HANNS HART
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Waffen fürs Deutsche Atoll
Abenteuer...
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HANNS HART
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Waffen fürs Deutsche Atoll
Abenteuer-Roman
HEINZ BORGSMÜLLER
MERCEDA-VEBLAG
Albachten/Münster i. W.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung
und Verfilmung, vorbehalten
*
Nachdruck verboten
*
Copyright by Heinz Borgsmüller
Merceda-Verlag
Albachten/Münster i. W.
HANNS HART
Waffen fürs Deutelte Atoll
Die sensationellen Enthüllungen um das D e u t s c h e A t o l l in der Original-H a n n s - H a r t -Reihe beginnen! Die von Millionen Lesern begeistert aufgenommenen Hanns-Hart-Berichte erfreuen sich einer ständig wachsenden Leserschar. Lesen auch Sie die OriginalHANNS-HARTRomane, die alles bisher Dagewesene übertreffen! HANNS HART, Schorsch B e r g e r und das Mädchen Peter sind wieder im verzweifelten Kampf um das Deutsche Atoll! Wir sagen nicht sensationell, Wir sagen nicht einmalig, Wir sagen nicht phantastisch. Wir sagen nur ORIGINAL H A N N S H A R T
Es war brütend heiß in diesem verdammten Loch. Wenn ich den Kopf hob, konnte ich den wolkenlosen Himmel sehen. Aber von dort hatte ich nichts mehr zu erwarten. Ich hatte einen wahnsinnigen Durst und nur noch zwei Schuß im Magazin. Das Mädchen Peter lag neben mir. Sie schlief. Ihre Brust hob und senkte sich unruhig. Sie hatte den Badeanzug an, den ich ihr vor tausend Ewigkeiten mal in New York gekauft hatte. Ihre Finger bewegten sich. Sie tasteten zu mir. Dann lächelte sie im Schlaf, ich schaute sie an. Bis ich sie wecken mußte. Mit der Linken stieß ich sie an die Schulter. „Wach auf, Baby!" Und mit der Rechten hob ich meine Automatik. Es ist seltsam, um wieviel schwerer eine Pistole wiegt, wenn nur noch zwei Schuß Munition in ihr sind. Ich richtete sie genau auf die schweißnasse Magengegend des hinter dem Steuerhaus hervorstürmenden Kaff ers und drückte ab. Er schrie und wälzte sich über das Deck. Er schrie so gellend, daß das Krachen des zweiten Schusses kaum zu hören war, mit dem ich seinen von der anderen Seite kommenden Kumpan von der Platte putzte. In das Schreien der Schwarzen mischte sich das verzweifelte Rufen von Brigitte Douglas, der Frau des Ersten Offiziers. Sie: rief gellend um Hilfe. Peter umklammerte meine, Schußhand. „Bleib, Jack", flüsterte sie, „um Gottes willen, bleib!" Doch dann ließ sie von selbst los und senkte den Kopf. Ich robbte um die achtere Winsch herum und lief geduckt bis zur nächsten Windhutze. Von dort überquerte ich in langen Sprüngen das freie Deck bis zur Treppe, die zum Promenadendeck führte. Ich zog mich Stufe um Stufe empor, bis ich sah, wie dieses verdammte Schwein von einem Halbblut der Frau die Kleider vom Leibe fetzte. „Stop it, you damned bastard!" isagte ich leise. „Stop it!" Sie blickten mich beide an. Die Frau mit unnatürlich großen Augen, in denen nacktes Entsetzen und wildes Grauen standen, und der Halfcast mit
tückisch funkelnden Blicken und in irrer Wut gefletschtem Gebiß. „Leg dich flach hin, schnell, Biggy", rief ich der Frau zu und hechtete hoch. Ich bekam den Burschen noch iir, Ansprang an den Knien und riß sein Standbein weg. Ich schlug langsam und präzise mit all der Erbitterung, die sich in den letzten zweiundsiebzig Stunden angesammelt hatte. Ich hieb ihm die Faust in die Herzgrube, immer wieder und immer wieder und jedesmal mit dem gewissen Dreh. Dann gab ich ihm die Doppelmanschette. Er fiel in die Knie und würgte und gurgelte nach Luft. Ich stand hinter ihm und hieb ihm zwei Handkanten von rechts und links in den Hals. Da kippte er langsam nach vorn und stürzte über die Deckskante nach unten. Es klatschte kaum, als er im Gestänge der Davids hängenblieb. Es war totenstill, nur Biggy schluchzte. Ich beugte mich zu ihr und hob ihren Kopf. „Wo ist Schorsch? Wo ist Mister Mountainier?" Sie, umklammerte meinen Arm. „Im Vorschiff, sie haben ihn furchtbar zugerichtet, ich glaube... er ist..." Ich richtete mich auf. In meinem Hirn war nicht mehr viel Raum für andere Gedanken. Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund, dann blickte ich mich um. Ich taumelte an der' Glastür des Rauchsalons vorbei. Eine zerlumpte, abgerissene Gestalt mit verquollenem Gesicht schien meinen Weg zu kreuzen, doch es war nur mein Spiegelbild. Ich stieß die Tür. auf und griff nach dem ersten Stuhl, ich schlug ihn gegen die Wand. Es war beinähe lächerlich, mit welcher Sorgfalt ich das längste Scheit aus den Trümmern suchte. Dann lachte ich, heiser und reckte meine Schultern. Ich hatte keine Chance mehr, aber den Schädel von Schorschs Mörder wollte ich noch unter diesem Vierkantbrocken haben.
Ich ging zurück ah Deck; Vier von diesen Bestien schleiften Biggy gerade weg. Sie hing, an Händen und Beinen gepackt, völlig nackt zwischen den schreienden Teufeln, die im Laufschritt zum Vorschiff eilten. Der eine schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Da erstarb ihr Schreien, nur ihr Leib bäumte sich noch einmal auf in wilder Verzweiflung. Und eine Stimme links von mir krächzte: „Werfen Sie den Knüppel weg, Hurt! Einen Schritt weiter, und ich leg Sie um!" Ich blieb regungslos stehen. Meine Zunge lag gedunsen in dem ausgedörrten Mund. Die Sonne stach in mein Gehirn und verbrannte alles Leben.
Es ist möglich, daß Sie 'n besonderes Talent haben, sich in die Haut eines Mannes meiner Situation zu versetzen. Immerhin werden Sie nicht einen Bruchteil dessen erfassen, was mich bewegte. Alles, was es zwischen Himmel und Hölle an Gefühlen gab, schüttelte mich, und meine Stimme bellte heiser, als ich diesen schlitzäugigen Bastard anbrüllte, er sei das mieseste Stück auf diesem verdammten Kasten. Seine Kumpane wären brutal und dreckig. Er sei aber obendrein noch stockdoof, und das müßte ihm doch zu denken geben. „Die Dummheit, Mister Hurt", sagte er ölig, „liegt bei Ihnen und Ihren Gefährten. Die anderen Passagiere haben nicht derartige Scherereien gemacht. Die haben ihren Schmuck rausgerückt und haben die Kassetten geleert. Nicht einer hat zu den Waffen gegriffen. Nicht im Traum wäre jemandem der Gedanke an Widerstand gekommen. Aber ihr verfluchten..." „Wir haben kein Geld und keinen Schmuck, du Schweinehund!" sagte ich rauh. „Und das Leben läßt sich nicht so leicht rausrücken, wie ein Armband." Vielleicht stimmte meine Vermutung, daß dieser Bastard verhandeln wollte. Dann sollte er es deutlicher machen. Mich schmerzte der in meinem Munde liegende Klumpen. Ich spürte das Brennen in meinen Lippen und das Stechen in den Lidern. Ich kannte diese Anzeichen. Ich wußte, daß diese Burschen nicht mal mehr eins von diesen verdammten abgefeilten
Neunmillimeter-Geschossen zu investieren brauchten, um mit uns das Geschäft ihres Lebens zu machen. Sie brauchten nur noch ein paar Tage zu warten und dann unsere ausgedörrten Leichen über Bord zu hieven. Es war ein lausig übler Gedanke, sich vorzustellen, wie Schorsch und Peter und ich verreckten, nur weil so ein paar verkommene Chinks das Schiff in ihre Gewalt gebracht hatten. Das Schlitzauge hinter mir lachte, während er mich mit einer Hand vorsichtig abtastete. Er stieß in kurzen Intervallen mit dem Waffenlauf in meinen Rücken. Er wußte genau, wie man jemanden filzt, ohne sich eine Blöße zu geben. By Jove, kein Illinois-State-Street-Rambler hätte das besser gemacht. Er roch nach jenem süßlichen Duft, den alle um sich haben, die oft Bacardi trinken. Und dann war da noch so eine Mischung von Knoblauch und Betel. Es war fies, so fies wie alles um mich herum, und ich hatte massig zu tun, nicht durchzudrehen, sondern ruhig und gelassen um Ruhe und Gelassenheit zu ringen. „Ich sagte Euch doch schon, als Ihr den Unterhändler nach achtern schicktet, daß ich mich nicht auf diese Masche einlasse. Was liegt euch an uns? Sind wir nicht Passagiere wie alle anderen." Es war grotesk, daß ich so mit ihm sprach. Vor 'ner guten Minute noch abgebrannt und leer und bereit, alles zu killen, um selbst am Leben zu bleiben und nun schwatzend wie ein altes Weib vor'm Kaffeehaus. Aber er antwortete mir nicht. Ich begann zu überlegen, ob das die Ruhe vor dem Sturm wäre, jene verfluchten zweieinhalb Zehntelsekunden; in denen manche Leute Einkehr halten, bevor sie den Finger krumm machen, und ob ich mich nicht beeilen müßte, das Loch in meinem Kreuz zuzumachen, bevor es überhaupt da war. Doch es blieb keine Zeit mehr. Er hatte was anderes vor; Er sprach mit jemandem, der außerhalb meines Blickfeldes und seiner Schußrichtung stand. Er sprach in dem Sumatra-Dialekt. Möglicherweise dachte er, ich würde es nicht verstehen. Aber es war belanglos. Er sagte, sie sollen mit den Saufereien in dem Vorschiff aufhören oder zumindest etwas langsamer pusten. Das Barometer sähe so mies aus,"
wie überhaupt ein Barometer in dieser Gegend mies aussehen könnte. Und er würde die Verantwortung ablehnen, mit einer Mannschaft, wie dieser, weiterzukreuzen, zumal, wenn diese total besoffen ist. Nun, stockvoll waren die Kaffern schon seit der ersten Nacht. Und es war zum Irrewerden, daß weder Schorsch noch ich es geschafft hatten, mit einem solchen Haufen Dreck fertig zu werden, daß wir hatten zusehen müssen, wie einer nach dem anderen aus seinem Versteck herausgeholt und fertiggemacht wurde! Und wie fertiggemacht wurde! Hanns Hart, Schorsch Berger und das Mädchen Peter. Hanns Hart, alias Jack Hurt, Schorsch Berger, alias George Mountainier, und das Mädchen Peter in den Händen einiger verwahrloster Piraten an Bord des Ribbon-Dampfers „Chatanooga-Lizy". Es war zum Wimmern. Ein halbes Jahr lang hatten wir in der Versenkung gelebt, krampfhaft bemüht, allen Dingen aus dem Wege zu gehen, die uns in irgendeiner Form mit der Unterwelt kollidieren ließen, berechnend, jedes Manöver überlegend, und unter strengster Nachrichtensperre waren wir von Bayong aus mit dem Frachter in See gegangen, um dann von Australien aus mit einer unserer Maschinen zum Atoll zu fliegen. Vielleicht haben Sie keine Ahnung von unserer Existenz. Vielleicht haben Sie auch noch nie etwas von dem Deutschen Atoll gehört?! Das macht nichts, es wird Ihnen schon rechtzeitig klar werden, was hier so anliegt. Mir schoß jedenfalls alles durch den Kopf, was sich so an Wichtigkeiten in den Jährchen zwischen meiner • Geburt und dieser Sekunde abgespielt hatte.. Es war allerhand, doch, gemessen an der Notwendigkeit, umgehend etwas Entscheidendes zu unternehmen, schien mir die Vergangenheit so nichtig wie ein Aprilscherz. „Wenn das Barometer fällt", sagte ich laut und bemüht, gegen die Sonne zu blinzeln, „ist es aussichtslos, mit solch einer Crew über die offene See zu gehen. Diese Gewässer hier sind gemein. Warum wollen Sie über die See? Warum gehen Sie nicht auf Gegenkurs und laufen den ersten besten Hafen an? Warum versenken Sie diese Schrottbüchse hier nicht
irgendwo in Hafennähe, verduften mit den Booten und versilbern die Klamotten, bevor noch einer auf den Gedanken kommt, die ,Chatanooga-Lizy' sei überfällig?" „Sie sind einer von den Intelligenten, was?" lachte der fiese Hund. „Einer, dem man zweimal hinters Ohr schießen muß, bevor er einsieht, daß er tot ist, daß er nichts mehr zu melden hat, daß man ihn ausradiert hat." Seine Stimme schwoll zu einem wüsten Geheul. „Elf von meinen Leuten habt ihr Schweine umgelegt, elf Stück, zweiundzwanzig Hände..." „... die den alten Kahn auch nicht gehalten hätten, wenn er absäuft! — Aber ich bin Seemann, ich kann navigieren. Wir könnten uns einigen und..." Sein schrilles Gelächter hatte etwas Unnatürliches. Er war erregt und stieß wieder wild die Pistole in meinen Rücken. „Dachtest du", keuchte er, „dachtest du Schwein, haha, das wäre ein Job für dich?" Ich wußte nicht mehr aus noch ein. Ich wußte nur; daß ich mich mit diesen Kanaillen arrangieren mußte, so oder so. Von einem bestimmten Punkte ist alles, was man tut oder plant, nur noch eine Instinktreaktion. Und als ich die Lautlosigkeit um mich spürte, die nur gebrochen wurde durch sein Atmen, das wie das Zischen einer Schlange klang, die zustechen will, da gab es in mir einen Knacks, da erstarb alles Denken und übrigblieb nur der konzentrierte Selbsterhaltungstrieb und die bis zur Explosion gespeicherte Wut über dieses Gesindel, das mordete und raubte und nur ein Ziel kannte: Vernichtung. Er war entsetzt, als ich mich seitlich in die Hocke fallen ließ. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, daß ich mich angesichts unserer hoffnungslosen Lage und seiner durchgeladenen Waffe derart exponieren würde. Er schoß, und die frisierte Neunmillimeter schepperte über die gezahnten Decksplatten. Sie verursachten häßliche Geräusche, aber diese wurden übertönt durch das Gebrüll des Chinks, der meine im Rundschlag heranwirbelnde Faust sah und nichts unternehmen konnte, als aufzuschreien. Ich bekam ihn einmal am Hals und einmal in der Herzgrube.. Erst beim dritten Schlag ließ er den Knaller fallen und griff sich stöhnend ans Herz. Dann griff er
sich an den Magen und tief er an den Bauch, um vorzuknicken und mir ergeben seinen Nacken hinzuhalten, in den ich alles schlug, was ich noch drin hatte. Er fiel nach vorn, er machte richtig einen Satz und schlug schwer gegen die untere Schottfassung. Was seinem Gesicht nicht sehr bekam. Dreihundert, Meter tief war das Gewässer in dieser Gegend. Ich hatte das Gefühl, tiefer zu fallen, immer tiefer in rasender Geschwindigkeit durch glühende Lavaschichten bis vor die Glutmauer der Hölle, als die Schüsse hinter mir aufpeitschten und ich Peter rufen hörte. Sie rief meinen Namen und war ganz weit, weg, und dazwischen knallte es unaufhörlich. Es waren kurze harte Schläge, das typische Geräusch einer auf Einzelfeuer geschalteten Maschinenpistole. Und zwei von diesen Kaffern brüllten hinter mir. „Stop.... down... down... you sonofabitch... sonofabitch... down!" Sie schrien und torkelten in den Gang. Sie trugen Maschinenpistolen, und das Weiße in ihren Augen glotzte mich tückisch an. Sie kamen mit seltsam schleichenden Bewegungen. Es war grotesk, wie sie ihre Beine hoben und auf mich zustelzten. Sie stanken nach Schnaps. Ihr fuseliger Atem erfüllte den Raum und schlug in einer Lohe nach mir. Sie standen sich im Weg, als sie sich stritten, wer von ihnen mir den Inhalt seines Doppelmagazins zwischen die Rippen spritzen sollte. Der Hintere riß den Vorderen am Arm halb herum. Es war eine so winzig kleine Chance, aber es war bestimmt die letzte. Ich fiel auf die Knie und faßte nach der Kanone des stöhnenden Chinks. Ich schoß mit auswärts gedrehtem Handgelenk aus der Aufklaubbewegung heraus und erwischte beide im Leib. Ich schoß und schoß, denn, wenn nur einer noch dazugekommen wäre, den Abzug seiner MP zu drücken, hätte es in der engen Bude keinen Quadratzentimeter gegeben, der nicht gesiebt worden wäre. Ich schoß das ganze Magazin leer, und erst, als der Schlagbolzen ins Leere klickte, wurde ich wieder halbwegs wach.
Der eine war an die holzgetäfelte Wand gefallen, stand angelehnt noch ein oder zwei Sekunden kerzengerade und rutschte dann lautlos abwärts! Seine Lippen zuckten, und seine brechenden Augen stierten mich voller Verwunderung an. Vielleicht war es mit seiner Religion nicht vereinbar, daß ein zum Tode Verurteilter, wie ich, sich wehrte und den Henker killte. „Fahr ab", sagte ich gehässig, „fahr ab, du Schwein!" Ich wußte nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. In solchen Situationen sprechen die Lippen von alleine. Es sind doch einige Unterschiede zwischen einem Kaffeekränzchen und einem Mann, der über Leichen geht, weil sie ihm andauernd vor die Füße fallen. Meine Hände waren feucht und glitschig von dem Blut, als ich die Maschinenpistolen an mich nahm. Ich achtete nicht darauf. Ich machte alle Handgriffe automatisch. Ich prüfte die Waffen auf ihre Funktionssicherheit und fühlte, wie mein Gesicht sich zu einem Grinsen verzog. Zwei Maschinenpistolen mit zusammen einhundert Schuß Munition. Hoho, es war wie bei den alten Germanen. Da bekamen die Sterbenden auch ihre Waffen mit. Nur, daß man sich mit 'ner Smith&Wesson-MP besser an die Oberwelt zurückkämpfen kann als mit 'nem Steinbeil und 'ner Schleuder. Zwei Maschinenpistolen, mehr als ausreichend, um einen entschlossenen Mann in die Lage zu versetzen, die Welt aus den Angeln zu heben! Meine Welt hieß in diesem Falle „Chatanooga-Lizy" und war hundert Meter lang, reichlich zwanzig Meter breit und alles in allem der mieseste Dampfer zwischen allen Längen- und Breitengraden. Ich nahm die eine MP und schlug sie dem stöhnenden Chink über den Schädel. Er rollte, der Schlagseite des in der Dünung rollenden Frachters folgend und kullerte zu seinen toten. Kumpanen. Er hielt die Hände weit ab vom Körper gespreizt. Er sah aus wie ein Frosch auf einem Haufen Schmeißfliegen. Es war ein unschöner Anblick. Im Schott blieb ich stehen. Peter rief nicht mehr. Ich konstatierte das mit einem stumpfen Gefühl, das drückend auf dem Hirn lastete und mich nicht denken ließ, nur eine
entsetzliche Angst fühlen, ich könnte zu spät kommen, um das Liebste vor Bösem zu bewahren. Meine Stimme klang blechern und unsicher, als ich Peterle rief... „Peterle... was ist... was ist, Peterle?" Irgendwo im Vorschiff johlten sie. Dann kam Peters Antwort. Sie lachte, als sie rief, es wäre alles klar, ich sollte mich nur vorsehen, hinter dem Überhang der Mittschiffsluke lägen einige von diesen kaffeebraunen Bestien mit einer Artillerie, die mehrfach reichen würde, ganze Völkerstämme auszurotten. Ich fand das ganz amüsant, soweit ein Mann noch etwas amüsant finden kann, dessen bester Freund sich in den Händen skrupelloser Verbrecher, entmenschter Kanaillen befindet und dessem Mädchen die Perfektion allen Grauens blühte, wenn es in die Klauen derselben Verbrecher geriet. Immerhin, ich hatte zwei Maschinenpistolen, und der Wunsch, die eine gegen einen Beutel Handgranaten einzutauschen, war zwar schön, aber illusorisch. Ich lehnte an der Innenseite des Schotts. Ich überlegte, wie ich es anstellen könnte, etwas Trinkbares für Peter aufzutreiben. Sie mußte entsetzlich an Durst leiden. Die Sonne brannte unbarmherzig auf das Deck. Vier Tage ohne einen Tropfen Flüssigkeit und einen einzigen Happen Nahrung und weniger Stunden Schlaf, als ein Armamputierter Finger hat, das reichte aus, um auch dem trainiertesten Mädchen das Leben zu verbiestern. Aber so blödsinnig die Piraten auch bei ihrer ganzen Aktion verfahren wären, so gerissen waren sie in allen Maßnahmen gewesen, uns im Achterschiff auszuhungern. Die Wasserleitungen waren zerschossen, die Kühlrohre gesprengt, und in der Bilge lagen die Leichen der Maschinisten. Im ganzen sieben Mann. Sie wurden niedergemetzelt, als sie sich weigerten, die Maschinenkommandos der Banditen auszuführen. Schorsch, der das im letzten Augenblick verhindern, wollte, war dabei in die Hände de& Packs gefallen und wurde seither im Vorschiff festgehalten. Meine Finger schlössen sich fest um den kühlen Stahl der beiden Maschinenwaffen. Ich grinste, soweit man das Verziehen meiner Gesichtspartie noch Grinsen nennen konnte,
den Decksstahl an und gab mir einen Ruck. Ich trat aufrecht aus der Tür auf das freie Deck. Es war ein verdammter Wahnsinn, so etwas zu tun. Es war aber die einzige Möglichkeit, zu handeln. Ich wollte sie vor den Lauf haben, die Mörder, die Schänder. Und sie mußten kommen, denn der Überhang der Luke bot ihnen keine Möglichkeit der Deckung vor einem aus dem aufrechten Stand schießenden Gegner. Sie sprangen, einer nach dem anderen, hervor, sie stießen unartikulierte Laute aus. Sie gaben nicht einen Schuß ab, weil ich schneller war. Und sie purzelten übereinander und sperrten meinen Weg, bis ich über sie hinwegstieg. Noch immer hing die grinsende Grimasse in meinem Gesicht. Noch immer war mein Denken erloschen, und nur die Flamme des Hasses brannte unter meinem Instinkt, der meine Beine vorwärtsbewegte und meine Augen schärfte, die mich bereit sein ließ, jede Gefahr zu erkennen und auf jeden Schatten zu halten und zu schießen und ihn zu zerfetzen. Es war ein Amoklauf ohne Hast. Es war ein Marsch durch das Fegefeuer einer irdischen Hölle, ein Durchbruch durch die Mauer des Ausweglosen. Dann schössen die von der Brücke auf mich. Es waren überhastete Schüsse, obwohl sie keinen Grund zur Panik hatten. Bevor ich ihnen auf den Pelz rücken konnte, mußten ihre Kumpane im Vorschiff doch wach geworden sein und mich zu stoppen versuchten. Ich blieb stehen und machte einen Streifen leer. Das Glas von den Brückenscheiben flog mit anhaltendem Klirren durch die Gegend. Ein paar Gesichter, in denen die Mäuler geiferten, verschwanden blitzschnell hinter der Brüstung. Es war so einfach. So lächerlich einfach! Man brauchte nur eine ratternde Maschinenpistole. So ein Stück gemeine Technik. Es war nicht zu fassen. Vor 'ner Sekunde noch war ich da angelangt gewesen, wo das absolute Ende erreicht schien, und jetzt, mit dem ratternden Spucker in der Hand, sah ich nur die qualmenden Absätze des Gevatters. Ich spürte, wie sich die Starre um meine Mundwinkel löste; der Schweiß zwischen dem Waffenstahl und meiner Handfläche fühlte sich kühlend und belebend an. Ich hatte zwar einen
Fehler gemacht, aber ich schickte mich an, ihn einzuholen. Ich drehte mich nicht um, ich ging Schritt für Schritt zurück, bis ich bei den Kaffernleichen war. Dann nahm ich aus den umherliegenden MPs die Magazine und stopfte sie in meine Taschen. Es waren nicht wenige, und meine Klamotten hingen wie Bleisäcke an mir. Von Peter war nichts zu hören. Es war ein dumpfes Gefühl, das mich diese Unabänderlichkeit hinnehmen und mit dem Gedanken an den Tod der Gefährten wie einen Automaten handeln ließ. Später, wenn Ihnen klargeworden ist, um was es eigentlich geht, werden Sie das verstehen können. Es war zu erwarten, daß die Hunde da auf der Brücke einen mächtigen Wirbel veranstalten würden, um mich umzupusten, es war eins zu hunderttausend zu wetten, daß sie bereits das Vorschiff alarmiert hatten. Von da konnten die Kaffern unter Deck bis zu den Stauräumen im Achterschiff gelangen und einen munteren Zweifrontenkrieg anfangen. Aber auch Kaffernbeine brauchen ihre Zeit, bis sie ein Schiff der Länge nach durchquert haben. Ich klemmte den Rohrschaft der MP unter den rechten Oberarm und lief an. Ich lief und feuerte auf kurze Distanzen. Die Querschläger veranstalteten ein scheußliches Gejaule, und ein paar Stimmen überschrien die Vernichtung in grellen Tönen. Es hörte sich an' wie die Geräuschkulisse zu einem englischen Gruselstück, aber es war dabei so hell, so nüchtern, so prosaisch... Dann schoß ich, an die Wandung des Brückenaufbaus gelehnt, das verrostete Eisenschott zusammen. Ich wartete drei Sekunden, ob die da drinnen durchdrehen und einen Ausbruchsversuch unternehmen würden. Aber es rührte sich nichts. Es blieb totenstill, man empfand es doppelt nach dem vorangegangenen Lärm. Ich stemmte mich mit den Schultern von der Wand ab. Ich stand breitbeinig vor der Tür. Ich zog noch einmal lange durch und ließ den Stahlhagel in das Dunkel hinter dem Schott prasseln. Ich wollte weitergehen; denn es schien mir klar, daß aus diesem Loch keiner mehr rauskommen würde, aber das wäre
beinahe schiefgegangen. Denn plötzlich knallte es los, und eine zweite Schußserie kam über den toten Winkel von der Backbord-Brückennock. Ich blieb stehen und ließ die MP rotieren. Ich warf sie weg, als sie ausgeschossen war, und nahm die andere. Ich blieb auf der Stelle stehen und bildete den Mittelpunkt eines rasenden Geschoßkarussells, bis das Gezwitscher um mich herum nachließ und ich ein neues Magazin einsetzen mußte. Es war wieder still. Man hätte meinen mögen, da wäre kein Leben mehr auf diesem Schiff als das eigene.« Die Maschinen standen. Ich lauschte, ob ich irgendwo das Tappen von nackten Füßen hören würde. Aber es blieb so leblos. Ich nahm die Maschinenpistole an die Hüfte. In der Linken, die den vorderen Schußbügel umklammerte, hielt ich noch ein Reservemagazin. Dann rief ich malaysisch, sie sollten einen rausschicken, der verhandelt. Aber sie reagierten nicht. Sie zeigten nicht die kleinste Reaktion. Daher hielt ich ;mich nicht mehr auf. Ich lief geduckt, und aus der Hüfte feuernd, durch den Brückengang, wechselte auf die Steuerbordseite und knallte beide Magazine in Deckung der vorderen Ladeluke rauf zur Brücke. Es dauerte kaum fünf Sekunden, bis der ganze Spuk vorüber war und mich das Vorschiff aufnahm mit seiner in dumpfe Dämmerung getauchten Blutatmosphäre. Mir bot sich ein Anblick, der den Atem stocken ließ, der taumelnd machte und die Augen vor Entsetzen irrlichtern ließ, als wäre dieses da ein zuckendes Schemen, ein zum Bild gewordener Fluch, ein irrsinniger Alptraum... Aber es war Wirklichkeit. Dicht vor mir lagen die schlaffen Körper zweier Matrosen des Dampfers. Grauenvoll zerschlagen. Im Hintergrund sah ich drei weitere Körper in der gleichen viehischen Art zugerichtet. Zusammengesunken auf einer Koje, hockte eine Gestalt, die unablässig etwas murmelte und wie im Schluckauf aufstieß. Es war die Frau des belgischen Pflanzers Barosse, die als eine der ersten in die Hände der Meuterer gefallen war und deren Mann, wie ich jetzt sah, inmitten der Einrichtungstrümmer lag. Sie sah nicht auf, als ich
auf sie1 zuging. Sie reagierte auch nicht, als ich sie ansprach. Sie starrte weiter vor sich hin, und ihre Lippen zuckten. Ihre Hände bluteten. Ihr Gesicht wies Spuren schwerer Schläge auf. Ich ging an ihr vorüber. Und dann sah ich Schorsch. Er war an Händen und Füßen gefesselt. Sie hatten ihn geknebelt und seinen Hals an einen Decksbolzen gezurrt. Er konnte sich nicht bewegen. Nur seine Augen sahen mich an. Ich fühlte nichts, als ich mich niederbeugte. Da war nur noch, ein Wunsch: der, zur Rechenschaft ziehen alle die, die daran schuld waren... Ich senkte die Maschinenpistole mit dem Lauf dicht neben seinen Kopf. Ich feuerte die Knoten des Strickes auseinander und hob ihn hoch. Er sagte nichts, aber seine Augen sprachen Bände. 'Dann, als ich ihm das Tuch vom Mund gebunden und die übrigen Fesseln abgestreift hatte, wollte er sprechen, aber er bekam kein Wort heraus. Er preßte den linken Arm an die Seite und riß mit der Rechten ein Stück von seinem Hemd ab. „Was ist?" fragte ich heiser. Er antwortete nicht. Er hob die Linke und biß mit den Zähnen in den Ärmel, um ihn hochzustreifen. Aber ich hatte schon zugefaßt. Mir blieb das Wort im Hals stecken. Schorschs Arm war schwarz. Aufgequollen wölbte sich das Fleisch um eine über zehn Zoll lange Messerwunde. Es war eine gefährliche Infektion. Er mußte entsetzliche Schmerzen haben. Er machte eine Kopfbewegung zu dem verschlossenen Schott im Hintergrund des Raumes. „Sie sind drin", sagte er ruhig. „Gib mir eine MP..." Ich reichte ihm eine Waffe. Er nahm sie mit der rechten um den Schafthals und stemmte den Kolben in die Schulterbeuge. Er trat über den Körper des einen Matrosen und ging auf das Schott" zu. Wir sprachen beide nicht. Wir waren uns auch nicht mehr unserer Umgebung bewußt. Da war nur noch der Gedanke, daß hinter jener Stahlwand dort die Mörder saßen, diese Bestien, die drei Tage lang gewütet und gehaust hatten, schlimmer als alles, was vorstellbar ist.
Schorsch schoß zuerst. Er schoß nicht überhastet,' sondern setzte mit ruhigen, fast grotesk anmutenden Bewegungen, den halben Inhalt des Magazins um die Schloßscharniere. Dann trat er einen Schritt zur Seite und hob den Lauf. Er deckte mich, und ich trat mit dem Fuß gegen die Wandung. Das Schott brach auf und hing schräg in den Raum hinein. Ich schoß die letzte Halterung weg und sprang über das polternd stürzende Ungetüm in das Deck. Es stank nach Fusel und Rauch. Eine Frau schrie gellend und ununterbrochen. Sie schrie und schrie, selbst das Brüllen unserer Maschinenpistolen ging unter in diesem infernalischen Geschrei. Irgendwo vor mir blitzte es auf. Ich hielt sofort darauf, und dann war es mit einem Schlag so still wie in einer Sonntagsschule, wenn der Lehrer schläft. Unsere Augen mußten sich an das Dunkel gewöhnen. Es war lichter Tag draußen, aber die Banditen hatten fast alle Bulleyes und Skylights geschlossen. Eine Flasche klirrte zu Boden, und wie auf Kommando fingen einige an zu stöhnen und zu wimmern. Im ersten Schreck und in der Schnapsnarkose hatten sie ihre Verwundungen kaum gespürt. Schorsch stand breitbeinig über einem verkrümmt daliegenden Neger. Er hielt die MP unter den Arm geklemmt und wechselte mit einer Hand das Magazin. Ich öffnete zwei Luken. Das Licht, das grell hereinfiel, schmerzte und ließ die Szenerie doppelt unwirklich erscheinen. Wir gingen durch den Raum. Überall lagen Flaschen umher. Aber auch Waffen türmten sich auf dem Boden und in den zerwühlten Kojen. Insgesamt befanden sich vierzehn Meuterer in dem Raum. Zwei davon waren Weiße, der eine tot, der andere schwer verwundet. Neben ihnen hockten zwei Frauen. Ihre Augen schauten uns an, aber sie waren stumpf und zeigten weder Freude noch eine andere Empfindung. Auch ihre Gesichter waren zerschlagen und besudelt. Über einer Pritsche lag Biggy... Brigitte Bromwild, die junge Frau des Ersten Offiziers, die ihren Mann auf der ersten Reise nach ihrer Hochzeit begleitete
und nach vier Tagen mitansehen mußte, wie er gemordet worden war. Sie war nicht mehr bei Besinnung. Ihre Hände zuckten unruhig, und manchmal griff sie in die Luft, um nach irgend etwas zu suchen. Sie stöhnte und warf sich von einer Seite zur anderen. Dann wurde ihr lebender Körper wieder schlaff, und sie wimmerte leise vor sich hin. Wir nahmen sie als erste. Wir trugen sie in die Nähe der geöffneten Bulleyes. Aber noch während wir sie vorsichtig auf eine Koje betteten, wachte ich aus der Benommenheit auf, die seit Stunden schmerzhaft meinen Schädel zusammenpreßte, und erkannte, welch fürchterlichen Fehler ich zu begehen im Begriffe war. Ich verlor Zeit, während unsere Gegner das verteidigungslose Achterschiff nehmen würden und Peter... Peterle... Es war ein so alarmierender Gedanke, daß ich knurrend aufsprang, nach der MP griff, sie im Laufen neu tankte und sofort zu feuern begann, als ich durch das Schott ins Freie stürmte. Ich lief schießend über das Deck. Ich achtete nicht auf das heulende Pfeifen der Querschläger. Ich lief zum Achterschiff und setzte zum Sprung über die Trümmerbarrikade, die wir gebaut hatten,... als mein Fuß stockte und ich glaubte, den Verstand verlieren zu müssen, angesichts dieser Lumperei, die sich meinen Blicken bot. Ein Haufen Schwarzer, angeführt von den beiden Weißen, die als angebliche Mineningenieure aus Norwegen mit uns in Bayong an Bord gekommen waren, starrten mich hohnlachend an. Sie hielten Peter vor sich und preßten ihr von beiden Seiten kurzläufige Trommelrevolver an die Brust. Sie lachten und sahen mich unverwandt an. Sie weideten sich an meiner Starre und kosteten ihre Überlegenheit triumphierend aus. Die Stimme des einen klang heiser vor Spannung, und ich war sekundenlang unfähig, ihm zu antworten. Die Zunge in meinem Mund schien alles auszufüllen und keinen Kaum den Worten geben zu wollen, die nach draußen drängten. Aber dann hörte
ich Peter; ich vermied es, sie anzusehen, aber gegen das, was sie rief, konnte ich mich nicht wehren... Sie schrie, ich sollte mich verdammt nicht um sie scheren, es wäre für Schorsch und mich die letzte Chance, und sie riß und zerrte an den Griffen der beiden Verbrecher, und ich sah hin auf die Pistolenläufe, die sich unter die Träger des dünnen Badeanzuges geschoben hatten. „Wirf die MP weg!" heulte der Größere von den beiden. „Worauf wartest du? Weg mit dem Ding! Weg damit, sage ich... weg!" Ich ließ die Maschinenpistole sinken. Ich hatte keine andere Wahl, aber in meinem Blickfeld waren die Körper der beiden Banditen. Ich sah das Muster ihrer Hosen, das Messing der Gurtschnalle und die Schweißflecken im Hemd über dem Hosenbund; Aus dem funkelnden Widerschein der Schnalle aber kamen die erloschenen Augen der Frau im Vorschiff auf mich zu. Sie sahen mich an und wurden größer und größer, und als sie dicht vor mir waren, waren es keine Augen mehr, sondern Löcher, unendlich tiefe Löcher... Da zog ich ab... Das Blitzen der Schnalle verschwand, weil das Blut aus dem Hemd spritzte und über den Gürtel lief. Er hatte nicht damit gerechnet, daß ich schießen würde. Er hatte nur gesehen, daß ich den Lauf sinken ließ. Und dann hatte er wie sein Kumpan den Revolver zurückgezogen, um mich umzulegen, so wie die MP nicht mehr losrattern konnte. Aber er hatte sich verkalkuliert. Und als ich nach dem ersten Feuerstoß in Sekundenbruchteilen Peters Leib in der Schußrichtung übersprang und dem zweiten dieselbe Ladung gab, da mußte auch der noch 'n Augenblick vor dem Abkratzen auf die eigene Dusseligkeit geflucht haben. Dann spürte ich einen wuchtigen Schlag im Oberschenkel und flog in die Deckung hinter der Winsch. Es spritzte um mich herum, es jaulte und zwitscherte, wenn die Geschosse aus den Waffen der Farbigen in die Eisenteile der Ladewinsch schlugen. Aber sie schössen zu schnell und zu flüchtig. Die Angst hatte sie gelähmt, als sie sahen, daß ihre Bosse im Augenblick der
scheinbar so sicheren Überlegenheit umgefallen waren wie die Fliegen. Einen Augenblick oder tausend Ewigkeiten danach stolperten Peter, Schorsch und ich durch das Schiff. Peter hielt noch immer den rauchenden Trommelrevolver in der Hand, mit dem sie um sich geschossen hatte, als ich hinter der Winsch lag. Ich schlug mit dem Maschinenpistolenschaft die Schränke im Salon ein, die von den Anführern der Meuterei zu spät verschlossen waren, nachdem ihre Banditen sich sämtlich sinnlos betrunken hatten. Da standen Flaschen, Siphons und Fruchtkonserven. Der Eisschrank surrte; in ihm fanden wir Eis, kaltes richtiges Eis. Wir lachten uns an, und jeder wollte den anderen zuerst trinken sehen. Wir gurgelten mit Sodawasser, spuckten es in die Hände und wischten es uns ins Gesicht. Peter drehte sich zu mir um und reckte sich, um mich zu küssen. Es war so komisch, daß wir alle drei lachen mußten. Aber sie wurde nicht mal rot dabei. Schließlich war es ja auch der allererste Kuß gewesen von den dreieinhalb Küssen, die ich im Laufe unseres eineinhalb jährigen Zusammenseins von ihr hatte über mich ergehen lassen müssen. Wir wußten nicht, ob wir endgültig Herr der Lage waren. Es ging uns wie dem Millionär, der nach der dritten Million aufhörte, sein Geld zu zählen. Wir behielten die MPs in Griffnähe, aber wir taten nichts, als uns anzusehen, als lachend zu trinken und Eis auf Schorschs Arm zu packen. Dann hielt ich inne und sagte: „Es gibt zweierlei, Herrschaften: entweder haben die Meuterer Verbündete auf irgendeiner der Inseln in der Nähe, dann werden sie nach der Beute suchen, oder die Reederei meldet den Kahn als überfällig, und die Coast guard fängt an, die Gegend durchzuackern!". „... oder wir geraten vorher in das nächste Sturmtief und versaufen, bevor alle Theorie vorwärts oder rückwärts hilft...", knurrte Schorsch. „Wenn wir ein paar hands mehr hätten, könnten wir sie an die Maschine stellen und wenigstens Fahrt machen. Die Funkanlage ist seit den Kämpfen im Eimer. Was also hindert uns, gleich den letzten Versuch zu machen?!"
„Welchen letzten Versuch?" „Die Motorbarkasse zu Wasser bringen und die nächste Insel anlaufen! Immerhin noch sinnvoller, als dieses Wrack hier länger mit unserer Anwesenheit zu beehren!" Der Vorschlag war gar nicht so übel. Aber ich sah, wie das Wundfieber in ihm brannte und wußte auch von Peters völliger Erschöpfung. Und wenn es im Grunde genommen auch gleichgültig war, für welche Möglichkeit wir uns entschieden, so hielt mich doch ein Ungewisses Ahnen davon zurück, den Dampfer schneller als unbedingt notwendig, zu verlassen. „Wir werden uns um die Überlebenden kümmern", entschied ich nach einigen Sekunden Nachdenken. „Schorsch, du kannst dann dein Glück im Funkchap versuchen, und Peter stellt eine Proviant- und Wasserreserve zusammen." Ich hatte getrunken und fühlte nicht mehr das höllische Brennen der aufgequollenen Zunge. Ich wußte meine Gefährten am Leben und interessierte mich im Augenblick, offen gestanden, nur für eins... Woher stammten die supermodernen Waffen der Meuterer? Es war undenkbar, daß sie derartige Mengen von modernsten Maschinenpistolen in ihrem dürftigen Gepäck, das obendrein noch der Bordkontrolle unterlegen hatte, auf das Schiff geschmuggelt hatten. Und warum starteten eingeborene Verbrecher unter weißer Führung einen so blutigen hold up auf ein altes Schiff, das nur wenige Passagiere beförderte? Alles Bargeld der Passagiere und der Besatzung zusammengenommen, ergab wahrscheinlich nicht viel mehr als die Waffen gekostet hatten. Und die Ladung — Kautschukballen — war nach Australien deklariert, wo man sowieso schon die höchsten Preise zahlte, seit bestimmte Industriezweige sich dort niedergelassen hatten, für die die europäischen und amerikanischen synthetischen Erzeugnisse schon wegen der erheblichen Frachtsätze zu teuer geworden wären. Ich schwenkte das Glas in der Hand und ließ die Eisstückchen tanzen. Ich machte das so lange, bis das Eis ganz klein geworden war und seine Kühle durch meine Finger in den Körper strömte.
Dann kippte ich den Saft weg und fand, daß eine Maschinenpistole oft nützlicher sein kann als beispielsweise 'n Liederbuch oder 'ne Trillerpfeife oder eine getupfte Krawatte. Hony soit qui mal y pense...! * Die flach über dem Wasser liegende Sonne ließ das dunkle Mahagoni der Salonwände goldgetönt erscheinen. Dennoch herrschte ein Ungewisses Dämmerlicht in dem Raum, in dem sich nun die Überlebenden der „Chatanooga-Lizy" versammelt hatten. Es war die eigenartigste Gesellschaft, die ich je gesehen hatte, dabei waren es derer nicht wenige gewesen. Wir standen um das Sofa herum und sahen auf einen Sterbenden. Er lag da, ein Bündel Mensch, bleichen Gesichts mit übernatürlich großen, suchenden Augen. Seine Hände fuhren über die Decke und fanden erst Ruhe, als Peter sie ergriff und sanft hielt. Es war der Zahlmeister und Chefsteward Harris, ein alter von der Seefahrt gezeichneter Bursche, dem die Meuterer einige Messerstiche beigebracht hatten, mit denen er sich in einen Winkel verkrochen hatte, um dann tagelang, immer schwächer werdend, mit dem Tod zu ringen. Er hatte sich selbst verbunden und lag in tiefer Bewußtlosigkeit, als wir ihn fanden. Wir standen schweigend da. Was hätten wir auch sagen sollen? Irgendeiner murmelte ein Gebet. Es war wohltuend, es anzuhören. Aber der Sterbende hörte es nicht. Seine Augen glitten über mein Gesicht, schauten zu den anderen und kamen zu mir zurück... „Es... war wie bei...der ,Hoatsu'... und der ‚Chile II' und ‚Salvador Regent'...", flüsterte er. „Es sind Teufel..., es kocht, es kocht im Pazifik. Mein Bruder auf der ,Hoatsu'... es sind Teufel!" Ich hatte mich zu ihm gebeugt, um besser lauschen zu können und ihm das Sprechen zu erleichtern. Nun fuhr ich zurück, denn sein Oberkörper zuckte hoch, und ein schrilles Lachen fuhr mir ins Gesicht... „Teufel... Teufel... es sind Teufel!"
Dann fiel er schwer zurück; sein Blick wurde starr, und der letzte Hauch wehte schwach von, den fahlen Lippen. Der Betende hinter mir hob die Stimme. Er sang eine Litanei. Ich drückte dem Toten die Augen zu. Als sie ihn anhoben, um ihn nach draußen zu bringen, rutschte die Decke von seinem mageren Körper. Die Verbände hatten sich ebenfalls verschoben, und alle sahen die Stiche, die man ihm beigebracht hatte. Und eine Frauenstimme schrie gellend in das Gebet hinein: „Diese Schweine... oh, diese Schweine!" Dann weinten die Frauen, bis auf Peter. Sie stand neben dem Sofa und sah mich an. In ihrem Blick lag eine ganze Welt von Ruhe und Zuversicht, Vertrauen und Liebe, Es gibt verdammt nicht viel Frauen, die in solchen Situationen so blicken können wie Peter. Ich lehnte mich an eine Schranktür. Ich blickte auf die Sonnenkringel an der gegenüberliegenden Wand und musterte dann der Reihe nach die Anwesenden. Da stand Madame Barosse, regungslos, ihre großen schwarzen Augen fest auf mich geheftet. Ihr Gesicht war verschwollen. Lange Risse führten von den Wangen über den Hals auf die Schultern. Sie hielt ein Tuch in der Hand. Sie drückte es, als könnte sie damit etwas betäuben. Neben ihr saß Miss Ferguson. Sie hing mit dem Oberkörper über der niedrigen Sessellehne und schnarchte. Sie hatte blutige Schlagwunden an den Schläfen, ihr blondes Haar war blutverkrustet. Aber sie merkte nichts mehr. Sie war betrunken und schlief ihren Rausch aus. Rechts und links von ihr hockten zwei Besatzungsmitglieder des Dampfers. Der eine trug ölverschmiertes Zeug. Er hatte einen Steckschuß in der Schulter und einen Messerstich in der Hüfte. Er hatte ziemlich viel Blut verloren und hielt sich nur mühsam aufrecht. Sein Kamerad war mir unbekannt. „Sind Sie vom seemännischen Personal?" fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf. „Maschine?" Er schüttelte wieder den Kopf.
„Antworten Sie doch", sagte ich etwas lauter als vorher. Er zuckte zusammen und begann zu weinen wie ein Kind. Er schüttelte sich dabei und klapperte mit den Zähnen. Dann preßte er die Hände vor das Gesicht... oder das, was die Meuterer davon übriggelassen hatten. Links fehlten die Finger und rechts die ganze Hand bis zum Gelenk. Peter hatte die Stümpfe umwickelt und ihm eine Spritze gegeben. Ich biß mir auf die Lippen und blickte zu der Eingeborenen, die neben dem Kartentisch saß und mich furchtsam ansah. Sie schien unverletzt, wenngleich ihr auch das Grauen der Erinnerung an die Vorgänge im vorderen Logis deutlich in dem verquälten Gesicht stand. Eine Zigarette rauchend, stand Mister Palmer, ein alter Herr aus Hongkong, der auf der Überfahrt nach Australien gewesen war, um sich dort auf der Farm seines Schwiegersohnes zur Ruhe zu setzen. Er trug einen Kopfverband und sah damit aus wie ein etwas vertrockneter Haremswächter. Es war ein etwas frivoler Vergleich, doch auch das grimmige Lächeln, das um seinen faltigen Mund lag, paßte haargenau dazu. Qualm-Wolken ausstoßend, hackte er mit einem Schraubenschlüssel Eisstückchen klein, um Schorschs Verband damit zu füllen. „Verfluchte Sache, das!" brummte er. „Ganz verfluchte Sache! Will meinen lädierten Grips verwetten gegen eure Seligkeit, daß dies die verfluchteste Sache meines Lebens ist!" Niemand achtete darauf. Er hatte das auch nicht erwartet; denn er brabbelte weiter vor sich hin, halb zu Schorsch gewandt, halb in das Nichts, das fast vier Tage lang sein Gefährte gewesen war, als er im Dunkeln, zusammengeschlagen, im toten Winkel eines Niederganges lag. Er hob nicht mal den Kopf, als ich zu sprechen anfing. „Wir haben noch elf Verletzte an Bord", sagte ich, „die zur Gegenseite gehören. Sieben davon sind noch zu verwenden. Deshalb werden wir an Bord bleiben und versuchen, die alte ,Lizy' wieder zum Traben zu bringen." Mister Palmer fiel der Glimmstengel aus dem Mund, und allgemein trat eine lastende Stille ein. Selbst die alkoholnarkotisierte Miss Ferguson hörte auf zu schnarchen.
„Bist du besenkt?" fragte Schorsch rauh. „Das ist doch eben nicht dein Ernst?" „Doch!" antwortete ich ruhig. „Es ist das Beste, was wir tun können. Dieses Schiff ist intakt. Es kommt auf uns an, seine Funktionen entsprechend zu beleben. Statt zusammengepfercht in einem kaum seetüchtigen Motorboot ins Ungewisse zu steuern, werden wir das Schiff auf den alten Kurs bringen und..." „... womöglich noch Sydney anlaufen!" rief schrill und empört Madame Barosse. „Ich verlange, daß wir so schnell wie möglich an Land gebracht werden. Mein Mann..." „Wir werden Ihren Gatten auf See bestatten!" sagte ich laut und heftig. „Im übrigen bitte ich von einer Kritik an meinen Maßnahmen abzusehen, Madame. Das Herausbringen eines Schiffes aus Seenot war bislang immer noch die Sache des Kapitäns gewesen und nicht die eines Passagierrates." Peter sah mich befremdet an. Sie wunderte sich über meine Schärfe und die ganze Art meines Verhaltens, das hier doch so gar nicht angebracht schien. Mit wenigen Schritten war sie bei der Barosse, lächelte sie freundlich an und sagte ein paar beruhigende Worte zu ihr. Alle anderen hatten kaum ihre Stellung verändert. Sie standen oder hockten da und schienen gewillt, alles über sich ergehen zu lassen, was das Schicksal in Gestalt des blutbesudelten, wilden Mannes vor ihnen für sie in petto hielt. Palmer bückte sich nach der hinuntergefallenen Zigarre. Als er wieder hochkam, war sein Gesicht leicht gerötet. Er grinste und zwinkerte mit seinen listigen Augen. „Mister Hurt", wandte er sich an mich, „bislang habe ich von den jungen Männern dieser vertrackten Generation nicht viel gehalten. Sie scheinen jedoch eine Ausnahme zu bilden. Ich wette meinen letzten Stummel gegen 'ne Handvoll Seewasser, daß Sie es schaffen werden. Und was an mir liegt, so kann ich Ihnen sagen, daß Sydney eine wunderbare Stadt ist und ich alles tun werde, um sie so schnell wie möglich zu erreichen." „Okay", lächelte ich. „Dann hören Sie auf, im Eis herumzuhacken und meinen Freund wie 'n warmen Whisky zu
behandeln, und kommen Sie her, damit wir gemeinsam die Rollenverteilung vornehmen!" Eine halbe Stunde später stand unser Vorhaben bis in alle von hier aus zu erkennenden Einzelheiten fest. Es war ein Plan, der von jedem noch lebenden Menschen an Bord das Äußerste, ja das Unmögliche verlangte. Aber es war der Plan, der uns aus der Hoffnungslosigkeit der augenblicklichen Situation herausführen mußte. Ich sagte Schorsch, er solle der Ferguson ein paar Eimer Wasser über den hübschen Nischel schütten, denn es sei jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Dann drehte ich mich um und ging zur Tür, um zur Brücke zu steigen. Ich wollte ein Besteck aufmachen, um an Hand des augenblicklichen Standortes die notwendigen Kursberechnungen durchzuführen. So was hört sich immer lausig einfach an. Mitten im Taifungebiet bei fallendem Barometer sehen solche Scherze aber noch viel lustiger aus! Peter kam mir nach. Ich blieb stehen und drehte mich um. „Was gibt's, Baby?" fragte ich. „Irgend etwas unklar?" „Im Gegenteil!" lächelte sie. „Nie war es mir so klar, daß ich keinen Mann heiraten werde, der so brutal und stur bei seiner Meinung bleibt wie du! Schorsch hatte recht, das Motorboot ist die größere Chance, aber du mußt..." „Was ich muß, weiß ich allein, du verdammtes Frauenzimmer!" röhrte ich wütend. „Ich muß mich verdammt in acht nehmen, daß ich nicht mal auf ein ähnliches Mondkalb hereinfalle, wie du es bist! — Kümmere dich um die Verletzten und bringe sie auf Schwung. In zwei Stunden gehen wir auf Kurs!" Sie preßte die Lippen zusammen und sah mich an. Ich grinste nur ein wenig und schnalzte mit der Zunge. Dann drehte ich mich um und ließ sie stehen. Im Weggehen hörte ich sie fluchen. „Ö verdammt", sagte sie, „verdammt noch mal! Verfluchter Höllenhund!"
Falls Sie Peter noch nicht kennen, werden Sie wohl jetzt überzeugt sein, daß sie der scharmanteste und wohlerzogenste Teenager zwischen beiden Polen ist! Ich ging zur Brücke. Auf dem Wege dorthin mußte ich an den Leichen einiger Meuterer vorbei. ^Es war ein Anblick, der auch einem nicht sonderlich weichen Bürschchen, wie ich eins bin, die lieblichsten Gedanken verscheucht hätte. Ich beeilte mich, den Niedergang hochzukommen, aber in der Brücke empfing mich ein weiterer Haufen Toter. Doch ich hatte mich bereits an den Anblick gewöhnt. Von dem einen lieh ich mir den Bleistift, den anderen trug ich zur Seite, um an die Schublade mit dem Sextanten zu kommen und dem dritten nahm ich die Uhr ab, weil der Bordchronometer zerschossen war. Auf der Marinekriegsschule hatte ich 'ne halbe Stunde gebraucht, um ein Besteck zu machen. An Bord unseres UBootes hatte es dann immer nur knappe fünfzehn Minuten und weniger gedauert. Hier aber fummelte ich über eine Stunde lang herum und kam trotz aller Überprüfungen auf einen Standort, der eineinhalb Etmale von der regulären Dampferroute entfernt lag und diesmal auch in mir Zweifel an dem Gelingen unseres Planes aufkommen ließ. Dennoch gab ich eine Stunde später das Maschinenkommando, das von Schorsch, Palmer und den leichter verletzten Eingeborenen ausgeführt wurde. Die Chatanooga-Lizy nahm Kurs auf Australien. Ein schwimmendes Massengrab... Der Matrose mit den Armstümpfen taumelte über Deck, reckte seine Stümpfe in wahnsinnigem Schmerz und hielt eine flammende Rede gegen den Tod, der seiner Meinung noch im Topmast saß und wie 'n Klammeraffe mit dem Schwänze wedelte. Ich ging zu dem armen Teufel hin und knallte ihm genau eins an den Punkt. Ich fing den schlapp werdenden Körper auf und trug ihn ins Kartenhaus. Morphium war knapp an Bord. Und wir hatten noch 'ne lange Tour vor uns, wenn wir dem Sturmtief ausweichen wollten. v Ich hab mal einen gekannt, der seine Dissertation über die Problematik der verschiedenen
Selbstmordarten geschrieben hat. Diese Arbeit muß in jedem Falle unvollständig gewesen sein, denn er hatte unsere Fahrt mit der Chatanooga-Lizy nicht gekannt! * Sieben Tage später, am dreiundzwanzigsten September passierten wir nachts das Lagerfeuer von Iron-Rock. Ich ließ die Fahrt verlangsamen und mußte mit dem Maschinentelegraphen ganze Konzerte geben, um die im Stehen schlafenden Burschen vor den Feuern zu wecken. Wir hatten die Toten über Bord gegeben, aber wir waren so fertig, daß es manches Mal ratsam erschien, selbst über die Seite zu hüpfen. Ich drehte den alten Zossen in den Strom und ließ die Maschine stoppen. Dann schlich ich von der Brücke aufs. Vorschiff. Ich nahm den Sliphammer und schlug den Stopper von der Kette. Der Anker rauschte aus, und das einzige, was zu tun übrigblieb, war, zu hoffen, daß er hielt. Ich gähnte und ging nach achtern, um zu sehen, ob die Lichter gesetzt waren. Ich traf Peter am Salonschott. Sie lehnte an der Wand, hatte die Arme verschränkt und sah mich an. Ich blieb stehen. „Hallo", sagte ich, „kleine Kinder gehören ins Bett. Bald kommt der Weihnachtsmann!" „Ich weiß...", nickte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, „seine Gaben haben wir geladen!" Ich stutzte. „Was soll das heißen, Baby?" „Die Chatanooga-Lizy hat nicht eine einzige Kiste an Bord, deren Ladung mit den Angaben in den Deklarationspapieren übereinstimmen. Du hattest ja keine Zeit, die Ladung zu besichtigen, aber ich bin unten herumgeklettert, um nach den in den Papieren angegebenen Kisten mit Medikamenten zu suchen. Als ich sie fand, enthielten sie statt Ampullen und Pillen Maschinenpistolen, Handgranaten und Munition!" „Das wundert mich nicht sonderlich!" sagte ich feixend. „Aber der Weihnachtsmann wird Augen machen!"
Ich beendete meinen Rundgang und legte mich anschließend auf das Ledersofa im Kartenhaus. Noch länger im Mondschein bei Peter stehenzubleiben, wäre nicht gut gewesen. Ihre Shorts und der Pullover waren anscheinend vom vielen Waschen zu stark eingelaufen. Und das nächtliche Klima vor der australischen Küste ist verdammt schwül. Die Luft riecht immer nach Mai. Auch die Sterne erwecken den Eindruck, als wäre 'n Ledersofa nicht gerade das erstrebenswerteste Lager fir einen Burschen von meinem Format. Der gleichen Meinung war auch Miss Ferguson. Sie kam zu mir herein und setzte sich neben mich. Sie rauchte eine von den süßlichen japanischen Zigaretten, die immer so riechen als enthielten sie Opium, und gähnte herzgewinnend. „Sie sind ein wundervoller Junge!" sagte sie zur Einleitung. „Sie sind genau das, wovon eine verwöhnte Frau in Nächten wie diesen träumt! Sie sind unbeugsam! Jungs Ihrer Art wachsen in Texas und in den Bergen." „Auch Texaner müssen mal schlafen", sagte ich so freundlich, wie es mir möglich war. „Haben die Leute in der Maschine ihr Gujampelwasser bekommen?" Sie nickte. „Gujampel mit Schuß! Doppelte Ration, Herr Kapitän! — Und was bekommt eine durstige Frau...?" Sie beugte sich über mich und sah mich an. Ihre Augen schillerten, und ihr Haar fiel auf mein Gesicht. Habe ich Ihnen eigentlich gesagt, daß Lil Ferguson eine beachtliche Beauty von kaum fünfundzwanzig Lenzen war und auf jedem Laufsteg jede internationale Konkurrenz zum neidischen Wimmern gebracht hätte? Diese Dame war Klasse, sage ich Ihnen. Ganz große Klasse, was die Figur anbetrifft. Aber auch sonst hatte sie einiges, was nicht unflott war. Sie hatte Peter im Wachtörn regelmäßig abgewechselt und verdammt penibel ihren Aufgabenkreis ausgefüllt. Das war 'ne Anerkennung schuldig, sage ich Ihnen. Ich küßte den Mund dieser Dame. Und die Schulter! Und so!
Durch die leeren Brückenfenster zog der Landwind. Und der Schein des Iron-Rock-Feuers zauberte aus Lils Haar einen unwirklichen Glanz. Nichts gegen Romantik, meine Herren! Wenn sie so gewachsen ist, wie Miss Lil Ferguson aus San Franzisko! * Am nächsten Morgen weckte mich das heulende Motorengeräusch eines über unseren Mastspitzen Steilkurven ziehenden Marineflugzeuges. Ich stolperte hoch und rannte quer durch den Raum ans Fenster. Ich vergaß, daß es auch einiges Glas gab, das heilgeblieben war, und knallte mit der Stirn ein Loch in die Scheibe. Ich hatte danach das Gefühl, mit einem schartigen Messer rasiert worden zu sein und verzichtete, dem Piloten zuzuwinken. Immerhin hätte er ja nicht solch einen blödsinnigen Krach zu machen brauchen. Ich suchte einen Lappen und stellte mich vor den Spiegel, um das Blut zu stillen. Ich war allein in dem Kartenhaus, aber etwas später lachte Lil von der Tür her und fragte mich, ob ich Harakiri machen wollte. Ich sagte ihr, es wäre schon denkbar, daß ich das möglicherweise eines Tages machen würde; denn es sei nicht mehr schön auf dieser Welt; selbst die nettesten Damen hätten kein Benehmen und würden nicht mal anklopfen, wenn sie das Zimmer eines unverheirateten Mannes beträten. Sie lachte und kam auf mich zu. Sie sah verteufelt hübsch aus. Sie machte schmale Augen und lächelte. „So fremd sind wir uns doch aber gar nicht mehr", sagte sie leise. „Komm her, Jack, küß mich!" Ich blieb stehen, und sie kam weiter auf mich zu, bis sie dicht vor mir stand und ihre schimmernden Lippen hob. „Es ist verkehrt, es einzugestehen", hauchte sie. „Aber du bist der verteufeltste Mann meines Lebens!" „Ein Höllenhund!" nickte ich grinsend. „Das habe ich schon mal gehört. Gestattest du jetzt, daß ich mich um das Einlaufen
kümmere? Ich habe Appetit auf ein saftiges frisches Steak, und das gibt es nur an Land!" Sie biß sich auf die Unterlippe und warf mit einer unwilligen Gebärde den Kopf zurück. Aber gleich lächelte sie wieder. „Steak? Ich halte mit! Ich war nie für Schonkost!" Sie nahm mir das Tuch aus der Hand und tupfte mein Gesicht ab. Sie reckte sich und fuhr mit der Hand durch das Haar. Sie sagte etwas, was einen lüsternen Moralisten in helle Begeisterung versetzt hätte und machte mir es schwer, ernstzubleiben. Ich küßte sie noch einmal und schob sie etwas von mir ab. „Liebling", sagte ich, „was hältst du davon, beim Ankermanöver zu helfen? Die Leute in der Maschine brauchen 'n kräftiges Frühstück, und auch sonst sind noch 'n paar Kleinigkeiten zu^ erledigen, die keinen Aufschub vertragen!" „Du bist ein Spielverderber", seufzte sie resignierend. „Aber ich kann dir nicht böse sein. Wenn ich das Heiraten nicht so schrecklich altmodisch fände, würde ich sägen, wir sollten es tun. Die Leute würden sich nach uns umdrehen und sagen: Seht, welch ein schönes Paar!" „Lil", räusperte ich mich, „du bist voller Einfälle. Vielleicht möchtest du auch 'n- paar Kinderchen von mir?" „Natürlich! Sechs! Drei Jungen und drei Mädchen. Es würden herrliche Kinder sein. Schönere und klügere Kinder gäbe es nirgends. O Jack, je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird es mir, daß es doch gar nicht so altmodisch ist, richtig zu heiraten." Ich nickte. Ich grinste und ging hinaus. Es ist manchmal furchtbar schwer, die richtigen Worte zu finden, bei Damen wie El Ferguson aus USA. Vielleicht verstehen Sie, was ich meine! Sie rief mir etwas nach. Es war etwas sehr Lustiges. Ein alter seebefahrener Kap-Horn-Matrose wäre bei Sonnenschein aus der Takelage gefallen vor Lachen über dieses Wort aus dem Munde einer solchen Lady! Ich machte eine einfache Peilung und sah mir die Karte an. Es konnte nicht schwierig sein, die Einfahrt zu finden. Sande waren weit und breit nicht vorhanden, und vermutlich hatte uns
das Flugzeug längst anvisiert, so daß mit einem Empfang durch den Lotsen zu rechnen war. Ich pfiff in das Sprachrohr zum Maschinenraum und bekam von Schorsch Antwort. Er meinte, er hätte genügend Druck auf den Kesseln, so daß wir mit langsamer Fahrt gleich anlaufen könnten. Das war mir recht; denn schließlich hatten wir noch ein paar andere Aufgaben zu erledigen, als herrenlose Dampfer in die Bestimmungshäfen zu bugsieren. Ich nahm mir noch einmal die Karten vor und ging dann in die Nock, um Peter zu holen. Ich brauchte sie jetzt auf der Brücke zum Feststellen der Peilwerte. Schließlich konnte ich nicht zu gleicher Zeit peilen und steuern. Sie kam ganz unbefangen herauf. Sie hatte noch immer diese Shorts und den Pullover an. Sie sah aus wie ein Traum. Ein achtzehnjähriger Traum von einem Mädchen. Sie trat neben mich in die Brückennock und blickte durch den Peilrahmen. „Was wollte denn Miss Ferguson?" fragte sie beiläufig. „Die? Was soll sie denn gewollt haben? Nichts, gar nichts." „So?" Wissen Sie, die Art, wie Peter das „So?" aussprach, konnte einem, glatt auf die turmhohe Palmen bringen. „Und wenn sie was gewollt hätte, ginge dich das etwas an?" Sie machte „Pah" und zuckte mit den Schultern. Ich zerquetschte ein unfeines Wort zwischen den Zähnen und ging zurück ans Rad. Ich gab nach unten, daß sie Dampf aufmachen sollten und drehte langsam auf Kurs. „Findest du sie hübsch?" rief Peter, ohne sich umzudrehen, mir nach. „Sehr", antwortete ich. „Es würde mich nicht wundern, wenn sie die Maße der Miss Universum besäße!" „Die besitzen andere auch! — Schließlich macht es ja nicht allein der Körper!" „Doch!" sagte ich, ein Lachen verbeißend. „Der macht es immer! Es gibt in allen Parlamenten der Welt hundert und eine Politikerin, die unablässig bemüht sind, ihren Geist brillieren zu lassen. Aber nicht eine hat soviel Anbeter wie Marylin Monroe!" „Fiese Welt!"
„Gar nicht fies! Politik rangiert hinter Erotik, das läßt sich nicht wegphilosophieren. Und guck dir die Frauen der Mucker an. Deren Männer delektieren sich heimlich an der Sünde und propagieren laut die Moral. Würdest du vom Essen reden, wenn du 'ne Fleischvergiftung hast?" „Der langen Rede amüsanter Sinn: Gentlemen prefer slaves!" „Kurven ist nicht der richtige Ausdruck. Die Harmonie derselben macht es! Miss Ferguson hat diese Perfektion, womit nicht gesagt sein soll, daß sie die verkörperte Perfektion ist!" Peter lachte spöttisch auf. „Dann darf man wohl hoch hoffen?" „Sei nicht albern", lachte ich. „Lil Ferguson ist gegen dich ein lahmes Hühnchen!" „Vergleiche hast du?" „Können wir nicht von was anderem reden?" „Hanns, du bist seit Tagen so verändert. Was ist denn los?" Ich starrte auf die Stevenspitze. Ich lachte ^und ärgerte mich, weil es gekünstelt klang. Dann gähnte ich und sagte leichthin: „Das ist Einbildung. Ich bin nicht anders als sonst. Vielleicht ist es auch etwas die Ahnung, daß diese Sache mit unserem Von-Bord-Gehen in Sydney noch nicht beendet sein wird. Und je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, daß wir auf dem besten Wege sind, in Dinge einzusteigen, die sich ähnlich auswachsen werden wie die Fälle, die wir vor einem halben Jahr erlebten. Die letzten Monate waren zu ruhig gewesen. Beobachtung des amerikanischen Marktes, Analysen der Weltwirtschaft, Einkäufe und Tarnmanöver, das waren alles Dinge, bei denen anderen Leuten Speckbäuche kriegen." „Apropos Speckbauch... findest du nicht auch, daß die Ferguson obenrum viel zu dick ist?" „Nun höre endlich auf damit. Ich finde durchaus nicht, daß sie obenrum zu dick ist. Schließlich bist du auch nicht gerade mager." „Aber proportioniert, mein Lieber!" „Ich bin kein ,Lieber' und deiner schon lange nicht!" sagte ich gereizt. „Zum Teufel, was hat mich nur bewogen, dich immer noch nicht abzuschieben? Du solltest längst bei meiner Mutter
in Deutschland sein. Ich sehe immer mehr ein, daß es für deine Entwicklung nicht gut ist, wenn du weiter mit uns durch die Weltgeschichte kutschierst. Aber das sage ich dir, wenn mein Freund Hello Amboss gelegentlich nach Deutschland zurückkehrt, fährst du mit auf Biegen oder Brechen." Sie drehte sich empört um, aber dann begann sie zu feixen. „Hello Amboss ist doch CIA-Agent, er wird sobald nicht ausreisen! Außerdem liebst du mich viel zu sehr, als daß du mich weglassen würdest!" War das nicht zum Schreien. Ausgerechnet das mußte ich. mir sagen lassen? „Du bist wohl vom Wahnsinn gepeitscht"
Dieser komische Knabe lächelte strahlend wie ein Filmstar in der Autogrammstunde, als er auf mich zutrat und sich vorstellte. „Robert Shaborne. Ich bin Beauftragter der PazificSteamship-Company. Dieses Schiff ist seit vier Tagen überfällig. Wir waren in großer Sorge. Seit gestern läuft die Suche. Ein Militärflieger hat Sie entdeckt." „Wie nett von ihm." Er hielt irritiert inne und sah mich forschend an. Dann wurde sein Lachen wieder breit, und er streckte seine Hand aus, um meine, nur zögernd einschlagende Rechte kräftig zu schütteln. „Wo ist Kapitän Brireau, wo sind seine Offiziere?" „Der Kapitän, die Offiziere und die Besatzung der ,Chatanooga-Lizy' sind bis auf zwei Verwundete tot", sagte ich. „Kann ich Ihre Legitimation als Reedereivertreter sehen, Mister Shaborne?" Er starrte mich völlig überrascht an. „Tot...? Ja, um Gottes willen, das ist doch, soll das ein Scherz sein?" „Die Chatanooga-Lizy wurde auf See von einer Bande von Verbrechern aufgebracht. Es gelang uns, das Schiff nach einigen Tagen wieder in die Gewalt zu bekommen. Leider können wir die Toten nicht lebendig machen." Er fingerte nervös eine Zigarette aus der Brusttasche. Seine Hände flatterten dabei. Er mußte vier Streichhölzer anreißen,
bevor der Stengel brannte. Dann machte er zwei tiefe Züge und versuchte, schwach zu grinsen. „Bevor Sie mich noch einmal fragen, ob das alles mein Ernst ist", sagte ich gemütlich: „Sehen Sie sich das Schiff an. Kommen Sie nachher auf die Brücke, wir können uns dann über alles unterhalten. Ich bringe das Schiff jetzt in den Hafen!" Er nahm erst noch ein paar Züge und schüttelte dann langsam den Kopf. „Ich fürchte, Ihnen widersprechen zu müssen, Mister Hurt. Die ,Lizy' wird erst auf Reede in die Quarantänekontrolle müssen. Auch wird die Polizei an Bord kommen wollen, und überdies müssen die Pressevertreter ferngehalten werden... damned, das ist eine verteufelte Sache. Ich wünschte, ich brauchte hier nicht die alleinige Entscheidung zu fällen." „Das brauchen Sie auch nicht, Mister!" dröhnte Schorschs Stimme dazwischen, der eben Ölverschmiert die Treppe hochgeentert kam. Shaborne drehte sich erstaunt um. „Wer sind Sie denn?" „Ein Passagier!" griente Schorsch. „Erster Klasse! — Ich werde Ihre Linie wärmstens weiterempfehlen." Er wandte sich zu mir. „Worauf warten wir noch, Jack? — Laß uns in den Hafen rauschen und unsere Klamotten packen." „Das kann ich nicht zulassen", protestierte Shaborne schwach. „Soweit ich die Lage hier überblicke, schuldet Ihnen meine Gesellschaft offensichtlich größten Dank, und ich möchte keinesfalls versäumen, Ihnen großzügigste Entschädigung und Belohnung schon jetzt zuzusichern, doch es hieße, die Katastrophe um ein Vielfaches steigern, führen wir jetzt direkt zum Liegeplatz. Die Presse..." „Hören Sie mal", knurrte Schorsch da los: „Die Presse schert uns in diesem Fall einen Dreck. Wenn Sie einen Skandal — den berechtigten Skandal — befürchten, dann ist das verdammt Ihre Sache. Es sind Verwundete an Bord, die dringend in ärztliche Behandlung müssen. „Aber, meine Herren, mißverstehen Sie mich doch nicht. Ihnen wird von nun an die ganze Aufmerksamkeit meiner Firma
gewidmet sein. Sie werden die besten Ärzte und den größtmöglichen Komfort auch während der Quarantäne...“ „Schluß mit dem Gefasel. Wir fahren...!" Schorsch sprang an mir vorbei und ließ sich den Niedergang hinuntergleiten. Unten drehte er sich noch einmal um. „Halbe Fahrt, Hanns?" Ich zögerte. Sehen Sie, auch mir wäre es recht gewesen, so schnell und reibungslos wie möglich einzulaufen und in Sydney zu verschwinden, um uns unseren eigentlichen Aufgaben widmen zu können. Doch irgend etwas warnte mich, Schorschs Kopf-durch-die-Wand-Politik mitzumachen. Zweifelsohne mußte die Ankunft des überfälligen Schiffes mit den deutlich sichtbaren Kampfspuren im Zusammenhang mit der Namensveröffentlichung der getöteten Passagiere und Besatzungsmitglieder die Aufmerksamkeit auf die Überlebenden lenken. Damit wären wir in das grelle Licht der Schlagzeilen gebracht worden, und das hätte unseren weiteren Vorhaben in Australien größten Schaden zugefügt, wenn nicht gar diese unmöglich gemacht. Außerdem interessierte mich die Ladung des Schiffes. Wenn es sich hier um Waffenschmuggel handelte, der örtlich auf Australien beschränkt blieb, war die Sache für uns bedeutungslos. Stand aber etwas anderes dahinter, zum Beispiel die Waffeneinschleusung in das Inselgebiet des Pazifiks, dann war die Sache für uns alarmierend; denn... Aber das werden Sie noch erfahren. — Ich gab Schorsch mit den Augen einen Wink und sagte laut: „Laß es gut sein, alter Junge, ich sehe keinen Grund, es den schwergeprüften Aktionären des Ladens noch peinlicher zu machen, als diese Katastrophe bereits ist. Wie allerdings der Tod von vier Dutzend Menschen verschwiegen werden soll, ist mir schleierhaft." Die letzten Worte hatte ich halb zu Shaborne hin gesprochen. Er zuckte die Achseln und machte ein ratloses Gesicht. „Wie ist doch Ihr Name?" erkundigte er sich höflich.
„Hurt!" antwortete ich. „Jack Hurt, ich habe zusammen mit Mister Mountainier und Miss Blom drei Einzelkabinen auf der Lizy gebucht. Es war Zufall, daß uns die Banditen nicht gleich bei ihrem ersten Losstürmen erwischten und daß wir kurz vor Feierabend noch ein paar MPs in die Hände bekamen, mit denen wir aufräumen konnten." Er schlug mir auf die Schulter, nannte mich einen good sport und machte zu Peter ein paar platte Komplimente. Sie nahm überhaupt nicht davon Notiz. Sie fragte mich, ob ich sie noch benötigen würde und verließ auf mein Kopfschütteln hin die Brücke. „Ich schlage vor, Mister Hurt", sagte Shaborne, nachdem er Peter bewundernd und mit einem Ausdruck in den Augen, der mir ganz und gär nicht gefiel, nachgeblickt hatte, „wir laufen langsam auf die Reede vor Sydney, etwa zwanzig Meilen nordöstlich von hier, und warten dort auf das Reedereiboot, mit dem wahrscheinlich auch schon der Arzt kommen wird. Die Barkasse hat eine Sprechfunkanlage ausgerüstet, so daß wir in kürzester Zeit alles herbeirufen können, was benötigt wird. Bis dahin verfügen Sie bitte über mich." Er sagte das ziemlich klar und offen. Es machte einen guten Eindruck. Und ich sah keinen Grund, ihn mehr als notwendig zu beargwöhnen. „Gehen Sie runter in den Maschinenraum'', sagte ich freundlich, „dort wird jede Hand gebraucht. Ziehen Sie sich aber die Jacke aus, es ist heiß, verdammt heiß da unten. Und das Schulterhalfter wird beim Bücken stören." Er runzelte die Stirn, lachte aber gleich wieder. „Sie wundern sich, warum ich eine Waffe trage", sagte er freimütig. „Es ist Ihr gutes Recht, das seltsam zu finden. Aber glauben Sie mir, in diesem Job, der täglichen Umgang mit Seeleuten und Beachcombern bringt, mit Schanghaihyänen und all den kleinen und großen Gaunern des Hafens ist ein Schießeisen — auch wenn man es nicht täglich leerschießt — oft von Nutzen." Er zog die Jacke aus und slipte das Halfter. Mit einem Lächeln legte er es auf den Mutterkompaß.
„Ich wünschte, ich wäre an Bord gewesen, als die Schweinerei passierte", brummte er. „Es hätte mich wieder Freude an meinem Beruf finden lassen!" Er nickte mir zu und verschwand in Richtung Niedergang. Ich sah ihm nach. Ich pfiff irgendeine belanglose Melodie. Als er sich anschickte, in das Maschinenluk neben dem Saloneingang einzusteigen, erschien Peter an Deck. Er hielt inne und sah sie mit großen Augen an. Er sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Peter lächelte ihm zu. Sie trug immer noch diese verdammten knappen Shorts und den engen Pullover. Ich hörte auf zu pfeifen und wirbelte das Rad herum, um die alte Mühle auf den richtigen Kurs zu bringen. Ich war wütend und wußte nicht, worauf. Mit einer Handbewegung schob ich das Schulterhalfter zur Seite. Er fiel zu B07 den, und die Waffe polterte heraus. Es war eine funkelnagelneue BernadelliPistole. Ein bildschönes Stück. Viel zu gut für solch einen lausigen Spinner, wie dieser Shaborne einer war. * Die untergehende Sonne tauchte das Meer in ein blutiges Rot. Es war ein faszinierendes Farbenspiel. Doch die Menschen in dem Bootsgewimmel um die Chatanooga-Lizy hatten keine Augen dafür. Was war schon die Natur gegen den Anblick des alten Dampfers mit den zerschossenen Windschutzscheiben, Klarsichtscheiben und eingebeulten Aufbauten. Es hatte ein erbittertes Ringen mit den Presseberichterstattern gegeben, die alles daran setzten, auf das Schiff zu gelangen und einen von uns unter den Bleistift zu bekommen. Aber der Kordon von Hafenpolizisten, die mit der Untersuchungskommission an Bord gekommen waren, machte jedes Aufentern unmöglich. Es waren 'ne ganze Menge interessanter Worte gewechselt worden, und nun brüllten einige von den hartgesottenen Burschen im Sprechchor:
„Wollt ihr Wahrheit oder Gerüchte? Wollt ihr Wahrheit oder Gerüchte?" Ununterbrochen, immer wieder... Wahrheit oder Gerüchte... Es war gar nicht dumm gemacht. Es war die lauteste Erpressung, die ich je erlebt hatte. Die Reederei mußte ja nachgeben. Selbst die wildeste Wahrheit konnte nicht schädlicher sein als ein frisierter Bericht mit schmähendem Kommentar. Wir saßen im Kartenhaus. Schorsch, Peter, ich, Shaborne, ein Mister Vering mit einer puppigen Tipse als zuständiger Direktor des Schiffahrtsunternehmens und vier Beamte der Sydneyer Kriminalpolizei. Angeführt wurde das Team von einem Leutnant O Duff, der bestimmt nicht mit Einstein verwandt war. Er hatte aber eine lustige Art, Grimassen zu schneiden und „Aha" zu sagen. Nun preßte er mit theatralischer Geste beide Hände auf die Ohren und stöhnte: „Mister Vering, lassen Sie doch endlich eine Abordnung dieser verdammten Schreiberlinge an Bord. Erzählen Sie etwas. Die geben doch keine Ruhe. Morgen können Sie lesen, daß die Besatzung des Schiffes wegen der schlechten Arbeitsbedingungen bei Ihrer Gesellschaft meuterte, daß die Verhältnisse auf den anderen Schiff en Ihres Ladens noch schlechter sind und daß die von Wanzen geplagten Passagiere das Opfer betrügerischer Machenschaften der Zahlmeisterei geworden sind, die vergammelte Verpflegung hatte austeilen lassen. Mann, ich an Ihrer Stelle, würde mir diese Meute nicht zum Feinde machen." Der Boß wurde blaß. Er fuhr sich hinter seinen halbsteifen Kragen und sagte ein paar Sachen, die das Puppchen knallrot werden ließen. Und sie sah wahrhaftig nicht so aus, als wäre sie überempfindlich. Schnaufend vor Empörung quetschte sich der Boß an mir vorbei und ging auf die Brücke hinaus. Er nahm das Megaphon vom Haken und wandte sich noch einmal um. „Alice, protokollieren Sie bereits jetzt jedes meiner mit der Presse gewechselten Worte. Ich werde dann die anwesenden Herren bitten, dieses Protokoll zu unterzeichnen. Ich werde es
diesen Gaunern nicht leicht machen, meine Aussagen zu verdrehen!" Dann schrie er, daß er verhandeln wolle. Sofort verstummten die Sprechchöre, und Vering machte widerwillig das Angebot, daß drei Vertreter heraufkommen könnten, denen jede Information gegeben werden würde. Sie sollten drei clevere Jungs auswählen und mit dem Boot an das Backbord-Fallreep schicken. Ich stand gähnend auf und gab Schorsch und Peter einen informierenden Blick. „Okay, Herrschaften", sagte ich, „da wir im Kreuzfeuer der Blitzlichter stehen werden, wird es sich empfehlen, das Gesicht zu waschen. So long, also, bis gleich." Die Polizisten steckten sich Reederei-Zigarren an und waren mit der kleinen Unterbrechung ganz unzufrieden. Der dicke Leutnant fuhr sich mit einem Schuppenkamm durch das spärliche Haar. In der Brückennock stellten wir uns neben Vering. Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Tragen Sie es mit Fassung", sagte ich freundlich. „Sie haben ja uns, man wird unsere eindeutigen Aussagen über die wahren Vorgänge nicht widerlegen können." Er nickte und faßte mich an beide Revers meiner Lederjacke. „Mister Hurt", sagte er beschwörend, „ich bitte Sie um alles in der Welt, machen Sie keine abfälligen Bemerkungen über unsere Gesellschaft. Die amerikanische Konkurrenz ist derartig stark und skrupellos, sie würde die kleinste Kleinigkeit einer Unkorrektheit zum Anlaß nehmen, uns den Hahn zuzudrehen. Denken Sie an das Schicksal der vielen hundert Angehörigen der von uns beschäftigten Männer. Denken Sie an die armen Kinder unserer..." „Okay, okay", grinste ich. „Über jede Sache wächst Gras. Ein paar Footballspiele, ein neuer Atombusen, und schon ist die Affäre Chatanooga-Lizy vergessen." „Spiel nicht den Witwentröster", sagte Schorsch rauh, „komm endlich." Vering hielt mich fest.
„Mister Hurt", flüsterte er eindringlich, und kleine Schweißtropfen traten auf seine Stirnglatze, „flechten Sie beiläufig ein, wie heldenhaft sich die Besatzung vor die Passagiere stellte, wie der Kapitän bis zum letzten Blutstropfen die Ehre der Frauen verteidigte, wie die Offiziere die Ihnen bestimmten Kugeln abfingen und Ihr Leben mit dem ihrigen schützten." „Mister Vering", sagte ich, „ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ein Mann mit Ihrer Phantasie kann nach Verlust Beines Postens wegen Niedergangs der Firma doch ein Bombengeld als Filmautor verdienen?" Er riß die Augen auf und starrte uns nach. Bevor wir im Salon verschwanden, hörte ich aber, wie er bereits wieder Anordnungen gab, daß die drei Reporter ohne Aufenthalt vom Fallreep zum Kartenhaus zu begleiten wären und niemand autorisiert wäre, irgendwelche Auskünfte zu geben. Kaum im Salon, drehte sich Schorsch um. „Nichts wie weg", grinste er. „Jetzt wird es mulmig" „Genau das!" nickte ich. „Nehmt die notwendigsten Klamotten mit." Wir sprachen während der nächsten zehn Minuten nicht viel. Wir steckten einige Utensilien zu uns, gingen an der Backbordseite zum Fallreep, nickten dem Posten freundlich zu und warteten unten nur noch wenige Sekunden bis zur Ankunft des Bootes. Es saßen außer dem gecharterten Bootsführer drei smarte Jungs drin. Sie waren mit einem Dutzend Kameras behängt. Sie hielten uns für Reedereileute und - überfielen uns mit einem Schwall von Fragen. Ich wehrte lächelnd ab und erklärte, daß wir nur subalterne Handlanger wären, die auch nicht mehr wüßten als 'ne Schiffsratte mit Gehirnstaupe. Sie lachten und flitzten hoch an Deck. Wir winkten dem Posten noch einmal freundlich zu und stiegen in das Boot. Der Steuermann nahm den Pfeifenstummel aus dem Mund. „Wohin wollt ihr?" „Hafenpolizei, Quarantänestation!" sagte ich harmlos. „Es eilt..."
Er kam nicht auf die Idee, sich zu wundern. Er freute sich nur, weil Schorsch ihm einen schönen Schein in den Hemdausschnitt stopfte. „Meine Fresse", sagte der Alte, „ich habe bislang nicht gewußt, daß diese Gesellschaft so mit den Dollars um sich schmeißt! Mir soll es recht sein!" Wir setzten uns unter das Spritzdach. „Halten Sie direkt auf die Hafeneinfahrt zu", sagte ich leise, aber scharf. Wir ließen den Schwärm der anderen Boote links liegen und passierten das am Heck der Lizy vertäute Polizeiboot in nur wenigen Metern Abstand. Schorsch kniff die Augen zu. „Wenn die nicht schlafen, müssen sie doch merken, daß wir stiften gehen", knurrte er. „Das Boot sieht schnell aus. Selbst, wenn wir zwei Drittel der Strecke hinter uns haben, kann es uns noch einholen." „Man kann sich auch einen Ring durch die Nase ziehen", antwortete ich, und Peter fügte hinzu: „Auch zwei, dann klappern sie!" Dann schwiegen wir. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis wir das Molenfeuer passierten und der Bootssteuerer das mit einem roten Kreuz versehene Gebäude der Quarantänestation anlief. Ich stand auf und stellte mich hinter ihn. „Moment mal, Kamerad", sagte ich, „fahr noch ein Stückchen weiter!" Er drehte schweigend das Rad und hielt wieder in die Mitte des Hafenwassers. Es dauerte weitere zwanzig Minuten, bis ich ihm eine Lücke zwischen zwei Getreidefrachtern zeigte und er prompt und ohne Rückfrage dort anlegte. Schorsch schenkte ihm daraufhin noch einen Schein. Der Alte faltete ihn, nahm den anderen aus dem Hemd, faltete ihn ebenfalls und steckte beide unter die speckige Mütze. „Meine Tochter bekommt ein Baby", sagte er, zufrieden mit dem Kopf nickend, „der Motor braucht 'ne neue Einspritzpumpe, und das Ruderblatt muß ausgewechselt werden, da soll es mir nicht drauf ankommen, drei netten jungen Leuten illegal zur Einwanderung verholfen zu haben! Viel Glück!"
Wir antworteten nicht. Was soll man sich auch groß mit Leuten unterhalten, die für Geld Gesetze brechen? Das im Dämmerlicht des Hafens brodelnde Menschen- und Fahrzeuggewühl schluckte uns. Ich stoppte ein sich durch den Verkehrsstrom träge dahinschleichendes Taxi. „Flugplatz", sagte ich. „Beeilung!" Wir jumpten rein, und der Fahrer zeigte uns, was die hundertundzwanzig Pferde seines Cadillac' leisten konnten. — Es war so einfach zu handeln. Alles wurde ja von unserer Aufgabe bestimmt, jener Aufgabe, die, in hundertfältiger Form von Gerüchten umwittert, durch die Weltpresse gezerrt wurde, die man hundertfach entstellte und die doch so klar in ihrer Größe ist, daß es eigentlich müßig ist, sie immer wieder zu verteidigen. Der Sydneyer Flughafen ist einer der schönsten der Welt. Ein riesiges Rollfeld bietet Platz für die Erfordernisse schnellster und modernster Düsenmaschinen und hatte genügend Ausweichmöglichkeiten für die Anzahl von Privatfliegern, die täglich aus allen Teilen des Landesinneren kommen oder, schwer beladen, nach dort zurückfliegen. Die Haupthalle ist hell und licht gebaut und beherbergt zu jeder Stunde des Tages ein Gewimmel von Menschen aller Nationen und aller Hautschattierungen. Wir teilten uns und suchten verschiedene Schalter auf. Wir buchten drei verschiedene Maschinen nach Valparaiso für denselben Abend, die Nacht und den nächsten Morgen. Es war die vernünftigste Regelung, die wir treffen konnten, als wir dann die Plätze verfallen ließen, andere Routen buchten und 'ne ganze Menge Verwirrung für die später kontrollierenden Beamten stifteten. Während Schorsch und Peter das Restaurant aufsuchten, ging ich an den Schalter einer kleinen inneraustralischen Linie und knüpfte ein Gespräch mit der uniformierten Maid an. Es war ein süßes Schnullerchen mit großen Babyaugen und herzigem Mündchen. Sie hatte lange Wimpern und eine angenehme Stimme. „Hallo, Liebling", sagte ich frohgemut, „mir ist so nach Fliegen zumute. Habt Ihr 'ne Kiste zu verchartern?"
„Davon leben wir, Liebster!" antwortete sie und bewies somit schlagend, daß sie nicht mehr zu der Sorte Damen gehört, die sich ausschließlich von Milch ernährt. „Dann her mit einer Zweimotorigen!" „Hui, zum Südpol?" „Weiter!" „Wieviel Tage?" „Zehn!" „Pro Tag vierhundert... macht..." „Viertausend!" Sie legte den Bleistift hin und sah mich an. Sie leckte sich mit einer geradezu klassischen Zungenspitze die Lippen, lächelte etwas und schrieb weiter. „Name, Fluglizenz?" Ich zeigte ihr meinen Paß und schob ihn dann unter den Stapel anderer Papiere, wie internationaler Führerschein, Flugbrevet und einem Packen Ausfuhrgenehmigungen mit britischen Insignien. Ich fuhr ihr mit dem Zeigefinger über den Handrücken, während sie die Formulare ausfüllte. Sie mochte das anscheinend leiden, denn sie girrte dabei wie 'ne Taube im Frühling. Mir war es recht, solange sie nicht auf die Idee kam, in meinem Paß nach einem Stempel der Einwanderungsbehörden zu suchen. Plötzlich hielt sie inne. „Der Form halber, Mister Hurt... die Bedingungen ,Airtransport' lauten auf Vorauskasse und Kaution..." „Vorauskasse in Ordnung. Kaution wie hoch?" „Noch mal viertausend?" Ich lächelte. „Kleine Fische, Liebling!" Ihr Gesicht rötete sich vor Freude. Und sie sagte: „Ich hoffe, Sie bleiben noch etwas in Sydney, bevor Sie fliegen?" „Seit ich dich gesehen habe, honey, ist das auch mein sehnlichster Wunsch. Leider aber braucht meine Herde im Norden ein paar Zentner Seuchenprophylaxe... vielleicht das nächste Mal?" Wir sagten uns noch 'ne Menge netter Sachen, dann vereinbarten wir die Startzeit für Mitternacht. Mir war der späte
Zeitpunkt nicht genehm. Bis dahin mußte bei einigem Funktionieren des Polizeiapparates Alarm an alle Polizeiposten gegeben worden sein. Es war ein schwacher Trost, daß man wahrscheinlich nur die Verkehrsmaschinen kontrollieren würde. Aber ' da die Platzleitung es den privaten Charterfirmen zur Auflage gemacht hatte, jede Kiste vor Vergabe vom Platzwart abnehmen zu lassen und dieser ein vielbeschäftigter Mann war, mußte ich mit der etwa vierstündigen Wartezeit ganz zufrieden sein. Ich nannte die Maid noch ein Zuckerplätzchen und brachte ihrem Körper ein paar hervorragende Ovationen. Ihr gefiel das gut, denn sie lächelte ziemlich aggressiv und fragte mich dreimal, ob die Hammel im Norden denn nicht eine Nacht lang auf die Prophylaxe warten könnten. Es war sehr mühevoll, ihr beizubringen, daß aufgeschoben ja nicht aufgehoben wäre und ich noch nie hätte etwas abbrennen lassen, worauf ich Appetit gehabt hätte. Wir gaben uns nette Namen zum Abschied, und als ich dann die Halle durchquerte, um im Restaurant ein Eisgekühltes zu trinken, guckte ich an einer Säule in den Spiegel. Ich konnte nicht umhin, festzustellen, daß ich sehr gerade gewachsen war und ein ziemlich breites Kreuz besaß. Ich versuchte, zu entdecken!, was die Maid wohl so anziehend gefunden hatte, aber außer einem reichlich brutalen Gesicht und 'ner Menge Narben war nichts Bemerkenswertes vorhanden. Immerhin sind Frauen oft recht schrullig, wenn sie Männerhosen sehen. Ich ging quer durch das -Restaurant, steuerte dicht an Peter vorbei und hob die von ihr pünktlich fallen gelassene Serviette auf. „Vierundzwanzig Uhr, Hangar zwo!" raunte ich ihr zu und ging weiter. Ich trank eine geeiste Orangeade und ein Glas Mixmilch und dasselbe noch einmal. Dann schlenderte ich in die Halle zurück, ging zur Kasse und zahlte achttausend Dollar auf das Konto der „Airtransport" ein. Es war'n ganzer Happen, wenn man bedenkt, daß man dafür ein ganzes Haus haben kann, aber nicht zuviel, als Preis für, unsere Sicherheit.
Ich sagte, sie sollen die Einzahlung des Betrages an die Gesellschaft durchtelephonieren, Es wurde mir zugesichert. Ich kaufte mir nebenan eine Tüte mit Karamellbonbons, packte drei Stück aus und steckte sie in den Mund. Ich lutschte immer gern drei auf einmal. Wenn man den Mund voll hat, kommt man nicht in Versuchung, fremde Mädchen zu belatschern. Die Halle war voll davon. Man hätte meinen mögen! Sydney wäre Schauplatz irgendwelcher Miss-Wahlen. Sie trugen Uniformen oder Zivil. Der Effekt war immer der gleiche. Manche liefen dicht an mir vorbei. Ich mußte eifrig lutschen, um stark zu bleiben. Schließlich stopfte ich die Hände in die Jackettaschen und ging etwas an die frische Luft. Ich schlug mich ein paar Meter seitwärts und setzte mich auf eine breite Bank. Ich sitze sonst nicht gern auf Bänken, aber von hier aus hatte man die Auffahrt zum Gebäude gut im Auge, ohne selbst gesehen werden zu können. Ich betrachtete mir eine Zeitlang die an- und abfahrenden Autos und sah allerhand vierrädrige und zweibeinige Stromlinien. Bis dann gegen elf Uhr ein Taxi vorfuhr und eine Dame ausstieg, bei deren Anblick ich die drei letzten Bonbons verschluckte. Sie trug ein marineblaues Kostüm, das ihr wie angegossen saß und von ihrer bezaubernden Figur so ziemlich alles zeigte. Ihr Haar saß schick und rahmte das hübsche Gesicht wie ein kostbares Bild. Kinder, Kinder, diese Dame aus San Franzisko in USA mit dem Namen Lil Ferguson war schon eine Wucht! Sie stieg aus dem Wagen und zeigte viel Knie und ein beträchtliches Stück darüber hinaus. Sie zahlte mit einem Schein und verzichtete auf das Wechselgeld. Dann blickte sie wieder nach links und nach rechts und lief leichtfüßig die breiten Treppen zum Portal hinauf. Ich stand auf, um ihr nachzusehen. Es schössen mir einige verrückte Gedanken durch den Kopf, ehe ich vorsichtig nachstieg. Es waren schnelle und alle Möglichkeiten erschöpfende Gedanken. Sie eröffneten wiederum 'ne Menge von erfreulichen Aspekten.
Sie tauchte mehrfach in dem Gewühl unter. Aber immer wieder sah ich kurz darauf ihr blaues Kostüm. Sie war so unmittelbar, daß ich mir wenig Mühe gab, ihr dicht zu folgen. Ich lehnte an einem Zeitungsstand, blätterte in einer englischen Zeitung und blickte ab und zu nach, an welchem Schalter sie sich jetzt erkundigte. Immerhin konnte es einen reizen, zu erfahren, was das Herzchen bewog, uns nachzuspionieren. Überhaupt war das ein merkwürdiges Frauenzimmer, fährt an Bord eines Frachters in der Garderobe einer Diva, übersteht die Aufbringung des Schiffes und die anschließenden Zärtlichkeiten einer Schar von Verbrechern, indem sie sich mit Whisky vollaufen läßt, steht anschließend ihren Mann bei schwerster Arbeit zur Rettung des Schiffes, kommt wenige Stunden nach unserer Flucht, trotz Quarantäne und Polizeiaufgebot, wie aus dem Ei gepellt von Bord und bemüht sich, unsere Spur zu finden. Die einfachste Erklärung wäre, daß die Cops sie ausgeschickt hatten, uns zu suchen. Es hätte zumindest erklärt, wieso sie so schnell von Bord gekommen war. Dem aber stand entgegen, daß es wohl reichlich primitiv gewesen wäre, wenn Polizeibeamte, denen ein ganzer Fahndungsapparat zur Verfügung steht, sich einer Person bedient, von der sie ja nicht wissen konnten, ob sie nicht eine Komplicin von uns ist. Und wenn sie es vermutet hätten und ihr auf den Fersen den Weg zu uns finden wollten, dann war das genauso töricht, denn nach allem Vorgefallenen uns soviel Naivität zutrauen, wäre doch zu blödsinnig gewesen, blödsinniger als das Team der vier Cops jemals sein konnte. Wissen Sie, ich wurde das Gefühl nicht los, daß diese Dame dort schon in Bayong auf unseren Fersen gewesen war. Vielleicht arbeitete sie für das Federal Bureau oder die amerikanische Intelligence Agency. Was aber auch immer hinter Lil Ferguson stecken mochte, ich hatte verdammt wenig Lust, mit ihr Katz und Maus zu spielen. Zumindest so lange nicht, bis klargestellt war, wer die Katze und wer die Maus ist!
Ich faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche. Dann kaufte ich mir noch eine Tüte mit Karamellbonbons und ging quer durch die Halle auf das marineblaue Kostüm zu. Dicht hinter ihr blieb ich stehen und sagte: „Hallo, Süße!" Sie fuhr nicht zusammen. Sie reagierte kaum. Sie wandte nur langsam den Kopf und flüsterte lächelnd: „Hallo, Jackie!" Wir standen uns gegenüber und sahen uns an. Ich grinste ein wenig, denn ich mußte an die letzte Nacht an Bord denken. „Was in vierundzwanzig Stunden so alles passieren kann", sagte ich lächelnd, „es ist wirklich allerhand." Sie kam auf mich zu und legte ihre Hand ' auf meinen Revers. Sie fuhr verspielt darauf hin und her und brachte ihr Gesicht nahe an mich heran. Kinder, war das ein Mädchen! Für die hätte jeder arabische Scheich sein Lieblingskamel notschlachten lassen. „Lil", sagte ich freundlich, „nimm deine Patschhändchen von mir, dreh dich um und gehe einen halben Schritt vor mir her zum Ausgang. Biege nach links ab und unternimm nichts, was ich falsch deuten könnte. Hast du das?" Sie lächelte spöttisch. „Was du denkst, ist nicht, mein Lieber. Ich plane nichts, zumindest nichts gegen euch!" „Das wird sich herausstellen, wetten?" lächelte ich zurück. Sie gehorchte aufs Wort. Sie ging wiegend, und eine Melodie summend, vor mir her. Es war ein Lied, das mir bekannt vorkam. Ich dachte nach, wo ich es schon einmal gehört hatte. Es fiel mir ein, daß dies der Motivschlager aus dem Film „Lover" war. Sie summte es sehr beziehungsreich, und ich mußte wieder grinsen. Draußen im Dunkeln blieb sie stehen. Sie stellte sich so hin, daß ich ihr ganz nahe war. Wir küßten uns; denn ich sah nicht ein, warum die Verhandlungen auf Hieb und Stich geführt werden Rollten. Dennoch sagte ich: „Du mein ein und alles, es ist dir hoffentlich klar, was ich- mit dir machen werde, wenn du versuchst, mich anzuschmieren?
— Ich habe mal eine Dame in Louisiana gekannt, die versucht hatte, mir eins überzubraten. Sie ist hinterher über zehntausend Dollar losgeworden, nur, um die kosmetische Operation zu bezahlen, und sieht heute noch aus wie eine Warntafel für Autounfälle!" „Pfui", kicherte sie, „sei nicht so brutal! Man könnte beinahe Angst bekommen. Aber komisch, immer, wenn ich mich vor einem Mann fürchte, fühle ich mich so geborgen bei ihm!" „Wie bist du von Bord gekommen? Was suchst du hier? — Wie lauten deine Aufträge?" „Ein bißchen viel auf einmal, Jackie, aber ich will versuchen, dir das alles zu erklären." „Mach's kurz, ich bin nicht scharf auf deinen Lebenslauf!" „Ich bin eigentlich Korrespondentin und hatte ein Angebot einer Handelsgesellschaft angenommen, als Dolmetscherin im französischen Inselgebiet des Pazifiks. Ich sollte vor zwei Tagen auf die Direktionsjacht der Firma umsteigen. Durch den Zwischenfall auf der ,Chatanooga Lizy' wurde ich aufgehalten. Die Jacht lief ohne mich aus. Ich erklärte die Zusammenhänge den Herren von der Polizei. Man war sehr liebenswürdig, brachte mich zum Quarantänearzt und verständigte durch Funk die Jacht, daß ich nach Neuseeland fliegen würde, um übermorgen dort einzusteigen. Die Jacht heißt ‚Rover', der Eigner ist die Tranöl-Verwertungs-Company mit Sitz in San Franzisko und Niederlassungen in allen größeren Hafenstädten der Welt. Die Telefonnummer der hiesigen Vertretung lautet..." „Warum hast du eine Überfahrt auf der langsamen komfortlosen ,Lizy' gebucht, statt von Bayong zu fliegen?" „Es war der Wunsch der Firma, daß ich mich auf der Inselfahrt umsehen und möglichst viel Eindrücke von den hiesigen Gegebenheiten sammle. Das ist im Flugzeug schlecht möglich, G-man!" „Welche Maßnahmen traf man, als man unser Verschwinden bemerkte?" „Zunächst keine. Ich hatte den Eindruck, als seien alle Beteiligten ziemlich ratlos. Dann erkannte der kleine Dicke..." „Vering?"
„Ja, so heißt er wohl... er nutzte gleich die Chance und belastete euch schwer. Je mehr sich das Interesse den Flüchtigen zuwandte, desto tiefer sank seine Gesellschaft in die Anonymität. Es war das gefundene Fressen für ihn! Ich konnte nichts unternehmen. Mäh fragte" mich, ob ich wüßte, wer ihr seid und wollte Einzelheiten von der. Katastrophe und eurem Verhalten danach wissen. Ich gab an, nichts Näheres zu wissen. Soviel ich weiß, könnte auch Mister Palmers Aussage nichts Belastendes gegen euch erbringen. — Wie ist es, Jackie, zufrieden?" „Was tatest du an den verschiedenen Schaltern?" Sie lachte und reckte sich, um mich zu küssen. „O Jackie", sagte sie zärtlich, „hast du etwas dagegen, daß ich mich nach den verschiedenen und vor allem schnellsten Verbindungen nach Neuseeland erkundigte?" In dem Buch von Tao und Teh, das der schärfste Konkurrent vom alten Konfuzius, der Laotse geschrieben hat, steht 'ne Menge drin von dem, wie man sich in ähnlichen Lagen verhält wie der meinen. Aber der alte Knabe hatte nichts gewußt von den raffinierten Methoden unserer Parfümchemiker und der Wirkung von Nylonblusen unter marineblauen Kostümjacken. Außerdem hatte Laotse die Dame Lil Ferguson aus USA nicht gekannt! Wir küßten uns, und nach 'ner Weile sagte sie hauchleise: „Ich weiß nicht, Wer du in Wirklichkeit bist, Jackie, ich weiß nur, daß alle Flugzeuge der Welt ohne mich nach Neuseeland fliegen können und ich auf den angenehmsten Job pfeife, wenn du... ich meine, wenn wir..." „Hör mal", unterbrach ich sie, „wie kann man nur so leichtsinnig sein! Ich bin ein gesuchter Bankräuber!" Sie kuschelte sich an mich und biß vor Vergnügen in den obersten Knopf meines Hemdes. „Herrlich!" flüsterte sie. „So etwas hab ich mir schon immer mal gewünscht!" Wir lachten beide und küßten uns wieder. Später sah ich nach der Uhr. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit.
„Mein liebes Mädchen", sagte ich heiter. „Mein liebes Mädchen, es gibt genau zwei Möglichkeiten, die mir nun bleiben!" „Und die wären... ?" „Ich gehe mit dir dorthin an die Ecke und sage dem Copper, er solle dich festnehmen, denn du hättest mich, angesprochen und mir'n eindeutiges Angebot gemacht. Dann gehst du hops, denn Prostitution ist in diesem lieben Land verboten, und ich habe meine Ruhe! Oder aber ich muß dich bitten, deine Pläne betreffs Neuseeland aufzustecken und die Reise noch 'ne Zeitlang mit uns fortzusetzen!" Sie sah mich an und gab ihrem Gesicht dabei eine leicht amüsierte Blasiertheit. Es war ein Ausdruck, der bei mir nicht ankam. Ich lutschte einen weiteren Bonbon und grinste etwas dreckig. „Gib dir keine Mühe, Lil Ferguson", sagte ich dabei, „diese Partie geht haushoch an mich!" „Du biet verrückt!" zischte sie, langsam begreifend, daß ich keinen Scherz machte. „Was soll denn das? — Ich könnte ja dem Polizisten im Ernstfall erzählen, daß ein gewisser Hurt keine Einreisepapiere besitzt und dringend gesucht wird. Ich könnte ihn in meine Handtasche schauen lassen und ihn fragen, ob die verbotenen Prostituierten in diesem Land mit Zeugnissen und Reisepaß herumlaufen, obendrein wüßte ich zum Teufel nicht, warum ich eine gutbezahlte Stellung aufgeben soll, bloß, um mit einem so unhöflichen Burschen durch die Landschaft zu gondeln." Sie küßte mich, aber an meinen Lippen merkte sie, daß ich nicht scherzte. Es muß ein harter Schock für sie gewesen sein; denn sie preßte ihre Finger mit jähem Druck gegen meine Oberarme und warf den Kopf zurück. „Jack", flüsterte sie, „sei ein guter Junge und laß mich..." Ich lachte. Es war ein Lachen, wissen Sie, bei dem ein Schöngeist Gänsehaut bekommt. Es beeindruckte die Dame Lil mächtig. Sie trat einen Schritt zurück und sah sich gehetzt um. Sie spielte ihre Rolle gut, wenn sie überhaupt spielte. Man weiß das bei Damen dieses Genres nie so recht.
Ich habe mal eine Dame gekannt, bei der war das ähnlich gewesen. Die hatte immer ja gesagt, wenn sie nach landläufigen Moralbegriffen hätte nein sagen müssen, und das war bei ihr so ausgeprägt gewesen, daß sie schließlich eine hochbezahlte Stellung bei 'ner privaten Informationsgruppe angeboten bekam, in der sie nach kurzer Zeit avancierte und öffentlich ausgezeichnet wurde. Es waren ein paar smarte Jungs anderer Nationalität auf der Strecke geblieben, mit Blei im Mägen und Stahl im Gehirn. Es war kein Zufall, daß ich an jene Dame denken mußte, wenn ich Lil ansah. Und ich lächelte und schob die Schulter vor. Ich streckte meine Hand aus und faßte sie am Handgelenk. Ich lächelte noch mehr und sagte ihr, sie dürfe von nun an alles tun, nur nicht etwas, was ich als unfreundlichen Akt auslegen könnte. Ihr Gesicht wechselte dabei die Farbe. Sie zischte häßliche Sachen und beschimpfte mich. Ich hörte mir das eine Weile an und sagte ihr dann freundlich, daß sie wieder einen halben Schritt vorausgehen und die Richtung zur Halle einschlagen sollte. Ich glaubte zu wissen, wie das Häschen lief. Schließlich habe ich ein prämiiertes Köpfchen, Herrschaften. Ich steckte mir noch einen Bonbon in den Mund und fand das Leben ganz erträglich. * Wir flogen in mittlerer Höhe über die See. Man hätte Romantik lutschen mögen bei diesem Flug. Über uns leuchteten die Sterne in dichter Pracht, und das ruhige Meer unter uns spiegelte die ungezählten Lichtpunkte wieder. Peter, die vorn neben Schorsch im Co-Pilotensessel saß, klatschte vor Entzücken in die Hände. Sie zeigte nach vorn zum Horizont, wo die Lichter zusammenstießen und, eine Mauer bildeten, eine Wand als flögen wir in einer Glocke von Sternen. Sie wollte mich darauf aufmerksam machen und drehte sich um. In diesem Augenblick beugte sich die neben mir sitzende Lil zu mir und küßte mich schnell auf den Mund.
Peters Miene wurde zu Eis. „Gehen Sie nur nicht zu heftig ran, Miss Ferguson", sagte sie nach dem ersten Schreck, schnell, gefaßt. „Mister Hurt liebt druckfeuchte Offerten billiger Massenartikel gar nicht." Schorsch lachte wiehernd und gähnte gleichzeitig und fragte, ob ich nicht endlich mal gedächte, ihn abzulösen. Die Kurverei im Radarbereich der australischen Küstenverteidigung sei nicht unbedingt erfreulich und erholsam gewesen. Ich blickte zu Lil. Sie saß ganz still in dem Sessel, hatte den Kopf auf die Rückenlehne gelegt und die Augen geschlossen. Als ich mich erhob, faßte sie, ohne die Augen zu öffnen, nach meiner Hand und sagte leise: „Bleib, ich möchte euch etwas sagen." „Sie will um deine Hand anhalten", krähte Peter unpassend und taktlos dazwischen. „Meinen Segen habt ihr!" Ich ranzte sie an, sie möge den Mund halten, wenn Erwachsene sich unterhielten. Schließlich gehörte sie längst ins Bett! Aber da begann die Dame Ferguson, mich zu stoppen und eine Rede zu halten, die uns alle stumm wie die Karpfen dasitzen und uns im stillen fragen ließ, ob das ein blöder Traum war oder unsere Gehirne an Mangelerscheinungen litten. Sie sprach so leise, daß man es bei dem durch die Kanzelabdeckung dringenden Motorenlärm kaum hören konnte. Dennoch traf uns jedes Wort, als wäre es laut gebrüllt worden. „Sie sind bis auf Miss Bloom keine echten Amerikaner. Ich nehme an, Sie sind Deutsche. Es ist nicht schwer zu folgern, daß Sie in geheimer und außerordentlicher Mission reisen. Bei Betrachtung der Lage liegt der Schluß nahe, daß Sie Angehörige jener mysteriösen Forschungsgruppe sind, die seit Jahren irgendwo in der Südsee herumexperimentiert. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie deutsche Marineoffiziere sind. Das Bild von Ihnen paßt genau in die Version internationaler Zeitungsmeldungen, wonach bei Kriegsende ein Boot des sagenhaften Walther-Typs, besetzt mit einer jungen U-BootCrew, inmitten einer unbewohnten und schwer zugänglichen Inselgruppe Zuflucht gefunden hat vor den alliierten Häschern. An Bord sollen sich die beiden hervorragendsten Nachwuchs
Physiker Deutschlands befunden haben, denen es im Verein mit der großartigen Besatzung gelang, inmitten der Wildnis ein Forschungszentrum größten Stils aufzubauen. Vielleicht war an den Berichten manches übertrieben, jedoch lag in allen Versionen eine zwingende Logik. Verantwortungsbewußte Forscher fliehen aus einer Welt voll Lüge und Verrat und Mord und Haß in die paradiesische Abgeschiedenheit eines einsamen Atolls, um dort zum Wohle der Menschheit zu arbeiten und..." Hier faßte ich mich. Ich blickte zu Schorsch, der wie angenagelt in dem Pilotensitz lag, und zu Peter, die mich entsetzt anschaute und auf ihrer Unterlippe kaute. „Das ist eine feine Geschichte, Lil!" sagte ich. „Phantastisch geeignet zur Verfilmung. Man könnte sogar eine ganze Filmserie daraus machen. Ähnlich wie bei Tarzan! Das Publikum würde darauf fliegen. — Aber uns verschone bitte mit solchem Stuß!" Sie lächelte etwas. Sie öffnete die. Augen und sah mich voll an. Dann kramte sie aus ihrer Tasche eine Zigarette, steckte sie an und machte ein paar Züge. „So was ist kindisch, Jack", sagte sie dann unvermittelt, „wir sollten die ganze Sache auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Es wäre ausgesprochen töricht, wolltet ihr jetzt noch bluffen. Der Fall ist doch klar." Ich blickte an Lils Kopf vorbei zu dem kleinen runden Kabinenfenster. Ich sah in das Sternengewimmel, das unendlich zu sein schien und in dessen Ferne irgendwo das Deutsche Atoll lag, unsere Heimat, das bestimmende Wesen unseres Lebens, mehr noch, vielleicht die Wiege einer neuen Zeit, einer Zeit, in der aus den Verstrickungen einer im Chaos sich windenden Gesellschaftsordnung, aus Haß und Gier, aus Mord und Not, aus religiösem Wahn und politischer Verblendung eine Menschheit lernt, sich einzufügen in die Ordnung des Alls, das bestimmend uns umgibt. „Okay", sagte ich laut mit einem Krächzen, das mich wütend machte. „Und wie heißt die Firma, in deren Auftrag du hinter uns herreist?"
Sie nahm wieder ein paar Züge und lehnte sich behaglich zurück. Sie sah unverschämt gut aus dabei, aber sie verstand es, unaufdringlich zu bleiben und zurückhaltend sympathisch zu wirken. „Es gibt keine Firma. Die Firma bin ich! Ich bin wahrhaftig nur hinter meinem Job hergewesen. Ich habe einen Faible für die Südsee. Ich glaube, es gibt nichts auf der Welt, was mich mehr reizt als die pazifische Inselwelt. Ich habe schon auf dem College alle Berichte verschlungen, die aus diesem Raum kamen. Und als ich mich auf meine neue Stellung vorbereitete, stieß ich erneut auf Berichte in französischen Zeitungen, in denen das rätselhafte Walsterben von Hunderten dieser kostbaren Tiere in Zusammenhang gebracht wird mit den ‚unkontrollierten' Experimenten jener deutschen Gruppe. Es ist da doch nur zu verständlich, daß ich mir wünschte, es möchte mir gelingen, auf meinen künftigen beruflichen Fahrten durch den Pazifik das Eiland zu entdecken, auf dem eine neue* Welt geschmiedet wird." Da begann Schorsch zu lachen, und auch ich grinste etwas, nur Peter biß weiter auf ihrer Unterlippe und sah zum Fressen süß aus in ihrer Verwirrung. „Ein frommer Wunsch!" lächelte ich. „Er bewegte Hunderte von Such-Piloten, stolze Flottenadmirale und ein ganzes Heer von Detektiven. Immerhin, es blieb Lil Ferguson vor-. behalten, den ersten Schritt in richtiger1 Richtung zu machen. Darf ich fragen, Goldkind, wie Sie sich nun Ihre Zukunft vorstellen?" Sie blickte erstaunt hoch, denn meine Stimme hatte nicht sehr innig geklungen. „Meine Zukunft?" sagte sie gedehnt. „Nun, ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Obwohl, es ist natürlich eine veränderte Situation... aber, kommt Zeit, kommt Rat!" „Na schön", grinste ich, „nehmen wir mal an, es war wirklich nur ein Zufall, daß Sie uns in Verbindung mit dem Deutschen Atoll brachten. Was, glauben Sie, ist nun zwangsläufig unser nächster Zug in der von ihnen unglückseligerweise begonnenen Partie?"
„Schwer zu sagen, Jackie! — Das Einfachste wäre, ihr öffnet dort die Tür und schmeißt mich raus. Dann seid ihr mich und damit zunächst mal alle Sorgen los! Ja, je länger ich darüber nachdenke, will mir scheinen, daß euch gar keine andere Wahl bleibt, als mich zu beseitigen. Ihr müßt mich töten, wenn euer Geheimnis gewahrt bleiben soll. Mich auf das Atoll zu verfrachten und dort zu internieren, dürfte unklug sein, denn das dortige spartanische Leben der Männersiedlung würde durch die Anwesenheit einer Frau..." „Quatsch", sagte ich rauh, „bei uns wird der Charakter nicht in Hubraum oder nach der Kontohöhe gemessen wie in der zivilisierten übrigen Welt. Und sooo spartanisch lebt man auf unserer Insel gar nicht, aber auch ich komme immer mehr zu der Überzeugung, daß es das beste wäre, die Kabinentür zu öffnen und zuzugucken, wie Miss Ferguson aus USA ohne Fallschirm in ihren geliebten Pazifik springt!" „Darf ich auch mal was sagen?" meldete sich der rauhe Baß von Schorsch. „Man könnte das nackte Grausen kriegen, wenn man sich anhört, was ihr da hinten für Stuß verzapft. Wir setzen das Goldkind bei Morgengrauen bei der nächsten Landemöglichkeit ab und starten wieder. Sie kann dann bei den Zeitungsredaktionen hausieren gehen und ihre Geschichte zum besten get)fen. Sicher kriegt sie dann einen feinen Posten in der Irrenanstalt. Niemand glaubt doch an so eine wilde Story: Gefangene der beiden Atoll-Agenten! Für solch eine offensichtliche Ente gibt auch das mieseste Provinzblatt nicht 'ne lausige Millimeterspalte her!" „Vielleicht doch", lächelte die Ferguson verträumt. „Vielleicht doch..." Sie kramte in der Handtasche und holte ein zerknautschtes Stück Zeitung heraus. Sie glättete es mit einer flüchtigen Bewegung. „Der Artikel stammt aus einer deutschen Fachzeitung, dem ,Delphin', einer Zeitschrift für den Unterwassersport. Man wird ihm bestimmt nicht unterstellen können, daß er unkontrollierte Sensationsmeldungen bringt, bei den Auslandsbeziehungen, die von deutschen Unterwassersportlern gepflegt werden..."
Peter reckte sich hoch und schaltete die Deckenleuchte ein. Ich las halblaut vor... „Delphin-Sprünge — Aktuelles aus aller Welt — Suva (Fidschi-Inseln): Die Kreuzfahrten eines geheimnisvollen Ü-Bootes im Gebiet der Fidschi-Inseln beunruhigen seit Tagen die Bevölkerung dieser tropischen Inselgruppe in der Südsee. Am Montag wurde das Unterseeboot wieder beobachtet, nachdem bereits mehrere Augenzeugen unabhängig voneinander über das Auftauchen des geheimnisvollen Fahrzeuges berichtet hatten. Versuche eines neuseeländischen Aufklärungsflugzeuges, die Nationalität des U-Bootes festzustellen, verliefen erfolglos. In der Hafenstadt Suva auf den Fidschi-Inseln werden die Berichte über das Auftauchen des ,Geister-U-Bootes' in Verbindung gebracht mit dem bisher unaufgeklärten Rätsel um das Verschwinden des Ausflugbootes ‚Joyita' im November vergangenen Jahres, das mit fünfundzwanzig Personen an Bord aus dem Hafen Suva ausgelaufen und Wochen später, völlig unbeschädigt im Südpazifik treibend, aufgefunden worden war. Von den Besatzungsmitgliedern und Passagieren fehlte jede Spur. Es wurden damals die verschiedensten Theorien über Unfall, Seebeben oder Piratenüberfall aufgestellt, ohne daß es für eine dieser Theorien auch nur die geringsten Anzeichen von Beweisen gegeben hätte..." „Keine schlechte Story, wie?" lächelte die Ferguson. „Weder das Auftauchen des U-Bootes noch das Verschwinden der Menschen von der gänzlich unbeschädigten ,Joyita' kann geleugnet werden. Es ist in amerikanischen Zeitungen viel Aufhebens von der Sache gemacht worden. Man schlachtete die Meldung dahingehend aus, daß russische Submarines Versorgungsstützpunkte im Pazifik anlegen, so eine Art Unterwasser-Depots, und daß ebenfalls die Russen per Unterseeboot großangelegte Agenten-absetzund Auffangbewegungen durchführen. Man hatte damit eine Erklärung für das Verschwinden der fünfundzwanzig ,Joyita' Passagiere. Aber als die Angehörigen der Opfer protestierten und nachwiesen, daß die Verschwundenen alles andere als
russische Agenten waren, die man abgeholt hatte, und auch als die Navy einen Wink gab, so einfach wäre alles nicht, da dementierte man zweizeilig auf der letzten Seite im Anzeigenfriedhof. Das Rätsel blieb ungelöst. Es blieb jedem überlassen, sich seine eigene Theorie zurechtzulegen." „Und das hat die Dolmetscherin Lil Ferguson natürlich nur aus Berufsinteresse getan!" spottete ich. „Ich bin direkt ergriffen!" „Nicht nur deshalb!" erwiderte sie ungerührt und mit unüberhörbarem Gegenspott. „Mein Interesse hatte durchaus reale Hintergründe. Ich rechnete mir aus, was derjenige von den internationalen Nachrichtenagenturen geboten bekommen würde, wenn er das Geheimnis jenes ,German Island' durch authentische Berichte und dokumentarisch beweiskräftige Fotos entschleiern könnte." „Ist ja lustig", knurrte Peter, „und was kam bei der Rechnung heraus?" „Genug, um einen Lebensstandard zu sichern, von dem ich als kleines Mädchen schon träumte. Eine Villa in Bei Air bei Hollywood, ein Traum-Auto, eine Jacht, ein Flugzeug, die Hälfte des Kapitals spekulativ investiert, die andere Hälfte auf Sicher deponiert!" Habe ich Innen nicht gesagt, daß diese Dame außerordentlich veranlagt war? Sie konnte mehr, als man ihr zugetraut hätte. Sie besaß außer sichtbaren Vorzügen auch Talent, zu lügen, ohne daß man es ihr übelnehmen konnte. Ich gähnte und fragte Peter, ob sie daran gedacht hätte, etwas Proviant mitzunehmen. Sie war über den plötzlichen Themawechsel überrascht, schaltete aber sofort und reichte mir einen Cellophanbeutel mit einigen Sandwichs. Ich klopfte Schorsch auf die Schulter, informierte mich kurz über den Instrumentenstand und klemmte mich hinter den Knüppel. Ich gähnte noch einmal, und während ich eine keine Kurskorrektur vornahm, begann ich zu essen. Zwanzig Minuten später — niemand hatte bis dahin etwas gesagt, nur Lil hatte schweigend geraucht und irgendwelche Schlager gesummt — schaltete ich das Sprechfunkgerät ein. Wir näherten uns dem neuseeländischen Radarbereich. Es
stand zu erwarten, daß die Peilstellen uns anriefen. Durch den australischen Sperrgürtel hatten wir uns mit Hilfe eines einfachen Tricks manövrieren können. Wir waren zwei Minuten vor dem Passieren eines TWA-Flugzeuges auf dessen Kurs gegangen, Ratten uns als die offizielle Kursmaschine ausgegeben. Der Schwindel mußte dann aber bald aufgeplatzt sein' als die richtige Maschine sich meldete. Theoretisch mußten die Einflug-Sperrorgane Neuseelands also bereits gewarnt sein, aber ich vertraute auf die Laschheit der in der Monotonie ihres Dienstes träge gewordenen Luftfahrtrekruten und konnte mir das Lachen kaum verbeißen, als ich mich auf die Anfrage als TWA-Passagierflug „108" ausgab und Landeerlaubnis anforderte. „Okay, Joe", grunzte der Onkel von der Bodenstelle, „ihr seid früh dran heute? Hattet ihr Rückenwind?" „Und was für welchen!" gab ich zurück. „Was machen die Mädchen von Auckland?" „Oooooh... plenty good, Joe! Es sind wahrhaftig flotte Puppen!" Er quatschte noch 'ne Weile, und ich überlegte mir, ob ich schon jetzt nach Norden abdrehen sollte oder erst über dem Landinneren. Die Kermadec-Inseln konnte ich mit unserer Spritreserve sowieso nicht mehr erreichen. Ich sagte dem Heini da unten, daß ich jetzt abschalten und auf die Platzfrequenz gehen müßte, da wir Benzin verloren hätten und zwischentanken müßten. Er lachte. „Na, da kommt doch runter, wir schwimmen hier in Flugbenzin. Bloß die Maschinen fehlen noch. Die kommen erst, wenn die Rollbahn fertig ist. Brauchen ja einen Teppich unter die Räder die Herren Amis!" „Gib nicht so an, wir landen auf jedem Acker!" „Na, dann kommt doch..." „Bohre nicht mit dem Finger in der Nase!" sagte ich. „Ende!" Es war so einfach. Ich drückte und ging auf zweihundert Meter hinunter. Es war nicht viel von dem Flugplatzbau zu erkennen, nur ein Stück Rollbahn, das direkt am Ufer begann, und zu beiden Seiten hochaufgetürmte Erdmassen. Irgendwo dahinter brannte Licht.
Es wäre einfacher gewesen, auf dem Platz in Auckland zu landen, aber schwieriger, den dringend benötigten Brennstoff zu beschaffen. Außerdem war es ratsam, erst mal eine Weile verschwunden zu bleiben und nicht überall unangenehm aufzuplatzen. Ich drehte mich um. „Haltet euch ein wenig fest, es wird ganz schön rumpsen!" Ich drückte noch einen Zahn an und flog in eine Schneise ein, die ganz manierlich aussah, von deren Bodenbeschaffenheit ich jedoch nichts wußte. Vielleicht werden Sie denken, es sei ganz und gar blödsinnig in solchen Situationen die Maschine zu riskieren und eine Bruchlandung, die uns fürs erste mattgesetzt und wahrscheinlich auch etwaigen Fahndungsbeamten in die Hände gespielt hätte. Schließlich war unser Verschwinden von Bord der „Lizy" und aus Australien mehr als verdächtig gewesen. Aber auf dem offiziellen Flugplatz hätten wir uns der Platzkontrolle nur unter Androhung von Waffengewalt entziehen und mit gleichen Mitteln das Benzin beschaffen müssen. Das hätte ungeheures Aufsehen erregt und eine Interpol-Fahndung eingeleitet, während jetzt immer noch zu hoffen war, daß die Fahndung auf Australien beschränkt blieb. Ich. ging ganz sacht herunter und kitzelte den Boden mit den Rädern. Ich drückte millimeterweise nach und faßte eine glatte ebene Grasnarbe, von der nur zu hoffen war, daß sie nicht durch Gräben oder Aufschüttungen unpassierbar war. „Verrückt!" war der einzige Kommentar zu der Landung, als wir ohne anzuecken, ausgerollt waren. Er kam von Miss Ferguson. Es lag soviel Bewunderung darin, daß Peter gnatschig sagte: „Fliegen kann er ja, Miss Ferguson, ob er aber auch auf Sie fliegt...?" Dann stiegen wir aus. Der Platz war gut zu erkennen. Wir standen einige zweihundert Meter vor einem Barackenkomplex, links von uns zog sich eine lange Buschgruppe hin, und rechts standen Planierraupen und LKWs in langer Schlange hintereinander. „Laßt mich verhandeln", sagte ich kurz. „Sie werden gleich in Scharen kommen und eine Notlandung vermuten!"
Peter und Lil hockten sich auf die Tragfläche. Ich nahm Schorsch zur Seite und wollte ihm etwas flüstern, aber er wehrte ab und knurrte, daß er schon auf diese Puppe aufpassen würde und ich ganz beruhigt sein könnte. Wir warteten fast eine Viertelstunde, aber nichts regte sich in der Gegend. Ich steckte die Hände in die Taschen und stiefelte los. Es nieselte, daher schlug ich den Kragen hoch. Ich pfiff den Yankee-Doodle und fand, daß meine Stimmung besser als das Wetter war. Bei den Baracken angelangt, erkannte ich den Grund der Nichtbeachtung, die man uns freundlicherweise entgegenbrachte. Die Besatzung der Baustelle hockte in einem verräuchert ten Raum, der wohl die Kantine darstellte, zusammen und grölte zu dem Lärm, der aus ein«*' auf vollen Touren laufenden Music-Box kam. Ich sprang vom Fenster in den Schatten zurück als die Tür aufging und rülpsend und lärmend zwei Burschen herauskamen, die sich an die Barackenwand stellten und dann wie- der zurückgingen. Ich wandte mich nach rechts, wo aus einem kleineren Gebäude helles Licht kam. Antennenmasten standen daneben, und es war nicht schwer zu erkennen, daß es sich um den Sitz der Bodenkontrolle für diesen Abschnitt handelte. Ich öffnete die Tür und sagte laut: „Schöne Grüße von den Puppen aus Auckland!" , Der Jonny wirbelte auf seinem Drehschemel herum und starrte mich entgeistert an. Er hatte in einem Buch gelesen und den Radarschirm überhaupt nicht mehr beachtet. „Steh auf, du Lümmel!" sagte ich heiter. „So ein pflichtvergessenes Päckchen wie dich müßte man in Scheiben schneiden und zur Bekämpfung der Rattenplage an ungeziefergefährdeten Stellen auslegen!" Er glubschte ganz perplex und bekam kein Wort heraus. Ich ging zu ihm, hob das heruntergefallene Buch auf und mußte mir ein Lachen verbeißen. Es war eine Reiterlein-Übersetzung! „So was liest du?" sagte ich barsch. „So was liest du, statt das Vaterland zu verteidigen?"
„Es... es ist doch... so spannend", stotterte er. „Die anderen haben's zweimal gelesen... und ich..." Ich machte eine Handbewegung zum Radarschirm. Deutlich zeigte sich der Punkt einer anfliegenden Maschine. „Es ist die TWA nach Auckland", sagte ich etwas freundlicher. „Sei nett zu den Jungs und überlege dir jedes Wort!" Ich steckte die Hände in die Tasche und sah ihn an. Er verging beinahe und sah zweimal daneben, als er nach dem Handmikrophon grabschte. Er sagte sein Sprüchlein und sah ungesund aus, als er sich wieder zu mir drehte. „Wer sind Sie, Sir?" hauchte er ergeben. „Es wird nie wieder vorkommen, ich bereue es sehr und..." Ich nickte und nahm ihm das Mikrophon aus der Hand. Ich schraubte die Kapsel auf und ließ die Elemente auf den Boden fallen. Ich trat drauf und zerdrückte sie mit dem Absatz. Dann legte ich zwanzig Dollar auf den Tisch. „Für ein neues! Komm mit!" Er faßte sich an den Kopf und stöhnte, als wäre er unter die Räuber gefallen. Er machte nicht den Eindruck, als könnte er sonderlich gefährlich werden. Ich erklärte ihm freundlich und ruhig seine Aufgabe. Er nickte mehrmals heftig mit dem Kopf und versprach alles zu tun, was in seinen Kräften stände. Er verbeugte sich dabei vor meiner Automatic und legte die Rechte auf die Brust. Es war nicht viel los mit ihm, ein ganz kleiner Fisch! Er trippelte vor mir her zu der Kantine. Er öffnete die Tür und wollte mich mit einer Verbeugung vorgehen lassen. Ich klopfte ihm auf die Schulter, daß er in den Knien weich wurde, und schob ihn vor mir her in den verqualmten Raum. „Höö... Ted", brüllte einer, „bist du bescheuert? Du bist doch Funker vom Dienst... na, nun guckt euch den Kleinen an... er soll..." Dann brach er ab, denn mein Macker hob die Hände und rief: „Alle mal herhören! Ein Kurierflugzeug aus Australien ist eben gelandet. Es muß betankt werden. Anweisung aus Auckland! Schaltet die Scheinwerfer ein!" Es wurde schlagartig still in dem Laden. Nur die Box wimmerte die amerikanische Version von „Schön war die Zeit..."
Dann erhoben sich einige von den Burschen und kamen auf uns zugestolpert. Ich grinste ihnen entgegen und bohrte dem Macker den Zeigefinger ins Kreuz. Er schlackerte am ganzen Körper. Er ging mir während der ganzen Zeit «nicht von der Seite. Er lobte die fliegerische Glanzleistung, ohne Einweisung auf einem fremden Platz, der eigentlich gar kein Platz war, gelandet zu sein und trieb seine Kumpels zur Eile an. Ich konnte wirklich zufrieden sein mit dem Kundendienst der neuseeländischen, Streitkräfte. Nur eins gefiel mir nicht. Der Kleine wurde zu ruhig. Er bewegte sich ganz lässig und wagte ab und zu mal einen Scherz. So verbeugte er sich vor den Mädchen und nannte sie „seine hochgeschätzten, verehrungswürdigen, direkt vom Himmel gefallenen Engel!" „Gefallene Engel?" mokierte sich Peter. „Er soll bloß aufpassen, daß ich ihm nicht gleich an den dreckigen Hals springe..." Es schien alles in bester Ordnung. Wir wurden bis an den Rand voll getankt. Es konnte nach menschlichem Ermessen nichts mehr passieren. Die Jungs waren sämtlich unbewaffnet, der Kleine an meiner Stelle schied ganz aus, und sowie der Tankwagen die Schlauchverbindung gelöst hatte, konnten wir starten. Das Feld wurde mit den Scheinwerfern voll ausgeleuchtet. Die Tanks waren voll. Das Benzin lief literweise über die Flächen. Dann wurden die Verschlüsse aufgesetzt, ich lächelte dem Macker unmißverständlich zu und stieg über den Flächentritt nach vorn zur Kanzel. In diesem Augenblick geschah es.. Ein kleiner Funken flammte auf, flog durch die Luft und landete mit leichtem Klirren auf der nassen Fläche. Zischend loderte eine blaue Flamme auf, und in Sekundenbruchteilen stand die ganze Fläche in lodernden Flammen. „Es sind Spione", schrie der Funker, in den Schatten rennend. „Spione... Spione..." Er kreischte, und seine Stimme überschlug sich in wilder Wut und heulendem Haß. Er hatte das Feuerzeug geworfen, und ich hätte eine ganze Menge dafür geboten, ihn jetzt in meine Arme schließen zu dürfen, aber ich
hatte anderes zu tun. Ich warf mich der Länge nach auf die Fläche und rollte in die Dunstflamme hinein und wälzte mich, um mich schlagend, bis zum Flügelrand. Ich brüllte nach Schorsch, aber der hatte längst geschaltet und den Schaumlöscher aus der Halterung gerissen. Er spritzte aus dem eingeschlagenen Kabinenfenster, und während ich darauf wartete, daß wir in die Luft flogen, erstickten die Flammen unter der weißen Schaumschicht ebenso schnell wie sie aufgelodert waren. Ich triefte vor Schaum, als ich eiligst zurückkletterte, während Schorsch schon durchstartete. Irgendwo hämmerte eine Maschinenpistole los, in deren Salventakt ein paar weitere einfielen, und Lil Ferguson hinter mir sagte: „Sie sind ein Zuckerjunge, Mister Hurt! Wenn das Schlagsahne wäre, würde ich Appetit bekommen." Peter warf mir einen Lappen an den Kopf. Sie sagte schnippisch, ich sollte mich abwischen, die krankhafte Phantasie gewisser Damen würde sonst zu sehr erregt werden. Ich gähnte und antwortete nicht. Ich trocknete mich ab, gähnte noch ein paarmal und kippte dann die Rückenlehne meines Sessels in Schlaf Stellung. Ich legte mich zurück und schloß die Augen. Das letzte, was ich vor dem Einschlafen hörte, war eine Bemerkung Peters zu Lil. „Kein Wunder, daß Sie so einen verlebten Teint haben bei Ihrer Qualmerei! Dann brummten die Motoren, und ich schlief ein. * Schorsch übergab mir die Maschine und sah mich fragend mit einer Kopfbewegung zur schlafenden Ferguson an. „Es war verrückt, sie mitzunehmen, Hanns! Jetzt haben wir sie auf dem Hals!" „Na und? Sieht doch gar nicht so unflott aus!" „Er brummte sich was in den Bart, was nicht sehr freundlich war und warf sich in den nächsten Schlafsessel. Ich wußte, wie ihm zumute war und ahnte, was in ihm vorging.
Sehen Sie, als wir damals als blutjunge Sprinter mit unserem U-Boot unter Führung von Kapitänleutnant Reckmann die Südsee aufsuchten, um ein Versteck für uns zu finden, da hatten wir nicht geahnt, auf welche Schwierigkeiten unsere Robinsonade in den kommenden Jahren stoßen würden. Der Kommandant hatte es gewußt. Er hatte ein Ausbildungsprogramm aufgestellt, das aus jeden von uns einen topfitten Allroundman. machte. Und während er mit Dr. Dr. Bertram und Dr. Ing. Steinberg die Forschungsstätte aufbaute, hatte man Schorsch und mich auf den Einsatz ‚draußen' vorbereitet, hatte uns jahrelang systematisch gedrillt und im Unternehmen ,Tuamotu' unter wilden Umständen nach Chile auf die Reise geschickt. Damals war durch einen Zufall das Mädchen Peter zu uns gestoßen, von dem wir anfangs geglaubt hatten, es sei ein Junge. Sie war bei uns geblieben die ganzen Monate hindurch, in denen wir von einer Schlacht in die andere getaumelt waren. Die Zusammenstöße mit der Unterwelt, vornehmlich in den Nordstaaten von Amerika, hatten uns Zeit gekostet, wiederum aber eine Menge harter Dollars eingebracht. Auf Anweisung von Reckmann, unserem ‚Inselfürsten', wie wir ihn scherzhaft nannten, hatten wir dann beigedreht und alles vermieden, was uns in neue Schwierigkeiten stürzen konnte. Der letzte uns erteilte Auftrag hatte folgendermaßen gelautet: „Feststellen Ursache politischer Gärung im pazifischen Raum. Mutmaßlicher Ursprung: Australien und Philippinen. Beobachtung der Weiterentwicklung! Eingreifen nur bei Gefahr fürs Atoll!" Unser Abhördienst auf dem Deutschen Atoll hatte seit längerer Zeit die offiziellen und privaten Funk- und Pressemeldungen über gewisse politische Vorgänge im Pazifik verfolgt. Aufsässige Eingeborene hatten in hartnäckigen Streiks erzwungen, gewisse Zusagen zur Erweiterung ihrer nationalen Rechte zu bekommen. Stammesfürsten hatten den kolonialen Verwaltungsbehörden in Dutzenden Fällen den Fehdehandschuh hingeworfen. Morde an Pflanzern, Waffendiebstähle, Brandstiftungen und andere Verbrechen
hatten genau die Atmosphäre geschaffen, in der Guerillakriege gedeihen. Logischerweise stellte dies eine gewisse — wenn auch nicht besonders schwerwiegende — Bedrohung unseres Eilandes dar. Wieso, das mag vorerst noch dahingestellt bleiben, jedenfalls hatte sich der Chef etwas dabei gedacht, als er uns befahl, diese Entwicklung aufmerksam zu beobachten. Wir waren dann ja auch gleich aufgebrochen und zwischen Bayong und Australien in den Schlamassel auf ChatanoogaLizy geraten. Der Kahn hatte eine illegale Waffenladung an Bord gehabt und sich darin allerdings in nichts von diversen anderen Schiffen unterschieden, die auf allen Meeren ähnlichen Ladungen in ‚unterentwickelte' Länder schaffen. Wie recht wir dann gehandelt hatten, als die Sache drohte, große Ausmaße anzunehmen und uns überpopulär zu machen, bewies die Kombination der kleinen Lil, die haargenau ins Schwarze getroffen hatte und bei der lediglich noch festzustellen war, wer ihre Sintermänner waren. Daß sie als Amateurdetektivin dem Phantom ‚Deutsches Atoll' nachgejagt war, schien zumindest zweifelhaft. Dennoch bildete Lil Ferguson den kleinsten Anteil an den Problemen, die ich zu verdauen hatte. Da waren noch 'ne Menge anderer Gedanken. Wir flogen in nördlicher Richtung und schwenkten nach einer bestimmten Zeit nach Osten, um dann wieder auf Nord-OstKurs zu gehen. Ich vermied die offiziellen Flugstraßen über das Stützpunkt-System in diesem Gebiet und flog in dreitausend Meter Höhe bestimmte Umgehungskurse, bis wir am Spätnachmittag in grader Sicht voraus die Silhouette einer winzigen Insel ausmachten. Es war gegen achtzehn Uhr, als wir landeten. Zehn Minuten später sandte Schorsch die ersten Zeichen auf der mit dem Atoll verabredeten Frequenz in den Äther, und eine Minute darauf hatten wir die Empfangsbestätigung. Wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt reichlich 2000 Meilen von dem Atoll entfernt und sendeten mit ganz geringen Energien, die normalerweise nicht einmal 200 Meilen überbrückt hätten. Die neuartige Funktionsweise des auf dem
Atoll arbeitenden Empfängers ermöglichte jedoch spielend den Verkehr. Dabei konnten sowohl meine Trägerwelle wie die des Atolls beliebig verzerrt und durch einen zweiten Sender im eingepeilten Schnittpunkt wieder entfernt werden. Es wäre also durchaus gefahrlos gewesen, Klartext zu senden, doch es bestand bei uns das grundsätzliche Gebot, jede Telegrafieoder Sprechsendung zu chiffrieren. Ich las Schorsch halblaut den Chiffretext vor, er hämmerte ihn hinaus; dann bekamen wir die lapidare Antwort, daß wir nach eigenem Ermessen handeln sollten, auf keinen Fall jedoch nach Australien zurückgehen, bevor Gras über die Chatanooga-Story gewachsen wäre. Als neuen Ausgangspunkt für künftige Operationen wurde uns Suva auf den Fidschis empfohlen und wöchentliche Berichterstattung angefordert. Wir sahen uns an. Knurrend nahm Schorsch die Kopfhörer ab. „Mein lieber Mann", sagte er, „die Herrschaften im Paradies wünschen, nicht gestört zu werden. Wetten, daß die gerade bei der Erprobung der neuen Projektile sind? Möchte nur wissen, was es mit Suva auf sich hat..." Ich drehte mich zu den Mädchen um. Sie säßen ganz friedlich beieinander. In Peters Augen schimmerte es wach und forschend. „Etwas Wichtiges?" Ich nickte. „Ja! Wir machen drei Tage Ferien! Die Palmen auf dieser Insel müssen mal geerntet werden, außerdem ist mir nach Schlafen zumute." „Mir auch", lächelte Lil. „Sehr sogar!" Ich konnte es nicht verhindern, daß ich rot anlief, obwohl ich wahrhaftig kein heuriger Hase mehr bin. Peter sah das und grinste spöttisch. Ich räusperte mich und schluckte alles, was heraus wollte herunter. Ich wandte mich an Schorsch. „Die Mädchen schlafen unter der linken, wir unter der rechten Tragfläche. Die Kiste wird nach Luftsicht getarnt. In dreimal vierundzwanzig Stunden werden sich die Gemüter in Australien und Neuseeland etwas abgekühlt haben, so daß wir den Start nach Suva wagen können. Ich habe das lausige Gefühl, daß es
dann in allen Kartons rumpeln wird, deshalb rate ich, die kommenden Tage mit Schlafen zu verbringen!" Die drei schauten mich an. Ich drehte mich um, stieg in den Kahn und ließ ihn mit Standgas an eine Gebüschgruppe rollen. Mit dem Bordwerkzeug schlugen wir dann Tarnmaterial ab und verbrachten den Abend mit dem Bau der beiden Unterkünfte. Lil wollte ein Feuer anmachen; ich blies sie daraufhin an und fragte sie, ob sie mit Macht Ärger machen wolle. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen. Schorsch holte Nüsse. Wir tranken die Milch und aßen schweigend. Es herrschte eine gereizte Stimmung. Vielleicht war es die Vorahnung auf die kommenden Ereignisse. Die Sterne zogen auf, und Peter drehte an dem Bordgerät. Tanzmusik aus Tokio. Ein amerikanischer Soldatensender brachte New-Orleans-Musik. Topsy Donaldson sang alte Blues. Ken Colyer mit seiner Skiffle-group löste sie ab. Wir lagen mit unter dem Kopf verschränkten Armen neben der Maschine in dem trockenen weichen Gras und starrten in den glitzernden Nachthimmel. Über uns schimmerte das Kreuz des Südens. Es war ein herrlicher Anblick. Wir schwiegen, lauschten der Musik und summten manchmal eine Melodie mit. Wir ahnten, daß dieser Friede vorübergehend war, daß wir Ereignissen entgegengingen, die den Bestand des Atolls gefährdeten und bei denen es nicht mehr nur darum ging, eine Handvoll Verbrecher auszuschalten, sondern das Leben der Kameraden zu schützen und das Werk zu bewahren vor dem Zugriff skrupelloser Bestien. Peter spürte, woran ich dachte. Sie schob ihre Hand langsam über das Gras zu mir und berührte mit den Fingerspitzen meinen Arm. Dann griff sie meine Hand und streichelte sie scheu. Ich erwiderte ihre Berührung und hätte sie ganz an mich ziehen mögen, ihr über das Haar streicheln und ihre jungen, vollen Lippen küssen. Meine Stimme war rauh, als ich sagte, es wäre Zeit zum Schlafengehen. Wir gingen schweigend auseinander.
Es dauerte Stunden, bis ich einschlief. Und dann träumte ich wirres Zeug. Ich sah Lil an einem Fallschirm über dem Meer schweben und ruderte in einem Boot, um sie zu retten. Aber sie fiel in das Wasser, bevor ich heran war. Sie rief laut meinen Namen, immerzu... Ich schlug die Augen auf und spürte sie neben mir. Sie flüsterte: „Hanns" und wieder „Hanns". „Was ist, Lil?" „Kommst du mit zum Strand?" Ich nickte und stand auf. Schorsch schnarchte. „Was ist mit Peter?" fragte ich leise. „Schläft fest und zufrieden wie ein Kind." Wir gingen in Richtung des phosphoreszierenden Brandungsstreifens. Wir küßten uns unterwegs und blieben dazu mehrmals stehen. Lil flüsterte irgendwelche dumme Sachen. Ich hörte nicht zu; die Brandung übertönte auch manches. Dann riß sie sich los und lief hinunter zum Wasser. Im Laufen streifte sie Bluse und Rock ab und ließ beides zu Boden flattern. Später sah ich noch zwei hauchdünne Etwas wie große Nachtfalter in den Sand schweben und hörte Lils Jauchzen, als sie sich dem Wasser entgegenwarf. Dann aber wurde sie plötzlich still und blieb stehen. Sie wandte sich um und kam mir mit langsamen Schritten entgegen. Ihr Körper war naß von der Gischt, ihre Lippen schmeckten herb nach der See und der Nacht. Die Sterne schimmerten Rockend in der Nässe ihrer Brust, sie lockten hinauf zu dem dunklen Mund, der sich mir immer wieder bot, bis ich ihn verschloß. Ich hob Lil auf und trug sie weiter. Ich lief mit ihr am Wasser lang bis ich einen Platz fand, der weich ud lauschig war und um den herum die Nachtblumen dufteten und die Luft erfüllten mit süßer Lockung. Lil sprach nicht. Aber ihre Bewegungen und die Glut in ihren Augen kosten mich in zärtlicher Hingabe. Der laue Wind trocknete ihren Körper und machte ihn weich wie Samt. Sie schlang ihre Arme um mich und hauchte meinen Namen. Ihre Lippen zuckten unter den meinen bis sie sich aufbäumte und in erlösender Hingabe an mich schmiegte.
Schwer und süßlich schlug der Duft der Blüten über uns zusammen, hüllte uns ein in den Zauber des Paradieses. In uns war nichts als Liebe, und um uns raunte der Wind, zirpten die Käfer, rauschte das Meer und raschelte das Gezweig unter dem Flügelschlag eines nachtmüden Vogels. Vergessen war die Welt voller Haß und Gefahr, ausgelöscht das Bild der Vernichtung und des Kampfes. Es war ein Traum. Und wie Träume sind, so war er kurz und das Erwachen aus ihm fiel schwer. Das Schlagen ihres Herzens war an meinem Ohr. Ich blickte hinaus zu den Sternen, vor die sich ein milchiger Schleier schob. Ich richtete mich auf und deckte meine Jacke über Lil. Sie bewegte sich im Schlaf, ihr Gesicht war ruhig und entspannt und lächelte. Sie zog ihre Beine an und tastete schlaftrunken mit einer Hand nach mir. Ich strich über ihren Arm und flüsterte beruhigend ihren Namen. Dann stand ich auf und ging zum Wasser. Der Wind war kühler geworden und die Brandung stärker. Ich zog mein Hemd aus und legte die Hose daneben. Ich lachte laut und befreiend und stürmte in die Wellen. Ich schlug im Kraulschlag das Wasser mit wuchtigen kurzen Hieben und freute mich meiner Kraft und dem Einssein mit dem Wind und den Wellen. Ich schwamm weit hinaus, drehte mich dann auf den Rücken und ließ mich treiben. Die Insel schwebte in meiner Sicht zwischen dem Wasser und dem Himmel. Auf der Insel waren meine Freunde und eine Frau, eine fremde Frau, die ich besaß und die doch nicht mein war. Ein Wesen aus einer Welt, die ich nicht mochte und das ich daher nicht lieben konnte. Das ich aber begehrte, mit jeder Erfüllung mehr. Ich warf mich herum und zog durch die Wellen zurück. Das Wasser umspülte meinen Körper und hüllte ihn ein wie in ein weiches Tuch. Bis die Brandung es mir herunterriß und ich nackt und bloß über den Strand lief, meine Sachen faßte und zurückging zum Lager unter der rechten Fläche des Flugzeuges. Ich schlief unruhig und wachte mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Peter badete unten am Strand. Ich ging in den nahen Buschwald und holte ein paar wilde Ananasfrüchte. Bei der Rückkehr ins Lager kam mir Peter entgegen. Sie trug
ein winziges Nylonhöschen in der Hand. Ihr Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. „Hallo, Jack", sagte sie, „die Insel scheint bewohnt zu sein. Irgendwelche Figuren schmeißen nachts mit Reizwäsche um sich!" „Reizwäsche?" knurrte ich. „Ausdrücke hast du manchmal." „Weißt du vielleicht von wem dieses geschmacklose Dingsbums hier stammt?" „Vermutlich von Miss Ferguson!" „Aha! Von Miss Ferguson! Und warum hat sie es ausgezogen?" „Frag sie doch selbst!" Sie lief flammend rot an und drehte sich auf der Stelle um. „Das werde ich auch, worauf du dich verlassen kannst!" Sie drehte sich um und lief gebückt unter dem Rumpf der Maschine auf die andere Seite. „Hallo, Miss Ferguson, ist das Ihr Fummel hier?" Ich begann laut zu pfeifen. Wissen Sie, ich habe was gegen Streit. Auch wenn die Streitenden hübscher als hübsch sind. Ich ging Peter nach und sah sie vor der sich schlaftrunken rekelnden Dame aus USA stehen. Sie schwenkte das Nylondings und machte ein Gesicht als wäre sie Vorsitzende eines Inquisitionsgerichts. „Was ist denn?" gähnte Lil „Wer sehreit denn so?" „Ob das Ding hier Ihnen gehört, möchte ich wissen?" fragte Peter mit penetranter Beharrlichkeit. Die Dame Ferguson zwinkerte und lächelte. Dann gähnte sie und hielt sich zwei Finger vor den Mund. Sie legte den Kopf etwas schief. Es war aufreizende wie sie lachte. „Oh, Jack", sagte sie, „es ist gar nicht nett, wie unachtsam du mit meinen Sachen umgehst. Ich habe dir doch gesagt, du sollst sie nicht am Strand liegen lassen. Haben Sie vielleicht auch mein Hemdchen gefunden?" Diese Frage brachte Peter fast aus dem Häuschen. Ich sah nur, wie sie in stummer Wut den Kopf schüttelte, mit dem Fuß aufstampfte und fortlief. „O Jackie", lachte Lil absichtlich laut, „wie konntest du meine besten Stücke nur so durch die Gegend schmeißen?"
Sie kniff ein Auge zu, schnalzte mit der Zunge, lächelte und drehte sich auf die Seite, um befriedigt weiterzuschlafen. „Du Kanaille", sagte ich freundlich, „darüber, sprechen wir noch mal!" Dann stiefelte ich Peter nach. Ich sah ihre Spuren im Sand. Sie muß ziemlich schnell gelaufen sein, denn ich holte sie erst ein ganzes Stück in Richtung zur nördlichen Inselhuk ein. Als sie mich hinter sich hörte, drehte sie sich um und streckte abwehrend beide Arme aus. Sie sah entzückend aus in ihrem Zorn, aber was sie schrie, war weniger angenehm. Sie schrie: „Bleiben Sie mir vom Leibe, Mister Hurt! Zehn Schritt Abstand. Ich will Sie nicht mehr sehen! So starren Sie mich nicht so grinsend an, Sie Scheusal, ich will..." Ich ging auf sie zu und nahm sie in meine Arme. Ich küßte sie auf den Mund und legte dann meine Lippen auf jede Träne, die über ihre Wangen rollte. Ich sagte eine ganze Weile nichts? Was sollte ich auch erklären? Moralisten wären schneller mit Worten bei der Hand gewesen. Schließlich sagte ich, daß sie sich verdammt nicht mehr um mich kümmern dürfte; denn unsere Lage sei nun mal ziemlich mies. Das Atoll stände vor entscheidenden Veränderungen, ich sei ein großer Haderlump, immerhin aber hätte die YankeeDame mächtig übertrieben, als sie behauptete, ich hätte ihre" Wäsche nächtlicherweise ekstasisch durch die Gegend geschmissen. Ich sehe ein, Kerlchen, daß es so nicht weitergeht. Wir verlassen übermorgen die Insel. Wir gehen zu den Fidschis und versuchen von Suva aus, die Vorgänge im Pazifik zu kontrollieren. In etwa vier Wochen fliegen wir zum Atoll, holen neue Aufträge und machen dann erst mal..." Ich hörte die Schritte und das Knacken der Sicherungen zu spät. Ich hielt in meiner Ansprache inne und konnte es nicht fassen, daß ich mich wie ein popeliger Anfänger hatte überraschen lassen. Ein halbes Dutzend dreckige Stimmen lachten, und einer grölte: „Aus den Ferien wird nichts, Bubi! Trete von der Miezekatze da zurück und streck deine verdammten Griffel in die Luft, sonst puste ich dir was unters Chemisett! Vorwärts, Bubi, worauf wartest du?"
Ich nahm die Hände halb hoch und drehte mich um. Ich hatte ganz schön geladen, Herrschaften. Ich sah mir die Versammlung von Strolchen an, spuckte aus und grinste so dreckig, wie ich konnte. Ich spuckte noch mal aus und bot im stillen dem Schicksal ein halbes Dutzend Rittergüter für einen Einfall. Vier von den Burschen kamen auf mich zu. Sie kamen von den Seiten, um ihren Kumpels nicht in die Schußbahn zu stolpern. Sie begrapschten mich und zogen mit Gebrüll meine Automatik aus der Hosentasche. Es waren junge Kerle, salopp, etwas verkommen, typische Großstadtcomber, Gangsternachwuchs neuen Stils. Zwei waren älter und nahmen offensichtlich Führerstellungen ein. Sie trugen Radom-Pistolen. Und es war 'ne lustige Preisfrage: Wie kommen australische Halbstarke in den Besitz polnischer Waffen, und was suchen sie mit dieser Ausrüstung auf einer Insel, die weit vom Schuß liegt und auf der es nichts zu holen gibt als ein paar saftige Früchte und die Illusion vom absoluten Frieden. Ich hätte gern das Spielchen mitgespielt, aber al sich sah, daß sie Peter mit denselben Griffen wie bei mir, 'nach Waffen durchsuchten, da gab es den längst fälligen Knacks. Ich schnappte zu und faßte einen am Gürtel, er riß den Mund auf, um zu schreien, aber er flog in die Schußlinie und wurde von den Radoms zur Sau gemacht. Und wie! Wissen Sie, ich könnte Ihnen eine Menge über diese Sorte Pistolen erzählen. Aber es genügt, wenn Sie wissen, daß der Neunmillimeter-Lauf lose im Mantel liegt und beim jeweiligen, sehr schnellen Rückstoß schräg nach unten und nach hinten stößt. Dadurch repetiert sie schneller, und der Schütze kann den sonst seitlich oder nach, oben ausbrechenden Stoß mit dem Handballen auffangen. Die Burschen, die vor ein paar Jahrzehnten diesen Knaller konstruierten, verstanden jedenfalls ihr Geschäft. Ich ziehe aber in jedem Fall unsere gute deutsche alte Parabellum vor. Nicht aus Chauvinismus, sondern weil es das einzige Modell ist, das man mit wenigen Griffen in eine echte Automatik verwandeln kann. Pistolen sind ja nur halbautomatisch, das heißt, nur der Ladevorgang wird durch
Automation bewirkt. Das Auslösen des Schlagbolzens, als das Schießen jeder Patrone, muß von der Hand durch jeweiliges, wiederholtes Durchziehen des Schußfingers gesondert veranstaltet werden. Bei unserer alten Parabellum kann man dagegen die Schlagbolzensperre wegfeilen und den Prügel in eine vollautomatische Maschinenwaffe verwandeln. Das und einiges andere hatten wir getan! Als ich jedoch sah, wie so ein Lümmel mit dem kostbaren Stück umging, faßte mich das nackte Grausen. Ich hechtete über den vor meine Füße stürzenden Toten und riß den Kerl, der an der Parabellum herumfuhrwerkte, herum und rollte ihn den beiden anderen vor die Füße. Peter erkannte die Chance. Die schrägen Vögel beschäftigten sich mit mir und ließen ihr ein ganzes Stück Vorsprung. Dann lief einer hinter her. Ich sah nur noch, daß sie, wie von Furien gehetzt, zum Lager zurücklief, dann bekam ich die ersten Hiebe in die Augen. Es wärmte mächtig an und zeigte den Asphaltlatschern, was ein durchtrainierter Mann alles kann, wenn man ihn ärgert. Sie brüllten, um sich Mut zu machen. Es wurde auch immer noch geschossen, nur war nicht festzustellen, von wem auf wen. Dann war ein Gesicht dicht vor meinen Augen, ein breiter Mund brüllte etwas Unflätiges, und er war entschlossen, mich zu zerreißen. Ich zeigte ihm, was ich davon hielt, und er fiel um und ging in sich. Irgendwann droschen sie mir die Radomschäfte über den Hinterkopf. Vielleicht habe ich vergessen, Ihnen zu sagen, daß die Radom-Pistole auch in der Ausführung mit Zickzackmagazin zu haben ist, was einen bedeutend dickeren Schaft erfordert. Dieses waren Zickzacklader! Ich fiel nach vorn, mit dem Gesicht direkt auf die Schuhe des Toten, die eigentlich keine Schuhe waren, sondern Sandalen. Es waren breite, hellgelbe Ledersandaletten, wie sie von einer gewissen Sorte Malern, Filmassistenten und männlichen Fräuleins bevorzugt wird. Mir wurde ganz schlecht. Ich übergab mich, wobei nicht festzustellen war, ob dies wegen der Sandalen oder der Gehirnerschütterung geschah.
Ich ärgerte mich maßlos, daß dieses Debüt nach so langer Pause mit einem glatten Sieg ein paar hergelaufener Flegel endete und beschloß,, im Einschlafen ihnen gelegentlich zu buchstabieren, wie mein Name geschrieben wird. Ich freute mich richtiggehend darauf und träumte etwas Seltsames. Ich stand bis zu den Knien im Wasser. Auf meinen Kopf zielte ein schielender Gangster mit einer übergroßen Kanone. Neben ihm stand Peter und lachte. Sie hielt einen ganzen Packen Nylonwäsche in der Hand und sagte: „Mit so vielen hast du mich schon betrogen!" Es war ein ganz ansehnlicher Stapel. Der Hund schoß, ich sah deutlich, wie er abdrückte. Es knallte auch, aber statt einer Kugel kam Miss Ferguson geflogen. Sie war naß und nackt und flog mir an den Hals und sang: Mit dir, mit dir, da möchte ich einmal angeln gehen! — Ich sang die zweite Stimme dazu! Es hörte sich sehr schön an, aber Peter schluchzte, sie würde es uns schon eintränken. Sie schmiß die Nylonhöschen und hemdchen in den Sand und lief weg. Ich wollte spaßeshalber mal die Fummelchen zählen, aber als ich hinschaute, lag ein Berg von Maschinenpistolen da. Sie waren verchromt und sahen sehr appetitlich aus. Sie richteten sich von alleine auf und hatten plötzlich Füße und Hände. Sie faßten sich unter und tanzten miteinander. Es war unsagbar blöd! Ich schüttelte nur den Kopf, und die süße Lil aus USA sagte: „Jetzt einen Diwan, ein Grammophon mit Tangomusik und dann auf hoher See bei Windstärke zwölf und kein Schiff in der Nähe!" „Fein!" nickte ich, „da würden wir aber lachen! Hahaha!" Dann trat mir jemand in den Leib. Es war so eine weibische Sandale mit einem dick behaarten Bein daran. Es war das unsympatischste Bein meines Lebens. Es trat noch, einmal zu, und ich wachte auf. * Im ganzen waren es sechzehn Mann, die mich umstanden. Mit Schorsch, Lil und Peter waren wir genau zwanzig. So weit zu zählen, reichte es gerade noch bei mir. Die sechzehn sahen
mich gespannt an und grienten gehässig, als ich die Augen ganz aufmachte und fragte, ob das hier 'ne Beerdigung wäre. „Noch nicht", antwortete der eine von den beiden Führern, „aber vielleicht wird eine daraus!" „Man kann nie wissen!" nickte ich mit der schmerzenden Birne. „Vielleicht machen wir auch ein Kinderfest mit Lampionbeleuchtung!" „Auch nicht schlecht! — Wer seid ihr?" „Touristen!" sagte ich. „Cooks Reisebüro hat uns dieses Eiland als nervenstärkend und erholsam bezeichnet. Außerdem sollte die Insel ungezieferfrei sein. Das hier über ein Dutzend Kakerlaken herumlaufen, stand nicht im Prospekt!" „Hau ihm eins in die große Schnauze!" krähte ein kleiner Knödel. „Was machste langes Geseire mit ihm!" , Ich lachte. „Nun ist mir alles klar! Diese Insel ist keine Insel, sondern ein Ghetto, und wir alle befinden uns im gelobten Land!" Ein paar von den Burschen lachten. Der schlaglustige Jude aber kam auf mich zugelaufen und schaufelte mir mit dem Innenspann eine Ladung Sand ins Gesicht. „Schwain schwarzes...", keuchte er. „... Schwain, Schwain, Schwain!" „Hör auf mit der Schweinerei, Kleiner!" sagte ich spuckend. „Bind mir mal die Hände los, dann mache ich dir alles locker, was dich augenblicklich spannt!" Er wollte sich auf mich stürzen, aber sein großer Onkel hielt ihn zurück. „Hiergeblieben, Sammy!" herrschte er ihn an, „Reiß dich mal zusammen, ja!" Der Knödel maulte und schnitt mir Grimassen. Es war zum Kräuseln! Sein Boß aber lächelte verbindlich. „Sie machen sich durch Ihr Verhalten verdächtig, mein Lieber. Wollen Sie uns denn wirklich nicht sagen, wer Sie sind?" Ich blickte zu Schorsch. Er lag mit verquollenem Gesicht, verschnürt wie ein Paket, auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Peter saß gefesselt an einer Palme und Lil
Ferguson lehnte an demselben Stamm. Auch ihr hatte man die Hände zusammengebunden. „Wie bei Karl May", grinste ich. Und der Räuberhauptmann erkundigte sich, was ich gesagt hätte. „Nichts", gab ich genauso schleimig zurück. „Gar nichts! Lösen Sie die Stricke, Mister, und wir können uns schnell einig werden. Anders ist mit uns nicht zu reden." Der Knödel protestierte und wollte wieder anfangen zu stänkern. Ich nickte ihm zu. Ich machte dabei ein Gesicht, daß ihn das Grausen packte. Er blickte verlegen zu Boden und scharrte mit den Füßen im Sand. Die sechzehn machten einen unentschlossenen Eindruck. Sie standen herum und hielten Maulaffen feil. Einige berieten sich. Dann kamen sie auf uns zu und lösten die Fesseln. „Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, daß Sie so behandelt worden sind", knurrte der Boß des Haufens. „Hätten Sie sich ruhig verhalten..." „Spar dir die Blumen, Kamerad", sagte ich, meinen Kopf und Nacken massierend. „Es ist ja neuerdings üblich, daß man mit einer ganzen Armee harmlose Liebespärchen überfällt." Peter machte: „Ph... phh...", aber ich überhörte das und stand auf. „Ich heiße Hurt und landete, um etwas an unserer Funkanlage zu reparieren. Es gefiel uns gut hier, und da uns die Zeit durch die Anwesenheit der beiden Damen nicht lang wurde, beschlossen wir, ein wenig ,Tarzan im Wald' zu spielen!" Wir schüttelten uns die Hände. „Ich bin Leutnant O'Neil, ich hörte Funksignale von außerordentlicher Lautstärke und ließ den Sender anpeilen. Wir befanden uns mit unserem Boot in der Nähe und liefen im Morgengrauen die Ostseite der Insel an." „Vermuteten Sie ausgebrochene Sträflinge hier?" „Das nicht, aber... wissen Sie, kommen Sie doch an Bord meines Bootes. Ein harter Schluck wird die weichen Glieder steifen... höhöhöö!" Er lachte und klatschte sich auf die Schenkel. Er roch aus dem Mund. Es war eine fiese Fahne. Ich mochte ihn nicht sehr leiden.
„Ihr habt doch einen eurer Jungs erschossen", sagte ich beiläufig aber unüberhörbar. „Was ist mit dem?" Er setzte sofort eine Toilettenwärtermiene auf und zuckte bedauernd die Schultern.' „Durch Ihre Aggressivität, Mister." Seine Miene konnte einen toten Hund zum Jaulen bringen. Ich lächelte ihm zu, und er lächelte zurück. Wenn die wulstige Oberlippe nicht gewesen wäre, hätte man seine gefletschten Zähne sehen können. Seine Kumpane beobachteten uns gespannt. Der Knödel begann zu sticheln und murmelte was von „Umlegen" und „in den Hintern treten." „Mach nicht soviel Wind, du plundriger Lümmel!" blies ich ihn an. „Wenn du mich noch lange ärgerst, mache ich mit einem Daumendruck das Grabmal deines polnischen Großvaters aus dir! Hast du das?" Er japste nach Luft. „Gebt ihm eine Pille, Jungs", stöhnte er, „reißt ihm alles... alles raus!" Da schaltete sich der Boß ein und schlichtete mit einer kurzen Handbewegung. Ich wartete darauf, daß er uns alle etwas singen lassen würde, aber er spielte dann wieder den Gastgeber und stiefelte voraus zur Ostküste. Ich sagte Lil, sie solle bei Schorsch bleiben und gab Peter einen Wink, mitzukommen. Sie ging an mir vorbei, als wäre ich Luft oder der letzte Dreck. „Hö", sagte ich gereizt, „jetzt langt es aber bald! Spiel nicht die gekränkte Jungfer!" „Jungfer? schrie einer aus der Meute entzückt. „Wooo?" Ich sagte ihm, er solle sich die Augen seiner vorhin in Streit mit mir verwickelten Brüder ansehen, bevor er keß würde. Und er sah ein, daß es keinen Zweck hätte, sich der Gefahr ähnlicher Verunstaltungen auszusetzen, nur, um die Wahrheit eines Wunders zu erforschen. Dann marschierten wir eine Viertelstunde lang in wildem Haufen zur Ostseite des Eilands. Der größte Teil des komischen Klubs war damit beschäftigt, auf die Beine der
munter dahintänzelnden Dame Petere zu starren und über diesen Anblick alles andere zu vergessen. Auch der Leithammel dieser Herde ließ Peter überholen und schob sich zu mir, um besser gucken zu können. „Wir sollten mit offenen Karten spielen", sagte er schleimig. „Daß ich es ehrlich meine, ersehen Sie doch daraus, daß ich mit Ihnen verhandle. Obwohl Sie zugeben müssen, daß ich in der durchaus stärkeren Position bin..." „Den Stachel lassen Sie sich mal ziehen, Leutnant!" sagte ich. „Wer das Rennen machen wird, steht durchaus nicht fest!" „Na, na... und wenn ich Sie nach Ihrem Tobsuchtsanfall einfach hätte abknallen lassen?" „Tja, warum haben Sie es nicht getan?" „Ick bin kein Mörder!" „Da bin ich aber beruhigt!" „Es ist schwer, mit Ihnen einig zu werden, wenn Sie alles ins Lächerliche ziehen!" „Wer Fehlfarbe ausspielt, wenn Trumpf verlangt wird, Leutnant, der stolpert!" „Was wollen Sie damit sagen?" „Was ¦ sind Sie eigentlich für ein Leutnant, Leutnant?"' Er blickte mich von der Seite an. Er nagte mit den Zähnen an seiner Lippe und flauzte zweimal kräftig aus. Er benahm sich nicht sehr fein, aber das hatte ich auch nicht erwartet. „Leutnant der australischen Marine, Mister Hurt. Sie mögen vielleicht erstaunt sein, daß wir hier so herumlaufen, aber die Jungs sind ausgesuchtes Menschenmaterial." „Den Eindruck habe ich allerdings!" „Wir sind seit Wochen unterwegs, um einen Sonderauftrag auszuführen!" „Im Auftrag Ihrer Majestät?" Er nickte und warf sich in die Brust. „Im Auftrage Ihrer Majestät!" „Und womit hat die Queen Sie beauftragt?" „Sie dürfen das natürlich nicht so wörtlich nehmen. Unmittelbarer Auftraggeber ist natürlich das Marinekommando. Es mehrten sich die Anzeichen in letzter Zeit, daß in dem Seengebiet östlich der Fidschis unbekannte Flotteneinheiten operieren. Wir bekamen den Auftrag..."
„Einleuchtend, Leutnant!" sagte ich zurückhaltend. „Ein interessantes Kommando haben Sie!" „Aber ziemlich eintönig." „Da tut so eine kleine Abwechslung wie heute mal gut, was?" Er nickte vergnügt und schlug mir auf die Schulter. Er hatte kurze, dicke und kräftige Finger. Unter den Nägeln hätte man ganze Kartoffelkulturen anlegen können. „Es ist bedauerlich, daß einer ins Gras beißen mußte, Leutnant!" „Leider! Der arme Kerl hat abgefrühstückt! Naja, war nicht gerade 'ne üppige Leuchte!" „Es gibt ja genug von der Sorte", grinste ich und wäre ihm am liebsten an die Kehle gegangen. Er lachte, als hätte ich die beste Zote des Monats gerissen. Dann zeigte er mit dem ausgestreckten Arm nach vorn und kreischte: „Ist das ein Schiff, oder ist das keins, he? Der schnellste Rumbier weit und breit. Mit dem laufe ich jedem Kontrollboot davon. Die mache ich so zur Minna, daß sie nur noch mit den Ohren schlackern. Was meinen Sie wohl, Mister Hurt, was das schlanke Reh dort so auf dem Kasten hat?" „Achtundzwanzig Knoten, mehr nicht!" „Achtundzwanzig?" schrie er und fuchtelte mit den Armen in der Luft. „Habt ihr das gehört, Jungs. Der Mann hier sagt, unsere Schneekuh läuft nicht mehr als achtundzwanzig Knötchen... hahaha... Passen Sie mal auf, Sie großer Schätzer, dieses Schiff dort läuft seine gestoppten fünfundvierzig Meilen! Wissen Sie, was das heißt?" „Ja!" nickte ich, bemüht ernsthaft auszusehen. „Daß ihr damit jedes Polizeiboot stehenlassen könnt!" „Genau das!" jubelte er und hielt dann erschrocken, blau anlaufend inne. „Polizeiboot?" knurrte er lauernd. „Warum sollten wir wohl Freude dran haben, einem Polizeiboot davonzulaufen?" „Sportsgeist!" sagte ich. „Wer freut sich nicht, wenn er schneller ist als sein Nachbar!" Er starrte mich an, und es fiel ihm schwer, seine Fassung wiederzubekommen.
„O Mann", sagte er schließlich. „Sie sind eine komische Type! Lassen Sie uns einen zur Brust nehmen..." Wir gingen an Bord. Zwei Galgenvögelgesichter setzten uns über. Es war ein umgebautes Marineschnellboot. Es sah trotz des zivilen Anstrichs ganz kriegerisch aus, und die Druckanzeiger an den vier Ausstoßrohren zeigten Fülldruck an, so daß ein paar flotte Aale in ihnen zu vermuten waren. Ich rätselte nicht mehr viel herum. Sehen Sie, der Fall war an und für sich klar. Es handelte sich um eine Bande von Waffenschmugglern, die ganz groß organisiert von irgendeiner Großgang dirigiert wurde. Die Sache mit dem Einpeilen unseres Funkverkehrs war plausibel, wenngleich es auch Zufall gewesen sein konnte, daß wir und diese Burschen gleichzeitig zur selben Zeit dieselbe von einigen zehntausend Inseln ausgesucht hatten, um in Ruhe unseren Geschäften nachzugehen. Sie hatten irgendeinen Riecher, daß es besser wäre, uns nicht so einfach verschwinden zu lassen und sich somit absolut gegen neugierige Beobachter in ihrem Operationsgebiet zu sichern. Vielleicht vermuteten sie, daß wir in irgendeinem Auftrag hier gelandet waren, möglicherweise hielten sie uns sogar für eine von der Regierung geschickte Suchgruppe. Und da dies für Verbrechergehirne wohl die einzige Logik war, hielten sie die beiden Mädchen für unsere verbotenerweise mitgenommenen Molls, mit denen wir uns den eintönigen Patrouillendienst verschönen sollten. Der Oberbonze hatte meinen Blick zu den Preßluftmanometern gesehen. „Scharfe Torpedos...", sagte er und fletschte wieder sein Pferdegebiß. „Harte Sachen!" „Wozu braucht ihr die?" „Wozu braucht ihr 'ne Funkanlage?" „Um zu funken!" „Und wir..., um zu schießen! — Hahaha! — Natürlich können wir nicht wissen, ob die fremden Einheiten in diesen Gewässern bewaffnet sind und im Falle einer Aufbringung die Feindseligkeiten eröffnen!"
„Komische Sache das...", sagte ich, ihm in den Salon folgend. „Die ganze Welt faselt von einem geheimnisvollen UBoot in der Südsee. Ich halte das für Quatsch. Die Russen werden mal 'ne Erprobungsfahrt gemacht haben, das ist alles!" „Aber nicht doch! Es sind verbürgte Augenzeugenberichte..." Er murmelte das und fluchte dann, weil der Korken abbrach. Ein Glas vollschenkend, wandte er sich an mich. „Sie trinken doch Gin?" „Es kommt darauf an, mit wem!" Er hielt überrascht inne, richtete sich auf und starrte mich an. „Was? Wie meinen Sie das?" „Ich sagte, daß ich keine Lust verspüre, mit Ihnen Gin zu trinken..." Er schnappte nach Luft wie ein Karpfen. Dann verdrehte er die Augen und hechelte wuttriefend: „Dafür müßte ich- Ihnen mal kräftig eine in ihre Schnauze hauen, Mister! Spielen Sie bloß nicht den feinen Pinkel, Sie Heini, Sie. Ein Wort von mir, daß ihr hier mit euren Dirnen Blindekuh spielt, statt Dienst zu machen, und ihr..." Er hielt inne, weil Peter hinter ihm sagte: : „Ach, wiederholen Sie das doch mal! Mit wem spielen die Herren Blindekuh?" Er fuhr herum und holte mit der Hand aus. Ich griff über den Tisch und hielt seine Finger fest. „Na, na", sagte ich heiter, „wer wird denn gleich mit Steinen schmeißen... ?" Er riß sich los und stieß Peter vor die Brust. Ich habe so etwas gar nicht gern. Ich stand deshalb auf und ging um den Tisch herum. Ich beeilte mich nicht sehr. Mein Hinterkopf vertrug heftige Bewegungen nicht. Deshalb schlug ich auch einen kurzen Haken, sondern langte über die Distanz eine Gerade aus der Schulter heraus direkt unter seine Knollennase. Er gab einen Ton von sich, der nicht fein war, und flog, von der anderen Geraden auf den Punkt gesemmelt, über die niedrige Bank in die Schaumgummipolster der Eckbank. Peter schloß die Tür.
„Mußtest du ausgerechnet warten, bis wir in der Falle sitzen", quasselte sie schnodderig, „ich glaube, die Ferguson hat dir den Kopf..." Wissen Sie, ich streite höchst ungern. Ich halte Streit für ausgesprochen häßlich. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Ich sah Peter an. „Raus, du kleine Mistbiene!" sagte ich gelassen, „schnell raus, ehe ich dir vor versammelter Mannschaft den Hintern versohle!" Sie machte ein schuldbewußtes Gesicht und verdrückte sich. Sie murmelte etwas von „nicht so gemeint gewesen" und so, und schlug dann die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie einer von der Crew durch die Zähne pfiff, als sie aus dem Schott trat. Er sagte auch etwas. Kurz danach klatschte es, Peter gab einiges aus ihrem Repertoire an Flüchen aus drei Erdteilen zum besten. Es war sehr unterhaltend und 'ne feine Geräuschkulisse für meine Arbeit. Ich suchte die Kabine durch. Ich öffnete alle Behälter, fand aber nichts als Zigaretten, Schnapsflaschen aller Güte- und Geschmacksrichtungen und einen Stapel billiger Pin-upMagazine. Aus einigen waren verschiedene Seiten herausgerissen. Eine Leuchtpistole ohne Munition und zwei Selbstlader sowie einen Browning bildeten die ganze Ausbeute. Ich beugte mich zu dem Schlafenden, riß ihn hoch und klopfte ihm die Backen. Er grunzte und rülpste und riß dann die Augen auf, als ich ihm den Browning in den Bauch preßte. „Mann", keuchte er. „Mann, du mußt besoffen sein! Weißt du nicht, was die Jungs mit dir machen, wenn ich rufe?" „Ich möchte es gern wissen", lächelte ich, „rufe sie doch!" „Nehmen Sie doch Vernunft an... ich kann..." „Wenn Schwachsinn weh täte und du so lang wärst wie beschränkt, dann kannst du in den Schornstein spucken!" grinste ich. „Mehr aber auch nicht! — Du verläßt mit mir das Boot, nachdem ich einen klitzekleinen Blick in die Laderäume werfen durfte. Du gehst mit mir zum Flugzeug zurück und wartest ohne Waffen, bis wir wieder gestartet sind. Du kommst bei alledem hoffentlich nicht auf die ulkige Idee, ich würde dir
die Pistole nur zum Spaß an deinen faulen Balg halten! Also vorwärts, Leutnant!" Er war mittlerweile wach geworden und stierte auf meinen Mund, als könnte er nicht glauben, was da herauskam. Er ächzte und flüsterte, mit Schweiß auf der Stirn: „Leg doch die Pistole weg, Mann... leg die Pistole weg!" Sehen Sie, so etwas mag ich nicht. Spielchen machen, wenn der Vati zur Arbeit gerufen hat! Ich täuschte unten und kickte ihm oben eine Handkante über die Nase, in die Delle unter der Stirn. Er fing an zu bluten und war so bestürzt darüber, daß er sich kaum zu lassen wußte. „Laß die Hände oben", warnte ich. „Geh voran!" In diesem Augenblick ertönte ein kurzes Summen, ein Schaltknacken, und eine Lautsprecherstimme sagte aus der Ecke des Raumes: „Legen Sie die Pistole in die Schublade zurück, Fremder! Entschuldigen Sie sich bei dem Steuermann und stellen Sie sich mit dem Gesicht dicht an die Innenwand! Zögern Sie nicht, denn die süße Maus hier hat nur eine sehr dünne Bluse an. Und die Fäuste meiner Jungs wissen schon seit langem nicht mehr, wie sich so was anfühlt." Ich sagte etwas, was sogar dem Stinktier vor mir ein anerkennendes Grinsen entlockte. Dann warf ich die Pistole auf den Tisch und ging zur Wand. , Meine Stimmung war in diesen Augenblicken nicht sehr gut. Sie besserte sich auch nicht, als dieser Flegel von Steuermann, den ich für den Boß des Bootes gehalten hatte, mir auf die Hacken trat mich an den Haaren riß und Dinge zu mir sagte, die sonst nur an feinen Stammtischen gebräuchlich sind. Aber Peters Bluse war wirklich nicht sehr haltbar. Und das Mädchen, das man liebt, in den Händen dieser Schmierlappen zu wissen, läßt einen manches fertigbringen. Somit war die zweite Runde an die Gegenpartei gegangen, und ich wußte immer noch nicht, wer der Gegner war. Zehn Sekunden an einer Wand können sein wie zehntausend Ewigkeiten. Zehn Minuten aber sind eine Hölle, und ich war haargenau in der richtigen Stimmung,
Konversationen zu machen als sich die Tür öffnete und der Kerl hereinkam, dem die Lautsprecherstimme gehörte. Ein unangenehmes Organ hatte dieser Bursche. Er räusperte sich, daß ich genau merken konnte, wie er dabei grinste. Dann tippte er mir auf die Schulter und sagte: „Drehen Sie sich um, Boy. Machen Sie keine Scherereien. Sie haben gemerkt, daß wir bereits auf See sind. Und sicher sind Sie clever genüg um ihre Chancen im rechten Licht zu sehen." Ich drehte mich um. Ich bemühte mich, meinen Haß zu verbergen, als ich ihn ansah. Ein mieser Vogel! Eine schlecht tapezierte Latte mit Blechkrawatte und aufgelötetem Revolver. Er war so ausgemergelt, daß er einen Hering zwischen die Augen küssen konnte. Sein Mund war zernarbt, er roch nach Whisky. Am kleinen Finger der rechten Hand trug er einen Brillantring. Am linken Handgelenk prangte ein silberner Stopper mit goldenem Armband. Das Jacket schlackerte um sein Gerippe. Es war nicht festzustellen, was darunter Knochen und was Schulterhalfter waren. „Die Schwindsucht ist eine schwere Krankheit!" sagte ich, ohne die Lippen sehr anzustrengen. „Wie lange leidest du eigentlich schon daran?" Das hatte er nicht erwartet. Alles andere, aber das nicht! Seine unrasierten Lederbacken bekamen hektisch röte Flecke, und in seine stumpfen Augen trat ein böses Funkeln. Er hütete sich jedoch, zuzuschlagen. „Aber, Boy, mißbrauchen Sie so meine Gastfreundschaft? Sie sind verärgert über unsere Repressalien? Vergessen Sie nicht, daß wir einen Mann durch Ihr renitentes Verhalten bereits zu beklagen haben." „Mir bricht das Herz", antwortete ich spöttisch. „Ihre Majestät wird ihm hoffentlich ein Staatsbegräbnis bereiten?" Seine Mundwinkel zogen sich herab. Er lachte verächtlich. „Mein Steuermann scherzte, als er sich selbst zum Leutnant der Marine beförderte. Tragen Sie es ihm nicht nach! Nehmen Sie Platz, ich werde Ihnen Aufklärung geben." Er machte eine Handbewegung zu der Eckbank und warf gleichzeitig eine Packung Zigaretten auf den Tisch.
„Moment noch", stoppte ich ihn. „Wo ist meine Begleiterin?" „In guter Hut!" Sehen Sie, das hätte er nicht, und schon gar nicht in diesem Tonfall sagen dürfen. Ich wirbelte herum und griff nach seinem Halstuch, ich drehte es zu und riß ihn zu mir heran. „Ich zähle bis drei", schnaubte ich in seine verzerrte Visage, „dann ist das Mädel hier... eins..." „Hören Sie auf, ich lasse sie kommen." Ich stieß ihn zur Tür, er stolperte und schlug schwer gegen das Eisenschott. Ich blieb stehen und wartete auf seinen Gegenstoß. Ich wollte ihn zusammenschlagen und mit seiner Waffe notfalls die halbe Crew zusammenschießen. Aber er richtete sich langsam auf, blickte benommen um sich und heftete dann seine stechenden Augen auf mich. „Machen Sie das nicht noch einmal", sagte er schleppend. „Ein zweites Mal nehme ich es nicht so hin. Haben Sie denn nicht begriffen, daß ich verhandeln will, daß ich eine Partnerschaft anstrebe?" „Schaffen Sie das Mädchen her!" Er gab mir einen Blick, der alles enthielt, dann öffnete er die Tür zu einem Spalt und rief etwas nach draußen. Er blieb so stehen, bis Peter hereingebracht wurde, dann trat er zur Seite und machte eine spöttische Verbeugung. „Ich hoffe, gnädigem Fräulein ist die Zeit nicht lang geworden?" Ohne auf den Kerl zu achten, lief Peter zu mir. Sie sagte nichts, aber ihre Augen zeigten mir, daß alles in Ordnung war. „Es tut mir leid", sagte sie dann bedrückt. „Es waren zu viele, sie kamen von allen Seiten, und ich hatte keine Waffe." „Sie werden aber bestätigen, daß Ihnen kein Haar gekrümmt worden wäre, wenn Sie sich nicht wie wild verteidigt hätten. Immerhin bitte ich auch dafür um Entschuldigung. Bitte, setzen Sie sich. Wir werden uns so oder so einigen! Ja, ich bin sicher, daß wir die Fahrt als Freunde fortsetzen werden!" Ich blieb stehen und gab Peter ein Stillhaltezeichen mit den Augen. „Um was für ein Angebot handelt es sich?" Er lächelte von unten herauf und spielte an dem oberen Knopf seines Jacketts.
„Um das beste Angebot, das man Ihnen jemals gemacht hat und je machen wird! Aber lassen Sie mich weiter ausholen!" „Nicht zu weit", spottete ich. „Sie müssen nachher sonst zu weit zurückfahren!" „Lassen wir das, Herrschaften. Der alte Rockefeller sagte einmal: Hast du Millionen, dann hast du keine Wünsche mehr! Hast du Milliarden, dann hast du Macht. Ähnlich dachten meine Auftraggeber, als sie den Plan faßten, kleine Teile ihres Kapitals in Waffen zu investieren, Waffen aller Arten und in jeden Mengen. Sie dachten, es wäre lohnend, das so investierte Kapital zu stützen und sahen sich nach Gebieten um, in denen sich große Menschenscharen nach Mitteln sehnten, mit denen sie ihre Ansprüche geltend machen können. Sie fanden dieses Gebiet im Pazifik. Tausende von Inseln unter Kolonialverwaltung. Zehn- und Hunderttausende von Menschen mit dem dringenden Bedürfnis, die Ausbeuter aus den Plantagen zu verjagen. — Einige Dampfer als Zubringer und zwei Schnellboote als Verteiler waren notwendig, um den Kundendienst zu organisieren und überall an schwer zugänglichen und möglichst unbewohnten Inseln wetterfeste Depots anzulegen, auf deren Inhalt die einzelnen Stammesbosse bei Bedarf zurückgreifen konnten..." Er machte eine Pause, trat nach rückwärts mit dem Fuß gegen das Schott und rief nach einer Flasche. Sie wurde ihm augenblicklich gereicht. Er trank und putzte drei Finger breit in einem Zuge weg. Er hatte anscheinend erwartet, daß ich eine Zwischenfrage stellen würde und fuhr etwas schneller fort: „Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es nun rätselhaft, wo da für meine Auftraggeber das Geschäft liegt; Nun man muß die Wirtschaftskapazität dieses Gebietes kennen, um zu wissen, welche Möglichkeiten sich ergäben, wenn eine Gruppe von zentral gelenkten Unternehmen den gesamten Handel und Wandel im Pazifik in ihrer Hand vereinigen würde. Es wäre, besonderes wegen der reichen Bodenschätze, das größte Rohstofflager der Welt! Unangreifbar im Falle eines Krieges, da weder Atom- noch andere Bomben ernsthaften Schaden anrichten können. Ja, bei einiger Phantasie wird man zu erkennen vermögen, daß die Südsee in ihrer gigantischen
Größe der ‚Erdteil' der Zukunft sein wird. Europa und Amerika, weite Teile Asiens und auch der Orient werden eines Tages zerfleischend übereinander herfallen. Sie werden verseucht und verlassen sein Und die Wiege der neuen Menschheit wird hier..."Er machte eine weitausholende Handbewegung, „auf den Inseln und Atollen stehen! Die Herrscher dieser Welt aber werden dann die sein, die heute bereits mit ihrem Kapital den Boden bereiten für die Annexion." Es war wie ein Spuk. Hier enthüllte ein wie ein Schwachsinniger aussehender, offensichtlich aber durchaus intelligenter Verbrecher, einen wahnwitzigen Plan, der in seiner offensichtlichen Logik zwingend imponierte. Und hier fand sich auf einmal die Brücke zwischen den Vorgängen auf der „Chatanooga-Lizy" zu den jüngsten Ereignissen und auch zu dem Auftrag unseres Chefs vom Deutschen Atoll. Von jetzt an, war ich ganz bei der Sache. Hier witterte ich die Gefahr für uns und unser Werk. Und ich griff zu der auf dem Tisch stehenden Flasche, um mit allen Anzeichen der Erregung einen Schluck zu nehmen. Peter durchschaute mich und grinste unmerklich. „Sie erzählen mir Dinge", sagte ich bedächtig und wie nach Worten suchend, „die so ungeheuerlich sind, daß ich nur annehmen muß, Sie rechnen nicht mehr mit unserer Rückkehr ans Festland. Wer oder was gäbe Ihnen denn die Gefahr, daß wir dort nicht sofort den ganzen Plan aufdeckten?" Seine Augen wurden ganz schmal vor Vergnügen. Er nickte beifällig und hob dann raubvogelähnlich den Kopf. „Wir rechnen nicht nur mit Ihrer Rückkehr nach dem Festland, wir rechnen sogar mit Ihrem langen und erfolgreichen Leben im Dienste unserer Organisation!" „Soll das ein Witz sein? Sie finden auf einer Insel zwei fremde Männer mit zwei Mädchen und machen die zum Mitwisser Ihres Planes in der Hoffnung neue Mitarbeiter gefunden zu haben. Ist das nicht ein wenig verrückt?" „Gar nicht! Durchaus nicht! Wenn man bedenkt, daß den Menschen das Hemd immer näher als der Rock sitzt!" „Was soll das heißen?"
„Daß Sie es vorziehen werden, auf meine folgenden Vorschläge einzugehen, statt mit einigen Lecks im Bauch ins Wasser zu fallen!" „Mir gruselt's! Aber, angenommen, wir gingen mit Ihnen einig, was versprechen Sie sich von uns?" „Viel! Ja, ich möchte sagen, wir.. das heißt, meine Chefs versprechen uns alles von Ihnen. So viel, daß man sagen könnte, Sie wären der entscheidende Faktor in unserer Gleichung!" Ich ahnte, was kommen würde. Ich lehnte mich zurück und brachte es fertig, gleichgültig, ja sogar gelangweilt zu gähnen. „Schießen Sie los, Sie Gehirnakrobat!" forderte ich ihn höhnisch auf. „Ich höre zu gern utopische Geschichten!" Wieder drei Finger breit aus der Hasche nuckelnd, wischte er sich anschließend über den Mund und rieb sich lachend die Hände. „Utopisch? Ich glaube, ich kann Ihnen damit dienen! In meiner Geschichte ist alles enthalten. Vom eigenmagnetischen Erdsatteliten bis zur progressiven Kernspaltung. Wir schätzen den Stand der Versuche auf dem... von deutschen Wissenschaftlern besetzten Atoll mindestens ein Jahrzehnt den amerikanischen und russischen Erfolgen voraus." „Moment mal", unterbrach ich ihn, „was reden Sie da?" Er reagierte aber nicht. Er rieb sich wieder die Hände und fuhr mit erhobener Stimme fort: „Machen Sie nicht den Versuch zu leugnen! Bluffen Sie nicht, es hat keinen Zweck! Wir wissen es definitiv, daß Sie und Ihr Freund, Angehörige jener deutschen Gruppe sind!" Ich gähnte noch einmal. „Du kleiner blöder Hammel", sagte ich aufreizend, „deine Chefs sollten dir verbieten, am hellichten Tage soviel Schnaps zu trinken! Bis jetzt glaubte ich» die Sache wäre spannend. Jetzt wird es..." „Halt, mein Lieber! Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie der sind, für den wir Sie halten!" Hier waren die Ereignisse an dem entscheidenden Punkt angelangt! War alles bisher ein Vortasten, ein auf Ahnungen und Vermutungen begründetes Umhertappen gewesen so gab
es von hier an nur noch eins: die oder wir! Mit einer einzigen Ausnahme hatten wir bislang immer im Verborgenen und der Anonymitäten arbeiten und wirken können. Nun aber ging es um die nackte Existenz des Atolls. Noch wußte ich nicht, wie es möglich war, daß man Schorsch und mich erkannt hatte, Noch stand ich unter dem Schock der Erkenntnis, daß unser Leben jetzt in eine vollkommen neue Bahn gedrängt wurde. Ich blieb eiskalt, als ich meine Hände auf den Tisch legte und schweigend darauf wartete, daß diese Karikatur von einem Mann weitersprach... „... Vor, ich weiß nicht genau, wohl fünf Jahren geisterte das erste Mal die Nachricht um die Welt, daß es eine versteckte, kaum auffindbare Inselgruppe in der Südsee gäbe, die von einem deutschen U-Boot gefunden und angelaufen worden war. Niemand maß dem besondere Bedeutung bei, bis sich dann die Meldungen häuften von fremden U-Booten im Pazifik, rätselhaften Flugprojektilen und anderen Erscheinungen, deren Herkunft aus den Anliegerstaaten bestritten wurde... „Es wird langweilig!" bog ich ab. „Soweit ich informiert bin, haben ganze Armeen nach diesem U-Boot und seiner Zufluchtsstätte gesucht. Sowohl das FBI, wie alle Geheimdienste der Erde versuchten sich an dem Objekt und steckten es nach kurzer Zeit wieder auf, weil sie erkannten, daß sie einer Mystifikation aufgesessen waren. Und ausgerechnet Sie oder Ihre spleenigen Hintermänner wollen in uns Angehörige jener Bluff-Insel erkannt haben. Kitzeln Sie mich mal..." Lautlos lachend stand er auf und begann in dem kleinen Raum herumzugehen. „Lieber Freund, es mag, für Sie unangenehm sein, überspielt zu werden, aber Sie ändern es nicht, indem Sie die Augen schließen und denken, die anderen können Sie nun nicht mehr sehen! Gerade, weil die Staatsorgane versagt haben, sagten sich unsere Fahnder, daß sie in ganz anderer Richtung suchen müßten. Sie folgerten, daß dieses Atoll — wenn überhaupt — so nur mit Hilfe von Kontaktleuten am Festland bestehen kann. Sie folgerten, daß diese Kontaktleute sich so unauffällig wie möglich tarnen und oft ihren Standort wechseln würden. Sie
überprüften in endloser Arbeit Tausende von Passagierlisten und kreisten die Gruppe derer ein, die regelmäßig an bestimmten internationalen Plätzen auftauchten. Es waren einige tausend Menschen, die nach dieser Sisyphusarbeit übrigblieben, und das Weitere war dann leicht. Sie sehen, es wurde nur mit Wasser gekocht. Aber die Suppe wurde gut! Als Sie Ihre Plätze auf der ,Chatanooga-Lizy' buchten, ahnten unsere Leute zwar noch nicht, wer Sie waren. Als Sie das Schiff aber in einem —- nachträglich mein aufrichtiges Kompliment — tollen Alleingang in seinen Bestimmungshafen brachten und kurzerhand verschwanden, da lief unsere Maschinerie an..." „Haben Sie sich eigentlich schon mal am Kopf untersuchen lassen?" „Unsinn, Mister Hurt! Sie wissen, daß Ihr Spiel zunächst einmal verloren ist. Sehen Sie, ich bin nur ein kleiner Fisch. Ich war früher mal ein hübsches Kerlchen bei der Marine gewesen. Und ich war verknallt in eine fast so niedliche Puppe wie die Ihre dort, Sie war Chinesin, und ich lernte Opium kennen. Ich trank Schnaps und rauchte weiter. Ich verlor die Kleine, bekam dafür diesen Job! Ich habe ausgesorgt und bekam zufällig geistern die Mitteilung über die Chatanooga-Affäre per Sprechfunk. Ein paar Stunden später meldete mein Funker eine in der Nähe sendende Funkstation. Ein Flugzeug war nicht in der Luft. Schiffe befanden sich nicht in der Nähe. Die Zeichen waren chiffriert und verzerrt... es war so einfach!" Peters Busen wogte wie ein Blasebalg. Sie stand breitbeinig vor dem Tisch, und beugte sich zu dem Gerippe vor. Ihre Blauaugen hatten sich im Zorn verdunkelt, und ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut. „Jetzt passen Sie mal auf, Sie unflätiger Spinner, ich werde Ihnen eine Pille verabfolgen, damit Sie sich diese Krüppelidee aus Ihrer schimmeligen Gehirnschwarte schlagen! Sie bilden sich ein, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Sie erzählen hier einen Stuß, der geht ins Aschgraue! Sie sind geistig so verwahrlost, daß man mit Ihnen vielleicht kleine Kinder ins Bett jagen aber erwachsene Menschen nicht zum pensionierten Affen machen kann! Und Sie wollen hier den
starken Esel spielen, da kann ich nur hysterisch lachen! Sie sind, wohl flau im Bauch, Mann, was?" „Halten Sie den Mund, Kleine! Ihre Rolle wird noch geschrieben! Reden Sie lieber dem Herrn dort zu, den Widerstand aufzugeben. Sie wissen ja, was fällig ist, wenn..." Es gab eine {Reihe von Möglichkeiten für mich. Ich mußte mich für eine entscheiden, so oder so. „Was haben Ihre Fahnder denn noch herausbekommen?" fragte ich grinsend, „außer, daß wir Kontaktleute des Deutschen Atolls sind?" Ein befriedigtes Grinsen lief über seine Gnomenvisage. „Sehen Sie", sagte er, satt lachend, „nun können wir uns wie vernünftige Menschen unterhalten! — Es wäre doch unsinnig gewesen, weiter zu leugnen; denn, sehen Sie, in den vergangenen Jahren mußte es ja irgendwann mal geschehen, daß sich eine Gruppe von Interessenten der Auffindung des deutschen Geheimnisses verschreibt und dieses mit nicht nachlassender Zähigkeit betreibt, bis das Ziel erreicht ist!" „Bravo!" nickte ich. „Es wird zu untersuchen sein, wie die Ereignisse, die zu unserer. Entdeckung führten, zusammenhängen! — Ich gehe doch wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie von mir gewisse Lotsendienste erwarten. Ich soll Sie hinbringen, was...?" Er rieb sich langsam und nachdenklich die Hände. „Mister Hurt", fing er an, „es mag sein, wie es will. Ich bin jedoch nicht befugt, Ihnen irgendwelche Angebote zu machen. Ich werde ein einsames Seegebiet..." „Noch einsamer... ?" „... Ja, noch einsamer... aufsuchen und weitere Anweisungen abwarten. Ich kann Ihnen aber sagen, wie sich das abspielen Wird. Man wird mir befehlen, mich mit unserem zweiten Schnellboot zu treffen und unter Ihrer Führung einen Vorstoß zum German Isle zu unternehmen. Sie werden den Parlamentär machen. Sie werden den Kontakt zwischen meinen Auftraggebern und Ihren Chefs herstellen. Das wird um so leichter sein, als wir sicher nicht beabsichtigen, irgendwelche Forderungen oder gar Mitspracherechte an Ihren Plänen zu verlangen, sondern einzig und allein als Gebende kommen und
den gesamten Apparat unseres Unternehmens einschließlich seiner immensen Kapitalreserven Ihnen zur Verfügung stellen. Wir werden bereit sein, das Deutsche Atoll mit allem zu versorgen, was es nur braucht. Wir werden einen illegalen Handelsverkehr aufziehen und somit die Kapazität Ihres Werkes vervielfachen. Wir werden das Atoll abschirmen und mit eigenen Streitkräften einen undurchdringlichen Wall..." Peter konnte sich, wie ich, nur schlecht das Grinsen verbeißen. Aber es war. gar nicht zum Lachen. Die Primitivität im Vorgehen dieses Mannes hatte Methode. Er war sich seiner Sache restlos sicher. Er hielt das Atoll für eine versteckte Insel, auf der man ohne weiteres mit ausgeschwenkten und scharf gemachten Torpedorohren landen könnte. „Ich werde ganz schläfrig", murmelte Peter mit vibrierender Stimme, „immer, wenn man Märchen erzählt, werde ich es! — Wovon spricht der Onkel eigentlich, Jackie?" Ein giftiger Blick des mageren Spinners traf sie. „Halten Sie den Mund, Puppe! Das hier ist eine viel zu wichtige Sache, als daß ich mich provozieren ließe..." „O Jackie", seufzt Peter zu mir gewandt und sah hinreißend aus dabei. „Der böse Onkel ist aber gar nicht lieb. Ob wohl ein großer Wolf kommt und ihn frißt?" „Vielleicht!" antwortete ich. „Wenn er sich vorher wäscht!" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Herrschaften, laßt das doch! Ihr seid an Bord meines Bootes. Umgeben von eineinemhalben Dutzend scharfer Jungs, die auf Abwechselung drängen und bestimmt keinen Spaß verstehen. Ihr Freund, Mister, und die kesse Süße mit dem Atombusen werden auf der Insel von sechs schwerbewaffneten Leuten bewacht, die ich persönlich ausgesucht habe. Als wir sie am Flugzeug aufstöberten, wehrte sich Ihr Kamerad leider derartig erbittert, daß wir scharf durchgreifen mußten. Sein Schädelbruch wird ihm 'ne Weile zu schaffen machen! Der Funkraum dieses Bootes aber wird von vier Doppelwachen abgeschirmt, so daß Sie acht Tode sterben würden, bevor Sie einen etwaigen Funkspruch absetzen könnten. Hoffnung auf eine Hilfsexpedition Ihres Super-UBootes besteht also nicht! Und sollten wir trotzdem angegriffen
werden, so hat jeder einzelne Mann meiner Besatzung den Auftrag, Sie und das kleine Mädchen rücksichtslos zu erschießen!" Er lehnte sich zurück und sah uns an. Ex wollte feststellen, welche Wirkung sein Salm hinterlassen hatte. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch.. „Ich lasse euch jetzt allein, Kinder. Ich werde versuchen, mich mit einem unserer Stützpunkte in Verbindung zu setzen und Betreuung der auf der Insel zurückgebliebenen Gefangenen und Wachmannschaft anfordern. Übrigens, falls Sie Hoffnung auf das Flugzeug setzen, es ist flugunfähig gemacht worden und bedürfte einer mehrwöchigen Überholung, wollte man einen Start riskieren! Gegen Abend werden Sie etwas zu essen und trinken erhalten. Anschließend werde ich mir Ihren Entscheid holen. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß es seit Menschengedenken Mittel gibt, die sehr einfach in der Anwendung und verblüffend in der Wirkung sind, aus Schweigern Volksredner zu machen. Und es ist wohl kein Geheimnis, daß derartige Mittel besonders bei jungen und hübschen Mädchen recht delikat wirken..." Er blickte mir in das lächelnde Gesicht und grinste höhnisch. Er nickte uns zu und verneigte sich. Er ging rückwärts raus... Ich sah ihm nach und starrte dann auf die zufallende Tür. Ich stand breitbeinig im Raum und schloß die Augen. Die Stunde war gekommen, auf die jeder von uns unbewußt seit Monaten gewartet hatte, die Stunde, in der es nicht mehr darum ging, die eigene Haut zu verteidigen und mit einem Haufen Speckjäger fertig zu werden, sondern in der sich alles entschied. Alles... Da wurde die Tür wieder aufgerissen, und diese halbe Portion von einem Mann kam, flankiert von dem Steuermann und vier bulligen Heizern, wieder zurück. Er griente breit. Seine Stimme triefte vor Hohn, als er kalt erklärte: „Ich habe mir überlegt, daß Worte allein nicht zu genügen scheinen, Ihnen die Ausweglosigkeit Ihrer Lage zu demonstrieren. Mir sind auch gewisse Zweifel an Ihrer Bereitwilligkeit, mit mir zu verhandeln, gekommen. Gestatten Sie daher, daß ich..."
Seine Stimme klang erregt. Er brach unvermittelt ab und nickte dem Steuermann zu. Sie umringten mich zu dritt und hielten mir die Pistole an den Leib. „Wenn du denkst, Jungchen, wir dürfen nicht, weil du sonst für ewig stumm bleibst, so bedenke auch, daß es Stellen gibt, in die man Löcher machen kann, ohne daß einer gleich abmustert." Ich wußte, daß es diesmal ernst war. Ich nickte und sagte: „Laßt es gut sein. Ich verhandle..." Der Magere schüttelte den Kopf. „Einen Augenblick, Jungchen, schau dir das erst mal an. Es wird dir deine Verhandlungsposition klarmachen." Zwei von den Heizern fielen über Peter her. Ich brüllte vor wahnsinniger Wut und wildem Haß, aber sie bohrten mir grinsend ihre Läufe in den Leib. Der Steuermann lachte und spuckte mir ins Gesicht. Er schlug mir die Faust an den Kopf. Peter wehrte sich katzengewandt, stumm und verbissen. Ich sah das Weiße in den Augen des Steuermanns und hörte Peters Keuchen. Ich spürte die Öffnungen der Pistolen in meinem Unterkörper gepreßt und sah diese Hunde lachen. Und dann war es aus! Dann war mit einem Schlag alles in mir ausgelöscht, erstorben, gefühllos und einfach nicht mehr vorhanden. Da waren nur noch die anderen und ich. Ich ließ meine Faust hochrasen und stieß sie dem auf brüllenden Steuermann in den Magen. Ich griff mit der hochzuckenden Rechten dem einen an die Brust und schleuderte ihn zu Boden. Ich lachte laut, als der dritte zu schreien anfing, und sein Schreien in ein Röcheln überging, weil ich ihn mit einem harten Schlag voll traf. Ich spürte nicht die Schläge, die in mich hereinprasselten. Ich spürte nicht das Würgen des einen Heizers, der sieh mit seinem ganzen Gewicht an mich hängte und mich zu Fall bringen wollte. Ich sah nur den wiehernden Boß dieser Viecher und warf mich mit einem tobenden Satz auf dieses zurückzuckende Stück Gemeinheit. Ich schlug beide Hände in sein weiß werdendes Gesicht. Ich riß ihn mit einem Griff hoch und kam der Bewegung mit meinem vorschnellenden Schädel entgegen. Ich zerschlug ihm mit meiner Stirn das Nasenbein. Ich hörte nicht, wie sie hinter mir in die Kabine
stürmten und spürte nicht, wie se sich an mich hingen, um mich zurückzureißen. Ich schlug wie ein Berserker, bis sie mit den MP-Kolben und Handspaken auf meinen Schädel droschen und meine Arme lähmten, bis ein Stich wie von einem glühenden Bolzen durch meinen Körper zuckte und eine grelle Lohe in dem Lärm eines tausendfachen Trompetenstoßes über mir zusammenschlug. Ich wollte vor Wut schreien, weil ich noch spürte, daß sich meine Finger aus dem blutenden Gesicht lösten und steif wurden. Ein rasender Schmerz drang durch Mark und Bein und stürzte schwellend über mich wie eine donnernde Brandungswoge. Ich hatte die visionäre Zwangsvorstellung von einem aufgeplatzten Schädel, aus dem das Hirn quoll und in den hinein ich mich vor Übelkeit übergab. Feuerspeiende Teufel sägten meinen Körper durch und brachen ihn mit dicken Brecheisen auseinander. Die linke Gesichtshälfte schien abgeschnitten und die Zunge aus dem Mund gerissen. Ich verbrannte von unten heraus und wurde selbst zur Lohe. Sie stießen Scheite in mich hinein. Ich löste mich auf und versank in das Nichts. Das Zurücktasten in das taumelnde Bewußtsein war schmerzvoll und peinigend. Ich wußte, daß ich lag, ich wußte aber nicht, ob ich gefesselt war. Ich hatte keinerlei Gefühl in den Armen und Beinen. Ich bewegte mich von einer Seite auf die andere. Ich hörte Peter sprechen, aber ihre Stimme war weit entfernt. Ich wollte ihr zurufen, lauter zu sprechen, doch, so sehr ich auch schrie, ich hörte nichts. Ich hatte einen Knebel im Mund, dick und schwer. Es schien, als hätten sie mit glühendem Blei meinen Mund vollgegossen und dieses wäre in ihm zu einem bewegungslosen Klumpen erstarrt. Ich versuchte nicht, mich in die Erinnerung zurückzutasten, ich verspürte einen unbändigen Drang, voranzukommen. Ich wollte näher zu Peter und sie fragen, was mit ihr geschehen sei. Ich wollte sie trösten. Der Wunsch, ihr über das Gesicht zu streicheln, ließ mich meine Hände wieder spüren. Es war ein Kribbeln in allen Gliedern, das mich erschauern ließ. Aber es ließ mich am Leben bleiben und die Herrschaft über meinen Körper zurückgewinnen. Nur sprechen konnte ich nicht.
Peter war jetzt dicht bei mir. Ich spürte, wie mein Kopf an ihrer Brust lag, und spürte auch, daß sie mir über die Stirn fuhr, wenngleich auch zwischen meinem Kopf und ihrer Hand ein starres Brett zu liegen schien. Ich hörte, wie sie zu mir sprach, mit einer Stimme, die ganz ruhig war und die doch so erschreckend klang. „Jack", sagte die Stimme, „mein Jack." Sie sagte immerzu: „Jack..., mein Jack!" Ich lauschte dieser Stimme nach, und immer, wenn ich den Klang zu verlieren drohte, wiederholte sie es leise. Ich spürte auch, wie sie mich küßte. Etwas Dunkels beugte sich über mein Gesicht, beschattete meine Augen, und behutsam schob sich das warme Fleisch ihrer Lippen auf meinen verquollenen Mund. Sie küßte mich nicht mit dem mitleidigen Hauch einer Samariterin, sie küßte mich, als sei ich ihr Geliebter, schlafend in einer Nacht voller Erfüllung. Vielleicht weinte sie dabei, denn warme Tropfen fielen auf mich und mischten sich mit dem Blut auf meiner Stirn. Es mußte schlimm für sie sein, deshalb versuchte ich mit aller Gewalt, den Kloß in meinem Mund loszuwerden. Warum befreite sie mich denn nicht von diesem Knebel? Sie mußte ihn doch spüren. Ich werde wieder mit einem Male so schwer und müde. Und ihre Stimme entfernte sich erneut. Ich schlief ein... Als ich aufwachte, wußte ich gleich, daß Peter noch bei mir war. Ihre Hand fuhr kühlend über meine Stirn, sie flüsterte, wieder meinen Namen und sagte leise, daß ihr Leben ohne mich zu Ende sei, daß ich ihr Mann wäre und sie meine Frau. Sie wollte nie etwas anderes sein als meine Frau! Sie wollte ein Kind von mir haben, das auch Hanns heißen müßte; denn ihre Liebe sei so groß, daß sie zuviel wäre für mich allein. Sie wollte mir viele Kinder schenken und ihr Leben dazu; sie wollte still knien und beten, daß wir uns lieben dürften in dieser Welt, in der so viele lieben, ohne es zu verdienen. Sie küßte mich. Ich versuchte, mich aufzurichten, um ihr begreiflich zu machen, daß ich sprechen möchte, ich strengte mich furchtbar an. Ein Lallen kaum aus meinem Mund. Ein undeutliches Stammeln, aber es ließ Peter aufjubeln vor Glück und
Erleichterung. Sie hob meinen Kopf an. Sie flüsterte tausend Dinge in mein Ohr und küßte mich wieder. Ich setzte erneut zum Sprechen an und sagte ihr leidlich verständlich, daß alles okay wäre und ob die verdammten Schweinehunde etwas mit ihr angestellt hätten. Sie lachte und weinte in einem zugleich, dann hörte ich, daß man sie in Frieden gelassen habe, weil die halbe Kajüte voller Blut gewesen war und daß man ihr nur gedroht hätte, uns endgültig zu frikassieren, wenn wir nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden im Kommandostand des Bootes erschienen, um den Kurs auf das Deutsche Atoll zu bestimmen. „Du hast mindestens zwölf Stunden geschlafen, Hanns. Denk jetzt über nichts nach. Schlaf weiter, ich liebe dich, Hanns..., ich liebe dich... ich..." Ich schlief und wachte nach Stunden zum dritten Male in Peteries Armen auf. Mein Kopf lag an ihrer Brust wie der eines schlafenden Kindes. Ich spürte die Wärme ihres Leibes und küßte sie. Ich küßte sie dann in die Beuge ihres schlanken Halses und ließ meinen Kopf dort ruhen. Irgendwann später lehrte sie mich, aufzustehen und die ersten Schritte zu tun. Sie massierte meinen Nacken und meine Schultern. Sie strich und klopfte meine Beinmuskeln und eiferte keuchend, mich fit zu machen. Sie ließ nicht locker, ich fühlte, wie das Blut in mir zu kreisen begann, spürte gleichzeitig das Brennen in den Wunden und nahm, mich reckend, wahr, wie mein Kopf freier wurde und mein Blick die Umgebung zu unterscheiden begann. Später stand ich noch schwankend an der Wand. Peter stand vor mir und schmiegte sich in meine Arme. Sie kuschelte ihren Kopf an meine Brust, und wir schämten uns beide etwas über die Innigkeit unseres Gefühls. „Ob Lil Ferguson...?" fragte Peter leise, als hätte sie meine Gedanken erraten. Ich schüttelte den Kopf. Ich setzte mich und starrte auf die mit Scherben und Splittern übersäte Tischplatte. „Sie hat damit nichts zu tun...", sagte ich schwerfällig. „Es ist leider so, daß man uns von vielen Seiten mehr oder weniger dicht auf den Fersen ist. Auch das halbe Jahr, in dem wir uns zurückhielten, in dem Hello Amboss aus Deutschland für uns in den CIA (Central-Intelligence-Agency — Amerikanischer
Spionage Abwehrdienst) ging und in dem auch der eifrigste Verfolger hätte müde werden müssen, haben die ganz Zähen nicht locker gelassen. Lil ist harmlos, davon ich überzeugt. Auch sie wurde Opfer dieses Teams hier. Nein, die Dinge liegen tiefer. Es war zu einfach, wie wir es uns gemacht haben. Wir hätten wissen müssen, daß niemand in der Welt, der begriffen hat, was das Vorhandensein des Deutschen Atolls für die Zukunft bedeutet, es jemals aufgeben wird, hinter unser Geheimnis zu kommen. So wie in aller Welt Tausende nach Gold oder Uran jagen und nicht müde werden bei tausend Fehlschlägen, so gieren Tausende danach, den großen Run nach dem Deutschen Atoll zu gewinnen. Lil ist eine von vielen. Sie hat Glück gehabt und war ein wenig früher dran als die anderen. Noch mehr Glück hatten die Heinis mit dem Schnellboot. Morgen über übermorgen hätten andere auf uns stoßen können. Damit war doch zu rechnen." „Mein Gott, du sagst das so ruhig. Demnach hältst du es nur für eine Frage der Zeit, wann das Atoll entdeckt und sturmreif gemacht wird?" Ich rieb meinen schmerzenden Schädel und versuchte, Spucke im Mund zu sammeln, um das Gefühl des Ausgetrocknetseins zu verlieren. Dann sagte ich: „Unsinn... mit traditionellen Waffen ist das Atoll nicht zu öffnen. Der Gegner müßte nukleare Mittel anwenden, und auch dann ist der Erfolg zweifelhaft. Oder aber er müßte physikalisch weiter sein als wir, und dann wäre es für ihn verhältnismäßig witzlos, uns zu befehden. Es ist gehupft wie gesprungen." „Den Lumpen bleibt tatsächlich nur der Weg über uns", murmelte Peter und reckte sich. „Nun, es wird sich herausstellen, wie weit sie kommen!" Sie nahm mich ah der Hand und zog mich hinunter. Auf dem Boden hatte sie ein Lager improvisiert, aus den Polstern der Eckbank. Sie kuschelte sich an mich und gähnte etwas. Dann küßte sie mich ans Ohrläppchen und grunzte wohlig. „O Jack", sagte sie leise und vergnügt, „mögen die Dreckathleten sein was sie wollen, ich müßte ihnen dankbar sein, daß ich dich mal ein paar Stunden für mich alleine habe..."
Ich sagte nichts dazu. Ich überlegte erst 'ne Weile und knurrte dann: „Wir können denen später ja eine Anzeige schicken, Baby..." „Was für eine Anzeige, Jack?" Hm, vielleicht 'ne Verlobungsanzeige..." „Heirat wäre besser", murmelte sie, während wir uns erneut küßten. Wissen Sie, so etwas ist eigenartig. Keine Pille kann so munter machen wie 'n duftes junges Mädchen. Der alte Tschu tsche, oder wie der Mongole hieß, soll mal gesagt haben: gebt mir zehn schöne Weiber, und ich erobere mit ihnen die Welt. Und ich kann nur sagen, dieser alte Knabe hatte gar nicht so unrecht. Peter war süß in ihrer unschuldigen und doch so raffinierten Verliebtheit. Ihre Küsse waren wie Balsam und Paprika zugleich. Sie drängte sich an mich und koste mit einer so rückhaltlosen Innigkeit, die nur ganz wenigen Frauen zu eigen ist. Wir sprachen nicht viel dabei. Wir spürten nur, daß alles um uns versank und wir eins waren, ohne daß wir etwas anderes taten, als still nebeneinander zu liegen und den Pulsschlag des anderen zu lauschen. Das Kind Peter war eine junge Frau geworden, ohne sich offenbart zu haben. Sie hatte, an unserer Seite unsagbar Schweres durchgemacht und es unbekümmert überstanden. Sie lebte unser Leben, ein Leben für das Deutsche Atoll, kompromißlos mit. Sie war dennoch für uns ein Wesen aus einer anderen Welt, rein und unberührt und bei aller Burschikosität das liebenswerteste Geschöpf. Ihre schlanken Finger fuhren tastend über mein Gesicht. „Woran denkst du, Jackie?" Ich atmete tief und stellte mich schlafend. Ich tat es, um mich und sie davor zu schützen, etwas vorzunehmen, was der Nacht nach unserer Hochzeit vorbehalten bleiben sollte, einer Nacht, der die Ruhe und Sicherheit folgen sollte, die Geborgenheit eines Heimes, das ich für sie errichten wollte. Und ich schwieg auch, weil mir es selbst fremd war, wie stark noch mein Gefühl sein konnte, das ich monatelang unterdrückt hatte, um hart zu sein für den fight in den Unterwelten dieser
Erde. Ich dürfte diese Härte nicht verlieren und aufgeben, der Stimmung folgend, die über uns gekommen war. Ich drehte mich um und stellte mich schlafend. Ich biß die Zähne zusammen, als ich ihren Körper spürte, der sich an den meinen schmiegte und ihre Tränen, die sie in meinen Nacken weinte. , Die Leuchtziffern meiner Uhr waren zum Teil abgesplittert. Sie tickte nicht mehr. Ich wußte nicht, wie spät es war. Ich zwang mich, sachlich die Chancen zu wägen, die mir zum Handeln verblieben. Es war dunkel, und ich hätte versuchen können, eine Vabanque-Aktion zu starten. Peter hatte rufen können, daß ich abzukratzen scheine, und ich hätte den ersten Hereinstürzenden niederschlagen und ihn entwaffnen müssen. Mit einer Pistole, im günstigen Falle sogar Maschinenpistole,, sah dann die Welt schon anders auch, und ich hätte — solange der Munitionsvorrat reichte — kräftig mitmischen können. Eine Gasse nach draußen ans Oberdeck freizuschießen, schien aber aussichtslos. Auf der alten Chatanooga-Lizy mit einem Haufen taktisch unerfahrener Wilder hatte das ganz anders ausgesehen. Hier auf dem kleinen Boot war ein derartiges Unterfangen glatter Selbstmord, ohne die geringste Chance, davonzukommen. Harakiri zu machen, angesichts dieses Haufens krätziger Ganoven aber wäre absurd gewesen... Blieben also nur diplomatische Tricks übrig. Wissen Sie, ich habe da mal 'ne Dame gekannt, in New Jersey oder San Franzisko muß es gewesen sein, die hatte dem zuständigen Bezirkskommissar den Mechanismus ihres Strumpfhalters erklärt bei Süßwein und Nachttischlampenbeleuchtung und war daraufhin zum Ehrenvorsitzenden der Frauenbewegung zur Wiederherstellung von Moral" und Anstand scherzhafterweise erklärt worden. Diese Dame hatte damit ein Glanzstück diplomatischer Kunst vollbracht, das ich mir vor Augen hielt, als ich die Gestalten unserer derzeitigen Gegner Revue passieren ließ.
Mit Lil Ferguson hätte die Sache geklappt, so oder so! Peter einzusetzen, war undiskutabel. Immerhin gab es gewisse Möglichkeiten, zwar schwach nur, aber ganz interessant. Ich dachte darüber nach, bis mich der hämmernde Schmerz in meinem Schädel daran erinnerte, daß auf einen groben Klotz 'ne scharfe Axt gehört. Ich begann, die Sache mit der Maschinenpistole noch mal genau zu überdenken und schlief darüber ein. Mir erschien die Dame aus New Jersey oder San Franzisko. Sie lachte und kniff ein Auge zu. Sie lupfte ihren Rock und zeigte mir ihren Strumpfhalter. Ich guckte genau hin. Es war gar kein Halter. Es war 'n Stück Heftpflaster, mit dem sie die nicht unbeträchtlich langen Strümpfe festgeklebt hatte. Sie lachte schrill und fragte, wie mir das gefiele. Ich blickte hoch und sah, daß es gar nicht diese Dame war, sondern Miss Lil Ferguson aus USA. Sie kniff ein Auge zu und sagte: „Siehste, mein lieber Freund, hättest du auf mich gehört, dann hätten wir jetzt ein nettes kleines Zimmer in einem netten kleinen Hotel, und du könntest mir das Märchen von dem Wolf und den sieben Geißlein erzählen. Oder die schöne Geschichte von Adam und Eva!". Ich weiß nicht mehr, was ich darauf geantwortet habe, ich weiß nur, daß ich etwas sagte, was sie aufkreischen ließ und blitzschnell verschwinden. Ich wachte davon auf, daß Peter mich sanft rüttelte. Ich schlug die Augen auf und reckte mich. Ich fühlte mich ganz wohl und grinste vor mich hin, weil ich an den Traum denken mußte. „Sie kommen!" flüsterte Peter. „Laufe nicht wieder Amok, Jack! Ein zweites Mal geht das nicht gut!" „Danke für die Belehrung", knurrte ich. „Aber das überlasse mir!" Sie preßte die Lippen zusammen und spannte mich einen dickschädeligen Menschen, dem nicht zu helfen sei. Dann stand sie auf. Es war heller geworden. Ich sah, daß sie blaue Flecke hatte und nur mit Mühe ihre Bluse so herrichtete, daß sie notdürftig ihre Brüste verdeckte. Sie sah mich aufmerksam an und machte eine Kopfbewegung zu dem eingeschlagenen
Bulleye. Der durchgelöcherte Lauf einer tschechischen Maschinenpistole ragte in die zerstörte Kabine hinein, und dahinter wurde der wirre Haarschopf eines der Dreigroschengangster sichtbar. Die Tür flog auf, und herein kam der Magere und sein Gefolge. Es war ein Aufzug wie bei der Altweiberfastnacht. Der Boß trug als Prunkstück grün aufgequollene Backen und rotbraune Ohren. Er trat sehr schneidig auf, um den ungünstigen Eindruck seines Äußeren zu kompensieren. „Ohne im Augenblick über den gestrigen Vorfall reden zu wollen", fing er großspurig an, „wollen wir gleich..." „... in medias gehen!" vollendete ich. „Mein Angebot: zurück nach Sydney, meinetwegen auch in die Staaten und dort Verhandlungen zwischen mir und deinen Häuptlingen. Die Art der Verhandlung bleibt von beiden Seiten aus vorbehalten und klärt im Vorwege alle..." „Quatsch nicht, du tückische Sau", fiel er mir ins Wort und zitterte förmlich vor Haß und Sadismus. „Die Gelegenheit, Vorschläge zu machen, ist verpaßt, jetzt marschiert die Chose nach unserem Kompaß! Nach unserem, hast du das...?" Er stieß mir mit der flachen Hand vor die. Stirn. Damit stiegen seine Aktien bei mir ins ungemessene. Dann hieb er mir eine Handkante vor den Kehlkopf und brüllte mit überschnappender Stimme, daß er es mir nun zeigen wolle. Es waren acht Mann in der Kammer. Sie trugen nur kurze Eisenstücke oder Schraubenschlüssel als Waffen. Ihre Kumpels mit den scharfen Sachen standen draußen und warteten, daß ich herausgestürmt kam. Das Ganze war belemmert, sage ich Ihnen! Nichts, worüber man erfreut sein konnte. Je zwei griffen nach meinen Arm und rissen sie hoch. Sie hatten vorbereitete Tampen mit, mit denen sie meine Handgelenke oben an die Lüfterschächte banden. Sie machten Schlippsteege und zurrten mich gespreizt eisenfest. Dann kam der Steuermann, dessen rechtes Auge mit Pflaster verklebt war und der auf dem blutunterlaufenen linken nur durch einen schmalen Spalt blinzelte. Er stellte sich vor mich.
„Fang an...!" säuselte der Grünbackige. Dann hängten sie Peter neben mich. Sie lachten dabei und rissen die dreckigsten Zoten, bei denen selbst die hartgesottenen Männerinsassen staatlicher Pensionate rot geworden wären. „Hört auf, ich verhandle!" sagte ich. „Laßt die Kleine in Ruhe!" Sie hörten nicht darauf, bis der Boß einem ins Kreuz trat und ihn anbrüllte, er solle das Miststück losbinden. Dann stellte er sich breitbeinig vor mich und geiferte: „Verhandelt wird nicht mehr, paß auf, du, die Sache ist völlig klar! Dein Kumpel wird im Augenblick von unserem zweiten Boot an Bord genommen. Sie haben ihn genau wie dich in die Mangel genommen. Er wird Kursanweisungen geben! Wir werden dasselbe nochmals mit dir machen und du wirst uns auch Kursanweisungen geben! Wir stehen mit dem anderen Boot in direkter Sprechverbindung. Wir koppeln deren Kurse mit und werden sehen, ob ihr uns anscheißen wollt oder endlich eingesehen habt, daß die Partie verloren ist! Laufen die Kurse auch nur um eine Meile auseinander, machen wir euch und die Puppen so zur Schnecke, wie noch niemand kirre gemacht worden ist! Gib ihm noch was, Harry, und bindet ihn dann los!" Der Steuermann kam dicht an mich heran. Sein Atem stank faul, er fletschte die Zähne und faltete beide Hände. Dann riß er sie hoch und schlug sie beide unter mein Kinn. Mein Kopf flog zurück, und als ich ihn wieder aufrichtete, schlug er noch einmal zu. Sie banden mich los. Der Schmerz in mir war stumpf und kompakt. Er ließ mich in die Knie sacken und nach vorn kippen. Ich hatte die geisterhafte Vorstellung, daß Kapitänleutnant Reckmann, mein Chef, neben mir im Ring stand und zählte... „Eins... zwei... drei... vier... fünf... sechs...!" Seine Stimme klang unnatürlich, so, als käme sie durch einen Lautsprecher. Mit jeder Zahl klang sie näher an meinem Ohr. Bei acht schrie er mich an und nannte mich einen schlappen Hund. Ich holte tief Luft und riß meinen Kopf hoch, ich sah die zerknitterten Hosenbeine des Verbrechers vor mir. Ich sah seine dreckige Schuhspitze gegen meine Schultern stoßen und torkelte aufwärts. Ich sah die Gestalten nur
verschwommen und lächelte in die Richtung, in der ich Peter vermutete. Dann sagte ich, meine Stimme war schwer wie von einer Gallone Reisschnaps: „Es gibt ein Dutzend Ansteuerungsmöglichkeiten. Jeweils eine ist radaroffen. Das wechselt in beliebiger Reihenfolge. Wenn unser Boot draußen ist, wird ihm erst in Sperrkreis fünf die Schleuse mitgeteilt, durch die es einlaufen kann. Ein falsches Ruderkommando, und die See verwandelt sich in eine Hölle. So wie ihr euch das gedacht habt, können wir euch nur an die Peripherie von Sperrkreis eins bringen. Dieser umfaßt dreihundertundsechzig Grad. Es bestehen also praktisch dreihundertundsechzig Ansteuerungsmöglichkeiten und Kursfestsetzungen. Könnt, ihr Idioten, mir sagen, wie wir uns da verständigen sollen?" Ich hatte langsam gesprochen, um Zeit zu gewinnen und meiner kochenden Wut Herr zu werden. Ich reckte mich nun und knackte mit den Fingern, was den Steuermann veranlaß te, mir gegen das Schienbein zu treten und mich einen Soundso zu nennen, dessen Vorfahren in Abortgruben gelebt hätten. Sie fesselten mir die Beine zusammen und die Arme. Dann ließen sie mich über Deck zum Kommandostand hüpfen. Der Boß fieberte vor Erregung und hantierte aufgeregt mit einer Karte herum. „Spar dir das", sagte ich, „gib mir die Position und das Mikro!" Er sagte kein Wort, fummelte an den Abstimmknöpfen des Funksprechgerätes und wiederholte laut die Zahl, die ihm aus dem kleinen Kartenchap zugerufen wurde. Er hielt mir das Mikrophon vor den Mund und zischte, daß alles, was sie bislang mit mir und der Süßen gemacht hätten, Schelmenspiele gewesen wären gegen das, was sie treiben würden, wenn ich ein Wort zuviel oder zuwenig sagte. Er zog noch einmal das Mikro weg und sprach selbst hinein. „Drei... sieben... null... achtung... drei... sieben... null... kommen für S — C — zero... S — C zero... hier spricht zero eins... zero... eins... wir übergeben an Lotsen zwecks Kursabsprache." Er zog die Oberlippe hoch und zeigte seine Zähne, als er mir die Muschel an die Lippen drückte.
„Hallo", sagte ich, „hallo, Schorsch..." „Hallo, Hanns", kam es leise zurück. „Bist du okay?" „Bestens", sagte ich so heiter wie möglich. „Spiel nicht den starken Mann und Papis Trotzköpfchen! Laß dich losbinden und verlange, was zu trinken. Diese Schweinepriester..." Der Grünlackige schlug mit der Faust auf das Mikrophon, daß mir die Lippen platzten. „Noch einmal so eine Bemerkung", keuchte er, „und ich mache dich kaputt!" „Hast du gehört, Schorsch?" sagte ich, das Blut an der Sprechkapsel vorbei gegen die Klarsichtscheibe spuckend. „Die Kerlchen verstehen keinen Spaß mehr. Tot nützen wir dem Atoll auch nicht viel mehr! Wir nehmen die Nordostroute bei voller Fahrt und gehen bis an den Sperrkreis eins heran. Dort müssen wir sehen, in Funkverbindung mit der Zentrale zu kommen und uns eine Radar-Schleuse anweisen zu lassen. Was macht die Dame aus den USA?" „Sie haben ihr den Arm gebrochen und die Haare abgeschnitten. Sie liegt bewußtlos neben mir. Welche Garantien haben wir, daß man uns nicht killt, wenn wir am Ziel sind?" Er machte das ganz gut. Diese Frage wirkte überzeugend. Ich spielte mit und blickte das Oberpäckchen fragend an. Der hob, ausspuckend, die Schultern. „Keine, mein Kleiner. Arbeitet ihr gut, dann läßt sich mit uns über alles reden. Macht ihr Zicken, dann wird es pervers!" „Schön", sagte ich. „Bleibt dicht auf und sieh zu, daß es keine Scherereien gibt. Grüße Lil und sage ihr, es ist nicht immer Nacht, wenn es dunkelt!" Dann wandte ich mich an die mich umlauernden Gestalten und sagte fröhlich: „Auf, ihr forschen Reitersmänner, die Luft ist kühl und klar!" Sie glubschten gehässig und gingen dann auseinander. Ein paar blieben mit dem Boß und dem Steuermann im Kommandostand und beugten sich über die Seekarte. Sie suchten das Seegebiet nordöstlich von unserem Standort ab und machten dusselige Bemerkungen darüber, daß dort weit
und breit keine Inseln, sondern* nur riffgefährdete Gebiete eingezeichnet wären. Einer knurrte: „Auf die Riffs will das Aas uns jagen, absaufen will er uns lassen." „Was bist du doch für ein Armleuchter", sagte ich freundlich. „Ein ganzes Regiment von deiner Sorte ersoffen, ist- mir nicht 'ne nasse Socke wert! Wenn du es aber besser weißt, wo die Goldfabrik liegt, dann komm her und..." „Schnauze...!" schrie der Boß aufgeregt. „Schnauze!" „Schön", sagte ich, „laß was zu essen und zu trinken herbringen. Einen Pullover für meine Kleine und alles, was hier nichts zu suchen hat, raus!" Er stierte mich nachdenklich an. Er röhrte sich was hinter die Geschwulst, die bei anderen Leuten der Kopf ist, und gab dann ein paar Anweisungen. Peter schob sich neben mich. Sie faßte verstohlen nach meiner Hand und drückte sie. Ich blickte zur Seite und sah sie an. In ihren blauen Augen schimmerten Tränen, aber sie lächelte. Sie schaute nach vorn und atmete ganz ruhig. Herrschaften, wenn der alte Tschu-tsche, dieses Mädchen gekannt hätte, hätte er auf die neun anderen verzichtet! Jede Wette! * Genau zwölf Stunden später hatte sich das Bild in dem Kommandostand weitgehend gewandelt. Man hatte mir die Fußfesseln abgenommen und mich setzen lassen. Peter war völlig ruhig und wich nicht von meiner Seite. Sie fütterte mich und gab mir die Flasche. Es war kein sehr angenehmes Gefühl, aber es ließ sich ertragen. Alle drei Stunden ging ich auf Sprechverkehr mit Schorsch. Er gab nur leise und schwerfällig Antwort. Es schien nicht besonders um ihn zu stehen. Als ich Lil zu sprechen verlangte, hörte ich, wie man sie schlug und wie sie schrie. Dann wurde die Verbindung unterbrochen, und Minuten später kam eine erregte Anweisung, künftig jegliche
Privatgespräche zu unterlassen, anderenfalls mit erneuten Repressalien zu rechnen sei. Der Boß verließ öfter den Kommandostand, um aus dem dahintergelegenen Funkchap die Standorte der Boote an seinen Stützpunkt funken zu lassen. Ich war sicher, daß sich mittlerweile die ganze Streitmacht der Organisation in aller Eile zusammengefunden hatte, um die Operation der beiden Schnellboote zu verfolgen. Zweifelsohne bereitete man auch den Einsatz von Flugzeugen vor und startete eine demonstrative Heerschau, von der man sich offensichtlich einige Wirkung auf die Männer des Deutschen Atolls versprach. Immerhin hätte man die Schnellbootoperation gar nicht ungeschickt aufgebaut. An Hand der zu vergleichenden Kurse mußte man ja jederzeit kontrollieren können, ob wir spurten oder nicht. Jede Abweichung war graphisch darzustellen und mit einem Blick erkennbar. Peter vermied es, mich anzusprechen. Sie merkte, wie konzentriert ich einen Ausweg aus diesem Dilemma suchte. Sie wußte genau, welche Schwierigkeiten dem ganzen Unternehmen entgegenstanden und daß es nicht mehr nur darum ging, unsere Haut zu retten, sondern eine Organisation von Verbrechern matt zu setzen, deren Umfang wir überhaupt noch nicht kannten. Ich blickte auf den Chronometer an der Stirnseite des Baumes und sagte zum Rudergänger: „Stopp it... pull on the radar!" Dann griff ich zum Mikrophon und rief Schorsch. Statt seiner meldete sich eine unbekannte Stimme. Ich wiederholte das Stopp-Kommando... Die Tür wurde aufgerissen, und der Boß mit seiner Meute stürzte herein. „Was soll das...?" brüllte er. „Warum wird gestoppt?" Ich sah ihn an. „Weil wir da sind, du Hammel!" Er zuckte zusammen. „Ist das wahr?" „Frag mal 'ne alte Zigeunerin!" grinste ich. „Die weiß es genau!"
Er wäre mir am liebsten an den Hals gesprungen, aber er war nicht sicher, ob das in Anbetracht der Situation empfehlenswert wäre. „All right", grunzte er nach einigem Nachdenken, „wenn das stimmt, dann komm ins Funkchap und teile deinen Brüdern mit, daß das, was wir in unseren Rohren, haben, keine Pappzigarren sind!" „Nee", lächelte ich, „das nehmen wir ebensowenig an, wie du annehmen wirst, daß unsere Torpedoauffanggeräte aus Zwirnsfäden geknüpft sind." Er latschte zum Radargerät und beugte sich darüber. Er prallte zurück und drehte sich schreckensbleich zu seinen Spinnern um. „Es stimmt", ächzte er, „wir sind am Ziel!" Sie drängelten sich heran und bestaunten den hellen Meßkreis, der die kreisförmigen Konturen des mutmaßlichen Atolls mit gestochener Schärfe zeigte. Sie gerieten ganz aus dem Häuschen und stritten sich um die Entfernung, bis der Boß sich umdrehte und mir zunickte: „Junge, wenn die Sache klargeht, werden wir Freunde!" „Aber Liebling", sagte ich mit breitem Grinsen, „das sind wir schon längst!" Er schnaufte durch die Nase und schlug mit der flachen Hand auf die Scheibe des Radarschirms, auf dem der Kontrollzeiger unablässig kreiste. „Welcher Art sind die vor uns liegenden Sperren?" „Wozu willst du das wissen, Kinderschreck?" fragte ich gelassen. „Du würdest in die Hosen machen, wollte ich dir das im einzelnen erklären. Laß mich an das Funkgerät, damit ich uns avisiere, anderenfalls wir einen beigepuhlt bekommen, ohne daß dir Zeit bleibt, deinem Schutzengel die letzte Monatsrate fürs Abonnement zu zahlen!" „Mach's nicht so spannend", schrie der Steuermann los, dessen zweites Auge mittlerweile auch dichtgeschwollen war. „Auch deine Insulaner kochen bloß mit Wasser!" „Sicher, du Pfeife", nickte ich, „paß nur auf, daß du dir nicht dein Maul daran verbrennst! — Wie ist es, kann ich funken oder...?"
Sie ließen mich nicht raus. Sie bugsierten mich durch den angrenzenden Kartenraum und ließen mich durch das Mannloch ins Funkchap kriechen. Sie hatten einen derartigen Bammel vor mir und möglichen Gegenmaßnahmen, daß sie sich selbst beschimpften und erst ruhiger wurden, als einer aus dem Kommandostand schrie, daß sich das zweite Boot gemeldet hätte und eine Seemeile querab läge. Sie fragten an, ob sie herankommen und im Päckchen längsseits gehen sollten. Es wäre das schönste Geschenk gewesen, das sie mir hätten machen können. Ich drehte mich um und sagte: „Einen dämlicheren Haufen als euch hat es noch nicht gegeben. Selbst ein schon am Einschulungstag aus der Hilfsschule Entlassener hätte euch gesagt, daß zwei auseinanderliegende kleine Ziele immer schwerer zu treffen sind als ein großes auf einem Haufen." Der Boß biß sich auf die Lippen. Er war unsicher und vermutete einen Trick. Es kam ihm spanisch vor, daß ich ernsthaft gute Ratschläge. geben könnte. Er knurrte wie ein gereiztes Hähnchen und gab Order, das andere Boot sollte zunächst auf Sprachrohrweite heranscheren und auf Anruf Backbordseite festmachen. Ein Gorilla mit einer plattgeschlagenen Nase wie ein Rummelboxer, muckte auf. „Aber, Chef, dann können sie uns mit einem einzigen Treffer fertigmachen." „Schnauze! Schnauze!" Er stieß mich hart an. Ohne mich darum zu scheren, griff ich nach dem Frequenzwähler, schaltete ein, stimmte kurz ab und gab den Anruf heraus. Es war so unkompliziert und einfach, daß die mich umstehenden und argwöhnisch lauernden Ganoven zu murren begannen. Ich schob die Taste dem Funker zu... „Hier, mein Häschen, taste: Bitte Sprechfunkfrequenz angeben, Klartext erwünscht! Keine Maßnahmen! Verhandlungsbereit!"
Der Boß bekam den Mund nicht wieder zu. Das hatte er nicht erwartet, daß ich den Funker tasten lassen würde. „Sprechfunk", sagte er begeistert. „Wenn du das bringst, Bübchen, brechen wir nachher gemeinsam einer Pulle den Hals!" Ich gähnte und überlegte. Es war trotz des großartigen Funktionierens unseres Abwehrplanes eine ziemlich üble Sache. Was auch immer geschah, einige Dutzend Verbrecher glaubten nun den ungefähren Punkt zu kennen, an dem das sagenumwobene Atoll lag, zumindest aber wußten sie nun mit Bestimmtheit, daß es dieses Atoll gab. Und sie würden nicht zögern, ihre Kenntnis so oder so an den Mann zu bringen und notfalls für teures Geld an sensationshungrige Zeitungen, Informationsdienste oder andere Interessenten zu verkaufen und damit einen Weltrummel zu starten, der eine wahre Invasion zu dem hiesigen Seegebiet entfesseln mußte. Und selbst, wenn diese ganz und gar ergebnislos bleiben würde, so bestand doch die Gefahr, daß sich dieser oder jener Neugierige verirrte und in die echte Umgebung des Atolls geriet und damit die Inselleitung zu schwerwiegenden Entscheidungen nötigte. Die Antwort dar Zentrale kam mit präziser Schnelligkeit: „Auf drei—zehn—acht gehen... empfangsbereit...!" Es war totenstill um mich herum. Die Verbrecher hielten den Atem an, als ich mich mit leidenschaftsloser und gleichgültiger Stimme meldete: „Hier spricht Jack." Ich machte eine Pause und blickte auf die bebende Hand des Bosses, der seine durchgeladene Radom über den schmalen Funktisch schob und den Lauf auf mich richtete. „Beim Teufel, du Hund", flüsterte er, ich schieß dir in die Fresse, wenn du deinen Kumpels ein Zeichen gibst!" Ich lachte kurz auf und nahm das Mikrophon dicht an den Mund. „Ich liege mit zwei Schiffen an Sperre ,eins'." Bitte um Einschleusung. Ich sende Dauerton, peilt uns ein und gebt die Werte im Gegenmeßverfahren.
Erregt legte sich die Hand des Mageren auf meinen Unterarm. „Warte", zischte er, „ich beuge vor! Sag ihnen, daß nur ein Boot hereinkommt. Du und dein Kumpel bleiben auf dem anderen Boot hier draußen. Passiert uns das geringste, wenn wir an Land gehen, werdet ihr ohne Rücksicht auf Verluste fertiggemacht. Sag ihnen das und sage dazu, daß ich keine Spaße mache in solchen Geschäften!" Ich gab das durch. Ich leierte den Spruch herunter und sah dann den Boß an. . „Mach dir keinen Fleck ins kurze Hemd, du Besenbinder!" sagte ich kaltschnäuzig. „Die Kugel rollt, und wer auf die richtige Zahl gesetzt hat, gewinnt!" „Was willst du damit sagen?" flüsterte er, wieder erbleichend. Und aufspringend kreischte er los; „Was willst du damit sagen, du Hund, du verdammter Hund?!" Ich zuckte die Schultern und wandte mich an den Steuermann, dessen Augengeschwülste in mehreren Farben schillerten. „Mit schlechten Nerven ist euer Job aber nicht zu betreiben, Leutnant! Ihr wart scharf auf das ,german atoll' und wolltet ein Geschäft machen. Wartet doch ab, was man von euch als Preis verlangt? Billig wird es nicht, aber 'n paar lächerliche Milliarden spielen ja für die vereinigte Unterwelt aller Länder keine Rolle." „Quatsch nicht so dämlich , knurrte der Kerl gereizt. „Was auch immer passiert: du und deine Bagage hüpft über die Klinge, wenn etwas schiefgeht!" Ich hob meine gefesselten Hände. „Mach die Stricke los", sagte ich, wir sind doch Partner!" Er lachte auf und schlug mir die Faust unter die Nase. Er spuckte hinterher und machte eine dreckige Handbewegung. Dann setzte sich die Prozession wieder in Bewegung zum Kommandostand. Peter sah mir mit unbewegtem Gesicht entgegen. Sie sah unsagbar süß aus und lächelte ein klein wenig mit den Augen, als ich ihr zunickte. Sie hielt beide Arme auf dem Rücken verschränkt. Als sie die rechte Hand hervorbrachte, hielt sie eine Radom in der Hand und zielte dem Mageren genau zwischen die Augen.
„Weiß Gott", sagte sie, „ein falscher Atemzug, und ich schieße alles in den Klump!" Die Verbrecher hielten den Atem an. Es war so still wie in einer Kirche. Dem Mageren quollen die Augen aus den Höhlen. Er beugte sich langsam vor und ächzte, als würde er mit 'ner Fahrradspeiche punktiert. Der Mann am Ruder stand wie 'ne Salzsäule. Seine Ohren waren schneeweiß. Wir blickten alle auf ihn und sahen das leere Halfter am Gürtel. Ich lachte und sagte: „Gib dem Kleinen sein Spielzeug wieder, Baby! Die Feindseligkeiten sind eingestellt. Wir bewerfen uns jetzt nur noch mit vollen Flaschen!" Entgeistert ließ Peter die Waffe sinken. „Aber, Jack...?" „Gib die Pistole zurück!" Sie war blaß, als sie vortrat und dem Rudergänger die Waffe vor die Füße warf. Sie gab mir einen Blick, in dem alles enthalten war. Aber ich grinste nur. „Wieviel Milliarden haben eigentlich deine Auftraggeber, Kinderschreck?" wandte ich mich an den Mageren. „Wird es auf ein Häuschen im Grünen für uns langen?" Er schreckte aus seiner Erstarrung und holte tief Luft. „Oh, verdammt", sagte er heiser, „oh, verdammt, man hätte der Puppe die Arme brechen sollen wie der anderen drüben! Holt sich die Biene einfach den Knaller eines Mannes und will die Weltgeschichte verändern. Ins Bett gehört so ein Luder." „Du mußt nicht so einen Stuß reden!" sagte ich, meine Hände mit Macht ruhig haltend. Wir glauben dir auch so, daß du das Pulver nicht erfunden hast! — Laß Lichter setzen, damit wir nicht gerammt werden!" Er war weit davon entfernt, mir zu mißtrauen. Daß ich Peter zur Aufgabe beredet hatte, war 'n dufter Persilschein für meine lauteren Absichten. Dennoch kniff er die Augen zusammen. „Gerammt? Von wem gerammt? Ich denke, wir bekommen 'ne Fremdpeilung und werden dann eingeschleust? Wer soll uns rammen?"
„Das andere Schnellboot, du Held!" sagte ich gelassen. „Es muß doch wohl längsseits gehen, wenn wir übersteigen sollen. Oder soll ich so schwimmen?" Es war später, als ich dachte. Die Operation war gut angelaufen, mußte aber im Laufe der Nacht beendet werden. Der Boß- gab sich einen Ruck. Er riß eine Schublade im Kartentisch auf und zog ein Messer mit Marlspieker heraus. Er lachte meckernd, als er mir die Fesseln durchschnitt. „Vor 'ner verdammt langen Zeit...", fing er an zu brabbeln, „da habe ich auch mal einem die Fesseln abgemacht, weil ich dachte, er wäre clever genug, um das richtig zu schätzen. Was soll ich dir aber sagen, er war es nicht. Er dachte, er könnte mir einen toten Neger unter den Pullover stecken und versuchte einen Trick. Es ging an, es war kein schlechter Trick! Aber nicht gut genug für einen wie mich! Er ist heute schon vermodert, verfault und vergessen, aber du, mein Junge, hättest 'ne bessere Stellung in Aussicht als 'ne liegende auf dem Friedhof!" „Du auf saurer Milch abgestandener, grindiger Bastard", brüllte ich ihn an, „du mußt dir erst einmal den Rotz von der Backe wischen, bevor du weiter den Boß aller Bosse spielst! Bildest du dir vielleicht ein, ich habe Lust, mich weiter von dir schurigeln zu lassen? In ein paar Stunden stehst du vor dem größten Werk, das Menschen je verrichtet haben und verhandelst mit den Koryphäen der Wissenschaft über Dinge, die dein Spatzengehirn überhaupt nicht verstehen werden. Laß dir mal den Rost von der Schraube klauben, du mickriger Stumpen!" „Soll ich ihm den Hintern aufreißen, Boß?" fragte der Steuermann. „So ein freches Aas, so ein freches Stück!" „Hast du immer noch nicht genug, du Rübenschwein?" herrschte ich den Leutnant an. „Soll ich dir noch andere Teile dicht machen? Du hast doch bloß so ein großes Maul, weil du 'ne Radom in der Tasche stecken hast. Waffenlos auf 'ner einsamen Promenade würdest du vor schlotternder Angst vergehen. — Sieh lieber zu, daß das Boot herankommt. Meine Leute warten nicht gern!" „Tritt diesem Knülch doch mal in den Bauch!" sagte Peter menschenfreundlich. „Vielleicht kapiert er dann schneller?"
„In dem Ton ja nun nicht!" meckert der Boß. „Bloß nicht auf diese Tour, Herrschaften. So stark wie ihr euch fühlt, seid ihr in Wirklichkeit gar nicht! Ich warne euch zum letzten..." „Mir ist ganz blümerant", sagte ich, „wenn ich mir überlege, was der Chef sagen wird, wenn er sieht, was für eins ich ihm da geschickt habe! Es ist doch zum Wimmern! Hoffentlich sind die anderen im Hintergrund etwas gesegneter!" Laut fluchend, verließ der Leutnant den Kommandostand. Er tobte ein paar. Leute von der Mannschaft an, dann wurde ein Scheinwerfer eingeschaltet und tastete sich suchend über das ruhige Wasser. Als er das Schnellboot erfaßte, blieb er stehen. Ein paar Kommandoworte klangen auf. In einem seemännisch exaktem Manöver machten beide Boote nebeneinander fest. Peter kam unauffällig dicht an mich heran. Ihre Stimme zitterte förmlich. „Worauf wartest du, Jack, mein Gott, warum mußte ich die vollgeladene Waffe zurückgeben?" Ich drehte mich zu ihr und massierte gedankenverloren meine Handgelenke. „Liebling", sagte ich freundlich, „man soll immer dann, wenn es am schönsten ist, aufhören! Es ist aber noch nicht schön genug!" Draußen brüllte der Magere einen zotigen Gruß zu seinem Kumpan von dem Schwesterboot. Sie lachten und grölten dabei. „Siehst du, Peterlein", sagte ich mit schleppendem Tonfall, „es wird noch viel fröhlicher werden!" Sie zuckte die Achseln und schwieg. Ihr Blick ruhte unablässig auf dem Halfter des Rudergängers, das er am Gurt nach vorn gerückt hatte. Dann blickte sie auf, als der Boß mit seinen Genossen wieder hereinkam. „Huch", sagte sie heiser, und man konnte deutlich hören, wie die Wut ihre Stimme krächzen ließ, „so 'ne Galerie wilder Männer habe ich mir immer mal gewünscht! Jetzt fehlt nur noch eine MP dazu, durchgeladen und entsichert!" Reichlich keß für 'ne Achtzehnjährige aus einem immerhin tipptoppen Stall. Ein vollgefressener Bursche mit
Menjoubärtchen und Luesaugen musterte sie grinsend. Dann pfiff er leise durch die Zähne und zeigte auf mich. „Ist er das...?" „Das ist er!" Der Magere nickte und versuchte, über das ganze Gesicht zu grinsen. Er hätte das lieber lassen sollen, denn nach der Packung, die ich ihm gegeben hatte, funktionierte der Muskelmechanismus noch nicht ganz. Er machte ein Gesicht, als hätte er ein faules Ei geschluckt und wandte sich eifrig an den Dicken. „Er scheint vernünftig zu sein", sagte er und wiegte den Kopf, „aber man kann bei diesen Hunden natürlich nicht wissen, was echt ist! Die Zentrale schenkt uns jedenfalls was ein, wenn wir die entscheidende Phase durch Unachtsamkeit platzen lassen!" „Er ist ein bißchen wirr im Kopf", sagte ich heiter. „Sie dürfen ihm das nicht übel nehmen. Nachdem ich ihn gestern verdroschen habe, stimmt es nicht mehr so genau bei ihm... da oben!" Das Menjoubärtchen sträubte sich. Er sah aus wie 'n beschnittener Igel. „Du hast 'ne ziemlich große Fresse, Mann!" „Ja", nickte ich. „Das kommt daher, weil ich es von zu Hause gewohnt bin, drei solche Portiönchen wie dich allmorgendlich quer zu schlucken!" Er glubschte und schüttelte sich. Er war kein Schwächling. Er wollte aber die Auseinandersetzung unter vier Augen vornehmen. „Schafft die beiden rüber!" Er gab seinen Leuten einen Wink, dann schritt er durch eine Gasse aus Pistolen und grinsenden Visagen über das Deck auf seinen Kahn. Er ging, ohne, sich umzudrehen, in die kleine hinter der Brücke liegenden Messe, setzte sich behaglich in einen Sessel und steckte sich einen Zigarillo an. Seine kleinen Schweinsaugen musterten mich und Peter. Er dachte gar nicht daran zu sprechen. Ich lächelte zurück und sagte dann laut zu Peter. „Guck dir dieses Würstchen genau an, Baby! Wenn dich unsere Kinder später mal fragen, wie ein Idiot aussieht, dann kannst du es ihnen genau beschreiben!"
Ich zog mir mit dem Fuß einen Hocker heran und setzte mich. Peter lehnte sich mit dem Rücken gegen die Schottwand. „Stopp", machte er sich da stark, „erst noch ein paar Informationen." „Will ich gerade geben", lächelte ich,. „das andere Boot weiß Bescheid und bekommt über Sprechfunk die Kursangaben sowie die Sperren beseitigt wurden!" „Was sind das für Sperren?" „Wo sind meine Gefährten? Mister Mountainier und Miss Ferguson?" „Denen geht es gut! Wo liegen die Sperren?" „Denen geht es auch gut! Ich möchte die beiden sprechen..." Er nahm den Zigarillo aus dem Mund und beugte sich aufspringend über den Tisch. Er war rot angelaufen und schrie ein wenig schönes Wort. Dann holte er aus und wollte mir eine wischen. Sehen Sie, so was hatte mir genau gefehlt! Ich duckte den Schlag ab, griff im Nachschwung sein Handgelenk, drehte es halb um und zog ihn quer über den Tisch. Dann fuhr ich ihm klatschend mit der flachen Hand ins Gesicht, stemmte seinen Kopf nach hinten, ließ ruckartig los und klopfte ihm ein liebes Ding auf den Hinterkopf, daß er mit seinem Gesicht über die Tischplatte radierte. Blitzschnell setzte ich eine Ohrentrommel an, die ihn vor Entsetzen und Schmerz aufbrüllen ließ. Dann riß ich ihn hoch. „So, du wonnige Ratte", sagte ich gemütlich, „damit du es weißt, mit wem du es zu tun hast." Er unternahm nichts. Er zischte nur einen Fluch und stand auf. An der Tür blieb er vor Peter stehen. „Wartet", sagte er, „ich mache euch demnächst noch mal 'ne kleine Freude! Ihr werdet bestimmt an en lieben Onkel Mac zurückdenken!" „Okay, Mac!" rief ich, „besonders an dein herziges Nasenbluten!" Er ging nach draußen und knallte die Tür zu. Minuten später, in denen ich mich weigerte, Peter meinen Plan zu erläutern, kamen sieben Mann uns holen. Sie ließen uns auf das Dach
des gepanzerten Kommandostandes steigen und banden uns an den vorderen kurzen Funkmast. Dann schwenkten Sie die beiden seitlichen Signalscheinwerfer und strahlten uns an. Dem Dicken war das aber noch nicht hell genug, deshalb ließ er noch zwei tragbare Morse-Scheinwerfer heranbringen und ebenfalls auf uns richten. Es war nicht sehr angenehm. Aber es lag ja auf der Hand, was sie bezweckten, deshalb fuhr ich ihm in die Parade, als er zu spinnen anfangen wollte. „Laß das, Dicker! Es Wird meine Kameraden nicht sehr beeindrucken!" „Das wollen wir ja mal sehen", knurrte er, „das wollen wir ja mal sehen!" Dann hörte ich plötzlich eine leise, wohlvertraute Stimme neben mir. „Hallo, Jack, Lieber..." Es war Lil. Ich wandte den Kopf und blinzelte sie an. Sie sah abgespannt aus, war blaß und schien zu Tode erschöpft. Aber sie lächelte. Ihr rechter Arm hing schlaff herunter, während der linke provisorisch geschient war. „Gelegentlich mußt mir mal das Pimperchen zeigen, das dir den Arm gebrochen hat, mein Herz!" sagte ich. „Er lebt leider nicht mehr", sagte da Schorsch hinter mir. „Er rannte sich das Stirnbein an meiner Faust ein! Er war ein so verfettetes Stück wie dieser dort mit der Rotzbremse!" „Alter Junge!" sagte ich herzlich. „Wie fühlst du dich?" „Oh, danke, sie haben mir ein wenig den Schädel gespalten. Zum Glück kein edler Teil verletzt. Was soll das Feuerwerk hier?" „Haltet die Schnauzen", schrie einer hinter den Scheinwerfern. „Beeilt euch, Jungs, und zieht die Fesseln an!" Die Mannschaften beendeten die Fesselarbeit und zogen sich zurück. Dann richteten sich ein halbes Dutzend MP-Läufe auf uns, und der fette Strolch sagte mit triefender Stimme. „So, nun wolln wir doch mal sehen, ob jetzt noch was schiefgehen kann!"
„Wie kann man nur solch ein Rindvieh mit der Erstürmung des Deutschen Atolls beauftragen!" rief ich laut. „Es kotzt mich an!" „Wer jetzt noch einmal das Maul aufmacht, wird fertiggemacht!" „Langsam, Onkel Mac!" lachte ich. „Vielleicht überlegst du dir mal, gütlich mit uns zu verhandeln. Wenn das andere Boot in den Sperrkreis einläuft, können wir hier nicht un-verankert liegen bleiben! Treibanker raus... andernfalls wir in Gegenden abtreiben, in denen es ungemütlich werden kann. Bring mir ein Sprechfunkgerät..." „Wozu?" „Damit wir alle noch ein wenig am Leben bleiben!" Die Gegenseite schwieg. Es war ja klar. Den meisten Leuten der. Besatzung war bei aller Skrupellosigkeit nicht ganz wohl bei dem ganzen Unternehmen. Zuviel war in den Zeitungen und Magazinen von dem Deutschen Atoll gefaselt worden. Meine Andeutung eben mußte ihren Bedenken neue Nahrung geben und sie damit in Widerspruch zu ihrem Boß bringen. „Wir haften sechs Flugzeuge angefordert! Es sind schwerbewaffnete Boeings, mit alten Besatzungen. Zwei Transporter folgen auf kürzestem Kurs hierher. Macht euch keine Gedanken um den Bluff! Das Atoll wird sich uns ergeben müssen, wenn es nicht überrannt werden will." „Amen!" riet ich. „Das war eine feine Predigt. Sie unterschied sich von anderen nur durch ihre besonders ausgeprägte Dummheit! Das Atoll wird..." Meine weiteren Worte gingen unter in dem Geheul, das von dem anderen Boot kam. Der Magere brüllte vom Kommandostand. herüber: „Die Verständigung klappt! Sie geben Einlaufanweisung nach Richtstrahlen mit Dauerton! Wir laufen mit kleiner Fahrt ein, bleibt auf der alten Frequenz! Reißt die Verbindung ab, dann ist da irgendeine Teufelei im Gange, und ihr legt die Burschen um." „Die Burschen mit Maschinenpistolen", zotete der Menjoudicke. „Die Weiber allerdings..."
Damit war der Bann gebrochen. Sie lachten alle, die Besatzungen grölten, um sich Mut zu machen. Sie lösten die Leinen, und das andere Boot legte ab. Minutenlang hörte man sein Motorengeräusch. Es war bei uns an Bord mucksmäuschenstill. Peter stand links von mir. Unsere Oberarme berührten sich. Ihre Haut fühlte sich kühl und frisch an. „Es muß doch was geschehen", flüsterte Lil auf der anderen Seite voller Ungeduld. „Mein Gott, Jack..." „Halte den Mund", knurrte ich, „natürlich «wird etwas geschehen." „Kommt das U-Boot?" Sie hauchte es ganz leise. „Quatsch! Wir müssen allein sehen, wie wir rauskommen!" „Die Aufmerksamkeit der Lümmel wird zum Morgen geschlagen", schaltete sich da Schorsch ein. „Lil und Peter müssen eine Ohnmacht markieren." „Ihr sollt die Schnauzen halten!" heulte da der Dicke. Er sprang in den Scheinwerferkreis und hackte nach mir. Es tat weh, aber es war ein schöner Schmerz bei dem Gedanken an die Revanche. Seine Stirn war mit einem dichten Netz von kleinen Schweißperlen bedeckt. Er atmete heftig. Selbst in1 diesem Augenblick schaute er nervös auf die Uhr. Es war totenstill. Von fern kam das Surren des Generators unter Deck. Dann klirrte ein Glas. Ein paar Schritte liefen verhalten über das Deck. Jemand spielte nervös mit dem Schloß seiner Waffe. Eine leichte Nachtbrise kam auf. Sie strich belebend um die Stirn und ließ Peter neben mir tief atmen. „Kriegt man hier eigentlich nichts zu trinken?" fragte ich gereizt. „Oder wollt ihr das Verhandlungsklima von vornherein..." „Frank, bring was zu trinken her." „Was? Wasser?" „Ja, Wasser!" Es dauerte lange bis eine Schale mit abgestandenem Wasser herangebracht wurde, aus der wir unter Aufsicht des Menjouheinis trinken durften.
„Wir sitzen wahrhaftig alle in einem Boot", sagte ich leise zu ihm, „sei vernünftig, Kleiner! Torpedorohre nutzen hier weniger als 'n verstopftes Kinderblasrohr!" Er sah mich an und schwieg. Der Schweiß auf seiner Stirn war noch dichter geworden. Er nuschelte etwas undeutliches und ging wieder aus dem Lichtkreis. Ich hörte, wie er mit den Bewaffneten sprach. Was er ihnen sagte, war unschwer ans den sich leicht hebenden MP-Läufen zu erkennen. Hinter mir hörte ich Lil leise stöhnen. Als ich sie anrief, schwieg sie. Dafür flüsterte Schorsch, daß er möglicherweise mit seiner Fesselung fertig werden würde, wenn Lil die ungefesselte, gebrochene Hand unauffällig aus der Schlinge nehmen und ihm den Kreuztampen ein paar Zentimeter höher schieben würde. Diese wenigen Worte dauerten Minuten, denn es war schwierig, derartige Pläne inmitten der lauernden Bestien durchzuführen. Lil räusperte sich. „Die Hand ist nicht gebrochen, Jungs, ich habe... markiert, ich versuche es..." Träge schlich die Zeit dahin. Der Wind war wieder eingeschlafen. Das Boot dümpelte ganz leicht auf den Wellen. Der Dicke ging nicht, von Deck. Zwar schien er nicht mehr unmittelbar bei den Bewaffneten zu stehen, sondern hatte wohl auf dem Vordeck Platz genommen. Er sprach leise mit einigen seiner Kreaturen. Flaschen wurden entkorkt und Eisstückchen in dem Shaker geschwenkt. Dann war es wieder so still, daß man das Aufzischen der Streichhölzer hören konnte. Hinter mir hörte ich die vorsichtigen, zentimetergerechten Bewegungen Lils. Schorsch atmete ruhig und gleichmäßig. Peter hielt die Augen geschlossen. Die Minuten tropften schleichend langsam dahin, sammelten sich zu Stunden und verdichteten sich zu zeitlosen Ewigkeiten. Es war spät. Auf dem Vordeck wurde noch immer leise gesprochen. Der Generator summte, das Licht blendete und ließ nicht erkennen, ob die Nacht zu weichen begann und der Morgen am Horizont aufzog. Ich blickte zu Peter. Sie schlief im Stehen, dennoch merkte sie, daß ich sie anschaute. Sie öffnete die Augen und lächelte.
Sie ahnte, daß ich vieles bedachte und schwerwiegende Pläne wälzte. Deshalb stellte sie keine Fragen. Sie lächelte nur. Habe ich Ihnen eigentlich jemals gesagt, wie wundervoll Peter lächeln kann? Daß ihr Lächeln bezaubern und beglücken kann? Sicher habe ich Ihnen das noch nie gesagt, denn es kommt nicht allzu häufig vor, daß ich poetisch werde. Dann war wieder Schweigen um uns. Der Wind kam in gehauchten Böen und brachte keine Kühlung. Plötzlich brüllte eine Stimme aus dem Kommandostand unter uns: „Radar ausgefallen!“ Mit ein paar wilden Sätzen kam der Dicke in den Lichtkreis gestürmt. Er zitterte vor Erregung. „Was hat das zu bedeuten? Was ist mit dem Radargerät? Was ist für eine Teufelei? Antworte, antworte!" Er keifte wie ein altes Weib. „Reiß dich zusammen, Admiral!" spottete ich ruhig. „Vielleicht machst du uns auch noch verantwortlich, wenn der Abort verstopft ist? — Bei den Übertouren, die der Generator laufen muß, wird 'n Kabel durchgeschmort sein, du Hammel." Er stand sekundenlang starr, drehte sich dann um und raste weg. Er brüllte ein paar Befehle, das Exekutionskommando rückte vor und schloß dichter auf. Es waren Augenblicke höchster Spannung. Das Durchdrehen eines einzelnen konnte katastrophale Folgen haben. Ich hörte Schorsch hinter mir laut atmen. Ich ahnte, was er vorhatte und zischte: „Nichts unternehmen, auf keinen Fall losschlagen." Er hatte seine Arme freibekommen und schien entschlossen, sich vorwärtszustürzen, um in einem gewagten, wahnwitzigen Handstreich die Lage zu verwirren und zuzusehen, ob die Patience aufging. „Du rührst dich nicht", warnte ich noch einmal, kaum hörbar, aber einer von den Bewaffneten hatte es doch mitbekommen. Er sprang vor und stieß mir den Waffenschaft ins Gesicht. Es war kein schöner Schlag, er riß die alten, kaum verharschten Wunden wieder auf. Aber es schmerzte nicht sonderlich. Er ließ mich nicht einmal das Gesicht verziehen.
Es war ein vierschrötiger Kerl mit Sattelnase und Vierkantkinn gewesen. Über seine Stirnglatze lief eine lange klaffende Narbe. Er würde unschwer wiederzuerkennen sein. Der Generator verstummte. Die Leuchtkraft der Lampen wurde um eine winzige Idee schwächer, weil sie nun von dem Batterieaggregat gespeist wurden. Von Unter-Deck kamen vereinzelte Flüche, Rufe und die Geräusche von Werkzeugen. Sie suchten fieberhaft nach dem Schaden, der das Radargerät mattgesetzt hatte. Was dann kam, war wie ein Spuk, der geisterhaft schnell über die Bühne ging und doch nichts anderes war, als eine genaue vorausberechnete, bis in alle Einzelheiten festgelegte Operation. Eine dumpfe. Stimme schrie: „Schiff steuerbord voraus!" Schlagartig flogen die Köpfe des Bewachungskommandos herum. Im selben Augenblick schwebten acht schwarze, schemenhafte Gestalten auf die Plattform und schlugen erbarmungslos zu. Es war wie eine Szene aus einem gruseligen Stummfilm. Alles spielte sich völlig geräuschlos und in überdrehter Schnelligkeit ab. Kein Wort wurde gewechselt, kein Kommando geflüstert. Zwei der Schatten sprangen auf uns zu und schnitten die Fesseln durch. Wir griffen nach den uns gereichten Maschinenpistolen und gingen in die Hocke, als einer der Schatten eine Schußserie in die vier Scheinwerfer prasseln ließ. Das Detonationsgeräusch der Schüsse ließ die ganze Sache noch unheimlicher aussehen. Dabei hatte seinerzeit unser Waffenmeister Ebert vom Deutschen Atoll nur ein paar Tage an diesem Schalldämpfersystem gebastelt und es mehr aus Spielerei fertiggestellt. Nur das Bersten des Glases und das Scheppern der Querschläger störten die gespenstische Stille. Daraufhin war es sekundenlang wieder still, dann heulte die Stimme des Dicken von unten her einen erschrockenen Fluch, ein paar Schatten huschten hin und her, die Bootsmotoren sprangen an, und das Schnellboot nahm Fahrt auf.
Mit schäumender Bugwelle jagte es quer über die See, Kurs auf einen in der Seekarte winzig klein verzeichneten Punkt nehmend. * Am Ruder stand Hein Bastian, der Steuermannsmaat aus Bremen. Er sah verwegen aus in seiner schwarzen Froschmann-Kombination. Neben ihm stand Paul Talberg, unser Nautiker. Die Herrschaft im Motorenraum hatten Mäxchen Heim und Günther Peller angetreten. Angeführt wurde das aus insgesamt acht Mann bestehende Team von Waffenmeister Ebert, der sich extra seine dichte schwarze Bartkrause hatte beschneiden lassen müssen, um die Kopfhaube des Tauchanzuges dicht zu bekommen. Er saß mit uns im Kartenraum und strahlte über das ganze gutmütige Seemannsgesicht. „Jungs", sagte er, uns immer wieder auf die Schultern schlagend, „das war vielleicht ein Wirbel gewesen, als wir euren Spruch bekamen und erkannten, in welch blödsinniger Situation ihr stecktet. Der Chef war mit der Forschungsgruppe ‚Drei' auf einem Versuchsflug über dem Pol und gab sofort Auslaufbefehl für..." „Das U-Boot...?" fragte Lil neugierig. Ebert sah sie lächelnd an. „Nein, mein kleines Fräulein, nicht für das U-Boot..." „Ja..., aber, wie konnten Sie dann nur so schnell hier sein? Sind Sie geschwommen?" Peter stand auf. Sie war sehr friedlich, als sie sagte: „Kommen Sie, Miss Ferguson, ich zeige es Ihnen." Die beiden Mädchen gingen- nach draußen. Der alte Ebert lachte hinterher. Dann räusperte er sich verlegen und beugte sich mit uns über die Seekarte. Später ging auch ich an Deck. Ich kam gerade zurecht, um den Atmosphären-Rotor, der sich flach auf das Wasser niedergelassen hatte, aufsteigen zu sehen. Er startete mit einer faszinierenden Anfangsgeschwindigkeit, verhielt einen
Augenblick, scheinbar stillstehend, und schoß in schräg aufwärtsführender Flugbahn davon, bis er in dem Dunst des Morgengrauens verschwand. Völlig lautlos war das geschehen, noch nicht einmal ein Rauschen oder einen merkbaren Luftsog hatte es gegeben. Ich beobachtete Lil. Sie hielt unwillkürlich die Hände ineinander verkrampft und sah mit großen, fassungslosen Augen zum Himmel, in dem der Rotor verschwunden war. „Mein Gott", flüsterte sie, „mein Gott..." Ich ging auf sie zu. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und sagte: „Geh schlafen,, kleine Lil! In wenigen Stunden wird es wieder rundgehen." „Was habt ihr vor?" „Nichts besonderes. Wir wollen uns nur wehren." „Fahren wir zum Atoll?" Ich zuckte die Achseln. „Vielleicht. Zu einem Atoll fahren wir sogar bestimmt. Ob es aber das Deutsche Atoll ist, wird sich herausstellen." „Darf ich dort an Land?" Sie umarmte mich und küßte mich, bis eine energische Stimme neben uns sagte: „Nana, lassen Sie 'n Stückchen für mich übrig, liebste Ferguson!" Es war Peter. Ich löste mich aus Lils Armen, die bezaubernder denn je aussahen, und rot werdend, zum MesseSchott lief, wo Ebert mit Schorsch die letzten Anweisungen durchsprach. Peter nahm mich an die Hand und zog mich nach vorn, auf die kleine erhöhte Schanz des Bootes. „Hanns, jetzt erkläre mir das alles, oder ich platze..." „Es ist doch einfach, Baby", lächelte ich, schon bevor Schorsch und ich das Atoll verließen, um es von außen zu sichern, war es der Inselleitung klar, daß es durchaus mal passieren könnte — wie heute — und wir in die Hände einer gut ausgerüsteten Bande fielen, die uns zwang, den Kurs zu dem ersehnten ,Wunder'-Atoll anzugeben. Für diesen Fall wurden Radarblenden oder Meßstrahl-Fallen in verschiedenen nur uns bekannten Seegebieten angebracht, die — da man in jedem
Falle mit einem Funkspruch von uns rechnete — beliebig vom Atoll aus eingeschaltet werden konnten." „Also war das, was gestern abend auf dem Radarschirm erschien, gar nicht das Deutsche Atoll?" „Ebensowenig wie ich... Lil Ferguson ernsthaft liebe!" Sie wurde rot und blickte an mir vorbei auf das Wasser. „Und was ist mit dem anderen Boot?" „Das wird in ein Magnetfeld gezogen, in dem die Kompasse durchdrehen und sie einfach die Orientierung verlieren. Der Atmosphären-Rotor spielt dabei eine gewisse Rolle und ist deshalb schon so früh wieder gestartet!" „Wie weit sind wir nun von dem Atoll entfernt?" „Weiter als von Sydney oder New York", sagte ich ernst werdend. „Frage nicht weiter, Peter. Es wäre zwecklos!" „Wohin laufen wir jetzt?" „Nordwestlich von hier liegt eine Atollgruppe, die wegen der vielen vorgelagerten Riffs für unser Vorhaben hervorragend geeignet ist. Wir werden dort die Waffenladung der Schnellboote löschen und die nächsten Wochen damit zubringen, daß wir aus allen Depots dieser Waffenschieber die Klamotten abholen und auf dem kleinen Inselchen fertigmachen zum Abtransport auf das Deutsche Atoll." „Aber, wozu um alles in der Welt, diese Mühe, Hanns? Das Deutsche Atoll mit seinen Möglichkeiten ist doch nicht auf ein paar tausend Handfeuerwaffen angewiesen?" „Das Atoll nicht, aber eines Tages vielleicht die Bewohner dieses Raumes hier, die dann aber die Waffen zu anderen Zwecken erhalten werden als zum Bruderkrieg und der Aggression gegen die im Pazifik vertretenen Interessenmächte." „Das verstehe ich nicht!" „Der Abschaum der Menschheit verliert in den Polizeistaaten dieser Erde immer mehr an Boden. Schon jetzt zeigt es sich, daß Großbanden nach neuen Betätigungsfeldern suchen. Der von Weißen aller Nationen gelenkte Bandenkrieg in Insulinde und anderen unterentwickelten' Gebieten nimmt immer schärfere Formen an. Eines Tages werden sie nicht mit zwei, sondern zwanzig Schnellbooten aufkreuzen und einen
Guerillakrieg entfesseln, der in diesem riesigen Gebiet hier durch keine Flotte der Welt zu kontrollieren ist." „Dann wird der Inselfürst, Kapitänleutnant Reckmann schon eingreifen!" „Irrtum! Eine Intervention des Atolls würde mit den ihm gegebenen Mitteln eine so ungeheuerliche Auswirkung haben, daß es wahrhaftig hundertmal lieber vorzuziehen wäre, den Betroffenen die herkömmlichen Waffen in die Hand zu geben. Eine Kontrolle, daß diese nicht mißbraucht werden, behalten wir selbstverständlich in der Hand. Aber so weit ist es ja noch nicht." Peter lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Sie blickte, lange Zeit neben mir stehend, auf das Wasser hinaus, ließ den aufkommenden Wind in ihren Haaren zausen und sagte dann in seltsamer Resignation: „Dennoch wird es kein Ende geben. Die ganze Welt sucht uns! Mädchen, einfache Sekretärinnen wie Lil Ferguson erkennen uns, und Großbanden mit einer unendlich verzweigten und kaum von außen her aufzurollenden Organisation sind uns auf den Fersen..." „Das Federal Bureau of Investigation und die Central Intelligence Agency der Secret Service und die Interpol fahnden nach uns, die Russen haben ihre besten Leute auf unsere Fährte gehetzt und sogar die Deutschen lassen ihre altbewährten Spionage-Asse nach uns Tag und Nacht suchen, kurz, die Creme der Internationalen Spionageintelligenz befindet sich im Wettlauf um die Auffindung des Deutschen Atolls, und wenn die Zeitungen schreiben, das Vorhandensein der Wasserstoffbombe im östlichen und westlichen Lager hält die beiden großen Rivalen in Schach, so müßte es eigentlich heißen: das Abwarten und die Hoffnung auf die Möglichkeit die Forscher und ihr Werk auf dem Atoll vor den eigenen Wagen zu spannen, hat bislang den Ausbruch eines entscheidenden Weltkonfliktes verhindert." „Viele Hunde sind des Hasen Tod", murmelt Peter bedrückt. „Ich kann mir nicht helfen, Hanns von nun an wird es heiß hergehen. Nicht nur einen Zwei- sondern Zwanzig-Frontenkrieg wird man gegen uns in Schwung bringen. Die Besatzungen der
Schnellboote, die auf dem Weg hierher befindlichen Flugzeuge, die vielen anderen Banditen auf den Waffenfrachten, sie alle werden doch nicht dichthalten. Die Aussagen von einem einzelnen oder einer kleinen Gruppe würde man nicht ernst nehmen, wenn aber Hunderte behaupten, die Kontaktleute des Atolls gesehen zu haben und eine genaue Personalbeschreibung geben, dann ist es doch aus!" „Gesichter kann man verändern, Baby. Vielleicht werden wir uns auch eine Zeitlang trennen müssen, du wirst nach Deutschland gehen, und Schorsch wird getrennt von mir operieren. Auf jeden Fall aber werden wir weiter aktiv sein, Scheinfährten auslegen und eben etwas mehr Aufwand, als bisher mit der Tarnung führen!" „Wir uns trennen?" flüsterte Peter mit zuckenden Lippen, „alles, nur das nicht!" „Na warten wir mal ab, Baby", versuchte ich leicht über das Problem hinwegzugehen. „Es ist ja noch nicht zu Ende. Erst wollen wir mal ein bißchen Rummel machen und für Abwechslung sorgen!" Sie lachte wieder froh und drückte meine Hand. Ich überlegte gerade, ob ich sie küssen sollte oder ob diese spontane Gefühlsaufwallung meine Autorität als Teamleiter untergraben würde, als Schorsch mich anrief. „Dein Typ wird verlangt, Hanns!" rief er. „Unser Dickerchen möchte ein Geschäftel mit dir machen!" Ich ließ Peter stehen und ging nach hinten. Das Menjoubärtchen saß ziemlich erschlagen in der Messe und blickte mich an wie ein Reh, das vor dem Jäger im Sterben liegt. „Mister", sagte er mit Gigolo-Timbre in der Stimme, „ich möchte Ihnen vorschlagen, daß wir den Ärger vergessen." „Was zahlst du dafür, Dicker?" fragte ich, und Schorsch schob sich, ein Jagdmesser mit breiter Klinge an seinem Handballen wetzend, näher. Gehetzt blickte der Gangster von einem zum anderen. „Aber das könnt ihr doch nicht mit mir machen, Jungs! Immerhin habe ich dafür gesorgt, daß ihr zu trinken bekamt und auch sonst..."
„Was zahlst du?" fragte ich noch einmal und lauter. Er atmete schneller. Er blickte zur Tür und zu den Bulleyes, dann beugte er sich vor.. „Ich kann euch die Lage unserer Stützpunkte beschreiben. Ich kenne die Verbindungsleute in den Häfen. Ich weiß zum Beispiel, wer im New Yorker Hafen für uns arbeitet. Ich kenne die Treffs und weiß auch ungefähr, was für feine Herren das Geld zuschießen." „Das ist nicht das Vergnügen wert, dir den Kopf abzureißen und damit Boucle zu spielen." Ein triumphierendes Lachen schob sich in seine Fratze. „Ich weiß, daß es euch mehr wert sein wird! Aber obendrein habe ich noch etwas anderes anzubieten." Schorsch hörte mit dem Wetzen auf und legte das Messer auf den Tisch. „Kannst du dir denken, was er meint, Hanns?" fragte er ruhig. Ich nickte, nahm das Messer an mich, gab Schorsch einen Wink und ging hinaus. Ich kam gerade zurecht, wie drei von der alten Besatzung von unseren Jungs nach vorn ins Vorschiff gebracht wurden. Der Mittelste von den Gefangenen hatte eine Sattelnase, ein Vierkantkinn und eine lange Narbe quer über der Stirnglatze. Ich lächelte ihm zu, was ihn veranlaßte, vor mir auszuspucken. Wissen Sie, ich bin ein Mann von Grundsätzen. Ich lasse mich aber nie von irgendwelchen Ressentiments leiten. Nur Gemeinheiten kann ich nicht vertragen. Bei so etwas brechen meine Vorsätze immer wieder zusammen. Ich nahm mir den Jonny, hieß die anderen weiterzugehen und drückte ihm das Messer in die Hand. „Mach mich fertig, Bully!" sagte ich freundlich. „Wenn du es schaffst, besorge ich dir 'ne Extrakarte erster Klasse in einem Stratoclipper nach Hause!" Er rollte mit den Augen und nannte mich einen zehntausendmal verfluchten Bastard. Er erklärte mir auch die Familienzusammenhänge und griff mit dem Schlitzertrick an. Er kam mit dem Messer von unten, weil er wußte, daß die Abwehr eines Stiches von oben leichter war. Ich unternahm nichts. Ich
tänzelte den Schlag nur aus und betrachtete mir liebevoll sein Kinn. Es war ein außerordentliches Kinn! Später verlor er das Messer, als ich ihm den rechten Arm auskugelte. Ich ließ ihm aber Zeit, es wieder aufzunehmen. Er schäumte vor Wut und vergaß, wo er sich befand, mit wem er kämpfte, und daß ihm diesmal ein Gegner gegenüberstand, dem nicht das Herz in die Hosen fiel, wenn er auf Furcht und Schrecken machte. Dann stolperte er in zwei schnelle Schwinger von mir. Er fiel auf die Knie und schüttelte verwundert den Kopf. Er mußte zweimal ansetzen, um wieder hochzukommen. Das war nicht schön und nahm mir die Freude an einem zumindest von meiner Seite aus unfairem Kampf. Ich sagte ihm, er solle das Messer wieder herausgeben und sich ins Vorschiff trollen. Es wäre nicht viel mit ihm los. Das ging ihm gegen den Strich. Er änderte meinen Stimmbaum noch einmal um und warf sich auf mich, um mich gleichzeitig zu erstechen, zu erwürgen, zu erschlagen und zu zerdrücken. Er schaffte es nicht. Er renkte sich den Kiefer dabei aus und schrie danach ganz unartikuliertes Zeug, dann verstauchte er sich die Handgelenke, verlor das Messer zum zweiten Male, kugelte sich auch den anderen Arm aus und zerschlug sich sein Vierkantgesicht in erschreckendem Ausmaße. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst, als er zum schützenden Logis kroch. Er sagte auch nichts mehr. Er krabbelte nur und war voller Verwunderung über das, was andere Leute manchmal alles können. Ich wischte mir die Hände ab und ging in die Messe. Ich blickte in den Spiegel und gefiel mir nicht sonderlich. Die Bartstoppeln waren blutverkrustet, die Ohren und andere Partien geschwollen und der Rest in sämtlichen SpektrumNuancen schimmernd. Ich hätte nicht mit mir verheiratet sein mögen. Da sagte eine Stimme von der Tür her... „Ich liebe dich trotzdem, Jack..." Es war Lil. Ich drehte mich um und sah sie verärgert an. „Muß das sein?" fragte ich. „Du solltest doch schlafen."
„Ich brauche immer jemanden, der mir beim Einschlafen hilft!" Wissen Sie, man konnte dieser Dame nicht böse sein. Ich lachte ein wenig und sagte ihr, sie solle sich auf die Eckbank legen. Ich würde ihr ein Mädchen erzählen. „Aber ein modernes... ein schickes..." „Modern ja, Lil, aber ob es auch schick ist?" Sie umarmte mich von hinten und rieb ihre Nase in meinem Nacken. Und ausgerechnet in diesem Augenblick müßte Ebert reinkommen. „O pardon", sagte er. „Ich wollte nicht stören." „Sie stören nicht, Meister aller Waffen!" sagte ich knurrig. „Was gibt es denn?" „Wir werden in einer halben Stunde die ersten Riffs sichten. Hein Bastian bittet Sie, dann in den Kommandostand zu kommen, da er die Einfahrt nicht kennt!" „Ist gut", nickte ich. „Wo sind Peter und Schorsch?" „Leutnant Berger nimmt Seewasserduschen und behandelt seine dreieinhalb Dutzend Schlagverletzungen mit grüner Salbe. Er will unter allen Umständen wieder fit werden." „Und Peter?" „Sie ist im Laderaum und hilft den Jungs bei den Vorbereitungen für das Löschen der Ladung." Ich verbiß mein Lachen und sagte: „Richten Sie ihr bitte aus, sie möchte sich achtern in eine Koje packen und 'ne Mütze voller Schlaf nehmen. Ich käme in zwanzig Minuten nachschauen, ob sie schläft." „Ist unser Märchen so kurz?" fragte Lil spitz. Ich sagte nichts mehr, und Ebert verließ die Messe. Lil küßte mich von hinten ans Ohrläppchen. „Du solltest dir ein paar Kompressen machen, Jack." Aber dann legte sie sich lang, zog die Beine an, blinzelte mir zu und rief: „Anfangen mit dem Märchen, Klein-Lil war auch immer ganz artig!" „Ja", sagte ich, „deshalb bekommt sie auch eine Geschichte zu hören, die nur für sie bestimmt ist: Es war einmal ein Mädchen, das war sehr ehrgeizig! Es wollte nicht nur einen reichen Mann, ein großes Haus, ein schönes Auto und kostbare
Roben, es wollte Macht! Ihr Wunsch nach Macht war so stark, daß sie hin und her überlegte, wie sie es wohl verwirklichen konnte, einen Plan durchzuführen, der ihr mit einem Schlage die Verwirklichung aller Wünsche brachte. Das war nicht einfach, denn, um in den Job einzusteigen, benötigte sie erst einmal einen Haufen Geld. Es war aber nicht allzu schwierig, sich den zu beschaffen, denn sie war nicht nur außerordentlich schön und verführerisch, sie besaß gleichzeitig die Gabe, bei allen körperlichen Vorzügen ziemlich skrupellos zu sein." „Ein langweiliges Märchen", maulte sie und nestelte dabei an ihrer Bluse. „Ich wünschte, du würdest einsehen, daß ich andere Geschichten bevorzuge!" „Es wird noch spannender, Liebling", lächelte ich. „Paß nur auf! — Das Mädchen beschaffte sich also Geld! Mit diesem Geld kaufte es Waffen. Auch das war nicht leicht. Aber da das Rotkäppchen genau wußte, was hübsche Beine und sonstige Verzierungen für gewichtige Verhandlungsfakten auf allen Parketts dieser Erde sind, beschaffte sie sich schweizer, schwedische, polnische und sonstige Lieferanten, die ihr die Bäuche ihrer Schiffe füllten und die sie doppelt und dreifach zu begaunern gedachte. Sie hatte die Schiffe nur gechartert und Bezahlung der Fracht war am Deklarationsziel vereinbart. Wenn nun ein solches Schiff nicht ankam, brauchte sie erstens die Charterkosten und zweitens die Ladungskosten nicht zu bezahlen und konnte obendrein hoch eine hübsche Versicherungssumme kassieren. Wenn sie darüber hinaus ein paar ihr treu ergebene Verbrecher einsetzte, die vor dem Verschwinden des Schiffes die gesamte Ladung in Sicherheit brachten, dann hatte sie zusätzlich die Fracht vereinnahmt, ohne auch nur einen lausigen Dollar zu berappen!" „Ein tüchtiges Mädchen", sagte Lil anerkennend, „aber was mich mehr interessieren würde: hatte sie auch einen Liebhaber? Und was trieben die beiden so den ganzen Tag?" „Sie hatte mehrere Liebhaber. Es waren die Waffenlieferanten, mit denen sie ihre Nächte verbrachte, und es waren die Berufsverbrecher, die sie für den Coup brauchte, als es darum ging, die ,Chatanooga-Lizy' auf der Überfahrt nach Australien verschwinden zu lassen!"
„Jetzt wird es interessant!" „Nicht wahr, ein aktuelles Märchen? — Der nächste Liebhaber war ich! Ich wurde es, so wie die alten Römer an die Stelle der Erschlagenen rückten, als ich ihren Plan mit der alten abwrackreifen ,Lizy' durchkreuzt hatte, als ich mit einer Maschinenpistole in wenigen Minuten zusammenschoß, was sie sich in langen Monaten aufgebaut hatte. Es gelang ihr, sich zu tarnen imd mich zu bluffen. Sie wurde meine Geliebte und rechnete sich aus, daß ein Bursche, der so hart ist, wie ich, allerhand wert wäre und den Verlust spielend wieder hereinbrächte. Auf engem Raum mit mir und meinen Gefährten zusammenlebend, bekam sie eines Tages spitz, daß wir möglicherweise andere wären als die, für die wir uns ausgaben. Sie folgerte mit ihrem messerscharfen Verstand, bis unser Verschwinden die Richtigkeit ihrer Theorie bestätigte..." „Welcher Theorie?" „Daß wir Kontaktleute des sagenhaften Deutschen Atolls wären! Sie ließ sich von dieser wahrhaft umwerfenden Erkenntnis nicht matt setzen, sondern handelte blitzschnell. Sie alarmierte ihre beiden Verteilerboote und die sonstigen Ganoven, die zu ihrer Waffenschmuggel-Organisation gehörten. Sie spielte die Rolle ihres Lebens, als sie mich auf dem Flugplatz traf und sich von mir zum Mitkommen zwingen ließ. Es war so kinderleicht für sie, nachts, während wir schliefen, die Sendeanlage des Flugzeuges zu betätigen und die Schnellboote. zur Insel zu beordern. Nur für mich war es schwer, die Zusammenhänge zu erkennen, da diese Dame... mein Kompliment... sehr geschickt vorgegangen war." „Küßt du mich jetzt endlich?" „Wie gefiel dir die Geschichte?" „Die Pointe fehlt", lächelte sie, „man muß sich fragen, was hätte die Dame bewegen können, sich derart für das mysteriöse Deutsche Atoll zu interessieren? Und was hätte diese Dame dem Atoll schon groß schaden können? Wo blieb ihr Vorteil?" „Das", grinste ich breit, „das frage ich mich allerdings auch! Vielleicht glaubte sie, mit ihrer Figur die einsamen Männer des Atolls so zu becircen, daß man ihr die alleinigen Verwertungsrechte der dort gemachten Erfindungen zu den
hübschen Füßen legt, oder sie hoffte, allein aus der Kenntnis der Lage des Deutschen Atolls den internationalen Geheimdiensten ganz schön die Mäuse aus der Nase ziehen zu können. Was auch immer, wie auch immer und warum auch immer: sie schob eine ganz schöne Pleite bei dem Unternehmen! Sogar der Boß dieses Schnellbootes war bereit, sie zu verkaufen, wenn er sich ein paar persönliche Vorteile dafür einhandeln konnte!" „Dieses Schwein", lächelte sie, „er wäre sowieso bald über die Klinge gesprungen. Machte dieser dreckige Patron mir doch ein eindeutiges Angebot, als ich die Operation mit ihm besprach. Wurde auch noch zudringlich, der Kerl, und nannte mich ein ,Honey-baby-suckle-honey-sweet', das er ins Bett haben müßte, koste es, was es wolle!" „Na so was", sagte ich, „man sollte ihn ins kalte Wasser schmeißen! Nicht genug, daß. er mordete und betrog, nun wollte er auch noch mit seiner Chefin poussieren. Was zu weit geht, geht zu weit!" „Stimmt! Deine Geschichte war ganz nett, aber dein Spott jetzt, der geht wirklich zu weit!" „Du hast keine Chance mehr, Lil Ferguson!" Ein Blick traf mich, den sie lange geübt haben mußte. Sie räkelte sich auf der schmalen Bank und knöpfte die Bluse wieder zu. „Nicht, daß du denkst, ich wollte dich auf dem Umweg über meinen Körper zu Dingen veranlassen, die im Gegensatz zu deiner Pflichtauffassung stehen..." „O Lil", lachte ich, „im Grunde genommen bist du doch 'ne tolle Nummer!" „Nicht wahr? Ein Mädchen mit Charakter! Ein Mädchen, das begriffen hat, worauf es ankommt! Ein cleveres, fesches Geschöpf, das dir, mein Junge, jetzt ein Angebot machen wird, bei dem du dir alle Finger leckst!" Sehen Sie, so war Lil Ferguson aus USA. Schön wie die Sünde, nicht ums Verrecken zu schockieren und mit der unglaublichen Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen. „Ihr steht vor dem Problem, was ihr mit den vielen Mitwissern machen sollt, die nun mit Bestimmtheit wissen, daß es ein
Deutsches Atoll gibt. Ihr seid zu deutsch, um sie einfach zu killen und allesamt in den Bach zu schmeißen. Ihr könnt sie aber auch nirgendwo internieren, denn so etwas ginge auf die Dauer nicht gut. — Auf der anderen Seite habt ihr Nachschubsorgen. Ihr braucht Rohstoffe und vorgefertigtes Material. Niemand ist da, dem ihr den Transport anvertrauen könntet. Niemand war da! Jetzt werde ich den Laden schmeißen! Mit den beiden Schnellbooten haben < wir monatelang zwischen den Inseln operiert, ohne auch nur die Rauchwolke eines anderen Schiffes zu sehen. Wir fahren jetzt für euch! Wir treten in eure Dienste mit unserem gesamten Apparat! Wir beschaffen alles, was ihr braucht! Und wenn ich die Uran-Reserven der Vereinigten Staaten von Amerika für unser Atoll klauen müßte, es gibt nichts, was wir für euch nicht täten! Ist das ein Angebot, mein Junge?" „Du beschämst mich, Honney-baby-suckle-honney-sweet! Ich bin tief gerührt, und wenn ich nicht ans Steuer müßte, würde ich dir jetzt zu Füßen fallen! Schlaf, mein Engel, unter Palmen besprechen wir das Weitere!" Als ich hinausging, sagte sie ein unanständiges Wort und schmiß mir einen Schuh nach. * Die Insel, auf der Karte nur als Riff verzeichnet, war vulkanischen Ursprungs. Kaum einen Quadratkilometer groß, bot sie eine phantastische Möglichkeit als Waffendepot für unsere Zwecke anzulegen. Ähnlich wie unser Deutsches Atoll besaß sie eine Lagune, die von Felsen und dichtem Wald umgeben war und eine halbunterirdische Verbindung zum Meer besaß. Wenn wir einige störende Korallenriffe sprengten, mußte es möglich sein, mit dem U-Boot in die Lagune zu gelangen, ohne von Luft- der Seebeobachtern bemerkt zu werden. Ich legte das Schnellboot an ein flaches Riff, ließ Tender ausbringen und ging ans Land, während Ebert das Ausladen der Waffenkollis organisierte. Es ist gut, einmal allein zu sein. Ich lief halb um die Insel und registrierte im Geiste die vorgefundenen Möglichkeiten. Es
boten sich ideale Landungsmöglichkeiten für Motorflugzeuge an dem Westrand. Ein paar wenige Handgranaten mußten wiederum im Notfall genügen, um den festen Sandstrand so zu verpflügen, daß eine Landung gänzlich ausgeschlossen war. Das Tuten des Nebelhorns rief mich zur Landungsstelle zurück. Ich lief quer durch einen Palmenhain zur Ostseite. Auf halbem Weg kam mir Schorsch entgegen. „Funkspruch vom Rotor", sagte er achselzuckend, „das andere Schnellboot läuft etwa fünfzig Meilen von hier im Kreise herum. Wir sollen ausladen und es so schnell wie möglich aufbringen. Wirbelsturmwarnung!" „Schiet!" knurrte ich. „Was hältst du übrigens von der Chose?" „Nicht viel! Es wird Schwierigkeiten machen, der Bande den Appetit auf das Atoll zu nehmen. Es sei denn..." „Ich weiß, was du sagen willst. Aber wir sind schließlich keine Massenmörder. — Laß dir was anderes einfallen!" Er fluchte laut und kräftig, als ich ihn stehenließ und zum Boot hinunterging. Das Löschen der Ladung florierte. Die Stammbesatzung des Schnellbootes arbeitet im Laufschritt, flankiert von unseren noch in den Schwimmkombinationen steckenden Kameraden. Lil Ferguson saß abseits auf einem Kistenstapel und rauchte eine Zigarette. Sie lächelte, als ich an ihr vorbeiging. Sie sagte kein Wort. Ich stieg auf das Boot und rief nach Peter. Sie meldete sich aus der Pantry, wo sie den Inhalt von einem Dutzend Büchsen in einer Pfanne schmirgelte. Sie hatte den kleinen Klapptisch für zwei Personen gedeckt. „Schorsch hat schon", murmelte sie, „iß!" Später liefen die Motoren an, und Peter -aß unbekümmert weiter. Ich stand grinsend auf. „Raus, du Frauenzimmer!" sagte ich streng, „so gut der Fraß schmeckt, er verführt mich nicht, dich zu der bevorstehenden Aktion mitzunehmen!" Sie ließ, resignierend, die Gabel sinken. „Verdammt, und ich hatte mich so darauf gefreut! Na, dann nicht, liebe Tante!"
Sie warf den Kopf in den Nacken und stolzierte hinaus. Sie drückte sich an Ebert vorbei, der mit einem Funkspruch hineingestürzt kam. „Der Rotor gibt noch einmal Wirbelsturmwarnung. Wir haben höchstens noch fünf bis , sechs Stunden Zeit." „Reicht aus", nickte ich kauend, „prüfen Sie, ob alles von Bord ist! Hein, die Dieselheizer und Sie bleiben an Bord. Alle anderen warten mit den Gefangenen an Land. Leutnant Berger übernimmt derweil das Inselkommando!" Das Boot drehte auf dem Teller. Wir liefen mit geringster Fahrtstufe durch die Riffbarrieren hinaus und drehten erst im freien Wasser auf. Mit heulenden Motoren nahm das Boot Kurs nach Süd. Siebzig Minuten später sichteten wir das mit kleiner Fahrt hilflos durchdrehende Schnellboot. Es stoppte, als wir Signal gaben. An Deck drängte sich die Besatzung zusammen. Oben, hinter dem niedrigen Wellenbrecher des Kommandodecks, standen der Boß und der „Leutnant". Sie beobachteten uns mit Gläsern und gaben gestikulierend irgendwelche Befehle an die Mannschaft. Einige rannten unter Deck, andere nahmen Deckung. „Halbe Fahrt", gab ich durch das Sprachrohr in den Motorenraum. „Bereit halten für schnelle Maschinenkommandos!" Das andere Boot lief rückwärts eine halbe Schleife. Die Distanz betrug mindestens noch eine Meile. Sie zeigten uns den Bug, und ihre Absicht war unschwer zu erkennen. Kopfschüttelnd blickte Ebert durch das Glas. „Es ist schon lange her, seit mich Torpedos interessierten. Daß man aber mit diesen veralteten Instrumenten so dusselig umgehen könnte, hätte ich nie geahnt!" Aber sie kamen nicht mehr zum Schießen. Ah Bord brach eine Panik aus, als sich der Rotor wie ein stürzender Meteor in rasender Schnelligkeit senkrecht von oben auf das winzige Boot senkte, fünfzig Meter über der Mastspitze stoppte und seine Lautsprecher einschaltete. Die drohende schwarze Scheibe über sich, die brüllende Geisterstimme, die völlige Lautlosigkeit, mit der sich der Rotor
in der Luft hielt, und der Anblick des mit voller Kraft sich nähernden Schnellbootes mit den schwarzen Froschmännern darauf, ließ jeden Gedanken an ein Sich-teuer-verkaufen" von vornherein zusammenbrechen! „Waffen weg, alle Mann auf das Vordeck!" brüllte der Lautsprecher vom Himmel. „Der Kommandant übergibt das Boot!" „Hallo, Leutnant!" lächelte ich beim Übersteigen dem käsigen Steuermann zu. „Wie geht es? Noch Verlangen nach näherer Bekanntschaft mit dem Deutschen Atoll?" Er schüttelte stumm den Kopf. Kein Karikaturist hätte ihn kläglicher konterfeien können, als er es war. Wir sammelten die losen Waffen ein und warfen sie über Bord. Ebert verschloß den Laderaum, ging nach vorn, jagte beide Aale aus dem Bug und meldet nach fünf Minuten das Boot fahrbereit. Ich ging in das Funkchap, meldete mich für den Rotor, dankte für die Einsatzunterstützung und verabschiedete mich mit der Weisung, alle verfügbaren Transportmittel des Atolls zu mobilisieren, um die Waffenlieferungen abzuholen! Weitere siebzig Minuten später kreuzten wir wieder vor dem Versteck auf. Die Gefangenen lagen, deutlich sichtbar, wie getrocknete Flundern nebeneinander am Strand, bewacht von unseren Jungs. Schorsch, Peter, Lil und die anderen fehlten. Mir schwante Unheil, ich ließ beide Boote stoppen und sprang über Bord. Ich schwamm die letzten Meter bis zur Barriere und watete eilig durch das flache Wasser an Land. Toni Gruber machte ein zerknirschtes Gesicht, als er berichtete: „Es waren vier Mann, Leutnant, sie müssen auf der anderen Seite gelandet sein. Sie hielten uns in Schach, während das Mädchen Fräulein Peter zwang, mit ihr zu gehen. Sie zwangen auch die anderen, einige Waffenkollis zu tragen und hatten es eilig." „Wann war das?" „Vor 'ner knappen Stunde!"
Ich hetzte los. Ich lief durch den Palmenwald, das Mangrovendickicht, rundete die Lagune und brach keuchend durch den Buschgürtel, der dem Westrand vorgelagert war. Die Situation war mit einem Blick zu umfassen. Zweihundert Meter vor mir stand eine Zweimotorige mit auf Standgas laufenden Motoren. Dicht daneben standen mit erhobenen Händen die Kameraden und Peter. Schorsch war schneeweiß vor Wut. Am Waldrand bei den gestapelten Collies, die Handgranaten, Wurfminen und haufenweise Munition enthielten, wartete Lil. Sie räkelte sich lässig und blickte zu mir herüber. Neben ihr stand ein Bursche mit einem Repetiergewehr. Er nahm es langsam in Anschlag, aber sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Noch nicht, Freddie!" Das Lächeln auf ihrem Gesicht verstärkte sich, als sie langsam, mit wiegendem Schritt auf mich zukam. Sie haßte mich, aber sie lächelte. Ich richtete mich auf und ging ihr entgegen. „Wie lieb von dir, daß du dich noch verabschieden willst, Jackie!" sagte sie glucksend. „Du bist ein guterzogener Bengel!" „Rechnest du dir eine ernsthafte Chance aus, Lil?" „Aber ja! Sieh mal, ich nehme mir die kleine Dirne dort mit an Bord. Ich weiß, du wirst dann verbieten, daß man uns abschießt. Ich nehme sie mit und lasse sie vielleicht irgendwo laufen, vorausgesetzt, daß sie mir keinen Ärger macht!" „Und dann?" „Dann telefoniere ich mit dem amerikanischen Geheimdienst und erzähle ihm eine feine Geschichte, nenne meinen Preis und liefere die Beweise." „Was für Beweise?" „Meine Sache!" „Meinst du?" Meine Stimme war geladen, und sie spürte das. Sie wich einen Schritt zurück. „O Jack, wie siehst du aus? Wirst du es denn nie lernen, Unabänderliches hinzunehmen?" Sie schrie auf, als ich plötzlich meine P-38 in der Hand hatte und zu feuern begann. Sie sank in die Knie, dabei hatte ich nur
an ihrer Hüfte vorbeigeschossen. Der Lui mit der Schlägermütze aber zuckte dreimal zusammen, klammerte sich ächzend an die Repetierbüchse, versuchte vergeblich, den Finger krumm zu machen und starb, bevor er umfiel. Im gleichen Augenblick brach die Hölle am Flugzeug los. Meine Schüsse waren das Signal für Schorsch und die anderen gewesen. Dennoch lief Lil, sich aufraffend und gellend schreiend, zum Flugzeug hin. Sie lief gebückt und stolperte in die letzte Schußserie ihres Kumpans, der mit einem unserer Jungs um die Maschinenpistole rang und dabei abgezogen hatte. Lil lief mit durchschossenem Leib noch viele Meter. Später kroch sie, sich mit den Händen in den Sand krallend, immer noch weiter, bis sie liegenblieb und zu schreien aufhörte. Ich lief zu ihr und beugte mich über sie. Sie hielt die Augen geschlossen. Dann flog ein verkniffenes Lächeln über ihr geisterhaft eingefallenes Gesicht, und sie flüsterte: „Nun hast du doch noch... eine Pointe... du mug... du verdammter mug... der reichste Mann der Welt könntest du sein... du mug... dabei bist du... bloß... ein kleines... dummes Luder." Als sie starb, entblößte sie ihre Zähne. Sie sah gehässig und gierig aus. Ich ging zu den anderen. Ich redete nicht mehr viel. Ich sagte den drei unverletzten Fliegern, daß sie zusehen sollten, wie sie nach Hause kämen. Sie glotzten und konnten es nicht fassen, daß ich sie frei ließ. Ich schickte die Gefangenen auf das Schnellboot des Mageren, ließ es entladen und dann Kurs auf See nehmen. Sie sprachen kein Wort. Sie sahen stumm zu, wie wir die Toten auf das andere Boot nahmen, auf See bestatteten und dann neben ihnen herliefen, bis die Insel aus unserer Sicht entschwunden war.. Sie hatten eine gräßliche Angst davor, daß wir sie torpedieren und skrupellos in die Luft jagen würden. Einige lagen auf den Knien, als wir stoppten und das andere Boot entließen. Wir blieben gestoppt liegen, bis es aus dem Radarkreis entschwand, dann gingen wir auf Kurs X, bis der Rotor uns
holen kam. Das Schnellboot blieb unbemannt zurück, wurde kleiner und kleiner und löste sich in dem Dunst der Sturmausläufer, die das Gebiet überquerten... Peter stand in der Kanzel des Rotors hinter den dicken UpScheiben. Sie lächelte, als ich neben sie trat. „Hallo, Jack!" „Hallo, Baby!" Sie faßte nach meiner Hand, drückte sie und blickte den Wolkenfetzen nach, die vorbeiflogen, Figuren bildeten, sich festklammerten und abrissen, übermütig, wild und ungebändigt. * Siebenundzwanzig Tage später ging eine Notiz durch mehrere Weltzeitungen: „Die vor drei Wochen im Räume der Fidschiinseln aufgetauchten Gerüchte um eine bewaffnete Aktion des sogenannten Deutschen Atolls, haben den sofort eingeleiteten Nachprüfungen der britischen* amerikanischen und französischen Suchkommandos nicht standgehalten. Dafür stellte es sich heraus, daß rivalisierende Waffenschmuggelbanden offensichtlich diese Mystifikation verbreiteten, um ihre dunklen Geschäfte zu tarnen. Die von dem schwedischen Dampfer ,Kalmar-Sund' gefundenen Wrackstücke eines Schnellbootes und die an den Strand von Walkai gespülten Trümmer eines zweimotorigen Privatflugzeuges — wir berichteten vorige Woche ausführlich darüber — scheinen die Version von dem Bandenkampf zu bestätigen. Die angeblich als Waffenversteck dienende Insel wurde durchsucht. Es fanden sich keinerlei Spuren, geschweige denn Anzeichen irgendwelcher geheimnisvoller Vorgänge. — Die Behörden in Sydney bereiten einen Prozeß gegen die Waffenschmuggler vor, dessen unbestechlicher Gerechtigkeit sie sich durch derartige Lügenmanöver wohl kaum entziehen können.
LESEPROBE
ORIGINAL HANNS HART
Schrei aus dem Jenseits Der erste Schuß aus der loshämmernden Colt-Automatic zerfetzte ihm das Gesicht. Bob Alleyshon war schon im normalen Leben keine Schönheit gewesen, aber nun sah er erbärmlich aus. Er fiel in den zweiten Schuß hinein, der ihn mitten in der Brust erwischte, hochwarf und gegen die Wand nagelte, an der er mit hängendem Kopf abwärtsrutschte und in den Haufen aus Zigarettenkippen, Abfallpapier und Flaschenverschlüssen fiel. „Da liegt er", sagte der Zweizentnermann mit der ColtAutomatic, der schwersten Pistole Amerikas, „ich hab's ihm ganz schön gegeben, diesem Hund, diesem verdammten, was?" „Ja, da liegt er!" sagte Mister Fletcher, der Wirt dieses nicht gerade sehr exklusiven Ladens. „Und du hast es ihm wirklich fein gegeben, Henry! War das ein Gunner von Thomas Handley? Oder hetzte er die Gewerkschaftsmitglieder gegen euch auf?" „Keins von beiden, du Armleuchter! Das war einer, der 'ne Sache mit Marion hatte und das ausschlachtete, um dem Alten die Flöhe aus dem Sack zu locken. Ist doch klar, daß der sich das nicht gefallen lassen wollte. Er hat es ihm auch gesagt, aber Bob in seiner Idiotie trumpfte auf und wollte Marion zu 'ner Aussage bewegen, wie sich das damals verhalten hatte, als ihr Vater mit William O'Connor, dem Kassierer von der HarbourLine, die Versicherungssache gefummelt hatte. Na, da sah der Alte rot." „... und Bob ist tot!" Sie lachten über den Reim. Sie tranken beide, dann setzte der Wirt das Glas hart auf den Tisch. Er wischte mit der Hand über den Mund und deutete auf mich. „Und was ist mit dem da?"
Ich saß in einer Nische des Raumes. Neben mir, halb auf meinem Schoß, röchelte ein Mädchen namens Jennifer. Sie war ziemlich jung, aber dafür schwer betrunken. Sie trüg eine Bluse, an der die Knöpfe durch stramme Haltung ersetzt wurden. Ich hatte den Kopf an die Holzverkleidung gelegt und war bestimmt nicht von einer Schnapsleiche zu unterscheiden. Dann hörte ich, wie der Zweizentnerbulle herangelatscht kam, wie er mit einer gezischten Zote dem Mädchen in die Haare griff und sie herauszerrte, um sie mit einem Tritt in die Mitte des Raumes zu stoßen. Sie übergab sich dabei und blieb liegen. Dann griff er auch in meine Haare. Und sehen Sie, das kann ich doch verdammt nicht leiden. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, mich weiterhin restlos dun zu stellen und damit dem ganzen weiteren Theater aus dem Weg zu gehen, zumal der Besuch in dieser Budike bis auf wenige Informationen ergebnislos geblieben war, aber wenn mir einer in die Haare greift, der mit derselben Hand 'ne Minute vorher einen erschossen hat, dann verleugne ich meine Erziehung und bin kein feiner Mann mehr. Ich öffnete die Augen und feuerte ihm einen mörderischen Haken in die Herzgrube, dem sich ein gestochener Schwinger in sein rechtes und ziemlich erstauntes Auge anschloß. Er stolperte zurück und dachte, ein Riese hätte ihn geschüttelt. Erbleichend erkannte er dann, daß er nicht träumte, weil ihm meine Schuhspitze hart in den Bauch knallte und ihm der Schnaps aus dem Magen unter die schmerzenden Zahnwurzeln schwabbte. Er griff unter das Jackett. Er machte das halb im Traum und längst nicht schnell genug, um meiner heranfliegenden Linken auszuweichen. Es knallte, als wäre ein Bulldozer-Reifen ge-v platzt, er flog zurück, krachte gegen die Theke und fiel auf sein Opfer. Er blieb bewegungslos liegen und dachte, ich wäre ein heuriger Hase, dem man ein altes Muster für 'ne fröhliche Hochzeitsnacht verkaufen kann. Aber ich behielt ihn im Auge und warf ihm eine Flasche in das Gesicht, weil er den dicken Brummer aus dem Halfter direkt in meinen Bauch spucken lassen wollte.
Die Flasche war voll gewesen, sie zersprang und lief aus. Da es sich um roten Likör handelte, der auf den schönen Namen „Blutige Witwe" hörte, gab das einen besonderen Effekt. Er brüllte vor Schmerz, er schrie und weinte und vergaß nicht, ein zweites Mal nach seiner Artillerie zu langen. Ich sprang vor und trat ihm die Kanone aus der Hand. Er ließ einen Jodler los, der die Flaschen im Regal zum Klirren und den ganz und gar nicht nervenschwachen Mister Fletcher zum Erbleichen brachte. Er schrie so laut und anhaltend, daß ich ihm mehrere Male ermahnte, die Luke dichtzumachen. „Wenn die Bullen kommen, werde ich sagen, du hast Alleysohn umgelegt", lachte Mister Fletcher hinter mir und zielte mit einer kurzläufigen Schrotbüchse auf mich. „Nimm die Hände hoch, du ganz verfluchtes Aas, du, nimm sie schnell ganz hoch, sonst spicke ich dir deine College-Fresse mit lauter lustigen Erbsen!" Er hockte hinter dem Schießgewehr wie ein Affe auf dem Schleifstein. Immerhin konnte die Streuung auf die kurze Entfernung nicht größer sein, als ich lang bin. Ich warf mich im Hechtsprung aus der Stellung und rollte unter einen Tisch ab. Er schoß, es klirrte und schepperte, einige Lampen erloschen, und Kalk rieselte von der Decke und den Wänden. Aber dann war ich wieder auf den Beinen und mit einem Satz hinter dem Tresen. Er warf die leere Knarre nach mir und traf mich an der Schulter. Er stoppte mich nicht mit solchen Mätzchen, er brachte es damit nur fertig, daß ich noch 'ne Idee fixer heranging als vorher. In die Enge getrieben, gab er sich einen Schwung am Spültisch und schoß auf mich zu. Er wollte mich unterlaufen, und er brannte darauf, mich kurz und klein zu schlagen. Aber er landete nicht in meinem Bauch, sondern blieb mit dem Kopf in meinen Fäusten stecken. Er schrie nicht einmal, er röchelte nur und krallte sich in den Griff der verrosteten Registrierkasse, deren Schublade mit heiterem Gebimmel aufsprang und mir pfundweise ganz nette Summen Kleingeld vor die Beine spie. Dann bimmelte es noch einmal, diesmal aber von der Türglocke her.
Ich sah auf. Was da in die fröhliche Runde platzte, war ein uniformierter Polizist des Citizen-Corps der Stadt New York: Er machte ein verschlafenes Gesicht, das aber schlagartig erwachte, als er die Leichen auf dem Boden liegen und mich vor der offenen Ladenkasse stehen sah. Er riß seine Pistole aus der Tasche, verhackte sich dabei, fluchte und sprang von einem Bein auf das andere und brachte sie Schließlich doch noch in Anschlag. „Okay, Joe!" sagte ich. „Wenn Sie den Lautsprecher jetzt bitte noch entsichern, nehme ich die Hände hoch...!"