Unsichtbare Netzwerke: Wie sich die soziale Netzwerkanalyse fur Unternehmen nutzen lasst

Baris Ricken / David Seidl Unsichtbare Netzwerke

Boris Ricken / David Seidl

Unsichtbare Netzwerke Wie sich die soziale Netzwerkanalyse für Unternehmen nutzen lässt

•

GABLER

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dr. Boris Ricken ist Projektleiter und Assistent der Geschäftsleitung bei PPCmetrics AG, Zürich, Schweiz, sowie externer Dozent an der Edinburgh Napier University, Großbritannien. Professor Dr. David Seidl ist Inhaber des Lehrstuhls für Organisation und Management an der Universität Zürich sowie Research Associate am Centre for Business Research, Cambridge University, Großbritannien.

Mitglieder der SGO (Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management) erhalten auf diesen Titel einen Nachlass in Höhe von 10% auf den Ladenpreis.

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ulrike Lörcher I Renate Schilling Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2233-5

Geleitwort

Geleitwort Netzwerke sind hochinteressante und relevante Erscheinungen. In der modemen Wirtschaft und Gesellschaft spielen sie eine erfolgskritische Rolle. Kommunikation und Informationsaustausch waren in Unternehmen, zwischen Institutionen und Personen schon immer wichtig und haben eine effektive Leistungserstellung erst möglich gemacht. Doch über die Jahre nahm die technische Interaktion auf allen Ebenen dramatisch zu, was enorme Chancen eröffnete, aber auch Risiken mit sich brachte, die auch noch heute weitgehend unterschätzt werden. Neben signifikanten Effizienzsteigerungen, raschen internationalen Abstimmungen, einfacher Orientierung und Ansprache sind der Zwang zur Verfügbarkeit rund um die Uhr, die Übersättigung mit Informationen und der Verlust an menschlichen Kontakten zu beobachten. Vor diesem Hintergrund ist der Forschungsbeitrag von Ricken/Seidl zu "Unsichtbaren Netzwerken" zu würdigen. Die Arbeit basiert auf Fragestellungen und Bearbeitungsmethoden der Netzwerkforschung, die sich insbesondere in den letzten Jahren maßgeblich weiterentwickelt hat. Speziell hervorzuheben sind die Aussagen der Autoren darüber, wie sich formale Strukturen - Informationsaustausch auf der Grundlage definierter Prozesse und Kompetenzordnungen - und informelle Netzwerke ergänzen, überlagern oder gegenseitig stören. Die zahlreichen Praxisbeispiele machen die Forschungsergebnisse nicht nur besser verständlich, sondern zeigen konkrete Ideen und Ansätze für den Einsatz der Netzwerkanalyse in der Unternehmenspraxis auf. Das vorliegende Werk schließt eine Lücke in der Organisations- und Managementliteratur. Die SGO Stiftung hat die Forschungsarbeit unterstützt und ergänzt mit der Buchpublikation die "uniscope" Schriftenreihe.

5

Geleitwort

Im Namen der SGO Stiftung gratuliere ich den Autoren zur geleiste-

ten Arbeit und den erzielten Ergebnissen. Das Werk richtet sich nicht nur an Organisationsspezialisten, sondern ebenso sehr an Persönlichkeiten in der Führung. Für die wissenschaftliche Forschung zeigt der Beitrag zahlreiche Felder für weitere Arbeiten auf. Ich wünsche diesem interessanten und wichtigen Werk die verdiente breite Leserschaft.

Zürich, im Juni 2010

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Dr. Markus Sulzberger, Präsident der Stiftung der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management

Vorwort

Vorwort Die Relevanz von Interaktion, Kommunikation und unsichtbaren sozialen Netzwerken für Unternehmen ist seit langer Zeit bekannt und wird nach Ansicht von Managern und Führungskräften in Zukunft weiter steigen) Allerdings schreiben sich zahlreiche Firmen nur eine geringe Kompetenz im Umgang mit solchen "weichen" Faktoren zu. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass quantitative Methoden und Verfahren zur Erfassung und Analyse von Beziehungsnetzwerken in der Unternehmenspraxis bisher nur eine geringe Verbreitung gefunden haben. Dabei verfügt die Wissenschaft mit der sozialen Netzwerkanalyse seit geraumer Zeit über eine weit entwickelte Methode zur Analyse solcher Phänomene. Zwar erfreut sich diese in jüngster Zeit vor allem in der amerikanischen Managementpraxis zunehmender Beliebtheit. Im deutschen Sprachraum genießt sie in Unternehmen aber bisher einen Pionierstatus. Aus diesem Grund möchte das vorliegende Buch Praktikern, Wissenschaftlern und Studierenden Möglichkeiten zur Nutzung der sozialen Netzwerkanalyse in der Unternehmenspraxis aufzeigen. Dazu führen wir zum einen in die begrifflichen, theoretischen und methodischen Grundlagen unsichtbarer sozialer Netzwerke in Unternehmen ein. Zum anderen stellen wir ein praktisches Verfahren vor, anhand dessen die Netzwerkanalyse gezielt zur Problemlösung eingesetzt werden kann. Den Einsatz des Verfahrens illustrieren wir an zahlreichen Fallbeispielen. Dieses Buch ist das Ergebnis eines langjährigen Forschungsprojektes und einer kontinuierlichen Interaktion zwischen Praxis und Wissenschaft. An seiner Entstehung war eine Vielzahl von Führungskräften aus unterschiedlichen Unternehmen beteiligt.

1 So eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG), der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management (SGO) und weiterer Organisationen; vgl. BCG et al. (2009); Roghe et al. (2009, 2010).

Vorwort

Von akademischer Seite gilt unser Dank zunächst Frau Prof. Margit Osterloh und Herrn Prof. Andreas Scherer vom Institut für Organisation und Untemehmenstheorien der Universität Zürich, die unsere Forschung in diesem Gebiet begleitet haben. Zu besonderem Dank sind wir der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management (SGO) verpflichtet, die die Realisierung dieses Buches unterstützt hat. Insbesondere wollen wir uns bei ihrem Präsidenten, Dr. Markus Sulzberger bedanken, der dieses Buch inhaltlich äußerst konstruktiv begleitet hat. Im Rahmen der Praxis gilt unser Dank einer Vielzahl von Unter-

nehmen und Führungskräften, die dieses Buch durch die Realisierung der gemeinsamen Projekte überhaupt erst ermöglicht haben. Sie haben durch ihr konstruktives Feedback wesentlich zur Weiterentwicklung des hier dargestellten Verfahrens beigetragen. Wir bedanken uns zunächst bei Herrn Karsten Renz, Geschäftsführer von Optimal Systems, der uns bereits vor geraumer Zeit den Einsatz der Netzwerkanalyse in seinem Unternehmen ermöglicht hat. Herr Prof. Dr. George Malcotsis, ehemaliger Geschäftsführer der Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI), hat den Einsatz und die Weiterentwicklung des Verfahrens in seiner Organisation maßgeblich vorangetrieben und wertvollen Input geliefert. Bedanken möchten wir uns auch bei den Führungskräften von Geberit, insbesondere bei Martin Ziegler und Herrn Egon RenfordtSasse, für die Unterstützung und die ausgezeichnete Zusammenarbeit in einem sehr spannenden Projekt. In der EnergiedienstGruppe gilt unser Dank Herrn Martin Steiger und Herrn Thomas Zwigart, die das Projekt unterstützt und begleitet haben. Bei Holcim bedanken wir uns beim Management der Abteilung "Corporate Strategy & Risk Management" für die kontinuierliche Unterstützung. Ganz besonders gilt unser Dank den Führungskräften des Bereiches "Marketing & Innovation" von Hokim Indonesien. insbesondere Herr Patrick Walser, Frau Johanna Daunen und Herr Alex Büchi haben zu einem erfolgreichen Projekt beigetragen und gleichzeitig für eine Menge Spaß gesorgt. Schließlich möchten wir uns noch bei all jenen Unternehmen bedanken, deren Fälle in diesem Buch anonymisiert wurden und die in gleicher Form zur Entwicklung des hier dargestellten Verfahrens beigetragen haben.

8

Vorwort

Bei der Realisierung des Manuskriptes haben uns schließlich Ivana Leiseder, Alice Holzherr, Nicoline Scheidegger und Rebekka Ricken tatkräftig unterstützt. Auch bei ihnen wollen wir uns herzlich bedanken. Abschließend sei Philipp Käser für seine IT-Unterstützung in allen durchgeführten Projekten gedankt.

Zürich, im Juni 2010

Boris Ricken und David Seidl

9

Inhaltsverzeichn;s

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Vorwort Kapitell Die Bedeutung sozialer Netzwerke 1.1 1.2 1.3 1.4

Einführung Ziele des Buches Praktisches Anwendungspotential Aufbau des Buches

5 7

17 19 24 24 26

I Teil A: Theoretische Grundlagen Kapitel 2 Der Forschungsstand zu informalen Strukturen 2.1 2.2 2.3

Von der Verneinung zur "Entdeckung" informaler Strukturen Die Analyse durch den Organisationskulturansatz Die Analyse durch die soziale Netzwerkforschung

Kapitel 3 Konzeptioneller Bezugsrahmen 3.1 Der Manager im Mittelpunkt... 3.2 Informale Strukturen 3.2.1 Soziale Netzwerke 3.2.2 Kultur 3.3 Formale Strukturen und Prozesse 3.4 Das Verhältnis zwischen Strukturen und dem handelnden Manager 3.5 Das Verhältnis sozialer Netzwerke zur formalen Struktur 3.6 Das Verhältnis sozialer Netzwerke zur Kultur 3.7 Implikationen für die Analyse sozialer Netzwerke

31 33 36 .42 47 .49 50 50 52 53 54 56 57 57

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4 Erfassung sozialer Netzwerke 4.1 Welche sozialen Netzwerke sollen erfasst werden? Typ der Beziehung 4.1.1 Skalierung und Richtung der Beziehung 4.1.2 4.2 Wie können soziale Netzwerke erfasst werden? 4.3 Wie stellt man soziale Netzwerke dar? 4.4 Wie analysiert man soziale Netzwerke? 4.4.1 Zentralität von Akteuren 4.4.1.1 Gradzentralität 4.4.1.2 Nähezentralität Zwischenzentralität 4.4.1.3 4.4.2 Zentralisierung von Netzwerken 4.4.3 Dichte von Netzwerken und Netzwerkteilen Analyse von Gruppen 4.4.4

Kapitel 5 Bewertung sozialer Netzwerke 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Drei Basisfunktionen der Organisation Die Koordinationsfunktion Die Wissensfunktion Die Motivationsfunktion Kritische Nebenbedingungen: Kosten und Vertraulichkeit

Kapitel 6 Steuerung sozialer Netzwerke 6.1 Steuerungsgrundlagen 6.2 Steuerungsdimensionen 6.2.1 Führungsverhalten Formale Organisationsstruktur 6.2.2 Human-Ressourcen-Praktiken 6.2.3 6.2.4 Kontaktfördernde Maßnahmen Arbeitsplatzanordnung 6.2.5 6.2.6 Kommunikationstechnologien

12

61 63 63 66 68 69 71 72 72 76 81 83 85 89

93 95 97 101 104 106

109 111 113 113 114 115 116 117 118

Inhaltsverzeichn;s

I Teil B: Praktisches Verfahren Kapitel 7 Übersicht über Projektphasen 7.1 7.2

Verfahrenscharakteristika Projektablauf

121 123 125

KapitelS Phase 1: Problemidentifikation und Projektplanung

127

8.1 Problemidentifikation 8.2 Projektplanung 8.2.1 Projektvision und Projektname 8.2.2 Projektorganisation und -teilnehmer 8.2.3 Aktivitäten- und Ressourcenplanung 8.2.4 Kommunikationsplanung

129 131 131 132 133 135

Kapitel 9 Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke 9.1 9.2 9.3 9.4

Übersicht Dokumentenanalyse Einzelinterviews Workshop

Kapitel 10 Phase 3: Datenerfassung 10.1 Pretest 10.2 Online-Befragung 10.3 Datenaufbereitung und -analyse

Kapitel 11 Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen 11.1 Identifikation 11.2 Priorisierung

Kapitel 12 Phase 5: Entwicklung von Maßnahmen 12.1 Entwicklung potentieller Maßnahmen 12.2 Auswahl Maßnahmen 12.3 Konkretisierung Maßnahmen

139 141 143 143 144

155 157 157 160

169 171 172

175 177 178 179

13

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 13 Phase 6: Implementierung von Maßnahmen 13.1 Ansätze zur Implementierung 13.2 Proje1
14

191 193 194 195 199 201 .202 205 207 .209 210 212 213 217 220 222 222 222 223 226 229 231 232 233 235 236

Inhaltsverzeichn;s

Kapitel 17 Kritische Würdigung 17.1 Feedback der Projektteilnehmer zum bisherigen Verfahrenseinsatz 17.2 Grenzen der Netzwerkanalyse 17.3 Zukünftiger Entwicklungsbedarf 17.3.1 Qualität sozialer Beziehungen 17.3.2 Kosten sozialer Beziehungen 17.3.3 Dynamik sozialer Beziehungen

Literaturverzeichnis Stichwortverzeichnis

239 241 246 248 248 249 250 251 265

15

Die Bedeutung sozialer Netzwerke

Einführung

1.1

"Wenn die formale Organisation das Knochengerüst eines Unternehmens ist, so ist die informelle Organisation sein zentrales Nervensystem, das die Prozesse kollektiven Denkens, Handeins und Reagierens in seinen verschiedenen Geschäftseinheiten antreibt. "2

1. 1

Einführung

Viele Unternehmen wenden erhebliche Mittel auf, um ihre formalen Prozesse und Strukturen zu optimieren. Manager entwerfen beständig neue Organigramme und Ablaufpläne - oft mit ernüchterndem Ergebnis: Verschiedene Studien zeigen, dass 70% aller Reorganisationsprojekte scheitern.3 Ein wesentlicher Grund: Ein Großteil der Arbeit in Unternehmen geht jenseits der formalen Organisationsstruktur in unsichtbaren, informalen Netzwerken vonstatten, die über Teams und Abteilungen hinaus geknüpft werden. 4 Diese werden in der Wissenschaft als soziale Netzwerke bezeichnet (für eine genaue Definition siehe Abschnitt 3.2.1).5

Großteil der Arbeit in Unternehmen geht in sozialen Netzwerken vonstatten

Diesen sozialen Netzwerken wird in der Unternehmenspraxis eine zunehmende Bedeutung beigemessen. So ergab eine aktuelle Befragung von 1000 Führungskräften und Organisationsexperten, dass weiche Aspekte wie Netzwerke, bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Informations- sowie WlSsensmanagement als zukunftsrelevant eingeschätzt werden. Gleichzeitig betrachten sich diesbezüglich nur wenige Unternehmen als kompetent. 6

Zunehmende Bedeutung sozialer Netzwerke in der Unternehmenspraxis

Ein Blick auf das Organigramm zeigt zwar, wer offiziell der Chef ist. Ebenso definiert die formale Prozessbeschreibung die Kommunika-

2 Krackhardt / Hanson (1994: 1) 3 Vgl. Osterloh / Frost (1998: 231); CSC Index Studie (1994); Farmer (2008: 1). 4 Krackhardt / Hanson (1994: 1) 5 Wir verwenden in diesem Buch den Terminus "unsichtbare Netzwerke" synonym

mit dem in der wissenschaftlichen Literatur benutzten Begriff "soziale Netzwerke". Im Haupttitel dieses Buches haben wir auf den Begriff "soziale Netzwerke" verzichtet, da damit in der Umgangssprache oftmals Netzgemeinschaften im Internet assozüert werden. 6 Studie "Organisation 2015", durchgeführt von der Boston Consulting Group (BCG), der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation und Management (SGO) und weiterer Organisationen, vgl. BCG et al. (2009); Roghe et al. (2009; 2010)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

19

1

Die Bedeutung sozialer Netzwerke

tionsschnittstellen zwischen Abteilungen. Doch damit ist nichts darüber gesagt, wer mit wem tatsächlich zusammenarbeitet oder Informationen und Wissen austauscht. Dieses Beziehungsgeflecht prägt in einem wesentlichen Ausmaß, wie Arbeit in Unternehmen erledigt wird. Einige dieser Beziehungen verlaufen innerhalb des formalen Rahmens einer Organisation. Andere sind jedoch in den formalen Prozessbeschreibungen nicht vorgesehen oder widersprechen diesen sogar. 7 Bedarfeines systematischen Verfahrens zur Analyse sozialer Netzwerke

Manager glauben in der Regel ein gutes Verständnis für die Existenz und Funktion dieser Beziehungsnetzwerke zu haben. So sind Führungskräfte im Allgemeinen sehr schnell in der Lage, ihr eigenes soziales Netzwerk zu beschreiben. Wie verhält es sich allerdings darüber hinaus mit den Kontakten dieser Kontakte? Weiß man auch genau, mit wem der unmittelbare Kommunikationspartner wiederum Informationen austauscht oder wen er bzw. sie um Rat fragt? Verschiedene Studien zeigen, dass sich Manager oftmals irren, wenn es darum geht, die Netzwerke außerhalb ihres eigenen Kontaktkreises zu beschreiben.B Eine intuitive Einschätzung reicht hier in der Regel nicht aus; vielmehr bedarf es eines systematischen Verfahrens, um solche Netzwerke zu erfassen. Die folgenden zwei Praxisbeispiele illustrieren auszugsweise den Einsatz eines solchen Verfahrens und verdeutlichen die Relevanz sozialer Netzwerke in Unternehmen.

Fallbeispiel Soziale Netzwerke bei OPTIMAL SYSTEMS Unser erster Fall basiert auf einem Projekt, welches von uns in einem deutschen Softwareunternehmen durchgeführt wurde. OPTIMAL SYSTEMS wurde 1991 gegründet und entwickelt und vertreibt Softwarelösungen für digitale Archivierung, Dokumenten- und Workflowmanagement (Enterprise Content Management). Für das Unternehmen ist es ein wesentlicher Erfolgsfaktor, über eine flexible Standardsoftware zu verfügen. Diese kann

7 VgL Cross / Thomas (2009: 99-104).

20

8 Vgl. Krackhardt (1990); Casciaro (1998); Kilduff / Krackhardt (2008)

Einführung

im Sinne eines ,,Maßanzuges von der Stange" an die jeweiligen Bedürfnisse des Kunden angepasst werden. Über die Jahre hat Optimal Systems ein kontinuierliches Mitarbeiter- und Umsatzwachstum verzeichnet. Daher stellte sich für den Geschäftsführer Karsten Renz zu einem gewissen Zeitpunkt die Frage, ob die in Abbildung 1 dargestellte funktionale Organisation noch den Flexibilitätsanforderungen des Produktes gerecht wurde. Dabei war sich Karsten Renz der Bedeutung sozialer Netzwerke in seinem Unternehmen bewusst. Aus diesem Grund wollte er nicht nur den formalen Organisationsplan, sondern auch die unsichtbaren sozialen Netzwerke bei Optimal Systems untersuchen. Hierbei wurde er von uns im Rahmen eines Projektes unterstützt.

Abbildung 1: Organisation von Optimal Systems

Zur Erfassung der sozialen Netzwerke befragten wir die zum Zeitpunkt des Projektes über 70 Mitarbeiter der Zentrale zu ihren jeweiligen Kontakten innerhalb des Unternehmens. Das so identifizierte Kommunikationsnetzwerk zwischen den einzelnen Bereichen ist in Abbildung 2 dargestellt. Die Dicke der Linien sowie die angegebenen Zahlen geben dabei die Kommunikationsdichte zwischen den Bereichen an. Dichte ist dabei definiert als das Verhältnis der vorhandenen Beziehungen zur Anzahl maximal möglicher Beziehungen (siehe Kapitel 4 für eine detaillierte Darstellung zu dieser Maßzahl). Je höher die Dichte, desto mehr Kommunikationskontakte existieren zwischen zwei Bereichen. Bei der Präsentation der Ergebnisse fiel der Geschäftsleitung auf, dass sowohl der Bereich Marketing als auch der Bereich Entwicklung relativ schwach mit den anderen Bereichen vernetzt waren. So wurden an der wichtigen Schnittstelle Marketing-Vertrieb lediglich 5% aller möglichen Kontakte genutzt. Ebenso bestanden fast keine Kontakte zwischen Entwicklung und Vertrieb sowie zwischen Entwicklung und Marketing. Dieser Zustand bedeutete eine Barriere für die bereichsübergreifende Koordination, barg die Gefahr des Informationsverlustes und implizierte auf lange Sicht das Risiko, dass es in diesen Bereichen zur Herausbildung konkurrierender Subkulturen kommen könnte.

1.1

1

Die Bedeutung sozjaler Netzwerke

Abbildung 2: Kommunikationsnetz von Optimal Systems

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15

Entwicklung

Prodllklmgm1.

Um Yerbesserungspotentlale zu realisieren, wurden deshalb vom Geschäftsführer und den ßerefchsleltem verschiedene Maßnahmen entwi-

ckelt. Unter anderem erhöhte man gezielt die Anzahl bereIchsübergreIfender Meetings. Glefchzeftlg schaffte man neue Möglichkeiten zur informalen Kommunikation über soziale Anlässe. Bel diesen achtete man darauf, die Mitarbeiter aus dem Marketing und der Entwicklung verstärkt zu involvieren, um so deren Yernetzung mit den anderen Untemehmensbereichen zu fördern.

22

Einführung

1.1

Fallbeispiel Soziale Netzwerke in einem kalifornischen Computerunternehmen

Unser zweiter Fall entstammt der Harvard Business Review und wurde von Krackhardt und Hanson in einem in Kalifornien ansässigen Computerunternehmen durchgeführt. 9 Der CEO dieses Unternehmens, David Leers, sah sich mit der Problematik konfrontiert, dass seine Außendiensttruppe aufgrund verschiedener Veränderungen schlecht motiviert war. Um die Außendienstmitarbeiter für die neue unternehmerische Ausrichtung zu gewinnen, gründete der CEO eine strategische Planungsgruppe unter Leitung eines Mitglieds des Außendienstes, Tom Harris. Schon bald begannen die Gruppenmitglieder Diskussionen über die Wettbewerbszwänge. Nach zwei Monaten allerdings war die Gruppe in eine Sackgasse geraten. Dem CEO fehlte es an der nötigen Distanz, um die Ursachen dafür zu erkennen. Erst eine Analyse des Vertrauens- und Beratungsnetzes brachte ihm ein klareres Bild von den Verhältnissen in der Arbeitsgruppe: Zwar hatte der Gruppenleiter Tom Harris eine zentrale Funktion im Beratungsnetz und wurde von vielen Kollegen um fachliche Unterstützung gebeten. Er stand jedoch völlig außerhalb des Vertrauensnetzes und hatte nur zu einem Kollegen ein enges Vertrauensverhältnis. Dies war vor allem deshalb ein Problem, weil Harris Fachkenntnisse in der Gruppe weniger gefragt waren. Vielmehr galt es, zwischen gegensätzlichen Ansichten zu vermitteln und die Verbindlichkeit vereinbarter Ziele einzufordern. Gerade dies gelang ihm aufgrund der fehlenden Vertrauensbeziehungen nicht. Vor dem Hintergrund der durch die Analyse sichtbar gewordenen Netzwerke entwickelte der CEO eine Lösung. Weder wollte er die Arbeitsgruppe einfach für gescheitert erklären, noch wollte er einen wertvollen Manager brüskieren, indem er ihn kurzerhand vom Posten des Leiters abberief. Stattdessen beschloss er, die Gruppe unter Berücksichtigung des Vertrauensnetzes umzubauen. Leers suchte nach jemandem im Vertrauensnetz, der die Verantwortung mit Harris teilen könnte. Er wählte Bill Benson, einen warmherzigen, freundlichen Kollegen, der im Vertrauensnetz eine zentrale Stellung einnahm. Binnen drei Wochen konnte Leers sehen, wie sich die Gruppendynamik veränderte: Da die Mitglieder der Arbeitsgruppe Benson vertrauten, äußerten sie sich offener und rückten von ihren festgefahrenen Positionen ab. Im Laufe der Zusammenarbeit gelang es der Gruppe, eine neue strategische Ausrichtung zu erarbeiten und die verschiedenen Abteilungen des Unternehmens enger zu integrieren.

9 Siehe nachfolgend Krackhardt / Hanson (1994)

23

1

Die Bedeutung sozialer Netzwerke

1.2 Bereitstellung eines praktischen Verfahrens zur Analyse und Steuerung sozialer Netzwerke

Ziele des Buches

Wie die beiden Fälle zeigen, spielen unsichtbare soziale Netzwerke bei der Zusammenarbeit in Unternehmen eine zentrale Rolle. Wie aber lassen sich diese Netzwerke für Manager sichtbar machen? Welche Verfahren existieren, um Stärken und Schwächen dieser Netzwerke zu identifizieren? Und wie können Manager gezielt Maßnahmen für diese Stärken und Schwächen entwickeln und umsetzen? Auf diese Fragen möchte das vorliegende Buch eine Antwort geben. Es soll Managern und Beratern ein praktisches Verfahren an die Hand geben, das ihnen die Analyse und Steuerung sozialer Netzwerke ermöglicht.

1.3 Vielfältige Einsatzmöglichkeiten der Netzwerkanalyse

Praktisches Anwendungspotential

Da Interaktionen zwischen Organisationsmitgliedern ein zentraler Aspekt jeglichen unternehmerischen Geschehens darstellen, lässt sich ein Verfahren zu deren Analyse auf eine Vielzahl von Problemstellungen anwenden, beispielsweise: • Analyse von Geschäftsprozessen: Werden die Geschäftsprozesse des Unternehmens in der gewünschten Art und Weise gelebt? Stimmt die Zusammenarbeit und Vernetzung an kritischen Schnittstellen? Fliessen die richtigen Informationen zwischen Abteilungen und Hierarchiestufen? • Vorbereitung und Evaluation von Reorganisationen: Welche infonnellen Führer sollten in die Entwicklung neuer Organisationsstrukturen involviert werden, um deren Akzeptanz zu erhöhen? Wo gibt es enge Abhängigkeiten im Arbeitsfluss, die durch neue Organisationslösungen zu berücksichtigen sind? Werden bereits implementierte Organisationslösungen in der gewünschten Art und Weise gelebt? • Strategieentwicklung und -implementierung: Erlauben die sozialen Netzwerke die Weiterleitung strategierelevanter Informationen (beispielsweise bezüglich Markt, Kunden, Wettbewerber, Technologietrends etc.) an die Entscheidungsträger? Unter-

24

PrakUsches Anwendungspotential

1.3

stützt die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen und Teams das Erreichen der definierten strategischen Ziele? • Post-Merger-Integration: Wie funktioniert die Zusammenarbeit in akquirierten Unternehmen tatsächlich? Wer sollte in das PostMerger-Integrationsteam involviert werden? Inwieweit war die Integration erfolgreich bzw. inwieweit sind die akquirierten Unternehmensteile mit dem Käuferunternehmen vernetzt? Wo müssen Interaktions- und Kommunikationskanäle geschaffen werden, um die neuen Standards, Systeme, Ziele und Werte im akquirierten Unternehmen zu etablieren? Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen: Funktioniert die Zusammenarbeit im Hinblick auf neue Produkte und Dienstleistungen? Sind die relevanten Abteilungen und Teams in den Informationsfluss involviert? Verfügen alle Abteilungen über die notwendigen Kenntnisse des neuen Produktes? Mitarbeiterfluktuation: Welche Mitarbeiter und Teams sind unzureichend ins soziale Netzwerk des Unternehmens integriert? Besteht das Risiko, wertvolle Spezialisten aufgrund einer mangelnden Zugehörigkeit zu verlieren? • Wissens- und Innovationsmanagement: Wie lässt sich der Wissenstransfer im Unternehmen verbessern? Besteht ein regelmäßiger Austausch zwischen den relevanten Wissensträgern? Nutzen Teams und Abteilungen das im Unternehmen vorhandene Wissen in effektiver Art und Weise? Wir sind uns bewusst, dass Kommunikation, Interaktion und soziale Netzwerke auch zur Verfolgung machtpolitischer Ziele sowie individueller Karriereinteressen, zur Boykottierung von Projekten und sogar zum Mobbing von Mitarbeitern eingesetzt werden können. In diesem Buch wollen wir die Netzwerkanalyse jedoch an den Zielen und Aufgaben des Gesamtunternehmens orientieren. Die Durchsetzung von Partikularinteressen Einzelner steht somit nicht im Mittelpunkt der Analyse.

Orientierung an

Zielen und Aufgaben des Gesamtunter-

nehmens

25

1

Die Bedeutung sozialer Netzwerke

1.4

Aufbau des Buches

Dieses Buch gliedert sich in zwei Teile (vgl. Abbildung 3):

Teil A: Theoretische und methodische Grundlagen

Abbildung 3

Teil A (Kapitel 2- 6) formuliert die theoretischen und methodischen Grundlagen. Wir beginnen in Kapitel 2 mit einer systematischen Darstellung des Forschungsstandes zum Thema "informale Strukturen". Im Anschluss entwickeln wir einen konzeptionellen Rahmen, der die wichtigsten Variablen definiert und zueinander in Bezug setzt (Kapitel 3). Anschließend geben wir eine Einführung in die Methoden der Netzwerkanalyse und damit die Möglichkeiten zur Erfassung sozialer Netzwerke (Kapitel 4). Die dargestellten Analyseverfahren werden dabei an konkreten Anwendungsbeispielen veranschaulicht. In Kapitel 5 diskutieren wir die theoretischen Grundlagen für eine Bewertung sozialer Netzwerke und die damit verbundene Identifikation von Stärken und Schwächen. Wir schließen Teil A ab, indem wir auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Steuerung sozialer Netzwerke eingehen (Kapitel 6).

Aufbau des Buches Einleitung (Kapitell)

Forschungsansätze (Kapitel 2) TeilA: Theoretische Grundlagen

Konzeptioneller Bezugsrahmen (Kapitel 3) Erfassung (Kapitel 4)

Bewertung (Kapitel 5)

Verfahrensübersicht (Kapitel 7)

Teil B: Praktisches Verfahren

Phase 1: ProjektPlanung (KapitelS)

Verfahrenseinsatz (Kapitel 15) Herausforderungen (Kapitel 16)

Kritische WÜrdigung (Kapitel 17)

26

Steuerung (Kapitel 6)

Aufbau des Buches

In Teil B (Kapitel 7-16) des Buches erläutern wir das praktische Ver-

fahren zur Analyse und Steuerung sozialer Netzwerke in Unternehmen. Dazu geben wir in Kapitel 7 zunächst eine kurze Verfahrensübersicht. Die im Rahmen des Verfahrens durchgeführten Projekte setzen sich typischerweise aus sieben Phasen zusammen: •

1.4 Teil B: Praktisches Verfahren

In Phase 1 gilt es, das Problem zu verstehen und das Projekt zu

planen (Kapitel 8). • Die Phase 2 definiert den Situations- und Problemkontext des Unternehmens und leitet daraus diejenigen sozialen Netzwerke ab, die erfasst werden sollen (Kapitel 9). •

In Phase 3 werden die sozialen Netzwerke erfasst und analysiert

(Kapitel 10). • Die Phase 4 beinhaltet die Identifikation von Stärken und Schwächen sozialer Netzwerke sowie deren Priorisierung (Kapitelll). •

In der Phase 5 werden Maßnahmen zur Bearbeitung der Stärken

und Schwächen entwickelt (Kapitel 12). • Die Phase 6 umfasst die Umsetzung der Maßnahmen (Kapitel 13). • Phase 7 enthält schließlich die Kontrolle der Maßnahmen und der daraus resultierenden Ergebnisse (Kapitel 14). Alle sieben Phasen werden wir in Kapitel 15 durchgehend an einem Projekt illustrieren. Zudem gehen wir am Ende von Teil B auf spezifische Herausforderungen des Verfahrenseinsatzes ein (Kapitel 16). Wir schließen das Buch, indem wir in Kapitel 17 das dargestellte Verfahren und die soziale Netzwerkanalyse einer kritischen Würdigung unterziehen und weiteren Entwicklungsbedarf aufzeigen. Sämtliche Kapitel dieses Buches werden durch Praxisbeispiele illustriert. Bei diesen handelt es sich einerseits um Projekte, die von uns im Rahmen eines langjährigen Forschungsprozesses zusammen mit unterschiedlichen Unternehmen realisiert wurden. Andererseits beziehen wir uns auf verschiedene Fallbeispiele aus der Literatur, die wir als solche gekennzeichnet haben.

nlustration der Überlegungen durch PraxisBeispiele

1 Empfohlene Schwerpunktsetzungfür den Leser

Die Bedeutung sozialer Netzwerke

Je nach Interesse und verfügbarer Zeit empfehlen wir dem Leser folgende Schwerpunktsetzung: • Manager und Berater, deren Zeit knapp ist, können sich zunächst mit der Vielzahl praktischer Anwendungsfälle in diesem Buch befassen. Diese zeigen das Anwendungspotential der Netzwerkanalyse in der Unternehmenspraxis anhand unterschiedlicher Problemstellungen auf. Zudem können sie sich auf Teil B des Buches konzentrieren, der das praktische Verfahren darstellt. • Lesern, die sich zusätzlich mit dem Methodenarsenal der Netzwerkanalyse vertraut machen wollen, empfehlen wir in Ergänzung die Lektüre des Kapitels 5. • Denjenigen Lesern, die ein tieferes Verständnis der konzeptionellen und theoretischen Grundlagen entwickeln möchten, ist zudem die Lektüre von Teil A nahegelegt.

28

Teil A: Theoretische Grundlagen

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

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Von der Verneinung zur "Entdeckung" informaler Strukturen

2.1

Soziale Netzwerke sind eng verbunden mit einem anderen unsichtbaren Phänomen im Unternehmen, der Organisationskultur. lO Deshalb hat es sich bei den von uns durchgeführten Praxisprojekten bewährt, die Organisationskultur in die Analyse einzubeziehen. Wir wollen diese in der Darstellung des Forschungsstandes daher berücksichtigen. Für beide Phänomene findet sich in der Literatur auch der Begriff der informalen Organisation bzw. informalen Organisationsstruktur. 11 Die folgende Darstellung des Forschungsstandes konzentriert sich auf diejenigen Arbeiten, die einen Problemlösungs- und Orientierungsbeitrag für die Praxis leisten.

2.1

Von der Verneinung zur "Entdeckung" informaler Strukturen

In der klassischen Organisationsforschung wurden informale Struk-

turen ursprünglich weitestgehend ignoriert. Vielfach wurde gar gefordert, diese zu unterdrücken bzw. zu beseitigen. So forderte beispielsweise Taylor (1856-1915) bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen seines Scientific Managements eine starke Formalisierung des Betriebsgeschehens. Bücher, Statistiken und Formulare müssten geführt werden und fast die gesamte Kommunikation hatte schriftlich zu erfolgen)2 Arbeiter seien faule Drückeberger und Bummelanten, denen nur mit Lohn und Strafe beizukommen sei)3 Diese Forderung nach Formalisierung und reglementierter Sanktionierung von Verhalten mündete notwendigerweise in einer negativen Sichtweise unsichtbarer bzw. informaler Phänomene: Sie wurden als störende Ereignisse betrachtet, die es nach Möglichkeit zu eliminieren galt.l4

Klassische Organisationsforschung:

Ignorierung informaler Strukturen

10 VgI. beispielsweise Cross / Parker (2004: 126-129); Cross / Thornas (2008: 23-40). 11 VgI. Ricken 2005 für einen Überblick; vgl. auch Irle (1963: 20 f., 52 f., 73); Luhrnann

(1976: 31); Göbel (1998: 180 f.) 12 Taylor (2004 erstmals 1913: 42) 13 Taylor (2004 erstmals 1913: 24) 14 Andere Arbeiten, wie die deutsche Organisationslehre (Nordsieck 1934; Kosiol 1976 erstmals 1962; Grochla 1966) oder der Situative Ansatz (beispielsweise Wood-

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

33

2 Infonnale Phänomeneals "unsichtbarer Feind"

"Entdeckung" infonnaler Phänomene durch HumanRelationsAnsatz

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

Diese klassische Auffassung hat bis heute Einfluss auf die Unternehmenspraxis: Viele Unternehmen betrachten informale Phänomene immer noch als den "unsichtbaren Feind"15, der Entscheidungsprozesse aufhält und die Erledigung von Arbeit behindert. Informale Phänomene ließen sich nicht messen und könnten daher auch nicht gezielt beeinflusst werden, weshalb man sie am besten ignoriere. Die Reaktion auf diese Sichtweise ließ nicht lange auf sich warten: Im Rahmen des Human-Relations-Ansatzes kam es in den 1930er

Jahren zur wissenschaftlichen "Entdeckung" informaler Phänomene.t 6 Von zentraler Bedeutung waren dabei verschiedene Experimente, die von 1924 bis 1932 in den Hawthorne-Werken der Western Electric Company in Chicago durchgeführt wurden.l7 Western Electric war der Produktionsarm von AT&T und beschäftigte in den riesigen Werken 40'000 Mitarbeiter. Anfänglich wollte man in den Hawthorne-Experimenten den Einfluss verschiedener Arbeitsbedingungen, wie z.B. der Arbeitsplatzbeleuchtung, auf die Arbeitsleistung ermitteln. In der letzten Untersuchungsreihe, der sogenannten Bank-Wiring-Group (1931-1932), befasste man sich dann allerdings mit der Bedeutung der informalen Organisation. Die Forscher stellten fest, dass informale Normen, informale Führer, Oiquen und Freundschaftsbeziehungen einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsleistung ausübten. 18,19

34

ward 1958, 1965; Bums / Stalker 1961; Lawrence / Lorsch 1967; Pugh et al. 1968, 1969; Blau / Schoenherr 1971) nehmen zwar eine weniger radikale Haltung ein. Da sie die Organisation aber als Aufgabenerfüllungs- bzw. als formales Regelsystem begreifen, ignorieren sie bewusst die Bedeutung informaler Phänomene. 15 Cross / Prusak (2002: 5) 16 Kieser (2006a: 133-167) weißt in seiner Analyse des Human-Relations-Ansatzes darauf hin, dass die Bedeutung "menschlicher Beziehungen" in der Unternehmenspraxis schon lange vor dem Human-Relations-Ansatz bekannt war. Die Hawthome-Experimente bewirkten lediglich eine wissenschaftliche Legitimation dieser Praxis. 17 Roethlisberger / Dickson (1%6 erstmals 1939) 18 Roethlisberger / Dickson (1966: 568) 19 Vgl. für die nachfolgende Darstellung Roethlisberger / Dickson (1966: 379-548).

Von der Vernejnung zur "Entdeckung" informaler Strukturen

Freundschajtsbeziehungen im Bank-Wiring-Room20

Abbildung 4

GruppeA

Gruppe B

11,W1,W3,W4,S1 (ohne W2)

W7,W8,W9,S4

-

2.1

Freundschaflsbeziehung zwischen zwei Akteuren

Die Bank-Wiring-Group bestand aus 14 Mitarbeite~ die Vermittlungseimichtungen für Telefone zusammensetzten. Die Forscher hielten sich im Bank-Wiring-Room auf und analysierten durch Beobachtung verschiedene Arten sozialer Beziehungen in der Gruppe, beispielsweise die Teilnahme an Spielen" Kommunikation" Hilfeleistungen oder Freundschaftsbeziehungen. Diese wurden erfasst, in Form von sogenannten Soziogrammen visualisiert und interpretiert. Abbildung 4 zeigt beispielsweise die wechselseitigen Freundschaftsbeziehungen zwischen den Verkablern (W), Lötem (5) und Inspektoren (1). Das Soziogramm zeigt die zwei Freundschaftsgruppen A (11, W1, W3, W4, 51) und B (W7, Ws, W9, 54). Beide prägten die Zusammenarbeit im Bank-Wiring-Room, waren allerdings nur über 51 und W7 miteinander verbunden. So betrachtete sich Gruppe A als etwas Besseres als Gruppe B. Dagegen wechselten die Mitglieder von Gruppe B häufiger untereinander ihr Tätigkeitsfeld und spielten in den Pausen bewusst andere Spiele als Gruppe A.

Analyse der informalen Organisation in der Bank-

Wiring-Group

Aus heutiger Sicht ist die mangelhafte Vemetzung zwischen den beiden Gruppen als problematisch zu bewerten: Sie verhinderte insbesondere einen regelmäßigen Wissens- und Informationsaus-

20 Leicht abgewandelt aus Roethlisbeger I Dickson (1966: 507).

35

2

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

tausch zwischen beiden Gruppen und somit die Möglichkeit zur Produktivitätssteigerung. Zugleich bestand die Gefahr, dass die Isolation verschiedener Mitarbeiter (beispielsweise 13, Ws, W6, 52) einen negativen Einfluss auf deren Motivation und Arbeitsleistung ausübte (vgl. dazu ausführlich Kapitel 5).

HawthomeExperimente als wichtiger Beitrag zur Analyse informaler Phänomene

Mit der Untersuchung sozialer Beziehungen leisteten die Hawthorne-Experimente einen wichtigen Beitrag, unsichtbare, informale Phänomene zu erfassen, transparent zu machen und zu visualisieren. Die dabei angewandte Methodik der monatelangen Beobachtung von Gruppen war jedoch aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Ressourcenaufwandes nicht für den Einsatz in der Unternehmenspraxis geeignet.

2.2

Die Analyse durch den Organisationsku lturansatz

Von der Entdeckung bis zur Nutzung informaler Strukturen war es ein weiter Weg. Wesentlich zu diesem Schritt beigetragen hat der Organisationskulturansatz. 21 Dieser Ansatz verbreitete sich Anfang der 1980er Jahre zunehmend und wurde durch entsprechende Beraterliteratur22 auch schnell in der Praxis bekannt.

Drei Ebenen der Organisationskultur

Organisationskultur lässt sich dabei gemäß der weit verbreiteten Konzeptualisierung von Edgar Schein als ein Phänomen auf drei Ebenen definieren (vgl. Abbildung 5): 23 • Auf der ersten Ebene befinden sich die sichtbaren Artefakte. Bei diesen handelt es sich um Elemente wie die Unternehmenssprache, die organisatorischen Rituale, die vorherrschende Kleiderordnung, Geschichten, die im Unternehmen kursieren, Umgangsformen oder auch die physische Erscheinungsform der Gebäude. Obwohl für jeden sichtbar, ist diese Ebene schwer zu

36

21 Beispielsweise Deal / Kennedy (1982); Srnircich (1983); Peters / Waterman (1982); Schein (2004 erstmals 1985) 22 Deal / Kennedy (1982) 23 Vgl. im folgenden Schein (2004: 25-37)

Die Analyse durch den Organisationskulturansatz

2.2

interpretieren, da die gleichen Artefakte in verschiedenen Organisationen unterschiedliche Bedeutungen haben können. • Auf der zweiten Kulturebene befinden sich die Normen und Werte einer Organisation. Bei diesen handelt es sich um Handlungsmaximen, Richtlinien oder Ge- und Verbote. Sie sind nur zum Teil sichtbar. Die Organisationsmitglieder sind sich ihrer nicht unmittelbar bewusst. • Die dritte Ebene besteht aus den Basisannahmen einer Organisation. Bei ihnen handelt es sich um fundamentale Annahmen über die Umwelt, Wahrheit, Zeit, Menschen, Handeln oder soziale Beziehungen. Sie sind für den Außenstehenden nicht sichtbar und selbst die Organisationsmitglieder sind sich dieser Annahmen meist nicht bewusst.

Ebenen der Organisationskultur nach Schein24 1. Ebene

Artefakte (Sprache, Rituale, Kleidung, Geschichten, Umgangsformen, Gebäude etc.)

2. Ebene

3. Ebene

Abbildung 5

Teils sichtbar, teils unbewusst

Basisannahmen (über:

Wahrheit, Zeij, Menschen, Handeln, SOZ. Beziehungen)

Umwe~,

Unsichtbar und meist unbewusst

Trotz dieser weit verbreiteten Konzeptualisierung handelt es sich beim Organisationskulturansatz nicht um einen homogenen Ansatz. Vereinfacht kann zwischen einer objektiven und einer subjektiven Strömung unterschieden werden: 25 • Die objektive Strömung begreift die Kultur eines Unternehmens als eine weitere Variable neben Strategie, Führungsstil, Struktur

24 Abgewandelt aus Schein (2004: 26) 25 VgL Smircich (1983); für den deutschsprachigen Raum vgl. Ernst (2003: 26)

Objektive vs. subjektive Strömung des Organisationskulturansatzes

37

2

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

oder Personal.26 Der Schwerpunkt der Analyse liegt mit den Normen und Werten vornehmlich auf der zweiten Kulturebene. • Die subjektive Strömung hingegen versteht Kultur als eine neue, ganzheitliche Sichtweise des Unternehmens27, "als grundlegender Prozess der Sinnstiftung und Orientierung"28. Diese Strömung ist bemüht, auch die Ebene der Basisannahmen zu analysieren. Verfahren zur Kulturerfassung

Zur Erfassung und Analyse von Organisationskulturen haben beide Strömungen verschiedene Instrumente und Verfahren entwickelt, die sich auch in der Unternehmenspraxis einsetzen lassen. 29

Objektive Strömung: quantitative Fragebögen

Die objektive Strömung entwickelte quantitative Fragebögen für großzahlige Befragungen, mit denen sich Normen und Werte erfassen lassen. Gleichzeitig versuchte sie, einen Zusammenhang zwischen bestimmten Kulturausprägungen und dem Erfolg eines Unternehmens nachzuweisen. 30 Prominente Beispiele solch quantitativer Messinstrumente sind das Organizational Culture Inventory oder das Organizational Culture Profile)1 Bei beiden Verfahren handelt es sich um Fragebögen, die verschiedene Verhaltensnormen messen und die Kategorisierung von Unternehmenskulturen erlauben. Eine solche ermöglicht einen Vergleich der eigenen Ist-Kultur mit derer anderer Unternehmen oder einer Soll-Kultur. Im Rahmen einer Gap-Analyse können so Probleme identifiziert und für diese Verbesserungsmaßnahmen entwickelt werden. Solche Verfahren weisen allerdings den Nachteil auf, dass sie sich aufgrund ihrer Standardisierung nur schlecht auf branchen- und unternehmensspezifische Gegebenheiten anpassen lassen.32

26 Smircich (1983: 344-347) Smircich (1983: 347-353) 28 Schreyögg (1999: 438) 29 Vg1. Sackmann (2006) für einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Erfassung der Organisationskultur. 30 Vg1. für einen Überblick Wilderom / Glunk / Maslowski (2000) 31 Askanasy / Broadfoot / Falkus (2000); Sarros et a1. (20OS) 32 Schein (2004: 206) nennt weitere Nachteile quantitativer Methoden. Insbesondere hebt er hervor, dass Umfragen die tieferen Grundannahmen einer Kultur nicht zu erfassen vermögen. 27 Vg1.

38

Die Analyse durch den Organisationskulturansatz

2.2

Fallbeispiel Quantitative Kulturerfassung mit dem Organizational Culture Profile (OCP)

Beim Organizational Culture Profile (OCP) handelt es sich um eines der weitestverbreiteten quantitativen Messinstrumente zur Erfassung der Organisationskultur. 33 Da das Verfahren gleichzeitig als Beispiel für die Vielzahl anderer quantitativer Instrumente gelten kann, stellen wir es kurz dar. Ursprünglich wurde das OCP auf der Basis einer intensiven Literaturanalyse entwickelt. Ziel dabei war, die kollektive Wissensbasis der Organisationskulturforschung in einem Instrument zu integrieren. 34 In der Zwischenzeit hat man das OCP in einer Vielzahl von Organisationen eingesetzt und kontinuierlich weiterentwickelt.

Tabelle 1: Auszug aus dem Fragebogen des OCP Answen

Ouestlons Communication 1) "Open and free exchange 01 Information Is encouraged here."

rnl2Jl3JlAIl5Ill1JllJ

2) "Our managers encourage thelr stall to glve thelr v1ews and are generally responslve to them."

rnl2Jl3J~15I1l1J1lJ

3) ''Communlcatlons across all levels In thls organisation tend to be

rnl2Jl3JlAIl5Ill1JllJ

extremely good.· 4") "The 'grapevlne' Is the best source 01 Inlonnatlon about thls organisation."

rnl2Jl3J~15I1l1J1lJ

5) 'Thls organisation keeps employees wellinionned on malters Important

rnl2Jl3J~15I1l1J1lJ

to its employees." Innovation

1') •Thls organisation avolds r1sk'

rnl2Jl3J~15I1l1J1lJ

2) "I ollen lind mysell havlng to make declslons based on IImhed Inlonnatlon."

rnl2Jl3J~l5Ill1J[Z]

3) "People here are encouraged to use thelr own Inhlatlve to develop better

rnl2Jl3JlAIl5Ill1JllJ

methods." 4) "New Ideas are hlghly valued here." 5) "Innovation and creativlty are encouraged here."

rnl2Jl3JlAIl5Ill1JllJ rnl2Jl3JlAIl5Ill1JllJ

Leadership 1)·..."

rn[)!]I3J~[Q]Il!J[Z]

2)·..."

rnl2Jl3J~15I1l1J1lJ

1-Strong disagreement; 2_Disagree, OOt not suongly; 3-Undeclded, but inclined to dlsagree; 4.Qult8 undecided or !tarn 18 irrelevant 10 you S-Undeclded, but incllned to agras; 6-Agree., but not suongly; 7-Slrong agreement •• gedrehte Fragen, der Fragenwert (1-7) muss von 8 abgezogen werden

33 Sarros et a1. (2005) 34 O'Reilly / Chatman / Caldwell (1991); Ashkanasy / Broadfoot / Falkus (2000: 140)

39

2

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

Das OCP besteht aus den 10 Dimensionen Führung, Struktur, Innovation, Leistung, Planung, Kommunikation, Umwelt, menschliche Arbeitsumgebung, Entwicklung von Individuen und Eintrittsozialisierung. 35 Jede Dimension wird mithilfe von fünf Aussagen gemessen. Für diese kann der Befragte auf einer 7-Punkte Likert Skala seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken. Tabelle 1 zeigt diese Aussagen exemplarisch für die beiden Dimensionen "Kommunikation" und "Innovation". Der Einsatz des OCP geschieht wie folgt:

Subjektive Strömung: Interviews oder Gruppendiskussionen

40

•

Verteilung des Fragebogens an alle Organisationsmitglieder. Bei 10 Dimensionen sind somit 50 Fragen zu beantworten.

•

Umrechnung sogenannter gedrehter Fragen, wie beispielsweise Frage (1) der Dimension "Innovation" oder Frage (4) der Dimension "Kommunikation", indem der Wert von 8 abgezogen wird.

•

Berechnung des Durchschnittswertes für jede Dimension. 36

•

Die resultierenden Durchschnittswerte für jede Dimension auf der Skala von 1-7 lassen sich nun mit den Werten anderer Organisationen oder einem Soll-Profil vergleichen.

Die subjektive Strömung nutzt Interviews oder Gruppendiskussionen, um auch die tiefer liegende Ebene von Organisationskulturen zu erfassen. Ein Beispiel ist das mehrstufige Verfahren von Schein37, bei dem die Mitglieder einer Organisation ihre eigene Kultur mittels Gruppendiskussion beschreiben (siehe hierzu das nachfolgende Fallbeispiel bei Apple Computer). Solche Verfahren berücksichtigen zwar die spezifischen Gegebenheiten eines Unternehmens. Sie sind allerdings nicht repräsentativ und mit einem erheblichen Zeit- und Ressourcenaufwand verbunden, der sich in der Unternehmenspraxis häufig nur schwer rechtfertigen lässt.38

35 Wir erläutern an dieser Stelle die von Ashkanasy / Broadfoot / Falkus (2000) dargestellte Form des OCP. Weiterentwicklungen wurden beispielsweise von Sarros et al. (2005) vorgenommen. 36 Zusätzlich lassen sich verschiedene statistische Verfahren anwenden (beispielsweise Berechnung Cronbachs Alpha, Faktorenanalyse), um die Reliabilität und Validität des Messinstrumentes zu bestimmen (vgl. hierzu im Detail Schnell / Hill / Esser 1999: 142 f., 152 f.; Askanasy / Broadfoot / Falkus 2000: 140 f.). 37 Schein (2004: 340-348) 38 Vgl. Harrison / Shirom (1999: 289)

Die Analyse durch den Organisationskulturansatz

Fallbeispiel Qualitative Kulturerfassung bei Apple Computer

In seinem prominenten Buch "Organizational Culture and Leadership" beschreibt Edgar Schein ein qualitatives Verfahren zur Kulturerfassung. Dieses wendete er zu Beginn der 90er Jahre in einer Gruppendiskussion bei Apple Computer an. 39 Die Diskussion strukturiert sich dabei wie folgt: •

Entschlüsselung der Artefakte (ca. 1 Stunde): Im Anschluss an eine kurze Einführung beginnt die Gruppe mit der Entschlüsselung der obersten Kulturebene, der Artefakte. Dazu fragt man die neuen Mitarbeiter, was ihnen beim Eintritt in die Organisation als Erstes aufgefallen sei. Unterschiedliche Aspekte, wie beispielsweise die Kleiderordnung im Unternehmen, das gewünschte Verhalten gegenüber Vorgesetzten, das Arbeitsplatzdesign oder die Entlohnung von Mitarbeitern können vom Berater als Diskussionsstimulus eingesetzt werden. Im Fall von Apple Computer nannte die Arbeitsgruppe beispielsweise "gemeinsame informelle Aktivitäten nach Arbeitsschluss" . Identifikation wahrnehmbarer Werte (1 Stunde): Als Nächstes wird die Gruppe mit der Frage konfrontiert, warum bestimmte Artefakte so sind wie sie sind. Im Fall von Apple Computer fragte Schein die Gruppe: "Warum werden gemeinsame informelle Aktivitäten durchgeführt?" Darauf antwortete die Gruppe mit folgender Wertaussage: "Die Mitarbeiter verbringen gerne Zeit miteinander. "

•

Identifikation geteilter Grundannahmen (1 Stunde): Im Anschluss beginnt eine Diskussion der geteilten Grundannahmen. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob auch tatsächlich alle Artefakte durch die in Schritt 2 beschriebenen Werte erklärt werden oder ob es eventuell Konflikte gibt, die auf tiefer liegende Grundannahmen zurückgehen. Im Fall von Apple kam die Arbeitsgruppe zum Schluss, dass die eigentliche Grundannahme hinter den informellen Aktivitäten eine andere war: "Arbeit sollte mehr sein als nur Geld verdienen, es kann und sollte auch Spaß machen und eine soziale Bedeutung haben."

Die Analyse dieser Grundannahmen erlaubte den Managern von Apple u.a. festzustellen, wo ihre zukünftige Wachstumsstrategie auf Probleme stoßen könnte. So hätte es ein Grossteil der Belegschaft nicht akzeptiert, wenn das Unternehmen nur um "Geld zu verdienen" in bestimmte Geschäftsfelder, wie beispielsweise die Herstellung von Produkten für die Verteidigungsindustrie, eingetreten wäre.

39 VgL nachfolgend Schein (2004: 3400.)

2.2

2

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

2.3

Die Analyse durch die soziale Netzwerkforschung

Soziale Netzwerkanalyse als "Goldmine" für Sozialwissenschaften

Seit Ende der 90er Jahre befassen sich zunehmend auch netzwerkanalytische Arbeiten mit informalen Strukturen in Unternehmen. 40 Der Forschungsumfang zu sozialen Netzwerken hat dabei in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. 41 Borgatti et al. bezeichnen die soziale Netzwerkanalyse in einem Artikel für das renommierte Wissenschaftsmagazin "Science" gar als "Goldmine" für die Sozialwissenschaften.42 Mit ihr sei es gelungen, eine Vielzahl neuer Erklärungen für soziale Phänomene zu entwickeln.

Soziale Netzwerke als Set von Akteuren & Beziehungen

Bei einem sozialen Netzwerk handelt es sich um ein Set von Akteuren, welche durch ein Set von Beziehungen miteinander verbunden sind. 43 Die Akteure können aus Individuen, Teams, Gruppen, Abteilungen oder auch Organisationen bestehen. Beziehungsinhalt sind beispielsweise Kommunikation, Freundschaft, Arbeitsfluss, Rat, geteilte Konzepte, Allianzen oder Gruppenzugehörigkeiten. 44

Methodische Ebene: Umfangreiches Verfahrenarsenal

Auf methodischer Ebene wurde ein umfangreiches Arsenal zur Analyse sozialer Netzwerke entwickelt (siehe Kapitel 4 für eine detaillierte Einführung) :45 • Für die Untersuchung einzelner Akteure stehen Verfahren wie die Analyse von Zentralität (Relevanz von Akteuren) oder struktureller Äquivalenz (Ähnlichkeit von Akteuren) zur Verfügung. •

Gruppenorientierte Verfahren erlauben die Identifikation von Cliquen oder Oustern im Netzwerk.

• Für Gesamtnetzwerke lassen sich verschiedene Maße wie die Dichte (Verhältnis der vorhandenen Beziehungen zur Anzahl

Netzwerkanalytische Arbeiten haben ihre Wurzeln vor allem in der Kleingruppenforschung (Moreno 1934, 1954; Roethlisberger / Dickson 1966; Homans 1950), der Anthropologie (Nadel 1957) und der mathematischen Graphentheorie (Harary / Nonnan / Cartwright 1965; Harary 1969). 41 Borgatti / Foster (2003: 992) 42 Borgatti et al. (2009: 892) 43 Jansen (2006: 58); Borgatti / Foster (2003: 992) 44 Vgl. Brass et al. (2004) für eine Übersicht 45 Für einen Methodenüberblick vgl. Scott (1991); Wassennan / Faust (1994); Jansen 40

42

(2006)

Die Analyse durch die soziale Netzwerkforschung

2.3

maximal möglicher Beziehungen) oder die Zentralisierung (Ausrichtung des Netzwerkes auf eine Person) berechnen. Auf theoretischer Ebene wurden verschiedene Konzepte entwickelt, prominent sind dabei vor allem: •

Strukturelle Löcher: Unverbundene Oiquen erzeugen strukturelle Löcher im Netzwerk. Einzelne Akteure und Teams können solche Oiquen miteinander in Beziehung setzen und dadurch eine Broker-Funktion wahrnehmen. 46

Theoretische Ebene: Entwicklung verschiedener Konzepte

• Die Stärke schwacher Beziehungen: Gerade schwache Beziehungen (beispielsweise charakterisiert durch geringe Interaktionsfrequenz) können sich als nützlich erweisen. Sie ermöglichen den Zugriff auf entfernte Netzwerkregionen und Cliquen. Hingegen liefern enge Kontakte oft nur redundante und bereits bekannte Informationen. 47 Beispielhaft konnte Granovetter in einer Untersuchung zeigen, dass die Mehrheit von Arbeitsstellen, welche durch Kontakte vermittelt wurden, über relativ lose und nicht über enge Beziehungen zustande kam. 48 •

Soziales Kapital: Investitionen in soziale Beziehungen können, ähnlich wie physisches Kapital oder Humankapital, für den Investor einen Gewinn generieren. Soziale Beziehungen tragen dabei zur Verbesserung von Handlungsergebnissen bei, indem sie Informationen bereitstellen, Einflussnahme ermöglichen, soziale Glaubwürdigkeit schaffen und Reputation aufbauen. 49

46 Burt (1992) 47 Granovetter (1973,1983) 48 Granovetter (1973) 49 Lin (2001: 19); vgl. Portes (1998)

43

2 Empirische Ebene: PositiverZusammenhang zwischenNetzwerkeigenschaften und Erfolgsgrößen

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

Auf empirischer Ebene konnte mehrfach ein positiver Zusammenhang zwischen verschiedenen Netzwerkeigenschaften (Zentralität, Dichte, etc.) und unterschiedlichen Erfolgsgrößen (beispielsweise Leistung, Motivation, Kündigungen, Wissenstransfer) nachgewiesen werden - dazu nachfolgend ein paar Beispiele:5o

• In zwei internationalen Grossunternehmen der petrochemischen und der Nahrungsmittelindustrie konnte eine positive Beziehung zwischen der Netzwerkzentralität von Abteilungen und deren Innovationsrate festgestellt werden.51 •

Im Freundschafts- und Arbeitsflussnetzwerk eines Technologie-

unternehmens diagnostizierte man einen positiven Einfluss der Zentralität (gemessen durch die Anzahl Kontakte) von Mitarbeitern auf deren wahrgenommene Leistung.52 • Ebenso konnte gezeigt werden, dass das Beziehungsnetzwerk von Gruppenleitern die Leistung der Gruppe positiv beeinflusst. 53 • Weiterhin gelang der Nachweis, dass Forschungs- und Entwicklungsteams mit dichteren Netzwerken über eine höhere Produktivität verfügen als solche mit spärlichen Netzwerken. 54 Die Ergebnisse solcher Studien sind jedoch in der Regel so allgemein, dass sie Praktikern bei ihren spezifischen Einzelfallproblemen nur geringe Hilfestellungen geben.

In jüngster Zeit bemüht man sich daher verschiedentlich, die Erkenntnisse der Netzwerkanalyse auch für Manager nutzbar zu machen. Insbesondere amerikanische Autoren zeigen anhand zahlreicher Fallstudien, wie sich die soziale Netzwerkanalyse zur Realisie-

50 Andere Arbeiten untersuchen umgekehrt die Wirkung verschiedener Variablen

44

(beispielsweise Persönlichkeitsmerkmale, Hierarchiestufe, Arbeitsabläufe) auf soziale Netzwerke (siehe Brass et a1. 2004: 796-797 für einen Überblick) 51 Tsai (2001: 1001 52 Mehra et a1. (2001) 53 Mehra et a1. (2003) 54 Reagans / Zuckerman (2001)

Die Analyse durch die soziale Netzwerkforschung

2.3

rung von Verbessenmgspotential in Unternehmen einsetzen lässt.55 Ein typisches Beispiel dafür ist der nachfolgend dargestellte Fall.

Fallbetsplel Soziale Netzwerke in einem Unternehmen der Erdöltndustrle In einem Erdötuntemehmen untersuchten Cross und Parker das Kommunikationsnetzwerk führender Manager in der Division "Exploration 8: Productton- (siehe Abbildung 6).56 Dabef stellten die Autoren signifikante Untersdriede zwischen der formalen OrBanfsationsstruktur und den sozialen Netzwerken des U1temehmens fest.

AbbildJmg 6:

Kommunikationsntt~

der Division eines Erdölunrer.

~

Sm;th

c

M

.

55 Siehe beUpte1sweIM Krackhardt / HmJcn (1990&). CroM/ Pruaak (2002). er.- und Parker (2004). Croaa /lhomu (2009). 56 c:n:-/ Patlt.ct (2004: 4-6). '# Adaptlm 101 CtoM / Parker (2004: 5)

45

2

Der Forschungsstand zu informalen Strukturen

In diesem Zusammenhang identifizierten Cross und Parker drei zentrale Probleme und entwickelten entsprechende Verbesserungsvorschläge: 1. Das Gesamtnetzwerk wies eine sehr starke Abhängigkeit von einem einzelnen Manager ("Cole") auf. Dieser war durch seine Expertise und Zugänglichkeit zu einer zentralen Informationsquelle im Netzwerk geworden. Die Anzahl an Anfragen und Projekten, in welche dieser Manager involviert war, nahm allerdings bald exzessiven Umfang an und führte zur Herausbildung eines Flaschenhalses. Nicht nur resultierte dies für den betroffenen Manager in hohem Stress, sondern dieses Nadelöhr verlangsamte auch die gesamten Prozesse. Zudem bestand das Risiko, dass im Falle einer Kündigung des Managers große Löcher im Netzwerk des Unternehmens entstehen könnten. Als Maßnahme beschloss man daher, die Anfragen an Cole zu kategorisieren und einen Teil systematisch an andere Manager weiterzuleiten, um das Netzwerk zu dezentralisieren. 2. Zweitens zeigte das soziale Netzwerk, dass ein Teil der Führungskräfte zu weit vom Informationsfluss des Netzwerkes entfernt waren. So nahm beispielsweise der Senior Vice President "Jones" nur eine periphere Rolle im Netzwerk ein. Ursächlich hierfür waren seine Überlastung mit administrativen Aufgaben und seine daraus resultierende mangelnde Zugänglichkeit für das mittlere Management. Durch eine konstruktive Diskussion konnte "Jones" dazu bewegt werden, mehr Zeit für die Interaktion mit dem mittleren Management zur Verfügung zu stellen, um so eine zentralere Position im Netzwerk einzunehmen. 3.

Schliel~lich zeigte die Analyse das Ausmaß, in dem die Produktionsdivision isoliert vom restlichen Netzwerk agierte. Ursächlich hierfür war u.a. die Tatsache, dass diese Division räumlich vom Rest der Abteilung getrennt war, was spontane, informelle Kontakte erschwerte. Daraus resultierten verschiedene operationale Probleme. Daher entschied das Management, die Produktionsdivision stärker in die bestehenden Meetings zu involvieren, um so deren Vernetzung zu fördern.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Relevanz informaler Phänomene in der Forschung vermehrt erkannt und untersucht wird. Arbeiten zur Organisationskultur und zu sozialen Netzwerken haben einen ersten Beitrag geleistet, diese Kenntnisse auch für die Praxis nutzbar zu machen. Wir wollen die bisherigen Forschungserkenntnisse nutzen, um im folgenden Abschnitt einen konzeptionellen Bezugsrahmen zu entwickeln.

46

Konzeptioneller Bezugsrahmen

Der Manager ;m Mntelpunkt

3.1

Nachdem wir in Kapitel 2 den Forschungsstand dargestellt haben, wollen wir nun einen konzeptionellen Bezugsrahmen entwickeln. Dieser definiert die wichtigsten Begriffe und schafft so ein Grundverständnis für die in diesem Buch verwendeten Konzepte. Gleichzeitig setzen wir die sozialen Netzwerke in Bezug zu anderen relevanten Elementen des Unternehmens. Der Bezugsrahmen besteht dabei aus den folgenden vier Elementen (vgl. Abbildung 7): dem handelnden Manager •

den sozialen Netzwerken

•

der Organisationskultur den formalen Strukturen & Prozessen

Elemente des konzeptionellen Bezugsrahmens

Abbildung 7

Formale Strukturen Sichtbar

Informale Strukturen Unsichtbar

3.1

Der Manager im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt des Bezugsrahmens steht der Manager. Durch seine Handlungen und seine Entscheidungen beeinflusst dieser in Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Unternehmensgeschehen. Dabei wird seine Leistung nicht nur von seinen eigenen Fähigkeiten und seiner Motivation geprägt. Auch sein sozi-

Manager beeinflusst Unternehmensgeschehen

49 B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

3

Konzeptioneller Bezugsrahmen

ales Umfeld und seine Mitmenschen beeinflussen ihn entscheidend. Insbesondere durch formale und informale Strukturen (soziale Netzwerke & Kultur) wird er in seinen Handlungen geleitet. Umgekehrt beeinflusst der Manager mit seinen Handlungen diese Strukturen und prägt sie in ihrer Entwicklung.

3.2 Soziale Netzwerke und Kulturals Bestandteile informaler Struktur

Informale Strukturen

Informale Strukturen sind in ihrer Gesamtheit für den handelnden Manager zunächst nicht sichtbar. Erst durch eine systematische Erfassung werden sie transparent und damit einer Analyse zugänglich gemacht. Im Gegensatz zu den formalen Strukturen lassen sie sich nicht durch die Unternehmensleitung zentral vorgeben. Vielmehr entstehen sie durch die Interaktion aller Organisationsmitglieder.58 Informale Strukturen bestehen einerseits aus den sozialen Netzwerken eines Unternehmens. Diese beschreiben die relationalen Eigenschaften informaler Strukturen, also die Beziehungen zwischen Mitarbeitern, Teams oder Abteilungen. Andererseits bestehen informale Strukturen aus der Kultur eines Unternehmens. Diese beschreibt die attributiven Eigenschaften, also die Kulturmerkmale von Gruppen von Mitarbeitern, Teams oder Abteilungen.

3.2.1 Aufdecken unsichtbarer Netzwerke durch systematische Analyse

50

Soziale Netzwerke

Unter unsichtbaren bzw. sozialen Netzwerken in Unternehmen verstehen wir die Gesamtheit der tatsächlich stattfindenden Beziehungen bzw. Interaktionen zwischen Organisationsmitgliedem. Diese Gesamtheit besteht aus den Teilen (Organisationsmitgliedern) sowie ihren Verbindungen (Interaktionen).59 Wir bezeichnen diese Netzwerke auch als "unsichtbar", da Manager zwar einzelne Aspekte sozialer Netzwerke wahrnehmen können, beispielsweise indem sie über ihre eigenen Beziehungen reflektieren und die Interaktion ihrer

58 Vgl. Göbel (1998: 95) 59 Mitchell (1969: 2), Schneider (1997: 166); Borgatti / Foster (2003: 992)

Informale Strukturen

3.2

Kollegen beobachten. Hierdurch gewinnen sie jedoch nur Einblick in einen Teilaspekt des Gesamtnetzwerkes. Zudem erweisen sich ihre subjektiven Einschätzungen oftmals als inakkurat. 6o Zwar verfügt auch die formale Prozessbeschreibung über sichtbare, formal vorgeschriebene Kommunikationsbeziehungen. Bei diesen handelt es sich jedoch lediglich um abstrakte Regelungen. Inwieweit die durch sie vorgeschriebene Kommunikation auch tatsächlich stattfindet, ist nicht vollständig sichtbar. In ihrer Gesamtheit bleiben soziale Netzwerke insofern solange unsichtbar, bis sie durch eine systematische Analyse transparent gemacht werden. Folgende Typen sozialer Netzwerke lassen sich unterscheiden (vgl. im Detail Kapitel 4):61 • Kommunikationsnetzwerke beziehen sich auf den Informations- oder Wissensaustausch zwischen Organisationsmitgliedern (beispielsweise arbeitsbezogenes Kommunikationsnetzwerk, allgemeines Kommunikationsnetzwerk, Wissenstransfernetzwerk). Hierbei kann es sich sowohl um formal vorgesehene Kommunikation handeln, welche dann tatsächlich stattfindet (beispielsweise Berichte). Es kann aber auch um Informationskontakte gehen, welche die formalen Prozessbeschreibungen ergänzen oder diesen sogar widersprechen (siehe Abschnitt 3.5).

Drei Typen sozialer Netzwerke

• Evaluations- und Gefühlsnetzwerke umfassen Freundschaften, Vertrauensbeziehungen, aber auch Antipathie zwischen Akteuren (beispielsweise Freundschaftsnetzwerk, Vertrauensnetzwerk). • Transaktionsnetzwerke beschreiben den Transfer von Ressourcen (beispielsweise Arbeitsflussnetzwerk).

60 Siehe auch (Krackhardt 1990) 61 Vgl. für einen ausführlichen Überblick Knoke / Kublinski (1982: 15); Wasserman / Faust (1994: 18); Jansen (2006: 58 i)

51

3

Konzeptioneller Bezugsrahmen

3.2.2 Konzentration aufNormen und Werten bei Analyse der Organisationskultur

Kultur

In einem engen Verhältnis zu den sozialen Netzwerken eines Unternehmens steht dessen Organisationskultur. Wie bereits in Abschnitt 2.2 dargestellt, handelt es sich bei der Organisationskultur um ein System aus Artefakten, Normen und Werten sowie Basisannahmen. In diesem Buch konzentrieren wir uns aus nachfolgenden Gründen auf die Analyse der mittleren Ebene (Normen und Werte): • Normen und Werte wirken unmittelbar handlungsleitend und lassen sich in einen direkten Zusammenhang zur Tätigkeit der Organisationsmitglieder setzen. Im Unterschied dazu sind die Basisannahmen einer Organisation sehr abstrakt und für den Manager somit nur schwer in einen Bezug mit seinem Arbeitsalltag zu setzen. • Die Erfassung der Basisannahmen erfordert den umfangreichen Einsatz von Interviews und Workshops. Um auch in größeren Unternehmen ein repräsentatives Bild zu erhalten, impliziert dies in der Regel einen zu hohen Zeit- und Ressourcenaufwand, welcher oftmals nicht in einem Verhältnis zum generiert Nutzen steht.

Definition von Normen und Werten vor Hintergrund des Problemkontextes

52

Normen62 und Werte können sich auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche beziehen. Hierunter fallen beispielsweise Entscheidungen (z.B.: Was sind legitime Methoden der Entscheidungsfindung? Welche Dauer von Entscheidungsprozessen ist im Unternehmen akzeptiert?), Kommunikation (z.B.: Werden Fehler offen und akkurat kommuniziert? Welche Rolle spielen Gerüchte im Unternehmen?) oder der Umgang mit Konflikten (z.B.: Werden Konflikte offen oder versteckt ausgetragen? Welche Mechanismen zur Konfliktlösung werden eingesetzt und gelebt?). Es gibt jedoch keine allgemein anerkannte Typologie von Normen und Werten. Vielmehr sollten Normen und Werte vor dem Hintergrund des jeweiligen Problemkontextes definiert werden (siehe dazu im Detail Kapitel 9).

62 Unter einer Norm verstehen wir eine mehr oder weniger verbindliche, allgemein geltende Vorschrift für menschliches Handeln (vgl. Peuckert 2000: 255; vgl. Stock 2004: 787).

Formale Strukturen und Prozesse

Ebenso wie soziale Netzwerke in ihrer Gesamtheit zunächst unsichtbar sind, ist es die Kultur einer Organisation. Zwar kann der einzelne Mitarbeiter über bestimmte Aspekte einer Kultur reflektieren, indem er sich beispielsweise Gedanken über bestimmte Symbole oder Verhaltensmuster in seinem Umfeld macht. Diese Wahrnehmung erweist sich jedoch oftmals als inakkurat. "It is too easy to convince ourselves that the culture we experience as individuals through our immediate network interactions must be the culture of the organization as a whole."63 Die Organisationskultur kann insofern ebenfalls erst durch eine systematische Analyse transparent gemacht werden.

3.3

3.3 Aufdecken der Organisationskultur durch systematische Analyse

Formale Strukturen und Prozesse

Informale Strukturen können von den formalen Strukturen und Prozessen abgegrenzt werden. Im Gegensatz zur informalen Organisationsstruktur ist die formale Organisationsstruktur für einzelne Manager sichtbar. Bei ihr handelt es sich um das offizielle Regelwerk einer Organisation, z.B. in der Form von Stellenbeschreibungen, dem Organigramm oder formalen Kommunikationsvorschriften. Dieses zielt explizit darauf ab, die Handlungen der Organisationsmitglieder zu steuern. 64 Formale Strukturen werden den Mitgliedern eines Unternehmens zentral durch die Unternehmensleitung vorgegeben und sind bei Nichtbefolgung häufig mit Sanktionen verbunden. 65 Wesentliche Dimensionen der formalen Organisationsstruktur sind die Arbeitsteilung einer Organisation, die eingesetzten Koordinationsinstrumente, Konfiguration bzw. das Leitungssystem und die Verteilung von Entscheidungskompetenzen. 66

Formale Organisationsstruktur: Offizielle Regeln einer Organisation

63 Cross / Thomas (2009: 39). 64 I
53

3 Prozesse als dynamische Komponente des Unternehmens

Konzeptioneller Bezugsrahmen

Die Prozesse eines Unternehmens wiederum ergänzen die formale Struktur um eine dynamische Komponente. Ein Prozess ist eine strukturierte Reihenfolge von Aktivitäten, die Inputs im Rahmen einer Wertschöpfung zu Outputs transfonnieren. 67 Generisch kann zwischen Kern- und Supportprozessen unterschieden werden: 68 • Bei Kernprozessen handelt es sich um Prozesse, die eine strategische Bedeutung haben, quer zu den funktionalen Abteilungen liegen und durchgängig vom Lieferanten bis zum Kunden reichen. Beispiele sind der Forschungs- und Entwicklungsprozess eines Industrieunternehmens, der Prozess der Kreditvergabe in einer Bank oder der Beratungsprozess in einer Strategieberatung. • Supportprozesse unterstützen Kernprozesse, leisten aber keinen unmittelbaren Beitrag zum Kundennutzen. Beispiele sind der Human-Ressourcen-Prozess, der IT-Prozess oder der Beschaffungsprozess in Unternehmen.

3.4 Rekursives Verhältnis zwischen Struktur und Handlung

Das Verhältnis zwischen Strukturen und dem handelnden Manager

Formale und informale Strukturen stehen in einem rekursiven Verhältnis zu den einzelnen Managern. Einerseits beeinflussen sie ihr Handeln, andererseits sind sie aber selbst Ergebnis ihrer Handlungen: 69 • Die formale Organisationsstruktur und die Prozesse wirken einerseits handlungsleitend, indem sie das Aufgabengebiet definieren, Vorschriften für gebotenes und verbotenes Handeln formulieren, den Zugriff auf Infonnationen regeln und Entscheidungskompetenzen definieren. Andererseits ist die formale Struktur selbst Produkt der durch die Unternehmensführung ge-

67 Vgl. Osterloh / Frost (1998: 31); Corsten (1997: 16 f.); Davenport (1993: 5); Hammer

54

/ Champy (1994: 52). 68 Osterloh / Frost (1998: 35 ff.); vgl. auch Corsten (1997: 27); Gaitanides (2004: 1214) 69 Strukturen sind "both medium and outcome of sodal processes" (Giddens 1979: 5). "Strukturen formen die Handlungen von Akteuren, und deren Handlungen konstituieren und reproduzieren wiederum Strukturen" (Kieser 1994: 221).

Das Verhältnis zwischen Strukturen und dem handelnden Manager

3.4

troffenen Entscheidungen. Beispielsweise legt die Unternehmensführung (oder durch sie ermächtigte Einheiten) Stellenbeschreibungen fest und definiert das Organigramm eines Unternehmens. • Die Organisationskultur umfasst die informalen Normen und Werte, welche bestimmte Handlungsalternativen mit positiven oder negativen Sanktionen belegen. Ist einem Mitarbeiter bewusst, dass er in einer offenen Kommunikationskultur für das Horten von Informationen mit Sanktionen durch seine Kollegen rechnen muss, so wird er sich in der Regel entsprechend verhalten. Gleichzeitig ist die Organisationskultur Produkt des tagtäglichen Verhaltens aller Organisationsmitglieder. So besteht eine offene Kommunikationskultur nur dann, wenn die Manager in ihren Sitzungen, E-Mails und Gesprächen auch tatsächlich offen Informationen austauschen. • Die sozialen Netzwerke eines Unternehmens schließlich ermöglichen oder verhindern den Zugriff auf Informationen, Wissen und Ressourcen. So kann beispielsweise der persönliche Kontakt eines Produktentwicklers zu einem Vertriebsmitarbeiter diesen mit Informationen über den Erfolg eines neuen Produktes versorgen. Gleichzeitig entstehen soziale Netzwerke durch die Interaktionen aller Organisationsmitglieder, beispielweise indem sich Mitarbeiter an informellen Anlässen kennen lernen, zum Mittagessen verabreden oder gemeinsam an einem Projekt arbeiten.

55

3

Konzeptioneller Bezugsrahmen

3.5 Unterschiedliche Relationen zwischen formalen Strukturen und sozialen Netzwerken

Das Verhältnis sozialer Netzwerke zur formalen Struktur

Soziale Netzwerke sowie formale Strukturen und Prozesse können sich auf unterschiedliche Art und Weise zueinander verhalten: 7o • Soziale Netzwerke können in Einklang mit den formalen Strukturen und Prozessen eines Unternehmens stehen und diesen entsprechen. In diese Kategorie fällt beispielsweise ein Berichtsnetzwerk (An wen senden Sie regelmäßig Berichte?), das exakt den Vorgaben des Organigramms und damit dem Dienstweg entspricht. • Soziale Netzwerke können in einem komplementären Verhältnis zu den formalen Regelungen stehen und diese ergänzen. Enthält das formale Leitbild einer Organisation beispielsweise die Regel "wir wollen offen und funktionsübergreifend miteinander kommunizieren", so kann diese im Rahmen der sozialen Netzwerke durch abteilungsübergreifende Kommunikationsbeziehungen konkretisiert werden. • Soziale Netzwerke können in einem konfligierenden Verhältnis zu formaler Struktur und Prozessen stehen und diesen widersprechen. Ein Beispiel ist lIder kleine Dienstweg" 71, also das bewusste, formal nicht vorgesehene Überspringen von hierarchischen Instanzen. Ein weiteres Beispiel sind Interaktionen, die den Vorgaben der formalen Prozessbeschreibung zuwider laufen.

Bewertung der Funktionalität von sozialen Netzwerken vor Hintergrund des Problemkontextes

Aus der Art des Verhältnisses zwischen sozialen Netzwerken und formaler Struktur lässt sich aber noch keine allgemeingültige Aussage hinsichtlich ihrer Funktionalität treffen. So können selbst der formalen Struktur widersprechende Netzwerke förderlich sein, wenn dadurch Unzulänglichkeiten umgangen werden. Eine Bewertung der Funktionalität muss daher immer die konkreten Umstände des Einzelfalles in die Analyse einbeziehen. Wir werden in KapitelS die theoretischen Grundlagen einer Bewertung darstellen und in Kapitel 11 aufzeigen, wie dies praktisch umgesetzt werden kann.

Göbel (1998: 103 ff.) 71 Göbel (1998: 103)

70 Vgl.

56

Das Verhältnis sozialer Netzwerke zur Kultur

3.6

Das Verhältnis sozialer Netzwerke zur Kultur

Soziale Netzwerke und Organisationskultur stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander: •

3.6

Einerseits beeinflussen die sozialen Netzwerke die Organisationskultur, insofern als sich kulturelle Muster häufig entlang der Netzwerkstrukturen ausbreiten bzw. im Rahmen der jeweiligen Interaktionsbeziehungen reproduziert werden. So können beispielsweise Vertriebsmitarbeiter und Produktentwickler durch regelmäßige Kommunikation ein geteiltes Produktverständnis herausbilden. Umgekehrt kann ein Mangel an sozialen Beziehungen zur Herausbildung von Subkulturen führen. So vertrat beispielsweise in einem von uns untersuchten Betrieb der Außendienst, der nur schwach vernetzt war, andere Kulturnormen als der Rest des Betriebes.

Rekursives Verhältnis von sozialen Netzwerken und Organisationskultur

Andererseits beeinflusst die Kultur die Entstehung sozialer Netzwerke. So können bestimmte Normen und Werte die Etablierung sozialer Netzwerke behindern. Beispielsweise steht ein Konkurrenzdenken zwischen Abteilungen der Herausbildung eines abteilungsübergreifenden Wissenstransfers im Wege. Umgekehrt fördern bestimmte Kulturnormen die Genese sozialer Netzwerke. So kann beispielsweise eine gelebte "Kultur der offenen Türen" die Etablierung neuer Beziehungen fördern, indem Barrieren zur Kontaktaufnahme abgebaut werden.

3.7

Implikationen für die Analyse sozialer Netzwerke

Zusammenfassend lassen sich aus unserem theoretischen Bezugsrahmen die folgenden Implikationen für den Umgang mit sozialen Netzwerken ableiten: • Soziale Netzwerke beeinflussen das Handeln und die Leistung von Managern, indem sie den Zugriff auf Wissen und Informationen prägen. Im Rahmen einer aktiven Organisationsgestaltung müssen sie daher erfasst und analysiert werden. Da sie in ihrer

57

3

Konzeptioneller Bezugsrahmen

Gesamtheit aber nicht unmittelbar sichtbar sind, bedarf es einer systematischen Analyse, um sie transparent zu machen. Wir werden im nachfolgenden Kapitel 4 aufzeigen, welche Methoden Organisationsexperten hierzu einsetzen können. • Soziale Netzwerke können mit formalen Strukturen und Prozessen im Einklang stehen, diesen widersprechen oder sich komplementär zu ihnen verhalten. Daraus lassen sich aber noch keine allgemeingültigen Aussagen im Hinblick auf ihre Funktionalität treffen. In Abhängigkeit des Ausgangsproblems ist deshalb eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, welches Konzept im Zentrum der Analyse stehen soll. Geht es beispielsweise darum zu untersuchen, inwieweit die formalen Geschäftsprozesse durch die sozialen Netzwerke gelebt werden, so stehen die sozialen Netzwerke im Zentrum der Analyse und die Geschäftsprozesse formulieren die unabhängige Rahmenbedingung (siehe hierzu das Projekt in Kapitel 15). Anders liegt der Fall, wenn der Organisationsgestalter mit seinem Wissen über die sozialen Netzwerke eine Reorganisation durchführen will. Dann stehen die Geschäftsprozesse im Analysefokus und die Erfassung sozialer Netzwerke liefert Informationen dazu, wie sich diese verändern lassen. In diesem Buch stellen wir die sozialen Netzwerke ins Zentrum der Analyse und betrachten formale Strukturen als wichtige Rahmenbedingung, die es bei der Erfassung (Kapitel 4), Bewertung (Kapitel 5) und Steuerung (Kapitel 6) sozialer Netzwerke zu berücksichtigen gilt. •

In ähnlicher Weise stehen die sozialen Netzwerke und die Orga-

nisationskultur in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Für eine umfassende Problemanalyse hat sich daher stets auch die Erfassung von relevanten Aspekten der Organisationskultur bewährt. "To understand the dynamics that promote integration and collaboration, leaders need a clear view of how cultural forces shape and in turn are shaped by the interactions that constitute an organization's network structure."72 In Abhängigkeit von der Problemstellung ist aber auch hier abzuwägen, welches Konzept im Zentrum der Analyse stehen soll. In diesem Buch

58

72 Vgl. auch Cross / Thomas (2009: 23-40).

Implikationen tür die Analyse sozialer Netzwerke

3.7

konzentrieren wir uns auf die Analyse sozialer Netzwerke und betrachten die Organisationskultur als wichtigen Kontextfaktor.

59

Erfassung sozialer Netzwerke

Welche sozialen Netzwerke sollen erfasst werden?

Soziale Netzwerke lassen sich mit der Netzwerkanalyse erfassen und analysieren. Bei der Netzwerkanalyse handelt es sich keineswegs um eine neue Methode. In ihren früheren Formen wurde sie bereits in den 30er Jahren eingesetzt. 73 Mit dem Aufkommen moderner Softwareapplikationen zu Beginn der 90er Jahre hat diese Methode in der Wissenschaft stark an Bedeutung gewonnen und erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Diese neuen Softwareprogramme ermöglichen eine leicht verständliche Visualisierung sozialer Netzwerke, womit sich die Netzwerkanalyse nun auch in der Unternehmenspraxis einsetzen lässt.74

4.1

Welche sozialen Netzwerke sollen erfasst werden?

4.1.1

Typ der Beziehung

Will man soziale Netzwerke erfassen, sollte vorab eine Reihe grundsätzlicher Fragen geklärt werden. Als Erstes ist zu überlegen, welche Beziehungen erfasst werden sollen. Für die Untersuchung innerhalb von Unternehmen kommen grundsätzlich folgende Kategorien in Betracht: 75

4.1 Zunehmende Bedeutung der Netzwerkanalyse

Drei Typen sozialer Netzwerke

Kommunikationsbeziehungen beziehen sich auf den Informationsoder Wissensaustausch zwischen Organisationsmitgliedern. Erfasst werden kann der allgemeine Kommunikationsfluss (privat und arbeitsbezogen), eine themenspezifische Kommunikation oder auch der Transfer bestimmter Wissensinhalte. Beispielsweise unterstützten wir im Rahmen eines Projektes ein Unternehmen bei der Abbildung beschaffungsrelevanter Informationsflüsse. Dementsprechend

73 Moreno (1934); vgl. hierzu auch die Darstellung in Borgatti et al (2009: 892). 74 Vgl. zur Bedeutung von Netzwerkvisualisierungen Brandes / Wagner (2003). 75 Neben den hier genannten untersucht die soziale Netzwerkanalyse noch weitere Kategorien (beispielsweise Verwandtschaftsbeziehungen, Mitgliedschaftsbeziehungen etc.). Für den Einsatz in Unternehmen sind jedoch die drei beschriebenen Kategorien ausreichend. Für einen ausführlichen Überblick vgl. Knoke / Kublinski (1982: 15); Wasserman / Faust (1994: 18); Jansen (2006: 58 f.); Borgatti et al. (2009: 894).

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

63

4

Erfassung sozialer Netzwerke

fragten wir die beteiligten Mitarbeiter: "Mit welchen Personen kommunizieren Sie durchschnittlich mindestens einmal pro Woche über Informationen, die im Zusammenhang mit der Beschaffung stehen?"

Evaluations- und Gefühlsbeziehungen umfassen Freundschaftsoder Vertrauensbeziehungen. Bei solchen Beziehungen handelt es sich oftmals um komplexe, multidimensionale Konzepte. So erfassten wir beispielsweise im Rahmen eines Projektes in einem Unternehmen Vertrauensbeziehungen, indem wir die Mitarbeiter mit den folgenden Fragen konfrontierten: 76 • "Angenommen, jemand verspricht Ihnen einen Gefallen zu tun, bei welchen Personen können Sie sicher sein, dass diese das Versprechen auch halten?" • "Bei welchen Personen glauben Sie, dass sie für sich behalten können, was Ihnen in Verbindung mit einem bestimmten Arbeitsproblem Sorgen macht?" • "Bei welchen Personen können Sie davon ausgehen, dass diese Ihnen gegenüber stets richtige Angaben machen?"

In diesem Projekt lag eine Vertrauensbeziehung dann vor, wenn ein Mitarbeiter einen Kollegen bei mindestens zwei der drei Fragen nannte. Neben diesen positiven existieren aber auch negative Evaluations- und Gefühlsbeziehungen. Das untere Fallbeispiel "Der ungeliebte Inspektor" veranschaulicht dies. Es sei allerdings bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Erfassung von Evaluations- und Gefühlsbeziehungen teilweise problematisch ist. Zum einen können ethische Probleme bestehen, da Führungskräften Daten zugänglich gemacht werden, die häufig die unmittelbare Privatsphäre der Organisationsmitglieder betreffenP Zum anderen neigen Mitarbeiter oft dazu, Fragen hinsichtlich

64

76 Vertrauen lässt sich definieren als "the expectation that an actor can be relied on to fulfil obligations, will behave in a predictable manner, and will act and negotiate fairly when the possibility for opportunism is present" (Zaheer / McEvily / Perrone 1998: 143); vgl. Giddens (1995 erstmals 1990: 45, 49); vgl. Osterloh / Weibel (2006) 77 Vgl. Cross / Parker (2004: 141 f.)

Welche sozialen Netzwerke sollen erfasst werden?

4.1

Freundschaft oder Vertrauen aufgrund des persönlichen Charakters der Frage nicht zu beantworten. 78 Unter Transaktionsbeziehungen fällt der Transfer von Ressourcen wie Finanzmittel, Arbeit oder Material. Beispielsweise erfassten wir im Rahmen eines Projektes das Arbeitsfluss- bzw. Prozessnetzwerk eines Unternehmens. Dazu fragten wir die Organisationsmitglieder: "Von welchen Personen erhalten Sie Arbeit, die Sie dann weiter bearbeiten" bzw. "An welche Personen geben Sie Arbeit weiter, die diese dann weiter bearbeiten". Durch verschiedene Analyseverfahren ließen sich so wichtige Prozessschnittstellen und Flaschenhälse im Arbeitsfluss identifizieren.

Fallbeispiel Der ungeliebte Inspektor

Ein gutes Beispiel für die Erfassung negativer Evaluations- und Gefühlsbeziehungen liefern die Hawthorne-Experimente (vgl. auch Abschnitt 2.1). In diesen erfassten die Forscher u.a. die Antagonismusbeziehungen zwischen Arbeitern, die Telefonschaltanlagen fertigten (Bank-Wiring-Group). In Form eines Soziogramms wurde das Beziehungsnetz visualisiert (siehe Abbildung 8), wobei die jeweiligen Antagonismusbeziehungen durch Verbindungslinien dargestellt wurden. Wie aus Abbildung 8 ersichtlich, war der Inspektor der Telefonschaltanlagen (1 3 ) bei seinen Kollegen sehr unbeliebt: Zahlreiche Mitarbeiter hatten Antagonismusbeziehungen mit ihm. 13 war neu in der Arbeitsgruppe und hatte zu Beginn Schwierigkeiten, seine Tätigkeit schnell genug auszuführen, wodurch der gesamte Arbeitsprozess aufgehalten wurde. Als Konsequenz machten sich seine Kollegen über ihn lustig und sabotierten seine Arbeit. Als sich 13 schließlich bei seinem Vorgesetzten beschwerte, drohten sie ihm sogar Prügel an. 79 Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, entfernten seine Vorgesetzten 13 schließlich aus der Produktionsgruppe.

78 Ricken (2002: 57). 79 Siehe Roethlisberger / Dickson (1966: 486-489).

65

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Abbild1mg 8: Antagonismusbeziehungen in einer Produktionsgruppe für TelejimschaltanJsgen der HswtJwrne-Werke

s, I •

Sys""""tisdIe AuswRhI """ BeziehungstyP'" widltig

Für die Analyse einer konkreten Problemstellung ist es wichtig, aus der Vielzahl von Beziehungstypen diejenigen auszuwählen, welche für das Unternehmen und dessen Problem relevant sind. Analysiert man Netzwerke, die in keinem Zusammenhang zum Ausgangsproblem stehen. besteht die Gefahr von Fehlschlüssen. Wir werden in Kapitel 9 genauer aufzeigen. wie eine sinnvolle Auswahl von Beziehungstypen vorgenommen werden kann.

4.1.2 Binäre VB. ordinale I metrist:Iw Skalierung der Beziehungsinhalle

66

Antagonismusbeziehung zwischen zwei Akteuren

Skalierung und Richtung der Beziehung

Stehen die Beziehungsinhalte fest, stellt sich als Nächstes die Frage, wie diese ska1iert werden sollen:1lO

• Bei einer binären Skalierung wird nur unterschieden, ob eine Beziehung vorhanden ist oder nichl Beispielsweise weiß man so, ob zwei Mitarbeiter miteinander kommunizieren oder nicht.

80 Vgl. Gansen 2006: 74-79); vgl. audtFaust/Wassennan (1994: 140 f.).

Welche sozialen Netzwerke sollen erfasst werden?

•

4.1

Eine ordinale oder metrische Skalierung erlaubt zusätzlich die Intensität einer Beziehung zu erfassen. Beispielsweise kann man Mitarbeiter nicht nur fragen, ob sie miteinander kommunizieren, sondern auch wie viele Stunden sie dies pro Woche tun.

Für die Untemehmenspraxis empfiehlt sich in der Regel eine binäre Skalierung, denn diese ist für die Befragten kognitiv einfacher zu verarbeiten. Bei einer ordinalen oder metrischen Skalierung besteht die Gefahr, dass man die Erinnerungsfähigkeit der Befragten überfordert. Zudem lassen sich verschiedene Verfahren der Netzwerkanalyse nicht auf ordinal oder metrisch skalierte Daten anwenden. Weiterhin ist zu bestimmen, ob eine Beziehung gerichtet oder ungerichtet erfasst werden soll.81 Sind Relationen vom Typ her immer wechselseitig, wie beispielsweise in der Regel Freundschaft oder Informationsaustausch, so sollte man diese als ungerichtete Beziehungen definieren. Zahlreiche Beziehungen, wie beispielsweise die Frage nach Rat, Wissen oder Unterstellungsverhältnissen, können jedoch auch einseitiger Natur sein und sollten entsprechend als gerichtete Beziehungen erfasst werden (vgl. Abbildung 9).

Ungerichtete und gerichtete Beziehungen Ungerichte Beziehung Beispiel "Mit wem gehen Sie regel massig gemeinsam Mittagessen?"

A und B gehen regelmässig gemeinsam Mittagessen.

81 Jansen (2006: 75).

Gerichtete vs. ungerichtete Beziehungen

Abbildung 9 Gerichtete Beziehung Beispiel "Wen Fragen Sie regelmässig um Rat?"

A fragt B regelmässig um Rat

67

4

Erfassung sozialer Netzwerke

4.2

Wie können soziale Netzwerke erfasst werden?

Befragung als bewährtes Erhebungsinstrument

Grundsätzlich lassen sich soziale Netzwerke mittels Befragung, Interviews, Beobachtung oder Dokumentenanalyse erfassen.82 Für die Untersuchung in Unternehmen hat sich in diesem Zusammenhang der Einsatz von Online-Befragungen bewährt, da sie sich durch einen relativ geringen Aufwand sowohl für den Projektleiter als auch für die Befragten auszeichnen. Zugleich haben verschiedene Studien gezeigt, dass sich auf diese Weise recht zuverlässige Daten über regelmäßig wiederkehrende Interaktionen erheben lassen. 83 Die Daten können zudem direkt in ein entsprechendes Datenverarbeitungsprogramm eingelesen werden.

Offenervs. geschlossener Fragebogen

Sind alle Netzwerkmitglieder bekannt, so empfiehlt es sich, den Befragten eine Liste aller potentiellen Interaktionspartner vorzulegen (geschlossener Fragebogen). Durch Auswahl der entsprechenden Person kann der Befragte angeben, ob die erfragte Relation besteht oder nicht. Abbildung 10 zeigt beispielhaft einen solchen Fragebogen in anonymisierter Form. Dieser besteht aus der Frage (1), einer Untergliederung nach Abteilungen (2) sowie pro Abteilung einer Liste der Mitarbeiter (3). Der Befragte kann nun diejenigen Mitarbeiter anklieken, auf die die Frage zutrifft. Falls die Netzwerkmitglieder dem Projektleiter im Vorfeld nicht bekannt sind, kann ein offener Fragebogen eingesetzt werden. In diesem fügt der Befragte die entsprechenden Namen seiner Interaktionspartner selberein.

82 Siehe ausführlich Faust und Wasserman (1994: 45-51)

68

83 Freeman / Romney (1987); Freeman / Romney / Freeman (1987)

Wie stellt man soziale Netzwerk.e dar?

Beispiel für einen Online-Fragebogen mit geschlossenen Fragen

Abbildung 10 ~(8J

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RiSk:en. ete . gemeint #!nd nur Ideen. noch keine kClnkrelen Lösungselternatlvf:n)) Gefragllst Ifrmef nach dem Ist·ZUstand, also nach den tatsachlfchen VerMtin,ssen. Die KCIT'llllllJkatlon kann persamdt, s:=:r:nftllch, per E-Mall oder teietonlsch ertolgen. KomlTJln2leren mein: her den Errpfang, das Geben

A~eraUChdenAustaUSchvontnforma,on.n

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4.3

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12. Abteilung

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3. Namen der Mitarbeiter (anonymisiert)

Wie stellt man soziale Netzwerke dar?

Aus der Befragung resultiert ein relationaler Datensatz, der angibt, wer mit wem eine Beziehung unterhält. Solche Daten werden in der Regel in der Form von Matrizen dargestellt. Die äußeren Zeilen und Spalten dieser Matrizen repräsentieren die Akteure eines Netzes. Diese können in einem gerichteten Netzwerk sowohl als Sender (also als Ausgangspunkt einer Beziehung), als auch als Empfänger (also als Endpunkt einer Beziehung) auftreten. Per Konvention sind die Akteure in der Zeile die Sender, diejenigen in der Spalte die Empfänger einer Beziehung. Der Zelleninha1t beschreibt die Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Bei einer binären Skalierung bedeutet 1/11/, dass eine Beziehung besteht, während 1/01/ die Abwesenheit einer Beziehung kennzeichnet.

Darstellung von Daten in

Matrizen

69

4 Tabelle 2

Erfassung sozialer Netzwerke

Beispiel: Matrix der Berichtsbeziehungen in einem kleinen Team

1. Peter

2. Frank

3. Jens

1. Peter

-

0

0

1

2. Frank

1

-

1

3. Jens

0

0

0 -

4. Reto

0

0

0

-

4. Reto

1

Tabelle 2 stellt beispielsweise die Berichtsbeziehungen in einem kleinen Team dar ("An wen senden Sie mindestens einmal pro Monat Berichte?"): • Die erste Zeile gibt an, an wen Peter Berichte sendet. Wie zu sehen ist, sendet Peter lediglich an Reto Berichte (Feld1,4). • Aus der ersten Spalte lässt sich ersehen, dass Peter wiederum nur von Frank Berichte erhält (Feld2,1). • Die Hauptdiagonale von links oben nach rechts unten erfasst die Beziehungen zu sich selber. Da die Teammitglieder keine Berichte für sich selber verfassen, bleibt sie frei. Würde es sich um ungerichtete Beziehungen handeln (beispielsweise gemeinsames Mittagessen), wären die Felder auf beiden Seiten der Diagonalen symmetrisch; Feldl,2 müsste also Feldz,l entsprechen.

70

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

Beispiel: Graph der Berichtsbeziehungen in einem kleinen Team

Eine solche Matrix lässt sich nun in Form eines Graphen visualisieren, wobei die Akteure als Punkte bzw. Kreise und die Beziehungen als Linien dargestellt werden. Die Richtung der Beziehung wird mit Pfeilen angegeben. Abbildung 11 zeigt den Graphen für unser kleines Team. Die Anordnung der Punkte sowie deren Entfernung zueinander sind in diesen Graphen noch willkürlich gewählt. Wie wir aber weiter unten sehen werden (vgl. Abschnitt 10.3), kann es bei komplexeren Netzwerken Sinn machen, die Anordnung nach einer bestimmten Systematik vorzunehmen.

4.4

4.4 Abbildung 11

Visualisierung von Daten in Graphen

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

Die Netzwerkanalyse hat eine Vielzahl von Verfahren entwickelt, mit denen sich soziale Netzwerke analysieren lassen. Wir konzentrieren uns an dieser Stelle auf diejenigen Verfahren, die sich aufgrund ihres Problembezuges und ihrer einfachen Handhabung für den Einsatz in Unternehmen bewährt haben.84

84 Für eine ausführlichere Darstellung weiterer Methoden sei auf die einschlägigen Übersichten in Faust / Wassermann (1994), Jansen (2006) oder Scott (1991) verwiesen.

Vielfältige Verfahren zur Analyse sozialer Netzwerke

4

Erfassung sozialer Netzwerke

4.4.1

Zentralität von Akteuren

Auf Ebene der einzelnen Organisationsmitglieder spielen insbesondere Verfahren zur Zentralitätsberechnung eine Rolle. 85 Diese zielen darauf ab, die wichtigsten, aktivsten und prominentesten Akteure in einem Netzwerk zu identifizieren. Dabei wird gemeinhin zwischen Gradzentralität, Nähezentralität und Zwischenzentralität von Akteuren unterschieden. 86

4.4.1.1 Gradzenfralität als Indikator für die Aktivitätvon Akteuren im Netzwerk

Gradzentralität

Die Gradzentralität (Degree) eines Akteurs stellt das einfachste Berechnungsverfahren dar. Sie gibt an, wie viele direkte Beziehungen ein Akteur im Netzwerk unterhält. In einem gerichteten Netzwerk ist dabei zwischen Innen- und Außengrad zu unterscheiden, je nachdem, ob es sich um die eingehenden oder ausgehenden Beziehungen handelt. In obigem Berichtsnetzwerk ist beispielsweise der Außengrad von Reto 0, d.h. er hat keine ausgehenden Beziehungen. Sein Innengrad ist jedoch 3, da Peter, Frank und Jens an ihn berichten. In einem ungerichteten Netzwerk spricht man lediglich von Grad, da nicht zwischen Innen- und Außengrad unterschieden werden kann. Die Gradzentralität gilt als Indikator für die Aktivität von Organisationsmitgliedern in Netzwerken.B7 Soll beispielsweise eine Abteilung eine zentrale Stellung innerhalb eines Prozesses einnehmen, dann müsste auch ihre Gradzentralität in dem entsprechenden Netzwerk überdurchschnittlich hoch sein. Allerdings kann eine hohe Gradzentralität auch ein Indikator für die Überlastung einzelner Organisationsmitglieder sein. Der untere Fall veranschaulicht die Rolle von Gradzentralität in der Unternehmenspraxis.

85 Vgl. Borgatti et al. (2009: 894) 86 Freeman (1979)

72

87 Faust / Wasserman (1994: 178)

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Fallbeispiel Gradzentralität in der Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI)

Die Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI) wurde vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Zusammenarbeit mit einer großen Auditing Gesellschaft als Public-Private-Partnership gegründet. Ihre Mission bestand darin, Investitionsprojekte von Unternehmen in denjenigen Ländern zu fördern, deren Wirtschaft in Entwicklung und im Umbruch war. Zusätzlich war es die Aufgabe, den Transfer von Kapital, Technologie und Know-how in diese Länder zu fördern. Zur Erfüllung dieser Mission bot SOFI verschiedene Dienstleistungen an, darunter die Promotion von Investitionsideen, die Bereitstellung von Informationen zur Durchführung von Projekten und die Partnersuche für Investitionen.Bs Der Gründer und Geschäftsführer von SOFI, Herr Meilen, war nun der Meinung, dass die Organisation zu stark auf ihn ausgerichtet sei, insbesondere vor dem Hintergrund seines bevorstehenden Ruhestandes. Er betrachtete es für den zukünftigen Erfolg der Organisation insofern als notwendig, Verantwortlichkeiten, Informationen und Wissen stärker auf die einzelnen Mitarbeiter zu verteilen. Zu diesem Zeitpunkt verfügte SOFI über 25 Mitarbeiter und ein jährliches Budget von ungefähr CHF 5 Millionen.

88 Ende 2007 sah das SECO die Mission der SOFI als weitestgehend erreicht an, woraufhin SOFI ihre Tätigkeit einstellte.

73

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Abbildung 12: Außengradzentralität im Wissenstransjernetzwerk der SOFI89 Außengrad 20 15 15 10 5

3

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Um ein genaues Bild von der Zentralität des Geschäftsführers zu erhalten, führten wir in Zusammenarbeit mit dem Management der SOFI ein Projekt zur Analyse der sozialen Netzwerke durch. Da es u.a. das Ziel des Geschäftsführers war, Wissen zu verteilen, erhoben wir verschiedene Wissenstransfernetzwerke innerhalb der Organisation. Für eines dieser Netzwerke fragten wir die Mitarbeiter, wer ihnen Kenntnisse hinsichtlich der Verhandlung mit anderen Organisationen vermittelte. Gab beispielsweise A an, von B Verhandlungskenntnisse zu erhalten, so transferierte folglich B an A Wissen über Verhandlungen. Für dieses Wissenstransfernetzwerk berechneten wir den Außengrad aller Mitarbeiter. Dieser bezeichnete, an wie viele Kollegen eine Person Kenntnisse über Verhandlungen transferierte. Abbildung 12 stellt den Außengrad für jeden Mitarbeiter dar. Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass Herr Meilen, der Geschäftsführer von SOFI, einen Außengrad von 15 aufwies. 15 der 25 Mitarbeiter gaben somit an, dass der Geschäftsführer ihnen Verhandlungskenntnisse vermittelte. Hingegen wiesen die anderen Mitarbeiter einen wesentlich geringeren Außengrad auf. Frau Steffan etwa, die Mitarbeiterin mit der zweithöchsten Gradzentralität, transferierte nur noch an 5 weitere Mitarbeiter Kenntnisse über Verhandlungen mit anderen Organisationen. Dieser Sachverhalt wird auch in der Visualisierung des Netzwerkes in Abbildung 13 deutlich. Die Punkte in diesem Netzwerk stellen die einzelnen Mitarbeiter des Unternehmens dar, während die Pfeile angeben, wer an wen Verhandlungskenntnisse transferierte. Die Größe der Akteure symbolisiert dabei die

89 Alle Namen der Organisationsmitglieder von SOFI wurden durch Synonyme

74

ersetzt.

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Außengradzentralität. Je größer ein Akteur, an desto mehr Personen transferierte er Verhandlungskenntnisse.

Abbildung 13: Wissenstransjernetzwerk in der SOFI90

Richtung der Beziehung _

Herr Locher transferiert

Kenntnisse über Verhandlungen an Frau Koch Große der Knoten entspricht Außengradzentralität •

Haher Außengrad

Niedriger Außengrad

Die starke Abhängigkeit des Wissenstransfers vom Geschäftsführer wurde in Anbetracht seiner Pensionspläne als Schwäche erkannt. Zwar war dieser Sachverhalt aufgrund der geringen Größe der SOFI einigen Führungskräften bereits vor der Untersuchung intuitiv bewusst. Die systematische Analyse führte jedoch zu einer erhöhten Sicherheit und zu einer Versachlichung der Diskussion. Um das Unternehmen stärker zu dezentralisieren, setzte man drei Bereichsleiter ein, die mit ihren Teams regelmäßige Meetings abhielten. Gleichzeitig verstärkte man die Dokumentation wichtiger Wissenselemente, um das implizite Wissen der Mitarbeiter und Führungskräfte transparent und für andere zugänglich zu machen.

90 Darstellung mit Visone

75

4

Erfassung sozialer Netzwerke

4.4.1.2

Nähezentralität

Nähezentralität als Indikatorfür die Nähe eines Akteurs zu allen anderen Akteuren im Netzwerk

Die Nähezentralität erfasst die Nähe eines Akteurs zu allen anderen Akteuren im Netzwerk. Während die Gradzentralität nur die direkten Beziehungen eines Akteurs berücksichtigt, schließt die Nähezentralität auch indirekte Beziehungen ein. Indirekte Beziehungen ermöglichen einem Akteur, andere Netzwerkmitglieder in zwei, drei oder mehr Beziehungsschritten zu erreichen. So kann beispielsweise in Abbildung 14 der Akteur A den Akteur C nicht direkt erreichen. Es besteht aber eine indirekte Beziehung über den Akteur B. Zwar sind indirekte Beziehungen schwächer und können Informationen verzerren. Aber sie haben den Vorteil, dass sie nicht direkt unterhalten werden müssen und daher auch keinen Zeitaufwand verursachen. 91

Abbildung 14

Pfaddistanz

1

Berechnung von Nähezentralitätüberdie kürzeste Pfaddistanz

76

Die Nähezentralität wird über die kürzeste Pfaddistanz gemessen. Die Pfaddistanz bezeichnet die Anzahl Beziehungsschritte, welche ein Akteur benötigt, um einen anderen Akteur zu erreichen. Möchte beispielsweise in Abbildung 14 Akteur A den Akteur D erreichen, so benötigt er vier Beziehungsschritte, wenn er über die Akteure E, F, G geht. Bedient er sich hingegen der Akteure B und C, so beträgt die

91 Jansen (2006: 133)

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Pfaddistanz zu D lediglich drei. Dies ist gleichzeitig die kürzeste Pfaddistanz zwischen A und D. Zur Berechung der Nähezentralität werden die Pfaddistanzen eines Akteurs zu allen anderen Akteuren aufsummiert (Ferne). Aus dieser Summe wird der Kehrwert gebildet (Nähe). Je niedriger die Ferne eines Akteurs (Summe der kürzesten Pfaddistanzen), desto größer seine Nähe zu allen anderen Akteuren.

Abbildung 15

N ähezentralität

In Abbildung 15 ist beispielsweise die Summe aller Pfaddistanzen von Akteur B gleich 5 (Ferne). Er braucht jeweils einen Beziehungsschritt, um alle anderen 5 Akteure zu erreichen. Seine Nähe berechnet sich somit wie folgt:

1 1 NB =-=-=0.2 FB 5

; NB

=Nähe Akteur B,

FB = Feme Akteur B

Dieses Maß wird in der Regel noch auf % normiert, indem es durch die maximal mögliche Nähe eines Netzwerkes geteilt wird. Die maximal mögliche Nähe berechnet sich aus: N

=_1_ max

(n-l)

;n = Anzahl Akteure im Netzwerk

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Die normierte Nähezentralität von Akteur B in Abbildung 15 berechnet sich somit wie folgt: 1

1

1

1

(6 -1)

. . . ..

NZ B = - 7 - - = - 7 - - = - - = 1 0 0 % ;NZB=norm.Nahezentrahtat FB (n -1) 5 (6 -1) 5

Die Nähezentralität von Akteur B entspricht somit der maximal möglichen Nähezentralität des Netzwerkes. Auf die gleiche Art und Weise lässt sich die Nähezentralität aller anderen Akteure aus Abbildung 15 berechnen (vgl. im Detail Tabelle 3).

Tabelle 3

Nähezentralität Akteur

Ferne (Pfaddistanz)

B

5

175=0.2

0.2+0.2

D

8

178 = 0.125

0.125 7 0.2 = 62.5%

F

8

178 = 0.125

0.125 7 0.2 = 62.5%

A

9

179 = 0.111

0.11170.2 = 55.6%

E

9

179 = 0.111

0.11170.2 = 55.6%

9

179 = 0.111

0.11170.2 = 55.6%

C

Nähe

Normierte Nihezentralltit

= 100%

Weist ein Manager eine hohe Nähezentralität auf, so ist er "nah dran" an den anderen Akteuren im Netzwerk. Er hat schnellen Zugriff auf die im Gesamtnetz fließenden Informationen und wird diese tendenziell eher erhalten als andere Akteure. 92 So sollten beispielsweise Entscheidungsträger in den relevanten Kommunikationsnetzwerken eine hohe Nähezentralität aufweisen, um die bestmögliche Informationsbasis für ihre Entscheidungen zu gewährleisten.

78

92 Vgl. Cross / Parker (2004: 157)

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Fallbeispiel Nähezentralität in der Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI) Wir haben bereits weiter oben den Fall der Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI) dargestellt. Im Rahmen dieses Projektes erfassten wir auch das arbeitsbezogene Kommunikationsnetzwerk dieser Organisation. Dazu fragten wir die Mitarbeiter: "Mit wem kommunizieren Sie mindestens einmal pro Woche über arbeitsrelevante Themen?" Da wir davon ausgingen, dass die Kommunikation immer beidseitig erfolgte, resultierte diese Frage in einem ungerichteten Netzwerk. Dieses ist in Abbildung 16 dargestellt.

Abbildung 16: Arbeitsbezogenes Kommunikationsnetzwerk der SOFI

HerrCarsen Beziehung -

Herr Ncidhard und Herr Carsen kommunizieren über arbeitsbezogene Informationen

Größe der Knoten ist untereinander identisch

Bereits die bloße Betrachtung des Schaubildes verdeutlicht, dass das Kommunikationsnetzwerk der SOFI dezentralisierter war als das Wissenstransfernetzwerk. Bezogen sich im Wissenstransfernetzwerk ein Grossteil der Beziehungen auf den Geschäftsführer, so verteilten sich die Kommunikationskontakte auf eine Vielzahl von Akteuren. Offensichtlich war die arbeitsbezogene Kommunikation im Unternehmen weniger vom Geschäftsführer abhängig als der Transfer von Wissen. Das Management wollte nun

79

4

Erfassung sozialer Netzwerke

wissen, wer wie schnell Zugriff auf Informationen innerhalb der Organisation hatte. Dazu berechneten wir die Nähezentralität. Diese ist in Abbildung 17 dargestellt. SChnell wird deutlich, dass mit Herrn Armbruster, Frau Koch, Herrn Locher und Herrn Meilen gleich mehrere Personen einen relativ guten Zugriff auf die im Netzwerk fließenden Informationen hatten. So benötigte Herr Meilen insgesamt nur 35 Schritte (Ferne), um alle 24 Mitarbeiter zu erreichen. Dies entsprach einer Nähezentralität von 66% ((24-1)+35). Herr Vogt hingegen, der sich für längere Zeit im Ausland aufhielt, war relativ weit vom Geschehen entfernt. Er benötigte schon 70 SChritte, um alle 24 Mitarbeiter zu erreichen, seine Nähezentralität betrug daher 33% ((24-1) + 70). Herr Vogt hätte nun mit bereits relativ geringem Aufwand seinen Zugriff auf Informationen verbessern können. Dazu hätte er einen Kontakt mit denjenigen Personen etablieren müssen, die selber eine hohe Nähezentralität aufwiesen. So hätte ihm beispielsweise bereits ein regelmäßiges Telefonat mit Herrn Armbruster oder Frau Koch ermöglicht, über die Geschehnisse im Unternehmen im Bilde zu bleiben.

Abbildung 17: Nähezentralität im arbeitsbezogenen Kommunikationsnetzwerk 75%

66%

66%

50%

25%

.

~ ji

2 .c

E

E <
"

I

80

. . " ..

~ §"lä "iij" "I!!"

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il

c:

li

I

:::J I

" "-"I!!

~ t:

"

I

t:

"

I

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4.1.3

4.4

Zwischenzentralität

Die Zwischenzentralität eines Akteurs misst, wie oft ein Akteur auf der kürzesten Pfaddistanz zwischen anderen Akteuren liegt.93 Damit wird eine Aussage getroffen, inwieweit andere Akteure im Netzwerk von dieser Person abhängig sind.94 In Abbildung 15 liegt Akteur B beispielsweise auf allen Verbindungslinien zwischen den Akteuren A, C und E. Nur die Akteure Fund D treten direkt miteinander in Interaktion, ohne über B gehen zu müssen. B verfügt in diesem Netzwerk somit über eine hohe Zwischenzentralität.

Zwischenzentralität als In-

dilcator für Kontrolle und Einfluss im Netzwerk

Mitarbeiter mit einer hohen Zwischenzentralität verbinden in der Regel unterschiedliche Bereiche miteinander, was ihnen Kontrollund Einflussmäglichkeiten einräumt. Verlassen sie das Netzwerk, beispielsweise aufgrund eines Stellenwechsels, so sind diese Bereiche nicht mehr miteinander verbunden. Wie der nachfolgende Fall zeigt, sind hohe Zwischenzentralitäten somit auch ein Indikator für die Stäranfälligkeit eines Netzwerkes.

Fallbeispiel Zwischenzentralität in einem internationalen Unternehmen Im Rahmen eines Projektes in einem Unternehmen untersuchten wir den Informationsaustausch zwischen den 26 Fachverantwortlichen verschiedener Gesellschaften sowie den 4 Mitarbeitern der Zentrale. Ziel dabei war herauszufinden, inwieweit sich die Fachverantwortlichen der Gesellschaften gegenseitig mit Informationen unterstützen. Um zudem die Abhängigkeit des Informationsflusses von Einzelpersonen zu analysieren, berechneten wir die Zwischenzentralität für jeden Mitarbeiter und visualisierten diese.

93 Jansen (2006: 134) 94 Faust / Wasserman (1994: 188)

81

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Abbildung 18: Zwischenzentralität von Fachverantwortlichen und Mitarbeitern der Zentrale eines Unternehmens

o

Mitarbe~er in zentrale

•

FachverantworUicher

Abbildung 18 zeigt die vier Mitarbeiter in der Zentrale (A, B, C, D) sowie die Fachverantwortlichen aus den Gesellschaften. Je weiter sich ein Mitarbeiter im Zentrum des Kreises befand, desto höher war seine Zwischenzentralität, desto mehr andere Akteure waren somit in ihrer Kommunikation von dieser Person abhängig. Eine hohe Zwischenzentralität hatten vor allem die Mitarbeiter A und B in der Zentrale, die als Informationsdrehscheibe für die Fachverantwortlichen in den Gesellschaften fungierten. Um die Störanfälligkeit des Netzwerkes zu untersuchen, simulierten wir, was passieren würde, wenn diese beiden Mitarbeiter ihre Funktion verließen. Das Ergebnis ist in Abbildung 19 zu sehen: Das Netzwerk würde fast vollständig auseinander brechen, denn C und D nahmen ihre Drehscheibenfunktion nicht ausreichend wahr. Da es den Fachverantwortlichen nicht gelang, Informationen direkt untereinander auszutauschen, blieben diese weitestgehend isoliert. Um eine größere Stabilität im Netzwerk zu erreichen, müsste die Zwischenzentralität von A und B reduziert werden, indem die direkte Kommunikation zwischen den Fachverantwortlichen stärker gefördert wird. Wir werden in Kapitel 6 aufzeigen, mit welchen Maßnahmen dies erreicht werden könnte.

82

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Abbildung 19: Netzwerk ohne Mitarbeiter A und B

••

•• \

o

•

Mitarbeiter in Zentrale •

I

• • •

Fachverantwortlicher

Grad-, Nähe-, und Zwischenzentralität lassen sich nicht nur für Individuen, sondern auch für Gruppen und Abteilungen berechnen. Dazu sind die jeweiligen Durchschnittswerte dieser Gruppen zu ennitteln. Dadurch lässt sich einerseits die Anonymität der einzelnen Mitarbeiter gewährleisten. Andererseits kann auf diese Weise die Komplexität der Analyse reduziert werden.

4.4.2

Zentralisierung von Netzwerken

Eng verbunden mit dem Zentralitätsmaß ist das Maß der Zentralisierung. Anstelle von Akteuren oder Gruppen bezieht sich die Zentralisierung auf das Gesamtnetzwerk eines Unternehmens. Die Zentralisierung gibt an, inwieweit der zentralste Akteur die Zentralität aller anderen Akteure überschreitet, inwieweit also das gesamte

Zentralisierung als Maß für das Gesamtnetzwerk

83

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Netzwerk auf eine einzelne Person ausgerichtet ist.95 Zentralisierungsmaße lassen sich dabei sowohl für Grad- als auch für Nähe-, und Zwischenzentralität berechnen. Sie nehmen einen Wert zwischen 0% (= es gibt keinen Unterschied in der Zentralität von Akteuren) und 100% (= die Unterschiede in der Zentralität der Akteure sind maximal) an. 96 So beträgt die nähebasierte, die gradbasierte und die zwischenbasierte Zentralisierung von Netzwerk 1 in Abbildung 20 genau 100%. Das gesamte Netzwerk ist auf Akteur A ausgerichtet. Hingegen beträgt die Zentralisierung von Netzwerk 2 basierend auf allen drei Berechnungsverfahren 0%, denn es gibt keinen Unterschied zwischen den Akteuren hinsichtlich ihrer Grad-, Nähe- und Zwischenzentralität. Ebenso liegt die nähebasierte Zentralisierung des kleinen Netzwerkes in Abbildung 15 bei 93.75%. Bis auf die Verbindung zwischen F und D ist das gesamte Netzwerk auf Akteur Bausgerichtet.

Abbildung 20

Zentralisierung von Netzwerken

Netzwerk 1

95 Faust / Wassermann (1994: 176)

84

%

Jansen (2006: 138)

Netzwerk 2

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4.3

Dichte von Netzwerken und Netzwerkteilen

Ein wichtiges Maß zur Charakterisierung von Netzwerken oder Netzwerkteilen ist die Dichte. Sie ist ein Indikator für die gesamte Aktivität eines Netzwerkes. Dichte ist definiert als das Verhältnis der vorhandenen Beziehungen zur Anzahl maximal möglicher Beziehungen. Sie kann einen Wert zwischen 0% (= es liegen keine Beziehungen vor) und 100% (= es liegt die maximal mögliche Anzahl Beziehungen vor) annehmen. Die Anzahl maximal möglicher Beziehungen ergibt sich aus der Anzahl Akteure in einem Netzwerk. Für ungerichtete Netzwerke berechnet sich die Anzahl maximal möglicher Beziehungen (Amax) wie folgt:97 A

= nx(n-l)

Dichte als Indikator für die Aktivität von Netzwerken und Netzwerkteilen

;n = Anzahl Akteure im Netzwerk

2

max

4.4

Für ein ungerichtetes Netzwerk berechnet sich die Dichte (0) somit, indem man die Anzahl tatsächlich vorhandener Beziehungen (B) durch die Anzahl maximal möglicher Beziehungen (Amax) teilt:

2

B Amax

D=--=Bx----

nx(n-l)

;B = Anzahl vorhandener Beziehungen

So enthält beispielsweise das Netzwerk in Abbildung 21 die Akteure Frau Richter, Herr Schulz, Herr Lang und Frau Winter. Die Anzahl der maximal möglichen Beziehungen ist:

= 4x(4-1) = 6

A

2

max

Die Anzahl tatsächlicher Beziehungen ist 4. Die Dichte des Netzwerkes ist somit:

B

4

~

6

D=--=-=66%

97 Bei einem gerichteten Netzwerk ist auf die Division durch 2 zu verzichten.

85

4 Abbildung 21

Erfassung sozialer Netzwerke

Dichte zwischen zwei kleinen Teams

TeamA

Team B

Neben dem Gesamtnetzwerk kann die Dichte auch für einen Teil eines Netzwerkes berechnet werden. So könnte beispielsweise in Abbildung 21 von Interesse sein, wie Team A (Frau Richter und Herr Schulz) mit Team B (Herr Lang und Frau Wmter) vemetzt ist. Team A und B verbinden insgesamt zwei Beziehungen (RichterLang und Schulz-Lang). Die Anzahl maximal möglicher Beziehungen zwischen beiden Teams ist aber vier (Richter-Lang, RichterWinter, Schulz-Lang und Schulz-Winter). Die Dichte zwischen den beiden Teams beträgt somit 50%. Grundsätzlich lässt sich die Dichte zwischen Netzwerken oder Teilgruppen in einem Netzwerk miteinander vergleichen. Es ist jedoch zu beachten, dass ein Mitarbeiter insbesondere aufgrund von Zeitrestriktionen nicht eine unendliche Anzahl von Beziehungen unterhalten kann. Tendenziell nimmt die Dichte eines Netzwerkes daher mit zunehmender Netzwerkgröße ab.

86

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

Fallbeispiel Dichte im Wissenstransfer bei Optimal Systems

Wir sind bereits im Rahmen unserer Einleitung auf das Softwareunternehmen Optimal Systems eingegangen. Wegen der Dynamik im Enterprise Content Management sind für das Unternehmen Innovationen und der Transfer von Wissen von zentraler Bedeutung. Aus diesem Grund erfassten wir in dem in Abschnitt 1.1 dargestellten Projekt auch das Wissenstransfernetzwerk von Optimal Systems. Dazu fragten wir alle Mitarbeiter: "Welche Personen vermitteln Ihnen nützliches Wissen in Bezug auf Ihren Arbeitsalltag (z.B. fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten, Fähigkeiten im Umgang mit Kunden usw.)?" Dabei folgten wir der einfachen Hypothese, dass die Dichte eines Netzwerkes einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit hat. 98 Um die Innovationsfähigkeit der einzelnen Abteilungen von Optimal Systems zu vergleichen, bedienten wir uns zweier Dichtemaße: 99 •lOO •

Die Außendichte einer Abteilung maß die Anzahl Wissenstransferbeziehungen mit anderen Abteilungen. War sie hoch, so ermöglichte das einer Abteilung einen überdurchschnittlichen Zugriff auf abteilungsexternes Wissen.

•

Die Innendichte wiederum maß die Anzahl der Wissenstransferbeziehungen innerhalb einer Abteilung. War sie hoch, so fand innerhalb der Abteilung ein reger Wissensaustausch statt. Dieser war Voraussetzung für die interne Weiterverteilung von Wissen, das von außen in die Abteilung gelangte. Die Innendichte kann daher auch als Indikator für die Aufnahmefähigkeit neuen Wissens gelten (absorptive capacity).

Vereinfacht ließ sich postulieren, dass eine gute Voraussetzung für Innovationen gegeben war, wenn die jeweiligen Bereiche sowohl über einen guten Zugriff auf abteilungsexternes Wissen verfügten (Außendichte) als auch in der Lage waren, dieses zu absorbieren (Innendichte).

Vgl. auch Reagans / Zuckennan (2001) Unter Innovationen verstehen wir "die Erarbeitung und Implementierung neuer Lösungen, die in dieser Organisation bisher noch nicht realisiert wurden" (Kieser / Kubicek 1992: 378). 100 Vgl. nachfolgend Tsai (2001: lOOlf). Cohen / Levinthal (1990: 129ff)

98 99

87

4

Erfassung sozialer Netzwerke

Abbildung 22: Innen- und Außendichte im Wissenstransfernetzwerk von Optimal Systems Durchschnitt

AuBendichle (in%)

Corwulllng 43,2%

A: 8,9% 11:

Venrteb A: IUl" /1: 24.11%

A:::::" EntwlcldWlg

O--II--------~----J 1..-_-+__+-_-+_......+-_-+__+-_-+_.. 10%

20%

30%

40%

50%

60%

A: 1,11%/1: 23%

Innendichle (in%)

70%

Abbildung 22 vergleicht nun die Innen- und Außendichten der verschiedenen Bereiche und setzt sie in ein Verhältnis zum abteilungsübergreifenden Durchschnitt. Dabei handelt es sich natürlich um eine Momentaufnahme zum damaligen Zeitpunkt der Erhebung, der einige Jahre zurückliegt. Aufgrund des Aufgabengebietes sowie der Anzahl an Mitarbeitern fiel die durchschnittliche Innendichte erwartungsgemäß höher aus als die Außendichte. Aus den Dichtewerten wurden folgende Schlüsse gezogen:

88

•

Die Abteilung Consulting verfügte sowohl über eine hohe Fähigkeit zur Wissensaufnahme (Innendichte von 43.2%) als auch über einen verhältnismäßig guten Zugriff auf das Wissen anderer Bereiche (Außendichte von 6.9%). Beides dürfte die Innovationsfähigkeit dieses Bereiches positiv beeinflusst haben. Dies wurde insbesondere deswegen als positiv bewertet, da der Abteilung Consulting eine zentrale Stellung bei der Weiterentwicklung und Implementierung des Produktes zukam.

•

Eine relativ ungünstige Voraussetzung für Innovationen (im Vergleich zu den anderen Bereichen) bestand für den Bereich Marketing. Dieser verfügte zum damaligen Zeitpunkt sowohl über eine niedrige Fähigkeit zur Wissensaufnahme als auch über einen sehr geringen Zugriff auf bereichsexternes Wissen. So lag die Außendichte des Marketings mehr als 1/3 unter der Außendichte des Consultings. Dies war jedoch nicht unbedingt negativ zu bewerten, denn für das Marketing waren Innovationen weniger erforderlich als für das Consulting.

•

Der Bereich Vertrieb verfügte zwar durch seine hohe Außendichte über einen guten Zugriff auf bereichsexternes Wissen. Die verhältnismäßig

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

geringe Fähigkeit, dieses Wissen aufzunehmen und zu verteilen, bedeutete jedoch ein potentielles Hindernis für seine Innovationsfähigkeit. •

Der Bereich Finanzen hingegen verfügte über eine verhältnismäßig hohe Fähigkeit, Wissen aufzunehmen. Da er aber nur über eine geringe Außendichte hatte, fehlte es ihm an "Wissensinput", um neue Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. 101

4.4.4

Analyse von Gruppen

Zentralität, Zentralisierung und Dichte beziehen sich entweder auf einzelne Akteure oder auf das Gesamtnetzwerk. Daneben existieren noch eine Reihe von Verfahren, welche erlauben, ein Netzwerk in verschiedene Teilgruppen zu zerlegen. Ein prominentes Verfahren in diesem Bereich ist die Oiquenanalyse.l 02 Der Begriff der Clique wird dabei ähnlich verwendet wie in der Umgangssprache: Eine Oique ist eine Gruppe von mindestens drei Personen, die vollständig miteinander verbunden sind.lo3 Oiquen in einem Netzwerk können sich überlappen. So bilden beispielsweise in Abbildung 23 die Akteure 2,3,4 eine Dreier- und die Akteure 2,4,5,6 eine Viererclique. Die Akteure 2 und 4 gehören damit zwei verschiedenen Oiquen an.

101 Diese Analyse der Innovationsfähigkeit abstrahiert von den unterschiedlichen Aufgabengebieten. Für eine detailliertere Analyse sollten die verschiedenen Tätigkeitsfelder der Bereiche bei der Untersuchung des Wissenstransfers berücksichtigt werden. 102 Jansen (2006: 193) 103 Faust / Wasserman (1994: 254)

Cliquenanalyse als Verfahren zur Analyse von Gruppen

89

4 Abbildung 23

Erfassung sozialer Netzwerke

Darstellung von Cliquen

/.................................

...---

.

\,

....

Dreierclique

Akteure 2 3,4

\.'~'

.".

(" /) "

....

..L

...... • .. ••• •• h

N-Clique und K-Plex als abgeschwächte Verfahren zur Gruppenanalyse

•••

~

Viererclique Akteure 2,4,5,6

•••• •••••

Gegen das Oiquenkonzept wird ofbnals kritisch eingewandt, dass es für eine praktische Analyse zu eng gefasst ist. Denn bereits die Abwesenheit nur einer Beziehung führt dazu, dass eine Gruppe nicht mehr als Oique betrachtet wird)04 Aus diesem Grund wird das strikte Cliquenkonzept ofbnals zugunsten zweier alternativer Konzepte abgeschwächt: • Bei N-Cliquen tritt anstelle des Kriteriums der direkten Verbundenheit die Forderung, dass jedes Oiquenmitglied jedes andere in N Beziehungsschritten erreichen kann. lOS Setzt man N=l, so entspricht dies der ursprünglichen Definition einer Clique. Ist hingegen N=2, so muss jedes Oiquenmitglied jeden anderen in zwei Beziehungsschritten erreichen. • Bei einem K-Plex muss nur ein Teil der Mitglieder direkt verbunden sein. K-Plexe sind robuster als Oiquen und erlauben eine gewisse Toleranz gegenüber fehlenden Verbindungen. Ein KPlex besteht aus n Akteuren, in dem jeder Akteur mindestens (nk) Akteure direkt erreichen kann. 106 Der Parameter k gibt somit

90

104 Faust / Wassermann (1994: 256) 105 Jansen (2006: 196) 106 Faust / Wasserman (1994: 265)

Wie analysiert man soziale Netzwerke?

4.4

die Anzahl an Akteuren an (einschließlich sich selber), die ein Mitglied der Gruppe nicht direkt erreichen muss.l 07 Dabei ist zu beachten, dass der kleinste Wert von k=l ist (l-Plex). So muss in einem 1-Plex mit 4 Akteuren jeder Akteur (4-1)=3 andere Akteure erreichen. Dies entspricht der Definition einer Clique (die fehlende Verbindung k=l steht für die Verbindung des Akteurs zu sich selber). Ist k hingegen 2, so sind nur noch (4-2)=2 Akteure direkt zu erreichen. Beispielsweise enthält die Gruppe in Abbildung 24 zwei Oiquen: 1,2,3 und 2,3,4. Die gesamte Gruppe ist aber keine Oique, da eine Verbindung zwischen 1 und 4 fehlt. Es handelt sich aber um einen 2-Plex mit 4 Akteuren, in dem jeder Akteur mindestens n-k (4-2) Beziehungen zu den anderen Akteuren hat. Je größer k, desto mehr Akteure einer Gruppe müssen nicht direkt erreicht werden.l 08

Darstellung eines 2-Plex

Abbildung 24

Für die Vnternehmenspraxis kann es von Interesse sein, die Zugehörigkeit von Cliquen und K-Plexen der Abteilungs- oder Teamstruktur gegenüberzustellen. Oiquen und K-Plexe, die sich über Team-, Abteilungs- oder Hierarchiegrenzen erstrecken, können Hinweise über die Zusammenarbeit an wichtigen Prozessschnittstellen geben. Ebenso gibt die Abwesenheit von Oiquenmitgliedschaften bei bestimmten Abteilungen einen Hinweis auf deren Isolation im Netzwerk. Eine solche kann u.V. in Koordinationsproble-

107 Iansen (2006: 198) 108 Faust / Wassermann (1994: 265)

91

4

Erfassung sozialer Netzwerke

men, einer verringerten Motivation dieser Abteilung oder in der Herausbildung einer Subkultur münden (vgl. KapitelS).

Wir haben in diesem Abschnitt dargestellt, welche sozialen Netzwerke sich erfassen lassen, wie dies geschehen kann, auf welche Art und Weise sich Netzwerke darstellen lassen und mit welchen Methoden sie analysiert werden können. Dabei haben wir uns auf die prominentesten und einfachsten Methoden beschränkt. Neben diesen existiert eine Vielzahl weiterer, zum Teil komplizierter Verfahren, wie beispielsweise die Berechnung des Prestiges von Akteuren, die Analyse ihrer strukturellen Äquivalenz oder die Blockmodellanalyse.1 09 Diese eignen sich allerdings eher für spezialisierte Problemstellungen als für einen breiten Einsatz in der Untemehmenspraxis.

92

109 Jamen (2006); Faust / Wasserman (1994); Scott (1991)

Bewertung sozialer Netzwerke

Ln

Drei Basis{unktionen der Organisation

5.1

5.1

Drei Basisfunktionen der Organisation

In Kapitel 4 haben wir aufgezeigt, mit welchen Methoden sich soziale Netzwerke erfassen und analysieren lassen. In diesem Kapitel

wollen wir einen theoretischen Rahmen vorstellen, der Manager und Organisationsexperten bei der Bewertung sozialer Netzwerke und der damit verbundenen Identifikation von Stärken und Schwächen unterstützen kann. Dabei hat es sich bewährt, an die drei Basisfunktionen der Organisation anzuknüpfen: 110,111 • Die Koordinationsfunktion: Im Rahmen der Koordinationsfunktion sollte die Organisation die Einzelaktivitäten so koordinieren, dass sich die Spezialisierung als produktiv und die Abstimmung der Einzelaktivitäten als möglichst reibungslos erweist.l 12113

Koordinations-, Motivations- und Wissensfunktion

• Die Wissensfunktion: Im Rahmen der Wissensfunktion sollte die Organisation die Generierung, die Speicherung, die Nutzung und den Transfer von implizitem und explizitem Wissen114 im Unternehmen in ausreichender Weise sicherstellen.115 , 116

110 Allgemeine Theorien in der Form von Ursache-Wirkungszusammenhängen sind in der Regel zu abstrakt, als dass sie einen konkreten Nutzen für den Praktiker und seine spezifischen Probleme entfalten können (vgl. ausführlich Kieser (2006b: 232); vgl. Harrison / Shirom (1999: 178). 111 Die Unterscheidung zwischen den drei Grundfunktionen geht auf Osterloh / Frost (1998: 189-219) zurück, die allerdings statt "Wissensfunktion" den Begriff "Orientierungsfunktion" verwenden. Beide Autoren knüpfen an die Arbeit von Frese (2000) an. 112 Vgl. Mintzberg (1979: 2); vgl. Probst (1987: 95); vgl. (Reiß 1992: 167) 113 Die Koordinationsfunktion steht sowoW im Zentrum des strukturtechnischen (Norsieck 1934; Kosio11962; Grochla 1966) und des situativen Ansatzes (Woodward 1958; Lawrence / Lorsch 1967, Pugh et al. 1968, 1969; Blau / Schoenherr 1971) als auch von ökonomischen organisationstheoretischen Ansätzen (Coase 1937; Alchian 1961; Demsetz 1967; Jensen / Meckling 1976; Williamson 1985). 114 Polanyi (1966) 1150sterloh / Frost (2000: 204 ff) 116 Die Wissensfunktion steht im Mittelpunkt des ressourcenorientierten (penrose 1959; Wemerfelt 1984; Grant 1991) und des wissensbasierten Ansatzes (Nonaka / Takeuchi 1995; Spender 1996; Teece / Pisano 1998) (vgl. Osterloh / Frost 1998).

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

95

5

Bewertung soz;aler Netzwerke

• Die Motivationsfunktion: Im Rahmen der Motivationsfunktion sollte die Organisation ihre Mitglieder in geeigneter Weise für die Erfüllung ihres Aufgabengebietes motivieren. ll7 Basisjunktionen als Hilfestellung bei Bewertung sozialer Netzwerke

Diese drei Grundfunktionen einer Organisation können dem Praktiker eine Hilfestellung bei der Bewertung sozialer Netzwerke geben. Sie definieren den Problemtyp sowie die relevanten Netzwerke und formulieren die zentralen Fragen, die der Praktiker zur Lösung seines Problems beantworten muss. Je nach Problemstellung steht dabei eine andere Funktion im Vordergrund (vgl. Abbildung 25).

Abbildung 25

Funktionen der Organisation

Relevante Netzwerke

Zentrale Fragen

117

96

• Aufgabenbezogene Kommunikation • Arbeits- / Prozessfluss

Inwieweit ermöglichen die Netzwerke eine horizontale und vertikale ZusammenfOhrung der Teilaufgaben? Bspw: • Sind Abteilungen an den Prozessschnittstellen gut vemetzt? • Bestehen Hierarchiebarrieren, die Entscheidungen verlangsamen?

• Wissenstransfer

• GefOhle und EvaluaUonen (Freundschaft, Unterstützung, Vertrauen) • Allgemeine Kommunikation

Inwieweit erlauben die Netzwerke den Transfer von Wissen und ermöglichen InnovaUonen (e.g. neue Produkte, Strategien etc.)? Bspw: • Inwieweit transferieren Wissensträger ihre Kenntnisse? Ermöglicht das Netzwerk den Eintritt und die Verteilung Blelemen Wissens?

Inwieweit mowieren die Netzwerke die Organisooonsmitglieder? Bspw: • Sind die Mitarbeiter gut in das soziale Netzwerk integrieret? • Gibt es Einheiten, die durch ihr Kontaktnetz Oberlastet sind?

Die Motivationsfunktion steht im Mittelpunk des Human-Ressourcen-Ansatzes (Argyris 1964; Likert 1967; McGregor 1960) sowie ökonomischer Ansätze (Milgrom / Roberts 1992) (vgl. Frey / Osterloh 2002 für eine Übersicht).

Die Koordinations/unktion

5.2

5.2

Die Koordinationsfunktion

Für die Koordinationsfunktion ist die Gesamtaufgabe des Unternehmens Ausgangspunkt der Überlegungen. Diese wird als gegeben betrachtet. Es wird also davon ausgegangen, dass die strategische Frage nach der richtigen Gesamtaufgabe bereits beantwortet wurde. Die Gesamtaufgabe wird im Rahmen der Arbeitsteilung in eine Vielzahl von Teilaufgaben zerlegt. Dadurch entsteht ein Koordinationsbedarf, denn die Einzelleistungen der Organisationsmitglieder sind wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. 118

Koordinationsfunktion: Aufgaben und Prozesse als Anknüpfungspunkt

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die sozia-

len Netzwerke einen Beitrag leisten, die Aktivitäten aller Organisationsmitglieder möglichst reibungslos zu koordinieren. Als Referenzpunkt zur Beantwortung dieser Frage können die Aufgaben und Prozesse dienen. Diese definieren, im Hinblick auf welchen Aspekt die Einzelleistungen koordiniert werden sollen. Relevant für die Abstimmung der einzelnen Aktivitäten sind vor allem das arbeitsbezogene Kommunikationsnetzwerk sowie das Arbeitsfluss- und Prozessnetzwerk eines Unternehmens (vgl. dazu unsere Netzwerktypologien aus Kapitel 3). Die Mehrzahl der in diesem Buch dargestellten Projekte und eine Vielzahl von Problemen in der Praxis beziehen sich auf die Koordinationsfunktion. Im Einzelnen lassen sich zwei Koordinationsdimensionen unterscheiden:

Zwei Koordinationsdimensionen

(1) Im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung wird die Gesamtaufgabe zwischen Divisionen, Abteilungen, Teams und Stellen aufgeteilt. Die so generierten Teilaufgaben sind im Zuge einer horizontalen Koordination wieder auf die Gesamtaufgabe auszurichten. In jeder Organisationsform, egal ob Funktional-, Produkt- oder Matrixorganisation, formulieren Stellen, Teams, Abteilungen und Divisionen dabei natürliche Barrieren. In Bezug auf die sozialen Netzwerke stellt sich die Frage, inwieweit es ihnen gelingt, diese horizontalen Barrieren zu überwinden und so zu einer reibungslosen

Horizontale Koordination: Arbeitsteilung zwischen Abteilungen und Teams

118 Die Koordinationsfunktion betont damit den Aspekt der Effizienz ("doing the things right"). Vgl. Drucker (1974: 45 f.); so auch Bünting (1995: 74), Frost (1998: 226)

97

5

Bewertung soz;aler Netzwerke

horizontalen Koordination beizutragen (vgl. Abbildung 26). Im Zentrum der Analyse steht dabei die Vemetzung an kritischen Schnittstellen innerhalb von funktionsübergreifenden Geschäftsprozessen. 119

Abbildung 26

Überwindung horizontaler Barrieren durch abteilungsübergreifende Beziehungen Horizontale Barrieren

Abteilung A

Abteilung B

~ ~

Abteilung C ~

..... '. :.:::::

.........

.........

.'

..

Abteilungsübergreifende Beziehungen

Vertikale Koor-

dination: Arbeitsteilung zwischen Hierarchieebenen

(2) Im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung werden Entscheidungsund Weisungskompetenzen sowie Führungsaufgaben zwischen verschiedenen Hierarchieebenen aufgeteilt. Auch diese sind durch eine vertikale Koordination auf das Gesamtziel auszurichten. Denn durch die Verteilung von Entscheidungs- und Weisungsbefugnissen entstehen Barrieren. 120 Diese schränken Kommunikationsflüsse ein, verlangsamen Entscheidungsprozesse und beeinflussen die Qualität von Entscheidungen. l21 Typisch hierfür sind Mitarbeiter, die auf

Solche Schnittstellen können sowohl aus sequentiell als auch reziproken (gegenseitig) Interdependenzen resultieren (vgl. hierzu die Typologie von Thompson (1967: 54 f.); vgl. auch Bogaschewsky / Rollberg (1998: 231). 120 Vgl. zur Verteilung von Entscheidungskompetenzen Kieser / Kubicek 1992: 155) 121 Vgl. zur Qualität von Entscheidungen Osterloh / Frost (1998: 220). 119

98

Die Koordinations/unktion

5.2

Informationen von ihrem Vorgesetzten warten müssen oder sich nicht trauen, bestimmte Informationen an diesen weiterzuleiten. Im Rahmen der vertikalen Koordination ist somit zu hinterfragen, inwieweit die sozialen Netzwerke einen Beitrag leisten, diese Barrieren zu überwinden und die vertikale Arbeitsteilung zu integrieren (vgl. Abbildung 27). Im Zentrum der Analyse stehen dabei die hierarchieübergreifende Vemetzung sowie die Einbindung der Entscheidungsträger in das Gesamtnetzwerk.

Überwindung vertikaler Barrieren durch hierarchieübergreijende Beziehungen

.,

Bereichsleiter

..-........' ...•. .

Abbildung 27

Vertikale Barrieren

Abteilungsleiter

Mitarbeiter

-~./

~.

Hierarchieübergreifende Beziehungen

Das untere Fallbeispiel zeigt, wie die unterschiedlichen Hierarchieebenen einer Accounting-Firma Barrieren für eine effiziente vertikale Koordination darstellen.

Fallbeispiel Vertikale Koordination in einer Accounting-Firma

In einem interessanten Projekt haben Cross und Parker die Zusammenarbeit über verschiedene Hierarchiestufen in einer Accounting-Firma unter-

99

5

Bewertung soz;aler Netzwerke

sucht. l22 Das Unternehmen wollte den Austausch von Industrie- und Servicekenntnissen fördern. Dazu wurde erfasst, welche Hierarchieebene die andere um Informationen anfragte,123 Die Dichte zwischen den einzelnen Hierarchiestufen ist in Tabelle 4 dargestellt. Dichte ist das Verhältnis der vorhandenen Beziehungen zur Anzahl maximal möglicher Beziehungen (vgl. Abschnitt 4.4.3). So zeigt beispielsweise das Kästchen ,,Manager/Partner" (zweite Spalte von links, dritte Zeile von oben), dass 56% aller möglichen Beziehungen von den Managern genutzt wurden, um Partner nach Informationen zu fragen. Die Kästchen in der Diagonalen von links oben nach rechts unten geben an, inwieweit Informationen innerhalb einer Hierarchiestufe angefragt wurden.

Tabelle 4:

Dichte im Kommunikationsnetzwerk zwischen verschiedenen Hierarchiestufen 124 Partner

Manager

seniors

Mitarbeiter

Partner

67%

23%

13%

3%

Manager

56%

46%

34%

27%

Seniors

25%

24%

21%

18%

Mitarbeiter

33%

36%

40%

21%

r

]

Im Rahmen der Analyse ließen sich folgende Beobachtungen machen: •

Die Diagonale von links oben nach rechts unten zeigt, dass die Partner untereinander gut vernetzt waren und intensiv Informationen austauschten. Sie nutzten 67% aller möglichen Beziehungen. Hingegen waren die Mitarbeiter untereinander nur schwach vernetzt (21%). Dies lag vor allem daran, dass sie aufgrund ihrer Einsätze bei Kunden räumlich voneinander getrennt waren.

•

Partner und Manager wendeten sich in stark abnehmendem Maße mit Informationsanfragen an die unteren Ebenen. So nutzten Partner lediglich 3% aller möglichen Beziehungen zu ihren Mitarbeitern. Dies war deswegen problematisch, da die Mitarbeiter sich kontinuierlich beim Kunden aufhielten und tagtäglich mit dessen Problemen konfrontiert wurden, dieses Wissen aber offensichtlich nicht an die Partner gelangte.

122 Siehe nachfolgend Cross / Parker (2004: 24 ff.) 123 Es handelt sich somit um ein gerichtetes Netzwerk, da ein Mitarbeiter zwar einen

100

Partner um Informationen fragen kann, dies allerdings umgekehrt nicht der Fall sein muss (vgl. Kapitel 4). 124 Siehe im Orginal Cross / Parker (2004: 25).

Die Wissens{unktion

•

5.3

Im Gegensatz dazu bemühten Mitarbeiter und Seniors die oberen Ebenen relativ stark um Informationen. So nutzten die Mitarbeiter 33% und die Seniors 25% ihrer Beziehungen, um Informationen von den Partnern zu erfragen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Anzahl der Mitarbeiter sehr hoch war und die Partner und Manager somit zahlreiche Informationsanfragen zu bearbeiten hatten. Dies barg das Risiko, dass Partner und Manager zu Flaschenhälsen im Informationsfluss wurden, für die Mitarbeiter lange Wartezeiten entstanden und dadurch neue Geschäfts- und Projektopportunitäten ungenutzt blieben.

Um die Situation zu verbessern, implementierte das Unternehmen eine Reihe von Maßnahmen. Um eine bessere Vernetzung der Mitarbeiter mit den anderen Hierarchieebenen zu erreichen, führte man u.a. eine Rotation für neue Mitarbeiter ein. Gleichzeitig beorderte man die Mitarbeiter an Freitagen vom Kunden zurück in die Zentrale. Zudem schaffte man im Büro physische Freiräume für Interaktion, generierte ein Budget für Freizeitveranstaltungen und führte monatliche, hierarchieübergreifende Meetings durch.

5.3

Die Wissensfunktion

Unter Organisationsforschern besteht ein breiter Konsens darüber, dass Wissen eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Ressource von Unternehmen ist.l 25 Auch in diesem Zusammenhang können soziale Netzwerke einen Beitrag leisten: Sie können die Generierung, Speicherung, Nutzung und den Transfer von implizitem und explizitem Wissen126 im Unternehmen unterstützen.l 27 Im Zentrum der Analyse steht dabei das Wissenstransfernetzwerk eines Unternehmens.l 28

Wissensfunktion: Wissenstransfernetz im Zentrum

Bei der Untersuchung von Wissenstransfernetzwerken werden die Aufgaben und Prozesse nicht mehr als gegeben betrachtet. Vielmehr wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Strategien und Prozesse selber durch die sozialen Netzwerke beeinflusst werden {llstrategy

"Strategy follows Structure

125 VgL Nonaka / Takeuchi (1995); Spender (1996); Teece / Pisano (1998); vgl. auch Seidl (2007) 126 Polanyi (1966) 127 Osterloh / Frost (2000: 204 ff) 128 Reagans / McEvily (2003: 240)

ll

101

5

Bewertung soz;aler Netzwerke

follows structure").129 So können soziale Netzwerke das Unternehmen in die Lage versetzen, Antworten auf neuartige Problemstellungen zu formulieren130, indem beispielsweise durch den Transfer von Wissen die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ermöglicht wird. Dabei können räumliche, funktionale und hierarchische Grenzen Barrieren für den Wissenstransfer darstellen)31 Zusätzlich mangelt es den Akteuren oftmals an Anreizen, Wissen weiterzugeben, denn der Transfer von WlSsen verursacht für den Wissensgeber oftmals Kosten. 132 Verschiedene empirische Ergebnisse zur Wissensfunktion

In empirischen Studien konnte festgestellt werden, dass soziale Beziehungen den Austausch von Wissen zwischen Organisationseinheiten grundsätzlich fördern)33 Gleichzeitig kann die Netzwerkzentralität von Abteilungen deren Innovationsrate positiv beeinflussen)34 Zudem zeigte sich, dass der Transfer von komplexerem Wissen starker Beziehungen bedarf, während einfacheres Wissen auch über schwache Beziehungen transferiert werden kann)35 Schließlich konnte gezeigt werden, dass implizites Wissen insbesondere über Beziehungen zwischen Akteuren mit ähnlichen Ansichten und Einstellungen transferiert wird)36

Rahmenbedingungendes Einzelfalls als Referenzpunkt

Wie bei der Koordinations- und Motivationsfunktion kann der Transfer von Wissen stets nur unter Berücksichtigung der konkreten Rahmenbedingungen des jeweiligen Einzelfalls bewertet werden. Zu berücksichtigen sind beispielsweise die Art des zu transferierenden Wissens (beispielsweise Wissen über Kundenbedürfnisse, Wettbewerber, Technologien), der Wissensstand der Sender (beispielsweise durch Zugriffmöglichkeiten auf externes Wissen, Aufgabengebiet, Betriebszugehörigkeit, Curriculum Vitae etc.) sowie der Wissensbedarf des Empfängers (beispielsweise definiert durch die Betriebzugehörigkeit, das Aufgabengebiet, die Ausbildung etc.).

102

129 Die WlSsensfunktion betont damit den Aspekt der Effektivität, also des "doing the right things". Vgl. Drucker (1974: 45); Osterloh / Frost (1998: 181, 195) 130 Osterloh / Frost (1998: 195) 131 Cross / Thomas (2009: 43) 132 Reagans / McEvily (2003: 242) 133 Tsai (2002) 134 Tsai / Ghoshal (1998);Tsai (2001) 135 Hansen (1999) 136 Cross / Borgatti / Parker (2001: 229)

Die Wissens{unktion

5.3

Fallbeispiel Die Wissensfunktion in einer Fachabteilung

Im Rahmen eines Projektes erfassten wir in einem Unternehmensbereich den Wissensaustausch zwischen den Mitarbeitern. Der Bereich verfügte aufgrund der ausgeübten Tätigkeit über eine relativ hohe Mitarbeiterfluktuation. Deshalb war dem Unternehmen daran gelegen festzustellen, inwieweit die erfahrenen Mitarbeiter ihr Wissen an die neuen Kollegen weitergaben. Dazu fragten wir die Mitarbeiter: ,,Mit welchen Personen haben Sie in den letzten 6 Monaten Wissen ausgetauscht, welches für Ihre Aufgabe relevant ist?" Gleichzeitig fragten wir alle Mitarbeiter mithilfe einer Skala von 1 (weniger als 0.5 Jahre) bis 6 (mehr als 4 Jahre), wie lange sie in ihrer derzeitigen Funktion tätig waren.

Abbildung 28: Gradzentralität und Dauer in Funktion der einzelnen Mitarbeiter Grad-

zentral" ät 15 15

10

5 o

Dauer in Funktion > 4 Jahre 10 3-4 Jahre 2-3 Jahre 1-2 Jahre

J.waJJ~~w;m~~~~~m:t:llaull1J~~m~~~:;:::;=-'l <0.5 0.5-1Jahre Jahr

Im Anschluss berechneten wir die Gradzentralität im Netzwerk. Diese gab an, mit wie vielen Personen jeder Akteur Wissen austauschte (linke Achse und Linie in Abbildung 28). Dann verglichen wir die Gradzentralität mit der Funktionszugehörigkeit der Mitarbeiter (rechte Achse und Balken in Abbildung 28). Beispielsweise waren Herr Santos und Herr Heinrich bereits über 4 Jahre in ihrer Funktion. Sie gaben ihr Wissen jedoch nur an sehr wenige andere Mitarbeiter weiter (Gradzentralität von 0 und 4). Insgesamt stellte sich heraus, dass kein Zusammenhang zwischen der Dauer in der Funktion und der Gradzentralität bestand (Pearson Korrelation von nur

103

5

Bewertung soz;aler Netzwerke

5.6%137). Es gelang also nicht, die erfahrenen Mitarbeiter zur Weitergabe ihres Wissens an andere zu bewegen. Insbesondere in Verbindung mit der hohen Mitarbeiterfluktuation war dieser Zustand dysfunktional. Anstatt vom Wissen ihrer erfahrenen Kollegen zu profitieren, konnten die neuen Mitarbeiter ihre Produktivität nur relativ langsam durch eigene Erfahrungen steigern. Dadurch wurden typische Fehler immer wieder aufs Neue gemacht. Die Wissensfunktion wurde somit nur unzureichend erfüllt.

5.4

Die Motivationsfunktion

Motivationsfunktion: Evaluations- und Gefühlsbeziehungenim Zentrum der Analyse

Auch in Bezug auf die Mitarbeitermotivation können soziale Netzwerke einen wichtigen Beitrag leisten, der sich mithilfe der Netzwerkanalyse bestimmen lässt. Im Zentrum der Analyse stehen Evaluations- und Gefühlsbeziehungen, wie das Freundschafts- oder Vertrauensnetzwerk und die allgemeinen Kommunikationsbeziehungen im Unternehmen. Erhalten Mitarbeiter beispielsweise nur so viele Informationen, wie sie für die Ausführung ihrer Aufgaben benötigen, sehen sie sich in anderen Bereichen einer Unsicherheit ausgesetzt.1 38 Dies widerspricht dem individuellen Bedürfnis nach Sicherheit und dem Streben nach Unabhängigkeit.

Verschiedene empirische Ergebnisse zur Motivationsfunktion

So zeigen beispielsweise Cross und Parker, dass die Fluktuationsrate von 40% in einer Beratungsfirma u.a darauf zurückzuführen war, dass die Mitarbeiter sich schlecht mit ihren Kollegen und Vorgesetzten vernetzt fühlten)39 Akteure in der Peripherie eines Netzwerkes sehen ihr Wissen und ihre Expertise nur unzureichend genutzt und können hierdurch in ihrer Motivation eingeschränkt werden. 140 Umgekehrt gibt es Anzeichen dafür, dass Mitarbeiter mit einem starken Beziehungsnetzwerk eine höhere Arbeitszufriedenheit auf-

137 Der Korrelationskoeffizient nach Pearson ist ein Mass für den Grad des linearen Zusammenhanges zwischen zwei Merkmalen. Auf Prozent normiert kann er ei-

104

nen Wert von -100% (vollständig negativer Zusammenhang) bis zu +100% (vollständig positiver Zusammenhang) annehmen. Wenn der Korrelationskoeffizient den Wert 0 aufweist, hängen die beiden Merkmale überhaupt nicht linear voneinander ab (siehe im Detail beispielsweise Bücker 1997: 99). 138 Vgl. Sullivan (1988: 104) 139 Cross / Parker (2004: 25) 140 Cross / Thomas (2009: 176)

Die Motivations{unktion

5.4

weisen und länger im Unternehmen verbleiben als Akteure mit schwachen Beziehungen.l41 Experimente haben beispielsweise gezeigt, dass Akteure in zentralen Netzwerkpositionen eine höhere Zufriedenheit aufweisen als solche am Rande eines Netzwerkes.l 42 Auch in Feldstudien gelang der Nachweis, dass isolierte Akteure in einem Kommunikationsnetzwerk weniger zufrieden waren als solche mit mehr Beziehungen.l43 In einer Studie in einem Technologieunternehmen konnte sogar ein positiver Zusammenhang zwischen der Netzwerkzentralität und der Leistung von Akteuren nachgewiesen werden.l 44 Die obenstehenden Ergebnisse lassen sich aus den folgenden Gründen allerdings nur bedingt verallgemeinern: l45 •

Akteure, die eine periphere Stellung im unternehmensinternen Netzwerk haben, können als Brücke nach außen ("Boundary Spanner") fungieren und eine zentrale Position in einem externen Netzwerk einnehmen. l46 Diese zentrale Stellung kann sich wiederum förderlich auf ihre Motivation auswirken. Typische Beispiele hierfür sind Verkaufsangestellte, die mit Kunden interagieren oder Forschungsmitarbeiter, die sich mit Instituten vernetzen.

•

Eine hohe Anzahl an Beziehungen kann für Individuen Stress bedeuten und so die Arbeitszufriedenheit und Motivation einschränken.

•

Mitarbeiter können sich aufgrund ihrer zentralen Netzwerkposition dazu genötigt sehen, mit Akteuren zu interagieren, die eine negative Auswirkung auf ihre Motivation haben (beispielsweise unproduktive Mitarbeiter, herausfordernde Vorgesetzte etc.).147

141 Cross / Prusak (2002: 12) 142 Siehe Shaw (1964) für einen Überblick) 143 Roberts / O'Reilly (1979) 144 Mehra et a1. (2001) 145 Beispielsweise gelang es Brass (1981) nicht, einen positiven Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Netzwerkzentralität nachzuweisen. 146 Cross / Prusak (2002) 147 Brass et a1. (2004: 798)

Begrenzte Aussagekraft empirischer Ergebnisse

105

5 Bewertung der Motivationsjunktion vor Hintergrund des Problemkontextes

Bewertung soz;aler Netzwerke

Inwieweit sich die jeweiligen sozialen Netzwerke positiv auf die Motivationsfunktion des Unternehmens auswirken, kann somit immer nur unter Berücksichtigung der entsprechenden Rahmenbedingungen des Einzelfalles beurteilt werden. Zu diesen Rahmenbedingungen sind jeweils Daten zu erheben, beispielsweise zur Mitarbeiterfluktuation, -zufriedenheit oder Arbeitsleistung.

5.5 Soziale Beziehungen verursachen Kosten

106

Kritische Nebenbedingungen: Kosten und Vertraul.ichkeit

Soziale Beziehungen jeglicher Art verursachen Kosten. Mitarbeiter verbringen Zeit in Meetings, am Telefon, während des Verfassens von E-Mails, in Kaffeepausen oder an informalen Unternehmensanlässen.l48 Bei der Bewertung sozialer Netzwerke ist daher jeweils auch der Kostenaspekt sozialer Beziehungen zu berücksichtigen. So berichten Cross und Parker149 von einem Softwareunternehmen, das eine äußerst hohe Netzwerkdichte aufwies. Die Zeit der Mitarbeiter wurde allerdings so stark durch Sitzungen, E-Mails und Instant Messaging beansprucht, dass ihnen kaum Möglichkeit zur eigentlichen Erledigung ihrer Arbeit blieb. Ebenso beschreiben Cross und Thomas150 den Fall eines Nahrungsmittelherstellers, dessen Verpackungsprozess durch eine sehr ausgeprägte Interaktionsdichte charakterisiert war. Diese war allerdings sehr ineffizient und fast doppelt so hoch als für den Prozess erforderlich. Eine genauere Analyse zeigte, dass die Netzwerkmitglieder aufgrund eines Mangels an Prozessschulungen und -dokumentation einen eigenen Ablauf entwickelt hatten. Anstatt sich am offiziellen Prozess zu orientieren, arbeiteten sie lieber mit denjenigen Mitarbeitern zusammen, die ihnen sympathisch waren. Dieses Vorgehen resultierte in unnötigen Arbeitswiederholungen und Prozessschlaufen.

148 Siehe hierzu auch im Detail Cross / Thomas (2009: 80 ff.) 149 Cross / Parker (2004: 107) 150 Cross / Thomas (2009: 99-105).

KrWsche Nebenbedingungen: Kosten und Vertraulichkeit

5.5

Eine Bewertung sozialer Netzwerke im Rahmen der Koordinations-, Motivations-, und Wissensfunktion sollte daher auch stets den Kostenaspekt sozialer Beziehungen berücksichtigen. So kann beispielsweise vor dem Hintergrund der Koordinationsfunktion nicht der Grundsatz gelten, "je mehr Beziehungen zwischen Abteilung A und B, desto besser". Ebenso sagt im Rahmen der Wissensfunktion eine hohe Dichte im Wissenstransfernetzwerk noch nichts über die damit verbundenen Kosten aus. Diese sind daher als kritische Nebenwirkung zu berücksichtigen.

Kosten als Nebenbedingungbeider Bewertung sozialer Netzwerke

Neben den Kosten sozialer Beziehungen stellt die Vertraulichkeit von Informationen eine weitere Nebenbedingung dar. So ist nicht jede Art von Kommunikation und Interaktion im Sinne der Gesamtaufgabe eines Unternehmens. Ein prominentes Beispiel sind die sogenannten "Chinese Walls" in Finanzdienstleistungsunternehmen: Dabei handelt es sich um Informationsbarrieren, die aufgrund von Interessenskonflikten zwischen Abteilungen wie dem Research, dem Eigenhandel und dem Emissionsgeschäft eingerichtet werden. Auch in Industrieunternehmen sind bestimmte Informationen nur für einen beschränkten Empfängerkreis bestimmt. So ist es beispielsweise nicht im Interesse des Unternehmens, wenn ein Mitarbeiter einer Strategieabteilung beim Mittagessen über das neuste Akquisitionsprojekt plaudert, dieses dadurch publik wird und scheitert. Zusätzlich bestehen im modemen Wirtschaftsleben zahlreiche Rechtsnormen, die die Verschwiegenheitspflicht bestimmter Funktionen (beispielsweise Rechtsanwälte, Kundenberater) schützen bzw. einfordern.

Vertraulichkeit als weitere Nebenbedingungbeider Bewertung von Netzwerken

Aus diesem Grund sind bei der Bewertung sozialer Beziehungen gegebenenfalls auch die aus der konkreten Aufgabe einer Abteilung resultierenden Vertraulichkeitserfordernisse als kritische Nebenbedingung zu berücksichtigen. Gleichzeitig ist aber darauf zu achten, dass das Vertraulichkeitsargument nicht überstrapaziert und zur Verfolgung von Partikularinteressen sowie zur Schaffung struktureller Löcher missbraucht wird (vgl. zu diesen Abschnitt 2.3).

107

Steuerung sozialer Netzwerke

Steuerungsgrundlagen

6.1

6.1

Steuerungsgrundlagen

Manager geben sich in der Regel nicht mit der Erfassung und Bewertung sozialer Netzwerke zufrieden. Sie wollen im Allgemeinen auch die analytisch identifizierten Schwächen beheben. Dies setzt voraus, dass Manager in die soziale Wirklichkeit gestalterisch eingreifen. Es stellt sich somit die Frage, wie sich die sozialen Netzwerke einer Organisation beeinflussen und verändern lassen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass soziale Netzwerke, ebenso wie die Kultur, tief in einer Organisation verwurzelt sind. Sie haben sich über einen langen Zeitraum durch die Interaktion der Organisationsmitglieder entwickelt)51 Soziale Netzwerke lassen sich daher nicht wie die formale Organisationsstruktur am Reißbrett planen und durch die Geschäftsführung beschließen.

Soziale Netzwerke sind nicht am Reißbrett planbar

Dennoch lässt sich die Entstehung und Veränderung sozialer Netzwerke beeinflussen. Die Einflussnahme erfolgt dabei jedoch nicht durch direkten Eingriff in die einzelnen Netzwerke bzw. Beziehungen, sondern in Form einer sogenannten IKontextsteuerung"152. Das bedeutet, man verändert die Kontextbedingungen, um auf diese Weise indirekt eine Veränderung der Netzwerke herbeizuführen. So kann man beispielsweise durch Zusammenlegung zweier Abteilungen in ein gemeinsames Gebäude versuchen, den Austausch zwischen diesen Abteilungen zu erhöhen.

Beeinflussung sozialer Netzwerke durch IlKontextsteuerung"

In der Literatur und Praxis findet sich eine Vielzahl möglicher Steuerungsdimensionen, mit deren Hilfe das Management Einfluss auf die sozialen Netzwerke nehmen kann (siehe Abbildung 29»)53 Es existiert allerdings keine Universallösung dafür, neue Beziehungen zu etablieren oder Interaktion zu fördern. Vielmehr hängt die Bedeutung jeder Steuerungsdimension von der konkreten Problemstellung ab. Die im Folgenden dargestellten Steuerungsdimensionen geben somit lediglich einen ersten Orientierungsrahmen. Innerhalb dieses Rahmens liegt es an den Managern, diejenigen Maßnahmen

Set von Steuerungsdimensio-

151 152 153

"Networks are constantly being socially constructed, reproduced, and altered as the result of the actions of actors." (Nohria 1992: 7). VgL Luhmann (1988: 328); Kirsch / Seidl (2004: 1366, 1372) O'Reilly (1989: 19-24); Hoffmann (1989: 172 f.); Schein (2004: 245-271); Sackmann (1999: 28-32); Cross / Parker (2004: 91-129); Ricken (2005)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

nen ermöglichen Einflussnahme

6

Steuerung sozialer Netzwerke

zu entwickeln, die für ihre spezifische Organisation und das konkrete Problem geeignet erscheinen.

Abbildung 29

Steuerungsdimensionen sozialer Netzwerke Führungsverhalten

Formale Strukturen Arbeijsteilung Welsungs- und Entscheidungskompetenzen Berelchs- und hlerarchleübergre~ende Gremien Formale Prozessdel1nijlonen

• Vorbildfunktion Projektarbeij Be- und Entlohnung Inijllerung von Beziehungen Kommunikation

Kontaktfördern-

Arbeitsplatzanordnung Bürostandort • Bürodeslgn

Kommunikationstechnologien Instant Messaglng Expertendatenbanken Softwaregestütze Gruppenunterstützungssysteme E-MaJl-Anwendungen

112

da Maßnahmen

Soziale Netzwerke

Freizeitveranstaijungen • Workshops

Human-Ressourcen-Praktiken Personalauswahl Einführung neuer Mijarbeijer Personal- und Teamentwicklung Be- und Entlohnungssysteme

Steuerungsdimensionen

6.2

Steuerungsdimensionen

6.2.1

Führungsverhalten

Aus der Leadershipforschung ist hinlänglich bekannt, dass das Führungsverhalten von Vorgesetzten einen Einfluss auf soziale Netzwerke ausübt.l54 Vorgesetzte können zum einen über eine Reihe direkter Maßnahmen (beispielsweise durch die Einführung von Projektarbeit oder die Mitnahme von Mitarbeitern in Meetings) gezielt die Herausbildung neuer sozialer Beziehungen unterstützen. Zum anderen üben sie durch ihr Verhalten eine Vorbildfunktion aus, denn Mitarbeiter orientieren sich in ihrem Tun oftmals am unmittelbaren Vorgesetzten. Führungskräfte leben Mitarbeitern vor, welche Prioritäten gesetzt werden müssen, was man tun muss, um als guter Mitarbeiter zu gelten und was man unterlassen sollte, um nicht negativ sanktioniert zu werden. l55 Dieser Modelleffekt wird zusätzlich durch den Konditionierungscharakter in Unternehmen verstärkt: Wollen Mitarbeiter in einem Unternehmen Karriere machen, müssen sie sich an den "Vorbildern" in den Schlüsselpersonen orientieren. 156

6.2

Führungsverhalten beeinflusst soziale Netzwerke durch Modelle/fekt und konkrete Maßnahmen

Das Verhalten der Vorgesetzten kann im positiven Fall dazu führen, dass Mitarbeiter neue Beziehungen knüpfen und sich die Zusammenarbeit zwischen organisatorischen Einheiten intensiviert. Im negativen Fall können Führungskräfte ihre Position aber auch dazu missbrauchen, strukturelle Löcher zu schaffen. Beispielsweise können sie ihre Macht als Broker ausbauen (siehe Abschnitt 2.3), indem sie stets auf die Einhaltung des Dienstweges pochen. Führungskräfte können durch verschiedene Maßnahmen die Bildung sozialer Beziehungen unterstützen: 157 • Vorbildfunktion: Vorgesetzte können das Knüpfen neuer und den Unterhalt bestehender sozialer Beziehungen aktiv vorleben und durch den Modelleffekt ein ähnliches Verhalten ihrer Mitar-

154 Cross / Parker (2004: 126); zum ähnlichen Einfluss von Führungsverhalten auf die

Organisationskultur vgl. Hoffmann (1989: 172 f.); Schein (2004: 245-262); Sackmann (1999: 27) 155 Sackmann (1999: 27) 156 Sackmann (1999: 27) 157 Vgl. Cross / Parker (2004: 97, 126); vgl. Farmer (2008: 54-57)

113

6

Steuerung sozialer Netzwerke

beiter bewirken. Gleichzeitig können sie durch gezielt eingesetzte Symbole, wie beispielsweise offene Türen, dazu beitragen, natürliche Interaktionsbarrieren abzubauen. • Direkte Anweisung: Führungskräfte können Mitarbeiter direkt anweisen, miteinander in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. • Projektarbeit: Anstatt Projekte in kleine Pakete herunterzubrechen und diese an Individuen zu verteilen, können Führungskräfte Projektaufgaben ganzheitlich belassen und direkt Teams zuweisen. Setzen sich die Teams zusätzlich aus Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen zusammen, so können sich funktionsübergreifende Beziehungen etablieren, die u.v. selbst nach Projektabschluss Bestand haben. • Be- und Entlohnung: Führungskräfte können neben individuellen Leistungen die Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter und deren Interaktion untereinander belohnen und anerkennen. • Initiierung von Beziehungen: Vorgesetzte können im Berufsalltag Beziehungen initiieren, indem Sie Mitarbeiter einander vorstellen und in Sitzungen mit anderen Hierarchieebenen oder Abteilungen mitnehmen. • Kommunikation: Führungskräfte können die Erfolgsrelevanz sozialer Beziehungen für das Unternehmen an ihre Mitarbeiter kommunizieren (beispielsweise in Form von Geschichten).

6.2.2

Formale Organisationsstruktur

Als zweite Steuerungsdimension prägt die formale Organisationsstruktur die Entwicklung sozialer Netzwerke.l58 Im Einzelnen sind fünf Unterdimensionen zu unterscheiden, durch die soziale Netzwerke beeinflusst werden können: • Die Zusammenfassung in Abteilungen und Teams etabliert eine physische und sachliche Nähe zwischen den betroffenen Organi-

114

158 Cross / Parker (2004: 116-119); zum ähnlichen Einfluss der formalen Organisationsstruktur auf die Kultur einer Organisation vgl. Schein (2004. 263 f.).

Steuerungsdimensionen

6.2

sationsmitgliedern und fördert so die Herausbildung sozialer Beziehungen. 159, 160 • Die Definition von Weisungs- und Entscheidungskompetenzen161 beeinflusst die sozialen Netzwerke, indem sie direkt die Interaktion zwischen Kompetenzträger und -adressaten definiert. • Abteilungs- und hierarchieübergreifende Gremien (Komitees, Ausschüsse, Arbeitskreise usw.) unterstützen die Etablierung neuer sozialer Beziehungen, indem sie eine Plattform für die Interaktion zwischen Mitarbeitern und Führungskräften bereitstel1en. 162 • Formale Prozessdefinitionen bzw. Verfahrensrichtlinien definieren die Art und Weise, wie bestimmte Aktivitäten auszuführen sind)63 Beispielsweise können sie die Interaktion zwischen Organisationsmitgliedern für bestimmte Aktivitäten verbindlich festlegen. Ebenso kann die Prozesslandkarte bestimmte Informationsrechte und -pflichten definieren.

6.2.3

Human-Ressourcen-Praktiken

Der Human-Ressourcen-Prozess verfügt über verschiedene Unterdimensionen, durch die Manager soziale Netzwerke beeinflussen können: l64 • Im Rahmen der Personalauswahll65 können diejenigen Mitarbeiter bevorzugt werden, die sich durch Interaktions- und Beziehungsfähigkeiten und nicht durch Selbstbezug auszeichnen.

159 Vgl. Kilduff / Tsai (2003: 89) 160 "Working together on a task helps people develop an awareness of colleagues' expertise and a sodal tie that makes a colleague more likely to help out in timely fashion" (Cross / Parker 2004: 119). 161 Entscheidungskompetenz bezeichnet das Recht, Sachverhalte für die Organisation nach innen und / oder außen verbindlich festzulegen (Kieser / Kubicek 1992: 153). Weisungskompetenz bezeichnet das Recht, andere Stellen zu bestimmten Handlungen zu veranlassen (Kieser / Kubicek 1992: 83). 162 Vgl. Cross / Parker (2004: 119) 163 Vgl. Kieser / Kubicek (1992: 110); vgl. Ostedoh / Frost (1998: 72-93) 164 Vgl. im Folgenden Cross / Parker (2004: 124-126)

115

6

Steuerung sozialer Netzwerke

• Durch gezielte Einführung kann neuen Mitarbeitern ermöglicht werden, die bestehende Mitarbeiterschaft kennenzulernen. Gleichzeitig sollten die existierenden Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich ein Bild über die Kenntnisse und Eigenschaften des Neuzugangs zu machen. Mögliche Maßnahmen in diesem Bereich sind ein Abteilungsdurchlauf von Neuzugängen und institutionalisierte Einführungsrituale, wie beispielsweise ein regelmäßiges Mittagessen mit den neuen Kollegen.

• Personalentwicldungsmaßnahmen können einen Einfluss auf soziale Netzwerke ausüben, indem durch regelmäßige Trainings bestehende Verhaltensmuster hinterfragt und modifiziert werden. 166, Eng damit verbunden ist die Teamentwicklung, die explizit die Zusammenarbeit und das Verhalten in der Gruppe thematisiert. 167 • Schließlich spielen Be- und Entlohnungssysteme eine wichtige Rolle.l 68 In Abgrenzung zum täglichen Belohnungsverhalten durch den Vorgesetzten (Absatz 6.2.1) geht es hierbei explizit um die Systeme. Bei diesen kann es sich sowohl um monetäre als auch nicht-monetäre Anreize für bestimmte Handlungen handeln.l 69 Sie signalisieren Organisationsmitgliedern, woran ihre Arbeit und ihr Verhalten gemessen werden. 17O Beispielsweise lassen sich Handlungen, welche zur Etablierung von dauerhaften Kommunikationsbeziehungen führen, positiv sanktionieren. l7l

6.2.4

Kontaktfördernde Maßnahmen

Kontaktfördernde Maßnahmen setzen an der Tatsache an, dass sich soziale Netzwerke nicht nur auf beruflicher Basis, sondern auch auf

116

165 Vgl. hierzu im Detail Steinmann / Schreyögg (2000: 661-683) 166 Vgl. zu den einzelnen Maßnahmen im Detail Staehle (1999: 879-897), vgl. Cross / Parker (2004: 124) 167 Vgl. für einen Überblick Kieser (2006a: 152-156); vgl. Staehle (1999: 953 f.) 168 Schein (2004: 269); Sackmann (1999: 31) 169 O'Reilly (1989: 22); Ott (1989: 94); vgl. zur Übersicht Frey /Osterloh (2002) 170 Sackmann (1999: 31) 171 Vgl. Cross / Parker (2004: 125), zu den hiennit verbundenen Problemen wie beispielsweise "Multiple Tasking" und "Fuzzy Tasking" vgl. Frey / Osterloh (2002: 35 f.).

Steuerungsdimensionen

privater Ebene etablieren. 172 Dabei ist die Kenntnis der persönlichen Eigenschaften anderer Organisationsmitglieder eine wichtige Voraussetzung für die Etablierung einer persönlichen Beziehung. 173 Zwei wesentliche Einflussmöglichkeiten existieren für das Management: •

Zum einen kann das Management im Rahmen von gezielten Freizeitveranstaltungen einen räumlichen oder zeitlichen Rahmen für Interaktion schaffen.

•

Zum anderen können gezielt Workshops durchgeführt werden, in denen Mitarbeiter die persönlichen Eigenschaften, das Wissen und die persönlichen Ziele ihrer Kollegen besser kennenlernen.l 74

6.2.5

Arbeitsplatzanordnung

Die Arbeitsplatzanordnung in Unternehmen übt einen Einfluss auf die sozialen Netzwerke aus, indem sie die physische Nähe und Erreichbarkeit von Organisationsmitgliedern festlegt.175 Je weiter A und B voneinander entfernt sind, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass sich ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den beiden etabliert. 176 Zwar können Kommunikationstechnologien dazu beitragen, physische Distanzen zu überbrücken, sie verfügen aber über eine geringere Reichhaltigkeit als die direkte IIFace-toFace"-Kommunikation,177 50 fehlen bei E-Mail und Instant Messaging wichtige Aspekte der direkten IIFace-to-Face"-Kommunikation, wie beispielsweise Gestik, Mimik und 5prachrhythmus sowie die Möglichkeit zum Ausdruck von Empathie. 178

172 Vgl. Kilduff / Tsai (2003: 88-91), Cross / Parker (2004: 95 173 Vgl. Cross / Parker (2003: 96) 174 Siehe Cross / Parker (2004: 172-181) für eine Beschreibung solcher Workshops 175 Cross / Parker (2004: 120); Farmer (2008: 54). 176 "Throughout our research, we have found that physical space - distance between potential collaborators and other barrlers - has a dramatic effect on who interacts with whom." (Cross / Parker 2004: 120). 177 Die "Reichhaltigkeit" eines Kommunikationskanals bemisst sich nach der Möglichkeit zur Rückkopplung und der Chance, Information individuell auf den Empfänger abzustimmen (vgl. zu diesem Modell ausführlich Justus 1999: 95). 178 Fiedler (2009: 217)

6.2

6

Steuerung sozialer Netzwerke

Potentielle Maßnahmen bestehen in der Veränderung von Bürostandorten und -räumlichkeiten oder einer Modifikation des Bürodesigns. Bereits einfache Maßnahmen, wie ein veränderter Standort der Kaffeemaschine oder des Kopierers, können einen Einfluss auf die Etablierung sozialer Beziehungen ausüben. 179

6.2.6

Kommunikationstechnologien

Schließlich beeinflusst die eingesetzte Kommunikationstechnologie soziale Netzwerke, indem sie Alternativen für die direkte "Face-toFace"-Kommunikation zur Verfügung stellt: l80 • Mithilfe von Instant Messaging lassen sich sowohl bilaterale Gespräche als auch Gruppendiskussionen führen. • Expertendatenbanken enthalten Informationen über die Kenntnisse und Fähigkeiten von Organisationsmitgliedern und fördern so die Initialisierung von Kommunikationsbeziehungen. • Softwaregestützte Gruppenunterstützungssysteme wie beispielsweise Internetkonferenzen erlauben virtuelle Interaktionen zwischen Organisationsmitgliedern. • E-Mail-Anwendungen ermöglichen einen zügigen und kostengünstigen Informationsaustausch. • Virtuelle 3D-Welten erlauben die Interaktion in computerbasierten simulierten Umwelten mittels künstlichen Stellvertretern. Sie ermöglichen eine virtuelle "Face-to-Face"-Kommunikation und den Einsatz von Körpersprache.l 81

179 Vgl. Cross / Parker (2004: 43) 180 Nachfolgend Cross / Parker (2004: 121-123)

118

181 Zu den hiermit verbundenen Möglichkeiten siehe im Detail Fiedler (2009)

Teil B: Praktisches Verfahren

Übersicht über Projektphasen

Ver{ahrenscharakter;sUka

7. 1

7.1

Verfahrenscharakteristika

Nachdem wir in Teil A die begrifflichen, theoretischen und methodischen Grundlagen darstellt haben, wollen wir in Teil B ein praktisches Verfahren zur Erfassung, Bewertung und Steuerung sozialer Netzwerke erläutern. Das Verfahren setzt die wichtigsten Variablen in Bezug zueinander und formuliert diejenigen Fragen, die Manager zur Lösung ihres Problems beantworten müssen)82 Dabei sind nicht nur objektive Daten (über sozialen Netzwerke, Geschäftsprozesse etc.), sondern auch subjektive Aspekte wie die Interpretationen, Wünsche und Ansichten der Manager zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 30). 183

Kombination von subjektiven und objektiven Daten im Verfahren

Verfahren berücksichtigt objektive Daten und subjektive Perspektiven

Abbildung 30

Problem

•

Verfahren

Subjektive Perspektiven der Manager

Objektive Daten Ober soziale Netzwerke

Problemlösung

182 Porter (1991: 98) 183 Solche Verfahren werden von Porter (1991: 98) auch als Frameworks bezeichnet. Siehe auch Osterloh / Grand (1994: 280); Osterloh / Grand (1999: 355); Scherer (1995: 287-299); Osterloh / Frost (1999: 95).

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

123

7

Übersicht über Projektphasen

Integration relationaler und attributiver Aspekte für ganzheitliches Problemverständnis

Um eine umfassende Problemanalyse zu gewährleisten, hat sich dabei jeweils auch die Erfassung der relevanten Kulturnormen bewährt. Denn für ein ganzheitliches Problemverständnis und dessen Lösung ist es wichtig, nicht nur die relationalen (Netzwerke), sondern auch die attributiven Aspekte (Kultur) informaler Strukturen zu berücksichtigen. Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt des in diesem Buch dargestellten Verfahrens auf der Analyse der sozialen Netzwerke liegt.

Abbildung 31

Projektablaufdes Verfahrens Phase 1: Projekt· planung LeIlfragen

Vorgehen

Wie gehen wir vor?

Welche Netzwerke wollen wir ertassen?

Besprechung m~ dem Managemem

• Doku• IntervIews mentenmit den analyse Mitarbeitern • Online • Interviews & Workshop Befragung

Wie sehen unsere Netzwerke aus?

Welche StAr- Wie können ken!SchwAwir diese ehen halben verbessern? die Netzwerke? • Wor1<shop mit dem

• Wor1<shop mit dem

Kernteam

Kernteam

Wie setzen wir

Wie erfolgreich

die Maßnahmen um?

sind unsere Maßnahmen?

• Projeklarbe~

• Workshop m~dem

Kernteam • Projektarbe~

m~dem

Kermeam Meilensteine

1) Problem1) DeI. verständnis Problem-

2) Projektplanng

Verfahrensentwicklung durch langjähriges Forschungsprogramm

124

kontext 2) Able~ng Netzwerke 3) Auswahl Netzwerke 4) Fragenformulierung

1) Pre-Test 2) Online Befragung 3) Datenanalyse

1) Identifikalion von

1) Entwicklung potenzieller

Stärken! Maßnahmen Schwächen 2) Auswahl 2) PrlorlMaßnahmen sierung 3) KonrektisierStärken! ung Schwächen

Durch 1) MaßnahmenMaßnahmen kontrolle 2) Ergebnisdefiniert kornrolle

Maßnahmen

Das hier vorgestellte Verfahren wurde von uns im Rahmen eines langjährigen Forschungsprogramms entwickelt. Es basiert einerseits auf den theoretischen Erkenntnissen der Netzwerk- und Organisationsforschung sowie den praxiserprobten Konzepten des Projektmanagements)84 Andererseits wurde es auf der Basis einer Serie von Fallstudien fortlaufend eingesetzt, evaluiert und weiterentwickelt.185

184 Zum Proje1
Projektablau{

7.2

7.2

Projektablauf

Das dargestellte Verfahren ist eine Kombination aus Workshops, quantitativer Datenerhebung sowie Einzelinterviews. Es wird in der Form eines Projektes eingesetzt (siehe Abbildung 31 für eine Übersicht). Im Einzelnen lassen sich folgende Projektphasen identifizieren: •

Phase 1 - Problemidentifikation und Projektplanung: In der ersten Phase entwickelt man ein erstes Verständnis für das zu lösende Problem und plant das Projekt detailliert.

•

Phase 2 - Netzwerkdefinition: In dieser Phase wird der Situations- und Problemkontext des Unternehmens definiert. Daraus werden diejenigen sozialen Netzwerke abgeleitet, die erfasst werden sollen.

•

Phase 3 - Datenerfassung und -analyse: In der dritten Phase werden die sozialen Netzwerke erfasst und analysiert.

•

Phase 4 - Bewertung: Phase vier beinhaltet die Identifikation von Stärken und Schwächen des jeweiligen sozialen Netzwerkes sowie deren Priorisierung. Der Fokus liegt dabei auf den zu behebenden Schwächen.

•

Phase 5 - Maßnahmenentwicklung (Steuerung): Die priorisierten Schwächen (und ggf. Stärken) sind zu bearbeiten, indem entsprechende Maßnahmen entwickelt werden.

•

Phase 6 - Implementierung: Sind die Maßnahmen entwickelt, so gilt es, diese umzusetzen.

Projektablauf besteht aus sieben Phasen

Phase 7 - Kontrolle: Die letzte Phase des Projektes besteht in der Überwachung der Maßnahmen und der Kontrolle der daraus resultierenden Ergebnisse. Gegebenenfalls sind bestimmte Maßnahmen zu verwerfen oder neue zu entwickeln.

auch zur Entwicklung der Balanced Scorecard (Kaplan / Norten 2001) eingesetzt (vgL dazu Kaplan 1998).

125

Phase 1: Problemidentifikation und Projektplanung

co

Problemidenti{ikation

8.1

Die erste Phase umfasst zwei zentrale Meilensteine: •

die Entwicklung eines Grundverständnisses für das zu lösende Problem

•

die Projektplanung

8.1

Problemidentifikation

In dieser frühen Phase des Projektes lassen sich Probleme noch nicht

eindeutig definieren. Oftmals liegt nur eine unbefriedigende Situation vor, die man zu ändern versucht, oder es werden Chancen vermutet, die man glaubt nutzen zu können. Insofern gelingt es den Beteiligten anfänglich oft nur, das Problem zu etikettieren ("Wir haben Schwierigkeiten mit dem Lager"). Die genauen Zusammenhänge sind meist noch nicht bekannt, so dass eine exakte Problemdefinition nicht möglich ist.186 Sie ist in der Regel auch nicht wünschenswert, da eine genaue Definition den Analysefokus u. U. zu sehr einengt.187 Eine grobe Problemorientierung können aber die in Kapitel 5 dargestellten drei Funktionen der Organisation geben. So kann das Problem: •

im Bereich der horizontalen oder vertikalen Koordination liegen

(Koordinationsfunktion)

Etikettierung als erster Schritt der Problemidentifikation

Funktionen der Organisation als Orientierungspunkte zur Einordnung des Problems

• im Wissensbereich des Unternehmens liegen (WlSsensfunktion) in einem Zusammenhang zur Motivation der Mitarbeiter stehen (Motivationsfunktion)

186 187

Nagel (1992: 2014 f.). Vgl. Rosenhead / Mingers (2001: 1)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

129

8

Phase 1: Problem;dent;!;kat;on und Projektplanung

Etikettierung und Einordnung des Problemsdurch Befragung des Managements

Um das Problem zu etikettieren und einzuordnen, bietet es sich an, eine erste Sitzung mit dem verantwortlichen Management bzw. dem Projektinitiator oder Projektsponsor abzuhalten. Dabei sollte man nicht mit vorgefertigten Lösungen auftreten, sondern dem Management möglichst offene Fragen stellen. In diesem Zusammenhang hat es sich bewährt, den Begriff "Problem" möglichst zu vermeiden, da Probleme ungern eingestanden werden. Stattdessen können Begriffe wie "Verbesserungspotential", " Chancen", "Herausforderungen" oder "Challenges" verwendet werden.

Problembeschreibung als Kombination aus "harten Fakten" und subjektiven Aspekten

Mögliche Fragen, die in einer ersten Besprechung gestellt werden können, sind: "Wo sehen Sie momentan das größte Verbesserungspotential für Thr Unternehmen / Thren Unternehmensbereich? Wo sehen Sie wesentliche Herausforderungen für die Zukunft? Was sind Thre Erwartungen hinsichtlich eines möglichen Projektes?". Hierauf antworten die Manager in der Regel mit einer Beschreibung, die eine Kombination aus harten Fakten und subjektiven Interessen und Wünschen darstellt.188 Ein Beispiel ist die Problembeschreibung des Geschäftsführers der Swiss Organisation for Facilitating Investments (SOFI), welche uns bereits in Kapitel 4 als Fallbeispiel gedient hat. So gab der Geschäftsführer der SOFI in einem ersten Gespräch an "Man kann davon ausgehen, dass die Organisation über die kommenden Jahre weiter wächst [... ] und ich werde zudem voraussichtlich in einigen Jahren in den Ruhestand treten. Für die Organisation wäre es daher gut, Verantwortlichkeiten, Informationen und Wissen zu verteilen." Diese Problembeschreibung enthält sowohl harte Fakten (eine steigende Anzahl an Personal, die Pensionierung des Geschäftsführers) als auch subjektive Wünsche und Ziele (Verteilung von Verantwortlichkeiten, Informationen und Wissen). Beide Aspekte sind bei der Problemanalyse zu berücksichtigen. Daher ist als Projektleiter eine Balance zwischen der objektiven Seite eines Problems und den subjektiven Interessen der Manager zu finden.

130

188 Vgl. Landry (1995: 328)

Projektplanung

In der ersten Besprechung mit dem Management bzw. dem Projekt-

initiator sollte auch entschieden werden, ob sich die soziale Netzwerkanalyse überhaupt für das zu lösende Problem eignet ("Feasability"). Dazu sollte sich ein Kausalbezug zwischen dem Problem und den sozialen Beziehungen im Unternehmen herstellen lassen. Ist dies nicht der Fall, so empfiehlt es sich, anderen Analysemethoden den Vorzug zu geben.

8.2 "Feasability" der sozialen Netzwerkanalyse als Anwendungsvoraussetzung

Hat man ein erstes Problemverständnis entwickelt und sich zusammen mit Management für den Einsatz der sozialen Netzwerkanalyse entschieden, kann man mit der Realisierung des zweiten Meilensteines, der Projektplanung, beginnen.

8.2

Projektplanung

Die Projektplanung beinhaltet die Entwicklung einer Projektvision und eines Projektnamens, die Definition von Projektorganisation und Projektteilnehmer sowie die Erstellung einer Aktivitäten-, Ressourcen- und Kommunikationsplanung. 189

8.2.1

Projektvision und Projektname

Unter einer Projektvision versteht man ein positives Zukunftsbild. Dieses beschreibt einerseits, was mit dem Projekt erreicht werden soll. Andererseits dient die Vision während des Projekts als Leitfaden und erlaubt eine Priorisierung sämtlicher Projektaktivitäten.

Projektvision als Leitfaden

Um diese Funktionen zu erfüllen, sollte das Zukunftsbild sowohl konkret genug sein, um Realisierbarkeit zu vermitteln als auch hinreichend abstrakt, um Begeisterung für das Projekt zu wecken. 190 Da zu Beginn eines Projektes noch kein konkretes Problemverständnis existiert (vgl. Abschnitt 8.1), ist die Projektvision meist noch relativ

189 Als ergänzende Literatur zur Projektplanung im Allgemeinen sei hier auf Kuster et al. (2008: 113-153) verwiesen 190 VgL Kaplan / Norton (2001: 73)

131

8

Phase 1: Problem;dent;!;kat;on und Projektplanung

unspezifisch. So lautete die Projektvision in einem von uns durchgeführten Projekt: "Die Rolle der beteiligten Akteure und deren Interaktionen im Prozess soll transparent gemacht werden. Es geht darum, Stärken und Schwächen zu erkennen, für welche Verbesserungsmaßnahmen entwickelt werden können."

Identifikationsstiftung durch Projektnamen

Im Anschluss an die Projektvision sollte ein Projektname definiert

werden. Dieser zunächst banal erscheinende Bestandteil der Planung ist aufgrund seiner Identifikationswirkung nicht zu unterschätzen. Ein Projektname sollte dabei die Projektvision beschreiben, positiv klingen, einprägsam sein und eine Identifikation mit den Zielen und Ergebnissen des Projektes ermöglichen. 191 Beispielsweise lautete der Name bei einem von uns durchgeführten Projekt zur Kommunikationsverbesserung "Info-im-Fluss".

8.2.2 Steuerungskomitee, Projektleitungund Projektteam als Bestandteile der Projektorganisation

Projektorganisation und -teilnehmer

Sind Projektvision und Projektname definiert, dann sollte möglichst bald eine Projektorganisation aufgesetzt werden. Diese besteht in der Regel aus den folgenden Elementen: • Das Steuerungskomitee umfasst den Projektsponsor bzw. -initiator sowie gegebenenfalls weitere Mitglieder der Geschäftsführung oder des oberen Managements. Das Steuerungskomitee beruft die Projektleitung, schafft die räumlichen, zeitlichen und finanziellen Projektvoraussetzungen und kontrolliert den Fortschritt. Gleichzeitig fungiert es als kritischer Sparringspartner und als Machtpromotor. 192 • Die Projektleitung ist verantwortlich für die operative Abwicklung des Projektes. Um die Koordination zu vereinfachen, sollte sie aus höchstens zwei Personen bestehen. Bei diesen sollte es sich nach Möglichkeit um Organisationsexperten mit methodischen Kenntnissen der sozialen Netzwerkanalyse handeln. Die Projektleitung übernimmt die Gesamtführung des Projektes und ist für die Einhaltung der definierten Zeit- und Budgetrestriktionen verantwortlich. Sie konzipiert und moderiert die Workshops,

132

191 Kalus / Witter (2003: 34) 192 B~r(2004:222)

Projektplanung

8.2

führt die erforderlichen Interviews durch, setzt die Netzwerkbe-

fragung um und analysiert die Netzwerkdaten. • Das Projektteam besteht aus 4-8 Managern, typischerweise handelt es sich hierbei um die Leitung der zu untersuchenden Bereiche. Das Team definiert die zu erhebenden Netzwerke im Rahmen von Workshops, diskutiert die Netzwerkdaten, identifiziert Stärken und Schwächen und beschließt darauf bezogene Maßnahmen. Daher ist es wichtig, dass das Team diejenigen Entscheidungsträger umfasst, die über die Kompetenz zur Maßnahmenimplementierung verfügen. Um neue Perspektiven in der Analyse zu berücksichtigen, kann es zudem Sinn machen, Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchiestufen einzubeziehen. Parallel zur Definition der Projektorganisation ist zusammen mit dem Projektsponsor die Auswahl der Projektteilnehmer vorzunehmen. Im Einzelnen beinhaltet dies: Abgrenzung des zu untersuchenden Bereiches: Je nach Problemart und Unternehmensgröße kann die Analyse auf bestimmte Unternehmensbereiche eingegrenzt werden. Aus den ausgewählten Bereichen ergibt sich in der Regel die Menge der an der Befragung teilnehmenden Mitarbeiter.

Auswahl des Bereiches und Definition der zu interviewenden Mitarbeiter

• Definition der zu interviewenden Mitarbeiter: Mit einer bestimmten Anzahl (5-20) Mitarbeiter sollten zusätzlich zur OnlineBefragung, mit der die sozialen Netzwerke erfasst werden (vgl. Abschnitt 4.2), qualitative Einzelinterviews durchgeführt werden. Diese dienen dazu, qualitative Daten über die sozialen Netzwerke und ihren Kontext zu sammeln. Die Anzahl der zu interviewenden Mitarbeiter bemisst sich dabei sowohl nach dem gewünschten Projektaufwand als auch dem erwarteten Nutzen. Bei der Auswahl der Interviewpartner sollte nach Möglichkeit ein Mix aus unterschiedlichen Bereichen und Hierarchieebenen erreicht werden.

8.2.3

Aktivitäten- und Ressourcenplanung

Sind die Projektteilnehmer definiert, sollten die Termine für die Aktivitäten des Projektes definiert werden (Interviews, Workshops,

133

8

Phase 1: Problem;dent;!;kat;on und Projektplanung

Befragung, Analyse etc.). Tabelle 5 stellt einen typischen Aktivitätenplan dar.

Tabelle 5

Beispiel für Aktivitätenplanung Projektpha..,n

w....?

Pha8e 1

1. Woche

Wes?

Vorgehen.weise Gespriich Projektplanung mij Projekt.pensar

Wer?

WIevIeI?

Zeitaulwand

Frau ... Herr ...

ca. 45 Minuten

Projektvislon & ProJektrlBll1e Projektorganisation & -teilnetvner • Ak1ivitlrten- & Ressourcenplanung Kommunikalionsplanung

Pha8e2

Pha..,3

2. Woche

Interviews zum Prozessumfeld

Mijglleder Projeklleam (4-8 Manager)

30-45 Minuten lelnterview

3. Woche

1. Disku88ionswor1
Mijglleder Projeklteam (4--8 Manager)

1/2 Tage

4. Woche

Pretest quantitativer Fragebogen

2-5 MItarbeher

Je 30 Minuten

5.-7-Woche

Durchführung OnllneBefragung

Alle betroffenen Mherbeher

Je 15-30 Minuten

5-7. Woche

Durchführung qualitativer Interviews

5-10 Mherbelter

Je 30 Minuten

8.-10. Woche

Datenanalyse- und visuallslerung

11. Woche

2. Dlskusslonswor1
Mllglleder Projeklteam (4--8 Manager)

1 Tag

Ab Woche 11

Umsetzung der Maßnahmen

Abhängig von

Abhängig von

Pha8e4 und 5 Pha8e6 Pha8e7

Zeit- und Kostenplanung als Grundlage für Projektbudget

Maßnahmen

Nach 12 Monaten

Erioigskontrolle durch emeute Befragung

Maßnahmen

s.o.

Parallel dazu ist eine Zeit- und Kostenplanung vorzunehmen. Diese ist mit dem Projektsponsor bzw. dem Steuerungskomitee abzustimmen und gilt als Grundlage für das Projektbudget. Dabei ist zu beachten, dass auch unternehmenseigene Ressourcen aufgrund ihrer Zeitbindung indirekte Kosten verursachen. Die wesentlichen Zeit- und Kostenfaktoren des Projektes sind (vgl. Tabelle 5): • Die Kosten für den internen oder externen Projektleiter, resultierend aus der Projektadministration sowie der Durchführung von Interviews, Vorbereitung, Moderation- und Aufbereitung von Workshops, der Durchführung der Befragung und der Datenanalyse.

134

Projektplanung

8.2

• Der Zeitaufwand für das Projektteam, welcher für jedes Mitglied in einem einstündigen Interview, sowie in zwei bis drei Workshops besteht. • Die Zeitdauer, die die Mitarbeiter zum Ausfüllen des Netzwerkfragebogens benötigen. Diese liegt je Mitarbeiter zwischen 15 und 30 Minuten. • Der Zeitaufwand, der aus der Durchführung von 5 bis 10 qualitativen Mitarbeiterinterviews zu je 30 Minuten resultiert. • Gegebenfalls Kosten aus der externen oder internen ITUnterstützung bei der Realisierung der Online-Befragung. Aus der Maßnahmenimplementierung resultierende Kosten (siehe hierzu Abschnitt 12.3). Diese sind abhängig von den identifizierten Schwächen sowie den dazu entwickelten Maßnahmen. Sie lassen sich daher zu Projektbeginn noch nicht konkretisieren.

8.2.4

Kommunikationsplanung

Schließlich ist im Rahmen der Kommunikationsplanung festzulegen, wie die Mitarbeiter über das Projekt informiert werden sollen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Erfolg eines Projektes unweigerlich von der Teilnahme der Mitarbeiter an der Befragung abhängt. Wird nicht rechtzeitig, offen und zielgruppengerecht kommuniziert, so besteht das Risiko, dass Gerüchte die Runde machen. Diese können dazu führen, dass zu wenig Mitarbeiter an der Befragung teilnehmen oder aufgrund diffuser Ängste falsche Angaben machen.

Rechtzeitige, offene und zielgruppengerechte Kommunikation

Als Leitfaden für die Kommunikationsplanung können die folgenden W-Fragen dienen: 193

W-Fragen als Leitfaden für die Kommunikationsplanung

• Wer soll kommunizieren? Die Kommunikation des Projektes sollte in der Regel durch den Projektsponsor bzw. das Steuerungskomitee vorgenommen werden und nicht etwa durch einen externen, den Mitarbeitern unbekannten Projektleiter.

193 Kuster et a1 (2008: 175); vgl. Brehm (2009: 291).

135

8

Phase 1: Problem;dent;!;kat;on und Projektplanung

• An wen soll kommuniziert werden? Informiert werden sollten alle Organisationsmitglieder derjenigen Bereiche, die für die Untersuchung ausgewählt wurden (vgl. Abschnitt 8.2.2). • Was ist der Gegenstand der Kommunikation? Sämtliche Organisationsmitglieder sollten über die Projektvision, den Projektnamen, die wichtigsten Aktivitäten und den Zeitpunkt der Befragung informiert werden. Dabei sollte die Kommunikation so verfasst werden, dass eine positive Grundstimmung gegenüber dem Projekt entsteht. • Mit welchen Medien soll kommuniziert werden? Die Auswahl der Kommunikationsmedien hängt u.a. von der Anzahl der Adressanten und deren physischer Anwesenheit ab. Günstig wäre eine Kommunikation im Rahmen eines Meetings, da die Mitarbeiter hier gleich eventuelle Rückfragen stellen können. Möglich ist aber auch eine Kommunikation über E-Mail oder Videokonferenz. • Wann soll kommuniziert werden? Um der Entstehung von Gerüchten vorzubeugen, sollte die Kommunikation möglichst frühzeitig erfolgen. Dies erlaubt den Mitarbeitern zugleich, ihren eigenen Zeitplan so zu organisieren, dass sie später ausreichend Zeit für die Bearbeitung des Fragebogens zur Verfügung haben.

136

Projektplanung

8.2

Checkliste zur Phase 1: Problemidentifikation und Projektplanung Meilenstein 1: Problemidentifikation • Wurde das Problem zusammen mit dem Management etikettiert? Handelt es sich um ein Problem im Bereich der Koordination, Motivation oder des Wissenstransfers? • Ist die Netzwerkanalyse für das Problem geeignet ("Feasability")?

Meilenstein 2: Projektplanung • Hat das Management eine Projektvision entwickelt? • Wurde ein Projektname definiert? • Wurde eine Projektorganisation bestehend aus einem Steuerungskomitee, einer Projektleitung und einem Projektteam definiert? • Ist der Unternehmensbereich bzw. die Abteilung, die untersucht werden soll, definiert worden? • Wurden die Mitarbeiter für die qualitativen Interviews ausgewählt? • Ist ein Aktivitätenplan erstellt worden? • Wurde der erforderliche Zeit- und Kostenaufwand abgeschätzt und auf dieser Basis ein Budget erstellt? Ist eine Kommunikationsplanung vorgenommen worden, die eine Antwort auf folgende Fragen enthält: Wer soll kommunizieren? An wen soll kommuniziert werden? Was ist der Inhalt der Kommunikation? Mit welchen Medien soll kommuniziert werden? Wann soll kommuniziert werden?

137

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

-.-....,cu

c.

~

Übersicht

9. 1

9.1

Übersicht

Nach Abschluss der Planung beginnt mit der zweiten Phase die eigentliche Projektarbeit. Ziel dieser Phase ist es, die richtigen Fragen zu stellen, also diejenigen Beziehungstypen auszuwählen, zu denen das Management Daten sammeln will (vg1. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 4.1). Dieser Schritt beeinflusst die gesamte nachfolgende Analyse und sollte daher sorgfältig geplant werden.

Sorgfältige Auswahl der zu erhebenden Beziehungstypen

Um ein vollständiges Problembild zu erhalten, ist es oftmals hilfreich, zusätzlich zu den sozialen Netzwerken diejenigen Kulturnormen zu erheben, die einen Bezug zu den Netzwerken aufweisen. Sollen beispielsweise die Kommunikationsnetzwerke eines Unternehmens analysiert werden, so ist es in der Regel sinnvoll, zusätzlich die Kommunikationsnormen zu erheben. Dadurch werden nicht nur relationale (Netzwerke), sondern auch attributive Daten (Kultur) ermittelt, womit das Problem von zwei Seiten beleuchtet wird (vg1. dazu den konzeptionellen Bezugsrahmen in Kapitel 3).

Zusätzliche Erhebung von Kulturnonnen hilfreich

Die folgenden Meilensteine sind in Phase 2 zu erreichen (siehe Abbildung 32): •

Erfassung des Problemkontextes (mit Dokumentenanalyse & Interviews) Ableitung zu erfassender Netzwerke (und ggf. Kulturnormen) aus dem Problemkontext (mit Interviews)

• Auswahl zu erfassender Netzwerke (und ggf. Kultumormen) (mit Workshop) • Formulierung von Fragen bezüglich der Netzwerke (und ggf. der Kulturnormen) (mit Workshop)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

9 Abbildung 32

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

Vorgehen zur Fragendefinition

8 2

I

Problemkontext

-----

- - -

Typen sozialer Netzwerke

Dokumentenanalyse & Interviews

Interviews

0\9DQ/

o

Q;&

Auswahl nach:

Workshop

• Relevanz Verbesserungs- '--------=~ pDtential

""",=,--------,.

Fragenformulierung

Einsatz von drei Erhebungsinstrumenten

Workshop

Um diese Meilensteine zu erreichen, hat sich ein Vorgehen in drei Schritten bewährt: 194 • Zunächst nutzt man durch eine Dokumentenanalyse die Tatsache, dass zahlreiche Variablen des Problemkontextes (wie beispielsweise die Geschäftsprozesse) oftmals schriftlich fixiert sind. • Individuelle Sichtweisen des Problemkontextes und zu den zu erfassenden Netzwerken können dann in Einzelinterviews abgefragt werden. • Schließlich sind die individuellen Sichtweisen im Rahmen eines Diskussionsworkshops zu einem gemeinsam geteilten Bild des Managements zusammenzuführen.

142

194 Dokumentenanalyse, Einzelinterviews und Workshops sind in der Organisationsforschung weit verbreitet (vgl. beispielsweise Kubicek / WeIter 1985; Kieser / Kubicek 1992: 371-376; Liebig / Nentwig-Gesemann 2002: 145 f.). Das hier beschriebene dreistufige Vorgehen wurde so auch im Rahmen anderer Managementtools, wie der Balanced Scorecard, eingesetzt (vgl. Horvath & Partner 2000: 73).

Dokumentenanalyse

9.2

Dokumentenanalyse

Zunächst ist eine sorgfältige Dokumentenanalyse durchzuführen, um einen ersten Einblick in den Problemkontext zu erhalten (Meilenstein 1). Insbesondere bei Problemen im Zusammenhang mit der Koordinationsfunktion (vgL Abschnitt 5.2) hat sich dabei die Analyse der Geschäftsprozesse des Unternehmens als Anknüpfungspunkt bewährt. Diese sind hinreichend konkret, um die Manager bei der Ableitung zu erfassender Beziehungstypen zu unterstützen. Als Orientierung kann dabei die in Abschnitt 3.3 vorgenommene Unterscheidung zwischen Kem- und Supportprozessen dienen. Stehen Probleme der Motivations- oder Wissensfunktion im Vordergrund, sollten weitere Kontextvariablen (beispielsweise die Art des zu transferierenden Wissens, Wissensträger, Fluktuationsrate, Mitarbeiterzufriedenheit etc.) erfasst werden (vgL KapitelS).

9.3

9.2 Erfassung des Problemkontext durch Dokumentenanalyse

Einzelinterviews

Im Anschluss an die Dokumentenanalyse wird ein etwa einstündiges Einzelinterview mit jedem Mitglied des Projektteams durchgeführt. Insbesondere bei Problemen der Koordinationsfunktion (vgL Abschnitt 5.2) hat es sich bewährt, im ersten Teil des Interviews das Bild hinsichtlich der Geschäftsprozesse zu vertiefen. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:

Durchführung von Interviews mit Mitgliedern des Projektteams

• Welches sind die zentralen Kem- oder Supportprozesse in Ihrem Bereich (vgL Abschnitt 3.3)? Welche Ziele verfolgen diese Prozesse bzw. was ist deren gewünschtes Ergebnis? • Was sind die wichtigsten Aktivitäten dieser Prozesse und welche Organisationseinheiten (Abeilungen, Teams, Stellen) sind mit der Durchführung dieser Aktivitäten betraut? Wo gibt es wichtige Schnittstellen innerhalb des Prozesses? Bei diesen Fragen ist darauf zu achten, dass man sich nicht in Details verliert, denn die Prozesserfassung dient lediglich als Referenzpunkt für das weitere Vorgehen.

143

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

Handelt es sich um ein Problem der Motivations- oder Wissensfunktion, dann sollten weitere Kontextvariablen (beispielsweise Inhalte der Wissensstrategie, Einschätzungen zur Motivation der Mitarbeiter etc.) im Interview abgefragt werden (vgl. KapitelS).

Ableitung von Netzwerken aus Problemkontext

Im zweiten Teil des Interviews knüpft man an die so identifizierten

Prozessschnittstellen bzw. Kontextvariablen an. Aus diesen werden diejenigen Netzwerkbeziehungen abgeleitet, die man später in der Befragung erheben möchte (Meilenstein 2). Wird das Problem beispielsweise im Bereich der Kommunikation bzw. Koordinationsfunktion vermutet, so stellt man im Interview folgende Fragen: • "Was sind Ihrer Meinung nach unter Berücksichtigung der genannten Prozessschnittstellen ganz zentrale Informationen, die zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden sollten?" Handelt es sich hingegen um ein Problem der Wissensfunktion, so kann die Frage lauten: • "Was sind Ihrer Meinung nach unter Berücksichtigung der genannten Wissensstrategie ganz zentrale Wissensinhalte, die zwischen den Beteiligten transferiert werden sollten?"

Ableitung von Kulturnormen

Strebt man neben den sozialen Netzwerken eine Erfassung der Kultumormen an, so lässt sich an dieser Stelle abfragen, welche Kulturnormen in der Organisation gelebt werden sollen. Der Ist-Zustand dieser Normen kann dann später in der Online-Befragung erfasst werden. Sollen beispielsweise Kommunikationsnormen erfasst werden, so sind die Mitglieder des Projektteams zu fragen: "Denken Sie an die Art und Weise, wie Kollegen in den von Ihnen genannten Prozessen miteinander reden und kommunizieren sollten. Was denken Sie, ist hier wichtig, um die von Ihnen genannten Aktivitäten möglichst effektiv zu bewerkstelligen?"

9.4

Workshop

Nachdem man alle Mitglieder des Projektteams interviewt hat, führt man in einem dritten Schritt mit diesen einen Workshop durch. Eine typische Workshop-Agenda umfasst die folgenden Punkte:

144

Workshop

1. Auswahl zu erhebender Netzwerke (und ggf. Kulturnormen) (Meilenstein 3) 2. Fonnulierung von Netzwerkfragen für die Online-Befragung (und ggf. Kulturnormen) (Meilenstein 4)

9.4 Netzwerkauswahl und Fra-

genformuiierung im Workshop

Abbildung 33

Beispielhafte Matrix zur Auswahl von Beziehungstypen Relevanz fürs Unternehmen Information on business processes

Hoch

-• -...

..................

..

~

Information on customer complaints & their root causes

..~~

~~~======-r Information on system updates

Niedrig

Vermutetes """"':''::'''"":-:-----.......------:-:-~ VerbesserungsNiedrig potential

Als Input für den Workshop werden alle in den Interviews genannten Beziehungstypen (und ggf. Kultumonnen) auf Karten geschrieben, die anschließend auf eine Pinnwand geklebt werden. Nun sind aus diesen Karten diejenigen Beziehungstypen auszuwählen, die später im Rahmen einer Online-Befragung erfasst werden sollen. Es hat sich bewährt, die Auswahl auf etwa 4-8 Netzwerke und, falls man diese ebenfalls erfassen möchte, 10-20 Kulturnormen einzuschränken. Dadurch wird der Fragebogen nicht zu lang. Zur Strukturierung des Auswahlprozesses kann eine 2x2 Matrix mit den Achsen "Relevanz für das Unternehmen" und "Vermutetes Verbesserungspotential" genutzt werden (Abbildung 33). Einerseits sollten diejenigen Beziehungstypen untersucht werden, die für das Unter-

145

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

nehmen von Bedeutung sind ("Relevanz"). Andererseits sollte man die Problemwahrnehmung des Managements nutzen, um diejenigen Beziehungstypen genauer zu analysieren, für die das Management bereits ein Problem vermutet ("Verbesserungspotential"). Somit sind die Beziehungstypen im Quadrat rechts/oben (Abbildung 33) für die Befragung auszuwählen. Überführung der ausgewählten Netzwerke in konkrete Fragen

Bevor die so ausgewählten Netzwerke erfasst werden können, sind diese noch in konkrete Fragen zu überführen (Meilenstein 4).195 Es hat sich bewährt, die Formulierung der Fragen im Workshop und nicht "im stillen Kämmerlein" des Projektleiters vorzunehmen. Dadurch können Interpretationsunterschiede zwischen Projektleitung und Projektteam vermieden werden. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass die Fragen einfach verständlich sind und von den Mitarbeitern möglichst gleich interpretiert werden wie vom Projektteam. Mit Abschluss der Fragenformulierung im Workshop hat man alle vier Meilensteine erreicht. Die zweite Projektphase ist damit beendet. Wir wollen diese abschließend an zwei Fallbeispielen illustrieren.

Fallbeispiel Fragenherleitung im Innovationsprozess Entwicklung (I PE) bei Geberit

Wir wollen die Fragenherleitung zunächst anhand eines Projektes illustrieren, das wir in Zusammenarbeit mit der Geberit Gruppe durchgeführt haben. Bei Geberit handelt es sich um ein führendes Unternehmen der Sanitärtechnik, das mittlerweile in 41 Ländern aktiv ist. Das Produktspektrum umfasst die Produktbereiche Sanitärsysteme (Installationssysteme, Spülkasten und Innengarnituren, Armaturen und Spülsysteme, Apparateanschlüsse, Dusch-WC) und Rohrleitungssysteme (Hausentwässerungs- und Versorgungssysteme). Im Jahr 2008 beschäftigte Geberit weltweit rund 5'700 Mitarbeitende und erwirtschaftete einen Umsatz von CHF 2.5 Milliarden sowie einen EBITDA von CHF 649 Millionen. Von 2003 bis

146

195 Diesen Schritt bezeichnet man in den Sozialwissenschaften gemeinhin als Operationlisierung (vgl. Schnell / HilI/Esser 1999: 124)

Workshop

2008 wuchs der Umsatz im Durchschnitt um 11.8% und der EBITDA im Durchschnitt um 14.5% pro Jahr (vgl. Abbildung 34).

Abbildung 34: Entwicklung von Umsatz und EBITDA bei Geberit Umsatz MCHF

----

---111.8% p.a.

3'000 2'000

r-

2'487

2'455

2007

2008

1'000

o 2003

MCHF

1'000 750 500 250

o 2003

2004

2005

2006

Ein wesentlicher Schlüssel zu diesem Erfolg waren Innovationen und die Weiterentwicklung der eigenen Produkte sowie Systeme. Dazu führte Geberit bereits im Jahr 1997 den Innovationsprozess Entwicklung (IPE) ein. Dieser legt ein verbindliches Vorgehen für alle F&E-Tätigkeiten fest. Der IPE steht im Mittelpunkt aller Geschäftsprozesse, er soll die Kreativität der Mitarbeiter fördern und ein hohes Innovationstempo ermöglichen. Produktmanager, Ingenieure, Anwendungstechniker und Konstrukteure sowie Fachleute aus Beschaffung, Marketing, Vertrieb, Umwelt- und Qualitätsmanagement arbeiten gemeinsam an einer erfolgreichen Projektrealisierung. Im Laufe der Jahre hat Geberit den IPE fortlaufend weiterentwickelt. Im Anschluss an eine dieser Weiterentwicklungen wollte der zuständige Konzernleiter analysieren, inwieweit die Prozessneuerungen tatsächlich durch alle Beteiligten gelebt werden. Insbesondere war er daran interessiert, die Rolle der beteiligten Teams und deren Interaktionen miteinander transparent zu machen, um Stärken und Schwächen zu erkennen, aus denen sich weiteres Verbesserungspotential ableiten ließe. Um eine genaue Analyse durchzuführen, initiierte der zuständige Konzernleiter ein Projekt und setzte ein Projektteam ein. Dieses bestand aus sechs Managern unterschiedlicher Bereiche und Hierarchiestufen. Die Projektleitung wurde von uns übernommen.

9.4

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

Nachdem ein Projektplan definiert worden war (Phase 1), leiteten wir zusammen mit dem Projektteam Fragen für die Online-Befragung ab (Phase 2). Um die vier oben beschriebenen Meilensteine zu erreichen, führten wir, wie oben allgemein dargestellt, eine Dokumentenanalyse, Einzelinterviews und einen Workshop durch. (1) Identifikation Problemkontext (Dokumentenanalyse & Interviews) Da Geberit eine umfangreiche Dokumentation des IPE entwickelt hatte, konnten wir bereits im Rahmen der Dokumentenanalyse wichtige Prozessaktivitäten und Schnittstellen als Problemkontext identifizieren. Beispielsweise begann der IPE zum Zeitpunkt der Untersuchung mit der ,,1deenaufbereitung" (vgl. Abbildung 35): Dabei handelte es sich um einen relativ offenen Prozessschritt, in welchem die Wünsche des Marktes und die Bedürfnisse der Kunden im Zentrum der Aktivitäten standen. Wichtige Schnittstellen existierten beispielsweise zwischen den Produktmanagern in den Ländern und dem zentralen Marketing.

Abbildung 35: Fragendefinition für den ersten Prozessschritt des IPE 1. Identifikation Problemkontext

2. Ableitung Dimensionen

IPE-Schritt 1: Ideenaufbereitung

-------

Kultur-

Unsichtbare

Netzwerke

"MarktInformationen" "Marktent-

"Neue wicklungen" Technologien" "Wettbewerber"

3. Auswahl Dimensionen

IPE-Schritt 2:

normen

"Freiraum "ungefragt IOr einmischen" dumme Ideen" Jeder soll seine Meinun sagen"

Auswahl nach: " Relevanz Verbesserungsotentlal

~::-----,"

4. Fragenformulierung

Unsichtbare Netzwerke

Organisationskultur

Ideen für neue Produkte: "Mit wem kommunizieren Sie ... Ober Ideen für neue Produkte (beispielsweise ...)?"

Freiraum für dumme Ideen: "Im Rahmen von IPE-Projekten gibt es In der Regel auch Freiräume IOr "dumme" Ideen."

(2) Ableitung Dimensionen (Interviews) Aus den Prozessschnittstellen leiteten wir anschließend in Einzelinterviews mit den Managern Beziehungstypen ab, die für den IPE relevant waren.

148

Workshop

9.4

Dazu fragten wir die Manager: "Was sind Ihrer Meinung nach unter Berücksichtigung der genannten Schnittstellen des Innovationsprozess Entwicklung (IPE) zentrale Informationen, die zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden sollten?" Für die IPE Prozessphase "Ideenaufbereitung" nannten die Manager beispielsweise "Marktinformationen", "Chancen und Risiken von Lösungen", "neue Technologien", "Wettbewerber", "Marktentwicklungen" (vgl. Abbildung 35). Um ein vollständiges Problembild zu erhalten, erfassten wir im Rahmen der Online-Befragung auch die Kultur im IPE. Daher befragten wir die Mitglieder des Projektteams zu wünschenswerten Kulturnormen (Soll): "Wenn Sie allgemein an die Zusammenarbeit im IPE denken, was erachten Sie als wichtig für den Erfolg des Prozesses? Wie sollten die Mitarbeiter miteinander umgehen? Welche Rollen sollten gelebt werden?" So spielte beispielsweise im Rahmen der Prozessphase "Ideenaufbereitung" die Kreativität der Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Deshalb nannten die Manager als wünschenswerte Verhaltensmuster: "keine Angst haben, etwas falsch zu machen", "Freiraum für dumme Ideen", "ungefragt einmischen", "offenes Ansprechen von Konflikten" oder "jeder soll seine Meinung sagen". (3) Auswahl Dimensionen (Workshop) Im Rahmen eines Workshops wählte das Projektteam fünf Netzwerke für die Befragung aus. Bei diesen handelte es sich jeweils um Kommunikationsnetzwerke, die sich auf bestimmte Informationsinhalte bezogen. Darunter waren die drei folgenden (vgl. Abbildung 36): •

Netzwerk zu Ideen für neue Produkte, beispielsweise über Marktchancen und Risiken, Kunden und deren Bedürfnisse, Marktentwicklungen, etc.

•

Netzwerk zu technischen, produktbezogenen Informationen, beispielsweise zu Einführungsterminen, Herstellungskosten, Normanforderungen oder Produktspezifikationen.

•

Netzwerk zu Feedback vom Markt, beispielsweise Erfahrungen des Vertriebs, realisierte Umsatzzahlen oder Kundenzufriedenheit über neue Produkte.

149

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

Abbildung 36: Ausgewählte Kommunikationsnetzwerke Technische Produktbezogene Informadonen

Ideen für neue Produkte

• Marktpotential • Marktchancen und Risiken • Kunden und deren Bedürfnisse • Marktentwicklungen • Wettbewerber und deren Positionierung • Neue Technologien • Kundenprobleme

Einführungstermin Herstellungskosten Normanforderungen Werkzeuge Material und Farbe Produktspezifikationen im Allgemeinen • zu produzierende Stückzahlen • make orbuy • • • • •

I

F88c:lback vom Markt

I

• Erfahrungen des Vertriebs • Reklamationen • Kundenzufriedenheit über neue Produkte • Produldqualität • Realisierte Umsatzzahlen • Verbesserungspotenti ale

Das Projektteam war zudem der Auffassung, dass im IPE bestimmte Kulturnormen gelebt werden sollten. Diese hingen direkt mit den sozialen Netzwerken zusammen und erlaubten so ein ganzheitliches Problembild (vgl. auch Abschnitt 3.6). Das Projektteam wählte daher u.a. folgende Normen für die Befragung aus: •

Toleranz gegenüber Fehlern/Meinungen: ("angenehmes Klima schaffen, das auch Fehler zulässt", "keine Angst haben, etwas falsch zu maehen", "Freiraum für dumme Ideen", "ungefragt einmischen")

•

Offene Kommunikation: ("Jeder muss reden können", "Hol- und BringPrinzip", "keine Vertuschung von Fehlern", "jeder soll seine Meinung sagen")

(4) Fragenformulierung (Workshop) Die auf diese Weise ausgewählten Dimensionen wurden im Anschluss in konkrete Fragen überführt. Beispielsweise fragte man für das Netzwerk "Ideen für neue Produkt": "Mit wem kommunizieren Sie durchschnittlich mindestens einmal innerhalb von drei Monaten über Informationen im Zusammenhang mit Ideen für neue Produkte (beispielsweise über Kundenbedürfnisse und -probleme, neue Technologien, Wettbewerber, Marktentwicklungen, Marktpotentiale, Markchancen und Risken etc.?)" Die Kulturnormen wurden in Aussagen transferiert, für die der Befragte seine Zustimmung oder Ablehnung auf einer Skala ausdrücken konnte. So überführten wir beispielsweise die Norm "keine Angst haben, etwas falsch zu machen" in die Aussage: "Im Rahmen von IPE-Projekten muss man in der Regel keine Angst haben, etwas falsch zu machen". Auf diese Art und Weise wurde der Inhalt des Fragebogens systematisch hergeleitet. Wir werden in Abschnitt 12.3 die Ergebnisse der Befragung darstellen.

150

Workshop

9.4

Fallbeispiel Fragenherleitung bei der Energiedienst-Gruppe

Als zweites Fallbeispiel zur Illustration der Fragenherleitung dient uns ein Projekt, das wir in Zusammenarbeit mit der Energiedienst-Gruppe durchgeführt haben. Die Energiedienst-Gruppe beliefert in Südbaden und der Schweiz mehr als 750.000 Menschen mit Strom und energienahen Dienstleistungen. Das Unternehmen betreibt fünf eigene große Wasserkraftwerke und ist an weiteren Wasserkraftwerken am Hochrhein und im Kanton Wallis, Schweiz beteiligt. Im Jahr 2008 beschäftigte die Energiedienst-Gruppe 760 Mitarbeiter, erwirtschaftete einen Umsatz von EUR 710 Millionen und einen EBITDA von EUR 158 Millionen. Dabei kann das Unternehmen auf ein beachtliches Wachstum in den vorangehenden Jahren zurückblicken. Im Zeitraum von 2005 bis 2008 wuchs der Umsatz im Jahresdurchschnitt um 14.6% und der EBITDA um 8.8% (siehe AbbHdung 37). Die Energiedienst-Gruppe verfügte zum Zeitpunkt des Projektes neben verschiedenen Stäben über die zentralen Bereiche Kraftwerke, Netzdienste, Service Center, Vertrieb, Finanzen ft Administration und Personal ft Kommunikation.

Abbildung 37: Umsatz und EBITDA Entwicklung der EnergiedienstGruppe Umsatz M EUR

1'000 800 600 400 200

..J 472

EBITDA

~

14.6% p.a. 656 524

710

MEUR

200 150

I

~

~ 8.8% p.a. I 144 123 123

159

100 50

o

o 2005

2006

2007

2008

2005

2006

2007

2008

Das Unternehmen war nun daran interessiert, Verbesserungspotentiale im Informationsfluss zwischen dem Administrationsbereich, mit den Abteilungen Controlling, Rechnungswesen und Einkauf ft Logistik und dem Personal- ft Kommunikationsbereich sowie allen anderen Unternehmensbereichen zu identifizieren. Die Bereichsleiter Administration und Personal waren der Auffassung, dass die Energiedienst-Gruppe von einer stärkeren Institutionalisierung des Informationsflusses profitieren könnte. So lagen z.B. zukunftsbezogene Informationen, die das Controlling benötigte, teil-

151

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

weise erst nach Fakturierung und Realisierung von Verträgen vor. Auch würden bei der Energiedienst-Gruppe teilweise Projekte von einzelnen Bereichen angegangen, ohne zu evaluieren, welcher Nutzen sich für andere Bereiche ergeben könnte. Es handelte sich somit um ein Problem im Bereich der Koordinationsfunktion (vgl. Abschnitt 5.2). Um das Verbesserungspotential für die Energiedienst-Gruppe genauer zu definieren, wurde ein Projekt initiiert. Dazu setzte man ein Projektteam ein, das aus den Abteilungsleitern Controlling, Rechnungswesen, Einkauf & Logistik sowie aus den beiden Bereichsleitern Administration und Personal bestand. Das Projekt wurde von uns in Zusammenarbeit mit den beiden Bereichsleitern geleitet. Im Anschluss an die Projektplanung (Phase 1) definierte das Projektteam in der zweiten Projektphase die Fragen, die den Mitarbeitern in der OnlineBefragung gestellt werden sollten. Dazu führten wir zunächst verschiedene Interviews mit den einzelnen Managern des Projektteams durch, bei denen die Identifikation des Problemkontextes der Koordinationsfunktion und die entsprechende Ableitung von Beziehungstypen im Mittelpunkt standen. So nannte beispielsweise der Abteilungsleiter "Einkauf und Logistik" den Prozess "Beschaffung und Logistik" als einen wesentlichen Supportprozess (siehe Abbildung 38). Dieser Prozess setzte sich wiederum aus unterschiedlichen Aktivitäten, wie "Ad-hoc-Beschaffung", "Beschaffung über Rahmenverträge" und "Materialbewirtschaftung in den Lagern" zusammen. Für diese Aktivitäten bestanden Schnittstellen zu allen anderen Abeilungen des Konzerns, die Materialien benötigten (siehe Abbildung 38). Daher fragten wir: "Was sind zentrale Informationen, die mit Abteilungen, die Material benötigen, ausgetauscht werden müssen?" Hierauf nannte der Abteilungsleiter die Informationstypen "Informationen über benötige Materialien", "Informationen über Rahmenverträge" , "Umzugswünsche" und "Einkaufsrichtlinien" (vgl. Abbildung 38).

Abbildung 38: Einkaufs- und Logistikprozess bei der EnergiedienstGruppe llenIich EInkauf und logistik

ProZ1lllll • BeschBllungs- und LoglsUkprozess Richtiges Malenal zum nchtlgen Zeitpunkt am nchtigen Ort; -Ad-hoc Beschaffung -Beschaffung aber Rahmenvertriige

-Materialbewirtschaftung in den Lagem, d.h. die Zentrallager, die Betreuung der Sllltzpunkt-Lager

SchnlttslBlle

Informationen

• Sämtliche Abteilungen, die Material benötigen

I

I

• Informationen über benötige Miterlillen - Malerlaibeschreibung - Bedarfszeitpunkt - Bedarfscrt - Standards - BDndelungsinlos

• Informationen über RahmenvertrAge - KDndigungsfristen - Vertragsinhalte

• Umzugswünsche • ElnkaulsrlchUlnlen

152

Workshop

9.4

Auf gleiche Art und Weise konnten durch die fünf Einzelinterviews weitere Prozesse identifiziert und aus diesen 30 verschiedene Beziehungstypen abgeleitet werden. Da das Problem des Unternehmens im Bereich der Koordinationsfunktion lag (vgl. Abschnitt 5.2), handelte es sich um verschiedene Kommunikationsnetzwerke (vgl. Abschnitt 4.1.1) mit unterschiedlichen Informationsinhalten. Diese priorisierte das Projektteam im Rahmen des ersten Diskussionsworkshops und definierte fünf zentrale Kommunikationsnetzwerke, für welche in der Online-Befragung Daten gesammelt werden sollten. So beschlossen die Manager, für den obigen Einkaufs- und Logistikprozess das Kommunikationsnetzwerk "Informationen zur bereichsübergreifende Bedarfsplanung" zu erfassen. Ebenso entschied das Projektteam u.a., Netzwerke zu "Informationen zu Projekten" und "Unternehmenszielen" zu erheben. Die so definierten Kommunikationsnetzwerke wurden schließlich in konkrete Fragen überführt. Um das Netzwerk "Unternehmensziele" zu erfassen, fragte man beispielsweise: "Mit wem kommunizieren Sie durchschnittlich mindestens einmal innerhalb von drei Monaten über Informationen im Zusammenhang mit den Unternehmenszielen bei der Energiedienst-Gruppe (beispielsweise Ziele im Hinblick auf Kunden, Aktionäre, Umwelt usw.; Strategieinhalte; Unternehmensvision oder -zweck etc.)." Durch dieses Verfahren wurde sichergestellt, dass die gestellten Fragen einerseits für die Prozesse der Energiedienst-Gruppe relevant waren. Andererseits fokussierte die Analyse auf solche Aspekte, bei denen das Management das größte Verbesserungspotential vermutete. Somit konnte in einem nächsten Schritt die Befragung durchgeführt werden. Wir werden in Abschnitt 12.3 die Ergebnisse der Befragung darstellen.

153

9

Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke

Checkliste zur Phase 2: Auswahl zu erhebender Netzwerke Meilenstein 1: Erfassung des Problemkontextes • Wurden die wichtigsten Elemente des Problemkontextes (beispielsweise die Geschäftsprozesse) mittels Dokumentenanalyse und Einzelinterviews erfasst? Meilenstein 2: Ableitung der zu erfassenden Netzwerke Haben die Mitglieder des Projektteams ein Set von Netzwerktypen aus dem Problemkontext abgeleitet? Meilenstein 3: Auswahl der zu erfassenden Netzwerke Ist es dem Projektteam gelungen, die Netzwerktypen anhand ihrer Verbesserungspotentiale einerseits und ihrer Relevanz für das Unternehmen andererseits zu priorisieren? • Wurde die Auswahl auf max. 5-7 Netzwerke eingeschränkt? Meilenstein 4: Fragenformuliemng Sind die Fragen zusammen mit dem Management definiert worden? Unterstützen alle Manager die gestellten Fragen?

154

Phase 3: Datenerfassung

Pretest

10.1

In der dritten Projektphase geht es um die Erfassung der sozialen Netzwerke. Folgende Meilensteine sind zu erreichen: • Pretest • Durchführung der Online-Befragung und Mitarbeiterinterviews • Datenaufbereitung, -analyse und -visualisierung

10.1

Pretest

Bevor die Befragung aller Mitarbeiter durchgeführt wird, sollte man einen Pretest mit ca 4-8 Mitarbeitern des zu untersuchenden Bereiches durchführen. Er dient dazu, die Interpretationen der Befragten zu evaluieren und eventuelle Verständnisschwierigkeiten festzustellen. Darüber hinaus sollte im Pretest ermittelt werden, ob die Fragen auch tatsächlich unterschiedliche Antworten produzieren)% Die Ergebnisse des Pretests verlangen in der Regel einige Modifikationen an den Fragen, die anschließend erneut getestet werden sollten. So kann es beispielsweise vorkommen, dass die Mitarbeiter einzelne Fragen anders interpretieren als dies vom Projektteam vorgesehen war. In diesem Fall sind die Fragen in Absprache mit dem Projektteam entsprechend anzupassen.

10.2

Pretestzur Evaluierung der Fragebogenverständlichkeit

Online-Befragung

In einem zweiten Schritt werden die sozialen Netzwerke mittels einer Online-Befragung erfasst. Dabei ist eine Vollerhebung der zu untersuchenden Bereiche anzustreben, da sich verschiedene Strukturmaßzahlen sonst nicht berechnen lassen.

1% Schnell / Hili / Esser (1995: 326)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Erfassung sozialer Netzwerke durch OnlineBefragung

157

10 Abbildung 39

Phase 3: Datenerfassung

Beispiel für einen Fragebogen mit geschlossenen Fragen Mlcrosoft Internet Explorer Artsicht

Fawrien

E:~tras

?

o

ps.rllen 'flFaYOrlen "NM.iou.unizh.ch/bwlfrlo/question.Dt\:l?tv'="l

Info-im-Fluss Frage Nr.1

".

.
'-

~

Universität Zürich

; 10U institut fOr Org8nlsatlon und Unternehmenstheorten 0

Mit wem kommuni2ieren Sie durchschnittlich mindestens einmal innerhalb von drei Monaten über Projekte beim Energiedienst? (mit Projekten sind außerordenthche AUfgabenbereiche gemeint, die, zusatzhch zu den regelmäßigen TäIigkellen amallen) Gefragt Ist immer nach dem Ist-ZUstand, also nach deo talsächhdl€n Verhällmssen 0,& Kommunikation kann personllch, schnru,ch, per E-Iv1a11 oder telefonisch erfolgen. Kommunizieren meint hier den Empfang, das Geben oder auch den Austausch von Informationen Bitte klicken Sie 2unächst auf die Felder mit den Abtellungsbe20lchnungen. um dann eine detaillierte Liste der jeweiligen Mitarbeiter 2U erhalten. Sie können beliebig viele Personen auswählen.

I Admlnls\r~hon. Controlllng-SeNices AC ( AdmllllslrO\loh, Einkauf .. I..;:Jglstlk AE

[ Admlrllstmll0n: Flntmzen AF (Administration. Leltung/SeJ:retonol A

~I::=B=e\,..:riec.:.bs:...rO:=II,--Pc.:.ec.:.rsD:...n.::..e"",..:,..:rtr.::..e1U.::..n",-g

]

J )

J

J

Ein Fragebogen besteht typischerweise aus den folgenden Elementen: • eines E-Mails an die Befragten, das den Link zum Fragebogen sowie ein Passwort enthält. • einer mit Zugriffsbeschränkung versehenen Einstiegsseite, auf welcher der Befragte sein Passwort eingibt. • einer Einleitungsseite mit Angaben über die Ziele des Fragebogens, den Aufbau und die benötigte Bearbeitungszeit. • den Netzwerkfragen mit jeweils einer Namensliste aller Organisationsmitglieder. Zur Beantwortung der Frage wählt der Mitarbeiter diejenige Person aus der Liste aus, auf welche die Frage zutrifft. Abbildung 39 zeigt eine solche Netzwerkfrage für das Projekt bei der Energiedienst-Gruppe (vgl. Abschnitt 9.4).

158

Online-Be[ragung

•

ggf. den Kulturfragen, zu denen die Befragten ihre Zustimmung oder Ablehnung auf einer Skala ausdrücken können)97

•

ggf. weiteren geschlossenen oder offenen Fragen zu den sozialen Netzwerken, der Kultur oder dem Problemkontext.

10.2

Bei der Befragung sollte durch frühzeitige, offene Kommunikation, Zusicherung von Anonymität sowie mithilfe regelmäßiger Erinnerungsmails eine Rücklaufquote von über 80% (besser über 90%) erreicht werden)98 Liegt die Rücklaufquote auch nach mehrmaligen Erinnerungen deutlich unter diesem Wert, so ist bei der späteren Analyse die eingeschränkte Repräsentativität der Ergebnisse zu berücksichtigen.

Angestrebte Rücklaufquote von über 80%

Parallel zur Online-Befragung führt man mit 5-20 Mitarbeitern Einzelinterviews durch. Ziel dabei ist, qualitative Erkenntnisse zu den sozialen Netzwerken, der Kultur oder dem Problemkontext im betroffenen Bereich zu erhalten. Im Gegensatz zu den Interviews mit dem Projektteam aus Phase 2 geht es nun nicht darum zu ergründen, welche Netzwerke wichtig sind und welche Kultur gelebt werden soll. Vielmehr steht der Ist-Zustand ebendieser Netzwerke und Kulturnormen im Vordergrund. Der Einbezug anderer Mitarbeiter außerhalb des Projektteams gewährleistet außerdem eine neue Sichtweise auf das zu untersuchende Problem. Es hat sich bewährt, zunächst relativ offene Fragen zu stellen, wie beispielsweise:

Parallele Durchführung von qualitativen Einzelinterviews

•

"Welche Verhaltensregeln würden Sie einem neuen Mitarbeiter im Hinblick auf Ihren Bereich mit auf den Weg geben?"

•

"Was sind die größten Fehler, die jemand in Ihrer Abteilung machen kann? Was sind wichtige Gebote und Verbote?"

Im Anschluss kann dann spezifischer auf bestimmte Sachverhalte eingegangen werden, beispielsweise indem man fragt: •

"Wie würden Sie die Kommunikation zu anderen Bereichen charakterisieren? Wo sehen Sie Stärken und Schwächen?"

197 Vgl. Schnell / Hill / Esser (1995: 179) 198 Vgl. zu den Problemen von Stichproben bei sozialen Netzwerken Jansen (2006: 87-90)

159

10

Phase 3: Datenerfassung

• "Wie würden Sie die Art und Weise beschreiben, wie in dieser Abteilung kommuniziert wird? Was ist charakteristisch?" Die Ergebnisse der Interviews sind in Protokollen festzuhalten. Diese unterstützen in einem späteren Schritt die Interpretation der quantitativen Daten sowie die Ursachenanalyse. Tabelle 6 zeigt einen kurzen Auszug aus einem Intervie\\T, das wir im Rahmen eines Projekts durchgeführt haben. Er verdeutlicht, dass bereits in dieser Projektphase erste Problemursachen identifiziert werden können.

Tabelle 6

Auszug aus einem qualitativen Interview

Interviewer: ..Was denken Sie, woran liegt es, dass es mit anderen Abteilungen Kommunikationsschwierigkeiten gibt?" Mitarbeiter: "Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass wir durch das Kostensenkungsprogramm einfach viel mehr Arbeit haben. Man merkt einfach, dass die Leute im Stress sind. Man versucht einfach die Arbeit abzuarbeiten. Gar nicht mehr so richtig zu verstehen oder sich irgendwie Gedanken zu machen. Man versucht einfach so rationell wie möglich zu arbeiten. Das mit dem über den Tellerrand hinausschauen, um zu schauen, was machen da die anderen Abteilungen, was machen sie mit den Informationen? Dafür haben wir keine Zeit mehr" Interviewer: .. Mitarbeiter:

10.3 Aufbereitung der generierten Daten mithilfe von Softwareapplikationen

"

Datenaufbereitung und -analyse

In einem dritten Schritt werden die aus der Befragung und den Interviews generierten Daten aufbereitet. Da die gängigen Statistikprogramme keine Netzwerkanalysen erlauben, sind spezielle Softwareapplikationen zu verwenden. Einen Überblick zu den unterschiedlichen Applikationen inkl. Programmeigenschaften sowie weiterführenden Links findet man auf der Webseite des InternatioNetwork for Sodal Network Analysis (INSNA) nal (http://www.insnaorg/software/index.html). In den Ausführungen dieses Buches werden die Daten mit den beiden Programmen UONET und VISONE dargestellt. Sie sind verhältnismäßig einfach zu handhaben, beherrschen die in diesem

160

Datenaufbereitung und -analyse

10.3

Buch dargestellten Berechnungsverfahren und weisen mittlerweile eine relativ weite Verbreihmg auf: • Für die Handhabung der Daten sowie die Berechnung zentraler Analysemaße verwenden wir das Programmpaket UONET. Dieses wurde von Steve Borgatti, Martin Everett and Lin Freeman entwickelt und wird von der universitätsnahen Software-Firma Analytic Technologies vertrieben. Zum Zeitpunkt der Drucklegung war das Programm zur kommerziellen Nutzung zum Preis von 250 USD zu erwerben. Zugleich ist eine 60-tägige GratisVersion erhältlich (http://www.analytictech.com/ucinet).

UCINET: Handhabung der Daten sowie Berechnung zentraler Analysemaße

• Für die Visualisierung sozialer Netzwerke benutzen wir die Softwarelösung VISONE. VISONE ist das Ergebnis eines langfristigen Forschungsprojektes an der Universität Konstanz. Für den akademischen Gebrauch und die Forschung kann es kostenlos heruntergeladen werden (http://visone.info/index).

VISONE: \lisu-

Netzwerkmatrix in UCINET

alisierung sozialer Nef%weilre

Abbildung 40

ll}i 1l1111l222222222

Anonymisiert& Bezeichnung der Akteure

1234S678901234567B~01234567B9 Al\Ageee9BeEEt:F'fF'F'FfF"F'F'frF'F'K~j{

1

Beziehung • ,,1" = Existenz einer Beziehung

11

. 1 1

~~::::it) . 6

• "0" = keine

AT-l

Beschaffung-3

7

Beschaflunq-4

B

8eschaf hmg-5

S

Beschalfunq-6

10 11 12

~ch
Elektroßlk-l EleklT'Om-

14

lk-3 FP-l

15 16 1')

FP-2 FP-J f'P-4

18

FP-S

19 20

FP-f, fP-7

21 22

FP-9 FP-IO

23

24 25

26

1 .1 . . 1.

.1

i i

_ 11

. . . . . 11 . 1 .1

1

11

.1.1. 1.11 11

.1.

FP-ll

rP-12 FP-13

1

fP-14

.1.

27

I{onstrW
28

l(onst:t:t4ktloYl-2

1

.1

1

Für die Datenaufbereitung sollten die folgenden Schritte durchgeführt werden: • Zunächst hat es sich bewährt, die Daten zu anonymisieren, indem man Namen beispielsweise durch Abteilungsbezeichnun-

Daten4ujbereitung in mehreren Schritten

161

10

Phase 3: Datenerfassung

gen substituiert (vgl. Abbildung 40). Diese Maßnahme fördert einerseits eine erhöhte Rücklaufquote (vgl. Abschnitt 10.2), andererseits trägt sie zu einer Versachlichung der später stattfindenden Diskussion der Daten bei (vgl. Kapitelll). • Daraufhin werden die erhobenen Daten nach UONET importiert (UONET: Data > Import), woraus eine Matrix mit N"N Einträgen resultiert. Befragt man 100 Personen, so ergeben sich also bereits 10'000 verschiedene Dateneinträge (vgl. Abbildung 40). •

Im nächsten Schritt löscht man diejenigen Mitarbeiter aus dem

Datensatz, die nicht an der Befragung teilgenommen haben. (UCINET: Data > Extract > Extract Submatrix). • Sind die erhobenen Relationen ungerichteter Natur, so sollte unbedingt die Cross-Validierungs-Methode angewandt werden,199 Gemäss dieser Methode wird eine Beziehung nur dann als gegeben betrachtet, wenn sowohl A als auch B angeben, miteinander zu kommunizieren (UCINET: Transform > Symmetrize). Dadurch lässt sich die Zuverlässigkeit der Datenbasis erhöhen. Außerdem wird damit ausgeschlossen, dass einzelne Befragte durch die falsche Nennung zu vieler Kontakte die Befragungsergebnisse verzerren. Zentralitätsberechnung als sinnvoller erster Analyseschritt

Die daraus resultierende Matrix lässt sich in einem nächsten Schritt, abhängig vom untersuchten Problem, mit den in Kapitel 4 dargestellten Methoden der Netzwerkanalyse untersuchen. Hierbei empfehlen wir zunächst die Berechnung verschiedener Zentralitätsmaße, wie beispielsweise Grad- und Nähezentralität (UONET: Network > Centrality > Degree/Ooseness). Die Ergebnisse dieser Analyse sollten im Anschluss visualisiert werden. Der Visualisierung kommt insofern eine zentrale Bedeutung zu, als sie die Komplexität von Netzwerken auf die wesentlichen Aspekte reduziert. Auf diese Weise sind auch Manager ohne netzwerkanalytische Vorkenntnisse imstande, die Ergebnisse zu diskutieren. 2oo Der nachfolgende Abschnitt stellt verschiedene Möglichkeiten zur Visualisierung von Zentralität dar.

199

162

Krackhardt (1990: 349); vgl. Tsai (2001: 1000); vgl. Hansen (2002: 237); Tsai (2002: 183). 200 Brandes / Wagner (2003).

Datenaufbereitung und -analyse

10.3

Möglichkeiten zur Visualisierung von Gradzentralität

Die Gradzentralität von Akteuren oder Organisationseinheiten gibt an, wie viele direkte Beziehungen ein Akteur oder eine Einheit im Netzwerk unterhält (siehe dazu Abschnitt 4.4.1.1). Sie lässt sich durch unterschiedliche Verfahren visualisieren. (1) Datenvisualisierung mit einem Balkendiagramm Grundsätzlich lassen sich Zentralitätswerte als Balkendiagramm darstellen. Abbildung 41 gibt beispielsweise die durchschnittliche Gradzentralität im Kommunikationsnetzwerk zwischen fünf verschiedenen Abteilungen an. Es ist schnell ersichtlich, dass Abteilung-4 mit durchschnittlich 1.5 Beziehungen weit unter den anderen Abteilungen liegt. Neue Erkenntnisse ergeben sich allerdings, wenn man auch für die einzelnen Mitarbeiter die Gradzentralität visualisiert. Dann erkennt man, dass Abteilung 5 zwar über einen hohen Durchschnittswert von 4.3 verfügt. Dieser ist allerdings vor allem auf Mitarbeiter 20 zurückzuführen: Er alleine verfügt bereits über 9 verschiedene Kontakte im Netzwerk, während die beiden verbleibenden Mitarbeiter seiner Abteilung lediglich 2 Beziehungen unterhalten.

Abbildung 41: Darstellung der Gradzentralität im Balkendiagramm Gradzentralität 10

Höhe = Durchschnittliche Gradzentramät je Abteilung Breite = Anzahl Mitarbeiter in Abteilung

8 6 4 2

o

Abteilung-1

Gradzentralität 10

Abteilung-3 : Abtellung-4

Abteilung-2

Höhe

:Abteilung-5 Abteilungen

= Gradzentralität je Mitarbe~er

9

8

6 4 2

1

o

Mitarbeiter • Abteilung-1

Ableilung-2. Ableil~-3

Ableilung-4 D Ableilung-5

163

10

Phase J: Datenerfassung

(2) Netzwerkvfsuallslerunl mit V1SONE

Neben einer Darstellung im Balkendiagramm kann die Gradzentralität der Mitarbeiter auch mit VISONE visualisiert werden. Das Programm bietet hierzu eine Vielzahl von Möglichkeiten, von denen wir exemplarisch zwei

vorstellen wollen. Zum einen lässt sich die Gradzentralltät durch die Dicke der Knoten abbilden. So erkennt man fn Abbfldung 42 schnell, dass die Mitarbeiter 20. 10

und 8 über die meisten Kontakte verfugen. In Ergänzung zum Balkendla&ramm ist nun auch ersichtlich, mit wem die einzelnen Mitarbeiter kommunizieren. Die Tatsache, dass Mitarbeiter 19 und 21 nur über zwei Bezie-

hungen verfulen, war uns zwar bereits aus dem Balkendiagramm ersichtlich. Nun wissen wir aber zusätzlich, dass sie keine Kontakte mit Personen außerhalb ihrer Abteilung (Abteflunl-5) unterhalten.

Abbildung 42: Darstellung der GradzentraIitiit mit Visone 1 Abtellung-1

Abtellung-2

4

•3 •2 1

Abteilung",",

16

,.

17 15

.5 • • •• • 6

9 7 ••

10

13

•• 12

1411

•

20

0 m::lIl!Ill!D

19

Abtellung-3

21

0

0

Eine zweite Möglichkeit, die Gradzentralität einzelner Mitarbeiter darzustellen, besteht in einer kreisfönnigen Anordnung. Das Programm setzt dabei denjenigen Akteur mit der höchsten Gradzentralität in die Mitte des Kreises und ordnet die Akteure entsprechend ihrer Grac:lzentralität zum

Zentrum des Kreises an. So ist aus Abbildung 43 schnell ersichtlich, dass Mitarbeiter 20 die höchste Gradzentralität besitzt. Ebenso schnell wird

deutlich, dass die Mitarbeiter 3, 11 und 17 über eine Gradzentralität von 0 verfligen, da sie sich außerhalb des Kreises befinden.

164

Datenaufbereitung und -analyse

10.3

Abbildung 43: Darstellung der Gradzentralität mit VISone 2

_--------6--- --- __

Neben der Berechnung verschiedener Zentralitätswerte ist es in der Regel sinnvoll, die Beziehungsdichte zwischen Teams oder Abteilungen zu erheben (UCINET: Network>Cohesion>Density). Diese gibt an. wie viel Prozent aller maximal möglichen Beziehungen zwischen zwei Organisationseinheiten genutzt werden (vgl. dazu Abschnitt 4.4.3). Die dafür ermittelten Werte liegen im Bereich von 0 % bis 100 %. Wie in nachfolgendem Abschnitt ersichtlich. bieten sich auch hier unterschiedliche Darstellungsformen an.

Dichteberechnung als weiterer Analyseschritt

Möglichkeiten zur Darstellung von Dichte Eine erste Variante zur Visualisierung von Dichte besteht in der Darstellung in Tabellenform, wie beispielsweise in Tabelle 7 veranschaulicht.

165

10

Phase 3: Datenerfassung

Tabelle 7:

Dichtedarstellung in Tabelle Abteilung-1

Abteilung-2 Abteilung-3 Abteilung-4 Abteilung-5

Abteilung-1

-

21%

6%

0%

0%

Abteilung-2

21%

-

8%

13%

17%

Abteilung-3

6%

8%

-

6%

17%

Abteilung-4

0%

13%

6%

-

17%

Abteilung-5

0%

17%

17%

17%

-

Neben der TabeLLenform eignet sich auch eine Visualisierung mit VISONE, um die Kommunikationsdichte zwischen Organisationseinheiten darzustellen. Wie Abbildung 44 zeigt, repräsentiert die Dicke der Beziehungen zwischen den Abteilungen dabei die Dichte. Aus beiden DarsteLLungsformen wird ersichtlich, dass Abteilung-1 lediglich zu Abteilung-2 ein reges Kontaktnetz unterhält. Hingegen bestehen keine Beziehungen zwischen Abteilung-1 sowie Abteilung-4 und Abteilung-5 und nur sehr schwache Beziehungen zu Abteilung-3.

Abbildung 44: Dichtedarstellung mit Visone Abteilung-l

166

Abteilung-2

Datenau{bereitung und -analyse

10.3

Checkliste zur Phase 3: Datenerfassung Meilenstein 1: Pretest • Ist die Verständlichkeit des Fragebogens mit einem Pretest evaluiert worden? Wurde hinsichtlich eventueller Modifikationen mit dem Projektteam Rücksprache gehalten? • Wurden die aus dem Pretest resultierenden Änderungen erneut evaluiert? Meilenstein 2: Online-Befragung • Wurden die Mitarbeiter vorab über die Durchführung einer Befragung und deren Zweck informiert? • Ist der Online-Fragebogen an die Mitarbeiter versandt worden? Hat man den Mitarbeitern genügend Zeit eingeräumt, diesen auszufüllen? Ist bei der Befragung eine Rücklaufquote von über 80% erreicht worden? • Sind die qualitativen Interviews mit 5-20 Mitarbeitern durchgeführt worden? Meilenstein 3: Datenaufbereitung und -analyse • Sind die Daten in das Analyseprogramm importiert worden? • Wurden diejenigen Mitarbeiter gelöscht, die nicht an der Befragung teilgenommen haben? • Ist die Cross-Validierungs-Methode angewendet worden? • Sind die relevanten Netzwerkmaße (beispielsweise Zentralität, Dichte etc.) berechnet worden? Ist die Visualisierung dieser Maße auch für Laien verständlich?

167

Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen

-.....cu

.-Q. ~

Identifikation

11.1

In der vierten Projektphase wird ein zweiter Diskussionsworkshop mit den Mitgliedern des Projektteams durchgeführt. Ziel ist es, auf der Basis der erhobenen Daten und eines strukturierten Diskussionsprozesses eine gemeinsame Sicht über die wichtigsten Stärken und Schwächen des Netzwerkes zu entwickeln. Eine typische Workshop-Agenda umfasst die folgenden beiden Punkte: • Identifikation von Stärken und Schwächen • Priorisierung von Schwächen (und ggf. Stärken) Im Zentrum der Analyse stehen die Schwächen, denn diese formulieren diejenigen Problembereiche, für die Maßnahmen entwickelt werden sollen. Die Identifikation von Stärken hingegen dient einerseits zur Motivation des Projektteams und späteren Kommunikation an die Mitarbeiter. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass gewisse Stärken nicht selbsterhaltend sind und zu ihrer Beibehaltung somit ebenfalls Maßnahmen entwickelt werden müssen.

11.1

Identifikation von Stärken / Schwächen sowie Priorisierungim zweiten Work-

shop

Identifikation

Im Rahmen des ersten Agenda-Punktes werden zunächst die zentralen Ergebnisse der Online-Befragung präsentiert. Dabei sind die quantitativen Netzwerkdaten durch die Informationen aus den qualitativen Einzelinterviews zu ergänzen. Eventuell erhobene Kulturnormen sollten ebenfalls an dieser Stelle präsentiert werden.

Kombination quantitativer und qualitativerDaten

Im Anschluss identifiziert das Projektteam Stärken und Schwächen der einzelnen Netzwerke. Dabei sind mit den Ansichten und Interpretation der Manager einerseits subjektive Aspekte in die Analyse einzubinden. Andererseits sind mit dem Problemkontext und den Netzwerkmaßzahlen (Dichte, Zentralität etc.) objektive Daten zu berücksichtigen. Handelt es sich beispielsweise um ein Problem der horizontalen Koordination (vgl. Kapitel 5), kann die Rolle von Abteilungen im Geschäftsprozess mit deren durchschnittlicher Gradoder Nähezentralität verglichen werden. Ebenso können Dichtewerte zwischen Abteilungen vorab identifizierten Prozessschnittstellen gegenübergestellt werden. In ähnlicher Art und Weise lässt sich bei Wissensproblemen (Wissensfunktion, vgl. Kapitel 5) die Netzwerkdichte zwischen Wissensträgern (beispielsweise definiert durch

Berücksichtigung subjektiver und objektiver Elemente

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

11

Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen

lange Unternehmenszugehörigkeit) und Wissensempfängern (beispielsweise definiert durch Neuzugänge) bewerten.

Qualitative Berücksichtigung der Kosten sozialer Beziehungen

In diesem Zusammenhang ist nicht nur zu hinterfragen, inwieweit die sozialen Netzwerke zur Erfüllung der Koordinations-, Motivations- oder Wissensfunktion beitragen (vgl. Kapitel 5). Gleichzeitig sind auch die Kosten sozialer Beziehungen als Nebenbedingung zu berücksichtigen (vgl. hierzu im Detail Abschnitt 5.5). Zwar lassen sich diese in der Praxis nur schwer quantifizieren (vgl. hierzu Abschnitt 17.3.2). Aus diesem Grund kann auch kein Optimum aus dem Nutzen und den Kosten sozialer Beziehungen errechnet werden. Die Manager sollten im Diskussionsworkshop aber dazu angehalten werden, die Kosten qualitativ zu berücksichtigen und eine Bewertung entsprechend dem Schema "Je mehr Beziehungen, desto besser" zu vermeiden.

11.2 Relevanz und Beeinflussbarkeit als Kriterien zur Auswahl von Schwächen

Priorisierung

Im Rahmen des zweiten Punktes nimmt man eine Priorisierung der Schwächen vor, da es aufgrund von Zeit- und Ressourcenrestriktionen weder möglich noch wünschenswert ist, sämtliche Schwächen zu bearbeiten. Zwei Kriterien erachten wir hierbei als sinnvoll:201

•

Relevanz: Erstens sind diejenigen Schwächen (und ggf. Stärken, sollten sie nicht selbsterhaltend sein) zu bearbeiten, denen das Management eine hohe Relevanz zuschreibt.

•

Beeinflussbarkeit: Zweitens solle man sich auf diejenigen Gegebenheiten konzentrieren, die das Management überhaupt zu beeinflussen vermag.

Sämtliche Schwächen können auf einer Matrix verartet werden (vgl. Abbildung 45). Diese ähnelt zwar der Matrix zur Auswahl der Netzwerktypen aus Phase 2 (vgl. Abschnitt 9.4), die Achsenbezeichnungen bzw. Kriterien sind allerdings andere. Man sollte nun für diejenigen Schwächen Maßnahmen entwickeln, die sowohl für das

172

201 Vgl. Harrison / Shirom (1999: 282)

Pr;or;s;erung

11.2

Unternehmen relevant sind als auch durch das Management beeinflussbar (Feld 4).

Abbildung 45

Matrix zur Priorisierung von Schwächen Relevanz fürs Unternehmen Hoch

2

4 ---

1

3

Niedrig

Hoch

~

Schwächen, tür die Maßnahmen entwickelt werden sollten

Niedrig Beeinflussbarkeit

173

11

Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen

Checkliste zur Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen Meilenstein 1: Identifikation von Stärken und Schwächen Ist der Workshop so vorbereitet, dass eine strukturierte Diskussion der Ergebnisse stattfinden kann? Wurde hierfür genügend Zeit eingeräumt? Ist der Problemkontext (beispielsweise in Form der Geschäftsprozesse, der Wissensträger etc.) aus Phase 2 so aufbereitet, dass er für die Identifikation von Stärken und Schwächen im Workshop genutzt werden kann? Falls parallel zu den sozialen Netzwerken die Kultumormen erhoben wurden, hat man diese mit in die Bewertung einbezogen? Sind die Manager angehalten worden, bei ihrer Argumentation auf die objektiven Maßzahlen (beispielsweise Zentralisierung, Cliquen, Dichte etc.) und Visualisierungen Bezug zu nehmen? Bleibt im Workshop genug Raum für die subjektiven Perspektiven der Manager? • Wurden die Kosten sozialer Beziehungen berücksichtigt? Meilenstein 2: Priorisierung von Schwächen (und ggf. Stärken) Wurden die Schwächen (und ggf. Stärken) entsprechend ihrer Relevanz und Beeinflussbarkeit priorisiert? Konnte ein Konsens bezüglich der wichtigsten Schwächen erreicht werden?

174

Phase 5: Entwicklung von Maßnahmen

Entwicklung potentieller Maßnahmen

12.1

In der fünften Phase entwickelt das Projektteam Maßnahmen für die

priorisierten Schwächen (und ggf. Stärken, sofern diese nicht selbsterhaltend sind). Dabei sollten drei Meilensteine erreicht werden: •

Entwicklung potentieller Maßnahmen

• Auswahl der Maßnahmen • Konkretisierung der Maßnahmen

12.1

Entwicklung potentieller Maßnahmen

Im Rahmen des ersten Meilensteines entwickeln die Manager ein Set an potentiellen Maßnahmen für die priorisierten Schwächen (bzw. die zu erhaltenden Stärken). Dabei sollten einerseits die theoretischen Erkenntnisse der Netzwerkforschung über Steuerungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke einfließen (vgl. Kapitel 6). Andererseits sollte das praktische Wissen der Manager über ihr Unternehmen genutzt werden. Die Entwicklung potentieller Maßnahmen gestaltet sich insofern als Diskussionsprozess zwischen den Managern, der mithilfe der theoretisch fundierten Steuerungsdimensionen aus Kapitel 6 strukturiert wird.

Maßnahmenentwicklung auf der Basis von theoretischemund praktischem Wissen

In diesem Diskussionsprozess werden die potentiellen Maßnahmen

Strukturierung des Diskussionsprozesses mithilfe der Steuerungsdi-

mittels einer Pinnwand erarbeitet, auf welcher die in Kapitel 6 dargestellten Steuerungsdimensionen als Orientierungsraster fungieren. Für jede Schwäche kann das Projektteam Maßnahmen innerhalb der Dimensionen "Räumliche Anordnung der Arbeitsplätze", "Kommunikationstechnologien", "Human-Ressourcen-Maßnahmen", "Formale Strukturen & Prozesse", "Führungsverhalten", und "Kontaktfördernde Maßnahmen" entwickeln (siehe Tabelle 8). Die Steuerungsdimensionen schieben den Kreativitätsprozess an und geben dem Projektteam eine Orientierung.

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

mensionen

12 Tabelle 8

Phase 5: Entwkklung von Maßnahmen

.

Steuerungsdimensionen zur Maßnahmenentwicklung Bezeichnung SChwAche

Einflusadlmenaionen •

SChwilche Nr.1 :

...

Schwilche Nr.2:

...

Arbeilsplatzanordnung • BOrostandort • Barodeslgn

Kommunlkatlonslechnologlen • Intranet • Expertendatenbanken • SottwaregestOtzle GruppenunterstOtzungssysteme • E-Mail-Anwendungen

Human-Ressourcen-MaBnahmen • Personalauswahl • Gezle~e Elnfahrung neuer Mitglieder • PersonalentwIcklungsmaßnahmen (Schulungen, Training) • Maßnahme zur TeamentwIcklung • Anrelz- und Entlohnungssysteme

Formale Strukturen u. ProzeS88 • • • • •

Abtellungsgllederung Berelchsubergreifende Gremien Prozessmodilikationen ZUOrdnung von EntscheIdungskompetenzen Fonnale Verhaltensregeln

Führunllllverhallen • • • • •

Vorbildfunktlon Projeklarbe~

Be- und Entlohnung Inltllerung von Beziehungen KommunIkation

Konlaktlördernde Maßnahmen • Freizeltveranslaltungen

• Wor1<shops

12.2 Auswahl Maßnahmen auf Basis von Wirkungsgrad und Aufwand

178

Auswahl Maßnahmen

In einem zweiten Schritt wählt das Projektteam aus der Vielzahl potentieller Maßnahmen diejenigen aus, die umgesetzt werden sollen. Als Kriterien können einerseits der erwartete Wirkungsgrad der Maßnahmen und andererseits der mit den Maßnahmen verbundene Zeit- und Ressourceneinsatz gelten202 . Bei Bedarf lässt sich die Diskussion erneut mithilfe eines Portfolios strukturieren, wie es in Abbildung 46 dargestellt ist. In erster Linie wird man sich auf die

202 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Querachse (Zeit- und Ressourceneinsatz) in Abbildung 21 in umgekehrter Richtung verlaufen sollte, da es das Ziel ist, den Zeit- und Ressourceneinsatz zu minimieren.

Konkretisierung Maßnahmen

12.3

Maßnahmen in Feld 4 konzentrieren (hoher Wirkungsgrad / niedriger Zeit- und Ressourcenaufwand). In diesem Zusammenhang hat es sich bewährt, eher weniger Maßnahmen auszuwählen, diese dafür aber konsequent umzusetzen.

Portfolio zur Auswahl von Maßnahmen

Abbildung 46

Erwarteter Wirkungsgrad Hoch

2

4 ---

1

3

~

Zu implementierende Maßnahmen

Niedrig Hoch

12.3

Zeit- und Niedrig Ressourceneinsatz

Konkretisierung Maßnahmen

Die so ausgewählten Maßnahmen befinden sich in der Regel noch auf einer relativ hohen Aggregationsstufe. Daher muss sie das Management in einem dritten Schritt konkretisieren (vgl. Tabelle 9). Dazu wird jede Maßnahme in konkrete Aktivitäten heruntergebrochen (Was?). Gleichzeitig definiert man die Verantwortlichen für die Ausführung der Aktivitäten (Wer?). Ebenfalls sollte eine Person für die Umsetzungskontrolle definiert werden (Wer kontrolliert den Fortschritt?). Schließlich ist eine erste Abschätzung der erforderlichen Zeit und des erforderlichen Budgets wünschenswert. Zu guter Letzt sollten Fristen definiert werden (Bis wann?). Um die Unterstützung der betroffenen Mitarbeiter sicherzustellen, macht es gegebenenfalls Sinn, die Maßnahmenkonkretisierung an einzelne Arbeitsgruppen zu delegieren, die durch fachkundige Kollegen der betroffenen Abteilungen besetzt sind (siehe hierzu Kapitel 13).

Herunterbre-

ehen der Maßnahmen in Aktivitäten

179

12

Phase 5: Entwkklung von Maßnahmen

Mit den so ausgearbeiteten Maßnahmen ist der zweite Diskussionsworkshop und somit die fünfte Phase beendet.

Tabelle 9

Tabelle zur Maßnahmenkonkretisierung Nr. Was?

Wer? Bis Wer kontrolliert Erforderliche wann? den Fortschritt? Zelt?

Erforderliches Budget?

1 2

3 4

Fallbeispiel Identifikation Stärken/Schwächen & Maßnahmenentwicklung im IPE bei Geberit

Wir haben bereits in Abschnitt 9.4 den Fall des Innovationsprozesses Entwicklung (IPE) bei Geberit dargestellt. In diesem Zusammenhang wurden das Ausgangsproblem sowie die Fragenauswahl beschrieben. Nun wollen wir die Identifikation von Stärken und Schwächen sowie die Entwicklung von Maßnahmen für dieses Projekt darstellen. An der Befragung bei Geberit nahmen die für den Innovationsprozess Entwicklung (IPE) relevanten Abteilungen mit damals über 100 Mitarbeitern teil. Um Stärken und Schwächen im IPE zu identifizieren und für diese Maßnahmen zu entwickeln, führten wir mit dem Projektteam einen zweiten Diskussionsworkshop durch.

180

Konkretlsferung Maßnahmen

12.3

Abbildung 47: Kommunikationsdichte für Netzwerk "Feedback vom Markt"

D

D PL-Pool

DPM'~~ ,

\

.w:'1~OLPM

~

};4

..,

•••"

,. 'I Services

o

"

Konstruktion/Elektr.

Beschaffung Q = Qualilatsmanagement

LPM = LAnderprocluktmanagement FP = FertIgungsplaner AT = Anwendungstechniker

PMI = Produktmanagement Intemaöonal ZM = zentrales Marketing PL-Pool = Projektleiter Pool

Zur Vorbereftung auf den Workshop verteilten wir eine 65-settlge Präsentation mit den Ergebnissen der Online-Befragung an das Projektteam. Anschließend identifizierte die Workshopgruppe die Stärken und Schwächen der sozialen Netzwerke und Kulturnormen. Das Vorgehen der Manager lässt sich am Beispiel des Netzwerkes ..Feedback vom Markt.. illustrierten, fLir das die Manager zwei verschiedene Netzwerkvlsualisierungen analysiert haben: •

Abbildung 47 stellt die Kommunikationsdichte zwischen den Abteilungen dar. Je dicker eine Linie, desto mehr BezIehungen bestehen zwischen zwei AbteIlungen (Im Verhältnis zum Maximum). Die Zahlen ge. ben die jeweiligen DIchtewerte in Prozent an.

•

Abbildung 48 visualisiert die Nähezentralität der einzelnen Mitarbeiter. Je weiter sich ein Mitarbeiter im Zentrum des Kreises befindet, desto

181

12

Phase 5: Entwicklung von Maßnahmen

höher ist seine Nähezentralität. So verfügte Q-14, ein Mitarbeiter aus dem Qualitätsmanagement, über die höchste Nähezentralität des gesamten Netzwerkes. Er haUe den besten strukturellen Zugriff auf Feedback vom Markt.

Abbildung 48: Nähezentralität im Netzwerk "Feedback vom Markt"

lP"-O() .AT = Anwandungal8chnlk

0

KonslnJktlon

o LPM =I..Inderproduktmeneger

.Beschaflung

•

FP • Ferligu~splaner

•

PL-Pool • Projeldleiler Pool

•

Q = Oualitltsmanagement.

0

Servlcea ZM =Zen1ralea M8Jkaling OPMI - Produktmenagemenllntemalional

Mithilfe dieses Datenbildes identifizierten die Führungskräfte von Geberit jeweils Stärken und Schwächen für das Netzwerk "Feedback vom Markt". Das Management sah es als Stärke an, dass das Qualitätsmanagement (Q) eine zentrale Rolle hinsichtlich "Feedback vom Markt" einnahm. Anhaltspunkt dafür war einerseits die hohe Kommunikationsdichte, die das Qualitätsmanagement zu allen anderen Abteilungen unterhielt (siehe Abbildung 47). Andererseits verfügten die Mitarbeiter des Qualitätsmanagements (Q) über eine verhältnismäßig hohe Nähezentralität. So ist in Abbildung 48

182

Konkretisierung Maßnahmen

12.3

ersichtlich, dass sich die meisten Qualitätsmanager im Zentrum des Kreises befinden, also einen guten Zugriff auf die im Netz fließenden Informationen haben. Als Schwäche identifizierten die Manager die Tatsache, dass die Projektleiter zu wenig ins Feedback vom Mark eingebunden waren. Dies ließ sich aus der relativ niedrigen Nähezentralität der Mitarbeiter dieses Bereiches (PLPool) und deren Randstellung in Abbildung 48 ableiten. Ebenso verfügten die Projektleiter nur über eine sehr geringe Kommunikationsdichte zu den meisten anderen Abteilungen (siehe PL-Pool in Abbildung 47). Das Management sah eine mögliche Ursache dieser Schwäche darin, dass sich die Projektleiter vornehmlich auf technische Fragestellungen fokussierten. Auch wurden die Projektleiter zu schnell in neue Projekte involviert und hatten nicht genug Gelegenheit, sich gezielt mit dem Feedback vom Markt zu befassen. In ähnlicher Art und Weise identifizierte die Arbeitsgruppen des Projektteams Stärken und Schwächen für die anderen vier Netzwerke. Das Management hatte sich zudem für die Erfassung verschiedener Kommunikationsnormen im IPE entschieden (vgl. Abbildung 49). Diese standen in einem direkten Zusammenhang mit den erhobenen Kommunikationsnetzwerken und erlaubten die Entwicklung eines vollständigen Problembildes. Die Kommunikationsnormen wurden ebenfalls einer detaillierten Analyse unterzogen. Beispielsweise stimmten 58% der Befragten der Aussage "Im Rahmen von IPE-Projekten wird in der Regel offen und ehrlich miteinander kommuniziert" zu (d.h. 58% der Befragten wählten entweder "Trifft voll und ganz zu" (7) oder "Trifft zu" (6)). Die gedrehte Aussage "Im Rahmen von IPE-Projekten sind Gerüchte in der Regel die beste Informationsquelle" wurde hingegen von 66% der Befragten abgelehnt (d.h. 66% der Befragten wählten entweder "Trifft überhaupt nicht zu" (1) oder "Trifft nicht zu" (2)). Aufgrund dieser Daten kam das Projektteam zu der Schlussfolgerung, dass im IPE eine offene Kommunikationskultur vorherrsche und bewertete dies als Stärke. Die Workshopteilnehmer stellten nun sämtliche Stärken und Schwächen im Plenum vor, diskutierten diese und modifizierten sie, sofern es weitere Anregungen aus der Gruppe gab. Für die Entwicklung von Maßnahmen wählten sie diejenigen Schwächen aus, die sowohl relevant als auch durch eine gezielte Steuerung beeinflussbar waren. Für die so ausgewählten Stärken und SChwächen skizzierten die Manager zunächst potentielle Maßnahmen. Als Orientierungshilfen dienten die in Kapitel 6 dargestellten Steuerungsdimensionen, welche die zu bearbeitenden Pinnwände vorstrukturierten.

183

12

Phase 5: Entwkklung von Maßnahmen

Abbildung 49: Kommunikationsnonnen im IPE Anteil der Befragten in % für •''Triffl nicht zu" Im Rahmen von IPE-Projekten wird in der Regel offen und ehrlich miteinander kommuniziert

1%

''Triffl zu"

I

Im Rahmen von IPE-Projekten sind Gerüchte in der Regel die beste Informationsquelle Im Rahmen von IPE-Projekten kommt es häufig vor, dass Fehler verschwiegen werden

58%

3%

50%

Im Rahmen von IPE-Projekten äussert jeder seine Meinung frei -100%

7%

3%

53%

1-50%

0%

50%

100%

Im Anschluss priorisierte man die so entwickelten potentiellen Maßnahmen und überführte sie in einen definitiven Maßnahmenkatalog unter Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Fristen. Zwei zentrale Maßnahmen sollen an dieser Stelle exemplarisch dargestellt werden:

184

•

Schulung und Abprüfung der Projektleiter: Das Management beschloss, die Schulung der Projektleiter in den FftE-Projekten des IPE zu vertiefen. Um die Projektleiter besser in das Marktfeedback zu integrieren (beispielsweise hinsichtlich Kundenzufriedenheit, Umsatzzahlen, Reklamationen, Produktqualität, Vertriebserfahrungen etc.), entschied sich das Projektteam gleichzeitig dafür, die Rolle der Projektleiter in der letzen Prozessphase ("Vermarktung") zu stärken. Insbesondere sollte den Projektleitern mehr Zeit zum Abschluss von Projekten eingeräumt werden.

•

Pilotprojekt mit Projektteam in gemeinsamem Raum definieren: Da die Arbeitsplatzanordnung einen starken Einfluss auf die sozialen Netzwerke ausübt (vgl. Abschnitt 6.2.5), entschied sich das Projektteam diesbezüglich ein Pilotprojekt zu initiieren. Dabei sollten die Mitarbeiter eines IPE-Projektes für die Dauer des Projekts versuchsweise im seIben Raum angesiedelt werden. Ziel war es die Kommunikation zwischen den Beteiligten weiter zu vertiefen und zu intensivieren.

Konkretisierung Maßnahmen

12.3

Fallbeispiel Identifikation Stärken/Schwächen 8: Maßnahmenentwicklung bei der EnergiedienstGruppe Wir haben in Abschnitt 9.4 bereits in den Fall der Energiedienst-Gruppe eingeführt und diesbezüglich die Phase 2 des Projektes dargestellt. In diesem Unternehmen wurden nun alle Mitarbeiter des Administrationsund Personalbereiches hinsichtlich ihrer Kommunikation zu anderen Bereichen befragt. Die Ergebnisse der Befragung wurden mit den in Abschnitt 4.4 und 10.3 dargestellten Datenanalyse- und Visualisierungsverfahren aufbereitet. Auf der Basis dieser VisuaLisierungen identifizierte das Projektteam in einem Diskussionsworkshop unterschiedliche Schwächen.

Abbildung 50: Kommunikationsnetzwerk Unternehmensziele GNdl;l,/'l"kUIUIO'o~~~~rtC'kl(111 V"'''~uf~''':'''''U,,~.-li''I'\rie~!,n.(V\

'0-

----

SChwiche 3: Fehlende .Vemelzung" Bereich Nelze

zu übrigen Bereichen

•

" •••• n............lsk."",o

IP~

So visualisiert Abbildung 50 das Netzwerk "Kommunikation über Unternehmensziele" (beispielsweise Ziele im Hinblick auf Kunden, Aktionäre, Umwelt; Strategieinhalte; Unternehmensvision oder -zweck etc.) zwischen den Abteilungen des Administrationsbereiches und allen anderen Abteilungen. Für dieses Netzwerk identifizierte das Management die folgenden Schwächen bzw. Verbesserungspotentiale:

185

12

Phase 5: Entwkklung von Maßnahmen

•

Schwäche 1: Insgesamt war die Kommunikation über Unternehmensziele zwischen den einzelnen Bereichen relativ schwach ausgeprägt. So liegt die Kommunikationsdichte zwischen den meisten Abteilungen unter 1%, d.h. es wurden nur 1% aller maximal möglichen Kommunikationskontakte zu diesem Thema genutzt. In Abbildung 50 ist dies aus den dünn gestrichelten oder nicht existierenden Kommunikationslinien ersichtlich. Ziele im Hinblick auf Kunden, Aktionäre, Umwelt sowie Strategieinhalte, Unternehmensvision oder -zweck wurden vornehmlich auf Ebene der Führungskräfte diskutiert, auf Arbeitsebene war dies noch kein Thema zwischen den Bereichen.

•

Schwäche 2: Zusätzlich mangelte es insbesondere dem Controlling an Kommunikationskontakten zum Thema "Unternehmensziele". So zeigt die Abbildung 50 eine nur sehr geringe Kommunikationsdichte zwischen dem Controlling und allen anderen Bereichen (visualisiert durch die dünn gestrichelten Linien). Daraus schloss das Projektteam, dass der formale Controlling-Prozess noch nicht in ausreichendem Umfang durch die Mitarbeiter gelebt wurde.

•

Schwäche 3: Schließlich stellte das Management fest, dass die Abteilungen des Bereiches "Netze" relativ schwach mit den entsprechenden Abteilungen des Administrations- und Personalbereiches verbunden waren. Beispielsweise zeigt Abbildung 50 fast keine Verbindungslinien zwischen dem Bereich "Netze" und dem Bereich "Finanzen".

Um diese Schwächen gezielt anzugehen, entwickelte das Projektteam mittels der Steuerungsdimensionen aus Kapitel 6 zunächst eine Reihe von potentiellen Maßnahmen. Die Steuerungsdimensionen strukturierten dabei die Pinnwand und erlaubten den Managern so eine erste Orientierung sowie eine Initialisierung des Diskussionsprozesses. Für die obigen drei Schwächen sind die potentiellen Maßnahmen in Tabelle 10 dargestellt. U.a. entwickelte man folgende potentielle Maßnahmen:

186

•

Schwäche 1: Um die Kommunikation über Unternehmensziele auf Arbeitsebene zu intensivieren, schlug man u.a. vor, einen Zielbaum ins Intranet zu stellen, einen Newsletter zu initiieren (Kommunikationstechnologien), die Balanced Scorecard einzuführen (Formale Strukturen & Prozesse) sowie hinsichtlich der Unternehmensziele fokussierte Orientierungsgespräche mit den Mitarbeitern durchzuführen (Führungsverhalten).

•

Schwäche 2: Um den Controlling-Prozess stärker zu leben, diskutierte man u.a. SAP Business Warehouse zu implementieren (Kommunikationstechnologie) und Abeilungsbesuche durch das Controlling durchzuführen (Kontaktfördernde Maßnahmen).

•

Schwäche 3: Zur besseren Vernetzung des Netzbereiches schlug das Projektteam u.a. vor, Organisationshilfsmittel einzusetzen, einen Code of Conduct zu etablieren (Formale Strukturen & Prozesse), bereichsübergreifende Kamingespräche durchzuführen und ein Teambuilding

Konkretisierung Maßnahmen

12.3

auf Bereichsleiter- und erster Führungsebene zu initiieren (Kontaktfördernde Maßnahmen).

Tabelle 10:

Entwicklung potentieller Maßnahmen

~e

SChwiche1: Relativ schwache Kommunikation über Unlernehmenszlel..

SChwiche2: Controlling Prozess lebt

SChwiche3: SChwache Vemetzung des Bereiches Netze

Einfluss" ..eh "lcht dimensionen • Riumllche Anordnung deI( [Nlmlnlstratlon unter einem Dach, Meeting Point (Kaffeemaschine) Arbeltsplilze Kommunlkstlons- UnternehmensvIsionen Implementlertechnologien u. Zielbaum inkl. ung u. -Intranet Bereichsziele Im Intranet Durchdringung -Expertendatenbanken mitSAP - E-Mail-Unternehmens-Soflwaregestützle Business Gruppenunterstützungssysteme News-Letter Warehouse -E-MailAnwendungen - Systematische int. Kommunikation Human-RessourcenMaßnahmen -Pen;onalauswahl -Gezlelte Elnfjjhrung neuer Mttglleder

-<1"? \.1

• Personalentwlcklungs-

maßnahmen -Anreiz- und

~

Entlohnungssyslerne Formale Strukturen u. (~ührungB~ Prozesse -Ablellungsgnederung - Berelchsjjbergrelfende Gremien - Prozessmodifikalionen

-Einsatz Organisationshillsmijtel: - Prozessbeschreibung - Kommunikationsdiagramm -Code 01 Conducl

• Zuordnung von

Enlscheidungskompelenzen Führungsverhalten - Vortlildfunklion - ProjekIarbeit • Be- und Entlohnung -Inltilerung von Beziehungen • Kommunikation

Konlektfördernde Maßnahmen • Freizeitveranslaltungen -Workshops

o-

Ausgewählte Maßnahmen

Orientierungsgespräch durchführen

..-®.....

I Controller's

- BereiChSÜbergreif~ 1~ingespräche

Hausbesuc~

'--

- Pausengesprache gewünscht -Teambildung Geschältsleijung und erste FÜhrungsebene -+ Auszeij, Kaderwochenende

Auf gleiche Art und Weise wurden für alle anderen Schwächen potentielle Maßnahmen entwickelt. Aus diesen wählte man im Anschluss eine Reihe von Maßnahmen aus, die man prioritär umsetzen wollte. Dabei spielten sowohl Überlegungen zum Wirkungsgrad der Maßnahmen als auch zu dem damit verbundenen Zeit- und Ressourcenaufwand eine Rolle. U.a. beschloss man folgende Maßnahmen umzusetzen (vgl. Nr. in Tabelle 10): 1. Um allgemein die Kommunikation zwischen der Administration und den anderen Bereichen zu fördern, sollte eine Machbarkeitsstudie "Administration unter einem Dach" durchgeführt werden. In dieser war zu prüfen, inwieweit die Zusammenlegung der einzelnen, derzeit örtlich

187

12

Phase 5: Entwkklung von Maßnahmen

verteilten Administrationsabteilungen in den Hauptbüros realisierbar wäre. 2. Um das Verbesserungspotential für die Kommunikation der Unternehmensziele zu realisieren, sollte die Einführung der Balanced Scorecard geprüft werden. Diese systematisiert den Prozess der Zielformulierung und -kommunikation über die einzelnen Hierarchiestufen. Durch das Herunterbrechen von Zielen auf die nachgelagerten Hierarchieebenen erhoffte man sich eine verstärkte Diskussion derselbigen. 3. Zudem beschloss das Management, den Controllingprozess stärker zu implementieren. Dazu wurden u.a. Hausbesuche des Controllings bei anderen Bereichen angestrebt. Auf diese Weise sollte auch der Kommunikationsfluss "Unternehmensziele" zum Controlling verbessert werden. 4. Zur Verbesserung der Kommunikation zum Bereich Netze regte das Projektteam die Einführung bereichsübergreifender Kamingespräche an. Diese sollten als informelle Plattform fungieren, die eine Vernetzung der Mitarbeiter und Führungskräfte förderte.

188

Konkretisierung Maßnahmen

12.3

Checkliste zur Phase5: Entwicklung von Maßnahmen Meilenstein 1: Entwicklung potentieller Maßnahmen • Ist das Brainstonning zur Maßnahmenentwicklung durch die Steuerungsdimensionen aus Kapite16 strukturiert worden? Meilenstein 2: Auswahl Maßnahmen • Sind die zur Umsetzung vorgesehenen Maßnahmen ausgewählt worden? • Hat man die Anzahl zu entwickelnder Maßnahmen dabei auf ein realistisches Maß eingeschränkt? Meilenstein 3: Konkretisierung Maßnahmen • Sind die Maßnahmen in Aktivitäten heruntergebrochen worden? • Wurde für jede Aktivität ein Verantwortlicher bestimmt? • Hat man eine Person für die Umsetzungskontrolle definiert? • Sind Zeitlimiten definiert worden? • Wurde der erforderliche Zeitaufwand abgeschätzt? • Wurden die notwendigen Kosten abgeschätzt? • Hat man alle betroffenen Mitarbeiter in die Maßnahmenausarbeitung einbezogen?

189

Phase 6: Implementierung von Maßnahmen

-......cu

.Q-. ~

Ansätze zur Implementierung

13.1

13.1

Ansätze zur Implementierung

Nach der Verabschiedung von Maßnahmen für die identifizierten Schwächen (und ggf. Stärken) beginnt für das Unternehmen mit der Maßnahmenumsetzung der operationale Teil der Arbeit. Nur eine erfolgreiche Umsetzung führt letztlich zur Realisierung der identifizierten Verbesserungspotentiale. Dabei existieren zwei grundsätzliche Möglichkeiten zur Maßnahmenumsetzung: 203

Bombenwurtund Evolutionsstrategie als Möglichkeiten zur Maßnahmenumsetzung

• Revolutionärer Ansatz: Im Rahmen einer "Bombenwurfstrategie" werden die geplanten Maßnahmen"top-down" schlagartig in Kraft gesetzt. Diese "Revolution von oben" löst allerdings oft eine "Gegenrevolution von unten" aus. • Evolutionärer Ansatz: Die Evolutionsstrategie zielt darauf ab, Veränderungsmaßnahmen "bottom-up" unter Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter zu entwickeln. Die Mitarbeiter sollen sich mit den geplanten Veränderungen identifizieren können, so dass es geringe Widerstände in der Umsetzung und eine höhere Akzeptanz der erarbeiteten Maßnahmen gibt. Dieses Vorgehen ist allerdings sehr zeit- und ressourcenaufwendig. Die beiden Verfahren lassen sich auch kombinieren. Während die Identifikation von Stärken und Schwächen "top-down" durch das Projektteam vorgenommen wird, sind für die Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen die Mitarbeiter "bottom-up" zu gewinnen. 204 Dazu geht man wie folgt vor:

Kombination von Bombenwurf- und Evolutionsstrategie

• Das Projektteam definiert die Stärken und Schwächen und entwickelt die entsprechenden Maßnahmen. Die konkrete Ausarbeitung dieser Maßnahmen wird durch die betroffenen Mitarbeiter in Implementierungsgruppen vorgenommen. Die Mitglieder dieser Implementierungsgruppen setzen die entsprechenden Maßnahmen auch um. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind insbesondere eine funktionierende Projektorganisation sowie eine effektive Kommunikation entscheidend.

203 Vgl. im Folgenden Osterloh / Frost (1998: 232 ff.) 204 Vgl. Osterloh / Frost (1998: 240

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

193

13

Phase 6: Implementierung von Maßnahmen

13.2 Drei Ebenen der

Projektorganisation

Projektorganisation

Je nach Umfang der zu implementierenden Maßnahmen benötigt deren Umsetzung eine eigene Organisation, die über die bisherige Projektorganisation hinausgeht (vgl. Abschnitt 8.2.2).205 Dabei sind drei Ebenen zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 51): • Die Projektleitung motiviert zur Maßnahmenausarbeitung und umsetzung, koordiniert diese, fungiert als Kommunikationsdrehscheibe, stellt die erforderliche Infrastruktur bereit und überwacht die Einhaltung der im Workshop definierten Fristen. Die hierfür erforderliche Zeit und die benötigten Ressourcen sollten vorab, beispielsweise auf der Basis vergangener Projekte, abgeschätzt werden. Falls möglich sollte die Projektleitung durch einen internen Organisationsexperten mit Implementierungserfahrung übernommen werden. Fungiert ein Linienmanager als Projektleiter, dann besteht das Risiko, dass das Projekt"versandet", da der Linienmanager zu stark vom Tagesgeschäft absorbiert wird. Der Projektleiter sollte über die volle Unterstützung der Führungskräfte verfügen. Diese Unterstützung ist klar an alle Mitarbeiter zu kommunizieren. • Verschiedene Implementierungsgruppen sind mit der Ausarbeitung und Umsetzung der einzelnen Maßnahmenpakete beauftragt. Bei der Besetzung der Gruppen ist zum einen auf eine Komplementrarität der Fach- und Sozialkompetenzen der Projektmitarbeiter zu achten. Zum anderen sollten die von den Maßnahmen betroffenen Mitarbeiter in die Arbeitsgruppe involviert werden, um die Akzeptanz der Maßnahmen zu erhöhen. Den Mitarbeitern der Projektgruppen sind für ihre Arbeit ausreichend Zeit und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. • Das Steuerungskomitee fungiert als kritischer Sparringspartner für die Projektleitung und die Implementierungsgruppen. Es sollte aus einflussreichen Führungskräften bestehen, die als Machtpromotoren die Umsetzung von Maßnahmen anschieben können. Ebenso sollten sie in der Lage sein, bei Bedarf zusätzliche Ressourcen zur Maßnahmenumsetzung zu aktivieren.

194

205 VgL zur Projektorganisation ausführlich Kuster et al. (2008: 96)

Kommunikation

13.3

Gleichzeitig stellen sie die Abstimmung der Maßnahmen mit den ursprünglichen Zielen des Projektes sicher.

Abbildung 51

Organisation der Maßnahmenimplementierung Kritischer Sparlngspartner und Ergebniskonlrolle

Koordination, Motivalion. Umselzungskontrolle

ImplementIerungsgruppe 2

13.3

Ausarbeitung und operative Umsetzung der Massnahmen

Kommunikation

Im Rahmen der Kommunikation sind alle Mitarbeiter über die Befragungsergebnisse, die identifizierten Stärken und Schwächen sowie die geplanten Maßnahmen zu informieren. Ähnlich wie bei der Projektinitialisierung (vgl. Abschnitt 8.2.4) können die folgenden WFragen als Leitlinien dienen: 206 • Wer soll kommunizieren? Die Kommunikation der Projektergebnisse sollte durch die Leitung des untersuchten Bereiches vorgenommen werden. • An wen soll kommuniziert werden? Informiert werden sollten alle Organisationsmitglieder der untersuchten Bereiche.

W-Fragen als Orientierung für Kommunikation

• Was ist der Gegenstand der Kommunikation? Die Mitarbeiter der untersuchten Bereiche sollten über die Befragungsergebnisse, die identifizierten Stärken und Schwächen sowie die beschlossenen Maßnahmen informiert werden.

206 Kuster et al (2008: 175); vgl. Brehm (2009: 291).

195

13

Phase 6: Implementierung von Maßnahmen

• Mit welchen Medien soll kommuniziert werden? Im günstigsten Fall besteht für das Projektteam die Möglichkeit, die Ergebnisse im Rahmen eines direkten Meetings zu präsentieren und im Anschluss auf Fragen und Anregungen der Mitarbeiter einzugehen. Ist dies nicht möglich, so kann die Kommunikation auch über E-Mail oder Intranet erfolgen. In diesem Fall ist aber darauf zu achten, dass die Ergebnisse ausreichend dokumentiert und verständlich sind. Beide Kommunikationskanäle sollten durch die bilaterale Kommunikation zwischen Projektteam und Mitarbeitern unterstützt werden. • Wann soll kommuniziert werden? Wie schon bei der Projektinitialisierung ist auch hier wieder der Entstehung von Gerüchten vorzubeugen. Daher sollte möglichst zeitnah zur Maßnahmenentwicklung kommuniziert werden.

196

Kommunikation

13.3

Checkliste zur Phase 6: Implementierung von Maßnahmen Meilenstein 1: Projektorganisation • Ist ein geeigneter Projektleiter eingesetzt worden und wurden diesem ausreichend Zeit und Ressourcen eingeräumt? • Haben die Führungskräfte signalisiert, dass der Projektleiter über die volle Unterstützung von Seiten des Top-Managements verfügt? • Sind verschiedene Implementierungsgruppen zur Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen eingerichtet worden? • Sind die betroffenen Mitarbeiter in diese Implementierungsgruppen eingebunden? • Wurden den Mitgliedern der Implementierungsgruppen die erforderliche Zeit und Ressourcen zur Verfügung gestellt? • Wurde ein Steuerungskomitee definiert und tagt dieses regelmäßig?

Meilenstein 2: Kommunikation • Sind die Befragungsergebnisse, Stärken und Schwächen sowie die beschlossenen Maßnahmen an alle betroffenen Mitarbeiter durch die Bereichsleitung kommuniziert worden? • Ist die Kommunikation der Ergebnisse zeitnah zur Umfrage und Maßnahmenentwicklung erfolgt? • Wurden alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt, um die Ergebnisse den Mitarbeitern direkt (beispielsweise in Abeilungsmeetings, Mitarbeitergesprächen etc.) zu kommunizieren?

197

Phase 7: Kontrolle

-cu

-~

Co

~

Maßnahmenkontrolle

14.1

In der letzten Projektphase ist eine Kontrolle durchzuführen. Diese

erfüllt einen doppelten Zweck: Zum einen soll sichergestellt werden, dass die beschlossenen Maßnahmen auch tatsächlich umgesetzt werden (Maßnahmenkontrolle). Zum anderen ist zu evaluieren, ob die Maßnahmen die gewünschten Veränderungen bewirkt haben (Erfolgskontrolle).207

14.1

Maßnahmenkontrolle

Durch die Maßnahmenkontrolle wird überwacht, ob die Maßnahmen inhaltlich richtig, zeitgerecht und unter Einhaltung der beschlossenen Budgetrestriktionen implementiert wurden. Streng genommen verläuft diese Form der Kontrolle bereits parallel zur Maßnahmenimplementierung: • Im Rahmen der Inhaltskontrolle ist sicherzustellen, dass die Maßnahmen gemäß ihrem beschlossenen Inhalt korrekt implementiert wurden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass die Ausarbeitung der Maßnahmen durch die Implementierungsgruppen dem ursprünglichen Sinn und Zweck der Maßnahmen widerspricht. In diesem Fall hat der Projektleiter einzugreifen und zwischen den verschiedenen Gruppen eine Diskussion über das weitere Vorgehen zu initiieren.

Inhalts-, Te,... minundKostenkontrolle als Bestandteile derMaßnahmenkontrolle

Im Zuge der Terminkontrolle wird der tatsächliche Implementierungsfortschritt fortlaufend mit den Planvorgaben verglichen. Dazu sollten die mit der Implementierung von Maßnahmen betrauten Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen an die Projektleitung berichten, zu wie viel Prozent ein Vorgang bereits abgeschlossen wurde. Kommt es zu Abweichungen von den im Workshop festgelegten Fristen (vgl. Tabelle 9 in Abschnitt 12.3), so sollte der Projektleiter, ggf. mit Hilfe des Steuerungskomitees, intervenieren. • Schließlich sollte die Projektleitung eine Kosten- und Ressourcenkontrolle vornehmen. Ziel ist es sicherzustellen, dass sich die

207

Vgl. Müller-Stewens / Lechner (2003: 694-697)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

201

14

Phase 7: Kontrolle

durch die Maßnahmenimplementierung verursachten Kosten im Rahmen der beschlossenen Vorgaben bewegen (vgl. Tabelle 9 in Abschnitt 12.3).

14.2 Follow-up-

Befragung als Ergebniskontrolle

Ergebniskontrolle

Die Ergebniskontrolle beschäftigt sich mit der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob das Unternehmen Fortschritte im Hinblick auf die untersuchten sozialen Netzwerke verzeichnen kann. Für eine solche Diagnose empfiehlt es sich, nach einem bestimmten Zeitraum (beispielsweise 12 Monaten) eine Follow-up-Befragung durchzuführen. In dieser können verschiedene Arten von Fragen gestellt werden: • Zunächst kann eine Auswahl der in der ersten Befragung eingesetzten Netzwerkfragen erneut gestellt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass deren Formulierung exakt beibehalten wird, denn nur dann können die Ergebnisse der ersten Befragung als Benchmark für die Ergebnisse der zweiten Befragung dienen. • Weiterhin können die Mitarbeiter mit spezifischen Fragen konfrontiert werden, welche ihre Wahrnehmung zu Veränderungen in den letzten 12 Monaten abfragen. So können die Mitarbeiter beispielsweise gefragt werden, ob sich die Kommunikation hinsichtlich eines bestimmten Themas verbessert oder verschlechtert hat. • Schließlich kann evaluiert werden, inwieweit die Mitarbeiter bestimmte Maßnahmen als wirksam oder unwirksam betrachten. Die so gewonnenen Daten lassen sich erneut im Rahmen eines Workshops evaluieren. Sollte hinsichtlich bestimmter Schwächen weiterhin Handlungsbedarf bestehen, kann eine zweite Welle an Maßnahmen lanciert werden. Wir werden in Kapitel 15 an einem praktischen Fall zeigen, wie eine solche Ergebniskontrolle durchgeführt werden kann.

202

Ergebn;skontrolle

14.2

Checkliste zur Phase7: Kontrolle Meilenstein 1: Maßnahmenkontrolle • Sind die beschlossenen Maßnahmen inhaltlich ihrem ursprünglichen Zweck entsprechend implementiert worden? • Sind die beschlossenen Maßnahmen zeitgerecht implementiert worden? • Sind die beschlossenen Maßnahmen unter Einhaltung der Budgetrestriktionen implementiert worden? Meilenstein 2: Ergebniskontrolle • Wurde nach einem bestimmten Zeitraum (beispielsweise nach 12 Monaten) eine Follow-up-Befragung durchgeführt? • Wo wurde Verbesserungspotential realisiert? Besteht weiterer Handlungsbedarf? • Hat man eine zweite Welle an Maßnahmen definiert und lanciert? Wurden diese erneut an die Mitarbeiter kommuniziert?

203

Verfahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

-......cu

.Q-. ~

Einleitung

15.1

15.1

Einleitung

Um das Verständnis für das dargestellte Verfahren zu vertiefen, sollen nun alle sieben Projektphasen durchgehend an einem Fall illustriert werden. Dazu dient uns ein Projekt, das wir in Zusammenarbeit mit dem Bereich "Marketing & Innovation" von Hokim Indonesien durchgeführt haben. Hokim Indonesien ist Bestandteil der Hokim Gruppe. Hokim ist ein global tätiger Hersteller von Zement, Zuschlagstoffen und Transportbeton mit etwa 80'000 Mitarbeitern, einer Produktionsanlage in über 70 Ländern und einem Umsatz von CHF 25 Milliarden sowie einem EBITDA von mehr als CHF 5 Milliarden (2008). Über verschiedene Beteiligungen hält die Hokim Gruppe 77.33% an Hokim Indonesien.

Illustrierung aller Projektphasen anhand eines Projektes bei Holcim Indonesien

Hokim Indonesien wurde in Jahr 1971 als PT Semen Cibinong gegründet und im Jahr 2001 durch die Hokim Gruppe akquiriert. Das Unternehmen hat derzeit etwa 2'300 Mitarbeiter und betreibt zwei große Zementwerke und eine Zementmühle auf der Indonesischen Hauptinsel Java. Die Insel Java allein ist bereits ein Markt mit über 160 Millionen Konsumenten. In den letzten Jahren konnte Hokim Indonesien eine überaus erfolgreiche Geschäftsentwicklung verzeichnen: Der Umsatz wuchs in lokaler Währung um durchschnittlich 19.3% pro Jahr (2004-2008). Im gleichen Zeitraum legte der EBITDA im Jahresdurchschnitt um 41.4% zu (vgl. Abbildung 52). In Euro umgerechnet erwirtschaftete das Unternehmen im Jahr 2008 einen Umsatz von ca EUR 300 Millionen und einen EBITDA von ca. EUR 90 Millionen.

Holcim Indonesien mit erfolgreicher Geschäftsentwicklung

207 B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

15 Abbildung 52

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

Entwicklung von Umsatz und EBITDA bei Halcim Indanesien

..

Umsatz M IDR

6'000'000 4'000'000

~

-

19.3% p.a.

r

4'803'377

2'000'000 0 2004

2005

2006

EBITDA M IDR

1'500'000 1'000'000

~

-

41.4%p.a.

2007

2008

....

r-

1'382'564

500'000 0 2004

2005

2006

2007

2008

,,50lusi Rumah" als neuer Vertriebskanal

Ein wesentlicher Bestandteil der Marktstrategie von Hokim Indonesien ist die Einführung und Etablierung eines innovativen Franchisesystems mit der Bezeichnung "Solusi Rumah" (Indonesisch für "Lösungen für den Häuserbau"). Im Rahmen dieses Konzeptes werden Betonfertigprodukte über lizenzierte Einzelhändler direkt an den Konsumenten verkauft. Das Franchisesystem zielt darauf ab, breiten Einkommensschichten ein nachhaltiges, sicheres, zügiges und bezahlbares Häuserbauen zu ermöglichen.

Organisatorische Herausfordemngen durch ,,50lusi Rumah"

Mit der Einführung dieses neuen Vertriebskanals sah sich der "Marketing & Innovation"-Bereich von Holcim Indonesien vor großen organisatorischen Herausforderungen: Neue Aufgabenfelder und Prozesse mussten definiert und die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den einzelnen Abteilungen im Hinblick auf "Solusi Rumah" sichergestellt werden. 208 Zwar verfügte die Abteilung "Marketing & Innovation" über ein umfangreiches System zur Abbildung und Steuerung der damit verbundenen formalen Struk-

208

208

Es handelt sich somit um Herausforderungen hinsichtlich der Koordinationsfunktion des Unternehmens (KapitelS).

Phase 1: Projektplanung

15.2

turen und Prozesse. Im Hinblick auf eine erfolgreiche Implementierung von "Solusi Rumah" sah man jedoch insbesondere die Interaktion zwischen allen Beteiligten als kritisch an. Um daher ein vollständiges Bild der "weichen Seite" der entsprechenden Geschäftsprozesse zu erhalten, initiierte der zuständige Direktor Patrick Walser ein Projekt zur Analyse der entsprechenden sozialen Netzwerke. Da der Bereich in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen war und über ein neues Managementteam verfügte, sah man zugleich auch in anderen Geschäftsprozessen Verbesserungspotential und schloss diese in die Analyse mit ein (vgl. dazu allgemein die in Abschnitt 5.2 beschriebene Problematik der horizontalen Koordination).

15.2

Phase 1: Projektplanung

Im Rahmen der Projektplanung wurde in einem ersten Schritt eine Projektorganisation erstellt: • Als Projektsponsor und Steuerungskomitee fungierte Patrick Walser, der zuständige Direktor des Bereiches "Marketing & Innovation". Dieser war zugleich Mitglied der Geschäftsleitung von Hokim Indonesien.

Entwicklung einer Projektorganisation

• Die Projektleitung wurde von uns sowie einer internen Projektmanagerin von Hokim Indonesien wahrgenommen. Bei dieser handelte es sich um Johanna Daunen, die gleichzeitig die Abteilung "Systems & Processes" führte. Als Organisationsexpertin war sie mit den internen Strukturen und Prozessen sowie der Unternehmens- und Landeskultur bestens vertraut. • Das Projektteam setzte sich aus den sechs Abteilungsleitern des Bereiches "Marketing & Innovation" zusammen. Zugleich einigte man sich auf einen Projektnamen ("ComNet"), einen Aktivitätenplan sowie eine Projektvision. Letztere bestand darin, die "soft-side" der Geschäftsprozesse zu verstärken und die Zusammenarbeit und Kommunikation zu verbessern, um dem Bereich ein weiteres Wachstum zu ermöglichen. Der Aktivitätenplan wiederum sah zur Realisierung von Phase 1 bis 5 einen Zeitraum von 12 Wochen vor (siehe Abbildung 53).

Fonnulierung von Projektname, Aktivitätenplan und Projektvision

209

15 Abbildung 53

Verfahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

Aktivitätenplan des Projektes "ComNet"

Woch.n

•

AktlvllMln Ph. . 1 Ph. . 2

ProIlIemV8llltAndnis Projek1planung

..

2

-==-=

Dokumentenanalyae Intervtew& Pro)ektleam Wo~oplmUPro~Nm

Ph. . 3

Juni

1

PI'&-Test BetrBcJlng Durchfiihrung MA' Interviews

3

JuU 4

5

8

718

Workshop 1

~I I. 1/

I1_I

DatenanaJyw mU Projeklleam

Wo~op 2

Ph. . 61<7

I~lementierung

I< Kontrolle

'MA=MUarbeiler

15.3

Workshop 2

_t/

Onlin&-Belragung Ph. . 41<5

Augu.l

8 10 11 12 13

I

..

...

Phase 2: Fragendefinition

Durchführung von Dokumentenanalyse und Einzelinterviews

Nach der Projektplanung galt es, aus den Geschäftsprozessen die entsprechenden Netzwerkfragen abzuleiten. Dazu wurden zunächst die relevanten Dokumente, wie Prozessbeschreibungen und Organigramme, analysiert. Im Anschluss führten wir über 20 Einzelinterviews mit den Managern des Projektteams und weiteren Mitarbeitern des Bereiches "Marketing & Innovation" durch. In den Interviews konnten aus den Prozessaktivitäten und -schnittstellen 45 verschiedene Beziehungstypen abgeleitet werden.

Auswahl von BeziehungstypenundFragenformulierung im Workshop

Um aus dieser Fülle die relevanten Beziehungstypen für die Befragung auszuwählen, führten wir einen halbtägigen Workshop mit dem Projektteam durch. Zur Vorbereitung druckten wir die 45 Beziehungstypen jeweils auf farbige Karteikarten. Diese priorisierte die Workshopgruppe anschließend mittels der Kriterien "Relevanz" und "Verbesserungspotential" in einer 2x2 Matrix (siehe Abbildung 54). Dadurch konnten für die 45 Beziehungstypen die sechs Informationstypen "Business Processes", "Solusi Rumah", "Market or Competitors", "Produkt Characteristics", "Customer Complaints" und "Overall work-related communication" für die Befragung aus-

210

Phase 2: Fragendeffnftfon

15.3

gewählt werden. So einigte man sich beispielsweise auf den Informationstyp IlSolusi Rumah", da dieses Franchisesystem rasch als zentraler Vertriebskanal für die Produkte von Holcim Indonesien ausgebaut werden sollte (Relevanz). Gleichzeitig war man der Auffassung, dass eben dieser Informationsaustausch aufgrund seiner Neuartigkeit noch einiges an Verbesserungspotential besaß.

Die Auswahl von Netzwerkjragen bei Holcim Indonesien

•

• _ . •• • •

Abbildlmg54

•

-

• I

Im Anschluss definierte das Projektleam die Fragen für die Online-

Befragung. Um das Netzwerk "Solusi Rumah" zu erfassen, formulierte man beispielsweise die Frage: "With which persons do you communicate on average at least once a month about topics related to the "Solusi Rumah" d.evelopment plan (e.g. targeted number of fTanchises, timing, growth plan etc.)?"

211

15

Verfahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

15.4 Pretestund Versand des

Fragebogens

Phase 3: Datenerfassung

Die in Phase 2 definierten Fragen evaluierten wir mit verschiedenen Mitarbeitern in einem Pretest hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und Interpretation. Daraus resultierten noch einige Modifikationen an den Fragen. Im Anschluss versandten wir den Online-Fragebogen an alle 180 Mitarbeiter des Bereiches "Marketing & Innovation". Abbildung 55 zeigt beispielhaft einen Auszug dieses Fragebogens für die Frage 1 "Market or Competitors ll

•

Abbildung 55

Fragebogen mit Frage zu "Market or Competitors

ll

Comnet Survey: Question 1 Wrth which persons do you communicate on average olleost once 0 monlh obout infonnotion reIoted 10 lhe markel or the compelitors (e.g. dem.nd, market shares, regional details, competilor promotions & pricing, competilor moves, etc.)? Thls question addlesses your aetljal, current commUnicatlon CommUnicatlon can be formal Oflflrormat. face-lo-face, by E-maIl cr by phone. CommlJnlcatlon ean mean receMoQ. glVlng or exchanglng lnfonnallon. Val) ean chose more lhan one departmenl and as many persons as requlted_ No ßame5 will be grven out to anybody, nelther wlthin HGRS nor withi1l Holclm ln.donesl3

Cuslomer Care Depl

r r r r r r r r r r

r r r

Abdul Bast! Agus Budlarto Ani A1nanl Ari Wimbardi Wirawan Hendro Pramono Himawan Suhendra Lenny Suyanli Qudsyah Shinta Dewi Yuliarti Suradji

r r r r r r r

Actp Lesmana Amran Sa'yan Apal Achmad Danang KWJ Hernasari Julla BudiharJani Muhammad Taufik Relno Isrniyati Suglman Yenny Se\yowardani

Franchise Depl GrOUfl t-1arkelmg &. Branding Dept. M&S System &. Prccesses Dept. Markel lnlelllQence Deot

Die Mitarbeiter waren bereits zwei Wochen vorab durch den Direktor "Marketing & Innovation" mit einem Rundschreiben über die Befragung und deren Zweck informiert worden. Während der Befragung wurden regelmäßig E-Mails und SMS zur Teilnahmeerinnerung versandt. Zudem erhielt jeder Mitarbeiter der den Fragebogen ausfüllte, eine kleine Süßigkeit als symbolisches Dankeschön für seine Unterstützung. Gleichzeitig wurde den Befragten die Anonyl

212

Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen

15.5

misierung der Daten zugesichert. Auf diese Weise konnte eine Rücklaufquote von 95% erzielt werden. Im Zuge der Datenanalyse wandten wir für die sozialen Netzwerke zunächst die Cross-Validierungs-Methode an (siehe Kapitel 10). Eine Beziehung wurde somit nur berücksichtigt, wenn sowohl A als auch B angaben, miteinander zu kommunizieren. Dadurch wurde ausgeschlossen, dass einzelne Mitarbeiter die Befragungsergebnisse verzerrten, indem sie für sich oder ihre Abteilung eine überhöhte Anzahl an Beziehungen angaben. Gleichzeitig berechneten wir verschiedene Netzwerkmaße (Gradzentralität, Dichte etc.) mit UONET und visualisierten die Netzwerke mit VISONE (siehe Abbildung 56, Abbildung 57, Abbildung 58). Sämtliche Daten wurden anonymisiert, so dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich waren.

15.5

Datenanalyse: CrossValidierung und Berechnung von Netzwerkmaßen

Phase 4: Identifikation von Stärken und Schwächen

Zur Vorbereitung des zweiten Diskussionsworkshops versandten wir eine umfangreiche Präsentation mit den Befragungsergebnissen an das Projektteam. Im ersten Teil des Workshops befassten sich die Manager mit der Identifikation von Stärken und Schwächen. Die dabei durchgeführte Analyse lässt sich am Beispiel des Netzwerkes "Solusi Rumah" veranschaulichen. Als Grundlage für die Analyse dienten den Managern im Wesentlichen zwei Formen der Visualisierung:

Identifikation von Stärken und Schwächen am Beispiel des Netzwerkes "Solusi Rumah"

Das Balkendiagramm aus Abbildung 56 zeigt die Gradzentralität der einzelnen Mitarbeiter. Zusätzlich zeigt das Diagramm in Abbildung 57 die durchschnittliche Gradzentralität jeder Abteilung.

213

15 Abbildung 56

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

Gradzentralität im Netzwerk "Solusi Rumah development plan" je Akteur 25 20 15 10 5

Durchschnitt =

Mar.

Tee

Cus\. Gare Franchise & Br. M&S M&I MI

Abbildung 57

1.1

Sus\. Cons\. .S.

Region I

Region 11

Region 111

TransI.

Durchschnittliche Gradzentralität je Abteilung 5

4.3

4 3

2

Durchschnitt =

0.1

0

0Cust. Care

Franehl Mark.& M& M se Br. S &1

0.2

0.2

0.4

1.1 0.3

Sus\. MI

Consl

Tee.S. Region I

Region 11

Region 111

Trans!.

Das Netzwerk aus Abbildung 58 wiederum zeigt die Kommunikationsbeziehungen auf Akteursebene, gruppiert nach Abteilungen. Jede Linie entspricht dabei einem Konununikationskontakt zwischen zwei Akteuren über das Thema "Solusi Rumah development plan". Die Größe der Punkte wiederum symbolisiert die Gradzentralität jedes einzelnen Organisationsmitgliedes: Je dicker ein Punkt, desto mehr direkte Beziehungen unterhält der entsprechende Akteur.

214

Phase 4: IdentifikatIon von Stärken und Schwächen

Kommunikationsbeziehungen im Netzwerk "50lusi Rumah" bei Holcim Indonesien

15.5 Abbildung58

....

TranafannBlialll!l1

T.c. S8rvicH

M8FbIli"ll " BlWldlng

~-::". R8gkln 11

y-

Regkln 111

Region 1

JiI cIc:kfIr IIIn Pur*!, deIlI;I h6herdle GlWIzanlnllilal

.... -.

Die Workshopgruppe sah es nun zunächst als Stärke an. dass die heiden Abteilungen "Sustainab1e Constroction" und "Franchise" eine zentrale Funktion im Netzwerk übernahmen. Wie Abbildung 57 zeigt, verfügten beide über eine durchschnittliche Gradzentralität von 3 (Franchise) bzw. 4.3 (Sustainable Construction). Zugleich zeigen die lJnien in Abbildung 58, dass sowohl "Franchise" als auch "Sustainable Construction" über die meisten Beziehungen zu anderen Abteilungen verfügten. Insgesamt nahmen die heiden Abteilungen somit die ihnen zugedachte Rolle als Infonnationsdrehschreihe für "Solusi Rwnah" wahr. Darüber hinaus machte das Projektteam allerdings diverse Schwächen aus: • Zunächst wurde die gesamte Kommunikationsaktivität hinsichtlich "Solusi Rumah" als zu niedrig betrachtet. So verfügte jeder Mitarbeiter im Netzwerk nur über eine durchschnittliche Gradzentralität von 1.1. Dieser Wert lag deutlich unter dem Wert der anderen Netzwerke, wie z.B. "Market & Competitors" mit 6.7.

215

15

Verfahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

• Zugleich zeigte sich, dass zahlreiche Abteilungen noch nicht in die Kommunikation über "Solusi Rumah" involviert waren. Beispielsweise wiesen sämtliche Vertriebsabteilungen ("Region I". "Region 11" und "Region III") nur eine sehr geringe Gradzentralität von 0.2 bzw. 004 auf. Eine Gradzentralität von 0.2 bedeutete aber, dass lediglich jeder fünfte Mitarbeiter überhaupt einen Kommunikationskontakt zum Thema "Solusi Rumah" unterhielt. Ersichtlich ist dies auch in Abbildung 58: Sie zeigt, dass nur wenige Mitglieder der drei Vertriebsorganisationen überhaupt Beziehungen zum Thema "Solusi Rumah" aufwiesen. Dies war insofern problematisch, als diesen Abteilungen in Zukunft eine zentrale Rolle beim Vertrieb der neuen Produkte zukommen sollte. • Schließlich wurde die gesamte Kommunikation im Netzwerk von wenigen Einzelpersonen vorangetrieben. So verfügte beispielsweise der Leiter der Abteilung "Franchise" über eine Gradzentralität von 24 (siehe Abbildung 56), wohingegen die Mehrzahl seiner Mitarbeiter nur relativ wenig Kontakte hatte. Dies wird auch deutlich, wenn man die Dicke der Knoten in Abbildung 58 betrachtet. Die Kommunikation zu "Solusi Rumah" war somit noch sehr stark von den Abteilungsleitern und noch nicht genug von den Mitarbeitern geprägt.

Priorisierung und Auswahl von Schwächen zur gezielten Bearbeitung

Auf diese Art und Weise wurden die gesamten Befragungsergebnisse diskutiert. Im Rahmen einer ersten Analyse gelangte man so zu 60 verschiedenen Stärken und Schwächen. Diese wurden in einem zweiten Schritt mittels der Kriterien "Relevanz" und "Beeinflussbarkeit" in einer 2x2 Matrix priorisiert. Am Ende dieser Priorisierung entschied die Workshopgruppe, acht verschiedene Schwächen gezielt zu bearbeiten. Beispielhaft seien vier davon genannt: • Eine noch unzureichende Kommunikation über das neue Franchisesystem "Solusi Rumah". • Eine noch unzureichende Abstimmung der Aktivitäten für "Solusi Rumah". • Sich herausbildende Subkulturen in einigen Abteilungen, insbesondere in den Vertriebsabteilungen außerhalb des Hauptbüros, die zudem deutlich weniger Kommunikationskontakte zur Zentrale aufwiesen.

216

Phase 5: Maßnahmenentwicklung

15.6

• Verbesserungspotential im Kommunikationsnetz zu "Customer Complaints" Um diese Verbesserungspotentiale zu realisieren, machte man sich an die Entwicklung von Maßnahmen.

15.6

Phase 5: Maßnahmenentwicklung

Die Entwicklung der Maßnahmen nahmen wir im zweiten Teil des Diskussionsworkshops vor. Das Projektteam führte zunächst für jede Schwäche ein Brainstorming durch und entwickelte eine Vielzahl potentieller Maßnahmen. Zur Orientierung dienten die in Kapitel 6 dargestellten Steuerungsdimensionen. Beispielsweise entwarfen die Manager für die Schwäche "Niedrige Kommunikation bezüglich Solusi Rumah" u.a folgende potentielle Maßnahmen (vgl. den Auszug in Tabelle 11): •

Räumliche Anordnung der Arbeitsplätze: "Gemeinsame Büronutzung zwischen Solusi-Rumah-Mitarbeitern und Verkaufspersonal"

•

Human-Ressourcen-Maßnahmen: "Einführungsprogramm für neue und alte Mitarbeiter für Solusi Rumah"i "Job rotation zwischen Verkaufspersonal und Solusi Rumah Mitarbeitern", etc.

•

Formale Strukturen und Prozesse: "Verpflichtung aller Abteilungen, am Solusi-Rumah-Koordinationsmeeting teilzunehmen", "Definition standardisierter Prozesse für Solusi Rumah" etc.

•

Kommunikationstechnologien: "Marketing & Innovation Abteilung Online-Gruppe", "Solusi Rumah Blog", "E-Mail- / SM5Newsletter über neue Services für Solusi Rumah"

•

Führungsverhalten: "Die Manager sollten in der Lage sein, das Gesamte Solusi-Rumah-Konzept in Indonesisch zu erläutern (und nicht nur auf Englisch)"

Entwicklung potentieller Maßnahmen im zweiten Teil des Workshops

15 Tabelle 11

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

Potentielle Maßnahmen für Schwäche "Niedrige Kommunikation bezüglich Solusi Rumah" (Auszug) Stilrken und SChwächen. Steuerungsdimensionen • RlIumllche Anordnung der Arbeitsplätze

SChwllche: Niedrige Kommunikation bezüglich Solusl Rumah Gemeinsame Bürobenutzung zwischen Solusi Rumah Mitarbeijern und Verkaufspersonal

Human-Ressourcen-MaBnahmen

• Einführungsprogramm "Solusi Rumah" für alte und neue Mitarbeiter • "Job rotalion" zwischen Verkaufspersonal und Solusi Rumah • Personalauswahl Mijarbeijer • Gezielte Einführung neuer Mitglieder • Das gesamte Verkaulspersonal muss am Solusl Rumah Training • Personalentwicklungsmaßnahmen (Schulungen. Training) teilnehmen • Maßnahme zur Teamentwicklung ... • Anreiz- und Enllohnungssysteme

·

Fonmale Strukturen u. Prozesse • AbteIlungsglIederung • Bereichsiibergreifende Gremien • Prozessmodnlkatlonen • Zuordnung von EntscheIdungskompetenzen • Fonmale Verhaltensregeln Kommunlkallonslechnologlen • Intranet • Expertendatenbanken • Softwaregestülzte Gruppenunterstjjlzungssysteme • E-Mall-Anwendungen FjjhrungsY8rhalten Kontaktlördarnde Maßnahmen

Auswahl und Konkretisierung von Maßnahmen

• Verpflichtung aller Abteilungen an Solusi Rumah Koordinationsmeeting teilzunehmen • DeIInijlon standardisierter Prozesse für Solusl Rumah

·

...

• "Marketing & Innovalion" Abteilung online Gruppe • Solusi Rumah blog • E-mail! SMS newsletler über neue Services für Solusl Rumah

· ...

Die Manager sollten In der Lage sein das gesamte Solusl Rumah Konzept in Indonesisch zu erläutem (und nicht nur auf Englisch)

· ...

In einem zweiten Schritt wurden aus der Fülle vorgeschlagener Maßnahmen diejenigen ausgewählt, von denen man sich das beste KostenlNutzen-Verhältnis erhoffte. Die so ausgewählten Maßnahmen wurden in Aktivitäten heruntergebrochen und mit Verantwortlichen, Fristen und Kontrollpersonen versehen. Auf diese Weise entschied man sich beispielsweise, für die Schwäche "Niedrige Kommunikation bezüglich Solusi Rumah" folgende Maßnahmen umzusetzen (vgl. den Auszug in Tabelle 12): 1. Aufbau eines "Ownerships" der Vertriebsmitarbeiter für "Solusi Rumah" mithilfe regelmäßiger Schulung und Durchführung von Vertriebsaktivitäten. 2. Weiterentwicklung des Management Systems für "Solusi Rumah". Darunter fielen die formale Planung, die Durchführung von Koordinationssitzungen, der Aufbau eines Informationsverteilungssystems sowie die Nutzung der bestehenden IT-Systeme, um die Mitarbeiter über "Solusi Rumah" zu informieren.

218

Phase 5: Maßnahmenentwicklung

15.6

3. Integration von Key Performance Indicators (KPIs) für "Solusi Rumah" in das bestehende Anreizsystem. 4. Einführung eines "Buddy"-Systems. Um auch die allgemeine Kommunikation zu den Außendienstmitarbeitern voranzutreiben, wurde zusätzlich ein "Buddy"-System eingeführt. Jeder Mitarbeiter in der Zentrale erhielt dabei einen "Buddy" im Außendienst, mit dem er sich regelmäßig treffen und Informationen austauschen konnte. Um die Etablierung von "Buddy"-Beziehungen zu unterstützen, wurden verschiedene informelle Veranstaltungen durchgeführt. Bei jeder dieser Maßnahmen wurden die Verantwortlichen für die Umsetzung (Wer?), eine Frist (Bis wann?), eine Person für die Umsetzungskontrolle (Wer kontrolliert den Fortschritt?) sowie der geschätzte Zeitaufwand und die Kosten festgelegt (vgl. auszugsweise Tabelle 12).

Konkretisierung der Maßnahmen (Auszug) Nr.

1 2

Was?

Wer?

Bis wann?

Wer kontrolliert den Fortschritt?

Geschätzter Zeltaufwand

Geschätzte Kosten

...

... ...

... ...

... ...

... ...

... ...

· · · · ... · ...

· · · ·... ·...

· · · ·... ·...

· · · ·... ·...

· · · ·... ·...

... ...

... ...

... ...

...

... ...

Management System für Solusl Rumah

· · ·

Formale Planung & Review Koordinationsmeeting tOr alle Abteilungen Inlormationsverteilungssystem

• Aktivierung des monatlichen AbteIlungsmeetings

· 3 4

Tabelle 12

... ...

Einsatz Kommunikationsmedien für Solusl Rumah: Blogs, SMS, E-Malls, Onllne-Gruppe

... ... ...

... ... ...

... ... ...

... ... ...

...

... ... ...

219

15

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

15.7 Kombination aus"topdown" und "bottom-up" für die Implementierung

In den folgenden 12 Monaten befassten sich die Mitarbeiter und Führungskräfte des Bereiches "Marketing & Innovation" mit der Umsetzung der Maßnahmen. Dazu wählte man eine Kombination aus einem "top-down"- und einem "bottom up"-Vorgehen (vgl. Absatz 13.1): • Die im zweiten Workshop entwickelten allgemeinen Inhalte der Maßnahmen, deren Zeitlinien und die Verantwortlichen wurden den Implementierungsgruppen "top-down" vorgegeben. •

Projektorganisation zur Implementierung derMaßnahmen

Phase 6: Implementierung

Innerhalb dieser Vorgaben verfügten die Implementierungsverantwortlichen über große Freiräume, die Maßnahmen zusammen mit ihren Mitarbeitern "bottom-up" inhaltlich auszuarbeiten und umzusetzen.

Zur Implementierung wurde gleichzeitig eine Projektorganisation aufgestellt (siehe Abbildung 59): • Das Steuerungskomitee setzte sich aus allen Abteilungsleitern des Bereiches "Marketing & Innovation" sowie dem Direktor des Bereiches zusammen. Dieses kontrollierte im Rahmen der regelmäßigen Abteilungsleitersitzungen den Projektforschritt. • Die Projektleitung wurde von Johanna Daunen, der Leiterin der Abteilung "Systems & Processes", übernommen. Sie kontrollierte die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen und erstattete in monatlichen Abständen dem Steuerungskomitee Bericht. • Mit der konkreten Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen waren die jeweiligen Maßnahmenverantwortlichen und ihre Gruppen betraut. Diese berichteten den unmittelbaren Fortschritt der Maßnahmen an die Projektleiterin.

220

Phase 6: Implementierung

Abbildung 59

Projektorganisation zur Maßnahmenimplementierung • Direktor "Marketing & Innovation· • AbteIlungsleiter .Marketlng & Innovation

15.7

Steuerungskomitee

ProjektleIterin

Implementlerungsverantwortliche

Implementlerungsgruppen

Für die Kommunikation der Maßnahmen an die Mitarbeiter wurden folgende Instrumente eingesetzt: • Zunächst schickte der zuständige Direktor Patrick Walser allen Mitarbeitern eine Präsentation mit den Befragungsergebnissen und den zu entwickelnden Maßnahmen. In diesem Rahmen legte man Wert darauf, nicht nur die Schwächen aufzuzeigen, sondern die Mitarbeiter insbesondere auch für die identifizierten Stärken zu loben. • Anschließend wurden die Befragungsergebnisse, die Stärken und Schwächen sowie die entwickelten Maßnahmen im Rahmen einer Abteilungsversammlung allen im Hauptbüro anwesenden Mitarbeitern vorgestellt. In diesem Zusammenhang ergab sich die Möglichkeit, Fragen zu stellen und einzelne Punkte mit den Mitarbeitern zu diskutieren. • Für die Mitarbeiter außerhalb des Hauptbüros führten der Direktor "Marketing & Innovation" sowie die Projektleiterin in Form einer "Roadshow" verschiedene Meetings in den Regionen durch, um die Ergebnisse zu diskutieren. Aufgrund der so definierten klaren Zuständigkeiten konnte die Mehrzahl der Maßnahmen entsprechend der definierten Fristen umgesetzt werden. Unterstützt wurde die Implementierung durch die Tatsache, dass sämtliche Führungskräfte selbst an der Analyse

KommunikationderMaßnahmen durch Präsentation, Abteilungsversammlung und "Roadshow"

15

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

des Verbesserungspotentials und der Entwicklung von Maßnahmen beteiligt gewesen waren. Für diejenigen Maßnahmen, deren Implementierung mehr Zeit in Anspruch nahm, wurde der Implementierungsplan revidiert und den neuen Gegebenheiten angepasst.

Regelmäßige Kontrolle des Implementierungsfortschrittes durch Projektleiterin

15.8

Phase 7: Kontrolle

15.8.1

Umsetzungskontrolle

Die Umsetzungskontrolle der Maßnahmen wurde parallel zur Implementierung durch die Abteilungsleiterin "Systems & Processes" vorgenommen. Diese versandte in regelmäßigen Abständen eine Präsentationsvorlage, in der die jeweiligen Maßnahmenverantwortlichen den Implementierungsfortschritt anzugeben hatten. Diese Informationen wurden von der Projektleiterin zusammengefasst und in konsolidierter Form dem Steuerungskomitee präsentiert.

15.8.2 Ergebniskontrolle durch "Follow-up" Befragungen

Ergebniskontrolle

Gleichzeitig wollte das Management aber auch wissen, inwieweit die umgesetzten Maßnahmen den erwünschten Wirkungsgrad erreicht hatten. Zwar verfügten die einzelnen Führungskräfte über ihre eigene Wahrnehmung, wie sich die Situation seit der Projektinitiierung verändert hatte. Gefragt war aber eine systematische Evaluierung im Sinne einer Ergebniskontrolle. Dazu führte das Management nach 12 Monaten eine erneute Befragung durch. In dieser wurden zwei verschiedene Fragentypen eingesetzt: • Zunächst wurden vier Netzwerke, für die das Projektteam Maßnahmen entwickelt hatte, erneut erhoben (siehe dazu Abschnitt 15.8.2.1). Bei diesen handelte es sich um die Netzwerke "Customer Complaints", "Solusi Rumah development plan", "Solusi Rumah benefits" und "Overall communication". Um die Ergebnisse mit der ersten Befragung vergleichbar zu machen, bedienten wir uns der exakt gleichen Fragen wie bei der ersten Befragung 12 Monate zuvor.

222

Phase 7: Kontrolle

15.8

• Des Weiteren wurde die subjektive Einschätzung der Mitarbeiter bezüglich der Kommunikation abgefragt (siehe dazu Abschnitt 15.8.2.2). Dazu fragten wir alle Mitglieder des Bereiches "Marketing & Innovation", ob sich die Kommunikation zwischen den Abteilungen ihres Erachtens in den letzten 12 Monaten verbessert hätte. 15.8.2.1

Erneute Erfassung sozialer Netzwerke

Ziel der entwickelten Maßnahmen war es gewesen, die Kommunikationsaktivität in den oberen vier Netzwerken zu steigern. Um die Zielereichung zu evaluieren, berechneten wir für alle vier Netzwerke die durchschnittliche Gradzentralität je Mitarbeiter. Diese gab an, wie viele Beziehungen jedes Mitglied des Bereiches "Marketing & Innovation" im Durchschnitt unterhielt (vgl. Abschnitt 4.4.1.1). Die Ergebnisse für alle vier Netzwerke wurden in Abbildung 60 mit den Ergebnissen der ersten Befragung verglichen.

Durchschnittliche Anzahl Beziehungen je Netzwerk

Veränderung der Gradzentralität für alle vier Netzwerke

Abbildung 60

~

12 10

8.8

7.5

8

6

4

1.2

2

1.7

0+-'--1. ClIltomer complalnts

•

Erste Erhebung

2. SR development plan

•

3. SR benefits

4. Overall commuricatlon

Zweite Erhebung (12 Monate später)

Dabei wird ersichtlich, dass für einige Netzwerke die Anzahl an Beziehungen pro Akteur signifikant gesteigert werden konnte. 50 konnte die durchschnittliche Anzahl Beziehungen für das Netzwerk "Customer Complaints" von 2.8 auf 6.5 erhöht werden, was einer Zunahme von 132% entspricht. Ähnlich stark fällt die Zunahme für das Kommunikationsnetzwerk ,,50lusi Rumah development plan" aus. Für das Netzwerk "Overall Communication" ist der Anstieg an Beziehungen weniger stark, allerdings gilt zu beachten, dass hier bereits jeder Akteur über eine relativ hohe Anzahl an Beziehungen

223

15

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

verfügte. Diese Daten sprechen somit für eine Annährung an das Ziel, die Kommunikationsbeziehungen in den vier Netzwerken zu intensivieren. Allerdings kann eine alternative Erklärung für die Veränderung (beispielsweise verändertes Antwortverhalten der Befragten) nicht ausgeschlossen werden. Zudem ist es nicht möglich, den erhöhten Zeitaufwand aus den zusätzlichen Beziehungen in ein quantitatives Verhältnis zum generierten Nutzen zu stellen. Veränderung im Netzwerk ,,50lusiRumah

development plan"

Der Erfolg der umgesetzten Maßnahmen lässt sich exemplarisch für das Netzwerk "Solusi Rumah development plan" darstellen. Dieses Netzwerk wurde mittels zweier Darstellungsformen visualisiert: • Abbildung 61 stellt die durchschnittliche Gradzentralität für jede Abteilung vor (2008) und nach der Maßnahmenimplementierung (2009) dar. • Abbildung 62 und Abbildung 63 visualisieren das gesamte Netzwerk für "Solusi Rumah" vor (2008) und nach der Maßnahmenimplementierung (2009). Die Größe der Punkte repräsentiert dabei jeweils die Gradzentralität der entsprechenden Akteure.

Abbildung 61

Vergleich der durchschnittlichen Gradzentralität für das Netzwerk ,,50lusi Rumah development plan" vor (2008) und nach (2009) Maßnahmenimplementierung 120081

10 8 6

4.3

Average = 1.1

4 2

° 0.2

0-'------'°"-'-·1Cusl Cllre

1200911:

Franct1lse

Mark.& M& M& Sr. S I

MI

0.2

SUIt. Const. Tecß. Region I

0.3 Transt.

Average = 2.5

4 4

1.6

2

224

Region 111

8.7

6

°

0.4

Region 11

Mark.& M& CUst. Care Franetllse ",. S Mli MI

SUst. Conti.

Tec.5.

1.1 Region I

1.6 Region 11

0.7 Region 111

0.2 Transf.

Phase 7: Kontrolle

Netzwerk "Solusi Rumah" vor der MJlßnahmenimplementierung (2008)

15.8 Abbildung 62

-

Trardnmlllonal

.....

_ 1m.l1~nc»

.

'''''

_.

Reglan 11

J.dlckwllln P"'ld:,d_

""." G_" ,.-.

Reglan 111

Netzwerk "Solusi Rumah" nach der MajJnahmenimplementierung (2009)

--

Abbildung 63

--

225

15

Ver{ahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

Beide Darstellungsformen machen deutlich, dass es im Netzwerk "Solusi Rumah development plan" zu positiven Veränderungen gekommen war. Wie bereits oben ausgeführt, verfügte zunächst jeder Mitarbeiter statt wie bisher über 1.1 Kontakte neu über einen Durchschnitt von 2.5. Die Anzahl Beziehungen pro Mitarbeiter konnte somit in nur 12 Monaten mehr als verdoppelt werden. Gleichzeitig zeigte sich, dass verschiedene Abteilungen nun wesentlich stärker in die Kommunikation involviert waren. Dies galt insbesondere für die Abeilungen "Marketing & Branding" (Gradzentralität von 0.272.2), M&S (1.376) und Region II (0.271.6) (vgl. Abbildung 61). Dass diese nun besser in das Kommunikationsnetzwerk integriert waren, erkennt man auch in Abbildung 62 und Abbildung 63. Nicht alle Verbesserungspotentiale konnten realisiert werden

Trotz dieser beachtlichen Fortschritte zeigte sich allerdings auch, dass noch nicht alle Verbesserungspotentiale realisiert werden konnten. Beispielsweise konnte die Vertriebsabteilung Region m ihre Gradzentralität nur marginal von 0.4 auf 0.7 steigern (Abbildung 61). Gleichzeitig sieht man in Abbildung 62 und Abbildung 63, dass diese Abteilung immer noch relativ schwach ins Netzwerk integriert war. Ebenso verzeichnete die Abteilung "Sustainable Construction" eine niedrigere durchschnittliche Gradzentralität. Ursache hierfür dürfte vor allem deren Umzug in ein anderes Stockwerk des Bürogebäudes gewesen sein, wodurch eine natürliche Kommunikationsbarriere aufgebaut wurde. 15.8.2.2

Quantitative und qualitative Messung der subjektiven Einschätzung der Mitarbeiter

Subjektive Einschätzung der Mitarbeiter

Die subjektive Einschätzung bezüglich der erzielten Veränderungen wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ gemessen. • Für die quantitative Messung wurde jeder Mitarbeiter mit folgender Aussage konfrontiert: "From my opinion, the communication to other departments of the Marketing & Innovation Directorate has improved over the last 12 months." Für diese konnte jeder Befragte auf einer Skala von 1 bis 6 seine Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken. • Um auch qualitative Daten zur subjektiven Einschätzung zu erhalten, fragten wir im Anschluss: "What makes you think that

226

Phase 7: Kontrolle

15.8

the communication to other departments has improved / has not improved?" Darauf konnten die Mitarbeiter frei antworten. Die quantitativen Ergebnisse sind in Abbildung 64 dargestellt. Dabei ist festzustellen, dass lediglich 5% die Aussage entweder stark ablehnten (1) oder ablehnten (2). Hingegen stimmten 49% der Aussage zu (5) und 15% stimmten dieser Aussage sogar stark zu (6). 5% der Befragten waren nicht in der Lage, ein Urteil zu bilden, u.a. weil sie neu im Unternehmen waren. Die überwiegende Mehrzahl der Befragten war somit der Auffassung, dass sich die Kommunikation seit Implementierung der Maßnahmen verbessert hatte.

Quantitative Ergebnisse: Mehrzahl sah Verbesserung der Kommunikation

Ergebnisse zur Frage" "From my opinion, the communication to other departments of the Marketing & Innovation Directorate has improved over the last 12 months."

Abbildung 64

50% 40% 30% 20% 10% 0%

49%

1% 1. Strorgly dlsagree

•

5%

4%

-j------,-"----,--'--L-,-

2. Oisagree

3. Undeclded, but !end 10 dlsagree

4. Undeclded, but !end 10 agree

5.Agree

6. Strorgly Agree

O. 00 not Know

"From my opinion, the communication to other departments of the Marketing & Innovation Directorate has improved over the last 12 months."

Diese Einschätzung wurde durch die überwiegende Mehrzahl der qualitativen Kommentare gestützt. Nachfolgend beispielhaft einige der Kommentare: •

/lIt [communication] has improved because [...] every month we conduct meetings with the transactional department regarding issues on the field about Solusi Rumah and its progress./I

•

/lPeople start to give feedback to each other."

•

/lCommunication with other departments has improved, due to a lot of events related with team building, for example [...], monthly deputy manager event, monthly project meeting and buddy program./I

Qualitative Ergebnis stützen quantitative Ergebnissee

15

Verfahrenseinsatz bei Holcim Indonesien

• "Interdepartmental communication has improved well. There is a formal way through top down and bottom up, and also informal communication such as buddy program, monthly program, periodical meeting among departments." Allerdings gab es insbesondere in der Vertriebsabteilungen "Region III" einige Mitarbeiter, die noch keine unmittelbare Verbesserung der Kommunikation beobachten konnten: • "Communication has improved because there is a work flow and progress tracking but the progress is only at region 2, in region 3 I still have difficulties to communicate." • "There are a lot of activities [... ] which are unknown to us in region 2 & 3." Diese subjektive Einschätzung deckte sich weitestgehend mit den in Abschnitt 15.8.2.1 dargestellten Netzwerkdaten, denn auch in diesen konnte nur eine geringfügige Verbesserung für Region III festgestellt werden.

Insgesamt konnte somit innerhalb von 12 Monaten ein Grossteil der angestrebten Verbesserungen realisiert werden. Eine wesentliche Ursache für diesen Erfolg war zum einen, dass die betroffenen Abteilungsleiter entscheidend bei der Maßnahmenentwicklung mitgewirkt hatten und diese unterstützten. Zum anderen wurde die Implementierung dadurch erleichtert, dass mit Johanna Daunen eine Organisationsexpertin für die Umsetzung verantwortlich war. Anders als eine Führungskraft aus der Linie wurde sie nicht kontinuierlich durch das Tagesgeschäft absorbiert und konnte so die Umsetzung gezielt vorantreiben. Neben diesem Erfolg bei der Realisierung von Verbesserungen verblieben allerdings auch verschiedene Schwächen, wie beispielsweise die oben dargestellte mangelhafte Integration der Vertriebsabteilungen in den Kommunikationsfluss. Daher entschied sich das Projektteam, einen zweiten Workshop durchzuführen. In diesem wurden für die verbliebenen Schwächen eine zweite Welle von Maßnahmen entwickelt und lanciert.

228

Herausforderungen beim Einsatz des Verfahrens

-cu .-1o‫ס‬i

C.

~

Herausforderung 1: Das Problem definieren

16.1

Die gesamte Netzwerkanalyse kann in signifikanten Veränderungen für das Unternehmen resultieren. Neben den bekannten Fallstricken von Projekten209 sind in diesem Prozess diverse Herausforderungen zu meistem, um erfolgreich Veränderungen in Unternehmen zu bewirken.

16.1

Herausforderung 1: Das Problem definieren

Wir haben in Kapitel 8 darauf hingewiesen, dass in der ersten Projektphase ein Grundverständnis für das zu lösende Problem entwickelt werden muss. Dabei handelt es sich um einen zentralen Schritt, der den Analysefokus des gesamten Projektes definiert. Deswegen sollten zwei mögliche Stolpersteine vermieden werden: • Das Problem wird zu exakt definiert: Wird bereits zu Beginn des Projektes das Problem sehr exakt definiert, besteht die Gefahr, dass die Problemdefinition zu stark von Einzelpersonen und deren subjektiven Interessen getrieben wird. Dieses Risiko ist zu Projektbeginn besonders hoch, da zum einen das Projektteam noch nicht definiert ist und seine Interessen und Ansichten somit nicht artikulieren kann. Zum anderen liegen noch keine objektiven Daten zu den sozialen Netzwerken vor, durch die der Diskussionsprozess rationalisiert werden könnte. Zugleich käme eine exakte Problemdefinition einer Lösung bereits sehr nahe. Ist eine exakte Definition möglich, dann sollte man sich die Frage stellen, ob der Einsatz von Ressourcen für eine umfangreiche Analyse überhaupt noch erforderlich ist.

Exakte Problemdefinition birgt Risiko, dass Einzelinteressen dominieren

• Das Problem wird zu weit definiert: In diesem Fall besteht das Risiko, dass die beteiligten Manager zu keinem geeigneten Konsens darüber gelangen, wo "der Schuh drückt". Eine rudimentäre Problemdefinition ist aber eine wesentliche Voraussetzung, um den nachfolgenden Analysefokus kanalisieren zu können. Das Problemverständnis und die daraus abgeleitete Projektvisi-

Zu weite Problemdefinition steht einem klaren Analysefokus im Wege

209

Vgl. hierzu ausführlich Mohe / Seidl (2008)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

231

16

Herausforderungen beim Einsatz des Verfahrens

on dienen in den einzelnen Projektphasen immer wieder als Ankerpunkt, um eine Differenzierung zwischen relevanten und irrelevanten Aspekten sozialer Netzwerke vorzunehmen.

16.2 Komplexitätsreduktion als Voraussetzung zur Anwendung sozialer Netzwerkanalyse

Herausforderung 2: Die Komplexität meistern

Soziale Netzwerke weisen einen sehr hohen Komplexitätsgrad auf. Ein ungerichtetes Netzwerk mit nur 100 Befragten ergibt bereits 100x99, also 9'900 mögliche Beziehungen. 210 Dies dürfte auch eine der wesentlichen Ursachen dafür sein, dass man die Netzwerkanalyse erst in jüngster Zeit in der Unternehmenspraxis zu nutzen beginnt, obwohl sie in der Wissenschaft schon seit langer Zeit im Einsatz ist. Die Komplexität sozialer Netzwerke ist deshalb so zu meistem, dass die Daten auch für Laien verständlich sind. Gleichzeitig darf aber nicht zu vereinfachend vorgegangen werden, da dem vielschichtigen Charakter organisatorischer Probleme sonst nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Zur Beschreitung dieses Mittelweges haben sich die folgenden Schritte bewährt: • Die Anzahl erhobener Netzwerke sollte nicht zu hoch sein (max. 7-8). Dies setzt voraus, dass sorgfältig analysiert wird, welche Netzwerke für das Unternehmen und das untersuchte Problem relevant sind (vgl. das Vorgehen der Phase 2 in Kapitel 9). • Die Netzwerkdaten sind bei der Analyse so zu aggregieren, dass die Anzahl der untersuchten Organisationseinheiten nicht zu groß wird (max. 12-15). Bei einem Netzwerk von 150 Mitarbeitern ist es in der Regel allein schon aus Zeitgründen nicht möglich, die Gradzentralität jedes Mitarbeiters mit dem Projektteam zu diskutieren. Untergliedert man das Netzwerk jedoch in Abteilungen, Hierarchiestufen, Alter oder Unternehmenszugehörigkeit und reduziert dadurch die Anzahl untersuchter Einheiten, dann lässt sich die Komplexität in der Regel gut handhaben.

232

210 Davon ausgenommen sind Beziehungen zum Akteur selber.

Herausforderung 3: Die Motivation der Befragten sicherstellen

16.3

• Die Netzwerkanalyse bietet eine unüberschaubare Anzahl an Methoden, weshalb die eingesetzten Analyseverfahren sorgfältig ausgewählt werden sollten. Um die Verständlichkeit für die beteiligten Manager zu gewährleisten, sollten nicht mehr als 2-4 verschiedene Verfahren angewandt werden. Daher ist unter Berücksichtigung des Ausgangsproblems sorgfältig zu definieren, was untersucht werden soll. Stehen beispielsweise Fragen des Zugriffs auf Informationen im Vordergrund, so eignen sich Berechnungsverfahren wie die Grad- oder Nähezentralität. Ist man hingegen daran interessiert, Flaschenhälse zu identifizieren, so ist die Berechnung der Zwischenzentralität das geeignete Verfahren. • Schließlich sind sämtliche Ergebnisse sinnvoll und aussagekräftig zu visualisieren. Häufig erlaubt erst die Visualisierung in Form von Balkendiagrammen oder Netzwerkdarstellungen die Komplexität so zu reduzieren, dass Problembereiche bzw. Verbesserungspotentiale identifiziert werden können.

16.3

Herausforderung 3: Die Motivation der Befragten sicherstellen

Wie bereits in Abschnitt 10.2 angedeutet, ist die Anwendung von Stichproben zur Erfassung sozialer Netzwerke wenig geeignet, denn es bestehen zwei Schwierigkeiten211 : Zum einen ergibt sich ein Problem der Repräsentativität. So schätzt Burt212, dass eine Stichprobe vom Umfang N% der Grundgesamtheit etwa (100-N)% der Netzwerkdaten der Stichprobenpersonen ignoriert. Eine 50%-Stichprobe vernachlässigt somit 50% der Netzwerkdaten der Grundgesamtheit.

Notwendigkeit einer Vollerhebung der sozialen Netzwerke

• Zum anderen sind alle komplexen Berechnungsverfahren, die neben direkten Beziehungen auch indirekte Beziehungen aus-

Siehe Wasserman / Faust (1994: 33) und die darin enthaltenen Literaturverweise im Detail zur Stichprobentheorie und Netzwerkanalyse. 212 Burt (1983)

211

233

16

Herausforderungen beim Einsatz des Verfahrens

werten, auf eine vollständige Erhebung des Netzwerkes angewiesen. 213 Dies ist beispielsweise für die Berechnung der Näheoder Zwischenzentralität der Fall (Abschnitt 4.4.1). Verschiedene Maßnahmen

zur Steigerung der Rücklauf-

quote

Insofern ist eine Vollerhebung des sozialen Netzwerkes anzustreben. Diese ist aber nur dann möglich, wenn auch alle Mitarbeiter motiviert sind, den Fragebogen auszufüllen. Um die Rücklaufquoten zu steigern, haben sich die folgenden Maßnahmen bewährt: • Das gesamte Projekt, seine Ziele sowie der Zeitplan sollten frühzeitig und offen an alle Mitarbeiter und Führungskräfte kommuniziert werden (vgl. Abschnitt 8.2.4). Dabei sollte versucht werden, eine positive Einstellung gegenüber dem Projekt hervorzurufen, um potentiellen Ängsten vor negativen organisatorischen Veränderungen oder Kostensenkungszielen entgegenzuwirken. • Den Mitarbeitern ist Anonymität bei der Befragung zuzusichern. Dies setzt voraus, dass die Daten später so aggregiert werden, dass sich keine Rückschlüsse auf individuelle Antworten ziehen lassen. Gerade bei größeren Netzwerken ist eine solche Aggregation zwecks Komplexitätsreduktion ohnehin sinnvoll (siehe Abschnitt 16.2). • Den Mitarbeitern sollte ein Anreiz gegeben werden, an der Befragung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang sind die Mitarbeiter erstens davon zu überzeugen, dass eine Verbesserung der sozialen Netzwerke und der Kultur im Unternehmen letztlich auch in ihrem Eigeninteresse liegt, beispielsweise indem Arbeiten effizienter erledigt werden können und durch die zunehmende Vernetzung die Arbeitszufriedenheit steigen kann (vgl. Abschnitt 5.4). Zweitens hat es sich bewährt, eine symbolische Belohnung (beispielsweise in Form einer Tafel Schokolade oder der Verlosung eines Preises) für die Befragungsteilnahme auszusetzen. Letzteres mag auf den ersten Blick banal oder kindisch erscheinen, hat sich aber im Rahmen der von uns durchgeführten Projekte als sehr effektiv erwiesen. • Weiterhin ist zu überlegen, ob auf die Erfassung von Evaluationsbeziehungen (beispielsweise Freundschaft, Vertrauen etc.)

234

213 Jamen (2006: 87).

Herausforderung 4: Den Einfluss persönlicher Interessen kontrollieren

16. 4

verzichtet werden kann. Sie adressieren den privaten Bereich der Mitarbeiter und weisen tendenziell eine höhere Non-ResponseQuote auf. Wir werden auf diese Problematik noch näher in Abschnitt 17.2 eingehen. • Schließlich sollten möglichst viele Mitarbeiter im Rahmen von Interviews und Workshops direkt involviert und so zu Promotoren des Projektes gemacht werden.

16.4

Herausforderung 4: Den Einfluss persönlicher Interessen kontrollieren

Ein wesentliches Element organisatorischer Probleme sind die subjektiven Sichtweisen der Manager.214 Das hier dargestellte Verfahren zielt explizit darauf ab, diese in die Problemlösung einzubringen. Dadurch besteht allerdings die Gefahr, dass persönliche Interessen, und nicht das Gesamtinteresse des Unternehmens, die Problemlösung dominieren und die objektiven Aspekte von Problemen verdrängen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass Manager in einer unkonstruktiven Art und Weise einzelne Ergebnisse oder sogar die gesamte Methodik angreifen, weil diese ihren persönlichen Interessen widersprechen.215 Einem solchen Verhalten kann durch folgende Maßnahmen vorgebeugt werden:

Maßnahmen zur Objektivierung der Diskussion

• Herstellung von Transparenz über das gesamte Verfahren, so dass die Kritik der Manager konkretisiert werden muss und nicht pauschal an der Gesamtmethodik erfolgen kann. • Anonymisierung der Befragungsdaten, so dass nicht über Namen, sondern über Funktionen gesprochen wird, was zu einer Versachlichung der Diskussion beiträgt.216 • Aufforderung an die Manager, ihre subjektiven Argumente in den Workshops anhand der objektiven Daten zu begründen, um

214 vgl. Landry (1995); Scherer (1995: 293-299); Ricken (2005: 59) 215 vgl. Cross / Parker (2004: 140) 216 So auch Cross / Parker (2004: 141)

235

16

Herausforderungen beim Einsatz des Verfahrens

die Diskussion zu rationalisieren und rein politischen Argumenten die Grundlage zu entziehen. • Sorgfältige Vorbereitung, Strukturierung und Moderation der Diskussionsworkshops, um eine Balance zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen der Manager herzustellen.

16.5 Maßnahmen

zur Herausbildungvon Commitment

Herausforderung 5: Die Unterstützung des Projektteams sicherstellen

Die analytisch korrekte Herleitung von Stärken und Schwächen auf der Basis von Netzwerkdaten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung des Ausgangsproblems. Sie ist allerdings nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung zur Verbesserung des Status quo. Zusätzlich bedarf es der Unterstützung des Projektteams, das als Promotor der entwickelten Maßnahmen die Veränderung im Unternehmen anschieben soll. Daher ist das Commitment der beteiligten Manager des Projektteams in allen sieben Phasen sicherzustellen.217 Durch eine Reihe von Maßnahmen kann der Projektleiter die Herausbildung dieses Commitments zum Projekt unterstützen: • Bereits zu Beginn sollte die Relevanz des Projektes durch das Top-Management und den Projektsponsor an das Projektteam kommuniziert werden. • Des Weiteren sollte der Projektleiter den Mitgliedern des Projektteams klarmachen, dass eine Problemlösung in ihrem eigenen Interesse ist. Dies gestaltet sich umso einfacher, wenn das Projektteam bereits in der ersten Projektphase (Problemverständnis und Projektplanung) aktiv einbezogen wird. • Zudem sind alle Mitglieder des Projektteams regelmäßig und frühzeitig über den Stand des Projektes sowie die Ziele der jeweiligen Projektphasen zu informieren.

236

217 Eden (1992: 804); Rosenhead / Mingers (2001: 7)

Herausforderung 5: Die Unterstützung des Projektteams sicherstellen

16. 5

• Zwar sollten die Workshops und Diskussionen durch den Projektleiter vorstrukturiert werden. Diese Strukturierung sollte jedoch nur unterstützend wirken und den Freiraum des Projektteams nicht zu stark einschränken. Ansonsten besteht die Gefahr, dass dieses den gesamten Problemlösungsprozess als fremdgesteuert betrachtet und sich innerlich aus dem Projekt verabschiedet. Der Projektleiter sollte darauf achten, die Mitglieder des Projektteams in den Workshops frühzeitig zu aktivieren. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass diese dazu aufgefordert werden, ein Initialreferat vorzubereiten oder zu Beginn ihre Sicht des Problems kurz schildern. • Insbesondere beim zweiten Workshop ist darauf zu achten, dass die beschlossenen Maßnahmen von allen Mitgliedern des Projektteams mitgetragen werden. Ansonsten besteht das Risiko, dass die Interessen einzelner Manager übergangen werden. Dies kann sich später in der Implementierungsphase rächen. Die symbolische Unterstützung des Managements zu den beschlossenen Maßnahmen kann beispielsweise durch ein Foto des gesamten Projektteams mit dem Maßnahmenkatalog dokumentiert werden.

237

Kritische Würdigung

-...,cu

--

Co

~

Feedback der Projektteilnehmer zum bisherigen Ver{ahrenseinsatz

17.1

Zum Abschluss wollen wir das in Teil B dargestellte Verfahren einer kritischen Würdigung unterziehen. Dazu präsentieren wir zunächst das Feedback der Manager, die an den von uns durchgeführten Projekten mit dem Verfahren gearbeitet haben (Abschnitt 17.1). Anschließend gehen wir auf Grenzen der Netzwerkanalyse ein (Abschnitt 17.2). Schließlich zeigen wir den zukünftigen Entwicklungsbedarf dieser Methode auf (Abschnitt 17.3).

17.1

Feedback der Projektteilnehmer zum bisherigen Verfahrenseinsatz

Wird ein neues Verfahren in der Praxis eingesetzt, dann stellt sich unmittelbar die Frage, welcher Mehrwert dadurch geschaffen wird. 218 An diese Frage kann man grundsätzlich mit zwei verschiedenen Arten von Evaluationen herangehen: 219 •

In einem Alpha-Test dienen subjektive Erfolgsgrößen innerhalb

Alpha-und Beta-Test als Möglichkeiten

zur Verfahrensevaluation

des Einzelfalles, wie etwa die Akzeptanz durch das Management, als Bewertungsmassstab.

• Im Zuge eines Beta-Test wird die Entwicklung objektiver Erfolgsgrößen, wie der Unternehmensgewinn oder die Kosten, über einen längeren Zeitraum und für eine größere Anzahl Unternehmen berücksichtigt. Aufgrund der bisher noch relativ geringen Verbreitung der sozialen Netzwerkanalyse in der Unternehmenspraxis sind die Voraussetzungen für einen Beta-Test noch nicht gegeben. Wir konnten jedoch eine erste Evaluation aufgrund der subjektiven Einschätzung der an den bisherigen Projekten teilnehmenden Manager durchführen (Alpha-Test). Als Grundlage hierfür diente uns ein halbstrukturierter Fragebogen mit ca. 20 offenen Fragen, welchen wir im Anschluss an die Maßnahmenentwicklung (Phase 5) an die Mitglieder der Projektteams verteilten. Systematisch evaluiert wurden dabei fünf der von uns

218 Vgl. hierzu auch Kaplan (1998: 109). 219 Van Aken (2004: 232); Ramme (2003: 567)

B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9_17, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Subjektive Einschätzung der Manager als Evaluationsgrundlage

17

KrWsche Würdigung

durchgeführten Projekte. In diesen bestanden die Projektteams aus jeweils 4 bis 8 Managern, so dass der Fragebogen von insgesamt 21 Managern ausgefüllt wurde. Die daraus resultierenden Ergebnisse sind somit zwar nicht repräsentativ, sie geben allerdings eine erste Indikation über den Nutzen des Verfahrens für die UnternehmenspraxisPo Folgende Kriterien wurden evaluiert: • Zufriedenheit mit den Ergebnissen: "Wie bewerten Sie insgesamt die Ergebnisse des Projektes? Sind Sie sehr zufrieden oder eher unzufrieden?" • Realisierung von Veränderungen: "Denken Sie, dass das Projekt tatsächlich zu Veränderungen führen wird? Warum? Warum nicht?" • Subjektiv wahrgenommener Nutzen: "Worin sehen Sie den Nutzen des durchgeführten Projektes für Ihr Unternehmen?" bzw. "Was haben Sie als positiv an dem Projekt empfunden? Warum?" • Erneuter Einsatz des Verfahrens: "Würden Sie empfehlen, das Verfahren zu einem anderen Zeitpunkt erneut auf dasselbe oder ein anderes Problem in Ihrem Unternehmen anzuwenden? Warum? Warum nicht?" • Negative Punkte: "Was haben Sie als negativ an dem Projekt empfunden? Warum?" und "Haben Sie weitere Kommentare, die zu einer Verbesserung des eingesetzten Verfahrenes beitragen könnten?"

Überwiegende Mehrheit der Manager war mit Projektergebnissen zufrieden

(1) Hinsichtlich der Zufriedenheit mit den Projektergebnissen lassen sich folgende Beobachtungen machen: • 17 von 21 Managern (81 %) gaben an, dass sie mit den Projektergebnissen zufrieden oder sehr zufrieden seien. Beispielsweise antwortete der Geschäftsführer der Swiss Organisation for Facilitating Investments "1 am very satisfied. The process was very

220

242

"Much of what is useful depends on whether it is valid within the eyes of those people in the setting. It must be acceptable to them." (Cunningham 1993: 59).

Feedback der Projektteilnehmer zum bisherigen Ver{ahrenseinsatz

17.1

useful for developing a common understanding of the management team on the important issues facing the firm." •

Einer von 21 Managern (4%) war mit den Projektergebnissen nicht zufrieden. Er antwortete: "Aus den Erfahrungen aus diversen Workshops eher skeptisch."

• Die übrigen drei Manager (14%), die jeweils in verschiedenen Projekten aktiv waren, äußerten sich eher neutral (z.B.: "Ergebnisse des Projekts ist erst bei erfolgter Umsetzung der Maßnahmen zu bewerten").

(2) Hinsichtlich der Realisierung von Veränderungen kam es zu folgenden Ergebnissen: •

•

17 von 21 Managern der Projektteams (81%) antworteten, dass sie denken, dass das Projekt tatsächlich zu Veränderungen führen werde. Dabei basierten verschiedene Manager ihre Einschätzung auf der Tatsache, dass am Schluss jedes Projektes konkrete Maßnahmen entwickelt wurden. So äußerte beispielsweise ein Manager bei Geberit: "Natürlich: Wir setzen die beschlossenen Maßnahmen um!" Zusätzlich betonten verschiedene Manager, dass bereits die Workshopdiskussionen zu einer Veränderung geführt hätten. So sagte ein Manager bei der EnergiedienstGruppe: "Schon durch die Diskussion in den Workshops und unter den Mitarbeitern (Befragung) ergaben sich Veränderungen."

Überwiegende Mehrheit der Manager erwartete Veränderungen durch

Projekt

Einer von 21 Managern (4%) gab an, dass er "teilweise skeptisch" hinsichtlich zukünftiger Veränderungen sei.

• Drei Manager äußerten sich neutral, beispielsweise: "It really depends on the implementation, at least it [the project] has given way for more understanding between each other."

243

17 Als Wahrgenommener Nutzen wurden verschiedene Aspekte genannt

KrWsche Würdigung

(3) Im Hinblick auf den wahrgenommenen Nutzen des Verfahrens nannten die befragten Projektteilnehmer fünf zentrale Aspekte: • Der Diskussionsprozess über das Thema soziale Netzwerke an sich. 221 • Eine adäquate Beschreibung der Ist-Situation, der Identifikation von Schwächen und die Entwicklung von Maßnahmen222 • Die Möglichkeit einer Buttom-up-Analyse und Maßnahmenentwicklung im Gegensatz zu einem Top-Down-Vorgehen. 223 • Die Quantifizierung eines qualitativen Aspektes des Unternehmens. 224 • Die motivierende Wirkung des Projektes und die Herausbildung eines gemeinsamen Verständnisses des Managementteams. Der Geschäftsführer der SOFI stellte beispielsweise fest: "1 think the open discussion and the chance to contribute ideas for the further development of the firm was motivating to the team."

Mehrzahl der Manager würde Verfahren erneut einsetzen

(4) Hinsichtlich eines erneuten Einsatzes des Verfahrens zu einem anderen Zeitpunkt äußerten sich 15 von 16 Managern positiv und gaben an, dass sie das Verfahren erneut einsetzen würden. Ein Manager machte einen weiteren Einsatz von der konkreten Problemstellung abhängig.

Nennung verschiedener negativer Aspekte

(5) Als negative Aspekte des Verfahrenseinsatzes wurden folgende Punkte genannt: • Verschiedene Workshopmitglieder bemängelten, dass es keine externe Benchmark gab, anhand derer sie ihre Organisation eva-

"Positiv: Workshopcharakter, Austausch mit Kollegen ", "Positiv: offene Diskussion ",,, Positiv: Zwanglose Diskussion über diverse Themen. " 222 "Wertvolle Beschreibung der Ist-Situation";"Gute Widerspiegelung der aktuellen Situation"; "The most positive aspect is that concrete results could be developed and measures implemented"; "Gezielte Maßnahmen zur weiteren Optimierung des Prozesses" 223 "The acknowledgement towards improvements could therefore be achieved in a bottom up approach versus commonly practiced top down instruction" 224 "Quantitative results from qualitative subject" 221

244

Feedback der Projektteilnehmer zum bisherigen Ver{ahrenseinsatz

17.1

luieren konnten ("Lack of benchmark to comparable organization"; "The negative is no benchmarking with other similar division"). Diese Kritik bezieht sich auf die Tatsache, dass das hier dargestellte Verfahren ausschließlich auf unternehmensinterne Verhältnisse zur Ermittlung von Stärken und Schwächen abzielt. Diese Problematik lässt sich kaum beseitigen, da unternehmensexterne Vergleichswerte aufgrund der unternehmensspezifischen Fragendefinition in der Regel nicht verfügbar sind. Allerdings besteht die Möglichkeit zur Realisierung interner Benchmarks, indem Abteilungen untereinander verglichen werden oder Vergleiche über die Zeitachse vorgenommen werden. •

Einzelne Manager hegten Zweifel, ob die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden würden. So stellte ein Manager fest: "Der Nutzen der gesetzten Maßnahmen würde den Zeitaufwand rechtfertigen, wenn diese wirklich umgesetzt würden (Zeitprobleme)." Dieser Punkt betont noch einmal die Relevanz der Umsetzung und Kontrolle der definierten Maßnahmen.

• Gerade in den ersten Projekten wurde von einigen Managern eine klarere Darstellung und Visualisierung der Ergebnisse eingefordert. So stellte ein Manager fest: "Grafische Darstellungen sind nicht apriori selbsterklärend. Netzdarstellung hat anfänglich zu Konfusion geführt." Ein anderer Manager wünschte sich "klarere Grafiken". Dies bestätigt noch einmal die Notwendigkeit, möglichst leicht verständliche Darstellungen zu wählen und die Lesart der verschiedenen Visualisierungen gut zu erläutern.

245

17

KrWsche Würdigung

17.2 Verschiedene

Punkte setzen der Netzwerkanalyse Grenzen

Grenzen der Netzwerkanalyse

Wie im vorausgehenden Abschnitt dargestellt, wurde der Einsatz der sozialen Netzwerkanalyse in den durchgeführten Projekten von den Managern überwiegend positiv bewertet. Trotzdem existieren verschiedene kritische Punkte, die der sozialen Netzwerkanalyse Grenzen setzen und die beim Einsatz des Verfahrens beachtet werden sollten:225 • Soziale Netzwerke stellen nur eines von vielen Elementen im komplexen System Unternehmung dar. Manager sollten sich daher bei der Lösung von Problemen nicht allein auf die sozialen Netzwerke konzentrieren. Stattdessen sind diese stets im Kontext einer umfassenden Sichtweise des Unternehmens mit all seinen Facetten, wie Finanzkennzahlen, Strategie, Systeme etc., zu sehen. Aus diesem Grund hat es sich bewährt, zur Lösung des Problems auch die relevanten Prozesse sowie die Organisationskultur zu erfassen. • Bei der Netzwerkanalyse handelt es sich um ein Verfahren, das strukturelle Zusammenhänge in Unternehmen abbildet. Die Methode selber erfasst allerdings keine qualitativen Informationen über Beziehungen, beispielsweise inwieweit eine Kommunikationsbeziehung effektiver ist als eine andere. Aus diesem Grund sind soziale Netzwerke stets um qualitative Daten zu ergänzen. Diesbezüglich haben sich insbesondere die in Abschnitt 10.2 dargestellten Mitarbeiterinterviews zur Organisationskultur bewährt. Ebenso ist auf das Wissen und die Expertise der in den Workshops anwesenden Manager zurückzugreifen. In diesem Sinn schreiben Cross und Parker: "It is important for network analysts not to get caught up in the seeming precision of the diagrams and analytics until they have checked their conclusions with members of the network."226 • Die Netzwerkanalyse weist die bekannten Nachteile quantitativer Befragungsmethoden auf, wie Künstlichkeit der Interviewsituation, mangelnde Offenheit, Ausblendung bestimmter Phäno-

246

225 Vgl. Cross / Parker (2004: 136) 226 Cross / Parker (2004: 139)

Grenzen der Netzwerkanalyse

mene durch geschlossene Fragen und Dominanz des Forschers/Beraters bei der Datenerhebung. 227 Auch kann es vorkommen, dass Mitarbeiter wichtige Beziehungen vergessen anzugeben oder Fragen anders interpretieren als vom Projektteam gewünscht. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Mitarbeiter versuchen, Befragungsdaten zu manipulieren, um sich selber möglichst zentral im Netzwerk erscheinen zu lassen. 228 Solche Effekte können zwar durch eine Cross-Validierung der Daten (vgl. dazu Abschnitt 10.3) sowie eine sorgfältige Operationalisierung verringert werden, lassen sich aber nicht vollständig eliminieren. • Bei der Netzwerkanalyse handelt es sich in erster Linie um ein statisches Verfahren. Die Daten werden in der Regel zu einem spezifischen Zeitpunkt erhoben und berücksichtigen daher die Dynamik sozialer Netzwerke nicht. So kann sich ein soziales Netzwerk bereits nach vier Wochen verändert haben, beispielsweise weil Mitarbeiter das Unternehmen verlassen haben oder neue Projekte initiiert wurden, die in einem anderen Interaktionsmuster resultieren. Zwar gibt es erste Ansätze, die Veränderung sozialer Netzwerke im Zeitablauf transparent zu machen. 229 Diesbezüglich besteht aber in Theorie und Praxis noch weiterer Forschungsbedarf (vgl. auch Abschnitt 17.3.3). • Grundsätzlich besteht das Risiko, dass die Netzwerkanalyse dazu missbraucht wird, Organisationsmitgliedern zu schaden. So ist es möglich, dass das Management seine Erkenntnisse über die sozialen Netzwerke als Machtinstrument einsetzt, um unbeliebte, vermeintlich leistungsschwache oder dezentrale Organisationsmitglieder zu bestrafen oder diese sogar zu entlassen. 230 Aus diesem Grund betrachten wir es als problematisch, die Identität von Netzwerkmitgliedern dem Management offen zu legen. Stattdessen sollten sämtliche Daten anonymisiert und auf Teamoder Abteilungsebene diskutiert werden. Ebenso sollte die soziale Netzwerkanalyse nicht im Vorfeld von geplanten Entlassun-

227 Diekmann (1998: 445) 228 Cross / Parker (2004: 139). 229 Vgl. hierzu Cross / Thomas (2009: 183)

230 Cross / Parker (2004: 141

17.2

17

KrWsche Würdigung

gen eingesetzt werden. Ein ethisch korrekter Umgang mit den Netzwerkdaten stärkt das Vertrauen der Mitarbeiter in diese Methode und ist eine wichtige Voraussetzung für ihren wiederholten Einsatz.

17.3

Zukiinftiger Entwicklungsbedarf

Mit der zunehmenden Verbreitung der sozialen Netzwerkanalyse ergibt sich neues Entwicklungspotential für diese Methodik. Aufgrund der Erfahrungen in den von uns durchgeführten Projekten sowie der Diskussionen in der Netzwerkliteratur sehen wir diesen vor allem im Hinblick auf drei Bereiche, die wir im Folgenden kurz skizzieren werden.

17.3.1 Erfassung, Aufbereitung und Analyse qualitativer Netzwerkdaten

248

Qualität sozialer Beziehungen

Die Netzwerkanalyse ist ein quantitatives Verfahren zur Analyse struktureller Zusammenhänge in Unternehmen. Diese Quantifizierung erlaubt einerseits die Komplexität von Interaktion und Zusammenarbeit im Unternehmen zu erfassen und abzubilden. Andererseits bringt sie jedoch den Nachteil mit sich, dass keine Aussagen zur inhaltlichen Qualität sozialer Beziehungen getroffen werden. Zwar enthält das in diesem Buch dargestellte Verfahren durch Interviews und Workshops zahlreiche qualitative Elemente, durch die die Interpretationen und Sichtweisen der Manager in der Analyse berücksichtigt werden. Ebenso lässt sich durch die parallele Erfassung der Organisationskultur die allgemeine Qualität von Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit beschreiben. Für die sozialen Netzwerke mangelt aber an einer direkten Zuweisung qualitativer Attribute zu einzelnen sozialen Beziehungen. So könnte es beispielweise von Interesse sein, inwieweit die Befragten bestimmte soziale Beziehungen als nützlich für ihre Aufgabenerledigung bewerten. Im Rahmen einer Weiterentwicklung wäre somit zu prüfen, inwieweit qualitative Netzwerkdaten erfasst, systematisch aufberei-

Zukünftiger Entwicklungsbedarf

17.3

tet und einer Analyse durch das Management zugänglich gemacht werden können.

17.3.2

Kosten sozialer Beziehungen

Wir sind bereits in Abschnitt 5.5 darauf eingegangen, dass soziale Beziehungen immer auch Kosten verursachen. Der Besuch von Konferenzen, die Teilnahme an Meetings und selbst die Kommunikation über E-Mail benötigt Zeit, die sich auch für andere Aktivitäten verwenden ließe. Diese Kosten sind bei der Bewertung sozialer Netzwerke zu berücksichtigen. Sie formulieren eine kritische Randbedingung für die Koordinations-, Motivations- und Wissensfunktion sozialer Netzwerke. Bisher mangelt es jedoch an ausgereiften Verfahren, die Kosten sozialer Netzwerke zu erfassen, zu quantifizieren, sozialen Beziehungen zuzuordnen und in ein Verhältnis zu den drei organisatorischen Grundfunktionen zu bringen. Zwar gibt es diesbezüglich erste erfolgversprechende Ansätze. So befragen beispielsweise Cross und Thomas die Manager eines Unternehmens nach der benötigten Zeit für bestimmte Interaktionen. Diese multiplizierten sie mit einem gewichteten Lohnfaktor, um die Kosten sozialer Beziehungen zu berechnen.231 Ein solches Verfahren birgt allerdings aufgrund der komplexen Fragestellung das Risiko, die Befragten zu überfordern. Daher sehen wir weiteren Forschungsbedarf vor allem in der Verknüpfung sozialer Netzwerkdaten mit objektiven Kostendaten im Unternehmen. Eine solche Quantifizierung würde eine bessere Abwägung zwischen dem Nutzen sozialer Netzwerk für Koordination, Motivation und den Wissenstransfer einerseits und den Kosten sozialer Beziehungen andererseits erlauben.

231 Cross / Thomas (2009: 87)

Verknüpfung sozialer Netzwerkdaten mit objektiven Kostendaten

249

17

KrWsche Würdigung

17.3.3

Dynamik sozialer Beziehungen

Stärkere Berücksichtigung der Dynamik sozialer Beziehungen

Bei der Netzwerkanalyse handelt es sich in erster Linie um eine statische Methode (vgl. Abschnitt 17.2). Ähnlich wie eine Fotografie ist die Abbildung eines sozialen Netzwerkes immer nur eine Momentaufnahme. Zwar lassen sich derartige Momentaufnahmen in regelmäßigen Abständen durchführen (vgl. Abschnitt 15.8). Solche sequentiellen Erhebungen zeigen aber auch, wie sich soziale Netzwerke in nur 12 Montanen substantiell verändern können. Dieser Dynamik wird die soziale Netzwerkanalyse bisher nur begrenzt gerecht. Diesbezüglich besteht unseres Erachtens vor allem in zwei Bereichen Bedarf für Weiterentwicklungen: 232

Simulation zukünftiger Netzwerkzustände

• Zum einen besteht das Bedürfnis, zukünftige Netzwerkzustände zu simulieren. Ein solches Vorgehen haben wir beispielsweise in Abschnitt 4.4.1.3 an einem einfachen Fallbeispiel aufgezeigt, um zu illustrieren, welchen Effekt der Stellenwechsel zweier zentraler Mitarbeiter auf das Kommunikationsnetzwerk hat. Während sich solche einfachen Simulationen bereits heute realisieren lassen, mangelt es bisher noch an Verfahren, um komplexere Veränderungen zu simulieren. Von Interesse könnte zum Beispiel sein, den Effekt bestimmter Maßnahmen, wie z.B. neuer Koordinationsgremien oder ganzer Reorganisationen, auf das soziale Netzwerk zu simulieren. Dadurch ließe sich der Nutzen bestimmter Maßnahmen besser abschätzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Wandel von sozialen Netzwerken noch besser erforscht wird.

Abbildung tatsächlicher Entwicklungen im Zeitablauf

• Zum anderen existiert das Bedürfnis, die tatsächliche Entwicklung sozialer Netzwerke im Zeitablauf abzubilden. Zwar verweisen Cross und Thomas bereits auf ein Anwendungsbeispiel, in dem die dynamische Entwicklung eines sozialen Netzwerkes in Form eines l1Netzwerkfilms" illustriert wurde. 233 Durch die zeitliche Komponente wird die Komplexität allerdings erneut gesteigert. Um diese wieder handhabbar und für den Praxisgebrauch analysierbar zu machen, bedarf es neuer Analyseverfahren und Softwareapplikationen.

250

232 VgL Cross / Parker (2004: 133 f.) 233 Cross / Thomas (2009: 183)

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263

Stichwortverzeichnis B

G

Beziehung - gerichtete 67,69,72,85 - ungerichtete 67, 70, 72, 79, 85,162

Gap-Analyse 38

H Hawthome-Experimente 34,36, 65 I.

c Oiquenanalyse 42, 89 - K-Plex 90 I. - N-Clique 90 I. Cross-Validierung 162,213,247

D Dichte 21, 42 ff., 85 ff., 100, 106f., 165 I., 171, 174, 213 - Außendichte 87 I. - Innendichte 87 I.

E Erhebungsinstrurnente - {Online-)Befragung 68, 133, 135,144 I., 148 I., 157 If., 171, 211 I.

- Beobachtung 68 - Dokumentenanalyse 68, 141 ff., 148 - Gruppendiskussion 40 I. - Interview 52, 68, 133, 141 ff., 148, 153 I., 159, 171,210 - Workshop 52,144 ff., 149, 171,210,220,228,237

F Feasability 131, 137

- Bank-Wiring-Group 34 I., 65 Human-Relations-Ansatz 34

K Kontextsteuerung 111 Kontrolle 201 - Ergebniskontrolle 125, 201 ff.,222 - Maßnahmenkontrolle 27, 125, 201, 203, 222 Koordination - horizontale 97 I., 129, 171, 209 - vertikale 98 I., 129 Koordinationsfunktion 95 ff., 102,107,129,137,143 I., 152 I., 172,249 Kostenaspekt sozialer Netzwerke 106 I., 172 ff., 249 Kulturansatz 36 I. - objektive Strömung 37 I. - subjektive Strömung 37 I., 40

M Maßnahmen - Auswahl 177 I., 183, 187 II., 218

265 B. Ricken, D. Seidl, Unsichtbare Netzwerke, DOI, 10.1007/978-3-8349-6310-9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

- Entwicklung 22 ff., 27, 112, 125, 135, 177 f., 180, 183, 186 ff., 217, 222, 228 - Implementierung 27, 101, 125, 133 ff., 193, 201, 218, 220, 224, 227 f., 237 - Konkretisierung 177,179, 184, 189, 218 f. Motivationsfunktion 96, 102, 104 ff., 129, 137, 143 f., 172,249

N Netzwerkdefinition 125, 141 - Ableitung Netzwerke 27, 141,144,148,154,210

- Auswahl Netzwerke 141, 145, 149, 154,210

- Erfassung Problemkontext 27,141,143,148,154,210

- Fragenformulierung 141,145 f., 148, 150 f., 153 f., 210 f. Netzwerkerfassung - Datenaufbereitungl-analyse 27, 125, 157, 160 f., 213 - Pretest 157, 167, 212 - VlSualisierung 63,71,74, 157, 161 ff., 174, 181, 185, 213,233

Netzwerktypen 51 - Arbeitsflussnetzwerk 97 - Evaluations-/ Gefühlsnetzwerk 23,51,64, 104 - Kommunikationsnetzwerk 21, 45, 51, 63, 78 ff., 97, 100, 105,141,149,153,250

- Prozessnetzwerk 97 - Transaktionsnetzwerk 51, 65 - Wissenstransfemetzwerk 51, 74 f., 79, 87, 101, 107

266

o Organisationskultur 33, 38 ff., 46, 49 H., 55 H., 111, 246, 248

- Artefakte 36 f., 41, 52 - Basisannahmen 37 f., 41, 52 - Normen und Werte 37 f., 41, 52,55,57, 124, 141, 144 f., 149 f., 159 Organizational Culture Inventory 38 Organizational Culture Profile 38 H.

p pfaddistanz 76 f., 81 Problemidentifikation 27, 125, 129, 137,231,236

Projektorganisation 133, 197, 209,220

- Implementierungsgruppe 193 f., 197, 201, 220 - Projektleitung 68, 130 ff., 137, 194, 197,201,209, 220

- Projektsponsor 130, 132 H., 209,236

- Projektteam 132 f., 177 f., 209,231,236

- Steuerungskomitee 132, 134

H., 194, 197,209,220,222 Projektplanung 27, 125, 131, 137,148,209 f., 236

- Aktivitäten-/Ressourcen planung 133, 137, 209 - Kommunikationsplanung 131, 135, 137

- Projektvision/-name 131 f., 136 f., 209, 232 - Zeit-/Kostenplanung 134 Prozesse 24,53 H., 97, 101, 143

- Kernprozesse 54,143 - Supportprozesse 54,143

-Kommunikationstechnologien 117 f., 177, 186,217 - kontaktfördemde Maßnahmen 116, 177, 186, 187

s Scientific Management 33 Skalierung - binäre 66 H. - ordinale 67 Softwareapplikationen 63, 160, 250 - Ucinet 160 H., 213 - Visone 75, 160 f., 164 ff., 213 Stärken und Schwächen sozialer Netzwerke - Identifikation 24 H., 95, 111, 125, 135, 171, 174, 180 ff., 193, 213, 236 - Priorisierung 27, 125, 171 H., 216 Steuerungsdimensionen 111 ff., 177 f., 183, 186, 189, 217 - Arbeitsplatzanordnung 117, 177, 184,217 - formale Organisationsstruktur 114, 177, 186, 217 - Führungsverhalten 113, 177, 186,217 - Human-RessourcenMaßnahmen 115, 177,217

v Verfahrensevaluation 241 - Alpha-Test 241 - Beta-Test 241

w Wissensfunktion 95, 101, 104, 107, 129, 137, 143 f., 171 f., 249

z Zentralisierung 43,83 f., 89, 174 Zentralität 42 H., 72 H., 89, 102, 105, 162 - Gradzentralität 72 H., 83, 103, 162 H., 171,213 H., 223 H., 232 f. - Nähezentralität 72, 76 H., 162, 171, 181 H., 233 f. - Zwischenzentralität 72, 81 H., 233 f.

267