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1995, S. 16; Abweichend hiervon betont Stahr die Einheit von Staat und Religion und damit die Einheit von Politik und Religion im Islam. (vgl. Volker S. Stahr, Portraits des Islamismus. Die Verbindung von Politik und Religion hat eine ehungganz besondere Anziehungskraft, in: Rudolf Zewell (Hrsg.), Islam - Die missbrauchte Religion … oder Keimzelle des Terrorismus?, München 2001, S. 73 ff.; 73 ff. Tilman Mayer, Der arabische totalitäre Islamismus, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 10 ff.; 10 Arnold Hottinger, Die politische Ideologie des Islamismus, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 14 ff.; 14; Zu den politischen Hintergründen des Islamismus vgl. u. a. Peter Frisch, Der politische Islamismus, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 19 ff. Peter Heine, Islamismus – Ein ideengeschichtlicher Überblick, in: Bundesministerium des Inneren, Islamismus, (Hrsg.), Berlin 2003, S. 7 ff.; 7; Teilweise wird auch die Unterscheidung durch die Bezeichnung „militanter Islamismus“ unterstrichen. (vgl. u.a. Martina Fink, Die Muslimbruderschaft – Entwicklung, Ideologie und Verbreitung –, in: Guido Korte, Monika Ullmann [Hrsg.], Deutschland – Einfallstor für extremistische Gewalt? Ursachen und Erscheinungsformen islamistischer und anderer ausländerextremistischer Organisationen, Brühl / Rheinland 1998, S. 11 ff.; 16; vgl. Artur Wüst, Islamismus: Eine neue Form des Staatsterrorismus?, in: Guido Korte, Monika Ullmann [Hrsg.], Deutschland – Einfallstor für extremistische Gewalt? Ursachen und Erscheinungsformen islamistischer und anderer ausländerextremistischer Organisationen, Brühl / Rheinland 1998, S. 147 ff.; 148) Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfahlen, Islamismus in Nordrhein-Westfahlen, Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke, S. 6; vgl. Bassam Tibi, „Countering Terrorism“ als der Krieg der Weltanschauungen. Der djihadistische Terrorismus als eine neue totalitäre Weltanschauung an die europäische Demokratie, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 87 ff.; 131
Unter „Djihadismus“ als Entwicklung des Djihad im Rahmen der Erscheinung des politischen Islam1501 versteht Bassam Tibi die militärische Komponente des Islamismus.1502 Dieser Djihadismus bringt sich als irregulärer Krieg militärisch auf die weltpolitische Bühne.1503 Das entscheidende Abgrenzungsmerkmal ist hier wiederum das Kriterium der Gewalt, wenngleich das Adjektiv „militärisch“ den Einsatz von Gewalt nicht nur als punktuelle Einzelerscheinung und -handlung suggeriert, sondern als umfassend organisiertes strategisches Instrument. 4.7.2
Selbstmordattentäter
Ein besonderes Phänomen irregulärer Aktion stellt das Selbstmordattentat dar. Die Abwehr eines Selbstmordattentäters, eines „Selbstsprengers“1504, der über die Planungs- und Vorbereitungsphase hinaus unmittelbar zur Tat angesetzt hat, ist nahezu unmöglich.1505 Demzufolge ist es zwingend notwendig, sich mit den wesentlichen Hintergründen dieser Erscheinung auseinanderzusetzen, um diese extreme Begehungsform irregulären Handelns nachzuvollziehen, möglicherweise auch verstehbar zu machen und hierauf richtig reagieren zu können. Das Selbstmordattentat hat zwei wesentliche Tatbestandsmerkmale, die dieses Handeln kennzeichnen und die zugleich das strategische Problem charakterisieren. 4.7.2.1
Selbstmord
Das eine der beiden Elemente ist die von einem Willen getragene Bereitschaft, Gewalt gegen andere und sich selbst auszuüben.1506 Die auch in der islamischen Welt bekannte Vorstellung vom Blutzeugen, vom Märtyrer, der in Erfüllung einer religiösen Pflicht für seinen Glauben gestorben ist, wird in allen islamischen Richtungen als der edelste Tod überhaupt verstanden.1507 Der Zusammenhang von Selbstmordanschlägen und islamischer
1500 1501 1502 1503 1504 1505 1506 1507
ff.; 131; Zander will daher das Wort „Islamismus“ im Sinne von „politischer Islam“ benutzt wissen. (Michael-Andreas Zander, Islamischer Extremismus in Deutschland: Eine Gefahr für die innere Sicherheit, in: Guido Korte, Martin Möllers, Monika Ullmann [Hrsg.] Problemfelder der internationalen und nationalen Politik, Brühl / Rheinland 1997, S. 113 ff.; 121) Otto Schily, Vorwort, in: Bundesministerium des Inneren, Islamismus, (Hrsg.), Berlin 2003, S. 5 f.; 5; vgl. Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004, S. 114 ff. Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004, S. 9 Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004, S. 106 Bassam Tibi, Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004, S. 121 Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, 6. Aufl., Zürich 2006, S. 32 vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 70 Ariel Merari, The readiness to kill and die: Suicidal Terrorism and the Middle East, in: Walter, Reich, Orgins of Terrorism, Psychologies, Ideologies, Theologies, States of Mind, Washington D.C. 1998, S. 192 ff.; 196 Peter Heine, Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam, Freiburg im Breisgau 2001, S. 31; Zu einer frühen Erscheinung von Attentätern, in deren Begehungsweise der eigene Tod als Wesensmerkmal eingeschlossen war vgl. Wolfgang Etschmann, Die Assassinen – eine radikale islamische Sekte im Hochmittelalter, in. ÖMZ 2002, S. 171 ff.; vgl. Bernhard Lewis, Die Assassinen. Zur tradition des religiösen Mordes im radikalen Islam, Frankfurt am Main 2001
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Religion und Kultur wird dabei als nicht gesichertes Faktum in Frage gestellt.1508 In jedem Fall werden religiöse Motive als Rechtfertigung und Motivation1509 der Selbstmordattentäter angeführt; diese sind aber eher das Vehikel, mit dem die politische Absicht, die hinter der Tat steht, transportiert wird. Folgerichtig untersucht Pape auch die Frage nach der strategischen, der sozialen und individuellen Logik von Selbstmordattentaten.1510 Tatsächlich richteten sich die Anschläge über die letzten beiden Dekaden gegen Staaten, die Truppen in Ländern stationiert haben, welche die Attentäter als ihr Territorium betrachten, und alle diese Staaten waren Demokratien, welche die Attentäter als verletzlicher ansehen als andere Regime.1511 Die Opfer werden aus Tätersicht als Repräsentanten dieser Staaten identifiziert. Der Einsatz des eigenen Lebens ist hierbei nicht nur ein notwendiger Preis oder gar ein Opfer; der Einsatz des eigenen Lebens ist wesentliches Tatbestandsmerkmal. Genau diese Begehungsart, in der das Äußerste eingesetzt wird, soll die Schreckenswirkung auf der Gegenseite erhöhen und die eigene, bedingungslose Entschlossenheit unterstreichen. Spohrer geht davon aus, dass die Selbstmordattentate nichts wirklich Neues sind und in ihrer allgemeinen Variante des Heldentods auch in der abendländischen Tradition bekannt sind.1512 Die Übertragung des Phänomens aus einem Kulturkreis in einen anderen erscheint an dieser Stelle fraglich, wie auch generell die Übertragung von Assoziationen zur Beurteilung von Personen und Sachverhalten kritisch zu beurteilen ist, da sich hieraus ergebende mögliche Wahrnehmungsverzerrungen negativ auf Schlussfolgerungen und Reaktionen auswirken könnten.1513 Demzufolge vom Selbstmordattentat abzugrenzen ist die Tat eines Einzelnen1514 oder einer Gruppe, welche als „kleine Kampfgemeinschaft“ in vermeintlich auswegloser Lage sich in einem „Himmelfahrtskommando“ opfert, um anderen das Überleben oder gar den (sonst unmöglich erscheinenden) militärischen Erfolg zu sichern.1515 Da1508
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vgl. Tilman Seidensticker, Der religiöse und historische Hintergrund des Selbstmordattentats im Islam, in: Hans G. Kippenberg, Tilman Seidensticker (Hrsg.), Terror im Dienste Gottes. Die „Geistliche Anleitung“ der Attentäter des 11. September 2001, Frankfurt am Main 2004, S. 107 ff.; 115; Seidensticker stellt das Phänomen in seiner Abhandlung in den Zusammenhang mit den islamischen Normen und zeichnet das Auftreten der Erscheinung durch verschiedene Phasen der Geschichte nach. An anderer Stelle wird den islamischen Protagonisten auch Beispiele aus dem jüdischen Untergrund entgegengestellt. (Alan B. Krueger, Jitka Malecová, Education, Poverty and Terrorism: Is There a Causal Connection?, in: Journal of Economic Perspectives, Heft 4, 2003, S. 119 ff.; 137) vgl. Hadayatullah Hübsch, Fanatische Krieger im Namen Gottes. Die Wurzeln des islamischen Terrors, München 2001; vgl. Eberhard Serauky, Im Namen Allahs. Der Terrorismus im Nahen Osten, Berlin 2000; vgl. Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005; vgl. Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005 Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005, S. 21 Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005, S. 21 Hans-Thomas Spohrer, Zur Persönlichkeit islamistischer Selbstmordattentäter, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002 / 2003, Frankfurt 2003, S. 145 ff.; 145 vgl. hierzu ausführlich: Marcus Wiesen, Raimund Jokiel, Wahrnehmungsverzerrungen, in: Raimund Jokiel, Marcus Wiesen (Hrsg.), Personenbeurteilung in der nachrichtendienstlichen Arbeit, Heimerzheim 28. März 2006, S. 18 ff. vgl. hierzu Heinrich Oswald, Wilhelm Tell, Terrorist? Arnold Winkelried, Selbstmordattentäter? In ASMZ 2003, Heft 7/8, S. 32, der auf das historische Beispiel Arnold Winkelrieds hinweist. Als deutsches Beispiel könnte hier das des Pioniers Klinke herangezogen werden, der im Deutsch-Dänischen Krieg 1848 unter Einsatz seines Lebens eine Bresche in die Düppler Schanze sprengte und hierdurch zum Volkshelden wurde (vgl. NN. „Pionier Klinke durfte bleiben“, http://www.reservistenverband.de/lg_niedersachsen/NI12770.php, Internet vom 18.05.2006) Ein solches Verhalten ist die freiwillige Übernahme einer höchst gefährlichen Aufgabe, die das eigene Todesrisiko (nahezu) unausweichlich beinhaltet. Dieses Verhalten geht über die Pflicht gem § 7 SG – „tapfer zu verteidigen“ – hinaus. Diese Pflicht versagt dem Soldaten der Bundeswehr gem. § 6 WStG die
her soll der Gegenstand im Folgenden vor allem als politisches Phänomen untersucht werden. Reuter ist der Ansicht, dass das Selbstmordattentat alle Regeln des Krieges und der Macht auf den Kopf stelle, weshalb konventionelle Mittel zu seiner Bekämpfung wirkungslos blieben und sogar kontraproduktiv werden könnten, weil für den, der das Martyrium als Ausweg aus einer als wertlos erachteten Existenz betrachte, für den habe der Tod seinen Schrecken verloren.1516 Dieses Argument ist nicht nur wegen seiner Absolutheit fragwürdig, sondern greift nach der hier vertretenen Meinung auch hinsichtlich des Gesamtkontextes der Tat zu kurz. Bei den Selbstmordattentätern stellt sich zunächst das Problem, dass es keine Verhandlungspartner zu geben scheint und damit hier ein Funktionsverlust der Politik eingetreten sein könnte. Gleichzeitig scheint sich das Phänomen weitgehend dem Instrument der klassischen Abschreckung zu entziehen: Wer nichts mehr zu verlieren hat, nicht mal mehr das eigene Leben, lässt sich auch nicht mehr abschrecken, sein Tun zu vollenden. Damit bleiben die general- und spezialpräventiven Mechanismen des Strafrechts (Entdeckungsrisiko, Angst vor Strafe) gegenüber Attentätern, welche ihren Tod in Kauf nehmen und ihren Körper als Waffe einsetzen, wirkungslos.1517 Damit laufen entsprechende Abschreckungsstrategien ins Leere.1518 Das ist, wenn man nur die Person des tatnahhandelnden Akteurs betrachtet, zunächst natürlich richtig. Wäre dies so, so läge als wirksamste Methode, diesem Phänomen zu begegnen, die Ausschaltung möglicher Freiwilliger nahe. Es ginge also um den Einsatz präventiver polizeilicher oder militärischer Mittel zur Festsetzung oder Tötung. Allerdings ist das Phänomen des Selbstmordattentäters nicht isoliert zu sehen, ist nicht allein bei der Betrachtung auf die terroristische Methode zu fokussieren. Vielmehr ist die Tat in einem weiteren Kontext zu betrachten. 4.7.2.2
Attentat
Hier greift das zweite Tatbestandsmerkmal: Das Attentat, das auf ein bestimmtes Ziel und möglicherweise auf einen weiteren Zweck gerichtet ist, denn auch dieser Täter steht nicht für sich allein. Häufig werden Selbstmordattentäter von der nationalen oder religiösen Gemeinschaft unterstützt, aus der sie sich rekrutieren und die in seinem Handeln den Einsatz für eigene legitime nationale oder religiöse Interessen, insbesondere die Befreiung von fremder Okkupation bzw. Besetzung, sieht. Mithin kann die Tat auf einen strategischen
1516 1517
1518
sonst jedem Staatsbürger zugebilligte Berufung auf Furcht gem. § 35 StGB. (vgl. Hans-Jürgen Wipfelder, Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Regensburg 1991, RN 522; vgl. Theodor Lenckner, Walter Perron, § 35 in: Adolf Schönke, Horst Schröder Strafgesetzbuch Kommentar, 27. Aufl., 2006, § 35, RN 23; vgl. Dieter Walz, Klaus Eichen, Stefan Sohm, Soldatengesetz. Kommentar, Heidelberg 2006, S. 115 ff.) Der Wille zur treuen Pflichterfüllung gem. § 7 SG soll stärker als die Furcht sein. (Martin Rittau, Soldatengesetz. Kommentar, München und Berlin 1957, S. 92) Christoph Reuter, Mein Leben ist eine Waffe. Selbstmordattentäter. Psychogramm eines Phänomens, München 2002, S. 13 Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitsstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 5; An anderer Stelle wird dagegen darauf hingewiesen, dass Selbstmordattentäter eben nicht aus wirtschaftlich und gesellschaftlichen Unterschichten stammen. (vgl. Alan B. Krueger, Jitka Malecová, Education, Poverty and Terrorism: Is There a Causal Connection?, in: Journal of Economic Perspectives, Heft 4, 2003, S. 119 ff.) Auch wenn diese Meinung zutrifft, so steht in jedem Fall fest, dass in diesem Kontext auftretende Irreguläre und ganz besonders Selbstmordattentäter einen inneren Riss mit der Gesellschaft vollzogen haben, und sie nun meinen, für andere etwas Gutes tun zu können. Kai Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291/2006, S. 24 ff.; 25
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Erfolg ausgerichtet sein.1519 Der Selbstmordattentäter verfolgt mit seinem Tun also eine Absicht, ein politisches Ziel. Der unmittelbare Erfolg seiner Tat, „ein weiches Ziel“, also möglichst viele Menschen zu treffen, bei den Überlebenden und (medialen) Zuschauern Angst und Schrecken zu verbreiten und bestimmte Reaktionen der Politik zu erreichen oder gar zu provozieren, ist das gleiche wie bei den übrigen Terroristen. Es ist also auch hier zwischen Ziel und Zweck zu unterscheiden. Ziel des Anschlag ist der unmittelbare Erfolg der Tat, sein Zweck die gewünschte politische Reaktion. Der Einsatz seines Lebens ist nur das äußerste Mittel, die ultima ratio, weil er sonst sein Ziel so nicht erreichen kann und die psychologische Wirkung durch seinen totalen Einsatz noch einmal eine besondere Verstärkung erfährt. Sein Leben ist insofern eine Waffe,1520 die Ziel und Zweck dienen soll. Doch der Zweck ist nicht mit seiner Tat dahin; hat sich nicht gleich ihm vernichtet und aufgelöst. Denn ansonsten wäre seine Tat zweck- und mithin völlig sinnlos. Der Zweck wird auch von anderen Akteuren weiter verfolgt, die unter Umständen bereit sind, weitere Selbstmordattentäter einzusetzen. Es stehen also hinter dem Selbstmordattentäter Hintermänner, die ihn als Werkzeug, als Instrument zur Verfolgung ihrer politischen Ziele einsetzen. Das Verhalten dieser Drahtzieher und Schlüsselfiguren im Hintergrund ist darauf gerichtet, das Überleben und die Handlungsfähigkeit des Netzwerkes sicherzustellen, um die Bedrohung aufrechtzuerhalten und die eigenen Fähigkeiten durch neue Anschläge fortlaufend unter Beweis stellen zu können.1521 Folglich hat das Instrument der Abschreckung auf diesen Personenkreis seine Wirkung auch nicht verloren. Eben auf diese Hintermänner – die Täter hinter den Tätern – muss die Einwirkung mit allen politischen Mitteln ausgerichtet sein. Diese stehen gegebenenfalls auch als Verhandlungspartner zur Verfügung. Folglich ist der Funktionsverlust der Politik auch nicht eingetreten. 4.7.3
Das operativ-taktische Problem
Explosivstoff ist die Waffe der Wahl für die Selbstmordattentäter.1522 In besonderer Weise ist das Selbstmordattentat der ultimative, rationale Weg den Erfolg einer Mission sicherzustellen, indem auch in finanzieller Hinsicht eine günstige Alternative eines Lenkflugkörpers 1519
1520
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Merari verweist in diesem Zusammenhang auf die Selbstmordattentate auf die U.S.-Marines und die französischen Fremdenlegionäre 1983 in Beirut, in deren Folge die beiden Staaten sich genötigt sahen, ihre Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Das waren Entscheidungen, die die Zukunft des Landes nicht unerheblich beeinflusst haben und die bis heute nachwirken. (Ariel Merari, The readiness to kill and die: Suicidal Terrorism and the Middle East, in: Walter, Reich, Orgins of Terrorism, Psychologies, Ideologies, Theologies, States of Mind, Washington D.C. 1998, S. 192 ff.; 192; vgl. Aharon Yariv, Detering Terrorism, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker [Hrsg.], Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 157 ff.; 162) vgl. entsprechend auch die Titel verschiederer Veröffentlichungen, die sich mit dem Phänomen von Selbstmordattentaten auseinandersetzen: Christoph Reuter, Mein Leben ist eine Waffe. Selbstmordattentäter. Psychogramm eines Phänomens, München 2002; vgl. Joseph Croitoru, Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats, München, Wien, 2003; vgl. Ulrich Schneckener, Selbsmordanschläge als Mittel asymmetrischer Kriegführung, in: SWP-Aktuell 27, Juli 2003; vgl. Wolfgang Schmidbauer, Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus, Reinbek bei Hamburg 2003 Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69 Berndt Georg Thamm, Der globale Djihad-Terrorismus militanter Islamisten. Die Ursachen, Entwicklung, Verbreitung und Fähigkeiten, in: Homeland-Security, Heft 2, 2006, S. 5 ff.; 10
geboten wird.1523 Das besondere des Selbstmordanschlages, der wegen der Einbeziehung Unbeteiligter auf der Opferseite als die aggressivste Form des Terrorismus angesehen wird, ist aber die Tatsache, dass der Angreifer nicht erwartet, die Aktion zu überleben, und insofern werden Methoden und Mittel entwickelt und eingesetzt (Autobomben, Sprengstoffwesten, Flugzeuge, die in Gebäude gesteuert werden), welche ihren Tod zur Bedingung des Erfolges machen.1524 Somit wird der Selbstmordanschlag zugleich zum operativ-taktischen Problem. Klassische Sicherheitskonzepte, die davon ausgehen, dass ein Attentäter selbst unentdeckt bleibt und sich seiner Festsetzung unversehrt entziehen will und somit nach der Aktion unerkannt ausweicht, greifen hier nicht uneingeschränkt. Die Tatsache, dass es dem Angreifer überhaupt nicht darauf ankommt davon zu kommen, sondern sein eigener Tod Teil des ganzen Einsatzes ist, macht eine Rückzugsplanung für ihn entbehrlich und lässt Sicherheitskonzepte, die davon ausgehen, dass der Täter entkommen will, ins Leere laufen, da es nutzlos ist, ihm den Rückweg zu verstellen. 4.7.4
Persönlichkeitsaspekte des Selbstmordattentats
Die persönliche Seite des Selbstmordattentats muss vom subjektiven Tatbestand abgegrenzt werden. Auch wenn davon auszugehen ist, dass einige Täter durch Gehirnwäsche oder anderweitige Manipulation zur Begehung bewegt werden und damit im strafrechtlichen Sinne eher als Werkzeug denn als Täter zu qualifizieren sind, ist bei der Mehrzahl – insbesondere bei den besonders gefährlichen Selbstmordattentätern – davon auszugehen, dass ihr tatbestandliches Handeln vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale einschließlich des Kausalverlaufs, geschieht und damit der subjektive Tatbestand erfüllt ist. Insofern liegt das Hauptproblem in der persönlichen Struktur und im persönlichen Umfeld der Täter. Hier liegt auch der Lösungsansatz für das Problem der Selbstmordattentäter. Tatsächlich muss dem Umfeld die Motivation genommen werden, aus dem potentielle Attentäter erwachsen. Ulrich Beck vertritt die These, dass der Selbstmordattentäter das stärkste Gegenbild zum homo oeconomicus ist, er also ökonomisch und moralisch total enthemmt sei.1525 Diese These geht zum einen von der Amoralität des Selbstmordattentäters aus; von der grundsätzlichen Verwerflichkeit seines Tuns. Hinsichtlich dieses Aspektes ist auf die in dieser Schrift gemachten Ausführungen zur Rationalität zu verweisen; mit der Moral verhält es sich analog. Moral ist wie Ratio eine Frage der Bildung und der sozialen sowie kulturellen Herkunft und somit abhängig vom individuellen Kulturkreis. Dem Akteur hier also grundsätzlich jegliche Moralität abzusprechen, ist mithin wiederum eine Frage des Standpunktes und der Perspektive und verstellt möglicherweise aus dieser Ideologie heraus auch die Sicht auf das Problem. Ebenso könnte es sich mit dem zweiten Teil der Beckschen These verhalten, welche impliziert, dass der Selbstmordattentäter nicht ökonomisch denkt. Dem wäre so, wenn man Ökonomie ausschließlich mit pekuniärem Gewinn gleichsetzt. Wenngleich den Familien von Selbstmordattentätern oftmals erhebliche finanzielle Mittel zufließen, hat der Selbstmordattentäter selbst keinen unmittelbaren pekuniären Vorteil von seiner Tat. Dennoch stellt die Gewiss1523 1524 1525
Maxwell Taylor, The Terrorist, London, Oxford, Washington, 1998, S. 106 vgl. Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005, S. 10 Ulrich Beck, Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt am Main 2002, S. 33
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heit des finanziellen Auskommens und des zukünftigen Versorgtseins der Familie in Kulturkreisen, in denen Familie an sich noch einen Wert bedeutet, einen Gewinn dar. Dies gilt zumal gerade dann, wenn die wirtschaftliche Perspektive nichts Entsprechendes erhoffen lässt. Somit gewinnt er posthum erhebliche soziale Anerkennung. Eben auf diese Anerkennung könnten auch jene Selbstmordattentäter pochen, denen es nicht auf finanziellen Gewinn ankommt. Spohrer vertritt die Ansicht, das sei die Mehrzahl, da diese nicht das Produkt aus Armut und Verelendung seien.1526 Spohrer begrenzt damit allerdings die Wahrnehmung der prekären wirtschaftlichen Situation auf die singuläre Person des Täters und übersieht hierbei möglicherweise, dass die Wahrnehmung der Lage der arabischen Völker ihre Ursache in einer Übertragung des vermeintlichen Verschuldens des Westens haben könnte. Es mag aber an dieser Stelle dahin gestellt bleiben, ob die individuelle oder die kollektive Situation Auslöser der Tat ist. In jedem Fall liegt dem Denken sowohl eine andere Vorstellung von Moral als auch der Wirtschaftlichkeit im Sinne einer anderen Fokussierung zugrunde. Diese Hintergründe gilt es bei der Problemlösung zu berücksichtigen. 4.7.5
Zwischenergebnis
Der Umgang mit dem Phänomen verlangt somit eine abgestufte Vorgehensweise. Eine lediglich militärisch-polizeiliche Lösung zur Ausschaltung potentieller Attentäter könnte sich als kontraproduktive Strategie erweisen, da der Einsatz offensiver Kräfte dazu führen könnte, dass aus der Niederlage eine neue Generation von Selbstmordattentätern heranwächst.1527 Es ist eine strategische Aufgabe, welche auch die kulturellen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen des sozialen Milieus berücksichtigen muss. Das Leben muss so lebenswert sein, dass der Preis, es einzusetzen, zu hoch ist. Zudem muss man strategisch den Willen und die operativen Fähigkeiten besitzen, bevorstehende Anschläge aufzuklären und aktiv (auch durch den Einsatz von präventiver und repressiver Gewalt) zu verhindern bzw. abzuwehren. Auf der taktischen Ebene sind die entsprechenden Schutzkonzepte zur Verhinderung von Anschlägen anzupassen, indem die Verwundbarkeit potentieller Ziele verringert oder der aktive Schutz soweit erhöht wird, dass der Aufwand für einen Selbstmordattentäter, erfolgreich zu sein, für diesen nicht mehr realisierbar erscheint. 4.8
Kindersoldaten
Eine andere Form irregulärer Kräfte ist die Erscheinung von Kindersoldaten.1528 Der unscharfe Begriff „Kindersoldat“, der auch wissenschaftlich nicht einheitlich definiert ist, umfasst Kinder und jugendliche Kämpfer, die in der Altersspanne von acht bis achtzehn Jahren ohne das Erfordernis, (Schuss-) Waffen zu tragen, insbesondere durch substaatliche 1526 1527 1528
226
Hans-Thomas Spohrer, Zur Persönlichkeit islamistischer Selbstmordattentäter, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002 / 2003, Frankfurt 2003, S. 145 ff.; 150 vgl. Robert E. Pape, Dying to Win, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, New York, 2005, S. 23 Zu diesem vielschichtigen Problem insgesamt vgl. ausführlich: P. W. Singer, Children at War, Berkley, Los Angeles, 2006; Nach einem Bericht der VN werden derzeit mehr als eine viertel Million Kinder in bewaffneten Konflikten ausgebeutet. (AP, Uno kritisiert Einsatz von weltweit 250 000 Kindersoldaten, in: Die Welt vom 26. Juli 2006, S. 5; vgl. NN. Rund 250 000 Kindersoldaten weltweit, in: IAP-Dienst Courier, Tagesmeldungen, Nr. 142/2006 vom 27.07.2006, S. 2)
Akteure und Irreguläre Kräfte illegal zum Kriegsdienst verpflichtet oder durch Verschleppung sowie durch die Androhung von Gewalt zum Waffendienst gezwungen wurden.1529 In Verbindung mit der Verbreitung von Kleinwaffen stellen sie eine besondere Bedrohung dar1530 und sind vor allem auch eine Herausforderung für westliche Militärs im Rahmen von Stabilisierungsoperationen und im „War on Terrorism“1531, in welchem Kindersoldaten in wachsender Zahl in irregulären Gruppierungen auftreten.1532 Sie stellen nicht nur eine psychologische Herausforderung für zivilisierte Soldaten westlicher Prägung dar, sondern bringen diese auch in Konflikt mit deren rechtlichen und ethischen Überzeugungen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Schutzgedanke für Kinder umgedreht wird, so dass man sich selbst vor Kindern schützen muss.1533 Das gilt besonders dann, wenn Kindersoldaten ihrerseits das humanitäre Völkerrecht ignorieren,1534 sich durch besondere Grausamkeit auszeichnen und kein Pardon kennen. Neben dieser Notlage durch die Konfrontation mit einem gefährlichen Gegner kommen westliche Armeen doppelt in Bedrängnis, wenn Kinder getötet oder verletzt oder gefangen genommen werden.1535 Die meisten Kindersoldaten kämpfen auf der Seite von Aufständischen gegen amtierende Regierungen; es gibt allerdings auch Kindersoldaten in Regierungsarmeen.1536 Kämpfende und in bewaffneten Einheiten tätige Jungen und Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren, oftmals auch jünger, gehören heute zur Realität zahlreicher Kriegsschauplätze.1537 Gerade die typischen kindlichen Eigenschaften machen Kinder zu begehrten Kämpfern, weil sie über ein geringes Risikobewusstsein in Verbindung mit der Bereitschaft, Erwachsenen blindlings zu folgen, verfügen.1538 Dabei ist der natürliche Selbsterhaltungstrieb oftmals noch nicht ausgeprägt und die Todesgefahr wird noch nicht begriffen.1539 Entsprechend sind die Opferzahlen unter den Kindern extrem hoch.1540 Sie agieren mit Kühnheit bis hin zur Tollkühnheit, vor allem, wenn sie religiös, politisch oder mit Drogen aufgeputscht sind.1541
1529 1530 1531 1532 1533 1534 1535 1536 1537 1538 1539 1540 1541
NN., Das „Phänomen Kindersoldat“, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 7, 2006, S. 6 vgl. Franz Solms-Laubach, „Kindersoldaten sind lebende Bomben“, in: Die Welt vom 24.06.2006, S. 4; vgl. Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 82; vgl. P. W. Singer, Children at War, Berkley, Los Angeles, 2006, S. 7 Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 80 vgl. P. W. Singer, Children at War, Berkley, Los Angeles, 2006, S. 116 vgl. Franz Solms-Laubach, „Kindersoldaten sind lebende Bomben“, in: Die Welt vom 24.06.2006, S. 4 vgl. P. W. Singer, Children at War, Berkley, Los Angeles, 2006, S. 102 Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 82 Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 80 f. Michael Pittwald, Kindersoldaten, neue Kriege und Gewaltmärkte, Osnabrück 2004, S. 7 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 75 f. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 76 Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 82 Horst Weise, Kindersoldaten – Kämpfer und Opfer, in: Europäische Sicherheit Heft 10, 2005, S. 80 ff.; 82
227
4.9
Freibeuter und Piraten
Irreguläre Kampfführung existiert auch als maritime Komponente.1542 Bestimmte Arten des Kampfes auf den Meeren weisen gewisse Ähnlichkeiten zur Irregulären Kampfführung auf. Diese sind allerdings nicht unter dieser Bezeichnung bekannt. Dennoch kennt man auch in der Seekriegsgeschichte Beispiele für die Verfolgung einer negativen raumorientierten Strategie, die dort unter den Bezeichnungen Freibeuterei oder Kreuzerkrieg bekannt sind.1543 Die Freibeuterei entstand im Mittelalter als staatliche Instrumentalisierung und Sanktionierung der Piraterie und wurde im 16. Jahrhundert durch den Kreuzerkrieg ergänzt und im 19. Jahrhundert ganz durch diesen abgelöst.1544 Dennoch ist die Piraterie kein Phänomen vergangener Segelschiffromantik, wobei die Piraten heute über militärische Waffen in Form von Maschinengewehren, Mörsern sowie raketengetriebenen Granaten verfügen und oftmals auf das Leben der Schiffsbesatzungen keine Rücksicht nehmen.1545 Allerdings stellt das Schiff mit seinen speziellen Möglichkeiten eine zusätzliche Plattform für irreguläres Handeln dar. Bei der Vorgehensweise von Irregulären Kräften auf See spielt das Meer als bequemer und schneller Kommunikations- und Transportweg in seiner ureigenen Funktion eine Rolle, Aktionen an Land zu ermöglichen, zu vereinfachen oder zu verstärken.1546 Die Nutzung der See durch Fahrzeuge und feste Anlagen sowie Häfen eröffnet viele Aktionsvarianten auf und von See, wobei das maritime Umfeld besondere Anforderungen an die Fertigkeiten stellt, aber auch besonders ausgeprägte Schädigungsmöglichkeiten offeriert.1547 Zudem können Irreguläre Kräfte zur See die Erschwerung der Nutzung derselben durch ihre jeweiligen Gegner anstreben, indem sie Schiffe entführen, Bombenanschläge auf Schiffe oder Bohrplattformen oder Geiselnahmen ebendort durchführen.1548 Darüber hinaus wird die Möglichkeit gesehen, dass Terroristen gekaperte Schiffe zu Bomben umfunktionieren könnten.1549 Gleichzeitig sind Anschläge von See aus auf Anlagen an der Küste möglich.1550 Zudem wird die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Angriffe
1542 1543 1544 1545 1546 1547 1548 1549 1550
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vgl. Dieter Stockfisch, Bedrohungen auf See: Terrorismus und Piraterie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 253 ff.; 253 Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 208 Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 208 Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 247 Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 215 f. Michael Stehr, Piraterie und Terror auf See. Nicht-Staatliche Gewalt auf den Weltmeeren 1990 bis 2004. Ein Handbuch, Berlin 2004, S. 2 f. Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 217 Michael Stehr, Piraterie 2005, Piraterie, Terrorismus und Weltwirtschaft. Selbstschutz der zivilen Seeschifffahrt, in: Marine-Forum 2006, Heft 4, S. 4 ff.; 6 Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 72
gegen Schiffe mit Sprengstoff gefüllten Sportflugzeugen oder Kamikaze durchgeführt werden.1551 Die moderne Piraterie weist zumindest in einigen Regionen der Welt bereits heute sicherheitspolitische Aspekte auf, wobei sie zuweilen Produkt offener oder verdeckter Konflikte oder Spannungen aufweist, zuweilen profitiert sie von solchen.1552 In der Literatur wird hier für die Zukunft eine – zumindest latente – Gefahr auch für die Warenströme und wirtschaftlichen und damit sicherheitspolitischen Interessen der europäischen Staaten gesehen.1553 4.9.1
Abgrenzungsprobleme
Allerdings haben sich Versuche, den Begriff der Piraterie auf alle Gewalttaten auf hoher See auszudehnen, nicht durchgesetzt.1554 Stehr verweist aber auf Verlaufsformen von Piratenaktionen in jüngerer Zeit, die nicht nur krimineller Art zu sein scheinen, und fragt nach Gemeinsamkeiten von Piraten und Terroristen.1555 Erickson definiert Piraterie tatbestandlich unter anderem dahingehend, dass die Aktionen eine private Zielsetzung haben und von einem privaten Schiff auf ein anderes privates Schiff ausgeübt werden.1556 Neben das von kommerziellen Interessen bestimmte Kapern von Schiffen ist als neuere Erscheinungsform auch die politische Geiselnahme auf hoher See getreten.1557 In jüngerer Zeit finden sich denn auch Beispiele für irreguläre Aktionen auf See: So die Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ (1986) oder der Anschlag auf die USS Cole (2000) im Hafen von Aden.1558 Nach der vorstehenden Definition subsumiert Ericson den Vorfall mit dem Kreuzfahrtschiff nicht als Piratenakt, weil eben nicht private Zielsetzungen bei der Durchführung der Aktion im Vordergrund standen und die Tat auch nicht von einem privaten Schiff zu einem anderen stattfand.1559 Auch bei der USS Cole handelt es sich nicht um ein privates Schiff. Folglich scheidet auch hier ein Akt der Piraterie nach dieser Definition aus.
1551 1552 1553 1554 1555 1556 1557 1558 1559
Dieter Stockfisch, Bedrohungen auf See: Terrorismus und Piraterie, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 253 ff.; 254 Michael Stehr, Piraterie und Terror auf See. Nicht-Staatliche Gewalt auf den Weltmeeren 1990 bis 2004. Ein Handbuch, Berlin 2004, S. 1; vgl. Michael Stehr, Piraterie 2005, Piraterie, Terrorismus und Weltwirtschaft. Selbstschutz der zivilen Seeschifffahrt, in: Marine-Forum 2006, Heft 4, S. 4 ff. Michael Stehr, Piraterie und Terror auf See. Nicht-Staatliche Gewalt auf den Weltmeeren 1990 bis 2004. Ein Handbuch, Berlin 2004, S. 1 Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, Allgemeines Friedensrecht, München 1975, S. 343 Michael Stehr, Piraterie 2005, Piraterie, Terrorismus und Weltwirtschaft. Selbstschutz der zivilen Seeschifffahrt, in: Marine-Forum 2006, Heft 4, S. 4 ff.; S. 6 Richard J. Erickson, Legitimate Use of Force Against State-Sponsored International Terrorism, Honolulu 2002, S. 195 Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 247 f. Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 211 Richard J. Erickson, Legitimate Use of Force Against State-Sponsored International Terrorism, Honolulu 2002, S. 195
229
4.10
Motivlage und Zielsetzung der Terroristen
Die Fragen nach der Motivation von Terroristen wurden schon seit langer Zeit gestellt und die Antworten variieren stark voneinander.1560 Terroristisches Planen verlangt ein hohes Maß an Rationalität, wobei die richtige Dosierung des Eskalationspotenzials und der angemessene Angriffszeitpunkt die entscheidenden Faktoren für den Erfolg terroristischen Handelns sind.1561 Anstelle einer einheitlichen oder favorisierten Strategie wird situationsabhängig agiert und dabei werden neue und oftmals noch nie zuvor eingesetzte Taktiken angewandt, was es wiederum erschwert, die nächsten Schritte und Aktionen von Terroristen präzise einzuschätzen.1562 4.10.1
Risikoanalyseansätze
Für eine solche sichere Einschätzung bedarf es einer Analyse und Abschätzung des Risikos durch zuverlässige Risikoanalysen. Eine Risikoanalyse ist eine Prozedur oder Methode, die eine qualitative oder allenfalls quantitative Abschätzung des Risikos erlaubt.1563 Unveränderbare Parameter des Risikobegriffs sind die Begriffe des Schadens, der Ungewissheit seines Auftretens sowie die Beeinflussbarkeit sowohl der Eintrittswahrscheinlichkeit als auch der Höhe des Schadens durch den Menschen.1564 Das Risiko beschreibt als Maß die Größe, den Grad oder das Ausmaß einer Gefährdung und stellt eine zweidimensionale Größe bestehend aus der Wahrscheinlichkeit und dem Schweregrad des möglicherweise eintretenden Schadens dar.1565 Dabei wird das Risiko als Produkt der Auftretenswahrscheinlichkeit des Ereignisses mit seinen möglichen Schäden interpretiert.1566 In diesem Zusammenhang werden auch Risiko und Gefahr voneinander abgegrenzt: Die Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr ist nach Niklas Luhmann unter anderem eng mit der Unterscheidung in Bezug auf künftige Schäden verbunden.1567 Nach einer Auffassung in 1560
1561 1562 1563 1564 1565
1566 1567
230
Walter Laqueur, Interpretions of Terrorism: Fact, Fiction and Political Science, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel [Hrsg.], Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 247 ff.; 247 Werner Weidenfeld, Für ein System kooperativer Sicherheit, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 11 ff.; 13 Werner Weidenfeld, Für ein System kooperativer Sicherheit, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 11 ff.; 13 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 123 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz – Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 5; vgl. Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz, Wörterbuch für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, 2. Aufl., Köln 2006, S. 56 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin, New York 2003, S. 30 f.; vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirt-
der Literatur spricht man von Risiko, wenn der mögliche Schaden als Folge einer Entscheidung angesehen wird.1568 Nach dieser Meinung werden Risiken als Gegenstand eines absichtlichen Unterfangens angesehen und so dem Entscheider zugeordnet, während der Betroffene eine Gefahr erleide und ihr meist unwissentlich ausgesetzt sei.1569 Gefahren liegen demnach in natürlichen, technischen, gesellschaftlichen oder machtpolitischen Entwicklungen oder Ereignissen, ohne direkte feindliche Absichten, die für Staaten Menschen oder deren Lebensgrundlagen Schäden bewirken können.1570 Demnach bestehe der Unterschied zwischen Risiko und Gefahr darin, dass die Gefahr eine mögliche Ursache für einen Schaden darstelle, während das Risiko die Eintrittswahrscheinlichkeit mit einbeziehe.1571 4.10.1.1
Die Unbrauchbarkeit mathematischer Ansätze
Clausewitz hatte bereits festgestellt, „ …daß der Krieg keine Tätigkeit des Willens ist, die sich gegen einen toten Stoff äußert wie die mechanischen Künste … sondern gegen einen lebendigen reagierenden. Wie wenig auf eine solche Tätigkeit der Gedankengang der Künste und Wissenschaften paßt, springt in die Augen, und man begreift zugleich, wie das beständige Suchen und Streben nach Gesetzen, denen ähnlich, welche aus der toten Körperwelt entwickelt werden können, zu beständigen Irrtümern hat führen können.“1572 Dieses Suchen und Streben hält an. Immer wieder gibt es Versuche, von Irregulären ausgehende Risiken mathematisch zu bestimmen. Zur Bestimmung des Terrorismusrisikos gibt es im Wesentlichen zwei mathematische Methodenansätze. Die eine basiert auf der klassischen Risikoanalyse, wobei das Risiko (R) als ungewisser Schaden definiert wird und als Produkt aus Schadenshöhe (S) und Eintrittswahrscheinlichkeit (E) berechnet wird: S x E = R.1573 Dabei ist unter Schadenshöhe die
1568
1569
1570 1571
1572 1573
schaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 5 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 5 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 5 vgl. Peter Arbenz, Sicherheit und Migration, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 301 ff.; 301 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 1, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 5 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 201 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 33 (Daase benutzt hier ursprünglich die Abkürzung „W“ für „Wahrscheinlichkeit“, die in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an die gebräuchlichen Formeln im Risikomanagement mit „E“ für „Eintrittswahrscheinlichkeit“ ersetzt ist.) In der vorliegenden Arbeit wird die Formel mithin auch so benutzt, wie sie in der Risikowahrnehmungsforschung und der freien Wirtschaft angewendet wird. (vgl. Herbert Ehses, Oliver Schneider, Die Einbindung der Unternehmenssicherheit in das betriebliche Risiko, in: Herbert Ehses [Hrsg.] Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, B 1, S. 57 ff.; 57; vgl. Führungsakademie der Bun-
231
Wirkung als die annualisierten Kosten des Ereignisses und unter Wahrscheinlichkeit die Ereignishäufigkeit zu verstehen.1574 Allerdings weist dieser Ansatz die Schwierigkeit auf, dass die Auftrittswahrscheinlichkeit üblicherweise mit Hilfe statistischer Methoden abgeschätzt wird.1575 Deswegen kritisiert Beck auch, dass das Rationalitätsmonopol der Wissenschaften gebrochen werde und der Rationalitätsanspruch der Wissenschaften, den Risikogehalt des Risikos sachlich zu ermitteln, sich permanent entkräfte, da er auf spekulativen Annahmen beruhe und sich ausschließlich im Rahmen von Wahrscheinlichkeiten bewege.1576 Zudem ist auch der klassische Fall ungewollter „Nebenfolgen“ sozialen Handelns nicht hinreichend berechenbar.1577 Insofern funktioniert der Mensch nicht als „lineares System“, welches auf Proportionalität sowie die Vorhersehbarkeit von Ursache und Wirkung angelegt ist, und das bis in alle Konsequenzen berechenbar ist; sondern der Mensch ist „nichtlinear“ mit nicht exakt bestimmbaren Ergebnissen von „Input“ und „Output“ angelegt.1578 Zudem liegt im Schluss auf Dispositionen die Gefahr von Wahrnehmungsverzerrungen.1579 Mithin sind in der sicherheitspolitischen Analyse nicht nur Logik und Intellekt, sondern vor allem Erfahrung und Verstehen gefragt.1580 Mithin hat Clausewitz auch hier recht, wenn er feststellt: „Untersuchung und Beobachtung, Philosophie und Erfahrung dürfen nie einander verachten noch ausschließen; sie leisten einander gegenseitige Bürg-
1574 1575 1576 1577 1578
1579
1580
232
deswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 [M], 42. ASTO [Hrsg.], Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgaben- und Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 13; vgl. Herbert Ehses, Sicherheitsanalysen- und Konzepte, in: Herbert Ehses [Hrsg.] Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, B 1, S. 1 ff.; S. 8; vgl. Peter Arbenz, Sicherheit und Migration, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly [Hrsg.], Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 301 ff.; 301; vgl. Andreas Bong, Sicherheitsmanagement im Wandel. Ein alternatives Konzept vor dem Hintergrund aktueller Gefahren, unveröffentlichte Diplomarbeit an der Universität der Bundeswehr München, München 2002, S. 7 f.; vgl. im Prinzip ebenso: Maximilian Edelbacher, Paul Reither, Werner Preining,Sicherheitsmanagement, Grundlagen – Kosten/Nutzen im Unternehmen – Technische Maßnahmen, Wien 2000, S. 69) Maximilian Edelbacher, Paul Reither, Werner Preining, Sicherheitsmanagement, Grundlagen. Kosten / Nutzen im Unternehmen. Technische Maßnahmen, Wien 2000, S. 87 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine Moderne, Frankfurt am Main 1986 vgl. Wolf R. Dombrowsky, Jörg Horenczuk, Willy Streitz, Erstellung eines Schutzdatenatlasses, Bonn 2003, S. 46 vgl. Tom Czerwinski, Coping with the Bounds. Speculations on Nonlinearity in Military Affairs, 2. Aufl., o. OA. 2003, S. 8 ff.; vgl. David S. Alberts, Thomas C. Czerwinski, Preface, in: David S. Alberts, Thomas C. Czerwinski, Complexity, Global Politics, and National Security, 2. Aufl., o. OA. 1999, S. xiii ff.; xiii f.; vgl. Robert Jewis, Complex Systems: The Role of Interactions, in: David S. Alberts, Thomas C. Czerwinski, Complexity, Global Politics, and National Security, 2. Aufl., o. OA. 1999, S. 45 ff.; 51; vgl. Colin S. Gray, Strategy for Chaos. Revolution of Military Affairs and the Evidence of History, London, Portland 2002, S. 5 vgl. Marcus Wiesen, Raimund Jokiel, Persönlichkeitseigenschaften, in: Raimund Jokiel, Marcus Wiesen (Hrsg.), Personenbeurteilung in der nachrichtendienstlichen Arbeit, Heimerzheim 28. März 2006, S. 12 ff.; 12; vgl. Marcus Wiesen, Aspekte eines nachrichtendienstlichen Gesprächs, in: Sven Max Litzke (Hrsg.), Nachrichtenpsychologie 1, Brühl / Rheinland 2003, S. 105 ff. vgl. Christian Hacke, Außen- und Sicherheitspolitik, in: Herfried Münkler, Politikwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg, 2003, S. 324 ff.; 324
schaft.1581 Dementsprechend wird ein lineares Denken in Kampf gegen Irreguläre Kräfte in der Literatur auch als inadäquat abgelehnt.1582 Daase hält das vorhin vorgestellte mathematische Verfahren auch insofern grundsätzlich für problematisch, als dass bei der Einstufung der Konsequenzen eines terroristischen Anschlages als „inakzeptabel hoch“, und auch wegen der Höhe des Restrisikos gleichgültig sei, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist.1583 Das Fehlen jeglicher Erfahrungen gerade auch mit nuklearen Terrorakten verlangt eine andere Betrachtungsweise.1584 Anet schlägt vor, für die Risikoabschätzung des Nuklearterrorismus die technische Machbarkeit zu verwenden. Er geht davon aus, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Anschlages stark von seiner technischen Machbarkeit abhängt, und unterstellt, dass, was machbar ist, auch auftreten kann,1585 also auch gemacht wird. Die Abschätzung der Wirkungen und Schäden will Anet in repräsentativen Bereichen vornehmen, also beispielsweise in den betroffenen Flächen, die menschliche Gesundheit, die Umwelt und die Wirtschaft, sowie die psychologischen Reaktionen der Bevölkerung.1586 Insgesamt räumt Anet jedoch ein, dass das Schlussresultat einer solchen Risikoanalyse in hohem Maße davon abhängen wird, wie die verschiedenen Elemente der Analyse interpretiert und gewichtet werden.1587 Insofern beinhaltet eine solche Analyse immer die Gefahr der Ungenauigkeit und Unrichtigkeit nicht nur wegen der wissenschaftlichen Fehlinterpretationen, sondern auch wegen politischer Interessen und Rücksichtnahmen in der Bewertung. Nachdem zuvor Gesagten ist fraglich, nach welchen Kriterien sich die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt. Dieses umso mehr, als dass der Faktor Mensch hier die entscheidende Rolle spielt. Wollte man die Richtigkeit einer solchen Formel annehmen, so reduzierte man im Umkehrschluss den Menschen auf eine mathematische Gleichung. Doch ist der Mensch geprägt durch gesellschaftliche, kulturelle, religiöse und persönlichcharakterliche Rahmenbedingungen und Eigenschaften, welche mit mathematischen Methoden nicht allumfassend zu quantifizieren und zu qualifizieren sind. Der Mensch als Individuum ist somit nicht in allem seinem Tun und Unterlassen, seinem Handeln, errechenbar und ausrechenbar. Folgerichtig tritt die Eintrittswahrscheinlichkeit hinter der Schadenshöhe zurück; das heißt, die Schadenshöhe bestimmt das Risiko. Die Formel müsste also lauten: S = R. Nach dieser Formel müsste sich konsequenterweise auch der Schutz vor Anschlägen ausrichten. Allerdings wird bei der Betrachtung dieser Formel sofort deutlich, dass sich gerade in hochindustriellen Gesellschaften nicht alle gefährdeten Bereiche, Infrastrukturen und Personengruppen total schützen lassen und immer eine gewisse Angreifbarkeit und Verwundbarkeit 1581 1582 1583 1584 1585 1586 1587
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 82 vgl. Hermann Jung, Preparing for asymmetry. By examining Joint Vision 2100, 2020, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 299 ff.; 320 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 33 f. Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16 Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 16
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besteht. Es gilt also Schwerpunkte zu bilden. Hierzu könnte die „WahrscheinlichkeitsWirkungs-Matrix“, bei der die Szenarien nach ihrer Wirkung beurteilt werden,1588 möglicherweise einen Ansatz zur Problemlösung bieten. Allerdings bietet auch diese Methode nicht die Möglichkeit, die Eintrittswahrscheinlichkeit objektiv zu quantifizieren, sondern muss sich ebenfalls letztlich auf subjektive Bewertungen abstützen. Die Einschätzung der Wirkung erfolgt somit nach dieser Methode rein subjektiv durch „Expertenmeinung“.1589 Daase schlägt nun eine Formel vor, die davon ausgeht, dass sich die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht aus statistischen Erhebungen ergibt, sondern aus der Kombination von konkreten Motiven (M) eines sozialen Akteurs und den Gelegenheiten (G), die sich seinem Handeln bieten.1590 Gleichfalls ist nach dieser Annahme der Schaden keine beliebig festlegbare Größe, sondern errechnet sich aus der Verwundbarkeit des Opfers (V) und den Kapazitäten (K) des Täters. Demzufolge fließen also Motive, Gelegenheit, Verwundbarkeit und Kapazitäten gleichermaßen in die Kalkulation ein: R = S (V, K) x E (M, G).1591 Allerdings räumt Daase selbst ein, dass derartige Gleichungen eine Objektivität und Berechenbarkeit suggerieren, die es in der Realität nicht gibt. Seiner Meinung nach gewinnt jedoch die Wahrnehmung von Risiken in dem Maße an Präzision, in dem sie den Besonderheiten von Akteuren und Situationen Rechnung trägt.1592 Folglich sind mathematische Formelansätze für die Bestimmung von terroristischen Risiken unzureichend. 4.10.1.2
Chancen und Grenzen von Simulation
Das zuvor Gesagte gilt auch für die zunehmenden Versuche, alle Lebens- und vor allem alle Risikobereiche durch Simulation1593 beherrschbar zu machen. Simulationen, die wiederum auf systemischem Denken beruhen können als Werkzeug zur Vereinfachung von Komplexität verwendet werden, um die Einsicht in Prozesse, Strukturen und Entscheidungen komplexer Situationen zu verbessern.1594 Das mag für viele Bereiche, in denen es im Wesentlichen um technische Abläufe und Verfahren sowie um das Beherrschen sich hieraus ergebender Situationen geht, Ziel führend und damit auch richtig sein. Auch für den militärischen Bereich kann diese für eine Reihe von Fällen nützlich sein. In modernen Armeen hat der Einzug der Simulationstechnik für die Zukunft zugenommen, die auch Ele-
1588 1589 1590 1591 1592 1593
1594
234
Maximilian Edelbacher, Paul Reither, Werner Preining, Sicherheitsmanagement, Grundlagen. Kosten / Nutzen im Unternehmen. Technische Maßnahmen, Wien 2000, S. 86 Maximilian Edelbacher, Paul Reither, Werner Preining, Sicherheitsmanagement, Grundlagen. Kosten / Nutzen im Unternehmen. Technische Maßnahmen, Wien 2000, S. 87 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 33 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 33 Christopher Daase, Terrorgruppen und Massenvernichtungswaffen, in: APuZ 48/2005, S. 31 ff.; 33 vgl. John D. Sterman, Buisness Dynamics. Systems Thinking and Modeling for a Complex World, Boston 2000; Zu Simulationsansätzen im militärischen Bereich vgl. vgl. Ulrich Blennemann, Historische Simulationsspiele, in: Dermot Bradley, Heinz-Ludger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 6, Osnabrück 2000, S. 523 ff.; Albert A. Stahel, Benno Weber (Hrsg.), Simulation von Konflikten und Kriegen. Anwendung mit Simulink, Zürich 2002; vgl. Patrick Jermann, Pascal Kesselmark, Simulation einer Asymmetrischen Operation, in ASMZ, Heft 11, 2006, S. 14 ff. Harald Schaub, Simulation als Entscheidungshilfe: Systemisches Denken als Werkzeug zur Beherrschung von Komplexität, in: Stefan Strohschneider (Hrsg.), Entscheiden in kritischen Situationen, Frankfurt 2003, S. 55 ff.; 55
mente der mathematischen Theorie der strategischen Spiele beinhalten.1595 Über den General Antoine Henri Jomini1596, der entsprechend der Beurteilungen militärfachlicher Handbücher einen der ersten Plätze unter den Kriegstheoretikern einnahm1597 und dessen Einfluss auf das strategische Denken des 19. Jahrhunderts ausstrahlte, welches sich auch auf die USA auswirkte,1598 hatten mathematisch reglementierte Theorien und Konzepte Einfluss auf moderne militärische Planungs- und Führungsprozesse genommen. Diese werden ihrerseits Grundlage von Simulationsmodellen. Die von Jomini vermittelte scharfsinnige, durchaus rationalistische Kriegstheorie,1599 welche das „Kriegstheater“ gleich einem „strategischen Schachbrett“ einrichtete,1600 begriff somit das Operationsgebiet als Schachbrett und somit als Grundlage für die Simulation militärischer Handlungen. Für ihn war die Strategie durch nichtvariable wissenschaftliche Prinzipien festgelegt1601 bei denen das geometrische Element und Formen der Grundlinie der Strategie von Wichtigkeit sind.1602 Damit war Jomini einer derjenigen, welche die Wissenschaft im Militärwesen durchsetzten.1603 Allerdings werden die Grenzen Jominis Denken darin gesehen, dass er ohne Organ für die im Kriege wirkenden Seelenkräfte ein vorwiegend psychologisches Phänomen in ein System zu pressen versuchte und dass im Streben nach objektiven Erkenntnissen den gleichfalls wirkenden Kräften der Seele sowie des Gemüts ein zu kleiner Raum zugewiesen wurde und das Wort „Zufall“ oft für Erscheinungen steht, welche Jominis Vernunftdenken nicht zu 1595 1596 1597 1598 1599
1600
1601 1602 1603
Albert A. Stahel, Ausblick auf die Zukunft, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 187 ff.187 Baron Antoine Henri de Jomini, The Art of War, London 1996 NN., Jomini, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 5. Bd., Bielefeld, Leipzig 1878, S. 72 ff.; 73; vgl. Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 4. Die Neuzeit, Berlin New York 2000, S. 597 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 144 Gustav Däniker, General Antoine Henri Jomini, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 267 ff.; 270; In Europa und in seiner Heimat gilt Jomini als eher unbekannt (vgl. Michael Arnold, General Antoine-Henri Jomini, 1779 – 1869, In Erinnerung an einen fast vergessenen Schweizer Militärdenker und Strategen, in: ASMZ, Heft 12, 2004, S. 29 ff.) Wenn Senghaas 1969 noch die Ansicht vertrat, dass Clausewitz in den USA trotz einiger ihm gewidmeter Publikationen noch zu entdecken bliebe, (Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt am Main, 1969, S 21) so weist Schmid auf die Ablösung des strategischen Denkens Jominis durch Clausewitz nach dem Krieg in Vietnam hin (Johann Schmid, Der Präventivangriff. Gedanken zur Dialektik von Clausewitz, untersucht am Beispiel des Sechstagekrieges 1967, in: ÖMZ 2006, S. 607 ff.; 607) und Murray unterstreicht die wiederkehrende Bedeutung Clausewitz gerade ab den 1990er Jahren. (Williamson Murray, Operation Iraqi Freedom: Lessons for the Future, in: Williamson Murray [Hrsg.], A Nation at War in an Era of Strategic Change, o.OA. 2004, S. 1 ff.; 5 f.) Hinsichtlich der oben gemachten Ausführungen zum Einfluss von mathematischen Verfahren und Simulation auf die spätere amerikanische Kriegführung bis in die heutige Zeit erscheint dies allerdings – trotz der Umfangreichen Zunahme und Beachtung der Clausewitzliteratur – in seinen tatsächlichen Auswirkungen als fragwürdig. Gustav Däniker, General Antoine Henri Jomini, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 267 ff.; 271; vgl. Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 164 ff.; vgl. Albert A. Stahel, Strategisch denken. Ziel – Mittel – Einsatz in Politik, Wirtschaft und Armee, Zürich 1997, S. 14; vgl. Antoine-Henri Jomini, Abriss der Kriegskunst, Dresden 1901, S. 127 vgl. John Shy, Jomini, in: Peter Paret (Hrsg.), Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Princeton, New Jersey 1986, S. 143 ff.; 146 Hans-Justus Kreker, Antoine Baron de Jomini (1779-1869) – ein militärischer Klassiker, in: Dermot Bradley, Heinz-Ludger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 5, Osnabrück 1999, S. 118 ff.; 188 Andrej N. Merzalow, Ljudmila A. Merzalowa, Antoine-Henri Jomini – der Begründer der wissenschaftlichen Militärtheorie. Eine Bewertung aus russischer Sicht, Zürich 2004, S. 237
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erklären vermochte.1604 Dagegen steht der Ansatz Clausewitz’, bei dem nicht die Handlungsanleitung zur Kriegführung im Mittelpunkt der Betrachtung steht, sondern geistig / philosophische Urteilsschulung, die von der Botschaft getragen ist, den Krieg zu denken, nicht ihn zu berechnen.1605 Insofern lehnt Clausewitz jede unbedingte Regelhaftigkeit ab: „Alle diese Theorieversuche sind nur in ihrem analytischen Wert als Fortschritte im Gebiet der Wissenschaft zu betrachten, in dem synthetischen Teil aber, in ihren Vorschriften und Regeln, ganz unbrauchbar. Sie streben nach bestimmten Größen, während im Kriege alles unbestimmt ist und der Kalkül mit lauter veränderlichen Größen gemacht werden muss. Sie richten die Betrachtung nur auf materielle Größen, während der ganze kriegerische Akt von geistigen Kräften und Wirkungen durchzogen ist. Sie betrachten nur die einseitige Tätigkeit, während der Krieg eine beständige Wechselwirkung der gegenseitigen ist.“1606 4.10.1.2.1
Wargaming
Schematisierungen und Reglementierungen im Umgang mit hochgradig interdependenten Systemen sind gefährlich.1607 Die Gefahr liegt darin, dass die Komplexität nicht ausreichend berücksichtig wird. Komplexität erhöht die Menge von Informationen, die berücksichtigt werden müssen und damit die Alternativen, aus denen Entscheidungen ausgewählt werden müssen.1608 Folglich kann es hier rasch zu falschen Entscheidungen kommen. Dennoch findet Simulation von bestimmten Abläufen auch im moderneren militärischen Planungs- und Entscheidungsprozessen statt. Gleich wie komplex die Realität ist, muss Komplexität reduziert werden, um Denk- und Handlungsoptionen tatsächlich nutzbar zu machen.1609 So wird beispielsweise angesichts der Komplexität multinational verbundener Operationen in Planungsprozessen auf der operativen Ebene als Mittel der Analyse „Wargaming“ eingesetzt. Wargaming hat eine lange Geschichte, die auf das „Kriegsspiel“1610 des preußischen Militärs im Jahre 1811 zurückgeht, und wurde durch die positiven Erfahrungen der USA während des Ersten Golfkrieges1611 und die rasante Entwicklung von Simulations-
1604 1605 1606 1607 1608 1609 1610 1611
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Gustav Däniker, General Antoine Henri Jomini, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 267 ff.; 270 Johann Schmid, Der Präventivangriff. Gedanken zur Dialektik von Clausewitz, untersucht am Beispiel des Sechstagekrieges 1967, in: ÖMZ 2006, S. 607 ff.; 607 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 181 Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens, Strategisches Denken in komplexen Situationen, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2006, S. 144 Harald Schaub, Simulation als Entscheidungshilfe: Systemisches Denken als Werkzeug zur Beherrschung von Komplexität, in: Stefan Strohschneider (Hrsg.), Entscheiden in kritischen Situationen, Frankfurt 2003, S. 55 ff.; 55 Harald Schaub, Simulation als Entscheidungshilfe: Systemisches Denken als Werkzeug zur Beherrschung von Komplexität, in: Stefan Strohschneider (Hrsg.), Entscheiden in kritischen Situationen, Frankfurt 2003, S. 55 ff.; 55 Zur Entwicklung und Methode des preußischen „Kriegsspiels“ vgl. Ulrich Blennemann, Historische Simulationsspiele, in: Dermot Bradley, Heinz-Ludger Borgert, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, Jg. 6, Osnabrück 2000, S. 523 ff.; 528 f. Zur Simulation des Ersten Golfkrieges vgl. Albert A. Stahel, Nicolas Kessler, Simulationen des Golfkrieges 1991, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 71 ff.
programmen zum integralen Planungsprozess der NATO1612 und ist nach heutigem Verständnis ein Analyseverfahren, welches der Untersuchung der eigenen Handlungsmöglichkeiten dient.1613 Wargaming ist hierbei ein flexibles Instrument zur Entwicklung, zum Vergleich und zur Optimierung von Möglichkeiten des Handelns1614, welches in einem strukturierten Prozess, welcher die eigenen Möglichkeiten des Handelns denen der gegnerischen Kräfte1615 gegenüberstellt.1616 Der Faktor Mensch und seine Entscheidungsfindung in der Operationsführung soll durch die Gegenüberstellung der eigenen Möglichkeiten und der Möglichkeiten des Gegners sichtbar gemacht werden.1617 Hier wird der Clausewitzschen Erkenntnis Rechnung getragen, dass der Krieg „… eine erweiterter Zweikampf …“1618 und damit ein Aufeinanderprallen zweier Willen ist. Als Träger dieses Willens kennzeichnet Clausewitz einen „ …[Geist] … eigentümlicher Anlagen des Verstandes und des Gemüts …[der] … mit dem Namen des Genius bezeichnet … [wird].“1619 Dementsprechend anerkennt der Leitfaden der Führungsakademie für die Anwendung von Wargaming den besonderen Wert von hochauflösenden militärischen Simulationsmodellen für den „symmetrischen Konflikt“, in dem quantifizierbare militärische Kräftekomponenten aufeinandertreffen und insofern verhältnismäßig exakt rechnergestützt den Faktoren Raum und Zeit zugeordnet werden können, und räumt gleichzeitig ein, dass dies naturgemäß nur sehr bedingt im unteren Teil des Konfliktspektrums und noch weniger im Asymmetrischen Konflikten möglich ist.1620 Symmetrische Gegner unterliegen in der Regel bestimmten Gliederungen und Einsatzgrundsätze, denen sie folgen. Dennoch wird durch Wargaming nicht das persönliche Entscheidungsvermögen des militärischen Führers ersetzt1621 und somit hat der „Genius“ nach wie vor seine hohe entscheidende Bedeutung und entspricht ebenso der clausewitzschen Anschauung: „Alles was solcher dürftigen Weisheit einer einzigen Betrachtung nicht erreicht werden konnte, lag außer der wissenschaftlichen Einhegung, war das Feld des Genies, welches sich über die Regel erhebt.1622
1612 1613 1614 1615 1616 1617 1618 1619
1620 1621 1622
vgl. Supreme Headquarters Allied Power Europe Belgium, Guidelines for Operational Planning, (GOP), Final Revision 1, June 2005 Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Führung Einsatz der Streitkräfte, Wargaming-Leitfaden für die Anwendung von manuellem Wargaming auf operativer Ebene, Hamburg 2006, S. 1 Causes of Action ( COA) Opposing Forces (OPFOR) Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Führung Einsatz der Streitkräfte, Wargaming-Leitfaden für die Anwendung von manuellem Wargaming auf operativer Ebene, Hamburg 2006, S. 3 Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Führung Einsatz der Streitkräfte, Wargaming-Leitfaden für die Anwendung von manuellem Wargaming auf operativer Ebene, Hamburg 2006, S. 3 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 89 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 129; Im Gegensatz dazu befähigte die kalte und nüchterne rationalistische Einstellung Jomini nicht, Sponanität als Ansporn zu verstehen. (Jehuda L. Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972, S. 26) Helge Hansen, Vorwort, in: Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Führung Einsatz der Streitkräfte, Wargaming-Leitfaden für die Anwendung von manuellem Wargaming auf operativer Ebene, Hamburg 2006, vor S. 1 Helge Hansen, Vorwort, in: Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Führung Einsatz der Streitkräfte, Wargaming-Leitfaden für die Anwendung von manuellem Wargaming auf operativer Ebene, Hamburg 2006, vor S. 2 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 181
237
4.10.1.3
Die Anwendbarkeit von Simulation auf Irreguläre Kräfte
Für die Simulation des Irregulären erscheint die Anwendbarkeit von Simulation als fraglich. Simulation setzt zunächst Modellbildung1623 bzw. Modellation voraus. Es ist anerkannt, dass Simulationen nur als approximative und selektive Modellbildung Sinn machen,1624 da die Mathematik und ihre Werkzeuge das turbulente Verhalten vieler komplexer Systeme nicht vollständig erfassen und modellieren können.1625 Nun ist es allerdings das entscheidende Wesensmerkmal des Irregulären, also bestimmendes Kennzeichen seiner Identität und seiner Definition, dass es sich nicht bestimmten Regeln unterwirft. Das betrifft Wesen und Erscheinung wie auch sein Verhalten. Damit sind insbesondere die Sicherheitsaspekte betroffen, die als intentionale Gefahren bezeichnet werden, also alle Gefahren, die von Menschen oder Menschengruppen mit (krimineller) Absicht ausgehen.1626 Zu der kriminellen Absicht kommt auch noch die kriminelle Phantasie, welche unerschöpflich sein kann. Mithin verlieren auch Analyseverfahren an Bedeutung, die von strukturell und taktisch ähnlich denkenden und handelnden Akteuren ausgehen.1627 Die Berechnung der Modelle beruht oftmals auf Parametern, die ihrerseits als Annahmen ermittelt werden.1628 Folglich sind die auf mathematischen Grundlagen beruhende umfassende Modellation wie auch die entsprechend abgeleitete Simulation des Irregulären unmöglich. Die als Risiko empfundenen Potenziale, die von Menschen geschaffen werden, können unerwartet, ziellos oder ohne konkreten Anlass ausbrechen und dennoch vorher gefestigte Strukturen nachhaltig zerstören.1629 Das Zerstörungspotenzial eines Akteurs setzt sich grundsätzlich zusammen aus der Bereitschaft und seinen operativen Fähigkeiten.1630 Dementsprechend kann man 1623 1624 1625
1626 1627 1628 1629 1630
238
vgl. Hartmut Bossel, Modellbildung und Simulation. Konzepte, Verfahren und Modelle zum Verhalten dynamischer Systeme, 2. Aufl., 1992 Jens Schröter, Das Netz und die virtuelle Realität. Zur Selbstprogrammierung der Gesellschaft durch die universelle Maschine, Bielefeld 2004, S. 168 vgl. Colin S. Gray, Strategy for Chaos. Revolution of Military Affairs and the Evidence of History, London, Portland 2002, S. 100; Dennoch gibt es wissenschaftliche Ansätze, typische irreguläre Verhaltensweisen durch Simulation verständlich zu machen. (vgl. u.a. Patrick Jermann, Hervé Sanglard, Benno Weber, Simulating Future Wars, in: Albert A. Stahel [Hrsg.], Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich 1999, S. 115 ff.; vgl. Cédric Dupont, Simon Hug, Benno Weber, Ethnic Conflicts and Guerilla Warfare in the 1990s – Towards an Integrated Framework for Comparative Research, in: Albert A. Stahel, Benno Weber (Hrsg.), Simulation von Konflikten und Kriegen. Anwendung mit Simulink, Zürich 2002, S. 15 ff.) So wurde z. B. auch versucht, den Interaktionsprozess des Hinterhaltes mit Hilfe von Differenzialgleichungen zu analysieren. (vgl. Albert Alexander Stahel, Die Anwendung von Lancaster-Modellen für die Beschreibung und die Simulation von Interaktionen im Guerillakrieg, Osnabrück 1975; vgl. Albert A. Stahel, Kriegs- und Konfliktmodelle, in: Albert A. Stahel, [Hrsg.] Konflikte und Kriege. Simulationstechnik und Spieltheorie, Zürich, 1999, S. 53 ff.; 60 ff.) Maximilian Edelbacher, Paul Reither, Werner Preining, Sicherheitsmanagement. Grundlagen. Kosten/Nutzen im Unternehmen. Technische Maßnahmen, Wien 2000, S. 68 Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld, Vorwort der Herausgeber, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 9 ff.; 10 Daniel Blatter, Martin Blatter, Christian Grütter, Daniel Hümbeli, Andreas Klötzli, Stefan Koller, Übungen mit Simulink, in: Albert A. Stahel, Benno Weber (Hrsg.), Simulation von Konflikten und Kriegen. Anwendung mit Simulink, Zürich 2002, S. 67 ff; 74 Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 124 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 101; vgl. Joshua Sinai, Forecasting Terrorists’ Warfare: ‘Conventional’ to CBRN, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 397 ff.; 401
bezogen auf einen Akteur Risiko als die Verfügbarkeit von Mitteln oder Absicht definieren. Eine Bedrohung dagegen besteht dann, wenn beides, also die Mittel und die Absicht, auf Seiten des Akteurs vorhanden sind. Insofern kommt es bei der Erstellung von Risikoanalysen im Wesentlichen auf das Wissen um diese Faktoren an. Mittel zur Erkenntnisgewinnung ist die möglichst weit im Vorfeld ansetzende Aufklärung. Die Aufklärung muss darauf gerichtet sein, auf bestimmte Bedrohungen und Verwundbarkeiten ausgerichtete Indikatoren zu erkennen und mit den Fähigkeiten und Mitteln potentieller Akteure abzugleichen. Die Risikoanalyse besteht also insgesamt aus einer umfassenden Informations- und Wissenssammlung, der Auswertung relevanter Feststellungen und Analyse der Zielsetzungen und Optionen der Akteure. Diese Erkenntnis muss unmittelbar in Sicherheits- und Schutzkonzeptionen einfließen. Informationen sind somit zentrales Element des Risikomanagements1631 und damit des gesamten Sicherheitsmanagements. Insgesamt betrachtet ist Sicherheitsmanagement auch ein dynamischer Prozess, der einer ständigen, flexiblen Anpassung bedarf. 4.10.2
Motivlagen der Terroristen
Grundlage von Risiko- und Bedrohungsanalysen zur Erstellung von Sicherheits- und Schutzkonzepten bezogen auf irreguläre Kräfte könnte die Methode sein, die darin besteht, die Motivationsstrukturen von terroristischen Gruppen zu analysieren, um aus dem Verhalten in der Vergangenheit auf zukünftiges Verhalten schließen zu können. Wenn man das Problem also von den Beweggründen und der Zielsetzung angeht, so lassen sich hier verschiedene Hauptgruppierungen einteilen:
x x x x x x 1631 1632
1633 1634
ethno-nationale1632 nationalrevolutionäre1633 und antikolonialistische Befreiungsbewegungen regionale autonomistische oder separatistische Bewegungen sozialrevolutionäre Bewegungen „vigilantistische“ „Law and Order“ Bewegungen zur Absicherung von Gruppeninteressen und Opposition in Diktaturen1634
Matthias Holenstein, Daniel Bircher, Anforderungen an Informationen zum Schutz von kritischen Infrastrukturen, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 417 ff.; 418 vgl. Berndt Georg Thamm, Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer, Hilden/Rhld. 2002, S. 169; vgl. Nina Florak, Terrorismus als Ausdruck eines mangelhaften politischen Systems? Fallbeispiele und Präventionsmöglichkeiten, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 203 ff.; 210; vgl. Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 9; vgl. Günter F.C. Forsteneichner, Neue Formen der Bedrohung der internationalen Sicherheit. Terrorismus – Proliferation – Organisierte Kriminalität – Migration. Erscheinungsformen – Bewältigung – sicherheitspolitische Aspekte, IAP- Sonderheft 2001, S. 3 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, 5. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 369 Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 29; vgl. Kai Hirschmann, Das Phänomen ‚Terrorismus‘: Entwicklungen und neue Herausforderungen, in: Bundesaka-
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Ausprägungen religiös motivierter Heilsbewegungen und möglicherweise Mischformen aus den vorgenannten Selbstverständnissen und Selbstbildnissen1635 wie politisch-religiöse.1636
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Insgesamt sind die Motive für terroristische Akte also sehr vielfältig1637 und auch die hier einzeln aufgeführten Beweggründe können durchaus vielschichtiger Natur sein, Überschneidungen aufweisen und sich diametral ändern. Mithin tritt wohl keine der vorgenannten Motivationen allein auf, vielmehr überwiegt eine Form und andere fließen mit ein.1638 Dementsprechend stellen die vorgestellten Hauptgruppierungen eine grobe Rasterung dar, deren Grundformen nur selten in Reinkultur anzutreffen sind, da terroristische Gruppierungen meist von sehr vielschichtigeren Motiven getrieben sind.1639 Der Nachteil dieses Ansatzes besteht nun auch darin, dass er auf Erfahrungswerten beruht bzw. darauf angewiesen ist, aus bisherigen Ereignissen Erkenntnisse für die Zukunft zu generieren und entsprechende Folgerungen für das eigene Verhalten abzuleiten. Alle wissenschaftlichen Methoden dürfen nicht davon ablenken und darüber hinwegtäuschen, dass es keinen absolut gesicherten Ansatz gibt, der geeignet ist, alle Unwägbarkeiten und Imponderabilien exakt im Voraus zu berücksichtigen und entsprechend in richtige und zutreffende Voraussagen und hierauf beruhende Maßnahmen umzusetzen. Die Übernahme derartiger Aufgaben setzt eine gute analytische Fähigkeit, Beurteilungsfähigkeit und ein hohes Verantwortungsbewusstsein sowie die Bereitschaft, die Verantwortung am Ende auch zu übernehmen und die Folgen zu tragen, voraus. 4.10.2.1
Abgrenzung zu anderen Erscheinungen
Terrorismus wird oftmals mit Guerillakrieg gleichgesetzt oder als dessen Synonym behandelt.1640 Allerdings ist der Terrorist nach internationalem Verständnis ein Straftäter nach nationalem Recht.1641 Folglich fallen die Personen nicht unter den Begriff des „Terroris-
1635 1636 1637 1638 1639 1640 1641
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demie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 453 ff.; 470 ff. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; 19 Graeme C. S. Steven, Rohan Gunaratna, Counterterrorism, Santa Barbara, California, 2004, S. 9 f. Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 2 Volker Foertsch, Die Rolle der Nachrichtendienste bei der Aufklärung und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 68 ff.; 68 Günter F.C. Forsteneichner, Neue Formen der Bedrohung der internationalen Sicherheit. Terrorismus – Proliferation – Organisierte Kriminalität – Migration. Erscheinungsformen – Bewältigung – sicherheitspolitische Aspekte, IAP- Sonderheft 2001, S. 3 Bruce Hoffmann, Terrorismus. Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt am Main 1999, S. 52; vgl. Martin Möllers, Terroristen, in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 1615 Kirsten Schmalenbach, Der internationale Terrorismus. Ein Definitionsversuch, in: NZWehrr 2000, Heft 1, S. 15 ff.; 19; vgl. Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 742; vgl. Dieter Wiefelspütz, Si-
ten“, die aufgrund ihrer gesetzlich festgelegten Aufgabe (z.B. Armeeangehörige, Sicherheitskräfte) nach Rechtsüberzeugung aller Staaten strafrechtlich ohne Konsequenzen in bewaffneten Auseinandersetzungen Handlungen vornehmen müssen oder können.1642 Einige Länder schufen sich daher in Ermangelung einer einheitlichen international gültigen Begriffsbestimmung und in pragmatischer Weise eigene Definitionen des TerrorismusBegriffs, der dann in Gesetzen sowie militärischen und polizeilichen Handbüchern niedergelegt sind. So definiert das Handwörterbuch der Polizei „Terroristen“ als „Personen mit extremistischer Weltanschauung, die entweder auf die Beseitigung einer Fremdherrschaft bzw. auf die Erringung oder Wiedergewinnung nationaler Selbstständigkeit (Autonomie) abzielen oder auf die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates bzw. auf den Sturz eines Regimes und sich dabei einer systematischen Anwendung massiver Gewaltakte bedienen.“1643 Diese Definition stellt in ihrem dritten Halbsatz auf Gruppierungen ab, die nationale Systeme verändern, bzw. eine Regierung beseitigen wollen. Die ersten beiden Alternativen dieser Definition sind auf Organisationen zugeschnitten, die sich gegen eine Besatzungs- oder Okkupationsmacht richtet. Folglich ergibt sich hier eine definitorische Nähe zu Partisanen und Guerillas. Insofern scheinen die Phänomene des Terrorismus auch den Definitionen und Tatbeständen des Polizeirechts zu entgleiten,1644 da sie scheinbar in einer Grauzone zwischen „kriminellen“ und „militärischen Charakteristika“ stehen.1645 Dementsprechend stoßen positive Definitionen an Grenzen, die sich aus dem Untersuchungsgegenstand selbst ergeben; die Phänomene verkörpern das Irreguläre, das sich einer positiven Definition tendenziell entzieht.1646 4.10.2.2
Irreguläre Kräfte
Die Definition des „Irregulären“ ist ebenfalls nicht einheitlich. Das gilt auch innerhalb einzelner Institutionen. Gemäß HDv 100/900 hat die Bundeswehr „Irreguläre Feindkräfte [als] Personen, die nicht Kombattanten bzw. Nichtkombattanten sind und feindselige Handlungen gegen die eigenen Streitkräfte richten“1647 definiert. Dieser Ansatz könnte allerdings in mehrfacher Hinsicht zu eng gefasst sein. Zum einen bringt diese Definition den Begriff des Irregulären grundsätzlich mit dem Begriff Feind in Zusammenhang. Insofern wird hier übersehen, dass auch andere Akteure mit „neutralem“ Status über derartige Kräfte verfügen können bzw. „neutrale“ Akteure eigene Interessen mit Hilfe Irregulärer Kräfte durchführen können. Zum anderen beschränkt die Definition der HDv 100/900 die Zielrichtung der Aktionen Irregulärer Kräfte auf die eigenen Streitkräfte. Dem Wortlaut dieser Vorschrift
1642 1643 1644 1645 1646 1647
cherheit vor Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?, in: NZWehrr 2003, S. 45 ff.; 50 Kirsten Schmalenbach, Der internationale Terrorismus. Ein Definitionsversuch, in: NZWehrr 2000, Heft 1, S. 15 ff.; 19 Martin H.W. Möllers, Terroristen, in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München 2001, S. 1616 vgl. Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 95 Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www. obh.at/pdf_pool/publikationen/09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 36 vgl. Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 70 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 74
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nach sind also nur Angehörige der Bundeswehr und – in weiter, sinngemäßer Auslegung – Angehörige verbündeter Armeen betroffen. Damit wird nicht berücksichtigt, dass Streitkräfte zunehmend im Verbund mit den Vertretern anderer Ressorts in Krisengebieten eingesetzt werden und die militärische Komponente nur eines von mehreren Instrumenten stabilisierender Maßnahmen darstellt. Zudem können neben den eigenen Streitkräften durchaus auch andere Akteure Objekte von Angriffen Irregulärer Kräfte sein mit direkten und indirekten Auswirkungen auf den Auftrag der Streitkräfte und deren Akzeptanz im Einsatzland. Solche Akteure sind unter anderem die Schutzbefohlenen der Streitkräfte, die es zu sichern gilt, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie Firmen, die entsprechend mandatiert im Einsatzgebiet durch ihre Hilfsaktionen und ihre (Wieder-) Aufbauarbeit zur Stabilisierung der Lage beitragen und somit in den Fokus von Akteuren gelangen, welche genau dieses nicht wollen und aus diesem Grunde ihre irregulären Aktionen gegen die Hilfsorganisationen und Firmen sowie deren Projekte, Einrichtungen und Infrastrukturen richten. Weiterhin könnten Aufbau, Infiltration und Ansatz von „Gegengruppierungen“ gegen Irreguläre Kräfte im eigenen Interesse sein. Folglich ist die Begriffsdefinition der HDV 100/900 zu eng gefasst. Die Betrachtung Irregulärer Kräfte verlangt vielmehr einen breiteren Fokus, der über den Bedrohungsaspekt der eigenen Streitkräfte weit hinausgeht und die gesamte Wirkungsbreite irregulärer Aktionen und ihrer Akteure umfasst. Dabei sind sowohl die direkten wie auch die indirekten Auswirkungen von Aktionen zu berücksichtigen, die oftmals nicht sofort spürbar sind, aber sehr wohl (gegebenenfalls mehrfach abgestuft) Effekte auf das Gesamtgefüge im Raum haben können. Die Bundeswehr hat denn auch an anderer Stelle1648 den Terminus des Terroristen gemeinsam mit denen des Partisanen, Guerilla, bewaffneter Banden, organisierter Kriminalität und verdeckt kämpfender Kräfte unter dem Begriff „Irreguläre Kräfte“ subsumiert.1649 Eine Bedrohung kann darüber hinaus auch von sicherheitsgefährdenden Kräften oder einer feindseligen Bevölkerung ausgehen.1650 In der Einsatzrealität sind die Grenzen oftmals fließend und lassen sich in ihrer direkten Auswirkung nicht oder nur schwer differenzieren.1651 Demnach verfolgen Irreguläre Kräfte in der Regel politische Ziele, mit oder ohne staatliche Lenkung, und unterscheiden sich selten im bewaffneten Kampf in der Wahl ihrer Mittel und Methoden.1652 Der Terminus „irregulär“ grenzt also nach rechtlichen Kriterien zu den Kräften ab, die „regulär“, das heißt nach den Regeln des Krieges, im Raum operie-
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Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 7; Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1807; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 8 Dirk Freudenberg, Terrorismus. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, Teil 2: Definition des Terrorismus, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 4, S. 22 ff.; 24; vgl. Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 307 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38 Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 8 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, RN 101 ff.
ren.1653 Irreguläre Kräfte unterscheiden sich im bewaffneten Kampf selten in der Wahl der Mittel. Entscheidend sind ihre Ziele und ihre Motivation, wie sie im Folgenden dargestellt werden. Daraus ist das eigene Handeln wesentlich abzuleiten. Allerdings steckt in der Bezeichnung „irregulär“ möglicherweise auch wieder eine rechtliche Wertung. Eine weitere Abgrenzung unterscheidet zwischen irregulären Streitkräften und regulären Streitkräften und knüpft hierbei an bestimmte Bedingungen an, die das Völkerrecht im Interesse einer geordneten Kriegführung auferlegt.1654 Der reguläre Charakter bekundet sich im Tragen der Uniform und im offenen und demonstrativen Tragen der Waffen.1655 Nach dieser Ansicht umfasst der Begriff der Streitkräfte neben den regulären auch die irregulären Streitkräfte als die „Summe“ aller für ein Land eintretenden Kombattanten.1656 Dieser umfassende Begriff beinhaltet also die normale Wehrmacht einer kriegführenden Partei mit den Teilstreitkräften sowie Freikorps, Partisanen- und Widerstandsbewegungen, Volkserhebungen, Land- oder Volksstürme und unter Umständen auch Banden und Horden, die sich als Partisanen, Fractieurs, Guerilleros oder Freischärler am Kampf beteiligen und haben insofern auch keinen rechtlichen Erkenntniswert.1657 Folglich verstehen wir zunächst unter „Irregulären Kräften“ alle Kräfte, die nicht regulären staatlichen Kräften zugeordnet werden können.1658 4.10.2.3
Das Problem der Einordnung und Abgrenzung der Begriffe
Die völkerrechtliche Akzeptanz des nationalen Befreiungskrieges stellt allerdings die Aufgabe, Terrorismus von der Guerilla bzw. dem Partisanenkampf abzugrenzen,1659 da der internationale Terrorismus nicht vom Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts erfasst wird.1660 Für Werner Hahlweg hingegen sind Guerilla-, Partisanenkrieg, Kleiner Krieg und der verdeckte Kampf die Bezeichnungen für ein und dieselbe Form einer bestimmten bewaffneten Auseinandersetzung.1661 Guerilla- oder Partisanenkrieg, Kleinkrieg, praktiziert derjenige, der zunächst an Kräften dem Gegner unterlegen ist oder sich zumindest vorerst als Unterlegener fühlt und sich doch in einer (geistigen, materiellen oder psychologischen) Zwangslage befindet, aus der heraus er den bewaffneten Kampf führen zu
1653
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Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 307; vgl. Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 78 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 21 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 76 f. Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 76 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38 Hans-Joachim Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 217 ff.; 223 Michaela Schneider, Der 11. September und die militärischen Reaktionen: Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts?, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften, 2001, S. 222 ff.; 222 Werner Hahlweg, Typologie des modernen Kleinkrieges, Wiesbaden 1967, S. 5
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müssen glaubt.1662 Hier ließe sich auch der Kampf regulärer Streitkräfte bei starker eigener Unterlegenheit und nach entscheidenden Niederlagen der Hauptmacht einbeziehen, speziell dann, wenn sich die eigene Zivilbevölkerung aktiv über ein normales Maß an Unterstützung hinaus an den Kämpfen beteiligt.1663 Dabei macht die teilaktive oder gar aktive Einbeziehung der Bevölkerung sie zum Ziel militärischer Operationen – fallweise auch zum Ziel von Repressalien.1664 Dieses gilt oftmals auch bereits für logistische Unterstützungsleistungen oder Unterstützung bei der Aufklärung und Informationsbeschaffung. Einige Definitionsansätze unterscheiden den Terrorismus vom Guerilla-, Freiheitskämpfer und Partisanen, wobei der Guerillakampf eine militärische Strategie sei, die auf die Belästigung, Einkreisung und letztlich Vernichtung des Gegners ziele und im Gegensatz dazu der Terrorismus eine Kommunikationsstrategie darstelle, nach der Gewalt nicht primär wegen ihres Zerstörungseffektes, sondern als ‚Signal‘ eingesetzt werde, um eine psychologische Öffentlichkeitswirkung zu erzielen.1665 Dabei stelle die Gewalt die vorwiegend sprachlich vermittelte Kommunikation und damit die Grundlagen der Gesellschaft selbst in Frage.1666 Insofern stelle Terrorismus eine Weise der Aggression dar, die darauf abziele, in den Angegriffenen einen Zustand der Angst, Nervosität, Hysterie hervorzurufen, die den Angegriffenen zur Änderung seines Verhaltens veranlassen solle; und zwar solle die Gemeinschaft der Angegriffenen verleitet werden, für den und anstelle des Terroristen das zu tun, was der Terrorist aufgrund seiner Schwäche nicht unmittelbar erreichen kann.1667 Das Ziel ist der innere Kollaps des Feindes, nicht seine physische Zerstörung.1668 Folglich sei Terrorismus die auf das äußerste zugespitzte Form psychologischer Kriegsführung, die von 1662 1663 1664 1665
1666 1667 1668
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Werner Hahlweg, Moderner Guerillakrieg und Terrorismus. Probleme und Aspekte ihrer theoretischen Grundlagen als Widerspiegelung in der Praxis, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 118 ff.; 127 f. Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 17 Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 19 Kai Hirschmann, Das Phänomen ‚Terrorismus‘: Entwicklungen und neue Herausforderungen, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 453 ff.; 454; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 11 ff.; 17; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 17; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; 17; vgl. Peter Waldmann, Das terroristische Kalkül und seine Erfolgsaussichten, in: Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg, Weilerswist 2003, S. 87 ff.; 88; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus - unterschätzte oder überschätzte Bedrohung?, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 390 ff.; 394; vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 30; vgl. Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23; vgl. Nina Florak, Terrorismus als Ausdruck eines mangelhaften politischen Systems? Fallbeispiele und Präventionsmöglichkeiten, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 203 ff.; 208; vgl. Kai Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291, Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, 2. Quartal 2006, S. 24 ff.; 24 vgl. Christian Callies, Sicherheit im freiheitlichen Rechtsstaat, Eine verfassungsrechtliche Gratwanderung mit staatstheoretischem Kompass, in Zeitschrift für Rechtspolitik, 2002, S 1 ff.; 2 Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 59 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 31
der organisatorisch auf das äußerste verkleinerte, verborgene Gruppe ausgeübt werde.1669 Die Zielsetzung des Terrorismus entspricht mithin nicht der des konventionellen Kampfes, der auf das Nehmen und Halten von Gelände und die Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte ausgerichtet ist.1670 Dabei ziele der Terrorist – in Abgrenzung zum Guerillakämpfer – nicht auf die Besetzung eines Territoriums, sondern versuche, das Denken und Handeln der Menschen zu beeinflussen.1671 Demnach sei nicht der Geländegewinn das Ziel der Terroristen, sondern die Einschüchterung des Feindes während einer langen Zeitdauer durch Gewalt insbesondere gegen Zivilisten, um die Politiker der betroffenen Nation dazu zu bringen, auf ihre Forderungen einzugehen.1672 Mithin sei der Terrorismus eine Strategie, die sich mehr an den psychischen als an den physischen Effekten der Gewaltanwendung orientiert.1673 4.10.2.3.1
Guerilla
Neben der methodischen Art der Kriegführung hatte es schon immer Formen gegeben, in denen der Schwächere versuchte, mit sparsamsten Mitteln und geringstem Risiko die feindlichen Kräfte und Hilfsmittel zu verbrauchen.1674 Die Bezeichnung „Guerilla“ (spanisch: „kleiner Krieg“) bezeichnet einerseits den Kampf kleiner (irregulärer) Verbände gegen eine feindliche Armee, Besatzungsmacht oder gegen die eigene Regierung; zugleich dient er auch zur Bezeichnung dieser Verbände selbst1675 und der Einsatz dieser Verbände war gewissermaßen identisch mit dem Begriff „Kleiner Krieg“.1676 Der Begriff Guerilla wurde im spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon geprägt und es erwies sich, dass die Verbindung des Kampfes der einheimischen Guerilleros mit den Operationen der regulären britischen Armee eine Hauptvoraussetzung für den Erfolg gegen die französischen Truppen 1669 1670 1671
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Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 59 Brian M. Jenkins, International Terrorism, in: Robert J. Art, Kenneth N. Waltz (Hrsg.), The Use of Force. Military Power and International Politics, Oxford 1999, S. 70 ff.; 71 Nina Florak, Terrorismus als Ausdruck eines mangelhaften politischen Systems? Fallbeispiele und Präventionsmöglichkeiten, in: Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Bühl / Rheinland 2005, S. 203 ff.; 209; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus - unterschätzte oder überschätzte Bedrohung?, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 390 ff.; 394; vgl. Kai Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 291, Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, 2. Quartal 2006, S. 24 ff.; 24 Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47 Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 146 Hubert M. Mader, Edwin R. Micewski, Andreas B. Wieser, Terror und Terrorismus. Ideengeschichte und philosophisch-ethische Reflexionen, in: ÖMZ 2002, S. 131 ff.; 132; vgl. Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 168; vgl. Frederick Wilkins, Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 30 ff.; 32 f.; vgl. Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15; vgl. Hubert M. Mader, Edwin R. Micewski, Andreas B. Wieser, Terror und Terrorismus, Ideengeschichte und philosophischethische Reflexion, in: http://www.bmlv.gv.at/omz/ausgaben/artikel, S. 2 Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 79; vgl. David Th. Schiller, Palestinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palestinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 48
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bildete.1677 Im 19. Jahrhundert wurde denn auch der Krieg in einen „Großen Krieg“ und einen „Kleinen Krieg“ eingeteilt. Danach wurden die großen strategischen Manöver, welche unmittelbar auf eine Entscheidung zielen, als „Großer Krieg“ bezeichnet, und der Begriff „Kleiner Krieg“ wurde für all diejenigen Unternehmungen, welche Pausen zwischen den Hauptschlägen ausfüllen, geprägt; also den ganzen Sicherungs- und Kundschafterdienst, die Aufklärungs- und Vorpostengefechte,1678 Störung der rückwärtigen Verbindungen, Ausheben von Kurieren und höheren militärischen Führern.1679 Der Kleine Krieg war somit vor allem eine Begleiterscheinung des Großen Krieges.1680 Im Kleinen Krieg lag das Augenmerk auf dem Erringen kleiner Erfolge.1681 Es ging darum die feindlichen Truppen in Atem zu halten, sie zu zermürben und ihre Kräfte aufzusplittern, wo es nur ging.1682 Zunächst bezeichnete er demgemäß eine seit langem bekannte kriegsgeschichtliche Erscheinung: die Aktionen kleiner beweglicher Einheiten, ganz gleich, ob regulärer oder irregulärer Art, die offene Feldschlacht meidend.1683 Diese Aktionen wurden geführt in der Art der Scharmützel und Plänklerkämpfe im Umfeld der großen Armeen,1684 und ihre Akteure waren die schnellen, beweglichen, berittenen Panduren- und Husarenverbände sowie die andere Gattungen leichter Truppen, eben die Jägertruppe.1685 Zwar war das erste Kennzeichen dieser Truppen zunächst ihre leichte Bewaffnung und Ausrüstung; allerdings verbietet sich eine vorbehaltslose Gleichsetzung von Kleinem Krieg und leichten Truppen, da diese Kennzeichen auf ihre Beweglichkeit im Gelände und ihre logistische Unabhängigkeit abgestellt waren.1686 Die leichten Truppen sollten selbstständig und auf Dauer den Kleinen Krieg führen.1687 Das Überraschungsmoment sollte den Ausschlag geben.1688 Schwere Waf-
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Robert Bossard, Die Gesetze von Politik und Krieg, Bern, Stuttgart 1990, S. 529 Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Erster Theil: Einleitung und formelle Taktik, Berlin 1874, S. 14; vgl. Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 147; vgl. Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 122 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 502 vgl. Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 122 Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 146 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 502 Gerhard Schulz, Die Irregulären: Guerilla, Partisanen und die Wandlung des Krieges seit dem 18. Jahrhundert. Eine Einführung, in: Gerhard Schulz, Partisanen und Volkskrieg. Zur Revolutionierung des Volkskrieges im 20. Jahrhundert, Göttingen 1985, S. 9 ff.; 11; Zum Gebrauch und zur Entwicklung dieser Truppen im 18. Jahrhundert vgl. Jürgen Luh, „Strategie und Taktik“ im Ancien Régime, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 101 ff.; 117 ff. vgl. Herfried Münkler, Über den Krieg, Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 87, FN 49; vgl. Martin Rink, Die Wiederkehr des kleinen Krieges, in: IFDT 2006, Heft 1, Seite 62 ff. vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 22 vgl. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 79 f. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 780
fen, z.B. Artillerie, hätten diese Beweglichkeit und Unabhängigkeit von der Einsatzunterstützung von übergeordneten Verbänden grundsätzlich zunichte gemacht. Vor allem wäre durch das vorbereitende Feuer der Artillerie dem Gegner die Möglichkeit gegeben, Gefechtsbereitschaft herzustellen, und damit wäre der entscheidende Vorteil der leichten Truppen, das Überraschungsmoment, aufgegeben worden.1689 Erscheinungsform, Bewaffnung und Ausrüstung und Einsatzgrundsätze waren somit Ausfluss der Absicht, nach der diese Truppen eingesetzt werden sollten. Die Hauptaufgabe dieser Verbände bestand vor allem zunächst in Sicherungsaufgaben, Halten der Verbindungen und Aufklärung des Gegners.1690 Dieses waren also Aufgaben, die man heute unter „Allgemeine Aufgaben im Einsatz“ subsumiert. Darüber hinaus war es die Aufgabe dieser Verbände, dem Feind überall dort Abbruch zu tun, wo es am leichtesten möglich erschien, und bot somit dem Schwächeren die Möglichkeit, mit sparsamsten Einsatz und geringstem Risiko die feindlichen Kräfte und Hilfsmittel zu verbrauchen.1691 Der Kleine Krieg war demnach zumeist militärische Kriegführung auf taktischer Ebene, was nicht ausschließt, dass hiermit strategische Absichten und Wirkungen verbunden waren. Nach seiner militärischen Konzeption war der Kleine Krieg damit nicht rücksichtsloser als die reguläre Kriegführung; der Einfluss des französischen Krieges in Spanien bedeutete einen Bedeutungswandel, indem die Begriffe „Kleiner Krieg“ und „revolutionäre Kriegführung“ zusammenflossen und der Kleine Krieg, der seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr auf die aktive Mitwirkung der Bevölkerung angelegt war, sondern auf deren passive Unterstützung, mit dem Begriff „Guerilla“ gleichgesetzt wurde.1692 Somit ändert sich das Bild, des kleinen Krieges bzw. die Bedeutung der leichten Truppen; nicht aber die spezifisch technischen Mittel, der Kampftechnik oder die formale „technische“ Seite seiner Führung; wohl aber seine Antriebskräfte und die Bewertung seine Zwecks, das will heißen, die Wirkung, welche man sich von ihm erhofft.1693 Der Kleine Krieg, aufs engste mit sozialen, geistigen und politischen Komponenten in der Gesamtexistenz der Völker verbunden, wird zum Teil selbst zu einer Äußerungsform revolutionärer 1688 1689
1690 1691 1692
1693
Martin Rink, Partisanen und Landvolk 1730 bis 1830. eine militär- und sozialgeschichtliche Beziehung zwischen Schrecken und Schutz, zwischen Kampf und Kollaboration, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2000, S. 23 ff.; S. 28 vgl. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 766; Allerdings räumt Meckel auch Ausnahmen von dem Grundsatz ein, keine schweren Waffen insbesondere Artillerie einzusetzen; er will sie jedoch auf wenige bewegliche, geländegängige Geschütze beschränken, also Geschütze der reitenden Artillerie. Damit berücksichtigt er wiederum einen weiteren Grundsatz, die leichten Truppen von der Einsatzunterstützung (Logistik) unabhängig zu halten, indem sie das, was sie benötigen, mit sich führen. (vgl. Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 782) Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Revolutionskriege, Koblenz 1988, S. 194; vgl. Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Einigungskriege, Koblenz 1990, S. 199 Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Revolutionskriege, Koblenz 1988, S. 194; vgl. Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Einigungskriege, Koblenz 1990, S. 199 vgl. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 270 f.; Für Martin Rink stellt der Kleinkrieg denn auch an anderer Stelle als das verbindene Element eines ambivalenten Verhältnisses zwischen Armee und Zivilbevölkerung dar. (Martin Rink, Partisanen und Landvolk 1730 bis 1830. eine militär- und sozialgeschichtliche Beziehung zwischen Schrecken und Schutz, zwischen Kampf und Kollaboration, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2000, S. 23 ff.; 25) Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 11 f.
247
Trieb- oder Schubkräfte.1694 Es kommt jetzt nicht nur auf eine vollendete Technik oder „Taktik“ bei der Führung des kleinen Krieges an, so bedeutsam die gewiss nach wie vor bleibt, sondern gerade auch auf die sorgsame Abstimmung seiner Zwecke auf die Belange der Politik, das heißt auf die politischen Zielsetzungen.1695 Damit stellte der erfolgreiche Einsatz irregulärer leichter Reiter und Infanterie im Kleinkrieg eine vielversprechende Innovation dar.1696 Der Begriff „Guerilla“ kam zur Zeit des spanischen Volkskrieges gegen die französischen Invasionsarmeen (1807 – 1814) auf.1697 Für Napoleon war es nicht schwierig, die schwachen spanischen Streitkräfte zu zerschlagen; seinen Besatzungstruppen gelang es jedoch nicht, das Land zu beherrschen.1698 Eine neuartige unkonventionelle Kriegführung unterminierte hier den Ruf der Unbezwingbarkeit Napoleons und auch der Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Siedler (1776 – 1783) gegen die stehenden Söldnerheere der Briten und der Aufstand der königstreuen Vendée (1793/94) gegen die Revolutionäre in Paris hatten bereits demonstriert, wie der militärisch Schwächere die Natur des eigenen Landes in Verbindung mit einer Mobilisierung der gesamten Volkskraft und ihrer Emotionen gegen feindliche Eindringlinge zu nutzen verstand, um ein Gleichgewicht und schließlich eine Überlegenheit über den militärisch Stärkeren zu erringen.1699 Und so gebrauchte man neben dem Ausdruck „guerilla“ in gleicher Bedeutung den französischen Ausdruck „petit guerre“, den deutschen „Kleinen Krieg“, den englischen „small war“ und seitdem wurden zahlreiche andere Begriffe gebräuchlich, die letztendlich alle mit dem Terminus „Guerilla“ synonym sind: Untergrund-, Widerstands-, Partisanenkrieg; Krieg ohne Fronten; revolutionäre, irreguläre oder subversive Kriegführung; verdeckter Kampf1700, subkonventioneller Konflikt,1701 unkonventioneller Krieg oder moderner Kleinkrieg.1702 Hier werden also verschiedene Namen für die gleiche Sache verwendet. Die den 1694 1695 1696 1697
1698 1699 1700 1701
1702
248
Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 12 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 12 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 2000, S. 359 Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1146; vgl. Hauptmann Meckel, Guerillakrieg, in: Bernhard von Poten (Hrsg.), Handwörterbuch der gesamten Militärwissenschaften, 4. Bd., Bielefeld, Leipzig 1878, S. 219; vgl. Rudolf Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1939-1945, Augsburg 1982, S. 32 Rudolf Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1939-1945, Augsburg 1982, S. 32 Klaus Hornung, Scharnhorst. Soldat – Reformer – Staatsmann. Die Biographie, München, 2. Aufl. 2001, S. 224 f.; vgl. Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 15 Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1146; vgl. John J. Tierney, Jr., Chasing Ghosts. Unconventional Warfare in American History, Dulles, Virginia 2006, S. xi Elisabeth Peruci, Der subkonventionelle Konflikt, in: ÖMZ 1987, S. 145 ff. Senghaas verwendet den Begriff „subkonventionell“ im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Irreguläre Kräfte: „Subkonventionelle Potentiale [vor allem für Anti-Guerilla-Kriege]“ Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt am Main, 1969, S 70 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 22; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986; vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 41; vgl. Frank G. Hoffman, Principles for the Savage Wars of Peace, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of
Guerillakampf führenden Akteure bezeichnet man als Guerillas (spanisch: Guerilleros1703), Partisanen, Freischärler (Freischaren), Franctireurs, Banditen (Banden)1704 oder auch Fünfte Kolonne.1705 Neben diesen Bezeichnungen gibt es noch den Begriff „Wehrwolf“.1706 Nach dieser Terminologie steht der Kleinkrieg im Gegensatz zum großen Krieg; dabei betrifft der Unterschied von Groß und Klein nur mittelbar die Dimension von Zeit und Raum und meint vielmehr in erster Linie Strategie und Taktik der militärischen Aktion.1707 Es wird hierunter zunächst jede Form militärischer, politischer und sozialer Auseinandersetzung verstanden, in der Teile der Bevölkerung eines Landes in kleinen, bewaffneten, quasimilitärischen und zerstreut kämpfenden Einheiten bei feindlichen Einfällen, in Bürgerkriegen oder Revolutions- und Emanzipationsvorgängen gewaltsame Handlungen durchführen.1708 Später wurde der Ausdruck „Guerilla“ auch für Konflikte verwandt, in der nur wenige Kämpfer auftraten und die wenig mehr sein kann als ein geographisch und technisch begrenzter Widerstand einiger weniger Rebellengruppen, die die Unterstützung der örtlichen Bevölkerung genießen oder im stillschweigenden Einverständnis mit ihr handeln.1709 Nach einer aktuellen militärischen Definition handelt es sich bei Guerillas zunächst einmal um organisierte und bewaffnete Teile der Bevölkerung.1710
1703
1704
1705 1706
1707 1708
1709 1710
War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 299 ff.; 299; Carl Schmitt beklagt in Anbetracht der vielen Begriffe, dass durch diese Schlagworte der Komplex des Irregulären Kampfes in arge Verwirrung geraten sei. (Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 69) Dagegen grenzen Shy und Gray den revolutionären Krieg vom Krieg ab, indem sie auf die klassische Kriegsdefinition des Krieges als Krieg zwischen Staaten abstellen und Guerilla ist für sie ein Bestandteil der revolutionären Kriegführung. (vgl. John Shy, Thomas W. Collier, Revolutionary War, in: Peter Paret [Hrsg.], Makers of Modern Strategy from Machiavelli to the Nuclear Age, Princeton, New Jersey 1986, S. 815 ff.; 817) So vor allem die Bezeichnung für irreguläre Kampfverbände im lateinamerikanischen und kommunistisch-asiatischen Raum. (Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 12; vgl. Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 77) Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1146; vgl. Valdis Redelis, Partisanenkrieg. Entstehung und Bekämpfung der Partisanen- und Untergrundbewegung im Mittelabschnitt der Ostfront 1941 bis 1943, Heidelberg 1958, S. 9; vgl. Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 12 Valdis Redelis, Partisanenkrieg. Entstehung und Bekämpfung der Partisanen- und Untergrundbewegung im Mittelabschnitt der Ostfront 1941 bis 1943, Heidelberg 1958, S. 9 Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 12; vgl. Jobst Rohkamm, Zum Begriff des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Wehrkunde 1964, S. 377 ff.; 377; vgl. Jobst Rohkamm, Zum Problem des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Spuren und Motive, Heft 78/79, 1989, S. 7 ff.; 7; vgl. Hubert M. Mader, Edwin R. Micewski, Andreas B. Wieser, Terror und Terrorismus, Ideengeschichte und philosophischethische Reflexion, in: http://www.bmlv.gv.at/omz/ausgaben/artikel, S. 5 Peter Cornelius Mayer-Tasch, Guerillakrieg und Völkerrecht, Baden-Baden 1972, S. 9 f. Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1147; vgl. George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 529 Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, 169 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 64
249
4.10.2.3.1.1
Strategie der Guerilla
Guerillas richten sich mit bewaffneten Aktionen gegen die bestehende Staatsmacht mit dem Ziel, diese zu stürzen und die inneren Verhältnisse des Staatswesens neu zu ordnen.1711 Die Strategie der Guerilla hat die militärische Niederlage des Gegners zum Ziel1712, wenngleich diese Strategie auf taktischer Ebene die Schlachtentscheidung meidet,1713 um den Gegner zu verdrängen, ihn in seinem Besitz zu stören oder im Laufe der Auseinandersetzung die konventionelle Unterlegenheit auszugleichen.1714 Aber die militärische Niederlage des Gegners ist nicht das ausschließliche Ziel. Sie ist ebenso auf das Zerschlagen der vorher bestehenden Machtstrukturen heimischer oder fremder Herkunft gerichtet, die der sozialen Befreiung und gesellschaftlichen Umgestaltung hinderlich waren.1715 Die Guerillastrategie gebraucht irreguläre Verbände und unkonventionelle Methoden, um den Gegner durch zermürbenden Kleinkrieg ohne klare Grenzen zwischen zivilem und militärischem Bereich für spätere Schläge regulärer Verbände reif zu machen.1716 In der Literatur wird zum Teil darauf abgestellt, dass die Guerillas Aufständische sind, die zumindest von einer auswärtigen Macht unterstützt werden.1717 4.10.2.3.1.2
Bedeutung der Guerilla
Der Kleinkrieg ist die Kampfform schwacher Kräfte gegen einen überlegenen Gegner, dem sie im gewöhnlichen Verfahren nicht gewachsen sind.1718 Mangels größerer Verbände und technischer Möglichkeiten soll durch kleine und kleinste Aktionsgruppen das Ziel erreicht werden.1719 Der Kleinkrieg gibt somit auch den Kleinen eine reelle Chance gegenüber den Großen.1720 Der Gegner wird gezwungen, viele Kräfte gegen die dauernden Belästigungen einzusetzen und sogar Rückzüge wegen Versorgungsmangel können notwendig werden.1721 Gleichzeitig sieht der Gegner sich genötigt, ebenfalls leichte Truppen aufzustellen, um der
1711 1712 1713 1714 1715 1716 1717 1718
1719 1720 1721
250
Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, RN 105; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 64 f. P. B., Tendenzen im europäischen Terrorismus, in: ÖMZ 1985, S. 434 ff.; 434; vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 20 Johannes Kunisch, Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973, S. IX; vgl. Max Barthel, Eugen Th. Rimli, Krieg auf Schweizerboden? Landesverteidigung – vom Ernstfall aus gesehen, Zürich 1938, S. 82 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 22 Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 34 f. Robert Bossard, Die Gesetze von Politik und Krieg, Bern, Stuttgart 1990, S. 529 Erich Vorwerck, Der Revolutionäre Krieg. Sein Wesen und sein bisheriger Verlauf (I), in: Wehrkunde 1964, S. 193 ff.; 193 vgl. Arthur Erhardt, Kleinkrieg, 2. Aufl., Potsdam 1942, S. 7; vgl. Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 22; vgl. Samuel P. Huntington, Der Guerillakrieg in Theorie und Politik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 17 ff.; 19 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 22 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 12 Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 147
Gefahr wirksam zu begegnen.1722 Folglich ist der Kleinkrieg eine Form der Kriegführung, bei der die strategisch schwächere Seite zu von ihr selbst gewählten Zeiten, an von ihr selbst bestimmten Orten und in von ihr selbst gewählten Formen taktisch offensiv wird.1723 4.10.2.3.2
Zwischenergebnis
Guerillas richten sich mit bewaffneten Aktionen gegen die bestehende Staatsmacht mit dem Ziel, sie zu stürzen und die inneren Verhältnisse des Staatswesens neu zu ordnen. Organisation und Kampfweise entsprechen im Wesentlichen der von Partisanen. Guerillas werden aber oftmals von auswärtigen Mächten unterstützt. 4.10.2.3.3
Partisanen
Der Begriff des Partisanen, des kämpfenden Parteigängers, nicht nur des Kriegers, leitet sich zum einen aus dem italienischen Wort „Paradigiana“, einer hellebardenartigen Waffe der Parteigänger,1724 und zum anderen aus Kampfformen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges ab.1725 Partisanen sind ein politisch organisierter und bewaffneter Teil der Bevölkerung, der gegen fremde Truppen im eigenen Land kämpft und dessen Ziel es ist, die Souveränität über das eigene Territorium wiederherzustellen und die fremden Truppen aus dem Land zu vertreiben.1726 Das Ziel ist es, Änderungen im politischen System oder in der Politik ohne Hilfe von außen herbeizuführen.1727 Auch hier bereitet die Abgrenzung des Partisanen von anderen Erscheinungen gewisse Schwierigkeiten. Für Rentsch hat der Partisanenkrieg seine Grundlage in der gesellschaftlichen Spannung bzw. innerhalb eines revolutionären Gegensatzes innerhalb eines Staates bzw. eines Territoriums und einer Bevölkerung.1728 Dabei sind für ihn der Partisanenkrieg hinter der gegnerischen Front, bei welchem die unterdrückte Bevölkerung gegen die Okkupationsmacht aufsteht, und der Kolonialkrieg, bei dem das Kolonialvolk gegen die Fremdherrschaft kämpft, „Grenzfälle“ des Partisanenkrieges.1729 Somit wird auch in zahlreichen Theorien des Partisanenkrieges die Über1722 1723 1724
1725 1726
1727 1728 1729
Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 147 Samuel P. Huntington, Der Guerillakrieg in Theorie und Politik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 17 ff.; 19 Kurt V. R. Wolf, Reinhard W. Günter, Der Verdeckte Kampf, o. J.A., S. 12; vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 19; Der ins deutsche übernommene Begriff für diese Waffe lautet: „Partisane“ (Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik [Hrsg.], Wörterbuch zur Deutschen Militärgeschichte, Mi – Z, Berlin 1985, S. 759); Ausführlich zu Begriff und Entwicklung des „Partheygängers“ zum Partisanen und den Erscheinungen, Bezügen und Einsatzweisen vgl. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999 Gerhard Schulz, Die Irregulären: Guerilla, Partisanen und die Wandlung des Krieges seit dem 18. Jahrhundert. Eine Einführung, in: Gerhard Schulz, Partisanen und Volkskrieg. Zur Revolutionierung des Volkskrieges im 20. Jahrhundert, Göttingen 1985, S. 9 ff.; 11 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, RN 104; Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 296; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 120 Erich Vorwerck, Der Revolutionäre Krieg. Sein Wesen und sein bisheriger Verlauf (I), in: Wehrkunde 1964, S. 193 ff.; 193 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 47 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 47
251
führung der Partisanenarmee in eine reguläre Armee postuliert.1730 Diese Kampfform unterstützt die reguläre Armee und ebnet ihr den Weg.1731 Beckett ordnet den Partisanen entweder der regulären Armee eines Landes zu, der irreguläre Kleinkriegsoperationen im Rücken oder an den Flanken einer regulären gegnerischen Streitmacht durchführt, oder einer großen, organisierten und disziplinierten Truppe, welche die Charakteristika einer regulären Armee aufweist und den Krieg als Kleinkrieg durchführt.1732 Mithin wird hier nur in der Form des Kampfes, nicht im völkerrechtlichen Status unterschieden. Diese Unterscheidung ist tatsächlich nur marginal und letztendlich durch ihre Verwischung der Kriterien nur semantischer Natur, die bezweckt, dem Partisanen den Status des regulären Kämpfers zu geben und ihn schlussendlich mit dem Soldaten, dem rechtmäßigen Kämpfer gleichzusetzen. Folglich ist diese Ansicht hier abzulehnen. Der Partisan ist also nach klassischer Auffassung Angehöriger eines vom Feind eroberten Landes, der nicht Soldat ist und sich außerhalb des Kriegsrechtes stellt.1733 Insofern ist der Partisanenkrieg ein Volkskrieg, in dem sich das unterdrückte Volk gegen Fremdherrschaft, Willkürherrschaft und Tyrannei auflehnt.1734 Der Partisan ordnet seine Gewaltakte politischen Absichten unter, die ihn vom bloßen Mörder oder Räuber unterscheiden,1735 dessen positiver Zusammenhang mit einer irgendwo vorhandenen Regularität verloren ist.1736 4.10.2.3.4
Zwischenergebnis
Partisanen sind ein politisch organisierter und bewaffneter Teil der Bevölkerung, der gegen fremde Truppen im eigenen Land kämpft. Ihr Ziel ist es, die Souveränität über das eigene Territorium wiederherzustellen und die fremden Truppen aus dem Land zu vertreiben. Befinden sich noch Teile des Landes unter der Kontrolle der eigenen Regierung und eigener Streitkräfte, sind die Operationen von Partisanenverbänden in der Regel mit der politischen Führung abgestimmt. Dementsprechend kann man den Begriff des Partisanen sehr weit gespannt begreifen, als Bezeichnung für Personengruppen mit Grundzügen organisatorischer Strukturen, die mit Waffengewalt gegen ein herrschendes Regime kämpfen bzw.
1730 1731 1732 1733 1734
1735 1736
252
Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 77; vgl. Johannes Gaitanides, Reflexionen über das Partisanentum, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 9 ff.; 11 Walter Laqueur, Foreword, in: Edward Luttwak, Coup d’Etat. A Practical Handbook, 2. Aufl., Cambridge, Massachusetts 1979, S. 9 ff.; 10 Ian F. Beckett, Encyclopedia of Guerrilla Warfare, S. 181 Klemens Fischer, Guerilla im Spiegel des Rechts, Solingen 1995, S. 1 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 12; Dieser Abgrenzung entgegenstehend ist für Schiller der Begriff „Guerilla“ das Synonym für eine Form von Kleinkrieg mit sozialrevolutionärem Ansatz, der von den bewaffneten Kräften einer Bevölkerungsgruppe oder Partei gegen eine Kolonialmacht oder gegen die Regierung des Landes geführt wird. (David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palästinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 48) Dementsprechend stimmt die Definition des Guerilla hier mit dem des Partisanen überein. Jürgen Kaube, Gewalt als Manifestation . Schrecken ohne Botschaft, in: FAZ vom 18.09.2001, S. 57 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 92
diesen Kampf planen oder vorbereiten, egal, ob dieses auf dem vom betreffenden Regime besetzten Gebiet geschieht oder anderswo.1737 4.10.2.4
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Partisan und Guerilla
In der Literatur wird der Partisanenkampf von der Guerilla dahingehend abgegrenzt, als dass die Guerilla eine gewaltsame Form politischen Handelns gegen die im eigenen Land herrschenden Autoritäten ist und die Partisanenbewegung den regulären Kampf des eigenen Landes unterstütze, wobei die Guerilla zumeist politisch-ideologisch motiviert sei und es der Partisanenbewegung um nationale Selbstbehauptung gehe.1738 Nach den zuvor ausgeführten Ansätzen unterscheiden sich der Partisanen- und der Guerillakrieg im Wesentlichen nur dadurch, dass der Partisanenkrieg vor allem durch die Bevölkerung eines Landes getragen wird; der Guerillakrieg kann auch von außen in das Land hineingetragen und auch gegen die (Mehrheit der) Bevölkerung geführt werden. Dementsprechend werden Guerillabewegungen häufig logistisch und militärisch von Anlehnungsmächten, Partisanen von eigenen Streitkräften unterstützt.1739 Doch diese Unterscheidungen sind letztlich nur Nuancen, die im 20. Jahrhundert ständig an Bedeutung verloren haben.1740 Demzufolge werden beide Begriffe auch häufig synonym verwendet,1741 ohne dass diese marginale Unterscheidung Beachtung findet oder tatsächlich zum Tragen kommt. Beide Gruppierungen, Partisanen und Guerillas, die einem bestimmten Stück Erde verhaftet sind und die ein bestimmtes Territorium gegen raumfremde Eindringlinge verteidigen,1742 operieren immer im militärischen Hinterland.1743 Ziel ihrer Unternehmungen ist in der Regel die rückwärtige Zone des
1737 1738 1739 1740 1741
1742 1743
Rudolf JeĜábek, Zur Tätigkeit von „Partisanen“ in Österreich, nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Erwin A. Schmidl (Hrsg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945 – 1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien, Köln, Weimar 2000, S. 137 ff.; 137 Jürgen Schwarz, Guerilla, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg, Basel, Wien 1995, Spalte 1146 ff.; 1147 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1809 Gerhard Schulz, Die Irregulären: Guerilla, Partisanen und die Wandlung des Krieges seit dem 18. Jahrhundert. Eine Einführung, in: Gerhard Schulz, Partisanen und Volkskrieg. Zur Revolutionierung des Volkskrieges im 20. Jahrhundert, Göttingen 1985, S. 9 ff.; 10 vgl. Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 168; vgl. Karl Gruber, Die theoretische Einbettung des Guerillakrieges, in: Truppendienst 1987, S. 32 ff.; 32; vgl. Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl., Tübingen und Basel 1997, S. 447; vgl. Rüdiger Voigt, Entgrenzung des Krieges. Zur Raum- und Zeitdimension von Krieg und Frieden, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert , Baden-Baden 2002, S. 293 ff.; 316; vgl. Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 75; vgl. Ernst Uhlmann, Vorwort, in: Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 6 f.; 6 Klien weist auch darauf hin, dass sprachlich der Begriff „Partisan“ im 19. Jhr. durch die Bezeichnung „Guerilla“ abgelöst wurde, und dass sich während des Zweiten Weltkrieges der Begriff „Partisan“ wieder eingebürgert wurde. (Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 19) Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 92 Henning Ritter, Der Feind. Terror ohne Territorium. Vernichtung als Programm, in: FAZ vom 19.11.2001, S. 49; vgl. Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 168
253
Gegners, vor allem die Verbindungslinien, doch auch überraschende Überfälle auf Transporte, Stützpunkte, kleinere Abteilungen und Patrouillen.1744 4.10.2.5 4.10.2.5.1
Die Abgrenzung von Partisanen und Guerilla vom Terroristen Unterscheidung nach der strategischen Ausrichtung
In der Literatur werden verschiedene Auffassungen vertreten, welche den Versuch unternehmen, Terrorismus von anderen Irregulären nach der Ausrichtung des Mittels Terror abzugrenzen. Eine Ansicht geht davon aus, dass der Gebrauch des Mittels Terror auf der taktischen Ebene noch nicht die Bezeichnung „terroristisch“ begründe; allein und erst der strategische Einsatz des Terrors kennzeichne den Terrorismus.1745 Bei dieser Auffassung bleibt offen, wo der strategische Ansatz beginnt. Insofern erscheint dieser Ansatz als nicht Ziel führend. Kunze will Terroristen und Guerilla insofern unterscheiden, dass ausgehend von Ziel und Zweck ihrer Unterscheidung die Gewaltanwendung bei Terroristen exzessiver und unterschiedslos ist.1746 Bei den Guerillas sei erkennbar, dass sie in gewissen militärischen Bahnen denken und handeln.1747 Dagegen versuchten Terroristen ihre zahlenmäßige Schwäche durch größtmögliche Zerstörungen wettzumachen.1748 Zum einen ist bei diesem Ansatz fraglich, was genau „exzessiver und unterschiedslos“ ist. Zum anderen weisen auch sonstige Gruppierungen Irregulärer Kräfte militärische Hierarchien und Verhaltensweisen1749 auf. Auch dieser Abgrenzungsversuch ist somit zu unbestimmt. Eine weitere Auffassung will bei der Unterscheidung von Partisanen und Terroristen darauf abstellen, dass der wichtigste Unterschied der sei, dass die Partisanenstrategie prinzipiell defensiver Art sei, während Terrorismus auch offensiv gebraucht werden könne; wenngleich diese Ansicht sofort dahingehend relativiert wird, dass Terrorismus auch als untergeordnetes Element des Partisanenkrieges gebraucht werden könne und andererseits auch als eigene politisch-
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Georg Ortenberg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Millionenheere, Bonn 1992, S. 243 Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien, Opladen 1981, S. 16 ff.; 26 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 84 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 84 f. Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 85 Das gilt gerade für so „bekannte“ Gruppierungen wie die IRA, ETA, und auch die RAF, die in ihrem Namen „Rote-Armee-Fraktion“ ja gerade auf die militär-politische Verbindung hingewiesen hingewiesen hat.
militärische Strategie offensiv geführt werden könne.1750 Dieser Abgrenzungsversuch übersieht allerdings, dass der taktische Angriff ein wesentliches Element der strategischen Defensive sein kann, wiewohl die räumlich-zeitlich begrenzte Verteidigung auf taktischer Ebene Teil einer strategischen Offensive darstellen kann. Im ersten Fall kann es beispielsweise darum gehen, die Initiative durch einen Gegenstoß der eigenen Kräfte wiederzuerlangen, wenn der feindliche Angriff den Schwung verloren hat oder gar zum Erliegen gekommen ist; im zweiten Fall kann der Zweck unter Umständen der sein, einen bis dahin erzielten Angriffserfolg zu sichern, um den Angriff – gegebenenfalls mit frischen Kräften über die bisher angreifende Truppe hinweg oder mit einem anderen Ansatz an anderer Stelle – fortzusetzen. Zudem haben wir oben festgestellt, dass gerade auch der Terrorismus in bestimmten Lagen eine Form des Kampfes von Guerillaorganisationen sein kann. Folglich hilft dieser Abgrenzungsversuch ebenfalls nicht weiter. 4.10.2.5.2
Unterscheidung nach der taktischen Ausrichtung
Eine weitere Meinung in der Literatur stellt bei der Abgrenzung von Terrororganisationen und Guerillaverbänden darauf ab, dass terroristischen Aktionen in den Guerillakonzeptionen die Rolle eines taktischen Elementes zukomme, welches in ein umfassendes strategisches Konzept zum revolutionären Umsturz eingebunden sei.1751 Dabei sei der Terrorismus hier allenfalls ein taktisches Element innerhalb einer unterschiedliche Formen der Gewaltanwendung kombinierenden Strategie mit scharf definierten politischen Zielen.1752 Träfe diese Ansicht zu, so bedeutete dies im Umkehrschluss zum einen, dass Terroristen keine strategischen Absichten, mithin auch keine politischen Ziele verfolgen würden. Zum anderen qualifizierten bzw. privilegierten dann entsprechende Absichten und Ziele diese Mittel einsetzenden Akteure zu Guerillas. Dieses würde im Endeffekt somit eine politische Rechtfertigung von jeder Form von Gewalt unabhängig von Akteur, Ziel und Zweck bedeuten. Diese Auffassung argumentiert zudem umgekehrt zu der oben dargestellten Meinung, die bei der Einordnung des Terrors auf die strategische Ebene abstellt, und stellt diese bezeichnender Weise auf den Kopf, um zu dem gleichen Ergebnis zu kommen. Folglich ist auch diese Auffassung abzulehnen. 4.10.2.5.3
Strategisch-operativer Ansatz
Nach einer weiteren Differenzierung können Partisanen und Guerillas allerdings sowohl als Hilfskräfte der Truppe, indem sie mit der regulären Truppe an verschiedenen Frontabschnitten kämpfen, als auch als selbstständige Streitkräfte gegen den Feind eingesetzt wer-
1750 1751 1752
Herfried Münkler, Kriege im 21. Jahrhundert, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 83 ff.; 95 vgl. Herfried Münkler, Ältere und jüngere Formen des Terrorismus. Strategie und Ordnungsstruktur, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 29 ff.; 31 Herfried Münkler, Ältere und jüngere Formen des Terrorismus. Strategie und Ordnungsstruktur, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 29 ff.; 32
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den.1753 Damit haben die nichtselbstständigen Partisanen nicht die Aufgabe, den Feind zu besiegen und damit keine strategischen Ziele, sondern Aufgaben taktischer Natur; hingegen kämpfen selbstständige Partisanen an Stelle der regulären Truppe mit dem strategischen Ziel, den Feind zu besiegen.1754 Freilich ist auch ein Wechsel der Kampfweisen und damit auch ein Wechsel der Strategie möglich,1755 der von der Verschiebung der Machtverhältnisse bestimmt wird, insbesondere der militärischen Stärke, dem Zunehmen und Abnehmen der eigenen und gegnerischen Kampfkraft.1756 In Abhängigkeit des Verlaufes des Konfliktes sind diese Wechsel daher auch mehrfach und periodisch denkbar. Mithin ist die Identität dieser Kämpfer im weiten Bereich der Möglichkeit gewaltsamer Konfliktaustragung zu finden, die zwischen dem Terroristen und dem regulären Soldaten liegen.1757 Für Gujer ist der Terrorismus denn auch kein taktisches Element bei der Abgrenzung der Phänomene, sondern eigentliche Strategie.1758 4.10.2.5.4
Völkerrechtliche Abgrenzung
In der Literatur wird bei der Abgrenzung teilweise auch auf die Einhaltung grundlegender völkerrechtlicher Regeln abgestellt: Von der Guerilla werde dabei, ungeachtet ihrer irregulären Kampfweise, die Scheidelinie zwischen Kombattanten und Zivilisten, zumindest im Prinzip, respektiert, während Terroristen sich nicht scheuten, im Extremfall beliebige Zivilpersonen zu Trägern ihrer blutigen Botschaften zu machen.1759 Dementsprechend würden Guerilla politische Gewalt im Rahmen des Völkerrechts anwenden und nur Kombattanten und militärische Ziele angreifen.1760
1753 1754 1755
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1760
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Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 12; vgl. Eric Gujer, Asymmetrische Kriege – Die Möglichkeiten einer aufgeklärten Gesellschaft, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 53 ff.; 53 Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 13 Daase verweist hier beispielsweise auf die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die in den siebziger Jahren dazu übergegangen ist, nicht nur israelische Sicherheitskräfte, sondern auch Siedlungen und Schulbusse anzugreifen oder auch die kurdische PKK, die ihre Angriffe Mitte der neunziger Jahre auf touristische Zentren der türkischen Mittelmeerküste ausdehnte. (Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff. 24) Johannes Gaitanides, Reflexionen über das Partisanentum, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 9 ff.; 17 Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 173 Eric Gujer, Asymmetrische Kriege – Die Möglichkeiten einer aufgeklärten Gesellschaft, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 53 ff.; 53 Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 18; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; 17; vgl. Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff. 23; vgl. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 15 Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff. 23
4.10.2.5.5
Psychologische Abgrenzung
Münkler vertritt die Ansicht, dass Partisanen die materielle Infrastruktur der angegriffenen Ordnung paralysieren wollen, hingegen Terroristen auf die psychische Infrastruktur zielen.1761 Bei dieser Argumentation ist fraglich, inwieweit man die materielle von der psychologischen Stoßrichtung trennen kann. Die psychologische Wirkung, die moralischen Faktoren spielen im Kriege immer eine entscheidende Bedeutung. Folglich haben überlegene gegnerische Schläge und Erfolge immer auch eine entsprechende psychologische Wirkung auf das Gegenüber. 4.10.2.5.6
Das Problem des „regulären“ Kämpfers
Zur nötigen Abgrenzung gegenüber anderen Formen der Gewaltanwendung ist die Frage zu klären, in welchem Verhältnis der Terrorismus zum Guerillakampf und zum Partisanenkrieg steht. Die Unterscheidung von regulärer und irregulärer Kriegführung muss zwangsläufig immer eine relative bleiben; was irregulär sein soll, wird letztlich durch die gerade als regulär bestimmte Form definiert und ist damit Veränderungen unterworfen.1762 Die irreguläre Kriegführung umfasst alle jene Arten der Kriegführung, die der regulären Kriegführung der entsprechenden Zeit fremd sind.1763 Eine in diese Richtung gehende Meinung in der Literatur stellt bei einer möglichen Abgrenzung der Phänomene darauf ab, dass die Guerilla unter anderem primär geprägt sei durch eine militärische Taktik und einen spezifischen Einsatz der Truppen, Terroristen hingegen ein Eigendasein führten und die „Spielregeln“ der irregulären Kriegführung, des Guerillakrieges, verlassen hätten.1764 Eine weitere Meinung grenzt Terror- von Guerilla-Operationen dahingehend ab, dass letztere zu einer Strategie des Widerstandes greifen könnten, die keinen Terror erfordere.1765 Auch diese Definitionsansätze sind unscharf und letztendlich nicht Ziel führend. Hier wird unterstellt, dass Terroristen für die völlige Irregularität stehen und keinerlei Regeln der bewaffneten Auseinandersetzung und Gewaltbegrenzung anerkennen.1766 Zum anderen negiert diese Meinung die Tatsache, dass Terroristen und Guerillas oftmals die gleichen Waffen und Wirkmittel nach den gleichen taktischen Einsatzgrundsätzen gebrauchen und es häufig zu unbeteiligten Opfern kommt.
1761 1762 1763 1764 1765 1766
Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 David Th. Schiller, Palestinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palestinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 47 Joseph P. Kutger, Irreguläre Kriegführung im Zeitenwandel, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 79 ff.; 79 Rolf Tophoven, Die Internationale des Terrorismus – Gruppierungen, Operationsräume und künftige Perspektiven, in: Gustav Däniker (Hrsg.), Terrorismus. Ursachen, Gefahren und Bekämpfung, Bern 1983, S. 11 ff.: 15 Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 15 vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 77, für den Partisanen im Gegensatz zu Terroristen nicht vollständig irregulär kämpfen und einiges mit den regulären Soldaten gemeinsam haben.
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Das irreguläre Handeln war immer auf eine Regularität bezogen, die sie einerseits untergruben und bekämpften.1767 Aber der Unterschied zwischen regulärem und irregulärem Kampf hängt von der Präzision des Regulären ab.1768 Gerade diese Präzision ist eines der brennendsten Probleme des modernen Kriegsrechts, weil hiervon die gesamte Unterscheidung von regulärem und irregulärem Kampf, wie die von regulären und irregulären Kämpfern abhängt.1769 Es kommt darauf an, dass sich die innerstaatlichen wie auch die zwischenstaatlichen Begriffe von Regularität und Irregularität, Legalität und Illegalität inhaltlich decken oder doch wenigstens in ihrer Struktur einigermaßen homogen sind.1770 Partisanenund Guerillaverbände werden zu Beginn eines bewaffneten Konfliktes oft als Terrorgruppe organisiert und geführt1771 und Guerillas betrachten den Terrorismus als eine Unterform ihrer Kampfmöglichkeiten1772 zumindest solange, wie sich der Guerillakampf nicht ausreichend stabilisiert hat,1773 oder wenn konventionelle Guerillastrategien nicht länger erfolgreich sind und der nicht-staatliche Akteur in die Defensive gerät.1774 Zudem ist es möglich, dass der eigentliche Partisanenkampf als Anfangsphase und Vorbereitungsperiode des konventionellen Krieges angesehen wird, der die militärische Vernichtung des Gegners anstrebt, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zur offenen Kriegführung mit geschlossenen Verbänden in die Entscheidungsphase treten kann.1775 Somit besteht hier – in Abhängigkeit von den Kräfteverhältnissen – die Tendenz aus der subkonventionellenirregulären in die konventionell-reguläre Erscheinungsform aufzuwachsen.1776 Somit sind 1767 1768 1769 1770 1771 1772
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Henning Ritter, Der Feind. Terror ohne Territorium. Vernichtung als Programm, in: FAZ vom 19.11.2001, S. 49 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 11; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 77 Stefan Schminck, Die völkerrechtliche und staatsrechtliche Problematik des Kombattantenstatus polizeilicher Formationen, erläutert am Beispiel des Bundesgrenzschutzes, Dissertation, Würzburg 1966, S. 136 vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 40 f. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, RN 113 Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 27; vgl. Carlos Marighella, Minihandbuch des Stadtguerilleros, Hamburg 1972, S. 160; Dementsprechend ordnet Barth auch den „Terror“ als „zweckgebunden“, das heißt als militärisch-politisches Mittel ein, welches nur eines von mehreren verschiedenen Taktiken eines Gesamtkonzeptes darstellt, mit dem der Gesamtsieg errungen werden soll. (Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 72) Rolf Tophoven, Der internationale Terrorismus – Herausforderung und Abwehr, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 240 ff.; 240 Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff.; 24 Johannes Gaitanides, Reflexionen über das Partisanentum, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 9 ff.; 17; Schiller lehnt sich in diesem Zusammenhang bei der Unterscheidung von regulären und irregulären Kräften an die völkerrrechtliche Abgrenzung von Kombattanten an. (David Th. Schiller, Palestinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palestinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 47 f.) Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 207; so im Ergebnis dann auch Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 77
der Guerilla- und der Partisanenkampf Arten des Krieges, mit der das Volk seine Unabhängigkeit wieder erlangen will oder erst erreichen wird, und Terrorismus ist eine Form der Kriegführung, die sowohl im Rahmen des Kleinkrieges wie auch durch einen anderen Staat zur Durchsetzung seiner Ziele im oder gegenüber dem gegnerischen Staat eingesetzt wird.1777 4.10.2.5.7
Die Akzeptanz der Bevölkerung als Abgrenzungskriterium
Eine weitere Unterscheidung zwischen Partisanen und Terroristen geht davon aus, dass im Partisanenkrieg die eigene Zivilbevölkerung als Schutz- und Ruheraum benutzt wird und für die Terroristen die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur ihres antizipierten Gegners als Kampffeld und Mittel der gewaltsamen Auseinandersetzung benutzt werden.1778 Mithin stellt dieser Ansatz bei der Abgrenzung der Erscheinungen auf die Akzeptanz der Bevölkerung bzw. deren Unterstützung ab. Die Vertreter dieser Meinung gehen davon aus, dass der Partisanenkrieg von der Unterstützung der kleinen, verstreut operierenden Gruppen durch die Zivilbevölkerung des Operationsgebietes abhängig ist, die ihre Logistik übernimmt und ihnen Deckung gewährt, und der Kleinkrieg nur führbar ist, wenn sich die Akteure auf die Unterstützung durch die Mehrheit der Bevölkerung verlassen können und sie deren Rückhalt haben.1779 Hingegen haben nach dieser Auffassung die Terroristen die Unterstützung von Seiten der Bevölkerung des Operationsgebietes durch die Nutzung der zivilen Infrastruktur des Landes ersetzt, wobei Fluglinien, Massentransportmittel, Kommunikationssysteme und Urlaubszentren für die Terroristen zugleich Mittel und Ziele des Angriffs geworden sind.1780 Dementsprechend verzichten Terroristen nach dieser Abgrenzung auf eine ihnen wohlgesonnene Zivilbevölkerung als Schutz oder zur Unterstützung, da sie sich in ihrer Logistik der Infrastruktur des angegriffenen Gegners bedienen.1781 Diese Ansicht ist allerdings insofern fraglich, als dass sie in der Praxis keine eindeutige Zuordnung zulässt. Vielmehr spielt die Bevölkerung für Irreguläre insgesamt eine wichtige Rolle. 4.10.2.5.7.1
Die Rolle der Bevölkerung in der Wechselwirkung zwischen den Akteuren
Eine pragmatischere Ansicht geht davon aus, dass Irreguläre Kräfte insgesamt, soweit es ihnen möglich ist, auf den Schutz der Bevölkerung zurückgreifen. Eine weitergehende Ansicht geht sogar davon aus, dass Kräfte, die sich nicht auf die Sympathie und Hilfsbereitschaft der Zivilbevölkerung stützen können, es vielleicht fertigbringen, sich während einiger Zeit durch Raub, Einschüchterung und Plünderung am Leben zu erhalten; auf Dauer sei 1777 1778 1779 1780 1781
vgl. Albert A. Stahel, Terrorismus und Marxismus. Marxistisch-Leninistische Konzeptionen des Terrorismus und der Revolution, Frauenfeld 1987, S. 21; vgl. Hanspeter Neuhold, Internationale Konflikte – verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung, Wien, New York 1977, S. 77 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 81 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 30 Herfried Münkler, Die neuen Kriege, in: Siegfried Frech, Peter I. Trummer, Neue Kriege (Hrsg.), Schwalbach / Ts. 2005, S. 13 ff.; 30 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 162
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ihre Existenz aber undenkbar.1782 Auf die Bedeutung der Unterstützung durch die Bevölkerung wird auch für den irregulären Kampf immer wieder hingewiesen.1783 Auch frühere Betrachtungen gehen gerade auf die Rolle der Bevölkerung in dem uns interessierenden Zusammenhang ein. Auch Antoine-Henri Jomini hat auf die Eigenheiten des Kleinkrieges und hierbei auf die besondere Bedeutung der Bevölkerung hingewiesen: „Man hat selbst nur eine Armee, wogegen der Gegner nicht nur diese, sondern ein ganzes Volk, in vollem oder theilweisem Aufstand begriffen, für sich hat; ein Volk, welches jedes Werkzeug zur Waffe macht, von dem jeder Mann auf Euer Verderben sinnt, jedes Mitglied, sogar die Nicht-Streitbaren Euren Untergang wünscht und ihn mit allen Kräften begünstigt. Ihr habt nur den Boden auf dem Ihr lagert, außerhalb desselben ist Euch Alles feindlich…“1784 Diese Ansicht deckt sich in ihren Konsequenzen für das Gegenüber mit der Auffassung von Clausewitz: „… die im feindlichen Lande vorgehende Armee entbehrt aller Werkzeuge des Gehorsams, sie muß sich ihre Behörden erst einsetzen, und zwar durch die Autorität der Waffen; dies kann sie nicht überall, nicht ohne Aufopferungen und Schwierigkeiten, nicht im Augenblick.“1785 Damit wird die Unterstützung und Hilfe der Bevölkerung zur conditio sine qua non für die Überlebens- und Durchhaltefähigkeit Irregulärer Kräfte. Insofern leben Irreguläre zum Teil innerhalb bewohnter Städte und Dörfer, nutzen die Anonymität der Bevölkerung zur Tarnung und zum Schutz und erhalten hieraus logistische und informationelle Unterstützung, wobei ihre Führer hier oftmals anonym leben und den Ruf angesehener Mitbürger genießen.1786 Mithin wird in der Literatur auch zwischen einer passiven und einer aktiven Unterstützung durch die Bevölkerung unterschieden. Passive Unterstützung besteht danach darin, dass es Sympathisanten gibt, die aber nicht willens sind, materielle 1782 1783
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J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 605 vgl. August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 22; vgl. Ernst von Dohnányi, Kampf gegen sowjetische Guerillas, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 153 ff.; 154; vgl. Arthur Erhardt, Kleinkrieg, 2. Aufl., Potsdam 1942, S. 97; vgl. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 449; vgl. George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 532 f.; vgl. George A. Kelly, Revolutionskrieg und psychologisches Handeln, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 561 ff.; 565 f.; vgl. Roger Hilsmann, Krieg im Inneren: Die neue kommunistische Taktik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 595 ff; 603 ff.; vgl. Paul Lüth, Bürger und Partisan. Über den Widerstand gestern, heute und morgen, Frankfurt am Main 1951; vgl. Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 36; vgl. Archer Jones, The Art of War in the Western World, Urbana, Chicago 2001, S. 688; vgl. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 80 f.; vgl. Eugen Weyde, Einführung des Übersetzers, in: Georgios GrivasDighenis, Partisanenkrieg heute. Lehren aus dem Freiheitskampf Zyperns, Frankfurt am Main 1964 S. 32 ff. Antoine-Henri Jomini, Abriss der Kriegskunst, Dresden 1901, S. 36 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 497 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1808 ff. Tatsächlich findet sich in nahezu der gesamten für die vorliegende Schrift durchgearbeiteten Literatur der Hinweis auf die Wichtigkeit der Bevölkerung für Logistik, Unterstützung und Rekrutierung.
Unterstützung zu leisten, wogegen aktive Unterstützung im Beitritt zur Organisation besteht, Irreguläre zu verbergen, ihnen Unterkunft zu gewähren, sie mit Informationen zu versorgen, Waffenverstecke, ortskundige Personen oder / und Verbindungspersonen zur Verfügung zu stellen.1787 Folglich kommt in den strategischen Überlegungen der Irregulären Kräfte der Zivilbevölkerung eine wesentliche Rolle zu, deren Gunst es zu gewinnen oder zu erhalten gilt oder die es in Angst und Schrecken zu versetzten gilt, wobei nicht selten zu beobachten ist, dass Angehörige der eigenen Gruppierung durch Irreguläre Kräfte bewusst und gezielt einem Leidensdruck ausgesetzt werden, um sie für sich zu gewinnen.1788 Repressalien und ein hartes Vorgehen gegen die Bevölkerung durch die Ordnungsmacht werden hierbei einkalkuliert und auch in Kauf genommen und der Gegner soll zu einem noch härteren Handeln gezwungen werden.1789 Der Irreguläre Kampf „kompromittiert“ auch die Einwohner, die auf Seiten der Irregulären stehen.1790 Jede Vergeltungsmaßnahme wird von den Irregulären sofort ausgenutzt, um die regulären Kräfte bzw. die Ordnungsmacht insgesamt unpopulär zu machen und somit wird die Kluft zur Ordnungsmacht immer tiefer.1791 Tatsächlich gibt es in der Auseinandersetzung mit Irregulären auch keine Neutralität, weil eine Seite diese schlicht negiert.1792 Das Volk ist gleichermaßen Subjekt und Objekt der Kriegführung.1793 Von der Heydte hat ausgeführt, dass die überkommene Unterscheidung zwischen Kriegszustand und Zivilbevölkerung im Kleinkrieg keine Geltung mehr hat und es in dem Raum, in dem der Kleinkrieg geführt wird, keinen am Kleinkrieg Unbeteiligten mehr gibt, da dieser die ganze Bevölkerung erfasst.1794 Damit liegt ein permanenter Druck auf der Bevölkerung, die selbst in einem inneren Spannungsverhältnis von Angst, Sympathie und Opferbereitschaft steht. Die Unterstützung und Hilfe durch die Bevölkerung darf aber niemals erzwungen werden.1795 Gleichzeitig kann sie aber auch als „Achillessehne“1796 des Irregulären angesehen werden. Hier könnte der Hebel sein, wo man ansetzen muss, um den Irregulären den Rückhalt zu entziehen und im günstigsten Fall die Unterstützung gegen die Irregulären zu gewinnen. Ziel muss es sein, die Bevölkerung von den Irregulären zu trennen und diese mit der Zeit sowohl psychologisch als auch räumlich zu isolieren.1797 Dazu ist das Gewinnen des Zutrauens und Vertrauens der Bevöl1787 1788 1789 1790 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797
Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. From Revolution to Apocalypse, 2. Aufl. Washington, D.C. 2005, S. 94 f.; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 71 ff. Walter Feichtinger, Differenzierung von Asymmetrie im Kontext bewaffneter Konflikte, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 117 ff.; 118 f. vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 55 J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 537 J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 537 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 32 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 12 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 4 J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 605 John B. Bellinger, Civilian Role in Antiguerrilla Warfare, in: Military Review 1961, S. 91 ff.; 91 Paul Wimmer, Kleinkrieg – wesentliche Grundlagen, in: ÖMZ 1965, S. 440 ff.; 444; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Os-
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kerung eine wesentliche Aufgabe im Kampf gegen Irreguläre Kräfte.1798 Mit einer Strategie von Interaktion und Isolation geht es darum, den Irregulären die Unterstützung der Bevölkerung, sozusagen ihren Nährboden, zu entziehen.1799 Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Irregulären oftmals eben nicht unabhängige Kräfte sind, die losgelöst zwischen der Bevölkerung und der Ordnungsmacht stehen, sondern zumeist aus der Bevölkerung stammen bzw. in dieser verwurzelt sind und somit einen Teil derselben darstellt. Die Schwierigkeit für die Ordnungsmacht besteht allerdings darin, die Irregulären aus der Bevölkerung herauszufiltern. Die Irregulären haben hingegen ihrerseits ständig mit der Möglichkeit eines Verrats zu rechnen. Daher wurde empfohlen, die Kontakte auf wenige Mittelsleute zu beschränken, um die Geheimhaltung zu wahren und die Gefahr, verraten zu werden, herabzusetzen.1800 Je aussichtsloser, weil nicht gewinnbar, die Ausgangsposition der Irregulären ist, umso brutaler und spektakulärer werden ihre Anschläge und umso eher scheint einer intelligenten Bekämpfung die Möglichkeit offen, die Irregulären von ihren möglichen Sympathisanten zu isolieren.1801 Dementsprechend sind moderne operative Konzepte darauf abgestellt, das „Herz und den Verstand“, die „Herzen und Hirne“,1802 die „Köpfe und Herzen“1803 der Bevölkerung zu gewinnen.1804 Dieses Konzept des „Hearts and Minds“ beinhaltet eine physische und psychologische Separierung der Bevölkerung von den Irregulären.1805 Hierbei ist die Minderung des Rückhaltes der Irregulären Kräfte in der Bevölkerung z.B. durch Maßnahmen der Operativen Information (OpInfo) oder durch das Abspalten Einzelner durch Maßnahmen, die auf den inneren Unfrieden der Organisation abzielen, eine wesentliche Komponente zur Neutralisierung des Gegners.1806 Aber auch die Irregulären beabsichtigen die Bevölkerung von ihrem Gegenüber zu isolieren, um schließlich eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, ihrer eigenen Ideologie oder Religion zu finden.1807 Dabei folgen die Irregulären Kräfte folgenden Prinzipien mit entsprechenden unmittelbaren sofortigen Auswirkungen auf die Kampfführung auf der taktischen Ebene und mittelbaren Langzeitwirkungen: Die Irregulären Kräfte wollen die direkte Konfrontation und den offenen Kampf vermeiden, den Gegner abnützen, seine Moral senken, massive Vergeltungsaktionen
1798 1799 1800 1801 1802 1803 1804 1805 1806 1807
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tens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 2 vgl. Kenneth Darling, British Counterinsurgence Experience, in: Military Review 1965, S. 3 ff.; 7 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 37 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 22 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 131 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 131 August Hanning, Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der Aufklärung des Internationalen Terrorismus, in: in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 346 ff.; 351 vgl. Leroy Thompson, The Counter Insurgency Manual, London 2002, S. 71 ff.; vgl. Bob Newmann, Guerrillas in the Mist. A Battlefield Guide to Clandistine Warfare, Boulder, Colorado 1997, S. 156 f. Ian F. Beckett, Encyclopedia of Guerrilla Warfare, S. 98 Manfred Eberhard, Bedrohung durch Kampf gegen irreguläre Kräfte bei Einsätzen im Rahmen der Konfliktverhütung / Krisenbewältigung, 2. Zwischenbericht zur IABG-Studie, Ottobrunn 2004, S. 7 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36
provozieren und die Bevölkerung für sich gewinnen sowie gegen den Gegner aufbringen.1808 Folglich sehen sich die Gegner bei der Umsetzung ihrer Operationsführung mit fünf Zielkonflikten konfrontiert: Bombardierung erkannter Widerstandsziele versus (ziviler) Kollateralschäden; Patrouillen versus Zielfläche für Bombenanschläge; Hausdurchsuchungen versus Rückhalt in der Bevölkerung; Menschenrechte versus Auftragserfüllung (z.B. Nachrichtenbeschaffung durch Folter1809).1810 So ist es denn das Bestreben beider Parteien eines Konfliktes, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.1811 Folglich hat die Strategie zur Gewinnung der Unterstützung der Bevölkerung Bedeutung für beide Seiten und steht in ständiger Wechselwirkung zu den direkten und indirekten Aktionen beider Seiten. Aus Sicht der Ordnungsmacht muss es erreicht werden, die Loyalität der Bevölkerung, falls notwendig, wiederzugewinnen und sie dann zu erhalten, und hierzu müssen die Irregulären ausgeschaltet werden, wofür aber wiederum die Kontrolle der Bevölkerung Voraussetzung ist.1812 Für die Ordnungsmacht gibt es keine Alternative zu diesem Ansatz. Das strategische Ziel liegt somit nicht im operativtaktischem Sieg, sondern in der Erlangung der politischen Legitimität; der Schwerpunkt im Kampf gegen Irreguläre Kräfte ist nicht die Zerschlagung irregulärer Kräfte, sondern in der Gewinnung der Legitimität innerhalb der Bevölkerung.1813 Die Beeinflussung der Meinung der Bevölkerung und der Politiker ist auch eines der wesentlichen Ziele der Irregulären.1814 Genau dieses muss auch die Absicht der Gegenkräfte sein. Das Vertrauen der Bevölkerung und Einfluss zu erlangen, ist also sowohl für die Irregulären als auch für diejenigen, die sie bekämpfen, vorrangiges Ziel.1815 Die Bevölkerung steht dagegen in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Irregulären und den Gegenkräften, wobei beide Seiten Unterstützung, zumindest passives Verhalten, erwarten und jeden Beitrag für die andere Seite als feindlichen Akt bewerten und entsprechend reagieren. Die Besatzungsarmee wird im All1808 1809
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Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 203 Zu der Diskussion um die Anwendung der Folter im Kampf gegen Irreguläre Kräfte vgl. auch Thomas Bruha, Christian J. Tams, Folter und Völkerrecht, in: http:// www.weltpolitik.net/print/3159.html, Internet vom 29.11.2006, S. 1; vgl. Roman Schmidt-Radefeld, Die Menschenrechtsverpflichtungen bei antiterroristischen Maßnahmen, in: Dieter Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorbekämpfung durch Streitkräfte. Legal Issues of Military Counter-Terrorist Operations with English Executive Summary, S. 101 ff.; 122 ff.; vgl. Stefanie Schmahl, Derogation von Menschenrechtsverpflichtungen in Notstandslagen, in: Dieter Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorbekämpfung durch Streitkräfte. Legal Issues of Military CounterTerrorist Operations with English Executive Summary, S. 125 ff.; 136 f.; vgl. Heiner Bielefeldt, Zur Unvereinbarkeit von Folter und Rechtsstaatlichkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36, 2006, S. 3 ff.; vgl. Thomas Bruha, Christian J. Tams, Folter und Völkerrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36, 2006, S. 16 ff.; vgl. Winfried Brugger, Einschränkung des absoluten Folterverbots bei Rettungsfolter?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36, 2006, S. 9 ff. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 203; vgl. Gottfried Weilenmann, Folterungen im Irak – anders beleuchtet, in: ASMZ, Heft 12, 2004, S. 24 ff. Karl Johanny, Der Tatbestand des Kriegsverbrechens und Moderner Kleinkrieg unter Berücksichtigung der Legitimität der Teilnehmer, Dissertation, Würzburg 1966, S. 7 vgl. Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart-Degerloch, 1974, S. 79 Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 80 f. Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36; vgl. Thomas X. Hammes, The Sling and the Stone. On War in the 21st Century, o. O.A. 2004, S. 208 Frank Kitson, Im Vorfeld des Krieges, Abwehr von Subversion und Aufruhr, Stuttgart-Degerloch, 1974, S. 79
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gemeinen gegen die Bevölkerung vorgehen, die den irregulären Kampf unterstützt; deshalb muss die Bevölkerung mit den schärfsten Maßnahmen rechnen und auf alle Konsequenzen vorbereitet sein.1816 Irreguläre Gruppen versuchen ihrerseits die Bevölkerung durch Terror als Demonstration der Schwäche der Ordnungsmacht, Provokation von Überreaktionen der Ordnungsmacht und Beweis der eigenen Fähigkeiten durch Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen, welche nicht von der Ordnungsmacht zur Verfügung gestellt werden, auf ihre Seite zu ziehen.1817 Dabei bleiben die Provokationen (oft) unsichtbar, die Reaktion aber findet sichtbar statt.1818 Die (Über-)Reaktion der Ordnungsmacht führt nicht nur fast unweigerlich zur Eskalation, sondern wird auch in der Regel von den Irregulären bewusst angestrebt, und gerade diese Eskalation und der „Terror“ der Ordnungsmacht gegen die Bevölkerung ist es, welche diese erst zur Unterstützung der Irregulären bewegen.1819 Diese Logik des Irregulären, die schließlich zum Sturz des angefeindeten Regimes führen soll, läuft in letzter Konsequenz auf eine sich hochschaukelnde Dynamik von Repression und Widerstand hinaus.1820 Mithin ist die Provokation zu Gegenmaßnahmen durch den starken Akteurs ein wesentliches strategisches Element des Schwachen.1821 Gleichzeitig liegt in dieser Art des Kampfes die Gefahr einer Brutalisierung der Kampfweise und einer verrohten geistigen Einstellung zur Gewalt- und Waffenanwendung.1822 Die Entstehung von irregulären Gruppen ist somit oftmals durch den Gegner bestimmt worden; sie entstehen oftmals dort, wo sein Druck am stärksten empfunden wird und die Auseinandersetzung mit ihm durch legale Mittel fehlt.1823 Der Terror besitzt bei der Führung des Kleinkriegs seine merkbaren Grenzen, indem er ständig Gegenkräfte – Terror und Gegenterror – ins Leben ruft, den Hass und die Erbitterung von der einen wie von der anderen Seite steigert und letztendlich niemals eine echte Befriedung zu schaffen vermag.1824 Umso
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Paul Wimmer, Kleinkrieg – wesentliche Grundlagen, in: ÖMZ 1965, S. 440 ff.; 444 vgl. Leroy Thompson, The Counter Insurgency Manual, London 2002, S. 72 f.; vgl. Bob Newmann, Guerrillas in the Mist. A Battlefield Guide to Clandistine Warfare, Boulder, Colorado 1997, S. 156 f. Herfried Münkler, Wer ist David? Vom asymmetrischen Krieg, in: FAZ vom 19. August 2006, S. 31 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 123; vgl. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 78 f. Peter Waldmann, Terrorismus - unterschätzte oder überschätzte Bedrohung?, in: Claus Leggewie, Richard Münch (Hrsg.), Politik im 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 390 ff.; 393 Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 75 vgl. Jehuda L. Wallach, Die Ursprünge der modernen israelischen Kriegslehre, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel (Hrsg.), Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 431 ff.; 437 Hanns von Krannhals, Illegale Volksbewaffnung, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1963, S. 262 ff.; 264 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 504
wichtiger sind die Beachtung ethischer Grundsätze, die Vermeidung kolateraler Schäden und die Beeinträchtigung Unbeteiligter bzw. Unschuldiger.1825 Diese Erkenntnis ist aber im Grundsatz nicht neu. Rücksichtnahme auf die Belange der Bevölkerung ist „[n]icht aus sentimentaler Humanitätsduselei, sondern im wohlverstandenen eigenen Interesse ist es geboten, der Bevölkerung jede mit den militärischen Forderungen nur irgend vereinbare Schonung zu gewähren, ihre Interessen, wo es geht, an die der Besatzung zu fesseln, die unvermeidlichen Gegensätze möglichst zu mindern, statt sie zu verschärfen.“1826 Demzufolge ist die Rolle der Bevölkerung von zwei Seiten aus zu betrachten, wobei die spezifische Situation der Bevölkerung selbst eine wichtige Rolle spielt. Insofern ist die Beobachtung Friedrich von Ditfurths aus dem Deutsch-Französischen Krieg gerade unter den Bedingungen der modernen Erscheinungen besonders beachtlich.: „Die Fälle aber, wo sonst harmlose Elemente erst durch Zerstörung ihres Eigentums, durch Vernichtung ihrer Existenz in den Haß, den Widerstand, den Kampf hineingetrieben sind, wurden nicht registriert und mögen zahlreicher sein als jene. Liegt dies doch in der natürlichen Entwicklung der Verhältnisse! Der Krieg beraubt vom ersten Tage an eine Menge Menschen der Arbeit und damit des Unterhaltes; sie haben wenig oder nichts mehr zu verlieren und Alles zu gewinnen; sie sind darum leicht geneigt, dem Rufe zum bewaffneten Widerstand gegen den Feind, den mittelbaren Urheber ihrer Notlage zu folgen. Solche Leute liefern den Stamm für jedes Freischaarwesen.“1827 Insgesamt ergibt sich also, dass die Bevölkerung für beide Seiten ein wesentlicher Faktor für den endgültigen Erfolg darstellt. Damit sind im Übrigen die Bevölkerungen auf beiden Seiten gemeint, die gleichzeitig Adressat der eigenen und der gegnerischen Propaganda sind. Mithin können Fehler im Umgang mit Einzelpersonen, Gruppen oder die Missachtung kultureller Gegebenheiten sowie ethnischer Traditionen und religiöser Befindlichkeiten auf der taktischen Ebene verheerende und lang andauernde nachteilige Folgen für den strategischen Erfolg haben und damit entscheidend sein. Die Frage ist also nicht, ob und welche Repressalien nach den jeweils gültigen Regeln zulässig sind oder nicht, sondern wie weit diese Maßnahmen zum Schutz der Ordnungsmacht sinnvoll sind bzw. ab welchem Zeitpunkt sie vielmehr kontraproduktiv wirken.1828 Der Ansatz, Herz und Verstand der Bevölkerung zu gewinnen, wird somit zum essentiellen Faktor des Kampfes gegen Irreguläre Kräfte.1829 Folglich ist der Kampf um Zustimmung und Unterstützung der Bevölkerung auch der Schlüssel zum Erfolg für beide Seiten. Deutlich wird, dass dieser Kampf auf allen Ebenen geführt werden muss: der strategischen, operativen und der taktischen Ebene. Die besondere Herausforderung besteht hierbei in der Abstimmung der Ziele, Erfordernisse und Mittel zwischen den Ebenen. In diesem Ringen entscheidet sich für beide Seiten Sieg oder Niederlage in strategischer Hinsicht. Auch wenn hinterfragt wird, wie dieses Konzept in
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So jetzt in diesem Zusammenhang für die operative und taktische Ebene dieses ganz besonders herausstellend: Headquarters Department of the Army, Counterinsurgency, FM 3-24, MCWP 3-33., Washington DC, 15. December 2006, S. 7-5; vgl. Matthias Rüb, Kampf und Aufbau, in: FAZ vom 12.01.2007, S. 10 Friedrich von Ditfurth, Betrachtungen über den kleinen Krieg 1870/71, in: Beiheft zum MilitärWochenblatt 1898, Heft 10, S. 1 ff.; 463 Friedrich von Ditfurth, Betrachtungen über den kleinen Krieg 1870/71, in: Beiheft zum MilitärWochenblatt 1898, Heft 10, S. 1 ff.;464 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 123 Ian F. Beckett, Encyclopedia of Guerrilla Warfare, S. 98
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einer Auseinandersetzung greifen soll, die nicht territorial geführt wird,1830 gibt es zu diesem grundsätzlichen Ansatz keine Alternative. Auf der strategischen Ebene ist gefordert, die geistig-politische Auseinandersetzung zu intensivieren, die weltweite Ächtung zu erreichen, den harten Kern Irregulärer und ihr Unterstützerumfeld zu isolieren1831 sowie ein Gegenkonzept zu den geistigen Grundlagen Irregulärer Bewegungen zu entwickeln und zu verhindern, dass eine Situation entsteht, in der vermeintliche Globalisierungsverlierer anfällig bleiben für eine intolerante, extremistische und Hass säende Weltsicht.1832 Im Umgang mit anderen Kulturen bedarf es eines besonderen Fingerspitzengefühls.1833 4.10.2.5.8
Politischer Zweck als Abgrenzungskriterium
Eine weitere Meinung stellt bei der Abgrenzung des Terrorismus darauf ab, dass der Terrorismus seine Gewalt primär gegen Zivilisten ausrichtet; Terrorismus sei also die absichtsvolle Gewaltanwendung oder ihre Androhung gegen Zivilisten oder zivile Ziele, um politische Ziele zu erreichen.1834 Tatsächlich wollte man lediglich hier bei der Abgrenzung der Phänomene darauf abstellen, ob bei Gewaltaktionen politische Ziele angestrebt werden. In diesem Sinne wird auch die Frage gestellt, ob der Terrorismus – frei nach Clausewitz – eine legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei.1835 Dementsprechend ist Vetschera auch der Meinung, dass der Terrorismus seinem Wesen nach eine politische Strategie sei, die zumeist auf die Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse ziele.1836 Doch auch Guerilla- und Partisanenaktivitäten, die zunächst eine militärische Zielsetzung verfolgen, haben – zumindest mittelbar – auch einen politischen Zweck. Auch wenn sich die Aktionen gegen militärische Ziele richten, ist der politische Zweck vorrangig.1837 Auch diese Er1830 1831 1832 1833 1834
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vgl. Stephen Sloan, Foreword: Responding to the Treat, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. xx ff.; xxiii f. Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 13 August Hanning, Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der Aufklärung des Internationalen Terrorismus, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 346 ff.; 351 Es ist beachtlich, dass in der englichsprachigen Literatur in diesem Zusammenhang das deutsche Wort „Fingerspitzengefühl“ verwendet wird. (vgl. Anna Simons, Seeing the Enemie [or Not], in: Anthony D. Mc Ivor [Hrsg.], Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 323 ff.; 340) Stefan Mair, Die Globalisierung privater Gewalt. Kriegsherren, Rebellen, Terroristen und organisierte Kriminalität, SWP-Studie S 10, Berlin April 2002, S. 15; vgl. Boaz Ganor, Defining Terrorism: Is One Man’s Terrorist Another Man’s Freedom Fighter?, http://www.ict.org.il/articles/ define.htm, Internet vom 21.12.2006, S. 5; vgl. Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 405; Dementsprechend argumentierten beispielsweise Rechtfertigungen des Schwarzen Septembers nach dem Anschlag auf die Olympischen Spiele 1972. (vgl. Gilbert Mury, Schwarzer September. Analysen, Aktionen, Dokumente, Berlin 1974, S. 34) Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 30; vgl. Martha Crenshaw, The Logic of Terrorism: Terrorist Behavior as a Product of Strategic Choice, in: Russel D. Howard, Reid L. Sawyer, Terrorism and Counterterrorism. Understanding the New Security Environment. Readings & Interpretations, Guilford, Connecticut, S. 55 ff.; 55 vgl. Robert Taber, War of the Flea. The Classic Study of Guerrilla Warfare, Washington D.C. 2002, S. 151
scheinungen wollen ihr Gegenüber am Ende zu einem Verhalten zwingen, das politischer Natur ist. Und nach Clausewitz ist bekanntlich „… der Krieg nicht nur ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument … eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln.“1838 Dabei ist nach Clausewitz „… die politische Absicht … der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden.“1839 Mithin stellt der Krieg keine eigenständige, autonome Erscheinung dar.1840 Folglich hilft eine Abgrenzung, die nur darauf abzielt, ob die Erscheinungen auf politische Entscheidungsprozesse zielen, nicht wirklich weiter. Andernfalls könnte man wirklich konstatieren, dass der Terror die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln wäre. Damit wäre man zugleich also auch wieder bei einer dialektischen Gleichstellung von Krieg und Terror. Am Ende führte diese Dialektik somit wiederum zur Rechtfertigung des Terrors. Insofern kommt es auch hier oftmals zu einer Verklärung der Phänomene: Der Partisan stehe gegen die Übermacht der Metropolen auf, während der Terrorist im asymmetrischen Kampf alle Regeln der Zivilisation verletze.1841 Tatsächlich ist eine Partisanen- bzw. Guerilla-Kriegführung aufgrund ihrer besonderen Eigenart sowie wegen der besonderen Bedingungen, unter denen sie praktiziert wird, kaum in den Grenzen zu halten, die das im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbare Völkerrecht setzt, sofern eine solche Kriegführung überhaupt effektiv sein soll, und so fand auch seitens der Widerstandsbewegungen eine Beachtung des Völkerrechts nur eher punktuell statt.1842 Und wenn eine Begriffserklärung des Partisanen darauf abstellt, dass es also nicht um Raum oder Geländegewinn gehe, sondern um die moralische Zermürbung und psychische Zerbrechung des Gegners und um die Unterhöhlung seiner politischen Position bis zur Einsturzreife1843, dann deckt sich diese Beschreibung weitgehend mit der oben dargestellten Abgrenzung des Terroristen vom Partisanen, die eben genau diese Eigenschaften dem Terroristen zuerkennen will.
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Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 22 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 22 vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 56 vgl. Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 2 Knut Ipsen, Kombattanten und Kriegsgefangene, in: Horst Schöttler, Bernd Hoffmann, Die Genfer Zusatzprotokolle – Kommentare und Analysen -, Bonn 1993, S. 136 ff.; 145 f. Johannes Gaitanides, Reflexionen über das Partisanentum, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 9 ff.; 12
267
In beiden Fällen wird Gewalt eingesetzt, um ein politisches Ziel zu erreichen.1844 Folglich lassen sich verdeckter und offener Kampf oftmals nicht klar und deutlich voneinander trennen, so dass die Frage nach der Rechtsstellung der Akteure eine ungelöste Problematik darstellt,1845 und zugleich wird deutlich, dass es eine Schnittmenge zwischen Terroristen und Guerilla gibt.1846 Die Abgrenzung von Terrorismus und Kleinkrieg fällt auch daher schwer, weil der Kleinkrieg auch von terroristischen Akten geprägt ist1847 bzw. terroristische Aktionen im Kleinkrieg zur Wirkung kommen können. Beide, Guerilla wie Terrorismus, können als Versuch der Schwachen und Unterlegenen angesehen werden, ihren Willen mit gewaltsamen Mitteln auch gegen Staaten und Mächte zur Geltung zu bringen, denen sie in den Formen konventioneller Kriegführung hoffnungslos unterlegen wären.1848 Das Ziel des schwachen Akteurs ist nicht das Zerschlagen der Streitkräfte des starken Akteurs, sondern das Brechen seines politischen Willens, den Krieg fortzuführen, ohne ihm je die Möglichkeit zu geben, seine überlegenen militärischen Mittel einzusetzen; das militärische Kräfteverhältnis wird somit bedeutungslos, weil es nicht zur militärischen Entscheidung kommt.1849 Der Kampf stellt hier das stetige Bemü-
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P. B., Tendenzen im europäischen Terrorismus, in: ÖMZ 1985, S. 434 ff.; 434; Däniker weist zurecht darauf hin, dass der Gebrauch von Gewalt zu politischen Zwecken als einziges Merkmal zur Abgrenzung des Terrorismus von anderen Phänomenen nicht ausreicht, da einer solchen Definition zufolge jede kriegführende Macht als terroristisch bezeichnet werden müsse. (Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 23) Eine solche Einordnung widerspräche dementsprechend auch Clausewitz’ grundlegender Definition des Krieges, nach der der Krieg, also die Anwendung militärischer Gewalt die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist und „… als wahres Instrument …“ der Politik zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt wird. (vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 108) Der Krieg ist für Clausewitz demnach nicht ein eigenständiges Phänomen, sondern immer Bestandteil des Politischen; Politik erzeugt erst den Krieg, und politische Zielsetzungen steuern ihn, auch wenn sich zuweilen erhebliche Eigendynamiken entwickeln. (Andreas Dörner, Carl von Clausewitz, in: Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann, Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart 1997, S. 116 ff.; 117) vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986, S. 248 ff. Hans-Joachim Heintze, Ächtung des Terrorismus durch das Völkerrecht, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 67 ff.; 75 Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 31 Herfried Münkler, Ist Krieg abschaffbar?, in: Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege enden. Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn, Wien, München, Zürich 2002, S. 347 ff.; 357; vgl. Peter Waldmann, Das terroristische Kalkül und seine Erfolgsaussichten, in: Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Fundamentalismus, Terrorismus, Krieg, Weilerswist 2003, S. 87 ff.; 92; vgl. Werner Hahlweg, Typologie des modernen Kleinkrieges, Wiesbaden, 1967, S. 10; vgl. Abdul Haris Nasution, Fundamentals of Guerrilla Warfare and the Indonesian Defence System Past and Future, o. OA., S. 14; vgl. Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 163; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. IX; vgl. Michael T. Klare, The New Face of Combat: Terrorism and Irregular Warfare in the 21st Century, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 27 ff.; 27; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 26; vgl. Paul K. Davis, Brian Michael Jenkins, Deterence & Influence in Counterterrorism. A Component in the War on al Quaeda, Santa Monica 2002, S. 3 f. Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 79
hen dar, auf die Einkreisung und Vernichtung durch den Gegner zu verzichten.1850 Um ihre Ziele zu erreichen – oder nur um ihr Leben zu retten – müssen Irreguläre Kräfte unkonventionelle Methoden anwenden.1851 4.10.2.5.9
Die normativ-wertende Belegung der Begriffe
Die Unterscheidungen zwischen berechtigtem Volksaufstand, völkerrechtswidrigem Freischärlertum, legitimen oder nicht legitimen Abwehrmaßnahmen und Kampfhandlungen werden meist auf Grund politischer Standpunkte getroffen und sind schwer objektivierbar.1852 Die etablierte Macht, die unter der Gewalt leidet, unterstellt in der Regel der Gegenseite Terrorismus, wogegen diese sich als Freiheitskämpfer sehen.1853 Die jeweilige Etikettierung „Guerillero“ oder „Terrorist“ unterliegt oftmals nicht wissenschaftlicher Präzision, sondern politischer Sympathie oder Antipathie.1854 Dabei ist „Terrorist“ ein stark negativ besetzter Begriff, weshalb Terroristen für sich nicht selten das schmeichelhafte Etikett des „Guerrilleros“ und der „Guerilla“ in Anspruch nehmen.1855 Auch durch diese Art einer höheren Rechtfertigung und dem damit verbundenen „Etikettenschwindel“ fällt die Abgrenzung zum Kleinkrieg schwer.1856 Die tatsächlichen oder vermeintlichen militärischen und manchmal auch politischen Erfolge der Guerillas begeisterten in den sechziger
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vgl. Mao Tse-Tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 56 ff. Michael T. Klare, The New Face of Combat: Terrorism and Irregular Warfare in the 21st Century, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 27 ff.; 31 Ruth Bettina Birn, „Zaunkönig“ an „Uhrmacher“. Große Partisanenaktionen 1942 / 43 am Beispiel des Unternehmens „Winterzauber“, in: Militärgeschichtliches Zeitarchiv 2001, Heft 1, S. 99 ff.; 99; vgl. C.M.V. Abegglen, Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmaßnahmen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der Kriegsschwelle.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 7 C.M.V. Abegglen, Phänomen der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle. Darstellung der Wurzeln, Mittel, Bedrohung und Gegenmaßnahmen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/gewalt_unterhalb_der Kriegsschwelle.htm, Internet vom 13.06.2006, S. 7 Herfried Münkler, Guerillakrieg und Terrorismus, in: Neue Politische Literatur 1980, S. 299 ff.; 299 f.; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 27; vgl. Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 252; vgl. Rudolf JeĜábek, Zur Tätigkeit von „Partisanen“ in Österreich, nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Erwin A. Schmidl (Hrsg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945 – 1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien, Köln, Weimar 2000, S. 137 ff.; 137; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 199 Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 18; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 11 ff.; 18; vgl. Peter Waldmann, Terrorismus als weltweites Phänomen: Eine Einführung, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 11 ff.; 18; vgl. Franz Wördemann, Terrorismus. Motive, Täter, Strategien, München, Zürich 1977, S. 27; vgl. Benjamin Netanyahu, Plädoyer für eine westliche Strategie, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 183 ff; 183; vgl. Walter Laqueur, Postmodern Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 151 ff.; 152 vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 31
269
Jahren an sich grundsätzlich pazifistisch eingestellte, westeuropäische Intellektuelle,1857 bei denen der bewaffnete Kampf als eine ernstzunehmende politische Strategie verstanden wurde1858 und nicht selten ist im linksliberalen politischem Spektrum in der Bundesrepublik Deutschland die Forderung nach Abschaffung der „Terrorismusgesetze“ mit der Behauptung erhoben worden, diese dienten der „Kriminalisierung politischen Widerstandes“.1859 Es wurde gar versucht, die Anwendbarkeit des Völkerrechts auf die Mitglieder und Sympathisanten dieser Gruppierung auszudehnen.1860 Die Angehörigen der RAF selbst propagierten die Organisation von bewaffneten Widerstandgruppen für gerechtfertigt1861 und stilisierten sich selbst als „Guerilla“, die das lateinamerikanische Konzept1862 der „Stadtguerilla“1863 übernommen hatten, und ordneten den „Terror“ dem Staat zu.1864 „… [Die] Gewalt [wurde als] das Instrumentarium [definiert], mit dessen Hilfe in der antagonistischen Klassengesellschaft, bei Bestehen unversöhnlicher Interessen also, eine Gruppe von Menschen einer anderen ihren Willen aufzwingen kann. Zunächst und vor allem geht sie von den Herrschenden aus, in Gestalt der Staatsmacht, …“1865 In Abhängigkeit von der Durch1857 1858 1859
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Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 15; vgl. David Th. Schiller, Palestinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palestinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 19 ff. ID-Verlag, Vorbemerkung, in: Stefan Wisnewski, Wir waren so unheimlich konsequent… . Ein Gespräch zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, S. 5 ff.; 6 Manfred Klink, Innere Sicherheit – Strategien zur polizeilichen Bekämpfung des Terrorismus, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 359 ff.; 364; Dementsprechend sollten die inhaftierten Terroristen ihren Standort erklären und den Einstieg zum „Dialog mit der Gesellschaft“ definieren. (Werner Kahl, Vorsicht Schusswaffen! Von kommunistischem Extremismus, Terror und revolutionärer Gewalt, München 1989, S. 207 f.) Zu den Ideologien der RAF vgl auch.: Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien, Opladen 1981; Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 97 Rote Armee Fraktion, Das Konzept Stadtguerilla, in: Axel Schubert, Stadtguerilla. Tupamaros in Uruguay – Rote Armeefraktion in der Bundesrepublik, Dachau 1972, S. 108 ff.; 111 f.; vgl. David C. Rapoport, The Four Waves of Rebel Terror and September 11, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 36 ff.; 41 Zu den Konzepten der mittel- und südamerikanischen Bewegungen vgl: Robert F. Lambert, Die Guerilla in Lateinamerika. Theorie und Praxis eines revolutionären Modells, München 1972; Stahel führt aus, dass gerade die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) der 1970er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland Nutzen aus der Konzeption Marighellas bzw. seiner Ausführungen gezogen hat und deren Nachfolger in den 1980er Jahren die Kaderguerilla begründet haben. (Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 179) vgl. den Abdruck des RAF-Textes: „Dem Volk dienen. Stadtguerilla und Klassenkampf“, in: ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion, Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, S. 112 ff. Rudolf Walther, Terror, Terrorismus, in: Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Kosellek (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache Deutschlands, Bd. 6, Stuttgart 2004, S. 323 ff.; 440 f.; vgl. Jana Kunath, RAF. Die Reaktion des Staates auf den Terrorismus der Roten Armee Fraktion, Marburg 2004, S. 27 ff.; vgl. Ermittlungsinitiative Frankfurt über die Vorgänge vom 17./18.10.1977 in Stammheim, „Von all dem haben wir nichts gewusst …“, Dokumentation über den 17./18.10.1977 in Stammheim und Mogadischu, Frankfurt 1978, S. 3 Martin Robbe, Verlockung der Gewalt. Linksradikalismus – Anarchismus - Terrorismus, Berlin 1981, S. 137; Der „Terror“ wurde seitens der späteren Begründer der RAF dem Staat zugeschrieben; die eigenen Aktionen besäßen dagegen „Notwehrcharakter“. (vgl. Ulrike Meinhof, Deutschland Deutschland unter anderem. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1995, S. 129)
schlagskraft und der Kollektivwirkung gelten die Terroristen in der Folge als Rebellen, um bei weiterem Machtzuwachs schließlich als Opposition – unter Umständen mit parlamentarischen Mitteln – anerkannt zu werden, mit der legitimen Möglichkeit, die Regierung abzulösen.1866 Am Ende werden die Illegalen zu den Legalen, den Gesetzgebern von morgen gemacht.1867 Gleichzeitig wurde der Begriff „Innere Sicherheit“ als ein politischer Kampfbegriff angesehen, nämlich als eine Umschreibung der staatlichen Reaktionen.1868 „Der Rückschlag imperialistischer Außenpolitik in die Innenpolitik, die Verlagerung der Auseinandersetzung in die Zentren selbst, die Einbeziehung der ruhig geglaubten Metropolen durch die Stadt-Guerilla erforderte eine neue Strategie des Staatsapparates: die Reform der Inneren Sicherheit.“1869 Dieser Punkt wirft auch das Problem auf, dass ein jeder Staat Widerstand gegen seine grundlegende Ordnung ablehnen muss. Diese Frage nach der Rechtfertigung eines Widerstandsrechts gegen die jeweils bestehende Rechtsordnung ist so alt wie die Rechtsgeschichte und gehört zu den Grundfragen der Rechtsphilosophie, die nur beantwortet werden kann durch den unmittelbaren Rückgriff auf den Geltungsgrund des Rechts als den archimedischen Punkt des Rechts.1870 Denn wo ein Widerstandsrecht verfassungsmäßig verankert ist, soll eine Situation rechtlich geregelt werden, in der die rechtlichen Regelungen versagen: Die Abhilfe durch das Widerstandsrecht ist die Abhilfe in den rechtlich geregelten Bahnen der Verfassungs- und Rechtsordnung und gerade ihre Unmöglichkeit ist Voraussetzung für das Widerstandsrecht,1871 da die souveränen Staaten als Richter in eigener Sache entscheiden und jeder Staat sein Unternehmen als gerechte Sache ansehen wird.1872 Carl Schmitt stellte bereits zu diesem Problem fest, dass der Legitimitätsanspruch jeden Widerstand und jede Gegenwehr zum Unrecht und zur Rechtswidrigkeit, zur „Illegalität“ mache.1873 Der Widerstandswillige bewegt sich damit auf dem schmalen Grad zwischen dem Risiko des Vorwurfs der Konterrevolution im Fall des Scheiterns einerseits und dem Verstoß gegen pönalisierte Normen der bestehenden Ordnung im Falle der Fehleinschätzung der Gefahr andererseits.1874
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Heinrich Oswald, Wilhelm Tell, Terrorist? Arnold Winkelried, Selbstmordattentäter? In ASMZ 2003, Heft 7/8, S. 32 Hanns von Krannhals, Illegale Volksbewaffnung, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1963, S. 262 ff.; 263 vgl. Ernst-Heinrich Ahlf, Erweiterter Sicherheitsbegriff und Polizei – Ein Essay -, in: Die Polizei 2002, S. 93 ff.; 94 f. Ermittlungsinitiative Frankfurt über die Vorgänge vom 17./18.10.1977 in Stammheim, „Von all dem haben wir nichts gewusst …“. Dokumentation über den 17./18.10.1977 in Stammheim und Mogadischu, Frankfurt 1978, S. 3 Karl Doehring, Das Widerstandsrecht des Grundgesetztes und das überpositive Recht, in: Der Staat 1969, S. 429 ff.; 429 Bodo Pieroth, Bernhard Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 3. Aufl., Heidelberg 1987, RN 1116 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 741; Dementsprechend wird der Versuch der verfassungsmäßigen Positionierung eines überpositiven Rechts auf Widerstand durch seine Verankerung in Art 20 GG nicht als gelungen angesehen. (vgl. Herfried Münkler, Widerstandslehren, in: Dieter Nohlen [Hrsg.], Lexikon der Politik, Bd. 1, Politische Theorien, München 1995, S. 691 ff.; 695) Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 6. Aufl., Berlin 1998, S. 31 Rudolf Dolzer, Der Widerstandsfall, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 455 ff.; 476
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Für seine Akteure ist also Terrorismus oftmals eine Form der Kriegführung,1875 ein in die Stadt getragener Guerillakrieg.1876 Terroristen betrachten sich oftmals als Opfer, die sich gegen ihre vermeintlichen Unterdrücker in einem Freiheitskampf wähnen1877 und beanspruchen, wenn sie gefasst werden, häufig für sich den Status von Kriegsgefangenen,1878 verweigern aber ihrerseits ihren Geiselopfern eine entsprechende Behandlung nach der Genfer Konvention. Dagegen bezeichnen Staaten Terrorismus für gewöhnlich als „politisch motivierte Kriminalität“,1879 als eine Sonderform des Verbrechens, um eine weltweite Ächtung der Täter herbeizuführen und um zu verhindern, dass ihnen der respektierte Status von kämpfenden Soldaten eingeräumt wird.1880 Diese Ansätze sehen im Terrorismus einen Aspekt der internationalen organisierten Kriminalität und untersuchen seine Erscheinungsformen unter dem Gesichtspunkt der Verbrechensbekämpfung.1881 Die verallgemeinernde Kriminalisierung irregulärer Gruppierungen spricht dem bewaffneten Opponenten jedwede politische Motivation und positive Anerkennung ab.1882 Die Begriffe Freiheitskämpfer, Partisan, Guerillero oder Terrorist werden zumeist nicht nur im historischen, rechtlichen oder militärwissenschaftlichen Kontext verwendet, sondern auch mit einer politischen, moralischen Wertung versehen.1883 Zumindest dient die Bezeichnung der Distanzierung von der Tat.1884 Mithin fließt immer ein ethisches Kriterium in die Ächtung eines Gewaltaktes als „terroristisch“ mit ein, welches damit zwangsläufig auch von subjektiven Stanpunkten abhängig ist.1885 Die Definitionen werden somit sowohl deskriptiv als auch wertend verwendet.1886 Folglich werden ethischer Wert oder Unwert
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Caleb Carr, Terrorismus – Die sinnlose Gewalt. Historische Wurzeln und Möglichkeiten der Bekämpfung, München 2002, S. 12; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. Inside Modern Revolutionary Warfare, Dulles, Virginia 1990, S. 27 Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff. 22; vgl. Alex Schubert, Die Stadtguerilla als revolutionäre Kampfform, in: Axel Schubert, Stadtguerilla. Tupamaros in Uruguay – Rote Armeefraktion in der Bundesrepublik, Dachau 1972, S. 7 ff.; 7 ff. Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 2 vgl. Martin Robbe, Verlockung der Gewalt. Linksradikalismus – Anarchismus - Terrorismus, Berlin 1981, S. 174 Dieter Schröder, Terroristen ohne strategischen Plan. SZ-Gespräch mit dem Hamburger Verfassungschützer Christian Lochte, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 66 ff.; 66 Caleb Carr, Terrorismus – Die sinnlose Gewalt. Historische Wurzeln und Möglichkeiten der Bekämpfung, München 2002, S. 10; vgl. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 11 Gerhard Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht. Militärische Zwangsanwendung, Selbstverteidigung und Schutz der internationalen Sicherheit, Aachen 1998, S. 5; vgl. Rolf Schroers, Der Partisan. Mensch im Widerstand, Münster 1989, S. 19 vgl. John J. Tierney, Jr., Chasing Ghosts. Unconventional Warfare in American History, Dulles, Virginia 2006, S. 8; vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, 1. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002, S. 175 Nikolas Fuyuki Kuramochi, Partisanen – Guerilla – Terroristen, 44. Historisch-Taktische Tagung (2004) in: http://142.160.99.164/flkdo/Fachinformationen/Bibliothek/Vortraege/HiTaTa/_562004.h, Internetrecherche vom 15.07.2004, S. 197 ff.; 202 vgl. Maxwell Taylor, The Terrorist, London, Oxford, Washington, 1998, S. 2 Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699 Lawrence Freedman, Die Auswirkung des Terrorismus auf die internationale Sicherheit, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2002, Bd. 2, Hamburg, Berlin, Bonn 2002, S. 483 ff.; 485; vgl. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 11
durch das Ziel bestimmt, dem die Erscheinung dient.1887 Demnach ist die Definition des Terrorismus auch ein moralisches Problem1888 und die rechtliche und moralische Beurteilung ist eine Frage des politischen Interesses.1889 Mithin enthält die jeweilige Bezeichnung bereits ein rechtliches, zumindest aber ein moralisches (Wert-) Urteil. Die Kriminalisierung dient dazu, die Akteure vom Rest der Gesellschaft zu isolieren und damit auch die soziale oder auch politische Rechtfertigung zu nehmen.1890 Mithin dient das Wort „Terrorismus“ auch weniger der Differenzierung als der Degradierung, weniger der Analyse als der Ächtung.1891 Begriffe mit einem heroischen und patriotischen Beigeschmack werden in diesem Kontext aus dem psychologischen Interesse heraus, politisch Kriminelle abwertend zu bezeichnen, abgelehnt.1892 Insofern greift hier die Propaganda auf das bewährte Mittel zurück, den Feind zu verteufeln, indem er als brutales, gieriges, grausames und schonungsloses Wesen geschildert wird, welches von Zerstörungswut und blindem Hass erfüllt ist.1893 Mithin handelt es sich beim „Terrorismus“ nicht um einen wissenschaftlichen Fachbegriff, sondern um einen politischen Kampfbegriff,1894 der zu einem „schmutzigen Wort“1895 geworden ist. Folglich sind die hier beschriebenen Ansätze letztendlich normativer Art und werden somit durch ihre wertende Darstellung ihrerseits Teil einer Ideologie im Sinne einer politisch-weltanschaulichen Wertung.1896
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1892 1893 1894 1895 1896
Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Problem, Wiesbaden 1986, S. 263 vgl. Grant Wardlaw, Political Terrorism.Theory, tactics and counter-measures, 2. Aufl., Cambridge 2002, S. 4 f.; vgl. Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 699 Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald?, Bremen 1964, S. 25 Adrian Guelke, The Age of Terrorism and the International Political System, London, New York 1998, S. 21 f.; vgl. Jutta Bakonyi, Cord Jakobeit, Internationale Kriminalität/Internationaler Terrorismus, , in: Siegmar Schmidt, Gunter Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, Wiesbaden 2007, S. 660 ff.; 665 Sebastian Scherer, Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien, Lüneburg 2002, S. 19 f.; vgl. David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palästinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 50; vgl. Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 11; vgl. Bernard Anet, Nuklearterrorismus, Eine unmittelbare Bedrohung?, in: Sicherheitspolitik, 2003, Heft 2, S. 12 ff.; 12; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 199 Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald?, Bremen 1964, S. 9 vgl. Heinrich von Stietencron, Töten im Krieg. Grundlagen und Entwicklungen, in: Heinrich von Stietencron, Jörg Rüpke (Hrsg.), Töten im Krieg, Freiburg, München 1995, S. 17 ff.; 47 Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 2 Walter Laqueur, Preface, in: Walter Laqueur (Hrsg.), Voices of Terror, Manifestos, Writings and Manuels of Al Qaeda, Hamas, and other Terrorists from around the World and throughout the Ages, New York 2004, S. 1 ff.; 3 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 309
273
4.10.2.6
Zwischenergebnis
Allerdings liegt die Steigerung der Wirkungsmöglichkeit des Terrorismus in der engen Verbindung mit Guerillabewegungen.1897 Zwischen Guerilla und Terroristen lassen sich keine exakten Trennlinien ziehen, vielmehr sind die Übergänge in vielen Konflikten fließend und regional bedingt.1898 Somit lässt sich die Grenze zwischen den Phänomenen letztendlich nicht scharf ziehen und die Begriffe verschwimmen, wie auch die Konturen der Akteure.1899 Terrorismus und Freiheits- bzw. Partisanenkampf entwickeln sich dort, wo reguläre konventionelle Kriegsführung die eigenen Kapazitäten übersteigt1900; als Ausweichmanöver, um die für konventionelle Kriege typischen massiven Truppenkonzentrationen zu umgehen.1901 Dementsprechend wurden diese Formen des bewaffneten Kampfes mit neuen Dimensionen dem so genannten großen oder auch begrenzten Krieg regulärer, konventioneller Streitkräfte zur Seite gestellt.1902 Die uralte Form der Kleinkriegsführung ist nach allen Erfahrungen eben doch nicht veraltet.1903 4.10.3
Terrorismus als Methode
Dabei handelt es sich beim Terrorismus um einen politischen Begriff, bei dem es unvermeidlich um Macht geht: um das Streben nach Macht, um den Erwerb von Macht und den Gebrauch von Macht zur Durchsetzung politischen Wandels.1904 Er ist insofern eine meist indirekte Kampfart um Aufsehen, Legitimation und Macht.1905 Und da, wo ernsthaft um Macht gekämpft wird, fallen vor dem Willen zum Erfolg die moralischen Grundsätze, Überzeugungen, laut verkündete Ideale meist sehr rasch zu Boden – oder sie werden „angepasst“ und ohne Stütze durch ein reales Machtinteresse hat sich noch keine Ideologie auf die Dauer als lebensfähig erwiesen.1906 Der materielle Verlust, den der Feind erleidet, spielt 1897 1898 1899 1900 1901
1902 1903 1904 1905 1906
274
Werner Hahlweg, Moderner Guerillakrieg und Terrorismus. Probleme und Aspekte ihrer theoretischen Grundlagen als Widerspiegelung in der Praxis, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 118 ff.; 127 Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 17 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 309; vgl. Christian Meiser, Christian von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, Baden-Baden 2005, S. 16 Alfred Schätz, Der transnationale Terrorismus nach dem 11. September. Sicherheitspolitische und nachrichtendienstliche Konsequenzen, in: ÖMZ 2002, S. 279 ff.; 279 Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000, S. 17; vgl. Mary H. Kaldor, Principles for the Use of the Military in Human Security Operations, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 388 ff. 389 f. Werner Hahlweg, Theoretische Grundlagen der modernen Guerilla und des Terrorismus, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 13 ff.; 22 Max Barthel, Eugen Th. Rimli, Krieg auf Schweizerboden? Landesverteidigung - vom Ernstfall aus gesehen, Zürich 1938, S. 82 Bruce Hoffmann, Terrorismus. Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt am Main 1999, S. 15 Albert A. Stahel, Terrorismus und Marxismus. Marxistisch-Leninistische Konzeptionen des Terrorismus und der Revolution, Frauenfeld 1987, S. 20 Gerhard Ritter, Machtstaat und Utopie, München, Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus, Berlin 1941, S. 32
in dieser Strategie des Terrorismus eine untergeordnete Rolle: nicht die physische Vernichtung von Menschen und Material und damit die unmittelbare Schädigung der Kampfkraft wird angestrebt, sondern die psychologische Auswirkung des terroristischen Aktes auf die Umgebung,1907 die Erschütterung des Willens.1908 Der Terror zielt auf eine psychologische Zermürbung und ist eine Taktik der Ermattung und der Polarisierung, um eigene Schwäche mit der Verwundbarkeit des Gegners zu kompensieren.1909 Dennoch kann hierbei eine erhebliche Bandbreite von Mitteln und Methoden zum Einsatz kommen. Während Krieg das Mittel der Starken ist, ist Terrorismus das Mittel der Schwachen1910 als die letzte Form der Eskalation von Gewalt1911 und nicht sein Zweck1912, sondern seine Hauptwaffe.1913 Der systematische Gebrauch des Terrors ist eine Methode1914 auf taktischer Ebene1915 und dient mithin zumeist einem strategischen Ziel.1916 In der Strategie ist man gezwungen, die zahlenmäßige Unterlegenheit hinzunehmen; diese Schwäche wird aber dadurch ausgeglichen, dass in der Taktik das kräftemäßige Verhältnis ausgeblichen, bzw. eine kräftemäßige Überlegenheit hergestellt wird und sich diese Kampfform dabei von der Schwäche zur Stärke entwickelt, bis es die Umkehrung des Kräfteverhältnisses erlaubt, zur „allgemeinen Gegenoffensive“ überzugehen.1917 Für Bakonyi stellt der Terror somit auch eine bestimmte Methode des Einsatzes politischer Gewalt dar und bezeichnet im Unterschied zum Krieg kein eigenständiges Gewaltphänomen.1918 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Krieg als Fortsetzung der Politik ebenfalls kein eigenständiges Gewaltphänomen darstellt. Allerdings unterwirft sich der Terror 1907 1908 1909 1910
1911 1912 1913 1914 1915 1916
1917 1918
P. B., Tendenzen im europäischen Terrorismus, in: ÖMZ 1985, S. 434 ff.; 434 Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 80 Rudolf Adam, Prävention und moderne Terrorismusformen, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 195 ff.; 195 vgl. David Fromkin, Die Strategie des Terrorismus, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 83 ff.; 86; vgl. Ian. O. Lesser, Countering the New Terrorism: Implications for Strategy, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S. 85 ff.; 85; vgl. Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. xxviii; vgl. Michael Stürmer, Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Hamburg 2006, S. 171; vgl. Michael Stürmer, Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte, Berlin, München 2001, S. 140 Otfried Höffe, Lexikon der Ethik, 6. Aufl., München 2002, S. 93 Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 65 vgl. Alastair Buchan, Der Krieg in unserer Zeit. Wandlungen und Perspektiven, Politik, Strategie und Technik, Gefahren und Kontrolle, München 1968, S. 91 Erhard Eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt, Frankfurt am Main 2002, S. 20 vgl. Ian F. Beckett, Encyclopedia of Guerrilla Warfare, S. 231; vgl. Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. xxviii vgl. Manfred Funke, Terrorismus - Ermittlungsversuch zu einer Herausforderung, in: Manfred Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bonn 1977, S. 9 ff.; 13; In diesem Sinne bezeichnet Waldmann „Terrorismus“ auch als eine „Strategie der Gewalt“ (Peter Waldmann, Terrorismus, in: Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze [Hrsg.], Lexikon der Politikwissenschaft, Theorien, Methoden, Begriffe, Bd. 2., N-Z, München 2004, S. 980 ff.; 980) vgl. J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 537 Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 9
275
keiner völkerrechtlichen Kodifizierung und erkennt keine Regeln an. Der Terror entwickelte sich aus der Unfähigkeit, Krieg zu führen, und ist somit ein Mittel der Machtlosigkeit1919 mit einem – aus der Sicht des Täters – enormen Kosten-Nutzen-Faktor in der Beziehung von Aufwand und Wirkung.1920 Seine Taktik erweist sich mithin besonders wirksam in Zeiten des äußeren Friedens.1921 Dabei zeichnet sich terroristische Gewalt durch den rücksichtslosen und verschlagenen, keine Konventionen respektierenden Gebrauch aller zur Verfügung stehenden Waffen und Methoden aus.1922 Durch den Terror entdeckten diese Organisationen die Ohnmacht als Macht.1923 Terrorismus kann somit auch verstanden werden als systematische Verletzung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts durch Angriffe auf militärische oder nichtmilitärische Ziele, um die (politische) Führung des Gegners zu zwingen, den Forderungen des Terroristen Folge zu leisten, indem sie durch diese Angriffe erpresst wird.1924 4.10.4
Zwischenergebnis
Mithin lässt sich feststellen, dass Terrorismus ein Phänomen darstellt, dessen Einordnung nicht zuletzt einer interessenbedingten Wertung unterliegt1925 und das sich aufgrund seiner vielfältigen und wechselnden Ausdrucksformen einer exakten und endgültigen Definition entzieht.1926 Der Terrorismus setzt darauf, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Gegners zu beeinträchtigen und zu zerstören; mithin sind seine Ziele auch oftmals symbolischer Natur und umfassen Richter, Ärzte, Regierungsangehörige, zivile Gefahrenabwehreinrichtungen und ihr Personal, Wirtschafts- und Handelszentren sowie zufällige Gelegenheitsopfer, einschließlich gewöhnlicher Bürger.1927 Terrorismus ist nicht ein Feind,1928 Gegner oder sonstiges Gegenüber, sondern eine Methode auf taktischer Ebene, welche zumeist operativen oder strategischen Zielen dient.
1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928
276
Alfred Schätz, Der transnationale Terrorismus nach dem 11. September. Sicherheitspolitische und nachrichtendienstliche Konsequenzen, in: ÖMZ 2002, S. 279 ff.; 279 Walter Feichtinger, Ein Jahr „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, in: ÖMZ 2003, S. 163 ff.; 163 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsgebot und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: BayVBl. 1986, S. 737 ff.; 740 Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armeeeinsätze unterhalb der Kriegsschwelle, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 152; vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 77 Alfred Schätz, Der transnationale Terrorismus nach dem 11. September. Sicherheitspolitische und nachrichtendienstliche Konsequenzen, in: ÖMZ 2002, S. 279 ff.; 279 Klemens Fischer, Humanitäts-, Kriegs- und Neutralitätsrecht sowie Kulturgüterschutz. Ein Leitfaden durch das Völkerrecht für die Truppe, Wien 1991, RN 140 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 310 Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 2 vgl. David L. Bongard, William R. Schilling, Terrorist Operations in Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 53 ff.; 54 Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. xxviii; vgl. Michael Stürmer, Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben? Hamburg 2006, S. 171 f.
4.10.5
Terroristische Einsatzmittel und Grundsätze
Eine Meinung in der Literatur kommt zu der Auffassung, dass sich der Terrorist nicht militärischer Kampfmittel bediene.1929 Tatsächlich sind ihnen aber in Taktik und Technik gewisse soldatische Züge eigen.1930 (Automatisches) Gewehr und Panzerfaust sind allerdings auch originär militärische Waffen; Handgranaten, Minen und Sprengstoffe sind entsprechende Kampfmittel. Die Mehrzahl der Terroranschläge wird auf „konventionelle“ Art mit Bomben und Schusswaffen ausgeführt, wenngleich die Anschläge in logistischer, technischer und operativer Hinsicht immer komplexer werden.1931 Entscheidend ist allerdings, dass sich der Terrorismus zur Durchsetzung seiner Ziele der Mittel bedient, die ihm zur Verfügung stehen und die nach Einschätzung seiner Akteure gewährleisten, diese Ziele zu erreichen.1932 Dabei werden Waffen in konventioneller wie auch in unkonventioneller Weise eingesetzt, um erwünschte Wirkungen zu erzielen1933, das heißt, Waffen und Wirkmittel können auch entgegen ihrer ursprünglichen militärischen konzeptionellen Bestimmung eingesetzt werden, indem beispielsweise Panzerabwehrwaffen gegen Hubschrauber zur Wirkung gebracht werden. Zudem werden in Ermangelung adäquater zur Verfügung stehender Bewaffnung alle Gegenstände zur Waffe umfunktioniert, die erreichbar sind1934 und irgendwie geeignet erscheinen. Improvisation und die Fähigkeit hierzu ist gerade für Irreguläre Kräfte eine wesentliche Komponente in der Auseinandersetzung. Der Phantasie des Irregulären sind insofern keine Grenzen gesetzt. Entscheidender Orientierungspunkt bei der Wahl der Mittel und Vorgehensweisen ist – wie oben bereits festgestellt – also nicht die Frage des Rechts, sondern die Frage der Effektivität und Verfügbarkeit der Einsatzmittel und der mögliche Erfolg des taktisch-operativen Vorgehens. Uns so können neben konventionellen Waffen auch alle anderen Waffen und Kampfmittel – einschließlich Massenvernichtungswaffen – zum Einsatz kommen. Die technologische Entwicklung eröffnet unerlässlichen Zugang zu derartigen Waffen.1935 Zukünftig kann das Waffenarsenal zudem unkonventionelle Waffen wie entführte Flugzeuge, Autobomben, explodierende Kleinboote als auch roboterähnliche Waffen, wie GPS1936-gelenkte Drohnen bzw. sogenannte unbe1929
1930
1931
1932 1933 1934 1935 1936
Dieter Schröder, Das Kalkül des Terrors, Opfer kann jeder werden in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 9 ff., 10; vgl. Katja Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetztes, Hamburg 2005, S. 53 vgl. Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald?, Bremen 1964, S. 25; Zu den modernen Kampfmethoden, Verfahren und Einsatzmitteln Irregulärer Kräfte vgl. H. John Poole, Tactics of the Crescent Moon, Militant Muslim Combat Methods, Emerald Isle 2004; vgl. Ahmed S. Hashim, Insurgency and CounterInsurgency in Irak, London 2006, 125 ff. Kai Hirschmann, Terrorismus in neuen Dimensionen. Hintergründe und Schlussfolgerungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 7 ff.; 9; vgl. Herfried Münkler, Psychische und ökonomische Ermattung. Die neuen Strategien des Terrorismus und die Abwehrmöglichkeiten des demokratischen Staates, in: SZ vom 27. Juni 2006, S. 13 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 310 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 32 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 32 Walter Laqueur, Forword, in: Walter, Reich, Orgins of Terrorism, Psychologies, Ideologies, Theologies, States of Mind, Washington D.C. 1998, S.ix GPS ist die Abkürzung für ein satellitengestütztes Navigationssystem, Global Positioning System,
277
mannte Luftfahrzeuge (unmanned aerial vehicles, UAV)1937, umfassen.1938 Taktische, operative sowie strategische Konzeptionen sind immer auch Funktion von Qualität und Quantität verfügbarer Waffen und sonstiger Fähigkeiten.1939 Der Einsatz, auch wenn er nach regulären militärischen Kriterien als „unkonventionell“ beurteilt wird, orientiert sich dennoch an der üblichen militärischen Logik.1940 Die taktischen Probleme eines „Heckenschützen“ oder „Snipers“ sind die gleichen wie die eines rechtmäßig handelnden Soldaten, der als Scharfschütze eingesetzt ist: Die Annäherung, die Tarnung der Stellung, die unbemerkte Schussabgabe und vor allem das unerkannte Ausweichen stellen für beide – den Heckenschützen und den Scharfschützen – die gleichen taktischen Herausforderungen dar. Irreguläre verstehen es aber – insbesondere in sozialistischer Dialektik – „vorurteils- und ideologiefrei“ Dinge zu betrachten und für ihre Zwecke einzusetzen. Carl Schmitt stellte bereits fest, dass die moderne Technik sowohl für den Irregulären wie für die regulären Kräfte, die ihn bekämpfen, immer stärkere Waffen und Einsatzmittel liefert.1941 Folglich nutzen Terroristen in pragmatischer Weise militärische Organisationsformen, Mittel, Techniken und Einsatzverfahren und orientieren sich hinsichtlich einer Beschränkung auch nur am Erfolg der Aktion. Trotz signifikanter Unterschiede Irregulärer Gruppierungen gleichen sie sich in ihren unkonventionellen Methoden und ihre Operationen reflektieren die „Strategische Kultur des Schwachen” als Gemeinsamkeit.1942 5.
Die Auflösung der Begriffe zum Irregulären und zum modernen Kleinkrieg
Für die irregulären Erscheinungen gibt es also verschiedene Bezeichnungen. Diese sind – wie ausgeführt – oftmals geprägt durch bestimmte Perspektiven auf die Phänomene und haben nicht selten wertende Bedeutung. Eindeutige Abgrenzungen zwischen den Begriffen lassen sich ebenfalls schwierig herausarbeiten. Bisherige Betrachtungen haben sich mit dem Problemfeld vornehmlich von einem bestimmten Standpunkt, aus einer bestimmten Perspektive, fokussiert auf einen bestimmten Gesichtpunkt, mit einer besonderen historischen Fragestellung oder auf einer bestimmten Ebene des Gegenstandes beschäftigt und oftmals die Ganzheitlichkeit der Erscheinungen mit ihren vielfältigen Interdependenzen außer Acht gelassen. Dennoch haben sich bestimmte Merkmale als beständig herausgestellt, die es rechtfertigen, einen einheitlichen Begriff festzulegen. Der Begriff des „Irregulären“ soll hier gewählt werden, weil unter ihm zwar bestimmte Merkmale zu subsumieren sind, die sein Wesen ausmachen, er aber gleichzeitig die Regellosigkeit des Phänomens widerspie1937 1938
1939 1940 1941 1942
278
Samuel M. Katz, U.S. Counterstrike. American Counterterrorism, Minneapolis 2005, S. 45 Bruce Berkowitz, The new Face of War. How War will be fought in the 21st Century, New York 2003, S. 17; vgl. Erich Hochleitner, International Terrorism, A New Challenge to Moderrn Western Society, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (Hrsg.), Nuclear Material Protection, ÖMZ Sonderheft, 2003, S. 5 ff.; 6. Zu den technischen und taktischen Möglichkeiten von Drohnen vgl. Burkhard Theile, Technologies against Terrorism, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 407 ff.; 411 Günter F.C. Forsteneichner, Neue Formen der Bedrohung der internationalen Sicherheit. Terrorismus – Proliferation – Organisierte Kriminalität – Migration. Erscheinungsformen – Bewältigung – sicherheitspolitische Aspekte, IAP- Sonderheft 2001, S. 5 vgl. Charles Townshend, Terrorismus, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005, S. 15 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 19 vgl. John J. Tierney, Jr., Chasing Ghosts. Unconventional Warfare in American History, Dulles, Virginia 2006, S. xii
gelt, ohne zwingend diskriminierend zu sein. Auch die Kampfform, in der sich „Reguläre“ und „Irreguläre“ Kräfte begegnen, verlangt nach einer einheitlichen Bezeichnung. Der Begriff „Kleinkrieg“ erscheint hier der praktikabelste zu sein. Allerdings ist es angebracht, den Terminus „modern“ hinzuzufügen, da dem Kleinkrieg der Vergangenheit etwas Ursprüngliches und Zufälliges anhaftete und der „moderne“ Kleinkrieg zu einem von den Machtgruppen geförderten und geplanten Mittel der Subversion und Einflussnahme und damit echte „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ geworden ist.1943 Mithin ist der der Irreguläre Kampf im modernen Kleinkrieg die Suche nach Möglichkeiten – unter Einschluss gewaltsamer Mittel – die Überlegenheit des Gegenübers zu unterlaufen, um langfristig die eigene Überlegenheit auf allen Ebenen herzustellen. 6.
Historische Ansätze des Irregulären Kampfes
Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder Ansätze gegeben, kräftemäßig überlegenen Mächten mit den Mitteln des Irregulären Kampfes entgegenzutreten. Das Gegenüber konnte eine fremde Besatzungsmacht sein, eine unliebsame Regierung oder Staatsführung oder Opponenten im Kampf um die Vorherrschaft im Staat bzw. in einem bestimmten geographischen Raum. Nachfolgend soll untersucht werden, inwieweit Konzepte des Irregulären Kampfes von verschiedenen Akteuren unterschiedlicher Herkunft in ungleichen Situationen erdacht bzw. weiterentwickelt wurden. 6.1
Die preußischen Militärreformer
Strategische Analysen und Konzeptionen über die Irreguläre Kriegführung sind Ausfluss der militärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema, die erst im 18. Jahrhundert begann und die zur Erstellung von Anleitungen für die Ausbildung, Führung und Einsatz führte.1944 In Preußen waren es von den Reformern - neben weiteren - namentlich Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz, welche sich, jeder auf seine Art, mit den Folgen des Kleinen Krieges beschäftigten.1945 Für sie stellte sich die Problematik in der Verbindung: Kleiner Krieg, leichte Truppen, neue (zerstreute) Fechtweise, das Ganze wiederum im Zusammenhang mit den neuen sozialen, geistigen, politischen und ökonomischen Impulsen einer Epochenscheide, der besonderen Situation Preußens und der Erkenntnis, möglicherweise einen Volkskrieg führen zu müssen.1946 Der kleine Krieg erschien unlöslich, geradezu schicksalhaft verbunden mit der Existenzfrage des Preußischen Staates, mit allen Planungen der Reformer, eine Befreiung des Landes herbeizuführen.1947
1943 1944 1945 1946 1947
Karl Johanny, Der Tatbestand des Kriegsverbrechens und Moderner Kleinkrieg unter Berücksichtigung der Legitimität der Teilnehmer, Dissertation, Würzburg 1966, S. 10 Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 25 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 12 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 16 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 18
279
6.1.1
Scharnhorst
Gerhard Johann David von Scharnhorst hatte in den Jahren 1793 bis 1795 die Einsicht in den Zusammenhang der militärischen mit der gesellschaftlichen und politischen Verfassung durch seine Teilnahme am Koalitionskrieg gegen die französischen Revolutionsheere gewonnen, in denen er einen Krieg zweier Gesellschaftssysteme, zweier Staatsordnungen mit ganz verschiedener Anteilnahme der Bürger erkennt.1948 Nachdem Preußen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt 1806 eine vernichtende Niederlage erlitten hatte und im Frieden von Tilsit 1807 fast die Hälfte seines Territoriums und seiner Bevölkerung abtreten musste, das Heer bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft war, entwickelten hohe Beamte und Offiziere Reformprogramme, darunter auch die Militärreform, die Preußen helfen sollte, die Krise zu überwinden, den Staat zu reorganisieren und zu neuer Kraft aufzusteigen.1949 Man stand vor dem Problem, ob die Verteidigung Preußens das ausschließliche Vorrecht der regulären Truppen bleiben sollte.1950 Den preußischen Militärreformern um Scharnhorst ging es in ihrer „Reform von oben“1951 um eine Resymmetrierung des Kriegsgeschehens in Europa, indem den Franzosen gleichartige militärische Kräfte entgegengestellt wurden.1952 Die Überlegenheit der napoleonischen Armee, die vom Geist der Revolution und vom patriotischen Enthusiasmus getragen wurde, bestätigte die preußischen Reformer,1953 die Pläne für die Reorganisation des preußischen Heeres nach dem verlorenen Krieg von 1806/07 gegen Frankreich ausarbeiten sollten, indem sie das auf der überkommenen Grundlage beruhende altfriederizianische Heer von Grund auf erneuerten und dem modernen fortschrittlichen Kriegsbild anpassten, wie es von den Franzosen in den Revolutionskriegen der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts entstand und von Napoleon weiterentwickelt wurde.1954 Die wesentlichen Grundprinzipien der napoleonischen Kriegskunst 1948
1949
1950 1951
1952 1953 1954
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Theodor Schieder, Gerhard Johann David von Scharnhorst, in: Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, 1995, S. 14; vgl. Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 64; vgl. Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, 1. Aufl., Göttingen 2005, S. 75 ff. Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 59; vgl. Karl Griewank (Hrsg.), Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 1936, S. 81 ff.; vgl. Steven W. Knott, „Knowledge must become Capability“: Institutional Intellectualism as an Agent for Military Transformation, in: Williamson Murray (Hrsg.), A Nation at War in an Era of Strategic Change, o.OA. 2004, S. 21 ff.; 24 ff. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 25 f. Werner Gembruch, Die preußischen Reformer, in: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.), Piepers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 4, Neuzeit: Von der Französischen Revolution bis zum europäischen Nationalismus, München 1986, S. 79 ff.; 79; Theodor Schieder urteilt über Scharnhorst denn auch, dass dieser, wenn man ihn denn überhaupt als Revolutionär bezeichnen wolle, „… ein Revolutionär in der Sache [war] ohne jegliches Pathos der Revolution.“ (Theodor Schieder, Gerhard Johann David von Scharnhorst, in: Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg [Hrsg.], Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, Berlin 1956, 2. Bd. S. 402 ff.; 412) Herfried Münkler, Clausewitz’ Theorie des Krieges, 1. Aufl., Baden-Baden 2003, S. 16, FN 29; vgl. Theodor Schieder, Gerhard Johann David von Scharnhorst, in: Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg (Hrsg.), Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, 2. Bd., Berlin 1956, S. 402 ff.; 404 Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, 1. Aufl., Göttingen 2005, S. 76 f. Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983, S. 7. Zur Organisation des napoleonischen Heeres und den Ansätzen der Gefechtsführung vgl. Walter Nemetz, Napoleon Bonarparte, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 228 ff.; 238 ff.
waren Sicherung, strategische und taktische Initiative, Beweglichkeit, Konzentration und Überraschung.1955 Gerhard Ritter hat herausgearbeitet, dass der Erfolg Napoleons im Wesentlichen auf die von ihm entwickelte neue, bedeutend vereinfachende Gestalt und vor allem eine neue Dynamik der Kriegführung begründet war: die unerhörte Wucht seiner Offensive, Geschwindigkeit und verblüffende Kühnheit der Operationen ohne viel ängstliche Rücksicht auf rückwärtige Verbindungen, das Bestreben, an den Brennpunkten der Schlachtentscheidung stets mit überlegenen Kräften zur Stelle zu sein, insbesondere starke Reserven zur Verfügung zu halten, den ganzen Feldzug auf eine entscheidende Vernichtungsschlacht anzulegen und den geschlagenen Gegner sogleich bis zur völligen Auflösung zu verfolgen. Die wesentlichen Prinzipien der napoleonischen Kriegführung waren also, um es mit den heute gebräuchlichen Begriffen zu sagen: Konzentration der Kräfte durch klare Schwerpunktbildung, Aufrechterhaltung des Angriffsschwungs unter Ausnutzung des Moments der Überraschung, Schwerpunktbildung zur Herbeiführung der Entscheidung durch überlegene Kräfte zur Vernichtung des Gegners, Reservenbildung und Verfolgung.1956 Diese Elemente der Kriegführung ließen Napoleons Kriegsstrategie in seiner Zeit zu einem Ausbund an Modernität werden, dem seine Gegner über Jahre hinaus nichts Adäquates entgegenzusetzen hatten.1957 Aus der napoleonischen Kriegskunst, nach der alle Bewegungen militärischer Verbände auf die Entscheidungsschlacht zielten, es also zu einer Konzentration von Kräften in Raum und Zeit kam und sich der Fortgang des Kriegsgeschehens in Landgewinn und dem Verlust von Menschen und Material konkretisierte1958 und der Begeisterung seiner Volksarmee, sollten Konsequenzen gezogen werden.1959 Das Kriegsbild der preußischen Armee wurde im Jahre 1806 noch von der längst überkommenen Lineartaktik mit ihrer Manövrierkunst und der systematischen Manövrier- und Ermattungsstrategie bestimmt.1960 Die Erscheinungen der Lineartaktik waren im Einzelnen: der exerziermäßige kunstvolle Aufmarsch zur Schlacht auf offenem, ebenen Gelände; die fest geschlossene dreigliedrige Linie der Infanterie mit ihrem peinlich geregelten, ungezielten und schnellen Salvenfeuer; die nur zwei bis drei Treffen umfassende, in die Breite statt in die Tiefe ausgedehnte, aus dünnen Linien bestehende Schlachtordnung, in deren Zentrum die Infanterie mit der Regimentsartillerie und an deren Flanken die Kavallerie mit der Feldartillerie Aufstellung nahm; die exakte Schnelligkeit und Präzision der taktischen Evolutionen auf dem Schlachtfeld und die komplizierte Manövrierkunst; die nur geringe Selbstständigkeit der einzelnen Truppenteile; die geschlossene Kavallerieattacke, die den im Gefecht erzielten Erfolg auswertete, da die in Linie aufgestellte Infanterie zu einer Verfolgung nicht in 1955 1956 1957 1958 1959 1960
Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 60 Gerhard Ritter, Revolution der Kriegführung und der Kriegspolitik: Napoleon und Clausewitz, in: Günter Dill [Hrsg.], Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 291 ff.; 297 Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 60 Herfried Münkler, Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges, in: Politische Vierteljahresschrift 2001, Heft 4, S. 581 ff.; 585 Karl Demeter, Scharnhorst, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 211 ff.; 215 Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983, S. 24; Zur Gefechtsweise der Lineartaktik vgl. ausführlich: Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 153 ff.; vgl. Oberst Paul Curti, Umfassung und Durchbruch, Kleine Beispiele großer Taten, Frauenfeld 1955, S. 9
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der Lage war, und der massive Einsatz der Artillerie.1961 Die politisch begrenzte Kriegführung aus dem Kabinett und das europaweite Werbungssystem sowie der Ausschluss Nichtadliger aus dem Offizierkorps der stehenden Heere, der logistische Unterbau in Form des Magazinsystems als Ergebnis der militärstrategischen Reflexion und Aufarbeitung der Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, welche die operative Bewegungsfreiheit von Militärführern in einem Netz aus mathematischer Präzision einengte, wurde durch die Franzosen ersetzt durch eine übergreifende Neuausrichtung des Militärwesens, die dabei auch auf militärtheoretische Überlegungen und vereinzelte Versuche aus der Zeit vor der Revolution zurückgriff.1962 Dabei setzten die Franzosen auf die patriotische Begeisterung der Soldaten, die sich gegen die Feinde der Revolution zur Wehr setzen mussten, ihr geradezu missionarisches Sendungsbewusstsein sowie der Aufwuchs der französischen Armee im Zuge des Einführens der levée en masse.1963 Diese Maßnahmen erforderten eine Neuorganisation der Führungsebenen und eröffneten bis dahin ungeahnte Möglichkeiten des individuellen Aufstiegs durch die Vielzahl neuer Dienstposten und die enormen Kriegsverluste sowie den massenhaften Einsatz von Soldaten.1964 Die preußischen Reformer wollten die politischen Verhältnisse in Preußen so verändern, dass die Überlegenheit der Franzosen wieder ausgeglichen wurde und Preußen bzw. Deutschland wieder ein militärisches Gleichgewicht zu Frankreich darzustellen vermochte, und die politischen und militärischen Reformen hatten das Ziel, den Vorsprung, den die Franzosen im Gefolge der Revolution gemacht hatten, auszugleichen.1965 Der militärische Vorsprung der Franzosen hingegen war in einer neuen Technik der französischen Gefechtsführung begründet. Da ein großer Teil der Soldaten ohne militärische Ausbildung war, hatte sich die napoleonische Armeeführung gezwungen gesehen, eine neue Kampftechnik zu entwickeln, die sich den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg zum Vorbild nahm und die dort von den Rebellen mit Erfolg angewandte Angriffskolonne mit der so genannten „Tirailleurtaktik“ verband, nach der die Bataillone eine Anzahl Schützen zum selbstständigen Operieren ins Gefecht entließen.1966 Diese Schützenschwärme waren sehr beweglich, selbstständig und flexibel in der Kampfführung und daher den in starrer Linie über das Schlachtfeld stapfenden preußischen Truppen weit überlegen.1967 Zudem waren die Gegner der preußischen Soldaten patriotisch gesinnte Bürger, die sich mit den Kriegszielen ihrer
1961 1962 1963
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Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983, S. 24 f. Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 59 Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 59; vgl. Robert L. Bateman III, Conclusion: Looking Back – The Napoleonic Revolution, in: Robert L. Bateman III (Hrsg.), Digital War. The 21st Century Battlefield, New York 1999, 293 ff.; 298 Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 59 Herfried Münkler, Clausewitz’ Theorie des Krieges, 1. Aufl., Baden-Baden 2003, S. 15 Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, 1. Aufl., Göttingen 2005, S. 75 Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, 1. Aufl., Göttingen 2005, S. 75 f. Zur Begründung und Entwicklung der Lineartaktik zur Kolonnenformation und Tirailleurtaktik der Revolutionsheere vgl. Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 4, Die Neuzeit, Berlin, New York 2000, S. 516 ff.
politischen und militärischen Führung identifizierten.1968 Die preußischen Heeresreformer waren überzeugt, dass nur durch eine Mobilisierung der ganzen Nation die Selbstbehauptung zu gewährleisten sei.1969 Scharnhorst hatte die Idee der Legitimität der Verteidigung des schwächeren Staates gegen den stärkeren Staat von der Verteidigungsfähigkeit der kleineren und mittleren Staaten aufgenommen und sich zu Eigen gemacht.1970 In den Vorstellungen der preußischen Staats- und Militärreformer erschien der Volkskrieg als Guerillakrieg durchaus gewichtiger als der so genannte „Große Krieg“, wobei der etwa zu führende Guerillakrieg auf das engste mit den politischen und sozialen Grundlagen der Militärund Staatsreform verbunden war.1971 Der Guerillakrieg sollte für die preußischen Offiziere, die auf die militärische und politische Kraft der Insurrektion setzten, allerdings mehr Inspiration als Vorbild sein.1972 Dieses hing nicht zuletzt mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten des preußischen Staates zusammen. Da es nach der vernichtenden Niederlage von 1806 angesichts der erschöpften Finanzmittel des Staates und der französischen Kontributionen gänzlich unrealistisch gewesen wäre, die Linienarmee wieder aufzurüsten, um die französische Fremdherrschaft abzuschütteln, sollte eine Nationalmiliz bzw. eine Landwehr das Rückrat der preußischen Landesverteidigung sein.1973 In seiner „Denkschrift über Landesverteidigung und Errichtung einer Nationalmiliz vom 31. Juli 1807“1974 stellt Scharnhorst Überlegungen an, eine „Landmiliz“ aufzustellen, um „1. die Ruhe des Landes zu erhalten, die Polizei zu unterstützen, das Land gegen Plünderungen der Marodeure zu decken, um feindliche Streifereien zu verhindern; 2. das Land in Verbindung mit regelmäßigen Truppen zu verteidigen.“1975 Aus dieser Vorschrift wird klar erkennbar, dass Scharnhorst zunächst diese Miliz nicht als selbstständig operierenden, auf sich gestellten Truppenkörper sieht, sondern als eine Verstärkung der regulären Kräfte von Polizei und Militär, welche auch in der Tiefe des Raumes, aber immer in Verbindung mit diesen, Sicherungsaufgaben übernehmen. Hier wird also deutlich, dass Scharnhorst das Mittel der Miliz zur Abwehr äußerer 1968 1969 1970
1971 1972 1973 1974 1975
Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, 1. Aufl., Göttingen 2005, S. 76 Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 60; vgl. Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 213 Klaus Hornung, Scharnhorst. Soldat – Reformer – Staatsmann. Die Biographie, München, 2. Aufl. 2001, S. 53; vgl. hierzu auch Nitschke, der den Lebenslauf Scharnhorsts, seine militärische und militärwissenschaftliche Betätigung und auch seine Abkehr von der strikten Verteidigung bis zur Hinwendung des neuen militärischen Ansatzes einschließlich der fortschrittlichen Verknüpfungen zu den staatstheoretischen Folgerungen herausarbeitet. (Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983, S. 53 ff.) Zu den Veränderungen im Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Militärwesen vgl. HansMartin Ottmer, Militärgeschichte zwischen Französischer Revolution und Freiheitskriegen 1789 bis 1815, in: Karl-Volker Neugebauer (Hrsg.), Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd. 1, Historischer Überblick, Freiburg 1993, S. 77 ff. Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 351 Peter Paret, Clausewitz und der Staat. Der Mensch, seine Theorien und seine Zeit, Bonn 1993, S. 279 Hans-Martin Ottmer, Militärgeschichte zwischen Französischer Revolution und Freiheitskriegen 1789 bis 1815, in: Karl-Volker Neugebauer (Hrsg.), Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Bd. 1, Historischer Überblick, S. 88 Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 232 ff. Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 235
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Feinde ansieht. Aus der Schwäche des Staates heraus, ausreichend stehende Truppen zu unterhalten, folgert er: „Alle Bewohner des Staates sind geborene Verteidiger desselben.“1976 Voraussetzung aber dafür, dass sich ein unabhängiges Volk nicht dem Joch eines anderen unterwirft, „ohne seine letzte Kraft aufzubieten“ ist für Scharnhorst, dass „es gut regiert und geleitet wird“.1977 Zudem konzipiert Scharnhorst Kräfte zum Aufstand gegen eine feindliche Besetzung, denkt für diese aber zunächst nur grobe strategische Ansätze vor, ist sich aber bewusst, dass diese „Insurrektion“, um Erfolg zu haben, vom Ausland her mit Truppen, Waffen und Ausrüstung unterstützt werden müsste.1978 Damit dienen Scharnhorsts konzeptionelle Ansätze der Volksbewaffnung der Landesverteidigung bzw. der Befreiung des Landes von einem staatlichen Aggressor, der dieses besetzt hält, und sind als Ausfluss militärstrategischer Ansätze zum Schutz des vor dem realpolitischen aktuellen Hintergrund der französischen Bedrohung zu sehen. Also entstand unter dem Eindruck des Zusammenstoßes Preußens mit Napoleon eine politische Konzeption des Kleinen Krieges, die unter dem niederdrückenden Eindruck der französischen Besatzungszeit als „revolutionäre“ Konzeption zum Tragen kam und die auf die Ebene der „Staatskunst“ wie auch der Taktik zur Wirkung kam.1979 Demzufolge war in den Entwürfen Scharnhorsts ein durchgängiges Konzept von der politisch-strategischen bis auf die taktische Ebene angelegt. 6.1.2
Gneisenau
Gneisenau hatte zuvor bereits persönlich Erfahrungen mit dem Kleinkrieg durch seine Teilnahme am nordamerikanischen Befreiungskrieg sammeln können. Er hatte hier in der Endphase des Krieges auf der englischen Seite vornehmlich die militärische Seite der Niederlage erlebt: Selbst zahlenmäßig doppelt so starke Truppen sind zu schlagen, wenn der Gegner sich nicht oder nur höchst selten offenen Feldschlachten stellt, dafür lieber das zerstreute Gefecht oder den reinen Partisanenkampf mit Zerstörung der Nachschubwege anwendet.1980 Vor eben diesem Hintergrund war es Neidhardt von Gneisenau, der bereits im Jahre 1809 überzeugt war, dass es bei einem neuen Krieg mit Frankreich keine großen Resultate herbeiführen werde, wenn man nur die militärischen Kräfte im eigentlichen Sinne verwenden wollte.1981 Insofern richtete Gneisenau sein Augenmerk darauf, dem Feind mittels der Or-
1976
1977 1978 1979 1980 1981
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Diese Aussage ist nicht lediglich als beiläufiger Nebensatz von Scharnhorst zu verstehen, sondern steht an zentraler Stelle seines militärreformerischen Programms, nämlich in § 1 des „Vorläufigen Entwurfes der Verfassung der Reservearmee vom August 1807“. (Abgedruckt in: Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent [Hrsg.], Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 236 ff.) Diese Aussagen kommen noch einmal verstärkt zum Tragen im „Vorläufigen Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen vom 15. März 1808“, in dem Scharnhorst noch einmal die Bedeutung des Bürgers für die Landesverteidigung herausarbeitet. (Abgedruckt in: Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent [Hrsg.], Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 243 ff.) vgl. Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 244 vgl. Hansjürgen Usczeck, Crista Gudzent (Hrsg.), Gerhard von Scharnhorst, Ausgewählte Schriften, 1. Aufl., Berlin 1986, S. 261 f. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 219 Hans Otto, Gneisenau. Preußens unbequemer Patriot, Bonn 1973, S. 33 f. Fritz Lange, Neithardt von Gneisenau (Hrsg.), Schriften von und über Gneisenau, 1. Aufl., Berlin 1954, S. 223 f.
ganisation von Volksaufständen die vereinigten Kräfte der Nation entgegenzusetzen,1982 und unterscheidet bei der Gliederung der Kräfte zwischen der „Insurrektion“ als Aufstand der Masse und der partiellen Bewaffnung einer Landwehr bzw. einer Miliz.1983 Über allgemeine politische und militärstrategische Überlegungen zur Mobilisierung des Volkes hinaus gibt Gneisenau, der die Revolution und das revolutionäre Gedankengut grundsätzlich ablehnt,1984 konkrete operative Leitlinien zur Organisation des bewaffneten Widerstandes vor. Dabei verfolgt er die Führung eines Kleinkriegs, dessen Grundsätze für ihn die Vermeidung der offenen Feldschlacht durch eine unkonventionelle Gefechtsführung ist, geprägt durch eine schnelle, bewegliche und flexible Gefechtsführung des schnellen Vorstoßens und raschen Ausweichens, der Nacht- und Nahkampf mit den Elementen der taktischen Übermacht und der Überraschung unter Ausnutzung des Geländes, aus denen sich der Erfolg ergeben sollte.1985 Im Kleinen Kriege sollte sich die Truppe für höhere Aufgaben heranbilden.1986 Von Gneisenaus Ansichten über die Möglichkeit der Organisation eines Volksaufstandes ist seine Bedeutung seines Mitwirkens an den preußischen Militärreformen nach dem vollständigen politischen und militärischen Zusammenbruch Preußens zu betrachten.1987 6.1.3
Clausewitz
Auch für Clausewitz liegt der Grund mit der Beschäftigung mit dem Phänomen des Kleinkrieges zunächst in seinen ganz persönlichen Erfahrungen mit der Niederlage Preußens gegen Frankreich, die er in einer eigenen Abhandlung analysierte.1988 Der Begriff des „Kleinen Krieges“ im deutschen Sprachgebrauch geht auf Clausewitz zurück;1989 er wird auch als der eigentliche Vordenker einer Theorie des Kleinen Krieges bezeichnet.1990 Clausewitz behandelt die hier untersuchten Phänomene unter dem Begriff „Kleiner Krieg“, den 1982 1983 1984 1985
1986 1987 1988 1989 1990
Fritz Lange, Neithardt von Gneisenau (Hrsg.), Schriften von und über Gneisenau, 1. Aufl., Berlin 1954, S. 224; vgl. Hans Otto, Gneisenau. Preußens unbequemer Patriot, Bonn 1973, S. 266 Fritz Lange, Neithardt von Gneisenau (Hrsg.), Schriften von und über Gneisenau, 1. Aufl., Berlin 1954, S. 244 f.; vgl. Hans Speidel, August Graf von Gneisenau, in: Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg (Hrsg.), Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, 2. Bd. Berlin 1956, S. 433 ff.; 434 ff. vgl. Heinz G. Nitschke, Die preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee, Berlin 1983, S. 71 vgl. Fritz Lange, Neithardt von Gneisenau (Hrsg.), Schriften von und über Gneisenau, 1. Aufl., Berlin 1954, S. 236; vgl. hierzu auch Gerhard Förster, Crista Gudzent (Hrsg.), August Wilhelm Anton Neithardt von Gneisenau. Ausgewählte militärische Schriften, 1. Aufl., Berlin 1984, S. 62 ff., wo Gneisenau in seinem „Vorschlag vom 27. Februar 1807 an Friedrich Wilhelm III. über die Schaffung leichter Infanterie“ detaillierte Vorstellungen zur Aufstellung, Ausrüstung und Gefechtsführung beweglicher infanteristischer Kräfte entwickelt, bei denen er sich auch am französischen Gegner als Vorbild orientiert und damit den militärischen Erfordernissen der Zeit Rechnung trägt. Diese Grundsätze finden sich auch in Gneisenaus „Denkschrift vom Sommer 1808 über die Idee eines Volksaufstandes“, (vgl. Gerhard Förster, Crista Gudzent (Hrsg.), August Wilhelm Anton Neithardt von Gneisenau. Ausgewählte militärische Schriften, 1. Aufl., Berlin 1984, S. 117 ff.) Graf Alfred von Schlieffen, Gneisenau, Leipzig o.JA., S. 34 Eberhard Birk, Napoleon und Gneisenau. Anmerkungen zu ihrer Aktualität vor dem Hintergrund des Irakkonfliktes, in: ÖMZ 2006, S. 59 ff.; 60 Carl von Clausewitz, Preußen in seiner großen Katastrophe, Wien, Leipzig 2001 Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18, FN 4 Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, 25
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er – wie bereits oben ausgeführt – zunächst als „den Gebrauch kleiner Truppenabteilungen im Felde“ bezeichnet und den er in Abgrenzung zum Terminus „Großer Krieg“ als eine Entwicklung und Übung der natürlichen Anlagen beurteilt und bei dem es insofern mehr auf eine gewisse Kunstfertigkeit ankomme; hingegen sei der Große Krieg etwas Mechanisches und die Generalstabsarbeiten sind für ihn technische Fähigkeiten, die sich auf das militärische Handwerk beziehen.1991 Darüber hinaus behandelte Clausewitz auch den „Volkskrieg“, der sich an die Guerilla anlehnte; und nutzte hierbei die – manchmal austauschbaren – Begriffe „Volksbewaffnung“, „Volkskrieg“ und „Volksaufstand“.1992 Clausewitz’ Beschäftigung mit dem Kleinen Krieg muss im Zusammenhang mit den militärpolitischen Konzeptionen unter anderem von Scharnhorst und Gneisenau gesehen werden.1993 Clausewitz, der die Anregung, sich mit den grundsätzlichen Fragen des Krieges zu beschäftigen, von Scharnhorst in den Jahren 1801 bis 1803 empfangen hatte,1994 folgte den Überlegungen seines Lehrers, der bereits 1797 die militärischen Erfolge der Franzosen auf die durch die Französische Revolution bewirkten gesellschaftlichen Veränderungen zurückgeführt hatte.1995 Durch Scharnhorst ist die Idee der Legitimität der Verteidigung des schwächeren Staates gegen den stärkeren auch in Clausewitz’ Werk eingegangen.1996 Clausewitz sieht die politischen und völkerrechtlichen Argumente, die gegen den Volkskrieg angeführt werden, weil er das (innen-) politische System, die gesamtpolitische Ordnung Europas und die völkerrechtliche Legitimität der Auseinandersetzung in Frage stelle; zudem sei er unter dem Gesichtspunkt der Zweck-Mittel-Relation auch militärisch nicht vertretbar.1997 Clausewitz tritt hier ebenso wie Gneisenau in einen gewissen Gegensatz zu den Monarchen der napoleonischen Epoche, die wohl das spanische Beispiel 1809 in Tirol und 1813 in Preußen aufgriffen, aber gegenüber der Entbindung ungelenkter Volksmassen zurückhaltend blieben und nach 1815 entschieden den regulären Streitkräften den Vorrang gaben.1998 Doch Clausewitz will den Volkskrieg zunächst nur als „Kampfmittel“ sehen, also als militärisches 1991 1992 1993
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Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 46 f. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 168 f. Werner Hahlweg, Clausewitz. Soldat – Politiker – Denker, Göttingen, Zürich, Frankfurt 1969S. 67; vgl. Ulrich Marwedel, Clausewitz und das Jahr 1812, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel (Hrsg.), Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 267 ff; 270; vgl. Carl von Clausewitz, Ausgewählte Briefe an Marie von Clausewitz und Gneisenau, Berlin 1953, S. 14; vgl. Werner Hahlweg, Clausewitz and Guerrilla Warfare, in: Michael I. Handel (Hrsg.), Clausewitz and Modern Strategy, Abingdon 2004, S. 127 ff.; 128 Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 244 ff.; 247 Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002, S. 86; zu dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Clausewitz, Scharnhorst und Gneisenau vgl. Walter Malmsten Schering (Hrsg.), Carl von Clausewitz, Geist und Tat, Stuttgart 1941, S. 61 ff. Klaus Hornung, Scharnhorst. Soldat – Reformer – Staatsmann. Die Biographie, München, 2. Aufl. 2001, S. 53 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 697 Ulrich Scheuner, Krieg als Mittel der Politik im Lichte des Völkerrechts, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 159 ff.; 160; vgl. Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 9
Instrument, „…als eine Folge des Durchbruches … den das kriegerische Element in unserer Zeit durch seine alte künstliche Umwallung gemacht hat …“1999, um alle Kräfte des Volkes freizusetzen. An die Stelle des seelenlosen Machtinstruments der alten Zeit, käuflichen Berufsheeres, soll die kämpfende Nation selber treten.2000 Clausewitz’ Problem war daher, wie sich die von den Armeen der französischen Republik und Napoleon praktizierte Kriegführung übernehmen ließ, ohne dass man zugleich die Grundsätze der Revolution übernahm, und wie man einen Volkskrieg bekommen konnte, ohne dass man zugleich einen Volksstaat einführt.2001 Sein Ziel war es, die Unabhängigkeit und Macht Preußens zu erhalten.2002 6.1.3.1
Volkskrieg
Die Grundlage für Clausewitz’ Volkskriegskonzeption ist seine Analyse der aktuellen Kriegführung, die durch Napoleon wesentliche Innovationen und Veränderungen erfahren hat. Im 17. Kapitel des dritten Buches (Strategie) beschreibt Clausewitz die neuen Erscheinungsformen des bewaffneten Konfliktes und nennt die differentia spezifika des „heutigen Krieges“2003:
x x x x x x
Alle gewöhnlichen früheren Mittel sind durch Bonaparte über den Haufen geworfen Alle Staaten ersten Ranges sind vernichtet Ein Reich von großen Dimensionen wie Russland ist nicht zu erobern Die Wahrscheinlichkeit des Erfolges nimmt nicht in allen Fällen in dem Maße ab, als man Schlachten, Hauptstädte, Provinzen verliert Man ist oft mitten in seinem Land am stärksten, wenn sich die Offensivkraft des Gegners schon erschöpft hat Herz und Gesinnung einer Nation sind ein ungeheurer Faktor des Produkts der Staats-, Kriegs- und Streitkräfte2004
Aus diesen Merkmalen zieht Clausewitz folgerichtig zwei wesentliche Schlüsse: Zum einen sei nicht zu erwarten, dass diese Erscheinungsformen, da sie nun allen Regierungen be1999 2000 2001 2002 2003
2004
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 697 f. Gerhard Ritter, Revolution der Kriegführung und der Kriegspolitik: Napoleon und Clausewitz, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 291 ff.; 298 John Keegan, Die Kultur des Krieges, 1. Aufl. Berlin, 1995, S. 42 Bolko von Oettinger, Tiha von Ghyczy, Christopher Bassford (Hrsg.), Clausewitz. Strategie Denken, München, Wien 2001, S. 16 Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 196 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 99
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kannt sind, in künftigen Kriegen unbenutzt blieben und zum anderen müssten Kriege, die mit der ganzen Schwere der Nationalkraft geführt werden, nach anderen Grundsätzen eingerichtet werden als solche, wo alles nach dem Verhältnis der stehenden Heere berechnet wurde.2005 Die neuen Mittel bzw. Hilfsmittel, auf die Clausewitz hier verweist, bezeichnen vor allem die durch die Revolution und die hiervon ausgelösten Gegenwirkungen der Nationalbewaffnung und des Volkskrieges, die eine Kräftesteigerung ermöglichen, wodurch sich bis hinunter zur Taktik, also zur Kriegführung alles ändert,2006 insbesondere die bisherigen Einsatz- und Führungsgrundsätze.2007 Bei der Ausarbeitung seines Werkes „Vom Kriege“ analysierte Clausewitz auch den Kleinkrieg und sieht ihn im Zusammenhang mit dem Ganzen und ermittelt von dort her seinen eigentlichen Stellenwert im Gesamtphänomen des neuen Kriegssystems.2008 Dem „Volkskrieg“ widmet Clausewitz unter der Überschrift „Volksbewaffnung“ ein eigenes, das 26. Kapitel seines Hauptwerkes. In ihm behandelt Clausewitz praktische wie theoretische Aspekte und Probleme in seinen verschiedenartigsten Erscheinungen und Voraussetzungen und nimmt ihn zugleich als besonderes, wirksames Element in seine allgemeine Theorie des Krieges auf.2009 Clausewitz entwickelt den Volkskrieg zu einer Säule des strategischen Ganzen einer nationalen Kriegführung, die von der übergeordneten Staatsführung, ihren politischen Grundlagen und Zielen abhängig sind.2010 Damit hat er – wie Hahlweg feststellt – als erster den Guerillakrieg im Lichte der modernen Militärtheorie erfasst und damit für diese Art des bewaffneten Kampfes im Sinne von kritisch-realistischer Analyse und Einordnung in den größeren Seinszusammenhang neue Maßstäbe gesetzt, die aus der bloßen pragmatischen, lehrhaften Behandlung des Gegenstandes herausführen und das Phänomen des Guerillakrieges wie seine Strukturen beleuchtet.2011 „Volkskrieg“ heißt zunächst jeder Krieg, der nicht nur von der regulären Armee geführt wird; die Bewaffnung von Zivilisten und ihre Beteiligung an bestimmten Kriegsoperationen bedeutet aber noch nicht, dass der regulären Armee nicht mehr die absolute Priorität zukomme und dass der Krieg im Allgemeinen so geführt werde, wie es den bewaffneten
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Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 99 Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 197 vgl. Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 48 ff. Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 350 Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 353; vgl. Werner Hahlweg, Clausewitz and Guerrilla Warfare, in: Michael I. Handel (Hrsg.), Clausewitz and Modern Strategy, Abingdon 2004, S. 127 ff.; 132 David Th. Schiller, Palestinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palestinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 26 Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 353 f.
Zivilisten richtig zu sein scheint.2012 Volksbewaffnung und Insurrektion sind in jener Zeit neuartige Erscheinungsformen des Kriegsbildes, die immer in Verbindung mit dem regulären Heer bzw. den regulären Streitkräften zu sehen sind,2013 weil solche Truppen naturgemäß regelmäßig weniger kampfkräftig sind als ihr Gegenüber und sie somit kaum die Aussicht auf einen großen Erfolg auf dem Gefechtsfeld haben.2014 Dementsprechend ist der keine Entscheidungsschlacht suchende Kampf niemals zu einer „in Raum und Zeit konzentrierten Wirkung geeignet“,2015 sondern braucht, auf Flächenwirkung angelegt, Zeit, um einen „Zustand der Spannung“2016 herzustellen und um somit „wie eine still fortschwellende Glut die Grundfesten des feindlichen Heeres zu zerstören.“2017 2018 Die Guerillaverbände müssten mit regulären Truppenverbänden nach einem Gesamtplan zusammenwirken.2019 Mithin ist der subversive Kampf nach Clausewitz nur denkbar in Verbindung mit dem Kampf einer Armee unter gemeinsamer und koordinierter Führung, die niemals die Schlacht suchen darf, sondern „wie ein nebel- und wolkenartiges Wesen“2020 überall und nirgends vorhanden sein muss.2021 Die Unterlegenheit des Volkskrieges gegenüber regulä2012 2013
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Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz – Marx – Engels – Lenin, Stuttgart 1988, S. 221 Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 197; vgl. Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 225 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 698 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 698 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 698 Erich Vad, Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute, Herford, Bonn 1984, S. 56 Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 354 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 701 Erich Vad, Carl von Clausewitz. Seine Bedeutung heute, Herford, Bonn 1984, S. 56: Als Ausnahme für diese grundsätzliche Regel der Volksbewaffnung, deren Wirkung sich wie in der physischen Natur der Verdampfungsprozess nach der Oberfläche richte, und je größer diese sei und der Kontakt, in welchem sie sich mit dem feindlichen Heere verbinde, also je mehr dieses sich ausbreite, um so größer sei die Wirkung, sieht Clausewitz lediglich Russland auf Grund seiner gewaltigen Größe. (Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg [Hrsg.], Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 698 f.); Später stellt Meckel in seinen theoretischen Ausführungen den Kleinen Krieg ebenfalls als eigenständige Alternative dar, die ganz für sich alleine bestehen könne und an die Stelle der großen, auf Entscheidung hindrängenden Operationen treten könne und insofern nur einen Zeitgewinn bezwecke, eine Ermüdung des Gegners, sei es, dass man den Krieg in die Länge ziehen will, um Verstärkungen zu erwarten, Allianzen zu schließen, neue Heere aufzubieten, sei es, dass man gegen den Anfall eines übermächtigen Feindes, dem man in offener Feldschlacht nicht zu widerstehen vermöge, sich wehren müsse, sei es endlich, dass die Beschaffenheit des Terrains entscheidende Zusammenstöße größerer Heeresmassen verbiete. (Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Zweiter Theil: Angewandte Taktik, Berlin 1876, S. 763) Allerdings steht auch hier – zumindest im ersten Teil der Ausführungen – der Kleine Krieg nicht allein. Vielmehr ist er an dieser Stelle operativ selbstständiges Element, welches ohne Unterstützung regulärer Operationen auskommen muss; dient a-
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ren Kräften wird auch in Clausewitz’ „Bekenntnisdenkschrift“ aus den Jahre 1812 deutlich, einem streng geheimen, unmittelbar für die nächsten Vorgesetzten bestimmten Rechenschafts- und Lagebericht2022, in der er eine explizit beträchtliche Vermehrung der Armee neben der Einrichtung einer Landwehr und eines Landsturms fordert.2023 Zusammen mit den überraschend aufgetretenen Formen des irregulären Massenkampfes seitens der französischen Revolution verschmelzen alle neuen Erscheinungen zu einem neuen Ganzen, auf das als ein Ganzes ebenso ganzheitlich reagiert werden muss: Auch die Gegenseite muss sich revolutionieren.2024 Clausewitz, der Preußen vor der Katastrophe bewahren will, sieht das revolutionäre und anarchische, das dieses Mittel in sich birgt, aber ebenso wie seine Mitstreiter Scharnhorst und Gneisenau, will er den Volkskrieg in den Dienst des Krieges zwischen den Staaten stellen und betrachtet ihn auch nur unter diesen Bedingungen.2025 Hierzu legt er zum einen die strategischen Voraussetzungen für den Volkskrieg fest: „1. dass der Krieg im Inneren des Landes geführt, 2. dass er nicht durch eine einzige Katastrophe entschieden werde; 3. dass das Kriegstheater eine beträchtliche Länderstrecke einnehme; 4. dass der Volkscharakter die Maßregel unterstütze; 5. dass das Land durchschnitten und unzugänglich sei, entweder durch Gebirge oder durch Wälder und Sümpfe oder durch die Natur der Bodenkultur.“2026 Clausewitz verbindet hier die die militärischen Faktoren Raum, Kräfte und Zeit mit den moralischen Faktoren des Volkscharakters, der dem Feind entgegenstehen muss. Dennoch übersieht er nicht, dass die bewaffneten Kräfte des Volkes es niemals zur taktischen Verteidigung gegenüber regulären Truppen kommen lassen sollten, sondern ihm sind sehr wohl
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ber zugleich einem strategischen Ziel: der (Wieder-)Herstellung der vollen militärischen Handlungsfähigkeit auch mit regulären Kräften und die Schaffung der Überlegenheit der Kräfte zum Zwecke des Sieges. Carl Schmitt, Clausewitz als politischer Denker. Bemerkungen und Hinweise, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 419 ff.; 425 f. Carl von Clausewitz, Bekenntnisdenkschrift, in: Hans Rothfels, Carl von Clausewitz (Hrsg.), Politische Schriften und Briefe, München 1922, S. 80 ff.; 108. Gegen diesen Gedanken revolutionärer Mittel der Insurrektion, das vor keiner gesellschaftlichen Schranke halt machte und alle Bürger ohne Unterschied von Stellung und Stand zu einem Verteidigungskrieg aufrief, erhob sich allerdings bald eine – der Herkunft nach unterschiedliche, im Ziel einheitliche – Opposition. (Hans Rothfels, Carl von Clausewitz. Politik und Krieg. Eine ideengeschichtliche Studie, Berlin 1920, S. 179 f.) Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 200 vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 697; vgl. Carl von Clausewitz, Bekenntnisdenkschrift, in: Hans Rothfels, Carl von Clausewitz (Hrsg.), Politische Schriften und Briefe, München 1922, S. 80 ff.; 80 ff.; vgl. Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz – Marx – Engels – Lenin, Stuttgart 1988, S. 221 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, 71 ff.; S. 699; so auch Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 172; vgl. Werner Hahlweg, Clausewitz and Guerrilla Warfare, in: Michael I. Handel (Hrsg.), Clausewitz and Modern Strategy, Abingdon 2004, S. 127 ff.; 131
der geringere Gefechtswert und die sich hieraus ergebende militärische Unterlegenheit einer solchen Truppe gegenüber regulären Kräften im direkten Aufeinandertreffen bewusst. 6.1.3.2
Kleinkrieg
In der Literatur wird behauptet, dass Clausewitz dem Kleinkrieg nur wenig Beachtung geschenkt habe.2027 Dem muss an dieser Stelle entgegengetreten werden. Aus den vorangegangenen Überlegungen entwickelt Clausewitz in seinen Schriften einen konzeptionellen Ansatz, unter welchen Bedingungen die geringere Kampfkraft der Irregulären Kräfte in Verbindung mit anderen Faktoren zu einem brauchbaren und gegebenenfalls überlegenen Gefechtwert führen können. Daher sind für ihn die Gefechte der Irregulären vor allem auf die Unterstützung der regulären Truppen berechnet und zielen nicht immer auf einen operativen Erfolg der Offensive oder Defensive, sondern haben vor allem einen Aufklärungsauftrag.2028 Folglich will Clausewitz die Kräfte beweglich und flexibel einsetzen, den Gegner in der Ungewissheit der ständigen Möglichkeit eines Begegnungsgefechtes lassen, und ihn damit zwingen, ständig Maßnahmen zur Eigensicherung zu treffen, die wiederum zur weiteren Überdehnung der eigenen Verbindungs- und Versorgungslinien und zur Verstärkung der eigenen Truppen zwingt. Der Gegner wird zur Schwerpunktbildung gezwungen. „Die Verbindungslinien gehören zu diesem Ganzen, sie machen den Zusammenhang zwischen der Basis und der Armee aus und sind als soviel Lebensadern anzusehen.2029 … Diese Lebenskanäle dürfen also [nicht] bleibend unterbrochen werden …“2030 In diesem Zusammenhang weist Clausewitz explizit auf „… die überall und zu jedem Augenblick immer bereiten Anfälle einer Volksbewaffnung …“2031 hin, als auf Maßnahmen der irregulären Kampfführung. Auf Grund der vorhandenen Kräfte und Ressourcen – die immer begrenzt und endlich sind – fällt es dem Gegner auch schwerer, Schwerpunkte zu bilden, die einen anhaltenden operativen Wert darstellen: „So verbreitet sich das Feuer wie ein Brand in der Heide und trifft am Ende die Bodenfläche, auf welche der Angreifende basiert ist; es ergreift seine Verbindungslinien und zerrt an den Lebensfaden seines Daseins.“2032 Diese grundsätzlichen Überlegungen bricht Clausewitz auf die taktische Ebene herunter, indem er die wesentlichen allgemeinen Eigentümlichkeiten des Kleinen Krieges beschreibt:
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Charles W. Thayer, Guerillas und Partisanen. Wesen und Methodik der irregulären Kriegführung, München 1963, S. 10 Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 49 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 495 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 495 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 498 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 700
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„1. Kleine Truppenabteilungen finden fast überall einen fast zwanglosen Unterhalt. 2. Sie können ihr Dasein leichter verheimlichen. 3. Sie können sich schneller bewegen.“2033 Somit beschäftigt sich Clausewitz mit dem Kleinen Krieg nicht nur auf der strategischen Ebene, indem die wesentlichen taktischen Vorteile dieser Kampfform von ihm klar herausgearbeitet werden. Mithin hat die geringe Größe des Truppenkörpers den Vorteil, dass Bewegungen auf dem Gefechtsfeld einschließlich Ausweichbewegungen und der Rückzug flexibler geplant, organisiert und durchgeführt werden können und auch weniger abhängig vom Gelände und der Verkehrsinfrastruktur vollzogen werden können.2034 Der Tiefe des Raumes der gesellschaftlichen Antriebskräfte entspricht die ebenso totale Mobilisierung bzw. Aktivierung des geographischen Raumes, bei dem die eingehenden Vorstellungen von Front und Hinterland aufgelassen werden, wenn wegen der Nationalbewaffnung und des Volkskrieges es keinen Unterschied zwischen Militär und Zivil, zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, mehr geben kann.2035 Demzufolge ist auch diese totale Ausschöpfung des Raumes in den beiden genannten Bedeutungen – sozialer und geographischer Raum – eine Folge der politischen Revolution.2036 In diesen Überlegungen stimmt er vollständig mit den oben dargestellten Vorstellungen Scharnhorsts’ überein. Zudem sieht Clausewitz in dieser Form des Kampfes die Möglichkeit, die Moral des Gegners nachhaltig zu schwächen und den Kampfes- und Durchhaltewillen der eigenen Truppen entsprechend zu stärken.2037 Allerdings wurde der Landsturm durch die Änderungen des preußischen Landsturmediktes vom 17. Juli 1813 als Bestandteil des Heeres eingegliedert, womit dem Gedanken einer revolutionären und vom Fanatismus geschürten Volksbewaffnung, die von Gneisenau und später auch Clausewitz beabsichtigte Schärfe genommen wurde.2038 Zudem wurde nach dem Sieg über 2033 2034
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Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 48 vgl. Carl von Clausewitz, Meine Vorlesungen über den kleinen Krieg, gehalten auf der Kriegschule 1810 und 1811, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 46 ff.; 49; vgl. Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 356 Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 201. Daher ist es nicht ganz verständlich, wenn Hahlweg meint, dass Clausewitz bei der Betrachtung des Kleinkrieges nicht von den politischen, ökonomischen oder sozialen Voraussetzungen ausgehe. (vgl. Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 354) Dietmar Schössler, High Intensity – Low Intensity Conflict. Zur “Reichweite” der Clausewitzschen Kategorien bei der Analyse des modernen bewaffneten Konfliktes, in: Heinrich Oberreuter, Armin A. Steinkamm, Hanns-Frank Seller (Hrsg.), Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Perspektiven zur neuen internationalen Staatenordnung. Festschrift für Professor Dr. Jürgen Schwarz, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 196 ff.; 201 vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 702 ff. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 31
Napoleon und mit der beginnenden Restauration ab 1820 die Verordnung über den Landsturm außer Kraft gesetzt.2039 6.1.3.3
Diversion
Für Zhang Yuan-Lin wurde der Volkskrieg in Clausewitz’ Theorie im Wesentlichen nur als ein strategisches Verteidigungsmittel betrachtet.2040 Dabei übersieht Zhang allerdings, dass Clausewitz sich hier keineswegs auf die strategische Defensive beschränkt hat. Tatsächlich hat Clausewitz erkannt, dass die Mittel des Kleinen Krieges nicht nur dem Verteidiger gegen einen überlegenen Gegner nutzen können, sondern auch Mittel eines offensiven Gegners sein können. Diese Form der Offensive nennt Clausewitz „Diversion“ und grenzt sie vom „Angriff“ im strategischen Sinn, dessen Gegenstand „…die Eroberung des Landes …“2041 ist, im eigentlichen Sine ab: „Unter Diversion versteht der Sprachgebrauch einen solchen Anfall des feindlichen Landes, wodurch Kräfte von dem Hauptpunkt abgezogen werden. Nur wenn dies die Hauptabsicht ist und nicht der Gegenstand, welchen man bei der Gelegenheit angreift und erobert, ist es eine Unternehmung eigentümlicher Art, sonst bleibt es ein gewöhnlicher Angriff.“2042 Das Wesen der Diversion ist also nicht die strategische Entscheidung herbeizuführen, sondern durch Angriffe auf der taktischen Ebene den Gegner zu zwingen, seine Kräfte im Raum zu dislozieren. Dieses führt nun zwangsläufig dazu, dass nicht alle Objekte und wichtigen Geländeabschnitte in ausreichendem Maße gesichert und überwacht werden können und sich damit neue Möglichkeiten für den Gegner ergeben. Eben dieses bezeichnet Clausewitz auch als die „Hauptabsicht“ der Diversion.2043 Die möglichen Angriffsziele der Diversion können für ihn zunächst Stützpunkte, wichtige Versorgungseinrichtungen und Hauptstädte sein; als weiteres „Angriffsobjekt“ bezeichnet Clausewitz hier bemerkenswerter Weise auch den „… Beistand unzufriedener Untertanen des Feindes.“2044 Damit hebt Clausewitz auch im Rahmen der Diversionskriegführung die Bedeutung der Unterstützung der Bevölkerung für den militärischen Erfolg der Operationen hervor und deutet gleichzeitig den psychologischen Faktor als ein wesentliches Element an. Zudem arbeitet Clausewitz an dieser Stelle heraus, dass die Diversion militärisch nur Sinn macht, wenn sie mit geringeren, also weniger kampfkräftigen Kräften geführt wird; dass sie im Umkehrschluss kontraproduktiv ist, wenn sie mit gleichen, also kräftemäßig ausgeglichenen oder gar überlegenen Kräften geführt wird, da man nun mindestens ebenso 2039 2040 2041
2042 2043 2044
Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 30 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 228 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 773 Mithin gibt Clausewitz dem Begriff „Diversion“ hier auch eine neue Bedeutung. Jomini verstand unter dem Begriff „Diversion“ noch ganz allgemein „ … Hülfsunternehmungen, welche, fern von der Hauptzone der Operationen, an den Endpunkten des Kriegsschauplatzes in’s Werk gesetzt werden.“ (Antoine-Henri Jomini, Abriss der Kriegskunst, Dresden 1901, S. 242) Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 828 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 828 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 828
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viele Kräfte wie der Gegner bindet und damit den strategischen Vorteil aufgibt, mit den verbleibenden Kräften jetzt einen entscheidenden Angriff zu führen.2045 Gleichzeitig gibt Clausewitz zu bedenken, dass die Diversion ebenfalls nur Sinn macht, wenn hierdurch nicht der Volkskrieg und die Kleinkriegskräfte des Gegners auf den Plan gerufen werden: „Jede Diversion bringt den Krieg in eine Gegend, wohin er ohne sie nicht gekommen wäre; dadurch wird sie mehr oder weniger immer feindliche Streitkräfte wecken, die sonst geruht hätten, sie wird das aber auf eine höchst fühlbare Weise tun, wenn der Gegner durch Milizen und Nationalbewaffnungsmittel zum Kriege ausgerüstet ist. … Es entstehen also hier neue Widerstandskräfte, und zwar solche, die dem Volkskrieg nahe liegen und ihn leicht wecken können.“2046 Somit weist Clausewitz in seinen Betrachtungen auch auf eine Resymmetrierung und mögliche schädliche, weil kontraproduktive, Auswirkungen hin. Gleichzeitig arbeitet er die Verbindung von Psychologie, Kräftedispositiv und deren Einflüsse auf die Reaktion des Gegners und damit das Verhältnis zum Erfolg heraus. 6.1.3.4
Gesamtkonzeption der Kräfte
Allerdings ist an dieser Stelle auch der Ansicht entgegenzutreten, dass das Clausewitzsche Kriegsbild, in dem ein klar zu erkennender Unterschied zwischen Frieden und Krieg angelegt sei, widerlegt ist,2047 denn es ist das Wesen der Diversion, dass sie eben oftmals (nicht sofort) klar zu erkennen ist. Die Diversion ist vielmehr auf Störung und Verunsicherung des Gegners angelegt. Insgesamt wird in Clausewitz’ Ausführungen dennoch deutlich, dass nach seiner Auffassung auch die Diversion als Kampfhandlung für ihn nur in Zusammenhang und im Zusammenspiel mit dem „Großen Krieg“ in Anwendung zu kommen hat und niemals isoliert stattfinden kann. Clausewitz verwendet den Begriff des „Kleinen Krieg“ somit nicht in Abgrenzung zu den zwischenstaatlichen, den Großen Kriegen,2048 sondern er sieht den Kleinen Krieg als Teil seiner Gesamtkonzeption des Krieges, die den Großen und den Kleinen Krieg umfasst,2049 in der er den Volkskrieg als Erweiterung und Verstärkung des Krieges betrachtet2050 und wie es in diesem Sinne nach ihm im neunzehnten Jahrhundert im militärischen Schrifttum – nicht nur in Preußen – verstanden und gelehrt wurde.2051 „Sie sind nur ein Mittel, die gar stagnierende Masse in Bewegung zu bringen.“2052 Die Kritik Liddell
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vgl. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 828 ff. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 830 vgl. Führungsakademie der Bundeswehr, Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2000 (M), 42. ASTO (Hrsg.), Demosthenes 2002. Generalthema 11. September 2001. Auswirkungen auf das Aufgabenund Fähigkeitsprofil der Deutschen Marine, Hamburg, Juni 2002, S. 76 so aber Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 18, FN 4 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 45 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 173 vgl. Wlodimir Stanislaus Ritter von Wilczynski, Theorie des grossen Krieges mit Hilfe des kleinen oder Partisanen-Krieges bei theilweiser Verwendung der Landwehr, Wien 1869 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 830
Harts2053, der anmerkt, dass Clausewitz nicht die politischen Implikationen des Kleinkrieges diskutiere, greift so nicht. Denn es ist Clausewitz’ Absicht, mit seinem Werk „Vom Kriege“ „… das Wesen der kriegerischen Erscheinung zu erforschen, ihre Verbindung mit der Natur der Dinge, aus denen sie zusammengesetzt sind zu zeigen.“2054 Und er hat – wie auch oben gezeigt – auch eindeutig die Gefahren der Eskalation des Kleinkrieges klar erkannt. Zudem hat er nicht nur in seinem Hauptwerk, sondern auch in seinen vielen weniger bekannten Schriften oftmals auf das Verhältnis von Politik und Krieg hingewiesen.2055 Darüber hinaus beschäftigt sich Clausewitz sehr wohl auch mit den konkreten politischen Auswirkungen des Volkskrieges; da er aber davon ausgeht, dass wenn „ …man kein Phantom verfolgen [will] … man sich den Volkskrieg in Verbindung mit dem Kriege eines stehenden Heeres denken [muss] und beide durch einen das Ganze umfassenden Plan geeinigt [sind].“2056 6.2
Zwischenergebnis
Die weitgehenden militärischen Konzeptionen der preußischen Reformer sind zum Teil von der damaligen politischen Führung abgelehnt worden und kamen insofern in den Befreiungskriegen nicht uneingeschränkt zur Umsetzung und Anwendung. Die Ablehnung durch Friedrich Wilhelm III. geschah nach Gerhard Ritter als notwendige Folge eines gegensätzlichen politischen Prinzips, in dem Kampfwille und Friedensordnung einander gegenübertreten und in dem revolutionäre Aktivisten auf der einen, dem konservativen Legitimisten auf der anderen Seite gegenüberstehen.2057 Zudem war die Volksbewaffnung ein zweischneidiges Schwert: Der Aufstand des bewaffneten Volkes war auch dann ein politischer Akt, wenn er sich gegen die revolutionäre Invasion richtete, und er besaß zwangsläufig demokratische Züge, auch wenn er die überkommene monarchische Ordnung schützte, und befand sich somit im Widerspruch zu dieser.2058 Der revolutionäre Krieg, wie er den Reformern vorschwebte, ist somit nicht geführt worden.2059
2053 2054 2055 2056 2057 2058
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Basel Henry Liddell Hart, Strategy, 2. Aufl., London 1991, S. 361 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 82 vgl. Hans Rothfels, Carl von Clausewitz (Hrsg.), Politische Schriften und Briefe, München 1922; vgl. Hans Rothfels, Carl von Clausewitz. Politik und Krieg. Eine ideengeschichtliche Studie, Berlin 1920 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 699 Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des Militarismus in Deutschland, 1. Bd., Die altpreußische Tradition (1740-1890), München 1954, S. 101 Volkmar Regling, Grundzüge der Landkriegsführung zur Zeit des Absolutismus und im 19. Jahrhundert, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden. 16481939, Bd. 6, Abschnitt IX Grundzüge der militärischen Kriegsführung 1648-1939, München 1983, S. 11 ff.; 197 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 56
295
6.3
Marx und Engels
Die Klassiker des Marxismus-Leninismus schätzten Clausewitz als einen hervorragenden militärischen Denker hoch ein.2060 Während allerdings für die Reformer Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz der Kleine Krieg ein Mittel war, den Staat zu erhalten bzw. wieder herzustellen, ist für die Revolutionäre Marx und Engels der Volkskrieg das Mittel, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu beseitigen und grundlegend zu ändern. Beim Studium der Probleme des Krieges und des Militärwesens galt ihr Interesse besonders „der Vorbereitung und Durchführung eines bewaffneten Aufstandes des Proletariats als einer wichtigen Seite des Klassenkampfes.“2061 Entsprechend der Entstehung, der theoretischen Grundlegung und den Zielsetzungen des revolutionären Marxismus lag es nahe, das Werk des General von Clausewitz vor allem im Hinblick auf seine politischen und philosophischen Gedankengänge zu untersuchen, zu begreifen und damit jenen Fragen nachzugehen, in deren Klärung und Darstellung dieser von jeher das wahre Ziel seiner Arbeit gesehen hatte.2062 Allerdings interpretierten die Vertreter der sozialistischen Militärwissenschaft die Clausewitzsche Auffassung der Politik dahingehend, dass dieser mit der Fortsetzung der Politik lediglich die Außenpolitik verstand, er jedoch völlig verkannte, dass der Krieg vor allem die Fortsetzung der Innenpolitik sei, die die Klassenstruktur der Gesellschaft unmittelbar zum Ausdruck bringt.2063 Insofern wird die Beziehung zwischen Krieg und Revolution von Marx und Engels, die zwar keine geschlossene Kriegstheorie hinterließen,2064 in der Perspektive der Frage gesehen, inwiefern ein Krieg zwischen Staaten die Sache der Revolution auf nationaler oder internationaler Ebene fördern oder hemmen kann.2065 Auch die Möglichkeiten des Terrorismus sind für sie hierbei von Bedeutung. Dabei nehmen Engels und Marx ebenso auf den Terror der französischen Revolution und damit die Herkunft des Begriffes „Terror“ Bezug.2066 Napoleon Bonaparte ist für sie der Vollender des Terrorismus, indem er den letzten „… Kampf des revolutionären Terrorismus gegen die gleichfalls durch die Revolution proklamierte bürgerliche Gesellschaft und deren Politik …“ führte „… und den Terrorismus [vollzog], indem er an die Stelle der permanenten Revolution den permanenten Krieg setzte.“2067 Marx und Engels hatten gleichfalls die Vorteile des verdeck2060 2061 2062
2063 2064 2065 2066 2067
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Deutscher Militärverlag, Krieg, Armee Miltärwissenschaft, Berlin 1963, S. 11; vgl. Maxwell Taylor, The Terrorist, London, Oxford, Washington, 1998, S. 61 f. S.I. Krupnow, Dialektik und Militärwissenschaft, Berlin 1965, S. 16 Werner Hahlweg, Lenin und Clausewitz. Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 592 ff.; 593; Dixon/Heilbrunn gehen sogar davon aus, dass es sogar Marx war, der als erster die ungeheure Bedeutung dieser Kriegserscheinung erkannte. (C. Aubrey Dixon, Otto Heibrunn, Partisanen, Strategie und Taktik des Guerillakrieges, Frankfurt am Main, Berlin, 1956, S. 4) Diese Ansicht übersieht allerdings die Leistungen Scharnhorsts, Gneisenaus und Clausewitz’ für die Bedeutung des Gegenstandes, so wie sie auch in der vorliegenden Arbeit in den vorangehenden Kapiteln herausgearbeitet wurden und auf die auch Marx reflektiert. Vgl. Deutscher Militärverlag, Krieg, Armee Miltärwissenschaft, Berlin 1963, S. 11 Theodor Arnold, Der revolutionäre Krieg, 2. Aufl., Pfaffenhofen / Ilm 1961, S. 15 Panajotis Kondylis, Theorie des Krieges. Clausewitz – Marx – Engels – Lenin, Stuttgart 1988, S. 199 vgl. Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten, in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Engels. Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. I, Berlin 1987, S. 105 ff.; 122 Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Konsorten, in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Engels. Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. I, Berlin 1987, S. 105 ff.; 122; So lautet denn
ten Kampfes erkannt; die Möglichkeiten, die für den Schwächeren darin lagen, dass er sich in den lokalen Verhältnissen besser auskannte und imstande war, dort zuzuschlagen, wo die Ordnungskräfte es am wenigsten erwarteten.2068 Allerdings haben sie schlussendlich keine kohärente theoretische Position für den irregulären Kampf formuliert.2069 6.3.1
Karl Marx
Für Karl Marx erwies sich der der Idee des Klassenkampfes immanente Offensivgedanke mit dem in ihm tätigen Prinzip der Bewegung geradezu als prädestiniert, bot doch die Offensive in der Gestalt einer offensiven Verteidigung wie in der Diversion bestimmte Voraussetzungen, um angesichts einer erdrückenden materiellen und militärischen Überlegenheit einen gewissen Kräfteausgleich zwischen den ihrer Natur nach ungleichwertigen Kampfverbänden herzustellen, wenn ohne Rücksichtnahme auf eine konventionelle Kriegführung der schwächere Part es verstand, die jeweils zweckmäßigen Mittel militärischer und politischer Strategie in sein Kalkül einzubeziehen und dementsprechend zu handeln.2070 Mit der Deklarierung einer totalen Kriegführung erobert Marx für das Proletariat eine neue strategische Dimension, die in der Verknüpfung von militärischer und politischer Aktion den Gegner durch Beweglichkeit und Massenhaftigkeit zu unterlaufen sucht.2071 Die Dynamik der proletarisch und übernational konzipierten „Sozialen Revolution“ wird hierbei ebenso ins Kalkül gezogen wie die Guerillakriegführung, die durch das Ausspielen des Überraschungsmoments den „Klassenfeind“ in Panik und Paralyse versetzen soll.2072 Die Doppelnatur des Partisanenkampfes gestattet es Marx, sich wehrpolitisch dieser Kampfform ohne Preisgabe der revolutionären Zielsetzung bald auf der Ebene der rein militärischen Auseinandersetzung, bald auf der bloßen politischen unter anderem in Form von Streiks, Demonstrationen, Zersetzungstätigkeit in der Armee zu bedienen.2073 Dabei werden die Mittel nach den Grundsätzen der Effektivität und des zu erwartenden Erfolges eingesetzt. Versagt das Mittel der militärischen Gewaltanwendung, dann verbleibt immer noch die Möglichkeit des Ausspielens politischer Kampfmittel, um „infinitesimal“ das gesteckte Ziel zu erreichen.2074 Mit der Erhebung des Guerillakrieges aus einem subsidiären Mittel der Kriegführung zu der alleinigen, die militärische und politische Kampfführung des Proletariats bestimmende Form erhält das Proletariat für Marx eine Chance, die materielle Überlegenheit des Gegners zu kompensieren und die Partisanenkriegführung wird im Na-
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auch der Titel eines Buches von Raymond Aron: „Der permanente Krieg“. (Raymond Aron, Der permanente Krieg, Frankfurt am Main 1953) Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 111 vgl. Ian F. W. Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies. Guerrillas and their Opponents since 1750, London, New York 203, S. 14 vgl. Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 30 Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 32 Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 33 Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 33 Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 33
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men des Kampfes für eine „neue und bessere Gesellschaft“ legitimiert.2075 Auch der Begriff des „revolutionären Terrorismus“ wird von Marx in diesem Zusammenhang benutzt und als „… plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum fertig zu werden“, 2076 und als „rücksichtslose“ Form der Gewalt beschrieben.2077 Aber Marx sieht den Terrorismus nicht eindimensional nur als Gewalt von unten, sondern auch als ein Instrument staatlicher Unterdrückung: „Aber die royalistischen Terroristen, die Terroristen von Gottes- und Rechtsgnaden, in der Praxis sind sie brutal, verächtlich, gemein, in der Theorie feig, versteckt, doppelzüngig in beiden Beziehungen ehrlos.“2078 Folglich sind hier bereits die Grundlagen dafür gelegt, was später als „Staatsterrorismus“ bezeichnet werden soll. 6.3.2
Friedrich Engels
Obwohl die Beschäftigung mit militärischen Fragen für Friedrich Engels, der in der Literatur als Militäranalytiker Beachtung findet,2079 letztlich nur eine funktionale Bedeutung im Hinblick auf seine revolutionäre Tätigkeit hatte, kann man seinem Hauptanliegen nicht gerecht werden, wenn man die militärische Seite seines Schaffens ausklammert; vielmehr ermöglicht erst die militärwissenschaftliche Analyse seiner diesbezüglichen Schriften es oft, die revolutionäre Bedeutung der Texte, ihren Stellenwert im revolutionären Denken Engels’ zu erkennen.2080 Mit den Gedanken über den Kleinen Krieg, die er in Verbindung mit Marx entwickelte, legte Engels, der selbst an den revolutionären Kämpfen 1848/49 teilgenommen hatte und dort den Kleinen Krieg in seiner Wirklichkeit erlebt hatte, die Grundlagen für die proletarische Revolution des so ganz mit dem revolutionären Geschehen verbundenen Partisanenkrieg, auf denen Lenin später aufbauen sollte.2081 Insofern haben 2075 2076 2077 2078 2079 2080
2081
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Gerhard Ritter, Das Kommunemodell und die Begründung der Roten Armee im Jahre 1918, Berlin 1965, S. 36 Karl Marx, Die Bourgeoisie und die Konterrevolution, in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Engels. Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. I, Berlin 1987, S. 497 ff.; 505 Karl Marx, Die standrechtliche Beseitigung der „Neuen Rheinischen Zeitung“, in: Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Engels. Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. I, Berlin 1987, S. 594 ff.; 596 f. Karl Marx, Die standrechtliche Beseitigung der „Neuen Rheinischen Zeitung“, in: Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Karl Marx und Friedrich Engels. Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. I, Berlin 1987, S. 594 ff.; 597 vgl. Raymond L. Garthoff, Die Sowjetarmee. Wesen und Lehre, Köln 1955, S. 65 Heinz-Ludger Borgert, Friedrich Engels und die Militärwissenschaften, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel (Hrsg.), Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 69 ff.; 74; In diesem Sinne wurde Engels auch im kommunistischen Machtbereich als „Der General“ gefeiert. (vgl. Gerhard Zierke, Der General. Heimabendmaterial zum 140. Geburtstag Friedrich Engels’ am 28. November 1960, Berlin 1960) Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 53; vgl. Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 502; Zu den militärischen Erfahrungen von Engels, seinen militärwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Studien sowie deren Bedeutung vgl. zusammenfassend auch Dietmar Schössler, Friedrich Engels. Totalitäre Sicherheitspolitik. Ein Militärwissenschaftler im Kontext eines weltpolitischen und strategischen Gesamtansatzes, in: Jürgen Belles, Klassische Staatsentwürfe. Außenpolitisches Denken von Aristoteles bis heute, Darmstadt 1996, S. 181 ff.
seine Schriften die Entwicklung der marxistischen und – späteren – sowjetischen Militärwissenschaft stark beeinflusst,2082 so dass ihn Jehuda Wallach als den „Gründer der marxistischen Kriegslehre“2083 bezeichnet. Auch Friedrich Engels hat die Bedeutung des Volkskrieges am französischen Beispiel studiert und seine Besonderheiten herausgearbeitet.2084 Engels sah die wichtige Rolle der französischen Revolution für die Gestaltung neuer Kriegsformen als Folge der Emanzipation der Bourgeoisie und der Bauern, und er kam zu der Erkenntnis, dass die Befreiung des Proletariats eine ganz neue Kriegslehre bedinge.2085 Für Engels steht fest, dass der revolutionäre Krieg, der den Aufstand der Masse, die allgemeine Insurrektion des Volkes, als Mittel beinhaltet und dessen Ausführung gewöhnlich den revolutionären Terrorismus voraussetzt, nie von der Monarchie in einem Abwehrkampf eingesetzt wird.2086 Am deutsch-französischen Krieg 1870/71 untersucht Engels den Guerillakrieg und stellt die Wechselbeziehung zwischen Kleinkriegstaktik, Aufklärung und dem Schutz der eigenen Kräfte im Volkskrieg für den strategischen Erfolg heraus. Der „leichte Infanteriedienst“ zum Schutz der Flanken und des rückwärtigen Gebietes vor „Überraschungen“ ist für ihn ebenso eine „Kunst“ wie Fühlung mit dem Feind zu halten, überfallartige Angriffe auf ihn durchzuführen, Nachrichten zu beschaffen und Gefangene einzubringen.2087 Die Unsichtbarkeit eines Feindes, der zwar keinen offenen Widerstand leistet, aber mit Irregulären Kräften unverhofft in den Flanken des Gegners auftaucht und seine Verbindungslinien stört und von der Bevölkerung des besetzten Gebietes unterstützt wird, lässt die Invasion machtlos werden.2088 Damit erkennt Engels, der auch Clausewitz eingehend studiert und ihn dann Marx empfohlen hat,2089 dass der Feind, der im fremden Land auf keinen regulär verteidigenden Gegner trifft, in die Leere des Raumes läuft. Entscheidende Voraussetzung hierfür ist für Engels aber die Unterstützung der Bevölkerung des besetzen Landes. Nach der sozialistischen Auffassung haben Marx und Engels das Fundament einer künftigen sozialistischen Militärwissenschaft gelegt und die Grundsätze und Ziele eines revolutionärdemokratischen und proletarischen Militärprogramms ausgearbeitet.2090 Marx und Engels haben damit befruchtend auf die Lehren Lenins und damit auch weiterer Ver-
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Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 31 Jehuda L. Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972, S. 251 vgl. Friedrich Engels, Über den Krieg. „Die Aussichten des Krieges“, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 14 ff.; Friedrich Engels, Über den Krieg - XXXI, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S.20 ff.; vgl. Friedrich Engels, Die Ereignisse in Frankreich vom militärischen Standpunkt, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 25 ff. Jehuda L. Wallach, Die Kriegslehre von Friedrich Engels, Hamburg 1968, S. 34 vgl. Friederich Engels, der Krieg in Italien, in: Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 54 ff.; 55 Friedrich Engels, Über den Krieg. „Über die militärische Lage in Frankreich“, in: Marx-Lenin-EngelsInstitut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 10 ff.; 12 Friedrich Engels, Über den Krieg. „Über die militärische Lage in Frankreich“, in: Marx-Lenin-EngelsInstitut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 10 ff.; 12 f. Jehuda L. Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. Die Lehren von Clausewitz und Schlieffen und ihre Wirkungen in zwei Weltkriegen, Frankfurt am Main 1967, S. 13 S.I. Krupnow, Dialektik und Militärwissenschaft, Berlin 1965, S. 16 f.
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fechter des Partisanenkrieges gewirkt2091 und somit wichtige Vorarbeiten zu einer „revolutionären Guerilla“ als eine Verbindung von Ideologie und Kleinkrieg geleistet.2092 6.4
Lenin
Die Problemstellung des „Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“2093 ist uralt und galt grundsätzlich schon immer.2094 In dieser Formel hat Clausewitz den Kompromiss zum Ausdruck gebracht, für den sich die ihm bekannten Staaten entschieden hatten; die vorherrschenden ethischen Vorstellungen – absolute Staatshoheit, geordnete Diplomatie und gesetzlich bindende Verträge – wurden geachtet, während man zugleich den übergeordneten Staatsinteressen Zugeständnisse machte.2095 Clausewitz bezeichnete den Krieg als einen Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen.2096 Lenin war beeindruckt von Clausewitz’ Art, den Krieg als gesellschaftliches Ereignis zu behandeln.2097 Die Ideen von Clausewitz nehmen eine besonders hervorstechende Rolle unter den Einflüssen ein, die an zentraler Stelle in die Ideologie eingetreten sind.2098 Lenin als einer der wesentlichsten Vertreter der politischen Subversion2099 hatte ebenso wie Engels von Anbeginn erkannt, dass das Militär- und Kriegswesen eine geradezu zentrale Stelle in dem gewaltsamen Akt der proletarischen Revolution einnehmen musste.2100 Es war Lenin, der schon während des ersten Weltkriegs im Schweizer Exil Clausewitz durchgearbeitet hatte2101 und der aus der Beschäftigung mit Clausewitz die Lehren und 2091 2092 2093 2094 2095
2096 2097 2098 2099 2100 2101
300
Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 9 f. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 111 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg, 1984, S. 22 Gustav E. Gustenau, Zum Primat der Politik. Wider den Mißbrauch eines Begriffes, in: ÖMZ 1994, S. 253 ff., 254; vgl. Alfred Plienegger, Konturen einer Europäischen Armee, in: ÖMZ 1988, S. 23 ff.; 23 John Keegan, Die Kultur des Krieges, 1. Aufl. Berlin, 1995, S. 24; vgl. Daniel M. Proektor, Clausewitz und die Gegenwart, in: ÖMZ 1988, S. 139 ff.; 139 f.; vgl. Werner Hahlweg, Philosophie und Militärtheorie im Denken und in den Aufzeichnungen des Generals von Clausewitz, in: ÖMZ 1988, S 31 ff; 31; vgl. Raimond Aron, Die Staatengemeinschaft und der Krieg, in: ASMZ 1976, S. 18 ff.; 18 Harald Wust, Wehrfähigkeit als Voraussetzung für einen klugen Frieden, in: Dermont Bradley, Wolfram Zeller (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, JG. 1, Osnabrück 1995, S. 1 ff.; 2 Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 57 Franz Freistetter, Lenins Notizen zu Clausewitz’ „Vom Kriege“, in: ÖMZ 1964, S. 409 ff.; 409 Christoph Rojahn, Militärische Antiterroreinheiten als Antwort auf die Bedrohung des internationalen Terrorismus und Instrument nationaler Sicherheitspolitik – das Beispiel Amerika, München 2000, S. 23 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 69 Harald Weghaupt, Historische und geopolitische Aspekte der russischen Staatsidee Teil 2: Revolution und großer Vaterländischer Krieg, ÖMZ 1995, 169 ff.; 170; vgl. Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 244 ff.; 251; vgl. Herfried Münkler, Carl von Clausewitz, in: Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hrsg.), Piepers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 4, Neuzeit: Von der Französischen Revolution bis zum europäischen Nationalismus, München 1986, S. 92 ff.; 102; vgl. Friedrich Ruge, Politik und Strategie. Strategisches Denken und politisches Handeln, Frankfurt a. Main 1967 S. 270; vgl. Heinz von und zur Gathen, Clausewitz “Vom Kriege” – Werk und Wirkung, in: Dermont Bradley, Heinz-Ludger Borgert, Wolfram Zeller, (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, JG. 2, Osnabrück 1996, S. 78 ff.; 84; vgl. Ulrich de Maizière, Politische Führung und militärische Macht, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 92; vgl. Rudolf Aschenauer, Krieg ohne Grenzen. Der Partisanenkampf gegen Deutschland 1939-1945, Augsburg 1982, S. 35; vgl. D. Grinischin, Die militärische Tätigkeit Wladimir Iljitsch Lenins,
Folgerungen für die politische Praxis im Kampf um die Begründung und Erhaltung der Sowjetmacht zog und die über seine Zeit hinaus zur Gegenwart führten.2102 Damit hat Lenin durch seine Auseinandersetzung mit Clausewitz die Grundlage für ein systematisches Studium seiner Schriften gelegt2103 und aus der Sicht der sozialistischen Militärwissenschaft einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des militärischen Denkens gelegt.2104 Lenin hat sich insbesondere für das Verhältnis von Krieg und Politik, für die moralischen Größen, für die Dialektik von Angriff und Verteidigung, also für alle Gedanken interessiert, die er entweder auf die politische Strategie anwenden oder dazu benutzen konnte, seine eigene politisch-militärische Strategie zu rechtfertigen.2105 Besondere Aufmerksamkeit fanden die Gedanken Clausewitz’ über den Krieg als Mittel der Politik, die Verteidigung des Landes auf fremden Boden sowie der strategische Charakter eines Verteidigungskrieges,2106 und zahlreiche Feindbilder aus dieser Gründungsphase des Sowjetstaates prägten die Haltung gegenüber dem Ausland im Zusammenhang mit geopolitischen Faktoren über Jahrzehnte.2107 Lenin schmiedete sich aus dem Inhalt des Werkes „Vom Kriege“ eine wirksame geistige Waffe für sein Ringen um die Begründung der Sowjetmacht und machte die Hauptthesen von Clausewitz über das grundsätzliche Verhältnis von Krieg und Politik zu feststehenden Elementen des Marxismus-Leninismus mit einer bezeichnenden Umkehrung.2108 Während für Clausewitz der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln war, stellte Lenin Clausewitz auf den Kopf, indem er die Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verstand.2109 Für Lenin war der Krieg ein Teil des Ganzen, und
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Berlin, 1958, S. 26; vgl. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 57; vgl. Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz, in: Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg (Hrsg.), Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, 2. Bd., Berlin 1956, S. 491 ff.; 500; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 39; vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 55 W. Hahlweg, Clausewitz und die Gegenwart, in: Bundesministerium für Verteidigung (Hrsg.), Handbuch politisch-historischer Bildung, Schicksalsfragen der Gegenwart, Bd. 2, Tübingen 1957, S. 183 ff.; 202; vgl. Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Klassiker der Kriegskunst, Darmstadt 1960, S. 244 ff.; 251; vgl. Herfried Münkler, Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt a. Main 1992, S. 209; vgl. Hans-Henning Schröder, Gorbatschow und die Generäle. Militärdoktrin, Rüstungspolitik und öffentliche Meinung in der „Peresteojka“, in: Berichte des BIOst 1987, Heft 45, S. 17 f.; vgl. Hans-Christian Pilster, Politik und Strategie im Warschauer Pakt, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 133 ff.; 135 ff.; vgl. Piet Tommissen, Über Carl Schmitts „Theorie des Partisanen,“ in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 709 ff.; 718 Dieter Senghaas, Rückblick auf Clausewitz, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 334 ff.; 334 vgl. Deutscher Militärverlag, Krieg, Armee Miltärwissenschaft, Berlin 1963, S. 11 Raymond Aron, Clausewitz. Den Krieg denken, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. ,387 vgl. W. I. Lenin, Clausewitz’ Werk „Vom Kriege“. Auszüge und Randglossen, Berlin 1957; vgl. Albert A. Stahel, Simulation von Kriegen, in: ÖMZ 1990, S. 125 ff.; 127 Harald Weghaupt, Historische und geopolitische Aspekte der russischen Staatsidee Teil 2: Revolution und großer Vaterländischer Krieg, ÖMZ 1995, 169 ff.; 170 Heinz von und zur Gathen, Clausewitz “Vom Kriege” – Werk und Wirkung, in: Dermont Bradley, HeinzLudger Borgert, Wolfram Zeller, (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, JG. 2, Osnabrück 1996, S. 78 ff.; 84 f. Richard E. Pipes, Entspannung aus sowjetischer Sicht, in: Europäische Wehrkunde 1980, S. 56 ff.; 57 f.; Heinz von und zur Gathen, Clausewitz “Vom Kriege” – Werk und Wirkung, in: Dermont Bradley, HeinzLudger Borgert, Wolfram Zeller, (Hrsg.), MARS. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen, JG. 2, Osnabrück 1996, S. 78 ff.; 85; vgl. Maxwell Taylor, The Terrorist, London, Oxford, Washington, 1998, S. 62. De Maizière schreibt allerdings mit Verweis auf Garthoff (Raymond L. Garthoff, Die Sowjetarmee.
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das Ganze ist die Politik.2110 Die militärische Strategie ist damit Teil der politischen Strategie, und die Ziele der politischen Strategie sind auch die Ziele der militärischen Strategie.2111 Lenin führte den Krieg sowohl mit politischen als auch mit militärischen Mitteln, je nachdem, wie es ihm gerade nützlich erschien.2112 War die eigene wirtschaftliche Kapazität nicht ausreichend genug, um Änderungen im Kräfteverhältnis herbeizuführen, waren die eigenen politischen Postulate nicht überzeugend genug, um über den Menschen der anderen Seite Änderungen zu bewirken, dann hatte sich vermehrt eine Abstützung auf militärische Mittel, die sich nicht nur auf den quantitativen und qualitativen Ausbau der Streitkräfte beschränkte, sondern auch auf die so umfassend wie möglich angelegten geostrategischen Mittel als Instrument der Überzeugung ergeben.2113 Lenin verstand es, die Thesen des deutschen Kriegsphilosophen organisch mit den Lehrsätzen des revolutionären Marxismus zu vereinigen und wusste die bolschewistischen Anschauungen über das Wesen des Krieges und seiner Führung durch Einführung der Hauptgedanken von Clausewitz zu bereichern und zu vertiefen.2114 Insofern hat Lenin es nicht nur verstanden, Clausewitz auszuwerten, sondern ihn auch auszubeuten.2115 Allerdings erfolgte Lenins Beschäftigung mit Clausewitz’ Hauptwerk „Vom Kriege“ ausschließlich vom Blickpunkt der Politik, von dem zentralen Anliegen der proletarischen Weltrevolution aus.2116 In seinen Ansichten über die Partisanenkriegführung steckt auch viel von dem Kern seiner Gedankengänge über den bewaffneten Aufstand,2117 wovon er die Organisation als Waffe der kommunistischen Partei ableitete, welcher es möglich sein sollte, das Proletariat als Instrument der Revolution zu organisieren.2118 In diesem Sinne wurde Lenin auch im kommunistischen Machtbereich als Fortsetzer des Werkes von Marx und Engels verstanden, der sich als Militärfachmann,
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Wesen und Lehre, Köln 1955, S. 35) diese Formulierung dem langjährigen sowjetischen Generalstabschef Marschall Schaposchnikow zu (vgl. Ulrich de Maizière, Politische Führung und militärische Macht, in: Clausewitz-Gesellschaft [Hrsg.], Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 91 ff.; 93). Carsten Kießwetter, Michail Wassiljewitsch Frunse – der sowjetische Clausewitz. Zur Reorganisation der Roten Arbeiter- und Bauernarmee und zur Begründung der einheitlichen proletarischen Militärdoktrin, in: Ferenc I. Majorus, Armin A. Steinkamm, Bernhard W. Krack, Politik – Geschichte – Recht und Sicherheit, Festschrift für Gerhard Ritter, Würzburg 1995, S. 209 ff.; 221 Carsten Kießwetter, Michail Wassiljewitsch Frunse – der sowjetische Clausewitz. Zur Reorganisation der Roten Arbeiter- und Bauernarmee und zur Begründung der einheitlichen proletarischen Militärdoktrin, in: Ferenc I. Majorus, Armin A. Steinkamm, Bernhard W. Krack, Politik – Geschichte – Recht und Sicherheit, Festschrift für Gerhard Ritter, Würzburg 1995, S. 209 ff.; 221 Richard E. Pipes, Entspannung aus sowjetischer Sicht, in: Europäische Wehrkunde 1980, S. 56 ff.; 58 Franz Freistetter, Konfrontation – Konflikte – Kriege, in: ÖMZ 1977, S. 96 ff.; 101 Werner Hahlweg, Das Clausewitzbild einst und jetzt, in: Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 1 ff.; 37; vgl. Hans-Christian Pilster, Politik und Strategie im Warschauer Pakt, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 133 ff.; 138; vgl. Gerhard Ritter, Wehrpolitik, o.OA., o.JA., S. 429; vgl. W.I. Lenin, Über Krieg, Armee und Militärwissenschaft, Bd. I, Berlin 1958, S. 516 f. Wilhelm Ritter von Schramm, Zum Verständnis des Werkes, in: Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 250 ff.; 255 Werner Hahlweg, Lenin und Clausewitz. Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Günter Dill (Hrsg.), Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Clausewitz: Vom Kriege, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, S. 592 ff.; 640 Walter D. Jacobs, Irreguläre Kriegführung und die Sowjets, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 101 ff.; 101 vgl. Ian F. W. Beckett, Modern Insurgencies and Counter-Insurgencies. Guerrillas and their Opponents since 1750, London, New York 203, S. 14 f.
Theoretiker in den Fragen des modernen Krieges, der Armee und Militärwissenschaft ausgezeichnet hat2119 und als Begründer der sowjetischen Militärwissenschaft gilt.2120 6.4.1
Partisanenkrieg und Terrorismus
Auch und gerade dem Partisanenkrieg hat Lenin besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bei seinen Bemühungen, eine regelrechte Lehre des Kleinkrieges zu schaffen, gebrauchte er die Bezeichnungen „Partisanenkampf“ oder „Partisanenkrieg“ und verstand darunter Aktionen der revolutionären Volksmassen, die in totaler Mobilisierung und auf der Grundlage des Klassenkampfes in kleinen und kleinsten Abteilungen unaufhörlich den zarischen Verwaltungs- und Militärdienst zu bekämpfen hatten.2121 Für Lenin, der Theorie und Praxis in nahezu vollkommener Weise miteinander zu verbinden wusste, der die Probleme der proletarischen Revolution im Lichte dialektischer Interpretation von allen Seiten in Vorstellung und Wirklichkeit beleuchtete, war es freilich naheliegend, in der Führung des Partisanenkrieges der revolutionären Volksmassen ein wirksames Agens im Machtkampf des Proletariats zu erblicken.2122 Die Irregularität des Klassenkampfes stellte das ganze Gebäude der politischen und sozialen Ordnung in Frage.2123 Sah Clausewitz die Guerilla noch in die konventionellen Auseinandersetzungen zweier kriegführender Staaten eingebettet, als „Krieg innerhalb des Krieges“, so erweitert ihn Lenin um den Bereich einer innerstaatlichen (kommunistischen) Revolution.2124 In diesem Sinne hat er, über Marx und Engels hinauslangend, den Grundtypus des modernen Partisanenkampfes im Osten entwickelt.2125 Über die mit dem Partisanenkampf verbundenen Aktionsformen – Terror, Infiltration, Umsturz, Propaganda und Sabotage – ist die bolschewistische Minderheit in Russland zur Macht gelangt.2126 Dieser ideologische Klassenkrieg wurde weit über die Grenzen seines Ursprungslandes hinaus getragen.2127 Für Lenin hat der bewaffnete Kampf zwei verschiedene Ziele, die er auch streng voneinander unterscheiden will: Zum einen ist die Zielsetzung „die 2119 2120
2121 2122 2123 2124 2125 2126 2127
vgl. D. Grinischin, Die militärische Tätigkeit Wladimir Iljitsch Lenins, Berlin, 1958, S. 7; vgl. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Lenin und die sowjetischen Streitkräfte, Berlin 1970, S. 9 f. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Das philosophische Erbe W.I. Lenins und Probleme des modernen Krieges, Berlin 1974, S. 117; vgl. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Lenin und die sowjetischen Streitkräfte, Berlin 1970, Berlin 1970, S. 10; vgl. Hans-Christian Pilster, Politik und Strategie im Warschauer Pakt, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 133 ff.; 138 Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 502 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 69; vgl. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.), Das politische Erbe W.I. Lenins und Probleme des modernen Krieges, Berlin 1974, S. 11 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 57 Hans-Joachim Müller-Borchert, Guerilla im Industriestaat. Ziele, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten, Hamburg 1973, S. 21 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 69 Slavko N. Bjelajac, Unkonventionelle Kriegführung im Atomzeitalter, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 578 ff.; 582 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 10
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Tötung von einzelnen Personen, Vorgesetzten und Subalternen in Polizei- und Heeresdienst“; zum anderen „die Beschlagnahme von Geldmitteln sowohl bei der Regierung als auch bei Privatpersonen.“2128 Die erste Zielsetzung zeigt die operativ-taktische Stoßrichtung der bewaffneten Aktion an: die Ausschaltung von Vertretern und Repräsentanten der Staatsmacht; die zweite Stoßrichtung ist eine operativ-taktische Handlung zur Beschaffung von finanziellen Mitteln, um den revolutionären Apparat und die Revolutionäre mit Geldmitteln zu unterstützen. Dabei ist die Zweite eine Maßnahme zur Logistik bzw. Einsatzunterstützung und somit mehr eine pragmatische Notwendigkeit als eine ideologisch Krieg entscheidende Handlung. Beide operativ-taktischen Stoßrichtungen dienen bei Lenin dem strategischen Ziel der kriegführenden Partei in der Epoche des Bürgerkrieges.2129 Der Revolutionär wird als Partisan definiert, der durch Attentate, Terror und Sabotageakte die Herrschaft zu erkämpfen hat.2130 In der strategischen Konzeption, der operativen Vorgehensweise und taktischen Umsetzung will sich Lenin nicht an starre theoretische Vorgaben halten. Er versteht den revolutionären Krieg als Mittel zur Erreichung politischer Ziele und will die Formen des Kampfes und seine Mittel flexibel und dynamisch den jeweiligen Situationen anpassen und gegebenenfalls weiterentwickeln und auch neu definieren.2131 Lenin weigert sich – mit Verweis auf den Marxismus – „… ein für allemal irgendwelche Kampfformen abzulehnen“.2132 Rojahn meint, dass Lenin den Terrorismus zwar nicht aus moralischen Gründen ablehnte, sondern dass er ihn lediglich für ein ineffizientes und gelegentlich kontraproduktives Mittel im Bemühen um gesellschaftliche Veränderungen hielt.2133 Tatsächlich unterschied Lenin auch noch zwischen Terrorismus und Terror, wobei Terrorismus für ihn die mangelhaft koordinierte Gewalt darstellte, hingegen er Terror als Attentate auf einzelne Persönlichkeiten, verbunden mit einem organisierten Aufstand, oder auch die Erschießung von Personengruppen der als feindlich angesehenen Gesellschaftsklassen während eines Bürgerkrieges charakterisierte.2134 Der „Terror als eine Kampfhandlung, die in einem bestimmten Zeitpunkt der Schlacht, bei einem bestimmten Zeitpunkt der Truppe und unter bestimmten Bedingungen durchaus angebracht und sogar notwendig sein“ könne, wurde von Lenin nicht abgelehnt, sondern er beurteilt dieses Kampfmittel nur danach, ob es „unter den gegebenen Umständen unzeitgemäß oder unzweckmäßig“ ist.2135 Lenin hält es daher für notwendig, „… den Terror mit dem Aufstand der Masse zu verbinden…“2136 Mit 2128 2129 2130
2131 2132 2133 2134 2135 2136
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W. I. Lenin, Der Partisanenkrieg, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des MarxismusLeninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 51 ff.; 54 vgl. W. I. Lenin, Der Partisanenkrieg, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 51 ff.; 58 Johannes Gaitanides, Reflexionen über das Partisanentum, in: Rudolf Riemer, Partisanenkrieg im Atomzeitalter, München 1967, S. 9 ff.; 11; Müller-Borchert stellt hier diese Verhaltensweisen neben die Guerilla und grenzt damit gleichzeitig Streiks, Unruhen und Barrikadenkämpfe von der Guerilla ab, die nach seiner Interpretation nur ein wenn auch entscheidender Aspekt der offenen Auseinandersetzung in der Revolution sein soll. (Hans-Joachim Müller-Borchert, Guerilla im Industriestaat. Ziele, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten, Hamburg 1973, S. 21) vgl. W. I. Lenin, Der Partisanenkrieg, in: Marx-Lenin-Engels-Institut (Hrsg.), Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über den Partisanenkampf, Moskau 1945, S. 51 ff.; 51 ff. W.I. Lenin, Über Krieg, Armee und Militärwissenschaft, Bd. I, Berlin 1958, S. 302 Christoph Rojahn, Militärische Antiterroreinheiten als Antwort auf die Bedrohung des internationalen Terrorismus und Instrument nationaler Sicherheitspolitik – das Beispiel Amerika, München 2000, S. 23 Walter Grottian, Lenins Anleitung zum Handeln. Theorie und Praxis sowjetischer Außenpolitik, Köln, Opladen 1962, S. 65 ff. W. I. Lenin, Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, Berlin 1987, S. 9 W.I. Lenin, Über Krieg, Armee und Militärwissenschaft, Bd. I, Berlin 1958, S. 101; Dagegen führt Riedmiller, der aus, dass Lenin in seinem Traktat „Was tun?“ zwar eine Strategie für den gewaltsamen
diesen Formulierungen bringt Lenin den Terror mit dem Begriff des Krieges in Zusammenhang und entscheidet über seinen Einsatz nach dem Kriterium der Effektivität. 6.4.2
Partisanenkampf in der sowjetischen Militärkonzeption
Lenin hatte die Figur des Partisanen als eine wichtige Figur des nationalen und internationalen Bürgerkrieges begriffen und in ein wichtiges Instrument der zentralen kommunistischen Parteileitung zu verwandeln versucht.2137 Die Klassiker des Marxismus-Leninismus hatten die Grundlagen der Konzeption des subversiven Krieges angepasst, um ihr Ziel, die beschleunigte Herrschaft des Kommunismus, zu erreichen,2138 und in der militärwissenschaftlichen Literatur des kommunistischen Machtbereiches nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Partisanenkampf – in Abhängigkeit der bestehenden Machtverhältnisse – entweder als ein Bestandteil eines „gerechten“ Krieges eines Staates oder „bestimmter Klassenkräfte“ im Kampf zur „nationalen Befreiung des Landes“ oder „gegen eine nationale oder soziale Unterdrückung“ gesehen.2139 Dabei wollte man sich durchaus die Formen des Kleinkrieges nutzbar machen; zugleich sollte der Partisanenkampf nicht mit „Kleinkrieg, einschließlich der Diversionstätigkeit von Rangerbanden“ gleichzusetzen sein.2140 Mit dieser Formulierung sollte die sowjetische Partisanenbewegung auch sprachlich von den militärischen Spezialeinheiten der US-Amerikaner abgegrenzt werden. Die militärische Bedeutung, die die Partisanenaktionen als einen wesentlichen Teil der russischen Kriegführung im Rücken der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg erlangt hat, bewirkte, dass sie für die Strategie des sowjetischen Generalstabes unersetzbar wurde.2141 Gleichzeitig wurde die Berechtigung des Kampfes gegen den „faschistischen Aggressor“ in keiner Weise in Frage gestellt und der Partisanenkrieg wurde in der Sowjetunion auch in der Nachkriegszeit zur Legitimierung der sowjetischen politischen Macht verwendet.2142 Zudem galt der „Partisanenkampf als besonders wirkungsvolle Form des bewaffneten Kampfes der Volksmassen … [der] … die Einheit von politischem und bewaffneten Kampf“ verkörperte und der nach dieser Anschauung in der Regel die Vorstufe zum bewaffneten Aufstand bildete.2143 Gleichzeitig wurde dieser Kampf in der sozialistischen Militärgeschichtsschreibung als historisches Vorbild für den „nationalen Befreiungskampf“ und den „Volksbefreiungskrieg“ für die sozialistischen Länder proklamiert.2144 Der militärische Weg, die ultima ratio einer allein mit politischen Mitteln nicht durchsetzbaren Forderung, ist charakterisiert durch
2137 2138 2139 2140 2141 2142 2143 2144
Umsturz entworfen habe, er diese aber eben nicht mit Hilfe der Mobilisierung der Massen, sondern durch die Schaffung einer Kaderpartei aus Berufsrevolutionären realisieren wollte. (Josef Riedmiller, Die Vorphase der russischen Revolution, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 28 ff.; 35) Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 54 Armin A. Steinkamm, Die Streitkräfte im Kriegsvölkerrecht, Würzburg 1967, S. 21 vgl. Peter Kolmsee, Der Partisanenkampf in der Sowjetunion, Berlin 1963, S. 13 ff. Peter Kolmsee, Der Partisanenkampf in der Sowjetunion, Berlin 1963, S. 13 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 80 Ruth Bettina Birn, „Zaunkönig“ an „Uhrmacher“. Große Partisanenaktionen 1942 / 43 am Beispiel des Unternehmens „Winterzauber“, in: Militärgeschichtliches Zeitarchiv 2001, Heft 1, S. 99 ff.; 99 Helmut Tobler, Grundzüge und Gemeinsamkeiten bei der Entstehung und Entwicklung der Armeen der volksdemokratischen Länder Europas, in: Militärgeschichte, Heft 3, 1985, S. 205 ff.; 205 vgl. Helmut Tobler, Grundzüge und Gemeinsamkeiten bei der Entstehung und Entwicklung der Armeen der volksdemokratischen Länder Europas, in: Militärgeschichte, Heft 3, 1985, S. 205 ff.; 205
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die kalendermäßige Ausführung generalstabsmäßiger Planung im Untergrund, Konzentration der Kräfte an der Peripherie des zentralen staatlichen Machtapparats und Unterlaufen der gegnerischen Stellungen durch Methoden des Kleinkrieges.2145 6.4.3
Diversion in der Sowjetischen Militärkonzeption
Auch die sozialistische Kriegswissenschaft hat herausgearbeitet, dass zu verschiedenen Zeitpunkten, abhängig von bestimmten Bedingungen diese oder jene Kampfformen an die erste Stelle gesetzt werden könne und jede Form der Taktik und Organisation von verschiedenen Gesichtspunkten vorstellbar sei: in der einen Lage vom positiven, in der anderen vom negativen.2146 Insofern gab es in der Sowjetunion zu verschiedenen Zeiten verschiedene Konzepte2147, die auf die Diversion ausgerichtet waren. Allerdings meint von Krannhals, dass diese Vorbereitungen in den Bereich der mit Kriegslisten arbeitenden Fallschirmtruppen und nicht zur eigentlichen Partisanenkriegführung der illegalen Volksbewaffnung gehörten.2148 Dennoch gibt es auch heute noch Arbeiten in Russland, die sich mit der Aktualität der Diversion auseinandersetzen.2149 6.5
„Befreiungsbewegungen“ und revolutionärer Krieg
Die Aktionen der so genannten „Befreiungsbewegungen“ waren auch für Aron in einem Bereich angesiedelt, der als Fortsetzung der von Clausewitz in seinem Werke „Vom Kriege“ über die Bewaffnung des Volkes gemachten Bemerkungen und Studien über den Aufstand in der Vendée und dem Guerillakrieg in Spanien angesehen werden kann.2150 Die Defensive der Partisanen bildete für ihn eine Veranschaulichung der im VI. Buch dargelegten Theorie: Gelände aufzugeben, Raum zu opfern, um Zeit zu gewinnen, und die feindliche Armee bis zu dem Zeitpunkt abzunutzen, wo den Eindringling der scharfe Säbelhieb der Vergeltung trifft.2151 Alle diese für die Clausewitzsche Theorie wichtigen Gedanken treffen in besonderer Weise auf den Zusammenprall heterogener Armeen – einer regulären
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Gerhard Ritter, Bemerkungen zur Staatsstreich-Definition Edward Luttwaks in seinem Werk ‚Coup d’ Etat’, in: Hans Hablitzel, Michael Wolenschläger (Hrsg.), Recht und Staat, Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag am 21.08.1972, 2. HlbBd., Berlin 1972, S. 947 ff.; 959 Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Lenin und die sowjetischen Streitkräfte, Berlin 1970, S. 200 f. vgl. Viktor Suworow, Der Eisbrecher, Hitler in Stalins Kalkül, 4. Aufl., Stuttgart 1989, S. 212 ff.; vgl. Viktor Suworow, Speznas. Geheimnis hinter Glasnost, Düsseldorf 1989 Hanns von Krannhals, Illegale Volksbewaffnung, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1963, S. 262 ff.; 271 Oleg, Namsaraev, Die Taktik der Diversion, Originaltitel: Taktika diversij, Übersetzung aus dem Russischen, FIZBw, DOKNR: NN 8967 Raymond Aron, Staaten, Bündnisse und Konflikte, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 75 ff.; 88 Raymond Aron, Staaten, Bündnisse und Konflikte, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 75 ff.; 88
Armee und Partisanen – zu.2152 Und so stellte bereits Werner Hahlweg fest, dass Clausewitz bei den Vertretern des modernen Guerillakrieges, wie Mao Tse-tung oder Che Guevara, in zunehmendem Maß Beachtung fand.2153 Insofern betrifft die Kriegstheorie nicht mehr ausschließlich das klassische Staatenmodell, sondern hat sich – wie Altmann feststellte – als ebenso brauchbar für die revolutionäre Theorie und den Bürgerkrieg erwiesen.2154 Für Carl Schmitt wurde der Irreguläre Kämpfer gar durch den revolutionären Krieg von einer „kriegswissenschaftlichen Spezialität“ zu einer „Schlüsselfigur der Weltgeschichte“2155 6.5.1 6.5.1.1
Mao Tse-tung Clausewitz’ Bedeutung für die Theorie Maos
Mao Tse-tung hatte seine Gedanken über den Partisanenkrieg in der Hauptsache während der Jahre zwischen 1928 und 1938 entwickelt und aus dem Zusammenspiel praktischer Erfahrungen aus den Kämpfen des chinesischen Bürgerkrieges (1928 – 1936) und des Krieges gegen Japan (1937 – 1945), konkret-lehrhafter Auswertung dieser Erfahrungen und politisch-dialektischer Betrachtungsweise eine Lehre des modernen Partisanenkrieges erarbeitet.2156 Wenn Wallach noch davon ausging, dass Clausewitz sich kaum auf die Lehren Clausewitz’ stützte,2157 so kommt die neuere Clausewitzforschung zu anderen Ergebnissen: Clausewitz hat bedeutenden Einfluss auf die Kriegstheorie in China gehabt.2158 Sebastian Haffner kontrastiert die Schriften Clausewitz’ und Maos, indem er ausführt, dass die Arbeiten Maos „… nicht wie etwa Clausewitz’ berühmtestes Werk abstrakte akademische Abhandlungen, Studien oder Lehrbücher …“ seien, sondern vielmehr „… Akte der Kriegsführung selbst, Anweisungen, Richtlinien und Handreichungen für Mitarbeiter und Unterführer.“2159 Dabei übersieht Haffner allerdings, dass es Clausewitz gerade darauf ankam, „… manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner auszubügeln, und we2152 2153 2154 2155 2156
2157 2158
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Raymond Aron, Staaten, Bündnisse und Konflikte, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 75 ff.; 88 Werner Hahlweg, Clausewitz und der Guerillakrieg, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 349 ff.; 349 Rüdiger Altmann, Der Feind und der Friede, in: Hans Barion, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff, Werner Weber, Epirrhosis, Festgabe für Carl Schmitt, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 413 ff.; 412 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 80 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 105; vgl. Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 50 f.; vgl. Herbert Golz, Mao Tse-tung und seine Kriegstheorien (II). Die Wichtigkeit der Schrift Mao Tse-tungs über den chinesischen Bürgerkrieg, in: Wehrkunde 1960, S. 133; 135 Jehuda L. Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972, S. 291 Zhang Yuanlin, Die chinesischen Ausgaben des Werkes „Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz, in: ÖMZ 1990, S. 229; 229; vgl. Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien, Opladen 1981, S. 16 ff.; 25; vgl Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit, Frankfurt am Main, 1969, S 20 Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 5
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nigstens überall zu zeigen, worum es sich handelt, und was bei einem Kriege eigentlich in Betrachtung zu ziehen ist.“2160 Insofern gab Mao dem Krieg ein wissenschaftliches System.2161 Mithin hat Clausewitz nicht ein abstraktes, theoretisches Werk schaffen wollen, sondern er wollte die Grundlage für eine Theorie des Krieges legen, welche praktischen Nutzen stiften sollte. Die Ausführungen des Kriegslehrers Clausewitz sollten – wie er in der „Nachricht“ ausführt – genau diesem Ziel dienen. „Aber wenn es darauf ankommt, nicht selbst zu handeln, sondern in einer Beratung andere zu überzeugen, dann kommt es auf klare Vorstellungen, auf das Nachweisen des inneren Zusammenhanges an …“2162 Das ist etwas anderes. Tatsächlich sind die Kriegstheorien von Clausewitz und Mao Kriegstheorien auf philosophischen Grundlagen.2163 Allerdings war es auch nicht das Ziel der Kriegsstudien Maos, ein systematisches großes Werk über die Kriegstheorie wie das Werk „Vom Kriege“ zu schreiben, sondern Mao entnahm aus seinen Geschichtsstudien den Ideenreichtum, um seine Politik, Richtlinie Strategie und Taktik auszuarbeiten.2164 Dennoch folgt Mao Clausewitz in dessen Auffassung, wonach „… der Krieg … eine Fortsetzung der Politik [ist] … daß der Krieg Politik ist, daß der Krieg selbst eine Aktion von politischem Charakter darstellt.“2165 Weiterhin – so hat Beatrice Heuser festgestellt – kontrastiert Haffner Clausewitz und Mao dahingehend, als dass Clausewitz der Vertreter der „klassischen Kriegsführung“ zwischen Regierungen sei, Mao jedoch durch die zahlreichen „begrenzten Kriege“ mit seinen Ausführungen über den Volkskrieg als die Form der zukünftigen bewaffneten Auseinandersetzung bestätigt sei.2166 Hinsichtlich dieser Beurteilung der beiden Klassiker, mit dem Ziel einer Einteilung, zieht Heuser die Abgrenzung zu scharf. Clausewitz hat – wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt – den Krieg in seinen unterschiedlichsten Formen untersucht und beschrieben. Auch wenn zahlreiche Analysten ihn auf den klassischen zwischenstaatlichen Krieg beschränken wollen, so hat er dennoch wichtige Ausführungen über den „Kleinen Krieg“ hinterlassen. Dagegen hatte Mao – wie nachstehend noch zu zeigen sein wird – nicht nur den irregulären Kampf betrachtet, sondern auch den regulären Krieg. Dass die Nachwelt Clausewitz oftmals auf den Staatenkrieg begrenzt und seine übrigen Betrachtungen unbeachtet lässt, mag oftmals den selektiven Wahrnehmungen aus einem konkreten bzw. aktuellen Interesse geschuldet sein. Für Mao gilt hier das Gleiche umgekehrt. Darüber hinaus hatte Haffner festgestellt, dass Maos Grundsätze nicht als abstrakte, beliebig aus ihrem Zusammenhang lösbare, allgemein gültige, allgemein anwendbare Lehre betrachtet werden könne, da sie kein Universalrezept für jede Art von Krieg seien, sondern ein Rezept für eine ganz bestimmte Art von Krieg in einer ganz bestimmten Art von Ländern und Situationen sei.2167 „Ganz konkret: Sie sind ein Rezept für den sozialen und natio2160 2161 2162 2163 2164 2165 2166 2167
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Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 78 Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 191 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 80 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 77 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 78 Mao Tsetung, Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung, 2. Aufl., Essen 2002, S. 70 vgl. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 178 f. Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 6
nalen Befreiungs- oder Unabhängigkeitskrieg ,unterentwickelter’ Länder. Wer versucht, sie für den kolonialen oder imperialistischen Unterwerfungs- oder Unterdrückungskrieg gegen diese Länder anzuwenden, ist mit ihnen so schlecht bedient wie mit einem Abführmittel in einem Fall von Diarrhöe.“2168 Mao, der „Herr der blauen Ameisen“,2169 hatte, um die Erfahrungen aus dem vergangenen Bürgerkrieg zusammenzufassen, und um in der veränderten Lage die richtige Politik und Strategie für den nächsten Kampf aufzustellen, eine Menge philosophischer, politischer und militärischer Bücher gelesen.2170 So hatte er nicht nur die Schriften des chinesischen Klassikers Sun Tse2171 studiert2172, sondern sich – wie Zhang Yuan-Lin nachweist – intensivst mit Clausewitz beschäftigt.2173 Mao Tse-tung hat daraus die Schriften Clausewitz’ erfolgreich auf den Bürgerkrieg seiner kommunistischen Streitkräfte angewandt und umgesetzt.2174 Clausewitz stellte in seiner Zeit das Wesen, die Bedeutung, die Möglichkeiten und Grenzen des Volkskrieges eingehend dar2175 und das Clausewitzsche Denken über den Volkskrieg wurde von Mao weiterentwickelt.2176 Der hieraus resultierende organisatorische „Ausbau“ entspricht in diesem Sinne einer nach unseren Vorstellungen extremen gesellschaftlichen Situation, nach der Politik Krieg ist,2177 und erinnert insofern an die oben ausgeführten Lehren Lenins. Nach Maos Ansicht ist mit dem Guerillakrieg die Kampfform gemeint, in der die ganze Volksmiliz, Partisaneneinheiten oder die von der regulären Armee gesandten speziellen Einheiten in enger Verbindung mit den Volksmassen ohne bestimmte Richtung und Frontlinien gegen kleine feindliche Truppen kämpfen.2178 Der Guerillakrieg ist das Mittel, das der militärischen Strategie den wesentlichen Faktor Zeit liefert und welche die billigste Form der Kriegführung ist, jedoch den Sieg nicht herbeiführen kann.2179 Mao betrachtete die mobilisierten Kräfte somit ebenso wie Clausewitz als Ergän2168 2169 2170 2171 2172
2173 2174 2175 2176 2177 2178 2179
Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 6 Georg Paloczi-Horvath, Der Herr der blauen Ameisen. Mao Tse-tung, Horb am Neckar 1962 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 18 James Clavell (Hrsg.), Sunzi, Die Kunst des Krieges, München 1998 vgl. Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 45; Heinz Karst, Zum Geleit, in: Mao Tse-tung, Der Krieg. Die kriegswissenschaftlichen Schriften, Gütersloh 1969, S. 9 f.; 9; vgl. Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 193; vgl. Walter D. Jacobs, Mao Tse-tung als Guerillakämpfer näher betrachtet, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 234 ff.; 235; vgl. Robert Taber, War of the Flea. The Classic Study of Guerrilla Warfare, Washington D.C. 2002, S. 148; vgl. Ian F. Beckett, Encyclopedia of Guerrilla Warfare, S. 148 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995 Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 155 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 211 Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 168 Gerhart Matthäus, „Krieg ist Politik mit Blutvergießen“ (Zu Mao Tsetungs „Theorie des GuerillaKrieges“), in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1967, S. 371 ff.; 372 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 227 Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 198 f.
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zung zu den regulären Kräften.2180 Eine eindeutig abgrenzende Gegenüberstellung von Volkskrieg und konventioneller Kriegführung trägt nicht für die Theorie Maos. Mao hob im Verlauf des chinesischen Bürgerkrieges die Koordination der Volksbewaffnung mit der regulären Armee hervor und schuf eine neue Organisation der Bewaffnung, nämlich die Kooperation der Feldtruppen, der örtlichen Truppen und der Volksmiliz, da nach seiner Meinung die regulären Streitkräfte die treibende Kraft für die Durchführung des Volkskrieges bildeten.2181 Darüber hinaus hält Haffner die Prinzipien der Kriegführung für neu und er ist der Ansicht, dass der „Kleinkrieg“ oder die „Guerilla“ bei voller Entfaltung für jede konventionelle Großkriegsführung unbesiegbar gemacht werden könnte.2182 Tatsächlich entwickelte Mao die Vorstellungen Clausewitz’ weiter, indem er verschiedene Phasen von Operationen konzeptionierte, in denen sich die Kriegsanstrengungen allmählich vom Widerstand des mobilisierten Volkes hin zu der regulären Volksarmee verschob; im Fall der chinesischen Roten Armee waren diese regulären Streitkräfte in Maos Denken für den Erfolg unverzichtbar, da ein abschließender und entscheidender Feldzug notwendig war, was nur von regulären Streitkräften geleistet werden könnte.2183 Die Rolle des Volkes und die Mobilmachung und Organisation der Volksmassen für den Volkskrieg waren für Mao die Grundlage seiner Volkskriegstheorie und somit auch der Kern seiner ganzen Militärtheorie.2184 Somit wuchs im Schatten des chinesischen Guerillakrieges bis 1946 eine reguläre Volksbefreiungsarmee heran.2185 6.5.1.2
Die Bedeutung des Kleinkrieges in der Theorie Maos
Für Mao hatte das „Guerillatum“ denn auch zwei Aspekte: Der eine ist die Irregularität – also für Mao die Dezentralisierung, der Mangel an Einheitlichkeit, das Fehlen einer strikten Disziplin und einfache Arbeitsmethoden; der andere Aspekt des Guerillatums besteht für Mao in dem Prinzip der beweglichen Kriegführung, sowohl in der strategischen als auch in der taktischen Operation.2186 Allerdings will Mao seine Kräfte ab einem bestimmten Stadium von der Guerillatruppe in eine reguläre Armee umgliedern, „… ohne sich der Beibehaltung des Nützlichen zu widersetzen“, also die Vorteile der Guerillakriegführung aufzugeben: „Nun da die Rote Armee sich entwickelt hat, müssen wir diese Methoden ganz bewußt und allmählich ausmerzen, um die Rote Armee zentraler auszurichten, zu verein2180 2181 2182 2183 2184 2185 2186
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Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 176; vgl. Wilbur W. Dinegar, Der „Lange Marsche“ als erweiterter Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 210 ff.; 215 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 225; vgl. Basel Henry Liddell Hart, Strategy, 2. Aufl., London 1991, S. 363 Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 7 f. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 176 f.; vgl. Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 225 Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 221; vgl. Mao Tsetung, Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung, 2. Aufl., Essen 2002, S. 104 ff. vgl. Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 44. f. Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 90
heitlichen, zu disziplinieren, wirksamer in ihrer Arbeit zu machen – kurzum, ihr den Charakter einer regulären Truppe zu geben. Auch bei der Durchführung unserer Operationen sollten wir allmählich und bewußt diejenigen Merkmale des Guerillakrieges abstreifen, die in diesem höheren Stadium nicht mehr nötig sind. Sich gegen Fortschritte in dieser Hinsicht zu stemmen und hartnäckig an dem alten Stadium zu hängen, ist unzulässig und schädlich und allen in größerem Stil angelegten Operationen abträglich.“2187 Diese Ausführungen Maos machen deutlich, dass für ihn der Kleinkrieg nur eine bestimmte Form in der militärischen Auseinandersetzung in einer bestimmten Phase ist. Die Umorganisation der bewaffneten Kräfte bzw. die Einnahme von regulären militärischen Formen stellen für ihn eine Weiterentwicklung in einem bestimmten Stadium dar. Insofern stellt der Guerillakrieg in den Betrachtungen nicht nur ein Mittel der strategischen Verteidigung, sondern auch ein Mittel des strategischen Angriffs dar.2188 Insgesamt wird deutlich, dass es Mao nicht auf die Form, sondern allein auf Effektivität und Erfolg ankommt. Der Kleinkrieg ist für Mao zugleich lediglich Mittel zum Zweck. Diese Einstellung wird noch an einer weiteren Tatsache deutlich: Ausrüstung und Bewaffnung der Guerillas richten sich für Mao nicht an den Erfordernissen oder gar an den Wünschen der Kämpfer aus, sondern an dem, was erreichbar und für die eigenen Kräfte und Ziele nutzbar ist.2189 Insofern folgt die Bestrebung der Umorganisation der Guerilla ab einem bestimmten Zeitpunkt an der Wende zur militärischen Überlegenheit mit der Möglichkeit der Beherrschung des Raumes zu einer regulären Armee nicht nur der militärstrategischen Forderung nach besserer militärischer Führbarkeit der Truppen. Vielmehr liegt in der „losen Kleinkriegsformation“ für die Revolutionäre selbst die Gefahr, dass derartige, zur Eigenständigkeit neigende, weniger formal disziplinierte Kräfte, zu Eigenmächtigkeiten tendieren könnten und sich damit schlussendlich gegen die Revolution selbst wenden könnten. Folglich wurde beispielsweise die Gleichberechtigung von Offizier und einfachem Soldaten mit zunehmender Stärke weniger betont und später in seinen Kommentaren gar nicht mehr erwähnt.2190 Mithin hatte Mao nicht nur den Wert, sondern auch die Gefahr der Mobilisierung der Volksmassen erkannt.2191 6.5.1.3
Maos strategischer Ansatz
Haffner unterscheidet die Definition Clausewitz’, nach der der Krieg ein Akt mittelbarer Gewalt ist, den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu setzen, von der Bestimmung Maos, die den Gegner vernichten und sich selbst an seine Stelle setzen will.2192 Für Mao war es wesentlich, der „Einkreisungs- und Vernichtungsstrategie“ des Gegners in einem Gegenfeldzug durch den Wechsel von Gegenoffensive und Gegendefensive zu begeg2187 2188 2189 2190 2191 2192
Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 90 vgl. Zhang Yuan-Lin, Mao Zedong und Carl von Clausewitz. Theorien des Krieges, Beziehung, Darstellung und Vergleich, Mannheim 1995, S. 229 vgl. Mao Tse-tung. On Guerrilla Warfare, Urbana, Chicago, 2000, S. 82 Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 196 f. vgl. Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (2. Teil), Clausewitz für Politiker, in: ASMZ Heft 6, 2006, S. 39 Sebastian Haffner, Der neue Krieg, in: Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 5 ff.; 18
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nen.2193 Den Wechsel von der strategischen Defensive zur strategischen Offensive wollte Mao von einer allgemeinen Umkehrung der Kräfteverhältnisse abhängig machen.2194 Aufgrund einer Schwachpunktanalyse war eine Strategie mit den einzusetzenden Mitteln zu formulieren, wobei es sich bei dieser auf die Schwachpunkte des Gegners gerichteten Strategie um den Einsatz der klassischen Indirekten Strategie handelte.2195 Die Beschreibung der Beweglichkeit seiner Kampfführung lautete: „Kämpfe, wenn du siegen kannst; marschiere weiter, wenn du nicht siegen kannst.“2196 Eine wesentliche Leistung Maos ist es, dass er erkannt hat, dass der Raum in China dazu genutzt werden konnte, um Zeit zu gewinnen, die Zeit wiederum zur Hervorbringung einer revolutionären Organisation und des politischen Zusammenhaltes, schließlich des Sieges.2197 Mao hat zudem seinen Kampf als ein Zusammenspiel bestehend aus militärischen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Aspekten konzipiert, die es zu verknüpfen und für die eigenen Zwecke auszunutzen galt.2198 Mao hatte seine Erfahrungen schließlich in allgemeingültige Form gebracht und deshalb ist sein Werk auch zum Initialzünder für die Aktionen all derer geworden, deren Lage der einen irgendwie vergleichbar war und ist.2199 Dadurch knüpften verschiedene Befreiungsbewegungen bewusst an Mao an.2200 Insofern mündet seine Konzeption in verschiedenen Guerillakriegen in der Dritten Welt.2201 Allerdings hatte Mao die lateinamerikanischen Revolutionäre davor gewarnt, seine Grundsätze in allen Punkten auf die möglicherweise völlig anderen Umstände in ihrem Land anzuwenden.2202 6.5.2
Che Guevara
Ernesto (Che) Guevara gehört zu den lateinamerikanischen Revolutionären, die gleichermaßen bedeutend als Praktiker wie als Theoretiker erscheinen.2203 Er wird in der Literatur als der eigentliche Begründer und Vordenker des Guerillakrieges sowie des Terrorismus 2193 2194 2195 2196 2197
2198 2199 2200 2201 2202 2203
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Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 54 Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 61 Albert A. Stahel, Krieg und Terrorismus – Welche Zukunft? Dissemmetrischer Krieg versus asymmetrischer Krieg, in: http://www.asmz.ch/hefte/artikel.php?print=&artikel=346, Internet vom 25.08.2006, S. 1 Mao Tse-tung, Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der Dritten Welt, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 88 Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 195; vgl. Mao Tse-tung, Der Krieg. Die kriegswissenschaftlichen Schriften, Gütersloh 1969, S. 269 vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 54 Edwald E. Katzenbach Jr., Gene Z. Hanrahan, Die revolutionäre Strategie Mao Tse-Tungs, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 190 ff.; 192 Helwig Schmidt-Glintzer, in: Wilfried Nippel (Hrsg.), Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München 2000, S. 260 ff.; 260 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 226; vgl. Basel Henry Liddell Hart, Strategy, 2. Aufl., London 1991, S. 363 vgl. Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, 178 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 167
bezeichnet.2204 In seinen Anleitungen zum Guerillakrieg in Lateinamerika bezieht er sich zum einen auf die eigenen Erfahrungen der kubanischen Revolution, zum anderen verwertet er auch historische Erfahrungen des Partisanenkrieges in Europa sowie die Schriften Maos,2205 die er auf den politischen Kampf in Lateinamerika übertrug.2206 Die proletarische Revolution ist für ihn ein Akt der Gewalt, und von dort her erkennt er der Führung des Partisanenkrieges eine zentrale Funktion zu: er bedeutet für ihn eine „Methode“, die Staatsmacht auf dem Wege des Umsturzes zu gewinnen.2207 Für Guevara bedeutet die Guerillakampfführung einen Gegenstand besonderer Gesetze innerhalb des festen wissenschaftlichen Systems des Krieges, die sich aus den besonderen Verhältnissen und den sozialen Voraussetzungen in jedem Land ergeben.2208 Er analysiert zwei verschiedene Typen der Guerillakriegführung: zum einen die Guerillas, die die Anstrengungen der großen regulären Armee unterstützen, zum anderen die bewaffnete Gruppe, welche gegen eine eingesetzte Regierung kämpft.2209 Auch für ihn ist der Guerillakampf lediglich der Beginn oder die Vorbereitung für eine konventionelle Kriegführung.2210 Gegen Ende der Revolution muss der Guerillakampf durch einen konventionellen Krieg abgelöst werden.2211 Wesentliche Elemente des Kleinkrieges sind für Guevara die Selbstständigkeit der Einheiten und das Überraschungsmoment.2212 Das operative Vorgehen der Guerilla sollte stets darauf ausgerichtet sein, den Feind auch in der Tiefe des Raumes zu stören, seine Versorgungslinien zu unterbrechen, seine Basen zu stören, und ihn somit ständig zu verunsichern und niemals zur Ruhe kommen zu lassen.2213 Auch das Operationsgebiet wird von Che Guevara ausführlich behandelt und in „günstiges“ und „ungünstiges“ Gelände unterteilt. Zudem bewertet er die Möglichkeiten des Kleinkrieges im bergigen Gelände in Wäldern und in Vorstadtgebieten.2214
2204 2205 2206 2207 2208 2209 2210 2211 2212 2213 2214
Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 107 vgl. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff. Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien, Opladen 1981, S. 16 ff.; 25 Werner Hahlweg, Lehrmeister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-Tung und Che Guevara, Darmstadt 1968, S. 167 Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 448 f. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 449 Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 450; vgl. Jehuda L. Wallach, Kriegstheorien. Ihre Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1972, S. 308 Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 111 vgl. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 450 vgl. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 450 ff. Ernesto „Che“ Guevara, Der Guerillakrieg, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 448 ff.; 458 ff.
313
6.6
Zwischenergebnis
Insgesamt zeigt sich also, dass verschiedene Akteure in der Vergangenheit Konzepte des Irregulären Kampfes erdacht, weiterentwickelt bzw. auf ihre eigene Situation angepasst haben, um im Kampf gegen überlegene Kräfte ihre eigene Unterlegenheit auszugleichen und möglichst die Übermacht zu gewinnen. Dabei waren die Konzepte – wie dargestellt oftmals – strategischer, operativer und taktischer Natur, welche immer auf die besonderen eigenen Umstände, Beweggründe, Möglichkeiten und Absichten der jeweiligen Akteure abgestellt waren; jede bloße Kopie musste ein Scheitern in sich bergen. Folglich spielten und spielen für die Aktionen Irregulärer und deren Erfolg die jeweiligen Umstände immer eine besondere Rolle. Ein wesentlicher Umstand ist die Umgebung. Neben dem sozialen und kulturellen Umfeld ist die räumliche Umgebung, der geographische Raum, immer von besonderer Bedeutung. 7.
Gefechtsfeld
In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass beim Kampf Irregulärer der geographische Raum völlig in den Hintergrund trete.2215 Diese Ansicht ist nur insoweit zutreffend, als dass es sich bei dem irregulären Kampf – wie oben dargestellt – um eine Kommunikationsstrategie handelt. Zumindest auf der operativen und der taktischen Ebene, ist der geographische Raum ein wichtiger Gesichtspunkt. Die „… Wirksamkeit [von Gegend und Boden] liegt größtenteils im Gebiet der Taktik, allein ihre Resultate erscheinen in der Strategie …“2216 Neben der Rolle der Bevölkerung spielt für den irregulären Kampf der Raum, in welchem dieser stattfindet, eine entscheidende Bedeutung. Beide Faktoren stehen darüber hinaus in einer ständigen Wechselbeziehung zueinander. In diese Wechselbeziehung ist die Ordnungsmacht einbezogen: Sie steht ihrerseits in einer Beziehung zu den Irregulären Kräften; zugleich finden ihre Aktionen ebenfalls im Raum statt. Der irreguläre Kampf zwingt die regulären Streitkräfte, sich immer mehr zu konzentrieren, um eigenen Schutz und Bewegungsfreiheit sicherzustellen, wodurch sie den Kontakt mit der Bevölkerung verlieren, die, von den rechtmäßigen Behörden und deren örtlichen Organen im Stich gelassen, schnell in die Hände der Aufständischen fällt.2217 Die Irregulären Kräfte bewirken zugleich die Zersplitterung der Kräfte der Ordnungsmacht durch die massive Vergrößerung ihres Einsatzraumes.2218 Die Phänomene können also nicht losgelöst von ihrer jeweiligen geographischen Plattform betrachtet werden. 2215 2216 2217 2218
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Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 500 J. Hogard, Theorie des Aufstandskrieges, in: Wehrkunde 1957, S. 533 ff.; 537 vgl. Matthias Kuster, Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“ (5. Teil) Clausewitz für Terrorkämpfer, in: ASMZ, Heft 10, 2006, S. 47 f.; 47, der in diesem Zusammenhang auch von einer Vernachlässigung des Raumes durch die Irregulären spricht. Tatsächlich haben die Irregulären die Bedeutung des Raumes für ihren Kampf begriffen, indem sie durch ihr nadelstichartiges Auftreten und Zuschlagen den Gegner zwingen, seine Kräfte zu dislozieren, weite Verbindungs- und Versorgungswege einzurichten, eine klare Schwerpunktbildung im Raum erschweren und somit den Raum zu überdehnen. Mithin verkennt Kuster hier die entscheidende Bedeutung des Raumes für die irreguläre Kampfführung, auf die bereits Clausewitz hinweist.
7.1
Gegenstand des Gefechtsfeldes
Der Krieg bzw. der Konflikt als exponierter Ausdruck der Politik vollzieht sich im Raum, ist von räumlichen Gegebenheiten in seiner Durchführung abhängig.2219 Dabei ist der Raum zunächst hinsichtlich der vertikalen und horizontalen Ausdehnung ein dreidimensionales Gebilde im Bereich der Erdoberfläche.2220 In diesem Gebilde spielen sich die kriegerischen Auseinandersetzungen ab, werden Kriegsschauplatz und das Gefechtsfeld abgebildet.2221 Krieg wie auch Irregulärer Kampf finden also im Raum statt. Der Raum spielt neben dem Faktor Zeit im kriegerischen Geschehen aller Epochen eine besondere Rolle.2222 Hier stehen also geographische Bedingungen, technologische Möglichkeiten und menschliche Organisations- und Handlungsformen in Wechselbeziehungen zum Raum. Dementsprechend spricht man derzeit auch zunehmend vom „globalen Dorf“2223 und vom „humanitären Raum“. Die institutionelle Qualität des Krieges im völkerrechtlichen Sinne hingegen schlägt sich nieder in seinem raumgebundenen Charakter als ein Krieg, der nach festgelegten Regeln an einem bestimmten Ort geführt wurde, dem teatrum belli, dem Kriegsschauplatz, und insofern war es die eingeschränkte Räumlichkeit des Krieges, die die Begrenzung der Gewalt formalisierte.2224 Mithin beruhte auch der Frieden auf einer Hegung des Krieges im 2219
2220 2221 2222 2223
2224
Rainer Mennel, Die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges im Westen (1944/1945). Eine Studie zur Politischen Geographie, Osnabrück 1993, S. 1; vgl. Rainer Mennel, Der Balkan. Einfluß- und Interessensphären. Eine Studie zur Geostrategie und Politischen Geographie eines alten Konfliktraumes, Osnabrück 1999, S. 5 Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 324 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 67 f. Rüdiger Voigt, Entgrenzung des Krieges. Zur Raum- und Zeitdimension von Krieg und Frieden, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 293 ff.; 293 Robin Wright, Doyle McManus, Aufstand im globalen Dorf. Auf der Suche nach der neuen Weltordnung, Düsseldorf 1995; vgl. Leigh Armistead, Information Operations, Warfare and the Hard Reality of Soft Power, Dulles Virgina, S. 111 ff.; vgl. Georg Geyer, Zündschnur der Asymmetrie – Grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Politik, Massenkommunikation und Gesellschaft im asymmetrischen Konflikt, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 283 ff.; 283; Den Terminus „globales Dorf“ benutzt auch Ziercke, wenn er vom zunehmenden „Bedeutungsverlust räumlicher Distanzen in allen gesellschaftlichen Bereichen, die Entwicklung hin zum „globalen Dorf“, und die Friktionen verursachenden Ungleichzeitigkeiten in einem sich nur äußerlich gleichzeitig vollziehenden Prozess“ spricht. (Jörg Ziercke, Internationale Erscheinungsformen von Kriminalität und Gewalt – internationale Kooperationsformen und die Rolle des BKA, in: BKA [Hrsg.], Neue Allianzen gegen Kriminalität und Gewalt – Ganzheitlicher Ansatz zur Kriminalitätsbekämpfung – national und international - Herbsttagung des Bundeskriminalamtes vom 02. – 03. September 2005, CD-Rom, S. 25 ff.; 25). Borer spricht vom „Global Village“ und führt für dieses Phänomen das Internet, Handys, Reisemobilität zu billigen Tarifen und Handelsbeziehungen ohne Grenzen an. (Léon Borer, Polizeiliche Kooperation über die Landesgrenze, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly [Hrsg.], Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 123 ff.; 125) Horst Knoll benutzt in diesem Problemzusammenhang die deutsche Übersetzung „Weltdorf“ (Horst Knoll, Methodik der politischen Analyse und Entscheidungsfindung, in: Manfred Zoller [Hrsg.], Auswärtige Sicherheit als nachrichtendienstliche Aufgabe. Herausforderungen in veränderter Globallage, Brühl/Rheinland 1999, S. 207 ff.; 218) Dan Diner, Steht das ius in bello in Frage? Über Regulierung und Deregulierung von Gewalt, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 59 ff.; 63; vgl. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl., Berlin 1997, S. 114
315
räumlichen Sinne.2225 Wenn wir auch oben festgestellt haben, dass die Bedeutung des Faktors Zeit gegenüber dem Faktor Raum an Bedeutung gewinnt, soll damit nicht die Bedeutung der politischen Geographie wie auch der Geopolitik grundsätzlich in Frage gestellt werden, in der es um die Dimension des Raumes und ihr Verhältnis zur Zeit in Politik und Geschichte geht.2226 Im Gegenteil: Die Bedeutung der Räume für die Politik ist ein unentbehrlicher Teilaspekt der politischen Wissenschaft2227 und ihre Faktoren sind unverändert2228 und grundsätzlich unveränderbar. Allerdings gibt es wandelbare Faktoren im politischen, sozialen, wirtschaftlichen, technologischen und strategischen Bereich.2229 Dieses könnte Einfluss auf die (zeitlich bedingte, zeitlich begrenzte) Bedeutung des Raumes auf den unterschiedlichen Ebenen haben. Und auch für den Kleinkrieg ist der Raum von erheblicher Wichtigkeit. Mehr als jede andere Kriegsform ist der Guerilla- und Partisanenkampf vom Raum, in dem er geführt wird, abhängig.2230 Die geographische Lage ist hier von jeher bedeutsam gewesen.2231 Kriegführung ohne Geographie ist ein Absurdum.2232 Bei der Beurteilung eines Geländes für die Kleinkriegführung sind die Größe des Raumes und die Deckung, die der Raum bietet, von grundlegender Bedeutung.2233 Dabei können unter Deckung sowohl natürliche Gegebenheiten verstanden werden als auch künstliche, also große zusammenhängende Siedlungsgebiete, Großstädte und ausgedehnte Industriegelände.2234 Die Eignung des Raumes bestimmt sich vor allem nach folgenden Gesichtspunkten: Geländeform (geographische Struktur, Höhenlage und -profil), Bewaldung, Dauer der Schneedecke, Vegetationsperiode, Geländeaufschließung, Bodennutzung, Verkehrswege und Industrien (Infrastruktur), Bebauung, Bevölkerungsdichte.2235 Mithin sind auch die klimatischen Bedingungen, die in dem Raum herrschen und in Wechselwirkung mit diesem die Kleinkriegführung begünstigen oder auch erschweren, zu berücksichtigen.
2225 2226 2227 2228 2229 2230 2231 2232 2233 2234 2235
316
vgl. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl., Berlin 1997, S. 44 vgl. Klaus-Achim Boeseler, Neue Ansätze der Politischen Geographie und der Geopolitik zu Fragen der Sicherheitspolitik, in: Wolf-Ulrich Jorke, (Hrsg.), Sicherheitspolitik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Ausgewählte Themen – Strategien – Handlungsoptionen. Festschrift für Dieter Wellershoff, S. 75 ff.; 75 Heinrich von der Gablenz, Einführung in die Politische Wissenschaft, Köln und Opladen, 1965, S. 100 vgl. General Robert Close, Europa ohne Verteidigung? 48 Stunden, die das Gesicht der Welt verändern, Bad Honnef, Erpel und Saarbrücken 1977, S. 19 f. General Robert Close, Europa ohne Verteidigung? 48 Stunden, die das Gesicht der Welt verändern, Bad Honnef, Erpel und Saarbrücken 1977, S. 21 ff. Friedrich Wiener, Partisanenkampf am Balkan, Die Rolle des Partisanenkampfes in der jugoslawischen Landesverteidigung, 2. Aufl., Wien 1987, S. 9; vgl. August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 27 Walter Laqueur, Zwölf Thesen über die Guerilla, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 157 ff.; 157 Michael Stephenson, Editor’s Note, in: Michael Stephenson (Hrsg.), Battlegrounds, Geography and the History of Warfare, Washindton D.C. 2003, S. 11 ff.; 11 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 27 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 27 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 28
7.2
Die Bedeutung des Gefechtsfeldes in den Heeresdienstvorschriften
In den heute gültigen Heeresdienstvorschriften der Bundeswehr2236 kommt der Begriff „Gefechtsfeld“ als eigenständiger Begriff so nicht vor2237 Folgerichtig findet sich dort auch keine Definition für diesen grundlegenden Führungsbegriff. Allerdings verwendet die aktuelle Vorschrift der Bundeswehr über Führungsbegriffe2238 wie auch eine ältere Vorläufervorschrift2239 von 1921/1924 den Begriff des Gefechtsfeldes oftmals in verschieden Zusammenhängen, definiert ihn aber ebenfalls nicht. Das erscheint gerade hinsichtlich des noch in der späteren Vorschrift für die Truppenführung des Heeres, der TF 622240, zitierte Goethe-Wort „Wer klare Begriffe hat, kann führen“2241 zunächst verwunderlich; kommt es doch gerade im Militärischen auf eine exakte und klare Sprache und Ausdrucksweise an. Allerdings hat bereits Clausewitz festgestellt, dass eine genaue Bestimmung gewisser Faktoren durch die Natur der Sache nicht zugelassen sei.2242 Dennoch, „...um aber nicht zuweilen ganz missverstanden zu werden, müssen wir uns den Sprachgebrauch, an den wir uns in den meisten Fällen gern halten, etwas deutlicher zu machen suchen.“ 2243 Insofern benutzt Clausewitz den Begriff des „Kriegstheaters“ als „...Teil des ganzen Kriegsraumes, der gedeckte Seiten und dadurch eine gewisse Selbstständigkeit hat ... Ein solcher Teil ist kein bloßes Stück des Ganzen, sondern selbst ein kleines Ganzes und ist dadurch mehr oder weniger in dem Fall, dass die Veränderungen, welche sich auf dem übrigen Kriegsraum zutragen, keinen unmittelbaren, sondern nur einen mittelbaren Einfluss auf ihn haben...“2244 In diesem Sinne wurde im 19. Jahrhundert der ganze Flächenraum, in dem der Krieg geführt wird, als Kriegstheater bzw. als Kriegsschauplatz verstanden.2245 7.3
Einsatzraum
Daher ist an dieser Stelle eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Aktionsraum geboten. Im Aktionsraum operieren auf Seiten des Staates nicht mehr nur militärische Kräfte, sondern zunehmend auch Polizeibeamte. Für die Bundesrepublik Deutschland sind das Beamte der Länderpolizeien und der Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz). Der polizeiliche Aktionsraum wird denn auch als Einsatzraum bezeichnet. Das ist ein geographischer Abschnitt, der den Einsatzkräften der Polizei für die Erfüllung eines Auftrages zuge2236 2237 2238 2239 2240 2241 2242 2243 2244 2245
vgl. Bundesminister der Verteidigung, HDv 100 / 100 Truppenführung (TF), Bonn 1998; vgl. Bundesminister der Verteidigung, HDv 100 / 900 Führungsbegriffe (TF/B), Bonn 1998 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 66 vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998 H.Dv. 478, Führung und Gefecht der verbundenen Waffen (FuG), Osnabrück 1994 Bundesminister der Verteidigung, HDV 100/100. Truppenführung (TF), Bonn 1962 Bernhars Seuffert, Max Hecker, Phillip Strauch, Goethes Werke, 42. Bd., 2. Abteilung, Weimar 1907, S.236 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 127 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 127 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 127 Meckel, Lehrbuch der Taktik nach der für die Königlich Preußischen Kriegsschulen vorgeschriebenen „genetischen Skizze“, zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, Erster Theil: Einleitung und formelle Taktik, Berlin 1874, S. 14
317
wiesen wurde und in dem wiederum ein bestimmter Einsatzort liegen kann.2246 Nach traditionellem militärischem Verständnis entspricht das dem als Gefechtsfeld bezeichneten Aktionsraum von Streitkräften. Der Begriff „Einsatzraum“ taucht aber auch zunehmend im militärischen Sprachgebrauch auf. Da die militärischen Aktionen und Operationen im erweiterten Einsatzspektrum nicht unbedingt klassische Gefechtshandlungen beinhalten, hat der Begriff des Einsatzraumes auch in der militärischen Terminologie Einzug gehalten. Zuweilen findet sich auch der Begriff „Einsatzgebiet“.2247 Nachstehende Ausführungen beschäftigen sich daher mit dem Begriff des Gefechtsfeldes in seinen unterschiedlichen Dimensionen und Interdependenzen zu anderen militärischen Subjekten und Objekten. Festgehalten werden kann aber aus dem zuvor Gesagten, dass das Phänomen des Terrorismus die Gewichtung der geopolitischen Faktoren verändert. Der Irreguläre sickert durch diese hindurch. Folglich verlieren hier die strategischen Linien wie politischen Grenzen und festgelegte Abschnitte ihre bisherige geopolitische Bedeutung. 7.4
Definitionsansätze
Ein militärisches Lexikon bezeichnet als „Gefechtsfeld“ den „Teil des Kriegsgebietes, das die an der Front eingesetzten Truppen einer Division mit ihren Versorgungstruppen umfasst.“2248 Dieser Ansatz gliedert also den Begriff des Kriegsgebietes als Land-, Luft- oder Seegebiet, das von Kriegshandlungen betroffen ist oder betroffen werden kann und welches mehrere Operationsgebiete umfasst.2249 Das Gefechtsfeld wird darin räumlich stark eingeschränkt und gleichzeitig mit einem bestimmten personellen Dispositiv, einer bestimmten Truppenstärke, in Bezug gesetzt. Außerdem korrespondiert der Begriff nach dieser Ansicht mit dem „Operationsgebiet“ als Teil des Gesamtkriegsgebietes, der die Kampf- und Verbindungszone umfasst.2250 Zudem beschränkt sich die Definition des „Gefechtsfeldes“ dieses Lexikons auf nur eine Konfliktpartei, indem es den Gegner hier völlig außer Acht lässt, und polarisiert somit den Gegenstand auf nur eine Seite der Auseinandersetzung. Folglich wird hier auch übersehen, dass das klassische Völkerrecht unter „Kriegsgebiet“ (region of war) den Raum versteht, in dem die Setzung von Kampfhandlungen durch die kriegführenden Parteien zulässig ist.2251 Es unterscheidet hiervon den Kriegsschauplatz (theater of war) als jenen Teil des Kriegsgebietes, in dem die kriegführenden Parteien einander begegnen, und ist somit der
2246 2247 2248 2249 2250 2251
318
Volker Holtmann, Einsatzraum, Einsatzort, in: Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, S. 446 Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 27315 Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 151 Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 214 Karl Heinz Fuchs, Friedrich Wilhelm Kölper, Militärisches Taschenlexikon, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1961, S. 288 Friedrich August Freiherr von der Heydte, Völkerrecht. Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 310; vgl. Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2, Kriegsrecht, München 1969, S. 116; vgl. Dieter Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, RN 215
faktisch gegebene Raum militärischer Operationen.2252 Insofern lässt sich in völkerrechtlicher Hinsicht eine Tendenz absehen, den Raum soweit als Kriegsgebiet zu bestimmen, als wie er militärisch erreicht werden kann bzw. insoweit die Wirkung von Waffen in ihn reicht. Folglich ist die Ausdehnung des Gefechtsfeldes auch abhängig von der wehrtechnischen Entwicklung. Diese Feststellung trägt auch die nichtjuristische Definition der ZDv 3/11: Mit Gefechtsfeld wird in dieser Dienstvorschrift jeder Raum bezeichnet, in dem es zu einem Kampf kommt oder in dem mit einem Kampf zu rechnen ist.2253 Es handelt sich somit bei dem Begriff „Gefechtsfeld“ um keinen Rechtsbegriff, sondern eine faktische Feststellung, die den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung trägt. Ein weiteres Militärlexikon bezeichnet als Gefechtsfeld den Geländeteil, in dem die Gefechtshandlungen mit dem Gegner unmittelbar geführt werden und das durch den Wirkungsbereich des Feuers der Hauptmasse der Artillerie (einschließlich taktischer Raketen) begrenzt wird.2254 Ein anderer Autor2255 spricht dagegen vom „Gefechtsfeld Mitteleuropa“, allerdings ohne den Begriff explizit zu definieren oder näher zu beschreiben. Tatsächlich ging man davon aus, dass unter den Bedingungen der Ost-West-Konfrontation das Kriegsgeschehen in Mitteleuropa keinen Unterschied zwischen „Front“ und Hinterland als dem „Heimatkriegsgebiet“ mehr kennen werde.2256 Der Nachteil der vorgenannten Definitionsansätze ist, dass sie sich jeweils an einem bestimmten Kriegsbild orientieren, dem des „Kalten Krieges“, dem eine bestimmte räumliche und kräftemäßige Gliederung zugrunde gelegt wurde und über den auch bestimmte Vorstellungen über den Ablauf der Szenarien vorherrschten.2257 Diese Szenarien sind ihrerseits geprägt von bestimmten Kriegsbildern einschließlich der zum Einsatz zu bringenden Waffensysteme. Sie begründen sich in den jeweiligen Fähigkeiten und Einsatzgrundsätzen sowie den vermuteten Absichten der jeweiligen Kontrahenten zu jener Zeit. Eine neuere Definition fasst den Begriff „Gefechtsfeld“ nun auch inhaltlich weiter als „allgemeine Bezeichnung für einen Raum einschließlich des bodennahen Luftraumes, in dem gekämpft wird oder in dem mit einem Kampf zu rechnen ist. Im engeren Sinne der 2252
2253 2254 2255 2256 2257
Friedrich August Freiherr von der Heydte, Völkerrecht. Ein Lehrbuch, Bd. 2, Köln, Berlin 1960, S. 311; vgl. Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2, Kriegsrecht, München 1969, S. 116; vgl. Dieter Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, RN 215; vgl. Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl., Tübingen und Basel 1997, S. 443; vgl. Franz Uhle-Wettler, Theatre of War, in: Franklin D. Margiotta (Hrsg.), Brassey’s Encyclopedia of Land Forces and Warfare, Washington, London 2000, S. 1064 f.; 1064 Heeresamt II 1, ZDv 3/11 Köln, 08.07.2001, RN 4 Deutscher Militärverlag (Hrsg.), Deutsches Militärlexikon, 2. Aufl., Berlin 1962, S. 165 Franz Uhle-Wettler, Gefechtsfeld Mitteleuropa. Gefahr der Übertechnisierung von Streitkräften, Gütersloh 1980 Heinz Berchthold, Georg Leppig, Zivil-Militärische Zusammenarbeit, in: Hubert Reinfried, Hubert (F.) Walitschek (Hrsg.), Die Bundeswehr. Eine Gesamtdarstellung, Bd. 12, S. 8 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 65. Solche Szenarien finden sich beispielsweise für viele bei Werner Ebeling, Schlachtfeld Deutschland? Vernichtung oder Überleben, Friedberg 1986; vgl. Franz Uhle-Wettler, Gefechtsfeld Mitteleuropa. Gefahr der Übertechnisierung von Streitkräften, Gütersloh 1980; General Sir John Hackett, Der Dritte Weltkrieg. Hauptschauplatz Deutschland, München 1978; General Robert Close, Europa ohne Verteidigung? 48 Stunden, die das Gesicht der Welt verändern, Bad Honnef, Erpel und Saarbrücken 1977, S. 218 ff.; vgl. Nigel Calder, Atomares Schlachtfeld Europa. Report über die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges in den 80er Jahren, 1. Aufl. Hamburg 1980; vgl. Johannes Steinhoff, Wohin treibt die NATO? Probleme der Verteidigung Westeuropas, Hamburg 1976
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Raum, in dem das Gefecht zwischen den eigenen und den gegnerischen Landstreitkräften geführt wird, einschließlich des Raumes, der durch das Feuer der Landstreitkräfte überwacht oder beherrscht wird.“2258 Allerdings reduziert diese Definition die Aktion auf die Landstreitkräfte und berücksichtigt nicht, dass wesentliches Merkmal moderner Operationen das Teilstreitkräfte übergreifende Gefecht der verbundenen Waffen ist, welches demzufolge auch See- und vor allem auch Luftstreitkräfte in die Operationsführung einbezieht.2259 7.4.1
Die Einzelfaktoren des Begriffs „Gefechtsfeld“
Da wir auch hier keine eindeutige und umfassende Festschreibung des Begriffes vorliegen haben, müssen wir zunächst die Einzelfaktoren des Begriffes herausarbeiten: Wir haben bei dem ersten Teil des zusammengesetzten Hauptwortes mit kriegerischen Handlungen, dem Gefecht, zu tun. Für Clausewitz ist das Gefecht „...ein in sich geschlossener Akt...“2260 und für ihn besteht der Krieg aus „...einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner...Gefechte...“2261 In diesem Sinne wird das Gefecht in der heute gültigen Führungsvorschrift der Bundeswehr wie folgt definiert: „Zeitlich und räumlich zusammenhängende Kampfhandlungen mehrerer Truppenteile unter einheitlicher Führung mit gemeinsamer Zielsetzung, die nach den Grundsätzen der Taktik als Gefecht der verbundenen Waffen geführt werden.“2262 Damit korrespondiert der Begriff der Schlacht als „Gesamtheit zeitlich und räumlich zusammenhängender Gefechte der Teilstreitkräfte und der Streitkräfte mehrerer Staaten. Sie ist auf ein operatives Ziel hin ausgerichtet und wird von der operativen Führung geführt.“2263 Der andere Teil des Wortes Gefechtsfeld steht für einen räumlichen bzw. geophysischen Begriff. Durch die militärische Planung ist aus dem freien Feld eine begrenzte Fläche geworden, die es ermöglicht, zwischen innen und außen zu unterscheiden und sich räumlich zu orientieren.2264 Nach seiner etymologischen Bedeutung steht das Wort „Feld“ in enger Beziehung zu den Wörtern Erde und Boden und bezeichnet im militärischen Zusammenhang den Kampfplatz.2265 Dabei steht „Kampfplatz“ ursprünglich für den Ort feindseliger Auseinandersetzung, welche in antiker und frühgermanischer Zeit an einen festen Ort, an einen bestimmten räumlichen Punkt zur Austragung des Zweikampfes gebunden war. Später, als sich die Auseinandersetzung kräftemäßig weit über den tatsächlichen Zweikampf hinaus entwickelte, wurde dieser Ort als Schlachtfeld bezeichnet, also als der vorher aus-
2258 2259 2260 2261 2262 2263 2264 2265
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Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 137 vgl. Friedmar Teßmer, „Diese Richtung wie ich zeige...“ Über den Einsatz von Streitkräften, Darmstadt 2002, S. 19 f. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 53 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 53 Bundesminister der Verteidigung, HDv 100 / 900 Führungsbegriffe (TF/B), Stichwort: Gefecht, Bonn, 1998 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 900 Führungsbegriffe (TF/B), Stichwort: Schlacht, Bonn, 15.10.1998 Bernd Hüppauf, Das Schlachtfeld als Raum im Kopf. Mit einem Postscriptum nach dem 11. September 2001, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke(Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 207 ff.; 215 Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., Berlin 1999, S. 257
gewählte oder durch den Zufall bestimmte Kampfplatz.2266 Immanent bleibt in dieser Darstellung die Vorstellung vom Kampf als Auseinandersetzung zwischen zwei Kontrahenten erhalten. Eine Vorstellung, die für Clausewitz in der Definition des Krieges „...als nichts als ein erweiterter Zweikampf“2267 fortlebt: „Gefecht ist Kampf...der Gegner im einzelnen Gefecht aber ist die Streitmacht, welche uns entgegensteht...“2268 Und an anderer Stelle bricht Clausewitz den Gedanken des Zweikampfes auf den einzelnen Kämpfer herunter: „Materiell lässt sich jedes Gefecht in so viele Gefechte auflösen, als Fechtende da sind.“2269 7.4.1.1
Die Bezugsgrößen des Begriffs
Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich, dass der Begriff des Gefechtsfeldes starke handlungsbezogene und räumliche Bezüge aufweist. Mittelbar weist er dadurch gleichzeitig personelle Bezüge hinsichtlich Verhalten und Einstellung der Akteure auf wie auch des Einsatzes kriegerischen Materials und entsprechender Mittel.2270 Insofern verbindet sich auf der Ebene des Gefechtsfeldes militärische Stärke durch die Logik der Strategie mit dem territorialen Raum.2271 Die den Gegenstand bestimmenden Einflussgrößen stehen somit in engem inneren Zusammenhang mit der militärischen Entwicklung auf allen Gebieten der Strategie, der Taktik und dem entsprechenden technischen und technologischen Fortschritt. Gleichzeitig weist die Bezeichnung starke Interdependenzen mit den völkerrechtlichen Vorstellungen über militärische Auseinandersetzungen auf.2272 7.4.1.2
Der Raum als Einflussgröße des Gefechtsfeldes
Carl Schmitt erkannte in seinem spezifisch juristischen Interesse im Sinne von Recht als Einheit von Ordnung und Ortung am politischen Handeln politischer Größen als handlungsfähige Einheiten die Bedeutung des Raumbegriffes.2273 Ihm ging es dabei in seinem Raumordnungsdenken unter anderem auch um den Raum in seiner strategischen Bedeutung.2274 In seiner Schrift „Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum“ teilte 2266 2267
2268 2269 2270 2271 2272 2273 2274
B. Poten (Hrsg.), Handbuch der gesamten Militärwissenschaften, 7. Bd. Stichwort: Schlacht, Bielefeld und Leipzig 1879 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg, 1984, S. 13 Die Bedeutung des Begriffs Zweikampf für Clausewitz’ Theorie hat auch Zhang herausgearbeitet (vgl. Yuan-Ling Zhang, „Fortschreiten vom Einfachen zum Zusammengesetzten“. Ein sonderbares methodisches Verfahren in Clausewitz’ Werk „Vom Kriege“, in: Dietmar Schössler [Hrsg.], Clausewitz-Studien, Heft 1, 1999, S. 37 ff.; 39 f.) Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg, 1984, S. 102 Carl von Clausewitz, Leitfaden zur Bearbeitung der Taktik oder Gefechtslehre, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Carl von Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 1001 ff.; 1004 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 67 Edward Luttwak, Strategie. Die Logik von Krieg und Frieden, 1. Aufl., Lüneburg 2003, S. 191 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 67 Heinz Brill, Die Bedeutung des Begriffs „Geostrategie“, in: ÖMZ 1996, S. 301 ff.; 302 f.; diesen Zusammenhang beschreibt Schmitt auch in einer späteren Schrift: Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, 3. Aufl., Stuttgart 1993, S. 71 ff. vgl. Erich Vad, Strategie und Sicherheitspolitik. Perspektiven im Werk von Carl Schmitt, Opladen, 1996, S. 90
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Schmitt zunächst zwei „Raumordnungen“ – Land und Meer – ein, die jeweils eigene Ordnungsbezüge zum Krieg aufwiesen.2275 In seiner „Theorie des Partisanen“2276 nahm Schmitt diesen Gedanken wieder auf, indem er den räumlichen Strukturbegriffen von Land und Meer die „Dimension“ der Luft hinzufügt und somit den Krieg zunächst in drei Dimensionen einteilt: See-, Land- und Luftkrieg. Die „Raumstrukturen“ von Meer und Land unterteilte Schmitt jeweils noch einmal durch die „Dimension der Tiefe“, welche durch die Entwicklung der U-Bootwaffe für den Kampfeinsatz erschlossen wurde und – in „Analogie“ hierzu – die „Tiefendimension“ der irregulären Kriegführung des Partisanen, der aus seiner Irregularität heraus die Dimensionen nicht nur taktischer, sondern auch strategischer Kriegführung der regulären Armeen beeinflusse.2277 Die Unterscheidung des irregulären Kampfes in der Raumstruktur begründete Schmitt damit, dass ein kompliziert strukturierter Aktionsraum entstanden sei, weil der Partisan nicht auf einem offenen Schlachtfeld und nicht auf der gleichen Ebene des offenen Frontenkrieges kämpft.2278 Seit Anfang der sechziger Jahre kam zunächst als Vision, die mit dem SDI (Strategic Defense Initiative2279), später mit dem NMD (National-Missile-Defense) Programm und nun mit der 2004 erlassenen Counter Space Operation Doctrine2280 immer deutlichere Züge annimmt, die Dimension des Weltraumkrieges als „Jagd im leeren Raum“,2281 im „staatsfreien Raum“2282 hinzu.2283 Damit erweitert sich der oben beschriebene Raumbegriff hori2275 2276 2277 2278 2279 2280 2281 2282 2283
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Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 4. Aufl., Berlin 1997, S. 144 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 72 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 72 f. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 72 Zu den Hintergründen und weitreichenden politischen Folgen des Programms vgl. Nigel Hey, The Star Wars Enigma. Behind the Scenes of the Cold War Race for Missile Defense, Washington D.C. 2006 vgl. P. Eder, B.G. Hofbauer, Internationale Rundschau in: ÖMZ 2007, S. 111 ff.; 113 Kurt Frischler, Wunderwaffen. 5000 Jahre Jagd nach der absoluten Macht, Wien, München 1965, S. 305 Stephan Hobe, Die staatsfreien Räume – insbesondere der Weltraum, in: Karl Schmitt (Hrsg.) Politik und Raum, Baden-Baden 2002, S. 79 ff.; 79 Zu den militärischen Gesichtspunkten des Weltraumes und ihrer historischen Entwicklung vgl. David Messner, Space, Military Aspects of, in: Franclin D. Margiotta, Brassey’s Military Encyclopedia of Land Forces and Warfare, Washington, London 2000, S. 963 ff. vgl. Colin S. Gray, Explorations in Strategy, Westport, Connecticut, London 1998, S. xiv; vgl. hierzu bereits Ludwig Bölkow, Technologie und Kriegführung, in: Heinrich Kipp, Franz Mayer, Armin Steinkamm (Hrsg.), Um Recht und Freiheit. Festschrift für August Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres, Zweiter Halbband, Berlin 1977, S. 1251 ff.; 1268; vgl. M.N. Golovine, Konflikt im Weltraum. Kriegführung in einer neuen Dimension, München 1964; vgl. Gerd Stamp, Kann Europa verteidigt werden?, Boppard am Rhein 1963, S. 30; vgl. Martin Caidin, Wir stoßen in den Weltraum vor, Berlin 1955; vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 156 f.; In den frühen Visionen des Weltraumkrieges wird zum Teil bereits herausgearbeitet, wie zukünftig mit Satelliten Satelliten bekämpft werden sollten und insgesamt die Vorherrschaft im Weltraum zukünftig die Vorherrschaft in der Luft bestimmen sollte, genauso wie die Vorherrschaft in der Luft zu jener Zeit bereits weitgehend die Entscheidung zu Lande und zu Wasser bestimmt. (vgl. André Beaufre, Schlachtfelder von 1980, in: Nigel Calder [Hrsg.], Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 15 ff.; 23); Zum aktuellen Stand und möglichen Perspektiven einer Weltraumrüstung und eines Krieges im Weltraum vgl. Thomas Petermann, Christopher Coenen, Reinhard Grünwald, Aufrüstung im All. Technologische Optionen und politische Kontrolle, Berlin 2003; vgl. James F. Dunnigan, How to Make War. A Comprehensive Guide to modern Warfare in the 21st Century, 4. Aufl., New York 2003, S. 394 ff.; vgl. Marc Cerasini, The Future of War. The Face of the 21st-Century Warfare, Indianapolis 2003, S. 155 ff.; vgl. Brian Steed, Armed Conflict.The Lessons of Modern Warfare, New York 2002, S. 192 ff.; vgl. Nikolas Busse, Verwundbare Stellen, in: FAZ vom
zontal aus dem Bereich der Erdoberfläche hinaus in den Weltraum2284 ins „Überplanetarische“.2285 Insofern kommt es bei der Begrenzung der Ausdehnung des Raumes wesentlich auf die Beherrschbarkeit und Möglichkeiten der Nutzung an. Daher war auch bereits sehr früh von „Raumherrschaft“ im Sinne von Seeherrschaft oder Luftherrschaft die Rede.2286 Der zivilen Nutzung des Weltraumes folgte die militärische, weil sie von strategischem Vorteil ist.2287 Die Konzepte gehen bis hin zu offensiven Weltraumoperationen – einschließlich aktiven Gefechtshandlungen.2288 Tatsächlich hat der Weltraum bereits heute eine erhebliche Bedeutung für die Kriegführung. Der Einsatz moderner Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten ist bereits heute von entscheidender Wichtigkeit für den militärischen Erfolg. Hätten die Iraker die Möglichkeit gehabt, das U.S Defense Satellite Communication System (DSCS) in den vergangenen Auseinandersetzungen zu zerstören, wäre der entscheidende Vorteil der Alliierten Streitkräfte zunichte gemacht worden.2289 Damit wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Gravitationspunkt einer militärischen Operation außerhalb der Erdatmosphäre lokalisiert.2290 Informationstechnologie ist lebenswichtig für alle kritischen Infrastrukturen eines Landes.2291 Und spätestens mit dem 2. Golfkrieg, der als erstes Beispiel für einen „ITKrieg“ gilt,2292 kommt zusätzlich eine weitere, siebte Dimension ins Spiel: Der Cyberspace als künstlich geschaffener Informationsraum,2293 in dem der Computerkrieg, der „Net War“
2284
2285 2286
2287 2288 2289 2290 2291 2292 2293
20. Januar 2007, S. 2; Meindl hat in diesem Zusammenhang ein Konzept zur Aufstellung von “Weltraumtruppen” der Bundeswehr angedacht. (vgl. Erich Meindl, Wenn Du den Frieden willst, Münster 2001, S. 142 ff.) Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 68; vgl. Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 83 Udo Schäfer, Partisanen und Kleinkrieg, in: Europäische Sicherheit 1997, S. 48 ff.; 48 vgl. Wolfram von Raven, Strategie im Weltraum. Der kosmische Kampf der Giganten, StuttgartDegerloch o.JA., S. 34 f. Carl Schmitt konnte sich seinerzeit folgerichtig sogar die Nutzung des Weltraumes durch Irreguläre, „Kosmospartisanen“, vorstellen. (Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 83) vgl. Peter M. Stadler, Rechtliche Schranken der militärischen Tätigkeiten im Weltraum und auf Himmelkörpern in Friedenszeiten, Dissertation, Würzburg 1975, S. 1 vgl. Brian Steed, Armed Conflict.The Lessons of Modern Warfare, New York 2002, S. 192 ff. George Friedman, Meredith Friedman, The Future of War. Power, Technology and American World Dominance in the Twenty-First Century, New York 1998, S. 303 George Friedman, Meredith Friedman, The Future of War. Power, Technology and American World Dominance in the Twenty-First Century, New York 1998, S. 303 National Research Council of the National Acadamies, Information Technology For Counterterrorism, Washington D.C. 2003, S. 2 Ulf von Krause, Reinhart Marschall, Strategische Bedeutung der Führungsunterstützung, in: Europäische Sicherheit 2002, Heft 10, S. 45 ff.; 46; vgl. Kenneth Allard, Command, Control, and the Common Defense, 2. Aufl, o. OA. 2002, S. 273 ff. Holger H. Mey, Zur Entwicklung der modernen Kriegführung in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 83 ff.; 83; vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 291 ff.; Unter „Informationsraum“ wird ansonsten der virtuelle und physikalische Raum verstanden, in dem Informationen aufgenommen, verarbeitet und weitergegeben werden und der neben den Informationen auch die zur Verarbeitung und Übertragung erforderlichen Informations- und Kommunikationssysteme, Entscheidungsträger und die zugehörigen Führungsstrukturen und -prozesse umfasst. (Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 8, FN 9)
323
und „Cyber War“,2294 in den militärischen Planungen und Führungsvorschriften der modernen Staaten eine immer wichtigere Rolle einnimmt.2295 Net War stellt hierbei die Form geringerer Intensität des hauptsächlich militärischen Konzepts des Cyber War auf sozialer Ebene dar, welches eine doppelte Natur hat und auf der einen Seite von Terroristen, Kriminellen und ethno-nationalistischen Extremisten eingesetzt werden kann, sowie auf der anderen Seite von gesellschaftlichen Aktivisten benutzt werden kann.2296 Diese gesamte Entwicklung erlaubt es kleinen Gruppen, Macht auszuüben und ihren Einfluss innerhalb von Sekunden über große Distanzen auszudehnen.2297 Das Konzept des Cyber War ist darauf angelegt, sämtliche gegnerische Elektronik und Kommunikation „abzuschießen“ und die eigenen Systeme arbeitsfähig zu halten.2298 Dabei zielt Information Warfare (IW) nicht unbedingt auf die materielle Zerstörung militärischer oder ziviler Güter ab.2299 Grundlegende Strategie des Information Warfare sind Verteidigung und Angriff auf Informationen und Informationssysteme.2300 Es handelt sich hierbei um gezielte, politisch motivierte Angriffe mit Hilfe der Informationstechnologie (IT) und / oder auf die IT mit gewaltgleichen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Bevölkerung oder die wirtschaftliche und / oder die politische Handlungsfähigkeit von Staaten – dies nicht notwendigerweise unter Einbeziehung von Streitkräften.2301 Hier geht es also um die Lahmlegung oder Penetration und 2294 2295
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Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23; vgl. Brian Jenkins, Foreword in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S. iii ff.; vi vgl. Arnulf Kopeinig, Information Warfare. Versuch eines definitorischen Zugangs im Rahmen politikwissenschaftlicher Untersuchungen, in: ÖMZ 1999, S. 23 ff.; vgl. Martin Ebner, Netzwerke und ihre Angreifbarkeit, in: ÖMZ 1999, S. 293 ff.; vgl. Ulf von Krause, Reinhart Marschall, Strategische Bedeutung der Führungsunterstützung, in: Europäische Sicherheit 2002, Heft 10, S. 45 ff.; 48; vgl. Ulrich Weisser, Die veränderte Sicherheitslage. NATO und EU vor neuen Herausforderungen – Konsequenzen für deutsche Sicherheitspolitik und Streitkräfte, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 69 ff.; 72; vgl. Anthony H. Cordesman, Cyber-Threats, Information Warfare, and Critical Infrastructure Protection. Defending the U.S. Homeland, Washington D.C. 2002 vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, Summary in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. ix ff.; ix; vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar (Revisted), in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 1 ff.; 2; vgl. Michele Zanini, Sean J. A. Edwards, The Networking of Terror in the Information Age, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 29 ff.; 30; vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar, Santa Monica 1996, S. vii; vgl. John P. Sullivan, Terrorism, Crime and Private Armies, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 69 ff.; 70; vgl. Yassin Musharbash, Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerkes, Köln, Hamburg 2006, S. 148 ff. vgl. John P. Sullivan, Gangs, Hooligans, and Anarchists – The Vanguard of Netwar in the Streets, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 99 ff.; 99 James F. Dunnigan, How to Make War. A Comprehensive Guide to modern Warfare in the 21st Century, 4. Aufl., New York 2003, S. 370 Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 68 Robert J. Bunker, Battlespace Dynamics, Information Warfare to Netwar, and Bond-Relationship Targeting, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 97 ff.; 101; vgl. Martin C. Libicki, What Is Information Warfare?, in: Thierry Gongora, Harald von Riekhoff, Toward a Revolution in Military Affairs. Defense and Security at Dawn of the Twenty-First Century, Westport, London 2000, S. 37 ff.; vgl. Chris Hables Gray, Postmodern War. The New Politics of Conflict, New York, London, o. JA., S. 23 f. Reinhard Hutter, „Cyber-Terror“: Risiken im Informationszeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 31 ff.; 35; vgl. Glenn C. Buchan, Force Protection: One-and-a-Half Cheers for RMA, in: Thierry Gongora, Harald von Riekhoff, Toward a Revolution in Military Affairs. Defense and Security at
sogar um „Umdrehung“ elektronisch gesteuerter Systeme eines Gegners, also seiner strategisch oder existenziell wichtigen Informatik mit verheerenden Folgen für den Staatsapparat, seine Selbstbehauptung und für die Gesellschaft.2302 Bereits vor Ausbruch klassischer Kampfhandlungen können in diesem digitalen und virtuellen Krieg Computerviren und gezielte Softwareprogramme Kommunikationszentralen und -verbindungen beim Gegner ausschalten.2303 Hierzu gehören digital vernetzte Armeen ebenso wie intelligente Bomben und Angriffe auf die Computernetzwerke der Gegenseite.2304 Unter Umständen kann sogar die globale Kommunikation beeinträchtigt sein2305. Von jedem beliebigen Punkt, aus der Bewegung, auf dem Meeresspiegel, zu Lande und in der Luft sowie im Weltraum sind Ziele weltweit mit Feuer im virtuellen Raum des „Cyber War“ innerhalb von Sekunden erreichbar, bekämpfbar und ausschaltbar.2306 Damit wird die räumliche Gewaltgrenze des Krieges weiter aufgelöst und der Krieg wird in diesem Szenario des Information Warfare ortlos,2307 unsichtbar im räumlichen Nirgendwo und ohne eine Unterscheidung einer zivilen und einer militärischen Sphäre.2308 Information wird gleichsam zu einer regelrechten Waffe.2309 Die Manipulation des ungestörten, weltweiten Informationsaustausches zielt darauf ab, unter Ausnutzung schneller, hoch technisierter Informationsverarbeitung die Verfügbarkeit und Unversehrtheit von zivilen sowie auch militärischen Informationen und die Integrität der gegnerischen Kommunikationsressourcen in Frage zu stellen.2310 Es geht vor allem darum, die Informationen, die zur Aufrechterhaltung eines militärischen oder zivilen
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Dawn of the Twenty-First Century, Westport, London 2000, S. 139 ff.; 141 f.; vgl. Jacquelyn K. Davis, Michael J. Sweeney, Strategic Paradigms 2025. U.S. Security Planning for a new Era, Cambridge, Washington 1999, S. 190 Gustav Däniker, Die „neue“ Dimension des Terrorismus – Ein strategisches Problem, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg, Berlin, Bonn, S. 121 ff.; 128; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 13; vgl. James F. Dunnigan, How to Make War. A Comprehensive Guide to modern Warfare in the 21st Century, 4. Aufl., New York 2003, S. 363 f.; vgl. Dorothy E. Denning, Activism, Hacktivism, and Cyberterrorism: The Internet as a Tool for Influencing Foreign Policy, in: John Arquilla, David Ronfeldt (Hrsg.), Network and Netwars, Santa Monica 2001, S. 239 ff.; 239 f. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23; vgl. Erich Vad, Militär und die neuen Formen der Gewalt als Mittel der Politik, in: Gerhard P. Groß (Hrsg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20, Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 57 ff.; 68; vgl. William R. Schilling, Nontraditional Warfare Threats, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 3 ff.; 5 Rüdiger Voigt, Entgrenzung des Krieges. Zur Raum- und Zeitdimension von Krieg und Frieden, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 293 ff.; 314 vgl. Stephan Blancke, Information Warfare, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 30-31/2005, S. 24 ff.; 24 Erich Vad, Militär und die neuen Formen der Gewalt als Mittel der Politik, in: Gerhard P. Groß (Hrsg.), Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20, Jahrhundert, Hamburg, Berlin, Bonn 2001, S. 57 ff.; 68 vgl. Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke, Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke(Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 7 ff.; 15 Bernd Hüppauf, Das Schlachtfeld als Raum im Kopf. Mit einem Postscriptum nach dem 11. September 2001, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke(Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 207 ff.; 228 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 23 Stephan Blancke, Information Warfare, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 30-31/2005, S. 24 ff.; 25
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Systems benötigt werden, zu stören oder zu eliminieren, ohne dass unbedingt unmittelbar auf die materielle Zerstörung dieser Güter gezielt wird.2311 Diese sich hier eröffnenden Möglichkeiten können überraschend und auch verdeckt eingesetzt werden.2312 Aber auch Irreguläre sind in der Lage das Internet zu nutzen, indem „Hacker“ in Systeme eindringen und diese stören2313 oder gar zerstören als die einfachste Form des Angriffs auf Informationssysteme.2314 Schulze weist darauf hin, dass der „Cyberterror“ zwar noch nicht nachgewiesen werden konnte und es bislang keine konkreten Hinweise darauf gebe, dass Terroristen versuchten, die IT-Systeme Kritischer Infrastrukturen gezielt anzugreifen; allerdings sind für die Zukunft solche Szenarien nicht auszuschließen.2315 Die Natur des Netzwerks, der internationale Charakter, die chaotische Struktur, der einfache Zugang und seine Anonymität bieten eine ideale Arena für irreguläre Aktionen.2316 Insofern generiert der technische Fortschritt mittels „Cyberterrorismus“ auch völlig neue terroristische Formen.2317 Dabei stellt das Internet nicht nur eine Möglichkeit zur Koordination von gleichgesinnten Gruppierungen dar; Irreguläre Kräfte können dieses auch für Angriffe auf ihre potentiellen Ziele nutzen, indem sie sich in gegnerische Computersysteme „einhacken“.2318 Computerviren und andere Waffen des Informationskrieges können Havarien auslösen, wenn es gelingt, in kritische Kommunikationsinfrastrukturen einzudringen und vitale Verbindungen zu 2311 2312 2313
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Stephan Blancke, Information Warfare, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 30-31/2005, S. 24 ff.; 25; vgl. Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 68 vgl. Michael D. McDonnell, Terry L. Sayers, Information Systems Survivability in Nontraditional Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 29 ff.; 29 Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inba (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 8; vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar, Santa Monica 1996, S. 69; Zu den derzeit aktuellen Möglichkeiten durch Angriffe Informations- und Kommunikationstechnik zu stören vgl. für viele: Walter J. Unger, Angriff aus dem Cyberspace! (II). „Bösartige“ Software aus dem Internet – Sabotageprogramme und ihre oft verheerenden Auswirkungen, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=241&print=1, Internet vom 29.11.2006 Michael D. McDonnell, Terry L. Sayers, Information Systems Survivability in Nontraditional Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 29 ff.; 31 Tillmann Schulze, Der Schutz Kritischer Informationsstrukturen als staatliche Aufgabe, in: Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung (Hrsg.), Sicherheitskommunikation in Großräumen, Stiftungsreihe 69, S. 16 ff.; 17; Dagegen behauptet Musharbash, dass es bereits eine islamistische Hackerszene und es auch bereits zu nadelstichartigen Cyber-Attacken von Al-Qaida gekommen sei. (Yassin Musharbash, Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerkes, Köln, Hamburg 2006, S. 149) Gabriel Weimann, Terror Online: How do Terrorists use the Internet, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 87 ff.; 88 Kai Hirschmann, Terrorismus in neuen Dimensionen. Hintergründe und Schlussfolgerungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 7 ff.; 9; vgl. Bruce Hoffman, Foreword, in: Gabriel Weimann, Terror on the Internet. The New Arena, the New Challenges, Whashington D.C., 2006, S. ix ff.; ix; vgl. Gabriel Weimann, Terror on the Internet. The New Arena, the New Challenges, Whashington D.C., 2006, S. 149 ff.; vgl. Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76; vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar, Santa Monica 1996, S. 69 f.; vgl. National Research Council of the National Acadamies, Information Technology For Counterterrorism, Washington D.C. 2003, S. 11 Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76
unterbrechen bzw. Abläufe in den Systemen zu stören.2319 Diese, auch als die „hochentwickelste und heimtückischste“ bezeichnete Form des Angriffs auf Informationssysteme wird auch als „Information Corruption“ definiert.2320 Der Nutzen dieser Vorgehensweise liegt darin, dass (möglicherweise lange Zeit) verdeckt und unbemerkt das gegnerische System korrumpiert und manipuliert wird. Dieses geschieht zudem zu verhältnismäßig geringen Kosten bei gleichzeitig geringem Risiko der (frühzeitigen) Entdeckung und eigenen physischen Vernichtung. Damit können Irreguläre Kräfte auch gegenüber ihrer mächtigeren Gegner erfolgreich sein.2321 Für die Informationstechnik ergibt sich aus dem Gesagten sowohl als Ziel wie auch als Waffe eine zunehmende Bedeutung, wobei auch auf diesem Feld damit gerechnet werden muss, dass das Machbare auch eingesetzt wird.2322 Gleichzeitig nutzt das transnationale Organisierte Verbrechen zunehmend das Internet für seine Aktivitäten und es ist denkbar, dass sich zukünftig bereits existierende Gruppen von „Hackern“ und „Crackern“2323 zu „virtuellen Gangs“ organisieren und ihre Operationen abgestimmt durchführen, obwohl ihre Mitglieder sich niemals persönlich begegnet sind.2324 Demzufolge muss in der Reaktion auf diese gesamten Risiken und Bedrohungen die Fähigkeit entwickelt und aufgebaut werden, Angriffe zu detektieren, aufzuklären und entsprechend abzuwehren.2325 2319 2320 2321 2322 2323
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Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76 vgl. Michael D. McDonnell, Terry L. Sayers, Information Systems Survivability in Nontraditional Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 29 ff.; 32 Gregory A. Raymond, The Evolving Strategies of Political Terrorism, in: Charles W. Kegley, Jr. (Hrsg.),The New Global Terrorism, Characteristics, Causes, Controls, New Jersey 2003, S. 71 ff.; 76 Reinhard Hutter, „Cyber-Terror“: Risiken im Informationszeitalter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 31 ff.; 31; vgl. Christopher Bellamy, What is Information Warfare?, in: Ron Matthews, John Treddenick, Managing the Revolution in Military Affairs, Hamshire 2001, S. 56 ff. Im Unterschied zum „Hacker“ dringt der „Cracker“ nicht nur in fremde Computersysteme ein, sondern kann auch geschützte Software verfügbar machen und ggf. manipulieren. (vgl. Michael Sigesmund, Was hat der Werkschutz mit Informationssicherheit zu tun?, in: Herbert Ehses [Hrsg.], Unternehmensschutz. Praxishandbuch Werksicherheit, 7. Ergänzung, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden, Stand August 2005, B 9, S. 1 ff.; 7. Von dieser Definition weicht Schulze geringfügig ab, indem er „Hacker“ als Personen bezeichnet, die als IT-Spezialisten unbefugt auf fremde Rechner zugreifen, sich Zugang zu fremden Netzen verschaffen oder Informationen ausspähen; den Begriff „Cracker“ verwendet er mit Bezug auf die Anfangsphase der IT-Systeme für Hacker, die versuchen, unbefugt an Informationen zu gelangen oder die ihre Fähigkeiten gesetzeswidrig einsetzen. (Tillmann Schulze, Bedingt abwehrbereit. Schutz kritischer Informationsstrukturen in Deutschland und den USA, 1. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 90 f.) In diesem Sinne unterscheidet auch Unger zwischen „gut“ und „böse“, indem er Hacker als diejenigen einordnet, die ihre Tätigkeiten mit dem Ziel entfalten, Sicherheitslücken im System aufzuzeigen und beim absichern mithelfen; dagegen greifen Cracker Schwachstellen an, um fremde Systeme zu zerstören oder zur Verschaffung von eigenen Vorteilen. (Walter J. Unger, Angriff aus dem Cyberspace! [I]. „Bösartige“ Software aus dem Internet – Ein Sicherheitsrisiko, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ ausgaben/artikel.php?id=139&print=1, Internet vom 29.11.2006, S. 3 f.) vgl. Mark Galeotti, Transnational Organiced Crime: Law Enforcement as a Global Battlespace, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Non-State-Threats and Future Wars, London 2003, S. 29 ff. 31; Bischof untersucht in diesem Zusammenhang die gesamtgesellschaftliche Bedeutung – also militärische und wirtschaftliche Aspekte – der Informationsüberlegenheit und des Informationsschutzes.vgl. Jörg A. Bischof, Information Imperialism. Wissen ist Macht – Wie steht es mit dem Schutz unseres Wissens?, in: Land Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 3, Dezember 2005, Beilage zur ASMZ 2005, Heft 12, S. 12 ff. Michael D. McDonnell, Terry L. Sayers, Information Systems Survivability in Nontraditional Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 29 ff.; 29; vgl. David L. Bongard William R. Schilling, International Initatives for Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare.
327
7.4.1.3
Das Gefechtsfeld in seinen Beziehungen zu den geopolitischen Rahmenbedingungen
Die Sicherheitspolitik eines Landes wird im Wesentlichen von seiner geostrategischen Lage bestimmt, aus der in der Regel der Umfang der Gesamtstreitkräfte gefolgert wird.2326 Einige Autoren in der Literatur wollen die „äußere Sicherheit“ an den Grenzen der Bundesrepublik enden lassen. Die Absurdität dieses Arguments wird deutlich, wenn man den Begriff von außen her betrachtet: So gesehen würde, im Umkehrschluss des vorstehenden Arguments, die Sicherheit eines Staates erst an seiner Staatsgrenze beginnen. Die Folge wäre eine extreme Begrenzung der „operativen Tiefe“.2327 Das kann im Interesse der Sicherheit nicht gewollt sein. In der geographischen Fixierung auf ein ganz bestimmtes Szenario der Landesverteidigung in Mitteleuropa vollzieht diese eng gefasste Meinung nicht nach, dass der militärische Faktor Zeit gegenüber den Faktoren Raum und Kraft in zunehmendem Maße an Bedeutung gewonnen hat.2328 Gerade der Gesichtspunkt des Zusammenhangs von Informationstechnologien und Angriffen auf feindliche Informationsinfrastrukturen ist für die geographische Expansion des Gefechtsfelds von zentraler Bedeutung.2329 Räumliche Distanzen weisen unter diesen Aspekten zwei wesentliche Tendenzen auf, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Perspektive als gegensätzlich erscheinen: Mittels moderner Technologien und Präzisionswaffen können Entfernungen in Minuten überwunden werden, geographische Räume schrumpfen zusammen und demzufolge wird die frühere Dominanz des Raumes relativiert.2330 Der Raum erfährt auf der anderen Seite eine Vergrößerung: das Gefechtsfeld wird globalisiert.2331 Die militärischen Möglichkeiten erlauben es also, den Gesamtraum zu erfassen, und zwingen gleichzeitig auch zur Dislozierung der Kräfte im Raum. Folglich werden geographische Entfernungen in der sicherheitspolitischen Lagebeurteilung ein Faktor von immer geringerer Bedeutung.2332 Also haben wir es – wie zuvor
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Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 241 ff. 245 f. Zu den passiven Schutzmaßnahmen vgl. u. a. Walter J. Unger, Angriff aus dem Cyberspace! (III). Absicherungsmaßnahmen gegen bösartige Software, in: http://www.bmlv.gv.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=257& print=1, Internet vom 29.11.2006 Heinz Brill, Deutschlands geostrategische Lage und Wehrstruktur (1949-1999), in: ÖMZ 1999, S. 413 ff.; 421 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 68 Dabei wird mit dieser engen Fokussierung auf die Landesverteidigung zugleich übersehen, dass die Bundeswehr mit ihrer Einbindung in die AMF (L) seit Anfang der sechziger Jahre wichtige Aufträge zum Flankenschutz an der Peripherie der NATO in Ostanatolien und Nordnorwegen wahrgenommen hatte. Und Erich Vad führt daher auch zu Recht aus, dass der 11. September deutlich gezeigt hat, dass der Begriff „Verteidigung“ mehr als die traditionelle Territorial- und Heimatverteidigung bedeutet. (Erich Vad, Zur Zukunft der Europäischen sicherheits- und Verteidigungspolitik [ESVP] nach dem Dritten Golfkrieg, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder [Hrsg.], Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 206 ff. 214) Glenn C. Buchan, Force Protection: One-and-a-Half Cheers for RMA, in: Thierry Gongora, Harald von Riekhoff, Toward a Revolution in Military Affairs. Defense and Security at Dawn of the Twenty-First Century, Westport, London 2000, S. 139 ff.; 1142 Erich Vad, Operative Führung Grundlagen, Merkmale und Perspektiven, in: ÖMZ 1998, S. 129 ff.; 134 f.; vgl. Laurent F. Carrel, Sicherheitspolitisch-strategische Lagebeurteilung. Neue Herausforderungen an die Methodik, in: ÖMZ 1994, S. 227 ff.; 230 Ulf von Krause, Reinhart Marschall, Strategische Bedeutung der Führungsunterstützung, in: Europäische Sicherheit 2002, Heft 10, S. 45 ff.; 46 Karl-Heinz Kamp, Eine “globale” Rolle für die Nato, in: FAZ vom 02.04.1998, S. 8; vgl. Friedrich Ruge, Politik und Strategie, Strategisches Denken und politisches Handeln, Frankfurt am Main 1967, S. 20; vgl.
gesagt – mit neuen Raumdimensionen zu tun, die einen weiten Horizont erfordern und die nicht an unseren territorialen oder Bündnisgrenzen enden.2333 Insofern lässt sich Landesverteidigung nicht mehr geographisch eingrenzen, sondern trägt zur Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist.2334 Das räumliche Ausmaß des bewaffneten Kampfes nimmt nach Höhe, Breite und Tiefe zu und die Gefechte und Schlachten werden dezentral und mehrdimensional geführt werden.2335 Folglich geht die Entwicklung zu einem Gefechtsfeld, das auch nicht mehr linear ist, weil die Befähigung zur simultanen Führung von unmittelbaren Operationen und Operationen in der Tiefe zunehmen wird.2336 Zugleich wird es multidirektional sein, weil weniger Kräfte in größeren Räumen häufiger in Insellagen, Einschließung oder mit offenen Flanken werden kämpfen müssen.2337 Gleichzeitig ist an die Stelle des Prinzips der Konzentration der Kräfte in Raum und Zeit das ihrer Verteilung und Zerstreuung getreten.2338 Parallel dazu ist die Entwicklung durch die globale räumliche Ausweitung des Waffeneinsatzes, Transport, Kommunikation, Verkürzung der Entscheidungszeiten, Verbesserung der Zielgenauigkeit, Schadensbegrenzung beim Waffeneinsatz, Anwachsen der Informationsflut und Komplexität sowie Computerisierung und Automatisierung der Kriegführung und wachsende „Intelligenz“ der Waffensysteme gekennzeichnet.2339 Hieraus folgt, dass das Denken militärischer Führer zukünftig globaler werden muss.2340 Diese Forderung betrifft darüber hinaus alle, die sicherheitspolitisch Verantwortung tragen. Zudem macht es keinen Sinn, in einer Zeit, in der in allen Bereichen von „Globalisierung“ gesprochen wird, die Sicherheitspolitik hier völlig auszuklammern. Bedrohungen manifestieren sich nicht mehr erst an den Staatsgrenzen.2341 Dementsprechend müssen die auf „Landesverteidigung“ ausgerichteten Streitkräfte in der Lage sein, Aufträge außerhalb des eigenen Territoriums wahrzunehmen, und nicht erst darauf warten, dass eine mögliche existentielle Bedrohung sich im eigenen Land tatsächlich realisiert bzw. dort auftritt.2342
2333 2334 2335 2336 2337 2338 2339 2340 2341
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Klaus D. Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO nach dem Gipfel 1999 und erste Erfahrungen aus dem Kosovo-Konflikt, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 175 ff.; 185 Dieter Wellershoff, Mit Sicherheit. Neue Sicherheitspolitik zwischen gestern und morgen, Bonn 1999, S. 21 vgl. Roman Schmidt-Radefeldt, Innere Sicherheit durch Streitkräfte, in: Holger Zetzsche, Stephan Weber (Hrsg.), Recht und Militär. 50 Jahre Rechtspflege der Bundeswehr, Baden-Baden 2006, S. 39 ff.; 42 Machmut Achmetowitsch Garejew, Konturen des bewaffneten Kampfes der Zukunft. Ein Ausblick auf das Militärwesen der nächsten 10 bis 15 Jahren, Baden-Baden 1999, S. 116 Hermann Dooremans, Die Versorgung von Krisenreaktionskräften. Aspekte Logistischer Unterstützung auf dem Gefechtsfelds der Zukunft, in: Europäische Sicherheit 1998, Heft 9, S. 10 ff.; 10 ff. Hermann Dooremans, Die Versorgung von Krisenreaktionskräften. Aspekte logistischer Unterstützung auf dem Gefechtsfels der Zukunft, in: Europäische Sicherheit 1998, Heft 9, S. 10 ff.; 12 Herfried Münkler, Ist Krieg abschaffbar?, in: Bernd Wegner (Hrsg.), Wie Kriege enden. Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn, Wien, München, Zürich 2002, S. 347 ff.; 357 Jürgen Scheffran, Wissenschaft, Rüstungstechnik und totaler Krieg. Historische Einblicke in eine Wechselbeziehung, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 1, 2005, S. 6 ff.; 11 Glenn C. Buchan, Force Protection: One-and-a-Half Cheers for RMA, in: Thierry Gongora, Harald von Riekhoff, Toward a Revolution in Military Affairs. Defense and Security at Dawn of the Twenty-First Century, Westport, London 2000, S. 139 ff.; 142 Torsten Stein, Schlussbemerkung: Zur Zukunft der Staatsaufgabe „(Äußere) Sicherheit“ in: Christian Callies (Hrsg.), Äußere Sicherheit im Wandel – Neue Herausforderungen an eine alte Staatsaufgabe. Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Torsten Stein, Baden-Baden 2005, S. 205 ff.; 205 Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATOund WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 230
329
„Entstehende Konflikte austreten ist besser, als dass sie auf uns übergreifen.“2343 Folglich erfordert der Sicherheitsbegriff, der einer modernen Sicherheitspolitik zugrunde liegen muss, ein funktionales und kein geographisches Verständnis.2344 Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Natur und die erste Verteidigungslinie gegen diese Bedrohungen wird oftmals im Ausland liegen.2345 Mithin ist die enge Auffassung des Begriffs „Landesverteidigung“ heute nicht mehr ausreichend und entsprechend zu erweitern.2346 Die Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) kommen inzwischen zu demselben Ergebnis: „Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geographisch nicht mehr eingrenzen, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist.“2347 7.5
Der Einfluss moderner EDV auf das Gefechtsfeld
Bereits Carl Schmitt hatte festgestellt, dass jede Steigerung der menschlichen Technik neue Räume und unabsehbare Veränderungen der überkommenen Raumstrukturen produziert.2348 Diese Tatsachen zeigen sich auch deutlich an der Entwicklung moderner Datenübertragungs- und Datenverarbeitungssysteme:2349 Das Informationszeitalter beeinflusst heute nahezu alle Aspekte moderner Gesellschaften.2350 Information und Wissen hatten aber immer schon eine herausragende Bedeutung. Das gilt insbesondere für den militärischen Bereich im weitesten Sinne und schließt ebenso den polizeilichen sowie naturgemäß den nachrichtendienstlichen Bereich mit ein. Informationen über den Feind sind seit alters her wesentliche Grundlage der Beurteilung der Lage und folglich von entscheidender Bedeutung 2343 2344
2345 2346
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Wolf-Dieter Löser, BG, General der Infanterie und Kommandeur der Infanterieschule in einem Gespräch mit dem Verfasser am 21.06.1999 Rudolf Scharping, Grundlinien deutscher Sicherheitspolitik, Rede des Bundesministers der Verteidigung an der Führungsakademie der Bundeswehr am 08.09.1999 in Hamburg, in HFüKdo (Hrsg.), SonderPressespiegel vom 09.09.1999, S. 1; vgl. Klaus D. Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO nach dem Gipfel 1999 und erste Erfahrungen aus dem Kosovo-Konflikt, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 175 ff.; 185 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 7 Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATOund WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 230; vgl. hierzu: Lothar Rühl, Dabeisein ist alles?, in: FAZ vom 13. Mai 2006, S. 10; Rühl fordert hier eine „zeitgemäße Definition des Verteidigungsbegriffs“, die Klärung der Frage nach dem Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung und die entsprechende Verankerung in der Verfassung, um in allen Fällen Rechtssicherheit zu geben und das Verständnis für die internationale Friedenssicherung zu erleichtern. Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, Berlin, 21. Mai 2001, S. 18 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 71 Zur Geschichte und Entwicklung der Informationstechnik vgl. Claus Eurich, Tödliche Signale. Die kriegerische Geschichte der Informationstechnik, Frankfurt am Main 1991; vgl. Stefan Kaufmann, Kommunikationstechnik und Kriegführung 1815-1945. Stufen telemedialer Rüstung, München 1996 Michael D. McDonnell, Terry L. Sayers, Information Systems Survivability in Nontraditional Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 29 ff.; 29
für Entschlussfassung und Befehlsgebung. Kampf um Information ist das ständige Ringen um umfassende Kenntnis der Feindlage, der eigenen Lage und sonstiger für den Einsatz wichtiger Umstände.2351 Informationskriegführung ist somit so alt wie die Kriegskunst selbst; mit den technischen Entwicklungen haben sich gleichzeitig die Möglichkeiten der Informationskriegführung verändert, wobei es immer wieder auch zeitweilige taktische, operative oder sogar strategische, also Krieg entscheidende Vorteile für den gab, der technische Möglichkeiten als erster umgesetzt hat.2352 Informationsbeschaffung ist der erste Schritt in der Lagefeststellung und damit Grundlage des Führungsprozesses.2353 Der Entscheidungsprozess im Krieg ist mit extrem hohen Kosten für Irrtümer verbunden.2354 Damit ist die Geschichte der Führung auch die Geschichte der Jagd zwischen Informationsbedürfnis und der Fähigkeit, die Information zu liefern.2355 Kommunikationstechnologien gewinnen durch die gewachsene räumliche Distanz zwischen politischer Führung, militärischer Führung und eingesetzter Truppe zunehmend an Stellenwert.2356 Trotzdem müssen Soldaten immer wieder mit unklaren, sich schnell ändernden Lagen leben und sich auf sie einstellen. Dieser Mangel an Information und das daraus resultierende Leben mit der Unsicherheit ist durch die Struktur des Führungssystems aufzufangen und zu kompensieren; fremdsprachlich ausgedrückt: „coping with uncertainty“.2357 Von jeher war es fundamentaler Bestandteil jeder Kriegführung gegenüber einem Gegner, den Informationsvorsprung zu halten.2358 Der Kampf um Informationsüberlegenheit ist allerdings für künftige Einsätze von überragender Bedeutung2359 und in allen Einsätzen wesentliches Element militärischer Führung und Voraussetzung für ihren Erfolg.2360 Der Umgang mit Information wurde zu einem Kampffeld, da die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und -übermittlung mit wachsender Technisierung zunahmen und damit
2351 2352
2353 2354 2355 2356 2357 2358 2359
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Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1220 Uwe Nerlich, Strategische Dimensionen der Informationskriegführung, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für Internationale Sicherheitspolitik, Hamburg, Berlin, Bonn 1999, S. 137 ff.; 137; vgl. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 85; vgl. David S. Alberts, John J. Garstka, Richard E. Hayes, David A. Signori, Understanding Information Age Warfare, 2. Aufl., o.OA. 2002, S. 35 ff.; vgl. Michael O’Hanlon, Technological Change and the Future of Warfare, Washington, D.C. 2000 Inspekteur des Heeres Fü H III 1, Operative Leitlinie. Leitlinie für die operative Führung von Kräften des Heeres und die Anwendung der Grundsätze operativer Führung im Heer, Entwurf 7.2, Bonn 20.02.1998, S. 35 David S. Alberts, John J. Garstka, Richard E. Hayes, David A. Signori, Understanding Information Age Warfare, 2. Aufl., o.OA. 2002, S. 37 Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301 Heiko Biehl, Die neue Bundeswehr. Wege und Probleme der Anpassung der deutschen Streitkräfte an die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (Hrsg.), SOWI-Arbeitspapier Nr. 112, Strausberg 1998, S. 31 Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 4 Klaus Mommsen, Information Warfare, in: Rissener Rundbrief 1998, Heft 2/3, S. 103 ff.; 103 Inspekteur des Heeres (Hrsg.), Gedanken zu Fragen der Operationsführung im deutschen Heer. Herausgegeben zur Truppenführerreise 1998, 1999, S. 20; vgl. Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 6001 Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1221
331
auch die der planmäßigen Behinderung, Verfälschung, Störung oder Abhörung.2361 Die klassischen operativen Faktoren – Kräfte, Raum, Zeit – erfahren mithin derzeit die Erweiterung um die Information als vierten operativen Faktor.2362 7.5.1
Elektronische Kriegführung
Elektronische Kriegführung2363 hat die Behinderung von Datenflüssen und die Ausschaltung elektronischer Nervenzentren zum Ziel.2364 Spezialkräfte sind nun in der Lage, Viren in Informationssysteme einzubringen, sensitive Informationen abzufangen, falsche Nachrichten zu erzeugen, ungenaue Daten abzuliefern oder Identifizierungssysteme außer Kraft zu setzen.2365 Die Operative Leitlinie des Heeres trägt dieser Erkenntnis Rechnung, indem sie feststellt: „Moderne Informationstechnik ist Ziel elektronischer Aufklärung, Sabotage, Störung und Einschleusen von Fehlinformation. Operative Führung schützt eigene Information und Kommunikation und nutzt die Möglichkeiten des Einwirkens gegenüber anderen.“2366 Eine andere Quelle formuliert noch deutlicher: „Der sachgerechte und geschickte Gebrauch der Information ermöglicht kürzere Führungsprozesse als bisher und ein hohes Tempo eigener Handlungen bei der Verfolgung des Ziels, den Gegner in seiner Informationsgewinnung, seiner Führungsfähigkeit, seiner Mobilität und Durchhaltefähigkeit zu behindern und ihn letztlich zu überfordern. ... Information ist dabei Waffe, Angriffsziel, Mit-
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Kai Rohrschneider, Operative Führung seit dem Ersten Weltkrieg, Jahresarbeit an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 1998, S. 18. Zu den Möglichkeiten der „digitalen Revolution“ vgl. Ulrich Blumenschein, Trojanische Pferde als digitale Kavallerie, in: DIE WELT vom 13.04.1999, S. 4; vgl. Rainer Paul, Jürgen Scriba, „Die Fronten sind überall“, in: DER SPIEGEL vom 13.09.1999, S. 288 ff. vgl. Andreas Maase, Information als operativer Faktor, in: ÖMZ 2000, S. 575 ff.; 575; vgl. Ulf von Krause, Reinhart Marschall, Strategische Bedeutung der Führungsunterstützung, in: Europäische Sicherheit 2002, Heft 10, S. 45 ff.; 48; vgl. Patrick Teisserenc, Alexander Sollfrank, Vernetzte Operationsführung. Gemeinsame konzeptionelle Überlegungen und deren Umsetzungen im deutschen und französischen Heer, in: Europäische Sicherheit, Heft 3, 2006, S. 50 ff.; 50; vgl. Peter Forster, Information Operations – die Waffe der Zukunft, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 283 ff.; 283 Zur Geschichte und Entwicklung der elektronischen Kriegsführung vgl. Konrad Guthardt, Heinz Dörnenburg, Electronic Warfare, Heidelberg 1987; Umfassend zur Elektronischen Kampfführung (EloKa) und deren Möglichkeiten vgl.: Josef Olischer, Leopold Koisser, Elektronische Kampfführung I, Wien 2003 Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301; vgl. James F. Dunnigan, How to Make War. A Comprehensive Guide to Modern Warfare for the Post-Cold War Era, 3. Aufl., New York 1993, S. 313 Klaus Naumann, NATO-Streitkräftestrukturen im Spiegel der sicherheitspolitischen Lage in Europa, in: ÖMZ 1998, S. 499 ff.; 502; vgl. Rainer Paul, Jürgen Scriba, „Die Fronten sind überall“, in: DER SPIEGEL vom 13.09.1999, S. 288 ff.; vgl. Klaus D. Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO nach dem Gipfel 1999 und erste Erfahrungen aus dem Kosovo-Konflikt, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 175 ff.; 181; vgl. Klaus Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO in der Zukunft, Manfred Wörner-Rede, veranstaltet vom Freundeskreis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 20.03.1999 in Bonn, in: Internet vom 18.05.1999, http: // www.baks.com/60HotSpot.html, S. 3, der hier auch auf die möglichen Gefährdungen der modernen Gesellschaft durch elektronische Mittel eingeht. Inspekteur des Heeres Fü H III 1, Operative Leitlinie. Leitlinie für die operative Führung von Kräften des Heeres und die Anwendung der Grundsätze operativer Führung im Heer, Entwurf 7.2, Bonn 20.02.1998, S. 35
tel oder Schutzobjekt.“2367 Damit hat der Kampf um Informationsüberlegenheit, der den Vorsprung an Zeit sichert, der für den Kampf um die Initiative notwendig ist,2368 als Voraussetzung für Führungsüberlegenheit den eigenen Informationsvorsprung zum Ziel2369 und ist ein Teil der Gesamtoperation.2370 Das Erlangen der Informationsüberlegenheit schafft mit defensiven und offensiven Instrumenten des „Information Warfare“2371 gerade vor dem Hintergrund derzeitiger Kräftereduzierungen Voraussetzungen für einen gleichbleibend hohen Einsatzwert und gewinnt damit heute eine der Luftüberlegenheit vergleichbare Bedeutung für den Operationsverlauf durch die Beherrschung großer Räume (Aufklärung), Beherrschung besonders schnell ablaufender Operationen (Luftbeweglichkeit) und die Beherrschung des feindlichen Führungssystems.2372 Um den eigenen Informationsvorsprung zu erzielen, muss der Kampf gegen die gegnerischen Informations- und Kommunikationssysteme durch Aufklärung und Eindringen in die gegnerischen Systeme auf technischem Wege oder Unterdrücken, Vermindern, Verfälschen und Übersättigen von und mit Informationen bis zur Zerstörung entsprechender Einrichtungen geführt werden.2373 Damit verliert die Information ihre bisher unterstützende Funktion und wird zum eigentlichen Informationsziel.2374 Information, gekoppelt mit moderner Kommunikation, ist in der Lage, gewaltige Datenmengen umzuwälzen.2375 So genannte Führungsinformationssysteme2376, die eine fast vollzugslose Darstellung der Lage mit einer entsprechenden Informationsdichte schaffen, ermöglichen heute eine zentrale Führung bei kurzem Führungsweg, unter Umständen auch Überspringen von Zwischenstellen, da die übergeordnete Führung zu einem bestimmten Zeitpunkt über einen höheren Informationsstand verfügt und somit die genaue Durchführung einer Aktion anordnen kann – ohne lediglich die Ziele vorzugeben und die Zeitdauer
2367 2368 2369 2370 2371 2372 2373 2374 2375 2376
Inspekteur des Heeres (Hrsg.), Gedanken zu Fragen der Operationsführung im deutschen Heer. Herausgegeben zur Truppenführerreise 1998, 1999, S. 24 Inspekteur des Heeres (Hrsg.), Gedanken zu Fragen der Operationsführung im deutschen Heer. Herausgegeben zur Truppenführerreise 1998, 1999, S. 20; vgl. Inspekteur des Heeres (Hrsg.), Gedanken zu Operationsführung im Deutschen Heer. Der neue Ansatz, 1998, S. 30 Inspekteur des Heeres Fü H III 1, Operative Leitlinie. Leitlinie für die operative Führung von Kräften des Heeres und die Anwendung der Grundsätze operativer Führung im Heer, Entwurf 7.2, Bonn 20.02.1998, S. 35 Inspekteur des Heeres (Hrsg.), Gedanken zu Fragen der Operationsführung im deutschen Heer. Herausgegeben zur Truppenführerreise 1998, 1999, S. 25 Zur Komplexität dieses Problems vgl. Arnulf Kopeing, Information Warfare. Versuch eines definitorischen Zugangs im Rahmen politikwissenschaftlicher Untersuchungen, in: ÖMZ 1999, S. 23 ff.; vgl. Klaus Mommsen, Information Warfare, in: Rissener Rundbrief 1998, Heft 2/3, S. 103 ff. Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 3 Inspekteur des Heeres Fü H III 1, Operative Leitlinie. Leitlinie für die operative Führung von Kräften des Heeres und die Anwendung der Grundsätze operativer Führung im Heer, Entwurf 7.2, Bonn 20.02.1998, S. 35; vgl. Klaus Mommsen, Information Warfare, in: Rissener Rundbrief 1998, Heft 2/3, S. 103 ff.; 105 Klaus Mommsen, Information Warfare, in: Rissener Rundbrief 1998, Heft 2/3, S. 103 ff.; 105 Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301 Führungsmittel zur rechnergestützten Verarbeitung und Übertragung von Informationen im Führungsvorgang, deren Komponenten der Führungsorganisation einer oder verschiedener Führungsebenen zugeordnet und durch Fernmeldeverbindungen zum Systemverbund verknüpft sind (Bundesminister der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe (TF/B), Stichwort: Führungsinformationssysteme, Bonn 1990)
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für das Führungsverfahren der nachgeordneten Ebenen abzuwarten.2377 Zudem besteht die Möglichkeit, nachgeordnete Führungsebenen mit allen für ihre Entscheidung notwendigen Informationen zu versorgen und Zielvorgaben exakt zu formulieren.2378 Somit deutet sich in dem verstärkten Wirksamwerden von Hochtechnologien in der Rüstungsentwicklung an, dass Qualität zunehmend über Quantität dominieren wird; bei den Technologien selbst Sensoren und elektronische Datenverarbeitung zunehmen werden und in der Ausrüstung verstärkt integrierte Systeme zur Aufklärung, Überwachung, Zielerfassung, Echtzeitübermittlung und Zielbekämpfung wirksam werden.2379 Zudem werden derartige Systeme zum Teil auch unbemannte Aufklärungs- und Feuerleitsysteme mit Waffensystemen hoher Präzision bis auf die Ebene der mittleren Führung herab vernetzen und auf dem Gefechtsfeld werden dadurch insgesamt Aufklärung, Übermittlung und Zielgenauigkeit, Treffsicherheit und Wirkung im Ziel zunehmen.2380 Ein solches System netzwerkzentrierter Kriegführung („Network-Centric Warfare“, NCW2381) sieht vor, Sensoren, Kommunikationssysteme und Waffensysteme in einem Verbund zusammenzuführen mit dem Ziel, den Soldaten, das heißt, den einzelnen Soldaten bzw. Waffensystembediener, die militärische Führung und das Unterstützungspersonal sowie den politischen Entscheidungsträger mit allen relevanten Informationen zu versorgen.2382 Ziel ist, auf allen Ebenen in Echtzeit Daten, die das gesamte Gefechtsfeld umfassen, zu erlangen, auszutauschen und anzuwenden.2383 Die vernetzte Operationsführung (NetOpFü) bedeutet somit Führung und Einsatz von Streitkräften auf 2377 2378 2379 2380
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Gerhard Herken, Das Prinzip „der Führung mit Auftrag“ in der Befehlsgebung in verschiedenen Führungsebenen, in: Führungsakademie der Bundeswehr (Hrsg.), Führen mit Auftrag. Führungsseminar vom 24.–27.11.1998 in Hamburg, S. 147 ff.; 160 Gerhard Herken, Das Prinzip „der Führung mit Auftrag“ in der Befehlsgebung in verschiedenen Führungsebenen, in: Führungsakademie der Bundeswehr (Hrsg.), Führen mit Auftrag. Führungsseminar vom 24.–27.11.1998 in Hamburg, S. 147 ff.; 160 Roland Flor, Thesen zur künftigen Rüstungsentwicklung. Neue Dimensionen des Kriegs- und Gefechtsbildes durch Hochtechnologien, in: ÖMZ 1990, S. 407 ff.; 410 Roland Flor, Thesen zur künftigen Rüstungsentwicklung. Neue Dimensionen des Kriegs- und Gefechtsbildes durch Hochtechnologien, in: ÖMZ 1990, S. 407 ff.; 411; vgl. Wolfgang Schneiderhan, Vortrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) am 18. November 2003 in Berlin, in: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0x PLMnMz0vM0Y_QjzK, Internet vom 13.06.2006, S. 4 Zum Konzept von NCW vgl. umfassend: David S. Alberts, John J. Garstka, Frederick P. Stein, Network Centric Warfare. Developing and Leveraging Information Superiority, 5. Aufl.,o. OA. 2003; vgl. David S. Alberts, John J. Garstka, Richard E. Hayes, David A. Signori, Understanding Information Age Warfare, 2. Aufl., o.OA. 2002; vgl. David S. Alberts, Information Age Transformation. Getting to 21st Century Military, 2. Aufl., o.OA. 2003; vgl. David Potts, Jake Thackray, No Revolutions please, We’re British, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 29 ff.; 37 ff.Vgl. Raja Suresh (Hrsg.), Battlespace Digization and Network-Centric-Warfare, Bellingham, Washington 2001; vgl. Mark M. Mandeles, The Future of War. Organisations as Weapons, Washington, D.C. 2005, S. 89 ff.; Kritisch hinsichtlich der Einschätzung, dass NCW etwas wirklich neues darstellt: vgl. Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 143 Holger H. May, Network Centric Warfare. Konzept netzwerkzentrierter Kriegführung, in: Soldat und Technik, Februar 2003, S. 8 ff.; 8; vgl. Stefan Kaufmann, Der Soldat im Netz digitalisierter Gefechtsfelder. Zur Anthropologie des Kriegers im Zeichen des Network Centric Warfare, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke(Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 285 ff.; 292; vgl. James J. Carafano, Preponderence in Power, Sustaining Military Capabilities in the Twenty-First Century in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 223 ff.; 228 f. Stefan Kaufmann, Der Soldat im Netz digitalisierter Gefechtsfelder. Zur Anthropologie des Kriegers im Zeichen des Network Centric Warfare, in: Steffen Martus, Marina Münkler, Werner Röcke(Hrsg.), Schlachtfelder. Zur Codierung militärischer Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 285 ff.; 292
der Grundlage eines streitkräftegemeinsamen und interoperablen Kommunikations- und Informationsverbundes, der alle beteiligten Personen und Stellen, Truppenteile und Einrichtungen sowie Sensoren und Effektoren miteinander verbindet.2384 Damit soll die multidimensionale Kontrolle des Gefechtsfelds zu Lande, See, Luft und im Weltraum durch hohe Mobilität, Informationsüberlegenheit und der Vernetzung der Sensoren, Gefechtsstände und Waffensysteme erreicht werden. Ausgehend von der Informations- und Wissensüberlegenheit soll eine Entscheidungsüberlegenheit erlangt werden, um letztendlich eine Wirkungsüberlegenheit zu erzielen.2385 Mithin zielt Vernetzte Operationsführung auf die Erreichung von Überlegenheit in Operationen im gesamten Aufgabenspektrum.2386 Mit der umfassenden Vernetzung aller Beteiligten werden die klassischen Meldewege, wie sie durch die Hierarchie vorgegeben sind, verändert, indem der Trend von der „vertikalen“ zur „horizontalen“ Vernetzung geht und damit die „Macht zum Rand des Systems“ wandert.2387 Zudem wird durch die zunehmenden Aufklärungs- und Bekämpfungsreichweiten moderner Waffen das moderne Gefechtsfeld bedeutend vergrößert.2388 Die technologisch überlegene Macht erschließt also neue Räume, in die ihnen der Gegner nicht folgen kann, und führt aus ihnen heraus Krieg.2389 Somit finden komplexe Einsätze in komplexen Einsatzräumen statt.2390 Dieser ist unter anderem durch folgende Faktoren gekennzeichnet:
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Bebautes und bewohntes Gebiet Ethnien Medienpräsenz NGO / GO / IO2391 Kritische Infrastrukturen einschließlich sensibler Industrieanlagen Bodenschätze Kulturgüter Religiöse Stätten Wolfgang Schneiderhan, Vortrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) am 18. November 2003 in Berlin, in: http://www.bmvg.de/ portal/a/bmvg/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzK, Internet vom 13.06.2006, S. 4; vgl. Sebastian Schäfer, Netzwerkzentriertes Denken in der Vernetzten Operationsführung, in: Europäische Sicherheit, Heft 2, 2006, S. 35 ff.; 36 Sebastian Schäfer, Netzwerkzentriertes Denken in der Vernetzten Operationsführung, in: Europäische Sicherheit, Heft 2, 2006, S. 35 ff.; 35; vgl. Patrick Teisserenc, Alexander Sollfrank, Vernetzte Operationsführung. Gemeinsame konzeptionelle Überlegungen und deren Umsetzungen im deutschen und französischen Heer, in: Europäische Sicherheit, Heft 3, 2006, S. 50 ff.; 50 Patrick Teisserenc, Alexander Sollfrank, Vernetzte Operationsführung. Gemeinsame konzeptionelle Überlegungen und deren Umsetzungen im deutschen und französischen Heer, in: Europäische Sicherheit, Heft 3, 2006, S. 50 ff.; 50 Sebastian Schäfer, Netzwerkzentriertes Denken in der Vernetzten Operationsführung, in: Europäische Sicherheit, Heft 2, 2006, S. 35 ff.; 36 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 92 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 140 Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1202 Non-Governmental Organisations / Governmental-Organisations / International Organisations
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x x x x x
Bedrohung durch verdeckt kämpfende Kräfte Bedrohung durch Minen Wechsel und Parallelität von Kampfaufgaben, Stabilisierungsaufgaben und humanitären Aufgaben Besondere und spezifische rechtliche Bestimmungen.2392 Bedrohung durch Irreguläre Kräfte
Gleichzeitig werden durch die zunehmende Interaktion verschiedenster Gruppierungen in der globalen Informationsstruktur und die Beteiligung einer zunehmenden Zahl von nationalen Informationsstrukturen traditionelle Einteilungen verschwimmen und traditionelle Grenzen verwischen.2393 7.5.2
Die Folgen der Technologisierung des Gefechtsfeldes
Die sich gegenseitig verstärkenden Möglichkeiten von Global Positioning System (GPS), Joint Surveillance Target Acquisition Radar System (J-STARS), Precision-guided-munition (PGM), Stealth-Technologie und Computernetzwerken haben zu einer außerordentlichen Beschleunigung von Entscheidungsprozessen geführt.2394 Allerdings erhebt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob die Zunahme und Leistungssteigerung technischer Mittel, um Informationen zu beschaffen, die Qualität des operativen Lagebildes, das sich dabei an der Dichte der Informationen, ihrer Aktualität und ihres Wahrheitsgehaltes misst, verbessert hat, wobei die schlichte technische Fähigkeit zum Sammeln von Informationen in diesem Zusammenhang geringe Aussagekraft besitzt.2395 Insbesondere der militärische Führer verfügt in rasch wechselnden Lagen nicht mehr über alle erforderlichen Informationen, die für eine lagebezogene Befehlsgebung erforderlich sind.2396 Daten sind keine Informationen und Informationen sind noch keine Nachrichten.2397 Dieses zeigte sich beispielsweise im 2. Golfkrieg (1991) dergestalt, dass in den amerikanischen Streitkräften nach Operationsbeginn die Informationsflüsse in Folge stark überlasteter zentraler Auswertungseinrichtungen ganz überwiegend hierarchisch abwärts gerichtet und starken Schwankungen unterworfen waren.2398 Mitte der achtziger Jahre ging man noch davon aus, dass das Defizit des unvollkommenen Informationsstands und die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität teilweise behoben werden könnten, so dass ein Trend zur Entscheidungszentralisierung auf
2392 2393 2394 2395 2396 2397 2398
336
Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1202 vgl. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 102 Thomas Will, Operative Führung. Versuch einer begrifflichen Bestimmung im Rahmen von Clausewitz’ Theorie „Vom Kriege“, Hamburg 1997, S. 282 Kai Rohrschneider, Operative Führung seit dem Ersten Weltkrieg, Jahresarbeit an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 1998, S. 18 Bernd Walter, Führen durch Auftrag. Anmerkungen zu einem Prinzip, in: ASMZ 1989, S. 19 ff.; 20 f. Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301 Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 8
hoher Ebene feststellbar war.2399 Diese Einstellung hat sich inzwischen – nicht zuletzt auch durch die Masse der (elektronischen) Aufklärungsmittel im Aufklärungsverbund und der daraus resultierenden Fluten von ungefilterten Informationen – geändert: Heute zwingt eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität des einzelnen Entscheidungsträgers in komplexen Entscheidungssituationen auf Grund der Befürchtung der Überfrachtung mit Informationen2400 zur Delegation von Entscheidungsbefugnissen.2401 Bereits Mitte der achtziger Jahre wurde darauf hingewiesen, dass Informationen im laufenden Gefecht zukünftig nicht mehr allein in der traditionellen Befehls- bzw. Meldekette ausgetauscht würden, sondern dreidimensional, also sowohl vertikal als auch horizontal.2402 Der Verlauf des 2. Golfkrieges hat deutlich gemacht, in welch enormen Maß die Verfügung über Weltraumtechnologie und ihre taktische Integration in das Gefechtsfeld militärische Überlegenheit erzeugen kann, und nach den herrschenden strategischen Vorstellungen in den USA wird es zukünftig zur noch stärkeren Betonung von Führungs-, Kommunikations- und Informationssystemen als zentrale Multiplikationsfaktoren militärischer Schlagkraft führen, in der Satelliten eine unentbehrliche Rolle bei der dezentralen Integration umfassender Informationsversorgung und Mobilkommunikation in Echtzeit in Waffensystemen und Kampfeinheiten bis zur Ebene des einzelnen Soldaten spielen werden.2403 Allerdings wird die auf dem Gefechtsfeld zur Verfügung stehende Zeit immer geringer, da auf der einen Seite die Befehlszyklen aufgrund der eingesetzten technischen Hilfsmittel zur Datenaufnahme und Informationsverarbeitung und -übertragung immer schneller verlaufen und auf der anderen Seite auch die Trägerplattformen sowie auch die Waffensysteme selber immer schneller werden.2404 Hierdurch vermindert sich die Zeit von der Aufklärung eines Zieles bis zu dessen erfolgreicher Bekämpfung; gleichzeitig ist hiermit die Gefahr verbunden, dass es durch die geringe zur Verfügung stehende Zeit zu folgenschweren Fehlentscheidungen kommt.2405 Der 2. Golfkrieg, welcher der erste Krieg unter weitgehender Ausnutzung aller Möglichkeiten der elektronischen Kampfführung war,2406 hat inzwischen zudem gezeigt, dass der Grad der Informationsbelastung erheblichen Einfluss auf den Einsatzwert militärischer Verbände haben kann, insofern als dass das moderne Gefecht nicht mehr „collection intensive“, sondern „analysis intensive“ ist und die Erzeugung von schnell wechselndem „information disload“ als zentraler Ansatz zur Induzierung von Informationspathologien im 2399 2400 2401
2402 2403 2404 2405 2406
Lothar Gössel, Militärorganisation (Military Organisation), in: Günter Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch zur Ökonomie der Verteidigungspolitik, Regensburg 1986, S. 542 ff.; 544 Mark Hewish, Rupert Pengelly, Soldat sein in einem neuen Zeitalter, in: International Defense Review 1994, Heft 1, S. 26 ff., Originaltitel: New Age Soldiering, FIZBw, DOKNR: LL 7210, S. 3 Bernd Walter, Führen durch Auftrag. Anmerkungen zu einem Prinzip, in: ASMZ 1989, S. 19 ff.; 20 f.; vgl. in diesem Sinne die britischen Erfahrungen aus dem 2. Golfkrieg: Chief of General Staff (Hrsg.), Operation Desert Sabre. The Liberation of Kuwait 1990-91. The Planning Process and Tactics Employed by 1st Armoured Division, London 1993, S. 2-7 vgl. T. Owen Jacobs, The AirLand Battle and Leadership Requirements, in: James G. Hunt, John D. Blair (Hrsg.), Leadership on the Future Battlefield, Washington, London, New York 1985, S. 22 ff.; 27 Klaus Becher, Die Nutzung des Weltraums, in: Karl Kaiser, Hans Peter Schwarz (Hrsg.), Die neue Weltpolitik, Bonn 1995, S. 282 ff.; 287 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 91 Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 91 f. Norbert Sinn, Der Golfkrieg II – Militärische Erfahrungen, in: ÖMZ 1991, S. 518 ff.; 524; Zum tatsächlichen Wert und Nutzen von Kriegserfahrungen vgl. Laurent F. Carrel, Kriegslehren. Grundsätzliches zur Methodik, am Beispiel Golfkrieg II, in: ÖMZ 1993, S. 26 ff.
337
Zuge eines „information warfare“ angesehen werden kann.2407 So gelang es den amerikanischen Streitkräften im 2. Golfkrieg durch massiven Kräfteansatz, den Irakern die Nutzung des Faktors Information fast vollständig zu entziehen und das eigene hochkomplexe Informationssystem zu stabilisieren.2408 Münkler glaubt, dass die uneingeschränkte Kontrolle des See-, Luft- und Weltraumes es den USA erlauben, auch militärische Interventionen zu Lande zu führen, ohne dass sie sogleich fürchten müssten, in einen Kleinkrieg verwickelt zu werden, in dessen Verlauf sie durch kleine, aber kontinuierliche Verluste zermürbt werden.2409 Doch obwohl sich das Konzept des Network Centric Warfare im Dritten Golfkrieg grundsätzlich bewährt hat, sind auch deutliche Defizite und Schwachstellen aufgetreten, die die Grenzen des Systems aufzeigen. Die Nützlichkeit von hochtechnologisierten NCW-Kräften wird vermutlich proportional in dem Maße sinken, in dem potentielle Gegner versuchen werden, durch die Maximierung asymmetrischer Strategien die operativen und strategischen Vorteile des Konzeptes einzuschränken bzw. auszuhebeln und diese mit politisch untragbaren Kosten und Verlusten zu verbinden.2410 Auf einer technologisch niedrigeren Stufe gewinnen terroristische Aktionen und Kommandounternehmen gerade unter den Umständen einer Übertechnisierung an militärischer Bedeutung2411 und der Einsatz technologischer Überlegenheit wird unterlaufen.2412 Gegen eine asymmetrische Kriegführung wird das NCW-Konzept somit nur in Teilen wirken, denn selbst ein hochmodernes gläsernes und vollkommen transparentes Schlachtfeld schützt nicht absolut vor Überraschungen.2413 7.5.3
Die Gefahren der Technologisierung auf dem Gefechtsfeld
Technologie hat die Kriegführung nicht vereinfacht, sondern komplexer werden lassen.2414 Die Gefahr, dass die Möglichkeiten der fortschreitenden Technologie die Truppenführung in Richtung einer starken Kontrolle zu Lasten eines schnellen Eingreifens und Ergreifens günstiger Gelegenheiten auf dem Gefechtsfeld, verbunden mit den bereits beschriebenen Risiken, führt, ist unübersehbar; führt doch der sicherer scheinende Weg der Kontrolle zu langsameren Entscheidungen mit ihren in ihrer Schwere gestiegenen Folgen.2415 Zudem 2407 2408 2409 2410 2411 2412 2413 2414 2415
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Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 5 Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 3 Herfried Münkler, Was ist neu an den neuen Kriegen? – Eine Erwiderung auf die Kritiker, in: Anna Geis (Hrsg.), Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2006, S. 133 ff.; 140 Patrick Fitschen, Network Centric Warfare (NCW) und der Golfkrieg: Möglichkeiten und Grenzen, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder (Hrsg.), Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 86 ff.; 93 f. Panajotis Kondylis, Planetarische Politik nach dem Kalten Krieg, Berlin 1992, S. 83 Michael Hardt, Antonio Neggri, Multitude, Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt, New York 2004, S. 69 Patrick Fitschen, Network Centric Warfare (NCW) und der Golfkrieg: Möglichkeiten und Grenzen, in: Björn Kilian, Christian Tobergte, Simon Wunder (Hrsg.), Nach dem Dritten Golfkrieg: Sicherheitspolitische Analysen zu Verlauf und Folgen des Konflikts, Berlin 2005, S. 86 ff.; 94 William Murray, Macgregor Knox, The future behind us, in: Macgregor Knox, William Murray, The dynamics of military revolution 1300 - 2050, New York 2001, S. 175 ff.; 176 vgl. John W. Foss, Truppenführung, in: Military Review 1990, Heft 5, S. 2 ff., Originaltitel: Command, FIZBw, DOKNR: LL 3363, S. 1; Zu den praktischen Erfahrungen vgl.: Stephen Badsey, Coalition Com-
könnte eine alleinige Abstützung auf den operativen Faktor Information katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen, wenn sie allein auf Grund verfügbarer technischer Innovation voranschreitet und somit zu einer schleichenden Reduzierung der Fähigkeit zum Leben und Handeln in unklaren Lagen und somit zum Verlust des „Führens mit Auftrag“ führt.2416 So weisen selbst Vertreter der Ansicht, dass die neuen Führungsinformationssysteme eine Verbesserung für die Auftragstaktik durch die Begünstigung des Informationstandes und des Zeitfaktors erfahre, darauf hin, dass technische Mittel, Datenanlagen und Führungsinformationssysteme gerade dazu verleiten, in unterstellte Bereiche hineinzubefehlen und jede Maßnahme der unterstellten Bereiche zu beobachten und zu kontrollieren, so dass die sich ergebenden Möglichkeiten eine nach Situation und Umständen zu differenzierende Vorgehensweise erfordern.2417 Das sich ansonsten aus einem andersartigen Verhalten ergebende so genannte „Helikoptersyndrom“2418 führe in weiterer Folge zu einer Herabsetzung der Führungsautorität der Zwischenvorgesetzten, einem Rückgang der Initiative und des Verantwortungsbewusstseins des einzelnen sowie einem allgemeinen Verlust des Vertrauens in die Führung.2419 Die konsequente Umsetzung des NCW könnte diese Tendenz dahingehend verstärken, dass der eigentliche Gefechtsstand bzw. die Operationszentrale der Zukunft sich immer weiter nach „hinten“ verlagert und selbst taktische Entscheidungen von geringerer Tragweite von der höchsten militärischen bzw. politischen Führung getroffen werden. Insgesamt wird das NCW-Konzept von seinen Verfechtern auch mehr als eine militärische Wissenschaft als ein Teil der Kriegskunst verstanden.2420 Hiermit geht einher, dass durch die Zentralisierung ebenso Führung mehr als Wissenschaft gesehen wird.2421 Trotz der revolutionären Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitungssysteme und ihren unaufhaltsamen Einzug in militärische Führungssysteme bleibt die Zielvorgabe mithin durch den Vorgesetzten und die selbstständige Auftragsdurchführung durch den Untergebenen eine essentielle Voraussetzung für erfolgreiche Führung.2422
2416 2417 2418
2419 2420 2421 2422
mand in the Gulf War, in: G. D. Sheffield, Leadership and Command. The Anglo-American Military Experience Since 1861, London, Washington 1997, S. 195 ff.; 1199 f. vgl. Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 5; vgl. Tim Challans, Autonomy and Leadership, in: Military Review 1996, Heft 1, S. 29 ff.; 33 Gerhard Herken, Das Prinzip „der Führung mit Auftrag“ in der Befehlsgebung in verschiedenen Führungsebenen, in: Führungsakademie der Bundeswehr (Hrsg.), Führen mit Auftrag. Führungsseminar vom 24.–27.11.1998 in Hamburg, S. 147 ff.; 160 f. Als das sog. „Helikoptersyndrom“ wird die Fähigkeit der Führenden beschrieben, durch technische Mittel jede Regung der unterstellten Truppen beobachten und kontrollieren zu können, verbunden mit der Versuchung, an den Führungsebenen vorbei oder durch sie hindurch einzugreifen. (Hans-Joachim Löser, Möglichkeiten und Grenzen der Auftragstaktik, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1976, S. 141 ff.; 142) Gerhard Herken, Das Prinzip „der Führung mit Auftrag“ in der Befehlsgebung in verschiedenen Führungsebenen, in: Führungsakademie der Bundeswehr (Hrsg.), Führen mit Auftrag. Führungsseminar vom 24.–27.11.1998 in Hamburg, S. 147 ff.; 162 vgl. Milan Vego, Domains of Conflict versus The Art of War, in: ASMZ, Heft 12, 2004, S. 22 ff.; 22; Zur Zum grundsätzlichen deutschen Verständnis von Führungskunst und Wissenschaft vgl. Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATO- und WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 83 f. Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 73
339
7.5.4
Die Folgen für das Führen auf dem Gefechtsfeld
Im Kleinkrieg kommt der selbstständig denkende und handelnde Einzelkämpfer, der mit Initiative, Wagemut und mit der Fähigkeit begabten Persönlichkeit, in zweckmäßiger Vorsicht zu handeln, zur Geltung.2423 Dem Führer eines Kleinkriegsverbandes muss ein möglichst weites Maß an Handlungsfreiheit eingeräumt werden und somit ist die Auftragstaktik in ihrer konsequentesten Form so anzuwenden, dass es in der Regel genügen muss, die Ziele generell zu umschreiben.2424 Seit es eine organisierte Kriegführung gibt, ist es ein zentrales intellektuelles Organisationsproblem von Streitkräften, Zugang zu Information, Wissen und Verständnis zu gewinnen.2425 Somit sind es vor allem folgende Faktoren, die nach „Führen mit Auftrag“ verlangen: Selbst Führer auf den unteren Führungsebenen können nicht mehr alle Beurteilungs- und Bewertungsfaktoren übersehen; die Erweiterung von Spezialwissensbeständen nimmt ständig zu; die Informationsverarbeitungskapazität des einzelnen Führers ist begrenzt; die personellen und materiellen Ressourcen sind begrenzt; die Zielsetzungen von Organisationen sind zunehmend miteinander verflochten; der Einfluss von externen Bedingungsfaktoren auf die Führungsprozesse wächst.2426 Außerdem besteht auch heute noch die Gefahr, dass zwischen den Truppenteilen aller Ebenen und ihren Stäben die Verbindungen infolge der intensiven elektronischen Kampfführung abreißen,2427 aus anderen, nicht vorhersehbaren Gründen gestört sind oder aber ganz ausfallen.2428 Das reibungslose Funktionieren moderner Streitkräfte hängt zunehmend von Computern, Informations- und Kommunikationsmitteln und damit von der Verteidigungsinfrastruktur ab. Diese mit anderen Computern über Funk, Telefon oder Satelliten verbundenen Computersysteme können ihrerseits zum lohnenden Ziel für Überwachung, Infiltration und Manipulation werden.2429 Das irakische Führungssystem war im angesprochenen Konflikt nicht für das „coping with uncertainty“ ausgelegt.2430 Diese Gefahr für moderne westliche Streitkräfte zu unterschätzen oder gar auszuschließen, hieße davon auszugehen, es in künftigen bewaffneten Konflikten grundsätzlich mit technisch unterlegenen, schlechter ausgerüsteten und ausgebildeten Kräften zu tun zu haben. Eine weitere Gefahr besteht zudem, als dass hier ein gefährlicher Prozess abläuft, an dessen Ende „Computerentschlüsse auf dem Gefechtsfeld“ stehen und der folglich weder dem Menschen als Individuum noch als Mitglied einer kleinen Kampfgemeinschaft gerecht wird, da frei verlaufende gruppendynamische Prozesse und der von unterschiedlichen Fak2423 2424 2425 2426 2427
2428 2429 2430
340
Werner Hahlweg, Aspekte und Erscheinungsformen des Kleinkrieges in Geschichte und Gegenwart, in: ASMZ 1968, S. 501 ff.; 502 J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 602 Mark M. Mandeles, The Future of War. Organisations as Weapons, Washington, D.C. 2005, S. 62 Bernd Walter, Führen durch Auftrag. Anmerkungen zu einem Prinzip, in: ASMZ 1989, S. 19 ff.; 20 f. John T. Nelsen, Auftragstaktik. Argumente für die zentrale Gefechtsführung, Originaltitel: Auftragstaktik: A Case for Decentralized Battle, in: Parameters 1987, Heft 3, S. 21 ff., FIZBw, DOKNR: DD 2365, S. 11; vgl. Henry L. Tosi, Jr., Why Leadership isn’t enough, in: James G. Hunt, John D. Blair, Leadership on the Future Battlefield, Washington, London, New York, 1985; S. 119 ff. 119 Zu den operativen Möglichkeiten moderner Störsender vgl. R. L., Mit Störsender täuschen, in: Loyal 1999, Heft 2, S. 25 f. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 99 Joachim Bartels, Informationen und Kommunikation in Gefechtsständen des Heeres, Abschrift eines Vortrages während der G-6 Tagung des Heeres am 10.11.1998 in Berlin, S. 5
toren abhängige Kampfwille des Soldaten nicht erfassbar sind.2431 Dann muss es Führer geben, die auch bei unklarer Befehlslage die Initiative ergreifen und im Sinne des Auftrages und der übergeordneten Führung Entschlüsse fassen. Die Auftragstaktik, mit ihrer dezentralen Führung, in der die Entscheidungsbefugnis auf die tiefstmögliche Stufe delegiert wird, reduziert den Informationsfluss drastisch, der Vorgesetzte braucht keine Details zu kennen und die rasche Reaktion ist weniger abhängig von der Technik.2432 Damit ist der „Krieg der Zukunft“ auch nicht synonym mit zukünftiger Technologie.2433 7.5.5
Die Bedeutung des Kämpfers auf dem Gefechtsfeld
Damit ist auch der Ansicht, dass der Soldat als „Kämpfer“ hinter die Waffensysteme zurücktritt,2434 entgegenzutreten. Auch wenn die zunehmende Ausrüstung mit hochentwickelten technischen Kampfmitteln und die damit zwangsläufig verbundene Notwendigkeit zur Spezialisierung sowie der wachsende Kontaktverlust zur Natur insbesondere in modernen westlichen Gesellschaften die Ansicht fördern, man könne sich ausschließlich auf diese technischen Mittel als allein erfolgversprechend verlassen ist ein Trugschluss, der dazu führt, dass die Kampf- und Willensfähigkeiten, sowie die Stärkung des Selbstbewusstseins vernachlässigt bzw. für überflüssig gehalten werden.2435 Wie perfekt Waffen auch immer sein mögen, Krieg bleibt ein Zusammenstoß zwischen lebendigen Kräften und erst die Bereitschaft des Soldaten, im persönlichen Einsatz sich der Waffen richtig zu bedienen, ergibt den Kampfwert einer Truppe.2436 Auch im modernen Gefecht im Informationszeitalter wird der Kämpfer gebraucht.2437 Gerade der Kosovo-Konflikt (1999) hat deutlich gemacht, dass in Konflikten ein Computerspezialist nicht allein entscheiden kann und dass darüber hinaus immer die physische Präsenz vor Ort, die Möglichkeit des unmittelbaren Einwirkens und der flexiblen, situationsangepassten Reaktion gefordert ist.2438 Die Vorstellung, dass in Konflikten Raum nicht unbedingt von Truppen gehalten werden müsste, sondern dessen Kontrolle allein durch Aufklärungsmittel und weitreichende Präzisionswaffen sichergestellt werden könnte2439, hat sich somit nicht erfüllt. Der Krieg in Afghanistan (2001), der Verlauf des 3. Irak-Krieges (2003) nach dem Sieg über die irakischen Streit2431 2432 2433 2434 2435 2436 2437 2438
2439
Rainer Pfaffelhuber, Zur Diskussion gestellt. Innere Führung – nur ein Mittel zur Effizienzsteigerung ?, in: IFDT 1984, Heft 7, S. 77 ff.; 79; In die gleiche Richtung geht auch die Kritik Meindls. (vgl. Erich Meindl, Wenn Du den Frieden willst, Münster 2001, S. 134 f.) Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301 Colin S. Gray, Another Bloody Century. Future Warfare, London 2005, S. 98 vgl. hierzu auch Greiner, der dieses Phänomen nur auf den Golfkrieg beschränkt wissen will. (Gottfried Greiner, Der Golfkrieg im Spiegel der Theorie, in: Clausewitzstudien 1996, Heft 1, S. 47 ff.; 48) Werner Ebeling, Horst Engelbrecht, Vorwort, in: Werner Ebeling, Horst Engelbrecht, Kämpfen und Durchkommen. Der Einzelkämpfer – Kriegsnahe Ausbildung für das Verhalten Abseits der Truppe, 11. Aufl., Bonn 1999, S. 6 Ferdinand Otto Miksche, Vom Kriegsbild, Stuttgart-Degerloch, 1976, S. 10 Ulf von Krause, Reinhart Marschall, Strategische Bedeutung der Führungsunterstützung, in: Europäische Sicherheit 2002, Heft 10, S. 45 ff.; 48 vgl. Klaus D. Naumann, Rolle und Aufgaben der NATO nach dem Gipfel 1999 und erste Erfahrungen aus dem Kosovo-Konflikt, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 175 ff.; 190 f. Stefan Peiker, Jan Skultety, Sicherheitspolitische Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Neubiberg 1999, S. 92
341
kräfte und die aktuelle Situation im Irak unterstreicht diese Feststellung ausdrücklich. Das Engagement Israels im Libanon im Jahre 2006 bestätigt diese Aussage ebenfalls. Bei aller Faszination für moderne Technologien darf nicht vergessen werden, dass ein Krieg von Menschen und nicht von anonymen Apparaturen geführt wird und folglich nicht die synthetische Welt des Computers, sondern die komplexe menschlich bestimmte und nicht immer rationale Wirklichkeit das Geschehen auf dem Gefechtsfeld bestimmt.2440 Die Optimierung von Technik und Waffensystemen genügt nicht.2441 Auch das zukünftige Gefechtsfeld wird die Grundsätze soldatischen Führens nicht außer Kraft setzen.2442 Gleichzeitig bleibt festzuhalten, dass die Entwicklung der Kriegstechnik Mittel und Begleiterscheinungen der Kriegführung verändert, jedoch nicht ihre Hauptprinzipien2443 und der technische Fortschritt ändert nichts an der Tatsache, dass es in Konflikten auch zukünftig darum geht, sich gegenüber dem Gegner durchzusetzen.2444 Das bedeutet als ultima ratio den Einsatz militärischer Macht und nicht nur aus der räumlichen Distanz, sondern auch den unmittelbaren Einsatz von Truppen am Boden.2445 Irgendwann erreichen auch die Kriege der Zukunft, unabhängig, in welcher Dimension sie beginnen, den Punkt, an dem es darum geht, ein bestimmtes Stück Erdoberfläche, Land, zu erobern, zu verteidigen, zu kontrollieren.2446 Alle eingesetzten Waffen gewinnen ihre Bedeutung erst durch die Kopplung mit den Maßnahmen auf der Erde, mit der Infanterie.2447 Demzufolge ist also jede Kriegführung im Grunde Landkriegführung.2448 Und wer sich auf die Technik verlässt, kann scheitern.2449 Die Möglichkeiten, mit einfachen Mitteln komplizierte Geräte zu vernichten, wachsen mit der Zahl der Zahnräder, von deren pünktlichem Ineinandergreifen das Funktionieren eines hochtechnisierten Militärsystems abhängt.2450
2440 2441
2442 2443 2444 2445 2446 2447 2448 2449 2450
342
Dieter Stockfisch, Wandel des Kriegsbildes, in: Soldat und Technik 1999, S. 193 Dieter Claus, Stabsoffizierausbildung heute – eine Standortbestimmung, in: Detlef Bald, Gerhild Bald-Gerlich, Eduard Ambros (Hrsg.), Tradition und Reform im militärischen Bildungswesen. Von der preußischen Allgemeinen Kriegsschule zur Führungsakademie der Bundeswehr. Eine Dokumentation 1810-1985, Baden-Baden 1985, S. 7 ff.; 11 Helmut Willmann Leadership. Der militärische Führer im Einsatz – Forderung für Erziehung und Ausbildung, in: Truppendienst 1999, S. 33 ff.; 33 Robert Bossard, Die Gesetze von Krieg und Politik, Bern, Stuttgart 1990, S. 465 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 323 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 323 Holger H. May, Neue Waffentechnologien, in: Karl Kaiser, Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Weltpolitik im neuen Jahrhundert, 1. Aufl., Baden-Baden 2000, S. 358 ff.; 365 Paul Lüth, Bürger und Partisan. Über den Widerstand gestern, heute und morgen, Frankfurt am Main 1951, S. 28; vgl. Marc Cerasini, The Future of War. The Face of the 21st-Century Warfare, Indianapolis 2003, S. 35 f. Johannes Gerber, Zur Einführung, in: Johannes Gerber (Hrsg.), Landkriegsführung: Operation, Taktik, Logistik, Mittel. Ein Handbuch, Osnabrück 1992, S. V Hans Bachofner, Der Offizier zwischen EDV und Charisma, in: ÖMZ 1989, S. 300 ff.; 301 Ferdinand Otto Miksche, Vom Kriegsbild, Stuttgart-Degerloch, 1976, S. 10
7.5.6
Die Mittel als Einflussgröße auf das Gefechtsfeld
Das Gefecht wird unter anderem wesentlich durch die Faktoren „Feuer und Bewegung“2451 bestimmt. Feuerkraft, Panzerung bzw. Schutz vor der feindlichen Waffenwirkung und Beweglichkeit des Einsatzmittels entsprechen der Kampfkraft im Sinne einer konstanten Größe. Im Gefecht kommt es nun aber erheblich darauf an, die eigene Kampfkraft gegenüber dem Gegner optimal zur Wirkung zu bringen. Im konkreten Bezug zu den geophysikalischen Bedingungen des jeweiligen Einsatzraumes, dem Gefechtsfeld, wird die konkrete Bedeutung der Kampfkraft offenbar; als dass das Gelände, welches die eigenen Bewegungen oder die des Gegners fördert oder hemmt und den eigenen Kräften oder denen des Gegners Deckung und Schutz bietet. Auf Grund der Unterschiedlichkeit von Gelände und Geländeformen und deren Beschaffenheit, die zudem durch Witterungseinflüsse wechselhaft beeinflusst werden kann, ist der Einsatz verschiedener Kräfte und Mittel als günstig, weniger günstig oder gar ungünstig zu beurteilen; relativiert sich also die Bedeutung der Kampfkraft und somit wird der Gefechtswert eines Einsatzmittels als relative Größe bestimmt. Dabei lassen sich die vorgegebenen natürlichen Bedingungen des Geländes durch künstliche Verstärkungen, Befestigungen, Sperren ausnutzen und verstärken und zwingen andererseits den Gegner, diese Verstärkungen durch Anpassung oder gar Neuentwicklung seiner Einsatzmittel oder Einsatzformen zu zerstören, zu unterwandern, zu überwinden oder zu umgehen.2452 Die in Reichweite und Feuerkraft enormen Entwicklungen der Artillerie, insbesondere der Raketenwaffen und der boden-, see- und luftgestützten Flugkörper sowie die Entwicklung der Luftlande- und Fallschirmtruppen unterstreicht dieses beispielhaft. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich im Umkehrschluss, dass auch die Bedeutung des Raumes keine konstante Größe ist, es keine absoluten und beständigen wehrgeographischen Lagewerte gibt, diese nicht überschätzt werden dürfen und der Wert menschlicher Willenshandlungen nicht unterschätzt werden darf.2453 7.6
Gefechtsfeld und Kriegsbild
Clausewitz legte seinen kriegstheoretischen Überlegungen zu Grunde, dass „...die Parteien sich ungefähr auf demselben Punkt der kriegerischen Einrichtungen und der Kriegskunst befinden...“2454 Er geht also davon aus, dass es sich bei den Akteuren und ihren militärischen Mitteln und Fähigkeiten um Kontrahenten handelt, die grundsätzlich nach den gleichen Vorstellungen von der Kriegführung ausgehen. Nur so weit soll also nach den Vorstellungen Clausewitz’ Symmetrie bestehen; eine tatsächliche Kongruenz der kräftemäßigen Ressourcen oder verfahrensmäßigen Vorgehensweisen ist aber nicht zwingend notwendig. Hinsichtlich der zuvor vorgestellten Akteure ist diese grundsätzliche Vorstellung inzwischen wohl als überholt anzusehen und hat unmittelbare Auswirkungen auf das Kriegsbild
2451 2452 2453 2454
Zum Begriff und seiner grundsätzlichen Bedeutung vgl.: Carl-Gero von Ilsemann, Erhard Drews, Feuer und Bewegung, in: Johannes Gerber (Hrsg.), Landkriegsführung: Operation, Taktik, Logistik, Mittel. Ein Handbuch, Osnabrück 1992, S. 169 ff. Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 75 Oskar Ritter von Niedermayer, Wehrgeographie, Berlin 1942, S. 17 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 101
343
und damit auch auf die Bedingungen des Gefechtsfeldes.2455 Allerdings hat Clausewitz selbst die zeitliche Bedingtheit seiner Annahme erkannt, in dem er in diesem Zusammenhang von „...den heutigen Schlachten...“ 2456 spricht.2457 Doch ging Clausewitz auch bei seiner Betrachtung dieses Gegenstandes von bestimmten Rahmenbedingungen aus. Zudem hat er – wie noch zu zeigen sein wird – asymmetrische Elemente, Kleinkrieg und Diversion bereits bedacht und in seine Überlegungen einbezogen. Es ist allerdings zukünftig auch davon auszugehen, dass sich die Akteure auf dem Gefechtsfeld mit multiplen Gefechtsszenarien auseinanderzusetzen haben bzw. sich darauf einstellen müssen, sich auf engstem Raum in unterschiedlichen Szenarien wiederzufinden, die von unterschiedlicher Intensität geprägt sind und damit auch differenzierte Handlungsmuster verlangen. Dementsprechend ist der moderne Einsatz gekennzeichnet durch seine Vielschichtigkeit und Durchlässigkeit der Intensität der Auseinandersetzung.2458 Der traditionelle Krieg kennt einen plötzlichen Übergang vom Frieden zum Kriege.2459 Heute gestaltet sich die Situation oftmals anders. Und auch die Qualität der bewaffneten Konflikte ist hinsichtlich ihrer Gewaltformen, Intensität und Abläufen oftmals unterschiedlich gestaltet, ohne dass es hierfür verbindliche schablonen- oder musterhafte Anhalte gibt. Die Herangehensweise entweder Krieg oder Peace Support Operation (PSO) wird somit als „vereinfachend“ und „falsch“ bezeichnet.2460 Nach einem Konzept der US-Streitkräfte ist davon auszugehen, dass auf engstem Raum humanitäre Hilfsoperationen der Streitkräfte, „Peacekeeping-Operationen“, und der Kampf mittlerer oder auch höherer Intensität gegen konventionelle oder asymmetrische Kräfte parallel nebeneinander ablaufen können.2461 Die Verhaltenskomplexität in diesem räumlichen Umfeld verlangt eine jeweils entsprechend angepasste und gegebenenfalls abgestufte Reaktion mit den angemessenen Mitteln. Dieses Konzept des „Three Block War“ geht also von unterschiedlichen Szenarien mit unterschiedlichen militärischen Handlungsabläufen unterschiedlicher Intensität, aber in unmittelbarer räumlicher Nähe aus, die zum Teil auch zeitgleich ablaufen. Diese Vorstellung wird dahingehend kritisiert, dass es zum einen nicht nur um „Krieg“ gehe, anderseits gebe es keine „3 Blöcke“ (Krieg/Kampf – Stabilisierungseinsätze – Humanitäre Hilfe), sondern fließende und wechselnde Übergänge und „Sprünge“.2462 In jedem Fall ist das Konfliktspektrum nicht mehr 2455 2456 2457 2458 2459 2460 2461
2462
344
Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 76 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 101 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 76 Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1200 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 47 vgl. Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1200 vgl. Matt Zeigler, Three Block War. U.S. Marines in Irak, New York, Lincoln, Shanghai, 2004, S. 27 f.; vgl. Charles C. Krulak, “The Strategic Corporal: leadership in the Three Block War”, Marines Magazin, January 1999, in: Internet vom 04.05.2005, http://www.au.af.mil/au/awc/awcgate/usmc/strategic _corporal.htm, S. 3 ff.; vgl. Robert Leitch, ‘The Three Block War:’ Urban Conflict, in: Internet vom 04.01.2004, http://www.usmedicine.com/column.cfm?columnID=37&issueID=23; vgl. Marc Burgess, Eye on Iraq. The Marines’ Three Block War in Iraq, CDI (Center for Defense Information), in: Internet vom 04.05.2005, http://www.cdi.org/friendlyversion/printversion.cfm?documentID=1834; vgl. David Potts, Tomorrow’s War, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 9 ff.; 11 f. Heeresamt, Abteilungsleiter II (Hrsg.), Ausbildung und Erziehung, Änderung 14 zur Unterrichtsmappe zum Ausbildungsgebiet „Führung im Gefecht – Technik“, Teil 1 – Textteil, Juni 2004, RN 1201
jenes, welches sich linear – vom Friedenszustand über die Krise zum Krieg – entwickelt, sondern humanitäre Aktionen, friedenserhaltende Missionen und Kampfeinsätze können simultan in einem zusammenhängenden Raum ablaufen.2463 Die Schlussfolgerung hieraus muss in jedem Fall sein, dass nicht nur die Fähigkeit vorhanden sein muss, derartig komplex ablaufende Operationen zu führen, sondern dass die eingesetzten Truppen die Fähigkeiten und Mittel besitzen, ihr Verhalten an die jeweiligen Einsatzgrundsätze – gegebenenfalls schnell wechselnd – mit der Fähigkeit zur wiederholten, angepassten und flexiblen Eskalation und Deeskalation anzupassen. Eine wechselnde Herauslösung bzw. Ablösung durch auf ein bestimmtes Szenario entsprechend spezialisierte und dafür befähigte Kräfte kann hier wegen der Schnittstellenprobleme und des Zeitverzuges nicht Ziel führend und erfolgreich sein. Folglich bedarf es Kräfte, die robust und intelligent ihre Fähigkeiten angemessen einsetzen. 7.6.1
Urbane und ländliche Räume
In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass Partisanen- und Guerillakampf zukünftig weitgehend aussterben werden2464, da ihnen gewissermaßen der Aktionsraum entzogen sei. Eine weitere Meinung in der Literatur hebt sogar darauf ab, dass sich der Terror „gewissermaßen hyperkonzentriert“ von den Schlachtfeldern früherer Zeit zu einer Strategie gegen die Städte gerichtet habe.2465 Eine andere Auffassung geht davon aus, dass der terroristische Feind zukünftig versuchen wird, den Gegner in bebautes Gelände zu ziehen, wo er dann hochverletzlich durch Heckenschützen, Sprengstoffanschläge und versteckte Ladungen ist, und dieser dann seinerseits ein negatives Image durch zerstörte zivile Infrastruktur, verwundete Zivilisten und eine erhebliche Beeinträchtigung der normalen Lebensumstände verursacht.2466 Eine weitere Ansicht will gar grundsätzlich zwischen „städtischem Terrorismus“ und Partisanen- oder Guerillakrieg unterscheiden, indem selbst in Bürgerkriegen das Bemühen erkennbar sei, gewisse Regeln einzuhalten, während die Verletzungen bestehender Normen und die Anonymität für den urbanen Terrorismus die Regel darstelle.2467 Diese Ansichten sind zumindest aus zwei Gründen heraus fraglich; zum einen verstand sich doch auch die Rote Armee Fraktion (RAF), die in der Bundesrepublik Anschläge ausübte, als „Stadtguerilla“ und ließ ihre Mitglieder zum Teil ab dem Sommer 1969 von palästinensischen Terrorgruppen im Guerillakampf ausbilden.2468 Zum anderen hatte man auch zu Beginn der 1970er Jahre fälschlicher Weise noch geglaubt, dass der moderne Industriestaat schon aufgrund fehlender „natürlicher“ geographischer Voraussetzungen und eines höheren
2463 2464 2465 2466 2467 2468
vgl. David Potts, Tomorrow’s War, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 9 ff.; 11 vgl. Peter Waldmann, Terrorismus und Bürgerkrieg, München 2003, S. 10 Paul Virilio, Die überbelichtete Stadt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 3 ff.;3 vgl. Gal Hirsch, On Dinosaurs and Hornets. A critical View on Operational Moulds in Asymmetric Conflicts, in: RUSI Journal 2003, S. 60 ff.; 61 Gal Hirsch, On Dinosaurs and Hornets. A critical View on Operational Moulds in Asymmetric Conflicts, in: RUSI Journal 2003, S. 60 ff.; Boris Barth, „Partisan“ und „Partisanenkrieg“ in Theorie und Geschichte. Zur historischen Dimension der Entstaatlichung von Kriegen, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2005, S. 69 ff.; 72 Rüdiger Voigt, Entgrenzung des Krieges. Zur Raum- und Zeitdimension von Krieg und Frieden, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 293 ff.; 319
345
Lebensstandards keinen Guerillakrieg wie in Ländern der Dritten Welt zuließe.2469 Die Stadtguerilla, die „Guerilla Urbana“, die wegen ihrer Kampfmethoden zumeist als „städtischer Terrorismus“ apostrophiert wurde, wurde von den Ideologen der lateinamerikanischen Guerilla selbst dahingehend beurteilt, dass sie keine entscheidende Rolle im bewaffneten Kampf spielen könne und die Stadt für den Guerillakampf ungünstiges Gebiet sei.2470 Insofern ist ebenso fraglich, ob sich die „klassische“ Guerilla im Sinne einer Landguerilla ab Mitte der siebziger Jahre endgültig sich zu einer Stadtguerilla entwickelt hat.2471 Carlos Marighella hatte sich intensiv mit Problemen der Kriegführung im urbanen Gebiet aus der Sicht des (anfänglich) Unterlegenen auseinandergesetzt.2472 Hatte doch Marighella sein Konzept, das auch anderen Organisationen zum Vorbild diente, zunächst konkret auf die brasilianische Situation abgestellt,2473 gilt er als das theoretische Bindeglied zwischen den alten Konzeptionen der Guerilla und der Kaderguerilla in Europa.2474 Das Konzept der Stadtguerilla sollte von den konkreten Bedingungen dieser Kampfform abstrahiert werden, um zu Ergebnissen zu kommen, die für die „revolutionären Bewegungen“ in Europa verallgemeinert werden könnten.2475 Insofern ist vielmehr davon auszugehen, dass sich diese Kräfte auch hier flexibel und anpassungsfähig zeigen und sie ihre Aktivitäten nach den gegebenen Möglichkeiten unter dem Gesichtpunkt der Effektivität und damit ihres Erfolges ausrichten. Das bedeutet, dass sie auch hinsichtlich ihres Aktionsraumes nicht doktrinär streng an einem bestimmten Raum festhalten, sondern sie ihre Aktionen dort starten, wo sie den Gegner im Sinne ihrer Strategie effektiv am empfindlichsten treffen und sich am besten dem Zugriff des Gegners entziehen können. In diesem Sinne setzte auch die lateinamerikanische Guerilla ihren Angriff an anderer Stelle, also in den Städten, an, als die Aufstandsherde auf dem Lande nicht die erwartete wildfeuerartige Ausbreitung genommen hatte, die Landbevölkerung wider Erwarten passiv blieb und zugleich neue Methoden der „AntiGuerilla“ der Staatsmacht zumindest vorübergehend die Oberhand im ländlichen Kleinkrieg verschaffte.2476 Terroristengruppen können auch heute auf dem offenen Land agieren und einen Feuerüberfall auf eine motorisierte Polizeistreife oder eine Militärpatrouille durchführen, während der Stadtguerilla nach einem Sprengstoffanschlag auf ein Elektrizitäts- oder Gaswerk in der Stadt auch ohne weiteres im Umland (Speckgürtel) einer Großstadt untertauchen kann – bis zur nächsten Aktion, zu der er einpendelt.2477 Verdeckt kämpfende Kräfte gehen aggressiv gegen die empfindlichsten Stellen und Bereiche ihrer Gegner vor, und wer die technisch-zivilisatorischen Elemente unserer Gesellschaft angreift und teilweise zerstört, könnte den Kampf wieder in die Tiefe des Raumes ziehen. Der Kleine Krieg verlagert somit sich vom „Rande“ oder der „Peripherie“, von der Oberfläche in die Tiefe des 2469 2470 2471 2472 2473 2474 2475 2476 2477
346
Hans-Joachim Müller-Borchert, Guerilla im Industriestaat. Ziele, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten, Hamburg 1973, S. 10 vgl. Robert F. Lambert, Die Guerilla in Lateinamerika. Theorie und Praxis eines revolutionären Modells, München 1972, S. 201; vgl. Bard E. O’Neill, Insurgency & Terrorism. From Revolution to Apocalypse, 2. Aufl. Washington, D.C. 2005, S. 62 vgl. Rolf Tophoven, Vorwort, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S.7 ff.; 8 Armando Geller, Kriegerische Auseinandersetzungen in urbanem Gebiet, in: Bauen & Retten. Schweizerische Fachzeitschrift für militärische Katastrophenhilfe und Genie, Heft 1, 2004, S. 8 ff.; 9 Carlos Marighella, Minihandbuch des Stadtguerilleros, Hamburg 1972, S. 144 Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 160 Alex Schubert, Die Stadtguerilla als revolutionäre Kampfform, in: Axel Schubert, Stadtguerilla. Tupamaros in Uruguay – Rote Armeefraktion in der Bundesrepublik, Dachau 1972, S. 7 ff.; 7 Fritz René Allemann, Macht und Ohnmacht der Guerilla, München 1974, S. 278 Wolfgang Etschmann, Guerillakriege. Ursachen – Verläufe – Folgen, Wien 2003, S. 17
Raumes und gewinnt dadurch an Intensität und Dauer.2478 Dementsprechend dehnt der unterlegene, mit Terrormethoden kämpfende Feind Zeit und Raum so weit wie möglich aus2479 oder zwingt den Feind in einen anderen Raum hinein.2480 Folglich kann der Kleinkrieg in jedem Gelände, in jeder Klimazone und bei jedem Wetter stattfinden.2481 Das Gefechtsfeld des Irregulären ist der menschenleere Dschungel ebenso wie auch die Ballungsräume moderner Großstädte; dort erleichtert das Fehlen menschlicher Ansiedlungen, hier die Massierung von Menschen das unbemerkte Einsickern – und das Einsickern ist die Infiltration, also die Bewegungsform des irregulären Kampfes schlechthin.2482 Das Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte der Bundeswehr trägt dem zusammenfassend Rechnung, indem es feststellt, dass sich Keimzellen der Bedrohung oftmals in schwer zugänglichem oder schwer zu überwachenden Regionen, beispielsweise in abgelegenen Wüstengebieten, Gebirgen, ausgedehnten Dschungel- und Waldgebieten, stark zersiedelten, bebauten, aber auch in großstädtischen Gebieten und fundamentalistischen Hochburgen, sowie im direkt angrenzenden Ausland befinden.2483 Die herkömmliche Unterscheidung zwischen Front und den rückwärtigen, unmittelbaren Kampfhandlungen entzogenen Gebieten ist damit aufgelöst.2484 Damit werden die gegnerischen Kräfte gezwungen sein, sich bei der Überwachung des Raumes und der Sicherung von Objekten weiter kräftemäßig zu dislozieren und ihre Verbindungs- und Versorgungslinien weiter zu überdehnen. 7.7
Zwischenergebnis
Zusammenfassend lässt sich hier als Zwischenergebnis feststellen, dass das Gefechtsfeld eine mehrdimensionale Plattform ist, auf der die jeweiligen Akteure sich in den jeweiligen Gefechtsarten, Angriff, Verteidigung und Verzögerung in ihrer Wechselbeziehung entgegentreten oder sich auch entsprechend in besonderen Gefechtshandlungen, wie Jagdkampf, Kommandokampf, subversiven Kampf, Schutz2485 im Sinne von „force protection“ oder auch in terroristischen Aktionen ebendort auswirken.2486 Das Gefechtsfeld wird in seinen Dimensionen und in der jeweiligen Tiefe bestimmt von den an der Absicht ausgerichteten jeweils verfügbaren Möglichkeiten des Handelns der einzelnen Akteure und die Wahl der
2478 2479 2480 2481 2482 2483 2484 2485 2486
Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg, in: Beiheft 18, Wehrwissenschaftliche Rundschau, September 1962, S. 12 Hans Bachofner, Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze, in: ASMZ 2005, Heft 1, S. 4 f.; 4 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 72 Samuel B. Griffith II, Introduction, in: Mao Tse-tung. On Guerrilla Warfare, Urbana, Chicago, 2000, S. 3 ff.; 7 Friedrich August Freiherr von der Heydte, Strategie als Wissenschaft, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 37 ff.; 45 Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 7 vgl. Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 21 vgl. Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff. Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 76
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Mittel wird von ihrer Effektivität und Verfügbarkeit bestimmt.2487 Dieses umfasst eine organischen Verbindung aller an Land, in der Luft und im Weltraum operierenden Kräfte und Mittel.2488 Das heißt aber nicht nur, dass das Gefechtsfeld größer in seiner räumlichen Ausdehnung wird, weil die modernen Waffen eine größere Reichweite haben und wirksamer sind, sondern es gibt keine klaren Frontlinien mehr und die Kräfte sind frühzeitig im Raum bereitzustellen und zu dislozieren. Zugleich verschwinden die Begrenzungen nach Raum und Zeit. Gerade hinsichtlich des neuen Kriegsbildes wird die Entwicklung neuer Technologien mit ihren Wechselwirkungen auf das Gefechtsfeld neue Lösungen anbieten und gleichzeitig neue Probleme aufwerfen.2489 Es wird als solches analog von unterschiedlichen Akteuren genutzt, die als Soldaten, subversive Kräfte, Kriegsunternehmer, Partisanen oder Terroristen in eigener Sache oder im Auftrag Dritter bzw. interessierter Staaten als „interessierte Dritte“2490 auftreten. Die Motive des interessierten Dritten müssen nicht denen der streitenden Parteien entsprechen; er macht vielmehr in diesem Streit seine eigene Rechnung auf2491 und verfolgt damit eigene Ziele. Dabei können Staaten durch die Unterstützung und Stärkung bestimmter Gruppierungen in anderen Staaten – auch wenn sie diese oder ihre Zielsetzungen im Grundsatz ablehnen oder gar mit ihnen selbst verfeindet sind – dort Einfluss auf bestimmte innenpolitische Kräfteverhältnisse und Entwicklungen nehmen, welche ihnen günstiger erscheinen.2492 Das Gefechtsfeld der Zukunft wird also weiterhin bestimmt durch die Dynamik der wechselseitigen Interdependenzen zwischen den Möglichkeiten, die eigenen Mittel effektiv und nachhaltig zur Wirkung zu bringen, und den Möglichkeiten, sich vor den Mitteln des Feindes zu schützen. Das Verhalten der Akteure wird sich entsprechend zunehmend nicht von den Regeln des Völkerrechts oder der Vorstellung eines „ritterlichen Zweikampfes“ leiten lassen, sondern allein von der Aussicht auf den Erfolg der Aktion.2493 Folglich ist auch nicht zu erwarten und muss akzeptiert werden, dass ein potentieller Gegner sich von fremden moralischen Werten leiten lässt.2494 Gewiss sind moderne 2487 2488
2489 2490
2491 2492 2493 2494
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Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 77 Machmut Achmetowitsch Garejew, Konturen des bewaffneten Kampfes der Zukunft. Ein Ausblick auf das Militärwesen der nächsten 10 bis 15 Jahren, Baden-Baden 1999, S. 138; vgl. Franz Uhle-Wettler, Theatre of War, in: Franklin D. Margiotta (Hrsg.), Brassey’s Encyclopedia of Land Forces and Warfare, Washington, London 2000, S. 23 f.; 24 vgl. Zeev Bonen, Technology and Warfare in : Franklin D. Margiotta (Hrsg.), Brassey’s Encyclopedia of Military History and Biography, Washington, London 2000, S. 938 ff.; 952 vgl. Rolf Schroers, Der Partisan, Ein Beitrag zur politischen Antropologie, Köln, Berlin 1961, S. 247 ff.; vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 76; Schmitt definiert den „interessieren Dritten“ in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Schroers als einen „regulären Mächtigen“, auf den der Irreguläre wegen der ungebrochenen Steigerung der technischen Kampfmittel angewiesen ist und der technisch industriell imstande ist, den Irregulären mit den neuesten Waffen und Maschinen zu versorgen. Allerdings hatte Schmitt vornehmlich staatliche, also „reguläre“ Akteure als interessierte Dritte vor Augen (Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 79 f.) Allerdings kommen angesichts der heutigen Erscheinungen Irregulärer Kräfte zunehmend auch andere – nichtstaatliche – Akteure als interessierte Dritte in Betracht. Rolf Schroers, Der Partisan, Ein Beitrag zur politischen Antropologie, Köln, Berlin 1961, S. 249 vgl. NN., Ägypten liefert Waffen über Israel an Abbas, in: NZZ vom 29. Dezember 2006, S. 2 Dirk Freudenberg, Gefechtsfeld, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 65 ff.; 78 David Potts, Tomorrow’s War, in: David Potts (Hrsg.), The Big Issue: Command and Combat in the Information Age, o. OA., 2003, S. 9 ff.; 14
Streitkräfte darauf angewiesen, der Technik, ihrer Effektivität, ihrer sachgerechten Nutzung und auch ihrer Perfektionierung stete Aufmerksamkeit zu widmen; in eben diesem Maße sind sie dann freilich auch gehalten, sich zu den Erkenntnismitteln einer durchdringenden realistischen Geistigkeit zu bekennen, welche allemal den Blick auf das Ganze, die Gesamtheit der Erscheinungen in ihren vielfältigen Verknüpfungen und Wirkungselementen, richtet.2495 Folglich steht der Mensch im Mittelpunkt allen Handelns und somit ist auch die Technik auf dem Gefechtsfeld auf ihn auszurichten, da er derjenige ist, der sie bedient, anwendet und letztendlich die Entscheidung für ihren Einsatz zu treffen hat. Im militärischen Führungsdenken spielt der Mensch somit die entscheidende Rolle für den Einsatz des Materials und die Persönlichkeit wird durch das Material nicht überflüssig, sondern muss sich beherrschend durchsetzen und auswirken.2496 Entscheidend ist letztlich der Mensch.2497 Insgesamt betrachtet hat Clausewitz mit seiner im Anfangsteil dieser Arbeit angeführten weitsichtigen These Recht, dass die genaue Bestimmung gewisser Faktoren durch die Natur der Sache nicht zugelassen sei. Folgerichtig definiert ein neuerer Ansatz den mit dem Gefechtsfeld korrespondierenden Begriff des Operationsgebietes allgemeiner als „Zone auf dem Kriegsschauplatz, in der militärische Handlungen stattfinden.“2498 Insofern ist das Operationsgebiet der Raum, in dem militärische Operationen zeitlich koordiniert und mit einer gemeinsamen Zielsetzung von Streitkräften durchgeführt werden.2499 Eine einseitige Beschränkung auf bestimmte Gefechtshandlungen oder die Fixierung des Einsatzes der eigenen Kräfte in bestimmten Räumen hieße nach dem zuvor Gesagten, die Flexibilität des Gegenübers zu unterschätzen, und würde somit von Beginn an den Keim des Scheiterns der eigenen Sache im Kampf gegen Irreguläre Kräfte in sich tragen. 8.
Paradigmenwechsel im Strategieansatz gegen Irreguläre
Der Paradigmenwechsel des erweiterten Sicherheitsbegriffs erfordert folgerichtig zugleich auch einen Paradigmenwechsel bei der Wahl der Verfahren, Prozesse und Mittel, die Si2495 2496 2497 2498
2499
Werner Hahlweg, Philosophie und Theorie bei Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 325 ff.; 332 Eric Waldman, Soldat im Staat. Der Staatsbürger in Uniform. Vorstellungen und Wirklichkeit, Boppard am Rhein 1963, S. 54; vgl. Harry G. Summers Jr., On Strategy II: A Critical Analysis of the Gulf War, New York 1992, S. 158 f. Werner Hahlweg, Philosophie und Theorie bei Clausewitz, in: Clausewitz-Gesellschaft (Hrsg.), Freiheit ohne Krieg?, Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl von Clausewitz, Bonn 1980, S. 325 ff.; 332 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 900 Führungsbegriffe (TF/B), Stichwort: Operationsgebiet, Bonn 15.10.1998; zum Begriff Operationsgebiet vgl. auch ausführlich: Bernd Weber, Operationsgebiet, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 257 ff. Ernst-Christoph Meier, Richard Roßmanith, Heinz Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten sicherheitspolitischen Umfeld, S. 294 f.; vgl. Ernst-Christoph Meier, KlausMichael Nelte, Heinz-Uwe Schäfer, Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Deutschland in einem veränderten internationalen Umfeld, 6. Aufl., Hamburg 2006, S. 320; Dieser Ansatz deckt sich mit dem Jominis: Jomini hatte bereits eine sehr weit gefasste Vorstellungen über den Raum, in dem kriegerische Aktionen stattfinden können: „Der Schauplatz eines Krieges umfasst alle Gegenden, wo zwei Mächte sich angreifen können, sei er’s auf ihrem eigenen Gebiete oder auf dem ihrer Verbündeten oder der geringeren Mächte, welche Furcht und Interesse in den Wirbel hineinziehen.“ (Antoine-Henri Jomini, Abriss der Kriegskunst, Dresden 1901, S. 79)
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cherheit zu bewahren bzw. gegebenenfalls wiederherzustellen. Den neuen Bedrohungen und Herausforderungen sind entsprechend angepasste weiterentwickelte und auch neue Konzepte als Antwort entgegenzuhalten. In der Vergangenheit stellten Kleinkrieg und Terrorismus primär innerstaatliche Bedrohungsformen dar; Subversion und verdeckter Kampf wurden dagegen mehr als zwischenstaatliche Bedrohungsformen angesehen.2500 Dieser klar unterscheidbaren Zuordnung der Phänomene zu einer innerstaatlichen und einer zwischenstaatlichen Herkunft sowie zu bestimmten Angriffsobjekten entsprach auch die grundsätzliche Zuordnung der Zuständigkeit zu ihrer Abwehr und damit für die meisten Formen der subkonventionellen Bedrohung eine vorrangige Rolle für den Bereich und die Organe der inneren Sicherheit.2501 Diese trotz aller Unschärfen relativ klare und eindeutige Zuordnung gilt es jedoch angesichts der neuen Qualität des irregulären Kampfes zu revidieren.2502 Folglich ist zu fragen, wie und in welcher Form diesen aktuellen Tendenzen begegnet werden soll. Ein Vorwurf, der erhoben wird, lautet, dass die Schwerpunksetzung bei den globalen Bedrohungen und Herausforderungen auf militärischen Antworten liege.2503 Für Herfried Münkler hingegen ist die Verwandlung der Terrorbekämpfung aus einer wesentlich polizeilichen Aufgabe in eine Herausforderung, die verstärkt auch die nach außen tätigen Nachrichtendienste und das Militär betreffen, eine Folge des Verwüstungskrieges, in den sich die neue Variante des Terrorismus im Rahmen einer allgemeinen Asymmetrierung des Krieges entwickelt hat.2504 In diesem Zusammenhang schlägt Vetschera unter anderem vor, dort eine Trennlinie zwischen der Zuständigkeit und dem Einsatz militärischer und polizeilicher Kräfte zu ziehen, wo Streitkräfte nach taktisch-operativen Gesichtspunkten eingesetzt werden und nicht bloß punktuell zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.2505 In der Literatur wird hingegen auch die Ansicht vertreten, dass es schwierig sei, den Terrorismus mit militärischen Mitteln zu bekämpfen.2506 Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus sei ein Kampf ohne feste kriegerische Fronten, in denen sie als die schwächer ausgerüsteten Akteure nicht die geringsten Aussichten hätten, gegen moderne Streitkräfte zu gewinnen, und sie suchten gerade deshalb asymmetrische Kampfformen, in denen moderne Waffen keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung hätten.2507 Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass gerade die Überlegenheit militärischer Kräfte und Fähigkeiten die Aktionsbreite terroristischer Aktionen entsprechend einengt, ihren Spielraum deutlich begrenzt und 2500
2501 2502 2503 2504 2505 2506 2507
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Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 21; Diese Erscheinungsform wurde daher in der Vergangenheit auch vorwiegend als Kampfform angesehen, welche ihren Anfang im Kalten Krieg als Vorstufe hat und der das geeignete Klima schaffen soll, welches in einer günstigen Situation zur Krise gesteigert werden soll. (Oskar Spengler, Der „Verdeckte Kampf“ – Die Kriegform der Zukunft?, in: ÖMZ 1964, S. 415 ff.; 415) Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 21 vgl. Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 21 Andreas Zumach, Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?, Köln 2005, S. 63 f. Herfried Münkler, Ältere und jüngere Formen des Terrorismus. Strategie und Ordnungsstruktur, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 29 ff.; 29 Heinz Vetschera, Die neue Qualität des Terrorismus, in: www.obh.at/pdf_pool/publikationen/ 09_zH_03_vet.pdf, Internetrecherche vom 16.08.2005, S. 20 ff.; 29 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 165 Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Baden-Baden 2005; S. 165
ihre Fähigkeiten dementsprechend nur begrenzt zur Wirkung kommen. Mithin liegt im Umkehrschluss dieser Argumentation bereits das Hauptgegenargument zu dieser Meinung. Es gilt daher, den terroristischen Spiel- und Aktionsraum weiter gegen Null einzudämmen. Der Gegner muss überall dort angegriffen werden, wo er aktiv ist, wo er sich ausruht, wo er sich versteckt oder wo er Zuflucht erhält.2508 Dazu bedarf es möglicherweise angepasster, gegebenenfalls auch erweiterter und neuer Mittel, Methoden und Fähigkeiten. Eine einseitige Ausrichtung auf hoch technologisierte Streitkräfte dürfte allerdings ebenfalls nicht die alleinige Antwort auf alle Bedrohungen und deren Erscheinungsformen sein.2509 Denn jede Waffe verlangt ein ihr entsprechendes Ziel und eine Möglichkeit, den Gegner vom Einsatz einer bestimmten Waffe abzuhalten, besteht darin, ihm kein Ziel für diese Waffen zu bieten.2510 Es ist allerdings auch nicht möglich, sich einer Angreifbarkeit durch Irreguläre Kräfte vollständig zu entziehen. Eine andere Ansicht, die den Einsatz der Streitkräfte zur Terrorabwehr ablehnt, stellt darauf ab, dass bei fundamentalistischen Gruppierungen militärische Vergeltungsschläge als kontraproduktiv und kaum abschreckend angesehen werden.2511 Der Einsatz des Militärs könnte sich daher ins Gegenteil verkehren, da sich dadurch Terroristen in ihrem Kampf bestätigt fühlen und ihren Terrorismus legitimieren könnten.2512 Diese Auffassung ist zu hinterfragen. Zum einen unterstellt diese Ansicht, dass es beim Einsatz von Streitkräften primär um „Vergeltung“ gehe. Dieser Begriff ist mit dem Begriff der „Rache“ gleichzusetzen und insofern wird hier ein niederer Beweggrund impliziert. Das ist eindeutig abzulehnen und zurückzuweisen. Allenfalls kann es bei harten militärischen Schlägen, die eine psychologische Wirkung beabsichtigen, auch um Abschreckung gehen. Diese ist aber auf die Zukunft gerichtet, um hier ein bestimmtes Verhalten, nämlich eine Abkehr vom bisherigen Handeln, zumindest ein Unterlassen zu fördern. 8.1
Ganzheitlicher Gesamtansatz
Eine Ansicht im Schrifttum geht davon aus, dass Terrorangriffe grundsätzlich ohne Vorwarnung erfolgen, so dass der Staatsapparat, der folgerichtig nicht den Schutz jedes einzelnen Bürgers garantieren kann, sondern der die Lebensgrundlagen sichern muss, nur aus der Reaktion heraus handeln kann.2513 Diese Auffassung scheint zu kurz gefasst. Zu der Beantwortung der Frage, wie den Herausforderungen in geeigneter und angemessener Weise begegnet werden kann, gehört eine umfassende Strategie, die neben repressiven Elementen 2508 2509 2510 2511
2512
2513
Sebastian Scheerer, Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien, Lüneburg 2002, S. 93 Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 24 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen, Wiesbaden 1986, S. 73 Jana Kunath, RAF. Die Reaktion des Staates auf den Terrorismus der Roten Armee Fraktion, Marburg 2004, S. 78; vgl. Manfred Klink, Nationale und Internationale Präventions- und Bekämpfungsstrategien, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, 241 ff.; S. 260 Jana Kunath, RAF. Die Reaktion des Staates auf den Terrorismus der Roten Armee Fraktion, Marburg 2004, S. 78; vgl. Manfred Klink, Nationale und Internationale Präventions- und Bekämpfungsstrategien, in: Kai Hirschmann, Peter Gerhard (Hrsg.), Terrorismus als weltweites Phänomen, Berlin 2000, S. 241 ff.; 260 Hans Frank, Bundessicherheitsrat muss erweitert werden, in: FOCUS vom 27. Mai 2002, S. 54
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auch solche der nachhaltigen Prävention vorsieht, insbesondere die Entwicklung längerfristig wirksamer Ansätze zur Trennung der terroristischen Akteure von einem zivilen Umfeld, das ihnen als Rückzugsraum, Rekrutierungsreservoir oder auch Schutzschild dient.2514 Militärische oder polizeiliche Lösungsansätze alleine sind unzureichend. Eine erfolgreiche Strategie beinhaltet auch immer den Einsatz anderer Machtinstrumente des Staates.2515 Die neuen Dimensionen von Bedrohungen, die nach dem 11. September 2001 offenkundig geworden sind, haben gezeigt, dass in derartigen Lagen ein wirksamer Schutz der Bevölkerung nur durch ein gesamtstaatliches koordiniertes Krisenmanagement erreicht werden kann.2516 Die „Neue Strategie“2517 als Rahmenkonzeption für den Bevölkerungsschutz ist von der Philosophie getragen, dass Bund und Länder eine gemeinsame Verantwortung für die so genannten außergewöhnlichen Gefahren- und Schadenslagen obliegt; allerdings soll die derzeitige Zuständigkeitsaufteilung zwischen Bund und Ländern erhalten bleiben.2518 Dieser Ansatz ist zu hinterfragen. Die bisherigen Strukturen, Zuständigkeiten und Kompetenzen waren auf die – oben bereits ausgeführten – Bedrohungen gerichtet, die sich aus der bipolaren Auseinandersetzung ergaben. Die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit war sinnvoll. Die Entsprechende Einordnung der Sicherheitsorgane war hierauf abgestimmt. Wie oben bereits mehrfach festgestellt verschwimmen nunmehr die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Irregulären Kräften gelingt es umso leichter diese zu unterlaufen. Mithin ist es widersinnig – trotz erkannter veränderter Bedingungen – an den alten Zuständigkeiten, die auf die alten Verhältnisse passgenau zugeschnitten waren, festzuhalten. Dieses „verfassungsrechtlich verordnete Misstrauen“ gegenüber Einrichtungen des demokratischen Rechtsstaates ist zudem aus heutiger Sicht mehr als befremdlich.2519 Folglich bedarf es hier angemessener Anpassungen und Veränderungen. Ohne eine tragfähige politische Konzeption bleiben richtige Maßnahmen im Kampfbereich nur Stückwerk.2520 Wenn – wie in der vorliegenden Arbeit mehrfach festgestellt – die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zunehmend verschwimmen, macht es wenig Sinn an tradierten Zuständigkeiten und Kompetenzen festzuhalten, ohne diese auf ihren diesbezüglichen Nutzen und ihre Effektivität zu hinterfragen. Der Kampf muss zudem auch auf der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Front geführt werden.2521 Verstärkte internationale Zusammenarbeit im Rechts-, Justiz-, und Polizeiwesen sowie den Nachrichtendiensten und gleichfalls militärische Reaktionsweisen dienen der unmittelbaren Bekämpfung der Terroristen und ihrer Infrastruktur.2522 Konkrete Ansätze, welche einen Beitrag zur Diskus2514 2515 2516 2517 2518 2519 2520 2521 2522
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Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 184 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36 Manfred Klink, Polizeiliche Aspekte des länder- und bereichsübergreifenden Krisenmanagements, in: DIE POLIZEI 2006, S. 293 ff.; 293 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland, Bonn-Bad Godesberg, 2002 Manfred Klink, Polizeiliche Aspekte des länder- und bereichsübergreifenden Krisenmanagements, in: DIE POLIZEI 2006, S. 293 ff.; 294 Dieter Wiefelspütz, Sicherheit vor Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?, in: NZWehrr 2003, S. 45 ff.; 57 Hellmuth Rentsch, Partisanenkampf, Erfahrungen und Lehren, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1962, S. 21 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36 Sven Bernhard Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Einführung, Opladen 2005, S. 184
sion um die Bekämpfungsstrategien leisten, und welche vor allem Mittel und Methoden zur Umsetzung benennen, sehen sich rasch der Kritik ausgesetzt. Zum einen sind da jene, die durch eine Neuordnung von Zuständigkeiten und Kompetenzen einen eigenen Macht- und Einflussverlust befürchten und somit ein politisches Interesse haben, (grundsätzliche und tief greifende) Veränderungen abzulehnen. Auf der anderen stehen da jene, die in der Ausweitung staatlicher, insbesondere nachrichtendienstlicher und polizeilicher Befugnisse lediglich eine Legitimierungsfunktion für die Durchsetzung polizeilicher und rechtlicher Sonderregelungen und ein Mittel für die Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen und die organisatorische Erneuerung der Sicherheitsbehörden sehen und diese somit aus ideologischen Gründen ablehnen.2523 Diese Ansichten übersehen freilich, dass ein staatliches System, das seine Verletzlichkeit erkannt hat, geeignete Maßnahmen zu seinem Schutz ergreifen muss und seine Vulnerabilität2524 verringern muss, so er sie denn nicht ganz beseitigen kann, was bei hochzivilisierten Industriestaaten wohl niemals ganz gelingen kann. Die Verpflichtung zum Schutz gilt umso mehr, wenn der erste Schlag oder die ersten Schläge der Gegenseite nicht sofort systemtödlich gewesen sind. Anderseits würde der Staat sehenden Auges einem Hieb entgegenstehen, ohne ihm auszuweichen, ihn abzuwehren oder eine Gegenaktion zu parieren. Folglich muss sich ein System vor Angriffen schützen, was einerseits seine Güte beschädigt, anderseits eben durch die institutionelle Befassung mit solchen Schutzvorkehrungen an Starrheit eher zunimmt.2525 Voraussetzung für die Verhinderung von krisenhaften Entwicklungen ist die Früherkennung tatsächlicher und potentieller Gefährdungen für die internationale Stabilität und Sicherheit.2526 Diese hängt hochgradig von der Fähigkeit ab, die politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen, finanzpolitischen und militärischen Aufgaben des Krisenmanagements zu integrieren und erst die zielorientierte Koordination dieser Bereiche ermöglicht optimierte Analysen, Aktionen und Reaktionen.2527 Die Strategie braucht ein hohes Maß an unkonventionellen Gedanken und Handlungen sowie an Destruktion und Kreation.2528 Damit nimmt gleichzeitig die Bedeutung von
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vgl. Jutta Bakonyi, Terrorismus Krieg und andere Gewaltphänomene der Moderne, in: Jutta Bakonyi, (Hrsg.), Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 5 ff.; 12, die an dieser Stelle darauf abstellt, dass das Konzept des Terrorismus in der Geschichte der Bundesrepublik zum zweiten Mal eine Legitimierungsfunktion erfülle und damit auf den Terror der RAF in den siebziger und achziger Jahren deutet. In gleicher Weise polemisiert Peter Lock, indem er unterstellt, dass für die verantwortlichen Staatsführungen die nationale Sicherheit wichtiger sei als die Verfassung und nun Terror mit Terror beantwortet würde. (Peter Lock, Keine neue Zeitrechnung, in: Jutta Bakonyi, [Hrsg.], Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001, Arbeitspapier Nr. 4 / 2001, Hamburg 2001, S. 22 ff.; 22) Der Begriff „Vulnerabilität“ wird in diesem Zusammenhang synomym mit dem Begriff „Verletzlichkeit“ gebraucht und steht für ein abstraktes Phänomen, das sich als Schadensanfälligkeit eines Objektes oder Systems gegenüber einem Gefahrenereignis spezifischer Art und Stärke umschreiben lässt. (Susanne Lenz, Gefahren und Verletzlichkeit bestimmen das Risiko für Kritische Infrastrukturen, in: Notfallvorsorge Heft 3, 2006, S. 8 ff.; 9) Elke M. Geenen, Kollektive Krisen. Katastrophen, Terror, Revolution – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, in: Lars Clausen, Elke M. Geenen, Elísio Macamo (Hrsg.), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophe, Münster 2003, S. 5 ff.; 20 f. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36
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Krisenmanagement in einem ressortübergreifenden, umfassenden und militärische Mittel weiterhin beinhaltenden Verständnis zu.2529 In diesem Sinne ist die Bedrohung durch den Irreguläre Kräfte nicht nur militärischer Natur und kann auch nicht mit rein militärischen Mitteln bewältigt werden; vielmehr ist eine Kombination von Instrumenten erforderlich, die auch nachrichtendienstliche, polizeiliche, justitielle und sonstige Mittel umfasst.2530 Hier gilt es, ein komplexes Gefahrenmanagement zu etablieren, das die enormen Fortschritte von Wissenschaft, Forschung und Technik, vor allem in den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Detektions- und Analyseverfahren, berücksichtigt2531 und laufend dynamisch anpasst.2532 Die Dinge sind auf interdisziplinärer Ebene anzugehen: Sozial- und Militärwissenschaften, Ökonomie, Philosophie, Psychologie, Technologie, Konfliktforschung und Naturwissenschaften bezeichnen einige Disziplinen, an die zu denken wäre.2533 Folglich kommt auch den Naturwissenschaften beim Umgang mit diesen Bedrohungen mehr als nur die Bedeutung von Hilfswissenschaften zu.2534 Sowohl im präventiven Bereich des Schutzes vor irregulären Attacken, bei der Abwehr und Bekämpfung der Auswirkungen und Schäden sowie bei der Nachsorge und Rehabilitation gewinnen die Naturwissenschaften insgesamt die Bedeutung von Schlüsselqualifikationen, welche im Verbund mit anderen Kräften der Bekämpfung Irregulärer für den Erfolg eine conditio sine qua non darstellen.2535 Für das Sicherheitsdispositiv der Bundesrepublik Deutschland hat das Konsequenzen: Ein ganzheitlicher interministerieller Gesamtansatz von Bund und Ländern, der die Bemühungen von Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Bundeswehr, Zollkriminalamt und Nachrichtendiensten auf nationaler und regionaler Ebene zusammenfügt und international abstimmt, erscheint dringend geboten.2536 8.2
Repressive Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung
Bei staatlichen Akteuren, die als Urheber oder als Komplizen des internationalen Terrors Maßnahmen unterhalb der Kriegsschwelle anwenden, erscheinen derzeit die Regeln des internationalen Rechts bzw. des Völkerrechts insgesamt als ausreichend, da sich diese Staaten alle Akteure als eigene Organe anrechnen lassen müssen, die in ihrem Auftrag Verbre-
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Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 vgl. Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 7 AKNZ (Hrsg.), Für eine neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland. Überlegungen für eine gemeinsame Rahmenkonzeption zur Weiterentwicklung des Zivilschutzes. Entwurf eines Grundsatzpapiers für das BMI und den Arbeitskreis V der IMK, Bad Neuenahr-Ahrweiler 01.03.2002, S. 11 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 310 Werner Hahlweg, Theoretische Grundlagen der modernen Guerilla und des Terrorismus, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 13 ff.; 27 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 310 Dirk Freudenberg, Herausforderung Terrorismus,. Grundsätzliche Überlegungen zu einem komplexen Phänomen, in: ÖMZ 2005, S. 301 ff.; 310 Elisabeth Hauschild, Bedrohung durch biologische Waffen, in: Europäische Sicherheit 2003, Heft 1, S. 11 ff.; 12
chen begehen.2537 (Problematisch ist im Einzelfall allerdings sehr wohl die Zurechenbarkeit bzw. die Beweisführung.) Bei nicht-staatlichen Akteuren, die ohne Billigung eines fremden Staates aus eigennützigen Bestrebungen oder politischen Überzeugungen handeln, können diese Formen des „Internationalen Terrorismus“ unter die Kategorie der internationalen organisierten Kriminalität subsumiert werden und von den Staaten mit den Mitteln bekämpft werden, die dafür bereits jetzt zur Verfügung stehen oder in Form bilateraler oder multinationaler völkerrechtlicher Vereinbarungen geschaffen werden können.2538 Die Frage ist allerdings, wie sich das Problem des internationalen Terrorismus hier einfügt und wie man ihm beikommen kann. Im Gegensatz zum regionalen Terrorismus sind die Ziele und Organisationen des transnationalen Terrorismus nicht geographisch begrenzt; er ist netzwerkartig organisiert, agiert weltweit und hat die Veränderung der bestehenden internationalen Ordnung zum Ziel.2539 Als Organisationsformen der heutigen transnationalen Terrororganisationen werden heute Netzwerkstrukturen bevorzugt, die sich über mehrere Staaten und Weltregionen erstrecken und deren Mitglieder in einer Weise miteinander verknüpft sind, dass über Grenzen hinweg die Kontaktaufnahme, die Kommunikation untereinander, der Austausch von Informationen und Know-how, der Transfer von Geld, Material, Waffen, die Bewegung von Personen, das Senden und Empfangen von Befehlen sowie die Planung und Durchführung von Operationen gewährleistet werden kann.2540 Dabei müssen die Netzwerkstrukturen zum einen relativ stabil und robust sein, um diese Funktion auf Dauer und mit einer gewissen Verlässlichkeit erfüllen zu können; anderseits müssen sie flexibel genug sein, um auf Gegenmaßnahmen reagieren zu können.2541 Auf diese Strukturen müssen Staaten Wege finden, um angemessen auf sie zu reagieren. 8.2.1
Drei Lösungsansätze: Preemption, Vergeltung und Non-Lethal Weapons
Mehrere israelische Regierungen haben gezielte Tötungen von Terrorismusverdächtigen durch die Armee angeordnet2542 und durchgeführt. Für Israel stellt der Terrorismus eine Ausweitung des Krieges dar und der Kampf gegen den Terrorismus wird oftmals als Teil eines „Kriegsparadigmas“ diskutiert, zu dem die Einstellung „keine Verhandlungen“ und die Doktrin der Preemption sowie der sofortigen Vergeltung gehört.2543 Diese Doktrin ist
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vgl. Alfred Verdross, Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl., Berlin 1984, § 1278 vgl. Gerhard Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht,. Militärische Zwangsanwendung, Selbstverteidigung und Schutz der internationalen Sicherheit, Aachen 1998, S. 11 Hans-Jürgen Bühl, Die Verhütung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Beitrag der Bundeswehr zum ressortübergreifenden Ansatz, in: Europäische Sicherheit, Heft 1, 2006, S. 69 ff.; 69 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 72 Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des „neuen“ Terrorismus, Frankfurt am Main, 2006, S. 72 Wolfgang S. Heinz, Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechtsschutz, in: Holger Zetzsche, Stephan Weber (Hrsg.), Recht und Militär. 50 Jahre Rechtspflege der Bundeswehr, Baden-Baden 2006, S. 123 ff.; 125; Heinz weist in diesem Zusammenhang auch auf entsprechendes amerikanisches Vorgehen in Einzelfällen hin. vgl. Ian. O. Lesser, Countering the New Terrorism: Implications for Strategy, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa
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Ausfluss der Erkenntnis, dass sich nicht alle Anschläge im Vorfeld erkennen und verhindern lassen und unter Umständen bereits in der Vorbereitungsphase ein Anschlag gezielt unterbunden werden muss, weil sich gerade eine einmalige günstige Gelegenheit ergibt und damit der Zeitpunkt des unmittelbaren Ansatzes durch den oder die Täter auf keinen Fall überschritten werden kann. Daher ist es beispielsweise seit langem geübte Praxis der israelischen Streitkräfte, Täter und Terroristen, die aktuell Anschläge planen und vorbereiten, zu töten (targeted killing).2544 Voraussetzung für Vergeltung2545 ist allerdings die Fähigkeit zur schnellen Reaktion. Vergeltungsschläge gegen die Urheber von terroristischen Anschlägen bedingen weiterhin klar erkannte und identifizierte Ziele. Wenn diese keine greifbare Infrastruktur unterhalten, gehen Vergeltungsschläge oftmals ins Leere.2546 Der Einsatz von Abstandswaffen setzt zudem die Fähigkeit zum selektiven und zielgenauen Einsatz von Wirkmitteln bei gleichzeitiger weitestgehender Vermeidung von Kollateralschäden – als unvermeidliche Nebenfolgen eines nach militärischer Logik gerechtfertigten Angriffs2547 – durch Präzision voraus. Demnach steht das „targeted killing“, die gezielte Tötung von Irregulären, in der Kritik.2548 Die Entwicklung des Kriegsvölkerrechts und seiner Regeln zur Beschränkung von Kriegsmitteln und Kriegsmethoden ging von der unausgesprochenen Annahme der tödlichen Wirkung aller Waffen aus; Tod und Verwundung waren Grundlage und Gegenstand rechtlicher Schranken unter dem Gesichtspunkt eines beschränkten Kriegszieles und der Wahrung eines Mindestmaßes an Humanität.2549 Allerdings gibt es seit einigen Jahren konzeptionelle Ansätze, Wirkmittel einzusetzen, die nicht zwingend diesen Kausalverlauf nehmen. Nicht nur in Konflikten, wo Verluste unter der Zivilbevölkerung vermieden werden sollen, sollen nicht tödliche Technologien – nicht-lethale Wirkmittel (Non-LethalWeapons) – eine wichtige Handlungsalternative bieten,2550 sondern können auch gerade in der Auseinandersetzung mit Irregulären Kräften das Mittel der Wahl sein. Der Kampf gegen Irreguläre Kräfte ist oftmals geprägt durch Situationen, in denen der Gegner nicht vom unbeteiligten Zivilisten zu unterscheiden ist, oder auch nicht, obwohl erkannt, so isoliert werden kann, dass er ohne Gefährdung des Umstandes erfolgreich bekämpft werden kann.
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Monica 1999, S. 85 ff.; 120; vgl. Jörg Bremer, “Gezielte Tötungen” in: FAZ vom 18. Dezember 2006, S. 12 vgl. Steven R. David, Fatal Choices: Israel’s Policy of Targeted Killing, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 138 ff.; 139 ff. „Vergeltung“ wird hier im Sinne der auch als „absolute Theorie“ bezeichneteten „Vergeltungstheorie“ verstanden, die ihre klassische Formulierung im Talionsprinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gefunden hat,und nach der der Sinn von Strafe im gerechten Ausgleich eines schuldhaft begangenen Übels liegt. (vgl. Eric Hilgendorf, Einleitung, in: Eberhard Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, Berlin 2004, S. III f.; III) NN. Neue Formen des internationalen Terrors, in: NZZ vom 13. September 2001, S. 7 Christian Tomuschat, Internationale Terrorismusbekämpfung als Herausforderung für das Völkerrecht, in: DÖV, 2006, S. 357 ff.; 360 Zu dem Problem des “targeted killing” vgl. Daniel Bymann, Abscheulich aber effektiv, in: http://rheinischer-merkur.de/index.php?id=12257, Internet vom 13.06.2006 Friedhelm Krüger Sprengel, Non-Lethal Weapons – ein Gebot des Völkerrechts, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 121 ff.; 124 vgl. Stefan Hartwig, Nicht-tödliche Technologien im Einsatz, in: Loyal, Heft 7/8, 2001, S. 24; vgl. John B. Alexander, Winning the War, Advances Weapons, Strategies, and Concepts for the Post-9/11 World, New York 2003, S. 61; vgl. Robert J. Bunker, Introduction and Overview: Why Response Networks?, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 1 ff.; 2
Das betrifft sowohl die so genannten „Peacekeeping“-Einsätze oder auch NichtKampfeinsätze (Operations Other Than War, OOTW2551) als auch besonders Operationen im urbanen Gelände (Military Operations in Urban Terrain, MOUT2552), wo es dazu kommen kann, dass Gegner und Nicht-Gegner (oftmals unfreiwillig) durchmischt auftreten oder vor Ort sind.2553 Aber genau diese Situation ist Bestandteil des Kalküls der Irregulären; hierauf haben sie ihre operativen Konzepte, einschließlich ihrer Propaganda als Ausfluss ihrer Gesamtstrategie abgestellt. Diese Situation wird ausgenutzt oder bewusst herbeigeführt. Die Entwicklung von Non-Lethal Weapons (NLW)2554 gibt den Kräften im Einsatz die Fähigkeit zur Wirkung unterhalb der Schwelle tödlichen Waffeneinsatzes und verbessert somit den Schutz sowie die Fähigkeit zur gezielten (De-) Eskalation und minimiert das Risiko von Kollateralschäden.2555 Dabei werden von den Non-Lethal-Weapons noch die Less-Lethal-Weapons (LLW) abgegrenzt; also Einsatzmittel, die nicht zwingend tödlich sein müssen.2556 Non-Lethal- und Less-Lethal-Weapons stehen für Variation von verschiedenen Technologien: elektromagnetische2557, akustische, biotechnische, chemische, mecha2551
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Derartige militärische Einsätze werden auch als „Military Operations Other Than War, MOOTW“ bezeichnet. Diese weisen eine breite Palette von Aktivitäten auf und konzentrieren sich auf die Kriegsverhinderung, Konfliktlösung, auf die Förderung des Friedens und die Unterstützung der zivilen Behörden als Antwort zu innerstaatlichen Krisen und umfassen sowohl Kampfoperationen (friedenserzwingende Operationen, Terrorismusbekämpfung usw.) wie auch Operationen ohne Kampfhandlungen (humanitäre Operationen usw.). (Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 30) In diesem Zusammenhang werden die Begriffe „Military Operations in Urbanized Terrain“ und auch die britische Version „Fighting in Built-up Areas (FIBUA)“ sowie „Urban Operations“ synonym verwendet. (vgl. Roger Spiller, Sharp corners: combat operations in urban areas, in: Michael Evans, Russell Parkin, Alan Ryan [Hrsg.], Future Armies, Future Challenges. Land warfare in the information age, Crows Nest, 2004, S. 84 ff.; 85) Nick Lewer, Introduction, in: Nick Lewer (Hrsg.), The Future of Non-Lethal Weapons. Technologies, Operations, Ethics and Law, London, Portland 2002, S. 1 ff.; 1; vgl. Nick Lewer, Steven Schofield, NonLethal Weapons. A Fatal Attraction? Military Strategies and Technologies for the 21st Century, London 1997, S. 48 f. vgl. Malcolm Dando, A New Form of Warfare. The Rise of Non-Lethal Weapons, London 1996; vgl. Nick Lewer (Hrsg.), The Future of Non-Lethal Weapons. Technologies, Operations, Ethics and Law, London, Portland 2002; vgl. Nick Lewer, Steven Schofield, Non-Lethal Weapons. A Fatal Attraction? Military Strategies and Technologies for the 21st Century, London 1997; vgl. John B. Alexander, Future War. Non-Lethal Weapons in the Twenty First- Century Warfare; New York 1999; vgl. Brian Rappert, Non-Lethal Weapons as Legitimizing Forces? Technology, Politcs and the Management of Conflict, London, Portland 2003; vgl. Marc Cerasini, The Future of War. The Face of the 21st-Century Warfare, Indianapolis 2003, S. 173 ff.; vgl. John B. Alexander, Winning the War, Advances Weapons, Strategies, and Concepts for the Post-9/11 World, New York 2003, S. 61; vgl. John B. Alexander, The Role of Nonleathal Weapons in Future Military Operations, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 401 ff. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 38; vgl. Robert J. Bunker, Introduction and Overview: Why Response Networks?, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 1 ff.; 2; vgl. Friedhelm Krüger Sprengel, Non-Lethal Weapons – ein Gebot des Völkerrechts, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 121 ff.; 123 Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 13 Zu den Konzepten elektromagnetischer Einsatzmittel vgl. Stephan Blancke, Geheimdienste und globalisierte Risiken. Rough States – Failed States – Information Warfare – Social Hacking – Data Mining – Netzwerke – Proliferation, Berlin 2006, S. 70; vgl. John B Alexander, Future War, Non-Lethal Weapons in Twenty-First-Century Warfare, New York 1999, S. 59 ff.; vgl. Thomas C. Riddle, Nuclear High Alti-
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nische, optische und viele andere.2558 Eine neuere Kategorie von NLW ist darauf gerichtet, Waffen und anderes Gerät außer Gefecht zu setzten ohne feindliche Soldaten oder der Zivilbevölkerung im Gefechtsgebiet tödliche Wunden zuzufügen.2559 Gleichzeitig erhöht das erweiterte Spektrum an Wirkmitteln die Durchsetzungsfähigkeit und hebt damit die Moral der Truppe, weil sie Frustrationen über Situationen mindert, denen man sonst – mangels verhältnismäßiger Alternativen – möglicherweise tatenlos ausgesetzt wäre.2560 Mit dem Einsatz derartiger Wirkmittel wird die herkömmliche Logik, dass moderner Krieg die Tötung von Menschen bedeutet, in ihr Gegenteil verkehrt2561 und quasi auf den Kopf gestellt. Rechtliche und moralische Dilemmata, in denen sich Soldaten oftmals befinden, werden durch Einsatzmittel, die nicht töten, aber dennoch wirksam sind, durch die Kombination von Moralität und Effektivität, vermindert.2562 8.3
Vernetzte Antworten auf komplexe Bedrohungen
Die Interdependenzen der Sicherheitsfelder und die Idee transnationaler Sicherheitsverbundssysteme sind Gegebenheiten, die auch die Strukturen der Sicherheitspolitik bestimmen müssen, mit der den irregulären Erscheinungen Einhalt geboten werden muss.2563 Der Einfluss globaler Ereignisse auf die nationale Sicherheit und die gesteigerte Wechselwirkung zwischen innerer und äußerer Sicherheit bilden vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft die Paradigmen der künftigen Bekämpfung politisch motivierter Gewaltkriminalität und Irregulärer Kräfte.2564 Die Entstehung und Entwicklung von Parallelgesellschaften2565 im Staat neben der staatlichen Gemeinschaft,
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tude Electromagnetic Pulse: Implications for Homeland Security and Homeland Defense, in: Williamson Murray (Hrsg.), A Nation at War in an Era of Strategic Change, o.OA. 2004, S. 69 ff.; vgl. Michael D. McDonnell, Impact of Electromagnetic Pulses on Future Warfare Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 291 ff. Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 13 Friedhelm Krüger Sprengel, Non-Lethal Weapons – ein Gebot des Völkerrechts, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 121 ff.; 123 John Alexander, An Overview of the Future of Non-Lethal Weapons, in: Nick Lewer (Hrsg.), The Future of Non-Lethal Weapons. Technologies, Operations, Ethics and Law, London, Portland 2002, S. 12 ff.; 15 Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 13 Avi Kober, Western Democracies in Low Intensity Conflict: Some Postmodern Aspects, in: Efraim Inbar (Hrsg.), Democracies and Small Wars, London, Portland, 2003, S. 3 ff.; 13 vgl. Günter Erbel, Die öffentliche Sicherheit im Schatten des Terrorismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10-11/2002, S. 14 ff.; 16 Manfred Klink, Polizeiliche Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, in: Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Hrsg.), Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen. Ergänzungsband 1, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 89 ff.; 90 Die Enstehung von abgeschotteten Parallelgesellschaften durch die Verhinderung von Integration und die hieraus resultierende Störung des gesellschaftlichen Zusammenlebens wird mit der islamistischen Orientierung dieser Gruppen begründet. (Armin Pfahl-Traughber, Islamismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ursachen, Organisationen, Gefahrenpotenzial, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51 / 2001, S. 43 ff.; 52; vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen [Hrsg.], Islamismus in Nordrheinwestfalen. Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke, 3. Aufl. 2003, S. 9) Zu den verschiedenen islamischen Organisationen in der Bundesrepublik vgl. Nils Feindt-Riggers, Udo Steinbach,
ohne Identifikation mit dem Staat und mit starken Verwurzelungen in anderen kulturellen und politischen Räumen, kristallisiert sich zunehmend als vielschichtige und mehrdimensionale Gefährdungsplattform heraus, die in ihrer Komplexität und Tiefe kaum zu erfassen ist und von der unterschiedlichste Risiken und Bedrohungen für den Schutz des Staates und der Bevölkerung ausgehen. Die Abgrenzung von innerer und äußerer Sicherheit wird somit durch Grenzbereiche wie der internationalen, grenzüberschreitenden Kriminalität und dem transnationalen Terrorismus auf die Probe gestellt, die sich nicht ohne weiteres einem dieIslamische Organisationen in Deutschland. Eine aktuelle Bestandsaufnahme und Analyse, Hamburg 1997; Den Begriff „Parallelgesellschaften“ benutzt auch Theveßen in Bezug auf islamistische Gemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland. (vgl. Elmar Theveßen, Terroralarm. Deutschland und die islamistische Bedrohung, Berlin 2005, S. 184 ff.) Zur Diskussion und zur Kritik an diesem Begriff vgl. Dirk Halm, Martina Sauer, Parallelgesellschaft und ethnische Schichtung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1-2/2006, S. 18 ff.; vgl. Andrea Janßen, Ayça Polat, Soziale Netzwerke türkischer Migrantinnen und Migranten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1-2/2006, S. 11 ff.; Die These von den Parallelgesellschaften wird im Ergebnis hingegen gestützt u.a. durch Udo Ulfkotte, Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern, Frankfurt am Main 2003; vgl. Peter Frisch, Der politische Islamismus, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 19 ff.; vgl. Elmar Theveßen, Schläfer mitten unter uns. Das Netzwerk des Terrors und der hilflose Aktionismus des Westens, München 2002; vgl. Kai Hirschmann, Wie voll ist das Glas? Terrorismusbekämpfung in Deutschland, in: Der Mittler-Brief. Informationsdienst zur Sicherheitspolitik, Nr. 3 / 2. Quartal 2004, S. 1 ff.; vgl. Günther Lachmann, Tödliche Toleranz. Die Muslime in unserer Gesellschaft, München 2005; vgl. Peter S. Probst, How to Counter the Global Jihadists, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 181 ff.; 185 ff.; vgl. NN, Die Kofferbomber, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 9, September 2006, S. 3; vgl. Daniel Benjamin, Steven Simon, The Next Attack. The Failure of the War on Terror and a Strategy for Getting IT Right, New York, 2005, S. 51 ff.; Netanyahu hat bereits im Jahre 1995 auf die Infiltration islamischer Terroristen in europäische Staaten hingewiesen. (Benjamin Netanyahu, Der neue Terror. Wie demokratische Staaten den Terrorismus bekämpfen können, 1. Aufl., München 1996, S. 110 ff.) Tatsächlich waren die verhinderten Attentäter, die Mitte August 2006 bis zu zwölf Verkehrsmaschinen sprengen wollten, vor allem Männer aus muslimischen Einwandererfamilien, die bereits seit längerem in Großbritannien lebten und von denen die meisten sowohl einen britischen als auch einen pakistanischen Paß besaßen. (DW, Die Spur führt nach Pakistan, in: Die Welt vom 12. August 2006, S. 9) Mithin ist die These von den Parallelgesellschaften zumindest für Großbritannien bestätigt. Doch Großbritannien liegt in Europa! Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass in Großbritanien geborene, britische Muslime, welche auch Kontakte zu Al-Qaida unterhalten, sich auf Einsätze als Selbstmordattentäter vorbereiten. Zudem umfasse die Bedrohung auch den Einsatz von Chemikalien und von Atomtechnologie. (NN. Warnung von Anschlägen in Großbritannien, in: IAP-Dienst-Courier, Nr. 216 / 2006, Tagesmeldungen vom 10.11.2006, S. 1) Und die deutschen Sicherheitsbehörden warnen nach wie vor vor „islamistischen Terroristen …, welche mit ihrem Kampf die Verwirklichung einer ‚islamischen Weltordnung’ anstreben, die im klaren Widerspruch zu demokratischen und freiheitlichen Werte- und Ordnungsvorstellungen steht“, und sie „Freiräume“anstreben und „… die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland [fördern].“ (Bundesministerium des Inneren [Hrsg.], Verfassungsschutzbericht 2005. Vorabfassung, Berlin 2005, S. 197 ff.); Zum „wachsenden Widerstand gegen die Assimilation junger Migranten“ in Deutschland, Großbritannien und den USA vgl. Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, 6. Aufl., Zürich 2006, S. 157; Inzwischen ist bereits in Bezug auf eine „dritte Generation“ islamistischer Terroristen, von der kein klares Hintergrundbild vorliegt, schon von einer „Parallelgesellschaft in der Parallelgesellschaft“ die Rede. (Lars Broder-Keil, Mariam Lau, Hans-Jürgen Leersch, Spurensuche im Terrorsumpf, in: Die Welt vom 22. August 2006, S. 3) In diesem Zusammenhang ist nun auch den Begriff des „Home-Grown-Terrorismus“ im Umlauf. (vgl. Uwe Proll, Stephan Brüss, HomeGrown-Terrorismus, Interview mit dem Präsidenten des BKA, Jörg Ziercke, in Behörden Spiegel, Februar 2007, S. 35 ff.) Zum Scheitern der Gastarbeiterpolitik und deren Integration vgl. auch Walter Laqueur, Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht, Berlin 2006, S. 185 ff.; Lau spricht sogar von „ethnischen Kolonien“; hat dabei also eine regelrechte Kolonisation durch die Zuwanderung vor Augen. (vgl. Jörg Lau, Abschied von den Lebenslügen, in: Das Parlament vom 15. Januar 2007, S. 1)
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ser Aufgabenfelder zuordnen lassen.2566 Organisierte Kriminalität und Migrationsbewegungen sind neuartige Herausforderungen moderner Industriegesellschaften.2567 Innere und äußere Sicherheit beginnen sich somit zu überlappen2568 und zunehmend mit den Feldern der Wirtschaft und sozialen Weiterentwicklung zu verbinden.2569 Gleichzeitig ist mit dieser Frage das zentrale sicherheitspolitische System berührt, politisch motivierte von kriminellen Handlungen und organisierte Handlungsweisen von Aktionen einzelner Täter zu unterscheiden, um angemessen entweder mit den Mitteln der Landesverteidigung oder der polizeilichen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu reagieren, wobei die Unterscheidung in der Praxis grundsätzlich schwierig, wenn gar unmöglich ist.2570 8.4
Instrumente zur Sicherheitsvorsorge
Einer breiteren Palette von Bedrohungen steht eine breitere Palette von Instrumenten gegenüber, die sich von den Mitteln der Außenpolitik über wirtschaftliche Vorkehrungen bis zum Schutz des Überlebens bei ökologischen Katastrophen erstrecken und überdies nichtmilitärische und militärische Mittel umfassen.2571 Im Rahmen der globalen Vernetzung gibt es keine rein militärischen Antworten auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen mehr.2572 Die Auseinandersetzung mit den transnationalen Erscheinungen irregulärer Gewalt wird auch mit exekutiv-polizeilichen Mitteln allein nicht zu gewinnen sein.2573 Moderne Sicherheitspolitik, die auf politische, wirtschaftliche und militärische Stabilität zielt, muss daher ganzheitlich konzipiert werden; ihre Instrumentarien müssen breit gefächert sein und sich gegenseitig ergänzen.2574 Die neuen sicherheitspolitischen Herausforderun2566 2567 2568
2569 2570
2571 2572 2573 2574
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Markus Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 279 f. Bundesministerium der Verteidigung, Konzeption der Bundeswehr, Berlin 2004, S. 7 Dieter Dettke, Begriffe I. Der Sicherheitsbegriff, in: Bernhard Rinke, Wichard Woyke (Hrsg.), Frieden und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Eine Einführung, Opladen 2004, S. 9 ff.; 14; vgl. Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003; vgl. Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 410 Ralph Thiele, Transformation und die Notwendigkeit der systemischen Gesamtbetrachtung, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Potentiale statt Arsenale. Sicherheitspolitische Vernetzung und die Rolle von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 34 ff.; 34 Gebhard Geiger, Die sicherheitspolitische Bedeutung der Mikrowissenschaften und Mikrotechnik, in: Heiko Borchert (Hrsg.), Potentiale statt Arsenale. Sicherheitspolitische Vernetzung und die Rolle von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, Hamburg, Berlin, Bonn 2004, S. 11. ff.; 31; vgl. Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Robert Lichal, Staat und Sicherheit, in: ÖMZ 1989, S. 453 ff.; 454 Jan Kuebart, Bundessicherheitsrat und Bundessicherheitsbüro, in: Europäische Sicherheit 1999, Heft 5, S. 40 ff.; 40; vgl. Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S. 7 Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 13 Rudolf Scharping, Frieden und Stabilität in und für Europa – Europas Herausforderungen und Deutschlands Beitrag, Rede beim „Forum für Chefredakteure zur Sicherheitspolitik“ der Bundessicherheitsakademie für Sicherheitspolitik am 26.01.1999 in Bad Neuenahr, in: Internet vom 18.05.1999, http: // www.baks.com/46Ischarp.html, S. 1.; vgl. Rudolf Scharping, Europäischen Pfeiler stärken. Deutsche Sicherheitspolitik und die neue NATO, in: IFDT 1999, S. 42 ff.; 43. In diesem Zusammenhang wird auch an die Schaffung eines „Zivilen Friedensdienstes“ gedacht. (vgl. Uschi Eid, Sicherheitspolitische Auswirkungen der Sicherheitspolitik, Rede beim „Forum für Chefredakteure zur Sicherheitspolitik“ der Bun-
gen, die zunehmend nichtmilitärische Bedrohungspotenziale einschließen, sind eine gesamtstaatliche, militärische und zivile Elemente umfassende Aufgabe im multinationalen Kontext.2575 Die dynamische Art der Bedrohungen erfordert eine Kombination von Instrumenten der Aufklärung sowie polizeilicher, militärischer und sonstiger Mittel.2576 Äußere Krisenreaktionsfähigkeit basiert somit auch auf funktionierenden zivilen Komponenten.2577 Der Krisenprävention sollte das Hauptaugenmerk gewidmet werden, das dazu beitragen müsste, Bedingungen zu schaffen, die krisenhafte Entwicklungen verhindern und eine spätere aktive militärische Intervention unmöglich machen.2578 Allerdings stellt die Existenz einsatzbereiter Streitkräfte einen entscheidenden, oft unterschätzten Faktor dar.2579 Militärische Sicherheitsvorsorge bleibt somit unverzichtbar.2580 Die Frage der Einordnung des Militärischen ohne Verlust seiner Substanz und Effizienz in das System des Rechtsstaates ist von essentieller staatspolitischer Bedeutung.2581 Es ist eine elementare Aufgabe jeder rechtsstaatlichen Grundordnung, dieses wesensbedingte Spannungsfeld durch geeignete Lösungen konfliktfrei zu überwinden und diese in einem ständigen Entwicklungsprozess geänderten Bedingungen sachgerecht anzupassen.2582 8.4.1
Räumliche Trennung von Polizei und Militär
Nach der in der Bundesrepublik Deutschland derzeit herrschenden Rechtsauffassung hat die Bekämpfung des Terrorismus grundsätzlich im Wege der Strafverfolgung und der polizeilichen Gefahrenabwehr zu erfolgen.2583 Nach dieser Ansicht sind militärische Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus unzulässig, soweit terroristische Handlungen nicht von einem Staat ausgehen und damit einen bewaffneten Angriff dieses Staates darstellen.2584 Ein wichtiges Prinzip in der modernen Staatrechtslehre ist die funktionale Trennung von Polizei und Streitkräften bei der gemeinsamen Aufgabe, die Existenz des Staates zu sichern
2575 2576 2577 2578 2579 2580
2581 2582 2583 2584
dessicherheitsakademie für Sicherheitspolitik am 26.01.1999 in Bad Neuenahr, in: Internet vom 18.05.1999, http: // www.baks.com/462eid.html, S. 5 ff.) Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Europäischer Rat, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), Brüssel 12. Dezember 2003, S 7 Manfred Funke, Zwischen Staatsvernunft und Gefühlskultur: Aspekte innerer und äußerer Sicherheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51/2001, S. 3 ff.; 3 Erich Vad, Die neuen Kriege. Einhegung und Friedensperspektiven?, in: Der Infanterist, Heft 1, 2005, S. 21 ff.; 24 Jan Kuebart, Bundessicherheitsrat und Bundessicherheitsbüro, in: Europäische Sicherheit 1999, Heft 5, S. 40 ff.; 40 Rudolf Scharping, Grundlinien deutscher Sicherheitspolitik, Rede des Bundesministers der Verteidigung an der Führungsakademie der Bundeswehr am 08.09.1999 in Hamburg, in: HFüKdo (Hrsg.), SonderPressespiegel vom 09.09.1999, S. 1; vgl. Rolf Wagner, Zu einigen militärökonomischen Aspekten des militärischen Erneuerungsprozesses, in: Forschungsinstitut für Militärökonomie und angewandte Konversion Berlin, Gesellschaft für Militärökonomie e. V. Koblenz (Hrsg.), Verteidigung und Ökonomie, 1992, S. 69 ff.; 69 f. Gerhard Rauter, Verfassungsrechtliche Grundlagen der militärischen Landesverteidigung für Gesetzgebung und Vollziehung, in: ÖMZ 1990, S. 20 ff.; Gerhard Rauter, Verfassungsrechtliche Grundlagen der militärischen Landesverteidigung für Gesetzgebung und Vollziehung, in: ÖMZ 1990, S. 20 ff.; 20 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 1355 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 1355
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und die Bürger vor Gefahren zu schützen.2585 Fraglich ist allerdings, ob angesichts der Phänomene und Handlungsformen des Irregulären sich diese tradierte Rechtsauffassung halten lässt. Immerhin sind – wie bereits oben ausgeführt – nach neuerer Ansicht auch militärische Maßnahmen gegen einen Staat zulässig, der Terrorismus duldet und schützt.2586 Terrorismus in der Dimension, wie er am 11. September 2001 auftrat, zeigt in seinen sicherheitspolitischen Auswirkungen, dass Äußere und Innere Sicherheit nicht mehr getrennt voneinander gesehen werden können.2587 Derartige Anschläge auf die innere Sicherheit besitzen allerdings eine Qualität, die militärischen Angriffen gleichkommt, und zudem ist die Polizei beispielsweise außerstande, den Luftraum zu überwachen und zu schützen, wie sie auch nicht in der Lage ist, terroristischen Angriffen mit Massenvernichtungswaffen wirksam entgegenzutreten.2588 Insofern soll nachstehend untersucht werden, ob angesichts der neuen Herausforderungen die bestehenden tradierten Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Polizei und Militär nicht grundlegend überdacht und den Gegebenheiten angepasst werden müssen. Hierbei gilt es sicherlich, bestimmte organisationskulturelle Unterschiede, die sich aus der Aufgabe heraus entwickelt haben, zu berücksichtigen. Polizei nimmt ihre Rolle umso besser wahr, je enger sie in einem Netz von externen Beziehungen und Kontakten der lokalen Bevölkerung eingebunden ist, aus dem sie funktionswichtige Informationen für ihre Arbeit bezieht, und insofern sind Polizeiorganisationen in der Regel relativ umweltoffene Organisationen, das heißt, ihre enge Integration in die soziale Umwelt vermittelt ihnen die relevanten Informationen für ihr Handeln und ist somit eine wichtige Voraussetzung für die Erfolgswirksamkeit.2589 Dagegen sind Militärorganisationen auf die Androhung und Anwendung kollektiver Gewalt gegen fremde Streitkräfte bzw. eine fremde Sozialordnung ausgerichtet, wobei das militärische Gewalthandeln auf ein von extremer Ungewissheit und Unberechenbarkeit gekennzeichnetes Umfeld zielt.2590 Tatsächlich findet eine faktische Durchbrechung des Trennungsgebotes bereits statt. Wie bereits in der vorliegenden Arbeit angedeutet, übernehmen Soldaten in Auslandeinsätzen zunehmend polizeiliche Aufgaben. Dabei geht es in der Regel nicht um Sieg und Niederlage, sondern um die Wiederherstellung politischer Strukturen und um die Förderung des Wiederaufbaus sowie um die Schaffung von Konstellationen, die zu einem politischen Miteinander und im Idealfall zur Aussöhnung der Konfliktparteien führen.2591 Dabei erscheint es notwendig, sowohl die Rolle der Streitkräfte einer kritischen Betrachtung zu unterziehen2592 wie auch die Rolle der Polizeien, welche ebenfalls zunehmend in Aus2585 2586 2587 2588 2589 2590 2591
2592
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Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 199 Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., München 2002, S. 1355 Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 410 Rupert Scholz, Geleitwort, in: Martin Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr, Berlin 2002, S. 5 ff.; 5 Karl W. Haltiner, Polizisten oder Soldaten. Organisatorische Dilemmata bei der Konstabulisierung des Militärs, in: ÖMZ 2001, S. 291 ff.; 292 f. Karl W. Haltiner, Polizisten oder Soldaten. Organisatorische Dilemmata bei der Konstabulisierung des Militärs, in: ÖMZ 2001, S. 291 ff.; 293 Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 411; vgl. Mary H. Kaldor, Principles for the Use of the Military in Human Security Operations, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 388 ff. Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 410
landseinsätzen2593 Dienst leisten. Immer öfter ist dabei von einer „Konstabulisierung“ der Streitkräfte die Rede.2594 „Konstabulisierung“ bedeutet die Übernahme polizeilicher Aufgaben durch militärische Strukturen.2595 Die Konkurrenz zwischen Militär und Polizei hat ihren Ursprung nicht in einer rein logischen Deduktion, sondern ist das Ergebnis einer vielschichtigen Entwicklung, wobei sich die Unterscheidung in die organisatorisch formelle und die funktionell materielle Seite nicht klar durchführen lässt.2596 Wenngleich in früheren Jahrhunderten das für die Landesverteidigung aufgebotene Heer diente, mit dem Wachsen der Staatsaufgaben schließlich besondere Polizeiorgane mehr oder minder unter dem Schutz des Militärs nachgingen,2597 hatte die moderne Polizei, die erst im 18. und 19. Jahrhundert entstand, ihren Ursprung nicht im Bereich der bewaffneten Macht des Staates, dem Militär, sondern, wie der Name schon sagt, im Politikfeld der „Policey“, der innenpolitischen Sorge für das Gemeinwohl.2598 Beschrieben wurde damit also nicht eine Behörde, sondern ein Zustand nämlich den der guten Ordnung des Gemeinwesens.2599 Dabei handelte es sich inhaltlich um die eigentliche Wachstumszone der Staatsgewalt in der Neuzeit, nämlich ihre über die klassischen Aufgaben Justiz, Militär, Finanz hinausgehenden Aktivitäten, häufig Dinge, die nicht justiziabel und daher traditionell nicht gesetzlich geregelt waren, nichtsdestoweniger aber Regelungsbedarf aufwiesen.2600 Es ging also um die legislative und administrative Regulierung des öffentlichen Lebens mit dem Ziel der allgemeinen „Wohlfahrt“.2601 Das Verhältnis von Rechtsordnung und Polizeigewalt war daher zumindest in Deutschland bis in das 20. Jahrhundert nicht vollständig geklärt und erst in Frankreich des 18. Jahrhunderts wurden die anstehenden Polizeimaterialien zusammengefasst: Wege und Bauten, Sicherheit und 2593 2594 2595 2596 2597
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Die historische Entwicklung der Auslandsentsendung der Bundespolizei wird nachgezeichnet bei Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 82 ff. Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 411; vgl. Karl W. Haltiner, Polizisten oder Soldaten. Organisatorische Dilemmata bei der Konstabulisierung des Militärs, in: ÖMZ 2001, S. 291 ff. Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 411 Manfred Lepper, Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltengeteilten Rechtsstaat, Bielefeld 1962, S. 27 vgl. Siegfried Zaika, Preußische Polizeireformen bis 1933. Ein Beitrag zur historischen Konfliktforschung, in: Dermond Bradley, Ulrich Marwedel (Hrsg.), Militärgeschichte, Militärwissenschaft, Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 474 ff.; 476 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl., München 2000, S. 363; Zur Entwicklung des Polizeibegriffs vergleiche auch Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl. München 1980, S. 92 ff.; vgl. Franz Ludwig Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl., München 1989, S. 1 ff.; vgl. Georg Scholz, Bayerisches Sicherheits- und Polizeirecht, 5. Aufl., München 1987, S. 1 ff. vgl. Peter Leßmann-Faust, Geschichte der Polizei, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis -, Lübeck 1996, S. 9 ff.; 11; vgl. Matthias Bohlender, Metamorphosen des Gemeinwohls, Von der Herrschaft guter polizey zur Regierung durch Freiheit und Sicherheit, in: Herfried Münkler, Harald Blum (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin 2001, S. 247 ff.; 248 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl., München 2000, S. 363 Peter Leßmann-Faust, Geschichte der Polizei, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis -, Lübeck 1996, S. 9 ff.; 11
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Ordnung, Wissenschaft, Handel, Gewerbe, Dienstboten und Arbeiter, Armenwesen; und auch in Deutschland gab es auch noch im 19. Jahrhundert eine ähnlich weite Vorstellung, die sich auch bis heute in der Bau-, Gesundheits-, Lebensmittelpolizei und dergleichen neben der Einengung auf das Feld Sicherheit und Ordnung (etwa durch das preußische Allgemeine Landrecht), gehalten hat.2602 Mit der Entpolizeilichung der Gefahrenabwehr zugunsten der allgemeinen sicherheits- und Ordnungsverwaltung ist der Polizei, also dem Polizeivollzugsdienst, nach dem Zweiten Weltkrieg die allgemeine Gefahrenabwehr nur subsidiär übertragen. Folglich hat die Polizei nach den geltenden Polizeigesetzen nicht mehr alle, sondern nur noch die Gefahren abzuwehren, die von der eigentlichen zuständigen (Ordnungs-) Behörde nicht oder nicht rechtzeitig abgewehrt werden können und handelt somit nur in Not- bzw. Eilkompetenz.2603 Die Unterscheidung der staatlichen Schutzaufgabe gegen Angriffe äußerer Feinde und gegen Unregelmäßigkeiten im Zusammenleben der im Staat zusammengefassten Bürger ist somit erst das Ergebnis einer langen staatlichen Entwicklung und der damit verbundenen Verfeinerung der Methoden staatlicher Regierungs- und Verwaltungstätigkeit, an deren Anfang das Heer als das einzige dem Staat zur Verfügung stehende Machtorgan zur Verfügung stand.2604 Dazu wird heute eine Aufgabenverteilung dergestalt vorgenommen, dass es Aufgabe der Polizei2605 ist, den Staat und seine Bürger vor Gefahren zu schützen, die vom Staatsinnern herrühren, während es den Streitkräften obliegt, die staatliche Integrität und den Bürger vor den Einwirkungen äußerer Gefahren zu schützen, die in ihrer Intensität solche Ausmaße annehmen, dass zum wirksamen Schutz die Mobilisierung die stärkste staatliche Macht in Form der Streitkräfte erforderlich ist.2606 Fraglich ist in diesem Zusammenhang die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Polizeien und Streitkräften in der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland nach Innen und Außen. Die Verpflichtung, Militär und Polizei organisatorisch getrennt zu halten, folgt der alleinigen Aufstellungskompetenz des Bundes gemäß Art. 87 a Abs. 1 GG sowie dem Verfassungsvorbehalt des Art. 87 a Abs. 2 GG und insofern geht das Grundgesetz von einer klaren Trennung der zivilen und militärischen Gewaltanwendung aus.2607 Dabei wurde bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kritisiert, dass juristisch nicht geklärt war, welche Rolle die Bundeswehr in verdeckten Kämpfen spielen dürfte oder müsste und dass die Lösung des Problems nicht allein durch die Länderpolizeien, Feuerwehren und Technisches 2602 2603 2604 2605
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Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl., München 2000, S. 364 f. Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis -, Lübeck 1996, S. 41 ff.; 80 Manfred Lepper, Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltengeteilten Rechtsstaat, Bielefeld 1962, S. 27 Die moderne Polizei, die erst im 18. und 19. Jahrhundert entstand, hatte ihren Ursprung nicht im Bereich der bewaffneten Macht des Staates, dem Militär, sondern, wie der Name schon sagt, im Politikfeld der „Policey“, der innenpolitischen Sorge für das Gemeinwohl. (Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl., München 2000, S. 363) Beschrieben wurde damit also nicht eine Behörde, sondern ein Zustand, nämlich der der guten Ordnung des Gemeinwesens. (vgl. Peter Leßmann-Faust, Geschichte der Polizei, in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck [Hrsg.], Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis -, Lübeck 1996, S. 9 ff.; 11) Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 199 f. Tobias Linke, „Die militärische Waffe“ – Ein Begriffsgespenst im Wehrverfassungs- und im Recht der inneren Sicherheit, in: NZWehrr 2006, S. 177 ff.; 190 f.
Hilfswerk (THW) zu gewährleisten wäre.2608 Die Abwehr nichtkombattanter Störer im Inland auch in einem bewaffneten Konflikt ist somit nach derzeitiger Rechtslage in erster Linie Aufgabe der Polizeien; die Unterstützung der Streitkräfte im Spannungs- oder Verteidigungsfall regelt Art. 87 a Abs 3 GG.2609 Mit der Ergänzung des Grundgesetzes um die so genannte Notstandsverfassung und der Einfügung des Art. 91 GG, der den nach innen gerichteten Einsatz der Streitkräfte, der nicht vom Verteidigungsbegriff des Art. 87 a GG erfasst wird, regelt, hat sich der Verfassungsgeber von seiner ursprünglichen Auffassung gelöst, dass ein innerer Notstand nur im Rahmen des Art. 91 GG mit Polizeikräften bekämpft werden kann, und ist zu seiner traditionellen Auffassung zurückgekehrt, dass der Einsatz der Streitkräfte zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und in Ausnahmesituationen nötig sein kann.2610 Allerdings haben sich die internationale Sicherheitslage, die Erscheinungsformen des internationalen und transnationalen Terrorismus und die hieraus abgeleitete Bedrohungslage – wie in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt – fundamental geändert, so dass auch diese Anpassungen der Verfassung heute als unzureichend erscheinen. Der Terrorismus kennt keine nationalen Grenzen.2611 Darüber hinaus sind auch heute staatlich verfasste Gesellschaften gerade unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr „homogen“ zusammengesetzt; vielmehr sind gerade in den wirtschaftlich hochentwickelten Demokratien des Westens zunehmend Tendenzen zur Entstehung von Rand- und Parallelgesellschaften zu beobachten, die es ermöglichen, dass Angriffe „ausländischer“ Feinde räumlich nicht nur von außen, sondern auch aus dem Inneren eines Staates erfolgen können. Ein weiterer Aspekt ist daher der, dass es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob Irreguläre Kräfte im Verlauf oder bereits vor Beginn eines bewaffneten Konfliktes in einen fremden Staat „einsickern“ oder ob sie bereits vor Jahren „legal“ eingereist sind, unter einer falschen Identität als sogenannte „Schläfer“2612 leben und dann zu einem be2608 2609 2610 2611 2612
vgl. Ernst Grimmel, Partisanen im Schwarzwald, Bremen 1964, S. 33 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2501 Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 109 Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 406 Als „Schläfer“ wird in der einschlägigen Fachliteratur ein Agent bezeichnet, der sich im Operationsgebiet befindet, aber – auftragsgemäß – zunächst keine Agententätigkeit ausübt aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. in einer Krise, einer Katastrophe oder nach einem Kriegsausbruch tätig wird oder nach einer bestimmten persönlichen oder beruflichen Entwicklung „angeschaltet“ wird. (Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl, Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 400) Zum Einsatz von Schläfern im Auftrag der sozialistischen Mächte in der früheren Bundesrepublik Deutschland vgl. Friedrich-Wilhelm Schlomann, Operationsgebiet Bundesrepublik. Spionage, Sabotage und Subversion, München 1984; Schlomann untersucht dass Problem ebenfalls für die frühe Zeit nach der Wiedervereinigung (vgl. Friedrich-Wilhelm Schlomann, Die Maulwürfe. Noch sind sie unter uns, die Helfer der Stasi im Westen, München 1993) Zu den entsprechenden Einsatzgrundsätzen der der sowjetischen Speznas-Trupps vgl. Viktor Suworow, Speznas. Geheimnis hinter Glasnost, Düsseldorf 1989, S. 115 ff.; vgl. Viktor Suworow, GRU. Die Speerspitze, 2. Aufl., Bern 1988, S. 29; Nach einer in der Literatur vertretenen Meinung kommt es bei der Frage, ob sich die Truppe im Heimatland bei der Abwehr von Angriffen einheimischer bewaffneter Zivilpersonen auf das UZwGBw oder auf herkömmliche Kampfführungsregeln abstützen darf, auf die Zielrichtung des Angriffs an, so dass in einer Kampfführungssituation, bei der die Schädigungshandlung Ziel ist, die Anwendung des dafür vorgesehenen Kampfführungsrecht geboten ist und die an den Feindseligkeiten beteiligten Zivilpersonen nicht anders als Freischärler im Feindesland zu behandeln sind (Oskar Matthias Freiherr von Lepel, Die Bekämpfung von Freischärlern im internationalen bewaffneten Konflikt, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm [Hrsg.], Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 137 ff.; 142 f.)
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stimmten Zeitpunkt zuschlagen.2613 Deswegen erscheint es auch antiquiert, auf tradierte Zuständigkeiten und Kompetenzen zu beharren. Ebenso erscheint es paradox, dass die Bundeswehr sich vornehmlich für die weltweite Wahrnehmung von Aufgaben aufstellt; hierbei allerdings nur das Ausland meint und das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, also den Raum, den es eigentlich zu schützen gilt, geradezu ausspart, indem die Aufgabe der Landesverteidigung im engeren Sinne in den Hintergrund gerät und der Einsatz im Inneren lediglich subsidiäre Bedeutung hat. Gleichzeitig werden die grundsätzlichen Zuständigkeiten durch die Entsendung von Polizeieinheiten für den Einsatz im Ausland2614 zunehmend durchbrochen. Tatsächlich ist die zurzeit gebräuchliche Praxis, Bundeswehreinheiten nur mit Bundestagsmandat in Auslandseinsätze zu entsenden, Spezialkräfte (GSG 9) der Bundespolizei (vormals Bundesgrenzschutz, BGS) beispielsweise zum Schutz des THW in den Irak ohne einen solchen Entschluss zu kommandieren verfassungsrechtlich inkonsequent2615, wenngleich aber (politisch) pragmatisch. Dabei kann weder der Verfassungsnorm selbst noch der „Streitkräfteentscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 19942616 entnommen werden, dass es sich bei Art. 24 Abs. 2 GG um eine Sonderregelung für den militärischen Bereich handelt; es wäre verfassungspolitisch auch nicht sinnvoll, einerseits die Auslandsentsendung deutscher Streitkräfte zu reglementieren und andererseits die Verwendung der Bundespolizei unter Berufung auf § 8 BGSG vorbehaltlos zu gestatten.2617 Eine derartige Verfassungsinterpretation könnte dazu verleiten, die Bundespolizei zu einer schlagkräftigen „Sondertruppe“ auszubauen, welche weltweit in den Fällen tätig wird, in denen ein Bundeswehreinsatz auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt.2618 Umgekehrt sind derartige Konstruktionen auch denkbar, wenn es darum geht, Soldaten durch Unterlaufen der bestehenden staats- und verfassungsrechtlichen Regelungen im Inneren einzusetzen, indem man sie zur Bundespolizei abstellt.2619 Derartige Versuche wollen bestimmten pragmatischen Gestaltungen den Deckmantel der Legalität verpassen. Tatsächlich machen sie allerdings deutlich, dass es entweder im Wesentlichen darauf ankommt, einen rechtliche Rahmen zu finden, in den man bestimmte Aufgaben stellt, oder aber, dass die politisch Verantwortlichen nicht in der Lage sind, Lageänderungen tiefgreifend zu analysieren und zu bewerten und daraus die zukunftsfähigen Schlüsse und Ableitungen zu treffen und politisch durchzusetzen, die erforderlich sind, um mit den anstehenden Herausforderungen fertig zu werden. Die Sicherheitspolitik steht vor der Aufgabe, die überkommene Trennung von innerer und äußerer Sicherheit zu überwinden und folglich bilden Gefahrenbekämpfung und Gefahrenvorsorge eine einheitliche nationale Aufgabe, welche gleichermaßen die Bewahrung der äußeren wie der inneren Sicherheit umfasst.2620 2613 2614 2615 2616 2617 2618 2619 2620
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Dagegen vgl. Christian Lutze, Abwehr terroristischer Angriffe als Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr, in: NZWehrr 2003, S. 101 ff.; 114 vgl. NN., Schily und Struck sprechen über Auslandseinsätze des BGS, in: FAZ vom 30.11.2004, S. 4 vgl. Marcus Schultz, Die Auslandsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenssicherung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1999, S. 309 BVerfGE 90 S. 286 ff. Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 308 Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 308 vgl. NN.; Soldaten als Bundespolizisten?, in: FAZ vom 11. Februar 2006, S. 1 f. Rupert Scholz, Geleitwort, in: Martin Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr, Berlin 2002, S. 5 ff.; 5; So wird hinsichtlich des Einsatzes der Deutschen Marine im Rahmen der UNIFIL Maritim Task Force (UNIFIL-MTF) vor der Libanonküste angemerkt, dass dort Aufgaben wahrgenommen werden, welche in deutschen Hoheitsgewässern ohne verfassungsrechtliche Neuregelungen nicht möglich wären. (Michael
8.4.2
Unterschiedliche Einsatzmittel und Waffen zur Bekämpfung Irregulärer Kräfte
Die modernen Erscheinungen Irregulärer Kräfte, ihre Anpassungsfähigkeit und die Art ihrer Kampfführung werfen zum einen die Frage auf, welcher Einsatzmittel und Waffen sich die staatlichen Organe zur Abwehr derartiger Bedrohungen bedienen dürfen. Die Hilfsmittel, die beim Einsatz der Streitkräfte zum Zwecke der Hilfeleistung verwand werden dürfen, dürfen nach dem abschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts2621 nicht von qualitativ anderer Art sein als diejenigen, die den Polizeikräften der Länder für die Erledigung ihrer Aufgaben originär zur Verfügung stehen. Nach der „Entdeckung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals ,keine spezifisch militärischen Waffen’ “2622 dürften die Streitkräfte damit zwar die Waffen verwenden, die das Recht des betroffenen Landes für dessen Polizeikräfte vorsieht, jedoch nicht „militärische Kampfmittel“, wie die Bordwaffen eines Kampfflugzeuges.2623 Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wird in der Literatur als „wenig überzeugend“ und „verfassungsdogmatisch keineswegs zwingend“ beurteilt, da sie insbesondere auch nicht dem Gebot strikter Texttreue in der Wehrverfassung folge, wonach Art 35 Abs. 3 GG ausdrücklich von der „wirksamen Bekämpfung“ der Gefahr spricht: Der Streitkräfteeinsatz ist zulässig, „soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist“.2624 Fraglich ist hier zum einen, was in diesem Zusammenhang Waffen und militärische Kampfmittel sind. Eine originäre Qualifikation bestimmter Mittel als „militärisch“ oder „polizeilich“ gibt es – insbesondere im Grundgesetz – nicht und ist auch keine für das Recht der inneren Sicherheit eo ipso relevante Kategorie.2625 Eine entsprechende Bewertung würde auch übersehen, dass sich die Polizei aus dem Militär heraus entwickelt hat2626 und das Heerwesen erst im 19. Jahrhundert aus dem Polizeibegriff eliminiert wurde.2627 Die jeweilige Ausrüstung mit Einsatzmitteln, Bewaffnung und die entsprechende Ausbildung sowie die Einsatzgrundsätze folgten in beiden Organisationsformen den – nicht zuletzt auch politisch – bestimmten Anforderungen für das jeweilige Einsatzspektrum. Linke vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass sich die unterschiedlichen Aufgaben von Polizei und Militär in den nicht minder grundverschiedenen Anforderungen an die jeweilige Bewaffnung und die korrespondierenden Regeln für den Waffengebrauch widerspiegeln.2628 Waffen, Ausrüstung und Ausbildung werden bewaffneten Organisationen entsprechend ihrem Auftrag angediehen. Dabei können bestimmte Einsatzmittel und Bewaffnungen sowohl bei den Polizeien als auch bei den Streitkräften zum Einsatz kom-
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Stehr, Die Deutsche Marine übt sich in polizeilichen Aufgaben, in: Marineforum, Heft 12, 2006, S. 2 f. 3 f.) BVerfG, BvR 357/05 vom 15.2.2006 Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 654 Christian M. Burkiczak, Das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht, in: NZWehrr 2006, S. 89 ff.; 96; vgl. BVerfG, BvR 357/05 vom 15.2.2006, Abs. 105 Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 653 f.; Anders dagegen: Friedhelm Hase, Das Luftsicherheitsgesetz: Abschuss von Flugzeugen als „Hilfe bei einem Unglücksfall“?, in: DÖV 2006, S. 213 ff.; 217 vgl. hierzu ausführlich: Tobias Linke, „Die militärische Waffe“ – Ein Begriffsgespenst im Wehrverfassungs- und im Recht der inneren Sicherheit, in: NZWehrr 2006, S. 177 ff. Zur historischen Entwicklung der Polizei aus dem Militär heraus vgl. ausführlich: Peter Leßmann-Faust, Geschichte der Polizei, in: in: Michael Kniesel, Edwin Kube, Manfred Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei – Wissenschaft und Praxis -, Lübeck 1996, S. 9 ff. vgl. Georg Scholz, Bayerisches Sicherheits- und Polizeirecht, 5. Aufl., München 1987, S. 1 Tobias Linke, „Die militärische Waffe“ – Ein Begriffsgespenst im Wehrverfassungs- und im Recht der inneren Sicherheit, in: NZWehrr 2006, S. 177 ff.; 190
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men. Eine große Gleichheit ergibt sich insbesondere bei den bereits bestehenden polizeilichen und militärischen Verbänden2629 zur Bekämpfung Irregulärer Kräfte. Die Qualifikation ergibt sich somit nach dem jeweiligen Auftrag, der bestimmte Fähigkeiten erfordert. Zum anderen kann es nicht vom Bundesverfassungsgericht gewollt sein, dass mögliche, geeignete und erforderliche Einsatzmittel zur Abwehr einer Gefahr nur deshalb nicht zum Einsatz gegen eine nicht vorhergesehene Gefahr kommen, weil sie der originär zuständigen Landespolizei nicht zur Verfügung stehen. Die Ausblendung bestimmter Mittel in diesem Zusammenhang führt zu einer äußerst problematischen Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Staates. Dabei könnte der Sinn eines (unterstützenden) Einsatzes der Streitkräfte gerade darin liegen, eine entsprechende Ausrüstungs- und eine daraus folgende Fähigkeitslücke zu schließen. Dieses kann insbesondere bei unvorhergesehenen Lagen und in Fällen, in denen Irreguläre Kräfte ihrerseits mit Mitteln und Fähigkeiten operieren, die nicht vorausgesehen werden können, oder die zumindest extrem unwahrscheinlich sind von Einsatz entscheidender Bedeutung sein. Würden die polizeilichen Kräfte über die notwendigen Waffen und Einsatzmittel verfügen, bedürfte es nicht der Heranziehung der Bundeswehr. Die Polizei könnte vielmehr aus eigener Kraft heraus den Irregulären Kräften entgegentreten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in der vorliegenden Fassung würde demnach, dass zur Abwehr einer fähige Einheiten im Extremfall sehenden Auges einen solchen Angriff geschehen lassen müssten, ohne dass sie eingreifen können. Diese merkwürdige Folge bedeutete ebenso, dass die Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall auch dann nicht unterstützend eingreifen dürften, wenn nur sie über die entsprechenden – militärischen – Fähigkeiten verfügten und wenn anders der Unglücksfall sich nicht bewältigen ließe.2630 Dieses Ergebnis stände nach der hier vertretenen Ansicht auch gegen die historische Entstehung der Notstandverfassung der Bundesrepublik Deutschland: Damals wurde erkannt, dass schwere Waffen, wie sie zu einer modernen Armee gehören, im normalen polizeilichen Dienst ganz unbrauchbar sind, und dass es nicht Aufgabe der Polizei ist, einen Feind notfalls unter Einsatz aller Machtmittel zu vernichten, sondern lediglich, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter möglichst schonendem Einsatz zu beseitigen.2631 Tatsächlich sollte aber eine Vorsorge geschaffen für Lagen geschaffen werden, die fließend die Grenze zwischen einer offenen Kriegshandlung und einem inneren „Befreiungskampf“ von verfassungsfeindlichen Kräften verläuft.2632 Sabotage- oder Kommandounternehmen können je nachdem ob sie von in das Land eingeschleusten ausländischen Streitkräften oder von Verfassungsfeinden durchgeführt werden, die in Wirklichkeit Agenten einer fremden Macht sein mögen, aber sich nach allem Anschein als Bürger des eigenen Staates darstellen, einen äußeren oder einen inneren Notstand begründen.2633 Dementsprechend können heute auch Irreguläre Kräfte einen Angriff in „militäradäquater Weise durchführen, dass heißt planmäßig organisiert und mit militärischen Waffen so dass eine wirksame und verlustarme Verteidigung nur durch die Streit2629 2630
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Hierbei ist vor allem an die GSG 9, die Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizeien der Länder und das Komando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr zu denken. Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 655; Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Formulierung „zur Unterstützung“ in Art. 35 Abs 2 und 3 GG deutlich macht, dass es sich hierbei nicht um eine originäre Aufgabe der Streitkräfte handelt, sondern nur um einen subsidiären Auftrag. (Christof Gramm, Die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Grenzen in der Verfassung, in: NZWehrr 2005, S. 133 ff.; 141) Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München, Wien 1966; S. 25 Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München, Wien 1966; S. 25 f. Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München, Wien 1966; S.. 26
kräfte erfolgen kann.2634 Maßgeblich ist also allein, welche Institution die Fähigkeit zur effektiven Abwehr der Gefahr besitzt. Darüber hinaus ist es auch nicht hinnehmbar, dass sich zwar spätestens seit dem 11. September 2001 die Meinung verfestigt hat, dass zivile Gegenstände durch einen zweckwidrigen Einsatz derart genutzt werden können, dass sie in der konkreten Verwendungssituation einer militärischen Waffe in nichts nachstehen2635, der Staat dagegen aber nicht seine entsprechenden Mittel und Fähigkeiten dagegensetzten kann, um zumindest Waffengleichheit herzustellen und den Angriff abzuwehren. 8.5
Ganzheitliche Terrorbekämpfungsansätze
Es ist daher wichtig, das politische Umfeld der Auseinandersetzung nicht aus dem Auge zu verlieren und der Versuchung zu widerstehen, den Kampf gegen Irreguläre als rein militärisches Problem zu sehen.2636 Die neue Privatisierung der Gewalt und der bewaffneten Auseinandersetzungen zeigt sich zum einen in der Bedrohung der Sicherheit von Staaten durch nichtstaatliche Gruppen, die mit den Mitteln des Terrors operieren, zum anderen in den veränderten Strategien bei der Bekämpfung dieser Sicherheitsgefährdung, nach denen auf direkte Angriffe mit militärischen Mitteln und auf indirekte Bedrohungen mit den Mitteln geheimdienstlicher Aufklärung und Einflussnahme oder der Unterstützung von Regierungen bei der counter-insurgency geantwortet wird.2637 Gegenüber Irregulären Kräften handlungsfähig zu sein, setzt die Koordination von Geheimdienstarbeit, Polizei und Militär in einer Weise voraus, wie sie in Deutschland aus rechtlichen Gründen eher ungeübt ist.2638 Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten2639 kann hier nicht im Detail nachvollzogen werden. Dennoch ist für die Beobachtung und Bekämpfung Irregulärer Kräfte im präventiven und repressiven Bereich ein ganzheitlicher Bekämpfungsansatz erforderlich.2640
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Marcus Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, Frankfurt am Main 1998, S. 237; vgl. Dieter Wiefelspütz, Sicherheit vor Gefahren des internationalen Terrorismus durch den Einsatz der Streitkräfte?, in: NZWehrr 2003, S. 45 ff.; 56 Katja Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetztes, Hamburg 2005, S. 54 Erwin A. Schmidl, „Asymmetrische Kriege“ – alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 121 ff.; 132 Gert-Joachim Glaeßner, Astrid Lorenz, Innere Sicherheit in einem Europa ohne Grenzen, in: Martin H.W. Möllers, Robert Chr. van Ooyen, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2004 / 2005, Frankfurt 2005, S. 365 ff.; 368 Wolfgang Royl, Moral und nicht-konventionelle Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 329 ff.; 336 Zum Trennungsgebot vgl. ausführlich: Axel Kuhlmann, Terroristische Netzwerke. Bekämpfung mit Netzwerken, in Guido Korte (Hrsg.), Aspekte der nachrichtendienstlichen Sicherheitsarchitektur, Brühl / Reinland 2005, S. 109 ff.; 158 ff.; vgl. Marco König, Trennung und Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2005 Heinz Fromm, Der islamistische Terrorismus – eine Gefahr für Deutschland, in: Homeland Security, Heft 4 2006, S. 2
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Auch wenn Rechtsschutz und Rechtgüterschutz essentielle Legitimationsgrundlagen und Aufgaben des Staates sind,2641 werden der Freiheitsanspruch der Bürger oftmals in Gegensatz zu deren Sicherheitsanspruch gestellt. Der Untertan opfere lieber seine Freiheit als seine Sehnsucht nach Sicherheit.2642 Dabei stehen diese Ansprüche nicht unbedingt gegeneinander. Die „Staatsaufgabe Freiheit“ individualisiert Entscheidungszuständigkeiten; die „Staatsaufgabe Sicherheit“ kollektiviert“ sie.2643 Im modernen Sicherheitsrecht hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden.2644 Der Staat der Gegenwart lässt sich nicht mehr auf das liberal-rechtsstaatliche Modell verkürzen, da er längst auch zum Präventionsstaat geworden ist, wobei im Recht der Inneren Sicherheit der Schutz durch den Staat in den Vordergrund rückt.2645 Damit ist nach der hier vertretenen Auffassung Sicherheit erst Voraussetzung für Freiheit. 8.6
Nachrichtendienstliche Bekämpfungsansätze
Kein Staat darf es zulassen, dass sein Volk irregulären Angriffen schutzlos ausgeliefert ist und er damit erpressbar wird.2646 Um Irreguläre Kräfte erfolgreich zu bekämpfen und die daraus entstehende Gefahr einzudämmen, bedarf es eines komplexen Apparats integrierter Maßnahmen verschiedener Bereiche: Nachrichtendienste2647, Polizeien, Justiz sowie diplomatische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische und militärische Mittel.2648 Es ist das Wesen irregulärer Aktionen, dass sie verdeckt durchgeführt werden. Es muss also vorrangiges Ziel sein, bereits die Vorbereitungen derartiger Anschläge so frühzeitig zu erkennen, dass sie verhindert werden können.2649 Dementsprechend erfordert es eine Aufklärung, die weit vor den Aktionen ansetzt, um diese zu erkennen und Ansätze zu liefern, die Akteure festzusetzen, zu verhaften oder auszuschalten, um die Ausführung der Taten zu verhindern. 2641 2642 2643 2644 2645 2646 2647
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Christoph Gusy, Geheimdienstliche Aufklärung und Grundrechtschutz, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 14 ff.; 14 Wolfgang Sowsky, Mit der Angst leben, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 3. September 2006, B 8 Christoph Gusy, Geheimdienstliche Aufklärung und Grundrechtschutz, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 14 ff.; 14 Friedrich Schoch, Abschied vom Polizeirecht des Liberalen Rechtsstaat? – Vom Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen unserer Tage, in: Der Staat 2004, S. 347 ff.; 350 Friedrich Schoch, Abschied vom Polizeirecht des Liberalen Rechtsstaat? – Vom Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen unserer Tage, in: Der Staat 2004, S. 347 ff.; 350 Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 5 Zur historischenund aktuellen Bedeutung des Nachrichtenwesens im Kriege vgl u.a..: John Keegan, Intelligence in War. Knowledge of the Enemy from Napoleon to Al-Qaeda, New York 2003; vgl. William M. Nolte, Rethinking War and Intelligence, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 419 ff.; Michael Warner, Intelligence Transformation Past and Future. The Evolution of War and U.S. Intelligence, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 516 ff. Ernst Uhrlau, Cooperation between National and international Security Services in Countering Global Terrorism, in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 340 ff.; 341; Uhrlau beschreibt hier im Grunde den oben behandelten Interagency-Ansatz auf der strategischen Ebene. Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 5
Für eine solche Früherkennung und Frühwarnung ist es notwendig, auf nationaler Basis durch bilaterale und informelle multinationale Zusammenarbeit die ausländischen und inländischen Informationen über Operationen Irregulärer Kräfte zu sammeln und zu analysieren.2650 Es gilt, Strukturen, Personen sowie Absichten, Pläne, Vorgehensweisen und Aktivitäten möglichst umfassend aufzuklären und diese Aufklärungsergebnisse den anderen, an der Bekämpfung beteiligten staatlichen Bereichen zur Verfügung zu stellen.2651 Dazu bedarf es auch der Fähigkeiten geheimer Nachrichtendienste,2652 um die Deckungslücken im Informationsbedürfnis politischer Planungs- und Entscheidungsinstanzen, welche nicht durch Botschafts- und Medienberichterstattung hinreichend gedeckt werden können, zu schließen.2653 Diese müssen ihre Erkenntnisse mit anderen Diensten, Behörden und Dienststellen im nationalen wie auch im internationalen Bereich austauschen. Allerdings hat die Weitergabe von Informationen ihre Grenze. Ein Nachrichtendienst übernimmt für seine Quellen oder Informanten eine besondere Verantwortung, die darin begründet ist, dass die Quellen in besonderem Maße darauf vertrauen können, dass der Dienst sie schützen kann, und insofern muss der Dienst beispielsweise selbst abwägen können, ob die von ihm beschafften Informationen geeignet sind, sie in Verfahren von Strafverfolgungsbehörden einzuführen und sie damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.2654 8.7 8.7.1
Militärische Macht als Mittel zur Problemlösung und die Bedeutung der räumlichen Dimensionen Konzeptionelle Ansätze der Partisanenbekämpfung im Zweiten Weltkrieg
Der Partisanenkampf zeichnet sich, wie auch umgekehrt seine Bekämpfung, durch eine besondere Grausamkeit aus, bei der es oft zu einer Spirale der Eskalation kommt, die den eigentlichen Grund des Kampfes überdecken kann.2655 Im Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Streitkräfte durch die Untergrund- und Partisanentätigkeit vor schwierige Probleme gestellt, die bis Kriegsende nicht gelöst werden konnten.2656 In jedem besetzten Land 2650
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vgl. Hans-Georg Wieck, Islamischer Terrorismus – eine Herausforderung für die Nachrichtendienste, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 61 ff.; 63; Die Kontakte zu befreundeten Nachrichtendiensten zur Durchdringung des Emigrantenspektrums sind von strategischer Bedeutung. (Thomas Wandinger, Terrorabwehr in Deutschland, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 09, September 2006, S. 2) Michael Hidebrandt, Der internationale islamische Terrorismus: Aktuelle Lage, Trends und Stand der Aufklärung aus Sicht des BND, in: Volker Foertsch, Klaus Lange (Hrsg.), Islamistischer Terrorismus. Bestandsaufnahme und Bekämpfungsmöglichkeiten, München 2005, S. 65 ff.; 65; vgl. Jonathan Sweet, Organizing Intelligence for Counterinsurgency, in: Military Review, September – October 2006, S. 24 ff. Zu Aufgaben, Befugnissen und Hintergründen der deutschen Nachrichtendienste vgl. Monika Rose-Stahl, Recht der Nachrichtendienste. Verfassungsschutz. Militärischer Abschirmdienst. Bundesnachrichtendienst, Bühl / Rheinland 2002 Manfred Zoller, Auslandsaufklärung ohne Feindbild. Zur Auftragslage eines Auslandsnachrichtendienstes nach Ende des Kalten Krieges, in: Manfred Zoller (Hrsg.), Auswärtige Sicherheit als nachrichtendienstliche Aufgabe. Herausforderungen in veränderter Globallage, Brühl / Rheinland, 1999, S. 11 ff.; 24 August Hanning, Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der Aufklärung des Internationalen Terrorismus, in: in: Katherina von Knop, Heinrich Neisser, Martin van Creveld (Hrsg.), Countering Modern Terrorism – History, Current Issues and Future Threats, Bielefeld 2005, S. 346 ff.; 350 f. vgl. Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, S. 79 Valdis Redelis, Partisanenkrieg. Entstehung und Bekämpfung der Partisanen- und Untergrundbewegung im Mittelabschnitt der Ostfront 1941 bis 1943, Heidelberg 1958, S. 9
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wurden von den Partisanenbewegungen eigene Konzepte für den Kampf entwickelt.2657 Die Schwierigkeiten der Bekämpfung von Partisanen sind besonders auf dem Balkan und in Russland deutlich hervorgetreten. Nach 1941 nahmen Partisanen den Kampf gegen die deutschen Truppen hinter der feindlichen Front auf, von der vordersten Front bis zur entferntesten Etappe, und zogen die Kampfzone damit in die Tiefe des Raumes.2658 Die Überdehnung der deutschen Verbindungs- und Versorgungslinien und die unzureichende Überwachung des Raumes waren hauptsächliche Faktoren, die es verstreuten und versprengten Einheiten im rückwärtigen Gebiet der deutschen Truppen erleichterten, zur organisierten Guerillakriegführung überzugehen. Als der frühe Winter des Jahres 1941, die unzureichende Ausrüstung mit Winterbekleidung und das Zusammenbrechen der Versorgungslinien die deutschen Truppen in die Defensive und feste Stellungen zwang, war es den Guerillabanden erlaubt, sich ungestört in den Wäldern aufzuhalten und bis zum Frühjahr 1942 mit zahllosen Angriffen auf die Verbindungs- und Versorgungslinien die vollständige Kontrolle über das nicht direkt von den deutschern Truppen besetzte Gebiet zu gewinnen und wiederum diese zu zwingen, sich allein auf die Verteidigung dieser lebenswichtigen Adern zu konzentrieren.2659 Dabei waren die Partisanen sowohl als Spione, Saboteure wie auch als Soldaten tätig, wobei in der Literatur immer wieder auf die ausgezeichnete Abstimmung mit den Operationen der Roten Armee hingewiesen wird.2660 Dedijer bezeichnet denn auch die Partisanen in Russland „… als verlängerten Arm der Roten Armee“.2661 Er begründet dies insbesondere mit dem Hinweis auf ihre zentrale Leitung, die Aufgabe, das Hinterland der deutschen Armeen und ihre Verbindungslinien in Übereinstimmung mit den Operationen der regulären Armee andauernd in Unruhe zu halten und auf spezifische taktische Ziele anzusetzen.2662 Mit der am 11. November 1942 vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) erlassenen „Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten“2663 erging eine regelrechte Dienstanweisung für den Partisanenkampf, welche den Niederschlag und die Zusammenfassung aller bisherigen Einzelverfügungen und Erfahrungen im Partisanenkampf darstellte.2664 Diese Anleitung wurde 1944 durch das Merkblatt „Bandenbekämpfung“ ersetzt und war für alle Truppen gültig.2665 Diese Vorschrift hatte den Zweck, der deutschen Truppe für die ungewohnten Kampfverfahren gegen die Partisanenbanden eine 2657
2658 2659 2660 2661 2662 2663 2664 2665
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Dedijer hat in diesem Zusammenhang herausgearbeitet, dass die Bewegungen in den besetzten Gebieten in den Kampfmethoden (Sabotage, Hinterhalt etc.) Übereinstimmung aufweisen, der Charakter der Kriegführung von objektiven Umständen, wie der Struktur der Bevölkerung, sowie von Ideologien, abhing (Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder [Hrsg.], Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 34 ff.) vgl. Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 9 Ernst von Dohnányi, Kampf gegen sowjetische Guerillas, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 153 ff.; 154 vgl. Brooks McClure, Russlands verborgene Armee, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 128 ff.; 128 f. Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 35 Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder (Hrsg.), Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 35 Oberkommando der Wehrmacht, Merkblatt für die Bandenbekämpfung im Osten, Merkblatt 69/1, F.H.Qu, 11.11.1942 Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 104 Oberkommando der Wehrmacht, Bandenbekämpfung, Merkblatt 69/2, F.H.Qu, 6.5.1944; Das die Vorschrift nun nicht mehr die Bezeichnung „im Osten“ trug ist sicherlich dem Verlauf des Krieges geschuldet; insbesondere der Tatsache, dass nun das Reichsgebiet unmittelbar bedroht war und der Kampf gegen Irreguläre Kräfte nicht mehr allein in den unendlichen Weiten der Sowjetunion zu führen war.
einheitliche und geregelte Grundlage zu geben.2666 Wesentliche Aufgabe in den besetzten Gebieten war für Militär und Polizei die Befriedung der besetzten Gebiete. Unter Befriedung wurde die Erhaltung oder Wiederherstellung oder Herbeiführung eines geregelten Zustandes in einem Gebiet, in dem Verhältnisse herrschen oder zu befürchten sind, die das geordnete Gemeinschaftsleben gefährden oder schädigen, definiert.2667 Für die Bekämpfung der Partisanen kam es ganz wesentlich darauf an, möglichst bereits im Vorfeld von Aktionen Informationen zu erhalten. Allerdings war das nachrichtendienstliche Informationsaufkommen von geringem Wert, so dass der Generalstab des Heeres darauf angewiesen war, die Partisanentätigkeit genau zu dokumentieren und kartographisch festzuhalten.2668 Gleichzeitig wurde ein umfassendes Wissensmanagement etabliert. Hierdurch wurden die monatlichen Übersichten und erbeutete Dokumente sowie die Aussagen von Gefangenen über die Operationen der Partisanen ausgewertet und somit strategische Planungen im Voraus berechnet; gleichzeitig wurden die gewonnenen Erkenntnisse über die Partisanentätigkeit in einem Informations- und Kommunikationsprozess mit der Truppe ausgetauscht.2669 Sogar russische Vorschriften wurden ins deutsche übersetzt,2670 flossen in die Ausbildung ein und wurden für die Bekämpfung von Partisanen umgesetzt.2671 8.7.1.1
Polizeiliche Ansätze
Die grundsätzliche Trennung von innerer und äußerer Sicherheit, nach der die Wehrmacht das Reich nach außen zu sichern und schützen hatte und die Polizei die Ordnung und Sicherheit im Inneren aufrecht zu erhalten hatte, war auch während des Zweiten Weltkrieges anerkannt2672 und stellte die Sicherheitsorgane in den besetzten Gebieten vor große Herausforderungen, da bei der Besetzung eines fremden Landes, aber auch bei der Sicherung des eigenen Hinterlandes diese Unterscheidungen mit ihren unterschiedlichen Zuständigkeitsund Kompetenzverteilungen ihre Trennschärfe verloren. Dennoch hatten die Deutschen bereits kurz nach dem Einmarsch in die Sowjetunion eine Zivilverwaltung eingerichtet und auch aus Prestigegründen die Guerillas mit „Polizeiverbänden“ statt mit militärischen Einheiten bekämpft.2673 Zu den normalen polizeilichen, friedensmäßigen Aufgaben kamen nun unter anderem
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2666 2667 2668 2669 2670 2671 2672 2673
„Gelände- und Stadtkampf gegen Aufrührer, Plünderer im eigenen Land und in den besetzten Gebieten, Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 104 Hanns Wirth, Fritz Göhler, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942, S. 158 Brooks McClure, Russlands verborgene Armee, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 128 ff.; 149 f. vgl. Brooks McClure, Russlands verborgene Armee, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 128 ff.; 150 vgl. Handbuch der Partisanen, Auszugsweise Übersetzung der russischen Schrift. Merkblatt 19a/28 (Anhang 2 zur H.Dv. 1a Seite 19a lfd. Nr. 28), unveränderter Nachdruck 1944 vgl. Richtlinie für Partisanenbekämpfung vom 25.10.1941. Merkblatt 18/9 1941 vgl. Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942, S. 7 Brooks McClure, Russlands verborgene Armee, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 128 ff.; 149
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Befriedung in Feindesland im Rücken der kämpfenden Armee, Herstellung und Einhaltung der Ordnung in besetzten Gebieten, Räumung bedrohter Gegenden von Zivilbevölkerung und deren Bergung“2674
Bei der Durchführung der polizeilichen Aktionen wurden auch militärische Einsatzmittel, verfahren und Führungsbegriffe verwandt, wenngleich darauf abgestellt wurde, dass polizeiliches Personal aufgrund seiner berufsspezifischen Erfahrung im Umgang mit ziviler Bevölkerung grundsätzlich besser für diese Aufgaben zu verwenden sei als Soldaten.2675 Auf die Bedeutung der Kenntnis der Landschaft und ihrer Menschen, der Sitten und Gebräuche, ihrer politischen Einstellung sowie der politischen Einstellung der Nachbar- und Grenzgebiete wurde besonders hingewiesen und den Polizeiführern zum Studium als Anlass zu neuen Maßnahmen nahe gelegt.2676 Somit hat hier bereits die Bedeutung landeskundlicher Aspekte für eine erfolgreiche Operationsführung in polizeiliche Führungsvorschriften Einlass gefunden. 8.7.1.2
Feind und polizeiliches Gegenüber
Auch bei der Betrachtung des Feindes wurde versucht, zwischen polizeilichen und militärischen Gegenkräften zu unterscheiden. Dabei wurde polizeilicherweise noch einmal „Gegenüber“ und „Gegner“ getrennt betrachtet: „Gegenüber sei der mehr oder weniger harmlose Unbewaffnete; Gegner hingegen sei der, welcher bewaffnet, militärisch oder militärähnlich gegliedert und geführt sei.2677 So wurde seitens einer polizeilichen Führungsvorschrift darauf abgestellt, dass das Wechselvolle des „Gegenübers“ der Polizei diese bei der Beurteilung der Lage zu viel eingehenderen Untersuchungen zwinge als dies bei der Wehrmacht in Bezug auf ihren Feind der Fall sei.2678 Allerdings wurde auch hier eingeräumt, dass aus dem Gegenüber ein Gegner und aus dem Gegner ein Gegenüber werden könne.2679 Ebenfalls wird aus der Abstellung auf Tatbestände und Merkmale, die in ihrer Terminologie und Ausdrucksweise dem militärischen Sprachgebrauch angehören, bzw. der explizite Gebrauch des Terminus „militärisch“ selbst macht deutlich, dass auch hier keine fachlich klare Trennung zwischen Polizei und Militär gelang. Folgerichtig wurden in die polizeilichen Führungsvorschriften militärische, insbesondere infanteristische Einsatzverfahren für den Kriegseinsatz übernommen2680 und teilweise auf entsprechende Heeresdienstvorschriften verwiesen und ihre Beherrschung verlangt.2681 2674 2675 2676 2677 2678 2679 2680
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Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942, S. 16 vgl. Hanns Wirth, Fritz Göhler, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942, S. 158 f. Hanns Wirth, Fritz Göhler, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942, S. 161 f. Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942, S. 19. Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942, S. 18 Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942, S. 19 vgl. Hanns Wirth, Fritz Göhler, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942; vgl. Alfons Illinger, Der Unterführer in der Polizeiverwendung, 7. Aufl., Berlin 1942;
8.8
Der Schutz der Streitkräfte
Die Bundeswehr, die sich seit Anfang der neunziger Jahre an internationalen Missionen beteiligt, sieht sich mit dem Problem konfrontiert, den Schutz ihrer Kräfte und Einrichtungen gegen „Irreguläre Kräfte“ zu gewährleisten und hat hierfür entsprechende Grundlagen erarbeitet.2682 Die Bekämpfung Irregulärer Kräfte wird somit auch zu einer Frage der militärischen Sicherheit der eingesetzten militärischen Kräfte.2683 Fraglich ist hier allerdings, inwieweit die westlichen Streitkräfte, insbesondere die Bundeswehr, auf die Herausforderungen eingestellt sind, ihre eigenen Einsatzkräfte vor Anschlägen und Störungen zu schützen. Gliederung, Ausrüstung und Ausbildung der Bundeswehr entsprechen weitgehend noch nicht dem Charakter der Bedrohung durch Irreguläre Kräfte. So wird der Begriff „Force Protection“2684 ringsum in der Bundeswehr verwendet. Er ist aber bislang noch nicht definiert oder strukturell organisiert. Folglich verfügen die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland im Kampf gegen Irreguläre Kräfte bzw. zur asymmetrischen Kriegsführung noch nicht über alle erforderlichen Fähigkeiten.2685 8.8.1
Notwendigkeit des Schutzes von Streitkräften
In den sich wandelnden asymmetrischen Szenarien mit der ihnen immanenten Dynamik und ihren unterschiedlichen Akteuren ist der Raum in all seinen Dimensionen zu betrachten, die diesen Akteuren und den eigenen Kräften die Möglichkeit zum Handeln bietet. Eine verantwortungsvolle Truppenführung muss darauf eingestellt sein, dass ein potentieller Gegner jede Chance nutzen wird, seine Ziele zu erreichen. Dazu wird er jede sich bietende Möglichkeit nutzen und jedes verfügbare Mittel einsetzen. Unter Berücksichtigung aller möglichen operativen Faktoren kommt es also darauf an, im Rahmen der vorgegebenen rechtlichen Normen selbst alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um die Absicht eines potentiellen Gegenübers bereits im mittelbaren Ansatz zu erkennen, Maßnahmen zur Verhinderung dieser Absicht einzuleiten und gegebenenfalls rasch und robust auf die Ausführung reagieren zu können.2686 Der Grundsatz des Schutzes der
2681 2682 2683 2684
2685 2686
vgl. Freitag, Buchmann, Polizeitruppenführung im Rahmen des verstärkten Bataillons, 1. Teil, Formale Taktik, 2. Aufl., Lübeck 1942 vgl. Alfons Illinger, Der Unterführer in der Polizeiverwendung, 7. Aufl., Berlin 1942, S. 12 Grundlagendokument Schutz – InfS, 4. Entwurf, 17.07.02, S. 5; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006 vgl. Gerd Rene Polli, Peter Gridling, Der 11. September und seine Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, in: ÖMZ 2002, S. 405 ff.; 411 Unter dem Begriff „Force Protection“ wird der „Ganzheitliche Schutz“ zusammengefasst. Darunter versteht das VN-AusbZ Bw – Bereich 3 / ExpGrp Schutz – das Zusammenwirken aller passiven und aktiven Schutzmaßnahmen wie z.B. Schutz von Objekten, Räumen, Konvois, des einzelnen Soldaten sowie anvertrauter Personen, EOD sowie auch Brandschutz, Umweltschutz, SE-Schutz (Schutzbauten), Schutz gegen die Wirkung von ABC-Kampfmitteln, Reiz und Brandstoffen sowie Schutz bei extremen klimatischen Bedingungen, Maßnahmen der Hygiene, usw.. vgl. Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung, Deutsche Sicherheitspolitik und die Bundeswehr vor neuen Herausforderungen, im Internet vom 14.01.2003, http://www.bmvg.de/archiv/reden/minister/ 030106_europaeische_sicherheit.php Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 324 f
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Streitkräfte ist eine ständige Richtschnur, dessen Anwendung als conditio sine qua non für die Durchführung eines militärischen Einsatzes betrachtet werden muss.2687 Das Grundlagendokument Schutz2688 bot hierzu einen guten ersten konzeptionellen Ansatz, der inzwischen durch die Teilkonzeption Schutz (TK Schutz)2689 aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Darüber hinaus hat der Schutz der eigenen Kräfte als vorbeugende Reaktion gegen Irreguläre Kräfte eine wichtige Bedeutung. Insgesamt wird bereits hier deutlich, dass der Schutz der Soldaten im Einsatz auch eine vielschichtige politische Dimension hat, die somit auch immer ein starkes Medieninteresse hervorrufen kann. Folglich kann Schutz für den Erfolg der Truppe im Einsatz von entscheidender Bedeutung sein. Damit werden die vorgestellten besonderen Einsatzverfahren Teil der Maßnahmen zum Schutz der eigenen Truppe. Unter Schutz der Truppe versteht man ein integrales System von Maßnahmen, Verhaltensweisen und Mitteln, die dazu dienen, die Kampfkraft der eigenen Kräfte angesichts der Maßnahmen des Gegners, eigener Maßnahmen und der Eigenschaften des Umfeldes zu erhalten, damit sie während der gesamten Operation am richtigen Ort und zur richtigen Zeit entfaltet werden kann. Unter Schutz sind zudem nach der Teilkonzeption Schutz alle Maßnahmen und Mittel gegenüber Bedrohungen, insbesondere gegnerische Einwirkungen, sowie zum Erhalt der eigenen Handlungsfähigkeit und der Einsatzfähigkeit eigener Kräfte und Mittel zu verstehen, wobei im Schwerpunkt Aufklärung, Zielerfassung, Treffer, Durchschlag und Wirkung im getroffenen Ziel durch gegnerische Kräfte verhindert werden sollen.2690 Somit besteht Schutz aus einem integralen System von Maßnahmen in Abhängigkeit von und im Spannungsfeld zwischen Auftragslage und Bedrohung; Kernpunkt ist der umfassende Schutz eigener Kräfte gegenüber Bedrohungen, insbesondere durch gegnerische Einwirkungen und Maßnahmen sowie der Erhalt der eigenen Handlungsfähigkeit und die Einsatzfähigkeit eigener Kräfte und Mittel.2691 Nach diesem Ansatz wird Schutz denn auch weiter differenziert in Indirekten Schutz, der auf Maßnahmen, Verfahren und Organisation zielt, um das Auftreten einer Bedrohung schon im Vorfeld zu verhindern, sowie in Direkten Schutz, der aus aktiven und passiven Schutzmaßnahmen bei vorhandenen Bedrohungen besteht.2692 8.8.2
Begriffsbestimmung „Force Protection“
Da der Begriff „Schutz“ bereits in vielfältiger Weise genutzt wird (Arbeits-, Umwelt-, ABC-Schutz, etc.), sollte anstatt des Begriffs „Schutz“ der Begriff „Force Protection (FP)“
2687 2688 2689 2690 2691 2692
376
Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 325 Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 6 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 6 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 6
verwendet werden.2693 Force Protection ist somit die koordinierte Gesamtheit aller Maßnahmen, um Gesundheit, Leib und Leben der Soldaten, der Angehörigen der Streitkräfte und der ihnen anvertrauten Personen, Einrichtungen und Ausrüstung vor den weit gefächerten Bedrohungen und Einwirkungen durch feindselige Kräfte, natürlichen oder unnatürlichen Gefahren und der irrtümlichen Bekämpfung durch eigene Kräfte zu schützen und die Einsatzfähigkeit auf längere Sicht zu erhalten.2694 Maßnahmen sind vor, während und nach dem Einsatz zu treffen. Familienangehörige im Heimatland sind in Schutzmaßnahmen mit einzubeziehen. Force Protection ist ein fortlaufender dynamischer Prozess, der einer ständigen Überprüfung und flexiblen Anpassung an die aktuelle Lage bedarf.2695 Aktiver Schutz zielt hierbei auf Vorbeugung, Vereitelung oder Verhinderung von Maßnahmen gegnerischer Kräfte; passiver Schutz hat hingegen die Eingrenzung der Wirksamkeit eines Angriffs bzw. seiner Folgen zum Ziel und wird vor allem durch Ausbildung, eine bedrohungsgerechte persönliche Schutzausstattung, taktische Beweglichkeit, materielle Schutzmaßnahmen (einschließlich geschützter Plattformen) und eine widerstandsfähige Infrastruktur erreicht.2696 Schutz kann aber auch Kampf bedeuten; passive Maßnahmen können in operative Maßnahmen bis hin zum Gefecht der Verbundenen Waffen übergehen.2697 Damit wird unter dem Begriff „Force Protection“ ein „ganzheitlicher Schutz“ unter einem Oberbegriff zusammengefasst.2698 Auf der strategischen Ebene beginnt Force Protection, insbesondere bei internationalen und multinationalen Einsätzen, bei der Festlegung gemeinsamer Ziele und der gemeinsamen Planung der Durchführung des Einsatzes. Dabei sind die Bedingungen der Dauer des Einsatzes und hier vor allem die gemeinsame Beendigung besonders zu berücksichtigen. Insofern beinhaltet Force Protection das Wissen um die Interessen und Absichten der autochthonen sowie anderer Akteure im Raum, und berücksichtigt somit die besonderen geopolitischen, landeskundlichen und interkulturellen Gegebenheiten im Einsatz.2699 Auf der operativ-taktischen Ebene ist unter dem Begriff konkret das Zusammenwirken aller passiven und aktiven Schutzmaßnahmen wie z.B. der Schutz von Objekten, Räumen, Konvois, des einzelnen Soldaten sowie anvertrauter Personen, der Schutz vor Waffenwirkung, EOD sowie auch Brandschutz, Umweltschutz, SE-Schutz (Schutzbauten), Schutz gegen die Wirkung von ABC-Kampfmitteln, Reiz und Brandstoffen sowie der Schutz bei 2693 2694 2695 2696 2697 2698 2699
Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 42 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 43 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 43 Bundesministerium der Verteidigung, Generalinspekteur der Bundeswehr, Teilkonzeption Schutz von Kräften und Einrichtungen der Bundeswehr im Einsatz (TK Schutz), Bonn, 2006, S. 6 f. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 6 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 43 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 43
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extremen klimatischen Bedingungen, Maßnahmen der Hygiene, geologische und topographische Gegebenheiten usw. zu subsumieren. Damit ist neben dem Bereich der eigentlichen (militärischen) Sicherheit (Security) auch der Bereich der Arbeitssicherheit (Safety) erfasst.2700 Nach den obigen Ausführungen stellt sich Force Protection als ganzheitliche und umfassende Aufgabe im Einsatz dar, die viele Elementen integriert, die bereits unter den „Allgemeinen Aufgaben im Einsatz“ zusammengefasst sind. Allerdings sollten – trotz der Besonderheit der bundesdeutschen Trennung von innerer und äußerer Sicherheit und der Beschränkungen des aktuellen Art. 35 GG – grundsätzlich die gegnerischen Möglichkeiten in die Beurteilung der Lage einbezogen werden und auf konzeptioneller Ebene zumindest die Aufgaben und Schnittstellen zu polizeilichen und nachrichtendienstlichen Zuständigkeiten definiert und abgegrenzt werden und auch entsprechende Schutzmaßnahmen für die Streitkräfte in der Verbindungszone und im Heimatland, einschließlich ihrer Angehörigen, konzeptionell erarbeitet und umgesetzt werden. Somit beinhaltet Force Protection passive und aktive Maßnahmen; Aktion und Reaktion bis hin zum offensiven Kampf stehen beim Schutz der eigenen Kräfte in ständiger angepasster Wechselbeziehung. 8.8.3
Force Protection und Kampf gegen Irreguläre Kräfte
Eine Ansicht in der Literatur führt aus, dass Operationen gegen Irreguläre Kräfte (OpIK) in erster Linie durchgeführt werden, um das Bedrohungspotenzial für im Einsatzland befindliche oder für noch einzuführende Einsatzkontingente zu reduzieren.2701 Nach der hier vertretenen Ansicht übersieht der Autor allerdings, den Unterschied zwischen Zweck und Ziel. Zweck von derartigen Operationen muss es sein, ggf. im engen Zusammenwirken mit anderen Akteuren, den Gegner zu schlagen und ihm dass militärische Potential zu vernichten. Ziel eines offensiven Vorgehens gegen die Irregulären Kräfte ist es zunächst, den feindlichen Initiativwillen und die feindlichen Offensivfähigkeiten abzunutzen, so dass die Kontrolle des Einsatzraumes durch die Ordnungsmacht sichergestellt werden kann.2702 Die Einsatzverfahren bei Operationen gegen Irreguläre Kräfte müssen im Wesentlichen darauf abgestellt sein, den Rückhalt dieser Kräfte in der Zivilbevölkerung und ggf. bei staatlichen Stellen zu entziehen und deren Unterstützung von außerhalb, ihre Regenerationsfähigkeit, Rekrutierungsmöglichkeiten sowie Ruheräume zu reduzieren, ihre Kommunikations- und 2700
2701
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Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 43; „Security“ steht für den vorbeugende Maßnahmen gegen sozial abweichende Verhaltensweisen und Angriffe von Personen; „Safety“ hingegen befasst sich mit Problemen der Arbeitssicherheit und vorbeugenden Maßnahmen gegen den Eintritt von Unfällen, die sich aus Gefahren durch menschliche Unzulänglichkeiten, aus beruflicher Unerfahrenheit oder technischen Mängel ergeben. (Karlheinz Scheib, Seculex. Security Lexikon. Fachbegriffe aus der Sicherheit in der Wirtschaft von A – Z, 2. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2000, S. 43 ff.) Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 11; vgl. Markus Lück, Irregular Warfighting – Konzeptioneller Ansatz des Heeres, in: Europäische Sicherheit, Heft 10, 2006, S. 58 ff.; 58 Jared Sembritzki, Einflussfaktoren bei speziellen Operationen gegen irreguläre Kräfte, Lehrgangsarbeit im Nationalen Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst 2003 (Heer) an der FüAkBw, Hamburg 2005, S. 11
Führungsfähigkeiten einzuschränken, dringend Tatverdächtige festzusetzen und Schlüsselpersonal sowie aufgeklärte Gruppierungen auszuschalten2703 und – wo notwendig – zu zerschlagen. Der Kampf gegen Irreguläre Kräfte2704 vermag u. a. durch verschiedene operative Faktoren2705 maßgeblich bestimmt werden, als Beispiel seien hier genannt: Geschwindigkeit, indirektes Vorgehen und Reichweite. Dabei ist die Geschwindigkeit des Kampfes so zu bestimmen, dass die eigenen Absichten und Fähigkeiten am besten zur Geltung gebracht und die der Irregulären Kräfte wirkungsvoll eingeschränkt werden.2706 Das indirekte Vorgehen meint die Orientierung an den gegnerischen Schwachpunkten. Ziel ist es, durch geeignete Wirkung an diesen Punkten die Schwäche der Irregulären Kräfte zu verstärken und so geeignete Bedingungen für ein eigenes Vorgehen gegen diese Kräfte zu schaffen. Dies kann die Voraussetzung für ein dann zielgerichtetes direktes Vorgehen gegen Irreguläre Kräfte sein, um diese nachhaltig zu schwächen oder zu zerschlagen.2707 Die Reichweite wird hier definiert durch den Zusammenhang zwischen räumlicher Distanz und zeitlicher Dauer, innerhalb dessen militärische Kräfte unter Erhalt ihrer Wirksamkeit und Durchhaltefähigkeit für einen gegebenen Auftrag eingesetzt werden können. Die Reichweite wird wesentlich bestimmt durch Geographie, Infrastruktur, Logistik und der Art der Kräfte, die zum Einsatz kommen.2708 Dabei haben alle drei Faktoren gemeinsam, dass modern ausgebildete Kräfte, die an den speziellen operativen und taktischen Erfordernissen des Kampfes gegen Irreguläre Kräfte ausgerichtet2709 sind, und hochmoderne technisch-elektronische Systeme, Waffen und Gerät zum Einsatz kommen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Informationsüberlegenheit mit dem Primat der Notwendigkeit der ständigen Verbesserung der nachrichtendienstlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten und der multinationale Austausch von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, polizeilicher Zusammenarbeit, formaler Vereinbarungen, usw. Im Umgang mit den unterschiedlichen Akteuren bedarf es somit Kräfte, die durch ihre Ausbildung auf die entsprechenden kulturellen, religiösen und sozialen Hintergründe und Umwelten eingestellt sind. Konzeptionell müssen diese Kräfte so aufgestellt werden, dass 2703 2704 2705 2706 2707 2708 2709
Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1817 InfS, VN-AusbZ Bw –Bereich 3 / ExpGrp Schutz, 4. Entwurf, Hammelburg Mai 2001, S. 7 ff. Die Faktoren und deren Definitionen basieren auf der Grundlage Operative Leitlinie für Einsätze der Streitkräfte. (Führungsakademie der Bundeswehr, Operative Leitlinie für Einsätze der Streitkräfte [OpLESK], Zentrum Führung Gemeinsamer Operationen, Hamburg 1999, Anlage 8) Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 324 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.; 324 Dirk Freudenberg, Thomas Greim, Rolf Neumeyer, Gedanken über Schutz als Aufgabe der Streitkräfte im Einsatz, in: ÖMZ 2003, S. 322 ff.;324 Das bedeutet eine Abkehr von der reinen Lehre des Einsatzes großer militärischer Verbände im Sinne des Gefechts der verbundenen Waffen. Diese Fähigkeit muss allerdings erhalten bleiben, sie ist aber derzeit die unwahrscheinlichste Einsatzoption militärischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland. (vgl. Günter Weiler, Streitkräfte zur Terrorismusbekämpfung: Eine taugliche Option?, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr – Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 381ff.; 382 ff.) Der Verlauf der Kampfhandlungen der Koalitionsstreitkkräfte in Afghanistan gegen die Taliban und die Forderungen der Alliierten an die Bundesrepublik Deutschland machen allerdings deutlich, dass unter Umständen diese Fähigkeiten auch außerhalb Deutschlands rasch zum Einsatz gebracht werden müssen.
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sie mit den entsprechenden landeskundlichen und sprachlichen Fähigkeiten ausgestattet, am besten im Vorfeld eines Konfliktes in einen möglichen Einsatzraum entsandt werden, dort zu bestimmten alliierten oder zumindest gleichgesinnten Akteuren Verbindungen aufbauen und halten, diese beraten, ggf. auch ausbilden und unter Umständen auch in der Führung unterstützen. Von der Idee her gibt es hier in der Geschichte entsprechende Vorbilder: So bei den Briten T.E. Lawrence, der seine Erfahrungen während des Aufstandes der arabischen Völker in Weltliteratur umsetzte2710. Weniger bekannt sind die deutschen historischen Ansätze auf diesem Gebiet.2711 Aber es kommt nicht nur auf das Wissen an. Gleichzeitig sind diese Kräfte anstatt mit Rules of Engagement (ROE)2712, bei denen das Recht des Heimatlandes der Fahne folgt, mit kulturangepassten Einsatzregeln auszustatten, welche auf die landeskundlichen Gegebenheiten und Besonderheiten des Einsatzlandes Rücksicht nehmen und so angepasst sind, dass sie im Umfeld auch akzeptiert werden und somit die Glaubwürdigkeit und damit schlussendlich auch der Erfolg der Kräfte gewährleistet ist. Folglich müssen diese ROE Einsatzregeln darstellen, die auf den Zweck des Einsatzes ausgerichtet sind und eben diesen vermitteln, und nicht die Einsatzkräfte durch wirklichkeitsfremde und damit (über-)lebensfeindliche Einschränkungen, welche sich ausschließlich am geltenden Recht und an den Lebensumständen im Entsendestaat orientieren, in ihrem Handeln derart einschränken, dass die Sicherheit der Kräfte und im Endeffekt die Auftragsdurchführung nachhaltig gefährdet ist.2713 8.9 8.9.1
Lösungsansätze Betrachtung des Gegenübers
Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass es darauf ankommt, ganzheitliche Konzepte zu entwickeln, welche präventive, proaktive und reaktive Aspekte umfassen. Im Fokus stehen bei dieser Betrachtung immer die möglichen Risiken und Bedrohungen, die eigenen Schutzbefohlenen und -objekte sowie deren wechselseitigen Herausforderungen. Insofern 2710 2711
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T.E Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit, 15. Aufl., München 2005 Insofern haben einigen Autoren auf diese Zusammenhänge hingewiesen. (vgl. Hans-Ulrich Seidt, Berlin, Kabul, Moskau. Oskar Ritter von Niedermayer und Deutschlands Geopolitik, München 2002; vgl. Matthias Friese, Stefan Geilen [Hrsg.], Deutsche in Afghanistan. Die Abenteuer des Oskar von Niedermayer am Hindukusch, Köln 2002) Darüber hinaus ist auch auf die erfolgreichen Konzepte hinzuweisen, die autochthonen Völkerschaften in die eigene Operationsführung einzubinden. vgl. hierzu beispielhaft: Joachim Hoffmann, Kaukasien 1942/43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion, Freiburg im Breisgau 1991; Dementsprechend wurden bei den westlichen alliierten Streitkräften – neben den eigenen Erfahrungen – nach dem Zweiten Weltkrieg auch auf die Einsatzgrundsätze der deutschen Spezialkräfte zurückgegriffen. (vgl. Werner Brockdorf, Geheimkommandos des zweiten Weltkrieges, Geschichte und Einsätze der Brandenburger, der englischen Commands und SAS-Einheiten, der amerikanischen Rangers und sowjetischen Geheimdienste, 4. Aufl., München, Wels 1967, S. 10) ROE sind national oder international für einen bestimmten Einsatz festgelegte und zwischen den Beteiligten Nationen bzw. Sicherheitsbehörden abgestimmte Richtlinien, die den Einsatz der Truppe, insbesondere die Anwendung von Gewalt und Zwangsmaßnahmen, einschließlich des Waffengebrauchs, regeln. (Peter Stutz, Rules of Engagement: die Militärs von morgen, in: Dieter Kläy, Ueli Zoelly (Hrsg.), Sicher ist sicher. Gestern, heute – und morgen?, Frauenfeld, Stuttgart, Wien, 2006, S. 293 ff.; 293) Insofern vgl. hierzu auch kritisch: Dirk Freudenberg, Das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Auftragstaktik, Rules of Engagement (ROE) und der deutschen Strafrechtsordnung, in: ÖMZ 2006, S. 2 ff.; vgl. Dirk Freudenberg, Militärische Führungsphilosophien und Führungskonzeptionen ausgewählter NATO- und WEU-Staaten im Vergleich, Baden-Baden 2005, S. 170 ff.
hat Betrachtung zunächst zwei Ansatzpunkte: die Untersuchung der Quelle möglichen Unheils und die Erwägung von Schutzmöglichkeiten. Dabei ist hinsichtlich des Gegenübers das gesamte Umfeld Irregulärer Kräfte zu betrachten. Eine besondere Bedeutung haben hierbei die vorgestellten Motivlagen und das jeweils besondere sozio-kulturelle Umfeld, einschließlich der historischen sowie der religiös-ideologischen Hintergründe. Die besondere Schwierigkeit besteht also darin, dass sich Stereotypisierung und schablonenhaftes Vorgehen im Umgang mit den unterschiedlichen Akteuren verbietet; es also darauf ankommt, die konkrete individuelle Situation insgesamt zu erfassen und entsprechend abgestimmt auf den Akteur und sein Umfeld einzuwirken. Hierfür bedarf es folglich eines umfangreichen Wissens und – sofern transnationale Gruppierungen betroffen –sind, entsprechend vertiefte landeskundliche Kenntnisse. Umfassendes Wissen zur Geographie, Politik Geschichte und Kultur der Menschen im Einsatzgebiet sind hier eingeschlossen und gelten als entscheidende Voraussetzung für den militärischen Erfolg.2714 8.9.2
Präventive Schutzkonzepte
Auf der anderen Seite steht immer die Frage, wie man den bestmöglichen Schutz erreichen will. Es gilt also, Sicherheits- und Schutzkonzepte zu entwickeln und zu etablieren, die die zu schützenden Güter in verschiedene Schutzklassen einteilen, mehrstufige Sicherheitsbereiche festlegen und hierfür jeweils eindeutige Schutzziele festlegen. Die entsprechenden Maßnahmen sind dann konkret zur Erreichung dieser Schutzziele festzulegen. Dieses Vorgehen hat zur Konsequenz, dass nicht alle grundsätzlich gefährdeten Güter (gleichwertig) geschützt werden können. Es wird also eine klare Schwerpunktbildung vorausgesetzt. Diese hat sich ausschließlich an der Frage zu orientieren, wie unter Berücksichtigung der vorhandenen eigenen Ressourcen und Fähigkeiten, Überlebensfähigkeit und Durchhaltefähigkeit der zu schützenden Güter insgesamt effektiv sichergestellt werden können. Der Versuch, alles zu schützen, dürfte meistens an den vorhandenen Ressourcen scheitern und würde der Absicht des Irregulären entgegenkommen, die eigenen Kräfte zu zersplittern, um letztendlich an den entscheidenden Punkten im entscheidenden Augenblick in nicht ausreichender Stärke und erfolgreich präsent zu sein. Im Zentrum dieser Überlegungen muss also die Frage stehen, was darf nicht passieren, dass ein bestimmtes schädigendes Ereignis eintritt? Auf die Abwehr eines solchen Ereignisses oder Prozesses ist ein solches Sicherheits- und Schutzkonzept auszurichten und muss dann noch Antworten auf die Frage bereithalten, wie reagiert wird, welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn das schädigende Ereignis nun doch – allen Bemühungen zum Trotz – eintritt. Dabei ist auch zu hinterfragen, ob der Begriff des Risikos tatsächlich – wie oben ausgeführt – in Zusammenhang mit einer Entscheidung zu sehen ist und ob der Begriff der Gefahr wirklich aus der (passiven) Perspektive des Betroffenen zu definieren ist. Nach der hier vertretenen abweichenden Auffassung stellt ein Risiko eine abstrakte Lage mit negativen Auswirkungen dar, die sich erst durch das Hinzutreten von bestimmten Faktoren – zufällig oder als Ausfluss einer bewussten Entscheidung – zu einer konkreten Bedrohung manifestiert.2715 Aus dieser Bedrohungslage lassen sich 2714 2715
Stefan Maninger, “Wer wagt gewinnt” –Kritische Anmerkungen zum Einsatz westlicher Militärspezialkräfte im Zeichen multipler Konfliktszenarien, in: ÖMZ 2006, S. 470 ff.; 472 Eine Unterscheidung zwischen Risiken und Bedrohungen wird auch von der SEMA (Swedisch Emergency Management Agency) gemacht. (vgl. Swedisch Emergency Management Agency [Hrsg.], 2005 Threats and Risk Report, Stockholm 2005, S. 7 f.)
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entsprechende Gefährdungen bzw. Gefährdungsbilder ableiten. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt u.a. darin, dass – abweichend von der oben dargestellten Auffassung – es nicht auf die Perspektive ankommt, ob der Mensch Subjekt oder Objekt ist, und dass nicht allgemein angenommen wird, dass der Betroffene einer Gefahr zumeist unwissentlich ausgesetzt ist. Folglich lassen sich nach diesem Analyseansatz klare Konzepte für den Umgang mit diesen Risiken, Bedrohungen und Gefährdungslagen ableiten. Dieser konzeptionelle Ansatz erfordert aber eindeutige Entscheidungen und Festlegungen, die zu vertreten und auch zu verantworten sind. Hierzu kann für ein Schutzkonzept beispielhaft ein Zehn-Schritt-Modell dienen:
x x x x x x x x x x
Erstellen einer Ist-Bestandsaufnahme unter besonderer Berücksichtigung der Situation, strategischen Interessen und Zielsetzung Erstellen einer Risiko- und Schwachstellenanalyse zum Erkennen und Identifizieren von potentiellen Risiken Risiken müssen demzufolge abgewendet, abgewälzt oder unter Umständen auch getragen2716 werden. Die identifizierten Risiken erlauben die Ableitung von lageangepassten Bedrohungen. Es lassen sich eindeutige Gefährdungsbilder ableiten, welche sowohl die unmittelbaren als auch mögliche mittelbare Schäden berücksichtigen. Bezogen hierauf lassen sich nun Sicherheitsbereiche und Schutzpersonen identifizieren, die – gegebenenfalls mit abgestuften Prioritäten – es zu schützen gilt. Hierauf abgestimmt können nun individuell angepasste und detaillierte Schutzziele entwickelt werden. Anschließend können entsprechende Maßnahmen personeller, technischer und organisatorischer Art ergriffen und implementiert werden, die genau auf die Schutzziele angepasst sind und damit geeignet sind, die Schutzziele zu erreichen. Entsprechend hierzu kann eine abgestimmte Ausbildungsbedarfsanalyse durchgeführt werden Abschließend sollte im Rahmen einer Effektivitätsuntersuchung eine Überprüfung (Kontrolle) stattfinden, ob die implementierten Maßnahmen wirklich greifen und die festgelegten Schutzziele erreicht werden
Ein solcher ganzheitlicher konzeptioneller Ansatz erfordert aber klare verantwortungsbewusste Entscheidungen, die aufgrund von Lageentwicklungen und sich daraus ergebenden Lageänderungen mit Auswirkungen auf das Gesamtkonzept bei Bedarf anzupassen sind. Der vorstehende Analyseansatz ist als „lernendes Modell“ zu verstehen, in welches neue Erkenntnisse und Erfahrungen fortlaufend einzubringen, auszuwerten und hinsichtlich Relevanz und Auswirkungen zu bewerten sind. 2716
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Gullotta stellt vor dem Hintergrund der Bewertung, welche Risiken gesellschaftlich akzeptiert oder akzeptabel sind, welchen Schutz gegen welches Ereignis gewollt ist oder welchen sich die Gemeinschaft leisten möchte, die Frage: mit welchem Restrisiko die Gesellschaft bereit ist, zu leben und was überhaupt geschützt werden soll? (Guido Gullotta, Risikokommunikation, oder: Papa, was ist denn eine „Polderwiese“?, in: Notfallvorsorge Heft 3, 2006, S. 10 ff.; 11)
9.
Bewaffnete Reaktionen und Verdeckter Kampf
Auch Staaten haben entweder grundsätzlich oder unter bestimmten strategischen Bedingungen als ultima ratio die Möglichkeiten des unkonventionellen Kampfes, des Kleinkrieges, für sich erkannt. Staaten bilden neben regulären Truppen Kämpfer aus, die in Kleinkriege eingreifen bzw. solche entfachen.2717 Der Kleinkrieg soll in diesen Konzeptionen eine Mittelstellung zwischen der auf die große Zahl der Kampfverbände und der Stärke des Geländes fundierte Konzeption des militärischen Abwehrkampfes und der „aus Kleinmut und Gleichgültigkeit erwachsenen Scheinalternative des gewaltlosen Widerstandes“ erhalten.2718 Auch im Zusammenhang mit der Heimatverteidigung wird auf entsprechende Techniken zurückgegriffen. In dieser Hinsicht wird pauschal behauptet, dass auch militärische Einheiten terroristische Aktionen als zusätzliches Mittel einsetzen.2719 Diese Ansicht ist differenziert zu betrachten. Der Kleinkrieg wird dort, wo mit der Besetzung des eigenen Territoriums gerechnet werden muss, geplant und ist Bestandteil des Instrumentariums moderner Armeen.2720 Er wird teilweise als gleichberechtigt angesehen oder gar ein ganzes System der Landesverteidigung wird auf ihm aufgebaut, wie das im früheren Jugoslawien der Fall war2721 oder auch in der Lehrschrift eines schweizerischen Offiziers als „Kleinkriegsanleitung für Jedermann“2722, einem instruktiven Handbuch über die Praxis des Parti2717 2718 2719 2720
2721 2722
Karl Johanny, Der Tatbestand des Kriegsverbrechens und Moderner Kleinkrieg unter Berücksichtigung der Legitimität der Teilnehmer, Dissertation, Würzburg 1966, S. 10 J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 606 Daniel Maier, Frank Umbach, Andreas Wendlberger, Das Phänomen Terrorismus, in: http://www.weltpolitik.net/print/1486.html, Internetrecherche vom 10.01.2006, S. 3 vgl. Gustav Däniker, Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege in der Terroristenbekämpfung, Frauenfeld 1978, S. 32; vgl. Jobst Rohkamm, Zum Begriff des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Wehrkunde 1964, S. 377 ff.; 379 f.; Auch und gerade in Konzepten zur „Defensiven Verteidigung“ spielten während des Kalten Krieges Kleinkriegsszenarien und entsprechende taktische Überlegungen und Konzeptionen eine bedeutende Rolle, ohne dass diese unbedingt als solche benannt wurden. (vgl. Horst Afheldt, Defensive Verteidigung, Reinbek bei Hamburg, 1983, S. 61 ff.) vgl. Friedrich Wiener, Partisanenkampf am Balkan, Die Rolle des Partisanenkampfes in der jugoslawischen Landesverteidigung, 2. Aufl., Wien 1987, S. 133 ff. Hans von Dach, Der totale Widerstand, Kleinkriegsanleitung für Jedermann, 2. Aufl., Bern 1958; Entsprechende Konzeptionen wurden für die Schweiz bereits nach dem 1. Weltkrieg entwickelt, vgl. Max Barthel, Eugen Th. Rimli, Krieg auf Schweizerboden? Landesverteidigung - vom Ernstfall aus gesehen, Zürich 1938, S. 80 ff.; So gelang es aber auch schon im 19. Jahrhundert in der Schweiz, das Konzept einer modernen Armee mit der Idee der Volksbewaffnung zu verknüpfen, indem die Erfordernisse einer minimalen Professionalisierung, einer entsprechenden Standardisierung und Zentralisierung mit den Idealen des archaischen Volkskrieges gemäß der spanischen Guerilla oder des Tiroler Freiheitskampfes zusammengefasst wurden. (Georg Kreis, Wehrpflicht – nicht immer absolut verstanden. Das Schweizer Dienstmodell im Wandel der Zeiten, in: NZZ vom 28. September 2005, S. 9) In den 1950er Jahren stellten in den politischen und militärischen Kreisen der Schweiz die UdSSR und der Warschauer Pakt die militärische Hauptbedrohung dar, weswegen zum Schutz des Landes und der Bevölkerung das Konzept der „Totalen Verteidigung“ gebildet wurde, das Ende der 1960er Jahre in „Gesamtverteidigung“ umbenannt wurde. (Albert A. Stahel, Widerstand der Besiegten – Guerillakrieg oder Knechtschaft, Zürich 2006, S. 139) Der Bedeutung des Kleinkrieges im Kampf gegen einen Agressor wurde hier bereits früh besondere Aufmerksamkeit geschenkt. (E. Uhlmann, Schweizerische Partisanen?, in: ASMZ 1951, S. 679 ff.) Allerdings wusste man, dass die Kleinkriegführung nicht zur Abhaltung eines Gegners taugt, sondern selbst, wenn sie ihn spürbar bedrängt, Leid über die eigene Bevölkerung bringt. (Gustav Däniker, Schafft unsere Miliz den strategischen Wandel?, in: Daniel Heller, Dominique Brunner, Catherine Däniker Furtwängler, Marie-Claire Däniker [Hrsg.], Strategie. Beiträge zur Sicherheitspolitik, Unternehmensführung und Kommunikation, Zürich 1993, S. 289 ff.; 290) Aber auch in Österreich gab es entsprechende Konzeptionen, die Alpenrepublik zu verteidigen. (vgl. Walter Blasi, Erwin A. Schmidl, Felix Schneider [Hrsg.] BGendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien, Köln,
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sanenkrieges,2723 der Schrift eines österreichischen Offiziers über den „Kleinkrieg“2724 wie auch in dem ganz Westeuropa umspannenden Netzwerk einer paramilitärischennachrichtendienstlichen Organisation der NATO während des Kalten Krieges2725 zum Ausdruck kommt.2726 Derartige Überlegungen gingen davon aus, dass die Kampfkraft der regulären Streitkräfte unter dem starken Feinddruck zusammenbrechen würde und der operative Zusammenhang verloren ginge, diese Art der Kriegführung aber zugleich Ausdruck der Entschlossenheit wäre, den Widerstand gegen eine fremde Besatzungsmacht unentwegt und unter Ausnutzung aller Kräfte und Möglichkeiten weiterzuführen.2727 9.1
Gladio
Diese Strukturen, die von US-Nachrichtendiensten als Netzwerk so genannter „StayBehind“- Organisationen begründet wurden, wurden der Öffentlichkeit Ende der achtziger Jahre unter ihrem italienischen Decknamen „Gladio“ bekannt und sollten im Falle einer sowjetischen Okkupation Westeuropas aktiv werden.2728 In der ersten Operationsphase war ein hinhaltender Widerstand vom eisernen Vorhang bis zur Rhein-Alpen-Piave-Linie vorgesehen.2729 Die Kleinkampfverbände sollten sich, gestützt auf eine vorbereitete Logistik, von einem angreifenden Kriegsgegner überrollen lassen.2730 Der Auftrag bestand darin, staats- und bündniswichtige Personen und Einrichtungen in Sicherheit zu bringen, den Vormarsch der sowjetischen und osteuropäischen Offensivkräfte an Schlüsselgelände zu verzögern, den Widerstandswillen der zurückgebliebenen Bevölkerung gegenüber den Besatzungstruppen aufrechtzuhalten sowie beizutragen, Regionen abseits der Vormarschlinien so lange als möglich zu halten. Zudem sollten die verdeckten Einheiten die Voraussetzungen für die Gegenoffensive der westlichen Streitkräfte schaffen.2731 Die Aufgaben waren also Propaganda, Wirtschaftskrieg, vorbeugende Direktmaßnahmen, einschließlich
2723 2724 2725 2726 2727
2728
2729 2730 2731
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Weimar 2005) vgl. zur Historie der österreichischen B-Gendarmerie auch: Wilfried Thanner, Die BGendarmerie, in: ÖMZ 2005, S. 47 ff. Horst Günter Tolmein, Partisanen unter uns. Der Kommunismus probt den Aufstand, Mainz 1972, S. 15 August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974 Jens Mecklenburg, (Hrsg.) Gladio. Die geheime Terrororganisation der NATO, Berlin 1997 Werner Hahlweg, Theoretische Grundlagen der modernen Guerilla und des Terrorismus, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 13 ff.; 22 f. J. Feldmann, Gedanken über den Kleinkrieg, in: ASMZ 1972, S. 601 ff.; 606; vgl. Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 12 Stephan Fingerle, Jens Gieseke, Partisanen des Kalten Krieges, in: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen he MacRepublik, Abteilung Bildung und Forschung (BF) (Hrsg.), BF informiert Nr. 14, Berlin 1996, S. 19; vgl. Erich SchmidtEenboom, Schnüffler ohne Nase. Der BND - die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf, Wien, New York, Moskau 1993, S. 365 f.; vgl. Udo Rummerskirch, Einheiten für verdeckte Einheiten. Ein aktuell gewordenes Thema, in: ÖMZ 1991, S. 122 ff.; 122 Udo Rummerskirch, Einheiten für verdeckte Einsätze. Ein aktuell gewordenes Thema, in: ÖMZ 1991, S. 122; 122 Helmut Roewer, Stefan Schäfer, Matthias Uhl, Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 169 f.; 169 Udo Rumerskirch, Einheiten für verdeckte Einheiten. Ein aktuell gewordenes Thema, in: ÖMZ 1991, S. 122 ff.; 122
Sabotage, Anti-Sabotage, Zerstörung und Evakuierungsmaßnahmen.2732 Die „StayBehind“-Teile der Bundesrepublik Deutschlands wurden durch eine im Bundesnachrichtendienst integrierte Stabstruppe geführt.2733 Hier wurde also der Kleinkrieg als integraler Bestandteil der westlichen Verteidigungsplanung gedacht, um das fehlende Gleichgewicht wieder herzustellen.2734 Dabei konnte es sich zum einen um Einsätze im Falle eines von außen gesteuerten Putsches oder zum anderen um Kleinkriegsaktionen im Falle eines Angriffs handeln.2735 Diese Operationen sollten aus Aktivitäten oder Aktionen bestehen, die nach dem Zusammenbruch der Staatsmacht auf die Fortsetzung des Kampfes zielten.2736 Mithin wird deutlich, dass auch freie Nationen sich gegen Kleinkriegsaktionen und verdeckt kämpfende Kräfte wappnen müssen, zum anderen selbst entsprechende Kräfte einsetzen können.2737 Der Entschluss der politischen Führung, den Kampf auch dann fortzusetzen, wenn Teile des Staatsgebietes vom Feind besetzt sind oder der militärische Widerstand regulärer Truppen zusammengebrochen ist, ist neben gut ausgebildeten Kleinkriegskämpfern in der Truppe, auf die im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann, einer geographischen und sozialen Landesstruktur, die den Kleinkrieg ermöglicht und begünstigt, dem unbeugsamen Willen des Staatsvolkes, einem Angreifer mit allen Mitteln Widerstand zu leisten, und seine Bereitschaft, große persönliche Opfer zu erbringen, Grundvoraussetzung für den strategi2732 2733 2734 2735 2736 2737
Norbert Juretzko, Wilhelm Dietl, Bedingt Dienstbereit. Im Herzen des BND – Die Abrechnung eines Aussteigers, Berlin 2004, S. 91; vgl. Udo Rummerskirch, Einheiten für verdeckte Einsätze. Ein aktuell gewordenes Thema, in: ÖMZ 1991, S. 122; 123 Udo Rummerskirch, Einheiten für verdeckte Einsätze. Ein aktuell gewordenes Thema, in: ÖMZ 1991, S. 122; 123 vgl. Slavko N. Bjelajac, Unkonventionelle Kriegführung im Atomzeitalter, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 578 ff.; 594 vgl. Arnold Kopeczek, Die amerikanischen Waffenlager, die „Einsatzgruppe Olah“ und die Staatspolizei im Kalten Krieg der fünfziger Jahre, in: Erwin A. Schmidl (Hrsg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945 – 1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien, Köln, Weimar 2000, S. 101 ff.; 111 vgl. Rudolf JeĜábek, Zur Tätigkeit von „Partisanen“ in Österreich, nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Erwin A. Schmidl (Hrsg.), Österreich im frühen Kalten Krieg 1945 – 1958. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien, Köln, Weimar 2000, S. 137 ff.; 139 vgl. Reginald F.S. Denning, Vorwort, in: C. Aubrey Dixon, Otto Heibrunn, Partisanen, Strategie und Taktik des Guerillakrieges, Frankfurt am Main, Berlin, 1956, S. 1 ff.; 2 f. Klien weist im Übrigen darauf hin, dass auch in Deutschland auf Grund eines Vorschlages des Gerneraloberst Guderian 1944 in allen bedrohten ostdeutschen Gebieten ein mehr oder weniger ortsgebundener Landsturm einberufen werden sollte, der militärisch ausgebildet und ausgerüstet zur Besetzung der errichteten Befestigungslinien eingesetzt werden sollte. Guderians Vorschlag erhielt bei Hitler eine unmittelbare Gedankenverbindung mit dem Volkssturmexperimenten des Gauleiters Koch in Ostpreußen und führte dazu, dass Guderians Idee eines Landsturms in Gestalt eines „Volkssturms“ nicht nur im Osten, sondern in ganz Deutschland verwirklicht werde. Beim Aufruf des Volkssturms berief man sich auf den preußischen Landsturm von 1813 und dem spanischen Befreiungskampf von 1808-1811. Die Durchführung dieser Aufgabe wurde dem Chef der Reichskanzlei, Martin Bormann, übertragen, der die preußische Landsturmidee zu der trügerischen Idee eines deutschen Volksaufgebotes aufgebläht und den „Volkssturm“ zu einem propagandistischen Parteiinstrument gemacht hatte. Unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann man auch in Deutschland eine illegale Widerstandsbewegung unter dem Namen „Werwolf“ zu organisieren, die den Kampf gegen die alliierten Armeen nach einer möglichen Niederlage der Wehrmacht fortsetzen sollte.(Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 161 ff.). In diesem Sinne stellt auch Heuser fest, dass in Abweichung der Clausewitzschen Konzeption, nach der die Mobilisierung der gesamten mänlichen Bevölkerung gefordert wurde, die Grundidee nachwirkte, bis hin zur Einberufung von Greisen und Schuljungen am Ende des Zweiten Weltkrieges. (Beatrice Heuser, Clausewitz lesen!, München 2005, S. 170)
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schen Erfolg, wenn die Kleinkriegsführung über Einzelunternehmungen hinausgehen soll.2738 9.2
Ähnliche Formationen in der „DDR“
Ähnliche Kleinkriegsformationen wurden auch im kommunistischen Machtbereich aufgebaut. Nach dem Untergang der „DDR“ haben Aktenfunde in den Beständen der Ministerien für Nationale Verteidigung (MfNV) und für Staatssicherheit Beweise dafür geliefert, dass bereits seit 1953 im Ministerium für Staatssicherheit Diensteinheiten bestanden, die die Vorbereitung einer „Partisanentätigkeit“ zur Aufgabe hatten, und auch die Nationale Volksarmee (NVA) unternahm von 1957 an Anstrengungen zum Aufbau einer Truppe, welche dann unter der Tarnbezeichnung „Dienststelle R.“2739 aufgebaut und 1959 bis 1962 als „Verwaltung 15“ des Ministeriums für Nationale Verteidigung geführt wurde.2740 Zum 01. Juli 1962 wurden die Funktionen der 15. Verwaltung des MfNV parallel zur Überführung geheimdienstlicher Zweige aus anderen Sicherheitsorganen an das MfS übertragen.2741 9.3
Heutige Bedeutung des Kleinkrieges
Die heutige Bedeutung des Kleinkrieges gestaltet sich vielschichtig. Zum Teil können Kräfte bereits vor Beginn eines regulären Krieges in den Raum infiltrieren und den regulären Kampf vorbereiten und begleiten. Gleichzeitig können in einer solchen Situation entsprechende Kräfte dagegen eingesetzt werden und auch den Kampf nach der militärischen Niederlage der eigenen regulären Streitkräfte fortführen. Dementsprechend wird der Kleinkrieg gegen eine Besatzungsmacht geführt und ist gleichzeitig unter umgekehrten Vorzeichen eine Maßnahme der Staatsmacht gegen verdeckt kämpfende Kräfte als auch einer Besatzungsmacht im Kampf im besetzten Gebiet. Demzufolge ergeben sich für den Kleinkrieg drei verschiedene Perspektiven, aus denen heraus er geführt werden kann. Zudem kann es hier auch zwischen den Akteuren zu einem Kampf mit vertauschten Rollen kommen. Für den strategischen Bereich kann das bedeuten, dass ein zunächst regulär auftretender Akteur den Kleinkrieg nun in den Raum des Gegners trägt, der seinerseits die Mittel des Verdeckten Kampfes anwendet. Auf operativ-taktischer Ebene stellt sich die Lage unter Umständen so dar, dass der Jäger nun zum Gejagten wird und er die Initiative verloren hat. Hier ist 2738 2739
2740 2741
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August Sécur-Cabanac, Kleinkrieg, Kampf ohne Fronten, 2. Aufl., Wien 1974, S. 7 f.; vgl. Ernst Uhlmann, Vorwort, in: Otto Heilbrunn, Partisanenbuch, Zürich o.JA., S. 6 f.; 6 „R.“ steht fur Gustav Röbelen, der seit 1929 KPD-Mitglied und Spanienkämpfer war, nach 1941 in der Sowjetunion Offizier des NKWD und der Roten Armee war und bereits während des Zweiten Weltkrieges Geheimdienstaufträge und Partisaneneinsätze durchführte. (Stephan Fingerle, Jens Gieseke, Partisanen des Kalten Krieges, in: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung (BF) (Hrsg.), BF informiert Nr. 14, Berlin 1996, S. 4 f.) Stephan Fingerle, Jens Gieseke, Partisanen des Kalten Krieges, in: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung (BF) (Hrsg.), BF informiert Nr. 14, Berlin 1996, S. 4 Stephan Fingerle, Jens Gieseke, Partisanen des Kalten Krieges, in: Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung (BF) (Hrsg.), BF informiert Nr. 14, Berlin 1996, S. 13 f.
dann möglicherweise die Situation erreicht, die Clausewitz den „Kulminationspunkt“ nennt, „…wo die Kräfte noch eben hinreichen, sich in der Verteidigung zu halten … und jenseits dieses Punktes … der Umschwung, der Rückschlag“ liegt.2742 Mithin geht es auch um das Wesen des Krieges im Clausewitzschen Sinne, den Kampf um die Initiative, den Kampf zweier Willen, „… um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“2743 9.4
Zwischenergebnis
Verdeckt kämpfende Kräfte sind Angehörige von Streitkräften oder staatlichen Sicherheitskräften.2744 Führen sie den Verdeckten Kampf, sind sie manchmal nicht als Kombattanten gekennzeichnet.2745 Ihre Operationen stehen meist im Zusammenhang mit regulären Operationen oder unterstützen sie. Hauptsächliche Ziele ihrer Aktionen sind die Zerstörung militärischer und ziviler Schlüsselobjekte, die Ausschaltung führender Personen, aber auch Zwangsmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung.2746 Durch die Wahl ihrer Aktionsarten sind sie oftmals von Irregulären Kräften nur schwer zu unterscheiden.2747 Dabei werden verdeckte Aktionen meistens überraschend und mit geringem Aufwand geführt und es wird häufig aus dem Hinterhalt oder im Handstreich zugeschlagen.2748 Dementsprechend wird der Verdeckte Kampf oft als Kommandounternehmen geführt.2749 9.5
Indirekte Strategie und Indirektes Vorgehen
Die „Indirekte Strategie“ bzw. das „Indirekte Vorgehen“ beinhaltet vor allem den Einsatz nichtmilitärischer Mittel; hingegen beruht die „Direkte Strategie“ vor allem auf dem Einsatz von Streitkräften.2750 Eine „Direkte Strategie“ liegt vor, wenn es das Ziel ist, den Feind selbst, wo er auch ist, aufzusuchen und durch strategische Offensive zu überwinden.2751 Diese Art der Strategie sucht die Entscheidungsschlacht, um durch die Vernichtung der 2742 2743 2744
2745 2746 2747 2748 2749 2750 2751
Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 777 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, in: Werner Hahlweg (Hrsg.), Hinterlassenes Werk des Generals von Clausewitz, 16. Aufl., Bonn 1952, S. 71 ff.; 89 f. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 8; Zur Rolle der „Special Forces“ in der US-Sicherheitsdoktrin vgl. Katja Ridderbusch, Elitekämpfer mit Schlapphut, in: loyal, Heft 6, 2006, S. 29 ff. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 8f. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9 f.; vgl. Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2505 f. Infanterieschule, VN-AusbZ Bw, Bereich 3 / ExpGrp Schutz, Grundlagendokument für den Schutz von Räumen, Objekten, Konvois und anvertrauter Personen im Einsatz, 4. Entwurf, 17.07.2001, S. 9 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2507 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100 / 100, Truppenführung (TF), Bonn 2000, RN 2507 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 19; 219; vgl. Albert A. Stahel, Strategisch denken. Ziel – Mittel – Einsatz in Politik, Wirtschaft und Armee, Zürich 1997, S. 57 ff. Günther Blumentritt, Strategie und Taktik. Ein Beitrag zur Geschichte des Wehrwesens vom Altertum bis zur Gegenwart, Konstanz 1960, S. 12
387
feindlichen Streitkräfte den politischen Zweck des Krieges zu erreichen.2752 Dementsprechend hat das „Indirekte Vorgehen“ – wie man die Indirekte Strategie auch bezeichnen kann2753 – eine über den militärischen Bereich hinausgreifende, weit umfassendere praktische Bedeutung2754 und kann bereits mit politischen Mitteln erreicht werden.2755 Zwischen politischer und militärischer Bedeutung der Indirekten Strategie liegt eine Grauzone. Hier werden vor allem Mittel wie Subversion, Korruption, Manipulation durch Falschinformationen, Sabotage und Spionage eingesetzt.2756 Im militärischen Sinne hat Liddell Hart empfohlen, eine Richtung einzuschlagen, die der Gegner am wenigsten erwartet, und dort zuzuschlagen, wo dieser am wenigsten Widerstand entgegensetzen kann.2757 Es geht also darum, den Gegner abzulenken, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, um ihn seiner Handlungsfreiheit zu berauben.2758 Folglich ist das Indirekte Vorgehen nicht auf die stärkste Konzentration feindlicher Kräfte in einem Schlüsselgelände gerichtet, sondern gegen Verstärkungsund Folgekräfte in der Tiefe.2759 Im weiter gefassten Sinne ist dieser Gedanke entsprechend umzusetzen; allerdings werden hier militärische mit nichtmilitärischen Mitteln kombiniert oder die militärischen sogar ganz ersetzt, so dass sie gar nicht in Erscheinung treten. In diesem Fall liegt der Schwerpunkt beim Indirekten Vorgehen auf dem Einsatz nichtmilitärischer Ressourcen. Die Indirekte Strategie bzw. das Indirekte Vorgehen findet seine Entsprechung auch auf der Seite der Irregulären Kräfte. Die Vorgehensweise Irregulärer Kräfte wird durch das Anschlagsziel bestimmt, wobei zwischen direkter und indirekter Vorgehensweise unterschieden wird.2760 Bei der direkten Vorgehensweise werden die Anschlagsziele gemäß der strategischen Zielsetzung gewählt; hingegen werden bei der indirekten Vorgehensweise Anschläge gewählt, um eine Botschaft zu transportieren, oder es werden Anschläge auf Einrichtungen ausgeführt, die Stoffe beherbergen, deren Verbreitung zu Schäden außerhalb der Einrichtung führen.2761 Dementsprechend wird nicht auf die Vernichtung des Gegners abgezielt, sondern auf indirekte Wirkungen.2762 2752 2753 2754 2755
2756 2757
2758 2759 2760 2761 2762
388
Günther Blumentritt, Strategie und Taktik. Ein Beitrag zur Geschichte des Wehrwesens vom Altertum bis zur Gegenwart, Konstanz 1960, S. 12 vgl. B. H. Liddell Hart, Strategie, Wiesbaden o. JA., S. 403 vgl. Harro von Senger, Die List der Chinesen, in: Albert A. Stahel (Hrsg.), List? Hinterlist in unserer Zeit!, Zürich 2000, S. 25 ff.; 31 Günther Blumentritt, Strategie und Taktik. Ein Beitrag zur Geschichte des Wehrwesens vom Altertum bis zur Gegenwart, Konstanz 1960, S. 12; vgl. General Beaufre, Abschreckung und Strategie, Frankfurt am Main, Berlin 1966, S. 167; Beaufre sieht hier in den politischen und wirtschaftlichen Bereichen gegenüber dem Militärischen auch den Schwerpunkt der Indirekten Strategie. Albert A. Stahel, Strategisch denken. Ziel – Mittel – Einsatz in Politik, Wirtschaft und Armee, Zürich 1997, S. 59 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 36; vgl. C.M.V. Abegglen, Abriss über das Zusammenwirken der taktischen, operativen und strategischen Ebenen, in: http://mypage.bluewin.ch/abegglen/papers/strategisches_denken.html, Internet vom 13. Juni 2006, S. 2 Friedrich Ruge, Politik und Strategie, Strategisches Denken und politisches Handeln, Frankfurt am Main 1967, S. 49 vgl. Inspekteur des Heeres, Gedanken zur Operationsführung im Deutschen Heer. Der neue Ansatz, o. O.A., 1998, S. 26 Manfred Eberhard, Bedrohung durch Kampf gegen irreguläre Kräfte bei Einsätzen im Rahmen der Konfliktverhütung / Krisenbewältigung, 2. Zwischenbericht zur IABG-Studie, Ottobrunn 2004, s. 32 Manfred Eberhard, Bedrohung durch Kampf gegen irreguläre Kräfte bei Einsätzen im Rahmen der Konfliktverhütung / Krisenbewältigung, 2. Zwischenbericht zur IABG-Studie, Ottobrunn 2004, S. 32 Eugen Weyde, Einführung des Übersetzers, in: Georgios Grivas-Dighenis, Partisanenkrieg heute. Lehren aus dem Freiheitskampf Zyperns, Frankfurt am Main 1964 S. 11 ff.; 12
9.6
Resymmetrierung
Es bedeutet ein „strategisches Paradox“2763, dass hochzivilisierte und hochgerüstete, technisch überlegene Staaten sich unsäglich schwer tun, mit Irregulären Kräften, welche hinsichtlich ihrer Kampfkraft und ihrem Gefechtswert vielfach unterlegen sind, wirksam fertig zu werden. Precision-guided Smart Bombs und Cruise Missiles sind nicht „smart“ genug, um zu wissen, wer der Feind ist und wo er steht.2764 Stubka schlägt als Grundsatz für zu erarbeitende Theorien vor, dass asymmetrischer Kriegführung nur asymmetrisch beizukommen ist.2765 In diesem Sinne stellt die Art und Weise des Kampfes gegen Irreguläre Kräfte den Versuch der Wiederherstellung der Symmetrie auf der Ebene des Gegners mit einer überlegenen Kombination aller zur Verfügung stehenden Mittel dar. Es ist schon früh erkannt worden, dass die beste Abwehr von Irregulären nur durch Truppen erfolgen kann, die diese Art der Kleinkriegführung selbst beherrschen.2766 In dieser Re-Symmetrisierung, in der man sich der bis dato asymmetrischen Methoden des Gegners bedient und einer Strategie der Terrorisierung der Terroristen folgt, sehen einige Autoren die Gefahr, dass sich die regulären Streitkräfte in asymmetrischen Konflikten an die entsprechenden Kampfweisen ihrer Gegner anpassen und die Soldaten im Kampf gegen Partisanen und Terroristen selbst zu solchen werden.2767 Zudem wird in der Literatur angeführt, dass Staaten, die sich auf einen asymmetrischen Krieg mit nichtstaatlichen Akteuren einlassen, dazu neigen, Strategien anzuwenden, die kontraproduktiv sind und zu nicht-intendierten Konsequenzen für die beteiligten Akteure und die institutionellen Rahmenbedingungen der internationalen Politik führen.2768 In früheren Schriften wurde empfohlen, dass Guerillas mit Guerillamethoden bekämpft werden müssten.2769 Der Kampf verlange große Entschlossenheit und kriegerische Härte.2770 Es komme darauf an, sie unauffällig aufzuklären, ununterbrochen zu jagen, sie zu stellen und zu vernichten.2771 Ziel müsse es sein, den Gegner zu nötigen, durch unzivilisiertes Verhalten die Unterstützung und damit den Rückhalt in der Bevölkerung zu
2763 2764 2765 2766 2767 2768 2769
2770 2771
Robert M. Cassidy, Counterinsurgency and the Global War on Terror. Military Culture and Irregular War, Westport, London 2006, S. 23 Charles Peña, Winning The Un-War. A New Strategy For The War On Terrorism, Washington, D.C. 2006, S. xxvi vgl. Andreas Stubka, Kriegsgeschichte und klassische kriegstheoretische Betrachtungen zur asymmetrischen Kriegführung, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 41 ff.; 56 Paul Wimmer, Kleinkrieg – wesentliche Grundlagen, in: ÖMZ 1965, S. 440 ff.; 442 Gerhard Kümmel, Chamäleon Krieg: Die Differenzierung des Kriegsbildes und ihre Folgen für die Streitkräfte, in: Gerhard Kümmel, Sabine Collmer (Hrsg.), Asymmetrische Konflikte und Terrorismusbekämpfung. Prototypen zukünftiger Kriege?, Baden-Baden 2003, S. 29 ff.; 40 f. Christopher Daase, Terrorismus und asymmetrische Kriegführung, in: IFDT 2004, Heft 4, S. 18 ff.; 19 Ernst von Dohnányi, Kampf gegen sowjetische Guerillas, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 153 ff.; 164; vgl. George B. Jordan, Ziele und Methoden der kommunistischen Guerillakriegführung, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 529 ff.; 544; vgl. Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 238 Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 232 Eike Middeldorf, Taktik im Russlandfeldzug. Erfahrungen und Folgerungen, Berlin, Frankfurt am Main, 1956, S. 238
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verlieren.2772 Von der Heydte hat dagegen früh darauf hingewiesen, dass es von strategischer Bedeutung ist, die Methoden des Irregulären weder zu ignorieren noch zu imitieren; dass es aber vielmehr notwendig ist, neue Formen der Kampfführung zu entwickeln.2773 9.7
Moderne Formen der militärischen Reaktion
Die heutige Situation erfordert ein intelligentes Vorgehen gegen Irreguläre Kräfte, welches es ermöglicht, nachhaltig Wirkung zu erzielen. Die Strategie von Staaten gegen Irreguläre Kräfte zielt zumeist auf eine möglichst kurze und entscheidende Auseinandersetzung ab, um „den Terror auszurotten“ oder „die Aufständischen zu vernichten“, und die substaatlichen Akteure setzten dieser Strategie zumeist eine psychische „Abnützungsstrategie“ entgegen, die jede „Entscheidungsschlacht“ zu vermeiden sucht und vielmehr auf räumlich und zeitlich ausgedehnte oder auch spektakuläre Aktionen setzt.2774 Dabei stellt häufig bereits die lang anhaltende Bindung von Kräften des Gegners für die Irregulären Kräfte einen Gewinn dar.2775 Hierfür haben viele Staaten ihre Spezial- und spezialisierten Kräfte aufgestellt und in der Gliederung. Ausrüstung und Ausbildung ständig angepasst und weiterentwickelt.2776 Die Kriege der jüngeren Vergangenheit zeigen allerdings, dass sich das strategische Denken und die Strategieschöpfung – insbesondere für den kombinierten Einsatz von Einheiten der Special Operation Forces (SOF), unbemannten Drohnen2777 und schwerer Bomber – weiterentwickeln2778 und die Entwicklung auf zwei Schienen verläuft: der Hochtechnologie- und der asymmetrischen Schiene.2779 Gleichzeitig entsteht eine neue Art der Kriegführung, die sämtliche Mittel nutzt, die das Informationszeitalter bietet und die in großem Maß auf Präzisionswaffen, Spezialeinheiten und psychologische Kriegführung vertraut.2780 2772 2773 2774 2775 2776
2777 2778 2779
2780
390
vgl. Roger Hilsmann, Krieg im Inneren: Die neue kommunistische Taktik, in: Franklin Mark Osanka (Hrsg.), Der Krieg aus dem Dunkel. 20 Jahre kommunistische Guerillakämpfe in aller Welt, Köln 1963, S. 595 ff; 603 Friedrich A. Frhr. von der Heydte, Die Rolle des Kleinkrieges in der Strategischen Theorie des Westens und des Ostens, Vortrag bei der Clausewitzgesellschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg 11. Oktober 1972, S. 9 Walter Feichtinger, Differenzierung von Asymmetrie im Kontext bewaffneter Konflikte, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 117 ff.; 118 Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 7 vgl. zum Ansatz der Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise Headquarters Departments of the Army and the Air Force, Military Operations in Low Intensity Conflikt, Honolulu, 2002; vgl. Department of the Army, U.S. Counterguerilla Operations Handbook, Guilford 2004; vgl. Headquarters Department of the Army, Counterinsurgency, FM 3-24, MCWP 3-33., Washington DC, 15. December 2006 John Arquilla, David F. Ronfeldt, Netwar Revisited: The Fight for the Future Continues, in: Robert J. Bunker (Hrsg.), Networks, Terrorism and Global Insurgency, London, New York 2005, S. 8 ff.; 9 Albert A. Stahel, Klassiker der Strategie – eine Bewertung, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 11; vgl. Bruce Berkowitz, The new Face of War. How War will be fought in the 21st Century, New York 2003, S. 114 Holger H. Mey, Moderne Kriegführung. Lehren aus dem Irakkrieg, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 71 ff.; 79; vgl. Stefan Maninger, “Wer wagt gewinnt” –Kritische Anmerkungen zum Einsatz westlicher Militärspezialkräfte im Zeichen multipler Konfliktszenarien, in: ÖMZ 2006, S. 470 ff.; 471 vgl. Nikolas Busse, Neue Abschreckung. Die internationale Sicherheit nach dem Irakkrieg, in: Erich Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2003, Hamburg, Berlin, Bonn 2003, S. 53 ff.; 54
Neuere militärische Vorschriften stellen darüber hinaus auf einen Mix von offensiven, defensiven und stabilisierenden Militäroperationen sowie mit nichtmilitärischen Akteuren abgestimmte Aufgaben ab.2781 Dabei sind Operationen gegen Irreguläre Kräfte der militärische Beitrag der Streitkräfte durch besonders befähigte Kräfte im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens.2782 Dieses sind letztendlich Ausflüsse und Umsetzungen des oben beschriebenen Interagency-Interaction-Ansatzes. Alte und neue Mittel und Kräfte werden so in neuer Weise kombiniert und effektiv zum Einsatz gebracht. Gerade im Kampf gegen Gruppierungen des internationalen Terrorismus sind asymmetrische Mittel zum Einsatz zu bringen. Die Irregulären sind mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem man ihre Taktiken annimmt, sie täuscht und überrascht, mobil und gerissen ist, über unkonventionelle Ideen, exzellente Geländekenntnisse sowie einen guten Draht zur Bevölkerung verfügt2783 und die Fähigkeit zur ständigen Improvisation beherrscht. Bei der Koordination der Sicherheitskräfte haben offensive Handlungsmöglichkeiten die Neutralisierung des Gegners durch Aufklärung, Stellen und Schlagen desselben zum Ziel.2784 Bei Operationen gegen Irreguläre Kräfte verringert sich die feindliche Zielgröße auf kleine Einheiten, die Deckung suchen und versuchen, sich zu verbergen, um Ressourcen und Material zu schützen, verdeckte Angriffe durchzuführen und das Überraschungsmoment ausnutzen.2785 Diesen Erscheinungen versuchen sich die Gegenkräfte anzupassen. In der Literatur wird für die Zukunft eine Verschmelzung von konventioneller und Kleinkriegführung prognostiziert.2786 Tatsächlich lassen sich diese Erscheinungen auch bereits heute beobachten und feststellen. Hierin liegt zugleich eine gewisse Gefahr, die es dem Grunde nach zu beachten gilt: Auch reguläre Streitkräfte, die in einem Kleinen Krieg gegen irreguläre Kräfte eingesetzt werden, tendieren dazu, sich die regellose Kampfweise des Gegners zu Eigen zu machen.2787 Derartigen Tendenzen, die negativ auf dass Umfeld, insbesondere auf die autochthone Bevölkerung wirken können, ist auf allen Führungsebenen in allen Phasen entgegenzutreten, da sie zumindest mittelbar kontraproduktiv sind. Bei der 2781 2782 2783 2784 2785
2786
2787
Headquarters Department of the Army, Counterinsurgency, FM 3-24, MCWP 3-33., Washington DC, 15. December 2006, S. 1-1 Markus Lück, Irregular Warfighting – Konzeptioneller Ansatz des Heeres, in: Europäische Sicherheit, Heft 10, 2006, S. 58 ff.; 58 Jürg Studer, Luftoperationen in lästigen kleinen Konflikten, in: Military Power Revue der Schweizer Armee, Nr. 1, Mai 2006, S. 28 ff.; 37 Manfred Eberhard, Bedrohung durch Kampf gegen irreguläre Kräfte bei Einsätzen im Rahmen der Konfliktverhütung / Krisenbewältigung, 2. Zwischenbericht zur IABG-Studie, Ottobrunn 2004, S. 7 Andrus Viilu, Enablers of Land Force Modernisation for NTW Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 253 ff.; 254; vgl. Clife G. Whittenbury, Impact of Advanced Technology on Nontraditional Warfare, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 261 ff.; 267 Wilfried von Bredow, Vor einer Verwilderung des Krieges. Über die Zukunft von Politik mit militärischen Mitteln, in: Gerhard Kümmel, Sabine Collmer (Hrsg.), Soldat – Militär – Politik – Gesellschaft. Facetten militärbezogener sozialwissenschaftlicher Forschung. Liber amicorum für Paul Klein, 1. Aufl. Baden-Baden 2003, S. 115 ff.; 122; vgl. Andrus Viilu, Enablers of Land Force Modernisation for NTW Operations, in: William R. Schilling (Hrsg.), Nontraditional Warfare. Twenty-First-Century. Threats and Responses, Dulles, Virginia, 2002, S. 253 ff.; 254 Martin Hoch, Krieg und Politik im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/2001, S. 17 ff.; 19; Stefan Goertz, Warum die Streitkräfte mancher Staaten den Kleinen Krieg verlieren – eine Kritik der westlichen Counter-insurgency-Doktrinen, in: Ulrich vom Hagen (Hrsg.), Armee in der Demokratie. Zum Verhältnis von zivilen und militärischen Prinzipien, Wiesbaden 2006, S. 75 ff.; 79
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Bekämpfung Irregulärer Kräfte haben wir es zudem mit einer Kombination aus Kleinkriegs-Taktik und High-Tech zu tun.2788 Der Einsatz von High-Tech-Waffen und SpecialForces soll die Chancen des Gegners minimieren, auf asymmetrische Überlegenheit seinerseits mit Strategien der Asymmetrierung zu antworten.2789 Die britisch geprägte Bezeichnung für kleine Einheiten, der regulären Einheiten, die den Kleinkrieg führen, ist „Kommando-Truppe“; der traditionelle deutsche Begriff ist „Jagdkommando“.2790 Die hoch gepriesene Technik erweist sich dort als unbrauchbar, wo der Nahkampf neben den Errungenschaften modernster Technologie zum Tragen kommt, die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zum Hauptproblem wird und somit der fortschreitenden Technik in puncto Erhöhung der Effizienz klare Grenzen gesetzt sind.2791 Demzufolge kann Technik – in welcher Form auch immer – immer nur ein Mittel im Sinne einer unterstützenden Funktion zur Durchsetzung militärischer Ziele darstellen. Eine einseitige Ausrichtung auf technisch-elektronische Systeme kann somit nicht Ziel führend sein. Dies gilt umso mehr, wenn es gilt, einen Raum militärisch zu beherrschen oder einen hochmobilen Gegner, der nicht aus der Luft und großer Distanz bekämpft werden kann, auszuschalten.2792 Insofern findet eine Verschmelzung von konventioneller und irregulärer Kriegführung statt.2793 Insofern entwickelt sich der Kampf zwischen Irregulären Kräften und ihrem Gegenüber zumeist durch gegenseitiges Lernen und adaptieren dynamisch weiter, wodurch sich die Bedrohungslage kontinuierlich verändert.2794 Dieses entspricht der alten Logik, dass man Irreguläre nur nach Art der Irregulären bekämpfen kann.2795 Mithin kommt es darauf an, durch Resymmetrierung die Symmetrie wieder herzustellen. Gleichzeitig kommt es darauf an, einer „Reasymmetrierung“2796 entgegenzutreten, um diese zu verhindern. Gerade
2788 2789 2790 2791 2792
2793 2794 2795
2796
392
Jens Krüger, Letzte Chance für die NATO, in: WamS vom 26.10.2003, S. 11 Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, 1. Aufl., Berlin 2005, S. 186 vgl. Günther Georg Klien, Partisanenkampf im Kriegsrecht, Dissertation Hamburg 1953, S. 248 vgl. John L. Clarke, Der Konflikt im Wandel der Zeit. Herausforderungen der sich wandelnden Kriegführung, in: ÖMZ 1997, S. 115 ff.; 120 f. Dirk Freudenberg, Auf Sicherheit setzen: Gedanken über die Zukunft von Streitkräften, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2002, S. 22 ff.; 24. Daher vertritt Dedijer auch die Auffassung, dass die quantitative Stärke der Kampftruppen generell für den Sieg entscheidend sei und somit auch höher zu bewerten sei als die Herrschaft über das Land, und demzufolge sei die einzige Strategie, die den regulären Streitkräften übrig bliebe, der Versuch, den Gegner nach und nach in Infanteriegefechten zu vernichten, und das auf einem riesigen Gebiet und in einem sehr langen Zeitraum. (Vladimir Dedijer, Die Waffe des armen Mannes, in: Nigel Calder [Hrsg.], Eskalation der neuen Waffen, Friede oder Untergang, München 1969, S. 31 ff.; 36 ff.) Wilfried von Bredow, Neue Herausforderungen, in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 291/2006., S. 4 ff.; 8 Bundesministerium der Verteidigung, ChefStabFü H, Einsatzkonzept Operationen gegen Irreguläre Kräfte, (EinsKonz OPIK), Bonn, Stand: 27.03.2006, S. 7 vgl. Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, 4. Aufl., Berlin 1995, S. 83; vgl. Kurt Kister, Die GSG 9 des Bundesgrenzschutzes. SZ-Gespräch mit Kommandeur Ulrich Wegener, in: Dieter Schröder (Hrsg.), Terrorismus. Gewalt mit politischen Mitteln, München 1986, S. 88 ff.; 89 vgl. Albert A. Stahel, Armando Geller, Asymmetrischer Krieg: Theorie – Fallbeispiele – Simulation, in: Josef Schröfl, Thomas Pankratz (Hrsg.), Asymmetrische Kriegführung – ein neues Phänomen der Internationalen Politik?, Baden-Baden 2004, S. 95 ff.; 113
auf besondere Einsatzverfahren wie den Jagdkampf wird in der Literatur über die Bekämpfung Irregulärer immer wieder hingewiesen.2797 9.7.1
Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte
Um die modernen Ansätze des Kampfes gegen Irreguläre Kräfte verstehen und nachvollziehen zu können, ist es notwendig, an dieser Stelle die wesentlichen und grundlegenden (infanteristischen) Grundsätze zu rekapitulieren und ihre Beziehung und Wechselwirkung zum irregulären Kampf darzustellen. Neben den „klassischen“ Gefechtsarten, dem Angriff, der Verteidigung und der Verzögerung, die jede für sich allein, gleichzeitig oder nacheinander angewandt werden kann und in denen Teile der Truppe, meist vorübergehend, auch in anderen Gefechtsarten kämpfen können, kennen die deutschen Führungsvorschriften zum einen die besonderen Gefechtsarten, also das Begegnungsgefecht, das Lösen vom Feind, die Ablösung und die Aufnahme eigener Kräfte, und zum anderen, als besondere Einsatzverfahren, das Kommandounternehmen und den Jagdkampf. 9.7.1.1
Kommandounternehmen und Jagdkampf
9.7.1.1.1
Kommandounternehmen
Ein Kommandounternehmen ist ein Einsatzverfahren, in dem Soldaten, meist in geringer Stärke, unter einem Führer für eine bestimmte Aufgabe zusammengefasst werden. Das Kommando kann ständig oder für eine bestimmte Aufgabe aufgestellt, ausgebildet, bewaffnet und ausgerüstet sein. Die Aktionen erfolgen vorwiegend als handstreichartiger Zugriff oder als Hinterhalt. Der Kommandokampf ist die kleinkriegsartige Gefechtsführung mit dem operativen Ziel, dem Gegner Schaden zuzufügen.2798 Im Unterschied zum taktischen Jagdkampf konzentriert sich der Einsatz im Kommandokampf jeweils auf ein Ziel von operativer Bedeutung.2799 Spezialkräfte und Fallschirmjäger sind für die Durchführung von Kommandounternehmen besonders befähigt. 9.7.1.1.2
Jagdkampfunternehmen
Unter Jagdkampf versteht man kleine, aufeinander und auf den Operationsplan des übergeordneten Führers abgestimmte Operationen von Jagdkommandos in einem bestimmten Einsatzraum. Der Jagdkampf in der vorderen Kampfzone und hinter den feindlichen Linien hat den Zweck, den Feind durch vielfältige, kleine Operationen zu stören, zu schwächen, zu
2797
2798 2799
vgl. Hans-Joachim von Schultz, Partisanenbekämpfung, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 1952, S. 414 ff.; 417; vgl. Eike Middeldorf, Handbuch der Taktik für Führer und Unterführer, Berlin, Frankfurt am Main 1957, S. 453 vgl. Jobst Rohkamm, Zum Begriff des Kleinkrieges auf dem Gefechtsfeld, in: Wehrkunde 1964, S. 377 ff.; 380; vgl. Herbert Golz, Kleinkrieg und Heimatverteidigung. Sichern gegen Kleinkriegsunternehmen und Kampf gegen Banden, in: Wehrkunde 1961, S. 580 ff.; 586 Klaus Altenhöner, Kommanokampf - Was ist das?, in: Spuren und Motive, Heft 77, 1989, S. 4 ff.; 4 Klaus Altenhöner, Kommanokampf - Was ist das?, in: Spuren und Motive, Heft 77, 1989, S. 4 ff.; 4
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täuschen und ihn zu Abwehrmaßnahmen zu zwingen und somit Feindkräfte zu binden.2800 Darüber hinaus hat er zum Zweck, in allen Gefechtsarten Kräfte und Einrichtungen des Feindes aufzuklären, abzunutzen, zu stören, zu täuschen und gegebenenfalls zu vernichten.2801 Somit ist der Jagdkampf in seinem Aufgabenspektrum gegenüber dem Kommandokampf wesentlich weiter gefasst. Gleichzeitig ist der Jagdkommandoführer gegenüber dem Kommandoführer in der Auftragsdurchführung von der Auswahl einer konkreten Aktion bis hin zur Beendigung des Einsatzes wesentlich selbstständiger. So bricht der Führer beispielsweise den Jagdkampf entweder auf Befehl, selbstständig, wenn der Auftrag erfüllt ist und keine Verbindung zur eigenen Truppe besteht, oder, wenn er nur auf diese Weise das Jagdkommando vor Vernichtung bewahren kann, ab.2802 Der Jagdkampf ist gekennzeichnet durch Wechsel von Verbergen und überraschendem Zuschlagen in Form von Handstreichen oder aus dem Hinterhalt.2803 Wesen des Jagdkampfes ist es also, dass die eingesetzten Soldaten sich, wo sie schwach sind, verbergen, sich sicher und vorsichtig bewegen und überraschend dort zuschlagen, wo sie dem Gegner überlegen sind. Der Handstreich dient dazu, wichtige Objekte in Besitz zu nehmen, zu zerstören sowie die gegnerische Abwehr zu lähmen oder auszuschalten, und ist ein eng begrenztes Unternehmen, das möglichst beendet wird, bevor der Gegner wirksame Gegenmaßnahmen treffen kann.2804 Dabei kommt es darauf an, zeitlich und örtlich eine begrenzte Überlegenheit herzustellen und damit den Feind zu überraschen, ihm Verluste zuzufügen und sich von ihm zu lösen, bevor er Gegenmaßnahmen ergreifen kann.2805 Hierdurch führt er zu einer ständigen Verunsicherung des Gegners und stellt somit eine hohe psychische Belastung dar. Mithin kommt dieser moderne Begriff des Jagdkampfes den Tätigkeiten des Kleinen Krieges nahe.2806 Der Jagdkampf kann in verschiedenen Varianten geführt werden. Die beiden wesentlichen Varianten unterscheiden den Jagdkampf hinter den feindlichen Linien und den Jagdkampf im rückwärtigen Gebiet, also im eigenen Hinterland zur Abwehr gegnerischer Kräfte. 9.7.1.1.2.1
Jagdkampf im rückwärtigen Gebiet
Der Jagdkampf in der rückwärtigen Kampfzone und in der Verbindungszone hat das Ziel, gegnerische Kräfte, die als Kommandos, Jagdkommandos oder als Irreguläre Kräfte auftreten können, aufzuklären, zu bekämpfen und auszuschalten.2807 Gegen Irreguläre Kräfte kann meist nur durch Einschließung vorgegangen werden, wobei das Schlagen des einge2800 2801 2802 2803 2804 2805 2806 2807
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vgl. Heeresamt (Hrsg.), HDv 214/100. Die Jägertruppe, Köln 09. September 2002, RN 15001; vgl. Matthias Bellmann, Uwe Schrader, Handbuch für Übung und Einsatz. Grundlagen, Fakten und Hilfsmittel im Bereich der Taktik, 7. Aufl., Regensburg, Berlin 2001, S. 45 Heeresamt (Hrsg.), HDv 351/100. Das Fallschirmjägerbataillon, Köln 23. Mai 2003, RN 22001 Heeresamt (Hrsg.), HDv 351/100. Das Fallschirmjägerbataillon, Köln 23. Mai 2003, RN 22014 Heeresamt (Hrsg.), HDv 214/100. Die Jägertruppe, Köln 09. September 2002, RN 15001; vgl. Matthias Bellmann, Uwe Schrader, Handbuch für Übung und Einsatz. Grundlagen, Fakten und Hilfsmittel im Bereich der Taktik, 7. Aufl., Regensburg, Berlin 2001, S. 46 Reinhard Uhle-Wettler, Luftlandetruppen, in: Johannes Gerber (Hrsg.), Landkriegsführung: Operation, Taktik, Logistik, Mittel. Ein Handbuch, Osnabrück 1992, S. 473 ff.; 474 Heeresamt (Hrsg.), HDv 214/100. Die Jägertruppe, Köln 09. September 2002, RN 15007 vgl. Martin Rink, Vom „Partheygänger“ zum Partisanen, Frankfurt am Main, 1999, S. 86 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38
schlossenen Feindes mit herangeführten Kräften erfolgt.2808 Der Kampf wird hier oftmals reaktiv, zum Beispiel in der überholenden Verfolgung2809 als Gegenhinterhalt oder als Gegenhandstreich, geführt werden müssen. „Verfolgung“ ist der Begriff für das Nachdrängen gegen ausweichenden Feind, der in seiner Widerstandskraft erschüttert ist, mit dem Ziel ihn zu zerschlagen.2810 Ziel der Verfolgung ist es, ausweichenden Kräften nachzustoßen, um den Schwächemoment auszunutzen, ihnen ein ungefährdetes Ausweichen zu verwehren, ein „Untertauchen“ zu verhindern und damit letztendlich die endgültige Festsetzung bzw. Zerschlagung zu ermöglichen.2811 Die überholende Verfolgung sucht dabei die restlose Vernichtung des ausweichenden Feindes durch Überflügeln, Überholen und damit Verlegen des Rückzuges.2812 Gegenhinterhalt und Gegenhandstreich suchen die erfolglos gebliebene Aktion des Gegners in einen eigenen Erfolg zu wandeln bzw. den gegnerischen Misserfolg für einen eigenen Erfolg auszunutzen, indem sofort im Stil der entsprechenden besonderen Gefechtshandlung auf den Gegner angesetzt wird. Dieses kann im Gegenstoß mit denselben Kräften geschehen, die zuvor angegriffen wurden; günstiger aber noch mit frischen Kräften, die schnell ins Gefecht geführt werden, um die Aktion durchzuführen. Infanteristische Kräfte, die rasch mit Hubschraubern ihre Ausgangstellung erreichen, bieten sich hier besonders an.2813 Aber auch der Einsatz von Kampfdrohnen ist durchaus denkbar. Insofern sollte Verfolgung immer als ein Teil einer anderen Operation angesehen werden und grundsätzlich Fühlung mit dem Gegner oder zumindest eine echtzeitnahe Information über dessen Ausweichrichtung bzw. seine Bewegungslinien voraussetzen.2814 9.7.1.1.2.2
Jagdkampf im erweiterten Einsatzspektrum
Im erweiterten Einsatzspektrum der Bundeswehr kann allerdings der Raum nicht mehr entsprechend der linearen Kriegführung unter den Bedingungen der Ost-WestKonfrontation gegliedert werden, so dass in dem durch die eigenen Kräfte behaupteten Raum, insbesondere in der Area of Responsibility (AOR), der Jagdkampf der Lage entsprechend angepasst, gegebenenfalls in einer Kombination aus den zuvor dargestellten Verfahren geführt werden muss.2815 Das besondere Einsatzverfahren Jagdkampf kann auch bei Operationen gegen Irreguläre Kräfte dann angewendet werden, wenn akute Gefährdung 2808 2809
2810 2811 2812 2813 2814 2815
vgl. Heeresamt (Hrsg.), HDv 214/100. Die Jägertruppe, Köln 09. September 2002, RN 15016 f. Der Begriff „überholende Verfolgung“ findet sich auch schon früher. Vgl. Hanns Wirth, Fritz Göhler, Schutzpolizei im Kampfeinsatz. Handbuch der Taktik des Polizeibataillons, Berlin 1942, S. 147 ff.; vgl. Herbert Golz, Kleinkrieg und Heimatverteidigung. Sichern gegen Kleinkriegsunternehmen und Kampf gegen Banden, in: Wehrkunde 1961, S. 580 ff.; 582 Bundesministerium der Verteidigung, HDv 100/900. Führungsbegriffe, Bonn 1998, S. 154 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1844 Greiner, Degener, Taktik im Rahmen des verstärkten Infanterie-Battaillons. Eine Anleitung zum Studium und ein Nachschlagewerk für aktive Offiziere, Offiziere des Beurlaubtenstandes und den OffizierNachwuchs, 6. u. 7. Aufl. 1941, S. 18 Diesen Gedanken hatte auch schon Herbert Golz, Kleinkrieg und Heimatverteidigung. Sichern gegen Kleinkriegsunternehmen und Kampf gegen Banden, in: Wehrkunde 1961, S. 580 ff.; 582 Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1845 Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38
395
zum raschen Handeln zwingt, wenn es erfolgversprechend ist und das Risiko tragbar bleibt.2816 9.7.1.2
Swarming
Ein konzeptioneller Ansatz, die irregulären Bedrohungen operativ in den Griff zu bekommen, geht von einer Dislozierung und Dezentralisierung von Spezial- und spezialisierten Kräften aus. Dieser Ansatz beinhaltet solche Erscheinungen wie verteilte Operationen (dispersed operations), Zusammenwirken zwischen diesen (networking) und größere Autonomie für kleinere Einheiten als bisher üblich. Ein wichtiger Teil dieses Ansatzes bezieht sich auf die Durchführbarkeit und den Nutzen dieser „swarm tactics“, bei dem kleine, selbstständig handelnde Einheiten eingesetzt werden und bei dem bewegliches Feuer schnell und für den Gegner unerwartet auf einzelne Ziele wirken kann.2817 „Swarming“ kann beispielsweise dazu eingesetzt werden, um einen Gegner anzugreifen oder um eine „antikörperähnliche Verteidigung“ in einem Gebiet gegen Eindringlinge zu bilden.2818 Dieser Ansatz greift Einsatzverfahren und –Grundsätze des Jagd- und Kommandokampfes auf und setzt sie entsprechend in Ziel führende Aktionen um. Wenn Streitkräfte Werkzeuge der Politik sind, so stellen Spezial- und Spezialisierte Kräfte Instrumente dar, welche besonders sensible Operationen durchzuführen haben und in der Lage sind, aktiv den Kampf gegen Irreguläre Kräfte zu führen. Spezialkräfte können aber immer nur eine relative Überlegenheit herstellen.2819 Diese relative Überlegenheit bezieht sich allerdings nur auf Raum und Zeit. Folglich können Spezialkräfte nur örtlich begrenzt und nur für einen kurzen Zeitraum eine eigene Übermacht schaffen und diese aufrechterhalten. Der Erfolg von Spezialkräften beruht im Wesentlichen auf den Prinzipien Einfachheit, Sicherheit, Einsatzvorbereitung, Schnelligkeit sowie Klarheit in der Zielsetzung und Absicht.2820 Darüber hinaus bedarf es dann zur längerfristigen Aufrechterhaltung der Überlegenheit im Raum auf militärischer Seite Spezialisierter und ggf. weiterer Kräfte. Der Kampf gegen den transnationalen Terrorismus muss allerdings national und multinational als gesamtstaatliches, ressortübergreifendes Konzept verstanden werden, zu dem Streitkräfte ihren spezifischen Beitrag leisten.2821
2816 2817
2818 2819 2820 2821
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Division Spezielle Operation – Kommandeur, Handbuch Für Führung und Einsatz der Division Spezielle Operation, (Handbuch DSO), 1. Aufl. 2003, RN 1837 Sean J.A. Edwards, Swarming on the Battlefield. Past, Present, and Future, Santa Monica, Washington D.C. 2000, S. xi; vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini, Networks, Netwar, and Information-Age Terrorism, in: Ian O. Lesser, Bruce Hoffman, John Arquilla, David Ronfeldt, Michele Zanini (Hrsg.), Countering the New Terrorism, Santa Monica 1999, S. 39 ff.; 41 vgl. John Arquilla, David Ronfeldt, The Advent of Netwar, Santa Monica 1996, S. 12 William H McRaven, Spec Ops. Case Studies in Special Operations Warfare: Theory and Practice, Novato 1999, S. 1 vgl. William H McRaven, Spec Ops. Case Studies in Special Operations Warfare: Theory and Practice, Novato 1999, S. 8 vgl. Gert Gawellek, Aktuelle Konzeption und geplante Weiterentwicklung der Spezial- und Spezialisierten Kräfte innerhalb der DSO, in: Der Deutsche Fallschirmjäger, Heft 2, 2006, S. 13 ff.; 13
9.7.1.3
Zwischenergebnis
Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich, dass Kommandokampf und Jagdkampf ähnliche und teilweise gleiche Einsatzverfahren und Einsatztaktiken kennen. Der wesentliche Unterschied zwischen Kommandokampf und Jagdkampf ist allerdings, dass die Kommandoaktion auf einen konkreten, festgelegten Auftrag, der inhaltlich, räumlich und zeitlich begrenzt ist, ausgerichtet ist; hingegen das Jagdkommando in seinem Einsatzraum weitgehend selbstständig operiert und seine Aktionen im Rahmen des Auftrages lageabhängig selbstständig aus eigenem Entschluss plant und durchführt. Bei der Kommandoaktion kommt es also auf die präzise Durchführung einer bestimmten, abgegrenzten Aktion an, auf die das Kommando ausgerichtet ist. Dagegen ist es das Ziel des Jagdkommandos, den Gegner andauernd und nachhaltig zu schwächen und zu stören bzw. an der Ausführung eigener Aktionen zu hindern.2822 Weiterhin kann festgestellt werden, dass Spezial- und Spezialisierte Kräfte einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung Irregulärer Kräfte leisten können. Wenngleich sie ein strategisches Mittel darstellen können, sind sie oftmals nur operatives oder taktisches Element. Mithin stellen diese Kräfte nur ein Mittel in einer breiten Palette staatlicher Instrumente dar und können nur zu bestimmten – eben speziellen Zwecken – wirksam eingesetzt werden. Folglich ist der Ressort und Institutionen übergreifende Ansatz des „Interagency Interaction“ ein Konzept, das im Sinne einer Gesamtstrategie abgestimmt staatliche und nichtstaatliche Mittel Ziel führend zum Einsatz bringen kann. Ein isoliertes Vorgehen ist – wie die aktuell verlaufenden Konflikte zeigen – häufig unzureichend und oftmals in den Auswirkungen und Reaktionen auch kontraproduktiv. 10. Folgerungen Wenn man also in den Kategorien von Zuständigkeiten und Kompetenzen denkt, so muss man die rechtlichen, personellen, organisatorischen, technischen und ausbildungsmäßigen Voraussetzungen schaffen und die entsprechenden Mittel bereitstellen, dass die Organisation, welche einen Auftrag bekommt, auch in der Lage ist, diesen (erfolgreich) auszuführen. Ein anderer Ansatz könnte der sein, dass man das Problem aufgabenorientiert angeht, also fragt, welche Fähigkeiten notwendig sind, die gestellten Aufgaben zu meistern. Dieser Ansatz verlangt, dass man vorhandene Fähigkeiten nutzt, und durch (grund-) gesetzliche Anpassungen der Organisation den Auftrag zur Bewältigung einer Herausforderung erteilt, die in der Lage ist, dieses zu leisten. Beide Ansätze setzen eine umfassende und tiefgehende Analyse in zweierlei Hinsicht voraus: 1. 2.
2822
Wie sehen die tatsächlichen Risiken und Bedrohungen durch Irreguläre Kräfte aus und über welche Fähigkeiten verfügen diese? Welche Fähigkeiten sind tatsächlich erforderlich, um diesen Herausforderungen wirksam zu begegnen? Dirk Freudenberg, Jürgen Hassinger, Besondere Einsatzverfahren und Irreguläre Kräfte – Schutz der eigenen Kräfte im Einsatz, in: Johannes Gerber, Manfred Kühr (Hrsg.), Landkriegsführung. Operation. Taktik. Logistik. Mittel. Supplement zum Handbuch 1992, Bissendorf 2004, S. 37 ff; 38
397
Die hieraus in einem ersten Schritt zu definierenden und zu entwickelnden Fähigkeitsprofile müssen allen möglichen Bedrohungen entsprechen und sowohl präventive, defensive als auch offensive Antworten und Vorgehensweisen beinhalten, die interaktiv, komplex und vor allem wirkungsorientiert sind. In einem zweiten Schritt gilt es festzulegen, welche personellen, organisatorischen und infrastrukturellen Maßnahmen und Zuordnungen ressortübergreifend zu treffen sind, um diese Fähigkeiten zu erreichen. Hieraus folgend müssen ggf. in einem dritten Schritt die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst bzw. geändert werden. Alleiniger Maßstab hierfür dürfen Erfolg und Effektivität sein.2823 Hieraus folgt – unabhängig von einer eingehenden Prüfung der vorangestellten Fragen – für die gegenwärtige Situation und Rechtslage, dass man entweder den Polizeien bestimmte, zurzeit nicht vorhandene Einsatzmittel als polizeiliche zur polizeilichen Gefahrenabwehr zuordnet oder dass man durch eine Änderung des Grundgesetzes die Voraussetzungen für einen Einsatz der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung in originärer Zuständigkeit freimacht. Ein dritter Ansatz zur Bewältigung dieser Aufgabe könnte ein integriertes Gefahrenabwehrmanagement sein, welches die vorhandenen Fähigkeiten zusammenfasst und lageabhängig, ziel- und wirkungsorientiert abruft und zum Einsatz bringt. Dieser Ansatz setzt ein umfassendes Wissensmanagement2824 im Sinne eines „System of Systems“2825 voraus, in welches alle einsatzrelevanten Informationen zur gemeinsamen Auswertung und Nutzung zusammenfließen und welches mit allen möglichen Fähigkeiten vernetzt ist, entsprechenden Bedrohungen zu begegnen. Es kommt dabei aber nicht nur darauf an, den Gegner zu kennen, sondern ihn zu verstehen.2826 Hieraus folgernd muss die Bereitschaft bestehen, in Streitkräften eine Organisationskultur zu entwickeln, wonach diese sich selbst als lernende Institution begreifen.2827 Wenn also die Welt sich ändert, dann wäre es ein Fehler, auch zukünftig auf tradierte Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verfahren zu setzten, ohne dass man die entsprechenden Anpassungen in der Entwicklung des Denkens und der Anwendung von Fähigkeiten auf der strategischen, operativen und taktischen Ebene schafft, die notwendig sind, den neuen Herausforderungen zu begegnen.
2823 2824 2825 2826 2827
398
Dirk Freudenberg, Terrorismus und Zivilschutz, in: Informationsdienst Terrorismus 2004, Heft 3, S. VII Zu verschiedenen Ansätzen von Wissensmanagement vgl. Rüdiger Reinhardt, Wissen als Ressource. Theoretische Grundlagen, Methoden und Instrumente von Wissen, Frankfurt am Main 2002, S. 136 ff. vgl. zum U.S.-amerikanischen Ansatz: Annette J. Krygiel, Behind the Wizzard’s Curtain. An Integration Environment for a System of Systems, o. OA. 1999; vgl. Bill Owens, Ed Offley, Lifting the Fog of War, Farrar, Straus, Giroux, New York 2000, S. 98 ff. vgl. Michael Chandler, Rohan Gunaratna, Countering Terrorism, Can We Meet the Threat of Global Terrorism?, London 2007, S. 36 vgl. hinsichtlich den britischen Erfahrungen und der hieraus entwickelten Einstellung: John A. Nagel, Learning to eat Soup with a Knife. Counterinsurgency Lessons from Malaya and Vietnam, Chicago, London 2005, S. 213 ff.
10.1
Der Einsatz während der Olympischen Spiele 1972 als Beispiel für Misserfolg aus Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel
Die nachstehenden Ausführungen sollen anhand eines konkreten Beispiels belegen, wie der Streit um Zuständigkeiten und Kompetenzen, besser das Verharren in denselben,2828 einen möglichen taktisch-operativen Erfolg gefährden oder gar zunichte machen kann. Zudem könnte durch einen Fehlschlag ein erheblicher (außen-) politischer Schaden durch einen entstandenen Ansehensverlust entstehen. In der Umkehrung hierzu könnte ein Fehlschlag der eigenen Kräfte gleichzeitig einen strategischen Erfolg für den Gegner bedeuten, indem die Schwäche des Staates offenbar wird.2829 Das hier vorgestellte Beispiel ist aus mehreren Gründen gewählt: Zum einen liegen die Ereignisse inzwischen mehr als dreißig Jahren zurück. Zum anderen sind die damaligen Abläufe weitgehend öffentlich bekannt. Weiterhin unterliegen die damaligen Einsatzgrundsätze auch hinsichtlich der hier zu untersuchenden alternativen Möglichkeit des Einsatzes und der im Rahmen dieser zum Einsatz kommenden Ausrüstung und Bewaffnung nicht (mehr) den Grundsätzen der Vertraulichkeit oder gar der Geheimhaltung. Somit werden auch keine aktuellen Einsatzgrundsätze oder -konzepte verraten. Dabei geht es im nachfolgenden auch überhaupt nicht darum, die seinerzeit handelnden Personen auf der operativ-taktischen Ebene anzugreifen oder gar ihren persönlichen Einsatz aus einer ex post Sicht, also im Nachhinein aus einer besseren Sicht auf die Dinge, um die es geht, zu kritisieren. Im Gegenteil, die vorhandenen polizeilichen Kräfte waren nicht in der Lage, derartige Aktionen wirksam zu bekämpfen.2830 Folglich ist davon auszugehen, dass die dort vor Ort handelnden Polizeibeamten in eine Lage gestellt wurden, für die sie weder ausgebildet noch ausgerüstet waren. Vor allem kann unterstellt werden, dass sie von ihrem bisherigen Werdegang nicht auf eine solche Situation innerlich eingestellt waren. Folglich ist der erste Vorwurf hier gegen die damaligen Verantwortlichen zu richten, die – entgegen deutschen Führungsgrundsätzen – ihre Männer in eine Aufgabe gestellt haben, deren erfolgreiche Ausführung von vorneherein zumindest mehr als fraglich war. Angesichts anderer Handlungsalternativen hätte man den Männern den Misserfolg ersparen müssen. Dieses allzumal, weil auch die Israelis angeboten hatten, eine Antiterroreinheit der Sayeret Matkal nach Deutschland zu fliegen, was von deutscher Seite seinerzeit abgelehnt wurde.2831 In der Literatur wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Israelis ihre 2828
2829 2830
2831
Kritisch über die Zuständigkeiten verschiedener Ressorts und Behörden auf unterschiedlichen Ebenen des föderativen Systems der Bundesrepublik Deutschland und die sich hieraus ergebenden Kompetenzund Zuständigkeitsprobleme vgl. auch Matthias Dahlke, Der Anschlag auf Olympia ’72. Die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Deutschland, München 2006, S. 25 ff. Ebendies war in München 1972 der Erfolg der Täter: das Vertrauen in die bundesdeutsche Regierung war nachhaltig beschädigt. (vgl. James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 78) Ulrich Wegener, Bekämpfung des Terrorismus durch Spezialeinheiten im Rahmen des Sicherheitskonzeptes der Bundesrepublik Deutschland, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 147 ff.; 147; vgl. James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77 Muki Betser, Robert Rosenberg, Soldat im geheimen Auftrag. Israels führender Antiterror-Spezialist berichtet über seine spektakulärsten Einsätze, 1. Aufl., Hamburg 1991, S. 147; vgl. Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 185; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 68; vgl. Dan Raviv, Yossi Melman, Die Geschichte des Mossad. Aufstieg und Fall des israelischen Geheimdienstes, 4. Aufl. München 1990, S. 212 f., die davon ausgehen, dass der damalige Bundeskanzler Willy Brandt wohl zugestimmt hätte, aber die Entscheidung hierfür nach der föderativen Verfassung bei den Länderregierungen,
399
nach dem Vorbild des britischen SAS aufgestellte Anti-Terroreinheit Sayeret Matkal alarmiert hätten, um bei einer Befreiungsoperation eingesetzt zu werden.2832 Das Hilfsangebot der Israelis sei aber von Deutschland mit der Begründung abgelehnt worden, dass die deutschen Sicherheitskräfte in der Lage seien, die Situation zu bereinigen.2833 Tatsächlich offenbarte sich eine Lücke im Sicherheitssystem der Bundesrepublik Deutschland:
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2833 2834
400
Es handelte sich in dieser Lage nicht um Einzeltäter normaler Prägung. Die Täter waren auf ihren jeweiligen Auftrag gut vorbereitet, waren straff geführt, gut ausgerüstet und schwer bewaffnet. Sie waren mit Masse paramilitärisch ausgebildet. Planung und Durchführung der Aktion erfolgten nach Grundsätzen und Methoden der Kleinkriegführung. Eine politische Zielsetzung und ein ideologischer Hintergrund waren erkennbar. Die Aktionen waren auch dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ihre besonderen politischen Probleme zu richten.2834 Demzufolge fehlten auf der polizeilichen Seite Kräfte und Mittel, derartigen Erscheinungen wirksam entgegenzutreten. Wegener macht hierfür insbesondere verantwortlich:
also dem Freistaat Bayern gelegen hätte und dieser das israelische Angebot abgelehnt hätte. Klein argumentiert hinsichtlich der Zuständigkeiten ebenfalls in diese Richtung. (Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 68) Allerdings ist diese nicht näher belegte und begründete Annahme Ravivs, Melmans sowie die Kleins aus mehreren Gründen zumindest fraglich: Bei einer originär bayerischen Zuständigkeit wäre auch die Verantwortung für die Verhandlungen im Freistaat geblieben und von diesem in alleiniger Zuständigkeit geführt worden. Tatsächlich war der damalige Verhandlungsführer Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher. Diesem war am 05. September nach einer Kabinettsitzung von Bundeskanzler Brandt die Vollmacht erteilt worden, in München in Zusammenwirken mit der Bayerischen Staatsregierung die notwendigen Bemühungen für eine Rettung der Geiseln zu übernehmen. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Der Überfall auf die israelische Olympiamannschaft. Dokumentation der Bundesregierung und des Freistaates Bayern Bonn 19. September 1972, S. 22) vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 115 f.; vgl. Muki Betser, Robert Rosenberg, Soldat im geheimen Auftrag. Israels führender Antiterror-Spezialist berichtet über seine spektakulärsten Einsätze, 1. Aufl., Hamburg 1991, S. 147; vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 115 ff.; In jedem Fall hatten die Israelis im Mai 1972 bereits eine entführte belgische Verkehrsmaschine auf dem Flughaven Lod in Tel Aviv durch Fallschirmjäger stürmen lassen, wobei die beiden männlichen Terroristen getötet, eine der beiden weiblichen Terroristen verwundet sowie fünf Passagiere verwundet wurden, wovon einer später seinen Verletzungen erlag. (Gayle Rivers, Taktik gegen Terror, Zürich, Wiesbaden 1986, S. 159 f.) Auch wenn man im Ergebnis diese Aktion nicht als hundertprozentigen Erfolg bewerten will, hatten die Israelis mit diesem Einsatz dennoch unter Beweis gestellt, dass sie durchaus in der Lage sind, derartige Operationen durchzuführen. Bei dieser Einheit handelte es sich um die Seyeret Matkal. (vgl. Mike Ryan, Chris Mann, Alexander Stilwell, Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten. Taktik, Geschichte, Strategie, Taktik, London 2003, S. 59) Muki Betser, Robert Rosenberg, Soldat im geheimen Auftrag. Israels führender Antiterror-Spezialist berichtet über seine spektakulärsten Einsätze, 1. Aufl., Hamburg 1991, S. 147 Ulrich Wegener, Bekämpfung des Terrorismus durch Spezialeinheiten im Rahmen des Sicherheitskonzeptes der Bundesrepublik Deutschland, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 147 ff.; 147 f.
x x x
Das Nichtvorhandensein von Spezialeinheiten mit unkonventionell und hart ausgebildetem, ausgesuchtem Personal, das auf den Auftrag motiviert war. Mängel in Ausrüstung und Bewaffnung. Das Fehlen taktischer Konzepte.2835
Insofern reagierte die Politik auf diesen Fehlschlag mit der Aufstellung der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) durch Erlass des damaligen Bundesinnenministers vom 26. September 1972 und dem hierzu parallel verlaufenden Aufbau von Spezialeinsatzkommandos und Mobilen Einsatzkommandos auf Länderebene.2836 Diese Einheiten stellten in der Folgezeit unverzichtbare Instrumente für den unmittelbaren Zugriff gegen Terroristen dar,2837 dieses allerdings erst nachträglich. Dennoch machte dieses Ereignis die Notwendigkeit hochtrainierter Einheiten für die Terrorismusbekämpfung deutlich und Geiselbefreiungsoperationen bekamen weltweit eine herausragende Priorität.2838
2835 2836
2837 2838
Ulrich Wegener, Bekämpfung des Terrorismus durch Spezialeinheiten im Rahmen des Sicherheitskonzeptes der Bundesrepublik Deutschland, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 147 ff.; 148 Rolf Tophoven, GSG 9. Kommando gegen Terrorismus, 2. Aufl., Koblenz, Bonn 1977, S. 11; vgl. Mike Ryan, Chris Mann, Alexander Stilwell, Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten. Taktik, Geschichte, Strategie, Taktik, London 2003, S. 25; vgl. Muki Betser, Robert Rosenberg, Soldat im geheimen Auftrag. Israels führender Antiterror-Spezialist berichtet über seine spektakulärsten Einsätze, 1. Aufl., Hamburg 1991, S. 147; vgl. Ulrich Wegener, Bekämpfung des Terrorismus durch Spezialeinheiten im Rahmen des Sicherheitskonzeptes der Bundesrepublik Deutschland, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 147 ff.; 148; vgl. Manfred Klink, Innere Sicherheit – Strategien zur polizeilichen Bekämpfung des Terrorismus, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 359 ff.; 370; vgl. Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 124.; vgl. Mariam Lau, Schwarzer September, in: Die Welt vom 24. Januar 2006, S. 3; vgl. Oliver Ström, Im Schatten des Schakals, Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus, Berlin 2002, S. 158 f.;vgl. Ulrich K. Wegener, „Esprit de Corps!“, Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), in: Reinhard Günzel, Wilhelm Walter, Ulrich K. Wegener, (Hrsg.) Geheime Krieger. Drei deutsche Kommandoverbände im Bild, Selent 2006, S. 87 ff.; 89; vgl. Lars Strömsdörfer, Wolfgang Niemann, Einsatz in Mogadischu. Der Irrflug der „Landshut“ und die Befreiung der 86 Geiseln durch die GSG 9, Hamburg 1977, S. 103; vgl. Ulrich Wegener, The Evolution of Grenzschutzgruppe (GSG 9) and the Lessons of „Operation Magic Fire“ in Mogadishu, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last (Hrsg.), Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 107 ff.; 109; In Frankreich wurde in der Folge der Ereignisse von München und Fürstenfeldbruck die Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale (GIGN) aufgestellt, in Großbrittanien wurde dem Special Air Service Regiment (SAS) der Auftrag erteilt, die zusätzliche Fähigkeit zum Anti-Terrorkampf zu entwickeln und auszubilden. (Bruce Hoffmann, Inside Terrorism, New York 1998, S. 73; vgl. Mike Ryan, Secret Operations of the SAS. From the Deserts of Africa to the Mountains of Afghanistan, London 2003, S. 117); Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Rekrutierung bei der Aufstellung der GSG 9 neben Beamten des BGS auf Angehörige der Fallschirmjägertruppe zurückgegriffen wurde. (vgl. Ulrich Wegener, The Evolution of Grenzschutzgruppe [GSG 9] and the Lessons of „Operation Magic Fire“ in Mogadishu, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last [Hrsg.], Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 107 ff.; 110) Manfred Klink, Innere Sicherheit – Strategien zur polizeilichen Bekämpfung des Terrorismus, in: Hans Frank, Kai Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr. Terrorismus als internationale Herausforderung, Berlin 2002, S. 359 ff.; 370 Samuel M. Katz, U.S. Counterstrike. American Counterterrorism, Minneapolis 2005, S. 13; vgl. J. Paul de B. Taillon, The Evolution of Special Forces in Counter-Terrorism. The British and American Experience, London 2001, S. xii
401
10.1.1
Handlungsalternativen
Fraglich ist an dieser Stelle, ob es nicht tatsächlich Handlungsalternativen – im Sinne anderer Möglichkeiten des Handelns – gegeben hätte, welche eine bessere Aussicht auf einen Erfolg in der Durchführung gehabt hätten. Um dieses beurteilen zu können, ist es notwendig, die damalige Lage und den Einsatz kurz zu skizzieren. 10.1.1.1
Ausgangslage
Am 05. September 1972 überfiel in den frühen Morgenstunden kurz vor 04:30 ein achtköpfiges palästinensisches Kommando der Organisation Schwarzer September, die auch als Tarninstrument der palästinensischen Fatah für internationale Anschläge eingestuft wird,2839 das olympische Dorf in München.2840 Die Männer waren bewaffnet mit vollautomatischen Waffen (Maschinenpistolen des Typs AK-47, Kalaschnikow) und Handgranaten.2841 Zwei israelische Sportler wurden sofort getötet, die neun Überlebenden wurden als Geiseln genommen.2842 Nach einem Tag längerer Verhandlungen wurden den Terroristen zwei Hubschrauber zur Verfügung gestellt, die sie zusammen mit den Geiseln zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck flogen.2843 Von dort aus wollten die Entführer mit einem bereitgestellten Passagierflugzeug nach Kairo ausgeflogen werden.2844
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2840
2841 2842 2843 2844
402
David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie. Die paramilitärische palästinensische Nationalbewegung von 1918 bis 1981, München 1982, S. 402; vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 62; vgl. Victor Ostrovsky, Der Mossad. Ein Ex-Agent enthüllt Aktionen und Methoden des israelischen Geheimdienstes, Hamburg 1991, S. 221; vgl. Rolf Tophoven, Palästinensische Kommandos – israelische Abwehr. Aspekte des Guerillakrieges und der Konterguerilla in Nahost, in: Rolf Tophoven (Hrsg.), Guerilla und Terrorismus heute. Politik durch Gewalt, Koblenz, Bonn 1976, S. 69 ff.; 75 f.; vgl. Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 94; vgl. Bruce Hoffmann, Inside Terrorism, New York 1998, S. 71 vgl. Reinhard Scholzen, Kerstin Froese, GSG 9. Innenansichten eines Spezialverbandes des Bundesgrenzschutzes, 3. Aufl., Stuttgart, 2001, S. 8; vgl. Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 92; vgl. Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 184 f.; Reinhard Garger, Geiselhaft und Kriegsgefangenschaft, Opfer – Täter – Überlebensstrategien, Wien 2001, S. 42; Zum chronologischen Ablauf der Ereignisse vgl. auch: NN, Die Spiele der XX. Olympiade München. Die olympische Tragödie. Die Chronik der Ereignisse, http//www.olympia72.de/050972b.htm, Internetrecherche vom 22.12.2005; vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 17 ff.; vgl. Georges Jonas, Schwarzer September. Der Mossad im Einsatz. Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972, München 2006, S. 13 ff.; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 52 ff. James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77; vgl. Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 185 Reinhard Scholzen, Kerstin Froese, GSG 9. Innenansichten eines Spezialverbandes des Bundesgrenzschutzes, 3. Aufl., Stuttgart, 2001, S. 8; vgl. Reinhard Garger, Geiselhaft und Kriegsgefangenschaft, Opfer – Täter – Überlebensstrategien, Wien 2001, S. 42 vgl. Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 92; Reinhard Scholzen, Kerstin Froese, GSG 9. Innenansichten eines Spezialverbandes des Bundesgrenzschutzes, 3. Aufl., Stuttgart, 2001, S. 8; vgl. Bruce Hoffmann, Inside Terrorism, New York 1998, S. 71 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Der Überfall auf die israelische Olympiamannschaft. Dokumentation der Bundesregierung und des Freistaates Bayern Bonn 19. September 1972,
10.1.1.2
Der polizeiliche Einsatz in Fürstenfeldbruck
In Fürstenfeldbruck versuchten bayerische Polizeikräfte in der Nacht zum 6. September die Geiseln zu befreien; die Aktion scheiterte und alle Geiseln und ein deutscher Polizeibeamter wurden getötet,2845 zwei Mann der Hubschrauberbesatzung wurden verwundet2846; drei der acht Geiselnehmer überlebten und wurden verhaftet.2847 10.1.1.2.1
Plan für den Einsatz und Ablauf der Aktion
Der ursprüngliche Plan für den Einsatz hatte drei Phasen vorgesehen. In der ersten Phase sollten die das Flugzeug überprüfenden Entführer durch die in der Maschine wartende Polizeikräfte überwältigt bzw. ausgeschaltet werden; danach sollten in der zweiten Phase die Scharfschützen die übrigen Geiselnehmer ausschalten; in der letzten Phase sollten gepanzerte Fahrzeuge vorfahren und die Sportler aufnehmen.2848 Allerdings verlief die Aktion anders als geplant. Der geschlossene Einsatz der am Flughafen in Stellung gegangenen Scharfschützen der Polizei schlug fehl; es gelang nicht, alle Geiselnehmer sofort auszuschalten, so dass sich, nachdem die Scharfschützen um 22:44 Uhr vom Dach des Flughafengebäudes2849 das Feuer auf die Entführer in der zunächst hell beleuchteten Landezone eröffneten, ein Feuergefecht entwickelte,2850 in dessen Verlauf fast alle „Lichtgiraffen“ von den Terroristen getroffen wurden, wodurch es auf dem Landeplatz dunkel wurde.2851
2845 2846
2847 2848 2849 2850 2851
S. 57; vgl. Reinhard Scholzen, Kerstin Froese, GSG 9. Innenansichten eines Spezialverbandes des Bundesgrenzschutzes, 3. Aufl., Stuttgart, 2001, S. 8 Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 7 ff.; 92; vgl. Bruce Hoffmann, Inside Terrorism, New York 1998, S. 72; vgl. Mike Ryan, Secret Operations of the SAS. From the Deserts of Africa to the Mountains of Afghanistan, London 2003, S. 116 James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77; vgl. Georges Jonas, Schwarzer September. Der Mossad im Einsatz. Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972, München 2006, S. 13 ff.; 19 Georges Jonas, Schwarzer September. Der Mossad im Einsatz. Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972, München 2006, S. 13 ff. Rolf Tophoven, Fedayin – Guerilla ohne Grenzen, Frankfurt am Main 1974, S. 7 ff.; 92; vgl. Georges Jonas, Schwarzer September. Der Mossad im Einsatz. Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972, München 2006, S. 13 ff.; 20 Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 78 James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77 Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 185; vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Der Überfall auf die israelische Olympiamannschaft. Dokumentation der Bundesregierung und des Freistaates Bayern Bonn 19. September 1972, S. 48 Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 87
403
10.1.1.3
Bewertung
Ursächlich für die negative Lageentwicklung war unter anderem, dass zwei der fünf2852 Polizeischarfschützen, obwohl sie ihre Ziele aufgefasst hatten, nicht schossen, die Ausleuchtung der Landebahn unzureichend war und die Kampfentfernung zu groß war.2853 Zudem gingen die Einsatzkräfte am Flughafen nur von fünf statt tatsächlich acht Terroristen aus, obwohl diese Information vorhanden war.2854 Die im Flugzeug für einen Zugriff bereit gehaltenen Polizeibeamten hatten ihre Position aus eigenem Entschluss2855 verlassen und konnten somit nicht – wie geplant – zum Ausschalten der Geiselnehmer zum Einsatz kommen.2856 Diese Beamten hatten den Auftrag, die in das Flugzeug steigenden Terroristen auszuschalten, während die Scharfschützen das Flugfeld überwachen sollten und die Terroristen vor der Maschine bekämpfen sollten.2857 Es mussten also weitere Polizeikräfte mit zum Teil gepanzerten Fahrzeugen und automatischen Waffen in einem direkten Zugriff eingesetzt werden, um die überlebenden Geiselnehmer niederzukämpfen bzw. zu überwältigen.2858 Bevor dieses gelang und die letzten drei Geiselnehmer sich ergaben, töteten sie mit Handgranaten und automatischen Waffen alle neun Geiseln und zerstörten die Hubschrauber.2859 Garger schreibt hier von einem Feuergefecht, welches „Stunden“ dauerte.2860 In zusammenfassender Auswertung des taktischen Ablaufes macht er denn auch vor allem
2852 2853
2854 2855
2856
2857 2858
2859 2860
404
vgl. Reinhard Garger, Geiselhaft und Kriegsgefangenschaft, Opfer – Täter – Überlebensstrategien, Wien 2001, S. 43; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 78 vgl. James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77; vgl. Georges Jonas, Schwarzer September. Der Mossad im Einsatz. Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972, München 2006, S. 13 ff.; 19 vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 159; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 86 So die Aussage eines beteiligten Beamten, der davon sprach, dass dieser Entschluss „per Abstimmung“ getroffen wurde. (vgl. Arthur Cohn [Produzent], Ein Tag im September. Das Geiseldrama München 1972, DVD) Der gemeinsame Bericht von Bunderegierung und Bayerischer Landesregierung führt abweichend hierzu aus, dass die Polizeibeamten „zurückgezogen“ wurden, nachdem der Kommandoführer die Auffassung seiner Beamten vorgetragen hatte, dass ein Kampf in der Maschine gegen die mit Handgranaten und Maschinenpistolen bewaffneten Tätern diesen als „Todeskommando“ erschienen hätte. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Der Überfall auf die israelische Olympiamannschaft. Dokumentation der Bundesregierung und des Freistaates Bayern Bonn 19. September 1972, S. 45 f.) vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 160 ff.; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 85; vgl. Matthias Dahlke, Der Anschlag auf Olympia ’72. Die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Deutschland, München 2006, S. 16 vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 166; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 78 Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 185; vgl. James Adams, Secret Armies, Inside the American, Soviet and European Special Forces, New York, Toronto, London, 1989, S. 77 f.; vgl. Aaron J. Klein, Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2005, S. 88 Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 185 vgl. Reinhard Garger, Geiselhaft und Kriegsgefangenschaft, Opfer – Täter – Überlebensstrategien, Wien 2001, S. 43
die Wahl der Stellungen, die nicht synchronisierte Feuereröffnung durch die Scharfschützen und das mangelhafte Trefferergebnis für den Fehlschlag der Aktion verantwortlich.2861 Nimmt man die hier in den einzelnen angeführten Quellen zum Teil übereinstimmend wiedergegebene Kritik zusammen, so lassen sich für den taktischen Einsatz die Ursachen für das Scheitern der Befreiungsaktion im Bereich der Ausbildung und Erziehung, der Bewaffnung und technischen Ausstattung und der Einsatzplanung und Einsatzdurchführung herausarbeiten. Im Einzelnen also:
x
Mangelhafte und falsche Feindlageinformationen zwischen den Einsatzkräften, insbesondere hinsichtlich der personellen Stärke der Terroristen. Nicht vorhandene bzw. untaugliche Führungsmittel für eine Koordinierung des Feuers (geschlossener Feuerüberfall, geleiteter Feuerkampf), um die Geiselnehmer mit einem Schlag nach Möglichkeit gleichzeitig auszuschalten. Unzweckmäßige Bewaffnung, vor allem nicht vorhandene Nachtsehfähigkeit und Nachtkampffähigkeit. Unzureichende Ausbildung und fehlende Stressstabilität der eingesetzten Polizeikräfte. (Eigenmächtiges) Abweichen vom ursprünglichen Plan für den Einsatz durch die Zugriffskräfte im Flugzeug mit der Folge, dass für das Ausschalten der acht Geiselnehmer nur fünf Scharfschützen zur Verfügung standen bzw. sie somit die einzigen Kräfte waren, die zunächst zum Einsatz gebracht werden konnten. Unterlegener eigener und demzufolge zu schwacher Kräfteansatz durch den geplanten Einsatz von nur fünf Scharfschützen gegen acht Geiselnehmer, was von vorneherein eine Mehrzielbekämpfung durch die einzelnen Scharfschützen verlangte und darüber hinaus ebenfalls ein gleichzeitiges wirkungsvolles Ausschalten unmöglich machte. Die oben angeführte Tatsache, dass zwei der Scharfschützen ihre Ziele nicht bekämpften und sich nicht aktiv am Feuerkampf beteiligten, verschlechterte das tatsächliche Kräfteverhältnis der ohnehin zahlenmäßig unterlegenen Scharfschützen noch einmal. Keine bzw. untaugliche Reserven und kein Plan für deren Einsatz.
x x x x
x
x 10.1.1.4
Zwischenergebnis
Demzufolge sind Kampfkraft und Gefechtswert der hier eingesetzten Kräfte von vornherein als schlecht zu beurteilen. Weiterhin waren die Einsatzplanung und der taktische Einsatz der Kräfte mangelhaft. Wesentliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz waren von Beginn an nicht gegeben und fundamentale Einsatzgrundsätze (Überlegenheit eigener Kräfte, Reservenbildung) wurden nicht beachtet. Zudem fehlte der klare Einsatzauftrag, es gab keine einheitliche Führung; weder die Scharfschützen wurden geführt, noch gab es eine
2861
Reinhard Garger, Geiselhaft und Kriegsgefangenschaft, Opfer – Täter – Überlebensstrategien, Wien 2001, S. 43; vgl. Ulrich K. Wegener, „Esprit de Corps!“, Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), in: Reinhard Günzel, Wilhelm Walter, Ulrich K. Wegener, (Hrsg.) Geheime Krieger. Drei deutsche Kommandoverbände im Bild, Selent 2006, S. 87 ff.; 88 f.
405
Gesamtführung.2862 „Das war der springende Punkt.“2863 Das Scheitern der Aktion war also im Kern bereits angelegt. Zudem lassen die Schilderungen über den Ablauf der Aktion insgesamt den Schluss zu, dass ein Fehlschlag des Scharfschützeneinsatzes bei der Planung gar nicht in Erwägung gezogen wurde und somit die Zuführung und der Zugriff weiterer Kräfte nach dieser Phase einen zumindest improvisierten und nur wenig koordinierten Eindruck machten, der das Scheitern der Gesamtaktion dann perfekt machte. Folglich war der Einsatz hinsichtlich der Einsatzplanung und Durchführung mangelhaft. Hier zeigt sich, dass der Misserfolg auf der taktischen Ebene strategisch erheblich negative Auswirkungen hatte: Neben dem Verlust an Menschenleben bedeutete der Fehlschlag einen erheblichen Imageschaden2864 für die Bundesrepublik Deutschland und war somit gleichzeitig eine empfindliche strategische Niederlage gegen den internationalen Terrorismus.2865 Dementsprechend hätte es einer Entscheidung bedurft, Kräfte einzusetzen, die über die entsprechende Ausrüstung und Ausbildung verfügen. Eine solche Entscheidung wäre auf der strategischen Ebene, hier der politischen Ebene, zu fällen gewesen. 10.1.2
Möglichkeiten des Handelns
Die erste Möglichkeit meint den Einsatz entsprechend bewährter israelischer Kräfte, der – wie oben bereits ausgeführt – abgelehnt wurde. Diese Entscheidung mag aus Rechts- sowie aus Imagegründen aus der Sicht der Verantwortlichen in der Situation nachvollziehbar sein, wenngleich das Ergebnis die Frage aufwirft, ob es nicht weniger imageschädlich gewesen wäre, wenn die Israelis die Aktion durchgeführt hätten. Da diese Frage allerdings erst im Nachhinein auftaucht, braucht sie an dieser Stelle auch nicht beantwortet zu werden. Die zweite Möglichkeit hätte darin liegen können, Soldaten der Bundeswehr zur Bereinigung der Lage einzusetzen. Nach der damaligen staats- und völkerrechtlichen Beurteilung handelte es sich um eine polizeiliche Gefahrenlage. Es kann hier dahinstehen, ob ein solcher tatsächlich erörtert wurde, die verfassungsrechtliche Situation sah einen solchen Einsatz zum damaligen Zeitpunkt unstrittig nicht vor. Insofern fehlte es an einer entsprechenden ausdrücklichen Rechtsgrundlage. Allerdings war auch diese extreme Lage für die Bundesrepublik Deutschland eine neue, so dass die Verfassung eine solche gar nicht vorsah und sie auch gar nicht vorhersehen konnte. Mithin konnte eine solche Lage auch nicht von der Verfassung hinreichend bestimmbar berücksichtigt werden. Allerdings könnte es hier zunächst fraglich sein, ob die Bundeswehr zum damaligen Zeitpunkt überhaupt objektiv in der Lage gewesen ist, eine solche Lage zu bewältigen.
2862 2863 2864 2865
406
Ulrich K. Wegener, Gespräch mit dem Verfasser am 31.01.2007 in Windhagen Ulrich K. Wegener, Gespräch mit dem Verfasser am 31.01.2007 in Windhagen vgl. Mariam Lau, Schwarzer September, in: Die Welt vom 24. Januar 2006, S. 3 Dagegen urteilen Fetscher, Münkler und Ludwig, dass auch die Aktion der Palästinenser, sowie die hieraus resultierenden Ergebnisse nicht als „erfolgreich“ zu bewerten sind. (Iring Fetscher, Herfried Münkler, Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ihering Fetscher, Günter Rohrmoser [Hrsg.], Ideologien und Strategien, Opladen 1981, S. 16 ff.; 218) Dabei übersehen sie aber sowohl die politischen und psychologischen Auswirkungen in der Bundesrepublik Deutschland als auch die Begeisterung in der arabischen Welt über die Tat als solche, die somit bereits in ihren Folgen einen strategischen Erfolg darstellt.
10.1.2.1
Mögliche Alternative und Idee des Gefechts
In der Literatur wird tatsächlich geäußert, dass es sich bei den in der Befreiungsaktion eingesetzten Kräften um deutsche Fallschirmjäger gehandelt habe, die unerfahren und schlecht ausgerüstet gewesen seien.2866 Diese Behauptung könnte als unbeachtlich dahinstehen, wenn sie nur historisch ungenau oder gar falsch wäre. Sie verstellt aber möglicherweise den Blick auf einen realistischen Lösungsansatz mit einem – möglicherweise – erfolgreichen Ausgang der Situation am Flughafen in Fürstenfeldbruck. Folglich soll nachstehend kurz untersucht werden, welche taktischen Einsatzoptionen bei einer Beteiligung bzw. dem Einsatz von deutschen Fallschirmjägern zum damaligen Zeitpunkt bestanden hätten. Ab den 1960er waren bei der Bundeswehr Infrarot(IR)-Nachtsichtgeräte eingeführt.2867 Jede Fallschirmjägergruppe verfügte seinerzeit bereits über einen Soldaten, der in der Zweitverwendung zum Scharfschützen ausgebildet wurde. Folglich ist davon auszugehen, dass 1972 ausreichend ausgebildete Soldaten zur Verfügung standen. Die IRNachtsichtgeräte ermöglichten mit der Reichweite des dazugehörigen InfrarotZielscheinwerfers eine Kampfentfernung mit dem Gewehr G3 bei 4-facher Vergrößerung des Zielfernrohrs von 300 Metern.2868 IR-Licht ist mit dem bloßen Auge nicht zu sehen, das heißt, auch die Lichtquelle ist ohne eine entsprechende Ausstattung nicht aufzuklären. Allerdings können bauartbedingt – unabhängig vom Zielscheinwerfer – auch andere InfrarotLichtquellen ausgenutzt werden, so dass sich die Kampfentfernung unter Umständen erhöhen kann. Das Gefecht hätte auch hier in mehreren Phasen stattgefunden. So hätte man im Vorfeld der Aktion zur Ausleuchtung des Flugfeldes gepanzerte Fahrzeuge in der Dunkelheit auffahren können. Diese hätten das Flugfeld weiträumig ohne Gefährdung der Besatzungen mit Infrarot ausleuchten können, ohne gesehen zu werden, und man wäre zudem nicht auf die Weißlichtquellen des Flughafens angewiesen gewesen, die auch den Terroristen bis zu ihrem Ausfall die Orientierung ermöglichten. (Ein weiterer Vorteil wäre gewesen, dass die Fallschirmjäger auf den Scheinwerfer des eigenen IR-Gerätes hätten verzichten können, was ihre eigene Beweglichkeit erhöht hätte.) Da ausreichend ausgebildete Kräfte2869 zur Verfügung standen, hätte man diese problemlos im Lufttransport heranführen können. In der ersten Phase des Gefechtes hätte die Bekämpfung der Ziele durch mehrere Scharfschützen vorgenommen werden können, was die Wahrscheinlichkeit erhöht hätte, dass bei mangelhafter Sichtstrecke, die eine Bekämpfung nicht zuließ, Ausfall oder Fehlschuss eines Soldaten ein anderer erfolgreich hätte wirken können. In der zweiten Phase wären ausreichend Kräfte zur Verfügung gestanden, die gegebenenfalls in einem schnellen Zugriff in Stoßtruppgliederung und im Schutz der gepanzerten 2866
2867
2868 2869
Dan Raviv, Yossi Melman, Die Geschichte des Mossad. Aufstieg und Fall des israelischen Geheimdienstes, 4. Aufl. München 1990, S. 213; Tatsächlich gab es wohl auf israelischer Seite die Hoffnung, dass die Bundeswehr eingesetzt würde. (vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 117) vgl. Manfred Kergten, Walter Schmid, Heckler & Koch. Die offizielle Geschichte der Oberndorfer Firma. Einblicke in die Historie. Beschreibung der Waffenmodelle. Darstellung der Technik, 1. Aufl., Wuppertal 1999, S. 332; vgl. Der Bundesminister der Verteidigung, Führungsstab des Heeres IV 4, HDv 215/52, Infrarot-Zielgerät für Handwaffen, Bonn 6.06.67 Der Bundesminister der Verteidigung, Führungsstab des Heeres IV 4, HDv 215/52, Infrarot-Zielgerät für Handwaffen, Bonn 6.06.67, RN 7 Beispielsweise sei hier das Fallschirmjägerbatlaillon 252 in Nagold genannt, von welchem die Scharfschützen im Lufttransport an den Einsatzort hätten verlegt werden können.
407
Fahrzeuge die Geiseln hätten retten und befreien sowie – sofern noch notwendig – kampffähige und -bereite Irreguläre hätten niederkämpfen können. Auch wenn es bei dieser Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass es Friktionen hätte geben können, ist aufgrund des von vorneherein überlegenen Kräfteansatzes insgesamt von einer erfolgreichen Aktion auszugehen. Mithin liegt eine objektive Durchführbarkeit vor.2870 Da es – wie bereits festgestellt – keine kodifizierte Rechtsgrundlage für einen solchen Einsatz gab, bleibt die Frage, ob es nicht dennoch eine rechtliche Grundlage gegeben hätte, eine solche Aktion auf der strategischen Ebene politisch zu entscheiden. 10.1.2.2
Der Lösungsansatz über den staatlichen Notstand
In kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen die Interessen gleicher Größenordnung kollidieren, kann ein Notstand nicht geltend gemacht werden, da sich das Kriegsrecht gerade aus solchen, in solchen oder für solche Krisensituationen staatlicher Bedrängnis entwickelt bzw. kodifikatorisch geformt hat, und da die Gebote der Not gewissermaßen zu den „Genen der kriegsrechtlichen Keimzellen“ gehören, kann ein Recht, das durch einen Notstand bedingt ist, nicht durch eben denselben außer Kraft gesetzt werden.2871 Diese Ansicht betrifft aber kriegerische Auseinandersetzungen zwischen „Gleichen“; sie sind also auf die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Staaten abgestellt. Das Thema der Verteidigung gegen Irreguläre, die nicht die völkerrechtsmäßigen Voraussetzungen erfüllen und sich ihrerseits nicht an die entsprechenden Kodifikationen halten, ist folglich von dieser Regelung nicht umfasst. Die Frage, mit welchen Mitteln sich der Rechtsstaat in außergewöhnlichen Lagen verteidigen darf, ohne seine Identität als Rechtsstaat preiszugeben, ist alt und immer wieder behandelt worden; so auch im Zusammenhang mit der Einführung der „Notstandsverfassung“ 1968.2872 Bestimmte Formen des Irregulären Kampfes, die sich der offenen Auseinandersetzung entziehen und deren Aktionen den verletzlichen, modernen Leistungsstaat und seine Bevölkerung in existenzielle Gefahr bringen können, werden durch die Notstandsbestimmungen des Grundgesetztes nicht abgedeckt.2873 In diesem Zusammenhang ist zunächst die Frage zu stellen, ob es über die ausdrücklich normierten Notstandsbefugnisse hinaus, welche das Grundgesetz zur Verfügung stellt, noch ungeschriebene Befugnisse – als ein „Notaggregat“ – gibt, auf die staatlichen Organe zurückgreifen können, wenn die Notstandsregelungen der Verfassung im Ernstfall nicht ausreichen.2874
2870 2871 2872 2873 2874
408
„Völlig richtig“, zu dem vorgestellten Ansatz Ulrich K. Wegener, Gespräch mit dem Verfasser am 31.01.2007 in Windhagen Jürg H. Schmid, Die völkerrechtliche Stellung der Partisanen im Kriege unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Geltungsbereiches der Genfer Konventionen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949, Zürich 1956, S. 67 Meinhard Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates. Überlegungen zur Verteidigung des Rechtsstaates in außergewöhnlichen Lagen, in: AÖR 1978, S. 121 ff.; 121 Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 412 Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 411
10.1.2.2.1
Staatsnotstand und Staatsnotrecht
Die Erhaltung des Rechts der Normallage setzt die Anerkennung des Ausnahmezustandes voraus.2875 Mit Ausnahmezustand ist eine Lage bezeichnet, in der so schwere Gefahren für den Bestand des Staates, seine Sicherheit und (Rechts-)Ordnung bestehen, dass deren Bewältigung mit den im Normalfall zu Gebote stehenden Mitteln nicht mehr möglich ist.2876 Einen solchen Staatsnotstand können nur solche Gefahren begründen, die den Bestand des Staates oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus der äußeren Lebenssphäre bedrohen.2877 Hier ist es erforderlich, dass die notwendigen Entscheidungen mit größter Schnelligkeit getroffen werden können.2878 Fraglich ist, ob in einer nichtvorhersehbaren Lage der Staat Maßnahmen ergreifen kann, die verfassungsmäßig nicht geregelt sind oder gar dem Wortlaut und den Regelungen der Verfassung widersprechen; diese aber die einzige Möglichkeit darstellen, die Lage zu beherrschen und die Gefahr abzuwehren. Die Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand könnte eine Möglichkeit zur Rechtfertigung von außergesetzlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen sein.2879 Im äußersten Fall der Gefahr können sich Mittel, die das Gesetz bereitstellt, als unzureichend erweisen und auch die Notbefugnisse, welche die Verfassung für den Ausnahmefall vorsieht, versagen.2880 Der Ausnahmefall ist dadurch gekennzeichnet, dass eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den vorgesehenen Befugnissen / Modalitäten und einer erfolgreichen Wahrnehmung der Aufgabe in ihrem Kern eintritt, und zwar angesichts einer unvorhergesehenen ernsten Gefahr, die den Staat fundamental, in seinem Charakter als Friedenseinheit und Garant der Rechtsordnung trifft.2881 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Situationen eintreten, die der Verfassungsgeber nicht vorausgesehen hat oder auch gar (noch) nicht voraussehen konnte, weil es ihm an Erfahrung oder Einsicht fehlte. Die staatlichen Instanzen sehen sich einer unerwarteten, für die Existenz des Staates bedrohlichen Situation ausgesetzt, für deren Bewältigung es keine Rechtsgrundlagen gibt.2882 Dementsprechend fehlt es dann auch konsequenterweise an Rechts- und Befugnisnormen, welche die Situation einer eindeutigen Gesetzeslage unterwerfen. Hier finden sich die Entscheidungsverantwortlichen dann in einem Grenzfall, 2875 2876
2877 2878 2879
2880 2881 2882
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1881 Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 388; vgl. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, München 1980, S. 1324; vgl. Konrad Hesse, Ausnahmezustand und Grundgesetz, in: DÖV 1955, S. 741 ff.; 741; vgl. Hans-Jürgen Wipfelder, Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Regensburg 1991, RN 1200 Hans-Jürgen Wipfelder, Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Regensburg 1991, RN 1200 Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München, Wien 1966; S. 8 So nach dem Scheitern des Luftsicherheitsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn unbemannte oder nur mit Terroristen bemannte Flugzeuge im so genannten Renegade-Fall als Waffe missbraucht würden. (vgl. NN, Jung will Luftwaffe einsetzen, in FAZ vom 18. Februar 2006, S. 2; vgl. Matthias Geis, Freundlicher Rambo, in: DIE ZEIT vom 20. April 2006, S. 2; Dagegen: Tobias Linke, Zur Rolle des Art. 35 GG in dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherungsaufgaben, in: NZWehrr 2004, S. 115 ff.; 120) Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 107 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1885 Meinhard Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates. Überlegungen zur Verteidigung des Rechtsstaates in außergewöhnlichen Lagen, in: AÖR 1978, S. 121 ff.; 129
409
für den keine klaren und eindeutigen Handlungsnormen vorliegen. Im Grenzfall ist der Normanwender gezwungen, vertieft Reichweite, Inhalt und Sinn zu hinterfragen, indes er sich im Normalfall nur an der Oberfläche zu halten braucht.2883 Das Unvorhersehbare gehört zum Charakter der Ausnahme und die bloße Verweigerung oder Verdrängung der Ausnahme bleibt eine Deklaration des reinen Wollens, dem die Wirklichkeit entgleitet.2884 Insofern spricht Isensee hier vom „Urdilemma“ des Staates: dass das Gesetz, nach dem er angetreten ist, die vorbehaltslose Unterwerfung unter die Regeln des Rechts in der Grenzsituation, die sich nicht durch Regeln beherrschen lässt, seinen Sinn verliert und er gezwungen ist, sich entweder über die Regeln hinwegzusetzen oder seinen Untergang zu akzeptieren.2885 Ein Zagen und Zögern in einer Situation staatlichen Notstandes könnte somit den Staat in ein Spannungsfeld zwischen den gesetzlichen Beschränkungen der Staatsgewalt und seiner Aufgabe, die Sicherheit der Bürger zu garantieren, bringen. Es könnte also ein Fall des Staatsnotstandes vorliegen. „Staatsnotstand“ ist ein im staatsrechtlichen Schrifttum uneinheitlich gebrauchter Begriff, in dem zwar die Vorstellung von einer Gefahrenlage für den Staat erweckt wird, die aber sowenig bestimmt ist, dass der Begriff mit sehr unterschiedlichem Begriffsinhalt gebraucht werden kann.2886 Der Begriff Staatsnotstand bezeichnet die Situation, in der der Staat entweder unmittelbar als Ganzes oder mittelbar durch Bedrohungen eines seiner Elemente, des Volkes, des Gebietes oder der Staatsgewalt, gefährdet ist.2887 Von dem Gegenstand unserer Untersuchung her interessiert uns die Frage, ob und wieweit es dem Staat, das heißt den Trägern der staatlichen Macht einschließlich der Organe der Exekutive gestattet ist, im Falle der höchsten Not die Grenzen ihrer legalen Befugnisse zu überschreiten.2888 Wenngleich eine Definition des Begriffs zunächst sowohl Privatpersonen als auch von Staatsorganen als Träger von Notstandshandlungen zulässt, die in Überschreitung ihrer Zuständigkeit oder ohne jede Zuständigkeit begangen werden2889, befassen wir uns bei der vorliegenden Betrachtung nur mit dem Staat bzw. den Verfassungsorganen der Exekutive und damit dem engeren staatsrechtlichen Interesse. Zumal auch, als dass ein Handeln des „entschlossenen Einzelnen“ eine Privatisierung des Risikos einer strafbaren Handlung bedeutet und sich die staatliche Rechtsordnung gewissermaßen 2883 2884 2885 2886 2887 2888
2889
410
Josef Isensee, Normalfall oder Grenzfall als Ausgangspunkt rechtsphilosophischer Konstruktion? in: Winfried Burger, Görg Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, Stuttgart 2002, S. 51 ff.; 51 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1885 Josef Isensee, Normalfall oder Grenzfall als Ausgangspunkt rechtsphilosophischer Konstruktion? in: Winfried Burger, Görg Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, Stuttgart 2002, S. 51 ff.; 65 Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 23 vgl. Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 28 Boldt betrachtet zudem die uns hier aber nicht weiter interessierende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der einzelne Bürger des Staates zu dessen Schutze in den strafrechtlich geschützten Lebenskreis eines anderen straflos eingreifen darf. (Gottfried Boldt, Staatsnotwehr und Staatsnotstand, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 56, Heft 2, o.JA., S. 14 ff.; 14) Fritz Heiliger, Der Staatsnotstand als Beispiel politischer Strafrechtswissenschaft, Leipzig 1935, S. 1; Der Gedanke gewinnt insofern noch eine besonders heikle Bedeutung, als dass durch die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs für Menschenrechtsverletzungen unter bestimmten Umständen sich der Handelnde der Strafverfolgung eines internationalen Gremiums ausgesetzt sehe, welches seine Unsicherheit weiter erhöht. Zu diesem Gerichtshof vgl. auch grundsätzlich Karl Doering, Betrachtungen zum Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs, in: Knut Ipsen, Christian Raap, Torsten Stein, Armin A. Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung, Festschrift für Klaus Dau zum 65. Geburtstag, Neuwied, Kriftel 1999, S. 63 ff.
zurückzieht und es in letzter Konsequenz dem Einzelnen überlässt, ob und wie er gegebenenfalls handelt.2890 Ein solches Abschieben der Verantwortung des Staates auf den Einzelnen ist nicht nur abzulehnen, weil es die Führungsunfähigkeit der politisch Verantwortlichen offenbart, sondern auch, weil es die Durchführungsentscheidung letztendlich auf die unterste Ebene delegiert und damit im Ergebnis unbestimmt bleibt.2891 Daher sind hier Handlungen umfasst, die – im Interesse des Staates begangen – formell dem positiven Recht des Staates zuwiderlaufen, ohne durch einen ausdrücklichen Satz dieses positiven Rechts gerechtfertigt werden, die aber trotzdem zu den Zwecken der gesamten Rechtsordnung nicht im Widerspruch stehen.2892 Allerdings sind das staatliche bzw. das staatsrechtliche Interesse als Anknüpfungspunkt und Rechtfertigung für das staatliche Handeln unbestimmte Rechtsbegriffe und damit vage Grundlagen für möglicherweise sehr weitgehende und einschneidende Maßnahmen. Als Staatsnotstand wird denn auch eine „erhebliche Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ bezeichnet, die nicht auf den normalen, von der Verfassung vorgesehenen Wegen behoben werden kann, sondern deren Beseitigung nur mit exzeptionellen Mitteln möglich ist.2893 Hierbei wird zudem noch unterschieden zwischen dem allgemeinen Staatsnotrecht, wo „… außerhalb und entgegen Verfassungsbestimmungen im extremen, unvorhergesehenen Fall ein staatliches Organ, welches die Kraft zum Handeln hat, vorgeht, um die Existenz des Staates zu retten und das nach Lage der Sache Erforderliche zu tun“ und dem so genannten Ausnahmerecht als einem positiv-rechtlich festgelegten Begriff, als außerordentliches Mittel für vorhergesehene Fälle staatsrechtlicher Notbekämpfung.2894 Das Staatsnotrecht ermächtigt nach dieser auf Carl Schmitt2895 zurückgehenden Definition „… jedes staatliche Organ… “ hier mit den erforderlichen Mitteln einzugreifen. Abgesehen davon, dass die hier in Frage kommenden Träger sehr vielfältig sein können, der Kreis der Organe also sehr weit gefasst ist, ist die Qualifikation des handelnden Organs, „die Kraft zum Handeln“ sehr unbestimmt und möglicherweise zu sehr vom subjektiven Verständnis derer, die sich zum Tun aufgefordert oder gar eingeladen sehen, bestimmt. Es werden also weder die Exekutivorgane benannt, die ermächtigt werden sollen, noch werden diese in ein hierarchisches System gebracht. Folglich ergibt sich hieraus die Gefahr, dass sich verschiedene Träger staatlicher Gewalt gleich2890
2891
2892 2893 2894 2895
Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 655; Zu der erstaunlichen Argumentationsfigur, dass ein verantwortlicher Amtsträger die Last eines Rechtsverstoßes auf sich nehmen würde und das Notwendige vollziehen würde vgl. Deutschlandradio, Deutschlandfunk Abt. Hintergrund, Streit um den Abschuss – Die Dauerdebatte über das Luftsicherheitsgesetz, Manuskript der Sendung vom Mittwoch den 10.1.2007; S. 11 Gramm führt im Zusammenhang mit dem gescheiterten Luftsicherheitsgesetz demnach auch überzeugend an, dass ein Befehl der auf die Begehung einer bloß entschuldigenden Straftat zielt, schon wegen §11 Abs. 2 Satz 1 SG nicht verbindlich ist. (Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 655, FN 6);Gramm hatte hinsichtlich des Luftsicherheitsgesetzes bereits an anderer Stelle kritisiert, dass die unübersehbaren verfassungsrechtlichen Risiken auf der Ebene des einfachen Rechts wenn schon nicht geheilt, so doch entschärft werden sollen und es insofern für eine grundlegende Verfassungsänderung an der politischen Kraft fehle. (Christof Gramm, Die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Grenzen in der Verfassung, in: NZWehrr 2005, S. 133 ff.; 142) Fritz Heiliger, Der Staatsnotstand als Beispiel politischer Strafrechtswissenschaft, Leipzig 1935, S. 1 Konrad Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 7. Bd., 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1962, Spalte 607 ff.; 607 Carl Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten, nach Art. 48 der Reichsverfassung, in: Carl Schmitt, Die Diktatur, Berlin 1994, S. 209 ff.; 232 f.; Gottfried Boldt, Staatsnotwehr und Staatsnotstand, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 56, Heft 2, o.JA., S. 14 ff.; 186 Carl Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten, nach Art. 48 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 1, 1924, S. 63 ff.; 83
411
zeitig aufgerufen fühlen zu handeln und gegebenenfalls miteinander in Konkurrenz treten. Somit wäre das Handeln nicht klar aufeinander abgestimmt und damit unter Umständen sogar kontraproduktiv, zumindest ineffektiv. In so weit gefasster Form ist eine Befugnis somit nicht nur wegen der Gefahr des Missbrauches, sondern insbesondere deswegen abzulehnen, weil sie als letztes Mittel nicht die bestimmte Gewähr des erforderlichen Erfolges in sich trägt. In dieser allgemeinen Form definiert kann aber „Staatsnotstand“ also nur ein Oberbegriff für verschiedene Erscheinungsformen des staatlichen Ausnahmezustandes sein.2896 10.1.2.2.2
Staatsnotstand und Grundgesetz
Auf eine ausdrückliche Regelung des Staatsnotstandes hatte das Bonner Grundgesetz zunächst verzichtet.2897 Die Republikschutzkonzeption der Weimarer Republik wurde von der Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland auf den Prüfstand gestellt und für unzureichend empfunden.2898 Ob es gerade der Art 48 WRV gewesen ist,2899 der in die Diktatur des nationalsozialistischen Regimes geführt hat, oder ob nicht die Diktatur des Reichspräsidenten eher eine Folge als eine Ursache der politischen Schwierigkeiten der letzten Jahre der Weimarer Republik gewesen ist, ist eine offene Frage,2900 welche auch in der vorliegenden Arbeit nicht abschließend beantwortet werden kann. Der Parlamentarische Rat konnte bei der Schaffung des Grundgesetzes von einer Notstandsregelung Abstand nehmen, da mit dem Grundgesetz gleichzeitig das Besatzungsstatut in Kraft trat; in ihm hatten die Besatzungsmächte weitgehend die damit zusammenhängenden Verpflichtungen übernommen.2901 Das Grundgesetz sah also in seiner ursprünglichen Fassung keine entsprechenden Regelungen vor.2902 Die meisten Länderverfassungen der 2896
2897
2898 2899 2900 2901 2902
412
Michael Krenzler, An den Grenzen der Notstandsverfassung. Ausnahmezustand und Staatsnotrecht im Verfassungssystem des Grundgesetzes, Berlin 1974, S. 34; zu der historischen Entwicklung des Staatsnotstandes im deutschen Verfassungsrecht vgl. Heinz Kreutzer, Der Ausnahmezustand im deutschen Verfassungsrecht, in: Ernst Fraenkel, Der Staatsnotstand, Berlin 1965, S. 9 ff.; In der Diskussion um die „Diktatur des Reichspräsidenten“ wird vielfach übersehen, dass Carl Schmitt in diesem Zusammenhang selbst darauf hingewiesen hat, dass es für derartige Bestimmungen Ausführungsgesetze bedürfe, dem absichtlich weit gefassten Provisorium des Art. 48 Abs. 2 WRV seine endgültige nähere Bestimmung geben sollten. (Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Berlin 1996, S. 117 f.) Konrad Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 7. Bd., 6. Aufl., Freiburg im Breisgau 1962, Spalte 607 ff.; 611; vgl. Konrad Hesse, Grundfragen einer verfassungsmäßigen Normierung des ausnahmezustandes, in: JZ 1960, S. 105 ff.; 105; vgl. Hans-Jürgen Wipfelder, Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Regensburg 1991, RN 1202 Uwe Backes (Hrsg.) Schutz des Staates, Opladen 1998, 37 In diesem Sinne polemisierte jedenfalls die Mitbegründerin der RAF gegen die Notstandgesetzte der späteren Bundesrepublik Deutschland. (vgl. Ulrike Meinhof, Die Würde des Menschen ist unantastbar. Aufsätze und Polemiken, Berlin 2004, S. 14 ff.) Konrad Hesse, Ausnahmezustand und Grundgesetz, in: DÖV 1955, S. 741 ff.; 744; Zu der Diskussion vergleiche auch: Ernst Benda, Die Notstandsverfassung, München, Wien 1966, S. 18 ff. Friedrich Schäfer, Probleme einer Notstandsgesetzgebung, in: Ernst Fraenkel, Der Staatsnotstand, Berlin 1965, S. 240 ff.; 240; vgl. Ulrich Scheuner, Einleitung, in: Carl Otto Lenz, Notstandsverfassung des Grundgesetztes. Kommentar, Frankfurt am Main 1971, S. 11 ff.; 11 vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949; Zur Diskussion und Entwicklung des Notstandsrechts in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Gerhard Schäfer, Die äußere Sicherheit des Staates durch Zivile Verteidigung, Dissertation, Würzburg 1974, S. 17 ff.; vgl. Peter Dreist, Bundeswehreinsatz für die Fußball-WM 2006 als Verfassungsfrage in: NZWehrr 2006, S. 45 ff.; 58 ff.
Bundesrepublik hatten es hingegen beibehalten.2903 Erst im Zuge der Einfügung der Notstandsgesetze in das Grundgesetz wurde ein Staatsnotrecht für die Bundesrepublik Deutschland implementiert.2904 Die Problematik der Einordnung der Notstandsverfassung in die Staatsverfassung wurde nicht dadurch erleichtert, dass die Notstandsverfassung, wie auch die gesamte Wehrverfassung2905, in das seit Jahren geltende Grundgesetz nachträglich einzufügen war. Das Grundgesetz sieht im Spannungs- und Verteidigungsfall oder bei Gefahrenlagen, bei denen größere Teile des Bundesgebietes betroffen sind, die Anwendung der Notstandsgesetze vor.2906 Allerdings ist dieses Notstandsrecht, an welches das Grundgesetz gedacht hat,2907 eng umrissen und die Voraussetzungen und Grenzen in den Art. 91 und 87 a IV GG abschließend festgelegt. Man ging davon aus, dass die Voraussetzungen für einen Notstand sich in eine Gesetzesform gießen lassen, welche die abschließenden rechtlichen Regelungen trifft. Statt einer Generalermächtigung sucht das Notverordnungsrecht des Grundgesetzes die Voraussetzungen und den Inhalt der Notmaßnahmen tatbestandsmäßig zu umschreiben und dabei eine lückenlose Vorsorge für mögliche Notstandsfälle zu treffen.2908 Die Notstandsverfassung des Grundgesetzes stellte damit den Versuch einer Regelung des Ausnahmezustandes durch seine Vergesetzlichung bei gleichzeitiger Vermeidung weitreichender, generalklauselartiger Exekutivzuständigkeit dar.2909 Insofern war man der Überzeugung, dass in einem Rechtsstaat entsprechend Vorsorge getroffen werden müsste, dass in einem Notstandsfall die staatlichen Organe in der Lage sind, rechtmäßig den Bestand des Staates zu verteidigen.2910 Eine Existenzbedrohung für den Staat stellen all jene Situationen dar, welche die äußere und innere Sicherheit und Ordnung gefährden.2911 Bei der Abfassung der Notstandsgesetze hatte man allerdings bestimmte Anwendungsfälle vor Augen, in denen das Notstandsrecht greifen sollte oder auch gerade nicht zur Anwendung gelangen sollte. Insofern sind die grundgesetzlichen Regeln, die mit der Regelung des Notstands auf den Aufruhr im Inneren im Gegensatz zum bewaffneten Angriff von außen und damit auf die Herkunft der Bedrohung abstellen, angesichts der Strategie und Taktik von 2903 2904 2905
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Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Göttingen 1988, S. 100; vgl.Heinrich Scholler, Widerstand und Verfassung, in: Der Staat 1969, S. 19 ff.; 26 vgl. Konrad Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 5. Bd., 7. Aufl., Freiburg, Basel, Wien, 1995, Spalte 201 ff.; 203 Das grundsätzliche Problem der Einordnung der Wehrverfassung reißt Gilsa kurz an. (Friedrich-Wilhelm von und zu Gilsa, Die Weimarer Wehrverfassung. Verfassungsrecht – Verfassungswirklichkeit, Dissertation, Würzburg 1969, S. 19 f.) Zur Begründung der Wehrverfassung vgl. Gerhard Hautmann, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen von Wehrverfassung und Wehrordnung der Bundesrepublik Deutschland, Dissertation Würzburg 1975 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 32 vgl. Rudolf Weber-Fas, Deutschlands Verfassung. Vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, 2. Aufl., Tübingen, Basel 2001, S. 168 Konrad Hesse, Staatsnotstand und Staatsnotrecht, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, 5. Bd., 7. Aufl., Freiburg, Basel, Wien, 1995, Spalte. 201 ff.; 203 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1881 vgl. Friedrich Schäfer, Probleme einer Notstandsgesetzgebung, in: Ernst Fraenkel, Der Staatsnotstand, Berlin 1965, S. 240 ff.; 240 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz - Problemstudie: Risiken für Deutschland, Gefahrenpotentiale und Gefahrenprävention für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus Sicht des Bevölkerungsschutzes – Auszug -Teil 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler, 2005, S. 32 f.
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Irregulären, welche die Unterscheidung eines Angriffs von außen oder innen fragwürdig werden lassen, 2912 unzureichend. 10.1.2.2.3
Übergesetzlicher Notstand
Deswegen wird auch diskutiert, dass in den Fällen, in denen die für den Notstandsfall in der Verfassungsurkunde vorgesehenen Kompetenzen nicht ausreichen bzw. der Staat die verfassungsmäßig gezogenen Grenzen in einem Notstandsfall überschreitet, die Träger des Staatsnotstandsrechtes unter Berufung auf das Staatsnotrecht zu Abwehrmaßnahmen greifen können, die denselben rechtlichen Grundsätzen unterworfen sind und demselben Ziel dienen wie die im Falle eines Staatsnotstandes ergriffenen Maßnahmen.2913 Das Notstandsrecht soll die rechtlichen Grundlagen bieten, in allen Notsituationen, die davon erfasst werden, ohne Verzug die erforderlichen Entscheidungen treffen zu können.2914 Das Recht folgt eher den Tatsachen, als dass es ihnen vorausgeht.2915 Damit ist Dilemma des Notstandsrechts ist in sich selbst begründet. Die Frage muss also lauten, ob das gemeinhin geltende Recht auch im Notstand noch absolute Geltung beanspruchen kann oder ob dem Staat wirklich die Hände gebunden sind.2916 Böckenförde ist der Ansicht, dass die Anwendung des „übergesetzlichen Notstandes“ im Verfassungsrecht zum „überverfassungsmäßigen“ Notstand führe, wobei eine perfekte, in sich offene Generalermächtigung zur Bewältigung von Notständen / Notlagen entstehe, der gegenüber jede verfassungsrechtliche oder gesetzliche Ausformung und Begrenzung von Befugnissen vorläufig würde und die gegen die Grundstruktur einer rechtsstaatlichen Verfassung verstoße.2917 Damit bedeute der Grundsatz des übergesetzlichen Notstandes auf der Verfassungsebene nichts anderes als die Auflösung der Integrität der rechtsstaatlichen Verfassung und die Preisgabe des Prinzips des Verfassungsstaates.2918 Die Gegenmeinung geht davon aus, dass das Sprichwort „Not kennt kein Gebot“ in einer rechtsstaatlichen Demokratie überwunden werden kann und dass der Notstand rechtlich regelbar ist.2919 Wenn der Rechtsstaat der juristischen Doktrin folgen würde, die 2912 2913
2914 2915
2916 2917 2918 2919
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Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, München 1980, S. 1458 vgl. hierzu auch die ausführlichen und auf die historischen Diskussionen in Bezug auf die Weimarer Verfassung hinweisenden, aber im Ergebnis ablehnenden Ausführungen bei Michael Krenzler, An den Grenzen der Notstandsverfassung. Ausnahmezustand und Staatsnotrecht im Verfassungssystem des Grundgesetzes, Berlin 1974, S. 49 ff. Gerhard Schäfer, Die äußere Sicherheit des Staates durch Zivile Verteidigung, Dissertation, Würzburg 1974, S. 90 Thomas Kunze, Die völkerrechtliche Stellung bewaffneter Kämpfer in nicht-internationalen Konflikten. Das geltende Recht und die Reformbestrebungen unter Berücksichtigung des Standes nach der 2. Session der Diplomatischen Konferenz in Genf über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts vom 3. Februar bis 18. April 1975, Dissertation, Würzburg 1976, S. 3 vgl. Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 152 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1883 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1883 f. Karl August Bettermann, Die Notstandsentwürfe der Bundesregierung, in: Ernst Fraenkel, Der Staatsnotstand, Berlin 1965, S. 190 ff.; 192; vgl. Ulrich Hufeld, Notstandsverfassung, deutsche, in: Gerlinde Sommer, Raban, Graf von Westphalen: (Hrsg.), Staatsbürgerlexikon. Staat, Politik, Recht und Verwaltung in Deutschland und der Europäischen Union, München, Wien 2000, S. 614 ff.; 615
ihn absolut der Legalität verpflichtet, wäre er im Grenzfall daran gehindert, sich präterlegaler Mittel zu bedienen, auch wenn diese allein die Rettung bringen könnten, und er wäre also von Rechts wegen gezwungen, im Ernstfall zu kapitulieren.2920 Eine solche Doktrin ist im Ergebnis nicht hinnehmbar. Obwohl es wünschenswert ist im Interesse der Rechtssicherheit, der Verfassungsstabilität und dem Ansehen derselben, eine Normierung des Staatsnotrechtes vorzunehmen im Rahmen des Möglichen, das heißt des Vorhersehbaren geeignete Vorkehrungen zu treffen, kann eine lückenlose Vorsorge nicht erreicht werden.2921 Die Regeln brechen sich an der Irregularität der Lage, die ihre eigenen Erfordernisse zeugt, die necessità im Sinne Machiavellis und der gegenüber sich allein die politische Tüchtigkeit, die virtù, unter der Bedingung behauptet, dass ihr fortuna gewogen ist.2922 Es ist nicht auszuschließen, dass die zum Schutz des Staates berufenen Organe in eine mögliche Situation der Unentrinnbarkeit geraten, die zum Handeln zwingt und in der Nichthandeln verantwortungslos wäre.2923 Auch wenn der Rechtsstaat sich in Zeiten der Not treu bleiben und seine Grundprinzipien wahren muss, darf es eine Waffengleichheit im Unrecht nicht geben.2924 Der Staat wird nicht als Selbstzweck geschützt, denn die Selbstbehauptung des Staates ist Verfassungsziel.2925 Im Ausnahmefall suspendiert der Staat kraft eines Selbsterhaltungsrechts das Recht.2926 Denn der Staat ist das Rechtsgebilde, dessen Sinn ausschließlich in der Aufgabe besteht, das Recht zu verwirklichen; er ist insofern eine Konstruktion und Funktion des Rechts.2927 Soweit der Staat in seiner Existenz, also in seiner Staatlichkeit, gefährdet ist, darf er die zu seiner Verteidigung erforderlichen Maßnahmen ergreifen; das heißt also, wird die Friedensordnung des modernen Staates in ihrer Existenz bedroht, treten die gesetzlichen Beschränkungen zugunsten des Schutzes der staatlichen Friedensordnung zurück.2928 Fraglich könnte hier weiterhin sein, ob und wieweit es dem Staat gestattet ist, gewaltsame Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr zu ergreifen. Keine Rechtsordnung kann aber einerseits die Gewaltanwendung verbieten, wenn ihr anderseits kein funktionierendes System zur Verfügung steht, um Rechtsbrüche zu verhindern.2929 2920 2921 2922
2923 2924 2925 2926 2927 2928 2929
Josef Isensee, Nachwort: Der Terror und der Staat, dem das Leben lieb ist, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzeszick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 83 ff.; 107 f. vgl. Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 193 f. Josef Isensee, Normalfall oder Grenzfall als Ausgangspunkt rechtsphilosophischer Konstruktion? in: Winfried Burger, Görg Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, Stuttgart 2002, S. 51 ff.; 65; Die necessità im Sinne Machiavellis ist der Inbegriff des Determinierten, aber Vorhersehrbaren, der Inbegriff der Sachzwänge und in der Umkehrung des Nichtmachbaren; die virtù ist dabei die Gestaltungskraft des politischen Führers und die fortuna ist der Inbegriff des politisch Variablen, die für die Willkür, das blinde Schicksal und den Zufall steht. (Alois Riklin, Die Führungslehre von Niccolo Machiavelli, Bern 1996, S. 43 ff.) Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 412 Eckart Werthebach, Deutsche Sicherheitstrukturen im 21. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/2004, S. 5 ff.; 13 Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 3 ff.; 101 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 8. Aufl., Berlin 2004, S. 18 f. vgl. Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, 2. Aufl. Berlin 2004, S. 56 Bernd Grzeszick, Staat und Terrorismus. Eine staatstheoretische Überlegung in praktischer Absicht, in: Eckhart Klein, Christian Hacke, Bernd Grzesznick, Der Terror der Staat und das Recht, Berlin 2004, S. 55 ff.; 79 Dieter Blumenwitz, Das universelle Gewaltanwendungsverbot und die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, in BayVwBl, 1986 S. 737 ff.; 737
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Gerade in den Fällen, in denen die staatliche Existenz mit unrechtmäßigen Mitteln von Akteuren, die rechtmäßige Mittel ablehnen, angegriffen wird, muss es dem Staat auch gestattet sein, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, die Waffengleichheit wiederherzustellen und den Angriff abzuwehren. Eine Berufung der unrechtmäßigen Akteure auf das unrechtmäßige Handeln des Staates ist insofern auch als rechtsmissbräuchlich abzulehnen. Wer sich bewusst außerhalb des Rechtes setzt und hier unrechtmäßig handelt, kann sich nicht auf das Recht berufen, wenn der Staat sich zur Wehr setzt. Wer schwere Straftaten begeht, muss sich die Folgen seines Tuns zurechnen lassen und dafür einstehen – und wenn es zur Rettung Dritter erforderlich ist, notfalls auch mit dem eigenen Leben.2930 Die Maßnahmen des Staates zur Wiederherstellung der Rechtsverhältnisse dürfen aber in ihrer Intensität und ihrer zeitlichen Wirkung nur so weit gehen und nur so lange andauern, bis das Recht wiederhergestellt ist. Dementsprechend darf es sich nur um eine Verfassungssuspension, das heißt vorübergehende Außerkraftsetzung einzelner oder mehrerer verfassungsgesetzlicher Bestimmungen,2931 handeln. 10.1.2.2.3.1
Bedingungen und Wirkrichtung des übergesetzlichen Notstands
Walter fordert, dass im Verfassungsstaat nie die Situation eintreten darf, dass in Ausnahmelagen der Einsatz einer generell geeigneten Organisation aufgrund der Rechtsordnung nicht möglich ist, weil die entsprechende gesetzliche Vorsorge nicht getroffen wurde, und erforderliche Maßnahmen dann mit „übergesetzlichem Notstand“ oder gar „Not kennt kein Gebot“ begründet werden.2932 Die Ereignisse von München 1972 haben die Unrichtigkeit dieser These belegt. Diese Ansicht erscheint aber auch gerade unter den aktuellen Erfahrungen mit Irregulären Kräften als lebensfremd und wenig Ziel führend. Die Forderung nach bestimmten vorliegenden Voraussetzungen zum Eingreifen des Staates muss in Zeiten, in denen das Unwahrscheinliche wahrscheinlich wird und das Undenkbare eintritt, zurückgewiesen werden; die Definition bestimmter Szenarien, die als Handlungsermächtigung dienen, sind immer nur auf die Erfahrungen zurückliegender und vergangener Ereignisse und Erfahrungen gerichtet und reicht insofern oftmals nicht aus. Das gilt insbesondere, wenn die Möglichkeiten der Gefahren vielfältig sind. Aufgrund zunehmender Komplexität und langfristiger Zeithorizonte nimmt nicht nur die Anzahl relevanter Lagen zu, sondern Lageentwicklungen müssen über verschiedene Entwicklungszyklen betrachtet werden.2933 Dementsprechend können die Voraussetzungen und der Eintritt des Ausnahmezustandes nicht im Sinne eines subsumbtionsfähig geregelten Tatbestandes erfolgen, sondern der Ausnahmezustand bleibt auf eine relative Generalklausel angewiesen, soll nicht das Unvorhergesehene wieder ausgeschlossen werden.2934 Die Inanspruchnahme des Staatsnotstandes muss daher eine Konzentration und Vereinfachung des Entscheidungsprozesses in 2930 2931 2932 2933 2934
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Christof Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat?, in: DVBL 2006, S. 653 ff.; 654 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 8. Aufl., Berlin 1993, S. 100 Bernd Walter, Einsatz der Bundeswehr zur Gewährleistung von Innerer Sicherheit – eine sicherheitsstrategische Grundsatzfrage im Spannungsfeld zwischen Verfassungsrecht und staatlichen Gewährleitungspflichten, in: NZWehrr 2006, S. 70 ff.; 84 Horst Knoll, Methodik der politischen Analyse und Entscheidungsfindung, in: Manfred Zoller (Hrsg.), Auswärtige Sicherheit als nachrichtendienstliche Aufgabe. Herausforderungen in veränderter Globallage, Brühl/Rheinland 1999, S. 207 ff.; 223 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln des Staates in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 1978, S. 1881 ff.; 1885
Richtung auf das Staatsorgan bewirken, das jeweils tatsächlich zu handeln in der Lage ist.2935 Es kommt nicht zuletzt darauf an, sich über die Bandbreite der relativ wahrscheinlichen Gefahrenlagen klar zu werden, da von dieser Erkenntnis auch ganz wesentlich das Ausmaß der nötigen Vorsorge abhängt.2936 Vielmehr gilt es also, bestimmte strategische Fälle2937 zu konstruieren, die ereignisunabhängig durch einen bestimmten Wirkungs- und Gefährdungsgrad gekennzeichnet sind und bei deren Eintreten der Staat ermächtigt ist, die Gefahr abzuwenden und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Aus diesen in die Zukunft gerichteten Fällen sind die Fähigkeiten abzuleiten, die benötigt werden, um die Situation zu beherrschen, sie zu bewältigen und – nach Möglichkeit – vor die Lage zu kommen, das heißt im Clausewitzschen Sinne die Initiative (wieder-) zu gewinnen. Die Mittel und Fähigkeiten leiten sich ab aus der strategischen Definition der Ziele, um sie konzentriert und wirkungsorientiert – ohne starren Bekämpfungsansatz – zum Einsatz zu bringen. Das sicherheitspolitische Bedürfnis bestimmt insofern auch den rechtlichen Rahmen. Daher wurde bereits bei den Betrachtungen zum Staatsnotrecht der Bundesrepublik Deutschland sehr früh die Frage bejaht, ob sich die staatlichen Organe der durch das Grundgesetz errichteten staatlichen Ordnung auf ein überpositives Prinzip berufen könnten, wenn das positive Recht die zur Überwindung einer Notlage erforderlichen Maßnahmen nicht vorsehen oder solchen Maßnahmen entgegenstehen würde.2938 Dieses vom Willen des Inhabers der Staatsgewalt getragene Prinzip würde notbedingte Überschreitungen nicht nur entschuldigen, sondern in den sich aus seinem Wesen ergebenden Grenzen auch rechtfertigen.2939 Klein hält hingegen den Verweis auf überpositives Recht nicht für überzeugend; er kommt schlussendlich aber zu dem gleichen Ergebnis, indem er sich auf die der konkreten Verfassung zu entnehmenden verfassungsrechtlichen Grundsätze beruft, die Rahmen und Orientierung auch für staatliche über den schriftlichen Bestand der Verfassung hinausgehende Maßnahmen zu bieten vermögen.2940 Für einen der Verfassung immanenten Grundsatz, zum Schutz höchstwertiger Güter das Erforderliche tun zu dürfen, spricht die Aufgabe der Verfassung, den Staat in Ordnung und nicht ihn umzubringen, spricht insbesondere die Funktion des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates, für seine Bürger dazusein und ihnen
2935 2936 2937
2938
2939 2940
vgl. Meinhard Schröder, Staatsrecht an den Grenzen des Rechtsstaates. Überlegungen zur Verteidigung des Rechtsstaates in außergewöhnlichen Lagen, in: AÖR 1978, S. 121 ff.; 132 f. Helmut Schmidt, Zum Geleit, in: Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Denkschrift der vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Schutzkommission zur Prüfung von Aufgaben und Möglichkeiten der zivilen Verteidigung in Hamburg, Hamburg, 07. Dezember 1965, S. 3 f.; 4 Der Begriff „strategische Fälle“ wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Zwygart (Ulrich Zwygart, Die Gesamtverteidigungskonzeption unter besonderer Berücksichtigung der strategischen Fälle, Diessenhoven 1983) vornehmlich anstatt des Begriffes „Szenarien“ gebraucht, weil letzterer konkrete festumrissene Sachverhalte meint, erster hingegen bestimmte Lagen oder Zustände beschreibt, welche eine übergeordnete, wenn nicht gar eine existenzielle Bedeutung für den Staat haben. Szenarien bilden eher festgelegte Bilder, während die strategischen Fälle in der vorliegenden Arbeit so verstanden werden, als dass sie ein gewisses EntwicklungsPotenzial haben und auch unvorhergesehene Abläufe und Friktionen sowie abweichende Konstellationen zulassen. Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 192; Anders später Doehring, der mit Blick auf die Bestimmung und Diskussion um die seinerzeitige Einführung des Art. 20 Abs IV GG argumentiert, dass die Erlaubnis auf die Berufung auf überpositives Recht nur aufgrund des positiven Rechts erteilt wird, dieses wiederum zu positiven Recht werde. (Karl Doehring, Das Widerstandsrecht des Grundgesetztes und das überpositive Recht, in: Der Staat 1969, S. 429 ff.; 432 f.) Hans-Ernst Folz, Staatsnotstand und Notstandsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1962, S. 192 Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 412
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Schutz zu bieten.2941 Die sich hieraus ergebenden Handlungskompetenzen sind verfassungsmäßig rückgebunden, entlassen also nicht in Beliebigkeit und sind zudem der politischen und rechtlichen Kontrolle unterstellt.2942 10.1.2.2.3.2
Die faktische Existenz des übergesetzlichen Notstands
Im Übrigen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrere Beispiele gegeben, in der die politisch Verantwortlichen ohne kodifizierte Rechtsgrundlagen oder gar gegen bestehendes Recht aus ihrer Verantwortung heraus entsprechend gehandelt haben. Dabei waren die Fälle völlig anders gelagert und verlangten somit auch grundsätzlich nach anderen – zumindest auf der operativen Ebene – Führungsentscheidungen. Der erste Fall war die Flutkatastrophe in Hamburg, also eine reine Naturkatastrophe. Das Vorgehen des damaligen Innensenators der freien Hansestadt Hamburg während der Hochwasserkatastrophe 19622943, der entschlossen die Initiative2944 ergriff, die freiwilligen Helfer koordinierte und die Streitkräfte anforderte, galt anschließend als vorbildlich und im Nachgang wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren geschaffen.2945 Wenngleich Schmitt „rechtswidrig“2946 handelte war es richtig, dass Schmitt die Streitkräfte eingesetzt hat, obwohl die Rechtsgrundlagen dafür (noch) nicht vorhanden waren.2947
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Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 412; vgl. Josef Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Allgemeine Grundrechtslehren, Heidelberg 1992, S. 143 ff.; 150 f. Eckart Klein, Der innere Notstand, in: Josef Isensee, Paul Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 387 ff.; 412 f. Zu den Ereignissen vgl.: vgl. Trautig (Hrsg.), Sturmflutkatastrophe Februar 1962, Stade 1962; vgl. Hans Herlin, Die Sturmflut. Nordseeküste und Hamburg im Februar 1962; vgl. Raymond Ley (Hrsg.), Die Nacht der großen Flut. Gespräche mit Zeitzeugen und Helmut Schmidt, o. O.A., o. J.A. „Ich habe nur die Leute zusammengeholt, die man brauchte.“ (Helmut Schmidt zitiert in: Raymond Ley [Hrsg.], Die Nacht der großen Flut. Gespräche mit Zeitzeugen und Helmut Schmidt, o. O.A., o. J.A., S. 67) „Um ehrlich zu sein, müsste ich sagen, wir haben uns, ich habe mich um die Gesetze nicht gekümmert. Ich habe auch nicht erst einen Juristen gefragt, ob ich das darf oder ob ich das nicht darf. … Das hat mich nicht geschert; das wusste ich doch [das die Bundeswehr nicht im Inneren des Landes eingesetzt werden darf], denn ich wusste mit der Wehrverfassung, insbesondere mit den entsprechenden Teilen des Grundgesetzes sehr gut Bescheid. Ich war daran beteiligt, als wir die Wehrverfassung des Grundgesetzes geschrieben hatten, … ich habe das Grundgesetz nicht angeschaut in jenen Tagen. Man hat sich entschieden, die Menschen zu retten, egal, was das Gesetz sagt. … Die Herren Verwaltungsjuristen kamen erst 14 Tage später zum Zug.“ Raymond Ley [Hrsg.], Die Nacht der großen Flut. Gespräche mit Zeitzeugen und Helmut Schmidt, o. O.A., o. J.A., S. 62 Peter Buchner, Jenseits des Alltäglichen – oder „Lassen Sie die Herren einfach machen“, Organisationstheoretische Untersuchung zur Katastrophenabwehr, in: Notfallvorsorge, Heft 4, 2005, S. 26 ff.; 26; vgl. Peter Dreist, Bundeswehreinsatz für die Fußball-WM 2006 als Verfassungsfrage in: NZWehrr 2006, S. 45 ff.; 63; vgl. Manfred Klink, Polizeiliche Aspekte des länder- und bereichsübergreifenden Krisenmanagements, in: DIE POLIZEI 2006, S. 293 ff.; 295 Katja Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetztes, Hamburg 2005, S. 8; Dennoch schließt sich auch Paulke der herrschenden Ansicht an, dass an der „Notwendigkeit der Maßnahmen kaum Zweifel“ bestanden. Christof Gramm, Die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Grenzen in der Verfassung, in: NZWehrr 2005, S. 133 ff.; 144
Der zweite Fall war der vermeintliche Diebstahl eines einmotorigen Sportflugzeuges und die Vermutung, dass aus dieser Maschine Bomben auf die Abschlussfeier der Olympischen Spiele in München geworfen werden sollten. Diese Vermutung stellte sich jedoch gerade noch rechtzeitig als falsch heraus, so dass es nicht zur Auslösung der erforderlichen Abwehrmaßnahmen, dem Abschuss eines finnischen Passagierflugzeuges kommen musste.2948 Ein weiterer Fall – völlig anders gelagert – war eine Aktion Irregulärer Kräfte gegen die Bundesrepublik Deutschland; die Entführung der Lufthansamaschine „Landshut“ mit der Befreiung der Geiseln durch die GSG 9 im Jahre 1977.2949 Hier zeigte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt Härte und Durchhaltevermögen.2950 Derartige Einsätze werden aus staatspolitischer Sicht als richtig beurteilt; niemand kann Verständnis dafür haben, wenn einsatzbereite und fähige Kräfte nicht zur Rettung gefährdeter Bürger eingesetzt würden.2951 Der Bürger erwartet zu Recht, dass der Staat auch in extremen Notfällen handlungsfähig bleibt und die Gemeinschaft so gut wie möglich schützt.2952 Die genannten Fälle verlangten, damit überhaupt operative und taktische Maßnahmen greifen konnten und durften, strategische Führungsentscheidungen auf der politischen Ebene. Die einen übergesetzlichen Notstand mit dem abschließenden Charakter der Notstandsverfassung begründenden Argument vertretene Ansicht2953 verdient keine Gefolgschaft weil sie in sich widersprüchlich ist: Zum einen kommen ungeschriebene Befugnisse nach dieser Meinung allen-
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Georg Leber, Vom Frieden, Stuttgart 1997, S. 227 ff.; vgl. Peter Dreist, Bundeswehreinsatz für die Fußball-WM 2006 als Verfassungsfrage in: NZWehrr 2006, S. 45 ff.; 63; vgl. Katja Paulke, Die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum im Spannungsverhältnis zwischen neuen Bedrohungsszenarien und den Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren unter besonderer Berücksichtigung des Luftsicherheitsgesetztes, Hamburg 2005, S. 9 ff.; vgl. Peter Dreist, Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Inneren, in: NZWehrr 2004, S. 89 ff.,; 92 Zu den Abläufen und Hintergründen vgl.: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Dokumentation zu den Ereignissen und Entscheidungen im zusammenhang mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut“, 2. Aufl., Bonn 7. November 1977; In der Literatur wird der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt dementsprechend auch als derjenige politische Führer gewürdigt, der die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte auf Bundes- und Landesebene vorangetrieben hat und zugleich die internationale Kooperation erfolgreich förderte. (Paul B. Taillon, Learning Lessons in Special Operations. The Mogadishu Rescue, in: Bernd Horn, J. Paul de B. Taillon, David Last [Hrsg.], Force of Choice. Perspectives on Special Operations, London, Ithaca 2004, S. 119 ff.; 119) In gewisser Weise kann hier auch die erfolgreiche israelische Befreiungsaktion der Israelis ein Jahr zuvor in Entebbe als Vorbild dienen. Zu dieser Operation „Thunderbolt“ vergleiche auch: William Stevenson, 90 Minuten in Entebbe, Frankfurt am Main, München 1976; vgl. Chaim Herzog, Entebbe, in: John Arquilla, From Troy to Entebbe. Special Operations in Ancient and Modern Times, Lanham, New York, London 1984, S. 334 ff.; vgl. William H McRaven, Spec Ops. Case Studies in Special Operations Warfare: Theory and Practice, Novato 1999, S. 333 ff.; vgl. Barry Davis, The Complete Encyclopedia of the SAS, London 1998, S. 94 f.; Interessanterweise hatte der damalige Kommandeur der GSG 9 die “Gelegenheit, diesen Einsatz aus nächster Nähe zu beobachten.” (Ulrich K. Wegener, „Esprit de Corps!“, Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), in: Reinhard Günzel, Wilhelm Walter, Ulrich K. Wegener, (Hrsg.) Geheime Krieger. Drei deutsche Kommandoverbände im Bild, Selent 2006, S. 87 ff.; 92) Wolfgang Taus, Die Bereitschaft zur Tat. Terrorismus am Beispiel von RAF und Al Qaida, in: ÖMZ 2006, S. 699 ff.; 703 Peter Dreist, Bundeswehreinsatz für die Fußball-WM 2006 als Verfassungsfrage in: NZWehrr 2006, S. 45 ff.; 63 Peter Dreist, Bundeswehreinsatz für die Fußball-WM 2006 als Verfassungsfrage in: NZWehrr 2006, S. 45 ff.; 63 Tobias Linke, Zur Rolle des Art. 35 GG in dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherungsaufgaben, in: NZWehrr 2004, S. 115 ff.; 120 f.
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falls in nicht unvorhergesehenen Konstellationen in Betracht; zum anderen beurteilt sie die Verfassungsübertretungen während der Hamburger Flutkatastrophe als unvermeidlich. 10.1.3
Zwischenergebnis
Folglich stellt der übergesetzliche Notstand ein Faktum der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland dar, welches sich gewohnheitsrechtlich manifestiert hat. Demnach hätte auch die Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 einen anderen Ausgang nehmen können und diese Niederlage möglicherweise vermieden werden können. Voraussetzung hierfür: Politische Entschlusskraft. Diese ist immer dann gefordert, wenn es Situationen gibt, in denen sich die politisch Verantwortlichen Herausforderungen gegenübergestellt sehen, für die es keinen „Masterplan“ und kein eindeutig festgelegtes, rechtlich kodifiziertes Handeln gibt. Der Staat kann seine Aufgabe nur lösen, wenn er sich mit der Unterstützung seiner mündigen Bürger darauf einstellt, für den Notfall alle erforderlichen und verfügbaren Mittel optimal einzusetzen; wobei diese Überlegungen ihren Niederschlag in einer strategischen Planung finden, die demnach immer vom Gesetz der Ausnahme und des Notstandes bestimmt sein wird.2954 11. Konstruktion der „Strategischen Fälle“ Ein Hauptproblem besteht darin, dass man keineswegs nur von einer einzigen möglichen Katastrophe oder Verteidigungslage ausgehen darf; im Gegenteil, die Möglichkeiten der Gefahr sind vielfältig.2955 Problematisch ist allerdings, diese Möglichkeiten in ihrer Komplexität und Breite zu erfassen, ausreichend, angemessen sowie gleichzeitig hinreichend bestimmte Rechtsgrundlagen für Zuständigkeiten und Kompetenzen zu schaffen, um mit entsprechenden Erscheinungen fertig zu werden. Da diese Rechtgrundlagen den Anspruch der Rechtsstaatlichkeit erfüllen müssen zum anderen aber auch unerwarteten und unvorhersehbaren Erscheinungen begegnen müssen, stehen sie in einem grundsätzlichen immanenten Spannungsverhältnis. Es gibt aber eine Verantwortung, die über das geschriebene Recht, das formale Gesetz hinausgeht. Das GG trifft Vorkehrungen zum Schutz des Staates und seiner Bürger bei innerem und äußerem Notstand. Aus dem GG ergeben sich zunächst nachstehende sieben Fälle, die staatliche Schutzmaßnahmen auslösen könnten:
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Der Rechts-Amtshilfe- und Katastrophenhilfefall des Art. 35 GG bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen. Der innere Notstand gem. Art. 87a VI GG bei Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. Rolf Elble, Die Rolle der Geisteswissenschaften in einer modernen strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 18 ff.; 31 Helmut Schmidt, Zum Geleit, in: Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Denkschrift der vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Schutzkommission zur Prüfung von Aufgaben und Möglichkeiten der zivilen Verteidigung in Hamburg, Hamburg, 07. Dezember 1965, S. 3 f.; 3
falls in nicht unvorhergesehenen Konstellationen in Betracht; zum anderen beurteilt sie die Verfassungsübertretungen während der Hamburger Flutkatastrophe als unvermeidlich. 10.1.3
Zwischenergebnis
Folglich stellt der übergesetzliche Notstand ein Faktum der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland dar, welches sich gewohnheitsrechtlich manifestiert hat. Demnach hätte auch die Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972 einen anderen Ausgang nehmen können und diese Niederlage möglicherweise vermieden werden können. Voraussetzung hierfür: Politische Entschlusskraft. Diese ist immer dann gefordert, wenn es Situationen gibt, in denen sich die politisch Verantwortlichen Herausforderungen gegenübergestellt sehen, für die es keinen „Masterplan“ und kein eindeutig festgelegtes, rechtlich kodifiziertes Handeln gibt. Der Staat kann seine Aufgabe nur lösen, wenn er sich mit der Unterstützung seiner mündigen Bürger darauf einstellt, für den Notfall alle erforderlichen und verfügbaren Mittel optimal einzusetzen; wobei diese Überlegungen ihren Niederschlag in einer strategischen Planung finden, die demnach immer vom Gesetz der Ausnahme und des Notstandes bestimmt sein wird.2954 11. Konstruktion der „Strategischen Fälle“ Ein Hauptproblem besteht darin, dass man keineswegs nur von einer einzigen möglichen Katastrophe oder Verteidigungslage ausgehen darf; im Gegenteil, die Möglichkeiten der Gefahr sind vielfältig.2955 Problematisch ist allerdings, diese Möglichkeiten in ihrer Komplexität und Breite zu erfassen, ausreichend, angemessen sowie gleichzeitig hinreichend bestimmte Rechtsgrundlagen für Zuständigkeiten und Kompetenzen zu schaffen, um mit entsprechenden Erscheinungen fertig zu werden. Da diese Rechtgrundlagen den Anspruch der Rechtsstaatlichkeit erfüllen müssen zum anderen aber auch unerwarteten und unvorhersehbaren Erscheinungen begegnen müssen, stehen sie in einem grundsätzlichen immanenten Spannungsverhältnis. Es gibt aber eine Verantwortung, die über das geschriebene Recht, das formale Gesetz hinausgeht. Das GG trifft Vorkehrungen zum Schutz des Staates und seiner Bürger bei innerem und äußerem Notstand. Aus dem GG ergeben sich zunächst nachstehende sieben Fälle, die staatliche Schutzmaßnahmen auslösen könnten:
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Der Rechts-Amtshilfe- und Katastrophenhilfefall des Art. 35 GG bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen. Der innere Notstand gem. Art. 87a VI GG bei Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. Rolf Elble, Die Rolle der Geisteswissenschaften in einer modernen strategischen Planung, in: Institut für Wehrrecht der Universität Würzburg (Hrsg.), Ring wehrpolitischer Hochschulgruppen, Strategie und Wissenschaft, Würzburg 1965, S. 18 ff.; 31 Helmut Schmidt, Zum Geleit, in: Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Denkschrift der vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Schutzkommission zur Prüfung von Aufgaben und Möglichkeiten der zivilen Verteidigung in Hamburg, Hamburg, 07. Dezember 1965, S. 3 f.; 3
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Der Zustimmungsfall gem. Art. 12a GG, nach dem Wehrpflichtige auch außerhalb des Verteidigungsfalles dienstverpflichtet werden können. Der Spannungsfall gem. Art. 80a GG, der im Grundgesetz ansonsten nicht weiter definiert wird. Unter diesem Begriff wird allgemein ein Zustand internationaler Spannung bezeichnet, der als Vorstufe für den Verteidigungsfall gilt, jedoch bereits Maßnahmen erfordert, die ähnlich denen des Verteidigungsfalles sind2956, also ein Fall, der eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft erfordert.2957 Der Verteidigungsfall (V-Fall) gem. Art 115a GG, der den Angriff des Bundesgebietes mit Waffengewalt voraussetzt und mit dessen Feststellung mannigfache Sonderregelungen in Kraft treten. Der NATO-Bündnisfall gem. Art. 24 II GG, dessen Feststellung gem. Art. V, Abs. 1 NATO-Vertrag nicht automatisch die Feststellung des Verteidigungsfalles nach sich zieht (und der in seiner Bandbreite vom bewaffneten Beistand bis zur wohlwollenden Neutralität die Möglichkeiten der Unterstützung völlig offen lässt).2958 Der EU-Bündnisfall gem. Art. 24 II GG, der gem. Art. V WEU-Vertrag automatisch die militärische Beistandspflicht bedeutet.2959
Die mit der Auflösung der bipolaren weltpolitischen Ordnung zusammenhängenden globalen Verwerfungen haben – wie eingangs der vorliegenden Arbeit diskutiert - zu grundlegenden Veränderungen der geopolitischen Rahmenbedingungen der Bundesrepublik Deutschland geführt. Ereignisse, die weit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geschehen, können deutsche Sicherheitsinteressen direkt oder auch nur peripher betreffen und unmittelbare Auswirkungen auf die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland haben. Folglich sind neue Konstellationen und Szenarien entstanden, aus denen sich weitere strategische Fälle2960 ergeben. Angriffe von außen, die von transnationalen Akteuren, also nicht von Staaten als Völkerrechtssubjekten, ausgehen, bezeichnen einen Fall, der 2956 2957 2958
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Ortwin Buchbender, Hartmut Bühl, Harald Kujat, Karl H. Schreiner, Oliver Bruzek (Hrsg.), Wörterbuch zur Sicherheitspolitik mit Stichworten zur Bundeswehr, 4. Aufl., Hamburg, Berlin, Bonn 2000, S. 323 Heinz Berchtold, Georg Leppig, Die Bundeswehr. Eine Gesamtdarstellung, Bd. 12, Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ), Regensburg 1980, FN 14; vgl. Bundesminister des Inneren, Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 12.04.1972, S. 42 Art. V Abs. 1 NATO-Vertrag lautet: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder der Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.“ (Der Nordatlantikvertrag, Washington DC, 4. April 1949, in: NATO-Handbuch, Brüssel 2001, S. 603 ff.; 604) Art. V WEU-Vertrag lautet: „Sollte einer der Hohen Vertragsschließenden Teile das Ziel eines bewaffneten Angriffs in Europa werden, so werden ihm die anderen Hohen Vertragsschließenden Teile im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung leisten.“ Es wird hier bewusst von strategischen Fällen in Abgrenzug von Szenarien gesprochen, weil der Brgriff des Szenarios hier zu sehr auf bestimmte Abläufe und Schadensbilder festgelegt und damit zu eng ist; der Begriff des strategischen Falls hingegen ist hier dahingehend weiter gefasst, als das er bestimmte Lagen in ihrer spezifischen strategischen Situation und mit allen sich hieraus ergebenden Möglichkeiten des Handelns umfasst.
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zwischen dem Verteidigungsfall und dem Katastrophenfall liegt und der insofern nicht vom deutschen Grundgesetz in seiner derzeitigen Fassung erfasst wird: den Terrorfall. Insofern besteht derzeit eine gesetzliche Regelungslücke zwischen dem im Grundgesetz geregelten Katastrophenfall gem. Art. 35 GG und dem Verteidigungsfall gem. Art. 87 a GG. Neben dem klassischen Katastrophenfall und dem klassischen Verteidigungsfall, der vom Angriff eines Völkerrechtssubjektes, also grundsätzlich eines Staates, ausgeht, muss demzufolge ein neuer strategischer Fall, der Terrorfall (T-Fall), konstruiert werden. 11.1
Anschlag durch den transnationalen Terrorismus als strategischer Fall
Ein 8. Fall, der zwischen dem Verteidigungsfall und dem Katastrophenfall liegt, ist insofern vom GG in seiner derzeitigen Fassung nicht geregelt: Der Terrorfall (T-Fall) ist dadurch geprägt, dass transnationale,2961 nicht-staatliche Akteure2962 Maßnahmen gegen Bevölkerung, Staatsgebiet, Einrichtungen und Objekte der Bundesrepublik Deutschland ergreifen, die geeignet sind, Deutschland und seine Staatsbürger politisch zu erpressen, und / oder die ein erhebliches Schadenspotenzial beinhalten. Wie die Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren in ihrem Zweiten Gefahrenbericht vom Oktober 2001 hervorhebt, müssen „… im Rahmen des Zivil- und Bevölkerungsschutzes bisher nicht für möglich gehaltene Szenarios berücksichtigt werden“.2963 2964 Dazu gehören neben der Verbreitung und dem Einsatz radioaktiver, biologischer oder chemischer Gefahrstoffe sowie Anschläge auf Betriebe, die solche Stoffe verwenden oder erzeugen, auch die Möglichkeit von Anschlägen auf Regierungs- und Verwaltungsgebäude, auch solche mit hoher symbolischer Bedeutung, auf Infrastruktureinrichtungen, Talsperren, Dei-
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Rechtsgrundlage für die Bekämpfung „klassischer“, nationaler Terrororganisationen sind die überkommenen Rechtsinstrumente und polizeilichen Befugnisnormen. Insofern kann, soweit es sich um innerstaatliche Akteure handelt, der Herausforderung, im Bereich der Prävention und Repression - wie die im Ergebnis erfolgreiche Bekämpfung der RAF gezeigt hat - mit den vorhandenen Mitteln der staatlichen Verbrechensbekämpfung begegnet werden. (Zur Geschichte der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Michael Sturm, Geschichte der Terrorismusbekämpfung, in: Hans-Jürgen Lange [Hrsg.], Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, 2006, S 101 ff.) Hinsichtlich der Definition terroristischer Vereinigungen im Ausland wird hingegen darauf verwiesen, als dass die §§ 129, 129a StGB dahingehend in der Kritik stehen, als dass sich für die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden Probleme ergeben unter welchen Voraussetzungen gewaltsamer Widerstand gegen ein diktatorisches Regime als legitim und somit legal oder aber als illegitim und demnach terroristisch kategorisiert werden kann und es somit die Befürchtung bestehe, dass die Einleitung von Ermittlungen nach § 129b StGB, wofür es einer Ermächtigung durch das Bundesjustizministerium bedarf, willkürlich gemäß außenpolitischen Erwägungen erfolgen könnte. (Michael Sturm, Terroristische Vereinigungen, in: Hans-Jürgen Lange [Hrsg.], Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, 2006, S. 333 ff.; 337) Aufständische Organisationen oder „kriegführende Parteien“ können nur eine partielle Völkerrechtssubjektivität erlangen, wenn sie eine de facto-Herrschaft erlangt haben, indem sie sich auf einem bestimmten Gebiet längere Zeit behaupten, also ein Territorium effektiv beherrschen. (Alfred Verdross, Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl. Berlin 1984, §§ 404 f.) Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz (Hrsg.), Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren. Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall, Bonn 2001, S. 7 Elke M. Geenen, Kollektive Krisen. Katastrophen, Terror, Revolution – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, in: Lars Clausen, Elke M. Geenen, Elísio Macamo (Hrsg.), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophe, Münster 2003, S. 5 ff.; 17
che, Kommunikationsnetze2965, Anlagen der Energieversorgung, des Transportwesens (einschließlich Straße, Schiene, Luft, Wasser). Die hier (nicht abschließend) aufgezeigten Destruktionspotenziale beinhalten die Möglichkeit, die von Menschen zum Schutz erzeugte Technik und Vorrichtungen als Waffe gegen sie selbst einzusetzen.2966 Die Strategie des Terrors zielt insofern auch auf die Schlüsselsymbole und die Infrastruktur der freien Welt.2967 Die vernetzte Infrastruktur der modern arbeitsteiligen Gesellschaft ist zum fragilen Angriffsziel geworden und die Zahl der Einzelziele ist geradezu unbegrenzt.2968 Die terroristischen Akteure verfügen über eine hohe Lernfähigkeit bezüglich der Verletzlichkeit der als feindlich empfundenen Systeme und verknüpfen alte und neue Handlungsinstrumente im Kampf gegen diese.2969 Diese Akteure fügen sich auch nicht nahtlos in die tradierte Zuständigkeitsverwaltung.2970 Folglich ist hier das Problem des „transnationalen Terrorismus“ relevant. Der Vorstoß des Bundesinnenministers, einen „Quasi-Verteidigungsfall“ zu konstruieren, dessen Inhalt darauf abzielt, bei einem drohendem Terroranschlag das Kriegsvölkerrecht anzuwenden, könnte ein erster Ansatz sein, die Lücke zwischen Verteidigungsfall und Katastrophenfall zu schließen.2971 In jedem Fall müssen die politisch Verantwortlichen den Willen und die Kraft aufbringen, sich den Erscheinungen des Irregulären zu stellen und umfassend wirkungsorientiert hierauf zu reagieren.
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Elke M. Geenen, Kollektive Krisen. Katastrophen, Terror, Revolution – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, in: Lars Clausen, Elke M. Geenen, Elísio Macamo (Hrsg.), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophe, Münster 2003, S. 5 ff.; 17 Elke M. Geenen, Kollektive Krisen. Katastrophen, Terror, Revolution – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, in: Lars Clausen, Elke M. Geenen, Elísio Macamo (Hrsg.), Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophe, Münster 2003, S. 5 ff.; 17 f. Werner Weidenfeld, Für ein System kooperativer Sicherheit, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 11 ff.; 11 Werner Weidenfeld, Für ein System kooperativer Sicherheit, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 11 ff.; 11 Werner Weidenfeld, Für ein System kooperativer Sicherheit, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Herausforderung Terrorismus. Die Zukunft der Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 11 ff.; 14 vgl. Klaus G. Meyer-Teschendorf, Neue Strategie für die zivile Sicherheitsvorsorge, in: Notfallvorsorge 2003, Heft 2, S. 5 ff.; 6 vgl. Heribert Prantl, Schäuble will Flugzeugabschuss doch erlauben, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Januar 2007, S. 1; vgl. Heribert Prantl, Was der Kriegszustand erlaubt, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. Januar 2007, S. 6; vgl. Thomas Schmid, Schäubles Konsequenz, in: DIE WELT vom 3. Januar 2007, S. 1; vgl. MLU, Schäubles Pläne zur Terrorabwehr umstritten, in: DIE WELT vom 03. Januar 2007, S. 1; vgl. Martin Lutz, Abschuss zur Terrorabwehr?, in: DIE WELT vom 3. Januar 2007, S. 2; vgl. zur politischen Diskussion um die Vorschläge auch: Martin Lutz, Joachim Fahrun, „Schäuble geht in die moralische Irre“, in: DIE WELT vom 5. Januar 2007, S. 2; Dagegen hält Wiefelspütz einen mit dem 11. September vergleichbaren Fall für einen “militärischen Luftzwischenfall“ und damit durch die verfassungsrechtlichen Vorschriften über den Verteidigungsfall bereits abgedeckt, so dass eine Grundgesetzänderung an dieser Stelle entbehrlich sei. (vgl. Dieter Wiefelspütz, Fernsehinterview, in: ZDF-Heute-Journal vom 02. Januar 2007)
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III.
Zusammenfassung und Schluss
Terrorismus ist nicht ein spezifisches Phänomen, sondern Teil eines Kontinuums von Konflikten unterhalb der Kriegsschwelle, Subversion und Guerillakampftechniken, hin zu Aktionen spektakulärer Gewalt, welches eher entwickelt ist, um einen politischen als einen militärischen Punkt zu machen.2972 Ebenso sind Anti-Terroroperationen ebenso Teil eines Kontinuums, welches als angebrachtes und flankierendes Mittel von den staatlichen Verantwortlichen gebraucht wird, um allen Eventualitäten zu begegnen.2973 Es ist Mode geworden, den Gegner als „Terroristen“ zu diffamieren und ihn damit zu diskreditieren; ihm damit nicht mal mehr den Rechtsstatus eines „Feindes“ zuzuerkennen. Die Erscheinungen unter Begriffe zu subsumieren, welche die Akteure von Vorneherein ausgrenzen, bzw. in Abhängigkeit vom eigenen Standpunkt und von eigenen Interessen mit politisch abwertenden Begriffen belegen, kann nicht Ziel führend sein. Insofern ist der Begriff „Terrorismus“ zugunsten der Bezeichnung „Irregulärer Kampfführung“ aufzulösen und die Formen der Reaktion und Auseinandersetzung in der komplexen Form als „moderner Kleinkrieg“ zu bezeichnen. Kriege bleiben Kriege, wenngleich sie in ihren Formen immer unberechenbarer geworden sind, und Terror und Kriminalität keine neuen Elemente sind, welche die heutigen Kriege brutalisieren oder vorbereiten.2974 Wo der Irreguläre Kampf nicht soziale, sondern politische Ursachen hat oder Ausdruck kultureller Abgrenzung ist, muss mit ihm als pathologisches Phänomen einer sich globalisierenden Welt zwangsläufig gerechnet werden.2975 Wir haben auch zukünftig einen Preis dafür zu zahlen, Freiheit und Wohlstand zu erhalten und zu verteidigen. Es wird entscheidend darauf ankommen, die Gelassenheit zu bewahren und entschlossen das Richtige zu tun. Verantwortungsvolle Staatsführungen, die dem Wohl ihrer Nationen zu dienen haben, sind verpflichtet, langfristige außen- und sicherheitspolitische Strategien festzulegen, die sich an den Interessen ihrer Staaten orientieren. Daraus leiten sich die notwendigen Instrumentarien zur Erreichung der festgelegten Ziele und möglichen Optionen ab. Auch die notwendigen militärischen Potenziale sind hier zu definieren. Der Aufbau und die Ausrüstung von erweiterten nachrichtendienstlichen, polizeilichen und militärischen Kapazitäten nimmt viele Jahre in Anspruch, wenn man über keine ausbaufähigen Grundkapazitäten verfügt, weil man seine Reserven aufgegeben oder vernachlässigt hat. Das betrifft zudem in besonderem auch „Know-how“ und Ausbildung. Da es sich hier um eine für einen Staat 2972 2973 2974 2975
J. Paul de B. Taillon, The Evolution of Special Forces in Counter-Terrorism. The British and American Experience, London 2001, S. xi J. Paul de B. Taillon, The Evolution of Special Forces in Counter-Terrorism. The British and American Experience, London 2001, S. xi Felix Meier, Einleitung des Präsidenten der VSN, in: Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere, VSN, (Hrsg.), Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle, Überlegungen, Fallbeispiele, Ausbildungsideen, Checklisten, 2. Aufl., Zürich 1996, S. V f.; V Jost Vielhaber, Nina Kubovcsik, Homeland Security – Deutschlands offene Flanke?, in: KonradAdenauer-Stiftung (Hrsg.), Arbeitspapier/Dokumentation Nr. 14/2005, Berlin 2005, S. 11
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existentielle Fragestellung handelt, ist die Frage nach den Kosten bei einer ganzheitlichen Betrachtung sekundärer Natur und auch in dieser Reihenfolge zu beantworten. Die Sicherheitskultur eines Staates ist Teil seiner politischen Kultur.2976 Es ist Aufgabe der Politik, die vitalen Ressourcen bereitzustellen und in der Öffentlichkeit diese Maßnahmen zu vertreten. Der umgekehrte Weg, den Auftrag und die personelle und materielle Ausstattung der Streitkräfte von dem abhängig zu machen, was man sich vermeintlich im Augenblick glaubt leisten zu können, verrät außen- und sicherheitspolitische Kurzsichtigkeit. Darüber hinaus gefährdet eine solche Kosten-Nutzen-Relation die Auftragserfüllung, Effizienz und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte und nicht zuletzt das Leben und die Gesundheit der eingesetzten Soldaten sowie das der übrigen Sicherheitsdispositive. Im Kampf gegen Irreguläre Kräfte unterscheiden sich Ziel und Zweck von konventionellen Auseinandersetzungen. In der konventionellen Kriegführung ist die Niederlage der gegnerischen militärischen Kräfte ein klarer Endzustand; im Kampf gegen Irreguläre Kräfte hingegen kommt es nicht allein darauf an, die Irregulären zu neutralisieren und wichtiges Schlüsselgelände zu kontrollieren, sondern vor allem umfassende Bedingungen für Stabilität, (lokale) Administration und ökonomische Entwicklung zu schaffen.2977 Dementsprechend ist der Einsatz militärischer Fähigkeiten als ein Instrument unterschiedlicher Eignungen zur Problemlösung zu sehen und anzuwenden, um in einem komplexen und komplizierten Konfliktumfeld andauernde Wirkung zu erzielen. Gegebenenfalls können militärische Wirkmittel nur nachgeordnete, begleitende oder möglicherweise auch überhaupt keine stabilisierenden Erfolge erzielen. Die Erscheinungen Irregulärer Kräfte weisen nach den vielfältigen Darstellungen in der Literatur oftmals in vielerlei Hinsicht gleichartige oder ähnliche Züge auf. Allerdings sind bestimmte Parallelen abhängig von der jeweiligen Perspektive des Betrachters, seiner Fokussierung auf eine konkrete Problemstellung oder den historischen Zusammenhang. Will man jedoch Irregulären Phänomenen erfolgreich begegnen, darf man deren jeweilige geopolitische und kulturelle Verortung nicht übersehen und muss sie berücksichtigen. Aus der vorgestellten Analyse ergeben sich zudem nachstehende Folgerungen: Staaten moderner westlicher Prägung haben sich, wenn sie in Interaktionen mit anderen politischen Systemen treten, die unter Umständen nur begrenzt staatlichen Charakter haben, auf andere (völker-) rechtliche und kulturelle und insofern auch andere kulturrechtliche Gegebenheiten einzustellen und gegebenenfalls diese zu akzeptieren. Hier folgt das Recht auch nicht der Fahne. Die Mittel der Interaktion sind auf strukturell und kulturell „andersartig verortete Gegenüber“ und auf ein entsprechend angepasstes und abgestimmtes Spektrum von Maßnahmen und Wirkmitteln abzustimmen. Interkulturelle Kompetenz zur interkulturellen Kommunikation setzt hier allerdings ein bis zu einem gewissen Grad – den anderen Akteuren aber nicht um jeden Preis – angepasstes Auftreten, Benehmen und Verhalten voraus, sondern hat zur Grundbedingung, dass Klarheit und Bewusstsein über die eigene Kultur und Geschichte besteht, um selbst glaubwürdig und damit auch erfolgreich auf gleicher Augenhöhe akzeptiert agieren zu können. Auf diese Weise gewinnt man die Chance, als sowohl erkennbares wie verstehendes Gegenüber erfolgreich zu agieren. dementsprechend muss hier eine Auswahl und Ausbildung von Kräften stattfinden, die bereit und fähig sind, 2976 2977
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Jan-Phillip Weisswange, Von einer Kultur der Zurückhaltung zu einer (Un-)kultur des Desinteresses? Die vernachlässigte staatsbürgerliche Dimension des deutschen sicherheitspolitischen Entwicklungsprozesses, in: ÖMZ 2006, S. 39 ff.; 39 f. vgl. Frank G. Hoffman, Principles for the Savage Wars of Peace, in: Anthony D. Mc Ivor (Hrsg.), Rethinking the Principles of War, Annapolis, Maryland, 2005, S. 299 ff.; 305 f.
sich einer vertieften landeskundlichen Ausbildung zu unterziehen und sich zur Erfüllung ihres Auftrages für längere Zeit auf ein entsprechendes Umfeld einlassen. Gleichzeitig müssen die Verwendungen und der Verwendungsaufbau dieser Kräfte langfristig auf diesen Kontext und die landeskundliche Umwelt ausgerichtet sein. Zugleich kann festgestellt werden, dass Spezial- und Spezialisierte Kräfte als proaktive Offensivwaffe2978 einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung Irregulärer Kräfte leisten können. Wenngleich sie ein strategisches Mittel darstellen können, sind sie oftmals nur operatives oder taktisches Element. Den schwächsten Punkt dieser Gleichung stellt aber die strategische Ebene dar.2979 In der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren muss das Wissen generiert werden, welches benötigt wird, erfolgreiche Ansätze zu entwickeln, Irregulären Kräften in allen Phasen und auf allen Ebenen – möglichst bereits vor der Entstehung – effektiv entgegenzuwirken. Mithin stellen Spezialund Spezialisierte Kräfte nur ein Mittel in einer breiten Palette staatlicher Instrumente dar und können nur zu bestimmten – eben speziellen Zwecken – wirksam eingesetzt werden. Folglich ist der Ressort und Institutionen übergreifende Ansatz des „Interagency Interaction“ ein Konzept, das im Sinne einer Gesamtstrategie abgestimmt staatliche und nichtstaatliche Mittel Ziel führend zum Einsatz bringen kann. Ein isoliertes Vorgehen ist – wie die aktuell verlaufenden Konflikte zeigen – häufig unzureichend und oftmals in den Auswirkungen und Reaktionen auch kontraproduktiv. Letztendlich bedeutet der Kampf gegen Irreguläre Kräfte – wo auch immer – direkt oder indirekt, unmittelbar oder mittelbar auch, den Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen. Wenn man den Bevölkerungsschutz als fundamentale Staatsaufgabe begreift dann darf man ihn nicht allein unter den Aspekten: Zuständigkeit von Bund und Ländern, Organisationen, Personal, Material betrachten, das heißt, man darf ihn nicht allein formal und technisch begreifen.2980 Die vorstehende Analyse verlangt, wie bereits mehrfach gefordert, eine umfassende ressortübergreifende Sicherheitskonzeption sowie ein geeignetes Gremium, welches in der Lage ist, eine sicherheitspolitische Problemstellung einer möglichst zielgerichteten Lösung zuzuführen.2981 Der Bewusstwerdungsprozess befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland in dieser Fragestellung erst am Anfang. Das Ende der NATO-Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Sicherheit der Bundesrepublik und die Wahrnehmung der entsprechenden Interessen endete mit der Souveränität des vereinigten Deutschlands. Auch der Institutionenbildungsprozess hat bezüglich dieser Tatsachen keine grundlegende Anpassung erfahren. Die Verfassung ist hinsichtlich dieser Herausforderungen nicht uneingeschränkt „in Ordnung.“2982 Irreguläre akzeptieren keine 2978 2979 2980 2981
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geographischen und staats- und völkerrechtlichen Grenzen – im Gegenteil. Irreguläre nutzen Lücken, Schwachstellen und Bruchlinien wo und in welcher Weise sie sich auch immer bieten. Genau dort setzten sie mit ihrem schädlichen Tun an. Freiheitliche Gesellschaften werden immer Lücken und somit auch Angriffspunkte bieten. Demzufolge müssen auch die Verfassungs- und staatsrechtlichen Grundlagen den geänderten Verhältnissen und damit der Lebenswirklichkeit flexibel angepasst werden. Der andauernde Verweis auf die Geschichte und ihre „Last“2983, kann nicht überzeugen, sinnvolle Anpassungen und Veränderungen des Grundgesetztes endlich zuzulassen: Zum Einen ist die Bundesrepublik Deutschland inzwischen eine vollständig souveräne Demokratie, mit den entsprechenden Möglichkeiten zur Kontrolle staatlicher Macht und deren Institutionen. Dieses gilt es endlich zu akzeptieren. Zum Anderen zeugt die Berufung auf die Geschichte von wenig gefestigtem Vertrauen in das Funktionieren der bundesdeutschen Demokratie. Des Weiteren lassen sich derartige Argumentationslinien auch nicht auf ewig durchhalten, wie die Entscheidungen zum Einsatz der Bundeswehr im Ausland in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht haben. Beim Kampf gegen die globalen Bedrohungen durch Irreguläre Kräfte, dem eigenen Staatsgebiet einen Sonderstatus zu geben, welcher seine Position schwächt und ihn hindert auch hier seine Fähigkeiten wirksam zum Einsatz zu bringen, entspricht nicht den Anforderungen der Zeit und den Erfordernissen der Zukunft. Es sollte nur gehandelt werden, bevor etwas passiert ist.
2983
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