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Jane Feather
Unheil über der Alhambra
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Jane Feather
Unheil über der Alhambra
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1. KAPITEL Granada, gegen Ende des 15. Jahrhunderts Es war am frühen Nachmittag. Die schneebedeckten Gipfel des Gebirges blendeten vor dem klaren blauen Sommerhimmel, an dem die Sonne wie ein großer kupferner Ball hing und ihre heißen Strahlen zur Erde schickte. Das Mädchen schlüpfte aus dem Lager. Die nackten Füße verursachten kein Geräusch auf dem dürren Gras des Olivenhains. Keine Bewegung, kein Lebenszeichen - die Stammesangehörigen hielten Siesta während der größten Tageshitze, und sogar die Vögel schwiegen. Die Hunde blinzelten verschlafen auf, als die junge Frau vorbeihuschte. Da sie sie erkannten, schlossen sie die Augen gleich wieder. Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl, bis sie den Hain hinter sich gelassen und die blendend weiße Staubpiste erreicht hatte, die in der einen Richtung hinauf in die Sierra Nevada und in der anderen hinunter ans Meer führte. Einen kleinen Moment blieb sie stehen und atmete tief die heiße, nach Thymian duftende Luft ein. Hinter einem Felsblock leuchtete etwas Rotes auf. Er war da! Ungeachtet der sengenden Hitze rannte Sarita den felsigen Abhang hinauf. Sie hatte die Röcke über ihren sonnengebräunten Beinen geschürzt, so daß sie ungehindert und schnell vorankam. Sie fühlte weder die scharfkantigen Steine noch das dornige Gestrüpp unter ihren Füßen, denn ihre Sohlen waren wie Leder. Das Haar hing ihr offen über den Rücken, und die Sonne schien die rötlichen Locken in flackernde Flammen zu verwandeln.
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„Sandro! Wie schön - du konntest kommen!" Lachend sprang sie hinter den Felsvorsprung und direkt in die Arme des lächelnden jungen Mannes, der dort auf sie gewartet hatte. Ein an einen Dornbusch gebundenes Pony ließ gelangweilt den Kopf hängen, und zwei mit Weinfässern beladene Maultiere fraßen das spärliche Grün vom Boden ab. „Tariq erwartet mich frühestens in einer Stunde zurück", sagte Sandro. „Er wird sicherlich annehmen, ich hielte im Dorf Siesta. Bei dieser Hitze machen sich ja auch nur Verrückte auf den Weg." „Und wir sind Verrückte." An der Hand zog Sarito Sandro in den schmalen Schatten, den der Felsvorsprung warf. „Verrückt genug, so ein gefährliches Risiko einzugehen, doch hier wird uns niemand entdecken." Sie umarmte ihn, und zusammen sanken sie zu Boden. Sandro kniete über ihr, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küßte sie stürmisch auf den Mund. Sie öffnete ihm ihre Lippen, ließ ihre Zunge tanzen und preßte ihre Brüste an seinen Oberkörper. „Hat dich wirklich niemand fortgehen sehen?" Er richtete sich für einen Moment auf, um die Verschnürung ihres Mieders zu lösen. „Nein, ganz bestimmt nicht. Meine Mutter schnarchte laut, als ich den Wagen verließ," Sarita lachte glücklich und aufgeregt, wenn auch ein bißchen nervös; ihre eigenen Gefühle, die drohende Gefahr und die absolut verbotene Art ihres Treffens machten ihr angst. Sandro streifte ihr rasch das geöffnete Mieder von den Schultern und neigte den Kopf über ihre Brüste. Leise stöhnend bog Sarita 4
ihm ihren Körper entgegen, so daß Sandro ihre Brustspitzen mit Zunge und Zähnen reizen konnte, bis sie sich hart aufrichteten. „Ich begehre dich", flüsterte er, und sein heißer Atem streifte ihre erhitzte Haut. „Sarita, ich begehre dich so sehr, daß ich kaum an mich halten kann." Sie antwortete mit ihrem Körper. Fest zog sie Sandro zu sich heran, schob sein rotes Wams hoch und ließ die Hände unter sein Hemd gleiten. Sie liebkoste und streichelte seine nackte Haut immer drängender, während sich ihr eigenes Verlangen steigerte. Scharfes, warnendes Hundegebell zerriß die lastende Stille. Sarita und Sandro hielten inne. Das Bellen kam vom Olivenhain her. Vermutlich hatte einer der Hunde nur einen unbekannten Geruch wahrgenommen, aber der Schaden war angerichtet. Das Lager war unwiderruflich aufgeschreckt und der Frieden der Siesta gebrochen. Sarita setzte sich auf und zog ihr Mieder zurecht. In ihren meergrünen Augen spiegelte sich noch das Verlangen, und ihre Hände zitterten, während sie die Schnüre wieder zuknöpfte. „Du gehst zuerst", flüsterte sie, obwohl doch kein Lauscher in der Nähe war. „Wenn du Tariq und den anderen möglichst wortreich von deiner Botenreise berichtest, werden dir alle zuhören und darüber vielleicht nicht bemerken, daß ich nicht da bin. Ich werde von hinten ins Lager zurückkehren, so als wäre ich nur kurz ausgetreten." Langsam erhob sich Sandro. Enttäuscht blickte er sie an. „Was sollen wir nun tun? Ich verstehe einfach nicht, weshalb Tariq uns nicht heiraten läßt."
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„Ich auch nicht. Weil es jedoch so ist, weißt du, was wir riskieren, wenn wir uns so wie jetzt treffen." Ernüchtert band Sandro sein Pony los. Im Stamme Raphael war Tariqs Wort Gesetz, und zwar in politischen wie in häuslichen Angelegenheiten. Das Recht, Herrschaft über den Stammesverband auszuüben, hatte er von seinem Vater geerbt, und seine enorme Kraft sowie sein Kampfgeschick stellten sicher, daß ihm niemand dieses Recht streitig machte. Sandro hätte gegen das von Tariq ausgesprochene Heiratsverbot antreten können, doch dann müßte er auch gegen Tariq selbst antreten, und damit hatte er keinerlei Aussicht auf Erfolg. Für den Stammesführer war er körperlich kein Gegner, und mit zwanzig Jahren war er noch zu jung zum Sterben. Sarita sprang auf. „Noch einen letzten Kuß!" Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang die Arme um Sandros Nacken und schmiegte sich an seinen Körper. Der junge Mann stöhnte auf. „Ich liebe dich so sehr!" Bei seinem heftigen Kuß biß er ihr vor lauter Leidenschaft in die Unterlippe. Sarita schmeckte ihr eigenes Blut, was ihre Glut hätte dämpfen sollen, jedoch eher das Gegenteil bewirkte. Zuletzt mußte sich Sandro von ihr losreißen. „Genug! Heilige Mutter Gottes, Sarita, hör auf!" Einen Moment standen sie einander gegenüber und rangen um Beherrschung. Sie verzweifelten fast daran, daß ihr Verlangen diesmal unerfüllt und ihre Liebe geheim bleiben mußte. Schließlich befeuchtete sich Sarita einen Finger mit der Zunge und strich damit ihr eigenes Blut von Sandros Mund. „Geh jetzt", sagte sie.
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Sandro ging ohne ein weiteres Wort. Er führte das erhitzte Pony und die beladenen Maultiere den Abhang hinunter, saß erst unten auf und ritt dann durch den Olivenhain in das Lager, als hätte es auf seinem Weg von Granada hierher keinerlei besondere Vorkommnisse gegeben. Sarita blieb noch einige Minuten hinter dem Felsvorsprung. Ihre Lippe brannte. Ob man die Verletzung wohl allzu deutlich sah? Dem aufmerksamen Blick ihrer Mutter entging nur wenig, und noch weniger entging Tariq. Andererseits ließ sich eine verletzte Lippe ja leicht erklären. Da Sandro jetzt vermutlich das Lager erreicht hatte, trat Sarita aus ihrem Versteck heraus und stieg zur Staubstraße hinunter. Gerade hatte sie sie erreicht, als ein Reitertrupp um eine Felsenecke bog. Schöne Schabracken schmückten die Pferde, Gold- und Silberbeschlag glänzte auf Sätteln und Zaumzeug. Die Reiter waren mit kostbaren bestickten Kaftanen und mit Beinlingen aus feinstem, weichem Ziegen- und Schafleder bekleidet, wie es die Mauren in Cordoba herstellten. Sarita befand sich zum ersten Male im Maurenland, denn ihr fahrender Stamm hatte erst vor zwei Wochen die frei passierbare Grenze zwischen Kastilien und Granada überschritten. Zwar hatte sie in Spaniens Städten und auf den Landstraßen schon oft Angehörige der großen, goldhäutigen, gebieterischen Rasse gesehen, doch diese Männer hier schienen etwas Besonderes zu sein. Sofort trat Sarita an den Straßenrand, um sie vorbeireiten zu lassen. Es waren zehn Männer auf schwarzglänzenden Hengsten, die sich offensichtlich auf dem Weg nach Granada und zu dem herrlichen rotleuchtenden Palast der Alhambra befanden. Ihre Gürtel, an denen kurze Krummsäbel hingen, waren juwelenbesetzt, und um
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den seidenen Tarbusch, die topfförmige Kopfbedeckung, hatten sie bestickte Schärpen geschlungen. Einer der Männer ritt der Gruppe ein wenig voraus. Als er sich auf Saritas Höhe befand, zügelte er sein Pferd, und die anderen taten es ihm nach. Alle betrachteten das Mädchen am Straßenrand. Muley Abul Hassan, der Emir von Granada, saß entspannt auf seinem Hengst und ließ die Zügel locker auf den Hals des Tieres fallen. Er wußte nicht, weshalb ihn die Fußgängerin zum Anhalten veranlaßte; wie immer war er seinem Instinkt gefolgt und gab jetzt seiner Neugier nach. Die junge Frau wirkte zerbrechlich und kräftig zugleich. Mit zwei Händen konnte man ihre Taille umspannen. Ihre Brüste unter dem Mieder waren klein und fest. Ihre Hüften rundeten sich hübsch unter ihrem orangefarbenen Rock, den sie über ihren Waden hochgeschürzt hatte. Sie war so schlicht und nachlässig angezogen wie das armselige Landvolk, aber anders als dieses wirkte sie weder verhungert noch verschüchtert. Fest und mit leicht erhobenem Kinn stand sie da. Der Emir fand, daß sie etwas Wildes, Ungezähmtes an sich hatte. Ihre Augen, dunkelgrün wie Smaragde, waren furchtlos auf ihn gerichtet. Ihre Lippen waren voll und fest. Eine kleine Schwellung befand sich auf der Unterlippe. Sommersprossen sprenkelten die schmale, gerade Nase, und ihre Wangen waren von der heißen Sonne gerötet. Ihr dichtes, wirres Haar leuchtete wie Feuer. Muley Abul Hassan hatte noch keine Frau gesehen, die dieser hier glich. „Wie heißt du?" fragte er auf spanisch.
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Sarita antwortete nicht. Der Mann faszinierte sie. Seine Augen unter den geschwungenen schwarzen Brauen waren dunkel, und sein Blick war der eines Adlers. Seine Haut schimmerte wie dunkles Gold. Er trug einen makellos getrimmten Oberlippenbart, und sein Mund war scharfgeschnitten. Schwarzes Haar ringelte sich unter dem Tarbusch und der Schärpe hervor. Insgesamt machte der Mann den arroganten Eindruck eines Menschen, der sich selbst und seine Bedeutung niemals in Frage zu stellen brauchte. Er ist ein Mann vom Schlage Tariqs, dachte Sarita, obwohl ihn etwas Wesentliches von diesem unterscheidet. Sie hätte nur nicht sagen können, was das war. Der Emir wiederholte seine Frage, und Sarita erwachte aus ihrer merkwürdigen Trance. Sie schüttelte heftig den Kopf, überquerte vor seinem Pferd die schmale Straße und verschwand in den grünsilbernen Tiefen des Olivenhains. Der Emir schaute ihr nach. „Versuche, etwas über sie herauszufinden", sagte er über die Schulter hinweg in arabischer Sprache und setzte sein Pferd wieder in Bewegung. Die seltsame, fast wortlose Begegnung hatte Sarita erschüttert. Ohne sie wirklich anzufassen, hatte der Mann nach ihr gegriffen und sie berührt... Dieser Gedankengang nahm sie so gefangen, daß sie vergaß, sich dem Lager von der Rückseite her zu nähern; statt dessen kam sie direkt von der Straße her heran. Wagen und Zelte standen ordentlich im Kreis. Die Feuer der Kochstellen waren gelöscht. Die Pferde grasten außerhalb des Lagers, und die Wachhunde trotteten gelangweilt umher. In der 9
Nacht würden sie wach und alarmbereit sein und jeden Räuber, ob Tier oder Mensch, verbellen und angreifen. Die Frauen, noch ein wenig träge nach der Siesta, kamen gemächlich ihren häuslichen Pflichten nach. Die Vorbereitungen für das Abendessen würden erst nach Sonnenuntergang beginnen, und so genossen sie die ruhige Zeit, die ihnen bis dahin verblieb. Sie saßen in kleinen Gruppen beieinander, versorgten die Säuglinge oder widmeten sich ihren Näharbeiten. Kleine Kinder tollten lachend, kreischend und miteinander rangelnd zwischen den Wagen, Zelten und den Erwachsenen umher. Niemand beachtete sie. Ihre älteren Geschwister, die ebenfalls noch von den ihnen zukommenden Arbeiten befreit waren, standen in schwatzenden Gruppen oder in verschwörerisch flüsternden Paaren beeinander. Letztere wurden genau, aber unauffällig von den Frauen überwacht. Sarita trat auf die Lichtung hinaus und fühlte sich plötzlich ihrem Schicksal ausgeliefert. Die Männer des Stammes hatten sich vor Tariqs Wagen versammelt. Sandro erzählte, und da die anderen lachten, war es wohl etwas Amüsantes. Er versuchte, die Zuhörer mit seiner Geschichte zu fesseln, bis Sarita sich unbemerkt unter die anderen Frauen mischen konnte. Bevor sie dies jedoch tun konnte, drehte sich Tariq um, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt, und kam langsam auf sie zu. Ein erwartungsvolles Schweigen senkte sich über das Lager. Die Männer des Stammes Raphael waren sämtlich groß, breitschultrig und kräftig, doch Tariq übertraf sie alle. Die Sonne des Mittelmeers hatte sein ohnehin dunkles Gesicht tief gebräunt, seine Augen waren eisblau, und ein rotgoldener Bart umgab seine 10
schmalen Lippen. Tariq war ein gefährlicher Mann. Die Aufgaben als Stammesführer erledigte er allerdings gut und wurde dafür von allen respektiert. „Wo warst du?" Breitbeinig, die Hände auf die Hüften gestützt, stand er vor Sarita. Trotzig hob sie das Kinn und begegnete seinem Blick. „Ich befinde mich im heiratsfähigen Alter, Tariq. Es wird mir doch sicherlich gestattet sein, zu gehen, wohin ich will." Noch vor einem Jahr hätte ihr eine so unverschämte Antwort einen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht eingetragen; so pflegte Tariq die Halbwüchsigen des Stammes in ihre Grenzen zu verweisen. In den letzten Monaten hatten sich die Dinge indessen gewandelt. Tariq ließ sich kaum noch von dem reizen, was Sarita sagte, obwohl ihr bewußt war, daß er sie mehr beachtete als ihre Altersgenossinnen. Das lag sicherlich an dem kürzlichen Tod ihres Vaters, denn es war üblich, daß der Stammesführer Witwen und deren Kinder unter seinen besonderen Schutz nahm. Auch jetzt blieb Tariq ruhig, sah jedoch Sarita noch eindringlicher an. Diejenigen, die Augen- und Ohrenzeugen dieser Szene wurden, hielten unwillkürlich den Atem an. Zu jedermanns Überraschung berührte Tariq mit einer Fingerspitze sanft Saritas Lippen. „Woher kommt das?" „Ich bin über einen Stein gestolpert und habe mir beim Fallen auf die Lippe gebissen", antwortete sie kühn, obwohl eine düstere Vorahnung sie innerlich erschaudern ließ.
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Tariq betrachtete sie weiterhin finster. „Geh zu deiner Mutter", befahl er dann. „Sie hat dich schon gesucht, denn sie will dir etwas sagen." Damit drehte er sich um und kehrte zu der Männergruppe zurück. Der ganze Stamm schien aufzuatmen, und jedermann wandte sich erleichtert wieder seinen eigenen Tätigkeiten zu. Sarita, die das Gefühl drohenden Unheils nicht loswurde, ging zu dem Wagen ihrer Mutter und bereitete sich auf eine Strafpredigt vor. Lucia war wegen ihres aufbrausenden Temperaments gefürchtet, obwohl sie, wenn man sie nicht ärgerte, im allgemeinen heiter und friedlich war. Der Wagen war klein, aber wesentlich besser als ein Zelt, wie seine Besitzer fanden. In einem Karren schlief man auf solidem Holz, die Seitenwände waren verhältnismäßig zugdicht, und die Leinenplane schützte vor Regen. Es gab ein kleines Kohlebecken, das in frostigen Nächten wohlige Wärme spendete, eine Stange zum Aufhängen der wenigen Kleidungsstücke sowie Regalbretter und Haken für die häuslichen Besitztümer. Zu Lebzeiten von Saritas Vater Esteban, der ein geschickter Zimmerer gewesen war und damit sein Geld verdient hatte, war in der Mitte des Wagens ein Vorhang gespannt worden, der Saritas Schlafplatz von dem ihrer Eltern getrennt hatte. Das gewährte selbstverständlich nur scheinbar eine Privatsphäre, und wie ihre Altersgenossen, so hatte auch Sarita schon sehr jung erfahren, was zwischen Mann und Frau vorging. Seit Estebans Tod jedoch teilten sie und Lucia sich den großen Strohsack und auch sonst alles in ihrer im allgemeinen freundschaftlichen Gemeinschaft. Als Sarita jetzt jedoch in den Wagen kletterte, fühlte sie sich nicht ganz wohl. „Mutter? Tariq hat gesagt, du hättest mich gesucht." 12
„Da bist du ja! Wo warst du denn nur?", fragte Lucia erregt, schien jedoch nicht böse zu sein. „Ich habe überall nach dir gesucht. Warum hast du nicht Siesta gehalten?" „Ich hatte Bauchschmerzen", log Sarita. „Wahrscheinlich habe ich irgend etwas Ungutes gegessen." Weshalb war ihre Mutter nur so nervös? Ihr Gesicht war gerötet, und Haarsträhnen hatten sich unter dem Kopftuch gelöst. Der kostbare karmesin-, smaragd- und türkisfarbene Stoff, den sie in den Händen gehalten hatte, war ihr aus den Fingern geglitten. Sarita erkannte den Stoff: Es handelte sich um das Hochzeitskleid ihrer Mutter. Plötzlich nahm Lucia ihre Tochter in die ausgebreiteten Arme und lachte überglücklich. „Oh, ich bin überwältigt, Kind! Was für Neuigkeiten! Dein Vater wäre so stolz!" „Worauf denn, Mutter?" Das Gefühl drohenden Unheils wurde immer stärker. „Kannst du dir das nicht denken?" Lucia faßte sie bei den Händen. „Mein allerliebstes Kind - es ist Tariq! Er war vorhin bei mir. Du wirst doch sicherlich gemerkt haben, wie er dich bevorzugt. Nun ja, ich hatte es selbst nicht bemerkt. Ich dachte nur, er wollte uns seinen männlichen Schutz bieten - doch nein, du sollst ihn heiraten, Sarita! Du wirst die Frau des Stammesführers!" „Nein!" rief Sarita entsetzt und wütend zugleich. „Wie kannst du so etwas sagen? Du weißt ja, wie es zwischen mir und Sandro steht! Wie kannst du erklären, daß ..." Lucia schlug ihr ins Gesicht. „Erwähne Sandro nie wieder! Bist du verrückt? Tariq hat gesprochen. In drei Tagen findet die
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Hochzeit statt. Alle wissen es inzwischen. Die Vorbereitungen werden morgen beginnen." „Nein!" schrie Sarita wieder. Sie hatte den Eindruck, sich in einem schrecklichen Alptraum zu befinden. „Damit kannst du doch nicht einverstanden sein! Ich zumindest bin es auf keinen Fall." „Närrin!" Lucia schüttelte sie bei den Schultern. „Tariq benötigt mein Einverständnis nicht. Er ist der Führer, und er hat gesprochen. Du wirst heute nacht zu ihm gehen und damit die Verlobung bestätigen." Sarita schwieg. An sich konnte eine Heirat nicht ohne das Einverständnis beider Parteien stattfinden. Erfahrungsgemäß war es jedoch undenkbar, daß sie Tariq als Ehemann ablehnte. Sie würde aus dem Stamm vertrieben werden und damit schutzlos der Welt ausgeliefert sein, die nicht viel Federlesens mit heimatlosen Herumtreiberinnen machte. Prostitution oder Tod, das waren die einzigen Alternativen, und welches Mädchen würde so etwas gegen die Ehre eintauschen, die Braut des Stammesführers zu werden? Sarita dachte an die berauschenden Augenblicke der großen Leidenschaft, die sie mit Sandro verbracht hatte. Wie konnte sie so tun, als hätte es diese Liebe nie gegeben? Wie konnte sie ihr heißes Verlangen nach ihrem heimlichen Geliebten verleugnen? Nein, sie konnte es nicht. Tariq war zwar ein gefährlicher Mann; dennoch war er kein schlechter Mensch. Möglicherweise würde er sie anhören ... Plötzlich wurde ihr klar, weshalb er ihr die Ehe mit Sandro verweigert hatte: weil er sie, Sarita, für sich selbst haben wollte!
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Konnte sie das hinnehmen? Durfte sie die heutige Nacht zwecks traditioneller Bestätigung der Verlobung in Tariqs Bett verbringen? Vermochte sie zuzuschauen, wie Sandro eine andere heiratete? Unmöglich! Sarita zog sich zurück, sprang aus dem Wagen und lief über die Lichtung dorthin, wo Tariq und die Männer noch immer versammelt waren und jetzt mit Malagawein gefüllte Lederbecher in den Händen hielten. Sarita sprang in den Kreis ein. Ihr Blick war wild, ihre Körperhaltung sprungbereit, und das Haar flog ihr um die Schultern. „Tariq, bitte, ich muß mit dir reden. Das darfst du nicht tun." Langsam erhob sich der Stammesführer. „Ich darf nicht? Wovon sprichst du, Sarita?" „Du kannst mich nicht heiraten. Bitte, Tariq, ich liebe Sandro. Ich kann dich nicht heiraten." Tariqs blaue Augen wurden so dunkel wie der tiefe Ozean. „Höre auf, so töricht zu reden", sagte er, „und dann wird es so sein, als hättest du nie gesprochen." Sarita erkannte, daß er sich großmütig erweisen und überhören wollte, daß sie ihn vor den versammelten Männern des Stammes und vor dem ganzen Lager gedemütigt hatte. Sie sah, daß immer mehr Stammesangehörige herzukamen. Alle verfolgten neugierig die Szene und warteten offenkundig gespannt auf ein Unheil. Sandro war leichenblaß geworden. Bis zu diesem Augenblick hatte er nichts von der bevorstehenden Verlobung gewußt. Jetzt erhob er sich ebenfalls und wurde Zeuge, wie Sarita sich selbst und ihn zerstörte.
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„Es ist nicht töricht", sagte sie. „Laß mich doch erklären, Tariq..." „Es gibt nichts zu erklären", fiel er ihr ins Wort. „Du hast schon alles gesagt." Er wandte sich an Sandro. „Du warst mit dieser Frau zusammen." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Sandro fand seine Stimme wieder. „Ich liebe sie. Wir akzeptieren die Vertreibung aus dem Stamm. Wir gehen fort." „Das werdet ihr nicht tun." Tariq trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Er streckte den Arm aus und deutete auf den jungen Mann. „Du hast mich herausgefordert, Allesandro. Du hast den Führer des Stammes Raphael herausgefordert, indem du seinem Spruch getrotzt hast. Für diese Herausforderung wirst du einstehen. Die Frau und der Stamm gehören dem Sieger." „Nein!" Saritas Schreckensschrei zerriß die plötzlich eingetretene Stille. „Du wirst ihn umbringen!" Tariq drehte sich zu ihr um. „Oder er mich", entgegnete er ausdruckslos. Sarita kämpfte gegen ihr Entsetzen an. Sandro schien trotz seiner Blässe sehr gefaßt und ruhig zu sein. Er hatte angeboten, mit Sarita in Unehren den Stamm zu verlassen, und das war abgelehnt worden. Jetzt würde er in Ehren sterben. So waren nun einmal die Gesetze dieser Gemeinschaft. Die Männer zogen sich weiter zurück und bildeten einen großen Kreis um Tariq und Sandro. Tariq legte sein Wams ab und rollte die Hemdsärmel hoch. Die Muskeln seiner Oberarme wölbten sich deutlich sichtbar.
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Sandro bereitete sich in gleicher Weise vor. Er war zehn Jahre jünger als der Stammesführer und durchaus ebenfalls stark, ohne jedoch die Festigkeit der Muskeln zu besitzen, die man mit den zusätzlichen Jahren der schweren Arbeit und des Kampfes erwarb. Sarita hatte das Gefühl, bei dem Ereignis nicht wirklich anwesend zu sein. Wie aus weiter Ferne sah sie das Aufblitzen der Messer, als die beiden Männer einander umkreisten und dann in ihrem tödlichen Tanz zusammenkamen. Es war so schnell vorüber, daß man glauben konnte, man hätte überhaupt nichts gesehen. Tariq hatte Rache genommen und seine Führerschaft bestätigt. Er hatte es schnell und sauber erledigt, weil er an Grausamkeiten nicht interessiert war und auch kein schauriges Spektakel liefern wollte. Er trat zurück. „Allesandro ist in Ehre gestorben. Wir werden ihn heute nacht begraben." Tariq verließ den Kreis und ging auf Sarita zu, die mit geschlossenen Augen dastand. Als er sie erreicht hatte, schlug sie die Lider jedoch auf, und ihr Blick war so kalt wie grünes Gletschereis. „Ich werde dich nicht heiraten", erklärte sie leise, aber sehr deutlich. „Niemals, Tariq. Du hast Sandros Blut an den Händen." Sie drehte sich um und ging stolz und ungebeugt davon. Niemand hielt sie auf. Dem im Olivenhain versteckten Mann war nichts entgangen. Obwohl er die gewechselten Worte nicht verstanden hatte, waren die Gesten und Ereignisse beredt genug gewesen.
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Ungesehen verließ der Mann den Hain und erreichte die Straße, wo sein Pferd wartete. Er ritt hügelan, dem Alhambra-Palast entgegen, der sich rosenrot vor den schneebedeckten Berggipfeln in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne abhob.
2. KAPITEL „Wünscht Ihr einen Erfrischungstee, Herrin?" Zögernd näherte sich die Dienerin der Ersten Frau des Emirs. Aisha,die Gattin Muley Abul Hassans, war seit einiger Zeit übler Stimmung gewesen, und ihre Reaktionen waren dann zumeist unberechenbar. Aisha antwortete nicht gleich. Sie beugte sich über das Brunnenbecken im Löwenhof und hielt die Hand hinein. Das Wasser war kühl und erfüllte mit seinem sanften Plätschern die Stille des Hofs in der Nachmittagshitze. „Wo ist mein Sohn?" fragte sie schließlich und legte die nassen Finger auf den Kopf eines der zwölf steinernen Löwen, die das Brunnenbecken trugen. „Bei seinem Lehrer, Herrin." Die Dienerin wies nicht darauf hin, daß der Emir angewiesen hatte, der Unterricht seines Sohnes habe bis zum Sonnenuntergang anzudauern. Aisha wußte das auch so, und ihr war ebenfalls bekannt, daß ihr Gatte damit beabsichtigte, den Jungen ihrem mütterlichen Einfluß zu entziehen. Ruhelos ging sie einen der vier kurzen Wege entlang, die sternförmig zu den Säulengängen führten und in deren Mitte jeweils eine schmale Wasserrinne eingelassen war. Der Duft roten und 18
weißen Oleanders hing schwer in der Luft, und das Wasserplätschern mischte sich mit dem Summen der Bienen. Eine Schwalbe segelte in den Hof und stieg dann wieder in den tiefblauen Himmel über den Palastdächern auf. Von all der sie umgebenden Schönheit sah Aisha nichts. Abul müßte von seiner Reise nach Almeria bald zurückkehren, vielleicht sogar heute nachmittag schon. Würde er sie dann auffordern, das Lager mit ihm zu teilen? Seit er sie das letztemal zu sich befohlen hatte, waren schon viele Wochen vergangen. Damals hatte er ihr mitgeteilt, daß er Boabdil ihrer ausschließlichen Obhut und Aufsicht zu entziehen gedachte. Zuerst hatte sie heftig mit ihrem Gatten gestritten, dann geweint, gefleht und schließlich erklärt, das Kind sei noch zu klein, um Lehrern überlassen zu werden; es brauche noch seine Mutter. Abul hatte ihr entgegnet, er mißbillige ihren Einfluß auf Boabdil, den sie verwöhne und verhätschele, womit sie dem Kind keinen Dienst erweise. Daraufhin hatte sich Aisha ihm im Bett verweigert. Abul pflegte unwillige Frauen niemals zu bedrängen, und Aisha hatte gehofft, sie könnte ihn durch ihre länger dauernde Verweigerung strafen und dazu bewegen, seine Meinung zum Thema Boabdil zu ändern. Sie hatte indessen das Gegenteil erreicht; nachdem er einmal abgewiesen worden war, verlangte Abul nun nicht mehr nach ihr. Dagegen hatte er andere Frauen zu sich kommen lassen, und Aisha hatte so tun müssen, als ließe es sie vollkommen kalt, wenn er eine seiner Konkubinen ihr vorzog. „Wünscht Ihr einen Erfrischungstee?" fragte die Dienerin noch einmal vorsichtig. 19
„Bei Sonnenuntergang", sagte Aisha unwirsch. „Ich nehme meinen Tee zusammen mit Boabdil ein, wenn sein Lehrer ihn entlassen hat. Geh jetzt." Die Frau verschwand sofort, und die Sohlen ihrer weichen Lederpantoffeln machten kein Geräusch auf dem Mosaikboden des Palastes. Aisha schritt den Säulengang entlang. Sie hatte ihren Gatten offenbar falsch eingeschätzt. Wenn er ihr jetzt nicht die Hand zur Versöhnung reichte, würde sie ihren Stolz hintanstellen und Abul um Verzeihung bitten müssen. Falls er sie noch lange vernachlässigte, verlor sie noch ihr Ansehen und ihre Autorität im Palast, und, was noch schlimmer war, ihre Pläne für die Zukunft gerieten in Gefahr, eine Zukunft, die sich ihr durch Boabdil bieten sollte. Durch einen hufeisenförmigen Torbogen hindurch betrat Aisha den kühlen Saal, in dessen Mitte ein Brunnen plätscherte. Frauen in losen Seidengewändern aller Farben saßen auf Polstern oder gingen in dem großen Raum umher, schwatzten leise miteinander, unterhielten sich mit Würfelspielen, tranken kalte Fruchtsäfte, knabberten süße Küchlein und beschäftigten sich mit zarten Stickereien, während sanfte Musik von der Galerie her erklang. Als Aisha durch den Raum schritt, verstummten die Gespräche höflichkeitshalber, und Köpfe wurden ehrerbietig gesenkt; dies war schließlich die Erste Frau des Emirs. In ihren eigenen Gemächern fand Aisha immer den Frieden und die Ruhe, um nachzudenken. Sie stieg die schmale Treppe zum Mirador, dem Aussichtserker, hinauf, durch dessen Bogenfenster man über die Gärten hinweg bis zu den Bergen ausschauen konnte.
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Auf einer Ottomane unter diesem Fenster ließ sie sich nieder. Der leichte Windzug spielte mit ihren Röcken und dem durchsichtigen Schleier, der ihr schwarzes Haar bedeckte. Ihre düstere Stimmung hellte sich auf und schlug in Vorfreude um. Wenn Abul zurückgekehrt war, würden sie sich hier lieben, umfächelt von dem leichten Bergwind und bezaubert von der Schönheit dieses Balkongemachs. Die Alarmglocke der Alcazaba zerriß die friedliche Stille. Die Posten auf den Wachtürmen meldeten eine Ankunft. Rasch stand Aisha auf. Von ihren Fenstern aus konnte sie die Festung zwar nicht sehen, doch sie erkannte das Glockensignal: Weder ein Feind noch ein Fremder näherte sich der Alhambra, sondern der Emir kehrte zurück. Aishas Herz schlug schneller. Wo sollte sie ihn begrüßen? Das offizielle Vestibül zum Gesandtensaal schien ihr am passendsten zu sein. Sie würde dann weder zu ungeduldig noch zu gleichgültig wirken, einfach nur angemessen respektvoll. Sie läutete die Handglocke, und sogleich erschien eine Dienerin mit einem Krug heißen, parfümierten Wassers. Nachdem sich Aisha Gesicht und Hände gewaschen hatte, bürstete ihr die Frau das Haar, flocht es neu und steckte ihr den Schleier wieder auf, so daß er anmutig vom Scheitel herabwehte. Aisha zog ihn vor die untere Gesichtshälfte und verließ dann das Frauenhaus. Um den Myrtenhof herum begab sie sich zu den Amtsräumen des Emirs. Muley Abul Hassan war im Hof abgesessen und betrat jetzt mit seinem Gefolge das Vestibül. Die dort Anwesenden begrüßten ihn ehrerbietig. Sie spürten sofort, daß er tief in Gedanken war,
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stellten deshalb ihre eigenen Anliegen vorsichtshalber zurück und beschränkten sich auf rituelle Ehrenbezeigungen. Der Emir erwiderte den Gruß jedes einzelnen, bis sein Blick auf seine Gattin fiel, die von zwei Dienerinnen flankiert bescheiden etwas abseits stand. Solche Unterwürfigkeit fand Abul ungewöhnlich. Während der letzten Tage seiner Reise hatte er kaum an seine Gattin gedacht, aber ihm wurde jetzt bewußt, daß seine Abwesenheit seinen Ärger über sie keineswegs beschwichtigt hatte. Sie war zweifellos eine sehr schöne Frau, doch ihre scharfe Zunge und eine gewisse Verschlagenheit bereiteten ihm zunehmend Mißbehagen. Von ihrem Geschick für Intrigen und Manipulationen hatte er kaum Kenntnis genommen, bis vor einiger Zeit sein Kadi angedeutet hatte, die Herrin könnte möglicherweise dazu beigetragen haben, daß eines der ehrenvollen Ratsmitglieder in Verruf geraten war. Abul hatte den taktvoll geäußerten Hinweis scheinbar überhört, aber insgeheim eigene Untersuchungen angestellt. Es ergab sich, daß seine Gattin mit der Gemahlin des betreffenden Mannes in Streit geraten war und dafür dann offensichtlich Rache geübt hatte. Dieser Vorfall hatte Abuls Abneigung gegen seine Frau ausgelöst, und ihr Verhalten gegenüber Boabdil hatte dieses Gefühl bestärkt. Daß Aisha ihm jetzt ein ganz offensichtliches Friedensangebot machte, änderte seine Einstellung nicht, was er jedoch in der Öffentlichkeit nicht so deutlich zeigen konnte, und so erwiderte er ihren Gruß höflich. 22
„Werdet Ihr nachher mit mir und unserem Sohn speisen?" erkundigte sie sich. Mit düsterem Blick betrachtete Abul seine Gattin. Ihre braunen Augen über dem Schleier waren sorgfältig mit schwarzem Antimon umrahmt, die Augenbrauen darüber waren ebenso sorgfältig zu einer dünnen Linie ausgezupft, und nachtschwarze Haarsträhnen lugten unter dem Kopfschleier hervor. Ihr Körper unter dem reich bestickten, weiten Gewand war Abul wohlbekannt; goldhäutig, üppig und fest trotz ihrer Vorliebe für Süßigkeiten aller Art. In dieses Bild der Erinnerung drängten sich grüne Augen, feuriges Haar, eine kleine, schlanke Gestalt in einem zerrissenen orangefarbenen Kleid, nackte Füße und sonnenbraune Beine. Genauer gesagt: Dieses Bild hatte Abul vor Augen gehabt, seit das Mädchen vor ihm in den Olivenhain geflohen war. Jetzt wollte er nicht mit seiner Gattin und seinem Sohn speisen; er wünschte zu hören, was Yusuf über das Mädchen herausgefunden hatte. Etwas anderes interessierte ihn im Moment nicht. „Nein", antwortete er. „Nicht heute. Ich habe dringende Aufgaben zu erledigen. Ich werde jedoch nachher mit dem Lehrer unseres Sohnes reden." Er verbeugte sich leicht vor seiner Gattin und wandte sich wieder an die Versammlung der wartenden Männer. Zum ersten Male bekam Aisha wirklich Angst. Sie merkte, daß sie sich noch immer in Ungnade befand, und der Emir war nicht verpflichtet, eine Gemahlin zu behalten, die nicht mehr in seiner Gunst stand. Muley Abul Hassan würde sie indessen gewiß nicht verstoßen, jedenfalls nicht wegen eines so nebensächlichen Streits. Heute nacht wollte sie zu ihm gehen. Falls er eine andere Frau kommen ließ, würde sie einfach deren Platz einnehmen. Sie kannte schließlich alle Geheimnisse, mit denen man das körperliche Interesse eines Mannes wecken und aufrechterhalten konnte. 23
Mit ihren Frauen zusammen verließ sie das Vestibül und kehrte in ihre eigenen Gemächer zurück, um in Ruhe die Verführung ihres Gatten zu planen. Muley Abul Hassan beendete das Ritual des Empfangs und begab sich dann zu den Bädern. Er wußte, daß ihn dort niemand mit müßigem Geschwätz belästigen würde, so daß er in Ruhe seine Gedanken schweifen lassen konnte. Lange lag er im warmen, parfümierten Wasser und dachte nach. In seinem Leben hatten ihn Frauen immer nur vorübergehend und flüchtig interessiert. Bei Aisha war es etwas anderes; sie war seine Gattin, und sie war schön und geschickt in der Liebe. Er hatte sich glücklich geschätzt, eine Frau gefunden zu haben, die ihn stets in jeder Beziehung zufriedenstellte, bis er gemerkt hatte, daß die Befriedigung des Fleisches nicht genug war. Nachdem er nun noch Kenntnis von ihren tückischen Machenschaften besaß, hatte er auch sein fleischliches Verlangen nach ihr verloren ... Er stieg aus dem warmen Bad und sprang in das daneben befindliche Marmorbecken mit dem eiskalten Wasser, das ihm den Atem nahm, dafür jedoch den Kopf klärte. Konnte es sein, daß eine kurze Begegnung am Straßenrand, bei der fast kein Wort gefallen war, ihm den Verstand geraubt hatte? Unmöglich. Trotzdem war er von diesem Mädchen besessen. Er begehrte es und würde jeden Preis dafür zahlen, es zu besitzen. Abul verließ das eisige Wasser, betrat das Dampfbad im angrenzenden Raum und streckte sich auf einer Marmorbank aus. Eine Wärterin heizte unterdessen das Feuerbecken an. Der Wasserdampf brannte in seinen Lungen, Schweiß rann ihm aus allen Poren und schien alle Unreinheiten aus dem Körper zu spülen.
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Vielleicht konnte man das Mädchen ja gar nicht kaufen. Unsinn, jeder Mensch hatte seinen Preis, wenn auch nicht notwendigerweise in Geld. Und falls ein Kauf wirklich nicht möglich war, so gab es andere Mittel und Wege. Träge begab sich Abul in den Saal der Ruhe und überließ dort seinen Körper den eingeölten Händen einer Badewärterin. Wahrscheinlich war die junge Fremde eine Spanierin. Allerdings hatte sie nicht geantwortet, als er sie in dieser Sprache nach ihrem Namen gefragt hatte. Andererseits hatte er nicht den Eindruck gewonnen, als hätte sie etwa seine Frage nicht verstanden. Sie war auf und davon gesprungen wie ein verschrecktes Tier ... „Herr! Mein Emir." Die leise Stimme riß Abul aus seiner merkwürdigen Trance. Yusuf, den er mit der Verfolgung und Ausspähung des Mädchens beauftragt hatte, stand neben der gepolsterten Liege.. „Was hast du herausgefunden?" wollte Abul sofort wissen. Yusuf erzählte es ihm. „Ein Mann hat einen anderen ihretwegen getötet?" fragte Abul verständnislos. Männer, die einander wegen einer Frau umbrachten? Nun, unterschiedliche Völker hatten unterschiedliche Sitten und Gesetze. Und möglicherweise konnte ein Mann wegen dieser Frau tatsächlich einen anderen töten. Diese Vorstellung erschien Abul immer wahrscheinlicher. Der Mann jedoch, der ihretwegen getötet hatte, würde seine Beute freiwillig nicht hergeben. Was nun? Er setzte sich auf. „Wir reiten aus, Yusuf. Wir reiten allein und zeigen uns nicht." 25
Abul legte sich den weichen Umhang um, den die Wärterin ihm gebracht hatte, und begab sich zu seinen Gemächern. Wie immer nach solch einem Bad hatte er großen Hunger, und obwohl er es nicht abwarten konnte, auszureiten, aß er in Ruhe und verzichtete auf jede Unterhaltung bis auf das leise Harfenspiel eines Musikanten. Diejenigen, die ihn bedienten, ahnten nichts von der Spannung, unter der er stand. Im Außenhof wartete Yusuf bereits im Sattel auf ihn. Ein Pferdeknecht hielt die Zügel eines zweiten Hengstes. Abul war mit der Wahl dieser Tiere einverstanden; es waren keine Schlachtrösser, sondern Araber, die für Geschwindigkeit und Ausdauer, und nicht für rohe Kraftentwicklung gezüchtet worden waren. Außer ihren Dolchen trugen die beiden Männer keine Waffen. Ihr Ziel lag nicht weit vom Alhambra-Palast und der Stadt Granada entfernt, und die Truppen des Emirs sorgten dafür, daß die Straßen frei von Briganten waren. Die Nacht war klar, und der Mond schien hell, als Abul und Yusuf durch die weiten Hufeisenbögen des Tors der Gerechtigkeit auf die weißschimmernde Staubstraße hinausritten. In ihrem Gemach bereitete sich Aisha auf die Nacht mit ihrem Gatten vor. „Nafissa, weißt du ganz genau, daß der Emir heute keine andere Frau zu sich bestellt hat?"
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„Ja, das weiß ich ganz genau, Herrin." Die Dienerin flocht duftende gelbe Mimosen in das nachtschwarze Haar der Ersten Frau des Emirs. Aisha ließ die Hand über die juwelenbesetzten Parfümtiegel auf dem Tisch gleiten. Welcher Duft war ihrer Stimmung und dem vorgesehenen Zweck angemessen? Moschus oder Gardenie waren zu schwer. Falls Abul von selbst begierig auf sie war, dann würden solche Gerüche zwar zu seiner Leidenschaft passen; falls er jedoch erst verführt werden mußte, dann erforderte das etwas Dezenteres, weniger Offenkundiges. Sie hob den Deckel eines der Gefäße. Der blumige Duft von Maiglöckchen stieg daraus auf. Aisha rieb sich das Parfümöl auf die Schläfen, hinter die Ohren und auf die Innenseiten ihrer Handgelenke. Dann streifte sie sich den seidenen Kaftan von den Schultern und parfümierte sich in gleicher Weise ihre Brüste, bevor sie die Brustspitzen sorgfältig mit dunkelroter Farbe schminkte. Nafissa reichte ihr das hauchzarte weiße Nachtgewand sowie den kostbaren, schweren Brokatumhang für den Weg in die Gemächer des Emirs. „Gehe und stelle fest, ob sich der Herr schon in seinen Räumen befindet, Nafissa. Vielleicht sitzt er ja noch mit seinen Gefährten beim Abendessen." Nachdem die Dienerin gegangen war, ließ sich Aisha wieder auf der Ottomane beim Fenster nieder. Der leichte Abendwind trug die Wohlgerüche aus den Gärten herauf, die sich mit dem Parfüm sowie dem Duft der Mimosen in ihrem Haar vermischten. Die schneebedeckten Berggipfel leuchteten im hellen Mondlicht. Es war eine Nacht wie geschaffen für die Liebe - eine Nacht, um die Liebe zum eigenen Vorteil einzusetzen. 27
Innerhalb weniger Minuten kehrte Nafissa zurück. „Der Emir, Herrin, hat den Palast verlassen und ist fortgeritten." Ängstlich war die Dienerin an der Tür stehengeblieben, denn sie wußte aus leidvoller Erfahrung, was der Überbringer schlechter Botschaften unter den Händen der Ersten Frau manchmal zu erleiden hatte. „Verlassen?" Anmutig, wenn auch ungehalten, erhob sich Aisha. „Fortgeritten? Wohin?" „Das weiß ich nicht, Herrin. Er und Yusuf haben sich vor ungefähr zehn Minuten zu Pferd fortbegeben." „Nur die beiden allein?" Aisha begann im Gemach auf und ab zu gehen. Ihre Freude an der schönen Nacht war restlos verflogen. Abul war gerade erst von einer anstrengenden Reise heimgekehrt; was konnte ihn veranlaßt haben, sich gleich wieder - und dazu nur mit einem einzigen Begleiter - auf den Weg zu machen? „Ich glaube ja", antwortete Nafissa. „Dann wird er auch bald wieder zurückkommen." Aisha überlegte, ob sie ihn in seinen Gemächern erwarten sollte. Allerdings schätze Abul das Eindringen in seine Privatsphäre nicht. Die ungebetene Anwesenheit seiner Gattin dort könnte ihn verärgern. Also wollte sie lieber in ihren eigenen Räumen auf seine Rückkehr warten. Mit einer Handbewegung schickte sie Nafissa hinaus und legte sich wieder auf die Ottomane beim Fenster. Langsam ließ sie die Hände über ihren Körper gleiten; sie nahm den Zauber der Nacht in sich auf, und ihre Phantasie erweckte langsam ihre sinnliche Erregung. 28
„Du mußt zu Tariq gehen." Lucia kniete neben dem Lager, auf dem Sarita seit Sandros Tod regungslos gelegen hatte. Auch jetzt zeigte sie keinerlei Reaktion. „Sarita, wenn du nicht gehst, werden dich die anderen Männer holen kommen." Lucia machte sich ernsthafte Sorgen. Sie hatte nicht geahnt, wie weit die Dinge zwischen ihrer Tochter und Sandro gediehen waren, und dafür würde Tariq sie bestimmt verantwortlich machen. Außerdem hatte sie Strafe zu erwarten, wenn sie nicht dafür sorgte, daß ihre Tochter heute nacht dem Stammesführer gehorchte. „Trink." Sie hielt Sarita einen Becher Wein hin. „Das wird dich beruhigen und dir Kraft verleihen." Sarita schlug den Zinnbecher fort. Klappernd rollte er über den Boden, und roter Wein spritze umher. Jetzt verlor Lucia die Geduld. „Du bist eine undankbare, hinterhältige Närrin! Du hast keine andere Wahl, als zu Tariq zu gehen. Falls du aber Leber unnötig leiden willst, dann ist das deine Sache. Ich will damit nichts zu tun haben. Ich werde Tariq sagen, daß du nicht willig bist und daß ich dagegen nichts machen kann." Sarita setzte sich auf. Sie war sehr blaß, aber das Leben war in ihren Blick zurückgekehrt. „Ich habe keine andere Wahl, falls ich beim Stamm bleiben will", stellte sie klar. „Hilf mir, den Stamm zu verlassen, Mutter." Lucia starrte sie verständnislos an. Ihre Tochter konnte doch außerhalb des Stammesverbands gar nicht existieren! „Das ist ja Irrsinn, Sarita. Wohin willst du denn gehen? Wovon willst du leben?"
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„Das wird sich finden", antwortete Sarita starrsinnig. „Alles ist besser als Tariq." „Ein einziger Mann ist mit Sicherheit besser als Hunderte", entgegnete ihre Mutter bitter. „Lieber habe ich Hunderte als den einen, an dessen Händen Sandros Blut klebt. Hilf mir." „Du wirst dich vom Kummer um Sandro erholen", sagte Lucia unsicher. „Es war die erste Liebe, Kind. Wir erholen uns alle von der ersten Liebe." Sarita schüttelte den Kopf. „Erholung von der ersten Liebe ist nicht das Thema. Du erwartest, daß ich das Bett desjenigen Mannes teile, der den Menschen ermordet hat, den ich geliebt habe! Eher bringe ich mich selbst um." Eindringlich blickte sie ihre Mutter an. „Hilf mir, hier fortzukommen. Gehe zu Tariq und sage ihm, ich käme zu ihm, sobald die Feuer gelöscht sind. Sage ihm, ich sei voller Kummer und könnte mein Gesicht nicht zeigen, solange das Lager noch wach ist." „Und wenn er nun merkt, daß ich ihn belogen habe?" „Du mußt ihm sagen, daß ich allein gelassen werden wollte und dich gebeten habe, in zwei Stunden wieder zu mir zu kommen und mich für die Nacht vorzubereiten. Bleibe danach draußen bei den anderen Frauen. Zeige dich verärgert über mich, aber deute an, daß du keinen Zweifel an meinem Gehorsam hast. Und wenn du dann in zwei Stunden zum Wagen zurückkommst, findest du mich nicht mehr vor. Jeder wird dir glauben, daß du nichts geahnt hast."
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Lucia war ratlos. Die Gesetze und Sitten des Stammes hatten einen so festen Platz in ihrem Denken, daß sie es nicht begreifen konnte, wie ihre Tochter eine mehr als zweifelhafte Zukunft in Kauf nehmen wollte, statt sich ihrem Schicksal innerhalb des Stammes zu beugen. Andererseits war Sarita ja schon immer ein ungewöhnliches und eigensinniges Mädchen gewesen ... „Ich werde dir helfen", erklärte sie schließlich. „Aber ich tue es nur deswegen, weil ich dich nicht den Folgen deines Ungehorsams aussetzen will, und nicht etwa deswegen, weil ich dein Verhalten für richtig hielte." Sarita stand auf und umarmte ihre Mutter. Um Sandro hatte sie nicht geweint; jetzt rollten ihr die Tränen über die Wangen. „Ich habe dich immer geliebt, Mutter." Lucia streichelte ihr die Schulter. „Ich weiß", sagte sie lächelnd. „Ich habe dich auch immer geliebt. Jetzt läßt du mich ohne Mann und ohne Kind zurück. Meine Enkelkinder werde ich nie sehen. Ich habe begriffen, daß du nicht bleiben kannst, aber ich verstehe nicht, weshalb nicht. Geh also mit meinem Segen. Nimm mit, was wir an Münzen besitzen." Sie schob Sarita von sich und verließ den Wagen. In fieberhafter Hast raffte Sarita ihre wenigen nützlichen Besitztümer in einem Umhangtuch zusammen. Der Barbestand ihrer Mutter befand sich in einem Lederbeutel, der unter dem Lager versteckt war. Sarita schüttelte den Beutel aus. Er enthielt zwei große französische Goldstücke, zwölf kleine Silbermünzen, einen venezianischen Dukaten und zwei kleine Florentiner Goldmünzen. Sarita nahm nur die zwölf Silbermünzen. Erstens wollte sie ihre Mutter nicht mittellos zurücklassen, und zweitens fand sie, daß es nur Raub und Diebstahl herausforderte, wenn sie Goldstücke mit 31
sich herumtrüge. Ohnehin beabsichtigte sie, sich unauffällig unter die Leute in den ärmeren Stadtvierteln zu mischen, denn falls sie durch irgend etwas die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, wäre das unweigerlich der erste Schritt auf dem Weg zum Sklavenmarkt. Sie konnte den Wagen nicht auf dem üblichen Weg verlassen; zu viele Personen würden sie dann sehen. Also löste sie vorsichtig ein Brett von der Rückwand, warf ihr Bündel hinaus und zwängte sich selbst durch den schmalen Spalt. Ihr Kleid blieb an einem Splitter hängen, ihr Oberschenkel trug eine tiefe Schramme davon, und dann war es geschafft. Ihre Habseligkeiten fest an sich gepreßt, hockte sie lauschend auf dem Boden. Die Geräusche aus dem Lager hatten sich nicht verändert. Sarita holte tief Luft und legte dann gebückt die scheinbar endlose Strecke vom Wagen bis zum dichten Hain zurück. Schweratmend lehnte sie sich an einen Olivenbaum und lauschte wieder. Außer dem Zirpen der Zikaden und dem Flöten einer Amsel, die sich wohl für eine Nachtigall hielt, war nichts zu hören. Sarita rannte durch den Hain und auf die Straße hinaus. Die Stadt Granada lag hügelabwärts, und dorthin wandte sie sich jetzt. Muley Abul Hassan vermochte einen solchen Zufall zuerst nicht zu glauben. Er und Yusuf befanden sich noch ungefähr hundert Schritte von dem Olivenhain entfernt, als eine kleine Gestalt in nicht zu verkennendem orangefarbenen Kleid zwischen den Bäumen herausschlüpfte und auf die im hellen Mondlicht liegende Straße trat. Yusuf deutete auf sie. Abul nickte und trieb sein Pferd zum Galopp an.
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Sarita hörte den Hufschlag hinter sich. Im ersten Moment dachte sie, es sei Tariq, der sie verfolgte. Sie rannte los, ohne sich umzuschauen. Unvermittelt blieb sie stehen - sie konnte ihm ja doch nicht entkommen - und drehte sich um. Das ist ja nicht Tariqs Pferd, war ihr einziger Gedanke. Dann hielt der Hengst auch schon neben ihr an, der Reiter beugte sich seitwärts aus dem Sattel und faßte sie unter die Arme. Ihr Bündel fiel zu Boden, sein Inhalt verstreute sich auf der Straße, und die Silbermünzen blinkten im Mondlicht. Sarita wurde hochgehoben und landete ziemlich unsanft auf dem Pferd ihres Häschers, bevor sie auch nur einen Ton von sich geben konnte. Mit einer Hand hielt Abul die Zügel fest, und mit der anderen umfaßte er Sarita, die jetzt ihm zugewandt vor ihm im Sattel saß. Wie zart dieser kleine Körper war! Abul schaute in ihr Gesicht und sah trotz der Dunkelheit, daß sie ihn voller Empörung, aber keineswegs ängstlich ansah. Als sie den Mund öffnete, dachte Abul nicht lange nach, sondern hielt ihn ihr zu, weil er einen Schrei vermutete. Sie biß kräftig und schmerzhaft zu, doch er zuckte nicht zurück. Ihre Zähne gruben sich tiefer in seine Hand, und er verstärkte den Druck. Er wollte ihr ja nicht weh tun, aber langsam wurde es für ihn recht unangenehm. „Wenn du versprichst, nicht zu schreien, ziehe ich meine Hand fort", sagte er leise in spanischer Sprache. Saritas Gedanken überschlugen sich. Falls sie schrie, würde sie das Lager alarmieren. Wollte sie von denen gerettet werden, denen sie gerade erst entflohen war? An den Mann, der sie gefangen hatte, erinnerte sie sich sehr wohl.
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Was wollte er von ihr? Jetzt lächelte er ... Erleichtert stöhnte Abul auf und schüttelte seine schmerzende Hand aus, nachdem Sarita sie losgeslassen hatte. Sofort nutzte sie die Gelegenheit und versuchte, sich seitwärts aus dem Sattel zu winden. Im Nu hatte sich Abul den Umhang von den Schultern" gezogen, ihn um Sarita geschlungen und sie darin so fest* verpackt, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte. „Still, mein Täubchen." Sanft streichelte er ihre Wange. „Wenn du dich wehrst, tust du dir nur selbst weh, und das lasse ich nicht zu." Ihre Befreiungsversuche erheiterten ihn. Er lächelte freundlich, und nicht etwa spöttisch. „Ich bin gekommen, um dich zu kaufen, doch nur ein Narr würde für eine Taube bezahlen, die ihm zugeflogen ist." Er lachte leise und wendete sein Pferd. Sarita rührte sich nicht. Irgendwie fühlte sie sich recht geborgen in dem weiten Umhang, und es war seltsamerweise beruhigend, sich nicht länger sträuben zu können. Sie spürte keinerlei Furcht. Ihr Entführer wirkte nicht im geringsten bedrohlich. Außerdem kam die Entführung ihren eigenen Plänen entgegen. Wohin immer sie gebracht werden sollte - niemand würde dort nach ihr suchen. Yusuf hob ihr Bündel auf, raffte das Herausgefallene zusammen und folgte dem Emir und dessen Gast hügelaufwärts. Durch das Tor der Gerechtigkeit gelangte Sarita in die Alhambra. Sie hatte noch immer nichts gesagt. Es gab auch nichts zu sagen.
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3. KAPITEL „Der Emir und Yusuf sind zurückgekehrt, Herrin." Aisha wachte aus ihrem traumähnlichen Zustand auf, in den sie sich seit Abuls Ausritt selbst versetzt hatte. Sie wandte sich zu Nafissa um, die an der Tür stand. „Hilf mir, mein Haar wieder zu ordnen." Anmutig erhob sie sich von der Ottomane. „Hat sich der Herr schon zu seinen Gemächern begeben?" Sie stieg die Treppe hinunter, die vom Mirador ins Schlafgemach führte. „Ich glaube nicht, Herrin." „Was soll das heißen?" „Ich habe gehört, er sei zu einem der Außentürme geritten, Herrin", antwortete Nafissa zögernd. „Und Yusuf hat sich sofort zum Wesir begeben. Worüber er mit diesem reden wollte, ist nicht bekannt, aber die beiden sitzen schon seit einer Viertelstunde hinter geschlossenen Türen zusammen." Aisha runzelte die Stirn und setzte sich auf den Polsterhocker vor dem Kristallspiegel. „Flechte frische Mimosen in mein Haar. Warum sollte der Herr zu einem der Außentürme geritten sein?" Während Nafissa die welkenden Blüten aus Aishas Haar zog, blickte sie ihre Herrin im Spiegel an. „Man sagt, er habe eine Person bei sich gehabt, die vor ihm auf seinem Pferd saß." „Diese Person - war das ein Mann oder eine Frau?"
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„Das weiß ich nicht genau, Herrin. Augenzeugen sagen, die Person sei in den Umhang des Emirs eingewickelt gewesen und von dem Herrn mühelos in den Turm getragen worden." „Dann war es also eine Frau oder ein Kind." Aisha biß sich auf die Unterlippe. Hatte Abul die Angehörige einer bedeutenden Familie gefangengenommen, um sie später gegen Lösegeld zurückzugeben? Das wäre nichts Besonderes in einer Zeit, in der Politik hauptsächlich mit Waffengewalt gemacht und Bündnisse erkauft oder erzwungen wurden. Muley Abul Hassan war zwar kein Unmensch, aber er würde nicht zögern, ein Kind oder eine Frau aus einer adligen Familie zu entführen und zu versklaven, falls er dies aus politischen Gründen für angezeigt hielte. Aisha entschied, daß sie die Verführung ihres Gatten vertagen mußte. Falls er mit Politik beschäftigt war, würde er ein unwilliger Bettgenosse sein; sie würde sich nur lächerlich machen. Und falls er sich eine Frau beschafft hatte, würde er sich mit dieser in der Nacht befassen wollen. Ärgerlich riß sich Aisha die Blumen wieder aus dem Haar. „Bring mich zu Bett", befahl sie Nafissa. „Und dann finde soviel wie möglich über die gefangene Person heraus. Wenn du mich morgen früh weckst, wirst du mir einen umfassenden Bericht erstatten." Damit entließ sie die Dienerin. Später lag sie lange Zeit wach. Daß es zu keiner körperlichen Befriedigung kommen konnte, war gar nichts gegen die Angst davor, daß sie ihren Einfluß auf ihren Gatten ganz verlieren könnte. Morgen mußte sie ihm unbedingt gegenübertreten, und zwar gleich nachdem sie wußte, wer die im Turm gefangene Person
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war. Nur wenn sie stets über die wichtigsten Vorgänge im Palast informiert war, konnte sie ihre dominante Position halten. Als sie über die Plätze der Alhambra ritten, setzte sich Sarita im Sattel auf, obwohl sie noch immer eingehüllt war und festgehalten wurde. Überall schien Wasser zu plätschern, und der Duft in den Höfen war so stark, daß sie die unterschiedlichen Blüten nicht ausmachen konnte, die ihn verströmten. Aus den Arkaden fiel warmes Laternenlicht, und Fackeln beleuchteten Mauern und Gärten. Sarita hatte das Gefühl, sich in einem Märchenland zu befinden. Von zwei Dienern begleitet, die neben dem Pferd hergingen, ritten sie einen von Zypressen gesäumten Pfad entlang und ließen die Hauptgebäude der Palastanlage hinter sich. Vor sich konnte Sarita die Festungsmauer erkennen. Einer der beiden Diener eilte voraus und öffnete eine kleine Pforte zu einem von einem Gitterzaun umgebenen Garten, an dessen hinterem Ende sich ein mit der Festungsmauer verbundener Turm befand. Anscheinend war dies ihr Ziel. Türme waren im allgemeinen Gefängnisse, aber seit wann waren Kerker von hübschen Gärten umgeben? Bevor sie sich überlegen konnte, wie sie reagieren sollte, war ihr Häscher bereits aus dem Sattel geglitten und half ihr beim Absteigen. Der Diener öffnete die Tür zum Turm. Sarita wurde wieder aufgehoben, über die Schwelle getragen und drinnen sanft auf die Füße gestellt. Dies hier war mit Sicherheit kein Gefängnis. Sarita befand sich in einer kleinen Halle, die eher einem Innenhof als einem geschlossenen Raum ähnelte. Die kunstvoll durchbrochenen Wände waren mit Lapislazuli geschmückt, ein von Blumen und duftendem Buschwerk umgebener Alabasterbrunnen plätscherte sanft in der 37
Mitte des Raums, und schlanke Marmorsäulen trugen filigrane Mauerbögen. Daß der Umhang von ihren Schultern glitt, merkte Sarita kaum. Entzückt betrachtete sie ihre Umgebung. Nie zuvor hatte sie solche von Menschen geschaffene Schönheit gesehen, nicht einmal in den ihr bekannten Kirchen. Nun ja, der Vergleich paßte auch nicht, denn bei diesen Menschen hier handelte es sich ja um heidnische Mauren. Schon wollte sie fragen, was das für ein Gebäude war, in dem sie sich hier befand, doch sie blieb stumm. Bisher hatte sie nicht gesprochen, und sie fühlte sich in ihrem Schweigen sicherer. Der Emir betrachtete ihr Mienenspiel genau. Er sah ihre großen Augen und ihre zum Sprechen geöffneten Lippen, und er wartete darauf, daß sie etwas äußerte. Als sie den Mund wieder schloß, seufzte Abul innerlich, tröstete sich indessen damit, daß sie gewiß nicht stumm war; zu erkennbar hatte sie eben zum Reden angesetzt. „Hier wirst du leben", erklärte er und deutete auf eine Treppe. „Komm mit nach oben." Sarita hob den Blick und sah, daß sich eine Galerie um den Innenhof zog. Eine Zedernholzkuppel wölbte sich hoch oben, und Mondlicht fiel durch die Bogenfenster im hinteren Teil der Galerie herein. Ihr Häscher war bereits die Treppe halb hochgestiegen, ohne sich davon zu überzeugen, daß Sarita seiner Aufforderung folgte. Anscheinend war er sich dessen sicher. Nun, es kann ja auch nicht schaden, sich anzusehen, wie es dort oben aussieht, dachte sie und folgte ihm neugierig.
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Überrascht stellte sie fest, daß sie sich in einem Schlafgemach befand, das sich, begrenzt von dem Galeriegeländer, um den ganzen Innenhof herumzog. Ein Diwan stand in einem in die dicke Außenmauer eingelassenen Alkoven. Auf einem niedrigen Marmortisch entdeckte Sarita einen Kristallspiegel. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Bisher hatte sie sich nur in gehämmerten und polierten Kupferplatten erblicken können. Vor dem Tischchen stand eine seidenbezogene Ottomane. Unwillkürlich mußte Sarita an ihr Strohlager im Planwagen denken. „Wie heißt du?" fragte Abul zum drittenmal an diesem Tag. Sarita antwortete nicht. Sie trat ans Fenster. Unter sich sah sie eine dunkle Flußschlucht, eine Ravine, hinter der eine Ansammlung dunkler Dächer zu erkennen war. Dahinter wiederum erhoben sich die Berge. Sarita hätte sich gern danach erkundigt, was das für Dächer waren, doch beharrlich schwieg sie weiterhin. „Ich heiße Muley Abul Hassan", sagte Abul. „Ich bin der Emir von Granada, und dies ist die Alhambra, mein Palast. Aber das weißt du bereits, nicht wahr?" Sarita reagierte nicht darauf. Abul wurde langsam ungeduldig, zumal er keineswegs den Eindruck hatte, als schwiege die junge Frau aus Angst. Nein, sie war einfach starrsinnig! Er trat hinter sie, faßte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. Sie starrte ihn aus ihren seegrünen Augen an und preßte die Lippen aufeinander. Sanft berührte er mit einer Finger-
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spitze ihre Unterlippe dort, wo er eine leichte Schwellung bemerkt hatte. „Der Biß der Leidenschaft?" fragte er leise, und ihr Blick, zuerst erschrocken, dann wütend und schließlich traurig, gab ihm die Antwort. „Ah, ich beginne zu verstehen." Abul verstand tatsächlich: Der gewaltsame Tod des Geliebten konnte durchaus der Auslöser für eine verzweifelte Flucht sein. Es war offensichtlich, daß die Frau sich nur mit größter Willensanstrengung davor zurückhielt, ihm zornig die Meinung zu sagen, und Abul hoffte, sie würde es tun, denn er wünschte sich jetzt nichts sehnlicher, als ihre Stimme zu hören. Aus einem Impuls heraus neigte er den Kopf, legte seine Lippen sanft auf ihre und berührte die verletzte Stelle mit der Zungenspitze. Sarita spürte die Berührung bis in die Zehenspitzen hinein. Obwohl dieser behutsame Kuß natürlich eine Unverschämtheit war, empfand sie dabei noch etwas ganz Gegensätzliches, nämlich die Zärtlichkeit, mit der der Mann sie so sanft umarmte. Sofort zog sich Sarita bis zum Galeriegeländer zurück und legte sich die Hand auf die Lippen, als wollte sie sich so vor weiteren Liebkosungen schützen. Unten im Innenhof wurde leise die Tür geöffnet und dann wieder geschlossen. Sarita schaute über das Geländer hinab. Zwei verschleierte Frauen in einfachen dunklen Gewändern waren eingetreten, eilten jetzt die Treppe herauf und verbeugten sich vor Abul, wobei sie den Schleier von ihrem Gesicht gleiten ließen. Neugierig musterte Sarita die Frauen. Sie waren nicht viel älter als sie selbst. Eine der beiden wirkte sehr schlicht, hatte ein von Pockennarben arg gezeichnetes, aber dennoch sehr freundliches Gesicht und sanfte dunkle Augen. 40
Das Gesicht der anderen war ein wenig scharf geschnitten, und ihre Augen verrieten wache Intelligenz. Die Frau schaute Sarita offen, unbekümmert und neugierig an, und diese faßte sofort Zuneigung zu ihr. „Wie heißt ihr?" erkundigte sich Abul auf spanisch. „Sulema, Herr", antwortete die Schlichte. „Kadiga, Herr", lautete die Antwort der anderen. „Ihr seid mit der spanischen Sprache vertraut?" „Ein wenig", antworteten beide gleichzeitig bescheiden. Abul nickte. Er hatte Yusuf aufgetragen, nach Rücksprache mit dem Wesir unter den jüngeren Palastdienerinnen die zwei mit den besten Spanischkenntnissen für die geheimnisvolle Gefangene auszusuchen, und anscheinend hatten die Männer eine gute Wahl getroffen. „Bereitet ein warmes Bad vor", wies er die beiden an, die seinen Befehl sofort befolgten und sich entfernten. Dann wandte er sich wieder an die weiterhin beharrlich schweigende Sarita. Lächelnd strich er ihr mit dem Finger einen Schmutzstreifen von der Wange. „Du brauchst ein wenig Pflege, meine Liebe. Morgen werde ich dich in die Benutzung der Badesäle einweisen; heute jedoch werden dich diese Frauen hier unten im Innenhof bedienen." Ehe sie diese Mitteilung und vor allem die liebevolle Anrede verarbeitet hatte, war Abul schon die Treppe hinuntergestiegen. Sarita beugte sich über das Galeriegeländer und sah zu ihrer Verblüffung, daß dort unten jetzt ein runder, hölzerner Badezuber stand, aus dem Dampf aufstieg. Die beiden Dienerinnen streuten
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irgend etwas ins Wasser und legten dicke Tücher bereit. Als der Emir unten ankam, hielten sie in ihrer Arbeit inne. „Yusuf wird sie in einer Stunde abholen", teilte er ihnen auf arabisch mit, was Sarita glücklicherweise nicht verstehen konnte. „Herrin, würdet Ihr herunterkommen?" rief Kadiga zur Galerie hinauf, nachdem der Emir gegangen war. „Euer Bad ist jetzt fertig." „Ich will kein Bad", erklärte Sarita und stieg in den Innenhof hinab. „Und falls ich eins wollte, wäre ich durchaus in der Lage, mich selbst zu baden." „Oh, Ihr würdet ein Bad aber gewiß genießen, Herrin." Sulema trat freundlich lächelnd auf Sarita zu. „Ihr wart bestimmt sehr lange auf der Straße, um so schmutzig zu werden." Sarita schaute auf ihre nackten Füße hinab. Selbstverständlich waren die schmutzig, und ihre Hände waren auch nicht eben die saubersten, denn mit denen hatte sie vorhin ja das Brett aus der Rückwand des Wagens gelöst, und danach hatte sie sich mehr kriechend als laufend aus dem Lager geschlichen. War das tatsächlich erst vorhin gewesen? Und jetzt nannte man sie „Herrin"? Ein verlockender Duft stieg mit dem Wasserdampf auf, und in das warme Bad zu steigen, war eine durchaus ansprechende Vorstellung. Sarita wollte sich das Mieder aufschnüren, doch Kadiga war schneller, und ehe sie es sich versah, hatten ihr die beiden Frauen das orangefarbene Kleid und das Unterhemd ausgezogen. Mehr hatte sie im Sommer nie an.
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„Nehmt mir mein Kleid nicht fort!" rief sie erschrocken, weil es so aussah, als wollten die Dienerinnen das einzige beseitigen, das Sarita noch mit der Person verband, die sie gewesen war, bevor Muley Abul Hassan sie von der Straße aufgesammelt und entführt hatte. Kadiga hielt das Kleid und das Unterhemd hoch. „Das muß gewaschen werden, Herrin. Und zerrissen ist es auch." „Dann werde ich es waschen. Und nennt mich nicht immer Herrin. Ich heiße Sarita." „Aber wir sind doch Eure Dienerinnen", beharrte Sulema mit sanfter Stimme. „Wollt Ihr nun ins Bad steigen?" „Ich werde hier nicht lange bleiben", erklärte Sarita fest und stieg in den tiefen Zuber. „Und solange ich hier bin, bestehe ich darauf, daß ihr mich bei meinem Namen nennt." Sie ließ sich bis zum Hals in das duftende Wasser gleiten. Sulema beugte sich über sie und goß ihr Wasser über den Kopf. Sarita schloß die Augen und genoß es, sich das Haar waschen zu lassen. Ihr Leben lang hatte sie in Flüssen und Bächen gebadet und dabei die grobe Seife verwendet, die ihre Mutter aus Tierfett und Knochen herstellte. Winters gab es hin und wieder einen auf dem Kohlebecken erhitzten Topf warmen Wassers. Dieses duftende Bad hier verstärkte in ihr den Eindruck, sich in einer Märchenwelt zu befinden. „Weshalb wollt Ihr nicht hierbleiben?" erkundigte sich Kadiga. Sie hob Saritas Füße aus dem Wasser und stieß dann einen entsetzten Schrei aus. „Bei Allah dem Barmherzigen! Eure Füße!"
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„Was ist mit ihnen?" Erschrocken richtete sich Sarita in dem Zuber auf und sah sich ihre Füße an, die ihr völlig normal erschienen. „Die Sohlen sind ja so hart!" rief Kadiga. „Sieh nur, Sulema. Fühl nur. Sie fassen sich an wie Leder." „Sie sind vollkommen in Ordnung." Beleidigt zog Sarita ihre Füße zurück und steckte sie in das aufspritzende Wasser. „Wir müssen die Haut mit Öl und Bimsstein abreiben", befand Sulema. „Zweifellos wird es viele Tage dauern, bis sie wieder weich .. ." „Ich werde nicht ,viele Tage' hierbleiben", fiel Sarita ihr ärgerlich ins Wort. „Und mir gefallen meine Füße so, wie sie sind. Wie soll ich denn laufen, wenn die Sohlen dünn und weich sind?" „Habt Ihr denn keine Schuhe?" Kadiga staunte. „Tragen Christen keine Schuhe?" Sarita dachte an die Damen und Herren, die sie in den Städten gesehen hatte. Sie zuckte die Schultern. „Manche ja, falls sie in Häusern in der Stadt wohnen. Wir dagegen, die wir auf der Straße leben, brauchen Schuhe nur im Winter, und da trage ich Pantinen." Die beiden Dienerinnen schauten sie an, als wäre sie eine Barbarin aus irgendeinem wilden Land, und wenn sich Sarita so in ihrer luxuriösen Umgebung umschaute, fand sie eine solche Ansicht auch gar nicht so abwegig. Wie jedoch sollte sie den Frauen, die in einem goldenen Käfig lebten, die Freiheit der Straße erklären? Sie versuchte es gar nicht erst.
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Sulema war jetzt mit dem Haarewaschen fertig und seifte Sarita die Arme und den Hals ein, während Kadiga mit ihren Füßen und Beinen beschäftigt war. Sarita fand das alles höchst ungewohnt, wenn auch nicht unangenehm. Sie richtete sich sogar auf den Knien auf, als Sulema sie darum bat. Im nächsten Moment kreischte sie zornig auf und schlug die Hände fort, die sich ihren intimsten Zonen genähert hatten. „Faß mich nicht an!" schrie sie das völlig verdutzte Mädchen wütend an. „Aber weshalb denn nicht? Wir sind doch Eure Dienerinnen." Sarita riß Sulema die Seife aus der Hand und wusch sich grimmig selbst, während die beiden jungen Frauen verwirrt zuschauten. „Christen berühren einander dort nicht", erklärte sie und stand auf. „Gebt mir das Badetuch." „Männer Und Frauen einander auch nicht?" wollte Kadiga wissen. „Was für eine merkwürdige Rasse Ihr sein müßt." Sie lachte leise, und Sulema erlaubte sich ein Kichern. Sarita wurde rot. „Zwischen Männern und Frauen ist es etwas ganz anderes." „Ja, natürlich!" rief Kadiga, und dann brachen die beiden Mädchen in lautes Gelächter aus. Jetzt mußte Sanita doch ein bißchen kichern, und am Ende lachten sie alle drei. Daß die beiden sie besonders gründlich trockenrubbelten und mit parfümiertem Öl einrieben, fiel ihr gar nicht mehr auf.
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Nach all der Baderei und der Parfümierung wieder das orangefarbene Kleid anzuziehen, wäre Sarita selbst etwas unpassend vorgekommen, und so war sie nicht überrascht, als Kadiga ihr ein grünseidenes Gewand hinhielt, das mit Blumen und Ornamenten bestickt war und sich vorn mit winzigen Stoffschlaufen und Perlknöpfen schließen ließ. Als Sarita jedoch genauer hinsah, stellte sie fest, daß es sich bei den Knöpfen tatsächlich um echte, kostbare rosa Perlen handelte. Nach den Bemerkungen über ihre Füße sträubte sie sich nicht mehr gegen die ihr gereichten weichen Lederpantoffeln, obwohl sie deren vorn hochgebogene Spitzen doch reichlich übertrieben fand und sich nicht vorstellen konnte, wie man damit laufen sollte. Nun, heute mußte sie ja nur noch die Treppe hoch und ins Bett gehen. Morgen früh würde sie ihren Traumzustand, ihren merkwürdigen Rausch ausgeschlafen haben, und dann wollte sie weitersehen. „Wünscht Ihr zu speisen, bevor Ihr zu unserem Emir geht?" Bei Kadigas Frage schrak Sarita aus ihren Gedanken. „Wohin soll ich gehen?" „Zu Muley Abul Hassan, unserem Herrn. In einer halben Stunde wird Yusuf Euch abholen. Wir müssen noch Euer Haar richten, doch wenn Ihr erst essen möchtet - hier sind Früchte, Pasteten und Gebäck." Sulema deutete auf den Tisch neben einer der Marmorsäulen. „Es gibt auch gekühlten Honigsorbet und Orangenblütenwasser." Ein ungutes Gefühl beschlich Sarita, und ihre ganze Schläfrigkeit verflog. Allerdings durfte sie wohl kaum erstaunt sein. Aus welchem Grund hatte der Emir sie denn schon hergebracht? Sein Verhalten und der Kuß hätten es ihr längst sagen sollen, doch sie 46
war so in ihrer Traumwelt gefangen gewesen, daß sie nicht mehr klar hatte denken können. Sie war soeben für das Bett des Emirs vorbereitet worden, so wie ihre Mutter sie in ihrem anderen Leben auf die Nacht mit Tariq, dem Stammesführer, hatte vorbereiten wollen! Nun, den beiden Dienerinnen konnte sie kaum einen Vorwurf machen. Nur dem Mann, der die Anordnung getroffen hatte, konnte sie ihre Meinung dazu sagen. „Ja, ich habe Hunger", sagte sie erstaunlich gefaßt und wahrheitsgemäß, denn sie hatte seit heute mittag nichts mehr gegessen. Sie benötigte jedoch ihre ganze Kraft, um sich mit dem zu befassen, was in den Händen des Herrn der Alhambra auf sie zukam.
4. KAPITEL Während sich die beiden Mächen nun an Saritas Haar zu schaffen machten, aß diese die köstlichen mit Lammfleisch, Reis und Pinienkernen gefüllten Blätterteigtaschen. Sie hätte gern einen Krug Wein dazu getrunken, wie sie es gewöhnt war, aber sie mußte sich mit dem harmlosen, wenn auch wohlschmeckenden Fruchtgetränk zufriedengeben. Plötzlich kam ihr der absurde Gedanke, daß sie hier gewaschen, verschönt und gemästet wurde, um zum Opferaltar geführt zu werden. Dazu war sie jedoch keineswegs bereit. Sie war heute bereits einem Opferaltar entflohen, doch diesem hier würde sie nicht entkommen - jedenfalls nicht heute. Sie mußte sich also etwas ausdenken, wie sie ihn heute nacht umgehen konnte.
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Muley Abul Hassan war kein furchterregender Mensch, doch sie wollte bis zum letzten Atemzug dagegen kämpfen, daß er sich das nahm, was ihrem toten Geliebten gehörte. Unbewußt warf sie kämpferisch den Kopf in den Nacken. Kadiga verstand diese Geste falsch. „Ich soll nicht mehr weiterkämmen? Das Haar ist doch noch gar nicht ganz trocken." Sarita kehrte in die Wirklichkeit zurück. „Egal - es ist trocken genug." „Wenn Ihr dann mit dem Speisen fertig seid, werde ich Euer Gesicht zurechtmachen." Sulema trat heran. Zurechtmachen? Sarita sah, daß die Dienerin ein Tablett herbeitrug, auf dem sich eine Anzahl kleiner Töpfchen, Tiegel und Pinsel befand. Schon steckte das Mädchen ein zugespitztes Stäbchen in einen Tiegel mit schwarzem Antimon. „Nein!" Zu ihrem Schrecken merkte Sarita, was Sulema mit ihr vorhatte. „Solche ... solche Dirnenfarbe kommt mir nicht aufs Gesicht!" Sie sprang auf. „O Herrin, das ist doch aber üblich", verteidigte sich Sule-ma gekränkt. „Ihr müßt Eure Augenlider schwärzen, um zu gefallen." „Ich bin keine Dirne", entgegnete Sarita zornig. „Ich muß niemandem gefallen." Einen Moment herrschte Schweigen im Innenhof; nur das Plätschern des kleinen Brunnens war zu hören. „Seid Ihr unserem Emir gegen Euren Willen geschenkt worden?" erkundigte sich Kadiga vorsichtig. „Ich bin überhaupt nicht geschenkt worden!"
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„Verkauft also?" Sarita schüttelte den Kopf. „Weder geschenkt noch verkauft. Ich gehöre niemandem." Beide Frauen sahen sie verständnislos an, und sie versuchte es noch einmal. „Ich habe meinen Stamm verlassen, weil... nun, weil ich es eben tun mußte, und Euer Herr, der mir zuvor schon einmal begegnet war, ist zu dem Schluß "gekommen, daß er mich haben wollte. Also hat er mich genommen." Nimmt er sich eigentlich immer, was er haben will? fragte sie sich. Er machte jedenfalls ganz den Eindruck. Die beiden Dienerinnen nickten erleichtert, als sei ihnen nun alles klar. „Dann seid Ihr also die Gefangene des Emirs, und Ihr gehört ihm." „Nein!" rief Sarita ungehalten. „Das stimmt nicht im geringsten. Ich mag seine Gefangene sein, aber ich gehöre ihm nicht. Ich gehöre nur mir selbst." Sie merkte, daß ihr die beiden nicht folgen konnten, doch bevor sie zu weiteren Erläuterungen ausholen konnte, klopfte es laut an die Tür. „Das wird Yusuf sein", meinte Kadiga. „Er will Euch jetzt abholen." Sie zog sich den Schleier vors Gesicht. Sulema machte es ebenso und öffnete dann eilig die Tür. Der Mann, der den Emir vorhin begleitet hatte, trat in den Innenhof. Er beachtete die beiden Dienerinnen nicht weiter, die sich
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auf eine Seite zurückgezogen hatten, und legte ein Bündel auf eine Bank neben der Tür. Sarita sah, daß es ihr eigenes war. Als sie aufs Pferd gehoben worden war, hatte sie es fallen lassen und es für verloren gehalten. Mit einem leisen Freudenschrei lief sie hin und untersuchte es. Alles war da: die Holzkämme für ihr Haar, das silberne Armband, das ihr Vater ihr zu ihrem zwölften Geburtstag geschenkt hatte, die Spitzenmantilla, die ihrer Großmutter gehört hatte, ein sauberes Unterhemd, die Holzpantinen für den Winter und, was das beste war, alle zwölf Silbermünzen. Alles, was sie mit ihrer eigenen Welt verband, war vollzählig vorhanden. Zum ersten Male, seit sie diese Märchenwelt hier betreten hatte, fühlte sie sich wieder wie sie selbst. Der Mann namens Yusuf sagte etwas in arabischer Sprache zu ihr. Sie schüttelte den Kopf, um anzudeuten, daß sie ihn nicht verstand. Sein Gesicht verfinsterte sich. Wieder sagte er etwas, das schon entschieden barscher klang, und Sarita merkte, daß er ihr Kopfschütteln als Befehlsverweigerung aufgefaßt hatte. Jetzt mischte sich Kadiga ein, die erklärte, daß Sarita des Arabischen nicht mächtig war, worauf der Mann sich wieder beruhigte. „Ihr sollt mit ihm gehen", übersetzte Kadiga. „Ihm mißfallt es allerdings, daß Ihr Euer Gesicht nicht bedeckt. Für eine Frau ist es nicht schicklich und gottesfurchtig, sich unver-schleiert in Gesellschaft von Männern zu zeigen, die nicht Mitglieder ihrer Familie sind - ausgenommen unseren Emir natürlich", fügte sie rasch hinzu. „Er ist unser oberster Herr, und wir sind alle seine Familie."
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Sarita blickte Yusuf direkt in die Augen. „Ich bin bereit, mit dir zu gehen", sagte sie lächelnd in ihrer eigenen Sprache. „Ich gehöre jedoch nicht zu deinem Volk, und ich verhülle mein Gesicht nicht." Kadiga übersetzte, und Yusuf zuckte die Schultern, als interessiere ihn das nicht mehr. Er drehte sich um und ging zur Tür voraus. Draußen wartete ein Junge mit einer Laterne, was eigentlich überflüssig war, denn die Wege, Pfade, Höfe und Plätze waren ohnehin alle hell beleuchtet, und es herrschte geschäftiges Leben in der Alhambra. Yusuf betrat einen Säulengang, der einen Hof mit einem rechteckigen Wasserbecken in der Mitte begrenzte. Licht und Musik strömten aus den Türbögen, an denen sie auf ihrem Weg vorbeikamen. Sarita blieb einen Moment stehen, um in einen dieser Bogengänge zu schauen, woraufhin Yusuf sie sofort anherrschte. Zwar verstand sie seine Rede nicht, konnte sich aber gut vorstellen, was er sagte. Aus Trotz blieb sie noch ein paar Sekunden länger stehen. In dem Saal hinter dem Eingang befanden sich Männer, die auf Ottomanen und Diwanen saßen oder lagen. Manche waren in Gespräche vertieft, andere spielten Schach. Zarte Flöten- und Lautenmusik erklang zu ihrer Unterhaltung. Frauen gab es in diesem Saal nicht. In Saritas Stamm waren die Frauen ebenfalls von solchen Männergesellschaften ausgeschlossen. Selbstverständlich saßen die Männer bei ihr im Lager um die Feuer herum, und nicht auf seidenen Polstern, und die Musik machten sie selbst; berufsmäßige
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Musikanten brauchten sie dazu nicht. Alles in allem jedoch kam ihr der Anblick hier durchaus vertraut vor. Yusuf ergriff Sarita beim Arm. Sie entzog sich ihm wieder und machte eine große Szene daraus, Sich den Ärmel dort auszuklopfen, wo sich die Hand des Mannes befunden hatte. Doch wandte sie sich von dem Saal ab und deutete mit einer hochmütigen Handbewegung an, daß sie nunmehr zur Fortsetzung des Weges bereit war. Yusufs Miene wirkte mordlüstern, und Sarita hoffte nur, daß Muley Abul Hassans Interesse an ihr sie vor Schlimmem beschützte. Diese Hoffnung trog auch nicht: Yusuf machte mit einem Ruck auf dem Absatz kehrt und marschierte den langen Säulengang voraus. An dessen Ende ging es durch eine weitere Bogentür in einen stillen, beleuchteten Raum. Zwei gleichgewandete Männer standen zu beiden Seiten einer Tür am Ende des Saals Wache. Yusuf ging zu dieser Tür, klopfte leise, wartete einen Moment, öffnete dann und ließ Sarita in die Privatgemächer des Emirs eintreten. Abul hielt viel von Abwechslung in der Liebe, und obwohl er aus Gründen des häuslichen Friedens bis zu dem Zerwürfnis mit seiner Gattin immer unterstrichen hatte, daß diese seine Favoritin sei, hatte er regelmäßig andere Damen aus dem Harem zu sich bestellt. Seine vier Konkubinen waren sämtlich schöne Töchter aus den großen maurisch-spanischen Familien, freie Frauen, die ihm geschenkt worden waren, um Allianzen zu festigen oder Freundschaft zu erkaufen.
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Diese Frauen waren offenbar damit zufrieden, im Haremspalast der Alhambra zu leben, und sie bedeuteten keine Gefahr für Aisha. Sie kamen willig in das Bett ihres Herrn, wenn sie gerufen wurden, und konkurrierten manchmal sogar darin, welche von ihnen dem Emir das meiste Vergnügen bereitete. Abul wußte von diesem heimlichen Wettstreit, der ihn erheiterte und den er manchmal absichtlich herausforderte, indem er eine Frau mehrmals hintereinander zu sich rief. Die Wahrheit war aber, daß er keine von ihnen besonders bevorzugte. Sie alle hatten ihm Kinder geboren, die den Status ihrer Mütter festigten. Mutterschaft hob das Ansehen einer Frau im Harem. Vor der Geburt blieb sie zwar von ihrem Herrn getrennt, hatte sie indes einem gesunden Kind das Leben geschenkt, wurde sie stets mit Kleidern und Juwelen belohnt. Diese Geschenke wiederum wurden miteinander verglichen und waren wieder Gegenstand neuen Wettbewerbs. Zusätzlich zu diesen Nebenfrauen hatte Abul gelegentlich die eine oder andere Sklavin gekauft, die ihm gefallen hatte, oder er hatte eine Frau als Kriegsbeute gefangengenommen. Diese Frauen besaßen nicht den rechtlichen Stand seiner Konkubinen, und sie wurden einfach als Dienerinnen in den normalen Haushalt eingegliedert, wenn sie ihrem Herrn kein Vergnügen mehr bereiteten. Zwar genossen sie auf Lebzeiten den Schutz des Emirs, aber darüber hinaus interessierten sie ihn nicht mehr. Nur zwei Aufgaben oblagen seinen Frauen: Sie hatten ihrem Herrn Freude zu bereiten und fruchtbar zu sein, wenn er es wünschte. Mit Sklavinnen zeugte er keine Kinder; ihnen stand es frei zu heiraten, wenn sie sein Bett verlassen hatten. Muley Abul Hassan betrachtete sich als einen sehr rücksichtsvollen Herrscher.
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Jetzt wartete er darauf, daß Yusuf ihm das Mädchen zuführte. Er vermochte sich nicht zu erinnern, jemals einer Frau mit solcher Spannung entgegengesehen zu haben. Seit er sie an diesem Nachmittag auf der Straße entdeckt hatte, barfuß, mit wirrem rotem Haar und mit dem wilden Blick ihrer grünen Augen, da war in ihm ein Feuer entflammt, und er hatte sie besitzen wollen. Also hatte er sie sich einfach genommen, aber gewonnen hatte er sie noch nicht. Genau darin lag der Grund für seine Spannung. Eine Frau, die beharrlich schwieg, obwohl ihr die Zornesworte so offensichtlich auf der Zunge lagen, war eine Herausforderung. Sie besaß gewiß Mut, denn sonst hätte sie den Schutz ihres Stammesverbandes nicht hinter sich gelassen. Und sie hatte einen Liebhaber gehabt. Sie war also kein scheues Mädchen mehr, sondern sie kannte schon die Freuden der Liebe und der Leidenschaft. Sie war eine Frau, um die zwei Männer bis zum Tod des einen gekämpft hatten. Abul bezweifelte nicht, daß es ihr Liebhaber gewesen war, der in diesem Kampf getötet worden war. Falls sie seinem Angedenken treu war, wäre das für ihn, Abul, ein weiteres Hindernis, das er überwinden mußte. Sie stammte aus einer monogamen Gesellschaft, die eine reichlich schlichte und starre Auffassung von den Beziehungen zwischen Mann und Frau hatte, und das machte das Erreichen seines Zieles nicht eben leichter, aber es erhöhte die Herausforderung. Als die Gefangene eintrat, merkte Abul sofort, daß er sie richtig eingeschätzt hatte. Diese Frau war nicht schicksalsergeben. Sie blieb neben der Tür stehen, das Kinn stolz erhoben und den Blick fest auf ihn gerichtet.
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Daß sie jetzt das traditionelle weite Gewand seines eigenen Volkes trug, verwirrte ihn vorübergehend. Dies war nicht die passende Kleidung für eine Person mit feurigem Haar, das ihr in noch feuchten Locken um die Schultern fiel, für ein grünäugiges Mädchen, das so stolz dastand und einem Mann unverwandt in die Augen blickte. Das barfüßige, zerlumpte, verwahrloste Kind war verschwunden, doch die Frau, in die es sich verwandelt hatte, hatte noch immer etwas Wildes, Ungezähmtes an sich. Abuls Erregung wuchs. „Wie heißt du?" fragte er nun schon zum viertenmal. Stumm hob sie das Kinn noch ein wenig höher, und Abul mußte sich sehr beherrschen. Er trat auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen, wie man es bei einem Geschöpf der Wildnis tun würde, das man an den Herd locken wollte. „Wenn du mir nicht deinen Namen nennen willst, dann werde ich dir eben Selbst einen geben." Er lächelte. Sarita fiel es selbst auf, daß sie den Atem anhielt. Der Emir hatte seine Reitkleidung und die Kopfbedeckung abgelegt. Er trug jetzt einen einfachen dunklen Burnus, und das zurückgekämmte schwarze Haar ringelte sich um seine Ohren. Seine weiß schimmernden Zähne bildeten einen besonderen Kontrast zu seiner dunkelgoldenen Gesichtsfarbe. Nie zuvor war sich Sarita männlicher Macht so bewußt gewesen. Bei Sandro hatte sie nie an dergleichen gedacht. Tariq besaß Macht, aber das war die Gewalt des Stammesführers, und die beruhte auf anerkannter Autorität, und nicht unbedingt auf Männlichkeit.
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Diese autoritäre Macht hätte sie heute nacht zu fühlen bekommen. Tariq hätte ihren Körper in Besitz genommen und sich daran ein wenig für die Demütigung gerächt, die sie ihm vor den Mitgliedern seines Stammes zugefügt hatte - und natürlich auch dafür, daß sie ihre Jungfräulichkeit jemand anderem geschenkt hatte. Muley Abul Hassans Macht rührte nicht von seiner männlichen Stärke und auch nicht von seiner hohen Stellung her. Aber woher dann? Langsam atmete Sarita aus. Sie wandte den trotzigen Blick nicht von Abuls lächelndem Gesicht. „Soraya", sagte er leise und legte seine Hände sanft an ihre Wangen. „Das heißt ,Morgenstern'. Du wirst so lange mein Morgenstern sein, bis du deine eigene Identität wieder anzunehmen wünschst." Er trat einen Schritt zurück, als wollte er sie gründlich betrachten. „Würdest du jetzt dein Gewand ablegen, Soraya?" Die Frage war zwar zu erwarten gewesen. Dennoch entsetzte sie Sarita, die sich wünschte, sie wäre nicht am Eingang stehengeblieben, denn nun befand sie sich mit dem Rücken zur Tür, und der Emir stand dicht vor ihr, so daß ihr keine Ausweichmöglichkeit blieb. Jetzt rückte er noch näher heran und öffnete die obersten Perlknöpfe ihres Gewandes. Sarita wollte seine Hände fortstoßen, doch er fuhr in seiner Beschäftigung unbeirrt fort. „Was tut Ihr da?" Sie sprach zum ersten Male, und ihre Stimme klang für ihre eigenen Ohren fremd. Abul ließ sich seine Freude nicht enmerken. Er hob eine Augenbraue, als hätte man ihm eine sehr törichte Frage gestellt. „Nun, ich knöpfe das Gewand auf', antwortete er, ohne innezuhalten.
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„Ihr wollt mir also Gewalt antun?" Sarita merkte sofort, daß sie ihn mit ihrer Frage getroffen hatte. Sein Gesicht verfinsterte sich. „Nein. In diesem Fall würden wir uns gegenseitig unserer Freude berauben. Im übrigen wird auch keine Gewalt nötig sein." Inzwischen war er bei dem Perlknopf über Saritas Bauchnabel angelangt. Sie fühlte den warmen Luftzug auf ihren jetzt teilweise entblößten Brüsten. Was hatte der Emir eben gesagt? Gewalt sei nicht nötig? Was meinte er damit? Das erregende Kribbeln in ihrem Inneren gab ihr die Antwort. Wieder versuchte sie, seine Hände von sich fortzustoßen. „Wenn Ihr mich nicht zwingen wollt, weshalb tut Ihr das hier dann?" „Weil ich mir deinen Körper anschauen will", antwortete er vollkommen sachlich. Und wenn er etwas wollte, dann würde ihn niemand daran hindern. Dem Emir von Granada widersetzte man sich nicht - es sei denn, man war ein Mädchen, das mit der Freiheit im Blut geboren wurde. Dieser Gedankengang brachte Sarita neue Kraft. Regungslos stand sie da, während Abul ihr das Gewand von den Schultern streifte. Sarita hatte sich noch nie einem Mann nackt gezeigt. In ihrem leidenschaftlichen Verhältnis zu Sandro hatte es dazu nie einen Ort oder genug Zeit gegeben; sie hatten den Körper des anderen mit den Händen, und nicht mit den Blicken kennengelernt. Jetzt schloß sie die Augen, damit dieser Fremde hier ihr nicht ansah,
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wie ausgeliefert sie sich ihm fühlte. Mochte er sich doch ihren Körper anschauen; in ihre Seele sehen durfte er nicht. „Wo hast du dir das denn geholt?" Abul berührte die rote Schramme über ihrer rechten Brust und drehte Sarita dann um, um auch den bösen Kratzer an ihrem rechten Oberschenkel zu befühlen. Die Abschürfungen hatte sie sich zugezogen, als sie sich zwischen den Wandbrettern des Planwagens hindurchgezwängt hatte, wie sie sich nun erinnerte. Sie waren indes nichts gegen die Auswirkung der Berührung jetzt. Sarita meinte, ihre Knie würden nachgeben und ihre Haut würde deutlich sichtbar zu glühen beginnen. „Du mußt vorsichtiger sein", sagte er, als hätte sie seine Frage beantwortet. „Deine Haut ist zu zart, um auf diese Weise mißhandelt zu werden." „Ich lebe nicht in einem goldenen Käfig." Sarita hatte mit einem Male ihre Stimme wiedergefunden. „Die Frauen meines Stammes halten bei ihrer Arbeit wesentlich mehr aus als nur ein paar Kratzer." „Nun, es wird nicht wieder vorkommen, und diese Schrammen hier werden bald abgeheilt sein." Abul faßte Sarita bei den Händen und zog sie weiter in den Raum hinein. „Wir müssen ja nicht den ganzen Abend an der Tür stehenbleiben", bemerkte er und deutete auf eine Ottomane. „Setz dich." Da sie das nicht sofort tat, drückte er sie sehr sanft auf die Polster hinunter. „Du möchtest gern etwas Wein trinken." Das war eine Feststellung, keine Frage.
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Seit ihrem zwölften Lebensj ahr hatte Sarita Wein und Bier getrunken. Etwas anderes hatte es kaum gegeben, denn Wasser verursachte oft Krankheiten und wurde mit Vorsicht genossen. Es gab Milch, aber die war meistens den sehr kleinen Kindern vorbehalten. Sie nahm also den Pokal mit dem ihr vertrauten Malagawein entgegen und vergaß vor Erleichterung beim Trinken sogar für einen Moment ihre Nacktheit. Abul trank einen Schluck aus seinem eigenen Becher und legte sich dann auf den gegenüberstehenden Diwan. „Muß ich dich nun weiter Soraya nennen, oder verrätst du mir deinen Namen, nachdem du schon deine Sprache wiedergefunden hast?" Ein leichter Windzug hob den Vorhang von einem Fenster und strich kühl über Saritas Haut. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, doch sie wußte, daß das nicht allein an der kalten Luft lag. Es war ihre eigene Nacktheit in Anwesenheit dieses Mannes, die sie erregte. „Ich will mein Gewand wieder anziehen." Sie stand auf. „Das ist nicht nötig. Wenn du frierst, schließe ich die Fensterläden." „Ich will es aber anziehen", beharrte sie. „Weshalb soll ich nackt sein, wenn Ihr bekleidet seid?" Sarita erkannte ihren Fehler sofort. Muley Abul Hassan stand einfach auf und legte seinen Burnus ab, unter dem er so nackt wie sie war. Sie wollte die Augen abwenden, doch es gelang ihr nicht. Sein Körper war schlank, fest und muskulös und wies keinerlei 59
überflüssiges Fett auf. Man sah ihm die Kraft an, die ihm innewohnte. Unwillkürlich ließ Sarita den Blick tiefer gleiten. Sie errötete heiß: Der Emir war deutlich sichtbar erregt. Sofort setzte sie sich wieder. Offenkundig hatte Abul keine Mühe, Saritas Erröten richtig zu deuten, und es erschien ihn zu erheitern. „Nun, nun, mein Morgenstern, was hast du denn erwartet? Du bist doch kein Kind mehr. Du mußt wissen, welche Auswirkungen soviel Schönheit auf einen Mann hat." „Ich heiße Sarita", sagte sie, versank so tief wie möglich in den Kissen der Ottomane und verschränkte die Arme vor der Brust. Daß sie ihm ihren Namen genannt hatte, war keine Kapitulation, sondern der Versuch, sich ihre eigene Persönlichkeit zu bewahren. „Sarita", wiederholte er, als wollte er die Silben auf der Zunge kosten. „Wir machen Fortschritte, Sarita." „In Richtung auf welches Ziel, mein Emir?" Zu ihrer Freude klang das reichlich spöttisch. „Meinen Namen habe ich dir bereits genannt. Kannst du ihn nicht verwenden?" Sie sah ihn finster an. „Man zerbricht sich die Zunge daran, mein Emir." Er lachte, stand auf und setzte sich neben sie auf die Ottomane. „Man nennt mich einfach ,Abul', und das überlebt jede Zunge." „Ich will mein Gewand anlegen und in den Turm zurückkehren." Sie wandte den Kopf ab, um nicht den immer noch stark erregten
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Körper ansehen zu müssen. „Und morgen werde ich diesen Ort hier verlassen." „Darüber reden wir, wenn der Morgen gekommen ist." Seine Stimme klang jetzt nicht mehr so sanft, sondern eine Spur stählern, doch das überraschte Sarita nicht, denn das schien die echte Tonlage des so arroganten und machtbewußten Mannes zu sein. „Jetzt wollen wir es uns bequemer machen." Er ergriff ihre Hände, zog Sarita von der Ottomane hoch und führte sie durch einen verhängten Türbogen in ein Schlafgemach. Er deutete auf einen in einem Alkoven etwas erhöht stehenden Diwan. „Ich werde nicht in Euer Bett steigen", erklärte sie mit leicht bebender Stimme. „Ihr habt gesagt, Ihr würdet mich zu nichts zwingen." „Das werde ich auch nicht tun", erwiderte er ruhig. „Allerdings schläft es sich im Bett bequemer als anderswo." „Ich will in meinem eigenen Bett schlafen." „Wir werden in diesem Bett hier schlafen", bestimmte er und schlug den kostbaren Überwurf zurück. „Du hast von mir nichts zu befürchten." Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Selbst falls er sich ihres Vertrauens unwürdig erwies, hatte sie keine andere Wahl. Also schüttelte sie die Lederpantoffeln von den Füßen und kroch unter die Bettdecke, die sie bis zum Kinn hochzog. Dann schaute sie zu, wie er im Raum umherging und die Öllampen bis auf eine löschte, die er anschließend auf einen niedrigen Tisch neben dem Diwan stellte.
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„Ich kann bei Licht nicht einschlafen", bemerkte Sarita in möglichst gelassenem Tonfall, als wäre sie ansonsten daran gewöhnt, die Nacht neben einem Mann auf seidenen Kissen in einem nach Orangenblüten duftenden Gemach zu verbringen. „Wir schlafen ja auch noch nicht." Abul nahm ihr behutsam die Bettdecke aus den Händen und zog sie ihr vom Körper. „Ich möchte erst herausfinden, was dir Freude macht." Er ließ sich neben ihr auf dem Diwan nieder. Sarita zitterte, als hätte Muley Abul Hassan soeben ein Strafurteil über sie ausgesprochen, doch in Wirklichkeit fürchtete sie sich nicht vor ihm, sondern vor sich selbst. Sie hatte Angst, ihr Körper könnte Verrat gegen Sandros liebevolles Gedenken begehen. Abul ließ eine Hand langsam von Saritas Schulter bis zu ihrer Hüfte gleiten, und dort, wo er ihre Haut berührte, breitete sich eine große Wärme aus. Sein Blick ruhte auf ihrem Körper, als wollte er jede Einzelheit für alle Zeiten in sich aufnehmen, dabei wirkte er so konzentriert, daß Sarita immer unruhiger wurde. Schließlich legte er die Hand um ihre Brust, die darin ganz zu verschwinden schien. Sofort richteten sich wieder ihre Brustspitzen auf. Das entging ihm nicht. Er blickte Sarita in die Augen, in denen sich jetzt doch die Furcht spiegelte. „Es wird nichts geschehen, wovor du Angst haben müßtest. Es gibt nur die Freude." Er ließ seine Hand über der einen Brust ruhen, beugte den Kopf über die andere und umspielte die Knospe mit der Zunge. Sarita schrie leise und protestierend auf. Abul zog sich zurück. Ihm war klar, daß sie nicht gegen die Berührung, sondern gegen ihre eigenen Reaktionen darauf Einspruch erhob, doch er hatte ihr ja versprochen, sie zu nichts zu zwingen. 62
„Vielleicht sollten wir es langsamer angehen lassen", meinte er und hielt dann ihre Arme fest, die sie wieder über ihre Brüste legen wollte. „Nicht doch. Deine Brüste sind so reizvoll, so rund und so fest." Wieder ließ er seine Hand liebkosend auf Wanderschaft gehen, diesmal von Saritas Hüfte bis zu ihren Fußknöcheln hinunter. „Und solche hübschen Füße ..." Er hob einen Fuß an und erschrak. „Was hast du denn damit gemacht?" „Ich pflege barfuß zu laufen, und ich wüßte nicht, was Euch das anginge." Abul lachte. „Es ist eine Schande, daß du so etwas Hübschem so etwas antust. Gleich morgen werden wir uns in den Bädern damit befassen." Sarita entzog ihm ihre Füße und winkelte die Knie an, so daß ihre Sohlen jetzt flach auf dem Diwan standen. „Morgen werde ich diesen Ort verlassen." Abul erwiderte nichts. Er lächelte nur ein wenig und fuhr mit dem Zeigefinger von ihrer Kniekehle an ihrem Oberschenkel hinunter, bis er bei ihren kleinen Hinterbacken angekommen war. Sarita erkannte zu spät, was sie in ihrer Absicht, die Fußsohlen seinen Blicken zu entziehen, zur Schau gestellt hatte. Sofort legte sie die Beine flach auf die Schlafpolster. Abul lachte. „Ich habe den Eindruck, als machte dir ein kleines Gefecht beim Liebesspiel Spaß", stellte er fest. „Nun, das kann sehr erregend sein." Verblüfft starrte sie ihn an. Traf seine Beobachtung etwa zu? Bei Sandro hatte es nie genug Zeit für Spiele gegeben. Es war gefährlich genug gewesen, überhaupt zu dem verbotenen Akt zu kom63
men. Abuls Feststellung jedoch hatte sie wie ein Schlag getroffen, und eine eigenartige Hitze breitete sich in ihrem Körper aus. „Nun, das werden wir eines Tages feststellen", fuhr er ganz gelassen fort. „Es muß ja nicht unbedingt schon heute nacht sein." „Bitte", flüsterte sie. „Bitte, laßt mich. Ich möchte in den Turm zurückkehren." Statt zu antworten, tippte er einen Finger in ihren Bauchnabel und legte dann seinen Mund auf ihren. Sanft ließ er die Zungenspitze über ihre Lippen gleiten, als wollte er sie wie eine Süßigkeit kosten. Sarita hielt den Atem an, denn das Gefühl war so wunderbar: Abuls warme, weiche Lippen ... die tastenden Bewegungen seiner Zunge ... Wie von selbst öffnete sich ihr Mund, und schon fühlte sie Abuls Zunge gegen ihre stoßen, sich wieder zurückziehen und erneut eindringen. Er hob den Kopf, drückte einen Kuß auf die Stelle an ihrem Hals, wo ihr Puls heftig schlug, und küßte dann in gleicher Weise die Innenseite ihrer Handgelenke. Sarita hatte das Gefühl, irgendwo hoch oben zu schweben und auf sich selbst hinunterzuschauen. Sie sah ihren weißen Körper auf dem ebenso weißen Laken liegen, sah, wie sich ein goldener Käfig darüber schob, und spürte, wie sich ihre Schenkel unter dem sanften Druck der Hände spreizten. Plötzlich sah sie Sandro vor sich, und mit einem Ruck kam sie wieder zu sich. Sie kämpfte gegen ihre Gefühle an, bevor es zu spät war. Steif und abweisend lag sie auf dem Diwan, preßte die Arme fest an und schloß die Augen in ihrem Ringen mit ihrem
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willigen Körper. Eine Tränenspur zog sich von ihrem Augenwinkel die Wange hinab. Abul wußte, daß er gewinnen würde, wenn er weitermachte, aber er wußte auch, daß es ein schaler Sieg sein würde. Er konnte Saritas Tränen und den Kampf gegen ihren eigenen Körper nicht mit ansehen. Er setzte sich auf. „Schon gut, meine Schöne." Er wischte ihr die Tränen fort. „Du siehst, ich halte mein Versprechen." Ganz konnte er die Enttäuschung nicht aus seiner Stimme heraushalten. „Wahrscheinlich bin ich ein Narr, das zu tun, aber ich glaube, am Ende wirst du dich selbst der Freude hingeben, Sarita." Sarita war nicht imstande, dieser Bemerkung zu widersprechen. Sie begriff nicht einmal ganz, daß Abul damit andeutete, seine Bemühungen um sie fortsetzen zu wollen. „Ich will zu meinem Bett zurückkehren. Ich will schlafen." Sie wollte sich aufsetzen. Er drückte sie wieder auf das Laken. „Du wirst auch schlafen, doch für den Rückweg zum Turm ist es zu spät." Er breitete die Bettdecke über sie. „Närrisch, wie ich nun einmal bin, will ich neben dir liegen, damit ich den Rest dieser Nacht überstehe." Sie blickte ihn erschrocken an. „Habt Ihr Schmerzen? Quält Euch etwas?" Abul lachte kurz auf. „Was glaubst du denn, mein Kind? Selbstverständlich quält mich etwas. Ich könnte dich jetzt, zum Turm schicken und mir eine andere Frau kommen lassen. Ich indessen bin verrückt genug, die Nacht neben dir verbringen zu wollen. Versuche, mich nicht zu berühren." Er beugte sich zu der Öllam-
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pe und löschte sie, und dann schlüpfte er neben Sarita unter die Decke. Sarita lag ganz still und starrte in die Dunkelheit. Mit ihrer Mutter hatte sie ein Lager geteilt, doch noch nie mit einem Mann, noch dazu mit einem so beeindruckenden, der zudem vollkommen nackt war. Sie war sich der Unerfülltheit bewußt, als wäre sie auf dem Weg der Gefühle plötzlich stehengeblieben und dann umgekehrt. Und wenn sie schon so empfand, um wieviel schlimmer mußte es dann für Abul sein? Das Opfer, das er für sie gebracht hatte, wirkte sich höchst eigenartig auf sie aus. Er schenkte ihr Zuversicht und beruhigte ihren Geist und ihren Körper. Sarita seufzte leise, drehte sich auf die Seite und schlief ein.
5. KAPITEL Noch vor Tagesanbruch wachte Abul auf und war im ersten Moment überrascht, jemanden in seinem Bett vorzufinden. Zwar verbrachte Aisha gelegentlich die ganze Nacht bei ihm, doch seine anderen Frauen besaßen dieses Vorrecht kaum. Er drehte den Kopf herum. Eine feuerrote Haarsträhne kitzelte seine Nase, und im selben Moment kehrte die Erinnerung zurück. Abul stützte sich neben dem Ellbogen auf und betrachtete die schlafende Frau neben sich. Kaum zu glauben, daß ein so kleines Wesen mir soviel Kummer bereitet hat, dachte er, aber ich hätte gewarnt sein sollen. Er betrachtete ihren Mund, der selbst im Schlaf noch entschlossen wirkte, und ihr Kinn, das auch jetzt noch trotzig aussah. Sie zog 66
leicht die Nase kraus; Abul hätte am liebsten einen Kuß darauf gedrückt. Unvermittelt drehte sie sich mit großem Schwung auf die andere Seite herum und zeigte ihm jetzt buchstäblich die kalte Schulter. Langsam und vorsichtig streifte Abul die Decke hinunter und betrachtete verträumt die Rückenansicht, die Sarita ihm jetzt bot. Da sie die Knie ein wenig angezogen hatte, wirkte die Kurve ihrer Hüften besonders aufreizend. Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkung auf ihn, und ihm war klar, daß er diesmal etwas dagegen unternehmen mußte, wenn er nicht den ganzen Tag im quälenden Zustand der körperlichen Erregung verbringen wollte. Er berührte ihre Schulter. „Aufwachen, Sarita." Seine Stimme klang munter und forsch. Als das Mädchen nicht reagierte, stieß er ihr leicht in die Seite. „Wach auf, Morgenstern. Es wird Zeit, daß du in dein eigenes Bett gehst." Sarita drehte sich auf den Rücken und schaute Abul aus großen Augen an, obwohl er ihr ansah, daß sie noch halb schlief. Dann wurde ihr Blick klar, und die Erinnerung kehrte deutlich erkennbar zurück. „Auf, auf!" Er sprang aus dem Bett. „Einer der Wachmänner wird dich zum Turm begleiten." Saritas setzte sich hoch und verwunderte sich sehr. Diese Eile und dieser forsche Ton waren ja etwas ganz Neues! Gestern hatte sie den Emir vergebens angefleht, sie doch gehen zu lassen, und heute warf er sie praktisch hinaus. Jetzt hielt er ihr die grüne Robe hin, die er vom Boden aufgehoben hatte. Unwillkürlich fiel ihr Blick dabei auf seinen Körper, 67
und prompt errötete sie tief. Rasch streifte sie sich das Gewand über und knöpfte es beim Aufstehen zu. „Fertig?" Sein Ton war noch immer so forsch. Sie nickte und wandte sich zur Tür. „Deine Pantoffeln!" rief er ihr nach. „In der Alhambra gehen wir nicht barfuß." Rebellion flackerte in ihr auf, doch dann steckte sie dieFüße schweigend in das spitze Schuhwerk. Sie hatte nicht die Absicht, bis zum Sonnenuntergang in der Alhambra zu bleiben, also mußte sie wegen der Fußbekleidung nicht noch einen Streit anfangen. Abul öffnete die Tür und sprach in schnellem Arabisch mit den beiden Wachmännern draußen. Einer von ihnen ging daraufhin eilig fort, während der andere ihr bedeutete, sie möge ihm folgen. Derweil stand der Emir völlig unbefangen nackt hinter ihr im Türrahmen, doch als sie sich zu ihm umschaute, um von ihm irgendeine Erklärung für die hastige Abschiebung zu erhalten, drehte er sich um und kehrte in sein Schlafgemach zurück. Sarita folgte dem Wächter. Was mochte der Mensch wohl von ihr denken? Eine dumme Frage - was sollte man schon von einer Frau denken, die die ganze Nacht im Bett eines Mannes verbracht hatte? Sarita konnte nicht wissen, daß der Wachmann keinen Gedanken daran verschwendete. Sie war einfach eine Frau, die dem Emir gehörte, nicht mehr und nicht weniger. Kadiga und Sulema erwarteten Sarita schon im Innnehof und begrüßten sie fröhlich. „Wart ihr die ganze Nacht hier?" erkundigte sich Sarita, die sich fragte, wo die Mädchen eigentlich schliefen.
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„O nein", antwortete Sulema lächelnd. „Wir sind eben erst gekommen, um Euch zu bedienen." Sie musterte Sarita genau. „Ihr werdet jetzt ein paar Stunden schlafen wollen, nicht wahr?" Diese Frage verblüffte Sarita. Wieso sollte sie in der Morgendämmerung wieder zu Bett gehen wollen, wo der Tag doch gerade erst begann? Dann begriff sie. Leichte Röte überzog ihre Wangen. Die beiden vermuteten wahrscheinlich, sie hätte eine kräftezehrende Nacht im Bett des Emirs verbracht. Daß sie hingegen fest und traumlos geschlafen hatte, konnte sie ihnen kaum erzählen. „Nein", antwortete sie. „Ich möchte jetzt einen Spaziergang machen." „Einen Spaziergang?" Kadiga war offenkundig sehr überrascht. „Ihr werdet doch wohl erst das Morgenmahl einnehmen wollen ... und dann wäre da noch dies hier." Sie reichte Sarita einen kleinen Becher. Sarita nahm ihn entgegen, schaute hinein, roch an dem Inhalt und verzog das Gesicht, als ihr der strenge Geruch in die Nase stieg. „Was ist das?" „Das sorgt dafür, daß sich kein Kind in Eurem Schoß entwickelt", erläuterte Kadiga ganz sachlich. „Es sei denn, Ihr wünscht eines." Als sei das Thema für sie nicht so wichtig, drehte sie sich zum bereits gedeckten Tisch um und zog das Tuch von einem Korb mit Fladenbrot. Der Duft warmer, frischer Backwaren erfüllte den Raum. Ratlos drehte Sarita den Becher in der Hand. Natürlich konnte sie den beiden nicht sagen, daß eine solche Vorkehrung überflüssig war; außerdem würden sie ihr das auch wohl nicht glauben.
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Sie schaute in die Flüssigkeit. Daß solche Tränke existierten, wußte sie, denn sie hatte einmal eine Unterhaltung ihrer Mutter mit anderen Frauen angehört. Allerdings waren die Frauen entschieden gegen solche Mittel gewesen. Man bekam Kinder, oder man bekam sie eben nicht; Kinder brachten Glück oder Sorgen, Leben oder Tod, Kinder zu bekommen, war das Los der Frauen, und das mußte man eben hinnehmen. „Wirkt das tatsächlich?" „O ja", versicherte Kadiga, die sich über soviel Unwissen wunderte. „Alle Frauen des Palastes nehmen es ein, wenn sie nicht zu empfangen wünschen." „Man sagt, selbst Aisha nimmt es", fügte Sulema hinzu. „Wollt Ihr Euch jetzt das Gewand für heute aussuchen?" Sie deutete auf einen Stapel bunter Seiden, der auf einer der Ottomanen lag. „Wer ist Aisha?" Sarita wandte den beiden Mädchen den Rücken zu und schüttete den Inhalt des Bechers auf die Pflanzenerde eines der duftenden Büsche neben dem Brunnen. „Nun, Aisha ist natürlich unsere oberste Herrin, die Gattin unseres Emirs", klärte Sulema sie auf. Die Gattin. Selbstverständlich besaß der Emir eine Gemahlin. Sarita hatte etwas über die Sitten dieses Volkes gehört, und das waren größtenteils sehr eigenartige, barbarische Gebräuche. Daß Muley Abul Hassan eine Gattin hatte, brauchte sie also nicht zu erstaunen, und trotzdem spürte sie einen vollkommen ungerechtfertigten Zorn. 70
„Weshalb sollte seine Gemahlin nicht empfangen wollen?" fragte sie, stellte den leeren Becher auf einen Tisch und ging dann zu der Ottomane, um scheinbar gleichgültig die kostbaren Gewänder in Augenschein zu nehmen. „Man sagt, sie will keinen Rivalen für Boabdil", antwortete Kadiga, worauf Sulema sie erschrocken anblickte. „Laß nur, Sulema." Kadiga winkte ab. „Uns hört niemand. Wir drei sind ja hier unter uns." „Aber wenn die Herrin dich so reden hören könnte, würde sie dich auspeitschen lassen." Wieder winkte Kadiga ab. „Du weißt doch auch, daß Boabdil ihr ein und alles ist. Sie könnte kein anderes Kind ertragen, weil es möglicherweise ihrem geliebten Sohn etwas fortnehmen würde." „Das Kind ist der Sohn des Emirs?" Sarita schob die Gewänder auf der Ottomane zur Seite und setzte sich. „Wie alt ist er?" „Zehn Jahre." Kadiga reichte ihr den Brotkorb, und ganz in Gedanken nahm sich Sarita ein Stück heraus. „Hat der Emir nur diesen einen Nachkommen?" „Aber nein." Sulema lachte. „Seine Nebenfrauen haben ihm ebenfalls Kinder geboren. Er hat insgesamt drei Söhne und zwei Töchter." Sarita hob sich das Brot zum Mund. „Und wie viele Nebenfrauen hat er?" „Vier." Muley Abul Hassan hatte also fünf Frauen und fünf Kinder, und nun wollte er Sarita seinem Harem hinzufügen.
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Natürlich wollte er sie nicht auf die Liste der Ehefrauen setzen; Sarita gegenüber hatte er nur etwas von Freuden und Vergnügen erwähnt. Sie erinnerte sich, wie er ihr lachend erklärt hatte, er hätte sie kaufen wollen, doch nur ein Narr würde für die Taube bezahlen, die ihm zugeflogen war. Wieder packte der heiße Zorn sie, und sie mußte sich sehr beherrschen, um sich das nicht anmerken zu lassen. „Ich werde jetzt Spazierengehen." Sie stand auf und wandte sich zur Tür. „Ihr müßt Euch doch erst umziehen und das Frühmahl beenden. Wünscht Ihr ein wenig Jasmintee? Es gibt auch noch Yoghurt mit Honig..." Sulema folgte ihr und redete dabei unausgesetzt auf sie ein. „Ich will einfach nur allein sein." Sarita trat in den Garten hinaus. Kadiga und Sulema folgten ihr. Sie drehte sich zu ihnen um. „Allein, sagte ich!" Ungehalten zog sie sich die Pantoffeln aus. „Ich gehe allein spazieren." „Sehr wohl." Kadiga legte Sulema eine Hand auf den Arm. Die beiden Dienerinnen schauten Sarita hinterher, bis sie den Garten verlassen hatte und in den Pfad eingebogen war, der an der Wehrmauer entlang und vom Palast fortführte. Erst dann folgten sie ihr diskret und in gebührendem Abstand. Sarita ging schnell. Sie empfand es als wohltuend, den Boden unter den Füßen fühlen zu können, und die frische Morgenluft kühlte ihren heißen Kopf und die hitzigen Gedanken darin. Um Tariq zu entkommen, hatte sie sich herbringen lassen, und jetzt sah es so aus, als hätte sie sich freiwillig um einen Platz im Harem des Emirs beworben. Allerdings mußt sie zugeben, daß Muley Abul Hassan sie nie bedroht und keine Gewalt gegen ihr 72
Leben oder ihre Tugend angewandt hatte. Er war nie eine Gefahr für sie gewesen; die Gefahr lag ausschließlich in ihr selbst. Der Pfad verlief jetzt ziemlich steil hügelaufwärts. Sarita verlangsamte den Schritt, drehte sich um und schaute zu den Gärten und Gebäuden zurück. Kadiga und Sulema blieben in hundert Schritt Entfernung ebenfalls stehen. Sie sahen ganz so aus, als wären sie es nicht gewöhnt, in aller Frühe Wanderungen entlang der Wehrmauer zu unternehmen. Hatte man die beiden etwa beauftragt, ihre neue Herrin überallhin zu begleiten? Sarita nahm sich vor, darüber bei Gelegenheit eindringlich mit dem Emir zu reden. Sie machte kehrt und blieb vor Kadiga und Sulema stehen. „Wenn ihr es wünscht, gehen wir jetzt zurück." „Nein, wie Ihr es wünscht", berichtigte Sulema sanft und freundlich. „Und ich bin ganz sicher, Ihr möchtet Euch jetzt umkleiden und ein wenig Jasmintee trinken. Er ist am Morgen sehr erfrischend." Die junge Dienerin war sichtbar erleichtert darüber, daß der Morgen nun ohne weitere Überraschungen verlief. Sarita mußte heimlich lächeln, sagte jedoch nichts, sondern schritt nur voran an den Gärten und Türmen vorbei, bis sie ihren eigenen wieder erreicht hatte. Aisha schleckte sich den Honig von den Fingern, bevor sie sich noch ein kleines Gebäckstück von dem Tablett auf dem niedrigen Tischchen neben ihrem Diwan nahm. Honig und Mandelküchlein konnte sie einfach nicht widerstehen. „Und du bist sicher, daß der Emir seine Christin die ganze Nacht hindurch in seinem Bett behalten hat?"
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„Ja, Herrin." Nafissa goß parfümiertes Wasser in eine kristallene Fingerschale und trug sie zum Diwan. „Der Wächter hat sie bei Tagesanbruch zu dem Turm zurückgebracht. Sulema und Kadiga waren schon dort, um ihr aufzuwarten." „Wo ist sie nur hergekommen?" Aisha tauchte ihre klebrigen Finger in die Schale und spielte mit den darin schwimmenden Rosenblättern. „Das ist niemandem bekannt, Herrin. Einzig Yusuf war bei dem Herrn, und Yusuf..." „Yusuf schweigt wie ein Grab", ergänzte Aisha ungeduldig. Sie stieß die Bettdecke fort, wobei das Wasser aus der Fingerschale auf den Diwan schwappte. „Ich werde mich jetzt ankleiden lassen und dann nach den beiden Frauen schicken. Die Christin hat vielleicht mit ihnen gesprochen." „Ich habe übrigens gehört, daß der Herr nach dem Mädchen Fatima geschickt hat, das er im Basar von Marrakesch gekauft hat", sagte Nafissa verschlagen und wischte das Wasser auf. „Wann?" „Nachdem die Christin ihn verlassen hatte." Die Dienerin schien weiterhin fleißig mit dem verschütteten Wasser beschäftigt zu sein. „Fatima war eine Stunde lang bei ihm. Vor kurzem erst hat sie seine Gemächer wieder verlassen." Aisha trat ans Fenster. „Falls er mit der Christin unzufrieden war, weshalb hat er sie dann bis zum Tagesanbruch bei sich behalten?" Nafissa fühlte sich nicht berufen, diese Frage zu beantworten. Sie nahm das leere Tablett auf. „Soll ich Euch noch mehr gefüllte Datteln bringen, Herrin?" 74
„Nein." Aisha schaute aus dem Fenster und winkte die Dienerin über die Schulter hinweg fort. „Ich will einen Jasmintee. Und dann rufe mir sofort Sulema und Kadiga ... Nein, lieber doch nicht." Sie wandte sich vom Fenster ab. Ihre dunklen Augen glitzerten. „Ich werde meinen Gatten aufsuchen. Es soll nicht so aussehen, als interessierte ich mich übermäßig für den Neuzugang. Also sprich du mit Sulema und Kadiga. Sie werden die Christin heute morgen bedient haben und wissen, ob sie in der vergangenen Nacht die Freuden des Beilagers mit meinem Gatten geteilt hat. Und sprich auch mit Fatima. Möglicherweise kannst du erfahren, was der Emir von ihr verlangt hat und wie stark sein Bedürfnis war. Und jetzt bring mir Waschwasser. Ich werde das Gewand aus Goldstoff anlegen und dazu den Bernsteingürtel." Sie schwieg, während Nafissa ihr beim Ankleiden half, ihr das Haar mit Elfenbeinkämmen aufsteckte und es dann mit einem goldfarbenen Schleier bedeckte. Aisha wußte, daß Abul seine Gemächer gewöhnlich erst verließ, wenn die Sonne schon hoch über dem Horizont stand. Er pflegte morgens allein zu speisen und dann mit seinem Wesir und seinem Kadi die Angelegenheiten zu besprechen, um die er sich an dem betreffenden Tag kümmern mußte. Zu dieser Tageszeit war er auch häuslichen Problemen gegenüber am aufgeschlossensten, und heute hatte Aisha einen triftigen Grund, ihn aufzusuchen. Die Audienz würde für sie nicht angenehm sein, aber eine kluge Frau wußte, wann sie sich den Notwendigkeiten zu beugen hatte. Sie widmete sich ihrem Gesicht mit großer Sorgfalt, umrahmte die Augen mit Antimon und trug rote Schminke auf Wangenknochen und Lippen auf. Ihre Aufmachung gestaltete sie jedoch nicht 75
so verführerisch wie am Vorabend; heute mußte sie angenehm und würdevoll erscheinen. Falls nichts dazwischenkam, würde sie möglicherweise sogar das Gespräch auf die geheimnisvolle Frau im Turm lenken können. Aisha verließ ihre Gemächer und begab sich durch die verschiedenen Innenhallen hindurch zu den Audienzräumen des Emirs. An der Schwelle zum Vestibül zögerte sie. Dort wartete eine kleine Gruppe seines persönlichen Gefolges darauf, zu ihm vorgelassen zu werden. Aisha hielt sich den Kopfschleier vor ihre untere Gesichtshälfte und trat zu dem Posten, der vor der Tür Wache hielt. „Frage den Emir, ob er seiner Gattin eine kurze Spanne seiner Zeit opfern kann?" bat sie mit leiser, wenn auch selbstsicherer Stimme. Der Wächter hätte schon einen sehr guten Grund haben müssen, um sie abzuweisen. Abul schaute von dem Schriftstück auf, das er gerade las, und blickte dem eintretenden Palastwächter entgegen. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, als der Mann ihm mitteilte, die Herrin bäte um eine Audienz. „Führe meine Gemahlin herein", befahl er und rollte das Dokument zusammen. Seit er bei Fatima Entspannung gefunden hatte, war er guter Dinge gewesen und hatte sich schon mit Freuden den nächsten Angriff auf Saritas scheinbar uneinnehmbare Festung überlegt. Ein Teil seiner guten Stimmung verflog, als Aisha den Raum betrat. Diese ließ den Schleier vom Gesicht gleiten und verneigte sich lächelnd. „Ich entbiete Euch einen guten Tag, Abul."
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„Sei gegrüßt, Aisha." Er gab sich Mühe, ihr Lächeln freundlich zu erwidern. Sie sah wirklich reizvoll aus, doch hinter ihrer Schönheit entdeckte er eine gewisse Sprödigkeit, die er zuvor noch nie bemerkt hatte. Er betrachtete seine Gemahlin ganz genau, was diese unsicher zu machen schien. Deshalb wandte sie den Blick ab. „Es ist schon lange her, seit wir das letztemal allein miteinander gesprochen haben", stellte sie immer noch lächelnd fest. „Ich fürchte, ich habe Euren Unmut erregt." Abul stand auf. „Du mußt wissen, was du getan hast", sagte er ernst. „Ich war töricht", gestand sie leise und hastig. „Ich hätte Euer Urteil über unseren Sohn nicht in Frage stellen dürfen. Ist es Eurem Herzen möglich, mir zu vergeben?" Innerlich lehnte sie sich gegen ihre eigenen Worte auf. Niemand außer ihr, Boabdils Mutter, besaß das Recht, über das Leben des Kindes zu bestimmen! Im Interesse der größeren Sache indessen mußte sie sich den Anschein geben, als beugte sie sich dem Befehl ihres Herrn und Gatten. „Ich habe dir vergeben", sagte er, und das entsprach der Wahrheit. Aishas Nörgeleien und die Tatsache, daß sie ihm ihren Körper verweigert hatte, waren für ihn nur ein vorübergehendes Ärgernis gewesen. Dafür hatte er sie bestraft. Daß er kein Verlangen mehr nach ihr hegte, hatte andere Gründe: Er hatte in Aisha eine Person erkannt, zu der er sich nicht mehr hingezogen fühlen konnte. Nun trat sie dicht an ihn heran und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Ihr habt mir gefehlt, mein Gatte. Ich wußte nicht, wie ich 77
Euch um Vergebung bitten sollte." Sie hielt den Blick gesenkt, damit man ihr nicht ansah, wie sehr sie sich zu diesen Worten zwingen mußte. Abul jedoch war kein Narr. Er kannte seine Gemahlin gut genug, um zu wissen, daß nur die reine Verzweiflung sie zu diesem Schritt getrieben hatte. „Wir wollen nicht mehr darüber sprechen", sagte er. „Hattest du heute morgen noch ein weiteres Anliegen an mich?" Aisha hätte fast mit den Zähnen geknirscht. Ihr war klar, daß sie hier nichts weiter erreicht hatte, als die Situation zwischen sich und Abul oberflächlich zu bereinigen. Wenn ihr Gatte ihr also vergab, welchen Grund hatte er denn nun noch, sich ihr so abweisend zu zeigen? „Nein", beantwortete sie seine Frage scheinbar gleichmütig. „Ich kam nur der Aussöhnung wegen, und ich danke Euch für Eure Großzügigkeit und Eure Vergebung, mein Gemahl. Ich will Eure Zeit nun nicht weiter beanspruchen." Sie schwebte zur Tür, wo sie mit Abul zugewandtem Rücken noch einmal stehenblieb. „Wünscht Ihr, daß ich etwas für die Frau tue, die Ihr gestern abend in den Palast gebracht habt? Soll ich für ihre Unterbringung im Harem sorgen?" Abul mußte lächeln. Das war es also! Es überraschte ihn nicht. Aisha war gewöhnlich über die Ereignisse in der Alhambra stets auf dem laufenden, und jetzt hielt sie es vermutlich vor Neugier nicht mehr aus. „Du bist immer so aufmerksam und gewissenhaft, Aisha", sagte er ernsthat. „In diesem Fall ist es indessen nicht notwendig, daß du dich um das Mädchen kümmerst. Sie ist eine Spanierin und wird nicht im Frauenhaus wohnen." 78
Aisha wartete noch einen Augenblick und hoffte, noch mehr zu erfahren, doch Abul schwieg, und sie mußte ihre Enttäuschung verbergen. „Wie Ihr wünscht, Herr. Falls ich doch noch irgendwelche Vorkehrungen treffen soll, werdet Ihr mich ja wohl informieren." „Gewiß", bestätigte er. „Vielen Dank." Aisha zog ihren Schleier wieder vors Gesicht und trat in den Vorraum hinaus. Sie ließ sich ihre Wut und ihre Enttäuschung darüber nicht ansehen, daß sie im Grunde gar nichts erreicht hatte. Sie stand weiterhin nicht mehr in der Gunst ihres Gatten, sie hatte nichts über die geheimnisvolle Bewohnerin des Turms erfahren, und, was am wichtigsten war, sie hatte nicht herausbekommen, weshalb der Emir sich eine neue Frau beschafft, diese während der ganzen Nacht bei sich behalten und dann am Morgen nach Fatima verlangt hatte. Abul trat aus seinen Räumen auf den Säulengang des Myrtenhofs hinaus. In einem Käfig, der an einem Haken am Dach über den Kolonnaden hing, trillerte ein Grünfinkenpaar. Abul pfiff den beiden zu, woraufhin sie die Köpfchen schieflegten und ihn mit ihren kleinen Perlaugen anschauten. Er lächelte vor sich hin. Aisha war so durchschaubar gewesen. Wahrscheinlich war der ganze Harem inzwischen schon die reinste Gerüchteküche. So ging das nicht weiter. Er mußte irgend etwas unternehmen, um anzudeuten, daß seine Gattin wieder in seiner Gunst stand, selbst wenn das bedeutete, daß er sie in den nächsten Tagen ein-oder zweimal in sein Bett befehlen mußte. Schließlich war er für Frieden und Harmonie im Palast verantwortlich, und dazu gehörte, daß Aisha die Autorität und das Ansehen unter den Frauen nicht verlor.
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Entschlossen kehrte er in sein Gemach zurück. Je früher er die wartenden Höflinge abgefertigt hatte, desto eher konnte er sich wieder der „Belagerung" seiner widerspenstigen Gefangenen widmen, und seine Frauen mochten daraus machen, was immer sie wollten. Er nahm die Handglocke auf und läutete nach seinem Wesir. Am späten Vormittag klopfte Yusuf an die Tür zu Saritas Turm. Kadiga öffnete. „Ich habe den Befhel, die Frau zu den Bädern zu führen." Mit verschränkten Armen und ungeheuer wichtiger Miene stand er im Türrahmen. „Sie soll sofort kommen." Sarita, die nach ihrem Spaziergang den Morgen damit verbracht hatte, sich die märchenhaften, kostbaren Gewänder anzuschauen, die der Emir ihr zugedacht hatte, kümmerte sich zunächst nicht weiter um Yusuf, zumal sie seine Rede ohnehin nicht verstehen konnte. „Er ist hier, um Euch zum Emir zu den Bädern zu führen", übersetzte Kadiga, und das konnte Sarita ja nun schlecht überhören. Das war die Gelegenheit, sich durchzusetzen. Sie nahm seelenruhig eine Aprikose aus der Schale auf dem Tisch und biß davon ab. „Ich bleibe hier, Kadiga. Sage Yusuf, ich hätte nicht die Absicht, dem Emir in den Bädern oder sonstwo aufzuwarten." Sulema erschrak; Kadiga blickte Sarita eher neugierig an. „Ihr wißt nicht, was Ihr da sagt, Sarita." „Doch." Sarita spie den Aprikosenkern in ihre Hand und warf ihn dann fort. „Falls der Emir nach mir verlangt, muß er mich selbst holen kommen."
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„Das können wir doch Yusuf nicht sagen." Ängstlich blickte Sulema zu dem Mann an der Tür hinüber. Yusuf äußerte noch etwas, das sich wie ein Befehl anhörte, und machte dann kehrt. Ganz offensichtlich erwartete er, daß Sarita ihm wie ein artiges Hündchen folgte. Sie nahm sich indes nur eine weitere Aprikose. Kadiga sprach sehr schnell und sehr lange, doch trotz ihrer beruhigenden Tonlage hatten ihre Worte nicht den gewünschten Erfolg. Mit finsterem Gesicht kehrte Yusuf zurück und unterbrach barsch die Rede der Dienerin. „Er meint, Ihr müßt mit ihm gehen", übersetzte Kadiga und zuckte bedauernd die Schultern. „Ich hatte ihm gesagt, Ihr fühltet Euch unwohl. Er besteht trotzdem darauf, daß Ihr ihn begleitet." „Dann sage ihm die Wahrheit", empfahl Sarita. „Sage ihm, daß ich nicht mit ihm gehen will." „Ihr seid nicht bei Trost", flüsterte Kadiga, doch aus ihrem Blick sprach Bewunderung. „Weshalb wollt Ihr denn nur nicht gehen?" „Weil ich Eurem Herrn nicht gehöre. Weil ich nicht verpflichtet bin, ihm zu gehorchen. Weil ich gegen meinen Willen hier gefangengehalten werde", erklärte Sarita. Sulema sprach bittend auf Yusuf ein. Yusuf betrachtete die Spanierin, die immer noch mit unverhülltem Gesicht auf der Ottomane saß, Aprikosen aß und so tat, als sei er gar nicht vorhanden. Er war ratlos. Sein Emir hatte ihm aufgetragen, die Frau zu den Bädern zu führen; er hatte nicht gesagt, Yusuf sollte sie bringen oder holen. Hätte sich Abul so ausgedrückt, würde Yusuf die wi81
derspenstige Gefangene bedenkenlos geschultert und fortgetragen haben. Und nun? Sulema meinte schüchtern, die Spanierin wolle vielleicht den Schutz des Turms bei Tageslicht nicht verlassen, weil sie sich an einem ihr fremden Ort so fürchte. Yuusuf schaute wieder zu der Frau mit dem wilden roten Haar und den ebenso wilden grünen Augen hinüber, die da so gelassen auf der Ottomane saß und Aprikosen aß. Seiner Ansicht nach sah sie alles andere als furchtsam aus; allerdings bot ihm Sulemas Erklärung die Möglichkeit, vor dem Emir nicht das Gesicht zu verlieren, wenn er unverrichteter Dinge zurückkehrte. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, wollte Kadiga sich ausschütten vor Lachen. „Ich habe Yusuf noch nie so geschlagen gesehen", erklärte sie und nahm sich ebenfalls eine Aprikose. „Und du warst großartig, Sulema." Die Dienerin lächelte nur zurückhaltend. Trotzdem gewann Sarita den Eindruck, daß das eher scheue Mädchen nicht weniger humorvoll war als seine Gefahrtin. „Ich fürchte beinahe, er hat mir nicht recht geglaubt", meinte sie, und dann lachte sie auch laut. „Was hast du denn zu ihm gesagt?" wollte Sarita wissen, die mitlachte, ohne zu wissen, weshalb eigentlich. Die Fröhlichkeit der beiden war eben ansteckend. Sulema beantwortete die Frage. „Es wäre natürlich glaubwürdiger gewesen, wenn Ihr nicht Aprikosenkerne ausgespien hättet, als wäret Ihr der sorgloseste Mensch der Welt." Sie wurde wieder ernst. „Und was wird jetzt geschehen?"
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„Abwarten", meinte Sarita, als wäre sie tatsächlich so sorglos. „Ich glaube, euer Emir wird selbst herkommen, wie ich es verlangt habe." Kadiga schmunzelte. „Das war schon ein merkwürdiges Verlangen. Mir ist noch immer nicht ganz klar, weshalb Ihr Euch geweigert habt, zu ihm zu gehen. Ihr hattet doch die Nacht mit ihm zusammen verbracht." Ja, dachte Sarita, aber nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Wieder fand sie es nicht passend, den beiden Mädchen die Wahrheit auseinanderzusetzen. So schüttelte sie nur den Kopf. „Ich bin nicht freiwillig hier. Ich wünsche diesen Ort wieder zu verlassen, und der Emir muß das arrangieren." Abul wartete im Zypressenhof vor den Bädern. Da er seine Regierungsgeschäfte erledigt hatte, entspannte er sich jetzt in der Sonne, hörte dem Plätschern der Brunnen zu und stellte sich vor, wie er seinem ungezähmten Gast die sinnlichen Freuden nahebringen konnte, die die Bäder boten. Als Yusuf allein und mit einer diplomatischen Erklärung zurückkehrte, durchschaute Abul die Sache sofort, und seine Stimmung verfinsterte sich ein wenig. „Soll ich Euch die Frau herholen, Herr?" fragte Yusuf diensteifrig. Abul schüttelte den Kopf. In einem Sieg durch Gewaltanwendung lag für ihn keinerlei Befriedigung. „Ich werde selbst zu ihr gehen." Ohne Hast schlenderte er durch die Höfe der Palastanlage. Außerhalb der Mauern gab es Tumulte, Konflikte und Rivalitäten unter den Morisken, den in Spanien seßhaft gewordenen mauri83
schen Familien, und die Spanier hatten ihre begehrlichen Blicke längst auf Granada, das letzte noch verbliebene Emirat der Mauren auf der iberischen Halbinsel, gerichtet. Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien, die ihre Länder jetzt durch ihre Heirat vereinigt hatten, wollten die achthundertjährige Maurenherrschaft beenden und ihr eigenes zerrissenes Reich zu einer christlichen Nation einen. Abul wußte, daß er auf der Hut sein mußte, besonders davor, daß die mit ihm rivalisierenden Maurenfamilien Granadas sieh mit den Spaniern verbündeten, denn eine solche Allianz könnte ihn stürzen. Immer, wenn er die Alhambra verließ, begegneten ihm die Gefahr und die Unruhe auf Schritt und Tritt, und es bereitete ihm Befriedigung, sich ihr zu stellen. Hier im Palast hingegen wünschte er nichts als heitere Ruhe, harmonische Beziehungen und Schönheit, und dafür sorgte er mit den Mitteln der sanften Hand und der Höflichkeit. Als er jetzt die Pforte öffnete, die zum Garten, in dem der Turm stand, führte, erkannte er, daß Sarita eine gewisse unharmonische Note in den Palast brachte, indem sie sich weigerte, sich in das Schema der Dinge einzufügen. Zwar erfreute ihn die Herausforderung, die sie darstellte, dennoch wünschte er die Perfektion seiner Umgebung, den Frieden und die Harmonie zu erhalten, und deshalb war er entschlossen, Sarita mit den Waffen der Überredungs- und Überzeugungskunst in die Arme des Herrschers der Alhambra zu führen. Ohne durch vorheriges Anklopfen sein Erscheinen anzukündigen, betrat Abul den Turm und überraschte die drei jungen Frauen mitten in ihrem Gelächter. Kadiga und Sulema sprangen bei dem Eintreten des Emirs sofort ernüchtert auf; die Erheiterung wich jedoch nicht so schnell aus ihren Augen. 84
Abul hatte das untrügliche Gefühl, zu stören. So ging es ihm auch jedesmal, wenn er unangemeldet den Harem besuchte. Letzteres bereitete ihm jedoch keine Sorgen, denn diese ganz abgeschlossene Welt war alles, was die Frauen in dieser Männergesellschaft besaßen, und sie stand ihnen auch zu. Sarita blieb auf der Ottomane liegen und nahm Abuls Ankunft scheinbar überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie suchte sich eine Frucht aus der Schale und biß langsam hinein. Diese Geste wirkte so unverblümt sinnlich, daß es ihn heiß überlief. „Geht", befahl er den beiden Dienerinnen, die daraufhin sofort verschwanden. Abul schloß die Tür hinter ihnen. „So, du wagst dich also bei Tageslicht nicht aus dem Turm hinaus", bemerkte er, kam näher und lagerte sich auf die Sarita gegenüberstehende Ottomane. Er warf einen Blick auf die über den Tisch und den Fußboden verteilten Kerne. „Du magst Aprikosen, nicht wahr?" Sarita war sich da nicht mehr so sicher. Sie hatte schon viel zu viele gegessen, und die letzte hatte sie sich nur des Effektes wegen genommen. Sie warf sie halb aufgegessen auf den Tisch. „Ich wünsche diesen Ort jetzt zu verlassen." Es erschien ihr am besten, gleich zur Sache zu kommen. Abul betrachtete sie. „Diese Farbe steht dir." Etwas verwirrt schaute Sarita an ihrem Gewand aus apfelgrüner Seide hinunter. Natürlich kleidete sie diese Farbe. Das hatten ihr sowohl der Spiegel als auch Kadiga und Sulema gesagt. Das Grün brachte ihr Haar hübsch zur Geltung und verschönte ihre Augen. Wenngleich sie von dem orientalischen Stil
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überhaupt nichts hielt, so mußte sie doch die Wirkung der Farbe zugeben. Selbstverständlich würde sie das niemals laut zugeben. „Das ist ein lächerliches Kleidungsstück", erklärte sie rundheraus. „Ach, wirklich? Inwiefern?" erkundigte er sich scheinbar höflich interessiert. „Man kann in ihm nichts weiter tun, als herumzuliegen und Aprikosen zu essen." „Und weshalb möchtest du etwas anderes tun?" Schwungvoll sprang Sarita von der Ottomane. Das weite Gewand wurde unter den Brüsten von einem Gürtel aus gedrehter Seide zusammengehalten und fiel dann über ihre Hüften gerade bis zum Boden. Abul lächelte anerkennend. „Weil es mir nicht gefällt, herumzuliegen", antwortete sie unwirsch. „Möglicherweise habt Ihr nicht richtig hingehört. Ich sagte, ich wünsche diesen Ort zu verlassen." „Sehr wohl." Abul nickte, als hätte er niemals etwas dagegen gehabt. „Ich werde dich mit einer Eskorte zu deinem Stamm zurückschicken. Er lagert noch im Olivenhain, wie ich weiß. Innerhalb einer Stunde wirst du bei deinem Volk sein." Damit ging er natürlich ein Risiko ein, aber er rechnete fest mit der Verzweiflung, die sie aus dem Schutz ihres Stammes getrieben hatte. Sarita wurde blaß. „Nein, das geht nicht. Das versteht Ihr nicht." „Ich verstehe nur, daß du gestern von dort fortgelaufen bist, und wenn du nicht hierzubleiben wünschst, kann ich nur annehmen, daß du zu den Deinen zurückkehren willst." „Nein, ich will nicht zurückkehren." 86
„Etwas anderes bleibt dir doch nicht übrig, Sarita", meinte er ganz sachlich. „Ich weiß, welche Gefahren in meinem Land lauern. Du wirst Räubern in die Hände fallen, die dich an den erstbesten Sklavenhändler verkaufen ... selbstverständlich, nachdem sie sich zuerst mit dir amüsiert haben", fügte er hinzu und machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. „Ich lasse es darauf ankommen", erklärte sie entschlossen. „Die Gefahren haben gestern auch schon bestanden. Die Umstände haben sich seitdem nicht geändert." „Doch. Du stehst jetzt unter meinem Schutz. Ich bin der Emir dieses Landes. Wer auf meinen Straßen reist, braucht dazu meine Erlaubnis und untersteht meiner Rechtsprechung. Nur so kann ich Ordnung innerhalb meiner Reichsgrenzen halten. Falls ich dich jetzt frei herumlaufen ließe, und jemand beginge ein Unrecht gegen dich, richtetete sich dieses auch gegen mich als deinen Schutzherrn. Ich müßte den Übeltäter fangen und bestrafen. Du erkennst mein Problem, ja?" Er legte die Hände zusammen. So betrachtet, lag natürlich eine teuflische Logik in der Sache. Sarita wollte sie aber nicht mit Abuls Augen sehen. „Euer Argument ist fadenscheinig", stellte sie fest. „Gegen meine Person ist bereits ein Unrecht begangen worden - nämlich von Euch." „Wie das?" „Ihr habt mich entführt. Das könnt Ihr nicht leugnen." „Entführt!" Er schüttelte tadelnd den Kopf. „Ich habe dich, eine einzelne, unbeschützte Frau, nur aus dem Gefahrengebiet der offenen Straße entfernt." 87
Irgendwie verlor Sarita den festen Boden unter den Füßen. „Auf jeden Fall haltet Ihr mich gegen meinen Willen hier fest", erklärte sie; schließlich konnte man dem ja wohl nicht widersprechen. „Nicht doch." Wieder schüttelte er den Kopf. „Ich sagte ja, daß ich dich zu deinem Volk zurückbringe. Ich werde dir nur nicht gestatten, diesen Ort hier ohne meinen Schutz zu verlassen." Sarita wandte sich ab, stützte die Ellbogen auf den Rand des marmornen Brunnenbeckens und blickte ins Wasser. Sie erinnerte sich an eine Frau ihres Stammes, die ihrem Ehemann mit einem Burschen aus einem anderen Stamm fortgelaufen war. Der Ehemann hatte die beiden wieder eingefangen, den Liebhaber umgebracht und die Frau ausgepeitscht. Danach hatte er ihren Fuß mit einem Seil am Wagenrad festgebunden. Das Seil war gerade so lang gewesen, daß sie ihren häuslichen Pflichten nachkommen konnte. Sarita sah sie noch vor sich, wie sie zwischen Wagen und Feuerstelle hin- und herstolperte und dabei immer das lose Seil aufhob und trug, damit es ihr Bein nicht so aufscheuerte, wenn sie größere Wege machen mußte. Niemand hatte Mitleid mit ihr gezeigt, denn dies war Stammesrecht gewesen. Als der Mann sie nach vielen Wochen befreite, war sie eine gebrochene, verängstigte Frau gewesen. „Ich kann nicht zurückkehren", sagte Sarita. Abul stand auf, trat hinter sie und legte seine Hände an ihren Rücken. Er fühlte, wie sie zusammenzuckte. „Bist du vor dem Mann fortgelaufen, der deinen Liebhaber getötet hat?" fragte er leise. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. „Woher wißt Ihr das?"
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„Yusuf hat den tödlichen Kampf beobachtet." „Tariq hatte uns verboten, zu heiraten. Wir wußten nicht, warum." Sie sprach über seine Schulter hinweg und wünschte sich plötzlich, an seiner breiten Brust zu liegen. Hoffentlich war das ihrer Stimme nicht anzuhören. „Jetzt weiß ich, daß Tariq mich selbst heiraten wollte. Als ich mich weigerte ..." Sie brauchte nicht weiterzureden; der Emir kannte den Rest. Abul legte die Arme um sie und zog sie an sich. „Du hast diesen jungen Mann sehr geliebt?" Saritas Tränen auf seinem Burnus waren ihm Antwort genug. Er streichelte ihr nachdenklich übers Haar. Die Sitten ihres Volkes hatten sie geprägt. Sie wußte nicht, daß es viele unterschiedliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen gab, und daß man den einen nicht notwendigerweise betrog, wenn man die Freuden mit dem anderen teilte. Solange sie ihm nur vertraute, konnte er sie lehren, die Dinge auf seine Weise zu sehen und sich die Freuden zu gönnen, die sie ihm und sich selbst in der vergangenen Nacht so beharrlich vorenthalten hatte. Dabei mußte er allerdings behutsam vorgehen, und es würde ihn seine ganze Selbstbeherrschung kosten, doch Saritas Hingabe am Ende wäre ein um so süßerer Sieg. „Keine Tränen mehr." Er hielt sie ein wenig von sich fort, legte dann seine Hand an ihren Nacken und beugte ihren Kopf über den Brunnen, um ihr Gesicht mit kaltem Wasser zu benetzen. „Ich werde dir jetzt die Freuden der Bäder zeigen. Du wirst lernen, dich zu entspannen und es zuzulassen, daß sowohl Trauer als auch Vergnügen Teile von dir werden. Sarita schüttelte die Hand von ihrem Nacken ab und wischte sich das nasse Gesicht mit dem Unterarm ab. 89
„Deshalb braucht Ihr mich doch nicht gleich zu ersäufen." Die Tränen und die Erinnerung an die ihr widerfahrene Tragödie hatten sie offensichtlich nicht völlig am Boden zerstört, wie Abul zufrieden feststellte. Junge Menschen erholten sich schnell von tragischen Schlägen. „Haben dir deine Frauen denn keine Trockentücher gebracht? Du tropfst ja dein ganzes Gewand voll." Sarita nahm ein Stück Leinentuch und wischte sich damit das Gesicht trocken. Sie schniefte laut. Das waren die ersten Tränen, die sie um Sandro vergossen hatte, und jetzt erwachte ihre Energie wieder. Muley Abul Hassan ließ sie also nicht einfach aus der Alhambra ziehen. Das hatte er deutlich gemacht. Deshalb mußte sie ihre Flucht selbst ins Werk setzen. Zu diesem Zweck mußte sie ihn glauben machen, daß sie sich seinen Anordnungen beugte. Sein Versprechen, ihr nichts aufzuzwingen außer seiner Gesellschaft, galt hoffentlich immer noch, und eigentlich hatte sie auch nichts gegen seine Gesellschaft einzuwenden, was selbstverständlich nichts an der Tatsache änderte, daß sie eine Gefangene war. „Ich habe erst gestern abend gebadet", teilte sie ihm mit. „Es muß nicht schon wieder sein." Abul lachte leise. „Ich biete dir auch kein Bad nur zu Reinigungszwecken, wie du sehen wirst, sondern eines, das den Geist ebenso erfrischt wie den Körper. Komm." Er ging zur Tür voraus, und Sarita folgte ihm nach kurzem Zögern. Was hatte sie schon zu verlieren?
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6. KAPITEL „Möchtst du gerne etwas über die Alhambra wissen?" fragte Abul Sarita, als sie ihn bei der Gartenpforte eingeholt hatte. „Vieles", antwortete sie sofort. „Doch was ist das da auf der anderen Seite der Ravine?" Sie deutete auf die Dächer, die über dem bewaldeten Hügel zu sehen waren. „Das ist der Generalife." Er faßte Sarita beim Ellbogen und bog in den zypressengesäumten Pfad ein. „Es ist ein zur Alhambra gehörender kleiner Sommerpalast mit Gärten, Aussichtserkern, Terrassen und Säulengängen. Ein Ort der Schönheit und der Ruhe. Wir werden ihn morgen oder übermorgen einmal zusammen besuchen." Sarita ging neben dem Emir her. Merkwürdigerweise empfand sie seinen Griff an ihrem Ellbogen als recht angenehm. Sie war es nicht gewohnt, daß Männer sich um die sie begleitenden Frauen kümmerten, die meistens irgendwo hinterherzulaufen und so gut wie möglich Schritt zu halten hatten. Wovon sie nichts wissen konnte, das war die Tatsache, daß es auch für Abul neu war, praktisch Arm in Arm mit einer Frau zu gehen. Er hatte jedoch das Gefühl, Sarita irgendwie beschützen zu müssen an einem Ort, der doch vollkommen fremd für sie sein mußte. Er sprach über die Alhambra und die Umgebung, erzählte von den Aquädukten, die Wasser von den Bergen in die Palastanlage leiteten und künstlich angelegte Bäche, Brunnen und Teiche speisten. Er deutete auf die große Alcazaba, die Festung, die Sarita schon von der Straße aus gesehen hatte, und er berichtete ihr, daß eine Garnison von vierzigtausend Mann dort stationiert werden konnte. 91
„Befinden sich jetzt so viele Soldaten dort?" Es erschien Sarita unpassend, von Soldaten und Festungsbauten zu sprechen, wenn man sich inmitten solcher Schönheit befand; es war indessen nun einmal so, daß der Palast ein Teil der Festung war, und nicht umgekehrt. „Nein." Abul führte sie jetzt durch einen Blumengarten, der anscheinend frisch bewässert worden war und dementsprechend duftete. „Im Moment sind nicht so viele Krieger dort, weil sie nicht gebraucht werden", fuhr der Emir fort. „Falls sich jedoch die Notwendigkeit ergeben sollte, weil beispielsweise die spanischen Monarchen sich zu einem Angriff entschließen, könnte ich jederzeit so viele einziehen." Seine Miene war ungewohnt ernst geworden. „Ein solcher Fall ist nicht unwahrscheinlich." „Weshalb sollten die spanischen Könige Euch angreifen wollen?" Sarita verstand nichts von Politik und von der weiten Welt außerhalb ihres Stammes. Sie wußte etwas von gefährlichen Briganten und Sklavenhändlern, von unehrenhaften Kaufleuten und von der Inquisition. Das waren Dinge, die sich direkt auf ihr Leben auswirken konnten. Die Visionen und Gebietsansprüche Ihrer Katholischen Majestäten, Ferdinand und Isabella von Spanien, waren ihr unbekannt. „Weil mein Volk vor vielen Jahrhunderten dieses Land erobert hat", antwortete Abul. „Die Spanier haben es in den letzten zweihundert Jahren nach und nach, Reich für Reich zurückgewonnen. Nur Granada gehört uns jetzt noch." „Und das wollt Ihr auch erhalten?"
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„Selbstverständlich. Ich will es für meinen Sohn erhalten, so wie es von meinem Vater für mich erhalten wurde." Hier bot sich ein anderes Thema an, eines, das sie schon lange zur Sprache hatte bringen wollen, wenn es sich ergeben hätte. „Ihr habt mir nicht erzählt, daß Ihr einen Sohn habt... und eine Gemahlin." Abul führte Sarita durch den Garten zu einem Säulengang. „Meine Frau und meine Kinder sind für dich nicht von Belang, meine Kleine. Ebensowenig bist du für sie von Belang." „Ich möchte aber etwas über sie erfahren", widersprach sie. „Und erzählt mir nicht, daß sich niemand hier neugierig fragt, wer ich bin und was ich hier tue." Er lachte. „Man weiß, was du hier tust, Sarita." Sein Lächeln wurde ein wenig schief. „Zumindest weiß man, was ich mir von dir erhofft hatte." Sarita schwieg einen Moment. Was der Emir von ihr erhofft hatte, war ihr schon aus Kadigas und Sulemas Bemerkungen klargeworden. Abul und Sarita traten durch den Säulengang in eine kühle Vorhalle. Hier drinnen war das Licht gedämpft und grünlich; es wirkte sehr beruhigend. „Erzählt mir trotzdem von Euren Frauen und Kindern", wiederholte Sarita und kehrte damit zum Thema zurück. „Wie könnt Ihr behaupten, sie seien für mich ohne ... " Er legte ihr die Hand auf den Mund. „Sarita, dies ist nicht der Ort für Streitgespräche", erklärte er mit einem Anflug von Strenge. „Dies ist ein Ort, an dem sich Geist und Körper erfrischen. Hier 93
läßt man seine Gedanken schweifen und spricht nur in friedlichen Worten. So ist es Sitte bei uns. Sicherlich kannst du dich dem anpassen, ja?" So nicht! Sie schüttelte den Kopf. Abul zog die Hand von ihrem Mund zurück, hielt nun sanft ihr Kinn fest und legte seine Lippen auf ihren Mund. Dasselbe Gefühl wie gestern abend stellte sich ein: Sarita spürte den Wunsch, aus dieser eher beiläufigen Berührung möge sich etwas Tieferes, Ernsteres entwickeln. Unwillkürlich öffneten sich ihre Lippen, und ihre Zunge tupfte leicht gegen Abuls Mundwinkel. Abul ließ die Hand sinken, und Sarita erkannte, was das bedeutete: Sie wurde nicht mehr festgehalten, zu nichts gezwungen. Was sie jetzt tat, tat sie aus eigenem Antrieb. Sofort trat sie zurück. In seinem Blick erkannte sie das Bedauern. Auch sie hatte das Gefühl, etwas verloren zu haben, aber das war selbstverständlich eine völlig unzulässige, abwegige Empfindung. Sarita drehte sich um und betrachtete ihre Umgebung. „Hier sieht es aus, als befände man sich in einer unterirdischen Höhle", stellte sie scheinbar gleichmütig fest. „Von der Hitze dort draußen spürt man nichts mehr." „Richtig. Die Halle wurde auch dafür gebaut, diese Wirkung zu erzielen." Abul sprach genauso gleichmütig, und das beruhigte sie. Er hielt eben sein Versprechen. „Wir wollen jetzt den Saal des Eintauchens betreten." Abul ging voraus. Sie kamen durch Säulenhallen und mehrere kleine Kammern, welche wie Grotten wirkten, die mit Buschwerk und Wasserspielen ausgestattet waren. Überall gab es das gleiche grüne Licht, die gleiche erfrischende Luft und das allgegenwärtige Wasserplätschern. Es schien, als bewegten sich die Besucher 94
immer tiefer in eine Höhle hinein - wenn auch in eine kostbar dekorierte Höhle, deren Wände mit wunderschönen Fliesen und deren Böden mit kunstvollen Mosaiken geschmückt waren. Sie begegneten keinem Menschen, bis sie in den Hauptsaal traten, wo zwei Marmorbecken zwischen Säulen und Brunnen in den Boden eingelassen waren. Hier warteten zwei weißgewandete Frauen, die einen Kopfschleier trugen, der die Gesichter j edoch unbedeckt ließ. Sie verbeugten sich vor dem Emir und seiner Begleiterin. „Leila und Sayda sind die Wärterinnen der Bäder", erläuterte Abul. „Sie wissen, daß die heitere Ruhe der wahre Schlüssel zur Entspannung ist." Sarita wußte nicht, was sie darauf sagen sollte. Ein Bad hatte für sie bisher ausschließlich den Zweck der Reinigung erfüllt. Außerdem fiel ihr leider erst jetzt ein, daß man ja schließlich nicht bekleidet baden konnte und daß Muley Abul Hassan und sie einander also wieder nackt gegenüberstehen würden. Nur ungern erinnerte sie sich an die Erregung, die sich ihrer gestern abend bemächtigt hatte, als sie von ihm entkleidet worden war. Die Atmosphäre in diesem Saal war indessen eine andere, und das lag vielleicht an der Anwesenheit der beiden Wärterinnen, für die Nacktheit wahrscheinlich ein ganz alltäglicher Anblick war. Sayda war schon dabei, Abul auf vollkommen unbeteiligte Weise zu entkleiden. Falls es Sarita gelänge, ebenso unbeteiligt zu bleiben - oder zumindest so zu erscheinen - würde sie ihre unwillkommenen Empfindungen möglicherweise unter Kontrolle halten können.
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Ihr wurde bewußt, daß Leila hinter ihr stand und darauf wartete, ihr beim Entkleiden zu helfen. „Ich komme schon allein zurecht, danke", sagte Sarita und öffnete den Gürtel ihres Gewandes. „Leila spricht kein Spanisch." Abul hob einen Fuß, damit seine Wärterin ihm den Stiefel ausziehen konnte. „Laß sie ihre Aufgabe erfüllen. Du bist hier, um die Freuden des Bades kennenzulernen. Übertrage nicht die dir geläufigen Sitten und Gebräuche auf etwas, das mit deinen bisherigen Erfahrungen nichts gemein hat." Sarita war noch nie zuvor jemandem begegnet, der so weise über solche Probleme sprach. Was für ein Leben hatte Muley Abul Hassan wohl hinter sich? Wie war er ausgebildet und erzogen worden, daß er jetzt derart klug und selbstbewußt über diese Themen reden konnte? Waren alle Mauren so wie er? Hatten sie alle Zeit und Neigung zu solchen merkwürdigen Überlegungen? Verstohlen beobachtete sie, wie die Wärterin ihm seine Tunika und die weite Kniehose auszog. Sein Körper war der eines Kriegers, und an ihm war nichts Weiches, wie es bei jemandem zu vermuten wäre, der ständig von den Freuden des Geistes und der Sinne sprach. So vertieft war sie in diese Gedanken, daß ihr gar nicht bewußt wurde, wie sie selbst entkleidet wurde; auf einmal stand sie ebenfalls nackt da. Die Badewärterin drehte ihr die roten Locken zusammen, steckte sie ihr auf dem Kopf auf und deutete dann lächelnd auf das Becken, in das Abul gerade stieg. Anscheinend sollten sie zusammen baden. Nun, groß genug war das Becken ja, und irgendwie erschien Sarita auch alles ganz natürlich, wozu selbstverständlich die Anwesenheit der beiden Frauen und Abuls absolute Unbefangenheit beitrug.
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Sarita stieg also vorsichtig in das warme, parfümierte Wasser, setzte sich auf eine aus der Seitenwand des Beckens herausgearbeitete Marmorbank und streckte die Beine aus. Dabei berührten ihre Zehen Abuls. Erschrocken zog sie ihre Füße zurück. Er lachte leise und tastete mit seinem Fuß nach ihrem. Während dieses Spiels waren seine Augen geschlossen, und sie spürte, wie entspannt er war. Eine wunderbare Trägheit legte sich über sie, während ihr das Wasser um den Hals schwappte. Sie ließ den Kopf gegen die Beckenkante sinken. Das gedämpfte Licht vermittelte ihr den Eindruck, als blickte sie durch Wasser hinauf; die Bilder verschwammen, setzten sich wieder zusammen und flimmerten unter der leicht bewegten Oberfläche ... Woran lag es nur, daß sie glaubte, sich in einer Märchenwelt und nicht in der Wirklichkeit zu befinden? Ihr Badegefährte erhob sich, und verstohlen betrachtete sie aus halbgeschlossenen Augen seine Gestalt. Das hätte sie lieber nicht tun sollen, denn sofort prickelte ihre Haut vor Erregung, und ihre Brustspitzen richteten sich auf. Rasch schloß sie die Lider, doch sie hatte zu ihrer Enttäuschung schon gesehen, daß der Körper des Emirs keinerlei Anzeichen der Erregtheit aufwies. Lag das an dem entspannenden Bad, oder fand Muley Abul Hassan ihren Körper nicht mehr begehrenswert? Sie fühlte seine Hand auf ihrer Schulter. „Komm", sagte er. „Es ist Zeit zum Weitergehen." Sie schlug die Augen auf und sah sein lächelndes Gesicht dicht über ihrem. „Weitergehen? Wohin?" „Zum nächsten Bad." 97
„Wieso ist denn eines nicht genug?" Murrend stand Sarita auf und sah zu, wie Abul in das zweite Becken stieg. Mit einem kleinen, scharfen Ausruf hielt er die Luft an, verschwand rasch unter der Wasseroberfläche, tauchte dann sogleich wieder auf und sprang mit klappernden Zähnen aus dem Marmorbecken. Sayda kam sofort mit einem dicken Tuch herbei und rieb seine Haut kräftig ab. Verwirrt steckte Sarita einen Zeh in das zweite Becken und sprang dann aufkreischend zurück. „Das ist ja eisiger als ein Bergsee!" „Gewiß." Abul lachte. „Es soll ja auch das Blut zu schnellerem Fluß anregen." „Mein Blut muß nicht angeregt werden", erklärte sie. „Mir gefällt es in dem anderen Becken besser." „Ach, nun sei doch nicht so ein Feigling!" Immer noch lachend näherte er sich ihr. Sie trat zurück. „Komm schon", lockte er. „Es ist ja nur für einen Augenblick, und es fühlt sich wunderbar an, wenn du wieder herauskommst." Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich fühle mich in dem anderen Becken wunderbar genug, und... Nein, Abul"! kreischte sie, als er sie fest an seinen jetzt kalten Körper zog. „Nein, Ihr dürft mich nicht hineinwerfen!" „Das tue ich selbstverständlich auch nicht." Trotzdem hob er sie auf seine Arme. „Gewaltanwendung würde nicht zu dem Frieden und der Harmonie in den Bädern passen." Er trat mit ihr an den Beckenrand. „Ich hoffe nur, du erkennst, was du mir mit einem zweiten Untertauchen zumutest." Und schon trat er von der Kante 98
hinunter und tauchte mit Sarita auf den Armen in das eisige Wasser. Die Kälte raubte ihr den Atem, und so konnte sie nicht einmal schreien, als sie zusammen wieder auftauchten. Sie klammerte sich nur steif an seinem Nacken fest, während Abul sich wie ein nasser Hund schüttelte. Er stellte sie auf die Füße, und zusamengekauert und zitternd blieb sie stehen. „Kämpfe nicht dagegen an, Sarita. Du mußt deinen Körper entspannen." Als sie ihn nur mit weitaufgerissenen Augen anschaute und weiterzitterte, nahm er Leila das Badetuch aus den Händen, schlang es um Sarita und rubbelte sie kräftig ab, bis ihre ganze Haut kribbelte. Saritas Blick wurde wieder klar, und sie richtete sich auf, als die Wärme in ihren Körper zurückkehrte und ihn mit einem Gefühl erfrischender Energie erfüllte. Die von dem warmen Bad hervorgerufene Trägheit war restlos verschwunden. „So ist es gut", sagte Abul. „Und nun erkläre mir nicht, daß es die Sache nicht wert war." Er gab das Badetuch an Sayda zurück, die ihn sofort zum zweiten Male trockenrieb. „Das war brutal", bemerkte Sarita. „Das hatte nichts Friedliches oder Harmonisches an sich." „Weil du gegen das Gefühl angekämpft hast", setzte er ihr vollkommen sachlich auseinander und hob dabei die Arme, damit Sayda überall mit dem Handtuch herankam. „Der Mangel an heiterer Gelassenheit war in dir selbst."
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„Ihr nehmt diese Baderei anscheinend wirklich ernst", stellte sie voller Erstaunen fest. „Merkst du das erst jetzt?" Tadelnd schüttelte Abul den Kopf. „Ich dachte, das hätte ich dir bereits klargemacht." „Schon, aber ich habe es trotzdem nicht verstanden. Es liegt so außerhalb meiner Erfahrungen. Mein Volk gibt sich nicht den Dingen nur ihrer selbst wegen hin und... und schöpft auch keine Harmonie aus Geist und Körper." „Mein Volk dagegen gehört einer uralten Zivilisation an", erklärte Abul. „Wir haben Werte erkannt, die euch noch fremd sind." „Dafür kennen wir vielleicht andere Werte." Irgendwie ärgerte sie die angedeutete Kritik. Abul schüttelte den Kopf. „Keine, die wir als Werte anerkennen würden." „Nun, wir glauben zum Beispiel nicht, daß ein Mann so viele Frauen haben sollte, wie er will", erwiderte sie. „Wir glauben, ein Mann sollte einer einzigen treu sein, so wie sie ihm auch treu sein sollte. Das ist doch ein Wert." Abul lachte. „Das ist kein Wert. Das ist die Verleugnung der unerschöpflichen Vielfalt der Beziehungen zwischen Mann und Frau. Vielfalt und Abwechslung schließen Loyalität und Pflichtgefühl nicht aus." Sarita errötete. „Da wir nun mit dem Baden fertig sind, möchte ich in den Turm zurückkehren." „Oh, wir sind keineswegs schon fertig, meine Liebe. Im Gegenteil, wir haben erst begonnen." Er nahm ihr Gesicht zwischen sei100
ne Hände. „Ich sagte, es dürfte nichts Unharmonisches geben. Hast du das vergessen?" „Ich habe ja nicht damit angefangen", verteidigte sich Sarita. „Ich habe Euer Volk nicht so kritisiert wie Ihr meines." „Das war keine Kritik, sondern nur eine Feststellung von Tatsachen." Er ließ seine Hände zu ihren Schultern gleiten. Die Haut seiner Handinnenflächen fühlte sich kalt an; trotzdem konnte Sarita die pulsierende Wärme darunter fühlen. Sein Körper war ihrem sehr nahe. Hätte sie tief eingeatmet, würden ihre Brüste ihn berührt haben. Sie wollte zurücktreten, den Kopf abwenden, irgend etwas tun, gleichgültig, was, doch sie hatte das Gefühl, zur Salzsäule erstarrt zu sein. „Bitte um Waffenstillstand", sagte er leise, „Dann ziehe ich keine ungünstigen Vergleiche mehr." „Ist dann auch Schluß mit dem vielen kalten Wasser?" Das war ein Versuch, das Gespräch wieder leichter und amüsanter zu gestalten. Abul schüttelte den Kopf und ließ ihre Schultern los. „Nur noch ein kleines bißchen, und ich verspreche dir, daß es dir diesmal sehr willkommen sein wird. Komm mit." Sie folgte ihm durch einen Türbogen in einen kleinen abgeschlossenen Raum, in dem die Hitze ihre Lungen zu verbrennen schien, noch ehe sie ihn richtig betreten hatte. Der Schweiß brach ihr in Strömen aus. In einer Ecke beugte sich Leila über ein Kohlebecken, und Sayda legte frische Tücher über die Marmorbänke, die in die Seiten-
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wände eingelassen waren. Anschließend verließen die beiden Wärterinnen den dampfvernebelten Raum. „Was ist das hier?" fragte Sarita und rang um Luft. „Hier badet man in Dampf', erläuterte Abul und streckte sich auf dem Bauch auf einer der Bänke aus. „Lege dich hin und bleibe ganz still liegen." Vorsichtig tat sie, wie ihr geheißen. Das Atmen fiel schwer, und sie hatte nach kurzer Zeit das Gefühl, nur noch ein formund kraftloses, schweißtriefendes Wesen zu sein. „Und das soll nun angenehm sein?" keuchte sie. Träge drehte Abul den Kopf zu ihr um. „Wenn du ganz still liegen bleibst und nicht redest, ist es das. Laß deinen Körper in Ruhe arbeiten." „Ich kann aber nicht richtig atmen." Er seufzte, streckte den Arm aus und läutete eine kleine Glocke. „Dann geh mit Leila hinaus." „Kommt Ihr nicht mit?" Als sie sich aufsetzte, schwindelte ihr einen Moment. „Ich bin daran gewöhnt. Ich heilte entschieden mehr aus. Leila wird dich hierher zurückbringen, wenn du es wünschst, nachdem sie dich abgekühlt hat." Sarita konnte sich nicht vorstellen, daß sie jemals den Wunsch haben würde, in diese dampfende Hölle zurückzukehren. Sie folgte Leila in einen Nebenraum. Diesmal fühlte sich das eiskalte Wasser, das ihr die Wärterin über den schweißnassen Körper goß, tatsächlich herrlich an, und als Leila sie anschließend mit kleinen
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rauhen Kissen abrieb, drehte und wand sie sich vor lauter Wohligkeit. Das tat sie immer noch, als Abul hereinkam. Sie sah einer sich zufrieden rekelnden, glücklichen Katze so ähnlich, daß er große Mühe hatte, sein Lachen zu unterdrücken. Allerdings war das Lachen nicht die einzige Reaktion auf diesen verführerischen Anblick. Vorsichtshalber drehte er der sich so sinnlich bewegenden Gestalt den Rücken. „Mit der Zeit wirst du dich an die Hitze immer mehr gewöhnen", meinte er. Sarita wollte schon entgegnen, daß für Gewöhnung kaum Zeit sein würde, doch noch rechtzeitig fiel ihr ein, daß sie ja so hatte tun wollen, als beugte sie sich seinem Befehl und plane keine überstürzte Abreise. Sie murmelte nur irgend etwas vor sich hin. Leila deutete jetzt auf einen Türbogen, zu dem es in einen weiteren Saal ging. Sarita folgte ihr und blieb dann entzückt stehen. Vier Marmorsäulen standen in der Mitte der Halle, an deren vier Seiten sich vier gleichartige Bögen befanden. Mit Lapislazuli und Blattgold verzierte Fliesen schmückten die Wände. Eine wahre Traummusik erfüllte die Halle, ein sanftes Spiel auf Laute und Leier und dazu himmlisch reine, zarte Flötentöne. Sarita konnte nicht gleich entdecken, woher die Musik kam. Leila deutete auf einen gepolsterten Diwan, doch Sarita zögerte noch, sich darauf niederzulegen, weil sie noch immer nach der Quelle der wunderbaren Musik suchte. „Wo sind wir hier?" fragte sie mit Flüsterstimme, denn eine normale Lautstärke wäre ihr in dieser Umgebung wie eine Lästerung vorgekommen. 103
„Das ist der Saal der Ruhe", antwortete Abul hinter ihr. Seine Stimme klang sanft, obwohl er nicht flüsterte. „Woher kommt die Musik?" „Von den Galerien. Dort befinden sich die Musikanten." Er deutete zu den vier Galerien hinauf. Da oben waren Leute - Männer! - und sie stand hier vollkommen unbekleidet herum ... Sofort hielt sie sich die Arme über die Brüste. „Das brauchst du nicht zu tun. Die Männer sind blind. Die Frauen des Harems kommen regelmäßig hierher, und kein Mann außer mir darf sie sehen, was jedoch kein Grund ist, ihnen die Musik vorzuenthalten." Sarita ließ die Arme sinken und starrte Abul entsetzt an. Der war sekundenlang ratlos und lachte dann kurz und unfroh auf. „Ich sagte nicht, die Männer seien geblendet worden. Sie sind blind, weil sie blind geboren wurden." Sarita schämte sich, weil sie tatsächlich angenommen hatte, diese Menschen hier wären zu solcher Barbarei fähig. Sie verstand dieses Volk und dessen Gebräuche nicht, und mit der unentschuldbaren Arroganz des Unwissenden war sie zu der furchtbaren Schlußfolgerung gekommen. „Ich bitte um Entschuldigung", flüsterte sie und schaute zu Boden. „Ich weiß selbst nicht, wie ich so etwas habe denken können." Abul steckte eine Haarsträhne in den Knoten auf ihrem Kopf zurück. „Du wirst noch viel lernen", sagte er mild.
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„Ich begreife ja, daß wir dir fremd erscheinen müssen." „Ich bin Euch dagegen nicht fremd. Mein Volk ist Euch nicht fremd." „Richtig. Allerdings bin ich auch viel gereist und habe vieles gesehen und erlebt. Ich weiß vieles, das dir unbekannt ist." Er lächelte auf sie hinab. Sie sah so zerknirscht aus. Ihre ganze Freude war verflogen. „Ach Sarita, nun habe ich genau das Falsche erreicht. Ich spüre, daß du jetzt so verstimmt bist wie eine falsch gespannte Saite. Leila wird das wieder in Ordnung bringen." Sanft schob er sie zur Liege. „Wir müssen solche Themen künftig in einer anderen Umgebung diskutieren." Sarita war noch zu niedergeschlagen, um darauf etwas zu antworten. Gehorsam legte sie sich bäuchlings auf die Kissen, während sich Abul auf einem zweiten Diwan neben ihr ausstreckte. Leila hielt eine kleine Pfanne über eine Kerze und schüttelte sie ein wenig. Ein zartes Parfüm zog durch die Luft. Saritas Verlegenheit legte sich, und ihr Körper entspannte sich wieder. Leila goß sich den Inhalt des Pfännchens in eine Hand, rieb dann beide Hände aneinander und beugte sich über Saritas ausgestreckten Körper. Sie massierte das angewärmte, duftende Öl in ihren Rücken ein. Unwillkürlich schloß Sarita die Augen. Möglicherweise war ja etwas Wahres daran, diese Baderiten wie eine beinahe heilige Handlung zu betrachten. Vielleicht könnte sie sich sogar daran gewöhnen ... „Barmherziger!" rief Leila leise, aber voller Entsetzen. Sie war bei Saritas Füßen angelangt.
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Abul sagte träge etwas auf arabisch, worauf Leila sich zu einem Tisch begab, auf dem sich eine Anzahl Instrumente und weiteres Öl befanden. „Was habt Ihr ihr gesagt?" wollte Sarita wissen. „Ich habe es nicht verstanden." „Du wirst es gleich verstehen", murmelte Abul. Und das tat sie auch, sobald Leila, die immer noch sichtlich erschüttert war, Saritas Füße anhob. Als Sarita etwas an ihren lederartigen Sohlen schaben fühlte, zog sie ihr Bein mit einem empörten Ausruf zurück. Warum wollten diese Leute hier ihre Füße nicht so lassen, wie sie waren? Verstanden sie nicht, daß Fußsohlen zum Laufen dienten? „Meine Füße gehören mir!" erklärte sie sehr deutlich. „Ich wünsche nicht, daß du sie berührst. Würdet Ihr das bitte übersetzen, mein Emir?" „Nein", lehnte Abul entschieden ab. „Es ist unzivilisiert, deine Schönheit dergestalt zu schänden. Außerdem besteht für solche Sohlen nicht mehr der geringste Bedarf." O doch, dachte Sarita und zog ihren Fuß wieder aus Leilas Händen. Sie wollte sich aufrichten, doch mit einer schnellen Bewegung sprang Abul von seiner Liege und saß plötzlich rittlings auf Saritas Rückseite. Das Gefühl, ihn auf sich sitzen zu haben, noch dazu an einer so intimen Stelle, ließ Sarita erstarren. Sie barg das Gesicht im Kissen. Unterdessen nahm Leila ihre Arbeit wieder auf, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert. Nun, vielleicht war es ja auch die Angewohnheit Muley Abul Hassans, sich nackt auf nackte
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Frauen zu setzen, um diese ruhigzustellen. An diesem Ort war alles möglich, besonders was den Emir und die Frauen betraf. „Wie leicht es ist, ein so kleines Geschöpft festzuhalten", stellte Abul lachend fest. Er preßte seine Finger fest in ihren Nacken und in ihre Schultern, und sofort entspannte sie sich. „Wirst du jetzt für Leila stilliegen, oder soll ich bleiben, wo ich bin?" „Ich liege still", murmelte Sarita ins Kissen. „Verzeihung, das habe ich nicht verstanden", sagte er sehr höflich und beugte sich dichter zu ihr hinunter. „Sprich bitte ein wenig lauter." „Ich sagte, ich würde stilliegen", wiederholte sie laut und ein wenig atemlos. „Schade", meinte Abul und erhob sich von ihr. „Du hast dich so gut unter mir angefühlt." Sarita sank womöglich noch tiefer in die Kissen. „Ihr treibt ein unehrenhaftes Spiel." „Ich habe dir nie versprochen, ehrenhaft zu spielen, sondern nur, daß ich dich zu nichts zwingen würde." Er legte sich wieder auf seinen eigenen Diwan. „Du weißt genau, daß ich jede Gelegenheit nutze, dich umzustimmen." Er drehte den Kopf und schaute sie schalkhaft an. „Und das, mein widerspenstiger Gast, schließt die gemeinsamen Stunden einer langen Nacht ein." Was denn - noch eine Nacht? Ausgeschlossen! „Ich werde mich weigern, zu Euch zu kommen", erklärte sie mutig. „Ihr könnt mich nicht in Euer Bett zwingen."
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„Ich glaube, du bringst ,nicht können' und ,nicht wollen' durcheinander", entgegnete er. „Hier in der Alhambra kann ich alles erzwingen, aber wenn es mir nicht erforderlich erscheint, will ich es nicht tun. Ich werde eben einfach in dein Bett kommen." Da wird er mich allerdings nicht vorfinden, dachte Sarita, und an diesem Gedanken hielt sie sich fest, um den heimlichen Verführungen ihrer augenblicklichen Situation widerstehen zu können. Leila zog Sarita irgend etwas Scharfkantiges über den Rücken. „Was macht sie denn da?" Sarita versuchte, über die Schulter zu blicken. „Sie zieht den Schmutz von deinem Körper ab", erläuterte Abul. „Er löst sich mitsamt dem Öl." „Ich kann doch unmöglich schmutzig sein!" rief Sarita empört aus. „Nicht nach all diesen Bädern." Er lachte leise, „Gewöhnliches Wasser reinigt nicht so gründlich. Der Dampf löst die Unreinheiten, und mit dem Öl und dem Striegel zieht man sie von der Haut ab." Wie kommt es, daß ich so wenig über Sauberkeit weiß? fragte sich Sarita. Beziehungsweise wie kommt es, daß die Leute hier in diesem Punkt so fürchterlich penibel sind und aus Reinigung eine wahre Wissenschaft machen? Die Männer vom Stamm Raphael würden sich über so etwas lustigmachen und solche Feinheiten als affektiert und als ein Zeichen der Verweichlichung betrachten. Allerdings war nicht die Spur von Verweichlichung oder Affektiertheit an Muley Abul Hassan zu erkennen ...
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„Dreh dich um", befahl er träge und drehte sich selbst auf den Rücken. „Leila möchte sich auch deinen restlichen Körperteilen widmen." Sarita gehorchte und warf rasch noch einen heimlichen Blick auf ihren Badegefährten. Dessen Augen waren geschlossen, und er lag absolut entspannt da, während er ebenfalls mit Striegel und Öl bearbeitet wurde. Wie kann er nur in unmittelbarer Nähe meines nackten Körpers so gelassen bleiben? fragte sie sich. Er begehrt mich doch noch, denn sonst hätte er eben nicht von einer weiteren Nacht gesprochen. Es war eine geradezu beschämende Tatsache, daß sie selbst angesichts seines nackten Körpers nicht annähernd so ungerührt blieb. Im Gegensatz dazu verspürte sie den dringenden Wunsch, mit den Fingern über seine goldbraune Haut zu streichen, die Muskeln darunter schwellen zu fühlen, die Hand auf seinem flachen Bauch einen Moment ruhen zu lassen und dann weiter hinab zu führen ... Sie unterdrückte ein leises Stöhnen. Ihre Brustspitzen brannten, und sie bewegte sich nervös auf den Polstern. Sie schloß die Augen und betete darum, daß Leila nichts bemerkte. Abul will, daß ich genau so reagiere, dachte sie. Dies ist alles ein Teil seines hinterhältigen Plans! In diesen parfümierten, alle Sinne ansprechenden Hallen, die allein der körperlichen Freude dienten und in denen Nacktheit etwas so Natürliches war, mußte man doch einfach in Erregung geraten oder doch zumindest sich seines Körpers deutlich bewußt werden. Alles hier war reine Verführung. Abul brauchte nicht wieder damit anzufangen, Sarita zu verführen; die Verführung hatte ja nie aufgehört. Die Rettung davor lag ausschließlich in der Flucht. 109
Flucht - wovor? Rettung - was war das? Aus schläfrigen Gedankengängen wachte Sarita auf und stellte fest, daß die Liege neben ihr verlassen war. „Wo ist der Emir?" fragte sie absichtlich sehr laut, wobei sie vergaß, daß mit den Badewärterinnen ja keine sprachliche Verständigung möglich war. „Er ist bei seinem Sohn. Diese Tageszeit verbringt er immer mit ihm zusammen."Sarita hatte diese sanfte Stimme noch nie zuvor gehört. Die Frau, die gesprochen hatte, stand am Fußende des Diwans. Sie war sehr schön. Ihr nachtschwarzes Haar trug sie unter einem Silberschleier aufgesteckt. Ihre dunklen Augen waren sorgfältig mit Antimon umrandet, ihre Haut hatte die Farbe goldener Aprikosenblüten, und ihr üppiger Körper ließ Sarita an einen Obstgarten im Herbst denken. „Wer seid Ihr?" fragte sie, obschon sie es sich beinahe denken konnte. „Ich bin Aisha, die Gattin des Emirs." Die Frau neigte leicht den Kopf. „Und wie nennt man dich, Christin?" „Ich bin Sarita vom Stamm Raphael." Sie gab ihren vollen Namen an, als befände sie sich in einem formellen Verhör. Am liebsten hätte sie sich mit ireend etwas bedeckt, denn in der Gegenwart dieser reichgewandeten, juwelengeschmückten und achtungsgebietenden Dame fühlte sie sich in ihrer Nacktheit sehr verletzbar. „Läute die Glocke. Leila wird zu dir kommen. Man wollte dich nur in Ruhe schlafen lassen." Daß Abul sie schlafend zurückgelassen hatte, allen Personen ausgesetzt, die hier hereinkommen mochten, ärgerte sie beträchtlich. 110
Sie nahm die kleine Handglocke vom Tisch neben der Liege und schellte. „Wie kommst du hierher?" Aisha musterte verstohlen die junge Frau. Was fand Abul an ihr? Sie war doch winzig, unweiblich. Mit diesen Brüsten, die wie kleine Zitronen aussahen, und den knabenhaften Hüften wirkte sie ja wie ein kleines Mädchen! Nun ja, so ganz stimmte das auch wieder nicht. Die Fremde besaß durchaus einen wohlgeformten und wohlproportionierten Körper. Ihre Taille war zierlich; Aisha mußte an ihre eigenen Fettpolster an dieser Stelle denken, an ihre ausladenden, fleischigen Hüften und ihre vollen Brüste. Neben diesem feingliedrigen Wesen hier kam sie sich schwer und ungeschlachtet vor. Möglicherweise hatte Abul an ihr auch die Spuren des übermäßigen Genusses bemerkt... Ich muß die vielen Kuchen und Süßspeisen aufgeben, nahm sie sich vor. „Ich bin die Gefangene Eures Gemahls", antwortete Sarita. Warum es beschönigen? dachte sie. Außerdem sollte Abuls Gattin nicht glauben, sie, Sarita, hätte sich freiwillig auf eine Liaison mit dem Emir eingelassen. Es erleichterte sie, daß jetzt Leila mit einem Kaftan über dem Arm erschien. „Wurdest du gekauft oder gefangen?" „Anscheinend letzteres." Sarita hüllte sich in das Kleidungsstück und fühlte sich sofort wohler. „Weshalb wurdest du gefangen?" Sarita zuckte die Schultern. „Ein Einfall Eures Gemahls." Aisha schwieg. Es hörte sich ganz so an, als ob diese Frau mit ihrer augenblicklichen Position unzufrieden war. 111
Eine Person indes, die in der Gunst des Emirs stand, konnte doch gar nicht unzufrieden sein, jedenfalls dann nicht, wenn sie zu den Frauen von Aishas Rasse gehörte. War Abul in diesem zierlichen Wesen mit dem flammenden Haar und den grünen Augen etwa einer Frau begegnet, die in dieser Beziehung andere Vorstellungen hatte? Kadiga und Sulema hatten bestätigt, daß die Christin erst im Morgengrauen in den Turm zurückgekehrt war, doch Fati-ma hatte Nafissa von Abuls morgendlichem Bedürfnis erzählt. So unwahrscheinlich es auch schien, so lag hierin möglicherweise die Erklärung. „Du bist nicht bereit, dich meinem Gemahl hinzugeben?" Das schien die hohe Dame zu erstaunen. Und wenn Sarita ehrlich war, so stimmte das ja auch nicht ganz. Sie war keineswegs abgeneigt, ganz im Gegenteil. Allerdings gab es einen unüberwindlichen Grund dafür, daß sie Abul widerstand. Diese Gedankengänge behielt sie jetzt jedoch lieber für sich. „Wer wäre dazu schon bereit?" fragte sie. „Einfach von der Straße weggefangen zu werden und ohne Einverständnis an einen ... einen ..." Sarita deutete in die Umgebung, weil ihr die richtigen Worte fehlten. „ .. .an einen phantastischen Ort gebracht zu werden, als besäße man kein eigenes Leben, keine Familie, keine persönlichen Bindungen, keine Vergangenheit und keine Zukunft außer der, die einem vorgeschrieben wird." Aisha nickte bedächtig. „Du gehörst nicht zu unserem Volk. Unsere Frauen akzeptieren eine ihnen vorgeschriebene Zukunft. Die Frauen des Stammes Raphael tun das also nicht, nein?" Sarita überlegte. Die Entscheidungen des Stammes Raphael wurden von den Männern getroffen. Nur selten lehnte sich eine Frau 112
dagegen auf. Noch seltener fügte sich ein Mann dieser Auflehnung. Trotzdem waren Frauen für den Zusammenhalt und den Alltag des Stammesverbandes wichtig. Sie besaßen ihren Platz und ihre Aufgaben, und kein Mann redete ihnen in ihr Reich hinein. An diesem Ort hier besaßen die Frauen anscheinend keine eigene Sphäre und keine Aufgaben; sie waren abhängig von den Wünschen und Launen eines einzigen Mannes. „Unsere Frauen besitzen ein gewisses Maß an Macht über ihr eigenes Leben. Zugegeben, das ist nicht genug." „Und diese Beschränkung akzeptierst du nicht?" Sarita schüttelte den Kopf. „Nein." Und genau das hatte sie ja in diese Lage hier gebracht! Zum ersten Male beschlich Aisha ernsthafte Bedenken. Weshalb hatte Abul diese junge Frau nach einer allem Anschein nach unbefriedigenden Nacht hierher zu den Bädern gebracht? Besaß sie für ihn mehr als nur körperliche Anziehungskraft? Das wäre die einzige Bedrohung, die von einer anderen Frau für Aisha ausgehen konnte. „Vielleicht kann ich einmal mit dem Emir reden", sagte sie. „Ich habe einigen Einfluß auf ihn und kann ihn möglicherweise bitten, dich freizugeben." Dieses Angebot abzulehnen, wäre unmöglich gewesen, wie Sarita fand. Außerdem lächelte die Gattin des Emirs sie so freundlich an. Allerdings erreichte dieses Lächeln nicht die Augen, und das beunruhigte Sarita für einen Moment. Aber nicht doch, die hohe
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Dame war ihr nicht feindlich gesinnt, sondern wollte ihr nur helfen. „Ich wäre Euch für Eure Hilfe sehr dankbar." „Ich begleite dich zum Turm zurück." Aisha wandte sich zur Tür. „Du mußt mir von dir erzählen.- Es kommt nicht so oft vor, daß eine Fremde aus einer anderen Welt in unsere Abgeschiedenheit gelangt."
7. KAPITEL „Du konzentrierst dich nicht, Boabdil." Abul sprach sanft und zeigte seine Ungeduld nicht, nachdem der Junge zum drittenmal denselben Rechenfehler gemacht hatte. Der Lehrer zupfte sich nervös am Bart und versuchte, dem Knaben noch einmal das mathematische Prinzip dieser Aufgabe zu erläutern. Boabdil starrte trübsinnig auf seine Schiefertafel. Er verstand nicht, was Ahmed Eben ihm erzählte, und er hatte auch gar keine Lust dazu, es zu verstehen. Eines Tages würde er der Emir sein, und dann spielte das alles keine Rolle mehr. Sein Vater verbrachte die Zeit ja auch nicht mit Rechenaufgaben, Erdkunde und Koranstudium. Weshalb sollte man sich dann mit dem ganzen Zeug überhaupt erst herumplagen? Der Emir zog mit dem Krummsäbel in den Krieg, oder er regierte sein Reich Granada vom Thronsaal aus, und jedermann mußte tun, was er sagte, sogar der Wesir.
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Boabdil haßte diese Tageszeit, und er war immer erleichtert, wenn sich der Emir in Regierungsangelegenheiten auf Reisen befand und ihm, Boabdil, die täglichen Prüfungen erspart blieben. Im Unterricht war er, selbst wenn er sich anstrengte, nun einmal nicht so gut, und das mißfiel seinem Vater. Seine Mutter dagegen verstand das. Sie hatte ihm immer gesagt, er braucht sich nicht mit Dingen zu quälen, die ihm nicht lagen. Wenn er erst einmal erwachsen und Emir war, würden nämlich andere Leute das tun müssen, was er nicht tun konnte oder wollte. Sie hatte ihm versprochen, immer an seiner Seite zu sein und dafür zu sorgen, daß alles so lief, wie es laufen sollte. Solange er noch bei seiner Mutter und mit den anderen Kindern im Frauenhaus gewohnt hatte, war alles gut gewesen. Die Kinder hatten ihm stets gehorcht, weil er des Emirs Erstgeborener war. Die Lehrer dort hatten ihn nie zu etwas gezwungen, und falls er statt zu lernen lieber in die Gärten oder die Ställe gehen wollte, hatte er nur seine Mutter darum zu bitten brauchen. Jetzt dagegen war jedes des Tages mit irgendwelchen Aufgaben oder Tätigkeiten ausgefüllt. Es gab nur Männer um ihn herum, und er vermißte die parfümierte, raschelnde, weiche Wärme des Frauenhauses. Er hätte sich so gern wieder in die liebenden Arme seiner Mutter gekuschelt und sich von ihr mit gefüllten Datteln, kandierten Mandeln und eingelegten Orangen füttern lassen. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er mußte schniefen. Falls sein Vater sah, daß er weinte, würde er böse werden und ihm sagen, er sei doch kein Kleinkind mehr. Seine Mutter hingegen trocknete ihm immer die Augen und küßte ihn. Jetzt rollte auch noch eine Träne an seiner Nase hinunter! Hastig wischte er sie fort und blickte ängstlich zu seinem Vater hoch.
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Abul sah die Träne, aber der Blick seines Sohnes bekümmerte ihn mehr. Der Junge hatte Angst vor ihm, diese Angst jedoch war vollkommen unbegründet. Obwohl Abul sich manchmal sehr beherrschen mußte, weil Boabdil sich absichtlich dumm anstellte, sich wie ein kleines Kind aufführte und jammerte, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief, so hatte er, sein Vater, doch niemals etwas gesagt oder getan, das die offensichtliche Angst seines Sohnes vor ihm rechtfertigen würde. Allerdings hatte Abul ihn von seiner Mutter getrennt, doch das war etwas ganz Normales bei einem Jungen, der zu alt war, um noch im Frauenhaus zu wohnen. Es wurde Zeit, daß Boabdil das Leben unter Männern kennenlernte. Der Emir wußte, daß ein festes Band zwischen seiner Frau und seinem Sohn bestand und daß Aishas Einfluß auf den Jungen nicht geringer geworden war, obwohl Abul die Zeit beschränkt hatte, in der die beiden Zusammensein konnten. Boabdil haßte seinen Vater für diese Einschränkung und sah nicht ein, daß diesem nur daran lag, den Knaben auf das Leben in der Welt vorzubereiten, die ihn erwartete. Aus dem Impuls heraus beugte er sich zu seinem Sohn und wischte ihm die Tränenspur fort. „Weine nicht, Boabdil. Es ist ein zu schöner Tag für Mathematik. Du kannst dir den Rest des Tages freinehmen." Sofort erhellte sich das Gesicht des Jungen, was Abul mit Erleichterung sah. Mit einem gemurmelten Dank rannte Boabdil zur Tür. „Wohin gehst du?" erkundigte sich sein Vater. 116
„Zu Mutter." Bedauernd schüttelte Abul den Kopf. „Nein, nicht vor Sonnenuntergang. Das weißt du doch, Boabdil." Der Junge blickte ihn an, und in seinen Augen spiegelten sich außer ärgerlicher Enttäuschung auch Furcht und Feindseligkeit. Abul versuchte zu lächeln. „Bevor ich Gerichtstag halte, habe ich noch etwas Zeit. Laß uns diese Stunden zusammen verbringen, ja?" Boabdil schüttelte den Kopf, setzte sich wieder und kritzelte auf seiner Tafel herum. Das Verhalten seines Sohnes ärgerte den Emir. Er selbst hatte sich vor Glück immer kaum fassen können, wenn sein eigener Vater ihm manchmal ein solches Angebot gemacht hatte, und wenn sie dann beide ihre jeweiligen Aufgaben geschwänzt und sich statt dessen bei allen möglichen Aktivitäten vergnügt hatten. War es zu spät, ein solches Verhältnis zu seinem eigenen Sohn aufzubauen? Abul seufzte, und das Herz war ihm schwer, weil er die Antwort darauf kannte. Unvermittelt stand er auf. „Sehr wohl, wenn du keinen Ferientag möchtest, dann kann ich dich für deinen Lerneifer nur loben. Ich überlasse dich jetzt deinen Lektionen. Ich erwarte, daß du morgen nicht wieder dieselben Rechenfehler machst." Damit verließ er den Raum. Durch seine Tränen hindurch starrte Boabdil auf die dummen Zahlen auf seiner Tafel. Seine Mutter hatte ihm gesagt, sein Vater sei ein grausamer, strenger Mann, den man nicht erzürnen dürfe. Jetzt bestimmte sein Vater allein sein Leben, machte es ihm schwer und hart und hielt ihn von der Mutter fern. Vielleicht ging 117
der Emir ja einmal auf eine Reise und kam davon nicht mehr zurück. Bei diesem Gedanken bekam Boabdil Gewissensbisse. Falls sein Vater andererseits tatsächlich verschwand, dann würde er, Boabdil, Emir werden, und dann durfte ihm niemand mehr verbieten, mehr als zwei Stunden täglich mit seiner Mutter zusammen zu verbringen. Ahmed Eben sprach über die Zahlen auf der Tafel, und Boabdil versuchte sich zu konzentrieren. Morgen mußte er die Rechenaufgaben unbedingt beherrschen. Er hatte seinen Vater schon genug erzürnt. Abul schlenderte durch die am frühen Nachmittag ruhigen und friedvollen Gärten, doch seine übliche Heiterkeit war durch die Begegnung mit seinem Sohn gestört. Sein Zorn richtete sich gegen seine Gemahlin. Weshalb hatte sie dem Jungen beigebracht, seinen Vater mit solcher Furcht und Feindseligkeit zu betrachten? Ein dergestalt gestörtes Verhältnis nützte doch niemandem. Oder lag Aisha möglicherweise nur daran, ihre Macht auszuprobieren? Durch ihren Sohn verfügte sie über einen Einfluß, der über die Mauern des Harems hinausging, und übte eine Macht aus, die sie zu mehr befähigte, als nur aus ganz persönlichen Gründen gegen einen wichtigen Ratsherrn zu intrigieren. Dieser unangenehme Gedankengang führte zu einer noch unerfreulicheren Schlußfolgerung. Falls Aisha wirklich ein Feind im eigenen Lager war, und man könnte sie überfuhren, dann müßte sie entfernt werden. Das beschwor jedoch Disharmonie in der Alhambra und außerhalb ihrer Mauern herauf, wo ihr Vater, das mächtige Oberhaupt der Mozarabes, ein wachsames Auge auf die
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Interessen seiner Tochter - und damit auch seiner eigenen Familie hatte. Nicht gerade bester Stimmung betrat Abul den Mexuar, den Audienz- und Gerichtssaal. Heute war einer der beiden Wochentage, an denen er hier Recht sprach, und er wußte, daß sein gegenwärtiger Mangel an innerem Gleichgewicht seinem logischen und sachlichen Denken abträglich war. Er durchquerte den Saal und begab sich in die dahinter befindliche kleine Moschee, deren Gebetsnische nach Osten ausgerichtet war. Von diesem Ort des stillen Gebets konnte man über das sattgrüne Flußtal hinausschauen. Abul ließ den Frieden der Moschee auf seine Seele wirken und spürte, wie er wieder eins mit sich, seiner Umgebung und seinem Gott wurde. Dieses mußte er auch Boabdil vermitteln. Ohne absolute innere Sicherheit konnte ein Mann nichts erreichen, besaß keine Autorität, keine Macht, kein Selbstbewußtsein ... Aus dem Mexuar kamen Geräusche, die anzeigten, daß sich das Gericht versammelt hatte. Innerlich erneuert und mit sich im Frieden, kehrte Muley Abul Hassan an die Arbeit für sein Reich zurück. Nach einem langsamen und angenehmen Spaziergang erreichten Sarita und Aisha den Turm. Sarita, deren ungutes Gefühl angesichts des Charmes und der Freundlichkeit der älteren Frau verflogen war, hatte dieser einiges über das Leben im Stamm Raphael erzählt. Auf dem Palastgelände war alles ganz still, nur von der Alcazaba her war das regelmäßige Glockenläuten zu hören, das anzeigte, daß alles in Ordnung war und daß die Burgbewohner sich ohne 119
Sorgen der Ruhe während der Nachmittagshitze hingeben konnten. „Haltet Ihr keine Siesta?" erkundigte sich Sarita, als sie die Gartenpforte erreicht hatten. Aisha lächelte. „Selbstverständlich - bis zum Sonnenuntergang, wenn mein Sohn zu mir zurückkehrt." „Zurückkehrt? Wo ist er denn so lange?" „Nun, bei seinem Vater", antwortete Aisha scheinbar gleichmütig, doch Sarita spürte eine gewisse Schärfe hinter ihren Worten. „Sein Vater hat ihn mir fortgenommen. Jetzt darf ich ihn nur noch zwei Stunden am Tag für mich haben." „Das ist ja furchtbar! Warum nimmt der Emir einer Mutter das Kind fort?" „Er wünscht, daß sich der Knabe nur ihm verbunden fühlt", antwortete Aisha. „Er ist eifersüchtig auf den Einfluß, den ich auf Boabdil ausüben könnte." Sarita schwieg einen Moment. Sie hatte das Gefühl, irgend etwas stimmte hier nicht. Aisha lächelte tapfer und sprach davon, daß Männer eben kein Verständnis für das Verhältnis zwischen Müttern und Kindern hätten. Abul läge nur daran, seinen Sohn zu seinem Erben und Nachfolger zu erziehen, und dabei sei das Kind doch noch so klein, zart und verletzlich. Sie fürchtete, Abul könnte den armen Boabdil überfordern und dabei grausame Methoden anwenden. „Aber ich will dich nicht mit meinen persönlichen Sorgen belästigen, Sarita", schloß sie. „Das sind Dinge, die nur meinen Gatten und mich betreffen." 120
„Gewiß", sagte Sarita. „Ja, da habt Ihr sicherlich recht." Sie konnte sich nicht vorstellen, daß der Abul, den sie kannte, kleine Kinder quälte. Natürlich hatte sie gleich gespürt, daß er Macht besaß und diese auch einzusetzen verstand - aber doch nicht gegen ein Kind. Sie drehte sich zu Aisha um und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich danke Euch für Eure Gesellschaft, Herrin." Aus diesen höflichen Worten hörte Aisha heraus, daß sie jetzt entlassen war und daß ihre Ausführungen angezweifelt wurden. Hatte sie einen Fehler gemacht? Sie war davon ausgegangen, daß Sarita, die es ablehnte, sich in Abuls Gewalt zu befinden, leicht zu einer Verbündeten zu machen wäre. Jetzt war sie sich dessen nicht mehr so sicher, aber sie wollte es weiter versuchen, denn diese Gefangene mochte sich noch als sehr nützlich erweisen. „Vielen Dank dafür, daß du mir zugehört hast", sagte sie. „Ich möchte nicht, daß du schlecht von meinem Gatten denkst. Er hat wohl nur getan, was alle Männer tun, wenn ihre Erben ein gewisses Alter erreicht haben, nur..." Sie betupfte sich die Augen. „Nur hat er es nie verstanden, wie eng die Verbindung zwischen mir und Boabdil ist. Mein Sohn war nämlich immer ein kränkliches Kind ... " „Ich verstehe." Sarita nickte ernst. Sie kannte die engen Verbindungen zwischen Müttern und Söhnen aus ihrem Stamm, nur wurden dort die Jungen den Frauen nicht fortgenommen. Sie wuchsen einfach zu Männern heran und entwickelten männliche Interessen. Boabdils Absonderung hörte sich nach Zwang an, wenngleich Aisha sicherlich übertrieb.
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„Ich werde also mit dem Emir über dich sprechen, wenn du es noch wünschst", sagte Aisha. „Willst du zu deinem Stamm zurückkehren?" „Nein", antwortete Sarita. „Euer Gatte hat mir gesagt, er stünde mir in diesem Fall nicht im Weg, nur erlaubt er mir nicht, mich ohne seinen Schutz zu bewegen, bis ich zu meinem Stamm zurückgekehrt bin." Aisha verlor den Boden unter den Füßen. Ihr Gemahl hatte also angeboten, diese Frau freizugeben, ihr aber eine unannehmbare Alternative präsentiert. Hier ging etwas höchst Ungewöhnliches vor, und um das zu klären benötigte Aisha Zeit. „Ich werde mich jetzt zur Siesta begeben." Sie lächelte noch immer. „Wir treffen uns bald wieder." „Sicherlich. Ich wünsche Euch Wohlergehen." Sarita wartete noch so lange, bis die Frau in den Zypressenpfad eingebogen war, und dann trat sie in den friedlichen, kühlen Innenhof des Turms. Kadiga und Sulema hielten anscheinend Siesta, denn sie befanden sich nicht im Turm. Da Sarita im Saal der Ruhe in den Bädern geschlafen hatte, war sie jetzt nicht mehr müde. Sie stieg zur Schlafgalerie hinauf. Von den Fenstern im hinteren Teil konnte man über die Ravine hinweg zum Generalife und weiter bis zu den Berggipfeln schauen. Die vorderen Fenster boten Ausblick auf die Gärten und auf die Hauptgebäude der Palastanlage. Zu einem solchen Fenster trat Sarita, blickte über die Gärten und schüttelte geistesabwesend ihr orangefarbenes Kleid, das die beiden Dienerinnen ausgewaschen und aufgehängt hatten. Es war jetzt trocken. 122
Plötzlich durchfuhr sie ein Gedanke: Wer oder was sollte sie daran hindern, an diesem stillen Nachmittag einfach von hier fortzugehen? Die Tür in ihrem Turm war nicht verschlossen, es gab keine Wächter und keine Wachhunde. Sie besaß ihr Bündel und ihre eigene Kleidung. Bisher hatte niemand bei ihren Spaziergängen besondere Notiz von ihr genommen. Weshalb sollte es diesmal anders sein? Man hatte sie mit dem Emir und dessen Gattin zusammen gesehen, und von beiden war sie nicht wie eine Gefangene behandelt worden. Der Gedanke war so brillant, weil er so einfach war. Sarita legte sofort das weite orientalische Gewand ab und schlüpfte in ihre eigene Kleidung. Gleich fühlte sie sich wieder wie sie selbst. Glücklicherweise hatte die Frauen hier nicht genügend Zeit gehabt, um Saritas Füßen einen zu großen Schaden zuzufügen; falls ihr Aufenthalt auf der Alhambra noch lange dauerte, würde sie bald Sohlen wie Seide haben. Sarita schleuderte die lächerlich spitzen Pantoffeln von sich und genoß es, den Boden unter ihren Füßen wieder richtig zu fühlen. Ihr Haar war noch aufgesteckt. Sie löste es und fuhr mit dem Kamm ein paarmal hindurch - eine vergebliche Mühe, denn die Locken taten ja doch, was sie wollten. Noch einmal schaute sie sich in ihrem goldenen Käfig um, nahm ihr Bündel auf und ging dann hinunter. Wo mochte Abul sein? Diese Frage kam ihr ungebeten in den Sinn, denn bisher hatte Sarita alle Gedanken an den Emir aus ihrem Kopf verbannt. Irgendwie schien es ihr nicht recht, ohne Abschiedswort zu verschwinden. Sie wußte natürlich, daß solche Höflichkeiten absurd wären. Entschlossen verließ sie den Turm und wanderte in Richtung Palast. Sie hoffte nur, sie fand den 123
richtigen Weg in diesem Labyrinth aus Gärten und Höfen zu dem großen Außenplatz und dem Tor der Gerechtigkeit. Nur wenige Menschen begegneten ihr, und diese schauten sie kaum an, bis sie sich in einem Hof voller Soldaten wiederfand. Hinter ihr erhob sich die Alcazaba, und Sarita merkte, daß die Festung der Alhambra offenbar keine Siesta hielt. Hier wurde von Sarita sehr wohl Notiz genommen. Die Männer starrten die kleine barhäuptige Gestalt in dem orangefarbenen Kleid an; einige schauten auch zur Seite, und wieder andere spien verächtlich auf den Boden. Sarita fühlte sich sehr unwohl. War es Frauen nicht erlaubt, diesen Teil der Alhambra zu betreten? Oder lag es daran, weil sie anders war als die hiesigen Frauen, weil sie nicht verschleiert war? Gleichgültig, was es war - ihr Unbehagen steigerte sich mit jedem Schritt, und sie mußte sich beherrschen, um nicht über den Hof zu dem offenen Tor an seinem anderen Ende zu rennen. Sie fühlte sich wie eine Dirne, die sich unanständig den Männern zur Schau stellte. Errötend, mit gesenktem Haupt, aber gemessenen Schrittes ging sie weiter durch das Spalier der Soldaten. Als sie das Tor erreichte, passierte es. Plötzlich wurde sie hochgehoben und gegen einen in einem Lederwams stekkenden, harten Brustkorb gedrückt. Ein arabischer Wortschwall übertönte fast ihre Schreckensschreie. Blind schlug sie um sich, aber sie war eine Fliege in der Hand eines Riesen, und dieser Riese machte mit ihr kehrt und trug sie durch den Hof zurück, vorbei an den nun grinsenden Soldaten. Sie stieß mit den Füßen und wehrte sich nach Kräften. Der Mann fluchte kurz und kräftig auf arabisch und warf sich Sarita wie eine Lumpenpuppe über die Schultern. Mit der einen Hand hielt er ihre Füße, mit der anderen ihre Handgelenke fest, so daß sie wie eine Jagdbeute zu beiden Seiten über seinen Rücken hing. Bewe124
gen konnte sie sich nicht mehr. Ihr Kopf baumelte über der Brust des Soldaten und stieß bei jedem Schritt gegen das harte Lederwams. Ungerührt trug der Mann sie durch die Höfe und Säulengänge in die Palastanlage zurück. Diese Feststellung beruhigte Sarita trotz allem; sie war also ganz offensichtlich nicht zum Vergnügen der ganzen Garnison vorgesehen. Ihre Furcht legte sich. Ihr Zorn wuchs. Sie überquerten einen kleinen Platz, auf dem Männer mit weiten Gewändern und Seidenturbanen oder Tarbuschen in Gruppen beieinanderstanden. Sarita hatte den Eindruck, sie befanden sich hier in einer Art Vorhof. Zu ihrem Zorn kam die Verlegenheit, weil alle diese Männer den Soldaten und dessen Bürde angafften, der j etzt durch eine halboffene Flügeltür in einen Saal voller Leute marschierte. Abul bemerkte die Störung zuerst nicht. Er konzentrierte sich auf die Argumente eines Handwerkers aus Granada, der sich stimmgewaltig gegen die Anschuldigungen seines Nachbarn verteidigte, er hätte das Wasser der Zisterne mit den Abflüssen aus seiner Gerberei verunreinigt. Erst als die zuvor aufmerksam lauschenden Männer im Mexuar zu raunen begannen, wandte sich der Emir von den beiden Beschwerdeführern ab und sah einen Soldaten aus seiner Garnison zwischen die vier Säulen in der Mitte des Gerichtssaals treten. Abul erkannte, was der Mann mit sich trug, und wunderte sich verschwommen über sein eigenes Erstaunen. Selbstverständlich erwartete er nicht, daß sich ihm jemand widersetzte, weil das bisher niemand jemals getan hatte.
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Es war ihm deshalb auch nicht in den Sinn gekommen, daß das Christenmädchen seine Bestimmungen einfach ignorieren würde. Er hätte es aber voraussehen müssen. Der Soldat ließ Sarita ziemlich unsanft auf den Marmorboden vor Abuls Füße fallen. Im nächsten Augenblick war sie wieder auf den Beinen, holte mit der rechten Hand aus und versetzte dem Mann einen schallenden Schlag ins Gesicht, während sie gleichzeitig mit dem nackten Fuß kräftig gegen sein Schienbein trat. Es schien, als hielte die ganze Gerichtsversammlung den Atem an, und dann kam Bewegung in den Soldaten. Saritas Kopf klemmte plötzlich in der Armbeuge des Kerls, an ihren Hals legte sich die geschwungene Schneide eines Krummdolches. In diesem atemloses Moment ertönte die harte, befehlende Stimme des Emirs. Sarita sah den Soldaten zögern und fühlte, wie sein Arm um ihren Nacken zuckte. Abul wiederholte seinen Befehl etwas lauter und in einer etwas höheren Stimmlage. Jetzt lockerte sich der Griff des Soldaten, die Dolchklinge senkte sich, und Sarita landete wieder auf dem Boden. Diesmal blieb sie liegen. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie fürchtete, ihr würde übel werden. Angstschweiß überzog ihren Körper, doch sie unterdrückte jeden Klagelaut. Abul redete noch immer. Natürlich verstand sie seine arabischen Worte nicht, aber sein Ton blieb unverkennbar barsch und befehlend. Anscheinend erteilte er eine ganze Reihe von Anweisungen. Weshalb sagte er nichts zu ihr? Warum hob er sie nicht vom Boden auf? Weshalb lächelte er ihr nicht mild erheitert zu? 126
Und wie kam sie eigentlich auf die Idee, daß er das alles tun könnte? Wieso lag sie hier wie ein vom Wind gebrochenes Schilfrohr herum? Sie hob den Kopf, nur ein ganz kleines Stück, und dann zog der Soldat sie vom Boden hoch, warf sie sich wieder über die Schultern, drehte sich um und marschierte mit ihr aus dem Saal. Sarita wußte jetzt, daß ihr nichts geschehen würde. Der Emir hatte gesprochen. Allerdings hatte er nichts getan, um ihre Lage zu verbessern. Er hatte wahrscheinlich sogar angeordnet, daß diese Schmach anhalten sollte. Immerhin hatte Sarita ihre Lektion gelernt und hing jetzt schlaff und still über den Schultern des Soldaten, der durch die Palastanlage, den Zypressenweg entlang und dann durch die Gartenpforte zu ihrem Turm marschierte. An der Pforte setzte er Sarita ab und stieß sie in den Innenhof. Die Tür schlug hinter ihr zu, und Sarita hörte ein neues Geräusch: das eines Schlüssels, der sich im Schloß drehte. Jetzt war sie tatsächlich eine Gefangene. Ihre Beine zitterten, ihre Knie waren weich. Sie fiel auf die Ottomane neben dem Brunnen. Nach dieser rauhen Behandlung kam sie sich vor, als wäre sie durchgeprügelt worden, obwohl sie wohl kaum irgendwelche äußerlichen Verletzungen davongetragen hatte. Es waren ihr Stolz und ihr Selbstbewußtsein, die die blauen Flecke abbekommen hatten.
8. KAPITEL Der Tag ging zu Ende, ohne daß jemand gekommen wäre. Sarita erholte sich nach und nach von ihrem Abenteuer und fand zu ihrem inneren Gleichgewicht zurück. Zumindest hatte man ihr die 127
Kehle nicht durchgeschnitten; der Emir hatte das verhindert, aber das war auch das einzige gewesen, was er für sie getan hatte. Sie stieg zur Schlafgalerie hoch. Draußen wurde es langsam dunkel. Der erste Stern leuchtete schon schwach am Himmel. Sarita merkte, daß sie Hunger hatte. Seit heute morgen hatte sie nichts mehr zu sich genommen, und das Frühstück hatte nur aus einem Stück gebuttertem Fladenbrot und einer Tasse Jasmintee bestanden. Aprikosen waren auch nicht mehr da. Überhaupt befand sich im ganzen Turm nichts Eßbares. Und wo steckten eigentlich Kadiga und Sulema? Es wurde dunkler. Im Turm gab es Öllampen. Sarita machte sich auf die Suche nach Zunder und Feuerstein, fand aber nichts, womit sie die Lampen hätte anzünden können. Inzwischen beschwerte sich ihr Magen ziemlich lautstark. Die Sterne funkelten jetzt hell am Nachthimmel. Die Luft hatte sich abgekühlt. Durch die vorderen Galeriefenster war das ohrenbetäubende Konzert der Zikaden zu hören und die aus den Gärten aufsteigenden Düfte zu riechen. Einen knurrenden Magen konnte man aber nicht mit süßen Düften zufriedenstellen. Sarita beugte sich aus dem Fenster. Sie sah die Lichter des Palastes und meinte, die Essensgerüche wahrnehmen und die Musik hören zu können, die die Speisenden unterhielt - eine lachhafte Vorstellung. Sie beugte sich weiter aus dem Fenster, um zu sehen, ob sich an der Außenwand irgendwelche Stützen oder Nischen für kletternde Füße befanden. Natürlich nicht. Und was hätte sie auch damit anfangen sollen? Daß sie nicht einfach aus der Alhambra
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hinausspazieren konnte, hatte sie ja heute nachmittag schmerzlich erfahren. Sie kehrte in die Schlafgalerie zurück. Die rückwärtigen Fenster versprachen nur einen Sturz in die jetzt stockfinstere Ravine. Und bei allem wurde der Hunger immer quälender. Ins Bett zu gehen, war das einzige, was sie in dem dunklen Turm hätte tun können, nur war sie nicht müde, sondern hungrig. Sie wollte einen Becher Wein, und was sie am meisten wollte, das war eine Schlacht. Sie wollte sich mit Muley Abul Hassan schlagen. Wütend warf sie sich auf den seidenverhangenen Diwan in der Galerie. Als sie hörte, daß unten die Tür geöffnet wurde, rührte sie sich nicht. Schritte kamen die Treppe herauf. Sarita kannte diese Schritte: Der Emir hatte ihr dunkles Gefängnis betreten. Sie lag still und wartete ab. „Weshalb hast du kein Licht gemacht?" fragte Abul von der obersten Treppenstufe her. Seine Stimme klang so ruhig und gleichmütig, als hätte der heutige Nachmittag überhaupt nicht stattgefunden. „Weil ich kein Werkzeug habe." Sie blieb auf dem Diwan liegen und starrte an die Decke. „Hast du in der Zedernholztruhe nachgesehen?" Sie schwieg, was Abul zutreffend als Verneinung auffaßte. Er stieg wieder in den Innenhof hinunter. Bald darauf hörte Sarita Feuerstein gegen rauhen Stahl reiben, und dann leuchtete ein sanftes Licht auf. „Komm herunter, Sarita. Wir müssen über einiges reden." Abuls Stimme klang noch immer so friedlich. Sarita glaubte jedoch, ei-
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nen eindringlichen Unterton herauszuhören. Schwungvoll drehte sie sich auf die andere Seite. Und jetzt? Sie wartete gespannt. „Sarita, erspare mir die Mühe, dich herunterzuholen." Der Unterton in der Stimme wurde immer deutlicher. Sarita hatte durchaus die Absicht, sich des längeren energisch mit Abul zu unterhalten, nachdem sie ihm erst einmal mit ihrem Schweigen gezeigt hatte, wie ärgerlich sie war. Wenn sie jetzt allerdings zu lange bockte, würde sich das auf ihre Lage sicherlich nicht günstig auswirken. Also erhob sie sich von ihrem Diwan und stieg die Treppe hinunter. Mit verschränkten Armen lehnte Abul gegen eine der Säulen. An seinem breiten Ledergürtel hing ein Dolch in der Scheide. „Ich habe Hunger", erklärte Sarita ohne jede Vorrede, als sie in den Innenhof trat. Es hatte vorwurfsvoll klingen sollen, doch Abul reagierte nicht wie erwartet darauf. „Gut", sagte er. „Das hatte ich beabsichtigt. Es erweist sich meistens als ersprießlicher, wenn man über seine eigene Torheit bei leerem Magen nachdenkt." Der Zorn flammte in Sarita auf. „Aha, es ist also eine Torheit, aus dem Gefängnis fliehen zu wollen, ja? Ich dagegen finde, das ist ein sehr verständlicher Wunsch." „Es war eine Torheit, anzunehmen, daß du diesen Ort hier ohne meine Erlaubnis verlassen könntest. Davon habe ich jedoch eben nicht gesprochen." „Jetzt hört mir einmal gut zu, verehrter Emir." Ihre Stimme bebte vor Zorn. „Ich wurde von irgendeinem Wilden wie ein Mehlsack 130
herumgeschleppt. Man hat mir um ein Haar die Kehle durchgeschnitten. Ich habe stundenlang im Dunkeln gehungert, und alles zusammen reicht mir jetzt. Ich lehne es ab, mir nun noch Euren Vortrag zum Thema Torheit anzuhören ... oder zu jedem anderen Thema." Sie machte kehrt, um wieder auf die Galerie zu steigen. Abul war indessen schneller und packte sie beim Arm. „Doch, du wirst mir zuhören, Sarita. Es ist zu deinem eigenen Guten." „Laßt mich gefälligst los!" Außer sich vor Wut zerrte sie an ihrem Arm und wurde dann noch wütender, weil sie damit nichts erreichte. Unvermittelt fuhr sie zu Abul herum und zog das Knie zu einem bösen und gezielten Stoß hoch. Entweder hatte Abul etwas in dieser Art erwartet, oder seine Reflexe waren bemerkenswert gut ausgebildet, denn er vollführte eine kleine Bewegung seitwärts, packte gleichzeitig Saritas hochgezogenes Knie und lenkte es geschickt gegen seinen harten Oberschenkel. „Wildkatze!" Seine schwarzen Augen sprühten Zorn. „Hast du denn heute nachmittag nichts gelernt?" „O doch. Ich habe das wahre Wesen Eures Märchenlandes kennengelernt." Sie rieb sich das schmerzende Knie. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie wußte nicht, ob das Schmerz-oder Zornestränen waren. „Hier ist alles reine Schönheit, doch unter der Oberfläche lauert die grausigste Barbarei", fauchte sie. „Harmonie von Körper und Geist, die Bedeutsamkeit der inneren Ruhe, die edlen Werte Eurer Kultur - davon könnt Ihr predigen soviel Ihr wollt, aber hinter dieser Fassade seid ihr allesamt Wilde - wenn auch überaus saubere Wilde", fügte sie hinzu. 131
Abuls Wut verflog so schnell, wie sie aufgeflammt war, und an ihre Stelle trat heimliche Erheiterung. Er rieb sich den Oberschenkel und mochte lieber nicht daran denken, wie er sich jetzt fühlen würde, wenn Saritas Knie das angepeilte Ziel getroffen hätte. „Willst du mir etwa weismachen, du, ein schwaches Weib, hättest in deinen Stamm ungestraft einen Mann so attackieren dürfen wie heute meinen Soldaten?" Saritas Zorn war ebenfalls fast verflogen. „Ungestraft wohl nicht", gab sie zu. „Aber es hätte mich nicht gleich den Hals gekostet, und außerdem wäre ich nicht wie ein erlegtes Stück Wild herumgeschleppt worden." „Sarita, für die Männer hier bist du erstens nur eine Frau und zweitens eine Ungläubige. Frauen tun, was man ihnen sagt, und bleiben dort, wohin sie gehören. Und für einen Mann, der an den Einen Gott glaubt, bist du als Ungläubige praktisch wertlos und kannst keine Rücksichtnahme erwarten, schon gar nicht, wenn du einen rechtgläubigen Mann angreifst. Wenn du zu unserem Volk gehörtest, würdest du wissen, wie du dich zu benehmen hast, um dich nicht dem Zorn eines Mannes auszusetzen." „Dann darf ich also nichts dagegen haben, wie eine tote Hirschkuh transportiert zu werden, nein?" Sie ging im Innenhof auf und ab und rieb sich die verschränkten Arme, als fröre sie. „Nein, denn zum einen bist du eine Frau, und zum anderen hast du dich meinen Anordnungen widersetzt. In diesem Reich bin ich der absolute Herrscher, Sarita. Alles hier geschieht unter meiner Rechtsprechung. Zu deiner eigenen Sicherheit mußt du diese Dinge begreifen lernen. Ich kann nicht immer zur Stelle sein, um dich zu beschützen."
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„Ach, und mich stundenlang ohne Nahrung im Dunkeln einzuschließen, ist Eure Art, mich zu beschützen? Vergebt mir, mein Emir, daß ich Euch nicht schon eher meine Dankbarkeit ausgesprochen habe. Ich hatte wohl noch nicht richtig begriffen, daß ich von den Folgen der Entführung geschützt werden muß." „Wie wortgewandt du doch bist. Der Hunger hat offenbar deinen Verstand und deine Zunge geschärft." Sarita griff ein Kissen und warf damit nach Abul. Er duckte sich lachend, und sie setzte ihren Beschuß mit allen Kissen fort, die sich auf den im Innenhof verteilten Liegen befanden. Abul wich ihnen immer noch lachend aus, bis Sarita etwas Gefährlicheres in die Hand bekam. Ein Onyxkästchen flog durch die Luft, sauste haarscharf an seinem Ohr vorbei und krachte auf den Marmorboden. Abul stand still. Er lachte nicht mehr. „Das ist jetzt nicht mehr amüsant", stellte er fest. „Dafür hielt ich es nie", erklärte sie kühl, wenn auch mit einem leisen Anflug von Angst. „Die Erheiterung war ganz auf Eurer Seite. Das Fehlverhalten übrigens auch." Er schüttelte den Kopf. „Das ist ein Irrtum. Du hast es vorgezogen, hierzubleiben statt zu deinem Volk zurückzukehren. Du wirst nicht gegen deinen Willen hier festgehalten. Und es ist ganz zweifellos höchst unhöflich von einem Gast, den Gastgeber mit gefährlichen Gegenständen zu bewerfen." Er ging langsam auf Sarita zu. Sie machte ein paar Schritte rückwärts. „Das ist ein schwaches Argument. Ich wünsche weder hierzubleiben noch zu meinem Stamm zurückzukehren. Ich will nach Kastilien gehen. Auf jeden
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Fall werde ich dort wie eine Christin behandelt, und nicht wie ... wie ..." „Wie eine tote Hirschkuh", half er ihr aus und kam noch näher. „Ob du es glaubst oder nicht, mein Kind, an deiner Sicherheit und deinem Wohlergehen liegt mir sehr viel. Ich behalte dich hier nicht nur für mich, obwohl ich nicht leugne, daß das ein wichtiger Beweggrund ist, sondern zu deiner eigenen Sicherheit." „Für meine Sicherheit übernehme ich selbst die Verantwortung." Sie zog sich noch weiter zurück, denn Abuls Blick gefiel ihr ganz und gar nicht, obwohl sich seine Stimme jetzt friedlich anhörte. „Nicht unter meiner Befehlsgewalt", entgegnete er. „Wollen wir nun diese merkwürdige Fortbewegungsart endlos fortsetzen, oder bleibst du endlich still stehen?" „Stehenbleiben? Wozu?" Sarita war inzwischen bei der Treppe angekommen. „Um die Strafe entgegenzunehmen, die der Emir von Granada wegen Werfens mit gefährlichen Gegenständen nach ihm für angemessen hält. Den vorangegangenen Anschlag auf meine männliche Unversehrtheit wollen wir vergessen. Ihn und die Kissen vergebe ich aufgrund von mildernden Umständen, nicht jedoch das Onyxkästchen." Sarita drehte sich um und floh die Treppe hinauf. Abul folgte ihr beinahe gemächlich, und dennoch war er schnell auf der Galerie. Sarita tänzelte rückwärts, sprang über eine Ottomane und hielt dann inne, weil sie erkannte, daß ihre Fluchtroute in diesem kreisförmigen Raum immer voraussehbar auf der Hand lag. Abul kam dichter heran, Sarita floh weiter. Sie stolperte über einen Seidenteppich und hielt sich an einem Balkongitter fest, um 134
nicht zu stürzen. Unauffällig bewegte sich Abul langsamer, um ihr Zeit zu lassen, und da merkte sie, daß alles nur ein Spiel war. War es das tatsächlich? Ihr Verfolger blickte jedenfalls immer noch so grimmig drein. Saritas Atem ging schneller, obwohl sie sich keineswegs beim Laufen überanstrengt hatte. Sie blieb still stehen, und ihre grünen Augen schienen im Halbdunkel zu leuchten. Unvermittelt sprang Abul auf sie zu. Sie kreischte auf und machte ebenfalls einen Satz, und zwar praktisch an Abul vorbei zur Treppe. Was dann geschah, ging so schnell, daß sie es zuerst nicht zu glauben vermochte. Abul veränderte seine Richtung mitten im Sprung - so schien es wenigstens - und war noch vor ihr an der Treppe. Sarita erstarrte. Er tippte ihr nur leicht auf die Schulter. „Gefangen", sagte er. „Sieht ganz so aus." Er betrachtete sie - eine Ewigkeit, wie es ihr schien. Sie konnte ja auch nicht sehen, was er sah: Das Haar flog ihr wild ums Gesicht, ihre Wangen hatten sich gerötet, ihre Augen funkelten, und ihre Lippen waren halb geöffnet. Abul war aufs neue verloren. Seit er Sarita das erstemal gesehen hatte, war ihm diese unwiderstehliche Anziehungskraft bewußt geworden. Es war, als zöge diese Frau alle seine Energien, alle seine Liebe wie ein Magnet zu sich hin. Er nahm nicht an, daß sie dasselbe für ihn fühlte, aber er war fest davon überzeugt, daß sie seine Gefühle am Ende erwidern würde. Außerdem wußte er, daß er sie durchaus erregte. Das erkannte er nicht zuletzt an ihren sprechenden grünen Augen.
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Nur zwei Pfeile hatte er in seinem Köcher: das Wissen, daß er in ihr diese Erregung hervorzurufen vermochte, und die Macht, diese Frau bei sich zu behalten, bis sie ihrem eigenen Sehnen nachgab. Letzteres würde geschehen, wenn ihr Geist und ihr Körper im Einklang miteinander standen, wenn ihr Herz geheilt war, wenn sie ihre Gefühle erkannte und sie als richtig akzeptierte. Bis es jedoch soweit war, mußte er seinen Überzeugungsfeldzug geduldig fortsetzen. „Ich hatte recht", stellte Abul fest. „Du bist tatsächlich der Ansicht, ein kleiner Kampf gibt der Liebe erst die Würze." Sarita merkte, daß sie bei diesen Worten tief errötete. „Ich wüßte nicht, wo hier Liebe stattfindet. _Bis zu diesem Augenblick habe ich nur etwas von Streit, Ärger und Hunger gemerkt." „Richtig, Ärger", sagte er nachdenklich. „Ich hatte ganz vergessen, was uns zu diesem hübschen Tanz veranlaßt hatte. Du siehst so begehrenswert aus, daß ich das Onyxkästchen für einen Moment vergessen hatte." Da die Zeit des Davonlaufens vorüber war, blieb Sarita tapfer auf der Stelle stehen und blickte ihm herausfordernd in die Augen. Abul nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, schob die Finger in ihre ungebärdigen Locken und lächelte ein wenig geheimnisvoll. Sarita ahnte, was er gleich tun würde, und sie wollte auch, daß er es tat. Er hat den schönsten Mund, dachte sie noch, und im nächsten Moment legte er seine Lippen auf ihre, und da war es mit dem Denken vorbei.
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Es wurde ein harter, bezwingender Kuß, und er löste eine eigenartige Reaktion in Saritas Körper aus. Begierig öffnete sie seiner Zunge ihre Lippen. Sofort drang er in ihren Mund ein, zog sich dann wieder zurück und blickte ihr in die Augen, ohne ihr Gesicht loszulassen. „War das Strafe genug?" fragte er leise und strich mit dem Daumen über ihre vom Kuß geröteten, geöffneten Lippen. Er bemerkte, daß eine leichte Röte Saritas Wangen überzog und daß ihr Blick verschleiert war. „Wahrscheinlich nicht", meinte er, da sie nicht antwortete. „Und dabei ist mein Schädel nur deshalb noch heil, weil du so miserabel gezielt hast." Er preßte seinen Mund wieder auf ihren. Sarita kam sich vor wie ein steuerloses Schiff. Sie hatte die Verbindung mit einer Welt verloren, die sie kannte und in der sie wußte, wer sie selbst war. Jetzt trieb sie auf einem aufgewühlten Ozean der Empfindungen dahin. Das wollte sie nicht, und sie wollte auch nicht glauben, daß es gut und richtig war. Dennoch konnte sie etwas so Überwältigendes nicht schlecht und böse finden. Sie fühlte, wie sich Abuls Hände von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten bewegten. Leise stöhnte sie auf, und wie von selbst preßte sich ihr Unterkörper dichter an seinen, so daß sie durch ihr Kleid hindurch seine Wärme spürte. Er strich mit der Hand nun zu ihren Hüften und zog Sarita noch fester zu sich heran. Diese zarte kleine Gestalt so nahe an seinem Körper zu fühlen, berauschte Abul, und ihre Erregung zu spüren, fachte seine eigene Leidenschaft noch mehr an. Es wäre jetzt so einfach, Sarita zum Diwan zu führen, denn sie würde ihm folgen, weil sie dem Befehl ihrer Empfindungen gehorchen mußte.
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Im gleichen Moment erkannte Abul jedoch, daß er es nicht tun durfte. Zwar würde es jetzt fraglos möglich sein, doch im Augenblick war Sarita nicht wirklich sie selbst. Nutzte er das aus, würde es sich später gegen ihn richten. Sie würde wütend auf ihn und sich selbst sein, und am Ende würden sie beide alles bedauern. Abul faßte Sarita bei den Hüften und hob sie ein wenig von sich fort. Sofort sah er das Erschrecken in ihren grünen Augen, und er fühlte, wie sie unter dem unvermittelten Abbruch des erregenden Spiels litt. Sarita fand nicht aus der Welt zurück, in der sie sich noch vor Sekunden befunden hatte. Weshalb hatte Abul aufgehört? Er mußte doch gemerkt haben, daß sie sich nicht mehr gegen ihn wehren wollte! Verständnislos blickte sie ihn an. Er war ungewöhnlich blaß, sein Mund fest zusammengepreßt, und ein Muskel zuckte an seiner Wange. Abul atmete tief durch und faßte sich mühsam, bevor er wieder sprach. „Auf diese Weise sollte es nicht geschehen. Ich will dich nicht überfallen." Sarita konnte jetzt auch wieder einigermaßen klar denken. „Wieso nicht?" fragte sie recht schnippisch. „Soweit mir bekannt ist, haltet Ihr mich doch nur aus einem einzigen Grund bei Euch gefangen. Weshalb die Zurückhaltung, wenn Ihr so nahe vor Eurem Ziel steht?" Abul schüttelte den Kopf. „Das verstehst du ganz genau, Sarita, also treibe keine Spielchen mehr. Für heute habe ich davon genug."
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„Ihr habt genug?" Wut flammte wieder in Sarita auf, eine Wut, die nur die andere Seite der Leidenschaft war. „Was meint Ihr denn, was ich habe?" „Hunger. Jedenfalls hast du das behauptet", antwortete er ganz sachlich. „Kadiga und Sulema kommen gleich und werden dir dabei helfen, diese Bekleidung abzulegen und dich umzuziehen, und dann speisen wir zusammen." „Dieses ist meine Bekleidung! Ich sehe keinen Grund, weshalb ich Haremsgewänder tragen soll." „Aber speisen möchtest du doch, oder?" „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?" Ihr Blick zeigte Abul, daß sie auch langsam genug von den sogenannten Spielchen hatte. „Nichts, gar nichts." Abul lachte. „Nur wirst du doch nicht in den Sachen essen wollen, die du während des ganzen Tages getragen hast. Das da ist Arbeitsbekleidung. Jetzt werden wir nur noch die Speisen genießen und uns Musik anhören. Dazu braucht man keine Arbeitskleidung." Er wartete nicht auf Saritas Zustimmung, sondern verließ den Turm sofort, weil er fand, sie mußte Zeit zum Nachdenken haben, um dann ihre eigene Entscheidung zu treffen. Die Tür fiel ins Schloß. Sarita wartete auf das Geräusch des sich drehenden Schlüssels; sie hörte es nicht. Sofort lief sie die Treppe hinunter zur Pforte. Es war nicht abgeschlossen. Sarita atmete erleichtert auf und setzte sich auf einen Diwan neben dem ruhig plätschernden Brunnen. Sie war heute also nur zur Strafe eingeschlossen worden, und nicht, weil Abul etwa glaubte, 139
einen weiteren Fluchtversuch verhindern zu müssen. Er war wohl absolut davon überzeugt, daß ihr der ohnehin nicht gelingen würde. Dieser Gedankengang führte zu ihrem festen Entschluß, dem Emir zu beweisen, daß er sich irrte. Sie mußte sich aus dem Bannkreis dieses Mannes befreien. Sie mußte vor sich selbst verleugnen, daß sie Zuneigung zu ihm verspürte, daß sie ihm vertraute, daß er sie amüsierte, daß ihr in seiner Gegenwart ganz warm ums Herz wurde ... Sie mußte diesen Ort verlassen, und ihr nächster Fluchtversuch würde erfolgreich verlaufen. Gerade als Sarita zu dieser unumstößlichen, wenn auch betrüblichen Entscheidung gekommen war, traten Kadiga und Sulema zur Tür herein. „Ich glaube, der Mond hat Euren Geist verwirrt, Sarita!" rief Kadiga und eilte zu ihr. „Alles spricht davon, wie Ihr die Gerichtssitzung im Mexuar gestört habt." „Wie konntet Ihr es nur wagen!" Zulema schüttelte bekümmert den Kopf. „Ich vermute, man hat euch die Geschichte ein wenig verdreht erzählt", entgegnete Sarita. „Ich habe den Emir keineswegs aus freien Stücken gestört. Ein ... ein wildgewordener, als Mensch verkleideter Eber hat mich ihm vor die Füße geworfen." „Der Mann würde Euch sicherlich nicht zum Emir gebracht haben, wenn Ihr nicht etwas Verbotenes getan hättet", meinte Sulema sanft wie immer.
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„Ich habe durchaus nichts Verbotenes getan!" Sarita fragte sich, ob es überhaupt Sinn hatte, den beiden Dienerinnen irgend etwas zu erklären. „Das muß aber doch so gewesen sein." Kadiga hob die am Boden herumliegenden Kissen auf. „Weshalb liegen die alle auf dem Fußboden?" fragte sie. „Weil ich damit geworfen habe - nach deinem Emir, wenn du es genau wissen willst." Sarita stand von ihrer Ottomane neben dem Brunnen auf. Sekundenlang herrschte entsetztes Schweigen. Dann gab Kadiga ein ersticktes Geräusch von sich, das sich verdächtig nach Kichern anhörte. „Das habt Ihr nicht getan, Sarita! Das konntet Ihr doch nicht tun!" „Ich konnte, und ich habe." Sie ging zur Treppe. „Und wenn mir nicht bald jemand etwas zum Essen bringt, werde ich noch ernsthaft wütend." „Die Speisen kommen sofort", versicherte Sulema besänftigend. „Und jetzt wollen wir alle nach oben gehen, damit wir Euch umkleiden können." „Ich kann sehr gut in diesem Kleid essen", erklärte Sarita trotzig, obwohl sie eigentlich nur der Form halber widersprach. Sie war inzwischen so hungrig, daß sie nackt gespeist hätte, wenn es die einzige Möglichkeit gewesen wäre, an etwas Eßbares zu gelangen. „Was hattet ihr nun eigentlich getan, daß der Mann Euch zum Emir gebracht hat?" erkundigte sich Kadiga neugierig, als sie sich auf der Galerie befanden.
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„Ich hatte versucht, die Alhambra zu verlassen." „Warum?" fragten beide Dienerinnen gleichzeitig, und Sulema fügte hinzu: „Ihr könnt Euch doch so glücklich schätzen, in der Gunst des Emirs zu stehen." „Ja, und in diesem Luxus zu leben", warf Kadiga ein bißchen neidisch ein. „Ihr habt diese schönen Gewänder und den Schmuck und Ihr braucht nicht zu ..." Sie betrachtete ihre von der Arbeit roten Hände. „Das ist das Leben einer Dirne", stellte Sarita mit Nachdruck fest. „Ich wäre lieber eine Wäscherin." Die beiden Mädchen schauten so verständnislos drein, daß sie es aufgab und sich seufzend auf den Diwan fallen ließ. „Und was möchtet Ihr nun anziehen?" Kadiga ging zu einer Mauernische, in der jetzt alle Gewänder hingen, die Sarita am Morgen bewundert hatte. „Das ist mir völlig gleichgültig." „Es müßte eines aus elfenbeinfarbener Seide und Topazstickerei dabei sein", ließ sich eine tiefe Stimme vom Innenhof her vernehmen. Hastig setzte sich Sarita auf, und die beiden Dienerinnen schauten erschrocken zur Treppe, wo Abul stand. Daß ihn niemand kommen gehört hatte, lag an seinen weichen Lederpantoffeln, die er jetzt statt der Stiefel trug. „Woher wißt Ihr das?" fragte Sarita. „Weil ich sämtliche Gewänder eigenhändig ausgesucht habe, und zwar sehr sorgfältig, wobei ich mich nach deiner Haut- und Haar142
farbe gerichtet habe." Er stieg die Treppe hoch und kam zum Diwan. „Heute abend würde ich dich gern in dem elfenbeinfarbenen mit den Topazen sehen." Er ergriff Sarita bei den Händen und zog sie von den Polstern hoch. „Es bildet bestimmt einen großartigen Kontrast zu deinem Haar." Er strich ihr sanft durch die Locken und setzte sich dann selbst auf den Diwan. „Und jetzt beeile dich. Ich hatte angenommen, du seist bereits zum Abendessen fertig angekleidet." Sulema war schon fleißig damit beschäftigt, die Verschnürung am Mieder des orangefarbenen Kleides zu lösen. Im Innenhof erklang zartes Harfenspiel, Porzellan und Glas klirrten leise, und die verführerischsten Düfte zogen durch die Luft bis zur Galerie herauf. Sarita verlor alle Lust am Streiten und ließ sich widerstandslos auskleiden, wobei sie sich fragte, ob sie sich wohl langsam daran gewöhnte, in Abuls Gegenwart nackt dazustehen, oder ob sie jetzt nur zu hungrig und zu müde war, um sich darüber Gedanken zu machen. Als er allerdings über ihre Hüfte streichelte, zuckte sie unter der Berührung zurück, und ihre Haut kribbelte. „Ihr spielt nicht ehrenhaft", erklärte sie, wie sie es schon in den Bädern getan hatte. „Das habe ich auch nie versprochen", wiederholte er ebenfalls seine eigenen Worte. Sarita erinnerte sich daran, daß sie hier ja nicht allein waren; Kadiga verfolgte den Wortwechsel mit offenkundigem Interesse, und Sulema war ebenso offenkundig ein wenig verwirrt. „Nun gebt mir schon das Gewand", forderte Sarita ungehalten. „Mich friert."
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Leise lachend erhob sich Abul vom Diwan. „Ich warte unten auf dich, meine Liebe." Wenige Minuten später eilte Sarita ebenfalls in den Innenhof, nachdem sie ihre Dienerinnen abgewehrt hatte, die ihr unbedingt das Haar bürsten und Pantoffeln anziehen wollten. Für so etwas war sie jetzt entschieden zu hungrig. „Was duftet denn hier so gut?" Sie trat an den niedrigen Tisch zwischen den beiden Ottomanen. Auf einer davon lag Abul. Er hatte den Ellbogen aufgestützt, und sein Kopf ruhte in der Handfläche. „Das wirst du gleich sehen." Er deutete auf die gegenüberstehende Liege. Da es Sarita einigermaßen heidnisch erschien, beim Essen zu liegen, setzte sie sich statt dessen, während Abul Wein aus einem Krug in kostbare Kristallkelche schenkte. Unter anderen Umständen hätte sie sich die Zeit genommen, die Gläser zu bewundern, aber heute trank sie sofort durstig. Über den Kelchrand hinweg sah sie, daß Abul lachte. Sulema hielt ihr eine Schale mit parfümiertem Wasser hin. Sarita folgte ungeduldig Abuls Beispiel, tauchte die Finger hinein und trocknete sich die Hände an dem Leinentuch, das über dem Arm der Dienerin hing. Abul löste inzwischen eine Hühnerkeule von dem goldbraunen Braten auf dem Tisch, und legte sie auf Saritas Teller. Sarita bemühte sich, langsam und zierlich zu essen, was ihr jedoch angesichts ihres erbarmungslos knurrenden Magens nicht gelang. Erst als dieser etwas besänftigt war, konnte sie die Speisen richtig würdigen. 144
Außer dem Hühnchen, das nach Limonen, Knoblauch und anderen Gewürzen schmeckte, gab es in Honig geschmortes Lammfleisch mit ganzen Mandeln, eine seltsame Mehlspeise mit gekochten Rosinen und Pinienkernen, Fladenbrot, gelbe Butter und weißen Ziegenkäse sowie Joghurt mit Honig und einen großen Teller mit allerlei Gebäck und Süßigkeiten. Sie aßen mit den Fingern, doch Kadiga hielt ihnen immer wieder die Wasserschale und die Tücher hin. Sarita fand, daß diese Leute hier ihr Reinlichkeitsbedürfnis wirklich ein wenig übertrieben. Die Angehörigen des Stammes Raphael saßen beim Mahl um das Lagerfeuer herum, aßen mit ihren Messern und den Fingern, benutzten Brotscheiben als Teller, leckten sich das Fett von den Fingern und reichten die Lederschläuche mit dem Wein in der Runde weiter. Der Emir hatte ganz andere Eßgewohnheiten. Er nahm nur jeweils kleine Bissen zu sich, aß langsam und hielt seine Hände rein. Nachdem Saritas größter Hunger erst einmal gestillt war, tat sie es Abul nach, weil sie sich sonst unbehaglich gefühlt hätte. Während des Speisens schwieg er, der Harfenist spielte, und eine trügerische Entspannung legte sich über Sarita. Die Nachwirkungen dieses Tages verflogen; nicht einmal der Zorn ließ sich noch richtig aufrechterhalten. Als die Platten mit den Speisen weitgehend geleert waren, zogen sich Kadiga und Sulema zurück; ihre Dienste wurden nicht länger benötigt. Weil Abul es in seiner halb liegenden Stellung so bequem zu haben schien, zog Sarita die Füße ebenfalls auf die Ottomane, trank noch einen Schluck Wein und seufzte zufrieden. „Glücklich?" Die Frage kam überraschend, besonders deswegen, weil Sarita jetzt erst merkte, daß sie wirklich irgendwie glücklich 145
und zufrieden war. „Nein", antwortete sie prompt. „Habt Ihr etwa schon einmal von Menschen gehört, die in der Gefangenschaft glücklich gewesen wären?" Vorwurfsvoll schüttelte Abul den Kopf. „Die ständige Wiederholung dieser Beschwerde wird langweilig, Sarita." „Vergebung, edler Emir, aber ich fürchte, Ihr werdet diese Beschwerde immer wieder hören, solange ich hier festgehalten werde." Er schloß die Augen. „Höre lieber der Musik zu." Sarita zog das Polster hinter ihrem Kopf heraus, nahm es auf den Schoß und trommelte mit den Fingern darauf. Abul öffnete die Augen wieder. „Du magst die Würze der Provokation tatsächlich, nicht wahr?" „Die Provokation ist ganz auf Eurer Seite. Ich habe ja nicht mit dem Kissen geworfen." „Tu's nur, wenn du möchtest. Gegen die Konsequenzen habe ich nicht das geringste einzuwenden." Sarita wandte den Kopf ab, gab Interesse an dem Harfenisten vor und versteckte ihr Lachen. „Ist er auch blind?" „Nicht daß ich wüßte." „Weshalb gestattet Ihr nicht, daß Euer Sohn sich bei seiner Mutter aufhält?" Das war bestimmt nicht die richtige Art und Weise, das Thema Aisha zur Sprache zu bringen, aber nun war es geschehen.
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Die entspannte Stimmung war schlagartig beendet, obwohl Abul sich überhaupt nicht bewegt hatte. „Wo hast du gehört, daß ich es nicht gestatte?" Sarita merkte sofort, daß sie sich hier auf gefährlichem Boden bewegte. Wie konnte sie jetzt den Schaden so gering wie möglich halten? „Ach, Eure Gattin äußerte so etwas heute morgen", antwortet sie gleichmütig. „Sie hat mich in den Bädern vorgefunden. Ihr hattet mich ja dort schlafend und allein zurückgelassen", fügte sie hinzu und gab sich große Mühe, ein bißchen beleidigt zu klingen. „Ich war allen Leuten ausgeliefert, die hätten hereinkommen können." „Du befandest dich in der Obhut der Badewärterinnen", entgegnete er, aber Sarita hörte doch eine gewisse Unsicherheit heraus. Im stillen ärgerte sich Abul über seine Gedankenlosigkeit. Es hätte schließlich wissen müssen, daß Aisha niemals aufgab, ihre Neugierde zu befriedigen, und was wäre einfacher, als sich direkt bei dem Objekt ihrer Neugier zu informieren? Worüber hatten die beiden miteinander gesprochen? Was hatte Aisha, die eine geübte Taktikerin und Ränkeschmiedin war, der in solchen Angelegenheiten vollkommen unbedarften Sarita erzählt? „Trotz der Badewärterinnen war es mir sehr unangenehm, allein an einem fremden Ort aufzuwachen", erwiderte sie. „Eure Gemahlin war so freundlich, mich zum Turm zurückzubegleiten. Unterwegs plauderten wir ein wenig." „Über Boabdil?" „Unter anderem." 147
„Was hast du Aisha über dich selbst erzählt?" Sarita überlegte. „Ach, sehr wenig. Hauptsächlich habe ich von meinem Stamm berichtet." „Und darüber, wie du hierher gekommen bist?" „Andeutungsweise." Also war sie doch bewußt vorsichtig gewesen. Die Frage blieb jedoch: Hatte Aisha sie beeinflußt? Hatte sie Saritas Vertrauen zu ihm beeinträchtigt? „Was hat sie dir von Boabdil erzählt?" wollte er wissen. „Sie liebt ihr Kind über die Maßen." „Das tun die meisten Mütter." „Wogegen auch nicht das geringste einzuwenden ist", bekräftigte er. Sarita hatte das Gefühl, daß sie dieses Thema tunlichst abschließen sollte. Sie trank einen Schluck Wein. „Sie hat nur wenig gesprochen", sagte sie und tat dann so, als versenke sie sich in die Musik. „Aber sie hat geäußert, ich enthielte ihr Boabdil vor, nicht wahr?" Weshalb gab Abul denn keine Ruhe? „Ja. Sie erwähnte allerdings auch, daß das bei Eurem Volk so Sitte sei. Sie meinte, eine solche Trennung sei für eine Mutter nur so schwer zu ertragen." Und für einen solchen Sohn auch, dachte Abul, der sich zu einer Erklärung veranlaßt sah, obwohl er wußte, daß er diesem temperamentvollen Geschöpf aus dem Olivenhain keine Rechtfertigung schuldig war. 148
„Boabdil ist mein Erbe und Nachfolger", sagte er ruhig. „Er hat das Alter erreicht, in dem er bei den Männern leben muß. Er muß Dinge lernen, die ihn später befähigen, weise zu regieren, klug zu kämpfen und sich umsichtig zu verhalten. Das alles kann er nicht unter Frauen lernen." „Es gibt aber auch Weisheiten, die nur Frauen lehren können. Auch diese muß ein Sohn kennen." „In deinem Volk vielleicht." Abul setzte sich auf und stellte die Füße auf den Boden. Es verdroß ihn, daß Sarita so wenig über ihn wußte und jetzt schon beinahe genauso sprach wie Aisha, die offenbar ganze Arbeit geleistet hatte. „In unserem Volk jedoch muß ein Knabe mit den Werten seines Vaters zu einem Mann heranwachsen. Er muß lernen, weibliche Schwäche zu meiden und sich für die Ausübung der Autorität zu wappnen." Darauf gab es nichts zu sagen. Muley Abul Hassan hatte dargelegt, woran er glaubte, und das in einer Weise, die keinerlei Widerspruch duldete. Sarita spürte größtes Mitgefühl mit seiner Gemahlin. „Komm." Abul beugte sich zu ihr hinab und zog sie bei den Händen in die Höhe. Sarita erinnerte sich daran, daß er in den Bädern von den „gemeinsamen Stunden einer langen Nacht" gesprochen hatte. Ein lange Nacht in dieser plötzlich so eiskalten Atmosphäre? „Nein", lehnte sie ab. „Was - nein?" Er sah ratlos aus. „Ich komme nicht mit ins Bett." 149
Aha, in diese Richtung liefen also ihre Gedankengänge. Fürs erste hatte er auch das Interesse daran verloren, zumal Sarita sich in Dingen gegen ihn stellte, die sie nichts angingen. Im übrigen wurde es Zeit, daß er sich einmal ernsthaft mit Aisha befaßte. Das hätte er längst tun müssen. Er gab dem Harfenisten ein Zeichen. Der Mann beendete sofort sein Spiel und stand auf. Er verneigte sich, nahm sein Instrument und verließ den Turm. Sarita stand still da und blickte Abul direkt in die Augen. Sie sah aus, als wäre sie zum äußersten Gefecht bereit, um ihn von sich fernzuhalten. Grimmig amüsiert beschloß er, sich ein wenig zu rächen. „Du siehst müde aus", bemerkte er im Gesprächston. „Nach einem solchen Tag solltest du jetzt schlafen gehen." „Nein." Lächelnd kniff Abul ihr leicht in die Nase, als hätte er ein kleines Kind vor sich, das aus Bockigkeit widersprach. Er hob sie sich auf die Arme. „Du gehst jetzt ins Bett, Sarita. Ich habe nicht gesagt, daß ich mit dir käme." Bevor sie das verarbeitet hatte, trug er sie schon nach oben. Vor dem Diwan stellte er sie wieder auf die Füße. „Du wirst dich heute selbst zu Bett bringen. Nachdem ich mich so lange habe zurückhalten müssen, fehlt mir jetzt die Energie für weitere Prüfungen der Willensstärke. Schlaf gut." Er gab ihr einen Kuß auf die Nasenspitze und ging. Verblüfft und beleidigt blieb Sarita zurück. Abul hatte es geschafft, daß sie sich jetzt wie eine Närrin vorkam.
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Andererseits war sie erleichtert, daß es ihr gelungen war, allein gelassen zu werden. Sie streifte sich das Gewand ab und trat an das rückwärtige Fenster. Die kühle Nachtluft umfächelte ihren Körper. Die dunkle Schlucht dort unten wirkte nicht bedrohlich, sondern bot eher eine Fluchtmöglichkeit. Die Sterne über den schneebedeckten Berggipfeln schienen Saritas Seele aus der Gefangenschaft zu ziehen - hinaus zur offenen Landstraße. Sie blickte wieder nach unten. Die Ravine also - einen solchen Fluchtweg würde niemand vermuten. Der Taleinschnitt verlief parallel zur Straße. Ihm konnte sie bis zu den Stadtmauern folgen. Das Problem war nur: Wie sollte sie dort hinunterkommen? Sie schaute sich in der Galerie um. Irgendwo in diesem Turm würde ihr erfinderischer Geist doch die geeigneten Fluchtmittel finden. Aber noch nicht heute abend. Diese Nacht war für die Erholung da. Zufrieden schlüpfte Sarita unter die seidene Bettdecke auf dem Diwan. Draußen war der Nachtgesang irgendeines Vogels zu hören, das Lied der Freiheit. Sarita schlief ein.
9. KAPITEL Abul schlenderte zum Palast zurück. Der Abendfrieden klärte seinen Geist und besänftigte seinen Mißmut darüber, daß Sarita die Notwendigkeiten des Lebens in der Alhambra nicht verstand
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und sich wohl deshalb auf Aishas Seite stellte. Zu seinem eigenen Erstaunen erkannte er, daß diese Tatsache seinen Stolz verletzte. Frauen verletzten aber nicht den Stolz, eines Mannes; selbst Aisha besaß diese Macht nicht. Es schien indessen so, als wäre die kleine Christin dazu in der Lage. Unwillkürlich verlangsamte er seinen Schritt, und fast wäre er zum Turm zurückgekehrt, weil er das Bedürfnis verspürte, Sarita samt ihrem trotzigen Stolz und ihrer Aufsässigkeit zu besiegen. Daß ihm das gelingen würde, wußte er, aber es wäre nur ein scheinbarer Sieg und würde im übrigen auch die Probleme mit Aisha nicht lösen. Abul setzte also seinen Weg fort. Für heute abend mußte er Sarita aus seinen Gedanken verbannen. Er wollte Aisha öffentlich in ihren alten Stand zurückversetzen, wie er es bereits heute morgen beschlossen hatte. Heute abend würde er - zumindest an der Oberfläche - die alte Freundschaft wieder aufnehmen, so wie sie vor dem Streit über Boabdils Erziehung zwischen ihnen existiert hatte. Außerdem wollte er von jetzt an sicherstellen, daß sich zwischen Aisha und Sarita nichts abspielte, was ihm unbekannt blieb. Da es nur Mißtrauen erregen würde, wenn er die Zusammenkünfte der beiden verböte, mußte er diese Treffen selbst sorgfältig steuern. Er überquerte den Löwenhof und trat in einen Marmorsaal, in dem Musikanten spielten. Einen Moment blieb er stehen und schaute den anmutigen Bewegungen der beiden verschleierten Tanzmädchen zu. Die Männer in diesem Saal waren zur Entspannung hier. Um die Musik nicht zu stören, sprachen sie nur leise miteinander. Mond-
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licht fiel durch die Kuppelfenster herein und mischte sich mit dem sanften Glühen der Öllampen. Abul schaute zu der kleinen Galerie. Von dort gelangte man zum Haremsbereich, und sicherlich befanden sich da oben jetzt Frauen, die die Vorgänge hier unten im Saal durch die mit dichtem Gitterwerk versehenen Fenster verfolgten. Abul ging die Stufen zur Galerie hoch; sie war leer. Falls jemand von hier aus den Emir hatte kommen sehen, so war diese Person längst fortgeeilt, um seine Ankunft zu melden. Als er durch den Türbogen den Hauptsalon des Harems betrat, wurde er von freundlichen Stimmen begrüßt, und die Frauen schwebten seideraschelnd auf ihn zu, um ihm ihre Bereitschaft zu zeigen. Aisha befand sich nicht unter ihnen. Man schenkte ihm Sorbett ein, bot ihm gefüllte Datteln an, erzählte ihm allerlei über die Aktivitäten des Tages, stellte ihm jedoch keine Fragen. Ob der Emir von seinen Angelegenheiten zu sprechen wünschte oder nicht, entschied er nach eigenem Gutdünken. Jeder der Frauen widmete er sich ein paar Minuten, erkundigte sich nach ihrem Befinden und dem Wohlergehen ihrer Kinder. Dies geschah nur aus Höflichkeit. Über irgendwelche Veränderungen oder Probleme im Frauenhaus wurde der Emir vom Wesir auf dem laufenden gehalten. Aisha fiel weiterhin durch ihre Abwesenheit auf, doch Abul gestand ihr gern die Möglichkeit eines großen, weil verspäteten Auftritts zu, der ihren Status als Erste Frau zur Schau stellte. Höchstwahrscheinlich scheuchte sie in dieser Minute noch ihre Dienerinnen und befaßte sich mit dem so ungeheuer lebenswichtigen Problem der Kleidung und der Frisur, des Schmucks und des Parfüms.
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Abuls Vermutung traf absolut zu. Als man Aisha die bevorstehende Ankunft des hohen Herrn gemeldet hatte, war sie sofort in ihre persönlichen Gemächer geeilt und hatte Nafissa zu sich befohlen. Heute morgen hatte er gesagt, er habe ihr vergeben; möglicherweise sollte sein Besuch hier die öffentliche Bestätigung dieses Umstands sein. Selbstverständlich konnte sich Aisha vor den anderen Frauen nicht allzu begierig geben, denn das würde ja so aussehen, als hätte sie allen Grund, nach einer Versöhnung zu streben. Nein, sie mußte in Würde auftreten, und zwar erst nachdem er einige Zeit mit den anderen Damen verbracht hatte. Das würde zeigen, daß sie noch immer einen besonderen Platz in seiner Gunst einnahm und somit nicht mit den anderen gleichzusetzen war. Allerdings wollte sie sich wieder zum Zweck einer Verführung zurechtmachen, so wie sie es gestern abend schon geplant hatte. „Nein, nicht diese Perlen, du Närrin! Doch nicht zu diesem Gewand!" Sie schlug Nafissas Hand fort, als das Mädchen ihr die Perlenkette umlegen wollte. Schweigend trat Nafissa zurück. Die Herrin trug diese Perlen sonst immer zu dem dunkelroten Gewand. „Rubine!" verlangte Aisha. „Rasch, Mädchen. Ich darf keine Zeit verlieren." Die Rubine auf dem Dunkelrot waren eine reine Absichtserklärung, wie Nafissa zugeben mußte. Ihre Herrin hätte ihr ja auch vorher sagen können, daß sie heute eine solche Absichtserklärung abzugeben beabsichtigte. 154
Die Dienerin hielt Aisha das Tablett mit dem Antimon und der roten Schminke hin und sah zu, wie sich ihre Herrin das Gesicht schmückte. Das Haar trug Aisha offen - ein blauschwarzer Fluß, der sich auf Dunkelrot über ihren Rücken ergoß. Eine Duftwolke umschwebte sie, ein schweres, berauschendes Parfüm, das unmißverständlich auf Liebe hindeutete. „So, das dürfte genügen." Aisha stand auf und strich sich die weichen Falten ihres Kaftans glatt. Er schmiegte sich an ihre üppigen Brüste, deutete ihre Taille nur an und betonte die Rundungen ihrer Hüften. Aisha nickte zufrieden. Ungebeten entstand plötzlich das Bild der Christin vor ihrem inneren Auge, und sie sah wieder deren vollkommen proportionierten zierlichen Körper. Das Gewand des Mädchens war ähnlich wie ihres geschnitten gewesen; dennoch erkannte man unter ihm, wie rank und schlank seine Trägerin war. Seit wann zerbreche ich mir den Kopf über Abuls Konkubinen, wies Aisha sich im stillen zurecht. Die neue Frau würde kommen und gehen wie die anderen. Christinnen konnten keine Ehefrauen des Emirs sein, und schon gar nicht, wenn sie weder Geschenke noch Geld mitbrachten. Die Zigeunerin konnte Abul nichts weiter bieten als das flüchtige Vergnügen an ihrem Körper, und von dem würde er bald genug haben. Dann würde ihr ein Platz im Haushalt bei den anderen angewiesen werden - wenn es nach Aisha ginge, in den Küchen oder in der Wäscherei. „Verteile frische Mimosen im Mirador", befahl sie Nafissa. „Serviere Jasmintee, denn der Emir schätzt diese Erfrischung. Und bringe ..." Mandelküchlein, hatte sie sagen wollen, tat es jedoch nicht. Sie hatte ja den Süßigkeiten abgeschworen. „Fülle alle Lampen auf und dann verschwinde."
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Nafissa verneigte sich und überlegte ein wenig boshaft, daß man nur hoffen konnte, der Emir beehrte das Bett der Dame nach all den erwartungsvollen Vorbereitungen. Die Herrin wäre ja tagelang ungenießbar, wenn ihr Gatte sie noch einmal diesbezüglich versetzte! Solche Gedanken erlaubte sich Aisha gar nicht, als sie etwas später den großen Salon betrat. Für einen Augenblick blieb sie im Türbogen stehen und betrachtete die Szene. Die Frauen scharten sich um Abuls Diwan wie buntseidene Schmetterlinge und buhlten um die Aufmerksamkeit des Mannes, von dem ihre Existenz abhing. Abul spürte Aishas Anwesenheit. Hatte er ihr Parfüm wahrgenommen? Oder ihre unmißverständliche Absicht? Er wandte den Kopf und lächelte seiner Gattin zu. Dieses Lächeln fiel ihm nicht leicht, aber er war ja schließlich nicht umsonst ein hervorragender Diplomat. Aisha verbarg ihre Erleichterung über dieses eindeutig einladende Lächeln. Anmutig und von raschelnder Seide umrauscht, schwebte sie auf Abul zu. „Ihr erweist uns eine große Ehre, Herr." „Durchaus nicht." Er erhob sich vom Diwan. Die anderen Damen zogen sich in den Hintergrund zurück und beobachteten, wie sich die Dinge entwickelten. „Eine solche Gesellschaft ist immer sehr erquickend für mich." Er neigte sich zu ihr und küßte sie auf die Wange. Die vermischten Düfte des Parfüms, des Puders und der Schminke überfielen ihn förmlich, und plötzlich sehnte er sich nach dem ehrlichen, sauberen Geruch junger Haut, nach dem Duft frischgewaschenen Haars.
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Die Frau, die ihm dergleichen bieten konnte, mußte ihm heute nacht versagt bleiben. Die Person, die vor ihm stand, verlangte jetzt nach der Erfüllung seiner Pflichten. „Ich will mit dir allein sein", erklärte er. Aisha errötete vor Freude und Erleichterung. „Im Miradör ist es in einer solchen Nacht sehr angenehm, Herr", flüsterte sie, legte ihm ihre Hand auf den Arm und lächelte nun ihrerseits einladend. Gegen seinen Willen blieb Abul davon nicht unberührt. Seit elf Jahren waren sie nun schon verheiratet, und Aisha hatte es immer verstanden, ihm im Bett Freude zu bereiten. Es bestand kein Grund, sich mit dem Verstand die Erleichterung zu versagen, die sein Körper brauchte. Außerdem geschah es schließlich zu einem höheren Zweck. Abul folgte Aisha zum Mirador, wo sie ihm beim Ablegen seines Burnus' helfen wollte. „Nein", wehrte er ab. „Ich will dir zuschauen." Er lagerte sich auf die Polster unter dem Fenster und schaute zu, wie sich seine Gemahlin langsam entkleidete. Das gestaltete sie sehr geschickt und kunstvoll, und Abul spürte, wie sich in ihm langsam das Verlangen regte, als Aisha am Ende nur noch mit dem Rubinschmuck bekleidet vor ihm stand. Er streckte die Arme nach ihr aus, und sie ließ sich neben ihm auf dem Diwan nieder, um ihren Gatten jetzt ebenfalls zu entkleiden. Dabei liebkoste sie ihn raffiniert, bis der rote Nebel der Leidenschaft seinen Kopf erfüllte. Abul überließ sich dem Geschick der Hände, der Lippen und der Zunge, die seine Gattin so kunstfertig einzusetzen verstand. Triumphierend spürte Aisha Abuls Kapitulation. Sie hatte ja immer gewußt, daß ein gutes Liebesspiel alle Risse kittete. Es war ein schwerer Fehler von ihr gewesen, ihre körperliche Verweige157
rung als Mittel zum Zweck einzusetzen. Jetzt wußte sie es besser: Sie mußte vielmehr einsetzen, was sie zu bieten hatte, um ihn an sich zu binden und sich sein Vertrauen zu erhalten, denn nur dann würde Boabdils und ihre eigene Zukunft den Verlauf nehmen, den sie geplant hatte. Sie beugte den Kopf hinunter und reizte den nun voll erstarkten Beweis der Erregung mit den Zähnen, um ihn dann in den Mund zu nehmen und ihn mit der Zunge zu umspielen. Abul stöhnte in seiner Lust auf und genoß dann einen überaus befriedigenden Höhepunkt. Lächelnd glitt Aisha an seinem Körper hinauf. Daß sie selbst keine Befriedigung gefunden hatte, war nicht von Bedeutung. Sie hatte sich heute jede Erregung versagt, und Abul hatte keinen Versuch unternommen, sie in sein Vergnügen einzubeziehen. So sollte es manchmal auch sein. Das Wichtigste war, daß er in ihre Gemächer gekommen war. Wenn es ihr nun noch gelänge, ihn während der ganzen Nacht bei sich zu behalten, dann wäre ihr Triumph vollkommen. Sie legte sich neben ihn, während er in den Schlaf der Befriedigung fiel. Abul erwachte mit einem höchst unguten Gefühl. Eine kurze Weile lag er nur da und starrte in die Nacht und zu den im Sternenlicht glitzernden Berggipfeln hinaus. Er vermochte sich nicht zu erinnern, wo er sich befand und wie er hierher gekommen war. Dann fühlte er Aishas weichen, zu weichen Körper neben sich. Er nahm ihr Parfüm wahr und rümpfte die Nase. Der Duft wirkte abstoßend, vielleicht nur deswegen, weil er schon zu lange auf der Haut war.
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Abul verachtete sich selbst - nicht wegen des Liebesspiels an sich, sondern deswegen, weil er es genossen hatte. Er begehrte Aisha nicht mehr als Frau; heute abend hatte er sie aus politischen Gründen benutzt. Dennoch hatte er Lust und Befriedigung empfunden. Er stellte sich Sarita vor, wie sie jetzt allein in ihrem Turm zwischen den frischen Laken schlief. Ihre Haut war jung und sauber, und ihr Haar umrahmte ihr Gesicht mit wilden Lokken. In der vergangenen Nacht hatte sie nackt neben ihm gelegen und war in den Schlummer einer erschöpften Unschuld gesunken ... Als hätte ihn etwas gestochen, sprang er vom Diwan auf. Ein Luftzug strich kühl über seine heiße Haut, aber das konnte ihn nicht von seinem Abscheu befreien. Aisha schien tief zu schlafen und rührte sich nicht, als er in seine Kleidung und die Pantoffeln schlüpfte. Noch einen Moment schaute er auf seine Gattin hinunter, und dann verließ er leise den Raum, um sich in seine eigenen Gemächer zu begeben. Aisha hörte seine leisen Schritte auf der Treppe hinunter zum Schlafgemach, und erst jetzt schlug sie die Augen auf. Als er den Diwan verlassen hatte, war ihr erster Impuls gewesen, ihn wieder zurückzulocken. Sie war jedoch so klug gewesen, dies nicht zu tun. Abul war so hastig aufgestanden, als hätte ihn etwas von ihr fortgezogen. Wenn er sie zurückgewiesen hätte, würde sie ihr Gesicht verloren haben. Dennoch war ihre Enttäuschung groß. Irgendwie war der Friede zwischen ihnen wohl doch noch nicht wieder so ganz hergestellt. Aber weshalb nicht? Hatte sie einen Fehler gemacht? Und falls ja - wobei?
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Oder hatte es etwas mit dieser Christin zu tun? Weshalb hatte er die Zigeunerin überhaupt in dem Luxus des Turms untergebracht, wo er sie bedienen ließ, als wäre sie eine hochgeborene Konkubine? Hier gab es Ungereimtheiten und Rätsel. Ungelöste Rätsel konnten eine ernsthafte Bedrohung darstellen, besonders wenn sie die Welt der Frauen in der Alhambra betrafen. Der Harem war die Domäne der Ersten Frau des Emirs, und hier besaß sie die Autorität. Diese Autorität konnte durch Geheimnisse beeinträchtigt werden, von denen Aisha nichts wußte. Gleich morgen früh wollte sie damit beginnen, die Freundschaft zu der Christin auszubauen. Sie mußte ein „rein zufälliges" Treffen arrangieren, das weibliche Mitgefühl ansprechen und die Spanierin in den Kreis der Haremsdamen hineinziehen. Es dürfte nicht allzu lange dauern, bis sie ihr Vertrauen besaß, und dann würde sie herausbekommen, ob die Gefangene die Wurzel des Problems zwischen sich und Abul war. In diesem Fall konnte das Mädchen ohne große Mühe beseitigt werden. Nachdem Aisha dergestalt ihren Plan geschmiedet hatte, legte sie sich in die Diwanpolster zurück, um sich die häßlichen Schatten unter den Augen fortzuschlafen. Sarita erwachte voller Tatendrang und Entschlossenheit. Gestern abend hatte sie den Plan entworfen, mittels dessen sie ihre Lage ändern konnte, und jetzt wollte sie ihn möglichst rasch ins Werk setzen. Schwungvoll stand sie vom Diwan auf. Die schneebedeckten Berggipfel waren rosa überhaucht; innerhalb einer halben Stunde würden sie tiefrot leuchten. Der frühe Morgen war Saritas liebste Tageszeit. Sie wachte immer vor dem ersten Hahnenschrei auf, 160
stets einen Moment, bevor sich die ersten Sonnenstrahlen über den östlichen Horizont tasteten. Sie legte sich ein Kissen auf den Boden eines der kleinen Balkone vor einem langen Bogenfenster, stützte die Ellbogen auf das Balkongeländer und schaute über die Ravine hinweg dem neuen Tag entgegen. Der Darro funkelte, ein schmaler, sprudelnder Fluß in dem Bergeinschnitt unterhalb der Burg. Wie kam man dort hinunter? Der Turm war in die Wallmauer hineingebaut, und die Wallmauer war an dem steilen Bergabhang errichtet. Gelänge es Sarita, das Fundament der Wallmauer zu erreichen, würde sie den Abhang zur Ravine hinabklettern können, indem sie sich an Büsche und Sträuchern festhielt. So etwas hatte sie schon oft getan und wußte, wie man dergleichen schadlos überstand. Unten angekommen, brauchte sie nur dem Lauf des Flusses in die Stadt hinein zu folgen. Unterwegs würden ihr lediglich Ziegenhirten und Bauern begegnen, und solche Leute belästigten keine Personen, die weder bedrohlich aussahen noch reiche Beute versprachen. In der Stadt hingegen lagen die Dinge anders. Stadtbewohner waren immer gefährlich. Diesem Problem wollte sich Sarita aber erst zuwenden, wenn es sich stellte. Zunächst einmal mußte sie eine Möglichkeit finden, wie sie aus diesem Balkonfenster und zum Sockel des Wehrwalls kam. An der Außenmauer hinunterzuklettern, war mangels irgendwelcher Wandvorsprünge ausgeschlossen. Sie brauchte ein Seil oder etwas Ähnliches. Sarita ließ den Blick durch die Galerie schweifen. Seide war ein widerstandsfähiger Stoff, und Seide gab es in diesem Turm im Überfluß: Wandbehänge, Bodenbeläge, Diwandecken und dann natürlich noch die kostbare Garderobe, mit der der Emir sie so 161
zuvorkommend ausgestattet hatte. Sarita überlegte sich, aus welchen dieser Gegenstände sie am besten einen Strick drehen konnte. Der würde wahrscheinlich nicht lang genug werden, um bis zum Boden zu reichen; nun, das letzte Stück würde sie sich dann eben fallen lassen. Das Seil zu befestigen, stellte kein Problem dar, denn das Balkongeländer war fest und bestand aus Eisen. Allerdings konnte sie den Strick nach erfolgreichem Abstieg nicht einholen. Er würde oben hängen bleiben und ihren Fluchtweg vermelden. Also mußte sie einen günstigen Zeitpunkt wählen und schon möglichst weit weg sein, bevor ihre Flucht jemandem auffiel. Tief in Gedanken stieg sie zum Innenhof hinunter. Die Speisereste von gestern abend standen noch auf dem Tisch. Abul hatte wahrscheinlich die Anweisung erteilt, daß die Bewohnerin des Turms nicht zu stören sei. Sarita nahm eine Feige, trank einen Schluck Wein und aß ein Stück Brot. Der Palast schlief während der Mittagshitze. Das hatte sie gestern gesehen. Nun ja, zumindest die meisten Palastbewohner taten das. Die Garnison schlief nicht, und Muley Abul Hassan offenbar auch nicht. Nein, die Siestastunden waren für heimliche Aktivitäten nicht geeignet. Also kamen nur die Nachtstunden in Frage. In der vergangenen Nacht hatte Abul sie allein gelassen, weil sie sich gestritten hatten. Nun ja, nicht direkt gestritten; sie waren nur sehr unterschiedlicher Meinung gewesen über etwas, das Abul offenkundig sehr beschäftigte, nämlich die Probleme mit seiner Gattin und seinem Sohn. Wenn sie, Sarita, wieder eine Auseinandersetzung zu diesem Thema provozierte, würde ihn das möglicherweise noch einmal verärgern und von ihrem Bett fernhalten. 162
Sie stieg wieder zur Galerie hoch und legte ihr orangefarbenes Kleid an, wobei ihr bewußt war, daß sie das als sichtbaren Protest gegen ihre Gefangenschaft tat. Natürlich konnte sie mit dieser Geste alleir den Emir nicht davon überzeugen, daß sie ihre Freiheit brauchte ... gleichgültig, wonach sich ihr verräterischer Körper möglicherweise sehnte. Unten wurde die Tür geöffnet. Sarita verhielt sich ganz still. Sie wollte erst wissen, wer gekommen war, bevor sie sich wach und angekleidet zeigte. Den Geräuschen nach zu urteilen, waren es Putzmägde, und deren Stimmen waren gedämpft, um die vermeintlich noch Schlafende nicht zu stören. Sarita schlich zum Galeriegeländer und schaute hinunter. Drei Frauen räumten die Reste des gestrigen Nachtmahls fort. Die Tür zum Garten stand offen, und bevor Sarita sich zurückziehen konnte, traten Kadiga und Sulema ein, die sie sofort entdeckten. „Ah, Ihr seid schon aufgestanden, Sarita", begrüßte Kadiga sie munter und kam die Treppe herauf. „Wünscht Ihr heute morgen wieder spazierenzugehen? Wir könnten Euch auf den Pfad zum Generalife führen, wenn es Euch recht ist." Merkwürdig, noch gestern hatten die beiden Dienerinnen ihr Mißbehagen über eine morgendliche Wanderung deutlich geäußert. Irgend etwas mußte sich seitdem geändert haben. „Ja, das wäre mir sehr recht", antwortete Sarita. „Aber ihr braucht mich nicht zu begleiten." „Ihr werdet doch nicht allein gehen wollen?" Kadigas Stimme verriet nichts Ungewöhnliches.
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„Außerdem könntet Ihr Euch verlaufen", gab Sulema freundlich zu bedenken. „Wenn ihr mich begleiten wollt, würde ich mich natürlich über eure Begleitung sehr freuen." Sarita hatte tatsächlich nichts gegen die Gesellschaft der beiden Mädchen einzuwenden. Das Leben ihres Stammes vollzog sich auch in täglicher Geselligkeit, und sie war es gewöhnt, immer mit Gleichaltrigen zusammenzusein. Daß Kadiga und Sulema verstohlen einen erleichterten Blick wechselten, entging ihr, weil sie sich das Haar vor dem Spiegel bürstete. Sie sollte ja auch nicht wissen, daß ihre Dienerinnen Anweisungen von Aisha erhalten hatten, Anweisungen, die Saritas unwissentliche Mitarbeit erforderten. Die drei jungen Frauen gingen also in den frischen Morgen hinaus. Die Arbeitsgeräusche vom Palastgelände her wurden von der klaren, sauberen Luft herangetragen: Meißel schlugen auf Stein, Hämmer auf Ambosse, und Heckenscheren klapperten in den Gärten. Auf ihren nackten Sohlen kam Sarita viel schneller voran als ihre Begleiterinnen in ihren Pantoffeln. „Bitte, Sarita, etwas langsamer", bat Sulema. „Weshalb müssen wir denn so laufen?" „Wenn wir so schamlos bekleidet wären wie Ihr, könnte wir Euch vielleicht folgen", fügte 'Kadiga ein wenig säuerlich hinzu und wischte sich mit dem Kopfschleier die Schweißperlen von der Stirn. Sarita blieb stehen und drehte sich zu den Dienerinnen um. Deren Gewänder wickelten sich um die Fußknöchel der beiden, während der weite Rock ihres Kleides ihr größere Schritte erlaubte. 164
Die spitzen Pantoffeln waren im Sand hinderlich, und unter dem Kopfschleier war es gewiß sehr heiß. „Kommt nicht mit, wenn ihr es nicht wollt", sagte sie. „Ihr habt recht. Für Spaziergänge meiner Art tragt ihr nicht die richtige Kleidung. Ich verwahre mich allerdings gegen den Vorwurf, ich sei schamlos gekleidet", fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. „Wir begleiten Euch weiter", erklärte Kadiga entschlossen, weil sie an den Auftrag ihrer Herrin dachte. Falls Sarita sich selbst überlassen blieb, würde sie womöglich nicht die Richtung einschlagen, die sie in Aishas Weg führte. Kadiga hakte sich bei Sarita ein. „Wenn wir oben auf dem Hügel dort die linke Abzweigung nehmen, kommen wir direkt zum Tor des Generalife." Kompromißbereit verlangsamte Sarita ihren Schritt. Während des Spazierens wollte sie von den Mädchen etwas über deren Leben und Stellung in der Alhambra erfahren, doch die beiden konnten dazu nicht viel sagen, weil sie selbst über solche Fragen noch nie nachgedacht hatten. Von einer Wegbiegung her waren Stimmen zu hören. Eine davon gehörte zweifellos einem Kind, und die andere erkannte Sarita sofort als die der Gattin des Emirs. Als die drei jungen Frauen um die Ecke bogen, sahen sie Aisha, einen kleinen Jungen und einen würdevollen bärtigen Mann in schwarzem Gewand und mit einem Turban auf dem Kopf. „Oh, Sarita! Welch ein glücklicher Zufall - und schon der zweite glückliche Zufall heute." Aisha nahm den Jungen bei der Hand und zog ihn vorwärts. „Zufällig habe ich auf meinem Spaziergang
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meinen Sohn mit seinem Lehrer getroffen. Begrüße die Dame, Boabdil." Der Junge starrte Sarita zu deren Erstaunen feindselig an, verneigte sich dennoch leicht und murmelte etwas in arabischer Sprache. „Die Dame spricht nur Spanisch." Aisha streichelte über den Kopf ihres Sohns. „Du kannst sie doch auch auf spanisch begrüßen, nicht wahr?" Boabdil schüttelte stumm den Kopf und wandte Sarita den Rücken. „Du darfst nicht so unhöflich sein", tadelte Ahmed Eben scharf, woraufhin sich Boabdil sofort zu seiner Mutter flüchtete. Aisha nahm ihn in den Arm. „Scheltet ihn nicht so, Ahmed Eben." Sie streichelte dem Knaben die Wange. „Er ist doch noch so jung." „Vergebung, Herrin, Boabdil ist alt genug, um sich gut zu benehmen", widersprach der Lehrer. „Wir sollten jetzt unseren Weg fortsetzen." Er wollte nicht frei heraus sagen, daß dieses wenn auch zufällige Treffen mit Aisha nicht über Gebühr verlängert werden durfte. Das war gegen die ausdrückliche Anordnung des Emirs. Sarita hatte den arabischen Wortwechsel natürlich nicht verstanden; die Bedeutung war ihr jedoch klar. Das rüde Benehmen des Jungen, der sich jetzt an seine Mutter klammerte, deren übertrieben beschützende Geste, der scheltende Lehrer - das alles war deutlich genug.
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„Wer ist sie?" fragte Boabdil überraschend in einwandfreiem Spanisch. Er hob den Kopf aus den Rockfalten seiner Mutter und bedachte Sarita mit einem verächtlichen Blick. „Ist sie eine der Frauen meines Vaters?" „Das nicht direkt, mein Liebling", antwortete Aisha sanft. „Sie ist neu in der Alhambra." „Wenn ich erst einmal der Emir bin, schicke ich alle Gespielinnen meines Vaters fort", verkündete Boabdil, der noch immer spanisch sprach. „Und dann sind wir beide hier allein, nicht wahr Mutter?" „So darfst du nicht sprechen", schalt Aisha so sanft, daß es keine Spur böse klang. Muley Abul Hassans Sohn ist eindeutig ein ungezogener, verwöhnter Junge, dachte Sarita. Bemerkte Aisha das nicht auch? Nun, Mütter übersahen die Fehler ihrer Kinder oft, und Aisha wollte wahrscheinlich die kurze gemeinsame Zeit mit ihrem Sohn nicht durch Tadel trüben. Sarita wollte ihren Weg fortsetzen und schaute sich deswegen nach Kadiga und Sulema um: Die beiden waren jedoch nirgends zu entdecken. „Die Dienerinnen sind zum Turm zurückgekehrt", sagte Aisha. „Sie wußten, daß ihre Anwesenheit nicht erforderlich ist, wenn wir beide zusammensind." „Herrin, wir müssen jetzt weitergehen", drängte Ahmed Eben. „In einer Stunde muß Boabdil zum Reitunterricht bei den Ställen sein."
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„Ich will aber keinen Reitunterricht!" nörgelte der Junge. „Das Pferd ist so fürchterlich, Mutter. Zu groß ist es, und beißen tut es auch." „Unsinn!" Das war unverkennbar Muley Abul Hassans Stimme, und gleich darauf trat er selbst hinter einem Hibiskus-strauch hervor. „Sultan ist so sanft wie ein Lamm. Er ist zwar tatsächlich größer als dein Pony, aber es wird Zeit, daß du wie ein Mann reiten lernst." Er trat auf den Pfad hinaus. „Was für ein Zufall, daß wir uns alle an derselben Stelle treffen, wo es doch hier soviel Platz zum Wandern gibt." Seine Stimme klang kalt und zornig, und Sarita fühlte sich sofort schuldig, ohne eigentlich zu wissen, weshalb. „Guten Morgen, Herr", sagte sie. Er blickte sie kurz und ohne zu lächeln an. „Ich wünsche dir einen guten Tag, Sarita." Dann wandte er sich wieder zu seiner Gemahlin um. „Mir war unbekannt, daß du Spaziergänge in der Morgenluft liebst, Aisha." Sie lächelte ihm sanft zu, ihre Stimme klang süß und die sinnliche Erinnerung schwang darin mit. „Als ich heute morgen erwachte, Herr, war ich so voller Freude, daß ich es nicht in geschlossenen Räumen aushielt." „Edler Emir, Eure Gemahlin begegnete uns hier an dieser Stelle", ließ sich der Lehrer vernehmen. „Euer Sohn und ich waren mit Naturkunde beschäftigt. Wir untersuchten hier gerade die Wildblumen." „Anerkennenswert." Abuls Stimme klang noch immer so kalt. „Ich empfehle, Ihr setzt jetzt Euren Weg und Euren Unterricht fort, Ahmed Eben." 168
„Warum darf meine Mutter nicht bei uns bleiben?" Boabdil flüchtete sich wieder zu Aisha und klammerte sich an ihrer Taille fest. „Ich will mit meiner Mutter Spazierengehen", nörgelte er weinerlich. „Es ist nicht gerecht, daß ich nicht... ich will... ich will..." Seine Stimme hob sich bei jeder Wiederholung. Weinerliche, quengelnde Kinder machen sich bei niemandem beliebt, dachte Sarita. Mit den Jammerlappen unter den Kindern ihres Stammes wurde sowohl von deren Eltern als auch von ihren Altersgenossen kurzer Prozeß gemacht. Nun, die Erziehung dieses Knaben hier ging sie nichts an, und überhaupt hatte sie bei diesem Familientreffen nichts verloren. Sie zog sich also zurück. „Sarita, warte auf mich auf der Steinbank an der Weggabelung. Wir gehen zusammen weiter." Abul sprach über die Schulter hinweg, und es klang nach, einem strengen Befehl. Sarita drehte sich um. Ihre Augen sprühten grünes Feuer. „Ich habe kein Verlangen danach, weiterzugehen, Herr. Ich kehre in mein Gefängnis zurück." Obwohl sie wirklich ärgerlich war, hätte sie beinahe gelacht, als sie Abuls verblüfftes Gesicht sah. Anscheinend hatte noch niemand jemals so mit dem Emir von Granada gesprochen. Aisha stockte sichtbar der Atem, und sie vergaß sekundenlang die Quengelei ihres Sohnes. Abul fehlten einfach die Worte, und ihm kam der erstaunliche Gedanke, daß Frauen auch sehr lästig werden konnten. Sarita nutzte das allgemeine Schweigen aus, machte kehrt und rannte mit wehendem Haar den Pfad zurück. In diesem Augenblick erschien sie Abul wie ein wildes kleines Waldgeschöpf auf der Flucht. Er ließ sie laufen, denn wenn er sie jetzt zurückriefe 169
und sie verweigerte ihm den Gehorsam, verlor er womöglich vor seiner Frau und seinem unausgesetzt weiterquengelden Sohn das Gesicht. „Nun sei doch endlich still, Boabdil!" fuhr er ihn an. „Du bist schon zu groß, um wie ein kleines Kind zu jammern. Führt ihn fort, Ahmed Eben." Der Lehrer berührte den Jungen leicht an der Schulter. Boabdil trat nach dem würdigen Gelehrten und klammerte sich noch fester an seine Mutter. Mit einem wütenden Ausruf machte Abul einen Schritt nach vorn und hastig löste Aisha die Hand des Kindes von ihrem Gewand. „Geh mit Ahmed Eben, Boabdil." Sie streichelte ihm übers Haar und wischte ihm die Tränen mit ihrem Schleier fort. „Ach, weine doch nicht so, mein Liebling. Schon wenn die Sonne untergeht, sind wir beide wieder beieinander. Dann kannst du mir erzählen, was du während des ganzen langen Tages alles gemacht hast." Es konnte Abul nicht entgehen, was Aisha mit diesen scheinbar nur tröstenden Worten eigentlich ausdrücken wollte: Wir verschwören uns gegen diesen bösen Mann. Im Moment jedoch konnte er ihr direkt nichts vorwerfen, zumal sie sich ja nach außen hin so verhielt, wie er es wünschte. Sie schickte schließlich das Kind mit der aufmunternden Aussicht auf ihr nächstes Zusammensein fortwar es tatsächlich reiner Zufall gewesen, daß Sarita mit Aisha und Boabdil zusammengetroffen war? Und was für Schlüsse hatte Sarita aus der häßlichen Szene gezogen? Er selbst war darin nicht eben im besten Licht erschienen, falls sie es oberflächlich betrachtete. Er glaubte zu ahnen, wo ihre Sympathien lagen.
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„Ich habe dich so oft aufgefordert, meine Pläne mit unserem Sohn nicht zu unterminieren", sagte Abul, als er und Aisha allein auf dem Pfad standen. „Er muß selbständiger werden und lernen, auch das zu tun, was er nicht tun mag oder was er nicht so gut kann." Aisha senkte den Blick, sowohl um Unterwürfigkeit anzudeuten als auch um ihre wahren Gefühle zu verbergen. „Ich weiß ja, daß Ihr recht habt, mein Gatte, aber es ist so hart. Boabdil ist doch noch ein so kleines Kind." „Und das bleibt er auch, wenn du so weitermachst." Abul nahm ihr die Demut keine Sekunde lang ab. „Wenn Boabdil unabhängiger von dir geworden ist, darfst du alle Zeit mit ihm zusammen verbringen, die er neben seinen Pflichten und seiner Ausbildung erübrigen kann." „Ja, ich verstehe." Aisha lächelte ihn an. „Die vergangene Nacht, Herr, hat mir soviel Glück und gleichzeitig soviel Pein gebracht. Pein, weil ich an die vielen Nächte denken mußte, in denen meine Torheit uns der Freude beraubt hat." Nur mit ihren Augen drückte sie aus, daß sie ihn um eine Wiederholung dieser Freuden anflehte. Sie wußte genau, daß sie ihren Gemahl aufs neue erzürnt hatte, aber ihr war nicht nachzuweisen, daß sie das Zusammentreffen mit Boabdil und der Christin sorgfältig arrangiert hatte. Es war erforderlich gewesen, damit diese Frau sah, wie nötig Boabdil seine Mutter hatte und wie grausam Abul auf der Trennung bestand. Nach dieser Szene mußte Sarita den Emir doch verabscheuen, und das machte sie für Aisha zu einer wertvollen Verbündeten. Aisha lächelte weiterhin zu ihrem Gemahl hinauf, doch dieser bemerkte, daß ihre Augen keineswegs mitlächelten. Es waren sehr schöne Augen, aber ihr Blick war berechnend und kalt. 171
Weshalb ist mir das nicht schon früher aufgefallen? fragte er sich. Wahrscheinlich habe ich mir nie die Mühe gemacht, genau hinzusehen. Und warum nicht? Weil Aisha ja einfach meine Gemahlin war, nur eine Frau... Ein kalter Schauder überlief ihn bei diesem Gedanken. Mußte er jetzt für diese arrogante Nachlässigkeit zahlen? Mit einer Handbewegung deutete er an, daß er die Unterhaltung als beendet betrachtete, und dann machte er sich auf den Weg zu Saritas Turm. Vor Wut erstarrt blieb Aisha stehen. Abul behandelte sie wie eine Dienerin, die man einfach entlassen konnte! Als ihr Zorn abgeebbt war, nahm für sie ein Gedanke Gestalt an, den sie bisher für unvorstellbar gehalten hatte. Wie, wenn Abul sie als seine Gattin verstieß? Dann war auch Boabdil nicht mehr sein Erbe, und das wäre das Ende aller ihre hoffnungsvollen Pläne. Durch Boabdil wollte sie die wahre Regentin über Granada sein. Sie wollte den Knaben so fest an sich binden, daß er später als Mann nicht mehr in der Lage war, Entscheidungen zu treffen, ohne zuvor seine Mutter um Rat gefragt zu haben. Wenn Boabdil in wenigen Jahren erwachsen war, würde sie Mittel und Wege finden, Abul zu beseitigen. Gift eignete sich am besten, und in seiner Anwendung war sie geübt... Bis dahin mußte sie sich aber unbedingt das Vertrauen ihres Gemahls erhalten. Falls Abul jetzt indessen eine andere Frau gefunden hatte, die er an ihre Stelle setzen wollte, dann wäre die ganze Mühe, umsonst gewesen, und ihre hochtrabenden Pläne waren nichts als Spreu im Wind.
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Und falls die Bedrohung; tatsächlich von der Spanierin ausging, dann mußte Aisha diese beseitigen - nachdem sie zunächst ihr Vertrauen erworben hatte. Auf dem Weg zurück zum Frauenhaus überlegte sie sich ihren nächsten Schritt. Abul trat durch die offene Tür in Saritas Turm, wo die fleißigen Putzmägde offenbar das Regiment übernommen hatten. Frauen fegten, richteten Polster und Kissen und füllten Blumenkrüge. Als Abul an ihnen vorbeischritt, schlugen sie die Augen nieder. Er ging zur Treppe, wollte Sarita rufen, entschied sich dann jedoch dagegen und stieg sofort nach oben. Sie war allein, stand auf dem kleinen Balkon eines der rückwärtigen Fenster und schaute anscheinend sehr konzentriert nach draußen. Abul fragte sich, was sie an der Aussicht wohl so interessant fand. „Sarita?" Sie fuhr herum. „Oh, Ihr seid es, Herr. Was wollt Ihr von mir?" Das bekannte Spielchen beginnt also wieder von vorn, dachte er amüsiert. „Du weißt ganz genau, was ich von dir will." Lächelnd und mit ausgestreckten Armen kam er heran. Sie wich zur Seite aus. „Ihr scheint vergessen zu haben, o Emir, daß der Turm voller Frauen ist. Oder haltet Ihr sie für so unerheblich, daß Ihr Euch benehmen könnt, als wären wir hier unter uns?" Er nickte nachdenklich. „Damit könntest du recht haben. Im übrigen sehe ich hier oben niemanden. Könntest du mich nicht ein wenig freundlicher begrüßen?" 173
„Dazu sehe ich keinen Grund. Ihr habt mir auch wenig Höflichkeit erwiesen, als ich Euch vorhin begrüßte." Abul entschied sich für die Wahrheit. „Ich war böse, Sarita. Mein Sohn benimmt sich nicht männlich, und ich hatte den Eindruck, seine Mutter unterstützt das auch noch." Er hoffte, daß damit das Thema abgeschlossen war. „Ich bitte um Verzeihung, falls ich schroff und unhöflich gewesen sein sollte. Wollen wir den Tag noch einmal von vorn beginnen?" „Weshalb benimmt sich Euer Sohn so?" erkundigte sich Sarita mit ganz natürlichem Interesse. „Und weshalb unterstützt Aisha ihn darin?" Abul wurde wieder ärgerlich, zwang sich jedoch, ruhig zu antworten. „Gestern abend habe ich versucht, es dir zu erklären. Boabdils Mutter begreift nicht, daß sich ihr Sohn - mein Erbe und Nachfolger - das Können und Wissen eines zukünftigen Herrschers aneignen muß. Ich bin jedoch verpflichtet, darauf zu bestehen." „Es wäre doch aber sicherlich besser, wenn Boabdil nicht unter dem Eindruck stünde, seine Mutter und Ihr strittet seinetwegen." Sarita sprach aus, wie sie die Sache sah. Sie war aufrichtig besorgt und hatte ihren Entschluß vergessen, dieses Thema dazu zu verwenden, Abul von seinen Annäherungsversuchen abzubringen. „Du verstehst die Sitten und Gebräuche meines Volks eben nicht", sagte Abul abweisend. „Ich will mich nicht mit Aisha streiten, und ich streite mich auch nicht mit ihr. Es kann überhaupt keinen Konflikt zwischen einem Mann und einer Frau geben."
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„Ach nein? Besteht dann auch zwischen uns kein Konflikt, Herr?" Jetzt mußte Abul doch lachen. „Durchaus nicht. Wir spielen nur ein Spiel, das bald abgeschlossen sein wird." So sah er das also! Was sich für sie um ihre Freiheit drehte, hielt er für ein Spiel. Nun, er würde bald entdecken, daß er sich in einem ziemlich „unspielerischen" Konflikt mit einer Frau befand. Sarita wählte ihre folgenden Worte mit großem Bedacht. „Ihr werdet noch feststellen, daß die Liebe einer Mutter zu ihrem Sohn mehr wiegt als die Überlegenheit des Vaters. Was Ihr aufbaut, edler Emir, das ist Haß, und nicht Kraft und Reife. Ich empfehle Euch, Eure Motive und Taktiken etwas sorgfältiger zu überprüfen." Abul war schlicht erschüttert. Sarita blickte ihm ruhig und direkt in die Augen. Und dann lachte sie frech auf, wandte ihm den Rücken und schaute wieder auf die Ravine hinaus. Es wäre würdelos gewesen, hätte Abul jetzt seinem Ärger freien Lauf gelassen. Männer verloren Frauen gegenüber nicht die Beherrschung. Leider konnte sich Muley Abul Hassan sehr gut vorstellen, daß er dieser Frau gegenüber wohl dazu fähig wäre. Also ging er lieber schweigend und schnell fort. Er war sich einer gewissen Niederlage bewußt und überlegte sich, wie er diese Niederlage in einen Sieg ummünzen konnte. Bedauerlicherweise fiel ihm im Moment nichts Geeignetes ein. 10. KAPITEL Gerade als der Emir aus dem Turm in den Garten trat, kamen Kadiga und Sulema durch die Pforte herein. Sie erschraken über
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die abweisende Miene ihres Herrn und wollten sich rasch und gebeugt an ihm vorbeidrücken. Abul, dem plötzlich ein Gedanke gekommen war, blieb stehen. „Weshalb habt ihr Sarita heute morgen nicht bei ihrem Spaziergang begleitet?" „Oh, das haben wir, Herr", verteidigte sich Sulema hastig. „Wir sollten sie doch zu Eurer Gemahlin ..." Sie unterbrach sich mit einem kleinen Aufstöhnen, weil Kadiga ihr auf den Fuß getreten hatte. Sie errötete heftig. „Ich meinte... wir begegneten der Herrin, und da war unsere Anwesenheit nicht mehr erwünscht." Abul schaute die beiden Mädchen finster an. Sie rührten sich nicht von der Stelle; schließlich waren sie noch nicht entlassen worden. „Ihr hattet den Auftrag, Sarita zu eurer Herrin zu führen, Sulema?" Er stellte die Frage an die Frau, die er für schlichter und treuherziger hielt. Hastig hob Kadiga den Kopf, um etwas zu sagen, aber da sie nicht angesprochen war, durfte sie das nicht tun. Sulema blickte ihre Freundin ängstlich an. „Komm schon, Sulema, ich habe dir doch eine ganz einfache Frage gestellt", sagte Abul ungeduldig. „Wollte Aisha heute morgen mit Sarita zusammentreffen?" „Jawohl, Herr", gestand Sulema seufzend. „Sie sagte, sie würde auf dem oberen Pfad zum Generalife wandern, und befahl uns, Sarita zu ihr zu leiten." „Siehst du, das war doch gar nicht so schwer, nicht wahr?" Abul nickte. „Eine einfache Antwort auf eine einfache Frage. So etwas 176
kann nie schaden." Damit drehte er sich um und setzte seinen Weg fort. „Ich mußte ihm doch die Wahrheit sagen", flüsterte Sulema und biß sich auf die Lippe. „Und weshalb sollte er es denn nicht wissen?" Kadiga zuckte die Schultern. „Irgendeine Verschwörung. Du kennst die Herrin ja genausogut wie ich." „Wenn sie herausbekommt, daß wir es dem Emir erzählt haben, wird sie sicherlich sehr böse." Sulema hatte jetzt schon aus Angst vor Aishas Zorn Tränen in den sanften Augen. „Ich habe so das Gefühl..." Kadiga blickte auf die Gartenpforte, durch die Abul eben getreten war. „Ich habe das Gefühl, sie wird es nicht herausbekommen. Ich glaube, diese Information wird der Emir für sich behalten." Kadiga bezweifelte längst nicht mehr, daß hier etwas sehr Rätselhaftes vor sich ging, aber das war ja nichts Ungewöhnliches in den abgeschlossenen Höfen der Alhambra. Irgendeine Intrige war hier ja immer im Gange. Nur - Aisha war die oberste Herrin im Harem, und diese Stellung konnte ihr ausschließlich der Emir fortnehmen; eine Nebenfrau konnte sie ihr niemals streitig machen. Weshalb hatte die Herrin Sulema und ihr also den Befehl erteilt, dafür zu sorgen, daß jedermann einschließlich Sarita glaubte, das Treffen sei ein reiner Zufall gewesen? Und weshalb interessierte sich der Emir für diese Information? Kadiga kannte die Antwort nicht. Sie nahm sich vor, zu schweigen und dafür Augen und Ohren um so offener zu halten; viel-
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leicht würde sich alles zu einem erkennbaren Muster zusammenfügen. Abul war mit den Regierungsangelegenheiten des Tages beschäftigt, und niemand hätte jemals erraten, was ihn innerlich bewegte. Er hatte sich noch nie zuvor so herausgefordert gefühlt wie jetzt durch Sarita. Noch niemals war er auf seinem ganz persönlichen Gebiet so angegriffen worden, und schon gar nicht von einer Frau. Der Morgen verging, und mit ihm Abuls innere Unausgeglichenheit. Hatte nicht gerade Saritas Fähigkeit, ihn derartig herauszufordern, ihn von Anfang an fasziniert? Fühlte er sich nicht gerade deswegen so von ihr angezogen? Sie wirkte auf ihn wie ein ungezähmtes, kompromißloses Wesen, und gegen diese Wirkung war er machtlos. Nicht Sarita, sondern Aisha stellte das Problem dar. Aisha setzte irgend etwas in Gang, und Abul mußte unbedingt herausfinden, was das war. Und er mußte auch feststellen, wo Saritas Loyalitäten lagen. „Mein Emir, der Gesandte der Aziz wünscht zu wissen, ob er seinem Herrn Eure Antwort übermitteln darf." Die vorsichtig drängende Stimme des Wesirs veranlaßte Abul, sich wieder auf seine Geschäfte zu konzentrieren. Er wandte sich an den Gesandten. „Sagt Eurem Herrn, daß ich einer Einheirat seiner Tochter in die Familie Hayzari zustimme. Die Verbindung wird alle Familien Granadas stärken." Er stand auf, verneigte sich lächelnd vor dem versammelten Hof und wandte sich zum Gehen. In Gedanken war er schon wieder mit Sarita beschäftigt und damit, wie er sich mit ihr aussöhnen konnte. Sie würde die Grenzen zu seinem Familienleben nicht wieder überschreiten, wenn er da178
für sorgte, daß das Thema einfach nicht mehr zum Gespräch kam. Und er kannte auch schon ein Mittel, das alle Brüche heilte und sie Aisha, Boabdil und den elterlichen Konflikt vergessen lassen würde. Der Wesir nahm die Anordnungen des Emirs gleichmütig entgegen. „Ihr werdet doch bei Sonnenuntergang wieder zurücksein Herr? Die Abordnung von Harun Kalim hat zu dieser Stunde eine Audienz erbeten." „Ja, ich werde zurücksein. Die Eskorte soll in einer halben Stunde im Festungshof antreten." Eiligen Schrittes machte sich Abul auf den Weg zu Saritas Turm. Die Aussicht darauf, Freude zu schenken, erfüllte ihn mit angenehmer Spannung. Sarita hatte sich gerade gefragt, ob es ihr wohl gelungen war, Muley Abul Hassan für den Rest des Tages - und hoffentlich auch für die Nacht - zu vertreiben, als der Emir in den kühlen Innenhof trat. Auf der Stelle entwickelte sie ein geradezu maßloses Interesse für das Schachbrett, das vor ihr stand, und überlegte sich scheinbar mit der äußersten Konzentration ihren nächsten Zug. Kadiga und Sulema erhoben sich bei Abuls Eintreten von ihre Polstern und versuchten, Saritas Aufmerksamkeit zu erlangen, denn sie kamen nicht auf die Idee, ihre kleine Herrin könnte die Ankunft des Herrn absichtlich übersehen. Abul jedoch unterlag diesem Irrtum nicht. Seine Erheiterung und sein Zorn stritten miteinander. Er stand vor dem Schachtisch, und sein Schatten fiel auf das Brett. Endlich schaute Sarita auf. „Edler Emir", grüßte sie kühl. „Aus irgendwelchen Gründen hatte ich Euch nicht erwartet."
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„Das war aber sehr töricht von dir." Die Erheiterung siegte über den Zorn, als er auf das kleine Gesicht hinunter schaute, das von diesen grünen Augen beherrscht und von einer Wolke feuriger Locken umweht wurde. Sarita hob das Kinn und warf den Kopf in den Nacken. „Ihr unterbrecht mein Spiel, mein Emir." „Ich wünschte, du würdest diese ermüdende Anrede unterlassen." Er beugte sich über das Schachbrett und zog die weiße Königin. „Das wäre angesichts des gegenwärtigen Spielstandes der beste Zug." Sarita legte die Hände im Schoß zusammen. „Welchem Umstand verdanke ich dieses zweifelhafte Vergnügen, mein Emir." „Unmögliches Geschöpf!" Abul lachte. „Diese Zurschaustellung kalter Würde ist nicht überzeugend, mein Kind. Wir wissen beide, daß du lieber dein Knie oder deine Fäuste benutzt, um deinen Ärger auszudrücken." Er neigte sich zu ihr und hielt ihr Kinn fest. „Hör jetzt mit diesem Unsinn auf. Komm mit mir auf einen Ritt in die Berge." Ihre Reaktion fiel so aus, wie er es sich erhofft hatte. Sarita sprang auf und stieß in ihrer Begeisterung den Schachtisch um. „Ein Ritt? Meint Ihr das ehrlich? Nach draußen? Auf einem Pferd?" Abul lachte vor Freude über Saritas Entzücken. „Ja, das meine ich ehrlich. Ich weiß doch, daß es dir mißfällt, den ganzen Tag herumzuliegen und Aprikosen zu essen. Du brauchst eine Betätigung. Du sollst sie haben."
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„O wie schön! Wie wunderbar!" Sarita vergaß, daß sie eigentlich mit Abul streiten mußte. Sie vergaß sogar ihren Fluchtplan bei der Aussicht, aus den Wällen der Alhambra hinaus und in ihre geliebten Berge reiten zu können, dorthin, wo der Wind kühl und frisch wehte und der Duft von Wildblumen und -kräutern in der Luft lag. Plötzlich verfinsterte sich ihr Gesicht, denn ihr war ein Hindernis eingefallen. „Ich kann nicht reiten. Ich habe keine Unterhose bei mir." Dieses einfache leinene Kleidungsstück hatte sie im Wagen ihrer Mutter zurückgelassen. Sie trug es immer nur zum Reiten und hatte es in ihrer Hast mitzunehmen vergessen. „Du wirst etwas Geeignetes oben zwischen den Gewändern vorfinden. Es handelt sich um Lederbeinlinge und eine Reittunika. Ich habe deine Bedürfnisse vorausgesehen." Sarita blickte noch immer so finster drein. „Ihr wollt, daß ich die Kleidung Eures Volks trage?" Sie hatte sich doch fest vorgenommen, während ihres Aufenthalts hier keine Haremskleider mehr anzulegen. Abul hob eine Augenbraue. „Ja, also dir stehen drei Möglichkeiten offen: Entweder du verzichtest auf den Ausritt, oder du trägst die Kleidung meines Volkes, oder du reitest ..." Er zögerte, als suchte er nach der passendsten Ausdrucksweise. „Oder du reitest... äh... ungeschützt." Er zählte diese Möglichkeiten an seinen Fingern vor. „Ich überlege mir, ob das Prinzip die Unbequemlichkeit und die... Unfeinheit wirklich wert ist." Hinter ihm schien jemand zu ersticken. Kadiga und Sule-ma hielten sich ihren Schleier vor den Mund, um ihr respektloses Kichern zu verbergen.
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Der Emir fühlte sich davon jedoch nicht gestört. Er stand einfach nur da und schaute sich interessiert Saritas abwechslungsreiches Mienenspiel an. Zum Schluß siegte ihr Humor. Wortlos drehte sie sich um und lief die Treppe zur Galerie hinauf. „Wir helfen Euch", sagte Kadiga hastig und folgte ihr. Sarita machte sich nicht die Mühe, sie fortzuschicken. Erstens würde es nichts einbringen, und zweitens gewöhnte sie sich langsam daran, bedient zu werden. Abul spürte, daß er einen bedeutenden Sieg errungen hatte, und beschloß, die Sache nicht unnötig voranzutreiben. Er blieb wo er war, sammelte die Schachfiguren auf und stellte sie wieder aufs Spielbrett. Sarita betrachtete sich im Spiegel. Die hautengen Beinlinge aus weichstem Wildleder, die ihr bis zur Taille reichten und dort verschnürt wurden, waren erstaunlich bequem und überaus praktisch zum Reiten. Dennoch kamen sie Sarita ein wenig unanständig vor. Sie würden allerdings von der reich bestickten, seitlich geschlitzten Tunika bedeckt werden, die Kadiga ihr jetzt entgegenhielt. Schon wollte sie dieses Kleidungsstück entgegennehmen, als ihr ein Gedanke kam. Wieso konnte sie nicht ebensogut auch ihr orangefarbenes Kleid über den Beinlingen tragen? Sie trug es schließlich beim Reiten auch über ihrer leinenen Unterhose. „Nein, gib mir bitte mein Kleid", forderte sie und freute sich insgeheim darüber, daß sie aus dem Sieg des Emirs doch noch einen kleinen Triumph für sich gewinnen konnte. Mit ihrem Kleid konnte sie deutlich zum Ausdruck bringen, daß sie zwar ihre Ge-
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fangenschaft nicht akzeptierte, den Komfort beim Reiten indessen gern annahm. Kadiga zuckte die Schultern und holte das Kleid. Sulema lächelte und reichte Sarita weiche Lederschuhe hin, die diese ausnahmsweise nicht verschmähte. Dergestalt gewandet, lief sie die Treppe hinunter. „Laßt uns gehen, mein Emir." Abul schaute vom Schachbrett auf. Als er Sarita in dem orangefarbenen Kleid sah, zuckte ein Schatten über sein Gesicht. „Unter einer Bedingung." Sarita rüstete schon für einen Kampf. „Und welche Bedingung ist das, mein Emir?" „Daß du damit aufhörst, mich mit diesem albernen Unterton ,mein Emir' zu nennen. Das ist unsinnig und wird mit der Zeit langweilig." Sarita neigte den Kopf zur Seite, runzelte die Brauen, als müßte sie über eine schwerwiegende Bitte nachdenken, und nickte dann forsch. „Wie Ihr wollt, Abul. Gehen wir also?" Abul hatte das Gefühl, als kippte seine wohlgeordnete Welt zur Seite und als fiele er in einen Abgrund der verrücktesten Vorkommnisse und Empfindungen. Im einen Moment drohte ihn sein Verlangen zu überwältigen, und im anderen wünschte er sich nur Saritas hübschen Hals umzudrehen. Im Augenblick sah sie ungeheuer selbstgefällig aus. Sie wußte genau, daß sie ihn entnervte, und sie war bereit, dies auch weiterhin zu tun. Und dann war da noch diese andere Strömung, diese
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beinahe greifbare Erregung, die stets zu ihrer Kampfbereitschaft gehörte. Abul konnte diese Strömung auch in sich selbst fühlen. Er mußte lächeln. Sarita trieb da ein gefährliches Spiel; wahrscheinlich wußte sie gar nicht, wie gefährlich es tatsächlich war. Allerdings war er nur zu gern bereit, es mit ihr zu spielen. „Selbstverständlich", antwortete er freundlich und legte eine Hand auf ihre Hüfte. „Findest du diese Beinlinge auch bequem?" Sarita entzog sich dieser Hand durch einen Schritt seitwärts. „Sie sind praktisch, mein E... praktisch, Abul. Ich danke Euch für Eure Voraussicht." „Gern geschehen", erwiderte er höflich und legte seine Hand wieder auf ihre Hüfte. „Und passen sie auch gut?" Mit der Hand zeichnete er Saritas Gestalt unter dem Kleid nach. „Nicht zu eng, will ich hoffen. Oder zu weit etwa? Du bist nämlich sehr klein." „Sie passen perfekt. Ich danke Euch vielmals." Sarita machte einen Satz vorwärts und lief dann in Richtung Garten. Abuls Hand schien ihre Haut durch das Leder hindurch verbrannt zu haben. Zufrieden stellte der Emir fest, daß er ein paar Punkte in dem Spiel gemacht hatte. Er folgte ihr. Schweigend gingen sie zum Festungshof, und während der ganzen Zeit zerbrach sich Sarita den Kopf, um ein neues Gesprächsthema zu finden, bei dem sie wieder im Vorteil wäre. Abul dagegen ruhte sich auf seinen Lorbeeren aus.
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Der Hof der Alcazaba schien sich seit gestern verändert zu haben. Da sich Sarita heute in Gesellschaft des Emirs befand, wagte es niemand, ihr aufdringliche, begehrliche oder verächtliche Blicke zuzuwerfen. Eine kleine Abteilung mit Krummsäbeln bewaffneter Soldaten saß beim Tor der Gerechtigkeit zu Pferd. Vor dem Tor warteten zwei beladene Maultiere, die von einem auf einem Pony reitenden, mit Turban und weitem Gewand bekleideten Treiber geführt wurden. Zwei reiterlose Pferde lenkten sofort Saritas Aufmerksamkeit auf sich. Eines war ein großartiger, starker schwarzer Hengst, das andere ein kleinerer, anmutiger Apfelschimmel. Beide Tiere waren mit bestickten Schabracken und silberbeschlagenem Lederzeug geschmückt. „Sind die für uns vorgesehen, Abul?" Sarita hatte sämtliche Streitlust verloren, und ihr Gesicht strahlte vor lauter Vorfreude. Abul nickte. „Welches ziehst du vor?" Über diese Frage mußte sie lachen. „Eure Beine würden ja über den Boden schleifen, wenn Ihr auf dem kleinen Schimmel säßet." „Und du würdest auf Sohrab nicht mehr sein als ein kleiner Pickel." „Das ist ein sehr unfreundlicher Vergleich", protestierte Sarita. „Ich sehe überhaupt nicht aus wie ein Pickel." „Nun, du neigst dazu, rot zu werden, dich zu entzünden und dann aufzubrechen - ganz genau wie ein Pickel", stellte er leise lachend fest und legte ihr gleich einen Finger auf die Lippen, weil sie zu einer energischen Widerrede ansetzen wollte. „Trotzdem nehme 185
ich den Vergleich zurück. Wenn ich dich auf Sohrab setzte, würdest du da oben nicht sichtbarer sein, als es eine Rosenknospe an dieser Stelle wäre." Sie stieß seine Hand von ihrem Mund fort. „Schamloser Schmeichler! So leicht bin ich nicht zu betören, mein Emir." „Dein - was?" fragte er streng, aber seine Augen lachten. „Mein gar nichts. Ein Versprecher." „Versprich dich nicht noch einmal", bat er lächelnd und ging dann zu den Pferden. „Ich hoffe, der Apfelschimmel ist. gutmütig", sagte er zu dem Pferdepfleger, der die Tiere hielt, und streichelte dem Pferd den Hals. Während der Knecht nun das Tier wortreich lobte, musterte Sarita es ebenfalls. Sie hatte auf Maultieren und Ponys gesessen, seit sie laufen konnte. Sie hatte sie als Wagenpferd oder beim Lastenziehen gelenkt. Sie war auf ihnen geritten, wann immer eines für sie zur Verfügung stand, aber noch niemals hatte sie auf einem so prächtigen Exemplar gesessen und war noch nie nur des Vergnügens wegen geritten. „Ich bin gewöhnt, auf ungesattelten Pferden zu reiten", erklärte sie und betrachtete zweifelnd den kostbaren Ledersattel und die silbernen Steigbügel. „Auf Maultieren und Ponys vielleicht", entgegnete Abul. „Dieser Schimmel hier benötigt jedoch einen Sattel und Steigbügel, wenn man ihn beherrschen will. Bist du nun bereit zum Aufsitzen?" Sarita nickte, nahm die Zügel in eine Hand und hob den Fuß in den Steigbügel. Der Pferdeknecht wollte ihr helfen, doch Abul
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schob ihn zur Seite und hob sie selbst in den Sattel. „Ali wird die Steigbügelhöhe für dich richtig einstellen." Mühelos schwang sich Abu! auf Sohrabs Rücken und wartete, während Ali die Steigbügelriemen justierte. Sarita setzte sich zufrieden im Sattel zurecht. Die Kraft und die Höhe des Tiers unter ihr gaben ihr das Gefühl neuer Stärke und Macht. Als sie zum Tor und auf die Straße hinausritten, die hinunter zum Olivenhain und dann weiter in die Stadt führte, bemerkte Sarita, daß der Maultiertreiber und die berittenen Soldaten hinter ihnen blieben. „Wozu diese Eskorte?" wollte sie wissen. „Die Straßen sind gefährlich. Das habe ich dir doch schon oft gesagt." „Also ist die Eskorte nicht dafür da, um zu verhindern, daß ich mit diesem schnellen Pferd hier die Flucht ergreife? " fragte sie zuckersüß. „Ganz und gar nicht", antwortete Abul gelassen. „Ich benötige keine Hilfskräfte, um dergleichen zu verhindern. Sohrab ist dreimal so schnell wie dein Zelter." Diese Runde hatte sie also verloren, aber der Tag war so schön, der Horizont so grenzenlos, und die Sonne strahlte so hell vom blauen Himmel, daß Sarita keine Lust mehr verspürte, sich weitere Provokationen auszudenken. Der Olivenhain, in dem der Stamm Raphael lagerte, befand sich unangenehm nahe an dieser Straße, und deshalb erleichterte es
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Sarita ungemein, daß Abul an einer Gabelung seinen schwarzen Hengst in die Gegenrichtung bergaufwärts lenkte. Hier erhob sich der Adler in die Lüfte, der Wind wehte kühl, Geruch unter den Pferdehufen zertretener Wildkräuter erfüllte Sarita mit tiefempfundener Freude. Neben ihm erschienen die schweren Düfte der Alhambra - Rosen, Oleander, Myrten und Hibiskus irgendwie übertrieben und unnatürlich. Abul störte Saritas verträumte Gedanken nicht. Er spürte, wie glücklich sie im Moment war, und er bekam zum erstenmal Bedenken wegen seines Plans, den er so entschlossen verfolgte. Möglicherweise konnte ja so ein kleines Geschöpf der Wälder und der Bergwiesen, das nur das Leben auf der offenen Landstraße kannte, überhaupt nicht an die Lebensform der Alhambra angepaßt werden. Nun, das stimmte wohl nicht ganz; jeder Mensch konnte nach den Gegebenheiten auf der Alhambra geformt werden. Es fragte sich nur, ob diese Form Sarita glücklich machen würde. „Wie weit reiten wir?" erkundigte sie sich und unterbrach damit seine Gedankengänge. Er blickte zur Sonne hinauf und schätzte, daß sie jetzt ungefähr seit einer Stunde unterwegs waren. „Wie weit möchtest du denn reiten?" „Öh, endlos! So weit wie möglich, bis dorthin, wo der goldene Adler wohnt", antwortete sie träumerisch. „Hast du Hunger?" erkundigte sich Abul lächelnd. Sarita runzelte die Stirn. An so etwas Unromantisches hatte sie bisher überhaupt nicht gedacht, aber jetzt wurde ihr bewußt, daß 188
sie in der Tat ziemlich großen Hunger hatte. „Ja, ich glaube, es ist Essenszeit, aber ich will noch nicht umkehren. Seid Ihr denn schon sehr hungrig?" Sie flehte förmlich um Abuls Nein. „Ich stehe kurz vor dem Hungertod", antwortete er lächelnd. Er drehte sich zu dem Gefolge um und rief etwas auf arabisch. „Wir wollen es einmal dort drüben versuchen.' Er deutete auf einen Felsvorsprung. „Dort werden wir vielleicht ein wenig Schatten finden, und mir scheint, als hörte ich Wasser plätschern." Das schien Sarita auch so. „Wasser können wir leider nicht essen", wandte sie ein, folgte Abul jedoch, der seinen Hengst vorsichtig über den felsigen, mit Buschwerk bewachsenen Boden lenkte. „Die Pferde werden aber durstig sein." Der Bach floß direkt hinter dem Felsvorsprung entlang, plätscherte silbern über flache Steine, verbreiterte sich zu einem tiefen See und rauschte dann bergabwärts. Einige dicht beieinandersteheinde knorrige Olivenbäume und die Felsbrocken spendeten spärlichen Schatten. „Ja, hier ist es schön." Abul saß ab. Er übergab einem seiner Soldaten die Zügel. „Herunter mit dir." Er hob Sarita aus ihrem Sattel. Seine Hände fühlten sich warm an ihrer Taille an, und sein Atem streifte ihre Wange. Länger als nötig hielt er sie in den Armen, bevor er sie auf den Boden stellte. Der Soldat übernahm auch ihren Apfelschimmel und führte beide Tiere an den See zum Tränken. Sarita setzte sich auf einen flachen Stein und sah mit Erstaunen, daß der Treiber seine Maultiere entlud. Einige Männer der Eskor189
te halfen ihm dabei, und binnen kurzem breitete sich ein mittlerer Hausstand auf dem felsigen Boden aus: Große Polsterkissen, ein Seidenteppich und ein Baldachin, der auf vier Pfosten aufgerichtet wurde. Abul zog Sarita von ihrem Stein hoch und führte sie in den Schatten des auf diese Weise entstandenen kleinen Pavillons neben dem Bach. „Wie überaus raffiniert!" Sarita ließ sich auf ein Polsterkissen sinken. „Nehmen wir unser Mittagsmahl jetzt im Freien ein?" „Ich dachte mir, du möchtest vielleicht gern etwas dir Geläufiges tun", antwortete er und setzte sich neben sie. Sarita mußte lachen. „Die Angehörigen meines Stammes lagern beim Essen nicht unter Baldachinen und auf seidenen Kissen. Wir sitzen auf dem Boden um das Feuer herum." „Nun, das Feuer kannst du dir ja von hier aus ansehen." Er deutete zu den beiden Männern hinüber, die in einem Kreis von flachen Steinen Brennholz aufschichteten. „Einen Becher Wein vielleicht?" Sarita nahm staunend den juwelenbesetzten Becher entgegen, den der Maultiertreiber ihr auf einen Wink von Abul hin entgegenhielt. „Kein Wunder, daß Ihr eine bewaffnete Eskorte braucht." Sie drehte den Becher in den Händen. „Sich mit solchen Besitztümern in die Bergwelt zu begeben, fordert doch Raubüberfalle geradezu heraus." Abul lächelte nur. Er lehnte sich auf seinem Polster zurück und betrachtete Sarita aus halb geschlossenen Augen. Sie saß aufrecht da und war ganz offensichtlich fasziniert. 190
„Was wollen die Männer kochen? Ich bin ziemlich geschickt im Forellenstechen. Soll ich vielleicht einmal versuchen, ob ich eine im See fangen kann?" Und schon erhob sie sich halb voi? ihrem Polster. Abul hielt sie am Kleidersaum fest und zog sie wieder herunter. „Wir haben genug Lebensmittel dabei. Jetzt sei still und lege dich zurück. Speisen sollte man immer in einem Zustand..." „... der Ruhe und Harmonie", unterbrach Sarita rasch. „Ich weiß. So wie man auch alles andere tun soll." „Nicht unbedingt alles andere", bemerkte er vollkommen sachlich. „Den Weg der Liebe verfolgt man am besten im Zustand der Abenteuerlust, und das Liebesspiel selbst erweist sich oft als am besten, wenn es möglichst unruhig verläuft, obwohl Harmonie auch hierbei unerläßlich ist, wenn man die wahren Freuden erleben will." Sarita verbot es sich, hierauf etwas zu erwidern. Daß ihr auch gar nichts dazu einfiel, war nebensächlich. Sie hätte in jedem Fall geschwiegen. Sie legte sich auf ihrem Polsterkissen ein wenig zurück, steckte die Nase in den Weinbecher und hoffte, auf diese Weise ihr Erröten und ihre Augen zu verstecken, denen man bestimmt ansah, wie sich bei solcher Rede die Erregung in ihrem Körper ausbreitete. Glücklicherweise verfolgte Abul das Thema nicht weiter. Sarita pflückte ein Zweiglein wilden Thymians ab und zerdrückte es zwischen Daumen und Zeigefinger, um den herben Duft freizusetzen. „Ob die Männer wissen, wie man mit Bergkräutern würzt?" Sie bemühte sich, ein neutrales Gesprächsthema zu finden. „Vielleicht sollte ich einmal hingehen und es ihnen zeigen."
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Wieder versuchte sie, aufzustehen, und wieder zog Abul sie zurück. „Sie würden es nicht besonders schätzen, wenn du ihnen Anweisungen erteiltest", erklärte er. „Weil ich eine Frau bin, oder weil ich eine Ungläubige bin?" Das war ein Gesprächsgegenstand, der gefahrlichere Themen in Schach hielt. „Sowohl als auch, wie ich dir schon einmal auseinandergesetzt habe." „Die Männer tun mir doch nichts, wenn Ihr dabei seid." „Solange ich nicht in eine andere Richtung schaue", bestätigte er, und es klang ziemlich belustigt. „Ihr würdet doch aber nicht fortschauen!" Sarita setzte sich beleidigt auf. „Da du meine Warnungen nicht zur Kenntnis genommen hast, könnte ich auf die Idee kommen, mich an die Weisheit ,Wer nicht hören will, muß fühlen' zu halten. Anschauungsunterricht ist meist sehr wirksam." An diese Bemerkung sollte sich Sarita noch einmal bitter erinnern. „Mein Emir." Der Maultiertreiber verneigte sich vor ihnen und reichte ihnen eine Schale kalten, klaren Bergwassers hin. Abul tauchte die Hände hinein und trocknete sie an einem ihm gereichten Leinentuch. Die Schale wurde jetzt zu Sarita weitergereicht, die sich die Hände geradezu begeistert wusch, denn sie wußte inzwischen, daß in 192
dieser Gesellschaft Handwaschungen immer der Ankunft von Speisen vorangingen. Außerdem lag Bratengeruch in der Luft und zog ihr das Wasser im Mund zusammen. Als ihnen ein Korb mit Brot und Oliven gereicht wurde, nahm sie sich gleich eine ganze Handvoll und merkte erst danach, daß Abul die Früchte einzeln aus dem jetzt zwischen ihnen stehenden Korb nahm. Schuldbewußt ließ sie ihre Oliven wieder in den Korb zurückfallen und brach sich ein Stück Brot ab. Es war mit Knoblauch und Olivenöl eingerieben und regte ihren schon ungebärdigen Appetit noch weiter an. Dem Brot und den Oliven folgten Holzspieße, auf denen abwechselnd Lammfleischstücke, Zwiebeln und Pilze steckten. Verstohlen beobachtete Sarita, wie Abul mit seinem Bratspieß umging. Er zog jedes Stück einzeln mit den Fingern herunter, steckte es sich in den Mund und aß es erst auf, bevor er sich das nächste nahm. Sarita tat es ihm nach und stellte fest, daß diese bedächtige Eßmethode das Vergnügen am Speisen durchaus erhöhte. Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein, behielt ihn eine Weile auf der Zunge, bevor sie ihn hinunterschluckte, und war recht zufrieden mit der Welt. Mit Reis gefüllte Weinblätter folgten dem Fleisch, und als ein Korb mit Feigen, Weintrauben und Honigküchlein vor sie auf den seidenen Teppich gestellt wurde, schüttelte sie traurig den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Ich wünschte wirklich, ich könnte noch etwas essen, aber in mir ist nicht der geringste Platz mehr." Abul pflückte eine Weinbeere aus der Traube und beugte sich zu Sarita. „Für die hier kannst du noch Platz machen." Er legte ihr
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die schwarze Beere, an der winzige Wassertröpfchen hingen, an den Mund. Das Wasser kühlte ihre Lippen, und der Duft der frisch gepflückten, reifen Weinbeere stieg ihr in die Nase. Sarita steckte die Zungenspitze heraus und berührte damit die pralle Frucht. Abul lächelte. Er nahm die Weinbeere wieder zurück und zog ihr mit scharfen weißen Zähnen vorsichtig die Haut ab. Gebannt beobachtete Sarita seine Bewegungen, seinen lächelnden Mund, seine glühenden Augen. Jetzt hielt er ihr die abgezogene Beere wieder an die Lippen. Er schwieg noch immer, lächelte noch immer, und jetzt öffnete Sarita den Mund. Sie behielt die Weinbeere auf der Zunge, um den Moment hinauszuzögern, wenn sie hineinbiß und sich den süßen Saft in den Mund spritzen ließ. Abul beobachtete ihren Gesichtsausdruck. Als sie langsam in die Beere biß und dabei unwillkürlich genußvoll die Augen schloß, nahm er eine zweite Weinbeere, zog sie ebenfalls ab und servierte sie Sarita wie die vorige. „Nicht mehr", flüsterte sie und versuchte, sich aus dem Rausch ihrer Erregung zu befreien, bevor sie noch darin unterging. Was tat Abul nur mit ihr? Was ging nur zwischen ihnen vor? Und was geschah mit ihr? Sie konnte sich doch nicht so einfach einem Mann hingeben, der sie gefangenhielt, der ihren Freiheitsdrang und ihr Bedürfnis nicht verstand, ihr eigenes Leben zu bestimmen. Abul blickte in die jetzt dunkelgrünen Augen. Noch vor einer Minute hatte sich das Verlangen darin gespiegelt; jetzt sah ihn Sarita eher flehend an.
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Er ignorierte das, preßte seinen Mund auf ihren und kostete den süßen Geschmack der Weinbeere, der noch auf ihrer Zunge lag. Gleichzeitig schob er die Hand unter das orangefarbene Kleid und ließ sie über das hautenge Leder über ihren Schenkeln streichen. Er achtete sehr darauf, Sarita nicht festzuhalten oder sonst etwas zu tun, das sich als Gewaltanwendung auslegen ließe, sondern hoffte nur inständig, sie würde stillhalten und ihm seine Liebkosungen erlauben. Eine Minute lang schien es auch so. Er fühlte, wie ihr Körper seiner Hand entgegenstrebte, und dann drehte sie den Kopf zur Seite, wandte auch den Körper von Abul fort, zog die Knie hoch und rollte sich zusammen, als könnte sie sich so vor ihm und der Welt der Empfindungen verbergen, die er erschaffen hatte. Seufzend legte er sich auf den Rücken. Seine Hand ruhte noch auf Saritas Hüfte. „Schon gut, Liebste", sagte er. „Nun ist es Zeit, Siesta zu halten." Jetzt erst fiel Sarita die merkwürdige Stille auf, und als sie sich auf dem Ellbogen aufstützte, sah sie, daß sie beide allein waren. Nur die Pferde standen noch im Schatten der Olivenbäume angebunden in der Nähe. Das Kochfeuer war gelöscht worden. Eine dünne graue Rauchfahne stieg von der Brandstelle im Steinkreis auf. „Wo sind die Männer geblieben?" Nach der sinnlichen Spannung der vergangenen Momente hörte sich diese Frage auf geradezu unmögliche Weise sachlich an. „Sie halten Siesta", antwortete Abul schläfrig. „Dazu sucht sich jeder einen eigenen Platz."
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Sarita streckte sich wieder aus, diesmal auf dem Rücken, denn sie wußte, daß ihr keine Gefahr drohte - jedenfalls nicht fürs erste. Daß Abul zu solcher Selbstbeherrschung fähig war, beruhigte sie, wenngleich sie sich auch sehr unbefriedigt fühlte. Ihm ging es gewiß ebenso. Fast hätte sie deswegen Gewissensbisse bekommen. Als sie erwachte, befand sie sich allein unter dem Baldachin und die Sonne stand schon tief am Himmel. Sarita rappelte sich hoch und merkte, daß die kleine Karawane bereits aufbruchbereit war. Abul ließ sich nirgends entdecken. Sie stand auf, ging zum See, wusch sich das Gesicht und spülte sich den Mund. Dann zog sie sich auf der Suche nach einem stillen Ort hinter den Felsvorsprung zurück. Als sie wieder hervorkam, sah sie Abul wenige Schritte entfernt auf einem Stein sitzen. Er starrte in die Ferne und war völlig in seine Meditation versunken. Minutenlang beobachtete sie ihn schweigend und versuchte sich auszumalen, was er wohl gerade dachte. Sie versuchte zu erfühlen, ob er unglücklich oder mit sich selbst im Frieden war, aber es gelang ihr nicht. Es schien, als hätte er sich an einen anderen Ort, in eine andere Zeit versetzt. Das war Sarita irgendwie unheimlich, obwohl sie ihn um diese Fähigkeit beneidete. Und außerdem erinnerte es sie daran, daß sie sich vor ihrer Rückkehr zur Alhambra mit ihm nachhaltig entzweien wollte. Er mußte sie verlassen, so daß sie während der Nacht allein war. Zwar bedauerte sie aufrichtig, daß sie die Freuden dieses schönen Tages zerstören mußte, aber ihr blieb keine andere Wahl. Entschlossen machte sie sich auf, um mit ihren Worten seine Ruhe und Harmonie zu zertrümmern. 196
11. KAPITEL Abul schaute Sarita hinterher, als sie den Festungshof zusammen mit Yusuf als grimmige Eskorte verließ. Er faßte es noch immer nicht, was auf dem Rückritt geschehen war, kurz bevor sie das Tor der Gerechtigkeit erreicht hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt war Sarita eine fröhliche und amüsante Gefahrtin gewesen und hatte ihm, wie er jetzt wußte, einen falschen Frieden vorgespielt, so daß er schon gehofft hatte, sie würde langsam das Gute einsehen, das für sie möglich war, wenn sie bei sich die Harmonie des Geistes und des Körper zuließe. Ohne jede Vorwarnung hatte sie sich dann mit ihren Worten auf ihn gestürzt und sich für ihre Attacke zielsicher die empfindlichste Stelle seines Privatlebens ausgesucht. Sie hatte ihn beschuldigt, die Liebe einer Mutter zu verbieten und ein wehrloses Kind seelisch zu mißhandeln. Sie hatte ihre Sympathie für seine Gattin und ihr Mitleid mit dem Kind verkündet. Sie hatte seinen Glauben daran lächerlich gemacht, daß sich alles friedlich und wohlgeordnet hinter den Mauern der Alhambra verhielt. Sie hatte von unzufriedenen Nebenfrauen und von murrenden Mägden gesprochen und behauptet, diese Eindrücke hätte sie durch ihre eigenen Dienerinnen gewonnen. Sie hatte ihm gesagt, wenn er den Frauen seiner Welt einmal zuhören und ihnen nicht jede eigene Meinung absprechen würde, dann könnte er Dinge erfahren, die seine Ansichten radikal verändern würden. Er hatte sie nicht aufhalten können. Anfangs war er so bestürzt über die mit leiser Stimme über ihm ausgeschütteten Vorwürfe gewesen, daß er nur auf seinem Pferd gesessen und zugehört hatte. Dann war er zornig geworden, aber hoch zu Roß und umgeben von einem ganzen Trupp Soldaten, hatte er diesem Zorn keinen Ausdruck verleihen können. 197
Das hatte Sarita schamlos ausgenutzt und ihn der unmöglichsten Dinge beschuldigt, wobei sie nur von ihren aus Nichtwissen entstandenen Vermutungen und Vorurteilen ausgegangen war. Das kränkte ihn am meisten, denn er hatte diese Frau immer für ein vernünftige, intelligente, lernfähige und wißbegierige Person gehalten. Offenbar hatte er einen unverzeihlichen Fehler begangen. Die Frau, die am Tage seine Gedanken und in der Nacht seine Träume beherrschte, war eine ihm feindlich gesinnte Fremde. Er wollte sich von ihr abwenden, sie aus seinem Leben ausschließen, doch das gelang ihm nicht. Er begehrte sie noch immer. Selbst wie sie so auf ihrem Apfelschimmel saß, ihre roten Locken verächtlich zurückwarf, ihn geringschätzig anblickte und alles verspottete, was er so hoch und heilig hielt, war er so unentrinnbar von ihr besessen gewesen wie zuvor. Und dafür verachtete er sich. Er hatte nichts erwidern können, hatte es nicht über sich bringen können, sie auch nur anzuschauen. Als sie später dann innerhalb der Mauern der Alhambra abgesessen waren, hatte er sie nur Yusuf übergeben und ihm befohlen, sie zu ihrem Turm zurückzubringen. Sarita lief Yusuf die letzten Schritte zum Turm voraus, trat ein und schlug dem Mann die Tür vor der Nase zu. Natürlich war das ein ungehöriger und dazu vollkommen sinnloser Akt, aber er bereitete ihr ein wenig Genugtuung, denn auf diese Weise konnte sie klarstellen, daß sie ihre eigene Gefangene war und sich von niemandem sonst einschließen ließ. Erschaudernd lehnte sie sich gegen die geschlossene Tür, denn sie hörte sich noch selbst alle die furchtbaren Dinge sagen, konnte Abuls entsetztes Gesicht vor sich sehen, den Schmerz in seinen
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Augen und dann den Zorn, dem er aber keinen Ausdruck verleihen wollte oder konnte. Und sie würde jetzt keine Gelegenheit mehr finden, ihm zu erklären, daß sie nichts von dem Gesagten wirklich gemeint hatte, daß sie ihn niemals auf diese schlimme Weise verletzt hätte, wenn ihr eine andere Alternative geblieben wäre. Es war seine eigene Sturheit, die sie zu etwas so Verwerflichem gezwungen hatte. Kadiga und Sulema befanden sich gegenwärtig nicht im Turm, würden jedoch vermutlich bald erscheinen, um sie zu bedienen, mit ihr zu plaudern, Schach mit ihr zu spielen, es sei denn, Abul hätte wieder befohlen, sie, Sarita, als Strafe für ihren unverzeihlichen Angriff auf ihn allein und hungrig einzuschließen. Allerdings hatte sie nicht gehört, daß Yusuf einen Schlüssel umgedreht hätte, und als sie sich vergewisserte, ließ sich die Tür ohne weiteres öffnen. Man hatte Sarita also die zweifelhafte Freiheit innerhalb der Palastanlage gelassen. Sie mußte ein Seil für ihre Flucht herstellen, doch dabei wollte sie sich nicht von Kadiga und Sulema erwischen lassen. Wenn die beiden kamen, wollte sie sie wieder fortschicken und dann mit der Arbeit beginnen. In der Zwischenzeit wollte sie sich die Artikel aussuchen, die sie benötigte. Als Kadiga und Sulema eintrafen, fanden sie eine übelgelaunte Herrin vor, die weder Gesellschaft noch ein Nachtmahl wünschte, sondern nur früh zu Bett gehen wollte. „Möchtet Ihr nicht vielleicht ein wenig Musik hören?" fragt Sulema freundlich. „Ich könnte Euch ja etwas auf der Leier vorspielen ... "
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„Ich möchte nichts weiter als allein gelassen werden", lehnte Sarita ungehalten ab und hoffte, die Dienerinnen mit ihrer Unfreundlichkeit zu vertreiben. Die beiden schauten sie auch entsprechend gekränkt und überrascht über die ungewohnte Behandlung an, und schließlich gingen sie tatsächlich. Sarita lauschte in die Stille. Obwohl es unzweckmäßig war, im Dunkeln zu arbeiten, hatte sie befohlen, die Lampen nicht anzuzünden, weil sonst möglicherweise aufgefallen wäre, daß sie gar nicht schlafen wollte. Im Augenblick war es draußen noch nicht völlig dunkel, aber die ersten Sterne blinkten schon, und die dünne Sichel des zunehmenden Monds stand schon am Himmel; sie würde die Ravine kaum beleuchten, so daß Sarita nicht entdeckt werden würde, wenn sie erst einmal unten war. Sie lief zur Galerie hoch und suchte die ausgewählten Gegenstände zusammen. Die Laken und Decken auf dem Diwan boten die besten Möglichkeiten. Als sie alles beieinander hatte, setzte sie sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Matratze und drehte die Seide fest zusammen. Seile herzustellen, war etwas, das sie schon in ihrer frühesten Kindheit gelernt hatte. Sie wußte, wie man das Material verflocht und verknüpfte, um die größtmögliche Festigkeit zu erreichen. Schließlich war der Strick fertig. Sie prüfte seine Länge. Er war nicht lang genug. Wahrscheinlich kam sie damit nur bis zur halben Mauerhöhe. Nun, es gab ja noch die Seidendecken auf den Ottomanen und natürlich die Gewänder. Letztere waren allerdings mit Juwelen bestickt, und es widerstrebte ihr, so etwas Kostbares zu einem Strick zu verarbeiten. Zwar waren die Juwelen in der Welt außerhalb der Alhambra ein hervorragendes Zahlungsmittel, aber Diebstahl wäre Sarita nie in den Sinn gekommen. Die Materialien ihres Gefängnisses als 200
Fluchtmittel zu benutzen und dann zurückzulassen, war das eine. Irgend etwas mitzunehmen, das ihr nicht gehörte, war etwas ganz anderes. Endlich war Sarita mit dem fertigen Seil zufrieden. Sie setzte sich an den Balkon und wartete auf den dunkelsten Teil der Nacht. Eigentlich hätte sie ein wenig schlafen sollen, aber dazu war sie jetzt zu unruhig. Statt dessen überlegte sie sich, wie es weitergehen sollte, wenn sie erst einmal die Alhambra hinter sich gelassen hatte. Fest stand, daß sie sich zur kastilischen Grenze durchschlagen mußte. Als Frau gleich welcher Rasse allein auf den Straßen zu reisen, wäre zu gefährlich, doch im Basar von Granada würde sie möglicherweise eine Karawane spanischer Händler finden, der sie sich anschließen konnte. Sie besaß ihre Silbermünzen, mit denen sie bezahlen konnte, und verfügte außerdem über einige häusliche Fähigkeiten, die sie im Tausch gegen den Schutz anbieten konnte. Kein großartiger Plan, gewiß, aber der beste, der ihr einfiel. Sie spielte mit dem Seil auf ihrem Schoß, und mit einmal rollten ihr die Tränen über die Wangen. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort. Daß sie jetzt fortgehen und alle die wunderbaren Erinnerungen an Abul zurücklassen mußte, erfüllte sie mit tiefer Melancholie, doch es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Sie gehörte nun einmal nicht in einen maurischen Harem, und sie war kein Spielzeug des Emirs. Wie sehr sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte, wie sehr sie sich auch nach dem sehnte, was sein Körper versprach - sie ertrug den Gedanken nicht, sich den Riten und Gebräuchen dieser für sie vollkommen fremden Welt unterzuordnen. Wenn sie sich Muley Abul Hassan jetzt ergab, würde sie sich selbst verlieren und wäre nur noch eine Frau unter vielen auf der 201
Alhambra. Das wäre noch schlimmer, als Tariq heiraten zu müssen, denn im Stamm Raphael hätte sie dann wenigstens einen ihr zustehenden Platz, eine echte Funktion, und wäre nicht nur für Tariqs Bett da. Sie stand vom Diwan auf und trat auf den kleinen Balkon hinaus. Nachtdunkel lag die Ravine unter ihr. Wolken jagten über den Himmel und löschten hin und wieder das Licht der Sterne und der schmalen Mondsichel aus. Es war eine ideale Nacht zum Fliehen. Sarita befestigte das Seil am Balkongeländer und prüfte sorgfältig den Knoten, denn von ihm hing im wörtlichen Sinn ihr Leben ab. Danach holte sie sich ihr Bündel und knüpfte es sich mit einem Seidenschleier um die Taille. Der Schleier und die Lederbeinlinge, die sie noch immer anhatte, waren alles, was sie von diesem Ort mitnehmen wollte. Ohne noch lange darüber nachzudenken, warf sie den Strick vom Balkon. Er schlängelte sich an der Außenmauer hinunter und reichte bis ungefähr zehn Fuß über die Wallbasis. Der Sprung würde also sich nicht lebensgefährlich sein; wie gefährlich, das würde sie ja bald erfahren. Sie schaute zu beiden Seiten aus, konnte aber an der Turmmauer keine Bewegung, kein Lebenszeichen entdecken. In den Gärten unter den Vorderfenstern flammten helle Fak-keln, doch hier hinten gab es nichts als Finsternis und die nächtliche Stille der Berge. Sarita schwenkte ein Bein über das Balkongitter, faßte den Strick mit einer Hand, hielt sich mit der anderen am Geländer fest und rutschte vorsichtig darüber. Dann ließ sie es los und fühlte, wie ihr der Schweiß ausbrach, während sie unwillkürlich darauf wartete, daß sich der Knoten löste und daß sie am Boden der Ravine aufschlug. 202
Doch Balkon und Knoten hielten. Hand über Hand seilte sie sich ab. Die ledernen Beinlinge schützten ihre Knie und die Innenseiten ihrer Schenkel. Sie schaute nicht nach unten, um zu sehen, wie weit es noch war, sondern ließ sich mit gleichmäßigen Bewegungen hinab, bis sie das Ende des Seils erreicht hatte. Dann drückte sie die Augen fest zu, betete kurz und ließ sich fallen. Sie landete ziemlich hart und rollte dann den Abhang zur Ravine hinunter. Im Fallen packte sie einen Strauch und klammerte sich daran fest. Dornen bohrten sich in ihre Hände, aber sie ließ nicht los, bis sie die Zehen in den dünnen Sandboden über dem Felsgestein gebohrt und somit ihren weiteren Abwärtssturz aufgehalten hatte. Ihr Herz hämmerte, und ihre Hände brannten fürchterlich, aber sie war nicht länger auf der Alhambra. Der Wachmann, der die Runde an der Wehrmauer machte, schlug ärgerlich nach einer Fledermaus und hob seine Fak-kel, um das Tier zu verscheuchen. Im Aufflackern der Flamme bemerkte er eine Bewegung beim Turm zu seiner Rechten. Er schaute genauer hin. Irgend etwas hing da wie eine lange Schlange an der Wand. Der Mann hob seine Fackel höher, und was er jetzt sah, veranlaßte ihn, sofort zur Hauptwache zu laufen. Der befehlshabende Offizier eilte mit ihm zum Turm zurück, fand den Bericht bestätigt und schickte den Wachmann los, um nach der Bewohnerin des Turms zu schauen. Der Mann fand die Tür von innen verschlossen vor. Auf sein Klopfen und Rufen erfolgt keine Reaktion.
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Der Offizier machte sich auf den Weg zum Emir. Hoffentlich hielt der ihn nicht für den Vorfall verantwortlich. Die Frau im Turm war zwar nicht seiner Obhut unterstellt gewesen, aber die Festungsmauer fiel in seinen Bereich, und über die durfte niemand herein- oder hinausgelangen. Solches war bisher auch noch nie vorgekommen. Das vom Balkon herabbaumelnde Seil ließ sich allerdings nicht wegleugnen. Der Emir speiste gerade zu Abend mit der Abordnung Harun Kalims, als der Wachoffizier gemeldet wurde. Abul, der alle Gedanken an Sarita verdrängt, sich seinen Gästen gewidmet hatte und verhältnismäßig entspannter Stimmung war, wurde durch die eilige Ankunft des Offiziers aufgeschreckt, denn eine solche Störung war nur denkbar, wenn es sich um einen Notfall handelte. Natürlich durften die Gäste keinen Hinweis darauf erhalten, daß irgend etwas auf der Alhambra nicht stimmte, und deshalb entschuldigte er sich höflich und ging mit dem Wachoffizier in das angrenzende Gemach. Der Mann bat wortreich um Vergebung für die Störung und für seine Nachlässigkeit, obwohl... „Nun komm endlich zur Sache, Mann!" unterbrach Abul ihn. „Woher soll ich wissen, ob du schuldig bist oder nicht, wenn ich nicht erfahre, was eigentlich geschehen ist?" Und dann hörte er sich einigermaßen fassungslos an, was der Wachoffizier ihm zu berichten hatte. „Der Turm ist verschlossen, sagtest du?" „Ja, Herr. Ich habe Männer hingeschickt, um das Schloß aufzubrechen, aber ich dachte ich sollte zu Euch .. ." „Ja, ja, das war ganz richtig." Abul winkte ab. Sarita war also aus dem Turm und die Festungsmauer hinab in die Ravine geklettert. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, daß ihr so etwas einfal204
len könnte, geschweige denn, daß sie es auch noch durchführen würde. Andererseits sollte er vielleicht gar nicht so erstaunt sein, denn ihm war schließlich bekannt, wie einfallsreich und wie mutig sie war. Er hatte sich offenbar getäuscht, als er dachte, sie hätte endlich ihre Lage akzeptiert und sich damit zufriedengegeben. Und nach dem heutigen Nachmittag sollte er sie auch einfach ziehen lassen. Zwar war ihm nicht verborgen geblieben, daß ihr Körper auf seinen reagierte, aber das war so ein übler Trick, den die Natur einem manchmal spielte. Solange es keine wirkliche Übereinstimmung zwischen ihnen gab, wäre alles andere nur reine Lustbefriedigung. Ja, er sollte sie wirklich gehen lassen und dann zu seiner üblichen inneren Harmonie zurückkehren. Aisha und Boabdil machten ihm wahrlich schon genug Sorgen, ohne daß er sich noch mit einer streitsüchtigen, dickköpfigen Ausreißerin befassen mußte, die mehr Stolz als Verstand hatte. Allerdings besaß Muley Abul Hassan auch Stolz, und die Niederlage durch die Hand eines so winzigen Geschöpfs aus dem Olivenhain schmeckte ihm ganz und gar nicht. Sollte er jetzt einfach die Schultern zucken und sich umdrehen? Und war er tatsächlich bereit, Sarita den Gefahren zu überlassen, die sie innerhalb der Grenzen seines Reiches erwarteten? Nein. Trotz allem, was sie zu ihm gesagt hatte, konnte er sie nicht gleichmütig aufgeben. Sie würde niemals frei und unversehrt überleben, und der Gedanke, daß sie litt, war ihm unerträglich. Abgesehen davon würde er niemals über den Schock hinwegkommen, den sie ihm heute nachmittag mit ihren Beschuldi205
gungen versetzt hatte, wenn er nun auch noch seine Niederlage eingestünde. Und da Sarita in der Wahl ihrer Mittel nicht eben zimperlich war, warum sollte er es sein? Ein Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an, ein Plan, der sicherstellte, daß Sarita unversehrt blieb, der indessen dennoch den süßen Kern der Rache enthielt. Sarita würde lernen, wie sich das Leben im Maurenreich Granada abspielte und wie sich die Macht der Protektion durch den Emir auswirkte. Sie würde glauben, daß sie sich alle Unannehmlichkeiten selbst eingebrockt hatte, und diese Vorstellung bereitete ihm grimmige Genugtuung. Er wollte Sarita zurückhaben, jetzt jedoch nur noch zu einem einzigen Zweck, und wenn er den erreicht hatte, würde er bestimmt von seiner Besessenheit befreit sein. Der Wachoffizier stand noch immer in militärischer Haltung da und erwartete die Order seines Herrn. „Kehre auf deinen Posten zurück", befahl Abul und schickte den Mann mit einer Handbewegung fort. Dann läutete er eine Handglocke, um den Wesir zu sich zu rufen, und zum Schluß ließ er Yusuf kommen. Dieser hörte sich die Anweisungen wie immer schweigend und unbewegt an. „Hast du auch genau verstanden, was du tun sollst?" Abul öffnete eine Panzerkassette und entnahm ihr einen kleinen Samtbeutel. „Jawohl, Herr." Yusuf verneigte sich. „Vor Tagesanbruch wird die Frau nicht aus der Ravine herauskommen, also wird genügend Zeit sein, ihren Weg zu verfolgen. In ihrer Kleidung fallt sie jedem auf. Ich werde mir vier Männer nehmen. Wir werden die Frau nicht verfehlen, und Ibrahim Salem wird für den richtigen Preis zur Mitarbeit bereit sein."
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„Sie muß unversehrt bleiben", wiederholte Abul. „Sie mag erschreckt und verängstigt werden, doch sie darf körperlich nicht verletzt werden. Ist das klar?" „Jawohl, Herr." „Dann mache dich ans Werk, Yusuf. Bis morgen bei Sonnenuntergang will ich die Frau wieder in den Mauern der Alhambra haben." Yusuf verneigte sich tief und verließ den Raum mit wehendem Burnus. Der Emir begab sich zurück zu seinen vernachlässigten Gästen. Mehr rutschend als kletternd und mit tiefen Schrammen an Händen und Füßen erreichte Sarita den Boden der Ravine. Erst als sie unten beim kräftig strömenden Fluß in den dunklen Schatten angelangt war, fühlte sie sich vor Entdeckung sicher. Bis hierher reichte das Licht des Mondes und der Sterne nicht; nur der Fluß glitzerte manchmal, wenn sich die Wolken teilten. Die verschlossene Tür und das Seil würden erst am Morgen von Kadiga und Sulema entdeckt werden, und dann wollte sie schon in der Stadt sein und sich in den Gassen verloren haben. Falls sie keine Händlerkarawane oder andere Reisegefährten fand, bei denen sie Schutz finden konnte, dann mußte sie sich eben allein auf den Weg über die Berge zum Rio Guadalquivir und nach Kastilien machen. In diesem Fall wollte sie sich in der Stadt mit Lebensmitteln versorgen, bei Nacht wandern und dabei den Bergpfaden folgen, die sie von früheren Reisen ihres Stammes kannte. Sarita folgte dem Flußlauf, kam an ein paar Bauernkaten, windschiefen Schuppen und kleinen bestellten Feldern vorbei, sah je207
doch keine Menschenseele. Vernünftige Leute gingen ja auch mit der Sonne schlafen und standen mit den Hühnern wieder auf, denn nur die kühlen Morgenstunden waren für harte Arbeit geeignet. Am Ende des schmalen Pfades, der sich den Abhang der Ravine hinaufschlängelte und auf die nach Granada führende Straße einmündete, kamen die düsteren Stadtmauern in Sicht. Sarita wußte, daß sie sich ihnen besser nicht bei Nacht nähern sollte. Die Tore waren dann geschlossen, und Wachposten würden die Wanderin anrufen, die jedoch keinen Wert darauf legte, Aufmerksamkeit zu erregen. Im Morgengrauen war es noch früh genug, die Stadt zu betreten und dann sofort zum Basar zu gehen. Dort war sie erst in der vergangenen Woche mit ihrer Mutter gewesen und wußte, daß zwischen den Ständen und Läden immer viel Leben und Betrieb herrschte. Hier wollte sie sich etwas zum Essen und Trinken kaufen, dann in der Menschenmenge untertauchen und sich den nächsten Schritt überlegen. Ihr wurde bewußt, daß sie furchtbar müde war. Mit ihrem Bündel als Kopfkissen legte sie sich einfach ins weiche Moos neben dem Fluß und schaute zum Himmel hinauf. Gefahren drohten ihr hier kaum, denn die offene Landstraße befand sich ja in einige Entfernung, und nur dort trieben sich Briganten herum. Die Augen fielen ihr zu, und sie schlief ein. Im allerersten Morgengrauen wachte sie auf und blickte in ein Paar ernste braune Augen in einem runden bräunlichen Gesicht. Sie lächelte den kleinen Jungen an, der daraufhin seine Hirtenstab noch fester hielt und sie weiterhin schweigend anstarrte. Offensichtlich stolperte er nicht so oft über schlafende Frauen, wenn er bei Tagesanbruch mit seiner Ziegenherde umherzog.
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Sarita wünschte ihm einen schönen Morgen und erreichte damit, daß er über die Wiese floh, als seien alle Höllengeister hinter ihm her. Sie zuckte die Schultern und stand auf. Sie hatte Hunger. Die gestrige Freiluftmahlzeit schien schon eine Ewigkeit herzusein, und das Abendessen, das Kadiga und Sulema ihr hatten bringen wollen, hatte sie ja ausgeschlagen. Ihren Durst konnte sie am Fluß stillen, und frühstücken mußte sie eben in Granada. Sie beugte sich übers Wasser, trank, wusch sich das Gesicht und fuhr sich mit dem Kamm einmal durchs Haar. Der Aufstieg aus der Ravine war sehr steil, wenngleich der Pfad gut zu erkennen war. Als sie oben ankam, sah sie, daß es auf der Straße überaus lebhaft zuging. Bauern trugen die Produkten ihres eigenen kleinen Landbesitzes zur Stadt, und Treiber mit ihren beladenen Mauleseln sowie berittene spanisch-maurische Kaufleute bewegten sich zu den Stadttoren oder kamen aus dieser Richtung. Einige dichtverschleierte Frauen mit Bündeln und Krügen gingen in Gruppen und hielten die Köpfe gesenkt. Mit ihrem orangefarbenen Kleid, dem offenen und dazu flammendroten Haar fiel Sarita auf wie ein Meteor am Nachthimmel. Als sie das letztemal diese Straße hier benutzt hatte, war sie in Begleitung ihrer Mutter und der anderen Stammesangehörigen gewesen. Jetzt löste sie rasch den Schleier von ihrer Taille, mit dem sie ihr Bündel festgebunden hatte, warf ihn sich über den Kopf und zog ihn sich über den Mund. Sie tat es den Maurenfrauen nach und senkte den Blick zu Boden. Zwar fiel sie noch immer auf, erregte aber nicht mehr allzuviel Mißfallen.
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Nachdem sie die Stadttore durchschritten hatte, hielt sie ihr Bündel fester. Sie meinte, die zwölf Silbermünzen müßten durch den Stoff hindurch leuchten und den Reichtum verraten. Unbelästigt konnte sie jedoch in eine Seitenstraße tauchen, in der sich die oberen Häuserstockwerke fast in der Mitte trafen und so einen dunklen Tunnel bildeten, durch den sie hindurcheilte. Als Sarita die Straße halbwegs durchquert hatte, traten zwei Männer gemächlich aus einem Seitenweg heraus. Sie trugen gestreifte Burnusse und Tarbuschen unter ihren Turbanen. Aus den Falten ihrer Gewänder blitzten Krummdolche hervor. Sarita spürte, daß die Männer ihr folgten, doch dann erschien eine Frau in einem Türbogen und schüttelte einen Teppich aus, in einem oberen Stockwerk heulte ein Kind, und die Straße wurde wieder so normal wie jede andere auch. Falls Saritas Erinnerung sie nicht täuschte, mußte sie jetzt gleich auf einen Platz gelangen, und die vierte Straße links führte von dort aus zum Basar. Dort würde soviel Betrieb herrschen und sich soviel fremdes Volk aufhalten, daß sie in der Menge gar nicht auffiel. Wie geplant, wollte sie sich im Basar etwas zu essen kaufen und gleichzeitig feststellen, ob sie Reisegefährten fand. Die Männer hinter ihr hielten Abstand. Sie hatten es nicht eilig. Die Frau in dem orangefarbenen Kleid konnte man nicht aus den Augen verl:.eren. Wie Sarita es erinnerte, öffnete sich die Straße auf den Platz. Ein müder Esel stand mit hängendem Kopf an dem Brunnen in der Mitte, während ein Mann ihn rechts und links mit Wasserfässern belud. Fliegen umsummten einen Kothaufen in einer Ecke des Platzes, und eine Meute hungriger Katzen durchwühlte stinkenden Abfall. Sarita rümpfte die Nase über diese Merkmale städtischen Lebens. Offene Straßen, Olivenhaine und Bergwiesen ro210
chen entschieden angenehmer als diese kopfsteingepflasterten Gassen und das dunkle Innere der Häuser, an denen sie auf ihre Weg vorbeikam. Eine Gruppe Frauen mit Wassereimern auf den Schultern trat aus einer Seitenstraße und ging schwatzend zum Brunnen. Sarita überquerte den Platz im gleichen Moment und hoffte, sich unter die Frauen mischen zu können. Die jedoch blieben stehen und starrten sie über ihre Schleier hinweg an. Die dunklen Augen spiegelten Empörung, Verblüffung und Abscheu über ihr grellfarbenes Kleid und ihre sonnenbraunen Waden. Die Frauen waren zwar ebenfalls barfuß, doch ihre Füße waren unter ihren langen Gewändern verborgen. Sarita erwiderte die Blicke der Frauen und musterte dann deren fadenscheinige Gewänder und die roten, verarbeiteten Hände. Die Frauen rochen faulig, und man merkte ihnen ihre Feindseligkeit an. Rasch lief Sarita über den Platz und verschwand in einer dunklen, stinkenden Gasse. Sie hörte den Basar, bevor sie ihn sehen konnte: Laute Rufe, allgemeines Geschrei, Glockengeläut, das Rumpeln eisenbereifter Holzfässer auf den Pflastersteinen, das schrille Flöten einer Blechpfeife. Als Sarita in das Durcheinander eintauchte, fühlte sie sich gleich sicherer. Hier gab es Menschen in Kleidern der christlichen Welt, Männer und Frauen, wobei die Frauen allerdings nie allein waren. Und dann sah sie Tariq. Er stand an einer Verkaufsbude und trank aus einem Lederschlauch. Zwei der Stammesältesten waren bei ihm. Sie prüften gerade einige Schaffelle, und Tariq unterhielt sich offensichtlich mit Händen und Füßen mit dem Verkäufer dieser Felle.
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Saritas Herz rutschte ihr in die Kniekehlen. Sie mußte sich dazu zwingen, ganz tief und langsam zu atmen. Unauffällig zog sie sich wieder in die Gasse zurück und wischte sich die mit einmal feuchten Hände am Rock ab. Weshalb hatte sie denn nicht an die Möglichkeit gedacht, hier Stammesangehörige zu treffen? Weil sie von Muley Abul Hassans Wunderland so weit entfernt waren, deshalb. Und dabei lagerten sie noch immer im Olivenhain, und es war überhaupt nicht verwunderlich, daß sie sich auch einmal in die Stadt zum Einkaufen begaben. Die Männer würden Sarita auf der Stelle wiedererkennen - an ihrem orangefarbenen Kleid, ihrem Haar, ihrer Gestalt. Alles an ihr war auffallend, und zwar sowohl für die Menschen, die sie kannten als auch für die Fremden. Sie war von Gefahren geradezu umzingelt! Sie drückte sich in den Schatten eines Türbogens und wartete, bis sich ihr Zittern gelegt hatte und sie wieder klar denken konnte. Sie merkte, daß sich ihr zwei Männer langsam, aber zielstrebig näherten. Und nun? Links war Tariq, rechts die neue Gefahr. Und was war hinter ihr? Dort befand sich die offene Tür eines recht armseligen Hauses. Ein nacktes Baby mit einem Stück Brot in der Faust krabbelte ihr zwischen die Beine und schob dabei den Straßenschmutz vor sich her. Sarita trat einen Schritt zurück, um dem Kind auszuweichen. In diesem Augenblick sprang einer der Männer auf sie zu, so schnell, daß sie nicht mehr fliehen konnte, selbst wenn sie gewußt hätte, wohin. Der Mann packte sie und drückten ihren Kopf in den weiten Ärmel seines Burnus, so daß ihre Schreie erstickt 212
wurden; sie wären ohnehin in dem Lärm vom Basar her untergegangen. Der zweite Mann wickelte etwas um sie und verpackte sie, wie Abul es mit Hilfe seines Umhangs getan hatte, als er sie von der Straße beim Olivenhain aufgehoben hatte. Diesmal jedoch das wußte sie mit absoluter Sicherheit würde die Entführung nicht mit Luxus, sanften Dienerinnen und behutsamen Verführungsversuchen enden. Weshalb hatte sie Abuls Warnungen nur nicht beherzigt? Weil sie es vorgezogen hatte, ihr Vorgehen selbst zu bestimmen und ihr eigenes Risiko einzugehen. Sie hatte es mit offenen Augen auf sich genommen und ... verloren.
12. KAPITEL Sarita kämpfte gegen die heiße, erstickende Dunkelheit und gegen die Fesselung an, die ihr die Arme an den Körper drückte. Sie kämpfte mit der Wildheit eines zu Tode verängstigten Tiers. Sie biß in den eisenharten Arm, der sie festhielt, stieß mit den Beinen und traf auch, woraufhin heftig geflucht wurde. Arabisch, aber unmißverständlich. Eine Hand preßte sich über ihren Mund, drückte ihr den Stoff, vermutlich eine Decke, vor das Gesicht und erstickte sie auf diese Weise halb. Schwarze Punkte in rotem Nebel tanzten vor ihren Augen, und wirkliche Panik erfaßte sie. Sie stellte ihre Gegenwehr ein, und sofort ließ der Druck der Hand nach. Sarita atmete die heiße, stickige, durch die Decke gefilterte Luft ein.
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Fürchterlicher Zorn auf sich selbst packte sie, der dann in Hoffnungslosigkeit umschlug. Sie hätte alles voraussehen sollen, Tariqs Anwesenheit zum Beispiel. Sie hätte die Kleidung der Alhambra tragen sollen. Sie hätte sich gleich auf den Bergpfad begeben sollen und sich nie in die Stadt hineinwagen dürfen ... Allerdings halfen ihr Selbstvorwürfe jetzt nicht. Wohin brachte man sie? Was stand ihr bevor? Vergewaltigung? Mord? Beraubung? Wahrscheinlich alles zusammen. Ihr Leben, das Leben einer Frau und Ungläubigen bedeutete diesen Männern nichts. Das hatte Abul ihr ja gesagt. Falls sie sie jedoch nicht provozierte, taten sie ihr möglicherweise auch nichts. Verlassen konnte sie sich darauf allerdings nicht. Der Mann, der sie trug, rannte fast, und sein Gefährte hielt hörbar keuchend mit ihm Schritt. Sarita wünschte, sie könnte etwas sehen, frische Luft atmen, sich die Nase kratzen, die unter dem rauhen Wollstoff juckte ... Sie nieste kräftig, und Staub aus der Decke drang ihr in Mund und Nase. Tränen stiegen ihr in die Augen, und die juckten erst recht, als sie zu fließen begannen. Etwas änderte sich. Sarita fühlte, daß sich die Männer jetzt innerhalb von Mauern bewegten, und ihr Schrittempo nahm ab. Unvermittelt wurde sie auf die Füße gestellt, die Decke wurde heruntergezogen, und Sarita fand sich in einem von Gebäuden gebildeten Hof wieder, von dem es durch enge Türbögen in dunkle Passagen ging. Vermutlich führten diese Gänge auf die Straße hinaus. Mit ihrem Schleier wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Wahrscheinlich sah sie genauso jämmerlich aus, wie sie sich fühlte, und sie brachte nicht den Stolz auf, ihren Entführern kühn ins Auge zu blicken. Bei Muley Abul Hassan hatte sie diese Prob214
leme nicht gehabt, doch diese beiden Männer hier waren nicht von seinem Schlag. Endlich schaffte sie es doch, sie anzusehen. Sie standen ein wenig entfernt von ihr, als hätten sie das Interesse an ihr verloren und warteten nun auf jemanden. Sarita überlegte, ob sie entfliehen konnte, indem sie sich in einen dieser dunklen Gänge stürzte. Weil die Männer jedoch so vollkommen uninteressiert und unbesorgt wirkten, wurde ihr klar, daß eine Flucht wohl unmöglich sein mußte. Allein der Versuch würde wahrscheinlich zu noch größeren Unannehmlichkeiten führen. Und auf wen warteten diese Männer? Die Antwort erhielt sie innerhalb einer Minute. Ein sehr großer, imposanter Mann trat aus einem der Torbögen. Er trug einen seidenen, reich bestickten Burnus, eine schwere goldene Halskette und einen dunkelroten Tarbusch mit Turban. Der Bart dieses Mannes war lang und schwarz wie die Nacht. Saritas Entführer verbeugten sich vor dem beeindruckenden Mann, der ihnen freundlich zunickte und mit leiser Stimme etwa sagte, bevor er sich ihre Gefangene anschaute. Seine Augen waren braun, und sein Blick war so hart wie Stein. Sarita erschauderte und verschränkte unwillkürlich wie zum Schutz die Arme vor der Brust. Der Mann musterte sie mit unbewegter Miene und strich sich den Bart. Dann trat er auf sie zu, faßte ihre verschränkten Arme und breitete sie aus. „Nein!" Ihr Entschluß, sich zu ergeben, war vergangen. Wütend versuchte sie, dem Mann ihre Arme zu entwinden, aber er lachte nur und hielt sie um so fester. Sie trat nach ihm, ohne an die Konsequenzen einer Attacke auf die Männer dieser Rasse zu denken.
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Das gewünschte Resultat erzielte sie immerhin. Der Mann sprang rückwärts, ließ ihre Arme los und fluchte lebhaft. Jetzt sah seine Miene alles andere als unbewegt aus. Sarita wurde es fast übel vor Angst. Wie versteinert stand sie da und wartete darauf, daß ihr die Kehle durchgeschnitten wurde. Diesmal würde niemand sie retten. Der Mann jedoch rief nur etwas über die Schulter hinweg, worauf ein Diener mit einem Seil in den Händen aus einem der dunklen Gänge erschien. Einer ihrer beiden Entführer zog ihr die Hände hinter den Rücken, der andere bückte sich und packte ihre Fußknöchel, bevor sie noch einmal zutreten konnte. Hilflos mußte sie zusehen, wie er sie fesselte. „Das war sehr töricht von dir", sagte der Bärtige in spanischer Sprache. „Du befindest dich im Hof von Ibrahim Salem, Christin, und ich werde dich diesen beiden Männern abkaufen. Während du dich in meinem Besitz befindest, wirst du gutes Benehmen üben." Sarita schüttelte nur heftig den Kopf. Seine Worte hatten ihr die Sprache verschlagen. Die Fessel um ihre Füße und die Männerhände, die ihr die Arme auf dem Rücken festhielten, machten sie bewegungsunfähig, und so mußte sie die jetzt sehr ausgedehnte Inspektion durch Ibrahim Salem über sich ergehen lassen. Er griff nach ihrem Haar und hob es ihr von den Schultern. Sie zog den Kopf zur Seite, und der Mann lachte. „Ich glaube ich habe schon einen Käufer für dich, Christin. Haar von dieser Farbe ist ungemein reizvoll. Allerdings ..."
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Er trat ein wenig zurück und betrachtete ihre Gestalt. „Allerdings mangelt es dir etwas an Körpergröße." Er zuckte die Schultern. „Nun, wir werden sehen." Aus den Falten seines weiten Gewands zog er einen Lederbeutel hervor und schüttete eine Handvoll Goldmünzen heraus. Diese gab er einem der beiden Männer, der sie nachzählte und dann einsteckte. Sarita faßte es nicht - sie wurde wie ein Schaf auf dem Markt verkauft! „Bringt sie zu den anderen", befahl Ibrahim Salem und entfernte sich auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. Sarita blieb hilflos bei ihren beiden Entführern zurück. Diese umwickelten sie wieder mit der Decke, ließen diesmal allerdings ihren Kopf frei. Einer der beiden hob sie auf und trug sie quer über den Hof in eine der dunklen Passagen, die ins Innere der Gebäude führten. Vor einer verriegelten Tür mit einem vergitterten Loch in Augenhöhe blieben sie stehen. Der zweite Mann drehte einen großen Schlüssel in dem massiven Schloß und stieß die Tür auf, hinter der sich ein kleiner fensterloser Raum befand, der nur von einer stinkenden Ölfunzel beleuchtet wurde. Vier Frauen befanden sich in dieser Zelle. Sie saßen mit dem Rücken an der Wand auf dem Erdboden. Zu ihrem Entsetzen sah Sarita, daß alle vier einen eisernen Halsring trugen, an dem eine Kette hing, mit der die Ärmsten an die Wand geschlossen waren. Die Frauen schauten erst nur teilnahmslos auf, doch als die neue Gefangene, noch mit der Decke gefesselt und an den Füßen gebunden, an die gegenüberliegende Wand gestellt wurde, schien ihr Interesse zu erwachen. Sarita wollte sich gegen den eisernen Kragen wehren, obwohl sie die Sinnlosigkeit einsah. Widerstand wenigstens zu versuchen, 217
gab ihr das Gefühl, daß überhaupt noch etwas von ihr übrig war. Dennoch sank ihr Mut ins Bodenlose, als ihr der harte, kalte Ring um den Hals gelegt und die Kette an die Wand geschlossen wurde. Erst jetzt wurden ihr die Fußfesseln und die Decke abgenommen. Die Männer verließen die Zelle. Man hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Sarita betrachtete ihre vier Leidensgefährtinnen. Alle waren jung und maurisch gewandet, und alle wirkten absolut hoffnungslos und geschlagen. „Wie kommt ihr hierher?" fragte sie ohne Aussicht auf eine Antwort; wahrscheinlich sprachen diese Gefangenen gar kein Spanisch. Eine von ihnen tat es doch. „Wir wurden alle an Ibrahim Salem verkauft. Mich hat mein Bruder verkauft. Er hatte Schulden. Und du? Du bist doch eine Christin, nicht wahr? Bist du eingefangen worden?" „Ja, von zwei Männern in der Stadt." Sarita glitt an der Wand hinunter, um sich auf den Boden zu setzen. „Wer ist Ibrahim Salem?" „Du weißt nicht, wer Ibrahim Salem ist?" fragte die Frau ungläubig. Sarita schüttelte den Kopf. Sie hörte ihren Magen laut knurren und begriff ihren eigenen Körper nicht. Wie konnte er sich um Nahrung sorgen, wenn sie als gekaufte und bezahlte Sklavin am Hals angekettet im Schmutz saß?
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„Er ist der bedeutendste Sklavenhändler von Granada", klärte die Frau sie auf. „Im ganzen Reich sind Aufkäufer für ihn tätig. Mein Bruder wußte, wen er in unserem Dorf anzusprechen hatte." Und zwei seiner Fänger haben mich beschafft, dachte Sarita. In diesem Reich wurde niemand daran gehindert, unbegleitete, alleinstehende Frauen von der Straße aufzulesen und Profit aus dem Fang zu schlagen. Eine der Gefangenen fing zu stöhnen an und wiegte sich mit geschlossenen Augen hin und her. Saritas Gesprächspartnerin murmelte etwas Beruhigendes und legte die Hand kurz auf die gekreuzten Knie der anderen. „Ist sie krank?" erkundigte sich Sarita. „Nein. Sie wurde nach Tanger verkauft. Der Händler hat sie an einen Kaufmann dort abgegeben. Es ist besser, wenn man innerhalb Granadas verkauft wird. Die Männer dieses Reichs sind die gütigeren Herren." Die Tür öffnete sich, und ein Mann kam herein. Er sagte nichts und blickte die Gefangenen nicht einmal an, sondern stellte nur eine flache Schüssel und einen Brotkorb auf den Boden. Danach ging er wieder. In der Schüssel befand sich ein dicker Haferbrei, und das Brot war altbacken. Es gab kein Wasser zum Händewaschen, keine Tücher, kein Tischgerät. Sarita war jedoch inzwischen zu hungrig, um solchen Luxus zu vermissen. Sie tat es den anderen Frauen nach, rutschte auf die Schüssel zu und benutzte die Finger und das Brot, um die zähe Masse herauszuschöpfen, die nach nichts schmeckte, aber immerhin sättigte. Danach leckte sie sich die Finger sauber. Noch vor kurzer Zeit 219
hätten klebrige Finger sie nicht gestört. Innerhalb von nur zwei Tagen auf der Alhambra schien sie einen lästigen Hang zu Tischmanieren entwickelt zu haben - lästig zumindest in ihrer gegenwärtigen Lage. Sie lehnte sich gegen die Wand zurück und machte innerlich Bestandsaufnahme. Ihr Bauch war voll, und unmittelbare Gefahr drohte nicht. Zu Optimismus bestand indessen auch kein Anlaß. Irgendwelche Annehmlichkeiten gab es in der Zelle nicht, wenn man von der stinkenden Öllampe und dem noch schlimmer stinkenden Eimer absah. Außerdem ging ihr das mit Unterbrechungen fortgesetzte Stöhnen und Weinen der nach Afrika verkauften Gefangenen langsam auf die Nerven. Die übrigen Frauen unterhielten sich auf arabisch miteinander. Hin und wieder übersetzte die Spanischsprechende für Sarita, doch dieser fiel es schwer, sich an dem Gespräch zu beteiligen, weil es nur die absolute Ergebenheit in die gegenwärtig Lage, in die unausweichliche Zukunft und in die Umstände zeigte, die zu alledem geführt hatten. Die Frauen schienen den Männern nicht zu grollen, die sie verkauft hatten, nicht einmal diejenige tat es, deren Ehemann sie zu Gunsten einer neuen Frau verstoßen und sich dann ihrer durch den Verkauf entledigt hatte. Irgendwann im Lauf der langen Stunden kam wieder ein Mann in die Zelle. Er schloß die Kette einer der Gefangenen los, ohne dieser jedoch den eisernen Halsring abzunehmen. In barschem Befehlston sagte er etwas zu ihr und stieß sie dann vor sich her zur Tür hinaus. „Wohin bringt er sie?" fragte Sarita entsetzt.
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„Vielleicht hat Ibrahim Salem schon einen Käufer für sie gefunden." „Und wir warten hier, bis die Reihe an uns ist?" Sarita bemühte sich, irgendein Schema in den Vorgängen zu erkennen, um nicht selbst in Stumpfheit zu versinken. Ihre Leidensgefährtin nickte. „Falls Ibrahim Salem schon einen möglichen privaten Käufer für eine seiner Sklavinnen hat, schickt er nach ihm. Dieser kommt dann und mustert die Frau. Andernfalls wird man auf der nächsten Versteigerung zur Schau gestellt." Erschaudernd berührte Sarita ihren eisernen Halskragen. Er war kalt und schwer und beugte ihren Nacken. Erst jetzt erkannte sie seine volle Bedeutung, und die Erkenntnis lag ihr wie ein kalter, schwerer Stein auf dem Herzen. Sie verstand die anderen Frauen in dieser Zelle, denn auch auf sie senkte sich jetzt die Hoffnungslosigkeit und die Resignation herab. Die hinausgeführte Frau kehrte nicht mehr zurück. Irgendwann wurde eine Schüssel Reis mit Fleisch in die Zelle gestellt. Wieder rutschten die Frauen heran und aßen so gut es ging. Das Fleisch war kaum mehr als Knorpel und Sehnen, und schon der erste Bissen verschlug Sarita den Appetit. Sie kroch wieder zu ihrer Wand zurück. Man konnte nichts weiter tun als warten. Sie schloß die Augen und versuchte, sich die Welt außerhalb dieses fensterlosen Raums vorzustellen. Nach einer Weile meinte sie, die Sonnenwärme auf ihrem Gesicht zu spüren, den Duft der Bergkräuter wahrzunehmen und das Krächzen einer Krähe, das Gurren einer Taube und das Plätschern eines Bergbachs zu hören ...
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Als sich die Zellentür wieder öffnete, war Sarita so in ihrer Phantasiewelt gefangen, daß sie den vor ihr stehenden Mann gar nicht wahrnahm. Er fuhr sie barsch an, und sie blinzelte verwirrt in das trübe Lampenlicht. Der Mann zog sie in die Höhe. Die Kette klirrte und brachte sie endgültig in die Wirklichkeit zurück. Der Mann schloß die Kette los und stieß Sarita vor sich her in den Gang. Anscheinend sollte sie diesmal den Weg auf ihren eigenen Füßen zurücklegen. Der schwere Eisenring um den Hals wies sie als das aus, was sie jetzt war, und raubte ihr jeden Fluchtwillen. Man konnte nicht fliehen, wenn man ein eisernes Sklavenhalsband trug, und das wußte ihr Bewacher wohl auch ganz genau. Gleichgültig trieb er sie vor sich her, als wäre sie irgendein Gegenstand, den er fortbewegen mußte. Als sie aus der dunklen Passage auf den Hof hinaustrat, war sie vorübergehend von dem gleißenden Sonnenlicht geblendet. Sie stolperte, blieb dann stehen und schaute zum blauen Himmel hinauf. Die Sonne stand tief; es mußte also später Nachmittag sein. Der Mann versetzte ihr wieder einen Stoß, und sie ging weiter. Sie konnte sich jetzt nur noch ihrem Schicksal überlassen und sich innerlich von ihrem Körper entfernen, so daß sie, ihr Wesen, ihre Persönlichkeit weder berührt noch entwürdigt oder verletzt werden konnte. Sie gingen in eine Passage an der gegenüberliegenden Hofseite. Der Mann schob einen Perlenvorhang zur Seite, und Sarita trat in einen schwach beleuchteten Raum. Vier Männer lagen auf an den Wänden stehenden Ottomanen. Ein Krug mit Sorbett, Trinkkelche und ein Teller mit Süßigkeiten standen auf einem niedrigen Tisch.
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Sarita blieb im Türrahmen stehen. Sie weigerte sich, die Personen in diesem Raum, ja irgend etwas von ihrer Umgebung zu Kenntnis zu nehmen, denn im Geist befand sie sich weit, weit entfernt von dieser grausigen Wirklichkeit. Ibrahim Salem faßte sie beim Ellbogen und zog sie vorwärts. Er hob ihr Haar an, wie er es schon am Morgen getan hatte, und sie ertrug es schweigend. Er redete mit leiser, schmeichelnder Stimme, und Sarita wußte, daß er über sie sprach, sie anpries, um sie zu verkaufen, als wäre sie das beste Stück Vieh auf dem Markt. Die Männer machten einige Bemerkungen, einer von ihnen winkte sie zu sich heran, und Ibrahim Salem schob sie zu der Ottomane. Der darauf liegende Mann musterte sie, betastete ihre Haut und nickte dann. Jemand sprach hinter ihr. Diese Stimme erkannte sie. Es war Yusufs Stimme. Sarita kehrte in ihren Körper zurück. Sie drehte sich um. Nie im Leben hätte sie geglaubt, daß sie sich j emals so freuen würde, diesen Menschen zu sehen. Jetzt jedoch war sie so erleichtert, daß ihre Knie nachzugeben drohten. Wenn Yusuf hier war, dann mußte Abul erfahren haben, wo sie sich befand. Er wollte sie retten! Yusuf und Ibrahim Salem führten einen raschen Wortwechsel miteinander, an dem sich dann auch die anderen Männer beteiligten. Sarita erkannte, daß man um sie feilschte. Nachdem sie ihrem Geist erlaubt hatte, wieder in ihren Körper zurückzukehren, fühlte sie tiefe Scham. Was, falls Yusuf fand, sie sei den verlangten Preis nicht wert?
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Nach einer Weile jedoch schwiegen die anderen Männer, zuckten die Schultern, standen von ihren Ottomanen auf und verließen den Raum mit einem stummen Abschiedsgruß. Yusuf legte einen Stapel Golddukaten auf den Tisch. Ibrahim Salem rief, und ein Mann kam herein, schloß den schweren Eisenkragen auf und nahm ihn Sarita ab. Sie hob die Hände und massierte sich den Hals. Yusuf reichte dem Mann ein schmales Halsband aus geflochtenem Leder mit einem kleinen Eisenschloß, an dem ein eigenartiger Anhänger befestigt war. Während Sarita noch wie erstarrt dastand, legte ihr der Mann das Halsband um, und sie hörte das kleine Schloß klicken. Sofort hob sie die Hände und zerrte an der neuen Fessel. „Nein! Das trage ich nicht! Nehmt das wieder ab!" „Du gehörst dem Emir", erklärte Ibrahim Salem nachsichtig lächelnd. „Alle Ausreißer seines Haushalts tragen das Lederhalsband, damit jedermann gleich erkennt, wem sie gehören. Du gehörst jetzt zu dem Haushalt des Emirs von Granada. Er hat gut für dich bezahlt." Sie blickte auf die Golddukaten und schaute dann Yusuf an, der sie seinerseits unbeteiligt ansah und ihr dann eine dunkle Djellabah, einen Kapuzenmantel, reichte. Sarita legte sie über ihrem orangefarbenen Kleid an und zog sich die Kapuze über ihr auffallendes Haar. Sie kehrte zu Muley Abul Hassan zurück, aber als seine Sklavin, als sein Besitz. Sarita wußte, daß die Menschheit in Freie und Unfreie unterteilt war. Bauern waren ans Ackerland gefesselt und somit an den Besitzer des Landes. Dieser konnte ihre Arbeit oder ihr Leben in der
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Schlacht fordern, und wenn er sein Land aufgab, dann mit ihm auch die Leute, die es bearbeiteten. In den Städten war es ein wenig anders, aber Männer, Frauen und Kinder waren an diejenigen gebunden, für die sie arbeiteten. Wenn man diese Fessel sprengte, bedeutete das Kerker, Folter und Tod. Wer nicht die Mittel hatte, andere für sich arbeiten zu lassen, mußte selbst denjenigen dienen, die diese Mittel besaßen. Das nannte man nicht immer Sklaverei, obwohl es das im Grunde war. Nur freie Stämme wie Saritas waren weder an Land noch an Herren gebunden. Niemand konnte sie zur Arbeit zwingen. Sie mußten niemandem dienen, und sie nahmen Besitz und Hausstand mit, wenn sie von einem Ort zum anderen zogen. Sie verkauften ihre Arbeit von Fall zu Fall und waren nur ihrer Familie und dem Stammesverband verpflichtet. Nun hatte Sarita vom Stamm Raphael den Schutz dieses Verbandes verlassen, und in einem Reich, in dem Sklaverei beim Namen genannt wurde, war sie zu einem Besitztum geworden, gekauft für eine Handvoll Goldmünzen und gefangen in einem Gesetzessystem, das ihr keinerlei Bewegungs- oder Entscheidungsfreiheit gestattete. Sie folgte Yusuf aus dem Haus Ibrahim Salems. In der Gasse stieg er auf sein wartendes Pferd und befahl Sarita mit einer Handbewegung, neben ihm herzugehen. Er ritt im langsamen Schritt, bis sie die Stadttore durchquert und die Straße erreicht hatten, die zur Alhambra hinaufführte. Hier herrschte nicht mehr so ein Gedränge wie in der Stadt, und Yusuf konnte sein Pferd zu einer schnelleren Gangart antreiben. Sarita versuchte gar nicht erst, mit ihm Schritt zu halten. Mit gesenktem
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Kopf, in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen, ging sie am Straßenrand entlang. Bei Sonnenuntergang erreichten sie das Tor der Gerechtigkeit. Yusuf saß ab. Sarita stand teilnahmslos im Festungshof und wartete auf weitere Anweisungen. Wo waren die Sklaven in diesem Palast eigentlich untergebracht? Wer bestimmte über sie? Welche Arbeit würde man ihr zuteilen? Sie konnte es sich schon vorstellen, es sei denn, Muley Abul Hassan hatte eine zu große Abneigung gegen sie entwickelt nach dem, was sie ihm alles gesagt hatte, und nach ihrem zweiten gescheiterten Fluchtversuch. Nur weshalb hatte er sie dann von dem Sklavenmarkt gerettet? Wenn er nichts mehr von ihr wollte, hätte er sie doch ihrem Schicksal überlassen können. Yusuf stieß einen seiner ihr unverständlichen arabischen Befehle aus, machte eine Kopfbewegung in ihre Richtung, und Sarita folgte ihm. Bald merkte sie, daß sie den Weg zum Turm einschlugen. In ihrer Eigenschaft als Sklavin des Emirs würde man sie doch ganz gewiß nicht wieder in ihrem Turm unterbringen, oder? Yusuf trat durch die Gartenpforte. Sarita sah die Beschädigungen an der Tür zum Turm. Natürlich, sie hatte sie ja von innen abgeschlossen, und man hatte das Schloß von außen aufbrechen müssen. Yusuf öffnete und bedeutete Sarita, sie möge vorausgehen. Sie gehorchte und blieb drinnen einfach stehen. Die Tür schloß sich hinter ihr. Sarita wartete auf das Geräusch des sich im Schloß drehenden Schlüssels. Sie hörte es nicht. Sie würde hier ja auch nicht mehr fortgehen. Das bezweifelte wohl jetzt niemand mehr. 226
Die Ruhe des Turms umgab sie, die von dem Plätschern des Brunnens untermalt wurde. Es war, als hätte Sarita diesen Ort nie verlassen. Die Öllampen waren schon angezündet worden. Auf dem flachen Tisch zwischen den beiden Ottomanen stand ein Krug Wein, ein Brotkorb, ein Teller mit Ziegenkäse und Schalen mit Oliven, Datteln und Feigen. Auf einem zweiten Tisch sah sie einen Kupfereimer, aus dem Wasserdampf aufstieg, eine Schüssel und einen Stapel Leinentücher. Man hatte offensichtlich umsichtige Vorbereitungen für ihre Rückkehr getroffen. Sarita legte die Djellabah ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Das Gefühl der sicheren Geborgenheit hier in dieser stillen Einsamkeit, in der vertrauten Umgebung, überflutet sie. Sie beugte sich über den Brunnen, um mit der Hand Wasser zum Trinken zu schöpfen. Das enganliegende Lederhalsband drückte sich unterhalb des Kinns in ihren zarten Hals, und sie richtete sich mit einem Ruck wieder auf. In ihrer Erleichterung hatte sie das Halsband vorübergehend ganz vergessen. Jetzt trat die kalte Verzweiflung an die Stelle der Erleichterung, und eine tiefe Niedergeschlagenheit drückte sie fast zu Boden. Sie schaffte es kaum, sich zu dem Kupfereimer zu schleppen, eines der Tücher in das heiße Wasser zu tauchen und sich damit den Schmutz des Tages im Kerker vom Gesicht und von den Händen zu waschen. Sie legte ihr Kleid, das Unterhemd und die Beinlinge ab und reinigte ihren ganzen Körper. Nackt, von der kühlen Nachtluft umfächelt, schenkte sie sich einen Becher Wein ein, nahm eine Handvoll Datteln und quälte sich dann mühsam zur Schlafgalerie hinauf.
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Auf dem Diwan stapelten sich neue Seidendecken und Kissen. Alle Seide, die sie zu ihrem Strick verarbeitet hatte, war ersetzt worden. Sie schwankte zum Balkon. Das Seil hing noch immer dort, eine stumme Mahnung an die Katastrophe. Zur Flucht würde sie es nie mehr benutzen. Es brauchte ebensowenig entfernt zu werden, wie es nötig war, die Turmtür abzuschließen. Sarita wußte jetzt, was sie war; ein Häufchen Golddukaten in einem düsteren Gemach im Haus Ibrahim Salems hatte es ihr vor Augen geführt. Sie war ein Eigentum, ein Besitz. Und das weiche Lederband an ihrem Hals wies ihren Besitzer aus, denn der kleine Anhänger an dem Schloß trug die Insignien des Muley Abul Hassan.
13. KAPITEL Am frühen Morgen kam Abul zum Turm. Er trat in den Innenhof und schloß die Tür leise hinter sich. Alles war still, doch er wußte, daß Sarita da war. Wo sonst sollte sie sein? „Sarita?" Keine Antwort. Leise stieg er zur Schlafgalerie hoch. Der Diwan war leer. Das zerknüllte Bettzeug zeigte, daß die Schläferin noch vor kurzem darin gelegen hatte. „Sarita?" Er schaute sich auf der Galerie um. Dann sah er Sarita. In ihrem orangefarbenen Kleid stand sie bei dem Balkon, von dem das Seil hinabbaumelte, und schaute über die Ravine hinweg der aufgehenden Sonne entgegen.
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„Was tust du da?" Abul trat hinter sie. Sie drehte sich um, und er bekam fast Gewissensbisse, als er ihre ungewöhnliche Blässe und den gequälten Blick ihrer großen grünen Augen sah. „Nehmt das ab." Sie zerrte an dem Lederhalsband. „Ich ertrage es nicht. Ihr müßt es mir abnehmen." „Es ist zu deinem Schutz da", erwiderte er und wappnete sein Herz gegen den verächtlichen Klang ihrer Stimme. „Sollte es dir wieder einmal gelingen, diesen Ort hier zu verlassen, wird dich mir jeder zurückbringen, der dich findet. Du wirst nie wieder der Gnade eines Sklavenhändlers ausgesetzt sein. Solange ich dich behalten möchte, gehörst du ausschließlich mir." Er verletzte sie, wie sie ihn verletzt hatte, und das schien ihm auch richtig und gerecht. „Ich gehöre Euch nicht. Ich gehöre niemandem." Das erklärte sie jedoch mit einer Stimme, der die Überzeugung fehlte. „Zwölf Golddukaten sagen etwas anderes, mein Kind", bemerkte Abul spöttisch. „Nehmt mir das Halsband ab. Ich kann es nicht ertragen", wiederholte sie und drehte sich wieder zum Balkon um. „Was hast du denn erwartet?" Er stellte sich neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du hast mir deutlich genug gesagt, was du von mir und meinem Volk hältst, von unseren Sitten und Gebräuchen, von unserem Glauben und unseren Gesetzen. Also konntest du auch nur solche Barbarei erwarten. Es ist doch Barbarei, nicht wahr? Du hast dieses Wort doch oft genug gebraucht."
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Stumm blickte sie zu ihm hoch und sah den Schmerz und den Zorn in seinen dunklen Augen. Sie erkannte, was sie verloren hatte: den lachenden, liebenden, gefühlvollen Mann, den sie unmerklich zu lieben begonnen hatte. „Wenn ich meine Gemahlin und meinen Sohn so barbarisch behandeln kann, warum sollte ich dann auf dich mehr Rücksicht nehmen? Und weil ich mir ja bekanntlich immer nehme, was ich begehre, weshalb sollte ich da Bedenken haben, wenn es dich betrifft?" Sarita merkte, daß er ihre eigenen Worte und Vorwurfe wiederholte. Möglicherweise war dies die Gelegenheit für eine Richtigstellung. Vielleicht glaubte ihr Abul nicht und hatte sich seine Meinung über sie unwiderruflich gebildet; versuchen mußte sie es dennoch. „Nichts von dem, was ich geäußert habe, war wirklich gemeint", sagte sie. „Mich hat der Schmerz gequält, den ich Euch zugefügt habe. Ich habe so furchtbare Dinge ausgesprochen, aber mir blieb keine andere Wahl." „Entschuldigungen lassen sich sehr einfach aussprechen", stellte Abul fest. „Besonders wenn man dadurch etwas zu erreichen hofft." „Glaubt das, wenn Ihr wollt. Ich denke, ich verdiene es nicht anders. Aber Ihr müßt doch begreifen, daß ich keine Wahl hatte." Er blickte sie finster an. „Wieso nicht?" „Wie hätte ich denn von hier fliehen können, wenn Ihr zuvor mein Bett geteilt hättet? Ich mußte Euch doch irgendwie von mir forttreiben, und die einzige Möglichkeit, die mir zu diesem Zweck blieb, war es, mich für Euch so abstoßend zu machen, daß 230
Ihr nicht mehr in meiner Nähe sein wolltet. Ich wußte, wie empfindlich Ihr auf alles reagiert, das mit Aisha und Boabdil zu tun hat. Das mußte ich mir zunutze machen, um mein Ziel zu erreichen." Sie zuckte die Schultern. „Und was ich sonst noch so gesagt habe, das habe ich nur sicherheitshalber noch hinzugefügt." Sie wandte sich wieder dem Sonnenaufgang zu. Abul schloß die Augen und atmete tief und glücklich auf. Wie hatte er nur so blind sein und sie so falsch beurteilen können. Warum hatte er seinem eigenen ersten Eindruck mißtraut? Ihre Erklärung bezweifelte er nicht; sie paßte zu gut zu dem, was er von Sarita kannte - ihren Instinkt für Herausforderung und Kampf, ihre Intelligenz, die die wirksamste Waffe zu finden verstand, ihre Entschlossenheit, nicht zu akzeptieren, was er ihr auferlegte. Langsam führte er seine Hände an ihren Nacken, das Lederhalsband löste sich und fiel in die Ravine. Sarita schaute ihm hinterher, und die Tränen der Erleichterung traten ihr in die Augen. „Ich hatte nie vorgesehen, daß du es länger als ein paar Stunden trägst", sagte Abul leise und streichelte Saritas Rücken zwischen den Schulterblättern. „Ich war nur sehr wütend und wollte dich so verletzen, wie du mich verletzt hattest." Sie schwieg, wehrte sich jedoch nicht gegen die Berührung. „Weshalb willst du nicht bei mir bleiben, Sarita?" fragte er und wußte zur selben Zeit, daß dies eine gefährliche Frage war, denn die Antwort darauf würde ihm nur Kummer bringen. Sarita konnte doch nichts für ihn fühlen, abgesehen von den lästigen Reaktionen ihres Körpers. Ihre Gefühle gehörten ausschließlich ihrem toten Geliebten. 231
Gespannt und auf den Schmerz vorbereitet, wartete Abul auf die Antwort. Sarita wandte sich langsam zu ihm um. Ihre Augen glühten leidenschaftlich. „Versteht Ihr denn nicht? Es ist nicht so, daß ich Euch verlassen will. Ich muß nur genau wissen, daß ich es könnte, wenn ich es wollte." Jetzt endlich begriff Abul. Solange er Sarita ohne ihr inneres Einverständnis festhielt, erreichte er nur, daß sie ihm um so entschlossener fortlaufen wollte. Nur wenn er ihr die Freiheit und die Entscheidungsmöglichkeit bot, würde sie zu ihm kommen. Wie blind er doch gewesen war! Er, der so stolz auf seine Weisheit und auf seine Erkenntnisfähigkeit war, hatte sich wie ein dummer Junge verhalten und war nur dem Diktat seines Körpers gefolgt. Eine Weile schwieg er und schaute ebenfalls zu den Bergen hinaus. Dann betrachtete er Sarita. Sie trug noch immer ihr orangefarbenes Kleid wie eine Unabhängigkeitserklärung, aber ihre Beine waren nackt. Er trat in die Schlafgalerie zurück und sah sich nach den Lederbeinlingen um. Sie lagen auf einer Ottomane. Er nahm sie und trug sie zu Sarita. „Ziehe sie an." Er hielt sie ihr entgegen. „Weshalb?" „Weil ich es dir sage. Zwölf Golddukaten berechtigen mich dazu. Und jetzt ziehe die Beinlinge an." Am liebsten hätte er gelacht, Sarita in die Arme genommen und sie schnell und heftig geküßt, aber er wollte nicht wieder den ersten Schritt in diese Richtung tun. Erst mußten die Dinge zwischen 232
ihnen so stehen, wie es richtig war. Außerdem hegte er einen Plan, und der erfüllte ihn mit großer Vorfreude. Voreilige Küsse gehörten nicht dazu. Gleichgültig nahm sie die Beinlinge und legte sie sich an, während er ihre Bewegungen dabei beobachtete. Sie zog sich das Kleidungsstück an den Beinen hoch, strich sich das weiche Wildleder glatt, schlängelte sich dann mit den Hüften hinein und schloß die Knöpfe an der Taille. Sie ließ das Kleid wieder darüber fallen und blickte Abul schweigend an. „Komm", forderte er sie auf und ging zur Treppe voraus. Sarita folgte ihm, weil ihr kein vernünftiger Grund einfiel, sich zu weigern. Sie hatte ihre Bitte um Abuls Verständnis geäußert; es war vergebens gewesen. Was spielte jetzt überhaupt noch eine Rolle? Abul führte sie in den Festungshof, wo er leise mit einem Offizier sprach. Der Mann entfernte sich. Abul wartete. Sarita stand schweigend neben ihm, fühlte die warme Sonne auf ihrem gebeugten Nacken und betrachtete die Pflastersteine mit der Gleichgültigkeit eines machtlosen Menschen. Diese Gleichgültigkeit löste sich allerdings auf, als Bewegung in den Festungshof kam. Bewaffnete und behelmte Soldaten traten aus der Alcazaba heraus, Pferde wurden aus den Stallungen geholt; der Apfelschimmel, den Sarita geritten hatte, war auch dabei. „Hinauf mit dir." Abul wartete nicht erst auf eine Entgegnung, sondern faßte Sarita um die Taille und hob sie auf den Zelter, um sich anschließend auf seinen eigenen großen Hengst zu schwingen. 233
Diesmal war die Eskorte stärker und schwerer bewaffnet als beim letztenmal, und beladene Maultiere gab es nicht. Die Kavalkade begab sich auf die Straße hinaus und wandte sich dann nach Nordwesten. Der enge Pfad, auf den sie einbog, führte fort von der Stadt Granada. Abul schwieg beharrlich. Schließlich ertrug Sarita es nicht länger. „Wohin reiten wir mit einer solchen Eskorte?" Abul schaute weiter geradeaus. „Nach Kastilien", antwortete er in einer Tonlage, als wäre das die selbstverständlichste Antwort der Welt. Sarita starrte ihn an. „Nach Kastilien? Das ist ein Ritt von mehreren Tagen." „Gewiß. Wir werden unterwegs Gastfreundschaft finden, und unsere Eskorte nimmt es mit allen Briganten auf. Du brauchst dich also nicht zu fürchten." „Weshalb reiten wir nach Kastilien?" Sarita verstand überhaupt nichts mehr. Abul warf ihr einen Seitenblick zu. Seiner Miene war nichts zu entnehmen. „Vergib mir, mein Kind, aber ich stand unter dem Eindruck, du wünschtest dich nach Kastilien zu begeben. Also werde ich dich jetzt dorthin bringen. Allein kannst du nicht reisen, doch das dürfte dir inzwischen sicherlich klar geworden sein." „Ihr bringt mich nach Kastilien? An die Grenze? Hinaus aus Eurem Reich?" Sarita verstand noch immer nicht.
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„Ich bringe dich an die Grenze, wo ich wieder umkehren werde. Ich überlasse dir das Pferd, gebe dir einen Beutel Gold und stelle einen Mann ab, der dich zu der nächsten Stadt begleiten wird. Mehr kann ich für dich nicht tun. Du wirst in deinem eigenen Land sein und dort sicherlich Freunde finden." Minutenlang schwieg Sarita und versuchte, ihre Freude zu verarbeiten. Dann sortierte sie ihre Gedanken, und schließlich sprach sie sehr bedacht. „Falls ich mich entschiede, heute nicht nach Kastilien zu gehen, würdet Ihr mich dann auch an einem anderen Tag dorthin eskortieren?" „Wann immer du es wünschst, Sarita." Jetzt wandte er sich zu ihr und schaute ihr ins Gesicht. Wärme, Liebe und eine tiefe Sehnsucht lagen in seinem Blick, und Sarita erkannte, daß er sich ihr auslieferte, alles riskierte auf eine Weise, wie er es ganz gewiß noch nie zuvor getan hatte. Dieser Mann war es nicht gewohnt, etwas aufzugeben, das er begehrte. Das Glücksgefühl erfüllte Sarita so sehr, daß ihr die Tränen kamen. Rasch senkte sie den Blick auf die bestickte Satteldecke ihres Apfelschimmels. Nach einer Weile hatte sie sich wieder in der Hand. „Ich glaube ... heute ist vielleicht nicht so ein guter Tag für eine solche Reise. Es könnte möglicherweise ein Unwetter geben, meint Ihr nicht auch? Die Luft ist ziemlich drückend." „In der Tat, das empfinde ich auch", bestätigte er ernst. Eine große Freude machte ihm das Herz leicht. Er hatte sich auf ein Glücksspiel eingelassen und gewonnen. Sarita hatte ihm so oft gesagt, was er tun mußte, um sie zu gewinnen, aber er hatte es
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nicht begriffen, weil er zu große Angst gehabt hatte, sie zu verlieren. Jetzt konnte er endlich glauben, daß sie bei ihm bleiben würde, solange sie das wirklich wollte, und er nahm sich vor, sie freizugeben, wenn er ihr nicht mehr genügte. Es lag nur an ihm, sich ernsthaft darum zu bemühen, daß dieser Fall niemals eintrat. „Möchtest du dann jetzt auf die Alhambra zurückkehren?" erkundigte er sich weiterhin vollkommen ernst, und dabei jubelte er innerlich. „Für heute ... Ja, ich denke, für heute möchte ich zurückkehren", antwortete sie. Sofort wendete er sein Pferd und rief der Eskorte etwas zu, die daraufhin den Pfad verließ, um den Emir und seine Gefahrtin vorbeizulassen und ihnen dann wieder zu folgen. „Und was möchtest du tun, wenn wir zurückgekehrt sind?" fragte Abul nach einer Weile. Sarita blickte ihn an, und der Schalk blitzte in ihren Augen auf. „Ich würde gern die Bäder besuchen, mein Emir. Ich bedarf dringend der Ruhe und der Harmonie als Vorbereitung auf die Unruhe, die mir begegnen wird." Abul lachte. „Ja, das Liebesspiel mag unruhig verlaufen", meinte er. „Aber an seinem Ende wird die reine Harmonie stehen, das verspreche ich dir." Seine Augen wirkten jetzt seltsam verschleiert. Sarita nickte. Unwillkürlich strich sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen und rutschte im Sattel ein wenig hin und her, weil Abuls Worte die Erregung in ihr geweckt hatten. 236
Ihm entging das durchaus nicht. Er lachte leise. „Ich an deiner Stelle würde lieber ganz still sitzen und an etwas anderes denken", riet er ihr. Sie begann damit, die Quasten an der Schabracke ihres Apfelschimmels zu zählen, bei denen es sich um zusammengeflochtene Seidenkordeln handelte. Es gab glücklicherweise sehr viele davon, und sie waren ungeheuer schwierig zu zählen. Man konnte nie ganz sicher sein, daß man auch wirklich keine ausgelassen hatte, und so mußte man immer wieder von vorn mit dem Zählen beginnen. Abul lächelte in sich hinein und ritt rücksichtsvoll schweigend neben ihr her. Eine Stunde nachdem sich der recht kriegerisch wirkende Zug auf den Weg nach Kastilien begeben hatte, ritt er wieder in den Hof der Alcazaba ein. „Kehre zu deinem Turm zurück. Kadiga und Sulema werden dort sein, um dich zu bedienen", sagte Abul zu Sarita. „Du mußt frühstücken, und es würde mich sehr freuen, wenn du in etwas anderem als in diesem Kleid zu den Bädern kämst." Lächelnd strich er ihr mit einer Fingerspitze über die Lippen. „Würdest du das für mich tun?" „Heißt das, Ihr findet, dieses Kleid steht mir nicht?" Sie hob eine Augenbraue. „Ich dagegen mag es nämlich sehr gern mein Emir." „Ja, das habe ich bereits bemerkt. Allerdings hast du es schon sehr oft getragen, und es hat zweifellos bessere Tage gesehen." Sarita mußte daran denken, was das orangefarbene Kleid schon alles mitgemacht hatte - das Abseilen an einem Strick, das 237
Hinunterrutschen an einem dornigen Abhang, eine Nacht unter den Sternen und lange Stunden in einer schmutzstarrenden, stinkenden Zelle. „Vielleicht sollte ich es lieber waschen, bevor ich es wieder anziehe", sagte sie entgegenkommend. „Ganz meiner Meinung", bestätigte Abul vollkommen ernsthaft. Er wandte sich zum Gehen, als ihm auffiel, daß sie still stehenblieb. Anscheinend wartete sie noch auf etwas. „Was hast du?" fragte er, als er ihren frechen Blick sah. „Wo ist Yusuf?" erkundigte sie sich unschuldig. „Er liefert mich doch sonst immer beim Turm ab, wenn Ihr mit mir fertig seid." „Findest du den Weg noch nicht allein?" Abul tat ebenfalls völlig arglos. „Entschuldige bitte, aber ich hatte angenommen, du würdest dich hier inzwischen zurechtfinden. Wenn ich mich recht entsinne, hast du ja vorgestern auch den Weg vom Turm zu diesem Festungshof gefunden. Aber ich werde gern jemanden zu deiner Begleitung abstellen." Und schon hob er den Arm, um einen der Soldaten heranzubefehlen. „Möglicherweise finde ich meinen Weg ja tatsächlich allein", sagte Sarita rasch. „Der Zypressenpfad beginnt hinter dem Myrtenhof, nicht wahr?" Abul nickte. „Wirst du dich auch ganz bestimmt nicht verlaufen und verlorengehen?" „Ganz bestimmt nicht, mein Emir." Sie verneigte sich vor ihm, wobei leider ihr freches Grinsen den Effekt verdarb. „Jedenfalls nicht mehr, als ich schon verloren bin." 238
„Also in einer Stunde", sagte Abul leise. „In einer Stunde", wiederholte sie ebenso leise, drehte sich um und verließ den Hof der Alcazaba mit schnellen, energischen Schritten. Kadiga und Sulema trafen wenige Minuten nach Saritas Rückkehr im Turm ein. Der ganze Palast wußte inzwischen, was sich zugetragen hatte, und die beiden waren sich offenbar im unklaren darüber, wie sie Sarita nun zu behandeln hatten. „Helft mir, ein Gewand auszusuchen", bat sie munter und begab sich zur Treppe. „Ich bin in einer Stunde mit dem Emir in den Bädern verabredet und möchte dazu etwas anderes tragen als dieses hier." Sie deutete auf ihr orangefarbenes Kleid. „Und ich glaube, ich ziehe auch besser Pantoffeln an. Würdest du mir bitte das Haar bürsten, Sulema? Es ist entsetzlich zerzaust, fürchte ich." Die beiden Mädchen wechselten einen raschen Blick miteinander, und dann fiel alle Unsicherheit von ihnen ab. Seit Sarita auf die Alhambra gekommen war, benahm sie sich jetzt zum erstenmal so, wie die beiden Dienerinnen es von einer Herrin erwarteten. Sie folgten ihr die Treppe zur Galerie hinauf. „Wo seid Ihr gewesen?" wollte Sulema wissen. „Seid Ihr tatsächlich vom Balkon hinabgeklettert?" „Ja. Das Seil hängt noch dort", antwortete Sarita. „Wenn du es dir gern ansehen möchtest... " Vorsichtig ging Sulema zum Balkon, als wartete dort ein Unheil auf sie. „Daran seid Ihr hinuntergeklettert, Sarita? 239
Das ist doch völlig ausgeschlossen! Ihr würdet dabei ja zu Tode kommen." „Ich lebe aber noch, wie du siehst." Sie warf einen Blick auf die Gewänder, die Kadiga ihr hinhielt. „Ich weiß nicht recht", sagte sie unschlüssig. „Welches Gewand würdest du mir empfehlen?" „Wenn es dem Emir Freude bereiten soll, dann wäre jedes von ihnen geeignet, denn er hat sie ja alle selbst für Euch ausgewählt." „Ja, ja ..." Sarita fand die Vorstellung ebenso amüsant wie erfreulich. „Nun, entscheide du für mich, Kadiga. Im übrigen habe ich großen Hunger." Sie trat an das Galeriegeländer und schaute hinunter. „Bringt jemand etwas zum Essen?" „Aber ja", antwortete Sulema so liebenswürdig und beruhigen wie immer. „Laßt mich Euch helfen." Sie schnürte Saritas Mieder auf und schüttelte den Kopf über den Zustand des Kleides. „Was habt Ihr nur damit gemacht, Sarita?" Sarita lachte fröhlich. „Du wärst schockiert, wenn ich dir das alles erzählen würde, Sulema. Vermutlich würdest du mir kein Wort glauben, und ... oh, da kommen die Speisen!" Sie ließ sich das Kleid über den Kopf ziehen, und dann schaute sie wieder über das Galeriegeländer. Eine Frau war in den Innenhof gekommen und stellte gerade ein Tablett auf den Tisch neben dem Brunnen. „Das Brot duftet ja köstlich - bis hier herauf!" Im Unterhemd lief Sarita die Treppe hinunter, nahm ein rundes Gebäckstück aus dem Brotkorb und lächelte die Frau an, die die Speisen gebracht hatte. Diese starrte die rothaarige, freundlich lächelnde Erscheinung in dem halbdurchsichtigen, nicht gerade besonders sauberen Unterhemd einigermaßen fassungslos an.
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„Vielen Dank", sagte Sarita mit vollem Mund und musterte dann das Tablett. Darauf befand sich eine Schüssel Yoghurt, eine Schale Honig und eine Kanne heißen Jasmintees. Sie schenkte sich eine Tasse voll ein, nahm sich einen Löffelvoll Yoghurt und stieg dann wieder die Treppe hinauf, in der einen Hand den Löffel, in der anderen die Teetasse. „Hast du etwas Passendes gefunden, Kadiga?" „Für die Bäder - dieses hier." Kadiga hielt ein Gewand aus lavendelfarbener Seide hoch. Es war schlichter als die anderen; nur der runde Halsausschnitt war mit kleinen Korallenperlen bestickt. „O ja, das ist das Richtige." Sarita stellte die Tasse ab, legte den Yoghurtlöffel aus der Hand und ließ sich das Gewand anlegen. „Und jetzt laßt mich Euer Haar bürsten." Sulema zupfte an den Locken und schüttelte den Kopf. „Wie wirr es ist! Soll ich es mit einer Schleife zurückbinden?" „Nein." Sarita hatte den Eindruck, als gefiele ihr Haar Abul gerade besser, wenn es ungebändigt war. „Beeilt Euch. Es wird langsam Zeit für mich." „Wir begleiten Euch", bot Kadiga an. „Das ist nicht nötig. Ich kenne den Weg." „Nötig ist es gewiß nicht, aber es wird erwartet", erklärte Kadiga. „Wir sind schließlich Eure Dienerinnen." Sarita betrachtete sich im Spiegel. In den Höfen und Gärten der Burg allein als widerspenstige Gefangene barfuß in einem oran241
gefarbenen Kleid herumzulaufen, war eine Sache für sich. Wenn man jedoch die Gewandung der Alhambra trug, mußte man sich wohl auch den hier herrschenden Sitten, Gebräuchen und Erwartungen anpassen. „Nun gut. Dann laßt uns gehen. Aber meinen Kopf bedek-ke ich nicht." „Wenn der Emir nicht darauf besteht..." Sulema schien da ihre Zweifel zu hegen. „Der Emir besteht auf gar nichts", erklärte Sarita mit Bestimmtheit. Sie konnte den beiden Mädchen ohnehin nicht erklären, was Muley Abul Hassan mit Sarita vom Stamm Raphael verband und gleich noch fester verbinden würde. Sarita fühlte das Blut heiß durch ihre Adern rauschen, als sie in Begleitung von Kadiga und Sulema den Turm verließ. Sie dachte an Sandro und daran, wie sie sich immer gefühlt hatte, wenn sie auf dem Weg zu einem ihrer heimlichen Liebestreffen gewesen war. Sie hatte die gleiche Erregung und Vorfreude empfunden, aber nie diese Heiterkeit, den Wunsch zu lachen, zu singen, zu tanzen. Sie hatte Sandro aufrichtig geliebt, und diese Liebe würde immer einen Platz in ihrem Herzen haben, aber die Tragödie seines Todes sollte weder die Gegenwart noch die Zukunft verdunkeln. Diese Tragödie hatte nichts mit Abul zu tun oder mit Saritas Gefühlen für ihn. Zusammen mit Kadiga und Sulema erreichte sie die zentrale Badehalle. „Hier lassen wir Euch allein", sagte Kadiga, und das taten die beiden Dienerinnen dann auch.
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Sarita schaute sich verwundert nach den Badewärterinnen um, aber die waren nirgends zu entdecken. Die Einsamkeit und die Stille hier übten eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf ihren Geist aus. Ihre Gedanken wendeten sich nach innen und beschäftigten sich mit dem, was in den nächsten Stunden kommen würde. Unbewußt entledigte sie sich ihres Gewandes und ließ es zu Boden gleiten. Mit den Händen strich sie über ihren Körper, sah, wie sich ihre Brustspitzen aufstellten, und fühlte, wie sich die Erregung in ihrem Schoß ausbreitete. Sie hob die Arme, schob die Hände am Nacken in ihr Haar und hob es in die Höhe. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen und rekelte sich genüßlich. Abul stand hinter einer Säule und beobachtete Sarita. Wie sie mit ihrem Körper und dessen Empfindungen beschäftigt war, fand er unbeschreiblich erregend. Er betrachtete jede Linie dieser zarten Gestalt, die Perfektion ihrer Glieder, die sahne-helle Haut ihrer Brüste, ihres Bauchs und ihrer Hüften, die sich gegen das Sonnenbraun ihrer Arme und ihrer Beine deutlich abhob. Sein Blick wurde von dem seidigen, rotgoldenen Busch zwischen ihren Schenkeln gefangengenommen. Abul hatte Sarita zwar schon öfter unbekleidet gesehen, ihr Nacktheit jedoch noch nie so bewußt betrachtet, und noch nie hatte er sie so gedankenversunken mit sich selbst beschäftigt gesehen. „Wie wunderschön du bist", sagte er und trat hinter der Säule hervor.
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Sarita wirbelte zu ihm herum. Sie lächelte ein wenig schuldbewußt. „Es ist nicht sehr ritterlich, aus dem Versteck zuzuschauen, wenn sich eine Dame entkleidet." „Mag sein, aber es hat mir großes Vergnügen bereitet." Er trat auf sie zu, faßte ihre Hände und breitete ihre Arme aus. Noch einmal ließ er den Blick über ihren Körper schweifen, und dann zog er sie zu sich heran, hielt seine Hand unter ihr Kinn und legte seine Lippen auf ihre. Sarita gab sich diesem Kuß vorbehaltlos hin. Ohne alle Schuldgefühle, ohne falsche Hemmungen konnte sie endlich ihrem eigenen Verlangen nachgeben. Durch den weichen Stoff seines weiten Gewandes hindurch konnte sie fühlen, wie stark Abuls Erregung war, und sie führte ihre Hand zu einer sanften Liebkosung dorthin. „Legt Euer Gewand ab", flüsterte sie. „Ich kann Euch nicht richtig fühlen." Im ersten Moment war Abul verblüfft über die Direktheit dieser Forderung. Er wußte zwar, daß Sarita nicht ganz unerfahren war, aber eine solche Vertraulichkeit, eine solche Ungehemmtheit hatte er nicht erwartet. Er blickte in ihre grünen Augen, aus denen das reine Verlangen leuchtete. Rasch streifte er seine Kleidung ab. Sarita seufzte zufrieden. „Ich habe Euch schon so oft berühren wollen", gestand sie und strich mit den flachen Händen über seine Brustwarzen und seinen Bauch. „Als wir das letztemal hier waren, fiel es mir so schwer, an mich zu halten." Sie schaute hoch und lachte leise. „Der Anblick meines Körpers schien Euch dagegen überhaupt nicht berührt zu haben. Ich fürch-
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tete, Ihr würdet mich nicht mehr begehren. Das war wirklich sehr kränkend." Abul versuchte sich zu erinnern, und dann mußte er laut lachen. „Das, du süße Unschuld, lag an dem Umstand, daß ich zuvor beträchtliche Zeit mit Fatima verbracht hatte. Nach der Nacht, in der ich neben dir geschlafen hatte, befand ich mich in arger Bedrängnis." „Ach so..." Sie nickte und ließ ihre Hand zu einer sehr zarten Liebkosung zwischen seine Schenkel gleiten. „Aber diese Probleme habt Ihr heute nicht, oder?" „In keiner Weise." Er atmete schwer. „Ganz im Gegenteil. Laß uns nun zu den Bädern gehen, meine Liebste, bevor wir ... nein, bevor ich zu ... voreiligen Schlüssen komme." Lächelnd zog sie die Hände zurück. „Ich glaube, Euch mangelt es nicht an Beherrschung, mein Emir." „Im allgemeinen nicht." Er faßte ihre Hände und drückte seine Lippen hinein. „Allerdings übst du eine höchst beängstigende Wirkung auf mich aus, mein Kind." Sarita trat unruhig von einem nackten Fuß auf den anderen, weil sich ihr eigenes Verlangen vom Scheitel bis zur Sohle auszubreiten schien. „Vielleicht sollten wir lieber erst hinterher baden." „Nein", lehnte Abul ab. „Ich habe eine Ewigkeit gewartet, jetzt kann ich auch noch ein wenig länger warten. Komm." Abul schob Sarita zum Rand des warmen Badebeckens. Sie glitt in das Wasser und sah mit halb geschlossenen Augen zu, wie er ihr gegenüber hineinstieg. Sie ließ ihren Fuß an seinem Bein 245
hinaufgleiten, und ihre Zehen bewegten sich zwischen seinen Schenkeln. „Ich finde, wir sollten heute das kalte Wasser auslassen", meinte sie wohlüberlegt. „Die Badefolge muß eingehalten werden, mein Kind", sagte er träge und bot seinen Körper Saritas Liebkosungen an. „Ich befürchte nur sehr, daß das kalte Wasser einen schrumpfenden Effekt hat", gab sie scheinbar besorgt zu bedenken, wobei ihre Zehen diese Äußerung untermalten. „Viel wahrscheinlicher ist, daß deine Fußsohlen diesen Effekt hervorrufen." Abul hielt ihre Fußknöchel fest. „Genug des Unfugs. Komm." Er ließ ihre Füße los, faßte wieder ihre Hände und zog Sarita zu sich heran, so daß sie jetzt zwischen seinen Knien hockte. „So ist es schon besser." Er ließ seine Hände im Wasser über ihre Brüste gleiten und hob sie über die Oberfläche, so daß die kühlere Luft und seine Fingerspitzen ihre Knospen reizen konnten. Sanft rollte er die inzwischen harten Spitzen zwischen Daumen und Zeigefinger, bis Sarita sich ihm aufstöhnend entgegenbog. „Knie dich hoch", befahl er leise. Seine Hände wanderten j etzt über ihren Bauch, und seine Finger verloren sich in dem seidenen Dreieck. Als Sarita gehorchte, spreizte er ihre Schenkel, damit sie die weiche Liebkosung des Wassers fühlen konnte, der seine Hand nachfolgte. Tief drangen seine Finger ein und setzten ihr Spiel so lange fort, bis Saritas Stöhnen zu kleinen Lustschreien wurde. Er zog sie hoch, bis sie über seinen Knien lag. Das sanfte Plätschern des Wassers bereitete ihrem dargebotenen Körper eben246
solches Entzücken wie Abuls liebkosende Hand, und er setzte beides geschickt ein, bis Sarita vollkommen eins zu sein schien mit den Elementen, die sie in ungeahnte Höhen trugen. Diesmal war ihr Verstand dem Körper nicht im Weg. Sie gab sich der Lust uneingeschränkt hin und genoß sie vorbehaltlos. Abul hielt Sarita im Wasser, bis ihr Körper sich ein wenig beruhigt hatte. Sie schlug die Lider auf und lächelte zu den dunklen Augen hinauf. Es kostete sie Anstrengung, den Arm zu heben, um Abuls Gesicht zu streicheln. „Ich glaube, ich bin völlig aufgelöst." Er lachte leise. „Die nächste Station wird dich wieder zusammensetzen." „Nein!" Sie richtete sich auf, stieß sich von seinen Beinen fort und glitt in das Wasser neben ihm. „Ihr habt doch nicht etwa wirklich die Absicht..." „Durchaus", unterbrach er sie und stand auf. „Aber dann schrumpft Ihr ganz bestimmt!" Halb jammerte Sarita, halb lachte sie. „Das kann in Eurem Zustand doch unmöglich gesund für Euch sein, Abul." Er stand am Beckenrand und blickte erheitert auf sie hinunter. „Mir scheint, davon verstehst du nicht viel. Komm. Einmal rasch untergetaucht, und es ist vorbei." „Nein, ich kann das nicht. Dazu fühle ich mich jetzt zu herrlich entspannt. Der Schock wird mich umbringen." „Gerade weil du so entspannt bist, ist es gut für dich", versuchte er zu erläutern. „Du mußt wieder wach werden. 247
Ich dagegen bin übermäßig erregt und brauche eine Abkühlung. Nun komm schon." „Ich will aber nicht." Sie rutschte tief in das warme Wasser. „Bitte!" Abul schüttelte den Kopf. „Ich habe dir einmal gesagt, daß ich dich nie zu etwas zwingen werde, das du nicht willst. Nur wünschte ich, du würdest mir glauben, daß ich weiß, was gut ist." Er drehte sich um und ließ sich in das Marmorbecken mit dem kalten Wasser fallen, tauchte sofort wieder auf, prustete, schüttelte sich wie ein nasser Hund und zog sich wieder aus dem Becken. Sarita stand auf und verließ die wohlige Wärme. Todesmutig trat sie an den Rand des anderen Beckens, schloß die Augen und hüpfte. Ihre Füße berührten kaum den Boden, da sprang sie schon wieder in die Höhe, kreischte und kletterte hastig und reichlich unelegant aus dem eiskalten Wasser. „Was für ein entzückender Anblick!" Abul half ihr heraus und lachte über ihre Eile und ihre vorwurfsvolle Miene. Er warf ihr ein Badetuch um die Schultern und rieb sie damit trocken. „Weshalb hast du es dir anderes überlegt?" „Weil ich fand, ich sollte Euch wirklich vertrauen." Ihre Zähne klapperten. „Nur hatte ich mich vorher so wunderbar gefühlt, und nun friere ich und bin hellwach. „Du mußt auch wach sein, denn wir haben ja kaum begonnen. Oder dachtest du etwa, jetzt sei schon Zeit für ein kleines Schläfchen?"
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„Das nicht direkt." Sie nahm einen Badetuchzipfel und rieb damit an Abuls Schenkel. „Aber es war tatsächlich ein richtig böser Schock, kann ich Euch versichern." „Das ist mir inzwischen klar." Er stand still, während Sarita ihn jetzt so kräftig trockenrieb, wie er es zuvor bei ihr getan hatte. „Uns wird gleich wieder warm sein." „Ja, ich weiß, in dem Raum, wo man kaum atmen kann", jammerte sie, folgte ihm jedoch trotzdem in das Dampfbad. „Wo sind eigentlich die Badewärterinnen?" „Irgendwie fand ich, sie würden stören." Abul streckte sich auf einer der Marmorbänke aus, auf der bereits ein sauberes Tuch lag. „Und jetzt liege ganz still und atme." „Atmen kann ich nicht." „Doch, wenn du nicht soviel redest." Sarita lächelte in sich hinein und streckte sich aus. Abul konzentrierte sich anscheinend immer nur auf das, womit er im Augenblick befaßt war. Vor ein paar Minuten hatte er sich dem indirekten Liebesspiel gewidmet, und nun befahl er ihr, still zu sein und vor sich hinzuschmelzen, weil er schließlich dazu in diesen Raum gekommen war. Daß Liebesspiel und Hinschmelzen zusammengehörten, bestritt Sarita durchaus nicht. Wahrscheinlich verstand Abul davon auch noch mehr als sie, doch mit der Zeit würde sie es schon lernen. Bis jetzt hatte sie auch noch keinen Fehler gemacht; sie hatte sich ja sogar in das Eiswasser gestürzt. „Ich bin schon vollkommen zerschmolzen", erklärte sie nach wenigen Minuten. „Wenn ich noch sehr lange hierbleibe, muß man 249
mich mit einem Tuch von dieser Marmorbank aufwischen und in einem Eimer forttragen." Abul erhob sich bedächtig. „Komm mit in den anderen Raum." Er stützte sie, als sie aufstand und ihr dabei ein wenig schwindelig wurde. In der kleinen „Grotte" nebenan schüttete er Krüge kalten Wassers über sie. Sarita schwelgte in dieser Abkühlung und bot den herrlichen Güssen genußvoll ihren Körper dar. Danach nahm sie selbst einen nach dem anderen der in einer langen Reihe bereitstehenden Wasserkrüge und erwies Abul den gleichen Dienst, mit dem er sie erfreut hatte. „Ihr müßt Euch bücken", sagte sie lachend. „Wie soll ich Euch Wasser über Eure Schultern gießen, wenn sie mich um so vieles überragen?" Abul gehorchte. Er wandte ihr den Rücken und beugte sich vornüber, so daß sie ihn begießen konnte. Unvermittelt faßte sie ihn um die Taille, schmiegte sich an sein Gesäß und ließ ihre Hände an seinem Körper entlanggleiten. Kalte Haut rieb sich an kalter Haut, und das hatte etwas ungemein Erregendes. O ja, dachte Sarita, die Bäder und das Liebesspiel gehören zusammen. Abul richtete sich wieder gerade auf, drehte sich um und zog Sarita zu sich heran. Er küßte sie sehr bewußt, wobei er sie nur bei den Oberarmen hielt und sie sonst an keiner Körperstelle berührte mit Ausnahme ihres Mundes natürlich. Auf diese Weise konzentrierten sich alle Empfindungen auf die Lippen, die Zunge und den Kuß.
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Als sie sich schließlich voneinander trennten, war das Wasser auf ihrer Haut getrocknet, die jetzt nicht mehr kühl war, sondern sich unter der beginnenden Leidenschaft stetig erhitzte. „Ich werde dich jetzt einölen", sagte Abul leise und führte sie in den Saal der Ruhe. „Und dann werde ich den Striegel anwenden. Danach kannst du für mich das gleiche tun." Sarita nickte. Wieder nahm die Schönheit dieses Saals sie gefangen, in dem die sanften Harfen- und Lautenklänge von der Galerie herabschwebten. Es war, als sei diese Halle eigens zu dem Zweck erschaffen worden, die wachsende Leidenschaft ein wenig einzudämmen, damit sie später um so wilder hervorbrechen konnte. Sarita legte sich auf den Diwan, schloß die Augen und atmete den Duft des Parfümöls ein, das Abul über einer Lampe erwärmte. Auf ihrem Rücken fühlte sie seine starken Hände, die das Öl in ihre Haut einmassierten, und fühlte sich entspannt und wach zugleich. Sie mußte an ihren letzten Aufenthalt in diesem Saal denken; als sie aufgewacht war, hatte sie sich der Ersten Frau des Emirs gegenübergesehen, die sie in ihrem Schlaf beobachtet hatte. „Wie viele Frauen habt Ihr?" erkundigte sie sich unumwunden. „Ich meine, hier auf der Alhambra." Die Hände auf ihrem Rücken hielten einen Moment inne und nahmen dann die Arbeit wieder auf. „Es gibt viele Frauen auf der Alhambra." „Nicht doch. Ihr wißt genau, was ich meine. Wie viele Frauen habt Ihr zu Eurer... Bedienung, falls das die richtige Ausdrucksweise ist." Hätte Abul die Frage so einfach beantwortet, wie sie gestellt worden war, wäre Saritas Neugier befriedigt gewesen. 251
Sie selbst fand diese Frage nämlich durchaus nicht ungehörig. Die Fakten waren ihr schließlich bekannt. Abul hielt die Frage dagegen sowohl für unangebracht als auch für unnötig. „Warum willst du das wissen, Sarita?" Abuls Stimme enthielt einen Unterton, den Sarita sofort als Herausforderung betrachtete, und sie ging auch gleich darauf ein. „Nun, ich würde ganz gern wissen, wie groß Euer Stall ist und welche Stelle an Eurer Beliebtheitsskala ich darin einnehme au!" In einer Reflexbewegung glitt sie vom Diwan, sprang auf die Füße und rieb sich die Rückseite. „Das habt Ihr mit Absicht gemacht!" Sie bedachte Abul mit einem wütenden Blick. „Das war kein Spaß." „Nein", sagte Abul eher nachdenklich und wischte sich die öligen Hände an einem Tuch ab. „Nein, ich glaube, das war tatsächlich kein Spaß, obwohl ich mich selbst überrascht habe. Allerdings hattest du zuvor die unangebrachteste, taktloseste Bemerkung gemacht, die du jemals geäußert hast. Und das, mein Kind, will etwas heißen." „So?" Sie nahm sozusagen Anlauf, und ihre Augen funkelten angriffslustig. Abul merkte, daß sie zum Gefecht rüstete. Fast hätte er gelacht. „Nun, dann laßt mich eines sagen, mein Emir", fuhr sie fort. „Wo ich herkomme, da müssen die Frauen untereinander nicht in einen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit eines einzigen Mannes treten. Und da ich mich an diesem eigenartige Ort hier befinde ... " „Was deine eigene Entscheidung ist", warf er ein.
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„Jawohl, meine eigene Entscheidung", gab sie ungehalten zu. „Aber da ich nun einmal hier bin, finde ich, ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, wo ich stehe." Sie versetzte ihm einen kleinen Stoß vor die Brust und sprang dann zurück. Ihre Augen funkelten, und zwar keineswegs nur kriegslüstern. „Armer Saal der Ruhe", murmelte Abul, und dann sprang er Sarita an, doch ihr eingeölter Körper entglitt seinem Griff, und kreischend flüchtete sie durch den Innenhof. Während die sanften Klänge weiterhin von der Galerie herabschwebten, spielte Abul mit Sarita Fangen um die Säulen herum, und da sie sich seinen Blicken auf diese Weise von allen Seiten und in heftiger Bewegung darbot, fand er das Ganze überaus erregend. Er fing sie erst ein, als er es auch wollte, und zwar mit einem Trick, den sie schon kannte: mit einem scheinbar völlig unmöglichen Richtungswechsel mitten in der Bewegung. „Du solltest deine Lektion inzwischen gelernt haben", meinte er und drückte sie fest an sich. Sarita keuchte, aber das lag nicht an der Hetzjagd. Unvermittelt wand sie sich kurz in seinem Griff, steckte ihren Kopf unter seinen Arm und wollte sich befreien, indem sie ihren Körper als Hebel benutzte. Abul lachte entzückt und hob sie kurzerhand vom Boden hoch. „Armer Saal der Ruhe", wiederholte er und trug sie zum Diwan zurück. Sie fiel rücklings auf die Polster, und wie von selbst schlangen sich ihre Beine um Abduls Taille. Sarita war gefangen im Spiel des Fliehens und Fangens, in der körperlichen Lust des Augenblicks. Sie brauchte nichts zurückzuhalten, brauchte ihre Spielfreude nicht zu leugnen und auch nicht ihr Verlangen nach dem erfüllenden Abschluß. 253
„Eigentlich hatte ich dazu etwas mehr Muße geplant", flüsterte Abul und hielt sich an dem zarten Eingang noch einen Moment zurück. „Aber du scheinst genau zu wissen, was du willst, Sarita, meine Liebste. Bist du tatsächlich bereit?" Die Antwort las er in ihren Augen, und wie um alle seine Zweifel auszuräumen, drückten sich Saritas Fersen in seine Hinterbacken. Vor Freude leise aufstöhnend, drang er in sie ein, fühlte, wie sie ihn weich, aber fest umschloß und spürte ihre Freude, als sie ihm die Lippen entgegenhob, ihn bei den Oberarmen packte und ihren Kopf auf dem Polster hin-und herwarf. „Liebt mich!" Dieser leidenschaftlich geflüsterte Befehl schien sich mit den sanften Harfenklängen zu vermischen. „Abul, mein Geliebter, liebt mich." „Von ganzem Herzen." Er verlor sich in ihrer Freude, in ihren Worten, in der Erkenntnis, daß er etwas gefunden hatte, von dem er gar nicht gewußt hatte, daß er es suchte, etwas, für das er alles aufgeben würde, falls das von ihm verlangt wurde, etwas, das er mit seinem Leben verteidigen wollte.
14. KAPITEL „Der Emir kommt! Er geht gerade über den Löwenhof." Ein kleiner Junge, der durch die Jalousien eines Fensters auf den Hof hinuntergespäht hatte, gab diese Information atemlos weiter, woraufhin sich im Harem aufgeregtes Flüstern und Seidenrascheln auftat. Nur Sarita, die auf einem Diwan in einer dunkleren Ecke des Salons lag, blieb davon unberührt.
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Die Frau, mit der sie sich gerade mühsam und stockend auf arabisch unterhalten hatte, brach ihren Sprachunterricht mit einem entschuldigenden Lächeln ab, stand auf und eilte zu einer Spiegelkommode, um die sich die anderen Frauen schon drängten, sich das Haar ordneten, Rüschen zurechtzupften und Falten in den Gewändern glattstrichen. Sarita beobachtete das alles teils mit Erheiterung, teils mit Unverständnis. Auch nach einem halben Jahr begriff sie die Einstellung der Haremsdamen zu dem Emir noch immer nicht. Abul war für diese Frauen das höchste Wesen in ihrem Leben. Seinen Besuchen wurde entgegengefiebert, und danach wurde endlos darüber gesprochen. Seine körperliche Gesundheit, seine geistige Verfassung, seine Stimmung - alles das wurde immer und immer wieder diskutiert. Zwischen den Haremsdamen bestand eine gewisse Rivalität, die jedoch nur selten zu Unerfreulichem führte. Sarita war mit Interesse als eine Aufwertung dieses Zirkels aufgenommen worden. Die Tatsache, daß sie die unangefochtene Favoritin des Herrn war, schien niemanden zu stören. Die Frauen führten ihr eigenes Leben in ihren eigenen Gemächern, und das war ein eher müßiges Leben, das durch Klatsch, Ausflüge zu den Basaren Granadas, lange Stunden in den Bädern, Musik, Spiele, Beschäftigung mit ihren Kindern und, was das Allerwichtigste war, durch die Besuche des Emirs bereichert wurde. Ich störe hier niemanden außer Aisha, dachte Sarita und blickte zu der großen, prächtigen Gestalt hinüber. Die Erste Frau des Emirs saß, da es nach Sonnenuntergang war, mit ihrem Sohn zusammen, und als die Ankunft des Herrn gemeldet worden war, hatte sie Boabdil dichter zu sich herangezogen, ihm etwas zugeflüstert und ihm übers Haar gestrichen. Auf den ersten Blick wirkte es so, als munterte sie den Jungen auf und ermutigte ihn; 255
danach sah das Kind jedoch womöglich noch verängstigter aus als vorher. Daß Aisha nicht nur eine passive Empfängerin der Gunst ihre Gemahls war, hatte Sarita sehr schnell gemerkt. Die Erste Frau hatte durchaus ihre eigenen Vorstellungen von den Dingen, und sie besaß die Beharrlichkeit, diese Vorstellungen auch in die Tat umzusetzen. Die Gattin des Emirs gab Freundschaft zu Sarita vor, und diese akzeptierte das auch ohne erkennbaren Argwohn. Dennoch vermied sie, Sarita, alle Vertraulichkeiten, wenn immer Aisha die Rede auf Abuls Beziehung zu Boabdil brachte. In solchen Fällen wechselte Sarita resolut das Gesprächsthema. Das schien Aisha nicht weiter zu stören. Sie blieb freundlich, wenn Sarita auch manchmal Untertöne heraushörte, die ihr unbehaglich waren. Ihr war bewußt, daß die anderen Damen die Erste Frau fürchteten, und sie erkannte die Macht, die letztere über die übrigen Frauen im Harem hatte. Manchmal schien sich diese Macht sogar über die Mauern des Frauenhauses hinaus zu erstrecken. Nein, Aisha war ganz und gar nicht wie die änderen Damen. Abuls Stimme vom Saal unterhalb der Galerie des Frauenhauses unterbrach Saritas Gedankengänge. Wie immer, schlug ihr Herz höher, und ein erwartungsvolles Lächeln spielte um ihre Lippen. Auf diese Stimme hatte sie gewartet, seit die Glocken der Alcazaba die Rückkehr des Emirs von seiner zweiwöchigen Reise nach Tanger verkündet hatten. Die anderen Frauen begaben sich langsam zum Eingang. Nur Aisha blieb, wo sie war, stand aber auf. Boabdil hing an ihrem
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Rock wie ein Sechsjähriger, und dabei war er doch ein recht großer Bursche von gut elf Jahren. Sarita blieb auf ihrem Diwan. Zuerst hatte sie Abul in ihre Turm erwarten wollen, zumal er ihren Aufenthalt im Frauenhaus bei seinen anderen Damen nicht besonders schätzte. Sie selbst sah dagegen keinen Grund, auf den Sprachunterricht und die Gesellschaft zu verzichten, denn Einsamkeit bereitete ihr wenig Freude. Kadiga und Sulema waren zwar zu guten Freundinnen geworden, aber in der letzten Zeit hielten andere Pflichten sie oft vom Turm fern. Als sich Sarita einmal im Scherz darüber beklagt hatte, waren die beiden verlegen geworden und hatten etwas von den „Anweisungen der obersten Herrin" gemurmelt. Jetzt trat der Emir in den Salon und begrüßte die Frauen, die sich um ihn scharten. Dann entdeckte er Sarita in ihrer dunklen Ecke und hielt ihren Blick lange gefangen, als könnte er in ihm ihre Seele erkennen. Sarita lächelte, und er nickte fast unmerklich, bevor er sich Aisha und Boabdil zuwandte, die außerhalb des Kreises der Frauen standen. „Dir meinen Gruß, Aisha." Er trat auf sie zu. „Und dir, mein Sohn." Er reichte dem Jungen die Hand. Boabdil zögerte lange, bevor er sie ergriff. Sobald er konnte, verbarg er sich wieder hinter seiner Mutter. Abul sprach jetzt leise mit Aisha, ohne den ängstlichen, feigen Boabdil weiter zu beachten. Was geredet wurde, konnte Sarita nicht hören, aber an der Art, wie Aisha zu Boden blickte, erkannte sie, daß es etwas Unangenehmes sein mußte. Abul wandte sich ab. Er blickte wieder zu Sarita hinüber. „Komm", sagte er kurz und winkte sie mit dem Finger heran. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ den Salon. 257
Sarita stand auf und folgte ihm. Die anderen Frauen machten ihr Platz. Sie verzögerte ihren Abgang absichtlich, indem sie sich bei allen verabschiedete und 6ich bei Fadha für deren Geduld beim Sprachunterricht bedankte. Den anderen Damen sah sie es an, daß diese nicht verstanden, weshalb sie so trödelte, wenn der Emir sie doch zu sich befohlen hatte. Eigentlich verstand sie es ja selbst nicht, denn mit ihrem Körper und ihrer Seele sehnte sie sich nach dem Alleinsein mit ihm. Es schien jedoch, als müßte sie immer noch Beweise für ihre Unabhängigkeit liefern. Abul wartete im Löwenhof auf Sarita. „Du hast dir viel Zeit gelassen", bemerkte er, als sie aus dem Säulengang heraustrat und mit wehendem Gewand auf ihn zuging. Lachen leuchtete aus seinen Augen, Lachen und unverhohlene Begierde, als sein Blick die Linien verfolgte, die sich so verführerisch unter dem Gewand abzeichneten. „Ich mußte mich doch erst noch verabschieden." Sie stand jetzt vor ihm, berührte ihn jedoch nicht, aber beide hatten Mühe, die Vorfreude auf diese Berührung zu verbergen. „Ich hatte gehofft, dich im Turm vorzufinden", sagte Abul. „War dir meine Rückkehr so gleichgültig, daß du die Gespräche und den Klatsch im Frauenhaus der Vorbereitung auf meine Heimkunft vorgezogen hast?" Das klang tatsächlich ein wenig vorwurfsvoll. Sarita schüttelte den Kopf. „Gewiß nicht, mein Emir." Sie lächelte. „Ich dachte nur, ich vergrößere das Vergnügen, Euch begrüßen zu können, durch längeres Warten." Er schien skeptisch. „War das der einzige Grund?"
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„Glaubt es nur." Sie strich sich mit der Zungenspitze über die Lippen und senkte die Stimme. „Mir ist schon ganz kribbelig, wenn ich nur so neben Euch stehe, Geliebter. Wenn Ihr mich nicht bald berührt, werde ich noch an unerwidertem Begehren dahinscheiden." Lachend strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Unerwidert! Während der letzten drei Stunden habe ich an nichts anderes denken können als daran, deine Haut berühren, den Duft deines Haars einatmen und deinen weichen Körper fühlen zu können. Meine Hände erinnern sich an jede deiner Rundungen, meine Zunge kennt deinen Geschmack, und das absolute Wissen um deinen Körper ist unauslöschlich für alle Ewigkeit in meinem Geist aufgehoben." „Kommt." Das Verlangen setzte Sarita in Brand. Unfähig, den Blick von Abul zu wenden, streckte sie die Hände nach ihm aus und ging langsam rückwärts. „Kommt", wiederholte sie leise und drängend. „Kommt, bevor ich etwas tue, bei dem Zeugen unangebracht wären." Abul schaute zu den Fenstern des Frauenhauses hoch, die auf den Hof hinausgingen. Er lächelte. „Hättest du mich so erwartet, wie es sich gehörte, würdest du dich jetzt nicht in solchen Schwierigkeiten befinden." „Und falls Ihr Euch auf diese Weise dafür rächen wollt, erlaube ich mir, Euch zu sagen, daß dieses einen kleinlichen Geist beweist." Unvermittelt raffte sie die Röcke und rannte in höchst unschicklicher Manier aus dem Hof und durch den Säulengang. Sie verlangsamte ihren Schritt erst, als sie sich auf dem Zypressenpfad befand. Lachend folgte Abul ihr, und die Vorfreude überwältigte ihn beinahe. 259
Daß Aisha sie beide durch eine Fensterjalousie hindurch beobachtet hatte, konnten Abul und Sarita nicht wissen. Die Gattin des Emirs hatte natürlich nicht hören können, was sie miteinander gesprochen hatten, aber um zu erfassen, was zwischen ihrem Gemahl und der Christin vorging, brauchte sie ihre Ohren gar nicht. Sie wußte auch so, daß es nicht die rein körperliche Anziehungskraft war, die die beiden vereinte, und es war gerade dieses andere Band, das die Zukunft der Ersten Frau gefährdete. Dieses Band mußte zerstört werden. Schon vor zwei Wochen hatte Aisha eine Botschaft an ihren Vater, das Oberhaupt der einflußreichen Familie der Mozarabes, gesandt. Sie hatte ihm mitgeteilt, daß ihr Gemahl in blinder Liebe zu einer Christin entbrannt war, und daß sie, Aisha, um seine Regierungsfähigkeit fürchtete; er habe sogar schon wirr davon gesprochen, seine Erste Frau und seinen Erben zu Gunsten der Ungläubigen zu verstoßen. Letzteres war selbstverständlich eine reine Verleumdung, aber Aisha wußte, daß das ihren Vater erzürnen würde. Er würde diese Nachricht unter den anderen großen Familien verbreiten, und ein Angriff auf Muley Abul Hassans Anrecht auf den Thron von Granada war unausbleiblich. Uneinigkeit unter den großen Familien seines Reiches würde entstehen, und selbst falls der Emir diese Herausforderung überlebte, würde er geschwächt aus ihr hervorgehen. Das wäre dann der erste Schritt in Aishas langgehegtem und sorgfältig vorbereitetem Plan, ihren Gatten zu stürzen. Außerdem würde ein solcher Zwist unter den Maurenfamilien die Aufmerksamkeit der Spanier jenseits der Grenze auf sich ziehen. Diese sahen dann möglicherweise eine Gelegenheit zum Eingrei-
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fen, womit sich der Druck auf Muley Abul Hassan noch verstärken würde. Nachdenklich kehrte Aisha in den Salon zurück. Boabdil hatte sich, sobald sein Vater gegangen war, wieder von ihr gelöst und balgte sich jetzt grob mit einem der viel kleineren Jungen. Das Kind hatte zu weinen begonnen, weil sein älterer Halbbruder seinen Kopf in einem Ringergriff unter dem Arm eingeklemmt hatte. Boabdil lachte, als wäre das Ganze noch immer ein lustiges Spiel. Keine der Frauen sagte etwas, weil niemand Aishas Sohn zu tadeln wagte. Die Mutter des kleinen Knaben biß sich auf die Lippe und rang die Hände, als die Schreie ihres Sohnes immer lauter wurden. „Genug, Boabdil", sagte Aisha endlich, als das Geschrei ein beängstigendes Ausmaß angenommen hatte. „Ich lehre ihn doch nur, zu kämpfen." Widerstrebend lockerte Boabdil seinen Griff, woraufhin der Kleine schluchzend zu seiner Mutter lief. „Das muß er doch lernen, nicht wahr?" „Ja, ja, und es ist gut von dir, daß du es ihm beibringen willst. Doch jetzt komm mit mir in meine Gemächer. Ich muß mit dir über einiges reden." Die beiden verließen den Salon. Boabdil schwatzte; Aisha hörte kaum zu. Ihr Plan lief entschieden zu langsam an. Ihr Vater hatte auf ihre Botschaft noch nicht geantwortet, und bis jetzt waren bei der Christin noch keine gesundheitlichen Schäden zu erkennen. Möglicherweise mußte die Stärke des Tranks erhöht werden. Andererseits durfte Aisha eine Entdeckung nicht riskieren; falls die Spanierin allzu plötzlich siech wurde, würde man sicherlich Fragen stellen. 261
Zwar hielt sie die beiden Dienerinnen so weit wie möglich von Sarita fern, doch sie wußte, was für eine ausgezeichnete Beobachterin Kadiga war und was für kluge Schlußfolgerungen sie aus ihren Beobachtungen zu ziehen vermochte. Nein, Aisha mußte sich in Geduld fassen. Die kleine Christin war offensichtlich viel robuster und gesünder, als sie gedacht hatte, doch gegen den tückischen Trank war auch sie auf die Dauer nicht widerstandsfähig genug. Das würde sich ja sehr bald erweisen. „Habe ich dir überhaupt gefehlt, Liebste?" fragte Abul scherzend, nachdem er und Sarita die Abgeschlossenheit des Turms erreicht hatten. „O ja!" Sie schaute ihm in die Augen. „Welcher Teil von mir hat dir am meisten gefehlt?" Er lehnte sich von innen an die Tür und beobachtete, wie sich Saritas Erregung an ihren geröteten Wangen und ihren grünen Augen ablesen ließ. Sie neigte den Kopf zur Seite und biß sich auf die Unterlippe. „Laßt mich einmal nachdenken ... Ja, ich glaube, es waren mehrere Teile. Dieser hier zum Beispiel." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Schmetterlingskuß auf seine Lippen. „Und dieser ... " Jetzt war seine Kinnspitze an der Reihe. „Und dieser... " Sie tippte mit der Zungenspitze in seine Halsgrube über dem Ausschnitt seiner Tunika. „Und dieser ..." Flink schnürte sie die Tunika auf und schob das Hemd darunter zur Seite, so daß sie die kleinen, harten Brustwarzen mit der Zunge berühren konnte. „Dann dieser ..." Sie schob eine Hand an seinem Rücken unter den Gürtel und den Bund seiner Reithose. „Und ganz besonders dieser... " 262
Er hielt den Atem an, als sie mit der anderen Hand geschickt und schnell seine Gürtelschnalle öffnete und dann die Finger um ihn schloß. Abul stützte die Schultern gegen die Tür und beugte leicht die Knie, während sich die erotischen Liebkosungen fortsetzten und ihn bald in einen Rausch der heißesten Erwartungen versetzten. Sehr langsam zog Sarita die Hände zurück, als sie sein verklärtes Lächeln sah. „Ja", flüsterte sie, „alle diese Teile habe ich sehr vermißt, aber am meisten habe ich die Summe aller Teile vermißt: den ganzen Menschen, den ganzen Mann - meinen Geliebten." Abul stieß sich von der Tür ab, um sich aufzurichten. Er hatte größte Mühe, sich von der Grenze zur Ekstase zurückzuholen. Er schnallte seinen Gürtel wieder zu und hob sich Sarita auf die Arme. „Ich werde dich wohl lieber nicht gegen die Tür lehnen, um die Liste deiner von mir am meisten vermißten Teile vorzutragen", flüsterte er. Leise lachend schlang sie ihm die Arme um den Nacken und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ohne den Kuß zu unterbrechen, trug Abul sie zur Schlafgalerie hinauf. Oben angekommen, wollte er sie auf den Diwan legen, aber sie hielt sich an seinem Nacken fest und drang fordernd mit ihrer Zunge in seinen Mund ein. „Jetzt!" hauchte sie an seinem Mund. „Jetzt gleich, Abul." Ihr unbezähmbares, ungeduldiges Verlangen übertrug sich sofort auf ihn. Ohne die Arme von seinem Nacken zu lösen, drehte und wand sie sich auf dem weichen Diwan und versuchte so, sich mit ihren Bewegungen allein das hinderliche Gewand von den Beinen zu schieben. Er schob eine Hand unter sie, hob sie ein wenig an, um den Rock zu befreien, und streifte ihn ihr dann hoch.
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Falls Abul noch die geringste Neigung verspürt hatte, ihr die Erfüllung ihrer Forderung zu versagen, um die Wartezeit zu verlängern, so waren es jetzt ihre weiche Haut, ihre sinnlich geschwungenen Hüften und ihre schlanken Beine, die seine Beherrschung besiegten. Er kniete sich neben sie auf die Polster und zerrte an seiner Gürtelschnalle. Sarita war schneller und geschickter als er, und im Handumdrehen hatte sie ihm die Kniehose von den Beinen gestreift. Er wollte sich die Stiefel ausziehen, doch dann hielt er für einen Moment inne, um Sarita zu betrachten, die lustvoll hingegeben vor ihm lag. Ihre Hüften hoben sich wie ohne ihr Dazutun, ihre Beine spreizten sich, und ein Hauch von Feuchtigkeit schimmerte auf der Innenseite ihrer Schenkel im Licht der Öllampe. Abul war verloren. Aufstöhnend glitt er über sie, schob die Hände unter ihre Hüften, um sie sich entgegenzuheben, und drang mit einer einzigen, starken Bewegung tief in sie ein. Sarita schrie auf. Tränen des Glücks traten in ihre Augen, und ihr Körper folgte dem Rhythmus der Leidenschaft, bis sie an Abuls glutvollem Blick erkannte, daß der Moment der höchsten Freude erreicht war. Gemeinsam versanken sie in diesem Rausch und wußten dabei, daß sie ihn noch viele Male zusammen erleben würden. Eine lange Zeit verging, bis Sarita danach langsam aus dem traumgleichen Zustand der glückhaften Befriedigung aufwachte. Sie war noch immer mit Abul innigst verbunden; sein Kopf ruhte auf ihrer Brust. Geräusche aus dem Innenhof waren zu hören, doch das störte Sarita nicht mehr. In den vergangenen Monaten hatte sie sich da-
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ran gewöhnt, von den stillen, schattenhaften Gestalten der Palastdiener und -dienerinnen umgeben zu sein. Der Aufenthaltsort des Emirs war dem Wesir stets bekannt, seine Bedürfnisse wurden immer vorausgeahnt, und jetzt war es wahrscheinlich Zeit zum Abendessen. Abul setzte sich auf, rekelte sich träge und drückte Sarita dann einen Kuß auf die sommersprossige Nasenspitze. „Zufrieden, Liebste?" Sie nickte. „Fürs erste." Er lachte. „Unersättliches Weib! Ich glaube, ich habe noch niemals zuvor in Stiefeln geliebt... Jetzt jedoch brauche ich mein Abendessen. Ich war in solcher Hast, dich noch vor Sonnenuntergang wiederzusehen, daß wir unsere Reise heute nicht zum Mittagsmahl unterbrochen haben." Er zog sich die Reithose hoch und ging zum Galeriegeländer. „Beeilt euch und geht dann wieder", rief er hinunter und kehrt dann zum Diwan zurück, wo Sarita noch immer halbnackt auf den Polstern lag. „Unten wurde ein Bad vorbereitet", teilte er ihr mit. „Wir speisen angenehmer, wenn wir zuvor das heiße Wasser genossen haben." Er beugte sich über sie, zog sie hoch und hob ihr das Gewand über den Kopf. „Eine halbbekleidete Frau hat etwas sündhaft Verführerisches an sich", bemerkte er. „Mehr als eine ganz nackte?" Sarita stand auf. „Vollständig unbekleidet wirkst du nicht ganz so aufreizend", meinte er versonnen. „Sehr schön natürlich und begehrenswert,
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aber nicht sündhaft. Ich fand deine Sündhaftigkeit überaus erregend." Sarita schob die Finger in ihr Haar, um die wilden Locken zu entwirren, und betrachtete ihn skeptisch. „Ich werde daran denken, sollte ich Euch jemals erregen müssen, wenn Ihr..." Sie unterbrach sich und fuhr sich mit der Hand an die Kehle. „Was hast du?" Ihre plötzliche Blässe erschreckte ihn. Sie schwieg einen Moment und atmete dann ein wenig zittrig durch. „Nichts. Wirklich nichts. Mein Herz hat eben so schnell geschlagen, aber es wird sich schon wieder beruhigen. Das ist mir kürzlich schon einige Male passiert." Sie setzte sich wieder auf den Diwan und hielt sich die Hände vor den Magen. „Im Augenblick fühle ich mich ein wenig schwach, und mir ist ein bißchen übel, aber das geht gleich wieder vorbei." Abul runzelte die Stirn. Sarita sah noch immer so bleich aus, und ihre Worte überzeugten ihn nicht. „Möglicherweise bis du schwanger." Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich nehme immer den Arzneitrank ein, den Kadiga mir bringt, und in Eurer Abwesenheit hatte ich auch meine Blutungen." Abul blickte jetzt noch finsterer drein. „Du willst mein Kind nicht?" Sarita schaute ihn an. Dies war zwar nicht der richtige Augenblick, um über ein solches Thema zu reden, doch um darum herumzureden, fehlte ihr im Moment die Energie. „Nicht unter diesen Umständen, Abul."
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„Was für Umstände?" Seufzend stand Sarita auf. „Laßt uns jetzt nicht darüber reden. Dann streiten wir uns nur, und dazu fühle ich mich gegenwärtig nicht imstande." Zwar kehrte die Farbe langsam in ihre Wangen zurück, doch Abul wollte Sarita trotzdem nicht bedrängen. „Lege dich wieder hin. Ruhe dich noch für ein paar Minuten aus." Er schichtete einige Kissen an die Rückwand des Diwans, setzte sich und legte die immer noch gestiefelten Beine auf die Decke. „Komm." Er klopfte neben sich auf die Matratze. „Leg dich hierher. Das Bad kann warten." Sarita seufzte erleichtert auf und sank auf den Diwan. Abul legte den Arm um sie, zog sich ihren Kopf an die Brust und strich ihr übers Haar. „Wie oft ist dir das schon passiert?" wollte er wissen. Sie mußte erst überlegen. „In den letzten Tagen mehrmals. Ich habe mich nicht weiter darum gekümmert." „Was sagt Kadiga dazu? Soweit ich weiß, versteht sie ein wenig von Heilkunde." „Sie weiß nichts von meinen Beschwerden. Sie und Sule-ma sind kaum noch mit mir zusammen. Wie ich hörte, braucht Aisha sie zum ..." „Sie unterstehen nicht Aishas Befehl", fiel Abul ihr ins Wort. „Die oberste Pflicht der beiden ist es, dich zu bedienen, wann immer dieses nötig ist. Auch Aisha hat nicht das Recht, daran etwas zu ändern." „Möglicherweise habe ich da ja etwas mißverstanden", meinte Sarita unsicher. „Die beiden haben es auch nicht so wörtlich ge267
sagt. Außerdem", fuhr sie energischer fort, „brauche ich nicht von vorn bis hinten bedient zu werden. Was mir fehlt, das ist nur die Gesellschaft der beiden Mädchen. Wir sind gute Freundinnen geworden." Abul schwieg. Er konnte sich sehr gut vorstellen, daß Aisha etwas gegen eine solche Freundschaft hatte und alles tat, was sie konnte, um sie zu zerstören. Allianzen unter Frauen der Alhambra konnten die Macht und den Einfluß der Ersten Frau bedrohen. Nun, solange er sich auf der Alhambra aufhielt, war nichts für ihn einfacher, als die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Sarita und den beiden Mädchen wiederherzustellen. Nur während seiner Abwesenheit konnte Aisha ihr hinterhältiges Spiel treiben. „Du mußt Kadiga von diesen Anfällen berichten", riet er. „Falls sie nicht aufhören und wir den Grund dafür nicht feststellen können, dann mußt du Muhamad Alahma aufsuchen. Er ist ein sehr kenntnisreicher Arzt." „Ein Arzt!" Sarita setzte sich auf. „Welch ein Unsinn, Abul. Meine Mutter gab mir immer ein starkes Abführmittel, und danach ging es mir wieder gut. Ich werde Kadiga fragen, ob sie auch so eine Arznei brauen kann." Nachdenklich rieb sich Abul das Kinn. Nun ja, wahrscheinlich wußten Frauen am besten mit so etwas Bescheid. „Geht es dir jetzt besser?" „Ausgezeichnet geht es mir", versicherte sie mit Nachdruck. „Laßt uns hinuntergehen, mein Emir. Wenn Ihr nämlich so hungrig seid wie ich, würdet Ihr zweifellos einen ganzen Ochsen verspeisen können." 268
Abul folgte ihr in den jetzt leeren Innenhof und schaute zu, wie sie in das dampfende Badewasser stieg. „Jetzt kannst du mir vielleicht erzählen, welche Umstände dich davon abhalten, mein Kind zu empfangen. Wir werden nicht streiten, das verspreche ich dir." Seine Stimme klang einfach nur interessiert, aber Sarita wußte, daß dieses Thema sehr wohl zu Meinungsverschiedenheiten führen konnte. Seufzend seifte sie sich ein. „Ich weiß nicht, welchen Platz ich hier einnehme und welcher Platz meinem Kind zustünde. Mir ist bekannt, daß ich eine von vielen Frauen bin, und damit kann ich mich auch abfinden ... jedenfalls solange ich hier bin", fügte sie hinzu. „Was mich betrifft, so bin ich damit einverstanden", fuhr sie fort, „aber eine so unbefriedigende Position könnte ich für mein Kind nicht akzeptieren. Wenn ich Euren Sohn zur Welt brächte und ihn als zweitrangiges Kind ohne Bedeutung und Platz in Eurer Welt im Harem aufwachsen sähe, dann müßte ich mich mit den mir in dieser Welt auferlegten Zwängen endgültig abfinden. Und das kann ich nicht. Ich liebe Euch, Abul, aber ich gehöre nicht hierher." „Weshalb verbringst du dann soviel Zeit im Frauenhaus?" wollte er wissen. „Ich bin manchmal einsam", antwortete sie aufrichtig. „Und die Damen dort sind die einzig verfügbare Gesellschaft für mich. Fadha lehrt mich Arabisch." Sie setzte sich im Badezuber etwas höher. „Ihr mögt es nicht, wenn ich mich im Frauenhaus aufhalte, nein?" „Nein." „Weshalb nicht?" 269
Wie sollte er ihr auseinandersetzen, daß er sie für sich allein haben wollte und daß er es irgendwie unpassend fand, wenn sie mit seinen Frauen zusammenwar? Wie sollte er es ausdrücken, daß er Aishas Einfluß mißtraute? „Weil du nicht zu diesen Frauen gehörst", antwortete er langsam. „Du bist keine von vielen. Du weißt, daß für mich keine andere Frau mehr existiert, Sarita. Seit es dich für mich gibt, habe ich keine andere Frau mehr zu mir befohlen." „Ja, das weiß ich. Doch wenn es so bleiben soll, was wollt Ihr dann mit den anderen tun?" „Wieso muß ich denn etwas mit ihnen tun?" Die Frage schien ihn wirklich zu überraschen. „Wenn diese Frauen nicht mehr mit Euch schlafen sollen, haben sie keinerlei Funkti on mehr. Dennoch sind sie vorhanden. Weil das so ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß Ihr mir im Sinne meines Volkes treu bleibt. Und deshalb kann ich Euch keine Kinder schenken und auch nicht für immer hierbleiben." „Du willst mich verlassen?" fragte er erschüttert. „Nein. Nein, natürlich nicht. Aber was ich machen soll, weiß ich auch nicht", seufzte sie. „Ich weiß nicht, wer oder was ich bin, und ich habe keine Vorstellung von der Zukunft. Wahrscheinlich könnte ich so weitermachen wie bisher, und was bliebe mir auch anderes übrig, wenn wir einander weiterhin lieben wollen? Nur ist das kein erfülltes Leben, und es hat keine Zukunft. Und unter diesen Umständen kann ich Euch kein Kind... Versteht Ihr eigentlich, was ich sagen will, Liebster?"
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Ihre Rede war reichlich verworren gewesen, doch das war das Thema ja auch. Sarita stieg aus dem Zuber und wickelte sich in ein dickes Trockentuch. Abul seufzte. Er verstand überhaupt nichts. Das einzige, was ihm wichtig erschien, das war die Liebe, die sie teilten. „Ich glaube, du machst Berge aus Maulwurfshügeln, Sarita. In allem Wesentlichen bist du doch meine Gemahlin. Nur kann ich meine anderen Frauen nicht hinauswerfen. Würde ich sie zu ihren Familien zurückschicken, hätte ich einen Bürgerkrieg am Hals. Erkennst du meine Schwierigkeiten?" Sarita nickte. „Ja, aber Ihr solltet auch meine sehen. Wir müssen so weitermachen wie bisher und dürfen nicht mehr verlangen." Ihr war klar, daß ein solcher Kompromiß weder Abul noch sie befriedigem würde, doch sie wußte auch, daß sie kein Recht auf eigene Forderungen hatte. Zu viele andere Menschen waren hier beteiligt; eine einzelne Spanierin durfte nicht erwarten, eine ganze Welt der Sitten und Gebräuche nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen umformen zu können.
15. KAPITEL Nafissa eilte die Innengalerie entlang und hielt das fest zusammengerollte Pergament in den Falten ihres Gewandes verborgen. Ein Diener der Mozarabes war wie zuvor vereinbart zu ihr in die Dienstbotenquartiere gekommen und hatte ihr die Botschaft seines Herrn für dessen Tochter übergeben. Die Dienerin versuchte, möglichst ungesehen durch die Säulengänge und Höfe zu kommen, obwohl kein Grund für die übertriebene Vorsicht bestand. Bis jetzt hatte der Emir noch keinen An271
laß, eine Intrige zwischen seiner Gattin und seinem Schwiegervater zu vermuten, und es wäre ihm auch nicht in den Sinn gekommen, Spione innerhalb des Palastes auf etwaige geheime Nachrichtenverbindungen anzusetzen. Nafissa erreichte die Gemächer der Ersten Frau, als diese bereits das dritte Knäuel Stickseide vor lauter Ungeduld zerfledderte. Die Ankunft einer Abordnung ihres Vaters auf der Alham-bra hatte sie äußerst nervös gemacht. Unter all den höflichen und diplomatischen Adressen an den Emir mußte sich doch auch eine persönliche Botschaft an sie befinden. Hatte ihr Vater überhaupt verstanden, was sie ihm mitgeteilt hatte? Waren von ihm schon irgendwelche Entscheidungen getroffen worden? Hatte er etwas bereits irgendetwas in die Wege geleitet? Und was erwartete er von seiner Tochter? „Eine Botschaft, Herrin!" Nafissa überreichte Aisha das Pergament. „Ich wurde aus der Küche gerufen, um es aus den Händen eines der Diener entgegenzunehmen, der die Abordnung begleitet." Aisha winkte ungeduldig ab, brach hastig das Siegel und öffnete das Schreiben. Nach den üblichen förmlichen Grußfloskeln des Vaters an die Tochter kam eine einfache Mitteilung: „Sei wachsam", lautete sie. „Benutze die üblichen Kanäle, um die Dir Nahestehenden über alle Entwicklungen informiert zu halten. Fürchte Dich nicht. Alles ist unter Kontrolle." Aisha atmete tief auf. Ihr Vater würde so vorgehen, wie er es für am besten erachtete. Er würde Zwietracht unter den Zweifelnden säen und sich der Unterstützung der Unzufriedenen, Mißtrauischen und Machthungrigen bei dem Schlag gegen Muley Abul 272
Hassan vergewissern. Aisha mußte nur weiterhin das Feuer schüren. „Ich will eine Antwort schicken", sagte sie. „Kannst du den Boten wiederfinden, Nafissa?" „Ich habe ihm bereits gesagt, ich würde eine eventuelle Antwort unter dem großen Stein des Rosenbeets im Myrtenhof hinterlegen, Herrin", erwiderte die Dienerin. „Dort wird der Mann vor Tagesanbruch nachschauen, bevor die Abordnung wieder zum Sitz Eures Vaters aufbricht." Aisha nickte. „Dann besteht ja kein Grund zu übertriebener Eile. Du bist ein kluges Mädchen, Nafissa. Ich gebe dir mein Schreiben heute abend." Aisha ging zu einer Lacktruhe in einer Ecke des Gemachs und hob den Deckel. Eine große Anzahl Fläschchen, Tontöpfchen und Behälter aus Tierhaut befanden sich darin. „Du kannst Kadiga und Sulema ausrichten, sie sollen zu mir kommen, falls sie für Sarita mehr von dem Arzneitrank zur Empfängnisverhütung benötigen. Ich werde ihn für sie zubereiten." Nafissa nickte und entfernte sich dann leise. Aisha hob eine kleine grüne Glasflasche aus der Truhe und stellte sie vorsichtig und ohne sie zu schütteln auf einen niedrigen Tisch. Dazu legte sie noch weitere Gegenstände: einen kleinen Beutel mit getrockneten, zerkleinerten Pflanzenteilen, eine Phiole mit einer glasklaren Flüssigkeit und einen leeren Behälter aus dünner Tierhaut. Dort hinein maß sie bestimmte Mengen der klaren Flüssigkeit sowie der getrockneten Pflanzenteile und schüttelte beides zusammen.
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Danach holte sie aus einer Truhe ein Paar Handschuhe aus feinstem Ziegenleder und streifte sie sich über, bevor sie mit äußerster Vorsicht den Silberstöpsel aus der kleinen grünen Flasche zog. Ein leichter Dampf stieg von dem Inhalt auf. Aisha hielt den Atem an und träufelte vier Tropfen der silberhellen Flüssigkeit in den Behälter mit den anderen Bestandteilen, verschloß das grüne Fläschchen wieder und legte es zusammen mit den Handschuhen in die Truhe zurück. Den Inhalt des Lederbehälters rührte sie gründlich mit einem kleinen Silberspatel um, bis eine dicke Paste entstand. Diese Masse würde Kadiga später mit Wasser zu dem Trank mischen, den Sarita jetzt regelmäßig einnahm. Aisha war für ihre hervorragenden Arzneien bekannt, und deshalb war auch niemand erstaunt gewesen, als sie sich bereiterklärt hatte, für Sarita ein wirksames und zuverlässiges Mittel zur Empfängnisverhütung herzustellen. Diesen Dienst erwies sie vielen Frauen der Alhambra. Was die Arznei enthielt und was sich insbesondere in dem für Sarita bestimmten Behälter befand, wußte nur die Erste Frau allein. Aisha verschnürte den Behälter fest, hielt ihn hoch ins Licht der Februarsonne und lächelte. Kein Zweifel, das Gift begann jetzt bei der Spanierin langsam, aber sicher zu wirken. Sarita fiel es immer schwerer, ihre allgemeine Müdigkeit und Entkräftung zu verbergen. Sie war sehr blaß, und ihre vorher strahlend funkelnden grünen Augen wirkten matt und glanzlos. Dennoch bemühte sie sich, insbesondere Abul vorzuspielen, ihr ginge es gut, und es sei alles bestens.
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Gestern abend hatte sich Aisha im nördlichen Mirador des Generalife versteckt und auf den schönen Mittelhof mit seinem langen, rechteckigen, mit Seerosen bedeckten Wasserbecken hinuntergeschaut. Die Spanierin und Abul waren scherzend aus einer der bogenüberspannten Galerien getreten, und Sarita hatte lachend eine spielerische Verfolgungsjagd durch die Säulengänge provoziert. Angesichts ihres Gelächters und ihrer schnellen Bewegungen hätte niemand erraten, wieviel Anstrengung es sie gekostet hatte. Nur die verborgene Beobachterin hatte ihre Qualen erkannt, als sie sich vor Abul einmal eine Minute hinter einer Myrtenhecke verbarg, sich übergeben mußte und wie eine Erstickende um Luft rang. Wenn Sarita endlich gezwungen war, zuzugeben, wie ernst es um sie stand, dann wäre es bereits zu spät, um das Ende abzuwenden. Das war eben das Schöne an diesem bestimmten Gift. Richtig angewendet, tötete es in winzigen, fast unmerkbaren Schritten. Die damit verbundenen Symptome konnten zu allen möglichen alltäglichen Krankheiten gehören. Das ging so weiter, bis das Opfer am Ende war, nicht mehr atmen und nicht mehr schlucken konnte. Selbst falls jemand in diesem Stadium an Gift dachte, würde man dafür keinen Beweis finden. Nein, Aisha fühlte sich absolut sicher. Falls Abul den Verdacht hegte, sie könnte bei Saritas Tod die Hand im Spiel haben, würde er ohne Beweise nicht mehr unternehmen können, als er bereits getan hatte. Sie wußte genau, daß er auch nach dem Tod der Christin nicht zu ihr zurückkommen würde. Als ihr bereits vor Monaten klargeworden war, daß sie im Bett keinen Einfluß mehr auf ihn besaß, hatte sie es aufgegeben, sich um seine Gunst zu bemühen, und hatte ihre Aufmerksamkeit lieber der Durchführung ihres Plans mit anderen Mitteln gewidmet. 275
Dieser Plan entwickelte sich für sie sehr vorteilhaft, und Aisha war im großen ganzen sehr zufrieden. Abul lächelte dem Onkel seiner Gattin, dem Abgesandten des Oberhaupts der Mozarabes, höflich zu und fragte sich im stillen, welches wohl der eigentliche Anlaß für diesen Besuch war. Umgeben von Höflingen und Soldaten saßen die beiden Männer seit einer Stunde im Botschaftersaal, und während der ganzen Zeit waren bei vielen Bechern kühlen Sorbetts nur Höflichkeiten ausgetauscht worden. Das war natürlich so Sitte, aber langsam hätte sich doch ein Hinweis auf den wahren Zweck des Besuchs ergeben müssen. Ahmed ben Kaled hatte indessen nur beiläufige, nichtssagende Konversation zu bieten, und höflichkeitshalber mußte der Emir in gleicher Weise darauf eingehen. „Meiner Nichte geht es doch gut, will ich hoffen", sagte Ahmed ben Kaled und nahm sich eine gefüllte Dattel von einem Silbertablett, das ein kleiner Sklavenjunge herumreichte, dessen Turban zu groß für seinen Kopf zu sein schien. „Aisha geht es gut", antwortete Abul. „Ihr werdet gewiß noch mit ihr sprechen wollen. Ich bin sicher, Ihr tragt Botschaften des Herrn der Mozarabes für dessen Tochter bei Euch." War der Mann eben ein wenig zusammengezuckt? Hatte etwas in den dunklen Augen in diesem bärtigen Gesicht unter dem gelben Seidenturban aufgeblitzt? Ahmed ben Kaled verneigte sich und bestätigte, daß er in der Tat auf eine Audienz bei der Ersten Frau des Emirs hoffe, und er trüge tatsächlich Grußbotschaften ihres Vaters bei sich. „Es wäre mir eine große Ehre, wenn ich auch mit Eurem Sohn, dem Prinzen Boabdil, zusammentreffen könnte", sagte Ahmed. „Unser
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Herr möchte sehr gern erfahren, wie sein Enkel wächst und wie seine Ausbildung vorankommt." Das war nun keineswegs eine ungewöhnliche Bitte, wenngleich sie Abul nicht ganz geheuer erschien. Dennoch neigte er zustimmend den Kopf und wandte sich an seinen Wesir. „Laßt Boabdil von seinem Lehrer herbringen." Wieder an seinen Besucher gewandt, erläuterte er: „Ihr werdet vielleicht feststellen, daß der Junge sehr gehemmt ist. Daraus wird er jedoch bald herausgewachsen sein." Ahmed ben Kaleds Mund verzog sich unter dem dichten Bart zu einem Lächeln. Aisha war in der Beschreibung der Sünden des Emirs, was die Behandlung seines Sohnes betraf, sehr ausführlich gewesen: Der Knabe werde rücksichtslos und systematisch durch die Härte seines Vaters niedergedrückt. Falls Boabdil nicht bald aus dieser Einflußsphäre herauskäme, so würde er nicht die Kraft besitzen, die Macht und die Verantwortung des Emirs zu übernehmen, wenn seine Zeit dafür gekommen war. Die Mozärabes würden dann ihren erheblichen Einfluß im Reich Granada verlieren. Einer der wichtigsten Aufträge, die Ahmed ben Kaled erteilt worden waren, bestand darin, sich den Knaben anzuschauen und sich ein Urteil über ihn zu bilden. Als Boabdil und der Lehrer eintrafen, grüßte Abul sie mit üblicher Höflichkeit. „Boabdil, erweise dem Onkel deiner Mutter deine Ehrerbietung." Er stand auf und griff nach der Hand des Jungen. Ahmed ben Kaled bemerkte, daß Boabdil sichtbar vor seinem Vater zurückwich, wenn er ihm auch die Hand gab.
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Der Junge schaute unsicher zur Seite, als er seinem Verwandten vorgeführt wurde und trat von einem Fuß auf den anderen. Sein Gruß war nicht mehr als ein unverständliches Murmeln. Ahmed faßte Boabdils Kinn, so daß der Junge gezwungen war, den Besucher anzusehen. Zwar erkannte Ahmed Furcht in den Kinderaugen, aber mehr noch eine gewisse Berechnung. Wieviel von dieser Gehemmtheit, dieser Schüchternheit ist echt, und wieviel ist nur gespielt? fragte er sich. Ahmed erinnerte sich an Aisha als kleines Mädchen. Sie hatte ähnliche Züge gezeigt. Schon immer hatte sie ihre wirklichen Empfindungen verborgen gehalten, was sie zu einer mächtigen Feindin beziehungsweise zu einer nützlichen Verbündeten im Feindeslager machte. „Ich bringe Grüße von deinem Großvater", sagte Ahmed ben Kaled zu dem Knaben. „Du läßt es an gutem Benehmen fehlen, Boabdil", wies Abul seinen Sohn scharf zurecht, als dieser beharrlich schwieg. „Dein Lehrer wird dich gewiß darin unterwiesen haben, wie man Grüße richtig erwidert." Der Lehrer, Ahmed Eben, trat bekümmert vor und murmelte etwas, während Boabdil vor seinem Vater noch weiter zurückwich und sich die Hand wie zur Abwehr eines Schlages vors Gesicht hob, obwohl weder Abul noch der Lehrer eine bedrohliche Bewegung gemacht hatten. Boabdils Blick ging derweil allerdings rasch zu dem Besucher, wie um zu prüfen, ob dieser auch genau zugeschaut hatte. Abul preßte die Lippen zusammen und winkte dem Lehrer ab, der noch immer Entschuldigungen murmelte. „Kehre in deine Gemä278
cher zurück, Boabdil", forderte er seinen Sohn auf. „Du machst mir Schande vor unserem Gast." „Nicht doch", ließ sich Ahmed ben Kaled rasch vernehmen. „Der kleine Bursche ist nur schüchtern. Das nehme ich ihm nicht übel. Wenn ich vielleicht ein wenig mit ihm auf den Säulengang hinausgehen dürfte... " Es widerstrebte Abul, diese doch verständliche Bitte zu gewähren, obschon Ahmed ben Kaled dabei nur wenig tun konnte, um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn noch schlechter zu machen, als es schon war. „Laßt uns alle zusammen zu den Käfigen gehen", schlug er vor. „Ich besitze ein Falkenweibchen, das ich dem Oberhaupt der Mozärabes als Geschenk zugedacht habe, nachdem es fertig ausgebildet ist. Ich möchte gern Eure Meinung zu dem Tier hören, Ahmed. Und wenn Boabdil sich wieder an sein gutes Benehmen erinnert hat, kann er Euch vielleicht seinen Sperlingshabicht zeigen." In seiner wehenden schwarzseidenen, mit Gold und Edelsteinen bestickten Amtsrobe ging der Emir durch den Türbogen auf den Säulengang voraus. Höflich, wie Ahmed war, blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Einladung mit allen Anzeichen des Vergnügens anzunehmen. Er lächelte Boabdil zu, forderte ihn auf, neben ihm zu gehen und ihm etwas über seine Studien zu berichten. Der Junge sah nicht so aus, als würde ihm das große Freude bereiten; dennoch gehorchte er, und die beiden gingen einige Schritte hinter dem Emir her in Richtung Myrtenhof. Abul lauschte sozusagen nach hinten, um von der Unterhaltung etwas mitzubekommen, doch es lohnte sich kaum.
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Ahmed ben Kaled stellte Fragen, äußerte Ansichten und erhielt nur einsilbige Antworten. Boabdil ließ die einfachsten gesellschaftlichen Umgangsformen vermissen, verriet aber wenigstens weder absichtlich noch unabsichtlich irgendwelche unangenehmen Familiengeheimnisse. Beruhigt ließ Abul seine Gedanken abwandern und dachte an wesentlich Angenehmeres, nämlich an die von ihm geplante Reise zu einem hübschen Sommerpalast in den Hügeln an der See bei Motril. Er hatte entschieden, daß Sarita einen Szenenwechsel brauchte. Die Seeluft würde ihr die alte Munterkeit und ihren Wangen die Farbe zurückgeben. Er freute sich schon darauf, Sarita über sein Vorhaben zu informieren. Es machte ihm immer größte Freude, ihr Vergnügen zu bereiten und dann zu sehen, wie sie auf ihren nackten Füßen hüpfte, wie ihre Augen funkelten und wie sie vor Begeisterung lachte. Sie fuhr sich dann immer mit den Fingern durch ihre wilden Locken, stellte sich zu einem Kuß auf die Zehenspitzen und schmiegte sich an ihn ... Abul entdeckte sie, als er auf einen mit Oleanderbüschen gesäumten Pfad einbog. Ahmed ben Kaled sah sie im selben Augenblick. Sie saß auf einer Steinbank und hielt ihr Gesicht in die warme Morgensonne. Zwei verschleierte Frauen saßen zu ihren Seiten. Ahmed war zuerst schockiert. So eine Frau hatte er bisher noch nie gesehen. Obwohl sie ein durchaus herkömmliches bernsteinfarbenes Seidengewand unter einem leichten Umhang trug, war ihr Gesicht unverschleiert und den Blicken aller Vorbeikommenden kühn ausgesetzt. Ihr Haar, das in den Sonnenstrahlen zu flammen schien, umwehte ungebunden das kleine blasse Gesicht und die Schultern.
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Er erriet, wer sie war, noch bevor Abul die Hand zum Gruß erhob und die Frau sich zu den Herankommenden umdrehte. Dieses war also die Ungläubige, das Mädchen, das Muley Abul Hassan in einen Sumpf der Intrige gezogen hatte, welcher Ahmeds Ansicht nach das Ende des Emirs bedeutete. „Ihr besitzt eine christliche Konkubine, mein Emir?" fragte er in gespielter Verblüffung. Das Wort „Konkubine" hätte Abul selbst nicht benutzt. Weil ihm indessen kein anderes einfiel, das sein Gast verstanden hätte, zuckte er nur die Schultern. „Ist sie eine Sklavin oder eine Gefangene?" erkundigte sich Ahmed. „Sie ist eine Sklavin!" rief Boabdil mit deutlichem Abscheu in der Stimme. „Sie ist eine Sklavin meines Vaters, und wenn er genug von ihr hat, wird sie hinausgeworfen." Abuls Gesicht verfinsterte sich bedrohlich. „Wie kannst du es wagen, so zu reden!" Er sprach zu leise, als daß die Frauen es hätten hören können. Ahmed dagegen entging es nicht. Boabdil wich einen Schritt zurück, und diesmal war seine Angst nicht gespielt. „Meine ... meine Mutter hat das gesagt", stammelte er. „Sie sagt, sie wirft die Frau in die Bordelle der Stadt, wenn ... wenn ... " „Genug!" unterbrach Abul ihn scharf, wenn auch nicht mehr so heftig wie zuvor. Warum habe ich bisher nicht erkannt, wie Aisha wirklich auf Sarita reagiert? fragte er sich zornig auf sich selbst. Er hatte angenommen, die Anwesenheit der Christin wäre ihr weitgehend gleichgültig. Aishas Bösartigkeit hatte dagegen sol-
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che Formen angenommen, daß sie sogar mit dem Jungen darüber sprach. Sarita war inzwischen aufgestanden und kam ihnen jetzt entgegen. Abul sah, daß sie wieder barfuß war. Schuhe wies sie noch immer von sich, ausgenommen, es wäre sehr kalt. Er hatte es längst aufgegeben, ihr die weichen Sohlen der Al-hambra schmackhaft zu machen. Ihre Füße waren eben ein Bestandteil der Person, die er liebte. Jetztjedoch befürchtete er, Boabdil oder Ahmed ben Kaled könnten Kränkendes äußern. Das Gewand fiel in weichen Falten von der Raffung unterhalb der Brüste hinab und schien Saritas Zerbrechlichkeit zu unterstreichen, die Abul in der letzten Zeit an ihr bemerkt hatte. Sie sah aus, als würde der nächste Windhauch sie einfach davonwehen. Lächelnd begrüßte sie ihn in ihrem frisch gelernten Arabisch. „Mein Emir, ich entbiete Euch einen guten Morgen." Dann wandte sie sich an Boabdil und begrüßte ihn mit demselben Lächeln und derselben Formel. Der Junge starrte sie unverhohlen feindselig an, war aber nach seiner letzten Entgleisung vorsichtig genug, zu schweigen. Ahmed ben Kaled pflegte nicht mit Sklavinnen zu sprechen, ganz besonders nicht mit einer Ungläubigen, die sich so offenkundig über die für Frauen geltenden Regeln hinwegsetzte. Trotzdem konnte er nicht den Blick von ihr wenden und bekam langsam einen Eindruck von der Macht, die sie über den Emir haben mußte. „Aishas Onkel ist in seiner Eigenschaft als Botschafter ihres Vaters, des Oberhaupts der Mozärabes, gekommen", erklärte Abul 282
leise und hoffte, Sarita würde den Wink verstehen und einsehen, daß sie einander nicht offiziell vorgestellt werden konnten. Sie jedoch erwiderte Ahmeds Blick sehr direkt und mit einem eindeutig herausfordernden Lächeln. „Der Botschafter scheint ein wenig überrascht zu sein", bemerkte sie. „Ist Euch der Anblick von Frauen meiner Rasse nicht geläufig, Herr?" „Der Anblick von Frauen, die es an dem gebotenen Anstand fehlen lassen, ist mir nicht geläufig", stellte Ahmed ben Kaled richtig und wandte sich dabei an Abul. „An einem Ort, wo sich Männer frei umherbewegen, zeigen sich Frauen nicht auf diese Weise." Abul zuckte die Schultern. „Sarita tut es, und ich habe keine Einwände. Deshalb kommt es Euch, Ahmed ben Kaled, auch nicht zu, als Gast solche Einwände zu erheben." Diese Zurechtweisung kränkte den Gast, wie dessen Kritik zu vor den Gastgeber gekränkt hatte. Beide Männer waren jetzt beleidigt, und der Grund für diese Beleidigung stand zwischen ihnen und schaute sie teils interessiert, teils erheitert an, was nichts zur Beilegung der Mißlichkeit beitrug. Noch schlimmer fand es Abul, daß Boabdil das Geschehen mit für ihn ganz uncharakteristischer Spannung und offenem Mund verfolgte, damit ihm auch ja nichts entging. Sein Vater hatte sich der Unhöflichkeit gegenüber einem Gast und Verwandten schuldig gemacht, und das nur, um eine zu Recht getadelte Frau zu verteidigen. Der Junge freute sich schon darauf, seine Mutter nach Sonnenuntergang mit dieser großartigen Geschichte zu beglücken.
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Abul wurde mit einmal böse auf Sarita, obwohl er wußte, daß das unvernünftig war. Er beherrschte sich. „Wir haben deine Ruhe gestört", sagte er steif und förmlich. „Du wirst uns jetzt entschuldigen. Wir sind zu den Käfigen unterwegs." Wortlos trat Sarita zur Seite. Sie hatte schon genug Zeit in dieser Gesellschaft hier verbracht, um zu erkennen, was eben geschehen war und was es für Folgen haben würde. Sie gab sich selbst die Schuld daran. Sie hätte nicht auf Abul zugehen dürfen, nachdem sie gesehen hatte, daß ein Fremder bei ihm war. Ihr Fehler beruhte allein auf ihrer unsicheren Position hier. Sie selbst sah sich nicht als eine Frau der Alhambra, Abul behandelte sie auch nicht so, dennoch war sie in den Augen der Palastgemeinde und der Gesellschaft des Reichs von Granada nichts anderes. Ihr Herz begann auf eine Weise zu stolpern, die sie zu fürchten gelernt hatte. Sarita blieb still stehen, und ihr Herz scheinbar auch. Nach einer kleinen Ewigkeit schlug es wieder, und zwar in einem so jagendem Rhythmus, daß ihr der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Eisige Angst überfiel sie, und ihre Knie drohten nachzugeben. „Was ist Euch?" Kadiga eilte an ihre Seite. „Sarita, Euch geht es nicht gut. Warum wollt Ihr nicht den Arzt des Emirs zu Rate ziehen? Er ist ein sehr gebildeter Mann." Sarita war noch nicht fähig zu sprechen. Kadiga legte eine Arm um sie, stützte sie, fühlte das Beben, das ihre zarte Gestalt schüttelte, und sah Saritas blutleere Lippen. Es war immer dasselbe: Zuerst kamen die Krämpfe, dann die Übelkeit, und danach war Sarita scheinbar wieder ganz sie selbst, wenn auch ziemlich erschöpft. „Kommt zum Turm zurück", sagte Kadiga, als sie spürte, daß der Anfall vorbei war. „Erlaubt mir, daß ich nach dem Emir schicke." 284
„Nein", wehrte Sarita ab. „Es ist schon vorbei. Mir fehlt nichts, worüber es sich den Kopf zu zerbrechen lohnt." Sie wischte sich mit der Hand über die Stirn. „Vielleicht nehme ich auch nur etwas zu mir, das mir nicht bekommt." Kadiga wurde leichenblaß. Saritas Formulierung hatte sie auf einen schrecklichen Gedanken gebracht. Es war doch nicht möglich ... Tief in ihrem Innersten wußte Kadiga, daß es nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich war. Wenn ihr nur die Zeit bliebe, Saritas Verfall genau zu studieren, die Symptome genau zu untersuchen ... Kadiga, deren Mutter als Heilkundige bekannt gewesen war, besaß mehr als nur Laienwissen über Krankheiten, kam jedoch wegen ihrer niedrigen Stellung auf der Alhambra kaum dazu, dieses Wissen anzuwenden. Jetzt jedoch beschwor es die entsetzlichsten Schreckensvorstellungen herauf. „Kadiga, du bist ja käseweiß!" rief Sulema aus. „Bist du etwa auch krank?" Langsam schüttelte ihre Gefährtin den Kopf. „Nein. Nein, ich bin vollkommen gesund. Ich habe nur an etwas gedacht ... Kommt. Wir wollen zum Turm zurückkehren, und dann wird Sarita sich eine Weile hinlegen." Sarita war sehr erleichtert, sich auf der kühlen, winddurchfächelten Schlafgalerie auf dem Diwan ausstrecken zu können. Deshalb wehrte sie sich auch nicht dagegen, daß ihre beiden Dienerinnen sie ordentlich auskleideten und „richtig" zu Bett brachten. Eine tiefschwarze Decke der Schläfrigkeit schien sich über sie zu breiten; die Übelkeit und das unregelmäßige Schlagen ihres Herzens schienen darunter zu verschwinden. 285
„Ich bleibe bei Euch im Turm", erklärte Kadiga. „Wenn Ihr mich braucht - ich bin unten im Innenhof." Damit stieg sie die Treppe hinunter, und ihre einigermaßen ratlose Gefährtin folgte ihr nach. „Was hast du, Kadiga?" fragte Sulema unten angekommen sehr direkt. „Dir macht doch etwas Sorgen." Kadiga schüttelte den Kopf. „Es ist besser, wenn du es nicht weißt, Sulema." „Betrifft es Sarita?" Kadiga seufzte. „Ja, aber du solltest es trotzdem nicht wissen. Würdest du jetzt bitte in den Palast gehen und einen Jasmintee für Sarita zubereiten? Du weißt doch, wie sehr er sie immer erfrischt." Sulema schaute erst ein wenig störrisch drein, aber dann siegte ihre fügsame Natur. Wenn Kadiga über ihre Probleme nicht reden wollte, dann wäre es unhöflich von Sulema, weiter zu drängen. Also ging sie, den Tee zuzubereiten. Kadiga wanderte durch den hübschen Innenhof, biß sich auf die Lippe und zog an den Fingern, bis die Knöchel knackten. Falls sie mit ihrer schrecklichen Vermutung recht hatte, dann war sie selbst tief in die Vorgänge verstrickt, denn schließlich war sie diejenige, welche den unheilvollen Trank mischte und verabreichte. Sie ging zu einer Truhe, öffnete den kleinen Kasten, der darauf stand, und betrachtete den darin befindlichen Behälter aus Tierhaut. Wenn sie nur wüßte, woraus sich dessen Inhalt zusammensetzte! Und weshalb war sie so sicher, daß sich das Unheilvolle in diesem Behälter befand? Weil Sarita nichts sonst aß oder trank, das die anderen Frauen nicht auch zu sich nahmen. 286
Und wenn sich das Verderben tatsächlich in diesem Behälter befand, dann konnte es nur Aisha hineingetan haben. Genau das war es, was Kadiga am meisten angst machte. Sie konnte sich ohne weiteres vorstellen, daß die Erste Frau zu Bösem fähig war, nur beweisen konnte sie es nicht. Falls sie dem Emir ihre Geschichte vortrüge, müßte sie dessen Gattin offen beschuldigen. Falls sie dann keine Beweise hätte, könnte die Erste Frau ihrerseits Kadiga der Verleumdung bezichtigen und ihre Zunge verlangen. Eine solche Strafe sah das Gesetz für falsche Aussagen vor. Kadiga stieg die Treppe hinauf und schaute auf die Schlafende hinunter. Sarita war wachsbleich, atmete unregelmäßig und offenbar unter großen Mühen, und sie hatte zweifellos Schluckbeschwerden, wie an den krampfartigen Bewegungen des Kehlkopfes zu erkennen war. Kadiga hätte jetzt einfach die Arznei der Ersten Frau absetzen und Sarita ihren eigenen Trank eingeben können, aber ihr medizinisches Wissen sagte ihr, daß die Wirkung des Giftes zu weit fortgeschritten war, um durch bloßes Einstellen der Verabreichung rückgängig gemacht werden zu können. Wenn überhaupt noch etwas getan werden konnte, dann war Muhamad Alahma, der Arzt des Emirs, der einzige, der Rat wußte. Nur wie sollte sie ihm die Wahrheit sagen, ohne zu riskieren, daß ... Sarita griff sich an den Hals. Kadiga brachte es nicht über sich, dabeizustehen und zuzusehen, wie die kleine Herrin starb. Zwischen ihrem Gewissen und ihren Zweifeln hin-und hergerissen, rannte die Dienerin wieder in den Innenhof hinunter.
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Am Nachmittag begab sich Abul zum Turm. Er hatte sich zwar mit seinem Gast soweit ausgesöhnt, wie es die Höflichkeit und die Diplomatie erforderten, doch ihn plagten die Zweifel. War er tatsächlich der verliebte Tor, als den Ahmed ben Kaled ihn zweifellos betrachtete? Und sollte es den Emir überhaupt kümmern, was andere Leute von seinem Verhältnis zu Sarita dachten? Konnte er ein verantwortungsbewußter Herrscher sein, wenn er seine eigene Leidenschaft nicht zu beherrschen vermochte? Er nahm sich vor, diese Fragen zu klären, wenn er allein und in meditativer Stimmung war. Etwas weniger begeistert als sonst betrat er den Turm und begegnete dort Kadiga, die ihm ebenfalls reichlich niedergedrückt erschien. „Sarita schläft, Herr." Die Dienerin verneigte sich. Jetzt ist die Gelegenheit, zu sprechen, dachte sie. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Konnte sie ... durfte sie... würde sie es wagen... ? Noch während sie mit sich rang, stieg Abul die Treppe hoch und ließ Kadiga mit ihren Zweifeln einfach stehen. Oben angekommen, trat er neben Saritas Diwan. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster auf ihr Kopfkissen und ließ ihre wächserne Haut durchsichtig erscheinen. Abul, der Sarita seit Wochen nicht mehr schlafend gesehen hatte, betrachtete sie mit einem unguten Gefühl. „Sarita?" Er berührte sie an der Schulter. Ihre Haut war kalt und feucht, und er fühlte den Schulterknochen spitz in seiner Handfläche. „Sarita?" sagte Abul noch einmal und schüttelte sie ein wenig. Nur wenn sie die Augen aufschlug, nur wenn sie ihn anlächelte, würde sie seine plötzliche Angst vertreiben können.
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Ihre Lider zitterten ein wenig und öffneten sich. Minutenlang schien sie nichts zu erkennen. Sarita kämpfte darum, aus den Nebeln aufzutauchen, und als ihr Geist endlich in ihren Körper zurückfand, sah sie vor sich das geliebte Gesicht des Muley Abul Hassan. „Ihr seht bekümmert aus", stellte sie in einer ganz normalen Tonlage fest. „Es tut mir leid, daß ich euch Schwierigkeiten mit dem Onkel Eurer Gattin gemacht habe. Ich muß mich wirklich mehr bemühen, mich bei derartigen Gelegenheiten Euren Gebräuchen anzupassen." „Ist ja schon gut", sagte er, weil er so erleichtert war. Dabei hatte er ihr eigentlich einen kleinen Vortrag halten wollen. „Du hast sehr tief geschlafen, Liebste." „Scheint so." Sie setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Zu ihrem Erstaunen klebten die Strähnen feucht auf ihrer Haut. „Es ist sehr heiß heute, nicht wahr?" „Nicht wärmer als sonst auch", stellte Abul fest, setzte sich auf den Diwan und nahm ihre Hand in seine. „Ich glaube, du brauchst einen Szenenwechsel, Sarita. Es bekommt dir nicht, hinter Mauern eingesperrt zu sein. Deshalb fühlst du dich wahrscheinlich auch nicht so wohl." Sie lächelte. „Ja, tatsächlich, ich fühle mich seit ein paar Tagen wirklich nicht ganz wohl..." Seit ein paar Wochen, berichtigte sie sich im stillen, aber sie wollte sich nicht eingestehen, daß sie krank war. Die Angehörigen des Stammes Raphael litten höchstens an unwichtigen Kleinigkeiten. Wenn jetzt etwas mit ihr nicht in Ordnung war, dann hatte es ganz gewiß etwas mit den ihr ungewohnten gegenwärtigen Lebensumständen zu tun. „Aber es ist nichts Schlimmes, Abul."
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„Sicher nicht", stimmte er zu. „Höre, ich habe eine Überraschung für dich." Wie er es erwartet hatte, leuchteten ihre Augen auf. „Ich liebe Überraschungen!" „Würdest du gern einmal an die See reisen?" „Mehr als alles andere!" Sie legte die Hände fest in ihrem Schoß zusammen. „Wann ... wie ... wohin ... für wie lange?" „Ich besitze einen kleinen Palast in den Bergen oberhalb von Motril. Wir können morgen aufbrechen, sobald die Abordnung der Mozarabes abgereist ist." Morgen ... Plötzlich wurde sich Sarita ihrer Schwäche bewußt. Wie konnte sie hoffen, einen solchen Ritt durchzustehen? Sie wandte das Gesicht ab und schaute aus dem Fenster zu den Bergen hinaus. „Das wäre sicher wunderbar, Abul." Ihr mangelnder Enthusiasmus enttäuschte ihn. „Wir brauchen ja nicht zu reisen, wenn du es nicht möchtest." „Selbstverständlich möchte ich." Ihrer Stimme war die Verzweiflung über ihre eigene Schwäche anzuhören. Könnte sie vielleicht um eine Sänfte bitten? Nein, dann müßte sie ja zugeben, daß sie invalide war, und das war sie nicht nur ein bißchen müde, weil sie zu lange am selben Ort gewesen war, wie Abul gesagt hatte. Selbstverständlich würde sie reiten können. Die Vorfreude, die Spannung und die Aufregung würden sie schon kräftigen. „Es wird wundervoll sein", sagte sie schnell und mit Nachdruck. Sie streckte die Arme aus und zog Abul zu sich herunter. „Wißt 290
Ihr eigentlich, wie sehr ich Euch liebe, mein Emir? Wir werden uns am Strand und im Meer lieben. Habt Ihr schon einmal im Meer geliebt?" Sie tupfte mit der Zungenspitze gegen seine Wange. „Das wäre doch einmal etwas Besonderes, so ganz anders als in Euren Bädern, doch mit vielen ähnlichen Empfindungen verbunden... " „Nein", antwortete er liebevoll lächelnd. „Nein, im Meer habe ich es noch nicht getan. Meinst du nicht aber, daß das Wasser im Februar ein bißchen kalt ist? Ich denke da insbesondere an die schrumpfende Wirkung." Er hob eine Augenbraue und wartete auf Saritas Lachen. Sie brachte immerhin ein Lächeln zustande. „Richtig, daran hatte ich nicht gedacht. Doch unter der Sonne, im Sand und im Gras, da werden wir neue Dinge ausprobieren, ja." „Wir werden einander viele neue Freuden lehren, Sarita, meine Liebste." Er zog sie in die Arme. Ihn erfüllte eine große Angst, denn er spürte, daß ihr Körper nicht den erregenden Versprechungen folgte, die sie mit den Lippen machte ... und mit der Seele.
16. KAPITEL „Hier ist die Antwort auf die Botschaft meines Vaters." Aisha bestreute das Pergament mit Sand, rollte es zusammen und übergab es der wartenden Nafissa. „Stelle sicher, daß dich niemand beobachtet."
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Was denkt sie denn? fragte sich Nafissa ärgerlich, verneigte sich jedoch unterwürfig wie immer. Meint sie vielleicht, ich wäre dumm genug, mich in einer solchen Mission erwischen zu lassen? Verrat innerhalb der Alhambra zu unterstützen, bedeutete den sicheren Tod, auch wenn ein Sklave oder Diener nur Befehle befolgte und wenn die Nichtbefolgung ebenfalls schwerwiegende Konsequenzen haben würde. Nachdem Nafissa auf leisen Sohlen aus dem Gemach geschlüpft war, trat Aisha ans Fenster. Der Vollmond strahlte silberhell. Anders als das goldene Mondlicht des Sommers schien er jetzt die Nacht noch kälter zu machen und die schneebedeckten Berggipfel näher heranzuholen. In der Palastanlage war alles ruhig. Nur die Wachleute auf den Wehrgängen und in der Alcazaba führten ihren Dienst aus. Ahmed ben Kaled und sein Gefolge schliefen jetzt, es sei denn, sie verbrachten die Nacht in den Armen der Huris von der Alhambra. Solche Vergnügungen standen den Gästen großzügig zur Verfügung. Und Abul - lag er auch in den Armen seiner Huri? Nun, lange jedenfalls nicht mehr, dachte Aisha. Boabdil hatte ihr von dem Ereignis des heutigen Morgens erzählt, und ihr Onkel hatte ihr sein Mißfallen über die Begegnung angedeutet. Aisha wußte, daß dieser Zwischenfall nur Dünger auf den bestellten Boden war, aus dem bald die Feindschaft sprießen würde. Ihr Vater würde Ahmed ben Kaled sehr genau zuhören. Aisha triumphierte. Selbstverständlich war es noch viel zu früh, um Siege zu feiern, aber ein bißchen phantasieren durfte man ja wohl. Im Turm lag Abul neben Sarita. Nachdem sie lange neben ihm wachgelegen hatte, schlief sie jetzt anscheinend. Er legte ihr eine 292
Hand auf die Hüfte und spürte keinerlei Reaktion, nicht einmal das unwillkürliche Zittern unter der Haut, das seine Berührungen sonst immer ausgelöst hatten. Er war zutiefst deprimiert, und sein Körper sehnte sich nach Erfüllung, als hätte er in den vergangenen Stunden des Liebesspiels keine Befriedigung gefunden. Aber Erfüllung war eben etwas anderes als nur körperliche Befriedigung. O ja, Sarita hatte versucht, ihn davon zu überzeugen, daß sie die Freuden der Liebe mit ihm teilte. Sie hatte sich so bewegt wie immer, hatte die gleichen kleinen Schreie ausgestoßen, die ihn immer so entzückten, und ihr Körper hatte sich fest um ihn geschlossen. Dennoch war alles nur reine Täuschung gewesen, das hatte er genau gespürt. Er hatte sie gewähren lassen, hatte sogar mitgespielt, und jetzt verachtete er sich selbst dafür. Er hätte ihr sagen müssen, sie sollte keine Erregung vorgeben, wenn sie gar nicht in Stimmung für die Liebe war. Körperliche Freude vorzugeben, war die tiefste Beleidigung, die eine Frau einem Mann antun konnte. Die Frage war jedoch: Weshalb war Sarita nicht in Stimmung gewesen? Erst hatte er gedacht, sie wäre möglicherweise unzufrieden mit ihm, doch hinterher hatte sie ihn so liebevoll gestreichelt und ihn geküßt, und dieser Kuß hatte eine unbeschreibliche Traurigkeit ausgedrückt. Es hatte Abul erzürnt, daß sie ihm anscheinend nicht die Wahrheit anvertrauen wollte, doch er hatte sich seinen Zorn nicht anmerken lassen, und schließlich war sie eingeschlafen. Nun lag er wach und fragte sich, wie diese Falschheit in die Liebe gekommen war, die er für so echt und so dauerhaft gehalten hatte.
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Um die Schläferin nicht zu stören, schlüpfte er vorsichtig aus dem Bett und kleidete sich im Mondlicht an. Er kehrte in seine eigenen Gemächer zurück und erlebte zum erstenmal seit Beginn ihrer Liebe einen Tagesanbruch allein. Sarita erwachte mit dem ersten Hahnenschrei. Sie tastete neben sich und stellte fest, daß der Platz leer war. Erschrok-ken setzte sie sich auf und rief nach Abul. Es blieb alles still im Turm. Sie war allein. Weshalb hatte er sie ohne jedes Wort verlassen? Sie legte sich wieder in die Kissen zurück und erinnerte sich an die böse Täuschung. Natürlich hatte sie Abul nicht tatsächlich täuschen können, das wußte sie. Sie hatten beide den Betrug fortgesetzt, die Körper hatten die richtigen Bewegungen vollführt, aber er und sie hatten im Augenblick des Höhepunktes den Blick abgewendet. Weshalb hatte sie geheuchelt? Es wäre doch so einfach gewesen, zu sagen, sie sei müde. Abul hätte darin keine Zurückweisung gesehen. Nur - warum war sie zu müde für die Liebe? Trug sie irgendeine böse Fäule in sich, welche sie von innen zerfraß? War sie wirklich ernsthaft krank? Bis jetzt hatte sie sich gegen die Symptome gewehrt, indem sie sie einfach nicht zur Kenntnis genommen hatte. Sie wußte indessen, daß sie das nicht länger durchhalten konnte. Sie wollte tief Luft holen, aber der Klumpen in ihrer Kehle schien anzuschwellen und ihr die Atemluft abzuschneiden. Sie schluckte heftig und krampfhaft. Eine Minute lang hatte sie das schreckliche Gefühl, zu ertrinken. Tränen traten ihr in die Augen, rannen ihr die Wangen hinunter und tropften auf das Kopfkissen.
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Daß sich die Tür zum Innenhof öffnete, hörte sie nicht, und sie sah Kadiga erst, als diese mit ängstlichem Gesicht neben dem Diwan stand. „Du hast mich erschreckt." Sarita versuchte, sich hastig die Tränen abzuwischen, bevor die Dienerin sie bemerkte. „Es tut mir leid", entschuldigte sich Kadiga. „Ich hätte Euch nicht stören wollen, wenn der Herr noch bei Euch gewesen wäre." Bei diesen Worten flossen Saritas Tränen wieder. Sie rang um Atem, als sich ihre Nase verstopfte und sie ihren Speichel nicht schlucken konnte. Kadiga zog sie in eine sitzende Position und klopfte ihr auf den Rücken, bis der Erstickungsanfall vorüber war. Erschöpft sank Sarita danach wieder auf das Polster zurück. Voller Todesangst blickte sie Kadiga an. „Was ist nur mit mir Kadiga? Ich muß sterben, das fühle ich." Kadiga schüttelte den Kopf. Ihr Wissen um die Wahrheit machte sie stumm. Unvermittelt drehte sie sich um und rannte die Treppe hinunter und zum Turm hinaus. Sie eilte den Zypressenpfad entlang, um den Myrtenhof herum und in die Prunkkammer, den Vorraum zu den Privatgemächern des Emirs. Hier blieb sie stehen, denn sie sah sich drei Bewaffneten gegenüber. Bevor sie jedoch ihren Mut verlor, zog sie sich den Schleier vors Gesicht, senkte den Blick und trat vor. „Was hast du hier zu schaffen, Frau?" „Ich habe dem Emir ein dringendes Anliegen vorzutragen. Es ist unbedingt erforderlich, daß ich ihn sofort spreche."
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Einer der Soldaten winkte ab. „Er verabschiedet sich gerade in der Alcazaba von seinen Gästen. Wenn du mit ihm sprechen willst, dann trage ihm dein Anliegen während der Gerichtsstunden im Mexuar vor." Nun, versucht habe ich es wenigstens, dachte Kadiga und wollte schon gehen, doch dann sah sie Saritas Augen vor sich, und sie blieb wieder stehen. „Ich werde hier auf den Emir warten", erklärte sie entschlossen, worauf der Soldat sie energisch daraufhinwies, daß Sklaven hier nichts zu suchen hätten und daß der Emir Personen ihres Standes keine Privataudienzen gäbe. „Ich bin eine Dienerin, und Sarita ist meine Herrin", stellte Kadiga nachdrücklich fest. „Der Emir wird mir eine Audienz gewähren." Bevor man sie noch aus der Kammer drängen konnte, ließ sie sich mit gekreuzten Beinen auf dem Boden nieder, lehnte sich an eine Säule, legte die Hände in den Schoß und senkte den Blick. Kadiga war entschlossen, zu warten. Die drei Wachleute schauten sich einmal kurz an und zuckten dann die Schultern. Für die Gefangene im Turm galten meistens ohnehin Ausnahmeregeln, und davon abgesehen hatte der Emir gewöhnlich ein offenes Ohr für die Kümmernisse seiner Untergebenen. Und so kam es, daß Muley Abul Hassan, als er schlechtgestimmt zu seinen Privatgemächern zurückkehrte, um sich auf die Geschäfte des Tages vorzubereiten, dort die regungslose, dunkelgekleidete Kadiga im Vorraum unübersehbar am Boden sitzend vorfand. Sobald er eingetreten war, sprang sie auf und trat vor. „Herr, ich bitte Euch ... "
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„Diese Dienerin behauptet, ein privates Anliegen an Euch zu haben, Herr", unterbrach sie einer der Wachleute in sehr amtlicher Tonlage. „Sie sagt, es handele sich um die Dame im Turm, und wir hielten es für richtig, die Frau hier warten zu lassen. Falls Ihr wünscht, daß wir sie entfernen ... " Abul winkte ab und betrachtete Kadiga, die ihn entschlossen anblickte. „Komm mit hinein", sagte er leise und ging zu seinem Gemach voraus. Kadiga folgte ihm, und die Wachleute schlossen die Tür hinter ihr. Abul trat an einen Tisch, auf dem eine Karaffe und ein Becher standen. Er schenkte sich den Becher voll, trank und drehte sich dann zu der schweigenden Frau um. „Welches ist also dein Anliegen an mich, Kadiga?" Sein sanfter Ton, sein ruhiger Blick machten ihr Mut. „Ich fürchte mich davor, zu sprechen, Herr, doch schweigen kann ich auch nicht mehr." „Du brauchst dich nicht zu fürchten." Er stellte den Becher auf den Tisch zurück. „Was in diesem Raum gesprochen wird, bleibt unter uns. Was mußt du mir über deine Herrin Sarita berichten?" „Ich glaube ... ich glaube ... Herr, ich glaube, sie hat etwas Schädliches zu sich genommen." Kadigas Knie zitterten, und ihre Hände wurden feucht. Jetzt war es gesagt; jetzt hatte sie ihr eigenes Todesurteil gesprochen und sich der Gnade des Emirs ausgeliefert. Abul schwieg sehr lange. „Weißt du, wann Sarita diese schädliche Substanz geschluckt hat?" fragte er dann. „Regelmäßig, viele Wochen lang, glaube ich, Herr."
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Eiseskälte drang ihm bis ins Mark. „Weißt du auch, wie es ihr eingegeben wurde?" Kadiga mußte sich erst die Lippen befeuchten. „Ich habe es ihr eingegeben, Herr." Abul mißverstand das nicht. „Wie kam das, Kadiga?" Kadigas Knie gaben endgültig nach, und plötzlich kauerte sie auf dem seidenen Teppich. Ihr Kopf war gebeugt und ihr Körper zusammengekrümmt. Sie versuchte, ihre Angst vor Aisha zu bewältigen. „Fürchte dich nicht. Komm." An den Händen zog Abul sie wieder in die Höhe. „Du brauchst nicht auf dem Boden zu hocken." Er schob sie zum Diwan. „Setz dich." Kadiga gehorchte. „Jetzt wollten wir die Dinge beim Namen nennen", sagte Abul. „Du sprichst von Gift, richtig?" Kadiga nickte langsam. „Und du hast es ihr unwissentlich gegeben?" Wieder nickte Kadiga. „Worin war es enthalten?" Kadiga sah den Henker mit seinem Schwert. Sie sah die Eisenfesseln. Sie roch das Pechfeuer und hörte das erregte Murmeln der Menge. Sie schüttelte den Kopf; sie konnte nicht antworten.
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„Wenn du mir das nicht sagen willst, weshalb wolltest du mir dann überhaupt etwas sagen?" Abul blieb geduldig, obwohl er das Zögern der Frau nicht ganz verstand. „Weil ich glaube, sie wird sterben, falls der Arzt ihr nicht helfen kann", schluchzte Kadiga auf. „Das Gift hat schon ihren ganzen Körper durchdrungen, und mir ist nichts bekannt, das ihr jetzt noch helfen könnte. Aber vielleicht kennt Muhamad Alahma ja das Geheimnis." „Wie soll er wissen, ob er ein Gegenmittel kennt, wenn du nicht sagen willst, worin das Gift enthalten war?" Seiner Stimme war die Panik, die fiebrige Ungeduld nicht anzuhören, die ihn quälte, wenn er daran dachte, daß Saritas Leben seinem Ende zuging, während er hier Kadiga verhörte. „Sprich endlich!" befahl er, ohne sich länger zu beherrschen. „Ich glaube, das Gift ist in dem Trank enthalten, den sie zur Empfängnisverhütung einnimmt." „Und diesen Trank mischst du?" Kadiga nickte. „Aus einer Arzneipaste, die ich von der ..." Der Mut verließ sie. „Sie wird mich der falschen Anschuldigung bezichtigen", jammerte sie. „Man wird mir die Zunge herausschneiden ..." „Beruhige dich." Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Dich wird niemand bezichtigen. Ich sagte dir doch, was hier gesprochen wird, bleibt unter uns und wird dir später auch nicht vorgeworfen." Kadiga schluchzte und weinte inzwischen laut. Abul trat durch die Tür auf den Säulengang hinauf und atmete tief die kühlende
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Morgenluft ein. „Du sprichst von der Herrin Aisha nicht wahr?" fragte er über die Schulter hinweg. Kadiga nickte und weinte weiter. „Und du glaubst, Sarita hat dieses Gift über mehrere Wochen hinweg eingenommen?" Wieder nickte Kadiga. „Die Wirkung trat langsam und unauffällig ein, Herr. Aber ich glaube, inzwischen hat sie sich ..." „Ich weiß, wie sich das Gift inzwischen ausgewirkt hat", unterbrach Abul die Dienerin überraschend schroff. Er war ärgerlich auf sich selbst. Wieso hatte er das schleichende Übel nicht selbst bemerkt? Wieso hatte er Saritas wegwerfende Bemerkungen über ihren Zustand einfach geglaubt? „Ist es deines Wissens üblich, daß Gifte dergestalt wirken?" „Jedenfalls trifft das auf einige zu, Herr. Meine Kenntnisse sind leider zu gering. Muhamad Alahma ... " „Ja, wenn es überhaupt jemand weiß, dann er. Laß mich jetzt allein. Geh durch den Säulengang. Kehre zum Turm zurück und pflege Sarita. Überlasse alles andere mir." Kadiga stand auf und ging auf den Säulengang hinaus, wo Abul noch immer stand. „Du hast nichts zu befürchten", sagte er. „Die beschützende Macht eines Emirs ist nicht unbedeutend, und seine Macht, zu belohnen, erst recht nicht." Mit tränenverschleierten, aber nicht mehr ängstlichen Augen schaute Kadiga zu ihm auf. „Ja, Herr", sagte sie nur und eilte zurück zu Saritas Turm. Verzweiflung und tiefe Hoffnungslosigkeit drohten Abul zu überwältigen. Sarita befand sich im festen Griff des Gifts, und er 300
hatte genug gehört und gesehen, um das Schlimmste zu befürchten. Das Schlimmste durfte aber nicht eintreten. Er durfte Sarita nicht verlieren. Das wollte er auf gar keinen Fall zulassen. Er ging in das Gemach zurück und öffnete die Tür zum Vorraum. „Schickt sofort nach Muhamad Alahma. Er soll mich hier erwarten." Die erschrockenen Wachmänner schauten ihrem Emir nach, der in ungewohnter Hast aus der Prunkkammer eilte. Abul erreichte den Turm und trat sofort ein. Als er den Innenhof durchquerte, erschien Kadiga oben auf der Treppe. Er winkt das Mädchen zu sich herunter. „Geht es ihr schlechter?" erkundigte er sich so leise, daß Sarita es oben nicht hören konnte. Als Kadiga nickte, sagte er: „Sie darf nur wissen, daß sie wieder gesund werden kann und wird. Ist das klar?" „Ja, Herr." Kadiga hatte sich offenbar wieder in der Hand. „Nur hat Sulema so ein weiches Herz, und ich weiß nicht recht ob sie ..." „Wenn Sulema die Fassade nicht aufrechterhalten kann, dann soll sie sich fernhalten", bestimmte Abul flüsternd. „Du wirst ihr die Dinge so erklären, wie du es für richtig hältst. Von jetzt an werden nur ich, Muhamad Alahma, du und Sule-ma Zutritt zu Sarita haben. Und Sulema natürlich nur, falls du meinst, daß man ihr trauen kann." „Trauen kann man ihr auf jeden Fall, Herr. Wenn sie die Kraft dazu aufbringt, gibt es keine bessere Krankenpflegerin als sie." „Gut." Er nickte und ging zur Treppe. 301
„Abul?" Saritas Stimme klang schwach und zittrig. „Ich glaubte, Euch gehört zu haben." Sie versuchte, sich aufzusetzen und zu lächeln. „Ich bin noch im Bett, wie Ihr seht. Ist das nicht eine rechte Schande?" „Nicht im geringsten", antwortete er. „Du wirst noch eine ganze Weile im Bett bleiben, Liebste." „Aber wir wollten doch nach Motril reisen", protestierte sie und hatte Mühe, richtig zu atmen. „Alles zu seiner Zeit." Abul setzte sich auf die Diwankante und zog Sarita gegen seine Schulter. „Kadiga, bringe ihr ein Gewand und Pantoffeln." Sarita lehnte sich an seine Schulter und war zu verwirrt und zu schwach, um sich darüber zu wundern, daß Abul und Kadi-ga sie gemeinsam ankleideten. Kadiga zog ihr die weichen Schuhe an; Abul streifte ihr das Gewand über, hob sie sich dann auf die Arme und trug sie zur Treppe. „Wohin gehen wir?" fragte sie. „Zu meinen Gemächern, wo ich dich im Blick behalten kann", antwortete er. „Und wenn du wieder ganz gesund bist, mein Kind, dann werden wir beide einmal ein sehr ernstes und wahrscheinlich auch unerfreuliches Gespräch zum Thema Aufrichtigkeit führen. Du hast mir einiges vorenthalten, und das mißfällt mir erheblich." Sarita schmiegte sich in seine Arme. Seine Worte und sein Ton beruhigten sie merkwürdigerweise. Falls sie sterben müßte, würde Abul ganz gewiß nicht so mir ihr reden. „Ich werde doch wieder gesund, nicht wahr, Abul?"
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Er blickte sie an. In ihren Augen standen Schmerz und Furcht, aber auch Vertrauen, und dieses Vertrauen war die einzige Waffe, die er besaß, um gegen das Gift anzutreten. „Was soll dieser Unsinn, Sarita? Warum solltest du denn nicht wieder gesund werden? Du bist geschwächt, weil du dir wahrscheinlich eine Infektion zugezogen hast. Muhamad Alahma wird dich behandeln, und du wirst dich gesundschläfen. Hättest du mir früher gesagt, daß du dich nicht wohl fühlst, hätte es nicht soweit kommen müssen." „Ich bin einfach nicht daran gewöhnt, mich unwohl zu fühlen. Ich dachte, die Unpäßlichkeit würde von allein wieder verschwinden. Seid mir doch nicht so böse." Er lächelte auf sie hinunter, und sein Herz krampfte sich vor lauter Liebe und Angst zusammen. „Ich bin nur ein ganz klein wenig böse, und du kannst dir meine Vergebung verdienen, indem du die Anweisungen des Arztes ganz genau befolgst und rasch gesund wirst." Er hob sie ein weniger höher und strich mit den Lippen über ihre Stirn. Sein Mut sank, als er ihre kalte, feuchte Haut fühlte. Muhamad Alahma wartete schon im Vorraum, als der Emir mit seiner Bürde auf den Armen und Kadiga im Gefolge in seinen Gemächern eintraf. „Edler Emir." Der ehrenwerte Arzt verneigte sich so tief, daß sein Bart beinahe den Boden berührte. „Wie kann ich Euch von Diensten sein?" „Kommt mit hinein, und ich werde es Euch erklären." Abul trug Sarita in sein eigenes Schlafgemach und legte sie auf den Diwan.
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„Bleibe bei ihr, während ich mit dem Arzt rede", wies er Kadiga an. „Er wird danach noch Fragen an dich haben." „Warum sollte er Kadiga befragen, wenn ..." Sarita unterbrach sich und schloß die Augen, als sie dieses entsetzliche Jagen ihres Herzens wieder einsetzte. Abul sah, wie ihr schon so zerbrechlicher Körper damit zu kämpfen hatte. „Kannst du ihr denn nicht helfen?" fragte er Kadiga. Das Mädchen schüttelte den Kopf und biß sich auf die Lippe. Es beugte sich über Sarita und hob ihre Schultern ein wenig hoch. „Was hat sie eingenommen?" erkundigte sich der Arzt, der neben den Diwan getreten war und Sarita nun mit geschultem Blick beobachtete. „Das wissen wir nicht." Abul bedeutete dem Arzt, sich aus dem Schlafgemach zu begeben. „Ich werde Euch gleich sagen, was uns bekannt ist." Kurz darauf hörte sich der Arzt den Bericht des Emirs ernst und schweigend an. Danach ließ er sich von Kadiga die Symptome im einzelnen schildern. „Hast du die Arznei noch, in der das Gift enthalten ist?" Kadiga hatte sie vorausschauend aus dem Turm mitgebracht und reichte dem Arzt jetzt den Behälter aus Tierhaut. Muhamad Alahma leerte den Einhalt in eine Lackschale. Er roch daran, stocherte mit einem kleinen Spatel darin herum, hielt die klebrig Masse ans Licht und schüttelte dann den Kopf. „Anzusehen vermag ich diesem Zeug hier nichts, Herr. Allerdings darf ich Euch sagen, daß mir immerhin gewisse Gifte bekannt sind, bei denen nur wenig Hoffnung auf Genesung besteht, 304
wenn ihre Wirkung erst einmal ein bestimmtes Stadium erreicht hat." Die eiskalte Angst drückte Abul das Herz ab. „Ihr müßt unbedingt etwas tun!" sagte er heftig. „Ich will einfach nicht glauben, daß es hoffnungslos ist. Ihr müßt doch irgendein Gegenmittel kennen!" Muhamad Alahma zupfte sich so lange bedächtig schweigend am Bart, bis Abul schon drauf und dran war, den alten Mann bei den Schultern zu packen und eine Antwort aus ihm herauszuschütteln. Endlich äußerte sich der Arzt. „Für manche Gifte gibt es durchaus Gegengifte. Um jedoch das richtige Gegengift zu bestimmen, müßte mir zunächst einmal das verabreichte Gift bekannt sein. Nennt mir seinen Namen, mein Emir, und vielleicht kann ich dann etwas tun." Abul schwieg. Es gab nur eine Person, die ihm sagen konnte, was Sarita eingegeben worden war. Also mußte er ohne lange Überlegung, ohne Vorausplanung und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen sofort handeln. „Ihr sollt den Namen des Gifts erfahren", sagte er. Er schickte nach dem Wesir, der die präzisen Anweisungen unbewegt entgegennahm: Eine Abteilung Bewaffneter hatte sich in das Frauenhaus zu begeben, die Erste Frau festzunehmen und sie in den Mexuar zu bringen. Die Ankunft der Soldaten beim Frauenhaus wurde von einer aufgeregten Dienerin gemeldet, welche die Männer vom Innenbalkon aus durch den darunter befindlichen Saal auf die Treppe hatte zugehen sehen.
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Die Damen stellten ihr Plaudern und ihre anderen Beschäftigungen ein, bedeckten hastig ihr Gesicht und sahen einander ängstlich an. Ein solcher Besuch war etwas noch nie Dagewesenes. Der Emir und gelegentlich auch der Wesir waren die einzigen Männer, die den Harem betreten durften. Furchtsam zogen sich die Frauen zu den Wänden zurück, als die mit Krummsäbeln bewaffneten und behelmten Soldaten in den Salon hereinmarschiert kamen. „Wo ist Aisha?" fragte der befehlshabende Offizier mit schnarrender Stimme. Zuerst begegnete ihm nur tiefes Schweigen. Dann antwortete eine der Frauen zögernd: „Die Herrin ist heute morgen noch nicht aus ihren Gemächern herausgekommen. Es ist ja auch noch früh am Tag." Der Offizier wandte sich an eine in der Ecke stehende Dienerin. „Führe uns zu den Gemächern der Ersten Frau." Das Mädchen gehorchte, eilte voraus durch einen Korridor und deutete dann schweigend auf eine Tür. „Melde uns an", befahl der Offizier, dem es trotz seiner Anweisungen widerstrebte, in die Privatgemächer einer Dame einzudringen. Die Tür öffnete sich jedoch, bevor die Dienerin anklopfen konnte, und die verhüllte und verschleierte Nafissa stand im Türrahmen. „Wir haben ein Anliegen an die Herrin Aisha", sagte der Offizier kurz. „Tritt zur Seite." „Wer ist da, Nafissa?" fragte Aisha von innen her. Die männliche Stimme vor ihrer Tür erstaunte sie.
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„Soldaten, Herrin." Nafissa trat zurück. Ihre Lippen zitterten vor Angst. Aisha überlief es eiskalt. Was war geschehen? Wer oder was hatte sie verraten? „Was wollt ihr von mir?" Ihre Tonlage deutete an, daß sie über das Eindringen empört war. „Der Emir hat uns befohlen, Euch zum Mexuar zu bringen", antwortete der Offizier vollkommen ausdruckslos. Er nickte zweien seiner Männer zu, worauf diese zu Aisha traten und sie rechts und links an den Armen festhielten. Aisha schrie wütend auf und versuchte sich zu befreien. Das beeindruckte den Offizier nicht; er führte nur einen ihm vom Emir erteilten, präzisen Befehl aus. Er machte kehrt, verließ das Gemach, und die Soldaten folgten ihm mit der kreischenden und sich wehrenden Ersten Frau. Aisha stellte ihre Gegenwehr ein, sobald sie in den sonnendurchfluteten Löwenhof gebracht wurde, denn ihr war klargeworden, daß ihre heftigen Proteste ihre eigene Würde beeinträchtigten. Also richtete sie sich stolz auf und schritt zwischen den Wachleuten voran, während sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Was konnte Abul veranlaßt haben, sie öffentlich zu demütigen? Hatte er ihren Brief an ihren Vater abgefangen? In diesem Fall wäre er doch sicherlich anders, nicht öffentlich gegen sie vorgegangen. Im übrigen hatte sie es sorgfältig vermieden, in ihrem Schreiben etwas wirklich Belastendes zu äußern. Sie hatte nur erwähnt, sie befürchtete, der Emir könnte durch seine Leidenschaft für seine neue Konkubine in seiner Macht geschwächt werden. Das konnte man sogar als aufrichtige Sorge um ihren Gatten auslegen ...
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Als sie in den Mexuar geführt wurde, saß Abul in dem leeren Saal auf dem Thron der Gerechtigkeit. Er sah so steinern wie eine Skulptur aus und verriet keinerlei Empfindungen. Die Soldaten brachten Aisha vor den Thron, ließen sie dann auf einen Wink des Emirs hin los und traten zurück. „Nenne mir den Namen des Giftes, das du Sarita eingegeben hast." Dieser Befehl wurde mit einer leisen, kalten und ausdruckslosen Stimme ausgesprochen, die Abul nicht zu gehören schien. Aisha war erleichtert. Das war es also! Nun, es gab keine Beweise, sie mit dem Verfall der Spanierin in Verbindung zu bringen. Niemand wußte etwas davon, nicht einmal Nafissa. Wenn sie, Aisha, also standfest leugnete, dann konnte man sie auch nicht anklagen. Und unterdessen lag die Christin im Sterben ... „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, mein Emir", sagte sie mit stiller Würde. „Ferner verstehe ich nicht, was ich verbrochen haben sollte, daß Ihr mich so schmachvoll behandelt." „Nein?" fragte er leise. „Das verstehst du nicht, Aisha? Dann laß es mich dir erklären. Seit vielen Wochen hast du Sarita mit einer Arznei vergiftet, die du für sie zur Empfängnisverhütung gemischt hast." Wie hatte er das erraten? Eine Vermutung war allerdings noch kein Beweis. Aisha blickte Abul in die Augen. „Wenn ich also dessen beschuldigt werde, dann verlange ich, meinem Ankläger gegenübergestellt zu werden, damit ich mir seine Beweise für solche Anklage anhören kann."
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Bedächtig streckte Abul den rechten Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf sie. „Du stehst vor deinem Ankläger. Ich und nur ich allein trage diese Klage vor." Was hatte das zu bedeuten? Aisha biß sich auf die Lippe. Abul wußte doch ganz genau, daß er sie nicht ohne beweisbare Gründe beschuldigen konnte, und er hatte doch nichts außer seinen Vermutungen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich leugne diese Beschuldigung, mein Emir, und ich bitte um die behaupteten Beweise." Abul erhob sich von seinem Thronsessel. „Nenne mir den Namen des Gifts, Aisha!" Aisha hatte plötzlich den Eindruck, als wäre dies nicht mehr der Abul, den sie kannte, der Mann, dessen Körper sie erfreut hatte, der Mann, dem sie einen Sohn geboren hatte, der Mann, den sie mit Leichtigkeit durch die richtige Mischung von Geschick und Täuschung besiegen zu können geglaubt hatte. Der Mann, der vor ihr stand, war ein Rachegott, ein mächtiger, mitleidloser Gott, der seinen Befehl mit kalter, unbewegter, fester Stimme wiederholte. Aisha wiederholte ihrerseits die Zurückweisung der Beschuldigung, weil sie dachte, nur so könnte sie den Rachegott seine Macht berauben. Abul sah sie an, und für einen entsetzlichen Moment war es ihr, als beraubte er sie mit seinem Blick aller menschlichen Würde, als verwandelte er sie in einen seelenlosen Klumpen Fleisch. Sie zitterte vor Angst wie noch nie zuvor.
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„Bringt sie in die Alcazaba", befahl der Emir den Soldaten völlig ungerührt. „Stellt den Namen des Gifts fest und nennt ihn mir. Ich bin ausschließlich an der Geschwindigkeit interessiert, mit der ihr ihrem Gedächtnis nachhelft." Damit drehte er sich um und schritt aus dem Gerichtssaal. Aishas Aufschrei folgte ihm. Die Soldaten schleppten sie aus dem Mexuar direkt zur Festung. Aisha schrie jetzt nicht mehr; sie war vor Angst und Schrecken gelähmt. In den Tiefen der Alcazaba, in dem dumpfen Gewölbe, das von stinkenden Pechfackeln beleuchtet wurde, zeigte man ihr, was für Mittel zur Verfügung standen, um dem Gedächtnis nachzuhelfen, und da kreischte sie wieder wie ein Tier in Todesangst. Als man sie dann auf den Steintisch schnallte, schrie sie den Namen des Giftes immer und immer wieder. Sicherheitshalber wandte man die Bastonade an, doch als sie unausgesetzt immer denselben Namen wie eine Beschwörungsformel ausrief, stellte man die Schläge auf die Fußsohlen ein. Man ließ Aisha auf dem Tisch angeschnallt zurück. Der Offizier eilte davon, um dem Emir den Namen zu nennen. Seit Abul den Soldaten den Befehl erteilt hatte und dann den Mexuar verlassen hatte, war kaum mehr als eine halbe Stunde vergangen. Als Abul in sein Schlafgemach zurückkehrte, merkte er, daß er dort nicht bleiben konnte, denn er ertrug Saritas Qualen nicht. Der Arzt und die beiden Dienerinnen flößten ihr pausenlos Brechmittel ein, um sie von allem Gift zu befreien, das noch nicht in ihren Kreislauf gedrungen war. Sarita flehte Abul an, dem ein Ende zu bereiten, aber er mußte ihre Bitte ablehnen, und ihm war dabei, als wäre er für ihr Leiden und ihre Qualen verantwortlich. 310
Er ging in den Vorraum hinaus, wanderte ruhelos auf und ab und wartete auf die Information, die man ihm bald bringen würde; er glaubte nicht, daß Aisha mit großer Widerstandsfähigkeit ausgestattet war. Tatsächlich hörte er schon nach kurzer Zeit eilige Stiefeltritte auf dem Marmorboden des Säulenganges. Der Offizier trat in den Vorraum. „Oleandersamen, Herr", sagte er ohne jede Vorrede. „Bist du sicher, daß sie nicht gelogen hat?" Der Offizier nickte, denn in solchen Dingen verfügte er über Erfahrung. „Ja, ich glaube, sie hat die Wahrheit gesprochen, Herr." Abul wandte sich wieder zu seinem Schlafgemach zurück. „Herr?" Der Offizier sprach sehr zögernd. „Ja?" „Die Erste Frau, Herr - was soll mit ihr geschehen?" „Bringt sie in den Richterturm", befahl Abul. „Und den Prinzen Boabdil ebenfalls." Die Pläne, die er einmal für seinen Sohn gehabt hatte, waren jetzt nicht mehr durchzuführen. Das Kind einer solchen Frau konnte nicht sein Erbe und Nachfolger sein. Mutter und Sohn mochten also zusammen ins Exil gehen. Das schien Abul die menschlichste Lösung zu sein, und sobald er Zeit zum Nachdenken fand, wollte er über die Art des Exils entscheiden. Rasch kehrte er in sein Schlafgemach zurück. Sarita lag leblos und mit bläulichen Lippen in den Diwankissen. Ihr herrliches rotes Haar wirkte jetzt matt und glanzlos; das Feuer schien erloschen. Sekundenlang dachte Abul, er hätte sie verloren, doch dann sah er ihre Fingerspitzen ein wenig auf der Decke zucken.
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„Oleandersamen", sagte er zu dem Arzt. „Kennt Ihr ein Gegenmittel?" Muhamad Alahma zupfte sich am Bart und sah noch ernster aus als sonst. „Ich weiß nicht recht... Oleandersamen ist ein sehr starkes, bösartiges Gift..." Vor sich hinmurmelnd ging er von dannen und ließ Abul sowie die beiden Dienerinnen in angsterfüllter Unsicherheit zurück. Sarita lag im tiefen Schlaf der Bewußtlosigkeit. Abul tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie jetzt wenigstens ihre Ruhe hatte. Eine Stunde später kehrte Muhamad Alahma zurück. Er äußerte nichts, sondern legte eine hellgelbe Pastille vorsichtig auf Saritas Zunge. „Ich bin mir nicht absolut sicher, ob das wirksam ist", murmelte er in seinen langen Bart, „doch etwas anderes ist mir nicht bekannt. Es muß alle drei Stunden eingegeben werden." „Woran erkennt man, ob es wirkt?" wollte Abul von dem Arzt wissen. „Falls Sarita nicht innerhalb der nächsten Stunde stirbt, hat es gewirkt", antwortete Muhamad Alahma schlicht.
17. KAPITEL Die Dienerin stellte das Speisentablett auf den Tisch im unteren Hof des Richterturms. „Wünscht Ihr noch etwas, Herrin?" Sie machte sich nicht die Mühe, in Gegenwart der Ersten Frau den Blick zu senken, und ihre Stimme klang auch nicht so unterwürfig, wie diese es gewohnt war.
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Aisha juckte die Hand; am liebsten hätte sie der Dienerin die Unverschämtheit aus dem Gesicht geschlagen. Die drei Soldaten, welche etwaige Besucher immer begleiteten, standen jedoch an der Tür, und denen wollte sie keine unwürdige Szene bieten. Ihr Blick lief rasch zum Tablett. Hatte Nafissa es geschafft, eine weitere Botschaft einzuschmuggeln? Das Mädchen hatte sich seit der Gefangennahme seiner Herrin als sehr einfallsreich erwiesen und schien gegen eine beträchtliche Belohnung auch weiterhin dazu bereit zu sein. „Geh jetzt." Aisha wartete, bis die Dienerin und die Soldaten sie wieder allein gelassen hatten. Dann suchte sie auf dem Tablett zwischen den sorgfältig zusammengelegten Servietten, wo Nafissa die letzte Mitteilung versteckt hatte. Zu ihrer Enttäuschung fand sie nichts. Boabdil drängte sich von hinten unter ihrem Arm durch, um die Speisen auf dem Tablett zu untersuchen. Sofort beklagte er sich wortreich über die Abwesenheit seiner bevorzugten Zuckermandeln. „Nörgele nicht, Boabdil", fuhr seine Mutter ihn an, worauf er in gekränktes Jammern ausbrach. Aisha seufzte. Das ständig Zusammensein mit ihrem Sohn fand sie längst nicht so erfreulich, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Junge griff nach einer Schale mit Kiebitzeiern, die auf einem großen grünen Feigenblatt angeordnet waren, auf dem Wassertropfen glitzerten. Das Blatt verrutschte unter Boabdils gierigen Fingern, und etwas Weißes schaute darunter hervor. Aisha schob die Hand ihres Sohns zur Seite und zog ein fest zusammengerolltes Stück ölgetränkter Seide heraus. Während Boabdil nun die
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Köstlichkeiten des Speisentabletts weiter inspizierte, entrollte seine Mutter den Seidenstoff. Nafissa hatte sogar noch Besseres geleistet als angenommen. Von einem Wachmann hatte sie erfahren, wo sich der Eingang zu einem der unterirdischen Gänge befand, die den Alhambrahügel durchzogen. Der Tunnel führte zu den Hügeln oberhalb des Darr Flusses. Falls die Herrin ihr Glück versuchen wollte, könnte die Flucht mit Hilfe des Wachmannes ins Werk gesetzt werden. Der Mann könnte mittels des taubeneigroßen Rubins aus der Juwelentruhe der Herrin gekauft werden. Die Juwelentruhe leidet in Nafissas Händen unter fortschreitender Schwindsucht, dachte Aisha; Feilschen war jedoch in ihrer Lage nicht möglich. Wenn sie erst einmal aus der Alhambra geflohen war, wollte sie sich zu ihrem Vater begeben und ihm eine Geschichte über ihre Behandlung erzählen, die ihn in eine solche Wut versetzen sollte, daß er zu einem Rachefeldzug rüstete gegen den Mann, der seine Tochter ohne jeden Beweis verurteilt und entwürdigt hatte. Geständnisse unter Folter zählten nicht. Aishas Vater würde eine Rebellion unter den anderen maurisch-spanischen Familien in Bewegung setzen, und Abul würde dadurch zu Fall gebracht werden. Was soll ich mit Boabdil machen? fragte sich Aisha. Wie wird er auf die Gefahren und Unannehmlichkeiten einer Flucht reagieren? Nachdenklich beobachtete sie den Knaben. Er war zu sehr mit dem Verspeisen der Kiebitzeier beschäftigt, um ihren prüfenden Blick zu bemerken. Sie mußte den Jungen mitnehmen; er war für ihre Pläne unbedingt wichtig. Abul zu entmachten, hatte wenig Sinn, wenn sie 314
nicht ihre eigene Marionette an seine Stelle setzen konnte. Aber wie würde sich Boabdil unter Druck verhalten? Er jammerte entschieden zu schnell. Selbstverständlich war daran ihre Erziehung schuld, doch es nützte ihr ja auch mehr, wenn er schwach und unselbständig blieb. Mit den Nachteilen mußte sie sich eben abfinden. Aisha drehte das Stück Seide um. Die Rückseite war unbeschrieben. Nafissa setzte sicherlich voraus, daß ihr eine Antwort auf ihre Mitteilung auf demselben Weg geschickt wurde. Vermutlich wartete sie in den Küchen auf die Rückkunft des Tabletts. Natürlich wollte Aisha Nafissa mitnehmen, denn das Mädchen stammte aus Granada und konnte es wahrscheinlich über seine Familie einrichten, daß Pferde und eine Eskorte am Flußufer hinter der Stadt bereitstanden. Wenn alles gutging, würde sich Aisha schon in einem halben Tag unter dem Schutz ihres Vaters befinden. Rasch spitzte sie ihren Federkiel und begann zu schreiben. „Was machst du denn da?" „Ich dachte, ich probiere einmal meine Beine aus." Lächelnd schaute Sarita auf, als Abul in das Schlafgemach trat. Sie hatte auf der Diwankante gesessen, mit den Beinen gebaumelt und sich überlegt, ob diese sie bis an die offene Tür zum Säulengang tragen würden. „Hat dir Muhamad Alahma das gestattet?" Er machte ein furchtbar ernstes Gesicht, obwohl sein Herz jubelte über das Menschenleben, das ihm zurückgeschenkt worden war.
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„Das nicht direkt." Sarita wackelte mit den Zehen. „Das Thema kam gar nicht zur Sprache." „Dann zurück mit dir ins Bett!" Abul bückte sich und hob ihre Beine auf den Diwan. „Du tust nichts ohne seine ausdrückliche Genehmigung." „Ach, so ein Unsinn", wehrte sie ab. „Mir geht es wieder hervorragend. Ich bin nur noch ein wenig schwach von dieser schrecklichen Medizin, die ich zum Erbrechen schlucken mußte." Sie nahm seine Hand, zog ihn neben sich auf den Diwan und drückte kräftig seine Finger. Abul rückte die Kissen hinter Sarita zurecht und legte sich neben die Genesende. Eine Woche war es jetzt seit jenem Morgen her, dem der längste Tag seines Lebens gefolgt war. Zuerst hatte es so ausgesehen, als ob die Pastillen nicht wirkten. Sarita hatte mehrere Stunden leblos dagelegen, und der Arzt hatte gesagt, das Gegenmittel könnte allein nichts ausrichten, wenn der Körper nicht mitkämpfte. Abul hatte angefangen, auf die Kranke einzureden, energisch, ärgerlich, im Kommandoton. Er hatte sie bei den schmalen Schultern gerüttelt und ihr befohlen, die Augen zu öffnen, sich an ihm festzuhalten, weil er genug Kraft für sie beide besäße. Und endlich, endlich hatte sie die Lider aufgeschlagen. Zuerst waren ihre Augen trüb gewesen, doch dann war das Erkennen in ihnen aufgedämmert, und Sarita hatte Abuls festen Blick bewußt erwidert. Als die heftigen Krämpfe ihren Körper folterten, hatte er nicht aufgegeben. Er hatte darum gekämpft, seine eigene Kraft auf Sarita zu übertragen, und irgendwie war ihm das auch gelungen. Als der endlos lange Tag zu Ende war, hatten auch die fürchterlichen Anfalle nachgelassen, und die Pastillen des Arztes begannen zu wirken. 316
Während der ganzen Nacht hatte Abul kein Auge zugetan aus lauter Angst, Sarita könnte wieder in ihren schlimmen Zustand zurückfallen. Gegen Morgen war sie dann in einen Schlaf gesunken, der normal zu sein schien. Muhamad Alahma hatte genickt und sich weiter nicht geäußert; er hatte der Kranken nur regelmäßig die Pastillen auf die Zunge gelegt. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit war Sarita in die Welt der Lebenden zurückgekehrt. Die tödliche Wirkung des Gifts war neutralisiert. Jetzt lag ihr Kopf in Abuls Schulterbeuge. Mit dem Finger strich sie über seine Lippen, und ihre Augen leuchteten schelmisch. „Mich drängt es sehr, die Bäder aufzusuchen, mein Emir", sagte sie. „Ein Aufenthalt dort wird meine Genesung ganz gewiß ungemein fördern." Abul lachte, sog den Finger in den Mund und biß sanft hinein. „Wenn du baden möchtest, lasse ich dir ein Bad richten, allerdings hier drinnen. Für Ausflüge nach draußen bist du noch nicht kräftig genug." „Da mögt Ihr wohl recht haben", gab sie zu. „Bestimmt bin ich für das eiskalte Wasser und die Dampfkammer noch nicht stark genug." Plötzlich ungeduldig geworden, setzte sie sich hoch. „Ich möchte hier nicht so liegenbleiben, Abul. Meine Beine wollen sich bewegen. Ich werde jetzt zum Säulengang spazieren. Wenn Ihr wollt, mögt Ihr mich stützen." Abul fügte sich seufzend in das Unvermeidliche. Sarita erhob sich vom Diwan, blieb eine Minute mit gerunzelter Stirn stehen, weil sie ihre Kraft erst prüfen mußte, und dann machte sie einen festen Schritt. „Seht Ihr - ich bin vollkommen gesund", stellte sie triumphierend fest und ging zu offenen Tür. 317
Er folgte ihr in gebührendem Abstand, immer bereit, sie zu stützen, sollte es nötig werden. Anscheinend jedoch brauchte sie seine Hilfe nicht. Draußen lehnte sie sich an eine Säule und atmete tief die wunderbar frische Luft ein. „Als ich mich halb in dieser und halb bereits in der andere Welt befand, Abul, habe ich Gespräche gehört." Sie blickte nicht Abul, sondern die Grünfinken an, die in ihrem Käfig trillerten. „Ich hörte von Gift reden." Sie strich über die mit Blattgold verzierten Muster an der Marmorsäule. „Ich hatte mir gar keine Infektion zugezogen, nicht wahr? Wer wollte mich tot sehen?" Abul hatte gehofft, ihr dieses Wissen ersparen zu können; er würde ihr nur neuen Kummer bereiten, und Aisha würde ohnehin niemandem mehr etwas zuleide tun, dafür wollte er schon sorgen. Andererseits hatte Sarita eine klare Frage gestellt, und der konnte er nicht ausweichen. „Aisha", antwortete er. Sie legte die Stirn an die Säule und schwieg lange. Dann zuckte sie kaum merklich die Schultern. „Das hätte ich mir denken sollen. Sie ist eine zielstrebige Frau. Ich hatte oft das Gefühl, als behinderte ich sie bei irgend etwas. Wo befindet sie sich jetzt?" „Sie ist zusammen mit Boabdil im Turm des Richters eingeschlossen. Ich treffe die nötigen Vorkehrungen, um sie ins Exil nach Marokko zu schicken." „Ihr laßt den Sohn für die Sünden der Mutter büßen?" Sie sah ihn an, und diesen vorwurfsvollen, strafenden Blick kannte er schon. Früher hätte er sich darüber geärgert; jetzt freute er sich sozusagen über die Auferstehung. 318
„Die beiden ziehen es vor, zusammenzubleiben. Das Kind für immer von seiner Mutter zu trennen, erschien mir als der Gipfel der Grausamkeit. Du meinst, das sei falsch?" „Das nicht... nur was wird aus Boabdils Zukunft? Er wird zu einem Mann heranwachsen und seiner Mutter nicht mehr bedürfen. Ihr wollt ihn doch nicht seiner Zukunft..." „Ich werde für ihn das Beste tun, das mir möglich ist", fiel Abul ihr ins Wort. Sarita glaubte ihm. Sie wollte die Frau, durch die sie beinahe zu Tode gekommen wäre, auch nicht mehr zum Gesprächsthema machen. „Wer wird Eure Erste Frau sein, nachdem Ihr Aisha also verstoßen habt? Werdet Ihr Farah dazu bestimmen und dadurch ihren kleinen Salim zu Eurem Erben machen?" Abuls Miene verfinsterte sich. Sarita hatte wirklich eine höchst lästige Neigung, unangebrachte Themen im unpassenden Moment zur Sprache zu bringen. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht", sagte er. „Während der vergangenen Tage hatte ich wenig Zeit, an etwas anderes als an dich zu denken." Sie drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Säule. „Ach, nun bin ich wieder ins Fettnäpfchen getreten. Ich kann mir einfach nicht abgewöhnen, nach Dingen zu fragen, die mich interessieren." Jetzt mußte Abul lachen. „Ich glaube, das tust du absichtlich, Sarita. Aber heute gehe ich auf keine Provokationen ein. Für die Folgen bist du nämlich noch nicht kräftig genug, mein Kind." „Ach nein? Wer sagt das?" 319
„Ich sage das." Immer noch lachend kehrte er ins Schlafgemach zurück und läutete nach den Dienerinnen. „Sarita wünscht ein Bad zu nehmen'', teilte er Kadiga und Sulema mit. „Richtet es ihr im äußeren Gemach." „Und viel warmes Wasser für mein Haar!" Sarita trat vom Säulengang herein und fuhr sich mit den Fingern durch die stumpfen, strähnigen Locken. „Und dann bringt mir meine Kleidung, bitte. Ich werde jetzt baden und mich dann anziehen. Ich habe lange genug im Bett gelegen." „Darüber wollen wir erst Muhamad Alahmas Meinung einholen", sagte Abul freundlich, aber bestimmt. Muhamad Alahma hatte nichts gegen Saritas wiedererstandene Energien einzuwenden. „Die Frau ist jung und kräftig", sagte er zu Abul. „Solange sie auf ihren Körper hört, wird sie keinen weiteren Schaden nehmen." „Nun, was habe ich gesagt?" flüsterte Sarita, nachdem der Arzt gegangen war. „Ich habe gesagt, ich sei kräftig genug für die Folgen, nicht wahr?" „Abwarten", erwiderte Abul, und das hörte sich wie ein Versprechen an. „Wir wollen zunächst einmal sehen, was das Bad ergibt." „Oh..." Sie legte sich in die Diwanpolster zurück. „Ihr meint, außer sauberem Haar und sauberer Haut?" Er nickte. „Hattet Ihr vielleicht an etwas Bestimmtes gedacht?" „Möglicherweise." „Natürlich", sagte sie sinnend. „Was Bäder betrifft, so seid Ihr ja ein unbestrittener Erfinder und Praktiker." 320
„Unbestritten." „Hm..." Verträumt schloß sie die Augen. „Mir wäre nach ..." „Nach was?" Er kniete sich neben sie auf den Diwan und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Sage mir, wonach dir ist, Sarita. Sage mir, was dir Freude bereiten würde." „Das muß ich Euch nicht sagen", flüsterte sie. „Das wißt Ihr immer ganz genau." Er streichelte weiterhin ihr Gesicht, doch sein Blick wurde sehr ernst. „Weil wir gerade über dieses Thema sprechen - es gibt da etwas, worüber wir reden müssen, Sarita. Beim letzten Mal..." „Ich weiß", unterbrach sie ihn und hielt seine Handgelenke fest. „Ich hatte solche Angst, Abul. Ich fürchtete mich so vor meinen Empfindungen... ich meine, vor den Empfindungen, die ich nicht hatte. Ich dachte, wenn ich sie vorgäbe, würden sie zurückkehren. Ich weiß, daß ich mich unentschuldbar verhalten habe." „Wir haben beide einen Fehler gemacht", sagte er. „Ich hatte auch Angst. Ich wagte nicht, dich gleich zur Rede zu stellen. So etwas darf uns nie wieder passieren. Nie wieder dürfen wir so wenig Vertrauen zueinander haben." „Nie wieder", schwor sie leise. „Wir sind ja noch dabei, einander kennenzulernen, Liebster. Da unterlaufen einem schon Fehler ... " Er nickte, neigte den Kopf zu ihr und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. „Glaube mir,'daß ich dir nur die schönsten Freuden bringen will, Sarita." Das Gefühl tiefster Liebe durchströmte sie, und die Tränen traten ihr in die Augen. „Wie kommt es, daß mir so ist, als gehörte ich Euch irgendwie?" 321
„Wir gehören zueinander", berichtigte er und wischte ihr eine Träne mit dem Daumen fort. „Weine nicht, Liebste." „Ich weine ja nicht, weil ich traurig wäre." Sie schniefte ein bißchen und lächelte. „Ich bin sehr glücklich! Aber jet ich mein Bad. Ich glaube, im Moment bin ich keine sehr anziehende Erscheinung. Ich muß mich erst wieder sauber fühlen und mein Haar gewaschen haben." „Das mache ich für dich." „Nein", lehnte sie entschieden ab. „Kadiga und Sulema werden mir helfen. Ihr werdet jetzt gehen und erst wiederkommen, wenn ich Euch rufe." Abul machte ein drollig enttäuschtes Gesicht. „Ich dachte, ich könnte meinen unbestrittenen Erfindungsgeist..." „Nein!" unterbrach Sarita ihn lachend. „Diesmal nicht. Das hier ist Frauenarbeit, und dabei wärt Ihr nur im Weg, mein Emir." „Das hat mir bisher auch noch niemand gesagt." „Weil es bisher noch niemand gewagt hat, und das hat dazu geführt, daß Ihr von Eurer eigenen Wichtigkeit zu sehr überzeugt seid." Abul stieg vom Diwan. „Über dieses Thema diskutieren wir weiter, wenn ich zurückkomme. Auch über einige andere Punkte hätte ich noch eine Menge zu sagen." „Das hört sich sehr vielversprechend an", meinte sie. „Und jetzt begebt Euch an Eure Arbeit. Ich bin davon überzeugt, Ihr habt sie bei all Eurer Krankenwache sträflich vernachlässigt." Mit einer Handbewegung entließ sie ihn. „In zwei Stunden dürft Ihr zurückkehren. Dann werde ich für Euch bereit sein." Ihre Stimme 322
klang herablassend, ihre Nase war in die Luft erhoben, und ihre Miene drückte überhebliche Würde aus. Abul schaute Sarita eine ganze Minute lang verwirrt an. Sich in der Situation eines Bittstellers zu befinden, dem eine umgehende Audienz verwehrt wurde, war neu für ihn. Zum Schluß mußte er laut lachen. „Du freches Ding! Du siehst aus wie ein kecker Spatz, der so tut, als wäre er ein stolzer Pfau. Arroganz paßt schlecht zu dir ... und ziehe keinen Schmollmund. Der steht dir nicht." Abul küßte sie auf eben diesen Schmollmund. „Ich darf dich daran erinnern, daß du dich hier in meinen Gemächern befindest und daß ich hierher zurückkehre, wann immer es mir beliebt." Er kniff ihr in die Nase und richtete sich auf. „Und wenn ich wieder hier bin, werden wir uns einigen unerledigten Angelegenheiten zuwenden." Damit verließ er das Schlafgemach. „Gib acht, daß Sarita ihre Kräfte nicht überschätzt", wies er Kadiga an, die ein Kohlebecken aufgestellt hatte und jetzt im Hauptgemach den hölzernen Badezuber füllte. „Gewiß, Herr", sagte das Mädchen gelassen und sprenkelte derweil trockenes Lavendelkraut und Rosenblätter auf das warme Badewasser. „Ich brauche keine Krankenpflegerin", erklärte Sarita vom Türbogen her, weil sie den kurzen Wortwechsel mit angehört hatte. „Ich kann meine Kräfte selbst beurteilen." Abul hob beschwichtigend die Hände. „Wie du meinst, mein Kind, ganz wie du meinst. Aber falls ich dich bei meiner Rückkehr müde vorfinde, dann gelten keine Versprechungen mehr." „Ihr meint wohl, einige aufgeschobene Versprechungen." 323
„Bitte, wenn du es so ausdrücken möchtest", stimmte er freundlich zu. Damit ging er hinaus und überließ den Frauen seine Gemächer. Er fand es selbst eigenartig, wie rasch er sich mit dem Verlust seiner ungestörten Privatsphäre abgefunden hatte. Eigentlich wollte er gar nicht, daß Sarita nach ihrer Genesung wieder in ihren Turm zurückkehrte. Möglicherweise konnte er ihr eigene Gemächer neben seinen einrichten ... In seiner Arbeitskammer fand Abul zwei Männer vor, die auf ihn warteten. Beide gehörten zu der „Armee der offenen Ohren und Augen", die für ihn im Reich außerhalb der Alhambra tätig war, und sie brachten heute beunruhigende Nachrichten. „Unter den Mozärabes wird viel über die Christin geredet, Herr", berichtete der größere der beiden ein wenig verlegen. ,Ahmed ben Kaled hat seinem Herrn eine Geschichte erzählt, die zu vielen Ratssitzungen geführt hat." „Was für eine Geschichte?" Abul setzte sich an den langen Tisch unter einem offenen Fenster. Die Nachricht regte ihn nicht sonderlich auf; sie war zu erwarten gewesen. „Es heißt, der Emir von Granada vernachlässige wegen dieser Frau seine Regierungsgeschäfte", sagte der zweite Mann mit gesenktem Blick. Das erschreckte Abul nun doch. Wer konnte ein solches Gerücht in Umlauf gebracht haben? Vor Ahmed ben Kaieds Besuch war Saritas Anwesenheit auf der Alhambra nicht allgemein bekannt gewesen. Oder doch? War da wieder Ais-has Hand im Spiel?
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„Gibt es sonst noch etwas?" erkundigte er sich äußerlich vollkommen ruhig. „Die Abencerrajes wurden vom Oberhaupt der Mozärabes zu einer geheimen Ratssitzung eingeladen. Boten mit weiteren Einladungen sind auch an die anderen Familien des Reiches gesandt worden." Abul trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Er durfte diese Information nicht ignorieren oder die Gerüchte mit Mißachtung strafen. Er mußte das Gemunkel im Keim ersticken und die offenbar geplanten Verschwörungen aufdecken, bevor sie sich noch richtig gebildet hatten. Aber wie? „Es war gut und richtig von euch, mir diese Information umgehend zu übermitteln", sagte er nach einer Weile. „Kehrt jetzt auf eure Posten zurück. Haltet mich über die weitere Entwicklung auf dem laufenden." Die beiden Männer verneigten sich tief und verließen den Raum. Abul blieb noch lange in seiner Arbeitskammer sitzen und dachte nach. Er mußte etwas unternehmen, um zu beweisen, daß er noch immer sicher am Ruder stand. Ein Kriegszug zu Gunsten des Reiches wäre am überzeugendsten, nur bestand im Augenblick weder Anlaß noch Notwendigkeit für militärische Aktionen. Die Spanier jenseits der Grenzen verhielten sich ruhig, die Briganten waren weitgehend unter Kontrolle. Möglicherweise könnte man äußerste Empörung über die Gerüchte zur Schau stellen ... Vielleicht sollte ich mich zornentbrannt auf meinen Schwiegervater und die anderen versammelten Familien stürzen und Genugtuung für die Verleumdung verlangen, dachte er.
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Nur würde es die Beziehungen zu dem Oberhaupt der Mozärabes nicht eben verbessern, wenn bekannt wurde, daß der Emir von Granada seine Erste Frau verstoßen und bestraft hatte, zumal der Grund dafür mit der in Rede stehenden Christin zusammenhing. Bis jetzt wußte das noch niemand, doch wenn Aisha erst einmal von der Alhambra verbannt war, gab es nichts mehr zu verheimlichen. Warum sollte er überhaupt etwas verheimlichen? Sein Vorgehen war vollkommen rechtmäßig, und er brauchte sich deswegen nicht vor seinem Schwiegervater zu verteidigen. Aisha hatte einen Mordversuch unternommen, und das war ein Verbrechen, welches mit der Todesstrafe geahndet wurde. Allerdings war der Schuldbeweis nicht ganz eindeutig. Andererseits besaß ein Mann das Recht, eine Ehefrau zu verstoßen, die ihn nicht mehr befriedigte. Abuls Schwiegervater hatte also auch aus diesem Grund keinen Anlaß, sich zu beschweren. Nur benötigte er auch keinen rechtlichen Grund, um eine Rebellion anzuzetteln. Abul beschloß, die Verschwörer dadurch zu überraschen, daß er auf der geheimen Ratssitzung erschien, zu der die anderen Herren eingeladen worden waren. Sein Auftreten allein würde alle Gerüchte über seine nachlässige Regierungsführung auflösen, und außerdem konnte er dann das Schauspiel eines Mannes bieten, der äußerst ungehalten über die Einmischung in seine Privatangelegenheiten war. Der Harem eines Emirs war schließlich dessen Privatangelegenheit. Ja, so wollte er vorgehen, und nachdem er sich nun solchermaßen entschlossen hatte, ließ er wie üblich alle Gedanken daran hinter sich und bestellte seinen Wesir sowie den Kadi zu sich. Eine Stunde würde er benötigen, um die für heute morgen anliegende
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Arbeit zu erledigen, und danach konnte er in seine Gemächer und zu Sarita zurückkehren, die hoffentlich schon auf ihn wartete. Die Geschäfte nahmen länger als eine Stunde in Anspruch, und als Abul danach erwartungsvoll in sein Hauptgemach treten wollte, blieb er auf der Schwelle stehen. Der Raum war trotz der strahlenden Nachmittagssonne vollkommen abgedunkelt. Die schweren Wintervorhänge waren vor die Fenster und vor die Türbögen zum Säulengang gezogen worden. Die Holzkohle im Feuerbecken glühte noch. Mit parfümiertem Öl gefüllte Lampen standen an strategischen Stellen im ganzen Raum verteilt. Abul blinzelte; er mußte sich erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Dann entdeckte er Sarita. Sie lag nackt auf einer Ottomane. Hell schimmerte ihr Körper, und ihr herrliches Haar bauschte sich um ihre Schultern und auf dem Kissen unter ihrem Kopf. Sie winkte Abul lässig zu sich heran, und er trat an die Ottomane. „Ich hatte nicht damit gerechnet, von einer weißen Haremssklavin empfangen zu werden", sagte er amüsiert und entzückt zugleich. Er kniete sich neben die Ottomane. „Was führst du im Schilde?" „Oh, nichts, gar nichts." Sie veränderte ihre Stellung und rekelte sich träge auf den Kissen, womit sie Abuls Augen ihren Körper in der verführerischen Beleuchtung darbot. „Ich ruhe nur, mein Emir, so wie Ihr es mir befohlen hattet." „Aha." Er mußte sich sehr zurückhalten, um sie nicht zu berühren, sondern nur den warmen Duft ihrer Haut und ihres Haars einzuatmen. „Dann will ich dich auch nicht weiter dabei stören."
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Sie biß sich auf die Unterlippe, und das Lachen glitzerte in ihren Augen, was überhaupt nicht zu ihrer verlockenden Trägheit paßte. „Das wäre eine jammervolle Vergeudung vieler Vorbereitungen, edler Emir." Schweigend legte Abul sein besticktes Gewand ab. Wie stets tagsüber, trug er darunter ein einfaches Hemd und eine Kniehose. Sarita schaute unverhohlen interessiert zu, wie er sich auch dieser Kleidungsstücke entledigte und schließlich nackt vor die Ottomane trat. „Du gehörst mir", erklärte er mit bebender Stimme. „Mit jeder Pore, jeder Zelle, jedem Haar und jedem Zoll deiner Haut." „Dann solltet Ihr Euer Eigentum auch in Besitz nehmen", erwiderte sie leise, „damit ich das gleiche tun kann." Er kniete sich zu ihren Füßen auf die Ottomane und ließ den Blick sehr langsam über Saritas Körper gleiten, ohne sie jedoch jetzt schon zu berühren. „Ich will, daß du dich mir schenkst, Sarita." Sie schaute zu ihm hoch. Sein Körper war hart, stark und raubtierhaft in seiner Erregung. Sie verglich diese machtvolle Kraft mit ihrer eigenen weichen Zerbrechlichkeit, und sie erkannte, daß nur die zarten Fäden des gegenseitigen Vertrauens Mann und Frau in der körperlichen Vereinigung wirklich aneinander banden. Nur die undefinierbare Empfindung, die man Liebe nannte, verwandelte die rein körperlichen Vorgänge in glückvoll geteilte Freude. Langsam strich sie mit den Händen über ihren Körper und zeigte auf diese Weise, daß sie Abul jeden einzelnen Teil von sich selbst schenken wollte. Zum Schluß spreizte sie die Schenkel und bot
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seinen Augen auch den geheimsten Winkel dar. Und Abul nahm alles in Besitz ... „Wollen wir nicht für immer in diesem Gemach bleiben und die Welt ausgeschlossen lassen?" Sarita drehte den Kopf auf Abuls Brust und drückte ihre Lippen in seine Halsgrube, wo der Puls noch heftig schlug. Abul spielte zufrieden lächelnd mit einer Strähne ihres Haars. Saritas Stimme hatte seltsam laut in dem nur spärlich beleuchteten Raum geklungen, obwohl sie kaum mehr als ein Flüstern gewesen war. „,Für immer' ist eine sehr lange Zeit, Liebste." „Dann eben für viele Tage." Sie stützte sich auf einem Ellbogen über ihm auf, so daß sich ihr flammendes Haar wie ein Zelt über sie beide legte. „Laßt uns hier bleiben, nackt im Lampenlicht, und die Welt für eine Woche vergessen." Er hob eine Hand, um ihr das Haar aus dem Gesicht zu schieben, und streichelte ihre Wange. „Ich wünschte sehr, das wäre möglich. Wir müssen uns jedoch mit Stunden statt Tagen zufriedengeben." „Oh." Sie spürte eine plötzlich unruhige Spannung in ihm. „Habt Ihr Geschäfte?" Er wollte ihr nicht sagen, daß er sie bald verlassen und zu den Mozarabes reisen mußte. Solche Nachricht würde nur den Frieden und das Zusammensein in ihrer eigenen kleinen Welt verderben. „Geschäfte gibt es immer", antwortete er. „Bist du nicht hungrig? Wir haben nicht zu Mittag gespeist, und jetzt dürfte der Nachmittag schon fast vorüber sein ... obwohl man das in dieser Höhle hier nicht beurteilen kann." 329
Sarita überlegte ernsthaft. „Ja, ich glaube, ich habe ein wenig Hunger. Und wenn ich ein wenig Hunger habe, müßt Ihr großen Hunger haben. Soll ich läuten?" Schon griff sie nach der Handglocke. Abul hielt ihr Handgelenk fest. „Diese Glocke ruft einen der Wächter herein. Beabsichtigst du etwa, ihn unbekleidet zu empfangen?" „Ich bin zu faul, um mich zu bewegen", erklärte sie. „Holt mir eine Decke aus dem Schlafgemach." Abul streifte sich sein Gewand über. „Du wirst langsam ziemlich unverschämt, mein Kind. Mir scheint, du bist von deiner eigenen Wichtigkeit zu sehr überzeugt." Sie lachte. „Genau das habe ich vorhin zu Euch gesagt." „Ich erinnere mich. Und ich entsinne mich ebenfalls, daß ich mit dir über dieses Thema noch diskutieren wollte." Seine Stimme wurde leiser, weil er ins Schlafgemach ging. „Nachdem wir gespeist haben, werden wir uns über die Vorliebe unterhalten, die du anscheinend für höchst unweiblichen Hochmut entwickelt hast." „Vor unserer Siesta oder erst danach?" erkundigte sie sich schelmisch. „Anstatt, glaube ich." Er ließ eine kostbar bestickte Seidendecke auf ihren Bauch fallen. „Bedecke dich, du schamloses Geschöpf." Mit selbstzufriedenem Lächeln drapierte Sarita die Decke um sich, setzte sich auf und lehnte sich gegen die Polster zurück, während Abul zur Tür ging und den Männern draußen seine Befehle erteilte. 330
„Ihr habt doch nicht noch andere Angelegenheiten zu erledigen?" fragte sie besorgt und kam damit auf das vorangegangene Thema zurück. Abul legte die Fingerspitzen an die Lippen und überlegte. Es gab viele Dinge, die er zu erledigen hatte, Personen, mit denen er sprechen mußte ... Den täglichen Bericht des Offiziers der zu Aishas Bewachung abgestellten Abteilung hatte er noch nicht erhalten. Nun, darin würde auch nichts anderes stehen an den vorangegangenen Tagen. Im Geist ging er die Liste derjenigen Aufgaben durch, die er normalerweise an diesem Nachmittag erledigt hätte, und schließlich zuckte er die Schultern. Es gab tatsächlich nichts, das nicht noch bis morgen warten konnte jedenfalls nichts, das mit den verlockenden Freuden zu konkurrieren vermochte, die ihm in der Abgeschlossenheit dieser verzauberten Höhle hier geboten wurden. „Nein, außerhalb dieses Raums habe ich nichts zu tun", antwortete er. „Darin hingegen sehr viel." „Und bis zum Morgen sind es noch viele Stunden, in denen man sehr viel hier drinnen erledigen kann." In Saritas Augen leuchtete das sinnliche Versprechen. „Ich bezweifle, daß die Zeit ausreicht, um einem kecken Spatzen Manieren beizubringen", seufzte er. „Nun, versuchen kann man es ja immerhin einmal." Sarita streckte die Arme nach ihm aus. „Kommt her. Ich werde Euch zeigen, wie man das macht."
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18. KAPITEL Die folgende Nacht war mondlos. Dicke Wolken verdunkelten die Sterne, und nur der Schnee auf den Berggipfeln hob sich von der Finsternis außerhalb der Mauern der Alhambra ab. Innerhalb dieser Mauern flackerten die Fackeln in ihren Wandhaltern auf den Säulengängen im böigen Wind. Fenster und Türen waren geschlossen, denn die Nacht war unfreundlich. Für die beiden Gefangenen im Turm des Richters war die Nacht keineswegs unfreundlich. Die Lichter hier drinnen waren alle gelöscht. Aisha stand am Fenster der oberen Kammer, von der aus man die ganze Palastanlage überblicken konnte, und strengte die Augen an, um nach Nafissa auszuspähen, die mit dem großen eisernen Schlüssel zur Gefängnistür kommen würde. Boabdil verhielt sich sehr still. Seine Augen waren groß und angsterfüllt. Er trug einen warmen Umhang sowie Stiefel, und er wußte, daß sie heute nacht von hier fortgehen würden, daß der Weg beschwerlich sein und durch dunkle Gänge führen würde und daß er, Boabdil, keinen Ton von sich geben durfte, wenn sie nicht entdeckt werden und dem fürchterlichen Zorn seines Vater anheimfallen wollten. Diesen Zorn hatte seine Mutter in den schrecklichsten Farben geschildert, so daß der Junge jetzt nur noch zitternd in einer Ecke des Turms hockte, sich auf die Zunge biß und mucksmäuschenstill war. Ein Schatten bewegte sich unterhalb des Fensters. Aisha nickte ihrem Sohn zu, hielt sich den Finger an die Lippen und eilte in den Innenhof hinunter. Der Schlüssel drehte sich im Schloß, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Die verhüllte und verschleierte Nafissa huschte herein, und die Tür schloß sich wieder.
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„Es ist soweit, Herrin", flüsterte die Dienerin. „Der Wachmann wartet auf dem Pfad. Er wird uns zu dem Eingang des Gangs führen." „Kann man dem Mann trauen?" „Er wurde gut bezahlt, Herrin", antwortete Nafissa mit eine Anflug von Spott. „Wo ist der Prinz?" „Boabdil!" rief Aisha leise die Treppe hinauf. „Komm herunter. Wir gehen jetzt." Der Junge kam zur Treppe geschlichen und blickte furchtsam nach unten. „Ich will nicht weggehen, Mama." „Benimm dich nicht wie ein Baby", sagte Aisha ungehalten. „Komm jetzt sofort herunter." Boabdils Lippen zitterten, aber er gehorchte seiner Mutter und stieg langsam die Treppe hinunter. „Und wenn man uns nun entdeckt?" „Das wird nicht geschehen, solange du nur still bist und tust, was ich dir sage." Aisha sah die Tränen in seinen Augen und befürchtete, daß gleich ein geräuschvolles Weinen losbrechen würde. Sie bemühte sich deshalb um eine etwas sanftere Tonlage. „Wir gehen jetzt zum Palast deines Großvaters. Dort wird es dir gefallen, Boabdil. Sei du nur ein braver Junge, und alles wird gut." Nafissa stand schon ungeduldig an der Tür. „Beeilt Euch, Herrin. Wir müssen fort sein, bevor die Wachstreife ihre Runde beendet hat." Aisha nahm ihren Sohn an die Hand und ging mit ihm zur Tür. Die drei schlüpften hinaus und drückten sich in den Schatten ei-
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ner Oleanderhecke neben dem Pfad. Dort stand ein Mann in Uniform, und Boabdil stöhnte entsetzt auf. Aisha brachte ihn mit einem Klaps zum Schweigen; nun weinte er geräuschlos. Der Mann ging schnell und schweigend den Pfad voraus, der auf den Weg führte, auf dem man zum Generalife gelangte, und die drei Gestalten bemühten sich, mit ihm Schritt zu halten. Auf halbem Weg bergauf trat er seitwärts in die Büsche. Aisha, Boabdil und Nafissa folgten. Die Zweige des Buschwerks zerrten wie unsichtbare Hände an ihnen. Vor ihnen lag jetzt der kahle Hügelabhang, und ihn stiegen sie hinauf, bis der Wachmann an einem Felsvorsprung stehenblieb. Er sagte etwas zu Nafissa. Diese nickte, und vorbei an Aisha und Boabdil, die noch nicht ganz herangekommen waren, lief der Mann zurück in die Dunkelheit und verschwand. „Hier ist es", flüsterte Nafissa und deutete auf einen Schatten am Abhang. Der Schatten stellte sich als eine Öffnung heraus, nicht mehr als ein Schlitz im Gestein, und dahinter lag undurchdringliche Finsternis. „Ich habe Zunder und Feuerstein bei mir", sagte sie. „Dort drinnen finden wir eine Lampe. Wir lassen sie später am Ausgang zurück." Daß sie gleich Licht haben würden, hob Aishas Mut wieder, der beträchtlich gesunken war bei der Vorstellung, eine Reise durch das pechschwarze Berginnere antreten zu müssen ohne die Gewißheit, jemals wieder herauszugelangen. Doch Nafissa wagte es schließlich auch. Sie war zwar durch die Aussicht auf Belohnung motiviert, und nicht durch die Liebe zu ihrer Herrin, aber wenn
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sie dem Wachmann vertraute, mußte sie wohl gute und ausreichende Gründe dafür haben. Nafissa glitt in die Öffnung, und nach wenigen Augenblicken flackerte im Berg ein Lichtschein auf. Grimmig entschlossen schlüpfte Aisha ebenfalls durch die Öffnung, wobei sie Boabdil hinter sich herzog. Drinnen war es feucht und bitter kalt. Außerhalb des winzigen Lichtkreises, in dem sie standen, erstreckte sich nichts als tiefste Finsternis. „Wir müssen uns beeilen", rief Nafissa dringend. „Der Docht in dieser Lampe ist nur kurz. Der Wachmann hat mir versichert, daß diejenigen, die die Gänge benutzen, die Laternen immer versorgt halten. Anscheinend wird dieser Tunnel hier kaum benutzt und so ist diese wohl vernachlässigt worden." Sie hielt die Lampe hoch und ging voraus. Boabdil begann zu weinen. Er stolperte hinter seiner Mutter her und hielt sich an ihren Röcken fest. Aisha ließ ihn gewähren. Niemand konnte sein lautes Schluchzen jetzt hören, und sie hatte genug mit sich selbst zu tun, um nun auch noch ein furchtsames Kind zu trösten. Weiter und immer weiter ging es. Streckenweise verengte sich der Tunnel so sehr, daß sie sich seitwärts hindurchzwängen mußten; manchmal wieder war er so niedrig, daß sie nur kriechend vorankamen. Aisha betete nur darum, daß die Laterne durchhielt. Nafissa hätte daran denken müssen, Kerzen mitzubringen! Aisha behielt diesen Vorwurf allerdings lieber für sich, denn sie bedachte, daß die Dienerin diejenige war, welche die Lampe 335
hielt, und auch diejenige, welche wußte, wie es weiterging an den Stellen, wo andere Gänge diese Passage kreuzten. Das Licht flackerte schließlich noch einmal auf, und dann standen sie in einer unbeschreiblichen Schwärze. Boabdil kreischte. Aisha unterdrückte ihren eigenen Schrei und zitterte nur heftig. Wie weit war es noch? Dann leuchtete wieder ein Licht auf - eine Kerzenflamme! Nafissa war also doch vorbereitet gewesen. Warum hatte sie das denn nicht gleich gesagt? Eine Menge Angst wäre Aisha dann erspart geblieben. Doch wieder schwieg sie. Noch war sie nicht in der Position, die Dienerin zu schelten und möglicherweise gegen sich einzunehmen. Ungefähr eine Stunde vor Tagesanbruch tauchten die drei aus der Unterwelt wieder auf. Der Darro floß am Fuß des Abhangs entlang, und dort warteten auch zwei Pferde. Ein Mann mit Turban und weitem Gewand saß neben ihnen am Ufer und hielt ihre Zügel. „Mein Bruder", erklärte Nafissa und deutete auf die Gestalt. Die stundenlange unterirdische Reise schien der Dienerin nichts ausgemacht zu haben. „Er wird unsere Eskorte sein, aber er verlangt Bezahlung." „Mein Vater wird ihn bezahlen", versprach Aisha. Nafissa schüttelte den Kopf. „Er muß jetzt bezahlt werden, Herrin. Erstens ist die Reise riskant, und zweitens ist noch nicht sicher, ob Euer Vater ihn auch tatsächlich bezahlt." Aisha wurde blaß vor Zorn, aber sie konnte nichts tun. Allzu bald würde die Sonne aufgehen, und sie, Aisha, und Boabdil konnten
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schließlich nicht hier im hellen Tageslicht am Flußufer stehenbleiben. „Ich habe nichts bei mir, womit ich deinen Bruder bezahlen könnte. Was schlägst du also vor?" „Ich war so frei, Herrin ..." Nafissa steckte die Hand in die tiefe Tasche ihres Gewands und hob eine Perlenschnüre heraus - die feinste aus Aishas Schmuckschatulle. „Nur drei von diesen Perlen wären für ihn Lohn genug." Sie lächelte schmeichelnd, aber wie jemand, der wußte, daß er sich im Vorteil befand. Sie reichte ihrer Herrin die Perlenschnüre. Ausdruckslos nahm Aisha sie entgegen. Der Mann mit den Pferden hatte das Gespräch schweigend verfolgt. Jetzt stand er auf und trat auf sie zu. Wortlos reichte er Aisha ein kleines Messer. Sie schnitt drei Perlen von der Schnüre und ließ sie in seine offene Hand fallen. Er schwieg weiterhin und deutete auch keine Verbeugung oder sonst eine Geste des Dankes an. Aisha kochte vor Wut darüber, daß sie jetzt von solchen Bauern abhängig war. Dafür wollte sie sich schon rächen, wenn sie erst einmal Granada durch das jammernde, heulende Kind zu ihren Füßen regierte! Sie schaute zu Boabdil hinunter, der sich ins Gras gekauert hatte und sich an ihrem Rocksaum festhielt. „Steh auf!" Sie zog ihn in die Höhe und wandte sich dann an den Mann mit den Perlen. „Du bist dafür bezahlt worden, uns zu eskortieren. Also tue das gefälligst auch!" Dieser eisige Befehl verfehlte nicht die Wirkung. Nafissas Bruder holte die Pferde, hob Boabdil auf das eine und half Aisha dabei,
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hinter ihrem Sohn aufzusitzen. Danach setzte er seine Schwester auf das andere Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel. Im grauen Licht des anbrechenden Tages bewegte sich die kleine Prozession am Flußufer entlang. Falls wir nicht aufgehalten werden, dachte Aisha, können wir schon am Mittag unter dem Schutz meines Vaters stehen. „Mein Emir!" Der Ruf mußte einige Male wiederholt werden, bevor er Abuls Schlaf durchdrang. Die Stimme kam aus dem äußeren Gemach, und der Wachposten, dem bekannt war, daß der Herr mit seiner Huri im Bett lag, wagte nicht, allzu laut zu schreien. Abul setzte sich auf, weil er der Stimme des Rufers die Dringlichkeit angehört hatte. „Einen Moment." Er stand auf. „Was ist?" Verschlafen drehte sich Sarita auf den Rücken. „Wer ist da?" „Der Wachmann." Abul zog sich sein Gewand an und ging zu dem mit einem Vorhang verdeckten Türbogen. Sarita setzte sich auf dem Diwan hoch, gähnte und versuchte, etwas von der leisen Unterhaltung im Hauptraum mitzubekommen. Sie verstand nur wenige Worte, meinte aber, daß der Name Aisha mehrmals gefallen war. Sie stand auf und schlich heimlich zum Vorhang, zog ihn ein winziges Stück zur Seite und spähte mit einem Auge ins äußere Gemach. Die beiden Männer standen bei der Tür, die in den Vorraum führte. Abul redete sehr schnell.
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Sarita konnte seine Stimme nicht deutlich hören, aber seine Gesten deuteten auf die Wichtigkeit dessen hin, was er sagte. Dann verließen die beiden Männer den Raum. Das verärgerte Sarita ein wenig. Wahrscheinlich durfte sie nicht erwarten, daß Abul sich die Zeit nahm, sie über den Grund der Störung zu informieren; erhofft hatte sie es dennoch. Sie kehrte zum Diwan zurück, hob die auf den Boden gefallen Seidendecke auf, wickelte sich darin ein und trat zu der verhängten Tür, die auf den Säulengang führte. Sie öffnete sie und trat hinaus. Es war kühl, und der Marmorboden fühlte sich eiskalt an ihren nackten Sohlen an. Sie fröstelte. Plötzlich erschollen von den Festungswällen her laute Trompetenstöße und Trommelsignale. Von dem höchsten Wachturm der Alcazaba schoß ein Feuerstrahl in den Himmel. Sarita lief in den Hof hinaus und sah, daß auf den Türmen, die die Bergpässe bewachten, ebenfalls Leuchtfeuer aufflammten. Wurde die Alhambra angegriffen? Sarita rannte wieder ins Gemach zurück und riß den Vorhang zum Vorraum auf. Ein einzelner Wachmann stand da; außer ihm befand sich niemand im Raum. „Rufe mir Kadiga her", befahl sie in ihrem noch stockenden Arabisch, wobei sie vergaß, daß Frauen Männern hier ja keine Befehle erteilten und daß Männer unverhüllte und unverschleierte Frauen bestenfalls gar nicht zur Kenntnis nahmen. Dieser Wachmann hier nahm allerdings sehr wohl Kenntnis von Sarita. Er starrte ihr erst eine Weile ins Gesicht und ging dann durch den Vorraum zum Säulengang, wo er einem draußen wartenden Burschen etwas zurief. 339
Sarita kehrte wieder in Abuls Gemach zurück, und es dauerte nicht lange, da erschien Kadiga. „Kadiga, was ist geschehen?" „Das weiß ich auch nicht so genau", antwortete das Mädchen. „Man sagt, Aisha und Boabdil seien aus dem Turm des Richters verschwunden." „Das ist alles?" Sarita setzte sich auf den Diwan und rieb sich die kalten Füße. „Ich hatte zumindest gedacht, eine ganze Armee wäre zwecks Belagerung vor den Toren aufgezogen." „Falls Aisha den Schutzbereich ihres Vaters erreicht, wird sich unser Emir vielen Feinden gegenübersehen." „Es ist doch das unveräußerliche Recht des Emirs, mit den Frauen seines Harems so zu verfahren, wie er es für richtig hält, oder nicht?" „Theoretisch ja, nur sieht das in der Praxis ein wenig anders aus." Kadiga zog sich einen Hocker heran und setzte sich. „Die Frauen des Emirs sind sämtlich mit den großen Familien des Reichs verwandt oder verbunden. Falls nun der Eindruck entstünde, der Emir hätte sich ungerecht oder gar willkürlich gegenüber der Tochter des Oberhaupts der Mozärabes verhalten, so würde das als Beleidigung aufgefaßt werden und sehr viel Unruhe im Land auslösen. Nachdem Aisha das Protektorat ihres Vaters erst einmal erreicht hat, dürfte unser Herr der Verlierer sein." Kadiga blickte düster drein und verflocht die Finger miteinander. „Etwas anderes wäre es gewesen, wenn unser Herr seine Frau in Ungnaden zu ihrem Vater zurückgeschickt hätte. So aber ist sie vor Grausamkeit und Ungerechtigkeit geflohen, und es ist eine 340
Frage der Ehre für ihren Vater, sie zu verteidigen. Habt Ihr das verstanden?" Sarita nickte. Noch etwas anderes hatte sie verstanden: Die Ungerechtigkeit und die Grausamkeit, die Aisha behaupten würde, hingen direkt mit ihrer, Saritas, Anwesenheit auf der Alhambra zusammen. „Ja, das begreife ich", bestätigte sie. „Bisher dachte ich immer, die Frauen hier seien nicht von so großer Bedeutung." „Die meisten sind es auch nicht." Kadiga lächelte ein bißchen. „Diejenigen jedoch, die über die richtigen Verbindungen verfügen und sich selbst wichtig machen wollen, können das durchaus tun. Eine solche Frau ist Aisha. Ihr Vater wird freiwillig niemals bereit sein, den Weg zur Machterlangung über die Alhambra zu verlassen, den Aisha für ihn geebnet hat. Boabdil wäre hier eines Tages der Emir geworden, und der Familie seine Großvaters hätte das ungeheure Macht und den größten Einfluß eingebracht." „Ja, das sehe ich ein." Sarita stand auf. „Ich glaube, ich sollte mich jetzt ankleiden, Kadiga. Dies scheint ein Morgen zu sein, dem man nicht mit verschlafenen Augen und in eine Seidendecke gehüllt begegnen sollte." Kadiga trat an den Schrank. „Was wünscht Ihr anzuziehen?" „Reitkleidung", antwortete Sarita sofort. Besäße sie noch ihr orangefarbenes Kleid, hätte sie das gewählt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie müßte sich auf Aktivitäten einrichten, und die Haremsgewänder, in denen man bestenfalls herumliegen und Aprikosen essen konnte, waren nicht dazu geeignet, den noch unbekannten Geschehnissen gegenüberzutreten. „Das mache ich selbst", sagte sie und nahm Kadiga die Kleidungsstücke ab. „Geh du und hole etwas zum Essen.
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Der Emir hat noch nicht gefrühstückt, und er wird Hunger haben, wenn er zurückkehrt." Kurz nachdem Kadiga ein mit Brot, Trockenfrüchten und Käse beladenes Tablett hereingebracht hatte, erschien Abul. „Seid Ihr hungrig?" Sarita versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, während sie den Arm um Abul legte und ihn in den Raum zog. „Ist etwas Schreckliches geschehen? Kadi-ga erzählte, Aisha und Boabdil seien verschwunden." „Dann weißt du schon alles, was es zu wissen gibt." Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich weiß aber nicht, was das bedeutet." Sarita drängte ihn, sich vor das Speisetablett zu setzen. Abul erwiderte nicht gleich etwas. Er brach erst das Brot und schnitt sich ein Stück Käse ab. Sarita wußte ja nichts von den schwelenden Unruhen im Land, die von Aisha geschickt angeheizt worden waren, und sie wußte auch nichts von ihrer eigene Rolle in diesem bösen Spiel. Er sah keine Notwendigkeit, ihr die Zusammenhänge zu erläutern. „Es bedeutet, daß ich jetzt viel arbeiten muß, um die Sache wieder ins Lot zu bekommen", antwortete er schließlich lächelnd. Dieses Lächeln überzeugte sie nicht ganz. Sie sah die scharfen Linien um seinen Mund und den Schatten in seinen Augen. „Werdet Ihr versuchen, Aisha zu finden?" Er zuckte die Schultern. „Die Wachtürme entlang den Paßstraßen sind alarmiert. Ich bezweifle jedoch, daß Aisha diese Route gewählt hat. Sie wird sicherlich direkt zu ihrem Vater gegangen sein."
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„Könnt Ihr sie nicht einholen?" „Kaum." Sarita schenkte Jasmintee ein und reichte Abul die Tasse. „Wird Aisha schlecht von Euch sprechen?" Abul schaute sie an und lachte mit einmal. Sarita sah so eifrig interessiert und so besorgt aus. Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt, ihre Augen waren groß, hellwach und verständig, und sie versuchte, soviel wie möglich zu begreifen, ohne ihn allzusehr mit ihren Fragen zu belästigen. „Ja, Liebste, sie wird schlecht von mir sprechen, und ihre Worte werden auf fruchtbaren Boden fallen." „Was könnte ihr Vater Euch antun?" „Er könnte Unruhe schüren und sich mit anderen zusammentun, um mir meine Führerschaft streitig zu machen. Das wäre allerdings sehr unbesonnen, denn die Spanier warten ja nur auf Anzeichen von Schwäche innerhalb Granadas, die sie ausnützen könnten. Doch das habe ich dir ja schon einmal auseinandergesetzt." Sie nickte. „Was also werdet Ihr tun?" „Ich werde mich auf meine Verteidigung vorbereiten. Dazu werde ich selbst zum Angriff schreiten." „Ihr wollt Krieg gegen Euer eigenes Volk führen?" „Ich hoffe sehr, daß es dazu nicht kommt." Er stand auf. „Ich muß mich jetzt ankleiden."
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Sarita folgte ihm ins Schlafgemach. „Weshalb haßt Euch Aisha? Doch sicherlich nicht nur deswegen, weil Ihr ihr Boabdil fortgenommen habt." Abul warf sein Hausgewand auf den Diwan und stand nun nackt da. Nachdenklich strich er sich das Kinn. „Aisha hat fortwährend eigene Pläne", antwortete er. „Leider habe ich das Ausmaß dieser Pläne erst vor kurzem erkannt. Sie ist eine ehrgeizige Frau, und durch ihren Sohn hoffte sie, ihr ehrgeiziges Ziel zu erreichen." „Granada durch das Kind zu regieren?" fragte Sarita verblüfft. Und sie hatte geglaubt, die Frauen dieser Gesellschaft wären so zum Glauben an ihre eigene Minderwertigkeit erzogen worden, daß sie keinerlei Ehrgeiz besaßen außer den, ihre täglichen Bedürfnisse zu befriedigen! „Genau das, Sarita. Und dabei bin ich ihr im Weg. Falls es ihr gelingt, mich zu beseitigen, wird sie Boabdil an meine Stelle setzen und sich dabei auf die volle Unterstützung ihres Vaters verlassen können." Abul legte seine Kniehose an und griff nach einer Tunika. „Eine solche Wendung würde den Mozärabes sehr gelegen kommen." „Ihr scheint nicht übermäßig besorgt zu sein", stellte Sarita fest. „Zumindest nicht übermäßig überrascht." „Der Thron von Granada war von jeher ein unbequemer Stuhl", sagte Abul. „Während meiner Regierungszeit sind mir mehrere solcher Herausforderungen begegnet, genau wie zuvor meinem Vater ... und dessen Vater vor ihm." Er schnallte sich seinen Waffengürtel um, durchquerte dann gestiefelt und gesport das Gemach und nahm Saritas Kinn in seine 344
behandschuhte Hand. „Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkehre." Er hauchte ihr einen Kuß auf die Lippen. „Sei inzwischen brav und überschätze deine Kräfte nicht." „Werdet Ihr viele Tage fortbleiben?" „Das nicht. Ich kann die Alhambra nicht so lange ungeschützt zurücklassen. Ich reite aus, um mich der Unterstützung meiner Sympathisanten zu vergewissern. Die Garnison in meiner Alcazaba muß verstärkt werden, und dazu benötige ich die Männer der Leute, die mit mir alliiert sind." „Und solche Leute gibt es?" Sarita hatte die schreckliche Vorstellung, Abul müßte ganz allein einer massiven, versammelten Opposition gegenübertreten. „Selbstverständlich gibt es die", sagte er und kniff ihr in die Nase, wie er es immer zu tun pflegte. „Und jetzt versprich mir, daß du in meiner Abwesenheit gut auf dich achtgibst." „Versprecht mir, daß Ihr selbst gut auf Euch achtgebt", entgegnete sie. „Mir kann ja innerhalb dieser Mauern nur wenig geschehen. Ich habe ja nichts weiter zu tun, als im Harem zu sitzen und Arabisch zu lernen." „Beklagst du dich, Sarita?" „Nein, denn ich will Eure Sorgen nicht noch vergrößern. Dennoch wäre es mir wesentlich lieber, wenn ich mit Euch reiten könnte. Doch das wißt Ihr sicherlich." „Ja, das weiß ich. Aber selbst wenn ich es wünschte, wäre es nicht möglich. Deine Gegenwart würde meine Position nicht eben stärken."
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„Weil ich ja nur eine Frau bin." Sarita seufzte. „Im Stamm Raphael reiten die Frauen mit ihren Männern." Abul schüttelte tadelnd den Kopf. „Den Stamm Raphael hast du verlassen, mein Kind, und soweit ich mich erinnere, freiwillig und aus eigenem Antrieb." Sie lächelte. „Das ist wahr. Und hier bleibe ich ebenfalls aus freiem Willen, obwohl hier alles ganz anders gemacht wird. Geht jetzt, mein Emir, und kommt heil und sobald wie möglich wieder zurück." Abul ging, und trotz der Zwänge der gegenwärtigen Situation wußten sie beide, daß sich die Frage der Zukunft wieder erhoben hatte. Wie lange wäre es Sarita möglich, zufrieden in Abuls Welt zu leben? Solange er bei ihr war, hatte sie alles, was zu einer befriedigenden Partnerschaft gehörte, doch wenn Regierungsgeschäfte ihn von ihrer Seite führten, blieb sie in einem luftleeren Raum zurück, in dem eine kraftvolle, tatendurstige Frau vom Stamm Raphael ersticken mußte. Zwar gehörten Abul und die Alhambra untrennbar zusammen, doch tief in Saritas Seele hielt sich der Gedanke, daß ein Abul ohne die Alhambra sämtliche Probleme lösen würde. Sie vermochte sich nichts Schöneres vorzustellen, als an seiner Seite durch die Welt zu wandern und das Leben mit allen seinen Herausforderungen so zu nehmen, wie es eben kam. Das entsprach ihrer Natur. Abul war jedoch kein Mann vom Stamm Raphael, und insgeheim solche Gedanken zu hegen, war beinahe so, als wünschte sie ihm Böses. Das aber würde sie niemals tun. Sie würde keine Freude
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an einem Leben haben, das den Mann zerstören mußte, den sie liebte. Bereits am folgenden Tag kehrte Abul zurück und brachte zehntausend Mann Verstärkung für die Garnison mit. Allerdings hatte er auch Beunruhigendes erfahren. Die Opposition war in den vergangenen ein, zwei Monaten mächtig gewachsen. Offensichtlich war Abuls Schwiegervater schon lange Zeit vor Aishas Mordversuch an Sarita sehr fleißig gewesen. Anscheinend hat Aisha mit den Mozarabes schon seit einiger Zeit direkt unter meiner Nase heimlich korrespondiert, dachte Abul. Ihm waren auch einige Bemerkungen zu Ohren gekommen, die sich auf die gefangene Christin bezogen, welche als Konkubine bei ihm lebte. Wahrscheinlich waren diese Informationen auch von den Mozarabes ausgestreut worden. Abul war nicht weiter darauf eingegangen, aber ihm war die sich daraus ergebende Bedrohung durchaus bewußt. Man blickte auf Männer hinab, die die Sicht fürs Wichtige verloren, weil sie sich im Griff der Besessenheit befanden. Frauen nahm man nicht ernst, es sei denn als Währung in einer Welt der diplomatischen Allianzen. Und eine gefangene Christin konnte für einen Mann überhaupt nicht nützlich sein, es sei denn durch ihre Dienste im Bett. Als der Emir nun durch das Tor der Gerechtigkeit in die Alhambra einritt, kam Sarita ihm auf dem Platz der Zisternen entgegen. Es war schon recht sonnenwarm, und sie trug keinen Umhang. In ihrem türkisfarbenen, silberbesetzten Samtgewand stand sie an einer Seite des Platzes. Ihr Haar war erstaunlich ordentlich unter 347
einem Silbernetz gebändigt. Das unverschleierte Gesicht hatte sie der Sonne entgegengehoben, doch jetzt suchte sie den Blickkontakt mit Abul. Der hatte noch die Kritiken seiner Gesprächspartner im Gedächtnis und wünschte, Sarita hätte die Gebräuche der Alhambra nicht ganz so augenfällig mißachtet. Andererseits hatten er und sie ja die Vereinbarung miteinander, daß sie nicht an diese Gebräuche gebunden war. Genau das schwächte aber seine Verteidigungsposition. Er schwang sich vom Pferd und wandte sich ein den Wesir, der schon ungeduldig auf ihn wartete. „Ein Schreiben vom Oberhaupt der Mozarabes ist eingegangen, mein Emir." Der Wesir verbeugte sich tief und hielt Abul die Pergamentrolle entgegen. „Hier kann ich es nicht lesen", erklärte Abul ungehalten. „Bringt es mir in einer Stunde in meine Amtskammer." Der Wesir verneigte sich noch einmal und wollte schon gehen. Abul rief ihn wieder zurück. „Ihr könnt mir die Botschaft auch jetzt geben, aber kommt trotzdem in einer Stunde in meine Amtskammer." Er nahm die Rolle entgegen steckte sie sich unter die Tunika und sprach dann mit dem Wachoffizier, der auf Befehle hinsichtlich der Einteilung der neuen Truppen wartete. Sarita blieb noch einen Moment auf dem Platz stehen, drehte sich dann um und kehrte in die Gemächer des Emirs zurück. Sie bemühte sich, ihren Groll zu unterdrücken. Es hätte Abul doch wohl nichts gekostet, wenn er sie begrüßt hätte, wo sie so erwartungsvoll auf dem Platz der Zisternen ausgeharrt hatte. 348
Nun, vielleicht sind ja seine Geschäfte schlecht verlaufen, und nun hat er anderes im Kopf, sagte sie sich und nahm sich vor, geduldiger zu werden. Als Abul später, nachdem er mit seinen Männern auf dem Platz der Zisternen alles Nötige besprochen hatte, in den Hauptraum seiner Gemächer trat, fand er Sarita dort nicht vor. Im Schlafgemach befand sie sich ebenfalls nicht. Durch die offene Tür trat er auf den Säulengang hinaus, und dort sah er sie, wie sie leise mit den Grünfinken in ihrem Käfig sprach und ihnen Hirsekörner durch die Gitterstäbe schob. „Arme Kerlchen", sagte sie, ohne sich umzudrehen, als Abul zu ihr trat. „Weshalb laßt Ihr sie nicht frei?" „Sie sind ganz zufrieden", meinte er. „Sie singen." „Es gibt Lieder der Trauer und Lieder der Freude." Jetzt drehte sie sich zu Abul herum. „Sind Eure Geschäfte gut verlaufen?" „Ich habe die Unterstützung gefunden, die ich suchte. Die alten Allianzen halten noch." „Weshalb habt Ihr mich auf dem Platz der Zisternen nicht zu Kenntnis genommen?" „Ich hatte soviel zu tun ... Leute, die meine Aufmerksamkeit forderten." „Und eine Frau darf keine Aufmerksamkeit fordern." „Nein. Nicht in der Öffentlichkeit, Sarita." Ihr Blick verdüsterte sich. „An diese Regel habt Ihr Euch in den vergangenen Wochen nicht gehalten, mein Emir." 349
Das stimmte. „Zu viele fremde Leute befanden sich auf dem Platz", erklärte er aus dem Stegreif. „Soldaten, welche nicht zur Alhambra gehörten." Sarita beließ es dabei, weil sie spürte, daß sehr viel mehr dahinter steckte. Außerdem hatte Muley Abul Hassan noch nie so müde ausgesehen wie jetzt. „Kommt mit hinein." Sie nahm ihn an die Hand und zog ihn zur Tür. „Wir wollen einander angemessen begrüßen." Das Pergament in seiner Tunika schien zu brennen, aber er wußte nicht, wie er, ohne Sarita zu verletzen, dieses sanfte Lächeln und diese zarten Hände abwehren sollte, die jetzt liebkosend an seinen Schenkeln entlangstrichen. Er küßte Sarita, sie schmiegte sich fest an ihn, und dabei fühlte sie den Gegenstand unter seiner Tunika. „Was habt Ihr hier?" fragte sie und zog das Pergament hervor. „Abul, ist das etwas, das Ihr lesen müßt, bevor wir einander angemessen begrüßen?" Er lachte über ihren gespielt tadelnden Ton. Sarita drehte seine Handfläche hoch und drückte die Rolle hinein. „Ich lehne es ab, mit solchen Dringlichkeiten zu konkurrieren. Lest es und bringt es hinter Euch, Liebster, und dann wenden wir uns unseren eigenen Angelegenheiten zu." „Nein, ich muß es jetzt nicht lesen. Komm und laß mich dich fühlen. Du hast mir über die Maßen gefehlt." Er setzte sich auf den Diwan und zog sie sich auf den Schoß. Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände und preßte ihre Lippen fest auf seine. Abul und sie sanken zusammen zurück auf die Polster, während ihre
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Zunge seiner begegnete und ihr Körper sich fordernd über seinem bewegte. „Ich begehre Euch, Abul", flüsterte sie an seinem Mund, und gleichzeitig versuchte sie, seine Kniehose aufzuschnüren. Das war schwierig, weil sie sich dazu ein wenig über ihm erheben mußte, andererseits aber keine Sekunde lang den Kontakt mit ihm verlieren wollte. Abul liebte es, wie Sarita ihre Leidenschaft so ungehemmt zeigte. Er liebte es, wie sie nach seinem Körper hungerte und nach seiner langen Abwesenheit jetzt keine Zeit für ein Vorspiel hatte, sondern ihr ungezügeltes Verlangen so deutlich ausdrückte. Er hob die Hüften ein wenig an, damit sie ihm die Hose herunterstreifen konnte, die jedoch leider an seinen Sporen hängenblieb. Sarita lachte leise, gab ihre Bemühungen um das störrische Kleidungsstück auf und liebkoste statt dessen den Teil seines Körpers, den sie freigelegt hatte. Ganz bewußt atmete sie seinen Duft ein und ließ ihre Zunge und ihre Zähne Spiele treiben, die sie selbst immer mehr erregten. Ihr Verlangen wurde unbezähmbar. Sinnlich lachte sie auf, hob sich rittlings über Abul, raffte ihre Röcke bis zur Taille hoch und ließ sich dann so auf ihn herab, daß er sofort den Eingang zu ihr fand. Abul lachte ebenso lustvoll wie sie. Er hielt ihr die Röcke hoch und beobachtete die Bewegungen ihrer weißen Schenkel, während sie sich mit ihm im heißen Rhythmus ihrer Leidenschaft bewegte. Unvermittelt riß sie sich die Netzhaube vom Kopf, und die ganze herrliche Lockenpracht floß herab. Im selben Moment erreichte sie den Höhepunkt, schrie auf und sank vornüber. Die wilde Kas-
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kade ihres Haars breitete sich über Abul aus, ihre Lippen preßten sich auf seine, und auch er versank im Rausch der Ekstase. „Ich heiße Euch willkommen, mein Emir", murmelte Sarita an Abuls Lippen, als sie genug Luft zum Sprechen hatte. „Ich denke, dies war eine angemessene Begrüßung, nicht wahr?" „Zweifellos", flüsterte er noch außer Atem. „Was bist du doch für ein wildes Wesen, Sarita, Liebste." „Hättet Ihr mich denn gern anders?" Sie löste sich langsam von ihm und legte sich an seine Seite. Ihre Röcke waren noch immer bis zur Taille hochgerafft. „Nein." Er strich ihr mit einem Finger über die Schenkel. „Niemals." Eine Minute noch lagen sie still beieinander, dann entsann sich Abul des Wesirs, der ihn in seiner Amtskammer erwartete. Er stöhnte. „Liebste, es gibt Dinge, die ich tun muß." „Dann tut sie doch." Sie setzte sich aufrecht. „Je früher Ihr damit fertig seid, desto eher könnt Ihr zurückkehren. Solltet Ihr nicht dieses Pergament lesen?" Abul rollte vom Diwan und hob das Schreiben vom Boden auf. „Ja, das muß ich wohl." Er ging zu dem verhangenen Alkoven, der als „heimliches Gemach" diente. Sarita saß auf dem Diwan, hatte die Knie hochgezogen und die Arme um sie geschlungen. Heute fühlte sie nicht die Trägheit, die einem so wilden Liebesspiel sonst immer zu folgen pflegte. Im Gegenteil, sie schäumte fast über vor lauter Tatendrang und Neugierde. 352
„Was steht in diesem Brief?" Sie glitt vom Diwan und ging zu dem Vorhang. Abul kam dahinter hervor. Seine Miene war düster, obwohl er zu lächeln und sich in die Stimmung zurückzuversetzen versuchte, in der er sich noch vor einer Minute befunden hatte. Nur war diese Stimmung durch Spannung und Ungewißheit ausgelöscht worden, und beides gab es jetzt nicht mehr. „Er ist von Aishas Vater", antwortete er, warf das Pergament auf den Diwan und verschnürte sich die Hose wieder. „Darin steht nur, daß sie sich unter seinen Schutz begeben hat.., Ich muß sofort mit dem Wesir sprechen, Sarita." Sie nickte. „Ich halte Euch nicht auf. Kommt nur recht bald zurück." „Gewiß, Liebste." Er zog sie zu sich heran. „Wie kannst du das bezweifeln?" „Ich bezweifle es ja gar nicht." Sie hob ihm das Gesicht entgegen. Draußen im Vorraum wurde scharf an die Tür geklopft. „Mein Emir? Ein Bote von den Abencerrajes ist eingetroffen!" riefjemand von draußen. „Er will Euch sprechen." „Jetzt schon?" murmelte Abul vor sich hin. Ohne weitere Abschiedsworte verließ er das Schlafgemach, und Sarita hörte, wie draußen die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Das Pergament der Mozärabes lag auf dem Diwan.
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19. KAPITEL Das Pergament war selbstverständlich in arabischer Sprache geschrieben und deshalb für Sarita weitestgehend unverständlich. Sie rätselte über den Schriftzeichen und vermochte höchstens ein oder zwei Worte zu entziffern. Fadha hatte ihr das Sprechen beigebracht, sie aber nur wenig im Schreiben und Lesen unterwiesen. Bäuchlings lag sie jetzt auf dem Diwan, die Beine hochgewinkelt, die Füße gekreuzt, und brütete über der Schrift, als sie Sulemas Schritte im Hauptraum hörte. „Kannst du deine Sprache lesen, Sulema?" rief sie. Die Dienerin erschien im Türbogen und schüttelte den Kopf. „Nein, aber Kadiga ist darin ausgebildet. Soll ich nach ihr schicken?" „Ja, bitte", sagte Sarita etwas geistesabwesend, denn ein Wort schien ihr aus dem Brief direkt entgegenzuspringen. Es kam mehrere Male in dem Text vor und schien also eine gewisse Wichtigkeit für den Gesamtinhalt zu haben. Als Kadiga eintraf, zeigte Sarita ihr das Wort, wobei sie den Text darüber und darunter sorgfältig abdeckte, weil sie sich sagte, Abul würde es sicherlich nicht gefallen, wenn sein Korrespondenz beim Palastpersonal bekannt würde. „Das heißt ,Ungläubige'", antwortete Kadiga ohne Zögern. „Hm. Und dies hier heißt, glaube ich, ,Frau'. Und das hier ist der Name unseres Emirs." 354
„Ich ahnte nicht, wie weit deine Bildung schon fortgeschritten ist, Sarita." Abuls Stimme kam vom Türbogen her. „Leider nicht weit genug." Sarita schwenkte die Beine in der Luft. „Würdet Ihr mir hierbei helfen?" „Ist dir nicht die Idee gekommen, das könnte möglicherweise ein privates Schreiben sein?" fragte er sehr freundlich und winkte unterdessen Kadiga hinaus. „Nein, denn in diesem Fall hättet Ihr es ja wohl nicht auf dem Diwan liegen lassen." „Richtig", sagte er immer noch freundlich. „Und ich hatte dir schon gesagt, was darin steht." Sie schüttelte den Kopf. „Nur einige Teile davon, aber nicht die wichtigen Einzelheiten." „Warum möchtest du sie wissen?" „Weil sie Euch bedrücken und weil ich glaube, sie haben etwas mit mir zu tun." Sie blickte Abul herausfordernd an, und weil er nicht gleich antwortete, sprach sie weiter. „Es könnte zum Beispiel in dem Brief heißen, daß meine Anwesenheit hier der Grund dafür war, daß Ihr Aisha verstoßen habt, daß Ihr sie eingekerkert hattet und sie verbannen wolltet, weil ich die größere Gunst vor Euch gefunden habe. Wer erfährt etwas von dem versuchten Giftmord und den ehrgeizigen Plänen, wenn Aisha es nicht erzählt?" „Mir scheint, du hast viel nachgedacht." Er setzte sich neben sie auf den Diwan und legte ihr die Hand auf den Rücken. „Jetzt sehen wir uns dies hier einmal gemeinsam an und schauen ob du noch mehr entziffern kannst." 355
„Weshalb lest Ihr es mir nicht einfach vor?" Sie hielt ihm das Pergament über die Schulter hinweg entgegen. „Das ginge viel schneller, und an Sprachunterricht bin ich im Augenblick wirklich nicht interessiert." „Auch gut", sagte er und nahm ihr den Brief aus der Hand. „Also, Aishas Vater teilt mir mit, daß sich seine Tochter unter seinem Schutz befindet, nachdem sie vor der barbarischen Behandlung und der ihr bevorstehenden ungerechtfertigten Verbannung entflohen ist. Ihr Vater hält die Behandlung seiner Tochter durch mich für eine Beleidigung seiner Familienehre. Die Verstoßung Aishas zu Gunsten einer Ungläubigen und gefangenen Sklavin verdoppelt die Beleidigung. Das Oberhaupt der Mozarabes wird dafür Rache nehmen. Er macht mir meine Führerschaft streitig mit der Begründung, ich hätte das Recht auf die Loyalität des Volks von Granada verwirkt. Er verlangt, daß ich mein Emirat zu Gunsten meines Sohnes aufgebe, für den ein Regent noch durch Ratsversammlung zu bestimmen sei." Abul hatte den Inhalt des Schreiben mit monotoner Stimme vorgetragen. Jetzt rollte er das Pergament wieder zusammen und tippte damit leicht auf Saritas Kopf. „Jetzt weißt du es also, Sarita. Was hast du dazu zu sagen?" Sie drehte sich herum und blickte zu ihm hoch. „Ich würde sagen, Ihr müßt die Wahrheit über Aishas Verrat von allen Wachtürmen laut verkünden, bevor zu viele Menschen glauben, was sie erzählt hat." „Ich habe keine Beweise."
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„Dagegen bin ich hier als lebendiger Beweis für die Beschuldigungen, die das Oberhaupt der Mozarabes vorträgt", sagte sie langsam. „Werden ihm andere Menschen glauben?" Abul nickte. „Das Oberhaupt der Abencerrajes, der zweitmächtigsten Familie Granadas, hat soeben eine ähnliche Forderung nach meiner Abdankung gestellt, und wenn ich dieser Forderung nicht nachkomme, wird das militärische Konsequenzen nach sich ziehen." „Und alles meinetwegen." Sarita wurde es ganz übel bei diesem Gedanken. Abul schüttelte den Kopf. „Damit hängt viel mehr zusammen, Sarita. Du bist nur ein Vorwand für den Ausbruch einer seit vielen Jahren schwelenden Opposition. Bedauerlicherweise habe ich in der letzten Zeit einige Fehler gemacht, welche die Unentschiedenen dazu veranlaßt haben, in das Lager dieser Opposition überzulaufen." „Meint Ihr Fehler in Eurem Verhalten Aisha gegenüber?" „Ja. Ich war zu sorglos und habe die deutlichen Warnsignale übersehen." „Und was ist nun zu tun?" „Ich muß mich der Herausforderung stellen, und dann werden wir sehen, welche Schritte die Gegenseite als nächstes unternimmt." „Seid Ihr sehr besorgt?" Sie nahm seine Hand und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. „Es ist ernster, als ich anfangs dachte. Und wenn wir innerhalb unserer eigenen Grenzen Krieg führen, finden die Geier draußen
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leichte Beute. Das ist es, was mir die allergrößten Sorgen bereitet." „Ihr werdet Granada an die Spanier verlieren?" „Eines Tages ganz gewiß", bestätigte er. „Wir können uns nicht ewig auf diesem Stück der Halbinsel gegen die vereinigten Kräfte von Aragon und Kastilien halten. Ich würde es natürlich vorziehen, wenn unser maurisches Reich nicht gerade während meiner Regierungszeit verlorenginge." „Ja, das verstehe ich." Sie hob seine Hand an die Wange. „Es muß einen Weg geben, wie ich Euch helfen kann." „Das tust du allein durch deine Anwesenheit", sagte er. „Ich muß wissen, daß du hier sein wirst, wenn ich von dir fortgehen muß." Sarita lächelte ein wenig wehmütig. „Verschweigt mir nichts, Abul. Ich möchte, daß Ihr mir das versprecht." „Ich verspreche es." Der Emir sandte eine eindrucksvolle Erwiderung an diejenigen, die ihm seine Autorität streitig machen wollten, und er bereitete die Alhambra darauf vor, einer Belagerung oder einem direkten Angriff Widerstand zu leisten. Zwar würde eine etwaige militärische Aktion ohnehin wenig Aussicht auf Erfolg angesichts einer Festung wie der Alhambra haben, doch allein solche Versuche würden Muley Abul Hassan in den Augen seiner Verbündeten schwächen, und viele von ihnen würden sicherlich nicht auf einem sinkenden Schiff bleiben wollen. Für sie stand im Fall einer Niederlage zuviel auf dem Spiel.
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Abul schickte patrouillierende Truppen auf die Straßen seines Reiches, und diese berichteten von Scharmützeln zwischen seinen Männern und denen der Mozarabes oder der Abencerraj es. Allianzen wurden geschlossen und wieder aufgelöst, Konspirationen ausgeheckt und aufgedeckt. Abul hatte überall seine Spione; er heckte ebenfalls Konspirationen aus und verbreitete seine eigenen Gerüchte. Eines Nachmittags traf eine Abteilung von Soldaten vor den Toren der Alhambra ein, die eine Botschaft des Oberhauptes der Mozärabes überbringen sollte. Diese Botschaft war in einem Holzkasten enthalten und stellte sich als der Kopf eines der Spione des Emirs heraus; der Mann hatte am Hof Ferdinands und Isabellas in Cördoba gearbeitet. Die Botschaft war deutlich. Die gegen den Emir Verbündeten hatten die Unterstützung der spanischen Monarchen gesucht und gefunden. Was mögen sie wohl als Gegenleistung geboten haben? fragte sich Abul. Den Treueeid des zukünftigen Emirs Spanien gegenüber? Da Abul nicht immer die Zeit hatte, Saritas viele Fragen zu beantworten, hatte sie sich angewöhnt, auf die Gerüchte innerhalb des Palastes zu lauschen. Kadiga war eine zuverlässige Übermittlerin des Küchenklatsches, und der war ziemlich zuverlässig, wie Sarita bald merkte. Abul war so gelassen und ausgeglichen wie immer, als könnten ihm die Gefahren und Tumulte um ihn herum nichts anhaben. Jedenfalls gab er sich diesen Anschein. Sarita hegte da ihre Zweifel. Er hatte seinen Humor, sein Lachen und seine Zärtlichkeit verloren, an die sie sich so gewöhnt hatte. Sie hätte ihm so gern geholfen, wußte indessen nicht, wie. Sie war immer für ihn da, und manchmal kam er mitten am Tag zu 359
ihr, weil er sich in ihrer Liebe verlieren wollte, die sie ihm so uneingeschränkt schenkte. Und jedesmal schaffte sie es, daß er danach gestärkter in den Kampf zurückkehrte. Eines Tages, als Sarita im Frauenhaus dem Harfenisten und dem Plaudern der Damen zuhörte, erschien Kadiga, die von dem Chaos außerhalb der Mauern dieses goldenen Käfigs vollkommen unbeeindruckt zu sein schien. „Der Herr wünscht, daß Ihr ihm in den Bädern Gesellschaft leistet", richtete sie ruhig wie immer aus. Sofort erhob sich Sarita. Zwei Wochen war es her, seit Abul zuletzt den Ort der Ruhe und Harmonie mit ihr geteilt hatte. Sie trat in den Saal des Eintauchens. Abul saß bereits im warmen Wasser; Leila bediente ihn. Sie half Sarita beim Auskleiden und verschwand dann. Sarita stieg in das Wasser und setzte sich Abul gegenüber. „Geht es Euch gut?" erkundigte sie sich leise und beobachtete ihn genau, wenn auch heimlich. Er lächelte ein wenig. „Mir geht es gut." „Aber ruhig seid Ihr nicht." „Nein", bestätigte er. „Das nicht." „Euch bedrückt etwas außer den naheliegenden Dingen." Er nickte. „Ich werde dich von hier fortschicken, Sarita." Mit einem Ruck setzte sie sich aufrecht. „Was habt Ihr da gesagt?"
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„Es muß sein", erklärte er mit Nachdruck. „Nein, hör mir zu." Er packte sie am Handgelenk, damit sie nicht aus dem Wasser sprang. „Du befindest dich hier in Gefahr." „Für Euch ist es hier gefährlich!" widersprach sie und zerrte an ihrem Arm. „Wie könnt Ihr nur so reden?" „Sarita, wenn die Alhambra fallt, ist dein Leben keinen Heller mehr wert. Ich muß dir nicht lange auseinandersetzen, weshalb nicht." „Nein, das müßt Ihr nicht, aber ich beanspruche das Recht, meine eigenen Risiken einzugehen", gab sie zurück. „Und weshalb sprecht Ihr jetzt von dem Fall der Alhambra? Ist denn etwas Besonderes geschehen?" Er schüttelte den Kopf. „Dennoch muß ich Vorkehrungen treffen. Du wirst von hier über die Pässe nach Cordoba gehen. Die Paßstraßen werden von meinen Männern gehalten. In deinem eigenen Land wirst du in Sicherheit sein. Wenn dies hier vorbei ist, hole ich dich zurück." Sie starrte ihn erschüttert an. „Ihr werdet mich nicht holen kommen, weil Ihr erwartet, daß Ihr dies hier nicht überlebt. Ihr habt die Hoffnung verloren." Abul schwieg. Nicht die Hoffnung hatte er verloren, sondern die Neigung. Er blickte Sarita an, das Licht seines Lebens. Er begehrte nichts weiter, als den Rest dieses Lebens mit ihr zusammen zu verbringen, und ihm war es vollkommen gleichgültig, wo oder wie. Dreißig Jahre war er jetzt alt, und er hatte seine Pflicht erfüllt. Er wollte nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, sich mit 361
der Verteidigung einer Sache abzuplagen, die seiner Meinung nach nicht mehr zu verteidigen war. Andererseits war er der Sohn seines Vaters und durfte Granada nicht kampflos den Spaniern überlassen. Und das bedeutete, er mußte gegen sein eigenes Volk kämpfen. „Ich gehe nicht fort", erklärte Sarita. „Das wirst du doch tun." „Dazu könnt Ihr mich nicht zwingen." „Doch." „Wie?" „Ich könnte dich fesseln und knebeln und dich mühelos über die Grenze schaffen." Sarita hörte einen Anflug von Humor heraus. „Ja, das bezweifle ich nicht. Doch so meinte ich es nicht. Ihr könnt mich nicht zwingen, Euch zu verlassen." „Ich kann dir sagen, daß du mich durch deine Anwesenheit hier behinderst." Sarita erkannte, daß er jetzt die Wahrheit sprach. Behindern durfte sie ihn nicht, doch vielleicht konnte sie aus seiner Entscheidung auch einen guten Nutzen ziehen. „Die Straßen sind gefährlich, auch wenn sie unter der Bewachung Eurer Mannen stehen. Wie soll also meine Reise vor sich gehen? Ich meine, ungefesselt und ungeknebelt." „Als Junge verkleidet", antwortete Abul. „Mit Yusuf als Eskorte. Zwei einfache Bauersleute werden wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen." 362
„Ich verstehe." Eine Idee formte sich in Saritas Gedanken. „Diese Zeiten werden vorübergehen, Liebste." „Und was kommt danach?" Sarita blickte Abul direkt in die Augen. „Falls Ihr nicht siegt, werdet Ihr in diesem Kampf umkommen." Er widersprach nicht. Sarita runzelte die Stirn und dachte nach. „Eure Gegner gewinnen an Stärke, ja? Sie erhalten Unterstützung durch die Unentschiedenen?" Er seufzte. „Es scheint so." Sie schloß die Augen, als bekümmerte sie das sehr; in Wirklichkeit wollte sie sich nur ihre aufregenden Gedanken nicht ansehen lassen. Falls nun einer der Oppositionsführer davon überzeugt werden konnte, daß der Grund für die Klage gegen Abul auf der Lüge einer ehrgeizigen Frau und deren ebenso ehrgeizigen Vater beruhte, dann könnte möglicherweise die Koalition erschüttert werden. Und wenn die Oberen schwankten, würden die Niederen bald folgen ... „Wann soll ich abreisen?" „Bei Tagesanbruch. Yusuf versteht sich auf solche Reisen. Er wird dir sicheres Geleit bieten." Sie lächelte ein wenig. „Wird ihm eine solche Aufgabe auch gefallen? Yusuf macht es bestimmt keinen Spaß, Kindermädchen zu spielen." Abul lachte leise. „Ich frage ihn nicht nach seiner Meinung über meine Befehle." 363
Zwar scherzten sie jetzt und verdrängten die Tatsache, daß dies ihr letzter gemeinsamer Tag war, doch Sarita war von ihrer eigenen Idee durchdrungen. Hier erkannte sie eine Möglichkeit, etwas zu tun. Es war gefährlich, wenn auch nicht ganz aussichtslos. Also beugte sie sich Abuls Absicht und tat, als glaubte sie ihm, daß er sie aus Cördoba zurückholen würde, wenn alles vorüber war. Falls Abul ein leichtes Unbehagen darüber empfand, daß sich Sarita so fügsam gab, so zeigte er es nicht. Immerhin verhielt sie sich ja so, wie er es wünschte. Allerdings hatte er erwartet, daß sie sich mit aller Kraft widersetzen würde und unbedingt sein Schicksal teilen wollte. Genau das würde Sarita auch getan haben, hätte sie nicht ihre eigenen Möglichkeiten erkannt, in den Gang der Dinge einzugreifen. In dieser Nacht schliefen sie nicht. Abul und Sarita redeten miteinander, und sie liebten sich - manchmal wild, manchmal zärtlich. Sie träumten zusammen von der Zeit, die sie im Palast in den Bergen an der See verbringen wollten, wenn die Welt wie der in Ordnung war. Eine Stunde vor Tagesanbruch kamen Kadiga und Sulema herein. Sie waren ernst und redeten wenig, während sie unter Abuls Aufsicht einen breiten Stoffstreifen fest um Saritas Brust wickelten, so daß das Hemd, das sie ihr danach überstreiften, den Oberkörper eines jungen Burschen zu bedecken schien. Die Kniehose stellte kein Problem dar, und die Tunika darüber verdeckte die Rundungen ihrer Hüften. Ein Turban versteckte das auffallende Haar, und über den Turban wurde die Kapuze der Djellabah geschlagen.
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Sarita betrachtete sich kritisch im Spiegel, in dem sie allerdings nicht ihre ganze Gestalt sehen konnte. „Sehe ich nun wie ein Knabe aus?" Sie drehte sich zu Abul um. „Durchaus, und zwar wie ein höchst attraktiver Knabe. Du solltest Yusuf lieber nicht zu nahe kommen, bis du wieder Frauenkleider anziehen kannst." Meinte Abul das ernst? Es schien beinahe so. „Oh", sagte sie, als sie begriff. „Als ob mir nicht schon genug Gefahren bevorstünden - nun auch noch diese!" „Unter der Djellabah sieht man ja wenig von Euch", meinte Kadiga. „Und wenn wir noch ein bißchen Schmutz auf Eurem Gesicht verteilen, schaut niemand genauer hin. Alles was man sehen wird, ist ein kleiner, schmutziger Ziegenhirt." „Eine gute Idee, Kadiga." Abul ließ sich seinen Kummer nicht anmerken und tat so, als wäre das Ganze ein erheiternder Mummenschanz. Schließlich war die Verkleidung vollständig. Sarita konnte sich von Abul nicht angemessen verabschieden, weil sie dann zugegeben hätte, daß es möglicherweise keine Wiederbegegnung mehr geben würde. Als er sie fest zu sich heranzog, küßte sie ihn nur leicht, zog sich dann zurück und bemerkte scheinbar fröhlich, daß sie ihn ja innerhalb weniger Wochen wiedersehen würde. Sie sah ihm an, daß er begriff. Wie üblich, kniff er sie spielerisch in die Nase und empfahl ihr scherzhaft, sich vor all jenen Männern in acht zu nehmen, die solch hübsche Knaben anziehend fanden. Sarita versuchte, sich ebenso unbekümmert von Kadiga und Sulema zu verabschieden, die ihr zu guten Freundinnen geworden 365
waren. Den beiden standen die Tränen in den Augen, und sie mußte ihre eigenen hinunterschlucken, denn Tränenspuren hätten ja die sorgsam auf ihrem Gesicht angebrachten Schmutzstreifen verwischt. Yusufwartete im ersten Licht des Tages im Hof der Alcazaba. Er besichtigte Sarita kurz von oben bis unten, nickte dann und schwang sich auf ein robustes Pony. Sarita, die ja die Rolle des Geringeren von beiden spielte, bekam einen Maulesel. Beide Tiere waren mit Packtaschen beladen. Saritas enthielten ihre Frauenkleider, Haarbürsten, Kämme, Bänder, Seife, Zunder und Feuerstein. Außerdem enthielten sie - wovon Sarita nichts wußte - einen Beutel mit Golddukaten, der in das Futter eines Samtumhanges eingenäht war. Yusufs Packtaschen enthielten Waffen, Lebensmittel, Kochgeschirr, ein Zelt, eine Laterne und Kerzen. Alles für eine einigermaßen komfortable Reise war also vorhanden. Ein letztes Mal noch drehte sich Sarita zu Abul um, strich ihm leicht mit dem Finger über die Lippen und stieg dann auf den breiten Rücken des Maulesels. Als Yusuf und sie durch das Tor der Gerechtigkeit hinausritten, schaute sie sich nicht mehr um. Würde sie die Alham-bra jemals wiedersehen? Wollte sie überhaupt in diesen goldenen Käfig zurückkehren? Abul und die Alhambra waren nicht voneinander zu trennen, und wenn sie ein Leben in Liebe mit ihm nur innerhalb dieser Mauern haben konnte, dann würde sie das akzeptieren. Sie hatte es ja schon vor vielen Wochen akzeptiert. Und jetzt wollte sie alles aufs Spiel setzen, um die Fortdauer dieses Lebens in Liebe sicherzustellen.
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Yusuf und Sarita ritten schweigend bergauf die Paßstraße entlang, auf der man zur spanischen Grenze und zu der Stadt Cördoba gelangte. Wie Sarita bekannt war, befand sich der Sitz der Abencerrajes nahe an dieser Grenze. Sie wartete so lange, bis sie schon einen so weiten Weg zurückgelegt hatten, daß die Umkehr kaum noch möglich war, und erst dann sprach sie. „Yusuf, wie nahe sind wir beim Palast der Abencerrajes?" Daß sie so gut arabisch sprach, verwunderte ihn. „Nicht so nahe, daß du dich fürchten müßtest." „Ich fürchte mich auch nicht. Ich will, daß du mich dorthin führst." Yusuf zerrte so heftig an den Zügeln seines Ponys, daß das Tier auf der Stelle stehenblieb. „Du willst doch nicht etwa ..." „Selbstverständlich nicht. Sei kein Narr." Yusuf richtete sich halb in seinen Steigbügeln auf und starrte seine Schutzbefohlene wütend über diese brüske Zurechtweisung an. Hastig bemühte sich Sarita, ihn mit einer Entschuldigung zu besänftigen. „Ich wollte dich nicht beleidigen, Yusuf, aber ich liebe deinen Herrn, unseren Emir; wie konntest du annehmen, ich wollte ihm schaden?" „Was willst du denn dann?" „Ich will zu dem Oberhaupt der Abencerrajes gehen", erklärte sie. „Ich will ihm die Wahrheit über Aisha und mich sagen. Ich will ihm versichern, daß es nicht meine Absicht ist, die alte Ordnung zu stören. Ich werde niemals Abuls Erste Frau werden. Erstens
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wäre das gegen alle Sitten eures Volkes, und zweitens begehre ich eine solche Position auch gar nicht." Yusuf schwieg, wenngleich man seinem aufmerksamen Blick sein Interesse ansah. Sarita sprach weiter. „Nur die Mozarabes haben durch Muley Abul Hassans Absetzung viel zu gewinnen. Wenn man also die Abencerrajes davon überzeugen könnte, daß sie dafür benutzt werden, den politischen Ehrgeiz der Feinde unseres Emirs zu befriedigen, ziehen sie vielleicht ihre Unterstützung zurück. Zumindest haben sie dann etwas, worüber sie nachdenken können." „Woher willst du wissen, daß sie einer wie dir glauben? Einer Frau und einer Ungläubigen dazu!" „Welchen Grund, wenn nicht die Wahrheit, sollte ich wohl haben, mich Gefahren auszusetzen?" Yusuf zupfte nachdenklich an seinem kurzen, spitzen Bart. „Und weshalb willst du nicht die Gemahlin unseres Emirs werden? Wer würde einer Frau glauben, die eine solche Position ausschlägt?" „Ich bin keine Frau eures Volkes", antwortete Sarita ruhig. „Ich sehe das Leben nicht mit denselben Augen. Ich wünsche mir kein Leben in einem Harem." „Mag sein, aber wenn du das Bett des Emirs teilst, verfügst du über die Macht der Favoritin. So wird man es jedenfalls betrachten." So hatte es Sarita noch nicht gesehen. Es stimmte natürlich. Die Nähe zu Muley Abul Hassan brachte eine gewisse Macht mit sich, und aus dieser Nähe hatte sie Aisha verdrängt, weshalb die Erste Frau sie auch hatte beseitigen wollen. „Willst du damit sa368
gen, ich müßte auf Abul ganz verzichten, wenn ich glaubhaft sein will?" Yusuf nickte. „Solange du an seiner Seite bleibst, werden die Mozarabes ihre Vorwürfe aufrechterhalten." Sarita schaute zum blauen Himmel hinauf. Konnte sie einen solchen Verzicht aussprechen? „Wenn ich also auf den Emir verzichten muß, so werde ich das tun." Sie wußte genau, daß Abul sich damit nicht abfinden, sondern sie zu sich zurückholen würde, sobald sich die Wogen geglättet hatten, doch zunächst mußte sie so tun, als meinte sie ihre Verzichtserklärung ehrlich. Später wollte sie sich dann dem Machtzentrum fernhalten und damit nicht länger eine Bedrohung darstellen. Sie wollte zurückgezogen in Abuls Palast beim Meer wohnen, und Abul würde sie dort besuchen, wenn es ihm möglich war. Ein halbes Leben in Liebe war schließlich besser als gar keines. „Ja, ich werde es tun", sagte sie fest und blickte Yusuf dabei in die Augen. Wenn sie diesen Mann zu überzeugen vermochte, dann würde es ihr auch bei allen anderen Personen gelingen. Lange betrachtete er sie, und dann nickte er langsam. „Man könnte dich allerdings ebensogut umbringen, statt dir zuzuhören", bemerkte er. „Darauf bin ich vorbereitet. Bringst du mich also zum Palast der Abencerrajes?" „Unser Emir wird dafür meinen Kopf fordern." „Du brauchst es ihm ja nicht zu erzählen."
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„Was denn - Muley Abul Hassan anlügen?" Yusuf verzog das Gesicht. „Wie du willst, Yusuf. Bringe mich zu einem Punkt, der von dem Palast der Abencerrajes eine Meile entfernt ist, und dann schlafe tief und fest ein." „Ich sollte dich zum Palast begleiten." „Dich bringen sie ganz bestimmt um. Mich nur vielleicht." Das war unbestreitbar wahr. „Du kehrst zu deinem Herrn zurück und sagst ihm nur, ich hätte mich von dir nicht über die Grenze begleiten lassen wollen. Sage ihm, ich hätte mich selbst nach Cördoba durchschlagen wollen, um dort auf ihn zu warten." Yusuf dachte lange nach. „Es könnte möglich sein, daß du die Abencerrajes überzeugst. Sie und die Mozärabes waren immer recht unsichere Verbündete. Wenn das Oberhaupt dir abnimmt, daß alles nur Manipulation war..." Er zuckte die Schultern. „... nun ja, möglich wäre es." „Also bringst du mich hin?" „Ja." Er setzte sein Pony wieder in Bewegung und ritt vom Pfad hinunter. Sarita folgte ihm auf ihrem Maulesel hinterher, bis Yusuf einen weiteren Pfad fand, der durch Buschwerk und rauhes Felsgestein führte und so schmal war, daß man ihn kaum erkennen konnte. Am Mittag hielten sie bei einem Bach an. Yusuf erlegte ein Rebhuhn mit seinem Bogen, rupfte es, nahm es aus und entzündete ein Feuer. Sarita und er aßen schweigend und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Auf dem Weiterritt begegneten ihnen einige Bauern 370
und Ziegenhirten, die jedoch kein Interesse an so gewöhnlichen Reisenden zeigten. Als die Nacht anbrach, befanden sie sich bereits auf dem Land der Abencerrajes. Sie schlugen ihr Lager in einem ungepflegten Olivenhain auf, und da sie kein Feuer anzünden wollten, aßen sie nur Käse, Oliven und Datteln und tranken Wasser aus einem Lederschlauch, den Yusuf in seinen Packtaschen mit sich führte. Als es ganz dunkel war, folgte Sarita Yusuf aus der Deckung des spärlichen Hains heraus. Sie kletterten ein Stück bergauf, bis sie die Lichtpunkte auf der Ebene unter sich erkannten. „Das ist die Festung der Abencerrajes", erklärte Yusuf. „Zwei Stunden Weg vom Olivenhain aus." Sarita nickte. „Ich werde lieber von hier aus dorthin gehen, weil ich die Festung dann nicht aus den Augen verliere." Yusuf brummte etwas und kehrte auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Sarita folgte ihm. Sie wickelte sich in Decken und legten sich neben die angepflockten Reittiere. Yusuf drehte sich auf die andere Seite, als hätte er sich bereits von Sarita verabschiedet, und sie schaute durch die Blätter eines knorrigen Olivenbaums hinauf zu den am nachtschwarzen Himmel funkelnden Sternen. Nach einer Weile stand sie auf. Yusuf bewegte sich nicht. Das Pony wieherte leise, und der Maulesel scharrte mit den Hufen, als sie eine Handvoll getrockneter Aprikosen aus der Packtasche zog. Hunger schien Sarita eigentlich nicht ganz angemessen für jemanden, der auf dem Weg in die Höhle des Löwen war. Doch ihr Magen knurrte nun einmal.
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Sie überprüfte den Dolch an ihrer Hüfte unter den Falten ihrer Djellabah. Er glitt ganz leicht aus der Scheide und wieder hinein. Ob sie Gelegenheit haben würde, ihn zu benutzen, war fraglich, und ob sie gegebenenfalls überhaupt etwas mit ihm ausrichten konnte, war noch fraglicher, aber sein Vorhandensein beruhigte sie. Auf nackten Sohlen verließ sie geräuschlos den Hain und schlug den Pfad ein, den Yusuf ihr zuvor gezeigt hatte. Trittsicher aus langer Erfahrung stieg sie dann den Abhang hinunter. Die Lichter in der Ebene waren gelöscht, und die Nacht näherte sich schon dem Morgengrauen, als Sarita unten ankam und sich fragte, wie sie am besten in die Festung hineingelangen konnte. Würde die Wache einen Ziegenhirten überhaupt zur Kenntnis nehmen? Höchstwahrscheinlich gewährte das Oberhaupt der Abencerrajes Ziegenhirten keine Audienzen ... Auf den Wehrgängen der Festung wurde Saritas Herannahen genau beobachtet: Ein Ziegenhirt ohne Ziegen tauchte aus dem Nichts und der Dunkelheit der Nacht auf und kam zielstrebig auf die Festung zu. In diesen unruhigen Zeiten wurde jeder ungewöhnliche Ankömmling mit Mißtrauen betrachtet, auch wenn er, wie es schien, ein so unkriegerischer war wie dieser einsame, dünne Junge. Drei Soldaten wurden losgeschickt, um den kleinen Burschen festzunehmen und zum Wachturm zu bringen. Saritas Herz schlug heftig, als sie die drei bewaffneten Reiter auf sich zukommen sah. Die Soldaten riefen sie an, und sie bemühte sich, tapfer zu antworten, aber ihre Zunge wollte vor Angst nicht so recht gehorchen.
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„Ich habe dem Herrn der Abencerrajes etwas mitzuteilen", brachte sie heraus. „Woher?" „Von der Alhambra." Dies erregte nun doch die Aufmerksamkeit der drei Männer. Sie umringten Sarita drohend, die kräftigen Hengste stießen sie an, und deren Hufe gerieten ihren nackten Zehen beängstigend nahe. „Bitte", sagte sie und stand stocksteif da. „Ich habe nicht Böses im Sinn. Ich will eurem Herrn nur eine wichtige Botschaft übermitteln." Einer der Soldaten beugte sich hinunter, griff Sarita beim Arm und zog sie daran aufs Pferd. Sie bemühte sich, mit ihrem Körper nicht an den des Mannes zu geraten, weil sie befürchtete, er könnte etwas Weibliches an ihr fühlen. Der Soldat machte allerdings keine Anstalten, sie zu berühren, und so galoppierten die drei Pferde wieder zu dem Tor der Abencerraje-Festung zurück. Der Hof, der hinter diesem Tor lag, glich dem der Alcazaba der Alhambra. Überhaupt war hier vieles ähnlich wie auf der roten Burg, nur sehr viel bescheidener. Dafür spürte man die kriegerische Kraft, die hinter allem stand. Überall sah man Soldaten, und auf den Wehrgängen patrouillierten bewaffnete Wachposten. Man brachte Sarita in einen runden Raum im Torturm, wo der Wachoffizier schon wartete. Er betrachtete den kleinen „Ziegenhirten" mit den ungewöhnlichen grünen Augen und fragte sich, was mit dem Jungen nicht stimmte. 373
„Was ist dein Anliegen?" „Ich komme von der Alhambra. Ich habe eine Botschaft für das Oberhaupt der Abencerrajes." „Dann gib sie mir." „Nein, sie muß persönlich überreicht werden." Der Wachoffizier schaute unschlüssig drein. War der Bursche vielleicht ein Attentäter? Nun, er würde nie nahe genug an den Herrn herankommen, um Schaden anzurichten, zumal wenn er unter Bewachung stand. Aber irgend etwas hatte der Junge an sich, irgend etwas sehr Eigenartiges. „Schließt ihn ein", befahl der Offizier seinen Männern. „Aber ich muß doch... " Ihr Protest erstarb, als ihr der Mann einfach den Mund zuhielt. Sie wurde aus dem Raum gezerrt und in eine kleine, viereckige, dunkle Zelle geworfen. Die Tür wurde geschlossen und ein schwerer Riegel von außen vorgelegt. Zerschunden und vor Furcht zitternd stand Sarita im kalten Dunkel. Wollte man sie hier verkommen lassen? Im Mexuar trug der Wesir gerade einen schwierigen Fall von Diebstahl vor. Der Angeklagte schlotterte in seinen Ketten, denn wurde er schuldig gesprochen, würde es ihn die rechte Hand kosten; nur der Emir konnte das entscheiden. Abul merkte, daß er mit den Gedanken nicht bei der Sache war, die zur Verhandlung anlag. Er konnte nur daran denken, ob Sarita und Yusuf wohl inzwischen sicher die Grenze erreicht hatten. Draußen im Vorraum erhob sich einige Unruhe, und dann stürzte Yusuf herein. Er war völlig außer Atem, und der Schweiß lief ihm übers Gesicht. 374
Abul sprang auf. „Was ist geschehen? Wo ist Sarita?" Yusuf keuchte, rang die Hände und suchte nach Worten. Als er die Angst in den Augen seines Herrn sah, erkannte er, daß er selbst die falsche Entscheidung getroffen hatte. Indem er es zugelassen hatte, daß der liebste und teuerste Besitz des Emirs sich in Gefahr begab, hatte er, Yusuf, etwas getan, das den Herrn aus dem Gleichgewicht werfen würde. Muley Abul Hassan würde jetzt alles unternehmen, um seine christliche Huri zu beschützen. „Sprich!" Abul legte die Hände aufYusufs Schultern, und die im Mexuar Versammelten erschraken, als sie die leidenschaftliche Erregung des Emirs erkannten. „Nicht hier, Herr", brachte Yusuf heraus. Abul faßte sich wieder und wurde sich der im Mexuar Anwesenden bewußt. Was immer mit Sarita geschehen sein mochte, mit seiner Panik würde er nichts ausrichten. Er wandte sich an den Wesir. „Ich habe jetzt nicht die Zeit um mich dem vorliegenden Fall mit der erforderlichen Sorgfalt zu widmen, und ein überstürztes Urteil will ich nicht fällen. Bringt die Parteien morgen zurück. Dann werde ich die Sache gründlich durchdacht haben. Komm", sagte er dann an Yusuf gewandt. Mit einer Handbewegung entließ er alle aus dem Saal und ging zu der privaten Moschee an dessen hinterem Ende. Yusuf folgte ihm. Im Frieden des kleinen, für Gebet und Meditation bestimmten Raumes trat Abul in die gen Osten gerichtete Nische und blickt eine Weile auf die darin angebrachte Inschrift, aus der er neue innere Kraft bezog. „Sag mir, was geschehen ist", befahl er dann. Während Yusuf nun die ganze Geschichte hervorstammelte, hörte sein Herr regungslos zu. Erst als der Bericht erstattet war, drehte 375
sich Abul langsam um, und beim Anblick seines Gesichtsausdrucks erzitterte Yusuf. „Ich nehme an, du wirst deinen Verstand verloren haben", sagte Abul beinahe versonnen. „Ich halte es nicht für gerecht einen Mondsüchtigen zu bestrafen, weil er bei Vollmond wahnsinnig geworden ist." „Sprecht mein Todesurteil, Herr", sagte Yusuf gequält. „Was ich getan habe, tat ich aus Liebe zu Euch. Ich glaubte, die Frau könnte damit Erfolg haben, daß sie ... " „Wie ich schon sagte - du hast deinen Verstand eingebüßt", fiel ihm Abul so beängstigend ruhig wie zuvor ins Wort. „Was muß ich tun, Herr?" flüsterte Yusuf. Abul drehte sich zum Fenster und schaute auf das üppig grüne Flußtal hinaus. „Du wirst zurückgehen", sagte er. „Wie du das machst, ist mir gleichgültig, aber du wirst herausfinden, was mit ihr geschehen ist, und du wirst es mir melden. Du wirst weder ruhen noch speisen, bis du wieder hier bist und mir die Information lieferst, die ich haben will." „Das schwöre ich bei Allah, dem Barmherzigen." Yusuf warf sich vor der Gebetsnische zu Boden. „Ich schwöre, daß ich weder ruhen noch speisen werde, bevor ich den Willen meines Herrn erfüllt habe." Nachdem Yusuf gegangen war, blieb Abul noch lange in der kleinen Moschee. Er durfte jetzt nicht in Panik ausbrechen, sondern mußte seinen Verstand zusammenbehalten, bis Yusuf mit den Informationen zurückkehrte. Erst dann würde er wissen, was zu tun war. 376
Weshalb hatte er denn nicht vorausgesehen, daß Sarita ein solcher Schwachsinn einfallen würde? Eine Frau, die sich an einem selbstgedrehten Seidenstrick in eine Ravine abseilte, um dem Mann, den sie liebte, zu entkommen, weil er ihren Standpunkt nicht akzeptierte - eine solche Frau war schließlich zu allem fähig. Allerdings war sie auch überlebensfähig und zäh. Sie war kein schwaches Geschöpf, und sie verstand zu kämpfen. An diesen Gedanken mußte er sich festhalten, bis er ihre Rettung planen und durchführen konnte. Auf keinen Fall wollte er Sarita für seine eigene Machterhaltung opfern.
20. KAPITEL Der Riegel vor der Zellentür wurde hochgehoben, und dieses Geräusch weckte die Gefangene aus ihrem dumpfen Angstzustand. Als die Tür geöffnet wurde, bereitete sich Sarita auf grobe Hände und scharfe Befehle vor. Vier Soldaten standen draußen. Der erste von ihnen gab ihr ungeduldige Handzeichen, und sie trat in den Gang hinaus. Am liebsten hätte sie sich in ihrem Kapuzenumhang versteckt wie eine Schildkröte, die sich aus Furcht vor dem Unbekannten in ihren Panzer zurückzog. Einer der Männer faßte ihre Arme und hob sie ihr vom Körper; offenbar wollte man den „Jungen" nach Waffen durchsuchen. „Ich habe ein Messer", sagte sie hastig. „An meiner rechten Hüfte."
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Man nahm ihr den Dolch fort, betastete sie dann eher flüchtig und entdeckte sonst nichts Ungewöhnliches an der schlanken Gestalt. „Los, Bewegung!" kommandierte der Anführer und stieß sie in den Rücken. „Wohin bringt ihr mich?" Es gelang ihr, so energisch zu sprechen wie jemand, der sich nicht mit der Rolle eines Gefangenen abfinden wollte. „Ich muß mit eurem Herrn sprechen!" „Das wirst du auch", sagte der Anführer. „Vielleicht tut dir das hinterher noch leid." Er und seine Kameraden lachten hämisch. Sarita wurde durch Korridore, über Höfe und durch Säulengänge vorwärtsgeschoben. Dabei sah sie, daß die Bauweise tatsächlich ähnlich war wie die der Alhambra, nur erschien sie wesentlich schlichter. Auffallend war das Fehlen von Wasser. Hier gab es keine Brunnen, keine künstlich angelegten Bäche und demzufolge auch kaum Pflanzenbewuchs. Schließlich betraten sie ein Vestibül. An der Tür, die zu einem dahinter befindlichen Raum führte, standen Wachposten. Bei dem Gedanken daran, was sich wohl hinter der Tür befand, begann Saritas Herz wieder wie wild zu hämmern. Der Tod! Es sei denn, das Oberhaupt der Abencerrajes fand sich bereit, ihr zuzuhören. Die Tür wurde geöffnet, und der „Junge" wurde vor den hohen Herrn gestoßen. Vier Bewaffnete bewachten Sarita. Sie hob den Kopf und blickte dem Oberhaupt der Abencerrajes direkt in die Augen, ohne ihre Furcht zu zeigen. Der Mann war hochgewachsen und wesentlich älter als Abul. Seine grauen Augen schienen vollkommen ausdruckslos. Sie zeigten keine Spur von Interesse oder gar Freundlichkeit, keinen 378
Hinweis darauf, daß diesem Menschen zu trauen war. Sarita erschauderte, als ihr klar wurde, daß sie wahrscheinlich gespielt und verloren hatte. Das Oberhaupt der Abencerrajes würde weder mit Versprechungen noch mit der Wahrheit gewonnen werden können, es sei denn, die Wahrheit paßte ihm ins Konzept. Doch vielleicht paßte sie ihm ja ... Trotzig und stolz hob Sarita das Kinn. „Wer bist du?" Die Stimme des hohen Herrn klang kalt. Sarita schüttelte sich die Kapuze vom Kopf, hob die Hände und löste ihren Turban. „Sarita vom Stamm Raphael." Ihr Haar rieselte schimmernd auf ihre Schultern hinab. Tiefes Schweigen herrschte im Raum. Den aufgewickelten Turban in der Hand und den Blick fest auf den Mann gerichtet, stand Sarita still und wartete. Nach einer Weile atmete der Familienführer hörbar durch. „Also, Sarita vom Stamm Raphael", sagte er, „welches ist dein Anliegen an mich?" „Es ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, Herr." Wieder trat ein langes Schweigen ein, bevor er sprach. „Gut. Ich gewähre dir eine Privataudienz, aber nicht in der Kleidung eines Ziegenhirten, die du da trägst. Ich will sehen, was es ist, das meinen Glaubensbruder Abul Muley Hassan fehlgeleitet hat." Die Angst packte Sarita aufs neue, als ihr bewußt wurde, worin ihre Verletzbarkeit am Hof des Feindes bestand. 379
Tod war nicht das einzige, das sie zu befürchten hatte. „Meine Kleidung ist für meine Geschichte unerheblich." Er neigte den Kopf. „Schon möglich. Nichtsdestotrotz beleidigt es mich, eine Frau in dieser Aufmachung anschauen zu müssen." Er wandte sich an den Anführer der Wachabteilung. „Kleidet sie angemessen und bringt sie zu mir zurück." Ihre Bewacher, die sich bis jetzt von ihrer Verblüffung über die buchstäbliche Enthüllung nicht erholt hatten, traten nun heran. In ihren Augen erkannte sie die obszöne Begierde. Der Herr ging zu einer Tür, um den Raum zu verlassen. Sarita spürte Übelkeit aufsteigen, als ihr bewußt wurde, daß er sie diesen Männern ausgeliefert hatte, welche sie als leichte Beute betrachteten; eine Frau und Ungläubige, die sich ihnen freiwillig ausgeliefert hatte, verdiente nicht mehr Rücksichtnahme als die Frauen ihres eigenen Volks. Kurz bevor der hohe Herr den Türbogen durchschritt, blieb er noch einmal stehen. „Findet Frauen für diese Arbeit", befahl er über die Schulter hinweg. „Unsere Besucherin gehört vorerst mir." Der Soldat, der ihr den Arm auf den Rücken gedreht hatte, ließ sie nicht los, sondern drückte seine Enttäuschung dadurch aus, daß er Saritas Arm noch mehr verdrehte, was ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen trieb, doch der Befehl des Familienführers erleichterte sie so sehr, daß sie den Schmerz kaum beachtete. Wenig später war sie wieder in derselben dunklen Zelle des Wachturmes eingeschlossen. Bis jetzt war Sarita noch nicht ernsthaft belästigt worden, doch die Furcht davor wich nicht von ihr. 380
Kurz darauf betraten zwei Frauen die Zelle. Die eine trug einen Kerzenleuchter, und die andere hatte Stoffe über dem Arm hängen. Beide schwiegen. Sarita sagte ebenfalls nichts, wehrte aber die Versuche der beiden ab, sie zu entkleiden, sondern übernahm diese Aufgabe selbst. Sie legte die Djellabah ab, schnürte sich die Kniehose auf und zog sich das Hemd aus. Als die beiden Frauen den breiten Leinenstreifen sahen, der Saritas Brüste band, stockte ihnen hörbar der Atem. Eine von ihnen half beim Lösen des Knotens, den Kadiga so fest und sicher in Saritas Rücken geschürzt hatte. Als Sarita schließlich nackt dastand, hielt ihr eine der Dienerinnen ein fast durchsichtiges weißes Gewand entgegen, das wenig Schutz vor Kälte oder neugierigen Augen bot. Dies war nicht die Kleidung einer geachteten Frau, wie Sarita zu ihrem Kummer merkte. Dies war das Gewand einer Huri. Sollte sie gedemütigt werden? Und wenn schon! Ihre einzige Chance bestand darin, das Oberhaupt der Abencerrajes von der Wahrheit ihrer Geschichte zu überzeugen, und wenn sie das in diesem aufreizenden Gewand und in einer Privataudienz machen mußte, wollte sie es in ruhiger, würdevoller Haltung und mit möglichst wohlgesetzten Worten tun, um so den Eindruck zu widerlegen, den ihre Kleidung hervorrief. Sie wies die Pantoffeln zurück, die die Dienerinnen ihr anziehen wollten; den Schleier nahm sie allerdings entgegen. Damit bedeckte sie ihr feuriges Haar, ließ jedoch ihr Gesicht frei, weil sie damit ihre eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen wollte. Gerade als sie den Schleier befestigt hatte, wurde die Tür aufgestoßen. Der Anführer der Wachtruppe ließ den Blick in einer so unverschämten Weise über Saritas Gestalt schweifen, als wäre sie
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unbekleidet. Dann deutete er mit einer kurzen Kopfbewegung zum Ausgang. Als sie an ihm vorbeischritt, berührte er mit der Hand ihre Hüfte, und Sarita überlief es wieder eiskalt. Sie ließ es sich nicht anmerken und hob stolz den Kopf, als wäre es unter ihrer Würde, den Mann auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Diesmal wurde sie in ein kleines, intimes Gemach geführt. Seidenbehänge schmückten die Wände, und seidene Teppiche bedeckten den Mosaikfußboden. Das Oberhaupt der Abencerrajes lag auf einem Diwan und trank aus einemjuwelenbesetzten Becher. Nachdem die Wachmänner die Gefangene in den Raum geschoben hatten, gingen sie sofort wieder. Sarita blieb am Eingang stehen. Der hohe Herr begutachtete sie schweigend, während sie den Blick beharrlich auf eine Stelle an der Wand oberhalb seines Kopfes gerichtet hielt. Beinahe träge stellte der Familienführer seinen Becher auf den niedrigen Tisch neben dem Diwan und erhob sich. Er trat auf Sarita zu und zog ihr den Schleier vom Kopf. „Üppigkeit entspricht mehr meinem Geschmack", bemerkte er und befühlte ihre Brüste unter dem durchscheinenden Stoff. Sarita versuchte, nicht zurückzuzucken, sondern stocksteif stehenzubleiben, als berührte der Mann keinen lebendigen Menschen, sondern nur eine kalte Statue. „Nun, Muley Abul Hassan hatte ja schon immer einen ganz besonderen Geschmack", fuhr er versonnen fort und schnippte mit den Fingern gegen eine ihrer Brustspitzen. „Bist du eigentlich so kalt und gefühllos, wie du erscheinst? Wahrscheinlich wohl 382
nicht." Er zuckte die Schultern und wandte sich ab. „Du hast mir also eine Geschichte zu erzählen. Erzähle sie." Leider bebte Saritas Stimme, als sie zu reden begann. Sie unterbrach sich gleich wieder, schluckte und begann noch einmal. Der hohe Herr hatte sich inzwischen wieder auf seinem Diwan niedergelassen und hörte ihr jetzt mit halbgeschlossenen Augen zu. „Nun ja, das ist in der Tat eine recht interessante Geschichte", meinte er, als Sarita geendet hatte. „Ein Streit im Harem meines Freundes ist also der Vorwand für einen Krieg. Das ganze Reich von Granada ist wegen Eifersüchteleien zwischen Frauen unter Waffen." Das Oberhaupt der Abencerra-jes lachte plötzlich laut und beunruhigend. „Und du, Sarita vom Stamm Raphael, willst auf Muley Abul Hassan verzichten, dahin zurückkehren, woher du gekommen bist und alles so zurücklassen, wie es vor deinem Auftreten gewesen war." „Das habe ich gesagt", bestätigte sie, merkte jedoch, daß der Mann sie offenbar nicht ernst nahm. „Ich werde von hier aus nach Cördoba gehen. Ihr mögt mich bis zur Grenze begleiten lassen, falls Ihr meinem Wort nicht traut." „Oh, ich traue deinem Wort durchaus", sagte er immer noch lachend. „Du behauptest also, ich sei von den Mozarabes zum Narren gehalten worden." „Ich habe nur gesagt, daß die Mozarabes durch die Abdankung des Emirs am meisten zu gewinnen haben." „Nun, das ist wohl wahr", gestand er ihr zu. „Und der Grund, mit dem sie Muley Abul Hassans Abdankung verlangen, ist nicht stichhaltig und existiert auch überhaupt nicht mehr." 383
„Hm. Du hast wirklich Mut, Sarita vom Stamm Raphael. Ich weiß recht wenig von den Frauen deiner Rasse. Bist du ungewöhnlich?" Er hörte sich jetzt echt neugierig an; der Spott war aus seiner Stimme und seiner Miene verschwunden. Die Frage überraschte Sarita. „Das weiß ich nicht", antwortete sie unsicher. „Werdet Ihr mir nun sicheres Geleit nach Cordoba geben, Herr?" Er strich sich den Bart und hatte die Augen wie zur Meditation halb geschlossen. „Schon möglich", antwortete er nach einer Weile. „Du wirst doch nichts dagegen haben, erst noch eine kleine Weile mein Gast zu sein, hoffe ich." Wieder durchlief es Sarita eiskalt, und sie zitterte innerlich. „Weshalb solltet Ihr mich bei Euch behalten wollen? Ich habe getan, wozu ich gekommen bin." „Nun, das ist ja wohl ein bißchen naiv", sagte er sanft, nahm sich eine Dattel aus der Schale auf dem Tisch und betrachtete sie, als überlegte er sich, ob er hineinbeißen sollte. „Ich muß doch über das nachdenken, was du mir erzählt hast. Ich muß Rat einholen, und möglicherweise muß ich dir noch weitere Fragen stellen, bevor ich mich entscheide, was zu unternehmen ist." Er steckte sich die Dattel in den Mund und kaute genußvoll lächelnd. „Ihr zieht jedenfalls in Betracht, Eure Opposition gegen Muley Abul Hassan zurückzuziehen?" „Ich will es mir überlegen, und ich werde mir dazu Rat holen", wiederholte er. „Und du wirst unterdessen meine Gastfreundschaft akzeptieren."
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Sarita schwieg, denn es gab nichts mehr zu sagen. Sie hatte sich in die Höhle des Löwen begeben, und wenn der Löwe sie nun fressen wollte, konnte sie das nicht ändern. Der Familienführer läutete eine Handglocke, und sofort erschien der Wachmann. „Die Frau soll in der Alcazaba eingesperrt werden - über der Erde und ungefesselt. Eine verschlossene Zellentür und ein Wachmann genügen." Er lächelte und nahm sich noch eine Dattel. „Sie ist zu unbedeutend, um eine Gefahr darzustellen." Sobald man Sarita fortgeführt hatte, erhob sich der Familienführer der Abencerrajes von seinem Diwan. Alle Anzeichen von Trägheit waren verschwunden. Unruhig und klaren Blicks ging er im Raum auf und ab. Er bezweifelte die Geschichte der Christin nicht. Es sah den Mozarabes ähnlich, Weiberstreit zu ihren Gunsten zu benutzen. Falls Aisha tatsächlich versucht hatte, ihre Rivalin umzubringen, dann hatte sich Muley Abul Hassan rechtmäßig verhalten, und die Mozärabes hatten seine Argumente gegen ihn. Falls die Christin dazu noch die Alhambra verließ, gab es keinerlei legitime Grund mehr, sich gegen den Emir von Granada zu erheben und erst recht keinen Anlaß, die Spanier um militärische Unterstützung bei seinem Sturz zu bitten. Auf den ersten Blick gesehen, würden die Abencerrajes tatsächlich nicht soviel gewinnen wie die Mozärabes, wenn der Knabe Boabdil der neue Emir von Granada wurde, aber auf lange Sicht... Ein Kind und eine Frau auf dem Thron, das würde unweigerlich Chaos im Reich nach sich ziehen, und das war für jede ehrgeizige Familie eine Chance, zu Vorteilen zu gelangen. Allerdings würden die Spanier für ihre Hilfestellung bei Muley Abul Hassans 385
Sturz Bezahlung verlangen. Das Oberhaupt der Abencerrajes bezweifelte jedoch nicht, daß sie mit der Ergebenheitserklärung des neuen, kindlichen Emirs und einigem Geld zufriedenzustellen wären. Was würden die Abencerrajes dagegen gewinnen, falls sie die Allianz mit den Mozärabes brächen und zum Emir von Granada überliefen? Die Dankbarkeit Muley Abul Hassans und vielleicht noch einige Beförderungen gewisser Familienmitglieder, aber keinen wirklichen Zugang zur Macht. Muley Abul Hassan hielt die Zügel zu fest in seinen eigenen Händen. Der Familienführer der Abencerrajes hatte seinen Entschluß gefaßt. Es wurde Zeit, daß die lange Erbfolge der Nasridendynastie ein Ende nahm, und er war entschlossen, sich von der Beute soviel wie möglich zu sichern. Was sollte nun aus der Frau, der Huri des Emirs, werden? Sie einfach in der Alcazaba sterben zu lassen, würde niemandem nützen. Möglicherweise konnte man sie noch gut gebrauchen - als Druckmittel gegen Muley Abul Hassan zum Beispiel. Und wenn Aisha von der Festnahme ihrer Erzrivalin erfuhr, würde sie sich vielleicht dankbar zeigen und sich den Abencerrajes gegenüber verpflichtet fühlen. Das könnte sich für die Zukunft als sehr nützlich erweisen. Das Oberhaupt der Abencerrajes lächelte vor sich hin und läutete nach seinem Wesir. „Schickt sofort eine Botschaft an die Mozarabes. Die Antwort darauf will ich binnen zwei Tagen in Händen haben." Gleich nach der Siesta wurde Aisha zu ihrem Vater in die Ratskammer gerufen.
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„Ein Bote von den Abencerrajes ist eingetroffen, Tochter", teilte er ihr mit. „Ich glaube, du wirst seinen Bericht sehr interessant finden." Lächelnd überreichte er ihr die Pergamentrolle. Aisha las. „Naive Närrin", sagte sie leise, aber unüberhörbar triumphierend. „Zu glauben, sie könnte auf diese Weise in eine solche Angelegenheit eingreifen!" „Rede nicht so verächtlich, Tochter. Die Geschichte, die sie den Abencerrajes erzählt hat, ist offensichtlich dort geglaubt worden. Zu einer anderen Zeit und falls die Abencerrajes sich in einer anderen Stimmung befanden, hätte Saritas Eingreifen durchaus Erfolg haben können." Schweigend nahm Aisha die Zurechtweisung hin. „Wie die Dinge jedoch liegen, hatte sie keinen Erfolg, und es ist an uns, über ihr Schicksal zu befinden. Das Oberhaupt der Abencerrajes teilt uns mit, sie befände sich unter Verschluß, und mit ihr werde verfahren, wie wir nein, wie du es wünschst." „Ein langsamer Tod", sagte Aisha sofort. „Unsinn, Tochter", tadelte ihr Vater. „Wie können wir sie noch zu Gunsten unserer Sache verwenden? Was würde beispielsweise dein Gemahl für ihre Sicherheit geben?" Aisha erinnerte sich an Abuls Gesicht, als er sie zur Folter verurteilt hatte. Es war das Gesicht eines verzweifelt Entschlossenen gewesen. „Ein Königreich", antwortete sie. „Ja, ich glaube, er würde die Alhambra gegen das Leben der Ungläubigen eintauschen." „Das ist eine große Behauptung, Tochter." 387
„Sie kann überprüft werden", entgegnete Aisha. „Ich weiß auch, wie das am besten zu bewerkstelligen wäre." Ihr Vater lächelte: „Sprich, Kind." „Nun, ihr eigenes Volk wird Sarita vernichten. Den Abencerrajes hat sie geschworen, Granada zu verlassen, auf Abul zu verzichten und in ihr eigenes Land zurückzukehren. Dabei sollten wir ihr helfen. Die Höchst Katholischen Majestäten entwickeln bekanntlich eine wahre Leidenschaft dafür, verirrte Seelen ihres Volkes zu retten. Sarita ist ihnen bekannt; sie wissen, welche Uneinigkeit sie in unserem Reich hervorgerufen hat. Wir sollten sie den spanischen Königen übergeben - eine verirrte Seele, die ihrer eigenen Religion abgeschworen hat, um das Leben und den Glauben einer Ketzerin anzunehmen." Aishas Vater lachte. „Du hast wirklich großartige Einfalle, meine Tochter. Und Abul?" „Er wird selbstverständlich davon erfahren. Dem Boten, der diese Instruktionen zu den Abencerrajes bringt, werden wir empfehlen, unterwegs ein wenig indiskret zu sein und auf seinen Reisestationen seinen Weggefahrten das eine oder andere zu erzählen. Abul hat seine Spione überall." Ihr Vater nickte. „Ja, er wird es erfahren." „Und er wird versuchen, Saritas Freigabe in Cordoba zu erreichen. Allerdings glaube ich, es wird ihm nicht gelingen. Wenn die christliche Kirche erst einmal einen Sünder in ihren Fängen hat, läßt sie ihn so schnell nicht wieder frei, aber ich denke, Muley Abul Hassan wird das Interesse an allem anderen verlieren."
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„Und die Frau wird am Ende dennoch eines langsamen Todes sterben", fügte ihr Vater hinzu, „und zwar durch die Hände ihrer eigenen Landsleute." „Bei der nächsten öffentlichen Verbrennung in Cordoba", sagte Aisha mit großer Genugtuung. „Nach einer ausgedehnten Inquisition." Saritas Zelle war kahl, schmutzig und fensterlos. Eine schmale Holzplanke diente als Bett, ein Eimer als Abort. Jeden Tag brachte man ihr einen Krug mit Wasser, und nach dem ersten Tag begriff sie, daß das zum Waschen, zum Trinken und für alle ihre anderen Bedürfnisse ausreichen mußte. Man gab ihr Datteln, Oliven, trockenes Brot, genug, um sie am Leben zu erhalten, zu wenig, um den nagenden Hunger zu stillen. Als sie um eine Decke bat, weil sie in diesem kalten Steinverlies schrecklich fror, brachte man ihr einen mottenzerfressenen Umhang. Das war besser als gar nichts. Sie schlief die meiste Zeit. In ihren Träumen sah sie die Alhambra und Abul. Manchmal träumte sie so lebhaft, daß sie seine Hände an ihrem Körper fühlte. Dann wachte sie auf und war wieder von der Kälte und der Einsamkeit ihrer Zelle umgeben - und der immer gegenwärtigen Angst. Am siebten Tag öffnete sich die Tür, und Sarita wurde barsch in den Gang hinausbefohlen. Das helle Tageslicht blendete sie. Sie wickelte sich fest in den Umhang ein. Plötzlich wurde ihr bewußt, wie sie auf einen Betrachter wirken mußte: Sie war schmutzig, ihr Haar stumpf und strähnig, Staub und Schmutz hingen am Saum ihres Gewandes, und an ihren Füßen klebte der schleimige Unflat des Zellenbodens. 389
Das Oberhaupt der Abencerrajes saß auf einem erhöhten Sessel am Ende eines Raums, von dem Sarita annahm, daß er das Gegenstück des Botschaftersaals der Alhambra war. Sonst befand sich niemand in der großen Kammer. „Also, Sarita vom Stamm Raphael, ich hoffe, du hast unsere Gastlichkeit nicht allzu schlicht gefunden", spottete der hohe Herr bei ihrem Anblick. Sarita schwieg. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, furchtlos und unbesorgt zu wirken, obwohl sie genau wußte, daß dieser Mensch ihr übelwollte. Ihre Mission war gescheitert, Abul mußte seinen Kampf ohne ihre Hilfe führen, und sie würde ihn nie wiedersehen. „Ich habe mich wegen der langen Verzögerung zu entschuldigen", fuhr der Familienführer fort. „Ich mußte andere Personen konsultieren, Arrangements treffen ... " Sarita schluckte ihre Tränen hinunter. Sie würde sterben. Über den Verlust Abuls zu weinen, schien töricht angesichts dieser Tatsache. Aber sie wollte nicht als Feigling sterben. Sie hob den Kopf und blickte das Oberhaupt der Abencerrajes direkt an. „Ich denke, wir sind in der Lage, dir beim Verlassen Granadas zu helfen", fuhr der Herr fort. Er drehte sich zu einem hinter ihm befindlichen Vorhang um, und dieser wurde wie auf ein Stichwort hin zur Seite gezogen. Drei Gestalten glitten in die Kammer herein. Alle drei trugen graue Kutten. Geflochtene Stricke, an denen Geißelpeitschen hingen, gürteten sie. Drei fanatisch glühende Augenpaare starrten die Gefangene an. Sarita schrie.
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„Dein Volk erhebt Anspruch auf dich, Sarita vom Stamm Raphael", sagte der Herr der Abencerrajes. „Auf diese Weise wird geschehen, was du wolltest, und du kannst Muley Abul Hassan den Thron retten." Selbst wenn Sarita das geglaubt hätte, würde sie keine Kraft daraus bezogen haben. Sie würde sterben, das stand ganz außer Frage, allerdings erst nachdem sie die schrecklichsten Torturen erlitten hatte, die man sich auf Erden auszudenken vermochte. Sie machte einen Schritt rückwärts, schüttelte heftig den Kopf, versuchte, Widerworte zu finden, und fuhr mit den Händen durch die Luft, als könnte sie auf diese Weise die drei grauen Gestalten vertreiben. „Meine Tochter, deine unsterbliche Seele befindet sich in großer Gefahr." Die Stimme des Mönchs, der auf sie zutrat, klang beinahe freundlich. „Es steht in unserer Macht, deine Seele zu retten und dich zum wahren Glauben zurückzuführen. Du hast dich der Ketzerei schuldig gemacht, meine Tochter, doch wir werden dir aufzeigen, wo du geirrt hast." Er streckte die Hände nach ihr aus, weiße Hände mit braunen Flecken. Die knochigen Finger wurden zu Klauen, die nach ihr griffen und ihrem Gesicht immer näher kamen. Sarita öffnete den Mund zum neuen Schrei, und dann umfing sie der pechschwarze Mantel des unerträglichen Schreckens. Mitten in der Nacht kehrte Yusuf auf die Alhambra zurück, doch Tageszeiten bedeuteten ihm nichts mehr. Er eilte sofort in die Privatgemächer des Emirs. Abul schlief nicht. Seine Nächte waren voller Alpträume, und so zog er es vor, wachzubleiben. „Nun?" fragte er. Yusufs Erschöpfung rührte ihn nicht. 391
„Herr, das Oberhaupt der Abencerrajes hat nach Cördoba zur Inquisition geschickt. Die Frau wird dort als Ketzerin betrachtet." Abul erstarrte zu Eis, doch sein Verstand war glasklar wie ein Bergstrom. „Woher weißt du das?" „Von einem Boten der Mozarabes, der eine entsprechende Anweisung zu den Abencerrajes gebracht hatte. Wenige Stunden später wurde ein anderer Bote von den Abencerrajes ausgeschickt, der die Straße nach Cördoba einschlug. Ich nehme an, er war auf dem Weg zu den dortigen Kirchenbehörden, Herr, und da bin ich in aller Eile zu Euch zurückgekehrt." „Wie hast du herausgefunden, daß es sich um Instruktionen der Mozarabes handelte?" „Der Mann trug die Kleidung der Mozarabes, Herr. Ich habe ihm aufgelauert und ihm meine Flasche angeboten, weil er müde aussah. Wir tranken. Er wurde im Laufe der Zeit sehr geschwätzig." Abul nickte; solche Begegnungen am Straßenrand waren nicht ungewöhnlich. Yusuf stand mit gesenktem Kopf und gebeugten Schultern da, und Abul erinnerte sich wieder an den Befehl, den er ihm erteilt hatte. „Ruhe dich jetzt aus", sagte er, „und iß etwas." Yusuf verließ das Gemach, und Abul trat auf den Hof hinaus. Sarita hatte diesen Hof so geliebt. Der Brunnen plätscherte im Mondschein. Die Grünfinken in ihrem Käfig schwiegen jetzt... Man würde Saritanach Cördoba bringen, und dort würde man mit dem schrecklichen Werk beginnen. Könnte er Sarita mit seiner unblutigen Abdankung aus dem religiösen Fanatismus der Katholischen Majestäten, Ferdinand und 392
Isabella, zurückkaufen? Das Ergebnis seiner Abdankung würde zweifellos ein schwaches Granada sein, was am Ende zu einer Kapitulation vor der spanischen Herrschaft führen würde. Würden sich die Majestäten eine solch günstige Gelegenheit entgehen lassen? Bis zum Morgengrauen ging Abul in seinem Gemach auf und ab überlegte hin und her und überdachte alle Alternativen, bis er davon überzeugt war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und bei Tagesanbruch verließ eine glanzvolle, zeremonielle Prozession die Alhambra. Sie begab sich auf die Paßstraße nach Cördoba zu Ihren Höchst Katholischen Majestäten Ferdinand und Isabella. Der Mann der an der Spitze dieser Prozession ritt, schaute sich nicht noch einmal zu den rosenroten Mauern des Ortes um, der für ihn soviel mehr als nur ein Familien- und Regierungssitz war. Es war das Symbol der langen Nasridenherrschaft im maurischen Spanien. Er würde es nie wiedersehen. Keiner seiner Begleiter, weder Soldat noch Höfling, wußte, daß er den Emir auf dessen letzter Mission begleitete. Niemand wunderte sich darüber, daß ein reiterloser Apfelschimmel an einem Führzügel hinter dem Zug hertänzelte, und niemand fragte sich, was wohl in den Packtaschen enthalten war, mit denen die Lasttiere beladen waren. Keiner ahnte etwas von den Kassetten mit Gold, Silber und Schmuck, die Muley Abul Hassan sorgfältig auf die Packstücke verteilt hatte; dieses Vermögen und die Zukunft war alles, was er an diesem warmen Apriltag vom Sitz seiner Vorfahren mitnahm.
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21. KAPITEL Sarita reiste nach Cordoba auf dem Rücken einer recht klapprigen Stute, deren Zügel ein Bewaffneter in der Livree von Kastilien hielt. Saritas Hände waren an das Sattelhorn gefesselt, so daß sie sich kaum dem stolpernden Rhythmus des Pferdes anpassen konnte, was das Reiten zu einer unangenehmen Angelegenheit machte. Doch das war nicht ihre Hauptsorge. Sie dachte an das Grauen, das ihr jetzt unmittelbar bevorstand. In der Festung der Abencerrajes war ihr keine körperliche Gewalt angetan worden. Die drei Mönche hatten um Saritas Schlafplanke herumgestanden und die Gefangene sanft angefleht, ihre sündige Seele zu retten, ihre Verirrung einzusehen und der Ketzerei abzuschwören. Das freundliche Verhalten der Mönche hatte Sarita ermutigt, zu erklären, daß sie während ihres Aufenthaltes im Palast der Ungläubigen durchaus nicht den wahren Glauben verloren hatte, und da war es mit dem Sanftmut der Mönche vorbeigewesen. Sie hatten sie der Unmoral, der Todsünde und der Abkehr vom christlichen Glauben bezichtigt. Sie hatten sie angeschrien, bis sie nur noch ein zitterndes Häuflein Elend gewesen war. Danach hatte man keine weiteren Versuche mehr unternommen, mit ihr vernünftig zu sprechen. Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch waren sie aus der Festung aufgebrochen - eine große Abteilung Soldaten, Gefolgsleute und die drei grauen Mönche mit ihrer Gefangenen. Selbst trotz ihrer Verzweiflung hatte sich Sarita über die kastilischen Uniformen gewundert. Anscheinend hatten die Majestäten etwas mit ihrem, Saritas, Schicksal zu tun. Aber weshalb sollten sich Ferdinand und Isabella für eine Zigeunerin interessieren?
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Weil sie an Granada interessiert waren, und Sarita hatte, wenn auch unwissentlich, die Unruhen in diesem Reich ausgelöst. Sie versuchte, eine Spur Hoffnung in dem Gedanken an dieses königliche Interesse zu entdecken. Vielleicht warf man sie ja nicht in die Folterkammern der Inquisition, aus denen sie nur am Tage ihrer eigenen Verbrennung wieder herauskommen würde. Vielleicht hatten die Majestäten ja einen anderen Verwendungszweck für sie ... Der Funken Hoffnung erlosch so schnell, wie er aufgeblitzt war. Ihre Katholischen Majestäten waren bekannt für ihr leidenschaftliches Interesse an der Errettung bußfertiger Sünder. Auf die Sünderin namens Sarita hatte man sie eindringlich hingewiesen, und nun bekam diese die ganze Macht der Kirche und des Staates zu spüren. Am zweiten Tag ihres Ritts trafen die Reisenden in Cordoba ein, nachdem sie die vom Emir von Granada bewachten Paßstraßen umgangen hatten. Sarita befand sich wieder in ihrem Heimatland, hörte die bekannte Sprache, roch die bekannten Düfte, und nichts von alledem bedeutete ihr etwas. Ihre Sinne waren dumpf, ihre Knochen schmerzten von der unausgesetzten Anstrengung, aufrecht im Sattel der stolpernden Mähre zu bleiben, und ihr Geist war voller Verzweiflung und Furcht. Sie war vollkommen allein, ohne Freunde und ohne Verteidiger. Nicht einmal als sie durch die Tore des königlichen Palastes ritten, erwachte sie aus ihrer Dumpfheit, und die Betriebsamkeit um sie herum nahm sie kaum wahr. Der Bewaffnete, der ihr Pferd geführt hatte, zog sie mehr aus dem Sattel, als daß er sie hob. Mit gefesselten Händen stand sie dann da und starrte auf das schmutzige, mit Stroh bestreute Kopfsteinpflaster, bis einer der Mönche ihr einen barschen Befehl erteilte 395
und sie beim Arm packte. Die anderen beiden gingen zu ihren Seiten, und so wurde sie über den Hof gestoßen, fort von dem lebhaften Betrieb vor dem Palast, hin zu einem abschreckenden Gebäude im Hintergrund. Eine kleine Pforte in dem großen Tor des Gebäudes öffnete sich, als einer der Mönche anklopfte. Man stieß Sarita über die hohe Schwelle in einen dunklen, kalten Gang. Die kleine Pforte fiel hinter ihr wieder ins Schloß; die Geräusche, die Gerüche und das Tageslicht waren verloren. Mit allem Pomp und aller Zeremonie eines reisenden Königs ritt Muley Abul Hassan, der Emir von Granada, in die Palaststadt Ihrer Katholischen Majestäten ein. Abul hatte alles sorgfältig geplant. Die Roben seines Gefolges waren äußerst kostbar, die Pferde wunderschön geschmückt, und Musikanten, die auf Flöten und großen Trommeln spielten, begleiteten den Zug. Der Reichtum des Emirats in den Bergen war hier zur Schau gestellt und mit ihm auch die Macht und das Ansehen seines Herrschers. Falls die Besuchten annahmen, letzterer sei als Bittsteller gekommen, so bestand jedenfalls kein äußerlicher Grund für diese Annahme. Man gewährte dem Emir sofort eine Audienz bei den Majestäten, wie es seinem königlichen Status auch zukam, nur handelte es sich um eine reine Willkommensaudienz, auf der höfliche Grußbotschaften ausgetauscht, aber keine wirklichen Anliegen diskutiert wurden. Eigentlich hätte doch ein wenig Verwunderung über diesen Besuch herrschen müssen, aber darauf entdeckte Abul auch nicht den geringsten Hinweis. Seine Gastgeber sollten doch wohl wissen, daß dies hier mehr als ein Höflichkeitsbesuch war, doch ir-
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gendwie hatte Abul den Eindruck, als hätten ihn die Majestäten sogar erwartet. Er und sein Gefolge wurden mit allen Ehren in einem Gästeflügel des Palastes untergebracht. Yusuf setzte sich ab und verschwand im Gewirr der Gänge und der kopfsteingepflasterten Straßen der Palaststadt. Seine Aufgabe bestand darin, herauszufinden, wann und wie Sarita nach Cordoba gebracht worden war, und wo sie jetzt gefangengehalten wurde. In fieberhafter Ungeduld ließ Abul die ausgedehnte Willkommenszeremonie und das stundenlange Tafeln und Tanzen über sich ergehen. Seinem Lächeln war keine Spur seiner Angst und seiner Unruhe anzusehen. Er äußerte nur Liebenswürdigkeiten, tanzte mit Anmut, trug ein Lied aus seiner Heimat vor und sprach mit den sorgsam bewachten Hofjungfern, die zu ihm geführt wurden. Als sich die Majestäten zurückzogen, tat er das gleiche, sehr zur Enttäuschung einiger der besagten Jungfern. Yusuf erwartete ihn bereits in seinem Schlafgemach. „Heute morgen wurde eine Frau hergebracht, Herr, und zwar in Begleitung von zwei Mönchen und dem Bruder Timoteo, dem Beichtvater der Majestäten." Abul trat ans Fenster. Die Frühlingsluft trug den Duft von Orangenblüten mit sich... Man behandelte Sarita also als Ketzerin von gewisser Wichtigkeit, denn sonst hätte man nicht den persönlichen Beichtvater der Majestäten mit dieser Angelegenheit beauftragt. Das könnte bedeuten, daß noch ein wenig Zeit blieb, bevor man damit begann, Sarita zu brechen. Doch weshalb? Wollte man sie als Köder für ihn, Abul, verwenden? Wer könnte auf die Idee gekommen sein, er würde auf solchen Köder anbeißen?
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Natürlich - Aisha! Er war von der Alhambra fortgelockt worden mit dem einzigen unwiderstehlichen Köder, den sie sich für ihn vorstellen konnte. Diese Erkenntnis beunruhigte ihn indessen nicht. Gut, er hatte sich so verhalten, wie man es von ihm erwartet hatte; dennoch hatte er getan, was er selbst beschlossen hatte. Was ihn wirklich erzürnte, das war die Vorstellung, daß Aisha die Leiden ihrer Rivalin und deren Tod genoß. Das hatte sie von Anfang an geplant das und Muley Abul Hassans Sturz. Nur würde sie keinen Erfolg haben. Aisha war keine erfahrene Diplomatin. Sie ließ sich ausschließlich von ihrem rachsüchtigen Herzen leiten, während Abul sein Herz dem Verstand unterordnen konnte. „Wo wird sie gefangengehalten?" fragte er Yusuf, der reglos dabeigestanden hatte, während sein Herr seinen eigenen Gedanken gefolgt war. „Im Palastkerker", antwortete der Mann leise. „Die weltlichen und die kirchlichen Instanzen teilen sie sich, habe ich gehört." Abul wußte, was das bedeutete, dennoch vermochte er heute abend für sie nichts mehr zu tun". Er konnte nur versuchen, seinen Geist zu ihr zu schicken und sie mit seiner Kraft für die Leiden zu stärken, wie er es schon einmal getan hatte, als er sie von der Schwelle des Todes zurückgeholt hatte. Sarita schwankte und blinzelte in das Fackellicht vor ihren müden Augen. Die Stimmen waren in ihrem Kopf gefangen - immer wieder derselbe Befehl, dieselben Phrasen, einmal von der einen, dann wieder von der anderen Stimme gesprochen. 398
Man erlaubte nicht, daß sie sich wenigstens an die Wand lehnte. Ihre Beine gaben nach. Sie fiel auf dem harten Steinboden auf die Knie, und man zog sie wieder in die Höhe, schrie sie an, stehenzubleiben, ihre Zehen an der Linie zu halten, die man in den Boden gekratzt hatte ... Strahlend brach der neue Frühlingstag an. Abul badete und kleidete sich in seine goldbestickte schwarze Robe. Gestern abend hatte er eine Privataudienz bei Ihren Majestäten gefordert, und heute konnte er weiter nichts tun, als sich bereit zu halten und Geduld zu üben. Begleitet von den Männern seines Gefolges, ging er nach dem Frühstück demonstrativ in die Stadt, denn die Majestäten sollten auf keinen Fall den Eindruck gewinnen, als wartete er in verzweifelter Ungeduld darauf, von ihnen gerufen zu werden. Er prüfte die Waren auf dem Marktplatz und sprach mit den Verkäufern der Lederartikel, Seiden und Satins, der venetianischen Glaswaren und des feinen Porzellans aus dem Orient. Eine ganze Stunde verbrachte er in einem dunklen Laden, in dem illustrierte Manuskripte verkauft wurden, die der Bibliothek der Alhambra gut angestanden hätten. Abul gab seinem Gefolge die Anweisung, über die Preise zu verhandeln, und schlenderte dann selbst am späten Vormittag wieder zum Palast zurück. Wer ihm begegnete, der sah einen vollkommen ruhigen Menschen, der einen angenehmen und erfreulichen Tag in dieser spanischen Stadt genoß. Ein livrierter Lakai erwartete ihn bereits: Ihre Majestäten gaben sich die Ehre, den Emir von Granada vor dem Mittagsmahl in der Hohen Halle zu empfangen.
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Ferdinand und Isabella grüßten ihren Gast mit aller Zeremonie. Ihre Ratsherren waren anwesend; Abul war allein. Niemandem entging die Bedeutung: Was der Emir zu sagen hatte, war nicht zur allgemeinen Kenntnisnahme durch sein eigenes Volk bestimmt. Er kam auch sofort zur Sache - seine Abdankung für das Leben der Frau, die von der Inquisition im Palastkerker gefangengehalten wurde. „Ihr seid sehr direkt, mein Emir", bemerkte Ferdinand. „Ich sehe wenig Sinn darin, um eine Sache herumzureden, Majestät." Scheinbar entspannt saß er in einem schöngeschnitzten Sessel, seine Hände lagen locker auf den Armlehnen. „Die Frau ist eine Ketzerin. Sie hat ihren Glauben verraten", sagte Isabella. „Wir sorgen uns um ihre unsterbliche Seele, mein Emir. Es ist die unwiderrufliche Pflicht aller Christen, sich um die Seelen ihrer Glaubensbrüder und -schwestern zu kümmern." Abul neigte das Haupt. „Euer Vorhaben ist ehrenwert, Majestät. Selbst aus der Perspektive meiner so unterschiedlichen Religion kann ich solche Haltung nur respektieren. Indessen möchte ich mit Euch um diese bestimmte Seele feilschen", fügte er lächelnd hinzu, als sei die Angelegenheit nicht von allzu tödlicher Wichtigkeit. „Falls wir die Frau freigeben, wie können wir dann sicher sein, daß Ihr die Alhambra Eurem Sohn Boabdil überlaßt?" fragte Ferdinand. Darauf erhielt er keine Antwort, sondern nur einen eisigen Blick von Muley Abul Hassan. Der König räusperte sich und schaute seine Gattin an.
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Isabella erhob sich. „Wir werden Euer Angebot im Betracht ziehen, mein Emir. Vergeßt jedoch nicht, daß weltliche Zusammenhänge nicht von Belang sind bei geistlichen Überlegungen. Wir haben unsere Pflicht zu erfüllen, eine umnachtete Seele zurück zum Licht zu führen. Wir sind vor unserem Gott dafür verantwortlich." „So wie ich vor meinem Gott verantwortlich bin, Majestät." Abul erhob sich ebenfalls. „Die Frau gehört mir." Jetzt zog er andere Saiten auf. „Entweder ich verlasse diesen Palast zusammen mit ihr; mein Gefolge wird dann zu den Mozarabes reisen und meinen Sohn als den neuen Emir anerkennen. Oder Ihr behaltet die Frau mitsamt ihrer unsterblichen Seele, und ich rufe zur Unterstützung Granadas meine überseeischen Brüder aus Marokko herbei. Wir werden dann die Mozarabes und die Abencerrajes zerstören, und in Eurer Regierungszeit werden die Spanier die Mauren nicht mehr aus Granada vertreiben." Seine Stimme hatte leise und eiskalt geklungen, und sein Blick war so stechend wie der eines Adlers. Isabella verlor einen Teil ihrer Überheblichkeit und wandte die Augen ab. Ihr Gatte erhob sich und bedeutete den anwesenden Höflingen, sich zu entfernen. „Wir werden uns Euer Angebot gründlich überlegen, mein Emir." „Die Frau gehört mir", wiederholte Abul mit leiser Stimme. Dann verneigte er sich, drehte sich um und verließ das Audienzgemach. „Mir scheint, die Mozarabes haben die Lage durchaus richtig eingeschätzt", bemerkte Isabella nach Abuls Fortgang. „Ich würde nicht allzu sicher sein, daß wir gegen einen solchen Mann die Oberhand behalten." 401
„Nein." Ferdinand berührte seinen Schwertgriff. „Eine Seele für ein Königreich ... " „Die Mauren nach achthundert Jahren vertrieben..." murmelte Isabella. „Das wäre in der Tat eine Grabinschrift, mein Gatte, falls wir einen solchen Sieg erringen könnten." „Diesen Sieg hat uns Muley Abul Hassan angeboten. Der Knabe Boabdil und seine Mutter werden nicht in der Lage sein, das zerfallende Reich von Granada zusammenzuhalten. Dieser Mann jedoch würde es schaffen, falls er obsiegte. Ohne ihn... " „... könnte es unser werden - ohne Blutvergießen." „Verhört man die Frau?" „Ja, aber Bruder Timoteo hat mir zugesagt, langsam vorzugehen", antwortete Isabella. „Denn wahre Reue entsteht selten in großer Hast." Sie blickte fromm zu Boden. „So ist es", stimmte Ferdinand ihr bei. „Wir sollten vielleicht veranlassen, daß man noch mehr Vorsicht walten läßt, jedenfalls bis wir den Rat einberufen ünd danach unsere Entscheidung getroffen haben." Wenn man sie nur schlafen ließe! Manchmal hörte Sarita sich darum bitten, doch zu erlauben, daß sie sich auf die kalten Steine legte, nur für eine Minute. Aber ihre Stimme traf auf taube Ohren. Für die Personen, die sie umgaben, war sie kein Mensch aus Fleisch und Blut, und sie selbst definierte die Männer auch nur nach ihren Stimmen. Da war die harte, die kalte, die keifende, die trügerisch sanfte ... Die Befehle, die Fragen, die Behauptungen bestürmten sie pausenlos, doch ihr Hals war so ausgedörrt, daß sie nicht hätte ant402
worten können, selbst wenn sie Antworten zu formulieren gewußt hätte. Man wollte, daß sie zugab, einen Ungläubigen fleischlich erkannt zu haben, doch das durfte sie niemals zugeben. Man verlangte, daß sie sagte, sie habe die Religion der Ungläubigen ausgeübt. Als man ihr versprach, sie dürfe schlafen, wenn sie alles gestand, drängten sich ihr die Worten auf die Lippen, doch dann sah sie den Wolfsblick in den Augen des Mannes mit der harten Stimme, das Glitzern des Triumphes, und sie schüttelte den Kopf. Sie war durstig, so furchtbar durstig. Der Hunger war gekommen und wieder verschwunden. Ihre Fußknöchel fühlten sich entsetzlich dick an, und ihre Füße auf dem Steinboden waren so eiskalt, daß sie sie kaum noch spürte. Die Befrager kamen und gingen. Neue Gesichter, neue Stimmen ersetzten die alten, und noch immer stand Sarita aufrecht und fragte sich, wann der Todeskampf beginnen würde. Sie war bereit, ihn und damit das Ende willkommen zu heißen. Abul blieb während des ganzen Tages am Hof. Er speiste in der Hohen Halle, schloß sich am Nachmittag einer Jagdgesellschaft an und machte den Eindruck eines Mannes, der sich gut unterhielt und die Gastfreundschaft genoß. Nicht ein einziges Mal schweifte sein Blick zu dem abweisenden grauen Gebäude, obwohl sich sein Herz innerhalb dieser Mauern befand. Um Mitternacht wurde er zu der Ratskammer gerufen, wo er Ferdinand und Isabella in Gesellschaft ihrer obersten Berater vorfand.
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„Ihr werdet Euer Gefolge nach Granada zurückschicken, und zwar mit Eurer schriftlichen Abdankungserklärung?" fragte Ferdinand. „Und Euren Sohn Boabdil zum neuen Emir von Granada bestimmen?" „Das werde ich tun. Meine Männer gehorchen meinem Befehl. Sie werden Boabdil Loyalität schwören." „Und wohin werdet Ihr gehen?" Abul lachte, doch es war ein unfrohes Lachen. „Vergebt mir, Majestät, aber ich denke, das geht Euch nichts an. Ihr habt mein Wort, daß ich nicht mehr in die Angelegenheiten Granadas eingreife. Von hier werde ich meine Packtiere, einen Apfelschimmel und Sarita vom Stamm Raphael mitnehmen. Alles andere vermache ich meinem Sohn." „Die Frau wird in der Stunde vor Tagesanbruch freigelassen werden." Die Befragung endete überraschend plötzlich. Man erlaubte Sarita, den Aborteimer zu benutzen, hielt ihr eine Lederflasche mit brackigem Wasser an die Lippen, gab ihr eine Brotkruste und führte sie dann aus dem Befragungsraum in eine absolut dunkle Zelle. Sie stürzte auf die Knie, wartete, daß neue Stimmen sie anschreien und neue Hände sie wieder in die Höhe ziehen würden, doch nichts dergleichen geschah. Nichts als tiefes Schweigen umgab sie. Sie ließ sich ganz zu Boden sinken, bis sie flach auf den Steinen lag. Diese neue Stellung verursachte einen unerträglichen
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Schmerz. Der Boden war rauh und kalt unter ihrer Wange, und die Luft war feucht und eisig. Sarita verlor das Bewußtsein. Allzubald wurde die Tür wieder aufgerissen. Hände zerrten die Gefangene in die Höhe. Fackeln flackerten auf dem Gang und blendeten ihre Augen. Auf schmerzenden Füßen taumelte sie in den Gang hinaus. Wohin jetzt? Weiter in die Tiefe? Dorthin, wo es nach Schmerz stank, wo die Schreie der Gequälten widerhallten? Blind stolperte sie vorwärts, von Männern in grauen Kutten gestützt. Sie blieben stehen. Ein Schlüssel knirschte in einem Schloß. Eine Tür öffnete sich knarrend. Ein Rechteck in hellem Grau erschien. Jemand stieß sie vorwärts. Sie stolperte über eine erhöhte Türschwelle und konnte mit einmal frische, klare Nacht luft einatmen. Abul trat aus dem Schatten des verlassenen Palasthofes und blieb dann schreckensstarr stehen, als er Saritas fürchterliche Schmerzen beinahe körperlich spürte. Man hatte ihr das Haar so fest aus dem Gesicht gezogen, daß die Haut ihrer Stirn verzerrt war, und es mit einem Strick auf dem Hinterkopf zusammen gebunden. Man hatte sie in ein Büßerhemd aus rauher Sackleinwand gesteckt. Die Augen in ihrem blassen Gesicht waren stumpf und blicklos. „Sarita." Abul sprach den Namen aus, als ob er nur auf dies Weise feststellen konnte, daß er auch wirklich kein Gespenst vor sich hatte. Ihr Kopf wandte sich langsam. „Abul?"
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Er nahm sie in die Arme, und in ihm stieg eine vollkommen unsinnige Wut auf. Sarita hatte ihnen beiden dies angetan! Er hob sie hoch, merkte, wie leicht, fast körperlos sie war, und seine Wut fand Worte. „Wie konntest du nur eine solche Närrin sein! So ein wahnsinniges Unternehmen zu versuchen! Wie hast du nur glauben können, du verstündest etwas von meinem Volk? Nach allem, was du schon erlebt hattest!" Er umfaßte sie so fest, daß es ihr weh tun mußte. Sie zitterte, doch sie schwieg. Er trug sie aus dem Hof zu einer Stelle, wo Yusuf mit dem Maultierzug, dem Apfelschimmel und dem großen schwarzen Hengst wartete. Abul drückte sich Sarita fest an die Brust, schwang sich mit ihr zusammen auf sein Pferd, und dann galoppierten sie aus dem Palasthof, der Grenze entgegen. Yusuf folgte ihnen in gemäßigterem Tempo.
22. KAPITEL Weit vom vielbenutzten Pfad und von den bewachten Paßstraßen entfernt ritt Abul in die Berge hinauf, bis er sein Wegziel erreicht hatte. Der Zufluß des Genils rauschte einen Bergabhang hinunter, bildete kleine Teiche und winzige Wasserfälle. Der Boden war gut bewässert, Gras und Moos wuchsen sattgrün. Die Olivenbäume waren hier weniger knorrig und ihre Blätter silbergrüner als gewöhnlich. In der Flanke eines Abhangs befand sich der Eingang zu einer Höhle.
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In seiner Kinderzeit war Abul oft mit seinem Vater hergekommen. Als er dreizehn Jahre alt gewesen war, hatte der alte Emir ihn hier zurückgelassen, damit er sich selbst und seine Fähigkeiten kennenlernte. Diese Weisheit hatte Abul an seinen Sohn Boabdil weitergeben wollen ... Yusuf band die Maultiere und den Apfelschimmel fest und nahm Urlaub von seinem Herrn. „Falls du dich entschieden hast, mein Los zu teilen, kehre in einer Woche hierher zurück", trug Abul ihm auf. „Falls nicht, bist du frei." „Ich werde zurückkehren", erklärte Yusuf und ritt auf seinem Pony bergabwärts. Abul stellte Sarita, die er bis jetzt im Arm gehalten hatte auf die eigenen Füße. Als sie stöhnte und schwankte, faßte er sie bei dem runden, kragenlosen Ausschnitt ihres Büßerhemds und hielt sie daran aufrecht. Mit der anderen Hand zog er seinen Dolch aus der Scheide, zerfetzte damit das Sackgewand von oben bis zum Saum und zog es ihr vom Körper, so daß sie vollkommen nackt dastand. Er untersuchte sie erst mit den Blicken, dann mit den Händen, hob ihre Arme, drehte ihre Gestalt um und vermochte es kaum zu glauben, daß er weder die Spuren der Streckbank noch die Striemen der Peitsche oder die Brandwunden der glühenden Zangen sah. Saritas Haut war unversehrt. Was immer man ihr angetan hatte, die schrecklichen Folterinstrumente hatten ihren Körper nicht berührt.
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Sarita erwachte aus der Trance, die sie umfangen hatte, seit Abul aufgetaucht war. Sie wurde sich seiner Gegenwart, ihrer eigenen Nacktheit und seiner gründlichen Untersuchung bewußt. „Ich bin so schmutzig." Ihre Stimme klang rauh, weil ihr der Hals so ausgedörrt war. „Schaut mich nicht an." „Du mußt schlafen." Sie schüttelte den Kopf. „Erst wenn ich sauber bin. Ich bin ekelerregend." Tatsächlich umgab sie der Gestank der schrecklichen Gefangenschaft. Sie legte sich die Hände an den Kopf. „Und mein Kopf tut so weh." Abul sah die fest zusammengebundenen Strähnen; das gefährliche Feuer ihrer einstmals so herrlichen Locken schien gelöscht zu sein. Er zerschnitt den Strick an ihrem Hinterkopf, löste das Haar und hörte Sarita erleichtert aufschluchzen. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Schlafjetzt", sagte er leise, doch sie schüttelte wieder den Kopf. „Ich bin schmutzig", wiederholte sie. „Ich stinke. So kann ich nicht schlafen." Zwar begriff Abul ihre Beharrlichkeit nicht, gab ihr jedoch nach. Er holte Seife und Tücher aus den Packtaschen und führte Sarita zum Teichufer. „Das Wasser wird sehr kalt sein." „Das macht nichts." Sie schüttelte seine Hand ab und watete in den Teich. Die eisige Kälte dämpfte den Schmerz in ihren geschwollenen Füßen und Fußknöcheln. Sie ließ sich in das Wasser fallen und hielt den Kopf unter die Oberfläche. Die Kälte beruhigte auch ihre geschundene Kopfhaut, und der Schmerz in ihren Schläfen ließ nach. 408
Gierig trank sie, bis ihr Hals sich wie vereist anfühlte. „Komm jetzt heraus, Sarita!" befahl Abul, der sich schon fragte, ob er etwa selbst in den See steigen mußte, um sie herauszuholen. Es war jedoch nicht nötig; Sarita richtete sich auf und kam ans Ufer zurück. Er seifte ihren Körper und ihr Haar ein und stieß sie dann wieder in die Fluten. „Rasch, spül dich ab." Sie gehorchte, tauchte unter die Oberfläche, spülte sich die Seife aus dem Haar und schaute dann wie im Traum zu, wie sich der Schaum um sie herum ausbreitete. „Sarita!" Abuls Stimme drang zu ihr durch, und sie stolperte ans Ufer zurück. Er trocknete sie mit den Tüchern und rubbelte ihr Haar, bis es nicht mehr tropfte. Dann rieb er sie mit duftendem Öl ein und entfernte mit dem Striegel den Schmutz von ihrem Körper. Sarita fühlte, wie das Leben in sie zurückkehrte. Schweigend und gehorsam hob sie die Arme, spreizte die Beine und hob die Füße an, wie Abul es befahl. Als er fertig war, holte sie tief Luft und atmete ihren eigenen frischen Duft ein. „Jetzt werde ich schlafen", erklärte sie, legte sich auf der Stelle hin und rollte sich auf dem weichen Boden zusammen. Abul überlegte, ob er sie in die Höhle tragen sollte. Er entschied, daß sie hier draußen auch keinen Schaden nehmen würde. Er holte eine Decke und breitete sie über ihr aus, doch sie stieß sie wie ein verschlafenes, bockiges Kind fort, und trotz seiner Sorgen mußte Abul lächeln. Er setzte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen großen Stein und betrachtete sie beim Schlafen. Ringsum war alles still. Nur die Geräusche, die die angebundenen Tiere 409
beim Grasen machten, waren zu hören. Die Sonne stieg hoch, und die Gestalt am Boden streckte sich im Schlaf, als wollte sie sich von den wärmenden Strahlen liebkosen und heilen lassen. Am frühen Nachmittag entzündete Abul ein Feuer, holte mehrere Gegenstände aus den Packtaschen und hantierte damit. Unterdessen beobachtete er die Schlummernde weiterhin wachsam. Die Sonne versank schon hinter den Bergen, als Sarita aufwachte und sich im selben Moment aufsetzte. Sie schaute um sich, und ihr Blick war wach und klar. „Abul?" „Hier bin ich." Er ging zu ihr. „Diesmal sehe ich Euch nicht nur im Traum." Lächelnd streckte sie ihm die Hände entgegen. „Im Augenblick begreife ich noch überhaupt nichts, nur daß ich Hunger habe ... ganz schrecklichen Hunger." Abul zog sie in die Höhe und trug sie zum Feuer. „Es wird langsam kühl. Du solltest dir etwas anziehen." Er holte einen wollenen Umgang aus einer Packtasche und wickelte Sarita darin ein. „Setze dich auf diesen Stein dort." Sarita gehorchte und schaute interessiert zu, wie Abul aus dem Eisenkessel über dem Feuer Kuskus in eine Holzschüssel löffelte. „Habt Ihr das gekocht?" Er tat, als schaute er sich suchend um. „Jemand anderen sehe ich hier nicht." Lächelnd tauchte sie ihren Holzlöffel in den Brei, der mit Honig, Mandeln und Rosinen gesüßt war, den Magen beruhigte und satt
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machte. Als sie fertig gegessen hatte, legte sie Schüssel und Löffel ins Gras. „Woher könnt Ihr kochen?" „Ich habe hier einmal eine Woche allein verbracht. Da habe ich vieles gelernt - wie man Fallen stellt, wie man jagt, Tiere abhäutet, brät und kocht. Jetzt dachte ich mir, dein Bäuchlein braucht erst einmal etwas Harmloses, bevor man ihm Exotischeres zumuten kann." Sarita lächelte wieder und rekelte sich. Sie zog die Knie bis zum Kinn hoch, umschlang sie mit den Armen und wurde dann sehr ernst. Obwohl Abul sie umsorgte, lag etwas zwischen ihnen. Der absolute Friede fehlte. Und jetzt erinnerte sie sich auch wieder an seinen Zorn, als er sie im Gefängnishof in Empfang genommen hatte. „Ihr seid böse auf mich." Sie schaute ihn über ihre hochgezogenen Knie hinweg an. Abul überlegte und stellte fest, daß sein Zorn irgendwann im Lauf des Tages verflogen sein mußte. „Ich war böse sehr sogar. Es war ein recht verworrener Zorn, der aus meiner eigenen Angst entstanden war. Ich hatte solche Schrecken durchlebt. Ich wußte, wo du dich befandest, was du alles erdulden mußtest, und dazu spielte mir meine Vorstellungskraft das vor, das ich nicht wissen konnte. Und als ich dich dann wiedersah, erkannte, daß du trotz allem noch lebtest und daß ich dich wiederhatte, da überfiel mich eine blinde Wut." Er ergriff Saritas Hand. „Aber das ist jetzt alles vorbei, Liebste." In seinen Armen richtete sie sich auf den Knien auf. Sie brauchte jetzt nur noch die tröstende Zärtlichkeit seines Körpers. „Ich könnte Euren Zorn nicht ertragen", flüsterte sie und schmiegte 411
sich an ihn. Sie wollte keine Worte mehr, nur noch die Sprache seines Körpers. Er schlug ihren Umhang auseinander, und sie legte sich neben dem Feuer auf den weichen Boden. Abul glitt über sie, liebkoste sie mit heilenden Händen, und Saritas Antwort war die der Liebe. Er führte sie zu einem friedvollen, glücklichen Höhepunkt und befreite sie endlich von der Schreckensherrschaft, die sie hatte ertragen müssen. „Sarita?" „Pst." Abul lächelte und schüttelte erheitert den Kopf. „Sarita!" „Pst, Ihr verscheucht sie noch, und dann haben wir nichts zum Abendessen", flüsterte sie aufgeregt über die Schulter hinweg, und ihre grünen Augen blitzten. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer selbstauferlegten Aufgabe zurück. Abuls Lächeln wurde noch breiter. Sarita lag flach auf dem Bauch, und ihr Oberkörper hing am Bachufer über dem Wasser. Sie konzentrierte sich voll auf eine gefleckte Forelle, die sich unter einem großen Stein ausruhte. Die ehemalige Gefährtin der Forelle lag aufgespießt im Gras und legte Zeugnis ab von Saritas Erfolg in dieser unsportlichen Angelmethode. „Kümmere dich nicht um unser Essen, sondern komm her. Ich will mit dir reden." Diese Tonlage bewog Sarita, sich ganz aufs Ufer zurückzuziehen, sich auf den Rücken zu drehen und sich dann hochzusetzen. Sie schüttelte sich das Wasser vom nackten Unterarm. „Was könnte wichtiger sein als das Essen?" 412
Selbstverständlich wußte sie, worüber Abul mit ihr reden wollte. Sie hatte sich davor gefürchtet, seit sie heute morgen in seinen Armen erwacht war und sich daran erinnert hatte, daß sie gestern nur über seinen Zorn gesprochen hatten. Dabei gab es noch soviel, worüber sie sich unterhalten mußten - wie Abul ihre Freilassung erwirkt hatte zum Beispiel und, was noch wichtiger war, wann sie zur Alhambra zurückkehrten. Sarita war nicht sehr geneigt, mit ihm zurückzugehen. Falls sie ihm jedoch durch ihre Abwesenheit eher schadete, würde sie natürlich an seiner Seite bleiben, aber der Gedanke drückte sie schwer, in diese Atmosphäre zurückzukehren. Abul würde von Sorgen belastet sein, und sie würde ihm keine greifbare Hilfe leisten können. „Einiges", antwortete er auf ihre Frage. „Also kommst du nun her, oder muß ich dich holen?" Sarita neigte den Kopf zur Seite und machte ein ungeheuer nachdenkliches Gesicht. Konnte sie ihn vielleicht von der bevorstehenden Unterhaltung ablenken? „Es könnte interessanter sein, wenn Ihr mich holtet." Er schüttelte den Kopf. „Nein, das denke ich nicht." „Oh." Widerstrebend stand sie auf und rollte sich den langen Ärmel des einfaches Leinengewands hinunter, das Kadi-ga und Sulema so umsichtig in den Kleidersack gepackt hatten. „Also?" Sie stand dicht vor Abuls Knien, beugte sich nach hinten, so daß ihr das Haar über den Rücken fiel, und hob das Gesicht der Sonne entgegen. „Was möchtest du jetzt machen?" fragte Abul.
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„Forellen stechen selbstverständlich." Sie lachte ihm ins Gesicht. Er packte sie bei den Händen und zog sie zu sich herunter. Sie protestierte der Form halber, setzte sich dann aber mit gekreuzten Beinen ins Gras. „Meine Frage war durchaus ernst gemeint, Sarita. Was willst du jetzt tun?" Seine Stimme klang wirklich ernst. Das wurde Sarita auch bewußt. „Ich komme mit Euch. Das ist keine Frage des Wollens oder Möchtens. Ihr müßt zur Alhambra zurückkehren, und ich komme mit Euch." Sie blickte ihn entschlossen an. „Ihr werdet mich doch nicht fortschicken, oder?" „Das würde ich nie wagen", antwortete er und lehnte sich gegen seinen Felsbrocken mit einer Lässigkeit zurück, die dem Thema überhaupt nicht angemessen war. „Nachdem ich jetzt gesehen habe, was geschieht, wenn du die Dinge selbst in die Hand nimmst, mein Kind, lasse ich dich ganz bestimmt nicht wieder frei herumlaufen." „Gestern wart Ihr böse, und heute lacht Ihr über mich", stellte Sarita verwirrt fest. „Ihr habt mir vorgeworfen, daß ich Euer Volk nicht verstehe, und damit hattet Ihr recht. Ich habe meine Lektion gelernt, Abul. Euren Zorn kann ich verstehen, aber macht Euch jetzt nicht lustig über mich." „Ach, Liebste, das tue ich doch gar nicht." Er setzte sich hoch und zog sie sich zwischen die Knie. „Glaube nicht, ich wüßte nicht, was du durchlitten hast." „Das ist jetzt vorbei. Laßt uns jetzt von der Zukunft reden, denn ich glaube, das hattet Ihr eigentlich auch vor."
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„Richtig. Und ich will wissen, wie du diese Zukunft am liebsten gestalten möchtest." „Ihr müßt zur Alhambra zurückkehren, Abul. Ihr seid schon zu lange fort, und daran bin ich schuld." „Wir kehren nicht dorthin zurück", erklärte er ruhig. „Weshalb nicht?" Zart strich er ihr mit dem Daumen über die Lippen. „Im Leben eines Mannes gibt es viele Wege, Sarita. Ich möchte nicht den Rest meiner Tage auf derselben Straße verbringen, also schlage ich eine neue Richtung ein." Sarita schaute Abul sehr lange und sehr direkt in die Augen. „Ihr habt Granada gegen mich eingetauscht." Er lachte leise und kniff ihr in die Nase, weil er zeigen wollte, wie leicht er das Ganze nahm. „Granada ist eine Menschenseele wert. Wie viele von Menschen gemachte Dinge können das von sich behaupten?" Sarita zog sich ein wenig zurück. „Nein, Abul, das will ich nicht glauben. Ich kann nicht... Ich könnte nicht mit mir leben, wenn ich glauben müßte ... " „Still, Närrin! Meinst du, ohne die Alhambra wäre ich nicht mehr wert? Das ist eine schwere Beleidigung, Sarita." Sie schaute zu den Bergen hoch und sah dort in ihrer Phantasie einen Adler mit gestutzten Flügeln. Traurig wandte sie sich wieder zu Abul um. „Macht Euch nichts vor, Abul. Ihr wißt, daß Ihr Granada seid, und Granada ist Muley Abul Hassan. Ihr seid unzertrennlich miteinander verbunden."
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„Und du redest einen ausgemachten Unsinn, der immer beleidigender wird. Du sprichst mir meinen eigenen Willen ab, das Recht, meinen eigenen Wegen zu folgen und meine Zukunft anders zu gestalten als von jenen vorgesehen, die nicht über ihren Tellerrand hinaussehen können." Sarita merkte, daß sie Abul ernsthaft erzürnt hatte. Er war der geradlinigste Mensch, der ihr jemals begegnet war, und er handelte selten ohne gründliche Überlegung. Wahrscheinlich könnte man ihn nicht zwingen, etwas zu tun, das er für falsch hielt, und wenn seine Entscheidung einmal gefallen war, tat sie ihm hinterher auch nicht leid. Wenn er also die Wahl zwischen Granada und ihr, Sarita, getroffen hatte, dann mußte sie diesen Entschluß respektieren, und zwar mit Freude und Dankbarkeit. „Was wollt Ihr also tun, Abul?" „Es gibt mehrere Möglichkeiten", antwortete er, als hätte er den heiklen Augenblick eben nicht gegeben. „Wenn du möchtest, können wir uns hier oben eine Hütte bauen und ein einfaches Leben führen." „Und Ziegen halten", sagte sie und klatschte mit gespielter Begeisterung in die Hände. „Viele Ziegen und Hühner. Genug Wasser gibt es hier. Olivenbäume auch. Möglicherweise könnten wir sogar... " „Im Winter dürfte es hier ziemlich kalt werden", fiel er ihr ernsthaft ins Wort. „Das glaube ich auch. Der Stamm zog im Winter auch immer hinunter ins Flachland."
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„Wir könnten natürlich auch die offene Straße wählen, wenn dir das lieber wäre." Abul rupfte einen Grashalm aus und sog daran, als bereitete ihm das allergrößtes Vergnügen. „Ich glaube, für zwei Personen allein wäre das schlecht durchzuführen. Dazu braucht man eine ganze Gemeinschaft." „Wohl wahr. Vielleicht möchtest du auch in die Berberei ziehen." Auf die Idee war Sarita noch gar nicht gekommen. Die Halbinsel zu verlassen, jede Verbindung mit Spanien abzubrechen, mit ihrem Heimatland, mit den Menschen ihrer Rasse ... Sie schluckte. „Ja, aber was gibt es in der Berberei?" „Die Güter meiner Mutter. Orangen- und Olivenhaine, Pinienwälder, ein Haus aus weißem Marmor an der See. Gärten mit Hibiskus und Oleander ... " „Gehört Euch das alles?" „Gewiß", antwortete er lächelnd. „Meine Mutter ist vor zehn Jahren gestorben. Ich habe das Anwesen regelmäßig besucht, doch gelebt habe ich dort nie, abgesehen von meiner Kinderzeit." „Ihr habt dort nie gelebt?" Das schien Sarita eine sehr wichtige Frage zu sein. Ein Ort, der nicht von den Gespenstern der Erinnerung heimgesucht wurde... Abul schüttelte den Kopf. „Nein, nie." „Gibt es dort einen Harem?" „Ein Harem, meine Liebe, entsteht erst durch die Frauen, die darin leben."
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„Ein Harem ist der Ort, an dem Frauen aufbewahrt werden." „Nicht unbedingt, aber ein Harem kann ohne Frauen nicht existieren." „Ihr werdet also in diesem Marmorhaus in der Berberei Frauen haben." „Eine einzige Ehefrau - oder gestattest du mir weitere?" Er lachte sie unverhohlen aus, und sie fiel in sein Lachen ein. „Nein, Liebster. Keine anderen Frauen. Ihr werdet Euch mit mir allein zufriedengeben müssen." Zwar lachte Sarita, aber daß ihre Antwort ernst gemeint war, wußten sie beide. „Wir werden in meinem Land nach deinen Sitten leben", bestätigte Abul. „Und wir werden Kinder haben, die deine und meine Regeln verstehen werden." Er nahm ihr Kinn in die Hand. „Du wirst mir doch Kinder schenken, Sarita? " Sie faßte seine Handgelenke. „Ich will Euch Kinder schenken." Abul lehnte sich wieder gegen seinen Stein zurück. „In diesem Fall habe ich nur noch ein einziges Problem." „Und das wäre?" Sie beobachtete ihn mißtrauisch, weil sie spürte, daß er eine Schelmerei im Schilde führte. „Nun ja, mir muß etwas einfallen, wie ich verhindere, daß du deiner Neigung zu gefährlichen Unternehmungen folgst." Sie zog sich ein wenig zurück und hockte sich so hin, daß sie jeden Moment aufspringen konnte. „Eure diesbezüglichen Bemühungen könnten Euch leid tun; eine dieser Unternehmungen kommt mir nämlich gerade in den Sinn. Wünscht Ihr, daß ich meine Neigung unterdrückte, Abul, mein Herr?" Sie schob ihre 418
Hand zwischen seine Beine. Die Bewegungen ihrer Finger reizten ihn genau so wie das Funkeln ihrer grünen Augen. Gerade begann er, die Liebkosung richtig zu genießen, da sprang Sarita auf, tänzelte von ihm fort und bewarf ihn mit Wildblumen, die sie irgendwann in ihrem Rock gesammelt hatte. Abul sprang ebenfalls auf, doch schon rannte sie mit fliegendem Haar bergan. Ihre nackten Füße fanden leicht Halt, und sie fuhr fort, Gras und Blumen auszurupfen und nach ihm zu werfen. Abul erwischte sie an einem Bein, zog sie daran zu Boden, und sie rutschte auf der losen Erde lachend zu ihm hinunter. „Du findest tatsächlich, daß Provokation der Sache die Würze gibt", stellte Abul fest, und dann preßte er seinen Mund auf ihre Lippen, die sie ihm bereitwillig öffnete. „Ich liebe Euch", flüsterte sie, und plötzlich war jeder gespielte Widerstand dahin, denn sie fühlte, wie sehr Abul sie begehrte. Für sie beide gab es jetzt nur noch das Gesetz der Liebe, und diese Liebe trug sie im Rausch ihrer Vereinigung in eine herrliche Zukunft, die nur ihnen beiden allein gehörte.
ENDE
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