G rete Meisel-Hess Z wei verg nügte Tage
E ine E dition der e B ook-Bibl iothek
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G rete Meisel-Hess Z wei verg nügte Tage
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G rete Meisel-Hess Z wei verg nügte Tage
Als Vorlage diente Grete Meisel - Hess, Zwei vergnügte Tage, aus: Eine sonderbare Hochzeitsreise. Neue Novellen, Szelinski Comp., Wien, ohne Jahresangabe, S. 0–2 aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek, Signatur: ÖNB 440457-A. Neu-Mag.
© eBOOK-Bibliothek 2005 für diese Ausgabe
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littera scripta manet
E
in Doppelfeiertag – Sonntag, Montag – war in Sicht! Ottokar stand in seinem eleganten kleinen Komptoir vor dem Kalender. Seine Hände in den Hosentaschen ballten sich in vergnügter Ungeduld, seine junge, schwere Gestalt wiegte sich ein paarmal auf den Fußspitzen, wie es Jemand tut, der sich auf irgend etwas ganz besonders freut. Die grauen Äuglein zwinkerten erregt hinter den Gläsern des Zwickers, das rosig-frische, bartlose Jünglingsgesicht schien noch breiter und glänzender zu werden, die Lippen preßten sich fest aufeinander, ein wenig schmatzend, wie im Vorgeschmack einer leckeren Kost. Nebenan in den Sälen des großen Konfektionshauses, dessen Herr und Erbe der junge Ottokar war, rasselten die Nähmaschinen, klapperten die großen Scheren, und Pan Vojtech, der alte Geschäftsführer, ging inspizierend
durch die Säle, wo gebückt und schwitzend unter den Strahlen der Frühlingssonne junge Männer und Mädchen mit roten, erhitzten Köpfen bei der Arbeit saßen. Ottokar blickte durch die Glastür hinein in die großen, grauen Räume, wo schräge Staubwellen, von der Sonne beleuchtet, in der Luft flimmerten und tanzten und sich mit dem Dampf der heißen Bügeleisen vermischten. Sapristi – er war mit sich zufrieden. Daß er den ganzen Tag über im Geschäfte rackern würde, hätte er sich noch vor einem halben Jahre nicht gedacht. Damals lebte noch der alte Kralik, der reichste Schneider von Prag. Barfuß war er aus Nusle eingewandert und sicher und bedächtig seinen Weg emporgestiegen: ein starker, gescheiter, tüchtiger Mann. Das war Ottokars Vater. »Mein Sohn« – pflegte er zu seinen Bekannten zu sagen – »mein Sohn Ottokar, sehen Sie, der hat’s nicht nötig. Der kann werden, was er will, verstehen Sie, das, ›zu was‹ er Talent hat.« Und schon als der Bursche noch ganz klein war, zeigte der Vater seine Zeichnungen her: »Sehen Sie, das Pferd da – wie das gemacht ist – der Kopf – die Ohren – – – « Der Junge hat zuerst in Prag gelernt, dann war er nach München gekommen und zuletzt nach Wien. Plötzlich starb der alte Kralik. Ein Schlaganfall. Und siehe da, Ottokar war praktischer, als sein Vater jemals gedacht hätte. Das Geschäft – das wußte er –, das Geschäft war die Goldgrube. Und er ließ Pinsel und
Stifte liegen, eilte nach Prag – und stürzte sich Hals über Kopf ins Geschäft. Das hatte die Bekannten gewundert. Aber der alte Vojtech war stolz auf den jungen Herrn. Er hatte also doch etwas vom Vater. Ottokar lernte, lernte eifrig sein Geschäft. Das Zeichnen betrieb er nebstbei zum Vergnügen. Vielleicht hat sein kluger Vater doch nicht genau erkannt, wo sein »Talent« saß … Doppelfeiertag! – Fort aus der Bude! Zwei Tage der Alte sein! Das alte Leben führen –: die Großstadt – die wirkliche – die Galerien, Kunst, Musik, Theater –, und Weiber! – Der große blonde Junge war ganz rot geworden vor Freude, Herrgott noch einmal! – – – Wohin? München – Wien? er überlegte: Glaspalast – Bavaria – Brauhaus – – – Oder: Museum – Prater – Diner im Stephanskeller – Schönbrunn – Oper – und dann – Kunstverständnis mußte »sie« haben. Unbedingt. Die ganzen zwei Tage wollte er mit »Ihr« verbringen – »sie« überall mitnehmen. Wie machte er das nur am schnellsten, so, daß man keine Zeit verliert? Am besten, wenn »Sie« ihn gleich am Bahnhof erwartete. Richtig! Und er setzte sich hin und schrieb auf ein Papier ohne Firma:
»Junge, hübsche Dame mit Kunstverständnis, welche mit Prager jungem Manne die zwei Feiertage verbringen will, wird gebeten, ihn Samstag 3 Uhr 20 Minuten am Franz Josef-Bahnhof zu erwarten, Erkennungszeichen beiderseits rotes Seidentuch in der Hand.« Das genügte. Vergnügt pfeifend kuvertierte Ottokar die Annonce und sandte sie einem – Wiener Blatt. Dann ging er ein wenig verlegen zum alten Vojtech hinüber. »Pane Vojtech«, sagte er, – »ich muß – ich kann – ich will – ich komme Samstag nicht ins Geschäft – aber nach den Feiertagen – Dienstag – bin ich wieder da.« Am Samstag vor den beiden Feiertagen saß der Wiener Polizeirat Schaftlhuber mißvergnügt in seinem Bureau, mit gefurchter Stirn blickte er in das vor ihm liegende Zeitungsblatt. Dann läutete er und befahl dem eintretenden Diener, den Kommissär Lugaus zu rufen. »Da lesen Sie!« sagte er und hielt ihm das Zeitungsblatt hin. »Herr Rat meinen den Artikel: ›Die Reise des Grafen Ixdorff?‹ – « »Natürlich.« »Hab’ schon gelesen…,« sagte Lugaus und lächelte verbindlich. »Was sagen Sie zu dem Absatz da?« Der Polizeirat deutete mit dem Finger darauf und las halblaut einige
Zeilen … »natürlich werden wieder wir es sein, die die Kastanien aus dem Feuer holen. Tu felix Austria – freue dich! Rußland ist hochherzig und ›interveniert‹. Graf Ixdorff reist mit der ›Friedensmission‹ nach dem Balkan. Die ›Tat‹ aber wird dem österreichischen Nachbar überlassen. Die Suppe, die da unten jetzt eingebrockt wird, werden unsere Söhne auszulöffeln haben …« »Die Bande gibt zu schaffen,« sagte der Rat und zerknitterte grimmig das Blatt in der Hand. »Hören Sie, Lugaus,« fuhr er dann fort, »Sie wissen, heute um 3 Uhr 20 Minuten kommt der Graf in Wien an, über Prag mit dem Schnellzug. Lassen Sie den Bahnhof gut überwachen, die Bande ist zu allem fällig.« »Hab’ schon vorgesorgt, Herr Rat, vier Agenten sind bereits postiert.« »Ich weiß, ich kann mich auf Sie verlassen, Lugaus.« Der Kommissär lächelte geschmeichelt. »Übrigens werde ich zur Sicherheit selbst hingehen, Herr Polizeirat.« »Tun Sie das. Und sollte Ihnen das Geringste auffällig erscheinen, so telephonieren Sie sofort.« Gegen 3 Uhr wurde der Polizeirat Schaftlhuber plötzlich zum Telephon gerufen. »Halloh« »Halloh – hier Lugaus.« »Was gibt’s?« fragte der Polizeirat.
Undeutlich hörte er die Meldung Lugaus’. Es klang hastig und aufgeregt durchs Telephon – in abgebrochenen Sätzen: »Bahnhof voll Frauenzimmer – kein Zweifel weibliche Anarchisten – kommen immer neue – der ganze Perron voll – mindestens Demonstration.« »Haben sie ein besonderes Zeichen?« »Noch nicht – wahrscheinlich erst, wenn der Zug einfährt – bitte sofort Verstärkung …« »Sende umgehend dreißig Mann in Zivil …« »Bitte dringend. – Sollen sich unauffällig auf den Perron begeben. – Nicht gleichzeitig. – Jeder Mann posto fassen hinter je einem Frauenzimmer. Im gegebenen Moment ergreifen.« »Ist gut.« »Halloh – noch etwas!« »Was denn?« »Vier Berittene vor den Bahnhof.« – »Wird geschehen.« Schluß. Klingling. – – – – – – – – – – – – – – – – – Ottokar hat nie erfahren, warum er zwei Tage in Wien in Untersuchungshaft gesessen ist. Wenn er sich im »goldenen Prag«, das er jetzt erst zu schätzen weiß, an sein schreckliches Wiener Abenteuer erinnert, so erscheint ihm das Ganze wie ein wirrer, unheimlicher Fiebertraum. Da war ein Bahnhof voll Menschen gewesen, ungeheuer viel Frauenzimmer – und hinter jeder ein Mann. Plötzlich,
als der Zug einfuhr – und er aus dem Coupéfenster heraus seelenvergnügt sein rotes Seidentüchl schwenkte – hatten ihm zahllose rote Tücher zurückgewinkt, er hatte gestutzt: Was, – die Frauen da waren mit ihren Männern gekommen und machten sich lustig über ihn?! Da wollte er doch gleich hineinfahren – Himmelkreuzdonnerwetter! Aber die Männer hatten die Frauen mit einem Ruck gepackt und weggeschleppt. Er stieg aus und – zwei Wachleute faßten ihn unter den Armen. Was war das? Er schrie, er wehrte sich, ein Menschenauflauf umstand ihn – während gleichzeitig eine ganze Gesellschaft von Herren in Frack und Uniform den Salonwagen umgab … Dann hatten sie ihn auf die Polizei gebracht und ihn aufgefordert, sich zu legitimieren. Er hatte keine Papiere bei sich, natürlich, aber er war der Ottokar Kralik aus Prag und nach Wien gekommen, um sich zu amüsieren. »So, so!« Der Polizeirat hatte fein und überlegen gelächelt, »und das rote Seidentuch und die Frauenzimmer?« er berief sich auf die Annonce. »Das sei famos inszeniert,« meinte der Rat. Wie er denn über die makedonische Frage denke? Ottokar hatte gestutzt, denn gerade darüber hatte er sich im Coupé mit einem Herrn unterhalten. Das war ein Wiener Oberlehrer und hatte zu Protokoll gegeben, der Verhaftete habe eine Zeitung, die bei gesinnungstüchtigen Wiener Oberlehrern einen schlechten Ruf genießt, bei sich gehabt und zu ihm, dem Lehrer, gesagt: »Natürlich – wir werden die Kastanien aus dem Feuer holen.« Ob er das leugnen wolle?
»Nein – gewiß nicht – es wäre ihm auch sehr unangenehm, wenn vielleicht – mobilisiert würde – und er müßte mit nach Makedonien. Wo er doch in Prag jetzt so viel zu tun habe …« Der Polizeirat hatte ihn rasch unterbrochen: »Aha – da haben wir’s!« Ob man wegen so was in Wien verhaftet würde, hatte er wütend gefragt … Er war nicht klug geworden, was sie mit ihm und dem Grafen Ixdorff, der im selben Zuge gefahren war, und den »roten« Frauenzimmern eigentlich wollten. Der alte Vojtech war über die Feiertage aufs Land gefahren. Erst nach zwei Tagen fand er das Telegramm und holte den jungen Herrn, aus Wien ab. Der Herr Rat hatte sehr verlegen ausgesehen, und Ottokar kam sich vor wie ein Irrsinniger … Doch als er im Coupé saß, begriff er nicht, daß er zwei Tage in Wien gewesen war – und weder die Museen besucht, noch in den Prater gefahren, noch mit »Ihr«, die da Kunstverständnis haben sollte, im Stephanskeller diniert, abends die Oper besucht und dann – und dann – im Hotel »Zur schönen blauen Donau« – nicht gewesen war. Ottokar hat nie mehr die Feiertage in Wien verbracht. Herr Lugaus ist diesmal nicht befördert worden. Graf Ixdorff hat die Rückreise aus dem Balkan angetreten und wird nächstens wieder in Wien erwartet.