Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde weltber...
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Zwei Freunde – das sind Georg, die eigentlich Georgina heißt, und der Hund Tim. Noch bevor sie als Fünf Freunde weltberühmt werden, gehen Georg und Tim schon zusammen durch dick und dünn und lösen mutig ihre ersten Fälle. In diesem Band erleben sie ihr zweites Abenteuer. Bei einem Picknick am Strand buddelt Tim einen Riesenknochen aus dem Sand. Sofort wittert Ge org ein neues Abenteuer. Von wem stammt dieser Knochen? Sie fragt ihren Vater und erfährt zu ih rem Erstaunen, dass es sich um einen sehr alten Dinosaurierknochen handelt. Der Knochen ist so wertvoll, dass der Fund unbedingt geheim gehal ten werden muss. Dazu aber ist es bereits zu spät.
Enid Blyton, 1897 in London geboren, begann im Alter von 14 Jahren, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 verfasste sie über 700 Bücher und mehr als 10000 Kurzgeschichten. Bis heute gehört Enid Blyton zu den meistgelesenen Kin derbuchautoren der Welt. Ihre Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Von Enid Blyton sind beim C. Bertelsmann Ju gendbuch Verlag und bei OMNIBUS folgende Se rien erschienen: »Zwei Freunde«, »Fünf Freunde«, »Fünf Freunde und Du«, »Die schwarze 7«, »Die verwegenen 4« und »Lissy im Internat«.
Zwei Freunde
und der rätselhafte Schatz Aus dem Englischen von
Anna Claudia Wang
Illustriert von Lesley Harker
OMNIBUS
Der OMNIBUS Verlag gehört
zu den Kinder‐ & Jugendbuch‐Verlagen
in der Verlagsgruppe Random House
München Berlin Frankfurt Wien Zürich
www.omnibus‐verlag.de
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
1. Auflage 2001
© 2001 für die deutschsprachige Ausgabe
OMNIBUS/C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© für den Originaltext 2000 Enid Blyton Limited, London
Enid Blytons Unterschrift ist ein eingetragenes Warenzeichen
von Enid Blyton Limited.
Die englische Ausgabe erschien unter dem Titel »Just George – George,
Timmy and the Curious Treasure « bei Hodder Headline Limited,
London, und wurde geschrieben von Sue Welford.
The right of Sue Welford to be identified as the Author of the Work
has been asserted by her in accordance with the Copyright,
Designs and Patents act 1998.
© für die Innenillustrationen 2000 Lesley Harker
Übersetzung: Anna Claudia Wang
Umschlagbild: Michael Braman/Which Art
Umschlagkonzeption und Reihengestaltung: Atelier Langenfass
st • Redaktion: Brigitta Taroni (Büro linguart, Zürich)
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck: GGP Media, Pößneck
ISBN 3‐570‐12638‐2
Printed in Germany
Inhalt 1 Tim darf bleiben
9
2 Ein seltsamer Fund
17
3 Tim gräbt um
25
4 Vater reagiert merkwürdig
32
5 Der Besuch
41
6 Bravo Tim!
50
7 Noch mehr Knochen
60
8 Ein Geheimnis
68
9 Thomas macht einen Fehler
79
10 Das Gewitter
92
11 Das nächtliche Abenteuer
98
12 Ein schlauer Plan
106
13 Ende gut, alles gut
116
1 Tim darf bleiben
»Tim wird ganz brav sein, großes Ehrenwort«, rief Georg eifrig und sah zu ihrem groß gewachsenen, ziemlich streng blickenden Vater hoch. Ihre kur zen, dunkeln Locken wippten und die lebhaften blauen Augen leuchteten. »Lass ihn bei uns blei ben, bitte!« Vor genau einem Monat hatte sie den herrenlo sen kleinen Hund oben im Moor gefunden. Ob wohl sie überall nachgefragt hatte, ob jemand das braune struppige Kerlchen vermisse, hatte ihr 9
niemand weiterhelfen können. Der Wachtmeister im Ort meinte, wenn sich die Hundebesitzer nicht innerhalb eines Monats melden würden, müsse er für ihn ein neues Zuhause suchen. Nun war der Monat um und Georg konnte den Gedanken nicht ertragen, sich von ihm zu trennen. Ihre Eltern hat ten ihr erlaubt, den kleinen Hund solange zu be halten, und er war ihr bester Freund geworden. Sie steckten immer zusammen und sogar einen Namen hatte sie ihm schon gegeben – Tim. Und jetzt war es Zeit, über Tims Zukunft zu entscheiden. Georgs Vater sah sehr unentschlossen aus. »Er hat meine schönsten Pantoffeln zerkaut«, bemerkte er und betrachtete seine Tochter. Auch er hatte sehr dunkles Haar, leuchtend blaue Au gen und dicke schwarze Brauen und auch er run zelte ungemein häufig die Stirn, genau wie Georg. Vater und Tochter hatten beide ein aufbrausen‐ des Temperament und gerieten sich deshalb oft in die Haare, obwohl sie einander sehr gern hatten. »Aber du weißt doch, dass Tim noch ein Baby ist«, wies Georg ihren Vater zurecht, als dieser die zerkauten Pantoffeln erwähnte. »Je älter er wird, desto braver wird er sein.« »Und er hat zweimal auf den Küchenboden ge pinkelt«, fügte der Vater noch immer stirnrun zelnd hinzu. 10
»Also, wenn er nicht hier bleiben darf, dann bleibe ich auch nicht«, stieß Georg wütend hervor. Sie versuchte krampfhaft nicht völlig die Beherr schung zu verlieren, was ihr aber nicht so recht gelang. »Er ist mein bester Freund und ich werde nicht zulassen, dass er weggegeben wird. Er wür de furchtbar unglücklich sein. Habe ich Recht, Tim?«, fragte sie den Hund und umarmte ihn. »Wuff«, erwiderte dieser traurig. Er durfte gar nicht daran denken, dass man ihn von seiner ge liebten Besitzerin trennen könnte. »Freunde dich doch mit ein paar Mädchen aus dem Ort an«, fuhr Georgs Vater fort, »dann bist du nicht so einsam, dass du einen Hund als besten Freund brauchst.« »Ich will aber nicht und ich bin nicht einsam«, gab Georg zurück. Ihr Gesicht lief rot an, so wü tend war sie. »Tim ist der Einzige, den ich zum Freund haben will. Außerdem sind Hunde die be sten Freunde, die man sich denken kann«, fügte sie mit Nachdruck hinzu. Georg war kein Bilderbuchmädchen. Puppen fand sie öde und ihr Vorname Georgina gefiel ihr überhaupt nicht. Deshalb hörte sie einfach nicht hin, wenn jemand sie so nannte. Am liebsten tobte sie in kurzer Hose und T‐Shirt im Freien herum und ihre Arme und Beine waren im Sommer braun gebrannt. Sie konnte segeln und angeln, auf Bäume 12
klettern und pfeifen. Sie war flink wie ein Wiesel und rannte schnell wie der Wind. Die Haare hatte sie sich selbst geschnitten, weil sie im Nacken kit zelten und beim Klettern und Schwimmen störten. »Wuff«, pflichtete Tim ihr bei, als sie sagte, er sei der einzige Freund, den sie brauchte. Er blickte mit seinen samtbraunen Augen zu seiner zornigen Besitzerin hoch. Dabei trommelte sein Schwanz eifrig auf den Boden. »Er versteht jedes Wort, das sie sagt«, meinte Georgs Mutter, die eben ins Zimmer kam. »Ehr lich gesagt, Quentin, ich finde, wir sollten den Hund behalten. Ich habe den kleinen Kerl richtig lieb gewonnen.« »Danke Mutter«, sagte Georg und warf ihr ei nen freudigen Blick zu. »Also gut, wenn du meinst, Fanny«, gab Georgs Vater leicht gereizt nach. »Aber du musst dafür sorgen, dass er still ist und nichts mehr zerkaut. Haben wir uns verstanden, Georgina?« Fast schmollte Georg wieder. Warum vergaß Vater bloß dauernd, dass sie diesen Namen nicht ausstehen konnte? Aber diesmal freute sie sich viel zu sehr, um länger als ein paar Sekunden wü tend zu sein. Ihr Gesicht hellte sich sofort wieder auf. Sie umarmte ihre Eltern so fest sie nur konnte. »Danke Mutter, danke Vater«, rief sie und ihre Augen leuchteten vor Freude. 13
»Wuff«, bellte Tim und sprang an ihr hoch. Er wedelte so heftig, dass ihm beinahe der Schwanz abfiel. Georg ließ ihre Eltern los und hob den Hund hoch. »Er dankt euch ebenfalls«, meinte sie lachend. Der Vater tätschelte ihm den weichen Kopf. »Sei bloß brav«, brummte er. Dann drehte er sich um und ging geradewegs in sein Arbeitszimmer, das ganz auf der anderen Seite des Hauses lag. Er grübelte wieder einmal über eine wichtige wissen schaftliche Formel nach und wollte ein Buch dar über schreiben. »Und macht mir keinen Krach«, rief er, als er die Tür hinter sich ins Schloss schmiss. »Ach Mutter, das ist wunderbar«, rief Georg aus. Sie drückte Tim immer noch ganz fest an sich, sodass der kleine Hund kaum atmen konnte. »Jetzt kann er für immer und ewig im Felsenhaus bleiben!« Felsenhaus hieß das alte weiße Steinhaus, in dem die Familie wohnte. Es war ziemlich groß, hatte eine alte Holztür, um die sich wunderschöne rote Rosen rankten, und einen Garten voller Blu men. Das Felsenhaus stand auf einer niederen Klip pe, von der aus man auf die Felsenbucht hinab blickte. Wie als Wachtposten lag am Eingang zur Bucht eine kleine Felseninsel. Auf dieser Insel be 14
fand sich eine geheimnisvolle Burgruine mit zwei zerfallenen Türmen und einem Hof. Georg spielte sehr gern auf der Insel, wo viele wilde Kaninchen und Möwen lebten, und sie ruderte oft mit ihrem kleinen Holzboot hinüber. Die zerfallene Burg, die sich einst stolz und unbezwingbar über dem Meer erhoben hatte, zählte zu ihren liebsten Spielplät zen. Immer wieder stöberte sie in den Türmen und im Rittersaal mit dem Kamin herum und mal te sich all die aufregenden Ereignisse aus, die sich einst dort zugetragen hatten. Dann stellte sie sich vor, sie sei ein tapferer Ritter oder ein Soldat, der die Felsenbucht gegen Todfeinde verteidigte.
15
Das Haus und die Insel gehörten seit vielen Jah ren der Familie ihrer Mutter. Weder Georg noch ihre Eltern konnten sich vorstellen, woanders zu leben. »Na also«, meinte die Mutter, als Georg aufhör te, Tim an sich zu drücken, und ihn wieder auf den Teppich stellte. Er begann sofort übermütig zu knurren und an den Schnürsenkeln ihrer Turn schuhe herumzubeißen. »Das wäre also geklärt«, fuhr die Mutter lachend fort. »Nun möchte ich dich um etwas bitten.« »Worum denn?«, fragte das Mädchen und ver suchte kichernd, Tim zu entwischen. »Ich habe versprochen, einige Dinge für den Flohmarkt im Dorf herauszusuchen. Ich möchte, dass du auf den Dachboden steigst und deine al‐ ten Spielsachen durchgehst. Ich habe selbst schon einiges aussortiert und im Schuppen bereitgelegt. Du kannst deine Sachen ebenfalls dorthin tun.« »Wird gemacht«, antwortete Georg und löste Tim sanft von ihren Schnürsenkeln. »Komm Tim, lass uns mal sehen, was da oben alles zu finden ist.« »Vergiss nicht, dein Vater arbeitet!«, rief die Mutter den beiden nach, als sie polternd die Trep pe hochrannten. »Macht also nicht zu viel Krach!«
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2 Ein seltsamer Fund
»Du wirst sehen, das macht Spaß, Tim«, meinte Georg, während sie die kleine Tür zum Dachbo den aufstieß. Der Dachboden im Felsenhaus be fand sich unter der Dachschräge und die Tür war so niedrig, dass selbst Georg sich bücken musste, wenn sie hindurchging. Tim folgte ihr. In diesem höchst interessanten Raum war er noch nie gewesen. Er rannte schnüf felnd zwischen den Dachbalken hin und her. O was roch es hier nach unzähligen unbekannten Dingen und alle erschienen ihm sehr aufregend. 17
Zuerst witterte er Spinnen und wuselte zwi schen den staubigen Koffern und Kleiderschach teln hin und her, in der Hoffnung, sie zu finden. Aber es roch auch nach Mäusen und nach Vö geln und Käfern und vielen anderen, wahnsinnig spannenden Dingen! Das war einer der interessan testen Orte, die ihm je unter die Nase gekommen waren! »Hier rüber, Tim«, rief Georg und zog eine Kis te voller Spielsachen hervor, mit denen sie gespielt hatte, als sie noch viel kleiner gewesen war. Sie hob den Deckel ab. Drinnen lagen ein paar Spielzeugautos und eine kleine Eisenbahn, mit denen sie ewig nicht mehr gespielt hatte. Darunter kamen Bilderbücher, alte Puzzlespiele und eine Schachtel Holzbauklötze zum Vorschein. »Oh, sieh mal, Tim. Mein alter Fußball!«, rief sie und hielt einen Lederball in die Höhe, der flach wie eine Flunder war. »Ich kann mich noch gut er innern, er hat ein Loch abbekommen und Vater hatte nie genug Zeit, um ihn zu reparieren.« »Wuff«, bellte Tim, fand allerdings, ein so fla ches Ding könne nie und nimmer ein Fußball sein. Da zauberte Georg etwas anderes aus der Kiste hervor und hob es hoch. »Und das ist mein alter Cowboyanzug. Inzwischen ist er mir zu klein. Si cher kauft ihn ein kleiner Junge.« Sie legte den An zug beiseite, um ihn mit nach unten zu nehmen. 18
Dann stieß sie auf eine Pappschachtel und machte sie ebenfalls auf. Dort drin lag eine Puppe mit langem Blondhaar und einem rosafarbenen Kleid. »Bäh!«, rief Georg und rümpfte die Nase. »Die geben wir auch gleich weg, Tim, das ist si cher.« Georg hatte die Puppe einst von einer Tante und einem Onkel zu Weihnachten bekommen. Die beiden lebten in London und hatten drei Kinder namens Julius, Richard und Anne. Georg kannte ihre Vettern und ihre Kusine nicht – und sie wollte sie auch nicht kennen lernen. Das Mädchen schon gar nicht! »Wahrscheinlich spielt meine Kusine Anne gern mit Puppen und da hat meine Tante gedacht, dass ich auch welche mag«, erklärte Georg Tim. Der starrte die Puppe an, als würde er sie am lieb sten mit seinen kleinen scharfen Zähnen packen und kräftig schütteln. »Du siehst, sie hat einfach keine Ahnung!«, fügte Georg hochmütig hinzu und legte die Puppe zum Cowboyanzug. »Wuff«, bestätigte Tim, der wie immer ihrer Meinung war. Bald hatte sich ein stattlicher Stapel für den Flohmarkt angesammelt. Georg schaute sich nach etwas um, in dem sie die Dinge transportieren konnte, und entdeckte eine große leere Papp schachtel. Sie holte sie und sah, dass darin ein alter 20
Zeitungsausschnitt lag, gelb und voller Spinnwe ben. Die großen Buchstaben einer Schlagzeile auf dem Fetzen Papier erregten ihre Aufmerksamkeit. »Detektive suchen Felsenbucht nach Knochen ab«, las sie Tim vor. »In der Felsenbucht wird nach …« Sie hielt seufzend inne. »Der Rest der Ge schichte fehlt«, sagte sie und wandte sich mit glit zernden Augen an den Hund. »Detektive in der Felsenbucht, stell dir vor! Wie aufregend, Tim!« Sie drehte den ausgefransten Zeitungsfetzen um, aber auf der Rückseite stand bloß eine Anzei ge. Dem Datum nach lag das alles Jahre zurück. »Tja«, meinte Georg. »Vermutlich werden wir nie erfahren, was es mit der Sache auf sich hatte.« Sie zerknüllte das Papier und warf es weg. »Komm, Tim. Lass uns die Sachen nach unten zu Mutter tragen und dann gehen wir spazieren.« »Wuff«, erwiderte Tim erfreut. »Spazieren« war ein Wort, das er sehr gut verstand! Als Georg ihrer Mutter den Karton mit dem Spielzeug zeigte, war diese sehr zufrieden. »Die Organisatorinnen des Flohmarkts werden sich be stimmt freuen«, meinte sie. »Danke Georg. Und jetzt könntest du doch mit Tim einen Strandspa ziergang machen. Schau, wie schön es heute ist.« »Das hatte ich gerade vor«, antwortete Georg. Dann fiel ihr etwas Tolles ein. »Ich weiß was, Tim. Wir gehen picknicken, ja?« 21
»Wuff«, antwortete Tim und spitzte die Ohren. Ein Picknick war für ihn etwas besonders Schönes. Johanna, die Haushaltshilfe und Köchin der Fami lie, kochte und backte die köstlichsten Dinge. Und wenn er ganz brav war, bekam er möglicherweise etwas davon ab. Ein Picknick war in der Tat eine tolle Idee. »Geh zu Johanna in die Küche und hilf ihr, ein paar belegte Brote zu machen«, sagte Georgs Mutter. »Komm Tim«, befahl Georg. »Wir können hin terher auch schwimmen gehen, wenn du Lust hast.« »Wuff!« Tim freute sich. Im warmen Wasser der Bucht zu plantschen, gehörte neben spazieren gehen, picknicken und Knochen nagen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. In der Küche nahm Johanna soeben einen Schwung frisch gebackener Brote aus dem Rohr. Es duftete köstlich und Georg lief das Wasser im Mund zusammen, als sie mit Tim auf den Fersen in die Küche stürzte. »Mhm, Johanna!«, rief sie und begutachtete die zwei Laibe auf dem Küchentisch. »Können wir zusammen aus diesem köstlichen Brot ein paar Stullen machen? Tim und ich gehen nämlich pick nicken.« »Ihr geht picknicken? Nun, da bleibt mir wohl 22
nichts anderes übrig«, sagte Johanna lachend. Sie sah genauso aus, wie man sich eine nette Köchin und Haushälterin vorstellt, fröhlich und mollig. »Was möchtest du denn sonst noch mitnehmen?« Die Speisekammer im Felsenhaus war stets voll gepackt mit leckeren Dingen, die sich für ein Picknick eigneten. »Wie wäre es mit einem Stück deines wunder baren Apelkuchens und etwas hausgemachter Li monade«, schlug Georg vor. »Und auf den Broten möchte ich Käse und dazu ein paar reife Tomaten aus Mutters Gemüsegarten, bitte. Und sonst? O ja, ein paar reife Pflaumen aus dem Garten.«
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»Aber sicher doch«, lachte Johanna und sie machten sich gleich an die Picknickvorbereitungen. »Und bitte, darf Tim ein paar Hundekuchen und einen Knochen mitnehmen?«, fragte Georg schließlich noch, bevor sie nach oben rannte, um Badeanzug und Handtuch zu holen. Bald war alles für das Picknick bereit und in Georgs Rucksack verstaut. Sie stopfte noch den Badeanzug und das Handtuch hinein und schnall te ihn um. Dann rannte sie los. Tim flog förmlich hinter ihr her, den Schwanz steil in der Luft. Er hatte all die Köstlichkeiten gewittert, die sich im Rucksack befanden, und konnte das Picknick kaum erwarten. Das würde vielleicht ein Spaß werden!
24
3 Tim gräbt um
Georg und der kleine Hund liefen durch den Gar ten Richtung Strand, vorbei am alten Apfelbaum, auf dem sich Georg hoch oben im Geäst ein Baumhaus gezimmert hatte. Dann ließen sie den Schuppen, Mutters Blumenbeete und den Gemü segarten hinter sich und gelangten durch das hin tere Gartentor auf den Klippenweg. Dieser Weg führte zur Bucht hinab. Inzwischen tollte Tim voraus. Er musste aber immer wieder innehalten und schnüffeln, weil er ein Kaninchen, einen Vogel oder sonst etwas Interessantes zu wit tern glaubte. 25
Georg steckte die Hände in die Hosentaschen, pfiff ein Lied und freute sich über ihr Glück, so na he am Meer zu wohnen und einen so wunderbaren Freund wie Tim zu haben. Der Tag war wunderbar. Die Sonne schien, weiße Wattewolken zogen über den blauen Himmel und die Luft war erfüllt mit Vogelgezwitscher und dem Summen der Insekten. Die Felsenbucht hatte einen weiten, sanft ge schwungenen goldenen Sandstrand, der in der Sonne leuchtete. Kleine Wellen schwappten leise murmelnd ans Ufer und ein paar Möwen segelten durch die klare Luft. Georg atmete tief durch. Sie liebte die Bucht und die Insel. Gewiss gab es auf der ganzen Welt keinen schöneren Ort. Bald hatten die beiden im Windschatten eines großen Felsblocks einen guten Picknickplatz ge funden. Georg legte ihren Rucksack ab und grub sich eine Kuhle in den warmen Sand. Darin mach te sie es sich gemütlich und blickte zur Felseninsel hinaus. Sie spürte die Wärme der Sonne auf der Haut und atmete den salzig würzigen Duft des Meeres ein. Tim blieb für einen Augenblick neben ihr sit zen. Dann sprang er auf und raste bellend den Strand entlang auf eine Schar Möwen zu, die sich nahe am Wassersaum niedergelassen hatten. »Vögel darfst du nicht jagen, Tim«, rief Georg streng. 26
»Das weißt du ganz genau, ich habe es dir oft genug gesagt!« Sie liebte all die verschiedenen Meeresvögel und wollte nicht, dass Tim sie ver jagte. Der kleine Hund kam zu ihr zurück und schien sich ganz schön Leid zu tun. Er wusste ja, dass er Vögel nicht jagen durfte, aber irgendwie überkam es ihn einfach. Abgesehen davon verstand er nicht, was seine Besitzerin daran so aufregte. Er hatte noch nie einen erwischt. Es machte ihn furchtbar wütend, wenn er hilflos zusehen muss te, wie sie ihm vor der Nase davonflogen. Wie sollte ein kleiner Hund etwas fangen können, das einfach davonflog? Georg lachte ihm zu und umarmte ihn. »Tut mir Leid, mein Guter. Aber du weißt doch, dass du das nicht tun darfst«, tröstete sie ihn. »Wurf«, bellte Tim, wie um sich zu entschul digen. »Mach Platz! So ist es brav«, forderte Georg und klopfte neben sich auf den Sand. »Es ist wun derbar und warm hier.« Als Tim neben ihr lag, begann sie den Rucksack auszupacken. Sie zog die Tüte mit den belegten Broten hervor und nahm eines heraus. Die Brote waren mit Käse und sauren Gurken belegt. So aß sie sie am liebsten, erst recht wenn es noch eine frische Tomate dazu gab. Georg gab Tim eine 27
Hand voll Hundekekse. Er verschlang sie blitz schnell und sah ihr dann sehnsüchtig zu, wie sie genüsslich ihre Brote verzehrte. Johannas Brot schmeckte genauso köstlich, wie es duftete. Das letzte Stück Brot gab sie Tim. Dann aß sie den Apfelkuchen und spülte ihn mit einem Schluck Limonade direkt aus der Flasche hinun ter. So schmeckte sie noch besser. Zum krönenden Abschluss gönnte sie sich zwei saftige rote Pflau men und versuchte dann, die Fruchtsteine mög lichst weit zu spucken. Einer davon flog bis ans Wasser. »Hast du das gesehen, Tim?«, lachte Georg. »Ich wette, ich kann weiter spucken, als alle Jungs auf der ganzen Welt.« »Wuff«, stimmte Tim ihr zu, obwohl er Stei nespucken ziemlich öde fand. Möwen jagen, ja, das war etwas Tolles. »Puh, jetzt bin ich aber ganz schön voll«, seufz te Georg zufrieden. Sie legte sich in ihre Sandkuhle und hielt das Gesicht in die Sonne. Tim blieb neben ihr liegen, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, und starrte sehnsüchtig zu den Möwen hoch, die über ihnen kreisten. »Sobald wir das Picknick verdaut haben, gehen wir schwimmen«, versprach Georg, die wusste, dass man nach dem Essen nicht gleich ins Wasser 28
gehen darf. »Dann werden wir so richtig schön rumplantschen.« Eine gute halbe Stunde später sprang sie auf. »So, jetzt gehe ich schwimmen, Tim. Kommst du auch?« Schnell zog sie die paar Kleider aus und ihren Badeanzug an. Tim bellte vor Aufregung und rannte mit ihr zum Wasser. Georg stürzte sich hinein. Für ihr Alter war sie eine sehr schnelle und ausgezeichnete Schwimmerin und konnte ewig lange tauchen, ohne Luft holen zu müssen. Tim war noch zu klein, um richtig schwimmen zu können, und so spritzte und plantschte er eine Zeit lang in der Nähe des Ufers herum. Dann setz 29
te er sich hin und wartete geduldig auf Georg, die sich höchst zufrieden und wendig wie ein See hund im Wasser tummelte. Plötzlich witterte Tim etwas und trottete davon. Er begann hinter einem Felsblock herumzuschnüf feln, einem hohen schmalen Stein, der Nadelfelsen genannt wurde. Aufgeregt wedelte Tim mit sei nem zottigen Schwanz. Hier roch es ja ungeheuer interessant. Dass ihm das nicht schon früher auf gefallen war! Als Georg schließlich aus dem Wasser stieg, hatte Tim für einen kleinen Hund schon ein ziem lich tiefes Loch gegraben. Georg schüttelte sich das Wasser aus den Haaren und rannte zu ihrem Handtuch. Während sie sich hastig abtrocknete, entdeckte sie Tim, allerdings nur sein Hinterteil. Der Schwanz stand wie eine Flagge in die Luft, während der restliche Körper fast ganz im Loch verschwand. »Tim, was treibst du denn da?«, fragte sie la chend und rannte zu ihm hin, um sich die Sache aus der Nähe zu betrachten. Tim schob sich rückwärts aus dem Loch und schüttelte eine ganze Ladung Sand aus dem struppigen Fell. Georg sah, dass er etwas im Maul hatte. »Was hast du denn da gefunden?«, rief sie ver blüfft. Denn nun legte Tim einen Riesenknochen 30
auf den Boden. Er war lang und dick und hatte am einen Ende seltsame Knubbel, das andere Ende schien abgebrochen zu sein und war ausgezackt. Georg japste vor Aufregung. Sie hob den Kno chen hoch und sah ihn sich genau an. »Tim! Du hast einen Knochen gefunden, hier in der Felsen bucht! Wie der wohl hierher gekommen ist?« Dann fiel ihr plötzlich wieder der Zeitungs ausschnitt ein, den sie im Felsenhaus auf dem Dachboden gefunden hatte. Detektive suchen Fel senbucht nach Knochen ab! Sie starrte Tim aufge regt an. »O Tim«, rief sie. »Meinst du, wir haben einen der Knochen gefunden, die die Polizei da mals suchte?« »Wuff«, antwortete Tim, der sich fragte, wie lange es wohl noch dauerte, bis ihm seine Besitze rin seinen Knochen wiedergab. Er wollte endlich darauf herumkauen. »Ich glaube, den bringen wir besser gleich nach Hause«, meinte Georg. »Ich bin gespannt, was Mutter und Vater sagen, wenn sie ihn zu sehen bekommen!«
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4 Vater reagiert merkwürdig
»Was um alles in der Welt hast du denn da?«, fragte Georgs Mutter, als die beiden mit ihrem Fund durch das hintere Tor den Garten betraten. Georgs Gesicht war gerötet, so rasch war sie den Klippenweg zum Felsenhaus hochgerannt. »Einen Knochen«, gab sie keuchend zur Ant wort und zog ihn aus dem Rucksack. Er hatte oben herausgeragt, da er viel zu lang war, um ganz hineinzupassen. »Das ist ja merkwürdig«, meinte die Mutter und betrachtete ihn nachdenklich. »Wo habt ihr den denn gefunden?« »Tim hat ihn in der Felsenbucht ausgebuddelt, 32
beim Nadelfelsen«, erzählte Georg. Sie trat zu ih rer Mutter und blickte zu ihr hoch. »Meinst du, es ist ein Menschenknochen?«, fragte sie mit gedämpf ter Stimme. »Wohl kaum, mein Schatz«, lachte ihre Mutter. »Was hätte ein Menschenknochen im Sand unse rer geliebten Felsenbucht verloren? Außerdem ist er viel zu groß.« »Also, ich …«, setzte Georg an. Aber sie wurde von ihrem Vater unterbrochen, der gerade zur Hintertür heraustrat. »Fanny«, rief er. »Wann hast du gleich noch mal gesagt, fährt die Bahn?« »Vater fährt nach London«, erklärte die Mutter. »Ich glaube, ich schreibe ihm die Bahnverbindun gen besser auf, sonst vergisst er sie gleich wieder.« Sie drückte ihrer Tochter den Knochen wieder in die Hand und ging hinein. Georg und Tim folgten ihr. Der Vater war be reits wieder im Arbeitszimmer verschwunden. Er hatte vergessen, dass er von seiner Frau hatte er fahren wollen, wann die Bahn fuhr. »Ich will ihm den Knochen zeigen, Tim«, mein te Georg und eilte ihm nach. »Er weiß bestimmt was darüber!« Sie rannte den Flur hinunter und klopfte an die Tür des Arbeitszimmers. »Wer ist da?«, fragte eine irritierte Stimme. »Ich bin beschäftigt.« 33
»Du kannst nicht beschäftigt sein, Vater«, rief Georg und öffnete die Tür. »Du wolltest doch den Zug nach London erwischen.« »Wollte ich?«, sagte der Vater und blickte von seinen Notizen hoch. Georg sah, dass die Papiere mit Formeln übersät waren. »Ach ja, natürlich«, stimmte er schließlich zu. Georgs Vater war furchtbar zerstreut und vergaß ständig etwas. Er raffte seine Papiere zusammen und verstaute sie in der Aktentasche. »Was wolltest du Georg? Ich muss gleich weg.« Seine Tochter hielt den Knochen hoch. »Kannst du mir sagen, was das für ein Knochen ist, Vater?« Tim versuchte hochzuspringen und den Knochen zu packen. »Runter«, befahl sie streng. Tim setzte sich ziemlich beleidigt hin. Das war schließlich sein Knochen. Er hatte ihn ausgebuddelt. Georgs Vater starrte den Knochen an. Dann nahm er ihn ihr aus der Hand. »Wo um Himmels willen hast du den gefunden, Georg?«, fragte er stirnrunzelnd. »Tim hat ihn in der Felsenbucht ausgebuddelt«, antwortete Georg. »Findest du das nicht seltsam, Vater?« »Sehr«, antwortete er und klang dabei ganz aufgeregt. Er strich sich übers Kinn und seine Au gen glitzerten. »Höchst seltsam und ganz wun derbar 34
finde ich das. Ich nehme ihn mit nach London und zeige ihn einem Freund. Ehrlich gesagt, Georg, ich glaube, dass das ein sehr bedeutsamer Knochen ist! Ein höchst bedeutsamer!« Und dann tat ihr Vater etwas sehr Ungewöhnli ches. Er beugte sich herab und knuddelte Tim aus giebig und tätschelte ihm den Kopf. »Gut gemacht, Tim! Du bist ein guter Hund!«, lobte er ihn. »Meinst du nicht, wir sollten es der Polizei mel den?«, fragte Georg, überrascht von der seltsamen Reaktion ihres Vaters. Ihr Vater sah sie verdutzt an. »Der Polizei? Wa rum? Sei nicht kindisch, Georg. Dieser Knochen ist viel zu alt, als dass sich die Polizei dafür interes sieren würde.« »Aber …«, setzte sie an. Doch weiter kam sie nicht, denn ihr Vater packte die Aktentasche und eilte an ihr vorbei hinaus. Georg und Tim folgten ihm. Doch im Flur nahm er Mantel und Hut vom Garderobenständer und ging schnell zur Tür. »Wiedersehen Fanny«, rief er. »Bis morgen.« Georg sah nur noch, wie er zum vorderen Gar tentor hinaushastete und den Weg zum Bahnhof einschlug. Dann rannte die Mutter hinter ihm her und drückte ihm den Zettel mit den Abfahrtszei ten in die Hand, die sie herausgeschrieben hatte. Er stopfte ihn in die Manteltasche, gab der Mutter 36
einen Kuss und eilte weiter. Er sah äußerst merk würdig aus mit dem Riesenknochen in der einen und der Aktentasche in der anderen Hand. Die Mutter kam mit einem erstaunten Ge sichtsausdruck ins Haus zurück. »Warum hat er denn den Knochen mitgenommen?«, fragte sie Georg. »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Georg wü tend. »Es ist Tims Knochen und er hat ihn einfach mitgenommen, ohne um Erlaubnis zu fragen.« »Aber was will er bloß damit?«, wunderte sich die Mutter immer noch.
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»Er sagte, er will ihn einem Freund zeigen«, antwortete Georg. »Ach, mach dir nichts draus«, tröstete die Mut ter sie und strich ihr über die dunklen Locken. »Vater weiß bestimmt, was er tut.« »Hoffentlich«, seufzte Georg. Sie bückte sich und umarmte Tim. »Tut mir echt Leid, Tim. Wie es aussieht, bist du deinen Knochen erst mal los.« Was als aufregendes, geheimnisvolles Aben teuer begonnen hatte, löste sich in langweiliges Nichts auf. Georg und Tim trollten sich in den Garten. Ge org trat unter den Apfelbaum und blickte zu ih rem Baumhaus hoch. Sie hatte sich das Hirn zer martert, wie sie Tim hinaufbringen konnte. Johan nas Mann Wilhelm, der Mutter manchmal im Gar ten half, hatte für sie eine Leiter gebaut, aber sie konnte nicht hochsteigen und gleichzeitig den Hund tragen. Bei ihrem ersten Versuch hatte Tim so sehr gestrampelt, dass sie ihn beinahe fallen ließ. Auch Tim starrte zum Baumhaus hoch. Zu gern hätte er dort oben alles mit seiner Nase ausge kundschaftet. »Wuff«, kläffte er traurig. Georg bückte sich und umarmte ihn von neu em. »Nicht traurig sein, Tim. Wir werden schon einen Weg finden, wie wir dich da hoch bringen.« 38
Als sie wieder hineinging, sah sie ihre Mutter mit Vaters Handkoffer in der Hand im Flur stehen. »Dein Vater hat den Schlafanzug samt Kultur beutel vergessen«, seufzte sie. »Es kommt der Tag, an dem er seinen eigenen Kopf vergisst.« Georg kicherte bei der Vorstellung, wie ihr Va ter mit einer Aktentasche und einem Riesenkno chen, aber ohne Kopf durch die Gegend lief. Am selben Abend rief er aus London an. Georg war im Wohnzimmer und las ein Abenteuercomic, als das Telefon klingelte. »In Ordnung, Quentin«, hörte sie ihre Mutter sagen, »ich werde die Gästezimmer vorbereiten. So um die Mittagszeit hast du gesagt? Ja, gut. Bis dann, Schatz.« Sie legte auf und kam ins Wohnzimmer. »Wir bekommen Besuch, Georg«, sagte sie. »Er kommt morgen, zusammen mit deinem Vater.« »Besuch«, rief Georg und blickte von ihrem Comic hoch. »So ein Mist. Ich hasse Besuch hier!« »Tja, da hast du Pech gehabt«, antwortete ihre Mutter. »Dein Vater bringt morgen seinen Freund aus London mit. Er wird ein paar Tage bleiben und ich hoffe sehr, du benimmst dich und schmollst nicht.« »Warum kommt er denn?«, wollte Georg wissen. »Er ist ganz begeistert von dem Knochen, den du gefunden hast, und will, dass du ihm genau 39
zeigst, wo Tim ihn ausgebuddelt hat«, erwiderte ihre Mutter. »Bis dahin hat die Flut das Loch zuge schwemmt«, meinte Georg. »Aber wir finden die Stelle trotzdem wieder, wenn es sein muss. Stimmt’s, Tim?« »Wuff«, bestätigte Tim. Er wunderte sich etwas über das Theater wegen eines Knochens. Er hatte immer geglaubt, nur Hunde würden sich für Kno chen interessieren und nicht Menschen.
40
5 Der Besuch
»Was ist Vaters Freund von Beruf?«, fragte Georg neugierig. »Ist er Polizist?« Sie dachte, dass viel leicht ein Detektiv kam, um herauszufinden, was es mit dem Knochen auf sich hatte. »Sei nicht kindisch, Schatz«, antwortete die Mutter. »Du weißt doch ganz genau, dass Vaters Freunde alle Wissenschaftler sind, genau wie er.« Nun wurde sie bereits zum zweiten Mal als 41
kindisch bezeichnet, weil sie die Polizei erwähnte. Georg beschloss deshalb, nichts mehr davon zu sagen. Sie hasste es, wenn Erwachsene sie als kin disch bezeichneten, wo diese doch meist selbst kindisch waren. »Vaters Freund ist Paläontologe«, erklärte ihr die Mutter. »Palöwas?«, wunderte sich Georg. »Er erforscht alte Knochen und Fossilien«, ant wortete die Mutter geduldig. »Er ist so was wie ein Knochenprofessor.« Georg rümpfte die Nase. Knochen zu erfor schen, schien ihr doch eine ziemlich seltsame Be schäftigung zu sein, außer man war ein Hund. »Will er den Knochen untersuchen, den Tim ge funden hat?«, wollte sie schließlich wissen. »Scheint so. Und er will auch herausfinden, ob da noch weitere Knochen zu finden sind. Ach, üb rigens, er bringt seinen Sohn mit.« »Seinen Sohn!«, rief Georg. »Ja«, sagte die Mutter, »und ich will, dass du nett zu ihm bist, Georg. Sie leben in der Stadt, das Landleben ist ihm also fremd. Deshalb wirst du besonders freundlich und sehr geduldig sein.« »Freundlich und geduldig«, schrie Georg außer sich vor Zorn. »Ist er ein Baby oder was?« Sie hat te nun wirklich keine Lust, einen Stadtjungen im Felsenhaus zu haben. Sie und Tim hatten es so 42
schön zusammen. Ein Weichei aus der Stadt wür de alles verderben! »Natürlich nicht. Er ist ungefähr in deinem Al ter«, kam die Antwort. »Du wirst also einen Spiel kameraden haben Ist das nicht schön?« »Ich habe einen Spielkameraden«, sagte Georg und schmiss den Comic hin. »Ich habe Tim und will sonst niemanden, besten Dank!« Damit stürmte sie, mit Tim im Schlepptau, aus dem Zimmer. Tim fragte sich, weshalb sich seine Besitzerin derart aufregte. Schließlich hätte der Besuch auch ein Mädchen sein können und das wäre für sie ja wohl noch schlimmer gewe sen! Georg lief durch die Küche und zur Hintertür hinaus, die sie kräftig hinter sich zuschlug. Drau ßen setzte sie sich auf ihre Schaukel und starrte schmollend vor sich hin. Dank Vater war der gan ze Urlaub verdorben. Jetzt musste sie ständig nett und freundlich sein, und das zu Leuten, die sie nicht mal kannte! Das war vielleicht ein Mist! Am folgenden Tag um die Mittagszeit traf der Va ter mit seinen Besuchern ein. Johanna war seit dem frühen Morgen herumgewirbelt, hatte Paste ten zubereitet, Kuchen und einen Riesenlaib Brot gebacken und dann Kopfsalat und Tomaten aus dem Garten geholt und gewaschen. 43
»Jungs können Unmengen verdrücken«, be merkte sie, als Georg Tim sein Frühstück gab. »Mädchen auch«, antwortete Georg trotzig. »Vor allem Mädchen wie ich!« »Das ist allerdings wahr«, lachte Johanna. Georgs Mutter rannte mit frischer Bettwäsche und Badetüchern treppauf und treppab. Georg be schloss, dem Ganzen aus dem Weg zu gehen, und brach mit Tim zu einem langen Moorspaziergang auf. Der Gedanke an die Besucher erbitterte sie noch immer. Sie war immer allein gewesen und deshalb etwas selbstsüchtig geworden. Sie teilte ihre Sachen liebend gern mit Tim, aber mit einem
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anderen Menschen zu teilen, war etwas völlig an deres. Es war kühl und regnerisch, als Georg und Tim loszogen. Über ihren Köpfen drohten graue Wol ken und an den Sträuchern links und rechts des Pfads hingen glitzernde Regentropfen. Tim rannte voraus, wobei er da und dort einen Busch streifte. So bekam sein struppiges Fell eben falls einige Glitzertropfen ab. Sie kletterten den Pfad hoch, der sich zwischen Dornengestrüpp hindurchschlängelte. Hier hatte Georg Tim im Unterholz kauernd gefunden, allein und verängstigt. Doch heute war der kleine Hund mit seiner Be sitzerin hier und deshalb ganz unbekümmert. Schnüffelnd suchte er die Gegend nach Kaninchen und Igeln ab. Georg hielt den Kopf gesenkt, murmelte vor sich hin und trat mit den Gummistiefeln immer wieder nach einem Stein. »Besucher! Damit gehen alle unsere Abenteuer den Bach runter, du wirst schon sehen Tim.« Schließlich nahm sie Tim an die Leine und trat so nahe an den Klippenrand heran, wie sie sich traute. Am Horizont blinzelte die Sonne durch die Wolken und sandte leuchtende Strahlen auf das Meer hinab. Hinter ihnen löste sich der graue Himmel auf. Es würde doch noch ein schöner Tag werden. 45
Georg setzte sich, ohne auf das feuchte Gras zu achten. Tim legte sich neben sie und bettete den Kopf auf ihren Schoß. Sie seufzte: »Sieh nur, Tim. Die Sonne kommt doch noch hervor. Na ja, viel leicht ist es ja nicht ganz so schlimm, einen Kno chenprofessor im Haus zu haben und vielleicht ist der Junge ja gar nicht mal so übel.« Tim winselte und wedelte heftig mit dem Schwanz. Er blickte unter seinen buschigen Au genbrauen zu dem Mädchen auf. »Wuff«, meinte er und leckte ihr die Hand, froh, dass seine Besit zerin offenbar wieder etwas besserer Laune war. »Tim, du Guter«, lachte Georg und knuddelte ihn. »Ich wusste, dass du mir zustimmst!« Sie er hob sich und fühlte sich mit einem Mal viel besser. »Komm, lass uns nach Hause gehen.« Als sie weit genug vom Klippenrand entfernt waren, ließ Georg Tim wieder von der Leine. Die ser stürmte sofort los und rannte den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren. Inzwi schen schien die Sonne und die feuchte Erde dampfte. Das Meer glitzerte und der Himmel war von einem leuchtenden Blau. Der Tag war wirk lich viel zu schön, um schlecht gelaunt zu sein. Als Georg das Felsenhaus erreichte, sah sie mit ei nem Blick, dass der Besuch inzwischen eingetrof fen war. Johanna deckte den Tisch draußen im 46
Garten und Georg hörte Stimmen durch die Ter rassentür. Sie stand davor und trat von einem Fuß auf den andern. »Georgina und Tim sind bestimmt bald zurück und werden dir alles zeigen«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Georgina«, zischte Georg und blickte Tim düs ter an. »Warum nennt sie mich bloß so?« Jemand auf der anderen Wohnzimmerseite gab Antwort. Die lange Gardine an der Terrassentür versperrte Georg die Sicht auf diese Person. »Es ist viel zu heiß, um überhaupt etwas zu tun«, erwiderte diese Stimme ein wenig weinerlich. »Ich gehe nicht raus in die Sonne, das tut mir gar nicht gut.« »Ich fürchte, Georgina spielt nur draußen«, sagte die Mutter. »Sie ist schon ganz braun ge brannt.« »Vielleicht bleibt Tim ja hier drin mit mir«, meinte die Stimme. »Ehrlich gesagt, habe ich so wieso nicht viel Ahnung von Mädchen. An unse rer Schule sind nur Jungs, müssen Sie wissen.« Georg kicherte. Der Sohn des Knochenprofes sors hielt Tim für einen Jungen! Das war vielleicht spaßig! »Hilfst du deinem Vater bei der Knochensuche, Thomas?«, fragte Georgs Vater nun. Er nahm sich nicht die Mühe, ihn darüber aufzuklären, dass 48
Tim gar kein Junge war. Vielleicht hatte er den Irr tum aber auch schlicht nicht mitbekommen. »Nur wenn es nicht zu heiß ist«, ertönte es vor wurfsvoll. »Du meine Güte«, dachte Georg »Der Junge ist ja genauso blöd wie ich manchmal.« Dabei musste sie den Vorhang berührt haben, denn plötzlich rief ihr Vater: »Bist du das Georg? Hör sofort mit dem Versteckspiel auf und komm unsere Gäste begrüßen!«
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6 Bravo Tim!
Widerwillig betrat Georg das Wohnzimmer, um die Gäste zu begrüßen. Tim eilte fröhlich wedelnd voraus. Was war er doch für ein freundlicher kleiner Hund! Der Knochenprofessor stand vor dem offenen Kamin. Er war klein und rund und hatte einen großen Kopf. Der Anzug, den er trug, sah ziemlich zerknittert aus und darunter leuchtete ein knallro 50
tes Hemd hervor. Noch nie zuvor war Georg je mand mit einem derartig auffallenden Hemd be gegnet. Dazu thronte ein ausgebeulter Strohhut schief auf seinem Kopf. Sie fand, dass er über haupt nicht wie ein Professor aussah! Sein Sohn Thomas lümmelte sich in einem Ses sel. Er war ebenfalls klein und ziemlich rund und trug eine Brille mit kleinen Gläsern und einem Drahtgestell. Sein Gesicht glänzte vor Hitze. Nun starrte er Georg über den Brillenrand an wie eine Eule. »Hallo junge Dame«, dröhnte der Professor. »Komm rein und lass dich ansehen.« »Ich bin keine junge Dame«, erwiderte Georg trotzig. Das war ein schlechter Anfang. Wer im mer Georg als junge Dame bezeichnete, hatte es schon mit ihr verdorben! Der Knochenprofessor – er hieß Ward – lachte herzhaft. »Na ja, ist egal. Komm einfach rein und erzähl mir ganz genau, wo du den wunderbaren Knochen gefunden hast, den dein Vater mir ge zeigt hat.« »Tim hat ihn gefunden, nicht ich«, berichtigte Georg, noch immer schmollend. Sie sah einfach nicht ein, was an einem alten Knochen wunderbar sein sollte. Merkwürdig vielleicht, einverstanden, aber wunderbar? »Und wo ist Tim?«, meldete sich Thomas in der 51
Hoffnung zu Wort, endlich einen Spielkameraden zu finden. »Da ist er doch, du Schlaukopf«, bemerkte Ge org grinsend und vergaß zu schmollen, als Tim zu dem Jungen hinüberlief und ihn spielerisch am Hosenbein zu packen versuchte. »Oh, Tim ist ein Hund!«, lachte Thomas und sei ne mürrische Miene war wie weggewischt. »Ich mag Hunde.« Er beugte sich vor und löste den kleinen Hund sanft von seiner Hose. »Ich dachte, Tim sei dein Bruder!«, meinte er, während er Tims zottiges Fell kraulte und ihn knuddelte. Tim wedelte mit dem Schwanz und fuhr Tho mas mit seiner rosa Zunge über das Gesicht. Alle lachten außer Georg. Sie mochte es ganz und gar nicht, wenn Tim sich mit andern Leuten anfreun dete. Sie wollte ihn für sich allein. Deshalb ging sie rasch hin und hob ihn hoch. »Er ist besser als ein Bruder«, antwortete sie. »Er ist mein bester Freund.« »Und er wird auch mein bester Freund sein, wenn er mir zeigt, wo er den Knochen gefunden hat«, warf der Professor ein. »Wuff, wuff«, kläffte Tim und versuchte sich aus Georgs Armen zu befreien. Sie ließ ihn hinun ter. Der kleine Hund rannte zu Professor Ward, setzte sich ihm zu Füßen und blickte heftig we delnd zu ihm hoch. 52
»Wurf«, bellte er aufgeregt und wieder lachten alle außer Georg. Sie schmollte von neuem. Besuch zu haben, war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Was, wenn Tim den Knochenprofessor und dessen Sohn lie ber mochte als sie? Aber ihre Sorgen waren völlig unbegründet. Es dauerte nicht lange und der freundliche Hund kehrte zu ihr zurück. Er setzte sich vor sie hin und blickte sie mit seinen samtbraunen Augen treu herzig an. Er war doch nur höflich. Nie könnte er jemanden so lieben wie seine Besitzerin! Inzwischen hatte Johanna köstliche Salate auf getragen: Kopfsalat mit frischen Tomaten, Kartof felsalat mit geräuchertem Schinken und Zwiebeln sowie Salat aus Roter Beete. Als Nachspeise hatte sie einen Pflaumenkuchen gebacken, zu dem es Vanillesoße gab. Thomas verdrückte Unmengen, als habe er wochenlang nichts zu essen bekom men. Georg musste ihn dauernd anstarren, wäh rend er sich Berge auf den Teller schaufelte. Jo hanna hat Recht, was Jungs angeht dachte sie. Die haben wahrhaftig einen Riesenappetit. Sie be schloss auf der Stelle, künftig ebenfalls so viel zu essen oder es wenigstens zu versuchen. »Siehst du, junge Dame … , äh, ich meine Ge orgina …«, begann der Professor, als er seinen Sa lat aufgegessen hatte. 54
»Georg«, wandte diese ein, den Mund voll Kar toffelsalat. »Sie hört nicht auf Georgina«, flüsterte die Mut ter Professor Ward ins Ohr. »Oh, äh, tut mir Leid«, sagte der Professor. »Auch gut, also Georg.« »Das ist aber ein Jungenname«, bemerkte Tho mas und blickte sie über den Brillenrand an, wäh rend er geräuschvoll einen Mund voll Kopfsalat zermalmte. Das ist vielleicht eine merkwürdige Familie, dachte er. Ein Wissenschaftler, der stän dig in seinem Arbeitszimmer ist, ein Mädchen, das wie ein Junge aussieht, und ein Haus in der Pampa. Sehr merkwürdig, in der Tat. »Darum gefällt er mir ja«, erklärte Georg ent schieden und warf dem Jungen einen finsteren Blick zu. »Georg, wirst du Herrn Ward jetzt endlich zu hören?«, wies ihr Vater sie scharf zurecht. »Oder müssen wir den ganzen Tag mit einer Namens diskussion verbringen?« Professor Ward neigte sich zu Georg hinüber. »Georg«, sagte er geheimnisvoll lächelnd. »Der Knochen, den Tim gefunden hat, ist von außeror dentlicher Bedeutung.« »Ja, ich weiß«, antwortete Georg. »Ich weiß, dass die Polizei vor Jahren nach Knochen gesucht hat.« 55
»Die Polizei?«, fragte ihr Vater irritiert. »Wovon redest du, Georg?« Georg erzählte vom Zeitungsausschnitt, den sie auf dem Dachboden gefunden hatte. Ihr Vater runzelte die Stirn und kratzte sich am Kinn. »Also, an so was kann ich mich nun über haupt nicht erinnern«, meinte er und sah ganz verwirrt aus. Georgs Mutter sah ihn lachend an: »O doch, jetzt erinnere ich mich«, warf sie ein. »Es muss damals gewesen sein, als der erste alte Knochen gefunden wurde. Kein Wunder, Georg, dachtest du, wir soll ten die Polizei benachrichtigen. Es stand in der Zei tung. Die Schlagzeile lautete Dinosaurier‐Detektive suchen Felsenbucht nach Knochen ab.« »Ich dachte, mit Detektiven seien Polizisten gemeint«, wehrte sich Georg, die sich etwas lä cherlich vorkam. Darauf brachen alle so laut in Lachen aus, dass Georg errötete und finstere Blicke um sich warf. Schließlich konnte sie ja nichts dafür, dass der Zei tungsausschnitt zerrissen und ausgefranst gewe sen war. »Auf eine derartige Idee kann nur ein Mädchen kommen«, bemerkte Thomas verächtlich. Er lachte am lautesten. Georg bedachte ihn mit einem besonders ver nichtenden Blick. Der war ja vielleicht unerträg 56
lich. Wie sollte sie seine Anwesenheit im Felsen haus bloß überleben? Noch viel schlimmer aber war, dass Tim zu Thomas hinüberrannte, an ihm hochsprang und wie toll kläffte, als dieser lachte. Thomas knuddelte ihn und Tim schien es zu Ge orgs Leidwesen aus vollem Herzen zu genießen. »Komm her Tim!«, befahl sie streng. »Und jetzt bleib!«, beharrte sie, als der Hund zu ihr zurück kehrte. Tim setzte sich und sah zu ihr hoch. Er verstand nicht, weshalb sie böse auf ihn war. Er war doch nur freundlich. »Das könnte jedem passieren«, sagte Professor Ward freundlich, als er von Georgs Missverständ
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nis erfuhr. »Also Georg, lass es mich erklären. Vor einigen Jahren hat jemand in der Felsenbucht ein Stück von einem Dinosaurierknochen gefunden.« Dinosaurier! Georgs Gesicht hellte sich auf. Nun wurde die Sache ja doch noch interessant! Der Knochen eines Tiers, das seit Urzeiten ausge storben war, wie aufregend! »Davon wusste ich ja gar nichts«, rief sie. »Da warst du noch gar nicht geboren«, erklärte ihr die Mutter. »Der Fund verursachte großes Aufsehen«, fuhr Professor Ward fort, »denn der Knochen gehörte zu einer urgeschichtlichen Tierart, von der die Wissenschaft bis dahin nichts gewusst hatte.« »Wahnsinn«, japste Georg. »Die Felsenbucht muss damals ja ganz schön berühmt gewesen sein.« »Ja, das war sie eine Zeit lang tatsächlich«, bes tätigte ihre Mutter. »Doch obwohl daraufhin un zählige Leute die Bucht absuchten, hat niemand mehr einen Knochen entdeckt.« »Bis Tim einen gefunden hat«, fügte der Vater hinzu. »Na ja«, meinte Georg und knuddelte den klei nen Hund, »er ist ja auch der klügste Hund der Welt.« »Das kann man wohl sagen«, antwortete der Knochenprofessor mit einem Lächeln. »Und ich 58
hoffe, es gelingt uns jetzt, das ganze Skelett zu finden. Wäre das nicht spannend?« »Ja, schon«, erwiderte Georg nachdenklich. »Allerdings wäre es furchtbar, wenn Sie dafür die ganze Felsenbucht umgraben müssten.« »Nein, nein, das wird auf keinen Fall gesche hen. Das verspreche ich dir«, versicherte der Pro fessor und lächelte ihr erneut zu. »Wenn ich die Stelle für viel versprechend halte, werde ich ein Team zusammenstellen, das die restlichen Kno chen ausgräbt. Und wenn wir unsere Arbeit been det haben, wird deine wunderbare Bucht ausse hen, als wären wir nie da gewesen. Versprochen.« »Gut«, sagte Georg. Nachdem alle zu Ende gegessen hatten, erhob sich Professor Ward. »So«, sagte er gespannt, »dann lasst uns mal zur Bucht gehen.«
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7 Noch mehr Knochen
»Ich komme nicht mit«, bemerkte Thomas. »Ich bleibe hier bei Tim. Ich kann mir nichts Schlimme res vorstellen, als bei sengender Sonne eine Bucht abzuwandern.« »O nein, das wirst du nicht«, stieß Georg hervor und warf ihm erneut einen wilden Blick zu. »Tim folgt mir überallhin.« »Ich finde, du solltest Tim ausnahmsweise hier
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lassen«, beeilte sich ihre Mutter zu sagen. »Schließ lich ist Thomas unser Gast.« »Das ist mir egal«, widersetzte sich Georg. Sie rief Tim zu sich und ging mit ihm in den Garten. »Er bleibt nicht hier!«, fügte sie beim Hinausgehen hinzu. »Wenn Thomas mit ihm spielen will, muss er eben mitkommen.« Im Grunde wollte sie gar nicht, dass der Junge mitging, aber noch viel weniger würde sie Tim zurücklassen! Thomas seufzte und erhob sich. »Also gut, von mir aus«, sagte er und folgte ihr. »Aber wenn ich einen Hitzschlag bekomme, ist das ganz allein deine Schuld.« »Hitzschlag«, höhnte Georg. Sie hatte immer gedacht, nur Babys führten sich so kindisch auf. Aber es schien auch kindische Jungs zu geben! Ihr Vater seufzte, als er mit Professor Ward in den Garten trat. »Ich fürchte, meine Tochter ist manchmal ziemlich unhöflich.« Sollte irgendwer versuchen, mir Tim wegzu nehmen, dachte Georg, dann kann ich noch viel unhöflicher werden! Schließlich gingen sie alle zur Felsenbucht hin ab, um sich auf Knochensuche zu begeben. Der Professor hielt sich dicht hinter Georgs Vater und Mutter. Seine Jackettzipfel flatterten im Wind und der Hut saß ihm schräg und keck auf dem Kopf. 61
Georg rannte mit Tim an der Seite voraus. »Dinosaurier, Tim«, keuchte sie ihrem vierbei nigen Freund aufgeregt zu. »Die waren riesen groß! Kannst du dir vorstellen, dass die einmal hier in unserer Felsenbucht gelebt haben?« Tim kläffte, als wollte er sagen: »Mir ist egal, wie groß die waren. Ich hätte sie einfach so lange angebellt, bis sie davongerannt wären.« Thomas bildete das Schlusslicht. Die strahlende Sonne blendete ihn und er kniff die Augen zu. Als sie die Sandbucht erreicht hatten und sich dann der Stelle näherten, an der Tim den Knochen ge funden hatte, fiel er immer weiter zurück. Er wirk te erhitzt und unglücklich. Georg sah, dass das Laufen für Thomas noch beschwerlicher war, als er erwartet hatte. Gehen im Sand muss für Leute, die gepflasterte Gehstei ge gewohnt sind, furchtbar anstrengend sein, über legte sie. Die Sonne brannte gnadenlos herab und er schien völlig außer Puste. »Wem gehört denn die Insel dort?«, keuchte Thomas, als er die anderen endlich einholte. »Mir«, erwiderte Georg. »Erzähl keinen Quatsch«, antwortete er und kniff die Augen noch mehr zusammen, während er zur Felseninsel hinüberblickte. »Wie kann ein Mädchen wohl eine Insel besitzen?« »Also, sie gehört mir fast«, gestand Georg. »Ei 62
gentlich gehört sie meiner Mutter, aber sie hat mir versprochen, dass sie mir die Insel eines Tages schenkt. Und dann wird mir auch die Burgruine gehören.« »Aber natürlich«, höhnte Thomas ungläubig und ging auf einen der großen Felsblöcke zu, um sich in den Schatten zu setzen. »Ich bleibe jeden falls hier«, verkündete er, während er sich mit ei nem Seufzer fallen ließ und mit dem Taschentuch über das Gesicht fuhr. »Es ist mir vollkommen egal, ob du mir glaubst oder nicht. Es ist wahr, damit du’s weißt«, schrie Georg aufgebracht und rannte los, um die andern wieder einzuholen. Sie versammelten sich beim Nadelfelsen. »Also, Georg«, bat Professor Ward, »kannst du mir bitte möglichst genau zeigen, wo der kleine Kerl den Knochen gefunden hat?« »Zeig ihnen die Stelle, Tim«, befahl Georg und der kleine Hund rannte um den Felsen herum und begann sofort zu graben. Sand und Kieselsteine flogen durch die Gegend. Professor Ward ging hinter ihm her, nahm ihn am Halsband und zog ihn sanft weg. »Bravo!«, lobte er ihn. »Bravo, Tim!« Tim wedelte so heftig, wie er nur konnte. Das war vielleicht ein Spaß. Allerdings war die Sache auch irgendwie verwirrend. Wenn er im Garten 63
Löcher buddelte, wurde er ausgeschimpft. Jetzt lobte ihn jemand dafür. Menschen waren sehr merkwürdige Wesen! Georg hielt ihn fest, während der Professor das Loch näher untersuchte. Er schien nicht zu bemer ken, dass seine Hose an den Knien feucht und sandig wurde. Er hob etwas auf, zog ein Vergrö ßerungsglas hervor und studierte den Fund ge nau. Alle hielten den Atem an. Hatte er ein weiteres Knochenstück gefunden? Schließlich ließ er die Lupe sinken und strahlte sie alle an. »Das ist ganz eindeutig ein Stück von einem sehr alten Knochen«, verkündete er begeis tert. »Die Flut muss den Sand Schicht um Schicht weggeschwemmt haben, sodass das Skelett immer mehr an die Oberfläche kam.« Er erhob sich mit einem breiten Lachen auf seinem freundlichen Ge sicht. »Ich glaube, da haben wir einen Wahnsinns fund gemacht, Quentin! Ich muss unverzüglich nach London und ein Ausgrabungsteam zusam menstellen.« Gemeinsam kehrten sie alle zum Felsenhaus zurück und Professor Ward ging ins Arbeits zimmer des Vaters, um ein paar Telefonate zu er ledigen. »Wird dann das ganze Team bei uns wohnen?«, fragte Georg ihre Mutter entsetzt. 64
»Nein, natürlich nicht«, beruhigte ihre Mutter sie. »Sie werden im nächstgelegenen Hotel absteigen.« »Dann ist es ja gut«, seufzte Georg erleichtert. »Weshalb zeigst du Thomas nicht dein Baum haus?«, schlug die Mutter vor, während sie darauf warteten, dass Professor Ward zu Ende telefonier te. »Ich bin sicher, Vater und der Professor werden noch lange im Arbeitszimmer beschäftigt sein.« »Von mir aus«, meinte Georg und blickte sich nach Thomas um. Aber der war nirgends zu sehen. Er war ge meinsam mit ihnen zum Felsenhaus zurückge kehrt und danach verschwunden. »Ich habe gesehen, wie er nach draußen und zum Schuppen ging«, bemerkte Johanna. »Zum Schuppen«, fragte Georg. »Was will er denn da?« »Keine Ahnung«, antwortete Johanna und be schäftigte sich weiter mit der Bügelwäsche. »Sei lieb und geh nachsehen«, forderte die Mut ter Georg auf. »Ich bin sicher, er freut sich über deine Gesellschaft.« »Wie kommst du darauf, Mutter?«, wunderte sich Georg. »Er kann mich nicht ausstehen.« »Geh und sieh trotzdem nach, was er treibt«, beharrte die Mutter. »Zeig ihm dein Baumhaus. Das gefällt ihm sicher. Und sei freundlich zu ihm!«, fügte sie noch hinzu. 65
»Zu Befehl«, schmollte Georg. »Komm Tim.« Sie liefen durch den Garten. Die Schuppentür stand offen und Thomas bosselte drinnen an et was herum. »Was tust du da?«, wollte Georg wissen. Sie stand neugierig in der Tür. Thomas drehte sich um und sah ertappt aus. »Nichts«, meinte er verlegen. »Erzähl mir doch nichts«, beharrte Georg und ging auf ihn zu. Sie sah, dass er sich einen alten Wecker angesehen hatte, den ihre Mutter für den Flohmarkt bereitgelegt hatte. »Der gehört meiner Mutter.«
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»Er ist kaputt«, sagte Thomas. »Das wissen wir, Blödmann«, erwiderte Georg ungerührt. »Deshalb kommt er ja auf den Floh markt.« »Ich könnte ihn reparieren«, meinte Thomas. »Das kann ich echt gut, Dinge reparieren.« »Von mir aus.« Georg zuckte die Schultern. »Ei gentlich sollte ich dir aber mein Baumhaus zei gen.« »Baumhaus?«, fragte Thomas und verzog das Gesicht. »Also, das ist nichts für mich.« Er öffnete den Wecker auf der Rückseite und studierte sein Innenleben. »Ich habe Höhenangst.« Georg seufzte irritiert. Thomas war wirklich ein merkwürdiger Junge. Wie konnte es jemandem keinen Spaß machen, auf Bäume zu klettern?
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8 Ein Geheimnis
»Dann gehst du wohl auch nicht gern schwimmen oder segeln«, meinte Georg verächtlich, nachdem Thomas ihr gesagt hatte, dass er mit Baumhäusern nichts anfangen konnte. »Nö«, ertönte es aus der Ecke, wo Thomas sich gerade mit einem winzigen Schraubenzieher am Uhrwerk zu schaffen machte. »Das mag ich alles nicht. Lesen, Basteln und Dinge reparieren, das sind meine Hobbys.« »Dann tu dir keinen Zwang an«, bemerkte Ge org. Sie ging hinaus und überließ Thomas sich selbst. 68
Draußen nahm sie Tims Ball, um mit ihrem kleinen Freund etwas weiter unten zu spielen. Tim war inzwischen richtig gut darin, nach dem Ball zu suchen und ihn zurückzubringen, nach dem sie ihn möglichst weit geworfen hatte. Kaum hatte er ihr den Ball jeweils vor die Füße gelegt, rannte er übermütig bellend im Kreis und wartete darauf, dass sie ihn erneut warf. Von diesem Spiel konnte er gar nicht genug bekommen. »Darf ich auch mal«, fragte zehn Minuten spä ter eine Stimme hinter ihr. Georg drehte sich um und erblickte Thomas. »Ich dachte, du reparierst den Wecker«, meinte sie. »Schon erledigt«, antwortete Thomas. Georg starrte ihn an und rümpfte die Nase. »Das ist gar nicht möglich«, bemerkte sie. »Der war schon seit Ewigkeiten kaputt. Wie willst du ihn so schnell geflickt haben?« »Ich sagte doch, dass ich das gut kann. Ich habe den Wecker auf den Küchentisch gelegt.« »Oh!« Georg war verblüfft. Thomas mochte ja ein merkwürdiger Junge sein, aber anscheinend immerhin ein sehr geschickter. Widerstrebend ließ sie ihn den Ball zwei‐, dreimal werfen. Es machte ihm Spaß. Er schien ganz vergessen zu haben, dass er nicht in der prallen Sonne spielen wollte. »Schau dir das Baumhaus lieber trotzdem an. 69
Sonst denkt Mutter, ich hätte es dir nicht zeigen wollen«, meinte Georg verärgert, da auch Tim das Spiel mit dem Jungen zu genießen schien. »Also gut«, seufzte Thomas, als wäre ein Baum haus etwas vom Langweiligsten auf der Welt und nicht etwas vom Besten überhaupt. Georg trat unter den großen Apfelbaum und zeigte hoch. »Dort oben«, sagte sie. »Den größten Teil habe ich allein gebaut. Nur die große Holzkis te, die hat mir Wilhelm gegeben. Johannas Mann.« Die Kiste war auf ein paar Brettern festgenagelt. Georg hatte die Bretter ohne fremde Hilfe auf den Baum gewuchtet und an einen dicken Ast gena gelt. Das Haus sah ziemlich klapprig aus, aber Georg fand es toll. Nur schade, dass sie da oben nicht mit Tim spielen konnte. Jedes Mal wenn sie auf den Baum stieg, setzte er sich darunter und blickte heulend hoch. Sie holte die Leiter, die hinter dem Baum stand. »Möchtest du hinauf?«, fragte sie. »Lieber nicht«, meinte Thomas. »Das Ding sieht nicht besonders stabil aus, wenn du mich fragst«, fügte er hinzu, während er das Baumhaus muster te. »Ein starker Sturm würde es glatt wegfegen.« »Das ist nicht wahr. Hier hat es schon oft heftig gestürmt und das Baumhaus ist noch immer da«, widersprach sie aufgebracht. Was fiel ihm ein, ihr Baumhaus so herunterzumachen! Sie war sehr 70
stolz darauf. Dass es etwas klapprig und schief aussah, war ihr völlig gleichgültig. »Was hält denn Tim davon?«, wollte Thomas wissen. »Nichts«, gab Georg zur Antwort. »Ich kriege ihn gar nicht da hoch.« Thomas zog eine Grimasse und wandte sich ab. Es war ihm deutlich anzusehen, dass auch er nicht viel von dem Baumhaus hielt. Zum einen war es ihm zu weit oben, zum andern sah es so aus, als könnte es jeden Augenblick zusammenbrechen. Wenn man schon etwas baute, dann bitte richtig. Er mochte keine halben Sachen. Georgs Mutter kam auf der Suche nach ihnen in den Garten. »Georg, hast du den alten Wecker auf den Kü chentisch gelegt?« »Nein«, antwortete Georg und zeigte auf Tho mas. »Er war’s. Er hat ihn repariert.« Sie mochte den Jungen zwar nicht, aber sie war trotzdem ge recht und ehrlich. Die Mutter wandte sich an Thomas. »Sag mal, Thomas! Er läuft ja wieder. Er tickt, als hätte er nie etwas anderes getan. Das hast du toll hinge kriegt.« »Danke«, sagte Thomas. »Solche Dinge liegen mir.« Georgs Mutter strahlte ihn an und drückte ihn 71
freundschaftlich an sich. »Das ist wunderbar! Ich hänge nämlich sehr an diesem Wecker, aber ich dachte, er sei endgültig nicht mehr zu reparieren. Herzlichen Dank.« Thomas wurde ganz rot und starrte verlegen auf seine Füße. »Gern geschehen«, murmelte er. Georg war jedoch alles andere als erfreut dar über, dass ihre Mutter Thomas umarmte. Sie woll te ebenso wenig, dass ihre Mutter den Jungen mochte, wie sie wollte, dass Tim sein Freund war. In diesem Augenblick hörten sie Professor Ward rufen und Georgs Mutter ging ins Haus, um zu sehen, was er wollte. Georg und Thomas folgten ihr etwas langsa mer. Als sie halb im Haus waren, hob Thomas Tim hoch. »Ich wünschte, ich hätte auch einen Hund als Freund«, sagte er sehnsüchtig. »Ich habe mir immer einen gewünscht. Aber wir wohnen in einer Wohnung und das ist nichts für Hunde. In der Nähe gibt es weit und breit keine Möglichkeit, wo er herumrennen und sich austoben könnte.« Georg nahm ihm Tim schnell aus den Armen. »Also, Tim kriegst du jedenfalls nicht«, meinte sie unwirsch und lief rasch davon.
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Inzwischen war es Zeit für das Abendbrot und Jo hanna hat ihre Köstlichkeiten aufgetischt. Es gab mit harten Eiern und Kresse belegte Brote, eine Schüssel Erdbeeren und einen Krug Sahne, einen großen Gewürzkuchen und Schokokekse. Professor Ward und Georgs Mutter erwarteten sie bereits. Der Vater war noch in seinem Arbeits zimmer. »Tom«, bemerkte Professor Ward nun. »Ich ha be gehört, du hast Fannys Uhr repariert.« »Es war ganz einfach«, meinte Thomas und lümmelte sich auf den Stuhl. »Er ist handwerklich sehr begabt«, sagte sein Vater. »Ständig tüftelt er an einer neuen Erfin dung herum.« »Er ist Erfinder? Wenn das so ist, Thomas, dann habe ich gleich eine Aufgabe für dich.« »Was denn für eine«, wollte der Junge wissen und setzte sich gespannt auf. »Also, die Vögel fressen mir immer das Beste vom Gemüse weg«, erklärte sie. »Ich habe schon alles Mögliche in mein Gemüsebeet gehängt, um sie davon abzuhalten, aber es nützt alles nichts.« »Oh, Sie wollen also, dass ich etwas erfinde, das die Vögel abschreckt?« »Ja, bitte«, antwortete sie. »Es wäre wunderbar, wenn du das könntest.« »Oh, ich finde schon eine Lösung«, meinte 74
Thomas und nahm sich zwei belegte Brote. Er schien froh zu sein, dass Georgs Mutter ihn um einen Gefallen bat. Wenigstens brauchte er sich nun nicht mehr zu langweilen. Georg war zornig. Wie konnte ihre Mutter die sen Jungen bloß darum bitten, für sie eine Vogel scheuche zu erfinden! Sie, Georg, konnte das schließlich genauso gut! Warum hatte Mutter nicht sie darum gebeten? Sie blitzte ihre Mutter wütend an. Aber diese war an die finsteren Blicke ihrer temperamentvollen Tochter gewöhnt und beach tete sie nicht. »Damit kannst du dich ja befassen, während ich in London bin«, meinte Professor Ward. »Ich will 75
dort das Ausgrabungsteam zusammenstellen und habe Fanny und Quentin für eine Nacht zu uns eingeladen, damit wir ins Theater gehen können oder so.« »Ich muss aber nicht mit?«, fragte Georg, der bei der Aussicht auf all den Verkehr und Lärm und auf eine Wohnung, von der aus man das Meer und das Moor nicht sah, ganz unbehaglich wurde. »Nein, mein Schatz«, sagte die Mutter. »Du bleibst mit Thomas hier. Johanna wird sich um euch kümmern.« »Mit Thomas?«, fragte Georg deutlich entsetzt. »Ja«, erwiderte der Professor. »Ein bisschen Seeluft wird ihm gut tun.« »Muss er wirklich hier bleiben, Mutter?«, fragte Georg unhöflich. »Tim und ich kommen bestens allein zurecht.« Tim bellte und lief zu Thomas hinüber, der ihm ein Stück von seinem Brot entgegenhielt. Der klei ne Hund verschlang es und bettelte um mehr. Georg schmollte schon wieder. In der Hoffnung auf Trost biss sie herzhaft in ein Stück Gewürzku chen. Aber nicht einmal das half. Der Gedanke, dass Thomas im Felsenhaus blieb, war nicht zum Aushalten! Die Mutter seufzte. »Georg, du solltest froh sein, dass Thomas dir Gesellschaft leistet.« 76
»Ja, Mutter«, antwortete sie, immer noch belei digt. »Wuff«, meinte Tim und als er sah, dass sie ihn zornig anblickte, legte er sich neben ihre Füße. Mit dem Kopf auf den struppigen Pfoten blickte er zu ihr hoch. Er fand diesen Thomas eigentlich ganz nett. Nicht zuletzt deshalb, weil er ihm fast ein ganzes Brot verfüttert hatte. »Muss ich hier bleiben, Vater?«, fragte Thomas. Der Gedanke, im Felsenhaus zu bleiben, sagte ihm offensichtlich auch nicht besonders zu. »Aber sicher doch«, erwiderte sein Vater. »Et was frische Landluft zur Abwechslung wird dir wirklich gut tun.« »Du kannst mit Georg schwimmen und segeln gehen«, fügte Georgs Mutter hinzu. »Bestimmt rudert sie dich in ihrem Boot auch einmal zur In sel hinüber.« »Er mag das Meer nicht«, erklärte Georg miss mutig. »Nun, bevor ich abreise, möchte ich euch beide noch um etwas sehr Wichtiges bitten«, warf Pro fessor Ward ein, der über ihre Bemerkung hin wegging. Dabei klang er sehr ernst. Georg hörte auf zu essen und sah ihn an. »Ich möchte, dass ihr niemandem von unserem großartigen Fund erzählt. Die Sache muss geheim bleiben. Wenn irgendjemand von den Knochen 77
funden Wind bekommt, werden wir uns bald mit einer Horde von Leuten herumschlagen müssen, die die ganze Bucht umgraben.« »Wir werden niemanden etwas verraten«, ver sprach Georg, »nicht wahr, Thomas?« »Bestimmt nicht«, brummte dieser immer noch eingeschnappt. »Dazu kommt«, fuhr Professor Ward noch erns ter fort, »dass ein paar Kollegen sich das Dinosau rierskelett nur zu gern aneignen würden. Da es sich um eine unbekannte Tierart handelt, ist es sehr wertvoll, wirklich äußerst wertvoll! Also bit te, zu niemandem ein Wort.« Georg fand es ungeheuer spannend, ein so wichtiges Geheimnis zu haben. »Hast du gehört, Tim?«, flüsterte sie dem kleinen Hund ins Ohr. »Geheimnisse sind bei uns bestens aufgehoben, stimmt’s?« »Wurf«, bestätigte Tim leise. »Wurf! Wurf!«
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9 Thomas macht einen Fehler
Der folgende Tag wurde schön und sonnig. Ge orgs Eltern und Professor Ward nahmen den Frühzug nach London und ließen Georg und Thomas in Johannas Obhut. Sie kümmerte sich oft und liebevoll um Georg, wenn deren Eltern ver reisten. Als Georg herunterkam, stand Johanna bereits in der Küche und bereitete das Frühstück zu. Da bei summte sie ein Lied vor sich hin. Es duftete verlockend nach gebratenem Speck und Spiegeleiern. 79
Georg lief das Wasser im Mund zusammen. »Frischer Landspeck und Eier vom Bauern«, verkündete Johanna, als Thomas zur Tür herein kam und ebenfalls in Richtung Bratpfanne schiel te. »Nicht wie das Zeug, das du in der Stadt zu es sen kriegst. Das schmeckt ja nach nichts. So ihr zwei, nun erzählt, was habt ihr heute vor?« »Ich muss einiges besorgen, damit ich die Vo gelscheuche für Georgs Mutter bauen kann«, ant wortete Thomas. »Gibt es im Ort einen Laden?« »Aber natürlich«, erwiderte Johanna. »Frau Holzes Postamtladen. Sie verkauft alles, von der Schraube bis zur Konservendose.« »Gut, dann gehe ich nach dem Frühstück gleich hin«, sagte Thomas. »Zeigst du Thomas, wie man hinkommt?«, frag te Johanna Georg und stellte ihr einen großen Tel ler mit brutzelndem Speck und Spiegeleiern hin. »Wenn er will«, mampfte Georg. »Ja, bitte«, sagte Thomas. »Können wir den Bus nehmen?« »Stell dich nicht so an«, gab Georg zur Antwort. »Wir gehen zu Fuß!« »Zu Fuß«, entsetzte er sich. »Ich hoffe, es ist nicht weit. Es ist wieder ganz schön heiß heute.« »Natürlich ist es nicht weit«, sagte Georg ver ächtlich. »Tim und ich gehen sehr oft ins Dorf, stimmt’s, Tim?« 80
»Wuff«, kläffte dieser. Er saß Thomas zu Füßen und himmelte ihn hoffnungsvoll an. Nichts auf der ganzen Welt duftete so wunderbar wie gebra tener Speck! Nach dem Frühstück brachen Georg, Thomas und Tim auf. Der Weg ins Dorf führte durch das Moor. Thomas ächzte und keuchte. Die Sonne brannte von einem strahlend blauen Himmel auf sie nieder und in der Ferne sang eine Lerche. Georg schritt mit Tim voraus. »Wartet auf mich«, keuchte Thomas. »Puh«, meinte er, als sie stehen blieben, bis er sie einge holt hatte. »Diese Lauferei bin ich nicht gewohnt.« 81
Als sie das Ende des Pfads erreichten, war Tho mas krebsrot im Gesicht. Georg und Tim waren kein bisschen langsamer gegangen und er war sehr erleichtert, als sie endlich auf den Weg ka men, der leicht abfallend ins Dorf führte. Diesmal blieb Georg ein wenig zurück. Sie ging nicht besonders gern einkaufen und wollte viel lieber mit Tim spielen und zusehen, wie die Fi scherboote im kleinen Hafen ein‐ und ausliefen. »Geh nur schon voraus«, sagte sie zu Thomas. »Ich spiele eine Weile mit Tim am Strand. Wenn du in dieser Richtung weitergehst, kommst du di rekt zu Frau Holzes Laden.« »Ist gut«, antwortete Thomas und machte sich auf den Weg. Georg und Tim rannten die Hafenmauer ent lang und sprangen auf den Kieselstrand hinunter. Georg fand einen alten Schuh, den die Wellen an gespült hatten, und bald waren die beiden in ein fröhliches Spiel vertieft. »Los, Tim«, rief Georg eine Weile später. Sie hatten ihr Spiel inzwischen beendet und sich hin gesetzt, um den Fischerbooten zuzuschauen. »Wir wollen sehen, ob Thomas mit seinen Einkäufen fertig geworden ist.« Als sie vor dem Postamtladen standen, sah Georg Thomas durchs Fenster. Er hatte beide Arme voll beladen mit Dingen für seine Vogelscheuche: Kordel 82
und Pappkarton, Klebstoff, mehrere Farbtöpfchen und eine Rolle Aluminiumfolie. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was er mit alledem vorhatte. Als sie den Laden betrat, unterhielt sich Tho mas mit einem großen ungepflegten Jungen von ungefähr fünfzehn Jahren. Er war nicht aus dem Ort und Georg hatte ihn noch nie gesehen. »Ich wohne auch in London«, sagte Thomas ge rade. »Machst du hier Urlaub?«, fragte der Junge. »Nein, wo denkst du hin.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mit meinem Vater hier. Er ist Pro fessor, musst du wissen«, fuhr er fort. Er wollte den älteren Jungen offensichtlich beeindrucken. »Professor, so so!«, grinste der Jugendliche leicht höhnisch. »Was hat ihn denn in das Kaff hier verschlagen?« Kaff, dachte Georg voller Zorn. Was erlaubte der grässliche Kerl sich eigentlich? Felsenbucht war der schönste Ort auf der ganzen Welt! Sie war drauf und dran ihm die Meinung zu sagen, da hörte sie Thomas antworten: »Ja, ein echt langweiliges Kaff. Aber mein Vater hat unten in der Bucht einige sehr seltene und wertvolle prähistorische Knochen gefunden.« »Wertvolle?«, fragte der Junge und seine Au genbrauen wanderten interessiert in die Höhe. »Was du nichts sagst!« 83
»Hat er wirklich. Ich schwör’s dir«, sagte Tho mas und senkte die Stimme. »Sie lagen hinter ei nem großen spitzen Felsen vergraben. Er …« Doch weiter kam er nicht. Georg trat auf ihn zu, packte ihn wütend am Ärmel und zog ihn weg. »Mensch, Thomas!«, zischte sie zwischen den Zähnen hervor. »Wir sollten doch niemandem da von erzählen! Hast du das vergessen?« Sie zog ihn noch weiter weg. Tim bellte aufgeregt. Er hielt das Ganze für ein neues Spiel. »Sei still, Tim!«, befahl Georg streng und der kleine Hund verstummte auf der Stelle. »Der Junge hat mit seinem Vater angegeben. Er sei reich und ein wer weiß wie wichtiger Ge schäftsmann. Da habe ich ihm auch von meinem Vater erzählt«, zischte Thomas zurück und löste sich aus Georgs Griff. »Das hättest du besser nicht getan«, wies sie ihn immer noch wütend zurecht. »Warte nur, bis ich deinem Vater erzählt habe, dass du sein Geheim nis ausposaunt hast!« »Bitte, verrat es ihm nicht«, flehte Thomas, nach dem er seine Einkäufe bezahlt hatte und sie den Laden verlassen hatten. »Er würde furchtbar böse. Der Junge und sein Vater interessieren sich be stimmt nicht für alte Knochen.« 85
»Das hoffe ich für dich«, brummte Georg und marschierte los. »Bitte«, ächzte Thomas, »bitte, verrat es ihm nicht. Es tut mir Leid, echt.« »Also gut, ich sage ihm nichts«, versprach Ge org seufzend und beruhigte sich langsam wieder etwas. »Aber jemand, der ein Geheimnis nicht für sich behalten kann, kann auch nicht mein Freund sein!« Und sie schritt so kräftig aus, dass Thomas sie erst wieder beim Felsenhaus einholte. »Komm Tim, lass uns schwimmen gehen«, sagte sie dort. Mit Thomas beschloss sie aus lauter Wut kein Wort mehr zu sprechen. »Wuff«, meinte Tim. Schwimmen! Eine wunder bare Sache an einem so heißen und schwülen Tag. Den Rest des Tages wollte Georg ohne Thomas verbringen. Sie bat Johanna um ein Picknick für sie und Tim, damit sie den ganzen Nachmittag am Strand verbringen konnten. »Komm Tim«, rief sie, als das Picknick bereit war und sie die Badehose aus dem Zimmer geholt hatte. Tim erkundete draußen gerade Mutters Blu menbeete. Als er seine Besitzerin rufen hörte, tauchte seine kleine schwarze Nase aus dem Rit tersporn auf. »Tim«, rief Georg. »Komm sofort raus da. Du 86
weißt doch, Mutter wird böse, wenn du ihre Blu men umknickst.« »Wuff«, antwortete Tim und kam mit heraus hängender rosa Zunge zu ihr getrottet. Blumen beete zu durchsuchen war bei diesem Wetter aber auch wirklich furchtbar anstrengend. Witternd hob er den Kopf. Schon wieder ein Picknick! Wunderbar! »Komm«, lachte Georg. »Wenigstens kannst du am Strand nichts anstellen.« Auf halbem Weg zum Garten hinaus hörte Ge org ein Scheppern und Hämmern. Sie drehte sich um und staunte über den Anblick, der sich ihr bot. Thomas hing kopfüber im Abfalleimer und wühl te darin herum. »Was hat er denn jetzt schon wie der vor?«, fragte sie Tim verwundert. Tim winselte, als wollte er sagen, er habe keine Ahnung. »Eigentlich kann mir ja egal sein, was er da treibt«, meinte Georg schließlich achselzuckend. »Wenigstens will er nicht mit uns picknicken!« Tim sprang voraus und zusammen liefen sie auf dem schmalen Pfad Richtung Strand. Als Tim zu der Stelle kam, an der es sanft bergab ging, blieb er wie angewurzelt mit zitterndem Schwanz und gespitzten Ohren stehen. »Was ist los, Tim?«, rief Georg und rannte zu ihm hin. 87
Er knurrte grollend und nun sah sie, was ihn beunruhigte. Zwei Personen spazierten den Strand entlang und hielten ab und zu inne, um ein Stück Treibholz aufzuheben und es dann ins Was ser zu werfen. »Mist!«, schimpfte Georg und hielt Tim am Halsband fest, damit er nicht auf die Fremden zu lief und sie anbellte. »Ich hasse es, wenn andere Leute hier sind. Komm, wir warten, bis sie weg sind.« »Wuff«, meinte Tim bedauernd. Er wäre zu gern mit lautem Gekläff hinuntergerannt, um die Leute zu vertreiben und den Strand mit Georg gleich für sich zu haben. Aus dem Picknickkorb duftete es so verführerisch, dass ihm schon das Wasser im Maul zusammenlief. Georg setzte sich hinter einem Grashügel hin und zog Tim neben sich. Es dauerte nicht lange, bis die beiden Fremden auf den Klippenweg hochgingen und verschwan den. »Gott sei Dank«, seufzte Georg erleichtert. »Tim, die Luft ist rein. Los mit dir, zum Strand!« Sie sprang auf und rannte den Abhang hinun ter. Tim lief mit übermütigem Gebell neben ihr her. Sie verbrachten den ganzen Nachmittag am Strand, spielten und verzehrten genüsslich ihr 88
köstliches Picknick. Georg schwamm im warmen Wasser der Bucht und Tim plantschte am flachen Ufer, bellte die kleinen Wellen an und vergnügte sich auf seine Weise. Als sie zum Felsenhaus zurückkehrten, war Thomas nirgends zu sehen, aber Georg hörte Lärm aus dem Schuppen und beschloss der Sache nachzugehen. Thomas war im Schuppen und hämmerte drauflos. »Er macht wahrscheinlich die Vogelscheuche für Mutter«, sagte Georg zu sich. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick durchs Fens ter zu erhaschen. Doch die Scheibe war so schmutzig, dass sie nichts erkennen konnte. Sie gab es auf und ging ins Haus. Thomas kam nicht aus dem Schuppen heraus, bis es Zeit für das Abendbrot war. Georg nahm ihm den Geheimnisverrat immer noch übel und fragte ihn deshalb nicht nach der Vogelscheuche. Aber sie hätte zu gern gewusst, wie sie aussah. Am Abend schlug das schöne Sommerwetter um und am Himmel zogen dunkle Wolken auf. »Es gibt ein Gewitter«, verkündete Georg. Thomas hatte sich in einen Sessel gefläzt und las in einem der wissenschaftlichen Bücher von Georgs Vater. Georg las lieber Abenteuergeschich 89
ten, die von Piraten, Schmugglern und tapferen Jungen handelten. Ihr Bücherregal war voll damit. »Ein Gewitter?«, fragte Thomas leicht beunru higt und blickte auf. »Woher willst du das wis sen?« »Der Wind hat gedreht«, sagte Georg. »Und in der Bucht sind weiße Pferde.« Thomas blickte durch das Fenster aufs Meer hinab. »Wo? Ich sehe keine Pferde«, meinte er. »Dummkopf, das ist doch bloß eine Redensart. Es bedeutet, dass das Meer sehr unruhig ist und die Wellen weiße Gischtkronen haben«, erklärte ihm Georg verächtlich. »Ich mag Gewitter. Du auch?« »Nein«, kam es entschieden zurück. »Ganz und gar nicht.« »Das dachte ich mir«, entgegnete Georg. »Du bist vielleicht ein Baby.« »Nein, bin ich nicht«, meinte Thomas, der sich wieder seinem Buch zuwandte und den restlichen Abend kein Wort mehr mit ihr sprach. Georg ging früh schlafen. Thomas blieb noch im Wohnzimmer und las weiter. Bevor sie in ihr Zimmer hochging, drückte sie Tim wie jeden Abend in der Küche sanft auf seine Decke. »Ich hole dich, sobald Johanna im Bett ist«, flüs terte sie dem Hund ins Ohr. Georgs Eltern duldeten keine Hunde im Schlaf 90
zimmer und so war es ihr großes Geheimnis, dass Tim Nacht für Nacht bei ihr schlief. Georg stand jeden Morgen vor allen anderen auf, schlich leise die Treppe hinab und brachte den Hund wieder in die Küche zurück. So hatte sie nie gestehen müs sen, dass er nachts in ihrem Zimmer war. Tim drehte sich zuerst ein paar Mal um die ei gene Achse, bis sich eine Nestdelle in der Decke gebildet hatte. Dann legte er sich hin und wartete, bis Georg ihn holte. So tapfer er auch war, wenn ein Gewitter drohte, war er sehr froh, so bald wie möglich sicher auf ihrem Bett zu liegen.
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10 Das Gewitter
Als das Gewitter losbrach, war es bereits sehr spät. Johanna und auch Thomas schliefen schon längst und Georg hatte Tim bereits auf Zehenspit zen hochgeholt. Sie saß mit ihm auf dem Bett und gemeinsam sahen sie durch das kleine Seitenfenster zum Meer dem Sturm draußen zu. »O Tim!«, flüsterte Georg und ihr Herz pochte ganz aufgeregt, als der Himmel grell aufleuchtete. »Ist das nicht wahnsinnig spannend?« »Wuff«, antwortete der kleine Hund, obwohl er 92
sich »Fürchtest du dich etwa auch vor Gewittern? Versteckst du dich deshalb?« »Nein, natürlich nicht«, sagte Georg ungehal ten. »Er ist der tapferste Hund, den es je gab. Und wenn du jemandem verrätst, dass du ihn hier ge sehen hast, erzähle ich deinem Vater von dem Jungen im Laden!« »Ich werde niemandem was sagen«, versprach Thomas und kraulte den kleinen Hund. »Darf er denn nicht hier sein?« »Nein«, gestand Georg und erzählte Thomas, wo Tim eigentlich schlafen sollte.
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»Toll«, strahlte Thomas. »Ich wünschte, ich hät te einen Hund, der bei mir im Bett schläft.« »Weshalb darfst du eigentlich keinen Hund ha ben?« Georg wollte es nun genau wissen. Das Gewit ter hatte sie ganz vergessen. Sie wandte sich vom Fenster ab und setzte sich neben Thomas. »Wir haben nicht einmal einen Garten«, erklär te der Junge. »Es wäre einfach nicht richtig, einen Hund zu haben, wenn er nirgends spielen und sich austoben kann.« »Keinen Garten!«, staunte Georg. »Wie furcht bar.« »Na ja, eigentlich ist es schön, wo wir wohnen, aber Haustiere sind verboten«, meinte Thomas. Er streichelte Tim und kraulte ihn hinter dem Ohr. »Aber solange ich hier bin, kann ich ja so tun, als würde Tim mir gehören. Einverstanden?« »Nein, ganz und gar nicht«, entgegnete Georg schroff. »Tut mir Leid, aber niemand kann so tun, als ob Tim ihm gehört. Er gehört mir.« Thomas zuckte zusammen, als ein Blitz ganz in der Nähe den Nachthimmel zerriss und gleich darauf ein lauter Donnerschlag das ganze Haus erschütterte. Georg stürzte ans Fenster. »Wahnsinn, Thomas, komm, schau! Du kannst nicht dein Leben lang ein Baby bleiben.« 94
»Also gut«, sagte Thomas und fühlte plötzlich einen Anflug von Mut. Er stand auf und ging zag haft zum Fenster. »Wenn du dich nicht vor Blitz und Donner fürchtest und Tim auch nicht, brau che ich ja wohl auch keine Angst zu haben.« »Genau«, bestätigte Georg. »Du stellst dich nur an. Dieses Haus ist sehr, sehr alt, musst du wissen. Es hat vermutlich schon Millionen von Gewittern erlebt. Es gibt also keinen Grund, sich zu ängsti gen.« Gerade als Thomas das Fenster erreicht hatte, erleuchtete von neuem ein greller Blitz die ganze Bucht. Georg schnappte nach Luft. Da waren Leute in der Bucht! Zwei Gestalten eilten mit schweren Spaten und Säcken bepackt über den Sand. »Hast du das gesehen, Thomas?«, fragte Georg entgeistert und wandte sich ihm zu. »Zwei Män ner mit Spaten und Säcken!« Thomas hatte sie ebenfalls gesehen. »Sie gingen zum Nadelfelsen«, sagte er erschrocken. »Und ei ner von ihnen sah aus wie der Junge, mit dem ich mich im Dorfladen unterhalten habe.« Da erinnerte sich Georg plötzlich an die bei den Fremden, die sie am Strand gesehen hatte und wie sie immer wieder etwas aufgehoben und dann ins Wasser geworfen hatten. Das mussten der Junge und sein Vater auf der Suche 95
nach Anzeichen für Dinosaurierknochen gewe sen sein! »Ich wette, sie wollen die Knochen ausgraben«, flüsterte sie entsetzt. »Wozu sollten denn Leute wie sie an alten Kno chen interessiert sein?«, fragte Thomas verunsi chert. »Um sie zu verkaufen, natürlich!«, zischte Georg. »Aber er hat doch gesagt, sein Vater sei reich.« »Wahrscheinlich hat er dich angelogen.« Georg runzelte die Stirn. »Was sollen wir jetzt bloß tun?« »Und wenn sie die übrigen Knochen tatsächlich finden?«, fragte Thomas und sah sehr besorgt aus. »Mein Vater wäre außer sich. Er würde mir nie mehr vertrauen!« »Eigentlich haben wir gar keine Wahl«, sagte Georg. Thomas tat ihr plötzlich Leid. Es war wirk lich ein Riesenpech, dass er das Geheimnis ausge rechnet diesem Kerl ausgeplaudert hatte. »Wir müssen hinuntergehen und sie im Auge behal ten.« »Wir können doch jetzt nicht r‐rausgehen«, stot terte Thomas und sah wieder sehr ängstlich aus. »Der Blitz könnte uns erschlagen!« »Wir haben keine andere Wahl, wenn wir die Knochen retten und dir einen Haufen Ärger er sparen wollen«, erklärte ihm Georg entschieden Thomas schüttelte den Kopf. »Ich t‐trau mich 96
nicht«, stammelte er. »Ich fürchte mich viel zu sehr.« »Ach Mensch, dann geh doch wieder ins Bett«, fuhr Georg ihn an. »Dann gehen Tim und ich eben allein. Und damit Schluss!« Thomas stand vom Bett auf und schlich mit be schämtem Gesicht hinaus. Er tastete sich durch den Korridor in sein Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Georg und Tim blieb nichts ande res übrig, als sich allein in das Gewitter hinaus zuwagen.
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11 Das nächtliche Abenteuer
»Angsthase«, brummte Georg und zog ihre Hose und einen dicken Pullover über den Schlafanzug. »Sei bloß still jetzt, Tim. Wenn du Johanna weckst, werde ich sehr böse.« Tim gab ein sehr leises »Wuff« von sich, um zu zeigen, dass er sie verstanden hatte. War das auf regend! Ein Spaziergang in der dunklen Nacht! Er wusste zwar nicht, was seine Besitzerin vorhatte, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es sich dabei um eine irre spannende Sache handelte. 98
Georg legte den rechten Zeigefinger vor den Mund, als sie an Johannas Zimmer vorbeischlichen. Vor der Tür hielt sie einen Moment lang inne und lauschte. Sie hörte Johanna leise schnarchen und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Wenn der Donner Johanna nicht geweckt hatte, würde sie auch nicht hören, wie sie die Treppe hinunter schlichen. Auch aus Thomas’ Zimmer drang kein Laut. »Ich wette, er versteckt sich unter der Decke«, flüsterte Georg Tim beim Weiterhuschen zu. »Ein echter Angsthase.« Unten holte Georg ihre Regenjacke vom Garde robenständer und schlüpfte in ihre Regenstiefel. »Bleib in meiner Nähe, Tim«, wisperte sie, wäh rend sie sich durch die Küche und zur Hintertür hinausstahlen. Draußen blies der Wind so heftig, dass es ihr fast den Atem verschlug, als sie die Tür leise hin ter sich zuzog und dann durch den Garten ging. Durch das hintere Gartentor gelangten sie auf den Klippenweg, der zur Bucht hinabführte. Ge org war diesen Weg so oft gegangen, dass sie sich darauf auch in der tiefsten Dunkelheit zurecht fand. Die Regentropfen prasselten ihr ins Gesicht. Sie pieksten wie feine Nadeln. Und es dauerte nicht lange und Tims Fell war pitschnass. Über ihnen 99
blitzte und donnerte es. Das Gewitter schien kein bisschen abzuflauen. Der kleine Hund blieb auf dem ganzen Weg dicht an Georgs Seite. Sie kämpften sich zum Strand vor, wo die Wel len wild schäumend ans Ufer rollten. Schwarze Gewitterwolken jagten über den Himmel. Georg versuchte in der Dunkelheit die zwei Gestalten auszumachen. Sie hatte zwar ihre kleine Taschen lampe mit, aber sie traute sich nicht, sie zu benut zen, denn das Licht hätte sie verraten. Als der Himmel wieder von einem Blitz erhellt wurde, entdeckte sie die beiden. Sie gruben hinter dem Nadelfelsen. Jetzt war sie ganz sicher. Die zwei waren auf der Suche nach den Dinosaurier knochen! Georg und Tim schlichen näher heran. Dabei schmiegten sie sich an die Felsklippen, so eng sie nur konnten. Der Wind zerrte an Georgs dunklen Locken und an ihrer Regenjacke. Die salzige Gischt biss sie in den Augen und in der Nase und Tim sah aus wie eine nasse Ratte. Er musste stän dig den Kopf schütteln, da ihm das Wasser in die Augen lief und er nichts mehr sah. Inzwischen fand er diesen nächtlichen Gewit terspaziergang nicht mehr ganz so toll. Aber er musste durchhalten, um seine Besitzerin zu be schützen. 100
»Hier lang« flüsterte Georg und Tim folgte ihr hinter einen Felsbrocken, der nicht weit von den Dieben entfernt war. Diese gruben nach wie vor, was das Zeug hielt. »Von hier aus können wir sie gut im Auge behalten!« Georg ging in die Hocke und Tim setzte sich neben sie. Ihr Herz pochte heftig. Sie legte Tim die Hand auf den Kopf. So wusste er, dass er weder knurren noch bellen durfte. Der Sturm heulte zwar ziemlich laut, aber sie durfte auf keinen Fall riskieren, dass die Verbrecher ihn hörten. Sonst hatten sie echt ein Problem! »Es ist tatsächlich der Junge aus dem Laden, Tim!«, flüsterte Georg. »Und ein älterer Mann. Ich 101
wette, das ist sein Vater. Ich finde, die beiden se hen wie richtige Gauner aus.« Sie überlegte krampfhaft, was sie tun sollte. Sie musste einen Weg finden, um zu verhindern, dass die beiden die Knochen fanden. Aber sie durfte sich und Tim dabei nicht in Gefahr bringen. Während sie die beiden beobachteten, begann der Sturm endlich etwas nachzulassen. Die Don ner grollten nun weit draußen über dem Meer und es blitzte immer seltener. Die beiden Gestalten schoben die Kapuzen ihrer Regenjacken in den Nacken und begannen noch schneller zu graben. Plötzlich bückte sich der Jüngere und hob etwas auf. Eine Taschenlampe leuchtete auf und in ih rem Schein lag ein großer Knochen, einer, wie Tim ihn ausgebuddelt hatte. »Das sieht mir ganz nach einem aus, Vater. Siehst du, ich habe es dir ja gesagt!«, hörte Georg den Jungen sagen. »Mist!«, entfuhr es ihr leise. »Sie haben einen gefunden. Wir müssen sie aufhalten, Tim. Wir müssen, unbedingt.« In diesem Augenblick knurrte Tim warnend und zu ihrem Entsetzen vernahm Georg hinter sich knirschende Schritte im Sand. Jemand hielt sie von hinten fest und legte ihr eine Hand über den Mund. Sie versuchte zu schreien, aber die Hand drückte so fest zu, dass sie keinen Ton herausbrachte. 102
Ihr Herz zersprang fast vor Schreck. Hatten die beiden Diebe einen Komplizen, der sie beim Spio nieren entdeckt hatte? Da flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr: »Alles in Ordnung, Georg. Ich bin’s, mach bloß keinen Lärm.« Als die Hand losließ, drehte sie sich blitzschnell um. Hinter ihr stand Thomas, klatschnass und leicht verlegen. »Ich konnte dich doch nicht einfach im Stich lassen«, sagte er schlotternd. »Da beschloss ich, das Risiko auf mich zu nehmen. Aber ich wollte nicht, dass du vor lauter Staunen einen Schrei los lässt, wenn du mich hier siehst.« Er beugte sich vor, um Tim kurz zu streicheln. Der kleine Hund leckte ihm die Hand, als wollte er sagen: »Ich bin echt froh, dass du hier bist!« Georg ärgerte sich, weil sie sich gefürchtet hat te. »Du hast mich erschreckt!«, flüsterte sie aufge bracht. »Es tut mir Leid«, antwortete der Junge. »Ach vergiss es«, sagte Georg. Denn mit einem Mal war ihr klar, wie viel Mut es Thomas gekostet haben musste, seine Angst vor dem Gewitter zu überwinden und ihr zu Hilfe zu kommen. »Ich fürchte, sie haben einen Knochen gefunden. Ich habe es im Licht ihrer Taschenlampe gesehen.« »Mist«, fluchte Thomas. »Was sollen wir tun?« 103
»Wir müssen sie aufhalten, aber ich habe keine Ahnung wie«, flüsterte Georg. Sie duckten sich hinter die Felsen und sahen den beiden Dieben bei ihrer Arbeit zu. Sie gruben immer tiefer. Zwischendurch hob der eine oder andere immer mal wieder etwas auf, untersuchte es im Schein der Taschenlampe und steckte es in einen Sack. Wenn Georg und Thomas sich nicht bald etwas einfallen ließen, hatten sie bald das ganze Skelett ausgegraben! Plötzlich stand Thomas auf und zog Georg am Arm hoch. »Ich habe eine Idee«, wisperte er. »Komm, lass uns zurückgehen.« »Das geht nicht …«, setzte Georg an. »Wir …« Aber Thomas hastete bereits Richtung Klip penweg und zu Georgs Unmut rannte Tim hinter ihm her. Um zu verhindern, dass er zu bellen an fing, wenn sie zurückblieb, lief sie den beiden hin terher. Bald hatten die drei den sicheren Klippenweg erreicht und hetzten zum Felsenhaus hoch. »Was um Himmels willen hast du vor?«, rief Georg aufgebracht. »Wir können doch nicht zulas sen, dass diese furchtbaren Kerle alle Knochen stehlen?« »Tun wir auch nicht«, entgegnete Thomas. »Wir 104
werden ihnen einen tüchtigen Schreck einjagen und sie in die Flucht schlagen.« »Und wie?«, fragte Georg verächtlich. »Die sind ein ganzes Stück größer als wir.« »Du wirst schon sehen«, antwortete Thomas geheimnisvoll. Zu Georgs Verwunderung ging er auf den Ge räteschuppen zu und öffnete die Tür. »Du hast nicht zufällig eine Taschenlampe da bei?«, fragte er beim Hineingehen. »Natürlich habe ich eine«, antwortete sie und zog ihre kleine Lampe aus der Hosentasche. »Ta schenlampe, Taschenmesser und etwas Kordel habe ich immer dabei. Man weiß nie, wann man so was plötzlich dringend braucht.« »Super«, meinte Thomas geradezu ehrfürchtig. »Leuchte mal dort hinüber.« Georg staunte, als sie ein höchst seltsames Gebilde erblickte. An einer langen starken Schnur hingen ausgewaschene Konservendosen, die Thomas aus dem Müll ge fischt hatte, rosa bemalte Pappkegel und glänzen de Stanniolstreifen. »Was ist das denn?«, entfuhr es ihr. »Meine Vogelscheuche, du Knalltüte«, antwor tete Thomas. »Und wenn mein Plan funktioniert, dient sie jetzt als Diebscheuche.«
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12 Ein schlauer Plan
Georg stand mit den Händen in den Hüften da und studierte das Ding. »Und wie willst du sie damit in die Flucht schlagen?«, wunderte sie sich. Thomas erklärte ihr kurz, wie die Vogelscheu che funktionierte. Da erhellte ein vergnügtes Grin sen ihr Gesicht. Wenn zutraf, was er sagte, konnte seine Bastelei mehr als zwei Diebe in die Flucht schlagen. »Eine Trillerpfeife könnten wir auch ganz gut 106
gebrauchen«, meinte Thomas nachdenklich. »Du hast nicht zufällig eine mit.« »Aber klar«, antwortete Georg und fischte sie aus der Hosentasche. »Ich habe mehrere und eine habe ich immer dabei.« Thomas warf ihr einen Blick zu und man sah ihm an, was er dachte. Georg war wirklich ein bemerkenswertes Mädchen. »Das ist toll«, meinte er bewundernd. »Dann gehen wir also jetzt wie der zur Bucht hinunter.« So nahmen die beiden tapfer das seltsame Ge bilde und begaben sich wieder auf den Weg zur Bucht hinab. Tim rannte mit hocherhobenem Schwanz vor aus. Das Gewitter hatte aufgehört und es war jetzt sehr dunkel. Aber Hunde finden sich in der Dun kelheit bestens zurecht. Er würde ihnen den Weg schon zeigen! Doch Georg kannte den Weg selbst so gut, dass auch sie keinen Moment zögerte. Nur Thomas strauchelte ein‐, zweimal auf dem steinigen Pfad und fiel fast hin. Sie mussten furchtbar aufpassen, dass die Do sen nicht klapperten und sie damit verrieten. »Tim, bei Fuß«, zischte Georg, während sie so rasch, aber so vorsichtig wie möglich, den Weg hinuntereilten. Tim lief etwas langsamer. Er konnte das Aben 107
teuer kaum erwarten. Er hatte die Diebe ebenfalls gesehen und hätte sie am liebsten so lange ange bellt, bis sie davonrannten. Wieder hielten die drei sich dicht an die Fels klippen, während sie auf den Nadelfelsen zuschli chen. Die beiden Männer gruben nach wie vor feste. Sie hatten ihre Taschenlampe auf einen Stein ge legt und arbeiteten im Schein des Lichts. Einer der Säcke war schon fast prallvoll. Georg und Thomas hörten, wie sie miteinander sprachen. »Sieh dir den an, Jim«, grunzte der Ältere. »Das
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ist vielleicht ein Riesending. Der ist wahrschein lich ein Vermögen wert.« Der Junge eilte zu ihm hin und gemeinsam ver suchten sie den Riesenknochen aus dem Loch zu heben. »Verfluchtes Mistding, das schaffen wir nie«, keuchte der Mann. »Den müssen wir ein andermal holen.« »Sei nicht blöd, Vater«, erwiderte der Junge. »Die stellen doch sofort eine Wache auf, sobald sie sehen, dass jemand hier war. Jetzt oder nie, lautet die Devise!« Und er begann eifrig mit dem Spaten in den Sand zu hacken. »Dieser elende Mistkerl«, zischte Thomas wü tend. »Er macht ihn noch kaputt. Mit diesen alten Knochen muss man sehr vorsichtig umgehen.« »Dann lass uns endlich an die Arbeit gehen«, flüsterte Georg. »In Ordnung.« »Ich krieche mit dem einen Ende der Vogel scheuche hinten um den Fels herum«, wisperte Georg. »Du bleibst hier stehen. Dann legen wir am besten gleichzeitig los.« »Gut«, sagte Thomas. »Wenn du losgehst, zähle ich bis hundert und du ebenfalls. Und bei hundert schlagen wir los.« »Eine gute Idee«, flüsterte Georg. »Los Tim, du kommst mit mir!« 109
Georg drückte ihren Teil der Vogelscheuche ganz fest an sich, während sie und Tim sich im Schatten der Klippe zum Nadelfelsen stahlen. Sie wagte kaum Luft zu holen. Ihr Herz pochte so heftig, das es beinahe schmerzte. Es gelang ihr, so nahe an die Männer heranzuschleichen, dass sie das Knirschen ihrer Spaten im Sand hören konnte. Tim verhielt sich goldrichtig. Er hatte am Ton fall seiner Besitzerin erkannt, dass er unbedingt still sein musste. Er wusste allerdings nicht genau, wie lange es ihm gelingen würde, die beiden grässlichen Gestalten nicht anzubellen. Er hoffte einfach, es zu schaffen, bis Georg ihm zu bellen er laubte. »Einundsechzig … zweiundsechzig … dreiund sechzig …«, murmelte diese soeben vor sich hin und atmete erleichtert auf, als sie hinter dem Na delfelsen in die Hocke ging. Die Diebe hatten sie nicht gehört und auch nicht den leisesten Ver dacht geschöpft. »Einundneunzig … zweiundneunzig … drei undneunzig …« Ihr Herz hämmerte noch immer ganz heftig. Würde ihr Plan funktionieren? Wenn nicht, wenn die beiden Diebe sie entdeckten, dann konnte es für sie ziemlich schlimm ausge hen! »Neunundneunzig … hundert!« 110
Bei hundert brach ein furchtbares Getöse über die friedliche Felsenbucht herein. Zuerst rief eine laute Stimme: »Ergebt euch, bei de! Das Spiel ist aus! Kein Fluchtversuch! Ihr seid umzingelt.« Dann ertönte ein kurzer Pfiff und ein Hund be gann grollend zu bellen. Vom Nadelfelsen her dröhnte eine zweite Stimme: »Lasst die Knochen liegen. Ihr seid verhaftet.« Darauf erhob sich ein Getöse und ein ohrenbe täubendes Trillern wie von einer Polizeipfeife ging los. Die beiden Gauner blickten entsetzt um sich und ließen ihre Spaten fallen. »Die Polizei!«, schrie Jim. »Lauf Vater, lauf, so schnell du kannst!« »Verfluchter Mist! Die haben Hunde dabei!«, brüllte Jims Vater, während sie Hals über Kopf davonstürzten. »Ihnen nach, Leute«, ertönte eine laute, tiefe Stimme, als die beiden Diebe so schnell sie konnten den Strand entlangrannten. Der bedrohlich bellende Hund setzte ihnen nach und die laute Stimme fügte hinzu: »Los Leute, lasst sie nicht entkommen.« Die beiden Kerle schlugen einen Haken und stolperten über den Sand zu den Klippen. Sie klet terten sie hoch, wobei sie immer wieder bedenk lich ins Rutschen gerieten. 111
Der Mond kam gerade hinter einer Wolke her vor, als die beiden oben auf der Klippe ver schwanden. Dann hörte man, wie ein Motor ge startet wurde und die Diebe mit einem lauten Aufheulen über das Moor in Richtung Straße brausten. Unten am Strand standen Georg, Thomas und Tim und starrten zur Klippe hoch. »Hurra!«, schrie Georg und hüpfte auf und ab. »Wir haben die Knochen gerettet. Jippie!« Auch Thomas hopste wie wild auf und ab, bis er vor Lachen fast umfiel. »Die haben wirklich ge dacht, es ist die Polizei und sie werden verhaftet. Was für ein toller Spaß!« »Und Tim haben sie für einen echten Polizei hund gehalten.« Sie bückte sich und umarmte und knuddelte ihn. »Gut gemacht, Tim. Du warst wunderbar!« »Meine Vogelscheuche war aber auch ganz gut, findest du nicht?«, fragte Thomas. »Echt super«, bestätigte Georg. »Du bist ein schlauer Junge, Thomas, weißt du das?« Sie hob einen der Kegel aus Pappkarton auf und hielt die spitze Öffnung an den Mund: »Ergebt euch, ihr seid umzingelt!«, rief sie. Dabei klang ihre Stimme tief und sehr laut, vom Pappmegafon hundertfach verstärkt. Sie brach erneut in Gelächter aus und Thomas hopste übermütig mit dem bellenden Tim 113
umher. Sie waren froh, dass ihr Plan so gut funk tioniert hatte. »Schade dass es zu dunkel war, um ihre Gesich ter zu erkennen. Ich möchte wetten, die haben sich zu Tode gefürchtet«, lachte Thomas. »Komm«, sagte Georg schließlich und hob die Vogelscheuche auf. »Wir sehen besser zu, dass wir nach Hause kommen, ehe Johanna aufwacht und sich fragt, wo wir sind.« »Und was machen wir mit den Knochen?«, fragte Thomas besorgt. »Wir können sie ja nicht einfach hier lassen. Stell dir vor, die beiden kom men zurück und holen sie.« Er versuchte einen der Säcke hochzuheben, aber er war so schwer, dass er ihn keinen Zentimeter vom Boden be kam. »Ich weiß was«, sagte Georg plötzlich. »Am Ende der Bucht gibt es eine Höhle. Wir schleppen sie dorthin und verstecken sie, bis dein Vater zu rückkommt. Dann gehen wir alle zusammen hin und holen sie.« »Gute Idee« meinte Thomas und so schleppten und schleiften sie die vollen Säcke bis zum Ende der Bucht und versteckten sie in der Höhle. Tim versuchte nach Kräften mitzuhelfen. Sein einziger Beitrag bestand allerdings in einem Loch, als er den einen Sack mit den Zähnen fasste. »Schon gut, Tim, vielen Dank«, keuchte Tho 114
mas. »Ich glaube, diesmal kommen wir ohne dich zurecht.« Georg schielte zu ihm hinüber und kicherte. Nun war es plötzlich überhaupt nicht mehr lang weilig, mit Thomas zusammen zu sein.
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13 Ende gut, alles gut
Es wurde schon langsam hell, als sie die Säcke endlich gut verborgen hatten. Dann gingen Georg und Thomas mit Tim la chend und schwatzend zum Felsenhaus zurück. Das Gewitter war endgültig vorüber und der Tag versprach sonnig zu werden. »Dein Vater wird ganz schön froh sein, dass die wertvollen Knochen in Sicherheit sind«, meinte Georg, während sie durch das Gartentor und dann über den Weg auf das Haus zugingen.
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»Ja, schon«, antwortete Thomas stirnrunzelnd. »Bloß wird er sich nicht gerade freuen, wenn er er fährt, dass die Diebe nur deshalb von den Kno chen wussten, weil ich das Geheimnis verraten habe.« Sie legten die Vogelscheuche wieder in den Schuppen und gingen ins Haus. Hanna war schon in der Küche und setzte Tee auf. Sie schaute sehr erstaunt drein, als sie die drei zur Tür hereinkommen sah. »Ihr seid aber früh dran«, rief sie aus. »Ich habe mich schon gewundert, wo Tim ist. Es ist mir gar nicht eingefallen, dass du mit ihm spazieren ge gangen sein könntest.« Georg warf Thomas einen Blick zu. Ob sie Jo hanna von ihrem Abenteuer erzählen sollten? Aber bevor sie zu einem Schluss gelangte, plau derte Thomas alles aus. »Zwei Gauner wollten die Knochen stehlen«, sprudelte er, ohne nachzudenken, hervor. »Wir haben sie in die Flucht getrieben.« »In die Flucht getrieben?«, wiederholte Johan na. »Wie um alles in der Welt habt ihr sie in die Flucht getrieben?« So kam es, dass sie in der Küche saßen, be cherweise von Johannas köstlicher Schokolade tranken und ihr alles erzählten. »Eine Vogelscheuche«, rief sie aus. »Weshalb 117
sind diese Gauner denn vor einer Vogelscheuche ge flohen?«, fragte sie ungläubig. »Ich habe Kegel aus Pappkarton gemacht«, er klärte Thomas. »Wenn der Wind hindurchbläst, gibt es ein merkwürdiges Geräusch.« »Wir haben dann durch diese Dinger gebrüllt«, lachte Georg. »Und unsere Stimmen klangen furchtbar laut. Sie dachten, ein ganzer Polizei trupp sei da, um sie zu verhaften.« »An der Vogelscheuche sind außerdem Dosen, die gegeneinander klappern und Stanniolstreifen, die in der Sonne glänzen«, fügte Thomas hinzu. »Sieht ganz so aus, als würden Diebe darüber e benso erschrecken wie Vögel.«
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»Und sie dachten, Tim sei ein Polizeihund«, ki cherte Georg. »O Johanna, es war zu komisch, wie sie vor dem kleinen Hund davonrannten.« »Ihr seid wirklich mutig«, sagte Johanna und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Eure Eltern werden sehr stolz auf euch sein.« »Und wir sind stolz auf Tim«, lachte Georg und umarmte ihren Liebling zärtlich. »Er mag Aben teuer genauso gern wie wir.« »Nun«, meinte Johanna und versuchte streng dreinzublicken, »falls ihr auf weitere Abenteuer aus seid, dann bitte nicht mehr mitten in der Nacht!« Zum Mittagessen trafen Georgs Eltern mit Profes sor Ward zu Hause ein. Georg hatte Tims Fell so lange gebürstet, bis kein Sandkorn mehr daran klebte und es golden glänzte. Thomas war im Ge räteschuppen verschwunden und aus dem Inne ren drang lautes Hämmern. »Na, alles in Ordnung?«, fragte die Mutter beim Hereinkommen und stellte ihren Koffer ab. »O ja, bestens«, antwortete Georg und umarmte sie. »Stell dir vor, wir haben ein Abenteuer er lebt!« »Ein Abenteuer?«, fragte der Vater, der hinter ihr ebenfalls eintrat. »Was für ein Abenteuer?« »Ich hole nur schnell Thomas, dann werden wir 119
euch alles erzählen«, rief Georg und lief mit Tim im Schlepptau davon, um ihren Freund zu rufen. Sie ging in den Schuppen, aber dort war Tho mas nicht. Da entdeckte Georg ihn unter ihrem Baumhaus. »Sie sind wieder da, Thomas«, rief sie. »Und sie wollen alles über unser Abenteuer erfahren.« Sie lief auf ihn zu, hielt aber plötzlich inne. Vom Baum hing ein Seil herab, an dessen Ende ein Stoffgebilde befestigt war. Was hatte er denn jetzt schon wieder ausgetüftelt? »Was ist das denn?«, fragte sie verdutzt. »Ein Aufzug für Tim«, erklärte Thomas. »Ich habe aus einem alten Jutesack eine Art Beutel für ihn gemacht. Da setzt du Tim hinein, dann kletterst du die Leiter hoch und ziehst ihn am Seil hoch.« »Er wird gegen den Baumstamm schlagen«, meinte Georg zweifelnd. »Nein, das wird er nicht. Ich habe oben eine Winde befestigt, die als Flaschenzug dient«, erläu terte der Junge. Er hatte seine Höhenangst über wunden und war auf den Baum geklettert, um seine Vorrichtung zu befestigen. »Tim wird ruck, zuck oben sein, ohne dass ihm ein Haar ge krümmt wird.« Sie testeten die Erfindung und sie funktionierte einwandfrei. »O Thomas, das ist großartig«, rief Georg aus 120
und strahlte vor Freude. »Jetzt können wir endlich zusammen im Baumhaus sein. Vielen Dank!« »Gern geschehen«, murmelte Thomas und wur de rot. »Du bist ja die Leiter hochgeklettert!«, rief Ge org, die sich mit einem Mal daran erinnerte, dass Thomas unter Höhenangst litt. Thomas zuckte die Achsel. »Ich dachte, wenn ich mich bei einem derartigen Gewitter ins Freie wage, kann ich auch auf einen dummen alten Baum klettern.« Georg lachte. »Super, Thomas. Du bist der mu tigste Junge, den ich kenne.« »Wuff, wuff«, bestätigte Tim ihre Worte. Ihm gefiel es bestens im Baumhaus. Kein anderer Hund auf der ganzen Welt konnte so weit sehen. Das war vielleicht toll! »Kommt ihr jetzt herein und erzählt uns von eurem Abenteuer?«, ertönte plötzlich die Stimme von Georgs Mutter von unten. »Wir möchten zu gern wissen, was ihr erlebt habt.« Georg, Tim und Thomas rannten ins Haus, um ihr Abenteuer bis ins Kleinste zu erzählen. »Ihr zwei wart aber ungeheuer mutig«, lobte Georgs Mutter sie bewundernd. »Du meinst wir drei«, berichtigte sie Georg ent rüstet. »Ohne Tim hätten wir das alles nie ge schafft.« 121
»Wir konnten die Säcke nicht tragen, sie waren zu schwer. Deshalb haben wir sie in einer Höhle versteckt«, sagte Thomas. »Können wir sie gleich nachher holen?« »Selbstverständlich«, antwortete sein Vater. »Mein Grabungsteam trifft morgen ein. Sie freuen sich sicher alle, dass ein Teil ihrer Arbeit bereits erledigt ist.« »Ich bin auf jeden Fall froh, dass euch nichts zugestoßen ist und die Diebe nicht mit den Kno chen entwischt sind«, meinte Georgs Vater er leichtert. »Ja«, stimmte Professor Ward ihm zu. »Das Skelett in der Bucht ist bestimmt vollständig. Es wäre furchtbar gewesen, wenn ein Teil davon ver schwunden wäre.« »Woher wussten die Gauner überhaupt von den Knochen?«, fragte Georgs Mutter plötzlich er staunt. »Ich dachte, die Sache sei geheim.« »Dorfklatsch, nehme ich an«, meinte Georg rasch und erhob sich vom Stuhl. »Komm Thomas, lass uns im Baumhaus spielen.« »Zu Befehl«, antwortete Thomas und warf ihr einen dankbaren Blick dafür zu, dass sie ihn nicht verraten hatte. Gemeinsam trollten sich die bei den Kinder und der kleine zottige Hund in den Garten. Georg grinste, als ihr neuer Freund Thomas die 122
Leiter hochkletterte und Tim nach oben zog. Thomas war wirklich sehr geschickt. Es machte überhaupt nichts, dass er nicht gerne schwimmen, angeln und segeln ging. Dafür war er ein echt schlauer Kerl. Georg stieg ebenfalls hoch, setzte sich auf die Plattform und legte einen Arm um Tim. »Wir werden noch viele tolle Abenteuer zu sammen erleben, Tim«, flüsterte sie ihm in sein Knickohr und ihre lebhaften blauen Augen glit zerten. »Schreibst du mir mal und erzählst mir davon«, fragte Thomas etwas neidisch. »Ich werde es versuchen«, erwiderte Georg. Briefe schreiben war nicht gerade ihre Stärke. »Danke«, sagte Thomas. »Ich würde mich sehr darüber freuen.« »Und ich erst, ich werde sie erleben und nicht nur darüber lesen«, erwiderte Georg und umarm te Tim. »Habe ich Recht, Tim?« »Wuff«, stimmte ihr der kleine Hund wie ge wöhnlich zu. Nichts auf der Welt machte so viel Spaß, wie mit Georg Abenteuer zu erleben!
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