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Alina-Maria Lengauer
Drittwirkung von Grundfreiheiten
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Alina-Maria Lengauer
Drittwirkung von Grundfreiheiten
SpringerWienNewYork
ao. Univ.-Prof. Dr. Alina-Maria Lengauer, LL. M Jean-Mo nnet-Pr ofessorin fur Europare cht sty. Vorstandin des Instituts fU r Europarecht, I nte rnationales Recht und Rechtsvergleichung Wien, O sterreich
Gedruckt mit der Unterstiitz ung des Fonds zur Fiirderung der wissenschaftlichen Forsch ung (FWF)
FWF 0 ", WlSs,,"sch.Ilslonds.
Da s Werk ist urheberrechtlich geschiitz t. D ie dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersctzung, des Nachdru ckes, der Entnahme von Abb ildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahn lichern Wege und der Speicherung in Datenverarbeitu n gsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verw ert un g, vorbehalte n.
© 20 11 Springer-VerlaglWien SpringerW ienNewYork ist ein U ntern ehmen von Springer Science + Business Media Springe r.at D ie Wiederga be von Gebr auchsnamen, H andel snamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechrigt auch ohne besondere Kenn zcichnung nicht zu der A nnahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marke nschutz- G esetzgebung als frei zu betrachte n waren und daher von jedermann benutzt werden diirfen, Satz: Jung Crossmedia Publishing GmbH, 35633 Lahnau, D eutschland D ru ck : Strauss GmbH, 69509 Morlenbach, Deutschland G edruckt auf saurefreiem , chlorfrei gebleichtem Papier - TCF SPIN: 11974970 Bibliografische Inform ation der D eut schen Nationalbiblioth ek Die D euts che Nationalbiblioth ek verzeic hnet diese Publikation in der Deutschen N ationalbibliografie; detaillierte bibliografische D aten sind im Intern et tib er http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-211-98887-9 SpringerWienNewYork
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahre 2004 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultat der Universitat Wien als Habilitationsschrift aus dem Fach Europarecht angenommen. Ich mochte meinem ehemaligen Dienstvorgesetzten am Institut fur Europarecht, Herrn o. Univ. Prof Dr. Peter Fischer fur die jahrelange Forderung und fachliche Ermutigung sehr herzlich danken. Besonderer Dank gebiihrt auch den Professoren Stefan Griller, Heinz Mayer, Werner Ogris und Michael Schweitzer fur ihre Unterstiitzung, freundschaftliche Begleitung und stete Diskussionsbereitschaft. Mein Dank gilt im weiteren der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, die diese Arbeit mit dem Figdor-Preis fur Rechts- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet hat und der Julius Raab-Stiftung, die dieser Arbeit die Julius Raab-Medaille verliehen hat. Dem FWF mochte ich fur die grogzugige Forderung der Drucklegung meinen Dank aussprechen. Wien2010
Alina-Maria Lengauer
v
Inhaltsverzeichnis v
Vorwort
I.
Methoden und Grundlagen
A. 1. 2. 3.
Drittwirkung von Grundrechten Einfuhrung................................................. Definition und Begriffsbildung .... Meinungsstand in der deutschen Lehre und Rechtsprechung 3.1. Literarische Diskussion uber die Drittwirkung von Grundrechten: Grundsatzliches ... 3.2. Argumentationsmuster der Befiirworrer der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Drittwirkung wegen Ungleichgewicht der am Verkehr beteiligten Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Drittwirkung der Grundrechte aus dem Posrulat der Einheitlichkeit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Argumentationsmuster der Gegner einer unmittelbaren Drittwirkung . . . 3.3.1. Privatautonorne Rechtsgestaltung wahrt Schutzfunktion der Grundrechte 3.3.2. Die Position des BVerfGH "Ausstrahlungswirkung der Grundrechte" und "Objektive Grundsatznormen" 3.4. Schutzpflichten des Staates ersetzen unmittelbare Drinwirkung . . . . . . . . 3.5. Neuere Konzepte und Kritik an den Konzepten der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und der Schutzpflicht des Staates . . . . . . . Meinungsstand in der osterreichischen Lehre und Rechtsprechung . . . . . . . . . . 4.1. Fur eine mittelbare Wirkung der Grundrechte: Die Ansicht von Bydlinski 4.2. Verfassungsrechtliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiskalgeltung der Grundrechte und Geltung der Grundrechte fur Kollektivvertrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse.................................................. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfiihrende Bemerkungen und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands .. Die Vorschrift des Art. 220 EG-Vertrag 2.1. Position und Bedeutung 2.2. Der Begriff der Lucke im Gemeinschaftsrecht und die Befugnis des EuGH
4.
5. 6. 7. B. 1. 2.
zur Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1 4 8 8 12 12 12 13 13 15 18 21 24 24 25 27 30 34 38 41 41 42 42 45
VII
Inhaltsverzeichnis
3.
4. 5.
II. A. 1. 2.
3.
2.2.1. Der Begriff der Liicke im EG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegungsmethoden des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Einfiihrung............................................. 3.2. Die Anwendung der Methode der Wortinterpretation in der Auslegungspraxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Anwendung der Methode der systematischen Interpretation in der Auslegungspraxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Allgemeines ................................... 3.3.2. Vertragskonforme Interpretation 3.3.3. Allgemeine Rechtsgrundsatze des EG-Rechts 3.4. Systematisch-Teleologische Interpretation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Die Anwendung der Methode der teleologischen Interpretation in der Auslegungspraxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1. Allgemeines ., . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2. Argumentationsmuster im Rahmen teleologischer Interpretation. . . . . . . 3.5.3. Bedeutende Anwendungsbereiche der teleologischen Interpretationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse.................................................. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH Unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes unter Privaten Einfiihrende Bemerkungen und Fortgang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............... Drittwirkung von Artikel141 EG-Vertrag 2.1. Die Entscheidung DefrenneI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Argumentation im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Urteil des EuGH 2.1.4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Entscheidung Defrenne II 2.2.1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwalts . . . . . . . . 2.2.3. Urteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Defrenne III und Folgerechtsprechung im Uberblick . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Ergebnisse............................................. 2.5. Schlussfolgerungen....................................... Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer: Die Rechtssache Angonese 3.1. Einfiihrung............................................. 3.2. Wesentliche Sachverhaltselemente und Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Argumentation in Schlussantrag und Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3. Grundlagen des Urteils "Angonese" in der Judikatur des EuGH . . . . . .. 3.3.1. Drittwirkung des Art. 141 EG 3.3.2. Eingeschrankte Drittwirkung der Arbeitnehmerfreiziigigkeit 3.3.3. Ausschluss der Drittwirkung fiir die Freiheit des Warenverkehrs?
VIn
45 49 53 53 54 61 61 63 65 67 70 70 70 73 75 79
81
81 81 82 82 82 82 83 84 85 85 85 89 91 92 95 99 99 99 99 100 102 102 103 105
Inhaltsverzeichnis
4. B. 1.
2.
3.
4.
5. 6. 7.
3.4. Schlussfolgerungen....................................... Thesen.................................................... Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber interrnediaren Gewalten: Kollektivistische Fallgruppen Die Rechtssachen Dona/Mantero und Walrave/Koch 1.1. Einfiihrung............................................. 1.2. Die Emscheidung Walrave/Koch 1.2.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1.2.2. Argumeme der Parteien und Schlussamrag des Generalanwaltes 1.2.3. Urteil des EuGH 1.3. Die Rechtssache Donal Mantero 1.3.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1.3.2. Argumente der Parteien und Schlussantrage des Generalanwaltes . . . . . .. 1.3.3. Urteil des EuGH 1.4. Ergebnisse............................................. 1.5. Schlussfolgerungen....................................... Klarstellung und Weiteremwicklung: Die Rechtssache Bosman. . . . . . . . . . . .. 2.1. Einfiihrung............................................. 2.2. Die Rechtssache Bosman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . .. 2.2.2. Argumeme der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes 2.2.3. Urteil des EuGH Die Folgerechtsprechung zu Bosman - Deliege und Lehtonen 3.1. Einfiihrung............................................. 3.2. Die Rechtssache Deliege 3.2.1. Sachverhalt " 3.2.2. Argumeme der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes 3.2.3. Urteil des EuGH " 3.3. Die Rechtssache Lehtonen 3.3.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.2. Argumeme der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes 3.3.3. Urteil des EuGH Grundfreiheiten versus Grundrechte: Die Rechtssachen Viking und Laval. . . .. 4.1. Einfiihrung............................................. 4.2. Die Rechtssache Viking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2.1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 4.2.2. Schlussamrag und Urteil 4.3. Die Rechtssache Laval. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3.1. Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3.2. Schlussamrag und Urteil Ergebnisse.................................................. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Thesen....................................................
107 111 113 113 113 114 114 114 116 117 117 118 119 120 121 121 121 122 122 124 132 136 136 136 136 137 138 139 139 140 144 146 146 146 146 147 151 151 152 154 162 165
III. Die Konstruktion mitgliedstaatlicher Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtliche Loyalitatsgebot
169
A. 1.
169 169
Kartellrecht und Loyalitatsgebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH . . . . .. Einfiihrung.................................................
IX
Inhaltsverzeichnis
2.
Sanktion hir wettbewerbswidriges Verhalten von Mitgliedstaaten zwischen Kartellrecht und Grundfreiheiten: die Rcchtssache INNO/ATAB 2.1. Einfiihrung und Vorjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2. Sachverhalt............................................. 2.3. Urteil des EuGH 2.4. Zwischenergebnis........................................ 3. Die Rechtssache Van Eycke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1. Sachverhalt und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes 3.3. Urteil des EuGH 4. Folgerechtsprechung zu den vier Alternativen der Van Eycke-Forme1 . . . . . . .. 4.1. Einfiihrung............................................. 4.2. Fallgruppe des "Vorschreibens" einer gegen Art. 81 EG versrofsenden Kartellabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2.1. Die Rechtssache Leclerc-Biicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2.2. Die Rechtssache Leclerc-Benzin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2.3. Die Rechtssache "Zollspediteure" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3. Fallgruppe des "Erleichterns" einer gegen Art. 81 EG verstoiienden Kartellabsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3.1. Einfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3.2. Die Rechtssachen Ahmed Saeed und Asjes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.4. Fallgruppe des "Verstarkens" einer wettbewerbswidrigen Absprache durch einen Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.4.1. Einfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.4.2. Die Rechtssache BNIC/Clair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.4.3. Die Rechtssache Vlaamse Reisbureaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.4.4. Die Rechtssache Meng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.5. Fallgruppe des "Dbertragens von Verantwortung" . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.5.1. Einfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.5.2. Die Rechtssache Reiff ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Ergebnisse.................................................. 6. Schlussfolgerungen............................................ B. Loyalitatspflicht und Freiheit des Warenverkehrs - Die Rechtssachen "Agrarblockaden" und "Schmidberger" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Einfiihrung................................................. 2. Die Rechtssache "Agrarblockaden" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.1. Sachverhalt............................................. 2.2. Schlussantrag und Urteil 2.3. Urteil des EuGH 2.4. Ausblick und Folgerechtsprechung zu "Agrarblockaden" . . . . . . . . . . .. 3. Die Rechtssache "Schmidberger" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1. Einfiihrung............................................. 3.2. "Agrarblockaden" versus "Schmidberger" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3. Freiheit des Warenverkehrs versus Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Ergebnisse.................................................. 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Thesen
x
170 170 172 173 176 176 176 177 178 180 180 181 182 186 188 193 193 193 197 197 198 200 203 205 205 207 209 211 217 217 218 218 220 224 226 227 227 228 229 231 234 237
Inhaltsverzeichnis
IV. Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
239
Der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . .. Einfiihrung................................................. Produktverkehrsfreiheiten Personenverkehrsfreiheiten...................................... Kapitalverkehrsfreiheit......................................... Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Einfiihrung................................................. Produktverkehrsfreiheiten...................................... Personenverkehrsfreiheiten...................................... 3.1. Freiziigigkeit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2. Freiheit der Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Kapitalverkehrsfreiheit......................................... C. Das Konzept des grenziiberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht 1. Einfiihrung................................................. 2. Anwendungsbereich des Vertrages und umgekehrte Diskriminierung: Zu der Problematik im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.1. Der Anwendungsbereich des EG-Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2. Umgekehrte Diskriminierung 3. Produktverkehrsfreiheiten...................................... 3.1. Freiheit des Warenverkehrs 3.2. Freiheit der Dienstleisrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Personenverkehrsfreiheiten: Freiziigigkeit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . .. 5. Personenverkehrsfreiheiten: Freiheit der Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Freiheit des Kapitalverkehrs 7. Ergebnisse.................................................. 8. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9. Thesen....................................................
239 239 241 243 246 247 247 247 249 249 252 253
257 257 260 263 263 268 274 279 281 285 287 289
V. Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
291
A. 1. 2. 3. 4. B. 1. 2. 3.
A. 1. 2. 3. 4. 5.
6. 7.
Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht Einfiihrung................................................. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Das Verbot von Diskriminierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz im EG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Begrifflichkeit und Dogmatik: Direkte versus Indirekte Diskriminierung oder unrnittelbare versus mittelbare Diskriminierung Exkurs: Das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts 5.1. Das Diskriminierungsverbot aufgrund von Art. 141 EG . . . . . . . . . . . .. 5.2. Das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts im EG-Sekundarrecht Zur Determinierung des Vergleichsobjekts zur Feststellung einer Diskriminierung Ergebnisse..................................................
254 254
291 291 291 297 300 304 304 306 310 311
XI
Inhaltsverzeichnis
8. 9. B. 1. 2.
3.
4. 5. 6.
Schlussfolgerungen............................................ Thesen.................................................... Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen Einfuhrung................................................. Das Konzept des Verbotes von Diskriminierungen: Die erste Stufe der Anwendung der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.1. Einfuhrung............................................. 2.2. Produktverkehrsfreiheiten: Freier Waren- und Dienstleisrungsverkehr . .. 2.2.1. Freiheit des Warenverkehrs: Das Verbat von Diskriminierungen . . . . . .. 2.2.2. Freier Dienstleistungsverkehr: Das Verbot von Diskriminierungen ..... 2.3. Personenverkehrsfreiheiten................................. 2.3.1. Freiziigigkeit der Arbeitnehmer: Das Diskriminierungsverbot . . . . . . . .. 2.3.2. Freiheit der Niederlassung: Das Diskriminierungsverbot 2.4. Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Das Konzept der Beschrankung einer Grundfreiheit ..... . . . . . . . . . . . . . .. 3.1. Vorbemerkung und Aufbau der Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2. Das Verbot von Beschrankungen im Rahmen der Produktverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2.1. Freiheit des Warenverkehrs: Das Verbot von Beschrankungen . . . . . . . .. 3.2.2. Freiheit der Dienstleistung: Das Beschrankungsverbot . . . . . . . . . . . . .. 3.3. Das Verbot von Beschrankungen im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.3.1. Freizugigkeit der Arbeitnehmer: Das Beschrankungsverbot 3.3.2. Freiheit der Niederlassung: Das Beschrankungsverbor . . . . . . . . . . . . .. 3.4. Das Verbot von Beschrankungen im Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs Ergebnisse.................................................. Schlussfolgerungen............................................ Thesen....................................................
VI. Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell A. 1. 2.
3.
4.
XII
Bausteine der Systematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Einfuhrung................................................. Zur Fortenrwicklung der Dassonville-Formel: Das Aquivalenzprinzip 2.1. Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2. Die Rechtssache Cassis de Dijon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Das Konzept zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1. Einfuhrung............................................. 3.2. Das Konzept der zwingenden Erfordernisse in der Systematik der Freiheit des Warenverkehrs 3.3. Das Konzept der zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses in der Systematik der Grundfreiheiten Das Konzept der Rechtferrigungsgrunde in der Systematik der Freiheit des Warenverkehrs und der ubrigen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.1. Einfuhrung............................................. 4.2. Ein offener Katalog von Rechtfertigungsgrunden: Zwingende Erfordernisse beispielhaft und im Einzelnen 4.2.1. Wirksame steuerliche Kontrolle .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
312 313 314 314 314 314 316 316 323 325 325 328 330 330 330 331 331 341 342 342 343 345 346 347 348 351 351 351 352 352 353 360 360 360 366 371 371 373 373
Inhaltsverzeichnis
4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5.
Lauterkeit des Handelsverkehrs und Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . .. Umweltschutz Medienvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Finanzierbarkeit des Systems sozialer Sicherheit oder sozialen Wohnungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2.6. Grundrechte im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3. Ein geschlossener Katalog von Rechtfertigungsgriinden: Beispiele und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Die Verteilung der Beweislast im Bereich der Grundfreiheiten 5.1. Einfiihrung............................................. 5.2. Verteilung der Beweislast bei Geltendmachung eines Verstoiies gegen Grundfreiheiten . .. 6. Ergebnisse.................................................. 7. Schlussfolgerungen............................................ 8. Thesen.................................................... B. Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell 1. Einfiihrung................................................. 2. Welche Grundfreiheiten sind mit Drittwirkung ausgestattet? 2.1. Grundrechtsgehalte der Grundfreiheiten: Arbeitshypothese 2.2. Grundrechtsgehalte der Grundfreiheiten: Grundfreiheiten im Einzelnen. 2.2.1. Grundlagen in Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung 2.2.2. In Umkehrung: Die Freiheit des Warenverkehrs, der produktbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit und die Freiheit des Kapitalverkehrs .. 2.2.3. Zur Abgrenzung drittwirkender Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.3. Drittwirkung als Diskriminierungsverbot und/oder als Beschrankungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.3.1. Ansichten der Lehre . . . . . . . . . . . .. 2.4. Lasungsvorschlag........................................ 3. Welche Malinahmen sollen von unmittelbarer Drittwirkung erfasst werden? ... 3.1. Einfiihrung............................................. 3.2. Staatsbegriff des EuGH und unmittelbar drittwirkende Grundfreiheiten. 3.3. Lasungsvorschlag........................................ 4. Konvergenz und Divergenz: Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten und Wettbewerbsrecht 4.1. Einfiihrung............................................. 4.2. Losungsvorschlag zur "Van Eycke-Forrnel" 4.3. Wettbewerbsrecht vs. dritrwirkende Grundfreiheiten: Vorschlag zur Losung einer Normenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Rechtfertigungsgrunde fur Private: Die Kategorie der "sachlichen Erwagungen" 6. Rechtsfolgen eines Verstolies und Verteilung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . ..
423 426 429
Anhang ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehrbiicher und Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufsatze und Beitrage in Sammelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungen des EuGH Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichtshofe und Gerichte .. . Rechtsquellen des sekundaren Gemeinschaftsrechts .. . . . . . . . . . Sonstige Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431 433 437 449 463 465 467
. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . ..
373 374 375 376 376 377 379 379 381 386 387 388 388 388 389 389 394 394 402 407 409 409 411 413 413 414 416 421 421 421
XIII
I. Methoden und Grundlagen A. Drittwirkung von Grundrechten 1. Einfi.ihrung
In dem ersten, einleitenden Abschnitt so11 die Diskussion urn die Frage der Drittwirkung von Grundrechten in ihren Grundzugen mit Zielrichtung und Augenmerk auf die Verwendung der Ergebnisse dieses Abschnittes fur den Vorschlag einer Priifungssystematik fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten analysiert werden. Wahrend altere Konzepte die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegeniiber einem als iiberrnachtig aufgefassten Staat begreifen, finden sich unter den neueren Konzepten insbesondere Forderungen nach wirksamer Ausgestaltung von sozialen Grundrechten sowie das Konzept der Drittwirkung von Grundfreiheiten selbst. Die Charta der Grundrechte der Europaischen Union etwa enthalt in Kapitel IV eine Reihe von Bestimmungen, die als soziale Grundrechte bezeichnet werden konnen.' Soziale Grundrechte werden von der herrschenden Lehre als "Teilhaberechte" aufgefasst; Teilhaberechte werden als Anspriiche auf positive Leistung durch den Staat definiert.i Einer Geltendmachung durch Teilhaberechte fahig sind materielle Interessen von Individuen, wie etwa solche an Wohnung, Kleidung, Nahrung, an Gesundheits- und Zukunftsvorsorge. Solche "Rechte" als wirtschaftliche Anspriiche konnen jedoch nach Ansicht der herrschenden Lehre nicht als Grundrechte im eigentlichen Sinne bezeichnet werden; Benda etwa betrachtet soziale Grundrechte nicht als Grundrechte im eigentlichen Sinne, weil dieses Konzept einen gegeniiber dem Staat individualrechtlich ausgeformten Anspruch erfordert.:' 50 z. B. Art. 29, Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst: ]ede Person hat Recht auf Zugang zu einem unentge1dichen Arbeitsvermitdungsdienst. 2 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997),207 und 295; so auch Hesse, Bedeutung der Grundrechte, in Benda/Mayerhofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage (1994), 127 (136). 3 Benda,Der soziale Rechtsstaat, in Benda/MayerhoferiVogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1994), 719 (783).
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Methoden und Grundlagen
In ihrer historischen Entwicklung werden Grundrechte daher primar als Abwehrrechte gegeniiber dem iibermachtigen Staat betrachtet. Jedoch erwachsen aus den Grundrechten in neuerer Entwicklung - seien es nun Freiheitsrechte oder soziale Grundrechte - in verschiedenen Situationen Abwehr- und Leistungsanspriiche fur den Einzelnen, institutionelle Garantien, Direktiven und Ziele fur den Gesetzgeber.' Fur die Ziele dieser Arbeit soll im Folgenden bl06 ein kurzer Uberblick uber Funktion und Interpretation der Grundrechte gegeben werden. Die Debatte urn die Drittwirkung der Grundrechte wird - zusatzlich und geradezu als Bauprinzip der Argumentation - von methodischen Differenzen gespeist und getragen. Bevor auf die Funktion der Grundrechte einzugehen ist, sollen einige verfahrensrechtliche Gedanken diesen Ausfuhrungen vorangestellt werden. In US-amerikanischer Dogmatik sollen Grundrechte dem Handeln sarntlicher Staatsgewalten wirksame Grenzen setzen. Zunachst ist diese Aufgabe der in der Verfassung verankerten und klar strukturierten Gewaltenteilung iibertragen." Fur den Fall, dass eine Einhaltung der Grundrechte aufgrund legislativer Kontrolle der Exekutive nicht gesichert ist, so ist es Aufgabe der judikative, die Kontrolle gegeniiber diesen Staatsgewalten zu iibernehrnen. Die Moglichkeit des Individuums, eine Verletzung seiner grundrechtlich gesicherten Position gerichtlich gelten zu machen, erfliefst bereits aus dem Konzept der Verfassung und der Anlage des Systems. In franzosischer Grundrechte-Dogmatik wird die Legislative als prirnarer Trager staatlicher Souveranitat und daher auch als berufener Hiiter von Grund- und Menschenrechten angesehen. Eine richterliche Kontrolle der Legislative oder der Exekutive liegt daher dieser Konzeption fern. Daraus folgt, dass in diesem Rechtssystem ein Grundrecht nicht als subjektives Recht des Einzelnen auf richterliche Kontrolle legislativen Handels auszugestalten ist. Dieser Gedanke erklart nach Ansicht von Bleckmann, warum das Gewaltenteilungsprinzip in Frankreich vor allem gegen Ubergriffe der Judikative in den Bereich der Gesetzgebung und der Verwaltung gerichtet ist, warum der Conseil d'Etat als hochstes Verwaltungsgericht nicht mit voller Kognitionsbefugnis ausgestattet sei, sondern vielmehr als Verwaltungsbehorde denn als Gericht im eigentlichen Sinne anzusehen ist, und auch die Cour de Cassation als oberstes Zivil- und Strafgericht urspriinglich nur einen Ausschuss des franzosischen Parlaments darstellte."
4 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Auflage (1997),17; solche werden auch als "Sozialgestaltungsauftrage" bezeichnet, vgl. Benda, Der soziale Rechtsstaat, in Benda/ Mayerhofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. (1994), 719 (783). 5 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997), 5. 6 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997),5.
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Drittwirkung von Grundrechten
Im Sinne der liberalen (biirgerlich-rechtsstaatlichen) Grundrechtstheorie wiederum sind Grundrechte schwerpunktmaiiig als Freiheitsrechte des Einzelnen gegeniiber dem Staat einzustufen. Nach dieser Anschauung muss ein Grundrechtseingriff prinzipiell begrenzt, mess bar und berechenbar sein. Schlieiilich muss ein solcher Eingriff auch stets einer Verhaltnisrnaiiigkeitsprufung unterworfen werden. Eine andere Grundrechtsauffassung schlielilich sieht Grundrechre im Kern als institutionelle Garantien an. Diese Auffassung von der Funktion der Grundrechte betrachtet Grundrechte nicht primar als individualrechtlich ausgestalteten Leistungs- oder Abwehranspruch des Einzelnen gegeniiber dem Staat; daher gestattet diese Auffassung dem einfachen Gesetzgeber einen gewissen Spielraum zur Einschrankung der Grundrechte. Ferner: Die Werttheorie der Grundrechte legt den Grundrechten Gemeinschaftswerte zugrunde, urn sicherzustellen, dass die Grundrechte funktional der staatlichen Integration dienen. Weiters sind nach dieser Auffassung Grundrechte als objektive N ormen aufzufassen. Schlielilich wird zwischen wertverwirklichendem Freiheitsgebrauch und wertgefahrdendem Freiheitsgebrauch unterschieden. Die demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie betrachtet die Grundrechte von der Warte ihrer offentlichen und politischen Funktion. Im Vordergrund dieser Theorie stehen daher auch die demokratischen Grundrechte, wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit. Die sozialstaatliche Grundrechtstheorie schlielllich stellt die sozialen Anspriiche gegen den Staat in den Vordergrund der Betrachrungen." Die in dies em Abschnitt genannten Funktionen der Grundrechte erklaren sich insbesondere aus dem historischen Entstehungsprozess der Grundrechte, welcher iiber Untertanenrechte, Staatsburger- oder Staatsangehorigenrechte zu Grund- und Menschenrechten verlauft." Zu Anfang der Diskussion urn die Drittwirkung der Grundrechte findet sich eine Passage des deutschen Grundgesetzes (im [olgenden: GG), narnlich folgender Satz aus der Diskussion im Parlamentarischen Rat zu dern Abschnitt iiber Grundrechte im GG: "In den nachstehenden Artikeln fur unser Yolk aus unserer Zeit geformt und niedergelegt, binden diese Grundrechte Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung auch in den Landern als unmittelbar geltendes Recht. "9 Ankniipfend an die Bezeichnung der Grundrechte als "unmittelbar geltendes Recht" wird in der alteren Verfassungsdebatte in der Bundesrepublik 7 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Auf!. (1997), 110. 8 Zu den historischen und ideengeschichtlichen Grundlagen der Grundrechte vgI. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III!l (1988), 107. 9 Zitiert in Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Allgemeine Lehren der Grundrechte, Bd. III!l (1988), 1528.
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Methoden und Grundlagen
Deutschland die Frage aufgeworfen, ob die historisch bedingte alleinige Ausrichtung der Grundrechte als Abwehrrecht gegen den Staat fur die Sicherung der Freiheits- und Gleichheitsrechte des Individuums noch sinnvoll und ausreichend sei: Freiheits- und Gleichheitsrechte wiirden in ciner modernen Gesellschaft in zumindest ebensolchem Ausmaf Bedrohungen durch private Rechtssubjekte erfahren. Nach Ansicht mancher Autoren sei die Ausrichtung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat nicht Bestandteil einer jeden grundrechtlichen Norm, sondern resultiere aus den jeweiligen historischen Verhaltnissen.l? Gerade die "Drittwirkung" sei ciner jener durch Interpretation der jeweiligen Bestimmung zu verwirklichenden Bestandteile, die einem Bedeutungswandel unterliegen.P 2. Def inition und Begriffsbildung
Leisner etwa vertri tt unter Berufung auf den historischen Bedeutungswandel der Grundrechte, dass gerade die Drittwirkung der Grundrechte eine jener "Bedeutungswandlungen" darstelle, die die G ru ndrechte im Verlauf ihrer Entwicklung nehmen.V Die Grundrechte miissten im Hinblick auf sarntliche soziale Gegebenheiten, und nicht bloB in Relation zu dem Staat angewandt werden. Andere "soziale Gewaltcn't '", Verbandsmacht und okonomische Machte konnten im Ergebnis die Freiheits- und Gleichheitsrechte des Individuums ebenso - oder starker - beschneiden.!" Der Begriff "Drittwirkung" wurde von Ipsen in seiner Kommentierung zu Art. 3 GG gepragt, Er definierte den von ihm geschopften Begriff als das Problem, "ob die Gleichberechtigung nur v on der offentlichen Gewalt oder auch auf der Ebene des Privatrechts von Dritten verlangt w erden kann, und dies etwa mit der Folge, dass die offentliche Gewalt zur D u rchsetz ung des drittgerichteten Anspruchs mitzuwirken verpflichtet sei."15 Diirig hingegen definiert: [Heme geht es darum], "ob die Grundrechte nur subjektive offentliche Rechte sind, die also nur den Staat zum Anspruchsgegner
10 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik De utschland, Allgemeine Lehren der Grundrechte, Bd. III/l (1988), 1529; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961), 16; Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1961), 312; Saladin, Grundrechte im Wandell (1975), 309. 11 Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1961), 312. 12 Leisner, Grundrechte und Privatre cht (1961), 312. 13 Sinzheimer, Die soziologischc Methode in der Privatrechts-Wissenschaft, 1909. 14 Stern, Das Staatsrecht der Bunde srepublik Deutschland, Allgemeine Lehren der Grundrechre, Bd. III/l (1988), 1530. 15 Ipsen, Gleichheit, in: N eumann/Nipperdey/ Scheuner, Die Grundrechte II (1954), 111 (143). 4
Drittwirkung von Grundrechten
und sein Verhaltenssollen zum Gegenstand haben, oder aber ob es subjektive absolute Rechte sind, die sich gegen jeden moglicben (also den privaten Angreifer) richten und das Sollen aller (also auch Privater) zum Gegenstand haben." 16 Mit der Frage nach der Drittwirkung der Grundrechte wird angesprochen, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise Privatpersonen gegeniiber anderen Individuen an Grundrechte gebunden sein sollen."? Nipperdey weist zunachst in diesbezuglichen Ausfiihrungen auf die Existenz fur den Rechtsstaat auiserordentlich wichtiger Grundrechte hin, die die offentliche Gewalt binden wollen, welche aber zunachst nicht fur den Privatrechtsverkehr bestimmt sind; dazu zahlen etwa Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis), oder Art. 11 GG (Freiziigigkeit). Dariiber hinaus sei zu beachten, dass manche Grundrechte ausdrucklich den Privatrechtsverkehr binden, so erwa Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GGI8. Im Anschluss fahrt er fort zu betonen, dass es Verfassungsgrundsatze gebe, die nicht in erster Linie mit einer vor dem Staat zu schurzenden Freiheitssphare zu tun haben, die vielmehr dem einzelnen Burger in seinen wirtschaftlichen und sozialen Rechtsbeziehungen zu einem anderen Burger durch Rechtssatz einen status socialis positivus garantieren.!? der die privatrechtlichen Beziehungen unmittelbar beeinflusst.i? Nipperdey schlagt nunmehr vor, den Terminus (unmittelbare oder mittelbare) .Dritneirleung von Grundrechten" durch den Terminus "absolute Wirkung gewisser Grundrechte" zu ersetzen: .Es handelt sich um die unmittelbar
normative Wirkung einzelner Grundrechtsbestimmungen in ihrer Eigenschaft als objektives, verbindliches Verfassungsrecht, das Bestimmungen des Privatrechts aufgehoben, modifiziert, ergdnzt oder neu geschaffen hat. Dieses Verfassungsrecht enthalt fur Rechtsgebiete auflerhalb der Verfassung nicht nur "Leitsdtze" oder " Auslegungsregeln ", sondern eine normative Regelung der
16 Diirig, Kommentar zur Art. 1 Abs III GG, in: Maunz/Diirig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar (1999), Rz.127; Durig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky, Miinchen 1956, 157. 17 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997),219. 18 Art. 9 Abs.2 GG: "Das Recht, zur Wahrung und Forderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist fiir jedermann und fur alle Berufe gewahrleistct. Abreden, die dieses Recht einschranken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete MaBnahmen sind rechtswidrig." 19 In diesem Zusammenhang bezeichnet Nipperdey den historisch-klassischen Grundrechtsbegriff als status negativus, der allein gegen die offentliche Gewalt gerichtet sei, oder status libertatis, der ein Recht auf eine staatsfreie Sphare staruiert oder die Eingriffsmoglichkeiten des Staates auf bestimmte Spharen beschrankt, 20 Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Biirgerlichen Rechts, 15. Aufl., Erster Halbbd. (1952), 57.
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Methoden und Grundlagen
gesamten Rechtsordnung als Einheit, aus der auch unmittelbar subjektive private Rechte des einzelnen erfliefien."21 Fur die Debatte in Osterreich werden im Wesentlichen Umfang und Grenzen des Begriffes thematisiert, nicht jedoch sein Kern: Korinek und Holoubek formulieren in Anlehnung an Bockenforde'? plastisch: .Kann ich einen Unterlassungsanspruch gegen eine Beeintrdchtigung oder die Nichtigkeit einer Vertragsklausel direkt aus einem Grundrecht, also direkt aus der Verfassung ableiten, w enn die einfache Gesetzeslage nach Ausscbopfung aller Interpretationsmoglichleeiten einen solchen Anspruch bzw. eine solche Rechtsfolge nicht trdgt?"23 Griller erfasst Drittwirkung der Grundrechte als Konsequenz der Bindungswirkung der Grundrechte. Die Bindungswirkung der Grundrechte erstrecke sich nach dieser Ansicht nicht nur auf den hoheitlich handelnden Staat, sondern auch auf die Rechtsbeziehungen von Privaten untereinander; diese gehe mit der Einraumung subjektiver Rechte fur den jeweils geschiitzten Privatcn einher."
Adamovich und Funk wiederum tragen zu einer scharfen Trennung zwischen der Wirkung von Grundrechten im Verhaltnis Staat/Individuum und der Drittwirkung von Grundrechten bei: Diese Autoren wenden ein, dass es sich beim Problem der Drittwirkung von Grundrechten im Allgemeinen urn die Anwendbarkeit der Grundrechte in Richtung eines Schutzbereiches handle, der iiber Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Hoheitsverwalrung hinausgeht und auch Rechtsverhaltnisse anderer Art umfasst. Dazu gehorr, neben der Fiskalgeltung der Grundrechte, ferner die Geltung der Grundrechte auch im Verhaltnis der Privatrechtstrager untereinander.P Adamovich und Funk trennen in dieser Aussage das Problem der Drittwirkung von Grundrechten - als Wirkung von Grundrechten unmittelbar unter Privaten - von der grundsatzlichen Unterwerfung von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung unter die verfassungsrechtlich statuierten Grund-
21 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961),15. 22 Bockenjorde findet eine ahnlich plastische Definition in deutschcr Rechtsterrninologie: "Soweit die Entfaltung dieser Gehaltes iiber Generalklauseln oder sonstige gesetzliche Regelungen des betreffenden Rechtsgebietes moglich erscheint, kann sie sich auf dem Weg der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift, dh den Weg mittelbarer Drittwirkung vollziehen. Fehlt es an solchen Ankniipfungspunkten, hart die Grundrechtseinwirkung nicht auf, sondern verschafft sich unmittelbar Geltung. Das Grundrecht selbst wird zum Ankniipfungspunkt fUr Handlungs- und Unterlassungspflichten Dritter bzw. fiir eigene Rechte in der Privatrechts- oder sonstigen Teilrechtsordnung,", in Biickenjorde, Der Staat (1990), 11. 23 Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung (1993),138. 24 Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZN 1983, 1 (3). 25 Adamovich/Funk, Osterreichisches Verfassungsrecht, 2. Aufl, (1984),318.
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Drittwirkung von Grundrechten
rechte, Letztere wird von diesen Autoren als nahezu selbstverstandlich bejaht, erstere verworfen. Mayer iibt Kritik an dem Begriff der "mittelbaren Drittwirkung" von Grundrechten. Es handle sich bei der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten jedoch urn "Nicht-Wirkung von Grundrechten", wenn man von dem Einflielien der Grundrechte oder blofser grundrechtlicher Wertungen in ausfiillungsbediirftige Generalklauseln des Privatrechts ausgeht. Mayer betont jedoch, dass in der rechtswissenschaftlichen Diskussion die Verwendung des Begriffes der "mittelbaren Drittwirkung" zur Geltung gelangen soll; diese Begrifflichkeit diene zur Abgrenzung von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte." Nach einer in jiingerer Zeit geauGerten Ansicht von Canaris ist Gegenstand der Problematik der mittelbaren oder unmittelbaren Wirkung der Grundrechte die Frage "in welcher Weise Privatrechtssubjekte an die Grundrechte gebunden seien"P Canaris gliedert die genannte Problematik in drei Themenbereiche: Erstens sei zu fragen, wer Adressat der Grundrechte sei - nur der Staat und seine Organe, oder auch die Subjekte des Privatrechts? Zweitens: Wessen Verhalten ist Gegenstand der Priifung an den Grundrechten - das Verhalten eines staatlichen Organs oder eines privatrechtlichen Subjekts? Drittens: In welcher Funktion finden die Grundrechte Anwendung - als Eingriffsverbote oder als Schutzgebote? Canaris stellt die Frage nach der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte als Frage nach dem Normadressaten, also dem Adressaten der grundrechtlichen Bestimmung. Unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte bedeutet, dass diese grundsatzlich keiner weiteren Transformation bediirfen, .sondern fuhren ohne weiteres zu Eingriffsverboten im Privatrechtsverkehr und zu Abwehrrechten gegeniiber anderen Privatrechtssubjekten. "28 Canaris schlagt vor, den Begriff unmittelbare Drittwirkung nur dann zu verwenden, wenn sich die Grundrechte unmittelbar gegen Private richten. Zur Vermeidung von Missverstandnissen sollte jedoch neben unmittelbarer und mittelbarer Wirkung auch der Begriff der unmittelbaren Coder mittelbaren) Geltung der Grundrechte ins Treffen gefuhrt werden, denn es sei unzweifelhaft richtig, von einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte fur die Gesetzgebung auszugehen. Ruffner wiederum weist auf eine Unscharfe des Begriffspaares unrnittelbare/mittelbare Drittwirkung der Grundrechte hin. Bei einer naheren Befas26 Mayer, Der "Rechtserzeugungszusammenhang" und die sogenannte "Drittwirkung" der Grundrechte, JBl1990, 768 (770). 27 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 34. 28 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 34.
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Methoden und Grundlagen
sung miisse man auf die Frage des Verhaltnisses von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht stolsen, ohne dass zwischen offentlichern Recht im engeren Sinne und Strafrecht, oder zwischen offentlichem Recht im weiteren Sinne und Privatrecht ein Unterschied bestehe." Aufgrund der hier vorgenommenen Darstellung bestehen zwischen Befiirwortern und Gegnern einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte fur den Kernbereich des Problems keine definitorischen Unterschiede. Argumente, welche auf eine methodische N eubetrachtung des Problems abzielen - wie etwa die Beitrage von Leisner oder Griller - sowie Argumente rechtsdogmatischer N atur der Gegner einer unmittelbaren Drittwirkung bestreiten nicht, dass das Problem der unmittelbaren Drittwirkung eines Grundrechtes die Frage nach dem Normadressaten einer grundrechtlichen Bestimmung und ihrer Anwendbarkeit unter Subjekten des Privatrechts betrifft. Fur diese Arbeit soll die von Canaris gewahlte Definition herangezogen werden. Unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte bedeutet, dass diese grundsatzlich keiner weiteren Transformation bedurfen, .sondern fiihren ohne weiteres zu Eingriffsverboten im Privatrechtsverkehr und zu Abwehrrechten gegeniiber anderen Privatrechtssubjekten."30 3. Meinungsstand in der deutschen Lehre und Rechtsprechung
3.1. Literarische Diskussion uber die Drittwirkung von Grundrechten: Grundsatzl iches
Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wurde von Nipperdey begriindet und postuliert." Dieser folgert aus der Bestimmung des Art. 1 GG32, "dass die Wiirde und Freiheit der Person gerade auch gegeniiber den Gruppen, den Verbanden, gegeniiber der publicity gewahrt werde; sie uerlangt, dass der Eigenwert der Person auch seitens der sozialen Miicbte und des wirtschaftlich Stdrkeren anerkannt werde."33 Auf diesem (an sich unstreitigen) Postulat baut Nipperdey seine Argumentation wie folgt auf: Neben (Hervorhebung der Verf.) der Wurde des Menschen und seiner Entfaltungsfreiheit, aus der sich Privatautonomie und Vertragsfreiheit ergeben, sei vor allem die Eigentumsgarantie konstituierender Bestandteil der Privatrechtsordnung. Enteignung sei daher nur unter Beachtung der Gleichheit vor dem Gesetz zulassig. Der Grundsatz der Gleichheit 29 Ruffner, Drittwirkung der Grundrechte - Versuch einer Bilanz, in: Selmer/ von Munch (Hg.), Gedachtnisschrift Iur Wolfgang Martens (1987), 215 (221).
30 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 34. 31 Nipperdey, Gleicher Lohn der Frau fiir gleiche Leistung", DRdA 1950, 121. 32 Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Personlichkeit, 33 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961), 6.
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Drittwirkung von Grundrechten
vor dem Gesetz binde wiederum auch den Gesetzgeber in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber des privaten Rechts. Aus dem Menschenbild des Grundgesetzes ergebe sich zusatzlich das Prinzip des sozialen Rechtsstaates. Dieses Prinzip wiederum, so Nipperdey, sei
"einer der tragenden Grundsdtze unseres Staates und eine unmittelbar verbindliche und bindende Rechtsnorm. "34 Aus dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates ergebe sich, dass der Einzelne, insbesondere der wirtschaftlich Starkere, die ihm gesetzlich zugebilligte individuelle Freiheit nicht zu Lasten des wirtschaftlich Schwacheren ausniitzen diirfe und damit gegen berechtigte Gesamtinteressen verstoiien durfe, Nipperdey gelangt zu dem vorlaufigen, noch wenig kontroversen Ergebnis, dass die Verfassung die Privatrechtsordnung in ihren wesentlichen Elementen gewahrleiste und ihr gleichzeitig Schutz, Festigkeit und Freiheit gegeniiber dem Staat gewahrleiste. Die im GG enthaltenen Bestimmungen tiber Grundrechte haben einen sehr verschiedenen Inhalt, ihre Bedeutung, Wirkungsart und Wirkungsstarke seien im einzelnen Fall genau zu priifen. Daher ist zunachst festzuhalten, dass die meisten Bestimmungen des Grundrechtskataloges des GG klassische, mithin staatsgerichtete Grundrechte enthalten." Andere Bestimmungen grundrechtlichen Inhaltes enthalten jedoch, so Nipperdey, nicht nur Rechte des Einzelnen gegenuber dem Staat, sondern gewahrleisten zusdtzlich (Hervorhebung der Verf.) eine Kategorie von Rechtseinrichtungen.t" Die verfassungsrechtliche Gewahrleistung dieser Rechtseinrichtungen bedeutet eine Instituts- oder Einrichtungsgarantie gegeniiber dem Gesetzgeber." Aufgrund des besonderen Charakters dieser Rechtseinrichtungen, die vermutlich als Teilmenge im Rahmen der ubrigen Rechtseinrichtungen des GG aufzufassen sind, sind sie "auch unmittelbar fur den Privatrechtsverkehr ver-
34 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961),8. 35 Nach Ansicht von Nipperdey fallen in diese Klasse von Grundrechten sowohl jene, die "die offenrliche Gewalt binden, indem sie dem einzelnen eine staatsfreie Sphare gewahrleisten (status negativus sive libertatis)", jene die dem einzelnen einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung des Staates gewahren (status positivus socialis), als auch jene, die dem einzelnen das Recht auf aktive Teilhabe an der Gestaltung des staatlichen Lebens (status activus socialis) gewahren. Mithin kann gefolgert werden, dass nach Ansicht von Nipperdey und der von ihm vertretenen Theorie der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung stets und ausschliefslich staatsgerichtet sem muss. 36 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961),8. 37 Dazu zahlt Nipperdey so unterschiedlich Rechtseinrichtungen wie Ehe und Familie, Gewerbefreiheit, Eigentum und Erbrecht: Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961), 13.
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Methoden und Grundlagen
bindlich".38 Nipperdey untermauert seine Folgerung mit dem Hinweis, dass " eine ganze Reihe 'Von ihnen ferner die w ichtige Funktion 'Von Ordnungssatzen oder Grundsatznormen fur die gesamte Rechtsordnung [hat]". Diese Kategorie von Verfassungsrecht enthalte fur Rechtsgebiete aulierhalb der Verfassung nichr nur "Leitsatze" oder "Auslegungsregeln" 39, sondern sei als normative Regelung auch und gerade im Hinblick auf das Privatrecht zu vcrstehen; aus dieser Kategorie von Grundrechten erflieiien dcmnach auch unmittelbar subjektive private Rechte des Einzelnen. Daher, so Nipperdey, folge aus einer Verletzung dieser Grundrechte unter Privaten auch absolute Nichtigkeit des betroffenen Rechtsgeschaftes."? Das Deutsche Bundesarbeitsgericht hat sich bereits in seiner friihen ]udikatur der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte angeschlossen. In einer Entscheidung zu Lohngleichheit zwischen Mann und Frau" stellte das BAG fest, dass der Gleichberechtigungsgrundsatz und das Bcnachteiligungsverbot auch den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbcit umfassen. Der Grundsatz glcichen Lohnes bei gleicher Arbeit konne als Grundrecht nicht nur die staatliche Gewalt, sondern auch Tarifvertragsparteien binden." Das Bundesarbeitsgericht begriindete die Bindung von Tarifvertragen und Tarifvertragspartnern an die Grundrechte unter Heranziehen folgender Argumentation: Nach § 1 TVG enthalte der Tarifvertrag Rechtsnorrnen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhaltnissen sowie betri ebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen konnen. Daher ist nach Ansicht des erkennenden Senats des Bundesarbeitsgcrichts der in Art. 1 Abs.3 Begriff "Gesetzgebung" auch autonom gesetztes Recht, wie etwa Tarifvertrage, Weiters leiten die Tarifvertragspartner ihre Autonomie zur Rechtssetzung aus ausdriicklicher staatlicher Ubertragung im TVG her - ohne diese Ubertragung besitzen die Tarifvertragspartner auch keine Befugnis zur autonornen Rechtssetzung. Die normative Wirkung der Regeln des Tarifvertrages lasse sich demnach auf hoheitliche Gewalt zuruckfiihren, Als letztes fiihrt das Bundesarbeitsgericht ein Argument ins Treffen, das das erste angefuhrte Argumentationsmuster der Befiirworter der unmittelbaren Drittwirkung iibernimmt, namlich das Machtgefalle zwischen Tarifvertragspartner und Privaten anklingen lassr: "Hingegen ist es wichtig und praktisch 38 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961), 14. 39 Die Anwendung der Grundrcchte als Auslegungsregeln im Privatrecht wird von den Vertretern der Theorie der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte postulierr, 40 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961),15. 41 AP Nr. 4 zu Art. 3 GG = NJW 1955,684; Kruger, Anmerkung, NJW 1955,684. 42 Stern, Das Sraatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/I : Allgemeine Lehren der Grundrechte (1988), 1525.
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sehr bedeutsam, dass die Einzelnen gerade gegen die mit Rechtssetzungsgewalt ausgestatteten Verbande geschiitzt werden, wenn diese gegen den Lohngleichheitsgrundsatz fur Mann und Frau verstoflen sollten. "43 In einer nachfolgenden Entscheidung zur Frage nach der rechtsgultigen Vereinbarung einer Zolibatsklausel spricht das Bundesarbeitsgericht die Nichtigkeit der relevanten, in einem Arbeitsvertrag enthaltenen Klausel aus. Der erkennende Senat sieht die Vereinbarung des Zolibats bei den vorliegenden faktischen Verhaltnissen als nicht von der Sittenwidrigkeitsklausel des § 138 BGB erfasst an; die Vereinbarung einer Zolibatsklausel in Tarifvertragen und in Arbeitsvertragen verstolie jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 1 und 2 GG. Die Begriindung fur diese Entscheidung greift erneut die oben dargelegten Argumente der Befiirworter einer Drittwirkung der Grundrechte auf: Die Grundrechte haben nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts in ihrer ursprunglichen Auspragung die Aufgabe gehabt, die Freiheitssphare des Einzelnen vor Eingriffen der Staatsgewalt zu sichern. In der Zwischenzeit haben die Grundrechte jedoch einen Bedeutungswandel erlebt, der Grundrechte nicht nur als Freiheitsrechte gegeniiber der Staatsgewalt definiert, sondern auch als "Ordnungsgrundsdtze fur das soziale Leben, die in einem aus dem Grundrecht naher zu entwickelnden Umfang unmittelbare Bedeutung auch fur den privaten Rechtsverkehr der Burger untereinander haben. "44 Das Bundesarbeitsgericht fahrt fort: .Der Senat hat in dieser Entscheidung ferner darauf hingewiesen, dass auch privatrechtliche Abmachungen, Rechtsgeschajte und Handlungen sich nicht in Widerspruch setzen durfen zu dem, was man das Ordnungsgefuge, den ordre public einer konkreten Staats- und Rechtsordnung nennen kann. "45 Aufgrund der unten noch darzulegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtshofes ist in der Folge auch das Bundesarbeitsgericht in standiger Rechtsprechung von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte abgewichen. 46
43 44 45 46
AP Nr. 4 zu An. 3 GG = NJW 1955, 684 (687). BAG, N]W 1957, 1688 (1689). BAG, N]W 1957, 1688 (1689). BAG ("Ami-Strau£-Plakette"), N]W 1984, 1142; BAG ("Mitbestimmung bei Telephondatenerfassung"), N]W 1987, 674; BAG ("Gewissensemscheidung und Kiindigung"), N]W 1990,203.
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Methoden und Grundlagen
3.2. Argumentationsmuster der BefOrworter der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 3.2.1. Drittwirkung wegen Ungleichgewicht der am Verkehr beteiligten Privaten
N ipperdey raumt ein, da ss in einem privatrechtlich determinierten Verhaltnis jeder d er beteiligten Pri vaten als Grundrechtstrager einzusrufen sei. Wenn ma n nun die Entfaltungsfr eiheit des Privaten nicht unw irks am machen wolle, so miisse man beach ten, dass einander gegeniib erstehe n de Grundrechtstrager ihre R echtspositionen voneina nder abgrenzen miissen, i. e. in einem gewis sen Rahmen' ? Einschrankungen ihrer grundrechtlichen Position en vereinb aren ko nn en. Eine solche Dispositionsbefugnis in Bezug auf Grundrechte des Einzclnen ist nur dann zulassig, wenn zwischen den Parteien eine rechtliche und tatsdchlicbe Gleichheitslage bcsteht (Hervorhebung der Verf.).48 Eine solche Gleichheitslage ist nicht gegeben, wenn der Einzelne der privaten Macht von Gruppen, Verb anden oder einzelnen Privatpersonen gegeniibertreten muss. Hier besteht eine blois fiktive Gleichheitslage, die auf der Vor st ellung beruht, die Freiheit der WillensentschlieBung bei Eingehen von Verpflichtu ngen reiche aus, den Einzelnen vor unzumutbaren Beschrankungen zu schiitzen. Problematisch erscheint zunachst, das Ausrnaf an Ungleichheit zu definieren, da s ein Eingreifen eines grundrechtlichen Verbotes rechtfertigen kann. Nipp erdey fiigt mer an, dass die Anwendung von Grundrechtsnormen zwisch en Privaten besonders geboten isr, w o es sich "urn die Ausubung. rechtlicher oder au ch nur tatsdchlicher Ma cht ein es Verbandes oder einer Priuatperson handelt, da bier die Parallele z um Y erhdlinis z wischen Sta at und Burger offensichtlich nahe legt ."49 3.2.2. Drittwirkung der Grundrechte aus dem Postulat der Einheitlichkeit der Rechtsordnung
L eisner wiederum legt das Augenmerk zunachst auf die Entstehung der Grundrechte in der Verfassungsentwicklung. so Seit]ellinek s1 habe die Diskus47 Di eser Rahmen wird jedo ch nicht naher definiert. Er konnte mit dem Wesensgehalt eines Grundrechtes zusammenfallen, oder auch mit der Abgrenzung der Institutsgarantie ein es Grundrechts. 48 Ins oweit zustimmend Ruffn er, Grundrechtsadressaten § 177, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bund esrepublik D euts chland , Band V: Allgemeine Grundrcchtslehren, 525 (560). 49 Nipperdey, Grundrecht e und Privatrechr (1961), 21; Beispielhaft wird hier etwa die Verhangung von Vereinsstrafen genannt. 50 L eisner, Grundrcchte und Privatrechr (1960), 4. 51 ] ellinek, System der subjektiven offentlichen Re chte (1892), ???
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sion urn den Anspruchsgegner bei der Verletzung eines Grundrechts fast ausschlielilich den Staat betrachter, Diese Betrachtungsweise entspreche jedoch nicht der faktischen Lage und der Notwendigkeit des Schutzes des Einzelnen vor Eingriffen des Staates, wie sie in friiheren Zeiten bestanden habe." Die Freiheitssicherung des Einzelnen habe zunachst iiber (politische) Teilhaberechte sowie iiber Mittel des Privatrechts stattgefunden. Leisner postuliert in Art. 1 GG unter bewusster und ausgesprochener Hintanstellung technischer Gesichtspunkte eine weder von Gegnern noch von Befurwortern unmittelbarer Drittwirkung bezweifelte Entscheidung, "dass eine
materielle, zumindest grundrechtsdhnliche Bestimmung in das Privatrecht an sich uberzugreifen geeignet sei. "53 Leisner entwirft nun grundsatzlich drei Hauptformen der Anwendung der Grundrechte im Privatrecht: Ais erste Variante sei an die Anwendung von Grundrechten als subjektive offentliche Rechte gegen Dritte zu denken. Derartiges widerspreche jedoch dem System des geltenden Rechts. Ais zweite Variante sei die Anwendung der Grundrechte in der Form von privaten subjektiven Rechten denkbar. Ais dritte Variante wird die Anwendung der Grundrechte "in einer durch das Privatrecht mediatisierten Form" angefuhrt, Hier fliei~en die Grundrechte in die bestehende privatrechtliche Systernatik ein, insbesondere durch die Sinnerfiillung der privatrechtlichen Generalklauseln und allgemeinen Rechtsbegriffe. Leisner gelangt zu dem Schluss, dass die Rechtsfigur der Drittwirkung von Grundrechten, wenn sie nicht als blofse Interpretation privatrechtlicher Generalklauseln durch in der Rechtsordnung niedergelegte Werte erfolgen solI, immer als unmittelbare Drittwirkung ausgestaltet werden rniisse. 3.3. Argumentationsmuster der Gegner einer unmittelbaren Drittwirkung 3.3.1. Privatautonome Rechtsgestaltung wahrt Schutzfunktion der Grundrechte
Durig, ein profilierter Vertreter der Lehre der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten.P" gliedert den Problembereich der Wirkung der Grundrechte 52 "Diese (Hervorhebung durch Leisner) Begriffsbestimmung liegt, unbewusst, allen staatsrechtlichen Untersuchungen zugrunde, welche von vornherein so einseitig am Begriff eines Obrigkeitsstaates orientiert werden, dass es sinnlos ist, die Menschenrechte weiter als bis ins 16. Jahrhundert zuriickzuverfolgen, in die Zeit, in der der moderne Obrigkeitsstaat sich zu entwickeln begann.", in Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960),4. 53 Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960), 131. 54 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur Gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Na-
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im Privatrecht in zwei wesentliche Fragestellungen: Als erstes sei zu beantworten, wie das Grundrechtssystem des Grundgesetzes die Rechtsordnung gleichberechtigter Privater untereinander beeinflusst'" und betont eingangs, dass nicht a maiore ad minus gefolgert werden konne, dass eine Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte erst recht eine Bindung Privater nach sich ziehen miisse, Diirig betont, dass jede formale Dbertragung von Verfassungsrechtssatzen, die gerade dem Individuum eine staatsfreie Sphare sichern soIl, auf das Recht gleichgeordneter Privater, notwendigerweise zuriickschlage und eben jene individuellen Grundwerte betreffe und einschranke." Bei der Ausfiillung der privatrechtlichen Begriffe und Generalklauseln mit den in den Grundrechten ausgeformten Wertgehalten lassen sich, so Diirig, drei verschiedene Intensitatsgrade unterscheiden: Fur die erste Gruppe, namlich bei den am haufigsten auftretenden Konstellationen handelt es sich bl06 urn die Verdeutlichung von durch Kasuistik gebildete Begriffe: So konnen aus der privatrechtlichen Knebelungsabwehr Missbrauchsabwehr - WiIlkurabwehr in der Anwendung der Abwehrnorm die fur den Burger und Rechtsanwender verstandlichen Wertgehalte der Verfassung herangezogen werden. 57 Eine zweite Gruppe bilden jene Falle, fur welche zwar bereits vorhandene privatrechtliche Abwehrnormen existieren, aber einer wertgescharften Auslegung bediirfen. Fur diese Auslegung seien Wertauffassungen, die in der Verfassung einer gegebenen Rechtsgemeinschaft positiviert sind, maisgeblich. Als Beispiel wird hier die Unvereinbarkeit eines Vertrages, in dem bestimmt wird, wiasky (1956), 157; Durig, Kommentar zu Art. 1 Abs 3 GG in Maunz/Diirig, Grundgesetz-Kommentar 1999, Rz. 127 ss. 55 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956),157. 56 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Gebunstag von Hans Nawiasky (1956),157, (176); so auch nunmehr die herrschende Lehre: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Allgemeine Lehren und Grundrechte, Bd. UIIl (1988), 1578. 57 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956), 157, (178): Als Beispiel fiihrr Diirig an, dass ein Richter bei der Abweisung eines Anspruches auf ein vertraglich vereinbartes Verbot zur Riickkehr an einen bestimmten Ort gem. § 138 BGB in seinem Urteil auch anklingen lassen konne, dass ein menschlicher Grundwert in seinem Wesensgehalt angegriffen wurde, den die Verfassung dem Staat gegenuber durch das Freizugigkeitsgrundrecht schutzt, Durig betont freilich im Folgenden, dass der Richter dieses Zusatzargument anfiihren konne, keineswegs aber miisse. Damit wird jedoch auch klargestellt, dass es sich hierbei nicht urn ein tragendes Argument in der Urteilsbegriindung handeln kann.
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dass keine Wohnungen an Juden zu vermitteln seien, mit dem Anstandsgefuhl aller billig und recht Denkenden genannt.Y Die dritte Gruppe stellen jene, verhaltnismaliig seltener anzutreffenden Falle, in denen das iiberkommene Privatrechtssystem, gemessen an dem in der Verfassung verankerten Wertesystem, Lucken aufweist. Diese Lucken befinden sich weitgehend im Bereich des Schutzes der ureigensten Privat- und Geheimsphare. Doch auch in diesem Falle sei es moglich, auf verschiedenen (privatrechtlich zulassigen) Wegen zu einer verfassungskonformen Auslegung zu gelangen."? 3.3.2. Die Position des BVerfGH .Ausstrahlunqswlrkunq der Grundrechte" und "Objektive Grundsatznormen"
In der Entscheidung Liith war der BVerfGH mit einem Aufruf zu Boykott seitens des Senatsdirektors und Leiters der Staatlichen Pressestelle der Stadt Hamburg gegen eine Film des Regisseurs Veit Harlan mit Hinweisen auf nationalsozialistische Betatigung von Veit Harlan konfrontiert.s? Der Beschwerdefuhrer machte vor dem BVerfGH geltend, das vorhergehende Urteil des OLG Frankfurt verletze sein Grundrecht auf freie Meinungsaufserung nach Art. 5 Abs. 1 GG. In seiner Entscheidung betont der BVerfGH zunachst die Eigenschaft der Grundrechte als Abwehrrechte des Burgers gegen den Staat. Dies ergebe sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechte und aus den historischen Vorgangen, die zur Aufnahme von Grundrechtskatalogen in den Verfassungen der einzelnen Staaten gefiihrt haben. N eben der Einordnung der Grundrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte des Einzelnen wird in der Argumentation auf gleicher Ebene angefugt, dass das Grundgesetz "in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine prinzipielle Wert-
ordnung aufgerichtet hat und dass gerade hierin eine prinzipielle Verstarkung der Geltungskraft der Grundrechte zu Ausdruck kommt. "61 Diese Wertordnung strahle in samtliche Rechtsgebiete aus: 58 Durig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956),157, (179). 59 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956),157, (180). 60 Liith hatte in einer offentlichen Ansprache erklart, dass ein Wiederauftreten Harlans als "Reprasentant des deutschen Films" im Hinblick auf dessen Mitarbeit bei der Herstellung des NS-Films ,,]ud SuB" durch Boykott der neuesten Films von Harlan zu bewerkstelligen sei. Letzterer wiirde wegen seines Engagements in der Nazi-Ara zu "unabsehbarem Schaden vor der ganzen Welt" fur den deutschen Film fuhren, 61 Luth, E 25, 199 (205).
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"Dieses Wertesystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persiinlichkeit und ibrer Wurde findet, muss als verfassungsrechtliche Grundentscheidung fur aile Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinf/usst es selbstuerstdndlich auch das burgerlicbe Recht; keine biirgerlich-recbtlicbe Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muss in seinem Geiste ausgelegt w erden. " 62 Dieses Auslegungserfordernis gelte insbesondere fur diejenigen Vorschriften des Privatrechts, die zwingendes Recht enthalten und damit cler Privatautonomie Grenzen setzen.v' Der BVerfGH wendet sich mit dieser Aussage gegen manche Ansichten von Vertretern mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte'" und betont im Gegenzug, dass Privatautonomie bloG innerhalb des gesetzlichen Rahmens bestehe; die diesen gesetzlichen Rahmen absteckenden einfachen Gesetze seien ihrerseits inhaltlich durch die Grundrechte determiniert. Der Gerichtshof hat in dem Urteil Luth 65 die Grundrechte als objektive Grundsatznormen eingestuft, deren "Ausstrahlungswirkung" die gesamte Rechtsordnung durchdringt und spricht sich in dieser Entscheidung implizit fur eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte aus . Mit dem Postulat der Grundrechte als objektive Grundsatznormen und der damit einhergehenden Definition ihres Anwendungsbereiches stellt der BVerfGH in der Emscheidung Liah zugleich fest, welche Kriterien ein Akt offcntlicher Gewalt erbringen muss, damit er in Priifung vor den Gerichtshof gezogen wird:
62 Liab, E 25, 199 (205). 63 Liab, E 25, 199 (205); in standiger Rspr., vgl. auch Soldatenmord von Lebach, E 1973, 243 (254) . 64 Diirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg. ), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956),157 (158,159,176): "Die Einzelgrundrechte sind Erscheinungsformen eins in Art. 1 lund 2 I GG vorgegebenen deklaratorisch anerkannten, der Verfassung vorgegebenen Wertsystems, das gegen spezifische Gefahrdungcn aus der Staatsrichtung durch verschiedenartige positivrechtliche Grundrechte geschiitzt wird (Hervorhebung der Verf.). [...] Die normativen Mittel zu Abwehr von Angriffen aus der Drittrichtung [demnach von Privaten, Hinzufiigung der Verf.], mit deren Hilfe bei Fehlen spezieller zivilrechtlicher Schutznormen das Objektive Privatrecht seinen Schutzauftrag erfiillt, sind seine wenausfiillungsEihigen und wertausfiillungsbediirftigen Generalklauseln." 65 In der Sache urteilte das BVerfGH, classdie AuBerung Liitbs als zulassiger Eingriff in die personliche Rechtssphare von Harlan zu werten sei; der Beschwerdefiihrer habe bloB seine Ansicht kundgetan. Weiters stehen dem Beschwerdefiihrer keine Zwangsmittel zur Verfiigung, urn seiner Aufforderung zum Boykott Nachdruck zu verleihen.
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Das Verfassungsgericht hat z u priijen, ob das ordentliche Gericht die Reichw eite und Wirkkraft der Grundrechte im Gebiet des biirgerlichen Rechts zutreffend beurteilt hat. Daraus ergibt sich aber zugleich die Begrenzung der N achpriifung: es ist nicht A uf gabe des Verfassungsgerichts, Urteile des Zivilrichters auf R echtsfehler zu prujen; das Verfassungsgericht hat lediglich die bezeichnete "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte aufdas biirgerliche Recht zu beurteilen [. . .}. 66 (Hervorhebung der Verfasserin) In de r Emscheidung Mepbisto' ? hat der Gerichtshof diesen Priifungsma6stab weiter prazisiert, Demnach sei es Aufgabe des BVerfGH zu priifen, ob eine angefochtene Entscheidung von G erichten auf einer grundsatzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung der Grundrechte beruht, deren Verletzung der Beschwerdefiihrer riigt, oder ob das Auslegungsergebnis sclbst die geltend gemachten Grundrechte verletzt. t" Kritik und Zustimmung zu der Entscheidung Liab halten sich in den zahlreichen literarischen Au6erungen die Waage. 69 Beispielhaft seien erwahnt: Bockenforde etwa bezeichnet die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat einerseits und die Funktion der Grundrechte als objektive Grundsatznormen andcrers eits, die einen allseitig geltenden Wertgehalt ausriicken und ein entsprechendes Wertesystem errichten, als "Doppelgestalt" der Grundrechte; diesem Konzept sei zuzustirnrnen."
66 Liitb, E 25 , 199 (207). 67 Mephisto , E 1971, 173 68 Mephisto, E 1971, 173 (188); Solda tenrno rd von Lebach, E 1973, 203 (219); H andelsvertr eter, E 1990,243 (253): " Ihm [dem Bundesverfassungsgerichr] ob liegt inso w eit keine allgemein e und inh altlich e Rechtskontrolle, sondern lediglich die Prii fung, ob die Gericht e Verfassungsrecht verletz t habe n. Ein Verstof gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfas sun gsgerich t zu korrigieren hat , liegt dann vor, wenn Entscheidungen der Zivilgerichte Au slegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsatz lich unrichtigen Au ffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere Yom Umfang seine s Schu tz bereiches, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung fur den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind ." 69 Zustimrnend Diirig, Zum "Luth-U rteil" des Bundesverfassungsgerichtshofes vorn 15.1.1958, DaV 1958, 194; Krause, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Privatrecht, JZ 1984,656 und 711; Biicleenforde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, 1989,25; ablehnend Nipperdey, Boykott und freie Meinungsaufserung, DVBl 1959, 445; kr itisch Canaris, Grundrechte u nd Privatrecht (1999), 31: Canaris iibt Kritik an der Verquickung der Doktrin von dcr "Ausstrahlungswirkun g" der Grundrechte mit der Funktion des BVerfGH als Superrevision sinstanz. Canaris schlagr vor, die Doktrin von der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte durch die (p razisere) Funktion der Grundrechte als Eingriffsverbote und Schutzgebote zu ersetze n.; kritisch Schwab e, Bundesverfassungsgericht und "Drittw irkung der Grundrechte", A6R 1975, 442 . 70 Bockenforde, Zu r Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahr en Grundgesetz, 1989,26.
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Can aris kritisiert, dass gerade die Zusammenlegung zweier durchaus getrennter Problemkreise, namlich der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte und der Superrevisionsproblcm atik, ein grundsatzlicher gedanklicher Fehler in der Konzeption des Liith-Urteils sei." Diese Vermengung habe auch dazu gcfuhrt, dass Erorterungen iiber die dogmatischen Grcnzen der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (auch) dazu verwendet werden konnen, den BVerfGH als mogliche oberste Revisionsinstanz argumentativ anzugreifen. Das dogmatische Institut der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte sei mit der Superrevisionsproblematik inhaltlich nicht verknupft, da letztere als rein verfassu ngsrechtlich- pro zessua le Frage zu betrachten ist. 72 3.4. Schutzpflichten des Staates ersetzen unmittelbare Drittwirkung
Ursprung und logischer Ausgangspunkt der Grundrechtc als Schutzpflichten des Staates gegenuber den Einzelnen finden sich in dem Verstandnis der Grundrechte als Elemente objektiver staatlicher Ordnung. Schutzpflichten des Staates im Hinblick auf die Wahrung eines Grundrcchts entstammen der dcutschen Lehre und Rechtsprechung. Fur Osterreich ist eine je nach angesprochenem Grundrecht und seiner Normierung differenzierende Betrachtung angemessenr" Unstrittig ist in der osterreichischen Lehre und Rechtsprechung jedenfalls, dass der Staat und seine Untergliederungen zu einer grundrechtskonformen Ausgestaltung der gesamten Rechtsordnung verpflichtet ist." Unter die staatliche Verpflichtung der grundrechtskonformen Ausgestaltung der Rechtsordnung fallt auch der Erlass von Regelungen, der die Verletzung von Grundrechtspositionen von Privaten durch Private hintan halt; die von Korinek und H oloubek vorgeschlagene Begrifflichkeit lautet daher " G rundrechtsbin dung des einfachen Gesetzgebers't Z> Hesse identifiziert an den Grundrechten als Grundlagen der Rechtsordnung des G emeinwesens drei konzeptuell tragende Eigenschaften: Grundrechte als objektive Prinzipicn sind Elemente zugleich st atusbestimmender, statusbegrenzender und statussichernder Ordnung. Diese tragenden Eigenschaften wiirden es namlich ausschlieisen, Grundrechtc bloB als objektive
71 Canaris, Grundrechte und Pr ivatr echt (1999), 28. 72 Canaris, Grundrechte und Priv atrecht (1999), 28. 73 Berger, Auswirkungen der Europai schen Mens chenrechtskonvention auf das osterreichische Zivilrecht, JBl 1985, 142 (145); Berka, Der Schutz der freien MeinungsauBerung im Verfassungsrecht und im Zivilrecht, ZfRV 1990,35, (40). 74 Berka, Der Schutz der freien Meinun gsaullerung im Verfassungsrecht und im Zivilrech t, ZfRV 1990,35 , (40). 75 KorineklHoloubek, Grundlagen staatlicher Privatwinschaftsverw altung (1993), 131.
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Ordnungselemente zu begrei fen und sie ihres urspriinglichen Charakters als Menschen- und Biirgerrechte zu entkleiden.?" Grundrechte als objektive Prinzipien staatlicher Ordnung umgrenzen, bestimmen und sichern den Status des Einzelnen. Von Bedeutung der Grundrcchte als objektive Prinzipien ist ihre Bedeutung - zumindest im Grundsatz - als subjektive Abwehrrechte zu unterscheiden.'? Diese gilt im Rahmen des Bedeutungsfeldes "Grundrechte als objektive Prinzipien" als negati ve Kompet enzbestimmung fur die staatli chen Gewalten. Eine Schutzpflicht des Staates ist mithin so zu verstehen, dass den Staat die Pflicht trifft, alles zu tun, urn Grundrechte zu verwirklichen. i" Mit der Schutzpflicht des Staates korreliert jedoch das Schutzrecht des Einzelnen. Alexy findet fur den Begriff der Schutzpflicht des Staates folgende Definition: Wahrend ein Abwehrrecht ein subjektives Recht des Einzelnen gegeniiber dem Staat ist, dass diese Eingriffe unterlasst, so ist eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates das subj ektive Recht des Einzelnen, dass der Staat dafur sorge, dass Dritte Eingriffe unterlassen."? Die Unterscheidung zwischen dem subjektiven Recht des Einzelnen auf Unterlassung gegenuber dem Staat und dem subjektiven Recht des Einzelnen, dass der Staat fur die Unterlassung durch Dritte sorge, fiihrt zu unterschiedlichen praktischen und dogmatischen Konsequenzen. Eine dieser Unterscheidungen sei, dass Schutzpflichten nicht eine positive Gestalrungspflicht nach sich ziehen.s? Abwehrrechte und Schutzrechte - vom Standpunkr des Einzelnen aus betracht et - unterscheiden sich wesentlich in ihrem unte rschiedlichen Grad an Detcrrninierung." Da Abwehrrechte zu einem gra Ben Teil das klare Verbot beinhalten (etwa eine Person zu toten oder ein Ding zu zerstoren), ist jede H andlung verboten, die eine Zerstorung oder Beeintrachtigung darstellt od er bewirkt. Schutzrechte hingegen stellen das Recht auf eine Reihe von Verhalten darnicht jede Handlung, die einen Schutz oder eine Forderung darstellt, ist von vornherein geboten. Alexy bieter hier das anschauliche Beispiel der Rettung eines Ertrinkenden durch drc i alternative Moglichkeiten: Die erste Moglichkeit ist die Errettung durch Schwimmen, die zweite Moglichkeit die Errettung durch den Wurf eines Rettungsringes, und die dritte durch den Einsatz eines 76 H esse, Grundziige des Verfassun gsrechts der Bundesrepublik D euts chland, 14. Auf!. (1984),118. 77 Eine klare Abgrenzung scheim weder konzeptuell und praktisch moglich, noch scheim diese Ab grenzung in der Rechtsp rechun g des deutschen Bund esverfassungs gerichtshofes zu erfolgen: vg!. Alexy, The or ie der Grundrechte (1985), 415. 78 H esse, Grundziige des Verfassungsrechts der Bundesrepublik D eutschland, 14. Auf!. (1984),139. 79 A lexy, Theorie der Grunclrechte (1985), 415. 80 Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), 416. 81 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III I1 (1988), 949.
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Bootes. Nicht samtliche drei Alternativen sind au fgrund einer erwaigen Schutzpflicht zur gleichen Zeit und in ihrer Gesamtheit geboten. V Die Ursache fur die Unterscheidung findet sich w ohl darin, dass die Unterlassung jed er Zerstorungs- und Beeintrachtigungshandlung eine notwendige Bedingung fur die Erfiillung des Abwehrrechts darstellt, wahrend fur die Erfiillung einer Schutzpflicht die Vornahme einer geeigneten Schutz- oder Forderungshandlung ausreichend ist, Existiert allerdings blof cine einzige geeignete Schutz- oder Forderungshandlung, so ist deren Vornahme geboten. In dieser rechtlichen Konstellation nahert sich die Struktur des Abwehrrechtes, so Alexy, der Struktur des Leistungsrechtes an .83 Schutzpflichten haben, so Alexy, Prinzipiencharakter, sie fordern namlich moglichst weitgehenden Schutz relativ auf die tatsachlichen und rechtlichen MOglichkeiten. Weiters konnen sie mit anderen Schutzpflichten - wie im Schleyer-Urteil exemplarisch dargelegt'" - kollidieren. Schlielilich stellen sich fur die Berufung auf und die Anwendung einer Schutzpflicht das normative Problem der Abwagung und das empirische Problem der Effektivitat der zu ergreifenden Mittel. Bei der letzteren Frage geht es urn die Wirkung gegcnwartiger Malinahmen in der Zukunft, demnach urn da s Prognoseproblern. P Die faktischen Erwagungen, die zu einer Postulierung der unmittelbaren D rittwirkung der Grundrechte gefiihrt haben, scheinen jene n ahnlich zu sein, die die Entwicklung der Konstruktion von den Schutzpflichten des Staates beeinflusst haben. Die AuGerung von v on Munch stellt hi erfur ein Beispiel dar: Rechtsdogmatisch lasse sich, so v on Munch, die Funktion der Grundrechte als staatliche Schutzpflichten aus dem Prinzip des R echtsstaates ableiten. Da im Rechrsstaat der Staat das Gewaltmonopol besitze, eine gewaltsame Gegenw ehr dem Burger daher nicht erlaubt sei, diirfe der Staat auch nicht tatenlos zusehen, wenn Grundrechte durch den Angriff Privater verletzt werden." Grundrechtliche Schutzpflichten und Drittwirkung liegen, so von Munch, zw ar eng beieinander, sind j edoch dogmatisch deutlich voneinand er zu trennen. Dies folge schon aus der Tatsache, dass in vielen Fallen der Anwendung der Schutzpflicht keinerlei privatrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen Individuen (oder dem Angreifer und dem Angegriffenen) bestehe - als Beispiel nennt von Munch hier eine Entfiihrung durch Terroristen. V 82 Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), 421; Hesse, Grundzii ge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl , (1984), 139. 83 A lexy, Theorie der Grundrechte (1985), 421. 84 BVerfGHE 46,160 "Hans Martin Schleyer" , (164). 85 Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), 427. 86 vo n Muncb , Die Drittwirkung der Grundrechte in Deutschl and , in von M£inch/Salvador Coderch/Ferrer i Riba, Zur Dritrwirkung der Grundrecht e (1998), 7 (26). 87 von Mu nch, Die Drittwirkung der Grund rechte in Deutschland , in von Munch/Salv ador Coderch/Ferrer i R iba, Zur D rittwirkung der Grundrechte (1998), 7 (28).
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Drittwirkung von Grundrechten
3.5. Neuere Konzepte und Kritik an den Konzepten der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und der Schutzpflicht des Staates
Canaris iibt sowohl an der Argumentation von Befiirwortem als auch Gegnern der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte grundsatzlich Kritik: Jedenfalls zahle unzweifelhaft der Gesetzgeber zu den Normadressaten der Grundrechte." Irn Folgenden untersucht Canaris, in welcher Weise diese Bindung ausgestaltet sei. Aus dem Gedanken der Normenhierarchie folge namlich nur, "dass die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Privatrechts nach dem Grundsatz vom Vorrang der lex superior an die Grundrechte gebunden ist." In diesem Zusammenhang wahlt dieser Autor den Ansatz einer inhaltlichen Determinierung des einfachen Gesetzes iiber ein h6herrangiges Verfassungsgesetz. Der von Canaris gewahlte Ansatz in der Betonung der inhaltlichen Determination tiber Normenhierarchie entspricht jenem von Griller", der seinerseits auf eine inhaltliche Determinierung des einfachen Gesetzgebers iiber den "Rechtserzeugungszusammenhang" zielt." Canaris spricht sich zunachst gegen eine nur mittelbare Geltung der Grundrechte fur die Gesetze des Privatrechts aus.?' Im Lichte der Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 GG konne eine mittelbare Geltung der Grundrechte fur die Gesetze des Privatrechts nicht zutreffen, wei! diese Vorschrift eindeutig eine unmittelbare Geltung der Grundrechte fur die gesamte Gesetzgebung anordnet. Daher wird gefolgert, dass die Grundrechte gegeniiber privatrechtlichen Normen unmittelbar gelten und ihre Funktionen als Eingriffsverbote und Schutzgebote entfalten. Canaris kritisiert das Liith-Urteil des BVerfGH im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte: Dieser Begriff miisse durch das Begriffspaar Eingriffsverbotsbzw. Schutzfunktion der Grundrechte ersetzt werden. Wesentlich erscheint namlich die Frage nach der Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte: Canaris stellt die Frage nach der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte als Frage nach dem Adressaten der grundrechtlichen Bestimmungen. Unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte bedeutet, dass diese grundsatzlich keiner weiteren Transformation bediirfen, .sondern [uhren ohne weiteres zu Eingriffsverboten im Privatrechtsverkehr und zu Abwehrrechten gegen88 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 12. 89 Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ztv 1983, 1 und 109. 90 So nochmals (deutlicher) Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 16; A. A. beispielsweise Mayer, Der "Rechtserzeugungszusammenhang" und die sogenanme "Drittwirkung" der Grundrechte, ]BI1990, 768; Mayer, Nochmals zur sogenannten "Drittwirkung" der Grundrechte, ]BI1992, 768. 91 A. A. Durig, Kommemar zu Art. 3 I, in Maunz/Diirig/Herzog/Scbolz, GrundgesetzKommemar, Munchen 1999, Rz. 510.
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Methoden und Grundlagen
iiber anderen Privatrechtssubjekten. " 92 Dieser Autor raumt ein, dass es rechtslogisch und auch rechtstatsachlich ohne weiteres moglich ware, die Grundrechte auf diese Weise zu verstehen. Dennoch wiirde eine Verallgemeinerung dieses Ansatzes zu untragbaren dogmatischen Konsequenzen fiihren, da weite Teile des Privatrechts auf eine verfassu ngsrechtliche Ebene gehoben werden wiirden und damit ihrer Eigensrandi gkeit beraubt wiirden. Canaris gelangt zu dem Schluss , dass Normadressaten der Grundrechte gru ndsatzlich nur der Staat und seine Organe, nicht dagegen die Subjekte des Priv atrechts sein sollten." Irn Privatrechtsverkehr auBert sich die Schutzfunktion der Grundrechte in zwei wesentlichen Konstellation cn: Zum einen in der starkeren Wirkungskraft der Eingriffsverbotsfunktion gemeinsam mit dem Ubermaiiverbot?' im Privatrechtsverkehr, und in der schwacheren Schutzgebotsfunktion gemeinsam mit dem U ntermafsverbot'". Letzteres sei deshalb schwacher, da im Bereich des U nterlassens sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht die Dberwindung einer gewissen Argumentationsschwelle erforderlich ist, die iiberhaupt eine Rechtspflicht zum Handeln begrundet. Ansonsten wiirde der strukturtheoretische U nterschied zwischen Abwehr- und Leistungsrechten ausgehohlt werden.?" Bei der Verwirklichung der Schutzgebotsfunktion hat der Gesetzgeber demnach auch grundsatzlich einen graBen Spielraum. Dieser Spielraum wird auch nicht, so Canaris, durch das DbermaBverbot so w eit reduziert, dass sich dessen Anforderungen mit dem Untermaiiverbot decken. D er Gesetzgeber kann sich demnach einen beliebigen Zweck zur Verwirklichung vorn ehmen, der nicht von der Verfassung geboten ist - andernfalls handclte es sich urn eine rechtliche Auswirkung des Untermaliverbotes. Der Gesetzgeber darf sich auch ein Ziel setzen, das tiber dem verfassu ngsrechtlich gebotenen Schutznivcau liegt - Canaris stellt auch fest, dass sich die Verwirklichung von Schutzgeboten iiblicherweise nicht auf die Umsetzung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzminimurns beschrankt." Schlielilich untersucht Cana ris die Bedeutung der G esetzcsvorbehalte im Rahmen der Schutzgebotsfunktion: Dabei sci zu unterscheiden, ob es sich urn
92 Canaris, Grundrechte und Pr ivatrecht (1999), 34. 93 Canaris, Grundrechte und Privatr echt (1999), 36. 94 Das Uberrnaiiverbot beschrankt den Gesetzgeber grundsatzlich nicht in der Wahl seiner Ziele und Zwecke; diese seien lediglich darauf zu iiberprufen, ob sie der Verfassung nicht widersprechen. 95 Das Untermaliverbot ford ert insgesamt , dass das einfache Recht einen effizienten Schutz bieter; es lasst aber mehrere Variationsmoglichkeiten offen , wie dieser Schutz im Einzelnen auszugestalten ist. 96 Canaris, Grundrechte und Pr ivatrechr (1999), 43ss. 97 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 85.
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das Grundrecht handelt, welches geschutzt wird, oder urn ein anderes Grundrecht, in welches eingegriffen wird. Schwabe hingegen setzt sich zum Ziel, neue methodische Ansatze zu dem Thema Drittwirkung der Grundrechte zu erarbeiten: Zunachst wird ausgefiihrt, dass eine klare Unterscheidung zwischen 6ffentlichem Recht auf der einen Seite und Privatrecht auf der anderen Seite nach den gangigen theoretischen Erklarungsmodellen nicht in aller Scharfe moglich sei." Daher gelangt er zu dem Ergebnis, dass der Terminus "Drittwirkung" unzutreffend sei, da es sich auch bei der Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht jedenfalls urn eine auf staatlicher Rechtsmacht beruhende Durchsetzung privater Anspriiche handelt. Grundrechte richten sich an die Gesetzgebung, daher sei eine Absonderung grundrechtswidriger Zivilgesetze vorn Problemkreis der Drittwirkung nicht sinnvoll. Schwabe folgert daher: "Zundchst einmal ist ein genau gleiches Ausmafi der
Grundrechtsgeltung im offentlichen wie im Privatrecht gar nicht zwingend, vielmehr das " Db" der Grundrechtswirkung vom "wieweit" strikt zu trennen. Zum anderen sind aile Freiheitsbeschrdnkungen, die man im Privatrecht antrifft, grundsdtzlich auch im offentlichen Recht zuldssig. Das ergibt sich schon aus der weitgehenden Vertauschbarkeit und der Gemengelage zwischen offentlichem und privatem Recht. "99 Daher handle es sich bei der Frage der Drittwirkung urn ein Scheinproblem, kunstvolle Begriindungsversuche mussten daher ins Leere gehen. Stern tritt der Aussage von Schwabe, cler die Problematik der Drittwirkung der Grundrechte als "Scheinproblem" bezeichnet, entgegen: Richtig sei wohl, class die Frage der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte fur die Gerichtsbarkeir von gro~er Bedeutung sei - allerdings werde damit noch nicht die Frage beantwortet, ob sich ein Privatrechtssubjekt auf Grundrechte im Verhaltnis zu einem anderen Privatrechtssubjekt berufen konne, Diese Frage wiederum, so Stern, konne nur dann von den Gerichten beantwortet werden, wenn die Grundrechte auch Privatpersonen untereinander berechtigen und verpflichten. Die These von Schwabe beantworte damit im Ergebnis nicht die Frage nach dem in einer Privatrechtsstreitigkeit anzuwendenden materiellen Recht.P?
98 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte (1971), 33. 99 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte (1971), 156. 100 Stern, Das Staatrecht der Bundesrepublik Deutschland, Allgemeine Lehren der Grundrechte, Bd. III/l (1988). 1541.
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4. Meinungsstand in der osterreichischen Lehre und Rechtsprechung
4.1. FOr eine mittelbare W irkung der Grundrechte: Die Ansicht von Bydlinski
Bydlinski greift vorab die Problematik der Drittwirkung der Grundrechte von einem verfahrensrechtlichen Standpunkt auf.l ol Die Einrichrung eines prozessualen Mittels spezi fisch fur die Relevierung von Grundrechtsverletzungen (erwa an den Verfassungsgericht shof) ist nach Ansicht von Bydlinski nicht erfo rdcrlich, da jeder Schutz gcgcniiber Grundrechtsverl etzungen nu r darauf gerichter sein kann, Abhilfe im Rahmen der iiblichen pro zessualen Rechtsmittel zu suchen. Jeder Rechtss chutz gegen Grundrechtsverletzungen kann daher zurn Ergebnis haben, dass eine Instanz angerufen werden konne, die zumindest von direkten Einfliis sen der Machttrager im Staat unabhangig sei. Diese Unabhangigkeit besitze jedoch jedes Gericht, sodass die ErschlieBung eines Rechtsweges an den Verfassungsgerichtshof nicht erfordcrlich sei. Au ch wenn die Theorie von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in der rechtlichen Praxis durchfiihrbar ware, so sei es nach Ansicht von Bydlinks i nach wie vor str ittig, dass im Verhaltnis zwischen Privatpersonen Grundrechte in genau gleichcm Au smali geschiitzt werden miissten oder auch diirften wie im Verhaltnis zum Staat. 1m Privatrecht existiere im Grundsatz kein dem Verhaltnis zwischen Individuum und Staat ahnliches Machtgefalle, Ein Eingriff einer Pr ivatperson in die Grundfreiheiten einer anderen bediirfe - im Gegensatz zu einem staatlichen Eingriff - grundsatzlich deren Zu stimmung, Wenn man namlich der Dispositionsfreiheit des Einzelnen im Rahmen seiner geschiitzten Freiheitssphare noch ein Gewicht zuerkennen wo lle, dann miisse eine Einschrankung der Grundrechte in weiterem Umfang moglich sein, wenn sich dieser Ein griff auf die Dispositionsmoglichkeit des Einzelnen stiitzen kann. Gerade der Grundsatz der Privatautonornie lege es dem Einzelnen auf, in sehr verschiedenen Rechtsfragen gegeniiber anderen Privaten Gleichbehandlung walten zu lassen. Diese Pflicht zur Gleichbehandlung sei inhaltlich durch Gesetz geregelt und keine sfalls bloB der Privatautonomie iiberlassen. Dennoch handle es sich in der Substanz urn einen Ausfluss des verfassungsrechtlichen Willkiirverbotes. l o2 Wenn man nun, so Bydlinski, eine Norm blof "his zu einem gewissen Grad" im Privatrecht anwenden wolle, so sei es logisch ausgeschlossen, eine
101 Bydlinski, D ie Grundrechte in Relation zu r richterlichen Gew alr, Zivilrechtl iches Refe rar juristentag 1961, O RZ 1965, 67. 102 Glei ch zeitig wird vo n Bydlinski eingesch rankr. "Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip ergibt sich nichts, was die Privatauton om ie tangiert. Sie bed arf daher auch nichr etwa zu ihrer rechtlichen Existenzsicherung eine r Veranke ru ng in irgendcin em Grundrecht."
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Drittwirkung von Grundrechten
unmittelbare Drittwirkung, also eine unmittelbare Anwendung der Norm zu behaupten.l'" Der Schutz der Grundrechte im Privatrecht habe jedoch, so Bydlinski, mittelbar tiber die Normen und Generalklauseln des Privatrechts zu erfolgen. Wo demnach im Privatrecht eine wirkliche Gesetzesliicke auftrete, konne man auf die in den Grundrechtsnormen anerkannten allgemeinen Werte zuriickgreifen und diese in Gestalt der allgemeinen Rechtsgrundsatze fruchtbar machen. SchlieGlich wiirden, so Bydlinski, einige der Normen des Privatrechts eine unmittelbare Anwendung zwischen Privaten schon durch ihren Wortlaut ausschlietien.l'"
4.2. Verfassungsrechtliche Perspektiven Ermacora greift das Problem der Drittwirkung von Grundrechten auf und begreift es in dem weiteren Zusammenhang der Funktion der Grundrechte.l'" Grundrechte und Privatrecht wiirden zueinander - als geschlossene Teilordnungen der staatlichen Rechtsordnung begriffen - im Verhaltnis der Spezialitat stehen. Die Definition des Verhaltnisses der Grundrechte zu privatrechtlichen Normen als Verhaltnis der Generalitat und Spezialitat ergebe sich aus dem sachlichen Geltungsbereich der N orrnen.l'" Sofern die Teilrechtsordnung des Privatrechts nicht in der Lage sei, den von der Teilrechtsordnung - die iiberdies Verfassungsrang genielit - geforderten Zustand herzustellen, miissen Grundrechtsnormen auch auf privatrechtliches Handeln des Staates anwendbar sein.l'" Freilich, so schrankt Ermacora ein, stehe die Anwendbarkeit der Grundrechtsnormen stets in einem Subsidiariratsverhaltnis zu den Bestimmungen des Privatrechts,
103 Bydlinski, aaO, 14: Damit sei, so Bydlinski, der scharfe Gegensatz zwischen den Lehren von Nipperdey und Diirig praktisch beseitigt: "Beide sind sich daruber einig, dass die Grundrechte als solche eben nicht im Privatrecht anzuwenden sind, sondern nur Parallelerscheinungen, die an die Grundrechtsnormen angelehnt und im iibrigen in privatrechtskonformer Weise enrwickelt werden." 104 Bydlinski, Bemerkungen iiber Grundrechte und Privatrecht, OZOR 1962/63, 428, (430). 105 "Fragwiirdig ist das, wenn man sich dazu bekennr, im positiven Recht nicht nur einen Ausdruck bestimmter gesellschaftlicher Kraft- und Machtverhaltnisse zu begreifen, sondern zugleich in ihm den Teil eines eigenstdndigen Ganzen zu sehen, das anderen Regeln unterworfen ist, als das gesellschaftliche Sein. Nur dann ist es geboten, die Grundrechte im Verhaltnis von gesellschaftlichem und rechtlichem Sein zu beurteilen.", Ermacora, Die Grundrechte in Osterrcich, 154. 106 Ermacora, aaO, 156. 107 So auch Klecatsky, Allgemeines Osterreichisches Verwaltungsrecht. Eine Buch- und Lagebesprechung, JB11954, 473, 503.
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Die von Ermacora gepragte Auffassung geht von einer Ergebnispflicht fur den Staat im Sinne der Schaffung eines grundrechtsgemaiien Standards fiir natiirliche und juristische Personen aus. Wahrend es im Einzelnen strittig ist, ob samtliche Grundrechte einer Ergebnispflicht unterliegen und wie gegebenenfalls der vom Staat herzustellende grundrechtsgemaBe Zustand in einem Einzelfall beschaffen sein soil, tendiert Ermacora zu der Auffassung, dass die Ausformulierung dieser Leitlinien der Rechtsprechung zu iiberlassen sei. 10S Die von Ermacora postulierte AuHassung ist weder der Theorie der mittelbaren noch der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte eindeutig zuordenbar - schlieBlich bedeutet "subsidiare Anwendung von Grundrechten" im Verstandnis der Verfasserin blof ersatzweise Anwendung, ohne zugleich eine Aussage dariiber zu treHen , ob diese Anwendung mittelbar oder unmittelbar erfolgt. Griller hat in einigen Beitragen' "? zu dem Problem der Drittwirkung unci Fiskalgeltung von Grundrcchten Stellung genommen: Die Wirkung von Grundrechten gegeniiber dem hoheitlich handelnden Staat stehe auBer Streit, strittig unci diskussionswiirdig sei vielmehr die Bindung Privater an Grundrechte; diese beiden Aspekte der Wirkung von Grundrechten sind getrennt voneinander zu untersuchen. Nach dieser Ansicht ist jedoch eine unmittelbare Bindung Privater an Grundrechte nicht moglich, da privates Handels als staatlich sanktioniertes Handeln im Sinne eines Stufenbaues der Rechtsordnung aufzufassen sei unci grundrechtlich bzw. verfassungsrechtlich determiniert werde." ? Aus der unstreitig bestehenden Bindung des einfachen Gesetzgebers an die Grundrechte ergebe sich aus dem Rechtserzeugungszusammenhang, dass auch private Rechtsetzung nur unter Beachtung grundrechtlicher Schranken zulassig sei. Grundrechtswidrige private Rechtsetzung sei daher nach dieser Prarnisse auch immer gesetzwidrig und konne als gegen das einfache Gcsetz verstoBend bekarnpft werden. Mittelbare und unmittelbare Drittwirkung lassen sich nach Ansicht Grillers als Teilaspekte einer umfassenden Grundrechtsbindung begreifen. Mittelbare Grundrechtsbindung sei jener Sonderfall der Grundrechtsverwirklichung zwischen Privaten, bei dem die Mediatisierung der Grundrechtsgeltung in Form von verfassungskonforrn zu interpretierenden gesetzlichen General-
108 Ermacora, aaO, 157. 109 Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZN 1983, 1 und 109; Griller, Der Schutz der Grundrechte vor Verletzungen durch Private, JB11992, 205 und 289. 110 So schreibt Griller: "Was nun den Bereich privater Rechtsetzung anbelangt , so ist darauf Bedacht zu nehmen, daB diese im oben erorterten Sinn staatsabgeleitete, meist gesetzlich legitimierte Rechtsetzung ist , In diesem Delegationszusammenhang liegt die entscheidende Parallele zur rein staatlichen Vollziehung. u, in: Griller, Dritrwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZN 1983,1 (4).
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klauseln stattfindet. Rechtssetzung im pri varautonornen Bereich konne nach Ansicht Grillers bloG in Ausnahmefallen grundrechtswidrig sein. ill Daher ist nach dieser Ansicht das Begriffspaar "unmittelbare Dritrwirkung" und "mittelbare Dritrwirkung" abzulehnen; es handle sich nicht urn einen Unterschied in der Wirkungsweise, sondern in der Wirkungsintensitat. i l 2 Grundrechtsschutz wird nach Ansicht Grillers durch den einfachen Gesetzgeber verwirklicht. Diese Auffassung lauft im Ergebnis auf eine Ablehnung unmittelbarer Drirrwirkung von Grundrechten hinaus. !' ? Mayer betont zusatzlich, dass es zwar von einem strukturtheoretischen Standpunkt aus zutreffend sei, privates Handeln als "staatsabgeleitet" zu qualifizicren, jedoch von einem positivrechtlichen Standpunkt aus diese strukturtheoretische Annahme eine inhaltliche Determinierung des privaten Handelns nicht erlaube.'!" Weiters betont Mayer, dass fur die Erfassung der Frage nach der Drittwirkung von Grundrechten unterschieden werden miisse, auf welches Schutzgut sich ein Grundrecht bezieht, und an welchen Adressaten sich ein verfassungsrechtlich normiertes Grundrecht wender.U'' 4.3. Die Position der Rechtsprechung
Der osterreichische Verfa ssungsgerichtshof hat sich im Rahmen seiner Judikarur stets der Theorie von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte angeschlossen.' !" Der Verfassungsgerichtshof hat hierbei die respektiven Meriten der zwe i genannten Theorien in seinen Erkenntnissen nicht andiskutiert, sondern stets - wie hier exemplarisch zitiert - ausgefiihrt:
Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte scheidet aus. Der EGMR hat jedoch stets wie der Verfassungsgerichtshofgrundsdtzlicb die Pflicbt des
III Griller, Drittwirkung und Fiskalge!tung von Grundrechten, ZfV 1983, 1, 109 (123). 112 Griller, Drittwirkung und Fiskalgelrung von Grundrechten, ZfV 1983, 1, 109, (110). 113 Griller, Der Schutz der Grundrechte vor Verletzungen durch Private, ]Bl 1992,205 und 289 (219). 114 "Wie vie! Spie!raum das Gesetz der vertraglichen Rechtserzeugung einraumt, ist eine Frage des positiven Rechts; und genau auf dieser Ebene spielt die Frage der Drittwirkungsproblematik." in: May er, Der "Rechtserzeugungszusammenhang" und die sogenannte "Drittwirkung" der Grundrechte, ]BI1990, 768. 115 May er, Der "Rechtserzeugungszusammenhang" und die sogenannte "Drittwirkung" der Grundrechte, ]BI 1990, 768, (770). Griller bezeichnet die Grundrechte als "objektive Wertordnung", in Griller, Der Schutz der Grundrechte vor Verletzungen durch Private, ]BI 1992, 205 und 289 (206). Bereits mit der Wahl der Begrifflichkeit situierr Griller sich bereits auf dem Boden der hL zur mittelbaren Drirtwirkung der Grundrechte. 116 So beispie!sweise VfGH B 377/98 ; VfSlg 15426, B 416/98; VfSlg 14269, G 249/94 , G 251/94, G 252/94, G 253/94 , G 254/94.
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Staates bejaht, aktiv fur den Schutz der Konventionsrechte auch gegeniiber Privaten Dritten tdtig zu w erden. 117 Der VfGH betont anlasslich einer Grundrechtsbeschwerde beziiglich des Grundrechts auf Datenschutz, dass § 1 Abs. 6 DSG die Drittwirkung der Grundrechte im privatrechtlichen Bereich erst verankern solle.!" A maiore ad minus lasse sich nun daraus schliellen, dass nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes der Gesetzgeber cine positivrechtlichen Verankerung vornehmen rniisse, um Drittwirkung von Grundrechten annehmen zu konnen. Diese Auffassung wird in der Argumentation des VfGH im Erkenntnis zur Fristenlosung erneut dargelegt und nuanciert: Im Zuge der Anfechtung cler in § 97 Abs. 1 Ziff.l StGB geregelten Fristenlosung argumentiert der Beschwerdefuhrer, dass die genannte Bestimmung es mittels einfachgesetzlicher Regelung errnogliche, die Schwangere iiber den willkiirlichen Entzug von Leben entscheiden zu lassen und dem Noch-Ungeborenen das Grund- und Freiheitsrecht auf Leben entziehe, da der (strafrechtliche) Schutz vor Toning aufgehoben werde."!? Wahrend sich die vorliegende Problematik als Problem staatlicher Schutzpflichtausiibung oder als Problem der Drittwirkung des Grundrechts auf Leben denken lasst -letzteres unter der Annahme, dass das Noch-Ungeborene als Person, ausgestattet mit diesem Grundrecht - gedacht wird, hat der VfGH in seinem Erkenntnis beide Argumentationskenen abgeschnitten: Zunachst halt der VfGH fest, dass der Grundrechtskatalog des Staatsgrundgesetzes von der klassisch liberalen Vorstellung getragen werde, dem Einzelnen Schutz gegeniiber Akten der Staatsgewalt zu gewahren.V? Bei den Bestimmungen des § 96 und 97 StGB gehe es jedoch nicht um einen staatlichen Eingriff in das Leben eines Einzelnen, sondern darum, dass ein nach § 96 StGB strafbarer Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 97 StGB nicht strafbar sei. Der VfGH betont an dieser Stelle erneut den Charakter der Grundrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte unter Ablehnung der Anwendbarkeit der Schutzpflicht des Staates auf den konkreten Sachverhalt:
117 VfSlg 14269, G 249/94, G 251/94, G 252/94, G 253/94, G 254/94, Erkenntnis vom 28.9.1995; So auch mit Bezug auf Art. 4 und 6 StGG: "Augerdcm aber richten sich die Art. 4 und 6 StGG nicht gegen Willenserklarungen von Privatrechtssubjekten, sondern nur gegen behordliche Aufenrhaltsbeschrankungen (Abschaffung und dgl.), die gesetzlich nicht begriindet sind .", in VfS1G 2303 (1953), 122 (124); vgl. auch VfSlg 5854 (1968),818; 118 G 238-241/88, V 209-V 212/88, VfSlg 12194, Erkenntnis vom 12.10.198. 119 Wiedergabe der Argumentation der Salzburger Landesregierung in VfSlg. 7400 (1974), 221 (222). 120 VfSlg. 7400 (1974), 221 (224).
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.Selbst wenn aus Art. 85 B- VG (wonach die Todesstrafe abgeschafft ist) ein subjektives Recht abgeleitet werden leonnte, ware daraus fur den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, weil auch ein solches Recht nur gegen Eingriffe des Staates scbiitzen wurde. "121 Des Weiteren konne es dahingestellt bleiben, ob dieser Ausspruch nur gegeniiber Eingriffen des Staates oder auch gegeniiber Eingriffen Dritter gewahrt sei - Art. 8 EMRK schlielie, so der VfGH, nicht den Erlass von Strafbestimmungen zum Schutze des Anspruches auf Achtung des Familienlebens aus, enthalte jedoch keine Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Missachtung des Familienlebens durch Private unter Strafe zu stellen.P? Die in den Art. 1 und 2 EMRK gewahlte Formulierung lasse es offen, ab welchern Zeitpunkt Leben beginne. Da von den zitierten Vorschriften alleine Art. 1 und 2 EMRK den Schutz des Lebens vorsehen, und die EMRK den Beginn menschlichen Lebens nicht normiere, bleibe es dem Gesetzgeber anheim gestellt, den Abbruch einer Schwangerschaft je nach Zeitpunkt des Eingriffes mit Strafe zu belegen. Diese Folgerung ergebe sich auch aus den Rechtsordnungen der ubrigen Signatarstaaten der EMRK, die fur Schwangerschaftsabbruch in ihren Rechtsordnungen ahnliche Regelungen getroffen haben, ohne etwa fur den Erlass einer solchen Regelung einen Vorbehalt zur EMRK anzumelden.l-' Das vorliegende Erkenntnis hat bisweilen im Hinblick auf seine Begriindung Kritik in der Literatur erfahren: Ohne auf das Ergebnis des Erkenntnisses des VfGH einzugehen, iibt Grimm Kritik an der Grundrechtsauffassung des VfGH, das sich in der Begrundung des Erkenntnisses zur Fristenlosung auf das Funktionsverstandnis der Grundrechte zu ihrer Entstehungszeit und in ihrer historischen Bedingtheit stiitzt. 124 Der Oberste Gerichtshof Osterreichs hat sich in seiner Rechtsprechung ebenfalls stets der Theorie von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte angeschlossen.P" Unter Berufung auf Walter!Mayer 126 und Aicber-" stellt der OGHfest: 121 VfSlg. 7400 (1974), 221 (225). 122 VfSlg. 7400 (1974), 221 (237). 123 Die getroffene Regelung verstoiie nach Ansicht des VfGH auch nicht gegen den Gleichheitssatz, da das werdende menschliche Leben eine Entwicklung durchmache, die von der aufserhalb des Mutterleibes eines Lebens unter naturlichen Bedingungen unfahigen Eizelle bis zu dem aulserhalb des Mutterleibes lebensfahigen Menschen reiche. 124 Grimm, Die Fristenlosungsurreile in Osterreich und Deutschland und die Fristenlosungstheorie, JBl1976, 74 (75). 125 etwa E 10 Ob 315/99a, 9 Ob A 125/98 f, 8 Ob A 61/97x, 1 Ob 214/98x, 9 Ob A 7/96, 3 Ob 566/95, 8 Ob A 220/95, 9 Ob A 802/94, 9 Ob A 201/94, 6 Ob 521/94, 9 Ob A 133/93, 9 Ob A 602/92. 126 Vgl. ebenso Walter/Mayer, Grundriss des osterreichischen Bundesverfassungsrechts? (2000), 567. 127 Aicher, Kommentar zu § 16 ABGB, in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen Burger-
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Methoden und Grundlagen
.E s ist heute al/gemein anerka nnt, dass die (gegen den Staat) gericht eten Grundrechte infolge der Generalklauseln des Privatrechts auch in die Priva trechtsordnung einflieflen und damit in den rechtsgeschaftlichen Verkehr einflieflen. "1 28 5. Fiskalgeltung der Grundrechte und Geltung der Grundrechte fur Kollektivvertrage
D ie Lehre von der Fiskalgeltung der Grundrechte postuliert cine differenzierte Bindung des Staates an Grundrechte im privatwirtschaftlichen Rahmen. jedenfalls unterliegt die erwerbswirtschaftliche Tatigkeit des Staates dem Privatrecht; nimmt daher ein Trager offent licher Verwaltung als "Fiskus" am wettbewerblichen Erwerbs- und Wirtschaftsleben teil, d. h. bedi ent sich dieser Trager offentlicher Verwaltung privatrechtlicher Handlungsformcn, so gilt fur ihn formell und materiell zunachst Privatrecht.V? Nach deutscher Lehre soll der Staat bei der Erfiillung spezifischer offentlicher Aufgaben stets den Grundrechten unterworfen scin, gleichgultig, ob er sich zur Aufgabenerhillung privatrechtlicher oder hoheitlicher Handlungsformen bed ient. Stern definiert hier: "Sow eit die Exekutive " unmittelbar offentfiche Zw ecke verfolgt und offe ntliche Aufgaben erfullt", ist fi skalisches Handeln des Staates nicht anz unehmen, mag es sich auch in v ol/em Umfang der O rganisations- und Handlungsformen desPriv atrechts bedienen. " 130 Wolff/Bachofbezei chnen diese Art staatlicher Tatigkeit als Verwalrungsprivatrecht':". Die Wahl der Begrifflichk eit beruht auf zwei Argumenten: Wenn ein Trager offentlicher Verwaltung Privatrechtsverhaltnisse zur Erfiillung der ih m zugewiesenen offentlich-rechtlichen Aufgaben eingeht, so handelt es sich dabei inhaltlich nicht urn "fiskalische" Verwalrung. Weiters unterliegen die Tr ager der Verwaltung offentlich-rechtlichen Bindungen und agieren nicht in voller Pri vatau to no m ie.P''
Fur den Bereich des Verw altungsprivatrechts besteht eine Bindung des Staares an die Grundrechte, insbesondere an die Freiheitsrechte, an den Gleich-
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lichen Gesetzbuch-, Erster Bd. , Er ster Hbd, 2000; so wohl dem Grunde nach Wolff, Kommentar zu § 16 ABGB, in Klang, Kommentar zum Allgemei nen burgerlichen Gesetzbuch", Erster Bd., Erster Hbd., 1964. E 3 Ob 2440/96m. So einh ellig nach deutscher un d osterr eichischer hL: Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 10. Auflage (1994), 233; Korinek/Holoubek, Grundlagen staatl icher Pr ivarwirtschafrsverwaltu ng(1993), 147. St ern , Das Sraatsrecht der Bundesrepublik Deutschland - Allgemeine L ehr en der Grundrechre IIIIl (1988), 1396. Wolff/Bachof, Verwaltu ngsrecht I, 10. Auflage (1994), 238. Wolff/Bachof, Verw altungsrecht I, 10. Auflage (1994), 238.
Drittwirkung von Grundrechten
heitssatz und an das Uberrnaisverbot.P" Die Bindung des Staates im Bereich des Verwaltungsprivatrechts an die Grundrechte wird mit der fur Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung aus Art. 1 (3) GG resultierenden Bindung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht begriindet. Weiters soll es dem Staat unmoglich gemacht werden, sich einer grundrechtlichen Bindung durch die Verwendung privatrechtlicher Instrumente zu entziehen. Die privatrechtliche fiskalische Betatigung des Staates, demnach also die primar erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienende Wettbewerbstatigkeit, die wirtschaftliche Nutzung staatlichen Verrnogens und die Wahrnehmung privatrechtlicher Hilfsgeschafte unterliegt jedoch ausschlieiilich dem Privatrecht. Das Ziehen einer klaren Trennlinie vermag sich jedoch als schwierig erweisen.P" In Osterreich wird diese Ansicht zunachst mit dem Argument der Gefahr einer staatlichen "Flucht ins Privarrecht" von Raschauer vertreten.P? Fur die osterreichische Lehre und Rechtsprechung im Allgemeinen ist ein differenziertes Bild zu verzeichnen: Korinek und Holoubek konstatieren, dass nach herrschender osterreichischer Lehre manche Autoren im Grundsatz die Bindung des nichthoheitlich agierenden Staates an die Grundrechte unabhangig vorn Inhalt der Verwaltungstatigkeit bejahen.P" und andere Autoren die Fiskalgeltung der Grundrechte nach Funktionen der Verwaltung differenzieren,137 wahrend manche wiederum die Wirkung der Grundrechte auf den hoheitliche handelnden Staat beschranken wollen.P" Zu Erwagungsgrunden, die eine differenzierte Betrachtung und eine Zuweisung in Kategorien untermauern zahlen die wirtschaftliche Ubermacht des Staates, das "Angewiesensein" auf die staatliche Leistung, die spezifische dis-
133 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 1,10. Auflage (1994), 238. 134 Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirrschaftsverwaltung (1993),147. 135 Raschauer, Grenzen der Wahlfreiheit zwischen den Handlungsformen der Verwaltung im Wirtschaftsrecht, OZW 1977, 1 (5). Die dabei auf staatliches Handeln im Rahmen des Verwaltungsprivatrechts anzuwendenden Grundrechte sind nach Ansicht von Raschauer gleichfalls die Pflicht zur Gleichbehandlung der Betroffenen, zur Beachtung der Verhaltnismaiiigkeit und zur Schonung der einzelnen Freiheitsrechte. 136 So z. B. Bydlinski, Die Grundrechte in Relation zur richterlichen Gewalt, Zivilrechtliches Referat juristentag 1961, ORZ 1965,67 (87). 137 Korinek/Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirrschaftsverwaltung (1993),148; so z. B. auch Dullinger, Venragsraumordnung aus privatrechtlicher Sicht, ZfV 1997, 11 (12). 138 Funk, Sensible und defizitare Bereiche des Rechtsschutzes in der offentlichen Verwaltung,]BI1987 150 (152), welcher feststellt: "All dies andere jedoch nichts an dem grundsatzlichen Befund, dass es ausreichend ist, wenn der Staat als Trager von Privatrechten den Regeln des Privatrechts als eines .Recbts fur jedermann" unterworfen ist und eine zusatzliche spezielle Determinierung dieses Bereiches von Verfassung wegen nicht gefordert ist."
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Methoden und Grundlagen
tributive Macht des Staates od er die Moglichkeit koordinierten Einsatzes nicht hoheitlicher und hoheitlicher Gestaltungsmittel. P? Aicher wiederum w eist darauf hin, dass eine Unterstellung des privatwirtschaftlich handelnden Staates unter das offentliche Recht - damit ist jedoch ein Mehr als bloB die Grundrechte gemeint - bedeuten wiirde, auf das Machtungleichgewichte ausdifferenzierende Potential de s Privat- und Wettbewerbsrechts zu verzichten. Eine derartige Vorgangsweise ware, so A icher, fur den Partner des privatwirtschaftlich handelnden Staates nicht von Vorteil, Weiters wiirde eine Erstreckung des offentlichen Re chts auf den Staat in jedweder Kapazitat zur Konsequenz haben, dass dem Staat in eindeutigem W iderspruch zu Art. 17 und 116 B-VG cine blof eingeschriinkte Privatrechtsfiihigkeit zukommen wurde.r ' ? Nach Ansicht von Griller ist zwischen den Funktionsbereichen der Privatwirtschaftsverwaltung zu differenzieren: Bei rein administrativen Hilfsgeschaften kann eine Unterwerfung des Staates unter Privatrecht und Privatautonomie ausreichen, fur den Bereich der Leistungsverwaltung sei cine Bindung d es Staates an Grundrechte jedoch erforderlich.':" Ahnliche Erwiigungen konnen auf die Anwendung der Grundrechte auf Tarifvertragspanner gelten: Nach deutscher Lehre besitzt ein Tarif- oder Kollektivvertrag rechtliche Doppelnatur, In seinem obligatorischen Teil ist er als gegen seitiger schuldrechtlichcr Vertrag arbeitsrechtlichen Inhalts zu betrachten, in sein em normativen Teil als ein fur Dritte rechtsverbindlicher zwciseitiger korporativcr Normenvertrag.l'? Daher ist cin Tarifvertrag als Gcsctz im mareriellen Sinne zu betrachten.!" Aufgrund dieser Zuordnung zu der Gcsctzgebung sind di e Grundrcchte de s GG fur die Tarifvertragspartner bindend. Di e osterreichische Lehre und Rechtsprechung bieten au ch zu dicser Frage cin diffcrcnziertes Bild: W iihrend Walter und Mayer cinen Kollektivvertrag als
139 KorineklHoloubek , Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverw altung (1993), 148. 140 A icher, Zivil- und gesellschaftsrechtliche Probleme, in Funk (H g), Die Besorgung
Offem licher Aufgaben du rch Privatrechtssubjekte - Rechtsprobleme der Ausgliederungen des Staates in Form von priv atrechtlich organisierten Rechtstragern ohne Imperium (1981),191 (196ss). 141 Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZN 1983 2 und 109 (120). 142 Die klassische Definition eines Tarifvertrages von Nipperdey lautet : " Ein Tarifvertrag ist der schriftliche Vertrag zwischen einem oder mehreren Arb eitgebern oder Arbeitgeberverbanden und einer oder mehreren Gewerkschaften zur Regelung von arbeitsrechtli chen Rechten und Pflichten der Tarifvertragsparteien und zur Festsetzung von Rechtsnormen tiber Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhaltnissen sowie tiber betriebliche und betr iebsverfassungsrechtliche Fragen und gemeinsame Ein richtungen der Vertra gsparteien." (H ervorhebung der Verfasserin), in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl . (1999), 1651. 143 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl. (1999), 1651.
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Rechtsverordnung qualifi zieren.v' " betonen andere seinen Charakter als privates In strument zur Rechtsgestaltung!". Unabhangig von der Rechtsnarur de s Koll ektivvertrags wird jedoc h in der Lehre iiberwiegend eine unmittelbare Bindung der Kollektivvertragspartner an die Grundrechte posruliert.l'" wahrend die Rechtsprechung eine mittelbare Anwendung der Grundrechte zu bevorzugen scheint!" , Die osterreichische Lehre und R echtsprechung scheint cine unmittelbare Wi rkung der Grundrechte nur in Bezug auf den hoheitlich handelnden Staat zu bejahen. Mangels Zugehorigkeit der norrnativen koll ektivvertraglichen Rechtssetzung zur Hoheitsverwaltung sind die Grundrechte daher nicht unmittelbar auf Kollektivvertragsp artner anwendbar.!" Die Judikatur geht jed och nunmehr von einer "mittelbaren" Drittwirkung der Grundrechte im Hinblick auf die Partner cines Kollektivvertrages aus; betont wird jedoch, dass fur die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Bereich von Kollektivvertragen eine Differenzierung der Schutzintensitat je nach der konkreten Unterlegenheit d es Kollektivvertragsunterworfenen zu treffen ist; weiters wird in der Formulierung der Leitsatze eine Wort- und Begriffswahl getroffen, die es vermuten lasst, dass die allenfalls erforderliche Schutzintens itat des Tragers der bedrohten Personlichkeitsinteressen auch eine unmittclbare Wirkung der Grundrechte - zumindest fur den no rm ativen Teil- notig macht und sinnvoll ersch einen lasst. "" In Zusammenfassung kann gefolgert werden, dass nach deutscher Lehre und Rechtsprechung aufgrund der Klassifikation des norrnativen Teils de s Kollektivvertrages als Gesetz im materiellen Sinne und der sich d araus ergebenden Anwendbarkeit des Art. 1 Abs.3 GG die Grundrechte in ihrer Gesarntheit auf Tarifvertrage anw end bar sind. Ein weiteres Argument fur die An-
144 Klecatsk y, Die kollcktiven Machte im Arbeitsleben und in der Bundesverfassung, in Floretta/Strasser, Di e kollekt iven Machte im Arbeitsleben (1963), 29. 145 Winkler, Die Bedeutung des Verfassungsrechts fur die Entwicklung des Arbeitsrechts, ZA5 1984, 123 (125). 146 So z. B. Mayer-Maly, Di e Gleichb ehandlung der Arbeitnehmer, RdA 1980, 261 (270); so vermutlich auch Marh old, O sterreichisches Arbeitsrecht II, 82. 147 RdA 1993, 369; Eypeltauer, Koll ektivvertragliches Disziplinarverfahren fur strafweise Kundigung, RdA 1995, 400 (403). 148 R esch, Zur kollektivvertraglichen Regelung von Betriebsp ensioncn, RdA 1993, 369 (373). 149 Vgl. OGH 9 Ob A 201, 202/94 , RdA 1995,400: "Da die KollV-P artei en bei der Gestaltung des KollV an die Grundrechre gebunden sind, ware es ihnen verwehrt, einem Di sziplinarbeschuldigten norrn ativ cin Recht abzuerkennen, das umer sonst gleichen Verhaltnissen nach der uneingeschrankten Fassung des § 8 RAO jedermann zustehr, od er eine Verfahrensordnung festz ulegen, die den elementaren Grundsatzcn eines fairen Verfahrens widerspricht."
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Methoden und Grundlagen
wendung der Grundrechte mag die Unterlegenheitssituation des Individuums gegenuber - von seiner Warte aus - iibermachtigen Tarifvertragspartnern sein. In Osterreich gehen iiberwiegende Lehre und Rechtsprechung von einer mittelbaren Anwendung der Grundrechte auf Kollektivvertragspartner aus, wahrend eine starke Tendenz zu der Intensivierung der Wirkungsweise der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Richtung auf unmittelbare Drittwirkung zu beobachten ist, 6. Ergebnisse
Dieser Arbeit sollen die Begriffe der "unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten" und der "mittelbaren Wirkung von Grundrechten" zugrunde gelegt werden. Zugleich als Definition der Problematik, Problemaufriss und Priifungsraster soll das von Canaris vorgeschlagene Konzept herangezogen werden: Canaris stellt die Frage nach der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte als Frage nach dem Normadressaten, also dem Adressaten der grundrechtlichen Bestimmung. Unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte bedeutet, dass diese grundsatzlich keiner weiteren Transformation bediirfen, "sondern fuhren ohne weiteres zu Eingriffsverboten im Privatrechtsverkehr und zu Abwehrrechten gegeniiber anderen Privatrechtssubjekten." ISO Canaris schlagt vor, den Begriff unmittelbare Drirtwirkung nur dann zu verwenden, wenn sich die Grundrechte unmittelbar gegen Private richten. Das strukturell zwischen Grundrechten als Abwehrrechten gegeniiber dem Staat und Grundrechten in unmittelbarer Drittwirkung bestehende Unterscheidungsmerkmal ist "bloB" der Anspruchsgegner - in dem einen Falle ist es der Staat, in dem anderen jedes Individuum, jeder Burger. Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhobene Forderung nach der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wurzelt in dem in Art. 1 deutsches GG eingeflossenen Postulat, dass es Verpflichrung aller staatlicher Gewalt sei, die an und fur sich unantastbare Wurde des Menschen zu achten und zu schiirzen. Das GG sieht dabei die unveraullerlichen und unverletzlichen Menschenrechte als nicht durch das Grundgesetz geschaffen, sondern als Bestandteil einer iiberpositiven, vorgegebenen Rechtsordnung an. l s l Die Befiirworter der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte stiitzen sich im Wesentlichen auf zwei Argumentationsmuster:
150 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999)" 34. 151 Benda, Menschenwiirde und Personlichkeitsrecht, in BendalMayerhoferlVogel (Hg.), Handbuch der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl, (1994), 162.
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Zum einen hatten sich die faktischen Verhaltnisse seit dem 19.Jahrhundert gemeinsam mit der Bedeutung der Grundrechte geandert, sodass Grundrechte nicht mehr als bloG staatsgerichtete Anspriiche des Einzelnen aufgefasst werden konnen.P? Zum anderen befinde sich mittlerweile der einzelne Private (das Individuum) gegeniiber iibermachtigen Verbanden oder anderen iibermachtigen privaten Individuen in einem Zustand verdiinnter Willensfreiheit, der eine Wahrnehmung eigener Rechte und Interessen betrachtlich erschwert oder gar
unmoglich macht, Bejaht man die Drittwirkung der Grundrechte, so bleiben verschiedene Konstruktionen dieser Drittwirkung moglich: Nach Ansicht eines Teils der Lehre wirken Grundrechte unmittelbar zwischen Privatpersonen. Von dieser Annahme ausgehend, werden zwei weitere Theorien mit weiteren Nuancierungen vertreten: Grundrechte als subjektive Abwehrrechte gegen andere Private aufzufassen oder, alternativ, Private sind bloG an die Grundrechte als objektive Prinzipien der Rechtsordnung gebunden. Grundrechte sind in den Worten des deutschen BAG, Nipperdey folgend, "Ordnungsgrundsdtze fur das soziale Leben, die im Kern aus dem Grundrecht ndher zu entwickelndem Umfang auch Bedeutung fur den Rechtsverkehr der Burger untereinander haben. "153 Nach dieser Ansicht enthalten die Grundrechte die Bedeutung allgemeiner, fiir alle Rechtsgebiete unmittelbar geltende Rechtsgrundsatze und sind, durch die Judikatur konkretisierungsbediirftig, unmittelbar auf Rechtsverhaltnisse zwischen Privaten anwendbar. Die Forderung nach unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte wird von einer zutiefst sozialen und gesellschaftlich gestaltenden Motivation getragen - Nipperdey und das BAG weisen in ihren Ausfiihrungen darauf hin, dass die Wiirde und Freiheitssphare des Einzelnen nicht nur gegeniiber staatlichem Handeln, sondern auch gegeniiber dem Handeln von machtigen Einzelnen oder Verbanden zu sichern sei. Dber das Institut der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte soll zu der rechtlichen Gleichheit iiber das Mittel staatlicher - in casu richterlicher Intervention tatsachliche Gleichheit hinzutreten. Nach Ansicht von Bleckmann besteht in der Lehre Einmiitigkeit, dass heute ein Bediirfnis nach einer Drittwirkung der Grundrechte zumindest gegenuber den machtigen Sozialverbanden und gegeniiber einem iibermachtigen Arbeitgeber bestehe.P" Daher sind, neben der Klassifikation eines Tarifvertrages als Gesetz im materiellen Sinne und der sich daraus ergebenden Anwendbarkeit des Art. 1 Abs.3 GG die Grundrechte des GG unmittelbar auf Tarif-
152 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. (1997),225. 153 BAGE 1, 193. 154 Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Auflage, 1997, 227.
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Methoden und Grundlagen
vertragspartner anwendbar; dieser Auffassung folgt stets auch das deutsche BAG. Die Theorie von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte erwies sich aufgrund der Unbestirnmtheit grundrechtlicher Bestimmungen und der Notwendigkeit richterlicher Rechtskonkretisierung in hohem Ausmaf als nicht durchsetzungsfahig. Dariiber hinaus erwies bereits die Bandbreite grundrechtlicher Regelungen sowohl in ihrer Eignung fur unmittelbare Drittwirkung als auch in der ubergroisen Einschrankung der Privatautonornie als nicht iiberbriickbares Problem. Die herrschende Lehre spricht sich nun gegen eine unmittelbare Drittwirkung aus und befiirwortet - bis auf Ausnahmenl'" - eine nur mittelbare Drittwirkung von Grundrechten.P" N ach deutscher hL stehen Gerichte vor der Verpflichtung, mittels Interpretation einfacher Gesetze anhand der Grundrcchte des GG die Entstehung eines grundrechtswidrigen Ergebnisses in einem Privatrechtsverhaltnis zu verhindern.P? Dennoch harte die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung zur Folge, dass die Erwagungen, die zu ihrer BefUrwortung fiihrten, in anderen Rechtsinstiruten zumindest teilweise Abhilfe fanden. Die faktisch bestehende wirtschaftliche Uberrnacht des Staates, das "Angewiesensein" auf die staatliche Leistung, die spezifische distributive Macht des Staates und die Moglichkeit koordinierten Einsatzes nicht hoheitlicher und hoheitlicher Gestaltungsmitrelt'" fiihrten zu dem Konzept der "Fiskalgeltung der Grundrechte"; Die wirtschaftliche Ubermacht der Kollektivvertragspartner und die Au6enseiterwirkung cines Kollektivvertrages fiihrten zu der Anwendung der Grundrechte gegeniiber Kollektivvertragspartner; in der herrschenden deutschen Lehre und Rechtsprechung handelt es sich urn unmittelbare Wirkung von Grundrechten, in der osterreichischen Lehre und Rechtsprechung urn mittel bare Drittwirkung von Grundrechten, differenzierend nach der konkreten Unterlegenheitssiruation des Einzelnen. Die Grundrechre fanden auch - im Sinne der Argumentation Leisners von der Einheitlichkeit der Rechtsordnung - richterliche und literarische Akzeptanz als Prinzipien einer objektiven Wertordnung und als Schutzpflichten des Staates, denen ein Recht auf Schutz des Einzelnen korrespondiert. Das Menschenbild des GG ist nach Ansicht des BVerfGH nicht jenes der liberalen Ara, welche davon ausging, dass Freiheit und Wurde des Einzelnen
155 Vgl. fiir die osterreichische Lehre und Rechtsprechung: Hinteregger, Die Bedeutung der Grundrechte fur das Privatrccht, 0JZ 1999, 741 (743). 156 D iirig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Maunz (Hg.), Yom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Vcrfassung , Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiask y (1956), 157. 157 KorineklHoloubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung (1993),123. 158 KorineklHoloubek, Grundlagcn staatlicher Privarwirtschaftsverwalrung (1993), 148.
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Drittwirkung von Grundrechten
am ehesten durch einen umfassenden staatsfreien Bereich gewahrleistet werden konnten:
"Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souverdnen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. "159 Daher miisse sich der Einzelne auch jene Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Forderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenstandigkeit der Person gewahrt bleibt.P? Gegner unmittelbarer Drittwirkung betonen, dass aus dem Postulat der Wahrung der Menschenwiirde in Art. 1 GG auch erfliefse, dass der Mensch nicht zum blolien Objekt staatlichen oder gesellschaftlichen Handelns gemacht werden diirfe, Vielmehr spreche die Menschenwiirde selbst dafiir, dass dem Einzelnen eine tatsachliche (durch freien Entschluss) und eine rechtliche Moglichkeit gegeben werde, seine Wurde selbst zu wahren.t'" Dieses Argument stellt die verfassungsrechtliche Entsprechung des privatrechtlichen Argumentes der Wahrung der Privatautonornie des Einzelnen, wie in der osterreichischen Lehre prononciert von Bydlinski vertreten, dar. Diese findet in den im Privatrecht selbst weitlaufig und daher interpretationsbedurftig formulierten Grunden fur die Nichtigkeit eines Rechtsgeschaftes. In diese Klauseln konnen auch grundrcchtliche Wertungen Eingang finden. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte habe eine bedenkliche Konkurrenz von Richter und Gesetzgeber zur Folge, da der Richter notwendigerweise die unbestimmt gefassten Grundrechte konkretisieren miisse. Bydlinski fiihrt weitere Argumente ins Treffen: Im Zweifel, wenn eine Rechtfertigung fur den Eingriff nicht vorgesehen ist oder nicht gelingt, sei in einem Verhaltnis Staat-Individuum fur das Grundrecht und seinen (privaten) Trager zu entscheiden. Gerade diese Entscheidung im FaIle einer KoIlision von Grundrechten von Privaten konne bei der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte nicht getroffen werden. 162
159 BVerfGHE 4,7 (15 f.). 160 BVerfGHE 4, 7 (17) 161 Benda, Menschenwiirde und Personlichkeitsrccht, in Benda/Mayerhofer/Vogel (Hg.), Handbuch der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auf!. (1994), 165. 162 Vg!. auch Bydlinski, Bemerkungen tiber Grundrechte und Privatrecht, OZOR 1962/63, 28, (30).
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Methoden und Grundlagen
SchlieBlich stelle jede grundrechtliche Abgrenzung der Privatautonomie eines Privaten bei unmittelbarer D rittwirkung der Grundrechte einen Eingriff in die Privatautonomie eines anderen Privaten dar. Zusatzlich zu ihrer Funktion als Abwehrrechte gegeniiber dem Staat sind die Grundrechte als objektive Prinzipien der Rechtsordnung und als staatliche Schutzpflichten gegeniiber dem Einzelnen aufzufassen.l ' " 7. Schlussfolgerungen
Argumentativ stehen einander Ge gner und Befiirworter einer unmittelbaren Dritrwirkung von Grundrechten in einer Pattstellung gegenuber: Die Frage n ach unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte einerseits und mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte sowie Schutzpflichten des Staates kann je nach gewahlter juristischer Methode gelost werden. Fiir die Themenstellung der vorliegenden Arbeit wird die Frage nach unmittelbarer oder mittelbarer D rittwirkung von Grundrechten oder Grundfreiheiten als Frage nach deren Normadressaten aufgefasst. In der Argumentation der Befiirworter wurde die Frage nach der richtigen Losung bewusst von der Frage nach weiteren systematischen Erwagungen und von jener nach juristischer Praktikabilitat getrennt; im Hinblick auf letzter e scheint etwa Nipperdey auf die Fahigkeit und den Willen der Judikative zu ve rtraue n, unmittelbar oder, wie von ihm selbst bevorzugt, absolut wirkende Grundrechte in einem Privatrechtsverhaltnis in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung abzusrufen. Ohne Zweifel hatte jedoch eine unmittelbare Anwendung auch nur der "wichtigen Grundrechte" die Rechtsordnung vor bedeutende inhaltliche Determinierungsschwierigkeiten gestellt und mit groBen verfahrensrechtlichen P roblemlagen konfrontiert, Die herrschende Lehre entschied sich im Bereich des innerstaatlichen Rechtes fu r das Konzept der mittclbaren Drittwirkung der Grundrechte; diese finden iiber auslegungsbediirftige Klauseln des Privatrechts Eingang in privatrechtliche Verhaltnisse von Individuen. Aus der in dieser Arbeit gewahlten Definition der Drittwirkung der Grundrechte folgt, dass sich unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte und aus Grundrechten erflieBende Schutzpflicht des Staates als Problembereiche und als Rechtsinstitute voneinander isolieren lassen.v" Die Funktion von Grund163 Fu r die 6sterreichische Rechtsordnung nach Grundrechten differenzierend Berger, Auswirkungen der Europaischen Menschenrechtskonvemion auf das 6sterreichische Zivilrecht,JBl1985, 142 (145). 164 Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, 1633; Liibb e-Wolf, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrecht e - Struktur und Reichwe ite der Eingriffsdogma rik im Bereich staatli cher Leistungen (1988), 163.
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rechten als gegen staatliches Eingreifen gerichtete Abwehrrechte schlieist das Erfordernis einer staatlichen Schutzpflicht, eines Leistungsrechtes zur Abwehr von Beeintrachtigungen naturgemaii nicht aus. Unmittelbare Drittwirkung von Grundrechten wird jedoch in ihrem thematischen Anwendungsbereich - narnlich bei der Beseitigung rechtlicher Folgen in einem Privatrechtsverhaltnis, das durch grobes Ungleichgewicht eines der Vertragspartner gekennzeichnet ist - von grundrechtlichen Schutzpflichten iiberlagert. AUerdings ist hier die Einschrankung angebracht, dass in praktischer Anwendung, insbesondere bei unmittelbarer Drittwirkung von Grundrechten, die Rechtsfolgen der beiden genannten Konstruktionen nicht deckungsgleich sind.l'" In dem Urteil Scbleyerr" des BverfGH fuhrt die Schlussfolgerung des Gerichtshofes zu der klaren Unterscheidung zwischen der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates und dem korrespondierenden Schutzrecht des Einzelnen einerseits und der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte andererseits: Wahrend grundrechtlich verankerte Schutzrechte Prinzipiencharakter besitzen - daher der KoUision mit anderen Schutzrechten, der rechtsdogmatischen Abwagung und der empirischen Effektivitat ausgesetzt sind - entspricht die Rechtsfigur der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte struktureU den absolut wirkenden Abwehrrechten. Schlielilich konnte man annehmen, dass die Konstruktion grundrechtlicher Schutzpflichten faktische Storungen, die durch ein grobes Ungleichgewicht in privatrechtlichen Verhaltnissen hervorgerufen wurden, beseitigen soll - namlich jene faktischen Storungen, deren Beseitigung auch das Ziel der Konstruktion der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte sein sollte. Diese Annahme wird durch den logischen Angelpunkt der Konstruktion grundrechtlicher Schutzpflichten erhartet, Wenn man davon ausgehen kann, dass Privatautonornie das Kriteriurn fur die Beantwortung der Frage sei, ob grundrechtliche Giiter auch durch das Privatrecht zu schutzen sind,167 dann tritt das Merkmal der freiwilligen Disposition iiber grundrechtlich geschutzte Cuter zuruck, wenn ein Privater mit einseitigen Maisnahmen Privater konfrontiert wird oder aber das U ngleichgewicht zwischen den Partnern eines Privatrechtsverhaltnisses so ausgepragt ist, dass die Ausiibung der Privatautonomie nur mehr formal als solche erscheint.
165 A. A. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, N]W 1989,1633 (1640): Uber die grundrechtlichen Schutzpflichten erschlieiit sich der Umfang der "Drittwirkung der Grundrechte". An dieser Stelle ist jedoch zu betonen, dass nach dem Verstandnis der Verfasserin in dieser Aussage zwischen dem Umfang unmittelbarer Drittwirkung der Grundrecht und mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte nicht unterschieden wird. 166 BVerfGHE 46,160 "Hans Martin Schleyer". 167 So Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, N]W 1989, 1633 (1640).
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Fur die hier angestrebte Untersuchung ist gerade diese Feststellung von eminenter Bedeutung: Der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung - positiv als Grundsatz der Gleichheit gefasst - ist eines der wesentlichen Prinzipien des EG-Vertrages. Der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung wird nicht bl06 selbstiindig in den Art. 12 und 13 EG normiert, er findet sich auch in Art. 141 EG und in speziellen Auspriigungen im Bereich des Binnenmarktes und im Wettbewerbsrecht. Gerade die Anwendung des Verbots einer direkten Diskriminierung nach Geschlecht oder Staatsangehorigkeit steIlt, wie unten zu zeigen sein wird, den Ausgangs- und Kardinalspunkt fur die Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten. Bemerkenswert erscheint, dass unmittelbare Drittwirkung von Grundrechten im innerstaatlichen Recht drei Angelpunkte und erste wesentliche Anwendungsbereiche - freilich in Osterreich und in der BRD in unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen - gefunden hat. Der erste Anwendungsbereich liegt in dem Erfordernis der Lohngleichheit von Mann und Frau, der zweite in der Anwendung von Grundrechten gegemiber Tarifvertragspartner sowie in der Fiskalgeltung von Grundrechten. In einem nachsten Kapitel soIl die Rechtsprechung des EuGH zu der Drittwirkung der Grundfreiheiten dargestellt und analysiert werden. Das an diese Untersuchung angelegte Raster soll jenes von Canaris fur die Analyse der Drittwirkung der Grundrechte sein und lautet wie folgt: Erstens sei zu fragen, wer Adressat der Grundrechte sei - nur der Staat und seine Organe, oder auch die Subjekte des Privatrechts? Zweitens: Wessen Verhalten ist Gegenstand der Priifung an den Grundrechten - das Verhalten eines staatlichen Organs oder eines privatrechtlichen Subjekts? Und drittens: In welcher Funktion finden die Grundrechte Anwendung - als Eingriffsverbote oder als Schutzgebote?
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.Der Widerstreit zwischen der Gewaltenteilungslehre und dem aus ihr flieflenden Rechtsscbopjungsuerbot einerseits, dem Rechtsverweigerungsverbot andererseits ist ... bei der Unvollkommenheit der Gesetze unschlichtbar, der Richter kann nur das eine auf Kosten des anderen bejolgen, und, da die Unvollkommenheit des Gesetzes unumganglicb, das Rechtsverweigerungsverbot unentbehrlich ist, setzt er sich in dieser Pflichtenkollision iiber die Gewaltenteilungslehre, das Recbtsscbopfungsoerbot, hinweg. Die Gewaltenteilungslehre stellt mit dem Rechtsschopjungsuerbot eine unter den gegebenen Verhaltnissen unerfiillbare Forderung, sie wird zwar nicht beseitigt, wohl aber in dem Sinne modifiziert werden miissen, dass die Grenzen zwischen den Tdtigleeiten des Richters und des Gesetzgebers nicht mit derjenigen zwischen Rechtsanwendung und Recbtsscbopjung zusammenfalle, sondern mitten durch letztere [ubre. "168
B. Auslegung im Gemeinschaftsrecht 1. Einfuhrende Bemerkungen und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
In diesem Kapitel sol1 die bei der Erarbeitung eines Vorschlags zur Drittwirkung der Grundfreiheiten anzuwendende Methode dargelegt werden; in den folgenden Kapiteln wird mittels der Auslegungsmethoden des Europaischen Gemeinschaftsrechts die bisher zu der Frage der Drittwirkung der Grundfreiheiten ergangene Judikatur nachvo11zogen. Ziel dieses Kapitels ist es daher, die Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts fur ihre weitere Anwendung im Rahmen dieser Arbeit darzuste11en; diese Vorgabe lasst die Zielsetzung dieses Abschnittes naturgemaf als auf eine blofse Darstellung - a11enfalls mit eigenstandigen Ansatzen am Rande - beschrankt erscheinen. Innerhalb dieser Darste11ung sol1 eine Auswahl und eine Rangordnung jener Interpretationsmethoden argumentiert werden, mit deren Hilfe ein System zur Prufung der Drittwirkung von Grundfreiheiten vorgeschlagen werden solI. Zielsetzung dieses Abschnittes ist aufgrund der Fragestellung dieser Arbeit nicht, die Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts selbst zu iiberpriifen oder deren Konturen in der Judikatur des EuGH sowie nationaler Gerichte nachzuvollziehen. Zielsetzung dieses Abschnittes ist auch nicht, die Problematik der Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung zu analvsieren.l"" Da die Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts aufgrund der Bestimmung des Art. 220 EG nahezu ausschliefslich von dem EuGH und dem EuG vorgegeben und ausgestal168 Radbruch, Rechtswissenschaft als Rechtsschopfung. Ein Beitrag zum juristischen Methodenstreit, Archiv fur Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. XXII (1906), 355 (364); zitiert in Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht 1974 (187). 169 Vgl. dazu Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht (1998); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH (1995).
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Methoden und Grundlagen
tet werden, bedarf eine Darstellung und Analyse der Auslegungsmethoden des EuGH zumindest der Annahme des Bestehens einer Kompetenz des EuGH zur Rechtsfortbildung. Deren Grundlagen und insbesondere deren Reichweite sollen jedoch naher beleuchtet werden. SchlieGlieh soll neben die Auslegungsmethoden des EuGH der Grundsatz der Nichtdiskriminierung oder Gleiehheitssatz im EG-Reeht fur die Fragestellung dieser Arbeit analysiert werden. Der Gleichheitssatz im EG-Reeht findet sich in seiner allgemeinen Auspragung in den Arts. 12 und 13 EG, sowie in den speziellen Diskriminierungsverboten im Rahmen der Grundfreiheiten. Der Gleichheitssatz im EG-Reeht ist daher in seiner Ausformung als Verbot der Diskriminierung naeh Staatsangehorigkeit Bestandteil des Primarrechts und dariiber hinaus als allgemeiner Gleichheitssatz ein den Reehtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer, allgemeiner Rechtsgrundsatz. Daher ist der allgemeine Gleiehheitssatz im Hinblick auf die Auslegungsmethode der primarrechtskonforrnen Auslegung auch Anhaltspunkt und Maiistab zur Interpretation sekundaren Gemeinsehaftsrechts. 2. Die Vorschrift des Art. 220 EG-Vertrag
2.1. Position und Bedeutung
Ausgangspunkt samtlicher Dberlegungen zur Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung und zu den im Gemeinschaftsrecht anwendbaren Interpretationsmethoden stellt Art. 220 EG dar; im Folgenden sollen einige grundsatzliche Dberlegungen zu der Stellung dieser Bestimmung im EG-Vertrag angestellt werden. Die Bestimmung des Art. 220 EG "Der Gerichtshof siehert die Wahrung des Reehts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages" wird gemeinhin als Basis fur die Qualifizierung der Europaischen Gemeinsehaft als Rechtsgemeinschaft aufgefasst.V? Diese Bestimmung umschreibt daher gemeinsam mit Art. 7 EG die Aufgaben des EuGH als Verfassungsorgan der Gemeinsehaft. Mit dieser Bestimmung wird jedoch weder eine Einzelzustandigkeit des Gerichtshofes im Hinblick auf ein bestimmtes Verfahren normiert - diese findet sich entspreehend Art. 5 Abs. 1 EG in den auf Art. 220 EG folgenden 170 Pernice, Kommentar zu Art. 164, in GrabitzlHilf, EEU-Kommentar, Rz.1; nunmehr in der Fassung des Reformvertrages 2007 Art. 19 Abs. 1 EUV: "Der Gerichtshof der Europais chen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er siehert die Wahrung des Reehts bei der Auslegung und Anwendung der Vertrage, Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewahrleisret ist." Fiir die hier anzusprechenden methodischen Fragen erflielit aus der Neufassung keine inhaltliche Anderung.
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
Bestimmungen - noch wird eine umfassende Zustandigkeit des EuGH in dem Sinne begriindet, dass dieser etwa fur Entscheidungen uber samtliche in irgendeiner Weise Gemeinschaftsrecht betreffenden Streitigkeiten zustandig ware. 171 Gleichwohl wird in Rechtsprechung und Lehre iibereinstimmend vertreten, dass Art. 220 EG iiber eine eigenstandige Bedeutung verfiigt. Art. 220 EG erteilt dem EuGH den Auftrag zur Wahrung des Rechtsschutzes in der EG.172 Der EuGH legt den ihm so erteilten Auftrag weit aus und wahlt etwa folgende Formulierung:
Eine Auslegung von Artikel173 EWG- Vertrag, die die Handlungen des Europdischen Parlaments aus dem Kreis der anfechtbaren Handlungen ausscblosse, wiirde zu einem Ergebnis [iibren, das sowohl dem Geist des Vertrages, wie er in Artikel164 Ausdruck gefunden hat, als auch seinem System zuwiderliefe. Die Handlungen des Europdischen Parlamentes in der Sphdre des EWG- Vertrages konnten in diesem Falle ndmlich - ohne dass die Moglichkeit bestiinde, sie durch den Gerichtshof uberpriden zu lassen - in die Zustandigleeiten der Mitgliedstaaten oder der anderen Organe eingreifen oder die Grenzen uberschreiten, die den Zustdndigkeiten ihres Urhebers gezogen sind. (Hervorhebung der Verfasserin.F" Diese Aussage lasst darauf schlielien, dass nach Ansicht des Gerichtshofes Art. 220 EG-Vertrag nicht bloG dem EuGH die Aufgabe zuspricht, als Rechtsschutzorgan der Gemeinschaft tatig zu werden, sondern auch die materiellrechtliche Bindung samtlichen Gemeinschaftshandelns an rechtsstaatliche Grundsatze norrniert.F" Daher nimmt der EuGH die Position des obersten Verfassungsorgans innerhalb der Gemeinschaft ein. Die materiellrechtliche Bindung sarntlichen Gemeinschaftshandelns an rechtsstaatliche Grundsatze verleiht Art. 220 EG seine eigenstandige Kernbedeutung. Zusarzlich definiert der EuGH in der Rechtssache Les Verts die Bestimmung des Art. 220 EG als prozessuale Grundsatznorm:
Dazu ist zundchst hervorzuheben, dass die Europdische Wirtschaftsgemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, dass weder die Mitgliedstaaten 171 Kriick, Kommentar zu Art. 164 EG, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUI EG-Vertrag Kommentar, 5. Aufl. 1997, Rz. 1. 172 Schwarze, Kommentar zu Artikel220 EG, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar, 1. Auf!. 2000,Rz.l. 173 EuGH Rs. 294/83 Parti ecologiste "Les Verts" gegen Europaisches Parlament, Slg. 1986,1339, 1366. 174 Schwarze, Kommentar zu Artikel220 EG, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar, 1. Auf!. 2000,Rz.1.
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Methoden und Grundlagen
noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle dariiber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag stehen. Mit den Artikeln 173 und 184 EWG- Vertrag auf der einen und Artikel 177 auf der anderen Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Uberprufung der Rechtmafligkeit der Handlungen der Organe iibertragen ist.175 Die rechtsfortbildendenJudikate des EuGH im Rahmen des Verfahrensrechts stellen im Vergleich mit den rechtsfortbildendenJudikaten des materiellen Europarechts eine bei weitem geringere Zahl; zudem beschranken sie sich im Wesentlichen auf die Parteistellung des Europaischen Parlamentes zur Erhebung der Nichtigkeitsklage.V" Die Verpflichtung, die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundsatze durch Mitgliedstaaten und Organe der Europaischen Gemeinschaft zu iiberwachen bedeutet vornehmlich, dass der EuGH zugleich - als Kehrseite der selbst auferlegten Aufgabe - fur sich in Anspruch nimmt, die nahere Ausgestaltung der rechtsstaatlichen Grundsatze zu determinieren. Dies hat zur Folge, dass Art. 220 EG-Vertrag dem EuGH die Befugnis zur Rechtsfortbildung bei Vorliegen einer Lucke verleiht.v" Diese Frage erweist sich im Weiteren als besonders bedeutsam, da die Entstehung der allgemeinen Rechtsgrundsatze aufgrund der dem EuGH durch Art. 220 EG verliehenen Befugnis fur die Normenhierarchie nach der derogatorischen Kraft im Gemeinschaftsrecht besondere Probleme aufwirft; wahrend in der Lehre Ubereinstimmung dariiber zu bestehen scheint, dass die Grundrechte sowie einige andere allgemeine Rechtsgrundsatze des Verwaltungsrechts jedenfalls in der Rangordnung nach der derogatorischen Kraft iiber dem sekundaren Gemeinschaftsrecht stehen, nehmen manche Autoren an, dass diese sogar iiber primarem Gemeinschaftsrecht stehen.!" 175 EuGH Rs. 294/83 Parti ecologiste "Les Verts" gegen Europaisches Parlament, Slg. 1986, 1339, 1365, Rz. 24. 176 Vgl. EuGH Rs, 294/83 Parti ecologiste "Les Verts" gegen Europaisches Parlament, Slg. 1986, 1339, 1366; EuGH Rs. 302/87 Europaisches Parlament gegen Rat der Europaischen Gemeinschaften ("Komitologie"), Slg. 1988, 5615; EuGH Rs, C-70/88 Europaisches Parlament gegen Rat der Europaischen Gemeinschaften ("Tschernobyl"), Slg. 1990, 1-2041; St. Clair Bradley, Legal Developments in the European Parliament, 9 YEL 1989,235, (238); Bebr, The Standing of the European Parliament in the Community System of Legal Remedies: A Thorny Jurisprudential Development, 10 YEL 1990, 171 (183). 177 Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europaischen Gemeinschaft, 50 RabelsZ 1986, 193, (229). 178 Fur eine ausfuhrliche Erorterung dieses Problems vgl. Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice (1993) 77; vgl. Dauses, The Protection of Fundamental Rights in the Community Legal Order, ELR 1985, 398, (406):Dausesvertritt die
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2.2 . Der Begriff der Lucke im Gemeinschaftsrecht und die Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung
2.2 .1. Der Begriff der Lucke im EG-Recht Fur die Annahme einer Befu gnis zur Rechtsfortbildung bedarf es des Vorliegens einer Lucke in dem untersuchten System. Die Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Lucke im System der Gemeinschaftsvertrage ist fur das Problem der Drittwirkung von Grundfreiheiten und die allfallige Ausgestaltung vo n eminenter Bedeutung. Das Vorliegen einer Lucke im Gemeinschaftsrecht lasst sich schwerlich anhand der Rechtsprechung des EuGH feststellen. Der Geri chtshof selbst hat in seinen Urteilen, soweit ersichtlich, die Existenz einer Lucke in jenen Fallen ausdrucklich konstatiert, in weIehen der Gerichtshof keinen Spielraum zur richterlichen Rechtsfortbildung ausmachen kann."? Eine "Gesetzeslucke" wird im Allgemeinen nach herrschender Lehre als prirnare Voraussetzung fur er ganzende Rechtsfortbildung praeter legem angesehen.!" Der Rechtsfall bedarf, so Bydlinski, zwar einer Beurteilung im Sinne der rechtlich notwendigen Festlegung von Rechtsfolgen, der Rechtsfall konne jedoch nach dem bereits interpretierten Gesetz nicht beurteilt werden. Eine Gesetzesliicke liegt daher dann vor, wenn das Gesetz "eine planwidrige Unvollstandigke it" aufweist. Ais "unvo llstandig" gilt das Gesetz, wenn die verrnisste Regelung fur den zu beurteilenden Rechtsfall vo n seinem moglichen Wortsinn nicht umfasst wird. 181 Da s Kr iterium der ,,(planwidrigen) Unvollstandigkeit" des Ge setzes diene demn ach, so erganzend Can aris, der Abgrenzung zwischen Liickenfullung und Au slegung. Das Vorliegen einer Lucke sei demnach anhand des Kriteriums der " Planwidrigkeit" festzustellen. Die Ausfiillung einer "Lucke" wenn als so Iehe etabliert - sei namlich zulassig, die Korrektur eines "F ehlers" des Gesetzgebers hingegen bereits grundsatzlich niche Plan und Planwidrigkeit eines Gesetzes bestimmen sich nach der Rechtsordnung immanenten KriAnsicht, dass die allgemeinen Recht sgrundsatze zumindest in ihrer Untergruppe der Grundrechte in der Normenhierarchie - vermutlich nach der derogatorischen Kraft tiber dem Primarrecht steh en. 179 Vgl. etwa Gutachten 2/94, Gutacht en nach Artikel 228 Absatz 6 EG-Vertrag "Beitritt der Gemeinschaft zur Konvention zum Schutze der Menschenre cht e und Grundfreiheiten", Slg. 1996,1-1759, (I-17 87): Allerdings verleiht keine Bestimmung des Vertrages den Gemeinschaftsorganen allgemein die Befugnis, Vorschriften auf dem Gebiet der Men schenrechte zu erlassen oder volkerrechtliche Vertrage in diesem Bereich zu schlie Gen. 180 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf!. (1991), 473, mwN. 181 Canaris, Die richtlini enk on forme Au slegung und Rechts fortb ildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (H g.), Irn D ienst der Gerec htigkeir - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (82).
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Methoden und Grundlagen
terien, wahrend das Vorliegen eines Fehlers sich nach einem externen Malistab richte, so etwa nach der Religion, der Weltanschauung oder dem personlichen Gerechtigkeitsempfinden des Rechtsanwenders.l '" Der Begriff der "Lucke" in einem gegebenen Gesetz kann daher enger oder weiter gefasst werden; die Grenzen oder Konturen des Liickenbegriffs sind im Rahmen der juristischen Methodenlehre nicht definiert, Umso wesentlicher erscheint es fur eine Vorgangsweise im Sinne der Radbruch'schen Trias "Gerechtigkeit - Rechtssicherheit - Zweckrnaliigkeit" 183 eine Wahl zwischen einem engeren oder einem weiteren Luckenbegriff zu treffen; es muss gefragt werden, ob ausschlieBlich der Plan des auszulegenden Gesetzes zur Feststellung der Planwidrigkeit einer Lucke herangezogen werden solI, oder ob der Plan einer Gesamtrechtsordnung heranzuziehen sei. Larenz lasst dann eine Lucke feststellen, wenn ein Gesetz planwidrig unvollstandig sei; dies konne nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz fur einen bestimmten Bereich eine einigermaBen vollstandige Regelung anstrebe.l'" Larenz vertritt einen engen Begriff der Lucke als "Normliicke" oder "Gesetzeslucke": Eine Norrnliicke liege dann vor, wenn eine Gesetzesnorm iiberhaupt nicht angewandt werden kann, ohne dass ihr eine weitere Bestimmung hinzugehigt werde, wcIche das Gesetz vermissen lasst . Eine Gesetzeslueke zielt hingegen auf die "planwidrige Unvollstandigkeit" einer Regelung. N orrnliicken und Gesetzes- oder Regelungsliicken sind nach dieser Ansicht Lucken innerhalb des Regelungszusammenhanges eines Geserzes.l'" Ob eine planwidrige Lucke vorliegt, sei anhand der zugrundeliegenden Regelungsabsicht, demnach anhand teleologischer Interpretation, und anhand des gesetzgeberischen Plans, demnach also nach historischer Interpretation der Norm zu erschliefsen, Larenz determiniert ebenfalls - in Ermangelung einer universellen Liickendefinition - das Vorliegen einer Lucke anhand eines logischen Gegensatzes zwischen Gesetzesliicke und Fehler des Gesetzes. Die "immanente Teleologie" des Gesetzes umfasst nach dieser Ansicht auch objektive Rechtszwecke und allgemeine Rechtsprinzipien; Larenz betont jedoch, dass diese in das Gesetz selbst Eingang gefunden haben miissen, damit sie fur das Telos eines Gesetzes herangezogen werden konnen. Der von Larenz als Beispiel fur ein Rechtsprinzip, das in die immanente Teleologie eines Gesetzes Eingang gefunden habe, angefuhrte Gleichheitssatz 182 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Irn Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (65). 183 Bydlinski, Juristische Methodcnlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf!. (1991), 311. 184 Larenz weisr in diesem Zusammenhang auf die Entstehung des Begriffs der »Lucke" im Gesetz mit den Bestrebungen nach einer umfassenden Kodifikation des Rechts im 18. und 19.Jahrhundert: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auf!. (1991), 371. 185 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auf!. (1991), 373.
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scheint m. E. die von dies em Autor in der Folge scharf betonte Unterscheidung zwischen Gesetzeslucke und Rechtsliicke jedoch zu relativieren.l'" Wahrend Larenz eine Rechtsliicke als durch richterliche Rechtsfortbildung nicht korrigierbaren Fehler des Gesetzgebers definiert.P" pladiert Canaris fur einen weiten Begriff der Lucke;188 dieser wiirde auch die Larenz'sche Rechtsliicke umfassen. Canaris setzt in seiner Argumentation fur die Annahme eines weiten Begriffs der Lucke an dem Kriterium der Planwidrigkeit an; strittig sei, ob fur die Annahme einer Lucke bloB der Plan des untersuchten Gesetzes oder auch der Plan der gesamten Rechtsordnung zu betrachten sei. Ebenso definiert Bydlinski eine Gesetzeslucke als eine planwidrige Unvollstandigkeit innerhalb der gesamten Rechtsordnung; zu dieser gehoren nach Ansicht von Bydlinski die rationes legis, namlich die dem Gesetz zugrundeliegenden Wertungen und Zwecke sowie jene Rechtsprinzipien, die auf Grund umfassender Ordnungs- und Wertwahl ganze Rechtsgebiete oder Rechtsinstitute beherrschen.l"? Die Entscheidung iiber das Vorliegen einer Gesetzeslucke oder eines Fehlers des Gesetzgebers ist auch nach Ansicht von Bydlinski aufgrund der gesamten Rechtsordnung einschlielilich den von der betreffenden Rechtsordnung vorgegebenen Auslegungskriterien zu treffen.'"? Die Annahme eines weiten Liickenbegriffs harte einerseits zum Vorteil, dass der gesamte Bereich zwischen Auslegung im engeren Sinn - und der Annahme eines engen Liickenbegriffes - und Contra-legem-]udizieren von dem Begriff Auslegung in einem weiteren Sinne bzw. jenem der zulassigen Rechtsfortbildung umfasst sei. Neben dies em terminologischen Vorteil ortet Canaris noch einen sachlichen Vorteil eines weiten Luckenbegriffs: Da nach Art. 20 Abs.2 GG der Richter an "Gesetz und Recht" gebunden sei, ist die gesamte Rechtsordnung als Maisstab fur die Rechtsfindung und damit fur die Planwidrigkeit einer Lucke heranzuziehen.'?' Bei Bejahen des Vorliegens einer Lucke hat, so Bydlinski, erganzende Rechtsfortbildung mittels Analogie- und Umkehrschluss, mittels Gesetzesund Rechtsanalogie, durch GroBenschlusse und teleologische Reduktion sowie schliemich durch allgemeine Rechtsgrundsatze zu erfolgen.l'" 186 Larenz, Methodenlehre, 374. 187 Larenz, Methodenlehre, 376. 188 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Im Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (84). 189 Bydlinski, juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl, (1991),473. 190 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, 473. 191 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Irn Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (84). 192 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. (1991), 473 ff.
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Kritik an dieser Vorgangsweise wird - ohne Erwahnung von Begriff und Funktion von Beweislastregeln - unter Hinweis auf das Gebot der justizgewahrung abgelehnt.l'" Die oben getatigte Darstellung der methodischen Vorgehensweise nach Canaris und Bydlinski wurde gewahlt, da diese Ausfiihrungen - freilich am Ma~ stab und fur die Anwender einer nationalen Rechtsordnung verfasst - gro~e Akzeptanz in Lehre und Rechtsprechung geniefsen . Uberdies wird in diesen Analysen nicht - oder doch blo~ exemplarisch - an ein nationales Rechtssystern angekniipft. SchlieBlich scheint die Vorgangsweise des EuGH bei der Fortbildung des EG-Rechts den hier skizzierten Vorgaben zu folgen. Wahrend der Begriff der "Auslegung" des Gemeinschaftsrechts selbst auslegungsbedurftig erscheint'?" - dies allerdings nach Ansicht des EuGH - und daher ein logischer Zirkel an dieser Stelle nicht vermieden werden kann, erflieBt aus den Bestimmungen des EG-Vertrages nur, dass nach Art. 220 EG und Art. 234 EG der Begriff der "Auslegung" eine andere Bedeutung und Tragweite aufweisen muss als jener der Anwendung einer Rechtsnorm auf eincn konkreten Sachverhalt.l'" Die Unterscheidung zwischen Auslegung einer Norm und deren Anwendung auf den konkreten Sachverhalt scheint m. E. weder in einer theoretischen Betrachtungsweise zuzutreffen 196 noch in der Praxis des EuGH seinen Niederschlag in einer scharf getrcnnten Weise zu finden. Der EuGH selbst definiert Auslegung iiberaus schematisch, ohne in dieser Definition auf die oben angesprochene Verwerfung einzugehen.l'"
193 Vgl. etwa Edward, Judicial Activism - Myth or Reality?, in CampbelliVoyatzi (Hg), Legal Reasoning and Judicial Interpretation of European Law - Essays in honour of Lord Mackenzie-Stuart, 29 (30): "To say that a Court is activist tells us only about the speaker 's view of the nature of the law and the role of judges, what courts are to do and how they are to do it. He assumes that his subjective view is to be the norm by which the Court will be assessed by others as well as himself. " 194 EuGH Rs. 13/61 Kledingverkoopbedrijf de Geus en Uitdenbogerd gegen Robert Bosch GmbH und N.V. Maatschappij tot Voortzetting van de Zaken de Firma Willem van Rijn, Sl.g 1962, 97 (110): "D a der Sinn des Ausdrucks "Auslegung dieses Vertrages" in Artikel 177 selbst Gegenstand der Auslegung sein kann, ist es dem innerstaatlichen Gericht gestattet, die den Gegcnstand der Vorlage bildenden Frag en in konkreter und einfacher Weise zu formuliercn, dergestalt, dass es dem Gerichtshof iiberlassen bleibt, iiber das Ersuchcn nur in den Grenzen zu entscheiden, die ihm seine Zustandigkeit setzt, das hei£h nur insoweit, als er mit Fragen der Vertragsauslegung befasst ist." 195 An weiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996),23 . 196 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auf!. (1992), 350. 197 EuGH Rs. 61/79 Amministrazione delle Finanze dello Stato gegen Denkavit ltaliana Srl, Slg. 1980, 1205 (1223): .Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschafrsrechts, die der Gerichtshof in Ausiibung seiner Befugnisse aus Artikel 177 EWG-Vertrag vornimrnt, wird erlautert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn
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Dariiber hinaus sind nach Ansicht von Grundmann, der hier beigepflichtet werden solI, aufgrund der Verwandtschaft des Gemeinschaftsrechts mit den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erforderlich, sowohl im Hinblick auf die inhaltliche Bestimmung des Auslegungsbegriffes als auch bei der Darstellung der Auslegungsmethoden des EuGH erganzend die jeweiligen Methoden der Auslegung in den Mitgliedstaaten heranzuziehen.
2.2.2. Die Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung Nach Ansicht von Behrens ist aus dem Dictum des EuGH in der Rechtssache Costa/ENEL bezuglich der "Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten"198 rechtlich zu folgern, dass gemeinschaftsrechtliche Methodenlehre und mitgliedstaatliche Methodenlehren interdependent seien."? Die gemeinschaftsrechtlichen Methoden der Auslegung und Rechtsfortbildung wirken, so Behrens, iiber das Vehikel des Vorlageverfahrens nach Art.234 EG in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinein. Dies geschehe zum einen direkt durch die Bindung der nationalen Cerichte an das Auslegungsergebnis des EuGH, und zum anderen indirekt durch die Verpflichtung eines nationalen Richters im Sinne der CILFIT-RegePOO Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts anzuwenden. Behrens folgert daraus, dass das Gebot der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten - dieses Gebot wird von Behrens mit einer Auspragung des Gleichheitssatzes gleichgesetzt, namlich der Gleichheit aller Burger der Gemeinschaft vor dem Gesetz der Gemeinschaft - von den Rechtsanwendern in der EG ein gemeinschaftskonformes methodisches Bewusstsein fordere.F'" Wiewohl eine Dbertragung nationaler - und auch mitgliedstaatlich-nationaler Methodenlehre, die an die in dem jeweiligen Mitgliedstaat geltende Rechtsordnung ankniipft - auf gemeinschaftsrechtliche Methodik blof mit Vorsicht vorgenommen werden kann und deren Nutzen einer Uberpriifung in Bezug auf Besonderheiten des Gemeinschaftsrecht zuganglich sein muss, er-
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und mit welcher Tragweite eine Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen ware." EuGH Rs. 26/62 N.V. Algemene Transport- en Expeditie Onderneming Van Gend & Loos gegen Niederlandische Finanzverwaltung, Slg.1963, 1 (25). Behrens, Gemeinschaftsrecht und juristische Methodenlehre (Editorial), EuZW 1994, 289; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996),24. EuGH Rs. 283/81 SrI CILFITund Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanita, Slg, 1982,3415; zu der dem Ursprung der Acte clair-Doktrin und ihrer Modifizierungen im EG-Recht vgl. Bengoetxea, The Legal Reasoning of The European Court of Justice (1993), 198. Behrens, Gemeinschaftsrecht und juristische Methodenlehre (Editorial), EuZW 1994, 289.
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Methoden und Grundlagen
scheinen die skizzierten methodischen Vorgaben gerade wegen ihrer Akzeptanz und Anwendung durch den EuGH diesen als iiberaus aktiven und der Rechtsfortbildung geneigten Gerichtshof erscheinen. Wahrend der EG-Vertrag eine ausdriickliche Erwahnung einer allfalligen Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung vermissen lasst, so gab die in Art. 220 EG-Vertrag gewahlte Formulierung "der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages" Anlass zu einer wissenschaftlichen Kontroverse iiber die Existenz oder Nichtexistenz der Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung und deren Konturen.i'" Everling weist darauf hin, dass Form und Inhalt der Urteile des EuGH, zwar durch Art. 36 der Satzung EuGH und 63 der VerfO EuGH in groben Ziigen determiniert, in ihrer naheren Ausgestaltung dem Gerichtshof selbst uberlassen bleiben. Der EuGH lehne sich seit seiner Errichtung an das Vorbild der franzosischen Verwaltungsgerichtsbarkeit an. Everling fuhrt hier als Beispiel das Urteil Niccolo des Conseil d'Etat 203 , das eine vollstandige Anderung der Rechtsprechung dieses Hochstgerichts zur Frage des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht bloG durch eine Bezugnahme auf Art. 55 der franzosischen Verfassung erkennen lasst. 204 Aus diesen Ausfiihrungen sei zu folgern, dass der EuGH fur sich die Befugnis zur Rechtsfortbildung in Anspruch nimmt; das Vorliegen einer Lucke und die im System angelegte Befugnis zur Rechtsfortbildung wird als gegeben angenommen, ohne dass diese rechtliche Annahme einer ausdrucklichen Erwahnung in dem jeweiligen Urteil des EuGH bedarf. Die Ansichten in der Literatur zu dieser Methode der "stillschweigenden Rechtsfortbildung" sind geteilt: Wahrend manche Autoren mit Hinweis auf eine mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete Legislative dem EuGH Zuriickhaltung anraten.i'" pladiert bereits Zweigert fur eine umfassende Kompetenz des EuGH zur Rechtsfortbildung.s'" Zweigert spricht sich fur eine starkere Handhabung des Kriteriums der teleologischen Interpretation und, demgegeniiber, eine Vernachlassigung der Wortinterpretation; der EuGH miisse, wenn der Wortlaut der Vertrage ein fallgerechtes Ergebnis nicht erwarten lasst, eine Rechtsschopfung praeter legem 202 Fur eine Darstellung dieser Kontroverse vgl. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 106. 203 C.E. Ass. 20. Oct. 1989, Niccolo, Rec. 1989, 190 = Niccolo, EuR 1990, 62 - Nichtamtliche Leitsatze, 204 Everling, Zur Begrundung der Urteile des Gerichtshofs der Europaischen Gemeinschaften, EuR 1994, 127 (132,136). 205 SteindorJf, Die Nichtigkeitsklage im Recht der Europaischen Gemeinschaft fur Kohle und Stahl (1952), 17. 206 Zweigert, Hauptreferat "Empfiehlt es sich, Bestimmungen uber den Rechtsschutz zu andern?" in Carstens/Borner (Hg.), Zehn Jahre Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europaischen Gemeinschaften (1965), 579 (597).
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vornehmen. Der Gerichtshof diirfe, so Zweigert, sich keineswegs mit einem blofsen Hinweis an den Gesetzgeber der Gemeinschaft begniigen, dass "eine rechtsstaatliche Storung" vorliege. Zweigert ist der Ansicht, dass Art. 220 EGVertrag dem EuGH nicht bloB die Kompetenz zur Rechtsfortbildung bei Vorliegen einer Lucke zuspreche, sondern auch die Kompetenz "zur Wahrung des Rechts", demnach zu einer Rechtsfortbildungpraeterund contra legem. Zweigert konstatiert die Annahme dieser Methodik in der Rechtsprechung des EuGH und fiihrt als Beispiel fur Rechtsfortbildungpraeter legem die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Van Gend en LOOS207 an. Schwarze schlieiit sich der Ansicht von Zweigert in den Grundzugen an. Der EuGH besitzt die Befugnis zur Abstraktion; dieser kann aus den hinter den nationalen Verfassungsordnungen stehenden gemeinsamen Wertvorstellungen der Mitgliedstaaten allgemeine Rechtsgrundsatze schopfen; deren genauen Inhalt konne der EuGH selbst unter Beriicksichtigung der Struktur und der Ziele der Gemeinschaft im Wege einer quasi-normierenden Festlegung bestimrnen.P" Schwarze begrundet diese Schlussfolgerung zunachst mit einer materiellen Kategorie von Argumenten, die sich als Effet utile-Argumente bezeichnen lassen: Im Gegensatz zu den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, welche tiber einen gesicherten Stand an Rechtsiiberzeugungen und Rechtsansichten verfugen, ist das EG-Recht auf eine Erganzung bereits angelegt. Der Bestand an "abstrakten Festlegungen" durch den Gesetzgeber der Gemeinschaft reiche daher nicht aus, urn dem EuGH eine Entscheidung zu errnoglichen, Schlielilich konne aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 EG festgelegten Grundsatzes der beschrankten Errnachtigung der EuGH nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber der Gemeinschaft etwaige auftretende Gesetzeslucken zeitgerecht schlielsen konne, da Art. 308 EG sowie eine Anderung des Vertrages jeweils Einstimmigkeit voraussetzen.P? Ein fur die Befugnis des EuGH zur Abstraktion sprechendes Argument, das prozessualer N atur ist, stellt nach Ansicht von Schwarze die Ausgestaltung der Wirkungen eines Urteils nach Art. 234 EG dar."? Die Befugnis des EuGH zur Rechtfortbildung im Bereich der allgemeinen Rechtsgrundsatze wird aus der Formulierung des Art. 288 EG abgeleitet.i!' 207 EuGH Rs. 26/62 N.V. Algemene Transport- en Expeditie Onderneming Van Gend & Loos gegen Niederlandische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1. 208 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 237. 209 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 110 ff. 210 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 126. 211 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 224; a. A. Wakefield, Judicial Protection through the Use of Article 288(2) EC 2002, 12.
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Methoden und Grundlagen
Nach Ansicht von Borcha rdt ist der EuGH aufgrund von Art. 220 EG-Vertrag verpflichtet, rechtliche Kontrolle iiber die zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft eingesetzten Organe auszuiiben. Diese Gemeinschaftsorgane sind befugt, sekundares Gemeinschaftsrecht zu erlassen, welches fur jedermann in der Gemeinschaft verbindlich ist und/oder von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Die Gemeinschaftsrechtsordnung gibt jedoch aufgrund ihres fragmentarischen Charakters dem EuGH nicht die erforderlichen rechtlichen Werkzeuge in die Hand. Borchardt vertritt daher die These, dass der EuGH sich folglich die Magstabe dessen, was als "Recht" nach Art. 220 EGVertrag gilt, selbst herausarbeiten rniisse und daher aufgrund dieser Bestimmung zur Rechtsschopiung befugt sei. 212 Auch Kutscher vertritt cine iiberaus weit gefasste Ansicht zu der Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung: Der besondere Charakter der Gerneinschaft - namlich ihre Anlage als zukunftstrachtige, auf Integration ausgelegte Gemeinschaft sui generis - gebiete eine dynamisch-evolutive Auslegungspraxis des EuGH. Dariiber hinaus enthalte die Rechtsordnung der Gemeinschaft zu einem grofsen Teil ausfiillungsbedurftige unbestimmte Normen und nur wenige prazise materielle Regelungen.P:' Aus dieser Dberlegung ist zu folgern, dass na ch weitgehend iibereinstirnmender Lehre und Rechtsprechung cler EuGH eine Befugnis zur Rechtsfortbildung besitzt; die Grenzen dieser Befugnis mogen in den integrationsfesten Verfassungskernen der Mitgliedstaaten-!' oder aber auch in dem klar und unzweifelhaft zutage tretenden Wortlaut des EG-Vertrages liegen2l5 • Fur die Problematik der Drittwirkung von Grundfreiheiten ist vorlaufig zu konstatieren, dass eine solche angesprochene Grenze im Rahmen der Rechtsprechung nach iibereinstimmender Ansicht in der Literarur nicht beriihrt wurde; daher liegt die im Folgenden noch zu analysierende Rechtsprechung des EuGH zu der Drittwirkung von Grundfreiheiten durchaus im Bereich der einhellig von Lehre und Rechtsprechung dem EuGH zugestandenen Befugnis zur Rechtsfortbildung. 212 Borchardt, Rich terrecht durch den Gerichtshof der Europaischen Gemeinschafren, 29: Dass der EuGH mittels Rechts schopfung in den Ber eich der Legislative "iibergreife", konne, so Borchardt, zwar nicht vermieden werden; der in Art. 220 EG ausgesprochene Auftrag zur Rechtskontrolle habe jedoch die Rechtfertigung der richterrechtlichen Rechtfortbildung durch Unterstellung unter die Verfassungsordnung zur Folge: Borchardt , Richterrecht durch den Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaften, 29, (30). 213 Kutscher, Dber den Gerichtshof der Europaischen Gemeinschafren, EuR 1981, 392, (400). 214 Oblinger/Potscs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 2. Auf!. (2001), 68. 215 Vgl. etwa "Barber"-Protokoll zum EG. Protokoll (Nr, 33) zu Artikel157 des Vertrages iiber die Arbeitsweise der Europaischen Union (sog. "Barber" -Protokoll, ABI415 vom 9.5.2008,319.
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
3. Auslegungsmethoden des EuGH 3.1. EinfOhrung
Canaris unterscheidet zunachst im Rahmen allgemeiner Auslegungslehre zwischen interpretatorischer Abwagungslosung und interpretatorischer Vorrangregel. Nach dieser Ansicht weisen die Auslegungskriterien oder Auslegungsmethoden im Europaischen Gemeinschaftsrecht zwar kein festes Rangverhaltnis auf; dennoch musse zwischen Auslegungskriterien als Elemente einer argumentativen Gesarntlosung und der Funktion von Auslegungskriterien als Grundlage einer Vorrangregel fur eine bestimmte Problernkonstellation unterschieden werden.U" Die Argumentation von Canaris lautet wie folgt: Auslegungskriterien also grammatische, historische, systematische oder teleologische Gesichtspunkte - werden als "stark" oder "schwach" qualifiziert und gewichtet und schliefslich im Konfliktfalle gegeneinander abgewogen. Bei einem solchen logischen Vorgang werden die Auslegungskriterien im Rahmen einer Abwagungslosung benutzt; es handelt sich hierbei urn ein Denkmodell, welches Ahnlichkeit mit einem "beweglichen System" im Sinne Wilburgs aufweist. Canaris betont, dass es auf das Zusammenspiel der Kriterien je nach Zahl und Gewicht ankomme, diese seien auch je nach "Starke" oder "Schwache" abzustufen. Die verschiedenen Auslegungskriterien stehen jedoch auf derselben Rangebene."? Strukrurell unterschiedlich seien jedoch, so Canaris, die interpretatorischen Vorrangregeln.U'' Deren gebe es drei, die im Unterschied zur verfassungskonformen Interpretation Vorrang nicht aufgrund der lex superior-Regel besitzen: Die historische "ratio legis" hat Vorrang vor den Vorstellungen der Gesetzesverfasser von Inhalt und Reichweite einer Norm. Die von dern Gesetzesverfasser in einer fur den historischen Gesetzgeber erkennbaren Weise niedergelegte ratio legis ist fur den Gesetzesanwender verbindlich, sofern sie im Gesetz Ausdruck findet. Schlie61ich hat der Wortlaut einer Norm Vorrang vor gegenlaufigen Zwecken anderer Normen, sofern die auszulegende Norm weder einen Auslegungsspielraum noch eine Lucke aufweist. Die interpretatorischen Vorrangregeln unterscheiden sich strukturell signifikant von einer Abwagungslosung, Wahrend bei einer Abwagungslosung ein schwaches Argument immer noch eine gewisse Bedeutung hat und ein starkes 216 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Im Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (65). 217 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Im Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 (65). 218 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung, 47 (66).
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Methoden und Grundlagen
Argument schwerlich fur sich alleine die Losung des Problems deterrninieren kann, so gebe es bei Vorliegen einer interpretatorischen Vorrangregel eine derartige Moglichkeit der Abwagung nicht. Eine interpretatorische Vorrangregel lost, wenn sie fur das betreffende Problem einschlagig ist, jede etwaige Kollision zwischen anderen Auslegungskriterien. Eine interpretatorische Vorrangregel, so abschliciiend Canaris, gehe einer Abwagung der einzelnen Auslegungskriterien vor; einer interpretatorischen Vorrangregel diirfte der Charakter einer Rechtsnorm zuzusprechen sein."? Wahrend Canaris eine Anwendung dieser Argumentation auf die Frage der Rangordnung zwischen den klassischen Auslegungskanones und der richtlinienkonformen Interpretation vornimmt, ist fur die Zwecke dieser Arbeit zu fragen, ob die klassischen Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrecht als argumenrahnlich, i. e. als Elemente einer interpretatorischen Abwagungslosung zu verstehen sind oder ob EG-Recht iiber eine interpretatorische Vorrangregel verfiigt, die jede erwaige Kollision zwischen anderen Auslegungskriterien 10sen wiirde. Irn Rahmen der ersten Fragestellung ist zudem zu erortern, ob die "klassischen" Auslegungsmethoden-P im EG-Recht bereits aufgrund der Autonomie - oder der faktischen und rechtlichen Besonderheiten des Gemeinschaftsrecht - als "starker" oder "schwacher" zu qualifizieren sind . 3.2. Die Anwendung der Methode der Wortinterpretation in der Auslegungspraxis des EuGH
Aus einer Reihe von Grunden wurde im Rahmen und im Verlauf der Rechtsprechung des EuGH zum Gemeinschaftsrecht der Auslegungsmethode der Wortinterpretation eine iiberaus begrenzte Bedeutung zugesprochen: Der EG-Vertrag selbst ist nach Art. 314 EG in seinem Wortlaut in nahezu jeder Amtssprache ihrer Mitglieder verbindlich; der EGKS-Vertrag, dessen inhaltliche Entsprechung sich nunmehr nach seinem Auslaufen am 23. Juli 2002 in Art. H des EUV finder, ist in seinem Wortlaut nach Art. 100 EGKS-V ausschlieGlich in franzosischer Sprache verbindlich. Die Anwendung der Interpretationsmethode der Wortinterpretation kann naturgernaf daher im Rahmen der Rechtsprechung zum EGKS-Vertrag festgestellt werden; so wird als Beleg hierfiir insbesondere das Urteil in der Rechtssache Federation Charbonnierei" angefiihrt.F? Wahrend Grundmann 219 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfonbildung, 47 (67). 220 Fur eine Darlegung vgl. Bydlinski, juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf!. (1991), 437. 221 EuGH Rs. 8/55 Federation Charbonniere de Belgique gegen Hohe Behorde , Sl.g 1955/ 56, 197 (225): "[. . .J, denn auch eine getarnte individuellc Emscheidung bleibt cine individuelle Entscheidung, weil die Natur einer Entscheidung nicht von ihrer iiugeren
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
noch eine Reihe von Entscheidungen des EuGH anfuhrt, in welchen dieser sich der Auslegungsmethode der Wortinterpretation bedient.F" stellt dieser Autor mit ausschlielslichem Bezug auf den EG-Vertrag selbst fest, dass sich blo~ ein Urteil des EuGH finde, in welchem dieser sich zur Ermittlung der Bedeutung einer Vorschrift - in casu jedoch als einfache Auslegung von Ausdrucken im Rahmen des GZT wie "andere Bearbeitung von Getreide" - ausschlieGlich der Wortimerpretation bediene.P" Zuleeg vertritt die Auffassung, dass auf den iiblichen Wortsinn blo~ abzustellen sei, urn eine erste Arbeitshypothese zu gewinnen. Die von Zuleeg fur den "ublichen Wortsinn" einer Bestimmung vorgeschlagene Definition lautet wir folgt: "Durch den iiblicherweise mit einem Ausdruck verbundenen Sinn wird der Inhalt des betreffenden Begriffs vorgeprdgt. Von diesem gebrduchlichen Sinn kann nicht beliebig abgewichen werden. "225 Die Auslegungsmethode der Wortinterpretation wird im Rahmen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht in jenen Fallen unbrauchbar, in denen in dem Begriffshof eines Begriffes Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachfassungen auftauchen, Geradezu gegemeilig ist jene rechtliche Situation, in welcher der Sinn einer Vorschrift dem Prinzip "in claris non fit interpretatio" oder der acte clair- Doktrin entspricht, Braselmann weist darauf hin, dass eine unrichtige Dbersetzung sich durch den Riickgriff auf den Ursprungstext relativ leicht beheben lasse, wahrend die Gleichwertigkeit aller Sprachen den Dbersetzer vor unuberwindliche Schwierigkeiten stelle. 22 6 Braselmann stellt daher fest, dass aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche gemeinschaftsrechtliche Texte sich als Dbersetzungen erweisen, idealer Anspruch eines Sprachwissenschaftlers und Auslegungspraxis auseinander fallen miissen. Die Auslegung eines Textes wird daher durch die U nrnoglichkeit - oder Unzulassigkeit - des Riickgriffs auf einen Ursprungstext erschwert.
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Form, sondern von deren Inhalt abhangt. Im iibrigen kann einer solchen Auslegung des Artikels 33, und insbesondere der Worte "ihnen gegeniiber" nicht gefolgt werden, wei! der Ausdruck "ihnen gegeniiber" keinen anderen Sinn hat, als den Sinn der Wone, der darin zum Ausdruck kommt, d. h. es muss sich urn ein Unternehmen handeln, das den Gegenstand oder zumindest das Opfer des von ihm behaupteten Ermesscnsmissbrauchs bildet." MwN Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 193; Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, 97, (100). Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 193 ff. EuGH Rs. 18/72 NV Granaria Graaninkoopmaatschappij gegen Produktschap voor Veevoeder, Slg. 1972, 1163. Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, 97, (101). De facto han dele es sich auch beim EG-Recht urn Ubersetzungen; Braselmann, Ubernationales Recht und Mehrsprachigkeit, EuR 1992, 55 (73).
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Methoden und Grundlagen
Ein Sprachvergleich der relevanten Sprachversionen kann aus sprachwissenschaftlicher Sicht keine Losung einer Auslegungsfrage bringen; zusatzlich diirfte eine soIche aus praktischen Grunden scheitern.P? Denkrnoglich erscheinen zwei einander gegenuberstehende Losungen - die eine sieht vor, class das gemeinsame Minimum in der Bedeutung eines Begriffes zu der mafsgeblichen Losung erhoben wird. Die andere denkrnogliche Alternative sieht vor, dass - aufgrund der Tatsache, dass der EG-Vertrag selbst die MaBgeblichkeit zahlreicher Sprachen vorsieht - keine der in den einzelnen Sprachfassungen vorgegebene Bedeutung auf Gemeinschaftsebene maBgeblich wird und die Bedeutung des Begriffes oder der Vorschrift letztlich iiber andere Auslegungsmethoden eruiert w erden muss.F" Der EuGH hat sich fur letztere Losung entschieden.P? Die Methode der Wortinterpretation im Gemeinschaftsrecht erweist des Weiteren als Ausgangspunkt fur die acte clair-Regel, weIche sich in nationaler Auspragung als schadlich fur die Zusammenarbeit von EuGH und nationalen Gerichtshofen erwiesen hat: Die acte clair-Doktrin scheint, soweit ersichtlich, ihren hauptsachlichen Niederschlag im Volkerrecht in der Regel "in claris non fit interpretatio" gefunden zu haben, im franzosischen Zivil- und Verwaltungsverfahrensrecht als Ursprung der acte clair-Doktrin sowie im Europaischen Gemeinschaftsrecht selbst. Wahrend die volkerrechtliche Variante der in claribus v erbis-R egel an der Auslegungsmethode der Wortinterpretation ansetzt und eine soIche klare Auslegung den Riickgriff auf andere Auslegungsmittel eriibrigt oder sogar verbietet,23° ist die franz6sische Auspragung der acte-clair Doktrin wesentlich differenzierter: Es handelt sich hierbei urn eine Praxis franzosischer Gerichte und Verwaltungsbehorden in einem strikten System der Gewaltentrennung im Interesse cler Prozessokonornie auf die Einholung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu verzichten.P ! In diesem System der strengen Trennung in mareriellern und formellem Sinne von Zivilgerichtsbarkeit auf der einen und Verwaltung sowie administrativer Gerichtsbarkeit auf der anderen Seite sind Gerichte und Verwaltungsbehorden verpflichtet, die jeweils andere Gewalt im 227 Braselmann, Ubernationales Recht und Mehrsprachigkeit, EuR 1992,55 (73). 228 EuGH Rs. 13/61 Kledingverkoopbedrijf de Geus en Uitdenbogertd gegen Robert Bosch GmbH u. a., Schlussantrag GA Lagrange, Slg. 1962, 97 (149): "Bei dieser Sachlage muss man sich, wie bei der Auslegung unklarer oder widerspriichlicher innerstaatlicher Vorschriften, an den Sinnzusammenhang der Vorschriften halten." 229 EuGH Rs, 13/61 Kledingverkoopbedrijf de Geus en Uitdenbogertd gegen Robert Bosch GmbH u. a., Schlussantrag GA Lagrange, Slg. 1962,97 (115). 230 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 194; Zule eg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, 97, (192). 231 Lagrange, The European Court of Justice and National Courts - The theory of the cate clair: a bone of contention or a source of unity?, CMLR 1971, 313 (315).
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
Wege eines Vorlageverfahrens mit einer "ernsthaften" Frage zu befassen, welche in ihren Kompetenzbereich falh. 232 Lagrange betont jedoch, dass sich im franzosischen Rechtsgefiige die acte clair-Doktrin oder acte clair-Praxis zur Kompetenzabgrenzung zwischen Fachgerichten zwar bewahrt habe, eine Ubertragung dieser Doktrin auf das System der EG jedoch mafsvoll zu erfolgen hat. 233 Die EG-rechtliche Variante der acte clair-Doktrin weist zwar noch in ihrem Ursprung auf die Regel des Volkerrechts "in claris non fit interpretatio" hin, wird in der Rechtsprechung des EuGH nunmehr als ausschlieiilich verfahrensrechtliche Regel der Auslegung des Art.234 EG-Vertrag aufgefasst: In der Entscheidung Da Costa en Schaake entbindet der EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag vorlagepflichtige Gerichte ihrer Vorlageverpflichtung, wenn die dem einzelstaatlichen Hochstgericht gestellte Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens gewesen sei. 234 Diese Auffassung des EuGH wird mit der Bindungswirkung eines Urteils im Vorlageverfahren begriindet;235 diese erstreckt sich erga omnes und lasst nach Ansicht des EuGH in gerechtfertigter Weise eine Vorlageverpflichtung entfallen. 236 In samtlichen anderen Fallen besteht eine Vorlageverpflichtung von Hochstgerichten, da es sich im Sinne des Urteils Da Costa en Schaake nicht urn eine Anwendung der acte clair-Doktrin handelt.P" Eine Anrufung des EuGH bleibt den nationalen Gerichten dennoch stets gesrattet.P" 232 So ist mit Fragen der Auslegung eines volkerrechtlichen Vertrages der Auiienministcr als Vertreter der exekutiven Gewalt zu befassen - nach st. Rspr. der Cour de Cassation blof in Fallen, welche unter ordre public zu subsumieren sind, und nach st. Rspr. des Conseil d'Etat in samtlichen Fallen; fur eine Auflistung der Vorlageverpflichtung franzosischer Gerichte an Verwaltungsbehorden und vice versa vgl. Lagrange, The European Court of Justice and National Courts - The theory of the acte clair: a bone of contention or a source of unity?, CMLR 1971, 313 (314). 233 Lagrange, The European Court of Justice and National Courts - The theory of the acre clair: a bone of contention or a source of unity?, CMLR 1971, 313 (323). 234 EuGH Rs. 28-30/62 Da Costa & 5chaake N.V. u. a. gegen Niederlandische Finanzverwaltung, 51g. 1963, 66. 235 ,,[...J, so kann die Wirkung, die von einer durch den Gerichtshof gemaB Artikel 177 in einem fruheren Verfahren gegebenen Auslegung ausgeht, doch im Einzelfall den inneren Grund dieser Verpflichtung entfallen und sie somit sinnlos erscheinen lassen.", EuGH Rs. 28-30/62 Da Costa & 5chaake N.V. u. a. gegen Niederlandische Finanzverwaltung, 51g. 1963,66 (81). 236 So. z. B. Rengeling/MiddekeiGellermann, Rechtsschutz in der Europaischen Union (1994),214. 237 Bebr, The Rambling Ghost of "Cohn-Bedit": Acte Clair and the Court of Justice, CMiR 1983, 439 (452); Mancini/Keeling, From CILFIT to ERT: the Constitutional Challenge facing the European Court, YEL 1991, 1 (3). 238 EuGH Rs. 28-30/62 Da Costa & 5chaake N.Y. u. a. gegen Niederlandische Finanzver-
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Methoden und Grundlagen
Nach der Entscheidung CILFIT fallen eine Reihe weiterer Fragen in den Anwendungsbereich der acte clair-Doktrin: Die Vorlageverpflichtung eines nationalen Hochstgerichts entfallt zusatzlich zu der in Da Costa en Schaake aufgestellten Voraussetzung dann, [wenn die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war] oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschafrsrechts derart offenkundig ist, dass fur einen vermi nftigen Zweifel keinerlei Raum verbleibt.P? »Keinerlei Raum fur einen verminftigen Zweifel" bzw. acte clair muss von dem nationalen Gericht in dem Lichte der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts beurteilt werden; weiters muss der nationale Richter bei der Einschatzung einer Rechtsfrage als acte clair iiberlegen, ob diese Einschatzung von den Gerichten der iibrigen Mitgliedstaaten geteilt wird. 240 »Die gleiche Wirkung" fur den Entfall einer VorlageverpfIichtung bzw. acte clair liegen zusatzlich dann vor, wenn eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, welche die betreffende Rechtsfrage lost. Die strittigen Fragen miissen in einem solchen Falle nicht vollkommen identisch sein. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache CILFIT ist in der Literatur auf manche Kritik gesto6en.241 Beb r weist etwa auf Gefahren fur die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts hin, des Weiteren auf eine Riicknahme der Beanspruchung des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EG-Vertrag durch nationale Gerichte und, damit verbunden, auf eine Schwachung des Rechtsschutzes fur den Einzclnen. Die Kritik von Bebr ist auf den Riickgriff auf die acte clair-Doktrin zur Determinierung der Vorlageverpflichtung zentriert; dies wiirde, so Bebr, zu den oben angefiihrten nachteiligen Konsequenzen fuhren, da die aete clair-Doktrin aus zahlreichen Grunden nicht auf das Gerichtssystern der EG iibertragbar ist. 242 Gerade die Anwendung der acte clair-Doktrin durch den Conseil d'Etat in der Rechtssache Cobn-Bendiur? sowie durch andere mitgliedstaatliche
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waltung, Slg. 1963,66; EuGH Rs. 283/81 SrI c.I.L.F.I.T. und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della sanita, SJ.g 1982, 3415. EuGH Rs. 283/81 Sri C.I.L.F.I.T. und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della sanita, Slg. 1982, 3415. EuGH Rs. 283/81 Sri C.I.L.F.I.T. und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della sanita, SJ.g 1982, 3415 (3430). Bebr, The Rambling Ghost of "Cohn-Bedit": Acte Clair and the Court of Justice, CMLR 1983,439 (456); Arnull, Article 177 and the Retreat from Van Du yn , ELR 1983 365 (367); vorsichtig kririsch o 'Keeff e, Appeals Against an Order to Refer under Article 177 of EC-Treaty, ELR 1984,87 (100). Bebr, The Rambling Ghost of "Cohn- Bedit" : Acre Clair and the COUrt of Justice, CMLR 1983,439 (452). Ministere de l'Interieur c. Cohn-Bendit, RTDE 1969, 157.
Auslegung im Gemeinschaftsrecht
Hochstgerichte zeige, so Bebr, die geringe Eignung dieser Doktrin fur das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem.P" Ein weiterer Kritikpunkt stellt die vom EuGH in der Rechtssache Bosch 24 5 eingefiihrte und in der Rechtssache CILFITfortgesetzte Unterscheidung zwischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und Anwendung des Gemeinschaftsrechtsr'" die Trennlinie zwischen diesen geistigen Vorgangen stellt zugleich die Trennlinie zwischen den jeweiligen Kompetenzbereichen des EuGH und der - in einem Vorlageverfahren anfragenden - nationalen Gerichte. Wahrend Bebr die Moglichkeit einer theoretischen Unterscheidung zwischen Auslegung und Anwendung verneint.r" arbeitet Bengoetxea eine Unterscheidung zwischen Auslegung ieS (=Auslegung) und Auslegung iwS (=Anwendung) heraus. 248 N ach Ansicht von Rasmussen sollen nationale Gerichte im Gefolge der Rechtssache CILFIT dazu angehalten werden, anhand der Anwendung der CILFIT-Regeln dem EuGH ein Ausmaf an Kontrolle uber Vorlagen durch Hochstgerichte zu errnoglichen.i"? Eine Wertung der Entscheidung CILFITund ihrer Auswirkungen auf das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem soll an dieser Stelle nicht erfolgen; wesentlich erscheint jedoch festzuhalten, dass die acte clair-Doktrin im EG-Recht zur Determinierung eines acte clair eine Reihe von Interpretationsmethoden zur Anwendung gelangen lasst, deren wichtigste die systematische und teleologische Interpretationsmethoden sind.
244 Bebr, The Rambling Ghost of "Cohn-Bedit": Acte Clair and the Court of Justice, CMLR 1983, 439 (466ff.) 245 EuGH Rs. 13/61 Kledingverkoopbedrijf de Geus en Uitdenbogerd gegen Robert Bosch GmbH und N.V. Maatschappij tot Voortzetting van de Zaken de Firma Willem van Rijn, Sl.g 1962, 97 (110). 246 EuGH Rs. 283/81 Sri c.I.L.F.I.T. und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della sanita, Sl.g 1982, 3415 (3428): "Diese Vorlagepflicht fugt sich in den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den innerstaatlichen Gerichten als mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrauten Gerichten und dem Gerichtshof ein, durch die die ordnungsgemafse Anwendung und die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden soll." 247 Bebr, The Rambling Ghost of "Cohn-Bedit": Acte Clair and the Court of Justice, CMLR 1983, 439 (466 ff.) 248 Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice - Towards a European Jurisprudence 1993, 95: Interpretation as social action refers to interpretation as the result of such activity. [...] The result of the stricto sensu interpretation, i. e. an operative interpetative statement, is an internal normative statement whereas rational reconstruction of practices of interpretation and justification formulates detached legal statements. As Ricoeur and van de Kerhove have explained, interpretation applies mainly to written texts and not to oral discourse. 249 Rasmussen, The European Court's Acte Clair Strategy in CILFIT, ELR 1984,243 (256).
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Methoden und Grundlagen
Weiters stellen Zuleeg und Grundmann ubereinstimrnend fest, d ass die volkerrechtliche Interpretationsmethode "in claris not fit interpretatio" oder clear m eaning rule, welche bei eindeutiger Bedeutung de r relevanten Termini den Riickgriff auf and ere Ausle gungsmethoden verbietet, im EG-Recht keine Anwe ndu ng finder. P ? Bleckmann postuliert jedoch, das s die Auslegung d es Europaischen Gem einschaftsrechts blof punktuell von den fur die Vertragsauslegung im Volkerrecht enrwickelten Grundsatzen abweicht, Daher greife auch der EuGH, wenn ein Wort oder ein Satz klar sei, nicht mehr auf andere Auslegungsmittel zUrUck;251 Bleckmann ordnet jedoch die vo m EuGH in seinen Urteilen geiibte gemein sch aftsrechtlich-auto nome Ausl egung mancher Begriffe der Au slegu ngsmethode der Wortinterpretation ZU. 252 Diese Zuordnung erscheint jedoch nicht zutreffend, da gerade die autonome Auslegung eines ausschlieillich von Gemeinschaftsrecht determinierten Be griffes wiederum der Auslegung durch andere Interpretationsmethoden bed arf. In den meisten Fallen wird es sich hierbei urn eine teleologische Interpretation dies er Begriffe handeln.P? Die Methode der Wortinterpretation genieiit im Wesentlichen aufgrund der z ahlreichen authentischen Spr achfas sungen nur eine geringe Bedeutung im Rahmen des EG-Rechts; nach Ansicht des EuGH selbst fallt unter die Auslegungsmethode der Wortinterpretation ebenso die grammatische Interpretation. 254
250 Gru ndmann, Di e Au slegun g des Gemeinschaftsr echt s durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 194; Zuleeg, D ie Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrecht s, EuR 1969,97, (101). 251 Der als Beleg fur diese Ansicht angefiihrte Beitrag von Degan , Precedes d 'interpretation tire s de la C.].C.E. - Expo se co mparatif avec la jurisprudence de la Cour internationale de Justice, RTDE 1966, 189 (198) zitiert fiir die Bedeutung der Auslegungsmethode der Wortinterpretation eine Reihe von zum EGKS-Vertrag ergangener Urteile des EuGH. Der EGKS-Vertrag verfiigt jedoc h iiber eine einzige authentische Sprachfassung in Franzo sisch, 252 Bleckm ann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), 202 . 253 Vgl. Schlussantrag GA Gand, EuGH Rs. 10/65 Waldemar D eutschmann gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1965, 635 (645): "Die abgabenrechtliche Terminologie ist schon im innerstaatlichen Recht sch wankend; sie wird es ums o mehr, wenn sie auf das Gemeinschaftsrecht iibert ragen wird. Die Wortau slegung erscheint mir daher recht miiBig und fur die Entscheidung der gestellten Fra ge von gerin gem Wert. " 254 EuGH Rs, 4/68 Firma Schwarzwaldmilch GmbH gegen Einfuhr- und Vor ratsstelle fur Fette, Slg. 1968,561 , (573): "Grammatisch betrachtet, bezi eht die Vorschr ift den Au sdruck "Maschinenschaden" zw ar nicht notwendigerweise auf die von ihr ebenfalls er wahnten besonderen Schwierigkeiten der Schifffahrt."; vgl. auch Grundmann, Di e Auslegun g des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 194 mwN.
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
3.3. Die Anwendung der Methode der systematischen Interpretation in der Auslegungspraxis des EuGH 3.3.1. Aligemeines
Die Methode der systematisch-logischen Auslegung bezieht iiber den Wortlaut der auslegungsbediirftigen Vorschrift hinaus den Inhalt des anzuwendenden Gesetzes oder andere, im fraglichen Zusammenhang aufschlussreiche Gesetze samt den Regeln der Logik und in Verbindung mit der Erfahrung iiber den ublichen Aufbau von Norrnsystemen.P" Larenz stellt fest, dass die Interpretationsmethode nach dem Bedeutungszusammenhang bereits von sich aus nicht von der Wortinterpretation noch von anderen Auslegungskriterien losgelost werden konne. Insbesondere lasse sich der Bedeutungszusammenhang einer auszulegenden Vorschrift und die ihr zugrunde liegende Systernatik erst dann erschlielien, wenn man auch die Regelungszwecke dieser Vorschrift beachtet.P" Zuleeg iibernimmt und spezifiziert diese Definition fur den Bereich des EG-Rechts: In eine Interpretation nach dem Bedeutungszusammenhang miissen zunachst jene Regelungen einbezogen werden, welche in einem Verhaltnis des engeren Z usammenhanges mit der auszulegenden Vorschrift stehen.F" Unter Hinweis auf den Schlussantrag von GA Gand in der Rechtssache Deutscbmannlt" stellt Zuleeg fest, dass fur eine Interpretation nach dem Bedeutungszusammenhang im Rahmen des Gemeinschaftsrechts auch entfernt liegende Bestimmungen zu berucksichtigen sind; dies vorzugsweise dann, wenn sie das gleiche Telos aufweisen.P? Wolf und Zuleeg sind der Ansicht, dass im Rahmen einer systematischen Interpretation einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift auch der EAG-Vertrag und der EGKS-Vertrag einzubeziehen seien;"? der EuGH habe narnlich festgehalten, dass es sich bei den drei Criindungsvertragen urn eine funktionelle Einheit handle.i"! Zuleeg begriindet die Einbeziehung der drei Grun255 256 257 258
Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf!. (1991),442. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auf!. (1991), 327. Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, 1989,96 (102). Schlussamrag GA Gand, EuGH Rs. 10/65 Waldemar Deutschmann gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1965,635 (645): "Diese Frage lasst sich nur los en, wenn Artikel 95 im Rahmen des gesamten Vertrages gesehen und in seinen Zusammenhang mit den anderen Vorschriften gestellt wird, welche die Beseitigung der Hindernisse fur den freien Warenverkehr zum Ziel haben." 259 Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, 1989,96 (102). 260 Wolf, Auslegungsgrundsatze des Gerichtshofes. 2. Koreferat, in Carstens/Borner (Hg), ZehnJahre Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europaischen Gemeinschaften 1965, 193 (194); Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, 1989, 96 (102). 261 EuGH Rs. 6/60 Jean E. Humblet gegen Belgischen Staat, Slg. 1960, 1163 (1196).
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Methoden und Grundlagen
dungsvertrage in den Rahmen einer systematischen Interpretation zusatzlich mit dem Prinzip der Einheit des Gemeinschaftsrechts. Diese Begrundung sprengt jedoch m. E. den Rahmen der systematischen Interpretation, da das Prinzip der Einheit des Gemeinschaftsrechrs keine positive Verankerung im EG-Vertrag selbst findet und daher auf eine Unterrnauerung durch das Prinzip des effet utile angewiesen ist. Das Prinzip des effet utile ist jedoch der teleologischen Auslegungsmethode zuzuordnen. Eine Heranziehung des EU-Vertrages fur eine auf die funktionelle Einheit der Vertrage gegriindete Interpretation erscheint aufgrund der strukturellen Andersartigkeit des EUV nicht angebracht. Die Auslegungsmethode der systematischen Interpretation nimmt im EGRecht eine grolie Bedeutung ein, da der EG-Vertrag nach Ansicht der hL bloB iiber Plan und Grundsatze eines Rahmenvertrages verfiigt. 262 Die Bedeutung der systematischen Interpretation rechtfertigt sich mit der Anlage des Systems des EG-Vertrags, welche einer Erganzung durch den Gerichtshof bedarf.2 63 Im Folgenden sollen Konturen und Umrisse systematischer Interpretation analysiert werden: Nach Ansicht von Bengoetxea fallen unter den Begriff systematische Interpretation neben dem Argumentationsmuster der sedes materiae auch systemisch-logische Argumentationsfiguren, wie erwa a fortiriori, die lex specialisRegel oder das Argumentationsmuster e contrarior'" Als ersten Schritt im Rahmen der systematischen Interpretation ist der engere Zusammenhang der auszulegenden Vorschrifrv" oder sedese": Der engere Coder weitere) Zusammenhang der auszulegenden Vorschrift kann im Vergleich zu dieser selbst (materia) einen hoheren Grad an Allgemeinheit aufweisen. 267 262 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 295; Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europaischen Gemeinschaft, RabeIsZ 1986 193 (206); Borner, Der rechtliche Nutzen logischer Fehler, oder: Die Richtlinien des EWGV, oder: Rechtsanwendung v. Rechtsetzung, in MusielakiSchurig, Festschrift fur Gerhard Kegel (1987), 57 (64); Danzer-Vanotti, Der Europaische Gerichtshof zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung, in Due/Lutter/Schwarze, Festschrift fur Ulrich Everling 1995,205 (205). 263 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997),295. 264 Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice (1993), 241. 265 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, 295. 266 Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice, 1993,242: "The text under consideration (materia) can be a paragraph or a sentence of an article of a Community legal document, in which case its nearest wider context will be the section of the chapter in which it is placed, then the whole chapter, the title, the whole Treaty, or type of Community legislation - regulations, directives, decisions, etc. - including the preambles or annexes contained therein." 267 Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice (1993), 242.
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
In der Rechtssache Klopp268 fiillt der EuGH beispielsweise eine einmal festgestellte Lucke innerhalb des Regelungswerkes der Freiheit der Niederlassung des EG-Vertrags unter Riickgriff in einem systematischen Zusammenhang stehende Normen: "Wie sich aus dieser Vorschrift und ihrem Zusammenhang
ergibt, steht es jedem Mitgliedstaat in Ermangelung besonderer gemeinscbajtsrechtlicher Vorschriften in diesem Bereich frei, die Ausiibung des Rechtsanwaltsberufes fur sein Hoheitsgebiet zu regeln."269 Der EuGH setzt seine Argumentation jedoch mit einem der Teleologie zuzuordnenden Argument fort; dieser Grundsatz bedeute jedoch nicht, dass einem Rechtsanwalt durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschrieben werden kann, in dem gesamten Gebiet der Gemeinschaft bloB eine Niederlassung zu unterhalten. SchlieBlich wird das dictum in der Rechtssache Klopp mit einer Wortinterpretation der Bestimmung des Art. 43 EG untermauert. 3.3.2. Vertragskonforme Interpretation Mit dem Instrument der vertragskonformen Interpretation wird, so Kutscher, aufgrund des Gebotes der Koharenz der einzelnen Bestimmungen des EGVertrages selbst und der iibrigen Griindungsvertrage sichergestellt, dass die Bestimmungen des EG-Vertrages im Hinblick auf ihr Verhaltnis zueinander "harmonisierend" auszulegen sind."? Bleckmann versteht unter Konformauslegung zusatzlich die Auslegung rangniederen Sekundarrechts an dem ranghoheren Primarrecht; diese Form der systematischen Auslegung wiirde im Gemeinschaftsrecht - hier differenzierend entsprechend dem Standpunkt von Bleckmann zu der weitgehenden Anwendung volkerrechtlicher Auslegungsmethoden im Gemeinschaftsrecht im Wesentlichen auf zwei Gedanken beruhen: Zum einen erfordere eine Vermeidung der Nichtigkeit eines Sekundarrechtsaktes eine Konformauslegung, zum anderen bestehe eine Vermutung, dass ein Gesetzgeber bei Durchfiihrung einer hoherrangigen Norm sich an dieser orientiert.F' In der Rechtssache Manghera nimmt der EuGH etwa eine systematische Interpretation der Bestimmungen des Titels I (Freier Warenverkehr) vor:
268 EuGH Rs. 107/83 Ordre des avocats au barreau de Paris gegen Onno Klopp, Slg. 1984, 2971. 269 EuGH Rs. 107/83 Ordre des avocats au barreau de Paris gegen Onno Klopp, Slg. 1984, 2971 (2989). 270 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus der Sicht eines Richters, in Begegnung von justiz und Hochschule 1976, 40; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 331. 271 Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes, NJW 1982, 1177 (1181)
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"Diesen Bestimmungen und ihrem Aufbau ist zu entnehmen, dass die in Absatz 1 aufgestellte Verpflichtung die Beachtung der Grundregel desfreien Warenverkehrs im gesamten Gemeinsamen Markt sicherstellen soli,
[...J. "272 Weiters stellte der EuGH in der Rechtssache AETR273 fest, dass insbesondere die jeweils Rat und Kommission zustehenden Kompetenzen zur Verhandlung und zum Abschluss eines volkerrechtlichen Obereinkommens aufgrund einer systematischen Interpretation samtlicher relevanten Vorschriften des EG-Ver. . trages zu gewmnen seien: " Da im Vertrag besondere Vorschriften iiber die Aushandlung und Inkraftsetzung des fraglichen Obereinkommens [eblen, sind die einscbldgigen Rechtsnormen aus der Gesamtheit aller Vertragsartikel zu gewinnen, welche durch die Verhandlungen des AETR betroffen werden. "274 Die Rechtssache Defrenne II275 stellt jedoch fur die Ziele dieser Arbeit das aussagekraftigste Beispiel dar; der EuGH kiindigt zunachst an, welche Interpretationsmethoden er bei der Bestimmung der Anwendbarkeit und des Adressatenkreises des Art. 141 EG-Vertrag anzuwenden sind und greift hierfiir erst in zweiter Linie auf die systematische Interpretation zuriick:
.Bei der Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Geltung von Artikel119 ist auf das Wesen des Grundsatzes des gleichen Entgelts, auf das Ziel dieser Bestimmung und auf ihren Platz im System des Vertrages abzustellen. "276 Der Gerichtshof statuiert somit fur den vorliegenden Fall den Vorrang der teleologischen Inrerpretationsrnethode nach effet utile vor der systematischen Interpretationsmethode. Der EuGH fahrt fort mit der Ermittlung des Zweckes des Art. 141 EGVertrag; zum einen 5011 Staaten, welche den Grundsatz des gleichen Entgelts fur gleiche Arbeit bereits verwirklicht haben, kein Wettbewerbsnachteil ent-
272 EuGH Rs. 59/75 Staatsanwaltschaft gegen Flavia Manghera und andere, Sig. 1976, 91 (100); Pernice, Kommentar zu Art. 164 EG-Vertrag, in Grabitz/Hilf, EG/EU-Vertrag Kommentar, 273 EuGH Rs. 22170 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Rat der Europiiischen Gemeinschaften (Europaisches Ubereinkommen tiber Stralienverkehr), Slg. 1971,263. 274 EuGH Rs. 22/70 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Rat der Europaischcn Gemeinschaften (Europaisches Obereinkommen tiber StraBenverkehr), Slg. 1971,263 (280). 275 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Sig. 1976,455. 276 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne, 455, (472).
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stehen. Zum anderen diene diese Bestimmung dem sozialen Fortschritt, dem sich die Mitgliedstaaten in der Praambel des EG-Vertrages verschrieben haben. Aus dieser doppelten wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzung folge, so der EuGH in Abweichung zu GA Trabucchii"; dass der Grundsatz des gleichen Entgelts fur Manner und Frauen zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehore, welcher unmittelbare Drittwirkung unter Privaten entfalte. 3.3.3. Allgemeine Rechtsqrundsatze des EG-Rechts
Die Anwendung der systematischen Interpretationsmethode zur Liickenfiillung im EG-Recht mittels allgemeiner Rechtsgrundsatze findet ihre Begriindung im Primarrecht in Art. 288 EG-Vertrag. Diese Bestimmung verweist fur den Ersatz aufServertraglicher Schaden durch die Gemeinschaft auf "die allgemeinen Rechtsgrundsatze, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind." In Ausfiihrung dieser Bestimmung schuf der EuGH etwa ein richterrechtliches System der aufServertraglichen Haftung der Gemeinschaft.F" Mertens de Vilmar situiert die Liickenfiillung mittels allgemeiner Rechtsgrundsatzen, welche den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, am Scheideweg zwischen Wortinterpretation auf der einen und systernatisch-teleologischer Interpretation auf der anderen Seite.r"? Mit zu den bedeutendsten allgemeinen Rechtsgrundsatzen zahlen aufgrund der Urteile in den Rechtssachen Internationale Handelsgesellschaft 280 und Staudey281 die Grundrechte des EG-Rechts. In der Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft statuiert der EuGH, dass zwar allgemeine Rechtsgrundsatze in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Verankerung finden miissen, bzw. die in Rede stehenden Grundrechte von den Verfassungsiiberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein miissen, diese so gewonnenen Rechtsnormen sich jedoch in die Struktur und die Ziele der Gemeinschaft einfiigen miissen.i'" Mit dieser Aussage betont der Gerichtshof erneut die Autonomie des EG-Rechts, und, damit einhergehend, die Autonomie seiner Interpretationsmethoden.
277 Defrenne II, Schlussantrag GA Trabucchi, 488/489. 278 Vgl. etwa Berg, Kommentar zu Art. 288 EG-Vertrag, in Schwarze, EU-Kommentar, 2000,mwN. 279 Mertens de Vilmar, Reflexions sur les methodes d'interpretation de la Cour de Justice des Cornmunautes Europeennes, CDE 1982, 5 (17). 280 EuGH Rs. 11/70 Internationale Handelsgesellschaft mbH gegen einfuhr- und Vorratsstelle fur Getreide und Futtermittel, Slg. 1970, 1125. 281 EuGH Rs. 29/69 Erich Stauder gegen Stadt Ulm, Sozialamt, Slg. 1969,419; vgl. auch Ehlermann, Auslegung von an Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen - Grundrechtsschutz (Glosse), EuR 1970, 39. 282 EuGH Rs. 11/70 Internationale Handelsgesellschaft mbH gegen Einfuhr- und Vorratsstelle fur Getreide und Futterrnittel, Slg. 1970, 1125.
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In der Rechtssache Haue,-283 werden fur die Normengruppe der Grundrechre die Quellen ihrer Gewinnung angefiihrt:
,,[...J, dass die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsiitzen geboren, die der Gerichtshof zu wahren hat. Bei der Ge todbrleistung dieser Rechte hat der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungsuberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen, so dass in der Gemeinschaft keine Maflnahmen als Rechtens anerkannt w erden kiinnen, die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten gescbutzten Grundrechten. Auch die internationalen Vertrage tiber den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, konnen Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu beriicksichtigen sind. "2 84 Methodisch handelt es sich bei der Luckenschlielsung mittels allgemeiner Rechtsgrundsatze zum einen urn ein Anwendungsgebiet rechtsvergleichender Methode sowie urn eine Heranziehung volkerrechtlicher Normen zur inhaltlichen Determinierung von EG-Recht. 285 Nicolaysen weist nach, dass die Vorteile dieser Methode der Rechtsfindung zum einen dann iiberwiegen, wenn die so erschlossenen allgemeinen Rechtsgrundsatze einen hohen Grad an Allgemeinheit aufweisen; nachteilig ware es namlich, allgemeine Rechtsgrundsatze des Gemeinschaftsrechts bis in jedes Regelungsdetail aus einem Mitgliedstaat auf die Ebene der Gemeinschaft zu iibernehmen.P" Hilfreich erscheint nach dieser Ansicht daher cine allgemeine Fassung des gerade erschlossenen Rechtsgrundsatzes, welche nach Bedarf im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Systems auszugestalten ist. Eng mit diesem Ansatz verzahnt ist die Schlussfolgerung, dass die systemarisch-rechtsvergleichende Methode dann unbrauchbar wird, wenn eine Bindung des gemeinschaftsrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsatzes an die Rechtsordnung eines Mitgliedstaates vorgenommen wird. Diese Auffassung wird von Nicolaysen damit begriindet, dass der Rechtsgrund der Geltung allgemeiner Rechtsgrundsatze nicht von deren Verankerung innerhalb einer gegebenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung abhangig gemacht werden kann, sondern von der ausdriicklichen Nennung allgemeiner Rechtsgrundsatze im Rahmen des Art. 288 EG-Vertrag. 287 283 EuGH Rs, 44/79 Liselotte Hauer gegen Land Rheinland Pfalz, Slg, 1979,3727. 284 EuGH Rs. 44/79 Liselotte Hauer gegen Land Rheinland Pfalz, Slg, 1979,3727, (3745). 285 Pescatore, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Recht der Europaischen Gemeinschaften, EuR 1979, 2 (4); Pescatore, Le recours, dans la jurisprudence de la Cour de Justice des Communautes Europeennes, ades normes deduites de la comparaison de droits des Etats Membres, Revue Internationale de Droit Compare 1980,337. 286 N icolaysen, Der Gerichtshof: Funktion und Bewiihrung der judikative, EuR 1972 375 (383). 287 Nicolaysen, Der Gerichtshof, EuR 375 (383).
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Zweigert und Nicolaysen vertreten in Bezug auf die materielle Ausgestaltung des allgemeinen Rechtssatzes die Anwendung der Methode der wertenden Rechtsvergleichung.F'" Einzelne Rechtsordnungen konnen narnlich voneinander abweichende Losungen anbieten, welche sich moglicherweise in Gruppen zusammenfassen lassen. Zweigert lehnt die Ubernahme einer iibereinstimmend-mehrheitlichen Losung oder einer Minimum-Losung abo Die Auffindung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes mittels der wertend-rechtsvergleichenden Methode musse als Suche nach der "besten Losung" verstanden werden; bei Vorliegen mehrerer, von diesem Standpunkt aus gleichwertiger Losungen, miisse jener Losung der Vorzug gegeben werden, die den Zielen der Gemeinschaft am besten entspricht, Kommt es auch auf dieser Stufe zu einer Paritat der maglichen Losungen, so kann der EuGH frei wahlen."? Der EuGH sei im Hinblick auf dies en geistigen Vorgang an das (bereits vorhandene) Gemeinschaftsrecht gebunden, in dessen Struktur und Ziele sich die allgemeinen Rechtsgrundsatze einfugen miissen, Uberdies miisse der Gerichtshof bei der Auswahl und Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes Bedacht nehmen auf die praktische Bewahrung der gewahlten Losung in dem Mitgliedstaat und ihre Eignung zur Losung des Problems im Gemeinschaftsrecht.F" 3.4. Systematisch-Teleologische Interpretation
In den Bereich der systematischen Interpretation fallen die Auslegung einer Vorschrift anhand der positivierten Zielsetzungen des Vertrages sowie die gemeinschaftsautonome Auslegung von Begriffen des EG: Bereits in einer sehr friihen Entscheidung, in der Rechtssache De Gezamenlijke Steenkolenmijnen?" schlagt der EuGH bei der Determinierung des Begriffes einer "Subvention" nach dem EGKS-Vertrag folgenden argumentativen Weg ein: Der EuGH stellt fest, dass Begriffsbestimmungen - da die in Frage stehenden Definitionen nicht im Vertrag enthalten sind - nur dann als rechtlich maisgebend angesehen werden konnen, wenn sie von den Bestimmungen des EG
288 Zweigert, Der Einfluss des Europaischen Gemeinschaftsrechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, RabelsZ 1964, 600 (610); Mollers, Doppelte Rechtsfortbildung contra legem? - Zur Umgestaltung des Biirgerlichen Gesetzbuches durch den EuGH und nationale Gerichte, EuR 1998, 20 (31). 289 Zweigert, Der Einfluss des Europaischen Gemeinschaftsrechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, RabelsZ 1964, 600 (611). 290 Lecheler, Der Europaische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsatze (1971), 191. 291 EuGH Rs. 30/59 De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg gegen Hohe Behorde der EGKS, Slg. 1961, 1 (43).
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oder dessen Zielsetzungen bestatigt werden.s'" Da Art. 2 des EGKS-V der Gemeinschaft die Ziele zuweise, "die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem bocbsten Leistungsstand zu sichern" und "die Schaffung, Aufrechterhaltung und Beachtung normaler Wettbe werbsbedingungen" vorsehe, sei nach Ansicht des EuGH eine weite Auslegung der Begriffe "Subvention" und "Beihilfe" erforderlich.F" In der Rechtssache Europemballage''" nimmt der EuGH zur Auslegung des Begriffes der "missbrauchlichen Ausnutzung" einer marktbeherrschenden Stellung eine systematische Interpretation vor:
"Fur die Entscheidung dieser Frage muss auf Geist, Aufbau und Wort/aut von Artikel 86 sowie auf System und Ziele des Vertrages zuruckgegriffen werden. Die hier anstehenden Probleme lassen sich daher nicht durch einen Vergleich zwischen diesem Artikel und einigen Bestimmungen des EGKSVertrags losen. "295 Der EuGH stellt im Folgenden fest, die Bestimmungen der Art. 81 ff. EG die Wahrung der (programmatischen) Grundsatz e der Artikel 2 und 3 EG sicherstellen sollen. An dieser Stelle wird ein auf effet utile oder auf dem systemi schen Ansatz des "ut res magis valeat quam pereat" beruhendes Argumentationsmuster eingefiihrt:
" In Ermangelung ausdriicklicher Vorschriften kann dem Vertrag, der in Artikel85 bestimmte, den Wettbe werb beeintrdchtigende, jedoch nicht beseitigende Bescbliisse getoohnlicher Unternehmen untersagt, nicht unterstellt w erden, er habe es in Artikel86 erlauben uiollen, dass Unternehmen durch ihren Zusammenschluss zu einer organischen Einheit eine so beherrschende Stellung erlangen, dass jede ernstzunehmende Wettbe werbsmoglichkeit praktisch ausgeschlossen ist." 296 Der EuGH stellt in der Rechtssache Europemballage weiters fest, dass das System der Arts. 85-90 EG der Wahrung der in Arts. 2 und 3 EG aufgestellten Ziele diene. Grundmann vertritt die Ansicht, dass in der Interpretationspraxis des Eu GH haufig dann die Grundsatze des EG -Vertrages he rangezogen werden, wenn der Wor tlaut der Bestimmungen und die engere Systcmatik den auszulegenden Bestimmungen nicht eine solche gemeinschaftsforderliche Auslegung geben konnten, wie die Vorgabe - durch den EuGH selbst aufgestellt - dass die auslegungsbediirftigen Regelungen nur einen Generalplan ausfiihrten, so 292 293 294 295 296
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EuGH Rs. 30/59 De Gezamcnlijkc Steenkolenmijnen in Limburg, Slg. 1961,1 (43). EuGH Rs. 30/59 De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg, Slg. 1961, 1 (43). EuGH Rs. 6/72 Europemballage, Slg. 1973,215. EuGH Rs. 6/72 Europemballage, Slg. 1973,215 (245). EuGH Rs. 6/72 Europemballage, Slg. 1973,215, (245).
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wie er in den Grundsatzen des EG-Vertrags selbst bereits vorgesehen war. Eine solche Vorgabe wiirde, so Grundmann, generell eine extensive Auslegung errnoglichen.?" Auslegungper analogiam findet zu einem gewichtigen Teil mittels systematischer Interpretation statt: So stellte der EuGH in der Rechtssache Les Verts 29 8 fest, dass in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des Art. 230 EG eine Anfechtung der Handlungen des Europaischen Parlaments nicht vorgesehen sei. Allerdings sehe der EGKS-Vertrag in Art. 9S Abs. 4 EGKSV in jenen Fallen die Moglichkeit zur Anfechtung der Rechtsakte des EP vor, in welchen bereits zu dem Zeitpunkt des Abschlusses des EGKS-Vertrages die Moglichkeit zu normativem Handeln zugesprochen wurde.i"? Der EuGH fahrt fort, eine systematisch-teleologische Auslegung des Art. 230 EG (ex Art. 173 EG) vorzunehmen:
"Eine Auslegung von A rtikel 173 EWG- Vertrag, die die Handlungen des Europaiscben Parlaments aus dem Kreis der anfechtbaren Handlungen ausschlosse, wiirde zu einem Ergebnis [uhren, das sowohl dem Geist des Vertrags, wie er in A rtikel 164 Ausdruck gefunden hat, als auch seinem System zuwiderliefe. Die Handlungen des Europiiischen Parlaments in der Spbdre des EWG- Vertrags konnten in diesem Fall ndmlicb - ohne dass die Moglichkeit bestiinde, sie durch den Gerichtshof iiberpriifen zu lassen - in die Zustandigkeii der Mitgliedstaaten oder der anderen Organe eingreifen oder die Grenzen iiberschreiten, die den Zustdndigkeuen ihres Urhebers gesetzt sind."300 Eine klare Unterscheidung zwischen systematischer und teleologischer Interpretationsmethode in der Auslegungspraxis des EuGH erscheint bisweilen schwer moglich, Ziele und Grundsatze des EG-Vertrages finden sich positiviert in den Vorschriften des Ersten Teils des EG, so dass eine Berufung auf diese Ziele sowohl die Anwendung der Methode der systematischen Interpretation als auch jene der teleologischen Interpretation vermuten lassen. Des Weiteren neigt der EuGH haufig dazu, die we it gefasste Vorschrift des Art. 3 EG als Wertungsgesichtspunkt im Rahmen einer systematischen Interpretation - zusatzlich noch unterstiitzt durch den Grundsatz der Effektivitat des Gemeinschaftsrechts oder effet utile - einfliefsen zu lassen.
297 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Ge-
richtshof (1997), 314. 298 EuGH Rs, 294/83 Parti ecologiste .Les Verts" gegen Europaisches Parlament, Slg. 1986,1339. 299 EuGH Rs. 294/83 Parti ecologiste "Les Verts", Slg. 1986, 1339 (1366). 300 EuGH Rs. 294/83 Parti ecologiste "Les Verts", Slg. 1986, 1339 (1366).
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3.5. Die Anwendung der Methode der teleologischen Interpretation in der Auslegungspraxis des EuGH 3.5.1. Aligemeines
Wahrend der Rekurs auf im EG-Vertrag niedergelegte Ziele im Rahmen dieser Arbeit als Anwendung der systematischen Interpretationsrnethode aufgefasst und vertreten wird, sind manche Autoren der Ansicht, dass es sich hierbei bereits urn teleologische Auslegung handle.e?' Die Unterscheidung erscheint jedoch von geringem praktischen Interesse; iiberdies kann von einem dogmatischen Standpunkt aus eine einheitliche Terminologi e nicht ausgemacht werden , und Mischformen - wie etwa die oben angesprochene Kategorie der systematisch-teleologischen Interpretationsmethode - gedeihen. 3.5.2. Argumentationsmuster im Rahmen teleologischer Interpretation
Zunachst wird der weitere Rahmen der teleologischen Auslegung von Monaco in Richtung eines effet utile des normes im Gegensatz zu einer Auslegung im Hinblick auf volkswirtschaftliche Ziele der Gemeinschaft gesteckt. F " Monaco hefurwortet eine Methode der dynamisch-teleologischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, welche sich jedoch ausschlieBlich an rechtli chen Gegebenheiten zu orientieren habe. Nach Ansicht von Grundmann entfaltet jedoch der EuGH selbst durch die Auslegung des EG-Vertrages im Sinne einer marktwirtschaftlichen Ordnung und der Sicherung des Wettbewerbs eine ordnungspolitische Roll e.303 N ach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht kann die Frage nach der ordnungspolitischen Rolle des EuGH sowohl dem Problemkomplex der teleologischen Interpretation als auch jenem der systematischen Interpretation zugeordnet werden. Eine Zuordnung zu letzterem Problemkomplex wiirde dem EuGH zumindest von einem dogmatischen Standpunkt die Aufgabe entziehen, Entscheidungen im wirtschaftspolitischen Bereich treffen zu miissen, D enn die marktwirtschaftlichen Parameter des EG-Vertrages haben bereits in den Arts. 2-10 EG, namlich dessen Grundsatzen, Niederschlag gefunden, so dass sich die Rechtsprechung auch auf die Anwendung und Auslegung dieser N ormen beschranken kann. 301 Maasch, Der EuGH und das Chaos, in K Schmidt/Schwark (Hg .), Unternehmen, Recht und Wirtschaftsordnung - Festschrift fur Peter Ra isch zum 70. Geburtstag (1995), 417 (423). 302 Mona co, Auslegungsgrundsarze des G erichtshofes - Les principes d' interpretation suivis p ar la Cour, in Zehn Jahr e Recht sprechung des Gerichtshofs der Eu rop aischen Gemein sch aften - Di x An s de Jurisprudence de la Cour de Ju st ice des Corn munautes Eu ro peenne s (=KSE 1), 177 (185). 303 Grundmann, Die Au slegun g des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerich tsh of (1997),3 36.
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Die Methode der teleologischen Interpretation weist vermutlich von samtlichen Interpretationsmethoden im Bereich des EG-Rechts die gro6te Verbreitung und Bedeutung auf. Zusatzlich zu den Schwierigkeiten - oder der praktischen Unmoglichkeit - systematische und teleologische Interpretation in dogmatisch befriedigender Weise abzugrenzen, erscheint die Methode der teleologischen Interpretation in zweifacher Weise unscharf: In der Literatur finden sich unterschiedliche begriffliche und konzeptuelle Ansatze, welche Inhalt und Umfang der teleologischen Interpretationsmethode bezeichnen.'?" Die teleologische Interpretationsmethode soll nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung als eine Interpretationsmethode verstanden werden, welche die von Bengoetxea als dynamic criteria ofinterpretation bezeichneten Interpretationsmuster urnfasst.F" Deren U rsprung und enge Definitionsvariante entspricht dem aus dem Volkerrecht entstammenden Grundsatz "ut res magis valeat quam pereat"306. Nach der Ansicht von Bengoetxea handelt es sich hierbei urn drei Arten von Argumentationsmustern: Das erste Argumentationsmuster ist ein funktionales, das der Auslegung nach effet utile gleichgesetzt werden soll. Einen Anwendungsfall der effet utile Interpretation nach Ansicht dieses Autors stellt die Rechtssache van Binsber-
304 Vgl. etwa Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 345ss: Dieser Autor weist die Interpretation eines gegebenen EG-rechtlichen Textes anhand der im Vertrag positivierten Ziele der teleologischen Interpretationsmethode zu. Weiters wird innerhalb der teleologischen Interpretationsmethode offenbar nach effet utile, effet necessatre und der - entsprechend der teleologischen Interpretarionsmethode des EuGH - spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Auspragung der Implied powers- Lehre. Craig und De Burca etwa weisen auf die unterschiedlich in diesem Zusammenhang angewendete Terminologie, wie instrumentalist, purposive oder teleological interpretation hin: Craig/De Burca, ED Law, 2nd ed. (1998),166. Bengoetxea subsumiert unter dynamic criteria drei Arten von Argumenten, namlich jene funktioneller Narur, jene teleologischer Natur und jene, die dieser Autor als consequentialist bezeichnet: Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice 1993, 253. Da die von Bengoetxea der teleologischen Interpretation gegebene Definition dieser Arbeit zugrunde gelegt werden soli, wird insbesondere auf die zuletzt genannte Kategorie unten eingegangen. 305 Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice (1993), 253 ff. 306 Mengozzi, European Community Law, 201; so auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997),341, der die volkerrechtliche Maxime des "ut res magis valeat quam pereat" der Auslegung nach effet utile zuordnet und diese als "fast deckungsgleich" bezeichnet. Die Auslegung nach effet utile soli nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung als Synonym zu teleologischer Interpretation verstanden werden.
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gen 307 dar. Das an den Lei stungserbringer geriehtete Erford ernis eines standigen Aufenthaltes in jenem Mitgliedstaat, in welchem ein Di enstleistungserbringer tatig werden mochte, wiirde naeh Ansicht d es EuGH Art. 49 EG "jeder Wirksamkeit berauben" . 308 Die vom EuGH verwendete Begriffliehkeit "jeder Wirksamkeit berauben" kann naeh dieser Ansieht mit - in positivem Sinne - den Erfordernissen des effe t utile der auszulegenden Vorschrift gleiehgesetzt werden. Eine w eitere Auspragung de s Grundsatzes des effet utile stellt naeh dieser Ansicht eine Interpretation nach den Notwendigkeiten und praktisehen Bediirfnissen der Organe der EG dar.309 In der Reehtssache Frankr eich, Italien und Vereinigtes Konigreicb/Kommissionr' ? etwa werden Offenlegungsvorschriften der Richtlinie iiber die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den offentlichen Unternehmen mit praktischen Bediirfnissen des Aufsichtorgans Europaische Kommission in Bezug auf staatliche Beihilfen fur erforderlich erachtet: "In Anbetracht der unterschiedlichen Formen der offentlichen Unternebmen in den verschiedenen M itgliedstaaten und den Verastelungen ihrer TCitigkeiten ist es unvermeidlich, dass auch ihre Jinanziellen Beziehungen zur oJJentlichen Hand sehr verschiedenartig, hauJig v ielschichtig und daher, auch bei Benutzung der oeroffe ntlicbten Informationsquellen, [. .. j, schwer zu iiberpriijen sind. Unter diesen Umstdnden kann der Kommission nicht das Bediirfnis abgesprochen w erden zu uersucben, durcb die Aufstellung einheitlicher Kriterien f ur aile Mitgliedstaaten undJur ailefr aglichen Unternehmen zusdtzlicbe Information en iiber diese Beziehungen zu erlangen. " 311 Te1eolo gische Argumentationsmuster umfassen nach der Ansicht von Bengoetxea die Bezugnahme auf positivierte Zie1e einer auszulegenden Norm. Es kann sich hierbei urn eine Norm des Sekundarrechts, jedoch auch urn den EGVcrtrag selber handeln.l' ? Die Interpretation einer streitigen Vorschrift anhand eines positivierten Zieles des EG-Vertrages wird jedoch nach der hier vertrctenen Ansicht der systematisch-teleologischen Interpretationsmethode zugerechnet. 307 EuGH Rs. 33/74 Johannes H ericus Maria van Binsbergen gegen Bestuur van de Bedri jfsvereniging voor de Met aalnijverheid, Slg. 1974, 1299. 308 EuGH Rs. 33/74 Johannes H ericus Maria van Binsbergen, Slg. 1974, 1299 (1309). 309 Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice (1993), 254. 310 EuGH Rs. 188 bis 190/80 Fr anz osische Republik, Italienische Republik und Vereinigres Konigreich GroBbritannien und N ordirland gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1982,2545. 311 EuGH Rs. 188 bis 190/80 Franzosische Republik, Italienische Republik und Vereinig tes Konigreich GroBbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1982,2545, (2576). 312 Bengoetxea, The Legal Int erp retation of the European C ourt of Justice (1993), 255.
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Jene Kategorie von Argumentationsmustern, welche von Bengoetxea als consequentialist criteria of interpretation bezeichnet werden, umfassen jene Argumente des EuGH, in welchen dieser a) Folgen einer zu treffenden oder nicht zu treffenden Entscheidung in anderen Bereichen als jenen des Rechts, etwa in Wirtschaft oder anderen Systemen, andeutet, und b) Folgen fur das EG-Rechtssystem oder die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bezeichnet. Die unterstiitzende Argumentation des EuGH sowie die zeitliche Begrenzung der Urteilswirkungen in der Rechtssache Defrenne JI313 stellt ein Beispiel fur dieses Argumentationsmuster dar. Der EuGH tragt bei der Begrenzung der Urteilswirkungen auf den Anlassfall, bereits geltend gemachte Anspruche sowie auf jene Anspriiche, die ab dem Tag der Urteilsverkiindung entstehen, sowohl der irrigen Rechtsansicht der Kommission Rechnung, welche den Mitgliedstaaten die Beibehaltung der EG-rechtwidrigen Rechtslage gestattet hatte, als auch privaten und staatlichen Interessen, welche durch eine Riickwirkung des Urteils Defrenne JI in starke Mitleidenschaft gezogen werden konnten.t'" 3.5.3. Bedeutende Anwendungsbereiche der teleologischen Interpretationsmethode
Auf Argumentationsmuster der teleologischen Interpretationsmethode beruhen zu einem gewichtigen Teil die Rechtsfiguren Vorrang und unmittelbare Anwendbarkeit im EG-Recht, sowie in der Rechtsprechung des EuGH gezeugte Figuren der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien und Staatshaftung im Gemeinschaftsrecht, und der vorlaufige Rechtsschutz des Unions burgers vor nationalen Gerichten.I" In der Entscheidung CostaiENEV16 wird etwa als unterstiitzendes Argument ein Argumentationsmuster funktioneller N atur nach dem effet utile oder der nutzlichen Wirkung der Vorschrift des Art.249 EG-Vertrag gebraucht:
"Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird auch durch Artikel189 bestdtigt; ihm zufolge ist die Verordnung " verbindlich " und " gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat". Dieser Bestimmung, die durch nichts eingescbrankt wird, ware ohne jede Bedeutung, wenn die Mitgliedstaaten sie durch Ge313 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455. 314 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne, Slg. 1976,455: "Bei dieser Sachlage ist festzustellen, dass angesichts der Unbekanntheit des Gesamtbetrages der in Betracht kommenden Entgelte zwingende Erwagungen der Rechtssicherheit, die sich aus der Gesamtheit der beteiligten 6ffentlichen und privaten Interessen ergeben, es grundsatzlich ausschlieGen, die Entgelte fur in der Vergangenheit liegende Zeitraume noch in Frage stellen zu lassen."
315 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996), 220. 316 EuGH Rs. 6/64 Flaminio Costa gegen E.N.E.L., Slg. 1964, 1251.
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Methoden und Grundlagen
setzgebungsakte, die den gemeinschaftsrechtlichen Normen vorgingen, einseitig ihrer Wirksamkeit berauben konnten. " 317 Die Interpretation einer EG-rechtlichen Vorschrift bzw. die Ausstatrung dieser Vorschrift mit Eigenschaften, die ihr eine "nutzliche Wirkung" oder effet utile verleihen, weist in Literatur und Rechtsprechung eine Reihe von Unscharfen auf: Nach Ansicht von Ipsen stellt der Grundsatz des effet utile zugleich eine Auslegungsregel und einen materiellrechtlichen Leitsatz dar.318 In der ersten von Ipsen gedachten Variante ist das so bezeichnete Prinzip der Sicherung der Punktionsfahigkeit der Gemeinschaft geeignet, in der nach dem Integrationsprinzip gebotenen, aus der Besonderheit der Vergemeinschaftung gerechtfertigten Weise Normen des EG-Rechts mit jenen Eigenschafren auszustatten, die sie fur eine sinnvolle und verniinftige Anwendung benotigen."? Eilmansberger weist mit Blick auf die Begriindung des Grundsatzes des effet utile in der Judikatur des EuGH nach, dass effet utile in seiner fruhen und urspriinglichen Form eine gewisse Mindestwirksamkeit gemeinschaftsrechtlicher Normen garantieren 5011. Dieser Ansatz wird in spareren Entscheidungen, insbesondere jenen zu Vorrang und unmittelbarer Wirkung des Gemeinschaftsrechts, zu einer Auslegungsmaxime, welchc die gro!hmogliche Wirksamkeit einer Norm begriinden SOll.320 Fur den Bereich der Rechtsfolgenbestimmung konstatiert jedoch Eilmansberger, dass auf der Grundlage beider Auspragungen des effet utile jedes mogliche Ergebnis denkbar ware, keines jedoch dogmatisch zwingend ableitbar und begriindbar sei.321 Zuleeg schlagt daher vor, den Grundsatz des effet utile als Grundsatz der Funktionsfahigkeit des Gemeinschaftsrechts zu begreifen, urn den nach Ansicht von Zuleeg a priori nicht feststellbaren "nutzlichen Zweck" der auszulegenden Vorschrift zunachst determinieren zu konnen und
317 EuGH Rs. 6/64 Flaminio Costa gegen E.N.E.L., Slg. 1964, 1251, (1270). Vgl. fur ein derselben Kategorie zuzuordnendes Argument EuGH Rs. 106/77 Staatliche Finanzverwaltung gegen S.p.A Simrnenthal, Slg. 1978,629 (644): "Die gleiche Auffassung (namlich Vorrang von Gerneinschaftsrecht) ergibt sich aus Sinn und Wesen des Artikel 177 des Vertrages, wonach jedes staatliche Gericht berechtigt ist, sich stets dann an den Gerichtshof zu wenden, wenn es eine Vorabentscheidung tiber eine Frage nach der Auslegung oder der Giiltigkeit des Gerneinschaftsrechts zum Erlass seines Urteils fur erforderlich halt. Die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung wiirde geschmalert, wenn es dem Gericht verwehrt ware, das Gemeinschaftsrecht nach Maflgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofes unrnittelbar anzuwenden." 318 Ipsen, Europaisches Gerneinschafrsrechr (1972), 280. 319 Ipsen, Europaisches Gemeinschaftsrechr, 280. 320 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht (1997), 49. 321 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht (1997), 49.
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
anschlieiiend auch tiber Anhaltspunkte auf der Ebene der Bestimmung der Rechtsfolgen zu verfiigen. 322 Ein den von Bengoetxea als consequentialist criteria bezeichneten Argumentationsmuster entspricht ein Argument, das seit der Rechtssache Costa/ENEL wiederholt Verwendung in der Rechtsprechung des EuGH gefunden hat:
"Die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten im Vertrag zur Griindung der Gemeinschaft eingegangen sind, waren keine unbedingten mehr, sondern nur noch eventuelle, wenn sie durch spdtere Gesetzgebungsakte der Signatarstaaten in Frage gestellt werden konnten. "323 Einen Sonderfall der teleologischen Auslegung stellt die gemeinschaftsrechtliche Begriffsbedeutung dar. Der Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und damit die EG-autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe stellen weitere Auspragungen der Auslegungsmethode des effet utile dar. 324 In der Rechtssache Reed325 bediente sich der EuGH etwa einer teleologisch-rechtvergleichenden Methode, urn eine EG-rechtlich einheitliche Auslegung des Begriffes "Ehegatte" herauszuarbeiten.V" N ach Ansicht von Pernice und Anweiler ist zusatzlich Ausfluss der teleologischen Interpretationsmethode, dass im EG-Vertrag normierte Ausnahmen von Vorschriften - einer der hauptsachlichen Anwendungsbereiche in der judikatur findet sich im Rahmen der Grundfreiheiten - taxativ aufzufassen sind und daruber hinaus eng auszulegen sind. 327 4. Ergebnisse
Aufgrund der bisherigen Judikatur des EuGH und aus den iiberwiegenden AuGerungen in der Literatur kann in Zusammenfassung gefolgert werden, dass der EuGH einen iiberaus engen Begriff der Lucke vertritt. Daraus ergibt sich eine weir aufgefasste und weithin ausgeiibte Befugnis des EuGH zur Rechtfortbildung, welche im Wesentlichen auf die Bestimmung des Art. 220 EG gestiitzt wird.
322 Zuleeg, Die Auslegung des europaischen Gemeinschaftsrecht, EuR 1969, 96 (101). 323 EuGH Rs. 6/64 Flaminio Costa gegen E.N.E.L., Slg. 1964,1251, (1270). 324 so auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 210; Dieser Autor gelangt jedoch zur Einordnung der gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbedeutung unter die Auslegungsmethode der Wortinterpreration. 325 EuGH Rs. 59/85 Niederlandischer Staat gegen Ann Florence Reed, Slg, 1986, 1283; R. White, A Round-up on Cases on Free Movement of Workers, ELR 1987, 147 (152). 326 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996), 240. 327 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996),231; Pernice, Kommentar zu Art. 164, in Grabitz/Hilf, EU-Kommentar, Rz. 26. 75
Methoden und Grundlagen
Dieser Ansicht des EuGH folgt die iiberwiegende Lehre: Nach Ansicht von Zweigert und Schwarze besitze der EuGH die Befugnis zur Abstraktion aus den hinter den nationalen Verfassungsordnungen stehenden gemeinsamen Wertvorstellungen der Mitgliedstaaten allgemeine Rechtsgrundsatze zu schopfen; deren genauer Inhalt konne der EuGH selbst unter Beriicksichtigung der Strukrur und der Ziele der Gemeinschaft im Wege einer quasi-normierenden F estlegung bestimmen.F" Schwarze begriindet diese Schlussfolgerung zunachst mit einer materiellen Kategorie von Argumenten, die sich als Effet utile-Argumente bezeichnen lassen: Im Gegensatz zu den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, welche iiber einen gesicherten Stand an Rechtsiiberzeugungen und Rechtsansichten verfiigen, ist das EG-Recht auf eine Erganzung bereits angelegt. Der Bestand an "abstrakten Festlegungen" durch den Gesetzgeber der Gemeinschaft reiche daher nicht aus, urn dem EuGH eine Entscheidung zu ermoglichen.V? Fiir die Zwecke dieser Arbeit ist daher zu fragen, ob die klassischen Auslcgungsmethoden des Gemeinschaftsrechts als argumentahnlich, i. e. als Elemente einer interpretatorischen Abwagungslosung zu verstehen sind oder ob EG-Recht iiber eine interpretatorische Vorrangregel verfiigt. Die Methode der Wortinterpretation genielit im Bereich des EG-Rechts eine nur eine geringe Bedeutung; nach Ansicht des EuGH selbst fallt unter die Auslegungsmethode der Wortinterpretation ebenso die grammatische Interpretation.P ? Die Auslegungsmethode der systematischen Interpretation nimmt im EGRecht eine grolie Bedeutung ein, da der EG-Vertrag nach Ansicht der hL blof tiber Plan und Grundsatze eines Rahmenvertrages verfiigt. P' Die Bedeutung der systematischen Interpretation wird wiederum mit der Anlage des Systems
328 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 237. 329 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im Europaischen Gemeinschaftsrecht (1976), 110 ff. 330 EuGH Rs. 4/68 Firma Schwarzwaldmilch GmbH gegen Einfuhr-und Vorratsstelle fur Fette, Slg. 1968, 561, (573): "Grammatisch betrachtet, bezieht die Vorschrift den Ausdruck "Maschinenschaden" zwar nicht notwendigerweise auf die von ihr ebenfalls erwahnten besonderen Schwierigkeitcn der Schifffahrt."; vgl. auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 194 mwN. 331 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 295; Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europaischen Gemeinschaft, RabelsZ 1986 193 (206); Bomer, Der rechtliche Nutzen logischer Fehler, oder: Die Richtlinien des EWGV, oder: Rechtsanwendung v. Rechtsetzung, in MusielakiSchurig, Festschrift fiir Gerhard Kegel (1987),57 (64); Danzer-Vanotti, Der Europaische Gerichtshof zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung, in Due/ Lutter/Schwarze, Festschrift fur Ulrich Everling 1995,205 (205).
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Auslegung im Gemeinschaftsrecht
des EG-Vertrags untermauert, welche einer Erganzung durch den Gerichtshof bedarf. 332 Als ersten Schritt im Rahmen der systematischen Interpretation ist der engere Zusammenhang der auszulegenden Vorschrift-" oder sedesv" zu betrachten. Der eng ere oder weitere Zusammenhang der auszulegenden Vorschrift kann im Vergleich zu dieser selbst (materia) einen hoheren Grad an Allgemeinheit aufweisen.P" Die vertrags- und rechtsgrundsatzkonforme Auslegung nimmt als Unterkategorie der systematischen Interpretation im Rahmen der Auslegungsmethoden des europaischen Gemeinschaftsrechts einen bedeutenden Platz ein. 336 Der Gerichtshof statuiert jedoch den Vorrang der teleologischen Interpretationsmethode nach effet utile vor der systematischen Interpretationsrnethode. Wahrend der Rekurs auf im EG-Vertrag niedergelegte Ziele im Rahmen dieser Arbeit als Anwendung der systematischen Interpretationsmethode aufgefasst wird, sind manche Autoren der Ansicht, dass es sich hierbei bereits urn teleologische Auslegung handle.P? Die Unterscheidung erscheint jedoch von geringem praktischen Interesse; von einem dogmatischen Standpunkt betrachtet kann eine einheitliche Terminologie nicht ausgemacht werden, und Mischformen - wie etwa die oben angesprochene Kategorie der systernatisch-teleologischen Interpretationsmethode - gedeihen. Die Methode der teleologischen Interpretation weist zusatzlich zu dem Vorrang vor anderen Interpretationsmethoden im Bereich des EG-Rechts die gro£he Verbreitung und Bedeutung auf. Zusatzlich zu den Schwierigkeiten oder der praktischen Unmoglichkeit - systematische und teleologische Interpretation in dogmatisch befriedigender Weise abzugrenzen, erscheint die Methode der teleologischen Interpretation unscharf: In der Literatur finden sich
332 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 295. 333 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschafrsrechts, 295. 334 Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice, 1993, 242: "The text under consideration (materia) can be a paragraph or a sentence of an article of a Community legal document, in which case its nearest wider context will be the section of the chapter in which it is placed, then the whole chapter, the title, the whole Treaty, or type of Community legislation - regulations, directives, decisions, etc. - including the preambles or annexes contained therein." 335 Bengoetxea, The Legal Reasoning of the European Court of Justice (1993), 242. 336 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997),337. 337 Maasch, Der EuGH und das Chaos, in K. Schmidt/Schwark (Hg.), Unternehmen, Recht und Wirtschaftsordnung - Festschrift fur Peter Raisch zum 70. Geburtstag (1995),417 (423).
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Methoden und Grundlagen
unterschiedliche begriffliche und konzeptuelle Ansatze, welche Inhalt und U mfang der teleologischen Interpretationsmethode bezeichnen.P" Die teleologische Interpretationsmethode soll nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung als eine Interpretationsmethode verstanden werden, welche die von Bengoetxea als dynamic criteria ofinterpretation bezeichneten Interpretationsmuster umfasst.P? Deren Ursprung und enge Definitionsvariante entspricht dem aus dem Volkerrecht entstammenden Grundsatz "ut res magis valeat quam pereat''r": Einen Sonderfall der teleologischen Auslegung stellt die gemeinschaftsrechtliche Begriffsbedeutung dar. Der Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und damit die EG-autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe stellen einen Ausfluss der Auslegungsmethode des effet utile dar. 341 In Ermangelung einer Vorrangregel sind die klassischen Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts argumentahnlich, i. e. als Elemente einer interpretatorischen Abwagungslosung zu verstehen. Dies griindet auf dem Befund, dass der Vorrang der teleologischen Interpretationsmethode vor der systematischen Interpretationsmethode seitens des EuGH in casu festgestellt wurde 338 Vgl. etwa Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 345ss: Dieser Autor weist die Interpretation eines gegebenen EG-rechtlichen Textes anhand der im Vertrag positivierten Ziele der teleologischen Interpretationsmethode zu, Weiters wird innerhalb der teleologischen Interpretationsmethode offenbar nach effet utile, effet necessaire und der - entsprechend der teleologischen Interpretationsmethode des EuGH - spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Auspragung der Implied powers-Lehre. Craig und De Burca etwa weisen auf die unterschiedlich in dies em Zusammenhang angewendete Terminologie, wie instrumentalist, purposive oder teleological interpretation hin: Craig/De Burca, EU Law, 2nd ed. (1998), 166. Bengoetxea subsumiert unter dynamic criteria drei Arten von Argumenten, namlich jene funktioneller Natur, jene teleologischer Natur und jene, die dieser Autor als consequentialist bezeichnet: Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice 1993, 253. Da die von Bengoetxea der teleologischen Interpretation gegebene Definition dieser Arbeit zugrunde gelegt werden solI, wird insbesondere auf die zuletzt genannte Kategorie unten eingegangen. 339 Bengoetxea, The Legal Interpretation of the European Court of Justice (1993), 253 ff. 340 Mengozzi, European Community Law, 201; so auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 341, der die volkerrechtliche Maxime des "ut res magis valeat quam pereat" der Auslegung nach effet utile zuordnet und diese als "fast deckungsgleich" bezeichnet. Dies Auslegung nach effet utile solI nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung als Synonym zu teleologischer Interpretation verstanden werden. 341 so auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europaischen Gerichtshof (1997), 210; Dieser Autor gelangt jedoch zur Einordnung der gemeinschaftsrechdichen Begriffsbedeutung unter die Auslegungsmethode der Wortinterpreration,
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und dem Gerichtshof somit die Auswahl zwischen diesen beiden - und anderen sowie Mischformen hiervon - Interpretationsmethoden obliegt. EG-Recht verfugt daher nicht iiber eine interpretatorische Vorrangregel. N ach nahezu iibereinstimmender Lehre und Rechtsprechung ist hingegen die subjektiv-historische Interpretationsmethode im EG-Recht nicht anzuwenden, da die Verhandlungsniederschriften zu den Gemeinschaftsvertragen nicht offentlich zuganglich sind. 342 Da nach der zutreffenden Ansicht von Zuleeg und Bernhardtt'? jene Materialien von der Auslegung auszuklammern sind, die nicht veroffentlicht sind, ist ein Ruckgriff auf eine - im Rahmen des Verifizierbaren - objektive Niederschrift des Verlaufs der Verhandlungen nicht moglich. Zwar liegen eine Reihe von Berichten mehr oder minder offizie11er Natur vor,344 eine Prufung der in dies en moglicherweise personlich gefarbten Angaben erweist sich jedoch nicht als rnoglich. A maiore ad minus ist daher aus systematischen Grunden die subjektiv-historische Interpretationsmethode auch zur Auslegung von Sekundarrecht nicht heranzuziehen, da bereits Primarrecht nicht historisch interpretiert werden darf. Eine Heranziehung der historischen Interpretation findet jedoch bei der Auslegung von Sekundarrecht in der Literatur uberwiegend Zustimmung.Y? 5. Schlussfolgerungen
Fur die vorliegende Arbeit so11 dem autonomistischen Ansatz innerhalb der Diskussion uber die vorn EuGH zu wahlenden Auslegungsmethoden beigepflichtet werden.r" nach der hier vertretenen Ansicht so11 die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ohne Riickgriff auf den Ursprung des EGRechts autonom aus Wortlaut, Ste11ung und Zwecke dieser Vorschrift aus dem Gemeinschaftsrecht selbst gewonnen werden.v'?
342 Zuleeg, Die Auslegung des Europaischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, 97, (101). 343 Bernhardt, Die Auslegung volkerrechrlicher Vertrage (1963), 31. 344 Vgl. fur einen Dberblick Trausch (Hg.), Die Anfange des Schuman-Plans 1950/51 - Beitrage des Kolloquiums in Aachen, 28.-30. Mai 1988, Baden-Baden - Milano - Paris Bruxelles 1988; sowie Trausch (Hg.), Die Europaische Integration vom Schuman-Plan bis zu den Vertragen von Rom - Beitrage des Kolloquiums im Luxemburg 17.-19. Mai 1989, (1993). 345 So etwa Kutscher, Dber den Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaften, EuR 1981, 392, (401). 346 Fur eine Darstellung des historischen Meinungsstreites vgl. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996), 76 ff. 347 So auch Nicolaysen, Der Gerichtshof - Funktion und Bewahrung der Judikative, EuR 1972,375 (381); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Europaischen Gerichtshofes (1996),80.
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Methoden und Grundlagen
Fur die Frage nach der Drinwirkung des Gemeinschaftsrechts erscheinen zwei Problempunkte von Bedeutung: Zunachst ist es augenscheinlich, dass in der Rechtsprechung des EuGH bereits fur die Interpretation der in Frage stehenden Norm - trotz des so staruierten Vorranges der teleologischen Interpretationsmethode - eine Kombination von Auslegungsregeln herangezogen wird. So beruht etwa das Dictum in der Rechtssache Van Gend en Laos sowohl auf durch die Anwendung der systematischen Interpretationsmethode als auch auf die Anwendung der teleologischen Interprctationsmethode zuriickzufiihrende Ansatze.P" Irn Rahmen dieser Fragestellung ist zu erortern, ob die "klassischen" Auslegungsmethoden349 im EG-Recht bereits aufgrund der Autonornie - oder der faktischen und rechtlichen Besonderheiten des Gemeinschaftsrecht - als "starker" oder "schwacher" zu qualifizieren sind. Aufgrund der Feststellung, dass systematische Interpretation zumindest im Einzelfall hinter teleologische Interpretation zuriicktreten muss, ist zu folgern, dass letztere als "starker" zu qualifizieren ist, Folglich ist fur die Erarbeitung eines Vorschlages fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten wesentlich auf teleologische Interpretation und auf systematische Interpretation zuruckzugreifen. SchlieGlich verbleibt fiir die Belange dieser Arbeit - namlich fur die Erorterung einer etwaigen Normenkollision zwischen Wettbewerbsrecht und dritrwirkender Grundfreiheit - eine kurze Definition der Normenkollision zu skizzieren. Diese soIl aus nationalem Recht iibernommen werden, da diese Definition keine spezifisch-nationalen Komponenten aufweist und daher fur die Anwendung im Rahmen des EG-Rechts geeignet erscheint. Nach Bydlinski liegt eine Antinomie dann vor, wenn fur denselben Sachverhalt durch zwei verschiedene Normen Rechtsfolgen angeordnet werden, die miteinander unvereinbar sind. Da zwei einander widersprechende Rechtsnormen in einer Rechtsordnung nicht gleichzeitig rechtens sein konnen, ist ein solches Ergebnis im Sinne einer abgrenzenden Losung so weit wie moglich zu vermeiden.P?
348 Bengoet xea, The Legal Reasoning of the European Court of Ju stice (1993), 251. Bengoetxea bezeichnet diese Ansatze als teleo-systemic criteria. 349 Fur eine Darlegung vgl. Bydlinski, jurisrische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auf!. (1991), 437. 350 Bydlinski, Juristische Methodenlchre, 463.
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II. Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH A. Unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes unter Privaten 1. Einfuhrende Bemerkungen und Fortgang der Arbeit
Die in dieser Arbeit zu analysierenden Entscheidungen sollen in zwei Kategorien eingeteilt werden; die eine Kategorie umfasst Drittwirkung von Grundfreiheiten gegenuber Privatpersonen, und die andere umfasst Drittwirkung von Grundfreiheiten gegeniiber interrnediaren Gewalten; letztere Kategorie soll als "koUektivistische Fallgruppe" bezeichnet werden. In dem nun folgenden Abschnitt soUen im Hinblick auf die materieU betroffenen Rechtsgebiete jene Entscheidungen des EuGH analysiert werden, die eine unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes in zwei seiner Auspragungen zum Gegenstand haben, namlich in seiner Auspragung als Grundsatz des gleichen Entgelts zwischen Mann und Frau, sowie als spezielle Auspragung als Verbot von Diskriminierung anhand der Staatsangehorigkeit im Rahmen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer. Dabei soUen die jeweiligen Vorentscheidungen, das Urteil des EuGH selbst und die Stimmen in der Literatur herangezogen werden. Fur die Zielsetzung dieser Arbeit dient das Kapitel Drittwirkung gegeniiber Privaten einer FeststeUung des status quo; fur die Problematik der Dritrwirkung der Grundfreiheiten soU der Frage nachgegangen werden, ob die zu Art. 141 EG ergangene Rechtsprechung auf das Konzept der Drittwirkung der Grundfreiheiten im AUgemeinen iibertragen werden kann. Falls dieser Befund auch nur grundsatalich zutreffen sollte, ist zu untersuchen, welche Voraussetzungen, Bedingungen und allfallige Prazisierungen der vorhandenen Rechtsprechung zu entnehmen sind.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
2. Drittwirkung von Artikel141 EG-Vertrag
2.1. Die Entscheidung Defrenne I 2.1.1. Sachverhalt
Frau Gabrielle Defrenne wurde 1951 von der Societe anonyme beige de navigation (Sabena) als Bordstewardess eingestellt, Ihr Arbeitsvertrag wurde 1968 gemaB Art. 5 des Arbeitsvertrages fiir Bordpersonal der Sabena beendet; laut Art. 5 des genannten Arbeitsvertrages sollten Frauen mit Erreichen des 40. Lebensjahres aus dem Bordpersonal (und daher auch dem Arbeitsverhaltnis zur Sabena) ausscheiden. Frau Defrenne wandte sich an den Conseil d'Etat Belgiens mit einer Klage auf Nichtigerklarung des Koniglichen Dekrets (Arrete Royal) vom 3. November 1969, welcher fur das Bordpersonal der Zivilluftfahrt Sondervorschriften iiber den Erwerb von Rentenanspriichen enthalt, Der Conseil d'Etat legte nun dem EuGH folgende Fragen: Ist eine Altersrente, die durch Beitrage von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und staatlichen Finanzzuschiissen an die Sozialversicherung finanziert wird, als Vergiitung zu betrachten, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhaltnisses bezahlt? Die zweite Frage betrifft die Zulassigkeit von unterschiedlichen Altersgrenzen fiir mannliches und weibliches Bordpersonal. Die dritte Frage bezieht sich auf den Begriff "gleiche Arbeit" - der Conseil d'Etat rnochte wissen, ob von mannlichern und weiblichem Bordpersonal geleistete Arbeit als "gleiche Arbeit" einzustufen ist. 2.1.2. Argumentation im Verfahren
In den Argumemen der Parteien und der weiteren Mitgliedstaaten, die in diesem Verfahren Erklarungen abgaben, wurde einhellig die von mannlichern und weiblichem Bordpersonal geleistete Arbeit als "gleiche Arbeit" eingestuft. Wesentlich erscheinen die Ausfiihrungen, die zu der ersten Frage gemacht wurden: Die Klagerin weist darauf hin, dass der Rechtsgrund der Rentenzahlung im Arbeitsvertrag begriindet sei, Beitrag und Rente sich nach der Hohe der Bezahlung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber rich ten; der Arrete Royal habe bloB einen Kollektivvertrag nach anwendbarem belgischen Recht in die Form einer allgemein anwendbaren Norm gegossen.P! Der belgische Staat schlagt weiters eine enge Auslegung des Begriffes "Entgelt" vor - danach .sei das Entgelt im Sinne von Art. 141 EG die fest zugesagte
und regelmaflige vertragliche Gegenleistung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer fur seine Arbeitsleistung zahle", Entscheidend sei ausschliefslich der rechtliche Zusammenhang zwischen der Zahlung und ihrem Empfang. 352
351 EuGH Rs. 80/ 70 Gabrielle Dcfrenne gegen Belgischen Staat, Slg. 1971,445, (448). 352 EuGH Rs. 80/70 Gabrielle Defrenne gegen Belgischen Staat, (449).
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Unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes unter Privaten
Kommission und Konigreich Belgien sind sich einig, dass Art. 141 EG keinen allgemeinen Gleichheitssatz fur Manner und Frauen aufstellen wiirde, der sich auf sarntliche vertraglichen oder gesetzlichen Bestimmungen beziehe, die das Arbeitsverhaltnis betreffen. Generalanwalt Dutheillet de Lamothe differenziert, vor das Problem einer Vielfalt von Altersrentensystemen in den Mitgliedstaaten gestellt, zwischen dem allgemeinen Altersrentensystem, das nach dem allgemeines Sozialerziehungssystem fur alle Erwerbstatigen gilt und gewissen Rentensystemen, die nur fur bestimmte Arbeitnehmer oder bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern gelten. Die erste Kategorie, so der Generalanwalt, sei vom Anwendungsbereich des Art. 141 EG ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer erhalte namlich die Leistung weder mittelbar noch unmittelbar aus seinem Dienstverhaltnis, sondern allgemein aufgrund seiner Erwerbstatigkeit, Des Weiteren fiihrt GA Dutheillet de Lamothe noch ein systematisches Argument an: Durch die Anwendung von Art. 141 EG auf Systeme der Sozialversicherung wiirde Art. 118 EG-Vertrag (nunmehr Art. 137 EG) in seinem Anwendungsbereich betrachtlich reduziert. In Bezug auf die zweite Kategorie schlieiit GA Dutheillet de Lamothe jene Ruhegelder in den Anwendungsbereich von Art. 141 EG-Vertrag ein, die dem Arbeitnehmer unmittelbar vom Arbeitgeber oder von einem von diesem gespeisten Fonds bezahlt werden. Ebenso seien zusatzlich Altersrenten zu betrachten, die von Tragern bezahlt werden, die fur einen oder mehrere Berufsstande zustandig sind. 2.1.3. Urteil des EuGH
In seinem Urteil folgt der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwaltes. Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Leistung, urn unter den Entgeltbegriff des Art. 141 EG zu fallen, dem Arbeitnehmer zumindest mittelbar oder unmittelbar aufgrund des Dienstverhaltnisses zukommen muss. Der EuGH formuliert obiter jedoch zunachst vorsichtig im Hinblick auf eine Subsumption von Renten und Pensionen unter den Entgeltsbegriff des Art. 141 EG:
.Hiernacb sind Vergiitungen, die ihrer Natur nach Leistungen der sozialen Sicherheit sind, grundsdtzlich nicht vom Entgeltbegriff auszuschlieflen
[...J". In dem Hauptteil dieser Aussage wird auf die Kategorisierung von Generalanwalt Dutheillet de Lamothe Bezug genommen:
,,[...Jjedoch konnen unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Sozialversicherungssysteme oder -leistungen, 83
Unm ittelbare Drittwirkung von EG -Primarrecht in der Jud ikatur des EuGH
insbesondere Altersrenten, die zwingend fu r ailgemein umschriebene Gruppen v on Arbeitnehmers gelten, nicht in den En tgeltb egriff einbezogen w erden, w ie er in Artikell19 begrenzt ist. " 353 D er Ausschluss von Leistungen aus Sozialversicherungssystemen wird mit der Finanzierung solcher Syst eme durch Arbeitnehmer, Arbeitgeber und staatlichen Zuschiissen begriindet; som it handle es sich nicht urn eine Vergiitung, die (auc h blof mittelbar) dem Arbeitnehmer aufgrund des Diensrverhaltnisses vom Arbeitgeber zukommt. Weiters stellt der EuGH fest, dass Anspriiche aus Soz ialversicherung sich weniger aus dem Dienstverhaltnis zu einem Arbeitgeber ergeben, sondern vielmehr aus sozialpolitischen Erwagungen. 2.1.4. Zwischenergebnis
D er EuGH nimmt in dem Urteil Defrenne I Altersrenten von dem Entgeltbegriff des Art. 141 EG aus. Der EuGH hat sich in dieser Auslegung einer Wortinterpretation (arg. Art. 141 Abs.2 EG: [...J .soune aile sonstigen Vergutungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhaltnisses dem A rbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.") bedient. Fiir sich alleine betrachtet erscheint der vom EuGH eingeschlagene Pfad der Wortinterpretation folgerichtig; bemerkenswert erscheint jedoch die AuBerachtlassung der vom Generalanwalt vorgeschlagenen systematische Interpretation unter Riickgriff auf den Anwendungsbereich des Art. 118 EG . Die folgende Argumentation, basierend auf systematischer Interpretation des Art. 141 EG, harte zu einem, argumentativ ebenso nach vollziehbaren, jedoch unterschiedlichen Ergebnis in der Rechtssache Defrenne I fiihren konnen: Denkbar ware auch, dass Leistungen, die von Systemen, die einer gemischten Finanzierung zwis chen Staat, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite unterliegen, letztlich "vom Arbeitgeber mittelbar aufgrund des Diensrverhaltnisses bezahlte Leisrungen" darstellen - schlieBlich ist die Hohe der Altersrente von der Aufnahme eines Dienstverhaltnisses, von der Hohe der von dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber einbezahlten Beitrage und damit wenigsten mittelbar von der Hohe des Lohns abhangig, den der Arbeitnehmer aufgrund des auf ihn anw endbaren Kollektivvertrages oder des Einzelarbeitsvertrages erhalt. 354 In einem solchen Falle waren Altersrenten von dem Entgeltbegriff des Art. 141 EG mit umfasst. Weiteren Aufschluss fur die Begriindung des Urteilsspruches vermag jedoch ein in der Urteilsbegriindung obiter verwendetes Argument zu geben: D er EuGH merkt an, dass Anspriiche aus gemischt finanzierten offentlichen Systemen von sozialpolitischen Erwagungen abhangen.
353 Eu G H Rs. 80/7 0 Gabrielle D efrenne gegen Be1gischen Staat, (448). 354 EuG H Rs. 80/7 0 Gabrielle De frenne gegen Be1gischen Staat, (449).
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Unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes unter Privaten
Die Ausgestaltung der Systeme der Sozialversicherung wiederum befindet sich, wie Art. 137 EG erschlieisen lasst, in der ausschlielilichen Kompetenz der Mitgliedstaaten, Davon ausgenommen sind allerdings mittlerweile Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern iiber die in Art. 137 EG genannten Materien. Zu der auf die Rechtssache Defrenne I anwendbaren Rechtslage ist jedoch festzustellen, dass diese Ausnahmebestimmung nicht Bestandteil des damals in Geltung stehenden Art. 118 EG war. Schlielilich zeigt sich bereits in Defrenne I einer der grundsarzlichen Problembereiche in Bezug auf die Anwendbarkeit und die Drittwirkung des Art. 141 EG: Ein auf kollektivvertraglicher Regelung basierendes System uber Rentenzahlung wird in das staatliche System der sozialen Sicherheit integriert, fallt aus dem Anwendungsbereich der Regelung iiber gleiches Entgelt fur gleiche Arbeit in Art. 141 EG heraus und wird damit potentiell gemeinschaftsrechtlich immunisiert.V" 2.2. Die Entscheidung Defrenne II 2.2.1. Sachverhalt
Die Entscheidung in Defrenne II356 erging im ersten von Frau Defrenne angestrengten Verfahren: Die Klagerin forderte vor dem Arbeitsgericht Briissel Ersatz des Schadens, der ihr hinsichtlich ihres Arbeitsentgeltes, der Abfindung und der Rente im Vergleich mit mannlichern Bordpersonal entstanden war. Das vorlegende Gericht legte dem EuGH zwei Fragen nach der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 119 EG vor. Das vorlegende Gericht betonte auch, dass es sich hierbei nach seiner rechtlichen Beurteilung urn einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handle. 2.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwalts
N ach Ansicht der Klagerin handle es sich bei Art. 141 urn eine klare und unzweideutige Verpflichtung; die Mitgliedstaaten wiirden der Verpflichtung unterliegen, den Grundsatz der Gleichheit des Arbeitsentgelts zu wahren. Die Mitgliedstaaten verfiigten iiber keinen Ermessensspielraum zur Verwirklichung der Gleichheit des Entgelts. Uberdies sei Art. 141 EG als Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu verstehen.
355 Schlieiilich sah die zu dem relevanten Zeitpunkt anwendbare Rechtslage eine Ausnahmebestimmung vor. 356 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Dass Art. 141 EG an die Mitgliedstaaten gerichtet sei, schlieise die Ableitung von Rechten Einzelner nicht aus. Daher seien die aus Art. 141 abzuleitenden Verpflichtungen gegemiber jedermann unmittelbar anwendbar.I" Die am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten vertreten im Grundsatz, dass Art. 141 EG nicht den Anforderungen der Klarheit und Prazision geniige, welche in der Rechtsprechung des EuGH fur die unmittelbare Anwendbarkeit einer Regelung aufgestellt werden. Insbesondere weise der Gebrauch des sprachlichen Ausdrucks "Grundsatz" auf einen sehr weiten Begriff hin. Ebenso seien die Ausdriicke "Entgelt" und "alle sonstigen Vergutungen, die
der Arbeitgeber aufgrund des Dienstuerbaltnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt" in hohem Maiie auslegungsbediirftig. Fur die Verwirklichung dieses Grundsatzes seien daher gesetzgeberische Akte der Gemeinschaft vonnoten, Die iibrigen zwei Argumente, die von Seiten der Mitgliedstaaten vorgebracht werden, sind iiberwiegend im rechtspolitischen Bereich zu situieren: Wenn namlich Art. 141 EG unmittelbare Geltung zuerkannt werde, wiirden sich nachteilige Folgen, namlich Unsicherheit und Verwirrung bei Norrnenkonflikten zwischen EG-Recht und nationalem Recht ergeben, da letzteres riickwirkend in Frage gestellt werde. Des Weiteren wiirde eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 141 EG die Arbeitgeber in manchen Mitgliedstaaten empfindlich treffen und die Volkswirtschaften dieser Mitgliedstaaten in Mitleidenschaft ziehen.I" Generalanwalt Trabucchi schlielst sich in seinem Schlussantrag hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung des Art. 141 EG der Argumentation der Klagerin an. N ach Ansicht des Generalanwaltes wird die unmittelbare Wirkung einer Norm nicht dadurch ausgeschlossen, dass manche ihrer Bestimmungen auslegungsbedurftig sind - der innerstaatliche Richter, der mit einer solchen Frage konfrontiert werde, konne sich bei Auslegungsschwierigkeiten des Vorlageverfahrens nach Art. 177 EG bedienen. In einem nachsten Argumentationsschritt befasst sich der Generalanwalt mit der Frage nach dem Normadressaten des Art. 141 EG. Nach Ansicht von Generalanwalt Trabucchi bedeute die aus Art. 141 EG erfliefsende Verpflichtung zur Sicherstellung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher Arbeit nicht notwendigerweise, dass die Mitgliedstaaten alleinige N ormadressaten sind. Der Generalanwalt bezeichnet die Ermittlung des N ormadressaten nicht in der hier verwendeten Begrifflichkeit, schlagt jedoch in der Ermittlung des Adressatenkreises des Art. 141 EG folgenden Weg ein: Art. 141 EG betrifft 357 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455 (460). 358 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, (460).
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Unmittelbare Dr ittwirkung des Diskriminierungsverbotes unter Privaten
mat eriel! "in erster Linie Rechtsbeziehungen z wischen Priuatpersonen" .359 Trabucchi raurnt ein, dass Art. 141 EG - wahl ebenfal!s auf inhaltlicher Ebene .lm Gegensatz zu den anderen Vertragsartikeln" stehe, denen der EuGH unmittelbare Wirkung eingeraumt habe. Letztere wiirden, wiederum von einem inhaltlichen Standpunkt betrachtet, eine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und dem Burger beinhaIten. Weil aber der Staat, so Trabucchi, blog an der Festsetzung des EntgeIts im a ffent lichen Sektor beteiligt sci, wiirde die Anwendung der Vorschrift de s Art. 141 EG ausschlielilich zugunsten offentlicher Bedienstcter eine Diskriminicrung von Arbeitnehmerinncn im pri vaten Sektor bedeuten. Die Determinicrung des Adrcssatenkreises der Norm als "Staat" (und seine Untergliederungen) wiirde nach Ansicht vo n Trabucchi unerwiinschre Diskriminierungen nach sich ziehen. Von diesem ergebnisorientierten Blickpunkt aus unterlasst es Trabucchi, dem EuGH eine Losung vorzuschlagen, die die Beklagte als staatliches Unternehmen qualifizieren wiirde und damit dem "Staat" zu o rdn en wii rde. Er merkt an, dass die Rechtsnatur der Sabena und ihre Beziehungen zum belgischen Staat daher "unerheblich" seien .360 N achdem Trabucchi den eine n Argumentationsstrang nunmehr in Hinsicht auf sein praktisches Ergebnis ad absurdum gefiihrt hat, wird da s Problem des Kr eises des Normadressaten erneut aufgegriffen: .E rinnern w ir un s [ern er da ran, dass nach stdndiger un d tuoblbek an nter R echtsprechung des Gerichtshofes auch allein an die Staaten gerichtete Norm en unter bestimmten Voraussetz ungen geeignet sind, R echte v on Privatpersonen zu begricnden, di e die innerstaatlich en Gericbte w ahren konnen und miissen :" Trabu cchi fallt dcnn auch in der Fol ge die in diesem Schlussantrag entscheidende Aussage: .E ntscbeidend es Kriterium, urn z u leldren, w elche Wirkungen eine Gemeinschaftsnorm im innerstaatlichen Recht erzeugt, sind nicht die in der Norm bezeichneten Adressaten, son dern ist die R echtsnatur der Norm, die der Ge richtshof unter Berufung auf, Geist, System und Wortlaut' der Best immung selbst auslegt ." 361
359 EuGH Rs, 43/ 75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena , Schlu ssanrrag GA Trabucchi, 488. 360 EuG H Rs. 43/75 Gabrielle Defrenn e gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Schlu ssanrrag GA Trab ucchi, 488. 361 EuGH Rs. 43/ 75 Gabrielle De frenne gegen Societe anonyme beige de navig ation aerienne Sabena , Schlu ssanrrag GA Trabucchi, 488/4 89.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Trabucchi stellt nun fest, dass Zweck des Art. 141 EG die Beseitigung jeglicher Diskriminierung zwischen Mannern und Frauen bei Leistung gleicher Arbeit bei der Festsetzung von Lehnen und Gehaltern sei; davon seien sowohl jene Diskriminierungen umfasst, die sich aus Gesetzen oder Verordnungen der Mitgliedstaaten ergeben, als auch jene, die ihren Ursprung in Tarifvertragen oder individuellen Arbeitsvertragen haben. Daraus folge, dass eine umfassende Pflicht zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes bestehe, "sof ern der Normbefehl genugend konkret und in seiner Tragweite bestimmt ist, um gegeniiber Dritten w irk en zu konnen".362 An dieser Stelle seiner Argumentation zieht GA Trabucchi eine Analogie zu dem Urteilstenor in Walrave 363; Art. 39 und 49 EG wiirden nicht nur Diskriminierungen verbieten, die ihren Ursprung in Akten staatlicher Behorden haben, sondern auch .sonstige Maflnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich entbalten, "364 Im nachsten logischen Schritt baut Trabucchi ein Parallel argument ad absurdum, das ebenso ergebnisorientiert ist wie das vorhergehende. Das Parallelargument schafft eine weitcre logische Verbindung zwischen dem Urteilstenor in Walrave und dem Schlussantrag in Defrenne II. Die Verwirklichung der Ziele des Vertrages ware ernsthaft gefahrdet, "wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihren Wirkungen aufgehoben w urde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten ." Unmittelbar wird jedoch angeschlossen, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts im Gegensatz zu der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer nicht zu den Grundsatzen des Venrages gehort. 365 Hierzu erscheinen zwei Anmerkungen am Platze: Zum cinen erachtet GA Trabucchi den Grundsatz des gleichen Entgelts fur gleiche oder gleichwertige Arbeit als nicht zu den grundsatzlichen Bestimmungen des EG-Vertrages gehorig, wiewohl dieser Grundsatz von ihm selbst als "Gleichheitsgrundsatz" bezeichnet wird. Zu den grundsatzlichen Bestimmungen des EG-Vertrages zahlen nach Ansicht von Trabucchi blof die Grundfreiheiten. Zum anderen wird mit dem Riickgriff auf Walrave und damit auf den kollektivistischen Strang der Rechtsprechung zur Drittwirkung der Grundfrei362 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beIge de navigation aerienne Sabena, Schlussantrag GA Trabucchi, 489. 363 EuGH Rs, 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405, vgl. S. 114. 364 EuGH Rs. 36/ 74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405 (1419). 365 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle De frenne gegen Societe anonym e beige de navigation aerienne Sabena, Schlussantrag GA Trabucchi, 488/489.
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heiten blof der Kreis der Normadressaten von "Staat" urn "privatrechtliche
Vereinigungen oder Einrichtungen, die kraft ihrer rechtlichen Autonomie [. . .} Hindernisse aufrichten" konnen, erweitert. Damit wird jedoch nicht notwendigerweise der Kreis der Normadressaten auf Privatpersonen ausgedehnt. Da der Generalanwalt in seinem Schlussantrag auf der kollektivistischen Fallgruppe aufbaut und eine unmittelbare Dritrwirkung des Art. 141 EG gegeniiber Privaten nicht ins Auge fasst, waren nach dieser Argumentation nicht einer kollektivvertraglichen Lohnvereinbarung unterliegende Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nicht der Drittwirkung von Art. 141 EG unterworfen. In seinem Schlussantrag beantragt GA Trabucchi dennoch, dass Art. 141 unmittelbar anwendbar sein solIe und samtlichen Rechtsunterworfenen unmittelbar Rechte verleihen konne, welche die innerstaatlichen Gerichte zu wahren haben. Das Konzept des Normadressaten - oder "Rechtsunterworfenen" - wird dennoch den oben getatigten Ausfuhrungen folgend zu definieren sem, 2.2.3. Urteil Der EuGH kundigt zunachst an, welche Interpretationsmethoden er bei der Bestimmung der Anwendbarkeit und des Adressatenkreises des Art. 141 EG anzuwenden sind; der EuGH lehnt es ab, eine Trennung zwischen dies en Problembereichen vorzunehmen:
"Bei der Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Geltung von Artikel119 ist auf das Wesen des Grundsatzes des gleichen Entgelts, auf das Ziel dieser Bestimmung und auf ihren Platz im System des Vertrages abzustellen."366 Der Gerichtshof statuiert somit fur den vorliegenden Fall den Vorrang der teleologischen Interpretationsmethode nach effet utile vor der systematischen Interpretationsmethode. Der EuGH fahrt fort mit der Ermittlung des Zweckes des Art. 141 EG zum einen solI Staaten, welche den Grundsatz des gleichen Entgelts fur gleiche Arbeit bereits verwirklicht haben, kein Wettbewerbsnachteil entstehen. Zum anderen diene diese Bestimmung dem sozialen Fortschritt, dem sich die Mitgliedstaaten in der Praambel des EG-Vertrages verschrieben haben. Aus dieser doppelten wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzung folge, so der EuGH in Abweichung zu GA Trabucchi, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts fur Manner und Frauen zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehore.
366 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, (472), Rz. 7.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Anschlieisend beriicksichtigt der EuGH den von Seiten der Mitgliedstaaten vorgebrachten Einwand gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 141 EG, namlich den Bedarf nach Auslegung der Begriffe "Entgelt", "gleiche Arbeit" und "gleichwertige Arbeit", Der Gerichtshof unterscheidet nunmehr zwischen unmittelbaren (offenen) Diskriminierungen, die sich bereits anhand der oben genannten Begriffe feststellen lassen, und mittelbaren (versteckten) Diskrirninierungen, die erst nach Ergehen entsprechender Durchfiihrungsvorschriften festgestellt werden konnen, Zumindest in Fallen unmittelbarer Diskriminierung sei es nach Ansicht des EuGH dem nationalen Gericht moglich, das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Merkmals "gleiches Entgelt" und "gleiche oder gleichwertige Arbeit" zu eruieren. Daher sei Art. 141 EG zunachst fur Falle unmittelbarer Diskriminierung unmittelbar anwendbar.t'" Nachdem der EuGH nunmehr die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 141 EG auf Palle unmittelbarer Diskriminierung festgestellt hat, versucht der Gerichtshof im Verfahren vorgebrachte Gegenargumente zu entkraften: Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit konne nicht die Verwendung des Begriffes "Grundsatz" vorgebracht werden, da dieser Ausdruck "nach dem Sprachgebrauch des EG dazu diene, bestimmte Vorschriften als grundlegende Bestimmungen zu bezeichnen."368 An dieser Stelle fiihrt der EuGH methodisch Wortinterpretation als Interpretationsrnethode ein und untermauert das so gefundene Ergebnis mit einem Argument ad absurdum - wiirde man den Begriff "Grundsatz" als bloiie Zielbestimmung verstehen, die keiner unmittelbaren Anwendung fahig ist, wiirden mittelbar die Grundlagen der Gemeinschaft gefahrdet, Unmittelbar anschlieliend widmet sich der Gerichtshof dem Adressatenkreis des Art. 141 EG: Der EuGH ubernimmt zunachst die von GA Trabucchi angefiihrte Aussage, dass namlich eine Norm, die sich an Mitgliedstaaten wendet, auch Privatpersonen Rechte verleihen konne, Entscheidend fur die Determinierung des Adressatenkreises der Norm sei somit die Unbedingtheit der auferlegten Verpflichtung:
"Schon dem Wort/aut von Artikel 119 ist zu entnehmen, dass dieser den Staaten eine Ergebnispf/icht auferlegt, die zwingend innerhalb einer bestimmten Frist zu erfiillen war. Diese Bestimmung darf in ihrer Wirksamkeit nicht dadurch beeintrdchtigt werden, dass einige Mitgliedstaaten die ihnen vom Vertrag auferlegte Verpflichtung nicht erfiillt haben und dass
367 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455. 368 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrcnne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, 455 (475).
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die Gemeinschaftsorgane gegen diese Untdtigkeit nicht mit der erjorderlichen Schdrfe eingeschritten sind."369 Von der Unbedingtheit der auferlegten Verpflichtung wird daher geschlossen, dass Art. 141 EG in seinem Adressatenkreis die Mitgliedstaaten, Tarifvertragspartner und Privatpersonen umfasst.V? Daher konnen sich, so der EuGH, Betroffene vor innerstaatlichen Gerichten unmittelbar auf Art. 141 EG berufen. Die zeitliche Urteilswirkung wird auf den Anlassfall und all jene ausgedehnt, die ihre Rechte im Klagswege bereits geltend gemacht haben. 2.3. Defrenne III und Foigerechtsprechung im Oberblick Die Rechtssache Defrenne III besitzt wenig Relevanz fur das hier angeschnittene Problem der Drittwirkung des Art. 141 EG; dennoch soll diese Rechtssache im Dberblick erortert werden, da die letztlich enge Auslegung des materiellen Anwendungsbereiches des Art. 141 EG rechtspolitisch als Abtausch fur die Erstreckung des Kreises der N ormadressaten des Art. 141 EG verstanden werden kann. In der Rechtssache Defrenne 1113 71 wendete sich die Klagerin gegen eine in Arbeitsvertriigen von Stewardessen aufgenommene Klausel, welche die Beendigung des Arbeitsvertrages vorsieht, wenn die betroffene Stewardess das vierzigste Lebensjahr erreicht. Eine gleichartige Klausel findet sich in den Arbeitsvertriigen mannlicher Stewards nicht. Ein derartiger U nterschied fiihre zu einer Lohndiskriminierung, zu einem unterschiedlichen Auszahlungszeitpunkt von Abfertigungen und zu Nachteilen bei Rentenzahlung fur weibliche Arbeitnehmer.V? Der EuGH nimmt in diesem Urteil zunachst eine systematische Interpretation der Art. 136 ff EG vor. Der Geltungsbereich des Art. 141 EG sei im Rahmen der Sozialvorschriften des Vertrages zu bestimmen. Arbeits- und Beschaftigungsbedingungen werden, so der EuGH, in den Art. 136 und 137 EG geregelt; diese Bestimmungen erfordern eine Abstimmung der Sozialordnungen der Mitgliedstaaten und eine Angleichung der einschliigigen Rechtsvorschriften dieser Staaten. Der Gerichtshof fahrt fort:
369 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, 455 (476). 370 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aeriennc Sabena, 455 (478). 371 EuGH Rs. Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Sig. 1978, 1365. 372 EuGH Rs. Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, 1365 (1369).
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[...JSonach kann die Tragw eite dieses A rtik els nicht aufandere Aspekte des Beschiijtigungsoerhdltnisses als diejenigen erstreckt werden, auf die er sich ausdrucklich bezieht. Insb esondere ist die Tatsache, dass die A ufstellung bestimmter Beschaftigungsbedingungen - w ie die Festsetz ung einer bestimmten Altergrenze - fin anzi elle A uswirk ungen haben kann, ke in hinreichender Grund dafur, diese Bedingungen in den Gelt ungsbe reich des Artikels 119 f allen zu lassen, der auf dem engen Zusammenhang zwis chen der A rt der A rbeitsleistung und der H iibe des Arbeitsentgeltes beruht. Der Wort/aut des Art. 119 darf daher nicht so w eit ausgedehnt werden ... [... ]373 Bcmerkenswert ist an diesem tragenden Urteilsgrund, da ss zunachst wieder u m auf eine Wortinterpretation zuriickgegriffen wird, obwohl gerade diese Interpretationsmethode in der Rechtssache Defrenne II fur die Bestimmung des Kreises der Normadressaten keine Anwendung gefunden hat. Das daran anschliefsende Argument wird jedoch aus einer systernatischcn Interpretation gcwonnen, namlich aus der Norwendigkeit, den iibrigen Vorschriften in dem Kapitel Sozialvorschriften einen Anwendungsbereich zu bcwahren. Eine enge Auslegung des materiellen Anwendungsbereiches des Art. 141 EG erscheint m. E. bereits nach dem Wortlaut der in Fragc stehenden Vorschrift nicht zwingend. Bei Anwendung der systematischen Interpretationsm ethode verbliebe den vorn EuGH zitierten Bestimmungcn durchaus ein entsprechender Anwendungsbercich: D ie Normierung vo n Arbeitsbedingungen ist blof einer der Anwendungsbereiche de s Art. 137 EG; zusatzlich konnte die friihzeitige Beendigung des Arbeitsvertrages und die daraus erflielienden (betrachtlichen) finanziellen Konsequenzen ebenso unter " Entgelt " im Sinne des Art. 141 subsumiert werden. Daher kann gefolgert w erd en , dass eine enge Fassung des materiellen Anw end ung sb ereich es des Art. 141 EG in einem eng en Zusammenhang mit der Erstreckung des Adressatenkreises der Norm auf sarntliche natiirliche und juristische Personen zu betrachten ist. Aus dem Wortlaut oder der systematischen Stellung des Art. 141 EG im Rahmen des Kapitels iiber Sozialvorschriften ergeht eine soIehe Ausweitung des Kreises der N ormadressaten jedoch nicht,
2.4. Ergebnisse Ein erster Ansatz der Rechtsprcchung vertritt Drittwirkung fur Art. 141 EG und statuiert die Anwendbarkeit des Gebots des gleichen Entgeltes fur Manner und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.V" Die in der Entschei-
373 EuGH Rs. Gabrielle De frenne gegen Societe anony me beige de navigation aerienne Sabena, 1365 (1378). 374 EuGH Rs. 43/ 75 Gabrielle D efrenne gegen Societe ano ny me beIge de navigation aerienne Sabena, 455, (474).
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[...JSonach kann die Tragw eite dieses A rtik els nicht aufandere Aspekte des Beschiijtigungsoerhdltnisses als diejenigen erstreckt werden, auf die er sich ausdrucklich bezieht. Insb esondere ist die Tatsache, dass die A ufstellung bestimmter Beschaftigungsbedingungen - w ie die Festsetz ung einer bestimmten Altergrenze - fin anzi elle A uswirk ungen haben kann, ke in hinreichender Grund dafur, diese Bedingungen in den Gelt ungsbe reich des Artikels 119 f allen zu lassen, der auf dem engen Zusammenhang zwis chen der A rt der A rbeitsleistung und der H iibe des Arbeitsentgeltes beruht. Der Wort/aut des Art. 119 darf daher nicht so w eit ausgedehnt werden ... [... ]373 Bcmerkenswert ist an diesem tragenden Urteilsgrund, da ss zunachst wieder u m auf eine Wortinterpretation zuriickgegriffen wird, obwohl gerade diese Interpretationsmethode in der Rechtssache Defrenne II fur die Bestimmung des Kreises der Normadressaten keine Anwendung gefunden hat. Das daran anschliefsende Argument wird jedoch aus einer systernatischcn Interpretation gcwonnen, namlich aus der Norwendigkeit, den iibrigen Vorschriften in dem Kapitel Sozialvorschriften einen Anwendungsbereich zu bcwahren. Eine enge Auslegung des materiellen Anwendungsbereiches des Art. 141 EG erscheint m. E. bereits nach dem Wortlaut der in Fragc stehenden Vorschrift nicht zwingend. Bei Anwendung der systematischen Interpretationsm ethode verbliebe den vorn EuGH zitierten Bestimmungcn durchaus ein entsprechender Anwendungsbercich: D ie Normierung vo n Arbeitsbedingungen ist blof einer der Anwendungsbereiche de s Art. 137 EG; zusatzlich konnte die friihzeitige Beendigung des Arbeitsvertrages und die daraus erflielienden (betrachtlichen) finanziellen Konsequenzen ebenso unter " Entgelt " im Sinne des Art. 141 subsumiert werden. Daher kann gefolgert w erd en , dass eine enge Fassung des materiellen Anw end ung sb ereich es des Art. 141 EG in einem eng en Zusammenhang mit der Erstreckung des Adressatenkreises der Norm auf sarntliche natiirliche und juristische Personen zu betrachten ist. Aus dem Wortlaut oder der systematischen Stellung des Art. 141 EG im Rahmen des Kapitels iiber Sozialvorschriften ergeht eine soIehe Ausweitung des Kreises der N ormadressaten jedoch nicht,
2.4. Ergebnisse Ein erster Ansatz der Rechtsprcchung vertritt Drittwirkung fur Art. 141 EG und statuiert die Anwendbarkeit des Gebots des gleichen Entgeltes fur Manner und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.V" Die in der Entschei-
373 EuGH Rs. Gabrielle De frenne gegen Societe anony me beige de navigation aerienne Sabena, 1365 (1378). 374 EuGH Rs. 43/ 75 Gabrielle D efrenne gegen Societe ano ny me beIge de navigation aerienne Sabena, 455, (474).
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dung Defrenne verwendete Argumentation fur die unmittelbare, horizontale Anwendbarkeit des seinem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten gerichteten Art. 141 EG baut formal auf der Notwendigkeit der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtsv" - eine ausschlieislich an die Mitgliedstaaten gerichtete Verpflichtung zur Wahrung des Grundsatzes des gleichen Entgelts fur Manner und Frauen erfasse blof den offentlichen Sektor, wahrend die weit uberwiegende Anzahl der Arbeitnehmerinnen im privaten Sektor beschaftigt sei - und der einheitlichen Anwendung des Vertrages auf376. Aus dieser doppelten wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzung folge, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts fur Manner und Frauen zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehore. Von der Unbedingtheit der auferlegten Verpflichtung wird im Weiteren geschlossen, dass Art. 141 EG-Vertrag in seinem Adressatenkreis die Mitgliedstaaten, Tarifvertragspartner und Privatpersonen umfasst."" So sollen nach Ansicht des EuGH jene Mitgliedstaaten, die iiber eine Sozialgesetzgebung verfiigen, die weiblichen Arbeitskraften gleichen Lohn fur gleiche oder gleichwertige Arbeit gewahrt, nicht im innergemeinschaftlichen Wettbewerb benachteiligt werden. Schliefslich wiirde eine Anwendeng des Gebots der Lohngleichheit auf den offentlichen Dienst alleine erst recht zu Ungleichheiten in der Anwendung des Art. 141 EG im Anwendungsbereich des EG-Vertrages fiihren, da einige MS iiber einen zahlenmaisig bedeutenderen offentlichen Sektor verfiigen als andere. 378 Dieser Gedanke kann naturgernaf wiederum auf die Anwendung auf unterschiedliche Transfersysteme innerhalb der Gemeinschaft iibertragen werden.F?
375 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, 455, (473; vgl. dazu Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten (2000),97. 376 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455, (473). EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405, (1419); EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-5040, (1-5066). 377 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, 455 (478). 378 So auch StreinzlLeible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000,459 (462). 379 EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste 1nternationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405, (1419); EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-5040, (I -5066).
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Zusatzlich wird ein weiteres Argument fur die unmittelbare Drittwirkung des Art. 141 EG ins Tr eHen gefu hrt: Ebenso wie di e Grundfreiheiten stelle Art. 141 EG eine der Grundlagen der Gemeinschaft dar.380 Die Besprechungen der U rteile Defrenne lund Defrenne I I in der Literarur setzen unterschiedliche Schwerpunkte: So betonen manche Autoren d ie eingeschrankte zeitliche Urteilswirkung des Urteils Defrenne II; die Kommission habe den Mitgliedstaaten eine (im Nachhinein) unrichtige Re ch tsauHassung mitgeteilt; die wirtschaftlichen Konsequenzen, die sich insbesondere aus dem Urteil Defrenne II ergeben, rechtfertigen eine blof zukiinftige unmittelbare Anwendbarkeit des Grundsatzes d es gleichen Entgelts fur M anner und Frauen; schliefslich wiirde es der allgemeine Rechtsgrundsatz der Rechtssicherheit ("legal certainty" und "vested rights") ebenso erfordern, eine blof prospektive Anwendung dieses Grundsatzes zu norrnieren.V' Neville Brown weist in sein er Urteilsbesprechung auf eine, fur die folgende Argumentation wesentliche Judikaturentwicklung hin: In Defrenne I statuiere d er EuGH blog eine vertikale unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 141 EG, wie wohl der Gerichtshof aufgrund der vorliegenden juristischen Argumente eine andere Entscheidung harte treHen konnen, In Defrenne II werde horizontale unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 141 EG festgelegt.382 Louis wiederum betont, da ss das Urteil Defrenne II durchaus auch als Entscheidung zu den Grundrechten in der Gemeinschaft aufgefasst werden konnte, obwohl der Autor einraumt, dass sich in dem Urteil k eine Erwahnung d es von Klagerseite vorgebrachten Arguments findet, d ass die Lohngleichheit ein Bestandteil des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes sei. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sci wiederum als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts zu verstehe n.V' Van Gerven konstatiert in dem Urteil Defrenne II einen Fall von richterlich er Rechtsfortbildung und schlagt vor, dieser Rechtsschopfung Gesetzlich-
380 Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten (2000) 96. 381 Wyatt, Prospective Holding of D irect Applicability, ELR 1976,399 (400); so auch im wesentlichen Crisham, The dir ect effects of Article 119, CMLR 1977, 109; Schwarze, Anmerkung zu Gleichheit des Arb eitsenrgelts fur Manner und Frauen ; Anspriiche fur die Zeit vor der Urteilsverkiindung; Art. 119 EWGV, EuR 1977, 42 (47); Philip, Annotation G abrielle Defrenne c/Sab cna, RTDE 1976, 521; Koopman s, Retrospectivity Re con sidered , The Cambridge Law Journal 1979/1980, 287; Stocker, Le Second Arret D efrenne. L'Egalite des remuneration s des travailleurs masculins et des travailleur s feminins, CDE 1977, 180. 382 Neville Brown , Air H ostesses and Di scriminating Employers, MLR 1984, 693. 383 Louis, Lohngleichheit vor dem Gerichtshof der Europais chen Gemeinschaften , Eu GRZ 1976,1 78.
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keit und Grenzen aufzuerlegen, ahnlich wie dies fur legislative Rechtsschopfung der Fall ist. 384
2.5. Schlussfolgerungen Zunachst bleibt daher zu beantworten, ob die in der Entscheidung Defrenne I p8S statuierte unmittelbare Drittwirkung des Art. 141 EG auf die Grundfrei-
heiten des EG iibertragen werden kann: Die Entscheidung Defrenne II stellt nach Ansicht von]aensch eine grundlegende Entscheidung zur Frage der Drittwirkung im Gemeinschaftsrecht dar. 386 Gleichzeitig wird aber von ]aensch festgehalten, dass, soweit der EuGH von einer unmittelbaren Drittwirkung der Dienstleistungs- und Personenverkehrsfreiheiten ausging, staatliche Pflichtverletzungen keine Rolle spielten.P" Daher, so wird argumentiert, sei das Urteil in Defrenne II durch die Vertragsverletzung der Mitgliedstaaten und die Untatigkeit der Kommission motiviert, die der EuGH mit dem Konzept der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 141 EG habe ausgleichen wollen. Aus diesem Grunde konne eine einheitliche Konzeption der Drittwirkung nicht auf das Urteil Defrenne II aufbauen. Vielmehr sei die Rechtsprechung des EuGH zu den Freiheiten gesondert zu betrachten.I" Daher erscheint es wesentlich, nunmehr ihre etwaige Aussagekraft fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten zu erortern: Die Argumentation von]aensch kann aus zwei Grunden entkraftet werden: Zum einen iibernimmt der EuGH in die Entscheidung Angonese wortwortlich Passagen aus der Vorentscheidung Defrenne II; die entsprechenden Pas sagen des Urteils sollen hervorgehoben werden:
" Auch hat der Gerichtshof entschieden, dass die Tatsache, dass bestimmte Vertragsvorschriften ausdriicklich die Mitgliedstaaten ansprechen, nicht ausschliefit, dass zugleich allen an der Einhaltung der so umschriebenen Pf/ichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein konnen. Der Gerichtshofist daher in Bezug auf eine Vertragsvorschrift mit zwingendem Charakter zu dem Ergebnis gelangt, dass das Diskriminierungsverbot auch fur alle die abhdngige Erwerbstdtigkeit kollektiv regelnden Tarifvertrdge und alle Vertrdge zwischen Privatpersonen gilt.
384 Van Geruen, Contribution de l'arret Defrenne au developpement du droit communautaire, CDE 1977, 131. 385 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, S!g. 1976,455. 386 ]aensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten (1997),64. 387 ]aensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten (1997), 69. 388 ]aensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten (1997), 69.
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Diese Erwiigung mufl erst recht fur Artikel 48 des Vertrages gelten, in dem eine Grundfreiheit fonnuliert wird und der eine spezifiscbe Anw endung des in Artikel12 EG- Vertrag [. . .} ausgesprochenen allgemeinen Diskriminierungsverbot und aile Vertriige zwischen Priv atpersonen gilt." 389 (H erv orhebung der Verfasserin ) Zum anderen erweist sich die Feststellung, dass der EuGH in Defrenne II letztlich im Wege der Drittwirkung ein e sraatliche Pflichtverletzung habe riigen wollen und daher die Drittwirkung der Grundfreiheiten selbst unabhangig von staatlicher Pflichtverletzung zu betrachten sei, nur eben fur den "kollektivistischen" Rechtsprechungsansatz als richtig. Eine mitgliedstaatliche pflichtverletzung ist in der oben skizzierten Argumentation des EuGH blofi als Hilfsargument zu werten und tritt gegcniiber den zwei Hauptargumenten, namlich dem Charakter der Vorschrift des Art. 141 EG als Grundsatznorm der Gemeinschaft und deren grundrechtlichen Charakter, zuriick. Ein weiteres Hilfsargument, narnlich Wettbewerb zu gleichen Chancen fur die Volkswirtschaften der Mitgli edstaaten, dient ebenso der Determinierung des Adressatenkreises der Norm. Werden namlich, wie in der Rechtss ache Angonese, Private unmittelbar den Grundfreiheiten unterstellt, so konnen aus der Entscheidung Defrenne II moglicherweise Konturen fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten gewonnen werden. Ganten stellt zusatzlich fest, dass zwar ein struktureller Unterschied zwi schen dem Gebot der Lohngleichheit fur Manner und Frauen und den Grundfreiheiten bestehe, dass sich aber aus der aus Art. 141 EG-Vertrag ableitbaren Ergebnispflicht dieser Unterschied gerade nicht ergebe. 390 Somit ist auch nach Ansicht von Ganten dem Denkansatz der rnoglichen Ubertragbarkeit der aus Defrenne II gewonnen Argumente fur die Dritrwirkung der Grundfreiheiten eroffnet. Folglich, so Ganten, konnten nahezu samtliche Argumente, die fur eine Drittwirkung des Art. 141 EG sprechen, auch fur eine Drittwirkung der Grundfreiheiten ins Treffen gehihrt werden.'?' Zu dem kommt, dass die Grundfreiheiten fur die Verwirklichung des Binnenrnarktes eine weitaus grofiere Bedeutung aufweisen als das Gebot der Lohngleichheit in Art. 141 EG. Das Hauptargument gegen die Drittwirkung von Art. 141 EG-Vertrag, namlich der einen Umsetzungsbefehl enthaltende Wortlaut dieser Bestimmung, sei in der Fassung der Grundfreiheiten nicht an389 EuGH Rs, C-281 /98 Roman An gon ese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000,1-4139, (1-4172). 390 Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten (2000), 96. 391 Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten (2000), 97; Gans en weist in diesem Zu sammenhang auf den U nrerschied im Wordaut des Art. 141 im Vergleich zu den Grundfreiheiten hin - erster er enthalt demnach auch eine Er gebnispflicht,
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zutreffen. Daher, so Ganten, miisse den Grundfreiheiten erst recht unmittelbare Drittwirkung zukommen.t'? ]aensch wiederum konstatiert, daG die iiber weite Strecken gleichlautende Argumentation des EuGH in den Urteilen Defrenne und Walrave zu einer einheitlichen Deutung der Rechtsprechung des EuGH zum Problemkreis der Drittwirkung der Grundfreiheiten verleite.v" Dennoch weisen nach ]aensch die Grundfreiheiten einerseits und Art. 141 EG-Vertrag andererseits erhebliche strukturelle U nterschiede auf: Art. 141 EG gehe insofern iiber ein Diskriminierungsverbot hinaus, als er die Mitgliedstaaten unmittelbar verpflichte, durch U mgestaltung ihrer innerstaatlichen Privatrechtsordnung geschlechtsspezifische Diskriminierungen zu unterbinden. Die Grundfreiheiten hingegen berechtigen den Einzelnen unmittelbar, sich vor innerstaatlichen Gerichten gegen eine beschrankende MaGnahme zu wehren, verpflichten die Mitgliedstaaten aber nicht grundsatzlich, durch Umgestaltung ihrer Privatrechtsordnung Privatpersonen die Beschrankung der Freiheiten zu verbieten'?' Die Argumentation von ]aensch weist drei entscheidende Schwachpunkte auf: Erstens geht Art. 141 EG nicht iiber ein Diskriminierungsverbot hinaus, sondern ist auch bei rein inlandischen Sachverhalten anwendbar. Dies ist nun als Frage nach dem Anwendungsbereich der Norm und nicht nach dem Inhalt der Norm zu qualifizieren. Wohl konnte]aensch gemeint haben, dass Art. 141 EG-Vertrag ein Diskriminierungsverbot nach dem Geschlecht enthalte und nicht (auch) ein Diskriminierungsverbot nach der N ationalitat. Diesem Befund ist zuzustimmen - ob j edoch daraus ein gewichtiger struktureller Unterschied abzuleiten ist, der einer Dbertragung der Rechtsprechung zu Art. 141 EG auf die Grundfreiheiten entgegensteht, wird noch zu analysieren sein. Schlieislich ist das Vorhandensein eines Umsetzungsbefehls nicht als entsprechendes strukturelles Merkmal aufzufassen, da der EuGH selbst in Defrenne den Ablauf der Umsetzungsfrist als Voraussetzung fur die unmittelbare Anwendbarkeit einstuft. Weiters ist festzuhalten, dass die Grundfreiheiten konzeptuell noch vor dem Beschrankungsverbot ein Diskriminierungsverbot enthalten, dem in der Rechtssache Anganese fur den Bereich der Arbeitnehmerfreizugigkeit Drittwirkung zugesprochen wurde''?'. Als nachstes taucht in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob das Diskriminierungsverbot, das nach Anganese im Rahmen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer Drittwirkung im Verhaltnis zwischen Privatpersonen aufweist, von dem Beschrankungsverbot im Rahmen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer gelost werden kann. 392 393 394 395
Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten (2000), 98. faensch, Die unmittelbare Drinwirkung der Grundfreiheiten, (1997), 66. faensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten (1997), 66. EuGH Rs. C-281/98 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000,1-4739.
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Drittens ist festzuhalten, dass bei der Frage naeh de r Drittwirkung der Grundfre iheiten die Frage naeh dem Normadressaten de r Grundfreiheiten angesproehen wird - dass folglieh cine allfallige Verpflichrung staatlieher Organe zu einem Tun oder Unterlass err' ?" nicht zu einer Begriindung oder Ablehnung d er Drittwirkung der Grundfreiheiten herangezogen w erden kann. Freilich konnte auf dieses Argument, das auf ein sparer ergangenes Urteil fuBt, entgegnet werden, dass die spraehliehe Fassung der hier betraehteten Normen eben einen Umsetzungsbefehl enthalte (Art. 141 EG: "Jeder M itgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes ... sicher") oder ein schlichtes Verbot (Art. 28 EG: "MengenmaBige Einfuhrbeschrankungen ... sind ver boten "). Fur die Determinierung des N ormadressaten ist aus diese r Argumentation jedoeh noeh nicht viel zu gewinnen - denn unstreitig ist wohl, dass die Mitglied staaten Normadressaten sind. Ob an den derart determinierten Kreis von Normadressaten (namlich Mitgliedstaaten) ein Umsetzungsbefehl gerichtet wird oder ein blolses Verbot, wirkt sieh auf den Kreis de r Normadressaten weder mittelbar noch unmittelbar aus; der Kreis der Normadressaten wird vielmehr vom EuGH mittels systematischer und teleologiseher Interpretation erschlossen und allenfalls erweitert, Trabucchi fallt denn aueh in der Folge die in diesem Schlus santrag zu De[renne II emscheidende Aussage:
.Entscbeidendes Kriterium , um z u kldren, w elch e Wirkungen eine Gemeinscbaftsnorm im inn erstaatlichen Recht erzeugt, sind nicht die in der No rm bezeichneten Adressaten, sondern ist die Rechtsnatur der N orm, die der Gerichtshofunter Berufung auf, Geist, System und Wortlaut ' der Bestimmung selbst auslegt. " 397 Aus der vom Generalanwalt gewahlten Formulierung kann gefolgert werden, dass der an Mitgliedstaaten gerichtete Anwendungsbefehl einer Norm - in casu des Art. 141 EG - nieht ausschl ielir, dass mittels systernatischer und teleolo gischer Interpretation der Kreis der Normadressaten erweitert werden kann,
396 Vgl. dazu EuGH Rs. C -265/ 95 Kommi ssion der Europai schen Gemeinschaften gegen Fr anzosische Republik .Spanische Er dbeer en", Slg. 1997,1-6959. 397 EuGH Rs. 43/ 75 Gab rielle Defrenne gegen Societ e anon ym e beIge de navigation aerienne Sabena, Slg 1976, 455,488/489.
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3. Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes der Freizugigkeit der Arbeitnehmer: Die Rechtssache Angonese
3.1. EinfOhrung In den Rechtssachen Defrenne statuiert der EuGH bereits die unmittelbare Drittwirkung einer spezifischen Auspragung des Gleichheitssatzes oder des Diskriminierungsverbotes, namlich des Grundsatzes des gleichen Lohns bei gleicher Arbeit zwischen Mann und Frau; die unmittelbare Drittwirkung dieses Grundsatzes gilt auch bei Vorliegen eines bloB inlandischen Sachverhaltes. In der Entscheidung Anganese judiziert der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf Rechtsverhaltnisse zwischen Privaten. Mit dieser bedeutsamen Entscheidung gewahrt der EuGH den Unionsbiirgern das Recht auf Einhaltung der Grundfreiheiten unter Privaten, unterwirft sie jedoch auch neuen Pflichten.t'" In der Rechtssache Anganese urteilt der EuGH, dass das in der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer enthaltene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit unmittelbare Drittwirkung besitzt; der Anlassfall und der Spruch des Urteils setzen jedoch im Unterschied zu der Rechtssache Defrenne das Vorliegen eines EG-rechtlichen, i. e. grenziiberschreitenden Sachverhaltes voraus. 3.2. Wesentliche Sachverhaltselemente und Urteil 3.2.1. Sachverhalt Die Cassa di Risparmia di Balzano (im folgenden: Sparkasse Bozen) veroffentlichte 1997 eine Stellenanzeige, in der u. a. fiir die Anstellung bei der Sparkasse Bozen der Besitz einer Bescheinigung iiber die Zweisprachigkeit in Deutsch und Italienisch des Typs "B" (Bescheinigung) genannt war. Das Erfordernis dieser Bedingung findet ihre Zulassung in dem nationalen Tarifvertrag fur die Sparkassen (Tarifvertrag). Diese Bescheinigung wird in der Provinz Bozen fiir den Zugang zu der Laufbahn eines hoheren Angestellten im offentlichen Dienst vorgeschrieben. Uber diese urspriingliche Funktion hinaus wird diese Bescheinigung iiblicherweise von den Einwohnern der Provinz Bozen erworben, urn fiir jegliche Arbeitssuche (sprachlich) geriistet zu sein. Der Erwerb dieser Bescheinigung wird als praktischer und iiblicher Schritt im Rahmen einer kompletten Ausbildung angesehen. Roman Anganese, italienischer Staatsangehoriger deutscher Muttersprache mit Wohnsitz in der Provinz Bozen bewarb sich urn die angebotene Stelle, jedoch ohne im Besitz der in der Stellenanzeige geforderten Bescheinigung zu 398 Editorial "Die Bindung Privater an das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten - EuGH judiziert neue Pflichten fur Unionsburger", ZER 2000, 58.
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sein. Die Sparkasse Bozen teilte Herrn Anganese mit, dass er an dem Auswahlverfahren fur die angebotene Stelle nicht teilnehmen konne, da er die in der Stellenanzeige geforderte Bescheinigung nicht vorgelegt habe. Herr Angonese beantragte bei Gericht, diese Bedingung fur nichtig zu erklaren, und die Cassa di Risparmio zu Schadenersatz zu verurteilen. Das vorlegende Gericht, die Pretura Bozen, fiihrt aus, dass der Erwerb dieser Bescheinigung fur einen El.f-Biirger, der nicht in der Provinz Bozen ansassig sei, aufgrund der administrativen Ablaufe kaum zu eincm passenden Zeitpunkt moglich gewesen ware. Daher stellte die Pretura Bozen dem EuGH eine Frage nach der Vereinbarkeit des Erfordernisses einer amtlichen Bescheinigung tiber Zweisprachigkeit fur ein privatrechtliches Dienstverhaltnis mit Art. 48 EG und der Verordnung 1612/68 (im folgenden Verordnung). 3.2 .2. Argumentation in Schlussantrag und Urteil
Wahrend GA Fennelly in seinem Schlussantrag dem Gerichtshof vorschlagt, das Vorabentscheidungsersuchen des italienischen Gerichts wegen Nichtvorliegens eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes zuriickzuweisen, betont der EuGH im Sinne seiner standigen Rechtsprechung, dass es prinzipiell Sache des nationalen Gerichts sei, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung fur den Erlass seines Urteils und die Erheblichkeit der gestellten Fragen zu beurteilen. Dieser Grundsatz erfahrt nur eine Einschrankung: Ein Ersuchen urn Vorabentscheidung kann zuriickgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und dem Gegenstand des Ausgangsverfabrens besteht. I"?
399 An dieser Stelle kann auf die Problernatik nichr weiter eingegangen werden: vgl. jiingst auch EuGH Rs. C-230/96 Cabour SA und Nord Distribution Automobile SA gegen Arnor "SO C O" SARL, Sig. 1998,1-2055. Wiihrend der EuGH betont, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beitragen zu wollen und demnach niche befugt zu sein, auf hypothetische oder allgemeine Fragen gutachterlich zu antworten, scheint der Gerichtshof dennoch der Formulierung "offensichtlich (Hervorhebung der Autorin) kein Zusammenhang" grolses Gewicht beizumessen. So lassen sich in standiger Rechtsprechung drei Fallgruppen, die "offensichtlich keinen Zusamrnenhang" mit dem Ausgangsverfahren aufweisen, unterscheiden. Zum einen kann die gesrellte Frage hypothetischer Natur sein, moglicherweise liegt auch ein konstruierter Rcchtsstreit vor: EuGH Rs. C-83/91 Wieland Meilicke gegen ADV/ORGA AG, Slg. 1992,1-4871; EuGH Rs. 104/79 Pasquale Foglia gegen Mariella Novello, Sig. 1980, 745; EuGH Rs. 244/80, Pasquale Foglia gegen Mariella Novello, Slg. 1981, 3045. Zum andcren liegen dem EuGH nicht aile fur eine Sachentscheidung erforderlichen Informationen vor : EuGH verb. Rs. C-320/90, C-321/90 und C-322 /90 Telemarsicabruzzo SpA u. a. gegen Circosrel, Slg. 1993, 1-393. SchlieBlich verbleibt jene Gruppe von Fallen, in denen iiber die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts kein Raum [iir einen verniinftigen Zweifel besteht: vgl. dritte Alternative in EuGH Rs. 283/81 Sri CILFITund Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanita, Sig. 1982, 3415, Rz. 16.
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In der Sachentscheidung schlielit der EuGH zunachst die Anwendbarkeit der Verordnung 1612/68 aus, da diese in Art. 3 ausschliefslich Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erfasse und daher fur die Beurteilung einer Regelung, die nicht auf derartigen Vorschriften oder einer Verwaltungspraxis beruhe, nicht gegenstandlich sei. Weiters bemerkt der EuGH zu Art. 19 des Tarifvertrages, der den von ihm erfassten Betrieben die Modalitaten und Bedingungen der Auswahlverfahren sowie die Einstellungskriterien anheim stellt, dass eine solche tarifvertragliche Errnachtigung keinesfalls als ausdruckliche oder schhissige Erlaubnis zur Festlegung von diskriminierenden Kriterien gegeniiber Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten verstanden werden konne, 1m Folgenden baut der EuGH seine Argumentation auf das in Art. 39 Abs.2 EG normierte spezielle Diskriminierungsverbot auf: Dieses Verbot sei allgemein formuliert und richte sich nicht speziell an die Mitgliedstaaten."? Vielmehr richte sich dieses Verbot auch gegen "sonstige Mafsnahmen [... J, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten". Der Gerichtshof fugt an:
"dass die Beseitigung der Hindernisse fur die Freiziigigleeit zwischen den Mitgliedstaaten gefahrdet ware, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse zunichte gemacht werden konnte, die sich daraus ergeben, dass nicht dem offentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen. "401 An dieser Stelle seiner Argumentation zieht der EuGH die Entscheidung Defrenne4C2 als Prazedenzfall heran: Die Tatsache, dass bestimmte Vertragsvorschriften ausdriicklich die MS ansprechen, schlieist nicht aus, dass allen an der Einhaltung dieser Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen werden konnen. In Fortsetzung seiner in Defrenne begonnenen Rechtsprechung stellt der EuGH nunmehr in der Kernaussage dieses Judikats die Drittwirkung der in
400 EuGH Rs. C-281/98 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000,1-4139, (1-4172). 401 EuGH Rs. C-281/98 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000,1-4139, (1-4172). Der EuGH sieht in der bloBen Anwendung des Art. 39 EG (bzw, des Diskriminierungsverbotes in Abs 2) auf mitgliedstaatliches HandeIn wiederum eine mogliche Diskriminierung: Da arbeitsrechtliche RegeIungen in den Mitgliedstaaten sowohl von staatlichen als auch von nicht-staatlichen Akteuren gesetzt werden, konnte eine Beschrankung der Anwendung des Art. 39 EG auf behordliche Malsnahmen zu Ungleichheiten bei seiner Anwendung fiihren. 402 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Slg 1976, 455.
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Art. 39 Abs.2 EG enthaltenen speziellen Auspragung des Diskriminierungsverbotes fest:
.Der Gerichtshof ist daher in Bezug auf eine Vertragsvorschrift mit zwingendem Charakter zu dem Ergebnis gelangt, dass das Diskriminierungsverbot auch fur aile die abhdngige Erwerbstdtigkeit kollektiv regelnden Tarifuertrdge und aile Vertrdge z wischen Privatpersonen gilt ." 403 Der EuGH gelangt daher zu der Schlussfolgerung, dass der Besitz der Bescheinigung als Voraussetzung fur die Teilnahme am Auswahlverfahren eine nach der Staatsangehorigkeit diskriminierende MaGnahme darstellt, 1m Anschluss wendet sich der EuGH den einem Mitgliedstaat zur Verfiigung stehenden Rechtfertigungsmoglichkeiten zu: Diese Mafinahme konne nach Ansicht des EuGH nur dann gerechtfertigt werden, wenn sie auf sachliche Erwagungen gestiitzt wird, die unabhangig von der Staatsangehorigkeit d er betroffenen Personen und in Bezug auf das berechtigterweise verfolgte Ziel verhaltnismaiiig sind. Zwar kann ein Arbeitgeber zulassigerweise Sprachkenntnisse eines bestimmten Niveaus verlangen, der Besitz cines Diploms wie d er Bescheinigung darf jedoch nur ein Kriterium darstellcn - der Arbeitgeber ist gehalten, den Nachweis dieser Kenntnisse auf anderen Wegen, insbesondere durch andere, in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erworbene Qualifikationen zuzulassen. 3.3. Grundlagen des Urteils "Angonese" in der Judikatur des EuGH
In der bisherigen Rechtsprechung des EuGH lassen sich drei Linien herausarbeiten, die fur eine Analyse der bahnbrechenden Entschcidung in Anganese und deren Problematik von Relevanz sind: 3.3.1. Drittwirkung des Art. 141 EG
Ein erster Ansatz der Rechtsprechung vertritt Drittwirkung fur Art. 141 EG und statuiert die Anwendbarkeit des Gebots des gleichen Entgeltes fur Manner und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.t?' D ie in der Entscheidung Defrenne verwendete Argumentation fur die unmittelbare, horizontale Anwendbarkeit des, seinem Wortlaut nach, an die Mitgliedstaaten gerichteten Art. 141, baut formal auf der N orwendigkeit der vol-
403 EuGH Rs . C-281/98 Roman Ang one se gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Urteil vo m 6.]uni 2000, Slg 2000, 1-04139, Rz. 34. Der EuGH wei st in diesem Zusamrnenhang ausdriickIich auf die nunmehr geltende Parallelitat zwischen Art.39 EG und An. 141 EG hin. 404 EuGH Rs. 43/ 75 Gabrielle De frenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455 .
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len Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtsi'" und der einheitlichen Anwendung des Vertrages auf 406 • 3.3.2. Eingeschrankte Drittwirkung der Arbeitnehmerfreizugigkeit
Eine zweite Rechtsprechungslinie spricht der Preizugigkeit von Arbeitnehmern (Art. 39 EG) bei staatsahnlich agierenden Verbandsregelungen und tarifvertraglich getroffenen Vereinbarungen Drittwirkung zu: In der beruhmten Entscheidung Bosman unterwarf der EuGH die von der FIFA und der UEFA aufgestellte Regelungen Art. 39; dieser gelte nicht nur fur behordliche Ma~ nahmen, sondern beziehe sich auch "auf Vorschriften anderer Art, [... J, die zur kollektiven Regelung unselbstandiger Arbeit dienen. "407 Dem von den Sporrverbanden vorgebrachten Argument, die Vereinigungsfreiheit in Art. 11 EMRK verhindere eine Erfassung solcher Regelungen durch Vorschriften des Binnenmarktes, hielt der EuGH entgegen, dass die von den Sporrverbanden aufgestellten Regeln nicht erforderlich seien, urn die Ausiibung der Vereini-
405 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976, 455, (473), Rz.14/15, 16120. Nach Ansicht von Ganten ware eine Beschrankung des Grundsatzes der Lohngleichheit auf den offentlichen Dienst fur eine Durchsetzung dieses Rechts im Bereich des gesamten Arbeitslebens ein unvollkommenes Instrument, ja geradezu sinnlos: Ganten, Die Drinwirkung der Grundfreiheiten (2000), 97. 406 So sollen nach Ansicht des EuGH jene Mitgliedstaaten, die iiber eine Sozialgesetzgebung verfiigen, die weiblichen Arbeitskraften gleichen Lohn fur gleiche oder gIeichwertige Arbeit gewahrt, nichr im innergemeinschaftlichen Wettbewerb benachteiligt werden: EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme beIge de navigation aericnne Sabena, Slg. 1976,455, (473), Rz. 8/11. So auch StreinzlLeible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000,459 (462). Schliefslich wurde eine Anwendung des Gebots der Lohngleichheit auf den offentlichen Dienst alleine erst recht zu Ungleichheiten in der Anwendung des Art. 141 EG im Anwendungsbereich des EG-Vertrages fuhren, da einige MS uber einen zahlenmaiiig gro~eren offentlichen Dienst verfiigen als andere; fur die Anwendung dieses Gedankens auf unterschiedliche Transfersysteme: EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cyc1iste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wieiren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974,1405, (1419), Rz. 16/19; EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-5040, (1-5066), Rz. 84. 407 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-5040, (1-5065), Rz. 82; so auch EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninijke Nederlandsche Wieiren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, SIg. 1974, 1405; EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, SIg. 1976, 1333.
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gungsfreiheit durch die Verbande selbst oder die beteiligten Spieler zu gewahrleisten.f" Zuziiglich zu der Freiziigigkeit der Arbeitn ehmer erachtet der EuGH in den Urteilen Dona/Mantero und Walrave auch die Freiheit der Dienstleistung und das Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehorigkeit fiir auf kollektive Rege1ungen anwendbar.P ? Wesentlich erscheim, wie bereits in der Rechtsprechungslinie zur unmittelbaren Drittwirkung des Art. 141 EG angeschnitten, die Betonung des Grundrechtsgehaltes des Art. 39, des Art. 43 und des Art. 49 EG. Wahrend Nettesheim die genannten Grundfreiheiten unter dem Begriff "europarechtliche Grundrechte auf wirtschaftlichc Mobilitat" zusammenfasst, formuliert der EuGH in der Rechtssache Bosman:
,,[...J, stellt die Freizugigkeit der Arbeitnehmer einen der fundamentalen Grundsdtze der Gemeinschaft dar, und die Bestimmungen des Vertrages, die diese Freiheit garantieren, haben seit dem Ende der Ubergangszeit unmittelbare Wirkung. "41 0 Die Nichtanwendung der Personenfreiziigigkeit und der Dienstleisrungsfreiheit auf kollektive Regelungen unselbstandiger Arbeit, deren Ubermacht der Einzelne zumeist ausgeliefert ist, konnte nach Ansicht des Gerichtshofes eine gravierende Schurzlii cke nach sich ziehen. Das Diskriminierungsverbot, als Grundrecht determiniert, rechtfertigt jedoch nur eine horizontale Anwendung der genanmen Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote, jedoch (noch) nicht als Beschrankungsverbote, Auf diese Frage gibt der EuGH wiederum in seiner Emscheidung Bosman die weitest rnogliche Antwort:
.Bestimmungen, die einen Staatsangehorigen eines Mitgliedstaates daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu v erlassen, um v on seinem Recht auf Freizugigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beein-
408 EuGH Rs, C-415/93 Union ro yale belge des societes de football association ASBL u. a. gegen Jean-Marc Bosman, Slg, 1995,1-5040, (1-5065). 409 "Da raus folgt, dass das innersraatliche Gericht bei der Priifung der Giiltigkeit oder der Wirkung einer in der Satzung eines Sportverbancles enthaltencn Bestimmung die zwingenden Vorschriften der Artikel 7, 48 und 59 des Vertragcs zu beriicksichtigen hat.": EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333, (1341); EuGH Rs, 36/74 B.N.a. Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Un ion Cycliste Internationale, Koninijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo , Slg. 1974, 1405, (1420). 410 EuGH Rs. C-415 /93 Un ion ro yale belge des societes de foo tball association ASBL u. a. gegen Jean-Marc Bosm an, Slg. 1995, 1-5040, (1-5068).
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trdcbtigungen dieser Freizugigleeit dar, auch wenn sie unabhdngig van der Staatsangehorigkeit der betraffenen Arbeitnehmer Anwendung finden. "411 Da nun davon auszugehen ist, dass samtliche Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschrankungsverbote aufzufassen sind, stellt sich die Frage nach der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten im Gefolge der Rechtssache Anganese in neuer Scharfe, Wenn in Anganese bloB der Normadressat der Grundfreiheiten, namlich bislang die Mitgliedstaaten, Tarifvertragspartner und Verbande, urn samtliche Privatpersonen erweitert wird, dann isr moglicherweise auch von einer Drittwirkung der Grundfreiheiten als Beschrankungsverbote auszugehen. Dieser Frage ist ein einern gesonderten Kapitel nachzugehen. 3.3.3. Ausschluss der Drittwirkung fur die Freiheit des Warenverkehrs?
Bei der dritten Rechtsprechungslinie des EuGH solI insbesondere der Warenverkehrsfreiheit das Augenmerk geschenkt werden: In Anbetracht einer vereinzelt gebliebenen Aussage des EuGH in der Entscheidung Dansk Supermarleed.v? dass Vereinbarungen zwischen Privaten nicht von den zwingenden Bestimmungen des EG-Vertrages iiber den freien Warenverkehr abweichen durfen, wendet der EuGH in standiger Rechtsprechung auf das Verhalten von Unternehmen ausschlieBlich Art. 81 ffEG an. Im Umkehrschluss wird ausgesagt, dass die Art. 81 und 82 EG nur auf das Verhalten von Unternehmen und nicht auf durch Gesetz oder Verordnung getroffene MaBnahmen der Mitgliedstaaten anzuwenden seien. Durch staatliche Rechtsakte herbeigefiihrte Einschrankungen des Wettbewerbs konnen jedoch aufgrund der Art. 3 g, 10, und 81 oder 82 EG erfasst werden, "wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 85 verstaflende Kartellabsprachen uorscbreibt, erleichtert oder deren Auswirkungen uerstdrlet oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, dass er die Verantwortung fur in die Wirtschaft eingreifende Maflnahmen privaten Wirtschaftsteilnehmern ubertragt (Hervorhebung der Autorin). "413 411 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-5040, (1-5069). 412 EuGH Rs. 58/80 Dansk Supermarked A/S gegen A/S Imerco, Slg. 1981, 181, (195): "Uberdies ist darauf hinzuweisen, dass Vereinbarungen zwischen Privaten in keinem Fall von den zwingenden Bestimmungen des Verrrages uber den freien Warenverkehr abweichen durfen, Daraus folgt, dass eine Vereinbarung, mit der die Einfuhr einer Ware in einen Mitgliedstaat verboten wird, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmagig in den Verkehr gebracht worden ist, nicht geltend gemacht oder beriicksichtigt werden kann, urn den Absatz dieser Ware als eine unzulassige oder unlautere Handelspraxis zu qualifizieren." 413 EuGH Rs, 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786, (4791).
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Diese in standiger Rechtsprechungt!" angewandte Regel der Anwendung der Art. 81 ff. EG auf staatliche MaBnahmen hat andererseits, namlich bei der Anwendung der Art. 28 ff. EG auf privates Handeln, stets die Ablehnung des EuGH erfahren. Der Gerichtshof weist auf die unterschiedlichen systernatischen Zusamrnenhange, in denen sich Art. 81 und 28 EG befinden, hin. Zusatzlich verfolgen nach Ansicht des EuGH den Wettbewerb regelnde Bestimmungen und den freien Warenverkehr regelnde Bestimmungen unterschiedliche Normzwecke: Wahrend Art. 81 EG Unternehmen als Adressaten hat und durch diese Vertragsbestimmung em wirksamer Wcttbewerb innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten werden soll, wird betont, dass Art. 28 EG demgegeniiber "zu den Regeln [gehore], die den freien Warenverkehr gewahrleisten und die nationalen Maiinahmen der Mitgliedstaaten beseitigen sollen, die geeignet sind, dies en Verkehr in irgendeiner Weise zu behindern. "415 Der EuGH betont demnach in der Entscheidung Spanische Erdbeeren, dass Normadressat der Bestimmungen tiber den freien Warenverkehr die Mitgliedstaaten seien. Daher wendet der EuGH Art.28 EG in Zusammenhang mit Art. 10 EG auf mitgliedstaatliches Verhalten an, mit dcr Maligabe, dass es grundsatzlich Pflicht des Mitgliedstaates sei, privates, gegen Art. 28 EG verstoBendes, Verhalten zu unterbinden. In dieser Entscheidung wird allerdings blof der materielle Anwendungsbcreich des Art.28 EG urn die mitgliedstaatliche Verpflichtung erweitert, alle erforderlichen und geeigneten Malinahmen zu treffen, urn in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen .4 16 Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang jedoch, dass in der Entscheidung .Spanische Erdbeeren" der Kreis der Normadressaten des Art. 28 EG nieht erweitert wurde. Diese Entscheidung soil in einem eigenen Abschnitt besproehen werden. Wabrend in der Rechtspreehung des EuGH zum Wettbewerbsrecht und staatlichen MaBnahmen unter Heranziehung des Art. 10 EG den Mitgliedstaaten cine Verpflichtung zur Einhaltung des Wettbewerbsreehts in ihrem Territorium auferlegt werden kann, und der Normadressat der Art. 81 ff. EG unter Zuhilfenahme des Art. 10 EG erweitert wird, findet fur den Bereich der Wa414 So beispielsweise: EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Social Dienst van de Plaatselijke en Gewestlijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3821; EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Verniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115; EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac gegen Guy Clair, Slg. 1985, 402; vgl. auch Gyselen, State Action and the Effectiveness of the EEC Treaty 's Competition Provisions, CMLR 1989,33. 415 EuGH Rs. 177 und 178/82 Strafverfahren gegenJan van de Haar und Kaveka de Meern BV, Slg. 1984, 1797, (1812), Rz . 11, 12; dazu vgl. jiingst Schwarze, Der Staat als Adressat des europaischen Wettbewerbsrcchts , EuZW 2000,613 (617 ff ). 416 EuGH Rs. C-265 /95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franz6sische Republik, »Spanische Erdbeeren", Slg. 1997,1-6959, (1-6999).
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renverkehrsfreiheit eine soIehe Erweiterung des Kreises der N ormadressaten, etwa auf Private, nicht stan. Die vereinzelt gebliebene Aussage des EuGH in Dansk Supermarked bietet fur eine soIehe Sichrweise nicht geniigend Anhaltspunkte. Eine solche Erweiterung des Kreises der N ormadressaten ist freilich unter Zuhilfenahme des Art. 10 EG auch nicht moglich, da der Normanwendungsbefehl dieser Vorschrift nicht an Private, sondern alleine an die Mitgliedstaaten gerichtet ist. 417 3.4. Schlussfolgerungen Nach der klaren Aussage des EuGH in dem Urteil Angonese ist das in Art. 39 EG normierte Verbot der Diskriminierung nach Staatsangehorigkeit in samtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Privaten unmittelbar anwendbar.t'" Zu klaren ist zunachst, ob es sich bei der so normierten Drittwirkung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer urn mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung handelt. Dazu soll die vom EuGH in den Entscheidungen Pinna 4 19 und Sotgiu 42C erarbeitete Definition herangezogen werden: ,,[... J, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung verbietet, die mit Hilfe der Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsachlich zu demselben Ergebnis fuhren." Da in der Rechtssache Angonese nicht unmittelbar an die Staatsangehorigkeit der Bewerber angekniipft wird, sondern an das Unterscheidungsmerkmal des Besitzes der Bescheinigung, ist hier von dem Vorliegen einer verschleierten oder mittelbaren Diskriminierung auszugehen.f" Ein weiteres Argument kann zur Untermauerung dieser Folgerung herangezogen werden: Wahrend im Falle einer unmittelbaren Diskriminierung eine Rechtfertigung ausschlieislich mit im EG-Vertrag hierfiir normierten Ausnahmetatbestanden zulassig ist,422 stehr bei mittelbarer Diskriminierung ein weiter 417 Schweitzer/Hummer, Europarecht" (1996), 323. 418 Zur Terminologie vgl. Winter, Direct Applicability and Direct Effect - Two Distinct and Different Concepts in Community Law, CMLR 1972, 425. 419 EuGH Rs. 41/84 Pietro Pinna gegen Caisse d'allocations familiales de la Savoie, Slg. 1986,1, (25), Rz. 23. 420 EuGH Rs. 172/73 Giovanni Maria Sotgiu gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1974, (164), Rz.11. 421 So auch fur einen ahnlich ge1agerten Sachverhalt im Hinblick auf das Erfordernis, eine Qualifikation auf nationalem Hoheitsgebiet zu erwerben: EuGH Rs. C-379/87 Anita Groener gegen Minister for Education and the City of Dublin, Slg. 1989,3967, (3995), Rz.23. 422 So ist beispie1sweise fiir die Arbeitnehmerfreiziigigkeit Art. 39 Abs 4 EG jene Norm, die eine unmitte1bare Diskriminierung bei .Bescbaftigung in der offentlichen Verwal-
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Katalog an Rechtfertigungen offen. 423 Ziel und Zweck der Rechtfertigung einer offensichtlichen Diskriminierung ist es, den Ankniipfungspunkt der unterschiedlichen Behandlung von Gleichem zu legitimieren - wahrend nun bei unmittelbarer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit der Ankniipfungspunkt "Staatsangeharigkeit" verpont ist, kann eine Rechtfertigung nur aus ausdriicklich normierten Grunden Erfolg haben. Bei mittelbarer oder verschleierter Diskriminierung soll die Ankniipfung an "andere Unterscheidungsmerkmale" durch "sachliche Erwagungen, die [. . .j in Bezug auf das berechtigterweise verfalgte Ziel verhaltnismaflig sind"424 gerechtfertigt werden. Folgt man dem hier vertretenen Ansatz, so kann der in der Rechtssache Anganese vorliegende Sachverhalt als mittelbare oder verschleierte Diskriminierung angesehen werden. Daher findet Art. 39 EG als Verbot mittelbarer und a minare ad maius unmittelbarer Diskriminierung Anwendbarkeit unter Privaten. Weiters rniisste jedoch Art. 12 EG ebenfalls unmittelbare Anwendbarkeit zwischen Privaten beschieden sein, wenn die in den Grundfreiheiten enrhaltenen Diskriminierungsverbote bloG als spezielle Auspragungen eines allgemeinen, in Art. 12 EG normierten, Rechtsgrundsatzes anzusehen sind425 • Zur Begriindung der unmittelbaren Anwendbarkeit zwischen Privaten des Art. 39 EG wird der Grundsatz des effet utile herangezogen: Der EuGH weist darauf hin, dass privates Handeln ahnliche Schranken wie staatliches Handeln aufrichten konnte, die sich als Hindernis fur den Binnenmarkt erweisen.F" In der Rechtssache Basman wurde das Erfordernis der Bezahlung einer Transferentschadigung fur einen Berufsfufsballspieler, obwohl des sen Vertrag mit einem gegebenen Club bereits abgelaufen war, als eine gegen Art. 39 EG verstoiiende Beschrankung angesehen.v" Die Entscheidung Anganese weitet nun den Kreis der Normadressaten des Art. 39 EG von interrnediaren Gewal-
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tung" erlaubt. Ellis fuhrt unter Hinweis auf die Rechtssache Dekker aus: "The notion of justification is not applicable in direct discrimination cases, but only in indirect cases, where it serves to disprove causation where a practice has already been shown to produce an adverse impact for one sex. If justification can be established in these circumstances, the respondent is effectively proving that the practice complained of is not grounded upon sex. However if, as in Dekker, causation has already been established, the only way out for the employer is to rely on one of the defences listed in the directive.", in Ellis, Recent Case Law of the Court of Justice on the Equal Treatment of Women and Men, CMLR 1994, 43, (51). Ellis, aaO, 73. EuGH Rs. C-281198 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Balzano SpA, Sig. 2000,1-4139, (1-4174). Schweitzer/Hummer, Europarecht" (1996), 323. EuGH Rs. C-281198 Roman Anganese gegen Cassa di Risparmio di Balzano SpA, Sig. 2000,1-4139, (1-4172). EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman, Sig. 1995,1-4921.
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ten (etwa Berufsvereinigungen, die staatsahnlich agieren, und Tarifvertragspartnern), auf Privatpersonen aus. Eine Bewertung der Entscheidung in der Rechtssache Anganese kann in Anbetracht bisher erschienener Literatur und bisher ergangener Judikatur in drei Varianten gedacht werden. Nach Ansicht mancher Autoreni-" sol! die Entscheidung Anganese allgemein Drittwirkung fur sarntliche Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschrankungsverbote und das in Art. 12 EG vorgesehene Diskriminierungsverbot aus Grunden der Staatsangehorigkeit normieren. Diese Schlussfolgerung wird im Wesentlichen mit dem Argument der Koharenz der Grundfreiheiten und der Notwendigkeit, das nunmehr in der Rechtsprechung des EuGH verankerte einheitliche Prufscherna fur samtliche Grundfreiheiten systematisch korrekt weiterzufiihren, begrundet. Diese Sichtweise wiirde bedeuten, dass aus der Drittwirkung der Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot dem Unionsbiirger nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten auferlegt wurden.P? Eine zweite gedankliche Alternative stellt das Postulat der mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten dar. 430 Diese Alternative bezieht auf der faktischen Ebene ihre Argumente aus den praktischen Schwierigkeiten, denen sich eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten gegenubersieht. Auf rechtlicher Ebene wird als tragendes EG-rechtliches Argument geltend gemacht, dass Art. 86 Abs. 2 EG ausdriicklich nur jene Vorschriften des EG-Vertrages fur auf private Unternehmen anwendbar erklart, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Im Umkehrschluss sei zu folgern, dass aulier diesen Vorschriften des EG-Vertrages eine Erstreckung des Kreises der Normadressaten der Grundfreiheiten nicht zulassig sei. 431 Fur alle iibrigen Unternehmen bleibe es bei der Geltung von EG-Wettbewerbsrecht. Diese Regelung des EG-Vertrages lasse wiederum den oben genannten Umkehrschluss zu. Uberdies kamen die Regeln des Wettbewerbs428 Editorial "Die Bindung Privater an das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten - EuGH judiziert neue PHichten fur Unionsburger", ZER 2000, 58; Obwexer, Neue Pflichten fur Unionsburger, EWS 812000, Die erste Seite; so auch, wiewohl dem Ergebnis gegenuber durchaus kritisch StreinzlLeible, Die unmirtelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000, 459 (464); dem Ergebnis mit Einschrankungen zustimmend Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EuGH Urteil Anganese, EWS 2000, 389 (392). 429 Editorial "Die Bindung Privater an das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten - EuGH judiziert neue PHichten fiir Unionsburger" , ZER 2000, 58; so auch Obwexer, Neue Pflichten fur Unionsburger, EWS 812000, Die erste Seite; Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EuGH Urteil Angonese, EWS 2000,389 (395). 430 StreinzlLeible, aaO, 459 (462). 431 StreinzlLeible, aaO, 459 (464).
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rechts nur dann zur Anwendung, wenn eine private Verhaltensweise eine spurbare Handelsbeeintrachtigung nach sich zieht.432 Gerade das Kriterium der Spiirbarkeit werde vom EuGH in der Rechtssache Anganese nicht gefordert und auch nicht auf ihr Vorliegen hin gepriift - rein faktisch handelt es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt urn einen vereinzelten Arbeitsvertrag. SchlieBlich mach en Streinz und L eible geltend, dass eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreihciten einen unverhaltnismailigen Eingriff in die Privatautonomie darstelle.P ' Als Ausweg aus den genannrcn Dilemmata wird eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten posruliert. Dabei wird jener Bereich ausgeklammert, in welch em eine Norm grundfreiheirenbeschrankcnd wirkt; eine solche Fallkonstellation fallt nicht in den Bereich der mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten, sondern stellt vielmehr den klassischen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten dar. Fur den Bereich grundfreiheitenbcschrankenden privaten Handelns treffe den Staat, in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH .Spanische Erdbeeren"; cine Garantenpflicht fur den Schutz der Grundfreiheiten vor Beeintrachtigung durch Pri vatpersonen. In diesem Bereich handele es sich narnlich nicht urn eine Beeintrachtigung der Freiheiten dureh eine staatliehe Norm, sondern urn eine Beeintrachtigung der Freiheiten gerade dureh das Fehlen einer solchen Verbotsnorm, urn ein "ZuvicI" an Privarautonomie. 434 Dieser Auffassung kann aus zwei Grunden nieht gefolgt werden: Der Urreilstenor in der Rechtssache Anganese und aueh die weiters getroffenen Aussagen halt en eine unmittelbare Drinwirkung von Art. 39 EG fest. 435 Eine Anderung der Reehtspreehung, wie Strein z und Leible andeuten, erseheinr wenig wahrseheinlich. Eine dritte Alternative sieht den Anwendungsbereich der Enrscheidung A nganese wie folgt: Da in dieser Enrseheidung ein SaehverhaIt mittelbarer D iskriminierung vorliegt, sei die Entseheidung Anganese so zu lesen, dass im Anwendungsbereieh samtlicher Grundfreiheiten bloB mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit mit einem unmittel-
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Streinz/Leible, aaO, 459 (464). Streinz/Leible, aaO, 459 (466). Streinz/Leible, aaO, 459 (466). EuGH Rs. C-281/98 Roman Ang onese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Urteil yom 6.Juni 2000, noch nichr in amtl Slg veroffentlicht, Rz . 34: D er Gerichtshof ist daher in Bezug auf eine Vertragsvors chrift mit zwingendem Charakter zu dem Ergebnis gelangt, dass das Diskriminierungsverbot auch fur aIle die abhangige Erwerbstatigkeir koll ektiv regelnden Tarifvert rage und aile Vertrage zwischen Privatpers onen gilt (H ervorhebu ng der Autorin); Ebenso Rz.36: Da s in Artikel 48 des Vertrages ausgesprochene Verbor der Di skriminierung aufgru nd der Staats angehorigkeir gilt somit auch fur Privatpersonen.
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bar auch gegen Dritte wirkenden Verbot ausgestattet seien.f" Zusatzlich konnten sich Private in solchen Fallen auf samtliche Grundfreiheiten und dem in ihnen enthaltenen Beschrankungsverbot berufen, wenn privates Verhalten auf eine kollektive Wirkung gerichtet ist oder eine solche Wirkung im Verbund mit dem gleichgerichteten Verhalten anderer entfaltet. Forsthoff fasst diese zwei Kategorien privaten Handelns wie folgt zusammen: Es handele sich um das "Verursachen von Hindernissen fur die Verwirklichung des Binnenmarktes durch das Handeln Privater, wenn die Marktkrafte a11eine nicht imstande sind, diese Hindernisse zu beseitigen'i.t'" Diese Sichtweise versucht zunachst, praktischen Bedenken bei der Anwendung unmittelbar gegen Dritte wirkender Grundfreiheiten zu begegnen, ohne zugleich die Notwendigkeit der Koharenz der Grundfreiheiten tiber Cebuhr in Frage zu ste11en. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die zuletzt erorterte Ausnahme: Zunachst kann sich das Handeln Privater als ebenfalls beschrankend fur andere Private erweisen, ohne dass dieses Verhalten auf eine kollektive Wirkung gerichtet ist oder eine solche Wirkung, im Verein mit dem Verhalten anderer, entfaltet. Falls jedoch der Schwerpunkt der Definition auf ihrem zweiten Teilliegt, namlich der Unfahigkeit der Marktkrafte, diese Hindernisse zu beseitigen, verbleibt der mogliche Zusammenhang mit Art. 82 EG unklar. Schliefslich erscheint eine solche Definition der unmittelbaren Drittwirkung der iibrigen Grundfreiheiten als der Rechtssicherheit nicht unbedingt zutraglich, 4. Thesen
Der in der Rechtssache Defrenne gewonnene Ansatz der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 141 EG unter Privaten lasst sich auf das in den Grundfreiheiten enthaltene Verbot von Diskriminierungen iibertragen. Mit dieser Ubertragbarkeit wird auch eine systematische Klammer in Bezug auf die Drittwirkung der Grundfreiheiten angedacht. Diese systematische Klammer bezeichnet das in den Grundfreiheiten - wie zu zeigen sein wird, abtrennbar - enthaltene Diskriminierungsverbot. In der hier vertretenen Argumentation soll fur die Begriindung der Drittwirkung von Art. 141 EG und weiteren, noch abzugrenzenden Grundfreiheiten an die von Ganten genannte "Grundlagenfunktion" des Art. 141 EG angekmipft werden: Die Grundlagenfunktion des Art. 141 EG sol1 jedoch auch auf ihre Grundrechtsqualitat hin gedacht werden. Es wird posruliert, dass die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 141 EG als prozessuale Durchsetzungsrno436 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EuGH Urteil Anganese, EWS 2000, 389 (392). 437 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EuGH Urteil Anganese, EWS 2000, 389 (393).
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dalitat dieses Anspruches zwar getrennt von dem Inhalt der Norm und von dem Adressaten der Norm gedacht werden muss, dass aber der Charakter des Art. 141 EG als gemeinschaftsweites Grundrecht gerade unmittelbare Anwendbarkeit und Drittwirkung zu einem wesentlichen Teil bedingt. Diesem Postulat wiirde auch die Anwendbarkeit des Art. 141 EG fur rein inlandische Sachverhalte entsprechen. Die dargelegte These soll nun mit Hilfe dreier Argumente untermauert werden: In seiner Entscheidung Defrenne stellt der EuGH fest, "dass der Grundsatz des gleichen Entgelts zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehan". Nun konnte vorgebracht werden, dass die Bezeichnung des Gebots der Lohngleichheit als Grundlage der Gemeinschaft gerade indiziere, dass es sich hierbei e contrario nicht urn ein Grundrecht handelt. Schlieiilich seien die Grundfreiheiten ebenso als Grundlagen der Gemeinschaft zu betrachten, hatten jedoch zugleich keinesfalls in ihrer Gesamtheit Grundrechtscharakter. Diesem auf reine Wortinterpretation aufgebauten Argument muss differenziert begegnet werden: Zum einen lasst sich aus dem Gebot der Lohngleichheit unschwer der Grundsatz des Diskriminierungsverbots herausschalen. Das im Hinblick auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit normierte Verbote der Diskriminierung zwischen Mann und Frau ist nach hL als Auspragung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes zu verstehen.P" Der EuGH wiederum betrachtet das in primarrechtlichen oder sekundarrechtlichen Vorschriften festgelegte Diskriminierungsverbot als Gleichheitssatz, dem seine Eigenschaft als innerstaatlich-verfassungsrechtliches, aber auch gemeinschafts-verfassungsrechtliches, Grundrecht nicht abgesprochen werden kann.f" Zur we iter en Ergriindung des Grundrechtsgehaltes des Art. 141 EG erweist es sich als hilfreich, die Judikatur des EuGH zu den Grundrechten heranzuziehen. In der Entscheidung Nold findet sich etwa folgende Formulierung: ,,[... J, dass die Grundrechte zu den allgerneinen Rechtsgrundsatzen gehoren, die er zu wahren hat, [...J" .440 WeI1n nun davon ausgegangen werden kann, dass Grundrechte bzw. auch sonstige Vorschriften des Gemeinschaftsrechts als Grundsatze der Gemein438 Bleckmann, Europarecht" (1997),646. 439 "Das in der angefuhrten Vorschrift ausgesprochene Diskriminierungsverbot ist jedoch nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehort. Nach diesem Grundsatz diirfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ware.", in EuGH Rs. 117/76 und 16/777 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa-Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzehoe, Slg. 1977, 1753, (1769), Rz.7. 440 EuGH Rs. 4/73 J. Nold, Kohlen und BaustoffgroBhandlung gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1974,491.
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schaft zu betrachten sind, so ist es in einem zweiten Schritt fur die Erarbeitung eines Losungsvorschlags erforderlich, jenen Bestandteilen der Grundfreiheiten nachzugehen, die sich als grundrechtlichen Inhalts erweisen konnten, 1m Zuge der Nachvollziehung dieser Argumentation des Gerichtshofes soll insbesondere auf das fur die Fallgruppe "Drittwirkung zwischen Privaten" relevante Interpretationsmuster der groGt- und bestmoglichen Effektivitat des Gemeinschaftsrechts (effet utile) Bedacht genommen werden. Mit der Entscheidung in der Rechtssache Anganese hat der EuGH ausgesprochen, dass eine Grundfreiheit, namlich die Freizugigkeit der Arbeitnehmer, unmittelbar zwischen Privatpersonen zur Anwendung kommt. Der dem EuGH in dem Urteil Anganese vorliegende Sachverhalt kann als mittelbar diskriminierend eingestuft werden. Daher ist das Verbot mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung im Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer fur Rechtsverhaltnisse zwischen Privaten unmittelbar anwendbar. Die Argumentation des EuGH in der Rechtssache Anganese lasst schlieGen, dass der EuGH ein System zur Drittwirkung von Grundfreiheiten konzipiert, dessen zentraler Bestandteil das Verbot von unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit darstellt.
B. Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber intermediaren Gewalten: Kollektivistische Fallgruppen 1. Die Rechtssachen DonatMantero und Walrave/Koch
1.1. EinfOhrung Die Entscheidungen WairaveiKach 44 1 und DanaiManteror" sind in der Chronologie als erste Entscheidungen zur Frage der Drittwirkung der Grundfreiheiten zu betrachten. In diesen Entscheidungen stellt der EuGH fest, dass die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Dienstleistung nicht bloG gegeniiber Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sei, sondern auch gegeniiber kollektiven Vereinbarungen und Regeln von Verbanden, die gegeniiber Privatpersonen "staatsahnlich" auftreten und agieren. Dariiber hinaus treffen der EuGH und insbesondere die in dies em Fallen befassten Generalanwalte Aussagen, die eine Drittwirkung dieser genannten 441 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974,1405. 442 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333.
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Grundfreiheiten iiber kollektive Fallkonstellationen hinaus vermuten lassen; die verwendeten Formulierungen umfassen, wie unten zu analysieren sein wird, gleichermafSen Erwahnung und Bestatigung von Drittwirkung von Grundfreiheiten im Verhaltnis zw ischen Privaten und schlagen damit eine Briicke zu der oben angesprochenen Fallgruppe der Drittwirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten . 1.2. Die Entscheidung Walrave/Koch 1.2.1. Sachverhalt
Die Klager des Ausgangsverfahrens, Walrave und Koch, beteiligten sich als Schrittmacher auf Motorradern an Bahnradrennen; Leistungen der Schrittmacher werden entgeltlich aufgrund von Vertragen mit dem jeweiligen RadrennFahrer (Steher), den Radsportverbanden oder Sponsoren erbracht. D er Welt Radsport-Verband Union Cycliste Internationale (UCI) hatte 1973 eine neue Bestimmung in sein Reglement aufgenommen, die ab diesem Jahr fur Schrittmacher und Radrennfahrer dieselbe Staatsangehorigkeit fur die Teilnahme an Weltmeisterschaftrennen vorsah. UCI ist ein privatrechtlicher Verein mit Sitz in Genf. Die Klager sahen sich in ihrer Moglichkeir beeintrachtigt, ihre Dienste als Schrittmacher anderen als niederlandischen Staatsangehorigen anzubieten und erhoben Klage auf Nichtigerklarung der entsprechenden Bestimmung im Reglement von UCI. Die Arrondissementsrechtbank Utrecht stellte dem EuGH mehrere Fragen nach der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit Art. 39 EG und der zu jenem Zeitpunkt in Geltung steh end enVerordnung 1612/68 443 • Einen zentralen Punkt in den von der Arrondissementrechtbank gestellren Fragen stellt die mo gliche Qualifikation von Sport als wirtschaftliche Tatigkeit, die damit dem Anwendungsbereich des EG-Vertrages unterfallen wiirde, und damit nach dem Anwendungsbereich ratione materiae des EG-Vertrages. Eine zweite zentrale Frage stellt die moglich e Anwendbarkeit von Art. 39 EGauf ein Reglement eines privatrechtlichen Vereines, und damit die Frage nach der Definition des Kreises der N ormadr essaten der genannten Bestimmung dar. 1.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes
Nach Ansicht der Kommission gelte das in Art. 39 Abs. 2 EG enthaltene Verbot der Diskriminierung fur sarntliche Tatigkeiten, die der Unterhaltung dienen, unter der Voraussetzung, dass die Tatigkeit zu Erwerbszwecken ausgeiibt werde. Diese Definition des Anwendungsbereiches ratione materiae des
443 Verordnung (EW G) Nr, 1612/6 8 des Rates vom 15. Oktober 1968 tiber die Freiztigigkeit der Arbeitnehmer innerh alb der Gemeinschaft, ABI L 257, 2.
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Art. 39 EG gelt daher auch fur Sport, sofern diese Tatigkeit als Berufssport ausgeiibt werde. Die Beklagte in diesem Verfahren wendet ein, dass die in Frage stehende Bestimmung des Reglements nicht Bestandteil einer staatlichen, sondern einer international privatrechtlichen Regelung sei, auf die Art. 12, 39 und 49 EG nicht anwendbar seien. Es fehle namlich der Nachweis, dass Gemeinschaftsrecht einem internationalen Reglement vorgehe, denn Gemeinschaftsrecht sei auf ein rechtmaliig erlassenes Reglement von UCI nicht anwendbar. Dies habe zur Folge, dass Vertragsbestimmungen, die eine derartige Klausel inkorporieren, rechtsgultig seien.v" GA Warner stellt in seinem Schlussantrag zunachst fest, dass die meisten Schrittmacher Berufssportler seien, wahrend die Kategorie der Steher sich in Berufs- und Amateursportler aufteile. Die Schrittmacher iibten daher, so Warner, eine wirtschaftliche Tatigkeit aus, die dem Anwendungsbereich ratione materiae des EG-Vertrages unterfallt.r" GA Warner geht im folgenden auf den Anwendungsbereich ratione personae von Art. 39 und 49 EG ein: Zunachst stellt er fest, dass es keinen Unterschied mache, ob die zwischen Schrittmacher und Radrennfahrer abgeschlossenen Vertrage der Freizugigkeit der Arbeitnehmer oder der Freiheit der Dienstleistung zu unterstellen seien. Warner determiniert im Anschluss einen weiten Kreis von Normadressaten von Art. 39 EG: "Auch steht fest, dass diese Bestimmung nicht nur die Mitgliedstaaten und die Behorden der Mitgliedstaaten, sondern auch Privatpersonen bindet, sowe it sie sich im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten. [... J Artike148 ist deshalb fur jedermann verbindlich, weil er ganz aHgemein gefasst ist. (Hervor-
hebung der Verfasserin)"446 In der Argumentation von GA Warner wird keine Unterscheidung zwischen Privatpersonen und mit besonderen, moglicherweise sogar staatsahnlichen, Befugnissen ausgestatteten Verbanden getroffen. Warner setzt jedoch in der Argumentation zur Drittwirkung der Art. 39 EG und 49 EG nicht an einer 444 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405 (1413). 445 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internation ale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Schlussantrag GA Warner, Slg. 1974, 1405, (1423). 446 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Schlussantrag GA Warner, Slg. 1974,1405, (1425). Warner macht auch im Hinblick auf den Anwendungsbereich ratione personae keinen Umerschied zwischen Art. 39 EG und An. 49 EG: "Artikel59 und 63 sind aber allgemein gefasst und geeignet, Beschrankungen unabhangig davon zu erfassen, wer sie eingefuhrt hat.", aaO.
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Interpretation des Kreises der Normadressaten an, sondern an der Verpflichtung des Staates, einen EG-vertragskonformen Rechtszustand zu schaffen. Zur Untermauerung fiihrt Warner neben der "allgemeinen Fassung" der Art. 39 und 49 EG ein effet-utile Argument ins Feld: Verbande konnten die Gemeinschaftsrechtsordnung unterwandern, wenn die Bestimmungen des EG-Vertrages nicht auf sie anwendbar waren, Er verabsaurnt jedoch, eine Definition und Abgrenzung des Begriffes "Verband von Privatpersorien" beizusteuern. 1.2.3. Urteil des EuGH
In seinem Urteil beschrankt sich der EuGH auf die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen: Zunachst stellt der Gerichtshof fest, dass sportliche Betatigungen dem EG-Recht untersrehen, soweit sie als wirtschaftliche Tatigkeit, i. e. soweit eine sportliche Bctatigung als entgeltliche Arbeits- oder Dienstleistung qualifiziert werden kann.v" Der EuGH schrankt den Begriff des "sportlichen Interesses" auf die Bildung von Nationalmannschaften ein. 448 Die Frage nach der Drittwirkung von Art. 39 und 49 EG als eine Frage nach "der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften auf Rechtsbeziehungen, die nicht dem 6ffentlichen Recht zuzurechnen sind"449 wird neu gefasst. Hiezu stellt der EuGH als obiter dictum zur Einleitung fest:
Das Verbot der unterschiedlichen Behandlung gilt nicht nur fur Akte der staatlichen Beborden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Maflnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten. Denn die Beseitigung der Hindernisse fur den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr [. . .] ware gefahrdet, w enn die Beseitigung der staatlichen Schrank en dadurch in ihren Wirkungen wieder aufgehoben tuiirde, dassprivatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten. Da im iibrigen die Arbeitsbedingungen je nach Mitgliedstaat einer Regelung durch Gesetze und Verordnungen oder durch Vertriige und sonstige Rechtsgeschiifte, die von Privatpersonen geschlossen oder vorgenommen werden, unterliegen, bestiinde bei einer Beschrdnkung auf staatliche Maflnahmen die Gefahr, 447 Zustimmend dazu: Steindorff, Berufssport im Gemeinsamen Markt, RIW 1957, 253 (254); Ubertazzi, Le domaine materiel du droit cornmunautaire, RTDE 1976, 635 (641); Delannay, Observations L'Affaire "Union Cycliste Internationale", CDE 1976, 209,217. 448 EuGH Rs. B.N.O. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Uni on Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405, (1419). 449 EuGH Rs. B.N.O . Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wie1ren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Schlussantrag GA Warner, Slg. 1974, 1405, (1423).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreihe iten gegen Ober int er rnedi aren Gewalten
dass das f ragliche Verbot nicht einheitlich angewandt wiirde (Hervo rhebung der Verfasserinj.P? D er vom E u G H in de r zitiert en Passage umschrieben e Kreis vo n N orrnadres saten umfasst w ohl zunachs t Koll ektivvertragsp artner sowi e Ver ba nde, di e iib er ahnliche Befugni sse ver fuge n .r" D ie letzte h ervor geh oben e Aussage lasst es zu mindes t moglich ersc hei nen, das in Art. 39 E G entha lte ne Verbot der untersc hiedliche n Behandlung iiber di e Inr erpretationsrnethode des Effe t utile auf jegliche Pri vatperson zu erstrecken.t' " In Beantwortung der Vorlagefrage stellt der EuGH fest, d ass de r einzelstaatliche R ichter bei der Priifu ng de r Giiltigkeit einer in der Sat zun g eines Spo rtverbandes enthaltenen Bestimmung Art. 39, 49 und 12 EG z u berucksichtigen habe. Auch wii rde A rt. 49 EG (und w ohl auc h, en tsp rech end d er standi gen Rechtsprechung d es Eu G H , Art. 39 EG) .i nsosoeit, als er die Abschaffung jeder aufder Staatsangebiirigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung bezweckt, seit dem Ende der Obergangszeit zugunsten der einzelnen Rechte erzeugen, welche die einzelstaatlichen Gerichte zu w ah ren haben. " 453 (Hervorhebung der Verf asserin) 1.3. Die Rechtssache Donal Mantero 1.3.1. Sachverhalt De r Klager in dem A usgangsverfahren hatt e seiten s des Bekl agten d en A uftrag erhalten, in auslandisch en F ufiballkreisen Fuliballspieler an zuwerben. N ach dem Herr D ona im Zuge sein er Verrnitrler tatigkeit eine Annonce in ein er belgische n Zeitu ng aufg egeben ha tte, weigerte sich der Beklagt e, jene Personen , die sich auf diese A nnonce hin gemelde t hatt en, in die Auswah l einzu beziehe n sowie die Anzeige zu bezahlen; es darf angeno mmen wer den, dass der Kla ger im Ausgangsverfahren au ch nicht die iibliche Vermittlerprovision erhielt. Die fiir d iese Vorgangsweise angebotene Begriindung laut et, dass diese Spi eler au fgrund der zu dem damaligen Zeitpunkt in Geltung stehend en A us lan d erklausel in der italienischen Liga nic ht jederzeit eingesetzt wer den konnten.
450 EuG H Rs. B.N.a. Walrave und L.]. N . Koch gegen Asso ciation U nion Cycliste Internationale, Koninklijke N ederland sche Wie1ren Unie und Federacion Esp anola Cic lismo, Schlussamrag GA Warner, Slg. 1974,1405, (1423). 451 50 auch Steindorff, Berufssport im G emeinsamen Markt, RIW 1957, 253 (254). 452 Zu dieser Schlussfolgeru ng gelangt bereits Trabucchi, Sport e lavoro lu crativ - Par tec ipazione aile gare e requisto di cittadinanza in uno dei paesi della cornrnunita europea , Rivista di diritto civile 1974,622 (623). 453 EuGH Rs. B.N.a . Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union C yc liste Internationale, Koninklijke N ederland sche Wie1ren U nie und Fede racion Espa no la Ciclismo, Schlussamrag GA Warner, 51g. 1974, 1405, (1421).
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Der Giudice Conciliatore di Rovigo stellt in seinem Vorabentscheidungsersuchen eine Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 39 EG auf "Vorschriften, die ein nationaler Verband mit der Befugnis zur Regelung des FuBballwesens auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates" erlassen habe.
1.3.2. Argumente der Parteien und Schlussantraqe des Generalanwaltes Der Italienische Fuiiballverband besteht nach Auskunft des Klagers aus Sportvereinen als juristischen Personen und aus nariirlichen Personen, die eine allgemeine oder besondere Wettkampftatigkeit entfalten oder mit der Organisation oder technischen Betreuung von FuBballspielen befasst seien. Der Italienische FuBballverband ist allein zur Regelung des Futiballs im Hoheitsgebiet Italiens zustandig. Die tatsachliche Mitwirkung der Spieler erfordert den Besitz des Verbandsausweises, welcher fur den Sektor der professionellen und der halbprofessionellen Fufiballspieler nur an Spieler mit italienischer Staatsangehorigkeit erteilt werde. Der Beklagte fiigt an, dass grundsatzlich gernaf Art. 16 i. V. m. Art. 28 der Personalordnung des Italienischen Fuliballverbandes nur Spieler italienischer Sraatsangehorigkeit in den FuBballverband aufgenommen werden. Daher konne, so der Beklagte, eine Aufnahme EG-auslandischer Spieler nur nach Aufhebung der genannten Regelung erfolgen. Zu dem hier interessierenden Aspekt der Ermittlung des Kreises der Normadressaten von Art. 39 EG trifft Generalanwalt Trabucchi eine weitgehende Aussage, welche wiederum an den Schlussantrag von GA Warner in WairaveiKoch 454 erinnert: ,,[... J dass der Aufnahme auslandischer Fuiiballspieler durch einen dazu bereiten Fuiiballverband keine rechtlichen Hindernisse - auch nicht von privater Seite - entgegengesetzt werden, [... J (Hervorhebung der Verfasserin)455. GA Trabucchi betont bereits zu Beginn des Aufbaus seiner Argumentation die alleinige Regelungsbefugnis des FICG. In der Schlussfolgerung zu diesem Argument formuliert Trabucchi unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in WalravelKoch:
"Die in diesen Artikeln aufgestellten Verbote gelten nicht nur fur Akte der staatlichen Beborden, sondern erstrecken sich auch auf sonstige Mafinahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten. Andernfalls [. . .J ware die Beseitigung der Hindernisse fur den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gefahrdet, wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihren 454 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Schlussantrag GA Warner, Slg. 1974, 1405, (1425). 455 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, SchluBantrag GA Trabucchi, Slg. 1976, 1333, (1345).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber lntermediaren Gewalten
Wirkungen wieder aufgehoben taicrde, dassprivatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichten. "456 (Hervorhebung der Verfasserin) Nach Ansicht von GA Trabucchi konne ein Mitgliedstaat nicht fur in seinem Hoheitsgebiet im Rahmen der Privatautonomie von natiirlichen oder juristischen Personen gesetzte Rechtsakte zur Verantwortung gezogen werden. Eine solche Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaates lie6e sich nur bei Bestehen eines staatlichen Aufsichtsmechanismus denken. 1.3.3. Urteil des EuGH In seinem Urteil formuliert der EuGH die ihm gestellten Vorlagefrage nicht etwa als Frage nach dem Kreis der Normadressaten von Art. 39 EG, sondern "ob die Artikel 7, 48 und 59 des Vertrages sarntlichen Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft das Recht gewahren, iiberall in der Gemeinschaft eine Tiitigkeit auszuuben, [... J" .457 Diese Aussage des EuGH lasst vermuten, dass Drittwirkung einer Vorschrift der Grundfreiheiten in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer grundrechtlichen Qualitiit und ihrer Bedeutung im System des EG-Vertrages zu betrachten ist, Ais nachste Dberlegung wird in dies em Urteil die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 39 EG erortert, Die Beantwortung der Vorlagefrage erfolgt unter Riickgriff auf WalraveiKoch:
"Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache Walrave [. . .] fur Recht erkannt hat, gilt das Verbot der auf die Staatsangehorigkeit gestiitzten unterschiedlichen Behandlung nicht nur fur Akte der staatlichen Beborden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Maflnahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten. Daraus folgt, dass das innerstaatliche Gericht bei der Prufung der Gidtigkeit oder der Wirkung einer in der Satzung eines Sportverbandes enthaltenen Bestimmung die zwingenden Vorschriften der Artikel 7, 48 und 59 des Vertrages zu berucksichtigen hat. "458 (Hervorhebung der Verfasserin) Der EuGH subsumiert im Weiteren den vorliegenden Sachverhalt unter die angesprochenen Bestimmungen und beantwortet die ihm vorgelegte zweite Frage im Urteilstenor wie folgt:
"A rtikel 48 einerseits sowie die A rtikel 59 Absatz 1 und 60 Absatz 3 des Vertrages andererseits - die beiden letzteren Bestimmungen jedenfalls insoweit, 456 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Schlutsantrag GA Trabucchi, Sl~ 1976, 1333,(1345~ 457 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333, (1338). 458 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg.1976, 1333, (1341).
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
als sie zum Gegenstand haben , aile Diskriminierungen des Erbringers der Dienstleistung aus Grunden seiner Staatsangeborigkeit oder w egen seines Aufenthalts in einem anderen als dem Mitgliedstaat, in dem die Leistung zu erbringen ist, zu beseitigen - erzeugen unmittelbare Wirkungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und verleihen den einzelnen Rechte, w elche die innerstaatlichen Gerichte zu wahren haben. "4 59 1.4. Ergebnisse
In den Rechtssachen WalravelKoch und Don alMantero werden die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Dienstleistung auf kollektive Regelungen staatsahnlich agierender Verbande angewendet. Bei einer Betrachtung der bislang erfolgten Ausgestaltung der Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbcitnehmer und der Freiheit der Dicnstleistung ist hernerkenswert, dass zwar GA Warner in WalraveiKoch von einer Drittwirkung des Diskriminierungs- und des Beschrankungsverbotes ausgeht, der EuGH jedoch ausschlieislich ein "Verbot der unterschiedlichen Behandlung" erwahnt, Die Intention hinter dieser Unterscheidung mag eine Eingrenzungzumindest zu dem damaligen Zeitpunkt - auf die Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes innerhalb der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer darstellen. SchlieBlich sind auch die Aussagen des EuGH in der Rechtssache DonalMantero ausschlieBlich auf eine Anwendung des in der betreffenden Grundfreiheit enthaltenen Diskriminierungsverbotes beschrankt, Die Entscheidung DonalMantero weist gegeniiber der vorhergehenden Entscheidung WalravelKoch zwci wesentliche und neue Elemente auf: Zum Einen erscheinen die vom EuGH in der Urteilsbegriindung sowie im Tenor selbst gewahlten Formulierungen gegeniiber WalravelKoch den Adressatcnkreis der Bestimmungen iiber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Dienstleistung wieder enger zu ziehen. Wahrend in DonalMantero noch "privatrechtliche Vcreinigungen und Einrichtungen" sowie "Vertrage und sonstige Rechtsgeschafte" erwahnt werden, die "kraft ihrer rechtlichen Autonomic" erneut Hindernisse fiir den Freien Personen- und Dienstleistungsverkehr aufrichten konnten, so werden in WalravelKoch urspriinglich nur MaBnahmen erwahnt, die "eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten", Zum anderen ist festzuhalten, dass der EuGH in DonalMantero jedenfalls die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in ihrer Ausgestaltung als Diskriminierungs- und als Beschrankungsverbot mit Drittwirkung fur MaBnahmen kollektiver Rechtssetzung ausgestattet hat; die Freiheit der Erbringung von Dienstleistungen wird jedoch vorlaufig nur im Ausmaf ihres Diskrirninierungsverbotes auf solche MaBnahmen anzuwenden sein. 459 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333, (1342).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber lntermediaren Gewalten
1.5. Schlussfolgerungen Irn Hinblick auf den Kreis der Normadressaten von Art. 39 und 49 EG fallt auf, dass der EuGH - wenn auch nur obiter - eine weite Formulierung wahlt, Es erscheint daher gerechtfertigt, ein dem U rteil Defrenne II ahnliches System der Rechtsfortbildung zu vermuten: Der EuGH stellt einen weiten Anwendungs bereich ratione personae in den Raum, interpretiert zugleich in der konkreten Rechtssache den anzuwendenden Rechtssatz sehr eng. Aus den gewahlten Formulierungen ist zu folgern, dass Drittwirkung einer Vorschrift der Grundfreiheiten in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer grundrechtlichen Qualitat und ihrer Bedeutung im System des EG-Vertrages zu betrachten ist, Wahrend in DonalMantero noch "privatrechtliche Vereinigungen und Einrichtungen" sowie "Vertrage und sonstige Rechtsgeschafte" erwahnt werden, die "kraft ihrer rechtlichen Autonomic" erneut Hindernisse fur den Freien Personen- und Dienstleistungsverkehr aufrichten konnten, so werden in WalravelKoch urspriinglich nur Mafsnahmen erwahnt, die "eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten". Der zugrunde liegende Sachverhalt bietet in seinen wesentlichen Elementen keinen Anhaltspunkt fur eine derartige Einschrankung. Vermutlich veranlasste die Stellungnahme von GA Trabucchi,460 der sich warnend zu einem (zwar bloB mitgliedstaatlichen) Eingriff in die Privatautonomie auBert, die nunmehr vorgenommene Abgrenzung. Allerdings ist in dem Urteil DonalMantero wiederum nichts von einer Rucknahme der weitergehenden Aussage obiter zu lesen, so dass potentiell Drittwirkung unter Einschluss von Privatpersonen im Raum verbleibt. Damit werden von Art. 39 EG nicht blof staatliche Akte, sondern auch Mafsnahmen kollektiver Rechtssetzung erfasst. Aufschlussreich ist hierbei erneut die gewahlte Formulierung: So spricht der EuGH nichr etwa von dem Kreis der Normadressaten von Art. 39 EG, namlich Staaten und staatsahnlich agierenden Verbanden, sondern von Kategorien von erfassten Rechtsakten, 2. Klarstellung und Weiterentwicklung: Die Rechtssache Bosman
2.1. Einfuhrunq
Wahrend die vorgenannten Entscheidungen in Literatur und Praxis auf nur wenig Beachtung stielien, verhalt es sich mit der Rechtssache Bosrnant'" ganz460 Vgl. auch Trabucchi, Sport e lavoro lucrativ - Partecipazione aile gare e requisto di citradinanzain uno dei paesi della cornmunita europea, Rivista didiritto civile 1974, 622 (623). 461 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL gegenJean-Marc Bosman und Royal Club Liegeois SA gegenJean-Marc Bosman, SA d'economie mixte
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Iich anders: Die Emscheidung Bosmani'" involviert, wie bereits anhand der Zitierung an den Parteien des Verfahrens zu erkennen ist, den gesamten europaischen FuBbail. Die in der Literatur weitgehend thernatisierten Aussagen des EuGH betreffen folgende dogmatische Problemkreise: Die Emscheidung Bosman statuiert im Hinblick auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer die Dbertragung des Priifungssystems der Freiheit des Warenverkehrs auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und damit, allerdings blof in Grundziigen, ein einheitliches dogmatisches System zur Prilfung der Grundfreiheiten. Irn gegenstandlichen Fall wird das Gebot der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in Art. 39 Abs. 1 EG von einem (blolien) Diskriminierungsverbot zu einem Beschrankungsverbot ausgeweitet. Jedoch trifft der EuGH keine Aussage zu der Anwendbarkeit der EGrechtlichen Wettbewerbsregeln auf Organisation und geschaftliche Tatigkeit, wie etwa den kollektiven Verkauf von Fernsehrechten an FuBballiibertragungen, im europaischen Fufsball. Die Abweisung der von dem vorlegenden Gericht gestellten Frage nach der moglichen Anwendbarkeit des Art. 81 EG auf den vorliegenden Sachverhalt erfoIgt unter Hinweis, dass nach der Beantwortung der Frage zur Drittwirkung des Art. 39 EG die Beantwortung der anderen Frage nicht erforderlich sei. Im Hinblick auf die Frage der Drittwirkung setzt der EuGH seine standige, in WalraveiKoch 463 und DonalMantero 464etablierte Rechtsprechung fort und baut diese aus. 2 .2. Die Rechtssache Bosman 2.2.1 . Sachverhalt
Jean-Marc Bosman ist belgischer Staatsbiirger und zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens iiber funfundzwanzig Jahre alt. Von 1986 bis 1990 spielte er fiir verschiedene belgische Fuiiballclubs, gegen Ende dieser Periode ausschIieBlich fur Royal Club Liege (im folgenden RC Liege), einen der Beklagten des Verfahrens vor dem EuGH.
sportive de I'union sportive du littoral de Dunkerque, Union royale beige des societes de football association ASBL, Union des associations europeennes de football (UEFA) und Union des associations europeennes de football (UEFA) gegenJean-Marc Bosman, Slg, 1995,1-4921 (im folgenden zitiert als: EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen Jean- Marc Bosman, Slg. 1995, 1-4921). 462 EuGH Rs. C-415 /93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Sig. 1995,1-4921. 463 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.J.N. Koch gegen Asso ciation Union Cyc1iste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405. 464 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Sig. 1976, 1333.
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber intermediaren Gewalten
Sein Arbeitsvertrag mit dem RC Liege, der ihm ein durchschnittliches Monatseinkommen von 120.000 BEF sicherte, lief 1990 aus. Nach Ablauf dieses Arbeitsvertrages bot der RC Liege Herrn Bosman einen neuen Arbeitsvertrag zu dem in der Verbandssatzung der URBSFA vorgesehenen Mindestbetrag, namlich 30.000 BEF, an. Bosman weigerte sich, diesen (neuen) Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Herr Bosman wurde in Folge dieser Weigerung auf die Transferliste des RC Liege gesetzt; nach den einschlagigen Regeln der URBSFA und der UEFA465 wurde die fur ihn veranschlagte Transfersumme auf ca. 12 Millionen BEF festgesetzt.t'" Da kein Verein Interesse an einem "Zwangstransfer" bekundet hatte, trat Herr Bosman mit einem franzosischen Verein, der SA d'economie mixte sportive du littoral de Dunkerque (im folgenden US Dunkerque), in selbstandige Vertragsverhandlungen. Mit diesem Verein schloss Jean-Marc Bosman am 30.Juli 1990 einen Arbeitsvertrag ab; RC Liege und US Dunkerque hatten sich bereits iiber die Transferrnodalitaten des Spielers vertraglich geeinigt. Der Transfer sollte in folgender Weise erfolgen: US Dunkerque sollte an den RC Liege die Summe von 1.200.000 BEF fur die Uberlassung von Jean-Marc Bosman fur die Dauer von einer Spielzeit bezahlen. Diese Summe sollte bei Eintreffen der Freigabebescheinigung't'" der URBSFA fallig werden. Arbeitsvertrag und Transfervertrag standen unter der auflosenden Bedingung, dass der Freigabeschein des belgischen Verbandes bis zum 2. August 1990 beim franzosischen Fu6ballverband eintreffen wurde, RC Liege unterlief es wegen Zweifeln an der Zahlungsfahigkeit des franzosischen Verbandes, den Freigabeschein bei der URBSFA zu beantragen, so class beide Vertrage aufgrund der auflosenden Bedingung wegfielen. Uberdies lie6 der RC Liege Jean-Marc Bosman bereits am 31. Juli fur die nachfolgende Spielsaison sperren. Daher war es Bosman verwehrt, seinem Beruf nachzugehen. Herr Bosman wandte sich an das Tribunal de premiere instance Liege mit einem Antrag auf einstweilige Verfiigung auf Fortzahlung seines Gehaltes und einem Antrag auf Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich der Vereinbarkeit des Transfersystems mit den Arts. 3c und 39 EG. Die Cour d'appel Liege hob 465 Statutes, Rules of Procedure of Congress, Regulations Governing the Implementation Of Statutes, Edition 2001, abrufbar unter www://uefa.org. 466 Herr Bosman wies im Verlauf des Verfahrens darauf hin, dass eine solehe Summe vermutlich keinen realistischen Preis auf dem Markt dargestellt habe. 467 Ein Freigabeschein (oder Freigabebescheinigung) ist fur den Wechsel eines Spielers von einem nationalen Verband zu einem anderen nationalen Verband erforderlich, vgl. Art. 6 Abs. 1 des FIFA Reglement bezuglich Status und Transfer von Spielern (www:// £ifa.org): Ein Amateur oder Nicht-Amateur, der fur einen Verein eines Verb andes spielberechtigt ist, darf die Spielberechtigung fur einen Verein eines anderen Verb andes nur dann erhalten, wenn der neue Verband im Besitz eines internationalen Freigabescheins ist, der durch den abtretenden Verband ausgestellt wurde.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
jedoch den Beschluss der Unterinstanz auf Vorlage an den EuGH auf, trug jedoch Herrn Bosman auf, seine Dienste jedern Verein zur Verfiigung zu stellen, der seine Dienste in Anspruch nehmen wolle. R C Liege wurde aufgetragen, von diesem Verein keine Entschadigung zu verlangen. Obwohl- oder gerade weil- Herr Bosman in der Folge fur drei Vereine der zweiten und dritten Liga spielte, liegen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts deutliche Hinweise fur einen Boykott aller europaischen Vereine auf Veranlassung der Beklagten vor. 468 Herr Bosman hatte zeitgleich mit seinem Antrag auf einstweilige Verfiigung auch ein Verfahren in der Hauptsache vor dem Tribunal de premiere instance Liege anhangig gemacht; in diesem Verfahren klagte er den RC Liege auf Schadenersatz in der Hohe von 30.000.000 BEF, gegriindet auf die Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtung und auf die Rechtswidrigkeit des Transfersystems. Die iibrigen Beklagten des Verfahrens vor dem EuGH traten diesem Verfahren bei. Die Cour d'appel Liege stellte dem EuGH zwei Fragen nach der Vereinbarkeit des Transfersystems (insbesondere der Verpflichtung eines Vereines, an einen anderen Verein fur dieEinstellung eines Spielers, dessen Vertrag bereits abgelaufen war) und der in nationalen und internationalen Regelungen von Sportverbanden iiblichen "Auslanderklauseln". 469 2.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes
Fur die in der gegenstandlichen Arbeit behandelte Problematik sollen in der Folge die wesentlichen Argumente des Schlussantrages von Lenz dargestellt und erortert werden: Generalanwalt Lenz leitet seinen Schlussantrag mit einer ausgedehnten Darstellung der Judikatur zu der Zulassigkeit der Vorlagefragen. Der Generalanwalt bildet drei Fallgruppen unzulassiger Vorabentscheidungsersuchen: Die erste Fallgruppe umfasst, so Lenz, jene Falle, "in denen das vorlegende Gericht dem Gerichtshof nicht alle Informationen zur Verfugung gestellt hat, die dieser benotigt, urn eine sachdienliche Entscheidung zu treffen. "470 Die Anwend468 EuGH Rs, C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4946). 469 EuGH Rs. C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4948). 470 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beIge de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4953). Vgl. folgende Beispiele aus der Judikatur des EuGH: EuGH Rs, C-320/90, C-321/90 und C-322/90 Telemarsicabruzzo SpA u. a. gegen Circostel u. a., Slg. 1992, 1-393: "Die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht niitzlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, macht es erforderlich, dass dieses Gericht den ratsachlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfiigen, festlegt oder zumindest die tatsachlichen Annahmen erlautert, auf denen diese Fragen beruhen."; EuGH
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
jedoch den Beschluss der Unterinstanz auf Vorlage an den EuGH auf, trug jedoch Herrn Bosman auf, seine Dienste jedern Verein zur Verfiigung zu stellen, der seine Dienste in Anspruch nehmen wolle. R C Liege wurde aufgetragen, von diesem Verein keine Entschadigung zu verlangen. Obwohl- oder gerade weil- Herr Bosman in der Folge fur drei Vereine der zweiten und dritten Liga spielte, liegen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts deutliche Hinweise fur einen Boykott aller europaischen Vereine auf Veranlassung der Beklagten vor. 468 Herr Bosman hatte zeitgleich mit seinem Antrag auf einstweilige Verfiigung auch ein Verfahren in der Hauptsache vor dem Tribunal de premiere instance Liege anhangig gemacht; in diesem Verfahren klagte er den RC Liege auf Schadenersatz in der Hohe von 30.000.000 BEF, gegriindet auf die Verletzung ihrer vertraglichen Verpflichtung und auf die Rechtswidrigkeit des Transfersystems. Die iibrigen Beklagten des Verfahrens vor dem EuGH traten diesem Verfahren bei. Die Cour d'appel Liege stellte dem EuGH zwei Fragen nach der Vereinbarkeit des Transfersystems (insbesondere der Verpflichtung eines Vereines, an einen anderen Verein fur dieEinstellung eines Spielers, dessen Vertrag bereits abgelaufen war) und der in nationalen und internationalen Regelungen von Sportverbanden iiblichen "Auslanderklauseln". 469 2.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes
Fur die in der gegenstandlichen Arbeit behandelte Problematik sollen in der Folge die wesentlichen Argumente des Schlussantrages von Lenz dargestellt und erortert werden: Generalanwalt Lenz leitet seinen Schlussantrag mit einer ausgedehnten Darstellung der Judikatur zu der Zulassigkeit der Vorlagefragen. Der Generalanwalt bildet drei Fallgruppen unzulassiger Vorabentscheidungsersuchen: Die erste Fallgruppe umfasst, so Lenz, jene Falle, "in denen das vorlegende Gericht dem Gerichtshof nicht alle Informationen zur Verfugung gestellt hat, die dieser benotigt, urn eine sachdienliche Entscheidung zu treffen. "470 Die Anwend468 EuGH Rs, C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4946). 469 EuGH Rs. C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4948). 470 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beIge de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4953). Vgl. folgende Beispiele aus der Judikatur des EuGH: EuGH Rs, C-320/90, C-321/90 und C-322/90 Telemarsicabruzzo SpA u. a. gegen Circostel u. a., Slg. 1992, 1-393: "Die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht niitzlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, macht es erforderlich, dass dieses Gericht den ratsachlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfiigen, festlegt oder zumindest die tatsachlichen Annahmen erlautert, auf denen diese Fragen beruhen."; EuGH
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber interrnediaren Gewalten
barkeit dieser richterlich geschaffenen Norm auf den vorliegenden Sachverhalt wird von GA Lenz abgelehnt. Die zweite Fallgruppe umfasst jene Falle, die "offensichtlich kein[en] Zusammenhang zwischen der von dem [nationalen] Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder der Priifung der Gultigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und der Wirklichkeit und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweisen. "471 Generalanwalt Lenz gelangt im Zuge der Erorterung dieses Stranges der Rechtsprechung zu der Folgerung, dass der EuGH ein Vorlageersuchen nur zuriickweise, wenn "es ganz offensichtlich keinen Bezug zum Ausgangsverfahren hat" (Hervorhebung von GA
Lenz).472 Der EuGH uberlasst in der Entscheidung Salonia (und in standiger Rechtsprechung) dem nationalen vorlegenden Gericht die Entscheidung iiber die Entscheidungserheblichkeit des Vorlageersuchens. Art. 234 EG sehe, so der EuGH, eine Zustandigkeitsverteilung zwischen EuGH und vorlegendem Gericht vor, wenn narnlich letzteres "eine Entscheidung daruber zum Erlass seines Urteils fur erforderlich'r" hiilt. 474 Eine Uberprufung der Erforderlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens durch den EuGH konne und salle, so der Generalanwalt, daher nur ausnahmsweise erfolgen und als Missbrauchskontrolle fungieren. Die dritte Fallgruppe beruht offensichtlich auf dem Gedanken der Missbrauchskontrolle des Rechtsweges. Auch hier halt der EuGH fest, dass es grundsatzlich Aufgabe der nationalen Gerichte sei, tiber die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens zu befinden. Zu diesem Grundsatz wird jedoch eine Ausnahme statuiert.v"
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472 473 474 475
Rs. C-157/92 Pretore von Genua gegen Giorgio Banchero, Slg. 1993,1-1085; EuGH Rs. C-316/93 Nicole Vaneetveld gegen Le Foyer SA und Le Foyer SA gegen Federation des rnutualites socialistes et syndicales de la province de Liege, Slg. 1994, 1-765. Fur eine Analyse siehe: Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 2. Auf!. (1995), 104ss; EuGH Rs. 126/80 Maria Salonia gegen Giogio Poidomani und Franca Giglio, verwitwete Baglieri, Slg. 1981, 1563; EuGH Rs. C-286/88 Falciola Angelo SpA gegen Commune di Pavia, Slg. 1990, 1-191. EuGH Rs. C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-4957). Art. 234 Abs. 3 EG. EuGH Rs. 126/80 Maria Salonia gegen Giogio Poidomani und Franca Giglio, verwitwete Baglieri, Slg. 1981, 1563, (1564, 1577). "Etwas anderes wiirde nur dann gelten, wenn feststunde, dass das Verfahren des Artikels 177 EWG-Vertrag zweckwidrig angewandt wurde und in Wirklichkeit der Gerichtshof mittels eines konstruierten Rechtsstreites zu einer Entscheidung veranlasst werden soli, oder wenn offensichtlich ware, dass die Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof zur Auslegung vorgelegt worden ist, nicht anwendbar ist";
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Mit der dritten Fallgruppe soil, so GA Lenz, versucht werden, sowohl dem Geist der Zusammenarbeit zwis chen dem EuGH und den nationalen Gerichten im Rahmen des Vor abentseheidungsverfahren zu genugen, als aueh den ordnungsgemaisen Ablauf des Vorabentseheidungsverfahrens zu gewahrleisten. 476 W ahrend eine Anwendung der aus der ersten und der dritren Fallgruppe gew onne n en Norm fu r den vorliegenden Fall aulier F rage stehr, so widmet GA Lenz der aus der zweiten Fallgruppe gewonnenen Norm in der Subsurnption einige Aufmerksamkeit: Der Antrag von Herrn Bosman stiitze sich, so der Generalanwalt, auf die Behauptung, dass sich aus der Anwendung dieser Klau seln ein e sehwerwiegende Bedrohung seiner wirtsehaftliehen Existenz ergebe. GA Lenz stellt zunachst fest, das s es sieh bei dieser Vorlagcfrage nicht urn eine solch e handelt, die offensichtlieh keinen Bezug zum Ausgangsverfahren habe."? Naeh Ansicht des vorlegenden Geriehtes konne narnlich nicht ausgesehlossen werden, dassJean-Marc Bosman naeh Ablauf seines Vertrages einen neuen Verein innerhalb der EG und aufserhalb Be1giens finden konnte, der ihm eine Beschaftigung anbietet, Bei der Suehe naeh einer neuen Beschaftigung seien die Auslanderklauseln zumindest als mogliches Hindernis zu betraehten. N aeh Art. 18 des Belgisehen Code Judiciaire sei eine vorbeu gende Feststellungsklage unter die sen mate riellen Umstanden zulassig. GA Lenz merkt jedoeh an, dass fur Jean-Marc Bosman bislang eine Beeintrachtigung der Ausiibung seines Berufes dureh die Auslanderklauseln nicht ersiehtlieh sei. Er habe bei untersehiedliehen Vereinen im Ausland gespielt. Seine Sehwierigkeiten, ab Anbeginn des Reehtsstreites im Jahre 1990 eine neue Anstellung zu finden, konnen nicht auf die Anwendung der "Auslanderklaus eln" durch die europaischcn Vereine zuriickgefiihrt werden, sondern viclmeh r auf einen organisierten Boykott dureh sarntliche der UEFA angehorenden Vereine auf Veranlassung der Beklagten. GA Lenz gelangt zu der Sehlussfolgerung, dass das vorlegende Gerieht eine Beantwortung der zweiten Vorlag efrage mit stiehhaltiger Begriindung fur erforderlieh halt. Der EuGH ist zwar an die Ansehauung des nationalen Gerichtes nicht gebunden. Eine Zuriickweisung der Vorlagefrage sei naeh bisheriger R eehtspreehung zwar moglich, ab er nicht notwendig und saehgemaK478 vgl. EuGH Rs. C-231/89 Krystyna Gmurzynska-Bscher gegen Oberfinanzdirektion Kaln, Sig. 1990, 1-4003 (1-4004). 476 EuGH Rs, C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Sig. 1995, 1-4921, Schlussantrag GA Len z , 1-4921 (1-4958); vgl. auch EuGH Rs. C-29 7/88 Massam Dz od zi gegen Belgischer Staat, Slg, 1990,1-3763; EuGH Rs. 104/79 Pasquale Foglia gcgen Mariella N ovello, Sig. 1980, 745. 477 EuGH Rs. C-415/93 Union ro yale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Sig. 1995, 1-4921, Schlussantrag GA Lenz; 1-4921 (1-4960). 478 EuGH Rs. C-415 /93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosm an, Sig. 1995, 1-4921, Schluss antrag GA Lenz , I-4921 (1-4963).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber lnterrnediaren Gewalten
In der Rechtssache Bosman lasst GA Lenz fur das Vorliegen eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes im Wesentlichen genugen, dass Jean-Marc Bosman einen Arbeitsvertrag mit einem franzosischen Verein abgeschlossen hatte.V? Fur die erste Vorlagefrage genugt denn auch ein Hinweis auf die Schadigung des Klagers durch die Anwendung der Transferregeln im europaischen FuBballsport. Die zweite Vorlagefrage scheint einen groBeren argumentativen Aufwand seitens des Generalanwaltes zu erfordern. GA Lenz lasst die Zulassigkeit der vorbeugenden Feststellungsklage vor dem nationalen Gericht im Verein mit der potentiellen Beeintrachtigung der Chancen fur den Klager, eine Anstellung bei einem anderen europaischen Verein zu finden, geniigen, Das Erfordernis des Vorliegens eines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes wird daher auf das Erfordernis des potentiellen Vorliegens eines Ankniipfungspunktes verdiinnt.i'" Die Frage der Dritrwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer wird von GA Lenz mit Hinweis auf die Entscheidungen DonalManteror" und Walraue/Kocbv? blof kurz angeschnitten. Der Generalanwalt stellt lapidar fest: "Auch die Satzungen von privaten Sportverbanden unterliegen dem Gemeinschaftsrecht. "483 Die materielle Einschatzung der Rechtmatiigkeit der Transferregeln und der Auslanderklauseln wird von GA Lenz als Verstof gegen das Diskriminierungsverbot und Beschrankungsverbort'" des Art. 39 EG gewertet. Wahrend eine solche Beurteilung fur Existenz und Anwendung der Auslanderklauseln unzweifelhaft erscheint, ortet GA Lenz den Verstof gegen Gemeinschaftsrecht fur den Bereich des Transfersystems in den Erfordernis der Zahlung einer Ablosesumme und des damit verbundenen Freigabescheines bei dem 479 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussamrag GA Lenz, 1-4921 (1-4975): Dem Ausgangsrechtsstreit liegt jedoch der gescheiterte Wechsel von einem belgischen zu einem [ranzosiscben Verein zugrunde. 480 Vgl. fur den Bereich des Freien Warenverkehrs die hinlanglich bekannte DassonvilleFormel: Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Warenverkehr mittelbar oder unmittelbar, tatsachlich oder potentiell zu behindern, ist als Maiinahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmafsigc Beschrankung anzusehen. (Hervorhebung der Verfasserin), in EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974, 837, (852). 481 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333. 482 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405. 483 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussamrag GA Lenz, 1-4921 (1-4973). 484 Vgl. dazu EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-4921, Schlussamrag GA Lenz, 1-4921 (1-4991).
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Unmittelbare Drittwirkung von EG·Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Wechsel eines BerufsfuBballspielers von einem nationalen Verband zu einem anderen nationalen Verband.t'" Weiters argumentiert GA Lenz unter Berufung auf die Rechtssache Heylens'"; dass Art. 39 EG ein Grundrecht darstelle, "das jedem Arbeitnehmer der Gemeinschaft individuell vom Vertrag verliehen ist. " 4 87 Aus der Grundrechtsqualitat von Art. 39 EG leiter GA Lenz ab, dass eine Verletzung eines Grundrechts auch erfolgreich geriigt werden konne, wenn die in Frage stehende MaBnahme beschrankenden Charakter aufweist, Dies gelte jedenfalls dann, "wenn die Beschrankung den Zugang zum Arbeitsmarkt in anderen Mitgliedstaaten betrifft. " 488 An dieser Stelle sollen zwei zusatzlich Aspekte releviert werden: Die Einordnung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer als Grundrecht zieht ihre Qualitat als grundlegende Vorschrift des EG-Vertrags nach sich. Die Grundlagenqualitat des Art.39 EG solI wiederum unter Heranziehung des Urteils H eylens belegt werden:
Da die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer zu den grundlegenden Zielen des EWG- Vertrages gebiirt, folgt [ . .J die Verpflichtung, die Freiziigigkeit auf
der Grundlage der geltenden, innerstaatlichen Rechtsuorscbrijten zu gewahrleisten, aus Artikel 5 EWG- Vertrag, wonach es den Mitgliedstaaten obliegt, alle geeigneten Mafinahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfiillung der Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergeben, zu treffen und alle Mafinahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefahrden leonnten.v " (Hervorhebung der Verfasserin)
485 "Ein ahnliches Erfordernis scheint es hingegen fur einen Wechsel innerhalb eines Verbandes nicht zu geben. [...J Ich habe daher in der miindlichen Verhandlung an die Kommission die Frage gerichtet, ob d iese Umstande dazu fiihren, dass Wechsel ins Ausland groBeren Schwierigkciten begegnen oder zumindest einen groBeren Aufwand crfordern als Wechsel innerhalb ein und desselben Verbandes. Die Vertreterin der Kornmis sion hat diese Frage bejaht, wobei sie sich auf Angaben von Herrn Bosman stiitzt. Die UEFA hat sich hierzu in der miindlichen Verhandlung nicht geauBert.": EuGH Rs . C-415 /93 Union royale beIge de football association ASBL ua gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussamrag GA Lenz, 1-4921 (1-4988). 486 EuGH Rs. 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097. 487 EuGH Rs, C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (I-5008), unter wortlicher Zitierung von EuGH Rs. 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987, 4097 (4117) , Rz.14. 488 EuGH Rs. C-415/93 Union ro yale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921 , Schlu ssantrag GA Lenz, 1-4921 (1-5008 ). 489 EuGH Rs. 222/86 Union nat ionale des entraineurs et cadres techniques du football (U nectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097 (4116).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber interrnediaren Gewalten
Die Grundlagenqualitat des Art. 39 EG sowie die Argumentation des EuGH in der Rechtssache H eylens't? entspricht der Argumentation des Gerichtshofes in der Rechtssache Defrenne II491. Die Eigenschaft als "grundlegende Vorschrift des Gemeinschaftsrechts" des Lohngleichheitsgebotes fur Manner und Frauen und der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer hat gemeinsam mit der Qualifikation der betreffenden Vorschriften als Grundrechte zur Konsequenz, dass diese zwei Vorschriften Drittwirkung entfalten. Irn Hinblick auf die Eigenschaft des Art. 39 EG als Grundrecht und des sen potentielle Drittwirkung sind die von GA Lenz angesprochenen Einwande gegen diese Auffassung von Relevanz: GA Lenz weist zunachst auf die vom EuGH in der Rechtssache Keck 492 vorgenommene Abgrenzung von Ma6nahmen, "die bestimmte Verkaufsmodalitaten bescbrdnleen oder verbieten, sofern diese Bestimmungen fur aile be-
troffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tatigkei: im Inland ausuben, und sofern sie den Absatz der inldndiscben Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsacblicb in der gleichen Weise beruhren"493 hin. Wollte man die Keck-Formel auf die Freizugigkeit der Arbeitnehmer iibertragen - diese Losung wird allerdings vom Generalanwalt nicht befurwortet"?' - schlagt GA Lenz VOf, in der Anwendung des Art. 39 EG zwischen "Maflnahmen, die den Zugang zur Beschaftigung regeln, und Mafinah-
men, die sich mehr auf die Ausiibung dieser Tiitigleeiten richten, zu unterscbeiden."495 Fur die Drinwirkung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer ist die Frage nach den zur Verfiigung stehenden Rechtfertigungsgriinden von gro6er Bedeutung. Der Schlussantrag von GA Lenz enthalt einige wertvolle Anhaltspunkte, auch
490 EuGH Rs. 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987, 4097. 491 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg 1976, 455. 492 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993, 1-6097. 493 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097. 494 GA Lenz stiitzt seine gegenlaufige Empfehlung an den Gerichtshof auf drei Argumente: Es gabe keine gefestigte Rechtsprechung des EuGH im Rahmen von Art. 39 EG, diewie dies bei Art. 28 EG der Fall sei - auch unterschiedslos anwendbare Maiinahmen erfasst. Weiters weise die Vorschrift des Art.59 EG eine ahnliche Normstruktur wie Art. 49 EG. Auf die Freiheit der Dienstleistung habe der EuGH jedoch die Dbertragung der Keck-Formel abgelehnt: EuGH Rs. C-275/92 Her Majesty's Customs and Excise gegen Gerhart und J6rg Schindler, Slg. 1994,1-1039; EuGH Rs. C-384/93 Alpine Investments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995, I-114l. 495 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-5009).
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
wenn diese auf das Spezifikum FuBballverband UEFA gemiinzt sind. 496 Die nun folgenden allgemeinen Aussagen beziehen sich ausschlieBlich auf materielle Rechtfertigungsgriinde fiir einen Verstof gegen Grundfreiheiten - Lenz versucht jedoch, fur konkrete Verstofse von Fuiiballverbanden gegen Grundfreih eiten und gegen Art.81 EG eine koharente Kategorie von Rechtfertigungsgriinden zu erarbeiten. GA Lenz schlielit aus der Formulierung des EuGH in WalravelKoch 497, dass eine Rechtfertigung der Au slanderklauseln in der Rechtssache Bosman nur mit "nichtwirtschaftlichen Grunden, die ausschliefllich den Sport betreff en", zulassig sei. GA Lenz setzt an dieser Formulierung an und meint, dass der EuGH in dieser Passage nicht von zwingenden Erfordernissen oder von Rechtfertigungsgriinden hab e sprechen wollen, sondern bloB sportliche Regelungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 39 EG oder aus dem Anwendungsbereich des Vertrages iiberhaupt habe ausschlieBen wollen. GA Lenz verkniipft nun Diskriminierung (Auslanderklauseln) und Beschrankung (Transferregeln) und empfiehlt dem Gerichtshof die Annahme eines neuen zwingenden Grundes des Allgemeininteresses. Die Berufung der Sporrverbande auf ein anderes Grundrecht, namlich auf jenes der Vereinigungsfreiheit, erscheint GA Lenz fur dies en spezifischen Sachverhalt nicht zulassig. Da das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit, das den Sporrverbanden zustehe , allenfalls mit dem Grundrecht auf Freiziigigkeit des einzelnen Sportlers kollidiert, geniige zur Losung des Konflikts nicht eine einfache Giiterabw agung. Eine bloBe Cuterabwagung wiirde, so Lenz, "der grundlegenden Bedeutung des Artikels 48 f ur den Binnenmarkt [. . .J nicht ausreichend Rechnung tragen"498. Nur ein "uberragend w ichtiges Verbandsinteresse" kann eine Beschrankung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer rechtfcrtigen. Solche Interessen konnen nach Ansicht von Lenz unter dem Begriff der zwingenden Griinde des Allgemeininteresses subsumiert werden. In dem zweiten Abschnitt seines Schlussantrages untersucht Generalanwa lt Lenz die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Art. 81 und 82 EG auf das Verhalten der nationalen Fufiballverbande und der UEFA. Wahrend es unstreitig erscheint, dass FuBballvereine als Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG zu betrachten sind, ist jedoch fraglich, ob die einzelnen nationalen Fuliballverbande und UEFA als Unternehmensvereinigung oder als Vereinbarung von Unternehmen zu betrachten sind . Nach Ansicht von
496 EuGH Rs. C-415 /93 Union roy ale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921 , Schlussamrag GA Lenz, 1-4921 (I-SOB) 497 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Un ion Cyc1iste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ci clismo, Slg. 1974, 1405 (1419). 498 Eu G H Rs. C-415 /93 Union ro yale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1 -4921, Schlus samrag GA Lenz , 1-4921 (1-5013).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenilber Interrnediaren Gewalten
GA Lenz sind die Transferregeln und die Auslanderklauseln der nationalen Fuiiballverbande, der UEFA sowie der FlFA als Vereinbarungen oder Beschlusse zu bezeichnen, die an Art. 81 und 82 EG zu messen sind. Sowohl Transferregeln als auch Auslanderklauseln geniigen dem Spiirbarkeitskriterium einer Wettbewerbsbeschrankung, welches ja blof fordert, dass der Handel potentiell beeintrachtigt sein musse''?". Eine Wettbewerbsbeschrankung liege, so Lenz, ebenfalls vor: Die Auslanderklauseln beschranken die Moglichkeiten der einzelnen Vereine, durch die Einstellung der von ihnen aufgrund ihrer Fahigkeiten gewiinschten Spieler miteinander in Wettbewerb zu treten. Das Transfersystem hingegen beschrankt den Wettbewerb zwischen den Vereinen, weil ein Spieler auch nach Ablauf seines Arbeitsvertrages zunachst dem bisherigen Verein zugeordnet bleibt und ein neuer Verein verpflichtet ist, eine Ablosesumme zu bezahlen. Diese Rechtslage hat tendenziell zur Folge, dass die bestehende Wettbewerbslage erhalten bleibt. SOD N ach Ansicht von GA Lenz gehe es bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht urn eine Tarifabsprache, sondern - sowohl im Falle der Transferregeln als auch im Falle der Auslanderklauseln - urn eine horizontale Absprache zwischen Vereinen. Eine Freistellung nach Art.81 Abs.3 EG konne jedoch nur die Kommission erteilen; die im Falle Bosman zu Tage getretenen Sachverhaltselemente wiirden eine solche Freistellung jedoch nicht rechtfertigen.>?' GA Lenz widmet sich in der Folge einer kurzen Analyse der Frage, ob die in der UEFA und FIFA zusammengeschlossenen Vereine uber eine kollektive marktbeherrschende Stellung verfiigen. Dies wird seitens des Generalanwaltes wohl bejaht, allerdings konne bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht von dem in Art. 82 EG geforderten Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gesprochen werden, weil die Vereine nicht iiber eine Marktmacht verfiigen, die sie in ihrer Gesamtheit gegeniiber Wettbewerbern, Abnehmern und Verbrauchern einnehmen. Die von den Vereinen beschaftigten Fuiiballspieler sind als Arbeitnehmer zu qualifizieren und unterfallen keiner der genannten Kategorien. S02
499 EuGH Rs. 19/77 Miller International Schallplatten GmbH gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1978, 131. 500 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995, 1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-5030). 501 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-5036). 502 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, Schlussantrag GA Lenz, 1-4921 (1-5038).
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Unm ittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
2.2.3. Urteil des EuGH
Der EuGH kiindigt zu Einleirung seines Urteils an, beide Vorlagefragen des vorlegenden Gerichtes beantworten zu wollen. Dieses habe mit Riicksicht auf die Auslanderklauseln die Ansicht vertreten, dass deren An wendung fur ]eanMarc Bosman verrninderte Berufschancen nach sich ziehe. Der Gerichtshof merkt an, das s beide Klagen im Ausgangsverfahren zwar blof feststellenden Charakter h aben, jedoch in dem anwendbaren nationalen Recht vor gesehen sind. Eine Entscheidung des EuGH iiber die vorgelegten Fragen ist daher .objek tiv erforderlich" s03. Zu de r Anwendbarkeit des An. 39 EG auf durch Sporrverbande aufge stellte Regeln halt der Gerichtshof fest, dass EG-rechtliche Bestimmungen iiber die Freiziigigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr jenen sportlichen Regelungen nicht ent gegenstehen, die aus nichtwirtschaftlichen Grunden erforderlich sind. Eine Bereichsausnahme im Bereich d er Frcizugigkeit der Arbeitnehmer fur Sport wird vorn EuGH jedoch deutlich abgelehnt.t?' In der Folge erortert der EuGH Anwendungsbereich und Reichweite des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit. Dieses Grundrecht sei zwar Teil der Rcchtsordnung der Gemeinschaft, jedoch seien die von den Sporrverbanden aufgestellten Regeln - an dieser Stelle spricht der EuGH Transferregeln und Auslanderklauseln an - zur Ausiibung dieser Freiheit durch Verbande, Vereine oder Spieler nicht erforderlich. Auch seien die genannten Regeln nicht als "unausweichliche Folge" der Vereinigungsfreiheit anzusehen.I'" Die fur den vorliegenden Sachverhalt bedeutende Frage der Drittwirkung des An.39 EG wird vom EuGH unter Verweis auf das Urteil Walravel Koch 5C6 angesprochen: Der G erichtshof halt fest, d ass An. 39 EG "ni cht nur fu r behordliche MaBnahmen gilt, sondern sich auch auf Vorschriften anderer An erstreckt, die zur kollektiven Regelung unselbstandiger Arbeit dienen." 507 Diese einleitende Aussage des EuGH scheint die Drittwirkung des An. 39 EG auf Vorschriften einzu grenzen, die eine kollektive Rcgclung unselbstandiger Arbeit zum Gegenstand habcn und Drittwirkung nicht nach dem Kreis der
503 EuGH Rs. C-415/93 Uni on ro yale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, (1-5061). 504 EuGH Rs, C-415/93 Union roya le beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995, 1-4921, (I-5061). 505 EuGH Rs. C-415 /93 Uni on royale beige de football association ASBL ua gegen Jean Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921 , (1-5061). 506 EuGH Rs. B.N.a. Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Union C ycliste Internationale, Koninklijke Nederland sche Wielren Unie und Federacion Espan ola Ciclismo, Slg. 1974,1405. 507 EuGH Rs, C-415/93 Union ro yale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921 , (1-5065).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber lnterrnediaren Gewalten
Normadressaten zu bestimmen, sondern nach der Katcgorie der erfassten Malinahme. Allerdings bieten die anschliefsenden Aussagen des EuGH ein anderes Bild; die nun zitierte Aussage finder sich wortgleich in der Rechtssache Angonese 508 wieder:
Der Gerichtshof hat ndmlich ausgefuhrt, dass die Beseitigung der Hindernisse fur die Preiziigigkeit z wischen den Mitgliedstaaten gefahrdet w are, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse zunichte gemacht we rden konnte, die sich daraus ergeben, dass nicht dem offentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen (Hcrvorhebung der Verfasserinj/"? Dieser Passus des Urteils Bosman erscheint aus drei Grunden bemerkenswert: Bereits die Formulierung indiziert, dass nichr nur Maiinahmen erfasst werden sollen, die eine kollektive Regelung unselbstandiger Arbeit zum Gegenstand haben, sondern dass - zumindest potentiell- auch Malinahmcn erfasst werden sollen, die eine ahnliche Wirkung entfalten wie Schranken staatlichen Ursprungs. Dieser Hinweis auf eine ahnliche Wirkung wie "Ma6nahmen gleicher Wirkung", i. e. wie ein Hindernis fur den Binnenrnarktv '', erflielir aus der hier gewahlten Formulierung; erhartet wird diese Schlussfolgerung durch die nachfolgende Erorterung moglicher materieller Rechtfertigungsgrunde als im Rahmen zwingender Erfordernissc des allgemeinen Interesses im Urteil Bosm an selbst."! Zweitens fallt an der gewahlten Formulierung auf, dass der Schwerpunkt in der Definition der Drittwirkung nunmehr auf die Normadressaten des Art. 39 EG gelegt wird - namlich auf Vereinigungen und Einrichrungen, die nicht dem offentlichen Recht unterliegen und die von ihrer rechtlichen Autonomie Ge-
508 Vgl. wortgleiche Zitierung in EuGH Rs. C-281 /98 Roman Ang onese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg, 2000, 1-4139 (1-4172). 509 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Slg. 1995, 1-4921, (1-5066). 510 Mit der gewahlten Formulierung zieht der EuGH eine Parallele zu den Auswirkungen staatlicher Malinahmen und zu der hinlanglich bekannten Dassonville-Formel: "Jede Handelsregelung der Mitgliedsraaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Warenverkehr mitte1bar oder unmitte1bar, tatsachlich oder potentiell zu behindern, ist als Mafjnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmaliige Beschrankung anzusehen." (H ervorhebung der Verfasserin), in EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974,837, (852) Rz . 5. 511 Vgl. Erorterung der Anwendbarkeit der auf staatliche Malinahrnen gemiinz ten Rechtfertigungsgriinde gleich im Anschluss: EuGH Rs. C-415 /93 Union ro yale beige de football association ASBL ua gegen Jean -Marc Bosman, Slg, 1995, 1-4921, (1-5066).
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brauch machen,512 urn Schranken oder Hindernisse fur den Binnenmarkt zu errichten. Diese Definition ist final ausgerichtet, Schlielilich wird die genannte Passage wortgleich in das U neil Angonese ubernommen, welches die Drittwirkung von Art. 39 EG nicht bloB auf MaBnahmen kollektiver Regelung unselbstandiger Arbeit crstreckt, oder auf (nichtstaatliche) Einrichtungen und Verbande, sondern auch auf Privatpersonen erstreckt, Die im Allgemeinen gefasste Notwendigkeit der Drittwirkung des Art. 39 EG wird schlieBlich seitens des Gerichtshofes mit moglichen Ungleichheiten bei der Anwendung dieser Bestimmung begriindet, da die Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten teilweise durch staatliche MaBnahmen, aber auch durch von Privatpersonen geschlossene Vertrage geregelt werden. Nachdem der EuGH die Drittwirkung der Bestimmung des Art. 39 EG etabliert hat, wendet er sich nun moglichen Rechtfertigungsgriinden zu. Die nun folgenden Aussagen des EuGH betreffen die fur Private allenfalls eroffnende Rechtfertigungsgrunde: Der Gerichtshof weist hier das Argument der UEFA zuriick, dass Art. 39 EG als mit Drittwirkung ausgestattete Bestimmung fur Privatpersonen "einschrankender" sei als fur Mitgliedstaaten, dass sich bloB letztere auf die Rechtfcrtigungsgriinde des Art. 39 Abs. 3 EG berufen konnten, Die Abweisung dieses Arguments erfolgt allerdings lapidar:
Dieses Vorbringen beruht auf einer unzutreffenden Prdmisse. Nichts spricht ndmlicl: dagegen, dass die Recbtsjertigungsgrunde in bezug auf die offentfiche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit von Privatpersonen geltend gemacht w erden. Der offentliche oder private Charakter der betreffenden Regelung hat keinen Einjluss auf die Tragweite oder den Inhalt dieser RechtsjertigungsgriindeX'? 1m Weiteren wendet sich der EuGH der Uberpriifung des Vorliegens einer Beeintrachtigung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer. Im Bereich des Regelwerks zu Transfer wird die Beeintrachtigung der Preiziigigkeit der Arbeitnehmer im Erfordernis einer Freigabebescheinigung bei Wechsel des nationalen Verbands geortet.>" Das Erfordernis einer Freigabebescheinigung, welches auch durch verbandsinterne DisziplinarmaBnahmen verstarkt wird, hindert 512 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beIge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, (1-5066). 513 EuGH Rs. C-415 /93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, (1-5066). 514 »Die genannren Regeln beeintrachtigen namlich die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, da sie vorsehen, dass ein BerufsfuBballspieler seine Tatigkeit nicht bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansassigen neuen Verein ausiiben kann, wenn dieser Verein dem bisherigen Verein nicht die Tran sferentschadigung gezahlt hat, deren Hohe zwischen den beiden Vereinen vereinbart oder gemaB den Vorschrifren der Sportverbande bestimmr
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daher einen FuBballspieler, nach Ablauf seines Venrages innerhalb des Binnenmarktes frei zu verkehren. Die von URBSFA und UEFA vorgeschlagene Anwendung der Keck-Formel auf den oben angesprochenen Sachverhalt wird seitens des Gerichtshofes mit dem Hinweis abgewiesen, dass die Keck-Formel gerade solche Mafsnahmen aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 EG entferne, die fur den Bereich des Freien Warenverkehrs den Zugang von Waren zu einem nationalen Markt nichr beeinflussen. Die spezifische Ausgestaltung der Transferregeln beeintrachtigt jedoch den Zugang der Spieler zum Arbeitsmarkt und fallt, so der EuGH, gerade nicht in die von der Keck-Formel angesprochene Kategorie von Malsnahmen, Die materielle Prufung der zweiten Frage nach der Rechtrnaiiigkeit der Auslanderklauseln folgt demselben Prufungsschema, Der EuGH betont - in nunmehr standiger Rechtsprechung - den Charakter der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in dem Erfordernis des freien und nach Staatsangehorigkeit gleichen Zuganges zu Beschaftigung unter Verweis auf die Rechtssache Heylense": Schlieislich lehnt es der EuGH ab, sich zu der moglichen Anwendbarkeit der An. 81 und 82 EG zu au£ern - dies unter Hinweis auf die bereits erfolgte Beantwonung der Vorlagefragen. Die vom EuGH gewahlte Formulierung "da
die beiden in den Vorlagefragen genannten Arten von Regeln gegen Artikel48 verstoflen, braucht iiber die Auslegung der Artikel 85 und 86 des Vertrages nicht entschieden zu ioerden'T"; lasst zwei Interpretationsmoglichkeiten offen: Eine Deutung konnte die Aussage des Gerichtshofes als blofse Aussage zur Verfahrensokonornie begreifen. Auffallig ist jedoch, dass das vorlegende Gericht nicht blof nach einem etwaigen Verstof gegen An. 39 EG gefragt hatte, sondern auch nach einer Verletzung von Art. 81 EG. Die Beantwortung der Vorlagefragen selbst ist daher keineswegs vollstandig. Eine zweite Interpretationsmoglichkeit konnte den Gerichtshof so verstehen, dass bei der Qualifikation eines Sachverhaltes als Verstof gegen An. 39 EG eine gleichzeitige Verletzung von An. 81 oder 82 EG nicht moglich sei.
wurde.", in EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921, (I-5070). 515 EuGH Rs. 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097. 516 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegen JeanMarc Bosman, Sig. 1995,1-4921, (1-5078).
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3. Die Folgerechtsprechung zu Bosman - Deliege und Lehtonen 3 .1 . Einfuhrung
Die Entscheidungen D eliege517 und L ehtoneni' " stellen fur den Bereich der Anwendung einer Grundfreiheit auf die wirtschaftliche Betatigung "Sport" und di e mogliche Rechtferti gung einer Malinahme eines Spo rtverbandes eine fur die Klarstellung der Tra gweite der Entscheidung Bosman v ? wesen tliche Entwicklung dar. Die Klarstellung und Ausdifferenzierung d er Grenzen des Bcgriffes "wirtschaftliche Betatigung", die narurgernali dazu fiihren, dass diese Betatigung dem EG-Vertrag unterworfen wird, stellt allein aufgrund des Sachverhaltes in diesen Rechtssachen keine wesentliche Weiterentwicklung des Konzeptes der Drittwirkung der Grundfreiheiten dar. 3.2. Die Rechtssache Delieqe 3.2.1. Sachverhalt
Ch ristelle Deliege ist belgisch c Staatsangehorige und judokarnpferin in Belgicn. Frau Deliege behauptet im Ausgangsverfahren, sie sei von den Sporrverbanden in Belgien von der Teilnahme an internationalen Turnieren ausgeschl ossen worden. Die Europdische Judo-Union (im folgend en EJU) harte beschlo ssen, die europaische Auswahlliste fur die Olympischen Spiele aufgrund der von den Sportlern bei Turnieren der Kategorie A erzielten Ergebnisse zu erstellen. Das Recht zur Teilnahme an den olympischen Spielen steht jedoch nicht dem einzelnen Sportler aufgrund der erzielten Ergebnisse zu, so nde rn dem jeweiligen nationalen Verband. Daher ubt der nationale J udo-Verb and das Recht auf N 0minierung aus. Frau D elieg e beantragt beim Tribunal de premiere in stance N amur das System der Auswahl der judokampfer fur rechtswidrig zu erklaren, we il es gegen die Dienstleistungsfreiheit und die Freiheit der Ausiibung ih res Berufes verstolit; weiters beantragt Frau Deliege die Einholung einer Vorabentscheidu ng sowie Schadenersatz. Das Tribunal de premiere instan ce Namur befragt den EuGH nach der Vereinbarkeit des Auswahlverfahrens durch nationale Verbande und insbesondere nach der Vereinbarkeit der vorgegebenen Quote mit den Art. 49 bis 55 EG, sowie 81 und 82 EG.
517 EuGH verb. Rs. C-51 /96 und C-191197 Christelle Dcliegc gegen Ligue francophone de jud o et disciplines associes ASBL u. a., Slg. 1999,1-2549. 518 EuGH Rs, C-176/96 Jyri Leh tonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation ro yale belge des societes de basket-ball ASBL (FRBSB), Slg. 2000, 2681. 519 EuGH Rs. C-415/93 Uni on ro yale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1 -4921.
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3.2.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes Die Klagerin vertritt, dass eine Beschrankung der teilnehmenden Sportler pro Gewichtsklasse fur internationale Turniere der Kategorie A eine Beschrankung des Freien Dienstleistungsverkehrs darstelle; es konnte sich bei diesen Kontingenten jedoch auch um eine mittelbare Diskriminierung handeln, da die nationalen Verbande die Einschreibung des Sportlers vornehmen und eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit oder des Wohnortes vorgenommen werden kann. Schlielilich kann nach Ansicht der Klagerin jeder judokarnpfer als Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG betrachtet werden, weil er Dienstleistungen erbringe oder an deren Erbringung beteiligt sei. Nationale judoverbande und EJU konnen daher als Unternehmensvereinigungen oder selbstandige Unternehmen betrachtet werden. Die Regeln der EJU miissten als Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder als Vereinbarung zwischen Unternehmen betrachtet werden; die streitigen Regelungen haben nach Ansicht der Klagerin zumindest potentiell eine spiirbare Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Handel. GA Cosmas priift an dieser Stelle bereits die Anwendbarkeit des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit auf den vorliegenden Sachverhalt. Der Generalanwalt gelangt zu der Folgerung, dass die Vereinigungsfreiheit den Sportverbanden bzw. ihrer Regelungsbefugnis keine Immunitat gegeniiber weiterfiihrenden Regeln des Gemeinschaftsrechts gewahren kann.V? Die streitigen Regelungen stellen nach Ansicht des Generalanwaltes eine Beschrankung des Freien Dienstleistungsverkehrs dar. 52l Die Regelungen der EJU seien, so Cosmas, nicht als mittelbar diskriminierend einzustufen, da diese Regelungen die Klagerin unabhangig von ihrem Wohnort bei gleichbleibender Tatigkeit erfassen wurden.Y' Die Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes im Hinblick auf die Anwendung der Art. 81 und 82 EG vermag der Generalanwalt aufgrund mangelnder Informationen aus dem Sachverhalt nicht vorzunehmen - GA Cosmas beantragt eine Ablehnung der Beanrwortung dieser Frage. Hilfsweise er-
520 EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL u. a., Schlussantrag GA Cosmas, Slg. 1999, 1-2549 (I-2563). 521 "Die Wahrung der Interessen einer Nationalmannschaft stellt eine zwingende Notwendigkeit des Gemeinwohls dar, die ihrer Natur nach Beschrankungen des freien Dienstleisrungsverkehrs zu rechtfertigen vermag." EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associes ASBL u. a., Schlussantrag GA Cosmas, Slg. 1999,1-2549 (1-2582). 522 EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL u. a., Schlussantrag GA Cosmas, Slg. 1999, 1-2549 (1-2581).
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scheint GA Cosmas die allfallige Beeintrachtigung des Wettbewerbs offenbar gerechtfertigt. 523 Der Generalanwalt thematisiert in dem vorliegenden Schlussantrag jedoch nicht die Frage der Drittwirkung der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs; diese wird im Gefolge der Entscheidung Bosmanr-" als gegeben angenommen. Eine erwaige Normenkollision zwischen der betroffenen Grundfreiheit - in dies em FaIle zwischen der Freiheit der Dienstleistung und den Art. 81 und 82 EG - wird ebenso wenig angesprochen. GA Cosmas verweist hier deutlich auf die allgemein-faktischen Schwierigkeiten, in einem Vorabentscheidungsersuchen iiber ausreichend Informationen zu verfiigen, urn einen allfalligen VerstoG gegen EG-Wettbewerbsrecht feststellen zu konnen, 3.2.3. Urteil des EuGH
N och im Rahmen der Priifung der Zulassigkeit der Vorlagefragen stellt der EuGH fest:
"Nach alledem hat der Gerichtshofdie gestellten Fragen zu beantworten, soweit sie die Auslegung der Bestimmungen des EG- Vertrages iiber die Dienstleistungsfreiheit betreffen. Die Fragen sind dagegen unzuldssig, soweit siesich aufdie Auslegung der Wettbewerbsregeln fur Unternehmen beziehen. "525 Zu der materiellen Behandlung der vorliegenden Rechtssache gelangt, kniipft der EuGH an seine Rechtsprechung an und statuiert, dass die Ausiibung von Sport insoweit unter das Gemeinschaftsrecht falle, als Sport zum "Wirtschaftsleben" der Gemeinschaft gehore, Der EuGH thematisiert im nun folgenden argumentativen Aufbau seines Urteils die Drittwirkung des Art. 49 EG in keiner Weise, spricht dieser Bestimmung jedoch unzweifelhaft und erneut Drittwirkung zu:
"Was die Natur der streitigen Regeln angeht, so ergibt sich aus den Urteilen Walrave und Koch sowie Bosman, dass die Gemeinschaftsbestimmungen uber die Freiziigigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr nicht nur fur bebordliche Maflnahmen gelten, sondern sich auch aufVorschriften anderer Art erstrecken, die zur kollektiven Regelung unselbstdndiger Arbeit und der Erbringung von Dienstleistungen dienen. "526 523 EuGH verb. Rs, C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL u. a., Schlussantrag GA Cosmas, Slg. 1999, 1-2549 (1-2594). 524 EuGH Rs. C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921. 525 EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL u. a., Slg. 1999,1-2549 (1-2612). 526 EuGH verb. Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL u.a., Slg. 1999,1-2549 (1-2614): Der EuGH fiigt an
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Der EuGH folgert aus dieser Feststellung, dass von Sportvereinigungen aufgestellte Regeln fur deren Mitglieder den Arts. 49, 50 und 55 unterfallen. Der Gerichtshof fahrt fort, die dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Auswahlregeln zu qualifizieren: Diese sind, so der EuGH, als Beschrankungen des Freien Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 49 EG anzusehen; die Auswahlregeln fur Turniere der Kategorie A stellen zumindest keine Form der direkten Diskriminierung nach der Staatsangehorigkeit dar. Der EuGH fahrt fort, zwingende Gninde des allgemeinen Interesses als materielle Rechtfertigungsgriinde fur die in Frage stehenden Auswahlregeln zu priifen, Bei dieser Priifung gelangt er zu dem Ergebnis, dass Auswahlsysteme fur sportliche Wettkampfe natiirlich die Anzahl der Teilnehmer reduzieren. Eine soIehe Reduktion erscheint jedoch fur die Durchfiihrung eines internationalen Wettbewerbs notwendig, daher kann die angesprochene Regelung gerechtfertigt werden. 3.3. Die Rechtssache Lehtonen 3.3.1. Sachverhalt Der Sachverhalt in der Rechtssache Lebtonenr'? unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von jenem in der Entscheidung Deliege: Wahrend in Delieger-" Auswahlregelungen sowie Kontingente fur die Teilnahme an sportlichen Veranstaltungen an den EuGH zur Dberpriifung herangetragen wurden, werden in Lehtonen Sperrfristen fur den Einsatz von Spielern bekampft, welche innerhalb einer Spielzeit von einem Sportclub an einen anderen verpflichtet werden. fyri Lehtonen ist Basketballspieler finnischer Staatsangehorigkeit, nach Abschluss der nationalen Meisterschaft wurde Lehtonen von dem belgischen Basketball-Verein Castors Braine fur den Einsatz in der Endphase der belgischen Basketballmeisterschaft verpflichtet, Beginn und Ende der Meisterschaften in den jeweiligen Mitgliedstaaten der EG finden gewisserma6en zeitversetzt statt, Der finnische Basketball-Verband hatte bereits am 29. Marz die Freigabe von
diesen Rechtssatz das bereits bekannte Argument an: "Die Beseitigung der Hindernisse fiir die Freiziigigkeit und den freien Dienstleisrungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ware namlich gefahrdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse ersetzt werden konnte, die nicht dem offentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichrungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen konnten." 527 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Slg. 2000, 1-2682. 528 EuGH verb Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue francophone de judo et disciplines associees ASBL U. a., Slg. 2000, 1-2595.
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Herrn Lehtonen erteilt, so dass dessen Verpflichtung von seinem neuen Arbeitgeber bereits am 30. Marz an den bel gischen Basketball-Verband (FRBSB ) ang ezeigt werden konnte. D er neue Arbeitsvertrag von Herrn Lehtonen wurde am 3. April 1996 mit dem Verein Castors Braine abgeschlossen. Der belgische Basketball-Verband wies in einem unmittelbar danach abgefassten Schreiben den Verein von Herrn Lehtonen darauf hin, dass der Einsatz dieses Spielers ohne Vorliegen der Lizenzgenehmigung der Federation Internationale de Basketball (im folg enden FIBA) Sanktionen fur den Verein Castors Braine nach sich ziehen wiirde. Die FIBA lehnte am 9. April d .]. die Erteilung der Lizenzgenehmigung fur H errn Lehtonen mit der Begrundung ab, die fur ihn geltende Transferfrist sei iiberschritten. Herr Lehtonen wurde von seinem Verein jedoch bereits ab dem 6. April in zwei Spiel en eingesetzt; Castors Braine wurde fur diesen Einsatz mit zwei Spielniederlagen in der Wertung bestraft. Lehtonen und Castors Braine strengen in der Folge ein Gerichtsverfahren vor dem Tribunal de premiere instance Briissel an, welches dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit der Transferfristen mit Art. 12, 39, 81 und 82 EG stellte. 3.3.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes GA Albers stellt in seiner Stellungnahme zunachst fest, dass die Transferperioden die Freiziigigkeit der Arbcitnehmer beeintrachtigen. Da die Transferperioden unmittelbar den Zugang der Spieler zum Arbeitsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten beeintrachtigen, konnen diese Regelungen auch nicht den Verkaufsmodalitaten im Sinne des Urteils Keck und Mithouard 529 gleichgestellt w erd en .P? Nachdem der Generalanwalt die sachliche Anwendung der Keck-Formel auf den vorliegenden Sachverhalt ausschliefst, nimmt er Stellung zu deren gru ndsa tzlichen Anwendbarkeit auf den Rechtsbereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer: GA Albers spricht sich gegen cine Dbertragung der Keck-Formel auf die Freizugigkeit der Arbeitnehmer aus. Diese habe bloB zum Ziel, den weiten Anwendungsbereich der Freiheit des Warenverkehrs nach dem Urteil Dassonville 531 zu begrenzen. Verkaufsmodalitaten wiirden, so Albers, nicht den Zugang des Produktes zum Markt in einem gegebenen Mitgliedstaat be-
529 EuGH Rs. C-297/91 und C-268 /91 Strafverfahren gegen Bernard Keck und Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097. 530 EuGH Rs. C-1 76/96 Jyr i Lehtonen und Ca stors Canada D ry Namur-Braine ASBL gegen Federation ro yale belge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt A lbers, Slg. 2000, 1-2682 (1-2604). 531 EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave DassonvilIe, SIg. 1974, 837.
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eintrachtigen.P? sondern blof den weiteren Absatz an den Endverbraucher. Daher wiirden "Verkaufsmodalitaten" regelmaliig den Warenverkehr nur sehr mittelbar beeintrachtigen, Berufsausubungsregeln sind jedoch den produktbezogenen Regelungen im Bereich des Freien Warenverkehrs strukturell naher als den Verkaufsrnodalitaten, da sie anders als letztere stets unmittelbar den Zugang eines Unionsburgers zu dem Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedstaates beriihren, Im Gegensatz zu der Freiheit des Warenverkehrs benotige man fur die Anwendbarkeit der Freiztigigkeit der Arbeitnehmer jedoch die Dberschreitung einer Grenze durch eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat als Arbeitnehmer tatig werden wolle. Wiewohl die Freizilgigkeit der Arbeitnehmer einen weiten Tatbestand - durchaus im Sinne des Urteils Dassonville - eroffne, so wirke bereits der Ankniipfungspunkt der Inanspruchnahme dieser Grundfreiheit als Filter, so dass es keiner weiteren Begrenzung des Tatbestandes durch eine Dbertragung der Keck-Formel bediirfe. GA Albers vertritt weiters die Auffassung, dass Transferperioden ein allenfalls bestehendes Ungleichgewicht innerhalb einer Meisterschaft eher verfestigen. Daher gelangt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass Transferperioden als Beschrankung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer aufzufassen seien. Der Generalanwalt gelangt in der weiterfuhrenden Analyse dieses Sachverhaltes zu der Priifung zwingender Erfordernisse des allgemeinen Interesses. Albers greift im Rahmen des materiellen Rechtfertigungskatalogs die Organisationshoheit der Verbande heraus, welche als Ausfluss der Privatautonomie betrachtet werden kann. Er stellt fest, dass Sport sich von den meisten Anwendungsbereichen der Grundfreiheiten insofern unterscheide, als Sport nur innerhalb fester Regelwerke (professionell) ausgeiibt werden konne. 533 Zu Sport als einen der Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten setzt GA Albers die iibrigen Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten in einen Gegensatz, welche "nur Freiheit und gegebenenfalls die Bindung an vertraglich begriindete Verpflichtungen"534 voraussetzen. Dieser Vergleich, aus dem GA Albers wahl auch in Bezug auf die Drittwirkung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer eine Sonderstellung fur Sport im 532 ,,[... Jdass sie nieht notwendigerweise denjenigen beruhren, der ein Produkt ein- oder ausfiihrt, sondern erst den weiteren Absatz an den Endverbraucher,", in EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale be1ge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Sehiussantrag Generalanwalt Albers, Slg. 2000,1-2682 (1-2696). 533 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale be1ge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt Albers, Sig. 2000, 1-2682 (1-2701). 534 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale belge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Sehiussantrag Generalanwalt Albers, Sig. 2000, 1-2682 (1-2701).
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Europaischen Gemeinschaft srecht herausarbeiten mochte, entb ehrt auf Seiten der zu vergleichenden Anwendungsbereiche der Grundfrciheiten einiger zusatzlicher Angaben: Die iibri gen Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten neben dem Sport - setzen nicht bloG Grundfreiheit und vertragliche Verpflichtung vo rau s, sondern auch mitglied staatliche, rnithin gesetzliche Regelung. Die Ausiibung professionellen Sports setzt sornit Grundfreiheit, vert ragliche Verpflichrung und rnitglied staatlich/ verbandsinterne Regulierung voraus. Die Begriffe »vertragliche Verpflichtung" und »Organisationshoheit der Verbande" sind vermutlich als Auspragungen des Begriffes »Privatautonomie" zu verstehen, welche als zw ingendes Erfordernis eine Beschrankung der Frei ziigigkeit der Arbeitnehmer und eine Beschrankung des Freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen vermag. Daher reduziert sich die Fr age nach der Rechtfertigung der vorliegenden Beschrankung auf die Anwendbarkeit einer Spielart der Privatautonomie, namlich der Organisationshoheit der Verbande. G eneralanwaltAlbers setzt an diesem Punkt der Prufung wieder an und folgert, dass die von Herrn Lehtonen und Castors Braine geforderte gesetzliche Regelung fiir den Bereich des Sports nicht erforderlich sei. Sportler wiirden sich bei gleichzeitig bestehendem Gesetzesdefizit bereits bei der Definition der Sportarten traditionell selbst organisieren, anstatt staatliche Normungen abzuwarten. Albers stellt jedoch fest: Regelungen des Berufssports leonnen grundsdtzlicb die Grundfreiheiten des Gem einschaftsrechts beeintrdcbtigen . 1m Rahmen einer Rechtfertigung ist dann festzustellen, dass bereits die Organisationshoheit der Sportoerbdnde ein scbutztoilrdiges Allgemeininteresse ist und dass jede Regelung der Sportu erbdnde grundsiitzlich geeignet ist, die Ausiibung dieser Organisationshoheit in genau dem uorsteben den Mafi zu v erw irklichen. Offene oder v erdeck te Zugangsschranken greifen dagegen so stark in Grundfreiheiten ein, dass sie einer gewichtigeren Rechtfertigung bediirjen als der notwendigen Organisationshoh eit der SportoerbiindeF? (Hervorhebung der Verfasserin) Aus dieser Aussage lasst sich unter Annahme einer Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer folgern, dass Generalanwalt Albers die Organisationshoheit der Verbande als Spielart der Privatautonomie bereits als zwingendes Erfordernis des allgemeinen Interesses erachtet. Gleichzeitig scheint der Generalanwalt von der Annahme auszugehen, dass jedwede Regelung der Sportverbande als verhaltnismaliig zu betrachten ist. Handelt es sich nach Ansicht von Albers hierbei urn eine praesumptio, dann 535 Eu G H Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und C astors Canada Dry Na mur-Braine ASBL gegen Federation royale beIge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag GeneralanwaltAlbers, Slg, 2000, 1-2682 (1-2701).
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obliegt die Beweislast der nicht vorliegenden Verhaltnismaliigkeit dem Klager, der die Rechtmaiiigkeit der Regelung bestreitet. Weiters fiihrt Albers eine Unterscheidung analog der Keck-Formel innerhalb moglicher Beschrankungen ein. Diese Unterscheidung erscheint fur sich alleine nicht logisch widerspriichlich, da Albers bloG die Anwendung der Keck-Formel fur die Freizugigkeit der Arbeitnehmer fur die Kategorisierung von Hindernissen oder Beschrankungen nach Dassonville ablehnt. Rechtlich wie faktisch mag namlich die Einfuhrung der Keck-Formel in ihrer Unterscheidung zwischen blolsen Verkaufsmodalitaten und Zugangsschranken im Ergebnis auf das vorn Generalanwalt gerade nicht erwiinschte Ergebnis hinauslaufen. Schlielilich lehnt Albers die blofse Organisationshoheit der Verbande bei der Rechtfertigung von Zugangsschranken als unzureichend abo An dieser Stelle des Schlussantrages schlagt der Generalanwalt einen zusatzlichen Rechtfertigungsgrund fur offene Zugangsschranken vor: Dieser konnte, so Albers, in dem objektiven Risiko fur einen sportlichen Wettbewerb entstehen, wenn Mannschaften sich in ihrer Zusammensetzung durch "auswdrtige Verstdrkung" verandern.P'' Mithin setzt der Generalanwalt an dem Erfordernis eines zusatzlichen Rechtfertigungsgrundes an, und nicht unmittelbar an der Priifung der Verhaltnisrnaiiigkeit der bekampften Maiinahme, Nach Einfiihrung eines zusatzlichen Rechtfertigungsgrundes oder zwingenden Erfordernisses fur offene Zugangsschranken innerhalb des zwingenden Erfordernisses Privatautonomie, der das erste zwingende Erfordernis wahl verstarken solI, schreitet Albers zu einer Prufung der Verhaltnismaisigkeit der bekampften Mafmahme. In der Sache gelangt GA Albers zu der Ablehnung der Verhaltnismaliigkeit von gestaffelten Transferfristen im Hinblick auf die Wahrung der sportlichen Objektivitat - zumal jene fur Spieler aus Drittstaaten kurzer sind als fur Spieler aus dem Gebiet der Gemeinschaft; eine Anschlusstransferbewegung sei nicht zu befiirchten, GA Albers setzt seine Stellungnahme mit einer Analyse eines etwaigen Verstolies gegen Art. 81 EG fort. Er stellt fest, dass zwar die Angaben des vorlegenden Gerichtes unvollstandig sind, dennoch aber davon ausgegangen werden konne, dass die professionellen Basketballvereine als Unternehmen zu betrachten sind. 537 Der Zusammenschluss zu FIBA und FRBSB sei als Unter536 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt Albers, Slg. 2000, 1-2682 (1-2702). 537 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt Albers, Slg. 2000, 1-2682 (I-2710): der Generalanwalt betrachtet als wirtschaftliche Tatigkeit der Vereine die Veranstaltung von Sportereignissen gegen Entgelt, die Vermarktung von Fernsehiibertragungsrechten und die Erzielung von Einnahmen iiber Sponsoren oder Werbung.
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nehmensvereinigung zu werten, da weder FIBA noch FRBSB selbst wirtschaftlich tatig werden. Deren Regelwerke seien daher als Beschliisse von Uriternehmensvereinigungen zu betrachten. Die Transferperioden seien jedenfalls geeignet, eine Handelsbeschriinkung darzustellen. Nach Albers miisse es moglich sein, eine Handelsbeeintrachtigung fur den Fall zu bejahen, dass eine Grundfreiheit behindert wird. Daher sei im vorliegenden Sachverhalt eine Beschriinkung des Wettbewerbs in Bezug auf die Transferfristen zu orten. Die Transferregeln konnten jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie erst einen Wettbewerb zwischen den Vereinen schaffen oder sicherstellen. Da keine Freistellung erfolgt ist, ist Art. 81 Abs.3 EG nicht anwendbar. Generalanwalt Albers gelangt zu folgender Schlussfolgerung:
" Daher sind Transferfristen in dem Mafi mit Artikel85 EG- Vertrag vereinbar; in dem sie sich mit der Arbeitnehmerfreizugigkeit vereinbaren lassen. "538 Diese Aussage von Generalanwalt Albers ist als systematisch unzutreffend einzustufen; der angesprochenen Frage soll jedoch ein gesondertes Kapitel gewidmet werden. 3.3.3. Urteil des EuGH Der EuGH befasst sich in seinem Urteil zunachst mit der Ausgestaltung der von Herrn Lehtonen und Castors Braine bekampften Regelungen.P? Nach der Feststellung unter Hinweis auf die Vorjudikatur, dass es sich bei der Tatigkeit von Herrn Lehtonen urn eine wirtschaftliche Tiitigkeit handelt, wendet sich der EuGH der Frage nach der Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer zu und fasst seine Vorjudikatur zusammen:
"Was die Natur der im Ausgangsverfahren streitigen Regelungen angeht, so ergibt sich aus den Urteilen Walrave und Koch [. . .j sowie Bosman [. . .j, dass die Gemeinschaftsbestimmungen iiber die Freiziigigleeit und den freien Dienstleistungsverkehr nicht nur fur bebordliche Mafinahmen gelten, sondern sich auch auf Vorschriften anderer Art erstrecken, die zur kollektiven Regelung unselbstdndiger Arbeit und der Erbringung von Dienstleistungen dienen. Die Beseitigung der Hindernisse fur die Preiziigigkeit und den 538 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale belge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag GeneralanwaltAlbers, Slg. 2000, 1-2682 (1-2712). 539 Insbesondere wird herausgegriffen, dass die fur Drittstaaten vorgesehene zulassige Transferperiode Hingerist als jene fur Spieler, deren Lizenz von einem nationalen Verband innerhalb der EG stammt: EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale belge des societes de basketball ASBL (FRBSB), Slg. 2000, 1-2682 (1-2715).
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freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ware narnlicb gefahrdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse ersetzt werden wiirde, die nicht dem offentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen konnten:" 540 Daher sind sowohl Art. 12 EG als auch Art. 39 EG auf von Sportverbanden aufgestellte Regelungen anwendbar. Der EuGH fahrt mit Bezug auf Art. 12 EG fort, dass dieser einer selbstandigen Anwendung fahig sei,541 dieser Grundsatz indessen durch Art. 39 EG konkretisiert worden sei. Der EuGH stellt im Weiteren fest, dass die Transferperioden ein Hindernis fur die Freizugigkeit der Arbeitnehmer darstellen.r? Im Anschluss erwagt der EuGH nunmehr das Vorliegen objektiver Rechtfertigungsgrunde. Die Festsetzung von Fristen fur Spielertransfers konne, so der EuGH tatsachlich dem Zweck dienen, den geordneten Ablauf sportlicher Wettkampfe sicherzustellen. Der EuGH ist jedoch der Ansicht, dass dem Anschein nach eine solche Regelung fur die Erreichung des Zweckes nicht erforderlich, demnach nicht verhaltnismaisig sei. Es sei jedoch Sache des nationalen Gerichtes zu priifen, ob objektive Grunde die Unterscheidung zwischen Spielern aus EG-Staaten und solchen aus Drittstaaten rechtfertigen.r"
540 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt Albers, Slg. 2000, I-2682 (1-2725). 541 Vgl. auch EuGH verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 Phil Collins gegen 1MTRAT Handelsgesellschaft mbH und Patricia Irn- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emanuel Kraul gegen EM1 Electrola GmbH, Slg. 1993,1-5145. 542 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Narnur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag GeneralanwaltAlbers, Slg. 2000, 1-2682 (1-2733). 543 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Narnur-Braine ASBL gegen Federation royale beige des societes de basketball ASBL (FRBSB), Schlussantrag GeneralanwaltAlbers, Slg. 2000, 1-2682 (1-2735).
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4. Grundfreiheiten versus Grundrechte: Die Rechtssachen Viking und Laval 4.1 . EinfOhrung
Die Rechtssachen Viking 544 und Laval545 befassen sich mit dem Recht auf Durchfiihrung kollektiver Maisnahmen und des sen Einordnung in das System des Europaischen Binnenrnarktes. Wahrend der gesamten Dauer dieser Verfahren wurden Stimmen laut, es handle sich bei diesen urn cine fur die Union wegweisende Entscheidung zwischen einerseits absoluter Verpflichtung zu dem Konzept des schrankenlos freien Marktes und andererseits kollektiver Ausiibung des Grundrechts auf Streik, oder, in den Worten von Generalanwalt Poaires Madura, dem Recht der Arbeitnehmer, sich mittels Vereinigungsfreiheit und dem Recht auf kollektive Maisnahmen Regierungen und Arbeitgeber dazu anzuhalten, ihren Teil des Gesellschaftsvertrages zu erfiillen. 546 4.2. Die Rechtssache Viking 4.2.1. Sachverhalt
Die Rechtssache Viking betrifft zunachst das Bestreben eines Fahrunternehmens, das Schiff "Rosella", das den Fahrdienst zwischen Tallinn und Helsinki versieht, umzuflaggen. Solange das Schiff Rosella unter finnischer Flagge fahrt, ist der Betreiber nach finnischem Recht und nach dem auf dessen Besatzung anw endbaren Tarifvertrag gehalten, der Besatzung an finnis chem Lohnniveau orientierte Lohne zu bezahlen. Das Eahrschiff Rosella wurdc aufgrund der unmittelbaren Konkurrenz estnis cher Schiffe auf der gleichen Route, die allerdings mit geringeren Lohnkosten operieren konnten, mit Verlust betrieben. Das Fahrunternehrnen Viking beabsichtigte nun, die Rosella umzuflaggen und alternativ in Norwegen oder Estland registrieren zu lassen, urn einen neuen Tarifvertrag mit einer der Gewerkschaften dieser Linder abschlielien zu konnen und die Lohnkosten fur den Betrieb des Fahrschiffes zu senken. Von dieser Absicht wurde gem. finnischem Recht die finnische Gewerkschaft 544 EuGH Rs, C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABPu. a., Urteil des EuGH vom 11.12.2007, noch nicht in arntl. Slg. veroffentlicht. 545 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetareforbundet u. a., Urteil des EuGH vom 18.12.2007, noch nicht in amtl. Slg. veroffentlicht . 546 EuGH Rs. C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vom 11.12.2007, Schlussantrag GA Poaires Madura , Rz.60, noch nicht in amtl . Slg. veroffentlicht; vgl. auch Bercusson, The Trade Union Movement and the European Union: Judgment Day, ELJ 2007, 279; Blanke, Viking und Laval vor dem Europaischen Gerichtshof, AuR 2007, 249; Mestre, Some preliminary comments on the Opinion of Ad vocate-General Mengozzi in the Laval case, ELR 2007, 174; Reich, Gemeinschaftliche Verkehrsfreiheiten versus Nationales Arbeitskampfrecht, EuZW 2007,391 .
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber interrnediaren Gewalten
fur Seeleute (Finnish Seamen's Union, im folgenden FSU) unterrichtet, der sarntliche Seeleute der Rosella angehorten, FSU ist der Internationalen Foderation von Gewerkschaften fur Arbeiter im Transportsektor (International Transport Worker's Federation, im folgenden ITF) angeschlossen. Eines der Hauptanliegen der ITF ist der Kampf gegen die Vergabe von "Billigflaggen", urn die Arbeitsbedingungen der Besatzung an Bord solcher Schiffe zu verbessern. Nach Ansicht von ITF fahrt ein Schiff dann unter einer "Billigflagge", wenn das wirtschaftliche Eigentum und die Kontrolle iiber das Schiff in einem anderen Staat liegen als jenem, in welchem das Schiff registriert ist. Hauptanliegen der ITF sind daher zum einen, eine echte Verbindung zwischen der Flagge des Schiffes und der Staatsangehorigkeit des Eigners zu schaffen, sowie die Besatzungen von mit Billigflaggen fahrenden Schiffen zu schiitzen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. ITF betrieb daher eine Kampagne gegen die Vergabe von Billigflaggen durch Boykott und andere Solidaritatsmaisnahmen auf Ebene der Arbeitnehmer. Aufgrund der Mitteilung des Fahruntemehmens Viking, dass die Rosella nunmehr umgeflaggt werde, sandte ITF ein Rundschreiben an die der Foderation angehorende Gewerkschaften, das diese anwies, keine Verhandlungen tiber den Abschluss eines Tarifvertrages mit Viking oder deren estnischen Tochtergesellschaft zu fiihren. Nach einer Reihe gerichtliche Auseinandersetzungen vor finnischen Arbeitsgerichten und der mehrmaligen Ankiindigung eines Streiks erhob Viking vor einem britischen Gericht Klage auf Feststellung, dass das Rundschreiben der ITF und die Maiinahmen der FSU gegen Art. 43 EG verstoisen und darauf, den Gewerkschaften aufzutragen, die Viking aus Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte nicht zu beeintrachtigen. 4.2.2. Schlussantrag und Urteil
Potentielle gesellschaftliche und politische Auswirkungen eines Urteils bei dem gegebenen Sachverhalt werden bereits in dem Schlussantrag von GA Poaires Maduro zur Sprache gebracht.>" Des Weiteren halt der Generalanwalt Grundsatzliches fest: Viking Line beabsichtigt, ihr Recht auf freie Niederlassung auszuiiben, urn sodann von ihrem Recht auf freie Dienstleistung Gebrauch zu machen; ITF und FSU wiederum versuchen, die Ausiibung der Niederlassungsfreiheit durch Viking bestimmten Bedingungen zu unterwerfen. Bemerkenswert ist, dass GA Poaires Maduro eine Unterscheidung zwischen mittelbarer Drittwirkung einer Grundfreiheit und unmittelbarer Dritt-
547 EuGH Rs. C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vom 11.12.2007, Schlussantrag GA Poaires Maduro, Rz. 60, noch nicht in amtl. Slg. veroffentlicht,
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wirkung einer Grundfreiheit vermeidet; unter Verweis auf die Urteile "Kommission gegen Frankreich"548 und "Schmidberger"549 stellt der Generalanwalt zwar fest, dass in diesen Urteilen jeweils ein Mitgliedstaat als Adressat einer Verpflichtung aus einer Grundfreiheit definiert wird, lehnt jedoch eine Abgrenzung des Kreises der Normadressaten abo Poaires Madura analysiert zusammenfassend die Diskussion in Literatur und Judikatur tiber die horizontale Wirkung von Grundrechten oder deren Drittwirkung und halt fest: "Hinsichtlich der Abgrenzung der jeweiligen Rechtsspharen voneinander mag die mittelbare horizontale Wirkung sich von der unmittelbaren horizontalen Wirkung ihrer Form nach unterscheiden; in der Sache besteht allerdings kein Unterschied."550 Daher muss in der Argumentation des Generalanwaltes unter Verzicht auf eine Definition des Kreises der N ormadressaten der Anwendungsbereich der Freizugigkeir der Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit ausschlietilich iiber die Art der Tatigkeiten privater Akteure bestimmt werden. Daher werden samtliche Tatigkeiten privater Akteure, "die aufgrund ihrer allgemeinen Wirkung auf die Inhaber der Verkehrsfreiheiten geeignet sind, fur diese Personen Beschrankungen bei der Ausubung dieser Freiheiten dadurch aufzustellen, dass ein Hindernis geschaffen wird, das die Betreffenden nicht in zumutbarer Weise umgehen konnen."55\ von dem Anwendungsbereich der genannten Grundfreiheiten erfasst. Die von GA Poaires Madura vorgeschlagene Formel iibernimmt zwei Elemente der Dassonville-Formel (arg. "Beschrankungen [erg. im Binnenmarkt] ... dadurch aufzustellen, dass ein Hindernis geschaffen wird) und reichert diese urn einen unbestimmten Rechtsbegriff an, namlich jenen einer "zumutbaren U mgehung" . Und noch eine Schwierigkeit resultiert aus dem von Generalanwalt Poaires Madura gewahlten Ausgangspunkt: Auf Ebene der Rechtfertigung einer allenfalls beschrankenden Ma6nahme soll im gegenstandlichen Fall eine kollektive Maiinahme zur Verbesserung der Beschaftigungsbedingungen von Seeleuten 'iiberall in der Gemeinschaft als rechtfertigungstauglich und das angesprochene Ziel als im offentlichen Interesse der Gemeinschaft angesehen werden konnen. Jedoch ist eine kollektive Maisnahme, die Arbeitsplatze und Arbeitsbedingungen der derzeitigen Mannschaft verbessern soll, nicht rechtfertigungstauglich. Ein derartiges Resultat erscheint mehr als problematisch: Zum Einen werden reale Gegebenheiten gewerkschaftlicher Organisation iibersehen, da sich 548 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg.1997, 1-6959. 549 EuGH Rs, C-112/00 Eugen Schmidberger gegen Republik Osterreich, Slg. 2003, 1-5659. 550 Schlufsantrag GA Poaires Madura, aaO, Rz. 40. 551 Schluisantrag GA Poaires Maduro, aaO, Rz. 48.
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diese vornehmlich an nationalen oder regionalen Grenzen und nicht an jenen der Union orientieren.W Zum Anderen hie£~e dies, gewerkschaftlichem kollektivern Handeln, das haufig eine komplexe und groGere Anzahl von Zielen verfolgt, ein Ziel vorzugeben - namlich jedenfalls ein solches, das europarechtlich/gemeinschaftlich orientiert ist. Diesem Vorschlag folgt der EuGH in seinem Urteil jedoch nicht. Im Weiteren spricht der Generalanwalt das "Recht auf Streik" an: § 13 der Verfassung Finnlands gewahrleistet fur jedermann die Vereinigungsfreiheit innerhalb cines Berufszweiges und das Recht, sich zum Schutz anderer Interessen zu organisieren. Diese Bestimmung wird in herrschender Lehre und Rechtsprechung so ausgelegt, dass aufgrund dieser Vorschrift den Gewerkschaften gestattet wird, kollektive Maisnahmen zur Verteidigung der Interessen der Arbeitnehmer zu setzen. Das "Recht auf Streik" unterliegt nach hochstrichterlicher Rechtsprechung jedoch bestimmten Beschrankungen: ein Streik kann dann verboten werden, wenn dieser gegen die guten Sitten, das innerstaatliche Recht oder aber Gemeinschaftsrecht verstoGt. 553 Poaires Maduro stellt - unter Riickgriff auf Art. 12 und 28 der Charta der Grundrechte - fest:
"Daher haben die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf kollektive Maflnahmen in der Rechtsordnung der Gemeinschaft einen fundamentalen Stellenwert, wie dies in der Charta der Grundrechte der Europdischen Union erneut bestdtigt wird. "554 Hierzu folgt der EuGH dem Generalanwalt. Der EuGH halt fest, dass die Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG nichr nur fur Akte der staatlichen Behorden Geltung entfalten, sondern sich auch auf Regelwerke anderer Art, die die abhangige Erwerbsarbeit, die selbstandige Arbeit und die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln sollen, erstrecken. 555 U nter Hinweis auf standige Rechtsprechung, insbesondere auf die Urteile Walrave 556 , Dona 557 und Bosmant'", krnipft der EuGH an die Recht552 Blanke, Viking und Laval vor dem Europaischen Gerichtshof, AuR 2007,249 (250). 553 EuGH Rs. C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vom 11. 12.2007, Rz. 4, noch nicht in amtl. Slg. verofIentlicht, 554 SchluBantrag GA Poaires Madura, aaO, Rz. 60. 555 EuGH Rs. C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vom 11.12.2007, noch nicht in arntl. Slg. veroffentlicht. 556 EuGH Rs. 36/74 B.N.O. Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale u. a., Slg. 1974, 1405. 557 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333. 558 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921.
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sp rechung zur D irektwirkung vo n Grundfreiheiten in Bezug auf kollektive M aBnahmen an. Der Gerichtshof begriindet die Ankniipfung mit der unterschiedlichen Re gelung der Arbeitsbedingungcn in den Mitgliedstaaten, die durch gesetzliche MaBnahmen und Tarifvertrage, aber auch durch "sonstige MaBnahmen, die von Privatpersonen vorgenomme n werden"559 erfolgen kann. Kollektive MaBnahmen, insb. solche des vorliegenden Sach verhaltes, fallen daher in den Anwendungsbereich von Art. 43 EG. Des weiteren: Die Organisation kollektiver MaBnahmen durch Gewerkschaften fallt in deren rechtliche Autonomie, iiber die diese insbesondere aufgru nd der ihnen durch nationales Recht gewahrten Koalitionsfreiheit verfiigen. Jedoch konnen kollektive MaBnahmen, falls sie den iibrigen Voraussetzungen geniigen, als Beschrankungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) angesehen werden. Unter Riickgriff auf Art. 12 und 28 der Charta der Grundrechte sowie eine Rcihe internationaler Ubereinkornmen ist nach Ansicht des EuGH das Recht auf Durchfiihrung einer kollektiven MaBnahme, einschlieBlich des Streikrechts, als Grundrecht anzuerkennen. Ein solches Grundrecht sei zwar fester Bestandteil der allgemeinen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts, konne aber au s im allgemeinen Interesse gelegenen Grunden beschrankt werden.P ? Die im allgemeinen Interesse gelegenen Griinde rniissen jedoch im allgemeinen Interesse der GemeinschaftiUnion liegen. Das Grundrecht auf Durchfiihrung einer kollektiven MaBnahme, die den Schutz der Arbeitnehmer zum Ziel hat, kann die Beschrankung einer GrundFreiheit rechtfertigen, da das gen annte Ziel als im Interesse der Gemeinschaft gelegenes berechtigtes Interess e anzusehen ist, Daher ist der Rechtfertigungsgru nd "Schutz der Arbeitnehmer" als zwingendes Erfordernis im allgemeinen Interesse der EG anzusehen; eine Aufspaltung gewerkschaftlicher Ziele, wie von GA Poaires Maduro vorgeschlagen, erfolgt nicht. Die im vorliegenden Fall ergriffenen kollektiven MaBnahmen werden anschlieBend der allgemeinen Verhaltnismaiiigkeitspriifung unterzogen; diese obliegt dem zustandigen nationalen Gericht,
559 Eu GH Rs, C-438 /05 Internation al Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vorn 11.12 .2007, noch nicht in amtl. Slg. veroffentlicht, Rz. 34. 560 EuG H Rs. C-438/05 International Transport Worker 's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Urteil des EuGH vorn 11.12.2007, noch nicht in arntl. Slg. veroffentlicht , R z. 44.
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4.3. Die Rechtssache Laval 4.3.1. Sachverhalt
Die Rechtssache Laval befasst sich mit der Entsendung von Arbeitnehmern und einem aus dem Auftrag der Entsendung resultierenden Konflikt zwischen einem in einem anderen Mitgliedstaat ansassigen Unternehmen und einer ortlichen Gewerkschaft: Laval, eine Gesellschaft lettischen Rechts, entsandte Arbeitnehmer nach Schweden, damit diese auf Baustellen einer Tochtergesellschaft (L&P Baltic Bygg AB, im folgenden Baltic) arbeiten. Schweden verfugt nicht iiber ein System zur allgemeinen Verbindlicherklarung von Tarifvertragen; nicht aIle schwedischen Arbeitnehmer unterliegen daher einem Tarifvertrag. Obwohl die Festsetzung der Vergiitungen fur Arbeitnehmer in Schweden den Sozialpartnern mittels Tarifvertragsverhandlungen iiberlassen wird, enrhalten die meisten Tarifvertrage bloB einen Mindestlohn fur auf niedrigster Srufe einzuordnende Arbeitnehmer. Die Vereinbarung iiber die Vergiitung in der in diesem Rechtsstreit gegenstandlichen Baubranche wird jedoch grundsatzlich auf ortlicher Ebene zwischen Arbeitgeber und jeweils beteiligter Gewerkschaft getroffen. Wird auf ortlicher Ebene und auf Ebene der Sozialpartner keine Einigung erzielt, so wird das Grundgehalt aufgrund einer Auffangklausel bestimmt. Laval hatte zwar einen Tarifvertrag mit einer lettischen Gewerkschaft unterzeichnet, war jedoch gegeniiber der ortlichen Gewerkschaft der Bauarbeiter (Svenska Byggnadsarbetareforbundet, im folgenden Byggnads) nicht tarifvertraglich gebunden. Auch gehorte die entsandte lettische Belegschaft nicht Byggnads an. Da die zwischen Byggnads und Laval aufgenommenen Verhandlungen iiber den Beitritt von Laval zum Bautarifvertrag scheiterten, begann eine Blockade der mittlerweile eroffneten Baustelle. Byggnads forderte Laval auf, den entsandten Arbeitnehmern einen auf schwedische Lohnstatistiken und aufgrund dieser Statistiken berechneten Durchschnittslohn zu bezahlen. In der Folge wurden zahlreiche Solidaritatsrnaiinahmen eingeleitet, die zu einem Boykott samtlicher Baustellen von Laval in Schweden fiihrten, Das Unternehmen Laval erhob daraufhin Klage vor dem zustandigen Arbeitsgericht. Dieses auBerte in einem Vorabentscheidungsverfahren Zweifel an der Vereinbarkeit kollektiver Ma6nahmen, die das ausdriicklich ausgesprochene Ziel verfolgen, einen auslandischen Dienstleistungserbringer zur Unterzeichnung eines Tarifvertrages zu bewegen, mit Art. 12 EG, Art. 49 EG sowie der Entsen-
derichtlinie'v',
561 Richtlinie 96/71/EG des Europaischen Parlaments und des Rates iiber die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABI L 18/1997, 1 ("Entsenderichtlinie").
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4.3.2. Schlussantrag und Urteil Generalanwalt Mengozzi schlagt in seinem Schlussantrag eine deutlich unterschiedliche Argumentationslinie ein. Betreffend der Qualifikation des Rechts auf Streik gelangt er zu der bereits von Generalanwalt Poaires Maduro getroffenen Schlussfolgerung: Unter Riickgriff auf u. a. Art. 28 Charta der Grundrechte und die Verfassungstraditionen einer Reihe von Mitgliedstaaten vertritt er die Ansicht, dass "das Recht, kollektive Mafinahmen zur Verteidigung der Interessen der Mitglieder einer Gewerkschaft [zu ergreifen}, ein Grundrecht ist."562 Zwar diirfe ein Grundrecht des Gemeinschaftsrechts - auch gem. Art. 52 Charta der Grundrechte - nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden, dessen Ausiibung konne und rniisse jedoch an den iibrigcn, von einem Mitgliedstaat kraft EG iibernommenen Verpflichtungen ausgerichtet werden. Die Ausiibung eines Grundrechts musse daher in Einklang mit der fur den gegenstandlichen Sachverhalt anwendbaren Freiheit der Dienstleistung (Art. 49 EG) gebracht werden. Eine andere Losung wiirde, so Mengozzi, folgende Konsequenz nach sich ziehen:
.Schlosse man ausnahmslos die Anwendbarkeit der Verkehrsfreiheiten des Vertrages mit der Begriindung aus, der Schutz der Grundrecbte miisse gewahrleistet w erden, liefe dies in Wirklichkeit darauf binaus, z wischen Vorschriften und Grundsdizen des Gemeinschaftsrechts eine Hierarchie einzufuhren, was zwar nicht unbedingt abwegig, beim jetzigen Stand des Gemeinschaftsrechts jedoch nicht zulassig ist."563 Mengozzi versucht aus der bisherigen Rechtsprechung de s Gerichtshofes zu einem iiberaus weit gefassten Konzept unmittelbarer Dritrwirkung von Art. 49 EG zu gelangen: Eine Anal yse der bisher ergangenen Rechtsprechung wiirde den Kreis der Normadressaten urn Privatpersonen ohne Unterschied ihrer staatsahnlichen Handlungsmoglichkeiten erweitern und die erfassten Ma6nahmen nicht auf solche diskriminierender Art beschranken.P" Generalanwalt Mengozzi trifft in der Analyse der bislang ergangenen Rechtsprechung 562 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetaref6rbundet u, a., SchluJ3antragvon GA Mengozzi vom 23. 5.2007, noch nicht in amtl. Slg. ver6ffentlicht, Rz. 78. 563 EuGH Rs. C-341 /05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetaref6rbundet u. a., SchluJ3antragvon GA Mengozzi vom 23. 5.2007, noch niche in arntl. Slg. veroffentlicht, Rz. 84. 564 »] edoch zeigt eine tiefer gehende Anal yse dieser Rechtsprechung, dass die unmittelbare Anwendung von Art. 49 EG auf horizontaler Ebene sich nicht auf diskriminierende MaJ3nahmen von Privatpersonen beschrankt, die sich gegeniiber Dienstleistenden der Mitgliedstaaten auf dem Arb eitsmarkt kollektiv auswirken.", EuGH Rs , C -341/05 La-
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die in dieser Arbeit vertretene Unterscheidung zwischen Drittwirkung von Grundfreiheiten gegenuber interrnediaren Gewalten und jener - in allerdings eingeschranktern Ausmaf - gegenuber Privaten. Dieser weiten Auffassung unmittelbarer Drittwirkung der Freiheit der Dienstleistung folgt der EuGH in seinem Urteil nicht. Eine Beschrankung der Freiheit der Dienstleistung liege zwar vor; diese sei jedoch einer Rechtfertigung mit Hilfe der zwingenden Erfordernisse des Schutzes der Arbeitnehmer und des Kampfes gegen Sozialdumping zuganglich. Die Priifung der Verhaltnismaliigkeit des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 49 EG wird - mit der Kautel des allenfalls bereits im Entsendestaat bestehenden Schutzniveaus der Arbeitnehmer - dem nationalen Gericht iibertragen. In seinem Urteil halt der EuGH zunachst fest, dass Art. 3 Abs. 7 der RL 96/ 71/EG iiber die Entsendung von Arbeitnehmern nicht dahin auszulegen sei, dass ein Aufnahmemitgliedstaat einem Dienstleistungserbringer die Einhaltung von Arbeits- und Beschaftigungsbedingungen auftragen konne, die tiber ein Mindestmaf an Schutz hinausgehen. Das Recht auf Durchfiihrung einer kollektiven Ma6nahme ist jedoch unter Bezug auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und die oben angefuhrten Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europaischen Union - als Grundrecht sowie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts zu betrachten, dessen Beachtung der EuGH sicherzustellen hat. 565 Falls das Recht auf Durchfiihrung kollektiver Ma6nahmen zusatzlich und gleicherma6en im nationalen Recht Verankerung findet, so vermag diese Tatsache fur sich alleine einen Tatbestand nichr dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu entziehen. An dieser Stelle kmipft der EuGH an seine bislang ergangene Rechtsprechung an und verweigert sich einer extensiven Auslegung, die fur den vorliegenden Sachverhalt auch nicht von Belang ware: Die Freiheit der Dienstleistung in Art. 49 EG weist zunachst unmittelbare Drittwirkung blof fur Regelwerke kollektiver Art auf:
val un Partneri gegen Svenska Bvggnadsarbetareforbundet u. a., Schlussantrag GA M engozzi vorn 23.5.2007, noch nicht in amtl. Slg. veroffentlicht, Rz. 224. 565 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetareforbundet u. a., Urteil des EuGH yom 18.12.2007, noch nicht in amtl, Slg. veroffentlicht, Rz.90-91: "Demnach ist zwar das Recht auf Durchfiihrung einer kollektiven MaGnahme als Grundrecht anzuerkennen, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts ist, deren Beachtung der Gerichtshof sicherstellt, doch kann seine Ausubung bestimmten Beschriinkungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europaischen Union erneut bekrafrigt wird, wird es nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschrifren und Gepflogenheiten geschutzt."
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
,,Aufierdem ist daran z u erinnern, dass Art. 49 EG auch f ur Regelwerke nicht offentlich-rechtlicher A rt gilt, die die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln sollen. Denn die Beseitigung der Hindernisse fur den fr eien Dienstleistungsv erkeh r zwischen den Mitgliedstaaten ware gefahrdet, we nn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse neutralisiert we rden konnte, die nicht dem offentlich en Recht unterliegende Vereinigung en und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setz en. " 566 Der Schutz von Grundrechten des Eu ropaischen Gemeinschaftsrechts ist geeignet, eine Einschrankung sonstiger Grundsatze des Europaischen Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen. Die zu beurteilende Maisnahme muss iiberdies im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhaltnismaisig sein. Die Ziele "Schutz der Arbeitnehmer" und "Kampf gegen Sozialdumping" konnen als Rechtfertigungsgriinde ins Treffen gefiihrt werden. Jedoch sind im vorliegenden FaIle die von Byggnads ergriffenen kollektivcn MaBnahmen als nicht verh altnismaiiig einzustufen, da die im Empfangerstaat zu zahlenden Lohne einem Unternehmen, das die Freiheit der Dienstleistung ausiiben mochte, nicht im Vorhinein bekannt sein konnten. 5. Ergebnisse
Ber eits vor dem Urteil in der Rechtssache Bosman waren Tran sferregeln und Auslanderklauseln in judikarur und Literatur heftig umstritten: Manche innerstaatlichen Gerichte lehnten eine Vorlage an den EuGH im Sinne der CILFITRegel e contrario mit der Begriindung ab, die rechtliche Zulassigkeit der Ausland erklauseln stehe auger Frage .567 Die Europaische Kommission, in einer parlamentarischen Anfrage mit der EG-rechtlichen Zulassigkeit von Auslanderklauseln konfrontiert, wies auf seitens der Fugballverbande letztlich nicht eingehaltene - Gentlemen 's Ag reements hin. Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wurde als problematisch bezeichnet, da "die Bescbrankung der Zahl der ausldndischen Fufiballspieler auf dem Spielfeld eher von privaten als von off entlichen Stellen entschieden wird. "568
566 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetareforbunder u . a., Urteil des EuGH vom 18.12.2007, noch nicht in amtl, Slg. veroffentlichr, Rz. 98. 567 LG Frankfurt am Main, EWS 1994, 405 (407); vgl. auch eine Zusamm enstellung EuGH Rs, C -415 /93 Union royale beige de football asso ciat ion ASBL ua gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-4921 , Schlussa nt rag GA Lenz , 1-4921 (1-4967). 568 Europdisches Parlam ent, Janssen vo n Raay, Beri cht im Namen des Au sschusses fur Recht und Burgerrechte zur Fre izii gigkeit vo n professionellen Fugballspie1ern in der Gemeinschafr, PE 127.478/ endg. 1988/8 9.
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In der Literatur fanden sich jedoch zahlreiche Stimmen, die unter Hinweis auf die Prazedenzfalle Walrave/Koch 569 und Don;1/Manteroi?? zunachst auf eine Verletzung des Art. 39 EG durch die Anwendung der Auslanderklauseln hinwiesen.V' Das Risiko der Prozessfuhrung angesichts einer faktischen, und durch verbandsinterne Regelungsbefugnissev? auch rechtlichen Uberrnacht, verbleibt jedoch naturgemaii bei den Betroffenen.Y' Wahrend die Rechtswidrigkeit der Auslanderklauseln unter Hinweis auf die Rechtssache Walrave/Koch 574 bereits im Vorfeld der Entscheidung Bosman eindeutig erschien, so hangt die Frage nach der rechtlichen Beurteilung der Transferregeln ursachlich mit der Interpretation des Verbots in Art. 39 EG und, aufgrund der verwandten N ormstruktur - des Art. 49 EG als bloBe Diskriminierungsverbote oder auch als Beschrankungsverbote zusammen. Wahrend sich fur eine Interpretation des Art. 39 EG als Diskriminierungs- und Beschrankungsverbot die judiziellen Hinweise verdichteten.V" brachte die Entscheidung in Bosman die erforderliche Klarstellung. Fur die Frage nach der Drittwirkung erweist sich der erweiterte Anwendungsbereich von Art. 39 EG aus zwei Grunden fur wesentlich: Zum einen ist der erweiterte Anwendungsbereich einer Bestimmung fur die Festlegung der 569 EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405. 57C EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976, 1333. 571 Petzold/Safaris, Europaische Freizugigkeit von Berufsfuliballspielern aus deutscher und griechischer Sicht, EuR 1982, 76; Evans, Freedom of Trade under the Common Law and European Community Law: the Case of the football Bans, LQR 1986, 510; Hil[, Die Freiziigigkeit des BerufsfuBballspielers innerhalb der Europaischen Gemeinschaft, NJW 1984, 517; Kahlenberg, Zur EG-rechtlichen Zulassigkeit von Auslanderklauseln im Sport, EWS 1994, 423; Palme, Freizugigkeit im Profisport - EG-rechtliche Gewahrleistungen und prozessuale Durchsetzbarkeit, JZ 1994, 343; Weatherill, Discrimination on Grounds of Nationality in Sport, YEL 1989,56. 572 Die Betonung dieses Aspektes in seiner Relevanz fur die Drittwirkung von Art. 39 EG erfolgt bei Auneau, Le mouvement sportif europeen a l'epreuve du droit communautaire, RTDE 1996, 10I. 573 Die rechtliche und faktische Uberrnacht von Vereinen und Verbanden sowie das kurze Berufsleben eines BerufsfuBballers mag einer der Grunde sein, weshalb die in der Entscheidung Bosman angesprochenen Fragen so spat zur einer Entscheidung gelangten, vgl. dazu Demaret, Introduction: Quelques observations sur la signification de l'arret Bosman, RMUE 1996, 11; Holzer, Der Fall Bosman und der osterreichische Sport, RdA 1996, 197. 574 EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405. 575 fohnson/O'Keeffe, From discrimination to Obstacles to Free Movement: Recent Developments concerning the Free Movement of Workers 1989-1994, CMLR 1994, 1313, (1329).
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Grenzen der Drittwirkung von groBer Bedeutung. Zum anderen konnte aus einem koharenten System der Grundfreiheiten gefolgert werden, dass auch aile iibrigen Grundfreiheiten Drittwirkung besitzen. Die Nicht-Dbertragung der Keck-Formel auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer wird fur diese Argumentation nicht fur schadlich befunden. V" Die Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer erscheint nach der bisl ang analysierten Vorjudikatur folgerichtig,577 die weitere Ausgestalrung der Drittwirkung dieser Bestimmung verbleibt jedoch unklar: Noch in der Rechtssache \Valrave/Koch hatte der EuGH die Frage nach der Drirrwirkung von Art. 39 und 49 EG als eine Frage nach "der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften auf Rechtsbeziehungen, die nicht dem offentlichen Recht zuzurechnen sind"578 umschrieben. Aus der Folgejudikatur und insbesondere aus der Rechtssache Bosman konnen zwei Ansatze fur die Bestimmung der Normadressaten im Bereich der Drittwirkung erschlossen werden; beide Ansatze betreffen ausschlieBlich die kollektivistische Fallgruppe: Der eine Ansatz setzt schwerpunktmaliig an der - abstrakt zu betrachtenden - Regelungsbefugnis des Verbandes oder der Privatperson an; diese Regelungsbefugnis wird insofern auch als "staatsahnlich" betrachtet, als deren Sanktionssystem fur eine Verletzung des Regelwerks weitgehend in sich abgeschlossen und praktisch effekti v erscheint. Mit dies em Ansatz wird der Normadressat als staatsahnlich agierender Verb and oder staatsahnlich agierende Privatperson definiert, Der zweite Ansatz setzt an der Tatigkeit eines Verbandes oder einer Privatperson an, die zum einen - nun konkret betrachtet - MaBnahmen trifft, die cine kollektive Regelung im Arbeits- oder Dienstleistungsbereich enthalten, Zum anderen konnen auch sonstige Tatigkeiten umfasst sein. Dieser Ansatz stellt auf Malsnahmen ab, die eine kollektive Regelung im Arbeits- oder Dienstleistungsbereich umfassen, ohne auf die abstrakten Befugnisse der normerlassenden natiirlichen oder juristischen Person Riicksichr zu nehmen und 576 Zu einer moglichen Ubertragung der Keck-Formel auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer (und vermutlich auch auf die Freiheit der Diensdeistung) vgl. Weatherill, European Football Law, Collected Courses of the Academy of European Law, Vol. VII, Book 1 1996,341, (363);johnsonIO'Keeffe, From discrimination to Obstacles to Free Movement: Recent Developments concerning the Free Movement of Workers 1989-1994, CMLR 1994, 1313, (1329); Weatherill, Case Comment to Bosman, CMLR 1996, 991, (1003). 577 Reichold, Arbeitsrechtsstandards als "Aufenthaltsmodalitaten", ZEuP 1998,435, (438); Stockenhuber, Die neue Freiheit im Profisport, WBI 1996, 145; Schrammel, Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996,467, (470) . 578 EuGH Rs. 36/74 B.N.a. Walrave und L.J.N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Schlussamrag GA Warner, Slg. 1974, 1405, (1423), Rz , 12/13 .
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten qeqenuber interrnediaren Gewalten
ohne sonstige, von dieser juristischen Person erlassene Mafsnahmen zu erfassen; geradezu prototypisch erscheinen hier prozessfuhrende Gewerkschaften in Viking und Laval. Schlielilich ist die Entscheidung in der Rechtssache Bosman in einem rechtlichen Aspekt relevant, der gerade durch seine summarische Ablehnung ins Auge fallt: Der dem EuGH bekannte Sachverhalt und die zweite, von dem vorlegenden Gericht gestellte Frage nach der Anwendbarkeit des Kartellverbotes des Art. 82 EG sowie die Ausfiihrungen von GA Lenz lielien es vermuten, dass der EuGH auch iiber die Frage nach einem Verstof gegen Art. 82 EG durch den gegen Herrn Bosman verhangten Boykott befinden wiirde, Fleischer stellt im Anschluss an das Urteil Bosman eine Reihe von Fallgruppen zusammen, die einer potentiellen Doppelbeurteilung nach Art. 39 EG und nach Art. 82 oder 83 EG unterfallen konnten; diese konnten nach dieser Ansicht Transferregeln, Auslanderklauseln und andere Marktzutrittschranken, Disziplinarstrafen, Fernsehiibertragungsrechte, sowie Festlegung der Sportausriistung umfassen.>'? Zusatzlich zu dem bereits in Bosman angesprochenen Boykott birgt nanirlich die Frage nach einer Doppelbeurteilung nach Grundfreiheit und Wettbewerbsrecht systematischen Sprengstoff in sich. Zahlreiche Autoren sind der Ansicht, dass Fuiiballvereine als Unternehmen zu betrachten sind und dass das in Bosman angesprochene Verhalten - und eine Reihe von anderen, bereits genannten Tatbestanden - im Widerspruch zum Kartellrecht stehen.P? Eine Auflosung dieser Normkollision wird jedoch nicht angerissen. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Lehtonen stellt fiir das Problem der Drittwirkung der Grundfreiheiten keine Weiterentwicklung, sondern eine Konsolidierung dar. Bemerkenswert erscheint, dass der EuGH die von GA Albers erorterte Dbertragung der Keck-Formel auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer nicht anspricht, Der Gedanke, den Anwendungsbereich einer Grundfreiheit rnittels Dbertragung der Keck-Formel einzuschranken und gleichzeitig in der judiziellen Anwendung und Rechtsentwicklung die Drittwirkung der betreffenden Grundfreiheit auf einen weiteren Adressatenkreis zu erstrecken, findet zunachst keine Erwahnung.
579 Fleischer, Absprachen im Profisport und Art. 85 EG, Wirtschaft und Wettbewerb 1996, 473, (480); vgl. auch Fernandez Martin, Re-defining obstacles to the free movement of workers, ELR 1996, 313, (320): » The competing undertakings were actually sharing sources ofsupply." 580 Fur eine kurze Darlegung des Problemkreises vgl. auch Campogrande, Les regles de concurrence et les entreprises sportives professionelles apres I'arret Bosman, RMUE 1996,45; Geneste, Les federations sportives face au droit de la concurrence, RAE-LEA 1999,147; Pelle van den Brink, E.C. Competition Law and the Regulation of Football, ECLR 2000, 359 und 420; Vandamme, La Cornmunaute Europeenne et le Sportif Professionel, RMCUE 1996,353.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Bemerkenswert ist die Einfiihrung des zwingenden Erfordernisses des allgemeinen Interesses der Organisationshoheit der Verbande, rnithin der Privatautonomie. Wahrend die Organisationshoheit der Verbande als zwingendes Erfordernis des allgemeinen Interesses diskussionswiirdig sein mag, so stellt sich die Einfiihrung des zwingenden Erfordernisses des allgemeinen Interesses mit Namen Privatautonomie als Ubernahme eines bereits bekannten Konzeptes aus der Diskussion um die Drittwirkung der Grundrechte dar. Schlie61ich stellt der EuGH in Lehtonen fest, dass das in Art. 12 EG normierte Diskriminierungsverbot als Norm mit selbstandigem Anwendungsbereich der Drittwirkung fahig ist, Wahrend diese Aussage wahl nur folgerichtig ist, da sich in den eindeutig mit Drittwirkung ausgestatteten Grundfreiheiten, narnlich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer und der Freiheit der Dienstleistung, leges speciales find en, so stellt diese Aussage jedenfalls eine Ausdehnung des Konzeptes der Drittwirkung auf eine weitere Bestimmung des EG dar. Die Rechtssache Deliege erweist sich im Hinblick auf das in dieser Arbeit angesprochene Thema als argumentativ wenig ergiebig; faktisch jedoch steht nunmehr fest, dass sowohl die Freizugigkeit der Arbeitnehmer als auch die Freiheit der Dienstleistung Drittwirkung besitzen. Daraus ergibt sich, dass in den weiteren Erwagungen von einer Strukrurparallelitat zwischen diesen Grundfreiheiten ausgegangen werden kann. Dariiber hinaus wurde in der Literatur angernerkt, dass das Urteil Deliege als konsolidierend fur die Dogmatik der Grundfreiheiten anzusehen ist. 581 Bemerkenswert erscheint auch, dass der EuGH die von Generalanwalt Cosmas grundlich gefiihrte Er6rterung zum Vorliegen eines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes aufgreift, und zu einer Subsumption des Ausgangssachverhaltes unter den Begriff der "wirtschaftlichen Tatigkeit" gelangt. Unter Berufung auf den Amateurstatuts der Klagerin und auf das zeitlich weite Zuriickliegen bedeutender sportlicher Erfolge - welche rnoglicherweise eine Einordnung unter professionelle Sportler erlaubt - ware eine gegenteilige Entscheidung ebenfalls vertretbar gewesen. Der EuGH interpretiert nunmehr den Begriff der "wirtschaftlichen Tatigkeit" sehr weit, ohne Anknupfung an die nationale Qualifikation der betreffenden Tatigkeit, Bemerkenswert erscheint schliefslich, dass der EuGH wiederum - nach Bosman - die Beantwortung der Vorlagefrage zur Vereinbarkeit der Auswahlregeln mit Art. 81 und 82 EG ablehnt. Die Begriindung fur die Ablehnung ist diesmal eine andere; wahrend in Bosman eine Beantwortung der Vorlagefrage
581 ParisislFernandez Salas, Le sportif individuel au regard de l'arret "Bosman": les ordonnances Deliege, RMUE 1996, 135, (136); Thill, L'arret Bosman et ses implications pour la libre circulation des sportifs a I'interieur de l'Union europeenne dans des contextes facruels differents de ceux de l'arret "Bosman", RMUE 1009, 89, (114).
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Drittwirkung der Personenverkehrstreiheiten gegenOber lnt erm ed iaren Gewalten
als .rucbt nottoendig" bezeichnet wird 582 , wird in Deliege mit der Begriindung der mangelnden Sach verhaltsangabe die Vorlagefrage zuriickgewiesen. Der EuGH scheint es daher abzulehnen, sich zu einer gleichzcitigen Anwendung einer betroffenen Grundfreiheit und der Wettbewerbsregeln auszu sp rech en . Die bislang ergangene Re chtsprechung des EuGH zu der Anwendbarkeit gru ndfreih eitlich er Bestimmungen auf Regelwerke kollektiver Natur, demnach zu der Drittwirkung von Grundfreiheiten, setzt zunachst an der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer an: Der Eu GH spricht der Freiziigigkeit von Arbeitnehmern (A rt. 39 EG) bei staatsahnlich agie renden Verbandsregelungen und tarifvertraglich getroffenen Vereinb arungen Drittwirkung zu: In der bekannt geword en en Entscheidung Bosman unterwirft der EuGH von der FIFA und der UEFA auf gestellte Regelungen Art. 39; dieser gelte nicht nur fiir behordliche Maiinahmen, sondern beziehe sich auch "auf Vorschriften anderer Art, { . .}, die zur kollektiven Regelung unselbstdndiger Arbeit dienen. " 583 Wesentlich erscheint nunmehr die Betonung des Grunclrechtsgehaltes samtlicher Personenverkehrsfreiheiten; cliese umfassen Art.39 EG, Art. 43 EG und Art. 49 EG. Wahrencl etw a Ne tt esheim die genannten Grunclfreiheiten unter dern Begriff "europa rechtliche Grundrechte auf wirtschaf tliche M 0bilitdt " zusammenfasst, formuli ert der EuGH in der Rechtssache Bosman: ,,[...J, stellt die Freiziig igkeit der A rbeitnehme r einen der fundamentalen Grundsdtze der Gemeinschaft dar, und die Bestimmungen des Vertrag es, die diese Freiheit garantieren, hab en seit dem Ende der Obergangsz eit unmittelbare Wirkung. "5 84 Die Nichtanwenclung der Personenfreiziigigkeit und d er Di en stlei stungsFreiheit auf kollektive R egelungen unselbstandiger Arbeit, cleren Dbermacht der Einzelne zumeist ausgeli efert ist, konnte nach An sicht des EuGH narnlich eine gr aYierencle Schutzliicke nach sich ziehen. D as Diskriminierungsverbot als Bestanclteil der Personenverkehrsfreiheiten kann daher als grunclrechtlicher Bestandteil aufgefasst werden. Dieses rechtfertigt jedoch nur eine horizontale unmittelbare Anwcnclung der genannten Grundfreiheiten als Di skrim inierungsverbote, jedoch (noch) nicht als Beschrankungsverbote.
582 EuGH Rs. C-415/93 Union ro yale beige des societes de football association ASBL ua gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921. 583 EuGH Rs. C-415 /93 Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman , Slg. 1995, I-5040, (I-5065), Rz. 82; so au ch EuGH Rs , 36/74 B.ND. Walrave und L.].N. Ko ch gegen Association Un ion C ycliste Internationale, Kon inijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405; Eu G H Rs. 13/76 G aetano D on a gegen Mario Mantero, Slg. 1976,1333 . 584 EuGH Rs. C-415 /93 Union ro yale belge des socieres de football association ASBL u. a. gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995, I-5040, (1-5068), Rz. 93.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Die vom EuGH in den Rechtssachen Viking und Laval getroffene Entscheidung, die Freiheit der Niederlassung und die Freiheit der Dienstleistung auf kollektive Maisnahmen anzuwenden - die unter den Begriff kollektive Regelwerke subsumiert werden konnen - setzt daher eine bereits etablierte Rechtsprechungslinie im Bereich der Drittwirkung von Grundfreiheiten fort. Die in den Rechtssachen Viking und Laval ergangenen Urteile stellten den EuGH vor eine politisch sowie wirtschaftspolitisch heikle Entscheidung, namlich der Einordnung des den meisten nationalen Systemen bekannten Rechtes auf Ergreifung kollektiver Maiinahmen in das System des Binnenmarktes. Das Kernproblem einer Normkollision zwischen einer allenfalls beeintrachtigten Grundfreiheit und einem Grundrecht wird vorn Gerichtshof unter Riickgriff auf vorhandene Rechtsprechung einer - freilich erwas summarischen - Losung zugefiihrt: Aus dem Urteil Agrarblockaden kann folgende, an eine an den Mitgliedstaat gerichtete Verpflichtung abgeleitet werden: Dieser hat erforderliche und geeignete Malinahmen zu ergreifen, so dass - griindend auf eine aus der jeweils angesprochenen Grundfreiheit und dem Loyalitatsgebot in Art. 10 Abs.2 EG erwachsenden Verpflichtung - ein binnenmarktkonformer Zustand hergestellt wird. 585 Diese Folgerung bedeutet, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, etwaige Beschriinkungen des Binnenmarktes durch Private in Form von Blockadens'" oder Arbeitskampfen nach Moglichkeit zu unterbinden. Der EuGH geht jedoch insbesondere auf die Problematik der Grundrechte (am Beispiel des Streikrechts in manchen Mitgliedstaaten) im Verhaltnis zu der allenfalls verletzten Grundfreiheit nicht explizit ein, scheint jedoch eine Abwagungslosung zu bevorzugen.W Manche Autoren bezeichnen die aus der Grundvorschrift der betreffenden Grundfreiheit gemeinsam mit dem Loyalitatsgebot in Art. 10 EG erflieisende Pflicht des Mitgliedstaates zur Sicherstellung der Beachtung der Grundfreiheiten als Garantenpflicht des Mitgliedstaates.P" In dieser Arbeit soll im Weiteren der Begriff der Garantenpflicht zugrunde gelegt werden, da jener der Schutzpflicht eines Mitgliedstaates zu Verwechslungen mit nationaler Grundrechtsdogmatik Anlass geben konnte. 585 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1997,1-6959. 586 Vgl. zu der EG-Rechtmagigkeit der "Brennerblockade": Prist, Rechdiche Aspekte der Brenner-Blockade - Versammlungsfreiheit contra Freiheit des Warenverkehrs, O]Z 1999, 241. 587 Dazu kritisch Munoz, Libre circulation des marchandises - Arret "Fraises", RMUE 1998,152, (154). 588 Meurer, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz des freien Warenverkehrs, EWS 1998, 196, (198); so auch Szczekalla, Grundfreiheidiche Schutzpflichten - eine "neue" Funktion der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts, DVB1 1998,219, (221).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenGber intermediaren Gewalten
In dem nachfolgenden Urteil Scbrnidbergerv" spricht der EuGH jedoch von einer grundsstzlichen Gleichordnung von Grundrechten und Grundfreiheiten im System des Gerneinschaftsrechts.t?" Die Aussage des EuGH zu der prinzipiellen Gleichordnung von Grundrechten und Grundfreiheiten stellt einen wesentlichen Beitrag zur Klarung einer in judikatur und Literatur weithin umstrittenen Frage dar,"?' Grundrechte sind daher bereits in vorlaufiger Schlussfolgerung aus der Rechtssache Schmidberger als immanente Schranken der Grundfreiheiten und als prinzipiell gleichwertig zu betrachten.F" In der Abwagung zwischen dem Grundrecht auf die Ergreifung kollektiver Maiinahmen und der Dienstleistungsfreiheit halt der EuGH in konsequenter Weise fest, dass - sobald ein gegebener Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Europaischen Gemeinschaftsrechts fallt - die Rechtfertigung der in Streit gezogenen Maisnahme auch der Beurteilung nach Kriterien des Gemeinschaftsrechts unterfallt, Konsequent erscheint diese Aussage zunachst aus Griinden der von Art. 220 und Art. 234 EG dem EuGH zugesprochenen Kompetenzen, aber auch aus dem Grunde, dass ein dem Europaischen Gemeinschaftsrecht unterfallender Sachverhalt nach diesem beurteilt werden rniisse. Die von der schwedischen Baugewerkschaft ergriffenen Maisnahmen zur Blockade einer Baustelle konnen nicht mit dem Rechtfertigungsgrund des "Schutzes der Arbeitnehmer" gerechtfertigt werden; diese seien narnlich bereits durch nationale Bestimmungen und Bestimmungen von Tarifverrragen im Entsendestaat, in casu Lettland, geschiitzt. Nicht verschwiegen werden sollen jedoch ein Unterschied zu der bisherigen Rechtsprechung und eine Reihe praktischer Schwierigkeiten: Wahrend in der bisherigen Rechtsprechung der Kreis der Normadressaten iiber die Mitgliedstaaten hinaus auf Sport- bzw. Berufsverbande ausgedehnt wurde, die einseitig Regeln und Vorgaben fur die Ausiibung einer beruflichen Tatigkeit aufstellen, handelt es sich bei Tarifvertragen urn beidseitige Vereinbarungen zwischen Vertretern von Arbeitgebern und Vertretern von Arbeirnehrnern.P'" Wenngleich in den hier angesprochenen Urteilen nicht uber die jeweils an-
589 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger u. a. gegen Republik Osterreich, Slg. 2003, 1-5659. 590 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger u. a. gegen Republik Osterreich, Slg. 2003, I-5659, 1-5718. 591 KadelbachlPetersen, Europaische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ2003, 693, (696), mwN. 592 So auch KadelbachlPetersen, Europaische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ 2003,696. 593 Schubert, Europaische Grundfreiheiten und nationales Arbeitskampfrecht im Konflikt, RdA 2008, 289, (290).
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
wendbaren Tarifvertrage abgesprochen wurde, so kann a maiore ad minus kein Zweifel bestehen, dass auch diese der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer oder eben der Dienstleistungsfreiheit unterliegen. Praktisch schwierig durfte sich die Entscheidung iiber die Angemessenheit von Arbeitskampfmalinahmen gestalten. Hierzu statuiert der EuGH keine Vorgaberu-?" vielmehr hat die Priifung der Verhaltnismaliigkeit einer ArbeitskampfmaBnahme durch das zustandige nationale Gericht zu erfolgen. Wahrend manche Stimmen in der Literatur einen Schwerpunkt zu Lasten der Arbeitskampffreiheit zu orten meinen.F" stellen andere eine ausgewogene Abwagung der beiderseitigen Interessen fest. 596 Der Abwagung im Einzelfall durch das zustandige nationale Gericht ist jedoch von einem iibergreifenden Standpunkt aus zuzustimmen, da von der Heranziehung fachgerechter Kriterien - narnlich je nach Art der Beeintrachtigungauszugehen ist, Bedauerlich erscheint vom Standpunkt der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts und der Rechtssicherheit blof], dass der Gerichtshof den Gerichten der Mitgliedstaaten hierfur keine, wenn auch notwendigerweise allgemeine, Anhaltspunkte Iiefcrt, 6. Schlussfolgerungen
Fur die Bestimmung und die Abgrenzung der moglichen Dritrwirkung der Grundfreiheiten ist ihre Klassifizierung als Grundrechte oder zumindest als Grundfreiheiten mit grundrechtlichem Gehalt von struktureller Relevanz. Das Uneil Bosman enthalt deutliche Hinweise, dass die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Dienstleistung, wie auch das Gebot der Lohngleichheit zwischen Mann und Frau, als Grundfreiheiten mit grundrechtlichem Gehalt betrachtet werden konnten;597 die Urteile Viking und Laval bestatigen dieses. O'Keeffe und Osborne begriinden diese Schlussfolgerung mit der Weigerung des EuGH, die Vereinsfreiheit als Rechtfertigungsgrund
594 Kritisch auch Thomas, Liberte d'erablisscmcnr et droit de recourir al'action collective, RDUE 2008, 193, (198). 595 Etwa Zwanziger, Arbeitskampf- und Tarifvertragsrecht nach den EuGH-Entscheidungen "Laval" und "Viking", Der Betrieb 2008, 294, (298). 596 Pieflkalla, Unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags bei Boykottaufrufen durch Gewerkschaften, NZA 2007,1144, (1148). 597 "T he court underlined the fundamental nature of the right of free movement in summarily rejecting seeking to quali fy its impact, based on culture, freedom of association and subsidiarity", in O 'KeeffeIOsborne, The European Court Scores a Goal, The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 1996, 111, (115); so auch Scbramm el, Frei ziigigkeit der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996, 467, (470).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenOber intermediaren Gewalten
fiir eine Verletzung des Art. 39 EG in Betracht zu ziehen und etwaige Dberlegungen uber die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiaritat anzustellen.t'" Schrammel bezieht in die Kategorie der Grundrechte unter den Grundfreiheiten neb en der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit mit ein. 599 Eine eingehende Untersuchung dieser Thematik soU jedoch in einem gesonderten Abschnitt erfolgen. Die Grundlagenqualitat des Art.39 EG sowie die Argumentation des EuGH in der Rechtssache Heylens 600 entspricht der Argumentation des Gerichtshofes in der Rechtssache Defrenne II601. Die Eigenschaft als "grundlegende Vorschrift des Gemeinschaftsrechts" des Lohngleichheitsgebotes fur Manner und Frauen und der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer hat gemeinsam mit der Qualifikation der betreffenden Vorschriften als Grundrechte zur Konsequenz, dass diese (zunachst nur) zwei Vorschriften Drittwirkung entfalten. Die Drittwirkung des Gebots der Lohngleichheit zwischen Mannern und Frauen weist jedoch gegeniiber der Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer - selbst wenn diese als Beschrankungsverbot aufgefasst wird - zwei wesentliche Unterscheidungen auf: Zum einen bedarf es fiir die Geltendmachung des Gebots der Lohngleichheit zwischen Mannern und Frauen keines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes. Zum anderen sind Private - ohne Rucksicht auf ihre abstrakten Regelungsbefugnisse und Arbeitsverhaltnisse und ohne Rucksicht auf eine etwaige kollektive Regelung - von der Drittwirkung des Art. 141 EG erfasst, Die oben angesprochene Aussage von Generalanwalt Lenz scheint von einer Rangordnung der Grundrechte und der Grundfreiheiten im Gemeinschaftsrecht auszugehen; iiber den aUgemeinen Grundrechten - wie etwa der Vereinigungsfreiheit - befinden sich in einem Stufenbau nach der derogatorischen Kraft wohl die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und wohl auch das Gebot der Lohngleichheit zwischen Mann und Frau; Generalanwalt Mengozzi schlieiit in seinem Schlussantrag in Laval ein derartiges Axiom aus. Schroder etwa versucht, den Konflikt zwischen Grundfreiheit und Vereinigungsfreiheit als gewahnliche Kollision zwischen Grundrechten mittels einer einfachen Guterabwagung zu lasen. 602 Dieser Losung sollte sich in der Rechtsprechung des EuGH durchsetzen. 598 O'KeeffeIOsborne, The European Court Scores a Goal, The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations 1996, 111, (115); so auch Schrammel, Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996,467, (471). 599 Schrammel, Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996, 467, (470). 600 EuGH Rs. 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097. 601 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455. 602 Schroder, Sport und Europaische Integration: Die Diskriminierung von Sportlern in der Europaischen Gemeinschaft (1989), 1999.
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Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Wenig zufriedenstellend ist nach der Entscheidung Bosman jedenfalls der Katalog an zwingenden Erfordernissen oder materiellen Rechtfertigungsgriinden, der einem von der Drittwirkung einer Grundfreiheit erfassten Privaten zur Verfiigung steht, Eine Reihe von Autoren hebt in zutreffender Weise hervor, dass sowohl jene Rechtfertigungsgriinde, die ausdriicklich im EG-Vertrag genanm sind, als auch jener offene Katalog an zwingenden Erfordernissens'", die nunmehr den von der Drittwirkung einer Grundfreiheit erfassten Privaten zur Verfiigung stehr, Erfordernisse des allgemeinen Wohls oder des allgemeinen Interesses darstellen. Die Tauglichkeit dieser zwingenden Griinde des Allgemeininteresses fur privates wirtschaftliches und rechtliches Handeln soll angezweifelt werden.s?' Eine Ausdehnung des Kreises der Normadressaten - fur diese Frage ist es jedoch von Bedeutung zu unterscheiden, ob Private anhand ihrer abstrakten Befugnis zu N ormadressaten werden oder iiber die von ihnen gesetzten Malsnahmen kollektiver Natur erfasst werden - zieht notwendigerweise auch eine Erweiterung des Katalogs von Rechtfertigungsgrunden nach sich. Wenn diese jedoch nicht blof solche des allgemeinen Interesses sein konnen, sondern auch Rechtfertigungsgriinde (oder zwingende Erfordernisse) erfassen konne, we1che private Interessen schiitzen sol1en, dann konnte dieser Katalog mit den Grunden fur eine Freistellung nach Art. 82 Abs. 3 EG Uberschneidungen aufweisen. Schliefslich lehnt es der EuGH ab, sich zu der moglichen Anwendbarkeit der Art. 81 und 82 EG zu auBern - dies unter Hinweis auf die bereits erfolgte Beantwortung der Vorlagefragen. Die vom EuGH gewahlte Formulierung "da
die beiden in den Vorlagefragen genannten Arten von Regeln gegen Artikel48 oerstoflen, braucht iiber die Auslegung der Artikel 85 und 86 des Vertrages nicht entschieden zu w erden''605, lasst zwei Interpretationen offen: Eine Deutung konnte die Aussage des Gerichtshofes als blolie Aussage zur Verfahrensokonomie begreifen. Auffallig ist jedoch, dass das vorlegcnde Gericht nicht blof nach einem etwaigen Verstofs gegen Art. 39 EG gefragt hatte, sondern auch nach einer Verletzung von Art. 81 EG. Die Beantwortung der Vorlagefragen se1bst ist daher keineswegs vollstandig. 603 Fiir einen kurzen Uberblick uber bislang in der Judikatur angesprochene zwingende Erfordernisse des allgemeinen Wohls vgl. Secbe, Quand les juges tirent au but: l'arret Bosman du 15 decernbre 1995, CDE 1996,355, (369); vgl. auch allgemein Spink/Morris, EC Law and Professional Football: The Bosman Case EBLR 1996,55, (56); Lee, The Bosman Case: Protecting Freedom of Movement in European Football, Fordham International Law Journal 1996, 1255, (1301). 604 So auch Weatherill, Case comment to Bosman, CMLR 1996, 991, (1002); Schroeder, Urteilsanmerkung, JZ 1996, 254, (256); Auneau, Le mouvernent sport if europeen a l'epreuve du droit communauta ire, RTDE 1996, 101, (108). 605 EuGH Rs. C-415/93 Union ro yale beige des societes de football association ASBL ua gegen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-4921, (1-5078).
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Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber interrnediaren Gewalten
Eine zweite Interpretationsmoglichkeit konnte den Gerichtshof so verstehen, dass bei einem Verstof gegen Art. 39 EG ein Verstof gegen Art. 81 oder 82 EG rechtlich nicht moglich sei. Damit wiirden die Kreise der Normadressaten von Art. 39 EG und Art. 85 EG einander ausschlieiien. Diese Deutung erscheint aus zwei Griinden wohl nicht richtig: Wie bereits im Schlussantrag des Generalanwaltes ausfiihrlich dargelegt, sind sowohl die einzelnen Fuliballvereine als auch nationale Verbande und die UEFA selbst als Unternehmen zu qualifizieren, die selbstverstandlich als Normadressaten des Art. 81 EG fungieren. Die Ablehnung der zweiten Interpretationsmoglichkeit mit Hilfe dieses Argumentes erfolgt natiirlich nur dann, wenn die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und der Wettbewerbsregeln anhand eines Kreises von Normadressaten erfolgt und nicht anhand eines Kreises von durch diese Bestimmungen erfassten Ma6nahmen. Das zweite, gegen diese Deutung sprechende Argument findet sich in der bloGen Existenz der Rechtsprechungslinie des EuGH zu den Art. 3 f, 10 und 81,82 EG. Auch dieses Argument hat zur logischen Pramisse, dass die Grundfreiheiten als strukturell gleichartig zu werten sind. Die vom EuGH in den Rechtssachen Viking und Laval getroffene Entscheidung, die Freiheit der Niederlassung und die Freiheit der Dienstleistung auf kollektive Ma6nahmen anzuwenden - die unter den Begriff kollektive Regelwerke subsumiert werden konnen - setzt daher eine bereits etablierte Rechtsprechungslinie im Bereich der Drittwirkung von Grundfreiheiten fort.
7. Thesen
Die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Dienstleistung besitzen im Hinblick auf das in ihnen enthaltene Diskriminierungsverbot jedenfalls Drittwirkung gegeniiber Privaten. Der Normadressat der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und der Freiheit der Dienstleistung wird nicht etwa aufgrund wortlicher Interpretation ermittelt, sondern iiber die Interpretationsmethode des Effet Utile nach Bedeutung der angesprochenen Vorschrift im System des EG-Vertrages und ihres grundrechtlichen Gehaltes. Der N ormadressat dieser Bestimmungen ist aufgrund der bisherigen Rechtsprechung in zwei Alternativen zu systematisieren. Eine Ankniipfung an die Eigenschaft des Verbandes von Privatpersonen, der staatsahnlich agieren kann, hat zur Folge, dass sarntliche Maiinahmen eines solchen Verbandes der Drittwirkung von Grundfreiheiten unterstellt werden. Eine Ankniipfung an Kategorien von erfassten Rechtsakten, namlich kollektiven Regelungen, fragt nach der Natur des erfassten Rechtsaktes und kann somit nicht nur einen Verband von Privatpersonen, sondern auch allenfalls bl06 Private erfassen. 165
Unmittelbare Drittwirkung von EG-Primarrecht in der Judikatur des EuGH
Damit eroffnen sich zwei Kategorien fu r die weitere Analyse : Die eine Kategoric fragt nach und umfasst den Krei s der Adressaten der Norm; die andere fragt nach und urnfasst die Gruppe der zulassigen/unzulassigen Maiinahmen einer intermediaren Gewalt, i. e. ein es staatsahnlich agierenden Verbandes. Aufgrund des Urteils des EuGH in Walrave/Koch wird die Tiir zu der Dritrwirkung des in der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und der Freiheit der Dienstleistung enthaltenen D iskriminierungsverbots fur Private eroffnet, Damit prasentiert sich das Problem der Drittwirkung in zwei Strangen: Zum einen als Dritrwirkung gegenuber staatsahnlich agierenden Verbanden, weIehe kollektive Regelungen erlassen konnen; diese Kategorie wird noch zu prazisieren sein. Zum anderen kiindigt sich bereits Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes in den zwei angesprochenen Grundfreiheiten gegenuber Privaten an. Die Freizugigkeit der Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung und der personenbezogene Aspekt der Freiheit der Dienstleistung besitzen Grundlagenqualitat im EG-Recht, da es sich hierbei urn Grundfreiheiten mit grundrechdichem Gehalt handelt. Grundfreiheiten und Grundrechte befinden sich im System des EG-Rechts auf ein er Ebene der Gleichordnung, da bei dem gegenwartigen Stand des Ge meinschaftsrechts eine Rangordnung zwischen diesen Normenkomplexen nicht existiert; anzunehmen ist, dass ein Inkrafttreten des Reformvertrages 2007 an diesem (vorlaufi gen ) Befund nichts andern wiirde. Die kollektiven Fallgruppen unterscheiden sich in ein em wesentlichen As pekt von den privaten Fallgruppen fur den Bereich der Drittwirkung der Grundfreiheiten: Wahrend fur die Vorschrift des Art. 141 EG und die Freizugigkeit der Arbeitnehmer blof das in dies en Vors chriften enthaltene Diskriminierungsverbot Drittwirkung besitzt, besitzen im Bereich der kollektiven Fallgruppen die oben genannten Grundfreiheiten Drittwirkung in Bezug auf das in ihnen enthaltene Diskriminierungsverbot und Beschrankungsverbot. Diese Unterscheidung rechtferrigt die Aufspaltung des Systems der Drittwirkung von Grundfreiheiten in zwei Kategorien, namlich in eine Fallgruppe von Drittwirkung zwischen Privaten und in eine von Drittwirkung gegeniiber inr ermediaren Gewalten, Weder die in den Grundfreiheiten enthaltenen Rechtfertigungsgriinde noch die zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses wei sen gute Eignung fur eine Geltendmachung durch einen Privaten auf. Ein zusatzliches zwingendes Erfordernis, neben gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundrechten, liegt in der Wahrung der Privatautonornie des Einzelnen. Dieser Befund solI wi ederum fur beide Fallgruppen zur Verfiigung stehen. Im Bereich der Drittwirkung von Grundfreiheiten ist eine Normenkollision mit den Vorschriften iiber EG-Wettbewerbsrecht jed och zu vermeiden. Eine soIehe Normenkollision kann in den Bereichen Markrzutrittsschranken, 166
Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten gegenuber interrnediaren Gewalten
Disziplinarstrafen oder Femsehtibertragungsrechte auftreten. Daher ist zu fragen, ob eine Aufspaltung der Grunclfreiheiten im Hinblick auf ihre Koharenz fur den Bereich der Drittwirkung zur Vermeiclung dieser Normenkollision moglich oder sogar erforclerlich ist,
167
III. Die Konstruktion mitgliedstaatlicher Schutzpflichten uber das gemeinschaftsrechtliche Loyalitiitsgebot A. Kartellrecht und t.oyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH 1. EinfLihrung
Die nun zu analysierende Fallgruppe, welche ihre Kristallisation in der Van Eycke-Formel 606 erfahrt, weist in ihrer rechtlichen Fundierung eine wesentliche Parallele zu "Agrarblockaden" 607 auf: Diese Fallgruppe legt den Mitgliedstaaten aus den Art. 3 Abs. 1 litt. g, 10 und 81 oder 82 EG-Vertrag die Pflicht auf, durch U nterlassen der in der Van Eycke-Formel genannten staatlichen Maiinahmen freie n Wettbewerb innerhalb der EG zu wahren. Wiewohl die im EG-Vertrag entha ltenen Bestimmungen des Kartellrechts Unternehmen als Normadressaten aufweisen, wird unter Zuhilfenahme des Art. 10 EG der Kre is der Normadressaten der Art. 81 und 82 EG von Unternehmen auf Mitgliedstaaten ausgedehnt. In diesem Abschnitt wird auch zu untersuche n sein, ob die von Generalanwalt Lenz in Agrarblockaden gezogene Parallele der Garantenpflicht eines Mitgliedstaates zu der Van Eycke-Formel zutrifft 608 • D iese Auffassung sol l als erste Alternative untersucht werden. D ie andere Alternative wiirde eine Parallele der Entscheidung "A grarblockaden" u nd "Van Eycke-Formel" bloB in der Verwendung der Bestimmung des A rt. 10 bedeuten; im Falle des Zutreffens dieser Sichrw eise wurden in den ange sp r och en en Entscheidungen oder Fall gruppen auch unterschiedliche Rechtsfolgen au s dieser Bestimmung herausgegriffen w erd en.
606 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786, (4791), Rz . 16. 607 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1997, 1-6959. 608 vgl. unte n S. 218 ff .
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten aber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
Weiters wird zu fragen sein, ob die Van Eycke-Formel gemeinsam mit der Garantenpflicht eines Mitgliedstaates unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten uberfliissig macht, ind em diesem Rechtsinstirut kein Anwendungsbereich mehr verbleibt, Di ese Fallgruppe soll fur die Zwecke dieser Arbeit daher unter diesen Gesichtspunkten analysiert werden und eine mogliche alternative Sanktionierung mitgliedstaatlichen Fehl verh altens auf dem Gebiet des Wettb ewerbsrechts crarb eitet werden. 2. Sanktion fur wettbewerbswidriges Verhalten von Mitgliedstaaten zwischen Kartellrecht und Grundfreiheiten: die Rechtssache INNO/ATAB 2.1. Einfuhrunq und Vorjudikatur
Als Ausgangspunkt fur die Entwicklung dieser Judikatur kann die Entscheidung Walt Wilhelm 609 gewertet werden. In der Entscheidung Walt Wilhelm stellte der EuGH fest, dass zunachst EG-Kartellrecht und nationales Kartellrecht aufgrund ihrer unterschiedlichen Schutzzwecke ein wettbewerbsbeschrankendes Verhalten zwei parallelen Verfahren - eines vor den nationalen Kartellbeh6rden und eines vor der Europaischen Kommission - unterwerfen konnen.v'" Der EuGH stellt fest:
"M it Riicksicht auf die allgemeine Zielsetzung des Vertrages ist diese gleichz eitige Anwendung des nationalen Rechts allerdings nu r statthaft, soweit sie die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts und die uolle Wirksamkeit der zu seinem Vollz ug ergangenen Maflnahmen auf dem gesamten Gemeinsamen Markt nicbt beeintrdchtigt,
[...J D er EWG- Vertrag hat eine eigenstdndige Rechtsordnung geschaffen, die in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf genom men w orden und v on ibren Gericbten anzuwenden ist. Es w iirde dem Wesen dieserRechtsordnung widersp rechen, w enn es den Mitgliedstaaten gestattet wa re, Maflnahmen zu ergreif en oder aufrechtzuerhalten, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeintrdcbtigen kimnten. Die Geltungskraft des Vertrages und der zu seiner Anwendung getroffenen Maflnahmen darf nicbt von Staat zu Staat uerscbieden sein; andernfalls wiirde die Wirkung der Gerneinscbaftsordnung beeintrdchtigt und die Verwirklichung der Vertragsziele gefahrdet w erden. Normenkonflikte sind dah er nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zu losen. " (Hervorhebung der Verfasserin)"!' 609 EuGH Rs. 14/6 8 Walt Wilhelm u. a. gegen Bundeskartellamt , Slg. 1969,2. 610 EuGH Rs.14/68 Walt Wilhelm u. a. gegen Bundeskartellamt, Slg. 1969,2, (31). 611 EuGH Rs. 14/6 8 Walt Wilhelm u. a. gegen Bundeskartellamt , Slg. 1969,2, (31).
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Kartellrecht und LoyaIitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
Dieses Urteil des EuGH hat zu zahlreichen Besprechungen Anlass gegeben.v" Wahrend der Schwerpunkt dieser Entscheidung und seine dogmatische Bedeutung auf den Vorrang des EG-Kartellrechts vor nationalem Kartellrecht oder vielmehr auf eine dem Vorrang des EG-Rechts nachgebildete Losung fur den Fall einer indirekten Kollision liegt, kann die Schwerpunktlegung auf die einheitliche Anwendung des Vertrages - mithin auf die einheitliche und autonome Interpretation des EG-Rechts - und auf den effet utile des EG-Rechts als logischer Ausgangspunkt jener Judikaturlinie, die Mitgliedstaaten aus dem EG-Wettbewerbsrecht entstammende Pflichten auferlegt, aufgefasst werden. In der Rechtssache Deutsche Grammopbon'P findet sich bereits in der Anlage die Van Eycke-Formel, jedoch auch Ansatze zu einer Unterscheidung der Normadressaten von Grundfreiheiten und Kartellrecht, Der dem EuGH vorliegende Sachverhalt in dieser Rechtssache beinhaltet eine faktische Situation, die die Anwendung der Erschopfungstheorie gerechtfertigt erscheinen lieBe.6 14 Das vorlegende Gericht fragt nach der Zulassigkeit der Verwendung eines ausschlieislichen Verbreitungsrechtes fur die Organisation eines undurchlassigen, nach Mitgliedstaaten gegliederten Vertriebssystems. In der Fragestellung unterscheidet das vorlegende Gericht bereits nicht zwischen privater und staatlicher Mafsnahme - also etwa zwischen einem privaten, unzulassig restriktiven Vertriebsvertrag und der mitgliedstaatlichen Ausgestaltung des ausschliefslichen Verbreitungsrechts. Zu der Frage nach der normativen Vereinbarkeit eines solchen Vertriebssystems und der Nutzung des ausschlieiilichen Verbreitungsrechts in der oben beschriebenen Weise auBert sich der EuGH wie folgt:
"Die Ausiibung des in der Frage angesprochenen ausschliefilichen Rechts kann immer dann unter diese Verbotsvorschrift fallen, wenn sich herausstellt, dass sie Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache ist, die eine Aufteilung des Gemeinsamen Marktes bewirkt, indem sie Einfuhren von in anderen Mitgliedstaaten ordnungsgerndf] in Verkehr gebrachten Waren aus diesen Staaten untersagt. "615 612 Vg!. start vieler Langen/Bunte, Kommenrar zum deutschen und europaischen Kartellrechr, Band 1, 9. Auf!. (2001). 613 EuGH Rs. 78/70 Deutsche Grammophon Gesellschaft mbH gegen Metro Groismarkre GmbH & Co. KG, Slg. 1971,487. 614 Deutsche Grammophon GmbH versuchte unter Nutzung ihres ausschlielilichen Verbreitungsrechtes von Tontragern den Vertrieb solcher Tontrager in der BRD zu unterbind en, die Deutsche Grammophon selbst hergestellt harte und an ihre franzosische Tochterfirma Polydor SA geliefert harte. Das vorlegende Gericht fragte an, ob es zulassig sei, zur Unterbindung von Parallelimporten das eigene ausschliefsliche Verbreitungsrecht zu niitzen, obwohl die Klagerin selbst die Tontrager an ihre Tochtergesellschaft in Frankreich geliefert harte. Die vom vorlegenden Gericht relevierten Bestimmungen des EG lauten Art. 10 EG und Art. 81 EG, nicht aber Art. 28 EG. 615 EuGH Rs. 78/70 Deutsche Grammophon Gesellschaft mbH gegen Metro Grogmarkte GmbH & Co. KG, Slg. 1971, 487, (499), Rz. 6.
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
Diese Passage im Urteil des EuGH wird iiberaus kontrovers interpretiert, Mancher Autor vermeint in dieser Aussage bereits die Ankiindigung des EuGH zu lesen, eine Norm durch extensive Auslegung der Art. 3 f, 10 und 81 EG zu schaffen, welche mitgliedstaatliche Maisnahmen verbietet, die dem effet utile der Art. 81 und 82 EG zuwiderlaufen.v'" Ein anderer Autor wiederum deutet diese Aussage des EuGH sowie die weitere Argumentation als minimalistischen Zugang des Gerichtshofes zu der Dbertragung von unternehmensgerichteten Wettbewerbsverboten auf staatliches Handeln.v'" 2.2. Sachverhalt Der Rechtssache INNO/ATAB 6181iegt folgende faktische Situation zugrunde: GB-INNO-BM pflegte Tabakwaren in Belgien unter dem auf der Steuerbanderole angegebenen Preis in ihren Geschaften (im wesentlichen Supermarkte und Tankstellen) zu verkaufen. Der Verband der Tabakwarenkleinhandler ATAB erhob Klage auf Verurteilung von GB-INNO-BM wegen unlauteren Wettbewerbs und Verletzung des Art. 58 des belgischen Gesetzes iiber die Mehrwertsteuer.v'" Tabakerzeugnisse unterlagen in Belgien einem System der Einhebung der Verbrauchssteuer, welche als "wertabhangige" Steuer bezeichnet wird und auf der Grundlage des Einzelhandelsverkaufspreises bestirnmt wird. Es ist in dies em System daher unzulassig, Tabakwaren sowohl iiber als auch unter dem auf der Steuerbanderole angegebenen Einzelhandelsverkaufspreis an Verbraucher zu verkaufen. Der Einzelhandelsverkaufspreis wird entweder vom Hersteller oder vom Importeur festgelegt. Den Einzelhandlern ist es faktisch unmoglich, Tabakwaren zu importieren und anschlieBend selbstandig den Preis fiir ihren Weiterverkauf an die Verbraucher festzulegen, da die
616 M. Waelbroeck, Les rapports entre les regles sur la libre circulation des marchandises et les regles de concurrence applicables aux entreprises dans la CEE, in Capotorti/Ehlermann/Frowein/jacobs/joliet/Koopmans/Kovar (Hg.), Du droit international au droit de I'integration, Liber amicorum Pierre Pescatore (1987), 781, (787). 617 Neergard Boegh, European Competition Law and Anti-competitive Measures by Member States: towards Legal Principles Ensuring the Coherence of Two Levels of Governance, Dissertation EUI 1997,30. 618 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115. 619 Die in Frage stehende Bestimmung lautet wie folgt: "Fur eingefiihrte oder im Inland hergestellte Tabakerzeugnisse wird die Mehrwertsteuer jeweils erhoben, wenn hierfiir nach den einschlagigen Rechtsvorschriften die Verbrauchssteuer, zu entrichten ist. Sie wird berechnet nach dem auf der Steuerbanderole angegebenen Preis, welcher der gebundene Preis fur den Verkauf an den Verbraucher sein muss, oder falls kein Preis angegeben ist, nach der Grundlage fiir die Verbrauchssteuererhebung."
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Kartellrecht und l.oyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
meisten Hersteller Tabakwaren bereits ab Werk mit der fur das jeweilige Land bestimmten Steuerbanderole versehen.F'' Der hier erwahnte Sachverhalt war zu dem Zeitpunkt der Einleitung des Vorlageverfahrens bereits Gegenstand der Entscheidung der Kommission in Kartellrechtssachen "FEDETAB-Empfehlung"621und des EuGH622. 2.3 . Urteil des EuGH
Das vorlegende Gericht fragt nach einer Verletzung der Art. 3 f, 10 Abs. 2 und 82 EG durch einen Mitgliedstaat, wenn die scitens des Mitgliedstaates erlassene Vorschrift geeignet sei, die missbrauchliche Ausniitzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen zu begunstigen odcr den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begunstigt, der darin besteht, dass Hersteller oder Importeure von Tabakerzeugnissen die Einzelhandler in einem Mitgliedstaat zur Einhaltung von ihnen festge1egter Preise zwingen konnen. Der erste Teil der Frage des vorlegenden Gerichtes bezicht sich nach Auffassung des EuGH auf die abstrakte Eignung der inkriminierten Vorschrift, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu begunstigen. Zie1, Gegenstand und Wirkung der Vorschrift miissen, so der EuGH, keineswegs in der Begiinstigung des Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung be stehen. Bei der inkriminierten Vorschrift konne es sich auch urn cine innerstaatliche Vorschrift allgerneiner N atur handeln. v-' Der zweite Teil der Varlagefrage druckt blof praziser di e Rechtsauffassung d es varlegenden Gerichtes aus. Nach Ansicht des EuGH wird hier jedoch gefragt, ob die genannten Vor schriften nicht so auszulegen sind, dass der Erlass oder die Beibehaltung einer solchen Vors chrift im Hinblick auf den Mitgliedstaar se1bst nicht grundsatzlich verboten ist, im Hinblick auf die ihre marktbeherrschende Stellung niirzenden Unternehmen jedoch sehr wahl. Die letztgenannte Auffassung des EuGH beinhaltet jedenfalls eine Unterscheidung der Normkomplexe Grundfreiheiten auf der einen Seite und kartellrechtliche Vorschriften auf der anderen Seite nach dem jeweiligen Adressatenkreis dieser Norrnen. Das vorlegende Gericht halt ein zugleich an Unternehmen und an Mitgliedstaaten ergehendes Verbot der Erlassung einer
620 Entscheidung der Kommission vorn 28.]uli 1978 "FEDETAB-Empfehlung", ABl L 224/ 1978,29, (31). 621 Entscheidung der Kommission vom 28.]uli 1978 "FEDETAB-Empfehlun g", ABl L 224/1978,29. 622 EuGH Rs. 209 bis 215 und 218/78 Heintz van Landewyck Sari und andere gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg 1980, 3125. 623 EuGH Rs. 13/ 77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg.1977, 2115, (2145).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
bestimmten Vorschrift, welche auf derselben Rechtsgrundlage beruht, offensichtlich nicht fur erforderlich. Der EuGH stellt in Beantworrung dieser Frage folgendes fest:
"Das vom Vertrag gewollte System des einheitlichen Marktes schlieflt zurn einen jede innerstaatliche Regelung aus, durch die der Handel innerhalb der Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar, tatsdcblich oder potentiell behindert w ird. l- ..} Obgleich sich Artikel 86 an die Unternehmen richtet, begriindet deshalb der Vertrag doch auch fur die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, keine Maflnahmen zu treffen oder heizuhehalten, die die praktiscbe Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten kiinnte. [...J Desgleicben dur/en die Mitgliedstaaten keine Maflnahmen treffen, die es privaten Unternehmen ermiiglicben, sich ihnen durch die Artikel85 his 94 des Vertrages auferlegten Bindungen zu entziehen. "624 (Hervorhebung der Verfasscrin) Die einleitende Feststellung des EuGH enthalt eine wortliche Dbernahme der Dassonville-Formel625 und damit einen Hinweis auf den argumentativen Weg, der den EuGH zur Losung dieser Rechtsfragen zu einem Verbot der staatlichen MaBnahme iiber die Vorschrift des Art. 28 EG fiihren wird. Fur die weitere Analyse ist die Fortsetzung der Argumentation des Gerichtshofes erheblich:
"Auf aile Fdlle v erhietet Artikel 86 die missbriiucblicbe Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen, auch wenn ein solcher Missbrauch durch eine innerstaatliche Gesetzesbestimmung begiinstigt w ird. Eine innerstaatliche Vorschrift, die in ihrer Auswirkung die rnissbrducbliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung begiinstigt, w elche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeintrdcbtigen geeignet ist, wird jedenfalls normalerweise mit den Artikeln 30 und 34 (nunmehr 28 und 29 EG) unvereinbar sein, die mengenmdjlige Einfubr- und Ausfuhrbescbrdnleungen sowie aile Maflnahmen gleicher Wirkung verbieten." 626 Der EuGH ordnet in diesem Absatz die bereits genannte Dassonville-Formel den Art. 28 und 29 EG zu. Die staatliche Maisnahme konne, so der EuGH, fur sich alleine gegen Art.28 EG verstolsen, wenn diese Maiinahme den Tatbe-
624 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115, (2145). 625 EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gu stave Dassonville, Slg. 1974, 837. 626 EuGH Rs, 13/7 7 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115, (2146).
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Kartellrecht und Loyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
stand der Dassonville-Formel erftillt. 627 Damit erweist sich, dass nach vorlaufiger Ansicht des EuGH der vorliegende Sachverhalt tiber die Bestimmungen des Freien Warenverkehrs zu losen ist. 62 8 Umso erstaunlicher ist - in Anbetracht der oben analysierten Argumentation - Absatz 2 des Spruches des Urteils INNOIATAB, in welchem der EuGH die ihm gestellten Fragen beantwortet:
.Um zu beurteilen, ob der Erlass oder die Beibehaltung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift, durch die fur den Verkauf von Tabakerzeugnissen an den Verbraucher die Einhaltung von durch den Hersteller oder den Importeur festgesetzten Preisen vorgeschrieben wird, mit Artikel 86 in Verb indung mit Artikel3 Buchstabe fund Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages vereinbar ist, ist zu prufen, ob unter Beruclesichtigung der Hindernisse, die sich fur den Handel aus dem Steuersystem, dem diese Erzeugnisse unterworfen sind, seiner Natur nach ergeben leonnen, ein derartiges System nicht nur moglicherweise die missbrducblicbe Ausnutzung einer beherrschenden Stellung begunstigt, sondern auch geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeintrdcbtigen. " (Hervorhebung der Verfasserinj'v? Die soeben zitierte Passage stellt zunachst fest, dass fur ein Verbot einer staatlichen Maisnahme, welche gegen Art. 3 f, 10 und 82 EG verstolst, zwei Bedingungen erfullt sein muss en: Zum einen muss die innerstaatliche Rechtsvorschrift den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begiinstigen, zum anderen muss die Vorschrift geeignet sein, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeintrachtigen, Der zweite Teil dieser Aussage lasst wiederum zwei Interpretationsmoglichkeiten offen: Mit dieser Aussage weist der Gerichtshof moglicherweise bloG auf die Notwendigkeit des Vorliegens eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes hin - mithin auch fur die Anwendbarkeit des Art. 82 EG. Eine andere Interpretationsrnoglichkeit sieht in dieser Aussage
627 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg.1977, 2115, (2148). 628 So auch GalmotlBiancarelli, Les n§glementations nationales de prix au regard du droit communautaire, RTDE 1985,269, (293); a. A. Waelbroeck, Les rapports entre les regles sur la libre circulation des marchandises et les regles de concurrence applicables aux entreprises dans la CEE, in CapotortilEhlermannlFroweinljacobsljolietlKoopmansl Kovar (Hg.), Du droit international au droit de l'integration, Liber amicorum Pierre Pescatore (1987),781, (788); offenbar zustimmend betreffend die Interpretation dieses Urteils: Gyselen, State Action and The Effectiveness of the EEC Treaty's Competition Provisions, CMLR 1989, 33, (40); Hoffman, Anti-competitive State Legislation Under Articles 5, 85 and 86 of the EEC Treaty: How Far Should the Court Go After Van Eycke?, ECLR 1990,11, (13); Ehricke, Staatliche Regulierung und EG-Wettbewerbsrecht, WuW 1991,183, (184). 629 EuGH Rs, 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115, (2150).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
einen Ansatzpunkt fur die Konvergenz der Grundfreiheiten und der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages. 630 2.4. Zwischenergebnis Aus einer Zusammenschau der Rechtssache INNO/ATAB631 sowie der Vorgiingerjudikatur konnen bereits die Charakteristika der Van Eycke-Judikatur erkannt werden: An erster Stelle handelt es sich im Grundsatz bereits urn kartellrechtswidriges unternehmerisches Verhalten, welches von Seiten des betroffenen Mitgliedstaates bereits vor Erlassung der fraglichen staatlichen Regelung geduldet oder sogar unterstiitzt wird. 632 An zweiter Stelle sind durchwegs im Rahmen des zu beurteilenden Sachverhaltes jene Sachverhaltselemente, welche sich auf das kartellrechtswidrige Verhalten von Unternehmen beziehen, mit jenen nahezu ununterscheidbar vermengt, welche eine moglicherweise den Grundfreiheiten zuwider laufende staatliche Vorschrift betreffen. Diese zuniichst rein faktische Ausgangslage fiihrt auch in der Judikatur zu dem Erfordernis der Akzessorietiit wettbewerbswidrigen unternehmerischen Verhaltens. SchlieBlich ist festzustellen, dass samtliche Urteile, die zu der Erarbeitung und Verfeinerung der Van-Eycke-Formel fiihrten, in Vorabentscheidungsverfahren ergingen. 633 3. Die Rechtssache Van Eycke
3.1. Sachverhalt und Verfahren Der Kliiger des Ausgangsverfahrens, Herr Pascal Van Eycke, erfahrt aus der Werbung der Beklagten, dass diese fur Spareinlagen dem jeweiligen Sparer einen Grundzins von 5,25 % und eine Treuepramie von 2 % gewiihre. Da sich mit Erlass der Koniglichen Verordnung zur Anderung der Bestimmungen der 630 Marenca, Note: Officier van justitie C. Jan Van de Haar und Kaveka de Meern B.V., RTDE 1984,521, (531); vgl. dazu allgemein: Martelmans, Towards convergence in the Application of the Rules on Free Movement and on Competition?, CMLR 2001,613, (642) 631 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115. 632 Staatliche Regulierung des Tabaksektors erfolgt in samtlichen Mitgliedstaaten aus steuerlichen Griinden und/oder aus Griinden der Forderung des Mittelstandes: vgl. van Rijn, Case Note to Heintz van Landwijck Sarl and others v. Commission of the European Communities (FEDETAB), CMLR 1982, 314, (342). 633 So auch Isaac, Note - Procedure Prejudicielle et Liberation des Prix des Carburants Francais, RTDE 1985,381, (383).
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Kartellrecht und t.oyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
Koniglichen Verordnung vom 4. Marz 1965 iiber die Einkunfte aus Spareinlagen jedoch die geltende Rechtslage geandert hatte, sah sich die Beklagte augerstande, Herrn Van Eycke die offentlich ausgepriesenen Sparzinsen zu gewahreno In Belgien besteht zum Zeitpunkt des vorliegenden Verfahrens fur einen Teil der Einkiinfte aus Spareinlagen eine Steuerbefreiung, die aus sozialen Grunden und zur F orderung des Sparens eingefuhrt worden war. Da sich diese Regelung in einer fur den Mitgliedstaat Belgien unerwunschten Hochzinspolitik der Kreditinstitute niederschlug und der Wettbewerb der Kreditinstitute im Bereich der Treu- bzw. Zuwachspramien immer lebhafter wurde, dadurch aber auch Spareinlagen dem allgemeinen Trend zur Zinssenkung zuwiderliefen, entschloss sich Belgien, mittels Koniglicher Verordnung die Hohe des Grundzinses und des Treue- bzw. Zuwachszinses zu beschranken, Daher richtete die belgische Bankenkommission 1985 eine Empfehlung zur Beschrankung der Zinsen fur Spareinlagen an die Kreditinstitute.s-" Die Empfehlung der Bankenkommission [uhrte zu dem Abschluss eines Abkommens zwischen den am belgischen Markt tatigen Geldinstituten, welches die Hohe der einem Sparer zu gewahrenden Sparzinsen auf 7 % festlegte. Da dieses Abkommen nicht von allen Kreditinstituten eingehalten wurde, erlieg Belgien eine Konigliche Verordnung zum Einkommenssteuergesetzbuch, welche sowohl den Hochstsatz des Grundzinses fur gewohnliche Spareinlagen als auch den Hochstsatz der Treue- und Zuwachspramie festlegte. 635 Das vorlegende Gericht fragte den EuGH nach der Vereinbarkeit der genannten Koniglichen Verordnung mit Art. 81 ff EG-Vertrag; weiters relevierte das vorlegende Gericht die Gewahrung von Steuervorteilen fur Spareinlagen bei in Belgien niedergelassenen Geldinstituten als mogliche Diskriminierung gegeniiber im EG-Ausland in Fremdwahrung geleisteten Spareinlagen.
3.2. Argumente der Parteien und Schlussantrag des Generalanwaltes Der Klager argumentiert, die Konigliche Verordnung fiihre die bereits auf dem Markt fur Spareinlagen seit langerer Zeit existierenden Absprachen unter den Geldinstituten fort. Diese Marktabsprachen iiber die Verzinsung von Sparguthaben wiirden wie ein vom Staat begunstigtes und aktiv gefordertes Kartell wirken. Gemag der bisher ergangenen Judikatur des EuGH sei nach Ansicht
634 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4786 (4788). 635 Der Gesamtzinssatz fur die Spareinlage von Herrn Van Eycke nach Angaben der Werbung von ASPA ware 7,25 % (Grundzinssatz 5,35 % und Treuepramie 2 %) gewesen, der ihm angebotene Gesamtzinssatz nach Eintritt der Gehung der Koniglichen Verordnung 6,25 % (Grundzins 4,25% und Treueprarnie 1,5%): EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786 (4771).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
des Klagers Art. 81 EG dennoch anwendbar, wiewohl die in Frage stehende Maisnahme in die Form einer staatlichen Ma6nahme gekleidet worden sei. Diese staatliche Mafinahme sei namlich in ihrer Substanz nicht von staatlichen Stellen, sondern von den Vertretern der betroffenen Geldinstitute erarbeitet worden und werde auch von diesen in die Praxis umgesetzt. Belgien betont in der Argumentation, dass Art. 81 EG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht untersage, Maiinahmen zu ergreifen, die zwar den Wettbewerb auf dem Markt fur Spareinlagen unmittelbar einschranken mogen, jedoch aus steuerpolitischen, makrookonomischen und wahrungspolitischen Grunden getroffen werden. Belgien betont auch, dass eine Beteiligung der betroffenen Geldinstitute nach Erlass der hier angefochtenen Koniglichen Verordnung weder erwiinscht noch erforderlich sei. Der in diesem Falle vorliegende Sachverhalt entspreche daher jenem in den Rechtssachen LeclercBiicher636 und Leclerc-Benzinr": Die Kommission zieht in ihrer Stellungnahme Art. 3 f, 10 und 81 EG-Vertrag heran. Die bekarnpfte Konigliche Verordnung habe die Intensitat des Wettbewerbs auf der Ebene der Zinse fur Spareinlagen zwar vermindert, jedoch nicht vollig beseitigt; auch laufe diese Verordnung nicht dem lauteren Wettbewerb zuwider. Im Hinblick auf die moglich Anwendbarkeit von Art. 3 f, 10 und 81 EGVertrag stellt Generalanwalt Mancini fest, dass es sich hierbei urn eine staatliche Maiinahme handle, die, ahnlich wie die staatliche Regelung des Diskontsatzes, wahrungspolitische Ziele verfolge. Eine solche Malinahme falle daher zu dem genannten Zeitpunkt in die Zustandigkeit der Mitgliedstaaten und konne nicht iiber die Vorschrift des Art. 81 EG geriigt werden.v" 3.3. Urteil des EuGH Nach einer Paraphrase der gestellten Fragen gelangt der EuGH zu einer Zusammenfassung seiner bisherigen Rechtsprechung zugleich mit einer Ankiindigung fur die Zukunft in der Van Eycke-Formel:
"Hierzu ist festzustellen, dass die Artikel 85 und 86 (nunmehr Art. 81 und 82 EG) an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maflnahmen der Mitgliedstaaten hetreffen. Nach stdndiger Rechtsprechung des Gerichtshofes diirfen die Mitgliedstaa-
636 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1. 637 EuGH Rs, 231/83 Henri Cullet gegen Centre Leclerc, Toulouse und Centre Leclerc, Saint-Orens-dc-Gameville, Slg. 1985, 316. 638 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4786, (4784).
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ten jedoch aufgrund der Artikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel 5 EWG- Vertrag (nunmehr Art. 10 EG) keine Maflnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der fur die Unternehmen geltenden Weubewerbsregeln aufheben leonnen. Nach der Rechtsprechung ist ein solcher Fall dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstofiende Kartellabsprachen vorschreibt, erleichtert oder deren Auswirkungen verstark: oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, dass er die Verantwortung fur in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern iibertrdgt, "639 (Hervorhebung der Verfasserin) Nach Kundmachung der Alternativen fur einen mitgliedstaatlichen Verstof gegen Art. 3 f, 10 und 81 EG stellt der EuGH fur die vorliegende Rechtssache fest, dass nach Ansicht des Gerichtshofes bereits vor Erlass der streitigen Regelung, namlich der Koniglichen Verordnung, Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen den belgischen Kreditinstituten bestanden haben, welche die Begrenzung der fur Spareinlagen gewahrten Zinsen zum Ziel hatten. Die angefochtene Regelung habe jedoch nach Ansicht des EuGH nicht zum Ziel gehabt, "neue Kartellabsprachen oder neue abgestimmte Verhaltensweisen vorzuschreiben oder zu erleicbtern, "640 Anschlieliend wendet sich der EuGH der dritten und vierten Alternative der Van Eycke-Formel zu: Nunmehr sei zu prufen, ob die strittige Regelung nicht eine Verstarkung der Auswirkungen der zuvor bestehenden Kartellabsprachen bezweckt oder ob nicht Umstande vorliegen, die diese Regelung ihres Charakters als staatliche Regelung entkleiden.v" Der EuGH weist in Bezug auf die dritte Alternative der Van Eycke-Formel darauf hin, dass nach Ansicht des Gerichtshofes nur dann eine Verstarkung der Auswirkungen zuvor bestehender Kartellabsprachen als Zwecke einer Regelung angenommen werden konnte, wenn diese Regelung sich darauf beschranke, Elemente von Absprachen ganz oder teilweise zu ubernehmen; weiters miissen die Wirtschaftsteilnehmer zu deren Einhaltung verpflichtet werden oder ihnen ein entsprechender Anreiz zur Einhaltung der Absprache von Seiten des Mitgliedstaates geboten werden. Im Hinblick auf die dritte Alternative der Van Eycke-Formel stellt der EuGH fest, dass selbst der vollige
639 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4786, (4791). 640 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786, (4791). 641 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4786, (4791/4792).
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Entzug der fur Spareinlagen geltenden Steuerbefreiung einen erheblichen Anreiz zur Einhaltung des Plafonds fur die Gewiihrung von Zinsen darstellt. Die strittige Regelung sei - in Uberpriifung der vierten Alternative der Van Eyeke-Formel- als staatliche Regelung zu betrachten, da die staatlichen Stellen die Befugnis zur Festsetzung der Hochstsatze fur Sparzinsen sich selbst vorbehalten haben. 642 Daher ist die Verordnung Belgiens mit den Vorschriften der Art. 3 f, 10 und 81 EG nicht vereinbar. 4. Foigerechtsprechung zu den vier Alternativen der Van Eycke-Formel
4.1. Einflihrung In dies em Abschnitt solI zunachst versucht werden, eine Analyse der Entscheidung Van Eycke und ihrer wesentlichen Auswirkungen im Lichte der Folgerechtsprechung zu bieten. Danach soll die Van Eycke-Formel in ihren vier Alternativen dargestellt werden. Dabei sol1en jeweils Leitentscheidungen fur die jeweiligen Alternativen in ihren wesentlichen Sachverhaltselementen herausgegriffen werden, urn schlielilich uberlegen zu konnen, ob die Van Eyeke-Formel sich fur Praxis und Lehre als sinnvolles Instrument wettbewerblicher Kontrolle erweist und dem Erfordernis der Generalpriivention und der Rechtssicherheit entspricht. Samtliche Fallgruppen, die sich aus der Van Eycke-Formel ergeben, stehen unter dem Erfordernis der unternehmerischen Akzessorietiit, i. e. fur die Annahme eines mitgliedstaatlichen Verstofses gegen Wettbewerbsrecht muss nach Ansicht des EuGH eine wettbewerbswidrige Absprache oder eine abgestimmte Verhaltensweise von Unternehmen im Sinne des Art. 81 EG vorliegen. 643 Wiihrend fur die vierte Alternative der Van Eycke-Formel das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen unternehmerischen Verhaltens logisch nicht erforderlich erscheint, so hat der EuGH bisher noch keinen staatlichen Verstof gegen Wettbewerbsregeln angenommen, ohne dass zugleich ein unternehmerischer Kartellrechtsverstof vorlag.v"
642 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4786, (4792), Rz. 20; ]edenfalls ist an dieser Stelle bemerkenswerr, dass der EuGH in keiner Weise auf die faktische Festsetzung der Hochsrzinssatze fur Spareinlagen eingeht und keine weiteren Recherchen zur Klarung des Sachverhaltes unternimmt. 643 Van der Esch, Die Art. 5, 3 f, 85/86 und 90 EWGVals Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991, 274, (279). 644 Bacon, State Regulation of the Market and E.C. Competition Rules: Articles 85 and 86 Compared, ECLR 1997,283, (284); zustimmend nach eingehender Analyse auch Hausler, Die pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen gel-
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Kartellrecht und Loyalitatsgebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
Eine Reihe von Autoren sehen in der Van Eycke-Formel eine schiefe Ebene oder Abstufung, im Rahmen derer die Mitgliedstaaten sich ihrer Hoheitsgewalt zugunsten privater Akteure, namlich der Unternehmen entkleiden. Damit werden zugleich mittels einer strittigen staatlichen Mafsnahme keineswegs idealtypisch Gesamtinteressen des Staates verfolgt, sondern Partikularinteressen einer Gruppe von Unternehmen oder einer bestimmten Branche.r" Nun entspricht der in der Rechtssache Van Eycke vorliegende Sachverhalt dem Kriterium der Akzessorietat unternehmerischen Verhaltens. Der Wettbewerb zwischen Geldinstituten im Hinblick auf die Gewahrung von Zinsen auf Spareinlagen wird in der vorliegenden Rechtssache aus zwei verschiedenen Richtungen und von zwei verschiedenen Akteuren beschrankt: Auf der einen Seite war die Hohe der Sparzinsen bereits vor Erlass der Koniglichen Verordnung augenscheinlich Gegenstand einer Vereinbarung zwischen in Belgien niedergelassenen Banken. Diese Annahme muss aus dem Parteienvortrag im Urteil'r" selbst und aus der Literatur'"" getroffen werden, da in diesem Verfahren aufgrund der Verfahrensart diese wesentliche Frage nicht eindeutig geklart wurde. 4.2. Fallgruppe des "Vorschreibens" einer gegen Art. 81 EG verstoBenden Kartellabsprache
Ein mitgliedstaatlicher Verstof gegen Art. 3 f, 10 und 81 EG-Vertrag liegt dann vor, wenn ein Mitgliedstaat Unternehmen durch eine staatliche Malinahme zwingt, eine wettbewerbsbeschrankende Vereinbarung zu treffen oder sich an einer solchen zu beteiligen. Fur die Erfiillung des Merkmals .Vorschreiben"
tenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation, Wien 2001,208. 645 Van Bael/Bellis, Competition Law of the European Communities, Third Ed. (repr.) (1996), § 1316; Gyselen, State Action and the Effectiveness of the EEC Treaty's Competition Provisions, CMLR 1989, 33, (35); Ehricke, Staatliche Regulierungen und EGWettbewerbsrecht, WuW 1991, 183, (190). Fur einen rechtsvergleichenden Aspekt zu den USA vgl. Hoffman: ,,[The second, and arguably more significant element of that test.] draws the line between between federal competition policy and state economic regulatory policy at forbidding state delegation to private parties of the power to constrain competition - in other words, where state regulation merely enforce private marketing decisions.", in Hoffman, Anti-Competitive State Legislation Condemned Under Articles 5, 85 and 86 of the EEC Treaty: how Far Should the Court Go After Van Eycke?, ECLR 1990, 11, (12). 646 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988, 4769, (4775), Vortrag des Klagers. 647 Gyselen, State Action and the Effectiveness of the EEC Treaty's Competition Provisions, CMLR 1989, 33, (35); Ehricke, Staatliche Regulierung eines Marktes und EGWettbewerbsrecht, Urteilsanmerkung zu Van Eycke, EuZW 1990, 508.
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darf den an der Absprache oder der abgestimmten Verhaltensweise beteiligten Unternehmen kein Ermessensspielraum verbleiben.v" Van der Esch prazisiert, dass eine gesetzliche Verpflichtung, wettbewerbswidrige Vereinbarungen zu treffen, nichts an der gemeinschaftsrechtlichen Bewertung dieser Vereinbarungen andern konne. An dieser Stelle zieht van der Esch eine Parallele zu der Fallgruppe des "Verstarkens"649 und stellt fest, dass diese Vereinbarungen wettbewerbsrechtrechtlich beschrankend bleiben - und damit ein Verstof gegen Art. 81 EG seitens der betroffenen Unternehmen als gegeben zu betrachten ist - selbst dann, wenn sie in einem offentlich-rechtlichen Rahmen und im Hinblick auf eine spatere staatliche Genehmigung hin geschlossen werden.s-? Wahrend dieser Sichtweise im Hinblick auf die beteiligten Unternehmen beigepflichtet werden kann, so muss die sich fur van der Esch daran anschlieBende Folgerung kritisch hinterfragt werden: Im Hinblick auf die staatliche Seite eines gegebenen Sachverhaltes stellt van der Esch namlich fest, dass die staatliche Anordnung oder Umrahmung unvereinbar mit dem Vertrag sei und damit als unwirksam zu betrachten ist. 651 Wiewohl dieser Autor das Problem der Rechtsfolge fur einen Verstof des Mitgliedstaates gegen EG-Wettbewerbsrecht an dieser Stelle der Van EyckeFormel aufwirft, ist die Frage nach den Rechtsfolgen eines Verstolies fur Mitgliedstaaten und fur beteiligte Unternehmen ein Problem, das sich gleichermaBen fur samtliche Alternativen der Van Eycke-Formel stellt, Diese Frage solI unten in einem eigenen Abschnitt erortert werden, da sie fur die Beurteilung der Sinnhaftigkeit der Van Eycke-Formel im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssicherheit wesentlich erscheint, Irn Folgenden sollen drei Leitentscheidungen fur diese Fallgruppe in ihren wesentlichen Sachverhaltselementen angehihrt werden: 4.2.1. Die Rechtssache Leclerc-Bucher
Die Rechtssache Leclerc-Biicberv? stellt den EuGH vor die Frage nach der Rechtmaisigkeit der Buchpreisbindung. Das Unternehmen Leclerc betreibt in Frankreich eine Reihe von Einzelhandelsgeschaften, in welchen fiir samtliche
648 Van der Esch, Die Art. 5, 3 f, 85/86 und 90 EWGVals Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991,274, (279). 649 Unter Bezugnahme auf z. B. EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BNIC) gegen Guy Clair, Slg. 1985,402. 650 Van der Esch, Die Art. 5, 3 f, 85/86 und 90 EWGV als Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991,274, (277). 651 Van der Esch, Die Art. 5,3 f, 85/86 und 90 EWGVals Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991, 274, (277). 652 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1.
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darin verkaufte Produkte Niedrigpreispolitik betrieben wird. Das franzosische Gesetz tiber den Buchpreis, erlassen 1981, sieht die Festsetzung des Endverkaufspreises von Biichern durch den Verleger oder den Importeur von Biichern vor. Bei der Einfuhr von in Frankreich verlegten Biichern muss der vom Importeur festgesetzte Endverkaufspreis mindestens so hoch sein wie der vom Verleger (in Frankreich) festgesetzte Preis. Damit wird die Moglichkeit der Unterwanderung der Buchpreisbindung unterbunden. Einzelhandler sind gesetzlich verpflichtet, Bucher zu einem Preis zu verkaufen, der zwischen 95 % und 100 % des vorn Verleger festgesetzten Preises liegt. Ausnahmen fur die eingeschrankte Rabattgewahrung sieht das Gesetz tiber den Buchpreis fur Ankaufe von privaten oder offentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken oder Universitaten vor. 653 Generalanwalt Darmon befasst sich in seinem Schlussantrag mit der Zielsetzung des Gesetzes tiber den Buchpreis. Dber die Definition der Zielsetzung der nationalen MaBnahme solI tiber eine Anwendung der Regeln tiber Wettbewerb oder der Regeln tiber die Grundfreiheiten entschieden werden: Fur seine anschliefsende Argumentation zieht Darmon die jeweilige Teleologie der Art. 28 und 81, wie seitens des EuGH in der Rechtssache van de Haar 654 festgesteHt, heran:
,,[...J dass Artikel30 EWG- Vertrag, der auf die Beseitigung der nationalen Maflnahmen abzielt, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu behindern, einen anderen Zwecke verfolgt als Artikel 85, der einen wirksamen Wettbewerb zwischen Unternehmen gewahrleisten sol!."655 Generalanwalt Darmon verwendet dieses Zitat zur Bekraftigung der Argumentation, weIche aus der EuGH-Entscheidung van de Haar iibernornmen und adaptiert wird: Der EuGH nimmt in van de Haar Stellung zu der Frage, ob man das Konzept der "Beeintrachtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten" in den Art. 28 und 81 EG einheitlich oder jeweils autonom auslegen musse. 656 Dabei weise der Gerichtshof zunachst auf den unterschiedlichen Adressatenkreis dieser Bestimmungen hin, urn dann festzustellen, dass Art. 81 EG nur
653 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sarl "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1, (28). Aus dem Urteil Leclerc-Bucher ergeht auch, dass dieses Gesetz fur Konkurrenten Unterlassungs- und Schadenersatzanspriiche sowie Strafsanktionen vorsieht, 654 EuGH verb. Rs. 177 und 178/82 Strafverfahren gegenJan van de Haar und Kaveka de Meern BV, Sig. 1984, 1797. 655 EuGH verb. Rs. 177 und 178/82 Strafverfahren gegenJan van de Haar und Kaveka de Meern BV, Sig. 1984, 1797, (1813). 656 EuGH verb. Rs. 177 und 178/82 Strafverfahren gegenJan van de Haar und Kaveka de Meern BV, Sig. 1984, 1797, (1813).
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bei wettbewerbsbeschrankenden Vereinbarungen, Beschliissen und Verhaltensweisen in Frage kommt, welche den innergemeinschaftlichen Handel spurbar beeintrachtigen. Wahrend Art. 81 zu seinen Adressaten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zahle und als Telos die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes habe, erfasse Art. 28 Malinahmen der Mitgliedstaaten im Sinne der Dassonville-Formel, die geeignet sind, den freien Warenverkehr blof zu beeintrachtigen, Dieses Gesetz beabsichtige nicht primar, die Hohe des Buchpreises vorzuschreiben - vielmehr sollen Verleger und Importeure verpflichtet werden, einen Endverkaufspreis fur ein Buch festzulegen. Dieser Preis diirfe anschlieBend fur eine unterschiedliche Zeitdauer, welche zwischen neun Monaten und zwei Jahren liegt, urn nicht mehr als 5 % unterschritten werden. Diese Regelung mache das Anliegen des Gesetzgebers deutlich: Dieser beabsichtige die Wahrung und Forderung der Qualitat des Buches und des literarischen Schaffens. Das vorn Gesetzgeber gewahlte Mittel zieht naturgemaf auch einen gewissen Konkurrenzschutz fur kleine Einzelhandler nach sich. 657 Mit diesen Ausfiihrungen betont Generalanwalt Darmon zunachst die Zielsetzung der Maiinahme, welche im offentlichen, und nicht im privaten Interesse liege. Zusatzlich betont der Generalanwalt, dass es sich hierbei zusatzlich zu ihrer Zielsetzung auch im Hinblick auf ihre Planung und Durchfiihrung urn eine ausschliefslich staatliche Maisnahme handelt. Darmon baut auf dieser Unterscheidung auf und schlagt vor, fur die Einordnung einer staatlichen Mafsnahme unter die van Eycke-Formel und INNO/ ATAB-Rechtsprechung auf der einen Seite und den Grundfreiheiten auf der anderen Seite die Auswirkungen dieser staatlichen Intervention auf den nationalen Wettbewerb zu untersuchen.s'" Anhand dieser Ergebnisse konne der Einfluss der staatlichen Malinahme auf den innergemeinschaftlichen Handel ermittelt werden. Die Feststellung einer Behinderung des Wettbewerbs erfolge dann, so der Vorschlag von Darmon, entweder aufgrund von Artikel 28, sofern man diese Mafsnahme auch als eine Behinderung des Handels ansehen konne, oder auf-
657 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Schlussantrag Generalanwalt Darmon, Slg. 1985, 1, (3). Fur eine umfassende Analyse dieses Urteils vgl. Candela Soriano, Le traite CE et la fixation des prix dans Ie secteur du livre, RDUE 2000, 361; Durquet, Die neueste Rechtsprechung des Europaischen Gerichrshofes zur Preiskontrolle in Frankreich, RIW 1985, 617; Hornsby, Public and Private Resale Price Maintenance in the Publishing Sector: the Need for Equal Treatment in European Law, EIRev 1985, 381. 658 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Schlussantrag Generalanwalt Darmon, Slg. 1985, 1, (11).
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grund der Art. 81 und 82, wenn sie diesen Bestimmungen die praktische Wirksamkeit nehme.P? Fur den vorliegenden Fall miisse zunachst gefragt werden, ob das vorn Gesetz eingefuhrte System selbst zu einer Beschrankung des Wettbewerbs fiihre und ob diese Beschrankung geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeintrachtigen.w? Der Gerichtshof selbst stellt in dem Urteil in Leclerc-Bucher fest, dass die umstrittene nationale Regelung die Van Eycke-Formel nicht erfiille, denn es handle sich urn eine nationale Regelung, welche Importeure oder Verleger verpflichte, einseitig Preise fur den Endverkauf ihrer Produkte festzulegen. Der EuGH betont im ersten Strang seiner unterstiitzenden Argumentation, dass es sich im vorliegenden Falle wegen der einseitigen Festsetzung des Endverkaufspreises nicht urn eine Vereinbarung handeln konne, welche von staatlicher Seite vorgeschrieben wird. 66 1 Im zweiten Argument wird festgehalten, dass die EG in Bezug auf nationale regulatorische Systeme im Buchsektor iiber keine Wettbewerbspolitik verfiige, "welche die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpf/ichtung, MafSnah-
men zu unterlassen, die die Verwirklichung der Vertragsziele gefdhrden leonnten, zu respektieren hdtten."662 Diese Passage im Urteil Leclerc-Bucher ist von besonderer Bedeutung: Sie driickt den Gedanken von Generalanwalt Darmon aus, dass mit Hilfe der Van Eycke- Formel jene staatlichen Verstolse gegen den Binnenmarkt geahndet werden sollen, die die praktische Wirksamkeit des EG-Wettbewerbsrechts hintertreiben - zu dies em Zwecke und zu dem Zwecke der Ausdehnung des Kreises der Normadressaten ist Art. 10 EG von absoluter Notwendigkeit. In der Folge setzt der EuGH seine Uberprufung der Rechtmaiiigkeit des umstrittenen Gesetzes anhand der Bestimmungen iiber den Freien Warenverkehr fort. Diese kommen daher offenbar nur zum Tragen, wenn drei Bedingungen vorliegen: Eine (akzessorische) Vereinbarung von zu begiinstigenden Unternehmen muss hierfur nacurgemaf nicht vorhanden sein. Zum Zweiten muss der Mitgliedstaat durch staatliche MaGnahmen die Wettbewerbspolitik der EG gefahrden - das Nichtvorliegen einer Wettbe659 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sarl "Au ble vert" und andere, Schlussantrag Generalanwalt Darmon, Sig. 1985, 1, (11). 660 Generalanwalt Darmon gelangt zu der Feststellung, dass das Gesetz uber den Buchpreis gegen Art. 3 fund 5 Abs. 2 EG verstolie, das ein Verhalten begiinstigen kann, das nach Art. 82 verboten sei. Ein Importeur konne den Einzelhandelspreis der in einem anderen Mitgliedstaar verlegten Bucher festlegen. 661 EuGH Rs, 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sarl "Au ble vert" und andere, Sig. 1985, 1, (33). 662 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sarl "Au ble vert" und andere, Sig. 1985,1, (33).
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werbspolitik auf einem bestimmten Sektor soll zu einer Anwendung der Bestimmungen iiber den Freien Warenverkehr und nicht zu einer Anwendung der Van Eycke-Formel fuhren, Nach Ansicht des EuGH sind namlich in einem solchen Falle die Verpflichtungen eines Mitgliedstaates aus Art. 3 f, 10 und 82 EG nicht hinreichend bestimmt. Zum Dritten solle es sich fur die Anwendbarkeit der Regeln iiber den Freien Warenverkehr urn eine staatliche und gesetzgeberische Maisnahme handeln - offensichtlich ohne deutlichen Einfluss Privater. 663 4.2.2. Die Rechtssache Leclerc-Benzin
Die zweite Leitentscheidung fur die Fallgruppe des "Vorschreibens", LeclercBenzirr'", weist im Wesentlichen dieselben tragenden Strukturelemente des Sachverhaltes wie Leclerc-Bucher auf: In Leclerc-Benzin hatte die Beklagte gegen die franzosische Regelung zur Einhaltung eines Mindestpreises fur den Verkauf von Treibstoffen verstoisen. Die franzosische Regelung tiber die Festsetzung des Mindestverkaufspreises fur Benzin aller Kategorien bestimmte 50wohl das Ausmaf der Versorgung als auch die Preisgestaltung auf Ebene des Grofshandels und auf Ebene des Detailhandels. Der Preis fur den Verkauf an den Verbraucher ist sowohl nach oben als auch nach unten begrenzt.v" In der Beurteilung des franzosischen Gesetzes uber die Erdoleinfuhr und den auf diesem Gesetz beruhenden Verordnungen stellt der EuGH fest, dass Art. 2 und 3 EG die Errichtung eines Marktes mit freiem Warenverkehr ohne Wettbewerbsverfalschung zum Ziel haben. 1m Anschluss betont der EuGH zwei Strukturelemente, die die gemeinsame Zielsetzung der Bestimmungen iiber den Freien Warenverkehr und jene tiber Kartellrecht betreffen:
663 So mit Bezug auf die Entscheidung Leclerc-Benzin: Hausler, Die pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs, 1 lit. g, 10 und 81,82 EG, Dissertation, Wien 2001, 190. In Leclerc-Bucher stellte der EuGH einen Verstof gegen Art. 28 EG und damit eine Maisnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmatsige Beschrankung fur jene Bestimmungen fest, die die Festsetzung des Endverkaufspreises dem Importeur ubertragen und jene, die fur riickimportierte Bucher die Einhaltung des vom Verleger festgesetzten Endverkaufspreis festlegen. 664 EuGH Rs, 132/83 Henri Cullet und Chambre Syndicale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse (SA Sodinord) und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville (SA Sodirev), Slg. 1985,315. 665 Zu der Ausgestaltung des Systems vgl. im Einzelnen: EuGH Rs. 132/83 Henri Cullet und Chambre Syndicale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse (SA Sodinord) und Centre Leclerc, Saint-Orensde-Gameville (SA Sodirev), Slg. 1985,315, (317).
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"Die Erreichung dieses Ziels wird vor allem geuidhrleistet durch die Artikel30 ff iiber das Verbot von Bescbrdnkungen des innergemeinschaftlichen Handels sowie durch die Artikel85 ff tiber die Wettbewerbsregeln, die im Folgenden zundcbst gepriift werden. [ . .j Diese Vorschriften betreffen nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maflnahmen der Mitgliedstaaten. "666 Die strittige Regelung habe jedoch nicht zum Ziel, Unternehmen den Abschluss von Vereinbarungen vorzuschreiben, vielmehr werde die Aufgabe der Preisfestsetzung durch offentliche Stellen vorgenommen. Zum Zwecke der Festsetzung des Preises wird eine Reihe von Faktoren berucksichtigt, u. a. von Lieferanten festgesetzte Ubernahrnepreise. Allerdings nimmt eine bloGe Mitwirkung Privater an der Festsetzung eines Mindest- sowie eines Hochstpreises dieser MaGnahme nicht den Charakter einer staatlichen MaGnahme. Daher sei diese MaGnahme, so der EuGH, nicht geeignet, die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln auszuschalten.v'" Im unmittelbaren Anschluss an seine Ablehnung, den vorliegenden Sachverhalt unter die Van Eycke-Formel zu subsumieren, setzt der EuGH mit einer Priifung an Art. 28 und 30 EG fort. Der Gerichtshof stellt naturgemaf fest, dass aufgrund der Festsetzung eines Mindestpreises die Einfuhr auslandischer Waren sowie die Durchdringung des Marktes im Allgemeinen durch auslandische Erzeugnisse behindert werden.P" Nach Ansicht des EuGH werden durch die vorstehende Regelung samtliche Voraussetzungen der Dassonville-Formel erfullt, Die zwei nunmehr in ihren tragenden Sachverhaltselementen und in den tragenden Urteilsbegriindungen dargestellten Rechtssachen enthalten ebenso wie die Rechtssache INNOIATAB669, welche der gleichen Fallgruppe zuzurechnen ware - jeweils eine Erwahnung der Van Eycke-Formel, werden
666 EuGH Rs. 132/83 Henri Cullet und Chambre Syndic ale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse (SA Sodinord) und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville (SA Sodirev), Slg. 1985,315, (318). 667 EuGH Rs. 132/83 Henri Cullet und Chambre Syndicale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse (SA Sodinord) und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville (SA Sodirev), Slg. 1985,315, (320). 668 Es wird namlich auslandischen Erzeugern erschwert, aus einem (moglicherweise) geringeren Selbstkostenpreis Vorteile auf dem [ranzosischen Markt zu ziehen, vgl. EuGH Rs. 132/83 Henri Cullet und Chambre Syndic ale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse (SA Sodinord) und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville (SA Sodirev), Slg. 1985,315, (324), Rz. 29. 669 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Kleinhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115.
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jedoch vom EuGH anhand der Bestimmungen uber den Freien Warenverkehr gepriift. 4.2.3. Die Rechtssache "Zollspediteure"
Da an dieser Stelle der Frage nachgegangen werden muss, welches die entscheidenden Elemente fiir die Anwendung oder Nicht-Anwendung der Van Eycke-Formel gegeniiber einer gegebenen Grundfreiheit sind, sollen nun zwei Entscheidungen herausgegriffen werden, in welchen die Fallgruppe des "Vorschreibens" Erwahnung und Zustimmung findet: In den Rechtssachen Zollspediteurer'? wird die Geltendmachung einer staatlichen Mafsnahme, welche eine wettbewerbswidrige Vereinbarung vorschreibt, erstmals in zwei verschiedenen Verfahrensarten durchgefiihrt, In der Rechtssache Zollspediteure I erhob die Europaische Kommission Klage gegen Italien gestiitzt auf die Fallgruppe des "Vorschreibens" aus der
Van Eycke-Formel. Die Riige der Kommission betrifft die Dbertragung des Beschlussfassungsrechts iiber eine Gebiihrenordnung fiir gewerbliche Leistungen der Zollspediteure an den Nationalen Rat der Zol1spediteure. Diese Gebiihrenordnung legte insbesondere Mindest- und Hochstbetrage fur samtliche Leistungen von Zol1spediteuren fest. Innerhalb der festgelegten Bandbreite war es jedoch moglich, eine Entlohnung entsprechend dem erteilten Auftrag zu verhandeln. Die derart festgelegte Gebiihrenordnung wird seitens des italienischen Finanzministers durch Dekret genehmigt, die Zusammensetzung des Nationalen Rats der Zol1spediteure und dessen Verpflichtung zur Erlassung einer nationalen Gebiihrenordnung sind gesetzlich statuiert, Die Einhaltung der Gebiihrenordnung wird mit Nichtigkeit der abweichenden Vereinbarung sanktioniert. Abweichungen in geringem Ausmaf von der Gebiihrenorclnung konnen seitens des Rates der Zollspediteure zugelassen werden. Die Tatigkeit der Zol1spediteure unterliegt einer gesetzlichen Regelung und berufsinterner Aufsicht durch Bezirksinspektoren. Diese Bezirksinspektoren wahlen in geheimer Wahl den Nationalen Rat der Zollspediteure. Der italienische Finanzminister wirkt, so der EuGH, an der Beste11ung dieser Personen nicht mit. 671
670 Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG: EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen ltalienische Republik, Slg. 1998, 3851; Nichtigkeitsklage gegen Entscheidung der Kommission der EG: EuGH Rs, T-513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810. Fur eine ausfiihrliche Besprechung, jedoch ohne eine m. E. eindringliche Conclusio vgl. Neergard, State Action and European Competition Rules, MJ 1999, 380. 671 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3897).
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Kartellrecht und Loyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
In seinem Urteil qua1ifiziert der EuGH die Tatigkeit eines Zollspediteurs a1s wirtschaftliche Tatigkeit; die mit der Ausiibung dieser Tatigkeit verbundenen Risken werden von dem Zollspediteur selbst getragen. 672 Der Besch1uss der Gebuhrenordnung sei nach Ansicht des EuGH als Besch1uss einer Unternehmensvereinigung nach Art. 81 Abs.1 EG zu betrachten. Der rechtliche Rahmen fur den Absch1uss einer Vereinbarung durch eine Unternehmensvereinigung - etwa die Tatsache, dass die Unternehmensvereinigung a1s Einrichtung offentlichen Rechts zu qua1ifizieren sei - ist fur eine Beurtei1ung nach Art. 81 EG nicht von Relevanz.v" Die in den Nationa1en Rat der Zollspediteure gewahlten Mitg1ieder dieses Berufsstandes sind in keiner Weise verpflichtet, Kriterien des offentlichen Interesses bei der Erstellung der Gebiihrenordnung zu beriicksichtigen, Sie sind daher nicht a1s unabhangige Sachverstandige im Sinne des Urteils Reiff674 zu betrachten. Fur die Struktur der Fallpriitung nach Art. 3 f, 10 und 81 EG ist die nun fo1gende Anwendung der Spiirbarkeitskriterien von eminenter Bedeutung:
"Zweitens ist festzustellen, dass die Beschlusse, mit denen der Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali (Nationale Rat der Zollspediteure) eine fur alle Zollspediteure einheitliche und verbindliche Gebuhrenordnung festgelegt hat, den Weubewerb im Sinne von Artikel 85 des Vertrages einschrdnken und dass sie geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeintrdchtigen. [. . .]
672 Ein Zollspediteur bietet gegen Entgelt Dienstleistungen an, die im Wesentlichen in der Erledigung von Zollformalitaten und erganzcndcn Dienstleistungen bestehen. 673 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3897). 674 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Gurerfernverkehr gegen Gebruder Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993, 1-5841. Der EuGH nimmt in Reiff an, dass die Norninierung durch einen Vertreter des Mitgliedstaates (in casu, des deutschen Bundesministers fur Verkehr) sowie die Festsetzung von Beforderungstarifen nicht bloB nach den Interessen des Verkehrsgewerbes, sondern auch unter Beriicksichtigung anderer volkswirtschaftlicher Interessen Vertretern eines Berufsstandes (in diesem Faile der Spediteure) die Sachverstandigeneigenschaft verleiht. Vgl. auch EuGH Rs. C-153/93 Bundesrepublik Deutschland gegen Delta Schifffahrts- und Speditionsgesellschaft mbH, Slg. 1994, 1-2517, (1-2530): Fur die Erfullung der Eigenschaft als Sachverstandiger kommen weiters folgende Attribute in Betracht: ehrenamtliche Tatigkeit, Weisungsfreiheit und Berucksichtigung anderer volkswirtschaftlicher Interessen sowie bloii beratende Tatigkeit; EuGH Rs. C-140/94, C-141/94 und C-142/94 DIP SpA u. a. gegen Commune di Bassano del Grappa und Commune di Chioggia, Slg. 1995,1-3257, (1-3295): Eine bloB beratende Tatigkeit eines Ausschusses sowie die Verpflichtung zur Wahrnehmung offentlicher Interessen bei der Erarbeitung der Stellungnahme fuhren zu der Erfiillung der Sachverstandigen-Tatigkeit,
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
Was die Beeintrdchtigung des innergemeinschaftlichen Handels angeht, so hat ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Mdrkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert. "675 Anhand des hier gewahlten Zitates kann festgestellt werden, dass der EuGH bei der Beurteilung des Vorliegens eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes - in diesem Zitat als Einschrankung des Wettbewerbs und Beeintrachtigung des innergemeinschaftlichen Handels bezeichnet - im Hinblick auf die Van Eycke-Formel in zwei Etappen vorgeht: Das Vorliegen eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes wird als gegeben angenommen bzw. wird die Eignung der staatlichen Maiinahme auf eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels hin gepriift. Mithin findet eine Priifung des gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes gemeinsam mit der Priifung der Erfiillung oder Nichterfiillung der Dassonville-Formel statt. 676 Eine solche Vorgangsweise beinhaltet in der Rechtssache Zollspediteure die Beurteilung der vom Nationalen Rat der Zollspediteure erlassenen Gebuhrenordnung, die anschlieliende Genehmigung durch den italienischen Finanzminister mittels staatlicher MaBnahme findet jedoch keine Erwahnung, An dieser Stelle ist aus der Argumentation der Gerichtshofes und aus der gewahlten Terminologie nicht klar ersichtlich, ob es sich hierbei urn eine Priifung des Dekretes des Finanzministers, welches wiederum staatliche Genehmigung und Gebiihrenordnung selbst enthalt, oder ob es sich urn eine Priifung der Gebiihrenordnung als Rechtsakt einer Korperschaft offentlichen Rechts handelt, welcher damit ltalien zugerechnet wird, oder wiederum urn eine Priifung der Gebiihrenordnung als Rechtsakt einer privaten Vereinigung.v" Zur Beantwortung dieser Frage stellt der EuGH im Urteil fest:
.Durcb den Erlass der betreffenden nationalen Regelung hat die Italienische Republik nicht nur den Abschluss einer gegen Artikel81 des Vertrages verstoflenden Vereinbarung vorgeschrieben und darauf verzichtet, diese in-
675 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3897). 676 Zu dem Verhaltnis der Dassonville-Formel zu dem Konzept des gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes vgl. dazu unten S. 331 ff. 677 Kuyper hingegen sieht in einer generellen Erorterung der Problematik der Van EyckeFormel zwei Varianten, die m. E. jedoch zu trennen sind. Es sei zu erortern, ob die Verletzung des Vertrages durch einen Mitgliedstaat als einen gemeinsamen Akt des Mitgliedstaates und des privaten Akteurs zu betrachten sei oder ob eine getrennte rechtliche Betrachtung des privaten und des staatlichen Verhaltens moglich und zulassig sei: Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 661, (678).
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Kartellrecht und t.oyalltatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
haltlich zu beeinflussen, sondern sie trag: auch zur Geioiibrleistung ihrer Einhaltung bei. "678 Wahrend es sich bei dem Spruch des Urteils in dies em Vertragsverletzungsverfahren urn die Feststellung handelt, dass Italien durch den Erlass und die Beibehaltung eines Gesetzes des oben dargelegten Inhaltes gegen Art. 10 und 81 EG verstoisen hat, so handelt es sich bereits bei der Formulierung des Urteilsspruches urn die Feststellung der EG-Rechtswidrigkeit eines staatlichen und eines privaten Rechtsaktes; letzterer wird iiber das Kriterium der Akzessorietat in die Rechtswirkungen dieses Urteils einbezogen. Die seitens des EuGH in dem Urteilsspruch Zollspediteure II vorgenommene Bewertung des Dekretes des italienischen Finanzministers fasst zwei verschiedene Rechtsakte unterschiedlicher Urheberschaft zusammen: Die von dem Nationalen Rat der Zollspediteure erlassene Gebiihrenordnung verstofst fiir sich alleine nach Ansicht des EuGH bereits gegen Art. 81 EG.679 Die staatlichen Maiinahmen, Gesetz und darauf beruhende Dekrete, iibernehmen den materiellen Inhalt der Gebiihrenverordnung und statten diese mit amtlichem Charakterv'" aus. Daher erscheinen die nach der Van Eycke-Formel zu priifende Rechtsakte nicht eindeutig definierbar zu sein. Die Rechtssache Zollspediteure II681 betrifft die Erhebung einer Nichtigkeitsklage des Nationalen Rates der Zollspediteure (im Folgenden: Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali, CNDS) gegen die Entscheidung der Kommission der EG682, die Gebiihrenordnung des CNDS als Beschluss einer Unternehmensvereinigung zu qualifizieren sowie unverziiglich aIle erforderlichen Maiinahmen zu ergreifen, urn diesen Verstof abzustellen. Das Gericht Erster Instanz wird in dieser Entscheidung mit der Frage nach dem Vorliegen eines Verstoises gegen EG-Wettbewerbsrecht und dem rechtma6igen Alternativerhalten konfrontiert, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten staatlich/gesetzlich vorgeschrieben wird. 683 678 EuGH Rs. C-35/96 Kommission dcr Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3900). 679 EuGH Rs. T-513/93 Consiglio Nazionale clegliSpeclizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810. Der EuGH harte bereits in Zollspediteure I festgestellt, class die Gebiihrenorclnung der Zollspecliteure gegen Art. 81 EG verstofse; vgl. EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998, 3851, (I-3853). 680 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3901). 681 EuGH Rs. T -513/93 Consiglio Nazionale clegliSpeclizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-181 O. 682 Enrscheiclung der Kommission 93/438/EWG vom 30 Juni 1993 in einem Verfahren nach Artikel85 EWG-Verrrag, ABI L 203/1993, 27. 683 EuGH Rs. T -513/93 Consiglio Nazionale clegliSpedizionieri Doganali gegen Kornmission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810. Das Gericht Erster Instanz
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Das EuG definiert die Frage als Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 81 EG bei mange1nder Se1bstbestimmung eines Unternehmens oder einer Unternehmensvereinigung. Das EuG weist zur Untermauerung dieser Aussage auf die Urteile Ladbroker" und GB-Inno-BM685 hin und stellt fest:
"Wird den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben oder bilden diese einen rechtlichen Rahmen, der selbstjene Moglichkeit eines Wettbewerbsverhaltens ihrerseits ausschliefit, so sind die Artikel85 und 86 nicht anwendbar."686 (Hervorhebung der Verfasserin) Hingegen seien Art.81 und 82 EG wohl anwendbar, wenn die nationalen Rechtsvorschriften die Moglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbstandige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschrankt oder verfalscht werden konne, Schlieislich stellt das EuG fest, dass die Moglichkeit, ein bestimmtes wettbewerbswidriges Verhalten vorn Anwendungsbereich des Art. 81 auszunehmen, restriktiv interpretiert und angewendet werden rniisse. Im vorliegenden FaIle nimmt das EuG an, dass die staatlichen MaBnahmen dem CNSD einen erheblichen Spie1raum gewahren, mithin sogar entsprechend dem oben angefuhrten dictum, die "Maglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbstandige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschrankt oder verfalscht werden". 687 Es sei zu prufen, so das EuG, ob die staatlichen MaBnahmen jede Moglichkeit eines Wettbewerbsverhaltens seitens des CNSD ausschlieBen. Fur den vorliegenden Fall wird daher die angefochtene Entscheidung aufrechterhalten. Aus der im angefiihrten Zitat gewahlten Formulierung ist zu schlieisen, dass eine wettbewerbswidrige Absprache trotz staatlichen Vorschreibens wettbewerbswidrig verbleibt - staatliches Vorschreiben andert daher nichts an der Rechtswidrigkeit, sondern blof an der Zurechnung der wettbewerbswidrigen MaBnahme.
684 685 686 687
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harte das Verfahren in Bezug auf die seitens des CNDS eingebrachte Nichtigkeitsklage ausgesetzt, bis zum Ergehen des Urteils in der gleichen Sache in Bezug auf die von der Europaischen Kommission eingebrachten Vertragsverletzungsklage. EuGH Rs. C-359/95 P und C-379/95 P Kommission der Europaischen Gemeinschaften und Franzosische Republik gegen Ladbroke Racing Ltd, Slg. 1997, 1-6265. EuGH Rs, C-18/88 Regie des telcgraphes et des telephones (RTT) gegen GB-1NNOBM SA, Slg. 1991,1-5973. EuGH Rs. T-513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-i810, (II-1830). EuGH Rs. T-513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810, (II-1830).
Kartellrecht und Loyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
4.3. Fallgruppe des "Erleichterns" einer gegen Art. 81 EG verstoBenden Kartellabsprache 4.3.1. EinfOhrung
Fur die Erorterung dieses Stranges in der Rechtsprechung des EuGH sol1 der Ausdruck des "Erleichterns", entsprechend der Van Eycke-Formel, gewahlt werden. Hausler weist darauf hin, dass diese Fa11gruppe unter anderer Bezeichnung in judikatur und Literatur Erwahnung findet, namlich "Begunstigen", "Ermutigen" und "Fordern" wettbewerbswidrigen Verhaltens. Wahrend der EuGH bereits in INNO/ATAB Ausfiihrungen zu dieser Fa11gruppe getatigt hat, sol1 fur die weitere Analyse der Van Eycke-Formel die Rechtssache Ahmed Saeed 688 herangezogen werden: 4.3.2. Die Rechtssachen Ahmed Saeed und Asjes
Aus der Rechtssache Ahmed Saeed sol1en nur jene Sachverhaltselemente herausgegriffen werden, die fur eine spatere Argumentation erforderlich scheinen: Die Klagerinnen, zwei deutsche Reisevermittler, pflegten in anderen Landern der EG Flugscheine aufzukaufen, welche zu einem Langstreckenflug mit Zwischenlandung in Deutschland berechtigten. Die dabei sowohl auf Seiten der U nternehmer als auch auf Seiten der Kunden getroffenen Einsparungen erwiesen sich offenbar als betrachtlich.t"? Die Beklagte wirft den deutschen Reisevermittlern vor, gegen das deutsche Luftverkehrsgesetzs?" zu verstoiien, indem vorn zustandigen Bundesminister nicht genehmigte Flugtarife angewendet werden. Der Verkauf solcher Flugtickets stelle auiserdem unlauteres Wettbewerbsverhalten dar, da die von Ahmed Saeed und Silver Line verkauften Flugtickets dcutlich giinstiger seien als jene zu den "genehmigten Tarifen", die von der Konkurrenz angeboten wiirden.
688 EuGH Rs. 66/86 Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reiseburo GmbH gegen Zentrale zur Bekampfung des unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 806. 689 Ein Flugticket fur den Flug Lissabon - Tokyo mit Zwischenlandung in Frankfurt erwies sich als urn 66 % guns tiger als ein Flug Frankfurt - Tokyo. Ein Teil des Preisunterschiedes beruht auf der (damaligen) Schwache der portugiesischen Wahrung gegenuber der deutschen Wahrung. Beispiel aus: Stanbrook, Case Annotation Ahmed Saeed, CMLR 1989, 535, (536). 690 Nach § 21 Luftverkehrsgesetz und hierzu ergangenen Erlassen in der damaligen Fassung seien samtliche vom Bundesminister fur Verkehr fur in der Bundesrepublik Deutschland beginnende Beforderungen genehmigten Beforderungsengelte in DM genehmigt und verbindlich. Sie seien auf alle Beforderungen anzuwenden, deren tatsachlicher Erstabflugsort in der BRD liege, vgl. EuGH Rs. 66/86 Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebiiro GmbH gegen Zentrale zur Bekampfung des unlauteren Wettbewerbs, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1989, 806, (818).
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In seinem Schlussantrag weist Generalanwalt Lenz darauf hin , dass weder der Bundesminister fur Verkehr, noch jene Fluggesellschaften gegen diese Praktik vorgegangen seien, deren Flugtickets unter dem in Deutschland genehmigten Preis verkauft worden seien. Der Vertreter der Klagerin im Verfahren vor dem Gerichtshof habe unwidersprochen ausgefiihrt, "in der Praxis seien die Betriebsgenehmigungcn, die den auslandischen Fluggesellschaften bei der Zwischenlandung erteilt worden seien, gekoppelt an die Preise der Lufthansa" .6 91 Diese Preise werden demnach als Anhaltspunkt fur die Genehmigung der Preise fiir Flugtickets der iibrigen Fluggesellschaften herangezogen. Der Bundesgerichtshof befasste nun den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren mit der Frage nach der Vereinbarkeit der Genehmigung solcher Tarife durch die Genehmigungsbeh6rde eines Mitgliedstaates mit Art. 10 EG und Art. 86 EG. Noch wahrend des laufenden Verfahrens in Ahmed Saeed erging das Urteil Asjes692 , welches im Hinblick auf die in dieser Arbeit angewendete Einteilungskriterien der Fallgruppe "Verstiirken einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung" zuzurechnen ist und deutlich zu dem damaligen Zeitpunkt bestehcnde Kartellabsprachen im Sektor Luftverkehr ans Tageslicht bringt. Wahrend der EuGH in Asjes die staatliche Genehmigung von Beforderungstarifen Frankreich anfliegender Fluglinien der Fallgruppe "Verstiirken" zuordnet'''", so ist dieses Urteil von einer genauen Errnittlung - welche vornehmlich auf die schriftlichen .Augerungen Frankreichs zuriickgeht - und Darstellung des Sachverhaltes durch den EuGH gekennzeichnet. Erwaigen Widerspriichen in der rechtlichen Beurteilung zwischen Ahmed Saeed und Asjes soli an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Wesentlich erscheint die Feststellung des EuGH, dass innerhalb der privatrechtlichen Vereinigung lATA (lnternationaler Luftverkehrsverband) interessierten Flugge sellschaften ein Rahmen geboten wird, in welchem sie ihre Tarife einheitlich gestalten konnen.s?'
691 EuGH Rs. 66/86 Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reisebiiro GmbH gegen Zentrale zur Bekampfung des unlauteren Wettbewerbs, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1989, 806, (819). 692 EuGH verb. Rs, 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andr ew Gray und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425. 693 EuGH verb. Rs, 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andrew Gray und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425, (1472). 694 EuGH verb. Rs. 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andrew Gra y und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425, (1462).
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Eine einheitliche und einvernehmliche Gestaltung der Tarife durch die betroffenen Fluglinien wird bereits aufgrund der zu dem Zeitpunkt der Urteilserlassung geltenden internationalen Normen iiber den Fluglinienverkehr vorgesehen.F" Eine Einigung der Fluglinien iiber anzuwendende Tarife im Rahmen der lATA wird anschlieliend den jeweils zustandigen nationalen Beharden zur Genehmigung vorgelegt. In der Rechtssache Ahmed Saaed stellt der EuGH in Beantwortung der Frage des BGH fest, dass
"die Genehmigung von gegen Artikel85 Absatz 1 verstoflenden Tarifvereinbarungen durch die Luftoerkebrsbeborden mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 5 EWG- Vertrag, nicht vereinbar ist. Ferner ergibt sich daraus, dass die Luftverkehrsbehorden alles zu unterlassen haben, was als Ermutigung der Luftfahrtunternehmen zum Abschluss von gegen den Vertrag verstoflenden Tarifvereinbarungen angesehen werden leonnte. "696 Die Fallgruppe des "Erleichterns einer wettbewerbswidrigen Absprache" sei, so manche Autoren, dann anzunehmen, wenn ein Mitgliedstaat giinstige Rahmenbedingungen fur private Wettbewerbsbeschrankungen schaffe.s'" Dieses 695 Art. 6 des Abkommens uber die internationale Zivilluftfahrt ("Chicagoer Ubereinkommen", UNTS Vol. 15,295) geht von dem Grundsatz der Souveranitat jedes Staates uber sein Staatsgebiet aus. Diese Bestimmung lautet wie folgt: "PlanmaBiger internationaler Fluglinienverkehr uber oder in das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates darf nur mit der besonderen Erlaubnis oder einer sonstigen Ermachtiguog dieses Staates und nur in Ubereinstimmung mit den Bedingungen dieser Erlaubnis oder Ermachtigung betrieben werden." 1m Anschluss an dieses allgemeine Ubereinkomrnen haben die Signatarstaaten ein Netz zweiseitiger Ubereinkornmen nach dem Vorbild des zwischen den USA und GB abgeschlossenen Bermuda II-Ubereinkommens abgeschlossen, welche Routen und Zwischenlandungen fiir von den Signatarstaaten zu nominierenden Fluglinien vorsehen. Diese "autorisierten" Fluggesellschaften sollen nach diesen Ubereinkornmen ihre Tarife vorzugsweise gemeinsam in der lATA festlegen und anschlieiiend den jeweiligen nationalen Behorden zur Genehmigung vorlegen. Vgl. Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 660, (661 ff); EuGH verb. Rs. 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andrew Gray und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425, (1462). 696 EuGH Rs. 66/86 Ahmed Saeed Flugreisen und Silver Line Reiseburo GmbH gegen Zentrale zur Bekampfung des unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 806, (852). 697 Niemeyer, Die Anwendbarkeit der Art. 85 und 86 EG-Vertrag auf staatliche Malsnahmen, WUW 1994, 721, (722). Niemeyer fuhrt an als Beispiel fur die Erleichterung einer wettbewerbswidrigen Absprache die Schaffung finanzieller Anreize fiir eine Kartellabsprache durch nationale Vorschriften, in etwa fur freiwillige Vereinbarungen iiber Produktionsquoten verbunden mit einer Verlustiibernahmegarantie durch den Staat fur eine krisengeschiittelte Branche; so auch Hausler, Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 193.
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Erfordernis erscheint iiberaus problematisch und in seiner Handhabung der R echtssicherheit nicht gerade zutraglich: Das Erfordernis der Schaffung gunstiger Bedingung fur den Abschluss ciner wettbewerbswidrigen Vereinbarung ist denkbar schwierig zu handhaben. Fraglich ist, ob man fur das Vorliegen dieses Tatbestandselements jedes einen unternehmerischen Verstof fordemde staatliche Verhalten ausreichen lasst .698 Nach Ansicht von Steinb erger sei auch eine Konstellation als EGrechtsw id rig anzusehen, in welcher ein Mitgliedstaat Unternehmen zu versteh en gibt, das s eine erwaige Verfolgung von WettbewerbsvcrstoBen nicht zu negativen Konsequenzen fiihren wiirde und solche damit bagatcllisiert.s?? Dieser Vorschlag einer Interpretation der Fallgruppe "Erleichtern" ersche int wenig tragfahig: Der Ansatz von Steinberger stellt eine Anforderung an die Beurteilung einer blolien staatlichen AuBerung durch den EuGH und/ oder das damit befasste nationale Gericht, welche in der praktischen Handhabung auf betrachtliche Schwierigkeiten zu stofsen droht, Es erscheint nicht moglich, im Rahmen eines Vorlageverfahrens blofse staatliche AuBerungen in geordneter Weise in ihrer tatsachlichen Abfolge und ihren Auswirkungen fur d as Erleichtern einer wettbewerbshindernden Absprache zu determinieren. Weiters darf nicht aulier Acht gelassen werden, dass auch fur diese Fallgruppe das Erfordernis der Akzessorietat wettbewerbswidrigen unternehmerisch en Verhaltens aufrechterhalten wird.7°o Eine Ansicht, welche Akzessorietat unternehmerischen Verhaltens als nicht erforderlich ansieht, wiirde dazu Fiihren, blolie AuBerungen von Vertretern von Mitgliedstaaten als mitgliedstaatliche Verstolie gegen EG-Wettbewerbsrecht ahnden zu wollen. Dies erscheint aus mindestens drei Grunden nicht zulassig: Eine solche Vorgangsweise wiirde der notwendigen Feststellung des Sachverhaltes anhand des Kriteriums der innergemeinschaftlichen Spiirbarkeit ein es WettbewerbsverstoBes zu widerlaufen. In den Urteilen Ohra 701 und Meng 702 hat der EuGH uberdies implizit abge lchnr, eine rnitgliedstaatliche MaBnahme ohne das gleichzeitige Vorliegen eines unternehmerischen Verhaltens auf einen moglichen Verstof gegen Art. 81 EG
698 So aber Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstof gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (1994), 52. Die Autorin raurnt gleichzeitig ein, dass ein Staat unternehmerische Wettbewerbs verstaBe in aller Regel nicht vcrhindern konne, 699 Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstof gegcn die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (1994), 52. 700 Zustimmend Hausle r, Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zu sammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbe werb sregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Ab s. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, D issertation (2001), 193. 701 EuGH Rs. C-245/91 Strafvcrfahren gegen Ohra Schadeverz ckeringen NV, Slg. 1993, 1-5872. 702 EuGH Rs. C-2 /91 Strafverfahrcn gegen Wolf W. Meng, Slg. 1993,1-5 791.
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zu iiberpriifen. Die Mitgliedstaaten seien schlieiilich nicht primar als Normadressaten des EG-Wettbewerbsrechts zu betrachten. Schlieislich ist eine bloiie Vereinbarung von Unternehmen, in gemeinsamer Vorgangsweise Entscheidungsstrukturen eines Mitgliedstaates mittels Lobbying-MaGnahmen zu beeinflussen, nicht als Verstof gegen Art. 81 EG zu betrachten."? Jene Sachverhaltskonstellationen, die in die Fallgruppe des "Erleichterns des Abschlusses einer wettbewerbswidrigen Absprache" eingeordnet werden konnen, weisen ein fur eine klare Beurteilung wesentliches Kennzeichen auf: Durch blofses staatliches "Erleichtern" einer wettbewerbswidrigen Absprache erscheint mitgliedstaatliches Verhalten leichter von unternehmerischem Verhalten trennbar. Im Lichte der unten zu fiihrenden Argumentation ist dieser Befund von groGer Bedeutung. 4.4. Fallgruppe des "Verstarkens" einer wettbewerbswidrigen Absprache durch einen Mitgliedstaat 4.4.1. EinfOhrung
Die Fallgruppe des mitgliedstaatlichen Verstarkens einer wettbewerbswidrigen Absprache, welche die EG-Wettbewerbsregeln ihrer praktischen Wirksamkeit berauben, betrifft in dem Hauptanwendungsbereich die staatliche Genehmigung einer von Seiten der Unternehmer getroffenen Absprache. Eine von Privaten getroffenen wettbewerbswidrige Vereinbarung wird - unter Beibehaltung des Adressatenkreises - in eine allgemein verbindliche staatliche Mafsnahme gegossen."?' Daher werden von dem Adressatenkreis der nunmehr allgemein verbindlichen staatlichen Maiinahme auch ehemals Auiienseiter eines Kartells erfasst und zur Einhaltung verpflichtet. Die Verpflichtung zur Einhaltung der wettbewerbswidrigen Absprache, welche vorher allenfalls faktisch sanktionierbar war, wird nun mit zivil-, verwaltungs-, oder strafrechtlichen Sanktionen bewehrt, Von einer verstarkenden Wirkung einer staatlichen Malsnahme sei auszugehen, wenn die MaGnahme eine gegen Art. 81 EG verstoisende Absprache in ihrer Gesamtheit urnsetzt.Y Das Erfordernis eines akzessorischen unterneh703 Fur eine genaue Analyse und insb. Grenzziehung vgl. Vossestein, Corporate Efforts to Influence Public Authorities, and the EC-Rules on Competition, CMLR 2000, 1383, (1386). 704 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3821. 705 Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstoiie gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (1994), 57; Niemeyer, Die Anwendbarkeit der Art. 85 und 86 EG-Vertrag auf staatliche Maiinahmen, WUW 1994, 721, (723); Van der Esch, Die Art. 5, 3 f, 85/86 und 90 EWGVals Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflich-
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merisch en Verhaltens ist bei der Fallgruppe des "Vers ta rkens" einer wettbew erbswidrigen Absprach e geradezu definitionsgernaf Voraussetzung fur deren Vorliegen. Im Folgenden sollen drei Rechtssachen im Uberblick an alysiert werden, die es errnoglichen, die Fallgruppe des Verstarkens einer w ettbewerbswidrigen Absprache im Hinblick auf die Zuordnung wettbewerbswidrigen Verhaltens zu dem Mitgliedstaat oder dem Privaten zu unrersuchen, so wie dies en Aspekt der Van Eycke-Formel auf die bereits genannten Kriterien der Wahrung der Rechtssicherheit und der praktischen Handhabbarkeit zu untersuchen. 4.4 .2. Die Rechtssache BNIClClair
Die tragenden Sachverhaltselemente der Rechtssache BNIC/Clair 706 lauten wi e folgt: Das Bureau Interprofessionel du Cognac (im folgenden BNIC) ist eine mittels staatlicher Verordnung eingerichtete, sparteniibergreifende Organisation auf dem Gebiet der Cognac-Weine und Cognac-Branntweine. Das BNIC finanzierte sich zum Zeitpunkt dieses Verfahrens aus gesetzlich festgelegten parafiskalischen Abgaben. Mitglieder des BNIC sind eine in der Veror dnung festgelegte Anzahl von Vertretern der mit der Herstellung von C ognac-Weinen und Cognac-Branntweinen befassten Berufsgruppen, wie erwa Winzer, Brenner oder H andler. Der Prasident die ser Organisation sowie ein ihre Arbeit iiberwachender Regierungskornmissar werden durch den zustandigen Minister ernannt. Die Arbeit des BNIC umfasst laut Sitzungsbericht die Uberwachung des Alters des Cognac, die Uberwachung der Altersbestimmungen, die Ausstellung von Ursprungszeugnissen und, als Auffangkompetenz, die Organisation d es Marktes der Cognac-Weine und Cognac-Branntweine.P ' Das zu der fraglichen Zeit in Geltung stehcnde Gesetz tiber die sparteniibergreifende Landwirtschaftsorganisation errnoglicht es dem BNIC, auf Antrag bestimmte Vorschriften dieses Gesetzes zur Anwendung zu bringen. Innerhalb des BNIC kann ein e Vereinbarung iiber - hierbei werden bloB die wesentlichen Regetungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991,274, (279). Van der Esch weist a. a. O. darauf hin, dass bereits die Wahl der Bezeichnung dieser Fallgruppc, namlich "Verstarken", blo~ theoretisch Sinn mach en konne, denn die zugrunde liegendcn Absprachen sind durchwegs ungtiltig. 706 EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cogn ac (BN IC) gegen Guy Clair, Slg. 1985,402. Fur eine Besprechung dieser Rechtssache vgl. de Cockbourne, Anmerkungen zu "BNIC/Clair", RTDE 1985,392. 707 Fur weitere Angaben zu der vereinsinte rn en Organisation u nd der rcchtlichen Einordnung des BNIC vgl. EuGH Rs. 123/83 Bureau national int erprofessionel du cognac (BN IC) gegen Gu y Clair, Slg. 1985,402, (408). Der Conseil d'Etat habe das BNIC als juristische Person des offentlichen Rechts qualifiziert , deren Entscheidungen nicht von den offenrlichen Gerichten, so ndern von den Verwaltungsgcrichten zu iiberpriifen seien ,
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lungsfelder herausgegriffen - Anpassung und Regelung des Angebots, Festsetzung von Preisen und Zahlungsbedingungen und der Qualitiit der Erzeugnisse zur Abstimmung gestellt werden. Bei Annahme kann eine solche Vereinbarung durch Ministerialverordnung fur allgemeinverbindlich erklart werden. Das Gesetz tiber die sparteniibergreifende Landwirtschaftsorganisation bestimmt, dass ein Liefervertrag zwischen Privatpersonen, der den Bestimrnungen einer solchen fur allgemeinverbindlich erklarten Vereinbarung widerspricht, als nichtig zu betrachten sei. Die spartenubergreifende Organisation demnach blof beispielsweise das BNIC - konne Klage auf Feststellung dieser Nichtigkeit und auf Schadenersatz erheben.P" Die Kommission hat in einer Entscheidung, die diesem Rechtsstreit zeitlich vorangeht, das BNIC als Unternehmensvereinigung qualifiziert.?"? Der Beklagte des Ausgangsverfahrens, Guy Clair, kauft von mehreren Winzern Cognac-Branntweine zu Preisen unter den von der Vereinbarung und der inhaltsgleichen Ministerialverordnung vorgesehenen Preisen. Das BNIC klagt im Ausgangsverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages. Das vorlegende Gericht befasst in seiner Fragestellung den EuGH nicht mit einer Interpretation der Van Eycke-Formel oder ihrer Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt - das vorlegende Gericht befasst sich ausschlieislich mit der moglichen Qualifikation des BNIC als Unternehmensvereinigung und dem Vorliegen einer wettbewerbshindernden Absprache.?" Der EuGH befasst sich in seinem Urteil entsprechend dieser Schwerpunktsetzung zunachst mit der EG-rechtlichen Qualifikation des BNIC. Eine zwischen zwei Gruppierungen von Gewerbetreibenden wie in dem vorliegenden Fall jener der Winzer und jener der Handler - jedes Mitglied des BNIC gehort einer dieser Gruppierungen an - sei als Vereinbarung zwischen Unternehmen oder U nternehmensvereinigungen anzusehen."" Nachdem der EuGH die Vereinbarung als wettbewerbswidrig qualifiziert, stellt der Gerichtshof im Hinblick auf die Allgemein-Verbindlicherkliirung mittels Ministerialverordnung fest:
,,[...J kann das Handeln einer Beborde, das eine solche Vereinbarung fur aile betroffenen Gewerbetreibende, selbst wenn sie nicht Partei der Verein-
708 EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BNIC) gegen Clair, Slg. 1985, 402, (420). 709 Emscheidung der Kommission vom 15. Dezember 1982 betreffend ein Verfahren Artikel85 EWG-Vertrag (IV/29.883 - UGELlBNIC), ABI L 379/1982,1. 710 EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BNIC) gegen Clair, Slg. 1985,402, (421). 711 EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BNIC) gegen Clair, Slg. 1985,402, (423).
Guy nach Guy Guy
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barung sind, ve rbindlich machen soil, dieser Vereinbarung nicht der Anwe ndung des Artik els 85 A bsatz 1 entziehen."712 Das Urteil in der Rechtssache BNIC/Clair enthalt im w esentlichen Aussagen zu der Wettbewerbswidrigkeit einer innerhalb ein es Berufsverbandes geschlossenen Vereinbarung. D er EuGH unterlasst es jedoch in augenfalliger Weise, Aussagen zu einem moglichen Verstof Frankreichs gegen Art. 3 f, 10 und 81 EG zu formulieren. D ie Ubernahrne eine r deutlich wettbewerbswidrigen Vereinbarung in ein e M inisterialverordnung, w elche erst effektive Sanktionierung von Verstoilen errnoglicht, stellt wohl ein Verstarken der W irkung einer solchen Vereinbarung dar. 4.4.3 . Die Rechtssache Vlaamse Reisbureaus
Die Rechtssache Vlaamse Reisbureaus'l? enthalt einen in seinem Grundmuster ahnlichen Sachverhalt: Der Verb and Flamischer Reisebiiros (im folgenden VVR) erhebt Klage gegen den Sozialdienst des kommunalen und regionalen offentlichen Dienstes (im fol genden Sociale Dienst) auf Unterlassung der Gew ahrung von Nachlassen an Kunden, die bei Sociale Dienst eine Reise buchen. Der Verband Flamischer Reiseburos ist, ahnlich wie das BNIC, eine regional organisierte Berufsvereinigung, w elche zur Vertretung der Interessen der Rei severmittler verpflichtet ist, Die Beklagte im Ausgangsverfahren, Sociale D ienst, wurde von dem Sonderfonds fur Familienbeihilfen errichtet und hat satzungsgemaf zur Aufgabe, fur das Personal der kommunalen und regionalen Verwaltungsdienststellen als Reisevermittler tatig zu w erd en. Sociale Dienst gewahrt in seiner Eigenschaft als gemein nu tzige Organisati on seinen Kunden Preisnachlas se auf jene von den Reise veranstaltern genannten Preise, indem sie die den Reisevermittlern zustehenden Provisionen ganz oder teilweise an die Kunden weitergibr, Eine derartige Vorgangswe ise verstoiit, so VVR, gegen Bestimmungen einer Koniglichen Verordnung, welche vorsieht, dass sich der Inhaber einer Genehmigung zur Ausiibung der Tatigkeit des Reisevermittlers an die "vereinbarten und gesetzlich vorgeschriebenen Preise und Tarife halten" miisse, Diese Verpflichtung gilt sowohl horizontal im Verhaltnis zu den Kunden, als auch vertikal im Verhaltnis zu den Reiseveranstaltern. Weiters miiss e sich der Inhaber einer derartigen Genehmigung "das vereinbarte Verbot einhalten, die eingenommenen Provisionen mit dem Kunden zu teilen. " 714
712 EuGH Rs. 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BNIC) gegen Gu y Clair, Slg. 1985,402, (423). 713 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale D ienst van de Plaatselijke en Gew estelijke O verheidsdiensten, Slg. 1987,3801, (3823). 714 D er Inhaber einer beh ordli chen Genehmigung zur Au siibung der Tatigkeit eines Reise-
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Die Verhaltensregeln fur Reisevermittler enthaltende Konigliche Verordnung erging auf Grundlage des Gesetzes iiber die Rechtsstellung der Reisebiiros "", das den Entzug der behordlichen Genehmigung als Sanktionierung fur einen Verstof gegen den oben beispielhaft auigezahlten Pflichtenkatalog ermoglicht. Die Nichtbeachtung dieser Verhaltensregeln kann zusatzlich als Verstof gegen die redlichen Handelsbrauche gewertet werden und Gegenstand einer - auch von einer beruflichen oder iiberberuflichen Gruppierung mit Rechtspersonlichkeit - zu erhebenden Unterlassungsklage sein. Das vorlegende Gericht fragt - wiederum im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens - nach der Vereinbarkeit der Koniglichen Verordnung sowie der ihr zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen, demnach der staatlichen Matinahme, mit Art. 81 Abs. 1 EG sowie Art. 28 EG (sid). Weiters wird nach der Vereinbarkeit von Vereinbarungen gleichen Inhalts zwischen Reisevermittlern mit Art. 81 Abs. 1 EG gefragt. Der EuGH formuliert in seinem Urteil die seitens des nationalen Gerichts gestellte Frage neu, und zwar als Frage nach der moglichen Anwendbarkeit der Van Eycke-Formel. Der Gerichtshof betont in einem zweiten Schritt das fur diese Fallgruppe besonders wesentliche Kriterium der Akzessorietat: Es sei zunachst zu untersuchen, ob sich aus den Akten des vorliegenden Gerichts das Vorliegen von Kartellabsprachen in dem von der legislativen Malinahme erfassten Bereich ergebe; anschliefsend rmisse gepriift werden, ob die in Frage stehende mitgliedstaatliche Bestimmung oder eine ahnliche bezweckt oder bewirkt, die Auswirkungen von bereits vorhandenen Kartellabsprachen zu versrarken.I'> Der EuGH stellt aufgrund der Aktenlage fest, dass die Branchen der Reiseveranstalter und der Reisevermittler von einem Netz vertikaler und horizontaler Absprachen durchzogen werden; gesetzliche Regelungen sowie Mustervertrage errnoglichen es, Aulienseiter mittels Boykott zur Einhaltung einer Absprache zu zwingen. Nachdem der EuGH festgestellt hat, dass eine derartige Preisabsprache gegen Art. 81 EG verstolit, fahrt er fort mit einer Priifung der potentiellen Spiirbarkeit anhand der Dassonville-Formel:
vermittlers darf nach der Koniglichen Verordnung keine gegen die redlichen Handelsbrauche verstofsende Handlung begehen - eine solehe besteht insbesondere darin, dass der Reisevermittler sich nicht an die vereinbarten oder gesetzlich vorgeschriebenen Preise halte und/oder Provisionen teilt, Riickvergiirungen gewahrt oder sonstige Vorteile anbietet: EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3801 (3824). 715 Belgisch Staadsblad vorn 1.6.1965. 716 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987,3801 (3826).
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"Derartige Vereinbarungen sind im Obrigen geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten in mehrfacher Hinsicht zu beeintrdcbtigen. [. . .} Es ist noch zu prufen, ob Bestimmungen wie die vom nationalen Gericht beschriebenen, in diesen Zusammenhang gestellt, geeignet sind, die spezijischen Auswirkungen der Vereinbarungen zwischen Reisevermittlern und Reiseveranstaltern zu uerstdrleen. "717 (Hervorhebung der Verfasserin) Ein mitgliedstaatlicher Verstof gegen Art. 81 EG in der Fallgruppe des "Verstarkens" muss nach Ansicht des EuGH demnach zwei verschiedenen Modellen der Spurbarkeit genugen: Das erste Modell dieser Spiirbarkeitskette wird der Dassonville-Formel entnommen und solI sicherstellen, dass das Verhalten der Unternehmen potentiell Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt hat. Das zweite Spiirbarkeitsmodell ist im Bereich der Van Eycke-Formel angesiedelt und zielt darauf ab, zu untersuchen, ob die nationale Maiinahme geeignet ist, die spezifischen Auswirkungen einer Vereinbarung zwischen Reisevermittlern und Reiseveranstaltern zu verstarken. Damit wird jedoch wiederum gepriift, ob die Auswirkungen der nationalen Mafsnahme zumindest potentiell geeignet sind, im Sinne der Dassonville-Formel den innergemeinschaftlichen Handel zu beeintrachtigen. Wesentlich - zumindest fur diese Fallgruppe - erscheint das Verstarken der "spezifischen Auswirkungen" dieser Absprache. Das Element des Verstarkens liegt nach Ansicht des EuGH in der Ubernahme der ursprunglich bestehenden Vereinbarung in eine Rechtsvorschrift mit Dauercharakter. Die Normierung eines Verstoiies gegen die Verhaltensregeln - und damit gegen den Inhalt der vormaligen Preisabsprache - als eine gegen die redlichen Handelsbrauche verstoliende Handlung, die Moglichkeit, die behordliche Genehmigung zur Berufsausiibung zu entziehen und das Rechtsmittel der Unterlassungsklage gegen ein EG-rechtskonformes Verhalten wiirden als mitgliedstaatliche Sanktionen die Auswirkungen einer wettbewerbsbeschrankenden Vereinbarung verstarken.I'" Aufschlussreich erscheint schlieBlich die Aussage des EuGH zu einem moglichen Verstof des Mitgliedstaates Belgien gegen die Bestimmungen tiber den Freien Warenverkehr. Der EuGH betont an dieser Stelle den im Text des EG-Vertrages vorgesehenen Adressatenkreis des Art. 28 EG:
"Da sich die Artikel 30 und 34 EWG- Vertrag nur auf staatliche Maflnahmen und nicht auf Verhaltensweisen von Unternehmen beziehen, ist zu
717 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3801 (3828), Rz. 18 und 22. 718 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3801 (3829).
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prufen, ob nationale Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit diesen Artikeln vereinbar sind. "719 Der EuGH qualifiziert im Folgenden Reisen als Dienstleistungen. Bemerkenswert erscheint an dem gewahlten Zitat, dass der EuGH den Adressatenkreis - entgegen der friiheren Entscheidung Dansk Supermarked't" der Bestimmungen iiber den Freien Warenverkehr als ausschlieiilich die Mitgliedstaaten umfassend definiert; daher sei Art. 28 EG auch bloG auf staatliche Maiinahmen anwendbar. Der EuGH unterlasst es jedoch in augenfalliger Weise, die Frage in ein Auskunftsersuchen bezuglich der Kornpatibilitat der belgischen Gesetzgebung mit den Grundfreiheiten umzudeuten - insbesondere mit Art. 49 ff. EG. Eine Umdeutung der von dem nationalen Gericht gestellten Frage wurde die staatliche Malinahme fur sich zunachst der Dienstleistungsfreiheit und einer moglichen Rechtfertigung im System der Grundfreiheiten unterstellen. 4.4.4. Die Rechtssache Meng
Die fur die in dieser Arbeit vertretene Argumentation noch anzureiisende Rechtssache Meng 721 bringt einige Prazisierungen fur die Fallgruppe des "Verstarkens":722 Die Rechtssache Meng ist, gleich Vlaamse Reisbureaus, mit einem gesetzlich festgelegten Verbot der Weitergabe von Provisions- oder ahnlichen Vorteilen befasst. Herr Meng, ein selbstandiger Finanzkaufmann, beriet in dem Zeitraum von 1987/1988 eine Reihe von Kunden bei Fragen im Zusammenhang mit dem Abschluss von Versicherungen.Y' Herr Meng pflegte nach (erfolgreichem) Abschluss des Versicherungsvertrages die ihm zustehende Provision an seine Kunden abzufiihren, wahrend diese ihrerseits ein im Voraus vereinbartes Honorar erlegten. Das Bundesamt fur das Versicherungswesen als Aufsichtsbehorde setzt gegen Herrn Meng eine Geldbuiie fest, da dieser gegen das im Versicherungs719 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987,3801 (3830). 720 EuGH Rs. 58/80 Dansk Supermarked A/S gegen A/S Imerco, Slg. 1981, 181. Zu der Frage nach der Drittwirkung der Bestimmungen tiber den Freien Warenverkehr vgl. unten S. 390 ff. 721 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen Wolf W. Meng, Slg. 1993,1-5791; Gleichzeitig erging das Urteil in der Rechtssache Ohra, das in seinen wesemlichen Sachverhaltselementen und der rechtlichen Beurteilung des EuGH idem ist: EuGH Rs. Strafverfahren gegen Ohra Schadeverzekeringen NV, Slg. 1993,1-5873. 722 Vgl. dazu Reich, The "November Revolution" of the European Court of Justice: Keck, Meng and Audi Revisited, CMLR 1994,459. 723 Zu der beruflichen Tatigkeit von Herrn Meng gehorte es, Kunden auf dem Gebiet von Versicherungen zu beraten, die Ftihrung der Korrespondenz mit den Versicherungsgesellschaften bis zum Abschluss der Versicherungsvertrage zu fiihren. Vgl. EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen WolfW. Meng, Sitzungsbericht, Slg. 1993,1-5791, (1-5752).
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aufsichts-Gesetz und in der 1934 vom Reichsaufsichtsamt fur Pri varversicherung erlassene Anordnung iibe r das Verbot der Gewahrung von Sondervergiirungen vor gesehene Provisionsabgabeverbot verstolien hat. Das vorlegende Gericht fragt nun in dieser Rechtssache nach der Vereinbarkeit de s gesetzlich vorgesehen en Provisionsabgabeverbotes mit Art. 3 f, 10 und 81 EG. In seinem Schlussantrag spricht sich Generalansualt Tesauro unter Ruckblick au f die bisher ergangene Judikatur dagegen aus, mitgliedstaatliche MaBnahmen mit objektiv wettbewcrbsbeschrankender Wirkung allein aus diesem Grunde - mithin ohne das Vorliegen der Kriterien der Van Eycke-Formel sowie eines unternehmerischen akzessorischen Verhaltens - n ach den Art. 3 f, 10 und 81 EG zu beurteilen.i?" Die zuletzt genannte Voraussetzung miisse bloB fur die Fallgruppe der Dbertragung der Verantworrung fur den Erlass von Entscheidungen an Private, so Tesauro, nicht vorliegen.F' Die Voraussetzung der anschliefsend privaten Wettbewerbsbeschrankung rnusse fur diese Fallgruppe, so der Generalanwalt, noch hinzutreten. Generalanwalt Tesauro wendet sich einer Analyse de s Sachverhaltes zu und stcllt fest, dass fur die Vers icherungszweige Krankheit und Rechtsschutz anders als in der Rechtssache Vlaam se Reisbureaus' s" - niemals ein Netz von Absprachen betreffend das Verbot der Weitergabe von Provisionen an Kunden bestanden habe. Solche Absprachen habe es, so Tesauro, auss chlielilich fur den Bereich Lebensversicherungen gegeben. Die Anwendbarkeit der Fallgruppe "Versrar ken " wird seitens des Generalanwaltes mit dem Argument ausgeschlossen, dass eine Dbertragung des Provisionsabgabeverbotes auf die in Rede stehenden Versicherungszweige mit erheblicher zeitlicher Verschiebung stattgefunden habe. Nach Ansicht von Generalanw alt Tesauro sei das Vorliegen eines akzes sorischen unternehmerischen Verhaltens im Hinblick auf die in dem jeweiligen Verfahren angesprochene Branche zu betrachren. Generalanwalt Tesauro wendet sich in der Folge der Erorterung eines der wesentlichen Problembereiche und - bei unsachgernafser Handhabung - Kritikpunkte an der Van Eycke-Formel zu. Tesauro stellt sich die Frage, ob im Sinne einer Weiterentwicklung der Van Eycke-Formel "eine staatliche Regelung Artikel85 allein dadurch seine praktische Wirksamkeit nimmt - und da724 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahr cn gegen Wolf W. Meng, Schlussantrag Generalanwalt Tesau ro, Slg. 1993, 1-5791, (1-5781); Fur eine Beurteilung anhand der Art. 81 ff EG bei objektiv wettbewerbswidrigem Verh alten eines Mitgliedstaates: Steinberger, Staatliche W irtschaftsinterventionen als Verstof gegen die Wenbewerbsegeln des EG-Vertrages (1994), 57. 725 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen Wolf W. Meng, Schlu ssantrag Generalanwalt Tesauro, Slg. 1993,1-5791, (1-5782). 726 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaam se Reisbu reaus gegen VZW Sociale Di enst van de Plaatselijke en Gewestelijke O verh eidsdiensten, Slg. 1987,3801.
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mit rechtswidrig ist -, dass sie die gleiche Wirkung wie eine nach Artikel 85 verbotene Vereinbarung hat." 727 In der Sache stellt der EuGH fest, dass die in Frage stehende deutsche Regelung iiber die Versicherungsaufsicht weder vorschreibt noch erleichtert, dass die Vermittler eine verbotene Kartellabsprache treffen, da das gesetzlich ausgesprochene Verbot "aus sich heraus" wirksam sei.728 Hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen der Fallgruppe "Verstarken" stellt der EuGH fest, dass hierfiir ein akzessorisches Unternehmensverhalten erforderlich sei, welches die gleiche Branche betreffe:
" Von einer fur einen bestimmten Versicherungsbereich geltenden Regelung kann nur dann angenommen werden, dass sie die Auswirkungen zuvor bestehender Kartellabsprachen uerstdrlet, wenn sich diese Regelung darauf beschrank t, die Elemente einer zwischen den Wirtschaftsteilnehmern dieses Sektors geschlossenen Vereinbarung zu ubernehmen."729 Die von dem EuGH gewahlte, enge Auslegung eines akzessorischen unternehmerischen Verhaltens fuhrt zunachst zu einem folglich engen Anwendungsbereich der Van Eycke-Formel. Eine strikte Handhabung ihrer Voraussetzungen teilt der Van Eycke-Formel wohl- neben der Anwendung der Grundfreiheiten - eine bl06 residuale Rolle zu. 4.5. Fallgruppe des "Obertragens von Verantwortung" 4.5.1. EinfOhrung
Die Fallgruppe des Ubertragens von Verantwortung fur in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen an Wirtschaftsteilnehmer, sodass die Mitgliedstaaten ihren eigenen Regelungen den staatlichen Charakter nehmen, erscheint in ihren Voraussetzungen und ihren Unterscheidungsmerkmalen unklar. Zur Feststellung eines etwaigen Verstoises gegen Art. 3 f, 10 und 81 EG soll nach Ansicht mancher Autoren das Augenmerk zunachst auf jene Wirtschaftstreibenden - oder jene Vereinigung von Wirtschaftstreibenden - gelegt werden, an die von Seiten des Staates die Verantwortung fur in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen iibertragen wurde. Irn Zuge dieser Prufung sollen folgende Kriterien - vermutlich taxativ - Beriicksichtigung finden: Es sei zu untersuchen, ob die Ausiibung der iibertragenen Rechte in einem klaren gesetzlichen Rahmen erfolgt, der die Verfolgung klar artikulierter staatlicher Interessen sicherstellt und ob die getroffene Ent-
727 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen Wolf W. Meng, Schlussantrag Generalanwalt Tesauro, Slg. 1993,1-5791, (1-5785). 728 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen WolfW. Meng, Slg. 1993, 1-5791, (1-5797). 729 EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen WolfW. Meng, Slg. 1993,1-5791, (1-5798).
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scheidung noch als Ausdruck einer staatlichen Politik betrachtet werden kann. Wesentlich ist bei dieser Betrachtungsweise das Ausmaf der dem Mitgliedstaat zur Verfiigung stehenden und von diesem tatsachlich ausgeiibten Kontrolle.P? Nach Ansicht mancher Autoren unterscheidet sich diese Fallgruppe von den iibrigen drei Bestandteilen der Van Eycke-Formel dadurch, dass das Vorliegen akzessorischen unternehmerischen Verhaltens nicht erforderlich sei.731 Steinberger ist der Ansicht, dass das aus Seiten des Mitgliedstaates zu inkriminierende Verhalten nicht eine Verzerrung des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt sei; Kriterium sei vielmehr das Gebot der Formenklarheit bzw. das Verbot von Mischformen zwischen staatlichem und unternehmerischem Handeln. Dieses Verbot wiirde durch eine Weggabe staatlicher Macht verletzt werden.P'' Hausler iibt an dieser Auffassung jedoch verhaltene Kritik - diese Auffassung gehe wohl uber den Wortlaut und die Systematik des EG-Vertrages hinaus.P? Mit dieser Fallgruppe sollen soIche Gruppen von Sachverhalten erfasst werden, in weIchen ein wettbewerbswidriges unternehmerisches Verhalten nicht nachgewiesen werden kann, offengelegtes staatliches Handeln jedoch eine wettbewerbsverzerrende Wirkung der beiden Wirkungskreise vermuten lasst. Eine Wertung dieser Fallgruppe solI wiederum nach der Vorstellung der Leitentscheidungen vorgenommen werden. In der Literatur wird angenommen, dass die Urspriinge dieser Fallgruppe in den Rechtssachen Leclerc-Bucher'> und Leclerc-Benzin/v iiegea. Die Sachverhaltskonstellation, weIche der Rechtssache Van Eycke'> zugrunde liegt, wiirde die von dieser Fallgruppe geforderten Kriterien erfiillen.P? 730 Hausler, Die Pflichren der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs, 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 206; Fenger/Broberg, N ationa! Organisation of Regulatory Powers, 1995 ECLR, 364 (367). 731 Van der Esch, Die Art. 5, 3 f 85/86 und 90 EWGV als Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991, 274 (278); Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstof gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (1994), 73. 732 Steinberger, Staatliche Wirtschaftsinterventionen als Verstof gegen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (1994), 74. 733 Hausler, Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs.llit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 200. 734 EuGH Rs, 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1. 735 EuGH Rs. 231/83 Henri Cullet gegen Centre Leclerc, Toulouse und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville, Slg. 1985, 316. 736 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786. 737 Hausler, Die Pflichten der Mirgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 201.
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4.5.2. Die Rechtssache Reiff
Wahrend der EuGH in den oben angefiihrten Rechtssachen die Priifung der Fallgruppe der "Dbertragung von Verantwortung" bloG anklingen lieG bzw. explizit ausschlieist, wird diese Norm in der Rechtssache Reiff38 zur Anwendung gebracht und ausgestaltet: Das Ausgangsverfahren betrifft eine Klage der Bundesanstalt fur den Guterfernverkehr gegen die Spedition Reiff; letztere wird auf die Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem vorn Bundesminister fur Verkehr erlassenen Beforderungstarif und jenem Tarif, den die Spedition Reiff einem anderen Transportunternehmer verrechnet hatte, In der Bundesrepublik Deutschland wird der Giiterkraftverkehr durch das Guterkraftverkehrsgesetz (GuKG) geregelt. § 7 GuKG sieht vor, dass eine volkwirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung zwischen den Verkehrstragern durch marktgerechte Entgelte und einen lauteren Wettbewerb der Verkehrstrager errnoglicht werden soll, "Marktgerechte Entgelte" werden nach gesetzlich festgelegten Kriterien von Tarifkommissionen festgelegt. Diese Kornmissionen bestehen aus Tarifsachverstandigen, welche zunachst von den Angehorigen und Verbanden des Guterfemverkehrsgewerbes in Form einer Liste vorgeschlagen werden. Die endgultige Ernennung nimmt jedoch der Bundesminister fur Verkehr vor. Dieser hat uberdies das Recht, an den Sitzungen der Tarifkommissionen teilzunehmen. Die Festsetzung der Tarife erfolgt nach Anhorung eines aus Vertretern der Verlader bestehenden Beratenden Ausschusses; die derart zustande gekommenen Beschlusse der Tarifkommissionen bedurfen einer Genehmigung des Bundesministers fur Verkehr. Diese Genehmigung hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister fur Wirtschaft zu erfolgen. Die Genehmigung des Bundesministers fur Verkehr kann daher auch versagt werden und dieser kann sich auch, wenn es das allgemeine Wahl erfordert, an die Stelle der Tarifkommission setzen und Frachtsatze erlassen. Die festgesetzten und genehmigten Tarife werden durch Rechtsverordnung erlassen und sind fur die Unternehmen verbindlich. Wird seitens eines Speditionsunternehmens ein geringerer Tarif verrechnet, so hat der Transportunternehmer den Unterschiedbetrag nachzufordern. Wenn dies nicht geschieht, so geht die Ausgleichsforderung auf die Bundesanstalt fur Guterfernverkehr iiber, welche die Zahlung kraft gesetzlicher Pflicht im eigenen Namen nachfordern muss.P?
738 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfemverkehr gegen Gebruder Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841. 739 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfemverkehr gegen Gebruder Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841, (1-5845).
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Das vorlegende Gericht fragt den EuGH zunachst nach der Vereinbarkeit des Tarifbildungsverfahrens und seiner Verankerung in der Van Eycke-Formel sowie nach den Rechtsfolgen eines derartigen Verstofses , insbesondere nach der Moglichkeit des Eintretens der Rechtsfolge Nichtigkeit des staatlichen wettbewerbswidrigen Handelns.i" In seinem Urteil betont der EuGH, dass An. 81 EG an sich nur das Verhalten von Unternehmen erfasse und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene MaBnahmen von Mitgliedstaaten, Der Kreis der Normadressaten des Art. 81 EG werde jedoch durch die Ausnahme der Van Eycke-Formel durchbrochen. Nach Wiederholung der Norm schreitet der EuGH zu der Differenzierung der auf diese Rechtssache anwendbaren Norm durch ein Hcrausstreichen der tragenden Sachverhaltselerncnte und insbesondere ihrer Unterschiede zwischen den Rechtssachen Reiff und BN/C/Clair74 1• Nach Ansicht des EuGH handelt es sich bei den Mitgliedcrn der Tarifkornmissionen urn Tarifsachverstandige, welche nicht an Auftrage oder Weisungen der sie vorschlagenden Verbande gebunden seien. Der EuGH stellt zusatzlich fest, dass nach gesetzlicher Lage die Tarifkommissionen bestimmte Aspekte des allgemeinen Wohls zu beriicksichtigen haben. 742 Daher scien, so der EuGH, diese Kommissionen im Gegensatz zu dem BN/C, nicht als Vereinigungen von Vertretern eines Gewerbes anzusehen. SchlieBlich wendet sich der EuGH der hier interessierenden Frage zu, ob der Staat seine Zustandigkeiten im Bereich der Tariffestsetzung privaten Wirtschaftstreibenden iibertragen hat: Der EuGH stellt hier anhand der Aktenlage fest, dass das GiiKG den Bundesminister beauftrage, die Leistungen und die Entgelte der verschiedenen Verkehrstrager mit der Zielsetzung aufeinander abzustimmen, allgemeine Interessen der Volkswirtschaft zu beriicksichtigen. Der Bundesminister habe diverse Befugnisse zur Teilnahme an der Beschlussfassung tiber die Frachtsatze. Dariiber hinaus konne der Bundesminister die anzuwendenden Frachtsatze selbstandig festlegen, sofern offentliche Interessen betroffen sind. 740 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfernverkehr gegen Gebriider Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841 (1-5846). 741 EuGH Rs. 123/83 Bureau national inrerprofessione] du cognac (BNIC) gegen Guy Clair, Slg. 1985,402. Fur eine Bcsprechung dieser Rechtssache vgl. de Cockbourne, Anmerkungen zu "BNIC/Clair", RTDE 1985,392. 742 Dazu gehoren neb en dem bereits angefuhrten Kriterium der wirtschaftlich sinnvollen Arbeitsteilung zwischen den Verkehrstragern die gesetzlich festgelegte Pflicht zur Beriicksichtigung der Interessen landwirtschaftlicher und mittelstandischer Wirtschaftskreise sowie jene wirtschaftlich schwacher und verkehrsungiinstig gelegener Gebiete. Insbe sondere soll unbilliger Wettbewerb zwischen Stralienguter-, Eisenbahn- und Binnenschiffsverkehr verhindert werden: EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giirerfernverkehr gegen Gebriider Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841 (1-5848).
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Folglich konne in dies em Fall nicht von einer Delegation staatlicher Befugnisse gesprochen werden. 743 Eine soIehe sei dann nicht anzunehmen, "sofern der Staat sich nicht seiner Befugnisse begibt, sondern insbesondere dariiber wacht, dass die Kommissionen die Tarife aufgrund von Erwagungen des Allgemeinwohls festsetzen und gegebenenfalls anstelle dieser Kommissionen selbst entscheiden. "744 Die Fallgruppe der Dbertragung der staatlichen Verantwortung an private Wirtschaftsteilnehmer wurde in weiteren Entscheidungen konkretisiert: Dabei wird das Augenmerk des EuGH auf folgende Kriterien gelegt: die Zusammensetzung des einen Tarif festsetzenden Gremiums.?" die Moglichkeit eines staatlichen Vertreters, in der Sache zu entscheiderr'" und auf eine gesetzlich festgelegte Verpflichtung, die Preisfestsetzung im offentlichen oder allgemeinen Interesse zu treffen 74 7 • Schliefilich wird vereinzelt angenommen, dass der EuGH eine - zwar dem Kriterium der Akzessorietat geniigende - Erfiillung dieser Fallgruppe in der Rechtssache Zollspediteure I angenommen habe.?" 5. Ergebnisse
Die Van Eycke-Formel sieht mittels der Bestimmungen der Art. 3 fund 10 EG eine Ausweitung des Adressatenkreises der Art. 81 und 82 EG auf Mitgliedstaat en vor. Die vier Fallgruppen der Van Eycke-Formel, namlich das "Vorschreiben", das "Erleichtern" einer wettbewerbshindernden Absprache, das "Verstarken ihrer Auswirkungen" und die Fallgruppe des Dbertragens staatlicher Verantwortung an private Wirtschaftsteilnehmer beinhalten Kriterien, die eine Zuordnung einer Rechtssache zu einer Fallgruppe nicht eindeutig ermoglichen, Die Fallgruppe der Dbertragung von staatlicher Verantwortlichkeit an private Wirtschaftsteilnehmer ist fur sich alleine betrachtet bereits etwas ungenau
743 EuGH Rs, C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfcrnverkehr gegen Gebriider Reiff GmbH & Co. KG, Sig. 1993, 1-5841 (1-5849). 744 EuGH Rs, C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfcrnvcrkehr gegen Gebruder Reiff GmbH & Co. KG, Sig. 1993,1-5841 (1-5849). 745 EuGH Verb. Rs. C-140/94, C-141194 und C-142/94 DIP SpA u. a. gegen Commune di Bassano del Grappa und Commune di Chioggia, Sig. 1995,1-3527. 746 EuGH Rs. C-96/94 Centro Servizi Spediporto gegen Spedizioni Marittima del Golfo Sri, Sig. 1995,1-2900. 747 EuGH Rs. C-38/97 Autotrasporti Librandi F. & C. gegen Cuttica spedizioni e servizi internazionali Sri, Sig. 1998, 1-5957. 748 Hausler, Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 205.
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
und diffus in der Ausgestaltung.?"? Gerade die einander widersprechenden Stimmen beziiglich der Einordnung einer gegebenen Rechtssache unter eine Fallgruppe der Formel innerhalb der wissenschaftlichen Literatur, die die Beibehaltung und Fortentwicklung der Van Eycke-Formel befiirwortet, deuten bereits auf Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung hin."? Der von manchen Autoren geforderte Verzicht auf das Kriterium der Akzessorietat unternehmerischen Verhaltens"" fur die Anwendung dieser Fallgruppe stellt den Rechtsanwender vor zwei wesentliche Probleme: Die Beschrankung auf das bloile Erfordernis der Wettbewerbswidrigkeit einer staatlichen Mafsnahme hielie, den Adressatenkreis des Art. 81 EG unter Zuhilfenahme des Art. 10 EG auf Mitgliedstaaten auszudehnen. Fraglich ist an dieser Stelle, ob eine soIche Anwendung des Art. 81i.V. m. Art. 10 EG methodisch zulassig ist, Weiters tritt folgende Problernkonstellation auf: Es erscheint aufgrund des Kreises der Normadressaten zunachst sinnvoll, wettbewerbsbeschrankende staatliche Maiinahmen an den Bestimmungen iiber die Grundfreiheiten zu messen. Sollten diese Malsnahmen nach Anwendung der Grundfreiheiten noch zulassig sein, so ist es wiederum denkbar, dass sie auch nach EG-Wettbewerbsrecht zulassig sein miissen. Weiters wiirde die mogliche gleichzeitige Anwendung von Grundfreiheiten und EG-Wettbewerbsrecht zu einer Normenkollision fiihren. Fur die Struktur der Fallpriifung nach Art. 3 f, 10 und 81 EG ist die vom EuGH eingeschlagene Anwendung der Spiirbarkeitskriterien von groBer Bedeutung:
"Zweitens istfestzustellen, dass die Bescbliisse, mit denen der CNSD (Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali, Nationale Rat der Zollspediteure, Anm. der Verfasserin) eine fur aile Zollspediteure einheitliche und verbindliche Gebiibrenordnung festgelegt hat, den Wettbewerb im Sinne von Artikel 85 des Vertrages einscbrdnken und dass sie geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeintrdcbtigen:" [... J Was die Beeintriichtigung des innergemeinschaftlichen Handels angeht, so hat ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Markte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag
749 Vgl. Hausler, Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den fur Unternehmen geltenden Wettbewerbsrege1n des EG - Eine Analyse der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81, 82 EG, Dissertation (2001), 200: "eine wesentlich starkere, undurchsichtigere Verquickung von staatlicher und unternehmerischer Aktivitat als dies bei den ersten drei Fallgruppen der Fall ist." 750 Vgl. oben S. 181 ff. 751 Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 661 (678).
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Kartellrecht und Loyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
gewollte wirtsehaftliehe Verfleehtung bebindert/t? (Hervorhebung der Verfasserin) Anhand des hier gewahlten Zitates kann festgestellt werden, dass der EuGH bei der Beurteilung des Vorliegens eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes - hierin als Einschrankung des Wettbewerbs und Beeintrachtigung des innergemeinschaftlichen Handels bezeichnet - im Hinblick auf die Van Eyeke-Formel in zwei Etappen vorgeht: Das Vorliegen eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes wird als gegeben angenommen und die Eignung der staatlichen Maiinahme auf eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels hin gepriift. Mithin findet eine Priitung des gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes gemeinsam mit der Prufung der Erfiillung oder 'Nichterfiillung der Dassonville-Formel statt. 753 Damit wird jedoch ein Konzept, das aus der Systematik der Grundfreiheiten stammt und auf staatliche Regelverstoiie gemunzt ist, in das System des EG-Wettbewerbsrechts ubertragen, Samtliche zu der Van Eyeke-Formel bislang vorliegenden Rechtssachen wurden im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens oder, in Ausnahmefallen, im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens entschieden. Eine gerichtliche Feststellung des zugrunde liegenden Sachverhaltes durch ein europaisches Gericht - wie etwa im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG vor dem EuG - kann nur unter selten auftretenden Urnstanden erfolgen. 6. Schlussfolgerungen
1m Folgenden wird nun auf die Rechtsfolgen eines mitgliedstaatlichen Verstogegen Art. 3 f, 10 und 81 EG einzugehen sein. Die Problematik stellt sich in besonderer Scharfe bei einem Versrof gegen Art. 81 EG, da dieser in Abs. 2 fur nach dies em Artikel verbotene Beschliisse oder Vereinbarungen die Rechtfolge der Nichtigkeit statuiert, 1m Hinblick auf die staatliche Seite eines gegebenen Sachverhaltes stellt van der Eseh fest, dass die staatliche Anordnung oder Umrahmung einer Vereinbarung von Unternehmen unvereinbar mit dem Vertrag sei und damit als unwirksam zu betrachten ist.754 Wahrend Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit fur eine Absprache zwischen Unternehmen gernaf Art. 81 Abs.2 EG eine wenig anzweifelbare Rechtsfolge darstellt, so wird van der Eseh wohl fur die Ermitt~es
752 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998, 3851, (1-3897). 753 Zu dem Verhaltnis der Dassonville-Forme1 zu dem Konzept des gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes vgl. dazu unten S. 331 ff. 754 Van der Esch, Die Art. 5, 3 f 85/86 und 90 EWGVals Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, ZHR 1991, 274 (277).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
lung der Rechtsfolge eines mitgliedstaatlichen Verstofses gegen Art. 3 f, 10 und 81 EG die in den jeweiligen Bestimmungen normierten Rechtsfolgen betrachten. Da Art. 3 f keine Rechtsfolge fur einen Verstof gegen diese Norm vorsieht, ein Verstof gegen Art. 10 alleine mit Staatshaftung nach EG-Recht zu ahnden ist und Art. 81 EG in Abs. 2 als Rechtsfolge Nichtigkeit bestimmt, muss nun die Dberlegung angestellt werden, ob die Rechtsfolgen der Nichtigkeit und jene der Hartung des Staates einander ausschlieBen. Da zwischen diesen Rechtsfolgen keine Normenkollision vorliegt, konnen sic - nach dieser Betrachtungsweise - kumulativ angcwcndet werden. Fur diese Betrachtungsweise spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung gleich gelagerter Sachverhalte - wird nun eine Preisregelung von staatlicher Seite vorgenommen, so darf sie zumindest bis zur Sanierung des rechtswidrigcn Zustandes aufrecht bleiben, wird eine solche Preisfestsetzung von privater Seitc - etwa in Form einer verponten Vereinbarung von Unternehmen vorgenommen - so wird unmittelbar mit dem Rechtsinstrument der Nichtigkeit eingegriffen. 755 Eine zweite Auffassung konnte die Aussage von Van der Esch umdeuten im Sinne des Eintritts einer blofsen Unanwendbarkeit der mitgliedstaatlichen Norm. Dies setzt jedoch Vorrang des Gemeinschaftsrechts sowie eine direkte Kollision voraus, deren Existenz an dieser Stelle fragwiirdig erscheint. Aus einer Aussage des EuG zu der Fallgruppe des "Vorschreibens" lasst sich jedoch ein anderer Schluss ziehen: Das Gericht Erster Instanz wird in dieser Entscheidung mit der Frage nach dem Vorliegen eines Versrofses gegen EGWcttbewerbsrecht und dem rechtmaiiigen Alternativerhalten konfrontiert, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten staatlich/gesetzlich vorgeschrieben wird. 756 Das EuG definiert dieses Problem als Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 81 EG bei mangelnder Selbstbestimmung eines Unternehmens oder einer Untcrnehmensvereinigung. Das EuG weist zur Untermauerung dieser Aussage auf die Urteile Ladbroke''? und GB-Inno-BM758 hin und stellt fest: 755 Dieses Argument wird von Gyselen gerade fur seine Kritik an der Van Eycke-Formel herangezogen: Gyselen, State Regulation of Competition, CMLR 1989, 33 (44). 756 EuGH Rs. T-513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810. Das Gericht Erster Instanz harte das Verfahren in Bezug auf die seitens des CNDS eingebrachten Nichtigkeitsklage ausgesetzt, his zum Ergehen des Urteils in der gleichen Sache in Bezug auf die von der Europaischen Kommission eingehrachten Venragsverletzungsklage. 757 EuGH Rs. C-359 /95 P und Rs. C-3 79/95 P Kommission der Europaischen Gerneinschaften und Franzosische Repuhlik gegen Ladbroke Racing Ltd, Slg. 1997, 1-6265 (I-6312). 758 EuGH Rs. C-18/88 Regie des telegraphes et des telephones (RTT) gegen GB-1NNOBM SA, Slg. 1991, 1-5973.
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Kartellrecht und Loyalitatsqebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
" Wird den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verha/ten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben oder bi/den diese einen rechtlichen Rahmen, der selbst jene Mog/ichkeit eines Wettbewerbsverhaltens ihrerseits ausschlieflt, so sind die Artike/ 85 und 86 nicht anwendbar. "759 (Hervorhebung der Verfasserin) Hingegen sind Arts. 81 und 82 EG wohl anwendbar, wenn die nationalen Rechtsvorschriften die Moglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der wiederum durch selbstandige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschrankt oder verfalscht werden kann. Aus dieser Aussage konnte geschlossen werden, dass sich der EuGH sowohl gegen die Nichtigkeit einer staatlichen Maiinahme, welche gegen die Van Eycke-Formel verstolst, ausspricht, als auch einen Anwendungsvorrang der Art. 3 f, 10 und 81 EG ablehnt, Die oben zitierte Aussage des EuGH wiirde bei dieser Lesart die Norm des Art. 81 EG aus der Van Eycke-Formel herausbrechen, welche damit keinen Vorrang entfalten konnte. Diese Aussage des EuGH kann jedoch auch bl06 als Definition des wettbewerbsrechtlich relevanten Verhaltens aufgefasst werden. 1m vorliegenden Falle nimmt das EuG an, dass die staatlichen Malinahmen dem CNSD einen erheblichen Spielraum gewahren, mithin sogar entsprechend dem oben angefiihrten dictum, "Moglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbstandige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschrankt oder verfalscht werden" .760 Es sei zu priifen, so das EuG, ob die staatlichen Maiinahmen jede Moglichkeit eines Wettbewerbsverhaltens seitens des CNSD ausschlieisen. Fur den vorliegenden Fall wird daher die angefochtene Entscheidung aufrechterhalten. Aus der im angefiihrten Zitat gewahlten Formulierung ist zu schlieisen, dass eine wettbewerbswidrige Absprache trotz staatlichen Vorschreibens wettbewerbswidrig verbleibt - staatliches Vorschreiben andert daher nichts an der Rechtswidrigkeit, sondern blof an der Zurechnung der wettbewerbswidrigen
Maiinahme. An dieser Stelle erscheint es logisch unverstandlich, in welcher Weise eine staatliche Ma6nahme zugleich den Wettbewerb in einem Ausmaf aufrechterhalten kann, so dass der EuGH von einem EG-rechtlich und innerstaatlich in Betracht kommenden, rechtmaliigen Alternativverhalten eines Unternehmens ausgehen und zugleich eines der Erfordernisse der Van Eycke-Formel erfiillen kann. Wenn namlich Raum fur die Anwendung des Kartellrechts auf die betreffenden Unternehmen verbleibt, so kann eine staatliche Maiinahme wiede-
759 EuGH Rs. T -513/93 Consiglio Nazionale clegliSpeclizionieri Doganali gegen Kommission cler Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II -1810, (II-1830). 760 EuGH Rs. T -513/93 Consiglio Nazionale clegliSpeclizionieri Doganali gegen Kommission clerEuropaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810, (II-1830).
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Konstruktion mitgliedstaati Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
rum bloB - bei Anwendung der Dassonville-Formel- gegen eine Grundfreiheit verstoben. Die Anwendung der Van Eyeke-Formel erscheint in einem solchen FaIle uberfliissig. Weiters konnte angedacht werden, die Drittwirkung der DienstleistungsFreiheit in Bezug auf kollektive MaBnahmen von Vereinigungen, welche mit Rechtspersonlichkeit ausgestattet sind, und daher staatsahnlich agieren konnen, auf den Verband der Flarnis chen Reisebiiros, auf die Klagerin des Ausgangsverfahren anwenden. Wiewohl argumentiert werden konnte, dass der zwingende Charakter der verband sint ernen Vereinbarung sich wohl nicht aus clieser alleine, sondern insbesondere aus der staatlichen Regelung durch Konigliche Verordnung und Gesetz ergebe, so sprechen gute Griinde dafiir, diesen Gedanken bis zu diesem Punkt mit Zustimmung zu belegen: Von dies em Berufsverband ausgearbeitete Mustervertrage, welche bei Nichteinhaltung der Vereinbarung einen Boykott fiir vertraglich vereinbart vorsehen (sic!) sowie der drohende Ausschluss aus dem Berufsverband erscheinen als hochst wirksame Sanktionen, Die Moglichkeit dieses Berufsverbandes Zwangsmalsnahmen zu ergreifen, erscheint jener der FIFA und UEFA in der Rechtssache Bosman 761 durchaus ahnlich, Die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG auf eine Unternehmensvereinigung wiirde jedoch bedeuten, eine Normenkollision zwischen Art. 81 EG und Art. 49 EG herbeizufiihren.o/ Weiters erweist es sich in der Praxis als schwierig, eine Spiirbarkeitspriifung anhand der Dassonville-Formcl auf einen wettbewerbsrechtlichen Sachverhalt anzuwenden. Dieses Problem konnte von grofser praktischer Relevanz zu einem Zeitpunkt werden, an welchem der EuGH mit einer anhand der Van Eyeke-Formel rnoglicherweise einzuordnenden Sachverhaltskonstellation konfrontiert wird, deren Auswirkungen auf den Binnenmarkt im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens weitreichend sind, da ein Vorabentscheidungsverfahren vermutlich Bindungswirkung erga omnes entfaltet. Gleichzeitig erweist es sich als schwierig, im Rahmen des auf die Klarung von Rechtsfragen angelegten Vorlageverfahrens eine exakte Feststellung des Sachverhaltes durchzufiihreno Ebenso erscheint unklar, welcher Rechtsakt im Rahmen einer Uberpriifung nach der Van Eycke-Formel in Priifung gezogen wird: Auch diese Frage solI
761 EuGH Rs, C-415/93 Union royale beige de football association ASBL gegenJean-Marc Bosman und Royal Club Liegeois SA gegenJean-Marc Bosman, SA d'economie mixte spo rtive de l'union sportive du littoral de Dunkerque, Union royale beige des societes de football association ASBL, Union des associations europeennes de football (U EFA) und Union des associations europeennes de football (UEFA) gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-4921 (im folgenden zitiert als: EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gcgen Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, 1-4921). 762 Zu diesem Problemkreis vgl. ausfiihrlich unten S. 421 ff.
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Kartellrecht und Loyalitatsgebot - Die Van Eycke-Formel des EuGH
unter Hinweis auf eine bereits angesprochene Rechtssache, namlich Zollspediteure I, aufgegriffen werden: Aus der Analyse der Gerichtshofes und aus der gewahlren Terminologie ist nicht klar ersichtlich, ob es sich hierbei urn eine Priifung des Dekretes des Finanzministers, welches wiederum staatliche Genehmigung und Gebiihrenordnung selbst enthalt, oder ob es sich urn eine Priifung der Gebiihrenordnung als Rechtsakt einer Korperschaft offentlichen Rechts handelt, welcher damit Italien zugerechnet wird, oder wiederum urn eine Priifung der Gebiihrenordnung als Rechtsakt einer privaten Vereinigung.7 63 Diese Einteilung ist beliebig, da sie grundsatzliche drei Alternativen bietet. Kuyper schlagt in seiner Urteilsbesprechung zu des Rechtssache Asjes764 vor, zwei Alternativen zur weiteren Analyse heranzuziehen: Entweder es handelt sich urn ein Verhalten des Mitgliedstaates, das mit jenem des Privaten in einer Weise verquickt ist, dass eine saubere Trennung der jeweiligen Sachverhaltselemente nicht moglich und zulassig erscheint, oder es handelt sich urn zwei verschiedene Verhaltensweisen, welche getrennt voneinander betrachtet werden konnen.765 Die Betrachtungsweise zweier miteinander verquickter Verhaltensweisen und daher Sachverhaltselemente habe der EuGH, so Kuyper/i" in der Rechtssache Leclerc-Bucber's? angenommen. Dieser Betrachtung kann nichr zugestimmt werden - gerade Leclerc-Bucher weist eine staatliche Malinahme und keinen Nachweis fur das Vorliegen einer privaten Absprache auf. Welche Einteilung jedoch auch gewahlt wird, in beiden Fallen erscheint eine Beurteilung des staatlichen Verhaltens nach den moglicherweise betroffenen Grundfreiheiten und des privaten Verhaltens nach den ebenfalls vermutlich betroffenen Regelen tiber EG-Wettbewerbsrecht moglich. Zur Beantwortung dieser Frage stellt der EuGH im Urteil fest:
"Durch den Erlass der betreffenden nationalen Regelung hat die Italienische Republik nicht nur den Abschluss einer gegen Artikel 81 des Vertrages
763 Kuyper hingegen sieht in einer generellen Erorterung der Problematik der Van EyckeForme! zwei Varianten, die m. E. jedoch zu trennen sind. Es sei zu erortern, ob die Verletzung des Vertrages durch einen Mitgliedstaat als einen gemeinsamen Akt des Mitgliedstaates und des privaten Akteurs zu betrachten sei oder ob eine getrennte rechtliche Betrachtung des privaten und des staatlichen Verhaltens moglich und zulassig sei: Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 661 (678). 764 EuGH Verb Rs. 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andrew Gray und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425. 765 Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 661 (678). 766 Kuyper, Case Annotation "Asjes", CMLR 1986, 661 (678). 767 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1.
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpfl ichten uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
verstoflenden Vereinbarung v orgeschrieben und daraufverzichtet, diese inhaltlich zu beeinf/ussen, sondern sie trdg: auch zur Ge uidbrleistung ibrer Einhaltung bei. " 768
Wahrend es sich bei dem Spruch des Urteils in diesem Vertragsverletzungsverfahren urn die Feststellung handelt, dass Italien durch den Erlass und die Beibehaltung eines Gesetzes des oben dargelegten Inhaltes gegen Art. 10 und 81 EG verstofsen hat, so handelt es sich bereits bei der Formulierung des Urteilsspruches urn die Feststellung der EG-Rechtswidrigkeit cines staatlichen und eines privaten Rechtsaktes. Die seitens des EuGH in dem Urteilsspruch Zollspediteure II vorgenommene Bewertung des Dekretes des italienischen Finanzministers fasst zwei verschiedene Rechtsakte unterschiedlicher Urheberschaft zusammen: Die von dem Nationalen Rat der Zollspediteure erlassene Gebiihrcnordnung verstoist fur sich alleine nach Ansicht des EuGH bereits gegen Art. 81 EG.769 Die staatlichen Mafsnahmen, Gesetz und darauf beruhende Dekrete, ubernehmen den materiellen Inhalt der Gebiihrenverordnung und statten diese mit amtlichem Charakter'?" aus. Eine solche staatliche MaBnahme konnte jedoch auch gegen die Freiheit der Dienstleistung verstofsen - diese Frage wird jedoch in dieser Entscheidung nicht angerissen. Daher erscheint der nach der Van Eycke-Formel zu priifcnde Rechtsakt, gerade aufgrund der vom EuGH geforderten unternehmerischen Akzessorietat, nicht eindeutig definierbar zu sein. Die mangelnde Eindeutigkeit des gepriiften Rechtsaktes kann als einer der Hauptkritikpunkte an der Van Eycke-Formel verstanden werden. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt an der Van Eycke-Formel ist die Vagheit der verwendeten Formulierungen, welche auBerst unbestimmt sind, sowie die fur ihre Wahrnehmung eingeschlagenen Verfahren: Wie an den Rechtssachen BNIC/Clair771 und Reiff72 ersichtlich ist, oder auch an der Einordnung von Zollspediteure lund Zollspediteure II, ist die ex768 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3900). 769 EuGH Rs, T-513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810. Der EuGH hatte bereits in Zollspediteure 1 festgestellt, dass die Gcbuhrenordnung der Zollspediteure gegen Art. 81 EG verstofsc, vgl. EuGH Rs, C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3853). 770 EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,3851, (1-3901), Rz . 59. 771 EuGH Rs. 123/83 Bureau nation al int erp rofessionel du cognac (BNIC) gegen Gu y Clair, Slg. 1985, 402. Fur eine Besprechung dieser Rechtssache vgl. de Co ckbourne, An merkungen zu nBN 1C / C lair", RTDE 1985,392. 772 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfemverkehr gegen Gebriider Reiff GmbH & Co. KG , Slg. 1993, 1-5841.
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l.oyal itatspflicht und Freihe it des Wa renverkehrs
akte oder auc h nur an nahernde Einordnung einer Recht ssach e u nt er eine d er Fa llgruppe n der Van Eycke- Formel uberaus willkiirlich, An der Re chtssach e Deutsche Grammophon und an dem Urteil in I N NO / A TA B zeig t sich , dass der rec htlic h zu beurteilende Sachverhalt zu mei st in ununter scheidbarer Weise ver qu ickt, Elemente staatlichen H andeln s und p rivaten H andelns enthalt, D ie U rsache die ses P roblem s ma g sowohl in der H aufun g unbestimmter Rechtsb egriffe in der Van Eycke-Formel selbst, als auch in den eingesc hlagenen Verfah ren zu finden sein. Es eignen sich weder das Vorlageverfah r en, welches fur di e Klarung ein er R echtsfrage konzipiert ist, noch d as Vertragsverletzungsv erfa h ren, dem eine Verfahrensp hase d er Auskunftserteilung voran geht, fu r d ie Aufklarung komplexer w ett bew erbsrechtlicher Sach verhalte. Insbesondere erscheint es w esentlich darauf hinzuweisen, dass jene Unternehmen, deren akz esso risch es Verhalten di e Grundlage fur die z. B. verstarken d e staatliche Mafsnahme abgibt, nicht an d em Verfahren vor dem EuGH beteiligt sind. W ahrend als Kritikpunkt auf die oben getatigten Au sfUhru ng en zu den Rech tsfolgen eines Verstolies gegen die Van Eycke-Form e1 verwiesen wird, soIl in eine m nachsten Abschnitt der Frage nachgegangen w erd en , o b es fur das EG-R echt m ethodisch zulassig ist, vo n einem Rech tssatz aussc h lieillich die Verhaltensan fo rde ru ng ohne Rechtsfolge an zuwenden. In Bean twortung der einga ngs gestellten Fra gen verbleibt zu folgern, d ass zwische n d er in Agrarblocka den statui erte n Garantenpfl icht eines M itglied staates und der Van Eycke- Forme l keine Pa ralIe1e besreh r: Wahrend narnlich die G arantenpflicht ein es M itg liedstaates eine Pflicht zu einem p ositiven Tun aus de r Bestimmung des Art. 10 EG ableitet, w ir d im Rahmen der Van EyckeFormel der A d r essatenkreis unter Zuhilfen ahme dieser an Mitg lieds ta aten gerichteten Bestimmung der Adressatenkreis w ett bewerbsrec htlic he r N ormen erweitert .
B. Loyalitatspflicht und Freiheit des WarenverkehrsDie Rechtssachen "Agrarblockaden" und "Schmidberger" 1. Einflihrung
D ie R echtssache Agrarblockaden /" statuiert im Ergebnis cine aus den Art. 10 und 28 EG abgeleitete Pflicht des Mitgliedstaates zu positivern Handeln. Von manchen Autoren wird der Urteilstenor in Agrarblockaden her angezogen, urn ein e unmittelbare Drittw irkung der Grundfreiheiten - sei es auch blo6 als
773 EuGH Rs. C -265/95 Kommissio n der Eu ropaische n Ge meinschaften gegen F ranzosische Republik, Slg. 1997,1-6959.
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
Verbote der Diskriminierung nach Staatsangehorigkeit - mit Hinweis auf eine aus dieser Entscheidung abzuleitende "Schutzpflicht" abzulehnen. Zu fragen ist, ob die Rechtssache Agrarblockaden in groben Ziigen die EGrechtliche Ausformung der aus der deutschen Debatte bekannten Schutzpflichtdogmatik enthalt, In einem zweiten Schritt ist zu beleuchten, ob das Ergebnis dieser Rechtssache auf samtliche Grundfreiheiten iibertragen werden kann. Sollte dies der Fall sein, ist weiters zu unterscheiden, ob durch die einem Mitgliedstaat auferlegte positive Handlungspflicht zur Wahrung des Schutzgutes Grundfreiheit gegeniiber privaten Eingriffen in der Folge unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten uberfliissig rnacht, Zuletzt soll die Frage aufgeworfen werden, ob die in dem Urteil Agrarblockaden statuierte Garantenpflicht eines Mitgliedstaates eine Parallele zu der vom EuGH entwickelten Van Eycke-FormeP4 darstellt: Diese erweitert namlich den Adressatenkreis des Art. 81 EG iiber Indienstnahme des Art. 10 EG auf Mitgliedstaaten. Moglicherweise lasst jedoch die Entscheidung Agrarblockaden auch die Van Eycke-Formel redundant erscheinen. Letzteres soll allerdings in dem anschlielienden Kapitel einem Alternativ-Vorschlag zugefuhrt werden.F" 2. Die Rechtssache "Agrarblockaden"
2.1. Sachverhalt Dber einen Zeitraum von einem Jahrzehnt erhielt die EG-Kommission Beschwerden iiber Dbergriffe und Gewalttaten franzosischer Landwirte, die sich gegen Agrarerzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richteten. Diese Dbergriffe und Gewalttaten umfassten im Wesentlichen die Pliinderung und Vernichtung von Ladungen und Transportfahrzeugen, die Bedrohung von Lastwagenfahrern und Vertreibern von Obst und Gemiise, die EG-auslandische Erzeugnisse in ihrem Sortiment fiihrten. In der Klage der Kommission wird hervorgehoben, dass aus den formlosen Beschwerden einwandfrei ergehe, "dass die franzosischen Behorden nicht in einer der Schwere des Sachverhaltes angemessenen Weise reagiert haben."?" So seien die staatlichen Ordnungskrafte etwa haufig untatig geblieben. Die Kommission wandte sich in einem ersten Aufforderungsschreiben vom 8. Mai 1995 an Frankreich mit dem Ersuchen, die erforderlichen praventiven und repressiven Maiinahmen zu ergreifen, urn diese Gewalttaten abzustellen. 774 EuGH Rs. 267/86 Pascal van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786, (4791). 775 Vgl. unten S. 422 ff. 776 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europiiischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6960).
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toyalitatspflicht und Freiheit des Warenverkehrs
Die franzosischen Behorden antworteten mit der Versicherung, "dass sie zur Gewahrleistung der Freiheit des Handelsverkehrs entschieden reagieren wollten."777 Die bereits genannten Pliinderungs- und Vernichtungsakte wurden jedoch weiterhin vorgenommen. Ausmaf und Natur des Problems haben sich, so die Klagerin, 1993 in Richtung eines ausgefeilten Plans zur Kontrolle der Agrarimporte aus anderen Mitgliedstaaten verandert. Die weiterhin vorgenommenen Gewalttaten haben den Charakter impulsiver und punktueller Akte verloren und wurden mittlerweile von einer Gruppierung namens "Coordination Rurale" geplant und koordiniert. 778 Ziel der Angriffe franzosischer Landwirte wurden im Zeitraum April 1993/ April 1994 Tomaten aus Belgien, Schweine aus Danernark sowie verstarkt Erdbeeren und Spargel aus Spanien. Die Kommission der EG richtete 1994 ein zweites Aufforderungsschreiben an Frankreich, in welchem die Kommission die Rechtsansicht vertrat, dass Frankreich gegen seine Verpflichtungen aus Art. 28 EG i. V. m. Art. 10 EG verstoisen habe, indem die Beeintrachtigung der Freiheit des Warenverkehrs nicht durch die Ergreifung aller erforderlichen und angemessenen MaBnahmen beendet worden sei. Bemerkenswert erscheint, dass die franzosische Stellungnahme die Existenz einer Rechtspflicht des Mitgliedstaates, von Privaten verursachte Beschrankungen einer Grundfreiheit zu unterbinden, nicht bestreitet, obwohl eine Zuordnung der Demonstranten zum franzosischen Staat in der Argumentation der Klagerin nicht vorgenommen wird. Die Kommission reichte daraufhin 1995 gegen Frankreich Klage auf Vertragsverletzung ein.
777 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997, 1-6959 (1-6962). Die in der Antwort der Franzosischen Republik gewahlte Formulierung Iasst darauf schliegen, dass der betroffene Mitgliedstaat eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Aufrechterhaltung des Freien Warenverkehrs zumindest nicht bestreitet. 778 Die von Coordination Rurale angewandten Methoden umfassen: Bedrohung und Erpressung von Wirtschaftsteilnehmern, Spediteuren und Grofshandlern, die die erwahnten Produkte Fiihren; mit Drohungen bewehrte Aufforderungen an Supermarkte, einheimische Erzeugnisse zu fuhren; Festlegung eines Mindestverkaufspreises in Supermarkten; Durchfiihrung systematischer Kontrollen, urn die Einhaltung der Vorgaben zu iiberwachen; Vernichtung von Agrarwaren EG-auslandischen Ursprungs, in EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6962).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
2.2. Schlussantrag und Urteil Generalanwalt Lenz stellt zu Beginn seines Schlussantrages fest, das s die moni erte Vertragsverletzung ungewohnlicher Natur sei. Es sei Aufgabe des EuGH in dies em Verfahren zu entscheiden, ob ein Mitgliedstaat zur Rechenschaft gez o gen werden konne, wenn Staatsbiirger dieses Mitgliedstaates gewalts am Beschrankungen des Freien Warenverkehrs errichten."? L enz betont zunachst den vcrfa h re nsr echtlich en A spekt des vorliegenden Rechtsstreites: Das Vertragsverletzungsverfahren beziehe sich bloB auf eine Verlctzung gemeinschaftsrechtlicher Pflichten durch den Mitgliedstaat, Zwar umfasse der Anwendungsbereich des Art. 28 EG au ch das Verhalten von Privatp erson en , jedoch nur dann, w enn diese Privatpersonen "v on dem betreffenden Mitgliedstaat kontrolliert werden. " 780 Damit erfolgt eine Zuordnung des Verhaltens der "kontrollierten" Privaten zu dem Staatsbegriff in der judikarur des EuGH und errnoglicht eine Riige des inkriminierten Verhaltens, das als staatliches Verhalten zu werten ist, uber das Vcrt ragsverletzungsverfahren.781 Der Generalanwalt stellt weiters fest, dass Art. 28 EG nur durch Maiinahmen, n arnlich aktives Handeln, von Mitgliedstaaten verlctzt werden konne, Art. 28 EG sei jedoch im Zusammenhang mit Art. 10 EG durchaus geeignet, Mitgliedstaaten die Verpflichrung aufzuerlegen, "alle geeigneten MaBnahmen zu ergreifen, urn die Freiheit des Warenverkehrs zu gewahrleisten, soweit eine Beschrankung derselben nicht durch das Gemeinschaftsrecht selbst zugelassen wird. " 782 Das Verhalten der franzosischen Landwirte wiirde eine Beeintrachtigung der Freiheit des Warenverkehrs darstellen, w enn dieses Verhalten dem franzosis ch en Staat zugerechnet werden konnte, Eine Zurechnung privaten Verhaltens zu einem Mitgliedstaat erscheint jedoch nur dann mo glich, wenn der Mitgliedstaat in der Lage ist, iiber dieses private Verhalten eine wirksame Kontrolle auszuiiben.
779 Der Generalanwalt weist darauf hin, classdas Sachverhaltselement der Vernichtung von Waren durch franzosische Agrarprocluzenten bereits einmal als weireres Sachverhaltselement in einem Vertragsverletzungsverfahren eine Rolle gesp ielt habe. Dieses Verfahren betrifft jecloch staatliche Malinahmen der [ranzosischen Behorden, namlich u. a. die systematische Verzogerung von Einfuhren clurch chemische Analysen italienischen Tafelweins, nicht jecloch das Verhalten von Privaten: EuGH Rs. 42/82 Kommission dcr Europaischen Gemeinschaften gegen Fr anzosische Republik, Slg. 1983, 1013. 780 EuGH Rs. C-265 /95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997, 1-6959 (1-6968). 781 So Lenz unter Hinweis auf EuG H Rs. 249/91 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland (Buy Ir ish ), Slg. 1982,4005. 782 Eu G H Rs. C-265/95 Kommission der Europ aischen Gemeinsch aften gegen Franzo sische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997, 1-6959 (1-6968).
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Der Generalanwalt betont im Folgenden die Schwere der Vergehen der franzosischen Landwirte, welche geradezu eine Negation der Freiheit des Warenverkehrs darstellen. Die Freiheit des Warenverkehrs werde nicht blof durch die Zerst6rung der Ware per se beeintrachtigt, sondern auch (und insbesondere) durch das Erzeugen eines Klimas der Unsicherheit fur Importeure und Exporteure. Die Beklagte bringt vor, dass die Menge der importierten Erdbeeren in der Zeit der fraglichen Vorfalle konstant geblieben sei. Lenz entgegnet dies em Argument - des sen rechtliche Tragweite von der Beklagten selbst relativiert wird - mit dem Hinweis, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes durch die gewalttatigen Ausschreitungen jedenfalls eine "Behinderung" der Einfuhren im Sinne der Dassonville-Formel vorliege. Fur das Vorliegen einer "Behinderung" im Sinne der Rechtssache Dassonville ist jedoch der Nachweis einer tatsachlichen Auswirkung der betreffenden Maiinahme aus dem Markt eines oder mehrerer Mitgliedstaaten nicht erforderlich. Lenz stimmt in seinem Schlussantrag der Ansicht des Vereinigten Konigreiches zu, dass staatliches Handeln oder Unterlassen dann - zusatzlich zu den iibrigen Voraussetzungen des Art. 28 EG - gegen diese Bestimmung verstolse, "wenn sie sich hinreichend verfestigt hat und einen bestimmten Grad der Allgemeinheit erreicht. "783 Die franz6sische Regierung hat in ihrer Argumentation, wie aus dem Schlussantrag erschlielibar, das Gewicht ihrer Ausfiihrungen auf etwaige rechtfertigende Umstande gelegt. Als soIehe kommen in Frage: betrachtliche Erschiitterungen des franz6sischen Obst- und Gemiisemarktes, die Gefahr der Hervorrufung schwerwiegender St6rungen der offentlichen Ordnung und Sicherheit sowie des sozio-okonornischen Klimas sowie Schwierigkeiten fur die Ordnungskrafte, die Urheber der Gewaltakte zu eruieren. Urn die Anwendbarkeit dieser Rechtfertigungsgriinde einschatzen zu konnen, untersucht Generalanwalt Lenz zum einen die Verantwortlichkeit Frankreichs fur die fraglichen Vorgange sowie etwaige zu treffende Praventivmafsnahmen, i. e. das Ausmaf der Verpflichtung zur Beseitigung einer Beschrankung des Freien Warenverkehrs sowie den an etwaige tatsachlich getroffene Maisnahmen anzulegenden Mafsstab. Die beklagte franzosische Regierung argumentiert, dass ein Mitgliedstaat fur das Verhalten von Einzelpersonen nach Volkerrecht und Europarecht nicht zur Verantwortung gezogen werden konne, es sei denn, der Mitgliedstaat habe "die ihm obliegende Verpflichtung zur Wachsamkeit und Sorgfalt verletzt." Wahrend Generalanwalt Lenz die Existenz dieses Prinzips im Volkerrecht bejaht, ortet er eine lex specialis in Art. 10 Abs. 1 EG fur den Bereich des Europarechts. Diese Vorschrift erlege den Mitgliedstaaten zunachst eine allgemeine 783 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6971).
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Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit und Untersriitzung der Gemeinschaft auf. Daher findet eine Riige des inkriminierten Verhaltens in Art. 10 EG-Vertrag alleine keine Stiitze, da die darin enthaltene Verpflichtung nach Ansicht von Generalanwalt Lenz in ihrer Allgemeinheit das Verhalten des franzosischen Staates nicht umfasse. Aus der Verbindung der Vorschriften in Art. 28 EG und Art. 10 EG ergebe sich jedoch fur die Mitgliedstaaten "die Verpflichtung, alle geeigneten Malinahmen allgemeiner und besonderer Art zum Schutz der Freiheit des Warenverkehrs zu treffen. "784 Diese Auslegung, so der Generalanwalt, lasse sich auch auf die Judikatur des EuGH zur Anwendung von Arts. 81, 82 und 10 EG snitzen, Der Generalanwalt tatigt hierzu folgende Aussage: .Diese Rechtsprechung betrifft eine Konstellation, die geradezu das Spiegelbild oder das Gegenstuck zu der hier vorliegenden Fallgestaltung bildet. Die Artikel85 und 86 EG- Vertrag betreffen an sich nur das Verhalten von Unternehmen, also von Privatpersonen. Gleichwohl ist es stdndige Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der A rtikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel5 des Vertrages keine Mafinahmen treffen oder beibehalten durjen, welche "die praktische Wirksamkeit der fur die Unternehmen geltenden Weubewerbsregeln aufheben konnte. In einer Reihe von Urteilen wird klargestellt, dass es sich dabei um Artikel 5 Absatz 2 und die dort festgeschriebenen Unterlassungsregeln handelt. "785 Es sei daher erforderlich, zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit dieser Vorschriften, Maiinahmen von Mitgliedstaaten zu verbieten, welche im Ergebnis dieselben nachteiligen Folgen fur das geschiitzte Rechtsgut - sowohl Wettbewerb als auch Warenverkehr - haben. Dies umfasse naturgemaf auch Handlungen von Privatpersonen. Generalanwalt Lenz betrachtet den vorliegenden Sachverhalt gemeinsam mit dem Vorschlag der Kommission bezuglich seiner Einordnung als Spiegelbild oder Gegensriick zur Van Eycke-Formel: Wahrend bei letzterer das Verhalten von Mitgliedstaaten anhand der an Private gerichteten Wettbewerbsregeln gemessen werde, werde bei dem vorliegenden Sachverhalt - zumindest auf ersten Blick - privates Verhalten anhand einer an Mitgliedstaaten gerichteten Vorschrift beurteilt. Zur Untersnitzung dieser Ansicht wird von Generalanwalt Lenz das Urteil Garonor's" herangezogen. N ach Ansicht des Generalanwaltes handelt es sich 784 EuGH Rs, C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6978). 785 EuGH Rs, C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997, 1-6959 (I-6978). 786 EuGH Rs. C-16/94 Edouard Dubois et Fils und General Cargo Services SA gegen Garonor Exploitation SA, Sl.g 1995, 1-2421.
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hierbei urn eine fur den vorliegenden Sachverhalt einschlagigen Auslegung: In Garonor besorgte ein privates Unternehmen die Einnahme von zollahnlichen Gebuhren als Betreiber eines Umschlagplatzes fur den Schienen- und Straiientransport. Dieses Unternehmen besorgt jedoch aufgrund der Angaben zum Sachverhalt in dieser Entscheidung hoheitliche Aufgaben, welche ansonsten ein Mitgliedstaat selbst wahrnehmen miisste; wiewohl dieses Unternehmen nicht dem aus "Buy Irish"787 zu erschlieisenden Kontrollkriterium unterliegt, so besorgt es jedoch u. a. eine Aufgabe der hoheitlichen Verwaltung und kann daher ohne weitere Umwege unter den Begriff "Staat" subsumiert werden. Der von Generalanwalt Lenz vertretenen Lesart dieses Urteils kann aus diesem Grunde nicht beigepflichtet werden; dieser beabsichtigt in seinem Schlussantrag jedoch keine Zurechnung des Handelns Privater zum Staat, sondern die Auferlegung einer Verpflichtung an die Mitgliedstaaten, durch Handeln oder Unterlassen, die Beachtung der Grundfreiheiten oder des freien Wettbewerbs zu sichern. 1m folgenden versucht Generalanwalt Lenz in seinem Schlussantrag, die Anforderungen des pflichtgemaisen Handelns an einen Mitgliedstaat zu determinieren: Seiner Ansicht nach konne nicht verlangt werden, dass ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Ergebnis im Sinne einer obligation de resultat garantiere; der betroffene Mitgliedstaat miisse jedoch "alle Maiinahmen allgemeiner und besonderer Art treffen,"788 urn dieses Ergebnis zu erwirken. Dabei handele es sich urn eine obligation de moyens. Eine obligation de moyens sieht demnach eine Verpflichtung des Mitgliedstaates vor, Bemiihen nach Kraften und bestem Wissen zu setzen, urn eine Behinderung des Freien Warenverkehrs, durch das Handeln Privater hervorgerufen, hintan zu halten. Der Generalanwalt gelangt im vorliegenden Fall zu der Schlussfolgerung, dass die Reaktionen der franzosischen Behorden auf die langwahrenden und betrachtlichen Ausschreitungen strukturell ungeniigend gewesen seien. Die Beklagte argumentiert in ihrem Schriftsatz und in ihren mundlichen Ausfuhrungen, dass samtliche geeigneten und erforderlichen Maisnahmen getroffen worden seien; hilfsweise wird angefuhrt, dass ein energisches Einschreiten zu einer Gefahrdung der offentlichen Ordnung und Sicherheit gefuhrt harte. Generalanwalt Lenz stellt zunachst fest, dass den Mitgliedstaat die Beweislast fur das Vorliegen eines rechtfertigenden Tatbestandes nach Art. 30 EG treffe, sobald der Klager in einem Verfahren, sei es Vorabentscheidungsersuchen oder ein Vertragsverletzungsverfahren, das Vorliegen einer Beschran-
787 EuGH Rs. 249/91 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland (Buy Irish), Slg. 1982, 4005. 788 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997, 1-6959 (1-6980).
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kung fur den Freien Warenverkehr beweisen kann."? Das Vorliegen einer ernsrhaften Gefahrdung der 6ffentlichen Ordnung und Sicherheit wird seitens des Generalanwaltes unter Riickgriff auf die vom EuGH in Cullet/Leclerc't? aufgestel1ten, strengen Anforderungen abgelehnt. Lenz betont zusatzlich, d ass eine Rechtfertigung allenfal1s in Einzelfallen zum Tragen kommen kann; die Verpflichrung zu einem wirksamen Einschreiten bei Gefahrdung der 6ffentlichen Ordnung und Sicherheit treffe jedenfalls den Mitgliedstaat und all seine U ntergliederungen. 791 Generalanwalt Lenz kniipft abs chlieisend an die standige Rechtsprechung des EuGH an, dass narnlich ein Mitgliedstaat sich zur Rechtfertigung von Beschrankungen des Freien Warenverkehrs nicht auf seine interne Politik und damit auf nationale Regelungen berufen k6nne. 792 Der Generalanwalt sieht daher durch das Nichteinschreiten der franzosisch en Behorden die Vorschriften der Arts. 28 und 10 EG als verletzt an. 2.3. Urteil des EuGH
Eingangs betont der EuGH in seinem Urteil zunachst die Schwere und Dauer der von der Kommission inkriminierten Vorwiirfe und halt im Anschluss fest:
.E r [Art. 28 EG] verbietet damit nicht nur Maflnahmen, die auf den Staat zuruckzufiihren sind und selbst Beschriinkungen fur den Handel zwischen 789 EuGH Rs. C-265 /95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Gen eraIanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6984). 790 Vgl. EuGH Rs, 231/83 Henri Culler und Chambre syndicale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc , Toulouse, und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville, Slg. 1985,305 (324): "Insoweir hat die franzosische Regierung nicht dargetan, dass eine den vorstehenden enrwickelten Grundsatzen enrsprechende Anderung der fraglichen Regelung Folgen fur die offendiche Ordnung und Sicherheit harte, denen sie tr otz der ihr zur Verfugung stehenden Mittel nicht gewachsen ware." 791 So Lenz unter Riickgriff auf Generalanwalt Verloren va n Th emaat in Cullet!Leclerc: "Wenn Straiienblockaden und andere Kampfmittel von Inte ressenverbanden, die sich durch die Einfuhr und den Verkauf bestimmter billiger Erzeugnisse oder durch Dienstleistungen zu giinstigen Preisen oder durch Gastarbeiter oder auslandische Niederlassungen bedroht fuhlen, als Rechtfertigung akzeptierr wiirden, konnte auf den Bestand der vier Grundfreiheiten des EWG-Vertrages nicht mehr vertraut werden. Anstelle des EWG-Vertrages und der gemeinschafdichenEinrichtungen konnten dann private Interessengruppen deren Umfang bestimmen." In EuGH Rs . 231/83 Henri Cullet und Chambre syndicale des reparateurs automobiles et detaillants de produits petroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse, und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Garneville (im folgenden CulletiLeclerc), Schlussantrag Generalanwalt Verloren v an Themaat, Slg. 1985,305,312. 792 EuGH Rs. C-265 /95 Komm ission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg. 1997,1-6959 (1-6986).
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den Mitgliedstaaten schaffen, sondern kann auch dann Anwendungfinden, w enn ein Mitgliedstaat keine Mafinahmen ergriffen hat, urn gegen Beschrdnkungen des fr eien Warenverkehrs einzuschreiten, deren Ursachen nicht aufden Staat zuriickzufiihren sind. [ . .j [Art. 28 EGlverpf/ichtet sie in Verbindung mit ArtikellO EG- Vertrag auch dazu, aile erforderlicben und geeigneten Mafinahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen. " 793 (Hervorhebung der Verfasserin) Wahrend nach Ansicht des Gerichtshofes konkrete Mafsnahmen zur Aufrechterhaltung der offentlichen Ordnung und Sicherheit im Ermessen der Mitgliedstaat en verbleiben, so vermag der EuGH unter Berucksichtigung des dem Mitgliedstaat zustehenden Ermessens zu priifen, ob der Mitgliedstaat geeignete MaBnahmen zur Sicherstellung des Freien Warenverkehrs ergriffen habe."?" Die franzosischen Behorden haben jedoch, so cler EuGH, offenkundig nicht die erforderlichen Maisnahmen ergriffen, urn clen freien Warenverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf ihrem Territorium zu gewahrleisten. Die Vorgangsweise der Iranzosischen Behorden in Bezug auf die schweren Ausschreitungen gegen Agrarerzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten konne nach An sicht des Gerichtshofes auch nicht mit moglichen, noch schwereren Angriffen auf die offentliche Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt werden, sodass ein Mitgliedstaat die fehlerhafte Anwendung von Gemeinschaftsrecht nicht mit potentiellen internen Schwierigkeiten rechtfertigen durfe.795 Im Ubrigen habedic Iranzosische Regierung nicht den konkreten Nachweis erbracht, dass in dem vorliegenden Fall eine Gefahr fur die offentliche Ordnung und Sicherhcit bestanden habe, die fur diesen Mitgliedstaat nicht zu bewaltigen gewesen sei. SchlieBlich stellt der EuGH fest, dass eine (staatliche) Entschadigung zwar geeignet sei, den Schaden fur den Bereich des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers zu beseitigen, nicht jedoch die Vcrtragsverletzung des Mitgliedstaates.?" Die franzosische Regierung habe sich beharrlich geweigert, ausreichende und geeignete MaBnahmen zu ergreifcn, urn die Sachbeschadigungen in ihrem Gebiet und die Gefahrdung des freien Warenverkehrs zu unterbinden. Da-
793 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gcgen Franzosische Republik (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997, 1-6959 (1-6999). 794 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Rcpublik (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997,1-6959 (1-6999). 795 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik (Spanische Erdbeeren), Sig. 1997,1-6959 (1-7003). 796 Das Vertragsverletzungsverfahren in Art. 226 EG hat abstrak te Kontrolle der Wahrung der Rechtmaliigkeir mitgl iedstaatlichen Handelns zum Ziel. Dies manife stiert sich auch darin, dass die Europaische Kommission auch dann iiber Rechtsschutzinteresse verfiigt, wenn die angefochtene Handlung des Mitgliedstaates bereits beendet isr, vgl. Bleclemann, Europarecht, 6. Auf!. 1997 (291).
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durch habe Frankreich gegen seine Verpflichtungen aus Art. 10 EG und Art. 28 EG verstoiien, 2.4. Ausblick und Foigerechtsprechung zu "Agrarblockaden"
Die Faktenlage in der Rechtssache Scbmidberger'" kann mit jener in Agrarblockaden insofern kontrastiert werden, als der dieser Rechtssache zugrunde liegende Sachverhalt cine 28 Stunden wahrende Blockade des Brenneriibergangs zu Zwecken der Ausiibung der Demonstrations- und Meinungsfreiheit betrifft. Die Teilnehmer an der sog. "Brennerblockade" beabsichtigen, mit dieser einmaligen und isolierten Aktion auf die Urnwelt- und Larrnbelastung entlang der Brennerstrecke aufmerksam zu machen. 1m Zuge der Dberpriifung des Vorliegens eines "hinreichend schweren Versrofses" gegen EG-Recht wird in dieser Entscheidung die Pflicht des Mitgliedstaates zur Sicherstellung der ungehinderten Ausiibung der Freiheit des Warenverkehrs, die oben bereits angesprochene obligation de moyens, naher prazisiert, Zwar liegt nach Ansicht des EuGH in der Nichtuntersagung dieser Kundgebung durch die mitgliedstaatlichen Behorden eine Beeintrachtigung des Freien Warenverkehrs vor; diese Behinderung kann jedoch, da es sich urn eine unterschiedslos anwendbare Ma6nahme handelt, mittels der Ausiibung des Grundrechtes auf Freie Meinungsauiierung gerechtfertigt werden. Die Nichtuntersagung der zeitlich begrenzten Kundgebung ist im Hinblick auf die Ausiibung biirgerlicher Rechte, der begrenzten Becintrachtigung des Freien Warenverkehrs und der Rahmen- und Begleitma6nahmen, die seitens der osterreichischen Regierung gesetzt wurden, als verhaltnismaiiig zu betrachten, 1m Hinblick auf eine nahere Prazisierung der obligation de moyens halt der EuGH allerdings fest:
" Demgemafl sind die bestehenden Interessen abzuwagen, und es ist anhand sdrntlicber Umstdnde des jeweiligen EinzelJalls [estzustellen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt w orden ist."798 Wesentlich erscheint die Qualifikation eines derartigen staatlichen Nicht-Handelns als Behinderung einer Grundfreiheit sowie die Rechtfertigung der beeintrachtigenden Mafsnahme anhand des ausgeiibten Grundrechtes und der seitens des Mitgliedstaates gesetzten Begleitma6nahmen. Auch die zuletzt genannten Erwagungen flieBen in die Verhaltnisrnaiiigkeitsprufung ein. 797 EuGH Rs, C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg. 2003, 1-5659. 798 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osrerreich, Slg. 2003, 1-5659, (1-5720).
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Aus den Rechtssachen Agrarblockaden und Schmidberger ist zu folgern, dass jedenfalls lang wahrende und grobe Beeintrachtigungen einer Grundfreiheit durch Private seitens eines Mitgliedstaates nicht geduldet werden diirfen. Eine einmalige Beschrankung einer Grundfreiheit zum Zwecke der Ausiibung eines Grundrechts ist unter weiterfiihrender Beriicksichtigung von Begleitmaiinahmen als verhaltnismaiiig einzustufen. Damit werden die Eckpunkte mitgliedstaatlicher Garantenpflicht determiniert, nicht jedoch ihre weiteren Konturen. 3. Die Rechtssache "Schmidberger"
3.1. EinfUhrung Die Rechtssache Scbmidberger'?" stellt - soweit ersichtlich - den ersten Fall der Berufung eines Mitgliedstaates auf den Schutz von Grundrechten dar, um eine Beschrankung einer der Grundfreiheiten des EG- Vertrages durch privates Handeln zu rechtfertigen. Die seitens des EuGH als Prajudiz im Wesentlichen herangezogene Rechtssache Agrarblockadeni'" statuiert eine aus den Art. 10 und 28 EG abgeleitete Pflicht des Mitgliedstaates zu positivern Handeln, um Eingriffe Privater in den Schutzbereich einer Grundfreiheit wirksam zu unterbinden. In den nun folgenden Ausfiihrungen soll dem Verhaltnis zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten im Falle einer Kollision nachgegangen werden. Zu einer derartigen Kollision kann es bloB in jenen Fallen kommen, in denen der Berechtigte eines Freiheitsrechts - handele es sich hierbei um ein Grundrecht oder um eine Grundfreiheit - zugleich Verursacher einer Gefahr fur ein anderes Freiheitsrecht ist. Bei einer solchen Sachlage werden Schutzpflichten des Mitgliedstaates ausgelost.s?' Ob und inwieweit der Mitgliedstaat Schutzpflichten in Bezug auf die gefahrdete Grundfreiheit oder in Bezug auf das geltend gemachte Grundrecht zu wahren hat, ist Gegenstand der Entscheidung Schmidberger. Das bislang vereinzelt vorliegende Entscheidungsmaterial erlaubt Freilich blof einige wenige Betrachtungen.
799 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und.Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003,1-5659. 800 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg 1997,1-6959. 801 KadelbachlPetersen, Europaische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ 2003, 693.
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Loyalitatspflicht und Freiheit des Warenverkehrs
Aus den Rechtssachen Agrarblockaden und Schmidberger ist zu folgern, dass jedenfalls lang wahrende und grobe Beeintrachtigungen einer Grundfreiheit durch Private seitens eines Mitgliedstaates nicht geduldet werden diirfen. Eine einmalige Beschrankung einer Grundfreiheit zum Zwecke der Ausiibung eines Grundrechts ist unter weiterfiihrender Beriicksichtigung von Begleitmaiinahmen als verhaltnismaiiig einzustufen. Damit werden die Eckpunkte mitgliedstaatlicher Garantenpflicht determiniert, nicht jedoch ihre weiteren Konturen. 3. Die Rechtssache "Schmidberger"
3.1. EinfUhrung Die Rechtssache Scbmidberger'?" stellt - soweit ersichtlich - den ersten Fall der Berufung eines Mitgliedstaates auf den Schutz von Grundrechten dar, um eine Beschrankung einer der Grundfreiheiten des EG- Vertrages durch privates Handeln zu rechtfertigen. Die seitens des EuGH als Prajudiz im Wesentlichen herangezogene Rechtssache Agrarblockadeni'" statuiert eine aus den Art. 10 und 28 EG abgeleitete Pflicht des Mitgliedstaates zu positivern Handeln, um Eingriffe Privater in den Schutzbereich einer Grundfreiheit wirksam zu unterbinden. In den nun folgenden Ausfiihrungen soll dem Verhaltnis zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten im Falle einer Kollision nachgegangen werden. Zu einer derartigen Kollision kann es bloB in jenen Fallen kommen, in denen der Berechtigte eines Freiheitsrechts - handele es sich hierbei um ein Grundrecht oder um eine Grundfreiheit - zugleich Verursacher einer Gefahr fur ein anderes Freiheitsrecht ist. Bei einer solchen Sachlage werden Schutzpflichten des Mitgliedstaates ausgelost.s?' Ob und inwieweit der Mitgliedstaat Schutzpflichten in Bezug auf die gefahrdete Grundfreiheit oder in Bezug auf das geltend gemachte Grundrecht zu wahren hat, ist Gegenstand der Entscheidung Schmidberger. Das bislang vereinzelt vorliegende Entscheidungsmaterial erlaubt Freilich blof einige wenige Betrachtungen.
799 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und.Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003,1-5659. 800 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg 1997,1-6959. 801 KadelbachlPetersen, Europaische Grundrechte als Schranken der Grundfreiheiten, EuGRZ 2003, 693.
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3.2. "Agrarblockaden" versus "Schmidberger"
Den hier angesprochenen Urteilen liegen hochst unterschiedliche Sachverhalrskonstellationen zugrunde: Die Rechtssache Agrarblockaden betrifft iiber einen langen Zeitraum anhaltende Aktionen franzosischer Landwirte zur Zerstorung EG-auslandischer Waren und zur Schaffung eines Klimas der Unsicherheit in den betroffenen Handelszweigen: Uber einen Zeitraum von einem Jahrzehnt erhielt die EG-Kommission Beschwerden iiber Dbergriffe und Gewalttaten diverser Gruppierungen franzosischer Landwirte, die sich gegen Agrarerzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richteten. Diese Dbergriffe und Gewalttaten umfassen im Wesentlichen die Phinderung und Vernichtung von Ladungen und Transportfahrzeugen, die Bedrohung von Lastwagenfahrern und von Vertreibern von Obst und Germise, die EG-auslandische Erzeugnisse in ihrem Sortiment fuhren. Der der Rechtssache Scbmidbergerr? zugrunde liegende Sachverhalt betrifft eine vereinzelt gebliebene Kundgebung des Vereins "Transitforum Tirol" im Jahre 1998. Der Verein "Transitforum Tirol" kiindigte bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck entsprechend der geltenden osterreichischen Rechtslage seine Absicht an, eine Versammlung auf der Brenner-Autobahn durchzufiihren, welche fur knapp iiber 24 Stunden zu einer volligen Blockade des Verkehrs auf dieser Autobahn fiihren wiirde. Diese Verkehrsblockade fiihrte Freilich aufgrund der geltenden Fahrverbote fur LKWs iiber einer bestimmten Tonnage zu einer Behinderung des Verkehrs bis zu dem anschliefsenden Montag. Da die Bezirkshauptmannschaft diese Demonstration fur nach osterreichischem Recht zulassig hielt, wurde diese nicht untersagt. Wahrend der tatsachlich abgehaltenen Demonstration kam es zu keinerlei Ausschreitungen. Vielmehr hatte der Obmann des veranstaltenden Vereins in einer Pressekonferenz den Zeitpunkt der Blockade bekannt gegeben; desgleichen wurden diverse Automobilclubs verstandigt, die wiederum ihre Mitglieder von der angekundigten Demonstration in Kenntnis setzen und ihnen zugleich Ausweichrouten mitteilen sollten. Der Klager, ein internationales Transportunternehmen, mochte die Republik Osterreich wegen Nichtuntersagung dieser Kundgebung und Blockade auf Staatshaftung in Anspruch nehmen; Fragen im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines qualifizierten Verstolies gegen Gemeinschaftsrecht sollen in diesem Beitrag aufgrund der gestellten Thematik jedoch ausgeklammert werden. Die hier dargelegten Sachverhalte weisen, wie der EuGH selbst in dem Urteil Schmidberger feststellt, gewichtige Unterschiede auf: 803 Deren wesent802 EuGH Rs, C-112/00 Eugen Schmid berger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003,1-5659. 803 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger; Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003,1-5659.
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Loyalitatspfllcht und Freiheit des Warenverkehrs
licher ist, dass in dem zweiten Fall eine Versammlung stattfand, mittels welcher die Burger eines Mitgliedstaates ihre Grundrechte ausiibten. Ziel und Zweck dieser Kundgebung war, eine ihnen bedeutsam erscheinende Meinung kundzutun, nicht den Handel mit Waren bestimmter Herkunft zu beeintrachtigen, 3.3. Freiheit des Warenverkehrs versus Meinungsfreiheit
Generalanwalt Lenz weist in seinem Schlussamrag in Agrarblockaden zunachst auf den verfahrensrechtlichen Aspekt des vorliegenden Rechtsstreites hin: Das Vertragsverletzungsverfahren beziehe sich blof auf eine Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Pflichten durch den Mitgliedstaat. Zwar umfasse der Anwendungsbereich des Art. 28 EG auch das Verhalten von Privatpersonen, jedoch nur dann, wenn diese Privatpersonen "von dem betreffenden Mitgliedstaat kontrolliert werden.P!" Damit erfolgt eine Zuordnung des Verhaltens der "komrollierten" Privaten zu dem Staatsbegriff in der judikatur des EuGH und errnoglicht eine Riige des inkriminierten Verhaltens, das als staatliches Verhalten zu werten ist, im Wege des Vertragsverlctzungsverfahrens. 80S Der Generalanwalt stellt weiters fest, dass Art. 28 EG zunachst nur durch Maiinahmen eines Mitgliedstaates, narnlich aktives Handeln, verletzt werden konne, Art. 28 EG sei jedoch im Zusammenhang mit Art. 10 EG durchaus geeignet, Mitgliedstaaten die Verpflichtung aufzuerlegen, "alle geeigneten MaBnahmen zu ergreifen, urn die Freiheit des Warenverkehrs zu gewahrleisten, soweit eine Beschrankung derselben nicht durch das Gemeinschaftsrecht selbst zugelassen wird.P?" Das Verhalten der franzosischen Landwirte wurde eine Beeintrachtigung der Freiheit des Warenverkehrs darstellen, wenn dieses Verhaltcn dem franzosischen Staat zugerechnet werden konnte. Eine Zurechnung privaten Verhaltens zu einem Mitgliedstaat erscheint jedoch nur dann moglich, wenn der Mitgliedstaat in der Lage ist, iiber dieses private Verhalten eine wirksame Kontrolle auszuuben, Aus der Verbindung der Vorschriften in Art. 28 EG und Art. 10 EG ergebe sich fur die Mitgliedstaaten "die Verpflichtung, alle geeigneten Mafsnahmen allgemeiner und besonderer Art zum Schutz der Freiheit des Warenverkehrs zu treffen. "807
804 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg 1997,1-6959 (1-6968). 805 So Lenz unter Hinweis auf EuGH Rs. 249/91 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland (Buy Irish), Slg 1982,4005. 806 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg 1997,1-6959 (1-6968). 807 EuGH Rs, C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg 1997,2-6959 (1-6978).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten Ober das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
1m Folgenden versucht Generalanwalt Lenz in seinem Schlussantrag, die Anforderungen des pflichtgemaisen Handelns an einen Mitgliedstaat zu determinieren: So konne nach Ansicht des Generalanwaltes nicht verlangt werden, dass ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Ergebnis im Sinne einer obligation de resultat garantiere; der betroffene Mitgliedstaat miisse jedoch "alle MaBnahmen allgemeiner und besonderer Art treffen"808, urn dieses Ergebnis zu erwirken. Dabei handle es sich urn eine obligation de moyens. Eine obligation de moyens sieht demnach eine Verpflichtung des Mitgliedstaates vor, Bemuhen nach Kraften und bestem Wissen zu setzen, urn eine Behinderung des Freien Warenverkehrs, durch das Handeln Privater hervorgerufen, hintan zu halten. Die Faktenlage in der Rechtssache Schmidbergert'" kann mit jener in Agrarblockaden insofern kontrastiert werden, als der dieser Rechtssache zugrunde liegende Sachverhalt eine 28 Stunden wahrende Blockade des Brenneriibergangs zu Zwecken der Ausubung der Meinungsfreiheit betrifft. Die Teilnehmer an der sog. "Brennerblockade" beabsichtigen, mit dieser isolierten Aktion auf die Umwelt- und Larmbelastung entlang der Brennerstrecke aufmerksam zumachen. 1m Zuge der Uberpriifung des Vorliegens eines "hinreichend schweren Verstofses" gegen EG-Recht wird in dieser Entscheidung die Pflicht des Mitgliedstaates zu der Sicherstellung der ungehinderten Ausiibung der Freiheit des Warenverkehrs, die oben angesprochene obligation de moyens, naher prazisiert. Zwar liegt nach Ansicht des EuGH in der Nichtuntersagung dieser Kundgebung durch die mitgliedstaatlichen Behorden eine Beeintrachtigung des Freien Warenverkehrs vor; diese Behinderung kann jedoch, da es sich urn eine unterschiedslos anwendbare MaBnahme handelt, durch das Grundrecht auf Freie Meinungsaufserung und dessen ungehinderte Ausiibung gerechtfertigt werden, An dieser Stelle trifft der EuGH eine Reihe von Aussagen von allgemeiner Tragweite im Hinblick auf die Erfordernisse des Schutzes der Grundrechte in der Gemeinschaft und der Wahrung der aus den Grundfreiheiten erflielsenden Vorgaben. So halt der EuGH fest, dass eine Reihe von Grundrechten im Rahmen der EMRK - bis auf einige wenige absolut gewahrleistete - keine uneingeschriinkte Geltung beanspruchen, sondern im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion betrachtet werden miissen, An dieser Stelle seiner Ausfiihrungen stellt der EuGH fest, dass eine Abwagung zwischen Grundfreiheit und kollidierendem Grundrecht stets nur einzelfallbezogen getroffen werden kann: Demgemaf sind die bestehenden Inte808 EuGH Rs, C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Schlussantrag Generalanwalt Lenz, Slg 1997,11.-6959 (1-6980). 809 EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003, 1-5659.
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ressen abzuwagen, und es ist an hand sarntlicher Umstande des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob das richtige Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahn worden ist. In dieser Hinsicht verfiigen die zustandigen Stellen iiber ein weites Ermessen. Dennoch ist zu priifen, ob die Beschrankungen, denen der innergemeinschaftliche Handel unterworfen wurde, in einem angemessenen Verhaltnis zu dem berechtigten Ziel stehen, das mit ihnen verfolgt werden S011. 810 Diese Feststellung ist auch im Hinblick auf eine nahere Prazisierung der obligation de moyens aufzufassen. Die Nichtuntersagung der zeitlich begrenzten Kundgebung ist im Hinblick auf die Ausiibung biirgerlicher Rechte, der begrenzten Bceintrachtigung des Freien Warenverkehrs und der Rahmen- und Begleitmafsnahmen, die seitens der osterreichischen Regierung gesetzt wurden, in der Rechtssache Schmidberger als verhaltnismafsig zu betrachten: Wesentlich erscheint des Weiteren die Qualifikation eines deranigen staatlichen Nicht-Handclns als Behinderung einer Grundfreiheit sowie die Rechtfenigung der beeintrachtigenden MaGnahme an hand des ausgeiibten Grundrechtes und der seitens des Mitgliedstaates gesetzten Begleitmaiinahmen. Aus den Rechtssachen Agrarblockaden und Schmidberger ist zu folgern, dass jedenfalls lang wahrende und grobe Beeintrachtigungen einer Grundfreiheit durch Private seitens eines Mitgliedstaates nicht geduldet werden diirfen. Eine einmalige Beschrankung einer Grundfreiheit zum Zwecke der Ausiibung eines Grundrechts ist unter weiterfiihrender Beriicksichtigung von Begleitmaiinahmen als verhaltnisrnaiiig einzusrufen. Darnit werden die Eckpunkte mitgliedstaatlicher Garantenpflicht determiniert, nicht jedoch ihre weiteren Konturen. 4. Ergebnisse Das Urteil des EuGH in Agrarblockaden zieht fur das vorliegende Thema weitgehende Konsequenzen nach sich: Das Urteil Agrarblockaden legt einem Mitgliedstaat die Verpflichrung auf, mit "ausreichenden und geeigneten MaGnahmen"!'! oder mit "erforderlichen und angemessenen MaGnahmen"812 Beeinrrachtigungen des freien Warenverkehrs durch Private zu unterbinden. Es erscheint wesentlich festzustellen, dass ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung Geniige rut, wenn er zur Herbcifiihrung des gewunschten Zustandes ausrei810 EuGH Rs. C-1l2/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg 2003,1-5659, Rz. 81. 811 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997, 1-6959 (I-7005) . 812 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997, 1-6959 (I -7005) .
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chende und angemessene MaBnahmen setzt - eine obligation de resultat wird vom EuGH nicht angenommen, es handelt sich vielmehr entsprechend dem Vorschlag von Generalanwalt Lenz urn eine obligation de moyens. Die Erforderlichkeit und Angemessenheit der dabei angewendeten Mittel werden vom EuGH im Rahmen einer groben Ermessensprufung rechtlich iiberpriift. Aus dem Urteilstenor in Agrarblockaden konnen zwei Feststellungen abgeleitet werden: Zum Einen erscheint es mit der Argumentation von EuGH und Generalanwalt in Einklang und dariiber hinaus sachgerecht, eine Verpflichtung zur Ergreifung erforderlicher und geeigneter MaBnahmen aus einer Grundfreiheit und dem Loyalitatsgebot in Art. 10 Abs. 2 EG im Sinne der (Wieder-)Herstellung eines binnenmarktkonformen Zustandes, falls dieser durch Handlungen von Privaten beeintrachtigt wurde, zu postulieren. Diese Folgerung bedeutet, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, erwaige Beschrankungen des Binnenmarktes durch Private in Form von Blockaden'i':' oder Arbeitskampfen nach Moglichkeit zu unterbinden. Der EuGH geht jedoch insbesondere auf die Problematik der Grundrechte (am Beispiel des Streikrechts in manchen Mitgliedstaaten) im Verhaltnis zu der allenfalls verletzten Grundfreiheit in diesem Urteil nicht ein. 814 Burgi bezeichnet die aus der Grundvorschrift der betreffenden Grundfreiheit gemeinsam mit dem Loyalitatsgebot in Art. 10 EG erflieliende Pflicht des Mitgliedstaates zur Sicherstellung der Beachtung der Grundfreiheiten als Garantenpflicht des Mitgliedstaates; Meurer schlagt fiir diese Rechtsfigur den Begriff Schutzpflicht vor. 815 In dieser Arbeit soll im Weiteren der Begriff der Garantenpflicht zugrunde gelegt werden, da jener der Schutzpflicht eines Mit-
813 Vgl. zu der EG-RechtmaBigkeit der "Brennerblockade": Krist, Rechtliche Aspekte der Brenner-Blockade - Versammlungsfreiheit contra Freiheit des Warenverkehrs, ojz 1999, 241. Der Autor weist in diesem Zusammenhang auf die zeitliche Ansetzung der Versammlung an einem Fenstertag zwischen einem Feiertag und dem Wochenende, was fur den Guterverkehr infolge des Feiertagsfahrverbotes und des Wochenendfahrtverbotes zu einem Stillstand iiber mehrere Tage gefuhrt habe. Der Autor gelangt zu dem Ergebnis, dass die Beeintrachtigung des Freien Warenverkehrs durch eine Blockade welche nicht mehr als bloiie "Versammlung" zu betrachten war, da sie nicht mehr der blof en Meinungsaulscrung diente - jedenfalls nicht verhaltnismafsig sei und daher eine Verletzung der Art. 28 und 10 EG bedeute; zustimmend Scharf, Demonstration am Brenner - eine Vertragsverletzung? RdW 1998, 322. 814 Dazu kritisch Munoz, Libre circulation des marchandises - Arret "Fraises", RMUE 1998, 152 (154). 815 Meurer, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz des freien Warenverkehrs, EWS 1998, 196 (198); so auch Szczekalla, Grundfreiheitliche Schutzpflichten - eine "neue" Funktion der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts, DVB11998, 219 (221).
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Loyalitatspflicht und Freiheit des Warenverkehrs
gliedstaates zu Verwechselungen mit nationaler Grundrechtsdogmatik Anlass geben konnte. Die Uberpriifung der von einem Mitgliedstaat getroffenen Maisnahmen nach Art. 28 EG und Art. 10 EG findet durch den EuGH statt. Dabei stellt der EuGH an diese Mafsnahmen die Anforderung, "ausreichende und geeignete Maisnahmen" oder "erforderliche und angemessene MaGnahmen" 816 zu ergreifen. Die rechtliche Uberprufung der Handhabung des Ausnahmetatbestandes "offentliche Ordnung und Sicherheit" ist cine grobe Errnessensnachpriifung; nach Ansicht von Denys ist die hierbei ausgeiibte Kontrolle "positioned somewhere between a non-discrimination test and a functional test" 81 7, nach Ansicht von M uylle urn ein "close scrutiny of the ability of discretionary decisions'T". Die Anforderung an die zu setzenden MaGnahmen, "geeignet" zu sein, spricht fur sich selbst, Durch den Begriff "ausreichend" soll ein gewisser Mindeststandard an staatlicher Garantenpflicht und dcren Ausiibung fur die betroffene Grundfreiheit gcsichert werden, und zugleich Raum fur Einzelfallerwagungen verbleiben.t' ? SchlieGlich ist zu bedenken, dass die Vorschrift des Art. 10 EG in ihrer Elastizitat 82C in einem der Rechtssicherheit abtraglichen Sinne verwendet wird. Wah rend diese Vorschrift im Rahmen der Van-Eycke-Formel den Kreis der Normadressaten erweitert, wird unter Zuhilfenahme dieser Norm und einer Grundbestimmung der Grundfreiheiten Unterlassung des Mitgliedstaates gerugt, In Anschluss an das Urreil des EuGH in Agrarblockaden wurde ein neuer Interventionsmechanismus zur Gewahrleisrung der Freiheit des Warenverkehrs in Form einer Verordnung beschlossen.F' 816 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik (Spanische Erd bee ren), Slg. 1997,1-6959 (1-7005). 817 Denys, Case Report on Ca se C -265/ 95 Commission of the European Communities v. French Republic, EELR 1998, 176 (182). 818 Muylle, Angry Farmers and Pass ive Policemen: Private Conduct and the Free Movement of Goods, ELR 1998, 467 (473). 819 Meurer, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz des freien Warenverkehrs, EWS 1998, 196 (200); kritis ch zu der Oberpriifungsbefugnis des EuGH von mitgliedstaatlichen Mafsnahmen zur Wahrung des Freien Warenverkehrs (oder einer anderen Grundfreiheit) und pragnant Muylle, Angry Farmers and Passive Policemen: Private Conduct and the Free Movement of Goods, ELR 1998,467 (471): " C ould one blame a Member State if its government choses not to intervene in labour co nflicts?" , zustimmend jedoch Schwarze, Zum Anspruch der Gemeinschaft auf polizeiliches Einschreiten der Mitgliedstaaten bei Storungen des grenziiberschreitenden Warenverkehrs durch Pri vate, EuR 1998,53 (55). 820 Jarvis, Case Comment on Case C-265/95 Commission v. French Republic, CMLR 1998, 1371 (1378). 821 Verordnung (EG ) Nr.2679/9 8 des Rates vom 7. Dezember 1998 iiber das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien \Varenverkehr zwischen den
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Da sich der Interventionsmcchanismaus zur Gewahrleistung der Freiheit des Warenverkehrs im Stufenbau nach der derogatorischen Kraft auf Ebene des Sekundarrechts befindet, verbleibt dem EuGH die Auslegung primarrechtlicher Erfordernisse nach Art. 10 EG i. V. m. der Grundvor schrift der jeweils betroffenen Grundfreihcit. Bemerkenswert fur Prazisierung mitgliedstaatlicher Garantenpflicht ist jedoch die Rechtsansicht der im Rat vereinigten Vertreter der Mitglied staaten, dass narnlich die Wahrung der offentlichen Ordnung und Sicherheit sowie die Beurteilung allfalliger Mafsnahmen alleine in die Kompetenz der Mitgliedstaaten falle 822 und dass die Ausiibung von Grundrechten - insbesondere des Streikrechts - nicht von der Ausiibung der Garantenpflicht beeintrachtigt werden diirfe. 823 Die genannte Vcrordnung bezieht sich ausschlieBlich auf die innergemeinschaftliche Wahrung des freien Warenverkehrs. 5. Schlussfolgerungen
Ausgangspunkt der nun anschicBenden Uberlegungen stellt die Zurechnung des Verhaltens franzosischer Landwirte und osterreichischer Demonstranten zu dem jew eiligen Mitgliedstaat und, in weiterer Folge, der Staatsbegriff des EuGH.824 Wahrend dem Kern dieses Konzeptes und der genauen Abgrenzung des Staatsbegriffs eigens angesprochen werden soll, so kann jedenfalls fur die Analyse des Urteils Agrarblockaden festgehalten werden, dass das Verhalten
Mitglied staaten, ABI L 337/ 1998, S. 8; vgl. dazu Schorkopf, Neuer Inte rventionsmechanismus cler Kommis sion zur Gewahrleisrung der Warenverkehrsfreiheit, EuZW 1998, 237. 822 Pr aambel Abs.6 der Verordnung (EG) Nr.2679/98 des Rat es vom 7. Dezember 1998 iibe r das Funktionier en des Binncnmarktes im Zu sammcnhang mit dem freien Warcnverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABI L 337/1998, S. 8: D ie Mitgliedstaaten verfiigen iiber die ausschlieliliche Zustandigkeit fur die Aufrecht erhaltung der 6ffentlichen Ordnung und die Gcwahrleistung der inneren Sicherheit sowie fur die Enrscheidung, ob, wann und welche Maiinahmen erforderlich und der Situation angemessen sind, urn in einer gegebenen Lage den freien Warenverkehr in ihrem Gebiet zu erleichtern. 823 Art. 2 der Verordnung (EG) Nr.2679/98 des Rates vom 7. De zember 1998 iiber das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zw ischen den Mitgliedstaaten, ABI L 337/1998, S.8: Diese Verordnung darf nicht so ausgelegt werden, dass sie in irgendeiner Weise die Ausiibung der in den Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte, einschliefslich des Rechts oder der Freiheit zu m Streik, beeintrachtigt. Die se Rechte konnen auch das Recht oder die Freiheit zu anderen Handlungen einschlielien, die in den Mitglieclstaaten durch die spezifischen Systeme zur Regelung der Beziehu ngen zwischen Arbeitnehmern und Arb eitgebern abgedeckt werden. 824 So auch Meier, Anmerkung zu "Agrarblockaden", EuZW 1998, 87.
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aufgebrachter franzosischer Landwirte jedenfalls nicht dem franzosischen Staat zugerechnet werden kann. Es kann jedoch festgestellt werden, dass eine Zurechnung des Handelns von Privaten an Mitgliedstaaten zunachst in eingeschranktern Ausmaf tiber eine weite oder enge Definition des Staatsbegriffes stattfinden kann, diese Methode der Zurechnung bereits aus logischen Grunden sehr bald an ihre Grenzen staBt. Gerade die von Generalanwalt Lenz herausgestrichene Parallelitat dieser Judikatur zu der von ihm zur Diskussion gestellten Anwendung des Art. 28 i. V. m. Art. 10 EG zieht es nach sich, dass die Vorschrift des Art. 10 EG gemeint ist in dem vorliegenden Zusammenhang wohl Art. 10 Abs.1 im Gegensatz zu der Van Eycke-Formel, die Art. 10 Abs.2 zur Anwendung bringt - dazu herangezogen wird, den Adressatenkreis einer Norm, welche ursprunglich an Mitgliedstaaten gerichtet ist, auf Private zu erweitern, und eine Norm, welche ursprunglich an Private gerichtet ist, mit Hilfe des Loyalitatsgebotes auch an Mitgliedstaaten zu richten. Folgte man dieser Parallele, so wiirde sich zumindest argumentativ die Moglichkeit eroffnen, den Adressatenkreis der Grundfreiheiten von den Mitgliedstaaten iiber den Zusatz des Art. 10 EG - welcher jedoch wiederum nicht eine Loyalitatspflicht von Privaten vorsieht - auf Private auszudehnen. Dies hiefse zum einen, dass die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu der Drittwirkung der Grundfreiheiten iiberflussig wiirde und dass zum anderen Drittwirkung der Grundfreiheiten allgemein greifen wiirde. Diese Folgerung muss jedenfalls an der Staatsgerichtetheit des Art. 10 EG scheitern; Private unterliegen nicht - zumindest nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung - der in Art. 10 EG normierten Loyalitatsverpflichrung, Bei naherer Betrachtung ist jedoch der so gezogenen Parallele aus einem zusatzlichen Grund nicht zuzustimmen: Wahrend im Falle der Van-Eycke-Formel der Adressatenkreis der Art. 81 und 82 EG unter Zuhilfenahme des Loyalitatsgebotes und der Vertrags-Zielbestimmung in Art. 3 Abs. 1 litt. g EG auf Mitgliedstaaten erweitert wird, wird im vorliegenden Fall und bei Befolgung des Schlussantrages des Generalanwaltes nicht der Kreis der Normadressaten erweitert - GA Lenz mochte keineswegs an dieser Stelle franzosische Landwirte belangen - der Inhalt der Norm beruhrt, Die aufgebrachten Iranzosischen Landwirte sind geradezu als Prototyp des Privaten zu betrachten, der in keiner Weise einer interrnediaren Gewalt825 oder dem franzosischen Staat zugerechnet werden kann. Daher kann gefolgert werden, dass eine Abgrenzung des EG-rechtlichen Staatsbegriffs fur die Anwendung einer Grundfreiheit von eminenter Bedeu825 Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten?, in Due/Lutter/Schwarze (Hg.), Festschrift Fur Ulrich Everling, Band II, 1231 (1246). Roth definiert "intermediare Gewalten" als private Einrichtungen, die mit typisch staatlichen Machtbefugnissen, also mit Aufsichtsund Rege1ungskompetenzen oder (und) Disziplinarbefugnisseen ausgestattet sind.
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tung fur den Anwendungsbereich der unmittelbaren Dritrwirkung von Grundfreiheiten zu betrachten ist. Des Weiteren ist die eingangs gestellte Frage nach der Obertragbarkeit des Dictums des EuGH in Agrarblockaden auf die iibrigen Grundfreiheiten zu beantworten. Aufgrund der oben zitieren Formulierung und des Belegens der Pflicht zu positivem Handeln vom EuGH mit der Vorschrift des Art. 10 EG, welcher in fiir samtliche, an Mitgliedstaaten gerichtete Vorschriften des EGVertrags gilt, kann geschlossen werden, dass das genannte Ergebnis auf sarntliche Grundfreiheiten iibertragen werden kann. Die aus Agrarblockaden abgeleitete mitgliedstaatliche Garantenpflicht kann auf sarntliche Grundfreiheiten iibertragen werden.V" Das Bestehen mitgliedstaatlicher Garantenpflicht wird bisweilen gegen das Konzept der Drittwirkung von Grundfreiheiten ins Treffen gefiihrt: Eine mitgliedstaatliche Garantenpflicht wiirde, so Burgi, eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten redundant erscheinen lassen. Die laut Burgi wesentlichen Argumente fur eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, narnlich das Schutzbediirfnis einzelner und die effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten, waren auch bei Annahme einer mitglicdstaatlichen Garantenpflicht gewahrt. 827 Diese Schlussfolgerung kann jedoch - in Anlehnung an die Debatte urn die Drittwirkung der Grundrechre und staatliche Schutzpflicht - gerade nicht iibernommen werden. Rechtspolitisch verbleibt namlich betrachtliches Schutzinteresse des Einzelnen, welches iiber unmittelbare Drittwirkung wahrgenommen werden kann. Gerade fundamentale Institute des Gemeinschaftsrechts, wie Vorrang, unmittelbare Wirkung und Staatshaftung beruhen auf der Erkenntnis, dass sich iiber den Mitgliedstaat mediatisierte Rechtsdurchsetzung des EG-Rechts als weitgehend ineffektiv erweist. Diese Folgerung soli durch eine Gegeniiberstellung der prozessualen Durchsetzung mitgliedstaatlicher Garantenpflicht und unrnittelbarer Dritrwirkung von Grundfreiheiten unterrnauert werden: Mitgliedstaatliche Garantenpflicht wird von der Europaischen Kommission mittels Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG durchgesetzt, wahrend mittelbare und unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten im Rahmen zahlreicher Vorlageverfahren thematisiert wird. 828
826 Meurer, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz des freien Warenverkehrs, EWS 1998, 196 (202). 827 Burgi, Mitgliedstaatliche Garantenpflicht start unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheitcn, EWS 1999,327 (331); im Ergebnis so auchJarvis, Case Comment on Case C-265/95 Commission v, French Republic, CMLR 1998, 1371 (1380). 828 A. A. Jarvis, Case Comment on Case C-265/95 Commission v. French Republic, CMLR 1998, 1371 (1379).
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Thesen
1m vorliegenden Fall wird eine mogliche unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten jedenfalls nicht angesprochen.F" In der Rechtsprechung des EuGH scheint diese Dberlegung jedenfalls keinen Niederschlag zu finden, da die Rechtssache Angonese 830 , welche unmittelbare Drittwirkung zumindest fiir das Diskriminierungsverbot im Rahmen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer statuiert, zwei Jahre nach Agrarblockaden entschieden wurde. Fiir die Frage der Drittwirkung schlielilich konnte sich dieses Urteil als bahn brechend erweisen: Man muss sich die Frage stellen, ob iiber den Weg der Indienstnahme des Staates das Institut der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht iiberfliissig wird. Neben dem Argument der Redundanz muss jedoch untersucht werden, ob das Institut der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten gemeinsam mit der Garantenpflicht des Mitgliedstaates, auf ein und dasselbe Verhalten angewendet, zu einer N ormenkollision fuhrt, Eine solche jedoch nicht anzunehmen, da die angesprochene Garantenpflicht stets nur den Mitgliedstaat heranziehen kann - iiber die Vorschrift des Art. 10 EG, dessen Adressaten jedenfalls nicht Private sind. Daher kann festgestellt werden, dass die Anwendung einer Grundfreiheit i.V. m. Art. 10 EG auf das Verhalten eines Mitgliedstaates nicht zu einer Normkollision mit der moglichen unmittelbaren Drittwirkung dieser Grundfreiheit in Bezug auf einen Privaten fiihrt. 831
C. Thesen Aufgrund der aufgrund der oben angefuhrten Kritikpunkte, welche sich unter mangelnde Prazision, Handhabbarkeit und Rechtssicherheit gruppieren lassen, soll die Van Eycke-Formel ersatzlos aufgegeben werden. Staatliches Verhalten kann und soll mit Hilfe der Grundfreiheiten erfasst werden, privates Verhalten, das bislang das akzessorische unternehmerische Verhalten im Rahmen der Van Eycke-Formel darstellte, soll anhand wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen uberpriift werden.
829 So auch Meurer, Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz des freien Warenverkehrs, EWS 1998, 196 (197). 830 EuGH Rs. C-281/98 Roman Anganese gegen Cassa di Risparmio di Balzano SpA, Slg. 2000,1-4139. 831 Wiewohl Burgi im Ergebnis eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten als iiberfliissig und rechtssystematisch falsch ablehnt, stellr dieser Autor auch fest, dass mitgliedstaatliche Garantenpflicht und unmittelbare Drittwirkung einander nicht ausschlieiien; Burgi, Mitgliedstaatliche Garantenpflicht statt unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EWS 1999, 327, (330).
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Konstruktion mitgliedstaatl Schutzpflichten uber das gemeinschaftsrechtl Loyalitatsgebot
Dieser Vorschlag zieht eine klare Trennung der jeweiligen Normadressaten, eine klare Zuordnung des rcchtswidrigen Verhaltens sei es an den Mitgliedstaat, sei es an ein oder mehrere Unternehmen nach sich . Auch erscheint die Gefahr einer allfalligen Normenkollision gebannt. Innerhalb eines L6sungsvorschlages fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten bleibt unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten fur staatsahnlich agierende (Unternehmens-)Verbande zu erwagen. Der Schutzbereich der Van Eycke-Formel ist in Anbetracht der oben analysierten Rechtsprechung durchaus eng zu ziehen; aufgrund ihres eingeschrankten Anwendungsbereiches, ihrer Konstruktion und aufgrund ihres Normadressaten, namlich des jeweiligen Mitgliedstaates, kann diese nicht als tauglicher Ersatz fur unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten herangezogen werden. Das Dictum des EuGH in Agrarblockaden ist auf samtliche Grundfreiheiten tibertragbar; damit unterliegen die Mitgliedstaaten einer Verpflichtung aus der Bestimmung des Art. 10 EG i.V. m. der jeweiligen Grundfreiheit zu aktiv ern Handeln nach Kraften und bestern Wissen zur Herstellung eines binnenmarktkonformen Zustandes. Die Ableitung einer Schutzpflicht oder Garantenpflicht des Mitgliedstaates aus einer grundfreiheitlichen Bestimmung i.V. m. Art. 10 EG macht unmittelbare Dritrwirkung von Grundfreiheiten jedoch nicht iiberfliissig: die Garantenpflicht einer Mitgliedstaates ist ebenso wie die Schutzpflicht des Staates im Bereich der Grundrechte als eigenstandiges Rechtsinstitut zu werten, welches neben der Drittwirkung der Grundfreiheiten Bestand haben kann. Bei der Anwendung der Garantenpflicht eines Mitgliedstaares und einer drittwirkenden Grundfreiheit auf ein und denselben Sachverhalt kommt es zu keiner N ormenkollision. Materieller Inhalt einer unmittelbar anwendbaren Norm, Schutzbereich und Normadressaten unterliegen einer Wechselbeziehung und konnen nicht einer getrennten Betrachtung unterzogen werden.
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IV. Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten In den nun folgenden Abschnitten soHen Eckpunkte der Systematik der Grundfreiheiten zunachst dargelegt und anschliefsend im Hinblick auf ihre Tauglichkeit fur ein dogmatisches Konzept der Drittwirkung der Grundfreiheiten untersucht werden. In den Schlussfolgerungen und Thesen sollen notwendige Adaptationen dieser Systematik, und zugleich Aspekte, die fur das Konzept der Drittwirkung tauglich erscheinen, unter Riickgriff auf die oben analysierte Judikatur des EuGH angesprochen werden. Am Ende eines Kapitels werden daher jene Punkte, die sich fur dieses Konzept eignen, und/oder bereits im Rahmen der Rechtsprechung als geeignet dargelegt wurden, aufgezeigt werden; in der Folge sollen jene Punkte hervorgehoben werden, die auf das Konzept der Drittwirkung selbst Auswirkungen haben, oder aber dieses ausschlielien, besprochen werden. Jedoch wird eine umfassende Darstellung nicht beabsichtigt.
A. Der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 1. Einflihrung
In diesem Kapitel sollen, ausgehend von den von einer Grundfreiheit umfassten Tatigkeiten, die wesentlichen Eckpunkte des sachlichen Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten dargelegt werden. Wahrend im nachfolgenden Kapitel das notwendige Vorliegen eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes als zweite Unterkategorie des sachlichen Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten dargelegt und fur Dberlegungen zur Drittwirkung der Grundfreiheiten nutzbar gemacht werden soll, wird in diesem Kapitel die erste Unterkategorie des sachlichen Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten - narnlich die von einer Grundfreiheit umfassten Tatigkeiten - fur nachfolgende Uberlegungen dargelegt. Der im EG-Vertrag normierte Anwendungsbereich der Grundfreiheiten richtet sich nicht etwa nach volkswirtschaftlicher Definition, sondern wahlt vielmehr einen anderen Ansatz. Dieser Ansatz stellt im Rahmen des erfassten 239
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winschafdichen Geschehens darauf ab, wie und in welcher Weise eine Leistung im weitesten Sinne des Wanes eine Grenze iiberschreitet und welche Handelshemmnisse der Grenzuberschreirung dieser Leistung im Wege stehen oder aber sagar bloB stehen konnten. 832 Beispielhaft sei angefiihrt, dass bei Waren auf mengenmaiiige Beschrankungen und Zolle, bei Transfers von Kapital auf Devisenbeschrankungen, oder bei dern Einsatz von Wanderarbeitnehmern auf Diskriminierungen gezielt und abgestellt wird. Die Frage der Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten wird erst in dem abschliefsenden Kapitel zu dieser Arbeit angesprochen; diese Fragestellung hangt eng mit der Beuneilung und den Auswirkungen der Konvergenz der Grundfreiheiten auf die Fragestellung dieser Arbeit zusammen. Als Ausgangspunkt fur weitcre Dberlegungen soIl auf die oben erwahnte Kategorienbildung vonJarass und anderen Autoren'P?zuriickgegriffen werden; diese solI in den Folgerungen, falls Bedarf besteht, modifiziert werden: Jarass bildet eine erste Gruppe, bestehend aus den "Produktverkehrsfreiheiten", namlich der Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 28 EG und der Diensdeistungsfreiheit nach Art. 59 EG. Die Bezeichnung "Produktverkehrsfreiheiten" und die gemeinsame Darstellung und Analyse dieser Grundfreiheiten erfolgt aufgrund der von ihnen urnfassten Beschrankung und/oder Beeintrachtigung des Verkehrs mit bestimmten Produkten wirtschafdicher Tatigkeit, Produkrverkehrsfreiheiten werden von Jarass zusammenfassend als Freiheiten ohne leistende Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat bezeichnet, 834 832 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing /Ehlermann, EU /EG-Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Auf!. 1997, 1444; Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in v on der Groeben/Schwarze, Venrag iiber die Europaische Union und Venrag zu r Griindung der Europaischen Gemeinsehaft Kornrnentar, Bd. 1, 6. Auf! . (2003), 1612 Rz. 9. 833 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in v on der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU /EG-Vertrag Kommentar, Bd. 1,5. Auf!. 1997, 1442: Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in von der Groeben/Schwarze, Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinsehaft Kommentar, Bd. 1,6. Auf! . (2003), 1612 f. Aueh Troberg finder hier eine einpragsame und systematiseh klare Formulierung: Zwei unter den Freiheiten betreffen den Produktcnverkehr; namlich den Handel mit Waren und Dienstleistungen; die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Niederlassung betreffen, so Troberg, die Mobilitat des Produktionsfaktors Arbeit, so auch Holoubek, Kommentar zu Art. 49/50 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2009, 2. Auf!. (2009), 706 f. Holoubek nuaneiert dieses grobe Raster dadurch, dass die Freiheit der Dienstleistung naeh seiner Ansicht neben einem produktbezogenen Aspekt aueh eine personenbezogenen Aspekt besitze. Letzterer entspreehe jedoch nicht dem personenbezogenen Aspekt der Niederlassungsfreiheit, wiewohl das Produkt Dienstleistung iiber Anforderungen an den Dienstleisrungserbringer reguliert werde. 834 farass, Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202 (205).
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Der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Die vonJarass als zweite Kategorie genannte umfasst die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Niederlassung und wird als "Personenverkehrsfreiheiten" bezeichnet. Die Freizugigkeit der Arbeitnehmer setzt voraus, dass die wirtschaftliche Tatigkeit eines Arbeitnehmers betroffen ist, wahrend die Freiheit der Niederlassung die wirtschaftliche Betatigung eines Selbstandigen schiitzt.P" Der Kapitalverkehrsfreiheit soll, so Jarass, eine eigene Kategorie zugesprochen werden. Diese ziele auf Kapitaltransfers ab, welche eine innergemeinschaftliche Grenze iiberschreiten und weist Ahnlichkeiten mit den Produktverkehrsfreiheiten auf. 836 Fur weitere Uberlegungen in dieser Arbeit soll die Freiheit des Kapitalverkehrs in der Dualitat Personenverkehrsfreiheit - Produktverkehrsfreiheit der ersten Kategorie zugeordnet werden. Zunachst und fur die Zwecke dieses Kapitels sol1en die von den Grundfreiheiten umfassten Tatigkeiten anhand dieser Kategorien dargestellt werden. 2. Produktverkehrsfreiheiten
Die Freiheit des Warenverkehrs soll den Handel mit Waren schiitzen.F" eine Begriffsbestimmung von "Ware" nimmt der EG-Vertrag jedoch nicht vor. In der Rechtssache Kunstschiitze 1838 definierte der EuGH den Begriff Ware gemag Art. 23 EG wie folgt:
Unter Waren im Sinn dieser Vorschrift sind Erzeugnisse zu verstehen, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgescbiiften sein konnen" 839
»
In der Rechtssachen Boscbr'" und Abfallverbringung 841 fugte der EuGH dieser Definition die Merkmale "korperlicher Gegenstand,"842 welcher "Gegenstand 835 Jarass, Elememe einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202 (206). 836 Jarass, Elememe einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202 (207). 837 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten der Europaischen Gemeinschaft (1999), 76.
838 EuGH Rs. 7/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik (Kunstschatze I), Slg. 1968,633. 839 EuGH Rs. 7/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik (Kunstschatze I), Slg. 1968,633, (642). 840 EuGH Rs. 1/77 Robert Bosch GmbH gegen Hauptzollamt Hildesheim, Slg. 1977, 1473. 841 EuGH Rs. C-2/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1992, 1-4431. 842 "Der gemeinsame Zolltarif betrifft seinem Wesen nach nur die Einfuhr von Waren, also von korperlichen Gegenstanden; er gilt somit nicht fur die Einfuhr immaterieller Giiter wie Verfahrensweisen, Dienstleistungen oder "know-how", die schon ihrer Natur nach schwer zu erfassen sind.", EuGH Rs. 1/77 Robert Bosch GmbH gegen Hauptzollamt Hildesheim, Slg. 1977, 1473, (1482).
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von Handelsgeschaften'T'? sein kann, hinzu. Der vorn EuGH in dieser Weise abgegrenzte Begriff Ware ist zugleich allgemein fur den Anwendungsbereich des EG-Vertrags und erschopfend aufzufassen. P" Die Freiheit der Dienstleistung schiitzt grenzuberschreitenden Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU; der Begriff der Dienstleistung entspricht jedoch nicht jenem des tertiaren Sektors als volkswirtschaftlichen Begriff. Art. 60 EG-Vertrag weist der Freiheit der Dienstleistung einen Residualcharakter zu und gestaltet sie als Auffangtatbestand zu der Freiheit des Waren verkehrs und der Freiheit der Niederlassung. Wahrend nach volkswirtschaftlicher Definition des tertiaren Sektors jene umernehmerischen Leistungen dem Begriff Dienstleistung zuzuordnen sind, die nicht unter den Begriff "Ware " fallen, 845 wahlt der EG-Vertrag einen grundsatzlich anderen Ansatz: Dieser Ansatz stellt im Rahmen des von seinem Anwendungsbereich erfassten wirtschaftlichen Geschehens darauf ab, wie und in welcher Weise eine Leistung eine Grenze iiberschreitet und welche Handelshemmnisse der Grenziiberschreitung dieser Leistung im Wege stehen.v" Voter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Dienstleistung fallen daher jene unternehmerischen Leistungen, die keine Waren sind und die Grenze uberschreiten, ohne dass das leistende Unternehmen seinen Sitz verlegt; letzter es wiirde narnlich unter die Freiheit der Niederlassung fallen.
843 ,, [. . .J dass riickfiihrbare und nicht riickfiihrbare Abfalle - gegeben enfalls nach einer Behandlung - einen eigenen H andel swert haben und Waren sind, auf die der Vertrag Anwendung finde r, und dass sie daher in den Anwendungsbereich der Artikel 30 ff. EWG-Vertrag fallen.", EuGH Rs. C -2/9 0 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1992,1-4431. 844 ,,[...J dass der Vertrag die Anwendung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs ohne andere Ausnahmen als die, die im Vertrag ausdriicklich vorgesehen sind, auf aile Waren erstreckt. Man kann sornit nicht davon ausgehen, dass eine Ware nur deshalb von der Anwendung dieses fundamentalen Grundsatzes ausgenommen werden kann, weil sie fiir das Leben oder die Wirts chaft eines Staates eine besondere Bedeutung hat.", EuGH Rs. 72 /83 Campus Oil Limited und andere gegen Minister fiir Industrie und Energie und andere, Slg. 1984,2727, (2747); vgl. dazu Meesenburg , Kornmentar zur Art. 23 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2009,2. Auf!. (2009),423. 845 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EG- Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Auf!. (1997), 1443; Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in von der Groeben/Schwarze, Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gerneinschaft Kommentar, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1612 Rz. 8. 846 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in v on der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EG- Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Auf!. (1997), 1444; Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in v on der Groeben/Schwarze, Vertrag iiber die Europaische Un ion und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kommentar, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1612 Rz . 9.
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Der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Der subsidiare Charakter der Dienstleistungsfreiheit ist bereits aufgrund des Art. 60 EG in der Systematik des EG-Vertrages angelegt. 847 Der subsidiare Charakter der Dienstleistungsfreiheit wird als Systemmerkmal auch im Rahmen des Sekundarrechts fortgefuhrt.P" 3. Personenverkehrsfreiheiten
Der sachliche Anwendungsbereich der Personenverkehrsfreiheiten kniipft an die Dberschreitung einer Grenze durch eine natiirliche oder eine juristische Person an, mit dem Zweck, in einem anderen Mitgliedstaat auf Dauer als selbstandig oder unselbstandig Beschaftigter eine wirtschaftliche Leistung oder Tatigkeit zu erbringen; die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer hat in Art. 39 Abs. 2,3 und 4 EG-Vertrag und in zahlreichen, diese Bestimmung ausfiihrenden, sekundarrechtlichen Regelungen ihren Anwendungsbereich.v'? Der zentrale Begriff fur die Definition des Anwendungsbereiches der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer ist jener des "Arbeitnehmers". Die Bedeutung dieses Begriffes ist nach herrschender Rechtsprechung und Lehre in autonomer Weise aus dem EG-Recht selbst zu gewinnen.P? In der Rechtssache Unger fiigt der EuGH der mit Hilfe systematischer und teleologischer Argumenta847 Holoubek, Kommentar zu Art. 49/50 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2. Auf!. (2009), 707; vgl. auch EuGH Rs. C-55/94 Reinhard Gebhard gegen Consiglio dell'Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano, Slg. 1995,1-4195 und EuGH Rs. C-3/95 Reiseburo Brode gegen Gerd Sandker, Slg. 1996, 1-6511. 848 Ein Dienstleitungsauftrag fungiert als Auffangtatbestand fur jene Beschaftigungsvorgange offentlicher Auftraggeber, die nicht als Liefer- oder Bauauftrage einzuordnen sind: Art. 1. litt. a der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vorn 18.Juni 1992 iiber die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe offentlicher Dienstleistungsauftrage, ABI L. 209/1992, 1. 849 Art. 39 (2): Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehorigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschaftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 39 (3): Sie gibt - vorbehaltlich der aus Grunden der offentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschrankungen - den Arbeitnehmern das Recht, sich urn tatsachlich angebotene Stellen zu bewerben sich zu diesem Zwecke im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, urn dort nach den fur die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschaftigung auszuuben nach Beendigung einer Beschaftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, we1che die Kommission in Durchfuhrungsvorschriften festlegt. Art. 39 (4): Dieser Artikel findet keine Anwendung in der offentlichen Verwaltung. 850 EuGH Rs. 75/63 Frau M.K.H. Unger, Ehefrau des Herrn R. Hoekstra gegen Bedijfsvereniging voor Detailhandel en Ambachten, Slg. 1964, 379 (396), in seither standiger Rechtsprechung.
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tion gewonnener Interpretation des Begriffs Arbeitnehmer hinzu, dass die Freiztigigkeir der Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als Grundfreiheit zu den "Grundlagen" der Gemeinschaft gehore. 851 Es isr daher nicht erforderlich, dass der betreffende Burger in seinem Arheitsverhaltnis einer bestimmten mitgliedstaatlichen Definition von Arbeitnehmer entspricht, Der EuGH tendiert in seiner Judikatur zu einer iiberaus weiten Definition des Begriffes "A r beitn ehm er " und erachtet diese als abschlieBend. Dieser Begriff sei anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhaltnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Person kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhaltnisses besteht aber darin, dass jemand wahrend einer bestimmten Zeit fur einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, fur die er als Gegenleistung eine Vcrgutung erhiilt. 852 Es ist einem Mitgliedstaat daher verwehrt, zusatzliche Voraussetzungen fur die Anwendbarkeit des Art. 39 EG aufzustellen. Daher ist etwa auch ein Burger, der eine Beschaftigung in einem bloB geringfiigigen AusmaB ausiibt, als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG zu qualifizieren.P'' Wahrend die Freizugigkeit der Arbeitnehmer unselbstandig Erwerbstatige erfasst, wendet sich die Freiheit der Niederlassung an selbstandig Erwerbstatige. Auch der sachliche Anwendungsbereich der Freiheit der N iederlassung entspricht - strukrurell ahnlich wie jener der Freiheit der Dienstleistung nicht jenem der "Dienstleistung" in makrookonornischer Betrachtungsweise. Zwischen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer und der Freiheit der Niederlassung besteht ein enger inhaltlicher und rechtlicher Zusammenhang. Art. 43 EG gibt jedem Angehorigen cines EG-Mitgliedstaates u. a. das Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen und dort eine selbstandige Er851 EuGH Rs. 75/63 Frau M.K.H. Unger, Ehefrau des Herro R . Hoekstra gegen Bedrijfsvereniging voor Detailhandel en Ambaehten, Slg. 1964, 379 (396). "D a die Herstellung einer moglichst weitgehenden Freiziigigkeit der Arbeitskrafte hiernaeh zu den "G ru ndlagen " der Gemeinsehaft gehort, stellt sie das Hauptziel des Artikel51 dar und ist mithin fiir die Auslegung der in Anwendung dieses Artikels ergangenen Verordnungen maggebend." Diese Anmerkung des EuGH weist wenig Bezug zu den sysrematische und teleologisehen Argumenten, die der angesproehenen gemeinschaftsauronornen Definition der Arbeitnehmerbegriffes fiihren. Denkbar ist, dass der EuGH in diesem Stadium der Reehtsentwieklung mit der Wahl der Kategorie "Grundlage" blog die besondere Bedeutung der relevierten Vorsehrift herausstreiehen mochte, 852 EuGH Rs. 66/85, Deborah Lawrie-Blum gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg. 1986, 2121. 853 EuGH Rs. 53/81, D.M. Levin gegen Staatssecretaris van justitie, Slg. 1982, 1035); vgl. Walker, Vorbemerkungen zu den Artikeln 48 bis 50, in in v on der Groeben/Thiesing/ Ehlermann, EU/EG-Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Auf!. (1997), 1069; Walker/Grill, Vorbemerkungen zu den Artikeln 48 bis 50, in v on der Groeben/Schwarze, Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinsehaft Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. (2003), 1297.
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werbstatigkeit auszuiiben. Weiters wird einem Angehorigen eines EG-Mitgliedstaates das Recht gewahrt, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, dort ein Unternehrnen zu griinden oder zu leiten. Die Freiheit der Niederlassung ist von der Freiheit der Dienstleistung abzugrenzen. Niederlassung liegt vor, wenn der selbstandig Erwerbstatige seine Tatigkeit in einem Mitgliedstaat auf Dauer anlegt und seine Tatigkeitcn in die Wirtschaft des Aufnahmernitgliedstaates integrieren will. Dienstleistung liegt hingegen vor, wenn der selbstandig Erwerbstatige seine Tatigkeit in einem anderen Mitgliedstaat bloB voriibergehend ausiiben will, ohne aber die Einbindung in die Wirtschaft seines Herkunftsstaates aufzugeben. Der Begriff der Niederlassung im Sinne des EG-Vertrages ist also ein sehr weiter Begriff, der die Moglichkeit fur einen Gemeinschaftsangehorigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als seines Herkunftsstaates teilzunehrnen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Gerneinschaft im Bereich der selbstandigen Tatigkeiten gefordert wird. 854 Letzteres Kriterium, welches alternativ und nicht kurnulativ aufzufassen ist, stellt auf den Schwerpunkt der Tatigkeit eines Selbstandigen in einem anderen Mitglied staat abo Der EuGH definiert in standiger Rechtsprechung den Begriff der Niederlassung wie folgt: [Dazu ist zu bemerken] , " dass der Niederlassungsbegriff im Sinne der Artikel52 ff die tatsdchliche Ausiibung einer wirtschaftlichen Tdtigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit umfasst. 855 Zu diesem Zw ecke "ist der v orubergebende Charakt er der fraglichen Tdtigkeiten nicht nur unter Beriicksichtigung der Dau er der Leistung, sond ern auch ihrer Hdufigkeit, regelmajligen Wiederkehr oder Kontinuitdt zu beurteilenF" Das entscheidende Kriterium fur die Abgrenzung der Niederlassungsfreiheit von der Freiheit der Dienstleistung stellt jedoch die Dauerhaftigkeit der Ansiedlung dar. Der EuGH stellt bei der Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit auf die Haufigkeit der Leistung, auf regelma-
854 Troberg, Kommentar zu Art. 52, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EGVertrag Kommentar, Bd. 1,5. Aufl. 1997, 1305; Tiedje/Troberg, Kommentar zu Art. 43, in von der Groeben/Sch warze, Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kommentar, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1481. 855 EuGH Rs. C -246/89, Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereini gtes Konigreich, ex parte Factortame, Slg. 1991,1-4585. 856 EuGH Rs. C-55 /94, Reinh ard Gebhard gegen Consiglio dell'Ordine degli Avvocati e Pr ocuratori di Milano, Slg. 1995,1-4165.
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Bigc Wiederkehr im Aufnahmemitgliedstaat und auf Kontinuitat der Leisrungserbringung abo Das Ziehen einer Grenze zwis chen Dienstleisrungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit erweist sich als auBerst schwierig, so dass Unscharfen weiterhin bestehen bleiben; dabei kommt es wesemlich auf die U mstande der Fallkonstellation an. Di e Niederlassungsfreiheit nach EG-Recht erfordert jedenfalls eine wirtschaftliche Tatigkeit; diese kann im Rahmen einer prirnaren oder einer sekundaren Niederlassung ausgeiibt werden. Eine sekundare Niederlassung liegt dann vor, wenn der Schwerpunkt des Betriebes im Mitgliedstaat aufrechterhalten wird. 857 4. Kapitalverkehrsfreiheit
D ie Freiheit des Kapitalv erkehrs umfasst jene Transaktionen, die nicht durch die Freiheit des Warenverkehrs oder die Freiheit des Dienstleisrungsverkehrs bedingt sind; die Freiheit des Kapitalverkehrs umfasst daher einseitige Wertiibertragungen aus einem Mitgliedstaat in den anderen. Von der Freiheit des Kapit alverkehrs werden Transaktionen sowohl von Geld- als auch von Sachkapit al umfasst. Die Freiheit des Zahlungsvcrkehrs wird definitorisch als die rechtsgeschaftliche Erfiillung einer Schuld durch Geldmittel begriffen; der Begriff Geldmirtel ist hierbei umfassend zu verstehen.P " Fiir eine Definition der dem Kapitalverkehr umerfallenden Transaktionen besitzt nach Ansicht des EuGH in Trummerv ? und nachfolgender standiger Rechtsprechung die Kapitalverkehrsrichtlinie' v" Hinweischarakter. Aufgrund 857 Vgl. Schlag, Kommentar zu An.43 EG-Vert rag in Schwa rze (Hg), EU -Kommentar (2009), 640. 858 Vgl. EuGH verb. Rs. 286/82 und 26/83 Graziana Lui si und Giuseppe Carbone gegen Ministero del Tesoro, Slg. 1984,377, (404): "Aus dem allgemeinen System des Vertr ages ergibt sich vielmehr [...J, dass die laufenden Zahlungen D evisentransferierungen sind , die eine Gegenleistung im Rahmen einer dieser Leistungen zu grunde liegenden Transaktion darstellen, wah rend es sich beim Kapitalverkehr urn Finanzgeschaft handelt, bei denen es in erster Linie urn die Anlage oder die Investition des betreffenden Betrags und nicht urn die Vergiitung einer D ienstleistung geht." Vgl. auch Kiemel, Kommentar zu Art. 56, in von der GroebenlS chwarze, Vertrag iiber die Europaische Union und Vertra g zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kommentar, Bd.1, 6. Aufl, (2003), 1730 Rz. 1. 859 EuGH R s. C-222 /9 7 Grundbuchssache Manfred Trummer und Peter Mayer, Slg. 1999, 1-1661, (1678); vgl. auch EuGH Rs. verb. Rs. Strafverfahren gegen Lucas Emilio Sanz de Lera U . a., Slg. 1995,1-4821 , (1-4839). 860 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.Juni 1988 zur Durchfiihrung von Artikel67 des Vert rages ("Kapitalverkehrsrichtlinie") , ABI L. 178/1988, 5. GemaB Anhang I der Richtlinie unterfallen etwa langfristi ge Darlehenzur Schaffung dauerhafte r Winschafts -
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Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
der umfassenden Anderungen im Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs durch den Vertrag von Maastricht erweist sich die enumerative Aufzahlung jener Transaktionen in der Kapitalverkehrsrichtlinie, die der Freiheit des Kapitalverkehrs und der Freiheit des Zahlungsverkehrs unterliegen, als iiberaus sinnvoller legistischer Hinweis. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Kapitalverkehr auf der einen und Zahlungsverkehr auf der anderen Seite verbleibt im Hinblick auf die Beschrankungsmoglichkeiten und Schutzrnaiinahmen gegeniiber Drittlandern in den Art. 59 und 60 EG von Belang.
B. Der personllche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 1. Einflihrung
In diesem Abschnitt soU der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ratione personae fur die weitere Argumentation im Dberblick dargelegt werden. Dabei soll an die oben gewahlte Einteilung in Produktverkehrsfreiheiten, Personenverkehrsfreiheiten und Kapitalverkehrsfreiheit angekniiptt werden. 2. Produktverkehrsfreiheiten
Die Freiheit des Warenverkehrs kniipft an die Uberschreitung einer innergemeinschaftlichen Grenze durch eine im ZoUgebiet der Gemeinschaft befindliche Ware an. 86 1 Der Geltungsbereich des gemeinschaftlichen Zollrechts's- entspricht dabei - bis auf ausdrucklich genannte Ausnahmen'<' - dem Staatsgebiet der Mitgliedstaaten,
beziehungen, Reinvestitionen von Ertragen zur Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftbeziehungen, Immobilieninvestitionen und Transaktionen mit Kapitalmarktpapieren der Freiheit des Kapitalverkehrs, 861 Meesenburg, Kommentar zur Art. 23 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2000,404; Terhechte, Kommentar zu Art. 23 EG-Vertrag in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2009,423. 862 Festlegung des gemeinschaftlichen Zollgebiets durch: Verordnung (EWG) Nr.2151/84 des Rates vom 23.Juli 1984 betreffend das Zollgebiet der Gemeinschaft, ABI L. 197/ 1984,1. 863 Art. 4 der Verordnung Verordnung (EWG) Nr, 2151/84 des Rates vom 23.Juli 1984 betreffend das Zollgebiet der Gemeinschaft, ABI L. 197/1984,11autet: Diese Verordnung beriihrt nicht a) die derzeitige Regelung des innerdeutschen Handels im Sinne des Prorokolls uber dies en Handel und die damit zusammenhangenden Fragen, insbesondere die deutsche Regelung uber das deutsche Zollgebiet; b) die Regelung fur Saint-Pierreet-Miquelon.
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Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
der umfassenden Anderungen im Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs durch den Vertrag von Maastricht erweist sich die enumerative Aufzahlung jener Transaktionen in der Kapitalverkehrsrichtlinie, die der Freiheit des Kapitalverkehrs und der Freiheit des Zahlungsverkehrs unterliegen, als iiberaus sinnvoller legistischer Hinweis. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Kapitalverkehr auf der einen und Zahlungsverkehr auf der anderen Seite verbleibt im Hinblick auf die Beschrankungsmoglichkeiten und Schutzrnaiinahmen gegeniiber Drittlandern in den Art. 59 und 60 EG von Belang.
B. Der personllche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 1. Einflihrung
In diesem Abschnitt soU der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ratione personae fur die weitere Argumentation im Dberblick dargelegt werden. Dabei soll an die oben gewahlte Einteilung in Produktverkehrsfreiheiten, Personenverkehrsfreiheiten und Kapitalverkehrsfreiheit angekniiptt werden. 2. Produktverkehrsfreiheiten
Die Freiheit des Warenverkehrs kniipft an die Uberschreitung einer innergemeinschaftlichen Grenze durch eine im ZoUgebiet der Gemeinschaft befindliche Ware an. 86 1 Der Geltungsbereich des gemeinschaftlichen Zollrechts's- entspricht dabei - bis auf ausdrucklich genannte Ausnahmen'<' - dem Staatsgebiet der Mitgliedstaaten,
beziehungen, Reinvestitionen von Ertragen zur Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftbeziehungen, Immobilieninvestitionen und Transaktionen mit Kapitalmarktpapieren der Freiheit des Kapitalverkehrs, 861 Meesenburg, Kommentar zur Art. 23 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2000,404; Terhechte, Kommentar zu Art. 23 EG-Vertrag in Schwarze (Hg), EU-Kommentar 2009,423. 862 Festlegung des gemeinschaftlichen Zollgebiets durch: Verordnung (EWG) Nr.2151/84 des Rates vom 23.Juli 1984 betreffend das Zollgebiet der Gemeinschaft, ABI L. 197/ 1984,1. 863 Art. 4 der Verordnung Verordnung (EWG) Nr, 2151/84 des Rates vom 23.Juli 1984 betreffend das Zollgebiet der Gemeinschaft, ABI L. 197/1984,11autet: Diese Verordnung beriihrt nicht a) die derzeitige Regelung des innerdeutschen Handels im Sinne des Prorokolls uber dies en Handel und die damit zusammenhangenden Fragen, insbesondere die deutsche Regelung uber das deutsche Zollgebiet; b) die Regelung fur Saint-Pierreet-Miquelon.
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Die Freiheit des Warenverkehrs kmipft daher nicht personal etwa an die Staatsangehorigkeit eines Irnporteurs oder Exporteurs an, sondern ausschlielilich an die - auch nur potentielle - Uberschreitung einer Grenze durch eine Ware. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs erstreckt sich gem. Art. 49 EG blof auf Staatsangehorige der Mitgliedstaaten, Diesen sind gem. Art. 55 EG und Art. 48 EG juristische Personen gleichgesrellt, welche jedoch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegriindet sein rniissen und eine tatsachliche und dauerhafte Verbindung mit der Wirtschaft diescs Staates aufweisen miissen. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs erstreckt sich daher nicht auf Staatsangehorige dritter Staaten, da von del' Errnachtigung zur Rechtssetzung in Art. 19 Abs. 2 EG kein Gebrauch gemacht wurde. Zu folgern ist, dass die Prcdukrverkehrsfreiheiten im Hinblick auf den personlichen Anwendungsbereich kein einheitliches Bild aufweisen: Wahrend die Freiheit des Warenverkehrs auf die Grenzuberschreitung durch eine gemeinschaftliche Ware abstellt, kniipft die Freiheit der Dienstleistung - zusatzlich zu der wiederum blof potentiellen Uberschreitung einer inncrgemeinschaftlichen Grenze durch einen Dienstleistungsempfanger, einen Dienstleisrungserbringer oder die Dienstleistung selbst - an die Staatsangehorigkeit des Dienstleistungserbringers oder des Dienstleisrungsernpfangers an. Damit weist die Dienstleisrungsfreiheit in ihrem personlichen Anwendungsbereich eine personelle Kornponente auf, welche bereits aufgrund ihres Vorliegens auf den in der systematischen Anlage dieser Grundfreiheit vorhandenen personenbezogenen Aspekt'v' verweist. Troberg 865 und Holoubek 866 merken Freilich an, dass der personenbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit aufgrund der Bedeutungsverschiebung zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren und des wachsenden Gewichtes des tertiaren Sektors zunehmend in den Hintergrund trete, Dieser Frage ist im groBeren Zusammenhang der Abgrenzung der Grundfreiheiten voneinander und ihrer Tauglichkeit zur Drittwirkung im nachsten Abschnitt nachzugehen. Ebenso ist die Frage zu untersuchen, ob und in wel864 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EG- Vertrag Kornmentar, Bd. I, 5. Aufl. (1997), 1444; Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in von der GroebenlSchwarze, Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kommentar, Bd.1, 6. Aufl . (2003), 1612. 865 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EG-Vertrag Kornmentar, Bd. I, 5. Auf!. (1997), 1444; Troberg/Tiedje , Vorbemerkungen zu den Artikeln 49 bis 55, in v on der GroebenlSchwarze, Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kornmentar, Bd. 1, 6. Aufl. (2003),1612. 866 Holoubek, Kommentar zu Art. 49/50 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg), EU-Kommentar, 2. Auf!. (2009), 708.
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Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
cher Weise die Spaltung der Freiheit der Dienstleistung in einen personenbezogenen Aspekt und einen produktbezogenen Aspekt fur die Frage nach der Drittwirkung der Grundfreiheiten Auswirkungen zeitigt. 3. Personenverkehrsfreiheiten 3.1. FreizOgigkeit der Arbeitnehmer
Die Personenverkehrsfreiheiten weisen einen personenbezogenen Anknupfungspunkt auf, ohne jedoch fur ihre Anwendbarkeit die Staatsbiirgerschaft eines der Mitgliedstaaten zu fordern: Die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer gilt zunachst und im Grundsatz nur fiir EU-Staatsbiirger. Dies wird, obwohl nicht ausdriicklich in Art. 39 EG so vorgesehen - in systematischer Interpretation aus der Praambel des EG-Vertrages gefolgert, welche den Willen der vertragsunterzeichnenden Parteien wiedergibt, "eine stetige Verbesserung der Lebens- und Beschaftigungsbedingungen ihrer Volker" anzustreben.v" Neben das Erfordernis der Staatsangehorigkeit eines Mitgliedstaates tritt fiir die Anwendbarkeit der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer die Eigenschaft als "Arbeitnehmer" hinzu. Die Kumulierung dieser Eigenschaften errnoglicht es erst dem Einzelnen, die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Der Begriff des "Arbeitnehmers" im EG-Recht erfahrt eine autonome Definition, welche im Wesentlichen auf das Kriterium der "Abhangigkeit der Arbeit" fu6t. Neben diesem Kriterium werden die Elemente der Leistungserbringung fur einen anderen, wahrend einer bestimmten Zeit und nach des sen Weisungen, sofern seitens des Arbeitgebers eine Gegenleistung in Geld versprochen wird herangezogen.v" Das Kriterium der Eigenschaft als Arbeitnehmer wird vorn EuGH weit interpretiert.t"? sodass etwa das Rechtsverhaltnis zwischen Arbeitgeber und Ar867 Schneider/Wunderlich, Kommentar zu Art. 39 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg.), EUKommentar 2. Auf!. (2009), 580. 868 EuGH Rs. 344/87 I.Bettray gegen Staatssecretaris von justitie, Slg. 1989, 1621; vgl. Krimphove, Europaisches Arbeitsrecht, Miinchen 1996, 86; SchrammellWinkler, Arbeits- und Sozialrecht der Europaischen Gemeinschaft (2002), 12. Schrammel und Winkler verweisen im Rahmen der weiten Auslegung des Arbeitnehmerbegriffes durch den EuGH insbesondere auf den zeitlichen Beginn der Arbeitnehmereigenschaft mit Beginn der Suche nach einer entgeltlichen Beschaftigung in einem anderen Mitgliedstaat.
869 Vgl. etwa EuGH Rs. 53/81 D.M. Levin gegen Staatssecretaris van justitic, Slg. 1982, 1035: "Die Begriffe "Arbeitnehmer und "Tatigkeit in einem Lohn- oder Gehaltsverhaltnis" legen den Anwendungsbereich einer der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten fest und diirfen deshalb nicht einschrankend ausgelegt werden."; vgl. auch
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Der Anwendungsbere ich der Grundfreihe iten
beitnehmer, die Hohe der Entlohnung oder die Produktivitat fiir die Zuschreibung der Arbeitnehmereigenschaft nicht von Relevanz erachret werden.V? Die Eigenschaft als Arbeitnehmer wird zusatzlich als Kriterium zur Abgrenzung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer von der Freiheit der Niederlassung herangezogen. Das Erfordernis der Arbeitnehmereigenschaft hat zur Fol ge, dass jene Arbcitnehmer, die nicht Staatsangehorige eines Mitgliedstaat cs der Gemeinschaft sind, nicht in den Anwendungsbereich der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer gelangen; ebenso ergeht es Drittstaatsangehorigen, die nicht als Arbeitnehmer einzustufen sind. Dieses im EG-Primarrecht angesiedelte Konzept findet seine Fort- und Umsetzung im EG-Sekundarrecht: Sowohl die Verordnung 1612/68 871 als auch die auf Grundlage von Art. 18 EG erlassene Richtlinie 38/2004 872 sprechen in einem ersten Schritt die aus ihr erflielienden Rechte den Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten ZU . 873 Erst in einem zweiten Schritt werden manche Vergiinstigungen auch Drirrstaatsangehorigen gewahrt;874 dies erfolgt jedoch nur dann, wenn der Drittstaatsangehorige die Eigenschaft eines "Familienangehorigen" des Arbeitnehmers aufzuweisen verrnag.V"
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EuGH Rs. 139/85 R.H. Kemp f gegen Staatssecretaris van justititic, Sig. 1986, 1741; j ohnson/O 'Keeffe, From D iscrimination to Obstacles to Free Movement: Recent De velopments C oncerning the Free Mo vement of Work ers 1989-1994, CMLR 1994, 1313, (1315). EuGH Rs. 344/8 7 I.Bettray gegen Staatssecretaris von justitie, Sig. 1989, 1621. Vero rdnun g (EWG) Nr. 1612/6 8 des Rates vom 15. Oktob er iiber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gem einschaft, ABI L 257/1968 , 2; vgI. auch Art.2 der Richdinie 68/36 0 des Rates vorn 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Au fenthaltsbe schrankungen fiir Arbeitnehmer der Mit gliedstaaten und ihre Familienangehorigen innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 127/1968, 13. Richdinie 2004/38/EG des Europaischen Parlaments und des Rates iiber das Recht der Unionsbii rger und ihrer Familienangehorigen, sich im H oh eitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABL L 158/2004, 77. Art. 1 Abs.1 der genannten Bestimmung lautet: jeder Staatsangeh orige eines Mitgliedstaates ist ungeachtet seines Wohnorts berechtigt, eine Tati gkeit im Lohn- oder Gehaltsverhaltnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates nach den fur die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwalrungsvorschriften aufzunehmen und auszuiiben; Fiir eine Ubersicht der aus dem Europaischen Individualarbeitsrecht erflieBenden Rechte vgI. Schmidt , Individualarbeitsrecht, in Blanpain/Schmidt/Schweibert, Europaisches Arbeitsrecht, 2. AufI. (1996), 161. Art. 10-12 der Verordnung (EWG) Nr.1612 /68 des Rates vorn 15. Oktober uber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 25 7/1968,2. D ie Rechtsprechung des EuGH erw eist sich in diesem Zu sammenhang als iiberaus groBziigig, vgI. erwa EuGH Rs. C-200102 Kunqian Catherine Zhu und Man Lavette Ch en gegen Secretary of State for th e Home Department, Sig. 2004, 1-9925; EuGH Rs. C-459/99 MRAX gegen Belgischer Staat, Sig. 2002, 1-6591.
Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Diese Bestimmung ist in jiingerer Zeit in der Literatur auf vehemente und iiberzeugende Kritik gestoiien: Hedemann-Robinson stellt nach einer Auflistung und Darstellung der einem Staatsangehorigen eines Drittstaats zustehenden Rechte fest, dass Ziel und Zweck der legistischen Ma6nahmen der Gemeinschaft in Bezug auf die rechtliche Stellung von Drittstaatsangehorigen nicht von dem Wunsch getragen seien, diese Personengruppe im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen innerhalb der EG zu starken oder zu etablieren. Vie1mehr werde diese Personengruppe den volkwirtschaftlichen Interessen der Mitgliedstaaten - namlich dem vorhandenen oder mange1nden Bedarf nach Arbeitskraften untergeordnet.F" Es sei nach Ansicht dieses Autors kein Zufall, dass jene Rechte, die Drittstaatsangehorigen aus den Bestimmungen iiber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer zustehen, im wesentlichen von ihrem Familienstatus abhangig gemacht werden; hier bei handelt es sich urn abge1eitete Rechte.V" Die Privilegierung von Drittstaatsangehorigen, welche sich als Familienangehorige eines Unionsbiirgers erweisen, findet seine Ursache, so Hedemann-Robinson und Barrett, in der Ermunterung eines Wanderarbeitnehmers, von der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer in ungehinderter Weise Gebrauch zu machen. Diese Schlussfolgerung werde durch das Urteil Morson und]hanjan erhartet: Neben der Notwendigkeit des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes sei auch das Vorliegen eines bestimmten Familienstatus erforderlich.v" In diesem Urteil stellt der EuGH das Vorliegen eines inlandischen Sachverhaltes fest, da die Klagerinnen niederlandische Staatsangehorige sind; die Einreise ihrer einem Drittstaat angehorigen Eltern richte sich daher nach dem anwendbaren nationalen Recht. Nach Ansicht von Barrett hande1e es sich urn ein kurioses Argument, einem Arbeitnehmer das Verlassen des eigenen Mitgliedstaates aufzuerlegen, damit dieser bei seiner Riickkehr und nach Inanspruchnahme einer Grundfrei-
876 Hedemann-Robinson, Third-Country Nationals, European Union Citizenship and Free movement of Persons: a Time for Bridges rather than Divisions, 16 YEL 1996, 321, (347): "The limited extent of third country nationals residents' rights in comparison with those of nationals of Member States demonstrates clearly that Community law has, instead of being developed to enhance their legal or political status, been held back in order to allow Member States to retain control over third country nationals as supply and demand factors in their respective domestic labour markets."; so auch Barrett, Family Matters: European Community Law and Third-Country Family Members, CMLR 2003,369, (374). 877 Barrett, Family Matters: European Community Law and Third-Country Family Members, CMLR 2003,369, (371). 878 EuGH Rs. 35 und 36/82 Elestina Esselina Christina Morson gegen Niederlandischen Staat und Leiter der Ortspolizeibehorde im Sinne der Vreemdelingenwet; Sewradjie ]hanjan gegen Niederlandischen Staat, Slg. 1982,3723.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
heit - in casu der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer - seine Familienangehorigen bei sich wohnen lassen konne."? Die Zuteilung unterschiedlicher abgeleiteter Rechte an Drittstaatsangehorige fuhre, so Hedemann-Robinson, zu einer Stratifizierung innerhalb dieser Gruppe von Personen. Dies wiederum - wiewohl es sich hierbei nicht urn eine Rechtsverletzung handelt - widerspreche dem Verbat von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit des Art. 12 EG, dem in Art. 3 litt, g festgelegten Ziel des EG-Vertrages, eine "System [zu schaffen], das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfiilschungen schiitzt", sowie dem allgemeinen Gleichheitssarz.P'' 3.2. Freiheit der Niederlassung
Die Freiheit der Niederlassung soll nach Ansicht von Troberg die Mobilitat des Faktors "Arbeit" gemeinsam mit der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer ermoglichen; die Normierung der freien Mobilitiit von selbstiindig Erwerbstatigen in einer selbstiindigen Grundfreiheit findet ihre Ursache nicht in einer bereits im EG-Vertrag angelegten dogmatischen Trennung von Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und Niederlassungsfreiheit. Vielmehr stellen diese beiden Kapitel eine der vier Freiheiten des EG-Vertrags dar 881 und sind daher als "dogmatische Zwillinge" zu betrachten.s'" Die Freiheit der Niederlassung erstreckt sich gernaf Art. 43 Abs.2 EG auf "die Aufnahme und Ausiibung selbstiindiger Erwerbstatigkeiten sowie die Griindung und Leitung von Unternehmen". Unter Freiheit der Niederlassung begreift der EuGH die selbstiindige Ausiibung einer Berufstatigkeit in einem anderen Mitgliedstaat in stabiler und kontinuierlicher Weise. 883 Der personliche Anwendungsbereich der Freiheit der Niederlassung umfasst zunachst gem. Art. 48 EG Staatsangehorige der Mitgliedstaatens'" sowie
879 Barrett, Family Matters: European Community Law and Third-Country Family Members, CMLR 2003, 369, (379). 880 Hedemann-Robinson, Third-Country Nationals, European Union Citizenship and Free movement of Persons: a Time for Bridges rather than Divisions, 16 YEL 1996, 321, (348). 881 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 52 bis 58, in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU/EG-Vertrag Kommentar, Bd.I, 5. Auf!. (1997), 1277; Troberg/Tiedje, Vorbemerkungen zu den Artikeln 43 bis 48, in von der Groeben/Schwarze, Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl, (2003), 1459. 882 Scheuer, Vorbemerkung zu Art. 43-48, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Auf!. (2006), 701 Rz. 1. 883 EuGH Rs, C-55/94 Reinhard Gebhard gegen Consiglio dell'Ordine degli Avvocati e Procuratori di Milano, Slg. 1995,1-4195. 884 Zu Inanspruchnahme der Freiheit der Niederlassung geniigt bereits die Staatsangeho-
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Der personliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegrundete Gesellschaften, welche ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft haben. Als Sitz einer Gesellschaft gilt der in der Satzung festgelegte Sitz, jedoch auch die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung; wesentlich erscheint, dass eine die Freiheit der Niederlassung in Anspruch nehmende Gesellschaft die Zugehorigkeit zu einer Rechtsordnung der Gemeinschaft aufweist.P" Die Freiheit der Niederlassung eroffnet im Vergleich zu der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer Drittstaatsangehorigen die Moglichkeit, sich an solchen, der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates zugehorigen Gesellschaften zu beteiligen. Auf die Staatsangehorigkeit der Gesellschafter oder Anteilseigner kommt es hierbei nicht an. 886 Macht jedoch eine nariirliche Person von der Freiheit der Niederlassung Gebrauch, so bestimmen sich die Rechte eines einem Drittstaat zugehorigen Familienangehorigen des Selbstandigen in ahnlicher Weise wie im Rahmen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer. 4. Kapitalverkehrsfreiheit
Die Freiheit des Kapitalverkehrs weist nach der Verwirklichung der WWU bereits aufgrund der in Art. 56 EG-Vertrag getroffenen Formulierung "sind aIle Beschrankungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Staaten verboten" keine Anknupfung an die Staatsangehorigkeit einer naturlichen Person, an die Zugehorigkeit einer juristischen Person zu der Rechtsordnung eines bestimmten Mitgliedstaates oder zu der Verankerung von Kapital innerhalb des Gebietes der Gemeinschaft auf. Daher steht die Freiheit des Kapitalverkehrs uber die Gruppe der Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und juristischen Personen mit Sitz in einem der Mitgliedstaaten auch Angehorigen von Drittstaaten sowie ju-
rigkeit eines Mitgliedstaates, es ist nicht erforderlich, dass die natiirliche Person auch ihren Wohnsitz in einem der Mitgliedstaaten hat: EuGH Rs. 292/86 Claude Gullung gegen Conseil de l'Ordre des Avocats du Barreau de Colmar und Conseil de l'Ordre des Avocats du Barreau de Saverne, Slg. 1988, 111; EuGH Rs. C-147/91 Strafverfahren gegen Michele Ferrer Laderer, Alg. 1992,1-4097; EuGH Rs, C-369/90 Mario Vincente Micheletti u. a. gegen Delegacion del Gobierno en Cantabria, Slg. 1992,1-4239. 885 EuGH Rs. 79/85 D.H. M. Segers gegen Bestuur van de Bedrifsvereniging voor Banken Verzekeringswezen, Groothandel en Vrije Beroepe, Slg. 1986,2375; EuGH Rs. C-330/ 91 The Queen gegen Inland Revenue Commissioners, ex parte Commerzbank, Slg. 1993,1-4017; EuGH Rs. 212/97 Centros Ltd. gegen Erhvervs- og Selskabsstyrelsen, Slg. 1999,1-1459. 886 Scheuer, Kommentar zu Art. 48, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Aufl, (2006), 738.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
ristischen Personen ohne Sitz in der Gemeinschaft zur Vcrfiigung. Im Hinblick auf Ietztere besteht das Erfordernis der Ansassigkeit nicht. 887
C. Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts
im Gemeinschaftsrecht 1. Einfiihrung
Das Erfordernis des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes erscheint fiir die Zwecke dieser Arbeit aus zweierlei Blickpunkten relevant: Zum einen ist dieses Erfordernis das wesentliche Untcrscheidungsmerkmal im Rahmen der Fallgruppe "Drittwirkung unter Privaten" zwischen der Rechtsprechung zu Art. 141 EG, welche nach Ansicht des EuGH auch auf ausschlieBlich interne Sachverhalte eines Mitgliedstaates anwendbar ist 888 auf der einen Seite, und der Rechtsprechung des EuGH zu der Dritrwirkung der iibrigen Grundfreiheiten auf der anderen Seite, in welcher das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachvcrhaltes sehr wohl gefordert wird. Zum zweiten so11- als Baustein einer Losung dieser Problematik - versucht werden, die Anforderungen an das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes zu untersuchen. Konsequenzen aus dem Erfordernis des VorIiegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes sollen im Rahmen der Schlussfolgerungen zu dies em Abschnitt vorgeschlagen werden. Die Notwendigkeit des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes wird in der Literatur iiberwiegend als negative Voraussetzung fur das Vorliegen von Inlanderdiskriminierung'"? angesprochen oder wiederum als Abgrenzungskriterium fiir die Rechtssetzungskompetenz der Gemeinschaft in mitgliedstaatliche Regelwerke einzugreifen.s?? thernatisiert, 887 Glaesner, Komrnentar zu Artikel 56 EG, in Schwarze (H g.) El.J-Kommenrar, 2. Auf!. (2009), 770 Rz . 18; jedo ch a. A .farass, Elemente einer Dogrnatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202, (208). 888 Vgl. das Fehlen jeglicher fakti scher Ankniipfungspunkte zu dem Recht eines anderen Mitgliedstaates in der Rechtssache Defrenne II: EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455. 889 Vgl. etwa Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen (1995), 33; Nic Shiubhne, Free Movement of Persons and the Wholly Internal Rule: Time to Move On?, CMLR2002, 731; Pickup, Reverse Discrimination and Freedom of Movement for Workers, CMLR 1986, 135. 890 Vgl. ebenfalls Nic Shiubhn e, Free Mo vement of Persons and the Wholly Internal Rule: Time to Mo ve On?, CMLR 2002,731 ; Cannizzaro, Producing »Reverse Discrimination" Through the Exercis e of EC Competences, YEL 1997,29; Poaires Maduro, The Scope of European Remedies: The Case of Purely Internal Situations and Reverse Discriminations, in Kilpatrick, Nivitz, Skidmore (H g.), The Future of Remedies in Europe, 117.
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
Im folgenden so11 der Status quo in Rechtsprechung und Lehre mit Bezug auf die Notwendigkeit des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes untersucht werden, urn eine Dbertragung der hL und der herrschenden Rechtsprechung mit Bezug auf die Drittwirkung der Grundrechte zu befiirworten oder eben zu kritisieren. Folgende Dberlegungen so11en in der Schlussfolgerung zu diesem Kapitel einem Losungsvorschlag zugefiihrt werden: Der grundrechtliche Gehalt des Art. 141 EG so11 zwar samtlichen Unionsbiirgern zugute kommen und bedarf daher keines grenziiberschreitenden Sachverhaltes - im Gegensatz zu moglicherweise bloB verdiinnt vorhandenen grundrechtlichen Elementen im Bereich der Grundfreiheiten, welche eben das Vorliegen eines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes erfordern und welche daher eben nicht der Drittwirkung fahig sein konnten, Andererseits lasst es das Erfordernis des grenziiberschreitenden Sachverhaltes - gemeinsam mit anderen Voraussetzungen, deren Konturen noch zu klaren sein werden - fiir wahrscheinlich erscheinen, dass eine Drittwirkung der Grundfreiheiten in einem noch zu determinierenden Ausmaf aufgrund des zahlenmaisig geringeren Anwendungsbereiches gerade nicht als Gefahr fur Rechtssicherheit und Rechtsfrieden wirken wiirden. Dieser Befund gewinnt an Substanz, wenn hohe Anforderungen an das Vorliegen eines gemeinschaftsspezifischen Sachverhaltes gemeinsam mit dem Nicht-Bestehen einer de minimis-Regel im Bereich der Grundfreiheiten''?' gedacht werden. Das Konzept eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes wird aus der Formulierung der jeweils anzuwendenden Grundfreiheit oder den a11gemeinen Vorschriften betreffend das Verbot von Diskriminierungen gefolgert. Das in Art. 12 EG enthaltene Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehorigkeit, welches seit der Rechtssache Phil Collins in unstreitiger Weise mit unmittelbarer Wirkung nach Ansicht des EuGH ausgestattet wurde 892 , verbietet Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit "bloB" im Anwendungsbereich des Vertrages - und dies "unbeschadet besonderer Bestimmun891 Vgl. dazu mwN EuGH Rs. C-112/00 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, SChluBantrag GA Jacobs, Slg. 2003, 1-5659, (1-5679). 892 EuGH Rs. C-92/92 und C-326/92 Phil Collins gegen Imtrat Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emmanuel Kraul gegen EM1 Electrola GmbH (im Folgenden: Phil Collins), Slg. 1993,1-5145 (1-5812): ,,[...J, dass Anikel7 Absatz 1 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass sich ein Urheber oder ausiibender Kiinstler eines Mitgliedstaates oder derjenige, der Rechte von ihm ableiter, vor dem nationalen Gericht unmittelbar auf das in dieser Vorschrift niedergelegte Diskriminierungsverbot berufen kann, urn Gewahrung des Schutzes zu verlangen, der den inlandischen Urhebern und ausubenden Kiinstlern vorbehalten ist." Vgl. auch EuGH Rs. C-184/99 Ruth Grzelczyk gegen Centre public d'aide sociale d'OttigniesLouvain-Ia-Neuve, Slg. 2001, 1-6193.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
gcn".89J Nach h. L. und Rechtsprechung ist der Verweis auf die besonderen Bestimmungen des Vertrages als lex specialis zum aIlgcmeinen Diskriminierungsverbot zu betrachten.f?' Das in Art. 13 EG norrnierte allgemeine Diskriminierungsverbots'" entfalret - eotgegen der Ansicht der Verfasserins?" - nach hL und Rechtsprechung keine unmittelbare Wirkung fur den Einzelnen. "? Daher kann auch diese Bestimmung nicht fur eine umfasscndere Ausgestaltung des Anwendungsbereiches des Vertrages herangezogen werden als im materieIlcn Anwendungsbereich der Grundfreiheiten vorgesehen. Die Notwendigkeit des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes wird primar - entsprechend der unten noch anzusprechendcn Systernatik des EG-Vertrages - aus der Formulierung der Tatbestande der Grundfreiheiten abge1eitet: Fur der Bereich des Freien Warenverkehrs enthalten sowohl Art.23 EG ("das Verbot, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzolle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben"), als auch Art. 28 EG ("MengenmaGige Einfuhrbeschrankungen sowie aIle MaGnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten") und Art. 29 EG ("MengenmaGige Ausfuhrbeschrankungen sowie aIle Malsnahmen gleicher Wirkung sind zwischen
893 D ie m. E. in deutlichen Worten auf die Notwendigkeit des Vorlieg ens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes verweisende Bestimmung lautet wie folgt: »Unbeschadet besonderer Bestimmungen diescs Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Grunden der Staarsangchorigkeit verboten. [...J" (H eruorhebung der Verfasserin) 894 Vgl. erwa Lenz, Kommentar zu Art. 12 EG-Vertrag, in Len z (Hg.), EU- und EG-Vertrag - Kommentar, 4. Auf!. 2006,268 (R z. 7); Holoubek, Kornmentar zu Art. 12 EGVertrag, in Schwarze (Hg.), EU-Kommentar 2. Auf!. (2009), 343 (Rz, 11). 895 D iese Bestimmung wiederum lautet in Art. 12 Abs . 1 EG-Vertrag wie folgt: »U nbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft iibertragenen Zustandigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhorung des Europaischen Parlarnents einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, urn Diskriminierungen aus Grunden des Geschlechts, der Rasse, der erhnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekampfen." Mit der Erlassung der Gleichbehandlungs-Richtlinie wurde der Rat der EG dem Auftrag des Verfassungsgesetzgebers im Rahmen der EU gerecht: Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.]uni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABI L 180/2000,22. 896 Lengauer, The new general principle of non-discrimination in the EC-Treaty as inserted by the Treaty of Amsterdam, ARIEL 1999,369; vorsichtig zu stimmend Holoubek, Kornmentar zu Art. 13 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg.) EU-Kommentar 2. Auf!. (2009), 366 (Rz. 8 ff). 897 Vgl. etwa Lenz, Kommentar zu Art. 13 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag - Kommentar, 4. Auf!. (2006), 278 (Rz. 24).
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
den Mitgliedstaaten verboten") das Erfordernis eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes. Fur den Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer sieht Art. 39 EG vor, dass die Freizugigkeit der Arbeitnehmer "innerhalb der Gemeinschaft" gewahrleistet sei. Die Voraussetzung des Vorliegens eines grenz.iiberschreitenden Sachverhaltes muss aus den einem Arbeitnehmer zustehenden Rechten, welche in Art. 39 Abs. 3 EG aufgezahlt werden, sowie in systematischer Interpretation gefolgert werden. Das Recht auf freie Niederlassung innerhalb der ED verbietet "Beschrankungen der freien Niederlassung von Staatsangebiirigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats". Die Freiheit der Dienstleistung erfordert ebenso das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes, denn Art. 49 EG verbietet "Beschrankungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft fur Angeborige
der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfdngers ansassig sind". Die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs verbietet in Art. 56 EG "aIle Beschrankungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Landern". In den nun folgenden Abschnitten soll der Frage nachgegangen werden, wie der in den oben angesprochenen Vorschriften erforderliche grenzuberschreitende Sachverhalt in der Rechtsprechung des EuGH ausgelegt wird. Die Systematisierung folgt jener der angesprochenen Grundfreiheiten; dies erscheint wesentlich fur die weitere Argumentation, da der grenzuberschreitende Sachverhalt sowohl einen Lebenssachverhalt den Regeln des EG-Vertrags unterstellt als auch eine - moglichst eindeutige - Zuordnung des angesprochenen Lebenssachverhaltes zu einer Grundfreiheit errnoglicht. 2. Anwendungsbereich des Vertrages und umgekehrte Diskriminierung: Zu der Problematik im Allgemeinen
2.1. Der Anwendungsbereich des EG-Vertrages In den Anwendungsbereich des Vertrages fallen jedenfalls zusatzlich solche Sachverhalte, die sich nicht unmittelbar unter die Grundfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht des EG-Vertrages subsumieren lassen: Der der Rechtssache Cowan 898 zugrunde liegende Sachverhalt weist blof mittelbar einen Ankniipfungspunkt zu den Bestimmungen iiber die Freiheit der Dienstleistung auf: Cowan, der in der Eigenschaft als britischer Staatsangehoriger Anspruch auf Entschadigung aus einem Uberfall von unbekannten Tatern vor der Commission d'indemnisation des victimes d'infractions erhob, er898 EuGH Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Slg. 1989, 195.
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
den Mitgliedstaaten verboten") das Erfordernis eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes. Fur den Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer sieht Art. 39 EG vor, dass die Freizugigkeit der Arbeitnehmer "innerhalb der Gemeinschaft" gewahrleistet sei. Die Voraussetzung des Vorliegens eines grenz.iiberschreitenden Sachverhaltes muss aus den einem Arbeitnehmer zustehenden Rechten, welche in Art. 39 Abs. 3 EG aufgezahlt werden, sowie in systematischer Interpretation gefolgert werden. Das Recht auf freie Niederlassung innerhalb der ED verbietet "Beschrankungen der freien Niederlassung von Staatsangebiirigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats". Die Freiheit der Dienstleistung erfordert ebenso das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes, denn Art. 49 EG verbietet "Beschrankungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft fur Angeborige
der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfdngers ansassig sind". Die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs verbietet in Art. 56 EG "aIle Beschrankungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Landern". In den nun folgenden Abschnitten soll der Frage nachgegangen werden, wie der in den oben angesprochenen Vorschriften erforderliche grenzuberschreitende Sachverhalt in der Rechtsprechung des EuGH ausgelegt wird. Die Systematisierung folgt jener der angesprochenen Grundfreiheiten; dies erscheint wesentlich fur die weitere Argumentation, da der grenzuberschreitende Sachverhalt sowohl einen Lebenssachverhalt den Regeln des EG-Vertrags unterstellt als auch eine - moglichst eindeutige - Zuordnung des angesprochenen Lebenssachverhaltes zu einer Grundfreiheit errnoglicht. 2. Anwendungsbereich des Vertrages und umgekehrte Diskriminierung: Zu der Problematik im Allgemeinen
2.1. Der Anwendungsbereich des EG-Vertrages In den Anwendungsbereich des Vertrages fallen jedenfalls zusatzlich solche Sachverhalte, die sich nicht unmittelbar unter die Grundfreiheiten oder das Wettbewerbsrecht des EG-Vertrages subsumieren lassen: Der der Rechtssache Cowan 898 zugrunde liegende Sachverhalt weist blof mittelbar einen Ankniipfungspunkt zu den Bestimmungen iiber die Freiheit der Dienstleistung auf: Cowan, der in der Eigenschaft als britischer Staatsangehoriger Anspruch auf Entschadigung aus einem Uberfall von unbekannten Tatern vor der Commission d'indemnisation des victimes d'infractions erhob, er898 EuGH Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Slg. 1989, 195.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
mangelte es an der gesetzlich erforderlichen franzosischen Staatsangehorigkeit fur die Erlangung der in dieser nationalen Vorschrift vorgesehenen Entschadigung. In Bezug auf die Frage nach dem Anwendungsbereich des von Cowan geltend gemachten Verbots der Diskriminierung anhand der Staatsangehorigkeit stellte der EuGH fest:
" A us dem in Artikel 7 EWG- Vertrag niedergelegten Verbot "jeder Diskriminierung aufgrund der Staatsangeborigkeit" folgt, dass Personen, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden, genausa behandelt werden rniissen, wie Angebiirige des betreffenden Mitgliedstaates. " 899 (Hervorhebung der Verfasserin) Der EuGH setzt fort, dass sich ein Dienstleisrungsempfanger in Bezug auf den Schutz von Leib und Leben in einem anderen Mitgliedstaat auf das Verbot der Diskrirninierung aufgrund der Staatsangehorigkeit berufen konne. 900 Aus der Rechtssache Cowan kann gefolgert werden, dass das Verbot einer auf Staats angehorigkeit beruhenden Diskriminierung auch dann anwendbar ist, wenn eine der Grundfreiheiten, in casu die Freiheit der Dienstleisrung in Anspruch genommen wird. Dieser Befund gilt auch dann, wenn der zu beurteilende Lebenssachverhalt auch nur mit der Ausiibung einer Grundfreiheit verkmipft ist, ohne ihrem materiellen Anwendungsbereich unterstellt werden zu konnen. Die Rechtssache Phil Collinst'" dehnte den Anwendungsbereich des EGVertrages jedoch iiber einen solchen Sachverhalt, der blof die Inanspruchnahme einer Grundfreiheit zum Gegenstand hat, hinaus aus: In der Rechtssache Phil Collins sah das deutsche Urheberrechtsgesetz (UrhG) fur auslandische ausiibende Kiinstler keine Moglichkeit vor, gegen eine ohne Erlaubnis vorgeno mm ene Vervielfaltigung ihrer Darbietungen augerhalb des Territoriums der BRD MaBnahmen zu ergreifen. 902
899 Eu G H Rs . 186/8 7 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Slg. 1989, 195, (219). 900 Eu G H Rs . 186/8 7 Ian William Cowa n gegen Tresor Public, Slg. 1989, 195 (219,221 ). 901 EuGH Rs. C-92 /92 und C-326/92 Phil Collins gegen Imtrat H andelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emmanuel Kraul gegen EMI Electrola GmbH (im Folgenden: Phil Collins), Slg. 1993,1-5145. 902 Vgl. Rs. C-92129 Phil Collins, Slg. 1993,1-5145 (1-5174): Nach den §§ 96 Absatz 1 und 125 Absatz 1 des deutschen Urheberrechtsgesetzes vom 9. September 1965 (UrhG) geniefsen ausiibende Kunstler, die die deutsche Staatsangehorigkeit besitzen, fur aile ihre Darbietungen den nach den §§ 73 bis 84 UrhG gewahrten Schutz, d. h., sie konnen insbesondere die Verbreitung derjenigen ihrer Darbietungen unters agen, die ohne ihre Einwilligung vervielfaltigt werden, und zwar gleichviel, wo die Darbietungen stattfinden. Dagegen ergibt sich aus den auslandische Kiin stler betreffenden Bestimmungen des § 125 Absatze 2 bis 6 UrhG, wie sie vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht ausgelegt worden sind, dass sich diese Kiinstler nicht auf § 96 Absatz 1 UrhG berufen konnen, wenn die Darbietung auBerhaib Deutschlands stattfand.
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
In seinem Urteil stellte der EuGH zunachst fest, dass das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte aufgrund ihrer Auswirkungen auf den innergerneinschaftlichen Austausch von Waren und Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallen. 903 Daher wiirden solche Rechte auch dern nunmehr in Art. 12 EG normierten Diskriminierungsverbot unterfallen."?' Das weiteren statuiert der EuGH, dass Art. 12 EG mit unmittelbarer Wirkung ausgestattet ist. 905 Der Anwendungsbereich des Vertrages ist daher weiter zu fassen und urnfasst auch solche Lebenssachverhalte, die nicht unter eine der Grundfreiheiten zu subsumieren sind. In den Rechtssachen Phil Collins und Saldanha 906 waren Kriterien von Belang wie Einflussmoglichkeiten der betroffenen Rechtsmaterie, in casu des Urheberrechts, auf die Grundfreiheiten und deren Inanspruchnahme durch die Burger der EU sowie eine allfallige (intensive) Gesetzgebung der EG auf dem angesprochenen Rechtsgebiet fur die Erfassung eines Lebenssachverhaltes durch den Anwendungsbereich des Vertrages. Im folgenden sollen zur besseren Abgrenzung die negativen Konturen des "Anwendungsbereiches des Vertrages" naher determiniert werden: Nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fallt laut Entscheidung in der Rechtssache Steent" ein Sachverhalt, der ausschlieiilich einen Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bundespost und einen ihrer Bediensteten betrifft; letzterer hatte niemals sein Recht auf Freizugigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeubt.t'" Nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallt desgleichen die blof 903 Zustimmend Schack, Urteilsanmerkung EuGH Rs. C-92/92 und C-326/92 Phil Collins gegen 1mtrat Handelsgesellschaft mbH und Patricia Irn- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emmanuel Kraul gegen EM1 Electrola GmbH (im Folgenden: Phil Collins), Slg. 1993, 1-5145; Flynn, Case Comment Joined Cases C-92/92 and C-326/92 Collins v. Imtrat Handelsgesellschaft mbH and Patricia 1m- Export Verwalrungsgesellschaft mbH v. EM1 Electrola GmbH, Judgment of the Full Court of 20 October 1993, CMLR 1995, 997; Kroger, Die Anwendung des Diskriminierungsverbots auf das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, EuZW 1994,85. 904 Vgl. auch EuGH Rs. C-122/96 Stephen Austin Saldanha und MTS Securities Corporation gegen Hiross Holdung AG, Slg. 1997,1-5325. 905 EuGH Rs. C-92/29 Phil Collins, Slg. 1993,1-5145 (1-5182): "Nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofes wird das in Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag verankerte Recht auf Gleichbehandlung unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehen. Dieses Recht kann daher vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden, urn von diesem zu verlangen, die diskriminierenden Vorschriften eines nationales Gesetzes, die den Angehorigen der anderen Mitgliedstaaten den Schutz versagen, den sie den Inlandern gewiihren." 906 EuGH Rs. C-122/96 Stephen Austin Saldanha und MTS Securities Corporation gegen Hiross Holdung AG, Slg. 1997,1-5325. 907 EuGH Rs. C-332/90 Volker Steen gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1992,1-353. 908 EuGH Rs. C-332/90 Volker Steen gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1992, 1-353: [... J "dass sich ein Staatsangehoriger eines Mitgliedstaates, der niemals das Recht auf Freizii-
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
hypotherische Ausiibung des Rechts auf Freizugigkeit, wenn iiber den Klager nach innerstaatlichen Regelungen cine Freiheitsstrafe verhangt wird.P ? 2.2. Umgekehrte Diskriminierung
Als Konsequenz und Kehrseite des Tatbestandes des "Anwendungsbereiches des Vertrages" stellt sich der Tatbestand der "u mgekehrt en Diskriminierung" oder Inlanderdiskriminierung dar. Da umgekehrte Diskriminierungen die notwendige Kehrseite des Anwendungsbereiches des Vertrages bilden, soIl im Folgenden eine blotS strukturelle Darstellung dieser komplexen Problematik versucht werden.'?" soweit sie fur die vorliegende Arbeit von Relevanz ist, Fur diese Arbeit wird der Begriff der "umgekehrten Diskriminierung" verwendet, da jener der "Inlanderdiskriminierung" bereits begrifflich auf eine Person Bezug nimmt.?!' Der Begriff der "umgekehrten Diskriminierung" wird fur jene Falle verwendet, in welchen Staatsangehorige cines Mitgliedstaates im Vergleich zu Unionsbiirgern schlechter gestellt bzw. benachteiligt werden. Eine Form der umgekehrten Diskriminierung ist, dass ein Staat gegentiber eigenen Staatsangehorigen bzw, inlandischen Tatigkeiten strengere Vorschriften anwendet als gegeniiber anderen Biirgern oder Tatigkeiten innerhalb der Union.? '? Von dieser Schlechterstellung konnen sowohl Giiter, die Aufnahme und Ausiibung cines Arbeitsverhaltnisses, die Ausiibung des Rechtes auf Niederlassung, Dienstleistungen als auch von diesen Staatsangehorigen ausgehender Kapital- und Zahlungsvcrkehr erfasst werden. Die Vielfalt der Formen umgekehrter Diskriminierung beruht auf der unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung und der parallelen Geltung - nicht jedoch Anwendung - verschiedener Rechtsnormen, die ihren Ursprung aus unterschiedlichen Regelungsebenen herleiren.?'?
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gigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgei.ibt hat, im Hinblick auf einen rein internen Sachverhalt nicht auf die Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag berufen kann. " EuGH Rs. C-299/95 Friedrich Krem zow gegen Republik Osterreich, Slg. 1997, 1-2629. Vgl. naher dazu Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen - Zulassigkeit und Grenzen der discrimination it reb ours nach europaischern Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht (1995); Burmester, Inlanderdiskriminierungen im Lichte gemeinschaftsrechtlicher Losungen (1994); Hammer], Inlanderdiskriminierung, Berlin (1997). Hier folgend Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen - Zul assigkeit und Grenzen der discrimination it rebours nach europaischern Gemeinschaftsrecht und nationalern Verfassungsrecht (1995), 33; A. A. Hammer], Inlanderdiskriminierung (1997), 53. Burmester, Inlanderdiskriminierungen im Lichte gemeinschaftsrechtlicher Losungen (1994). Epiney, Umgekehrte Di skriminierungcn - Zulassigkeit und Grenzen der discrimination it rebours nach europaischem Gemeinschaftsrecht und nat ionalem Verfassungsrecht (1995), 5.
Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
Der Ausgangspunkt der Rechtsfigur der Inlanderdiskriminierung findet sich in der Anwendung des EG-rechtlichen Gleichheitssatzes. Dieser schreibt die Gleichbehandlung von Unionsburgern im Vergleich zu Staatsangehorigen eines Mitgliedstaates und die Gleichbehandlung - in Anwendungsbereich der hier interessierenden Grundfreiheiten - von auslandischen Giitern, Arbeitnehmern, Dienstleistungen etc. und ihrer inlandischen Entsprechung vor. Wurde der Europaische Gleichheitssatz daher bloB direkte Diskriminierungen erfassen und damit eine blofse Beschrankung auf Inlandergleichbehandlung erfahren, wiirde auch die Rechtsfigur der umgekehrten Diskriminierung eine andere Struktur erhalten.?" Der judizielle Ausbau der Grundfreiheiten von einem bloiien Diskriminierungsverbot, welches direkte und indirekte Diskriminierungen erfasst, zu einem Beschrankungsverbot hat zur Folge, dass grenzuberschreitende Sachverhalte gegenuber rein inlandischen Sachverhalten insoweit bevorzugt werden, als diese den Binnenmarkt beschrankende nationale Regelungen keine Anwendung finden.v" Die Betroffenheit in Rechten des Einzelnen bzw. subjektiven Rechten hangt aufgrund des Regelungsbereiches der Grundfreiheiten davon ab, ob und in welchem Umfang Produkte, Dienstleistungen oder sonstige wirtschaftliche Leistungen eines Rechtssubjektes der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates unterworfen sind.?" Wahrend etwa Gurer, welche aufgrund des Beschrankungsverbotes der Dassonville- Formel diesen Beschrankungen auf dem Inlandsmarkt nicht unterworfen werden, unterliegen weiterhin im Inland auf den Markt gebrachte Giiter nationalen Regelungen.?'" Der EuGH erachtet sich fur nicht zustandig iiber das Vorliegen einer allfalligen umgekehrten Diskriminierung abzusprechen.P" Da die EG nach dem Prinzip der beschrankten Einzelerrnachtigung fur jeden Rechtsakt einer ausdrucklichen oder zumindest im Wege der Auslegung erschliefsbaren Rechtsgrundlage bedarf."!? konnen die Grundfreiheiten auch nur dann in der Recht914 Fur eine Systematisierung von Beispielsfallen aufgrund direkter und indirekter Diskriminierung vgl. Hammerl, Inlanderdiskriminierung (1997) 86ff. 915 Weifi, Gibt es eine EU-Inlanderdiskriminierung? - Zur Kollision von Gemeinschaftsrecht mit Welthandelsrecht und Assoziationsrecht, EuR 1999,499; fur eine weiterfuhrende Analyse vgl. Schilling, Gleichheitssatz und Inlanderdiskriminierung,]Z 1994, 8. 916 Hammerl, Inlanderdiskriminierung (1997), 53. 917 Fur zahlreiche Beispiele vgl. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen - Zulassigkeir und Grenzen der discrimination arebours nach europaischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht (1995), 41 ff; Burmeester, Inlanderdiskriminierungen im Lichte gemeinschaftsrechtlicher Losungen (1994), 26ff.; Vgl. auch Sachverhalt in EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810. 918 Vgl. statr vieler Bleckmann, Die umgekehrte Diskriminierung (discrimination a rebours) im EWG-Vertrag, RIW 1985,917 (921). 919 Kuhner, Rechtssetzung in der Europaischen Gemeinschaft (1997), 1; True, Das System
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
sprechung des EuGH Anwendung finden, wenn ein grenzuberschreitendes Element innerhalb des zu beurteilenden Sachverhalt vorliegt. Da das die Grundfreiheiten umspannende Konzept des Europaischen Binnenmarktes einen freien Austausch von Giitern, Personen, Dienstleistungen und Kapitalstromen verwirklichen soll, verbleibt eine erwaige Losung des Problems der umgekehrten Diskriminierung im Bereich des nationalen Rechtes der Mitgliedstaaten. 92o Mit dem Urteil in der Rechtssache Guimonti" wurde - neben der, wie unten zu zeigen sein wird, iiberaus weiten Interpretation des Begriffs des grenziiberschreitenden Sachverhaltes - die bisherige Rechtslage zu umgekehrter Diskriminierung entscheidend verandert: Das Fehlen eines grenzuberschreitenden Elementes habe nicht zur Folge, dass eine dem EuGH im Vorlageverfahren gestellte Frage nicht zu beantworten sei: Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts konne dann dem nationalen Gericht in einem anhangigen Verfahren zum Nutzen gereichen, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren vorschreibe, dass einem inlandischen Erzeuger die gleichen Rechte zustehen, die dem Erzeuger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehen wurden.?" Damit wird ausgesprochen, dass im Rahmen eines Vorlageverfahren einem nationalen Gericht zu antworten ist, wenn auch die einzige Verkniipfung von dem Lebenssachverhalt zu dem rechtlichen Erfordernis eines EG-rechtlich relevanten Sachverhaltes in einem nationalen Gesetz besteht. Der EuGH geht daher bei der Feststellung eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes in der Rechtssache Guimont von einer potentiellen Beeintrachtigung inlandischer Waren oder Erzeuger aus, namlich von dem Vorliegen einer umgekehrten Diskriminierung. Die nunmehr in der Rechtsprechung des EuGH eingeschlagene Linie, das Erfordernis des Vorliegens des grenziiberschreitenden Sachverhaltes stark zu
der Rechtssetzungskompetenzen der Europaischen Gemeinschaft und der Europaischen Union (2002), 68. 920 In der Lehre ist diese Rechtsprechung des EuGH auf vielfache Kritik gestofen: z. B. Cannizzaro, Producing "Reverse Discrimination" Through the Exercise of EC Competences, YEL 1997, 29, (41): Cannizzaro versucht, das Problem der umgekehrten Diskriminierung iiber die Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes zu bekampfen; Shuibne, Free Movement of Persons and The Wholly Internal Rule: Time to Move On?, CMLR 2002731, (766): Shuibne kniipft an das Institut der Unionsbiirgerschaft an und schlagt vor, das Erfordernis des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes fallen zu lassen; Poaires Madura, The Scope of European Remedies: The Case of Purely Internal Situations and Reverse Discrimination, in Klpatrick/Novitz/Skidmore (Hg.), The Future of Remedies in Europe (2000), 117 (118). 921 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegenJean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-10663. 922 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegen Jean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-10663, (1-10668).
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
verdiinnen, erscheint aus dem Blickpunkt des Prinzips der begrenzten Einzelerrnachtigung (Art.5 Abs.l EG) und insbesondere aus vertragssysternatischem Blickpunkt iiberaus problematisch: Auch wenn der EuGH umgekehrte Diskriminierungen dem nationalen Recht iiberlasst, so stellt eine Aussage zu den Erfordernissen des EG-Rechts eine Aussage tiber die Anwendung einer gegebenen Grundfreiheit ohne das Vorliegen eines Sachverhaltes dar, auf welchen diese anwendbar ware. Da jedoch fur die vorliegende Arbeit das Konzept des grenziiberschreitenden Sachverhaltes ohne an dies en angeschlossene Konstellationen umgekehrter Diskriminierung von Relevanz ist, soll im folgenden ein Uberblick iiber Stand von Lehre und Rechtsprechung in Bezug auf dieses Konzept im Anwendungs bereich der Grundfreiheiten gegeben werden. 3. Produktverkehrsfreiheiten 3.1. Freiheit des Warenverkehrs
Das Erfordernis des Vorliegens eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes fur den Bereich des freien Warenverkehrs soil anhand einiger Emscheidungen einer Definition naher gefuhrt werden; die zu besprechenden Urteile bzw, die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte erfiillen dieses Erfordernis gerade noch - oder aber gerade nicht mehr: In der Rechtssache Mathot 923 wird eine nationale Rechtsvorschrift, weIehe fur in Belgien hergestellte Butter eine Verpflichtung zur Angabe von Namen und Anschrift des Herstellers vorsieht, auf einen belgischen Hersteller von Butter angewendet. Die von dem nationalen Gericht relevierte Problemstellung ist eine soIehe der umgekehrten Diskriminierung, da das nationale Gericht nach der Anwendbarkeit von Art. 28 EG auf eine nationale Regelung fragt, die ausschlie61ich inlandische Produkte erfasst. Der EuGH halt hierzu fest:
"Artikel30 betrifft die Beseitigung von Hemmnissen fur die Einfuhr von Waren und soll nicht gesodhrleisten, dass Waren aus nationaler Produktion in jedem Fall genauso behandelt werden wie eingefuhrte Waren; eine Ungleichbehandlung von Waren, die nicht geeignet ist, die Einfuhr zu bebindem oder den Absatz eingefiihrter Waren zu erschweren, [dllt nicht unter das Verbot dieses Artikels."924 (Hervorhebung der Verfasserin). In der Rechtssache Mathot stellt der EuGH abschlieiiend fest, dass der von dem nationalen Gericht an ihn herangetragene Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallt. 925 923 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg, 1986, 810. 924 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Marhot, Slg. 1986, 810, (821). 925 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810, (823).
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages WIt ebenso in der Rechtssache Waterkeyn 926 folgender, ausschlielilich als innerstaatlich zu bewertender Sachverhalt: Eine Beschrankung und mittelbare Diskriminierung der Werbemoglichkeiten fur auslandische alkoholische Getranke, welche in einem Vertragsverletzungsverfahren gegeniiber Frankreich festgestellt wird, betrifft ausschlieiilich aus anderen Mitgliedstaaten eingefiihrte Erzeugnisse. Der EuGH erachter sich daher nicht fur zustandig, iiber die fur einheimische und aus dritten, nicht der Gemeinschaft zugehorigen Landern geltenden Vorschriften zu entscheiden.F? Der Rechtssache Pistre92 8 wiederum liegt folgende Sachverhaltskonstellation zugrunde: Eine gemeinschaftsrechtliche Verordnung zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen stehe nach Ansicht des vorlegenden nationalen Gerichts einer nationalen Regelung entgegen, die die Bezeichnung "montagne" einer Genehmigungsregelung unterwirft, In dem vor dem nationalen Gericht gefuhrten Strafverfahren werden jedoch ausschlielilich franzosische Staatsangehorige angeklagt, welche ihre Erzeugnisse in Frankreich herstellen und auch blof in diesem Mitgliedstaat vertreiben. Generalanwalt]acobs konstatiert in seinem Schlussantrag, dass der den vier Strafverfahren zugrunde liegende Sachverhalt sich auf das Inland beschranke und keine grenziiberschreitende Komponente aufweise, Ohne in diesem Stadium seiner Argumentation auf eine hypothetische Behinderung des freien Warenverkehrs einzugehen, stellt]acobs fest, dass der Gerichtshof in standiger Rechtsprechung eine Beantwortung von Fragen zu Art. 28 EG mit der Begrundung ablehne, die gestellten Fragen behandeln bloG einen innerstaatlichen Sachverhalt, wenn "die nationale Vorschrift ausschlielilich einheimische Erzeugnisse betrifft und unter keine Umstanden auf eingefiihrte Erzeugnisse angewendet werden kann. "929 In dem Urteil in der Rechtssache Pistre wird die Frage der Anwendbarkeit des Art. 28 EG jedoch seitens des EuGH bejaht; die Begriindung fur die Un926 EuGH Rs. 314 bis 316/81 und 83/82 Procureur de la Republique und Cornite national de la defense contre I' alcoolisme gegen Alex Waterkeyn und ande re; Procureur de la Republique gegenJean Cayard und andere, Slg. 1982,4337. 927 EuGH Rs. 314 bis 316/81 und 83/82 Procureur de la Republique und Cornite national de la defense contre l'alcoolismc gegen Alex Waterkeyn und andere; Procureur de la Republique gegenJean Cayard und andere, Slg. 1982,4337, (4360). 928 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94 , C-323/94 und C-324/94, Strafv erfahren gegenJacques Pistre u. a., Slg. 1997,1 -2343. 929 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Strafv erfahren gegenJacques Pistre u. a., Schlussantrag GAJacobs, Sig 1997,1-2343,1-2356. Jacobs raumt jedoch ein, dass baufig Erzeugnisse aus Bestandteilen aus anderen Mitgliedstaaten zusamrnenzubauen sind. Eine Zusammenstellung der fraglichen Erzeugnisscs erfolge in einem einzigen Mitgliedstaat. Eine derartigc Sachverhaltskonstellation konne sich durchaus im Anwendungsbereich des Art. 28 EG befinden.
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
verdiinnen, erscheint aus dem Blickpunkt des Prinzips der begrenzten Einzelerrnachtigung (Art.5 Abs.l EG) und insbesondere aus vertragssysternatischem Blickpunkt iiberaus problematisch: Auch wenn der EuGH umgekehrte Diskriminierungen dem nationalen Recht iiberlasst, so stellt eine Aussage zu den Erfordernissen des EG-Rechts eine Aussage tiber die Anwendung einer gegebenen Grundfreiheit ohne das Vorliegen eines Sachverhaltes dar, auf welchen diese anwendbar ware. Da jedoch fur die vorliegende Arbeit das Konzept des grenziiberschreitenden Sachverhaltes ohne an dies en angeschlossene Konstellationen umgekehrter Diskriminierung von Relevanz ist, soll im folgenden ein Uberblick iiber Stand von Lehre und Rechtsprechung in Bezug auf dieses Konzept im Anwendungs bereich der Grundfreiheiten gegeben werden. 3. Produktverkehrsfreiheiten 3.1. Freiheit des Warenverkehrs
Das Erfordernis des Vorliegens eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes fur den Bereich des freien Warenverkehrs soil anhand einiger Emscheidungen einer Definition naher gefuhrt werden; die zu besprechenden Urteile bzw, die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte erfiillen dieses Erfordernis gerade noch - oder aber gerade nicht mehr: In der Rechtssache Mathot 923 wird eine nationale Rechtsvorschrift, weIehe fur in Belgien hergestellte Butter eine Verpflichtung zur Angabe von Namen und Anschrift des Herstellers vorsieht, auf einen belgischen Hersteller von Butter angewendet. Die von dem nationalen Gericht relevierte Problemstellung ist eine soIehe der umgekehrten Diskriminierung, da das nationale Gericht nach der Anwendbarkeit von Art. 28 EG auf eine nationale Regelung fragt, die ausschlie61ich inlandische Produkte erfasst. Der EuGH halt hierzu fest:
"Artikel30 betrifft die Beseitigung von Hemmnissen fur die Einfuhr von Waren und soll nicht gesodhrleisten, dass Waren aus nationaler Produktion in jedem Fall genauso behandelt werden wie eingefuhrte Waren; eine Ungleichbehandlung von Waren, die nicht geeignet ist, die Einfuhr zu bebindem oder den Absatz eingefiihrter Waren zu erschweren, [dllt nicht unter das Verbot dieses Artikels."924 (Hervorhebung der Verfasserin). In der Rechtssache Mathot stellt der EuGH abschlieiiend fest, dass der von dem nationalen Gericht an ihn herangetragene Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallt. 925 923 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg, 1986, 810. 924 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Marhot, Slg. 1986, 810, (821). 925 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810, (823).
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages WIt ebenso in der Rechtssache Waterkeyn 926 folgender, ausschlielilich als innerstaatlich zu bewertender Sachverhalt: Eine Beschrankung und mittelbare Diskriminierung der Werbemoglichkeiten fur auslandische alkoholische Getranke, welche in einem Vertragsverletzungsverfahren gegeniiber Frankreich festgestellt wird, betrifft ausschlieiilich aus anderen Mitgliedstaaten eingefiihrte Erzeugnisse. Der EuGH erachter sich daher nicht fur zustandig, iiber die fur einheimische und aus dritten, nicht der Gemeinschaft zugehorigen Landern geltenden Vorschriften zu entscheiden.F? Der Rechtssache Pistre92 8 wiederum liegt folgende Sachverhaltskonstellation zugrunde: Eine gemeinschaftsrechtliche Verordnung zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen stehe nach Ansicht des vorlegenden nationalen Gerichts einer nationalen Regelung entgegen, die die Bezeichnung "montagne" einer Genehmigungsregelung unterwirft, In dem vor dem nationalen Gericht gefuhrten Strafverfahren werden jedoch ausschlielilich franzosische Staatsangehorige angeklagt, welche ihre Erzeugnisse in Frankreich herstellen und auch blof in diesem Mitgliedstaat vertreiben. Generalanwalt]acobs konstatiert in seinem Schlussantrag, dass der den vier Strafverfahren zugrunde liegende Sachverhalt sich auf das Inland beschranke und keine grenziiberschreitende Komponente aufweise, Ohne in diesem Stadium seiner Argumentation auf eine hypothetische Behinderung des freien Warenverkehrs einzugehen, stellt]acobs fest, dass der Gerichtshof in standiger Rechtsprechung eine Beantwortung von Fragen zu Art. 28 EG mit der Begrundung ablehne, die gestellten Fragen behandeln bloG einen innerstaatlichen Sachverhalt, wenn "die nationale Vorschrift ausschlielilich einheimische Erzeugnisse betrifft und unter keine Umstanden auf eingefiihrte Erzeugnisse angewendet werden kann. "929 In dem Urteil in der Rechtssache Pistre wird die Frage der Anwendbarkeit des Art. 28 EG jedoch seitens des EuGH bejaht; die Begriindung fur die Un926 EuGH Rs. 314 bis 316/81 und 83/82 Procureur de la Republique und Cornite national de la defense contre I' alcoolisme gegen Alex Waterkeyn und ande re; Procureur de la Republique gegenJean Cayard und andere, Slg. 1982,4337. 927 EuGH Rs. 314 bis 316/81 und 83/82 Procureur de la Republique und Cornite national de la defense contre l'alcoolismc gegen Alex Waterkeyn und andere; Procureur de la Republique gegenJean Cayard und andere, Slg. 1982,4337, (4360). 928 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94 , C-323/94 und C-324/94, Strafv erfahren gegenJacques Pistre u. a., Slg. 1997,1 -2343. 929 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Strafv erfahren gegenJacques Pistre u. a., Schlussantrag GAJacobs, Sig 1997,1-2343,1-2356. Jacobs raumt jedoch ein, dass baufig Erzeugnisse aus Bestandteilen aus anderen Mitgliedstaaten zusamrnenzubauen sind. Eine Zusammenstellung der fraglichen Erzeugnisscs erfolge in einem einzigen Mitgliedstaat. Eine derartigc Sachverhaltskonstellation konne sich durchaus im Anwendungsbereich des Art. 28 EG befinden.
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
terwerfung der nationalen Regelung unter den Anwendungsbereich des Art.28 EG weist gewichtige Parallelen zu dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Mathot 930 auf:
"Zwar wird die Anwendung einer nationalen Mafinahme, die nicht in einem Zusammenhang mit der Wareneinfuhr steht, nicht von Artikel30 erfasst, doch scheidet die Priifung einer derartigen Bestimmung nicht schon deshalb aus, weil keines der Elemente des bei dem nationalen Gericht anbdngigen konkreten Falles iiber die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaats hinausweist. (Hervorhebung der Verf.) Auch in einer solchen Lage kann sich ndmlicb die Anwendung der nationalen Mafinahme auf den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten auswirken, und zwar insbesondere dann, wenn die fragliche Mafinahme den Vertrieb von Waren inldndiscben Ursprungs zum Nachteil eingefiihrter Waren begiinstigt. Unter solchen Umstanden wird durch die blofie Anwendung der Mafinahme, auch wenn sie aufinlandiscbe Hersteller bescbriinletist, eine Ungleichbehandlung zwischen den potentiellen Warengruppen geschaf!en und aufrechterhalten, die zumindest potentiell den innergemeinschaftlichen Handel behindert. "931 (Hervorhebung der Verfasserin). Wiihrencl in dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Pistre eine Uberprufung der fraglichen nationalen Regelung anhand der Vorschriften uber den freien Warenverkehr erfolgt, weil zumindest eine potentielle Beeintrachtigung von Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten moglich erscheint, wird in den Rechtssachen Oostheok's932 und Oebel933 weitergehend eine bloG potentielle Beeintrachtigung des freien Warenverkehrs als ausreichend fur das Vorliegen eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes gewertet. In der Rechtssache Guimontir' geht der EuGH in der Beurteilung des zugrundeliegenden Sachverhaltes wiederum einen Schritt weiter; wahrend des Verfahrens wird namlich sowohl seitens der prozessfiihrenden Parteien als auch seitens der am Verfahren beteiligten Regierungen aulser Streit gestellt, class der zugrunde liegende Sachverhalt mit keinem Element iiber die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweist.?'"
930 EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810, 821. 931 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Strafverfahren gegenJacques Pistre u. a., Slg. 1997,1-2343,1-2374. 932 EuGH Rs. 286/81 Strafverfahren gegen Oosthoek's Uitgeversmaatschappij BV, Slg. 1982,4575. 933 EuGH Rs. 155/80 BuBgeldverfahren gegen Sergius Oebel, Slg. 1981, 1993. 934 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegenJean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-1066. 935 Hierbei handelt es sich urn eine nationale Etikettierungsvorschrift fur Kase, gegen die durch den Angeklagten und das von ihm geleitete Unternehmen verstoisen wurde.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Der EuGH stellt zunachst unter Berufung auf die Urteile in Oosthoek's936 und Mathot 937 fest, dass eine unterschiedslos anwendbare Vorschrift bloB dann an Art. 28 EG zu messen sei, wenn der zugrunde liegende Lebenssachverhalt einen Bezug zur Einfuhr von Waren im innergemeinschaftlichen Handel aufweist. 938 Das Fehlen eines solchen Bezugs harte jedoch nicht zur Folge, dass die dem EuGH gestellte Frage nicht zu beantworten sei:
,,1m vorliegenden Fall ist nicht offenkundig, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts fur das nationale Gericht nicht erforderlich ware. Eine Antwort konnte ihm ndmlich dann von Nutzen sein, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren der vorliegenden Art vorschriebe, dass einem inldndischen Erzeuger die gleichen Rechte zustehen, die dem Erzeuger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrecht zustiinden. "939 Der EuGH geht daher bei der Feststellung eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes in der Rechtssache Guimont von einer potentiellen Beeintrachtigung inlandischer Waren oder Erzeuger aus, namlich von dem moglichen Vorliegen einer umgekehrten Diskriminierung. Der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt wird dabei aus dem Blickfeld geschoben, denn nahezu jede den freien Warenverkehr regelnde nationale Bestimmung weist das Potential aufso sie iiberhaupt auf importierte Waren und deren Erzeuger anwendbar ist zu einer umgekehrten Diskriminierung zu fuhren. In den Rechtssachen Smanor 940 sowie TK-Heimdienst Sass941 wird auf Grundlage eines ausschlielilich auf das Inland beschrankten Sachverhaltes die in Frage stehende nationale Regelung einer Prufung der Kornpatibilitat mit den Vorschriften iiber den freien Warenverkehr unterzogen: Der der Rechtssache Smanor zugrunde liegende Sachverhalt betrifft ein franzosisches Verbot der Bezeichnung von tiefgefrorenem ]oghurt als ,,]oghurt"; mit dem Verbot der Bezeichnung von tiefgefrorenem ]oghurt als ,,]oghurt" geht ein Verbot der Vermarktung solche Erzeugnisse unter dieser Bezeichnung einher. Der franzosischen Gesellschaft Smanor SA war aufgetragen worden, fiir ihre Erzeugnisse die Bezeichnung "tiefgefrorene fermentierte Milch" zu verwenden.
936 EuGH Rs. 286/81 Strafverfahren gegen Oosthoek's Uitgeversmaatschappij BV, Slg. 1982,4575. 937 EuGH Rs, 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810. 938 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegenJean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-10663. 939 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegen Jean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-10663, (1-10668). 940 EuGH Rs. 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988, 4489. 941 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000, 1-151.
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
In seinem Urteil releviert der EuGH das Problem der umgekehrten Diskriminierung.r'? welches wohl der Vorlage des nationalen Gerichtes zugrunde liegt, halt jedoch fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichtes sei, anhand des Sachverhaltes sowie des bei ihm anhangigen Rechtsstreites zu beurteilen, ob eine Entscheidung des EuGH fur die Erlassung seines Urteils erforderlich sei. 943 Unmittelbar im Anschluss an diese einleitende Formel schreitet der EuGH zu einer Priifung der in Frage stehenden nationalen Regelung anhand der Dassanville-Formel, urn schliefslich zu einer mittelbaren Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten durch das Verbot der Verwendung dieser Bezeichnung zu gelangen.?" Die Rechtssache TK-Heimdienst Sass945 betrifft das zu dem damaligen Zeitpunkt bestehende osterreichische Verbot des Feilbietens im Umherziehen ohne die Unterhaltung einer ortsfesten Betriebsstatte auf dem Gebiet einer Gemeinde oder in einer angrenzenden Gemeinde. Wahrend an dem zugrundeliegenden Sachverhalt ein osterreichisches Unternehmen mit Hauptsitz in Osterreich sowie eine osterreichische Regelung erfasst sind, wird in dem U rteil des EuGH anhand der Keck-Formel erwogen, ob diese Regelung in- und auslandische Waren in gleicher Weise betreffe.?" In seinem Urteil TK-Heimdienst Sass947 nimmt der EuGH in keiner Weise zu dem Vorliegen oder Nichtvorliegen eines grenzuberschreitenden Sachver-
942 Der EuGH halt an dieser Stelle fest: "Aus den unbestrittenen Augerungen der Kommission geht jedoch hervor, dass tiefgefrorener ]oghurt unter dieser Bezeichnung in anderen Mitgliedstaaten rechtmaisig hergestellt und vermarktet wird; deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass dieses Erzeugnis nach Frankreich eingefiihrt wird.", EuGH Rs, 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988,4489, (4510). Der EuGH gibt in seinem Urteil auch jenen Teil der Begriindung des vorlegenden Gerichts fur die Vorlagefragen wieder, dass namlich die Zahlungsschwierigkeiten der Smanor SA auf das Verbot der Fiihrung der Bezeichnung ,,]oghurt" fiir ihre Erzeugnisse zuruckzufiihren sei. 943 Die von dem EuGH wiederholt zur Einleitung einer Erwagung im Hinblick auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes angefiihrte Formellautet wie folgt: " [...J ist auf die standige Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, der zufolge es nach dem System des Artikels 177 EWG-Vertrag Sache des innerstaatlichen Gerichts ist, anhand des Sachverhalts, der dem bei ihm anhangigen Rechtsstreit zugrunde liegt, zu beurteilen, ob eine Entscheidung iiber die dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen erforderlich ist.", EuGH Rs. 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988, 4489, (4510). 944 EuGH Rs. 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988, 4489, (4510). 945 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000,1-151. 946 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000, 1-151, (I-164). 947 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000, 1-151.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
haltes Stellung, wiewohl eine solche Stellungnahme im Hinblick auf den ausschliefslich inlandischen Sachvcrhalt, der dem Rechtsstreit vor dem EuGH zugrunde liegt, rnoglich und angebracht erscheint.?" Irn Rahmen der Analyse des Konzepts eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes fallt zunachst auf, dass der EuGH zeitgleich mit der Frage des grenziiberschreitenden Sacherverhaltes bisweilen zu einer Priifung der relevierten Malinahme anhand von Elementen oder Bruchstiicken der Dassonville-Formel schreitet, So wird eine Malinahme daran gepriift, ob sie geeignet sei, "die Einfuhr zu behindern oder den Absatz eingejiihrter Waren zu erschweren", oder "zumindest potentiell den innergemeinschaftlichen Handel bebindert"?" , Mit der Judikaturwende in der Rechtssache Keck und MithouarJ950 wird hiiufig das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes anhand einer bl06 potentiellen Behinderung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs angenommen. Eine derartige Vorgangsweise nimmt eine allfallige Subsurnption der angegriffenen Malinahme unter den Tatbestand der Dassonville-Formel bereits vorweg und vermengt unterschiedliche Ebenen der Priifung einer Beeintrachtigung des freien Warenverkehrs; damit wird namlich zugleich eine eigenstandige Priifung der Kriterien der Dassonville-Formel vorweggenommen und beeintrachtigt, denn diese erfolgt durchwegs gemeinsam mit der Priifung des Vorliegens cines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes. In standiger Rechtsprechung des EuGH wird somit durch die in der Dassonville-Formel enthaltene Potenzialitat der materielle Anwendungsbereich der Grundfreiheiten - in casu der Freiheit des Warenverkehrs - auf solche Sachverhalte ausgeweitet, die keinen Sachverhaltsbezug iiber die Grenze eines Mitgliedstaates aufweisen. 3.2. Freiheit der Dienstleistung
Der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ratione materiae ist fur den Bereich der Dienstleistungsfreiheit - bereits aufgrund des Begriffes einer Dienstleistung't" - ungewohnlich weit: Wahrend das Kriterium des grenziiberschreitenden Sachverhaltcs fiir die aktive und passive Dienstleistungsfreiheit 952 eindeutige Ankniipfungselemente zeitigt, so weist der weite Bereich der 948 Gundel, Urteilsanmerkung "EuGH Rs, C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH", EuZW 2000, 311; a.A. Spaventa, Case Comment, Case C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb v. TKHeimdienst Sass GmbH, Judgment of 13 January 2000, nyr, CMLR 2000,1265 (1272). 949 Vgl. unten S. 337ff. 950 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Sig. 1993,1-6097. 951 Hakenberg, Kommentar zu Art. 49150 EG-Vertrag, in Lenz (Hg .), EU- und EG-Vertrag - Kommentar, 4. Aufl . (2006), 749 ff. 952 Vgl. erwa EuGH Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Slg. 1989, 195.
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
Korrespondenzdienstleistungsfreiheit nicht blof Probleme der Kategorisierung, sondern auch solche der Einordnung eines Lebenssachverhaltes unter den Begriff des grenzuberscbreitenden Sachverhaltes. Unter Korrespondenzdienstleistungen fallen etwa die Erbringung von Beforderungsleistungen, jede Form der Uberschreitung der Grenze durch die Leistung selbst, telefonische Kundenwerbung sowie Rundfunk und Fernsehen.F" Aufgrund der heterogenen Natur der umfassten Leistungen sollen an dieser Stelle blof drei Bemerkungen fur den Fortgang dieser Arbeit getatigt werden: Die exakte Zuordnung einer Dienstleistung zu einer der drei oben genannten Kategorien erscheint im Einzelfall nicht erforderlich.?" Allerdings folgt hieraus, dass haufig nicht eruiert werden kann, von wem die Grenzuberschreirung, sei es in persona, sei es via Korrespondenzdienstleistung, ausgeht. Bereits das Anbieten einer Dienstleistung iiber die Grenze an einen unbestimmten Abnehmerkreis erfiillt daher den geforderten Tatbestand eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes.?" Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Mary Carpentert'" ordnet dem Begriff des grenzuberschreitenden Sachverhaltes in weiter Interpretation einen Lebenssachverhalt, der in hochst peripherer Weise die grenzuberschreitende Ausubung der Dienstleistungsfreiheit beriihrt: Die Klagerin, Frau Mary Carpenter, beruft sich auf Art. 49 EG, urn fur sich ein Aufenthaltsrecht im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Ehepaares Carpenter, im Vereinigten Konigreich, sowie in samtlichen anderen Mitgliedstaaten der EG zu begrunden. Frau Mary Carpenter ist Drittstaatsangehorige. Ihr Ehemann betreibt ein Unternehmen, das Werbeflachen in medizinischen und wissenschaftlichen Zeitschriften verkauft und den Herstellern dieser Zeitschriften verschiedene Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Publikation dieser Einschaltungen anbietet. Die Klagerin behauptet eine Einschrankung der Berufstatigkeit ihres Ehemannes; der hier vorliegende Sachverhalt habe nicht bloB innerstaat-
953 Hakenberg, Kommentar zu Art. 49/50 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag - Kommentar, 4. Auf!. (2006), 749ff. 954 Hakenberg, Kommentar zu Art. 49/50 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag - Kommentar, 4. Auf!. (2006), 749ff. 955 EuGH Rs. 352/85 Bond van Adverteerders und andere gegen NiederIandischer Staat, Slg. 1988,2085; EuGH Rs. C-384/93 Alpine Investments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995,1-1141: "Die Anwendbarkeit der Vorschriften tiber den freien Dienstleistungsverkehr kann demnach nicht von der vorherigen Existenz eines bestimmten Empfangers abhangig gemacht werden." 956 EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305; vgl. auch die zu diesem Problemkreis ergangene Folgerechtsprechung: EuGH Rs. C-291/05 Minister voor Vreemdelingenzaken en Integratie gegen R.N.G. Eind, Slg. 2007, 1-10719; EuGH Rs. C- 127/08 Blaise Baheten Metock und andere gegen Minister for Justice, Equality and Law Reform, Slg. 2008, 1-6241.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
lich en Charakter, da Herr Carpenter Dienstleistungen im gesamten Binnenmarkt erbringe. Die Entscheidung des EuGH bezieht diesen Lebenssachverhalt in den Anwendungsbereich ratione materiae der Freiheit der Dienstleistung ein. Unter Berufung auf die Rechtssache Alpine Inoestmentsv ? wird zunachst ausgesagt, dass sich ein Dienstleistungserbringer gegeniiber dem Mitgliedstaat, in welchern er ansassig ist, auf die Freiheit der Dienstleistung berufen konne, sofern er Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedsraat bloB anbietet oder sagar erbringt. Zusatzlich wird an dieser Stelle der Argumentation ein teleologisches Argument grundrechtlichen Charakters eingebracht: Die Freiheiten der Niederlassung und der Dienstleistung zielen auf die Aufhebung der Reise- und Aufenrh altsbeschr ankungen innerhalb der Gemeinschaft fur Staatsangehorige der Mitgliedstaaten ab. 958 Da nach Ansicht des EuGH die Richtlinie 73/148/EWG959zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen von Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten auf diesen Sachverhalt nicht anwendbar ist,960 ist nicht, wie von Generalanwaltin Stix-Hackl vorgeschlagen, die oben genannte Richtlinie im Sinne der Grundrechte auf wirtschaftliche Mobilitat auszulegen, sondern die geltend gemachte Grundfreiheit in Art. 49 EG selbst: Es steht fest, dass die Trennung der Eheleute Carpenter sich nachteilig auf ihr Familienleben und damit auf die Bedingungen auswirken wiirde, unter dencn Herr Carpenter eine Grundfreiheit wahrnehmen konne, Diese Freiheit konne namlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn Herr Carpenter von ihrer Inanspruchnahme durch Hindernisse abgehalten wiirde, die in seinem Herkunftsland fur die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestiinden.
957 EuGH Rs. C-384/93 Alpine In vestments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995, 1-1167. 958 EuGH Rs. C-60 /00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (1-6318). 959 Richtlinie 73/148 des Rates vorn 21.Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen fur Staatsangehorige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gerneinschaft auf dem Gebiet der Nicdcrlassung und des Dienstleistungsverkehrs, ABI L. 172 (1973), 14. Diese Richtlinie regelt in ihrem Art. 2 die Ausreise von gem. Art. 1 dieser Richtlinie mit Staatsangehorigcn der Mitgliedstaaten verheirateten oder verwandten Drittstaatsangehorigen und gewahrt diesen ein Aufenthaltsrecht in den iibrigen Mitgliedstaaten. Die angesprochene Richtlinie gewahrt diesem Personenkreis jedoch kein Aufenthaltsrecht in dem Herkunftsmitgliedstaat: vgl. EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretar y of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (1-6318). 960 So aber EuGH Rs. C-60/00 Mar y Carpenter gegen Secretary of State for the Home De partment, Schlussantrag GA Stix-Hackl, Slg. 2002, 1-6305, (1-6304). Diese sei nach Ansicht der Generalanwaltin im Lichte des Grundrechtes der Achtung des Familienlebens auszulegen.
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
Zusatzlich sei im Allgemeinen darauf hinzuweisen, dass sich ein Mitgliedstaat nur dann auf Griinde des Allgemeininteresses berufen kann, urn eine innerstaatliche Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausiibung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, wenn diese Regelung mit den Grundrechten, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, im Einklang steht."" Die Auslegung, die der EuGH dem grenziiberschreitenden Sachverhalt in der Rechtssache Carpenter verleiht, ist erneut eine uberaus weite: Die Ausiibung der Dienstleistungsfreiheit durch Herrn Carpenter selbst wird durch die staatliche Mafsnahme, namlich die Ausweisung von Frau Carpenter, in keiner Weise beschrankt oder behindert.Pf Die Ausweisung von Frau Carpenter wurde - im Sinne eines ausschlielilich inlandischen Sachverhaltes gedacht Herrn Carpenter zuvorderst bei der Ausiibung der Dienstleistungsfreiheit im Herkunftsmitgliedstaat selbst behindern.Y' Die in Einem vorgenommene Prufung des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes und des Vorliegens einer Beschrankung der Freiheit der Dienstleistung weist darauf hin, dass die Beeintrachtigung des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens - als Gemeinschaftsgrundrecht - den Gemeinschaftsbezug zu der Freiheit der Dienstleistung erst herstellt. Die Prufung der Ausweisung von Frau Carpenter an den Erfordernissen dieses Grundrechts erfolgt in Verbindung mit der Priifung der von Herrn Carpenter unmittelbar aus Art. 49 EG abgeleiteten Rechten.P'" Es kann daher gefolgert werden, dass die Beeintrachtigung eines Grundrechts fur die Erweiterung des Anwendungsbereiches ratione materiae einer Grundfreiheit dienstbar gemacht wird. Schlielilich wird in der iiberwiegenden Rechtsprechung und Lehre eine weite Auslegung des grenzuberschreitenden Sachverhaltes in Orientierung am Bild des Gemeinsamen Marktes im Bereich der Freiheit der Dienstleistung postuliert.P> Der Begriff des grenziiberschreitenden Sachverhaltes im Bereich der Freiheit der Dienstleistung wird seitens des EuGH jedoch bisweilen auch enger 961 EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (1-6321). 962 So auch Putb, Die unendliche Weite der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, EuR 2002, 860, (867). 963 Eine Behinderung des Herrn Carpenter in der Ausiibung der Dienstleistungsfreiheit liegt gerade im Bereich des faktischen Verhaltens von Mary Carpenter: Mager, Anmerkungzu "Carpenter",]Z2003, 202, (206). 964 Mager, Anmerkung zu "Carpenter",]Z2003, 202, (206). 965 "Eine Abgrenzung des materiellen Geltungsbereichs muss sich orientieren an dem Bild eines gemeinsamen Marktes, in dem samtliche wirtschaftlichen Betiitigungen innerhalb der Gemeinschaft von allen Beschriinkungen aus Grunden der Staatsangehorigkeit oder des Wohnsitzes befreit sind.", EuGH Rs. 186/87 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Schlussantrag GA Lenz, Slg. 1989, 195, (205).
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
ausgelegt: In der Rechtssache Sodernaret": vert reten die Klager die Ansicht, das Anbieten von Dienstleistungen mit Beherbergungscharakter in Altersheimen an Angehorige anderer Mirgliedstaaten erfulle die Bedingungen fur das Vorliegen eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes. Der EuGH betont in seiner Entscheidung hingegen den Auslandsbezug, der im Rahmen der aktiven und der passiven Dienstleistung vorliegen miisse:
"Ein Unternebrnen kann sich gegeniiber dem Staat, in dem es seinen Sitz hat, auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen, sofem die Leistungen an Leistungsempjdnger erbracht werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansdssig sind. [. . .j Hingegen erfassen diese Bestimmungen den Angeborigen eines Mitgliedstaates nicht, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort fur unbestimmte Zeit Dienstleistungen zu empfangen. Denn diese Bestimmungen finden auf Tdtigkeiten ohne jeden Auslandsbezug keine Anwendung."967 (Hervorhebung der Verfasserin) Aus der oben zitierten Schlussfolgerung des EuGH mussen zwei Punkte herausgehoben werden: Zum Einen wird in dem obigen Urteil auf den tatsachlichen Wohnsitz des Dienstleisrungsempfangers fur die Begriindung des Auslandsbezugs der Dienstleistung abgestellt. Die Staatsangehorigkeit des Dicnstleistungsernpfangers tritt in der den Urteilsspruch begriindenden Schlussfolgerung in den Hintergrund. Zum Anderen werden als Prajudizien zu der Entscheidung in Sodemare die Rechtssachen Debauve 968 und Mecotron t'" angefiihrt.?" Diese Entscheidungen betonen jedoch, dass die Vcrtragsbestimmungen iiber den freien Dienstlcistungsverkehr dann nicht anwendbar seien, wenn sdmtlicbe wesentlichen Elemente eines Lebenssachverhaltes nichr uber die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen. Ob dies der Fall sei, hange nach Ansicht des EuGH von den Feststellungen des innerstaatlichen Gerichtes ab. 971 966 EuGH Rs. C-70 /95 Sodemare S.A. u. a. gegen Regione Lornb ardia, Sig. 1997, 1-3395. 967 EuGH Rs. C-70/95 Sodemare S.A. u. a. gegen Regione Lombardia, Sig. 1997, 1-3395, (1-3436). Der EuGH folgert, dass Staatsangehorige aus andercn Mitgliedstaaten in den Wohnheimcn der Kliigerin Dicnstlcisrungen auf unbestimmte Zeit cmgcgennehmcn. So auch EuGH Rs. 196/87 Udo Steymann gegen Staatssecretaris vanjustitie, Sig. 1988,6159. 968 EuGH Rs. 52/79, Strafverfahrcn gcgcn Marc].v.c. Debauvc und andere, Sig. 1980,833. 969 EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hofner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Sig. 1991, 1-1979. 970 EuGH Rs. C-70 /95 Sodemare S.A. u. a. gegen Regione Lombardia, Sig. 1997, 1-3395, (1-3436). 971 EuGH Rs. 52/79, Strafverfahren gegen Marc ].V.c. Debauve und andere, Sig. 1980,833, (855). In der Rechrssache Debauve wird das Ausstrahlen auslindischer Sendungen durch einen belgischen Kabelfernsehbetreiber in Teilen Belgiens als grenziiberschrei-
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
In der Rechtssache Debauve wird das Ausstrahlen auslandischer Sendungen durch einen belgischen Kabelfernsehbetreiber in Teilen Belgiens als grenziiberschreitender Sachverhalt gewertet. Anhand des vorliegenden Sachverhaltes lasst sich auch eine andere Schlussfolgerung ziehen: Die Dienstleistung wird ausschlieiilich durch einen in einem Mitgliedstaat ansassigen Dienstleistungserbringer an in demselben Mitgliedstaat ansassige Dienstleisrungsempfanger erbracht. Empfang oder Ausstrahlung tiber die Grenze der fraglichen Sendungen wird nicht behauptet.?" Der Kauf der auslandischen Sendungen durch den belgischen Kabelfernsehbetreiber schlielilich konnte der Freiheit des Warenverkehrs unterstellt werden.?" Die Rechtssache Macotroni'" konnte helfen, den hier aufgezeigten Widerspruch - wenn nicht aufzulosen - so doch zumindest zu erklaren: Ein Sachverhalt, dessen samtliche wesentliche Elemente in keiner Weise iiber die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, wird vorn EuGH nichr als grenzuberschreitender Sachverhalt gewertet: Die Vermittlung eines deutschen Staatsangehorigen als leitenden Angestellten und der sich daraus ergebende Rechtsstreit tiber die Ausiibung von Verrnittlungstatigkeit durch Personalberater weist nach Ansicht des EuGH in der Rechtssache Macotroni" eine bloB hyporhetische Ankniipfung an gemeinschaftsrechtlich geregelte Sachverhalte auf. Das einzige, tiber die Grenze des betroffenen Mitgliedstaates hinausweisende Element dieses Sachverhaltes betrifft die vertragliche Vereinbarung zwischen dem den Auftrag erteilenden Unternehmen und dem Personalberater, im Ausland ansassige deutsche Staatsangehorige sowie Staatsangehorige anderer Mitgliedstaaten in die Vermittlung einzubeziehen.
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tender Sachverhalt gewertet. Eine anderslautende Folgerung konnte jedoch lauten: Die Dienstleistung wird ausschlieislich durch einen Unternehmer in demselben Mitgliedstaat erbracht, March Hunnings, Annotation on Case 52/79 and Case 62/79, CMLR 1980, 564 (565): In ironischer Weise wird von March Hunnings das vom innerstaatlichen Gericht angenommene gnmziiberschreitende Element in dieser Rechtssache vermerkt: "And in order to answer that, one needs to find an EEC element: The Tribunal Correctionel de Liege in its judgment making the reference saw a Community element in the transnational supply of services by the foreign broadcasting stations which lived partly off the revenue from advertising and by the advertisers themselves and the traders on whom they depended." So auch March H unnings, Annotation on Case 52/79 and Case 62/79, CMLR 1980, 564 (566): One's intelectual dissatisfaction with these two Coditel judgments lies in their false basis which distorts their reasoning and prevents the Court from laying down adequate guidelines for future action, and which consists in the use of the concept of "services" to cope with the exportlimport of immaterialthings.(Hervorhebung March Hunnings). EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hefner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991, 1-1979. EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hofner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991, 1-1979.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Die bloG hypothetische Sachverhaltsvariante der Vermittlung eines Staatsangeh6rigen eines anderen Mitgliedstaates geniigt jedoch nach Ansicht des Gerichtshofes nicht, urn eine deutsche Regelung, welche die Tatigkeit der Arbeitsvermittlung der offentlich-rechtlichen Anstalt fur Arbeit zuspricht, anhand der Art. 12 und 49 EG einer Uberpriifung zu unterziehen.?" Die Entscheidung in der Rechtssache Macotron weist im Unterschied zu der Rechtssache TK-Heimdienst Sass977 eine Priifung des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes auf und - wiederum im Gegensatz zu TK-Heimdienst Sass978, welches einen ausschlielilich inlandischen Sachverhalt aufweist - die Ablehnung des Vorliegens eines solchen Sachverhaltes. Die Einordnung eines Lebenssachverhaltes hangt, und dies kann anhand des hier angefuhrten Entscheidungsmaterials gefolgert werden, wesentlich von den Feststellungen des nationalen Gerichts ab. 979 Die Nuancierung in der Schlussfolgerung ergibt sich jedoch aus einer anderen Fallgruppe, welche nach einer prima-Jacie-Prufung oder Grobpriifung des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes dennoch zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Sachverhalt als "hypothetisch" einzustufen sei. Ein klares Konzept oder eine Definition des Konzepts des grenziiberschreitenden Sachverhaltes fur den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs lasst sich jedoch - wie exemplarisch an den dargelegten Urteilen erkennbar - nicht ausmachen. 4. Personenverkehrsfreiheiten: Freizugigkeit der Arbeitnehmer
Im Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer wird - ebenso wie im Bereich der Freiheit des Warenverkehrs - den mit dem Anwendungsbereich der relevierten Bestimmung befassten Bestimmungen ein iiberaus weites Verstandnis zugrunde gelegt.
976 "Erwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ein Vertrag zwischen den Personalberatern und dem Unternehmen theoretisch die Moglichkeit beinhaltet, sich urn deutsche Bewerber, die in anderen Mitgliedstaaten ansassig sind, oder urn Angehorige dieser Staaten zu berniihen.", EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hafner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991,1-1979, (1-2020); so auch EuGH Rs. C-134/95 Unita Socio-Sanitaria Locale No 47 di Biella (USSL) gegen Istituto nazionale per l'assicurazione contro gli infortuni sullavoro (INAIL), Slg. 1997,1-195; EuGH Rs. C-I08/98 RLSAN. Sri gegen Communi di Ischia u. a., Slg. 1999, I-52I. 977 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000, 1-151. 978 EuGH Rs. C-254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000, I-lSI. 979 ,,[...J; ob dies der Fall ist, hangt von den tatsachlichen Feststellungen ab, die das innerstaatliche Gericht zu treffen hat." EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hafner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991, 1-1979, (I -2020).
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
Nicht in den Anwendungsbereich des Art. 39 EG fallt das an eine Staatsangehorige eines Mitgliedstaates von dessen Behorden ausgesprochene Verbot, sich ausschliefslich in bestimmten Teilen des Territoriums dieses Mitgliedstaates aufzuhalten. Der EuGH fuhrt im Rahmen der Definition des personellen Anwendungsbereiches des Art. 39 EG in der Rechtssache Saunders aus, dass das Ziel dieser Bestimmung sei, eine Benachteiligung von Staatsangehorigen anderer Mitgliedstaaten in rechtlicher oder tatsachlicher Weise zu unterbinden. 980 Diese zu der Zielsetzung des Art. 39 EG getroffene Aussage sowie deren Pramisse, namlich ihre Ableitung aus dem in Art. 12 EG normierten Verbot der Diskriminierung anhand der Staatsangehorigkeit, lassen die Schlussfolgerung zu, dass eine Benachteiligung eigener Staatsangehoriger von dem Standpunkt des Art. 12 EG und seinem Telos zulassig sein durfte, Der EuGH stellt namlich im folgenden fest, dass die Bestimmungen des Art. 39 EG die Mitgliedstaaten dazu veranlassen konnte, ihre Rechtsvorschriften "gegebenenfalls" auch im Hinblick auf ihre eigenen Staatsangehorigen zu verandern.?" Aus dieser Aussage des Gerichtshofes kann gefolgert werden, dass solche Anderungen dem Problem der Inlanderdiskriminierung entgegenwirken sollen. Den Mitgliedstaaten sei es hingegen gestattet, Beschrankungen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb des eigenen Territoriums und fur eigene Staatsangehorige vorzusehen. Schliefslich wird das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhaltes fur den Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer in dem Urteil Saunders urnnssen:
Die Bestimmungen des Vertrages iiber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer konnen deshalb nicht auf Sachverhalte angewandt werden, die einen Mitgliedstaat rein intern betreffen, das heiflt, denen jeglicher Bezug zu irgendeinem der Tatbestdnde fehlt, die das Gemeinschaftsrecht regelt. 982 (Hervorhebung der Verfasserin). Aus der Entscheidung in der Rechtssache Saunders kann gefolgert werden, dass der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ratione materiae von dem 980 Vgl. EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129, (1135). Der EuGH greift im Aufbau des Arguments zunachst auf das in Art. 12 EG-Vertrag enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot zuriick, und folgert: "In Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes zielt Artike1 48 darauf ab, aus den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten diejenigen Bestimmungen zu entfernen, die in Bezug auf Beschaftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen [...J Arbeitnehmer, die Staatsangehorige eines anderen Mitgliedstaates sind, strenger behandeln oder sie gegeniiber eigenen Staatsangehorigen, die sich in der gleichen Lage befinden, rechtlich oder tatsdchlich benachteiligen." (Hervorhebung der Verfasserin) 981 EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129, (1135). 982 EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129, (1135).
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Vorli egen eines grenziiberschreirenden Sachverhaltes und der Ausiibung eines d er von den Grundfreiheiten geregelten Tatbestande determiniert wird. 983 Liegt hingegen ein grenzuberschreitender Sachverhalt vo r, und fallt der relevierte Tatbestand zwar nicht in d en Anwendungsbereich einer der Grundfreiheiten, aber immerhin in den Anwendungsbereich de s Gemeinschaftsrechts, so kann Art. 12 EG selbst unmittelbar zur Anwendung gelangen.? " Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ratione materiae wird durch die mit d en Personenverkehrsfreiheiten unmittelbar zusammenhangende Bestimmung der Art. 18 ff. EG nicht erweitert, In der Rechtssach e Ueck er985 war der EuGH mit folgendem, nach seiner Auffassung rein internen Sachverhalt konfrontiert: Die einem Drittstaat angehorige Ehefrau eines Staats burgers der BRD machte Rechte aus d er Freizugigkeit der Arbeitnehmer - in concreto aus Art. 11 der Verordnung 1612/68 986 - geltend, wiewohl dieser in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer niemals das Territorium der BRD verlassen hatte. Der EuGH halt unter Hinweis auf standige Rechtsprechung fest,987 dass fur die Anwendung der Grundfreiheiten ratione materiae und von zu ihrer Durchfiihrung ergangenen Sekundarrechts das Vorliegen eines grenziibersch reitenden Sachverhaltes und die Zuordnung dieses Sachverhaltes zu einem vo n den Grundfreiheiten geregelten Tatbestand erfordcrlich ist. 988 Und ob-
983 Vgl. EuGH Rs. 175/ 78 Vera An n Saunders , Slg. 1979, 1129, (1135). 984 EuGH Rs. C-92 /92 und C -326/ 92 Phil Collins gegen Imtrat H andelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verw altungsgesellschaft mbH und Leif Emmanuel Kraul gegen EMI Electrola Gm bH (im Folgenden: Phil C ollin s), Slg. 1993, 1-5145, sow ie oben S. 304; vgl. auch EuG H Rs, C -85/96 Maria Martinez Sala gegen Freistaat Bayern, Slg. 1998,1-2691: Folglich kann sich ein Unionsbtirger [...] in allen vo m sachlichen Anwendu ngsbereich des Gemeinschaftsre cht s erfassten Fiillen auf Art ikel 6 des Vertra ges berufen [. ..]; Tomuschat, C ase C-85/96 Maria Martinez Sala v, Freistaat Bayern , Judgment of 12 May [1998] EC R 1-2691, C MLR 2000,447 (449). 985 EuGH Rs , C-64/96 und C-65 /96 Land Nordrhein-Westfalen gegen Kari Uecker und Vera Jaquet gegen Land N ordrhein Westfalen, Slg. 1997, I-31 7l. 986 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober tib er die Freiztigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 257/1968,2. 987 EuGH Rs. C-153/91 Camille Petit gegen Office National des Pen sions, Slg. 1992, 1-4973; EuGH Rs. C-206/91 Ettien Koua Poirrez gegen Caisse d' Allocations Familiales de la Region Parisienne, Slg. 1992,1-6685; EuGH Rs. 147/87 Saada Zaoui gegen Caisse Regionale d' Assurance Maladie de l'Ile de France (C.R.A.M.LF.), Slg. 1987, 551l. 988 "N ach standiger Rechtsprechung sind die Vorschriften des Vertr ages tiber die Freizugigkeit und die zu ihrer Durchfiihrung ergangenen Verordnungen nicht auf Tatigkeiten anwendbar, die keinerlei Beriihrungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit keinem Element iiber die G renzen eines Mitgliedst aatcs hinau sweisen. ", in EuGH Rs, C-64 /96 und C-65/96 Land Nordrhein-Westfalen gegen Kari Uecker und Vera Jaquet gegen Land Nordrhein Westfalen, Slg. 1997, 1-3171 , (1-3188). Vgl. auch Vgl. EuGH R s. 175/7 8 Vera Ann Saun ders, Slg. 1979, 1129, (1135).
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
wohl keine der Klagerinnen Unionsburgerin ist und eine unmittelbare Berufung auf Art. 18 EG bereits aus diesem Grunde ausscheidet, trifft der EuGH auf die Anfrage des vorlegenden Gerichts zu der Zulassigkeit umgekehrter Diskriminierung gemaB Art. 39 EG hin folgende Aussage:
Hierzu ist festzustellen, dass die in A rtikel 8 EG- Vertrag vorgesehene Unionsbiirgerschaft nicht bezweckt, den sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages auf rein interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen. [ . .] Etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehiirige eines Mitgliedstaates aus der Sicht des Rechts dieses Mitgliedstaates ausgesetzt sein leonnten, fallen in dessen Anwendungsbereich, so dass tiber sie im Rahmen des intern en Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden ist.989 (Hervorhebung der Verfasserin) Die Rechtssache Uecker weist keine der zwei Voraussetzungen fur die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf einen Lebenssachverhalt auf. Das Fehlen eines grenzuberschreitenden Sachverhaltselementes sowie eines von den Grundfreiheiten geregelten Tatbestandes konnen anhand dieser Rechtssache geradezu beispielhaft dargelegt werden: Aufgrund mangelnder Rechtsprechungskompetenz verneint der EuGH die Anwendbarkeit ratione materiae des Art. 39 EG durch einen Angehorigen eines Mitgliedstaates gegerniber dem eigenen Mitgliedstaat.?" Anders verhalt es sich jedoch, wenn sich ein Unionsbiirger zu einem Zeitpunkt in sachlich zusammenhangender Weise der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer bereits bedient hat: In der Rechtssache Surinder Singh 991 ist eine britische Staatsangehorige gemeinsam mit ihrem einem Drittstaat angehorigen Ehemann in der BRD unselbstandig erwerbstatig, Nach der Ruckkehr des Ehepaares Singh in das Vereinigte Konigreich wird im Rahmen einer Untersu-
989 EuGH Rs. C-64/96 und C-65/96 Land Nordrhein-Westfalen gegen Kari Uecker und Vera Jaquet gegen Land Nordrhein Westfalen, Slg. 1997,1-3171, (1-3190); vgl. auch in dies em Sinne EuGH Rs. 35 und 36/82 Elestina Esselina Christina Morson gegen Niederlandischen Staat und Leiter der Ortspolizeitbehorde im Sinne der Vreemdelingenwet; Sewradjie jhanjan gegen Niederlandischen Staat, Slg. 1982,3723. 990 So auch Weber, Case Comment Joined Cases C-64/96 und C-65/96 Land NordrheinWestfalen v. Kari Uecker/Vera Jaquet, Judgement of 5 June 1997, [1997J ECR 1-3171, CMLR 1998, 1437 (1442); vgl. auch unter Betonung der Notwendigkeit des Vorliegens eines grenzuberschreirenden Sachverhaltes und eines in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallenden Sachverhaltes: Tomuschat, Case C-85/96 Maria Martinez Sala v. Freistaat Bayern, Judgment of 12 May [1998J ECR 1-2691, CMLR 2000,447 (449); O'Leary, Putting Flesh on the Bones of European Citizenship, ELR 1999, 68 (78); Fries/Shaw, Citizenship of the Union: First Steps in the European Court of Justice, EPL 1998, 533. 991 EuGH Rs. C-370/90 The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, Slg. 1992,1-4267.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
chung der Anwendbarkeit des Art. 39 EG die Frage nach dem Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes aufgeworfen. Das Vorliegen eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes wird seitens des Gerichtshofes in diesem Falle bejaht - die hierfur ins Treffen gefiihrten Argumente sind bereits solche des materiellen Gehalts des Art.39 EG:992 Der EuGH weist im Rahmen seiner Argumentation auf den fundamentalen Charakter des An. 39 EG hin. Ein Staatsangehoriger eines Mitgliedstaates konnte, so der EuGH, davon abgehalten werden, sich im Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer oder der Freiheit der Niederlassung zu bedienen, wenn er bei der Riickkehr in den urspriinglichen Mitgliedstaat "nicht in den Genuss von Erleichterungen bei der Einreise oder hinsichtlich des Aufenthaltes kommen konnte, die denen zumindest gleichwertig sind, die ihm nach [... Jdem abgeleiteten Recht im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zustehen."993 Der Sachverhalt in der Rechtssache Singh gerat daher bereits zwei Mal in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts: Der eine Beriihrungspunkt besteht in der Aufnahme einer selbstandigen Beschaftigung in einem anderen Mitgliedstaat, Der andere bestehr in der Riickkehr des Ehepaares Singh in den urspriinglichen Mitgliedstaat. Die Verweigerung des Zugangs zum offentlichen Dienst an einen Staatsbiirger eines Mitgliedstaates durch diesen Mitgliedstaat sclbst weist daher nach Ansichr des EuGH keinen Bezug zum EG-rechtlich geregelten Tatbestand auf, wenn sich der Antragsteller niemals in einem anderen Mitgliedstaat einer Grundfreiheit bedient hat. ?" In der Entscheidung in der Rechtssache Surinder Singh findet sich ein weiterer Puzzlestein fiir den Anwendungsbereich ratione materiae der Grundfreiheiten und im Weiteren fiir das Konzept der Inlanderdiskrirninierung.?" Der EuGH erachtet sich fiir kompetent in das Telos der Grundfreiheiten und des abgeleiteten Rechts, das Gebot der Gleichheit zwischen jenen Unionsbiirgern zu interpretieren und zu judizieren, welche sich mittels wirtschaftlicher Betatigung einer der Grundfreiheiten bedient haben. Dieser Personenkreis darf selbst bei Riickkehr in den urspriinglichen Mitgliedstaat nicht schlechter gestellt werden, als er es zu dem Zeitpunkt seines Aufenthaltes in einem anderen Mitgliedstaat - sei es als selbstandig oder unselbstandig Erwerbstatiger - war. Dieser Personenkreis darf bei Riickkehr in den urspriing-
992 EuGH Rs. C-370/90 The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, Slg. 1992,1-4267, (1-4294). 993 EuGH Rs, C-370/90 The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, Slg. 1992, 1-4267, (1-4294). 994 EuGH Rs, 180/83 Hans Moser gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg 1984,2539. 995 Vgl. R. White, A fresh look at reverse discrimination?, ELR 1993,527.
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Das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
lichen Mitgliedstaat aber zusatzlicb auch nicht schlechter gestellt werden als jene Unionsburger, die sich (noch) der Grundfreiheiten bedienen. Der EuGH nimmt aus Grunden mangelnder Kompetenz - diese grundet sich auf das Prinzip der beschrankten Einzelermiichtigung in Art. 5 Abs. 1 EG - bl06 eine Abwiigung innerhalb des Personenkreises vor, der sich durch wirtschaftliche Betiitigung der Grundfreiheiten bedient. Diese Abwiigung wird sowohl im Hinblick auf die zeitliche Komponente als auch im Hinblick auf die personliche Komponente vorgenommen. Eine Abwiigung zwischen dem oben genannten Personenkreis und blofsen "lnLindern", i. e. jenen Staatsburgern eines Mitgliedstaates, die sich nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der aufgeworfenen Rechtsfrage in einer den Grundfreiheiten unterliegenden Weise wirtschaftlich betatigen, findet daher nicht statt. Telos der Grundfreiheiten ist namlich, so der EuGH, "zur Beseitigung aller Hindernisse fur die Errichtung eines gemeinsamen Marktes beizutragen, in dem die Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten die Moglichkeit haben, sich im Hoheitsgebiet dieser Staaten frei zu bewegen, urn sich wirtschaftlich zu betiitigen. "996 Im Bereich der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer folgt der EuGH bei der Feststellung des Vorliegens eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes dem bereits fur den Bereich des Freien Warenverkehrs etablierten Muster, namlich der Vermengung von Prufung einer Mafsnahme anhand der Dassonville-Formel oder der Cassis de Dijon-Formel sowie der gleichzeitigen oder erst sparer erfolgenden Feststellung eines Verstolies und eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes. 5. Personenverkehrsfreiheiten: Freiheit der Niederlassung
Das Vorliegen eines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes folgt im Bereich der Freiheit der Niederlassung den oben zur Freiztigigkeit der Arbeitnehmer erarbeiteten systematischen Eckpunkten: In der Rechtssache Knoors?", welche die Frage des personlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie 64/227/EWG998 betrifft, beantragt der Kliiger
996 EuGH Rs. 35 und 36/82 Elestina Esselina Christina Morson gegen Niederlandischen Staat und Leiter der Ortspolizeibehorde im Sinne der Vreemdelingenwet; Sewradjie ]hanjan gegen Niederlandischen Staat, Slg. 1982, 3723, (3736). Aufsehlussreieh ist die in Zusammenhang zu lesende, an das oben angefiihrte Argument anschliefsende Sehlussfolgerung: "Daraus ergibt sieh, dass die Vorsehriften des EWG-Vertrags iiber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die zu ihrer Durehfiihrung erlassene Regelung nieht auf Saehverhalte angewandt werden konnen, die keinerlei Beruhrungspunkte mit irgendeinem der Saehverhalte aufweisen, auf die das Gemeinsehaftsreeht abstellt." 997 EuGH Rs. 115/78 J. Knoors gegen Staatssekretar fiir Winsehaft, Slg. 1979,399. 998 Riehtlinie 64/227/EWG des Rates vom 7.]uli 1964 uber die Einzelheiten der Dber-
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
die Anerkennung einer in cinem anderen Mitgliedstaat erworbene Qualifikation als Klempner und Installateur in dern Herkunftsmitgliedstaat. Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass der in der angesprochenen Richtlinie verwendete Begriff "Begiinstigter" weit auszulegen sei; daher konnten sich Sraatsangehorige aller Mitgliedstaaten - unter Erfiillung der in der Richtlinie gcnannten Voraussetzungen - auf diese berufen, und zwar auch gegeniiber jenem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehorige sie selbst sind.?" Mit dem Urteil in der Rechtssache Knoors erachtet der EuGH einen Sachverhalt als grenziiberschreitcnd, der zuminclest iiberwiegencl innerstaatliche Elemente aufweist: Der Klager begehrt in seiner Eigenschaft als belgischer Sraarsangehoriger die Anerkcnnung einer in einem anclercn Mitgliedstaat der EG erworbenen beruflichen Qualifikation in Belgien selbst. Der EuGH begriinclet die hier auch fur die Freiheit der Niederlassung vertretene Auffassung eines weiten Begriffes des grenziiberschreitenden Sachverhaltes mit dem oben bereits angesprochenen Telos der Grundfreiheiten. 1000 Der seitens des EuGH in der Rechtssache Auer als grenziiberschreitenden Sachverhalt gewertete Lebenssachverhalt betrifft hingegen cincn Staatsangehorigcn eines Drittstaates, der die Anerkennung einer in einem ancleren Mitgliedstaat erworbenen beruflichen Qualifikation verlangt. 1001 Nicht als grenzuberschreitcnder Sachverhalt wird hingegen der der Rechtssache Werner lO02 zugrunde liegencle Lebenssachverhalt gewcrtet: Der Klager harte sich in dem namlichen Mitgliedstaat niedergelassen, in welchem er seine beruflichen Qualifikationen erworben hatte.
gangsmaBnahmen auf dem Gebier der selbstandigen Tatigkeiten der he- und verarbeitend en Gewerhe der CITI-Hauptgruppen 23-40 (Industrie und Handwerk), ABI P 117 (1964), 1863. 999 EuGH Rs. 115/78 J. Knoors gegen Staatssekretar fiir Winschaft, Slg, 1979,399, (409). 1000 "Denn diese - im System der Gemeinschaften grundlegenden - Freiheiten waren nicht voll verwirklicht, wenn die Mitgliedstaaten die Vergiinstigung der gemeinschaftlichen Bestimmungen denjenigen ihrer Staatsangehorigen versagen durften, die von den Erleichterungen auf dem Gebiet des Verkehrs und der Niedcrlassung Gehrauch gemacht hahen und die dank dieser Erleichterungen die in der Richtlinie erwahnten beruflichen Qualifikationen in einem andcrcn Mirgliedstaat als demjenigcn erworben haben, dessen Staatsangehorigkeit sie besitzen.", EuGH Rs. 115/78 J. Knoors gegen Staatssekretar fur Wirtschaft, Slg. 1979,399, (409). 1001 EuGH Rs. 136/78 Strafsache gegen Vincent Auer, Slg 1979,437. 1002 EuGH Rs. C-112/91 Hans Werner gegen Finanzamt Aachen-Innenstadr, Slg. 1-429; vgl. hingegen den unzweifelhaft in der Rechtssache Asscher vorhandene grenziiberschreitenden Sachverhalt: EuGH Rs. C-l07/94 P.H. Asscher gegcn Staatssecretaris van Financien, Slg. 1996,1-3089.
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
6. Freiheit des Kapitalverkehrs
Auf die Freiheit des Kapitalverkehrs erscheinen jene Grundsatze anwendbar, die bereits bei der Dienstleistungsfreiheit ermittelt wurden, bereits aufgrund der weiten Definition des Begriffes "Kapitalverkehr."loo3 Der rechtlich wie in Lebenssachverhalten tatsachlich bestehende Zusammenhang zwischen der Freiheit des Kapitalverkehrs und den iibrigen Grundfreiheiten findet sich exemplarisch in der Rechtssache Reisch:1oo4 Dem vorlegenden Gericht stellt sich die Frage, ob das Erfordernis der einer zeitlich vorgelagerten, konstitutiven Dbertragungsgenehmigung durch den Grundverkehrsbeauftragten des Landes Salzburg fur den Erwerb von Baugrundsriicken mit den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts vereinbar sei. Die Erteilung einer solchen Genehmigung sei aufgrund § 12 des Gesetzes des Landes Salzburg iiber den Grundstiicksverkehr nur zulassig, wenn der Erwerber osterreichischer Staatsburger oder Staats burger eines Mitgliedstaates der EG ist und die Liegenschaft als Hauptwohnsitz oder zu gewerblichen Zwecken zu nutzen gedenkt.l'P' Nahezu samtliche Klager - bis auf einen - sind auf osterreichischem Territorium ansassig, GA Geelhoed releviert in seinem Schlussantrag das Vorliegen einer rein internen Situation, eine Zuriickweisung des Vorlageantrags wird von ihm jedoch nicht beantragt: Nach standiger Rechtsprechung des Gerichtshofes liege es am vorlegenden nationalen Gericht zu entscheiden, ob die Beantwortung einer Vorlagefrage fur das nationale Verfahren zweckmaBig sei. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden solche Auslegungsfragen, bei denen es offensichtlich ist, dass die Auslegung einer Vorschrift in keinem Zusammenhang mit der Realitat oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder wenn das Problem hypothetischer N atur ist und der Gerichtshof nicht iiber die notigen rechtlichen und tatsachlichen Angaben verfiigt, die er fur eine Beantwortung der gestellten Fragen benotigt.P'" 1003 Borner, Rechtsfragen des Zahlungs- und Kapitalverkehrs in der EWG, EuR 1966, 97, (127); Weber, Kommentar zu Art. 56 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EG-Vertrag Kommentar, 2. Auf!. (2000), 561; Schiirmann, Kommentar zu Art. 56 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Auf!. (2006), 828 1004 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg und Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg und Anton Lassacher u. a. gegen Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg und Grundverkehrslandeskommissiondes Landes Salzburg, Slg. 2002, 1-2192 (im folgenden: EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Slg. 2002, 1-2192). 1005 § 12 Gesetz des Landes Salzburg uber den Grundstiicksverkehr, LGBL Nr. 11/1999. 1006 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519199 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Slg. 2002, 1-2192, Schlussantrag GA Geelhoed, Slg. 2002, 1-2192, (1-2178).
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Getrennt und anders zu betrachten seien jene Falle, in welch en samtliche Merkmale des zugrunde liegenden Sachverhaltes nicht iiber die Grenzen cines Mitgliedstaates hinausweisen. Ein solcher Sachverhalt sei als rein interner Sachverhalt einzustufen.'?" 1m vorliegenden Fall wiirden zwar osterreichische Staatsangehorige eine Regelung dieses Mitgliedstaates selbst bekampfen; allerdings sei der Inhalt der betroffenen Maiinahme zu betrachten. Der Gerichtshof hab e zu prufen, ob die beanstandete Mafsnahme AuBenwirkung haben kann. GA Gee/hoed deutet die bislang vorliegenden Prajudizien des EuGH dergestalt, dass bloB dann eine Vorlagefrage abzulehnen sei, "wenn eine - potenzielle - Aulienwirkung fehlt ."I 008 An dieser Stelle schlagt GA Gee/hoed die Obertragung des von ihm aus dem Urteil Guimont 1009 gelesenen Konzept des EuGH zum grenztiberschreitenden Sachverhalt im Freien Warenverkehr auf den Freien Kapitalverkehr vor: In dieser Rechtssache habe der EuGH, wiewohl mit einem ausschlielilich internen Sachverhalt konfrontierr, die in Frage stehende nationale Regelung zur Etikettierung von Lebensmitteln anhand der Vorschrift des Art. 28 EG iiberpriifr. Die dieses Urteil tragenden Argumente, namlich die potentiellen Auswirkungen auf den Freien Warenverkehr durch die Anwendung dieser Vorschrift sowie eine umgekehrte Diskriminierung, der inlandische Erzeuger ausgesetzt waren, sollen auf den vorliegenden Sachverhalt angewendct werden: Es handele sich namlich urn einen blofsen Zufall, dass samtliche Erwerber von Liegenschaften in dem vorliegenden Fall in einem Mitgliedstaat ansassig seien. Denn hierbei handele es sich urn Investitionen in touristischen Gebieten, welche auch fur Staatsangehorige anderer Mitgliedstaaten attraktiv erscheinen konnen. Mit der angegriffenen Regelung sollen Bau und Nutzung von Zweitwohnsitzen reguliert werden, deren Wesen gerade darin liegt, dass sic nicht am iiblichen Wohnort des Erwerbers liegen. 1007 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519 /99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540 /99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Schlussantrag GA Geelhoed, Slg. 2002, 1-2192, (1-2179). 1008 EuGH verb. Rs. C-515 /99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Burgermcister der Landeshauptstadt Salzburg, Schlussantrag GA Geelhoed, Slg. 2002, 1-2192, (1-2179). Nach Beantwortung dieser Frage trete der EuGH ein eine inhaltliche Priifung der streitigen MaBnahme cin. In dieser Phase stellt sich nach Ansicht des Generalanwal tes die Frage, ob ein Staatsbiirger gegen den eigenen Staat auf Gemeinschaftsrecht gegriindete Anspriiche geltcnd machen konne . 1009 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegen Jean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-1066; GA Geelhoed stiitzt seine Argumentation ebenso auf die Rechtssachen Smanor (erwa EuGH Rs. 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988,4489) und Pistre (EuGH Rs. C-321 /94, C-322 /94, C-323/94 und C-324/94, Strafverfahren gegen Jacques Pistre u.a., Slg. 1997,1-2343).
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Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
GA Gee/hoed zeigt schlieiilich zwei Merkmale der Kapitalverkehrsfreiheit auf, welche von vornherein einen ausschlielilich internen Sachverhalt auf dem Gebiet der Kapitalverkehrsfreiheit ausschliefsen: Innerhalb der nun vollendeten Wirtschafts- und Wahrungsunion sei ein einheitlicher Kapitalmarkt entstanden; es wiirden sich stets grenzuberschreitende Wirkungen ergeben, auch wenn eine nationale Regelung tatsachlich nur Wirtschaftsteilnehmer innerhalb eines Mitgliedstaates betreffen sollte.l'"? Die Einheitlichkeit des Kapitalmarktes wird mit der Einheitlichkeit des Zollgebiets der Gemeinschaft gleichgesetzt.P!' Das zweite Merkmal der Freiheit des Kapitalverkehrs stelle, so GA Gee/hoed, neben der tatsachlichen Investition in ein Grundsnick, die Finanzierung dieser Investition dar. Dieses Argument scheint in eventu gebracht zu werden, da sich fur den Generalanwalt das Vorhandensein grenzuberschreitender Umstande aus dem rechtlichen und ratsachlichen Zusammenhang des Rechtsgeschafts ergibt, das sich auf das Grundstucksgeschaft bezieht. Da eine osterreichische Bank, welche gegebenenfalls die Finanzierung vornimmt, gemeinsam mit anderen Geldinstituten am Kapitalmarkt tatig ist, wiirde der innergemeinschaftliche Kapitalmarkt auch von dieser nationalen Regelung beruhrt.P'? Der Schlussantrag von GA Gee/hoed weist zwei argumentative Schwerpunkte auf: Zum einen wird die Erforderlichkeit des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes fur den Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs verneint. Die zum Zollrecht der Gemeinschaft und das als Beleg angefiihrte Urteil Lancry konnen jedoch diese These nicht untermauern. Gerade die in Art. 23 EG gewahlte Formulierung "Grundlage der Gemeinschaft ist eine Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt" und die Einfiihrung des Gemeinsamen Zolltarifs weisen begrifflich darauf hin, dass Zolle zwischen den Mitgliedstaaten ohne Rucksicht auf U rsprung der Ware verboten werden sollen.P':'
1010 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Schlussantrag GA Geelhoed, Slg. 2002, 1-2192, (1-2185). 1011 GA Geelhoed greift hier auf einen im Urteil Lancry ausgesprochenen Grundsatz zu der Einheitlichkeit des Zollgebiets und dessen rechtliche Wirkungen zuruck: "Der Grundsatz der sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckenden Zollunion im Sinne von Artikel9 des Vertrages gebietet namlich als solcher, class der freie Warenverkehr innerhalb der Union allgemein und nicht nur im zwischenstaatlichen Handel sichergestellt wird.", EuGH verb. Rs. C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/93, Rene Lancry SA u. a. gegen Direction generale des douanes u. a., Slg. 1994,1-3957, (1-3991). 1012 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Schlussantrag GA Geelhoed, Slg. 2002, 1-2192, (1-2186). 1013 Lux, Kommentar zu Art. 23 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Auf!. (2006), 324.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreihe iten
Die Rechtssache Lancry befasst sich auch nicht mit einern ausschlieiilich internen Sachverhalt; die in dieser Entscheidung in Rede stehende nationale Regelung ist die Einhebung eines octroi de mer in den DOM. Diese Abgabe wird nicht bloB auf Erzeugnisse aus Frankreich, sondern auf sarntliche Erzeugnisse eingehoben, die in ein DOM eingefiihrt werden. 1014 Fur diese These des Generalanwaltes findet sich im folgenden Urteil des EuGH kein Anhaltspunkt, Der zweite Schwerpunkt des Schlussantrags von GA Geelhoed beinhaltet eine iiberaus weite Definition und Auslegung des Begriffes eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes: Durch die an den Fakten dieses Lebenssachverhaltes vorgenommene Argumentation werden potentielle Auswirkungen der nationalen Regelung auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr - an dieser Stelle wird eine Art vorgezogene Prufung der nationalen Regelung anhand der Dassonville-Formel vorgenommen - fur die Feststellung eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes beniirzt. Diese These von GA Geelhoed wird vorn EuGH in seinem Urteil iibernommen: Der EuGH stellt in seinem Urteil ausdriicklich fest, dass die den Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalte mit keinem Element iiber die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen. P" 1m Anschluss daran halt der Gerichtshof fest, dass eine nationale Regelung, die wie die in Frage stehende unterschiedslos anwendbar ist, nur dann einer Priifung anhand der Grundfreiheiten unterzogen werden soll, "wenn sie auf Sachlagen anwendbar ist, die eine Verb indung zum innergemeinschaftlichen Handel aufweisen. "1 016 Der nun von der Argumentation des EuGH genommene Verlauf iiberrascht erwas: Nach einer Einleirung zu der Norwendigkeit des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes wird auf die prozessuale Ebene gewechselt und die vorzunehmende Beantwortung der Vorlagefragen diskutiert:
" Das hat aber noch nicht zur Folge, dass die Fragen, die dem Gerichtshof z ur Vorabentscheidung vorliegen, nicht zu beantworten uidren. Grundsdtzlich ist es allein Sache der nationalen Gerichte, unter Beriicksichtigung des jeweiligen Sachverhaltes sowohl die Erforderlichkeit eines Vorabentschei-
1014 EuGH verb. Rs. C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/93, Rene Lancry SA u. a. gegen Direction generale des douancs u. a., Slg. 1994, 1-3957, (1-3991). 1015 EuGH verb. Rs. C-515 /99 , C-519 /99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermcistcr der Landeshauptstadt Salzburg, Slg. 2002, 1-2192, (1-2202). 1016 EuGH verb . Rs. C-515/99, C-519 /99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermcister der Landeshauptstadt Salzburg, Slg. 2002, 1-2192, (1-2202): so der EuGH unter Riickgriff auf die Rechtssache Matbot: EuGH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986,810.
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dungsersuchens fur den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshofvorgelegten Fragen zu beurteilen. [. . .] Im vorliegenden Fall ist nicht offenkundig, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts fur das nationale Gericht nicht erforderlich ware. Eine Antwort leonnte ihm ndmlicb dann von Nutzen sein, wenn sein nationales Recht vorschriebe, dass einem osterreichischen Staatsangeborigen die gleichen Rechte zustehen, die dem Staatsangeborigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrecht zustiinden:" 1017 Die vorn EuGH in der Rechtssache Reisch, auch im Gefolge des Urteils in Guimont'P'" getroffene Aussage lasst darauf schliefsen, dass bis zur Grenze des offenkundig "hypothetischen Sachverhaltes" und des offenkundig fehlenden Zusammenhanges der erbetenen Auslegung mit dem bei dem nationalen Gericht anhangigen Verfahren jegliche Vorlagefrage - weitgehend unabhangig von den realen grenziiberschreitenden Ankniipfungspunkten eines Sachverhaltes - zu beantworten sei. 7. Ergebnisse Falls ein Sachverhalt nicht das erforderliche grenziiberschreitende Element aufweist, wird ein solcher Antrag auf Vorabentscheidung nach Art. 234 EG vom EuGH rnittels Urteil abgewiesen. Der EuGH lehnt es in standiger Rechtsprechung ab, die Rechtmaliigkeit nationalen Rechts zu beurteilen oder Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf den Einzelfall anzuwenden.P!? Der EuGH stellt nahezu stets einleitend und grundsatzlich zu der Beantwonung und der Abweisung einer in einem Vorlageverfahren an ihn herangetragenen Frage fest, dass auf die standige Rechtsprechung des EuGH hinzuwei sen sei, " [... J, der zufolge es nach dem System des Artikels 177 EWGVertrag Sache des innerstaatlichen Gerichts ist, anhand des Sachverhalts, der dem bei ihm anhangigen Rechtsstreit zugrunde liegt, zu beurteilen, ob eine Entscheidung tiber die dem Gerichtshof gestellten Vorlagefragen erforderlich ist." 1020 1017 EuGH verb. Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Landeshauptstadt Salzburg, Slg. 2002, 1-2192, (1-2203). 1018 EuGH Rs. C-448/98 Strafverfahren gegenJean-Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-1066. 1019 EuGH Rs. 100/63 Frau ].G. Van der Veen gegen Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank und in neun anderen Streitsachen, Slg. 1964, 1216. Der EuGH beruft sich in Bezug auf diese Einschrankung seiner jurisdiktion auf die ihm von Art. 234 zugesprochene Kompetenz zur Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft; vgl. auch Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2. Auf!. (2004), 86. 1020 Vgl. etwa EuGH Rs. 298/87 Vergleichsverfahren gegen Smanor SA, Slg 1988, 4489, (4510). Mit Nachweisen der Vorjudikatur vgl. Everling, Die Entscheidungserheblich-
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
Die Einordnung eines Lebenssaehverhaltes hangt, und dies kann anhand des hier angefiihrten Entscheidungsmaterials gefolgert werden, wesentlich von den Feststellungen des nationalen Gerichts ab. 1021 Nach diesen Feststellungen nimmt der EuGH fiir sich in Ansprueh, die Beantwortung einer Vorlagcfrage abzulehnen. Jene Falle, in welchen der EuGH die Beantworrung einer Vorlagefrage ablehnt, haben eine umfangreiche Kategorisierung 1022 und Kritik in der Literatur erfahren. Ein Saehverhalt liegt auch bisweilen naeh Ansieht des EuGH "nieht im Anwendungsbereieh des Vertrages", wenn er als hypothetiseh oder konstruiert zu betrachten ist. 1023 Nicht in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages fallt etwa die blog hypothetische Ausiibung des Reehts auf Freiziigigkeit, wenn iiber den Klager nach innerstaatlichen Regelungen eine Freiheitsstrafe verhangt wird. 1024 In einem solchen Falle wird ebenso der Antrag auf Vorabentscheidung zuruckgewiesen.P'! Die Unterscheidung zwischen blof "hypothetisehen" oder "konstruierten" Saehverhalten und solchen, welche blof nicht in den Anwendungsbereich des EG-Reehts fallen, erfolgt nicht immer mit der gebotenen Klarheit: Als "hypothetisch" wird erwa nach Ansieht von GA]acobs ein Sachverhalt aueh
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keit im Vorlageverfahren nach Art. 177 EWG-Vertrag im Vergleich zu Vorlageverfahren nach An. 100 Abs. 1 GG, in Martinek/S chmidt/Wadle (H g), Festschrift fur Gunther Jahr zum siebzigsten Geburtstag Vestigia Iuris, Tiibingen 1993,339 (341); ebenso Barav, Preliminary Censorship? The Judgement of the European Court in Foglia v. Novello, ELR 1980,443 (444). ,,[. . .J; ob dies der Fall ist, hangt von den tatsachlichen Feststellungen ab, die das innerstaatliche Gericht zu treffen hat." EuGH Rs. C-41/90 Klaus Hefner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991,1 -1979 , (1-2020). Anderson etwa bildet zehn Kategorien: Anderson, The Admissibility of Preliminary References, YEL 1994, 179 (181 ff.). EuGH Rs. C-83 /91 Wieland Meilicke gegen ADV/ORGA AG, Slg. 1992, 1-4871; EuGH Rs. 104/79 Pasquale Fogl ia gegen Mariella Novello, Slg. 1980, 745; EuGH Rs. 244/80, Pasquale Foglia gegcn Mariella Novello, Slg. 1981,3045. EuGH Rs. C-299/95 Friedrich Kremzow gegen Republik Osterreich, Slg. 1997, 1-2629. EuGH Rs. C-299/95 Friedrich Kremzow gegen Republik Osterreich, Slg. 1997, 1-2629: "So betreffen Bestimmungen des nationalen Rechts, die nicht dazu bestimmt sind, die Beachtung der gcmeinschaftsrechtlichen Normen sicherzustellen, keinen Fall, der in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts Wit, selbst wenn eine nach diesen nationalen Vorschriften verhangte Freiheitsstrafe geeignet ist, die Aus ubung des Rechts des Betroffenen auf Freizugigkeit zu behindern, da die rein hypothetische Aussicht auf die Ausiibung dieses Rechts keinen Bezug zum Gemeinschaftsrecht herstellt, der eng genug ware, urn die Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen zu rechtfertigen."
Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
dann einzustufen sein, wenn er eine - hinreichend ausgepragte und prazise zu erfassende - grenzuberschreitende Komponente aufweist.l?" Wahrend daher der EuGH dem nationalen Gericht die Feststellung des Vorliegens eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes uberlasst, und auch bei Nichtvorliegen eines solchen Sachverhaltes eine Rechtsprechungskompetenz fur sich in Anspruch nimmt, wenn eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem nationalen Richter bei der Feststellung einer nach nationalem Recht verponten umgekehrten Diskriminierung helfen sollte, so werden jene Ersuchen auf Beantwortung einer Vorlagefrage zunickgewiesen, welche weder einen grenzuberschreitenden Sachverhalt aufweisen noch eine - nach nationalem Recht vorzunehmende - Bekampfung umgekehrter Diskriminierungen moglich erscheinen lassen. 8. Schlussfolgerungen
Der EuGH iiberlasst es bis zur Grenze des offenkundig "hypothetischen" oder des offenkundig jeden Zusammenhang mit dem bei dem vorlegenden Gerichts anhangigen Rechtsstreit Entbehrenden dem nationalen Gericht, auch bei Fehlen eines tiber die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausreichenden Elementes dem nationalen Gericht iiber die Notwendigkeit eines Vorlageersuchens zu entscheiden. Bereits mit dieser grundsatzlichen Ausrichtung der Rechtsprechung zum grenzuberschreitenden Sachverhalt wird dieses Konzept - und letztlich die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten - bis zur Nichtexistenz verdunnt, 1m Bereich der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer folgt der EuGH bei der Feststellung des Vorliegens eines gemeinschaftsrelevanten Sachverhaltes dem fur den Bereich des Freien Warenverkehrs etablierten Muster, namlich der Verquickung von Prufung einer Maisnahme anhand der Dassonville-Formel oder der Cassis de Dijon-Formel sowie der gleichzeitigen oder erst sparer erfolgenden Feststellung eines Verstolies und eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes. Die in Einem vorgenommene Prufung des Vorliegens eines grenzuberschreitenden Sachverhaltes und des Vorliegens einer Beschrankung der Freiheit der Dienstleistung weist darauf hin, dass die Beeintrachtigung des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens - als Gemeinschaftsgrundrecht - den Gemeinschaftsbezug zu der Freiheit der Dienstleistung erst herstellt. Die Priifung der Ausweisung von Frau Carpenter an diesem Grundrecht erfolgt mit1026 "SoUte der Gerichtshof es daher ablehnen, sich tiber eine hypothetische Frage auszusprechen, und wie folgt emscheiden: Anikel30 (a. E) des Vertrages ist auf innerstaatliche Rechtsvorschriften insoweit nicht anwendbar, als diese auf einheimische Erzeugnisse Anwendung finden.", EuGH Rs. C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Strafverfahren gegen Jacques Pistre u. a., Schlussamrag GA]acobs, Slg. 1997, 1-2343.
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Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
telbar und notwendigerweise verbunden mit den von Herrn Carpenter aus Art. 49 EG abgeleiteten Rechten.P'" Mager folgert aus der Entscheidung Carpenter, dass der EuGH trotz zahlreicher dogmatischer Ungercimtheiten die Kompetenzgrenze zwischen innergemeinschaftlicher Freiziigigkeit und im Grundsatz der den Mitgliedstaaten iiberlassenen Regelung der Einwanderung verwischt habe; dam it werde auch das nationale Auslanderrecht unter eine An "Gemeinschaftsvorbehalt" gestell t, 1028 Wenn auch dieser Folgerung in dieser Tragweite an dieser Stelle nicht zugestimmt werden kann, da an dem Sachverhalt in Carpenter dennoch ein - wie stark verdiinntes - grenziiberschreitendes Element vorliegt, fiihrt die in Einem vorgenommene Priifung des grenziiberschreitenden Sachverhaltes, der (allfalligen) Beschrankung der Grundfreiheit und des Grundrechts auf Familienleben zu einem "unendlich weiten"1029 Begriff des grenziiberschreitenden Sachverhaltes und daher zu einem "unendlich weiten" Anwendungsbereich der Grundfreiheiten. Bereits die moglichen "nachteiligen Auswirkungen" einer staatlichen MaGnahme im Rahmen eines in peripharer Weise mit einem grenzuberschreirenden Element ausgestatteten Lebenssachverhaltes geniigen bereirs, urn diese staatliche MaGnahme einer Priifung anhand einer Grundfreiheit zu unterziehen. Diese Priifung erfolgt insbesondere auch dann, wenn eine Beeintrachtigung eines Grundrechts zu befiirchten ist. Es ist davon auszugehen, dass die Beeintrachtigung eines Grundrechts fiir die Erweiterung des Anwendungsbereiches ratione materiae einer Grundfreiheit dienstbar gemacht wird. SchlieGlich wird in der iiberwiegenden Rechtsprechung und Lehre eine weite Auslegung des grenziiberschreitenden Sachverhaltes in Orientierung am Bild des Gemeinsamen Marktes im Bereich der Freiheit der Dienstleistung postulien.103o Durch die Vermengung zweier Konzepte wird schlieGlich der Begriff des grenziiberschreitenden Sachverhaltes nahezu jeglicher Bedeutung entkleidet, Der EuGH rechtfenigt die unendlich weite Auslegung des Konzepts des grenziiberschreitenden Sachverhaltes mit dem potentiellen Verbot umgekehrter Diskriminierung durch das nationale Recht. Damit wird zum Einen die Feststellung eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes mit der materiellrecht-
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Mager, Anmerkung zu "Carpenter",]Z 2003,202, (206). Mager, Anmerkung zu "Carpenter" ,]Z2003, 202, (207). Puth, Die unendliche Weite der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, EuR 2002 ,860. "E ine Abgrenzung des materiellen Geltungsbereichs muss sich orientieren an dem Bild eines gemeinsamen Marktes, in dem samtliche wirtschaftlichen Betatigungen innerhalb der Gemeinschaft von allen Beschrankungen aus Grunden der Sraatsangehorigkeit oder des Wohnsitzes befreit sind.", EuGH Rs. 186/8 7 Ian William Cowan gegen Tresor Public, Schlussantrag GA Lenz, Slg. 1989, 195, (205).
Das Konzept des grenzOberschreitenden Sachverhalts im Gemeinschaftsrecht
lichen Priifung der beanstandeten Mafsnahme anhand der Dassonville-Formel vermengt, und zum Anderen das materiellrechtliche Element eines potentiellen Verbots der Inlanderdiskriminierung in das Konzept des grenziiberschreitenden Sachverhaltes eingefiigt. Dieser Befund wird dadurch verstarkt, dass im Rahmen der Grundfreiheiten eine de minimis- Regel nicht existiert. Es scheint, dass der EuGH fiir die Feststellung des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes die Verantwortung - bis auf einige wenige Ausnahmen - dem nationalen Gericht iiberlassen mochte. 9. Thesen
Da es der EuGH bis zu der Grenze des "Hypothetischen" und "Konstruierten" dem vorlegenden nationalen Gericht iiberlasst, die Relevanz der Beantwonung einer Frage im Rahmen eines Verfahrens nach An. 234 EG zu entscheiden, wird das Konzept des grenziiberschreitenden Sachverhaltes auf blof potentielle Ankiipfungspunkte oder gar die (innerstaatliche) Feststellung einer innerstaatlich verponten umgekehrten Diskriminierung reduziert. Damit sinkt die Relevanz des Unterscheidungsmerkmals des Vorliegens eines grenziiberschreitenden Sachverhaltes zwischen Art. 141 EG und einer drittwirkenden Grundfreiheit. Aus der Entscheidung Carpenter ist abzuleiten, dass die Dienstleistungsfreiheit nicht blof in einen produktbezogenen und einen personenbezogenen Aspekt zerfallt, sondern, dass der personenbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit grundrechtlichen Inhalt aufweist. Damit ist im Folgenden die Frage nach der Drittwirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, der Freiheit der Niederlassung und - falls abgrenzbar - des personenbezogenen Aspektes der Dienstleistungsfreiheit zu stellen.
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V. Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht A. Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht 1. Einfuhrung
In diesem Abschnitt sollen die Grundlagen der Konstruktion des Gleichheitssatzes - oder des Diskriminierungsverbotes - im Gemeinschaftsrecht strukturell und begrifflich dargelegt werden. Ziel und Zweck dieses Abschnittes ist nicht, Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz im EG-Recht erschopfend zu behandeln. Vielmehr sollen die dogmatischen Grundlagen des Diskriminierungsverbotes mit dem Ziel dargelegt werden, die Schlussfolgerungen fur die weiterfiihrende Untersuchung der Frage der Drittwirkung von Grundfreiheiten zu nutzen. Der fur diese Untersuchung des in Art. 12 EG und in zahlreichen Sonderbestimmung im EG-Vertrag enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbotes aufgrund der Staatsangehorigkeit und des allgemeinen Diskriminierungsverbotes in Art. 13 EG - oder des EG-rechtlichen allgemeines Gleichheitssatzes - ist, den Versuch eines definitorischen Herauslosens des Systems des Diskriminierungsverbotes aus dem System der Grundfreiheiten und ihrer nunmehr in herrschender Rechtsprechung und Lehre anerkannten Konvergenz zu unternehmen, urn einen rechtlich administrierbaren und sachlich gerechtfertigen Raum fur die Drittwirkung der Grundfreiheiten zu schaffen. 2. Theoretische Grundlagen
Nach dem Erlass zweier Richtlinien zur Ausfiihrung des in Art. 13 EG enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatzes'P" sowie der Anderung der Bestimmung 1031 Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.]uni zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABI L 180/2000,22; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festle-
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
des Art. 141 EG durch den Vertrag von Amsrerdam'Pe- erscheint es wesentlich, kurz die theoretischen Grundlagen der von dem Gesetzgeber der Gemeinschaft, dem EuGH und den Mitgliedstaaten im Rahmen der Durchfiihrung des einschlagigen Sekundarrechts zu skizzieren, aber auch der im Rahmen der wesentlichen Verfahren vor dem EuGH vertretenen Argumentation nachzugehen. Die Folgerungen aus diesem Kapitel sol1en fur einen Vorschlag der Ausgestaltung der Drittwirkung von Grundfreiheiten, soweit diese Diskriminierungen verbieten, dienstbar gemacht werden. 1m Grundsatz solI die dogmatische Ausgestaltung sarntlicher Diskriminierungsverbote unter dem Gesichtspunkt ihrer Systernatik betrachtet werden. Dem Diskriminierungsverbot anhand der Staatsburgerschaft, das neben der generellen Regelung in Art. 12 EG spezielle Ausformungen in den Vorschriften der Grundfreiheiten erfahrt, solI hierbei der gr66te Raum gewidmet werden. Eine Darlegung samtlicher oder auch nur ausgewahlter theoretischer Ansatze, welche sich mit der Systematik von Diskriminierungen befassen, wiirde zunachst das Ausmaf dieser Arbeit, jedoch insbesondere ihre Zielsetzung, sprengen. Diese Ansatze, aus denen aufgrund der weitergehenden Ausstrahlung in Literatur und Rechtsprechung einer ausgewahlt und im Uberblick dargelegt werden solI, setzen fur ihre weiteren Folgerungen entweder an der Diskriminierung des Individuums an und damit an der Schaffung von Gleichheit fur ein - sich fur seine Rechte einsetzenden - Individuum oder aber an der Diskriminierung der Person als Teil oder Mitglied einer Gruppe. Der Ausgleich erlittener Diskriminierung setzt nach diesem Ansatz nicht an der rechtlichen oder tatsachlichen Position des Individuums an, sondern an jener der Gruppe. Fur eine Darlegung der theoretischen Grundlagen wird der Denkansatz von]ohn Rawls' "A Theory of Justice" 1033 gewahlt, Diese Auswahl wird mit der Begriindung getroffen, dass sich Rawl's Schrift in jiingerer Zeit von betrachtlichern Einfluss auf akademisches Schrifttum und Rechtspolitik erwies. 1034 Die Interpretation der oben angefiihrten Bestimmung iiber das Vergung eines allgemeines Rahmens fur die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschaftigung und Beruf, ABl L 303/2000,16. 1032 Im Gefolge der Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Kalanke und Marschall erhielt Art. 141 Abs. 4 EG folgende Fassung: "lm Hinblick auf die effektive Gewahrleisrung der vollen Gleichstellung von Mannern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstatigkeit des unterreprasentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergiinstigungen beizubehalten oder zu beschlieiien." 1033 ]. Rawls, A Theory of Justice, Harvard University Press, Cambridge (MA), 2003. 1034 ]. Habermas, La reconciliation grace al'usage public de la raison - Remarques sur Ie liberalisme politique de John Rawls, in]. Habermas,]' Rawls, Debar sur la justice politique (1997), 9.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
bot von Diskriminierungen in der Rechtssprechung des EuGH erlaubr in der Folge eine Systematisierung der Rechtsprechung in Fallgruppen anhand der von Rawls vertretenen Prinzipien.P'" Der Gleichheitssatz spielt eine tragende Rolle im Rahmen der sozial gerechten Ordnung von John Rawls: "There are questions which we feel sure
must be answered in a certain way. For example, we are confident that religious intolerance and racial discrimination are unjust. These convictions are provisional fixed points which we presume any conception ofjustice must fit. "1036 Die Wahrnehmung direkter oder unmittelbarer Diskriminierung als ungerecht beruhe zum einen auf der nachteiligen Behandlung von Individuen als Angehorig« einer Gruppe und gerade nicht als Individuen. Des Weiteren steht es dem Einzelne gerade nicht frei, sich mit einer gegebenen Gruppe zu identifizieren - oder eben nicht. Das Individuum existiert von dem Standpunkt des Diskriminierenden aus daher bl06 als Angehoriger oder Bestandteil einer Kategorie und nicht als Einzelner.l'"? Zum anderen schreiben samtliche Formen der Diskriminierung Position zu und verteilen Giiter anhand moralisch nicht relevanter Kriterien. So erfolgt bei Vornahme einer Diskriminierung eine Unterscheidung von Bewerbern - welche fur den in Frage kommenden Posten ungleich ausgebildet sind - nicht anhand der beruflichen Qualifikationen, sondern anhand anderer Kriterien, welche nach diesem Ansatz als willkiirlich bezeichnet werden.l?" Diese, als willkiirlich bezeichneten Kriterien, erlangen zumeist, so Rawls, eine ureigene Relevanz nach einer Periode der Ungerechtigkeit und Diskriminierung anhand dieser Faktoren. Fur die Dauer der Periode der Ungerechtigkeit besaisen diese Kriterien, insofern, auch eine Form von Relevanz, als ihr Auftreten ungerechte und nachteilige Behandlung nach sich gezogen hat. Nach Ablauf der Periode der Ungerechtigkeit und Diskriminierung erlangen diese Kriterien Relevanz auf einer neuen Ebene: Nicht sie alleine erscheinen als Anknupfungspunkt fur irgendeine Form der Differenzierung von Bedeutung, sondern ihr Vorliegen - wie erwa die Zugehorigkeit zum weiblichen Geschlecht oder zu einer bestimmten Glaubensrichtung, oder der Besitz schwarzer Hautfarbe - indiziert mit gro6er Wahrscheinlichkeit ein Opfer von Diskriminierung.l'"?
1035 Vgl. dazu unten S. 300 ff. 1036 Rawls, A Theory of justice, Harvard University Press (2003), 19. 1037 H. Jones, A Rawlsian Discussion of Discrimination, in Blocker/Smith (Hg), John Rawls' Theory ofSocial justice (1980), 270 (272). 1038 Die Bezeichnung so1cher Kriterien lautet "arbitrary": Rawls, A Theory of Justice (2003),95. 1039 H. Jones, A Rawlsian Discussion of Discrimination, in Blocker/Smith (Hg), John Rawls' Theory 0/Social Justice (1980), 270 (272).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
Bei de Erorterung der Position des einzelnen Individuums zieht Rawls ein Modell-Individuum, ein representative individual, heran. In der von Rawls entworfenen gerechten Ordnung erhalten Modell-Individuen anhand der noch anzufiihrenden Prinzipien eine gerechte Ausstattung an Gutern. 1040 Noch vor dem Entstehen der gerechten Ordnung geben sich die vertragsschlieisenden Parteien einige Regeln - von Rawls als Prinzipien bezeichnet moralischer und sozialer N atur, welche ihre Beziehungen untereinander determinieren sollen. Die vertragsschliefsenden Parteien befinden sich in einer "original position" sowie unter einem "veil of ignorance". Diese Fiktion errnoglicht es ihnen, unter AuBerachtlassen personlicher Eigenschaften, die unten anzufiihrenden Prinzipien zu beschliefsen, Diese Prinzipien sind so angelegt, dass sie minimale Erfordernisse von Gerechtigkeit erfullen; iiberdies ware es hochst irrational fur eine vertragsschlieBende Partei, eine Regel oder ein Prinzip diskriminierenden Inhaltes zu wahlen, da der vertragsschliefsenden Partei jene Kriterien, an denen Unterscheidungen und im Weiteren Diskriminierungen ansetzt, namlich ihre ureigenen personlichen Eigenschaften unbekannt sind. Daher ware es durchaus moglich, dass eine vertragsschlieiiende Partei, wenn sie fur ein diskriminierendes Prinzip optierte, selbst zum Opfer einer solchen Diskriminierung werden wurde. Das Prinzip Preiheit-?" erfordert es, dass jeder Burger jenes groBte MaB an Freiheit erhalt, das mit einem gleichen Ausrnaf an Freiheit fur alle anderen Burger vereinbar ist, Im Rahmen der Wahrnehmung von Gerechtigkeit als Fairness ist eine Ausnahme von dem oben genannten gleichen Ausrnaf an Freiheit nicht vorgesehen.'?" Eine einzige - voriibergehende - Abweichung von diesem Grundsatz besteht bei folgenden faktischen Gegebenheiten: Wenn in der Vergangenheit tiber einen gewissen Zeitraum hinweg eine Bevolkerungsgruppe das Opfer von Diskriminierung wurde, so ist es moglich, diese Gruppe gegeniiber der in diesem Zeitraum bevorzugten Gruppe mit Vorteilen zu versehen, urn schlielilich zu einer in gleichem Ausmali gegebenen Verteilung von Freiheit zu gelangen. Der Grundsatz der gleichrnaiiigen Verteilung von Freiheit, "principle of liberty", errnoglicht daher konzeptuell die Entschadigung einer Gruppe, die Opfer von Diskriminierung in der Vergangenheit war, und stiitzt somit auch das Konzept umgekehrter Diskriminierung. Der zweite Grundsatz der gerechten Ordnung und der Theory ofJustice von Rawls ist jener der Chancengleichheit.P'? 1040 Rawls, A Theory of Justice, Harvard University Press, Cambridge (MA), 2003, 47. 1041 Principle of liberty, vgl. Rawls, A Theory of Justice, Harvard University Press, Cambridge (MA), 2003, 171. 1042 H. Jones, A Rawlsian Discussion of Discrimination, in Blocker/Smith (Hg), John Rawls' Theory ofSocialJustice, Ohio University Press, Athens, 1980,270 (278). 1043 Principle ofEqual Opportunity, vgl. Rawls, A Theory of Justice (2003), 73.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Dieser Grundsatz soll die gerechte Verteilung von Macht und Giitern regeln. Zunachst erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit, dass jedermann rechtlich den gleichen Zugang zu bevorzugten sozialen Stellungen besitzt. Dennoch bezeichnet Rawls eine solche Regelung als ungeniigend, und blof als "formal equality of opportunity", da der Grundsatz der Chancengleichheit sich in dieser Lesart nicht auf im Hintergrund stehende Faktoren, wie Zugehorigkeit zu einer bestimmten sozialen Schichte, Familie, oder individuelle Motivation, auswirke. Gleichheit der Individuen wird nach Ansicht von John Rawls von zufalligen Gegebenheiten be- und verhindert, welche nach seiner Ansicht als "arbitrary from a moral point ofview" zu bezeichnen sind.J?" Daher sei es notwendig, iiber formelle Chancengleichheit hinauszureichen, urn jedem Individuum zu errnoglichen, bestimmte Positionen einzunehmen und damit echte Chancengleichheit zu erreichen. Der Grundsatz der Chancengleichheit errnoglicht es daher, manchen Bevelkerungsgruppen zusatzliche Vorteile zu verschaffen, urn intrinsische Benachteiligung wettzumachen. Wahlt man hier das Beispiel einer sozial benachteiligten Bevolkerungsgruppe, so ist es mit dem Grundsatz der Chancengleichheit vereinbar und wird sagar von diesem gefordert, dieser Bevolkerungsgruppe zusatzliche Qualifikationen zu verschaffen. Umgekehrte Diskriminierung erscheint daher moglich und zulassig, urn durch Verrnogen und/oder soziale Stellung anderer Gruppen verursachte Diskriminierung wettzumachen. Der Grundsatz der Differenz nimmt Bezug auf die unterschiedliche Verteilung geistiger und materieller Giiter, Dieser Grundsatz tritt zu den zwei oben genannten Grundsatzen der Freiheit und der Chancengleichheit hinzu und postuliert, dass zufallig entstandene - und daher unvercliente - Ungleichheiten ausgeglichen werden miissen.P" Rawls' Theory ofJustice postuliert, class Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, der Hautfarbe oder des religiosen Bekenntnisses moralisch verwerflich und daher nicht als gerecht angesehen werden konne, Umgekehrte 1044 Rawls, A Theory of Justice (1971), 73; Pogge, Realizing Rawls (1991), 178. 1045 Rawls definiert: [The difference principle] gives some weight to the considerations singled out by the principle of redress. This is the principle that undeserved inequalities call for redress; and since inequalities of birth and natural endowment are undeserved, these inequalities are to be somehow compensated for. Thus the principle holds that in order to treat all persons equally, to provide genuine equality of opportunity, society must give more attention to those with fewer native assets and to those born into less favourable positions. The ides is to redress the bias of contingencies in the direction of equality." Rawls, A Theory of Justice (2003), 101; fur eine Kritik dieses Konzeptes, das moglicherweise zur Einschrankung personlicher Freiheit fuhrt und wiederum zu individueller Ungleichheit vgl. Walzer, Spheres of Justice (1983), 16; Somek, Rationalitat und Diskriminierung - Zur Bindung der Gesetzgebung and das Gleichheitsrecht (2001), 289.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
Diskriminierung sei jedoch dann zulassig, wenn sie ein Mittel darstellt, in der Vergangenheit stattgefundene Diskriminierungen auszugleichen. Der Theory ofJustice folgend stellt der Grundsatz der Gleichheit den weiteren Begriff gegeniiber dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung dar, weil ersterer umgekehrte Diskriminierung zur Herstellung tatsachlicher Chancengleichheit und Gleichheit erlaubt.l?" Bell und Waddington beschranken sich - und diesem Ansatz soll in dieser Arbeit gefolgt werden - auf das Herausarbeiten bestimmter Themata urn ein auf ein Individuum zugeschnittenes Gerechtigkeitsmodell und urn ein auf die Zugeh6rigkeit zu einer Gruppe zugeschnittenes Gerechtigkeitsmodell. Das individuelle Gerechtigkeitsmodell wird nach Ansicht dieser Autoren als ,,liberal", "formell" und "symmetrisch" beschrieben, wahrend das auf die Zugehorigkeit des Einzelnen zu einer Gruppe bauende Modell als "substantive", "asymmetrisch" und als Gruppen-Gerechtigkeitsmodell bezeichnet wird.l?" Das individuelle Gerechtigkeitsmodell findet seinen Ausdruck etwa in der vorn EuGH gewahlten Definition direkter Diskriminierung'P" und, im Bereich des Sekundarrechts, in der Gleichbehandlungs-Richtlinie1049 • Das individuelle Gerechtigkeitsmodell soll Einzelpersonen vor Diskriminierungen aufgrund einer verponten Eigenschaft oder Gegebenheit bewahren. Zu den N achteilen diese Modells zahlen das Problem, Beweise aus der Sphare des Diskriminierenden zu beschaffen, weiters emotionale und finanzielle Kosten eines Rechtsstreits, etwaige Nachteile am Arbeitsmarkt ("Viktimisierung") sowie die Suche nach einem angemessenen Vergleichssubjekt.P'" Jenes Gerechtigkeitsmodell, das auf den Ausgleich von Diskriminierungen kraft Zugeh6rigkeit zu einer Gruppe abstellt, findet seinen Niederschlag in den zahlreichen Quotenregelungen, welche Personen in vielfaltiger Weise bevorzugen sollen, die aufgrund ihrer Zugeh6rigkeit zu einer bestimmten Gruppe aller Wahrscheinlichkeit nach in der Vergangenheit Opfer von Diskriminierungen wurden. Die Problematik dieses Ansatzes lasst sich, Fredman folgend, sehr grob auf die Frage nach dem Ansatz jener Maiinahmen reduzieren, die das angestrebte Ziel der Gleichheit verwirklichen sollen: Sollen diese Maiinahmen bei den M6glichkeiten ansetzen, die den Einzelnen als Mitglieder einer Gruppe zu1046 Vgl. kritisch hierzu Walzer, Spheres of Justice (1983),15. 1047 Bell/Waddington, Reflecting on Inequalities in European equality law, ELR 2003, 349, (351). 1048 Vgl. dazu unten S. 300 f. 1049 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABI L 39/1976, 40. 1050 Bell/Waddington, Reflecting on Inequalities in European equality law, ELR 2003, 349, (351).
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kommen, urn ein dies em Gerechtigkeitsmodell entsprechendes Resultat zu erreichenrP'" Oder sollen diese Maisnahmen vielmehr erst - in der Phase der Herstellung des wiederum diesem Gerechtigkeitsmodell entsprechenden Resultates eingreifen?I052 Der EuGH scheint - mit Nuancierungen - der ersten oben vertretenen Auffassung zuzuneigen.F'" Dennoch scheint auch dieses Gerechtigkeitsmodell seine Schwachpunkte aufzuweisen: Zum einen erscheint es schwierig, die Zugehorigkeit eines Individuums zu einer Gruppe mit hinreichender Sicherheit festzustellen.P'" Zum anderen scheinen gerade von einem solchen Modell jene Individuen den meisten Nutzen davonzutragen, die innerhalb der diskriminierten Gruppe noch am wenigsten benachteiligt werden. 1055 Schlieiilich vertritt McCrudden einen Ansatz fur die Herstellung von Gleichheit, der die Herstellung tatsachlicher und substantieller Gleichheit als Auftrag und Pflicht an den Einzelnen begreift. 1056 Wahrend dieser Ansatz mit dem Ausgleich in der Vergangenheit liegender Diskriminierungen aufgrund der Zugehorigkeit zu einer Gruppe arbeitet, wiirde sich der neutrale Staat auf okonornische Belohnung derartiger Verhaltensweisen und Gegebenheiten zu U nrecht beschranken. 3. Das Verbot von Diskriminierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz im EG-Vertrag
Das Verbot von Diskriminierungen im EG-Recht ist nach Ansicht von Rechtsprechung und Lehre als iibergeordneter Grundsatz des Gemeinschaftsrechts aufzufassen, der strukturell die Anwendung des Gleichheitssatzes im Verhaltnis zwischen der EG, ihren Organen und ihren Mitgliedstaaten auf der einen
1051 Fredman unterscheidet hier wiederum zwischen materiell gleichen Moglichkeiten und gleichen Moglichkeiten im Hinblick auf ein anzuwendendes Verfahren. 1052 Fredman bezeichnet die hier aufgeworfenen Fragen als Kontroverse zwischen equality ofopportunity und equality ofresults, vgl. S. 295. 1053 Vgl. etwa EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Slg. 1995,1-3051. 1054 Bell und Waddington relevieren dieses Problem insbesondere im Hinblick auf die Feststellung einer Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Orientierung, vgl. Bell/Waddington, Reflecting on Inequalities in European equality law, ELR 2003, 349, (356). 1055 Bell/Waddington, Reflecting on Inequalities in European equality law, ELR 2003,349, (356). 1056 McCrudden, Theorizing European Equality Law and the Role of Mainstreaming, Paper for Irish Centre for European Law/Equality Authority Conference on Equality Law (2001).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
Seite vorsieht, und der zugleich Diskriminierungen von Unionsbiirgern auf der anderen Seite himan halten soIl. 1057 In seiner zweiten Funktion fungiert das Prinzip des Verbots von Diskrirninierungen als Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit auf der einen Seite und als Gebot der Lohngleichhcit von Mann und Frau 1058 • Das Verbot von Diskriminierungen richter sich zunachst an die Gemeinschaft selbst im Rahmen ihrer Iegislativen und administrativen Tatigkeit und kann aufgrund der seitens des Gerichtshofes angewendeten Begrifflichkeit als Gleichheitssarz, allerdings mit eingeschranktern Anwendungsbereich, aufgefasst werden. Der EuGH selbst setzt die Begriffe "Diskriminierungsvcrbot" und Gleichheitssatz gleich:
[•• .J .Diese Vorschrift verbietet zwar ohne jeden Zweifel jede Diskriminierung zwischen Erzeugern des gleichen Produkts, sie zielt jedoch nicht mit der gleichen Deutlichkeit auf die Beziehungen zwischen verschiedenen Handels- und Gewerbezweigen landwirtschaftlicher Verarbeitungserzeugnisse. Das in der angefiihrten Vorschrift angesprochene Diskriminierungsverbot ist jedoch nur der speziJische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gebiirt:" 1059 (Hervorhebung der Verfasserin) Der allgemeine Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts wird als allgemeiner Rechtsgrundsatz, der seinen Ursprung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten findet, vom EuGH wie folgt definiert: Nach diesem Grundsatz diirfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Diskriminierung objektiv gerechtfertigt ist. 1060 Dennoch erscheint es dogmatisch notwendig und fur die Zielsetzung dieser Arbeit erforderlich, zwischen einem allgemeinen Gleichheitssatz, der als allgemeiner (verfassungsrechtlicher) Rechtsgrundsatz aufzufassen ist, sowie den verschiedenen Diskriminierungsverboten aufgrund zahlreicher verponter Eigenschaften und Urnstande zu differenzieren. 1057 Lenaerts, L'egalite de traiternent an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991, 3. 1058 Vgl. dazu unten S. 300 ff. 1059 EuGH verb. Rs, 117/76 und 16/77 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzehoe, Slg. 1977, 1753 (1770). 1060 EuGH verb. Rs. 117/76 und 16/77 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamal t AG gegen Hauptzollamt Itzhoe, Slg. 1977, 1753 (1770).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Der allgemeine Gleichheitssatz wird seitens des EuGH als Grundsatz der Rechtsordnung des Gemeinschaftsrechts angesehen.P" welcher seiner Auspragung in zahlreichen Bestimmungen des primaren und des sekundaren EGRechts findet. 1062 Fur die Zwecke der vorliegenden Arbeit soll ein nahezu ausschlieisliches Augenmerk auf das in Art. 12 EG normierte Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehorigkeit sowie seinen Auspragungen in den verschiedenen Sonderbestimmungen der Grundfreiheiten gelegt werden. Daher soll im nachsten Abschnitt eine Begriffseinschrankung auf die Begriffe "direkte" und "indirekte" Diskriminierung vorgenommen werden. Der anschlieliende Abschnitt stellt fur diese Argumentation einen Exkurs dar: Darin sol1en die in der Rechtsprechung zu Art. 141 EG sowie in der Judikatur zu den sekundarrechtlichen Bestimmungen im Bereich der Gleichbehandlung zwischen Mann und Frau erarbeiteten dogmatischen Grundlagen fur das Gebiet der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit dienstbar gemacht werden. 1m Folgenden werden sowohl die dogmatischen Grundlagen als auch die wesentlichen Ausformungen des in den Bestimmungen iiber die Grundfreiheiten enthaltenen Diskriminierungsverbotes - urrter weitegehender Auiierachtlassung der auch selbstandig anwendbaren und oben bereits behandelten Vorschrift des Art. 12 EG - dargelegt werden. Schlieislich soIl das tiber das Diskriminierungsverbot hinausgehende Beschrankungsverbot der Grundfreiheiten sowie das Diskriminierungsverbot selbst auf einen moglichen Grundrechtsgehalt hin untersucht werden.
1061 Vgl. etwa EuGH Rs. 1/72 Rita Frilli gegen Be1gischen Staat, Slg. 1972,457; Lenaerts, L'egalite de traitement an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991, 3, (4). Vgl. erwa EuGH verb. Rs. 117176 und 16/77 Albert Ruckdesche1 & Co. und Hansa Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzehoe, Slg. 1977, 1753 (1770): Das in der angefuhrten Vorschrift ausgesprochene Diskriminierungsverbot ist jedoch nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehort. 1062 LenaertslArts, Constitutional Law of the European Community 2006, 111; Fur das primare EG-Recht vgl. Etwa Art. 12 und 13 EG; fur das sekundare EG-Recht vgl. etwa EuGH Rs. C-13/94 P gegen 5 und Cornwall County Council, Slg. 1996,1-2143: "Die Richtlinie ist somit nur eine Auspragung des Gleichheitsgrundsatzes, der eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts darstellt, in dem betreffenden Gebiet." Die in dieser Rechtssache angesprochene Richtlinie ist die Richtlinie 761207/EWG des Rates vorn 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABI L 39/1976, 40.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
4. Begrifflichkeit und Dogmatik: Direkte versus Indirekte Diskriminierung oder unmittelbare versus mittelbare Diskriminierung
Fur die in dieser Arbeit vertretene Argumentation erscheint es zunachst erforderlich, eine einheitliche Begrifflichkeit vorzuschlagen: Das Begriffspaar "Diskriminierungsverbot" und "Gleichbehandlungsgebot" sollen gleichgesetzt werden. 1063 Direkte Diskriminierung liegt dann vor, wenn eine Regelung des Gemeinschaftsrechts od er des nationalen Rechts ein Unterscheidungskriterium anwendet, welches gesetzlich verpont ist oder ungleiche Sachverhalte einer formal gleichen Regelung unterwirfr. P" Das Diskriminierungsverbot des EG-Rechts umfasst jecloch nicht nur direkte Diskriminierungen, sondern auch indirekte Diskrim inierungen. Dies erflieflt aus der standigen Rechtsprechung des EuGH etw a seinem Dictum in der Rechtssache Pinna l 06S :
,,[...J ist darauf hinzuweisen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangeborigleeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung v erbietet, die mit Hilfe der Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsiicblicb zu dem selben Ergebnis[ii bren," 1066 Unter der von dem EuGH in der Rechtssache Pinna verwendeten Begrifflichkeit "verschleiert e Form der Diskriminierung" so11 fur die Zwecke dieser Arbeit der Begriff der indirekten Diskriminierung oder jener der mittelbaren Diskriminierung verw endet werden. Im Fa11e einer indirekten Diskriminierung wird nicht unmittelbar an ein verp ontes Unterscheidungsmerkmal angekniipft; dem Anschein nach wird bei Vorliegen einer indirckten Di skriminierung an neutrale Kriterien angekniipft. Diese neutralen Vorschriften, Kr iterien oder Verfahren benachteiligen in der Regel einen wesentlich hoheren Anteil von Angehorigen der bena chteiligten Gruppe - hierbei kann es sich erwa bei einer indirekten Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes etwa um Frauen handeln - es sei denn, die betreffenden Kr iterien sind an gemessen und notwendig und sind nicht durch auf die benachteiligte Gruppe bezogene Argumente sachlich gerechtfertigt. P'" 1063 Meyer, Das Diskriminierun gsverb ot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht (2002), 35. 1064 Lenaerts, L'egalite de traiternent an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991, 3 (12); M eyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatz norm und Gleichheitsre cht (2002), 36. 1065 EuG H Rs, 41/84 Pietro Pinna gegen Ca isse d 'alloc ations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 17. 1066 EuGH Rs. 41/84 Pietro Pinna gegen Caisse d'allo cations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 17, (25). 1067 Meye r, Da s Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsr echts als Grundsatznorm und
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Der EuGH definiert indirekte Diskriminierung wie folgt: Die Rechtssache Sotgiu 1068 befasst sich mit der Frage, ob die Gewahrung einer geringeren Trennungsentschadigung fur jene Wanderarbeitnehmer, deren Wohnort bei Eingehen des Arbeitsverhaltnisses im Ausland liegt, anhand der Mafsstabe des Art. 7 der Verordnung 1612/68/EWGl069 geringer sein diirfe als fur jene Arbeitnehmer, deren Wohnort zu dem relevanten Zeitpunkt im Inland liege. Hierzu nimmt der EuGH wie folgt SteHung: "Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Unterscheidungsmerkmale wie der Herkunftsort oder der Wohnsitz eines Arbeitnehmers in ihren tatsdchlicben Auswirkungen je nach den Umstdnden auf eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangeborigkeit hinauslaufen konnen. Das ware allerdings nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen fur die Geurabrung einer Trennungsentschadigung und einzelne Bestimmungen uber ihre Zahlung den sachlichen Unterschieden der Lage Rechnung tragen, in der sich die Arbeitnehmer befinden, je nachdem, ob sie im Zeitpunkt ihrer Anstellung fur eine bestimmte Tdtigkeit ihren Wohnsitz im Inland oder im Ausland haben." 1070 Eine Legaldefinition im EG-Sekundarrecht findet sich in der Richtlinie 97/801 EG tiber die Beweislast bei Diskriminierungen aufgrund des Ceschlechts.l?" Fur die Zwecke dieser Arbeit sollen die Begriffspaare direkte - indirekte Diskriminierung sowie unmittelbare - mittelbare Diskriminierung herangezogen werden.P'? Meyer klassifiziert die in Lehre und Rechtsprechung verwendete Begrifflichkeit nach Vorliegen einer Diskriminierung unter Bezugnahme auf ein bestimmtes verbotenes Diskriminierungskriterium als unmittelbare, formelle oder direkte Diskriminierung, bei Erreichen des namlichen Ergebnis-
1068 1069 1070 1071
1072
Gleichheitsrecht (2002), 37; Lenaerts, L'egalite de traitement an droit communautaireUn principe unique aux apparences multiples, CDE 1991,3 (13). EuGH Rs. 152/73 Giovanni Maria Sotgiu gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1974, 153. Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober uber die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 257/1968,2. EuGH Rs. 152/73 Giovanni Maria Sotgiu gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1974, 153, (164). Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 iiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998, 6: [...J liegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich hoheren Anteil der Angehorigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn die betreffenden Vorschriften sind angemess en und norwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene Grimde gerechtfertigt. Fur diese Annahme folgend Lenaerts, L'egalite de traitement an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991,3 (12).
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ses durch Verwendung eines (vorgeblich) neutralen Kriteriums als mittelbare, materielIe, substantielIe oder versteckte Diskriminierung.P'? Wahrend die von Meyer innerhalb der ersten Kategorie vorgenommene Gleichsetzung keine weiteren Argumentationsprobleme aufwirft, bedarf die Gleichsetzung des Begriffs der Diskriminierung im materiellen Sinne mit indirekter Diskriminierung einer Klarung, Der EuGH selbst definiert Diskriminierung im materiellen Sinn wie folgt:
"Die ungleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte stellt jedoch nicht ohne weiteres eine Diskriminierung dar. Vielmehr liegt in manchen Fallen, die formell den Anschein einer Diskriminierung erwecken, materiell doch keine solche vor. Eine Diskriminierung im materiellen Sinne uiurde vorliegen, wenn gleichgelagerte Sachverhalte ungleich oder verschieden gelagerte gleieh behandelt uncrden, "1074 Der letzte Satz in der vorn EuGH gewahlten Formulierung lasst darauf schlie£en, dass der Begriff der materiellen Diskriminierung keine neuen Strukturelemente den bisher bekannten hinzufiigt; Diskriminierung liegt schlichtweg dann vor, wenn die vorn EuGH angesprochene ungleiche Behandlung vorliegt. Der Begriff der Diskriminierung im materielIen Sinn hingegen fallt im Hinblick auf seine Gesetzlichkeiten daher mit dem Begriff der indirekten Diskriminierung zusammen.P" Indirekte Diskriminierung erfolgt anhand blof vorgeblich neutraler Kriterien; nach Ansicht mancher Autoren gehort es zu ihrem negativen Tatbestandsmerkmal, dass eine Rechtfertigungsmoglichkeit gerade nicht vorliegt.P" Meyer bezieht sich in dieser Folgerung auf den Schlussantrag von GeneralanwaltJaeobs in der Rechtssache Sehnorbus 1077 :
"Die zwei Arten der Reehtfertigung sind unterschiedlicher Natur. Die Erstgenannte bezieht sieh auf die Definition der reehtswidrigen Diskriminierung selbst; wenn sie vorliegt, besteht keine solehe Diskriminierung und kein Anlass fur eine weitergehende Pridung. Die Letztgenannte ist eine moglicbe " Verteidigung", die zu priifen ist, sobald das Vorliegen einer solchen Diskriminierung festgestellt wurde. Dariiber hinaus seheint sieh die 1073 Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheirsrecht (2002), 36. 1074 EuGH Rs, 13/63 Italienische Republik gegen Kommission der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft, Slg. 1963,357, (384). 1075 So auch offensichtlich Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht (2002), 36. 1076 Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht (2002), 37. 1077 EuGH Rs, C-79/99 Julia Schnorbus gegen Land Hessen, Slg. 2000, 1-10997.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Erstgenannte nur auf die mittelbare Diskriminierung beziehen zu konnen, da das Kriterium bei unmittelbarer Diskriminierung per definitionem notwendig mit dem Geschlecht zusamrnenhiingt, wahrend die Letztgenannte sich auf beide Formen beziehen zu konnen scbeint:" 1078 Die von GAJacobs hier getroffene Differenzierung bei Feststellen des Vorliegens einer indirekten Diskriminierung umfasst zwei Arten von Rechtfertigungsgrunden: Die erste Kategorie umfasst nach seiner Ansicht jene Faktoren, die eine Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen verrnogen, und das Vorliegen einer rechtswidrigen (indirekten) Diskriminierung ausschlieGen. Diese Kategorie ist daher nach Ansicht von Jacobs als negatives Tatbestandsmerkmal indirekter Diskriminierung aufzufassen. Meyer hingegen schlieGt in das Konzept des negativen Tatbestandsmerkmals auch die zweite, von Jacobs als Kategorie von Rechtfertigungsgriinden bezeichnet, mit ein. Diese umfast nach Ansicht des Generalanwalts im Allgemeininteresse liegende Paktoren.l'"? Es erscheint jedoch aus systematischen Grunden nicht erforderlich, RechtIertigungsgrunde - zumal eine schwierig abzugrenzende Teilmenge dieser - als negatives Tatbestandsmerkmal fur das Vorliegen einer indirekten Diskriminierung anzunehmen. Die Unterscheidung zwischen jenen Rechtfertigungsgrunden, die eine Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen verrnogen, und jenen, die im Allgemeininteresse liegen, liegt nicht unbedingt auf der Hand. Daher erscheint es zielfiihrend, die oben angefiihrte Aussage des EuGH als bloG verkurzte Darlegung einer Schlussfolgerung zu interpretieren, die keine zusatzlichen Tatbestandmerkmale fur das Vorliegen von Diskriminierung vor-
sieht. Wahrend bei Vorliegen einer direkten Diskriminierung eine Rechtfertigung bloG mit im EG-Vertrag - oder im jeweiligen Sekundarrechtsakt vorgesehenen - Rechtfertigungsgrunden moglich ist, ist bei Vorliegen einer indirekten Diskriminierung eine Rechtfertigung mit sachlichen Grunden des Allgemeininteresses moglich; diese mussen jedoch angemessen, notwendig und diirfen nicht auf das verponte U nterscheidungsmerkmal bezogen sein. 1080 1078 GA Jacobs, EuGH Rs. C-79/99 Julia Schnorbus gegen Land Hessen, Slg. 2000, 1-10997, (1-11008). 1079 GA Jacobs, EuGH Rs. C-79/99 Julia Schnorbus gegen Land Hessen, Slg. 2000, 1-10997, (1-11008). 1080 Vgl. etwa An. 2 Abs.2 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 tiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl L 14/1998, 6: [...] liegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich hoheren Anteil der Angehorigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn die betreffenden Vorschriften sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene Griinde gerechtfertigt.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
Das Konzept der umgekehrten Diskriminierung oder Inlanderdiskriminierung ist an anderer Stelle bercits angesprochen worden; das Problem der urngekehrten Diskriminierung richtet sich nach der Frage der Anwendbarkeit des EG-Vertrages selbst und nicht nach dem im EG-Vertrag enthaltenen Diskriminierungsverbot. Irn folgenden Abschnitt sollen zusatzliche dogmatische Grundlagen des Diskriminierungsverbotes dargelegt werden, welche vo m EuGH anhand der Rechtsprechung zu Art. 141 EG -und damit zu jener Bestimmung, die mit unmittelbarer Drirrwirkung ausgestattet ist - sowie zu MaBnahmen des Sekundarrechts, welche eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau bezwecken. In diesem Abschnitt find en sich auch Prazisierungen, welche seitens des EuGH im Rahmen der Folgerechtsprechung zu Defrenne / /1081 getroffen wurden. Dieser Abschnitt versteht sich als Exkurs, da die hier erarbeiteten Grundlagen fur ein etwa drittwirkendes Diskriminierungsverbot anhand der Staatsangehorigkeit im EG-Recht dienstbar gemacht werden soIlen. 5. Exkurs: Das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts 5.1. Das Diskriminierungsverbot aufgrund von Art. 141 EG
D as Diskriminierungsverbot in Art. 141 EG ver bietet in Folge der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Defrenne Ip 082 nicht blof direkte Diskriminierungen; von diesem Verbot werden auch indirekte Diskriminierungen erfasst. D er Gerichtshof unterscheidet in der Entscheidung Defrenne // zunachsr zwischen direkten Diskriminierungen, die sich bereits anhand Begriffe "gleiche s Entgelt " und "gleiche od er gleichwertige Arbeit" feststellen lassen, und indirekten Diskriminierungen, zu deren Feststellung eine ausfiihrliche Erforschu ng des Sachverhaltes notwendig isr, Zumindest in Fallen direktcr D iskriminierung ist es dem nationalen Gericht nach Ansicht des EuGH moglich, das Vorliegen oder Nichrvorliegen des Mcrkmals "gleiches Entgelt" und "gleiche oder gleichwertige Arbeit" zu cru ieren . Daher ist Art. 141 EG fur Falle unmittelbarer Diskriminierung unmitrelbar anwendbar.P'"
1081 EuGH Rs. 43175 Gabrielle Defrenn e gegen Societe ano nym e beige de navigation aerienne Sabena, Sig. 1976,455 . 1082 EuGH Rs. 43/ 75 Gabrielle D efrenne gegen Societe anonym e beige de navigation aerienne Sabena, Sig. 1976,455. 1083 EuGH Rs. 43/75 G abrielle D efrenne gegen Societe anon ym e beige de navigation aerienn e Sabena, Sig. 1976,455.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Aus Anlass der Entscheidungen in den Rechtssachen]enkins 1084 und BilkaKaufhaus 1085 stellt der EuGH fest, dass die unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes in Art. 141 EG nicht bl06 direkte Diskrirninierungen erfasst, sondern auch indirekte Diskriminierungen:
,,[...J, so verstoflt der Umstand, dassfur eine nach Zeit bezahlte Arbeit ein je nach der Anzahl der toocbentlicben Arbeitsstunden unterschiedlicher Stundenlohn gezahlt wird, somit nicht gegen den in Artikel119 EWG- Vertrag niedergelegten Grundsatz des gleichen Entgelts, soweit die unterschiedliche Entlohnung der Teilzeitarbeit und der Vollzeitarbeit auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben."1086 Der Begriff des "Entgelts" erfuhr in der Folgerechtsprechung zu Defrenne II insbesondere in den Entscheidungen Barber 1087und Moroni 1088 eine weite Auslegung: So fallen etwa darunter der im Krankheitsfalle fortgezahlte Arbeitnehmerlohn, Betriebsratsmitgliedern aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften bezahlte Vergutungen fur die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen, Dbergangs geld nach Beendigung des Arbeitsverhaltnisses, Entschadigungsleistungen bei betriebsbedingter Entlassung sowie Zahlungen aus betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit.l'"? Die Folgerechtsprechung zu Defrenne II dehnt durch die Einbeziehung und Definition des Konzepts der indirekten Diskriminierung sowie die weite Auslegung des Begriffs "Entgelt" den Anwendungsbereich des Art. 141 EG in unmittelbarer Drittwirkung aus. Von entscheidender Bedeutung fur die Feststellung des Vorliegens eines diskriminierenden Tatbestandes, und damit fur die praktische Wirksamkeit einer derartigen Vorschrift sind jedoch Regeln der Verteilung der Beweislast. Diese sollen in einem gesonderten Kapitel angesprochen werden.l?"
1084 EuGH Rs. 96/80 J.P. Jenkins gegen Kingsgate (Clothing Produktions) Ltd., Slg 1981, 911; vgl. dazu Crisham, The Equal Pay Principle: Some Recent Decisions of the European Court of Justice, 601. 1085 EuGH Rs. 170/84 Bilka-Kaufhaus GmbH gegen Karin Weber von Hartz, Slg 1986, 1607. 1086 EuGH Rs. 96/80 J.P. Jenkins gegen Kingsgate (Clothing Produktions) Ltd., Slg 1981, 911, (925). 1087 EuGH Rs. 262/88 Douglas Harvey Barber gegen Guardian Royal Exchange Assurance Group, Slg 1990, 1889. 1088 EuGH Rs. C-l10/91 Michael Moroni gegen Collo GmbH, Slg. 1993,1-6591. 1089 Coen, Kommentar zu Art. 141, in Lenz/Borchardt (Hg), EU/EG-Kommentar, 4. Aufl. 2006, 1605. 1090 Vgl.untenS.379ff.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
5.2. Das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts im EG-
Sekundarrecht Fur die Zwecke dieser Arbeit und dieses Exkurses sollen an dieser Stelle zwei wesentliche Strukturmerkmale der sekundarrechtlichen Regelungen und der Rechtsprechung des EuGH auf diesem Gebiet herausgestrichen werden: Das erste Strukturmerkmal betrifft in Auslegung der Richtlinie 76/2071 EWGIC91 und der Nachfolgeregelung Richtlinie 73/2002/EG I092 das Verbot einer autornatisch wirkenden Quote zur Anhebung des Anteils minder vertreten en Geschlechts innerhalb einer Berufs- oder Funktionsgruppe. Das zweite Strukturmerkmal betrifft Bedeutung von Auswahl und Definition der Vergleichsgruppe. Die Rechtssache Kalanke 1093 befasst sich mit der Auslegung des Art. 2 Abs. 4 der oben genannten Richtlinie. P?" Diese Bestimmung erm6glicht den Mitgliedstaaten den Erlass von Malinahmen, die auf die Herstellung von Chancengleichheit zwischen Mannern und Frauen abstellen - dies allerdings mit der Einschrankung, dass gem. Art. 1 der Richtlinie 76/207/EWG der benachteiligten Gruppe blof der Zugang zu Beschaftigung oder Berufsbildung erleichtert werden soll . Das vor dem Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall angegriffene Gesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau im 6ffentlichen Dienst des Landes Bremen (im folgenden LGG) normiert grundsatzlich eine vorrangige Einstellung von Frauen bei Begriindung eines Beamtendiensrverhaltnisses in jenen Bereichen, in denen Frauen unterreprasentiert sind. Diese Regel ist immer dann anzuwenden, wenn zwischen mannlichern Bewerber und weiblichem Bewerber gleiche Qualifikation besteht. Diese Regel gilt auch bei Obertragung einer Tatigkeit in eine hohere Lohn-, Vergiitungs- und Besoldungsgruppe oder bei Beforderung, 1091 Richtlinie 761207/ EWG des Rates vom 9.Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbeh andlun g von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingun gcn, ABI L 39/1976, 40. 1092 Richtlinie 7312002/EG des Europaischen Parlaments und des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum bcruflichen Aufstieg, ABI L 269/2002,15. 1093 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Sig. 1995, I-305l. 1094 Art. 2 Abs.4 lautet: Diese Richtlin ie steht nicht den MaBnahmen zur Forderung der Chancengleichheit fur Mann er und Frauen, insbesondere durc h Beseitigung der tatsachliche bestehend en Ungle ichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel I Absatz 1 genannten Bereichen beeintrachtigen, entgegen. Bei den von dieser Bestimmung angespro chenen "Bereiche" handelt es sich urn Zugang zur Beschaftigun g, einschlieBlich Aufstieg, sowie Zu gang zur Berufsbildung.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
In seinem Urteil in der Rechtssache Kalanke halt der EuGH fest, dass die Einraumung einer automatischen Bef6rderung - und damit die Anwendung einer Variante der automatischen Quote fur das unterreprasentierte Geschlecht - als Diskriminierung des Individuums zu betrachten ist. 1095 Eine derartige Auslegung des Art. 2 Abs.4 der Richtlinie 76!207/EWG sei nicht von Telos und System der Richtlinie getragen, da diese sich die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zwischen Mannern und Frauen zum Ziel setzt; mit Hilfe der genannten Richtlinie sollen vielmehr direkte und indirekte Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts hintan gehalten werden. Die angesprochene Ausnahmebestimmung dient nach Ansicht des EuGH dazu, Maiinahmen zuzulassen, welche zwar vordergriindig diskriminierend erscheinen m6gen, jedoch die Verringerung oder Abschaffung von in der sozialen Wirklichkeit bestehenden faktischen U ngleichheiten bezwecken.P?" Unter den Begriff der nach Art. 2 Abs.4 der Richtlinie zulassigen MaBnahme fallen solche, die Frauen spezifisch begunstigen und darauf ausgerichtet sind, zur Verbesserung ihrer Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt unter den gleichen Bedingungen wie Manner beizutragen.l??" Die in dem EuGH-Urteil Kalanke deutlich getroffene Unterscheidung zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit-?" beschrankt in einem betrachtlichen Ausrnaf die Zulassigkeit jeglicher Form von positiver Diskri-
1095 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Slg. 1995, 1-3051, (1-3077): "Eine nationale Regelung, wonach Frauen, die die gleiche Qualifikation wie ihre mannlichen Mitbewerber besitzen, in Bereichen, in denen die Frauen unterreprasentiert sind, bei einer Beforderung automatisch der Vorrang eingeraumt wird, bewirkt aber eine Diskriminierung der Manner aufgrund des Geschlechts." 1096 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Slg. 1995, 1-3051, (1-3077); uberaus kritisch Prechal, Case Annotation Case C-450/03 Kalanke v. Freie Hansestadt Bremen, [1995J ECR 1-3051, CMLR 1996, 1245, (1257). 1097 Generalanwalt Tesauro prazisiert die knappen AusfUhrungen des EuGH zu dem Begriff der zulassigen nationalen Mafsnahme durch Beispiele: Darunter fallen etwa die Beseitigung frauenspezifischer Hindernisse bei der Schulwahl und der Berufsbildung, aber auch spezifische Organisationsformen der Arbeitszeit, Einrichtungen der Kinderbetreuung. Nach Ansicht des Generalanwaltes habe der EuGH weitergehende Malinahmen nicht der angesprochenen Ausnahmebestimmung in Art. 2 Abs.4 der Richtlinie 76/207/EWG unterstellt, wie etwa Herabsetzung der Arbeitszeit, Urlaub bei Krankheit von Kindern, Zulagen fur Mutter oder die Kostentibernahme fur Kinderbetreuung. Solche Matsnahmen sind nach Ansicht des Generalanwaltes - wiewohl vordergriindig diskriminierend - geeignet, Chancengleichheit von Frauen in Berufsbildung und Beruf herzustellen.; vgl. EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Schlussantrag GA Tesauro, Slg. 1995, 1-3051, (1-3061). 1098 Fredman bezeichnet diese Dichotomie als Unterscheidung zwischen equality of opportunity und equality of result, vgl. Fredman, After Kalanke and Marschall: Affirming Affirmative Action, The Cambridge Journal of European Legal Studies 1998, 198, (203).
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minierung. Positive Diskriminierung wurzelt in dem Konzept materieller Gleichheit, welches in konsequenter Form in der Auswahl des Betrachtungssubjekts bzw. des Vergleichssubjekts nicht das Individuum auswahlt, sondern eine allenfalls benachteiligte Gruppe. Irn Schlussantrag Kalanke gliedert Generalanwalt Tesauro denn auch positive Diskriminierung in drei Strange: Eine positive Maisnahme kann, so Tesauro, zunachst in dem spezifischen Bereich die Beseitigung von Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt anstreben, welche Frauen in besonderem Ausrnaf treffen. Mit solchen Malinahmen solI Einfluss auf weibliche Berufswahl und Berufsbildung genommen werden.P"? Das zweite Modell positiver Maisnahmen solI das Gleichgewicht zwischen familiaren und beruflichen Pflichten fordem. Unter dieses Modell fallen nach Ansicht von Tesauro etwa Mafjnahmen betreffend Arbeitszeitordnung, den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Mafsnahmen der sozialen Sicherheit und Steuervorteile mit Beriicksichtigung familiarer Belastungen. Das Ziel dieser zwei Modelle sei die Verwirklichung von Chancengleichheit und die Herstellung der inhaltlichen Gleichheit. Das dritte Modell setze sich zum Ziel, historische Ungleichbehandlungen auszugleichen. Im Rahmen dieses Modells getroffene Maiinahmen solI Wiedergutmachung fur eine benachteiligte Gruppe geleistet werden; die Folge hiervon sei, so Tesauro, dass "Vorzugsbehandlungen zugunsten benachteiligter Kategorien legitimiert werden, insbesondere tiber Quotenmodelle."1100 Eine Festlegung von Quoten setze jedoch nach Ansicht des Generalanwaltes das Ziel der Chancengleichheit mit jenem der Gleichheit hinsichtlich der Ergebnisse gleich. Eine starre Quote - i. e. die Festlegung einer Anzahl von Stellen, die unabhangig von dem individuellen Einzelfall zu erreichen sei - beriihre den Grundsatz der Gleichheit der Individuen im Kern und stelle bei starrer Auspragung der Quote nach Ansicht von Tesauro eine Diskrirninierung aufgrund des Geschlechts dar. ll Ol Das vom EuGH in der Rechtssache Kalanke und von Generalanwalt Tesauro in seinem Schlussantrag zu dieser Rechtssache vertretene Konzept des EG-rechtlichen Diskriminierungsverbotes ist im Bereich der faktischen Gleichstellung zu suchen. Positive Diskriminierung wird als Mittel zur Herstellung einer mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichheit und dem hierzu ergangenen Sekundarrecht vereinbaren Verwirklichung von Chancengleichheit betrachtet.
1099 EuGH Rs, C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Schlussantrag GA Tesauro, Slg. 1995,1-3051, (I-3058). 1100 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Schlussantrag GA Tesauro, Slg. 1995,1-3051, (1-3059). 1101 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Schlussantrag GATesauro, Slg. 1995,1-3051, (I-3059).
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Eine nahere Betrachtung des von EuGH und Generalanwalt vertretenen Konzepts lasst folgern, dass eine individuelle Betrachtungsweise angelegt und damit die faktische Situation einer einstmals benachteiligten Gruppe von Personen fur die Bewertung des Vorliegens von Diskriminierung nicht herangezogen wird. Damit wird ein rechtlicher Kompromiss zwischen der Forderung materieller Gleichheit - von Tesauro als inhaltliche Gleichheit bezeichnet und rechtlich verbrieftern Diskriminierungsverbot getroffen;1102 letzteres ist in seiner bisherigen Auspragung sowohl als allgemeiner Rechtsgrundsatz als individuell konzipiertes Grundrecht zu begreifen. In den Rechtssachen Marschall l1 03 und Badeck 1104 werden daher auch solche Quotenregelungen, die zwar bei gleicher Qualifikation weiblichen Bewerberinnen den Vorrang einraumen, jedoch die Moglichkeit vorsehen, weitere Kriterien der Beurteilung zu unterziehen, fur mit den Bestimmungen der Richtlinie vereinbar erklart, Die angesprochenen Quotenregelungen enthalten mithin eine Ausnahmeregelung, "sofern in der Person eines rnannlichen Mitbewerbers liegende Griinde uberwiegen."1105 Eine solche ,,6ffnungsklausel" soll nach Ansicht des EuGH traditionellen Einstellungs- und Beforderungskriterien, etwa der Befurchtung, dass Frauen ihre Laufbahn haufiger unterbrechen, entgegenwirken. Der EuGH gelangt zu dem durchaus nicht evidenten Schluss, dass eine derartige Quotenregelung geeignet sei, faktische Ungleichheiten, welche zuungunsten von Frauen bestehen, auszugleichen und demnach sowohl die Zielvorgaben der Richtlinie 76/207/EWG als auch die Bestimmung des Art. 2 Abs.4 erfullen, Die bei der rechtlichen Wurdigung des Sachverhaltes eingeschlagene Vorgangsweise geht wiederum von den Gesichtspunkten der Chancengleichheit und dem individuellen Recht auf Gleichbehandlung aus:
.Jm Gegensatz zu der Regelung, die Gegenstand des Urteils Kalanke war, iiberscbreuet eine nationale Regelung, die wie im vorliegenden Fall eine Offnungsklausel enthdlt, diese Grenzen nicht, wenn sie den mdnnlichen Bewerbern, die die gleiche Qualifikation wie die weiblichen Bewerber besitzen, in jedem Einzelfall garantiert, dass die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien beriicksichtigt werden und der den weiblichen Bewerbern eingerdumte Vorrang erufdllt, wenn eines oder mehrere dieser Krue1102 Fredman, After Kalanke and Marschall: Affirming Affirmative Action, The Cambridge Journal of European Legal Studies 1998, 198, (203). 1103 EuGH Rs. C-409/95 Hellmut Marschall gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1997, 1-6363. 1104 EuGH Rs. C-158/97 Georg Badeck u. a., Beteiligte: Hessischer Ministerprasident und Landesanwalt beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Slg. 2000, 1-1875. 1105 EuGH Rs. C-409/95 Hellmut Marschall gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1997, 1-6363, (1-6368).
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rien zugunsten des mdnnlichen Bewerbers uberwiegen.''1106 (Hervorhebung der Verfasserin)
Der Ansatz des EuGH betreffend das Rechts auf Nichtdiskriminierung im Rahmen der Richtlinie 761207/EWG findet eine Fortfiihrung im Hinblick auf sonstige Vergunstigungen zur Schaffung von Chancengleichheit in der Emscheidung Griesmar'P': 6. Zur Determinierung des Vergleichsobjekts zur Feststellung einer Diskriminierung
Fur die Frage des Vorliegens einer Diskriminierung ist es unerlasslich, ein Vergleichsobjekt oder eine Vergleichsgruppe zu definieren. 1m Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts stellt sich fur den Anwendungsbereich der Vorschrift des Art. 141 EG die Frage nach Bedeutung und Abgrenzung des Begriffs der "gleichen oder gleichwertigen Arbeit" . 1108 Der Passus der "gleichwertigen Arbeit" wurde in Anpassung an die Rechtsprechung des EuGH, welche dieser Primarrechtsanderung vorgreift, durch den Vertrag von Amsterdam eingefiihrt .11 09 Gerade die Definition mittel barer Diskriminierung, narnlich das Verbot jener neutralen Vorschriften, welche im Ergebnis einen weitaus hoheren Anteil von Angehorigen eines Geschlechtes benachteiligen, erfordert sowohl fur das im EG-Primarrecht verankerte Verbot der Diskriminierung anhand des gewahrten Entgelts als auch in den diversen sekundarrechtlich normierten Diskriminierungsverboten'P ? eine Abgrenzung der ins Auge zu fassenden Kategorie. Wahrend eine unmittelbare Diskriminierung leicht auszumachen ist, ist eine mittelbare Diskriminierung blo~ anhand bestimmter faktischer Merkmale 1106 EuGH Rs. C-409l95 H ellmut Marschall gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1997, 1-6363, (1-6393 ). 1107 EuGH Rs. C-366 /99 Joseph Griesmar gegen Ministre de l'Ec onomie, des Finances et de l'industrie et Ministre de la Fonction publique, de la Reforme de l'Etat et de la Decentralisation, Slg. 2001, 1-9383. 1108 Vgl. dazu Rebhahn, Kornmentar zu Art. 141 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg.), EUKommentar (2009), 1388. 1109 EuGH Rs, 61/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Crofsbritannien und Nordirland, Slg. 1982,2601. 1110 Vgl. erwa Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG, Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABI L 39/ 1976,40; Vgl. auch Art. 1 der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24.Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen bei den betrieblichen System en der sozialen Sicherheit, ABI L 225/1986, 40.
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Iestzustellen."!'! So ist eine nationale Regelung, welche dem Arbeitgeber die Erstattung des Arbeitnehmer geleisteten Krankengeld verweigert, wenn der Arbeitnehmer dieses innerhalb eines halben Jahres ab Antritt der Beschaftigung in Anspruch nimmt und mit dem Eintritt der Arbeitsunfahigkeit aufgrund des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers bei Antritt der Beschaftigung zu rechnen war. Eine solche Regelung macht es namlich einem Arbeitnehmer wirtschaftlich unmoglich, eine schwangere Frau einzustellen und ist daher als mittelbar diskriminierend zu betrachten.l-F Die Weigerung des Arbeitgebers, eine schwangere Frau einzustellen, ist hingegen als ein Akt unmittelbarer Diskriminierung zu betrachten.UP Eine Vergleichbarkeit zwischen der diskriminierten Gruppe und jener Gruppe, die als bevorzugt zu betrachten ist, muss auf objektiv nachweisbaren Faktoren, etwa statistischer N atur, gegrundet sein.P!' An den "ersten Anschein" fur eine Diskriminierung kniipft in der Folge auch die Umkehrung der Beweislast an. Spricht namlich in einem Verfahren zur Feststellung einer Diskriminierung nach dem Geschlecht oder einer der in den Ausfuhrungsrechtsakten zu Art. 13 EG verponten Differenzierungskriterien der erste Anschein fur das Vorliegen einer Diskriminierung, so hat etwa der Arbeitgeber oder der Mitgliedstaat nachzuweisen, dass "es sachliche Grunde fur den festgestellten U nterschied beim Entgelt gibt." 1115 Der Frage nach der Verteilung der Beweislast bei Vorliegen einer Beschrankung oder Diskriminierung im Bereich der Grundfreiheiten sowie ihre mogliche Ausgestaltung bei unmittelbarer Drittwirkung dieser Vorschriften ist in einem gesonderten Abschnitt nachzugehen.t!" 7. Ergebnisse Fur die rechtliche Feststellung der Diskriminierung eines Individuums wurden zahlreiche Modelle entwickelt. In dieser Arbeit wurden entsprechend der gewahlten Methode zwei Ansatze dargelegt: Das individuelle Gerechtigkeitsmodell findet seinen Ausdruck in der vorn EuGH gewahlten Definition direkter Diskriminierung und, im Bereich des Se1111 Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht (2002), 37. 1112 EuGH Rs. C-177/88 Elisabeth Johanna Pacifica Dekker gegen Stichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen (VJV-Centrum) Plus, Slg. 1990, 1-3941. 1113 EuGH Rs. C-177/88 Elisabeth Johanna Pacifica Dekker gegen Stichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen (VJV-Centrum) Plus, Slg.1990, 1-3941, (1-3977). 1114 EuGH Rs. C-127/92 Dr. Pamela Mary Enderby gegen Frenchay Health Authority und Secretary of State for Health, Slg. 1993,1-5537. 1115 EuGH Rs. C-127/92 Dr. Pamela Mary Enderby gegen Frenchay Health Authority und Secretary of State for Health, Slg. 1993,1-5537, (1-5574). 1116 Vgl. unten S. 379 ff.
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kundarrechts, in der Gleichbehandlungs-Richtlinie. Das individuelle Gerechtigkeitsmodell soll Einzelpersonen vor Diskriminierungen aufgrund einer verponten Eigenschaft oder Gegebenheit bewahren. Jenes Gerechtigkeitsmodell, das auf den Ausgleich von Diskriminierungen kraft Zugehorigkeit zu einer Gruppe abstellt, findet seinen Niederschlag in den zahlreichen Quotenregelungen, welche Personen in vielfaltiger Weise bevorzugen sollen, die aufgrund ihrer Zugehorigkeit zu einer bestimmten Gruppe aller Wahrscheinlichkeit nach in der Vergangenheit Opfer von Diskriminierungen wurden. Dieses Konzept findet auch Niederschlag in der nunmehrigen Fassung des Art. 141 Abs.4 EG, der im Hinblick auf die effektive Gewahrleistung der Gleichstellung von Mannern und Frauen spezifische Vergunstigungen fur das unterreprasentierte Geschlecht gestattet. Der EuGH scheint - mit Nuancierungen - der ersten oben vertretenen Auffassung zuzuneigen.l'V Daher soll fur die Erarbeitung einer Dogmatik der Grundfreiheiten dieses Konzept zugrunde gelegt werden. Dabei soll auf die Systematik der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit zuriickgegriffen werden und nicht auf die spezifischen Regeln, welche im Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes zur Anwendung kommen. Das Verbot von Diskriminierungen im EG-Recht ist nach Ansicht von Rechtsprechung und Lehre als ubergeordneter Grundsatz des Gemeinschaftsrechts aufzufassen, der strukturell die Anwendung des Gleichheitssatzes im Verhaltnis zwischen der EG, ihren Organen und ihren Mitgliedstaaten auf der einen Seite vorsieht, und der zugleich Diskriminierungen von Unionsburgern hinan halten sol1. 1118 In seiner zweiten Funktion fungiert das Prinzip des Verbots von Diskriminierungen als Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit auf der einen Seite und als Gebot der Lohngleichheit von Mann und Frau auf der anderen. Der EuGH selbst setzt die Begriffe "Diskriminierungsverbot" und Gleichheitssatz gleich. 8. Schlussfolgerungen
Fur die Zwecke dieser Arbeit soll das Begriffspaar direkte - indirekte Diskriminierung herangezogen werden.!'!? welches mit dem Begriffspaar unmittelbare - mittelbare Diskriminierung iibereinstimmt, Meyer klassifiziert die in 1117 Vgl. etwa EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Slg. 1995,1-3051. 1118 Lenaerts, L' egalite de traitement an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991,3. 1119 Fur diese Annahme folgend Lenaerts, L' egalite de traiternent an droit communautaire - Un principe unique aux apparences multiples, CDE 1991, 3 (12).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Gleichheit im EG-Recht
Lehre und Rechtsprechung verwendete Begrifflichkeit nach Vorliegen einer Diskriminierung unter Bezugnahme auf ein bestimmtes verbotenes Diskriminierungskriterium als unmittelbare, formelle oder direkte Diskriminierung, bei Erreichen des namlichen Ergebnisses durch Verwendung eines (vorgeblich) neutralen Kriteriums als mittelbare, materielle, substantielle oder versteckte Diskriminierung.W? Wahrend bei Vorliegen einer direkten Diskriminierung eine Rechtfertigung bl06 mit im EG-Vertrag - oder im jeweiligen Sekundarrechtsakt vorgesehenen Rechtfertigungsgriinden - moglich ist, ist bei Vorliegen einer indirekten Diskriminierung eine Rechtfertigung mit sachlichen Grunden des Allgemeininteresses moglich; diese mussen jedoch angemessen, notwendig und nicht auf das verponte Unterscheidungsmerkmal bezogen sein. 1l 21 Von entscheidender Bedeutung fur die Feststellung des Vorliegens eines diskriminierenden Tatbestandes und damit fur die praktische Wirksamkeit einer derartigen Vorschrift sind jedoch Regeln der Verteilung der Beweislast. 9. Thesen
Fur die Zwecke dieser Arbeit soll das Begriffspaar direkte - indirekte Diskriminierung herangezogen werden, welches mit dem Begriffspaar unmittelbare - mittelbare Diskriminierung ubereinstimmt, Wahrend bei Vorliegen einer direkten Diskriminierung eine Rechtfertigung blof mit im EG-Vertrag - oder im jeweiligen Sekundarrechtsakt vorgesehenen Rechtfertigungsgrunden moglich ist, ist bei Vorliegen einer indirekten Diskriminierung eine Rechtfertigung mit Hilfe eines offenen Katalogs von sachlichen Grunden des Allgerneininteresses moglich. Eine Gleichsetzung der Rechtsprechung des EuGH zu dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechtes in Art. 141 EG mit der Rechtsprechung des EuGH zu der Drittwirkung von Grundfreiheiten lasst folgern, dass sowohl direkte Diskriminierungen als auch indirekte Diskriminierungen hier aufgrund des Geschlechtes, da aufgrund der Staatsangehorigkeit - erfasst werden. Diese These folgt a maiore ad minus aus der Dbertragung der Dritt-
1120 Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznarm und Gleichheitsrccht (2002), 36. 1121 Vgl. etwa Art. 2 Abs.2 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vam 15. Dezember 1997 tiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998, 6: [...Jliegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Varschriften, Kriterien ader Verfahren einen wesentlich hoheren Anteil der Angehorigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn die betreffenden Varschriften sind angemessen und natwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezagene Griinde gcrechtfertigt.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
wirkung des Art. 39 EG in Hinblick auf Diskriminierungsverbot und Beschrankungsverbot in der Rechtssache Bosman.
B. Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen 1. Einfuhrung
In den folgenden Kapiteln sol1en die wesentlichen Eckpunkte der Dogmatik der Grundfreiheiten mit Blick auf die Erarbeitung eines Vorschlags fur ein System der Drittwirkung der Grundfreiheiten dargelegt werden. Jene Eckpunkte dieser Dogmatik, die sich fur ein System der Drittwirkung der Grundfreiheiten als dogmatisch wenig zielfiihrend und/oder in der Rechtswirklichkeit nicht handhabbar bzw. deren konkrete Ausgestaltung sich fur die Gewichtung zwischen der Verwirklichung der Ziele Binnenmarkt und Privatautonomie als schadlich erweisen sol1ten, werden besonders herausgestrichen. Schlieiilich soll versucht werden, die Elemente der Dogmatik der Grundfreiheiten in einem Baustein-System vorzustellen; diese Bausteine sol1en im Hinblick auf den Vorschlag einer Dogmatik der Grundfreiheiten letztlich auf ihre Tauglichkeit uberpriift und neu zusammengesetzt werden. In diesem Kapitel soll das besondere Augenmerk auf die Frage gelegt werden, ob und in welchem Ausmafs das in den Grundfreiheiten enthaltene Verbot von Diskriminierungen von dem Beschrankungsverbot trennbar ist und als eigenstandige Vorschrift angesehen werden kann.
2. Das Konzept des Verbotes von Diskriminierungen: Die erste Stufe der Anwendung der Grundfreiheiten
2.1. EinfOhrung
Das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit im Rahmen des EG-Vertrages findet sich als Generalklausel in Art. 12 EG sowie als spezielle Vorschrift in den in den Grundfreiheiten enthaltenen Diskriminierungsverboten. Kingreen etwa weist darauf hin, dass - wahrend ein integrierter Wirtschaftsraum gleiche Wettbewerbsbedingungen voraussetzt und diese durch protektionistische Maiinahmen der Mitgliedstaaten zunichte gemacht werden konnen - einem (judiziellen) Denken in Vor- und Nachteilen fur ein Unternehmen, das fur den gesamten Binnenmarkt produziert, jedenfalls ein komparatives Moment innewohnt: Die wirtschaftsrechtliche Position inlandischer 314
Diskriminierung versus Beschrankunq im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Unternehmer - handele es sich nun urn Importeure oder Hersteller - wird miteinander verglichen und untersucht, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt. 1122 Wahrend die Mehrzahl der Grundfreiheiten ihrer Formulierung nach bereits Beschrankungen und Diskriminierungen erfassen.W' griindet die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer auf der Abschaffung von Diskriminierungen von EU-Auslandern gegeniiber inlandischen Arbeitnehmern. Art. 43 Abs. 2 sowie Art. 50 Abs. 3 EG deuten in der urspriinglichen Formulierung diese Bestimmungen bereits darauf hin, dass jedenfalls der Tatbestand einer Diskriminierung vorliegen muss. 1124 Wahrend in der neueren Rechtsprechung des EuGH eine einheitliche Systematik der Grundfreiheiten als Verbote von Beschrankungen und von Diskriminierungen erkennbar ist,1125 so ist zunachst der Charakter der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote zu betrachten. Das Diskriminierungsverbot wohnt jedenfalls nach hL dem von der judikatur nunmehr einheitlich angewendeten Beschrankungsverbot der Grundfreiheiten inne. 1126 Freilich ist bereits in der friihen Rechtsprechung des EuGH und den Legislativmafsnahmen der Europaischen Kommission eine scharfe Trennung zwischen bloG beschrankenden Maisnahmen auf der einen Seite, und solchen Mafsnahmen, die mittelbar oder unmittelbar diskriminieren, auf der anderen Seite, nicht klar erkennbar. In diesem Abschnitt soll versucht werden, das in den Grundfreiheiten enthaltene spezielle Diskriminierungsverbot von dem weiterreichenden Beschrankungsverbot auf ihre Trennbarkeit zu untersuchen. Dieser Schritt erscheint notwendig fur die weiterfiihrende Argumentation dieser Arbeit, Zu 1122 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europaischen Gemeinschaftsrechts (1999),38. 1123 Dies gilt fur die Freiheit des Warenverkehrs, die Freiheit der Dienstleistung und die Freiheit des Kapitalverkehrs. 1124 Arg. Art. 43 Abs 2 EG: "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates fur seine eigenen Staatsangehorigen" sowie Art. 50 Abs. 3 EG-Vertrag "und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat fur seine eigenen Angehorigern vorschreibt" . 1125 Vgl. etwa Cerexbe, L'Egalite de Traitement dans l'Ordre Juridique Communautaire, in Manin/Nafilyan/M egret/Berlin/Besse-Desmoulieres/de Perier (Hg), Etudes de Droit des Cornmunautes Europeennes - Melanges oHerts aPierre-Henri Teitgen (1984), 3; F. Burrows, Free Movement in European Community Law (1987), 54; Marenco, Pour une interpretation traditionelle de la notion de mesure d'effet equivalant aune restriction quantitative, CDE 1984,291, (312); Defalque, Le concept de discrimination en matiere de libre circulation de marchandises, CDE 1987,471 (477); M. Waelbroeck, Le role de la Cour de Justice dans la mise en oeuvre de L'Acte Unique Europeen, CDE 1989, 41 (49); Dorr, Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 30 EWG-Vertrag - doch blog ein Diskriminierungsverbot?, RabelsZ 1990, 677 (679). 1126 Vgl. statt vieler Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europaischen Gemeinschaftsrechts (1999), 40; Bernard, Discrimination and Free Movement in EC Law, ICLQ 1996, 82.
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Die Dogmatik von Diskr im inierung und Beschrankunq im Geme inschaftsrecht
diesem Zwecke soll insbesondere jener judikatur das Augenmerk geschenkt werden, welche chronologisch und systematisch der Entscheidung in der Rechtssache Dassonuille' F' vor an geht. Die oben bereits getroffene Einteilung der zu anal ysier end en Aspekte der Grundfreiheiten erfolgt nach Produktverkehrsfreiheiten und Personenverkchrsfreiheiten sowie, in eigenstandiger Betrachtung, der Kapitalverkehrsfreiheir. 2.2. Produktverkehrstreiheiten: Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr 2.2.1. Freiheit des Warenverkehrs: Das Verbot von Diskriminierungen 2.2.1 .1. Anfanqe in Rechtsprechung und Lehre
1m Folgenden ist zunachst noch vor der Freiheit der Dicnstleistung die Freiheit des Warenverkehrs aIs praktisch fiihrend und dogmatisch zuvorderst ausgcbildete Grundfreiheit zu betrachten: Das dem Verbot rnengenmailiger Beschrankungen und Maiinahmen gleicher Wirkung zugrundeliegendc Telos wird von Generalanwalt Reischl in seinem Schlussantrag Blesgen wie folgt definiert:
" Insofern soli auch Artikel30, ebenso wie die anderen im Vertrag entbaltenen Grundfreiheiten, als spezifische Auspragung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots v erhindern, das eingefiihrte Waren gleichartigen inldndischen Erzeugnissen bei der Vermarktung " de j ure" oder aber auch " de facto " schlechter behandelt we rden. Diese Ub erlegung fuhrt zu dem Scbluss, dass das nur solche nationalen Maflnahmen in den A nwendungsbereich v on A rtikel30 fallen konnen, die in spezifischer Weise geeignet sind, die zwischenstaatlichen Handelsstriime zu beeintrdcbtigen, oder, um in den Worten von Artikel36 zu reden, die sich als Mittel zur willkurlichen Diskriminierung oder zur verschleierten Bescbrdnkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen."1128 (Hervorhebung de r Verfasserin) Der Rtickgriff von Reischl auf die im nunmehrigen Art. 30 EG enthaltene Formel, dass Verbote, welche mit den Rechtfertigungsgrtindcn dieser Bestimmung gercchtfertigt werden konnen, "wed er ein Mittel zur willkiirlichen Diskriminierung noch eine verschleiertc Beschrankung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten" darstellen soll en, verweist auf das grundsatzliche Telos von Art. 28 EG hin.u 29 1127 EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dasson ville, Slg. 1974, 837. 1128 EuGH Rs. 75/8 1 Joseph Henri Thomas Blesgen gegen Be1gischer Staat, 5chlussantrag GA R eischl, Slg. 1982, 1211, (1235). 1129 50 auch Mengoz z i, Europea n Community Law from C ommon Market to European Union (1999), 208.
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Die Formulierung der Freiheit des Warenverkehrs, welche mengenmaisige Beschrankungen und Malsnahmen gleicher Wirkung anspricht, fordert geradezu dazu auf, eine unmittelbar oder mittelbar diskriminierende Maisnahme unter den Begriff einer Malsnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaliige Beschrankung zu subsumieren. So unterstellt bereits die Richtlinie 70/S0/EWG der Europaischen Kommission unter Mafsnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenma6ige Beschrankung sowohl bl06 beschrankende Maisnahmen als auch solche, die eine Diskriminierung beinhalten.U''? Die in der Referenz angegebene Bestimmung geht von einer unterschiedlichen Behandlung auslandischer Waren im Vergleich zu inlandischen Waren aus; diese unterschiedliche Behandlung - welche sich etwa durch das Auferlegen einer zusatzlichen Bedingung fur den Zugang zu dem inlandischen Markt materialisiert - findet ihren Ursprung in einer protektionistischen Motivation des erlassenden Mitgliedstaates. Die Rechtssache Kommission/Irland 1l3 1 bietet hierfur ein Beispiel fur die Anwendung dieser Definition durch den EuGH: Die angegriffene Regelung sieht vor, dass eingefiihrte Produkte mit der Kennzeichnung "foreign" zu versehen sind. Die Einordnung dieser Maiinahme erfolgt zwar, wie oben angesprochen, unter den Begriff der Malsnahme gleicher Wirkung, die vom EuGH gepruften Rechtfertigungsgrunde sind jedoch die fur unmittelbar diskriminierende Maisnahmen anwendbaren. Eine Unterscheidung zwischen einer Ma6nahme gleicher Wirkung, die auch beschrankende Maisnahmen umfassen kann, und einer (bl06) diskriminierenden Maliname wird nicht getroffen:
"Dadurch, dass sie aus anderen Mitgliedstaaten eingejubrte Souvenirs zum einheimischen Markt nur zulassen, wenn sie mit einer Ursprungsbezeichnung versehen sind, die bei einheimischen Erzeugnissen nicht verlangt wird, stellen die in den Verordnungen [ . .} enthaltenen Vorschriften somit unbestreitbar eine diskriminierende Maflnahme dar.
1130 Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969, gestiitzt auf die Vorschrifren des Artikels 33 Absatz 7 uber die Beseitigung von Maisnahmen gleicher Wirkung wie mengenmaliige Einfuhrbeschrankungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrages erlassene Vorschriften fallen, ABI L 13/1970, 29: .Diese Richtlinie betrifft insbesondere diejenigen Maiinahmen, die die Einfuhr oder den Absatz der eingefiihrten Waren auf jeder Handelsstufe einer anderen Bedingung als einer Formalirat unterwerfen, welche allein fur eingefuhrte Waren gefordert wird, oder von einer unterschiedlichen Bedingung abhangig machen, die schwieriger zu erfiillen ist als die fur inlandische Waren, die die inlandischen Waren begunstigen oder diesen einen anderen Vorzug als eine Beihilfe einraumen, unabhangig davon, ob dieser an Bedingungen geknupft ist oder nicht." 1131 EuGH Rs. 113/80 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1981, 1625.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
Abschlieflend ist festzustellen, dass die irische Regelung eine Maflnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 30 EWG- Vertrag darstellt [... J. "1132
Fur die dogmatische Einordnung und das Herausschalen des Diskriminierungsverbotes im Anwendungsbereich der Freiheit des Warenverkehrs erweist sich die im weiteren Kontext erfreuliche Tatsache als problematisch, dass mengenma6ige Einfuhrbeschrankungen - oder Quotenregelungen - bereits 1958 oder spatestens 1961 abgeschafft wurden.I'<' Der EuGH selbst definiert in einer Iriihen Entscheidung den Begriff einer mengenmailigen Einfuhr (oder Ausfuhrbeschrankung) wie folgt: "Das Verbot rnengenrnafliger Bescbrdnleungen erstreckt sich auf sdmtliche Maflnahmen, die sich, je nach Falliage, als eine gdrizlicbe oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen. Zu den Maflnahmen mit gleicher Wirkung gebiiren, iiber die vorgenannten Verbote hinaus, auch sonstige Behinderungen ohne Riicksicht auf ihre Bezeichnung oder ihre Anwendungsart, die sich in gleicher Weise auswirken." 1134 (Hervorhebung der Verfasserin)
Bereits in diesem fruhen Urteil spricht sich der EuGH fur eine weite Interpretation des Begriffs der mengenmafsigen Beschrankung und der Matinahme gleicher Wirkung aus. Herauszustreichen ist, dass der EuGH sich einer systematisch-teleologischen Interpretation des Art. 28 EG verweigert, die es argumentativ ermoglichen wiirde, unter den Begriff "mengenma6ige Einfuhrbeschrankung" oder "Ma6nahme gleicher Wirkung" blo6 solche Maisnahmen zu subsumieren, welche als diskriminierend zu qualifizieren sind. Der EuGH selbst vertritt in der bereits in der Rechtsprechungsphase vor Dassonville einen weiten Begriff der Malinahme gleicher Wirkung wie ein Ein- oder Ausfuhrzoll. In der Rechtssache Komrnission/Ltalien'P'' etwa findet sich bereits eine weite Definition einer Ma6nahme zollgleicher Wirkung: Darin erteilt der EuGH dem Konzept der Norwendigkeit des Vorliegens einer Diskriminierung eine deutliche Absage:
.Eine - noch so geringe - den in- und auslandischen Waren aufgrund des Grenziibertritts einseitig auferlegte finanzielle Belastung stellt danach, 1132 EuGH Rs. 113/80 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1981, 162~ (1641\ 1133 KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Auf!. (1998), 623. 1134 EuGH Rs. 2/73 Riseria Luigi Geddo gegen Ente Nazionale Risi, Slg. 1979,865, (879). 1135 EuGH Rs. 24/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1969, 193, (201); vgl. auch EuGH verb. Rs. 2, 3/69 Sociaal Fonds de Diamantarbeiders gegen S.A. Ch. Brachfeld and Sons gegen Chougol Diamond Co., Slg. 1969,211.
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
auch wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhiingig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 des Vertrages dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des Staates erhoben wird und keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat und wenn die belastete Ware nicht mit inldndiscben Erzeugnissen in Wettbewerb steht." (Hervorhebung der Verfasserin)1136 Die vom EuGH in der oben zitierten Aussage getroffene weite Definition einer Maisnahme zollgleicher Wirkung bedeutet jedoch nicht, dass eine diskriminierende Maiinahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmaiiige Beschrankung nicht von einer solchen ohne diskriminierende Komponente zu unterscheiden ist, Jener Strang der Rechtsprechung des EuGH, der sich mit solchen Maisnahmen befasst, findet aufgrund der faktischen Anlage solcher - in casu staatlicher Maisnahmen - bloG weniger Fallmaterial und fiihrt daher zu einer geringeren Zahl von Entscheidungen. Kapteyn und Veloren van Themaat stellen fest, dass haufig staatliche MaGnahmen, welche eine mengenmaisige Beschrankung des Freien Warenverkehrs beinhalten, unter die Kategorie der MaGnahme gleicher Wirkung eingereiht werden.U'" Hierbei betreffen die in Priifung gezogenen MaGnahmen Einfuhrverbote'{" oder aber Kontingentierungen einer Sorte von Waren l 139 • Fur die Ziele dieser Arbeit kann vorlaufig festgehalten werden, dass eine Maisnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaisige Beschrankung jedenfalls auch eine diskriminierende MaGnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaGige Beschrankung erfasst. Eine mengenmaiiige Beschrankung einer Ware EG-auslandischen Ursprungs ist entsprechend der oben erarbeiteten und gewahlten Begrifflichkeit als eine unmittelbar oder direkt diskriminierende MaGnahme anzusehen. Ein etwaiger Hintergrund protektionistischer Zielsetzung wird fur diese Betrachtung ausgeblendet. Die Begriindung hierfiir lautet wie folgt: Zum einen muss fur die Feststellung einer protektionistischen Absicht des nationa-
1136 EuGH Rs. 24/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1969, 193, (201). 1137 KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities 3. Auf!. (1998),623. 1138 EuGH Rs. 40/82 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Grossbritannien und Nordirland, Slg. 1982, 2793; EuGH Rs. 261185 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Grossbritannien und Nordirland, Slg. 1988, 547; EuGH Rs. C-131193 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1994,1-3303. 1139 EuGH verb. Rs. 194/85 und 241/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland, Slg. 1988, 1037.
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len Gesetzgebers oder einer "bloBen" protektionistischen Wirkung der MaBnahme selbst im Rahmen innerstaatlicher Produktion ein VergleichsmaBstab gefunden werden; dies mag sich in den meisten Fallen als schwierig erweisen. Zum anderen hat der EuGH - wie oben bereits dargelegt wurde - im Bereich der Anwendung der Grundfreiheiten auf eine Untersuchung der protektionistischen Wirkung einer nach Art. 28 EG verbotenen Malsnahme verzichtet. Fur die Anwendbarkeit der Vorschriften iiber die Grundfreiheiten geniigt eine bloB potentielle Beeintrachtigung der jeweiligen Grundfreiheit, eine tatsachliche dahingehende Auswirkung ist nicht erforderlich.!"? Aus der Rechtsprechung des EuGH zum Freien Warenverkehr kann jedoch jener Strang und Bereich zu mengenmaiiigen Beschrankungen und zu MaBnahmen gleicher Wirkung wie eine rnengenrnaiiige Beschrankung, welche als mittelbar diskriminierend zu qualifizieren sind, aus der groisen Gruppe der unterschiedslos anwendbaren Maisnahmen gleicher Wirkung herausgeschalt werden.P"! 2.2.1.2. Teleologische Interpretation: Der Begriff der "MaBnahme gleicher Wirkung"
Das oben von GA Reischl in Blesgen angesprochene Argument wird jedoch vor der Entscheidung in Dassonville in der Literatur vereinzelt vertretenr'W Seidel geht in seiner Argumentation von dem Begriff der MaBnahme gleicher Wirkung wie eine kontingentgleiche Maisnahme aus. Zweck und Wirkung eines Kontingents sei die Begiinstigung der Produktion und des Absatzes konkurrierender inlandischer Produkte. Daher reicht nach dieser Ansicht das Merkmal der einfuhr- oder ausfuhrmindernden Wirkung einer Malinahme nicht aus, Dazu miisse das Merkmal der Diskriminierung auslandischer Erzeugnisse gegeniiber inlandischen Erzeugnissen hinzutreten. Denn bei der hier angesprochenen Definition der Mafsnahme gleicher Wirkung werden nach Ansicht von Seidel eine iibergrolse Anzahl von indirekten Handelsbeschrankungen erfasst, welche weder nach dem Verfahren fur den Abbau von Mafsnahmen gleicher Wirkung aufgehoben werden konnen, noch nach dem 1140 Vgl. dazu oben "Der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten", sowie auch bereits EuGH Rs. 24/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1969, 193, (201). Der EuGH lasst in der angefiihrten Rechtssache "eine noch so geringe" Abgabe fur die Anwendbarkeit der Art. 25 ff EG-Vertrag genugen. 1141 Vgl. etwa EuGH Rs. C-67/97 Strafverfahren gegen Ditlev Blume, Slg. 1998,1-8033; EuGH Rs. C-158/96 Raymond Kohli gegen Union des caisses de maladie, Slg. 1998, 1-1931. 1142 Vgl. eine Zusammenstellung der relevanten Stimmen in der Literatur bei KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities 3.Aufl. 1998,623, sowie bei MeijlWinter, Measures Having an Effect Equivalent to Quantitative Restrictions, CMLR 1976, 79 (84).
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Verfahren der (zu dem damaligen Zeitpunkt in Geltung stehenden) Art. 36 und 100 EG nach dem Willen der Schopfer des EG-Vertrages beseitigt werden sollen. 1143 Jenes Argument, das aus diesen Ausfuhrungen noch aufrecht erhalten werden kann, ist die definitorische Gleichsetzung der Maiinahme gleicher Wirkung mit einer Mafsnahme kontingentgleicher Wirkung, denn seit Inkrafttreten der EEA 1986 findet Rechtsangleichung in diesem Kompetenzbereich im wesentlichen iiber Art. 95 EG start; die Heranziehung des Willens der Schopfer der Vertrage findet keinen Widerhall in der Interpretationspraxis des EuGH. Das von Seidel ins Treffen gefiihrte Argument der Maisnahme kontingentgleicher Wirkung, welche nach seiner Ansicht definitorisch nach dem Merkmal der Diskriminierung verlangt, weist eine begriffliche und eine kompetenzrechtliche Komponente aus; diese Frage - welche nicht eigentlich fur die Zielsetzung dieser Arbeit pertinent erscheint - wird im Rahmen der Entscheidung Keck und Mithouard 1144 erneut angesprochen. Marenco wiederum versucht in einem spateren Stadium der Judikatur zum Freien Warenverkehr mittels eines weiten Ansatzes des Begriffs der Diskriminierung das Fallrecht des EuGH zur Mafsnahme gleicher Wirkung zu systematisieren.P" Poaires Maduro halt diesem Ansatz entgegen, dass eine Reihe von Entscheidungen in diesem Bereich das Vorliegen von Kriterien einer Diskriminierung nicht ansprechen.U:" Diese Strange Iiefsen sich mit Hilfe anderer Denkansatze leichter systernatisieren.P'" Der von Marenco und Defalque l 14 8 vertretene 1143 Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der "MaBnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmiiBige Beschriinkung", NJW 1967, 2081 (2084). 1144 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097. 1145 Marenco, Pour une interpretation traditionelle de la notion de mesure d'effet equivalent a une restriction quantitative, 1984 CDE, 291 (349). Marenco halt fest: "L'idee de discrimination, dans Ie sens Ie plus large de l'expression, doit etre toujours presente: soit que la mesure contient en elle-rneme une discrimination formelle ou materielle, soit que Ie choix qu'elle represente relieve d'une attitude discriminatoire tout au moins par negligence, consistant dans une absence de sollicitude de Iegislareur a I' egard des importateurs." 1146 Poaires Maduro, We The Court - The European Court of Justice and the European Economic Constitution. A Critical Reading of Article 30 of the EC Treaty (1999), 39. 1147 Poaires Maduro lehnt das Kriterium des Vorliegens einer Diskriminierung, damit eine derart inkriminierte Mailnahme im Rahmen des Art. 28 EG-Vertrag in Priifung gezogen wird, abo Hingegen ist nach Ansicht dieses Autors eines von zwei der judiziellen Interpretation des Art. 28 EG-Vertrag zugrunde liegenden Konzepte jenes, mitgliedstaatlichen Protektionismus nach Moglichkeit hintanzuhalten. Zu diesem Grundkonzept gesellt sich jedoch ein zweites, jenes der Kompetenzausweitung der EG: "The first concept can be summed up with the idea that the aim of Article
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weite Ansatz des Begriffes der Diskriminierung verliere, so Poaires Maduro, die Grundlage jedes Ansatzes von Diskriminierung - sei es nun ein weiter Ansatz oder ein enger: Stets miisse im Rahmen eines Diskriminierungsverbotes sowie des dazugehorigen Diskriminierungstests die Verhinderung mitgliedstaatlichen Protektionismus gegeniiber EG-auslandischen Produkten oder Personen stehen. Durch die Wahl eines weiten Ansatzes von Diskriminierung werden jene Kosten, welche bloB durch die N otwendigkeit der Anpassung eines Produktes EG-auslandischer Provenienz an eine innerstaatliche Gesetzgebung auflaufen, dem Begriff der Diskriminierung unterstellt, Damit wird jedoch, so Poaires Madura, eine klare Unterscheidung zwischen dem Vorliegen von Diskriminierung auf der einen Seite und dem blofien Mangel an Harrnonisierungsmaiinahmen auf der anderen Seite aufgehoben. Uberdies sei cler Mehrwert eines derart weiten Ansatzes von Diskriminierung fur die Entwicklung der Rechtsprechung zu Art. 28 EG und den sie begleitenden verfassungsrechtlichen Konflikten nicht erkennbar.U"? Berated tritt dieser Auffassung mit folgender Begriindung entgegen: Zwar stellen die Verbote der Einhebung von Ein- und Ausfuhrzollen sowie der Einfiihrung und Beibehaltung von mengenmaiiigen Beschrankungen und MaBnahmen gleicher Wirkung eine Auspragung des Grundsatzes der Nichtsdiskriminierung zwischen Produkten und Angehorigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft dar. Aus diesem urspriinglichen Gedanken konne jedoch nicht gefolgert werden, dass bloB diskriminierende Mafsnahmen als Mafsnahmen gleicher Wirkung zu betrachten seien. Dass dieser Begriff auch weitergehende Maisnahmen umfasst, die gerade nicht diskriminierender N atur seien - wie weit der Begriff der Diskriminierung auch gefasst werde - erflieiit aus systematischer Interpretation der Bestimmungen iiber den Freien Warenverkehr. Aus der Normierung der Zollunion folge auf rechtlicher Ebene, dass die Mitgliedstaaten auch jene Waren in freiem Verkehr zulassen miissen, welche nicht auf eigenem Territorium hergestellt wurden. Anschlieliend sei ein Argument a mi30 is to prevent State protectionism. Such protectionism assumes subtle forms which require constant refinement of the criteria used to review national measures. The second concept leads to the transformation of Aricle 30 into a kind of "economic due process" clause. It is based on a conception of the Economic Constitution of the Community built on the free market, open competition, and a particular view of the kinds of regulation that are acceptable. According to this concept, judicial review of national rules under Article 30 should assess State intervention in the market.", in Poaires Maduro, We The Court - The European Court of Justice and the European Economic Constitution. A Critical Reading of Article 30 of the EC Treaty (1999), 60. 1148 Defalque, Le concept de discrimination en matiere de libre circulation des marchandises, CDE 1987,471, (481). 1149 Poaires Maduro, We The Court - The European Court of Justice and the European Economic Constitution. A Critical Reading of Article 30 of the EC Treaty (1999), 40.
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
nore ad maius zu ziehen, dass Art. 28 ff EG auch jene Malinahmen erfassen, die blof beschrankender N atur sind. ll5 O M eij und Winter schlieisen sich der Auffassung an, mit dem zusatzlichen Argument, dass die von Seidel vertretene Lesart der Harmonsierungsnorm des Art. 94 EG (ex Art. 100 EG) weder eine Stiitze in der wortlichen Interpretation dieser Bestimmung finde, noch eine solche in dem Telos dieser N orm. I I SI 2.2.2. Freier Dienstleistungsverkehr: Das Verbot von Diskriminierungen
Die Freiheit der Dienstleistung ist bereits in der Formulierung des Art. 49 EG als Beschrankungsverbot ausgestaltet; dennoch kann fur den Bereich der Dienstleistungsfreiheit das in der Grundfreiheit enthaltene Diskriminierungsverbot scharfer und klarer als im Bereich der Freiheit des Warenverkehrs von dem Beschrankungsverbot getrennt werden. Tiedje und Troberg gliedern unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit im Bereich der Freiheit der Dienstleistungen in solche, die eine personenbezogene Ausrichtung aufweisen und in solche, die eine produktbezogene Ausrichtung aufweisen. I I S2 Diese Gliederung tragt den heiden, im Zusammenhang mit dem sachlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten angesprochenen Aspekten der Dienstleistungsfreiheit Rechnung, die diese Freiheit bipolar, narnlich als teils personenbezogene Grundfreiheit, und als teils produktbezogene Grundfreiheit erscheinen lassen. Im Rahmen der personenbezogenen Ausrichtung der Freizugigkeit der Dienstleistung liegt etwa eine offene Diskriminierung dann vor, wenn eine Ungleichbehandlung des EG-auslandischen Dienstleistungserbringers im Vergleich zum Inlander normiert wird: So stellt das Erfordernis spanischer Staatsangehorigkeit fur Beschaftigte eines privaten Sicherheitsdienstes eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit dar. Offenbar aufgrund der [ruhen richterlichen Ausgestaltung der Freiheit der Dienstleistung wird eine derartige Diskriminierung vom EuGH dem Beschrankungsbegriff zugeordnet; die anschlieBend vom Gerichtshof jedoch zur Rechtfertigung herangezogenen Rechtfertigungsgriinde entsprechen den in Art. 45 Abs, 1 und Art. 46 Abs. 1 EG vorgesehenen Rechtfertigungsgrunden.U'"
1150 Beraud, Les mesures d'effet equivalent au sens des articles 30 et suivants du Traite de Rome, RTDE 1968,265, (281). 1151 Meij/Winter, Measures Having an Effect Equivalent to Quantitative Restrictions, CMLR 1976, 76, (87). 1152 Tiedje/Troberg, Kornmentar zu Art. 49 EG-Vertrag, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1631. 1153 EuGH Rs. C-114/97 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Spanien, Slg. 1998,1-6717; EuGH Rs. C-283/99 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 2001, 1-4363: "Ein Mitgliedstaat ver-
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nore ad maius zu ziehen, dass Art. 28 ff EG auch jene Malinahmen erfassen, die blof beschrankender N atur sind. ll5 O M eij und Winter schlieisen sich der Auffassung an, mit dem zusatzlichen Argument, dass die von Seidel vertretene Lesart der Harmonsierungsnorm des Art. 94 EG (ex Art. 100 EG) weder eine Stiitze in der wortlichen Interpretation dieser Bestimmung finde, noch eine solche in dem Telos dieser N orm. I I SI 2.2.2. Freier Dienstleistungsverkehr: Das Verbot von Diskriminierungen
Die Freiheit der Dienstleistung ist bereits in der Formulierung des Art. 49 EG als Beschrankungsverbot ausgestaltet; dennoch kann fur den Bereich der Dienstleistungsfreiheit das in der Grundfreiheit enthaltene Diskriminierungsverbot scharfer und klarer als im Bereich der Freiheit des Warenverkehrs von dem Beschrankungsverbot getrennt werden. Tiedje und Troberg gliedern unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit im Bereich der Freiheit der Dienstleistungen in solche, die eine personenbezogene Ausrichtung aufweisen und in solche, die eine produktbezogene Ausrichtung aufweisen. I I S2 Diese Gliederung tragt den heiden, im Zusammenhang mit dem sachlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten angesprochenen Aspekten der Dienstleistungsfreiheit Rechnung, die diese Freiheit bipolar, narnlich als teils personenbezogene Grundfreiheit, und als teils produktbezogene Grundfreiheit erscheinen lassen. Im Rahmen der personenbezogenen Ausrichtung der Freizugigkeit der Dienstleistung liegt etwa eine offene Diskriminierung dann vor, wenn eine Ungleichbehandlung des EG-auslandischen Dienstleistungserbringers im Vergleich zum Inlander normiert wird: So stellt das Erfordernis spanischer Staatsangehorigkeit fur Beschaftigte eines privaten Sicherheitsdienstes eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit dar. Offenbar aufgrund der [ruhen richterlichen Ausgestaltung der Freiheit der Dienstleistung wird eine derartige Diskriminierung vom EuGH dem Beschrankungsbegriff zugeordnet; die anschlieBend vom Gerichtshof jedoch zur Rechtfertigung herangezogenen Rechtfertigungsgriinde entsprechen den in Art. 45 Abs, 1 und Art. 46 Abs. 1 EG vorgesehenen Rechtfertigungsgrunden.U'"
1150 Beraud, Les mesures d'effet equivalent au sens des articles 30 et suivants du Traite de Rome, RTDE 1968,265, (281). 1151 Meij/Winter, Measures Having an Effect Equivalent to Quantitative Restrictions, CMLR 1976, 76, (87). 1152 Tiedje/Troberg, Kornmentar zu Art. 49 EG-Vertrag, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1631. 1153 EuGH Rs. C-114/97 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Spanien, Slg. 1998,1-6717; EuGH Rs. C-283/99 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 2001, 1-4363: "Ein Mitgliedstaat ver-
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
Im R ahmen der produktbezogenen Ausrichrung der Freiheit der Dienstleisrung liegt eine direkte Diskriminierung dann vor, w enn ein e unterschied liche , zum Nachteil der EG-auslandischen Dienstleistung gereichende Behandlung ausgeiibt wird: Eine solche liegt dann erwa vor, wenn Werbeinhalte ausland ischer Sender besonderen Re gelungen unterworfen we rden; doch auch in der hier angesprochenen Rechtssache Gouda wird eine offene Diskriminierung unter den Begriff der Behinderung subsumiert.U' " Hingegen stellt der EuGH in manchen Rechtssachen durchaus das Vorliegen einer Diskriminierung fest und fiihrt das Priifschema entsprechend fort, urn diese Feststellung jedoch durch Verwendung des Begriffes einer Behinderung oder einer Beschrankung w iederum dogmatisch zu entscharfen, Die Rechtssache Bond van Adoerteeders'Pt mage im Hinblick auf die dart verwendete Begrifflichkeit als Bespiel dienen:
" N ationale Rechtsvors chriften, nach denen von Sendern mit Standort in anderen Mitgliedstaaten ausgestrahlte Programme nur dann durch Kabel iibertragen werden dicrjen, wenn sie keine speziell fur das inldndiscbe Publikum bestimmten Werbemitteilungen enthalten, wahrend fur die nationalen Fernsehanstalten keine derartigen Beschriinkungen bestehen, stellen aufgrund ihres diskriminierenden Charakters Bescbrdnkungen dar, die nach Artikel59 EWG- Vertrag verboten sind." 1156 (Hervorhebung der Verfasserin) Irn FaIle des Vorliegens ein er mittelbaren Diskriminierung im Bereich des personenbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit ist hier insbesondere an Wohnsitzerfordernisse der Dienstleistungserbringer zu denken. l' V Doch
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stoBt dadurch gegen seine Verpflichrungen au s den Artikel 52 und 59 EG -Vertrag (nach Anderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG), dass er bestimrnt, dass die Tatigkeiten privater Sicherheitsdienste, einschlieiilich derjenigen der Ub erwachung oder Bewachung von beweglichem oder unbeweglichem Eigenrum, in seinem Hoheitsgebiet vorbehaltlich einer Lizen z nur von privaten Sicherheitsuntern ehmen mit der Staatsangehorigkeit dieses Mit gliedstaates ausgeiibt werden konnen, Ein solches Erfordernis stellt eine Bescbrankung [. . .] der D ienstleistungsfreiheit dar, die nicht durch die in Artikel55 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzr Artikel45 Absatz 1 EG) gegebenenfalls in Verbindung mit Artikel66 EG-Vert rag (jetz t Artikel55 EG) vorgesehene Ausnahmeregelung gerechtfertigt ist." (Hervorhebung der Verfasserin) EuGH Rs. C-288/89 Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda und andere gegen Commissariaat voor de Media, Slg. 1991,1-4007. EuGH Rs. 352/85 Bond van Ad verteeders und andere gegen N iederlandischen Staat, Slg. 1988, 2085. EuGH Rs, 352/85 Bond van Adverteeders und andere gegen N iederlandischen Staat, Slg. 1988, 2085; vgl. auch EuGH Rs. C -211191 Kommision der Europaischen Gemein schaften gegen Kon igreich Belgien, Slg. 1992,1-6757. Vgl. mitweiteren Nachweisen: Tiedje/Troberg, Kornrnenrar zu Art. 49 EG-Vertrag, in vo n der Groeben/S chwarz e (H g.), Vertrag iiber die Europ aische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd . 1,6. Aufl . (2003), 1632.
Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
auch die Entscheidungen des EuGH in diesen Rechtssachen sprechen die Frage des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung als Frage nach dem Vorliegen einer Beschrankung an. l1 58 Der produktbezogene Aspekt der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und mitgliedstaatliche mittelbare Diskriminierung kann nach Ansicht von Tiedje und Troberg sowohl als vollstandiges Verbot einer Dienstleistung als auch als mittelbare Diskriminierung des Dienstleistungsempfangers auftreten.P"? Eine vollstandige Negation der Dienstleistungsfreiheit - beispielsweise durch absolutes Verbot von Lotterien-, Gliicks-, oder Wettspielen - lasst schwerlich einen diskriminierenden Aspekt erkennen. Ein solches Verbot stellt zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundfreiheit dar, dieser Eingriff trifft jedoch in gleicher Weise in- und auslandische Anbieter einer solchen Dienstleistung. Daher ruckt ein solcher Eingriff - wiewohl aufgrund der Zahl der Betroffenen seine strukturelle Einordnung unter mittelbare Diskriminierung aufgrund der schieren Zahl der ausIandischen Anbieter, welche betroffen sind, gerechtfertigt erscheinen vermag - in die Nahe einer Behinderung oder einer Beschrankung.U''? Eine mittelbare Diskriminierung in Form von Benachteiligung des Leistungsempfangers kann mit zwingenden Grunden des Allgemeininteresses ebenso wie eine Beschrankung - gerechtfertigt werden.!"" Die Herausarbeitung des Vorliegens einer Diskriminierung erfolgt im Rahmen der Freiheit der Dienstleistung nahezu ausschlieiilich bei unmittelbarer Diskriminicrung; doch auch diese wird haufig unter den Begriff der Beschrankung der Grundfreiheit subsumiert. 2.3. Personenverkehrsfreiheiten 2.3.1. Freizuqiqkeit der Arbeitnehmer: Das Diskriminierungsverbot
Im Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer ist das Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit bereits in Art. 39 Abs. 2 EG nor1158 EuGH Rs. C-114/97 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Spanien, Slg. 1998,1-6717; EuGH Rs. C-283/99 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen 1talienische Republik, Slg. 2001, 1-4363 1159 TiedjelTroberg, Kommentar zu Art. 49 EG-Vertrag, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag uber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1,6. Auf!. (2003), 1635. 1160 Vgl. z. B. EuGH Rs. C-275/92 Her Majesty's Customs and Excise gegen Gerhart Schindler und jorg Schindler, Slg. 1994,1-1039. 1161 EuGH Rs. C-451/99 Cura Anlagen GmbH gegen Auto Service Leasing GmbH (ASL), Slg. 2002, 1-3193; vgl. auch Tiedje/Troberg, Kommemar zu Art. 49 EG-Vertrag, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1, 6. Auf!. (2003), 1635 mwN.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Geme inschaftsrecht
miert. Daher srellt nicht das nunmehrige Beschrankungsverbot, sondern das Diskriminierungsverbot die erste Srufe der judiziellen Anwendung dieser Grundfreiheit dar. In dieser ersten Srufe der Anwendung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer aufgrund (noch) nicht vorh andener sekundarrechtlicher Ausgestaltung fallen auch jene Emscheidungen, die als Beispiel und Beleg dieser These kurz dargelegt werden sollen. Fur die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer lasst sich daher auch das Diskriminierungsverbot von dem seit der Rechtssache Bo sman' w? auch fur diese Grundfreiheit geltenden Beschrankungsverbor scheiden. Bereits in der Rechts sache Sotgiu ll 63 befasst sich der EuGH mit der Frage nach dem Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung fiir den Fall, dass jenen Wanderarbeitnehmern, der en Wohnort bei Eingehen des Arbeitsverhaltnisses im Ausland liegt, eine geringere Trennungsentschadigung gewahrt wird als jenen Arbeitnehmern, deren Wohnort zu dem relevanten Zeitpunkt im Inland liegt: 1164 "Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Unterscheidungsmerkmale wie der Herkunftsort oder der Wohnsitz eines Arbeitnehmers in ihren tatsdchlichen Auswirkungen je nach den Urnstdnden auf eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit hinauslaufen konnen. Das ware allerdings nicht der Fall, w enn die Voraus setzungen f ur die Geuidb rung einer Trennungsentschiidigung und einzelne Bestimmungen iiber ihre Zahlung den sachlichen Unterschieden der L age R echnung tragen, in der sich die Arbeitnehmer befinden, je nachdem, ob sie im Zeitpunkt ihrer Anstellung f ur eine bestimmte Tdtigleeit ihren Wohnsitz im Inland oder im Ausland haben." 1165
In der Rechtssache Rutili, welche sich mit einem in Frankrcich verhangten particllen Aufenthaltsverbot gegerniber einem italienischen Staatsburger befasst, griindet der EuGH seine Emscheidung auf das anwendbare Sekundarrecht, welches mithin auch das in Art. 39 Abs. 2 EG festgelegte Diskriminierungsverbot verwirklichen sol1. 1166
1162 EuGH Rs, C-415/93 Union royal e belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921. 1163 Eu G H Rs. 152/73 Giovanni Maria Sotgiu gegen Deutsche Bundcspost, Slg. 1974, 153. 1164 Alber, Artikel39 EG (fruher Artikel48 EG): Vom Diskriminierungs- zum Benachteiligungs verbot, in Tomandl (Hg.), D er Einfluss europaischen Recht s auf das Arbeitsrecht , (2001), 2, (3); Diese Abwiigung wird aufgrund des anwendbaren Sekundarrechts nach den Ma6st iiben der Vero rdnung 1612/68 (Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rat es vom 15.0ktobe r iiber die Fr eiziigigkeit der Arbeitn ehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl L 257/1968, 2) vorgenommen. 1165 Eu G H Rs. 152/7 3 Gio vann i Maria Sot giu gegen D eutsche Bundespo st, SIg. 1974, 153, (164). 1166 Eu G H Rs. 36/75 Roland Rutili gegen Minister des Irin eren, Slg, 1975, 1219.
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Diskriminierung versus Beschrankunq im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
In der Rechtssache Saunders't'", deren Faktenlage einen rein inlandischen Sachverhalt aufweist, definiert der EuGH das in Art. 39 Abs. 2 EG enthaltene Diskriminierungsverbot anhand der Malssrabe des allgemeinen Diskriminierungsverbotes des Art. 12 EG;1l68
"In Anwendung des allgemeinen Grundsatzes zielt Artikel 48 darauf ab, aus den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten diejenigen Bestimmungen zu entfernen, die in Bezug auf Beschaftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen - einschliefllich der Rechte und Freiheiten, welche die Freiziigigkeit aufgrund von Artikel 48 Absatz 3 geuidhrt - Arbeitnehmer, die Staatsangehorige eines anderen Mitgliedstaats sind, strenger behandeln oder sie gegeniiber eigenen Staatsangeborigen, die sich in derselben Lage befinden, rechtlich oder tatsachlich benachteiligen. "1169 Daher kann gefolgert werden, dass ein Strang der Rechtsprechung zu Art. 39 EG sich mit dem Verbot von Diskrirninierungen befasst. ll7O Dieser Strang der Rechtsprechung kann deutlich von dem Beschrankungsverbot irn Rahmen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer unterschieden werden und wird "von diesern umfasst"1171. Nach der von [arass vertretenen Systematik nach Form und Modalitaten der Einwirkung in die Grundfreiheiten ist eine Beschrankung der Grundfreiheiten jedenfalls dann gegeben, wenn eine "Diskriminierung" vorliegt, also bei Ungleichbehandlung aufgrund bestimmter Differenzierungsgesichtspunkte.F"
1167 EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129. 1168 Bernard releviert kritisch, dass der Verweis auf das allgemeine Diskriminierungsverbot in der Rechtssache Saunders auch eine andere U:isung der Frage der umgekehrten Diskriminierung nach sich ziehen solltc: Bernard, Discrimination and free movement in EC-Law, ICLQ 1986, 82, (83). 1169 EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129, (1135). 1170 So auchJohnsonIO'Keeffe, From Discrimination to Obstacles to Free Movement: Recent Developments Concerning the Free Movement of Workers 1989-1994, CMLR 1994, 1313, (1327). Vgl. beispielsweise: EuGH Rs. 90/76 Sri Ufficio Henry Van Ameyde gegen Sri Ufficio Centrale Italiano di Assistenza Assicurativa Automobilisti in Circolazione Internazionale (UCI), Slg. 1977,1091; EuGH Rs. 251/83 Eberhard Haug Adrion gegen Frankfurter Versicherungs AG, Slg. 1984, 4277; EuGH Rs. C-179/90 Merci Convenzionali Porto di Genova SpA gegen Siderurgica Gabrielli SpA, Slg. 1991,1-5889; EuGH Rs. C-37/93 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1993, 1-6295. 1171 Alber, Artikel 39 EG (fruher Artikel48 EG): Vom Diskriminierungs- zum Benachteiligungsverbot, in Tomandl (Hg.), Der Einfluss europaischen Rechts auf das Arbeitsrecht (2001), 2, (3). 1172 Jarass, Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202, (211).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
2.3.2. Freiheit der Niederlassung: Das Diskriminierungsverbot
Die Freiheit der Niederlassung sieht bereits primarrechtlich ein Beschrankungsverbot vor; das in dem Beschrankungsverbot enthaltene Diskrirninierungsverbot findet sich in der Formulierung "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates fur seine eigenen Angehorigen" in Art. 43 Abs. 2 EG. D er oben getroffene Befund fur die Trennbarkeit des Di skrirninierungsverbotes von dem Beschrankungsverbot im Rahmen der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und der Betrachtung der ersteren als Teilmenge der groBeren Menge Beschrankungsverbot trifft ebenso fur die Freiheit der Niederlassung zu. Tiedje und Troberg orten eine unmittelbare Diskriminierung im Fall der Ankniipfung an die Staatsangehorigkeit einer natiirlichen oder juristischen Person - im Bereich der Freiheit der Niederlassung an den Sitz einer Gesellschaft, kraft dessen die Gesellschaft dem Rechtssystem eines Mitgliedstaates zugeordnet wird. Eine solche Ankniipfung ist ebenso als unrnittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit zu verstehen. I'P So stellt beispielsweise ein generelles Verbot des Erwerbs von dinglichen Rcchten an in Grenzgebieten Griechenlands gelegenen Grundstucken, welches gegeniiber Staatsangehorigen von EU-Mitgliedstaaten sowie von solchen geleiteten juristischen Personen absolut wirkt, eine unmittelbare Diskriminierung und einen Verstof gegen das in Art. 43 EG enthaltene Diskriminierungsverbot dar. I 174 Der EuGH stellt in dieser Entscheidung das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung fest:
" A uf dem Gebiet der N iederlassungsf reiheit gewdhrt A rtikel 52 EWG- Vertrag den Angebiirigen eines Mitgliedstaats, die eine selbstdndige Tdtigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausz uiiben w unschen, die Gleichstellung mit den Biirgern des letztgenannten Staates und untersagt jegliche Diskriminierung aus Grunden der Staatsangeborigkeit, die sich aus den Recbtsuorscbrifte n der Mitgliedstaaten ergeben und den Zugang zu einer solcben Tiitigkeit oder deren Ausiibung behindern w urde." 1175 Aufgrund der friihen Ausgestaltung der Freiheit der Niederlassung als Beschrankungsverbot-!" wird in den einschlagigen Judikaten zwar bisweilen das 1173 Tiedje/Troberg, Kommentar zu Art. 43 EG-Vertrag, in v on der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Auflage (2003), 1501. 1174 EuG H Rs. 305/8 7 Kommission der Europaischen Gemeinschafren gegen Griechische Republik, Slg. 1989, 1462. 1175 EuGH Rs. 305/8 7 Komm ission der Europaischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Sig. 1989, 1462, (1478). 1176 Z. B. EuGH Rs. 81/ 87 Th e Queen gegen H .N. Treasu ry and C ommissioners of Inl and Revenue, ex parte Dail y Mail and General Trust PLC, Slg. 1988,5484.
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Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung konstatiert, eine solche jedoch zugleich dem Behinderungs- oder Beschrankungsverbot zugeordnet.U?" Der mittelbare Diskriminierungen betreffende Rechtsprechungsstrang differenziert nicht unmittelbar anhand der Staatsangehorigkeit der natiirlichen oder juristischen Person; die Differenzierung betrifft jedoch im wesentlichen EU-auslandische Staatsbiirger oder juristische Personen und/oder schafft Belastungen im personlichen oder beruflichen U mfeld. 1178 So stellt etwa die Verweigerung einer Leistung aufgrund einer nationalen Krankenversicherungsregelung an den Geschaftfiihrer einer Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegriindeten Gesellschaft - bloB weil diese im Sitzstaat keine Geschaftstatigkeit entfaltet - eine nach Art. 43 EG verponte mittelbare Diskriminierung dar. 1179 Diese wird in dem angesprochenen Urteil auch deutlich herausgestrichen und gerade nicht unter den Beschrankungsbegriff subsumiert:
.Denn eine Diskriminierung des Personalsin Bezug aufden sozialen Schutz schrdnkt die Freiheit der Gesellschaften eines anderen Mitgliedstaats, sich uber eine Agentur, eine Zweigniederlassung oder eine Tochtergesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat niederzulassen, mittelbar ein. "1180 1177 Vgl. etwa die Subsumption in EuGH Rs. 305/87 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Slg. 1989, 1462, (1478): "Somit behindern die griechischen Rechtsvorschriften, die die Ausubung des Rechts zum Kauf und zur Nutzung vom Immobilien durch Staatsangehorige der anderen Mitgliedstaaten Beschrankungen unterwerfen, die fur die eigenen Staatsangehorigen nicht vorgesehen sind, unter Verstof gegen Artikel52 EWG-Vertrag die Ausubung der Niederlassungsfreiheit." (Hervorhebung der Verfasserin) Vgl. etwa auch: EuGH Rs. C-264/96 Imperial Chemical Industries (ICI) gegen Kenneth Hall Colmer (Her Majesty's Inspector of Taxes), Slg. 1998, 1-4695; EuGH Rs. C-307/97 Compagnie de Saint-Gobain, Zweigniederlassung Deutschland gegen Finanzamt Aachen-Innenstadt, Slg. 1999, 1-6161; EuGH verb. Rs. C-397/98 und C-410/98 Metallgesellschaft Ltd. und andere, Hoechst AG und Hoechst (UK) Ltd. gegen Commissioners of Inland Revenue and HM Attroney General, Slg. 2001, 1-1727. 1178 Tiedje/Troberg, Kommentar zu Art. 43 EG-Vertrag, in von der GroebenlSchwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Grundung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Auf!. (2003), 1501; Tiedje und Troberg verwenden fur die erste oben angefUhrte Kategorie von Mafsnahmen den Begriff der indirekten Diskriminierung, fur die zweite den Begriff der versteckten Diskriminierung. Im Rahmen dieser Arbeit sollen diese zwei Kategorien unter den Begriff der mittelbaren Diskriminierung zusammengefasst werden. 1179 EuGH Rs. 79/85 D.H. M. Segers gegen Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswesen, Groothandel en Vrije Beroepe, Slg. 1986,2375. 1180 EuGH Rs. 79/85 D.H. M. Segers gegen Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Banken Verzekeringswesen, Groothandel en Vrije Beroepe, Slg. 1986, 2375, (2388); vgl. auch EuGH Rs. 63/86 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italieni-
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Fur dies en Strang der Rechtsprechung gilt ebenso der fur unmittelbare Diskriminierungen getroffene Befund: Nicht immer wird das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung festgehalten, vielmehr wird dieser Tatbestand haufig unter das Beschrankungsverbot der Niederlassungsfreiheit subsumiert.U'" Dennoch erscheint jene FaUgruppe, die sich mit Diskriminierungen befasst, von jener abgrenzbar, die sich bloG mit Beschrankungen befasst - und sei es auch nur anhand der angesprochenen Rechtfertigungsgriinde, 2.4. Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
Die Freiheit des Kapitalverkehrs weist in der neuen Fassung des Art. 56 EG im Gegensatz zu Art. 67ff EG (alte Fassung) bloG ein Beschrankungsverbot auf; letztere Bestimmungen hatten ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der Sraatsangehorigkeit, des Wohnorts oder des Ortes der zu tatigenden Anlage vorgesehen. Der oben getatigte Befund, namlich dass unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen unter das Beschrankungsverbot subsumiert werden, kann daher auf die Freiheit des Kapitalverkehrs umgelegt werden.U'" In der Rechtssache Albore,1183 welche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehorigkeit beim Erwerb von Grundstucken betrifft, wird jedoch eine unmittelbare Diskriminierung entsprechend der Vorschrift des Art. 73 b a. F. EG festgestellt:
"Eine solche Diskriminierung ist nach Artikel 73 b E G- Vertrag verboten, wenn sie nicht aus einem Grund gerechtfertigt ist, der nach dem EG- Vertrag zuldssig ist."1184 3. Das Konzept der Beschrankung einer Grundfreiheit 3.1. Vorbemerkung und Aufbau der Argumentation
In diesem Kapitel sollen die Grundzuge der Dogmatik von Beschrankungen der Grundfreiheiten in ihren Grundzugen dargelegt werden. Die Darstellung
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sche Republik, Slg. 1988,29; EuGH Rs. C-337/97 C.P.M. Meeusen gegen Hoofdirectie van de Informatie Beheer Groep, Slg. 1999,1-3289. Vgl. etwa EuGH Rs. C-370/90 The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, ex parte Secretary of State for Home Department, Slg. 1992, 1-4265. Tiedje/Troberg, Kommentar zu Art. 56 EG-Vertrag, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Grlindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Auf!. (2003), 1742. EuGH Rs. C-423/98 Alfredo Albore, Slg. 2000, 1-5965; vgl. auch EuGH Rs. C-35/98 Staatssecretaris van Financien gegen B.G.M. Verkooijen, Slg. 2000, 1-4071. EuGH Rs. C-423/98 Alfredo Albore, Slg. 2000, 1-5965, (1-6002).
Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
beschrankt sich auf jene Strukturelemente, die fur die Herausarbeitung einer Losung der Frage nach der Drittwirkung der Grundfreiheiten von Interesse sein konnten. 3.2. Das Verbot von Beschrankungen im Rahmen der Produktverkehrsfreiheiten 3.2.1. Freiheit des Warenverkehrs: Das Verbot von Beschrankungen
Eine Kristallisation des Beschrankungsverbotes im Rahmen der Grundfreiheiten stellt die Entscheidung Dassonville l 185 fur die Freiheit des Warenverkehrs dar. Bereits in der Vor-Rechtsprechung finden sich deutliche Hinweise auf einen vorn EuGH vertretenen weiten Beschrankungsbegriff. Bereits in der Rechtssache Statistikgebuhren'P", welche die Frage nach der Zulassigkeit einer mit dem Namen Statistikgebuhr versehenen, uberaus geringen Abgabe zum Zwecke der Erstellung einer Statistikgebuhr behandelt, schlieiit der EuGH jede Relevanz einer diskriminierenden Geltung oder Anwendung aus:
"Eine- auch noch so geringe - den in- und ausldndischen Waren wegen ihres Grenziibertritts einseitig au/erlegte /inanzielle Belastung stellt sonach, auch wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhdngig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne von Artikel9, 12, 13 und 16 des Vertrages dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des Staates erhoben wird und keine diskriminierende oderprotektionistische Wirkung hat und wenn die belastete Ware nicht mit inldndiscben Erzeugnissen in Wettbewerb stebt. C<1187(Hervorhebung der Verfasserin) In der Rechtssache Sociaal Fonds Diamantarbeiders'P" wird die in der Rechtssache Statistikgebiihren getroffene Definition einer Mafsnahme zollgleicher Wirkung iibernommen; hinzu kommt jedoch ein obiter dictum, das das Konzept des EuGH in Bezug auf eine Behinderung des freien Warenverkehrs andeutet:
"Aus dem ganzen System sowie aus der Allgemeinheit und Absolutheit des Verbots aller Zolle im Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist zu
1185 EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974, 837, 1186 EuGH Rs. 24/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1969, 193. 1187 EuGH Rs. 24/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1969, 193, (200). 1188 EuGH verb. Rs. 2, 3/69 Sociaal Fonds de Diamantarbeiders gegen S.A. Ch. Brachfeld and Sons gegen Chougol Diamond Co., Slg. 1969,211.
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entnehmen, dass das Verbot der Zolle unabbangig von dem Zweck, zu dem diese geschaffen wurden, sowie vom Verwendungszweck der durch sie bewirkten Einnahmen gilt. Die Rechtfertigung fur dieses Verbot liegt darin, dass finanzielle Belastungen, die ihren Grund im Uberscbreiten der Grenzen haben, eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen, auch wenn sie noch sogeringfugig sind. "1189 (Hervorhebung der Verfasserin) Der Rechtssache Dassonville liegt ein Sachverhalt zugrunde, der durch das Vorliegen eines Netzes von Alleinvertriebsvereinbarungen und zwei staatlichen Regelungen, welche den Nachweis eines Ursprungszeugnisses erfordern, bereits die Frage nach der gemeinsamen Anwendung und der Abgrenzung der Grundfreiheiten und des EG-Kartellverbots aufwirft, GemaB eines belgischen Gesetzes von 1927 gelten als Ursprungsbezeichnung diejenigen Bezeichnungen, die der be1gischen Regierung durch andere Regierungen als amtlich und endgiiltig anerkannte Ursprungsbezeichnungen mitgeteilt wurden. Ein erganzender Rechtsakt untersagt es bei Strafe, Branntwein mit einer von der belgischen Regierung rechtsgiiltig zugelassenen Ursprungsbezeichnung einzufiihren oder zu verkaufen, wenn kein amtlicher Begleitschein beiliegt, aus dem sich ergibt, dass diese Bezeichnung zu Recht gefuhrt wird. Der Grofshandler Gustave Dassonville fiihrt nun unter der Bezeichnung "Scotch Whiskey" einen Posten "Johnnie Walker" und einen Posten "VAT 69" nach Belgien ein; diese Einfuhr wird als Paralleleinfuhr aus Frankreich getatigt, Der erwahnten Ladung des Produktes liegt auch die nach franzosischer Rechtslage ausreichende Ursprungsbezeichnung bei, die jedoch fur die oben dargelegte Rechtslage in Belgien als ungeniigend eingestuft wird. Obwohl die Waren mit den erforderlichen franzosischen Begleitdokumenten nach Belgien eingefiihrt wurden und als "Gemeinschaftswaren" vorn Zol1 abgefertigt wurden, wird gegen Dassonville ein Strafverfahren eingeleitet. Die hier in wesentlichen Ziigen darge1egte Faktenlage wird durch eine zusatzliche Angabe erganzt: Da Dassonville die Posten Whisky aus Frankreich nach Belgien parallel einfuhrt und sich damit die betrachtlichen Preisunterschiede zwischen dem belgischen und Iranzosischen Markt bzw. den betreffenden Alleinimporteuren zunutze macht, stellt das vorlegende Gericht nicht nur eine Frage nach der Interpretation des Art. 28 EG, sondern auch nach der Nichtigkeit einer Vereinbarung, die "in Verbindung mit einzelstaatlichen Rechtsvorschriften iiber Ursprungsbescheinigungen eine Beschrankung des Wettbewerbs und eine Beeintrachtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zur Folge hat. "1190 1189 EuGH verb. Rs. 2, 3/69 Sociaal Fonds de Diamantarbeiders gegen S.A. Ch. Brachfeld and Sons gegen Chougol Diamond Co., Slg, 1969,211, (221). 1190 EuGH Rs, 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974, 837, (853); Die Frage des Tribunal de premiere instance Briissellautet wie folgt: Ist eine Vereinbarung, die eine Beschriinkung des Wettbewerbs und eine Beeintriichtigung
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Diese Faktenlage lasst darauf schlieiien, dass eine Behinderung des Freien Warenverkehrs sich nicht aus der Alleinvertriebsvereinbarung oder der nationalen Gesetzgebung iiber Ursprungsbescheinigungen alleine und fur sich genommen ergeben kann; vielmehr sind es zwei Regelungen im Zusammenwirken - wie von dem vorlegenden Gericht releviert - die eine Behinderung ergeben. Ein derartiger Sachverhalt wiirde sich durchaus fur eine Anwendung der Van Eycke-Formel eignen. Dieses Zusammenwirken von privater Regelung und mitgliedstaatlicher Regelung wird vorn EuGH denn auch indirekt im Rahmen des Urteils in Dassonville angesprochen.!'?' in seinem Urteil entscheidet sich der EuGH fur eine Trennbarkeit der angesprochenen Regelungen fur eine gesonderte Subsumption der mitgliedstaatlichen und der privaten Regelung. Die mitgliedstaatliche Regelung wird unter AuBerachtlassung der privaten Wettbewerbsbeschrankung herausgegriffen. Der EuGH unterstellt daher die mitgliedstaatliche Regelung tiber Ursprungszeugnisse der bis heute anwendbaren Definition einer Beschrankung der Grundfreiheiten:
"Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsdcblich oder potentiell zu behindern, ist als Maflnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmdflige Beschrdnkung anzusehen.''1192 In Bezug auf die zweite Frage der vorlegenden Gerichts stellt der EuGH fest, dass eine Vereinbarung, die sich rechtliche Unterschiede blof zunutze macht, fur sich alleine nicht als nichtig zu betrachten sei; freilich sei der U mstand eines Netzes von Alleinvertriebsvereinbarungen zu erwagen, welche die Preisniveaus in den Mitgliedstaaten unterschiedlich gestalten, und der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang zu erwagen,
des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nur in Verbindung mit den nationalen Rechtsvorschriften iiber Ursprungsbescheinigungen zur Folge hat, auch dann nichtig, wenn sie inhaltlich weiter nichts besagt, als dass sie es dem Alleinimporteur errnoglicht oder nicht verwehrt, sich diese Rechtsvorschriften zunutze zu machen, urn Paralleleinfuhren zu verhindern? (Hervorhebung der Verfasserin). 1191 "Sonach stellt es eine mit dem Vertrag unvereinbare Maisnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmafsige Beschrankung dar, wenn ein Mitgliedstaar eine Echtheitsbescheinigung verlangt, die der Importeur eines in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgernaf im freien Verkehr befindlichen echten Erzeugnisses schwerer zu beschaffen vermag als der Importeur, der das gleiche Erzeugnis unmittelbar aus dem Ursprungsland einfuhrt.", EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974, 837, (853). 1192 EuGH Rs, 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg. 1974, 837, (852).
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In einem Besprechungsaufsatz zu diesem Urteil vertritt Joliet die Auffassung, dass das Hindernis fur den Binnenmarkt in Wahrhcit aufgrund divergierender nationaler Regelungen vorliege und eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Regelungen ein aufgrund Gemeinschaftsrecht beizuschaffendes U rsprungszeugnis erfordern konnte; die Beischaffung cines solchen ware einem Parallelimporteur zumindest nicht unzurnutbar.U'" Daher sei ein Netz von Alleinvertriebsvereinbarungen nichr als Verstof gegen Art. 81 EG zu beanstanden. Im Obrigen stelle die mitgliedstaatliche Regelung eine effektive und vertretbare Moglichkeit dar, die Authentizitat des betroffenen Produktes sicherzustellen.P'" Fur die Zwecke dieser Arbeit verbleibt - noch vor der Erorterung des weiten Beschrankungsbegriffes des EuGH - festzustellen, dass eine Abtrennung von Markten entlang nationaler Coder gleichzuhaltender) Grenzen durch private Maisnahmen den Verbotsnormen der Art. 81 ff EG unterstellt wird; staatliche Maiinahmen, die das namlich Ziel verfolgen oder eine solche Auswirkung aufweisen, werden der Freiheit des Warenverkehrs unterstellt, Der weite Beschrankungsbegriff der Rechtssache Dassonville erfasst mithin aIle Regelungen, die sich in objektiver Weise auf den Handelsverkehr auswirken. Kingreen bezeichnet die Dasson ville-Formel als Trichter, der zunachsr einmal aIle denkbaren Beschrankungen erfassen soIlte. 1I9 5 Die Interpretation einer Mafsnahme gleicher Wirkung wie eine mengenrna6ige Beschrankung in dem weiten Umfang der Dassonville-Formel beruht auf teleologischer Interpretation. Nach Ansicht von Streinz ist ein zweiter Ansatz, namlich die judiziell einfachere Erfassung mittelbarer Diskriminierungen denkbar und kann kumulativ hingedacht werden. 1196 Die Weite der Dassonoille-Pormel wirkte sich zum ersten Mal in der Leitentscheidung Cassisde Dijon 1197 aus, deren Sachverhalt nicht auf eine diskrirninierende mitgliedstaatliche M a6nahme schlielien lasst. W ahrend die Entscheidung Cassis de Dijon in dem nachsren Kapitel angesprochen werden solI, soIl an dieser Stelle lediglich festgehalten werden, dass der hier angesprochene Beschrankungsbegriff bl06 fur den Import regelnde nationale Malinahmen anwendbar ist,
1193 Joliet, EEC Law and Appellations of Origin: The Scotch Whiskey Case, The Modern Law Review 1975, 200, (204). 1194 Joliet, EEC Law and Appellations of Origin: The Scotch Whiskey Case, The Modern Law Review 1975, 200, (203). 1195 King reen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europaischen Gemeinschaftsrechts (1999),41. 1196 Streinz, Europarecht, 8. Auf). (2008), 308. 1197 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zentral AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branmwein (im folgenden: Cassis de Dijon ), Slg. 1979,649.
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Fur den Bereich solcher mitgliedstaatlicher Maisnalunen, die den Export von Waren regeln, trifft der EuGH in der Rechtssache Groenveld 1198 eine, mittelbare oder unmittelbare Diskriminierungen erfordernde Definition einer Maisnahrne gleicher Wirkung wie eine mengenmaliige Beschrankung.l!"? Diese Definition wurde und wird in standiger Rechtsprechung fortgefuhrt.P"? Die weite Definition einer Beschrankung des freien Warenverkehrs fuhrt in einer Betrachtung, welche zunachst die zwingenden Erfordernisse der Rechtsprechung in Cassis de Dijon aulier Acht lasst - zu einer Ausweitung der Kompetenzen der EG zur Rechtsangleichung. Denn ein Hindernis fur den freien Warenverkehr verleiht im Sinne der Art. 14 Abs. 2 EG und 95 EG der Gemeinschaft eine Kompetenz zur Vereinheitlichung der betroffenen Materie. 1201 Der weite Begriff einer Beschrankung, welcher die Definition einer Maiinahme gleicher Wirkung kennzeichnet sowie die Problematik einer geradezu uferlosen Ausdehnung von Rechtsangleichungskompetenzen der EG fiihrten in der Folgerechtsprechung zu betrachtlichen konzeptionellen Schwierigkeiten: Kapteyn und Verloren van Themaat gliedern den angesprochenen Problembereich in zwei Strange der Rechtsprechung; der eine umfasst solche Hindernisse des freien Warenverkehrs, die sich aus lokaler und nationaler Regelung sozio-okonornischer Gegebenheiten ergeben. So wurde der EuGH etwa mit folgenden Fragen befasst: >-
in der Rechtssache Blesgen mit der Frage nach der Zulassigkeit des Verbots der Abgabe alkoholischer Getranke zum sofortigen Verzehr an Orten, die der bffentlichkeit zuganglich sind, insbesondere Hotels, Restaurants und Gaststatten.F'"
1198 EuGH Rs. 15/79 P.B. Groenveld BV gegen Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1979, 3409. 1199 EuGH Rs. 15/79 P.B. Groenveld BV gegen Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1979, 3409, (3415): "Die Bestimmung [namlich Art. 29 EG] bezieht sich auf nationale Magnahmen, die spezifische Beschrankungen der Ausfuhrstrorne bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen fur den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaates und seinen Auiienhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt.". Fur einen Uberblick und Weiterfuhrendes vgl. KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Auf!. (1998), 628. 1200 EuGH Rs. 155/80 BuBgeldverfahren gegen Sergius Gebel, Slg. 1981,1993. 1201 Poaires Maduro, We The Court (1998), 168; Mattera, Le Marche Unique Europeen Ses regles, son fonctionnement, 2 nd , edition (1990), 26 ff. 1202 EuGH Rs. 75/81 Joseph Henri Thomas Blesgen gegen Belgischer Staat, Slg. 1982, 1211.
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Die Dogmatik von Diskr imin ierung und Beschrankunq im Geme inschaftsrecht
in der Rechtssache G ebel mit dem Verbot der Herstellung von Konditorund Backwaren an Werktagcn in der Nachtzeit.F'" in den Rechtssachen Sheptonhurst und Quietlynn mit dem Verbot des Verkaufs von Sexartikeln in nicht konzessionierten Sexshops.F'" sowie schlielilich in der Rechtssache CMC Motorradcenter mit der Frage, ob eine aus einem vorvertraglichen Rechtsverhaltnis resultierende Aufklarungspflicht des Verkaufers als Malinahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaGige Beschrankung anzusehen sei. 1205 W ahrend nach Ansicht des EuGH die Mehrzahl der angcsprochenen FaIle nicht unter das Verbot des Art. 28 EG in der Lesart der Dassonville-Formel fallen,1206 weisen doch die Emscheidungen in den angesprochenen Rechtssachen - bis auf dieses Kennzcichen - eine geringe systematische Koharenz auf. 1207 Aus der Reihe jener Falle , die auf eine problematischc Anwendung der Dassonville-Formel deuten, stechen die Sunday-Trading-Falle I208 hervor; sie 1203 EuGH Rs. 155/80 Bussgeldverfahren gegen Sergius Oebel, Slg. 1981, 1993. 1204 EuGH Rs. C-350/89 Sheptonhurst Ltd gegen Newham Borough Council, Slg. 1991, 1-2387; EuGH Rs. C-23 /8 9 Quiedynn Limited gegen Brian James Richards, Slg. 1990,1-3059. 1205 EuGH Rs. C-93/92 CMC Motorradcenter GmbH gegen Pelin Baskiciogullari, Slg. 1993,1-5009. 1206 Vgl. erwa den Urteilsten or in EuGH R s, 75/ 81 Joseph Henri Thomas Blesgen gegen Belgischer Staat, Slg. 1982, 1211: Eine derartige innerstaadiche Magnahme steht namlich, da sie sich nicht auf andere Formen des Vertriebs der fraglichen alkoholischen Getranke bezieht und die durch sie vorgeschriebenen Beschrankungen keinerlei Unterscheidung nach Art und H erkunft dieser Getriinke bewirken, in Wirklichk eit in keinem Zu sammenhang mit der Einfuhr der Waren und ist aus diesem Grunde nicbt geeignet, den H andel zw ischen den Mi tgliedstaaten z u beeint rdcbtigen (H ervorhebung der Verfasserin). 1207 Vgl. dazu im Gegensatz die Au ssage aus dem Urteilstenor in EuGH Rs. C-93/92 CMC Motorradcenter GmbH gegen Pelin Baski ciogull ari, Slg. 1993, 1-5009, welche die Elemente der Diskriminierung und der Zielsetzung der angegriffenen Regelung anspricht: Zum einen gilt namlich eine solche Verpflichtung [namlich jene der Aufkliirung des Kaufers] ohne Unterscbied fur alle vertraglichen Beziehungen und soll nicht den Handelsverkehr regeln, und zum anderen wiirde ein Hindernis fur den freien Warenverkehr nicht durch diese Pflicht verursacht, sondern durch die Praxis der Vertragshandler, so dass die restriktiven Wirkungen, die von ihr ausgehen konnten, zu ungewiss und zu mittelbar sind , als dass diese Verpflichtung als geeignet angesehen werden konnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. (Hervorhebu ng der Verfasserin ) 1208 EuGH Rs. C-306/88 Rochdale Borough Council gegen Stewart John Anders, Slg. 1992, 1-6457; EuGH Rs. C-304/90 Reading Borough Council gegen Payless DIY Ltd . und andere, Slg. 1990,1-6493; EuGH Rs. C -312/89 Union Departementale des Syndicats CGT de l'Ai snc gegen SIDEF CONFORAME, Societe Arts et Meubl es und SocieteJ1MA, Slg. 1991,1-997.
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
betreffen im Wesentlichen das Verbot der Ausubung kaufmannischer Tatigkeit am Sonntag. In der Rechtssache Torfaen Borough Council's?', welche das an Einzelhandler adressierte Verbot betrifft, an Sonntagen ihrer kaufmannischen Tatigkeit nachzugehen, spricht der EuGH die oben angestellten Erwagungen deutlich aus und zeichnet bereits den Weg fur die Entscheidung in Keck und Mithouard 12 10 vor:
"Solche Regelungen sind Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, da sie eine Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepasst ist, deren Beurteilung beim gegernodrtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist. Uberdies sind derartige Regelungen nicht dazu bestimmt, die Handelsstrome zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln," 1211 Arnull kritisiert die vom EuGH gewahlte Argumentation als unklar und meint, dass ein nationales Gericht im Zuge der Einordnung der bekampften Maiinahme und der Anwendung des Grundsatzes der Verhaltnismafsigkeit in der Abwagung des (allenfalls legitimen) Zieles der nationalen Mafsnahme im Verhaltnis zu der Beeintrachtigung des freien Warenverkehrs betrachtliche Schwierigkeiten haben durfte. 1212 Gormley wiederum begruBt die durch die Rechtssache Torfaen eingeleitete Entwicklung und konstatiert, dass eine Berucksichtigung mitgliedstaatlicher politischer Wertungsentscheidungen - mit Niederschlag in dem System der Kompetenzen der EG - durchaus seitens der Mitgliedstaaten und der Rechtsanwender zu begrulien ist. 1213 Ein zweiter, von Verloren und van Themaat herausgearbeiteter Rechtsprechungsstrang befasst sich mit Verkaufsmodalitaten.V!" diese Bekamptung nationaler Maisnahmen zog fur die eine nationale Regelung bekarnpfenden Handler und Gewerbetreibenden weitgehende Erfolge nach sich. Nach Ansicht der bereits zitierten Autoren handelt es sich bei diesem Strang der Rechtsprechung um solche Sachverhalte, die Anwendung der zwingenden Erforder-
1209 EuGH Rs. C-145/88 Torfaen Borough Council gegen B & Q pic, Slg. 1989,3851. 1210 EuGH Rs, C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097. 1211 EuGH Rs. C-145/88 Torfaen Borough Council gegen B & Q pic, Slg. 1989,3851, (3889). 1212 Arnull, What Shall We Do On Sunday?, ELR 1991,113, (120). 1213 Gormley, Case Commentary Case 145/88 Torfaen Borough Council v. B&Q PLC (formerly B & Q Retail Ltd.), CMLR 1990,141, (150). 1214 Kapteyn/Verloren van Themaat/Gormley, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Auf!. (1998),630.
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
nisse des Konsumentenschutzes und des lauteren Wettbewerbs zum Einsatz kommen Iassen.F" Die Rechtssache GB-INNO-BM/Conjederation du Commerce Luxembourgeois.P" we1che ein mitgliedstaatliches Verbot betrifft, in Werbung fur ein Sonderangebot den friiheren Preis sowie die Dauer des Sonderangebots anzugeben, stellt hingegen einen Anwendungsfall der Dassonville-Formel ad litteram dar; der EuGH iiberpriift (in einem Schritt) etwaige zwingende Erfordernisse und gelangt - ja nach Sachlage - zu der Annahme dieser zwingenden Erfordernisse oder zu deren Ablehnung. Die vom EuGH nunmehr eingeschlagene Rechtsprechungslinie wird in der Lehre im Wesentlichen als dogmatisch unklar und in der Anwendung problematisch kritisiert.F'? In seiner Leitentscheidung - sowohl in Bezug auf die Definition von Beschrankungen im Binnenmarkt als auch fur die dogmatische Systematisierung der Freiheit des Warenverkehrs an und fur sich - Keck und Mithouard 12 18 fiihrt der EuGH in die weiterhin anwendbare Dassonville-Forme1 ein Element der Diskriminierung ein; die angesprochene und mittlerweile ebenso zur Beriihmtheit ge1angte Passage lautet wie folgt: »Demgegenuber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestirnrnungen, die bestimmte Verkaufsmodalitaten beschrdnken oder uerbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville [ . .j unmittelbar oder rnittelbar, tatsdchlicbe oder potentiell zu bebindern, sofern diese Bestimmungen fur aile betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tiuigkeit im Inland ausiiben, und sofern sie den Absatz der inldndischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsdchlicb in gleicher Weise beriibren. "1219
1215 Vgl. etwa: EuGH Rs, C-126/91 Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft gegen Yves Rocher, Slg. 1993,1-2361; EuGH Rs. 382/87 R. Buet gegen Sari Educational Business Services gegen Ministere Public, Slg. 1989, 1235; EuGH Rs. 286/81 Strafverfahren gegen Oosthoek's Uitversmaatschappij, Slg. 1982,4575. 1216 EuGH Rs. 362/88 GB-INNO-BM gegen Confederation du Commerce Luxembourgeois, Slg. 1990, 1-667. 1217 Vgl. etwa Mortelmans, Article 30 of the EEC Treaty and Legislation Relating to Market Circumstances: Time to Consider a New Definition?, CMLR 1991, 115; White, In Search of The Limits to Article 30 of the EEC Treaty, CMLR 1989, 235; Steiner, Drawing the Line: Uses and Abuses of Article 30 EEC, CMLR 1992, 749; Wils, The Search for a Rule in Article 30 EEC: Much Ado About Nothing?, ELR 1993,474. 1218 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993, 1-6097. 1219 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg.1993, 1-6097, (1-6131).
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Die Reaktion auf dieses Urteil in der Literatur ist eine iiberaus starke und sehr heftige. 1220 Fur die Zwecke dieser Arbeit erscheinen zwei Anmerkungen am Platze: Zum einen stellt die Entscheidung Keck und Mithouard jedenfalls eine Riicknahme der Kompetenzen der EG zur Rechtsangleichung gemii6 Art. 14 Abs.2 und 95 EG im Rahmen der betroffenen Materie dar. 122 1 Zum anderen ist es wesentlich, den vom EuGH in die Debatte eingefiihrten Begriff der "Verkaufsmodalitiit" einer naheren Klarung zuzufiihren. Wiihrend in der oben angesprochenen Literatur die Abgrenzung von verkaufsbezogenen zu produktbezogenen Mafsnahmen als unklar erachtet wird, stellt Tesauro eine Verkaufsmodalitat mit einer staatlichen Ma6nahme gleich, die fur ein Produkt den Zugang zum Markt des betroffenen Mitgliedstaates nicht verhindert.F'"
1220 Ress, Abschied von Cassis de Dijon und Dassonville?, EuZW 1993, 745; Petschke, Die Warenverkehrsfreiheit in der neuesten Rechtsprechung des EuGH, EuZW 1994, 107; Sack, Staatliche Regelungen sogenannter .Verkaufsmodalitaten" und Art. 30 EG-Vertrag, EWS 1994, 37; Remien, Grenzen der gerichtlichen Privatrechtsangleichung mittels der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, JZ 1994, 349; Mattera, De I'arret "Dassonville" it l'arret "Keck": L'obscure clarte d'une jurisprudence riche en principes novateurs et en contradictions, RMU 1994, 117; Moore, Quantitative Restrictions and Measures Having Equivalent Effect, ELR 1994, 195; Steindorff, Ernst: Zeitschrift fuer das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 1994p., 149-169; Basedow, Keck on the facts, EuZW 1994, 225; Schilling, Rechtsfragen zu Art. 30 EG - Zugleich eine Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 24.11.1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267 und 168/91, EuR 1994, 50; Reich, The "November Revolution" of the European Court of Justice: Keck, Meng and Audi Revisited, CMLR 1994, 459; Roth, Case Commentary Joined Cases C-267/91 and C-268/91, Bernard Keck und Daniel Mithouard, Judgment of 24 November 1993 [1993J ECR 1-6097; Case C-292/92 Ruth Hiinermund et al. v. Landesapothekerkammer Baden-Wiirttemberg, Judgement of 15 December 1993, [1993J ECR 1-6787, CMLR 1994, 845; Stuyck, Observations. L'arret Keck et Mithouard (vente it perte) et ses consequences sur la libre circulation de marchandises, CDE 1994,435; Becker, Von "Dassonville" uber "Cassis" zu "Keck" - Der Begriff der Malinahmen gleicher Wirkung in Art.30 EG, EuR 1994p., 162-174; Gormley, Two Years After Keck, Fordham International Law Journal 1996, 866. 1221 Poaires Madura, We The Court (1998),168; Mattera, Le Marche Unique Europecn Ses regles, son fonctionnement, 2 nde edition (1990), 26 ff. 1222 Arg. "The Court has merely pointed out that the ruling in Dassonville, given in relation to a measure concerning imported products and impairing their access to the market of the importing country, cannot be extended to marketing arrangements of products which, once they have gained unhindered access to the market, are subject to such arrangements in the same way as domestic products", in Tesauro, The Community's Internal Market in the light of the Recent Case-law of the Court of Justice, YEL 1995, 1, (6); vgl. auch in richterlicher Funktion EuGH Rs. C-292/92 Ruth Hiinermund und andere gegen Landesapothekerkammer Baden-Wiirttemberg, Schlussantrag GA Tesauro, Sig. 1993,1-6787, (1-6800). >
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In den Rechtssachen Hicnermund'P? und Familiapress 1224 wird der Ansatz von Generalanwalt Tesauro vom EuGH aufgegriffen: Die Rechtssache Hiinermund befasst sich mit dem auf Standesrecht beruhenden Verbot fur Apotheker, au6erhalb einer Apotheke fur apothekeniiblich Waren zu werben. Der EuGH stellt im Anschluss einer Wiederholung der Keck-Formel fest: "Sind diese Voraussetzungen erfidlt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen aufden Verkaufvon Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang fur diese Erzeugnisse zu versperren oder starker zu behindern, als sie dies fur inldndiscbe Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des Art. 30 EWG- Vertrag. "1225 (Hervorhebung der Verfasserin) E contrario sind produktbezogene Regelungen daher als solche Regelungen zu verstehen, die den Zugang zum Markt versperren oder aber faktisch oder rechtlich den auslandischen Importeur oder die auslandische Ware diskrimimeren. Im Weiteren ist nach der Ausgestaltung der Freiheit der Dienstleistung zu fragen. In der Rechtssache Sdger/Dennerneyer'F" wird fur eine Definition des Begriffs einer Mafsnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmafsige Beschrankung die bereits in der Rechtssache Dassonville vorgenommene Definition auf die Freiheit der Dienstleistung iibertragen: "Zunachst ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 59 EWG- Vertrag nicht nur die Beseitigung sdmtlicber Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehorigkeit, sondern fur die Aufhebung aller Bescbrdnleungen - selbst wenn sie unterschiedslos fur einheimische Dienstleistende wie fur Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten - verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tatigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaate ansdssig ist und dort rechtmaflig dbnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern."1227
1223 EuGH Rs. C-292/92 Ruth Hiinermund und andere gegen Landesapothekerkammer Baden-Wiirttemberg, Slg. 1993,1-6787. 1224 EuGH Rs, C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und Vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997, 1-3689. 1225 EuGH Rs, C-292/92 Ruth Hiinermund und andere gegen Landesapothekerkammer Baden-Wiirttemberg, Slg. 1993,1-6787, (1-6823). 1226 EuGH Rs, C-76/90 Manfred Sager gegen Dennemeyer & Co. Ltd., Slg. 1991, 1-4221. 1227 EuGH Rs, C-76/90 Manfred Sager gegen Dennemeyer & Co. Ltd., Slg. 1991,1-422 (1-4243).
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
3.2.2. Freiheit der Dienstleistung: Das Beschrankungsverbot Die Dbertragung des weiten Beschrankungsbegriffs der Dassonville- Formel auf die Freiheit der Dienstleistung-P" hat jedoch nicht zur Folge, dass die Strukturen dieser zwei Grundfreiheiten vollkommen parallel verlaufen. Roth und Speyer weisen darauf hin, dass wohl die Freiheit der Dienstleistung nunmehr in Parallelitat zu der Freiheit des Warenverkehrs gelesen werden miisste, aber aufgrund des spezifischen Charakters ersterer - der etwa Berufszugangsvoraussetzungen betrifft, aber auch generell staatliche oder private Regulierung von Berufen - auf praktisch gro6ere Schwierigkeiten stolien wird als im Bereich der einfacher zu handhabenden Freiheit des Warenverkehrs. 1229 Die oben getatigte Anmerkung kann im Sinne der in dieser Arbeit getroffenen Einteilung der Grundfreiheiten so verstanden werden, dass Schwierigkeiten insbesondere im personenbezogenen Aspekt der Freiheit der Dienstleistung auftreten konnen. Diese Auffassung wird durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Alpine Inuestrnents'P? bestatigt, Diese Rechtssache betrifft ein in den Niederlanden bestehendes Verbot der telephonischen Kundenwerbung fur Finanzdienstleistungen ohne vorherige Aufforderung, des sog. cold calling. Bei diesem Verbot handelt es sich urn eine mitgliedstaatliche Regelung der Ausiibung einer beruflichen Tatigkeit, namlich jene eines Finanzdienstleistungsvermittlers. Das angesprochene Verbot betrifft in keiner Weise das zu verkaufende Produkt selbst, noch verbietet es entsprechende Beratungstatigkeit eines Finanzdienstleistungsvermittlers. Diese Berarungstatigkeit wird allerdings bestimmten Einschrankungen unterworfen - diese untersagen es dem niederlandischen Unternehmen Alpine Investments uber Telefon Kunden in anderen Mitgliedstaaten ohne deren vorherige Zustimmung anzuwerben. Daher erfasst das genannte Verbot eine unter mehreren rnoglichen Formen einer Berufsausubung. Der EuGH lehnt eine Dbertragung der Keck-Formelwie von der niederlandischen Regierung vorgeschlagen - auf die Freiheit der Dienstleistung ab und folgt damit dem Schlussantrag von Generalanwalt ]a-
1228 Vgl. beispielsweise auch EuGH Rs. C-154/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1991, 1-659; EuGH Rs, C-180/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1991,1-709; EuGH Rs. 220/83 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Frankreich, Slg. 1986, 3663. 1229 Roth, Case Commentary Case C-76/90 Manfred Sager v. Dennemeyer & Co. Ltd., Judgement of 25 July 1991 (not yet reported), CMLR 1993,145, (154); Speyer, Anwendung der Cassis-de-Dijon-Doktrin und Spaltbarkeit reglementierter Tatigkeiten als neue Etappen der Dienstleistungsfreiheit, EuZW 1991, 588. 1230 EuGH Rs. C-384/93 Alpine Investments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995, 1-1144.
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Die Dogmatik von Diskrimin ierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht CObS. 123 1
Eine soIche Ubertragung harte nach Ansicht clieser Prozesspartei zur Folge, class clas bekarnpfte Verbat als Verkaufsrnodalitat oder als rechtlich und ratsachlich nicht diskriminierende Erschwerung des Marktzugangs zu qualifizieren gewesen ware.
3.3 . Das Verbot von Beschrankunqen im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten 3.3.1. Freizugigkeit der Arbeitnehmer: Das Beschrankungsverbot
Die Freizugigkeit der Arbeitnehmer umfasst bereits in ihrer primarrechtlichen Ausgestaltung in der Bestimmung des Art. 39 Abs. 3 EG cine Reihe von Rechten, weIche durch sekundarrechtliche Kodifikation Ausgestaltung und Prazisierung erfahren haben. Die Freiheit der Niederlassung wiederum enthalt in Art. 43 Abs.l EG ein primarrechtlich geregeltes Beschrankungsverbot, welches in Art. 43 Abs. 2 EG wiederum eine Reihe von (haufig) sekundarrechtlich normierten Rechten umfasst, Die Freiziigigkeit der Arbeitn ehmer und die Freiheit der Niederlassung sollen fur die Frage der Anwendbarkeit der Dassonville-Formel in Einem argument ativ aufbereitet werden. Beiden ist namlich gemeinsam, dass eine ad litteram-Ubernahme und Anwendung eines Verbotes, das jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel [. . .J zu behindern, wenig sachgerecht erscheint und in der praktischen Anwendung auf betrachtliche Schwierigk eiten stolien muss. Der Grund hierfiir liegt letztlich in dem Element regulatorischer Kontrolle, des sen Wahrnehmung eine offentliche Aufgabe darstellt; schlie61ich hat die notwendige Wahrnehmung regul atorischer Kontrolle durch die Mitgliedstaaten zu r Polge, dass in der Rechtsprechung des EuGH das Beschrankungsverbot im Rahmen der Per sonenverkehrsfreiheiten eine and ere Ausgestaltung uncl Interpretation aufweist als im Bereich des Freien Waren verk ehrs oder des produktbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit. 1m Bereich cler Personenverkehrsfreiheiten beinhaltet das Verbot von Beschrankungen ein Verb at unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung und
1231 "Ein Verbot wie das streiti ge geht aber von dem Mitgliedstaat aus, in dem der Leisrungserbringer ansassig ist, und betrifft nicht nur die Angebote, die der Leistungsempfan gern gemacht hat, die irn Gebiet dieses Staates ansassi g sind, oder sich dorthin begeben, urn Dienstleistungen entgegenzunehmen, sondern auch die Angebote an Leistungsernpfangern in einern anderen Mitgliedstaat. Au s diesern Grund beeinflusst es unmittelbar den Zu gang zurn Dienstleisrungsmarkt in den anderen Mitglied staaten. Es ist daher geeignet, den innergemein schaftlichen Dienstleisrungsverkehr zu behindern." , EuGH Rs. C- 384/ 93 Alpine Investments BV gegen Minister van Financien, Slg, 1995,1-1144, (1-1178).
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
bezweckt eine Gleichstellung natiirlicher und juristischer Personen aus anderen EG-Mitgliedstaaten mit solchen des Ausgangsmitgliedstaates. 1232 3.3.2. Freiheit der Niederlassung: Das Beschrankungsverbot
In der Rechtssache Kommission gegen Frankreich 1233 bekampft die Europaische Kommission eine franzosische Vorschrift, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Arzten und Zahnarzten vorschreibt, ihre Zulassung in diesem Staat riickgangig zu machen, wenn sie in Frankreich ihre Tatigkeit im Angestelltenverhaltnis ausiiben, eine Vertretung wahrnehmen oder eine Praxis eroffnen wollen. Der EuGH stellt zunachst fest, dass Staatsangehorige eines Ausgangsmitgliedstaares die Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates beziiglich der Ausiibung eines Berufes zu beachten haben, wenn sie in diesem Mitgliedstaat ihren Beruf ausiiben mochten. Der Gerichtshof fahrt dann fort mit Ausfiihrungen zu der teilweisen Dbertragung der Dassonville-Formel auf die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer:
" Fiihren diese Vorschriften [i. e. jene betreffend die Ausiibung eines Berufes] jedoch zur Bescbrdnleung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschajt, so sind sie mit dem EWG- Vertrag nur vereinbar, wenn die in ihnen enthaltenen Beschrdnkungen wirklich in Anbetracht allgemeiner Verpflichtungen gerechtfertigt sind, von denen die ordnungsgemdfle Ausiibung der fraglichen Berufe abhdngt, und wenn sie unterschiedslos fur die eigenen Staatsangebiirigen gelten. Dies ist nicht der Fall, wenn die Bescbrdnleungen geeignet sind, eine Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Arzte und Zabndrzte zu bewirken oder den Zugang zum Beruf iiber das zur Erreichung der genannten Ziele erforderliche Mafl hinaus zu behindern. "1234 (Hervorhebung der Verfasserin) Der oben vorn EuGH fur die Interpretation des Beschrankungsverbotes gewahlte Weg wurde vom Gerichtshof in einer Reihe weiterer Entscheidungen verfolgt. 1235
1232 KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Aufl. (1998), 716. 1233 EuGH Rs. 96/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1986, 1475. 1234 EuGH Rs. 96/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1986, 1475, (1486). 1235 Vgl. etwa EuGH Rs. 154 und 155/97 Institut National d' Assurances pour Travailleurs Independants (INASTI) gegen Heinrich Wolf und NV Microtherm Europe, Wilfried Dorchain und PVBA Almare, Slg. 1988,3897; EuGH Rs. 143/87 Christopher Stanton und S.A. Beige d' Assurances "L'Etoile 1905" gegen L'INASTI (Institut National
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankung im Gemeinschaftsrecht
Die Elemente der Ausgestaltung des Beschrankungsverbotes im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten lauten wie folgt: Eine Beschrankung liegt dann vor, wenn eine nationale Maiinahme rnittelbar oder unmittelbar, rechtlich oder tatsachlich die Ausiibung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer behindert, wenn diese Maiinahme in mittelbarer oder unmittelbarer Weise diskriminiert, Eine Diskriminierung liegt jedoch nicht vor, wenn eine mittelbare Diskriminierung durch objektive Griinde des allgemeinen Interesses - demnach zwingende Erfordernisse - gerechtfertigt ist. 1236 Aus dem oben Angefiihrten ist zusatzlich zu folgern, dass das Beschrankungsverbot der Personenverkehrsfreiheiten als Gleichstellungsgebot mit den natiirlichen und juristischen Personen des Zielmitgliedstaates gleichzusetzen ist, Dieses Gleichstellungsgebot besitzt einen gegeniiber dem in Art. 12 EG enthaltenen Diskriminierungsverbot weiteren Anwendungsbereich; es sind nicht nur rnittelbare und unmittelbare Diskriminierungen erfasst, sondern auch faktische Auflagen, die sich als Zusatzbelastung fiir den auslandischen Arbeitnehmer oder den Niederlassungswilligen auBern. Diese Zusatzbelastungen konnen unter Kontrolle der Verhaltnisrnaliigkeit zwingenden objektiven Erfordernissen genii gen. In der Rechtssache Kraus 1237 wird eine Regelung des deutschen Bundesstaates Baden-Wiirttemberg angegriffen, welche die Fiihrung eines aufgrund eines Postgraduiertenstudiums erworbenen akademischen Grades einer Genehmigung unterwirft, Der EuGH stellt hierzu fest:
"Daher stehen die A rtikel 48 und 52 jeder nationalen Regelung [. . .] entgegen, die zwar obne Diskriminierung aus Grunden der Staatsangehorigkeit anwendbar ist, die aber geeignet ist, die Ausiibung der durch den EWGVertrag garantierten grundlegenden Freiheiten durch die Gerneinscbaftsangeborigen einschliefllich der Staatsangebortgen des Mitgliedstaates, der
d' Assurances pour Travailleurs Independants), Slg. 1988,3877; EuGH Rs. 33/88 Pilar Allue und Carmel Mary Coonan gegen Universita degli Studi di Venezia, Slg. 1989, 1591; EuGH Rs, C-204/90 Harms-Martin Bachmann gegen Belgischer Staat, Slg. 1992, 1-249; EuGH Rs. C-300/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Kiinigreich Belgien, Slg. 1992, 1-305. 1236 Vgl. etwa EuGH Rs. 152/73 Giovanni Maria Sotgiu gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1974, 153: "Die Vorschriften iiber die Gleichbehandlung verbieten nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehiirigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsachlich zu dem gleichen Ergebnis fuhren, [...J Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die fiir eine solche Entschadigung geltende Regelung sachliche Unterschiede in der Lage der Arbeitnehmer beriicksichtigt [...J; vgl. auch EuGH Rs, C-279/93 Finanzamt Koln-Altstadt gegen Roland Schumacker, Slg. 1994,1-228. 1237 EuGH Rs. C-19/92 Dieter Kraus gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg. 1993,1-1665.
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Diskriminierung versus Beschrankunq im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
die Regelung erlassen hat, zu bebindern oder weniger attraktiv zu rnachen. u l 238 Vom Beschrankungsverbot im Rahmen der Personenverkehrsfreiheiten werden daher bloB solche Marktzutrittsschranken erfasst, die die Wahrnehmung mitgliedstaatlich-offentlicher Kontrolle nicht gefahrden, nicht jedoch samtliche Marktzutrirtsschranken, welche als Zusatzbelastung des mobilen Arbeitnehmers oder Niederlassungswilligen zu verstehen sind. 3.4. Das Verbot von Beschrankungen im Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs
Die Freiheit des Kapitalverkehrs weist zum einen eine starke Regelung durch Sekundarrecht auf, und zum anderen ein bereits im Primarrecht enthaltenes Verbot von Beschrankungen. F'? Die Freiheit des Kapitalverkehrs ist in der neueren Rechtsprechung des EuGH - neben dem produktbezogenen Aspekt der Dienstleistungsfreiheit jene Grundfreiheit, die sich fur eine Dbertragung der Dassonville-Formel im nicht-harrnonisierten Bereich am ehesten eignet. In der Re chtssache Trurnm er' P", welche das osterreichische Verbot der Eintragung einer H ypothek in Frernd wahrung betrifft, definiert der EuGH den Begriff einer Beschrankung wie folgt:
"Eine nationale Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede stebenden A1"t bewirkt, dass der Zusammenhang z wischen der zu sicbernden Forderung, die in der Wdhrung eines anderen Mitgliedstaats zahlbar ist, und der Hypothek, deren Wert infolge spiiterer Wdhrungsschwankungen geringer sein kann als der Wert der zu sichernden Forderung, gelockert w ird, was die Wirksamkeit und somit die Attraktivitdt einer solchen Sicherheit zwangslaufig v erringert. Diese Regelung ist somit geeignet, die Betroffenen davon abzuhalten, eine Forderung in der Wdhrung eines anderen Mitgliedstaats zu bezeicbnen, und ihnen somit ein Recht zu nehmen, das ein Bestandteil des[reien Kapital- und Zahlungsverkehrs ist.U1241
1238 EuGH Rs. C-19/92 Dieter Kraus gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg. 1993,1-1665, (I-1697). 1239 Kapteyn /Verloren van Th emaat/Go rml ey, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Auf!. (1998), 768. 1240 E uG H Rs. C-222/97 Grundbuchssache Manfred Trummer gegen Peter Ma yer, Slg. 1999,1 -1661. 1241 EuGH Rs. C-222/9 7 Grundbuchssache Manfred Trummer gegen Peter Ma yer, Slg. 1999,1-1661 , (1-1679).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
Der Urteilstenor des EuGH in der Rechtssache Trummer lasst folgern, dass auch im Bereich der Freiheit des Kapitalverkehrs die Dassonv ille-Formel Anwendung findet. 1242 4. Ergebnisse
Dcr EuGH lehnt eine systematisch-teleologische Interpretation des Art. 28 EG ab, die es argumentativ errnoglichen wiirde, unter den Begriff "mengenm aBige Einfuhrbeschrankung" oder "MaBnahme gleicher Wirkung" blof solch e MaBnahmen zu subsumicren, welche als diskriminierend zu qualifizieren sind. Fur die Ziele dieser Arbeit kann festgehalten w erden, dass eine MaBnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaliige Beschrankung jedenfalls au ch eine diskriminierende MaBnahme gleicher Wirkung wie eine mengenrnaBige Beschrankung erfasst, Eine mengenmaliige Beschrankung einer Ware EG-auslandischen Ursprungs ist entsprechend der oben erarbeiteten und gew ahlten Begrifflichkeit eine unrnittelbar oder direkt diskriminierende MaBnahme. Ein etwaiger Hintergrund protektionistischer Zielsetzung wird in dieser Betrachtung ausgeblendet. Di e Begriindung hierfiir lautct wie folgt: Zum einen muss fur die Feststellung einer protektionistischen Absicht des nationalen Ge setzgebers oder einer "bloBen" protektionistischen Wirkung der MaBnahme selbst im Rahmen innerstaatlicher Produktion ein VergleichsmaBstab gefunden werden; dies mag sich in den meisten Fallen als schwierig erweisen. Zum anderen hat der EuGH - wie oben bereits dargelegt wurde - im Bereich der Anwendung der Grundfreiheiten auf eine Untersuchung der protektionistischen Wirkung einer nach Art. 28 EG verbotenen MaBnahme verzichtet: Fur die Anwendbarkeit der Vorschriften tiber die Grundfreiheiten genugt eine bloB potentielle Beeintrachtigung der jeweiligen Grundfreiheit, eine tatsachliche dahingehende Aus wirkung ist nicht erforderlich. Aus der Rechtsprechung des EuGH zum Freien Warenverkehr kann jed och Strang und Bereich der Rechtsprechung zu mengenmaliigen Beschrankungen sowie jener zu MaBnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenrnaiiige Beschrankung, welche als mittelbar diskriminierend zu qualifizieren sind, aus der groBen Gruppe der unterschiedslos anwendbaren MaBnahmen gleicher Wirkung herausgeschalt werden. In der Entwicklung der Dogmatik der Grundfreiheiten spielt die Freiheit des Warenverkehrs wohl eine dogmatische Vorreiterrolle. In der Folge ist zu z eigen, dass bei den iibrigen Grundfreiheiten das in den jeweiligen Vorschriften enthaltene Beschrankungsverbot in gleicher Weise von dem Diskriminierungsverbot getrennt werden kann. 1242 R ohde, Anmerkung, EWS 1999, 388, (389).
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Im Rahmen der produktbezogenen Ausrichtung der Freiheit der Dienstleistung liegt eine direkte Diskriminierung dann vor, wenn eine unterschiedliche, zum Nachteil der EG-auslandischen Dienstleistung gereichende Behandlung ausgeiibt wird. Im Falle des Vorliegens einer mitte1baren Diskriminierung im Bereich des personenbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit ist hier insbesondere an Wohnsitzerfordernisse der Dienstleistungserbringer zu denken. Im Hinblick auf Art. 39 EG kann festgestellt werden, dass ein Strang der Rechtsprechung sich mit dem Verbot von Diskriminierungen befasst. Dieser Strang der Rechtsprechung kann deutlich von dem Beschrankungsverbot im Rahmen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer unterschieden werden, und wird "von dies em umfasst"1243. Der oben getroffene Befund fur die Trennbarkeit des Diskriminierungsverbotes von dem Beschrankungsverbot im Rahmen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer und der Betrachtung der ersteren als Teilmenge der groBeren Menge Beschrankungsverbot trifft ebenso fur die Freiheit der Niederlassung zu. Aus dem oben Angefiihrten ist zusatzlich zu folgern, dass das Beschrankungsverbot der Personenverkehrsfreiheiten als Gleichstellungsgebot mit den naturlichen und juristischen Personen des Zie1mitgliedstaates gleichzusetzen ist. Dieses Gleichstellungsgebot besitzt einen gegenuber dem in Art. 12 EG emhaltenen Diskriminierungsverbot weiteren Anwendungsbereich; es sind nicht nur mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen erfasst, sondern auch faktische Auflagen, die sich als Zusatzbe1astung fur den auslandischen Arbeitnehmer oder den Niederlassungswilligen auBern. Diese Zusatzbe1astungen konnen unter Kontrolle der Verhaltnismaiiigkeit zwingenden objektiven Erfordernissen gemigen, Die weite Interpretation des Beschrankungsverbotes im Rahmen der Grundfreiheiten hihrt zu einer ebenso weiten Definition der finalen Rechtsangleichungskompetenz der EG. 5. Schlussfolgerungen
Das Diskriminierungsverbot im Rahmen der Grundfreiheiten ist in dem Beschrankungsverbot enthalten und kann von diesem dogmatisch abgesondert werden. Die Interpretation einer Mafsnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaBige Beschrankung in dem weiten Umfang der Dassonville-Forme1 beruht auf
1243 Alber, Artikel39 EG (fruher Artikel48 EG): Vom Diskriminierungs- zum Benachteiligungsverbot, in Tomandl (Hg.), Der Einfluss europaischen Rechts auf das Arbeitsrecht (2001),2, (3).
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Die Dogmatik von Diskriminierung und Beschrankunq im Gemeinschaftsrecht
teleologischer Interpretation. Zu iiberlegen ist im Rahmen einer teleologischen Interpretation, ob das in den Grundfreiheiten normierte Beschrankungsverbot sich als drittwirkende Vorschrift in der Anwendung zwischen Pri vaten eignet, Weiters ist zu folgern, dass mit Hilfe der Dritrwirkung der Grundfreiheiten und ihrer generellen Dritrwirkung in der oben angesprochenen finalen Interpretation der Rechtsangleichungskompetenzen der Gemeinschaft dieser weitere Re chtsangleichungskompetenzen zuflielsen wiirden. 6. Thesen
Das Zusammenwirken von privater Regelung und mitgliedstaatlicher Regelung wird vom EuGH indirekt im Rahmen des Urteils in Dassonville angesprochen.V" in seinem Urteil entsch eidet der EuGH fur eine Trennbarkeit der angesprochenen Regelungen. Die in dieser Rechtssache angesprochene Faktenlage wiirde jedoch ebenso sarntliche Kriterien - insbesondere in Anbetracht der durftigen Ermittlung der zugrunde liegenden Fakten - der Van Eyeke-Formel erfiillen. Bei einer solchen Betrachtung findet die These von der sinnvollen Trennbarkeit des mitglied staatlichen Handelns und des privaten Handelns im Rahmen der Van Eyeke-Formel einen friihen judiziellen Anhaltspunkt. Das Diskriminierungsverbot im Rahmen der Grundfreiheiten ist in dem Beschrankungsverbot enthalten, kann jedoch von diesem dogmatisch abgesondert werden. Gerade die in unterschiedlicher Weise erfolgende Obenragung des Beschrankungsverbotes der Freiheit des Warenverkehrs auf andere Grundfreiheiten ist geeignet, das Konzept von einer luckenlosen Konvergenz der Grundfreiheiten zu erschiittern, Daher ist aus der Zusammenschau der Syste matik der Grundfreiheiten - neigt man nun zu der Auffassung, da ss Koharenz dieser Systematik besteht oder nicht - weder ein Argument fur noch ein Argument gegen die Drittwirkung von Grundfreiheiten zu ziehen. Aufgrund der einigermaBen prazisen Ausgestaltung des Diskriminierungsverbotes der Grundfreiheiten erscheint dieses unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit als fur Drittwirkung besser geeignet und handhabbar als das Beschrankungsverbot im Rahmen der Grundfreiheiten.
1244 "Son ach stellt es eine mit dem Vertrag unvereinbare Matsnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmaliige Beschrankung dar, wenn ein Mitgliedstaat eine Echtheitsbescheinigung verlangt, die der Importeur eines in einem anderen Mitgliedstaat ord nungsgernaf im freien Verkehr befindlichen echten Erzeu gnisses schwerer zu beschaffen vermag als cler Importeur, der das gleiche Erzeugnis unmitte1bar aus dern Ursprungsland einfiihrt.", EuGH Rs. 8/74 Staats anwalt schaft gegen Benoit und Gus tave Da ssonviHe, Slg. 1974, 837, (853).
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Diskriminierung versus Beschrankung im Binnenmarkt: Die Konsequenzen
Mit Hilfe der Drittwirkung der Grundfreiheiten und ihrer generellen Drittwirkung in der oben angesprochenen finalen Interpretation der Rechtsangleichungskompetenzen der Gemeinschaft wurden dieser zusatzliche Rechtsangleichungskompetenzen, etwa aufgrund von Art. 95 EG, zuflieiien. Die Frage der Drittwirkung von Grundfreiheiten ist daher ebenso unter dem Blickwinkel der Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten und EG zu betrachten.
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VI. Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell A. Bausteine der Systematik 1. EinfOhrung
In dem nun folgenden Kapitel sollen weitere Bausteine der Systematik der Grundfreiheiten fur die Erarbeitung eines Modells der Drittwirkung von Grundfreiheiten analysiert werden. In dem ersten Abschnitt solI das Aquivalenzprinzip dargelegt werden: Die hierzu ergangene Leitentscheidung, das Urteil in der Rechtssache Cassis de Dijon 1245 stellt zum Einen eine Fortentwicklung der Dassonville-Formel dar, zum Anderen fiihrt diese Entscheidung zusatzliche Strukturelemente in die Systematik der Grundfreiheiten ein. Diese Strukturelemente sollen im Folgenden in ihren Grundziigen dargelegt und in den Thesen zu dies em Abschnitt auf ihre Tauglichkeit fur eine Systematik der Drittwirkung der Grundfreiheiten uberpriift werden. Die im Kapitel "Diskriminierung und Beschrankung im Binnenrnarkt" angesprochene Debatte iiber die Reichweite und die Ausgestaltung des Beschrankungsbegriffes stellt auf einer gleichwertigen Ebene den argumentativen Hintergrund fur die Rechtssache Cassis de Dijon dar. In den weiteren zwei Abschnitten sollen die Problemkreise der Tauglichkeit der bislang staatsbezogenen Rechtfertigungsgrunde fur den Gebrauch durch Private sowie die Verteilung der Beweislast bei Geltendmachung eines Verstoises gegen eine Grundfreiheit angesprochen werden.
1245 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Slg. 1979,649.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
2. Zur Fortentwicklung der Dassonville-Formel: Das Aquivalenzprinzip
2.1 . EinfOhrung In diesem Abschnitt soll entsprechend seiner Bedeutung fur die systernatische Struktur der Grundfreiheiten das Aquivalenzprinzip - noch vor den zwingenden Erfordernissen des Art. 28 EG - und seine Verwendbarkeit fur ein System der Dritrwirkung der Grundfreiheiten herausgearbeitet werden. Fur den in Cassis de Dijon enrwickelten funktionalen Parallelismus oder rule of reason1246 hebt Oliver zunachst den konzeptuellen Beitrag von Ulmer hervor.l"" Ulmer befasst sich in seinem Beitrag mit mittelbaren Einfuhrhemmnissen und priift eine Reihe rechtlicher Instrumentarien auf ihre Tauglichkeit sowohl fur den Abbau innergemeinschaftlicher Handelshemmnisse als auch fur die Wahrung der im EG-Vertrag vorgesehenen Kompetenzverteilung zwischen EG und ihren Mitgliedstaaten.V" Dieser Autor stellt zunachst fest, dass unterschiedslos auf inlandische und eingefiihrte auslandische Waren anwendbare nationale MaBnahmen fur auslandische Waren eine Anpassung der Produktion erfordern und damit eine spezifisch einfuhrhemmende Wirkung haben oder jedenfalls erwarten lassen. Oem von Ulmer verstandenen Telos des grundsatzlichen Verbots von Art. 28 EG-Vertrag entspricht, diesen als Verbot von MaBnahmen aufzufassen, die einseitig die Einfuhr verhindern, erschweren oder belasten und damit protektionistische Auswirkungen zugunsten der inlandischen Produkrion haben.P' ? Die Anwendung des oben umschriebenen Kriteriums der rnateriellen Diskriminierung - oder der mittelbaren Diskriminierung - erweise sich jedoch in der praktischen Handhabung als untauglich; es sei bereits hinreichend kornpliziert, formelle - oder unmittelbare - Gleich- und Ungleichbehandlung festzustellen . Ulmer weist aus diesem Grunde den in der Richtlinie 70/50/EWG festgehaltenen Standpunkt der Kommission zuriick, der das Verbot des Art. 28 EGVertrag unter Vorbehalt des Art. 30 EG-Vertrag blof auf unterschiedlich anwendbare MaBnahmen, die die Einfuhr einseitig erschweren und daher per se als rechtswidrig einzustufen sind,moanwenden rnochte. 1246 Kapteyn/Verloren van Themaat/Gormley, Introduction to the Law of the European Communities, 4. Auf!. (2008), 625. 1247 Oliver, Free Movement of Go ods in the European Community, 3rd ed. (1996),91. 1248 Ulmer, Zum Verbot mittel barer Einfuhrbeschrankungen im EWG-Vertrag, GRUR Int 1973, 502. 1249 Ulmer, Zum Verbot mittelbarer Einfuhrbeschrankungen im EWG-Vertrag, GRUR lnt 1973, 502, (507). 1250 VgI. Art.2 Abs.l der Richtlinie der Kommission vom 22. Dezember 1969, gestiitzt auf die Vorschriften des Artikels 33 Absatz 7 iiber die Beseitigung vom Maiinahrnen gleicher Wirkung wie rnengenmatlige Einfuhrbeschrankungen, die nichr unter andere
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Bausteine der Systematik
Ulmer greift schlielilich den Begriff der funktionalen Aquivalenz auf und schlagt vor, dieses aus der deutschen Grundrechtediskussion entliehene Konzept zur Bestimmung des Eingriffscharakters staatlicher Mafsnahmen fortzuentwickeln. Demnach seien staatliche MaBnahmen dann als MaBnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmafsige Beschrankung anzusehen, wenn ihre spezifisch einfuhrhemmende Wirkung mit derjenigen einer mengenmaliigen Einfuhrbeschrankung vergleichbar ist, Dieser Autor schlagt einige zusatzliche Hinweise zur Ausgestaltung im Einzelnen vor: Zunachst ist auf die spezifische Wirkung einer EingriffsmaBnahme abzustellen; nicht ihre auBere Ausgestaltung oder der Zweck der MaBnahme sei zu betrachten, sondern ihre funktionale Vergleichbarkeit mit einer Eingriffsnorm. Irn Unterschied zu dem aus der Grundrechtediskussion stammenden Konzept der funktionalen Aquivalenz ist jedoch zu beachten, dass ein staatlicher Grundrechtseingriff zulassig sei, soweit er sich innerhalb der Schranken eines Gesetzesvorbehaltes bewegt. Im zweiten Fall ist eine MaBnahme nur dann keine Maiinahme gleicher Wirkung, wenn sie - so Ulmer- innerhalb der Schranken des Art. 30 EG-Vertrag verbleibt. Die funktionale Aquivalenz einer mitgliedstaatlichen Matinahme mit einer Maisnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmafsige Beschrankung ist nur dann zu bejahen, "wenn die Regelung entweder zur Erreichung des als solchen legitimen Zwecks nicht erforderlich ist oder wenn sie auiser Verhaltnis zu dem angestrebten Zweck steht. "1251 Diese Folgerung von Ulmer wird vom Gerichtshof in seinem Urteil Cassisde-Dijon aufgegriffen werden.
2.2. Die Rechtssache Cassis de Dijon Die dieser Entscheidung zugrunde liegende Faktenlage betrifft zunachst eine unterschiedslos anwendbare MaBnahme. Das einzufiihrende Produkt, Cassis de Dijon, entspricht im Hinblick auf seinen Weingeistgehalt nicht den vom deutschen Branntweinmonopolgesetz vorgeschriebenen Kategorien und darf demnach nicht auf den Markt gebracht werden. Fur die Systematik der Grundfreiheiten ist zusatzlich zu den oben als einflussreich eingestuften literarischen Argumenten die Stellungnahme von Generalanwalt Capotorti in dieser Rechtssache in zwei Punkten aufschlussreich:
auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen, ABI L 13/1970,29: "Diese Richtlinie betrifft andere als unterschiedslos auf inlandische und eingefuhrte Waren anwendbare MaBnahmen, die Einfuhren verhindern, die ohne diese Mafsnahmen stattfinden konnten, einschliefslich derjenigen, die die Einfuhren gegeniiber dem Absatz der inlandischen Erzeugung erschweren oder verteuern." 1251 Ulmer, Zum Verbot mittelbarer Einfuhrbeschrankungen im EWG-Vertrag, GRUR 1m 1973, 502, (512).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Capotorti schlieist sich der von Ulmer vertretenen Auffassung von der Einbeziehung auch umerschiedslos anwendbarer Maisnahmen unter das Verbot von Art. 28 EG an und weist in diesem Punkt die nach seiner Ansicht zu "vorsichtige" Auffassung der Kommission zuriick. Die Auffassung, dass Mitgliedstaaten fur den Erlass von Maisnahmen bezuglich der Vermarktung von Waren, die eine bestimmte Zusammensetzung erfordern und, dass die EG iiber keine Kornpetenz auf diesem Gebiet verfiige, sei offenkundig irrig. Eine solche staatliche Maiinahme stelle blof dann keine Malinahme gleicher Wirkung wie eine mengenmafsige Beschrankung dar, wenn ein Mitgliedstaat zwar die Vermarktung gewisser, auf seinem Gebiet hergestellter Erzeugnisse von bestimmten Qualitatsvoraussetzungen abhangig macht, "zur gleichen Zeit aber die Vermarktung eingefuhrter gleichartiger Erzeugnisse zulieiie, wenn diese eine kontrollierte Herkunftsbezeichnung oder genaue Angaben tiber die Zusammensetzung triigen" .1252 Der zweite wesentliche Punkt der Stellungnahme von Capotorti betrifft das Konzept der zwingenden Erfordernisse und der Rechtfertigungsgriinde sowie ihre Gewichtung: Die von der Bundesrepublik Deutschland - nun in untechnischer Bezeichnung - geltend gemachten Rechtfertigungsgriinde sind jene des "Schutzes des Verbrauchers vor Tauschung", "Schutz vor gesundheitlichen Gefahren" und "Schutz des lauteren Wettbewerbs". Capotorti pruft die oben genannten Rechtfertigungsgriinde anhand der Vorschrift des Art. 30 EG (vormals Art. 36 EG), und hier insbesondere den Rechtfertigungsgrund des Schutzes des Verbrauchers vor Tauschung, wiewohl dieser Rechtfertigungsgrund sich wortlich nicht in den Ausnahmetatbestanden des Art. 30 EG findet. 1253 Die Stellungnahme von Generalanwalt Capotorti umfasst damit zum Einen bereits den argumentativen Grundstein fur das Aquivalenzprinzip; zum Anderen pladiert der Generalanwalt fur eine weite Auslegung der Ausnahmetatbestande des Art. 30 EG.1254 In seinem Urteil greift der EuGH das von Capotorti vorgeschlagene Aquivalenzprinzip auf, verweigert sich jedoch einer weiten Interpretation der Rechtfertigungsgriinde des Art. 30 EG. Das Aquivalenzprinzip, welches zu einem tragenden Prinzip sekundarrechtlicher Harmonisierung im Bereich des Binnenmarktes werden sollte, wird in casu beilaufig angedeutet:
1252 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Schlussantrag Generalwanwalt Capotorti, Slg. 1979,649, (670). 1253 EuGH Rs, 120/78 Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Schlussantrag Generalanwalt Capotorti, Slg. 1979, 649, (672); vgl. auch Oliver, Free Movement of Goods in the European Community, 3rd ed. (1996), 92. 1254 Fur eine Analyse dieses Schlussantrags vgl. Oliver, Free Movement of Goods in the European Community, 3rd ed. (1996), 92.
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Bausteine der Systematik
"Es gibt somit keinen stichhaltigen Grund dafiir, zu verhindern, dass in einem Mitgliedstaat rechtmdflig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getrdnke in die anderen Mitgliedstaaten eingefiihrt werden; dem Absatz dieser Erzeugnisse kann kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getriinken entgegengehalten werden, die einen geringeren Weingeistgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist."1255 (Hervorhebung der Verfasserin) Das Aquivalenzprinzip, Ursprungslandprinzip, Herkunftslandprinzip oder der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung'F" findet sich im Bereich des Freien Warenverkehrs nunmehr in standiger Rechtsprechung wieder. 1257 Die Auswirkung des Aquivalenzprinzips auf die Dienstleistungsfreiheit und die Personenverkehrsfreiheiten auGen sich im Wesentlichen in zwei Grundgedanken: Zum Einen stellt das in der Rechtssache Cassis de Dijon postulierte Aquivalenzprinzip einen tragenden Grundsatz sekundarrechtlicher Harmonisierung fur samtliche Grundfreiheiten im Binnenmarkt dar; als Beispiel sollen die Diplomanerkennungsrichtlinien 1258 genannt werden, welche in ihren zentralen Bestimmungen die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Qualifikation unter naher festgelegten Voraussetzungen festlegen.V'"
1255 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Slg. 1979,649, (664). 1256 Zur Begrifflichkeit vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 31. 1257 Vgl. beispielsweise: EuGH Rs. 27/80 Strafverfahren gegen Anton Adriaan Fietje, Slg. 1980, 3839; EuGH Rs. 59/82 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb in der Wirtschaft gegen Weinvertriebs GmbH, Slg. 1983, 1217; EuGH Rs. 220/81 Strafverfahren gegen Timothy Frederick Robertson und andere, Slg. 1982,2349. 1258 Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 tiber eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijahrige Berufsausbildung abschlieflen, ABI L/1989, 16; Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.Juni 1992 uber eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befahigungsnachweise in Erganzung zur Richtlinie 89/48/EWG, ABl L 209/1992, 25. 1259 Das Aquivalenzprinzip findet in Art. 1 der Richtlinie 89/48/EWG folgende Ausformung: Im Sinne dieser Richtlinie gelten a) als Diplome aile Diplome, Prufungszcugnisse oder sonstige Befiihigungsnachweise bzw. diese Diplome, Prufungszeugnisse oder sonstigen Befahigungsnachweise insgesamt, - die in einem Mitgliedstaat von einer nach seinen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bestimmten zustandigen Stelle ausgestellt werden, - aus denen hervorgeht, dass der Diplominhaber ein mindestens dreijahriges Studium oder ein dieser Dauer entsprechendes Teilzeitstudium an einer Universitat oder einer Hochschule oder einer anderen Ausbildungseinrichtung mit gleichwertigem
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Zum Anderen findet sich das Aquivalenzprinzip in der aufgrund der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Anforderung, innerhalb des Anwendungsbereiches der Dienstleistungsfrciheit - hier ohne Unterscheidung zwischen produktbezogenem und personenbezogenem Aspekt dicser Freiheit - jene Dienstleistungserbringer, welche bereits den Erfordernissen des Ausgangsmitgliedstaates geniigen miissen und damit auch dessen Kontrolle unterliegen, im Zielrnitgliedstaat die erwiinschte Dienstleistung rechtrnaiiig erbringen zu lassen. 1260 Weiters bestimmt das Aquivalenzprinzip in der standigen Rechtsprechung des EuGH, innerhalb des jeweiligen Anwendungsbereiches der Personenverkehrsfreiheiten eine in einem Mitgliedstaat entsprechend dessen Vorschriften absolvierten Ausbildung bei Gleichwertigkeit als solche anzuerkennen oder aber dem Unionsburger solche Auflagen mitzugeben, deren Erfiillung die Herstellung der Gleichwertigkeit der Ausbildung verrnuten lassen. Die Rechtssache Thieffry 1261 mage hierfiir als Beispiel herangezogen werden; Herr Thieffry, Inhaber eines in Belgien erworbenen Hochschuldiploms der Rechtswissenschaften, erreicht die Anerkennung dieses Abschlusses als gleichwertig mit einer franzosischen licence en droit durch eine franzosische Universitat, Der Conseil de l'ordre der Rechtsanwaltschaft bei der Cour d'appel Paris weist nun seinen Antrag auf Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf und dessen Ausiibung mit der Begriindung zuriick, der Kandidat sei »nicht Inhaber eines franzosischen Diploms zum Nachweis einer licence oder eines docto-
rat".
Niveau absolviert und gegebenenfalls die iiber das Studium hinau s erforderliche berufliche Ausbildung abgeschlossen hat, und - aus denen hervorgeht, dass der Zeugnisinhaber iiber die berufli chen Voraussetzungen verfiigr, die fiir den Zugang zu einem reglementienen Beruf oder dessen Ausiibung in diesem Mitgliedstaat erforderlich sind, wenn die durch das Diplom, das Priifungszeugnis oder einen sonstigen Befahigungsnachweis bescheinigte Ausbildung iiberwiegend in der Gcmeinschaft erworben wurde oder wenn dessen Inhaber eine dreijahrige Berufserfahrung hat, die von dem Mitgliedstaat bescheinigt wird, der ein Diplom, ein Priifungszeugnis oder einen sonstigen Befahigungsnachweis eines Drittlands anerkannt hat. 1260 EuGH Rs. C-353/89 Kommissi on der Europaischen Gerneinschaften gegen Konigreich der Niederlande, Slg. 1994,1-4069, (1-4093): "Solange die fur Dienstleistungen geltenden Vorschriften nicht harrnonisiert sind und noch nicht einmal eine Gleichwertigkeitsregelung erlassen worden ist, konnen Behinderungen der vom EWG-Vertrag in diesem Bereich garancierren Freiheit zweitens daher ruhren, dass innerstaatliche Vorschriften, die aile im Inland ansassigen Personen erfassen, auf im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ansassige Erbringer von Dienstleistungcn angewandt werden miissen, die bereits den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gcniigen miisscn." 1261 EuGH Rs. 71/76 Jean Thieffry gegen Conseil de l'Ordre des avocats bei der Cour d' Appel Paris, Slg. 1977,765 .
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Bausteine der Systematik
Die Faktenlage in dieser Rechtssache beinhaltet zwar eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit; doch lasst sich die vom EuGH als Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts getroffene Aussage als Dbertragung des Aquivalenzprinzips auf die Freiheit der Niederlassung auffassen:
" Insbesondere wiirde diese Freiheit urtzuldssig beschrdnkt, wenn einer unter den Anwendungsbereich des Vertrages fallenden Person, welche Inhaber eines von der zustdndigen Stelle des Nieder/assungslandes als gleichwertig anerkannten Priifungszeugnisses ist und uberdies die in diesem Land geltenden besonderen Voraussetzungen hinsichtlich der Berufsausbildung erjiillt, der Zugang zu einem Beruf in einem Mitgliedstaat allein deshalb versagt wiirde, weil der Betreffende nicht im Besitz des seinem eigenen als gleichwertig anerkannten Priifungszeugnisses entsprechenden Priifungszeugnisses dieses Landes ist."1262 (Hervorhebung der Verfasserin) Die Bedeutung des Aquivalenzprinzips kann unterschiedlich aufgefasst werden; seine Bedeutung im wirtschaftlichen Verkehr hangt proportional mit der Fahigkeit und dem Willen des betroffenen Importeurs oder der betroffenen natiirlichen oder juristischen Person, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Tatigkeit aufnehmen will, eine Anerkennung auf administrativem oder gerichtlichem Wege durchzusetzen. Oppermann jedoch ist der Auffassung, dass die Cassis-Philosophie die Notwendigkeit harmonisierender Rechtsangleichung erheblich verringert habe. 1263 Kapteyn, Ver/oren van Themaat und Gormley streichen die iiberwiegende Bedeutung des principle of mutual acceptance sowohl in der Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Freiheit des Warenverkehrs und der Freiheit der Dienstleistung als auch im Rahmen sekundarrechtlicher Harrnonisierung fur die iibrigen Grundfreiheiten hervor. 1264 Diese Autoren weisen jedoch zugleich auf die in der Rechtsprechung festgelegten Grenzen des Aquivalenzprinzips hin; eine weite Auslegung des Aquivalenzprinzips habe notwendigerweise einen nicht wiinschenswerten Abbau nationaler Standards zur Folge, so dass die Anwendung des Aquivalenzprinzips 1262 EuGH Rs. 71/76 Jean Thieffry gegen Conseil de l'Ordre des avocats bei der Cour d' Appel Paris, Slg. 1977,765, (778). 1263 Oppermann, Europarecht, 2. Auf!. (1999), 523. 1264 Kapteyn/Verloren van Themaat/Gormley, Introduction to the Law of the European Communities, 4. Auf!. (2008), 358. Die von diesen Autoren einpragsam gewahlte Formulierung, bestechend in ihrer logischen Klarheit, lautet wie folgt: "This mutual acceptance principle means that Member State A must admit goods or services coming from Member State B to its territory, if those goods or services have been lawfully produced or marketed according to the rules applicable in Member State B."; vgl. auch Chalmers, Repackaging the Internal Market - The Ramifications of the Keck Judgment, ELR 1994, 385, (395).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
stets durch eine yom EuGH im Rahmen der Verhaltnisrnatiigkeit vorzunehmende Abwagung zwischen diesem und einem im allgemeinen Interesse liegenden zwingenden Erfordernis oder Rechtfertigungsgrund unterliegt, Beispielhaft sowohl fiir eine enge Auslegung des Aquivalenzprinzips, seine Begrenzung durch das zwingende Erfordernis des Schutzes der Gesundheit, und fiir die Frage nach der Abgrenzung mitgliedstaatlicher versus gemeinschaftlicher Regelungskompetenz solI die Rechtssache Holzverarbeitungsmaschinen 1265 herangezogen werden. Der Rechtssache Holzverarbeitungsmaschinen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kommission beanstandet eine Reihe franzosischer Regelungen, welche fiir Holzbearbeitungsmaschinen Sicherheitsvorschriften vorsehen, die von inlandischen und EG-auslandischen Herstellern zu beachten sind. Die Riige der Kommission betrifft im Wesemlichen die Tatsache, dass die neu eingefiihrten Vorschriften die Hersteller zwinge, von dem franzosischen Gesetzgeber vorgegebenen Sicherheitsgesichtspunkten Rechnung zu tragen. Dieser gehe im Rahmen seiner Konzeption des Arbeitnehmerschutzes davon aus, dass ein Benutzer dieser Maschinen vor seinen eigenen Fehlern geschiitzt werden miisse und, dass der menschliche Anteil an der Bedienung der Maschinen auf das unbedingt erforderliche Ma6 beschrankt werden rniisse. Andere Mitgliedstaaten hingegen vertreten nach unwidersprochener Ansicht der Klagerin eine dem emgegen gesetzte Konzeption des Arbeitnehmerschutzes, entsprechend dem Grundsatz, dass der Arbeitnehmer durch eine griindliche Berufsausbildung in die Lage versetzt werden miisse, bei Auftreten einer Storung der Maschine die richtigen Ma6nahmen zu ergreifen. Die franzosischen Anforderungen haben zur Folge, dass ihnen nur weitgehend autornatisierte Maschinen emsprechen konnen.F'" Nach Ansicht der beklagten Partei liege es in der Kornpetenz der Mitgliedstaaten, den Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen emsprechend ihrer eigenen Wenungen und Vorstellungen zu gewahrleisten. Der EuGH nimmt die oben angesprochene Abwagung iiber das zwingende Erfordernis des Schutzes der menschlichen Gesundheit im Rahmen abweichender Konzepte des Arbeitnehmerschutzes und letztlich iiber eine VerhaltnismaBigkeitsprufung zugunsten mitgliedstaatlicher Kompetenz wie folgt vor:
"Dariiber hinaus dar! er rein Mitgliedstaat, Anm. der VerfJ das Inverkehrbringen aus einem anderen Mitgliedstaat stammender Erzeugnisse nicbt uerbindern, die hinsichtlich des Niveaus des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen dem entsprechen, was mit der nationalen Rege1265 EuGH Rs. 188/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik ("Holzverarbeitungsmaschinen") , Slg. 1986,419. 1266 EuGH Rs. 188/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik ("H olzverarbeitu ngsmaschinen") , Sitzungsberichr, Slg. 1986, 419, (420).
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Bausteine der Systematik
lung erreicht werden soll. Daher iuicrde es dem Grundsatz der Verhaltnismafligkeit zuwider laufen, wenn eine natianale Regelung verlangen wurde, dass die eingefuhrten Erzeugnisse den Bestimmungen und technischen Anfarderungen, die fur die in dem betreffenden Mitgliedstaat hergestellten Erzeugnisse gelten, buchstabengetreu entsprechen, abwahl sie dasselbe Schutzniveau fur die Benutzer geuiabrleisten. Dagegen verpflichtet das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegensodrtigen Stand die Mitgliedstaaten nicht, in ihrem Gebiet gefahrliche Maschinen zuzulassen, die nicht nachweislich dasselbe Schutzniveau fur die Benutzer in diesem Gebiet gewahrleisten."1267 (Hervorhebung der Verfasserin) Die hier zitierte Aussage des EuGH lasst den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung blof fur jenen Fall greifen -und erachtet daher blof fur jenen Fall die mitgliedstaatliche Maiinahme fur nicht verhaltnismaisig - dass die einzufuhrenden Maschinen ein dem vorgeschriebenen gleichzuhaltendes Schutzniveau garantieren, ohne "buchstabengetreu" diesen Vorschriften zu entsprechen. Dieser Ausweg erscheint fur einen EG-auslandischen Hersteller geradezu unmoglich, da zum Einen mit erhohten Kosten verbunden, und zum Anderen ein faktisch gleichzuhaltendes Schutzniveau ohne Automatisierung technisch wohl nicht
durchfiihrbar ist. Die Rechtssache H autwipper befasst sich mit dem zwingenden Erfordernis des Verbraucherschutzes und ist mit der vom EuGH eingeschlagenen Argumentation in der Rechtssache H alzverarbeitungsmaschinen durchaus vergleichbar.V'" Das Aquivalenzprinzip findet nunmehr im Rahmen samtlicher Grundfreiheiten Anwendung; da dieses in seiner ursprunglichen Auspragung blof den Normgehalt des Art. 28 EG konkretisiert, 1269 ist seine Anwendbarkeit im Rahmen der iibrigen Grundfreiheiten ebenso auf eine Konkretisierung des dortigen Normengehaltes beschrankt. Die Anwendung des Aquivalenzprinzips fur die Systematik der Grundfreiheiten stellt ein Element der Koharenz der Grundfreiheiten dar, zugleich aber auch eine Begrenzung dessen, da es sich auf den N ormgehalt der angesprochenen Grundfreiheit beschrankt, Kapteyn, Verloren van Themaat und Gormley weisen schlieislich zutreffend darauf hin, dass, je weiter eine Auslegung des principle of mutual acceptance auch einen verstarkten Wettbewerb der nationalen Rechtssysteme innerhalb der Gemeinschaft nach sich ziehe. 1270 1267 EuGH Rs. 188/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik ("Holzverarbeitungsmaschinen"), Slg. 1986,419, (436). 1268 EuGH Rs. C-293/93 Strafverfahren gegen Ludomira Neeltje Barbara Houtwipper, Slg. 1994, 1-4249. 1269 Fiscber/Kiick, Europarecht, 4. Aufl. (2002), 765. 1270 KapteynlVerloren van ThemaatlGormley, Introduction to the Law of the European Communities, 3. Aufl, (1998), 580.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
3. Das Konzept zwingender Erfordernisse 3.1. EinfOhrung
In diesem Abschnitt soll zunachst das Konzept der zwingenden Erfordernisse anhand der Cassis de Dijon-Formel und seine Rolle in d er Systematik der Freiheit des W arenverkehrs ange riss en w erd en . Das Konzept der zwingenden Erfordernisse solI in der Folge auf di e iibrigen Grundfreiheiten iibertragen werd en - in durchaus paraIleler Weise zu dem Aquivalenzprinzip erweist sich dieses Konzept in seinen Grundziigen als auf aIle Grundfreiheiten iibertragungsfahig. Die hier getatigte Eins chrankung, namlich die Dbertragung in den Grundziigen, verweist zugleich auf die system atisch e Konver genz der Grundfreiheiten und auf die materienbezogenen, engen Grenzen dieser Konvergenz. SchlieBlich soIlen die wichtigsten zwingenden Erfordernisse in ihrer Ausarbcitung durch die Rechtsprechung des EuGH kurz dargelegt werden und den Re chtfertigungsgriinden des Art.30 EG angeschlossen werden. Noch vor dieser Untersuchung lasst sich ein gemeinsames Kennzeichen samtlicher Rechtsfertigungsgriinde konstatieren: Diese sind in ihrer Gesamtheit Ausnahrnetatbestande, die einer besonderen Interessenlage eines Mitgliedstaates entgegenkommen soIlen, und konnen so mit als staatsbez ogen bezeichnet werden. 1m Rahmen samtlicher Re chtfertigungsgriinde find en sich Erwagungen mit Bezug auf Interessenlage oder Bediirfnisse von Pri vaten blof am Rande oder mcdiatisiert, 3.2. Das Konzept der zwingenden Erfordernisse in der Systematik der Freiheit des Warenverkehrs
In der Re chtssache Cassis de D ijon halt der EuGH fest, class zunachst das Aquivalenzprinzip erfordere, eine in einem Mitgliedstaat rechtmaliig hergeste llte Ware frei innerhalb der Gemeinschaft zirkulieren zu lassen. Das Aquivalenzprinzip wird nur durchbrochen, wenn ein Mitgliedstaat "ein im allgemeinen Interesse Iiegendes Ziel , das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs, der eine der Grundlagen der Gemeinschaft darsteIlt, vorginge" 1271, vorweisen kann:
,,In Ermangelung einer gem einschaftlichen Regelung der H erstellung und Vermarktung von Weingeist [. . .j ist es Sache der Mitgliedstaaten, aile die H erstellung und Vermarktung v on Weingeist und alkoholischen Getrdnken betreffenden Vorschriften fur ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. H emmnisse f ur den Binnenhandel der Gem einschaft, die sich aus den Unterschieden der na1271 EuGH Rs. 120 178 Rewe-Z ent ral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Slg. 1979, 649, (662).
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Bausteine der Systematik
tionalen Regelungen iiber die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, miissen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen der wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der offentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes. "1272 Im Folgenden sollen einige allgemeine Bemerkungen getatigt werden, die fur samtliche zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses Giiltigkeit beanspruchen: In Bezug auf den oben zitierten zweiten Teil der Cassis de Dijon-Formel kann die erste Anmerkung auf die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EG und den Mitgliedstaaten bezogen werden: Der EuGH halt fest, dass "Hemmnisse fur den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen ergeben" bei Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses des allgemeinen Interesses hingenommen werden miissen. Eine derart "gerechtfertigte" nationale Malinahme wird bereits durch ein Urteil des EuGH zu einem Hemmnis im Binnenmarkt erklart; diese Bezeichnung stellt gema6 Art. 14 und Art. 95 EG klar, dass die Gemeinschaft fur diese Materie eine Kompetenz zur Rechtsangleichung besitzt.F" Daher ist umgekehrt eine Berufung auf ein zwingendes Erfordernis nur dann zulassig, wenn die in Frage stehende Materie nicht bereits durch einen Rechtsakt der EG abschlie6end harmonisiert wurde. 1274 Weiters ist eine Berufung auf zwingende Erfordernisse nur dann zulassig, wenn die in Frage stehende Maisnahme als unterschiedslos auf einheimische und einzufuhrende Erzeugnisse anzuwendende Ma6nahme zu klassifizieren ist. Die unterschiedslose Anwendbarkeit einer staatlichen Ma6nahme wird als Teil des Gleichbehandlungs- oder Nichtdiskriminierungsgrundsatzes verstanden. 127S 1272 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Slg. 1979,649, (662). 1273 Kapteyn/Verloren van Themaat/Gormley, Introduction to the Law of the European Communities, 4. Aufl. (2008), 666. Diese Autoren streichen den voriibergehenden Charakter der zwingenden Erfordernisse hervor: "The rule of reason is essentially a temporary acceptance of state regulation of the interest or value concerned pending Community regulation which will replace the need (and thus the justification) for unilateral national measures." 1274 Vgl. z.B. EuGH Rs. 251/78 Firma Denkavit Futtermittel GmbH gegen Minister fur Ernahrung, Landwirtschaft und Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Slg. 1979, 3369. Zu der Problematik vollstandiger und teilweiser Harmonisierung sowie fur eine inhaltliche Unterscheidung von Harmonisierungsinstrumenten vgl. Bleckmann, Europarecht, 6. Auf!. (1997), 774 ff. 1275 Zur Begrifflichkeit vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 78.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten : Ein Modell
Kapteyn, Verloren v an Themaat und Gormley interpretieren das Erfordernis unterschiedsloser Anwendbarkeit in der Weise, dass einheimische wie importierte Produkte in gleicher Weise von einer national en MaBnahme erfasst worden miissen und "that the Court will /ook behind the face of the measure to see if this is really the case."1 276 Diese Autoren fiihren als Beleg eine Reihe von Urteilen des EuGH an l 277 und vertreten die Auffassung, dass das Urteil Wallonische Abfalle l 278 , welches iiber den im Umweltschutz nach Ansicht des Gerichtshofes anzuwendenden Grundsatz der Entsorgungsautarkie zu einer unterschiedslosen Anwendung einer an sich unterschiedlich anwendbaren Ma6nahme gelangt, eine Ausnahme in dieser Kette von Prajudizien darstelle. Ahlfeld gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Voraussetzung der unterschiedslosen Anwendbarkeit im Wesentlichen bedeute, dass sachlich gerechtfertigte Differenzierungen von formell wie materiell unterschiedlicher Behandlung lediglich im Rahmen der Rechtfertigungsgriinde nach Art. 30 EGVertrag erwogen werden konnten.!"? An dieser Stelle solI vorgeschlagen werden, die Voraussetzung der unterschiedslosen Anwendbarkeit als im Wesentlichen deckungsgleich mit der Voraussetzung aufzufassen, dass unmittelbare Diskriminierung gerade nicht vorliegt. Das Konzept unmittelbarer Diskriminierung solI in diesem Zusarnmen hang jedoch nicht eng ausgelegt werden: In teleologischer Interpretation sollen auch solche Ma6nahmen darunter klassifiziert werden, die in protekrionistischer Absicht mittels eines Ankniipfungspunktes oder eines Bestandteils der inkriminierten Malinahme den Tatbestand unmittelbarer Diskriminierung erfullen. 128o Als gegenlaufig konnten moglicherweise - das Urteil Wallonische Abfalle 128 1 a part, in Bezug auf welches der Auffassung von Kapteyn, Verloren van Themaat und Gormley gefolgt werden sol1- drei wichtige Leiturteile hervorgeho ben werden: 1276 Kapteyn /Verloren van Th emaat/Gormley, Introduction to the Law of the European Communities, 4. Aufl. (2008), 666. 1277 Zutreffend vgl. etwa EuGH Rs. 788/79 Strafverfahren gegen Herbert Gilli und Paul Andres, Slg. 1980, 2071; EuGH Rs, 113/80 Kommission der Europaischen Gerneinschaften gegen Irland, Slg. 1981, 1625; EuGH Rs. C-l/90 und C-176/90 Aragonesa de Publicidad Exterior SA und Publivia gegen Departamento de Sanidad y Seguridad Social de la Generalitat de Cataluna, Slg. 1991,1-373. 1278 EuGH Rs. C-2/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien ("Wallonische Abfalle "), Slg. 1992,1-4431. 1279 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 75; zu den Ausnahmen vgl. ibid. 75 ff. 1280 Vgl. z. B.: EuGH Rs. 231/83 Henri Cullet gegen Centre Leclerc , Toulouse und Centre Leclerc, Saint-Orcns-de-Gameville, Slg. 1985, 316. 1281 EuGH Rs. C-2/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien ("Wallonische Abfalle" ), Slg. 1992,1-4431.
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Bausteine der Systematik
Die Rechtssache Leclerc!Au ble vert 1282 befasst sich mit der Vereinbarkeit des franzosischen Systems der Preisbindung bei Buchern, Die fur den vorliegenden Diskussionspunkt relevante Malinahme sieht vor, dass in Frankreich verlegte, aber nach ihrem Export reimportierte Bucher zu dem Preis zu verkaufen sind, den der franzosische Verleger fur die im Inland vertriebenen Bucher festsetzt. Wahrend Ahlfeld feststellt, dass der EuGH in Leclerc mit seiner Aussage sowohl einer materiellen wie einer formellen Diskriminierung die Anwendung eines zwingenden Erfordernisses versagt,1283 kann an dieser Stelle dieser Interpretation nicht gefolgt werden. Die Aussage des EuGH zu der fraglichen Malsnahme halt vielmehr fest, dass es sich urn eine unterschiedslos anwendbare Maiinahme handle, die nicht mit dem zwingenden Erfordernis des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden konne, Daher sei im Weiteren nach einem Rechtfertigungsgrund im Bereich des Art. 30 EG zu suchen.F" Die Entscheidung Cullet 1285 betrifft eine Preisbindungsvorschrift Frankreichs fur Treibstoff, weIehe zwar im Inland raffinierte und importierte Treibstoffe erfasst, jedoch fur die Festsetzung des Mindestpreises an Selbstkostenpreise fr anzosischer Raffinerien ankniipft. Durch diese Regelung erleiden jene Importeure wirtschaftliche Nachteile, deren Selbstkostenpreise unter jenen franzosischer Raffinerien liegen. Eine soIehe Malinahme kann in teleologischer Interpretation des Art. 28 EG als eine Maiinahme klassifiziert werden, die in protektionistischer Absicht mittels eines Anknupfungspunkts oder eines Bestandteils der inkriminierten Maiinahme - im gegenstandlichen FaIle mittels Festlegen des Mindestpreises anhand der Selbstkostenpreise franzosischer Raffinerien - den Tatbestand unmittelbarer Diskriminierung erfullt. 1282 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1. 1283 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 74. 1284 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1, (35): "Soweit dagegen solche Rechtsvorschriften fur Bucher gelten, die in dem betreffenden Mitgliedstaat selbst verlegt und nach ihrer Ausfuhr in einen anderen Mitgliedstaat dorthin reimportiert worden sind, stellt eine Bestimmung, die fur den Verkauf dieser Bucher die Einhaltung des vom Verleger festgesetzten Verkaufspreises vorschreibt, keine Regelung dar, die zwischen einheimischen und importierten Buchern differenzierr. Gleichwohl erschwert eine derartige Bestimmung den Absatz reimportierter Bucher, da sie dem Importeur eines solchen Buches die Moglichkeit nimmt, den im Ausfuhrmitgliedstaat erzielten Vorteil eines gunstigeren Preises im Endverkaufspreis weiterzugeben. Sie stellt mithin eine nach Arrikel 30 verbotene MaBnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaiiige Beschrankung dar." 1285 EuGH Rs. 231/83 Henri Cullet gegen Centre Leclerc, Toulouse und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville, Slg. 1985,316.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
In der Rechtssache Irische Souvenirs 1286 schlielilich sehen die inkriminierten nationalen MaBnahmen vor, dass eingefiihrte Souvenirs mit der Kennzeichnung "foreign" zu versehen sind; eine solche Mafsnahme ist nach Ansicht des EuGH als unterschiedlich anwendbar anzusehen. Die hier vorgeschlagene Systematik wird durch die von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Keck-Formel 1287 erhartet, welche nunmehr fur den Bereich der Freiheit des Warenverkehrs jene Maisnahmen von dem Anwendungsbereich der Dassonville-Formel ausnimmt, die zusatzlich nicht mittelbar diskriminieren. Das Begriffspaar der formell und materiell unterschiedlichen Behandlung hingegen erweist sich in der Argumentation als wenig hilfreich, da ja gerade eben der Zusammenhang zwischen dem Konzept der unterschiedslosen/unterschiedlichen Anwendbarkeit einer nationalen Malsnahme und dem Konzept der Nichtdiskriminierung im EG-Vertrag festgehalten wurde. Diese Systematik harte insbesondere - neben den wesentlichen Leitentscheidungen des EuGH - auch den Vorteil konzeptueller Klarheit fur sich. Dies bedeutet namlich, dass unmittelbare Diskriminierung mit ausdriicklich im EG-Vertrag festgelegten Rechtfertigungsgrunden gerechtfertigt werden konnte, wahrend bei Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung auch sonstige zwingende Erfordernisse zur Wahl sninden. SchlieBlich stellt sich die Frage nach der Abgrenzung des Tatbestands des Art. 28 EG: Begreift man den Tatbestand des Art. 28 EG als blolies Verbot mengenmafsiger Beschrankungen sowie Mafsnahmen gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville- Formel und des Aquivalenzprinzips - und beide werden von den zwingenden Erfordernissen ja nicht beriihrt - so sind zwingende Erfordernisse als judiziell geschopfte Rechtfertigungsgriinde zu Art. 28 EG aufzufassen. Daher ist bei Dbertragung des Aquivalenzprinzips und sachgemsf mancher zwingender Erfordernisse dieser Befund auf die iibrigen Grundfreiheiten zu iibertragen. Definiert man den Tatbestand des Art. 28 EG jedoch so, dass nicht nur die oben angehihrten Tatbestandselemente eingeschlossen sind, sondern auch 1286 EuGH Rs. 113/80 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg, 1981, 1625. 1287 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993, 1-6097, (1-6131): "Demgegeniiber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitaten beschranken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville [...Junmittelbar oder mittelbar, tatsachliche oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen fiir aile betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tatigkeit im Inland ausiiben, und sofern sie den Absatz der inlandischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsachlich in gleicher Weise beriihren."
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Bausteine der Systematik
moglicherweise gegenlaufige Prinzipien - namlich die zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses - so stellt die rule ofreason, namlich der oHene Katalog zwingender Griinde des Allgemeininteresse einen Bestandteil des Tatbestands von An. 28 EG dar. Ahlfeld merkt hierzu an, dass die zweite Variante fur den Gerichtshof den Vorteil habe, dass sich das Problem der Uberschreitung der Grenzen der Rechtsfortbildung des Art. 30 EG jedenfalls nicht aufdrange. 1288 Eine umfassende und weite AuHassung von den Grenzen des Tatbestands des An. 28 EG darf jedenfalls nicht dazu fiihren, dass durch bloBe Neudefinition des Tatbestandes Abwagungsvorgange und Wertungen verdeckt werden. Nach der erforderlichen Methodik der Priifung der zwingenden Erfordernisse kann festgehalten werden, dass diese ebenso als Rechtfertigungsgriinde wie jene des An. 30 EG bezeichnet und gepriift werden konnen, Der EuGH sclbst stellt dies in der Rechtssache Wurmser 1289 fest:
"Eine Vorschrift, die sowohl bei Erzeugnissen inldndiscber H erstellung als auch bei eingefubrten Erzeugnissen dem fur das erste lnverkehrbringen Verantwortlichen eine Prufungspf/icht auferlegt, ist grundsdtzlicb unterschiedslos auf diese beiden Gruppen von Erzeugnissen anwendbar. Sie kann daher sowohl nach Artike136 als auch nach Artike130 EWG- Vertrag, wie er vom Gerichtshofin der angefuhrten Rechtsprechung ausgelegt wird, gerechtfertigt werden. "1290 (Hervorhebung der Verfasserin) Sowohl aufgrund der in gleicher Weise strukrurierten Methodik der Priifung von zwingenden Erfordernissen nach Art. 28 EG und vo n Rechtfenigungsgrunden nach An. 30 EG als auch aufgrund der Zielsetzung dieser Arbeit erscheint es iiberzeugend, den Tatbestand des Art. 28 EG eng , demnach im Sinne der ersten Variante, aufzufassen. Daher solI fur die weitere Analyse angenommen werden, dass der Tatbestand des An. 28 EG bloB das Verbot mengenmaliiger Beschrankungen sowie MaBnahmen gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville-Formel und das Aquivalenzprinzip irn Sinne der Cassis de Dijon-Forme1 umfasst.
1288 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichrshofs zu Art. 30 EG (1997), 83. 1289 EuGH Rs, 25/88 Strafverfahren gegen Esther Ren ee Wurmser, verw irwete Bouchara, und Firma Norlaine, Slg. 1988, 1105. 1290 EuGH Rs . 25/88 Strafv erfahren gegen Esther Renee Wurm ser, verw irwete Bouchara, und Firma Norlaine, Slg, 1988, 1105, (1129).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
3.3. Das Konzept der zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses in der Systematik der Grundfreiheiten
In den nun folgenden Ausfiihrungen solI der Frage nachgegangen werden, welche Voraussetzungen ein von einem Mitgliedstaat vorgebrachter Rechtfertigungsgrund fur eine allenfalls beschrankende oder mittelbar diskriminierende staatliche Ma6nahmc crfiillen muss, urn von dem EuGH als Rechtfertigungsgrund oder aber als zwingendes Erfordernis des allgemeinen Interesses gewertet werden zu konnen, Der vom EuGH gewahlte Ansatz fur den offenen Katalog zwingender Erfordernisse des allgemeinen Interesses ist jener der Rechtfertigungsgrunde des Art. 30 EG; daher soll in den folgenden Uberlegungen auch an diesem angesetzt werden. Die in Art. 30 EG enthaltenen Rechtfertigungsgriinde stehen Mitgliedstaaten zur Verfugung und werden in standiger Rechtsprechung so ausgelegt, dass es sich hierbei urn Rechtfertigungsgriinde nicht-wirtschaftlicher Art handeln muss. In der Rechtssache Campus Oifl 291, welche eine irische Regelung zum Gegenstand hat, die Importeure von Erdolerzeugnissen verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bedarfs zu vom zustandigen Minister festgesetzten Preisen bei einem iris chen Raffinerieunternehmen zu decken, tatigt der EuGH zwei bemerkenswerte Prazisierungen des Begriffs "nicht wirtschaftlicher Art". Die Rechtfertigung der beklagten Partei beruht auf den in Art. 30 EG vorgesehenen Ausnahmen zur "offentlichen Ordnung" und zur "offentlichen Sicherheit"; die Sicherheit der Versorgung der Republik Irland mit Erdolerzeugnissen soll im Wege der Sicherstellung von Raffineriebetrieb auf irischem Territorium gewahrleistet werden. Der EuGH zentriert die Priifung des etwaigen Verstolies gegen Art. 28 EG auf die geltend gemachten Rechtfertigungsgrunde, urn dann obiter anzufiigen:
"Zwar bezweckt, wie der Gerichtshof mehrfach [ . .J entschieden hat, Artikel 36 den Schutz von Interessen nichtwirtschaftlicher Art. Denn einem Mitgliedstaat kann nicht gestattet werden, sich den Wirkungen der im Vertrag vorgesehenen Maflnahmen unter Berufung auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entziehen, die durch die Beseitigung der Behinderungen des innergemeinschaftlichen Handels entstehen."1292 (Hervorhebung der Verfasserin)
1291 EuGH Rs. 72/83 Campus Oil Limited und andere gegen Minister fur Industrie und Energie und andere, Slg. 1984,2727. 1292 EuGH Rs. 72/83 Campus Oil Limited und andere gegen Minister fur Industrie und Energie und andere, Slg. 1984,2727, (2752).
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Bausteine der Systematik
Die Feststellung, dass Art. 30 EG Tatbestande nichtwirtschaftlicher Art enthalt, wird seitens des EuGH bereits in der Rechtssache Komrnission/Italien'F" getatigt und seither in standiger Rechtsprechung bestatigt.P?" Aus der oben zitierten Rechtsprechung lassen sich zwei Argumentationsstrange herauslosen, die zu dem von dem EuGH postulierten Ergebnis fiihren, dass namlich jene in Art. 30 EG enthaltenen Rechtfertigungsgriinde nichrwirtschaftlicher Art seien. Der erste Argumentationsstrang erflieih aus der oben genannten Rechtssache KommissionlItalien und stellt zugleich in chronologischer Abfolge die erste Begriindung fiir das angestrebte Ergebnis dar. In dieser Rechtssache wird Art. 30 EG in einen Gegensatz zu den bis zu dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht in der Bestimmung des (damaligen) Art. 226 EG vorgesehenen Schutzmaiinahmen in der Dbergangszeit gestellt.F" Aus der unten angefiihrten Formulierung ergeht, dass der EuGH Art. 30 EG - im Gegensatz zu Art. 226 (Fassung vor Maastricht) - als in teleologisch-systernatischer Interpretation nicht von der Kommission zu vollziehende, und damit im Kompetenzbereich des betroffenen Mitgliedstaates verbleibencle Bestimmung erachtet. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nach Ansicht des EuGH materiell
1293 EuGH Rs. 7/61 Kommission der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft gegen Regierung der Italienischen Republik, Slg. 1961, 697, (720): "Im Gegensatz zu Artikel226 enthalt Artikel 36, wie dies sein letzter Satz bestatigt, Tatbestande nicht wirtschaftlicher Art, die die Verwirklichung der in den Artikeln 30 bis 34 aufgestellten Grundsatze nicht in Frage stellen konnen. Insbesondere stellt er keine allgemeine Schutzklause1 auf, die neben diejenige des Artike1s 226 treten und es den Mitgliedstaaten gestatten wurde, durch einseitiges Vorgehen das Verfahren und die Garantien beiseite zu schieben, we1che der letztgenanme Artike1 vorsieht." 1294 Vgl. etwa EuGH Rs. 95/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1982,2187; EuGH Rs. 238/82 Duphar B.Y. und andere gegen Niederlandischer Staat, Sig. 1984,523. 1295 Art. 226 EG-Vertrag (Fassung vor Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht) lautet wie folgt: Wahrend der Dbergangszeit kann ein Mitgliedstaat bei Schwierigkeiten, we1che einen Wirtschaftszweig erheblich und voraussichtlich anhaltend treffen oder we1che die wirtschaftliche Lage eines bestimmten Gebietes betrachtlich verschlechtern konnen, die Genehmigung zur Anwendung von Schutzmafsnahmen beamragen, urn die Lage wieder auszugleichen oder den betreffenden Wirtschaftszweig an die Wirtschaft des Gemeinsamen Marktes anzupassen. Auf Antrag des betreffenden Staates bestimmt die Kommission unverziiglich in einem Dringlichkeitsverfahren die ihres Erachtens erforderlichen Schutzmallnahmen und legt gleichzeitig die Bedingungen und Einze1heiten ihrer Anwendung fest. Die nach Absatz 2 genehmigten Magnahmen konnen von den Vorschriften dieses Vertrages abweichen, soweit und solange dies unbedingt erforderlich ist, um die in Absatz 1 genanmen Zie1e zu erreichen. Es sind mit Vorrang solche Mafsnahmen zu wahlen, die das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes am wenigsten storen,
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ebenso urn SchutzmaBnahmen, doch diirfen solche, da in der Kompetenz des Mitgliedstaates verblieben, bloB nicht-wirtschaftliche Griinde betreffen. Mit dem Wegfall der Kompetenznorm des Art. 226 EG-Vertrag und der in srandiger Rechtsprechung bekraftigten Aussage des EuGH, dass ein Mitgliedstaat nicht berechtigt sei, einseiti g Ausgleichs- oder AbwehrmaBnahmen zu ergreifen, greift der Gerichtshof das in Campus Oil 1296 ausgefiihrte Missbrauchsargument auf. Die ser Argumentationsstrang ist der nunmehr in standiger Rechtsprechung angefiihrte. Die aufgrund der mangelnden Prazision gewahlte Formulierung »nichtwirtschaftlicher Art" umfasst nach Ansicht von M iiller-Graff den Aus schluss von MaBnahmen mit dem Ziel der Wirtschaftslenkung, zur Dberwindung sektoraler, regionaler oder konjunkrureller Schwierigkeiten, fur haushaltspolitische Ziele oder zur Sicherung des wirtschaftlichen Uberlebens eines Berriebes. 1297 Dennoch ist es zulassig, eine MaBnahme mit den Rechtfertigungsgriinden des Art. 36 EG begriinden zu wollen, wenn diese MaBnahme - neben den objektiven Kriterien des Art. 30 EG - auch und daneben Schutzinteressen wirtschaftlicher Natur verfolgt.F" Borner greift den Ausnahmetatbestand der offentlichen Ordnung auf und vertr itt die Auffassung, dass ein Festhalten an dem Begriff »nicht-wirtschaftlicher Art" geradezu absurd sei: Borner stellt - von dem ersten hier dargestellten Argumentationsstrang des EuGH ausgehend - die Frage, ob bloB jene Storungen der offenrlichen Ordnung von dem Ausnahmetatbestand des Art. 30 EG umfasst seien, die nicht auf wirtschaftlichen Griinden beruhen. F" Wahrend die im Beitrag von Borner dargelegte Ansicht, ad litteram verstanden, blof jene die offentliche Ordnung eines Mitgliedstaates oder der Gemeinschaft 1296 EuGH Rs. 72/83 Campus O il Limited und andere gegen Minister fur Industrie und Ener gie und andere, Slg. 1984,2727, (2752). 1297 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 30 EG, in v on der GroebenlSchwarze (Hg. ), Vertra g iiber die Europaische Union unct Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1,6. Auf!. (2003), 1088, (1098). 1298 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 30 EG, in von der Groeben/S chwarze (H g.), Vertrag iiber die Europaische U nion und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1,6. Auf!. (2003), 1088, (1098): Die diesbezuglich Aussage des EuGH lautet wie folgt: "Es ist hin zuzufugen, dass es fur die Anwendung des Artikels 36 darauf ankommt, dass die in Rede stehende Regelung durch objektive, den Anforderungen der offentlichen Sicherheit genugende Umstande ger echtfertigt ist. Sobald diese Re chtfertigung feststeht, schlieBt die Tatsache, dass d ie Regelung geeignet ist, die Erreichung nicht nur von Zielen der offentlichen Sicherheit, so ndern auch anderer, von dern Mitgliedstaat erwa verfolgter Ziele wirtschaftlicher Art zu ermoglichen , die Anwendung von Artikel36 nicht aus; EuG H Rs. 72/83 Campus Oil Limited und andere gegen Minister fiir Industrie und Energie und and er e, Slg. 1984,2727, (2752). 1299 Borner, SchutzmaBnahmen auf dem Gebiet des Warenverkehrs, in Bomer, Studien zum Deutschen und Europaischen Wirrschaftsrecht, Bd. III, KSE 30 (1980), 43, (69).
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gefiihrdende Vorgange wirtschaftlichen Hintergrunds unter den Rechtfertigungsgrund "Gefiihrdung der offentlichen Ordnung" subsumiert wiirden, bietet die von Borner getatigte teleologische Interpretation, man miisse jeden Fall einer Stiirung der offentlichen Ordnung eines Mitgliedstaates unter Art. 30 EG subsumieren, Raum fur weitergehende Interpretation dieses Begriffes. Zunachst wurden diese Uberlegungen auch auf die Kategorie der zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses iiberrragen. Ahlfeld konstatiert etwa, dass nach einhelliger Auffassung in der Literatur die fUr die Rechtfertigungsgrunde des Art. 30 EG bestehenden Anforderungen auf die zwingenden Erfordernisse des Art. 28 EG zu iibertragen seien. 1300 Dennoch finden sich bereits in der Rechtsprechung des EuGH zu den Rechtfertigungsgrunden des Art. 30 EG Anklange an die Moglichkeit der Geltendmachung von Rechtfertigungsgriinden nach Art. 30 EG mit wirtschaftlichem Einschlag.P?' Fur den Bereich der zwingenden Erfordernisse erklart der EuGH wirtschaftliche Erwagungen ausdriicklich fur zulassig: Solche Erwagungen finden sich unter ausdrucklicher Nennung sowohl in den einzelnen Tatbestanden etwa jenem der wirksamen steuerlichen Kontrolle - als auch als blofse wirtschaftliche Erwagungen in manchen U rteilen: In der Rechtssache Decker1302 etwa stellt der EuGH mit Bezug auf die Inanspruchnahme offentlicher Krankenversorgung und Kostenerstattung fur im EG-Ausland bezogene Waren und Dienstleistungen fest, dass eine erhebliche Gefahrdung des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der eine solche Beschrankung rechtfertigen kann. 1303 In der Rechtssache Duphar 130 4, welche eine nationale Regelung iiber die Gewahrung von Arzneimitteln auf Kosten eines Krankenversicherungstragers und daher die finanzielle Erhaltung der Systeme der sozialen Sicherheit betrifft, schliefst der EuGH derartige Erwagungen unter dem Ausnahmetatbestand des Schutzes der Gesundheit mit Hinweis auf nichtwirtschaftliche Zielsetzungen des Art. 30 EG aus. Die jedenfalls bei Art.28 EG angesiedelten 1300 M.w.N. vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 272. 1301 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 30 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Aufl. (2003), 1088, (1099). 1302 EuGH Rs, C-120/95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg. 1998, 1-1831. 1303 EuGH Rs. C-120/95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg.1998, 1-1831, (1-1884). 1304 EuGH Rs. 238/82 Duphar BV und andere gegen Niederlandischer Staat, Slg. 1984, 523.
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zwingenden Erfordernisse lassen jedoch auch bei vorsichtiger Betrachtung Erwagungen finanzieller Natur ZU. 13C5 In jiingerer Zeit kann hierfur die Rechtssache Woningst ichting Sint Seruatius 13C6 als geradezu paradigmatisches Beispiel angesehen werden; der EuGH stellt fest, dass Erfordernisse im Zusammenhang mit der sozialen Wohnungspolitik eines Mitgliedstaates und ihrer Finanzierbarkeit zwingende Erfordernisse allgemeinen Interesses darstellen konnen, Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der EuGH im Interesse der Finanzierbarkeit staatlicher Systeme der sozialen Sicherheit seine mit der Rechtssache Decke r1307 begonnene Rechtsprechung fortsetzr: Nunmehr konnen zur Rechtfertigung einer unterschiedslos anwendbaren Maiinahme, die eine Grundfreiheit beschrankt, zwingende Griinde des allgemeinen Interesses ins Treffen gefiihrt werden, die die Finanzierbarkeit und finanzielle Stabilitat der genannten Systeme betreffen. Darunter fielen bislang eine erhebliche Gefahrdung des finanziellen Gleichgewichtes eines sozialen Systems 1308 bzw. eine erhebliche Gefahrdung der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems'F". Nun konnen Erfordernisse der Finanzierbarkeit der sozialen Wohnungspolitik eines Mitgliedstaates unter die zwingenden Erfordernisse des Allgemeinintercsses gezahlt werden. D ie zunachst fur den Bereich des Freien Warenverkehrs entwickelten zwingenden Erfordernisse find en - sofern inhaltlich angemessen - im Bereich sarntljcher Grundfreiheiten Anwendung.P' ? teils wird erwa im Bereich der Rechtfertigungsgriinde des Art. 30 EG, etwa fur "offentliche Ordnung und 1305 EuGH Rs. 238/82 Duphar BV und andere gegen Niederlandi scher Staat, Slg. 1984, 523, (542): "Zur Klarung der Tragweite des Verbots des Artikcl s 30 im Hinblick auf MaBnahmen der gegebenen Art ist zunachst darauf hin zuweisen, dass die betreffende Regelung die Besonderheit aufweist, dass danach grundsatzl ich einem gra Ben Teil der Bevolkerung die Kosten aller Arz neimittel erstattet werden, [. . .J. Es ist jedoch anzuerkennen, dass das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgl iedstaaten niche beriihrt, ihre Systeme der soz ialen Sicherh eit auszugestalten und insbesondere zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Krankenversicherungssysteme MaGnahmen zur Regulierung des Arzneimittel verbrauches zu treffen." 1306 EuGH Rs. C-567/07 Minister voor Wonen, Wijken en Integratie gegen Woningstichting Sind Servatius, Urteil des EuGH vom 1. Oktober 2009, noch nicht in amtl. Slg. veroffentlicht. 1307 EuGH Rs, C-120/95 Nicolas D ecker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg.1998,1-1831. 1308 Eu G H Rs. C-120/95 Nicolas D ecker gegen Caisse de maladi e des emplo yes prives, Slg. 1998,1-1831; EuGH Rs, C-372/04 The Queen, auf Antrag von Yvonne Watts gegen Bedford Primary Care Tru st and Secreta ry of State for Health, Slg. 2006, 1-4325. 1309 EuGH Rs. C-372/04 The Queen, auf Antrag von Yvonne Watts gegen Bedford Pri mary Care Trust and Secretary of State for Health, Slg. 2006, 1-4325. 1310 Vgl. etwa fiir das zwin gende Erfordernis der Koharenz der Steuersysteme, 'VOlker! Grill, Kommentar zu Art. 39 EG, in vo n der Groeb en/ Schwarze (H g.), Vertrag tiber
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Bausteine der Systematik
Sicherheit", die im Rahmen der Freizugigkeit der Arbeitnehmer getatigte Definition auf die Freiheit des Warenverkehrs iibertragen. In dem nachsten Abschnitt solIen im Oberblick sowohl Rechtfertigungsgriinde als auch zwingende Erfordernisse dargelegt werden; deren Nutzen und Fortbildung fur den Einzelnen solI in den Thesen zu diesem Abschnitt angesprochen werden. 4. Das Konzept der Rechtfertigungsgrunde in der Systematik der Freiheit des Warenverkehrs und der ubrigen Grundfreiheiten
4.1. EinfOhrung
Muller-Graff definiert das Telos des Art. 30 EG als Cewahrung einer Moglichkeit fur die Mitgliedstaaten, unter bestimmten Voraussetzungen zum Schutz bestimmter Rechtsguter von den Verboten der Art. 28 und 29 EG abzuweichen. Damit werde den Mitgliedstaaten ermoglicht, eine fehlende gemeinschaftsrechtliche Schutzgewahrleistung einzelstaatlich auszugleichen. Mit dem Ausnahmetatbestand des Art. 30 EG konnen sowohl unterschiedlich wie auch unterschiedslos anwendbare Maiinahmen gerechtfertigt werden.!"" Art. 30 EG hat jedoch nichr den Zweck - etwa als negative Spiegelung zu Art. 28 EG - bestirnmte Zustandigkeitsgebiete der ausschlie61ichen Zustandigkeit der Mitgliedstaaten vorzubehalten.P'! Dies folge, so Muller-Graff, aus den Angleichungserrnachtigungen der Art. 94 und 95 EG, welche eine Rechtsangleichungskompetenz der Gemeinschaft bei durch die zwingenden Erfordernisse des Art. 28 EG gerechtfertigten Hindernissen im Binnenmarkt vorsehen. 1313
die Europaische Union und Vertrag zur Grundung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1,6. Aufl. (2003),1321, (1351), sowie allgemein (1384). 1311 Muller-Graff, Kornmentar zu Art. 30 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag uber die Europaische Union und Vertrag zur Grlindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. AutI. (2003), 1088, (1089). 1312 EuGH Rs, 35/76 Simmenthal S.p.A. gegen Italienisches Finanzministerium, Slg. 1976, 1871, (1886): "Artikel 36 soli nicht bestimmte Sachgebiete der ausschliefslichen Zustandigkeit der Mitgliedstaaten vorbehalten, er lasst vielmehr Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs durch innerstaatliche Normen insoweit zu, als dies zur Erreichung der in dies em Artikel bezeichneten Ziele gerechtfertigt ist und weiterhin gerechtfertigt bleibt.". Diese Auffassung wird seither in standiger Rechtsprechung vertreten: vgl. etwa EuGH Rs. 5/77 Carlo Tedeschi gegen Denkavit Comerciale S.r.l., Slg. 1977, 1555. 1313 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 30 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Grlindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Aufl. (2003), 1088, (1089).
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Der N ormzweck des Art. 30 EG erfasst entgegen seinem Wortlaut nicht bloG mengenmaliige Beschrankungen, sondern auch MaGnahmen gleicher Wirkung wie diese. Samtliche in Art. 30 EG genannten Tatbestande sind nach standiger Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen.P'" als Begriindung fur diese Auffassung wird angefuhrt, dass Art. 30 EG eine Ausnahme von der Grundregel des freien Warenverkehrs darstelle und als solche systematisch eng auszulegen sei. 1315 Diese in standiger Rechtsprechung vertretene Auffassung des EuGH hat zur Folge, dass zunachst in systematischer Betrachtung der weiterhin offene Katalog der zwingenden Erfordernisse gerade nicht im Rahmen des Art. 30 EG angesiedelt werden kann. Daraus folgt weiters, dass eine weite Auslegung der in Art. 30 EG enthaltenen Rechtfertigungsgrunde - die auf wirtschaftliche und rechtliche Bediirfnisse eines Privaten zugeschnitten werden konnten nicht moglich ist. SchlieGlich ist an dieser Stelle erneut zu bedenken, dass die in Art. 30 EG genannten Rechtfertigungsgriinde eine ausschlieiilich nichtwirtschaftliche Betrachtungsweise erlauben. Art. 30 EG sieht in seinem zweiten Satz eine zusatzliche Grenze fur die Geltendmachung eines Rechtfertigungsgrundes vor, namlich dass dieses weder ein Mittel zur willkiirlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschrankung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen solI. Diese Formulierung wird seitens des EuGH so aufgefasst, dass die Rechtfertigungsgriinde des Art. 30 EG nicht zu protektionistischen Zwecken, namlich zu mittelbarem Schutz eigener Produktion oder einer Aufteilung von Markten fiihren solI. Mit dem Begriff der "verschleierten Diskriminierung" sollen unmittelbar und mittelbar protektionistische Mafsnahmen erfasst werden, mit dem Begriff der "willkurlichen Diskriminierung" solI ausgedruckt werden, dass eine Diskriminierung zwischen auslandischen und inlandischen Waren oder Importeuren nur dann zulassig sein solI, wenn sie aus einem rechtlich erlaubten Grund vorgenommen wird. 1316
1314 EuGH Rs. 7/69 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1968,633, (644): ,,[...Jkann die in letzterer Vorschrift vorgesehene Ausnahme nicht auf Maiinahmen ausgedehnt werden, die nicht zu den im Kapitel tiber die Beseitigung der mengenmatligen Beschrankungcn zwischen den Mitgliedstaaten genannten Verboten gehoren. [...J Um sich auf Artike1 36 berufen zu konnen, miissen die Mitgliedstaaten sowohl hinsichtlich des zu erreichenden Zweckes als auch hinsichtlich der gewahlten Mittel innerhalb der durch diese Vorschrift gezogenen Grenzen bleiben." 1315 Vgl. EuGH Rs. 29/72 S.p.A. Marimex gegen Italienische Finanzverwaltung, Slg. 1972, 1309, (1318); EuGH Rs. 46/76 WTG. Bauhuis gegen Niederlandischen Staat, Slg. 1977,5. 1316 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 60.
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Bausteine der Systematik
Im Folgenden sollen wesentliche Rechtfertigungsgriinde und zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses kurze Erwahnung finden und auf eine mogliche Tauglichkeit fur die Geltendmachung durch natiirliche und juristische Personen untersucht werden. 4.2. Ein offener Katalog von Rechtfertigungsgrunden: Zwingende Erfordernisse beispielhaft und im Einzelnen
In dies em Abschnitt sollen beispielhaft zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Formel aufgelistet werden; im Zuge dieser Auflistung solI insbesondere jenen das Augenmerk gewidmet werden, weIche sich fur einen "Umbau", weg von dem Zuschnitt eines zwingenden Erfordernisses auf seine Geltendmachung durch einen Mitgliedstaat und hin zu einer moglichen Geltendmachung durch Private, eignen. Freilich sollen sowohl der Vollstandigkeit halber als auch fur die Herausarbeitung systematischer Kennzeichen der zwingenden Erfordernisse auch jene Erwahnung finden, die sich aller Voraussicht nach blof fur eine Geltendmachung durch Mitgliedstaaten eignen. 4.2.1. Wirksame steuerliche Kontrolle Das zwingende Erfordernis der wirksamen steuerlichen Kontrolle wird seitens des EuGH bereits in der Rechtssache Cassis de Dijon 1317 als anerkennungswiirdiges Schutzgut genannt. In der Rechtssache KommissionlGriechenland 131 8 wird ausdriicklich auf dieses zwingende Erfordernis Bezug genommen. Ahlfeld ordnet dieser Fallgruppe auch soIche Entscheidungen zu, die sich mit Preisaufdruck auf den Steuerbanderolen von Tabakerzeugnissen, mit der zeitweiligen Einfuhr von Kraftfahrzeugen und mit den Regeln steuerlicher Vollstreckung befassen.P'? Das Erfordernis der wirksamen steuerlichen Kontrolle eignet sich wahl nicht fur die Geltendmachung durch einen Privaten, sei es nun eine natiirliche oder juristische Person, da eine soIche keine Steuerhoheit ausiibt. 4.2.2. Lauterkeit des Handelsverkehrs und Verbraucherschutz Das zwingende Erfordernis der Lauterkeit des Handelsverkehrs, neb en dem nun nach herrschender Lehre den Rechtfertigungsgrunden des Art. 30 EG zu-
1317 EuGH Rs. 120178 Rewe-Zentral AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein (im folgenden: Cassis de Dijon), Slg. 1979,649. 1318 EuGH Rs. 176/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland, Slg. 1987, 1193. 1319 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 86 f.
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zuordnenden Schutzgut des »Schutzes der offentlichen Gesundheit", ist das letzre der in Cassis de Dijon beispielhaft angefiihrten zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses. D iese zwingenden Erfordernisse sind nach herrschender Lehre als zwei getrennte Ausnahmetatbestande zu betrachten. P''? Unter dem Schutzgut der "Lauterk eit des Handelsverkehrs" ist Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu versreh en.P'" D er Tatbestand des Verbraucherschutzes kann sich mit jenem der Lauterkeir des Handelsverkehrs iiberschneiden; dieses Schutzgut we ist vornehmlich den Charakter eines Auffangtatbestandes fur solche mitgliedstaatliche Rege lungen auf, die nicht schon anderen Schutzzielen wahrenden zwingenclen Erfordernissen zugeordnet werden konnen: Darunter fallen etwa Regelungen, die Bedurfnissen nach Information aller Art des Verbrauchers nachkommen, iiber Herkunft und Eignung cines Produktes, oder gegen Belastigung und ii bereilte Entschliisse.Pv Doch auch fur das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes findet das Aquivalenzprinzip in der Abwagung der Verhaltnismaliigkeit einer MaBnahme Anwendung. So halt der EuGH in der Rechtssache Fietje fest, dass den Informationsbediirfnissen der Verbraucher Genuge getan ist, wenn die Angaben auf dem urspriinglichen Etikett des eingefuhrten Erzeugnisses zumindest die gleichen Informationen in verstandlicher Weise verrnitteln wie nach den Vorschriften des Ausfuhrmitgliedstaates erforderlich. P'P D es Weiteren erachtet der EuGH ein Einfuhrverbot dann fur unzulassig und fur die Befriedigung eines Schutzbediirfnisses d es Verbrauchers fiir unnotwendig, wenn cine Etikettierungslosung fur die ses Problem ebenso Abhilfe schaffen kann. 1324 4.2.3 . Umweltschutz D as zwingende Erfordernis des Umweltschutzes wurde in der Rechtssache
Krame,·1315 als zwingendes Erfordernis dem offenen Katalog hinzugefiigr.
1320 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeb en/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. 1,6. Auf! . (2003), 1088, (1031). 1321 EuG H Rs. 113/80 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1981,1625. 1322 M.w.N. vgl. Muller-Graff, Kornmentar zu Art. 38 EG, in vo n der Groeben/Schwarze (H g.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertra g zu r Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Auf!. (2003), 1088, (1034). 1323 EuGH Rs. 27/80 Strafverfahren gegen Amon Adriaan Fietj c, Slg. 1980,3839. 1324 Vgl. bereits EuGH Rs. 120178 Cassis de Dijon, Slg. 1979,649. 1325 Eu G H Rs. 3, 4 und 6/76 Cornelis Kramer und andere, Slg. 1976, 1279.
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4.2.4. Medienvielfalt Das Schutzgut der Medienvielfalt fand Eingang in den Katalog der zwingenden Erfordernisse in der Rechtssache Familiapress'r": Wiewohl das von der Republik Osterreich in diesem Verfahren geltend gemachte Schutzgut jenes der Erhaltung der Medienvielfalt ist und das nationale Verbat, Lesern einer periodischen Druckschrift die Teilnahme an einem Preisausschreiben zu untersagen, in diesem Sinne wirken sollte, lasst sich aus dem Urteil des EuGH ein weiteres Schutzgut im Sinne der Cassis de Dijon-Formel herausschalen:
"Die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt kann ein zwingendes Erfordernis darstellen, das eine Beschrdnkung des freien Warenverkehrs recbtfertigt: Diese Vielfalt trdgt ndmlicb zur Wahrung des Rechts der freien Meinungsdufierung bei, das durch Artikell 0 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschiitzt ist und zu den von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschiitzten Grundrechten gebiirt:" 1327 (Hervorhebung der Verfasserin) Die Berufung auf einen Rechtfertigungsgrund oder ein zwingendes Erfordernis durch einen Mitgliedstaat ist nach Ansicht des EuGH erneut auf der Ebene der Prufung der Verhaltnismaiiigkeit im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsatze und damit der Grundrechte auszulegen.P" Aus der Rechtssache Familiapress verbleibt zu folgern, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit - oder vielmehr die aus diesem erwachsende Schutzpflicht eines Mitgliedstaates - unter die zwingenden Erfordernisse zu zahlen ist; damit erscheint es gerechtfertigt, eine mitgliedstaatliche Einschatzung der mitgliedstaatlichen Wahrung der Grundrechte in den offenen Katalog der zwingenden Erfordernisse aufzunehmen. Dieser Befund findet eine Bestatigung und Bekraftigung in der erneuten Verwendung der Grundrechte in der Waage der Einschatzung der VerhaltnismaBigkeit einer staatlichen Matsnahme, die im Grundsatz fur die Wahrnehmung der mitgliedstaatlichen Schutzpflicht in Bezug auf Grundrechte prima facie geeignet erscheint.
1326 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689. 1327 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689, (1-3715). 1328 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689, (1-3717).
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4.2.5. Finanzierbarkeit des Systems sozialer Sicherheit oder sozialen Wohnungsbaus
In der oben bereits angefiihrten Rechtssache Woningstichting Sint Servatius 1329 halt der EuGH fest, dass Erfordernisse im Zusammenhang mit der sozialen Wohnungspolitik eines Mitgliedstaates und ihrer Finanzierbarkeit als zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses gewertet werden konnen. Seit der Rechtssache Decker1330 konnen auch "eine erhebliche Gefahrdung des finanziellen Gleichgewichtes eines sozialen Systems"1331 bzw. "eine erhebliche Gefahrdung der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems"1332 zu den zwingenden Erfordernissen des allgemeinen Interesses gerechnet werden. 4.2.6. Grundrechte im Allgemeinen
In der in dieser Arbeit bereits besprochenen Rechtssache Viking 1333 ordnet der EuGH nun - anders als in Familiapress 1334 - Grundrechte auf nationaler Ebene und deren Ausiibung unter die zwingenden Erfordernisse des allgemeinen Interesses em. Unter Ruckgriff auf Art. 12 und 28 der Charta der Grundrechte sowie eine Reihe internationaler Ubereinkommen ist nach Ansicht des EuGH das Recht auf Durchfiihrung einer kollektiven Maiinahme, einschlieiilich des Streikrechts, als Grundrecht anzuerkennen. Ein solches Grundrecht sei zwar fester Bestandteil der allgemeinen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts, konne aber aus im allgemeinen Interesse ge1egenen Grunden beschrankt werden.P'" Die im allgemeinen Interesse ge1egenen Griinde miissen jedoch im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft/Union liegen. Das Grundrecht auf Durchhihrung einer kollektiven Ma6nahme, die den Schutz der Arbeitnehmer zum Zie1 hat, konne die Beschrankung einer GrundFreiheit rechtfertigen, da das genannte Zie1 als im Interesse der Gemeinschaft 1329 EuGH Rs. C-567/07 Minister voor Wonen, Wijken en Integratie gegen Woningstichting Sind Servatius, Urteil des EuGH vom 1. Oktober 2009, noch nicht in amt!. Slg. veroffentlicht. 1330 EuGH Rs. C-120/95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg. 1998, 1-1831. 1331 EuGH Rs. C-120/95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg. 1998,1-1831; EuGH Rs. C-372/04 The Queen, auf Antrag von Yvonne Watts gegen Bedford Primary Care Trust and Secretary of State for Health, Slg. 2006, 1-4325. 1332 EuGH Rs. C-372/04 The Queen, auf Antrag von Yvonne Watts gegen Bedford Primary Care Trust and Secretary of State for Health, Slg. 2006, 1-4325. 1333 EuGH Rs. C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Slg. 2007, 1-10779. 1334 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeirungsverlags- und Vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689. 1335 EuGH Rs, C-438/05 International Transport Worker's Federation u. a. gegen Viking Line ABP u. a., Slg. 2007, 1-11767.
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gelegenes berechtigtes Interesse anzusehen ist, Daher ist der Rechtfertigungsgrund "Schutz der Arbeitnehmer" als zwingendes Erfordernis im allgemeinen Interesse der EG anzusehen. In der Rechtssache Laval1336 prazisiert der EuGH die Stellung eines Grundrechts im System der Grundfreiheiten des EG-Rechts: Das Recht auf Durchfuhrung einer kollektiven Magnahme sei jedoch - unter Bezug auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und die oben angefiihrten Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europaischen Union - als Grundrecht sowie als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts zu betrachten, dessen Beachtung der EuGH sicherzustellen hat. 1337 4.3. Ein geschlossener Katalog von Rechtfertigungsgrunden: Beispiele und Analyse
Die Ausnahmetatbestande des Art. 30 EG, namlich das Schutzgut der offentlichen Sittlichkeit, jenes der offentlichen Ordnung, der offentlichen Sicherheit, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der Schutz des nationalen Kulturguts von kiinstlerischem, geschichtlichem oder archaologischern Wert sowie der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums weisen bereits aufgrund ihrer Stellung im EGPrimarrecht und der getroffenen Formulierung eine nahezu ausschlieisliche Eignung zur Geltendmachung durch Mitgliedstaaten auf. Die einzelnen Rechtfertigungsgriinde und deren Anwendung unterliegen jedoch narurgemaf nicht der eigenstandigen Beurteilung durch den jeweiligen Mitgliedstaat: In Bezug auf das Schutzgut der offentlichen Sittlichkeit halt der EuGH fest, dass dieses nur fur Einfuhrverbote fur soIehe Produkte in Anspruch genommen werden konne, gegen die in dem Territorium des Einfuhrmitgliedstaates selbst strafrechtliche Sanktionen oder sonst wirksame Maiinahmen gesetzt werden. 1338 1336 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetareforbundet u. a., Slg. 2007, 1-11767. 1337 EuGH Rs. C-341/05 Laval un Partneri gegen Svenska Byggnadsarbetareforbundet u. a., Slg. 2007, 1-11767, Rz. 90-91: "Demnach ist zwar das Recht auf Durchfiihrung einer kollektiven MaBnahme als Grundrecht anzuerkennen, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts ist, deren Beachtung der Gerichtshof sicherstellt, doch kann seine Ausiibung bestimmten Beschrankungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europaischen Union erneut bekraftigr wird, wird es nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschiitzt." 1338 EuGH Rs. 121/85 Conegate Ltd. gegen H. M.Majesty's Customs and Excise, Slg. 1986, 1007; vgl. auch EuGH Rs. 34/79 Strafverfahren gegen Maurice Donald Henn und John Frederick Ernest Darby, Slg. 1979,3795.
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Der Rechtfertigungsgrund der offentlichen Ordnung findet im Bereich der Freiheit des Warenverkehrs vergleichsweise wenig Anwendung; teils finden sich Beispiele, welche eine Dberschneidung dieses Rechtfertigungsgrundes mit dem zwingenden Erfordernis der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Vcrbraucherschutzes vermuten lassen.P" Die fur den Rechtfertigungsgrund der offentlichen Ordnung und Sicherheit im Bereich der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer entwickelte Rechtsprechung kann jedoch auf diesen Rechtfcrtigungsgrund im Bereich der Freiheit des Warenvcrkehrs und der iibrigen Grundfreiheiten iibertragen werden. P'" In der Rechtssache Bouchereau' r" definiert der EuGH den durch das Gerneinschaftsrecht determinierten1342 Begriff der offentlichen Ordnung, "dass aulier dcr Storung der offentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, cine tatsachliche und hinreichend schwere Gefahrdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft beriihrt."1343 Der Rechtfertigungsgrund des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, welches nach herrschender Lehre bloB staatliche MaBnahmen zu rechtfertigen vermag, finder sich im Zentrum der Problematik der Van Eycke-Formel, da Gefahrdungen dieses Schutzgutes sowohl durch cine mitgliedstaatliche MaBnahme als auch - und praktisch insbesondere - durch privates Verhalten auftreten konnen.P'" Art.39 EG enthalt die bereits angefiihrten Ausnahmeratbestande der offentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit. Im Bereich der Freizugigkeit der Arbeitnehmer und der Freiheit der Niederlassung finder sich zusatzlich noch der Ausnahmetatbestand der Beschaftigung in der offentlichen Ver-
1339 EuGH Rs. 12/74 Kommis sion der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg, 1975, 181, (199): "Artikel36 des Vertrages kann indessen - wie man auch den Begriff der offenrlichen Ordnung in dieser Vorschrift abgrenzt - Ausnahmen von den Artikeln 30 bis34 nur rechtfertigen, soweit diese Ausnahmen notwen dig sind, urn den Schutz des Erzeugers und des Verbrauchers vor IrrefUhrungen im Handel zu gewahrleisten. " 1340 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs zu Art. 30 EG (1997), 62. 1341 EuGH Rs. 30/77 Pierre Bouchereau, Slg. 1977, 1999. 1342 Vgl. bereits EuGH Rs. 41/74 Yvonne van Duyn gegen Home Office, Slg. 1974, 1337, (1350): Der Begriff der Offentlichen Ordnung ist im Gemeinschaftsrecht, namentlich, wenn er eine Ausnahme von dem wesentlichen Grundsatz der Freizugigkeit der Arbeitnehmer rechtfertigr, eng zu verstehen; daher darf seine Tragweite nicht v on jedem Mitgliedstaat einseitig ohne N achpriif ung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden. (Hervorhebung der Verfasserin) 1343 EuGH Rs. 30/77 Pierre Bouchereau, Slg. 1977, 1999, (2013); vgl. auch H. Schneider, Die offentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag (1998), 13l. 1344 So offenbar auch A hlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europaischen Geri chtshofs zu Art. 30 EG (1997), 66.
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waltung, der jedoch ebenso einer gemeinschaftseinheitlichen Interpretation unterliegt.P'" 5. Die Verteilung der Beweislast im Bereich der Grundfreiheiten
5.1. EinfOhrung In dies em Abschnitt soll die Anwendung von Beweislastrege1n im Bereich der Grundfreiheiten dargelegt werden. Der erste Teil befasst sich mit Beweislastrege1n im Bereich der Grundfreiheiten; dem gegeniiber steht der zweite Teil, der sich mit Beweislastrege1n in der Anwendung des Grundsatzes des Diskriminierungsverbotes befasst. Einige grundsatzliche Anmerkungen sollen jedoch vor der Erorterung der Verteilung der Beweislast im Bereich der Grundfreiheiten getatigt werden: Das Augenmerk ist hierbei zunachst der Rege1ung der objektiven Beweislast zu widmen; eine allgemeine Rege1ung iiber die Verteilung objektiver Beweislast findet sich weder im EG-Primarrecht noch in den Satzungen oder Verfahrensordnungen von EuGH und EuG.1346 Bei der Verteilung der objektiven Beweislast handelt es sich nach standiger Rechtsprechung des EuGH urn eine Rechtsfrage, iiber die der EuGH als Rechtsmitte1instanz gegeniiber dem EuG entscheidet.P? Der Frage nach der Verteilung der Beweislast ist vorge1agert, ob im Verfahren vor dem EuGH der Verhandlungsgrundsatz oder der Untersuchungsgrundsatz anzuwenden ist, Bei Geltung des Verhandlungsgrundsatzes obliegt den Parteien die Aufklarung des streitigen Sachverhaltes, wobei das Gericht an den unstreitigen Sachvortrag der Parteien gebunden ist. Daher entscheidet bei Anwendung des Verhandlungsgrundsatzes der Vortrag der Parteien iiber weite Strecken die festzustellenden Tatsachenfragen. Beweisbediirftig sind daher nur mehr bestrittene Behauptungen.Pt'' 1345 Walker/Grill, Kommentar zu Art. 39 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft, Bd. I, 6. Auf!. (2003),1321, (1388). Der EuGH legt diese Ausnahme jedoch eng aus: ,,[...J die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer offentlicher Korperschaften gerichtet sind. Die Beschaftigung auf derartigen Stellen setzt namlich ein Verhaltnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraus, die dem Staatsangehorigkeitsband zugrunde liegen.", in EuGH Rs. 149/79 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1980,3881, (3901). 1346 Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof, 2. Auf!. (2004),28. 1347 EuGH Rs. C-53/92 P Hilri AG gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Sig. 1994,1-667, (I-70S). 1348 Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 16. Auf!. (2004), 481 ff.
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Bei Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes obliegt jedoch dem Gericht die Aufklarung des Sachverhaltes. Gestandnis oder Nichtbestreiten der Parteien konnen in diesem Fall nur die Bedeutung von Indizien haben. P"? Fiir die objektive oder materielle Beweislast ist allein die Feststellung eines non liquet erforderlich; diese Rechtsfigur beantwortet die Frage nach den Folgen des Nichtfestgestellt-Seins oder der Beweislosigkeit einer tatsachlichen Behauptung. Die Frage nach der objektiven Beweislast stcllt sich bei Anwendung des Untersuchungs- wie des Verhandlungsgrundsatzes. Wahrend jedoch bei Anwendung des Verhandlungsgrundsatzes und dem Auftauchen eines non liquet, das auch nach dem Vorbringen der Parteien nicht beseitigt werden kann, eine Entscheidung iiber Beweislastverteilung getroffen werden muss, muss bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes das Gericht versuchen, durch eigene Tatsachennachforschung das vorhandene non liquet zu iiberwinden. 1350 Gelingt dies jedoch nicht, so hat in diesem Fall das Gericht eine Entscheidung iiber die Verteilung der Beweislast zu treffen. Der Begriff der subjektiven oder formellen Beweislast hingegen bezeichnet die einer Partei obliegende Last - und nicht Pflicht - bei Meidung des Prozessverlusts durch eigene Tatigkeit den Beweis einer streitigen Tatsache zu fiihren; formelle Beweislast existiert nur in Verfahren mit Verhandlungsgrundsatz, in welch en den Parteien die Sammlung des Streit- und Beweisstoffes iibertragen ist. 1351 Die Anwendung des Verhandlungs- oder Untersuchungsgrundsatzes ist ebenso wenig wie die Verteilung der Beweislast im EG-Primarrecht oder den Verfahrensordnungen geregelt; die herrschende Lehre steht auf dem Standpunkt, dass es im Grundsatz im Ermessen des EuGH stehe, den Verhandlungs- oder den U ntersuchungsgrundsatz anzuwenden.Pv Lasok begriindet das Ermessen des EuGH mit dem in Art. 220 EG erteilten Auftrag, namlich "der Wah rung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages". Der EuGH sei entsprechend diesem Auftrag verpflichret, den Rechtsschutzauftrag in der EG im offentlichen Interesse wahrzunehmen,1353 und konne daher nicht von den Interessen der Verfahrensparteien geleitet werden.P'" Dberwiegend wird daher in der Literatur bei solchen Verfahren, die ein offentliches Interesse am Gegenstand des Verfahrens oder an der zu klarenden 1349 Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 16. Auf!. (2004),484. 1350 Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1996), 25; Andre, Beweisfiihrung und Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof, 2. Auf!. (2004), 31. 1351 Rosenberg/Sch wab, Zivilprozessrecht , 16. Auf!. (2004), 780. 1352 Lasok, The European Court of Justice - Practice and Procedure, 3rd ed. (2004), 230 ff. 1353 Schwa rze, Kommentar zur Artikel220, in Schwarze (Hg.), EG-Kommentar, 2. Auf!. (2009), 1712. 1354 Lasok, The European Court of Justice - Practice and Procedure, 3rd ed. (2004), 230 ff.
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Bausteine der Systematik
Rechtsfrage aufweisen - an dieser Stelle ist an das Vorlageverfahren nach Art. 234 EG zu denken - die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes geIordert.P'" Gleiches soll gelten, wenn Beweismittel nur fur eine Verlahrenspartei zuganglich erscheinen, oder diese Partei auch nur stark bevorzugten Zugang zu den angesprochenen Beweismitteln besitzt.P'" Hingegen soll der Verhandlungsgrundsatz gelten, wenn der Rechtsstreit blo~ private Interessen beriihrt.P'" Wahrend an dieser Stelle eine Untersuchung der Verteilung der Beweislast in den Verfahren vor dem EuGH anhand dieses oder anderer Prinzipien zu weit fiihren wiirde, soll im Rahmen der Klarung der Grundbegriffe eine letzte Frage aufgeworfen werden, narnlich jene nach dem Beweismaf im europaischen Prozessrecht. Baumhof weist in eingehender Untersuchung die Alternativen der iiberwiegenden Wahrscheinlichkeit und jene der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aus. N ach dieser Ansicht, der hier beigepflichtet wird, erstreckt sich das vor dem EuGH notwendige Beweismaf auf jenes der iiberwiegenden Wahrscheinlichkeit. 1358 Im Anschluss an die hier vorgenommene Begriffsklarung ist die Verteilung der Beweislast im Bereich der Grundfreiheiten zu besprechen.
5.2. Verteilung der Beweislast bei Geltendmachung eines VerstoBes gegen Grundfreiheiten
Dieser Bereich, der im Wesentlichen durch Verfahren zur Vertragsverletzung nach Art. 226 EG und durch das Vorlageverfahren nach Art. 234 EG bestimmt wird, weist einige grundsatzliche, letztlich aus der Anwendung der Dassonville- Formel auch in prozessualen Fragen erflieliende Charakteristika auf. In einem Vertragsverletzungsverfahren obliegt es der Kommission, den Beweis fur die durch den Mitgliedstaat vorgenommene Vertragsverletzung darzutun:
,,1m Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel169 EWGVertrag ist es Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen einer Vertrags1355 Andre, Beweisfiihrung und Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1966),82. 1356 Brealey, The Burden of Proof before the European Court, ELR 1985,250, (259). 1357 Andre, Beweisfuhrung und Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1966), 82; vgl. zusammenfassend Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1996), 26. 1358 Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof, 2. Auf!. (2004), 114.
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v erletz ung prufen kann; sie kann sich hierfur nicht auf irgendeine Vermutung stiazen. "1359 Dieser Grundsatz ist daher auch in einem Verfahren iib er die Verletzung des Art. 28 EG anzuwenden. Ps? Bemerkenswert erscheint jedoch, dass in Verfahren iib er die Verletzung einer Grundfreiheit - und an dieser Stelle mag das bestehende offentliche Interesse an der Klarung einer Rechtsfrage im Vorlageverfahren eingreifen - der EuGH hier nicht auf die oben erwahnte allgemeine Regel Bezug nimmt, sondern die Verteilung der Beweislast von Fall zu Fall anhand der Vorgaben des materiellen Rechts vo r n im m t, D er allgemeine Grundsatz, namlich dass Art. 14 EG die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes vorsieht, in welchem H indernisse des freien Verkehrs nur dann in Kauf zu nehmen sind, wenn sie sich als unbedingt notwendig erweisen und mithin gere chtfertigt sind, ist auch im Rahmen der Verteilung der Beweislast zu beriicksichtigen, In der Folge kann fur die Freiheit des Warenverk eh rs konstatiert werde, dass die gerichtliche Vorgabe der engen Auslegung der Ausnahmebestimmungen des Art. 28 und 30 EG auf die Verteilung der Beweislast einwirkt, Daher obliegt die Beweislast fur das Vorliegen eines Hindernisses im Sinne der Dassonville-Formel oder aber auch der Keck-Formel der Kommission od er aber dem Einzelnen, der sich durch eine staatliche Malsnahme als beschwert erachtet, Fur das Vorliegen eines Re chtfertigungsgrundes nach Art. 30 EG obliegt di e Beweislast jedoch dem Mitgliedstaat.P?! So halt der EuGH in der Rechtssache Kommission / Italien ische R epublik fest:
" Sodann ist darauf hinzuweisen, dass es stets den Mitgliedstaaten obliegt, nachzuweisen, dass die Voraussetzungen f ur eine Abweichung v on Artikel30 E\VG- Vertrag erfullt sind." 1362 1359 EuGH Rs. 97/81 Kommission der Europ aischen Gemeinschaftcn gegen Konigreich der Niederlande, Slg. 1982, 1819; vgl. auch EuGH Rs, 163/82 Kommiss ion der Europais chen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1983,3273; EuGH Rs. 248/ 83 Kommission der Europ aischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1985, 1459; EuGH Rs, 235/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg, 1986,2291; EuGH Rs. 419/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaftcn gegen Italienische Republik, Slg. 1987,2115. 1360 Vgl. etwa EuGH Rs. 35/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1986,545, (557): "U nt er diesen Urnstanden hat die Komrnissio n nicht den Beweis fU r das Vorliegen einer Verlet zung des Artikels 30 EWG-Vertra g erbracht." 1361 Baumhof, D ie Beweislast im Verfahren vor dern Europ aischen Gerichtshof, 2. Auf!. 2004, (159). 1362 EuGH Rs. C-12 8/ 89 Komm ission der Europ aischen G emeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1990,1 -3239, (1-3262).
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Bausteine der Systematik
Dieser Befund ist auch auf das Vorliegen zwingender Erfordernisse des allgemeinen Interesses auszudehnen.P'" Von besonderer Bedeutung ist jedoch, wer die Beweislast fur die Verhaltnismaisigkeit einer den freien Warenverkehr beschrankenden Malsnahme tragt: Diese obliegt, ebenso wie der Beweis des Vorliegens eines zwingenden Erfordernisses oder eines Rechtfertigungsgrundes, im Grundsatz dem Mitgliedstaat, 1364 Die in dem oberen Abschnitt dargelegten Grundsatze sind auch auf die Freizugigkeit der Arbeitnehmer anzuwenden; auch in diesem Bereich obliegt es dem Mitgliedstaat, das Vorliegen von zwingenden Erfordernissen und Rechtfertigungsgrunden sowie der Verhaltnisrnaiiigkeit nachzuweisen.P'v In den Bereichen der Freiheit der Niederlassung und der Dienstleistung gilt ebenso der oben genannte Grundsatz. So halt der EuGH in der Rechtssache Kommission/Deutschland-t'" fest:
Wdhrend das Erfordernis der Zulassung eine Beschrdnkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, ist das Erfordernis einer festen Niederlassung praktisch die Negation dieser Freiheit. Es hat zur Folge, dass Artikel 59 EWG- Vertrag, dessen Ziel es gerade ist, die Beschrdnkungen der Dienstleistungsfreiheit solcher Personen zu beseitigen, die nicht in dem Staat niedergelassen sind, in dessen Gebiet die Dienstleistung erbracht werden soli, jede praktische Wirksamkeit genommen wird. Fur die Zuliissigkeit eines solchen Erfordernisses muss daber nacbgewiesen werden, dass es eine unerliissliche Voraussetzung fur die Erreicbung des verfolgten Zweckes ist. 1367 (Hervorhebung der Verfasserin) Fur den Bereich samtlicher Grundfreiheiten kann daher festgestellt werden, dass der Klager - sei es nun die Kommission oder ein Einzelner - die Beweislast fur das Vorliegen eines Hindernisses im Binnenmarkt tragt, der beklagte Mitgliedstaat jedoch das Vorliegen eines etwaigen zwingenden Erfordernisses oder Rechtfertigungsgrundes beweisen muss, sowie samtliche Tatsachen be-
1363 EuGH Rs. C-128/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1990,1-3239. 1364 EuGH Rs. 12/74 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1975, 181. Dieser Grundsatz wird jedoch durch einige Einzelfallentscheidungen eingeschrankt, vgl. Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1996),157. 1365 EuGH Rs. 225/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1987,2625. 1366 EuGH Rs. 205/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986,3755. 1367 EuGH Rs. 205/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986,3755, (3811).
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weisen muss, die eine nationale MaBnahme fur die Verwirklichung des angestrebten Schutzzieles als verhaltnismaliig erscheinen lassen. Fur den zweiten hier anzusprechenden Fragenkomplex, namlich die Verteilung der Beweislast im FaIle einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit und im Falle sonstiger Diskriminierungen, stcllt sich erneut die Beweisfrage in zweifacher Hinsicht: Zum Einen ist das Vorliegen einer Diskriminierung zu behaupten und zu beweisen, und zum Anderen das Vorliegen cines Rechtfertigungsgrundes.P' f Fur die Anwendung des allgemeines Diskriminierungsverbotes des Art. 12 EG, welcher als Grundsatzvorschrift zu den auch ein Diskriminierungsverbot enthaltenden Grundfreiheiten anzusehen ist, ist die Beweislast nach den gleichen Grundsatzen verteilt wie im Bereich der Grundfreiheiten.P''? Das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit ist stcts von dem Klager zu beweiscn, wie der EuGH in der Rechtssache Kommission/Belgien 1370 ausfiihrt:
Dazu ist darauf hinzuweisen dass sich eine solche Diskriminierung nicht notwendigerweise aus den vorstehenden Feststellungen ergibt. Der un mittelbare oder mittelbare Zwang, sich in die Einwohnermelderegister eintragen zu lassen, kann ndmlicb nur die Beamten und sonstige Bediensteten betreffen, die, aus welchen Grunden auch immer, nicht in diesen Registern eingetragen sind. Die Kommission hat aber nicht nachgewiesen, dass die Unterscheidung zwischen eingetragenen und nicht eingetragenen Beamten eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangebiirigkeit darstellt. Die Riege in Bezug auf Artikel 7 EWG- Vertrag ist daher zuruckzuweisen.l 371 (Hervorhebung der Verfasserin) Der Beweis der Rechtfertigung obliegt jedoch dem Mitgliedstaat, Hervorzuheben ist, dass - wahrend die dem Mitgliedstaat auferlegte Bewcislast in Bezug auf den Rechtfertigungsgrund sich nicht wesentlich von der im Bereich der Grundfreiheiten allgemein unterscheidet - die dem Klager auferlegte Beweislast fur das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der materiellcn Rechtslage schwerer wiegt. Im Anwendungsbercich des Art. 13 EG wird aufgrund von Sekundarrecht bei Glaubhaftmachung von Tatsachen, die cine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung vermuten lassen, eine Um-
1368 Meyer, Das Diskriminierungsverb ot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht (2002), 97. 1369 Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europaischen Gerichtshof (1996), 173. 1370 EuGH Rs. 85/85 Kommis sion der Europaischen Gerneinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1986, 1149. 1371 EuGH Rs. 85/85 Kornmission der Europiiischen Gemeinschafren gegen Konigreich Belgien, Slg. 1986, 1149 (1169).
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kehr der Beweislast vorgenommen. Diese greift blof dann nicht ein, wenn das innerstaatliche Verfahren dem Untersuchungsgrundsatz unterliegt. So sieht die Vorschrift des Art. 10 der Richtlinie fur die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschaftigung und Beruf1372 folgendes vor: (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrern nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Mafsnahmen, urn zu gewahrleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes fur verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zustandigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.
(2) Absatz 1 lasst das Recht der Mitgliedstaaten, eine fur den Klager gunstigere Beweislastregelung vorzusehen, unberiihrt.
[...J (5) Die Mitgliedstaaten konnen davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder der zustandigen Stelle obliegt. Im Abschlusskapitel wird zu erwagen sein, welche dieser zwei Varianten der Verteilung der Beweislast - jene im Rahmen der Grundfreiheiten und des Art. 12 EG oder aber jene des zu Art. 13 und zu der Gleichbehandlung der Geschlechter'V' - im Rahmen der Drittwirkung der Grundfreiheiten angemessen erscheint.
1372 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens fur die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschaftigung und Beruf, ABI L 303/2000, 16. 1373 Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 iiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998,6; Deren Art. 4 lautet wie folgt: (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit dem System ihrer nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Maiinahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes fur beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zustandigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmitte1baren oder mitte1baren Diskriminierung verrnuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorge1egen hat. [... ] (3) Die Mitgliedstaaten konnen davon absehen, Absatz 1 auf Verfahren anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Gericht oder einer anderen zustandigen Stelle obliegt.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
6. Ergebnisse
Das in der Rechtssache Cassis de Dijon normierte Aquivalenzprinzip kann aufgrund iibereinstimmender Aussagen in Lehre und Rechtsprechung auf sarntliche Grundfreiheiten ubertragen werden und stellt dariiber hinaus einen tragenden Grundsatz im Bereich sekundarrechtlicher Harmonisierung dar. Auch findet sich das Aquivalenzprinzip in der aufgrund der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Anforderung, innerhalb des Anwendungsbereiches der Dienstleistungsfreiheit - hier ohne Unterscheidung zwischen produktbezogenem und personenbezogenem Aspekt dieser Freiheit - jene Dienstleistungserbringer, welche bereits den Erfordernissen des Ausgangsmitgliedstaates genugen miissen und damit auch des sen Kontrolle unterliegen, im Zielmitgliedstaat die erwiinschte Dienstleistung rechtrnaiiig erbringen zu lassen. Weiters bestimmt das Aquivalenzprinzip in der standigen Rechtsprechung des EuGH, innerhalb des jeweiligen Anwendungsbereiches der Personenverkehrsfreiheiten eine in einem Mitgliedstaat entsprechend dessen Vorschriften absolvierten Ausbildung bei Gleichwertigkeit als solche anzuerkennen oder aber dem Unionsburger solche Auflagen aufzuerlegen, die eine Herstellung der Gleichwertigkeit der Ausbildung errnoglichen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung greift jedoch bloB in jenen Fallen, in welchen der zweite Mitgliedstaat ein nach Ansicht des EuGH gleichwertiges Schutzniveau anbieten kann. Eine Berufung auf ein zwingendes Erfordernis ist nur dann zulassig, wenn die in Frage stehende Materie nicht bereits durch einen Rechtsakt des sekundaren EG-Rechts abschlieliend harmonisiert wurde. Weiters ist eine Berufung auf zwingende Erfordernisse nur dann zulassig, wenn die in Frage stehende Mafsnahme als unterschiedslos auf einheimische und einzufiihrende Erzeugnisse anzuwendende Mafsnahme eingestuft werden kann. Die unterschiedlose Anwendbarkeit einer staatlichen Maisnahme wird als Teil des Gleichbehandlungs- oder Nichtdiskriminierungsgrundsatzes verstanden. Die bei Art. 28 EG angesiedelten zwingenden Erfordernisse lassen auch bei vorsichtiger Betrachtung jedenfalls Erwagungen finanzieller Natur zu, wahrend die Rechtfertigungsgrunde des Art. 30 EG ausschlielilich einer nichrwirtschaftlichen Betrachtung zuganglich sind. Die Beweislast fur das Vorliegen eines Hindernisses im Sinne der Dassonville-Forme! oder aber auch der Keck-Formel obliegt der Kommission oder einer natiirlichen oder juristischen Person, die sich durch mitgliedstaatliches Handeln oder Unterlassen fur beschwert erachtet. Fur das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes nach Art. 30 EG obliegt die Beweislast dem Mitgliedstaat; dieser Befund kann jedoch auch auf das Vorliegen zwingender Erfordernisse ausgedehnt werden. 386
Bausteine der Systematik
Von besonderer Bedeutung ist weiters die Beweislast fur die VerhaltnismaGigkeit einer den freien Warenverkehr beschrankenden Maisnahme: Diese obliegt, ebenso wie der Beweis des Vorliegens eines zwingenden Erfordernisses oder eines Rechtfertigungsgrundes, im Grundsatz dem Mitgliedstaat. 7. Schlussfolgerungen Fur die Zwecke dieser Arbeit sol1 vorgeschlagen werden, die Voraussetzung der unterschiedslosen Anwendbarkeit als im Grofsen und Ganzen deckungsgleich mit dem Nichtvorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung aufzufassen. Das Vorliegen des Konzepts unmittelbarer Diskriminierung sol1 jedoch nicht eng ausgelegt werden: In teleologischer Interpretation sol1en auch solche Maiinahmen darunter klassifiziert werden, die in protektionistischer Absicht mittels eines Ankniipfungspunktes oder eines Bestandteils der inkriminierten Malinahme den Tatbestand unmittelbarer Diskriminierung er-
fiillen. Das Begriffspaar der formell und materiell unterschiedlichen Behandlung hingegen erweist sich fur die weiterfiihrende Argumentation als wenig hilfreich. Diese Systematik hatte insbesondere - neben den wesentlichen Leitentscheidungen des EuGH - den Vorteil konzeptueller Klarheit fur sich. Dies bedeutet namlich, dass unmittelbare Diskriminierung mit ausdrucklich im EGVertrag festgelegten Rechtfertigungsgriinden gerechtfertigt werden konnte, wahrend bei Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung auch sonstige zwingende Erfordernisse zur Wahl stehen. Fur die weitere Analyse sol1 gefolgert werden, dass der Tatbestand des Art. 28 EG blog das Verbot mengenmafsiger Beschrankungen sowie Mafsnahmen gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville-Formel und das Aquivalenzprinzip im Sinne der Cassis de Dijon-Formel umfasst. Der Katalog zwingender Erfordernisse des allgemeinen Interesses wird hingegen von den Tatbestanden der Grundfreiheiten nicht mit umfasst, Im Abschlusskapitel wird schlieblich zu erwagen sein, welche dieser zwei Grundmuster der Verteilung der Beweislast - jene im Rahmen der Grundfreiheiten und des Art. 12 EG oder aber jene des zu Art. 13 und zu der Gleichbehandlung der Geschlechter'V' - im Rahmen der Drittwirkung der Grundfreiheiten angemessen erscheint.
1374 Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 iiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998,6.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
8. Thesen
Fur die weitere Analyse so11 von der These ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Art. 28 EG blo£ das Verbot mengenrnaiiiger Beschrankungen sowie Malinahmen gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville-Formel und das Aquivalenzprinzip im Sinne der Cassis de Dijon-Formel umfasst. Die zwingenden Erfordernisse werden hingegen von den Tatbestanden der Grundfreiheiten nicht umfasst. Irn Hinblick auf staatsbezogene zwingende Erfordernisse und Rechtfertigungsgriinde sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Die Ausnahmetatbestande des Art. 30 EG, namlich das Schutzgut der offentlichen Sittlichkeit, jenes der offentiichen Ordnung, der offentlichen Sicherheit, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der Schutz des nationalen Kulturguts von kiinstlerischem, geschichtlichem oder archaologischern Wert sowie der Schutz des gewerblichen und kommerzie11en Eigentums weisen bereits aufgrund ihrer Ste11ung im EG-Primarrecht und der getroffenen Formulierung eine ausschlieilliche Eignung zur Geltendmachung durch Mitgliedstaaten auf. Irn Hinblick auf die zwingenden Erfordernisse des a11gemeinen Interesses ist im Grundsatz das Gleiche zu folgern. Anhand etwaiger Ansatze in Rechtsprechung und Lehre so11 in dem Abschlusskapitel zu dieser Arbeit versucht werden, eine weitere Kategorie von Rechtfertigungsgriinden vorzuschlagen, welche als privatbezogen aufgefasst werden konnen. Irn Abschlusskapitel wird weiters zu iiberlegen sein, welche dieser zwei Varianten der Verteilung der Beweislast - jene im Rahmen der Grundfreiheiten und des Art. 12 EG oder aber jene des zu Art. 13 und zu der Gleichbehandlung der Geschlechter - im Rahmen der Drittwirkung der Grundfreiheiten angemessen und nutzlich erscheint.
B. Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell 1. Einfuhrung
In diesem Abschnitt so11 ein Vorschlag fur die Drittwirkung von Grundfreiheiten erarbeitet werden. Zunachst ist zu untersuchen, welche Grundfreiheiten nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH Drittwirkung entfalten oder - in Anwendung der systematisch-teleologischen Interpretation - entfalten konnten, In einem zweiten Kapitel dieses Abschnittes so11 versucht werden, etwaige N ormenko11isionen zwischen unmittelbar drittwirkenden Grundfreiheiten
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
und den Bestimmungen des Art.81 EG und Art. 82 EG aufzuspuren und hintan zu halten. In dem dritten Kapitel so11 versucht werden, der Ausgestaltung der Drittwirkung von Grundfreiheiten sowie ihren Konsequenzen in Praxis und Dogmatik nachzugehen. Dieses Kapitel so11 sich mit jenen Kategorien von Normadressaten befassen, die sich der Grundfreiheiten bedienen konnen und denen diese auch entgegengehalten werden konnen, Dabei so11 erwogen werden, welche Kriterien eine natiirliche oder juristische Person erfiillen muss, urn zu dem a11gemeinen Kreis der N ormadressaten der Grundfreiheiten zu zahlen. Uberdies so11 iiberlegt werden, welche Maiinahmen des einmal definierten Kreises von N ormadressaten einer drittwirkenden Grundfreiheit unterstellt werden $011en. Schlieislich $011en in diesem Kapitel jene Elemente der bisher in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Dogmatik der Grundfreiheiten auf ihre Tauglichkeit fur ein System drittwirkender Grundfreiheiten untersucht werden; ebenso so11enModifikationen vorgeschlagen werden. Fur eine systematische oder teleologische Interpretation der Grundfreiheiten im Hinblick auf ihre Drittwirkung erweist sich der nunmehr in Ge1tung befindliche Normenbestand jedenfa11s als tauglicher als jener vor Inkrafttreten des Vertrages von Nizza: Snell weist darauf hin, dass eine Reihe von Vertragsbestimmungen, wie etwa Art. 31,32 und 33-35 EG, die an Mitgliedstaaten adressiert waren, nunmehr gestrichen wurden.P'" 2. Welche Grundfreiheiten sind mit Drittwirkung ausgestattet?
2.1. Grundrechtsgehalte der Grundfreiheiten: Arbeitshypothese In den nun folgenden Erorterungen so11 auf die von Trobergv": undJarass 1377 getatigte Einteilung der Grundfreiheiten in eine Kategorie produktbezogener Grundfreiheiten und in eine Kategorie personenbezogener Grundfreiheiten aufgebaut werden. Im Rahmen dieser Einteilung so11 desgleichen auf die These Bezug genommen werden, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs in ihrer Struktur den Produktverkehrsfreiheiten entspricht; daher ist sie in einem mit der Kategorie der produktbezogenen Grundfreiheiten zu behande1n. Zwei der Freiheiten betreffen den Produktverkehr, namlich den Handel mit Waren und Dienstleistungen; die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer und die
1375 Snell, Private Parties and Free Movement of Goods and Services, in Andenas/Roth (Hg.), Services and Free Movement in EU Law (2002), 211. 1376 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing/ Ehlermann, EU/EG- Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. (1997), 1442. 1377 [arass, Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202, (205).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Freiheit der Niederlassung betreffen die Mobilitat des Produktionsfaktors Arbeit; Holoubek nuanciert dieses grobe Raster dadurch, dass die Freiheit der Dienstleistung neben einem produktbezogenen Aspekt auch einen personenbezogenen Aspekt besitze. Letzterer entspricht jedoch nicht dem personenbezogenen Aspekt der Niederlassungsfreiheit, wiewohl das Produkt Dienstleistung iiber Anforderungen an den Dienstleistungserbringer reguliert werde.P'" Am Anfang einer Argumentation zu einer Gruppe dritrwirkender Grundfreiheiten sol1en - ebenso wie chronologisch in der Rechtsprechung des EuGH zu drittwirkenden Vorschriften des EG-Primarrechts - die Rechtssache Defrenne II und aus ihr abzuleitende Folgerungen und Thesen stehen: Der in der Rechtssache Defrenne gewonnene Ansatz der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 141 EG unter Privaten lasst sich auf das in den Grundfreiheiten enthaltene Verbot von Diskriminierungen ubertragen. In der hier vertretenen Argumentation soll an die von Ganten genannte "Grundlagenfunktion" des Art. 141 EG angekniipft werden - die Grundlagenfunktion des Art. 141 EG soll jedoch auch auf ihre Grundrechtsqualitat hin gedacht und ausgebaut werden. Es wird postuliert, dass die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 141 EG als prozessuale Durchsetzungsrnodalitat dieses Anspruches zwar getrennt von dem Inhalt der Norm und von dem Adressaten der Norm gedacht werden muss, dass aber der Charakter des Art. 141 EG als gemeinschaftsweit geltendes Grundrecht gerade unmittelbare Anwendbarkeit und Drittwirkung zu einem wesentlichen Teil bedingt. Diesem Postulat wiirde auch die Anwendbarkeit des Art. 141 EG fur rein inlandische Sachverhalte entsprechen. Die dargelegte These soll nun mit Hilfe dreier Argumente untermauert werden: In seinem Urteil Defrenne stellt der EuGH fest, "dass der Grundsatz des gleichen Entgelts zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehort", 1379 Nun konnte vorgebracht werden, dass die Bezeichnung des Gebots der Lohngleichheit als Grundlage der Gemeinschaft gerade indiziert, dass es sich hierbei e contrario nicht urn ein Grundrecht handelt. Schlie61ich sind die Grundfreiheiten ebenso als Grundlagen der Gemeinschaft zu betrachten, haben jedoch zugleich keinesfalls in ihrer Gesamtheit Grundrechtscharakter. Diesem auf reine Wortinterpretation aufgebauten Argument muss differenziert begegnet werden: Zum einen lasst sich aus dem Gebot der Lohngleichheit unschwer der Grundsatz des Diskriminierungsverbots herausschalen, Das im Hinblick auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit normierte Verbote der Diskriminierung
1378 Holoubek, Kommentar zu Art. 49 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg.), EU-Kommentar (2000),748. 1379 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg, 1976,455.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
zwischen Mann und Frau ist nach hL als Auspragung des a11gemeinen Diskriminierungsverbotes zu verstehen.P''? Der EuGH wiederum betrachtet das in primarrechtlichen oder sekundarrechtlichen Vorschriften festgelegte Diskriminierungsverbot als Gleichheitssatz, dem seine Eigenschaft als innerstaatlich-verfassungsrechtliches, aber auch gemeinschaftsrechtliches, Grundrecht nicht abgesprochen werden kann.P'" Zur weiteren Ergriindung des Grundrechtsgehaltes des Art. 141 EG erweist es sich als hilfreich, die Judikatur des EuGH zu den Grundrechten heranzuziehen. In der Entscheidung Nold findet sich in erwa folgende Formulierung: ,,[... J, dass die Grundrechte zu den a11gemeinen Rechtsgrundsatzen gehoren, die er zu wahren hat, [... ]"1382 Wenn nun davon ausgegangen werden kann, dass Grundrechte bzw. auch sonstige Vorschriften des Gemeinschaftsrechts als Grundsatze der Gemeinschaft zu betrachten sind, so ist es in einem zweiten Schritt erforderlich, jenen Aspekten der Grundfreiheiten nachzugehen, die sich als solche grundrechtlichen Inhalts erweisen konnten, Mit anderen Worten, es so11 jene Schnittmenge errnittelt werden, die es erlaubt, eine Vorschrift des EG-Vertrages sowohl als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und auch als Grundrecht zu betrachten; diese Vorschrift so11 letztlich jene Eigenschaften auf sich vereinen, die auch Art. 141 EG besitzt. Als Arbeitshypothese fur die nun folgende Argumentation so11en zwei Kategorien von Grundfreiheiten gebildet und einander gegenuber geste11t werden: Folgt man zunachst der hier skizzierten Argumentation, so entfalten Arbeitnehrnerfreizugigkeit, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit eine naher zu determinierende Form der Drittwirkung unter Privatpersonen. Die Annahme dieser Arbeitshypothese so11 vor ihrer Anwendung begrundet werden; die Begriindung hierfiir erfolgt unter erneutern Riickgriff auf die Argumentation des EuGH in den jeweiligen Leitentscheidungen Defrenne II, Angonese und Bosman. Die Erweiterung des Adressatenkreises dieser Normen kann mit der grundrechtlichen Komponente dieser Freiheiten begrundet werden, die den 1380 Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997),646. 1381 "Das in der angefiihrten Vorschrift ausgesprochene Diskriminierungsverbot ist jedoch nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehort. Nach dies em Grundsatz diirfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt ware.", in EuGH Rs. 117/76 und 16/777 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa-Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzehoe, Slg. 1977, 1753, (1769), Rz.7. 1382 EuGH Rs. 4/73 J. Nold, Kohlen und BaustoffgroBhandlung gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1974,491.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
iibrigen zwei Freiheiten, der Warenverkehrsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit, abgeht: Samtlichen Urteilen zu der Drittwirkung von Grundfreiheiten ist gemeinsam, dass der EuGH bei der Auslegung des Kreises der Normadressaten einer Vorschrift nahezu ausschlielilich die Interpretationsmethode der teleologischen Interpretation oder des effet utile heranzieht. In der Rechtssache Defrenne II kiindigt der EuGH zunachst an, welche Interpretationsmethoden er bei der Bestimmung der Anwendbarkeit und des Adressatenkreises des Art. 141 EG anzuwenden gedenkt und greift hierfiir erst in zweiter Linie auf die systematische Interpretation zuriick:
.Bei der Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Geltung von Artikel119 ist auf das Wesen des Grundsatzes des gleichen Entgelts, auf das Ziel dieser Bestimmung und auf ihren Platz im System des Vertrages abzustellen. "1383 Der Gerichtshof statuiert somit fur den vorliegenden Fall den Vorrang der teleologischen Interpretationsmethode nach effet utile vor der systematischen Interpretationsmethode. Im Anschluss an die zu den methodischen Grundlagen dieser Arbeit getatigten Augerungen sind die vorn EuGH in der Rechtssache Defrenne II und den iibrigen Entscheidungen zur Drittwirkung der Grundfreiheiten gewiihlten Interpretationsmethoden heranzuziehen. Es handelt sich hierbei urn jene von Bengoetxea als functional und, in zweiter Variante, als consequentialist criteria ofinterpretation bezeichneten Varianten teleologischer Interpretation. Das erste Argumentationsmuster ist ein funktionales, das der Auslegung nach effet utile gleichgesetzt werden solI. Die vom EuGH verwendete Begrifflichkeit "jeder Wirksamkeit berauben" kann nach dieser Ansicht mit - in positivem Sinne - den Erfordernissen des effet utile der auszulegenden Vorschrift gleichgesetzt werden. Die zweite Variante umfasst jene Kategorien von Argumenten des EuGH, in welchen dieser a) Folgen einer zu treffenden oder nicht zu treffenden Entscheidung in anderen Bereichen als jenen des Rechts, erwa in Wirtschaft oder anderen Systemen, andeutet, und b) Folgen fur das EG-Rechtssystem oder die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bezeichnet. Die unterstiitzende Argumentation des EuGH sowie die zeitliche Begrenzung der Urteilswirkungen in der Rechtssache Defrenne II1384 stellt ein Beispiel fur dieses Argumentationsmuster dar. 1385 1383 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg, 1976,455, (472). 1384 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg, 1976,455. 1385 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation
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Die erste angewandte Variante beruht zusatzlich auf einer rechtspolitischen Wertung durch den EuGH. So wird in der Rechtssache Defrenne II in Bezug auf die Ausdehnung des Kreises von Normadressaten ausgesagt: Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschrift des Art. 141 EG konne nicht die Verwendung des Begriffes "Grundsatz" ins Treffen gefuhrt werden, da dieser Ausdruck .nacb dem Sprachgebrauch des Vertrages dazu diene, bestimmte
Vorschriften als grundlegende Bestimmungen zu bezeichnen. "1386 An dieser Stelle fiihrt der EuGH methodisch Wortinterpretation als Interpretationsmethode ein und untermauert das so gefundene Ergebnis mit einem Argument ad absurdum - wiirde man den Begriff "Grundsatz" als blolie Zielbestimmung verstehen, die keiner unmittelbaren Anwendung fahig ist, waren mittelbar und in weiterer Folge die Grundlagen der Gemeinschaft selbst ge-
fahrdet. Unmittelbar anschlieisend widmet sich der Gerichtshof dem Adressatenkreis des Art. 141 EG: Der EuGH iibernimrnt zunachst die von GA Trabucchi angefuhrte Aussage, dass namlich eine Norm, die sich an Mitgliedstaaten wendet, auch Privatpersonen Rechte verleihen konne, Entscheidend fur die Determinierung des Adressatenkreises der Norm sei - neben der Wirksamkeit (elfet utile) der Norm - somit (auch) die Unbedingtheit der auferlegten Verpflichtung:
"Schon dem Wortlaut von Artikel 119 ist zu entnehmen, dass dieser den Staaten eine Ergebnispflicht auferlegt, die zwingend innerhalb einer bestimmten Frist zu erfidlen war. Diese Bestimmung darf in ihrer Wirksamkeit nicht dadurch beeintrdcbtigt werden, dass einige Mitgliedstaaten die ihnen vom Vertrag auferlegte Verpflichtung nicht erfullt haben und dass die Gemeinschaftsorgane gegen diese Untatigkeit nicht mit der erforderlichen Scbar]« eingeschritten sind. "1387 (Hervorhebung der Verfasserin) Fur die Begriindung dieser Arbeitshypothese kann daher festgehalten werden, dass die Eigenschaft einer Vorschrift als Grundsatz des EG-Rechts mit einer rechtspolitischen Wertung des EuGH begriindet wird. Diese beruht wiederum auf den im EG-Vertrag positivierten Ziele der Gemeinschaft; hierbei handelt es sich urn die auf die Erreichung eines bestimmtes Zieles gerichteten Vorschriften der Art. 2 und 3 EG. Alternativ konnte eine Begriindung mit der rechtspoaerienne Sabena, Slg. 1976, 455: "Bei dieser Sachlage ist festzustellen, dass angesichts der Unbekanntheit des Gesamtbetrages der in Betracht kommenden Entgelte zwingende Erwagungen der Rechtssicherheit, die sich aus der Gesamtheit der beteiligten offentlichen und privaten Interessen ergeben, es grundsatzlich ausschlicfsen, die Entgelte fur in der Vergangenheit liegende Zeitraume noch in Frage stellen zu lassen." 1386 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455, (475). 1387 EuGH Rs, 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455, (476).
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litischen Bedeutung der Grundrechte und Bestimmungen grundrechtlichen Inhaltes in der europaischen Zivilgesellschaft gedacht werden. Bei einer unmittelbar drittwirkenden Vorschrift muss es sich daher urn eine Vorschrift handeln, die zwei Anforderungen geniigt: Zum einen muss eine solche Vorschrift als Grundsatz oder aber auch als Grundlage des EG-Rechts qualifiziert werden konnen, Zum anderen muss diese Vorschrift - zusatzlich zu ihrer Eigenschaft als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts - grundrechtlichen Gehalt aufweisen konnen, 1m Folgenden wird der Frage nachzugehen sein, welche Grundfreiheiten grundrechtliche Gehalte aufweisen und daher iiberhaupt zu einer Drittwirkung fahig sind. 2.2. Grundrechtsgehalte der Grundfreiheiten: Grundfreiheiten im Einzelnen 2.2.1. Grundlagen in Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung
Pernice unterscheidet im System des Gemeinschaftsrechts zwischen jenen mittels verschiedenen Systemen zu wahrenden Schutzgutern, wie erwa der subjektiven Handelsfreiheit, welche im Gemeinschaftsrecht mittels der Systeme des Freien Warenverkehrs und des Wettbewerbsrechts verwirklicht wird, und Grundrechten des Gemeinschaftsrechts selbst. Samtliche Bestimmungen des EG, die hier angesprachen werden, verleihen im Hinblick auf das zu schutzende Gut einer nariirlichen oder juristischen Person ein "Recht des Einzelnen" bzw. ein subjektives Recht zur Geltendmachung der rechtlich geschutzten Position.P'" 1m Zuge der Erarbeitung eines Modells der unmittelbaren Drittwirkung von Grundfreiheiten kann festgehalten werden, dass innerhalb der unendlichen Vielfalt subjektiver offentlicher Rechte im Einzelnen jedenfalls Definitionsbedarf und auch ein entsprechender Spielraum besteht.P" Fur den Bereich des Gemeinschaftsrechts erscheint dieser Befund umso zutreffender. Eine N eudefinition eines subjektiven offentlichen Rechts oder - korrekt, fur den Bereich des Gemeinschaftsrecht - eines "Rechtes des Einzelnen"1390 erscheint daher fur das Modell der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht erforderlich. Diese Kategorisierung von Pernice entspricht in graben Zugen der oben mehrfach angesprochenen Einteilung vonJarass in Produktverkehrsfreiheiten 1388 Vgl. zu der Dogmatik des subjektiven Rechts im Allgemeinen: Schulev-Steindl, Subjektive Rechte (2008), 3 H; fur den Bereich des EG-Rechts: Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht: zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Staatshaftungsdoktrin des EuGH (1997), 66 ff. 1389 Scbuleu-Steindl, Subjektive Rechte (2008), 9 H. 1390 Ebenso Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht: zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Staatshaftungsdoktrin des EuGH (1997), 67.
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und Personenverkehrsfreiheiten. In der Folge soll die Begrundung fur diese Kategorisierung naher dargelegt werden: Pernice fiihrt an, dass das Verbot mengenmalsiger Beschrankungen und MaBnahmen gleicher Wirkung - im Unterschied zu Zollen und zollgleichen Abgaben, welche sich nur auf wirtschaftliche Bedingungen von Ein- und Ausfuhren auswirken - "mit zwingenden Eingriffen in die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer verbunden"1391 ist. Die subjektive Position einzelner Handler spiele bei der Beurteilung der Zulassigkeit eines mitgliedstaatlichen Eingriffs eine wesentliche Rolle. 1392 Die Freiheit des Kapitalverkehrs, so Pernice, stelle blof~ als materielle Basis fur den praktischen Gebrauch der iibrigen Marktfreiheiten ein konstitutives Element des vom EG-Vertrag gewoUten Gemeinsamen Marktes dar. 1393 Wahrend Pernice jedoch folgert, dass die Freiheit des Warenverkehrs als Mittel der Verwirklichung der Handelsfreiheit Grundrechtscharakter im Gemeinschaftsrecht besitze, und eine Uberschneidung der personen- und produktbezogenen Grundfreiheiten zu befurchten ist, soll fur die weitere Argumentation im Rahmen dieser Arbeit eine Trennlinie zwischen jenen Grundfreiheiten gezogen werden, die selbst als Grundrechte angesehen werden konnen und solchen die blof - im Verein mit anderen Bestimmungen des EG-Vertrags, wie etwa dem Wettbewerbsrecht - dazu dienen soUen, Grundrechte zu verwirklichen; mit anderen Worten, es soll eine Trennlinie zwischen Bestimmungen grundrechtlichen Gehalts und solchen Bestimmungen gezogen werden, die "bloB" zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft, namlich u. a. der tatsachlichen Verwirklichung der Grundrechte, dienen. Die Freizugigkeit der Arbeitnehmer ist nach dieser Ansicht als Gemeinschaftsgrundrecht anzusehen. Diese wird vorn EuGH als objektiver Wertfaktor und Individualgrundrecht nach den Grundsatzen des UbermaBverbotes nicht nur gegen Beschrankungen durch die Mitgliedstaaten zulasten der Angehorigen anderer Mitgliedstaaten, sondern auch mit "binnenstaatlicher" Wirkung und Drittwirkung gewahrt.P?" Pernice ortet in der Rechtsprechung des EuGH zu der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer Denkfiguren, welche den Rechtsfiguren des Ubermafsverbots 1391 EuGH Rs. 7/68 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen ltalienische Republik, Slg. 1969,633, (644). 1392 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 175. 1393 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 175. 1394 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 139.
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und des Wesensgehalts der Grundrechte entsprechen. Diese Folgerung wird mit den Maiistaben der vorn EuGH angewandten Verhaltnisrnaiiigkeitsprufung begrundet, welche erwa in der Rechtssache Rutili 1395 eine Beschrankung der Freizugigkeit nur bei Vorliegen einer tatsachlichen und schwerwiegenden Gefahrdung der offentlichen Ordnung fur zulassig erklaren, und in der Rechtssache Boucbereau'Y" daruber hinaus eine Gefahrdung eines Grundinteresses der Gesellschaft erfordern. Der Wesensgehalt und das Ubermaisverbot des Freiziigigkeitsrechtes werde, so Pernice, dann beriihrt, wenn die Obliegenheiten des Auslanders wie etwa der Besitz gultiger Personaldokumente oder die Erfiillung der vorgeschriebenen Anzeige- und Eintragungspflichten - mit unverhaltnismafsig strengen Sanktionen bewehrt sind. 1397 An dieser Stelle soll das Argument der "binnenstaatlichen" Wirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer aus den weiteren Erorterungen ausgeklammert werden. Dieses Argument beruht auf der Interpretation der Entscheidung in der Rechtssache Watson und Bellman'r'"; welche nach dieser Argumentation fur die Anwendbarkeit der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer keinen grenzuberschreitenden Sachverhalt benotigen wiirde. Dieser Interpretation der oben angesprochenen Entscheidung und Folgerung kann nicht beigepflichtet werden. Die Freiheit der Niederlassung und ihre Ausgestaltung als subjektives Recht einer natiirlichen oder juristischen Person sowie die Freiheit der Dienstleistung folgen nach Ansicht von Pernice den hier genannten Denkfiguren.P?? Pernice folgert aus den oben dargelegten Argumenten, dass die Freizugigkeit der Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung und die Freiheit der Dienstleistung eine in unterschiedlicher Kodifizierung verwirklichte Auspragung des Grundsatzes der freien Berufswahl darstellen. Diese sei wiederum typisches Merkmal leistungsstaatlicher Grundrechtspolitik zu Verwirklichung materieller Berufsfreiheit. 1395 EuGH Rs. 36/75 Roland Rutili gegen Minister des Inneren, Slg. 1975, 1219. 1396 EuGH Rs. 30/77 Pierre Bouchereau, Slg. 1977, 1999. 1397 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 141. 1398 EuGH Rs. 118/75 Lynne Watson und Alessandro Belman, Slg, 1976, 1185, (1196): Nach der hier vertretenen Lesart des Urteils liegt der EG-rechtlich relevame Ankniipfungspunkt in der Beherbergung einer britischen Staatsangehorigen durch einen italienischen Staatsangehorigen. Der britischen Staatsangehorigen wird vorgeworfen, nicht innerhalb von drei Tagen nach Einreise in das italienische Hoheitsgebiet bei der Polizeibehorde ihres Aufenthaltsortes ihre Anwesenheit angezeigt zu haben. 1399 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanemen Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 162.
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und des Wesensgehalts der Grundrechte entsprechen. Diese Folgerung wird mit den Maiistaben der vorn EuGH angewandten Verhaltnisrnaiiigkeitsprufung begrundet, welche erwa in der Rechtssache Rutili 1395 eine Beschrankung der Freizugigkeit nur bei Vorliegen einer tatsachlichen und schwerwiegenden Gefahrdung der offentlichen Ordnung fur zulassig erklaren, und in der Rechtssache Boucbereau'Y" daruber hinaus eine Gefahrdung eines Grundinteresses der Gesellschaft erfordern. Der Wesensgehalt und das Ubermaisverbot des Freiziigigkeitsrechtes werde, so Pernice, dann beriihrt, wenn die Obliegenheiten des Auslanders wie etwa der Besitz gultiger Personaldokumente oder die Erfiillung der vorgeschriebenen Anzeige- und Eintragungspflichten - mit unverhaltnismafsig strengen Sanktionen bewehrt sind. 1397 An dieser Stelle soll das Argument der "binnenstaatlichen" Wirkung der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer aus den weiteren Erorterungen ausgeklammert werden. Dieses Argument beruht auf der Interpretation der Entscheidung in der Rechtssache Watson und Bellman'r'"; welche nach dieser Argumentation fur die Anwendbarkeit der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer keinen grenzuberschreitenden Sachverhalt benotigen wiirde. Dieser Interpretation der oben angesprochenen Entscheidung und Folgerung kann nicht beigepflichtet werden. Die Freiheit der Niederlassung und ihre Ausgestaltung als subjektives Recht einer natiirlichen oder juristischen Person sowie die Freiheit der Dienstleistung folgen nach Ansicht von Pernice den hier genannten Denkfiguren.P?? Pernice folgert aus den oben dargelegten Argumenten, dass die Freizugigkeit der Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung und die Freiheit der Dienstleistung eine in unterschiedlicher Kodifizierung verwirklichte Auspragung des Grundsatzes der freien Berufswahl darstellen. Diese sei wiederum typisches Merkmal leistungsstaatlicher Grundrechtspolitik zu Verwirklichung materieller Berufsfreiheit. 1395 EuGH Rs. 36/75 Roland Rutili gegen Minister des Inneren, Slg. 1975, 1219. 1396 EuGH Rs. 30/77 Pierre Bouchereau, Slg. 1977, 1999. 1397 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 141. 1398 EuGH Rs. 118/75 Lynne Watson und Alessandro Belman, Slg, 1976, 1185, (1196): Nach der hier vertretenen Lesart des Urteils liegt der EG-rechtlich relevame Ankniipfungspunkt in der Beherbergung einer britischen Staatsangehorigen durch einen italienischen Staatsangehorigen. Der britischen Staatsangehorigen wird vorgeworfen, nicht innerhalb von drei Tagen nach Einreise in das italienische Hoheitsgebiet bei der Polizeibehorde ihres Aufenthaltsortes ihre Anwesenheit angezeigt zu haben. 1399 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanemen Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979), 162.
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Da die besondere Zielsetzung der Gemeinschaft die supranationale Grundrechtsverwirklichungskompetenz im leistungsstaatlichen Aufgabenbereich umfasse, handle es sich bei dem gemeinschaftsrechtlich garantierten Recht auf Berufsfreiheit primar urn die Verwirklichung dieses Rechts in der Lebenswirklichkeit in raumlicher Dimension.v'P? Die Argumentation von Pernice in Bezug auf die Freiheit der Dienstleistung ist zu nuancieren: Das gemeinschaftsrechtlich garantierte Recht auf Berufsfreiheit so11 fur die weitere Argumentation in dieser Arbeit auf den personenbezogenen Aspekt der Dienstleistungsfreiheit eingeschrankt werden. Der personenbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit so11 den Erbringer einer Dienstleistung in die Nahe jener Rechtssubjekte rucken und jener Personengruppe gleichste11en, die von der Preiziigigkeit begiinstigt sind, namlich Wanderarbeitnehmern und Niederlassungswilligen. In dieser Sparte der Dienstleistungsfreiheit geht es darum, einer naturlichen oder juristischen Person grenzuberschreitende Tatigkeit im Dienstleistungsbereich zu errnoglichen und ihre voriibergehende Anwesenheit im Tatigkeitsland, oder ihr Tatigwerden fur einen Gebietsfremden zu erleichtern.v'?' Die hier dargelegten Folgerungen finden Beleg und Untermauerung in den Bestimmungen der Art. 15-17 der Charta der Grundrechte der EU. Die folgenden Dberlegungen gehen von den Bestimmungen der Charta selbst aus und wenden sich im Anschluss der zugrunde liegenden Rechtsprechung des EuGHzu. Art. 15 der Charta der Grundrechte der EU tragt den Titel "Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten" und lautet wie folgt: (1) ]ede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewahlten oder angenommenen Beruf auszuiiben. (2) A11e Unionsbiirgerinnen und Unionsburger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. (3) Die Staatsangehorigen dritter Lander, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten diirfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbiirgerinnen und Unionsburger entsprechen. Die Materialien zu der Erarbeitung dieser Bestimmung weisen darauf hin, dass der im Vorentwurf enthaltene Vorschlag eines ,,]edermann" -Rechts seitens des Prasidiums auf die den Unionsbiirgern vorbehaltenen Personenverkehrsfrei-
1400 Pernice, Grundrechtsgehalte im Europaischen Gemeinschaftsrecht - Ein Beitrag zum gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch den Europaischen Gerichtshof (1979),174. 1401 Troberg, Vorbemerkungen zu den Artikeln 59 bis 66, in von der Groeben/Thiesing/ Ehlermann, EU/EG-Vertrag Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. (1997), 1457.
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heiten verkiirzt wurde. 1402 Das Recht zu arbeiten als Dimension der BerufsFreiheit umfasst zunachst die Freiheit der Arbeitswahl, einschlielilich ihres ortlichen und zeitlichen Bezuges, sowie die Freiheit der Ausiibung einer arbeitnehmerischen Tatigkeit. 1403 Das Grundrecht auf Berufsfreiheit bzw. die Aufnahme unselbstandiger Arbeit finder sich in Absatz 1 des Art. 15, das Grundrecht auf selbstandige Arbeit findet Erwahnung in Abs. 2 des Art. 15 und, dariiber hinaus, in der anschlieBend anzusprechenden Bestimmung des Art. 16 der Charta. Fur die Adressaten dieser Bestimmung, normiert in Art. 51 Abs. 1 der Charta, bestehen Respektierungs- und Schutzpflichten. Bernsdorff weist darauf hin, dass das Recht auf freie Berufsausiibung in der Rechtsprechung des EuGH bereits in der Rechtssache Nold 1404 Anerkennung gefunden habe. 1405 Dber die blofse Feststellung der Existenz des Grundrechts auf freie Berufswahl habe der EuGH festgehalten, dass der freie Zugang zur Beschaftigung ein Grundrecht darstelle, das dem Einzelnen individuell vorn EG-Vertrag verliehen werde. Zusatzlich zu der bereits angesprochenen Aussage in der Rechtssache Bosman findet der EuGH in der Rechtssache UNCTEF/Heylens 1406 eine klare und eindriickliche Formulierung: " D a die Freiziigigleeit der Arbeitnehmer zu den grundlegenden Zielen des EWG- Vertrags gehiirt, folgt [. . .j die Verpflichtung, die Freiziigigleeit auf der Grundlage der geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu gewahrleisten, aus Artikel 5 EWG Vertrag [. . .J. Der freie Zugang zur Bescbdjtigung ist ein Grundrecht, das [edem Arbeitnehmer der Gemeinschaft individuell vom Vertrag v erliehen ist;"
[...J1407 Bernsdorff stellt im Weiteren fest, dass der Konvent mit der Aufnahme der drei Freiheiten des Personenverkehrs, narnlich der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit, das Grundrecht 1402 Bernsdorf], Kommentar zu Art. 15, in Meyer (H g.), Komrnentar zur Charta der Grundrechte der Europaischen Union, 2. Aufl. (2007),227. 1403 Bernsdorff, Kommentar zu Art. 15, in Meyer (Hg.), Komrnentar zur Charta der Grundrechte der Europaischen Union, 2. Aufl. (2007),232. 1404 EuGH Rs. 4/73 J. Nold, Kohlen und BaustoffgroGhandlung gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1974,491, (507): "Es trifft zwar zu, dass die Verfassungsordnung aller Mitgliedstaaten das Eigentum schiitzt und in ahnlicher Weise die Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstatigkeitcn gewiihrleistet." 1405 Bernsdorff, Kommentar zu Art. 15, in Meyer (H g.), Kornmentar zur Charta der Grundrechte der Europaischen Union, 2. Aufl. (2006),231 ff. 1406 EuGH Rs, 222/86 Union nationale des entraineurs et cadres techniques professionels du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097 . 1407 EuGH Rs. 222/86 Union nation ale des entraineurs et cadres techniques professionels du football (Unectef) gegen Georges Heylens und andere, Slg. 1987,4097, (4117).
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der Berufsfreiheit konkretisiert habe. Als leges speciales gehen diese den in Art. 15 Abs.1 enthaltenen Gewahrleistungen vor und verdrangen diese in ihrem Anwendungsbereich.U'" Die unternehmerische Freiheit findet zusatzlich zu ihrer Verankerung in Art. 15 Abs.2 der Charta der Grundrechte zusatzliche Erwahnung in Art. 16; "unternehmerische Freiheit" lautet der Titel dieses Artikels: Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt, Mit der gewahlten Formulierung sollte verdeutlicht werden, dass unternehmerische Freiheit im Wesentlichen als Auspragung der Berufsfreiheit aufgefasst wird. 1409 Bernsdorff verweist im Hinblick auf die Auspragung der unternehmerischen Freiheit auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eridaniart'". In den Rechtssachen Sukkerfabriken Nykobing 14 11 und SpanienlKommission 14 12 wird laut Erlauterungen des Prasidiums des Konvents die Vertragsfreiheit in einem funktioneUen Zusammenhang mit der Freiheit der Berufsausiibung gesehen. In der Rechtssache Jean Neu stellt der EuGH fest, dass die Freiheit der Berufsausubung als ein besonderer Ausdruck die "freie Wahl des Geschaftspartners" gewahrleiste.Y'? Wahrend die Funktion als Grundlage des Gemeinschaftsrechts mit grundrechtlicher Qualitat fur die Freizugigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit der Niederlassung in den oben angesprochenen Entscheidungen des EuGH zur Drittwirkung bestatigt wurde, soll eine zusatzlich Untermauerung fur die grundrechtliche Qualitat des personenbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit beigebracht werden: 1408 Bernsdorff, Kommentar zu Art. 15, in Meyer (Hg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europaischen Union, 2. Aufl. (2006),235. 1409 Bernsdorff, Kommentar zu Art. 16, in Meyer (Hg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europaischen Union, 2. Aufl. (2006), 240. 1410 EuGH Rs. 230178 S.p.A. Eridania - Zuccherifici Nazionali und S.p.A. Societa per l'industria degli zuccheri gegen Minister fur Landwirtschaft und Forsten, Slg. 1979,2749, (2768): "Die vierte Frage beruht auf der Vorstellung, dass die Ausiibung einer wirtschaftlichen Tatigkeit garantiert sein miisse, weil sie zu den Grundrechten gehore, von deren Schutz auch das Gemeinschaftsrecht ausgehe." 1411 EuGH Rs. 151/78 Sukkerfabriken Nykobing Limiteret gegen Landwirtschaftsministerium, Slg. 1979, 1, (13). 1412 EuGH Rs, C-240/97 Konigreich Spanien gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1999,1-6571, (1-6634): "Vorab ist festzustellen, dass das Recht der Parteien, von ihnen geschlossene Vertrage zu andern, auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beruht und daher nicht eingeschrankt werden kann, wenn es keine Gerneinschaftsregelung gibt, die in dieser Beziehung besondere Beschrankungen festlegt." 1413 EuGH verb. Rs. C-90/90 und C-91190 Jean Neu u. a. gegen Secretaire d'Etat a I'Agriculture et ala Viticulture, Slg. 1991,1-3617, (1-3637).
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Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mary Carpenterr'v' ordnet in zunachst iiberaus we iter Interpretation dem Begriff des grenziiberschreitenden Sachverhaltes einen Lebenssachverhalt unter, der in hochst peripherer Weise die grenziiberschreitende Ausiibung der Dienstleistungsfreiheit beriihrt: Die Klagerin beruft sich auf Art. 49 EG-Vertrag, um fur sich ein Aufenthaltsrecht im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des Ehepaares Carpenter, im Vereinigten Konigreich, sowie in samtlichen anderen Mitgliedstaaten der EG zu begriinden, Frau Mary Carpenter ist Drittstaatsangehorige. Ihr Ehemann betreibt ein Unternehmen, das Werbeflachen in medizinischen und wissenschaftlichen Zeitschriften verkauft und den Herstellern dieser Zeitschriften verschiedene Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Publikation dieser Einschaltungen anbietet. Die Klagerin behauptet eine Einschrankung der Berufstatigkeit ihres Ehemannes; der hier vorliegende Sachverhalt habe nicht bloB innerstaatlichen Charakter, da Herr Carpenter Dienstleistungen im gesamten Binnenmarkt erbringe. Die Entscheidung des EuGH bezieht diesen Lebenssachverhalt in den Anwendungsbereich ratione materiae der Freiheit der Dienstleistung ein. Unter Berufung auf die Rechtssache Alpine Inuestmerus'v? wird ausgesagt, dass sich ein Dienstleistungserbringer gegeniiber dem Mitgliedstaat, in welchem er ansassig ist, auf die Freiheit der Dienstleistung berufen konne, sofern er Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat anbietet oder erbringt, Zusatzlich wird an dieser Stelle der Argumentation ein teleologisches Argument grundrechtlichen Charakters eingebracht: Die Freiheiten der Niederlassung und der Dienstleistung zielen auf die Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen innerhalb der Gemeinschaft fur Staatsangehorige der Mitgliedstaaten ab. 1416 Da nach Ansicht des EuGH die Richtlinie 73/148/EWG1417 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen von Staatsangehorigen der Mit-
1414 EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002,1-6305. 1415 EuGH Rs. C-384/93 Alpine Investments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995, 1-1167. 1416 EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (I-6318). 1417 Richtlinie 73/148 des Rates Yom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen fur Staatsangehorige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs, ABI L. 172/1973,14. Diese Richtlinie regelt in ihrem Art. 2 die Ausreisevon gem. Art. 1 dieser Richtlinie mit Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten verheirateten oder verwandten Drittstaatsangehorigcn und gewahrt diesen ein Aufenthaltsrecht in den ubrigen Mitgliedstaatcn. Die angesprochene Richtlinie gewahrt diesem Personenkreis jedoch kein Aufenthaltsrecht in dem Herkunftsmitgliedstaat: vgl. EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (1-6318).
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gliedstaaten auf diesen Sachverhalt nicht anwendbar ist,1418 ist nichr, wie von Generalanwaltin Stix-Hackl vorgeschlagen, die oben genannte Richtlinie im Sinne der in der N ormenhierarchie nach dem derogatorischen Zusammenhang iibergeordneten Grundrechte auszulegen, sondern die geltend gemachte Grundfreiheit selbst:
"Es steht fest, dass die Trennung der Eheleute Carpenter sich nachteilig auf ihr Familienleben und damit auf die Bedingungen auswirken toicrde, unter denen Herr Carpenter eine Grundfreiheit wahrnimmt. Diese Freiheit konnte ndmlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn Herr Carpenter von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten ioiirde, die in seinem Herkunftsland fur die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestiinden. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sieh ein Mitgliedstaat nur dann auf Griinde des Allgemeininteresses berufen kann, um eine innerstaatliche Regelung zu reehtfertigen, die geeignet ist, die Ausubung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, wenn diese Regelung mit den Grundreehten, deren Wahrung der Geriehtshof siehert, im Einklang steht."1419 (Hervorhebung der Verfasserin) Fur das Verhaltnis zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten hat die zuletzt vom EuGH in der Rechtssache Mary Carpenter getroffene Aussage entscheidende Bedeutung; aus dieser Aussage des EuGH ist zu folgern, dass die ungeschriebenen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts, namentlich allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsausiibungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, immanente Schranken oder zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses fur samtliche Grundfreiheiten gelten. 1420 Dies wird vom EuGH in standiger Rechtsprechung seit den Entscheidungen Cinetheque 1421 sowie ER TJ422 judiziert. Aus den oben gemachten Ausfuhrungen kann gefolgert werden, dass zwei Grundfreiheiten und ein Teilaspekt einer dritten Grundfreiheit der Anforde-
1418 So aber EuGH Rs. C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Schlussantrag GA Stix-Hackl, Slg. 2002, 1-6305, (1-6304). Diese sei nach Ansicht der Gcneralanwaltin im Lichte des Grundrechtes der Achtung des Familienlebens auszulegen. 1419 EuGH Rs, C-60/00 Mary Carpenter gegen Secretary of State for the Home Department, Slg. 2002, 1-6305, (1-6321). 1420 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Grtindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1063. 1421 EuGH Rs. 60 und 64/80 Societe Cinetheque S.A. und andere gegen Federation Nationale des Cinemas Francais, Slg. 1985,2605. 1422 EuGH Rs, C-260/89, Elliniki Radiophonia Tileorassi Anonimi Etairia u. a. gegen Dimotiki Etairia Pliroforisis u. a., Slg. 1991,1-2951.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
rung geniigen, Grundlage des Gemeinschaftsrechts zu sein und zugleich grundrechtlichen Gehalt aufzuweisen: Es sind dies die Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung und der personenbezogene Aspekt der Freiheit der Dienstleistung. 2.2.2. In Umkehrung: Die Freiheit des Warenverkehrs, der produktbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit und die Freiheit des Kapitalverkehrs
Anhand der oben herausgearbeiteten Fragestellung sollen nun - geradezu im Sinne einer Gegenprobe - die Freiheit des Warenverkehrs, der produktbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit sowie die Freiheit des Kapitalverkehrs auf ihre Qualitat als Grundsatzbestimmungen oder Grundlagen des EG und auf ihre grundrechtliche Qualitat hin untersucht werden. Die Freiheit des Warenverkehrs bildet bis zu dem heutigen Zeitpunkt, soweit ersichtlich, niemals Grundlage fur Drittwirkung in einer Entscheidung des EuGH. Dieses empirische Argument liege sich allenfalls durch ein Dictum in der Rechtssache Dansk Supermarked 1423 entkraften, welches an dieser Stelle untersucht werden solI: Der Rechtssache Dansk Supermarked liegt ein Rechtsstreit zwischen Privaten zugrunde, welcher die Anwendung nationaler Bestimmungen zum Urheberrecht, Warenzeichenrecht und unlauteren Wettbewerb zum Gegenstand hat. Dieser Rechtsstreit betrifft daher die Frage nach der Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit Art. 28 EG. Die Frage nach einer etwaigen Ausweitung der Normadressaten des Art. 28 EG tiber Mitgliedstaaten hinaus wird von dem vorlegenden Gericht zwar nicht releviert, dennoch erscheint ein obiter dictum des EuGH bemerkenswert:
"Oberdies ist darau/ hinzuweisen, dass Vereinbarungen zwischen Privaten in keinem Fall von den zwingenden Bestimmungen des Vertrages iiber den freien Warenverkehr abweichen diirfen. Daraus /olgt, dass eine Vereinbarung, mit der die Einfuhr einer Ware in einen anderen Mitgliedstaat verboten wird, die in einem anderen Mitgliedstaat recbtmajlig in den Verkehr gebracht worden ist, nicht geltend gemacht oder beriicksichtigt werden kann, urn den Absatz dieser Ware als eine unzulassige oder unlautere Handelspraktik zu qualifizieren. "1424 (Hervorhebung der Verfasserin) Die hier getatigte Aussage des EuGH ist in systematischer Interpretation, sowohl aufgrund ihrer Allgemeinheit als auch aufgrund der anschlieiienden Schlussfolgerung, die einen der Kernsatze der in standiger Rechtsprechung
1423 EuGH Rs. 58/80 Dansk Supermarked A/S gegen A/S Imerco, Slg. 1981, 181. 1424 EuGH Rs. 58/80 Dansk Superrnarked A/S gegen A/S Imerco, Slg. 1981,181, (195).
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
entwickelten Erschopfungstheorie darstellt, nicht als Feststellung einer Drittwirkung des Art. 28 EG aufzufassen. Eine weitere Untermauerung dieser Ansicht bietet das Dictum des EuGH in der Rechtssache Vlaamse Reisbureaus 1425; darin stellt der EuGH fest:
"Da sich die Artikel30 und 34 EWG- Vertrag nur auf staatliche Maflnahmen und nicht auf Verhaltensweisen von Unternehmen beziehen, ist nur zu priifen, ob nationale Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit diesen Artikeln vereinbar sind.''1426 An dieser Stelle soll weiters aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Agrarblockaden kein - namlich weder ein die Drittwirkung von Grundfreiheiten bestatigender, noch ein die Drittwirkung von Grundfreiheiten ablehnender - Befund abgeleitet werden. Diese These soll mit Hilfe dreier Argumente untermauert werden: Bereits in den Folgerungen zu der Debatte urn die Drittwirkung der Grundrechte wird in dieser Arbeit postuliert, dass die Rechtsinstitute der staatlichen Schutzpflicht fur Grundrechte und der unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten systematisch und strukturell nebeneinander stehen. Die bloise Existenz eines Rechtsinstituts in einem System lasst - an dieser Stelle blof in systematischer Betrachtung - das andere Rechtsinstitut nicht redundant erscheinen. Daran kniipft sich jedoch die rechtspolitische Frage der Verwirklichung des Schutzbedurfnisses des Einzelnen, der sich zwar einem Privaten (einer natiirlichen oder juristischen Person), der jedoch mit Dbermacht ausgestattet ist, gegenubersieht. An dieser Stelle ist zu differenzieren, welcher Art diese Dbermacht ist, Es kann sich hierbei urn einen rechtlich staatsahnlich agierenden Verband handeln, der daher mit rechtlicher Dbermacht ausgestattet ist, oder aber urn einen Privaten, der mit wirtschaftlicher Ubermacht ausgestattet ist, Diese rechtpolitische Betrachtung ist jedoch von der systernatisch-strukturellen Betrachtung zu trennen. In seiner Rechtsprechung vermag der EuGH etwa der Auffassung von Burgi, der vermeint, dass das Schutzbedurfnis Einzelner und die effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten bei Annahme einer mitgliedstaatlichen Garantenpflicht bereits hinreichend gewahrt waren, nicht zu folgen. 1427 Dies beweist die oben analysierte, mittlerweile standige Rechtsprechung zu der unmittelbaren Wirkung von Grundfreiheiten. 1425 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Social Dienst van de Plaatse1ijke en Gewestlijke Overheidsdiensten, Slg. 1987,3821. 1426 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Social Dienst van de Plaatse1ijke en Gewestlijke Overheidsdiensten, Slg. 1987,3821, (3830). 1427 Burgi, Mitgliedstaatliche Garantenpflicht statt unmitte1bare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EWS 1999, 196, (202).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Uberdies zeigen gerade fundamentale Institute des Gemeinschaftsrechts, wie Vorrang, unmittelbare Wirkung und Staatshaftung, dass nach Ansicht des Gerichtshofes bloG im Wege des Mitgliedstaates, also "mediatisierte" Durchsetzung des EG-Rechts sich als langwierig und ineffektiv erweist. In der Rechtssache Agrarblockaden 142 8 ist auch nicht Gegenstand die oben angesprochene faktische Situation einer rechtlichen oder wirtschaftlichen Uberrnacht in einem Verhaltnis zwischen zwei Privaten, sondern eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaates. Die franzosischen Landwirte, welche als Zerstorer konkurrierender auslandischer Fracht auftraten, konnen nicht als "intermediare Gewalt"1429 aufgefasst werden. Aus diesen Grunden wird fur den Bereich des Gemeinschaftsrechts eine Ubertragung der Pflicht zu einem positiven Tun, welche aus Art. 10 EG im Verein mit der jeweils anwendbaren Grundfreiheit resultiert, auf sarntliche Grundfreiheiten postuliert; eine Befiirwortung oder Ablehnung unmittelbarer Drittwirkung von Grundfreiheiten kann jedoch aus systematischen Grunden und Wertungsgesichtspunkten aus dieser Entscheidung nicht gewonnen werden. Bei der Anwendung der Garantenpflicht eines Mitgliedstaates und einer unmittelbar drittwirkenden Grundfreiheit auf ein- und denselben Lebenssachverhalt kommt es ebenso nicht zu einer Normenkollision. Der Kreis der Normadressaten erweist sich in Bezug auf einen Mitgliedstaat als iiberlappend, die daraus folgenden Konsequenzen konnen jedoch bedenkenlos addiert werden: Verletzt ein Mitgliedstaat eine gemeinschaftsrechtlich gebotene Schutzpflicht (Art. 10 EG i. V. m. anwendbarer Grundfreiheit), so kann dieser allenfalls haftbar gemacht werden. Zusatzlich kann ein Verhalten natiirlicher oder juristischer Personen von einer unmittelbar drittwirkenden Grundfreiheit erfasst werden. Die rechtlichen Konsequenzen richten sich in diesem Falle nach gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und nach den innerhalb des nationalen Systems anwendbaren Regeln. Muller-Graff schlagt vorsichtig vor - von dem Ansatz der Schutzbediirftigkeit des Individuums und jenem der Konvergenz der Grundfreiheiten ausgehend - die Freiheit des Warenverkehrs in ihrer Gesamtheit als Beschrankungsund Diskriminierungsverbot in Bezug auf handelsbehinderndes nicht-staatliches Kollektivverhalten aufzufassen. Muller-Graff fugt an, dass unter diesen Gesichtspunkten keineswegs die Freiheit des Warenverkehrs in das Verhalten sonstiger Privater eingreifen diirfe, da ansonsten eine uferlose Aushohlung der Privatautonomie zu befiirchten sei. Uberdies stellen nach dieser Ansicht die ungeschriebenen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts, namentlich allge1428 EuGH Rs, C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997, 1-6959. 1429 Fur die Definition der Begrifflichkeit vgl. Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten?, in Due/Lutter/Schwarze (Hg.), Festschrift fur Ulrich Everling, Band II (1995), 1231, (1246).
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
meine Handlungsfreiheit, Berufsausiibungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, immanente Schranken samtlicher Grundfreiheiten dar. Die Anwendbarkeit der Freiheit des Warenverkehrs auf Kollektivvertragspartner trete hinter die als leges speciales zu betrachtenden Vorschriften der Art. 81 und 82 EG zuriick, Weiters trete sie hinter den oben angesprochenen Freiheitsrechten zuriick, soweit eine Priifung der Verhaltnisrnaliigkeit der privaten Mafsnahme dies ergeben kann. 1430 Dieser Auffassung soll hier zwar nicht zur Ganze im Ergebnis, wohl aber in einigen ihrer tragenden Argumente gefolgt werden. Dem Ergebnis von M iiller-Graff wird hier aus folgenden drei Grunden nicht beigepflichtet: Das Ziel der Schutzbediirftigkeit des Individuums wird fiir den Bereich der produktbezogenen Grundfreiheiten bereits durch die mitgliedstaatliche Garantenpflicht erreicht, da es sich bei diesen Grundfreiheiten - und daher auch bei der Freiheit des Warenverkehrs - nicht urn eine Grundfreiheit mit Grundrechtsgehalt handelt. Daher ist ein Eingriff in die Freiheit des Warenverkehrs, oder in sonstige produktbezogene Grundfreiheiten, nicht als ein Eingriff in eine grundrechtlich geschiitzte Sphare zu werten. Diese Auffassung fiihrt daher ohne weitere Notwendigkeit zu praktischen Schwierigkeiten in dem Verhaltnis zwischen Regeln des Wettbewerbsrechts und jenen der Grundfreiheiten in der Subsumption eines Lebenssachverhaltes unter den Tatbestand der Art. 81 ff EG oder unter jenen des Art. 28 EG. Schlie61ich verbleibt unklar, ob Art.28 EG blof auf "intermediare Gewalten" anzuwenden ist, oder doch auch auf Private: Letzteres wiirde wohl aus dem Argument der Wahrung der Koharenz der Grundfreiheiten folgen. 1431 In Untersuchung der Grundlagenqualitat des Freien Warenverkehrs kann jedoch festgestellt werden, dass diese Bedingung - wie von sarntlichen Grundfreiheiten - auch von der Freiheit des Warenverkehrs erfiillt wird. Nicht erfiillt wird jedoch die zweite, oben aufgestellte Bedingung: Die Freiheit des Warenverkehrs ist bl06 - in Anlehnung an Pernice - die Verwirklichung eines mittels verschiedenen Systemen zu wahrenden Schutzgutes, namlich der subjektiven Handelsfreiheit. Dieses Schutzgut wird im Gemeinschaftsrecht mittels der Systeme des Freien Warenverkehrs und des Wettbewerbsrechts verwirklicht.
1430 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft- Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1063. 1431 So etwa vorsichtig Muller-Graff "Auch wenn die Bindung privater Kollektivvertragspraktiken und einzelner an Art.28 nicht grundsatzlich ausgeschlossen ist ... ", in Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band 1,6. Aufl. (2003), 1063.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Die Freiheit des Warenverkehrs erfiillt blof eine von zwei, hier aufgestellten Bedingungen fur unmittelbare Drittwirkung, namlich jene der Grundlagenqualitat. Diese Grundfreiheit ist daher nicht einer unmittelbaren Drittwirkung fahig. Dieser Befund raumt auch das Problem einer etwaigen Normenkollision mit den Bestimmungen des Art. 81 und 82 EG aus dem Wege, welches bereits in den Thesen zu der Entscheidung Agrarblockaden angesprochen wurde. Fur die Freiheit des Kapitalverkehrs erscheint dieselbe Schlussfolgerung am Platze: Diese besitzt - wie die Freiheit des Warenverkehrs - Grundlagenqualitat, nicht jedoch grundrechtlichen Gehalt. Der produktbezogene Aspekt der Dienstleistungsfreiheit besitzt ebenso wie die Freiheit des Warenverkehrs Grundlagenqualitat, nicht jedoch Grundrechtsqualitat, Die letztere Schlussfolgerung wird dadurch untermauert, dass die gesamte Rechtsprechung des EuGH zu der Drittwirkung der Grundfreiheiten sich auf den personenbezogenen Aspekt der Freiheit der Dienstleistung grundet: Das Verfahren in der Rechtssache Dona/Mantero 1432 betrifft faktisch die Erbringung einer Dienstleistung - namlich Vermittlung von Arbeitskraften und die Freizugigkeit der Arbeitnehmer in Bezug auf die etwaige Einstellung der so vermittelten Arbeitskrafte. Bereits die Verquickung und Gleichsetzung einer Grundfreiheit, welche grundrechtliche Gehalte aufweist, mit der Freiheit der Dienstleistung weist darauf hin, dass es sich urn jenen Aspekt der Dienstleistungsfreiheit handeln muss, der in gleicher Weise strukturiert ist, Doch auch das Dictum des EuGH in der Rechtssache Dona/Mantero stellt einen deutlichen Hinweis dar:
"Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache Walrave [. . .] fur Recht erkannt hat, gilt das Verbot der auf die Staatsangehorigkeit gestiitzten unterschiedlichen Behandlung nicht nur fur Akte der staatlichen Beborden, sondern erstreckt sich auch auf sonstige Mafinahmen, die eine kollektive Regelung im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten. Daraus folgt, dass das innerstaatliche Gericht bei der Prufung der Giiltigkei: oder der Wirkung einer in der Satzung eines Sportverbandes enthaltenen Bestimmung die zwingenden Vorschriften der Artikel7, 48 und 59 des Vertrages zu beriicksichtigen hat. "1433 (Hervorhebung der Verfasserin) Eine kollektive Regelung iiber Tarifvertragspartner erfolgt wohl nur im Bereich des personenbezogenen Aspektes der Dienstleistungsfreiheit, nicht jedoch im produktbezogenen Aspekt dieser Grundfreiheit. 1432 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Schlulianrrag GA Trabucchi, Slg. 1976,1333. 1433 EuGH Rs. 13/76 Gaetano Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976,1333.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
2.2.3. Zur Abgrenzung drittwirkender Grundfreiheiten In dies em Abschnitt sollen eine Abgrenzung zwischen und innerhalb jener Grundfreiheiten versucht werden, die unmittelbarer Drittwirkung fahig sind, und den iibrigen Grundfreiheiten. Besonderes Augenmerk solI der Abgrenzung zwischen personenbezogenem Aspekt der Dienstleistungsfreiheit und produktbezogenem Aspekt der Dienstleistungsfreiheit geschenkt werden. Diese Abgrenzung bedient sich mutatis mutandis der fur die Abgrenzung zwischen den Grundfreiheiten allgemein verwendeten Schwerpunkttheorie und legt sie bloB auf die Abgrenzung innerhalb einer Grundfreiheit zwischen ihrem personalen und ihrem objektbezogenen Aspekt urn. Wahrend eine Abgrenzung der Personenverkehrsfreiheiten gegeniiber der Freiheit des Warenverkehrs und der Freiheit des Kapitalverkehrs keine bedeutenden Probleme aufwirft, stellt das Merkmal des "Arbeitnehmers" das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung der Freizugigkeit der Arbeitnehmer von der Freiheit der Niederlassung dar. Der Begriff des Arbeitnehmers definiert sich wesentlich und schwerpunktmaisig iiber das Merkmal der Bindung an Weisungen eines anderen im Rahmen der vorzunehmenden Tatigkeiten, Selbstandig ist hingegen, wer eine Tatigkeit fur eigene Rechnung und auf eigenes Risiko hin ausiibt. 1434 Dieses Problem stellt sich insbesondere bei Leirungs- und Managementpositionen. In standiger Rechtsprechung betrachtet der EuGH die Umstande des Einzelfalles und beurteilt diese nach Vorliegen des wesentlichen Tatbestandsrnerkmals der Dber- und Unterordnung fur die Erfullung des Begriffes "Arbeitnehmer".1435 Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs stellt sich urspriinglich gem. der Vorschrift des Art. 50 EG als Auffangtatbestand dar. In der Rechtssache Gebhard halt der EuGH jedoch fest, dass die Situation eines Gemeinschaftsangehorigen, der sich in einen anderen Mitgliedstaat zu Zwecken der Aufnahme einer wirtschaftlichen Tatigkeit begibt, einer der drei relevanten Grundfreiheiten zugeordnet werden miisse. Diese Zuordnung schlieiit jedoch jede andere gleichzeitige Zuordnung dieser Tatigkeit zu einer der iibrigen zwei Grundfreiheiten aus. 1436
1434 Schneider/Wunderlich, Kommentar zu Artikel39 EG, in Schwarze (Hg.), EU-Kommentar (2000), 618. 1435 EuGH Rs. 3/87 The Queen gegen Ministry of Agriculture, ex parte Agegate Ltd., Slg. 1989,4459: "Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhalrnisses besteht darin, dass jemand wahrend einer bestimmten Zeit fiir einen anderen nach des sen Weisung Leistungen erbringt, fiir die er als Gegenleistung eine Vergiitung erhalt." Vgl. auch EuGH Rs. C-337/97 C.P.M. Meeusen gegen Hoofdirectie van de Inforrnatie Beheer Groep, Slg. 1999,1-3289. 1436 EuGH Rs. C-55/94 Reinhard Gebhard gegen Consiglio degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995,1-4165, (1-4194).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Der EuGH definiert nach den wesentlichen Merkmalen - oder dem Schwerpunkt - der jeweils in dieser Rechtssache betroffenen Grundfreiheit; es handelt sich urn die Freiheit der Niederlassung vs Freiheit der Dienstleistung:
"Ein Angebiiriger eines Mitgliedstaates, der in stabiler Weise eine Berufstatigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausiibt, in dem er sich von einem Berufsdomizil aus u. a. an die Angeborigen dieses Staates wendet, [dllt unter die Vorschriften des Kapitels iiber das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels iiber die Dienstleistungen. Der voriibergehende Charakter einer Dienstleistung ist unter Beriicksichtigung ihrer Dauer, ihrer Haufigkeit, ihrer regelmdfligen Wiederkehr und ihrer Kontinuitdt zu beurteilen. cc [ ••• ]1437 Die Freizugigkeit der Arbeitnehmer ist daher ebenso anhand ihres sachlichen Anwendungsbereiches von der Freiheit der Dienstleistung abzugrenzen. Die Abgrenzung des personenbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit von ihrem produktbezogenen Aspekt gestaltet sich wesentlich problematischer: Mit dem personenbezogenen Aspekt der Dienstleistungsfreiheit sollen blog aktive und passive Dienstleistungsfreiheit erfasst werden; dies bedeutet, dass blof bei Uberschreitung der Grenze durch Erbringer der Dienstleistung oder Empfanger der Dienstleistung die erforderliche personale Komponente vorliegt. Korrespondenzdienstleistungen sind als objektbezogene Kategorie der Freiheit der Dienstleistung anzusehen und unterfallen daher nicht ihrer personalen Komponente.Iv" Tiedje und Troberg weisen darauf hin, dass mit Hilfe des personenbezogenen Aspekts der Dienstleistungsfreiheit einer natiirlichen oder juristischen Person die Moglichkeit eroffnet werden solI, grenzuberschreitende Tatigkeit vorzunehmen, ihr Tatigkeitsland zu verlassen oder ihr Tatigwerden vom auslandischen Unternehmenssitz aus zu erleichtern.Y'? Sollte sich eine befriedigende Abgrenzung anhand dieser Kriterien mit Bezug auf eine Faktenlage nicht bewerkstelligen lassen, so ist in einem zweiten Schritt nach einer Abgrenzung anhand der Schwerpunkttheorie oder Uberwiegensregel zu suchen: Diese Abgrenzung bedient sich mutatis mutandis der fur die Abgrenzung zwischen den Grundfreiheiten allgemein verwendeten
1437 EuGH Rs. C-55/94 Reinhard Gebhard gegen Consiglio degli avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995,1-4165, (1-4166). 1438 Holoubek, Kommentar zu Art.49 EG, in Schwarze (Hg.), EU-Kommentar (2000), 749. 1439 Tiedje/Troberg, Kommentar zu Artikel49 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1627.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Schwerpunkttheorie, wenn eine Leistung nicht eindeutig zuordenbar ist, jedoch in Einzelleistungen zerlegt werden kann. Diese Oberwiegensregel soll auf die Abgrenzung innerhalb der Freiheit der Dienstleistung zwischen ihrem personalen und ihrem objektbezogenen Aspekt umgelegt werden. 2.3. Drittwirkung als Diskriminierungsverbot und/oder als Beschrankungsverbot?
2.3.1. Ansichten der Lehre
Das Argument der Koharenz der Grundfreiheiten kann zunachst fur die Anwendung samtlicher Grundfreiheiten auf Rechtsverhaltnisse zwischen Privaten, und folglich auch fur eine Anwendung der Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschrankungsverbote sprechen - jedoch auch dagegen. An dieser Argumentation ist der tragende Gesichtpunkt gerade die Koharenz samtlicher Grundfreiheiten. Muller-Graff schlagt vorsichtig vor - von dem Ansatz der Schutzbediirftigkeit des Individuums und jenem der Konvergenz der Grundfreiheiten ausgehend - die Freiheit des Warenverkehrs in ihrer Gesamtheit als Beschrankungsund Diskriminierungsverbot in Bezug auf handelsbehinderndes nicht-staatliches Kollektivverhalten anzuwenden. Muller-Grafffugt an, dass unter diesen Gesichtspunkten keineswegs die Freiheit des Warenverkehrs in das Verhalten sonstiger Privater eingreifen durfe, da ansonsten eine uferlose Aushohlung der Privatautonornie zu befiirchten sei. Oberdies stellen nach dieser Ansicht die ungeschriebenen Grundsatze des Gemeinschaftsrechts, namentlich allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsausiibungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, irnmanente Schranken samtlicher Grundfreiheiten dar. Die Anwendbarkeit der Freiheit des Warenverkehrs auf Kollektivvertragspartner tritt nach dieser Ansicht hinter die als leges speciales zu betrachtenden Vorschriften der Art. 81 und 82 EG zuruck. Weiters tritt sie hinter die oben angesprochenen Freiheitsrechten zunick, soweit eine Priifung der Verhaltnismagigkeit der privaten Maiinahme dies ergeben kann. 1440 Dieser Auffassung soll hier - wie oben bereits angesprochen - zwar nicht zur Ganze im Ergebnis, wohl aber in einigen tragenden Argumenten gefolgt werden. Hindernisse, seien sie nun unterschiedlich oder unterschiedslos anwendbar, konnen nach Ansicht des EuGH entstehen, indem "Einrichtungen, die nicht
1440 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1063.
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clem offenrlichen Recht unterliegen", von ihrer rechtlich en Autonomie Gebrauch machen. Ob clie Ausiibung von Pri varautonomie per se - uncl clamit ohne clas Erforclernis einer gewissen Spiirbarkeit cler faktischen Auswirkungen - bei Vorliegen cler iibrigen Voraussetzungen cler Grunclfreiheit cler Arbeitnehmerfreiziigigkeit, gelesen als Beschrankungsverbot, unterworfen werclen solI, konnte man zuminclest anzweifeln. Da jecloch clie Handlungsweise der Cassa di Risparmio di Bolzano in der Rechtssache Angonese l 44 1 wohl jeclenfalls unter cler Spiirbarkeitsschwelle in einem innergemeinschaftlichen Kontext verbleiben muss, muss gefolgert werden, class sich der EuGH mit zumindest potentiellen Auswirkungen zufrieclen gibt . Diese Annahme wiirde - durchaus im Sinne der Koharenz cler Grundfreiheiten - wieclerum fiir eine Drittwirkung der Arbeitnehmerfreiziigigkeit als Beschrankungsverbot uncl auch als Diskriminierungsverbot sprechen. Der EuGH setzt hingegen ausdrucklich Art. 39 Abs. 2 EG in unmittelbaren Zusammenhang zu seiner Rechtsprechung zu Art. 141 EG, wobei es auch hier auf eine etwaige gemeinschaftsweite Spiirbarkeit des Verhaltens nicht ankommt. In der Folge verbleiben eine Reihe von Fragen klarungsbediirftig: Zunachst soli das Urteil Angonese in clie bisherige Rechtsprechung cles EuGH zur Anwenclbarkeit cler Grundfreiheiten auf Private eingefiigt werden. Unstreitig ist jedoch, dass Angonese eine bedeutsarne Weiterentwicklung cler bisherigen Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf Rechtsverhaltnisse zwischen Privaten darstellt, Nach der hier vertretenen Ansichr befindet sich eine Interpretation des Urteils in der Rechtssache Angonese im Sinne einer unmittelbaren Drittwirkung sarntlicher Grundfreiheiten zwar clurchaus noch im Einklang mit clem Wortlaut cles Urteils, legt jedoch cliesen Wortlaut sowie das Telos cles Urteils weiter aus, als es dieses bereits seinem Wortlaut nach erfordert, cler Rechtssicherheit clienlich und in cler Rechtsanwendung vertraglich ist. Die Notwendigkeit, jeglichen privatrechtlich geschlossenen Vertrag am Beschrankungsverbot cler Grundfreiheiten zu messen und dariiber hinaus, bei der vorlaufigen FeststelIung eines Versroises, diese vertragliche Vereinbarung an einem offenen, zumeist staatsbezogenen Katalog von Rechtfertigungsgriinden 1442 zu prufen, wiirde sowohl der Rechtssicherheit abtraglich sein als auch den Rechtsanwender vor betrachrliche praktische und dogmatische Schwierigkeiten stellen. 1441 Eu G H Rs. C-28 1/98 Rom an Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000,1-4139. 1442 Diese zwin genden Erfordernisse, die jedoch materiell als Rechtfertigungsgriinde zu betrachten sind, wurden in ihrem Konzept auf staatliches Verhalten gemiinzt: Streinzl Leible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000, 459 (463).
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Selbst wenn ein Privater die Moglichkeit haben sollte, in diesen offenen Katalog an "sachlichen Erwagungen" oder "zwingenden Grunden des Allgemeininteresses" solehe Erwagungen einzufuhren, die fur privates Verhalten geeignet sind, so verbleibt in der Tat das Problem der eingeschrankten Privatautonomie, die gerade auch willkiirliches Handeln zulasst. 1443 Allerdings existieren mit Drittwirkung ausgestattete Verbote im Bereich zentraler Grundrechte; ein soleh erweiterter Adressatenkreis sollte m. E. jedoch nicht ohne absolute Notwendigkeit richterrechtlich eingefiihrt werden. In dieser Arbeit soll eine Dbertragung der Entscheidung Anganese blof auf jene Grundfreiheiten angedacht werden, die zugleich Grundlagencharakter und Grundrechtsqualitat besitzen: Farsthaff etwa vertritt folgende Ansicht: Da in dieser Entscheidung ein Sachverhalt mittelbarer Diskriminierung vorliegt, sei die Entscheidung Anganese so zu lesen, dass im Anwendungsbereich samtlicher Grundfreiheiten blof mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit mit einem unmittelbar auch gegen Dritte wirkenden Verbot ausgestattet sei. 1444 Zusatzlich konnten sich Private in solehen Fallen auf samtliche Grundfreiheiten und dem in ihnen enthaltenen Beschrankungsverbot berufen, wenn privates Verhalten auf eine kollektive Wirkung gerichtet ist oder eine solehe Wirkung im Verbund mit dem gleichgerichreten Verhalten anderer entfaltet, Forsthoff fasst diese zwei Kategorien privaten Handelns als Verursachen von Hindernissen fur die Verwirklichung des Binnenmarktes durch das Handeln Privater, wenn die Marktkrafte alleine nicht imstande sind, diese Hindernisse zu beseitigen, zusammen.lr" 2.4. Losunqsvorschlaq
Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehorigkeit stellt eines der Leitprinzipien des Gemeinschaftsrechts dar; Ipsen bezeichnet das Diskriminierungsverbot als "Magna Charta" des EG-Vertrages. 1446 In der bisher analysierten Rechtsprechung des EuGH kann man zwei Strange erkennen: Einer dieser Strange beinhaltet die Drittwirkung der hier definierten Personenverkehrsfreiheiten gegeniiber intermediaren Gewalten im Hinblick auf das in diesen Grundfreiheiten enthaltene Beschrankungsverbot und im Hinblick auf das darin enthaltene Verbot mittelbarer und unmittelba-
1443 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EWS 2000,389, (395); Koziol/Welser, Biirgerliches Recht, 1444 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EWS 2000, 389, (392). 1445 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten - Das EWS 2000,389, (393). 1446 Ipsen, Europaisches Gemeinschaftsrecht (1972), 592.
EuGH Urteil Anganese, 11. Auf!. (2000), 84. EuGH Urteil Anganese, EuGH Urteil Anganese,
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
rer Diskriminierungen. Der Normadressat dieser Bestimmungen ist aufgrund der oben genannten Rechtsprechung in zwei Alternativen zu systematisieren: Eine Ankniipfung an die Eigenschaft des Verbandes von Privatpersonen, der sraatsahnlich agieren kann, hat zur Folge, dass sarntliche MaBnahmen eines solchen Verb andes der Drittwirkung von Grundfreiheiten unterstellt werden. Eine Ankniipfung an Kategorien von erfassten Rechtsakten, etwa kollektiven Regelungen, fragt nach der Natur des erfassten Rechtsaktes und kann somit nicht nur einen Verb and von Privatpersonen, sondern auch allenfalls bloB Private erfassen. Damit eroffnen sich zwei Kategorien fiir die weitere Analyse: Die eine Kategorie fragt nach und umfasst den Kreis der Adressaten der Norm; die andere fragt nach und umfasst die Gruppe der zulassigen/unzulassigen Mafsnahmen. Wahrend die Frage nach dem Normadressaten einer drittwirkenden Grundfreiheit in dem nachsten Kapitel gemcinsam mit der Frage nach den erfassten Mafsnahmen zu behandeln ist, ist an dieser Stelle zu erwagen, ob das in der Rechtssache Bosman bekraftigte, mit Dritrwirkung ausgestattete Beschrankungsverbot der Freiziigigkeit der Arbeitnehmer als solches auf mit Drittwirkung ausgestattete Grundfreiheiten zu iibcrtragen ist, Ausgangspunkt der Dberlegungen solI das von Canaris in seinen Beitragen zu der Drittwirkung von Grundrechten erarbeitete Analyseraster darstellen: Erstens ist zu fragen, wer Adressat der Grundrechte sei - nur der Staat und seine Organe, oder auch die Subjekte des Privatrechts? Zweitens: Wessen Verhalten ist Gegenstand der Priifung an den Grundrechten - das Verhalten eines staatlichen Organs oder eines privatrechtlichen Subjekts? Und drittens: In welcher Funktion finden die Grundrechte Anwendung - als Eingriffsverbote oder als Schutzgebore i -r" Wenn nun in dem vorhergehenden Kapitel vorgeschlagen wurde, die Personenverkehrsfreiheiten aufgrund ihrer Grundlagen- und Grundrechtsqualitat mit unmittelbarer Drittwirkung auszustatten, handelt es sich hierbei urn die Beantwortung der dritten, von Canaris gestellten Frage, in Bezug auf die Grundfreiheiten des EG-Rechts. An dieser Stelle ist nach der Schutzbediirftigkeit des Individuums einerseits und, aufgrund des harten Eingriffs in die Privatautonomie und die HandlungsFreiheit eines anderen Individuums oder einer interrnediaren Gewalt, nach der Wertung eines verponten Verhaltens innerhalb der Rechtsordnung des EGRechts zu erwagen, ob die erwahnte Kategorie von Grundfreiheiten bloB im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot, oder auch im Hinblick auf das Beschrankungsverbot mit Drittwirkung ausgestattet werden solI. Irn Hinblick auf beide oben genannten Voraussetzungen wird vorgeschlagen, die genannten Grundfreiheiten, namlich die Freiziigigkeit cler Arbeitnehmer, die Freiheit der Niederlassung und Dienstleistung in Bezug auf ihren per1447 Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), 34.
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sonenbezogenen Aspekt ausschlielilich im Bereich des Verbots unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung mit Drittwirkung auszustatten. Wie in der Analyse zu den systematischen Bestandteilen der Grundfreiheiten festgehalten, ist das Diskriminierungsverbot in dem Beschrankungsverbot enthalten und kann von diesem dogmatisch abgesondert werden. Gerade die in unterschiedlicher Weise erfolgende Dbertragung des Beschrankungsverbotes der Freiheit des Warenverkehrs auf andere Grundfreiheiten ist wiederum geeignet, das Konzept von einer liickenlosen Konvergenz der Grundfreiheiten zu erschiittern. Erneut von den oben genannten Voraussetzungen des Schutzbediirfnisses des Individuums und dem im Rahmen einer gegebenen Rechtsordnung verponten Verhalten ausgehend, ist das Beschrankungsverbot der genannten Grundfreiheiten dann mit Drittwirkung auszustatten, wenn die noch zu determinierende Maisnahme auf eine interrnediare Gewalt - die demnach mit staatsahnlichen Befugnissen ausgestattet ist - zuruckgefuhrt werden kann. Daher wird vorgeschlagen, im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten zwei Systeme von Drittwirkung zu fiihren: Unter natiirlichen oder juristischen Personen so11 das Verbot unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung, zwischen interrnediarer Gewalt und Privatem so11 zusatzlich das Beschrankungsverbot unmittelbar mit Dritrwirkung ausgestattet werden. 3. Welche MaBnahmen sollen von unmittelbarer Drittwirkung erfasst werden?
3.1. EinfOhrung Dberlegungen zu den Kategorien von erfassten Maiinahmen sollen zunachst mit einer kompetenzrechtlichen Abwagung eingeleitet werden: N ach Ansicht von Burgi bedeutet eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, dass weite Bereiche des Staat-Burger-Verhaltnisses zu einem gemeinschaftsunmittelbaren Territorium wiirden,1448 womit die Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten einerseits und der EG andererseits gewichtigen Veranderungen unterzogen wiirde. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten bedeutet jedenfalls eine Ausdehnung der Kompetenzen der EG - eine solche Ausdehnung wiirde jedoch die kompetenzlimitierende Judikatur seit dem Urteil Keck und Mithouard ernsthaft in Frage stellen.
1448 Burgi, Mitgliedstaatliche Garantenpflicht statt unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EWS 1999, 327.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten : Ein Modell
3.2. Staatsbegriff des EuGH und unmittelbar drittwirkende Grundfreiheiten
Bevor an dieser Stelle mit spez ifischem Blick auf drittwirkende Grundfreiheiten der Staatsbegriff des EuGH skizziert werden soIl, soll die Brauchbarkeit des Konzepts der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien fur die Themenstellung dieser Arbeit angesprochen werden. Dieses Konzept soil fur die weitere Analyse in dieser Arbeit nicht herangezogen werden, da es sich hierbei nicht urn eine, im materiellen Recht angesiedelte, Determinierung des Kreises der Normadressaten von Grundfreiheiten handelt, sondern vielmehr urn ein verfahrensrechtliches Instrument, welches den Kreis der Normadressaten einer Bestimmung in keiner Weise verandert. Fur unmittelbare vertikale oder horizontale Wirkung von Richtlinien werden blof aufgrund der allgemeinen Rechts- und Interpretationsgrundsatze des Effet Utile und des Estoppel verfahrensrechtliche Instrumentarien zur Geltendmachung noch nicht zur Anwendung gebrachter Rechte des Einzelnen geschaffen. 1449 Keineswegs wird aber mittels des Konzepts der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien materiell eine Erweiterung des Adressatenkreises der anwe ndbaren Norm vorgenornmen.lv ? Diese Rechte Ein zelner sind vielmehr bereits norrnativ in der jew eiligen Richtlinie festgelegt und entfalten auch ohne unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung - aufgrund der Vorschrift des Art. 10 EG bereits Vorwirkungen. Bei der unmittelbaren vert ikalen Wirkung von Richtlinien handelt es sich urn die Zuordnung von Einrichtungen, Unternehmen etc. zu dem Begriff des "Staates" ; materiell muss hierfiir jedenfalls eine verdichtete Form der Einflussnahme durch eine mit Hoheitsgewalt ausgestattete Korperschaft offentlichen R echts auf eine sonstige Einrichtung vorliegen: Die Rechtssachen Royal Pharmaceutical Society 145 1 und Hun ermundr' " befassen sich mit der Zuordnung einer mittels Gesetz eingerichteten Standesorganisation, auf welche der Staat hoheitliche Befugnisse iibertragen hatte. Die Ro yal Pharmaceutical Society etwa erlangte durch die Royal Charter 1843 Rechtspersonlichkeit; auf deren Tatigkeit wird in zahlreichen Gesetzesbestimmungen Bezug genommen. Sie ist die einzige Standesorganisation von Apothekern, fiihrt das entsprechende Berufsregister und erlasst das Standesrecht 1449 Vgl. dazu Winter, Direct Applicability and Direct Effect: Two Distinct and Different C oncepts in Community Law, CMLR 1972,425; Eleftheriadis, The Direct Effect of Community Law: Concept ual Issu es, YEL 1996, 205. D ieser Ansicht auch: Baquero Cru z , Free Movement and Pr ivate Autonomy, ELR 1999,603, (605). 1450 Vgl. Prechal, Directives in EC Law, 2. Auf!. (2006), 218 ff. 1451 EuGH Rs. 266 und 267/ 87 The Queen gegen Ro yal Pharrneceutical Society of Great Britain, ex parte Association of Pharmaceutical Importers und andere, Slg. 1989, 1295. 1452 EuGH Rs, C-292 /92 Ruth H iinermund u. a. gegen Land esapothekerkammer BadenWiirttemberg, Slg. 1993, I-6816.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
der Apotheker. Dberdies verfiigt diese Einrichtung iiber gesetzlich verliehene Disziplinarbefugnisse, welche bis zu dem Verbot der Berufsausiibung reichen. Aus den Entscheidungen des EuGH ist zu folgern, das eine per Gesetz geschaffene Berufsvereinigung, die die einzige ihrer Art in einem Mitgliedstaat ist und die Befugnis zur Erlassung von Standesrecht sowie zur Verhangung von DisziplinarmaBnahmen besitzt, dem betroffenen Mitgliedstaat zuzurechnen ist, Diese Form der Ausiibung hoheitlicher Befugnisse durch eine nicht-staatliche Organisation zieht eine verhaltnismaiiig unproblematische Zuordnung der betroffenen Einrichtung zu dem Mitgliedstaat nach sich. In der Rechtssache Apple and Pear Council'v" tritt das Kriterium staatlicher Kontrolle in den Vordergrund, hingegen das Kriterium der Ausubung hoheitlicher Befugnisse in den Hintergrund. Demnach ist eine Einrichtung unter folgenden Voraussetzungen dem Staat zuzurechnen:
"Eine Korperschajt wie der Council, die von der Regierung eines Mitgliedstaates errichtet worden ist und durch eine bei den Erzeugern erhobene Abgabe finanziert wird, kann namlicb von Gemeinschaftsrecht wegen hinsichtlich der verwendeten Werbemethoden nicht dieselbe Freiheit genieflen wie die Erzeuger selbst oder wie freiwillige Erzeugergemeinschaften. "1454 Aus der Aussage des EuGH in dieser Rechtssache ist zu schliefsen, dass eine mittels Gesetz oder sonstiger staatlicher Maiinahme eingerichtete Korperschaft, deren Mitglieder vom zustandigen Minister eines Mitgliedstaates ernannt werden und zu der Pflichtmitgliedschaft besteht, ebenso dem Mitgliedstaat zuzurechnen ist. In der Rechtssache Buy Irish 1455 wird dem Staat das Irish Goods Council zugerechnet, da dessen Vorstandsmitglieder durch die irische Regierung berufen wiirden, dieses zum groBeren Teil mit offentlichen Geldern unterstiitzt werde, und die irische Regierung in graBen Ziigen die von dem Irish Goods Council gefuhrten Kampagnen bestimme. Da die Regierung eines Mitgliedstaates zur Ganze die rechtliche Kontrolle - namlich die Ernennung der Vorstandsmitglieder - und die faktische Kontrolle durch die Ubernahrne der Ausgaben und die Bestimmung iiber die von dem Verband gefiihrten Kampagnen besitzt, ist ein solcher - privatrechtlich eingerichteter - Verband dem Staat zuzurechnen.lt'"
1453 EuGH Rs. 222/83 Apple and Pear Development Council gegen K.J.Lewis Ltd. und andere, Slg. 1983, 4083. 1454 EuGH Rs. 222/83 Apple and Pear Development Council gegen K.J.Lewis Ltd. und andere, Slg. 1983,4083, (4119). 1455 EuGH Rs. 249/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1982,4005. 1456 EuGH Rs. 249/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1982,4005, (4021).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Das Kriterium der Zurechnung einer Einrichrung zum Staat beinhaltet daher folgende Elemente: Dem Mitgliedstaat wird eine Einrichtung dann zugerechnet, wenn diese durch Gesetz eingerichtet wird und ein rechtliches Monopol zur Vertretung und rechtlichen Ausgestaltung eines Berufszweiges mittels Standesrecht und Disziplinarrecht - demnach hoheitliche Aufgaben - besitzt. Rechtliche und/oder faktische Kontrolle des Mitgliedstaates tiber einen privatrechtlich eingerichteten Verb and selbst, tiber die Nominierung seiner Leitungsorgane oder tiber seine Tatigkeit tiber Finanzierung seiner Ausgaben fiihren desgleichen zur Zurechnung zu dem Mitgliedstaat. 3.3. Lbsungsvorschlag Die praktische Auswirkung des nun folgenden Vorschlages wird nicht unwesentlich von der Definition eines grenziiberschreirenden Sachverhaltes bestimrnt; wahrend namlich die Drittwirkung des Art. 141 EG einen solchen nicht erfordert, verbleibt diese Bedingung - zwar, wie oben dargelegt, in residualer Form - im Bereich der Grundfreiheiten bestehen. Da der EuGH bis zu der Grenze des "Hypothetischen" und "Konstruierten" dem vorlegenden nationalen Gericht uberlasst, die Relevanz der Beantwortung einer Frage im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 234 EG zu entscheiden, wird das Konzept des grenzuberschreitenden Sachverhaltes auf bloB potentielle Anknupfungspunkte oder gar die (innerstaatliche) Feststellung einer innerstaatliche verponten umgekehrten Diskriminierung reduziert. Die judizielle Definition des grenzuberschreitenden Sachverhaltes determiniert - tiber das Ausmaf der einer Drittwirkung von Grundfreiheiten unterworfenen Lebenssachverhalte - in funktionaler Interpretation die Kompetenz der Gemeinschaft zur Rechtsangleichung. Die oben getatigte Zweiteilung der Drittwirkung personenbezogener Grundfreiheiten solI im Hinblick auf die erfassten Mafinahmen in Bezug auf den Normadressaten drittwirkender Grundfreiheiten analysiert werden: Die erste Fallkonstellation befasst sich mit unmittelbarer Drittwirkung zwischen Privaten und lehnt sich beispielsweise an den Lebenssachverhalt in der Rechtssache Angonese 1457 an. Fur diese Fallkonstellation wird vorgeschlagen, samtliche Maiinahmen eines Privaten zu erfassen, welche in den sachlichen Anwendungsbereich der genannten Grundfreiheiten fallen. Die zweite anzusprechende Fallkonstellation betrifft Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten in dem in ihnen enthaltenen Diskriminierungs- und Beschrankungsverbot gegeniiber intermediaren Gewalten. Ausgangspunkt der Dberlegungen zur Determinierung des Normadressaten zusammen mit der erfassten MaBnahme sollen die Aussagen des EuGH in 1457 EuGH Rs. C-281/98 Roman Anganese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000, 1-4139.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
der Rechtssache Bosman darstellen: Im Hinblick auf die Kategorie von erfassten Mafsnahmen halt der EuGH unter Verweis auf das Urteil Walrave/Koch 1458 fest, dass Art. 39 EG "nicht nur fur behordliche MaBnahmen gilt, sondern sich auch auf Vorschriften anderer Art erstreckt, die zur kollektiven Regelung unselbstandiger Arbeit dienen. "1459 Diese Aussage des EuGH scheint die Drittwirkung des Art. 39 EG auf solche Maiinahmen oder Vorschriften einzugrenzen, die eine kollektive Regelung unselbstandiger Arbeit zum Gegenstand haben. In diesem ersten Argumentationsschritt wird Drittwirkung nicht nach dem Kreis der N ormadressaten der angesprochenen Grundfreiheit bestimmt, sondern nach der Kategorie der erfassten Maiinahme. Die folgenden Aussagen des EuGH stiitzen sich jedoch wiederum wesentlich auf die Determinierung des Kreises von Normadressaten; das im Anschluss zitierte Dictum findet sich wortgleich in der Rechtssache Angonese 1460 wieder:
"Der Gerichtshof hat ndrnlich ausgefuhrt, dass die Beseitigung der Hindernisse fur die Freizugigkeit zwischen den Mitgliedstaaten gefahrdet ware, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse zunichte gemacht werden konnte, die sich daraus ergeben, dass nicht dem offentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen. (Hervorhebung der Verfasserin)" 1461 Dieser Passus des Urteils Bosman erscheint aus zwei Grunden bemerkenswert: Bereits die Formulierung indiziert, dass nicht nur Malinahmen erfasst werden sollen, die eine kollektive Regelung unselbstandiger Arbeit zum Gegenstand haben, sondern dass - zumindest potentiell- auch und insbesondere Malsnahmen erfasst werden sollen, die eine ahnliche Wirkung entfalten wie Schranken staatlichen Ursprungs. Dieser Hinweis auf eine ahnlich Wirkung wie "MaBnahmen gleicher Wirkung", i. e. wie ein Hindernis fur den Binnenmarkt'Y", erfliesst aus der hier gewahlten Formulierung. 1458 EuGH Rs. 36/74 B.N.O. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Sig. 1974, 1405. 1459 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Sig. 1995,1-4921, (1-5065). 1460 Vgl. wortgleiche Zitierung in EuGH Rs. C-281/98 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Sig. 2000, 1-4139 (1-4172). 1461 EuGH Rs. C-415/93 Union royale beige de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Sig. 1995,1-4921, (1-5066). 1462 Mit der gewahlten Formulierung zieht der EuGH eine Parallele zu den Auswirkungen staatlicher Malsnahmen und zu der hinlanglich bekannten Dassonville-Formel: Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Aus dieser Aussage des EuGH folgt ein erstes Kennzeichen von soIchen MaGnahmen, die von Drittwirkung erfasst werden: Es muss sich folglich urn Malsnahmen handeln, die ahnliche Wirkung entfalten wie ein Hindernis staatlichen Ursprungs. Zweitens WIt an der gewahlten Formulierung auf, dass der Schwerpunkt in der Definition der Drittwirkung nunmehr nicht auf die Kategorie der erfassten Rechtsakte, sondern auf die Normadressaten des Art. 39 EG gelegt wird namlich Vereinigungen und Einrichtungen, die nicht dem offentlichen Recht unterliegen und die von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen.U'" urn Schranken oder Hindernisse fur den Binnenmarkt zu errichten. An dieser Stelle erfolgt eine Definition des Normadressaten: Hierbei muss es sich urn eine Vereinigung oder Einrichtung handeln, die nicht dem offentlichen Recht unterliegt und die rechtliche Autonomie besitzt. Fur derartige "Vereinigungen und Einrichtungen" solI in dieser Arbeit der Begriff der "interrnediaren GewaIt"1464 verwendet werden, Die Rechtssache Wouters bietetgeradezu paradigmatisch - ein Beispiel fur die Ausiibung quasi-staatlicher RegelungsgewaIt durch eine Berufsvereinigung.P'" Mit dem Riickzug des Staates aus weiten Teilen der Wirtschaft und der zunehmenden Dbertragung staatlicher Aufgaben an Organe, weIche von staatlicher und/oder privater Seite beschickt sowie kontrolliert werden, und der zunehmenden Dbertragung staatlicher Aufgaben auf Private nimmt der Anwendungs bereich potentiell unmittelbar drittwirkender Grundfreiheiten ZU. 1466 Die Zuordnung einer Einrichtung zu einem Mitgliedstaat aufgrund der im vorhergehenden Kapitel genannten Kriterien erfasst blof eine begrenzte Anzahl interrnediarer Gewalten - als nicht dem Staat zurechenbar im Sinne des Urteils in der Rechtssache Royal Pharmaceutical Society erweisen sich etwa mehrere, nebeneinander bestehende Berufsorganisationen. Baquero Cruz findet fur soIche Einrichtungen eine iiberaus treffende Charakterisierung: "There are intermediate institutions which appear as a strange breed of State and society and actually exercise pseudo-legislative powers. "1467
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Warenverkehr mittelbar oder unmittelbar, tatsachlich oder potentiell zu behindern, ist als Magnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmaiiige Beschrankung anzusehen. (Hervorhebung der Verfasserin), in EuGH Rs. 8/74 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave Dassonville, Slg, 1974, 837, (852). EuGH Rs, C-415/93 Union royale belge de football association ASBL ua gegenJeanMarc Bosman, Slg. 1995,1-4921, (1-5066). Fur eine Umschreibung dieser Kategorie im EG-Recht vgl. Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten? in Due/Lutter/Schwarze (Hg.), Festschrift fur Ulrich Everling, Band II, (1995),1231, (1246). EuGH Rs. C-309/99 J.C.J. Wouters u. a. gegen Algemene Raad van de Nederlands Orde van Advocaten, Slg. 2002, 1-1577. Baquero Cruz, Free Movement and Private Autonomy, ELR 1999, 603, (604). Baquero Cruz, Free Movement and Private Autonomy, ELR 1999, 603, (604).
Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten : Ein Modell
Der Begriff der intermediaren Gewalten soIl anhand der von Roth vorgeschlagenen Abgrenzung und Definition erarbeitet werden: Hierbei so11en jene Institutionen des privaten Rechts erfasst werden, die mit (vormals) typisch staatlichen Machtbefugnissen ausgestattet sind. Darunter wiederum sind Aufsichts- und Regelungsbefugnisse und/oder Disziplinarbefugnisse zu verstehen. 1468 Bei der Erarbeitung einer solchen Definition so11 besonderes Augenmerk auf die einheitliche Anwendung des EG-Rechts gelegt werden; die Anwendbarkeit einer drirtwirkenden Grundfreiheit so11 nach Moglichkeit nicht von dem Grad der staatlichen Durchdringung und Determinierung der Gese11schaft und Wirtschaft eines Mitgliedstaates abhangig gemacht werden.r"? Da aufgrund des oben zitierten Dictums des EuGH nicht blof Mafsnahmen rechtlicher Natur, sondern auch solche rein faktischer Natur - wie etwa ein Boykott - von der Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten erfasst werden so11en,1470 so11 die Definition der interrnediaren Gewalt als N ormadressat einer drittwirkenden Grundfreiheit aus dem Blickwinkel der Schutzbediirftigkeit des Individuums und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden. Dabei so11 die faktische und effektive Durchsetzung solcher Befugnisse in Betracht gezogen werden. 1m Zuge der Deregulierung staatlicher Aufsichtsbefugnisse sind jedenfa11s solche Berufsvereinigungen zu erfassen, die aufgrund des von ihnen normierten Standesrechts - diese Befugnis muss nicht gesetzlich vorgesehen werden ihren Mitgliedern in einer Po sition gegentibertreten, die dem hoheitlich handelnden Staat vergleichbar ist, Von solchen Berufsvereinigungen ausgeiibte Disziplinarbefugnisse so11en bei einer derartigen Zuordnung bedacht werden. Eine Pflichrmitgliedschaft, insbesondere bei mehreren nebeneinander bestehenden Organisationen, ist fur eine solche Zuordnung nicht zu ford ern; auch hierbei ist jedoch Bedacht zu nehmen, ob ein faktischer Zwang zu dem Beitritt mit dem Recht zur Ausiibung des Berufs oder einer betrachtlichen Verbes serung des beruflichen Fortkommens verbunden ist. Derartige Einrichrungen umerliegen in der Regel, wie bereits yom EuGH ausgesagt, dem Privatrecht; deren konkrete Ausgestaltung so11 jedoch hier nicht von Belang sein.
1468 Fur cine Umschreibung diescr Kategorie im EG-Recht vgl. R oth, Drinwirkung der Grundfreiheiten? in Due/Lutter/Schwarze (H g.), Festschrift fur Ulrich Everling, Band II, (1995),1231, (1247). 1469 Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten? in Due/Lutter/Schwarze (H g.), Festschrift fur Ulrich Everling, Band II , (1995), 1231, (1247). 1470 Zustimmend Baquero Cruz , Fre e Movement and Private Autonomy, ELR 1999, 603, (618).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Anzumerken ist, dass koll ekt ive Vereinbarungen dem Anwendungsbereich des europaischen Wettbew erb srechts entzogen sind, gerade w eil es sich urn Vereinbarungen im 6ffentlichen Interesse handelt. l'"! Vereinbarungen zwis ch en Kollektivvertragspartnern unterstehen jedoch zweifelsohne Art. 39 EG. An dieser Stelle ist zu untersuchen, ob die Kriterien "intermediare Gewalt" und "M aBnahme, welche Hindernisse ahnlich wie ein Mitgliedstaat errichten kann" kurnulativ oder indikativ fUr den Eintritt von Drittwirkung zu verstehen sind. Aus Grunden der Praktikabilitat und in Betrachtung des Schutzbediirfnisses de s Individuums soll im Sinne eines "beweglichen Systems" zunachst die Existenz einer interrnediaren Gewalt vorliegen; deren Rechtsform ist jedoch nicht von Relevanz. Zusatzlich muss es sich bei der kollektiv gesetzten Ma6nahme urn eine solche handeln, die ahnlich einem Mitgliedstaat Hindernisse fur den Binnenmarkt errichten kann. Nunmehr ist nach der Schutzbediirftigkeit des Individuums einerseits und, aufgrund des harten Eingriffs in die Privatautonomie und die Handlungsfreiheit eines anderen Individuums oder einer interrnediaren Gewalt andererseits, nach d er Wertung eines verponten Verhaltens innerhalb der Rechtsordnung des EG-Rechts zu erwagen, ob es sich bei den von der Drittwirkung der G rundfreiheiten erfassten Maflnahmen urn Matinahmen allgemeiner Natur oder auch urn Einzelrechtsakte handeln kann. Bei Betrachtung dies er Gesichtspunkte und der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere der Entscheidungen Dona/Mantero und A ngonese ist zu folgern, dass eine derartige Unterscheidung fur den Eintritt von Drittwirkung nicht von Relevanz ist, D ah er kann gefolgert w erden, da ss im Verhaltnis zwischen Pri vaten sarntliche Malinahmen eines anderen Privaten erfasst werden, welche in den sachlichen Anwendungsbereich der genannten Grundfreiheiten fallen. 1471 Vgl. dazu folgende Au ssage des EuGH in Albany: "Die Errcichung der mit derart igen Vertragen [i. e. Kollek tivvertragen] angestrebten sozialpolitischen Ziele ware jedoch crnsthaft gefahrdet, wenn fur die Sozialpartner bei der gemeinsamen Suche nach MaBnahmen zur Verbesserung der Beschaftigungs- und Arbeitsbedingungen Artikel 85 Absatz 1 Geltung harte." Vgl. dazu samtliche "Pensionsfondsfallc" : EuGH Rs. C-67/ 96 Albany International BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie, Slg. 1999,1-5751; EuGH Rs. C-115 /9 7 bis C-117/97 Brentjens' H andelsonderneming BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Handel in Bouwmaterialen, Slg. 1999, 1-6029; EuGH Rs. C-219/97 Maatschappij Drijvende Bokken BV gegen Stichting Pensioenfonds voo r de Vervoer- en Havenbedrij ven, Slg. 1999, 1-6125; sow ie Orlandini, The Free movement of Goods as a Possible "C ommunity" Limitation on In dustrial Conflict, ELJ 2000, 341; Van den Bergh, Irreconciliable Principles? The Court of Ju stice Exempts Collective Labour Agreements from th e Wrath of Antitrust, ELR 2000,492.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
In eine m Verhaltnis zwischen einem Privaten und einer interrnediaren Gewalt werden solche Mafsnahmen erfasst, die eine ahnliche Wirkung zeitigen wie eine staatliche Ma~nahme, welche im Sinne der Dassonville-Formel als Hindernis im Binnenmarkt zu qualifizieren ist, Es ist schlieiilich nicht von Relevanz, ob es sich hierbei urn eine Mallnahme allgemeiner Natur oder urn einen Einzelrechtsakt handelr, 4. Konvergenz und Divergenz: Drittwirkung der Personenverkehrsfreiheiten und Wettbewerbsrecht 4.1. EinfClhrung
In diesem Abschnitt solI in einer strukturellen Weise das Verhaltnis zwischen drittwirkender Grundfreiheit und Wettbewerbsrecht angesprochen werden. Da im vorigen Abschnitt vorgeschlagen wurde, nicht blo~ kollektive Rechtssetzung, sondern auch kollektives Handeln den als Beschrankungs- und Diskriminierungsverbot aufgefassten Personenverkehrsfreiheiten zu unterstellen, ist es an dieser Stelle notwendig festzuhalten, dass kollektive Vereinbarungen dem Anwendungsbereich des europaischen Wettbewerbsrechts entzogen sind, weil es sich um Vereinbarungen im offentlichen Interesse handelt. Mortelmans weist unter Betonung von Aspekten der Koharenz zwischen Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht darauf hin, dass eine solche Konvergenz dort ihre Grenze finden miisse, wo Handeln im offentlichen Interesse von Handeln im privaten Interesse unterschieden werden muB, 1472 Vereinbarungen zwischen Kollektivvertragspartnern unrerstehen jedoch zweifelsohne Art. 39 EG. In dem vorangehenden Kapitel wurde jed och die Moglichkeit vorgeschlagen, derartige Maiinahmen von "interm ediaren Gewalten ", welche im offentlichen Interesse getatigt werden, ausschlielilich den Grundfreiheiten zu unterstellen. 4.2. L6sungsvorschlag zur "Van Eycke-Formel"
Bevor das Verhaltnis von dritrwirkenden Personenverkehrsfreiheiten und den Bestimmungen der Art. 81 und 82 EG angedacht werden solI, ist zunachst zu iibcrdenken, ob die bisherigc Anwendung der Van Eycke-Formel in der Rcchtsprechung des EuGH weiterhin sinnvoll erscheint, Diese Fallgruppe legr den Mitgliedstaaten aus den Art. 3 Abs. 1 lit. g, 10 und 81 odcr 82 EG Pflichten auf, durch Unterlassen der in der Van Eycke-Formel definierten staatlichen Malinahmen den freien Wettbewerb innerhalb der EG 1472 Mortelmans bedient sich hier der traditionellen staatsrechtl ichen Unterscheidung zwi schen imperium und dominium : Mortelmans, Towards Conver gence in the Application of the Rules o n Free Mo vement and on Competition, C MLR 2001, 613, (622).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
zu wahren. Wiewohl die im EG-Vertrag enthaltenen Bestimmungen des KartelIrechts Unternehmen als Normadressaten haben, wird unter Zuhilfenahme des Art. 10 EG der Kreis der Normadressaten der Art. 81 und 82 EG von Unternehmen auf Mitgliedstaaten ausgedehnt. In der systematischen Anlage der Van Eycke-Formel selbst, aber auch und insbesondere in ihrer weiteren Anwendung finden sich zahlreiche rechtliche wie faktische Problemfelder: Der nach der Van Eycke-Formel zu priifende Rechtsakt erscheint, gerade aufgrund der von dem EuGH geforderten Akzessorietat unternehmerischen Handelns, nicht eindeutig definierbar zu sein. Einen weiteren wesentlichen Kritikpunkt an der Van Eycke-Formel stelIen die Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe in der Norm selbst dar, die sich aufgrund der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung nicht weiter prazisieren lassen, und das fur die Untersuchung komplexer wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte ungeeignete Verfahren der Vertragsverletzung und der Vorlage: Wie an den Rechtssachen BNIC/Clair1473 und Reiff474 ersichtlich ist, oder auch an der Einordnung von Zollspediteure lund Zollspediteure II, ist die exakte oder auch nur annahernde Einordnung einer Rechtssache unter eine der FalIgruppen der Van Eycke-Formel aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe in der Umschreibung der FalIgruppen wenig voraussehbar. An der Rechtssache Deutsche Grammophon und an dem Urteil in INNO/ ATAB zeigt sich, dass der rechtlich zu beurteilende Sachverhalt zumeist in ununterscheidbarer Weise verquickt, Elemente staatlichen Handelns und privaten Handelns enthalt. Die Ursache dieses Problems liegt sowohl in der Haufung unbestimmter Rechtsbegriffe in der Van Eycke-Formel selbst, als auch in den eingeschlagenen Verfahren. Uberdies erscheint fraglich, ob es fur das EG-Recht methodisch zulassig ist, von einem Rechtssatz (Norm) ausschlielilich die Verhaltensanforderung ohne die in der angewendeten Norm vorgesehene Rechtsfolge heranzuziehen, sondern eine andere auszuwahlen. Aufgrund der oben angefuhrten Kritikpunkte, welche sich unter mangelnde Prazision, Handhabbarkeit und Rechtssicherheit gruppieren lassen, solI die Van Eycke-Formel ersatzlos aufgegeben werden. Staatliches Verhalten kann und solI mit Hilfe der Grundfreiheiten erfasst werden, privates Verhalten, das bislang das akzessorische unternehmerische Verhalten im Rahmen der Van Eycke-Formel darstelIte, solI anhand wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen iiberpruft werden.
1473 EuGH Rs, 123/83 Bureau national interprofessionel du cognac (BN1C) gegen Guy Clair, Slg. 1985, 402. Fur eine Besprechung dieser Rechtssache vgl. de Cockboume, Anmerkungen zu "BN1C/Clair", RTDE 1985, 392. 1474 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Giiterfernverkehr gegen Gebriider Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
4.3. Wettbewerbsrecht VS. drittwirkende Grundfreiheiten: Vorschlag zur Lbsung einer Normenkollision
Fur die an dieser Stelle vorzunehmenden Dberlegungen ist in dieser Arbeit eine kurze Definition der Normenkollision zu skizzieren; diese solI aus nationalem Recht iibernommen werden, da diese Definition keine spezifisch-nationalen Komponenten aufweist und daher fur die Anwendung im Rahmen des EG-Rechts geeignet erscheint. Nach Bydlinski liegt eine Antinomie dann vor, wenn fur dense1ben Sachverhalt durch zwei verschiedene Normen Rechtsfolgen angeordnet werden, die miteinander unvereinbar sind. Da zwei einander widersprechende Rechtsnormen in einer Rechtsordnung nicht gleichzeitig rechtens sein konnen, ist ein solches Ergebnis im Sinne einer abgrenzenden Losung so weit als moglich zu vermeiden.If" Fur den hier angesprochenen Bereich der Grundfreiheiten des EG sowie der Vorschriften der Art. 81 ff. EG, da deren Adressatenkreis und deren materieller Anwendungsbereich sich zumindest teilweise uberschneiden konnen, konnen die Rechtsfolgen und Verfahren zur Beachtung dieser Normenkomplexe jedoch einander ausschliefsen. Der EuGH se1bst ist in der neueren Rechtsprechung urn eine klare Trennung der jeweiligen materiellen Anwendungsbereiche bemuht. 14 76 Aufgrund der notwendigerweise kasuistischen Betrachtung lasst sich eine solche Trennung in allgemeiner Art und Weise nicht leicht bewerkstelligen: In der Rechtssache Meca-Medina halt der Gerichtshof zunachst fest, dass in Bezug auf ein sportliches Rege1werk zunachst die Anwendbarkeit der Art. 39 EG und 49 EG zu untersuchen sei; auiserdem sei zu priifen, .ob die Regeln fur diese Tiitigkeit unter Bericcksicbtigung des Tatbestands der Artikel 81 EG und 82 EG
von einem Unternehmen aufgestellt wurden, ob dieses den Weubewerb bescbrankt und ob diese Bescbrdnkung oder dieser Missbrauch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeintrachtigt. "1477 Das angefiihrte Urteil stellt fur den Rechtsanwender gerade kein klares Abgrenzungskriterium zwischen diesen Normenkomplexen zur Verfiigung. Muller-Graff benennt des Weiteren eine Reihe von hande1shindernden Praktiken rechtlicher oder faktischer Natur, welche von Privaten wie intermediaren Gewalten gesetzt werden konnen und einer solchen Antinomie unterliegen konnten. Diese sind etwa: rechtlich oder faktisch bindende Rege1n sowie Aufrufe von Parteien, Wirtschaftsverbanden, Berufsverbanden oder
1475 Bydlinski, juristische Methodenlehre und Reehtsbegriff, 2. Auf!. (1991),463. 1476 Vgl. etwa EuGH Rs, C-519/04 P David Meca-Medina und Igor Majcen gegen Kornmission der Europaischen Gemeinsehaften, Slg. 2006, 1-6991. 1477 EuGH Rs. C-519/04 P David Meea-Medina und Igor Majcen gegen Kommission der Europaischen Gemeinsehaften, Slg. 2006, 1-6991, (1- 7020).
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Gewerkschaften zum ausschlieislichen Kauf inlandischer Waren; Grenzblockaden von Landwirtschaftsverbanden; Weigerungen von Gewerkschaften, Schiffe mit Waren aus anderen Mitgliedstaaten zu entladen; Boykottaufrufe von Vereinen gegen moralgefahrdende Schrifren.Y" Forsthoff konstruiert eine Reihe zusatzlicher Fallkonstellationen, etwa: Weigerung einer Rechtsanwaltskanzlei, einen Rechtsanwalt aus einem anderen Mitgliedstaat als Partner aufzunehmen, da diese Kanzlei deutsche Volljuristen bevorzuge; Ablehnung der Einstellung eines Kellners in einem typisch bayrischen Bierlokal, da der Stellenbewerber nicht der bayerischen Mundart machtig sei; Abweisung einer Bewerberin urn den Posten eines Hausmadchens im Hinblick auf ihre Nationalitat, wenn die Bewerberin El.f-Biirgerin ist; Regelung in AGBs eines Versicherungsunternehmens, die hohere Pramien fur EUBurger vorsehen.l"? Parpart fugt dieser Aufzahlung eine weitere Reihe von Beispielen hinzu, erwa Weigerung eines Hauseigentiimers, an auslandische Mieter zu vermieten; Weigerung einzelner Burger, Dienstleistungen auslandischer Arzte in Anspruch zu nehmen; Vorschriften von Aktiengesellschaften, die die Ubertragung von Aktien an auslandische Burger verbieten; oder aber Proteste und Blockadeaktionen gegen auslandische Konkurrenten (etwa im medizinischen Bereich). 1480 Wahrend sich die aus dem Beitrag von Forsthoff ausgewahlten Fallbeispiele unter Heranziehung der relevanten Personenverkehrsfreiheit mit Drittwirkung prima facie losen lassen - die Problematik der Rechtfertigungsgninde an dieser Stelle ausgespart - ergeben einige der von M iiller-Graff vorgeschlagenen Fallkonstellationen eine Antinomie zwischen drittwirkender Grundfreiheit und Kartellverbot: Es sind dies die (nunmehr abgewandelten) Fallkonstellationen "rechtlich oder faktisch bindende Regeln sowie Aufrufe von einzelnen Unternehmen, Parteien, Wirtschaftsverbanden, Berufsverbanden oder Gewerkschaften zum ausschlielilichen Kauf inlandischer Waren" und Boykottaufrufe von Vereinen gegen Inanspruchnahme auslandischer Arbeitskrafte. Doch auch zumindest eine der von Forsthoff vorgeschlagenen Fallkonstellationen eignet sich zur Umarbeitung: Regelung in AGBs eines Versicherungsunternehmens, die hohere Pramien fur EU-Burger vorsehen, sofern hinter dieser Praktik eine Absprache der handelnden U nternehmen liegt.
1478 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1061. 1479 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten, Das EuGH-Urteil Angonese, EWS 2000,389, (395). 1480 Parpart, Die unmittelbare Bindung Privater an die Personenverkehrsfreiheiten im europaischen Gemeinschaftsrecht (2003),7,255.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
Da im oberen Abschnitt die ersatzlose Aufgabe der Van Eycke-Formel vorgeschlagen wurde, kann etwaige staatliche Sanktionierung unternehmerischen Verhaltens anhand der betroffenen Grundfreiheit a11ein gemessen werden. Bei Absprache von Unternehmen oder Unternehmensverbanden, einen Boykott gegen auslandische Arbeitskrafte vorzunehmen und durchzuhihren - eine faktische Konste11ation, die vermutlich auch der Rechtssache Bosman zugrunde liegt - ist zu iiberlegen, ob eine Antinomie vorliegt: Ein Boykott wird unter den oben genannten Bedingungen unter den Tatbestand des Art. 81 EG subsumiert.lt" In dem hier vorgeschlagenen System unterliegen jedoch Private wie interrnediare Gewalten - und als solche ist ein Unternehmensverband (vermutlich) zu qualifizieren - den Personenverkehrsfreiheiten jedenfalls im Hinblick auf das in dies em enthaltene Diskriminierungsverbot. Da Art. 81 Abs. 3 EG die Sanktion der Nichtigkeit nach sich zieht, und eine Grundfreiheit zu der Unanwendbarkeit der inkriminierten Maiinahme kraft ihres Vorrangs fiihrt, erscheinen diese Rechtsfolgen miteinander nicht vereinbar. Eine derartige Ma6nahme kann jedoch im System der unmittelbar drittwirkenden Grundfreiheit moglicherweise gerechtfertigt werden. Des Weiteren weichen die Verfahren zur Wahrnehmung eines Verstofses gegen eine Grundfreiheit oder gegen EG-Wettbewerbsrecht betrachtlich voneinander abo Fur die Losung dieser Antinomie sol1 der Vorschlag von M idler-Graff herangezogen werden: Dieser schlagt vor, die Bindung privater Kollektivpraktiken und einzelner im System des EG-Vertrages hinter die Spezialvorschriften der Art. 81 und 82 EG-Vertrag zuriicktreten zu lassen. 1482 Eine solche Losung errnoglicht es, aus dem Tatbestand einer dritrwirkenden Grundfreiheit jene Tatbestande auszuschlieisen, die bereits den Art. 18 und 82 EG unterliegen. Daher sol1 vorgeschlagen werden, bei Dberschneidung der Tatbestande einer drittwirkenden Personenverkehrsfreiheit und der Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrages erstere als lex specialis zu betrachten: Da fur denselben Sachverhalt durch zwei verschiedene Normen Rechtsfolgen angeordnet werden, die miteinander unvereinbar sind und einander widersprechende Rechtsnormen in einer Rechtsordnung nicht gleichzeitig rechtens sein konnen, ist ein solches Ergebnis im Sinne einer abgrenzenden Losung so weit als moglich zu vermeiden.
1481 Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europaischen Kartellrecht, Band I, 9. Aufl. (2001), 1805. 1482 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag tiber die Europaische Union und Venrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Aufl. (2003), 1063.
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Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
5. Rechtfertigungsgrunde fur Private: Die Kategorie der "sachlichen Erwagungen"
Eine Ausdehnung des Kreises der Normadressaten - fur diese Frage ist es jedoch von Bedeutung zu unterscheiden, ob Private anhand ihrer abstrakten Befugnis zu Normadressaten werden oder tiber die von ihnen gesetzten Malinahmen kollektiver N atur erfasst werden - zieht notwendigerweise auch eine Erweiterung des Katalogs von Rechtfertigungsgriinden nach sich. Die hier vorzunehmenden Dberlegungen sollen nicht nach dem bislang angewendeten System, namlich einerseits Drittwirkung gegeniiber Privaten und Dritrwirkung gegenuber interrnediaren Gewalten, gegliedert werden, sondern nach Rechtfertigungsmoglichkeiten fur direkte Diskriminierungen, Rechtfertigung fur indirekte Diskriminierungen und Rechtfertigung fur Beschrankungen. Innerhalb dieser Kategorien soll Freilich die bislang verwendete Systematik beibehalten werden. Wiihrend bei Vorliegen einer direkten Diskriminierung eine Rechtfertigung bloG mit im EG-Vertrag - oder im jeweiligen Sekundarrechtsakt - vorgesehenen Rechtfertigungsgriinden moglich ist, ist bei Vorliegen einer indirekten Diskriminierung eine Rechtfertigung mit sachlichen Grunden des Allgemeininteresses moglich; diese mussen jedoch angemessen, notwendig und nicht auf das verponte Unterscheidungsmerkmal bezogen sein. 1483 An dieser Stelle ist zu unterscheiden - noch im Bereich der Rechtfertigung fur intermediate Gewalten - ob diese eine Maisnahme im offentlichen Interesse setzen, oder ob diese Malsnahme in dem privatautonom zu wahrenden Interesse der interrnediaren Gewalt selbst liegt. Liegt die Matinahme im offentlichen Interesse, so kann sie mit den bereits im EG-Vertrag vorgesehenen Rechtfertigungsgriinden (moglicherweise) gerechtfertigt werden. Liegt eine Malinahme einer interrnediaren Gewalt jedoch nicht im offentlichen Interesse, oder wird eine unmittelbare Diskriminierung von einem Privaten vorgenommen, so erweisen sich diese Rechtfertigungsgriinde als nicht tauglich. In einem solchen Fall stehen zwei Alternativen zur Auswahl: Zunachst kann auf Ebene des Tatbestandes argumentiert werden, dass keine Diskriminierung vorliege. Der allgemeine Gleichheitssatz des Gemeinschafts-
1483 Vgl. etwa Art. 2 Abs.2 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 tiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998, 6. [...J "Liegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich hoheren Anteil der Angehorigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn die betreffenden Vorschriften sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene Griinde gerechtfertigr."
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
rechts wird als allgemeiner Rechtsgrundsatz, der seinen Ursprung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten findet, vom EuGH wie folgt definiert:
"Nach diesem Grundsatz durfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedfich behandelt werden, es sei denn, dass eine Diskriminierung objektiv gerecbtfertigt ist."1484 Eine tatsachliche Rechtfertigung ist aufgrund der Schutzbediirftigkeit des Individuums sowie systematischer Erwagungen nicht moglich und wiinschenswert. Bei Vorliegen einer Beschrankung oder einer indirekten Diskriminierung kann auf die "zwingenden Erfordernisse des Allgerneininteresses" zuriickgegriffen werden. Fur die Belange dieser Arbeit soll die Kategorie der "zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses" als eine solche der "zwingenden Erfordernisse des Individualinteresses" bezeichnet werden. Als hilfreich fur das hier vertretene Konzept erweist sich, dass der EuGH in der Rechtssache Anganese die Kategorie der "zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses" als .sacbfiche Eruidgungen, die unabbiingig von der Staatsangehorigkeit der betroffenen Person und in Bezug auf das berechtigterweise verfolgte Ziel oerhaltnismaflig sind"1485 bezeichnet. Unterstiitzend kann festgehalten werden, dass die bei Art. 28 EG angesiedelten zwingenden Erfordernisse auch bei vorsichtiger Betrachtung jedenfalls Erwagungen finanzieller Natur zulassen.V'" wahrend die Rechtfertigungsgrunde des Art. 30 EG ausschlieislich einer nichtwirtschaftlichen Betrachtung zuganglich sind. Fur die Zwecke dieser Arbeit ist gleichwohl zu bedenken, dass der bislang bestehende Katalog zwingender Erfordernisse sich im Wesentlichen bloB fur eine Geltendmachung durch Mitgliedstaaten oder im offentlichen Interesse eignet. Kern- und Angelpunkt des neu zu entwickelnden Katalogs von Rechtfertigungsgrunden im Sinne von sachlichen Erwagungen fur Private und interrnediare Gewalten liegt in der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Familiapressl487: In dieser Entscheiclung erkennt der EuGH das Grundrecht auf Meinungsfreiheit - gekleidet in das zwingende Erfordernis der Medienvielfalt 1484 EuGH verb. Rs. 117/76 und 16/77 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzhoe, Slg. 1977, 1753, (1770). 1485 EuGH Rs. C-281/98 Roman Angonese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000, 1-4139, Rz. 42. 1486 Forsthoff, Drittwirkung der Grundfreiheiten, Das EuGH-Urteil Anganese, EWS2000, 389, (395). 1487 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689.
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Dr ittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
und moglicherweise der damit ver bu nd enen mitgliedstaatlichen Schutzpflicht - als zwingendes Erfordernis an. Der hier vorgeschlagenen Syst ernatik folgend ist jedoch fur den Bereich unmittelbarer Diskriminierung cine Abanderung in der Systernatik der Rechtfertigungsgriinde erforderlich: Wahrend unmittelbare Di skriminierung im Allgemeinen bloB mit im EG-Vertrag vorgesehenen Rechtfertigungsgrunden ger echtfertigt werden kann, soll aus schlielilich fur den Ber eich der Drittwirkung der Ansatz der zwingenden Erfordernisse des Individualinteresses eingefiihrt werden: Anzusetzen ist fur den zu erarbeitenden Katalog daher an der Anerkennung der von Muller-Graff vorgeschlagenen Freiheitsrechte - wie bereits im Schlussantrag von GA Albers in Lehtonen angesprochen 1488 - die vom Gemeinschaftsrecht nach den allgemeinen Rechtsgrundsatzen anzuerkennen sind: Diese sind etwa Privatautonomic, Gewerbefreiheit sowie Meinungsfreiheit.l'"? Zu iibemehmen ist an dieser Stelle auch die sachliche Erwagung der Vereinigungsfreiheit, die in der Rechtssache Bosman geltend gemacht wurde. Die Bedeutung privatautonomer Rechtsgestaltung kann als geradezu grundlegend fur das System des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden. 1490 Freilich muss es sich hierbei, wie bereits seitens des EuGH betont, urn sachliche Erwagungen handeln, die sich nichr auf die Staatsangehorigkeit des Individuu ms beziehen diirfen. Die Geltendmachung dieser Rechtfertigungsgriinde ist - von dem nationalen Richter wie von dem Gemeinschaftsrichter - einer angemessenen Verhaltnismaliigkeitspriifung zu unterziehen. Die Anforderungen an diese VerhaltnismaBigkeitspriifung sind jedoch nicht - erwa je nach Ausrnaf der offentlichen Auswirkung einer Kollektivmaflnahme oder der Form des Einzelverhaltenszu nuancieren.!'?! Zu nuancieren ist nach dem in dieser Arbeit vert retencn Standpunkt nach Schwere und Ausmaf des verponten Verhaltens, namlich direkte Diskriminierung, indirekte Diskriminierung, sowie Beschrankung und nach der Schutz1488 Eu G H Rs. C-176 /96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale beIge des societes de basket-ball ASBL (FRBSB), Schlussantrag GeneralanwaltAlbers , Slg, 2000, 1-2682, (1-2701). 1489 Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in von der Groeben/Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeins chaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1063. 1490 Storme , Freedom of Contract: Mand atory Rules and Non-Mandatory Rules in European Contract Law, ERPL 2007, 233, (234 ff); Muller-Graff, Privatre cht und Europaisches Gemeinschaftsrecht, in Miiller-Graff/Zuleeg (H g.), Staat und Wirtschaft in der EG (1987), 17. 1491 a. A. Muller-Graff, Kommentar zu Art. 28 EG, in v on der Groeben/ Schwarze (Hg.), Vertrag iiber die Europaische Union und Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft - Kommentar, Band I, 6. Auf!. (2003), 1063.
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Unmittelbare Drittwirkung von Grundfreiheiten: Ein Modell
bedurftigkeit des (diskriminierten) Individuums. Letzteres Kriterium tangiert jedoch mittelbar die Frage nach dem Vorliegen einer kollektiven Maiinahme, da gegeniiber einer solchen im Regelfall das Individuum eher Bedarf an Schutz verspiirt als gegeniiber einer privaten Maisnahme. 6. Rechtsfolgen eines VerstoBes und Verteilung der Beweislast
In diesem Ietzten Kapitel soll zunachst die Frage nach den Rechtsfolgen eines "privaten" Verstofses gegen unmittelbar drittwirkende Grundfreiheiten angesprochen werden. Da das Konzept der Drittwirkung von Grundfreiheiten ein judiziell geschaffenes Rechtskonzept darstellt, findet sich hierzu kein Anhaltspunkt im EG-Vertrag selbst. Dieser Problemstellung kann man von zwei Seiten naher treten: Die eine Betrachtungsweise griindet auf die Vorschrift des Art. 10 EG-Vertrag, der Loyalitatsverpflichtung von Mitgliedstaaten gegeniiber der Gemeinschaft sowie vice-versa. Aus dieser Vorschrift sowie aus Art. 233 EG-Vertrag lasst sich eine Verpflichtung eines Mitgliedstaates ableiten, einem Urteil des EuGH Folge zu leisten. Diese Betrachtung kann jedoch mit Hinweis auf den Adressatenkreis des Art. 10 EG-Vertrag abgebrochen werden, da Private jedenfalls nicht zu diesem Kreis zahlen, Eine zweite Betrachtung erfliefst aus der Vorschrift des Art. 81 Abs.2 EGVertrag, welcher die Nichtigkeit einer dieser Vorschrift widersprechenden Vereinbarung normiert. Eine derartige Rechtsfolge findet sich jedoch im Bereich der Grundfreiheiten nicht. Daher wird vorgeschlagen, im Falle eines Versroises gegen eine drittwirkende Grundfreiheit die Rechtsfolgen in der Ausgestaltung den nationalen Rechtssystemen zu iiberlassen. Diese sollen jedoch unter der Anforderung des EG-Rechts stehen, dass sie namlich effektiv sein mussen, sowie den EG-rechtlichen Anspruch gegenuber nationalen Ansprtichen nicht diskriminieren durfen. Die Voraussetzungen der effektiven Durchsetzung des EG-Rechts sowie der Nichtdiskriminierung eines EG-rechtlichen Anspruches finden sich in zahlreichen Bereichen des EG-Rechts, etwa in dem Recht der Staatshaftung'<"? oder jenem der Riickforderung zu Unrecht bezahlter Abgaben 1493 • Schlie61ich ist zu erwagen, welche Varianten der Verteilung der Beweislastjene im Rahmen der Grundfreiheiten und des Art. 12 EG oder aber jene des zu
1492 EuGH Rs, C-302/97 Klaus Konle gegen Republik Osterreich, Slg. 1999,1-3039. 1493 EuGH Rs. 309/85 Bruno Barra gegen den Belgischen Staat und die Stadt Liittich, Slg. 1988,355.
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Drittwirkung von Grundfreihe iten: Ein Modell
Art. 13 und zu der Gleichbchandlung der Geschlechter'<" - im Rahmen der Dritrwirkung der Grundfreiheiten angemessen erscheint. Di e Verteilung der Beweislast in einem solchen Verfahr cn soll ebenso den o ben genannten Anforderungen geniigen; aufgrund der Wertung eines etwaigen Verstolies gegen eine unmittelbar dritrwirkende Grundfreiheit sowie des damit verbundenen, betrachtlichen Eingriffs in die Privatautonornie solI an dieser Stelle keine Verlagerung der Beweislast vorgeschlagcn werden. Die Verteilung der Beweislast richter sich - in gleicher Weise wi e die Rechtsfolgen nach dem national anwendbaren Recht.
1494 Richtlinie 97/80 /EG des Rates vorn 15. Dezember 1997 iiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des G eschlechts, ABI L 14/1998 , 6; De ren Art. 4 Iautet wie foIgt : (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit dem System ihre r nationalen Gerichtsbarkeit die erforderlichen Mafinahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gl eichbehandlungsgrundsatzes fur beschwert halren und bei einem Gericht bzw. einer anderen zustandigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren D iskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletz ung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorg elegen hat. [ ...] (3) Die Mitgliedstaaten konnen davon absehen, Ab satz 1 auf Verfahre n anzuwenden, in denen die Ermittlung des Sachverhalts dem Geri cht oder einer anderen zus tandigen Stelle 0 bliegt.
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Anhang
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435
Anhang
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Beraud, Les mesures d'eHet equivalent au sens des articles 30 et suivants du Traite de Rome, RTDE 1968,265 Bercusson, The Trade Union Movement and the European Union: Judgment day, ELJ 2007 Berg, Kornmentar zu Art. 288 EG-Vertrag, in Schwarze, EU-Kommentar 2000 (2000) Berger, Auswirkungen der Europaischen Menschenrechtskonvention auf das osterreichische Zivilrecht, JB11985, 142 Bernard, Discrimination and Free Movement in EC Law, ICLQ 1986,82 Berka, Der Schutz der freien Meinungsaufserung im Verfassungsrecht und im Zivilrecht, ZfRV 1990, 35 Biondi, The Year 2000: Recent Developments in the Case Law of the Community Courts, EPL 2001, 493 Blaise, Respect des articles 85 et 86 du traite par les Etats membres. Legislation interne relative au prix du livre et au prix de l'essence, RTDE 1987,672 Blanke, Viking und Laval vor dem Europaischen Gerichtshof, AuR 2007,249 Bleckmann, Die umgekehrte Diskriminierung (discrimination a rebours) im EWG-Vertrag, RIW 1985,917 Borner, Rechtsfragen des Zahlungs- und Kapitalverkehrs in der EWG, EuR 1966, 97 Borner, SchutzmaBnahmen auf dem Gebiet des Warenverkehrs, in Borner (Hg.), Studien zum Deutschen und Europaischen Wirtschaftsrecht, Bd. III, KSE 30, 1980,43 Borner, Der rechtliche Nutzen logischer Fehler, oder: Die Richtlinien des EWGV, oder: Rechtsanwendung v. Rechtsetzung, in MusielaklSchurig (Hg.), Festschrift fiir Gerhard Kegel (1987), 57 Bradley, Legal Developments in the European Parliament, 9 YEL 1989,235 Braselrnann, Ubernationales Recht und Mehrsprachigkeit, EuR 1992, 55 Brealey, The Burden of Proof Before the European Court, ELR 1985,250 Burgi, Mitgliedstaatliche Garantenpflicht start unmittelbare Drittwirkung der Grundfreihciten, EWS 1999, 327 Bydlinski, Bemerkungen iiber Grundrechte und Privatrecht, OZOR 1962/63,428 Bydlinski, Die Grundrechte in Relation zur richterlichen Gewalt, Zivilrechtliches Referat Juristentag 1961, ORZ 1965,67 Campogrande, Les regles de concurrence et les entreprises sportives professionelles apres I'arret Bosman, RMU 1996, 45 Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in Koziol (Hg.), Im Dienst der Gerechtigkeit - Festschrift fur Franz Bydlinski (2002), 47 Candela Soriano, Le traite CE et la fixation des prix dans Ie secteur du livre, RDUE 2000,361 Cann izzaro, Producing "Reverse Discrimination" Through the Exercise of EC Competences, YEL 1997,29 Cerexhe, L'Egalite de Traitement dans l'Ordre Juridique Communautaire, in ManinlNa[ilyan/MegretlBerlinlBesse-Desmouliereslde Perier (Hg.), Etudes de Droit des Communantes Europeennes - Melanges oHerts a Pierre-Henri Teitgen (1984), 3 Chalmers, Repackaging the Internal Market - The Ramifications of the Keck Judgment, ELR 1994, 385 de Cockborne, Anmerkungen zu "BN ICIC lair", RTDE 1985,392 Coen, Kommentar zu Art. 141, in LenzlBorchardt (Hg.), EU/EG-Kommentar, 4. Aufl. (2006),1605 Crisham, The Equal Pay Principle: Some Recent Decisions of the European Court of Justice, CMLR 1981,601
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Aufsatze und Beitraqe in Sammelwerken
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Aufsatze und Beitraqe in Sammelwerken
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A uf satze und Beitrage in Sammelwerken
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Anhang
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Aufsatze und Beitrage in Sammelwerken
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Anhang Scheuer, Vorbemerkung zu Art. 43-48, in Lenz (Hg.), EU- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Auf!. (2006), 701 Scheuer, Kommentar zu Art. 48, in L enz (H g.), EU- und EG-Vertrag Kornmentar, 4. Auf!. (2006),738 Schilling, Gleichheitssatz und Inlanderdiskriminierung, JZ 1994, 8 Schlag, Kommentar zu Art. 43 EG-Vertrag in Schwarze (H g.), EU-Kommentar (2009), 640 Schodermaier, Die Ernte der "Maissaat": Einige Anmerkungen zum Verhaltnis von Art. 30 und 85 EWG-Vertrag , GRUR Inc. 1987, 85 Schorkopf, Neuer Incerventionsmechanismus der Kommission zur Gew ahrleistung der Warenverkehrsfreiheit, EuZW 1998,237 Schrammel, Freiziigigkeir der Arbeitnehmer in der EU, ecolex 1996,467 Sch roeder, Anmerkung zu "Bosman" , ] Z 1996, 254 Schubert, Europaische Grundfreiheiten und nationales Arbeitskampfre cht im Konflikt, RdA 2008,289 Schiirmann, Kommentar zu Art. 56 EG-Vertrag, in Lenz (Hg.), ED- und EG-Vertrag Kommentar, 4. Auf!. (2006), 828 Schwabe, Bundesverfassungsgericht und "Drittwirkung der Grundrechte", AoR 1975,442 Schwarz e, Anmerkung zu Gleichheit des Arbeitsentgelts fUr Manner und Frauen; Anspriiche fur die Zeit vor der Urteilsverkiindung; Art. 119 EWGV, EuR 1977,42 Schwarz e, Der Staat als Adressat des europaischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000,613 Schwarze, Zum Anspruch der Gcmeinschaft auf polizeiliches Einschreiten der Mitgliedstaaten bei Storungen des grenziiberschreitenden Warenverkehrs durch Private, EuR 1998,53 Secbe, Quand les juges tirent au but: l'arret Bosman du 15 decernbrc 1995, CDE 1996,354 Seidel, Der EWG-rechtliche Begriff der "MaBnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmaBige Beschrankung", N]W 1967, 2081 Shuibne, Free Movement of Persons and The Wholly Internal Rule : Time to Move On?, CMLR 2002, 731 Spaventa, Case Comment, Case C -254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb v, TK-Heimdienst Sass GmbH, Judgment of 13 January 2000, nyr, CMLR 2000,1265 Speye r, Anwendung der Cassis-de-Dijon-Doktrin und Spaltbarkeit reglementierter Tatigkeiten als neue Etappen der Dienstleistungsfreiheit, EuZW 1991, 588 Spink , EC Law and Professional Fo otball: The Bosman Case, EBLR 1996, 55 Stan brook, Ca se Annotation Ahmed Saeed, CMLR 1989, 535 Steindorff, Berufssport im Geme insarnen Markt, RIW 1957,253 Steiner, Drawing the Line: Uses and Abuses of Article 30 EEC, CMLR 1992,749 Stockenhuber, Die neue Freiheit im Profisport, WB11996, 145 Sto cke r, Le Second Arret Defrenne. L'Egalite des remunerations des travailleurs masculins et des travailleurs feminins, CDE 1977, 180 Storme, Freedom of Contract: Mandatory and Non-Mandatory Rules in European Contract Law, European Review of Private Law, Kluwer Law International, Volume 15 No.1, 2007 StreinzlLeible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000, 459 Stuy ck , Observations. L'arret Keck et Mithouard (vente a perte) et ses consequences sur la libre circulation de marchandises, CDE 1994,435 Sz czekalla, Grundfreiheitliche Schutzpf!ichten - eine "neue" Funktion der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts, DVBI 1998, 219 Terhecbte, Kommentar zu Art. 23 EG-Vertrag, in Schwarze (Hg.), EU-Komrnentar (2009), 423
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Aufsatze und Beitraqe in Sammelwerken
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Anhang
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Entscheidungen des EuGH 1955 EuGH Rs. 8/55 Federatio n C harbonniere de Belgique gegen H ohe Behorde, Slg. 1955 /5 6, 197
1959 EuGH Rs. 30/59 De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limb urg gegen H ohe Behorde der EGK S, Slg. 1961, 1
1960 EuG H Rs. 6/60 J ean E. Humblet gegen Belgischen Staat, Slg. 1960, 1163
1961 EuGH Rs. 7/6 1 Kommission der Europaischen Winschaftsgemeinschaft gegen Regieru ng der Italienischen Repu blik, Slg. 1961 ,697 EuG H Rs, 13/6 1 Kledin gverk oop bedr ijf de Geus en Uitdcnbo gerd gegen Rob ert Bosch Gmb H und N .V. Maatschappij tot Voortzetting van de Zaken de Firma Willem van Rijn, Slg. 1962, 97
1962 EuGH Rs. 26/62 N.V. Algemene Transport- en Exped itie O nderne mi ng Van Gend & Loos gegen Nied erland ische Finanzv erwalrung, Slg. 1963, 1 Eu GH Rs, 28-3 0/62 D a Costa & Schaake N .V. u. a. gegen N iederland ische Finanz verwaltung, Slg. 1963, 66
1963 EuGH Rs. 13/63 Italienische Republik gegen Kommission der Euro paischen Winschaftsgemeinschaft, Slg. 1963,357 EuGH Rs. 75/ 63 Frau M.K.H. U n ger, Ehefrau des Herrn R. H oekstra gegen Bedijfsvereniging voo r D etailhandel en Arnbachten, Slg. 1964,379 EuGH Rs. 100/6 3 Frau ]. G . Van der Veen gegen Bestuur van de Sociale Verze kerings bank und in neun anderen Streitsachen, Slg. 1964 ,1216
1964 Eu GH Rs. 6/64 Flaminio Costa gegen E.N.E.L., Slg. 1964, 1251
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Anhang
1965 EuGH Rs. 10/65 Waldema r D eutschmann gegen Bund esrepublik D eutschland , Slg. 1965, 635
1968 Eu G H Rs. 4/6 8 Firm a Schwarzwaldmilch G mbH gegen Einfuhr- un d Vorratsstelle fur Fe tte, Slg. 1968, 561 Eu G H R s. 7/68 Kommission der Europaisc hen G emeinsc haften gegen Italienisc he Republik (Ku nstsc hatze I), Slg. 1968,633 EuG H Rs. 14/ 68 Walt Wilhelm u. a. gegen Bundes karte llamt, Slg. 1969, 2 EuGH Rs. 24/ 68 Kom mission der Europ aisch en Gemeinschaften gegen Italienische Repub lik, Slg. 1969, 193
1969 Eu G H verb. Rs. 2,3/69 Sociaal Fond s de Diamantarbeiders gegen S.A. Ch. Brachfeld and Sons gegen Chougol Diam ond Co., Slg. 1969,211 EuG H Rs. 7/69 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1968,633 EuGH Rs. 29/69 Erich Staud er gegen Stadt V Im, Sozialamt, Slg. 1969, 419
1970 EuG H Rs. 11/ 70 Internation ale H andelsgesellschaft mbH gegen Einfuhr- und Vorratsste lle fur Ge trei de und Fu tt ermittel, Slg. 1970, 1125 Eu G H Rs. 22/70 Komm ission der Europaisc hen Gemeinschaften gegen Rat der Europ aischen G emeinschaften (Europaisches U bereinkommen iiber StraBenverkehr, AETR), Slg. 1971, 263 EuGH R s. 78/70 D eutsche Grammophon G esellschaft mbH gegen Metro Groismarkte GmbH & Co . KG , Slg. 1971,487 EuGH R s. 80/70, Gabrielle D efrenne gegen Belgischen Staat, Slg. 1971, 445
1972 EuGH Rs. 1/72 Rita Frilli gegen Belgischen Staat, Slg. 1972,457 Eu G H Rs. 6/ 72 Europembellage, Slg. 1973, 215 Eu G H R s. 18/72 NV Gr anaria Gr aaninkoopmaatschappij gegen Produktschap voor Veevoeder, Slg. 1972, 1163 Eu G H R s. 29/72 S.p.A. Marimex gegen Italienische Finanzverwaltung, Slg. 1972, 1309
1973 EuGH Rs, 2/ 73 Riseria Lu igi G eddo gegen Ente Nazionale Risi, Slg. 1979, 865 Eu GH Rs. 4/ 73 J. Nold, Kohl en und BaustoffgroBhandlung gegen Komm ission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1974,491 EuG H Rs. 172/ 73 Giovanni Maria Sot giu gegen D eut sch e Bundespost, Slg. 1974, 164
1974 EuG H Rs. 8/7 4 Staatsanwaltschaft gegen Benoit und Gustave D assonville, Slg. 1974, 837
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Entscheidungen des EuGH
EuGH Rs. 12/74 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1975, 181 EuGH Rs. 33/74 Johannes Hericus Maria van Binsbergen gegen Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid, Slg. 1974,1299 EuGH Rs. 36/74 B.N.O. Walrave und L.].N. Koch gegen Association Union Cycliste Internationale, Koninklijke Nederlandsche Wielren Unie und Federacion Espanola Ciclismo, Slg. 1974, 1405 EuGH Rs. 41/74 Yvonne van Duyn gegen Home Office, Slg. 1974, 1337
1975 EuGH Rs. 36/75 Roland Rutili gegen Minister des Inneren, Slg. 1975, 1219 EuGH Rs. 43/75 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1976,455 EuGH Rs. 59/75 Staatsanwaltschaft gegen Flavia Manghera und andere, Slg. 1976,91 EuGH Rs. 118/75 Lynne Watson und Alessandro Belman, Slg. 1976, 1185
1976 EuGH Rs. 3, 4 und 6/76 Cornelis Kramer und andere, Slg. 1976,1279 EuGH Rs. 13/76 Dona gegen Mario Mantero, Slg. 1976,1333 EuGH Rs. 35/76 Simmenthal S.p.A. gegen Italienisches Finanzrninisterium, Slg. 1976, 1871 EuGH Rs. 46/76 W.].G. Bauhuis gegen Niederlandischen Staat, Slg. 1977,5 EuGH Rs. 71/76 Jean Thieffry gegen Conseil de l'Ordre des avocats bei der Cour d'appel Paris, Slg. 1977, 765 EuGH Rs. 90/76 Srl Ufficio Henry Van Ameyde gegen Srl Ufficio Centrale Italiano di Assistema Assicurativa Automobilisti in Circolazione Internazionale (UCI), Slg. 1977, 1091 EuGH Rs. 117176 und 16/777 Albert Ruckdeschel & Co. und Hansa-Lagerhaus Stroh & Co. gegen Hauptzollamt Hamburg-St. Annen; Diamalt AG gegen Hauptzollamt Itzehoe, Slg. 1977, 1753
1977 EuGH Rs. 1/77 Robert Bosch GmbH gegen Hauptzollamt Hildesheim, Slg. 1077, 1473 EuGH Rs, 5/77 Carlo Tedeschi gegen Denkavit Comerciale S.r.l.,Slg. 1977,1555 EuGH Rs. 13/77 GB-INNO-BM gegen Vereniging van der Klienhandelaars in Tabak (ATAB), Slg. 1977,2115 EuGH Rs. 19/77 Miller International Schallplarten GmbH gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1978, 131 EuGH Rs. 30/77 Pierre Bouchereau, Slg. 1977, 1999 EuGH Rs. 106/77 Staatliche Finanzverwaltung gegen S.p.A Simmenthal, Slg. 1978,629 EuGH Rs. 179/77 Gabrielle Defrenne gegen Societe anonyme belge de navigation aerienne Sabena, Slg. 1978, 1364
1978 EuGH Rs. 115/78]. Knoors gegen Staatssekretar fur Wirtschaft, Slg. 1979,399 EuGH Rs. 120/78 Rewe-Zencral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung fur Branntwein, Slg. 1979, 649 EuGH Rs. 136/78 Strafsache gegen Vincent Auer, Slg 1979, 437
451
Anhang
EuGH Rs. 151/78 Sukkerfabriken Nykobing Limiteret gegen Landwirtschaftsministerium, Slg. 1979, 1 EuGH Rs. 175/78 Vera Ann Saunders, Slg. 1979, 1129 EuGH Rs. 209 bis 215 und 218/78 Heintz van Landewyck Sari und andere gegen Komrnission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1980, 3125 EuGH Rs. 230/78 S.p.A. Eridania - Zuccherifici Nazionali und S.p.A. Societa per l'industria degli zuccheri gegen Minister fur Landwirtschaft und Forsten, Slg. 1979,2749 EuGH Rs. 251/78 Firma Denkavit Futtermittel GmbH gegen Minister fur Ernahrung, Landwirtschaft und Finanzen des Landes Nordrhein-Wesdalen, Slg. 1979, 3369
1979 EuGH Rs. 15/79 P.B. Groenveld BV gegen Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1979,3409 EuGH Rs, 34/79 Strafverfahren gegen Maurice Donald Henn und John Frederick Ernest Darby, Slg. 1979,3795 EuGH Rs. 44/79 Liselotte Hauer gegen Land Rheinland Pfalz, Slg. 1979,3727 EuGH Rs. 52/79, Strafverfahren gegen Marc J.v.c. Debauve und andere, Slg. 1980,833 EuGH Rs, 61/79 Amministrazione delle Finanze dello Stato gegen Denkavit Italiana Sri, Slg. 1980,1205 EuGH Rs. 104/79 Pasquale Foglia gegen Mariella Novello, Slg. 1980,745 (Foglia-Novello I) EuGH Rs, 149/79 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1980, 3881 EuGH Rs. 788/79 Strafverfahren gegen Herbert Gilli und Paul Andres, Slg. 1980,2071
1980 EuGH Rs. 27/80 Strafverfahren gegen Amon Adriaan Fietje, Slg. 1980,3839 EuGH Rs. 58/80 Dansk Supermarked A/S gegen A/S Imerco, Slg. 1981, 181 EuGH Rs, 60 und 64/80 Societe Cinetheque S.A. und andere gegen Federation Nationale des Cinemas Francais, Slg. 1985, 2605 EuGH Rs. 96/80 J.P. Jenkins gegen Kingsgate (Clothing Produktions) Ltd., Slg. 1981, 911 EuGH Rs. 113/80 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1981, 1625 EuGH Rs. 126/80 Maria Salonia gegen Giogio Poidomani und Franca Giglio, verwirwete Baglieri, Slg. 1981, 1563 EuGH Rs, 155/80 Buggeldverfahren gegen Sergius Oebel, Slg. 1981, 1993 EuGH Rs. 188 bis 190/80Franzosische Republik, Italienische Republik und Vereinigtes Konigreich Grofsbritannien und Nordirland gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1982, 2545 EuGH Rs. 244/80, Pasquale Foglia gegen Mariella Novello, Slg. 1981,3045 (Foglia Novello II)
1981 EuGH Rs, 53/81 D.M. Levin gegen Staatssecretaris van justitie, Slg. 1982,1035 EuGH Rs. 61/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Grofsbritannien und Nordirland, Slg. 1982,2601 EuGH Rs. 75/81 Joseph Henri Thomas Blesgen gegen Belgischer Staat, Slg. 1982, 1211
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Entscheidungen des EuGH
EuGH Rs. 95/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1982,2187 EuGH Rs. 97/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich der Niederlande, Slg. 1982, 1819 EuGH Rs. 220/81 Strafverfahren gegen Timothy Frederick Robertson und andere, Slg. 1982, 2349 EuGH Rs. 249/81 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1982, 4005 EuGH Rs. 283/81 Sri CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanita, Slg. 1982,3415 EuGH Rs. 286/81 Strafverfahren gegen Oosthoek's Uitgeversmaatschappij BV, Slg. 1982, 4575 EuGH Rs. 314 bis 316/81 und 83/82 Procureur de la Republique und Cornite national de la defense contre l'alcoolisme gegen Alex Waterkeyn und andere; Procureur de la Republique gegenJean Cayard und andere, Slg. 1982,4337 1982
EuGH Rs. 35 und 36/82 Elestina Esselina Christina Morson gegen Niederlandischen Staat und Leiter der Ortspolizeitbehorde im Sinne der Vreemdelingenwet; Sewradjie Jhanjan gegen Nicdcrlandischen Staat, Slg. 1982,3723 EuGH Rs. 40/82 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Grossbritannien und Nordirland, Slg. 1982,2793 EuGH Rs. 42/82 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1983, 1013 EuGH Rs. 59/82 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb in der Wirtschaft gegen Weinvertriebs GmbH, Slg. 1983, 1217 EuGH Rs. 163/82 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1983, 3273 EuGH Rs. 177 und 178/82 Strafverfahren gegenJan van de Haar und Kaveka de Meern BV, Slg. 1984, 1797 EuGH Rs. 238/82 Duphar BV und andere gegen Niederlandischer Staat, Slg. 1984,523 EuGH Rs. 286/82 und 26/83 Graziana Luisi und Giuseppe Carbone gegen Ministerio del Tesoro,Slg.1984,377
1983
EuGH Rs. 72/83 Campus Oil Limited und andere gegen Minister fur Industrie und Energie und andere, Slg. 1984,2727 EuGH Rs. 107/83 Ordre des avocats au barreau de Paris gegen Onno Klopp, Slg. 1984,2971 EuGH Rs. 123/83 Bureau national imerprofessionel du cognac (BNIC) gegen Guy Clair, Slg. 1985,402 EuGH Rs. 180/83 Hans Moser gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg. 1984,2539 EuGH Rs. 220/83, Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Frankreich, Slg. 1986, 3663 EuGH Rs. 222/83 Apple and Pear Development Council gegen K.J.Lewis Ltd. und andere, Slg. 1983,4083 EuGH Rs. 229/83 Association des Centres distributeurs Edouard Leclerc und andere gegen Sari "Au ble vert" und andere, Slg. 1985, 1
453
Anhang
EuGH Rs. 231/83 Henri Cullet gegen Centre Leclerc, Toulouse und Centre Leclerc, SaintOrens-de-Gameville, Slg. 1985, 316 EuGH Rs. 248/83 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1985, 1459 EuGH Rs. 251/83 Eberhard Haug Adrion gegen Frankfurter Versicherungs AG, Slg. 1984, 4277 EuGH Rs. 294/83 Parti ecologists "Les Verts" gegen Europaisches Parlament, Slg. 1986, 1339,1366 1984
EuGH Rs. 35/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1986, 545 EuGH Rs, 41/84 Pietro Pinna gegen Caisse d'allocations familiales de la Savoie, Slg. 1986, 17 EuGH Rs. 170/84 Bilka-Kaufhaus GmbH gegen Karin Weber von Hartz, Slg. 1986, 1607 EuGH Rs. 176/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland, Slg. 1987, 1193 EuGH Rs. 188/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik ("Holzverarbeitungsmaschinen"), Slg. 1986,419 EuGH Rs, 205/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1986,3755 EuGH verb. Rs. 209 bis 213/84 Ministere public gegen Lucas Asjes und andere, Andrew Gray und andere, Jacques Maillot und andere und Leo Ludwig und andere, Slg. 1986, 1425 EuGH Rs. 235/84 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1986,2291
1985
EuGH Rs. 59/85 Niederlandischer Staat gegen Ann Florence Reed, Slg. 1986, 1283 EuGH Rs. 66/85, Deborah Lawrie-Blum gegen Land Baden-Wiirttemberg, Slg. 1986,2121 EuGH Rs. 79/85 D.H. M. Segers gegen Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Bank- en Verzekeringswesen, Groothandel en Vrije Beroepe, Slg. 1986,2375 EuGH Rs. 85/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1986, 1149 EuGH Rs. 96/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1986, 1475 EuGH Rs. 121/85 Conegate Ltd. gegen H. M.Majesty's Customs and Excise, Slg. 1986, 1007 EuGH Rs. 139/85 R.H. Kempf gegen Staatssecretaris van justititie, Slg. 1986, 1741 EuGH verb. Rs. 194/85 und 241/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland, Slg. 1988, 1037 EuGH Rs, 225/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1987, 2625 EuGH Rs. 261/85 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich Grossbritannien und Nordirland, Slg. 1988,547 EuGH Rs. 309/85 Bruno Barra gegen den Belgischen Staat und die Stadt Liittich, Slg. 1988, 355 EuGH Rs. 311/85 VZW Vereniging van Vlaamse Reisbureaus gegen VZW Social Dienst van de Plaatselijke en Gewestlijke Overheidsdiensten, Slg. 1987,3821
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Entscheidungen des EuGH
EuGH Rs. 352/85 Bond van Ad verteeders und andere gegen N iede rlandisc hen Staat , Sig. 1988,2085 Eu GH Rs. 419 /85 Kommission der Eu rop aischen Gemeinschaften gegen Italienisch e R epu blik, Slg. 1987,2115
1986 EuGH Rs. 63/86 Kommission der Europa ischen Gemeinschaften gegen It alienisch e Republik , Slg. 1988,29 EuG H Rs. 66/86 Ahmed Saeed F1ugr eisen und Silver Line Reisebiiro GmbH gegen Zentrale zur Bekampfung de s unlauteren Wettbewerbs, Sig. 1989, 806 Eu GH Rs. 98/86 Ministere Public gegen Arthur Mathot, Slg. 1986, 810 EuG H Rs, 222/86 Union nation ale des entraineurs et cadres techniqu es professionels du fo otball (U nectef) gegen Ge orges Heylens und andere, Slg. 1987,4097 EuGH Rs. 267/86 van Eycke gegen Aktiengesellschaft ASPA, Slg. 1988,4786 EuGH Rs , 292/86 Cl aude Gullung gegen C o nseil de l' O rdre des Avoc ats du Barreau de Colmar und Conseil de l'Ordre de s Avoc ats du Barr eau de Saverne, Slg. 1988, III
1987 EuG I-I Rs. 3/8 7 The Queen gegen M inistr y of Agriculture, ex parte A gegate Ltd., Sig. 1989, 4459 EuG H Rs. 81/8 7 The Queen gegen H .N . Treasu ry and Commissioners of Inl and Revenue, ex parte Dail y Mail and G eneral Trust PLC, Sig. 1988, 5484 EuG H Rs . 143/8 7 Christopher Stanto n und S.A. Beige d 'Assurances "L'E to ile 1905" gegen L'I NASTI (Institut Nation al d 'Ass urances pour Travailleur s Independa nts), Slg. 1988, 3877 EuG H Rs. 147/ 87 Saada Zaoui gegen C aisse Regionale d'Assurance Maladie de l'Ile de France (C. R. A .M. LE), Slg. 1987,55 Eu G H Rs. 186/ 87 Ian Will iam C owa n gegen Tresor Pu blic, Sig. 1989, 195 EuG H Rs. 196/87 Udo Steym ann gege n Staatssecretaris van justitie, Slg. 1988, 6159 EuGH Rs, 266 und 267/ 87 T he Q ueen gegen Ro ya l Pharmeceutical Sociat ey of Great Britain, ex p arte Association of Ph arm aceutical Importers und ande re, Sig. 1989, 1295 Eu GH Rs. 298/8 7 Verg leichsv erfahren gegen Smanor SA, Sig 1988,4489 EuG H Rs. 305 /8 7 Kommission der Euro paischen Gemeinschaften gegen Griechische Republik, Sig. 1989, 1462 Eu G H Rs. 344/8 71. Bettray gegen Staarssecretaris von justitie, Slg. 1989, 1621 EuGH Rs. C-379/87 Anita Gre ener gcgen Minister for Education and the City of Dublin, Slg, 1989, 3967 Eu G H Rs. 382/87 R. Bu et gegen Sar i Ed ucational Business Services gegen Ministere Public, Sig. 1989, 1235
1988 Eu G H Rs. C-18/88 Regie des telegrap hes et des telephones (RTT) gegen GB-INNO-BM SA, Sig. 1991,1-5973 EuGH Rs. 25/88 Strafverfahren gegen Esth er Renee Wurmser, verwi tw ete Bouchara, und Firma Norlaine, Sig. 1988, 1105 Eu G H Rs. 33/88 Pilar Allue und C armel Ma ry Coonan gegen U niversita de gli Srudi di Venezia, Slg. 1989, 1591
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Anhang
EuGH Rs. C -145/88 Torfaen Borough C ouncil gegen B & Q plq, Slg. 1989,3851 EuGH Rs. C -177/88 Elisabeth Joh anna Pacifica Dekker gegen Srichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen (VJV-C entru rn) Plus, Slg. 1990, 1-3941 EuGH Rs. 262/88 Douglas Harvey Barber gegen Guardian Ro yal Exchange Assurance Group, Slg 1990, 1-1889 EuGH Rs. C-286 /88 Falciola Angelo SpA gegen Commune di Pavia, Slg. 1990,1-191 EuGH Rs. C-29 7/88 Massaro Dzodzi gegen Belgischer Staat, Slg. 1990,1-3763 EuGH Rs. C-3 06/88 Rochdale Borough Council gegen Stewart John Anders, Slg. 1992, 1-6457 EuGH Rs. 362/88 GB-INNO-BM gegen Confederation du Commerce Luxembourgeois, Slg. 1990,1 -667 1989
EuGH Rs, C-23/89 Quierlynn Limited gegen Brian James Richards, Slg. 1990,1-3059 EuGH Rs. C-128/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1990, 1-3239 EuGH Rs, C-154/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, Slg. 1991,1-659 EuGH Rs. C-180 /89 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1991, 1-709 EuGH Rs. C-231189 Krystyna Gmurzynska-Bscher gegen Oberfinanzdirektion Koln, Slg. 1990,1-4003 EuGH Rs. C-246/89, Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Konigreich, ex parte Factortarne, Slg. 1991,1-4585 EuG H Rs. C-260 /89, Elliniki Radiophonia Tileorassi Anonimi Etairia u. a. gegen Dimotiki Etairia Pliroforisis u. a., Slg. 1991, 1-2951 EuGH Rs. C-288 /89 Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda und andere gegen Commissariaat voor de Media , Slg. 1991,1-4007 EuGH Rs. C-312 /89 Union Departementale des Syndicats CGT de l'Aisne gegen SIDEF CONFORA...\1E, Societe Arts et Meubles und Societe JIMA, Slg. 1991, 1-997 EuGH Rs. C-350/89 Sheptonhurst Ltd gegen Newham Borough Council, Slg. 1991,1-2387 EuGH Rs. C-353/89 Kommission der Europaischen Gemeinschaftcn gegen Konigreich der Nicderlande, Slg. 1994,1-4069 1990
EuGH Rs. C-1I90 und C-176 /90 Aragonesa de Publicidad Exterior SA und Publivia gegen Departamento de Sanidad y Seguridad Social de la Generalitat de Cataluna, Slg. 1991, 1-373 EuGH Rs. C-2/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Be'lgien ("Wallonische Abfalle"), Sig. 1992, 1-4431 EuGH Rs. C-41 /90 Klaus Hofner und Fritz Elser gegen Macotron GmbH, Slg. 1991,1-1979 EuGH Rs, C-76 /90 Manfred Sager gegen Dennemeyer & Co. Ltd., Slg. 1991,1-4221 EuGH verb. Rs. C-90 /90 und C-91 /90 Jean Neu u. a. gegen Secretaire d'Etat al'Agriculture et a la Viticulture, Sig. 1991,1-3617 EuGH Rs. C -179/90 Merci Convenzionali Porto di Genova SpA gegen Siderurgica Gabrielli SpA, Slg. 1991,1-5889 EuGH Rs. C-204 /90 Harms -Martin Bachmann gegen Belgischer Staat, Slg. 1992,1-249
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Entscheidungen des EuGH
EuGH Rs. C-300/90 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1992,1-305 EuGH Rs. C-304/90 Reading Borough Council gegen Payless DIY Ltd. und andere, Slg. 1990,1-6493 EuGH verb. Rs. C-320/90, C-321/90 und C-322/90 Telemarsicabruzzo SpA u. a. gegen Circostel, Slg. 1993,1-393 EuGH Rs. C-332/90 Volker Steen gegen Deutsche Bundespost, Slg. 1992,1-353 EuGH Rs. C-369/90 Mario Vincente Micheletti u. a. gegen Delegacion del Gobierno en Cantabria, Slg. 1992,1-4239 EuGH Rs. C-370/90 The Queen gegen Immigration Appeal Tribunal und Surinder Singh, Slg. 1992,1-4267 1991
EuGH Rs. C-2/91 Strafverfahren gegen WolfW. Meng, Slg. 1993,1-5791 EuGH Rs. C-83/91 Wieland Meilicke gegen ADV/ORGA AG, Slg. 1992,1-4871 EuGH Rs. C-110/91 Michael Moroni gegen Collo GmbH, Slg. 1993, 1-6591 EuGH Rs. C-112/91 Hans Werner gegen Finanzamt Aachen-Innenstadt, Slg. 1-429 EuGH Rs. C-126/91 Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft gegen Yves Rocher, Slg. 1993,1-2361 EuGH Rs. C-147/91 Strafverfahren gegen Michele Ferrer Laderer, Slg. 1992,1-4097 EuGH Rs. C-153/91 Camille Petit gegen Office National des Pensions, Slg. 1992, 1-4973 EuGH Rs. C-185/91 Bundesanstalt fur den Guterfernverkehr gegen Gebruder Reiff GmbH & Co. KG, Slg. 1993,1-5841 EuGH Rs. C-206/91 Ettien Koua Poirrez gegen Caisse d'Allocations Familiales de la Region Parisienne, Slg. 1992, 1-6685 EuGH Rs. C-211/91 Kommision der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1992,1-6757 EuGH Rs. C-245/91 Strafverfahren gegen Ohra Schadeverzekeringen NY, Slg. 1993,1-5872 EuGH Rs, 249/91 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Irland, Slg. 1982, 4005 EuGH Rs. C-297/91 und C-268/91 Strafverfahren gegen Bernard Keck gegen Daniel Mithouard, Slg. 1993, 1-6097 EuGH Rs. C-330/91 The Queen gegen Inland Revenue Commissioners, ex parte Commerzbank, Slg. 1993,1-4017 1992
EuGH Rs. C-19/92 Dieter Kraus gegen Land Baden-Wurttemberg, Slg. 1993, 1-1665 EuGH Rs. C-53/92 P, Hilti AG gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 1994,1-667 EuGH verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 Phil Collins gegen IMTRAT Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emanuel Kraul gegen EMI Electrola GmbH, Slg. 1993,1-5145 EuGH Rs. C-93/92 CMC Motorradcenter GmbH gegen Pelin Baskiciogullari, Slg. 1993, 1-5009 EuGH Rs. C-127/92 Dr. Pamela Mary Enderby gegen Frenchay Health Authority und Secretary of State for Health, Slg. 1993,1-5537 EuGH Rs. C-157/92 Pretore von Genua gegen Giorgio Banchero, Slg. 1993, 1-1085
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Anhang
EuGH Rs. C-2 75/92 Her Majesty's Customs and Excise gegen Gerhart Schindler und Jorg Schindler, Slg. 1994,1-1039 EuGH Rs, C -292/92 Ruth Hiinermund und andere gegen Landesapothekerkammer BadenWiirrtemberg, Slg. 1992,1-6787
1993 EuGH Rs. C -37/93 Kommission der Europais chen Gemeinschaften gegen Konigreich Belgien, Slg. 1993, 1-6295 EuGH Rs. C -131/93 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1994,1 -3303 EuGH Rs. C-153/93 Bundesrepublik Deutschland gegen Delta Schifffahrts - und Speditionsgesellschafr mbH, Slg. 1994,1-2517 EuGH Rs. C-279 /93 Finanzamt Koln-Altstadt gegen Roland Schumacker, Slg. 1994,1-228 EuGH Rs. C-293/93 Srrafverfahren gegen Ludomira Neeltje Barbara Houtwipper, Slg. 1994,1-4249 EuGH Rs. C-316/93 Nicole Vaneetveld gegen Le Foyer SA und Le Foyer SA gegen Federation des mutualites socialistes et syndicales de la prvince de Liege, Slg. 1994, 1-765 EuGH verb. Rs. C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/93, Rene Lancry SA u. a. gegen Direction gcnerale des douanes u. a., Slg. 1994,1-3957 EuGH Rs. C-384 /93 Alpine In vestments BV gegen Minister van Financien, Slg. 1995,1-1141 EuGH Rs. C-415 /93 Union royale belge des societes de football association ASBL u.a. gegenJean-Marc Bosman, Slg. 1995,1-5040 EuGH Rs. C-450/93 Eckhard Kalanke gegen Freie Hansestadt Bremen, Sig. 1995,1-3051 EuG Rs , T -513/93 Consiglio Nazionale degli Spedizionieri gegen Kommission der Europaischen Gemeinschaften, Slg. 2000, II-1810
1994 Gutachten 2/94, Gutachten nach Artikel 228 Absatz 6 EG-Vertrag "Beirritt der Gemeinschafr zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten", Slg. EuGH Rs. C-13 /94 P gegen S und Cornwall County Council, Slg, 1996,1-2443.1996, 1-1759 EuGH Rs, C -16/94 Edouard Dubois et Fils und General Cargo Services SA gegen Garonor Exploitation SA, Slg 1995, 1-2421 EuG H Rs , C-55/94 Reinhard Gebhard gegen Consiglio dell'Ordine degli Avvocati e procuratori di Milano, Slg. 1995,1-4195 EuGH Rs. C-96/94 Centro Servizi Spediporto gegen Spedizioni Marittima del Golfo Sri, Slg. 1995, 1-2900 EuGH Rs. C-I07/94 P.H. Asscher gegen Staatssecretaris van Financien, Slg, 1996,1-3089 EuGH verb. Rs, C-140/94, C-141194 und C-142/94 DIP SpA u. a. gegcn Commune di Bassana del Grappa und Commune die Chioggia, Slg. 1995,1-3527 EuGH Rs. verb. Rs. C-163/94, C-165 /94 und C-250/94 Strafverfahren gegen Lucas Emilio Sanz de Lera u. a., Slg. 1995, 1-4821 EuGH Rs. C-321/94, C-322/94 , C-323/94 und C-324/94, Srrafverf ahren gegen Jacques Pistre u. a., Sl.g 1997, 1-2343
1995 EuGH Rs. C-3 /95 Reisebiiro Brode gegen Gerd Sandker, Slg. 1996,1-6511
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Entscheidungen des EuGH
EuGH Rs. C-70/95 Sodemare S.A. u. a. gegen Regione Lombardia, Slg. 1997,1-3395 EuGH Rs. C-120/95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employes prives, Slg. 1998,1-1831 EuGH Rs. C-134/95 Unita Socio-Sanitaria Locale No 47 di Biella (USSL) gegen Istituto nazionale per l'assicurazione contro gli infortuni sullavoro (INAIL), Slg. 1997, 1-195 EuGH Rs. C-265/95 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Franzosische Republik, "Spanische Erdbeeren", Slg. 1997,1-6959 EuGH Rs. C-299/95 Friedrich Kremzow gegen Republik Osterreich, Slg. 1997,1-2629 EuGH Rs. C-359/95 P und C-379/95 P Kommission der Europaischen Gemeinschaften und Franzosische Republik gegen Ladbroke Racing Ltd, Slg. 1997, 1-6265 EuGH Rs. C-368/95 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH gegen Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997,1-3689 EuGH Rs. C-409/95 Hellmut Marschall gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1997, 1-6363 1996
EuGH Rs. C-35/96 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg. 1998,1-3851 EuGH Rs. C-64/96 und C-65/96 Land Nordrhein-Westfalen gegen Kari Uecker und Vera Jaquet gegen Land Nordrhein Westfalen, Slg. 1997,1-3171 EuGH Rs. C-67/96 Albany International BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie, Slg. 1999,1-5751 EuGH Rs. C-51/96 und C-191/97 Christelle Deliege gegen Ligue Francophone de judo et disciplines associes ASBL u. a., Slg. 1999, 1-2549 EuGH Rs. C-85/96 Maria Martinez Sala gegen Freistaat Bayern, Slg. 1998, 1-2691 EuGH Rs. C-122/96 Stephen Austin Saldanha und MTS Securities Corporation gegen Hiross Holdung AG, Slg. 1997,1-5325 EuGH Rs. C-158/96 Raymond Kohli gegen Union des Caisses de malad ie, Slg. 1998, 1-1931 EuGH Rs. C-230/96 Cabour SA und Nord Distribution Automobile SA gegen Arnor "SOCO" SARL, Slg. 1998, 1-2055 EuGH Rs, C-264/96 Imperial Chemical Industries (ICI) gegen Kenneth Hall Colmer (Her Majesty's Inspector of Taxes), Slg. 1998,1-4695 EuGH Rs. C-176/96 Jyri Lehtonen und Castors Canada Dry Namur-Braine ASBL gegen Federation royale belge des societes de basket-ball ASBL (FRBSB), Schlussantrag Generalanwalt Albers, Slg. 2000, 1-2681 1997
EuGH Rs. C-38/97 Autotrasporti Librandi F. & C. gegen Cuttica spedizioni e servizi internazionali Srl, Slg. 1998, 1-5957 EuGH Rs. C-67/97 Strafverfahren gegen Ditlev Blume, Slg. 1998, 1-8033 EuGH Rs. C-114/97 Kommission der Europaischen Gemeinschaften gegen Konigreich Spanien, Slg. 1998, 1-6717 EuGH Rs. C-115/97 bis C-117/97 Brentjens' Handelsonderneming BV gegen Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Handel in Bouwmaterialen, Slg. 1999, 1-6029 EuGH Rs. 154 und 155/97 Institut National d'Assurances pour Travailleurs Independants (INASTI) gegen Heinrich Wolf und NY Microtherm Europe, Wilfried Dorchain und PVBA Almare, Slg. 1998,1-3897
459
Anhang
EuGH Rs. C -158/97 Geor g Badeck u. a., Beteiligte: Hessischer Ministerprasident und Landesanwalt beim Staatsgeri chtshof des Landes Hessen , Slg. 2000, 1-1875 EuGH Rs. C -212/97 Centros Ltd . gegen Erhvervs- og Selskabssryrelsen, Slg. 1999,1 -1459 EuGH Rs. C-219 /97 Maarsch appij Drijvende Bokken BV gegen Stichting Pensioenfonds voo r de Vervoer - en H avenb edrijven, Slg. 1999,1-6125 EuGH Rs. C-222 /97 Grundbuchssache Manfred Trummer und Peter Mayer, Slg. 1999, 1- 1661 EuGH Rs. C-240/9 7 Konigreich Spanien gegen Kommission der Eur opa ischen Gemeinschaften , Slg. 1999, 1-6571 EuGH Rs. C -302/97 Klaus Konle gegen Republik Osterreich, Slg. 1999,1 -3039 EuGH Rs. C-307/97 Compagnie de Saint-G obain, Zweigniederlassu ng Deutschland gegen Finan zamt Aachen-Innenstadt, Slg. 1999,1 -6161 Eu GH Rs. C-337/9 7 C.P.M . Meeusen gegen Hoofdirectie van de Informatie Beheer Groep, Slg. 1999,1-3289 1998
EuGH Rs. C -35/98 Staatssecretaris van Financien gegen B.G.M. Verkooijen, Slg. 2000, 1-4071 Eu G H Rs. C-I08/ 98 RI. SAN . Sri gegen Communi di Ischia u. a., Slg, 1999,1 -521 EuG H Rs. C-120 /95 Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employ es prives, Slg. 1998,1-01831 Eu G H Rs. C -254/98 Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb gegen TK-Heimdienst Sass GmbH, Slg. 2000,1-151 EuG H Rs. C -281/9 8 Roman An gon ese gegen Cassa di Risparmio di Bolzano SpA, Slg. 2000, 1-4139 EuG H verb. Rs. C-397/9 8 und C -410/9 8 Metallgesellschaft Ltd. und andere, Hoechst AG und Hoechst (U K) Ltd . gegen Commissioners of Inland Revenue and HM Attroney General, Slg. 2001, 1-1727 EuG H Rs. C-423 /98 Alfredo Alb or e, Slg. 2000, 1-5965 Eu G H Rs. C-448 /98 Strafverfah ren gegenJean -Pierre Guimont, Slg. 2000, 1-1066
1999
EuGH Rs. C -79/99 Julia Schnorbus gegen Lan d Hessen, Slg. 2000, 1-10997 EuGH Rs. C-184 /99 Ruth Grzelczyk gegen Centre public d'aide sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve, Slg. 2001, 1-6193 EuGH Rs , C-28 3/99 Kommission der Europaischen G emeinschaften gegen Ita lienische Republik, Slg. 2001, 1-4363 EuGH Rs. C -366/ 99 Jo seph Grie smar gegen Ministre de l'Econ omie, des Finances et de l'indu strie et Ministre de la Fonc tion publique, de la Reforme de l'Etat et de la Dec ent ralisation, Slg. 2001, 1-9383 Eu G H Rs. C-451/99 Cura Anlagen GmbH gegen Auto Service Leasing GmbH (ASL), Slg. 2002,1 -3193 EuGH verb. Rs. C-515/99 , C-519/9 9 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 Hans Reisch u. a. gegen Biirgermeister der Lande shauptstadt Salzburg und Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg und Anton Lassacher u. a. gegen Grundverkehrsbeauftragter des Landes Salzburg und Grundverkehrslandeskommissiondes Lande s Salzburg, Slg. 2002, 1-2192
460
Entscheidungen des EuGH
2000 EuGH Rs. C-60/00 Ma ry Carpenter gegen Secretary of State for the H ome Department, Slg. 2002, I-6305 EuGH Rs, C-112/0 0 Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planziige gegen Republik Osterreich, Slg. 2003, I-5659. Schlussantrage des Generalanwalts Jacobs vorn 11.7.2002
2002 EuGH Rs. C -309l99]. C.]. Wouters,]. W. Savelbergh und Price Waterhou se Belastin gadviseurs BV gegen Allgemeine Raad van de Nederlands Orde van Adv ocaten, Slg. 2002 , I-1577
2004 EuGH Rs. C-36/02 Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs-GmBH gegen Oberbiirgermeisterin der Bundesstadt Bonn, Slg. 2004, I-9609, Schlussantrage der Frau Generalanwalt Stix-Hackl vom 18.3 .2004
2006 EuGH Rs. C-372/04 The Queen, auf Antrag von Yvonne Watts gegen Bedford Primary Care Trust und Secreta ry of State for H ealth, Slg. 2006, I-4325 EuGH Rs. C- 519/ 04 P Da vid Meca-M edina und Igor Majcen gegen Kommission der Euro paischen Gemeinschaften, Slg. 2006, I-6991, Schlussantrag GA L eger votn 23.3.2006
2007 EuGH Rs. C-291/ 05 Minister vo or Vreemdeli ngenzaken en Int egratie gegen R. N. G . Eind, Slg, 2007, I-I 0719 EuG H Rs. C -341/05 Laval un Part neri Ltd gegen Svenska Bvggnadsarbetareforbunder, Svenska By ggnadsarbetarefor bundets avdelning 1, Byggettan und Svenska Elekrrikerforbu ndet, Slg. 2007, I-11 767 EuGH Rs. C- 438/05 Internation al Transport Workers' Federation und Finnish Seamen's Union gegen Vikin g Line ABP und 0 0 Viking Line Eesti, Sig. 2007, I-I 0779
2009 EuG H Rs. C-567/07 Minister voor Wonen, Wijken en Integ ratie gegen Woningstichting Sint Servatius, Slg. 2009, I-OOOOO.
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Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichtshofe und Gerichte Conseil d'Etat:
Conseil d'Etat (Asscmblee), Ministere de I'Interieur c. Cohn-Bendit, RTDE 1969, 157. Conseil d'Etat (Assemblee), Niccolo, Rec. 1989, 190 = Niccolo, EuR 1990, 62. Bundesarbeitsgericht:
BAG ("Anti-StrauG-Plakette"), N]W 1984, 1142. BAG ("Gewissensentscheidung und Kiindigung"), N]W 1990,203. BAG ("Mitbestimmung bei Telephondatenerfassung"), N]W 1987, 674. BAG, N]W 1957, 1688 (1689). BAGE 1,193. Oberster Gerichtshof:
OGH 3 Ob 2440/96m. OGH 9 Ob A 201/94. OGH 10 Ob 315/99a. OGH 9 Ob A 125/98f. OGH 8 Ob A 61/97x. OGH 1 Ob 214/98x. OGH 9 Ob A 7/96. OGH 3 Ob 566/95. OGH 8 Ob A 220/95. OGH 9 Ob A 802/94. OGH 9 Ob A 201,202/94, RdA 1995, 400. OGH 6 Ob 521/94. OGH 9 Ob A 133/93. OGH 9 Ob A 602/92. OGH SZ59/130. Bundesverfassungsgerichtshof:
BVerfGE 7, 198 - Luth BVerfGE 30,173 - Mephisto BVerfGE 35, 202 - Lebach BVerfGE 81, 242 - Handelsvertreter BVerfGE 39,1 Schwangerschaftsabbruch I
463
Anhang
BVerfGE 46,160 Hans Martin Schleyer. AP Nr. 4 zu Art. 3 GG = N]W 1955, 684 (687). Europaischer Gerichtshof fUr Menschenrechte:
Urteil Van der Mussele, 23.11.1983, A/70 Urteil Young,]ames and Webster, 13.8.1981, A/44 Urteil Marckx gegen Konigreich Belgien, 13.6.1979, A/31. Verfassungsgerichtshof:
VfSlg 12194, 98. VfSlg. 15426, B 416/98. VfSlg. 14269, G 249/94, G 251/94, G 252/94, G 253/94, G 254/94. VfSlg. 14269, G 249/94, G 251/94, G 252/94, G 253/94, G 254/94. VfSlg. 2303 (1953), 122 (124). VfSlg. 5854 (1968), 818. VfSlg. 7400 (1974),221.
464
Rechtsquellen des sekundaren Gemeinschaftsrechts Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969, gesriitzt auf die Vorschriften des Artikels 33 Absatz 7 tiber die Beseitigung vom Mafsnahmen gleicher Wirkung wie mengenmaliige Einfuhrbeschrankungen, die nicht unter andere auf Grund des EWGVertrags erlassene Vorschriften fallen, ABI L 13/1970,29. Verordnung (EG) Nr. 2679/98 des Rates vom 7. Dezember 1998 tiber das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaren, ABI L 337/1998,8. Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober tiber die Freiztigigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 257/1968, 2. Richtlinie 68/360 des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen fur Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehorigen innerhalb der Gemeinschaft, ABI L 127/1968, 13. Richtlinie 64/427/EWG des Rates vom 7.]uli 1964 tiber die Einzelheiten der Ubergangsmatsnahmen auf dem Gebiet der selbstandigen Tatigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23-40 (Industrie und Handwerk), ABI L 117/1964, 1863. Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschrankungen fur Staatsangehorige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleisrungsverkehrs, ABI L 172/ 1973,14. Richtlinie 761207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABI L 39/1976,40. Verordnung (EWG) Nr. 2151184 des Rates vom 23.]uli 1984 betreffend das Zollgebiet der Gemeinschaft, ABI L 197/1984, 1. Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24.]uli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mannern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABI L 225/1986, 40. Richtlinie 88/3611EWG des Rates vom 24. ]uni 1988 zur Durchftihrung von Artikel 67 des Vertrages ("Kapitalverkehrsrichtlinie"), ABI L 178/1988, 5. Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 tiber eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijahrige Berufsausbildung abschlieisen, ABI L 9/1989, 16. Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.]uni 1992 tiber eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befahigungsnachweise in Erganzung zur Richtlinie 89/48/ EWG, ABI L 209/1992, 25.
465
Anhang
Richtlinie 92/S0/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 iiber die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe i:iffentlicherDienstleistungsauftrage, ABI L 209/1992,1. Richtlinie 96/71/EG des Europaischen Parlaments und des Rates iiber die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABI L 18/1997, 1 ("Entsenderichtlinie"). Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 iiber die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABI L 14/1998,6. Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.Juni zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABI L 180/ 2000,22. Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeines Rahmens fiir die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschaftigung und Beruf, ABI L 30312000, 16.
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Sonstige Dokumente Europiiiscbes Parlament, Janssen von Raay, Bericht im Namen des Ausschusses fur Recht und Burgcrrechte zur Freizugigkeit von professionellen Fuiiballspielern in der Gemeinschaft, PE 127.478/endg. 1988/89. Parlamentarische Anfrage zu: UEFA und Freizugigkeit der europaischen Fuliballspieler als Gemeinschaftsburger und Wettbewerbspolitik, ABI C 102/1992,4. Europdische Kommission, Entscheidung der Kommission vom 28.Juli 1978 "FEDETABEmpfehlung", ABI L 224/1978, 29. Europdiscbe Kommission, Emscheidung der Kommission vom 15. Dezember 1982 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IVI29.883 - UGELlBNIC), ABI L 379/1982, 1. Europaische Kommission, Emscheidung der Kommission 93/438/EWG vom 30. Juni 1993 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag, ABI L 203/1993, 27.
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