Vertraue nie einem Genetic! von Thomas Höhl
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Vertraue nie einem Genetic! von Thomas Höhl
Sie sind aus dem Nichts aufgetaucht und haben die STERNENFAUST und die Raumstation WAR HOPE angegriffen und gekapert. Dabei waren die Fremden hinter Energieschilden verborgen, doch Dana Frost hatte das Gesicht eines Angreifers sehen können: Es war Richard J. Leslie, der frühere Kommandant der STERNENFAUST, der seit Jahren tot ist. Nun haben die gleichen Angreifer das Wega-System erobert, während auf den Schiffen AMSTERDAM und HELSINKI zwei Verräter versuchten, die Schiffe unter ihre Kontrolle zu bekommen. Auf der AMSTERDAM konnte der Verräter getötet werden. Als die Leiche untersucht wurde, stellt sich heraus, dass es sich bei dem Offizier offenbar um einen geklonten Doppelgänger handelt. Befinden sich auch auf den anderen Schiffen derartige Kopien? Dana Frost ahnt nicht, dass die STERNENFAUST längst zur tickenden Zeitbombe geworden ist.
STERNENFAUST 20. Januar 2258 »Die AMSTERDAM hat soeben den Bergstrom-Raum verlassen«, meldete Commander Stephan van Deyk, der Erste Offizier der STERNENFAUST. »Verstanden«, antwortete Dana Frost. »Geben Sie mir Bescheid, wenn die AMSTERDAM zum Stillstand gekommen ist und wir die Leiche von Jay Ondeo übernehmen können.« »Aye, Ma’am«, antwortete ihr I.O. Dana berührte ihren Armband-Kommunikator, um die Verbindung zu beenden und setzte ihren Weg in die Krankenstation fort. Als sich die Schiebetür öffnete und Dana die Station betrat, fiel ihr Blick sofort auf die Schiffsärztin Lieutenant Dr. Kendra Scott, die an ihrer Konsole saß und dort offenbar einige Krankenakten überprüfte. Als die Ärztin Dana erblickte, erhob sie sich. Dr. Kendra Scott war klein und wirkte auf den ersten Blick ausgesprochen zierlich, fast mädchenhaft. Doch der Schein trog. Dr. Scott nutzte ihre Freizeit, um für den Fünfkampf zu trainieren, was sich manchmal auch in ihrem hitzigen Temperament äußerte. »Wo ist Doktor Sparker?«, wollte Dana wissen. Dr. Scott verdrehte die Augen und wischte mit der Hand über ihre kurzen, roten Haare. »Sie ist in meinem Labor, Ma’am«, antwortete sie erstaunlich formell. Und noch steifer fügte sie hinzu: »Korrigiere, Ma’am. Sie ist in dem Raum, der einmal mein Labor war.« Dana hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »So schlimm, Doktor Scott?«, fragte sie schließlich. »Captain Frost«, antwortete die Ärztin und sprach nun deutlich leiser. »Ich bitte, offen sprechen zu dürfen.« »Schießen Sie los«, sagte Dana.
»Diese Frau ist unerträglich!«, platzte es aus Dr. Scott heraus. »Ihre Arroganz … Heute ist es das erste Mal, dass ich mir Doktor Tregarde zurückwünsche.« Dana hob ein wenig vorwurfsvoll die Augenbrauen, und Dr. Scott verstand sofort, dass ihre Bemerkung unangebracht war. »Es tut mir leid, Ma’am«, entschuldigte sich die Schiffsärztin. »Es war nicht richtig, das über Doktor Tregarde zu sagen.« Seufzend holte Dana tief Luft und nickte. Keiner an Bord der STERNENFAUST hatte ein besonders inniges Verhältnis zu Dr. Tregarde gehabt. Doch nun war er tot. Er war bei einem Angriff auf die Raumstation WAR HOPE getötet worden. Es gehörte sich einfach nicht, schlecht über Personen zu sprechen, vor allem nicht über solche, die einmal Teil der Besatzung gewesen waren. »Sie verstehen sicher, was ich meine«, rechtfertigte sich Dr. Scott. Dana lächelte verständnisvoll, aber auch ein wenig ironisch. »Ich verstehe durchaus. Eine arrogante Genetic … ist nicht wirklich ein Grund, GBN* zu informieren.« Dr. Blair D. Sparker war eine Ärztin der Genetic-Welten. Das bedeutete, dass auch sie genetisch verändert worden war. Die meisten Genetics wurden in dem Glauben erzogen, den »Natürlichen« überlegen zu sein, woraus oftmals eine sehr herablassende Attitüde erwuchs. »Jedenfalls nimmt sie mein Labor auseinander«, flüsterte Dr. Scott. »Und alle paar Augenblicke beklagt sie sich, weil irgendwelche Instrumente nicht ihren Anforderungen entsprechen.« »Kann es sein, dass dieser Magnetresonanz-Scanner noch nicht einmal den Theta- vom Alpha-Bereich abgrenzen kann?«, erklang eine Stimme aus dem Labor. Dr. Scott gab Dana durch eine Handbewegung zu verstehen, dass sie Dana nur zu gerne den Vortritt ließ, um diese Frage zu beant*Galactical Broadcasting Network
worten. »Ich kümmere mich um Doktor Sparker«, sagte Dana und lächelte gutmütig. »Danke«, flüsterte Dr. Scott. Offensichtlich erleichtert widmete sie sich wieder ihren Unterlagen.
* »Das sind keine Werte, das sind Zufallszahlen«, murmelte Dr. Blair D. Sparker vor sich hin. Sie stand mit dem Rücken zu Dana. »Wofür wird dieses Teil verwendet? Für die schiffsinterne Lotterie?« Dr. Sparker hatte wie Dr. Scott rote Haare, doch bei ihr waren sie zu einem Zopf geflochten. »Dann sollten Sie vielleicht warten, bis Sie wieder auf Einstein sind«, erklärte Dana, woraufhin sich Dr. Sparker umdrehte. Dana lächelte, doch ihre Augen blickten streng. »Dort hat man sicher nur die besten Geräte«, fügte Dana hinzu. Wie die meisten Genetics hatte auch Dr. Sparker klare, blaue Augen. Ihr Gesicht war ebenmäßig und nahezu faltenfrei, obwohl sie bereits Ende vierzig war. Dana hatte sich hin und wieder gefragt, weshalb die Genetics nahezu standardmäßig die Gene auf eine Unterdrückung von Falten ausrichteten. Die Gesichter erhielten dadurch etwas Unnatürliches, Künstliches. Dr. Sparker lächelte überheblich. »Captain Frost«, sagte sie. »Ich habe sie nicht hereinkommen hören.« »Offensichtlich«, erwiderte Dana und hob leicht die Augenbrauen. An der linken Schläfe von Dr. Sparker befand sich ein kleines Metallkästchen, das direkt mit einem neuralen Implantat in ihrem Kopf verbunden war. Mithilfe dieses Implantats konnte sie sich Bildschirmansichten direkt ins neurale System speisen lassen. Jemand, der nicht wie sie über ein Neuralimplantat verfügte, konnte glauben, es würde die Ergebnisse lediglich auf die Netzhaut projizieren. Doch in
Wahrheit ging diese Technik viel weiter. Dr. Sparker konnte mithilfe des Interface auch Bewegungsmuster einprogrammieren und dann zielgesteuert mechanische Handgriffe ausüben. Auf diese Weise konnte sie bei Operationen ihre Hände mit einer Genauigkeit und Geschwindigkeit steuern, wie es normalerweise nur bei Roboterarmen möglich war. »Kann ich etwas für Sie tun, Captain Frost?«, wollte Dr. Sparker wissen. Das war natürlich ein wenig gönnerhaft, im Grunde hätte eine solche Frage von Dana kommen müssen. »Doktor Sparker«, begann Dana vorsichtig, »nicht nur ich, auch die Solaren Welten sind Ihnen dankbar, dass Sie sich bereit erklärt haben, uns zu helfen. Doch bevor Sie meine Crew mit Beschwerden über unzureichende Standards von ihrer Arbeit abhalten, sollten Sie vielleicht warten, bis wir Sie mit der STERNENFAUST nach Einstein gebracht haben.« »Es entspricht nicht meiner Natur, die Hände in den Schoß zu legen.« Dana fand, dass dies eine merkwürdige Formulierung für eine Genetic war, und sie war kurz davor, Dr. Sparker zu fragen, ob sie nicht vielmehr sagen wollte, es entspräche nicht ihrem Design, die Hände in den Schoß zu legen. Doch Dana schluckte die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, schließlich doch hinunter und sagte nur: »Die AMSTERDAM befindet sich bereits im Bremsmanöver. In vier Stunden werden wir die sterblichen Überreste von Lieutenant Ondeo an Bord nehmen.« »Genauer gesagt, die Überreste von seinem Klon«, korrigierte sie Dr. Sparker. »Ich habe die von der AMSTERDAM gefunkten Daten überprüft und bin dabei unter anderem auf typische Bausteinlücken im endoplasmatischen Retikulum gestoßen, wie sie bei geklonten Organismen typisch sind.« »Auf dieses Ergebnis sind wir in den Solaren Welten auch schon gekommen«, konnte sich Dana Frost nicht verkneifen. Doch dies
schien Dr. Sparker nicht sonderlich zu beeindrucken. »Ich habe mir jedoch auch die Daten des routinemäßigen Gesundheits-Checks von Lieutenant Ondeo angesehen«, sagte die Ärztin. »Die Scans zwei Tage vor seinem Tod ergaben keinerlei Bausteinlücken.« »Vielleicht war er zu diesem Zeitpunkt noch der echte Lieutenant Ondeo«, wandte Dana ein. »Möglich«, erwiderte Dr. Sparker. Sie war dabei, sich abzuwenden. Offenbar fühlte sie sich durch die banalen Einwände von Dana gelangweilt. »Sie glauben nicht daran, dass Lieutenant Ondeo erst danach ausgewechselt wurde«, hakte Dana nach. »Nein«, sagte Dr. Sparker, nachdem sie für einen kurzen Moment Dana gemustert hatte. »Haben Sie für Ihre These irgendwelche konkreten Anhaltspunkte?«, wollte Dana wissen. »Selbstverständlich habe ich die«, spottete Dr. Sparker. »Ich spekuliere nie ohne Anhaltspunkte.« »Und Sie werden sie mir vielleicht auch verraten?«, wollte Dana wissen, ohne einen Hehl daraus zu machen, wie sehr es sie störte, Dr. Sparker jede Information einzeln aus der Nase ziehen zu müssen. »Der letzte Landaufenthalt von Lieutenant Ondeo war zwei Monate zuvor. Seit er zurückgekehrt war, stieg sein Sportpensum um dreiundvierzig Prozent, das intellektuelle Niveau seiner E-Books erhöhte sich um vierundzwanzig Punkte, während seine sozialen Datennetzkontakte um nahezu vierundneunzig Prozent zurückgingen.« »Sie glauben also, er arbeitete zwei Monate lang als Spion auf der AMSTERDAM?« »Nicht nur das, Captain Frost«, sagte Dr. Sparker. Wieder schwieg die Genetic, bis Dana entnervt stöhnte: »Wollen
Sie mich in Ihren Verdacht einweihen?« »Ungern«, erwiderte Dr. Sparker. »Ich bin Wissenschaftlerin. Ich hasse es, unbewiesene Thesen zu verbreiten. Es ist unakademisch.« »Wenn es um Spionage in den Solaren Welten geht, ist es meine Aufgabe, mit allen Wahrscheinlichkeiten zu rechnen und jede nur denkbare Gefahr im Vorfeld zu stoppen.« »Nun gut«, erwiderte Dr. Sparker. Sie legte das Pad, das sie kurz zuvor ergriffen hatte, wieder beiseite, ging einen Schritt auf Dana zu und blickte ihr tief in die Augen. »Ich glaube, dass der lebende Organismus von Lieutenant Ondeo etwas beinhaltete, das in der Lage war, die Spuren des Klonens zu verwischen.« »Verwischen?« »Ja«, erwiderte Dr. Sparker und verzog keine Miene. »Vielleicht ein Mini-Implantat, das in der Lage war, die Scanner zu täuschen. Und das darüber hinaus fähig war, geklonte Materie und sich selbst zu tarnen. Hier hat jemand offensichtlich Techniken benutzt, die auch wir auf Einstein allenfalls in der Theorie verstehen können.« »Und was bedeutet das konkret?«, wollte Dana wissen. »Konkret bedeutet das, dass in den Solaren Welten innerhalb des Star Corps Kopien von Offizieren aufgetaucht sind, die aus irgendwelchen Gründen erst nach ihrem Tod als Kopien identifizierbar werden. Zuvor sind sie nach bisherigen Erkenntnissen unmöglich zu überführen.« Dana hatte bislang noch gelächelt, doch nun wurde sie vollkommen ernst. »Kommen Sie schon«, sagte Dr. Sparker abfällig. »Die Natürlichen sind doch berühmt dafür, das Offensichtliche auszusprechen. Halten Sie sich nicht wegen mir zurück.« Dana beschloss, diese Spitze zu ignorieren. »Sie wollen damit sagen, dass sich überall in den Solaren Welten, nicht zuletzt auch auf diesem Schiff, unerkannte Doppelgänger befinden können. Und wir haben keine Methode, diese Kopien zu identifizieren. Nicht, solange
sie noch am Leben sind!« Dr. Sparker nickte. »Nun, Captain Frost«, sagte sie und hob die Augenbrauen, was ihren abfälligen Tonfall unterstrich, »wollen Sie noch immer behaupten, dass die Angelegenheit Zeit hat, bis wir Einstein erreicht haben?« Dana nickte. »Doktor Scott!«, rief sie. Es dauerte nur wenige Sekunden, da ließ sich die Bordärztin im medizinischen Labor blicken. »Unterstützen Sie Doktor Sparker so gut Sie können«, sagte Dana kurz angebunden und verließ die Krankenstation, noch bevor Dr. Scott einen Einwand hervorbringen konnte.
* Dana betrat die Brücke der STERNENFAUST. »Status!«, sagte sie zu ihrem Ersten Offizier. Lieutenant Commander Stephan van Deyk nickte kurz, strich sich über seinen roten Bart und warf einen Blick auf den Monitor seiner Konsole. »Die AMSTERDAM dürfte jeden Moment in den Bergstrom-Raum eintreten. Unsere Kalibrierung der Frequenzmodule der Bergstromaggregate dürfte in wenigen Minuten abgeschlossen sein, sodass wir endlich zur Beschleunigung ansetzen können.« »Verstanden, I.O.«, erklärte Dana abwesend. Ihr gingen noch immer die Worte von Dr. Sparker durch den Kopf. Was, wenn es ihnen auf der STERNENFAUST erging wie auf der AMSTERDAM oder der HELSINKI? Durch einen glücklichen Zufall hatte man zumindest auf der AMSTERDAM den Verräter rechtzeitig überführen können. * Aber auf dieses Glück konnte man sich nicht immer verlassen. Dana musste sich außerdem davor hüten, zu misstrauisch zu werden. Es war alles verloren, wenn die Besatzungsmitglieder eines Raumschiffs anfingen, sich gegenseitig zu verdächtigen. *siehe Sternenfaust 177: »Verräter unter uns!«
Ihre ganze Hoffnung lag nun in einer Genetic-Ärztin. Doch bis die STERNENFAUST Einstein erreichte, würden noch mindestens achtzehn Stunden vergehen. Die Kommunikationsoffizierin Susan Jamil wandte sich um und rief: »Ich empfange einen Notruf aus dem Bergstromraum! Nur Audio-Stream. Der Notruf wird von der Bergstrom-Sonde L-Alpha-3 übertragen.« »Schalten Sie ihn auf die Lautsprecher!«, befahl Dana. »Unser Schiff ist beschädigt«, hörte Dana eine helle Stimme. Wegen der vielen Übertragungsstörungen konnte sie nicht sagen, ob die Stimme männlich oder weiblich war. »Wir verlassen den Bergstrom-Raum bei Position 233-3-231!« In diesem Moment brach die Verbindung ab. »Das ist drei astronomische Einheiten von hier entfernt«, meldete der Erste Offizier. Lieutenant Toober hatte umgehend reagiert. »Scanne Austritt aus dem Bergstromraum bei 0,9 LG«, sagte sie und runzelte die Stirn. Jeder auf der Brücke wusste, was das bedeutete. Einen Austritt aus dem Bergstromraum mit einer Austrittsgeschwindigkeit von 0,9 LG konnte niemand überleben. »Ruder«, sagte Dana dennoch, »setzen Sie einen Annäherungskurs zu dem Schiff. Lieutenant Toober, ich benötige weitere Daten.« »Die Schiffsignaturen werden unterdrückt«, erklärte die blonde Ortungsoffizierin. »Eindeutig kein Schiff der Solaren Welten.« »Raumpiraten?«, vermutete Stephan van Deyk. Das war gut möglich. Auch in den Solaren Welten gab es Plünderer, die mit unautorisierten Schiffen unterwegs waren und die glaubten, fremde oder noch unerforschte Systeme ausrauben zu können. Nicht selten erlebten diese Piraten eine böse Überraschung, denn viele scheinbar schlichte und einfache Zivilisationen wurden von anderen, mächtigeren Alienrassen beschützt. »Erhalte Scan-Daten«, erklärte Lieutenant Toober. »Zylindrische
Grundform mit einem tellerartigen Aufsatz in der Mitte!« »Genetics«, murmelte Dana. »Optische Erfassung eingeloggt«, erklärte Lieutenant Toober. »Wir werden allerdings erst in vierundzwanzig Minuten etwas zu sehen bekommen.« Dana nickte. Das fremde Schiff war vierundzwanzig Lichtminuten von ihnen entfernt aus dem Bergstromraum gekommen. Daher würden die optischen Systeme vorerst nichts anzeigen können. »ScanAuswertung auf den Schirm!«, befahl Dana. Der große Monitor auf der Brücke der STERNENFAUST zeigte die Umrisse eines Schiffes, wobei der Scanner mit Hilfe des Bordcomputers die Informationen so berechnete, dass er schließlich ein Bild konstruierte, das von einer rein optischen Erfassung kaum zu unterscheiden war. »Ich werde die Gauss-Stationen besetzen lassen«, sagte Taktikoffizier Lieutenant Commander Robert Mutawesi. »Glauben Sie wirklich, die sind noch in der Lage, auf uns zu feuern?«, wollte Stephan van Deyk von ihm wissen. Der hagere Afrikaner ließ sich davon jedoch nicht beirren: »Es ist die Standard-Prozedur bei Schiffskontakt mit unidentifizierten Raumschiffen.« Dana konnte sehen, wie Stephan van Deyk ein bisschen abfällig lächelte. Sie wusste genau, was im Moment in ihm vorging. Während er sich den Kopf darüber zerbrach, wie man die Besatzung des fremden Schiffes vielleicht doch noch retten konnte, traf Lieutenant Commander Mutawesi lediglich Vorkehrung, damit man notfalls auf die Fremden feuern konnte. »Versuchen Sie, das Schiff zu kontaktieren«, sagte Dana zu Lieutenant Jamil. »Bremswerte bei über fünfzehntausend Meter pro Sekundenquadrat«, meldete Lieutenant Toober. Das war weitaus mehr als bei der STERNENFAUST, dennoch würde es Stunden dauern, bis das Schiff
eine Geschwindigkeit erreicht hatte, bei der an eine Bergung von Überlebenden überhaupt nur zu denken war. »Der Computer errechnet einen radikalen Anstieg kurzwelliger Gamma-Strahlung im Bugbereich auf über neuntausend Millisievert. Infrarot-Scans deuten auf eine Hitze der Außenhülle von 260 Grad hin, Tendenz steigend.« »Hitzeverteilung?«, wollte Stephan van Deyk wissen. »Bug 230 Grad, Heck 300 Grad …«, erklärte Lieutenant Toober und stockte. Besorgt drehte sie sich zu Dana Frost um. »Im hinteren Teil des Schiffes ist also eine höhere Hitzestauung als vorne«, murmelte Dana laut. »Dies liegt nicht an der Strahlungsdichte aufgrund der hohen Geschwindigkeit. Der konventionelle Fusionsreaktor hat offenbar ein Leck.« »Inzwischen erhalte ich Scans über die Beschaffenheit der Außenhülle«, erklärte Lieutenant Toober und berührte mehrere Touchscreen-Felder, was zur Folge hatte, dass neben der optischen Darstellung auf dem Hauptschirm ein Modell des Schiffes eingeblendet wurde. »An der Backbordseite sehen wir vier Strukturrisse«, erklärte sie und ließ die jeweiligen Stellen farblich auf der Anzeige hervorheben. »Das sind Spuren von Gauss-Geschossen.« »Das Schiff war in einen heftigen Kampf verwickelt«, erklärte Lieutenant Commander Mutawesi. In diesem Moment färbte sich die optische Anzeige des Sichtschirms in gleißendes Weiß. Nur Sekunden später wurde der Bildschirm schwarz, und es war nichts anderes zu sehen als die Darstellung des Sternenhimmels. Von dem fremden Schiff fehlte jegliche Spur. Dana Frost seufzte. Sie waren Zeuge eines grauenvollen Schauspiels geworden. Sie hatten miterlebt, wie das unbekannte Schiff kurz nach dem Verlassen des Bergstromraums explodiert war. Wahrscheinlich würden sie niemals die wahren Hintergründe erfahren, die zu dieser Katastrophe geführt hatte. Das All war riesig,
und in seiner monströsen Schwärze verbarg es die meisten Geheimnisse für immer. Zugleich fühlte sich jeder im All mit anderen Besatzungen auf seltsame Weise verbunden. Auch wenn niemand die Crew des fremden Schiffes kannte, ging allen auf der Brücke der Tod dieser unbekannten Raumfahrer nahe. »Senden wir eine Scan-Sonde los«, sagte Dana und überlegte kurz, wie absurd das Leben war. Gerade hatte irgendeine Crew ihre letzte Fahrt erlebt, während die Crew der STERNENFAUST in wenigen Minuten wieder ihren Routineaufgaben nachkommen würde. »Danach setzen wir wie geplant …« »Ma’am!«, unterbrach sie Lieutenant Toober. »Ich empfange die Signaturen von acht Rettungskapseln.« Dana schüttelte den Kopf. Wenn die acht Kapseln das Schiff verlassen hatten, während es sich noch auf dem Bremsflug befand … »Wie schnell sind die Rettungskapseln unterwegs?« »0,8 LG«, antwortete Lieutenant Toober. Dana wischte sich mit der Hand über die Augen. Bei dieser Geschwindigkeit war es der STERNENFAUST unmöglich, einen Parallelkurs einzunehmen. Ein Rettungsversuch war ohnehin zwecklos. Innerhalb von Minuten würden sich diese Rettungskapseln in glühende Särge verwandeln. »Die Kapseln drehen sich«, meldete Lieutenant Toober. Dana wusste zunächst nicht, was die junge Offizierin meinte. »Bekommen Sie die Kapseln in die optische Erfassung?«, wollte Dana wissen. Lieutenant Toober hatte damit einige Probleme. Schließlich gelang es ihr, die Bildsignaturen von drei Rettungskapseln einzufangen. Und die blonde Ortungsoffizierin hatte recht gehabt. Die Kapseln, die an Torpedos erinnerten, hatten sich im Flug gedreht, sodass es nun schien, als würden sie rückwärts fliegen. »Es handelt sich bei den Rettungskapseln um autarke Einheiten
mit Baryonen-Triebwerken!«, meldete sich van Deyk zu Wort. »Ich habe über einige Testreihen gelesen. Es sind die wirksamsten Beschleunigungsantriebe, die es aktuell gibt, aber sie werden nur bei Abwehrraketen und Raum-Torpedos verwendet. Kein Andruckabsorber, der mir bekannt ist, könnte die Beschleunigung eines Baryonen-Triebwerks so weit ausgleichen, dass ein menschlicher Organismus darin überleben könnte.« In diesem Moment deutete ein helles Aufleuchten darauf hin, dass die Triebwerke gezündet wurden. »Mehrere extreme Bremsmanöver in Folge«, berichtete Lieutenant Toober. »Geschwindigkeit nun bei 0,7 LG.« Dana schüttelte den Kopf. »0,6 LG.« Es war unglaublich. Die konnten nahezu im Minutentakt um jeweils zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit abbremsen. Wer sich auch immer in diesen Rettungskapseln befand, es war undenkbar, dass er noch am Leben war. Bei 0,2 LG stoppten die Bremsmanöver. Vielleicht waren auch die internen Energiereserven aufgebraucht. »Gehen wir auf Parallelkurs und holen die Rettungskapseln an Bord«, sagte Dana. »Vielleicht finden wir darin einige Antworten darauf, was hier vorgefallen ist.«
* »Ich messe schwache Biosignale«, erklärte Dr. Scott, die ihren Scanner auf die Kapseln gerichtet hielt. Nach drei Stunden war es gelungen, alle acht Rettungskapseln an Bord zu nehmen. Sie waren im Frachtraum 2 aufgereiht und mit bleihaltigem Schwerschaum besprüht worden. Zwei Crewmitglieder hielten sich mit Thermostrahlern bereit, um die Kapseln zu öffnen. »Das können unmöglich Menschen sein«, sagte Lieutenant Com-
mander van Deyk. »Kein normaler Mensch hätte das überleben können.« »Ein normaler Mensch vielleicht nicht«, sagte Dana. »Sergeant Ragnarök S. Telford«, sprach der Erste Offizier in seinen Armbandkommunikator. »Kommen Sie sofort in den Frachtraum zwei. Und bringen Sie mindestens ein Dutzend Marines mit.« »Ich messe eindeutig Lebenszeichen«, erklärte Dr. Scott. »Aber Sie sind sehr schwach. Wenn es tatsächlich eine Chance gibt, die Insassen der Kapseln zu retten, müssen wir uns beeilen.« »Das ist mir bewusst«, sagte Dana. »Ich werde dennoch kein Risiko eingehen. Wir warten auf Telfords Team.« Die Schiebetüren öffneten sich, und Sergeant Telford eilte mit zwölf Marines herein. Alle hatten einen Nadler in der Hand und bezogen Stellung. Dana war nicht naiv. Sie wusste, dass auf den Genetic-Welten in alle mögliche Richtungen geforscht wurde. Man griff in das menschliche Genom ein, um perfekte Techniker, Forscher und auch Führungskräfte zu erschaffen. Zugleich hatten die Genetics immer wieder Versuche angestellt, den perfekten Soldaten zu züchten. Und dafür musste sie nur ihren Sergeant ansehen. Ragnarök S. Telford war ein Genetic, ein Hüne von über zwei Metern mit schnellen Reflexen und perfekt antrainierten Kampftechniken. Doch auch er galt auf den Genetic-Welten inzwischen als »überholt«. »Öffnen Sie den ersten Behälter«, sagte Dana, und zwei Techniker setzten sich in Bewegung. Zur Sicherheit trugen sie Schutzkleidung, die fast an einen Kampfanzug der Marines erinnerte. Der Thermostrahler schnitt sich schnell durch das zum Teil verkohlte Material der Kapseln, von denen immer noch eine hohe radioaktive Strahlung ausging. Es dauerte keine zwei Minuten, und die Crewmitglieder konnten die Verriegelung öffnen und die Vorderklappe hochziehen. Dampf kam zum Vorschein und ließ Dana zurückschrecken.
Wie Dana vermutet hatte, im Inneren der Kapsel musste es unendlich heiß sein. Langsam wagte sich Dana einen Schritt Richtung Kapsel. »Biosignale noch immer sehr schwach, aber stabil«, sagte Dr. Scott, hielt sich jedoch auf Abstand. Dana nickte und näherte sich der Öffnung. Schließlich reckte sie den Hals, um in die Kapsel hineinsehen zu können. Dort lag ein junger Mann mit einer seltsam grünen Hautfarbe. Es war kein Zweifel: Dies war ein genetisch veränderter Mensch, wobei Dana natürlich noch nicht sagen konnte, welchem Zweck die offenbar genetisch veränderte Haut diente. »Versuchen Sie, ihn aus der Kapsel zu heben«, sagte Dana, als der Fremde plötzlich die Augen aufriss. Die Marines richteten sofort ihre Nadler auf den Fremden. »Bitte …«, hörte Dana ein hilfloses, kaum verständliches Keuchen. »Das klang wie ›bitte‹«, sagte Stephan van Deyk. Dana zögerte nicht und beugte sich zu dem jungen Mann hinunter. »Können Sie mich hören?«, wollte sie wissen, doch erneut keuchte der junge Mann nur ein »Bitte«, das sie diesmal wesentlich besser verstehen konnte. »Bleiben Sie ruhig«, sagte Dana. »Wir sind dabei, Ihnen zu helfen.« »Ahhhsüüüü …«, hörte Dana. Sie wusste nicht, ob das ein Wort sein sollte, oder ob der Fremde einfach nur einen Schmerzenslaut von sich gegeben hatte. »Wir kümmern uns um Sie«, erklärte Dana und hoffte, der junge Mann würde sich beruhigen, wenn sie ihn mit Informationen versorgte. »Sie sind auf der STERNENFAUST, einem Schiff des Star Corps. Wir werden Sie medizinisch versorgen. Sie sind nicht mehr in Gefahr.« »Ahhhsüüü …«, ertönte es erneut. »Ma’am«, mischte sich nun Sergeant Telford ein. »Ich glaube, er
bittet um Asyl.« Dana hätte fast laut aufgeschrien, als plötzlich die Hand des jungen Mannes nach ihr griff. Seine Handfläche war feucht und mehrwürdig rau, sodass sie den Reflex verspürte, sie abzuwehren. Doch zugleich erkannte sie, dass der Fremde ihr nichts tun wollte. Vielmehr klammerte er sich in seiner Angst an sie. »Beruhigen Sie sich«, sagte Dana. »Bitte geben Sie uns Asyl!«, flüsterte der Fremde und blickte sie mit verzweifelten Augen an. »Wir bitten Sie: Wir sind auf der Flucht vor den Genetics!«
* »Der junge Mann möchte unbedingt mit Ihnen sprechen«, erklärte Dr. Scott. Ihre grünen Augen funkelten, und ihre Brust hob und senkte sich heftig. »Wie geht es den anderen?«, wollte Dana Frost wissen. Dana konnte sehen, dass Dr. Scott leicht die Schultern zuckte, um schließlich mit einem verärgerten Gesichtsausdruck Dr. Sparker anzusehen. Dr. Sparker hatte ihr bei der Versorgung der Verletzten assistiert. »Ich weiß, was Sie denken«, sagte Dr. Sparker und runzelte die Stirn, was bei ihrem ansonsten nahezu faltenlosen Gesicht seltsam aussah. »Dann sagen Sie mir, was ich denke«, erwiderte Dana unterkühlt. »Sie denken, weil ich eine Genetic-Ärztin bin, weiß ich auf Anhieb, welche Behandlung diese genetisch veränderten Menschen benötigen.« »Sie haben zumindest mehr Erfahrung auf dem Gebiet als eine Ärztin der Solaren Welten«, wandte Dana ruhig ein. »Nicht in diesem Fall«, erklärte Dr. Sparker, und Dana war sich sicher, dass die Ärztin die Wahrheit sagte.
»Sie haben derlei also noch nie gesehen«, hakte Dr. Scott misstrauisch nach. »Denn eines kann ich Ihnen versichern: Ich habe von etwas Vergleichbarem noch nicht einmal gehört. Ich kenne keine Hautzellen mit Chloroplasten.« »Gehört habe ich davon durchaus«, erklärte Dr. Sparker nach einigem Zögern. »Und was genau ist es, wovon Sie gehört haben?«, wollte Dana wissen. »Von Verbindungen des menschlichen Genoms mit pflanzlichen Strukturen«, erklärte Dr. Sparker. Dana musste schlucken. »Wollen Sie damit sagen, dass die Gene dieser Menschen mit pflanzlichen Zellen gekreuzt wurden?« »Ich will damit sagen, dass man einige dieser Menschen mit den Eigenschaften der Photosynthese ausgestattet hat. Das bedeutet, dass sie so gut wie ohne Nahrung überleben können. Die Haut dieser Menschen enthält sogenannte Chloroplasten. In ihnen ist Chlorophyll eingelagert, ein lichtabsorbierender Farbstoff, der sie befähigt, Lichtenergie in chemische Energie umzuwandeln. Sie sind daher in der Lage, Kohlenhydrate aus Kohlenstoffdioxid und Wasser zu synthetisieren.« Dana konnte ein Kopfschütteln nicht unterdrücken. »Captain Frost«, sagte Dr. Sparker streng. »Ich glaube daran, dass es zulässig und wichtig ist, die genetische Optimierung voranzutreiben, wenn wir dadurch bessere Forscher werden können. Auch glaube ich, dass genetische Anpassungen nötig sind, wenn wir den Weltraum weiter besiedeln wollen, denn nicht alle Planeten verfügen über die gleichen Umweltbedingungen wie die Erde, und auch dem Terraforming sind Grenzen gesetzt. Doch nur weil ich von den Drei Systemen stamme, bedeutet das nicht, dass ich jegliche Form der genetischen Mutation befürworte.« Dana hatte keine Lust auf eine moralische Diskussion. »Ich will nur wissen, wie es um den Gesundheitszustand der Passagiere
steht.« »Sie haben Doktor Sparker ja gehört«, fuhr Dr. Scott dazwischen. »Wir müssen diese bedauernswerten Mutationen nur kräftig genug gießen und düngen.« »Wie ich schon sagte«, erwiderte Dr. Sparker zornig, »ich bin nicht …« »Bitte«, fuhr Dana dazwischen und hob energisch die Hände. »Es geht mir nicht um Schuldzuweisungen, sondern um das Wohlbefinden der Patienten, bei denen es sich zugleich um Passagiere der STERNENFAUST handelt. Daher bin ich für sie verantwortlich.« »Wir benötigen mehr Informationen«, erklärte Dr. Sparker. »Wir müssen die Genetic-Welten kontaktieren. Dort wird man uns sagen können, was wir für die Patienten tun können. Im Moment scheinen sie vor allem Licht und Feuchtigkeit zu benötigen.« »Was ist mit der jungen Frau, die als Einzige eine blaue Hautfarbe hat?« »Die Untersuchungen laufen noch«, erklärte Dr. Sparker. »Im Moment erscheint es mir naheliegend, dass die blaue Hautfarbe ein Nebeneffekt eines verbesserten Metabolismus ist.« »Die junge Frau hat als Einzige das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt«, fügte Dr. Scott hinzu. »Haben Sie eine Vermutung, weshalb der junge Mann Asyl gefordert haben könnte?«, sagte Dana zu Dr. Sparker und kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Wenn diese Leute auf der Flucht sind«, sagte Dr. Sparker kalt, »dann nur deshalb, weil sie irgendein Gesetz der Drei Systeme gebrochen haben.« »Ma’am«, wandte Dr. Scott ein, »vielleicht sollten Sie zunächst selbst mit dem jungen Mann sprechen.« Dana nickte. »Das werde ich!« Sie konnte Dr. Sparker am Gesicht ablesen, dass der Genetic-Ärztin dieser Vorschlag nicht gefiel.
Es mochte stimmen, dass Dr. Sparker nichts von den Genetic-Experimenten wusste, die man an diesen Menschen vorgenommen hatte. Es mochte auch sein, dass sie diese nicht guthieß. Doch irgendetwas verheimlichte Dr. Sparker, davon war Dana überzeugt. Dana wünschte, Bruder William wäre an Bord, doch der Christophorer-Mönch befand sich zurzeit auf einem Seminar auf Sirius III. Er hätte ihr mit seiner manchmal fast an Telepathie grenzende Menschenkenntnis sicher helfen können. Doch auch ohne den Rat von Bruder William war Dana überzeugt, dass Dr. Sparker mehr wusste, als sie zugab.
* »Meine Name ist Dana Frost«, stellte Dana sich vor. »Ich bin die Kommandantin des Schiffes. Darf ich fragen, wie Sie heißen?« »Kevin S. Prize«, antwortete der junge Mann. Dana nickte. Die meisten Genetics wurden schon vor ihrer Geburt auf eine bestimmte soziale Funktion hin gezüchtet, und diese Funktion wurde in der Regel auch als Buchstabenkürzel in den Namen aufgenommen. R stand zum Beispiel für Ruler, D für Doctor … Und S stand für Soldier. »Sie wollten mich sprechen?«, begann Dana, während sie sich neben der Medo-Liege des jungen Patienten platzierte. Soweit sie sehen konnte, bedeckte die grüne Haut den gesamten Körper des jungen Genetic. Sein Kopf war ohne Haare, er besaß nicht einmal Augenbrauen. Auf der Krankenstation hatte Dr. Scott mehrere LED-Leuchter aufgestellt. Obwohl von den acht Passagieren keine Gefahr auszugehen schien, hatte man sie an den Liegen fixiert. Außerdem hielten mehrere Marines auf der Krankenstation Wache. Es mochte übertriebenes Misstrauen sein. Es mochte sogar unmenschlich wirken, schwer verletzten Flüchtlingen mit einem derar-
tigen Argwohn zu begegnen. Doch Dana durfte kein Risiko eingehen. Es handelte sich hier um acht genetisch optimierte Personen, wahrscheinlich genetisch optimierte Soldaten. Es waren Kämpfer, die etwas überlebt hatten, das für »normale« Menschen tödlich gewesen wäre. »Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, erwiderte der junge Mann und sah Dana müde blinzelnd mit seinen grünen Augen an. »Haben Sie Schmerzen?«, wollte Dana wissen, doch Kevin S. Prize schüttelte schwach den Kopf. »Mein limbisches System reagiert bei anhaltenden Schmerzinformationen, indem es die Schmerzwahrnehmung deaktiviert«, erklärte er. »Anhaltende Schmerzinformationen?«, fragte Dana nach. Kevin S. Prize nickte. »Schmerzen sind ein Alarmsignal, um den Körper zu schützen. Hält der Schmerz an, ist es meist eine Reaktion auf eine aussichtslose Schmerzsituation. In solchen Fällen ist beim Kampfeinsatz die Wahrnehmung des Schmerzes eher hinderlich.« »Können Sie uns sagen, was passiert ist, Mister Prize?«, wollte Dana wissen. Der junge Mann warf einen zögerlichen Blick auf Dr. Sparker. Dana verstand. Der junge Genetic wollte im Beisein von Dr. Sparker nicht sprechen. »Doktor Sparker …«, setzte Dana an, doch die Genetic-Ärztin ließ sie nicht ausreden. »Ich verstehe schon, Captain Frost«, erwiderte sie unterkühlt. »Dann werde ich mich mal ins Labor begeben und mich um ihr anderes Problem kümmern.« Dana verzog die Mundwinkel. Im Grunde konnte sie die GeneticÄrztin sogar verstehen. Dr. Sparker hatte sich bereiterklärt, den Solaren Welten dabei zu helfen, mehr über eine massive Bedrohung zu erfahren. Und dennoch wurde sie auf diesem Schiff nicht sehr freundlich behandelt. Und jetzt erlebte sie noch größeres Misstrauen von Personen, die wie sie Genetics waren.
»Mister Prize«, begann Dana. »Sie sagten, Sie wollten die Solaren Welten um Asyl bitten. Vor wem sind Sie auf der Flucht?« »Vor den Genetic-Welten«, sagte der junge Mann und blickte sich erneut ängstlich um. »Haben Sie etwas verbrochen?«, wollte Dana wissen. Prize war sicher nicht der erste genetisch hochgezüchtete Supersoldat, der sich schließlich für die eigenen Leute zur Gefahr entwickelte. »Oh ja«, sagte Kevin S. Prize und klang ein wenig zynisch. »Wir haben alle etwas verbrochen. Unser Verbrechen liegt darin, überholt zu sein.« Dana verstand nur zur Hälfte. »Das heißt wohl, Sie sind, was die genetische Optimierung angeht, nicht mehr der letzte Schrei.« Dana konnte das kaum glauben. Nicht angesichts dessen, was sie bislang über seine Fähigkeiten wusste. »Pflanzliche Hautstrukturen sind von Vorteil«, sagte Kevin S. Prize. »Zum Leben benötigen wir Licht, Wasser, Kohlendioxid und Stickstoff. Wir können monatelang ohne Nahrungsvorräte auf Planeten ausharren, die andere nur im Raumanzug betreten können.« »Das ist zweifellos nützlich!«, murmelte Dana. »Es ist Schnee von gestern«, lachte Kevin S. Prize verbittert auf. »Unsere Photosynthese stoppt bei Temperaturen unter zehn Grad. Und es gibt inzwischen Genetics, die als Abfallprodukte der Photosynthese körpereigene Steroide erzeugen. Die können noch kämpfen, wenn wir schon im Koma liegen.« »Damit ist Ihre Karriere wohl beendet«, sagte Dana. »Das allein ist es nicht«, flüsterte der junge Genetic nun und sah wieder ängstlich um sich. »Die genetische Entwicklung wird immer schneller. Die Zuchtraten haben sich allein in den letzten drei Jahren verfünffacht. Die Wachstumsbeschleunigung kann inzwischen innerhalb von vier Jahren eine neue Genetic-Generation hervorbringen. Doch da genau liegt das Problem: Was soll man mit den alten Genetics tun?«
»Und was tut man mit diesen Genetics?«, wollte Dana wissen. »Sie werden abgeschoben«, sagte Kevin S. Prize. Dana nickte. Sie hatte davon gehört, allerdings war ihr nie so recht klar gewesen, was unter diesem »Abschieben« zu verstehen war. »Was heißt das konkret?«, wollte sie wissen. »Vor einigen Jahren waren es noch Lager oder unwirtliche Planeten, Hauptsache weit entfernt von Darelis, Einstein oder Epikur. Doch inzwischen haben sich diese Exile in Endlager entwickelt. In Todescamps. Müllkippen für überholte Genetics. Mit Lebensbedingungen, die so haarsträubend sind, dass man inzwischen von gezieltem Genozid sprechen kann.« »Übertreiben Sie da nicht ein wenig?« »Die Hauptindustrie der Drei Systeme lebt von der permanenten Optimierung. Eltern investieren oft ihr gesamtes Vermögen, um den idealen Nachwuchs züchten zu lassen. Sie glauben, damit ihren Kindern eine gute Zukunft erkaufen zu können und ahnen nicht, dass eine genetische Verbesserung, die heute noch sechs- bis siebenstellige Beträge kostet, morgen schon überholt und wertlos sein wird. Bei den Soldaten hat es angefangen, sie werden auch meist am Wenigsten vermisst, weil sie dank der vielen Kampf- und Übungseinsätze – nicht selten im Auftrag der interstellaren Industrie – kaum soziale Bindungen aufbauen können. Man nennt es dann offiziell Trainingseinsätze in Außenbezirken, in Wahrheit verkümmern sie auf kargen Planeten ohne Hoffnung. Doch inzwischen müssen auch andere Genetic-Stämme daran glauben.« Dana seufzte. Was hatte sie sich da eingefangen? Sie hatte sich genetisch hochgezüchtete Supersoldaten an Bord geholt. Supersoldaten, die, wenn ihre Geschichte stimmte, nicht mehr viel zu verlieren hatten. Es war zumindest unwahrscheinlich, dass sich der junge Mann eine so extreme Geschichte ausdachte. Doch wenn er log, war er erst recht ein Sicherheitsrisiko.
»Was erwarten Sie von mir?«, wollte Dana schließlich wissen. »Wir sind mit einem gekaperten Schiff geflohen«, erklärte der junge Mann und blinzelte, sodass Dana für einen kurzen Moment glaubte, in die Augen eines Kindes zu blicken. »Doch bevor wir in den Bergstrom-Raum eindrangen, wurde unser Schiff beschossen. Wir haben es nicht mehr bis zu unseren Zielkoordinaten geschafft, sie sind aber höchstens zwölf Lichtjahre von hier entfernt.« »Und was befindet sich an diesen Koordinaten?« »Ein Treffpunkt«, sagte der junge Mann und lehnte sich erschöpft zurück. »Jemand, der sich darauf spezialisiert hat, Genetics wie uns Zuflucht zu gewähren, wollte uns dort bei sich aufnehmen. Von dort werden wir zu einer Kolonie gebracht, wo Genetics wie wir ein friedliches Leben führen können.« Dana schüttelte unmerklich den Kopf. Sie ahnte, worauf das hinauslief. Prize wollte mit der STERNENFAUST zu diesen Koordinaten gebracht werden. »Mehr verlangen wir gar nicht«, betonte Kevin S. Prize, der offenbar Danas Gedanken erraten hatte. »Es ist für Sie sicher kein großer Aufwand, uns zu diesen Koordinaten zu fliegen. Zumindest ist es einfacher, als uns zu den Drei Systemen zurückzubringen.« Dana lächelte. Sie überlegte einen Moment, ob Sie den jungen Genetic weiter im Ungewissen lassen sollte. Wahrscheinlich wäre es die bessere Entscheidung, aber irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen. Es war gut möglich, dass sie dem jungen Soldaten nicht würde helfen können, daher hatte er zumindest die Wahrheit verdient. »Mister Prize«, sagte Dana ruhig und widerstand dem Drang, ihm die Hand zu halten. »Leider muss ich Ihnen sagen, dass unser Ziel bereits vor Ihrer Ankunft die Drei Systeme waren. Das Einstein-System, um genau zu sein. Und es geht dabei um eine Frage der Sicherheit der Solaren Welten, der Flug dorthin hat oberste Priorität. Daher wäre es durchaus problematisch, diesen Einsatz weiter zu verzögern und Sie vorher zu den gewünschten Koordinaten zu bringen.«
Der junge Genetic-Soldat schloss die Augen. Dana glaubte, seine grüne Gesichtsfarbe sei blasser geworden. »Ich werde die Angelegenheit mit meinen Vorgesetzten abklären«, sagte sie schließlich, aber sie hatte wenig Hoffnung. Dana erhob sich und atmete tief durch. »Und noch etwas«, brachte sie seufzend hervor. »Sobald es Ihr Zustand erlaubt, werde ich veranlassen, dass Sie und Ihre Gefährten in die Arrestzellen der STERNENFAUST gebracht werden. Ich werde Doktor Scott bitten, in den Zellen alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Auch an LED-Strahlern soll es nicht fehlen.« »Ich verstehe«, sagte Kevin S. Prize und klang ein wenig gekränkt. Als er blinzelte, sah Dana, dass seine Augen feucht schimmerten. »Vertraue nie einem Genetic«, gab er unter einem bitteren Lächeln von sich. »Das ist doch das Motto der Natürlichen. Für euch sind wir Monster, Verbrechen an der Natur! Freaks!« »Mister Prize«, erwiderte Dana, und ihre Stimme klang nun kalt und entschlossen. »Sie haben recht, ich traue Ihnen nicht. Als Kommandant eines Kreuzers kann ich mir Leichtgläubigkeit nicht leisten.« Nun beugte sie sich ein wenig zu dem Patienten hinunter. »Doch eines bin ich nicht, und das sollten Sie nie vergessen, Mister Prize! Ich bin nicht Ihr Feind!«
* Doktor Blair D. Sparker gingen die acht Genetics nicht aus dem Kopf. Blair war alles andere als dumm. Sie hatte einen analytischen IQ von über dreihundert. Das bedachten die Regierungen der Drei Systeme nicht. Man konnte nicht auf der einen Seite die Intelligenz der Bewohner künstlich hochzüchten und auf der anderen Seite die eigenen Bürger für dumm verkaufen. Und natürlich hatte sie schon lange vermutet, dass etwas faul war
in den Drei Systemen, und dass man Genetics, für die keine Verwendung mehr bestand, regelrecht entsorgte. Insbesondere natürlich Soldaten, aber inzwischen durchaus auch Wissenschaftler und Techniker. Sie selbst war vorerst natürlich nicht in Gefahr. Sie gehörte noch immer zu den Topwissenschaftlern. Außerdem hatte sie auch außerhalb der Drei Systeme einen gewissen Ruf. Ihr Verschwinden würde zu sehr auffallen. Erneut betrachtete Blair die Bausteinlücken in den Gen-Sequenzen, wie sie bei geklontem Material üblich waren. Doch dann fiel ihr etwas auf, dem sie zuvor keine Bedeutung beigemessen hatte. Der Magnesium-Anteil der Leiche lag bei zweiundvierzig Gramm, der Eisenanteil bei 5,6 Gramm. Das waren deutlich erhöhte Werte. Außerdem fand sie Spuren von Gallium und Silizium. Blair programmierte den Elektronen-Scanner neu. Er sollte ihr nun das exakte Vorkommen dieser Metalle anzeigen. Sie erstarrte. Es befanden sich nicht etwa nur Spuren dieser Metalle auf molekularer Ebene in dem Körper des Toten, diese Metalle bildeten regelrechte Einheiten. Winzige Einheiten, Bruchteile eines Pikogramms, aber Einheiten! Das waren keine Spurenelemente mehr. Das waren winzige Metallvorkommen. Naniten, ging es Blair durch den Kopf. Das sind Überreste von Naniten! Geschwind überprüfte Blair die Krankenunterlagen der Leiche. Sie klickte sich durch die medizinischen Daten, welche Dr. Strobl auf der AMSTERDAM angefertigt hatte. Seine Gewebescans waren natürlich nicht so detailliert wie ihre, aber wenn der Körper damals schon Metallspuren aufgewiesen hatte, müsste dies in den Akten vermerkt sein. 32 Gramm Magnesium, 3,1 Gramm Eisen. Die Werte waren nur
zwei Tage vor dem Tod des Klons völlig normal gewesen. Es war natürlich noch immer möglich, dass der Tote damals noch kein Klon gewesen war, doch Blair bezweifelte das entschieden. Schließlich kam ihr ein ganz verwegener Gedanke. Blair war in Medo-Nanitentechnik ein bisschen bewandert. Viele Heilverfahren nutzten Nanitentechniken, insbesondere auf den Genetic-Welten. Daher kannte sie auch einige genetische Grundlagen. Was, wenn sich in den Körpern der Klone Naniten befanden, welche verschiedene Aufgaben erfüllten, zum Beispiel, die zellularen Bausteinlücken zu überbrücken? Wenn diese Naniten ihre Energie aus den elektrischen Impulsen des Gehirns bezogen, konnten sie endlos lange bestehen, indem sie sich gegenseitig ersetzten. Zugleich war es denkbar, dass sie mittels elektromagnetischer Induktion auf das neurale Netz einwirkten. Dies würde erklären, weshalb die Doppelgänger so feindselig handelten, obwohl sie weitaus mehr waren als nur Klone. Sie waren bis hin zum Gehirngewebe exakte Kopien der Originale. Die Naniten nutzten offenbar einen Teil der Energie, um sich zu tarnen. Beim Eintritt des Gehirntods vernichteten sich die Naniten selbst und hinterließen im Körper nur noch Überreste. Doch bis dahin waren die Naniten nicht zu scannen. Und sie täuschten auch ganz gewöhnliche Bio-Scanner, indem sie die Bausteinlücken ausglichen, sodass die Klone unerkannt blieben. »Dana Frost«, murmelte sie in Gedanken vor sich hin, »das, was ich herausgefunden habe, wird Ihnen und den Solaren Welten nicht gefallen.« Wenn ihre Theorie stimmte – und Blair war es gewohnt, dass ihre Theorien stimmten – dann hatte es das Star Corps mit einem weitaus mächtigeren Feind zu tun als bislang angenommen. Denn dieser Feind konnte sich mithilfe extrem weit entwickelter Technik vollkommen unerkannt einschleusen und war erst zu entdecken, wenn er tot war.
* »Ein wenig weit hergeholt scheint mir Ihre Theorie«, sagte Dana und musterte die rothaarige Genetic-Ärztin, die mit ihrem glatten Gesicht und dem geflochtenen Zopf eher an eine Medizinstudentin erinnerte als an eine Koryphäe. »Verzeihen Sie meine Offenheit, Captain Frost«, sagte Dr. Sparker mit herbem Tonfall, »aber wenn es eine naheliegendere Lösung gäbe, hätten sie wohl die medizinischen Fachkräfte des Star Corps bereits ohne meine Hilfe herausgefunden.« Fast musste Dana über diese Spitze ein wenig lächeln. Wo Dr. Sparker recht hatte, da hatte sie eindeutig recht. Dr. Scott hob ratlos die Hände. »Wir sprechen also von getarnten Naniten!« Sie warf erst einen Blick auf Dr. Sparker, dann auf Dana. »Was heißt da Naniten, wir sprechen von regelrechten Supernaniten. Sie beziehen ihre Energie aus den elektrischen Gehirnimpulsen, sie tarnen sich, sie täuschen Bio-Scanner, indem sie durch Klonen entstandene Bausteinlücken in den Zellen reparieren und sie beeinflussen den Willen der geklonten Personen, indem sie auf die Nervenbahnen einwirken.« Wieder blickte sie hilflos hin und her, offenbar wartete sie darauf, dass Dana ihr beipflichtete. »Vielleicht können Sie auch über den X-Raum Befehle von einem unbekannten Feind empfangen«, spottete Dr. Scott. »Das wäre durchaus denkbar«, antwortete Dr. Sparker ungerührt. »Nun hören Sie aber auf«, schüttelte Dr. Scott den Kopf. »Sie fangen an, Gespenster zu sehen.« Dr. Sparker schüttelte leicht den Kopf. »Die Schiffsdaten der AMSTERDAM haben gezeigt, dass keine Funknachrichten an die HELSINKI abgesendet wurden. Dennoch wusste die Verräterin der HELSINKI exakt über den geplanten Austrittspunkt der AMSTERDAM Bescheid. Und ich glaube nicht, dass die Verräter dafür den Bergstromfunk verwenden.«
Dana holte tief Luft. »Das ist absurd«, sagte Dr. Scott. Dana wollte sich in den Streit der beiden Doktoren nicht hineinziehen lassen, zumal sie das Ego von Dr. Scott sehr wohl kannte. Es stand dem von Dr. Sparker in nichts nach. Aus diesem Grund war Dr. Scott bereits mit Dr. Tregarde nicht sonderlich gut ausgekommen, was keineswegs allein an der in der Tat überheblichen Art von Dr. Tregarde gelegen hatte. »Wie auch immer«, sagte Dana. »Wenn ich Sie recht verstehe, Doktor Sparker, sehen Sie keine Möglichkeit, die Klone zu enttarnen, solange sie noch am Leben sind.« »Leider ist das im Moment mein vorläufiges Fazit. Aber zumindest haben wir hier eine Arbeitshypothese, welche wir auf Einstein hoffentlich genauer untersuchen können.« »Dann kann ich nur hoffen, dass es dort nicht bei diesem Fazit bleibt«, sagte Dana. »Nicht nur, dass es die Solaren Welten mit einem mehr als gefährlichen Feind zu tun haben, der noch immer das Wega-System besetzt hält. Wenn sich erst einmal herumspricht, dass jeder von uns ein Klon sein kann, der für einen gefährlichen Gegner arbeitet, wird sich bald eine Paranoia in den Solaren Welten ausbreiten, die mehr Unheil anrichten wird als der Gegner selbst.« »Es gibt etwas, das ich bereits jetzt untersuchen kann«, wandte Dr. Sparker ein. »Es gibt im Körper 61 Gene, welche die Reparatur von Brüchen in der DNA beschleunigen oder verzögern. Dabei sticht das Gen SPG48 besonders hervor, da es die Informationsmuster einer DNA-Reparatur beinhaltet. Meine Vermutung ist, dass die Naniten für eine SPG48-Überfunktion sorgen. Auch die anderen ReparaturGene dürften eine erhöhte Aktivität aufweisen. Ich gehe im Moment von einer Steigerungsrate von bis zu zwanzig Prozent aus. Wenn nun eine Testperson über mehrere Stunden einen Zellscanner bei sich trägt, würde der Scanner diese Abnormität aufdecken.« »Und dann wüssten wir, dass die Person eine Kopie ist?« »Das nicht«, erklärte Dr. Sparker. »Dann hätte wir allenfalls einen
eingegrenzten Personenkreis. Wir sprechen hier von stark individuellen Eigenheiten mit einer nicht unerheblichen Spannweite. Wir müssten konkretere Untersuchungen vornehmen, darunter eine Analyse der Hirnstrom-Aktivitäten durch ein künstliches Koma oder gar durch Stasis-Experimente.« »Warum bringen wir nicht die gesamte Crew um, dann wissen wir es genau«, fiel ihr Dr. Scott ins Wort. »Das wäre in der Tat die einzige Methode, wirklich auf Nummer sicher zu gehen«, erwiderte Dr. Sparker trocken. »Nun gut«, erklärte Dana. »Wie viele dieser Zellscanner befinden sich an Bord?« »Theoretisch können wir jeden gewöhnlichen Bio-Scanner für die Aufgabe modifizieren«, antwortete Dr. Scott. »Wir könnten solche Scanner notfalls auch aus den Thermo-Suits und Kampfanzügen ausbauen. Allein in der Krankenstation befinden sich zwei Dutzend dieser Scanner.« »Beginnen wir mit diesen«, sagte Dana. »Sollte sich wirklich ein Doppelgänger an Bord der STERNENFAUST befinden, dann dürfte er sich Zugang zu einem Schlüsselbereich verschafft haben. Wir sollten daher mit der Brückencrew beginnen.« »Sie klingen, als ob Sie bereits davon ausgehen, dass sich ein Spion auf der STERNENFAUST befindet«, sagte Dr. Sparker. »Das tue ich keineswegs«, verneinte Dana entschieden. »Und ich erwartete auch, dass die Scan-Werte keine Abweichungen aufweisen. Mir geht es darum, der Crew wieder so etwas wie Sicherheit zu geben.« »Ich werde mich sofort an die Arbeit machen«, erklärte Dr. Scott und erhob sich. Dr. Sparker blickte Dana fragend an. Sie hatte Dana offenbar am Gesicht abgelesen, dass ihr noch etwas auf dem Herzen lag. Dana nickte. »Es gibt noch ein anderes Thema, das ich mit Ihnen besprechen möchte.«
Ein leichtes Lächeln huschte über das Gesicht von Dr. Sparker. »Es geht um die acht Genetics, nicht wahr?« »Was hat das Star Corps entschieden?«, wollte Dr. Scott wissen. »Wir sollen unsere Mission fortsetzen. Das Aufspüren der Doppelgänger hat oberste Priorität. Ehrlich gesagt, ich habe auch nichts anderes erwartet.« »Über was wollten Sie dann mit mir sprechen, Captain Frost?«, sagte Dr. Sparker, erneut mit einem leicht abweisenden Unterton. Dana wusste genau, dass Dr. Sparker vollkommen klar war, worüber sie mit ihr reden wollte. Und sie erkannte, dass Dr. Sparker dieses Thema alles andere als angenehm war. »Es geht um die Behauptung unserer Gäste, in den Drei Systemen würden ausgemusterte Genetics regelrecht … beseitigt«, sagte Dana langsam und musterte dabei jede Gesichtsregung von Dr. Sparker. »Sie werden angeblich in Lager auf unwirtliche Planeten deportiert, die einem Todesurteil gleichkommen.« »Das haben sie behauptet?«, rief Dr. Sparker und verzog die Augenbrauen. »Das ist absurd«, sagte sie nach einer kurzen Pause, wobei Dana nicht entging, dass die Genetic-Ärztin plötzlich ihrem Blick auswich. »Was geschieht denn stattdessen mit diesen Leuten?«, mischte sich Dr. Scott ein. »Was geschieht mit Technikern, deren besondere Fähigkeiten nicht mehr gebraucht werden? Was passiert mit Forschern, deren Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, weit hinter denen einer neuen Generation zurückfallen? Und was wird aus Soldaten, die durch eine neue Gattung ersetzt werden, eine Gattung, die noch stärker, noch robuster und noch selbstloser ist?« »Was soll mit denen schon geschehen?«, spottete Dr. Sparker. »Was geschieht in Ihrer Gesellschaft mit Leuten, die nicht mehr mithalten können? Was tun Sie mit einem Raumschiffkommandanten, der den an ihn gerichteten Anforderungen und den Belastungen
nicht mehr gewachsen ist? Ganz einfach: Niemand kümmert sich um die Menschen. Man zwingt diese Leute einfach, sich andere Betätigungsfelder zu suchen. Erzählen Sie mir nicht, dass sich irgendwer in den Solaren Welten oder im Star Corps über derlei Einzelschicksale den Kopf zerbricht. Wenn der Mohr seine Schuldigkeit getan hat, kann er von der Bühne abtreten, und niemanden interessiert es auch nur ein bisschen, ob er damit zurechtkommt und was aus ihm wird.« »Das mag sein«, erklärte Dana ruhig. Sie hatte genau erkannt, dass Dr. Sparker dem Thema ausgewichen war. »Doch die Gesellschaft der Genetics funktioniert ein wenig anders. Im Jahr 2252 wurden alle Menschen ohne genetische Verbesserungen aus dem Bereich der Drei Systeme ausgewiesen. Durch die ständigen Verbesserungen und dank der Wachstumsbeschleunigung sind manche Genetics inzwischen wahrscheinlich genauso unerwünscht wie damals die Natürlichen. Nur kann man sie nicht so einfach wegschicken. Nicht, ohne das System an sich infrage zu stellen. Daher stellt sich mir die Frage: Was geschieht mit Genetics, die von neuen Generationen überholt werden.« »Wie ich schon sagte: Mit Ihnen geschieht das Gleiche wie auf Ihrer Welt, Captain Frost. Sie müssen zusehen, wie sie zurechtkommen.« »Ich stelle Ihnen jetzt eine einfache Frage, Doktor Sparker«, sagte Dana. Sie kniff die Augen leicht zusammen und beugte sich vor. »Und ich erwarte eine einfache und ehrliche Antwort. Könnte an der Behauptung von Mister Prize etwas Wahres dran sein?« Erneut wich Dr. Sparker Danas Blick aus. Dann verzog sie die Mundwinkel und sagte schließlich: »Es gibt in der Tat Gerüchte.« »Ich kann nicht glauben, was ich da höre«, platzte es aus Dr. Scott heraus. »Dass die Gefahren von unkontrollierten genetischen Eingriffen mit den nicht absehbaren Folgen für den Bestand des menschlichen Genoms von Ihrer Gesellschaft vollkommen unterschätzt werden, ist das eine. Aber Sie verkennen zugleich vollkom-
men, was die menschliche Zivilisation auszeichnet. Es geht um den Wert des Individuums, der nicht davon abhängt, wie perfekt und optimiert seine Gene sind. Erst durch die Entwicklung von Gemeinschaftssinn, Mitgefühl und gegenseitiger Unterstützung konnten sich menschliche Zivilisationen überhaupt erst entwickeln. Dies ist das Fundament der Menschheit, nicht die genetisch oder sozial bedingte Leistungsfähigkeit von Individuen.« »Ich sagte, es gibt Gerüchte«, betonte Dr. Sparker streng. »Ich habe diese Gerüchte nie geglaubt. Es gibt viel haltlose Propaganda gegen die Genetics, und manchmal sorgt diese auch für Unruhe auf den Genetic-Welten. Und genau das scheint mir auch das Ziel zu sein. Die Regierung der Solaren Welten hat Angst, weitere Systeme könnten unserem Bespiel folgen und sich abspalten.« »Es geht nicht nur darum, dass sich die Drei Systeme abgespaltet haben. Die Genetics missachten den in den Solaren Welten herrschenden grundlegenden Konsens über die erlaubten Grenzen genetischer Manipulationen.« »Und wer ist es, der die Grenzen festlegt? Glauben Sie, die Feinde der Gentechnik haben und hatten stets nur das Wohl der Menschheit im Sinn? Begonnen hat es doch bereits im zwanzigsten Jahrhundert. Großreligionen sahen eine Gefahr für das Image ihres allmächtigen Gottes, sobald der Mensch in der Lage war, das Genom zu verbessern und damit im Grunde mit dem Rotstift die Fehler der göttlichen Schöpfung anzukreiden. Pharmakonzerne erkannten, dass viele Krankheiten genetisch verursacht oder durch Gentechnik ausgerottet werden konnten, also ließen sie sich einzelne Gensequenzen patentieren, um die Forschung der Molekular-Medizin auszubreiten, was dazu führte, dass noch im 21. Jahrhundert das menschliche Genom zwar vollständig entschlüsselt war, doch nur die Hälfte davon durch Publikationen der öffentlichen Forschung zugänglich war, weil sich den Rest Biotechnologie-Unternehmen hatten patentieren lassen. Glauben Sie, in den Solaren Welten steckt hinter dem
Genetik-Verbot nicht auch die Furcht der herrschenden Generation, die nachrückende könnte sie schneller überholen als ihnen lieb ist?« »Eine Furcht, die offenbar noch hinter der wahren Bedrohung zurückbleibt«, spottete Dr. Scott. »Und doch kommen Sie zu uns, wenn Sie glauben, die unmoralisch hochgezüchtete Intelligenz der Genetics könnte Ihnen helfen, ein Problem mit Gegnern wie den Dronte oder Doppelgänger-Klonen zu lösen. Wie scheinheilig! Machen Sie sich doch nichts vor. Hinter all den Gesetzen und Vorbehalten gegen die Genetics verbirgt sich doch die selbstsüchtige Furcht, nicht mehr mithalten zu können und den Anschluss zu verlieren. Und der Neid auf jene, die sich nicht den angeblich von Gott oder von der Natur gewollten Genen unterwerfen wollen, die sich nicht zu Sklaven eines unvorteilhaften genetischen Zufalls machen lassen.« »Ich bin an einer philosophischen Debatte nicht interessiert«, unterbrach Dana die aufgebrachte Genetic-Ärztin. »Ich wollte wissen, ob etwas an der Geschichte unserer Passagiere wahr sein könnte. Ihre Antwort, Doktor Sparker, reicht mir, um der Angelegenheit weiter nachzugehen.« »Welcher Angelegenheit?«, wollte Dr. Sparker wissen. »Selbst wenn es so wäre, ist dies eine Angelegenheit, die nur die Drei Systeme betrifft. Die Solaren Welten haben keinerlei Hoheitsrechte.« Dana Frost lächelte und lehnte sich zurück. »Sie haben recht«, sagte sie ruhig und starrte der Genetic-Ärztin in die Augen. »Ich habe keinerlei Befugnisse, was die Drei Systeme betrifft. Aber auf diesem Schiff bin ich Kommandantin.« Langsam beugte sie sich vor. »Und das gibt mir auf diesem Schiff sehr viele Befugnisse.«
* Kevin S. Prize war nur mit einer kurzen Hose bekleidet und saß unter einem Leuchtstrahler. Verletzungen konnte Dana keine mehr er-
kennen. In der Hand hielt er einen Plastikbecher, in dem sich wahrscheinlich nur Trinkwasser befand. Ihm gegenüber saß die weibliche Genetic mit der bläulichen Hautfarbe auf der Medo-Liege. Sie biss in einen Eiweißriegel. »Ich habe mich noch nicht bei Ihnen allen vorgestellt«, begann Dana und reichte der weiblichen Genetic die Hand. »Ich bin die Kommandantin des Schiffes, Dana Frost.« Die blaue Frau, die einen silbernen Anzug trug, ergriff Danas Hand und schüttelte sie. »Saxana I. Rousek«, sagte sie. Ihre Augen weiteten sich auf die nahezu doppelte Größe. Dana glaubte, darin mehrere kleine Pupillen zu erkennen. »Ihre Augen …«, begann Dana. Die Genetic-Frau lächelte. »Meine Augen haben ein erweitertes Auflösungsvermögen, das sogar das Abbe-Limit überschreitet.« »Ich bin keine Technikerin«, erklärte Dana, um zu verstehen zu geben, dass sie mit dem Begriff nichts anfangen konnte. »Das Abbe-Limit ist das physikalisch maximale Auflösungsvermögen, das von der Wellenlänge des verwendeten Lichts abhängt und das bis zu 0,2 Mikrometer reicht. Diese Gesetzmäßigkeit wurde Ende des 19. Jahrhunderts von einem Wissenschaftler namens Ernst Abbe beschrieben.« »Um es also platt zu sagen«, erwiderte Dana, »Ihre Augen sind ein lebendiges Mikroskop.« »Es hilft mir bei meinen Forschungen im Nanitenbereich«, erklärte Saxana I. Rousek. Die Genetic-Frau war also keine Soldatin, was Dana bereits an Ihrem Buchstabenkürzel im Namen erkannt hatte. I stand für Investigator. So wurden Genetics benannt, die bereits bei ihrer Geburt für eine Karriere als Wissenschaftler optimiert worden waren. Kevin S. Prize nahm einen Schluck aus seinem Becher, was Dana veranlasste, sich zu räuspern. »Wenn Sie etwas benötigen, etwas zu essen vielleicht …«
»Vielen Dank«, erwiderte der Genetic. »Mein Magen ist nicht zur Digestion in der Lage. Ich benötige Licht, Wasser und hin und wieder Nährstoff-Extrakte und komprimiertes Protein.« Erneut musste Dana den Kopf schütteln. Was war das für eine Gesellschaft, die Menschen nur nach ihrer Nützlichkeit entwarf und ihr dafür wesentliche menschliche Genüsse vorenthielt. Die eigentliche Frage war vor allem: Nützlichkeit für wen? Wer trug den Nutzen, wenn es perfekte Soldaten, perfekte Arbeiter und perfekte Techniker gab? Wer erntete die Früchte dieses angeblichen Nutzens? Die genetisch optimierten Menschen selbst? Die Allgemeinheit? Dana bezweifelte das. »Das Schiff hat sich in Bewegung gesetzt«, stellte Saxana I. Rousek fest. Dana nickte. »Wir befinden uns auf Beschleunigungskurs zum Eintritt in den Bergstromraum«, sagte sie. Kevin S. Prize hatte offensichtlich an Danas Tonfall sofort erkannt, dass sie seinem Wunsch nicht entsprechen konnte. »Wir fliegen also nicht zu den Koordinaten, die ich Ihnen genannt habe«, sagte er. »Ich bedauere, Mister Prize«, erwiderte Dana. »Solange wir keine konkreteren Anhaltspunkte für Ihre Geschichte haben, stehe ich unter dem Befehl, meinen Auftrag termingerecht auszuführen.« Kevin S. Prize nickte. »Was werden Sie mit uns tun?« »Vorerst bleiben Sie auf der STERNENFAUST«, sagte Dana und war sich sehr wohl bewusst, dass dies keine endgültige Lösung war. Sie hatte den Befehl, die Genetics auf Einstein an die Behörden der Drei Systeme zu übergeben. Saxana I. Rousek lächelte. »Wussten Sie, dass sich bei Menschen, wenn sie lügen, unmerklich die Pupillen erweitern?« Dana erwiderte das Lächeln. »Ich habe davon gehört. Es ist angeblich eine von vielen physiologischen Veränderungen, die durch das Lügen ausgelöst werden.«
»Meine Augen erkennen jede noch so geringe Lichtschwankung und Größenveränderungen im Mikrobereich. Daher weiß ich, wann sich die Pupillen aufgrund von Lichteinflüssen verändern und wann nicht.« Dana nickte. Sie hatte den Wink verstanden. Es würde keinen Zweck haben, zu lügen. »Ich kann Ihrem Wunsch nicht nachgeben«, erklärte sie. »Sie haben ungewöhnliche Fähigkeiten. Die meisten von Ihnen sind Soldaten. Die Solaren Welten befinden sich aktuell in einer Kriegssituation, das Wega-System ist von Feinden besetzt.« Als Dana auf die Wega zu sprechen kam, musste sie kurz an die fürchterlichen Bilder denken, die sich durch die Mediastreams verbreitet hatten. Und an ihren Ex-Mann Tonio Gordon. Schon einmal hatte sie geglaubt, ihn auf der Wega verloren zu haben. Nun war dieses System endgültig sein Grab geworden. Die von der AMSTERDAM im Wega-System aufgefangenen Nachrichten waren eindeutig gewesen.* Dana konzentrierte sich. »Und es gibt keinerlei Beweise für Ihre Geschichte«, fuhr sie fort. »Sie, Mister Prize, sagen, dass Sie als Genetic-Soldat ausgemustert wurden. Aber Sie selbst kommen mir noch sehr jung vor.« »Sie dürfen nicht in Generationen denken, wie sie es von den Solaren Welten kennen«, erklärte Kevin S. Prize. »Ganz besonders nicht bei Soldaten.« »Und Sie, Mrs. Rousek?«, sagte Dana. »Erzählen Sie mir nicht, dass ein Wissenschaftler mit Forschungserfahrung und Expertenwissen so schnell von einer jüngeren Generation abgelöst wird.« »Ehrlich gesagt«, begann die Frau und griff nach der Hand von Mister Prize, »ich bin …« Dana begann bereits zu verstehen, bevor die Genetic-Wissenschaftlerin den Satz beendete: »Ich bin wegen Kevin hier.« Erleichtert atmete Dana auf. »Ich freue mich, zu sehen, dass man *siehe Sternenfaust 177: »Verräter unter uns!«
Ihnen einige wesentliche Grundelemente des Menschseins belassen hat.« »Ich sagte es schon einmal«, wandte Kevin S. Prize ein, »wir sind keine Monster!« »Aber Ihre Gesellschaft ist auf dem besten Wege, sich in eine Welt voller Monster zu verwandeln«, betonte Dana. »Insbesondere, wenn das, was Sie behaupten, stimmt.« Die beiden Genetics blickten Dana erwartungsvoll an. »Sehen Sie mir tief in die Augen«, begann Dana, an Saxana I. Rousek gewandt, »damit Sie erkennen, dass ich die Wahrheit sage. Noch habe ich nichts entschieden. Ich habe sogar einen Kurs im Bergstromraum festlegen lassen, der uns immerhin in die Nähe Ihrer Koordinaten bringt.« »Ich danke Ihnen«, sagte die Genetic-Frau. Dana überlegte einen Moment, ob sie Saxana I. Rousek mit der Naniten-Theorie von Dr. Sparker vertraut machen sollte. Vielleicht konnte Saxana I. Rousek bei der Lösung helfen. Andererseits handelte es sich um sensible Geheiminformationen, welche die Sicherheit der Solaren Welten betrafen. Kevin S. Prize hatte nicht unrecht gehabt. Das Motto war, niemals einem Genetic zu vertrauen.
* »Sie wollten mich sprechen«, sagte Lieutenant Commander Stephan van Deyk. Der Erste Offizier der STERNENFAUST stand aufrecht vor Dana, und da der rotblonde Offizier fast zwei Meter groß war und Dana an ihrem Schreibtisch saß, hatte sie das Gefühl, ihren Kopf tief in den Nacken legen zu müssen, um ihrem I.O. ins Gesicht sehen zu können. »Setzen Sie sich bitte«, sagte Dana. Der sportliche Offizier nickte und nahm auf einem der Besucher-
stühle Platz. An seinem rechten Bizeps blinkte – wie bei Dana – in regelmäßigen Abständen der Bio-Scanner, der inzwischen unter den Führungsoffizieren verteilt worden war. Zugleich klebte eine kleine Zerebralsonde an seiner Schläfe, die Daten über seine Gehirnwellen sammelte. Auch wenn die Enttarnung eines lebendigen Doppelgängers einige neue Erkenntnisse bringen würde, so hoffte Dana natürlich noch immer, dass auf der STERNENFAUST bei allen Crewmitgliedern die Werte im Normalbereich bleiben würden. »Commander van Deyk«, begann Dana und überlegte krampfhaft, wie sie dieses Gespräch beginnen sollte. »Sie sind seit beinahe sechs Jahren mein Erster Offizier, und ich möchte Ihnen sagen, dass Ihre Einschätzung der Situation für mich immer von großem Wert war.« Stephan van Deyk weitete ein wenig seine Augen und runzelte die Stirn. »Entweder werde ich gleich gefeuert oder einer von uns liegt im Sterben.« Dana grinste. »Nichts dergleichen. Aber ich möchte Ihnen eine persönliche Frage stellen. Und natürlich müssen Sie darauf nicht antworten.« »Ich bin mehr als gespannt«, sagte der I.O. und setzte sich ein wenig aufrechter, wodurch sein kräftiger Oberkörper noch ein wenig muskulöser wirkte. »Commander«, begann Dana und holte tief Luft. »Was ich mich schon öfter …« »Jamil an Captain Frost«, ertönte es über die Kom-Anlage. »Frost hier!«, erwiderte Dana, unwillkürlich verärgert über die Störung, obwohl Lieutenant Jamil natürlich nichts dafür konnte. »Ein Bergstrom-Funkspruch von Einstein«, sagte die Kommunikationsoffizierin. »Stellen Sie ihn zu mir durch«, erklärte Dana und gab gleichzeitig ihrem I.O. mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sitzen
bleiben möge. »Captain Frost von der STERNENFAUST hier«, sagte Dana, als das Kom-Signal freigeschaltet wurde. Auf dem Kom-Bildschirm erschien das schmale Gesicht eines Mannes im mittleren Alter. Seine blassblauen Augen wirkten schläfrig. »Ich bin Warden R. Lennox, Assistent des Leiters des Innenministeriums auf Einstein II.« Dana hob die Augenbrauen. »Was kann für Sie tun?« »Mir liegen Informationen des IDC* vor, wonach sich acht flüchtige Genetics an Bord Ihres Schiffes befinden, darunter auch ein Mann namens Kevin S. Prize.« Dana spürte, wie die Wut in ihr stieg. Nicht nur, dass die Admiralität ihrer Bitte nicht nachkam, nein, man schob das Problem so schnell wie möglich ab und gab die Informationen ans IDC weiter. Sollten die sich doch um die Angelegenheit kümmern. Und die hatten natürlich nichts Besseres zu tun, als sofort die entsprechenden Stellen der Drei Systeme zu informieren. »Wir haben schiffbrüchige Personen an Bord genommen«, erwiderte Dana kalt. »Davon, dass sie flüchtig sind, ist mir nichts bekannt.« »Es sind Terroristen«, antwortete der Mann. In diesem Moment wünschte sich Dana die Fähigkeiten von Saxana Rousek, anhand der Pupillenveränderung ihr Gegenüber der Lüge zu überführen, auch wenn die Bildschirmauflösung des 3-D-Monitors dafür wahrscheinlich ohnehin nicht ausgereicht hätte. »Können Sie das vielleicht spezifizieren?«, wollte Dana wissen. »Derlei Informationen unterliegen der Geheimhaltung«, kam die ausweichende Antwort. »Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Personen strengstens zu bewachen. Sie haben einen Genetic-Kreuzer gekapert und die Besatzung getötet. Bevor sie in den Bergstromraum eindrangen, haben sie ein weiteres Schiff manövrierunfähig geschos*Independent Diplomatic Corps
sen.« »Wissen Sie, was die Personen mit dem gekaperten Schiff planten?«, fragte Dana unverdächtig. »Sie wollten sich mit einer Terrorzelle treffen«, kam die Antwort. »Es ist ein Zusammenschluss von kriegerischen Individuen, die sich nicht nur zu einer Gefahr für die Drei Systeme entwickeln könnten.« »Ich verstehe«, antwortete Dana. »Ich danke Ihnen für die Warnung.« »Dann werden Sie uns die Flüchtigen ausliefern?«, kam sofort die Frage, was Dana noch ein wenig misstrauischer machte. »Warum sollte ich etwas anderes planen?« Dana lächelte kalt. »Gut«, erwiderte der Genetic, ohne auf Danas Frage einzugehen. »Die Behörden werden Sie am vereinbarten Treffpunkt erwarten. Doch ich warne Sie noch einmal eindringlich. Unter diesen Genetics befinden sich ausgebildete Supersoldaten, die auch zu einer Gefahr für Ihr Schiff werden könnten.« »Keine Sorge, sechs der Personen befinden sich in unseren Arrestzellen, sie alle stehen unter permanenter Bewachung.« »Begehen Sie nicht den Fehler, die Flüchtigen zu unterschätzen«, sagte Mister Lennox und sah zur Seite. Es wirkte, als würde er dort mit jemandem in Blickkontakt treten. »Noch besser wäre es, sie zu sedieren.« Damit sie nicht reden können, dachte Dana. »Ich danke Ihnen für Ihre Sorge um die Sicherheit meiner Crew«, sagte sie unverbindlich. »Wir werden alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen treffen.« Mister Lennox schien ein wenig ratlos. Mit einem Nicken verabschiedete er sich. Der Monitor-Screen zeigte das Logo der Drei Systeme und wurden dann dunkel. »Was halten Sie davon?«, wollte Dana von Stephan van Deyk wissen. »Eher traue ich den Genetics hier an Bord als diesem Typen«, sagte
van Deyk grinsend und strich sich über seinen Bart. »Jeden Moment habe ich damit gerechnet, dass ein ›ich habe etwas zu verbergen‹Schriftzug auf seiner Stirn erscheint.« »Also sollten wir seine Warnung ignorieren?«, wollte Dana wissen. »So weit würde ich nicht gehen«, erwiderte der Lieutenant Commander. »Ich habe auch mit Mister Prize und einigen der anderen gesprochen. Sie wirken nett, und man möchte ihnen glauben. Doch nur, weil Mister Lennox offensichtlich etwas verheimlicht, sollten wir nicht den Fehler begehen, seine Warnung zu ignorieren. Es ist ja nicht so, dass seine Geschichte unstimmig wäre. Ein paar Supersoldaten und ein Superwissenschaftler, als einzige Überlebende eines Schiffes mit Kampfspuren. Es könnten durchaus Terroristen sein.« Dana nickte, auch wenn sie diese Antwort nicht erwartet hatte. »Sie wollten etwas von mir wissen, bevor wir unterbrochen wurden«, holte Stephan van Deyk sie aus ihren Gedanken zurück. »In der Tat«, begann Dana nachdenklich. »Ich wollte Sie etwas fragen. Es geht um den Vorfall auf der DAEDALOS. Als Sie nach der Schlacht bei Konors Stern die Entscheidung gefällt haben, das eigene Schiff einem Risiko auszusetzen, um die 73 Kridan aus deren zerschossenem Kriegsschiff zu retten.« »Über diesen Vorfall existieren ganze Speicherbänke voller Akten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeine Information gibt, die Sie dort nicht vorfinden.« »Eines steht dort sicher nicht. Ich will wissen, was Ihnen damals durch den Kopf ging, als Sie entschieden, die Kridan zu retten.« Dana sah, wie Stephan van Deyk tief Luft holte. »Sie irren«, meinte er schließlich, »ich habe genau diese Frage wieder und wieder beantworten müssen. Bei all den Anhörungen, beim Disziplinarverfahren … Wenn ich ganz offen sein darf, ich weiß inzwischen selbst nicht mehr, was ich mir damals gedacht habe.« »Und wie beurteilen Sie Ihre Tat heute?«
»Heute bin ich hier. Degradiert, als Ihr Erster Offizier. Mit anderen Worten: Die reine Hölle!« Stephan van Deyk hatte die letzten Worte mit einem breiten Grinsen ausgesprochen, einem Grinsen, das mehr als ansteckend war. »Ernsthaft«, sagte Dana nach einer Weile. »Haben Sie jemals bereut, es getan zu haben?« »Es geht hier doch gar nicht um das, was damals auf der DAEDALOS passiert ist«, sagte Stephan van Deyk schließlich. »Es geht um acht Genetics, die Sie um Hilfe gebeten haben. Und Sie fragen sich, ob Sie gegen einen Befehl verstoßen sollen, um das zu tun, von dem Sie glauben, es sei das Richtige.« Danas Blick ging in die Ferne. Schließlich nickte sie leicht. »Ich glaube den Genetics. Dr. Sparker hat die Gerüchte im Grunde bestätigt. Auf den Drei Systemen geht ein unvorstellbares Verbrechen vor sich, und ich weigere mich, die STERNENFAUST zu verwenden, um angeblich ausgemusterte Genetics zu deportieren. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Personen, die offenen Auges das Falsche taten und sich dabei auf ihre Befehle beriefen. Ich will nicht einer von ihnen sein.« Stephan van Deyk lächelte nicht mehr. Er beugte sich vor und sagte: »Die Wahrheit ist: Ja!« »Ja?« Dana wusste nicht, was ihr I.O. meinte. »Ich habe es hin und wieder bereut«, erklärte Stephan van Deyk. Dana schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist offenbar nicht das, was Sie hören wollten, Captain«, fügte Stephan van Deyk hinzu. »Sie hatten gehofft, ich würde Sie in Ihrem Vorhaben bestärken. Doch die Wahrheit ist, ich habe meine Entscheidung von damals hin und wieder bereut. Damit meine ich nicht die Konsequenzen. Ich habe nicht bereut, dass ich das Kommando über ein eigenes Schiff verloren habe. Ich habe auch nicht bereut, degradiert worden zu sein, und schon gar nicht bereue ich es, hier auf der STERNENFAUST zu sein.«
Für das letzte Kompliment schenkte ihm Dana ein kurzes Lächeln. »Was haben Sie dann bereut, Commander?« »Meinen Leichtsinn«, erklärte Stephan van Deyk. »Natürlich, viele halten mich für einen Helden. Die selbstlose Rettung von Kridansoldaten. Ein heroischer Akt, der uns wahrscheinlich auch in den Augen der Kridan Respekt verschaffte. Doch die Wahrheit ist: Es war Krieg. Die Schlacht bei Konors Stern hatte massive Verluste nach sich gezogen, und die DAEDALOS ist bei meiner eigenmächtigen Aktion nur knapp der Zerstörung entgangen. Es ging gut aus, aber hin und wieder verfolgen mich die Albträume, in denen ich mir ausmale, was gewesen wäre, hätte ich nicht so viel Glück gehabt. Ich wäre zu Recht als der größte Narr in die Geschichte des Star Corps eingegangen. Daher war meine Degradierung gerechtfertigt. Für jeden Kommandanten kommt an erster Stelle die Crew, an zweiter die Befehlskette. Und dann erst kommt der Feind. Nur so darf es sein. Und vielleicht sollten Sie das bedenken, bevor Sie eine vorschnelle Entscheidung treffen. Ich hatte damals Glück. Aber das Glück ist nicht immer auf der Seite der Narren.«
* »Mister Prize«, sagte Sergeant Ragnarök S. Telford, und streckte seinen Rücken durch. »Mrs. Rousek«, murmelte er und nickte. Seine Waffe steckte noch im Halterungsgürtel. Messungen hatten ergeben, dass er im Schnitt 0,42 Sekunden Zeit benötigte, die Waffe zu ziehen, 0,3 Sekunden, um zu zielen und noch einmal 0,05 Sekunden, um den Auslöser zu betätigen. Sollte der junge Genetic-Soldat irgendwelche Dummheiten planen, würde Ragnarök ihm zuvorkommen. Doch Ragnarök tat sich ohnehin schwer, den jungen Soldaten in seinen kurzen Shorts und der grünen, seltsam faserigen Haut ernst zu nehmen. Andererseits hatte Ragnarök als Weltraumsoldat ein-
fach schon zu viel erlebt, um Wesen allein nach ihrer Erscheinung zu beurteilen. Und bei Genetics würde ihm dieser Fehler schon gar nicht widerfahren. Schließlich war Ragnarök selbst ein Genetic. »Ich habe den Befehl, Sie beide in die Arrestzelle zu bringen«, sagte Ragnarök ruhig und besonnen. »Befehl von wem?«, wollte der junge Mann wissen, der ihn misstrauisch mit seinen grünen Augen ansah. Die Augen waren ein klein wenig größer als bei normalen Erwachsenen. Wahrscheinlich auch eine genetische Optimierung, doch sie hatte den Nebeneffekt, dass er dadurch kindlicher wirkte, weil der Instinkt des Menschen darauf programmiert war, in kleinen Köpfen mit großen Augen schützenswerten Nachwuchs zu vermuten. »Von Captain Frost natürlich«, sagte Ragnarök ungerührt. Kevin S. Prize nickte schwach und sagte: »Ich verstehe.« »Doktor Scott und Doktor Sparker haben bestätigt, dass Sie keinen weiteren Aufenthalt auf der Krankenstation benötigen«, erklärte Ragnarök weiter. »Die LED-Leuchter stehen bereit.« Der junge Mann erhob sich von seiner Liege und deutete auf ein Scanpflaster, das auf seiner Schulter klebte. »Soll ich das hierlassen?«, wollte er wissen. »Keine Ahnung«, erwiderte Ragnarök. »Ich bin nur hier, um Sie abzuholen. Doktor Scott und Doktor Sparker werden sicher bald nach Ihnen sehen, im Moment sind sie im Labor beschäftigt.« Ragnarök fragte sich, weshalb er so viel erklärte. »Dann wollen wir diesem Mann nicht länger seine Zeit stehlen«, sagte Saxana I. Rousek, die weibliche Genetic mit der blauen Hautfarbe und den großen Augen. »Soll ich Ihnen Kleidung besorgen?«, wollte Ragnarök wissen. »Ich genieße das Licht auf meiner Pflanzenhaut«, sagte der junge Mann. »Soll das heißen, dass Sie immer … so rumlaufen?«, fragte Rag-
narök, während er mit seiner Hand auf die bloße Haut des jungen Mannes deutete. »Ich habe das Schamgefühl einer Pflanze.« Der Genetic lächelte. Offenbar sollte es eine humorvolle Bemerkung sein. »Die Wahrheit ist«, widersprach Saxana I. Rousek, »dass Kevin und die anderen Soldaten normalerweise mit speziell entwickelter lichttransparenter Funktionskleidung ausgestattet werden, mit eingebauten aktorischen Wärme- oder Kühlsystemen, einem Scanner für Vitalparameter, Flüssigkeitsregulatoren, NährstoffkonzentratsInjektoren, innere …« »So genau wollte ich es gar nicht wissen«, unterbrach sie Ragnarök. Er nickte vier anderen Marines zu, die in Position gingen. »Ihnen ist klar, dass diese vier Marines im Ernstfall nichts gegen mich ausrichten könnten«, sagte Kevin S. Prize abfällig. »Wenn dies eine Drohung sein soll«, erklärte Ragnarök ungerührt, »werde ich Sie und Ihre Freundin umgehend sedieren.« »Im Gegenteil«, erklärte Kevin S. Prize. »Ich wollte Ihnen damit zu verstehen geben, dass wir uns längst hätten wehren können, wenn wir dies vorhätten.« »Dass uns von der Crew dieses Schiffes sehr viel Misstrauen und Ablehnung entgegenschlägt«, ergänzte Saxana I. Rousek und ging den Weg, den Ragnarök ihr mit einer Handbewegung gedeutet hatte, »das überrascht uns nicht. Aber Sie müssten doch am besten wissen, dass nicht alle Genetics schlecht sind.« Ragnarök, den seine Freunde gerne Rags oder auch Ragman nannten, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, ein Genetic zu sein, auch wenn er nicht zwangsläufig so aussah. Gut, er war ein Muskelberg, über zwei Meter groß, extrem ausdauernd und zugleich unglaublich reaktionsschnell. Aber das waren andere, die durch Zufall mit solchen Genen ausgestattet worden waren, ebenso. Erst vor einigen Monaten hatten die Marines der STERNENFAUST gegen ein Team der MARIA STUART beim Speedball-Match verloren, und das war
vor allem einem Marine namens George Yefimov zu verdanken, einem blonden Muskelpaket, der es sicher im Star Corps noch weit bringen würde. Und Ragnarök hatte sich danach erkundigt: Dieser Yefimov war kein Genetic. Doch woher wusste dieser Prize überhaupt, dass Ragnarök ein Genetic war? Hatte es ihm jemand erzählt? Hatte er es nur geraten? »Nur weil ich ebenfalls ein Genetic bin«, sagte Ragnarök grimmig, »heißt das nicht, dass ich Ihr Freund bin. Und dieser misstrauischen und ablehnenden Crew verdanken Sie immerhin Ihre Rettung.« »Was ist Ihre Geschichte?«, wollte Saxana I. Rousek wissen. »Weshalb sind Sie nicht mehr in den Drei Systemen?« Gemeinsam erreichten Sie den Korridor. Der Weg führte sie zum Lift, wo sie zum mittleren Deck fahren und die Arrestzellen aufsuchen würden. Der Weg dort hin war zuvor von der Crew geräumt worden. »Wie ich schon sagte«, entgegnete Ragnarök, und er konnte sich selbst nicht erklären, weshalb er derart abwehrend war. »Nur weil ich ebenfalls ein Genetic bin, müssen wir uns nicht gegenseitig unsere Lebensgeschichte erzählen.« »Wollen Sie mir zumindest verraten, was an Ihnen verbessert wurde?«, fragte nun Kevin S. Prize. Ragnarök schüttelte nur den Kopf. »Darf ich raten?«, ließ der junge Genetic nicht locker. »Ich werde Sie wohl kaum am Reden hindern können.« Als Kevin S. Prize darauf nichts antwortete, war Ragnarök schließlich doch neugierig auf eine Antwort geworden. »Und?«, meinte er schließlich. »Wie lautet Ihr fachliches Urteil.« »Sie haben nichts, was das, was die Natürlichen als sogenannte Natur bezeichnen, nicht auch hervorzubringen in der Lage wären.« »Weshalb sagen Sie sogenannte Natur?«, fragte Ragnarök verwundert nach. »Natur ist eine unsinnige Bezeichnung.«
»Welches Wort wählen Sie denn?« »Genetischer Zufall«, erklärte Kevin S. Prize. Ragnarök ging nicht auf diese Bemerkung ein. Der Streit war uralt. Aus der Sicht der Genetics war all das Gerede von Natürlichkeit und Natur religiös und unwissenschaftlich. Nicht die Natur steuerte die genetischen Endresultate, sondern ein schlichtes Zufallssystem, das sich nach dominantrezessiven Gesetzmäßigkeiten richtete. »Sie haben recht«, sagte Ragnarök schließlich. »Ich kann nicht im Dunkeln sehen, ich kann nicht Wasser in Wein verwandeln und auch nicht Licht in Traubenzucker.« »Macht Sie das Ihrer Meinung nach natürlicher als die anderen Genetics?«, wollte Kevin S. Prize wissen. »Keine Ahnung«, erwiderte Ragnarök. »Ich denke nicht darüber nach.« »Das zumindest haben Sie mit den anderen gemein«, erklärte Saxana I. Rousek. »Den anderen?« Saxana I. Rousek nickte, während sich die Lifttür schloss. »Den anderen Genetics. Sie hinterfragen die Vorzüge ihrer genetischen Verbesserung nicht. Und es interessiert Sie auch nicht, was aus jenen wird, denen es weniger gut ergeht.« »Falls Sie es noch nicht kapiert haben«, widersprach Ragnarök, »ich lebe nicht mehr in den Drei Systemen.« »Und das ist Ihr Glück«, sagte Kevin S. Prize und starrte ihm ins Gesicht. »In den Solaren Welten konnten Sie dank Ihrer genetischen Verbesserungen Karriere machen. Sie sind der Chef der Marines auf diesem Schiff, ein Posten, den Sie ohne genetische Optimierung wahrscheinlich nicht bekommen hätten.« »Was soll ich tun?«, wollte Ragnarök wissen. »Mich unter Wert verkaufen? Nur noch das tun, was ich auch im Fall eines genetischen Worst Case hätte erreichen können?« »Natürlich nicht. Aber Sie könnten Ihre privilegierte Position nut-
zen, um denen zu helfen, denen es nicht so gut erging.« »Ich soll mich also stets und überall auf die Seite von Unterdrückten und Benachteiligten schlagen.« »Eine bequeme Ausrede, es nicht zu tun«, erklärte Saxana-I. Rousek. »Sie wissen genau, dass das niemand kann und auch niemand von Ihnen erwartet.« »Aber man kann denen helfen, die direkt neben einem stehen«, sagte Kevin S. Prize, und plötzlich war Ragnarök die körperliche Nähe zu dem grünhäutigen Genetic besonders unangenehm. Eines war sicher: Unrecht und Diskriminierung ließen sich besser ertragen, wenn sie weit weg waren, wenn man sie nicht zu Gesicht bekam und sich selbst in seine albernen Vorurteile und Rechtfertigungen einigeln konnte.
* »Initiiere Neu-Rep«, erklärte Dr. Scott. Dr. Blair Sparker nickte kurz und ließ ihre Augen nicht von der Bildschirmanzeige. Sie hatten dem verstorbenen Jay Ondeo den Kopf rasiert und daran mehrere Elektroden-Scanner angebracht. Der junge Offizier hatte kein auffallendes Äußeres. Und auch sein Lebenslauf war in jeglicher Hinsicht durchschnittlich. Warum hatte man ausgerechnet ihn durch einen Doppelgänger ersetzt? Gleiches galt für Cristina Silva. Ihre Karriere war mehr als durchschnittlich. Begonnen hatte sie als Fähnrich auf der PLUTO, und nachdem dieses Schiff zerstört worden war, hatte sie auf der HELSINKI gedient. Dennoch war Blair überzeugt, dass diejenigen, welche in die Solaren Welten heimlich Doppelgänger eingeschleust hatten, bestimmte Auswahlkriterien verfolgten. Schließlich hatte dies auch ein Bericht
bestätigt, der von einer Journalistin im Wega-System in die Datennetze eingeschleust werden konnte. Zwar war nicht klar, ob die darin gezeigten Bilder von riesigen Anlagen, in denen Menschen kopiert und getötet wurden, echt waren, doch Blair zweifelte nicht daran. Diese Bilder waren es letztlich auch gewesen, die sie veranlasst hatten, den Solaren Welten ihre Hilfe anzubieten. Vielleicht aber lag sie mit ihrer Theorie auch völlig falsch. Denn nach wie vor war es eine reine Vermutung, dass die fremden Angreifer ihre Doppelgänger nach gezielten Kriterien auswählten. Vielleicht hing es – wie so vieles in den Solaren Welten – allein von zufälligen Gelegenheiten ab, wer durch einen Doppelgänger ersetzt wurde oder nicht. Vielleicht entpuppte sich auf der STERNENFAUST am Ende die Köchin Missie als Agent! »Ich beginne mit der elektrischen Ladung«, erklärte Dr. Scott und berührte ein Touchscreen-Feld der Medo-Anzeige. Grundsätzlich entstanden bei allen Leistungen des Gehirns elektrische Ströme, weil alle Nervensignale elektrochemischer Natur waren. Allein 38 Substanzen wirkten im Gehirn als Neurotransmitter, die bei den einzelnen Nervenfasern elektronische Signale von bis zu achtzig Millivolt erzeugten, wobei die Intensität eines Nervensignals nicht von der Voltstärke sondern von der Höhe der Signalfrequenz abhing. Diese Frequenz konnte bis zu 250 Hertz betragen – eine Taktfrequenz, die im Vergleich zu der eines Heimcomputers geradezu lachhaft war. Zusammen mit Dr. Scott versuchten sie nun, durch Schwachstrom-Impulse funktionale Hirnströme in verschiedenen Wellenspektren zu simulieren, um die Naniten-Elemente zu reaktivieren. »Messe starke Fluktuationen in den Scans der Spurenelemente«, sagte Blair und beobachtete fasziniert die Anzeige. Die Position der Metall-Bausteine veränderte sich, und zwar offenbar so schnell, dass selbst der Scanner die Veränderungen nicht mehr komplett erfassen konnte.
Für einen kurzen Moment blinkte die Anzeige des Naniten-Scanners auf, dann verschwand die Zahl neben dem Scanner und ging gegen Null. »Wir können aufhören«, sagte Blair und ging das Log-File des Scanners durch, um die einzelnen Stadien zu überprüfen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Für den Bruchteil von 0,2 Mikrosekunden hatten sich im Körper von Jay Ondeo 850.000 Naniten befunden. Und dann waren sie sofort wieder verschwunden. »Erlaubt der Scanner eine genaue Analyse?«, wollte Dr. Scott wissen. »Der Scan war nur zu zwei Prozent abgeschlossen«, erklärte Blair. »Das reicht bei Weitem nicht, um überhaupt irgendetwas zu analysieren.« »Dann wiederholen wir den Versuch eben mehrfach.« Blair hielt das für keine gute Idee. Im Moment mochten die Recycling-Routinen der Naniten-Reste noch intakt sein, aber die Gefahr, dass sie sich bei jedem erneuten Zerfall weiter beschädigten, durfte man nicht ignorieren. Sie konnten es natürlich mit einem exoinduktiven Signalverstärker für die Resequenzierung von Naniten-Puzzles versuchen, doch dafür benötigten sie einen Experten auf diesem Gebiet. Und Blair wusste auch schon, wer ein solcher Experte war. Ein Signalton riss sie aus ihren Gedanken. Eine der Zerebralsonden schlug Alarm. Blair ergriff hastig das Pad und erstarrte. Blair wandte sich ab, um sicherzugehen, dass Dr. Scott das Pad nicht einsehen konnte. Dann studierte sie die Daten. Es ging um Dana Frost! Die Zerebralsonde von Dana Frost hatte etwas Ungewöhnliches bemerkt. Eine verdächtige Abweichung von den Standardwerten. Hastig huschte Blair durch die Daten, bis sie erstaunt die Augen
weitete. Konnte das wahr sein? »Was gibt es, Doktor Sparker?«, wollte Dr. Scott wissen. »Einige Scans sind abgeschlossen«, wehrte Blair ab. »Ich sehe mir gerade die Daten an.« Das war eine Lüge. Und Dr. Scott machte nicht den Eindruck, als würde sie Blair glauben. »Haben Sie etwas entdeckt?«, wollte Dr. Scott wissen. Blair schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Ich muss mit Captain Frost sprechen«, sagte sie nur. »Hören Sie, Doktor Sparker«, sagte Dr. Scott und hielt Blair wütend am Oberarm fest. Blair war über den festen Griff überrascht, sie hätte ihn einer kleinen Person wie Dr. Scott nicht zugetraut. »Ich bin die Leitende Schiffsärztin!«, betonte Dr. Scott. »Wenn es Informationen zu den Scans gibt, möchte ich sie erfahren, bevor Sie sie an Captain Frost melden.« »Es gibt nichts«, wehrte Blair ärgerlich ab. »Weshalb wollen Sie dann Captain Frost sprechen?«, wollte Dr. Scott wissen. Blair lächelte unverbindlich. »Das, was wir hier brauchen, ist ein Naniten-Experte für Resequenzierungs-Routinen«, erklärte sie abwehrend und warf einen strengen Blick auf die Hand, die noch immer ihrem Oberarm umklammert hielt, bis Dr. Scott den Griff tatsächlich löste. »Zufälligerweise befindet sich ein solcher Experte an Bord«, führte Blair weiter aus. »Es ist Saxana I. Rousek!« »Und?« »Ich denke, Mrs. Rousek sollte uns assistieren.« »Das wird Captain Frost niemals erlauben.« »Wir werden sehen«, erwiderte Blair, als sie bereits den Ausgang erreicht hatte. Vielleicht überrascht dich dein Captain, fügte sie in Gedanken hinzu. Bei mir zumindest ist dies Dana Frost mehr als gelungen.
* »Ich glaube, ich verstehe es noch immer nicht«, erklärte Dana Frost. »Offenbar kennen Sie nicht die alten Spionage-Videofiles aus dem zwanzigsten Jahrhundert«, erklärte Dr. Sparker und lächelte auf eine Weise, die Dana erstmals fast als charmant bezeichnet hätte. Überhaupt hatte Dana den Eindruck, eine regelrecht verwandelte Dr. Sparker vor sich zu sehen. »Die kenne ich durchaus«, erklärte Dana. »Nun, dann erinnern Sie sich sicher an eine typische Szene, in welcher der Spion eine geheime Nachricht von einem der früheren Medienträger erhält. In der Regel war es das, was man damals als Tonbänder bezeichnete.« »Kenne ich«, bestätigte Dana. »Oft kam der Hinweis, dass sich der Datenträger nach dem Abspielen der Nachricht selbst zerstören werde.« Dana nickte. »Und genau das tun diese Naniten. Sie zersetzen sich selbst, sobald bei der Person die Gehirnströme versiegen und dadurch die Energieversorgung erlischt. Was bleibt, sind wahrscheinlich organische Aminosäuren, die im toten Organismus absorbiert werden, und winzige Restbestandteile, die so klein sind, dass man sie bei Scans mit den normalen Spurenelementen des Körpers verwechseln kann.« »Diesen Teil habe ich verstanden«, erwiderte Dana. »Ich habe nur nicht verstanden, wofür Sie Saxana I. Rousek benötigen.« »Nun, abweichend von den alten Datenträgern in alten Spionagefilmen, die sich selbst vernichten, indem sie zum Beispiel in Flammen aufgehen, beinhalten die Nanitenspuren winzige Unterprogramme, die auch als Resequenzierungs-Routinen bekannt sind. Das heißt, sobald die Gehirnströme wieder aktiv sind, werden diese Routinen aktiviert, und die Naniten setzen sich wieder zusammen.
Die für die Grundstruktur benötigten Aminosäuren holen sie sich einfach wieder aus dem Körper.« »Es setzt sich etwas zusammen, das gar nicht mehr existiert?« »Stellen Sie sich kleine Roboter vor, die ein Haus bauen. Diese Roboter können das Haus zerstören, damit es niemand mehr findet. Sie pulverisieren das Gebäude. Doch um sie herum sind unzählige Bausteine, sodass die Roboter das Haus mit diesen Bausteinen jederzeit neu errichten können.« »Und die Bausteine bestehen in besagtem Fall hauptsächlich aus Bestandteilen von Aminosäuren«, erwiderte Dana, die tatsächlich allmählich verstand. »Damit reaktivieren sich die Naniten selbst.« »Und Sie sind in der Lage, diese Resequenzierungs-Routinen zu aktivieren?« »Das ist uns gelungen, als wir das Gehirn von Jay Ondeo unter Schwachstrom setzten und damit aktive Gehirnströme simulierten.« »Das heißt, Sie haben Zugriff auf diese Naniten?«, wollte Dana wissen. Sie konnte kaum glauben, was sie da hörte. »Hier beginnt das Problem«, erwiderte Dr. Sparker. »Sobald die Naniten sich wieder bilden, aktiviert sich auch ihr Tarnmodus.« »Dann wissen Sie gar nicht, ob die Naniten wirklich wieder entstanden sind.« »Nicht ganz. Die Naniten sind in unserem Scanner nur für winzige Sekundenbruchteile aufgetaucht und dann verschwunden. Die Zeitspanne reichte jedoch nicht für einen vollständigen Scan aus.« »Und daher bitten Sie um die Hilfe von Mrs. Rousek«, ergänzte Dana. Dr. Sparker nickte, und erneut wirkte sie dabei kein bisschen ungeduldig. Sie lächelte sogar. »Ich habe nachgeforscht. Mrs. Saxana Rousek ist Expertin für Nanitenprogrammierung, darunter insbesondere für Resequenzierungs-Routinen. Wenn sie diese Routinen aus den Nanitenbestandteilen extrahieren kann, kann sie vielleicht
eine erneute Aktivierung des Tarnmechanismus unterbinden. Oder es gelingt ihr zumindest, die Software-Routine der Naniten durch Programmschleifen so weit zu verlangsamen, dass wir unseren Scan beenden können, bevor der Tarnmodus aktiv wird.« »Da gibt es nur ein Problem«, erklärte Dana. »Da ich die Bitte unserer Gäste ablehnen musste, sie zu den Koordinaten zu bringen, wo sie angeblich von einigen Genetic-Helfern erwartet werden, werden sie vielleicht auch keinen Anlass sehen, uns zu helfen.« »Immerhin haben wir Ihnen das Leben gerettet«, sagte Dr. Sparker. Dana war das bewusst, aber reichte das einem Flüchtling? Würde nicht jeder, dessen Leben bedroht wurde, versuchen, mit Quid-pro-quo-Verhandlungen ein Ziel durchzusetzen? »Oder suchen Sie nur nach einem Grund, die Flüchtlinge doch zu den Koordinaten zu transportieren?«, wollte Dr. Sparker wissen. Dana überlegte, ob das vielleicht wirklich der Fall war. Denn fest stand auch: Die Drei Systeme hatten sich von den Solaren Welten losgesagt. Es gab Handelsabkommen, aber das Star Corps war nicht verpflichtet, Anweisung der Regierung der Drei Systeme auszuführen. Und wenn Dana die Admiralität überzeugen konnte, dass das Star Corps als Gegenleistung für den gewünschten Transport eklatant wichtige Informationen über einen mehr als bedrohlichen Kriegsfeind erhielt … »Ich glaube, ich weiß, weshalb sie sich unseren Patienten gegenüber zur Loyalität verpflichtet fühlen«, erklärte Dr. Sparker und lächelte noch immer. Dana schüttelte leicht verwundert den Kopf. »Ich sage nur so viel, Captain Frost. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.« Nun riss Dana vollkommen verwirrt die Augen auf. »Geheimnis?« »Ich bin durch reinen Zufall darauf gekommen«, erklärte Dr. Sparker und lächelte noch immer.
»Darauf gekommen?«, fragte Dana nach und kniff nun misstrauisch die Augen zusammen. »Die Bedienelemente der Scan-Routine. Ich hasse es, mich ständig an die neuen Anordnungen von Touchscreen-Feldern zu gewöhnen oder sie meinen Vorlieben erst mühselig anpassen zu müssen. Also habe ich die Software eingespeist, die ich auch auf Einstein benutze.« »Sie haben Ihre Software in unsere Computer eingespeist?«, wiederholte Dana und versuchte noch immer, sich aus all den offensichtlich zusammenhanglosen Fakten irgendeinen Reim zu machen. »Natürlich mit Erlaubnis von Doktor Scott«, erklärte Dr. Sparker. »Wie gesagt, es ging nur um Bedienflächen zur Analyse-Auswertung. Allerdings ist die Standard-Auswertung von Langzeit-GehirnEEGs in den Genetic-Welten weitaus umfangreicher als in den Solaren Welten. Ich hielt das für einen Vorteil, schließlich ging es ja genau darum: Nicht nur die Daten zu sammeln, sondern sie so umfassend wie möglich auszuwerten.« Dana holte tief Luft. »Doktor Sparker«, sagte sie schließlich und beugte sich vor. »Was haben Sie gefunden?« »Den Imprägniercode«, erklärte Dr. Sparker. »Auf Einstein hinterlassen die Ärzte bei der embryonalen Resequenzierung der DNAStränge ein Imprint auf Quanten-Ebene, eine Art genetisches Wasserzeichen.« Für Dana war die Vorstellung so unglaublich, dass es einige Sekunden dauerte, bis sie wirklich begriff, was Dr. Sparker ihr soeben mitgeteilt hatte. »Sie wollen damit sagen, Sie haben in meinen Scans einen solchen Imprägniercode gefunden?«, fragte Dana fassungslos. Dr. Sparker nickte, warf jedoch die Stirn in Falten. »Sie wussten es nicht?« Dana schwirrten die Sinne. Am liebsten hätte sie Dr. Sparker als Lügnerin beschimpft und aus ihrem Bereitschaftsraum geworfen. Doch letztlich siegte ihr Intellekt, der ihr vermittelte, dass Dr. Spar-
ker so etwas nicht einfach behaupten würde, wenn es nicht wahr wäre. »Ich hatte keine Ahnung«, gab Dana schließlich zu. Dr. Sparker wurde ernst. »Was wurde an mir verbessert?«, wollte Dana wissen. »Darüber gibt der genetische Imprint keine Auskunft«, erklärte Dr. Sparker. »Solange genetische Veränderungen nicht offensichtlich sind, ist es fast unmöglich, diese später nachzuvollziehen. In umfangreichen Tests müsste man Normabweichungen ermitteln, wobei diese Abweichungen nicht zwangsläufig auf den Eingriff zurückzuführen sein müssen. Außerdem sind das erklärte Ziel des genetischen Eingriffs und die tatsächliche Veränderung keineswegs immer deckungsgleich.« »Dann könnte es also sein, dass lediglich ein genetisch bedingter Geburtsfehler beseitigt wurde?« »Natürlich«, erklärte Dr. Sparker. Sie schien nicht überzeugt, und ihr schien etwas auf den Lippen zu liegen, doch sie haderte offenbar mit sich, ob sie es laut aussprechen sollte. »Spucken Sie es schon aus«, sagte Dana. Dr. Sparker verzog den Mundwinkel. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wegen eines angeborenen Gen-Defekts das Einstein-System aufsucht. Solche Eingriffe werden auch in den Solaren Welten von jedem Gynäkologen ambulant vorgenommen.« Dana wusste noch immer nicht, was sie sagen sollte. Sie empörte weniger der Umstand, dass man in ihre natürlichen Erbanlagen eingegriffen hatte, sondern der Fakt, dass sie erst heute davon erfuhr. Warum hatte ihre Mutter nie etwas erzählt? »Wie gesagt«, riss sie Dr. Sparker aus ihren Gedanken. »Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.« »Doktor Sparker«, sagte sie, »wenn das, was Sie sagen, wahr ist, werde ich mich nicht dafür schämen. Denn dann ist es das, was ich eben bin. Ich habe keine Vorurteile gegenüber Genetics.« »Aber man wird Ihnen gegenüber welche haben«, sagte Dr. Spar-
ker. »Sobald sich erst einmal herumspricht, dass Sie eine Genetic sind, werden Sie es zu spüren bekommen, das kann ich Ihnen versichern.« Dana wollte ansetzen, der Genetic-Ärztin zu widersprechen, doch im Grunde wusste sie längst, dass Dr. Sparker recht hatte. Dr. Sparker lehnte sich zurück und fuhr fort. »Man wird plötzlich sagen, es sei doch kein Wunder, sie ist ja schon immer etwas unterkühlt gewesen. Alle Klischees, alle Vorurteile, die man Genetics gegenüber hegt, wird man als Schablone über sie stülpen. Und bei jeder auch nur scheinbaren Übereinstimmung wird man sich in seinen Vorurteilen bestätigt sehen. Neider werden Ihnen all Ihre Erfolge und Leistungen kleinreden. Alles, was Sie je erreicht haben, wird man auf die genetische Aufbesserung schieben. Glauben Sie mir, Captain Frost, ich weiß, wovon ich rede.«
* Saxana I. Rousek fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr. Mit Eifer studierte sie die Anzeigen der Panels und Monitore. Hin und wieder warf sie einen lächelnden Blick auf Dr. Sparker, bis die rothaarige Ärztin schließlich meinte: »Was?« »Ich wollte mich bei Ihnen bedanken«, sagte Saxana. »Bedanken?« »Captain Frost bringt uns zu den Koordinaten. Und ich habe das Gefühl, dass wir das vor allem Ihnen zu verdanken haben.« »Als ich Ihre Hilfe erbat, ging es mir ganz sicher nicht darum, Ihnen zu helfen, meine Liebe«, erwiderte Dr. Sparker durchaus charmant, doch mit einem leicht sarkastischen Tonfall. »Bei mir müssen Sie sich also nicht bedanken. Sie nun doch zu den Koordinaten zu bringen, war allein die Idee von Captain Frost. Danken Sie dem Zufall, der Sie zur rechten Zeit an den richtigen Ort geführt hat.« Saxana fixierte dabei Dr. Sparkers Augen. Die Helligkeit auf ihrer
Iris hatte sich nur um 0,03 Lux verschoben, die Pupillen reagierten jedoch mit einer Vergrößerung von drei Mikrometern. Daraus konnte Saxana schließen, dass sich Dr. Sparker über den Dank freute, zugleich glaubte sie aber wirklich, dass sie dafür nicht verantwortlich war. Letztlich ging es bei dem Konflikt zwischen den Genetics und den Solaren Welten um nichts anderes als die Frage, ob es so etwas wie Schicksal gab. Die Genetics lehnten solche Vorstellungen kategorisch ab. Zumindest, wenn es um die Frage ging, ob es zulässig war, in das Genom von heranwachsenden Embryos einzugreifen. Doch andererseits … Es war nur wenige Stunden her, da hatte Saxana geglaubt, Kevin und sie würden sterben. »Du hättest nicht mitkommen sollen«, hatte Kevin zu ihr gesagt, kurz bevor sie die Rettungskapseln betreten hatten. Er hatte sich geschämt, sie in diese Gefahr gebracht zu haben. Sie war keine ausgemusterte Genetic. Sie hätte nicht wie er fliehen müssen. Und dann waren sie nicht nur gerettet worden, ihre Anwesenheit war auch noch sehr wertvoll für die Crew dieses Schiffes und für die Solaren Welten. Und man würde sie dorthin bringen, wo Rettung auf sie wartete. »Ich möchte, dass Sie das hier bekommen«, sagte Saxana und überreichte Dr. Sparker ein Mantiden-Amulett. »Ein Glücksbringer?«, fragte Dr. Sparker amüsiert. »Für eine Wissenschaftlerin?« »Glück und Zufall haben der Wissenschaft öfter in die Hände gespielt, als viele glauben«, erklärte Saxana. »Das Glück gehört den Tüchtigen«, sagte Dr. Sparker und blickte abwertend auf den Talisman. »Dafür brauche ich keinen Gegenstand, der in keiner kausalen Verbindung zu positiven Zufallsketten steht.« Saxana machte keine Anstalten, das Geschenk wieder zurückzunehmen, und sie konnte aus den Augenwinkeln beobachten, wie es
Dr. Sparker schließlich doch in die Seitentasche ihres Laborkittels steckte. Saxana wollte schon mit Genugtuung lächeln, doch sie ließ sich nichts anmerken. Hastig huschten Saxanas Hände über die Touchscreen-Felder. Die Resequenzierung-Elemente waren sehr ausgeklügelt und kaum zu verstehen. Es würde wohl nicht gelingen, die Routinen so abzuändern, dass die Naniten nach der Re-Aktivierung die Tarn-Routine übersprangen. Aber es würde Saxana sicherlich möglich sein, neue Programmschleifen einzubauen, die das Naniten-Programm stark verlangsamten, wodurch präzisere Scans möglich sein würden. Und Saxana wollte damit fertig werden, bevor die STERNENFAUST in sieben Stunden die Koordinaten erreichte. Das, so hatte sie das Gefühl, schuldete sie Dana Frost. Leider dauerte es furchtbar lange, bis der Bildschirm die Ergebnisse anzeigte. Warum ging überhaupt alles so träge? Alles schien bei jedem Schritt länger zu dauern. Und in diesem Moment hielt Saxana kurz inne. Es erschien ihr nicht nur so, das Analyse-Programm hatte sich tatsächlich verlangsamt. Jedes Mal, wenn Saxana ein Touchscreen-Feld berührte, erfolgte die Reaktion mit einer Verzögerung von zwei Millisekunden. Saxanas verbesserte Sicht korrelierte mit einer hochpräzisen Geschwindigkeitswahrnehmung. Durch jahrelanges Training hatte sie nicht nur die Fähigkeit erworben, bis knapp über das Abbe-Limit hinaus Größenveränderungen zu erkennen, sie konnten die Dauer dieser Vorgänge auch bis in den Millisekundenbereich hinein einordnen. Und jetzt erkannte sie, dass sich die Reaktionszeiten des Computers verlangsamten. Fast war es so, als sei parallel ein Hilfsprogramm aktiv.
»Lassen Sie ein weiteres Programm über dieses Terminal laufen?«, wollte sie von Dr. Sparker wissen. Dr. Sparker schüttelte den Kopf. »Doktor Scott?«, fragte Saxana nach. »Sie haben das Terminal ganz für sich«, erklärte die leitende Schiffsärztin der STERNENFAUST. »Irgendetwas läuft hier jedoch und bremst mein Analyse-Programm aus«, beharrte Saxana. Dr. Scott wandte sich an das Terminal und aktivierte eine Übersicht der laufenden Programm-Routinen. »Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken«, sagte sie. »Könnte der Arbeitsprozessor überlastet sein?«, wollte Dr. Sparker wissen, woraufhin ihr Dr. Scott ein verärgertes »Sie glauben wohl, wir arbeiten mit Prozessoren aus der Steinzeit!«, entgegnete. »Das ist allerdings seltsam«, sagte Dr. Scott schließlich, woraufhin auch Dr. Sparker von ihrem Monitor aufblickte. »Was ist es?«, wollte Saxana wissen. »Die Gesamtauslastung des Arbeitsprozessors liegt bei 87 Prozent. Wenn ich die einzelnen Routinen aktiviere, komme ich jedoch nur auf eine Summe von 83 Prozent.« »Eine Hide-Routine?« »Ich lasse gerade den Hide-Scanner darüberlaufen. Kein Ergebnis.« »Für mich riecht das eher nach einem Parasiten«, sagte Dr. Sparker. »Irgendjemand nutzt eines der Programme als Host.« Dr. Scott nickte und tippte auf der Touchscreen-Anzeige des Analyse-Programms herum. Saxana konnte erkennen, dass Dr. Scott untersuchte, ob jemand aus der Crew Zugriff auf das Terminal genommen hatte. Doch schließlich schüttelte sie den Kopf. »Doktor Scott«, sagte Dr. Sparker nachdenklich. »Sie hatten mir erlaubt, mein Analyse-Programm bei den Scan-Auswertungen zu benutzen.«
Dr. Scott nickte und warf die Stirn in Falten. »In meinem Analyse-Programm ist standardmäßig ein ID-Tracer enthalten«, erklärte Dr. Sparker weiter, woraufhin Dr. Scott die Lippen verzog. »Und Ihr Genetic-ID-Tracer ist natürlich moderner und besser als der Standard-Tracer der STERNENFAUST«, spottete Dr. Scott. »Das nicht«, erwiderte Dr. Sparker verärgert und wandte sich ab. Sie schien keine Lust auf einen weiteren Dialog zu haben, sodass sich nun Saxana einschaltete. »Doktor Scott«, sagte sie vorsichtig, »ich denke, was Doktor Sparker meint, ist etwas anderes. Wenn jemand aus der Crew versucht, heimlich unsere Ergebnisse herauszufinden, könnte er weitaus mehr sein als nur ein neugieriges Besatzungsmitglied.« »Auf diese Erkenntnis bin ich durchaus auch schon gekommen«, antwortete Dr. Scott verärgert. »Wäre ich ein Verräter, der versucht, heimlich Daten aus dem Schiffscomputer zu holen, wäre eine Sabotage des ID-Tracers das Erste, was ich veranlassen würde.« »So wie Sie sicher auch eine Überwachungskamera deaktivieren würden«, betonte nun wieder Dr. Sparker, »bevor Sie heimlich einen Raum betreten wollen.« Mit diesen Worten hielt sie ihr Pad hoch und sagte: »Mein ID-Tracer könnte jedoch noch intakt sein.« Dr. Scott musste einsehen, dass sie sich ein wenig kindisch verhalten hatte, doch stattdessen murmelte sie nur ein kleinlautes »na gut«. Sie übertrug den ID-Tracer auf ihre Konsole und startete das Programm. Sofort wurde eine Ziffernfolge sichtbar, und Dr. Scott berührte das Feld und ließ sich das Terminal anzeigen. »Das Brücken-Terminal der Taktik-Konsole«, sagte Dr. Scott und blickte Saxana entsetzt an. Auch ohne ihre verbesserten Pupillen hätte Saxana sehen können, wie Dr. Scotts Gesicht jegliche Farbe verlor.
Erneut berührte die Ärztin einige Felder und erkannte: »Außer Lieutenant Commander Robert Mutawesi hat seit Stunden niemand diese Konsole benutzt.« »Sie müssen sofort einige Marines auf die Brücke schicken«, sagte Saxana. Unwillkürlich hatte sie geflüstert. »Ich kann das nicht glauben«, stammelte Dr. Scott. »Ich kenne Robert Mutawesi seit Jahren. Ich …« »Dies ist nicht mehr der Robert Mutawesi, den Sie einst gekannt haben«, erklärte Dr. Sparker. »Und ich empfehle Ihnen, keine Zeit zu verlieren.« Dr. Scott nickte schwach und berührte ihren Armband-Kommunikator. »Scott an Sergeant Telford«, sagte sie und wartete. »Telford hier«, ertönte eine Stimme. »Sergeant, wo sind Sie?« »Bei den Arresträumen«, sagte er. »Ist Commander Mutawesi bei Ihnen?«, wollte Dr. Scott wissen. »Nein«, kam die Antwort. »Was ist los, Doktor Scott.« »Hören Sie gut zu, Sergeant. Wir haben hier Beweise gefunden, dass es sich bei Commander Mutawesi um einen Doppelgänger handeln könnte. Einen Doppelgänger wie auf der HELSINKI und der AMSTERDAM.« »Sind Sie sicher?«, wollte der Sergeant wissen. »Die Beweise sind erdrückend. Sie müssen ihn so schnell wie möglich festnehmen. Ich werde Captain Frost informieren.« »Verstanden«, erklärte der Sergeant und deaktivierte die Verbindung. Dr. Scott stand offensichtlich noch immer unter Schock. Mit glasigen Augen starrte sie ins Nichts. »Nun haben wir, worauf wir gewartet haben«, sagte Dr. Sparker kalt. »Einen lebenden Doppelgänger.«
*
Auf der STERNENFAUST befanden sich drei Arrestzellen für je sechs Personen. Alle drei bestanden aus einem schmalen Schlauch mit zwei dreistöckigen Betten und einer Art kombinierter Hygienezelle. Als Dana zum ersten Mal die Schiffspläne gesehen hatte, war ihr genau das durch den Kopf gegangen, was wohl jeder dachte, wenn er die Zellen sah: Weshalb sollte ein Schiff mit einer Crew von fünfundachtzig Personen plus dreißig Marines gleichzeitig achtzehn Personen in einer Arrestzelle unterbringen müssen? Warum hatte man nicht eine einzige Zelle gebaut, in der ein Crewmitglied, das etwas beleibter war, bei Benutzung der Nasszelle die Schiebetür nicht offen lassen musste? Und jetzt füllten sich die Arrestzellen schneller, als es sich Dana hatte träumen lassen. Auf zwei Zellen verteilt befanden sich die Genetics, in der dritten Zelle war Lieutenant Commander Mutawesi untergebracht. »Captain«, rief der hagere Afrikaner und erhob sich, als er sah, dass sich Dana in Begleitung eines Marines und Saxana I. Rousek seiner Zelle näherte. »Bitte sagen Sie mir, was hier vorgeht.« Dana nickte. »Es sieht nicht gut aus, Commander Mutawesi«, begann sie. »Von Ihrem Terminal aus wurde das ID-Tracer-Programm manipuliert, außerdem wurden die Scan-Daten von Dr. Scott, Dr. Sparker und Mrs. Rousek auf Ihr Terminal kopiert.« »Ich habe nichts dergleichen getan«, beteuerte Commander Mutawesi. »Captain, Sie müssen mir glauben!«, beteuerte der Offizier. Dana wollte ihm glauben. Aber sie hätte jedem auf diesem Schiff glauben wollen, dass er kein Verräter war. Auch wenn Robert Mutawesi mit der radikalen Bewegung Pro Humanity sympathisierte und nach dem gewaltsamen Tod seiner Eltern und seiner grauenvollen Gefangenschaft bei den Msssarrr nicht immer die pazifistischsten Ansichten vertrat, was Aliens anging, so gab es an der Integrität
des »echten« Robert Mutawesi keinen Zweifel. Doch wenn sie jetzt einen Doppelgänger vor sich hatte, waren all diese Überlegungen hinfällig. Eines stand fest: Die internen Sicherheit-Check-Systeme der STERNENFAUST zu überschreiben, war keine Kleinigkeit. Wenn Dana jemandem aus ihrer Crew so etwas zutraute, dann jemandem mit den Fähigkeiten von Robert Mutawesi. »Sind Sie damit einverstanden, dass Doktor Scott und Doktor Sparker Sie ausgiebig untersuchen?«, wollte Dana wissen. Der Taktikoffizier zögerte zunächst, dann nickte er. Warum hatte er gezögert? Danas Misstrauen wuchs. »Sie scheinen nicht begeistert davon zu sein, untersucht zu werden«, sagte Dana. »Das ist es nicht, aber ich würde gerne mehr tun als das«, erklärte der Lieutenant Commander. »Ich möchte dabei mitwirken, den Täter zu fassen. Ich würde mir die Computersysteme gerne selbst ansehen.« Damit er seine Spuren verwischen konnte? »Das kann ich Ihnen auf keinen Fall gestatten«, erwiderte Dana. »Geben Sie mir reine Leserechte«, betonte Mutawesi. »Ich will mir nur die Daten ansehen.« »Ich kann und will dieses Risiko nicht eingehen«, blieb Dana eisern. »Glauben Sie mir: Ihre beste Chance ist eine Untersuchung von Doktor Scott und Doktor Sparker.« »Sie begehen einen Fehler«, sagte Lieutenant Commander Mutawesi. »Soll das eine Drohung sein?«, erwiderte Dana kalt. »Ich weiß, dass ich unschuldig bin«, betonte der dürre Mann mit der dunklen Hautfarbe. »Und da ich das weiß, weiß ich auch, dass der wahre Täter noch nicht gefunden ist!«
*
»Wie ist Ihre Einschätzung«, wollte Dana kurz darauf von Saxana I. Rousek wissen. Sie hatte die Genetic nicht umsonst mitgenommen. »Hat er gelogen?« »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen«, erwiderte die Genetic und lächelte. »Ich dachte, sie würden an den Pupillen erkennen, ob jemand lügt?«, sagte Dana enttäuscht und bedauerte abermals, dass sich Bruder William nicht an Bord befand. Die Genetic lächelte noch immer. »Es gibt viele physiologische Veränderungen, welche die Anstrengungen des Lügens nach sich ziehen. Und ja, bei Ihrem Taktikoffizier sind diese Anzeichen bei fast allen Antworten aufgetreten. Doch in seinem Fall muss das nichts bedeuten. Seine Erregung kann auch von der Verdächtigung herrühren, dem Stress, Sie von der Wahrheit zu überzeugen, der Anstrengung, das Richtige sagen zu wollen. Hätten wir ihn in einer arglosen, unverdächtigen Situation allgemein befragt, sähe das vermutlich anders aus. Doch nach seiner Festnahme testet jede Befragung nur, ob die entsprechende Frage bei ihm Stress auslöst. Und das tut sie manchmal bei einem Unschuldigen, der den Fragesteller verzweifelt von seiner Unschuld zu überzeugen versucht, sogar noch mehr als bei einem schuldigen Täter.« »Dann bleibt uns nur noch der Scan«, sagte Dana. Wieder lächelte die Genetic. »Ich erinnere mich an eine Geschichte, die ich in meiner Kindheit gelesen habe. Eine alte Frau wollte mit ihrer Freundin in ein wunderschönes, großes Haus ziehen, das sie geerbt hatte. Doch die Freundin lehnte dies entschieden ab, denn sie war fest davon überzeugt, dass es in diesem Haus spukt. Also engagierte die alte Frau einen Privatdetektiv. Der Mann sollte ihr den Beweis erbringen, dass es in dem Haus nicht spukt. Doch egal, was der Privatdetektiv auch tat, er konnte diesen Beweis nicht erbringen. Hätte es in dem Haus gespukt, wäre es ihm vielleicht eines Tages geglückt, dies zu beweisen. Doch der Nachweis, dass es nicht spukt …«
»Das heißt?« »Wir sprechen hier von Naniten, die sich nicht scannen lassen. Vielleicht gelingt es uns eines Tages, diese Naniten sichtbar zu machen. Doch damit könnten wir nur die Schuld von Commander Mutawesi beweisen. Seine Unschuld hingegen wird sich nie beweisen lassen. Nicht, solange wir nicht sicher sein können, die Tarnvorrichtung der Naniten überwunden zu haben.«
* Wenn man mit einem Raumschiff einen Planeten verließ, wenn man wusste, diese Welt für mehrere Wochen oder gar Monate nicht mehr zu Gesicht zu bekommen, beschlich manche Leute stets das unangenehme, diffuse Gefühl, etwas vergessen zu haben. Blair Sparker war schon immer besonders anfällig für dieses Gefühl gewesen. Als Medizinerin wusste sie, dass es sich dabei um eine winzige, sich innerhalb der Normen bewegende dissoziative Störung handelte. Und allein diese nüchterne Erkenntnis vertrieb das abstrakte Gefühl. Doch diesmal war es anders. Das Gefühl blieb und ließ sich nicht vertreiben. Es war so prägend, dass es ihr allmählich schwerfiel, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Blair hatte sich in das kleine Seitenlabor zurückgezogen, um ungestört die Daten zu analysieren, während sich Dr. Scott und die Naniten-Expertin um die Leiche von Jay Ondeo kümmerten. Und wenn Blair ehrlich zu sich war, dann lag es auch an Saxana I. Rousek. Sie fühlte sich in der Gegenwart der Genetic nicht wohl. Und schon gar nicht gefiel es ihr, dass sie sich hatte überreden lassen, diesen seltsamen Glücksbringer anzunehmen. Mit einem lautlosen Seufzen zog Blair die Plakette aus der Tasche und betrachtete sie misstrauisch. Das Teil schien tatsächlich zu sein, was Saxana I. Rousek behauptet hatte: Ein Talisman mit Mantiden-
Symbolen. Blair legte das silbern glänzende Stück auf die Arbeitsfläche und griff nach ihrem Pad, auf dem inzwischen so viele Felder angezeigt wurden, dass Blair mittlerweile einen winzigen, dünnen Stick benutzen musste, um die einzelnen Felder überhaupt noch anwählen zu können. Schließlich legte Blair das Pad beiseite und aktivierte die Ergebnisse des ID-Scans auf der Konsole. Gedankenverloren hielt sie noch immer den dünnen Touchfeld-Stick in der Hand und bewegte ihn zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger hin und her. Da war wieder das seltsame Gefühl, etwas übersehen zu haben. Und es lag weder an Jay Ondeo und ihrer Vermutung, einer ungeheuer weit entwickelten Technik auf der Spur zu sein, noch lag es an den Genetics, die als Flüchtlinge an Bord der STERNENFAUST gekommen waren und die als lebender Beweis dafür galten, dass auf den Genetic-Welten etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Es war der ID-Scan. Die Daten waren natürlich von Dana Frost sofort sichergestellt worden, aber sie hatte eine Screenshot-Kopie noch immer auf ihrem Pad gespeichert. Hastig aktivierte Blair den Screenshot-Cache und betrachtete sich die Anzeige. Und da stand es: ID-Tracer Version 17f.v-3. Ihr ID-Tracer entsprach der Version 17b.v-1b. Er war sogar älter als der, dessen Ergebnisse nun angezeigt wurden. Normalerweise hätte ein Warnhinweis sie sofort darauf aufmerksam machen müssen, dass sie eine überholte Version eines IDTracers benutzte. Das konnte nur eines bedeuten. Blair hatte ihren ID-Tracer zwar ins System eingespeist, doch das Programm war sofort überschrieben worden. Überschrieben von einem offensichtlichen manipulierten ID-Tracer. Einem ID-Tracer, der eindeutig darauf programmiert war, den Verdacht auf eine unschuldige Person zu lenken.
»Ich komme wohl gerade rechtzeitig«, hörte Blair eine Stimme hinter sich. Eine nur zu vertraute Stimme. Blair musste sich nicht umdrehen. Sie wusste, dass ein Nadler auf sie gerichtet war. Und sie wusste auch, dass sie keine Chance hatte, lebend aus dieser Sache herauszukommen. Sie begann, sich zu konzentrieren. »Wollen Sie gar nichts sagen?«, hörte sie die Stimme hinter sich. »Kein ›damit kommen Sie nicht durch!‹?« Blair warf einen Blick auf das Amulett, das sie von Saxana I. Rousek erhalten hatte. Und sie hatte noch immer den Stick in der Hand. »Ich schätze, Sie haben an alles gedacht«, sagte Blair und konzentrierte sich auf ihr Interface. Vor ihrem Auge erschien ein Auswahlfeld für einfache Befehlsroutinen, und sie begann, ihr Interface mit Daten zu füttern. »Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben«, sagte der Mann hinter ihr. »Sie wären sicher eine gute Bereicherung für unser Gemini-Imperium geworden.« »Ich werde also nicht als Klon-Kopie wieder auferstehen?« Fast konnte sie fühlen, wie der Mann hinter ihr grinste. »Sie beeindrucken mich. Sie ziehen gekonnt die richtigen Schlüsse. Ich bedauere daher, das tun zu müssen, was ich nun tun muss.« Blair lächelte bitter. Die Programmierung war abgeschlossen. Ihre rechte Hand folgte nun einer eingegebenen Bewegungsroutine. Für ihren Mörder musste es jedoch so aussehen, als zittere sie lediglich. Sie überlegte, wer in diesem Universum von ihrem Tod erschüttert sein würde. Wer würde sich noch lange an sie erinnern? Ihr fiel niemand ein. Sie hatte Freunde, ein paar Verwandte … Doch letztlich würde man sie genauso schnell vergessen wie all jene Genetics, die überholt, ausgemustert und überflüssig wurden. Schon bald würde sie durch eine »bessere« Version ersetzt werden. Im Grunde ersparte sie der Genetic-Regierung nur die Mühe, sich zu überlegen, was mit altem »Ballast« wie ihr geschehen sollte.
Das letzte, was Blair hörte, war das leise Sirren des Nadlers.
* Als Robert Mutawesi ein gedämpftes mechanisches Klacken hörte, blickte er zunächst noch nicht einmal auf. Seine Gedanken drehten sich wieder und wieder im Kreis. Er verspürte das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden, mit jemandem gemeinsam immer wieder zu erörtern, wie man einen Weg finden könnte, seine Unschuld zu beweisen und den wahren Täter zu überführen. Doch Robert hatte niemanden zum Reden. Er war allein in der Zelle. Und man ließ ihn noch nicht einmal in die Nähe eines Terminals, während genetisch hochgezüchtete Supersoldaten sich zum Teil unbekümmert im medizinischen Labor bewegen durften. Natürlich, wenn Robert es logisch durchdachte, hätte er an Dana Frosts Stelle genauso gehandelt. Jeder Raum auf der STERNENFAUST, selbst jeder Korridor, war voller Terminals, TouchscreenMonitore und Rechnereinheiten. Es wäre zu aufwendig gewesen, sie alle zu deaktivieren, vom Netz zu entfernen oder gar auszubauen. Zugleich konnte man ihn, dem man vorwarf, interne Daten der STERNENFAUST manipuliert zu haben, nicht in die Nähe von Computern lassen. Robert Mutawesi fröstelte. Schließlich blickte er verwirrt auf. Da war ein Luftstrahl, der von dem Eingang der Zelle kam. Die Zelle hatte ein großes Sichtfenster aus transparentem Aluminium. Und Mutawesi konnte sehen, wie sich die Lichtspiegelung in diesem Aluminium-Glas plötzlich veränderte. Die Tür bewegte sich. Da fiel ihm wieder das Klacken ein, das er gehört hatte, und sofort sprang er hoch.
Langsam näherte er sich der Zellentür und tippte mit den Fingerkuppen sanft dagegen. Sie gab augenblicklich nach. Die Tür war offen. Sie musste von außen entriegelt worden sein. »Hallo!«, rief Robert, doch es war niemand da. Die Marines bewachten offenbar die Genetics, die sich nicht in den Arrestzellen befanden. Robert zögerte nicht lange und verließ die Zelle. Er war nicht dumm. Natürlich hatte er längst durchschaut, dass dies eine Falle war. Irgendjemand sorgte dafür, dass er die Zelle verlassen konnte. Und das konnte nur bedeuten, dass man ihm wieder etwas anhängen wollte. Zugleich bedeutete es jedoch, dass der wahre Täter irgendein Verbrechen plante. Schnell stürzte Robert zur Kom-Anlage am Eingang, berührte das Aktivierungsfeld und rief: »Robert Mutawesi hier!« Doch es kam keine Antwort. Deaktiviert, ging es Robert durch den Kopf. Man hatte die KomAnlage deaktiviert, um genau das zu verhindern, was er gerade vorhatte. Um zu verhindern, dass er Dana Frost warnte. Was könnte der wahre Täter als Nächstes planen? Das medizinische Labor, dachte Robert. Dort hatte die Untersuchung begonnen. Wenn man dort etwas herausgefunden hatte, dann würde der echte Täter vielleicht versuchen, Spuren und Beweise zu verwischen. Sofort stürzte Robert Mutawesi in den Korridor, stets bereit, sich sofort zu ergeben, wenn man versuchen würde, ihn aufzuhalten. Doch seltsamerweise sah er auch hier niemanden. Schnell eilte Robert zum Lift und wählte das Deck an, auf dem sich die medizinischen Behandlungsräume und Labors befanden. Erneut betätigte er das Kom-Panel, doch auch hier gab es keine Reaktion.
Als der Lift sein Ziel erreicht hatte, hastete Robert über den Gang und sah schon von weitem die offene Schiebetür zum separaten medizinischen Labor. Vor dem Eingang lag ein Nadler auf dem Boden. Robert würde nicht so dumm sein, den Nadler anzufassen. Aber er wusste, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte. Als er das Labor erreicht hatte, sah er sofort Dr. Blair Sparker, die reglos am Boden lag. Eine große Wunde breitete sich auf ihrem Rücken aus, und Robert konnte sehen, dass hier jede Hilfe zu spät kam. Er berührte den Kommunikator an der Eingangskonsole und sagte: »Notfall im medizinischen Labor 4«, als er bereits hinter sich die Stimme von Sergeant Telford hörte: »Keine Bewegung, Commander!« Robert Mutawesi hob die Hände. Und als er in das strenge Gesicht von Sergeant Telford blickte, wusste er, dass er nun in noch größeren Problemen steckte.
* »Austritt aus dem Bergstromraum in T minus dreißig Sekunden«, meldete Lieutenant Briggs. Dana warf erneut einen Blick auf die taktische Konsole, wo normalerweise Lieutenant Commander Mutawesi seinen Dienst verrichtete. Nun saß dort Lieutenant Saul Mandagor, Robert Mutawesis Stellvertreter. Der über zwei Meter große, sehr feingliedrige »Real Martian« trug überall an seinem Körper winzige Antigravaggregate, um sich innerhalb einer der Erde entsprechenden Schwerkraft bewegen zu können. »Mesonenantrieb für Korrekturmanöver bereithalten«, sagte Danas I.O. »Admiral Takato möchte Sie sprechen, Ma’am«, meldete Kommu-
nikationsoffizierin Susan Jamil. Dana nickte. »Sagen Sie ihm, dass wir gerade dabei sind, den Bergstrom-Raum zu verlassen«, erklärte Dana. »Ich melde mich in wenigen Minuten bei ihm.« »Aye, Ma’am«, sagte Lieutenant Jamil. »Austritt aus dem Bergstrom-Kontinuum in T minus zehn Sekunden«, erklärte Lieutenant Briggs. »Volle Gefechtsbereitschaft«, rief Lieutenant Commander van Deyk. Dana musste schlucken. Ihr I.O. hatte recht. Sie wussten nicht, was sie bei den Austrittskoordinaten erwartete. »Austritt aus dem Bergstrom-Kontinuum in T minus drei, zwei, eins – jetzt!« »Plasmaschirm ist aktiviert«, meldete Lieutenant Mandagor. Dana Frost blickte auf die Sterne, die auf dem Panoramaschirm funkelten. Der Boden vibrierte für wenige Augenblicke, dann war die Aufwärmphase der Mesonentriebwerke abgeschlossen, und die STERNENFAUST befand sich im Bremsmanöver. »Geschwindigkeit bei 37,5 Prozent Licht«, meldete Lieutenant Briggs. »Sehr gut«, sagte Dana. Ortungsoffizierin Maxie Toober rief: »Keine Schiffe oder Stationen in Reichweite.« Sie drehte sich um und erklärte: »Es ist niemand hier.« Dana nickte. »Ich spreche mit den Genetics. Doch zuvor werde ich mich mit Admiral Takato in meinem Bereitschaftsraum unterhalten. Lieutenant Jamil, leiten Sie das Signal in meinen Raum weiter. Bremsmanöver fortsetzen, ich will sofortige Meldung, wenn jemand auftaucht.« Mit diesen Worten verließ Dana die Brücke. Sie konnte nicht behaupten, sich auf das Gespräch mit Admiral Takato zu freuen.
*
Es dauerte nicht lange, und das ausdrucksstarke Gesicht von Admiral Takato starrte Dana mit mürrischem Blick aus dem Kom-Monitor entgegen. Dies waren die Momente, in denen Dana sich an die altmodischen 2-D-Bildschirme von früher zurücksehnte. »Die Regierungs-Zentrale der Drei Systeme hat sich gemeldet«, sagte Admiral Takato streng. »Sie sind nicht erfreut.« Er musterte Dana für einen Moment finster und fügte schließlich hinzu: »Etwas, das ich von mir auch nicht behaupten kann.« »Sir«, erklärte Dana, »bislang hat sich hier niemand blicken lassen. Alles, was wir vorgefunden haben, ist leerer Raum.« »Das auch noch«, platzte es aus Admiral Takato heraus. Dann schüttelte er leicht den Kopf. »Captain Frost, ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass Sie noch Herr der Lage sind.« Wenn sie ehrlich war, bezweifelte Dana das allmählich auch. Sie hatten es mit Gegnern zu tun, die sich als unerkannte Doppelgänger auf die Schiffe des Star Corps einschlichen. Und sie folgte der Bitte von Genetics, und nun war niemand am angeblichen Übergabeort erschienen. »Wollen Sie mir das Kommando entziehen, Sir?«, entgegnete Dana scharf. »Ich möchte wissen, was Sie als Nächstes zu tun gedenken«, antwortete Admiral Takato. »Dann werde ich entscheiden, ob ich Ihnen weiter den Kurs überlasse, oder ob ich nicht besser ein Star-CorpsSchiff zu Ihnen sende, damit jemand Neutrales das Kommando übernimmt.« Dana nickte. »Lieutenant Mutawesi steht unter permanenter Bewachung«, erklärte sie. Gerade weil die Beweise so sehr gegen ihn sprachen, war sie mehr denn je überzeugt, dass er in dieser Angelegenheit das Opfer und nicht der Täter war. »Wir warten auf die Kontaktperson, die angeblich die Genetics übernehmen will. Dann bringe ich die sterblichen Überreste von Doktor Sparker nach Ein-
stein und kehre zum Hauptquartier zurück.« »Und wie lange wollen Sie warten?«, verlangte Admiral Takato zu wissen. »Wir untersuchen noch immer den Mordfall, um auszuschließen, irgendwelche Anhaltspunkte übersehen zu haben«, erklärte Dana. »Außerdem erforscht Mrs. Rousek zusammen mit Doktor Scott die Naniten-Sequenzen von Jay Ondeo. Wir stehen hier kurz vor einem Durchbruch. Daher würde ich vorschlagen, wir warten vierundzwanzig Stunden.« »Ich gebe Ihnen zwölf«, sagte Admiral Takato. »Sollten wir die Angelegenheit nicht lieber aufklären, bevor wir mit der STERNENFAUST in ein anderes …« »Zwölf Stunden«, unterbrach sie Admiral Takato. »Glauben Sie mir, das ist weitaus mehr, als ich Ihnen vor unserem Gespräch zubilligen wollte.« Dana hatte verstanden. »Verstanden, Sir!«, sagte sie nur. Dann hörte sie nur noch ein mürrisches »Takato, Ende«, und auf dem Schirm erschien das Kom-Logo des Star Corps. Dana holte tief Luft und verlangte über Kom, dass Stephan van Deyk zu ihr kommen solle.
* »Es gibt diesen alten Spruch von James Whitcomb Riley«, sagte van Deyk und lächelte. »Wenn ich einen Vogel sehe, und er geht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und schnattert wie eine Ente, dann nenne ich diesen Vogel Ente.« Dana verzog nur verwundert die Augenbrauen. »Alles, was wir bislang fanden, deutet auf Lieutenant Commander Mutawesi als Täter hin«, erklärte der I.O. »Vielleicht sollten wir allmählich aufhören, nach Gründen zu suchen, diese Hinweise zu ignorieren, sondern einfach die Fakten für sich sprechen lassen.«
»Sie glauben also, dass Commander Mutawesi ein Verräter ist.« »Ein Verräter, ein Opfer, ein Klon, ein Doppelgänger oder was auch immer«, sagte Stephan van Deyk. »Wir wissen, dass er die Arrestzelle verlassen hat, dass er Labor 4 aufsuchte, und wir sehen anhand der Videoüberwachung, dass er es war, der Doktor Blair Sparker ermordete.« »Er sagt, er habe sie tot vorgefunden«, wandte Dana ein. »Und dass das Überwachungsvideo mit einer Modifizierungs-Software verändert wurde.« »Er sagt auch, dass alle internen Kom-Anlagen deaktiviert waren. Was ebenfalls nicht bestätigt werden konnte.« »Aber warum?«, wollte Dana wissen. »Warum sollte er Doktor Sparker ermorden?« »Vielleicht hatte sie neue Beweise gefunden!« Dana runzelte die Stirn. »Neue Beweise? Woher sollte er das wissen? Er war in seiner Zelle. Wieso sollte er überhaupt nur annehmen, Doktor Sparker würde nach neuen Beweisen suchen?« Stephan van Deyk schien zu überlegen. »Er war in Panik«, sagte er schließlich. »In Panik verhalten sich Menschen nicht immer logisch.« »Wir sprechen hier von Lieutenant Commander Mutawesi«, widersprach Dana. »Der monatelang auf einem Msssarrr-Schiff gefangen war, und der dort dem Wahnsinn entging, indem er in seinem Kopf Gleichungen löste und allerlei mathematische Berechnungen anstellte.« »Und der dennoch danach über Jahre hinweg starke Psychopharmaka benötigte«, widersprach der Erste Offizier. »Und wie gesagt: Wir wissen nicht, ob eine Klon-Kopie genauso tickt wie das Original.« »Also liefert uns diese Klon-Kopie kurz nach ihrer Gefangenschaft neues Beweismaterial, indem sie durch eine vorab ins System eingespeiste Systemblockade dafür sorgt, dass sich ihre Zellentür öffnet. Und zwar nur ihre Zellentür, nicht die der anderen Gefangenen.
Und schon holt sich die Klon-Kopie einen Nadler, eilt zu Doktor Sparker und ermordet sie. Und obwohl die Klon-Kopie zuvor sogar den schiffsinternen ID-Tracer lahmgelegt hat, vergisst sie nun, sich um die Überwachungskameras zu kümmern.« »Vielleicht«, sagte Stephan van Deyk nachdenklich, »vielleicht ist das alles genialer als wir glauben.« »Genialer?« »Genau diese Widersprüche, die Sie benennen. Vielleicht hat Commander Mutawesi es absichtlich so eingerichtet, dass alle Hinweise auf ihn deuten, damit wir zu dem Schluss kommen, dass ihm hier jemand etwas anhängen möchte.« Dana konnte für einen Moment nicht glauben, was sie da hörte. Schließlich lächelte sie. »Er macht sich verdächtig, damit wir glauben, er sei unschuldig?« Sie musterte ihren I.O. nachhaltig, um herauszufinden, ob er das ernst oder als Scherz gemeint hatte. »Captain Frost, bitte sofort auf die Brücke«, hörte Dana über ihren Armband-Kommunikator. Sie fragte nicht nach, denn sie wusste, wenn sie »sofort« auf die Brücke gerufen wurde, lag ein Notfall vor. »Gehen wir«, sagte sie zu ihrem I.O. Sie wusste, dass dieses Gespräch noch nicht vorüber war.
* »Drei Schiffe haben gerade den Bergstrom-Raum verlassen«, sagte Ortungsoffizierin Toober. »Funkkontakt?«, wollte Dana wissen. »Allerdings«, erklärte Lieutenant Jamil. »Auf den Hauptschirm«, sagte Dana. Kaum eine Sekunde später erschien auf dem Schirm das Bild eines jungen Kommandanten mit scharf geschnittenen Zügen, stechend grauen Augen und einem nahezu kahlrasierten Kopf. Obwohl der
Mann so jung aussah, dass man denken konnte, er sei noch ein Fähnrich, strahlte er eine eindrucksvolle Autorität aus. Dana glaubte fast, sein Blick würde sie durchbohren. »Ich bin Lieutenant Commander Sylvester R. Drake«, ertönte seine kräftige Stimme, »Kommandant der CAPECCHI. Ich bin im Auftrag der Drei Systeme hier.« Dana überlegte, weshalb die Bergstrom-Sonden die drei Schiffe nicht früher bemerkt hatten, doch dann verscheuchte sie den Gedanken. Das konnte sie später noch klären. »Was wollen Sie?«, fragte sie finster, obwohl sie sich den Grund denken konnte. »Wir verlangen die Herausgabe von acht Individuen, die sich an Bord Ihres Schiffes befinden. Zudem fordern wir die Übergabe der Leiche von Blair D. Sparker.« Dana hob langsam die Augenbrauen. »Sie befinden sich im Hoheitsgebiet der Solaren Welten«, sagte sie langsam und ruhig. »Sie haben keinerlei Rechte, Forderungen zu stellen.« »Es befinden sich Terroristen und Feinde der Drei Systeme auf Ihrem Schiff«, erklärte der junge Genetic-Kommandant ungerührt. »Wir müssen annehmen, dass Sie beabsichtigen, diesen Personen Unterschlupf zu gewähren und sie zu einer Terrorzelle zu transportieren. Die Regierung der Drei Systeme wertet dies als kriegerischen Akt. Wir fordern daher die friedliche Auslieferung, die uns gemäß des Vertragsabkommens III-23-A vom 1. Januar 2256 zusteht. Zugleich verzichtet die Regierung der Drei Systeme auf die Auslieferung des Mörders von Blair D. Sparker.« Wie großzügig, dachte Dana. »Ich wiederhole«, sagte sie kalt, »Sie haben hier in diesem Gebiet keine Befehlshoheit. Das Abkommen, das Sie benennen, umfasst Ansprüche Ihrer Regierung. Doch auch sie darf diese Forderungen nicht einfach mit militärischer Gewalt durchsetzen.« »Ich bin von der Behörde des Lordmanagers autorisiert, notfalls
das Feuer zu eröffnen. Ich darf darauf hinweisen, dass unsere drei Schiffe der STERNENFAUST waffentechnisch überlegen sind.« »Ich höre wohl nicht recht!«, rief Dana. »Wenn Sie uns hier angreifen, werden die Solaren Welten dies als kriegerischen Akt werten. Und ich kann Ihnen versichern, das Star Corps ist ihren Drei Systemen deutlich überlegen.« »Ich wiederhole, wenn Sie sich unseren Forderungen verweigern, werde ich das Feuer eröffnen«, kam die emotionslose Antwort. »Drake, Ende!« Die Kom-Anzeige erlosch. »Die Schiffe befinden sich in zwanzig Minuten in Feuerreichweite«, erklärte Lieutenant Commander Toober. Dana nickte. Alle Augen der Brückenoffiziere waren auf sie gerichtet. »Soll ich Sie mit der Admiralität verbinden?«, fragte Lieutenant Jamil zögerlich. »Wenn ich Admiral Takato sprechen möchte, werde ich es Sie wissen lassen«, antwortete Dana bewusst eisig und streng. Sie konnte sehen, wie die junge Offizierin rot anlief. Lieutenant Jamil drehte sich ab und hielt den Kopf ein wenig geduckt. »Lieutenant Saul Mandagor«, sagte Dana. »Bereiten Sie die Gefechtsstationen vor. Ich möchte in fünfzehn Minuten eine vollständige taktische Analyse.« »Aye, Ma’am«, kam die Antwort. »Ma’am?«, fragte Lieutenant Commander van Deyk. »Darf ich fragen …« »Informieren Sie Jägerpilotin Quantuuk, sie soll sich bereithalten.« »Sie wollen also wirklich …« Doch Dana ließ ihn erneut nicht ausreden. »Sie haben die Brücke, Commander.« Mit diesen Worten drehte sich Dana um und eilte zum Lift. Bevor
sie ihn betrat, hörte sie noch einmal, wie ihr I.O. »Ma’am?«, rief. »Keine Sorge«, erwiderte sie. »Ich werde rechtzeitig wieder hier sein.«
* In der Krankenstation war neben Dr. Scott noch Saxana I. Rousek anwesend. Außerdem hatte Dana veranlasst, dass Kevin S. Prize ebenfalls in die Krankenstation gebracht wurde. Fünf Marines bewachten die Genetics. Ein rotes Blinken an den Rändern der Monitore wies darauf hin, dass die STERNENFAUST unter Alarmstufe Rot stand. »Konnten Sie schon irgendwelche Fortschritte erzielen?«, wollte Dana wissen. Dr. Scott nickte. »Mrs. Rousek ist es tatsächlich gelungen, die Resequenzierung der Naniten so zu beeinflussen, dass die Tarnvorrichtung erst nach vier Mikrosekunden aktiviert wurde. Der Scanner konnte diese Zeit nutzen, um die Naniten und ihre internen Programm-Routinen zu erfassen.« Dana nickte. »Was sind die nächsten Schritte?« »Man müsste eine bestimmte Frequenz-Routine aus niedrigschwelligen Alpha- und Gammastrahlen entwickeln, um einzelne Programmroutinen anzusteuern, welche die Tarnfunktion außer Kraft setzen«, erklärte Saxana I. Rousek. »Die Verwendung von Alpha- und Gamma-Wellen im Nanobereich war ein Spezialgebiet von Doktor Sparker«, sagte Dr. Scott betrübt. Dana konnte ihr am Gesicht ansehen, wie sehr sie nun bereute, noch vor wenigen Stunden so schlecht über die Genetic-Ärztin gesprochen zu haben. »Es gibt sicher noch andere Experten auf diesem Gebiet«, seufzte Dana. »Letztlich ist jeder von uns ersetzbar«, sagte Kevin S. Prize nach-
denklich. »Wenn wir erst ein Gerät entwickelt haben«, erklärte Dr. Scott weiter, »das die Tarnfunktion der Naniten deaktiviert, könnten wir problemlos alle Doppelgänger enttarnen. Dann wissen wir auch, ob Lieutenant Commander Mutawesi wirklich ein Klon ist.« »Glauben Sie, dass Doktor Sparker deswegen ermordet wurde?«, wollte Saxana I. Rousek von Dana Frost wissen. Dana schüttelte den Kopf. »Ich habe einen großen Fehler begangen.« »Einen Fehler?«, fragte Dr. Scott nach. »Commander Mutawesi ist nicht der Täter.« »Wer ist es?«, wollte Dr. Scott wissen. »Jemand, der keinen Schaden mehr anrichten wird. Das kann ich Ihnen garantieren.« »Ich kann noch immer nicht glauben, dass sie tot ist«, sagte Saxana I. Rousek. »Ich hatte ihr ein Amulett gegeben. Es sollte ihr Glück bringen.« Dana warf einen kurzen Blick auf ihren Timer. Ihr blieben nur noch acht Minuten. »Drei Genetics-Schiffe steuern auf die STERNENFAUST zu. Die STERNENFAUST könnte es mit einem von ihnen aufnehmen. Vielleicht sogar mit zweien. Aber drei …« »Dann dürfen Sie Ihr Schiff nicht aufs Spiel setzen«, sagte Kevin S. Prize sofort und umklammerte Danas Unterarm. Dana fühlte den feuchten Griff seiner genetisch veränderten Haut durch ihre Uniform hindurch. »Sie müssen uns ausliefern.« Dana lächelte. »Wenn ich jemals Zweifel an Ihnen hatte, jetzt sind sie vollständig ausgeräumt.« »Sie wollen sich wirklich auf einen aussichtslosen Kampf einlassen?« »Sie haben um Asyl auf diesem Schiff gebeten. Sie werden offensichtlich verfolgt. Ich werde Sie so wenig ausliefern wie andere aus meiner Crew.«
»Wir gehen freiwillig«, sagte Saxana I. Rousek. »Wir verlangen von Ihnen, auf die Genetics-Schiffe übergeben zu werden.« Erneut schüttelte Dana den Kopf. »Glauben Sie mir, die Genetics werden nicht bis zum Äußersten gehen und die STERNENFAUST vernichten. Nicht, wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben.« »Was meinen Sie?«, fragte Kevin S. Prize verwundert. »Ihre Geschichte mag stimmen. Die Genetic-Welten sind vielleicht wirklich daran interessiert, überholte Genetics auszumustern und einem tödlichen Schicksal zu überlassen. Aber würden sie dann wirklich derart Jagd auf Sie machen? Wenn es nur darum geht, Sie loszuwerden, wäre das Ziel doch erreicht.« »Wie ich schon sagte: Sie haben Angst, die Wahrheit könnte herauskommen.« Dana nickte leicht. Die Genetics mochten diese Angst haben. Aber sie reichte wohl kaum aus, um zu derart radikalen Methoden zu greifen. Langsam schritt sie zur Monitorwand, gab ihren Code ein und aktivierte die Daten der taktischen Konsole. Auf dem Schirm erschienen die drei Genetics-Schiffe. Sie sahen aus wie Standard-Schiffe der Genetics, eine zylinderartige Form mit einer Art Telleraufsatz, der mit Gauss-Kanonen bestückt war. Kevin S. Prize nickte. »Das sind gewöhnliche Genetics-Schiffe, wie sie für die interstellare Abwehr und zum Schutz von reinen Rohstoffplaneten wie zum Beispiel Galunda Prime verwendet werden. Sie verfügen über acht Gauss-Geschütze, die auf dem Gauss-Wheel angebracht sind, mit einer Schussfrequenz von fünfundzwanzig Standard-Gauss-Projektilen pro Minute. Keine weitere Bewaffnung, weder Torpedo-Kanonen noch Raketenwerfer. Allerdings eine sehr starke Hüllenpanzerung mit mobilen Strukturverstärkern und erweitertem L443D-Gitter.« »Wie beurteilen Sie die strategischen Chancen, Mister Prize?« »Ich bin mit den taktischen Möglichkeiten der STERNENFAUST
nicht so vertraut, wie Sie vielleicht vermuten«, lächelte Kevin S. Prize. Es war das erste Mal, dass Dana an ihm so etwas wie Humor entdeckte. Dana zögerte nicht. »Sechs schwenkbare Gauss-Kanonen mit verbesserter Zielerfassung, insgesamt drei Raketenwerfer mit Zielsuchautomatik und ein Jägerschiff, ebenfalls mit Gauss-Bewaffnung. Schussstärke: sechzig Gauss-Projektile pro Minute. Hüllenpanzerung mit Standard-Titan-Stahl-Legierung.« Sie konnte sehen, dass Prize für einen kurzen Moment sprachlos war. Dabei hatte Dana ihm nichts erzählt, was man nicht in jedem öffentlich zugänglichen File nachlesen konnte. »Wenn Sie Ihr Feuer auf ein einziges Schiff konzentrieren, dann könnten Sie es vernichten«, erklärte Kevin S. Prize. »Aber gegen drei Schiffe?« Dana nickte. »Ich habe noch eine letzte Frage.« »Ja, Captain?« »Wie sieht es mit dem Überlebenswillen von Genetics aus?« Dana konnte dem jungen Genetic am Gesicht ansehen, dass er nicht recht verstanden hatte, wovon Dana sprach. Also fügte sie hinzu: »Haben Genetic-Kämpfer den gleichen Willen, zu überleben, wie Natürliche?«
* »Feuerreichweite in sechzig Sekunden«, meldete Lieutenant Ashley Briggs, während Dana zusammen mit Kevin S. Prize die Brücke betrat, was unter den Offizieren so manchen verwunderten Gesichtsausdruck nach sich zog. »Ma’am«, sagte Stephan van Deyk. »Wir befinden uns in einer Gefechtssituation. Ist das wirklich ein guter Zeitpunkt, um Mister Prize …« »Sie leiten den Kampfeinsatz, Commander«, sagte Dana kalt und
gezielt abweisend. »Ich übernehme die taktischen Überlegungen. So lautet die Doktrin für SEKs. Schon vergessen, Commander?« »Normalerweise ist es mein Job, Sie an diese Doktrin zu erinnern«, erwiderte Stephan van Deyk und setzte wieder das für ihn so typische, charmante Grinsen auf, ein Grinsen, das wahrscheinlich bei seinen Erfolgen bei weiblichen Eroberungen einen großen Anteil hatte. »Mister Prize unterstützt mich bei meinen taktischen Überlegungen«, erklärte Dana und wandte sich an Lieutenant Briggs. »Bewaffnung der Feindschiffe?« »Sechzehn Gauss-Geschütze, zwei Torpedo-Kanonen. Hüllenpanzerung aus einer L443D-Legierung und scheinbaren Emuyili-Bestandteilen.« »Emuyili?«, platzte es aus Dana heraus. Sie sah, wie Kevin S. Prize verwundert die Stirn kräuselte und etwas sagen wollte, doch Dana gab ihm mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass er schweigen sollte. »Dann sieht es ja so aus, als hätten wir nicht einmal gegen ein einzelnes Schiff eine Chance, nicht wahr?« »Meine Meinung zu der Situation kennen Sie«, sagte Stephan van Deyk. »Die kenne ich allerdings«, erwiderte Dana kühl. Kevin S. Prize trat an Dana heran und flüsterte ihr zu: »Ma’am, ich …« »Ich weiß, Mister Prize«, unterbrach sie ihn. »Erneut eine Kom-Meldung von Captain Drake«, sagte Lieutenant Jamil. »Auf den Schirm«, erwiderte Dana entspannt. »Ich nehme an, Sie hatten inzwischen hinreichend Zeit, Ihre taktische Analyse abzuschließen.« »Das ist richtig, Captain Drake«, erwiderte Dana. »Dann wissen Sie auch, dass Sie nicht gegen drei unserer Schiffe ankommen.«
Dana nickte. »Das ist mir wohl bewusst. Ich habe auch gar nicht vor, gegen Ihre drei Schiffe zu kämpfen.« »Sie sind also bereit, die Gefangenen auszuliefern?«, wollte Captain Drake wissen. »Keineswegs«, antwortete Dana. »Mister Prize war nämlich so frei, mir eine Schwachstelle Ihres Schiffes zu nennen. Eine Schwachstelle, die Sie vielleicht selbst nicht in Betracht gezogen haben.« »Schwachstelle?«, fragte der Genetic-Captain. Sein glattes Gesicht verzog keine Miene, und Dana konnte nicht umhin, seinen klaren und ruhigen Blick zu bewundern. »Ich habe Mister Prize gefragt, wie es mit dem Überlebenswillen von Genetics aussieht. Ich hatte vermutet, dass man diesen Überlebenswillen bei manchen Genetics gesenkt hat. Doch Mister Prize hat mir versichert, dass das Gegenteil der Fall ist. Ein Soldat kämpft dann am besten, wenn er ums Überleben kämpft. Also ist der Überlebenswille bei Genetic-Soldaten oft sogar besonders ausgeprägt.« »Ich bin kein genetisch optimierter Soldat«, erklärte Captain Drake. »Ja, Sie gehören zu der genetisch privilegierten Elite, denen schon im Mutterleib eine Führungsposition zugedacht worden ist. Ich gehe jedoch davon aus, dass Führungseliten erst recht einen besonders ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb mitbringen.« Dana wusste, dass dies nicht ganz stimmte. Sie hatte zum Beispiel gelesen, dass sich der genetisch optimierte Sohn des ehemaligen Lordmanagers Jurij R. Diaz mit vierzehn Jahren eine Überdosis Sequatin verabreicht hatte und gestorben war. In der Tat kam es gar nicht so selten vor, dass so manche genetische Wundergeburt sich später als psychisch instabil herausstellte. Doch bei Captain Drake hatte sie ganz sicher nicht den Eindruck, dass er psychisch instabil war. »Ich weiß noch immer nicht, worauf Sie hinauswollen«, erklärte der Genetic-Kommandant.
»Ich werde nur auf ein einziges Schiff feuern lassen«, sagte Dana ungerührt. »Auf Ihres, Captain Drake!« »Dann bereiten Sie schon einmal die Evakuierung Ihres Schiffes vor, Captain Frost«, kam die ruhige Antwort. »Denn selbst wenn Sie mein Schiff vernichten, werden Sie insgesamt unterliegen.« »Nur dass Sie diesen Sieg nicht mehr genießen können, Captain Drake«, erklärte Dana. Captain Drake blieb für einen Moment regungslos. »Wollen Sie sich und Ihre Crew für einen Kampf opfern, den Sie nicht gewinnen können?« »Das Gleiche frage ich Sie, Captain Drake«, erwiderte Dana eisig, und sie wusste, dass sie wieder einmal ihrer Legende vom Eisbiest neue Nahrung verlieh. »In Ordnung«, erklärte Captain Drake schließlich. Dana holte heimlich Luft und glaubte schon, Captain Drake würde nachgeben. »Ich habe meine Befehle«, sagte Captain Drake. »Und ich werde sie befolgen.« Mit diesen Worten deaktivierte Captain Drake die Kom-Verbindung. »Ma’am«, rief Lieutenant Briggs. »Die drei Schiffe aktivieren ihre Gauss-Kanonen.« »Wir greifen an«, rief Dana und nickte ihrem I.O. zu. Er würde nun die Kampfbefehle übernehmen. »Captain Frost«, flüsterte ihr Kevin S. Prize zu, »wenn Ihre taktische Auswertung stimmt und die Genetics-Schiffe den Standard aufgerüstet haben, dürfte es sogar schwer werden, eines ihrer Schiffe zu vernichten.« »Keine Sorge, Mister Prize«, antwortete Dana leise. »Im Moment vertraue ich Ihnen mehr als der Auswertung der taktischen Scans.«
*
»Taktik!«, wandte sich Lieutenant Commander van Deyk an Lieutenant Mandagor. »Statusbericht!« »Gauss-Kanonen justiert, Feuerleitstände eins bis zehn bemannt«, meldete Lieutenant Mandagor. Normalerweise bediente er selbst einen der Leitstände, doch nun vertrat er Robert Mutawesi. Obwohl die nach hinten ausgerichteten Geschütze 7 bis 10 im Moment noch kein Ziel hatten, waren auch sie besetzt worden. Man konnte nie wissen, welche Manöver der STERNENFAUST im Gefecht abverlangt wurden. »GK-1 bis 6, Feuer, wenn bereit!«, rief der I.O. »Gauss 1 bis 6, Feuer frei«, sagte Mandagor in sein Mikro. »Konzentrieren Sie das Feuer wie angekündigt auf das Schiff von Drake«, fügte Dana hinzu. Insgeheim hoffte sie, dass sich Captain Drake doch noch von ihrer Drohung überzeugen ließ und den Kampf abbrach, wenn es für ihn zu gefährlich wurde. »Sollen wir den Jäger ausschleusen?«, wollte Stephan van Deyk wissen. »Noch nicht«, erwiderte Dana. »Im Moment kann er auch nicht mehr ausrichten.« Dabei fragte sie sich das, was sich wahrscheinlich alle auf der Brücke dachten. Zögerte sie nur deshalb, weil sie erst vor Kurzem Jägerpilot John Santos verloren hatte?* »Wenn ich einen Vorschlag machen darf?«, fragte Kevin S. Prize. »Deshalb sind Sie hier, Mister Prize«, erwiderte Dana. »Ein Jäger könnte sich die Drehankerungen der Gauss-Scheiben vornehmen«, erklärte er. »Sie sind der Schwachpunkt dieser Schiffe. Bei einem geeigneten Treffer verkeilt sich die Drehmechanik, was den Navigations-Spielraum für die Gauss-Kanonen erheblich reduziert.« »Könnten wir mit unseren Raketenwerfern etwas ausrichten?«, wollte Dana wissen und wandte sich an Lieutenant Mandagor. *siehe Sternenfaust 175: »Der Schatten des Feindes«
Der junge Offizier nickte, gab etwas in seine Konsole ein und blickte Dana etwas unsicher an. »Möglich«, sagte er schließlich. Dana vermisste Lieutenant Commander Mutawesi. Zwar war Lieutenant Mandagor offiziell Mutawesis Stellvertreter, doch bei einem so schweren Gefecht saß stets Mutawesi an der Taktikkonsole. Hier fehlte Mandagor eindeutig die entsprechende Erfahrung. »Nach meinen Berechnungen besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Raketen abgeschossen werden, bevor sie ihr Ziel erreichen«, sagte Stephan van Deyk. Sicher doch, dachte Dana. Mit den Torpedo-Kanonen. Doch sie behielt ihre Gedanken für sich. Ein paar leichtere Erschütterungen gingen durch die STERNENFAUST II, nachdem man von den ersten Gauss-Geschossen gestreift wurde. Wegen der hohen Reichweite war die Streuwirkung groß genug, außerdem konnte Lieutenant Briggs der STERNENFAUST durch etliche Ausweichmanöver so manchen Treffer ersparen. »Leichte Schäden an der Außenpanzerung«, bestätigte Stephan van Deyk. »Das Schiff von Captain Drake versucht, abzudrehen«, meldete Lieutenant Briggs. Dana lächelte kalt. Er hatte vor, Abstand zu gewinnen. Immerhin hatte er Danas Drohung geschluckt. Er glaubte Dana, dass die STERNENFAUST ausschließlich auf sein Schiff feuern würde. »Alle Waffen auf Drakes Schiff ausrichten«, sagte Dana verbissen. So leicht sollte ihr der überhebliche Genetic nicht davonkommen. »Gauss 1 bis 6«, hörte sie die Stimme von Lieutenant Mandagor. »Alle Gauss-Kanonen das Schiff von Captain Drake als Aggressor-Einheit markieren.« Die Waffenoffiziere auf den Gefechtständen programmierten ihre Rechner. Die sechs schwenkbaren Gauss-Geschütze begannen zu feuern. »Gravitationsverankerung für Gauss-Jäger gelöst«, meldete Lieu-
tenant Mandagor. »Jäger wird ausgeschleust!« »Messe große Überhitzung an Drakes Schiff«, rief Lieutenant Briggs. »Hüllenriss an der CAPECCHI bei Deck eins bis drei.« »Dort befindet sich der Kernreaktor«, erklärte Kevin S. Prize. »Eine weitere Schwachstelle?«, wollte Dana wissen. »Normalerweise nicht. Möglich, dass die STERNENFAUST durch Zufall ein elektronisches Steuermodul getroffen hat.« »Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das Feuer auf die anderen Schiffe auszuweiten«, meldete der Erste Offizier. Dana schüttelte nur den Kopf. »Wir feuern weiterhin nur auf die CAPECCHI.« »Voller Treffer an Gaussleitständen 3 und 4«, rief Lieutenant Mandagor. »Chaironides und Mourney! Raus da!« Dana spürte, wie ihr Gesicht rot anlief. »Habe Drehankerungen des zweiten Schiffs im Visier«, konnte man die Stimme von Jägerpilotin Jenna Quantuuk über die KomVerbindung hören. Und nach ein paar Sekunden: »Volltreffer!« »Ziehen Sie sich zurück und starten Sie aus sicherer Position einen erneuten Angriff, diesmal auf das dritte Schiff!«, befahl Lieutenant Commander van Deyk. »Verstanden«, antwortete Quantuuk. »Chaironides? Mourney?«, rief Lieutenant Mandagor erneut in sein Mikro. Zwar trugen die Gefechtsleute an den Gaussleitständen Schutzanzüge, weil jeder wusste, dass die Leitstände das Hauptziel für Angreifer waren, doch bei einem Wirkungstreffer konnte dieser dennoch zu wenig Schutz bieten. »Petra! Rita!«, rief er nun. Er hatte ihre Vornamen verwendet, obwohl dies bei einem Gefechtseinsatz mehr als unüblich war. Dana spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. »Petra und Rita«, hörte sie erneut die ängstliche Stimme von Lieutenant Mandagor. »Meldet euch!« Die letzte Silbe ging in einem akustischen Alarmsignal unter, das
ein erhebliches Überschreiten der Hitzetoleranz der Außenhülle anzeigte. Im nächsten Moment fuhr eine Erschütterung durch die STERNENFAUST, sodass sich Dana festhalten musste. »Hüllenbruch auf Deck acht«, meldete Stephan van Deyk und blickte auf seine Konsole. »Beschädigte Sektion wird versiegelt.« Er warf Dana einen kurzen, unverhohlen vorwurfsvollen Blick zu. »Lagerräume«, erklärte er knapp. »Erneuter Treffer auf Drakes Schiff«, jubelte Lieutenant Branco Del Rey von Gauss 1. »Ihr dürft mir alle einen ausgeben.« Hatte er nicht mitbekommen, was mit den anderen Gefechtsleitständen passiert war? »Ich habe hier übrigens Damenbesuch erhalten«, sagte er. »Sie heißen Petra Chaironides und Rita Mourney, allerdings ist offenbar die Kom-Anlage ihres Schutzpanzeranzugs defekt.« »Verstanden, Lieutenant«, sagte Mandagor und Dana konnte sehen, wie er sich kurz zurücklehnte und erleichtert aufatmete. Dana musste an das Gespräch denken, das sie vor einigen Stunden mit ihrem Ersten Offizier geführt hatte. Dass er sich manchmal gefragt hatte, was geschehen wäre, hätte er damals bei dem Versuch, die Kridansoldaten zu retten, Schiff und Crew verloren. Er hatte recht mit dem, was er gesagt hatte: Er wäre wohl als der größte Narr in die Geschichte des Star Corps eingegangen. Und nun tat sie das Gleiche. Sie führte eine Schlacht, die sie nicht gewinnen konnte, nur um ein paar genetisch aufgerüstete Widerstandskämpfer zu schützen. Denn das und nichts anderes waren die Genetics, die sie an Bord genommen hatte. Das waren nicht einfach nur Flüchtlinge, die auf einem Schiff wie der STERNENFAUST Asyl suchten. Es waren Widerstandskämpfer. Und deshalb machten die Drei Systeme so sehr Jagd auf sie. »Drakes Schiff gerät ins Trudeln«, meldete Lieutenant Commander Briggs. Dana sah es auf dem Hauptschirm. Eine Reihe von Gauss-Geschossen hatte einen Kanal durch den Schiffsrumpf gezogen
und offensichtlich wichtige Systeme beschädigt. Atemluft und Wasser drangen nach außen und gefroren. Das Schiff war manövrierunfähig. »Captain Drake meldet sich über Kom«, rief Lieutenant Jamil. Erst jetzt bemerkte Dana, dass die junge Offizierin keine Gesichtsfarbe mehr zu haben schien. »Stellen die anderen Schiffe ihr Feuer ein?«, wollte Dana wissen. »Negativ«, kam von Stephan van Deyk die Antwort. »Feuern Sie weiterhin auf Drakes Schiff«, befahl Dana kalt. »Drake auf den Schirm.« Als die Kom-Übertragung aktiviert wurde, war sie voller Bildaussetzer. Hin und wieder fror die Übertragung auch ein, und Dana konnte sehen, dass auf Drakes Brücke das Licht flackerte. »Sie können nicht gewinnen«, sagte Captain Drake hasserfüllt. »Sie auch nicht«, erwiderte Dana kalt. »In wenigen Minuten wird die STERNENFAUST manövrierunfähig sein«, sagte Captain Drake. »In wenigen Minuten wird von der CAPECCHI nichts mehr übrig sein«, erwiderte Dana kalt. »Ich ergebe mich«, sagte Kevin S. Prize plötzlich. »Halten Sie sich heraus, Mister Prize«, erwiderte Dana kalt. »Ich werde mich nicht heraushalten«, widersprach der junge Genetic. Das war das Problem, wenn man Personen auf der Brücke hatte, die nicht zum Kommandostab gehörten. Man konnte ihnen nicht einfach befehlen, den Mund zu halten. »Entweder ergeben sich meine Kameraden und ich«, fuhr Kevin S. Prize fort, »oder wir sterben mit Ihnen auf der STERNENFAUST.« »Das ist nicht Ihre Entscheidung«, sagte Dana. »Ich habe Sie in die Sache hineingezogen«, setzte Kevin S. Prize nach. »Und ich war nicht ganz ehrlich. Wir sind nicht einfach nur Flüchtlinge.« Dana verzog den Mundwinkel. »Ihre Intelligenz mag genetisch
hochgezüchtet worden sein, Mister Prize«, begann sie. »Aber das heißt nicht, dass alle anderen dumm sind. Und das gilt auch für Sie, Captain Drake. Ich weiß längst, dass Mister Prize und die anderen nicht einfach nur Flüchtlinge sind.« »Ich befolge nur Befehle«, sagte Captain Drake ungerührt. »Diese Befehle verbieten Ihnen hoffentlich nicht das selbstständige Denken, Captain Drake«, antwortete Dana wütend. »Mister Prize und die anderen sind auf dem Weg zu einer Widerstandsgruppe. Sie wollen nicht nur fliehen, sie bereiten einen politischen Umsturz in den Drei Systemen vor. Und das ist etwas, das den Mächtigen auf den Genetic-Welten nicht gefällt, nicht wahr?« »Wie gesagt, es ist nicht an mir, dies zu entscheiden.« »Dann ist es ja um die genetisch hochgezüchtete Anführer-Elite der Drei Systeme nicht sehr gut bestellt«, sagte Dana trocken. »Dumme Befehlsempfänger könnten Sie in den Drei Systemen auch ohne genetische Optimierung kriegen.« Mit diesen Worten wandte sie sich vom Hauptmonitor ab. »Mister Prize«, sagte sie. »Wenn wir Sie und ihre Freunde ausliefern, wird man Sie verhören. Und bei den menschenverachtenden Dingen, die auf den Drei Systemen geschehen und an denen ich immer weniger Zweifel hege, wird man dabei selbst vor extremen Verhörmethoden nicht zurückschrecken.« »Wie ich schon sagte: Ich bin unempfindlich gegen Schmerz.« »Gilt das auch für Ihre Freundin Mrs. Rousek?« Kevin S. Prize senkte den Blick. »Wir werden einen Weg finden. Aber Sie haben genug für uns getan, Captain Frost.« »Lieutenant Jamil«, sagte Dana entschlossen, »beenden Sie die Funkverbindung zu Captain Drake.« Bevor das Bild auf dem Hauptmonitor erlosch, konnte sie kurz an der Gesichtsregung von Captain Drake erkennen, dass er an ihrem Verstand zweifelte. In diesem Moment ging ein heftiges Beben durch das Schiff. »Maschinendeck«, rief Lieutenant Commander van Deyk in seinen
Armband-Kom, »Status!« Doch Dana kannte bereits die Antwort, bevor die Meldung kam. Das leise Vibrieren unter ihren Fußsohlen hatte nachgelassen. »Status, Maschinendeck«, wiederholte Danas I.O. »Hier Maschinendeck«, kam die Meldung. »Hüllenbruch in Sektion C. Mesonengeneratorbereich wird abgeriegelt!« Die Hauptsteuerung der STERNENFAUST war ausgefallen. »Die zwei unbeschädigten Genetics-Schiffe nähern sich uns!«, rief Lieutenant Toober. »Sie feuern aus allen Rohren!« »Keine Ausweichnavigation mehr möglich«, rief Lieutenant Commander Briggs. »Hüllenbrüche auf den Sektionen D und F!«, erklärte Lieutenant Mandagor. »Ma’am«, meldete Lieutenant Toober erneut, »Rettungskapseln verlassen die CAPECCHI.« »Fünf weitere Hüllenbrüche!«, sagte Lieutenant Mandagor im Anschluss. »Captain Frost, das ist Wahnsinn«, keuchte Kevin S. Prize. Seine Brust hob und senkte sich immer schneller. »Sollen wir die Evakuierung vorbereiten, Ma’am«, wollte der Erste Offizier wissen. Dana schluckte, dann nickte sie langsam. »Commander Jamil, melden Sie, dass wir uns ergeben.« Dann berührte Dana den ArmbandKommunikator. »Dana Frost an Schiffsbesatzung. Bereiten Sie …« »Drei weitere Schiffe verlassen den Bergstrom-Raum«, meldete Lieutenant Toober dazwischen. »Es sind ebenfalls Genetics-Schiffe.« Verstärkung?, überlegte Dana. Und wieso hatte man die Schiffe erneut nicht bereits im Bergstrom-Raum gescannt? »Die Schiffe eröffnen das Feuer auf die anderen Schiffe!«, rief Lieutenant Toober. Man konnte ihr die Überraschung an der Stimme anhören. »Ich erhalte Funknachricht«, sagte Susan Jamil.
»Auf den Hauptschirm!«, rief Dana. »Hier spricht Commander Jack Hughman«, sagte er emotionslos. »Wir fordern die CAPECCHI und die beiden anderen Schiffe auf, umgehend das Feuer einzustellen. Wir werden Sie friedlich ziehen lassen.« Die nachfolgende Pause dauerte wahrscheinlich nicht länger als zwei Sekunden, dennoch kam sie Dana wie eine Ewigkeit vor. »Die beiden Genetics-Schiffe stellen das Feuer ein«, meldete Lieutenant Mandagor. Lieutenant Commander van Deyk warf Dana einen fragenden Blick zu, den Dana lediglich mit einem Nicken zu erwidern brauchte, damit ihr I.O. wusste, was zu tun war. »Feuer einstellen«, sagte Stephan van Deyk. »Van Deyk an Jägerpilotin Quantuuk. Feuer einstellen. Kehren Sie zur STERNENFAUST zurück!« »Verstanden«, kam die Antwort über Funk. Dann beugte sich Stephan van Deyk zu Dana und sagte: »Wenn man Sie in einigen Jahren fragt, wie Sie rückblickend diesen Tag bewerten, dann wissen Sie, wie ich mich heute fühle, wenn ich an die Geschichte bei Konors Stern denke.« Dana nickte. Aber sie wusste auch, dass die Geschichte noch längst nicht zu Ende war.
* Dana Frost wartete im Shuttle-Hangar. Die zwei Genetics-Schiffe befanden sich noch im Beschleunigungsflug für den Eintritt in den Bergstromraum. Die CAPECCHI hatte Captain Drake zurücklassen müssen. Dana wusste, dass dies ein Nachspiel haben würde. Es würde von beiden Seiten große Vorwürfe hageln, man würde mit Vergeltungs-
aktionen drohen, mit Handelssperren, mit Auflagen, alles, was politische Drohgebärden hergaben. Doch letztlich waren die Drei Systeme von den Solaren Welten abhängig und umgekehrt. Wenn sie allein an die undurchsichtige Geschichte mit dem PFS-Virus dachte. Damals war es offenbar um einen Putschversuch des ehemaligen Lordmanagers Jurij R. Diaz gegangen, doch letztlich war darin auch der inzwischen ebenfalls abgesetzte Ratspräsident Rudenko verstrickt gewesen. Am Ende war die Geschichte im Sande verlaufen, die vollständige Wahrheit würden sie wohl nie erfahren. Allein aus dieser Geschichte hatte Dana gelernt, dass sich an den obersten Stellen schon mehr ereignen musste, bevor sich die Krähen gegenseitig die Augen aushackten. Immerhin hatte es auf der STERNENFAUST keine Toten gegeben. Selbst die Schäden waren innerhalb eines halben Tages so weit reparabel, dass das Schiff Vesta zumindest ohne fremde Hilfe anfliegen konnte. Der Ausflug zu den Drei Systemen würde unter den gegebenen Umständen nicht stattfinden. Doch inzwischen hatte man genug herausgefunden. Um den Rest würden sich die Experten von Far Horizon kümmern. Deren Draht zu den Drei Systemen schien ohnehin besser zu sein als zwischen dem Star Corps und den Genetics. Zu untersuchen gab es bei Far Horizon jedenfalls eine Menge. Immerhin hatten sie jetzt einen toten Klon an Bord, und einen lebendigen. Um den lebendigen mussten sie sich noch kümmern. Als sich das Innenschott öffnete, nahmen wieder einmal die Marines Haltung an. Commander Jack Hughman trat mit einem Assistenten hervor. Der ebenfalls noch recht junge Genetic hatte Facettenaugen, die an die von Lieutenant Simon E. Jefferson erinnerten. Bei Jefferson waren die Augen für Arbeiten auf Methanwelten angepasst worden. Dana fragte sich, was wohl bei Commander Hughman die veränder-
ten Augen bezweckten. »Willkommen an Bord der STERNENFAUST«, begrüßte sie Commander Hughman. »Ich möchte mich im Namen meiner Besatzung für die Rettung der STERNENFAUST bedanken.« Statt einer Antwort senkte Commander Hughman nur den Kopf. »Wir wären früher gekommen, doch wir wussten nicht, ob wir Ihnen trauen konnten«, sagte er schließlich. »Als wir das Eintreffen mehrerer Schiffe aus dem Einstein-System scannten, wussten wir nicht, ob dies eine Falle sein würde.« Vertrauen! Das war noch immer das große Thema. »Wenn es ums Vertrauen geht, muss irgendwann immer jemand den ersten Schritt machen«, fügte Dana hinzu. »Ich hoffe, ich muss nicht eines Tages dieses Vertrauen bereuen.« Commander Hughman gab darauf keine Antwort. In diesem Moment öffnete sich die Schiebetür zum Korridor, und die acht Genetics traten herein, ebenfalls bewacht von mehreren Marines. »Was werden Sie tun, wenn es Ihnen gelungen ist, die unmenschlichen Zustände in den Drei Systemen zu beenden?«, wollte Dana wissen. Der Genetic sah sie ein wenig verwirrt an: »Was meinen Sie?«, sagte er schließlich. »Es ist eine Frage, wogegen man kämpft«, holte Dana aus. »Eine andere ist es, wofür man kämpft. Welche Welt schwebt ihnen vor?« »Anders als die herrschende Meinung in den Solaren Welten sind wir nicht gegen genetische Anpassung«, sagte Commander Hughman, und Dana fragte sich, ob irgendwann einmal jemand diesen finsteren Mann lächeln gesehen hatte, oder ob dies eine genetische Sperre verhinderte. »Wir wollen, dass die Drei Systeme weiterhin unabhängig sind. Zugleich hat eine neue Generation von Genetics nicht das Recht, eine Diktatur über die Schwächeren auszuüben.« »Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen bedanken«, sagte Kevin
S. Prize, der an Dana herangetreten war und ihr die Hand reichte. Als Dana den Händedruck erwiderte, spürte sie erneut ein leichtes Schaudern. Diese fremdartige, feucht-raue Haut erschien ihr noch immer unangenehm. Daran würde sie sich nie gewöhnen. »Ich habe für Sie viel riskiert, Mister Prize«, sagte Dana und sah dem jungen Genetic-Soldaten tief in die faszinierend grünen Augen. Dann wandte sich Dana an Saxana I. Rousek. »Ich glaube, das gehört Ihnen«, sagte sie und reichte ihr die Mantiden-Plakette, die sie bei Dr. Sparkers Leiche gefunden hatte. »Ich hoffe, Sie bringt Ihnen mehr Glück als Doktor Sparker.« »Das hat sie bereits«, sagte Saxana I. Rousek nachdenklich und starrte abwesend auf die Plakette. Dann warf die Genetic-Wissenschaftlerin die Stirn in Falten, und Dana erkannte, dass hier etwas nicht stimmte. Dann riss Saxana I. Rousek entsetzt die Augen auf und stammelte: »Commander van Deyk ist …« In diesem Moment war bereits mehrfaches Sirren zu hören. Dann erfolgte ein Aufschrei, und ein Nadler fiel zu Boden. Der Schrei stammte von Lieutenant Commander Stephan van Deyk. Dana hatte ebenfalls ihren Nadler gezogen, doch das war gar nicht mehr notwendig. Es waren bereits alle Nadler sämtlicher Marines auf Commander van Deyk gerichtet. Ein Schuss hatte seinen Arm getroffen, sodass er seinen Nadler hatte fallen lassen. »Was soll denn das?«, sagte Dana. »Wollten Sie wirklich Mrs. Rousek erschießen, damit sie nicht sagen kann, dass Sie der Mörder sind? Das hätte sie ja wohl auch nicht entlastet.« »Sie irren, Captain«, grinste Stephan van Deyk. Dana lief ein Schauer über den Rücken. Es war das typische Grinsen, das sie seit Jahren von ihrem I.O. kannte. Und doch war er es offensichtlich nicht. »Ich wollte Sie erschießen, Captain. Es wäre meine letzte große Tat gewesen.«
Dana schloss schmerzhaft die Augen. »Sergeant Telford«, sagte sie, ohne den Marine oder van Deyk anzusehen. »Bringen Sie diesen Mann in die Arrestzelle.« »Aye, Ma’am«, erklärte der hünenhafte Marine, wahrscheinlich der Einzige an Bord der STERNENFAUST, neben dem Stephan van Deyk schmächtig aussah. Dann wandte sich Dana an Saxana I. Rousek. Die Genetic-Wissenschaftlerin mit der blauen Hautfarbe hielt die Plakette hoch: »Hier ist in winziger Schrift eine Kratzspur auf der Plakette, die man nur im Mikrobereich sehen kann. Doktor Sparker muss den Satz ›Stephan van Deyk ist der Mörder‹ mit einem Touchfeld-Bedienstick auf die Plakette geritzt haben.« Dana nickte. »Sie muss gehofft haben, dass man Ihnen die Plakette zurückgibt und Sie den Text mithilfe Ihrer erweiterten Sicht erkennen würden.« »Doch wie konnte sie so eine winzige Schrift verwenden?«, fragte Saxana I. Rousek und starrte noch immer fasziniert auf die Plakette. »Die Buchstaben sind nicht größer als ein Millimeter.« »Sie erinnern sich sicher an das winzige Metallkästchen an ihrer linken Schläfe«, erklärte Dana, und Saxana I. Rousek nickte. »Es war ein Neuralimplantat, mit dessen Hilfe sie über ihre Augenbewegungen Bewegungsmuster einprogrammieren und dann zielgesteuert mechanische Handgriffe ausüben konnte. Bevor Commander van Deyk sie ermordete, muss sie ihrem Interface die Aufgabe übertragen haben, diesen Satz auf die Plakette zu kritzeln. Für einen Beobachter sah es aus, als würden nur ihre Hände zittern. Doch in Wahrheit kratzte sie mit ihrem Bedienstick auf der Plakette herum und hinterließ dabei den Satz, der für gewöhnliche Augen nicht sichtbar ist.« »Selbst im Angesicht des Todes war sie genial«, sagte Saxana I. Rousek nachdenklich. Dana gab darauf keine Antwort. »Ich wünsche Ihnen alles Gute«,
sagte sie nur. »Unsere gemeinsame Reise endet hier.«
* Erneut spürte Dana einen Stich im Magen, als sie den Mann, der exakt wie ihr Erster Offizier aussah, anblickte. Van Deyk grinste. Er grinste, wie er immer gegrinst hatte. Der Klon befand sich in der Krankenstation. Fesselfelder fixierten ihn an eine Liege, und alle möglichen Scanner sammelten seine Daten und Körperwerte. »Sie haben sicher viele Fragen«, sagte der Mann, der wie Stephan van Deyk aussah. »Ich habe nur eine: Seit wann wussten Sie es?« Dana überlegte, ob sie diesem Wesen etwas sagen sollte. Ob sie überhaupt mit ihm ein Gespräch führen wollte. Doch dann nickte sie nur und sagte: »Seit unserem Gespräch über die Rettung der Kridan.« Der Gefangene hob die Augenbrauen. »Ernsthaft?« Dana lächelte kalt. »Der echte Stephan van Deyk hätte niemals bereut, diese Kridan gerettet zu haben. Er hätte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was aus seinem Ruf, seinem Andenken geworden wäre, wäre sein Versuch, die Kridan zu retten, gescheitert.« »Seit diesem Zeitpunkt wussten Sie es also?«, spottete der Fremde. »Und dennoch ließen Sie mich gewähren?« »Oh, ich wusste es keineswegs. Ich war nur irritiert. Leider habe ich nicht früher auf meinen Instinkt gehört, sonst wäre Doktor Sparker vielleicht noch am Leben. Doch nach Dr. Sparkers Tod und Ihrem lachhaften Versuch, mich von der Schuld von Commander Mutawesi überzeugen zu wollen, gab es für mich keinen Zweifel mehr. Ich habe umgehend die Marines angewiesen, Sie ständig im Auge zu behalten. Wenn Ihre Hände auch nur in die Nähe eines Nadlers kommen würden, sollte man Ihnen die Waffe sofort aus der Hand
schießen.« »Ich habe Sie unterschätzt«, sagte der Fremde. »Das passiert mir nicht noch einmal.« Dana schüttelte den Kopf. »Sie werden gar nichts mehr tun. Sie werden in den tiefsten Bunker von Far Horizon gebracht, und dort wird man Sie Stück für Stück auseinandernehmen, um zu sehen, wie es sein kann, dass Sie so sehr Commander Stephan van Deyk ähneln, und doch für einen grausamen Feind arbeiten.« »Das bezweifle ich«, grinste der Mann. »Seit wann sind Sie an Bord der STERNENFAUST?«, wollte Dana wissen. »Raten Sie doch einfach! Sie scheinen doch sonst alles schon vorher gewusst zu haben.« Dana holte tief Luft und sagte: »Als die STERNENFAUST geentert wurde. Als ich hinter einem Energieschirm das Gesicht von Richard J. Leslie erkannt habe. Damals hat man Sie gegen den echten Stephan van Deyk ausgetauscht, da bin ich mir inzwischen sicher. Daher wurde niemand von der Crew der STERNENFAUST getötet. Es wäre verdächtig gewesen, wenn nur ein Teil der Crew überlebt hätte. Stattdessen steuerte die STERNENFAUST angeblich rettungslos verloren auf einen Planeten zu, und Sie konnten mit Ihrem zufällig vorhandenen Wissen über ein Bergstrom-Experiment den Tag retten. Sollte das gleich Ihre erste große Tat sein? Wollten Sie sich in der Rolle eines der ehrlichsten und aufrichtigsten Männer, die ich je gekannt habe, als scheinheiliger Retter aufspielen?« »Ehrlich gesagt«, wandte der Fremde ein, und er grinste noch immer, »ich hatte damals gehofft, Sie würden selbst auf die Lösung kommen. Dann wären Sie die große Heldin gewesen, und meine Tarnung noch perfekter. Damals hatte ich Sie offenbar noch überschätzt, Captain Frost.« Dana ging auf diese Spitze nicht ein. Sie war noch nicht einmal wütend. Sie war nur unendlich traurig. »Was ist mit Stephan van
Deyk?«, fragte sie, und ihre Stimme war unwillkürlich leiser geworden. »Was ist mit dem echten Stephan van Deyk?« »Wir haben für die Originale in der Regel keine Verwendung«, kam die Antwort, und Dana schloss für einen Moment die Augen. Doch sie wollte sich vor diesem Klon keine Blöße geben, also riss sie sich zusammen, holte tief Luft und sagte: »Wer sind ›wir‹?« »Wir sind die Gemini!«, antwortete der Fremde. »Was wollen Sie?« »Die neue Ordnung herstellen. Den großen Plan umsetzen.« »Welchen Plan?« »Den Plan der Erhabenen.« »Und Teil dieses Plans ist es, sich unter uns zu mischen? Das Andenken von ehrlichen, guten Menschen zu beschmutzen, indem Sie ihren Platz einnehmen und hinterhältige Verbrechen begehen?« »Eigentlich war ich lediglich neugierig«, sagte der Fremde. »Ich wollte nur wissen, weshalb meine – nennen wir es mal meine Schablone – bereit war, eine Karriere für einen fanatischen und rachsüchtigen Feind wegzuwerfen.« Dana verengte misstrauisch die Augen. »Ich dachte, als Doppelgänger verfügen Sie über das gesamte Wissen des Originals?« Der Verräter lächelte. »Das stimmt auch. Aber ich denke, ich habe Ihnen bereits genug erzählt. Sie wissen bereits jetzt mehr, als Sie sollten. Und wäre nicht diese Doktor Sparker gewesen, würde ich noch immer unerkannt an Ihrer Seite dienen.« »Es wäre auch ohne Doktor Sparker herausgekommen«, spottete Dana kalt. »So ungeschickt, wie Sie sich angestellt haben, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Sie Ihren ersten Fehler begangen hätten.« »Ungeschickt?«, fragte der rothaarige Mann und hob die Augenbrauen. »Die Methoden, die Geschichte Robert Mutawesi anzuhängen, waren stümperhaft. Sie haben sogar heimlich die Marines abkomman-
diert, damit Robert Mutawesi ungestört zum Labor vordringen konnte. Und dann haben Sie, um die Genetics loszuwerden, auch noch die Ortungssignale aus dem Bergstrom-Raum blockiert. Daher konnten wir die Genetics-Schiffe nicht scannen. Besonders albern war es, den Genetics-Schiffen zusätzliche Waffen und sogar eine Legierung mit Emuyili-Bestandteilen anzudichten. Wäre das alles nicht so tragisch und wären nicht einschließlich des echten Stephan van Deyk zwei Todesopfer zu beklagen, ich müsste fast darüber lachen.« »Warum haben Sie mich so lange gewähren lassen? Sie haben mir sogar das Kommando über die Schlacht gegeben.« Dana lächelte bitter. »Ich wollte nicht, dass Sie misstrauisch werden. Mrs. Rousek hatte recht. Bei getarnten Naniten würde es nie gelingen, die Schuld oder Unschuld zu beweisen. Also musste ich darauf warten, dass Sie einen Fehler begehen. Und ich musste in der Tat nicht lange warten.« »Ich habe Sie doch unterschätzt, Captain Frost«, sagte der Doppelgänger von Stephan van Deyk. »Nummer Acht kommt nicht an Sie heran.« »Nummer Acht?« »Ihr Klon, Captain!« »Mein … mein was?« Dana hatte sich bestürzt der Medo-Liege genähert. »Sprechen Sie!« In diesem Moment ertönte ein Alarmsignal von den medizinischen Geräten, und Dr. Scott stürmte auf ihren Patienten zu, der plötzlich reglos und mit glasigem Blick auf der Medo-Liege lag. Dr. Scott unternahm mit Hilfe von zwei Medics sofort alle nur denkbaren Wiederbelebungsversuche. Sie injizierte Neu-Rep-Naniten und versuchte es mit Zerebral-Stimulation, doch Dana wusste, dass all diese Versuche zum Scheitern verurteilt waren. Der Klon hatte es irgendwie geschafft, sein Leben zu beenden. Als sie in das Gesicht des Toten sah, spürte Dana, wie ihre Augen feucht wurden. Sie musste schlucken, und ein brennender Schmerz
fuhr durch ihre Kehle. Ihre Gedanken waren allein bei dem echten Stephan van Deyk. Dem Stephan van Deyk, der so viele Jahre ein loyaler Erster Offizier gewesen war. Leben Sie wohl, Stephan van Deyk, dachte sie, und sie kümmerte sich nicht um die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Es war eine Ehre, mit Ihnen als Erstem Offizier auf der STERNENFAUST zu dienen.
* »Es war knapp«, sagte Kevin. »Es gab viele Moment, in denen ich nicht geglaubt hätte, es doch noch zu schaffen«, erklärte Saxana. »Warum habt ihr die STERNENFAUST nicht einfach gekapert?«, wollte Commander Hughman wissen. »Das hätte euch doch nicht schwerfallen dürfen.« »Das wäre unser Plan B gewesen«, grinste Kevin. »Ich hatte ja nicht ahnen können, dass die Genetics angreifen würden. Ab diesem Moment war es dafür zu spät. Aber letztlich hat sich unsere Geduld ausgezahlt.« Saxana legte die Plakette auf den Tisch und aktivierte mit einem Sensor-Stick ein verborgenes Feld, woraufhin sich der angebliche Glücksbringer öffnete. »Ein Nanitenscanner«, erklärte sie. »Enthält sämtliche Daten aus den Untersuchungen der STERNENFAUST! Leider hat man ihn mir zurückgegeben. Wäre er noch dort, könnte das Teil noch immer die Daten an uns übertragen.« »Daten?«, fragte Commander Hughman nach. »Was für Daten?« »Die Solaren Welten haben einen interessanten neuen Gegner«, erklärte Saxana. »Ein Gegner, der mit getarnten Naniten operiert.« »Getarnte Naniten?«, fragte Commander Hughman ungläubig nach. »So ist es. Naniten, die sich weder scannen noch entdecken lassen!«
Commander Hughman berührte die Plakette und sagte fast ehrfürchtig: »Und die Baupläne für solche Naniten sind da drin enthalten?« »Das nicht ganz«, räumte Saxana ein. »Aber sämtliche Informationen, die zurzeit darüber existieren. In den Solaren Welten gibt es niemanden, der auch nur ansatzweise über die nötigen Kenntnisse verfügt, dieses Wissen auszuwerten, und in den Drei Systemen wird man deswegen so schnell niemanden um Hilfe bitten. Ich schätze, man wird nun Far Horizon beauftragen, und wie ich gehört habe, steht der Boss bereits im Kontakt zu Walter Gregorovich.« »Wie lange wird es dauern, bis wir über getarnte Naniten verfügen?«, wollte Commander Hughman wissen. »Wenige Jahre«, sagte Saxana, was Commander Hughman sichtlich enttäuschte. »Viel entscheidender ist die Frage, was wir dann damit tun wollen. Mit diesen Naniten könnten wir zum Beispiel unerkannt all jene Genetics ausrotten, die eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht haben.« Nun lächelte Commander Hughman, und Kevin stimmte in das Lächeln mit ein. »Jurij R. Diaz wird darüber sehr erfreut sein«, sagte er schließlich. ENDE
Zwei Schicksale für Shesha’a von Andreas Suchanek Als Dana Frost im »Auge des Universums« die Geschichte veränderte und den »Sternenfaust-Zwischenfall« verhinderte, ahnte sie nicht, dass diese Korrektur, welche die »große Leere« verhindern sollte, weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen würde. Und zwar nicht nur für Dana Frost und die Besatzung der STERNENFAUST, sondern für viele Völker und Welten der gesamten Galaxis. Der Roman
Zwei Schicksale für Shesha’a zeigt, welche Entwicklung der Gemini-Konflikt in der ursprünglichen Zeitlinie nahm, und wie dieser Krieg davon abweichend in der neuen Zeitlinie verläuft. Bald muss Dana Frost, die sich schemenhaft an die andere Zeitlinie erinnert, erkennen, dass sie einen fatalen Fehler begangen hat.