Ein Engel als Köder von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Liebe mich, Roland!« Es kla...
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Ein Engel als Köder von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Liebe mich, Roland!« Es klang wie das zärtliche Schnurren einer Katze, die vom Kater ihres Herzens in den Armen gehalten wird. Nun, es war keine Katze, wenn auch die grünen, funkelnden Augen und die geschmeidigen Bewegungen ihres schlanken Körpers an eine Katze erinnerten. Sie hieß Elisabeth Terciere, und sie war eine heißblütige Comteß aus Burgund, die den Ritter mit dem Löwenherzen um Schutz gebeten hatte - und jetzt um mehr. Roland brauchte keine weitere Aufforderung.
Er spürte die Hitze ihres nackten Körpers, der sich verlangend an ihn schmiegte, die weichen, warmen Lippen, die unter seinem Kuß zu erbeben schienen, und ein süßes Prickeln erfaßte ihn.
Der Mond, der durch das kleine Fenster der noblen Herberge in das Schlafgemach lugte, schob erregt ein Wölkchen zur Seite, das ihm die Sicht auf das Paar verdeckte. Auch Ritter Roland war erregt. Sein Herz schien im heißen Rhythmus der Liebe zu trommeln, und Elisabeths heftige Atemzüge klangen wie Fanfarenstöße zum Lied der Wonne durch das leise Knarren des Bettes. Knarren? Ritter Roland wunderte sich. Das Bett in dieser sündhaft teuren Herberge hatte doch bis jetzt nicht geknarrt. Und jetzt quietschte es gar leise! Einen Augenblick lang war Ritter Roland geneigt, die Geräusche auf Elisabeth Tercieres Temperament zurückzuführen. Doch dann sah er aus den Augenwinkeln den Schatten, der sekundenschnell am Fenster vorbeihuschte, als hätte eine Fledermaus den Schein des Mondes verdunkelt. Rolands Kopf ruckte hoch, und er lauschte angestrengt. Nein, das war keine Fledermaus. Fledermäuse schieben keine Fenster auf. Und jetzt nahm Roland wieder ein leises Knarren wahr, das nicht vom Bett verursacht wurde. Die Tür. Wie von Geisterhand schwang sie langsam, langsam auf! Elisabeth Terciere spürte wohl Ritter Rolands nachlassende Liebesglut, fühlte wohl, wie er sich zurückzog. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Rücken. »Roland ...« schnurrte sie. »Roland?« Er nahm sich keine Zeit für Erklärungen. Mit einem gewaltigen Satz schnellte er sich vom Bett. Elisabeth stieß einen Laut aus, der wie ein enttäuschtes Seufzen klang. Ritter Roland landete neben dem Bett und griff nach dem Schwert, das mit seinen Kleidungsstücken auf einem Schemel lag. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick flog die Tür ganz auf, und auch die falsche Fledermaus am Fenster bemühte sich
nicht mehr, leise zu sein. Drei Männer stürmten in den Raum, drohende Schatten im Halbdunkel der Kammer. Der Mann an der Spitze hielt ein Schwert in der erhobenen Rechten, die beiden anderen waren mit Keulen bewaffnet. Ebenso der vierte Kerl, der sich jetzt durch das Fenster hereinschwang. Elisabeth Terciere schrie unterdrückt auf und zog das Laken, das zerwühlt und bis ans Fußende des Bettes gerutscht war, über ihren nackten Körper, auf dem der Schweiß im schwachen Mondlicht silbrig schimmerte. Doch das sah Roland nicht. Der Ritter mit dem Löwenherzen sprang auf und stellte sich tollkühn der Übermacht. Die Eindringlinge waren bestimmt nicht gekommen, um ihm und Elisabeth viel Spaß zu wünschen. Was immer diese Haderlumpen vorhatten, es konnte nichts Gutes sein. Und Roland hielt in dieser Situation Angriff für die beste Verteidigung. Er stürmte auf den Kerl mit dem Schwert zu. Der Mann verharrte wie vom Donner gerührt. Gewiß hatte er sich alles viel einfacher vorgestellt. Er hielt die Hand mit dem Schwert erhoben, doch er war wohl zu überrascht von Ritter Rolands blitzschneller Reaktion, um zu handeln. Auch die beiden Kerle hinter ihm blieben unvermittelt stehen, und der Mann am Fenster verlor vor Schreck gar seine Keule. Er hatte gedacht, es sei die einfachste Sache der Welt, einen Mann im Schlaf zu überraschen. Doch dieser Mann mußte einen äußerst leichten Schlaf gehabt haben, und er kam über sie wie der Teufel. Der Anführer des Quartetts schrie auf, als Rolands wuchtiger Hieb sein Schwert traf, daß Funken stiebten. Fast wäre es Roland gelungen, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen, doch der Gegner strauchelte nur, konnte sich fangen und hielt das Schwert fest. Elisabeth stieß einen gedämpften Schrei aus. Wie gebannt starrte sie auf die Kämpfenden. »Ergib dich!« keuchte der Kerl mit dem Schwert, »oder ich
schneide dir was ab!« Und wie zur Bekräftigung seiner bösen Worte holte er mit dem Schwert aus. Der gemeine Kerl setzte den Schlag ziemlich tief an. Gedankenschnell sprang Ritter Roland zurück. Natürlich wollte er sich nichts abschneiden lassen. Roland prallte gegen die Bettkante und taumelte auf Elisabeths Schenkel. Der Kerl mit dem Schwert sah seine große Chance gekommen, als Roland auf dem Bett lag. Er stürmte mit einem triumphierenden Schrei auf Roland zu. Verzweiflung stieg in Roland auf. Er hatte sich noch nicht gefangen, und wenn der Kerl mit dem Schwert zustieß, war alles aus. Es blieb keine Zeit mehr, seinen Stoß zu parieren. Ritter Roland sah sich schon auf das Bett und vermutlich noch dazu auf Elisabeths Schenkel aufgespießt! Doch zu seiner grenzenlosen Erleichterung stieß der Angreifer nicht mit dem Schwert zu, sondern er schwang es plötzlich, als wollte er Roland mit mächtigem Streich enthaupten. Nun, auch das waren keine rosigen Aussichten. Deshalb zog der Ritter blitzschnell beide Beine an und stieß sie mit aller Kraft vor, just in dem Moment, in dem der Mann mit dem Schwert heran war. Er traf den Haderlumpen in die Magengrube. Brüllend taumelte der Mann zurück, flog gegen seinen keulenschwingenden Kumpan und ging mit ihm zu Boden. Roland schnellte sich vom Bett. Mit zwei Sätzen war er bei den beiden. Der eine preßte stöhnend eine Hand auf seinen Leib. Der andere tastete nach seiner Keule, die ihm der eigene Kumpan beim Aufprall aus der Hand geprellt hatte. Roland verlor keine Sekunde. Er hieb dem Burschen, der die Keule ergreifen wollte, die Breitseite der Klinge auf die Finger. Der Mann stieß einen erstaunlich hohen Laut aus, fast als setze eine Dame zu einer Hymne an. Mit einem schnellen Hieb schlug Roland den Anführer nieder, der
seine Bauchschmerzen überwunden hatte und nach dem Schwert greifen wollte, das ihm beim Sturz aus den Fingern geglitten war. Der zweite Keulenschwinger und der Mann am Fenster lösten sich aus ihrer Erstarrung. Beide griffen ungestüm an. Der eine hielt wohl nichts vom Nahkampf. Er warf seine Keule mit voller Wucht. Roland duckte sich geistesgegenwärtig. Der helle damenhafte Ton hinter ihm verstummte schlagartig in einem dumpfen Laut. Kein Wunder, wenn einem eine Keule an den Schädel knallt, vergeht einem die Lust, Hymnen zu singen. Der Mann sank zu Boden und rührte sich nicht mehr. Roland packte den jetzt keulenlosen Mann am Wams und schleuderte ihn gegen den Kumpan. Beide gingen zu Boden, und Roland glaubte die Atempause zu haben, die er brauchte. Doch daraus wurde nichts. Der Schwertkämpfer war zu sich gekommen; Roland hatte ihn wohl nicht richtig getroffen. Der Kerl sprang mit dem Schwert in der Hand auf. Roland konnte gerade noch den Kopf zur Seite reißen. Doch das Schwert streifte ihn an der Schulter, und ein heißer Schmerz zuckte durch Rolands Arm. »Du Hund!« keuchte der unbekannte Angreifer, der das Schwert schwang. »Ich werde dich ...« Er konnte nicht zu Ende darlegen, was er so alles vorhatte. Rolands mächtiger Schwerthieb fegte ihn zu Boden. Und diesmal blieb der Anführer liegen und rührte sich nicht mehr. Jetzt lagen zwei Männer bewußtlos am Boden, und Ritter Roland war von grimmiger Zuversicht erfüllt. Diese Haderlumpen hatten sich verrechnet. Roland wirbelte zu den beiden anderen herum, die sich inzwischen aufgerappelt hatten. Die Lumpen sollten ebenso wie ihre Kumpane ihr blaues Wunder erleben. Das wollten sie jedoch nicht. Der erste warf sich kopfüber aus dem Fenster, und auch der zweite ergriff panikartig die Flucht.
Roland hätte ihm das Schwert in den Rücken schleudern können, doch er tat es nicht. Das hätte er nicht mal getan, wenn er kein Ritter gewesen wäre, dem es die Ritterehre verbot, einen feigen Gegner hinterrücks anzugreifen. Die Burschen hatten es so eilig, daß sie sogar vergaßen, ihre Keulen mitzunehmen. Roland hob eine auf und warf ihnen ihr Eigentum nach. Er hörte ein dumpfes Klatschen und einen Fluch, der in ein Ächzen überging. Treffer! Schritte entfernten sich eilig. Roland warf einen schnellen Blick durch die Kammer. Zwei reglose Gestalten am Boden, von denen eine Weile gewiß keine Gefahr drohte. Elisabeth, die sich im Bett aufgesetzt hatte, das Laken bis zum Busen gezogen hatte und ihn aus großen Augen entsetzt anstarrte, fast als sei er der Bösewicht. Gewiß war sie immer noch zu Tode erschrocken. Die Gefahr war gebannt. Doch Roland wollte die beiden anderen nicht entkommen lassen. Elisabeth hatte voller Sorge von den Räubern gesprochen, die in dieser Gegend Reisende überfielen, und vermutlich hatte er es in einem gewissen Grade ihrer Besorgnis zu verdanken, daß er mit ihr so schnell ins Gespräch gekommen war, weil sie in ihm einen Beschützer gesehen hatte. Die Kerle waren zielstrebig in Elisabeths Kammer eingedrungen, und sie konnten weitere Scherereien machen, wenn sie entkamen. Roland zögerte nicht. »Bring dich in Sicherheit und hol den Wirt!« rief er Elisabeth zu und lief zum Fenster. Sie streckte eine Hand aus, als wollte sie ihn festhalten. »Bleib, Roland ...« Er sprang bereits durch das Fenster hinaus. Er landete weich. Auf dem Kerl, den er mehr oder weniger zufällig mit der Keule getroffen hatte, und der sich gerade stöhnend aufstemmen wollte. Mit einem schnellen Fausthieb legte Roland ihn wieder hin.
Sein Blick zuckte über den Hinterhof. Der letzte des üblen Quartetts hatte einen Bretterzaun am Ende des Hofes erreicht und kletterte gerade hinauf. »Bleib stehen!« rief Roland. Der ungehorsame Kerl setzte seine Flucht fort. Wie ein Klammeraffe zog er sich am Zaun hoch. Roland zögerte einen Lidschlag lang. Ob er nicht doch besser bei Elisabeth blieb? Vielleicht war sie zu erschrocken, um die paar Schritte aus der Kammer zu tun und sich in Sicherheit zu bringen. Rolands Blick zuckte zum Fenster zurück. Dort war jetzt der Schein einer Lampe zu sehen und das tiefe Organ eines Mannes zu vernehmen. Der Mann erkundigte sich, was der Lärm zu bedeuten habe. Elisabeths aufgeregte Stimme antwortete. Roland atmete auf. Er erkannte die Stimme des Mannes wieder. Es war einer der Gäste, die er am Abend kennengelernt hatte. Er würde sich um Elisabeth kümmern. »Hier liegt noch einer!« rief Roland. »Hebt ihn gut auf.« Dann hetzte er auf den Zaun am Ende des Hofes zu. Kurz dachte er daran, daß er nackt war, doch dann sagte er sich, daß der Ort zu dieser Stunde in tiefem Schlaf lag und niemand den nackten Ritter sehen würde. Allenfalls der flüchtende Haderlump, und vor dem würde er sich gewiß nicht genieren. Ritter Roland zog sich am Zaun hoch und spähte hinüber. Der Bursche war nur etwa zwanzig Klafter entfernt. Gehetzt blickte er zurück und übersah dabei ein Loch im Boden. Er stolperte und stürzte. Roland sah es mit grimmiger Zufriedenheit. Er warf das Schwert über den Zaun, weil es ihn beim Klettern behinderte und er es - nackt wie er war - ja nicht gürten konnte. Dann sprang er hinterher. Federnd landete er, packte das Schwert und hetzte weiter. Der Räuber hatte sich gerade aufgerappelt. Jetzt rannte er davon, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihm her. Er schlug einen Haken und verschwand hinter einem dunklen Schuppen. Seine Schritte hämmerten durch die Stille der Nacht.
Hühner begannen zu gackern, und ein Eber im Stall, der gerade zärtlich seiner Sau an den Zitzen spielte, grunzte ärgerlich ob der Störung. Roland bog vorsichtig um die Ecke des dunklen Stalles. Er hielt das Schwert in der vorgereckten Rechten, weil er mit einem Angriff aus dem Dunkel rechnen mußte. Doch der Haderlump dachte offenbar nicht an Kampf. Roland konnte ihn nicht sehen, doch er hörte die Schritte in einer Seitengasse jenseits der Stallgebäude davonhämmern. Weiter. Roland erreichte die Gasse und sah den Flüchtenden gerade noch an ihrem Ende über einen Zaun klettern. Der Ritter rannte durch die Gasse. Als er an die Stelle gelangte, an der der Flüchtende verschwunden war, zog er sich am Zaun hoch und spähte vorsichtig hinüber. Tiefe Finsternis nistete zwischen den Apfelbäumen und dunklen Gebäuden, die sich am Rande eines kleinen Gartens abhoben. Roland lauschte mit angehaltenem Atem. Er glaubte nur das Pochen seines Herzens zu hören. Kein fliehender Schatten war zu sehen, und er konnte keine Schritte hören. Roland sprang über den Zaun hinab in den Garten. Dann fluchte er. Er landete weich, doch es war kein duftendes Federbett, in das er tief einsank, sondern ein recht würzig riechender Misthaufen. Den Duft hatte er schon wahrgenommen, doch nicht gedacht, daß der Haufen ausgerechnet unterhalb des Zaunes war. »Verdammt!« Fluchend kämpfte sich Roland aus dem Misthaufen. Als er stand, rutschte er aus und landete in der Vertiefung, die er zuvor mit seinem Aufprall geschaffen hatte. Von neuem rappelte er sich auf und wischte sich über Mund und Wangen. Angestrengt spähte er durch die Dunkelheit. Wo sollte er jetzt nach dem Haderlumpen suchen? Vermutlich kannte sich der Kerl besser in
den Örtlichkeiten aus. Vielleicht versteckte er sich ... Ritter Roland wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Hufschlag klang auf und entfernte sich nach Nordwesten. Nun, das konnte auch Zufall sein, doch Ritter Roland glaubte nicht an solche Zufälle. Der Haderlump war entkommen. Ritter Roland blickte an seinem nackten Körper hinab, kam sich ziemlich klein vor und rümpfte die Nase ob des würzigen Geruchs. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Herberge zurückzukehren. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß immerhin drei der üblen Gesellen geschnappt worden waren. * Der Ritter kletterte wieder über den Zaun und schritt durch die Gasse, in die nur ein Streifen Mondlicht fiel. »Oh ...« Ein Geräusch ließ Roland herumwirbeln. Instinktiv riß er die Hand mit dem duftenden Schwert hoch. Dann entspannte er sich. In einem offenen Fenster konnte er den schwachen Umriß einer Gestalt ausmachen. Unverkennbar eine weibliche Gestalt. Roland atmete auf. Es drohte keine Gefahr. Dann fiel ihm ein, daß es sich nicht geziemte, den nackten Ritter einer Dame zu präsentieren, erst recht nicht einen ziemlich schmutzigen, und er trat schnell einen Schritt in den tiefen Schatten der Hauswand zurück. »Was - was tut Ihr da?« Eine süße, aber etwas furchtsame Stimme. Gewiß war die Maid bei seinem Anblick erschrocken. »Keine Sorge, meine Dame«, sagte Ritter Roland beruhigend. »Ich mache nur einen kleinen Spaziergang.« Er wollte sich in Bewegung setzen, doch offenbar deutete die Maid das falsch. »Rührt Euch nicht von der Stelle, oder ich schreie um Hilfe!«
Ritter Roland verharrte. »Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen«, sagte er und lächelte, obwohl sie das in der Dunkelheit gewiß nicht erkennen konnte. »Ich gehe zurück zur Herberge und ...« Roland verstummte, denn die Maid hielt eine Lampe aus dem Fenster und beleuchtete ihn. Ihr Mund klaffte auf, und sie starrte ihn aus großen Augen von oben bis unten an, vor allem bis unten. »Oh ...« Sie war ein recht ansehnliches Persönchen mit einem weißen dünnen Nachthemdchen, aus dem keck ihr prächtiger Busen vorragte. Der Blick ihrer großen, glänzenden Augen schien sich an dem Ritter förmlich festzusaugen. Eine aus dem Schlaf geschreckte Jungfer würde gewiß entweder vor Schreck in Ohnmacht fallen oder Zeter und Mordio schreien. Beides wollte Ritter Roland vermeiden, und so hielt er flugs die freie Linke vor ihr Blickfeld. Sie hielt die Lampe noch ein wenig weiter vor und neigte sich aus dem Fenster, und Roland befürchtete schon, sie würde mit ihrem wogenden Busen das Übergewicht bekommen und in die Gasse stürzen. »Wer - wer seid ihr?« Es klang wie ein Hauch und auch ein wenig beeindruckt. »Roland ist mein Name.« »Ich bin Anna«, erwiderte sie unaufgefordert. Immer noch musterte sie ihn mit großen Augen. Roland war die Situation ein wenig peinlich, vor allem, weil er so stank, und er fühlte sich bemüßigt, eine Erklärung abzugeben. Doch es wollte ihm nichts Gewandtes und Charmantes einfallen, und während er noch überlegte, nahm ihm Anna das Wort aus dem Munde: »Ihr seid in einen Misthaufen gefallen«, stellte sie heiter fest, und im Schein der Lampe sah Roland ihr Lächeln. Es war ein süßes
Lächeln, sogar bar jeder Schadenfreude, doch Roland ärgerte sich in seiner beschämenden Situation darüber. »So ist es!« knurrte er. »Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt...»Damit ging er weiter. Er spürte förmlich ihren Blick auf seiner nackten Kehrseite, doch es war ihm gleichgültig. »So wartet doch, Ihr könnt bei mir ...« Roland schluckte. Hatte er da gerade so etwas wie eine Einladung vernommen? Er wollte schon stehenbleiben und nachfragen, wie ihre hastig hervorgestoßenen Worte zu verstehen waren, als in dem Haus eine tiefe, grollende Stimme ertönte: »Anna, was ist da los?« Gewiß Annas Mann! »Nichts ...« beteuerte Anna zwar, doch Roland hörte ein Poltern und stampfende Schritte, und er machte sich flugs davon. Das fehlte ihm noch, daß es Schwierigkeiten mit einem erbosten Ehemann ab, obwohl er völlig unschuldig war. Gewiß würde man ihn für einen abartigen Sittenstrolch halten, der nackt und seltsam parfümiert durch den Ort streifte, um bei den Damen einzusteigen. Schnell tauchte er in der Dunkelheit unter. Als er einen Blick über die Schulter warf, sah er Anna, die sich immer noch weit aus dem Fenster lehnte und die Lampe vorreckte, als wolle sie noch bis zu ihm leuchten. Roland grinste leicht. Dann dachte er an die Haderlumpen, die er bewußtlos zurückgelassen hatte, und sein Grinsen verschwand. Die Burschen würden ihm ein paar harte Fragen beantworten müssen. Das taten sie jedoch nicht. Als Roland durch das Fenster in die Kammer stieg, lag nur noch einer am Boden neben dem Bett. Elisabeth war weg. *
Roland zündete schnell die Lampe an. Der Mann am Boden war keiner der Räuber. Es war der Gast, mit dem Roland am Abend geplaudert hatte, ein dicker Weinhändler, der ihm beim Essen mit seinem Geschwätz auf die Nerven gegangen war. Der Dicke regte sich. Er stemmte sich ungeschickt auf und tastete stöhnend an seinen Hinterkopf. Dann blinzelte er zur Lampe und zu Roland hin. »Was ist passiert?« ächzte er. »Das möchte ich auch gern wissen«, erwiderte Roland. Er stellte die Lampe ab und nahm seine Kleidungsstücke vom Schemel. Es widerstrebte ihm, die Sachen anzuziehen, denn sie würden schmutzig werden und den Mistgeruch annehmen, doch er konnte schließlich nicht gut nackt durch die Herberge spazieren und mit dem Wirt sprechen, der gewiß die bewußtlosen Haderlumpen gefangengenommen hatte und mit Elisabeth auf seine Rückkehr wartete. »Die Räuber!« stieß der dicke Weinhändler hervor. »Sie lagen hier, als ich ins Zimmer kam! Und die arme Dame! Ich fragte sie gerade, was los war, da hörte ich hinter mir ein Geräusch, und dann traf mich etwas am Kopf.« Ein schlimmer Verdacht stieg in Roland auf. Wenn der Weinhändler niedergeschlagen worden war, dann war möglicherweise nicht alles so abgelaufen, wie er gedacht hatte. »Hat der Wirt nicht die Kerle ...« Roland verstummte und hob lauschend den Kopf. Eine Kutsche verließ den Ort. Hufschlag und Räderrasseln entfernten sich in der Nacht. Flüchtig fragte er sich, wer zu dieser späten Stunde mit der Kutsche davonfuhr. Dann dachte er an Elisabeth Terciere, und er fluchte lautlos. Wie sehr hatte sie ihn erregt! Und dann hatten ihm diese Kerle alles verdorben. »Was geht hier vor?« Ein kleiner, kahlköpfiger und krummbeiniger Mann stürmte mit allen Anzeichen von Aufregung in das Zimmer. Sebastian Wolter,
der Wirt. Sein graues Schnurrbärtchen, die letzte Bastion seiner Haare, sträubte sich. Die blauen Schweinsäuglein blickten Roland vorwurfsvoll an. Roland berichtete mit knappen Worten und gürtete sein Schwert. »Wo sind die Kerle, und wo ist die Dame?« fragte er dann. Die Antwort war wie ein Fausthieb für ihn. »Welche Kerle? Hab' keine Kerle gesehen. Und die Dame?« Der Kleine zuckte mit den schmächtigen Schultern. »Soeben abgereist.« »Abgereist?« entfuhr es Roland verblüfft. »Abgereist.« Mehrmals nickte Sebastian. »Wieso habt Ihr überhaupt nichts gehört?« fragte Roland mißtrauisch. Der Wirt zuckte mit den schmalen Schultern. »Ich schlief. Da weckte mich die Dame und verlangte, daß ich auf der Stelle anspanne.« Sonderbar! dachte Roland. Weshalb diese überstürzte Abreise? »Hat sie etwas gesagt?« fragte Roland angespannt. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Elisabeth in der Nacht die Reise fortsetzte. Voller Sorge hatte sie von den Gefahren gesprochen, die einer nur mit zwei Kutschern reisenden Dame in dieser Gegend drohten. Irgend etwas stimmte da nicht! Sebastian Wolter nickte heftig, und sein Adamsapfel ruckte auf und ab. »Gewiß hat sie etwas gesagt.« »Spann mich nicht auf die Folter!« sagte Roland schroff. Am liebsten hätte er dem Glatzkopf die Worte aus der dicken roten Nase gedreht. »Sie sagte - auf Wiedersehen.« Sebastian grinste dümmlich. Roland unterdrückte ein Seufzen. »Sonst nichts?« vergewisserte er sich. »Sonst nichts.« »Ich verlange eine Erklärung!« sagte der Weinhändler zornig. Auch Roland hätte gern eine Erklärung gehabt, doch von dem Wirt
war nichts zu erfahren. Die Räuber waren weg, und Elisabeth war weg. Zum Glück nur mit ihren Kutschern und wohlbehalten, wie der Wirt beteuerte, der bei der Abfahrt zugegen gewesen war. Roland hatte schon an eine Entführung gedacht. Trotzdem war die ganze Sache recht seltsam. Er ließ sich noch einmal alles durch den Kopf gehen und kam zu dem Schluß, daß er ein rechter Dummkopf gewesen war. Vermutlich waren die Eindringlinge kleine Räuber gewesen, die schnelle Beute hatten machen wollen. Er hätte bei Elisabeth und den bewußtlosen Haderlumpen bleiben sollen, anstatt wie ein Tölpel auf Verfolgungsjagd zu gehen und in einem Misthaufen zu landen. Er ärgerte sich über sich selbst, und als er Sebastian Wolter grinsend schnuppern sah, juckte es ihm in den Fingern. »Mich dünkt, das riecht nach ...« Sebastian kratzte sich am Kinn und legte die Stirn in Falten. »Laßt mich raten ...« »Ja, verdammt!« fuhr Roland ihn so zornig an, daß der Kleine erschrocken zurückhüpfte. Die Schweinsäuglein blickten erschreckt, dann trotzig, dann verschlagen und schließlich schadenfroh. »Mich dünkt, Ihr seid schlechter Laune«, sagte er hämisch. »Doch Ihr solltet Euch mäßigen, anstatt Eure Wut an mir auszulassen. Was kann ich dafür, daß die Dame so schnell abreiste? Vielleicht wart Ihr im Bett nicht gut genug ...« Er verstummte. Roland packte ihn am Hals und hielt ihn zur Zimmerdecke hoch. Zappelnd hing der Kleine in seinem Griff und strampelte mit den krummen Stummelbeinen. »Laßt mich los, Ihr Wüstling!« japste er mit krebsrotem Kopf. »Ich bin hier der Herr im Haus, und ich weise Euch aus der Herberge, wenn Ihr ...« »Ich gehe freiwillig«, knurrte Roland. »Hier ist es mir zu unruhig. Gibt es im Ort einen stilleren Gasthof, den du mir empfehlen kannst?« Immer noch hielt er den schwitzenden Kleinen hoch, und Sebastian
hatte das Strampeln eingestellt. Jetzt grinste er gar boshaft. »Mein Gasthof ist der einzige«, sagte er. »Ihr werdet im Schweinestall übernachten müssen, wenn Ihr mich nicht sofort loslaßt.« Nun, das waren schlechte Aussichten, und Sebastian war offenbar zu einem Kompromiß bereit, weil er an seinen Verdienst dachte, und so ließ Roland ihn los. Der Kleine stieß einen quiekenden Laut aus, als er auf die Dielen krachte. Er rieb sich die rote Nase, die ob des Aufpralls noch ein wenig roter geworden war, und bedachte Roland mit einem giftigen Blick. Der dicke Weinhändler kicherte. Dann wandte er sich an Roland, während der Wirt sich zornig fluchend aufrappelte. »Könnt Ihr Euch das alles erklären?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Was wollten diese Räuber?« Roland zuckte mit den Schultern. »Sie haben es nicht gesagt.« »Ihr habt das gewiß alles nur geträumt«, keifte Sebastian Wolter. »In meinem Haus gibt es keine Räuber.« Rolands Zorn war verraucht, und es tat ihm jetzt leid, daß er den Wirt etwas unfreundlich behandelt hatte. Schließlich konnte Sebastian nichts für die Ereignisse. »Aber ich hab' sie mit eigenen Augen gesehen«, ereiferte sich der Weinhändler. »Und die Dame hat es mir gesagt. Ich wollte sie gerade - äh - trösten - und da hat mich einer niedergeschlagen!« Er tastete an seinen Hinterkopf. »Keiner kann behaupten, ich hätte die Beule geträumt.« Sebastian Wolter und der Weinhändler, dessen Name Roland vergessen hatte, begannen einen hitzigen Wortwechsel. Roland hörte gar nicht mehr hin. Tatsache war, daß er Elisabeth und die Liebesnacht vergessen konnte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihrer Kutsche nachzureiten, doch dann entschied er sich dagegen. Sie hätte nicht so überstürzt abzureisen brauchen. Er konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Er hatte fast den Verdacht, daß sie
nur auf ein schnelles Schäferstündchen aus gewesen war. Eine wirklich Liebende hätte voller banger Sorge auf seine Rückkehr gewartet und sich nicht einfach grußlos davongemacht. Nein, sie konnte zum Teufel fahren, die Comtesse aus Burgund. Er wollte sich nicht zum Narren machen und ihr nachreiten. Schon gar nicht stinkend, worüber sie sich vermutlich lustig machen würde. Außerdem mußte er auf die Knappen Louis und Pierre warten, die am nächsten Morgen mit der Kutsche in Hohenwarth eintreffen würden. Sie waren nicht zum Vergnügen unterwegs. Sie sollten den Räubern das Handwerk legen, die in diesem einsamen Landstrich rund um den Schwarzriegel Reisende Überfielen. Gewiß hätte König Artus nicht Ritter Roland beauftragt, der Räuberbande das Handwerk zu legen, die sich bisher mit recht bescheidener Beute zufrieden gegeben hatte. Doch die Lumpen hatten, ohne es zu wissen, bei einem ihrer Überfälle ein prominentes Opfer ausgenommen: Ginevra, König Artus' Gemahlin. Sie hatte Verwandte besucht und war nur mit einer kleinen Eskorte gereist. Keiner war zu körperlichem Schaden gekommen, doch Ginevras Schmuck, den sie getragen hatte, war den Räubern in die Hände gefallen. Unter anderem und vor allem sollte Ritter Roland diese kostbaren Geschmeide wiederbeschaffen. Louis und Pierre fuhren in einer der Kutschen, die bereits zweimal überfallen worden waren. Sie gaben sich als normale Reisende aus, hörten sich unauffällig um und hofften, irgendeine Spur zu den Räubern zu finden. Ritter Roland hatte das gleiche in Hohenwarth getan, dem kleinen Ort, in dessen Nähe der letzte Überfall stattgefunden hatte. Er hatte gehofft, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden zu können, als er Elisabeth Terciere, diese süße sinnliche Katze, kennengelernt hatte. Doch es hatte nicht sein sollen ... »Kann man hier baden?« fragte Roland den Wirt, der sich immer noch mit dem Weinhändler herumstritt, der geschickt den
Zimmerpreis herunterzuhandeln versuchte, weil »man in dieser Bude seines Lebens nicht sicher sei«. »So spät noch baden?« Sebastian Wolters Adamsapfel hüpfte empört auf und ab. Seine Miene war völlig fassungslos. »Ein solches Ansinnen wurde bisher von keinem Gast gestellt.« Er kicherte. »Allerdings suhlen sich auch die wenigsten in Misthaufen.« Er grinste, als er Rolands grimmige Miene sah. »Da müßt Ihr schon zu Annas Badehaus gehen«, fuhr er fort. »Aber das kostet einiges. Anna nimmt bestimmt den doppelten Preis, wenn Ihr zu dieser späten Stunde Einlaß bei ihr begehrt.« Roland überlegte, ob er sich stinkend wie er war, zur Ruhe begeben sollte. Nein, das kam nicht in Frage. »Wo ist der Brunnen?« »Am anderen Ende der Stadt. Aber da könnt Ihr gewiß nicht baden. Direkt gegenüber wohnt die alte Thekla. Die schläft kaum nachts und hat Augen wie ein Luchs. Nein, da kann ich Euch eher Anna empfehlen.« Anna? Den Namen hatte Roland vor kurzem doch schon gehört. »Wo ist dieses Badehaus?« fragte er interessiert. Der Wirt erklärte ihm den Weg. Durch die Gasse jenseits des Hofes und links das fünfte Steinhaus. Kein Zweifel, es konnte sich bei Anna nur um die Maid handeln, die er flüchtig kennengelernt hatte. Im nachhinein mußte Roland schmunzeln. Jetzt wurde ihm klar, weshalb sie ihn hatte zurückhalten wollen. Sie hatte in ihm nichts anderes als einen Kunden gewittert. Der Gedanke an ein Wiedersehen mit dieser Anna amüsierte ihn. »Ist dieses Badehaus jetzt noch geöffnet - ich meine für Notfälle?« erkundigte er sich. »Gewiß, gewiß«, erklärte Sebastian. »Aber das kostet einiges. Anna ist kein billiges Mädchen, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Sebastian grinste von einem Ohr zum anderen und zwinkerte Roland zu, sozusagen von einem Schlingel zum anderen. Roland glaubte, ihn gut zu verstehen. Nun, er war bereit, den Preis zu bezahlen. Nach all dem Ärger
hatte er sich wenigstens die Wonnen eines Bades verdient, oder? * Die Kutsche rumpelte durch die Nacht. Die Knappen dösten vor sich hin. Louis und Pierre waren die einzigen Passagiere, mal abgesehen von der Fliege, die sich bei der Abfahrt in die Kutsche gemogelt hatte und seither alles daran zu setzen schien, die beiden Reisenden zu ärgern. Die freche Fliege kroch gerade über Louis' Nase. Der Knappe gähnte schläfrig und kratzte sich an der Nase. Die Fliege flüchtete. Sie umkreiste summend den Kopf des Knappen. Louis kratzte sich am schwarzen Bart und hielt finster nach dem Störenfried Ausschau. Vermutlich ahnte die Fliege die Gefahr und wechselte deshalb flugs zu Pierre über, der einen gutmütigeren Eindruck auf sie machte. Louis, aus seinem Nickerchen aufgeschreckt, beobachtete mißmutig die elegante Landung der Fliege. Pierre schnarchte offenen Mundes, und sein Kopf, der auf die Brust gesunken war, ruckte beim Holpern der Kutsche auf und ab. Die Fliege ließ sich auf Pierres Nase nieder, ruhte sich kurz aus und krabbelte dann auf Erkundung über Pierres mollige Wange. Dort verharrte sie, und Louis hatte das Gefühl, daß sie ihn irgendwie herausfordernd anstarrte. Das war gewiß nur Einbildung, denn im schwachen Mondlicht, das durch die Fenster in die Kutsche fiel, war die Fliege gerade als dunkler Punkt auf Pierres heller Wange zu erkennen. Dennoch konnte Louis nicht widerstehen. Langsam holte er mit der flachen Hand aus. Jetzt! Er hielt jäh in der Bewegung inne, keine Handbreit von Pierres Wange. Dieses Mistvieh von Fliege hatte die Bewegung im Ansatz bemerkt und blitzschnell abgehoben. Im nächsten Augenblick summte sie schon um Louis' Nase, und es klang in des Knappen
Ohren wie Hohngelächter. Louis entschied sich, das blöde Vieh einfach zu ignorieren. Gelangweilt blickte er aus dem Fenster. Bäume und Büsche schienen vor der hellgelben Scheibe des Mondes vorbeizufliegen. Es war eine milde Juninacht. Bestimmt lagen alle vernünftigen Menschen in ihren Betten, statt in einer ungemütlichen Kutsche zu hocken und durch die Nacht zu rumpeln. Louis dachte an den Auftrag und gähnte. Roland hatte sie vermutlich umsonst auf Reisen geschickt. Seit vier Tagen gondelten sie schon durch die Gegend rings um den Schwarzriegel, um Hinweise auf die Räuber zu finden oder gar selbst überfallen zu werden. Doch nichts hatte sich getan. Und in dieser Nacht schliefen die Räuber sicherlich tief und fest und verpraßten im Traum die bisherige Beute. Louis seufzte und scheuchte die Fliege von seinem Bart. Sie suchte sich einen neuen Ruheplatz auf Pierres Nase. Die Kutsche holperte gerade durch ein Schlagloch, und Pierres Kopf ruckte hoch, doch die Fliege ließ sich dadurch nicht erschrecken. Ein ganz gerissenes Luder, dachte Louis und konnte eine gewisse Bewunderung nicht unterdrücken. Das Vieh wußte genau, wann richtige Gefahr drohte, und wann nicht. Die Fliege krabbelte auf Pierres vom Mondschein versilberte Wange. Wieder hatte Louis das Gefühl, sie würde ihn herausfordernd anstarren. Da konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Klatsch! Vom Jagdfieber erfaßt schlug Louis weit fester zu, als beabsichtigt. Pierres Kopf flog zur Seite, und das leise Schnarchen hörte unvermittelt auf. Im nächsten Augenblick hielt Pierre sein Schwert in der Faust, sprang auf und stieß sich den Kopf am Kutschendach. Wild zuckte sein Blick hin und her, aus dem Fenster, dann zu Louis, der vergebens seine Handfläche nach einer zerschmetterten Fliege
absuchte, jedoch nicht fündig wurde. Louis konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Pierre ließ das Schwert sinken. »Was war das?« fragte er mit angespannter Stimme. »Was soll schon gewesen sein?« erwiderte Louis harmlos. Pierre rieb sich über die Wange. »Jemand hat mich geschlagen!« stieß er hervor. »Ich dachte, es wäre ein Überfall.« Louis spielte kurz mit dem Gedanken, Pierre von seiner Fliegenjagd zu erzählen, doch dann entschied er sich dagegen. Wenn er das Fliegenbiest erledigt hätte, dann hätte er Pierre stolz die Jagdtrophäe präsentiert und einen Beweis gehabt, daß die Maulschelle einem guten Zweck gedient hatte. Doch der »Beweis« schwirrte putzmunter um Louis Kopf herum und summte höhnisch, und Pierre konnte möglicherweise etwas Falsches denken. So brummte Louis: »Unsinn, du mußt geträumt haben.« Pierre nickte ein wenig zweifelnd, gähnte und reckte sich. »Diese verdammte Unbequemlichkeit«, murrte er. »Wenn ich daran denke, daß ich jetzt auf einem weichen Bett liegen könnte ...« »Du denkst an Gudrun«, stellte Louis grinsend fest. »Ja ja, bei der ist gut ruhn, so fein gepolstert, wie die überall ist.« »Woher weißt du ...?« fragte Pierre entgeistert und strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. Louis lachte leise. »Du entwickelst dich in letzter Zeit zum Schwerenöter, mein lieber Pierre. Ja, wie heißt es so schön - stille Wasser sind tief. Selbst einem Blinden dürfte kaum entgangen sein, daß du was mit dem Wirtstöchterchen in Hohenwarth hast. Kurz vor der Abreise sah ich dich gar aus ihrer Kammer kommen.« »Ich hatte mich nur verabschiedet«, sagte Pierre verdattert. Louis lachte. »Der Abschied muß recht heftig gewesen sein, wenn ich daran denke, wie zerwühlt ihr Blondhaar und wie zerknittert ihr Nachtgewand war, das sie vergessen hatte, vorne zu schließen, auf daß ich einen Blick auf ihre Äpfelchen erhaschen konnte. Ja, mein lieber Pierre, ich muß schon sagen ...»Er sagte es nicht. Pierres Hand
klatschte ihm ins Gesicht. Louis zuckte zurück. »He, was soll das?« fragte er zornig. Pierre grinste breit, »'tschuldige«, murmelte er. »Diese verdammte Fliege ärgert mich schon während der ganzen Fahrt.« »Hast du sie erwischt?« fragte Louis. »Nein«, bekannte Pierre, immer noch grinsend, und in Louis stieg der Verdacht auf, daß Pierre die Jagd gar nicht ernsthaft betrieben hatte. »He, mein lieber Pierre, wenn du meinst, du könntest mich verarsch ...« Wiederum war es dem Knappen nicht vergönnt, auszusprechen. Ein Schrei gellte, und mit einem Ruck kam die Kutsche zum Stehen, als sei sie gegen eine Barriere geprallt. Louis und Pierre flogen durch den Passagierraum und fanden sich benommen auf den gegenüberliegenden Sitzen wieder. Ein Pferd wieherte schrill und gequält. Hufe stampften. Die Kutsche ruckte auf und ab. »Ergebt euch, ihr habt keine Chance!« ertönte eine rauhe Stimme aus der Nacht. »Runter vom Bock, ihr beiden!« »Gnade! Gnade!« Louis und Pierre erkannten die Stimme des Kutschers Franz. »Mach dich nicht naß«, rief die rauhe Stimme spöttisch. »Keiner tut dir was, wenn du brav bist. Solltest du allerdings Dummheiten machen, bist du des Todes!« »Und jetzt?« flüsterte Pierre und suchte im Halbdunkel der Kutsche Louis' Blick. »Ruhe bewahren und tun, was sie sagen«, raunte Louis. »Merk dir genau die Typen und die Richtung, in die sie verschwinden. Dann brauchen wir nur noch die Verfolgung aufzunehmen und festzustellen, wo ihr Versteck ist.« Er lauschte angespannt. Eines der Pferde schnaubte. Hufe stampften. Schritte näherten sich. »Runter, hab' ich gesagt!« rief die rauhe Stimme. »Eh, wird's bald, oder sollen wir nachhelfen?«
»Neeein ...»Der Aufschrei verstummte wie abgeschnitten. Ein dumpfer Aufprall folgte. »Wer nicht hören will, muß fühlen«, sagte die rauhe Stimme. Jemand kicherte. »Eh, ihr Passagiere! Kommt alle mit erhobenen Händen heraus!« Louis nickte Pierre aufmunternd zu. Beide legten die Schwerter auf die Sitze. Es war abgesprochen, daß sie bei einem Überfall keinerlei Gegenwehr leisten sollten. Sie sollten nur beobachten und Hinweise sammeln. Bei den meisten Überfällen war alles zu schnell gegangen, und die Reisenden waren so erschrocken gewesen, daß sie kaum etwas Brauchbares ausgesagt hatten. Louis stieg als erster aus der Kutsche. Sein Blick glitt nach vorne an der Kutsche entlang. Ein Baumstamm blockierte den Fahrweg. Die ersten beiden Gespannpferde lagen zusammengebrochen im Geschirr. Pfeile ragten aus ihrem Fell. Die anderen vier Rösser scheuten und wollten zurückweichen, doch der Kutscher hatte die Bremse festgedreht, und es gab kein Vor und Zurück für die erschreckten Tiere. Einer der Fahrer stand mit erhobenen Händen neben dem Wagenbock. Sein Gefährte Franz lag reglos und verkrümmt am Boden. Ein hünenhafter Kerl mit wirr abstehendem blondem Bart und Haupthaar stand mit einer Keule in der Hand neben ihm. Louis sah einen Bogenschützen und zwei weitere Männer, die mit Schwertern bewaffnet waren. Die Kerle sahen recht zerlumpt aus bis auf einen, der offenbar der Anführer war. Er war groß und schlank, und die feine nagelneue Kleidung schien ihm auf den Leib geschneidert zu sein. Vermutlich hatte er sie einem reichen Reisenden ausgezogen oder sie sich vom Beutegeld maßschneidern lassen. »Ist das alles?« fragte der Elegante. Es war die rauhe Stimme, und für die Knappen bestand kein Zweifel mehr, daß es sich um den Anführer handelte. Der zweite Schwertträger sprang auf die Knappen zu und fuchtelte Louis mit dem Schwert vor der Brust herum. »Antworte, Schwarzbart, wenn dich Gerold etwas fragt!«
Der Bursche beging einen großen Fehler. Er fühlte sich zu sicher. Louis hätte das Handgelenk packen und den Kerl überrumpeln können. Es juckte ihm in den Fingern, doch er bezwang sich. Da waren die anderen, vor allem der Bogenschütze, der abseits stand und nachlässig einen Pfeil auf der Sehne hielt. »Wir sind die einzigen Reisenden«, sagte Louis und bemühte sich, seinen Zorn zu unterdrücken und ruhig zu sprechen. Der Kerl in der zerlumpten Kleidung zog sein Schwert zurück und blickte den Anführer an. »Magere Beute«, murmelte er. Der Anführer gab einen herrischen Wink. »Theo, sieh mal nach.« Der Mann mit der Keule eilte zur Kutsche. Er verschwand darin. Sie hörten einen dumpfen Aufprall wie von einem Schlag. Die Haltung des Eleganten straffte sich, und er hob das Schwert. »Was ist los?« rief er angespannt. »War nur 'ne Fliege«, ertönte Theos Stimme aus der Kutsche. »Hab' sie plattgemacht.« Es hat sie also doch noch erwischt, dachte Louis. Auch ein Opfer des Überfalls ... »Zwei Schwerter«, meldete Theo aus der Kutsche. »Sonst nichts.« »Ist doch schon mal was«, sagte der Anführer. »Hol das Gepäck!« Theo warf die Reisetaschen der Knappen neben die Kutsche. Er durchwühlte die Taschen und meldete ein wenig enttäuscht, daß sie nicht viel von Wert enthielten. »Zieht euch aus, ihr beiden!« sagte der Anführer und gab Louis und Pierre einen Wink mit dem Schwert. Die Knappen tauschten einen schnellen Blick. Damit hatten sie nicht gerechnet. Bisher hatten die Überfallenen nur die Taschen leeren müssen. »Ich habe fünf Dukaten und ...« begann Louis. »Ausziehen!« unterbrach ihn der Räuber namens Gerold. »Oder wir ziehen euch aus. Dann aber entkleiden wir eure Leichen!« Pierre schluckte. Hastig begann er sich auszuziehen. Nach kurzem Zögern gehorchte auch Louis.
Theo nahm ihnen die Sachen weg. Er probierte sofort einen von Louis Stiefeln an. Ein anderer zog seine zerlumpte Hose aus und schlüpfte in Pierres Hose. »Zu dick, der Kerl!« beschwerte er sich. Er warf die Hose einem Kumpan zu und schlüpfte in Louis' Hose. »Genug der Kleideranprobe«, rief der Anführer. »Achim, sorg dafür, daß uns keiner folgen kann.« Der Bogenschütze nickte. Er spannte den Bogen, zielte und traf das nächste Pferd. Das gepeinigte Wiehern der gequälten Kreatur stach Louis ins Herz. »Laßt die Tiere am Leben!« rief er wütend. »Du hältst das Maul, oder ich schieße dir einen Pfeil in den Hintern!« rief der Bogenschütze und zog bereits den nächsten Pfeil aus dem Köcher. Louis ballte die Hände in ohnmächtigem Zorn. »Laßt meine guten Pferde!« flehte auch der Gefährte von Franz. »Ihr könnt sie doch mitnehmen.« »Wir haben bereits genug Rösser!« sagte der Anführer. »Aber...« Ein Keulenhieb schleuderte den Kutscher zu Boden. Pierre vergaß, daß er sich Gesichter und Kleidung der Räuber einprägen sollte. Er schloß die Augen, als er das qualvolle Wiehern sterbender Pferde und das Schlegeln der Hufe im Todeskampf hörte. Louis indessen beobachtete genau. Er hatte sich die Namen eingeprägt, die er gehört hatte, die Gesichter und Stimmen, und er glaubte die Kerle auch in anderer Kleidung wiederzuerkennen. Doch was nutzte das? Sie verschwanden schließlich im Dunkel der Nacht, und bald darauf entfernte sich Hufschlag nach Norden. Zurück blieben zwei bewußtlose Kutscher, sechs tote Pferde und zwei Knappen in Unterwäsche. »Oh Gott«, murmelte Pierre. »Was wird nur Ritter Roland sagen, wenn er in Hohenwarth vergebens auf uns wartet?«
* Ritter Roland sagte derweil artig: »Guten Abend.« Anna, die auf sein Klopfen hin geöffnet hatte, lächelte. Sie hatte ein bezauberndes Lächeln, bei dem sich Grübchen um ihren Mundwinkel bildeten und Roland die ebenmäßigen weißen Zähne sehen konnte. Große haselnußfarbene Augen strahlten Roland an. Ihr langes blondes Haar fiel wie ein güldenes Vlies über ihre Schultern und reichte fast bis zum Ansatz des Busens. Sie trug immer noch das Nachthemd. Es war schön geschneidert, fast wie ein Kleid, mit spitzenbesetztem Ausschnitt und Rüschen am knöcheltiefen Saum. Der Stoff war dünn, und die Konturen ihres Körpers zeichneten sich recht deutlich vor dem Schein der Lampe ab. »Man könnte fast Gute Nacht sagen«, erklärte sie, musterte Ritter Roland interessiert, und ihr Lächeln brachte sein Blut in Wallung. »Verzeiht, daß ich zu so später Stunde störe, aber ...« Sie unterbrach ihn lachend. »Ich weiß, Ihr wollt baden. Das Wasser ist schon angeheizt.« Ritter Roland blickte verdutzt. »Ich wußte, daß Sebastian Euch schickt«, erklärte Anna. »Er ist ein Verwandter, und er schickt uns immer Kunden, die baden wollen. Und daß Ihr baden wolltet, verriet mir meine Nase.« Sie krauste das zierliche Naschen, und der Blick dieser großen seelenvollen Augen beunruhigte ihn. Roland mußte an Elisabeth Tercieres grüne Katzenaugen denken und an das, was er darin gelesen hatte, als sie miteinander ins Gespräch gekommen waren. Es war jetzt fast ein ähnlicher Ausdruck in Annas Augen. Und dieses Lächeln, dieser kokette Augenaufschlag! »Kommt Ihr mit mir?« fragte sie und musterte ihn irgendwie prüfend. »Nur zu gerne«, entfuhr es Roland. Sie lachte leise und wandte sich um. Sie nahm die Lampe vom Tisch und schritt zum Nebenzimmer.
Er folgte ihr und bewunderte den Schwung ihrer Hüften. Eine wirklich wohlgeformte Maid, diese Anna. Anfang Zwanzig, doch sehr selbstsicher und gewiß schon erfahren in der Liebe, wie ihr wissender Blick verriet. Sie wandte den Kopf und ertappte ihn dabei, wie er auf ihre wohlgerundete Kehrseite starrte. »Gefalle ich Euch?« fragte sie mit lustig funkelnden Augen. Zapperlot! dachte Roland, welch offene Maid! Andere wären errötet ob seines Blickes, doch sie nahm es wie selbstverständlich hin. »Sehr«, sagte Roland und ärgerte sich ein wenig, weil seine Stimme so belegt klang. »Das sagen alle«, erklärte Anna. Diese selbstsichere Bemerkung kühlte den Ritter ein wenig ab. Er schalt sich einen Narren. Gewiß sah sie in ihm nur den Kunden. Sie stellte die Lampe ab, und Roland schaute sich um. Eine einfache Kammer, die zweckmäßig eingerichtet war. Ein großer Holzzuber, in dem Wasser dampfte. Daneben ein Lager aus Decken. Ein kleiner Tisch, auf dem Badeutensilien standen und lagen: Seife, Pulverdosen, Salbe, eine Bürste, Handtücher. Ein großer Spiegel an der Wand. Daneben die Bleistiftzeichnung eines nackten Mädchens, das gerade aus einem See stieg. Das Mädchen kam ihm irgendwie bekannt vor. Anna zündete Kerzen an. »Gefällt Euch das Bild?« Er hatte das Gefühl, sie könnte Gedanken lesen. Dann sah er, daß sie in den Spiegel schaute und genau sah, wohin er blickte. Er nickte. »Das bin ich«, erklärte Anna in ihrer natürlichen offenen Art. »Mir gefällt es nicht. Der Künstler hat meine Schenkel zu breit gemalt und die Brüste zu klein. Gewiß war das seine Rache wegen unserer Preise.« Sie wandte sich ihm zu und lächelte über einen recht verdutzten Roland. »Er konnte nicht zahlen, und da ließ ich mich malen«, erklärte sie.
»Schockiert?« Roland schüttelte den Kopf. »Das ist gewiß eine charmante Lüge«, sagte Anna. »Ihr seid schockiert. Ich weiß, daß Ihr von höherem Stande seid, und in diesen Kreisen tun fast alle immer so verschämt, obwohl sie doch auch nur Menschen sind, oder?« Roland wußte nichts darauf zu erwidern. »Woher wißt Ihr ...?« begann er statt dessen. »Sebastian erzählte, daß Ihr eine Liebschaft mit einer Comtesse habt«, sagte sie in ihrer unverblümten Art. »Da liegt doch auf der Hand, daß Ihr ihresgleichen seid. Comtessen geben sich gewiß nicht mit irgenwelchen Stallburschen ab.« Manchmal schon, dachte Roland amüsiert, doch er wollte Anna bei ihrer einmal gefaßten Meinung nicht widersprechen, und so sagte er mit einem Lächeln: »Mich dünkt, Ihr habt nicht nur eine bezaubernde Gestalt, sondern auch ein helles Köpfchen.« Das waren die richtigen Worte, die äußerst selten bei den Damen ihre Wirkung verfehlten. Anna strahlte. »Ein schönes Kompliment von einem schönen Schmeichler.« Sie senkte die Lider. »Ist Sie schön, Eure Comtesse?« »Sie ist nicht meine Comtesse«, erwiderte Roland. »Wir haben uns nur flüchtig kennengelernt. Außerdem ist sie schon abgereist.« Da blickte Anna auf, und sie strahlte von neuem. Sie sahen einander an, und es entstand ein Schweigen, das Roland irgendwie verlegen machte. Auch Anna wirkte verlegen. »Nun, sprechen wir über die Preise«, sagte sie plötzlich ganz geschäftsmäßig. »Fünf Dukaten für ein Bad, und wenn Ihr besondere Wünsche habt...« »Zum Beispiel?« hörte Roland sich fragen. »Zum Beispiel eine Massage zur besseren Gesundheit«, antwortete Anna, ohne ihn anzusehen. »Das macht drei weitere Dukaten.« Fünf Dukaten für ein Bad war gewiß ein gesalzener Preis. Da kam es auf die drei Dukaten auch nicht mehr an.
»Gemacht«, sagte Roland. Sie sah ihm lächelnd in die Augen, und ihre Lider flatterten leicht. »Ich wußte, daß Ihr ein guter Kunde seid. Ihr könnt Euch schon entkleiden. Ich hole derweil noch einen Eimer heißes Wasser.« So geschah es. Roland entkleidete sich in Windeseile und stieg in den Badezuber. Das Wasser war nicht mehr sehr warm und noch bar jeder Seife. Anna kehrte mit heißem Wasser zurück. Ihre Wangen röteten sich leicht, als sie in den Zuber blickte. Sie griff ins Wasser, um die Temperatur zu prüfen. Gewiß war es Zufall, daß ihre Hand dabei Rolands Oberschenkel berührte, was ein seltsames Prickeln in Roland weckte. »Und was hättet Ihr mit dem angerichteten Bade gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre?« fragte er, um sich und Anna abzulenken. Anna lachte. »Dann hätte ich selbst gebadet oder das Wasser morgen wieder aufgewärmt.« Sie brachte ihm Seife, die Bürste und Handtücher. »Ich werde Eure Sachen saubermachen«, sagte sie und nahm seine Kleidungsstücke. »Wenn Ihr fertig gebadet habt, so ruft zur Massage.« Ein letztes Lächeln, ein funkelnder Blick ihrer haselnußbraunen Augen, dann schritt sie anmutig in den Nebenraum, und Ritter Roland war allein. Er genoß das Bad und fühlte sich anschließend erfrischt und sauber. Doch ein bißchen Gesundheit konnte nicht schaden. Er freute sich auf die Massage. Anna hatte zarte, feingliederige Hände... Er betrachtete das Bild neben dem Spiegel. Schon darauf war Anna eine atemberaubende Schönheit. Und wenn der Künstler tatsächlich geschludert hatte, mußte ihr Anblick ja noch überwältigender sein. Ritter Roland trocknete sich ab. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich nackt auf das Lager zu legen und der Massage und Anna zu harren. Doch seltsam - trotz Annas offener Rede sagte ihm sein Gefühl, daß sie kein Lotterweibchen war und auch ihren Stolz hatte vielleicht mehr als manche Comtesse. Er band das Handtuch um seine Lenden und rief leise nach ihr.
Nichts tat sich, und er rief etwas lauter. Dann klappte nebenan eine Tür, und Schritte näherten sich. Doch das konnte nicht die leichtfüßige Anna sein! Da stampfte irgendein Riese heran! Schlagartig war Ritter Roland alarmiert. Eine Falle? Er sprang zu dem Stuhl neben dem Tisch. Sein Schwert hatte Anna nicht mitgenommen, wie er aufatmend feststellte. Er ergriff es und wirbelte zur Tür herum. Dann stockte ihm der Atem. Es war kein Riese, sondern eine Riesin. Eine gewaltige Dame, die sich ducken und förmlich ihre Massen zusammenquetschen mußte, um überhaupt durch den Türrahmen zu passen. Roland sah ein rundes Gesicht mit roten Pausbacken und einem dreifachen Kinn. Himmelblaue Kulleraugen musterten ihn. Der breite Mund verzog sich zu einem Grinsen. Silberne Ringe baumelten an den rosigen großen Ohren. Hellblonde Locken umrahmten das Gesicht. Eine enorme Dame, gut eine Haupteslänge größer als Ritter Roland und gewiß doppelt so groß in Breite und Tiefe. Roland mußte unwillkürlich an Hermine denken, die gepanzerte Gigantin mit dem goldenen Herzen, mit der er nach den Plänen des rothaarigen Luders Hanne hatte kämpfen müssen. »Laß den Blödsinn, Jungchen«, sagte die Dame mit tiefer grollender Stimme, und Roland erkannte die Stimme wieder. Er hatte geglaubt, es sei Annas Mann gewesen. »Ich bin Anna«, sagte sie, blieb breitbeinig stehen und stemmte die enormen Hände in die enormen Hüften. Sie kicherte, als sie Rolands Miene sah. »Anna die Große - im Gegensatz zu meiner mageren Nichte Anna. Willkommen in meinem Badehaus.« Sie stampfte näher und musterte Roland, als wolle sie Maß nehmen. Unbewußt sah sich der Ritter mit dem Löwenherzen nach einem Fluchtweg um. »Anna sagte mir, du seist ein besonders guter und lieber Kunde«, fuhr Anna die Gewaltige fort und kicherte.
Wenn jemals jemand grollend kichern konnte, dann diese Dame. Das Kichern klang, als käme es tief aus ihren gewaltigen Massen. »Nun leg dich schon hin, auf daß Anna dich gesundknetet«, sagte sie und wies mit einem enorm dicken Finger auf das Lager neben dem Badezuber. »Ich - bin nicht krank«, wandte Roland ein. Sie nickte, und ihr dreifaches Kinn und ihr zweifacher Busen wogten heftig. »So siehst du auch nicht aus. Aber du hast für eine Massage bezahlt und ...« Sie stutzte. »Hast du überhaupt schon bezahlt?« »Nein«, sagte Roland. Dann fiel ihm ein, daß Anna, die »Kleine«, seine Sachen mitgenommen hatte, und er schalt sich den größten Dummkopf aller Zeiten. Er mußte unter besonders gerissene Räuberinnen geraten sein! Anna hatte ihn wohl nur abgelenkt und bediente sich derweil aus seinen Taschen, während das Riesenweib ihn in die Flucht schlagen oder jedenfalls beschäftigen sollte! Natürlich würden die beiden bestreiten, ihn ausgenommen zu haben, und er würde als Gespött von Hohenwarth dastehen, wenn die Sache bekannt wurde. Zorn stieg in ihm auf. Er wollte gerade ein paar harte Worte mit der Riesendame und ihrer offenbar verkommenen Nichte sprechen, doch da tauchte in der Tür Anna auf. Sie lächelte und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Doch, doch, Tante«, rief sie hastig. »Roland - äh - der Herr hat bezahlt. Er hat mir seine Kleidung anvertraut, und ich habe den Preis entnommen. Nichts fehlt...« Wieder dieser verschwörerische Blick. »Es hat alles seine Ordnung, Anna!« Anna die Große holte tief Luft, und der gewaltige Busen schien noch anzuschwellen. »Er hat dir seine Kleidung anvertraut?« fragt sie mit dröhnender Stimme. »Und du nennst ihn Roland?« Ihr Blick zuckte von ihrer Nichte zu Roland. »Dies ist ein anständiges Badehaus!« sagte sie wütend. »Jaja«, murmelte Roland.
Ärgerlich wies Anna die Große mit einem dicken Daumen auf das Bild. »Diese Sauerei da verschwindet. Kein Wunder, daß die Kerle auf krumme Gedanken kommen ...« »Aber es ist doch Kunst ...« wandte Anna die Hübsche ein. »Papperlapapp.« »... und die Kunden feilschen nicht lange um den Preis, wenn sie es sehen«, fuhr Anna fort. Dieser praktische Einwand schien ihre Tante zu besänftigen. Sie fixierte Roland mit düsterem Blick. »Solltest du dir falsche Gedanken gemacht haben ...« »Gewiß nicht«, beteuerte Roland. Er sah, wie Anna die Hübsche hastig Zeichen machte, auf das Lager wies und mit den Fingern eine Massage andeutete. Anna die Gewaltige blickte zweifelnd. »Nun, ganz geheuer ist mir die Sache nicht. Ich überlege mir, ob ich die Kunden in Zukunft nicht selbst begrüßen sollte, damit sie nicht annehmen, die Kleine sei hier die Chefin. Nun leg dich hin, wenn du nicht mit Hintergedanken gekommen bist, auf daß ich dich massiere.« Roland zögerte, dachte an seine Knochen, aber dann sah er den fast flehenden Blick der schönen Anna und legte mannhaft das Schwert ab. Die junge Anna atmete sichtlich auf und zog sich zurück. Die nächsten zehn Minuten waren dann wie ein Alptraum für Roland. Mehrmals spielte der Ritter mit dem Löwenherzen mit dem Gedanken an Flucht, doch es gab kein Entrinnen aus den knetenden, hämmernden, walkenden, mitleidlosen Pranken der Riesendame. Gegen einen Mann hätte sich der Ritter glatt verteidigt, doch einer Dame gegenüber, noch dazu einer, die offenbar davon überzeugt war, etwas Gutes zu tun, schickte sich das nicht. Roland glaubte, sie wollte ihm sämtliche Knochen aus dem Körper auslösen und seine Muskeln und das Gewebe zermantschen. Mannhaft kämpfte er den Wunsch nieder, um Gnade zu flehen, und die Schamröte schoß ihm ins Gesicht bei dem Gedanken, daß ihn
König Artus oder die Ritter der Tafelrunde in dieser hilflosen Situation sehen könnten. Er schloß die Augen, als Anna die Gewaltige ihm in ihrer Begeisterung das Tuch von den Lenden riß und ihre Pranken auf seine Hüften eintrommelten und sein Gesäß bearbeiteten, daß ihm Hören und Sehen verging. Irgendwann ließ sie dann von ihm ab. Ein letzter, fast sanfter Klaps auf seine linke Pobacke, der vermutlich einen Pfosten in den Boden gerammt hätte, wenn einer da gewesen wäre, und dann richtete sich die Riesendame auf und sagte zufrieden: »Das war's, junger Freund. Übrigens hast du eine bemerkenswerte Muskulatur, die kaum einer Massage bedurfte. Solltest du einmal wirklich verkrampft sein, werde ich dich richtig durchkneten. Doch diesmal war nur eine sanfte Streichelmassage angezeigt. Empfiehl- mich weiter und beehre mich bald wieder.« Damit stampfte sie davon. Roland blieb wie erschlagen liegen. Er betastete seinen Körper. Es schien noch alles drin und dran zu sein. Und seltsam, nachdem sein Angstschweiß getrocknet war und sich sein Puls normalisiert hatte, fühlte er sich erstaunlich entspannt und trotzdem frisch. Sollte diese Riesendame tatsächlich eine »Gesundkneterin« sein? Sie brachte ihm dann seine Kleidungsstücke. Alles war ausgebürstet und duftete statt nach Mist nach Jasmin. Sogar die Stiefel waren geputzt. Gern hätte Roland der schönen Anna gedankt, doch sie ließ sich nicht mehr blicken. Das Geld war abzüglich der acht Dukaten vollzählig in seinen Taschen. Dazu fand Roland einen Zettel. Er entzifferte später auf seinem Zimmer die zierlichen Buchstaben darauf. Roland, verzeiht mir, wenn ich falsche Hoffnungen bei Euch weckte. Wie gerne hätte ich Euch selbst bedient - nicht als Kunden und um des Geldes willen - so eine bin ich nicht. Doch Tante wacht wie ein Luchs über mich. Sehe ich Euch wieder? Anna II, die auf Euch warten wird.
* Vögel begrüßten zwitschernd den neuen Tag. Die Sonne lugte über die Tannen auf dem Hügel im Osten und färbte das zarte Gespinst des Morgennebels mit rötlichem Schimmer. Tau glänzte auf Gräsern und Büschen. Eine Eichhörnchen-Familie hielt beim Frühstück inne und spähte zu den beiden Menschen, die sich über den Waldweg näherten. »Papa, was sind das für komische Leute?« fragte der kleine Eichhorn-Sohn. »Irgendwelche menschlichen Strolche«, brummelte das Oberhaupt der Eichhorn-Familie verächtlich. »Iß weiter, damit du groß und kräftig wirst wie dein Vater.« Die menschlichen Strolche waren Louis und Pierre. Sie wirkten in der Tat wenig vertrauenerweckend. Sie trugen die zerlumpten Klamotten, die von den Räubern zurückgelassen worden waren. Louis war nur mit seinem Unterhemd, einer löchrigen Hose und einem Schlapphut bekleidet, den er auf dem Weg in einer Schäferhütte gefunden hatte. Pierre trug einen von Motten zerfressenen Wams, eine schmutzstarrende, geflickte Hose und Schnürschuhe, aus denen die Zehen lugten. »Ich hab Hunger«, sagte Pierre bekümmert. »Bist du sicher, daß das der richtige Weg nach Hohenwarth ist?« »Sicher! Sicher!« erwiderte Louis gereizt. »Du hast doch gehört, was die Kutscher sagten. Bis zur Weggabelung im Süden und dann immer der Nase nach.« »Vielleicht hätten wir bei ihnen bleiben und warten sollen, bis jemand vorbeikommt«, murmelte Pierre. Louis stieß sich den nackten dicken Zeh an einem scharfkantigen Stein und fluchte. »Da hätten wir lange warten können. Und inzwischen wartet der Ritter auf uns. Verdammt, warum haben wir keinen Bauernhof gefunden oder einen Ort, in dem wir uns Rösser beschaffen
könnten?« »Womit?« wandte Pierre bedrückt ein. »Ohne Geld gibt uns keiner einen Kanten Brot.« Sein Magen knurrte wie zur Bestätigung-»Du denkst immer nur ans Fressen«, bemerkte Louis ärgerlich. Gegen Mittag sahen sie eine Kate. Sie schritten schneller aus, doch ihre Hoffnung, ein Essen zu bekommen, erfüllte sich nicht. Die baufällige Kate war verlassen. Louis fand Zündhölzer und einen Kerzenstummel, doch nichts Eßbares. »Der nächste Ort kann nicht mehr weit sein«, murmelte er. Doch er sollte sich täuschen. Am Nachmittag erreichten sie den Weißen Regen. Sie kühlten ihre wunden Füße im klaren Fluß, und Louis kam auf die Idee, eine Mahlzeit zu angeln. Eine Weidenrute war schnell abgebrochen, und Louis benutzte die Kordel, die dem Räuber als Gürtel gedient hatte, als Angelschnur. Pierre suchte derweil einen Regenwurm. Es dauerte eine Zeitlang, bis er einen ausgegraben hatte. Der Wurm krümmte sich und schien förmlich zusammenzuschrumpfen. Mißmutig starrte Pierre auf den kleinen Wurm. »Wenn ich Fisch wäre, würde ich ihn aus Mitleid verschonen«, murmelte er. »Deine Tierliebe geht zu weit«, knurrte Louis. Er nahm Pierre den Wurm ab und betrachtete ihn. »Wirklich ein mickriges Ding. Na ja, vielleicht sind die Fische nicht so verwöhnt.« Gnadenlos spießte er den Wurm auf den Holzpsan, den er am Ende der Kordel festgebunden hatte. Dann watete Louis in den Fluß und warf die provisorische Angel aus. Der Wurm zuckte und wand sich auf dem Spieß, als ahne er, was auf ihn zukommen würde. Doch er fand recht gnädige Fische. Vermutlich wurde sein Flehen erhört. Oder er war nicht appetitlich genug. Kein Fisch biß an. Nach einer halben Stunde verlor Louis die Geduld und schmetterte die Angel mit einem Fluch ins Wasser.
Pierre übernahm sie, vom Hunger getrieben. Er sah einen huschenden Schatten im klaren Wasser und hielt lockend den Köder hin. »Nun beiß, nun beiß!« Tatsächlich begann sich der Fisch - Pierre konnte nicht genau erkennen, was für eine Art es war - für die Mahlzeit zu interessieren. Pierre frohlockte und glaubte schon den Duft gebratener Forelle zu riechen. »Er beißt an!« raunte er Louis zu, der mit grimmiger Miene am Ufer hockte und lustlos Pierres Bemühungen zuschaute. »Was ist es?« rief Louis leise. »Ein Riesending«, behauptete Pierre. »Schon fast ein kleiner Wal. Hei, das wird ein Mahl!« Ähnliches sagte sich der Fisch in diesem Augenblick auch. Schwups biß er zu. Es gab nur einen kurzen Ruck an der Angel, dann sah Pierre den Fisch flossenwedelnd unter einen Stein davongleiten. Pierre zog die Angel aus dem Wasser. Der Wurm war weg. Der Knappe setzte gerade zu einem längeren Fluch an, als Louis ihn unterbrach. »Eine Kutsche«, rief er, spähte nach Südosten und sprang auf. Pierre ließ die Angel ins Wasser fallen und eilte ans Ufer. Ein wenig zu eilig, denn er rutschte auf einem glitschigen Kiesel aus und plumpste ins Wasser. Louis wollte zwischen den Pappeln und Weiden am Flußufer hervor der Kutsche entgegenlaufen. Die gürtellose Hose rutschte herunter, und er hielt sie fluchend mit einer Hand fest. Plötzlich verharrte er. »Was ist?« fragte er nasse Pierre atemlos, als er heran war und Louis' angespannte Haltung sah. »Sieh dir das an!« Louis nickte zum breiten Fahrweg hin, der auf einer Seite von Pappeln und auf der anderen von Brombeer- oder Himbeersträuchern gesäumt war. Pierre spähte zwischen den Bäumen am Flußufer hervor, und sein Mund klaffte auf.
Vor ihren Augen wurde die Kutsche überfallen! Die Fuhrpferde des Gespanns brachen von Pfeilen getroffen zusammen. Dann sprangen hinter den Büschen am Wegesrand wilde Gesellen hervor, schwangen Keulen und Schwerter und liefen auf die Kutsche zu, die in einer Staubwolke stehenblieb. Die Kutscher reckten die Hände hoch. »Ob das dieselben Kerle sind, die uns überfallen haben?« flüsterte Pierre angespannt. »Möglich«, brummte Louis. »Läuft jedenfalls nach dem gleichen Schema ab. Da! Da ist der Fatzke in der vornehmen Kleidung. Gerold. Und der eine trägt meine Hose! Es sind dieselben Haderlumpen!« »Wenn wir Rösser hätten, könnten wir sie verfolgen und ...« Pierre verstummte unvermittelt, und seine Augen weiteten sich. Aus der Kutsche sprang eine Gestalt. Unverkennbar eine Frau mit wohlgeformter Figur. Sie trug ein langes schwarzes Kleid. Es war am Saum und am Dekolleté mit weißer Spitze besetzt. Das Oberteil war eng wie ein Mieder gearbeitet, und bei den Hüften fiel das Kleid glockenförmig ab. Die langen schwarzen Haare der Frau flogen. Und sie schwang ein Schwert! Furchtlos sprang sie dem Anführer entgegen. Der Kerl riß sein Schwert hoch, um den Hieb zu parieren, doch er war wohl von dieser Attacke zu überrascht und reagierte nicht schnell genug. Die Frau fegte ihm das Schwert aus der Hand und streckte ihn mit einem schnellen, fast ansatzlosen Hieb aus dem Handgelenk zu Boden! Schon wirbelte sie zu einem der anderen Räuber herum. Der Bursche vergaß vor Verblüffung, seine Keule zu benutzen. Bevor er wußte, wie ihm geschah, traf ihn die Klinge in die Schulter, und brüllend ließ er seine Keule los und brach zusammen. Die Frau zog ihr Schwert zurück. Die Klinge blitzte im Schein der Sonne.
Ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast katzenhaft, und sie handhabte das Schwert mit einer unglaublichen Gewandtheit. So hatten die Knappen noch nie eine Frau mit dem Schwert kämpfen sehen. Ihre Kampftechnik war ja der eines Ritters ebenbürtig! Wie gebannt beobachteten die Knappen. Ein Pfeil klatschte neben der Frau in den Boden. Sie fuhr herum, entdeckte den Bogenschützen zwischen den Pappeln am Wegesrand und sprang hinter der Kutsche in Deckung. Sie schrie den Kutschern etwas zu. Die Knappen sahen, wie die beiden Männer vom Kutschbock herabsprangen. Einer ergriff das Schwert des Anführers, das am Boden lag. Der Anführer kam zu sich und wollte den Kutscher anspringen. Der Kutscher stieß ihm das Schwert in die Brust. Und die Frau stürmte wie ein Racheengel auf einen weiteren Räuber zu. Der Kerl warf sich herum und ergriff die Flucht. Die Frau raffte mit der Linken ihr Kleid und hetzte hinter ihm her, mit fliegenden Haaren und blitzendem Schwert. Der Bogenschütze gab jetzt ebenfalls Fersengeld. Einer der Kutscher machte den Räuber nieder, der von dem Schwert der Frau in die Schulter getroffen worden war, aber mit der Linken sein Messer auf sie schleudern wollte. »Wird Zeit, daß wir was unternehmen«, brummte Louis. »Aber sie hat doch schon alles im Griff«, sagte Pierre mit unverhohlener Bewunderung. Louis nickte. »Ein Teufelsweib. Aber gewiß macht es einen guten Eindruck, wenn wir so tun, als wollten wir sie retten. Los!« Damit rannte er wild brüllend zum Fahrweg auf die Kutsche zu, als gelte es, eine Horde Hunnen zu vertreiben. Pierre folgte ihm und stimmte in das Gebrüll mit ein. Der flüchtende Räuber warf mit der Keule nach der Verfolgerin. Die Frau duckte sich geistesgegenwärtig, stolperte über ihren Kleidsaum und stürzte. Der Räuber hetzte davon. Die Frau raffte ihr Kleid, erhob sich und lief zur Kutsche zurück.
Sie blickte Louis und Pierre entgegen und verharrte. Louis hatte die Kutsche fast erreicht und stellte das Schaugebrüll ein. Einer der Kutscher raffte eine Keule vom Boden und stürmte auf Louis zu. Der andere riß das Schwert hoch. Louis blieb stehen, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. »Verdammt, wir wollen helfen ...« Doch der Kutscher schlug wütend mit der Keule zu. Louis riß im Reflex den Kopf zur Seite. Aber die Keule streifte ihn noch an der Schulter, und der Knappe hatte das Gefühl, der Hieb hätte ihm den Arm abgetrennt. Jetzt sah Louis rot. Der ehemalige Räuberhauptmann ignorierte die wieder zum Schlag erhobene Keule. Er vergaß, mit einer Hand die Hose festzuhalten, die ihm bis auf die Knie gerutscht war, und es interessierte ihn in dieser Situation auch nicht, daß die Frau mit großen Augen auf seine Unterhose starrte. Louis packte den Kutscher am Wams, fing das Handgelenk mit der Keule ab und schleuderte den Mann gegen seinen Partner, der gerade sein Schwert vorstieß, um Pierre anzugreifen. Die Schwertspitze bohrte sich in den Hintern des Kutschers, und der Mann brüllte wie am Spieß. Beide gingen zu Boden. Louis zog die Hose hoch und atmete auf. Doch zu früh. Die Dame sprang heran wie eine angreifende Raubkatze. Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen, und ihre roten Lippen waren aufeinandergepreßt. Wild und verwegen stürmte sie auf den schwarzbärtigen Knappen zu, der einen Kopf größer und ihr körperlich weit überlegen, doch eben waffenlos war. Die schöne Frau mit ihren geschmeidigen Bewegungen bot einen erregenden Anblick, doch Louis konnte ihn nicht so recht genießen. Er wich zurück. »Laßt Euch erklären ...« Sie war offenbar keine Frau der vielen Worte. Ohne eine Antwort zu geben, schlug sie aus der Drehung heraus Pierre nieder, der wie angewurzelt dastand und sie offenen Mundes anstarrte. Dann wir-
belte sie schon zu Louis herum, und dabei stieß sei einen Laut aus, der tatsächlich wie das Fauchen einer Katze klang. Louis sah die Schwertklinge aufblitzen. »So hört doch ...« Er sprang zurück, strauchelte über eine Keule und landete auf dem Rücken. Im nächsten Augenblick stand die Frau über ihm und hielt ihm das Schwert an die Kehle. Ihr straffer Busen hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. »Ergib dich, du Lump, oder du bist des Todes!« keuchte sie, und ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen. »Wir gehören nicht zu den Räubern, wenn Ihr das meint«, sagte Louis mit heiserer Stimme. »Wir sahen vom Fluß aus, wie Ihr überfallen wurdet und wollten helfen.« Sie musterte ihn fast angewidert, wie Louis fand, und er genierte sich ob seiner zerlumpten Hose und seiner hilflosen Lage vor den Füßen dieser schönen Frau. Er sah den Zweifel in ihrem Blick und fügte schnell hinzu: »Wir wurden selbst überfallen, schöne Dame, und ich kann verstehen, daß Ihr uns in dieser verkommenen Kleidung für Räuber hieltet.« Sie entspannte sich etwas und lächelte kaum merklich, als er »schöne Dame« sagte. Louis setzte nach. »Wir sind die Knappen eines ruhmreichen Ritters, und wir wollten Euch zu Hilfe kommen.« »Ich kam schon allein zurecht mit diesem feigen Gesindel«, sagte sie, und ihre sinnlich geschwungenen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Ihr habt bewundernswert gekämpft, schöne Dame«, sagte Louis. »Um ehrlich zu sein, nie sah ich eine Dame mit zarter Hand so gekonnt das Schwert schwingen.« »Das habe ich in Burgund gelernt«, erwiderte sie, und es klang sehr stolz. Sie zog ihr Schwert zurück und musterte ihn prüfend. »Die Knappen eines Ritters, behauptest du ...«
»Ein verdammter Hundsfott!« rief der Kutscher, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht sein Gesäß hielt. Natürlich hatte sein Gefährte längst die Schwertspitze aus der Backe gezogen. Gottlob war der Stich nicht tief. Louis bedachte ihn mit einem grimmigen Blick und verneigte sich dann. Es war eine etwas linkische Verbeugung, aber er lag ja immer noch der Dame zu Füßen, die zwar das Schwert von seiner Kehle fortgezogen hatte, es jedoch immer noch erhoben hielt, als wollte sie jederzeit zum Schlag bereit sein. »Mein Name ist Louis, mein Gefährte heißt Pierre, und wir sind die Knappen eines Ritters, der in Hohenwarth auf uns wartet.« »Hundsfott!« giftete der Mann mit dem lädierten Hintern. »Wir bitten Euch, uns bis zum nächsten Ort...« fuhr Louis fort, doch die schöne Frau unterbrach ihn. »Sag nur, ihr seid die Knappen von Ritter Roland?« Louis war verdutzt. Er hatte absichtlich Rolands Namen nicht genannt. Roland gab sich bei seinen Ermittlungen nicht als Ritter aus. Die Räuber sollten nicht gewarnt werden ... »Woher wißt ihr ...?« entfuhr es Louis. Die wehrhafte Dame, die so meisterhaft den Schwertkampf in Burgund gelernt hatte, lächelte. Ihre grünen Augen funkelten belustigt. »Ich lernte euren Ritter in Hohenwarth kennen«, sagte sie und ließ das Schwert sinken. »Allerdings sprach Roland nicht von Knappen, sondern von Freunden, die auf dem Weg nach Hohenwarth seien und auf die er warte.« »Aber woher wißt Ihr dann, daß er ein Ritter ist?« fragte Louis verwundert. »Hat er das gesagt?« Sie strich mit der Linken eine Strähne des glänzenden schwarzen Haares aus der Stirn. »Nein - doch ich - sah ihn mal bei Hofe.« Sie nagte an der Unterlippe und schien zu überlegen. Pierre rappelte sich auf und tastete stöhnend an seinen Kopf. »Laßt Euch nicht einwickeln, Comtesse Terciere«, hetzte der
Kutscher. »Glaubt diesen Lügnern kein Wort. Gewiß haben sie alles nur erfunden, als sie merkten, daß ihre Kumpane verspielt hatten.« Elisabeth Terciere schüttelte den Kopf. »Ich weiß, daß sie die Wahrheit sagen«, erklärte sie bestimmt. »Wie der Zufall so spielt! Ich überlegte schon, wie ich Roland wiedersehen ...« Sie verstummte, nagte wiederum an der Unterlippe und blickte von Pierre zu Louis. Sie schien zu überlegen. »Nun, ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn ihr beide mich nach Hohenwarth zurück begleitet«, sagte sie schließlich. »In diesen gefährlichen Zeiten kann eine Dame männlichen Schutz gebrauchen.« Ihr Lächeln war für Louis blanker Hohn. »Wir wären für Euren Schutz dankbar, schöne Dame«, erwiderte er und zeigte grinsend seine kräftigen weißen Zähne im schwarzen Bart. * Meinhardt Ebermann schob einen Ast in das kleine Feuer. Funken stoben zur hohen Decke der großen Höhle auf. Der rötliche Schein des Feuers geisterte über Meinhardts Gesicht. Es war ein wüstes Gesicht mit schwarzen, stechend blickenden Augen unter buschigen Augenbrauen, die über der breiten, mehrmals gebrochenen Nase zusammengewachsen waren, ein Gesicht mit wulstigen Lippen und einem kantig vorspringenden Kinn. Die Haut war großporig und von Pusteln übersät. Sie glänzte fettig. Meinhardt rieb ständig die Salbe ein, die ihm ein Quacksalber aufgeschwatzt hatte, doch bisher hatte sie nicht gegen Pickel, Pusteln und Mitesser geholfen. Meinhardt hatte dreierlei Haarfarben - viererlei genauer gesagt. Das Haupthaar, das sich um einen kahlen Fleck auf dem gewaltigen Schädel zu lichten begann, war rötlichblond. Die breiten Koteletten, die bis zu den Mundwinkeln reichten, begannen wie das Haupthaar rötlichblond und wurden zu den Enden hin dunkler bis zu einem
tiefen Rostbraun. Die Augenbrauen waren schneeweiß. Die vierte Farbe war von einem leuchtenden Kupferton, doch die kannten nur wenige - zum Beispiel Hildegard, die er sich als derzeitige Geliebte hielt. Meinhardt war von stämmiger Statur, breitschultrig, groß und bärenstark. Kein schöner Mann, doch ein imponierendes Mannsbild voller Saft und Kraft, wie Hildegard fand. Er trug ein leichtes Kettenhemd, ein Beutestück seiner Räuber, und eine engsitzende Reithose, die ein Graf bei einer Jagd getragen hatte, bevor ihn Meinhardts Räuber aus dem Hinterhalt ermordet hatten. An dem breiten, mit Silber beschlagenen Ledergurt hing ein Schlachterbeil in einer Schlaufe. Meinhardt war mal Schlächter gewesen, bis er im Jähzorn statt eines Ochsen den stets meckernden Meister getötet hatte. Seither lebte er ständig auf der Flucht. Der Schlächter wurde wegen Mordes gesucht, und er lebte mit seiner kleinen Räuberschar von den Beutezügen rings um den Schwarzriegel, vornehmlich von Überfällen auf Reisende. Es war das Hackebeil, auf das die Räuber Achim und Theo furchtsam starrten, als sie ihrem Anführer berichteten. Meinhardt war in seinem schnell geweckten Zorn fähig, einem den Schädel zu spalten, wenn etwas nicht nach seinen Plänen ablief. »Wir konnten wirklich nichts tun«, beteuerte Achim, der Bogenschütze. »Das war ein Teufelsweib. Gerold ist -äh - war der beste Schwertkämpfer, den wir je hatten - äh außer dir natürlich -, doch er hatte nicht die geringste Chance.« »Dummsack!« blaffte Meinhardt und legte die Hand auf den Stiel des Schlachterbeils. »Dieses Weib hat wohl einen Zufallstreffer gelandet.« Achim, der Bogenschütze schluckte. »Nein, Theo kann es bezeugen. Sie hat ihn niedergekämpft wie der kampfstärkste Mann.« Er warf Theo einen um Unterstützung heischenden Blick zu. Theo nickte heftig. »Sowas hab' ich noch nicht gesehen. Sie muß den Teufel im Leib haben.« »Das kann man exorzieren«, brummte Meinhardt.
Er sah die verständnislosen Blicke seiner beiden Männer und grinste. »Ihr Heiden wißt natürlich nicht, was das ist. Ich will es euch erklären. Wenn eine den Teufel im Leib hat, dann nimmt man sie auf Teufel komm raus.« Achim und Theo grinsten nun ebenfalls. Doch Meinhardts überraschend gute Stimmung war schnell wieder dahin. Eine Weile starrte er finster ins Feuer, und Achim und Theo blickten von Zeit zu Zeit besorgt zu dem Schlachterbeil an Meinhardts Hüfte. Meinhardt bohrte in der Nase, betrachtete interessiert seinen Fund und schnippte ihn ins Feuer. Dann faßte er seine beiden Mannen ins Auge. »Mich dünkt, ihr wollt mir einen Bären aufbinden. Eine Frau, die mit vieren von euch fertig wird und besser mit dem Schwerte kämpft als Gerold! Daß ich nicht lache!« Und er schickte ein kräftiges »Ha!« hinterher. »Aber es ist die Wahrheit«, sagten Achim und Theo wie aus einem Munde. Der Blick der schwarzen Augen schien sie zu durchbohren. Obwohl es in der Höhle beim Feuer warm war, fröstelten die beiden. Meinhardt kratzte sich am Kinn. Er wirkte unschlüssig. »War sie hübsch?« fragte er. »Und wie!« schwärmte Achim. »Ein Vollblutweib. Alles Drum und Dran.« Er modellierte mit den Händen einen Frauenkörper, und Theo grinste dazu bestätigend. Eine steile Falte bildete sich auf Meinhardts Stirn, und die buschigen weißen Augenbrauen schienen noch mehr zusammenzuwachsen. »Das ist es!« knurrte er. »Sie hat euch mit ihrem Aussehen scharfgemacht! Da habt ihr nur geglotzt und das Kämpfen vergessen! Ich sollte euch ...« Unbewußt wichen die beiden einen Schritt zurück, aus der Reichweite des Schlachterbeils. »Aber Gerold doch nicht!« sagte Achim schnell.
Meinhardt zog die Hand vom Schlachterbeil. Er kratzte sich wieder am Kinn, wo ihn ein Pustelchen juckte. Dann verzogen sich die wulstigen Lippen zu einem Grinsen. »Da ist was dran«, gab er zu. »Gerold hat sich noch nie was aus Weibern gemacht.« »Sie hat ihn in Grund und Boden gekämpft!« bekräftigte Achim. »So was hab' ich noch nicht gesehen«, sagte Theo. »Du wiederholst dich!« knurrte Meinhardt. Finster starrte er in das Feuer und nagte an der Unterlippe. »Ein Weib, das schön ist und auch noch was kann -«, er schüttelte den Kopf, »- so was ist mir noch nicht untergekommen.« Er blickte auf. »Dieses Frauenzimmer interessiert mich fürwahr, sollte es so etwas tatsächlich geben.« »Und Hilde ...?« entfuhr es Achim, und er verstummte sofort und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Zum Glück erwies sich Meinhardt in gnädiger Stimmung. Sonst konnte er fuchsteufelswild werden, wenn man den Namen auch nur in den Mund nahm. »Hilde!« sagte er und winkte mit einer Grimasse ab. »Gewiß, sie sieht ganz annehmbar aus, aber die kann nicht mal bis drei zählen. Die tut doch nur, was man ihr lang und breit erklärt, und dann schläft sie noch dabei ein. Stellt euch vor, Hilde mit einem Schwert in der Hand! Die kann ja nicht mal Käse mit einer Säge schneiden!« Er lachte dröhnend, daß es durch die Höhle und die Nebengänge hallte. Achim und Theo hüteten sich, zu lachen. Oft genug sprach Meinhardt abfällig über seine Hildegard, doch er konnte wütend werden, wenn man ihm dann beipflichtete. Trotz allem mußte Hildegard über irgendwelche Qualitäten verfügen, denn sie hielt sich bisher am längsten - schon drei Monate teilte sie mit ihm das Lager. Die anderen hatte er meistens nach drei Wochen durch eine Neue ersetzt. Meinhardt blickte sie durchdringend an, als wollte er ihre Gedanken erraten.
»Wenn ihr die Wahrheit gesagt habt, dann muß das wirklich ein Teufelsweib sein«, sagte er nachdenklich und winkte ab, als die beiden zu einer Beteuerung ansetzten. »Und solche Weiber interessieren mich. Nun denn, schafft mir diese Wunderfrau heran. Hilde langweilt mich seit langem. Vielleicht überlasse ich sie euch, wenn ihr mir diese Traumfrau zu Füßen legt.« Achim und Theo blinzelten erfreut. Ihnen machte es nichts aus, daß Hildegard nicht bis drei zählen konnte. Meinhardt grinste. »Nach allem, was ihr berichtet habt, müßte es eine gar herrliche Herausforderung sein, ein solches Weib zu zähmen«, fuhr er fort. »Ja, ich will sie hier haben. Und zwar schnell. Hört zu, wie ich mir die Sache denke ...»Achim und Theo hörten zu. Doch sie waren nicht die einzigen, die lauschten. Hildegard hörte alles mit, und heißer Zorn tobte in ihr. Sie konnte weder lesen noch schreiben, doch sie war nicht so dumm, wie Meinhardt dachte. Und bis drei konnte sie allemal zählen: Eins: Meinhardt war ihrer überdrüssig. Zwei: Er wollte eine andere, die angeblich besser war! Pah - nur weil sie mit dem Schwert kämpfen konnte! Meinhardt hatte es noch nie nach einem Schwertkampf gelüstet, wenn er sie auf sein Lager gezerrt hatte! Drei: Die Nebenbuhlerin mußte verschwinden. Sie, Hildegard, mußte verhindern, daß Meinhardt die andere nahm und sie seinen miesen Kerlen überließ, diesen Habenichtsen, die ihr nicht mal das Salz in der Suppe bieten konnten. Ihr Platz war an der Seite des Herrn, dort war- ihr Brot mit Schmalz gestrichen. Bei den anderen würde sie mit Krümeln vorlieb nehmen müssen - ohne Schmalz. Sie war entschlossen, mit allen Mitteln zu verhindern, daß jemand ihr ihren Platz streitig machte. * Roland lächelte. »Du bist in der Zwischenzeit noch schöner geworden«, sagte er zu Elisabeth Terciere. Am späten Abend war sie mit den Knappen in Hohenwarth eingetroffen.
Elisabeth lachte. »Du bist ein Schmeichler, Roland. Genau wie dein schwarzbärtiger Knappe, der mich auf der Fahrt mit Komplimenten überhäufte.« »Ja, Louis und Pierre berichteten mir, du hättest bei dem Überfall tollkühn gekämpft wie der beste Ritter.« Ihre grünen Augen funkelten. »Es war nur Glück. Gewiß, ich habe den Schwertkampf in Burgund gelernt, und ich hatte einen gestrengen Lehrmeister.« Ein herber Zug war plötzlich um ihren Mund, und sie wich seinem Blick aus. »Gewiß ein Meister des Schwertes«, sagte Roland. »Ja«, sagte sie mit bitterer Stimme. »Er war ein Meister - in jeder Hinsicht. Aber sprechen wir nicht mehr davon.« Sie lächelte, und Roland spürte, daß es ein gezwungenes Lächeln war. »Doch ich hätte niemals gegen diese vier Räuber bestehen können, wenn mir die Kutscher nicht geholfen hätten. Außerdem«, ein kurzes Auf und Ab der langen schwarzen Wimpern, »hatte ich zwei Knöpfe meines Kleides geöffnet, weil mir in der Kutsche so heiß war, und die Kerle starrten, daß ihnen fast die Augen aus dem Kopf fielen. Man muß halt als Frau manchmal alle Waffen einsetzen.« Roland blickte ihr in den Ausschnitt und dann tief in die Augen und sagte: »Damit bist du unschlagbar.« Sie lachte leise. »Nein, nein, ich bin nur eine schwache Frau. Ich wäre dir so dankbar, wenn du mich zur Burg Blaibach begleiten würdest. Ich habe solche Angst. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern.« Sie sah ihm wieder in die Augen, und es wurde ihm heiß unter ihrem Blick. »Begleitest du mich?« fragte sie und streichelte über seinen Handrücken. Roland überlegte schnell. Eigentlich mußte er an den Auftrag von König Artus denken. Er hatte vorgehabt, sich am nächsten Morgen mit den Knappen zum Ort der beiden Überfälle zu begeben und nach
Spuren zu suchen. Doch es widerstrebte ihm, Elisabeths Wunsch abzuschlagen. Ihr lockendes Lächeln versprach ihm, wie dankbar sie ihm sein würde. Er freute sich auf die Stunden mit ihr. Was machte es schon, wenn Louis und Pierre erst einmal allein ermittelten? Vielleicht konnte er sogar mehr erreichen, wenn er Elisabeth begleitete. Schon zweimal war sie in Überfälle verwickelt gewesen. Vielleicht versuchten es die Räuber ein drittes Mal. »Oder hast du Wichtigeres zu erledigen?« fragte sie, und Roland entging nicht, daß ihre Miene auf einmal angespannt wirkte. »Vielleicht einen Auftrag von Camelot?« Roland bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Es genügte schon, daß sie wußte, wer er war, weil sie ihn irgendwann einmal bei Hofe gesehen hatte, wie die Knappen erzählt hatten. Es wunderte ihn, daß er sich nicht an sie erinnern konnte. Eine solch atemberaubende Frau hätte ihm doch in Erinnerung bleiben müssen. Gewiß hatte man versäumt, sie einander vorzustellen. Kurz war er versucht, seinen Auftrag anzudeuten, doch dann widerstand er dem Impuls. Niemand sollte etwas von seiner Misson wissen. Möglicherweise hatten die Wände in der Herberge Ohren, und wenn sich erst herumsprach, weshalb er sich in dieser Gegend herumtrieb, konnten die Räuber gewarnt werden und sich aus diesem Gebiet zurückziehen oder ihm und den Knappen einen Meuchelmörder auf den Hals schicken. Er hatte sich Elisabeth gegenüber als Reisender ausgegeben, und sie hatte keinerlei Fragen gestellt. Die ganze Zeit über hatte sie gewußt, wer er in Wirklichkeit war, aber kein Sterbenswörtchen gesagt. Warum eigentlich nicht? Die Tochter des Wirtes Sebastian, die dralle Gudrun - kam an den Tisch, räumte das Geschirr ab und fragte, ob sie noch Wünsche hatten, und Roland wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Noch Wein, die Herrschaften?« fragte Gudrun. Roland wollte schon bestellen, doch Elisabeth schüttelte den Kopf. »Ich bin müde«, sagte sie zu Roland, und ihr Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen. Er hielt es für vielversprechend.
Als Gudrun gegangen war, wiederholte Elisabeth im Flüsterton ihre Frage: »Bist du vielleicht in einem Auftrag des Königs unterwegs, Roland?« Roland zwang sich zu einem Lachen. »Aber nein. Ich wollte nur einen Freund in Waffenbrunn besuchen ...»Elisabeths Miene hellte sich auf. Sie drückte seine Hand. »Wie fein. Dann hast du gewiß Zeit, mich zu begleiten.« »Natürlich«, hörte sich Roland sagen. Sie lächelte, und in diesem Augenblick wirkte sie wie eine zufriedene Katze. »Schön«, sagte sie, und ihre Stimme klang wieder wie in der Nacht in ihrer Kammer, als sie ihm Liebesworte ins Ohr geschnurrt hatte. »Dann fahren wir morgen früh los.« Sie drückte kurz seine Hand und erhob sich. Voller Vorfreude stand auch Ritter Roland auf, um sie zu begleiten. Sie schüttelte leicht den Kopf. »Danke, ich gehe allein. »Ich - bin wirklich müde, Roland. Gute Nacht.« »Gewiß - Gute Nacht.« Er versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. Er kam sich ein bißchen dumm vor, als sie geschmeidig und anmutig davonschritt. Sie drehte sich nicht mal mehr um. Welch atemberaubende Frau! Roland fühlte sich noch gar nicht müde. Bekümmert blieb er am Tisch sitzen. Ob er an Elisabeths Kammer anklopfen sollte? Eine innere Stimme sagte ihm, daß ihre Worte endgültig geklungen hatten. Oder wollte sie nur, daß er sie umwarb? War es ihr zu billig, ihn einfach mit ins Bett zu nehmen? Der Gedanke weckte neue Hoffnung in ihm. Sie war eine schöne, stolze Frau, und sie erwartete vielleicht, daß er Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um ihr Herz und den Rest zu erobern. Er wartete noch einen Augenblick. Dann verließ er den Gastraum und ging zu ihrer Kammer. Er klopfte leise an. »Ja?«
»Ich bin's - Roland.« Stille. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Elisabeth antwortete. »Verzeih mir, Roland, aber ich bin wirklich müde. Bitte geh. Sei ritterlich und laß mich schlafen. Bis morgen.« Da war tatsächlich nichts zu machen. Und mit »ritterlich« hatte sie ihn bei der Ehre gepackt. Zugleich regte sich ein gewisser Trotz in ihm. Gewiß, sie war eine Frau, um die es sich zu werben lohnte, doch sein Mannesstolz und Ritterstolz verboten ihm es dann doch, wie ein Hündchen zu betteln. »Bis morgen«, sagte er und bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. »Ich wollte nur fragen, um wieviel Uhr wir aufbrechen sollen.« »Gegen acht«, sagte sie. »Dann sind wir gegen Abend am Ziel.« »Gegen acht dann.« Er kehrte in den Gastraum zurück und bestellte bei Gudrun ein Bier. Das Bier schmeckte ein wenig säuerlich, aber vielleicht lag das auch an seiner Stimmung. Mißmutig starrte er in den Krug, und selbst das freundliche Lächeln der drallen Gudrun vermochte ihn nicht aufzuheitern. Schließlich mußte er an Anna und ihre Zeilen denken. Anna war ebenfalls schön, doch von ganz anderer Art als Elisabeth ... Bei diesem Gedanken erhob er sich. Ein kleiner Spaziergang in frischer Luft konnte gewiß vor dem Zubettgehen nicht schaden. Er verließ die Herberge und schlenderte zu Annas Badehaus. Vielleicht wartete Anna auf ihn. Sie wollte ihn wiedersehen! Zumindest verdiente sie eine Antwort auf ihre lieben Zeilen. Eine Wolke verdeckte den Mond. In der Gasse war es finster wie in einer Bärenhöhle. Ritter Roland wollte gerade die Hand heben, um anzuklopfen, als ihn eine tiefe grollende Stimme zusammenfahren ließ. »Ah, junger Freund!« Anna die Gewaltige. Sie füllte ein dunkles Fenster neben der Tür aus.
»Gewiß willst du massiert werden.« Anna kicherte grollend. »Komm nur herein! Aber sei leise. Meine Nichte schläft schon.« »Ich - ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen«, sagte Roland und ging hastig weiter. »Guten Abend.« »Guten Abend.« Es hallte wie Donnergrollen durch die Gasse, und irgendwo begann ein Hund zu bellen, der vermutlich an ein drohendes Gewitter glaubte. Gewiß würde Anna die Hübsche davon wach werden. Doch ihre Tante hielt Wache und wollte ihn massieren! Roland beeilte sich, zurück zur Herberge zu kommen. Er war nicht recht zufrieden mit der Entwicklung der Dinge. In dieser Nacht schlief er ziemlich unruhig. Er träumte von einer großen schwarzen Katze, die Elisabeth Terciere hieß, aber aussah wie Anna die Hübsche und ihn durchknetete wie Anna die Gewaltige. * Ritter Roland war nicht der einzige, der in dieser Nacht einen unruhigen Schlaf hatte. Pierre, in Gudruns Kammer, kam lange nicht zum Schlafen. Erst gegen Morgen fielen ihm die Augen zu, und er träumte von Gudruns Zärtlichkeiten. Louis hatte zu stark dem Met zugesprochen, und im Traum verfolgten ihn ganze Schwärme von Fliegen, die allesamt Schwerter und Keulen schwangen und die Gesichter der Räuber hatten, deren Aussehen sich der Knappe eingeprägt hatte. Anna die Hübsche hatte den ganzen Tag auf ein Wort von Roland gewartet. Doch er hatte sich nicht blicken lassen. Vermutlich hatte Tante Anna ihn zu sehr abgeschreckt. Lange lag sie schlaflos in ihrer Kammer. Mehrmals nahm sie die Kerze. Sie ging ans Fenster und hoffte, der gutaussehende große Mann würde von neuem in der Gasse auftauchen. Später, als er tatsächlich auftauchte, war sie eingenickt. Im Traum sah sie Roland, wie sie ihn beim ersten Mal
gesehen hatte, und mehrmals seufzte sie, als sie sich vorstellte, in seinen starken Armen zu liegen. In der Höhle im Schwarzriegel schlief Meinhardt der Schlächter unruhig. Er sah im Traum die Frau, von der ihm seine Räuber berichtet hatten. Eine unglaubliche Schönheit, die mit unnachahmlicher Grazie ein Schwert schwang. Eine gefährliche Schönheit - doch ihm, Meinhardt, würde sie gehorchen. Sie lächelte ihn betörend an. »Ich bin dein, Meinhardt«, gelobte sie demütig, und er fühlte sich so stolz wie nie zuvor. Das Lächeln der schönen Frau erlosch von einem Augenblick zum anderen, und Meinhardt erschrak im Traum. Sie sah plötzlich aus wie Hildegard! Und sie stieß ihm das Schwert in die Brust! Schweißgebadet schreckte Meinhardt aus dem Schlaf. Unbewußt tastete er an seine Brust. Alles in Ordnung. Dann hörte er ein leises Schnarchen neben sich auf dem Lager. Er tastete hin und berührte einen warmen Körper. Hildegard. Er mußte geträumt haben. Angewidert hörte er eine Weile dem Schnarchen zu. Dann rüttelte er Hildegard ärgerlich an der Schulter. Das Schnarchen verstummte, und sie drehte sich im Schlaf auf die andere Seite. Dabei rammte sie ihm ein angezogenes Knie gegen die Hüfte. »Blöde Kuh«, knurrte er und drehte sich auf die andere Seite. Und noch einer schlief unruhig in dieser Nacht. Barnabas. Der Mann, der ein ganz anderes Spiel trieb als der Räuber Meinhardt. Barnabas, der wie die Spinne im Netz auf sein Opfer lauerte, um es langsam zu töten ... * Kurz vor Mitternacht wurde Barnabas von Wenzel geweckt. Und Wenzel brachte schlechte Kunde aus Hohenwarth. Der Überfall war mißlungen.
»Es lief alles nach Plan«, sagte Wenzel zerknirscht, nachdem er im groben berichtet hatte. »Er war mit Elisabeth im Bett, und wir dachten, da kann gar nichts schiefgehen. Doch als wir in das Zimmer stürmten, sprang der Kerl auf, hielt schon sein Schwert in der Hand und kämpfte wie der Teufel. Ich hätte ihm noch die Rübe abschlagen können, doch ...« »Dafür hättest du deine verloren«, unterbrach Barnabas ärgerlich. »Jaja. Mir waren also die Hände gebunden. Er schlug Peter und Albert nieder. Da blieb uns nichts anderes übrig, als durch das Fenster zu verschwinden. Er raste hinter uns her und erwischte noch Gebhard. Dann wetzte er nackig und mit dem Schwert in der Hand hinter mir her. Ich konnte ihn abhängen, und unseren Jungs gelang es, sich unterdessen davonzumachen. Aber das war auch schon alles. Wir hatten wirklich keine Chance.« Wenzel verstummte mit einem Schulterzucken und sah Barnabas entschuldigend an. Barnabas blieb erstaunlich gelassen. »Ja, der Kerl ist in der Tat ein Teufel«, sagte er. Er kraulte das Fell seines schwarzen Lieblingskaters, der darob den Schwanz aufrichtete und zu schnurren begann. Insgesamt dreizehn Katzen lagen auf dem Lager aus Fellen und Decken, das sich Barnabas im ausgebrannten Palas der Burgruine hergerichtet hatte. Es waren sieben Kater und sechs Katzen: Schwarze, graue, gestreifte, braune, kurzhaarige und langhaarige. Katzen waren Barnabas' Leidenschaft. Katzen in allen Arten und Größen. Die dreizehn schliefen stets bei ihm. Irgendwann in der Nacht gingen sie auf Jagd oder zu einem nächtlichen Katzentreff in der Burgruine, doch anschließend kehrten sie wieder zu Barnabas zurück, und wenn er morgens erwachte, lagen sie auf und neben ihm. Das Lager stank ebenso nach Katzen wie Barnabas selbst, doch das machte ihm nichts aus. Er hatte sich daran gewöhnt, im Gegensatz zu seinen paar Mannen, mit denen er vorübergehend in der Burgruine hauste.
Barnabas schob den Kater Wunibald von sich - alle Katzen hatten Namen - hob die grauweiß-gestreifte Katze Ludmilla von seiner Brust und setzte sich auf. Die Kerzen im Kandelaber neben dem Lager flackerten im Luftzug, der durch die offenen Fensterhöhlen in den Raum drang. Ihr Schein verlieh Barnabas etwas Dämonisches. Barnabas war fünfunddreißig, doch man hätte ihn auf über Fünfzig schätzen können. Vielleicht waren daran die vielen Jahre im Kerker schuld, die er hinter sich gebracht hatte. Die braungelblichen Augen lagen tief in den Höhlen. Die Wangen in dem schmalen Gesicht waren eingefallen, und die Haut spannte sich über die vorstehenden Wangenknochen. Er hatte ein spitzes Kinn und einen schmalen Mund mit vorstehenden Schneidezähnen. Vom linken Mundwinkel bis zur Schläfe hinauf schimmerte eine schlecht verheilte Narbe rötlich. Das linke Ohr war nur ein kümmerlicher Stummel. Ein Schwerthieb hatte ihm das Ohr abgetrennt, damals als sie ihn geschnappt hatten. »Ja, er ist ein Teufel«, wiederholte Barnabas mit dumpfer Stimme, und Haß loderte in seinen tiefliegenden Augen, deren Pupillen wie die Lichter eines Raubtieres leuchteten. Eine der Katzen miaute, als wollte sie zustimmen. Barnabas versetzte ihr einen Stoß mit dem Fuß, als sie verspielt ihre Krallen an seinem Bein wetzen wollte. Die Katze überschlug sich fauchend und fing sich gewandt. Ihre Augen glühten, als sie lautlos in die Dunkelheit davonhuschte. »Doch er hat nicht neun Leben wie eine Katze«, fuhr Barnabas mit heiserer Stimme fort. »Er hat nur ein einziges, kurzes.« Wenzel war zufrieden, daß Barnabas die Schlappe so ruhig hinnahm. Er hatte mit einer wütenden Reaktion gerechnet. »Sollen wir es nochmal versuchen?« fragte er eifrig. Langsam schüttelte Barnabas den Kopf mit dem wirr abstehenden Haar, das vorzeitig an den Schläfen ergraut war. »Wir haben noch unseren Haupttrumpf«, sagte er. »Du reitest mit den anderen nach Hohenwarth zurück, und wenn er dort nicht mehr
ist, nehmt ihr seine Fährte auf. Aber fragt euch unauffällig durch. Haltet euch zurück und beobachtet nur. Könnte er euch wiedererkennen?« »Nein. In der Kammer war es fast dunkel, und als er mich verfolgte, konnte er auch nicht viel sehen.« »Gut«, sagte Barnabas. »Also beobachtet ihn. Wir greifen erst zu, wenn unser Trumpf-As nicht sticht. Ich will über jeden seiner Schritte auf dem laufenden gehalten werden. Ist das klar?« Wenzel beeilte sich, eifrig zu nicken. »Reitet sofort nach Hohenwarth. Wenn er sich in Elisabeth verknallt hat, wird er sich vermutlich noch länger dort aufhalten oder sie begleiten. Wenn nicht, findet heraus, wo er ist und bleibt dran. Einer von euch soll mir ständig berichten und die Verbindung halten. Ich entscheide dann, wie es weitergeht.« »Jawohl.« »Sag den anderen, daß ich das doppelte zahle, wenn alles zu meiner Zufriedenheit erledigt ist.« Wenzel grinste erfreut. »Und daß jeder Katzenfraß ist, der irgendeinen Fehler begeht, durch den der Kerl gewarnt werden könnte.« Wenzel schluckte. Er wußte, daß das keine leere Drohung war. Als er gegangen war, saß Barnabas noch lange auf dem Lager und streichelte seine Katzen. Blicklos starrte er vor sich hin. »Bald ist es soweit«, flüsterte er einmal und tastete unbewußt zu seinem verstümmelten Ohr. »Bald, Roland ...« Es dauerte lange, bis er schließlich wieder einschlief. Und dann wurde er mit der Erinnerung an die Vergangenheit im Traum gequält... * Es war ein strahlender Morgen, als Roland Elisabeth galant den Arm bot, um ihr in die Kutsche zu helfen.
Ein paar Leute hatten sich eingefunden, um die Abfahrt der Kutsche zu beobachten: Sebastian, der schmächtige, krummbeinige Wirt, seine dralle, schönbeinige Tochter Gudrun, deren Augen so glücklich glänzten, als hätte sie in der Nacht herrlich geträumt, und ein paar neugierige Hohenwarther, für die jeder Fremde und erst recht eine Comtesse aus dem fernen Burgund so etwas wie eine Sensation war. Als Roland neben Elisabeth Terciere in der Kutsche saß und bei der Abfahrt noch einen Blick aus dem Fenster warf, sah er am Rande der kleinen Menschentraube Anna. Sie sah in ihrem blauen, engsitzenden Kleid frisch und schön wie der junge Tag aus. Doch sie blickte traurig. Er winkte ihr, doch sie winkte nicht zurück. Ihm fiel ein, daß er noch keine Gelegenheit gefunden hatte, mit ihr zu sprechen. Er nahm sich vor, das bei seiner Rückkehr nach Hohenwarth nachzuholen. Die Knappen waren früh am Morgen zum Ort der Überfälle aufgebrochen, um nach Spuren zu suchen, und sie hatten verabredet, sich in Hohenwarth wieder zu treffen. Rolands Gedanken beschäftigten sich noch eine Weile mit Anna, und er stellte verwirrt fest, daß es ihm warm ums Herz wurde, wenn er an sie dachte. Dann plauderte Elisabeth Terciere mit ihm, und er vergaß Anna. An diesem Morgen war Elisabeth nicht so zurückhaltend wie am Vorabend, als sie ihn hatte abblitzen lassen. Im Gegenteil, den ganzen Vormittag über tat sie alles, um sein Blut in Wallung zu bringen, und Roland kam sich vor wie ein Fisch, den sie an ihrer Angel zappeln ließ. Er war enttäuscht, als die Kutsche an einem Gasthof hielt, gerade als Elisabeth hatte anklingen lassen, daß es in einer Kutsche zwar unbequem sei, daß man sich die Reise aber gemütlicher machen könne, wenn man nur die richtigen Positionen einnehme. Sie reckte sich, als sie aus der Kutsche gestiegen war, und Roland bewunderte einmal mehr die geschmeidigen Bewegungen ihres
Körpers. Das Gasthaus war sauber und gemütlich eingerichtet. Es roch nach Braten und Küchenkräutern. Der Wirt war ein graubärtiger, rotgesichtiger Kerl, der im Gegensatz zu der gepflegten Wirtsstube schmuddelig und ziemlich verkommen wirkte. Zudem grinste er ständig recht dümmlich, und Roland entging nicht, daß der Mann Elisabeth mit lauerndlüsternem Blick betrachtete, als er Wein einschenkte. Elisabeth schien es nicht zu bemerken. Sie prostete Roland zu und trank ihr Glas in einem Zug leer wie eine Verdurstende. Auch Roland verspürte Durst nach der Fahrt. Er hatte wie die Kutscher Bier bestellt. Es schmeckte nicht schlecht, doch Roland fand es nicht kühl genug und überlegte, ob er nicht doch besser Wein bestellen sollte. Zwei weitere Männer - vermutlich Verwandte des Wirtes - nahmen die Bestellungen am Tisch der Kutscher und bei Roland und Elisabeth auf. Elisabeth wählte gähnend den Rinderbraten mit Rotkohl und Knödeln, der als Tagesgericht angepriesen wurde. Roland entschied sich für die Rinderroulade. Auch er fühlte sich auf einmal schläfrig und ertappte sich dabei, daß er ebenso gähnte wie Elisabeth. Wieder einmal grinste der Wirt und starrte verstohlen auf Elisabeths Busen. Roland spielte mit dem Gedanken, den Kerl zurechtzuweisen, doch da geschah es. Elisabeth Terciere verdrehte die Augen, stieß einen Laut aus, der wie ein langgezogenes Seufzen klang und sank vom Stuhl. Fast gleichzeitig polterte es am Tisch der Kutscher. Einer der Männer stürzte ebenfalls zu Boden, während der Kopf des anderen auf die Tischplatte sank. Roland sah das Grinsen des Wirtes, und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Eine Falle!
Er zückte sein Schwert und wollte aufspringen. Da traf ihn etwas am Hinterkopf, und die Schleier, die plötzlich vor seinen Augen wallten, wurden pechschwarz, und auf einmal war es totenstill um ihn. Er spürte nicht mehr, wie er zu Boden schlug. »Na also«, sagte der Räuber, der Roland mit einem Bierkrug niedergeschlagen hatte. Es war der Kerl, der zuvor die Bestellung aufgenommen und sich dann mit dem Abräumen des Nachbartisches beschäftigt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur darauf gewartet, daß das Pulver wirkte, das sie in die Getränke getan hatten. Der falsche Wirt blickte grinsend auf Elisabeth. »Wirklich ein reizendes Weibchen«, sagte er. »Schade, daß Meinhardt auf sie wild ist. So eine könnte mir auch gefallen.« Er stieß einen Pfiff aus, und aus der Küche kamen zwei Kumpane. »Schafft sie in die Kutsche! Und dann nichts wie weg!« Die beiden Räuber packten Elisabeth unter den Achseln und an den Beinen und trugen sie zur Kutsche. »Er hat nicht viel Bier getrunken«, sagte Achim und wies auf den bewußtlosen Roland. »Es reicht trotzdem«, meinte der falsche Wirt. »Theo hat ihm eine verplättet, daß er schon deshalb mindestens 'ne halbe Stunde schlafen wird.« In diesem Punkt sollten sich die Räuber irren. Roland hatte nur wenig von dem Bier mit dem Betäubungsmittel getrunken, und der Schlag war nicht so hart gewesen, wie die Räuber annahmen. Als er zu sich kam, fand er die betäubten Kutscher, die ebenso durstig getrunken hatten wie Elisabeth Terciere. Ritter Roland biß die Zähne zusammen, weil sein Schädel schmerzte, kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und lief hinaus. Die Kutsche war weg, und Elisabeth war weg. Es war nicht schwer, sich zusammenzureimen, was geschehen war. Man hatte sie in dem Gasthof erwartet, und vermutlich hatte Elisabeth schon beim ersten Überfall in der Herberge in Hohenwarth entführt werden sollen.
Roland eilte in den Gasthof zurück. Er wollte Wasser aus der Küche holen, um die Kutscher mit einem kalten Guß zu wecken. Da fand er die gefesselten und geknebelten Wirtsleute. Roland befreite sie. Der Wirt stellte ihm sofort sein Wagenpferd zur Verfügung. Er hatte die Abfahrt der Kutsche gehört und wußte, daß der Vorsprung der Räuber keine zehn Minuten betrug. Roland folgte der Wagenspur. Den Mann, der schon den ganzen Vormittag über der Kutsche in sicherem Abstand gefolgt war und der sich jetzt auf seine Fährte heftete, bemerkte der Ritter nicht. * »Und jetzt?« fragte Pierre ratlos. Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Wir werden wohl unverrichteter Dinge umkehren müssen. Bald wird es dunkel, und wo zum Teufel sollen wir noch suchen?« Pierre seufzte resigniert. Dabei hatte ihre Suche so vielversprechend begonnen. Sie hatten sich getrennt, waren zu den Orten der beiden Überfälle geritten und dann den Spuren gefolgt, die von dort wegführten. Pierre hatte in einem Waldstück die Spuren verloren und war auf gut Glück in der bisherigen Richtung weitergeritten und auf Louis gestoßen, der seinerseits deutlich sichtbaren Spuren gefolgt war. Sie waren überzeugt gewesen, auf der richtigen Fährte zu sein. Doch am Fuße des Schwarzriegels hatten sich alle Spuren wie in Luft aufgelöst, und alle Suche war vergebens gewesen. »Mein Gefühl sagt mir, daß wir nahe daran waren«, sagte Pierre betrübt. »Nahe dran ist nicht drin, sagte die Maid - als sie vergebens den Faden in die Nadel einzufädeln versuchte«, erwiderte Louis und spähte angestrengt in die Runde. Die Dämmerung senkte sich über das Land. . Plötzlich verengten sich Louis' Augen.
Eine Kutsche nahte von Süden. Pierre hatte sie ebenfalls bemerkt. »Vielleicht haben sie etwas gesehen«, sagte er. »Wir sollten fragen... he, das ist ja Elisabeths Kutsche!« Louis nickte. Auch er hatte die rotgolden angemalte Kutsche mit dem schwarzen Wappenadler auf dem Schlag wiedererkannt. »Aber was machen Elisabeth und Roland denn hier? Sie wollten doch zur Burg Blaibach im Westen?« »Das werden wir gleich erfahren«, brummte Louis. Sie warteten auf die Kutsche, doch sie bog vom Fahrweg ab und verschwand in einem Eichenwald. Louis trieb sein Roß an. Pierre folgte ihm. Sie galoppierten zum Eichenwald, folgten den Wagenspuren und sahen schließlich ein paar hundert Klafter entfernt die Kutsche, die gerade anhielt. Die Fahrer sprangen vom Kutschbock. Einer eilte zur Kutsche und riß den Schlag auf. Dann stockte den Knappen der Atem. Zwei Männer sprangen aus der Kutsche. Sie Zerrten eine Frau heraus. Elisabeth. Sie war gefesselt. »Zurück«, warnte Louis und trieb sein Roß in die Deckung der Bäume. Pierre folgte seinem Beispiel. Angespannt beobachteten die Knappen, wie die vier Männer die Frau zwischen Büsche schleppten und verschwanden. Pierre blickte Louis mit großen Augen an. »Mein Gott, sie haben Elisabeth entführt! Aber Roland - er war doch bei ihr! Ob sie ihn ...« Er schluckte und konnte nicht weitersprechen. Louis war ebenso betroffen. »Kampflos hat der Ritter bestimmt nicht zugeschaut, wie sie Elisabeth entführten«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Mir schwant Schlimmes.« Er schwang sich vom Roß. »Was willst du tun?« Pierre war noch so verwirrt, daß er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. »Das fragst du noch? Wir müssen Elisabeth befreien. Sie wird uns
sagen, was mit Roland geschehen ist.« »Aber es sind mindestens vier ...« wandte Pierre ein. »Dann machen wir ein paar weniger draus«, erwiderte Louis grimmig. Er wollte sich in Bewegung setzen. Da tauchten wie durch Zauberei zwei Männer bei der Kutsche auf. Die Knappen verharrten und beobachteten. Die beiden Männer stiegen auf den Kutschbock. Einer nahm die Zügel und trieb das Gespann an. Die Kutsche rollte davon. Louis und Pierre tauschten einen Blick. »Die schnappen wir uns zuerst«, sagte Louis.« * Roland war entschlossen, sich eine Antwort auf seine Fragen zu holen. Er schlich sich durch die Büsche, aus denen die beiden Räuber gekommen waren. Er ahnte nicht, daß er gleich von zwei Augenpaaren beobachtet wurde. * Ritter Roland zügelte das Roß, als er die Kutsche sah. Er hatte gehofft, die Entführer eher einzuholen. Doch das Pferd, das ihm der Wirt geliehen hatte, war nur ein Wagengaul, ein Kaltblüter, der zwar stark und ausdauernd war, aber in punkto Schnelligkeit nicht viel zu bieten hatte. Roland spähte zu der Kutsche hin. Legten die Kerle eine Rast ein? Oder waren sie am Ziel? Keiner saß auf dem Kutschbock, und nichts regte sich bei der Kutsche. Roland saß ab, führte das Roß vom Waldrand fort, tiefer zwischen die Eichen und band es fest. Dann schlich er zu Fuß weiter. Dichtes Gestrüpp am Fuße des Berges gab ihm Deckung, und zudem dunkelte es.
Ein paar Minuten später verharrte er bei der Kutsche und spähte hinein. Leer. Sein Blick glitt zu den Büschen seitlich der Kutsche. Schritte nahten. Roland versteckte sich schnell. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Stimmen näherten sich. »Hilde ist verdammt sauer, weil Meinhardt die Neue nimmt«, sagte ein Mann. »Hast du gesehen, wie wütend sie aussah? Am liebsten hätte sie ihrer Nachfolgerin die Augen ausgekratzt.« Jemand lachte leise. »Ja, die ist in Fahrt. Laß uns schnell die Kutsche wegfahren, damit wir von der Nacht und Hildegard noch was haben.« Die Männer kletterten auf den Kutschbock. Rolands Gedanken jagten sich. Sie hatten Elisabeth in ihr Versteck gebracht. Dieser Meinhardt mußte der Anführer sein. Und es gab eine Frau, die in Elisabeth eine Nebenbuhlerin sah. Waren es die Räuber, die Elisabeth schon zweimal überfallen hatten? Vermutlich. Die Kutsche fuhr davon. Achim und Theo kletterten vom Kutschbock. Sie hatten die Kutsche tief in einen dunklen Tann gefahren. Niemand sollte sie in der Nähe des Verstecks finden und bei der Höhle herumschnüffeln. Achim begann die Pferde auszuschirren. Theo schnitt Zweige von einer Tanne ab. Damit wollten sie auf dem Rückweg zur Höhle die Wagenspuren verwischen. Theo erschrak bis ins Mark, als sich ihm von hinten ein Arm um den Hals legte und ihm die Luft abschnürte. Zugleich wurde sein Handgelenk umklammert und verdreht, daß er das Messer loslassen mußte. Es war Louis, der den Räuber in eisernem Griff hielt. Louis hieb jetzt mit der Faust zu. Der Räuber wurde schlaff in seinem Griff. Der Knappe ließ ihn zu Boden gleiten. Er warf einen schnellen Blick zu dem Kerl, der mit den Pferden beschäftigt war. Verdammt, wo blieb Pierre?
»Bist du soweit, Theo?« Achim wollte sich auf eines der Gespannpferde schwingen. Louis verharrte zwischen den Tannen, als der Räuber in seine Richtung blickte. »He, Theo ...?« Ein Schatten tauchte hinter ihm auf. Pierre. Ein Schwerthieb schleuderte den Räuber vom Pferd. Louis atmete auf. Pierre hatte den zweiten Räuber ausgeschaltet. Louis sah, wie der Knappe mit erhobenem Schwert angespannt bei der reglosen Gestalt verharrte und sein Blick in die Runde zuckte, als rechnete er mit dem Angriff einer ganzen Räuberbande. »Alles in Ordnung, Pierre!« rief er. Pierre atmete erleichtert auf und wischte sich Schweiß von der Stirn. Sie fesselten die beiden Räuber. Louis nahm sich Theo vor, als er zu sich kam. Er setzte dem Mann das Schwert an die Kehle. Theos Augen quollen aus den Höhlen. Louis grinste. »Der andere hat mir schon alles verraten«, log er. »Erst wollte er die Zähne nicht auseinander kriegen, und dann nuschelte er ein bißchen durch die Lücken, aber ich weiß im großen und ganzen, was wir wissen müssen. Von dir brauche ich nur noch ein paar zusätzliche Erklärungen. Wollen wir wetten, daß du mir die gibst?« Theo hielt nichts vom Wetten. Es war ihm klar, daß er so oder so verlieren würde. Und wenn Achim, dieser verdammte Verräter, bereits alles gesagt hatte, dann konnte keiner von ihm verlangen, daß er seine Zähne oder gar sein Leben aufs Spiel setzte, oder? * Ritter Roland verharrte zwischen den Büschen und lauschte. Gedämpftes Lachen drang an sein Ohr. Es schien aus der Tiefe des Berges zu kommen. Er mußte ganz nahe am Versteck der Räuber sein. Vermutlich gab es Wachtposten. Er mußte vorsichtig sein.
Etwas raschelte seitlich von ihm, und er hob die Hand mit dem Schwert. Jetzt herrschte Totenstille. Roland fühlte sich unbehaglich. Er spürte fast körperlich die Gefahr. Vorsichtig tastete er sich weiter und bemühte sich, keine Geräusche zu verursachen. Er zuckte zusammen, als links von ihm ein Vogelschrei ertönte. Es klang wie das Krächzen eines Raben. Roland hätte schwören können, daß es kein echter Rabe war. Er orientierte sich an dem Geräusch und schob sich weiter nach links. Seine Sinne waren bis zum Äußersten angespannt. Ein Rascheln rechts von ihm. Roland wirbelte herum. Ein Schatten schnellte auf ihn zu. Roland duckte sich zur Seite. Der Schatten schien ins Riesenhafte zu wachsen. Dann gab es einen dumpfen Aufprall, und eine Gestalt stürzte neben Rolands Stiefelspitze. »Achtung, er ...« Roland trat blitzschnell zu, und der Alarmschrei verstummte im Ansatz. Die Gestalt, die im Dunkel zwischen den Büschen am Fuße des Berges mehr zu erahnen, als zu erkennen war, rührte sich nicht mehr. Roland beugte sich wachsam und angespannt über den Mann am Boden. Im nächsten Augenblick taumelte er erschrocken zurück. Der vermeintlich Bewußtlose sprang auf und rammte ihn mit dem Schädel. Er mußte ihn nicht richtig getroffen haben. Roland fing sich und holte mit dem Schwert aus. Da spürte er einen Stich im Rücken, und eine Stimme zischte: »Laß fallen, oder du hast ein Loch im Balg!« Ein eisiger Schauer kroch Roland über die Wirbelsäule. Die Gestalt am Boden rollte sich fort und sprang auf. Roland unterdrückte einen Schrei, als sich das Spitze - ein Messer oder ein Schwert - schmerzhaft in seinen Rücken bohrte. Er spürte,
wie es warm über seine Haut rieselte. Blut lief seinen Rücken hinab. »Wird's bald?« Roland wußte, daß er verspielt hatte. Die Dunkelheit war der Verbündete dieser Haderlumpen gewesen. Sie kannten sich hier blindlings aus, und er war in die Falle getappt wie ein Anfänger. Aber was hätte er anderes tun können, als nach dem Versteck der Räuber zu suchen? Bei Tageslicht hätten ihn die Wachtposten erst recht entdeckt. Außerdem hatte ihn die Sorge um Elisabeth angetrieben. Ritter Roland ließ sein Schwert fallen. Jetzt ertönte hinter ihm der Rabenschrei. Weiter links antwortete ein anderer falscher Rabe. Und von rechts näherte sich die schattenhafte Gestalt des Kerls, der ihn zuvor angesprungen hatte und den er schon bezwungen gewähnt hatte. Es waren also mehrere, und er hatte von Anfang an keine Chance gehabt. »Verschränk die Hände hinter dem Nacken und geh vorwärts!« zischte ihm die Stimme in den Rücken. »Wohin?« fragte Roland in dem verzweifelten Bemühen, Zeit zu gewinnen und die Kerle abzulenken. Doch was nutzte das schon? Wieder stach ihm der Kerl in den Rücken. »Mein Schwert weist dir den Weg!« Roland verschränkte die Hände im Nacken und setzte sich schnell in Bewegung. Und als der Druck der Schwertspitze verschwand, setzte der Ritter mit dem Löwenherzen noch einmal alles auf eine Karte. Er wirbelte herum, und sein Bein schnellte aus der Drehung heraus vor, um dem Mann das Schwert aus der Hand zu treten. Fast hätte er es geschafft, doch der Räuber war auf der Hut. Er wich geschickt aus, und dann sah Roland nur noch eine flirrende Bewegung, etwas traf ihn an der Schläfe, und er fand sich auf einmal am Boden wieder. »Du hättest ihn gleich kaltmachen sollen«, sagte eine Stimme wie aus weiter Ferne.
»Quatsch. Wir müssen wissen, weshalb er hier herumschnüffelt. Bringt ihn in die Höhle.« Rauhe Hände packten Roland und rissen ihn hoch. Er kämpfte gegen eine Ohnmacht an. Er war so schwach, daß seine Knie nachgaben. Sie schleppten ihn in die Höhle. In seinem Schädel dröhnte es, und er wunderte sich, daß er trotz der Finsternis gelbliche Schleier vor seinen Augen wallen sah. Irgendwann ließen sie ihn einfach fallen wie einen Getreidesack. Er prallte hart auf und rang um Atem. Feuerschein schien ihm in die Augen zu stechen. Eine Gestalt näherte sich. Er hörte gedämpfte Stimmen, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen. Er blinzelte und nahm alles nur verschwommen wahr. Ein Schatten fiel auf ihn. Eine Gestalt ragte vor ihm auf. Riesig. Drohend. Aus den gelblichen Schleiern nahm ein Gesicht Konturen an. Ein wüstes Gesicht, das böse grinste. So mußte der Satan grinsen, wenn ihm eine neue Seele abgeliefert wurde. Roland versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, weshalb er in der Hölle gelandet war. Doch es wollte ihm nicht einfallen. Er mußte einige Zeit ohnmächtig gewesen sein und war immer noch in einer Art Dämmerzustand. Der Satan grinste plötzlich nicht mehr. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Roland erschrak. Der Satan hielt auf einmal ein Beil in der Hand. Rötlich schimmerte das scharfe Blatt durch die Schleier, die vor Rolands Augen wogten. Die Hand mit dem Beil ruckte hoch. »Neeeiin!« Der helle Schrei hallte wie aus tausend Kehlen hervorgestoßen durch die schmummrige Höhle. Roland empfand nichts in diesen schrecklichen Sekunden. Es war
ihm, als sei er ein anderer, der das Beil auf sich zusausen sah, als geschehe alles in einem Traum. Unbewußt schloß er die Augen. Er wird dir den Schädel spalten! dachte er noch, doch es war ihm seltsam gleichgültig. Und dann traf ihn etwas wie Donner und Blitz, und er dachte und spürte gar nichts mehr. * »Du hast ihn erschlagen!« Elisabeth Terciere sagte es mit tonloser Stimme. Meinhardt richtete sich über Ritter Rolands regloser Gestalt auf. Das Schlachterbeil schimmerte im Schein des flackernden Feuers. Langsam wandte sich der Räuberhauptmann zu Elisabeth Terciere um. Ihre Hände waren weit ausgebreitet und an zwei eiserne Ringe gefesselt, die in die Höhlenwand eingeschlagen waren. Er grinste. »Na und?« Elisabeth senkte den Kopf. Breitbeinig schritt Meinhardt auf sie zu. Er schob das Schlachterbeil in die Schlaufe an seinem Gurt. Zwei Schritte vor der Gefangenen blieb er stehen. Der Blick seiner schwarzen Augen tastete über ihren Körper. »Mein kleiner Finger sagt mir, du kennst den Schnüffler.« Er musterte sie lauernd. »Ich ...« Sie verstummte und biß sich auf die Unterlippe. »Ja, du kennst ihn. Gewiß ist er dein Freier. Das dachte ich mir gleich. Wäre ein zu großer Zufall gewesen, wenn ausgerechnet jetzt jemand hier auftaucht. Hast du ihn geliebt?« Elisabeth schwieg ihn an. Er grinste. »Du wirst ihn vergessen, denn ab jetzt gehörst du mir.« »Eher bringe ich mich um!« stieß Elisabeth zornig hervor, und sie spuckte voller Verachtung nach ihm. Er wich schnell zurück, und sie traf ihn nur am Hosenbein.
Sein Grinsen erstarb. Die weißen Augenbrauen ruckten noch mehr zusammen, und der Blick seiner scharzen Augen schien sie zu durchdringen. Sein linkes Augenlid zuckte. Er hob eine Hand, als wollte er sie schlagen, doch dann lachte er plötzlich auf und ließ die Hand sinken. »Ein gar widerspenstiges Weib!« sagte er. »Ja, meine Mannen haben nicht übertrieben. Sie berichteten mir, daß du den Teufel im schönen Leib hast. Und ich werde ihn dir austreiben!« Sie starrte ihn nur stumm und verächtlich an. »Du hast die Wahl«, sagte er, und seine Augen glitzerten begehrlich. »Entweder unterwirfst du dich, oder ich lasse dich dort an den Eisen, bis du mich anflehst, daß ich mich für dich interessiere. Also?« Ihre Antwort verblüffte selbst einen abgebrühten Räuber wie Meinhardt. Es war ein obszöner Fluch, bei dem Meinhardts fünf Räubern, die abseits in der Höhle standen, der Mund aufklaffte. Der Jüngste in der kleinen Bande bekam rote Ohren. Sie wußten nicht, daß sie eine Comtesse war, und wenn Roland es gehört hätte, wären auch ihm erhebliche Zweifel gekommen. »Aber nicht doch, so was sagt doch keine Dame!« Meinhardt lachte spöttisch. »Und so was tut sie erst recht nicht. Außerdem wirst du dazu auch keine Gelegenheit haben. Nun, wie steht es? Willst du dort eine unangenehme Nacht verbringen, oder eine angenehme mit mir?« Ihr Blick sagte mehr als alle Worte. Meinhardt zuckte mit den Schultern. »Dann eben nicht, du Pflaume. Ich kann warten.« Er wandte sich ab und hob die Stimme, daß es durch die Höhle hallte. »Hildegard!« Elisabeth Terciere drehte den Kopf. Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel und schritt näher. Es sah aus, als sei sie aus der Felswand getreten, doch der Schein trog. Es gab mehrere Kavernen in der großen Höhle, Kammern der Natur, die von den Räubern als Lager
hergerichtet und mit einem Vorhang aus Decken versehen waren. Meinhardt hatte eine dieser Kammern, Hildegard ebenfalls eine, und die Räuber schliefen in zwei anderen Quartieren, wenn sie nicht Wache hielten. Die Frau war nur als Schatten zu erkennen. Sie verharrte außerhalb des Feuerscheins. Elisabeth konnte nur nackte, schmutzige Füße und Waden sehen. »Ja, Herr, was soll ich ...?« »Das fragst du noch, du blöde Kuh? Geh schon voraus und bereite mir das Lager.« Der Schatten wandte sich wortlos um und verschwand in der Dunkelheit. Meinhardt gab seinen Räubern einen herrischen Wink. »Fesselt ihn und bringt ihn in die Felsspalte.« Zwei der Räuber eilten zu Ritter Rolands regloser Gestalt. »Er - ist nicht tot?« fragte Elisabeth, und es klang fassungslos. Meinhardt grinste dämonisch. »Noch nicht. Ich habe ihn nur ein bißchen mit dem Beil gestreichelt.« Lauernd betrachtete er sie. »Es liegt an dir, was mit ihm geschieht«, fuhr er fort. »Ich gebe dir diese Nacht Bedenkzeit. Du solltest dir mein Angebot überlegen.« Er lauerte auf eine Antwort, doch sie schwieg. Da wandte er sich ab und schritt zu seinem Lager. * Roland spürte tastende Hände an seinem Körper. Elisabeth massierte ihn. Nein, plötzlich schien ihr Gesicht zu zerfließen, sich aufzulösen und Annas Züge anzunehmen. Anna die Gewaltige massierte ihn! Er wunderte sich, daß ihre Hände so sanft waren. Sie streichelte ihn an der Wange, tätschelte ihn leicht. Roland öffnete blinzelnd die Augen. Er sah nichts als Dunkelheit. Doch er spürte heftige Atemzüge an seiner Seite. »Anna?« krächzte er.
Eine Hand legte sich schnell auf seinen Mund. »Still«, flüsterte ihm jemand ins Ohr. Eine weibliche Stimme, die aufgeregt klang. Roland verhielt sich still. Er fragte sich, weshalb es in Annas Badehaus so dunkel war. Dann spürte er die Schmerzen, einen üblen Geschmack im Mund, und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Anna mußte ihn krankgeknetet haben! Vermutlich tat sie deshalb jetzt so freundlich. Gewiß war er ihr unter den massierenden Pranken ohnmächtig geworden. Dieses verdammte Riesenweib! »Heißt sie Anna?« flüsterte die weibliche Stimme in sein Ohr und fügte mahnend hinzu: »Sei leise!« Die Hand lockerte sich etwas über seinem Mund. Roland brauchte einen Augenblick, bis er die Frage verstand. Er lauschte dem Klang nach, und es kamen ihm Zweifel, ob das tatsächlich Anna war. »Du bist nicht Anna?« fragte er leise. »Pst!« Wieder legten sich die Finger auf seine Lippen. »Nein, ich bin Hildegard«, hörte er sie flüstern. Hildegard? überlegte er. Wer zum Teufel mag das sein? »Ich will dir helfen.« »Warum?« murmelte Roland unter ihrer Hand gedämpft. »Hat Anna mich zu hart massiert?« »Du phantasierst noch«, flüsterte die Stimme an seinem Ohr. »Weißt du noch nicht, was passiert ist?« Roland schüttelte leicht den Kopf, und Schmerzen stachen durch seinen Schädel. Er unterdrückte ein Stöhnen. »Was ist passiert?« raunte er. Da sagte sie es ihm. Sie mußte es langsam wiederholen, bis Rolands Erinnerung einsetzte, und er alles begriff. »Meinhardt schläft«, flüsterte Hildegard. »Er hat sich verausgabt und völlig betrunken. Ich befreie dich - unter einer Bedingung.« »Und?« flüsterte Roland angespannt.
»Du mußt auf der Stelle mit deiner Freundin verschwinden.« »Ich wüßte nicht, was ich lieber täte«, erwiderte Roland. »Es gibt nur einen Wachtposten vorn an der Höhle«, raunte Hildegard. »Doch der rechnet nicht mit Gefahr von hier. Du mußt ihn lautlos überwältigen. Dann gehst du mit deiner Freundin ungefähr fünfhundert Klafter nach rechts am Berg entlang. Da gibt es eine kleinere Höhle. Darin stehen Pferde. Sie werden nicht bewacht. Du verschwindest mit deinem Herzchen, und Meinhardt wird annehmen, es sei einer von außen eingedrungen und hätte euch befreit.« »Gute Idee«, flüsterte Roland, und seine Schmerzen waren vergessen. Er verspürte tiefe Dankbarkeit gegenüber der unbekannten Helferin. Sie machte sich an seinen Stricken zu schaffen. Er stöhnte auf, als ihn etwas am Handgelenk ritzte. Ein Messer hatte ihn gestreift. Sie schnitt die Fesseln durch. »Danke«, flüsterte er und rieb sich die Gelenke. Sie neigte sich über seine Fußfesseln. Er hörte das Rascheln von Stoff und spürte ihre tastenden Hände an seinen Beinen. Auf gut Glück griff er nach ihr, erfaßte etwas Weiches und zog sie zu sich. »Warum spielst du die gute Fee?« Sie entzog sich ihm. Ihr Atem ging heftig. »Meinhardt gehört mir«, zischte sie. »Verschwinde mit dieser Pute! Wenn du versuchen solltest, dir Meinhardt zu schnappen, schreie ich Alarm. Ich werde dich genau beobachten. Du hast genau drei Minuten Zeit.« Im nächsten Augenblick war er seiner Fußfesseln ledig. Er nahm noch eine huschende Bewegung wahr, dann war Hildegard verschwunden. Jetzt fiel ihm ein, was die beiden Männer gesagt hatten, die er belauscht hatte, und es war ihm klar, weshalb Hildegard ihn befreit hatte. Die gute Fee dachte in erster Linie an sich. Sie wollte Elisabeth loswerden, weil sie in ihr eine Rivalin sah. Unzählige Fragen stürmten auf Roland ein. Wer waren diese
Räuber? War es die gleiche Bande, die Elisabeth schon zweimal überfallen hatte? Weshalb war sie entführt worden? Nur, weil der Anführer eine neue Geliebte haben wollte? Oder steckte mehr hinter allem? Er verdrängte die Gedanken. Sie mußten verschwinden. Schnell erhob er sich und orientierte sich. Er sah einen schwachen Lichtschimmer zu seiner Rechten. Auf Zehenspitzen schlich er darauf zu. Dann sah er, daß er in einer breiten Felsspalte gelegen hatte. Er spähte in die Höhle. Das Feuer war heruntergebrannt. Die Glut schimmerte rötlich. Keiner der Räuber war zu sehen. Roland schlich in die Höhle und hielt sich im Dunkel an der Wand. Dann erkannte er Elisabeth. Sie stand gefesselt an der Höhlenwand. Ihr Kopf war vornübergesunken. Ihr Kleid war zerfetzt. Roland preßte die Lippen aufeinander. Vermutlich waren diese Dreckskerle über sie hergefallen. Elisabeth nahm ihn erst wahr, als er nach ihren Handfesseln tastete. Ihr Kopf ruckte hoch, und sie stieß einen erschreckten Laut aus. »Ruhig«, flüsterte Roland. »Ich bin's Roland!« Er hörte sie tief ausatmen. Er befreite sie von den Fesseln. Sie sank gegen ihn, und er hielt sie fest. »Wie hast du dich befreit?« flüsterte sie. »Das war ganz einfach«, erwiderte Roland leise. »Ich erzähle es dir später. Erst müssen wir verschwinden.« »Bring mich zur Burg Blaibach«, flüsterte Elisabeth und umklammerte ihn. »Natürlich«, erwiderte er. Dann griff er nach Elisabeths Hand und zog sie mit sich. Der Wachtposten war kein Problem. Der Bursche war eingenickt. Roland nahm ihm das Schwert ab, ohne daß der Räuber es merkte. Er schreckte nur kurz aus dem Schlaf, als Roland mit dem Schwert zuschlug. Roland mußte noch einmal nachsetzen. Dann schlief der Räuber weiter. Roland atmete auf. Der Weg war frei.
* Es war eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet die Knappen unfreiwillig dafür sorgten, daß Rolands und Elisabeths Flucht frühzeitig bemerkt wurde. Sie glaubten von Achim und Theo, alles Wichtige erfahren zu haben. Kurz nach Mitternacht trafen sie bei der Höhle ein. Die Gefangenen hatten sie gefesselt im Tann bei der Kutsche zurückgelassen. Den Wachtposten, den Roland gefesselt und geknebelt hatte, und der im tiefen Dunkel zwischen Büschen lag, bemerkten die Knappen nicht. Sie wußten, daß der Zugang zur Höhle bewacht wurde, und daß man sie passieren lassen würde, wenn sie den Posten mit dem vereinbarten Signal in Sicherheit wiegten. Sie hatten Achims und Theos Kleidung angezogen und hofften damit den Posten täuschen und leicht überwältigen zu können. Louis stieß einen dreifachen Eulenschrei aus. Zunächst tat sich nichts, wie die Knappen glaubten. Sie nahmen an, daß der Posten eingeschlafen war. Doch in der Höhle tat sich so einiges. Einer der Räuber schreckte aus dem Schlaf. Früher hätte ihn der Eulenschrei nicht irritiert. Doch vor einigen Wochen hatten sie das Erkennungssignal verändert und auf Rabe umgeschaltet. Einer der Räuber, Friedbert, hatte sich davongemacht und den gesamten geraubten Schmuck mitgehen lassen. Alle Suche nach dem vermaledeiten Verräter war vergebens gewesen. Meinhardt hatte schon mit dem Gedanken gespielt, das Versteck zu wechseln, sich dann jedoch gesagt, daß Friedbert es nicht wagen würde, wiederzukommen, um noch einmal Beute zu stehlen. So hatten sie nur das Erkennungssignal geändert. Sollte Friedbert die Frechheit haben, allein oder mit neuen Kumpanen noch einmal aufzutauchen, würde es eine böse Überraschung für ihn geben.
Der Räuber Jakob, der den dreifachen Eulenruf vernommen hatte, weckte flugs seinen Anführer. Meinhardt war nicht so betrunken, wie Hildegard angenommen hatte. Von neuem ertönte der dreifache Eulenschrei. Meinhardt lauschte und schaltete schnell. »Antworte, Jakob«, raunte er. »Vielleicht ist es unser Freund Friedbert, der die Wache narren will.« Er rückte das Schlachterbeil zurecht. »Dann wird er sein blaues Wunder erleben.« Jakob imitierte einen Eulenschrei. Dreimal hallte der Schrei durch die Höhle. Louis und Pierre atmeten auf. Damit war der Weg in die Höhle freigegeben. Man hielt sie offenbar für Achim und Theo, die zurückkehrten. Die Knappen ahnten nicht, daß sie von den beiden Räubern hereingelegt worden waren. Besonders Achim hatte gut geschauspielert. Zitternd hatte er scheinbar alles verraten. Doch er hatte die Nerven gehabt, das falsche Signal zu nennen. Die beiden gefesselten Räuber trösteten sich jetzt in ihrer mißlichen Lage mit dem schadenfrohen Gedanken, daß sie ihre beiden Bezwinger in eine Falle geschickt hatten. In der Höhle blieb alles totenstill, als die Knappen hineinschlichen. Kein Wachtposten hatte sich blicken lassen. Sie verharrten im tiefen Dunkel an der Felswand am Ende des Ganges, der sich zur Höhle verbreiterte. Louis spähte in die Höhle hinein. Schwacher rötlicher Schein des herabgebrannten Feuers fiel aus der Höhle. Keine Menschenseele war zu sehen. »Einer hat auf das Signal geantwortet«, gab Louis leise zurück. »Mir gefällt das nicht. Weshalb gab es keinen Wachtposten vor der Höhle?« »Vielleicht haben uns die Kerle belogen«, flüsterte Pierre. Der Knappe fürchtete sich. »Glaube ich nicht«, widersprach Louis. »Die schlotterten doch vor Angst.«
»Und wo ist Elisabeth?« wisperte Pierre und spähte angespannt an Louis' Schulter vorbei. »Vielleicht gibt es eine weitere Höhle. Ich sehe mich mal vorsichtig um. Bleib hier.« Lautlos schlich Louis an der dunklen Felswand entlang in die Höhle. Am liebsten hätte Pierre ihn festgehalten. Die Höhle wirkte gespenstisch und bedrohlich, und Pierre fühlte sich äußerst unwohl. Er packte das Schwert fester, und seine Handfläche war feucht. Im nächsten Augenblick zuckte Pierre zusammen und erschrak. Ein unterdrückter Aufschrei ertönte, fast schon ein Röcheln. Ein dumpfer Aufprall folgte. Und dann ging alles rasend schnell. Bevor Pierre einen klaren Gedanken fassen konnte, flog etwas aus dem Dunkel auf ihn zu und riß ihn zu Boden. Heißer Atem schlug Pierre ins Gesicht. Hände krallten sich um seinen Hals. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geschlagen oder getreten. Pierre war vom Sturz und Schreck wie betäubt. Da traf ihn schon ein Fausthieb. Pierre stieß sich den Hinterkopf auf dem Felsboden und glaubte, die dunkle Höhlendecke verwandelte sich in das Sternenzelt. Louis erging es nicht anders. Im Nu war er von drei Männern umringt. Er wehrte sich verzweifelt, doch er hatte keine Chance. Der Kampf war vorbei, bevor er für die Knappen überhaupt begonnen hatte. Beide blieben ohnmächtig liegen. Einer der Räuber warf trockenes Gestrüpp ins niedergebrannte Feuer. Hell loderten die Flammen auf. »Ist ja gar nicht Friedbert«, stellte einer der Räuber fest. »Sie werden uns sagen, weshalb sie hier herumschnüffelten«, knurrte Meinhardt gereizt. »Fesselt sie und bringt sie zu den anderen Gefangenen. Morgen früh nehmen wir sie uns in aller Ruhe vor, bis sie singen wie die Amseln.«
Er wollte zu der Gefangenen blicken und stutzte. Da war ja gar nichts an der Felswand! Er blinzelte und glaubte, der Met hätte sein Augenlicht beeinträchtigt. Doch da rief Hildegard: »Das Weib - es ist weg!« Alle starrten zur Felswand. Meinhardt tobte und fluchte. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefaßt hatte. Dann gab er zornig Befehle. Sie suchten die Umgebung ab und fanden Achim und Theo. Und bald darauf ritten zwei Räuber auf Rolands und Elisabeths Fährte. * Der Bach plätscherte leise. Mücken tanzten Ringelreihen zwischen der Baumgruppe am Ufer, wo Roland und Elisabeth Terciere im weichen Gras rasteten. Eines der Pferde schnaubte, doch Ritter Roland nahm es gar nicht wahr. Elisabeth küßte ihn voller Leidenschaft. Dann fiel der Schatten über Roland, und es war ihm, als stürze er von einer rosaroten Wolke in einen rabenschwarzen Abgrund. Ein Schwert bohrte sich in seinen Rücken. »Ergib dich, oder du fährst zur Hölle!« sagte eine kalte Stimme. Roland war einen Augenblick lang vor Schreck wie betäubt. Auch Elisabeth schien in seinen Armen zu erstarren. Langsam wandte Roland den Kopf. Er sah ein bärtiges, grinsendes Gesicht. Der Kerl hielt ihm das Schwert zwischen die Schulterblätter. Sie hatten den ganzen Tag über nach Verfolgern Ausschau gehalten, doch keinen entdecken können. Sie hatten sich in Sicherheit gewiegt, doch Meinhardts Räuber hatten sie gefunden ... Rolands Blick glitt zu dem Schwert, das er abgelegt hatte. »Was willst du?« fragte er, um Zeit zu gewinnen und um den Kerl abzulenken.
»Steh auf!« Roland erhob sich. Der Druck der Schwertspitze verschwand. Der Ritter gab sich resigniert. Langsam wandte er den Kopf zu dem Mann. »Bei uns ist nicht viel zu holen...« begann er, und noch während seiner Worte wirbelte er herum. Fast hätte er den Kerl überrascht. Aus der Drehung heraus traf er das Handgelenk des Bärtigen. Doch der Mann hielt sein Schwert fest und sprang zurück, als Roland auf ihn zuhechtete. Roland stürzte ins Gras. Er rollte sich ab, wollte aufspringen, doch dann verharrte er in seiner Bewegung. Zwei weitere Männer tauchten bei den Pferden auf. Sie mußten sich ebenso lautlos angeschlichen haben wie der dritte Kerl. Auch sie waren mit Schwertern bewaffnet. Einer stürmte auf Roland zu, und der andere packte Elisabeth und riß sie hoch. Sie schrie auf. Der Räuber hielt die Frau von hinten umklammert und drückte ihr sein Schwert gegen den Busen. »Gib auf!« keuchte der Bärtige, »oder dein Liebchen ist fällig!« Roland erkannte, daß es keine Chance mehr gab. »Laßt die Frau in Ruhe. Ich ergebe ...« Sie ließen ihn nicht einmal aussprechen. Ein Schwerthieb traf Roland, und es wurde dunkel und still um ihn. Als er zu sich kam, lag er quer über einem Pferd. Sie hatten ihn an Händen und Füßen gefesselt und auf dem Roß festgebunden. Er drehte den Kopf und wollte nach Elisabeth sehen, die wahrscheinlich ebenso gefesselt war wie er. Doch es war nichts von ihr zu sehen. Er war mit dem Bärtigen allein. »Wo ist die Frau?« fragte er mit krächzender Stimme. »Elisabeth?« Der Bärtige lachte. »Um die brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen.« Roland preßte die Lippen aufeinander. Ohnmächtiger Zorn stieg in ihm auf. Elisabeth war in der Gewalt
dieser Schurken! Ritter Roland machte sich bittere Vorwürfe. Wäre er doch wachsamer gewesen! »Wohin reiten wir?« fragte er. Der Bärtige lachte. »In die Hölle, mein Lieber. In die Hölle.« * Düster und drohend ragte die alte Burg auf. Die Mauern waren schwarz und verrußt, und Roland sah, daß die Ringmauer eine große Bresche auf wies. Die Zugbrücke war ebenso zerstört wie die Dürnitz und verschiedene Türme und Zinnen. Die Burg war erobert worden, und der Zahn der Zeit hatte an der ausgebrannten Ruine genagt. Sie ritten durch die Bresche in der zerstörten Ringmauer. Roland sah einen grellbemalten Kastenwagen im Burghof beim Ziehbrunnen. Der Wagen von Fahrendem Volk, auf dem rote Lettern Tierattraktionen anpriesen. Der Bärtige zügelte sein Pferd. Das Roß, auf das Roland gebunden war, blieb ebenfalls stehen. Der Bärtige löste die Zügel, die er an seinen Sattel gebunden hatte. Vier Männer tauchten auf. Roland erkannte zwei der Kerle wieder, die ihn beim Bach gefangengenommen hatten. Einer band ihn los und warf ihn wie einen Mehlsack vom Roß. Roland stieß sich beim Aufprall den Kopf. Er konnte sich mit den gefesselten Händen nicht abfangen, um den Sturz zu mildern. »Bringt ihn zu Barnabas!« befahl der Bärtige. Zwei Männer packten Roland unter den Achseln und an den Füßen und schleppten ihn in den zerstörten Palast. Flackernde Kerzen spendeten nur spärlich Licht in dem großen Raum, der offensichtlich als Quartier der Räuber hergerichtet war. Roland brauchte einen Augenblick, bis sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten. Er sah ein großes Lager aus Decken und Fellen. Rund ein Dutzend
Katzen lagen darauf, und jetzt wußte Roland auch, weshalb es so durchdringend roch. Sie warfen ihn ans Fußende des Lagers. In die Katzen kam Bewegung. Einige miauten, ein Kater fauchte, und die Tiere wichen vor ihm zurück. Da bemerkte Roland die Gestalt auf dem Lager. Er hatte sie zuvor nicht erkannt, weil sie mit dem gleichen Fell bekleidet war wie das Lager und weil sie fast von den Katzen zugedeckt gewesen war. Der Mann hob eine schwarze Katze von seiner Brust, schob eine grauweißgestreifte Katze von seinem Oberschenkel und erhob sich. Einer der Räuber zündete weitere Kerzen an. Roland sah den Anführer der Räuber jetzt genauer. Braungelbliche Augen, die tief in den Höhlen lagen, musterten ihn. Dünne Lippen zogen sich von den vorstehenden Schneidezähnen. Ein Grinsen, als bleckte ein Raubtier die Zähne. Rötlich schimmerte eine Narbe, die vom linken Mundwinkel bis hinauf zur Schläfe reichte. Roland sah, daß der Mann ein verstümmeltes Ohr hatte. Das Gesicht kam Roland irgendwie bekannt vor, doch es wollte ihm nicht einfallen, wo er es schon einmal gesehen hatte. »So sieht man sich wieder«, sagte Barnabas mit dumpfer Stimme. »Erkennst du mich wieder?« »Nein.« Breitbeinig blieb Barnabas vor Roland stehen und starrte auf ihn hinab. »Ich bin Barnabas«, sagte er. »Barnabas du Polignac. Erinnerst du dich daran, wie sie mir damals den Prozeß machten?« Da fiel es Ritter Roland wie Schuppen von den Augen. Barnabas du Polignac - der Schrecken vom Rhein! Roland glaubte wieder die grausigen Ereignisse vor seinem geistigen Auge zu sehen: Er war Sechzehn gewesen und hatte für seinen Vater, den Köhler etwas eingekauft, als Barnabas und seine wilde Horde in das Dorf eingefallen waren. Die Bande des Schreckens hatte gemordet, gebrandschatzt und Frauen geschändet.
Roland hatte alles hilflos mit ansehen müssen. Es waren rund drei Dutzend Verbrecher gewesen, und der Köhlersohn hatte zu dieser Zeit noch nicht einmal ein Schwert besessen. Er hatte sich verstecken müssen, denn die Räuber hatten bei der Suche nach Beute den ganzen Ort durchkämmt und jeden niedergemacht, den sie entdeckt hatten. Dann war Roland geflüchtet, um Hilfe zu holen. Sie hatten ihn entdeckt, und Barnabas hatte ihm ein paar seiner Räuber nachgeschickt, um den Bengel für immer zum Schweigen zu bringen. Doch er war ihnen entkommen. Ein paar Wochen später waren Barnabas und ein Teil seiner Mordgesellen gestellt worden. Wiederum waren sie in einen kleinen Ort eingefallen, um zu rauben und zu vergewaltigen. Doch diesmal war man vorbereitet gewesen. Einer von Barnabas' Räubern hatte den Raubzug verraten. Ein starker Reitertrupp des Königs hatte im Hinterhalt auf die Räuber gewartet. Die Falle war zugeschnappt. Ein Dutzend Räuber waren im Kampf gestorben, doch ausgerechnet einer hatte verletzt entkommen können: Barnabas. Man schnappte ihn drei Tage später, weit vom Ort des Überfalls entfernt. Er bestritt, jemals in diesem Ort gewesen zu sein und leugnete, irgend etwas mit den gefangenen Räubern zu tun zu haben. Niemand konnte ihm das Gegenteil beweisen. Da holte man den jungen Roland, dessen Aussage nach dem anderen Überfall schriftlich festgehalten worden war. Roland und ein weiterer Augenzeuge erkannten in Barnabas zweifelsfrei den Anführer der üblen Horde wieder. Auf ihre Aussage hin wurde Barnabas zum Tode verurteilt. Roland hatte nie wieder etwas von der Sache gehört. »Sie hätten mich damals um ein Haar aufgehängt«, sagte Barnabas mit dumpfer Stimme. Er tastete über die wulstige Narbe zum verstümmelten Ohr. »Doch ich konnte dem Henker ein Schnippchen schlagen. In der Nacht vor der Hinrichtung entkam ich mit Hilfe einer Verwandten aus dem Kerker. Und seither freue ich mich auf den Tag der Rache.«
Haß loderte in den braungelblichen Augen des Verbrechers auf. »Es hat lange gedauert, bis ich dich endlich fand«, fuhr er mit rauher Stimme fort. »Ich wollte erst nicht glauben, daß aus dir Bengel ein Ritter geworden ist. Ich hörte von dir, als ich mit meinen Katzen durch die Lande zog. Roland, der Ritter mit dem Löwenherzen! Ich dachte, das muß ein anderer sein. Doch meine Nachforschungen ergaben dann, daß du der Köhlerbengel warst, der mich damals fast an den Galgen gebracht hätte.« Unbeherrscht trat er nach dem gefesselten Gefangenen, der zu seinen Füßen lag. Roland schössen vor Schmerz Tränen in die Augen. Er preßte die Zähne zusammen. »Du wirst sterben!« zischte Barnabas. »Und ich habe mir einen besonders feinen Tod für dich Hundsfott ausgedacht. Einen Tod, der eines Ritters mit dem Löwenherzen würdig ist!« Er lachte, und Roland lief ein kalter Schauer über den Rücken. Dann rief Banabas nach einem seiner Räuber. Es war der Bärtige. »Bereitet alles vor, Wenzel!« befahl Barnabas. Wenzel blickte grinsend zu Roland. Dann eilte er davon. Roland hörte, wie er im Burghof lautstark Anweisungen gab. Irgend etwas sollte aufgebaut werden. Welche Teufelei hatte Barnabas vor? Barnabas starrte auf ihn herab. »Hast du noch einen letzten Wunsch?« fragte er spöttisch. Roland schwieg. Es war ihm klar, daß der Verbrecher seine Rache auskosten wollte und daß die Frage blanker Hohn war. »Das hat man mich damals auch gefragt«, fuhr Barnabas fort. »Ich wünschte mir zur Henkersmahlzeit Rehragout mit Klößen und Rotkohl - mein Leibgericht. Man erfüllte mir diesen Wunsch, und deshalb will ich vor deiner Hinrichtung auch so großzügig sein. Also, was wünschst du dir?« »Fahr zur Hölle!« knirschte Roland. Barnabas entblößte grinsend seine vorstehenden Schneidezähne. »Sehr lustig. Ja, Elisabeth erzählte mir, daß du ein recht witziger
Freier bist.« Elisabeth? Wie kam sie dazu, dem Verbrecher etwas über ihn zu erzählen? »Wo ist Elisabeth?« fragte Roland. Seit seiner Gefangennahme hatte er sie nicht mehr gesehen. »Sie ist hier«, erwiderte Barnabas grinsend. »Willst du sie noch mal sehen, bevor du Katzenfutter wirst?« Roland schluckte. Elisabeth war also in der Gewalt dieses Verbrechers! Er dachte an den Überfall in der Herberge, mit dem alles angefangen hatte. »Bei dem Überfall in Hohenwarth sollten mich deine Männer gefangennehmen?« fragte er aus seinen Gedanken heraus. Barnabas nickte. »Stimmt. Du brauchst dir gar nichts einzubilden, weil du ihnen einen Strich durch die Rechnung machen konntest. Sie hatten den Befehl, dich lebend bei mir abzuliefern. Den Jungs waren also die Hände gebunden. Nur deshalb konntest du den Helden spielen.« »Warum haben mich deine Männer nicht mitgenommen, als sie uns in dem Gasthof betäubten?« fragte Roland. »Warum haben sie nur Elisabeth gefangengenommen?« Barnabas' Miene verfinsterte sich. »Das waren nicht meine Männer«, sagte er zu Rolands Überraschung. »Da waren irgendwelche verdammten Räuber am Werk.« »Dieser Meinhardt mit dem Hackebeil gehört nicht zu deinen Leuten?« fragte Roland verwundert. »Nein. Und du kannst sicher sein, daß wir dich und Elisabeth aus den Händen dieser verflixten Kerle befreit hätten, wenn ihr nicht so entkommen wärt. Einer meiner Männer folgte euch ständig und beobachtete euch auf Schritt und Tritt.« Er genoß sichtlich Rolands Überraschung. »Doch kommen wir zu deinem letzten Wunsch zurück«, fuhr Barnabas grinsend fort. »Ich höre.«
»Laß Elisabeth frei«, sagte Roland. Die Worte kamen ihm ohne Überlegung über die Lippen, und als er sie ausgesprochen hatte, schalt er sich töricht. Nie würde ihm der Verbrecher diesen Wunsch erfüllen. »Oh, wie ritterlich«, sagte Barnabas da auch schon spöttisch. »Er bittet für die Dame.« Er grinste auf Roland herab. »Nun, du hast nur einen Wunsch, den ich dir gewähre. Also überlege gut. Ich gebe dir noch ein wenig Bedenkzeit.« Er packte einen Kater, der um sein Bein herumstrich, nahm ihn auf die Arme und kraulte ihn. Rolands Gedanken jagten sich. Meinhardt und Barnabas waren also zwei paar Schuhe. Das war die Erklärung, weshalb ihn die Räuber vom Gasthof aus nicht mitgenommen hatten wie Elisabeth. Meinhardt hatte nur Elisabeth haben wollen. Barnabas dagegen hatte es nur auf ihn - Roland - abgesehen, um sich zu rächen. Elisabeth war für diesen Kerl praktisch nur eine Draufgabe. Barnabas blickte auf. »Nun, hast du dir deinen Wunsch überlegt?« Roland hegte keine Hoffnung, doch er wiederholte: »Laß Elisabeth frei.« Barnabas zuckte mit den Schultern. »An deiner Stelle hätte ich mir Rehragout gewünscht. Aber du mußt es ja wissen.« Er grinste, und Roland glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können, als Barnabas hinzufügte: »Wohlan, dein Wunsch soll erfüllt werden.« Er hob die Stimme: »Elisabeth?« Eine Tür klappte. Leise Schritte nahten. Dann tauchte Elisabeth in der rußgeschwärzten Türöffnung auf. Sie wirkte völlig unbeschwert. »Sein letzter Wunsch ist deine Freilassung«, sagte Barnabas. »Ist das nicht lustig?« Er lachte wie über einen guten Scherz. Elisabeth Terciere schritt geschmeidig heran. Ihre grünen Augen funkelten. Sie blieb neben Barnabas stehen und blickte auf Roland. Dann begann auch sie schallend zu lachen.
Jetzt verstand Roland überhaupt nichts mehr. Endlich verstummte das Lachen der beiden. Elisabeth sah Roland verächtlich an. »Ein rechter Dummsack, der Ritter mit dem Löwenherzen!« sagte sie mit hohntriefender Stimme und einem kalten Lächeln. »Es wird mir eine Freude sein, zuzusehen, wie er zu Katzenfutter wird.« * Die Freude war Elisabeth Terciere anzusehen, als es dann soweit war. Eine böse, teuflische Freude, und zu Ritter Rolands tiefer Enttäuschung kam der Zorn darüber, daß er sich von dieser Frau so sehr hatte hereinlegen lassen. Diese zweibeinige Katze hatte ihm nur Theater vorgespielt. Sie hatte Liebe geheuchelt, und dabei hatte der Haß in ihr gebrannt. Ein Engel als Köder, dachte Roland. Sie hatte damals durch Rolands Aussage ihren Geliebten verloren, einer der Räuber von Barnabas, mit dem sie übrigens verwandt war. Der Mann, der sie den Schwertkampf gelehrt hatte - ihr Meister. Sie war es gewesen, die Barnabas vor der Hinrichtung aus dem Kerker befreit hatte. Und sie hatte genauso auf Rache gesonnen wie Barnabas. Roland glaubte noch ihre Worte zu hören, als sie ihn auf den Burghof schleppten, wo alles für seinen Tod vorbereitet war. »Es war ein Kinderspiel, dich um den kleinen Finger zu wickeln, du Dummkopf. Du hast dir eingebildet, du hättest mich erobert! Dabei bist du nur in meine Falle getappt. Es war mir ein Vergnügen, dich scharf zu machen. Mehrmals war ich versucht, dir ein Messer zwischen die Rippen zu stoßen. Doch ich hatte Barnabas versprochen, dich zu ihm zu locken, damit er zusehen kann, wie du stirbst...« Elisabeth Terciere war in Panik geraten, als der Überfall in der Herberge gescheitert war. Sie hatte befürchtet, er könnte die beiden flüchtenden Räuber schnappen und zum Plaudern bringen. Deshalb
hatte sie sich Hals über Kopf davongemacht. Zuvor hatte sie dafür gesorgt, daß der Räuber, der den Weinhändler niedergeschlagen hatte, seine noch bewußtlosen Kumpane mitgenommen hatte. Sie hatte Kontakt mit den Räubern gehalten und später erfahren, daß Wenzel entkommen war. Da war ihr die Begegnung mit Rolands Knappen ein willkommener Anlaß gewesen, nach Hohenwarth zurückzukehren, um das teuflische Spiel fortzusetzen. Fast hätte das Zwischenspiel mit dem Räuber Meinhardt ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch mit Hildegards Hilfe waren sie entkommen, und sie hatte Roland leicht in die Falle locken können ... Ja, die schöne Elisabeth Terciere war eines der gerissensten Luder, die Ritter Roland jemals über den Weg gelaufen waren. Sie stand jetzt neben Barnabas und seinen fünf Männern. Mitleidlos schaute sie zu, wie er in den Käfig gestoßen wurde. Sie hatten ihm die Fesseln abgenommen. Doch was nutzte ihm das? Wie sollte er mit bloßen Händen den Löwen besiegen? Denn das war der Tod, den ihm Barnabas und Elisabeth zugedacht hatten: Er sollte von einem Löwen zerfleischt werden! * Achim, der Räuber, zuckte zusammen und riß sein Schwert hoch, als es neben ihm im Gebüsch raschelte. Dann atmete er auf. Es war sein Kumpan Theo. »Gib dich doch zu erkennen, Mann!« knurrte Achim. Theo glitt neben ihn. »Du hattest recht, Achim«, sagte er. »Es ist ihre Fährte. Sie sind in der Burgruine. Ich konnte sie beobachten und ein paar Worte belauschen. Weißt du, wer der Kerl ist, der mit dem schönen Weib aus unserem Versteck verschwunden ist?« Achim hob die Schultern.
»Ein Ritter«, erklärte Theo triumphierend. »Roland heißt er. Und die beiden anderen, die wir gefangengenommen haben, müssen seine Knappen sein. Sie heißen Louis und Pierre, wie er sagte. Und die beiden nannten sich doch auch so. Und sie sprachen von einem Ritter. Es kann kein Zufall sein, daß sie bei uns auftauchten. ,Na, was sagst du dazu? Da hatten wir durch Zufall einen richtigen Ritter geschnappt.« Achim zeigte sich unbeeindruckt. »Na und? Das ändert nichts an unserem Auftrag. Wir sollen den Kerl zur Hölle schicken und uns das Weib krallen. Alles andere juckt mich nicht.« Theo zeigte grinsend schadhafte Zähne. »Vielleicht doch. Ich schlage vor, wir bringen den Kerl lebend zu Meinhardt. Da könnte ein schönes Lösegeld herausspringen. Bei Rittern ist bestimmt etwas zu holen.« »Quatsch, ich kannte mal einen, der war arm wie eine Kirchenmaus.« »Aber selbst wenn er nicht viel besitzt - diese Ritter haben Beziehungen. Irgendeiner bei Hofe wird bestimmt was für sie ausspucken.« Achim überlegte. Er war nicht so begeistert von der Idee wie Theo. »Und wie wollen wir uns den Mann schnappen? Das kompliziert doch alles.« Theo schüttelte den Kopf. »Du weißt noch nicht alles. Er ist bereits geschnappt. Die Leute auf der Burg haben ihn gefangengenommen.« Achim blickte überrascht. »Sag nur! Ich dachte, es wären Bekannte, bei denen sie Zuflucht gesucht haben.« »Nein. Es sind Gaukler oder so was. Da steht jedenfalls ein bunter Zirkuswagen auf dem Burghof. Ich nehme an, die Jungs wollen das gleiche wie wir: Die Frau und den Ritter als Goldene Kuh.« »Ochse, meinst du wohl.« »Ochsen kann man nicht melken«, widersprach Theo grinsend. »Und genau das werden wir mit dem Ritter tun.« Achim lachte leise. »Also gut. Mit wie vielen Leuten haben wir es
zu tun?« »Genau hab ich das nicht gesehen. Vier oder fünf, denke ich.« »Das sind genau vier oder fünf zuviel«, bemerkte Achim. »Unsinn. Wir werden nicht kämpfen. Wir haben doch unseren Zaubertrunk. Wir reiten zufällig bei der Ruine vorbei und tun, als wollten wir rasten. Natürlich werden die Kerle mißtrauisch sein und uns schnell wieder los werden wollen, weil sie doch Dreck am Stecken haben. Wir reichen die Flasche herum, und schwups schlafen sie. Dann brauchen wir nur noch das Weib und den Ritter zu befreien, und fertig ist die Bratensoße.« »Das klingt einfach.« Achim nickte nachdenklich vor sich hin. »Warten wir, bis es dunkel wird und ...« Er verstummte, und seine Augen weiteten sich. Auch Theo erschrak. »Wawas war das?« stotterte er und lauschte. »Klingt wie ein ...Löwe!« stieß Theo hervor. Da war wieder das Brüllen zu hören, das durch die Burgruine hallte. »Was mag da los sein?« fragte Achim angespannt. * Die eiserne Gittertür fiel hinter Ritter Roland zu. Er war in dem Löwenkäfig, den Barnabas' Männer aus Eisengittern im Burghof errichtet hatten. Der Löwe war durch einen Laufgang aus Gitterstäben vom Wagen in den Käfig gelangt. Ein gewaltiger Bursche mit enormer Mähne. Er wirkte schläfrig, wie eine riesige Schmusekatze, und musterte den Zweibeinigen fast gelangweilt. Doch Roland wußte, daß sich das schnell ändern würde. Waffenlos war er diesen gewiß sechs Zentnern geballter Kraft ausgeliefert! Der Löwe tat ein paar lautlose, bedächtige Schritte und legte sich dann hin, ohne sich für den Menschen zu interessieren. »Der schläft ja ein«, sagte Elisabeth Terciere, und es klang
enttäuscht. Barnabas lachte. »Der Schein trügt, meine Liebe. Löwen greifen Menschen nur an, wenn sie von ihnen gereizt werden. Aber dann geht's rund.« »So reizt ihn doch!« forderte Elisabeth Terciere die Männer auf. Ritter Roland konnte nicht glauben, daß er diese Frau in den Armen gehalten und heiß begehrt hatte. Elisabeth hob ein Steinchen auf und wollte es auf den Löwen werfen. Der Stein prallte vom Gitter ab und traf Wenzel, Barnabas' Unterführer. Fluchend rieb sich Wenzel übers Bein. »Macht dem Vieh Feuer!« schrie Elisabeth. Einer der Männer schob auf einen Wink von Barnabas hin eine Lanze durch die Gitterstäbe. Sie reichte nicht ganz bis zu dem Löwen. Der Löwe wandte den Kopf und bleckte die Fänge. Es sah aus, als gähne er. Roland verlor keine Sekunde. Er handelte. Mit einem Hechtsprung warf er sich auf die Lanze zu. »Vorsicht!« rief Barnabas alarmiert. Roland packte die Lanze mit beiden Händen und riß daran. Es war eine Aktion, die aus Verzweiflung geboren war. Wenn er in diesem Löwenkäfig sterben mußte, so sollte es nicht kampflos geschehen. Und mit der Lanze konnte er sich vielleicht die Raubkatze vom Leib halten. Dann war er zwar immer noch nicht gerettet Barnabas und Elisabeth würden so oder so für seinen Tod sorgen. Doch es blieb ihm erspart, von den Pranken und Fängen des Löwen zerrissen zu werden. Fast hätte Roland es geschafft. Barnabas Mann war von der blitzschnellen Attacke überrascht. Doch er hielt die Lanze fest umklammert, riß sie zurück, und Roland prallte in seinem Schwung gegen die Gitterstäbe, die in den Verankerungen klirrten. Der Löwe fauchte bei dem Geräusch. Bevor Ritter Roland sich fangen konnte, war Barnabas mit einem
Satz am Gitter, schob sein Schwert hindurch und hieb Roland auf die Finger. Roland schrie vor Schmerzen auf. Im ersten Augenblick dachte er, der Verbrecher hätte ihm die Hand abgehackt. Rasende Schmerzen zuckten seinen Arm hinauf bis zur Schulter. Er konnte die Lanze nicht festhalten. Er rutschte aus und fiel. Er landete keine drei Schritte von dem Löwen entfernt, der sich bei den schnellen und ruckartigen Bewegungen aufgesetzt hatte und jetzt sprungbereit wirkte. Roland blickte zu seiner verletzten Hand hinab. Blut rann über den Handrücken. Der Schwerthieb hatte ihm die Haut aufgerissen. Der Löwe witterte das Blut. Seine langen Schnurrhaare sträubten sich. Er entblößte die gelblichen, scharfen Fänge. Ein grollendes Knurren kam tief aus seiner Kehle. Langsam setzte sich der Löwe in Bewegung. Majestätisch, lautlos, geschmeidig. »Na also«, rief Barnabas. »Jetzt hat er Blut gewittert.« Elisabeth Terciere rüttelte an den Gitterstäben und feuerte den Löwen mit wilden Schreien an. Vielleicht war das genau das Falsche. Der König der Wildnis verharrte. Seine Lichter funkelten das Wesen an, das mit schriller Stimme auf ihn einschrie. Fast abwehrend hob die Raubkatze eine der Pranken. Es sah aus wie die tapsige Bewegung eines Kätzchens, das nach einem Wollknäuel hascht. Doch der Schein trog. Der Prankenhieb hätte Roland vermutlich besinnungslos geschlagen. Roland preßte die linke Hand auf die blutende Rechte und starrte wie gebannt zu dem Löwen, der jetzt zornig fauchte. Elisabeth schrie immer noch. Sie war wie von Sinnen. Der Löwe brüllte, daß es über den Burghof hallte. Elisabeth verstummte erschrocken und sprang vom Gitter zurück. Der bisher schläfrige Eindruck verlor sich schlagartig. Offenbar war dem Löwen Elisabeths Geschrei zuviel geworden. Seine Pranke
knallte fast ansatzlos gegen einen der Gitterstäbe. Der Löwe brüllte auf. Es klang zornig und gereizt. Elisabeth war blaß geworden und von den Gitterstäben zurückgewichen. Auch Barnabas' Mannen verharrten angespannt und blickten auf die brüllende Raubkatze. Nur Barnabas lächelte. »Man darf das Kätzchen nicht unterschätzen«, sagte er. »Es hat schon drei ihrer vorherigen Besitzer verspeist, die jede seiner Reaktionen zu kennen glaubten.« Er wandte sich an einen seiner Männer. »Wenzel, brenn ihm mal einen Pfeil aufs Fell.« Wenzel zog seinen Bogen von der Schulter und nahm einen Pfeil aus dem Köcher. Der Löwe fauchte noch einmal zum Gitter hin und zog sich dann zurück. Auf Ritter Roland zu. Roland lag immer noch wie betäubt am Boden. Die Raubkatze wuchs über ihm scheinbar ins Riesenhafte. Roland sah die funkelnden Lichter, das Spiel von Muskeln und Sehnen. Aus! dachte er und schloß die Augen. Er konnte nicht mehr aufspringen. Die Raubkatze wäre mit einem Sprung bei ihm gewesen. Und wahrscheinlich würde sie bei einer heftigen Bewegung erst recht das Opfer in ihm wittern und ihn anfallen. Roland spürte den heißen Atem des Löwen, und wie aus weiter Ferne hörte er Barnabas lachen. Barnabas genoß seine Rache. Laut rief er: »Der Ritter mit dem Löwenherzen - noch hält er sein Löwenmaul, doch gleich brüllt er vor Schmerzen!« Auch Elisabeth lachte, kalt und schrill. »Seinetwegen habe ich mein Glück verloren! Ich will sehen, wie er stirbt!« Roland spürte etwas Weiches, Feuchtes an seiner Wange. Es war
ihm, als setzte sein Herzschlag aus. »Jetzt hat der große Ritter das Hosenflattern!« johlte Barnabas. »Sieh nur, Elisabeth, wie er vor Angst vergeht.« Es stimmte. Ritter Roland hatte Angst. Welch ruhmreiche Taten hatte er vollbracht! Doch niemals hatte er sich so hilflos gefühlt. In diesen schrecklichen Sekunden hatte er nur einen Gedanken: Herr im Himmel laß es schnell vorbei sein! Das Stoßgebet wurde nicht erhört. Das Weiche, Feuchte verschwand, und Roland hörte etwas an sich vorbeitappen. Er öffnete blinzelnd die Augen und konnte noch nicht fassen, daß der Löwe ihn verschont hatte. Die Raubkatze glitt tatsächlich an ihm vorbei. Sie hatte ihn beschnuppert und offenbar keinen Appetit. Roland wagte kaum zu atmen. Barnabas lachte. »Jetzt hat er sich vor Angst in die Hosen gemacht!« rief er höhnisch. »Dabei geht es gar nicht so schnell, wie er gedacht hat. Das Kätzchen hat zuvor gut gespeist. Es wird noch ein wenig mit ihm spielen. Wenzel, spick den Löwen mit einem Pfeil. Aber so, daß er nicht ernsthaft verletzt wird, oder ich werde dich vierteilen!« Roland sah, wie Wenzel an das Gitter trat, sorgfältig zielte und den Bogen nur ein wenig spannte. Der Löwe verharrte etwa vier Schritte von ihm entfernt und wandte den Kopf mit der gewaltigen Mähne, als sei er unschlüssig, ob er nicht doch zu der Kreatur zurückkehren sollte, die dort am Boden lag, um sie als Nachtisch zu vernaschen. Langsam und bemüht, jede ruckartige Bewegung zu vermeiden, kroch Ritter Roland von der Raubkatze fort. Da zischte der Pfeil durch die Gitterstäbe. Der Löwe brüllte auf, und Roland erschauerte bei diesem zornigen Urlaut. Der Pfeil war nicht tief eingedrungen. Er wippte leicht im Fell. Der Löwe schüttelte den enormen Schädel. Es hatte fast den Anschein,
als sträubte sich die Mähne. Wieder stieß der Löwe ein tiefes, grollendes Brüllen aus. Die Raubkatze schüttelte sich, doch der Pfeil blieb stecken. Und jetzt richteten sich die funkelnden Lichter der Raubkatze auf Roland, als sei er für den Angriff verantwortlich. Roland hatte fast das Gefühl, der Löwe fühle sich betrogen. Als signalisierten die Raubtieraugen: So, du willst frech werden, du Mensch! Das hat man von seiner Gutmütigkeit! Aber ich kann auch anders! Und der Löwe fauchte und duckte sich zum Sprung. »So ist's richtig!« rief Barnabas. »Ein guter Schuß, Wenzel. Jetzt beginnt das Spiel. Ich wette, daß sich die Katze jetzt die Vorspeise holt. Was meint ihr, erst einen Arm oder ein Bein?« Er blickte grinsend in die Runde. Elisabeth lachte, doch jetzt klang es angespannt und gekünstelt. Zudem war sie leichenblaß. Vielleicht hatte sie sich das grausige Schauspiel doch nicht so in den Einzelheiten ausgemalt, wie Barnabas es jetzt genüßlich beschrieb. Der Löwe spannte sich zum Sprung. Er starrte Roland an wie ein Riesenkater, der die Maus in die Enge getrieben hat und sie nun noch ein wenig zittern läßt, bevor er sie sich schnappt. Es war unmöglich, waffenlos gegen diese Raubkatze zu bestehen. Langsam richtete sich Roland auf. Er starrte dem Löwen in die funkelnden Lichter, und er wünschte, über hypnotische Kräfte zu verfügen. Totenstille herrschte im Burghof. Selbst das Schwalbenpaar im zerstörten Dach der Burgkapelle verharrte mucksmäuschenstill und spähte zum Käfig hin. Dann sprang die Raubkatze. Mit einem gewaltigen Satz schnellten die Zentner Muskeln, Sehnen und Fleisch auf Roland zu, scheinbar schwerelos, wie spielerisch. Roland wußte, daß er keine Chance mehr hatte. Die Katze war gereizt, und jede Abwehrbewegung würde sie noch wilder machen. Ritter Roland handelte, ohne zu denken.
Auch er sprang. Und es war der gewaltigste Satz, den der Ritter mit dem Löwenherzen je gemacht hatte. Die Todesangst verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Er flog förmlich an den Gitterstäben hoch und riß noch im Sprung instinktiv die Beine hoch. Die Fänge der Raubkatze verfehlten seine Stiefel um eine Handbreit. Er hätte gewiß keine Stiefel mehr gebraucht, wenn die Fänge zugeschnappt hätten. Roland klammerte sich an den Gitterstäben fest und hangelte sich höher. Der Löwe brüllte. Enttäuscht oder wütend, vermutlich beides. Roland gelangte bis oben aufs Gitter. Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Er war schweißgebadet und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, weil er sich völlig verausgabt hatte. Seine Hände zitterten und seine Knie waren weich. Doch er klammerte sich dort oben fest. Er war grenzenlos erleichtert. Zumindest im Augenblick hatte er überlebt. Der Löwe schnellte fauchend am Gitter hoch. Sekundenlang stieg neue Furcht in Roland auf, doch dann sagte er sich, daß der Löwe trotz seiner Sprungkraft nicht an ihn herankam. Natürlich war das Schutzgitter hoch genug. Sonst hätte der Käfig ja nicht seinen Zweck erfüllt. Oder konnte die Raubkatze an den Gitterstäben hochklettern? Roland blickte besorgt zu dem Löwen. Nein, der Bursche schien das Interesse verloren zu haben. Rolands Blick zuckte zum Publikum außerhalb des Käfigs. Keiner klatschte Beifall, aber damit hatte Roland auch nicht gerechnet. Elisabeths Mund klaffte auf. Ihre Miene war nicht recht zu deuten. War es Bestürzung in ihren grünen Katzenaugen oder Bewunderung über seinen Verzweiflungssprung? Die Männer blickten jetzt zu Barnabas, als wollten sie hören, wie es weitergehen sollte.
Barnabas lachte. »Mit diesem Hopser hättest du gewiß jedes Turnier gewonnen, falls ihr Ritter solche blöden Wettkampf-Scherze betreibt«, rief er höhnisch. »Doch leider war das völlig umsonst.« Er gab dem Bogenschützen einen knappen Wink. »Wenzel, schieß ihn mal da runter! Aber vorsichtig, damit er uns nicht abnippelt.« Wenzel nickte eifrig. Er legte einen Pfeil auf die Bogensehne. Bedächtig zielte er. Ritter Roland hing hilflos auf dem Gitter. Unter ihm im Käfig wartete der gereizte Löwe. Und auf der anderen Seite standen fünf bewaffnete Männer und Elisabeth. Für einen Augenblick spielte Ritter Roland mit dem Gedanken, sich auf sie zu werfen. Er schätzte schnell die Entfernung ab. Zu weit. Er würde vor ihnen landen, und selbst wenn er den Sprung heil überstand, würde es kein Entkommen geben. Eine Minute später hätten sie ihn wieder im Löwenkäfig, und das ganze teuflische Spiel würde fortgesetzt werden. Nein, eher würde er sich dort oben töten lassen. Er sah den Pfeil auf sich zurasen und schloß die Augen. Dann zuckte ein glühendheißer Schmerz durch seine Schulter. Der Pfeil fetzte ihm eine Furche in den Oberarm. Blut tränkte den Stoff. Der Löwe brüllte. Rolands rechter Arm war sekundenlang wie betäubt. Er klammerte sich mit der Linken fest und versuchte gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. Seine Hand war schweißnaß. Nur nicht abrutschen! dachte er verzweifelt. Sein Arm begann vor Anstrengung zu zittern, als er sich am Gitter festhielt. »Du solltest ihn runterschießen!« rief Barnabas und bedachte Wenzel mit einem ärgerlichen Blick. Wenzel zuckte mit den Schultern. »Ist nicht so einfach. Wenn ich ihn nur ritze, hält er sich fest wie'n Affe. Und wenn ich ihn voll erwische, wird er kein Katzenfutter - das heißt kein lebendes.« »Papperlapapp!« Barnabas' Stimme klang wie ein Knurren. »Wenn
du dir keinen perfekten Schuß zutraust, dann machen wir es eben anders. Ist doch ganz einfach!« Damit gürtete er sein Schwert und schritt auf das Gitter zu. Roland spannte sich bereits zum Sprung. Jetzt konnte er sich auf Barnabas werfen. Damit war zwar immer noch nichts gewonnen, doch wenn er Glück hatte und dem Verbrecher das Schwert entreißen konnte ... Er konnte den Gedanken nicht fortsetzen. Es war zu spät. Barnabas hangelte sich bereits katzengewandt am Gitter empor. Roland hoffte, der Löwe würde den Verbrecher anspringen und ihn zwischen den Gitterstäben mit einem Prankenhieb zerschmettern. Doch der Löwe rührte sich nicht von der Stelle und wirkte wieder ruhiger Roland wartete angespannt. Barnabas beging nicht den Fehler, direkt unter ihm hochzuklettern. Er hielt sich etwa drei Schritte rechts von Roland, außer Reichweite. Roland sah das grinsende Gesicht, in dem die rote Narbe glühte. Barnabas hielt sich mit der Linken am Gitter fest und zückte mit der Rechten sein Schwert. »So, das haben wir gleich«, sagte er. »Kätzchen, deine Mahlzeit kommt sofort. Paß auf, daß er dir nicht auf den Kopf fällt!« Lachend holte er mit dem Schwert aus. Er wollte es Roland auf die Finger schlagen, damit er die Gitterstäbe loslassen mußte und in den Käfig stürzte. Roland dachte nur an das Schwert. Wahrscheinlich würde es ihm im Kampf gegen den Löwen nichts nutzen. Doch er hatte auch gar nicht vor, den ungleichen Kampf gegen die Raubkatze aufzunehmen. Wenn es ihm gelang, das Schwert an sich zu reißen, wollte er aus dem Käfig in die Tiefe springen. Dann konnte er sich vielleicht Elisabeth schnappen oder Barnabas das Schwert auf die Brust setzen, wenn der Kerl ihm nachsprang. Es war nur eine hauchdünne Chance, doch sie war allemal besser als keine. Als Barnabas grinsend das Schwert vorstieß, griff Ritter Roland
danach wie nach dem rettenden Strohhalm. Genau im richtigen Sekundenbruchteil. Er schnitt sich einen Finger an der blitzenden Klinge auf, doch das nahm er gar nicht wahr. Er hielt das Schwert fest und war von wilder Entschlossenheit erfüllt, es nicht mehr loszulassen. Barnabas schrie erschrocken auf. Mit einer solch tollkühnen, unglaublich schnellen Reaktion hatte er nicht gerechnet, sondern mit Angst, mit einem Zurückzucken des Opfers. Doch furchtlos stieß Roland die Hand zu der scharfen Klinge! Ritter Roland, der noch vor Sekunden dem Tod ins Auge geblickt hatte, entwickelte in seiner Verzweiflung schier unglaubliche Kräfte. Während er mit der Rechten die Schwertklinge umkrampfte und Barnabas' Stoßbewegungen abfing, sprang er zwei Gitterstäbe weiter, auf Barnabas zu, klammerte sich mit der Linken fest und zog mit einem gewaltigen Ruck an dem Schwert. Es spielte sich alles so schnell ab, daß Roland es selbst gar nicht richtig mitbekam. Roland sah plötzlich etwas an sich vorbeiwirbeln und hörte einen Aufschrei aus mehreren Kehlen. Elisabeth schrie, zwei der Räuber brüllten entsetzt, und am lautesten schrie Barnabas. Er war von Rolands Ruckbewegung überrascht worden, hatte auf dem Gitter das Übergewicht bekommen und stürzte in den Löwenkäfig. Dann ging sein gellender Schrei im Brüllen des Löwen unter. Barnabas war auf die Raubkatze gefallen. Und das hatte dieser gewaltige Bursche nicht so gern. Roland sah alles verschwommen. Es war ein grausiger Anblick. In seiner Panik beging Barnabas, der sich so gut mit Katzen auskannte, einen Fehler, der das Verhängnis nur beschleunigte. Barnabas schlug nach dem Löwen. Dann ging alles rasend schnell. Roland schloß die Augen, als er sah, wie der aufs Äußerste gereizte
Löwe über Barnabas herfiel. Es wurde ihm fast schlecht bei dem Gedanken, daß er an Barnabas' Stelle jetzt dort unten hatte zerfetzt werden sollen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bevor Roland das Unfaßbare überhaupt begriff, bis ihm klar wurde, daß er zwar noch lebte, daß da aber noch Elisabeth und die anderen waren, die ihm gewiß nicht Glück wünschen würden, weil er davongekommen war. Sein Blick zuckte von dem schaurigen Anblick im Käfig hinunter zu den anderen Gegnern. Alle starrten entsetzt und wie erstarrt. Roland erkannte, daß er keine Zeit verlieren durfte. Er schwang sich über das Gitter, ließ sich an einem Stab ein Stück hinabrutschen und sprang den Rest hinab. Barnabas' Männer wirkten wie Statuen, und in ihren Augen flackerte das Entsetzen. Elisabeth war kreidebleich und sah aus, als würde sie ohnmächtig umfallen. Doch der Schein trog. Roland prallte zu Boden. Er fiel unglücklich auf die Schulter, an der ihn der Pfeil gestreift hatte, und die lange Furche riß noch mehr auf. Blut schoß aus der Wunde. Bevor Roland seine Benommenheit abschütteln und sich aufrappeln konnte, lösten sich Elisabeth und Barnabas' Mannen aus ihrer Erstarrung. Elisabeth verwandelte sich in eine Furie. »Mörder!« kreischte sie wie von Sinnen, und sie fiel über ihn her, fast wie der Löwe zuvor über Barnabas hergefallen war. Sie schlug und biß und zog Roland die Fingernägel durchs Gesicht. Und dabei kreischte sie immer wieder: »Mörder! Mörder!« Roland blieb keine Wahl. Sie war eine schöne Frau, doch sie war auch eine der gefährlichsten, die er je kennengelernt hatte. Zudem griffen jetzt Barnabas' Männer ein. Roland kämpfte. Er packte die rasende Elisabeth Terciere und schleuderte sie gegen zwei der Angreifer. Die Frau riß die beiden Männer mit sich zu
Boden. Roland packte Barnabas' Schwert und fuhr zu Wenzel herum. Wenzel hatte einen Pfeil auf die Sehne gelegt und spannte den Bogen. Ritter Roland schleuderte aus der Drehung heraus das Schwert. Er verfehlte den Bogenschützen! Der Pfeil schnellte von der Sehne. Roland warf sich hin. Hinter ihm gellte ein Schrei. Elisabeth. Der Schrei ging in ein Röcheln über. Elisabeth war aufgesprungen und hatte sich von neuem auf Roland stürzen wollen, als er zu Wenzel herumgewirbelt war. Wenzels Pfeil traf sie. Roland sah, wie sich die Augen des Bogenschützen entsetzt weiteten. Noch konnte er den Schreck des Mannes nicht deuten. Er erfaßte nur, daß Wenzel noch auf den Beinen stand und seinen Bogen in der Hand hielt. Derweil rappelten sich Wenzels Kumpane auf und einer stürmte mit erhobenem Schwert heran. Und Roland war jetzt ohne Schwert. Er hechte auf Wenzel zu. Wenzel reagierte überhaupt nicht. Fassungslos starrte er an Roland vorbei. Ritter Roland riß ihn zu Boden und schmetterte ihm die Faust ans Kinn. Wenzel erschlaffte. Ritter Roland schnellte auf das Schwert zu, das ein paar Schritte entfernt am Boden lag. Er riß es hoch und fuhr herum. Doch von Barnabas' Räubern drohte keine Gefahr. Schreckensbleich starrten sie auf Elisabeth. Auch Roland erschrak. Ein Pfeil ragte aus Elisabeths Oberkörper. Sie lag auf dem Rücken, und ihre gebrochenen Augen starrten in den Himmel. Roland schluckte. Er glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben. Elisabeth hatte seinen Tod gewollt und war von Haß und Rache getrieben worden. Doch ihr Anblick rührte ihn. Er verspürte keine Genugtuung darüber, daß sie ein solches Ende gefunden hatte.
Rolands Blick zuckte zu Barnabas' Männern. Zwei standen wie angewurzelt da und starrten in den Käfig zu Barnabas' schrecklich zugerichteter Leiche. Zwei andere blickten fassungslos auf die tote Frau. Und Wenzel war bewußtlos. Roland sprang auf. Das Schwert in seiner Hand blitzte in der Sonne auf. Roland mußte wie der Leibhaftige aussehen, als er auf die Männer zustürmte. Er blutete an der Schulter, an der Hand und aus den Kratzwunden im Gesicht, die Elisabeth ihm zugefügt hatte, bevor er sie sich vom Leib hatte halten können. Und die grauenvollen Ereignisse schienen sich in seinem Gesicht widerzuspiegeln. Keiner der Räuber dachte mehr an Kampf. Barnabas, ihr Anführer, war tot, und Elisabeth, deren Befehle sie ebenfalls befolgt hatten, war an einem Pfeil ihres eigenen Kumpans gestorben. Und da stürmte Ritter Roland auf sie zu, der aussah, als sei er entschlossen, sie alle niederzumachen. Sie warfen sich herum und ergriffen die Flucht. Einer schrie dabei in weiser Voraussicht schon mal: »Gnade! Gnade!« Und es klang wie ein Schluchzen. Doch Ritter Roland verfolgte sie nicht. Er verharrte. Sein Herz hämmerte, und vor seinen Augen verschwamm alles. Er war so mitgenommen, daß seine Knie nachgaben. Er sank neben dem bewußtlosen Wenzel zu Boden und rang um Atem. Es dauerte eine Weile, bis er wieder klarer sah und das Schwächegefühl nachließ. Er zwang sich, zum Löwenkäfig zu blicken. Die Raubkatze saß neben dem, was von Barnabas übrig war, und leckte sich das blutige Maul. Von neuem stieg Übelkeit in Roland auf. Er erhob sich wankend. Er vermied es, zu Elisabeth zu blicken. Hufschlag entfernte sich. Barnabas' Männer galoppierten davon. Er sah sie durch die Bresche in der Ringmauer verschwinden. Vermutlich hatten sie ihre Rösser irgendwo in den ausgebrannten
Stallungen gehabt. Roland zog Wenzel den Hosengürtel aus und wollte ihn gerade damit fesseln, als er ein Geräusch vom Palas her wahrnahm. Sein Kopf ruckte herum. Zwei Männer rannten auf den Burghof. Und Roland erkannte sie sofort wieder. Das waren die Kerle, die ihnen im Gasthof den Betäubungstrunk kredenzt hatten - Meinhardts Räuber. »Du Hund!« schrie einer der beiden und griff ungestüm mit dem Schwert an. Achim und Theo hatten alles beobachtet. Unbemerkt waren sie in die Burgruine eingedrungen und hatten an einer Fensteröffnung des ausgebrannten Palas praktisch einen Tribünenplatz bei diesem grauenvollen Schauspiel gehabt. Dann war ihr Entsetzen in wilden Zorn umgeschlagen. Meinhardt hätte sie großzügig belohnt, wenn sie ihm die Frau gebracht hätten, in die er so vernarrt war. Doch dieser verdammte Ritter hatte alles zunichte gemacht. Sie glaubten, nur zu ihrem Anführer zurückkehren zu können, wenn sie ihm eine Art Versöhnungsgeschenk mitbrachten - die Leiche des Mannes, der mit der schönen Frau aus der Höhle entkommen war. Sie sahen, wie Ritter Roland blutend und erschöpft zu Boden sank und dachten, leichtes Spiel zu haben, zumal sie zu zweit waren. Doch sie sollten sich irren. Roland war nicht so erledigt, wie es den Anschein hatte. Und er hielt ein Schwert in der Hand. Da konnten ihn diese zwei Lumpen nicht schrecken. Achim erwischte es als ersten. Ritter Roland parierte den Schwerthieb des Räubers. Dann täuschte Roland geschickt, und bevor der Räuber wußte, wie ihm geschah, prellte ihm Roland mit wuchtigem Schlag das Schwert aus der Hand. Achim starrte ihn an, als sei er ein Geist. Er hielt das wohl für Zauberei. Und Roland gab noch eine Zugabe.
Ein Hieb mit der Breitseite der Klinge schleuderte Achim zu Boden. Er verdrehte die Augen und rührte sich nicht mehr. Roland rührte sich dagegen umso mehr. Er setzte den Schwerthieb fort, der den ersten Angreifer getroffen hatte, drehte sich um die Achse und traf den zweiten Gegner aus der schwungvollen Drehung heraus. Theo machte brüllend einen Luftsprung, der fast Rolands mächtigem Satz am Gitterkäfig hinauf ebenbürtig war, als ihm Rolands Schwert gegen die Beine knallte. Augenblicklich vergaß Theo jeden Gedanken an Kampf. Er ließ sein Schwert los, hüpfte noch ein paarmal vor Schmerz schreiend auf und ab und preßte die Hände auf die Beine. Roland beendete den Veitstanz, indem er dem Burschen die Klinge gegen die Brust tippte. Theo plumpste auf den Hintern und stierte Roland mit glasigen Augen an. Erst nach ein paar Sekunden schien er seine mißliche Lage zu begreifen, und Angst flackerte in seinem Blick. »La-laß mich leben«, stammelte er. Roland erwiderte nichts darauf. Der Kerl sollte ruhig ein bißchen schwitzen. Schließlich war er dabei gewesen, als man ihn und Elisabeth betäubt und gefangengenommen hatte, und auch jetzt war er nicht aufgetaucht, um sich für seine Missetaten zu entschuldigen. Es gab da einige ungeklärte Dinge, die Roland interessierten. Zum Beispiel, was dieser Meinhardt außer Entführung so trieb und weshalb er Elisabeth entführt hatte. »Du wirst mir einige Fragen beantworten«, sagte Roland grimmig. »Und zwar schnell und ausführlich, denn ich bin gereizter als der Löwe.« Theo nickte offenen Mundes und schielte auf das Schwert. Achim regte sich und setzte sich auf. Der Kerl fand äußerst schnell in die Wirklichkeit zurück. »Von uns erfährst du kein Sterbenswort«, sagte er. »Und wenn du uns auch nur ein Härchen krümmst, müssen es deine Knappen büßen!«
Roland verschlug es für einen Moment die Sprache. »Meine Knappen?« vergewisserte er sich. Achim bekam Oberwasser. Er blickte verschlagen zu Roland auf. »Ja«, sagte er hämisch. »Wirf nur ja dein Schwert weg, oder deine Knappen fahren zur Hölle! Wir haben sie in unserer Gewalt. Du kannst sie freikaufen. Aber das kostet dich einiges.« Achim war recht stolz auf seinen neuen Einfall. Er blinzelte verwirrt, als Roland lächelte. »Das kostet mich ein müdes Grinsen«, erklärte Roland. »Ihr beide erzählt mir jetzt alles, was ich wissen will, oder ...« Roland fiel nichts Drohendes ein, und er beließ es bei einer bedeutungsschweren Pause. »Oder?« fragte Theo besorgt und zuckte zusammen, obwohl sich das Schwert an seiner Brust überhaupt nicht bewegt hatte. Derweil war Roland eine Idee gekommen. »Oder ich sperre euch zu dem Löwen in den Käfig«, bluffte er. Theo begann zu zittern, doch Achim blieb gelassen. »Dann werden deine Knappen in der Höhle verhungern oder ...»Er verstummte, als Roland leise lachte. »Sie sind also in der Höhle«, stellte Roland fest. »In Ordnung, Jungs. Den Weg kenne ich. Da brauche ich euch gar nicht mehr. Da kann ich euch glatt dem Löwen als Abschiedsgeschenk zurücklassen.« Theos Nerven waren nicht die besten. »Ich - ich sage alles!« keuchte er. Achim hätte sich vor Wut die Zunge abbeißen können, weil er sich verplappert hatte. Und offenbar kannte er sich nicht mit Rittern aus und traute Roland solch üble Tat zu. Er wollte nicht zu dem Löwen gesperrt werden, doch er wollte auch nicht plaudern. So sprang er auf und hatte vor zu fliehen. Doch er kam nicht weit. Ritter Roland holte ihn nach ein paar Schritten ein und schlug ihn nieder. Mit dem ohnmächtigen Räuber über der Schulter kehrte er zu Theo zurück.
Theo hielt sein Wort und erwies sich als sehr gesprächig. Er verriet sogar, daß es einen zweiten Zugang zu der Höhle gab, den Meinhardt als »Notausstieg« angelegt hatte. Die Befreiung der Knappen müßte eigentlich kinderleicht sein, dachte Roland zufrieden, als alle seine Fragen beantwortet waren. * Der Wachtposten am Zugang der Höhle wurde von einem Niesen aus dem Schlummer gerissen. Ritter Roland verharrte und unterdrückte einen Fluch. Einer der Männer, die er als Helfer mitgenommen hatte, war erkältet. Ausgerechnet jetzt mußte der Kerl niesen! Der Wachtposten ergriff seine Lanze und starrte angespannt in die Dunkelheit. Jetzt war alles still. Roland wartete noch eine Weile, bis sich die Haltung des Räubers entspannte. Dann schlich er vorsichtig weiter. Noch vier Schritte. Etwas raschelte seitlich von ihm zwischen den Büschen. Diesmal war es keine Panne der Helfer. Eine Maus oder irgendein anderes Tier machte sich davon. Der Räuber packte seine Lanze fester und sprang auf. Mondschein fiel auf das Gesicht des Mannes. Roland hatte das Gefühl, der Räuber starre ihm direkt in die Augen. Er atmete auf, als der Räuber die Lanze sinken ließ, den Kopf schüttelte und sich wieder bequem hinsetzte. Hoffentlich verhielt sich jetzt der erkältete Polizist ruhig! Roland wartete noch eine Weile, bis der Räuber gähnte und sein Kopf auf die Brust sank. Der Mann schreckte noch einmal auf, doch da war Roland schon heran und schlug ihn nieder. Er fing die erschlaffende Gestalt auf und ließ sie zu Boden gleiten. Dann imitierte er einen Käuzchenschrei. Das Signal für die
anderen. Gestalten tauchten aus dem Dunkel auf. Es waren zwei Polizisten und vier Freiwillige aus Kötzting. Roland hatte dort die Räuber Achim, Theo und Wenzel abgeliefert. Die Leichen von Elisabeth und Barnabas waren inzwischen begraben worden, und der Löwe und die anderen Katzen hatten Interessenten in Kötzting gefunden. Roland gab den Männern einen Wink. Einer kümmerte sich um den bewußtlosen Räuber. Roland und die anderen schlichen in die Höhle. Mitternacht war längst vorüber, und die Räuber schliefen, als hätten sie ein reines Gewissen. Ritter Roland befreite zuerst Louis und Pierre, die an der Felswand angekettet waren und im Stehen eingenickt waren. Im rötlichen Schein des niedergebrannten Feuers sah Roland, wie mitgenommen seine Knappen aussahen. Pierre sank Roland fast in die Arme. »Am Morgen wollten sie uns umbringen«, flüsterte er mit erstickter Stimme. »Schnappen wir uns die Hundesöhne«, raunte Louis und rieb sich die schmerzenden Gelenke. Louis ergänzte schnell die Informationen, die Roland von Theo erhalten hatte. Im Flüsterton gab Roland dann seine Befehle. Männer schlichen wie gespenstische Schatten zu den Kavernen, um die Räuber im Schlaf zu überraschen. Roland und die Knappen pirschten sich auf Zehenspitzen zu Meinhardts Lager. Roland zog vorsichtig den dicken Vorhang zur Seite. Ein Talglicht in einer Halterung an der Felswand spendete nur spärliches Licht. Meinhardt lag auf dem Bauch, und neben ihm schnarchte Hildegard leise auf dem Lager. Beide waren unter der dünnen Decke nackt. Roland hob die Hand mit dem Schwert und wollte sich in Bewegung setzen. »Haaaatschiii!«
Das Niesen schien ohrenbetäubend durch die Höhle zu hallen. In diesem Augenblick wünschte Roland den erkälteten Polizisten in den finsterten Winkel der Hölle. Meinhardt schreckte aus dem Schlaf. Sein Kopf ruckte zu Roland herum. Und der Räuberhauptmann reagierte schnell und kaltblütig. Er war es gewohnt, stets mit Gefahr zu rechnen, denn seit dem Mord an dem Schlachtermeister lebte er ständig auf der Flucht. Die Ereignisse überstürzten sich. Hildegard wachte ebenfalls auf. Sie fuhr auf dem Lager hoch und starrte Roland aus geweiteten Augen an. Sie war ein großes, üppiges Frauenzimmer, blond und mit schweren Brüsten, doch Roland hatte keinen Blick für die Reize des Räuberliebchens. Das Echo des »Hatschis« war noch nicht ganz verklungen, als Roland schon in die Kaverne sprang. Hildegard schrie, irgendwo in der Höhle brüllte ein Mann, und trotz des Lärms und Rolands Anspannung ärgerte er sich noch über einige muntere »Hatschis« des erkälteten Polizisten, der die Gefahr heraufbeschworen hatte. Roland war noch drei Schritte vom Lager entfernt, als Meinhardt aufsprang. Der Räuber hielt sein Schlachtermesser in der Hand. Er holte damit aus. Roland verharrte mitten im Sprung. Meinhardt warf das Beil! »Vorsicht!« schrie Roland, denn er wußte ja die Knappen hinter sich. Zugleich ließ er sich fallen. Das Beil flog über Roland hinweg und klatschte gegen den Vorhang.. Zum Glück hatten sich die Knappen geistesgegenwärtig aus der Kaverne geworfen. Roland verlor keine Sekunde. Der nackte Meinhardt war jetzt waffenlos. Roland ließ sein Schwert fallen und hechtete auf den Räuber zu. Er riß Meinhardt um. Sie prallten aufs Lager. Erschrocken wich
Hildegard zurück bis zur Felswand. Meinhardt stieß mit dem Knie nach Roland. Die Hände des Verbrechers preßten sich um Rolands Kehle und schnürten ihm die Luft ab. Doch so hatte der Räuber keine Hand frei, um Rolands Fausthiebe abzublocken. Roland traf ihn mit der geballten Rechten. Der Druck um seinen Hals ließ nach. Ritter Roland setzte mit einem Aufwärtshaken nach, und diesmal erwischte er den Verbrecher genau. Louis war auf einmal neben Meinhardt. Der Knappe hatte den Tonkrug ergriffen, der neben dem Lager stand, und er schlug ihn Meinhardt auf den Schädel, bevor Roland sagen konnte, daß das nicht mehr nötig war. Der Krug zerbarst, und es spritzte, denn er war mit Met gefüllt gewesen. Roland bekam einige Spritzer ab und auch Hildegard blieb nicht verschont. Roland wälzte sich von dem bewußtlosen Räuberhauptmann fort und erhob sich. Hildegard starrte entsetzt auf Meinhardt. »Ist er - tot?« Louis hatte den Verbrecher untersucht. »Nein«, erwiderte er. »Er wird zwar mit einem Brummschädel erwachen, doch bis er am Galgen aufgehängt wird, wird er sich wieder erholt haben.« »Am Galgen?« Hildegard sah in diesem Augenblick aus, als könne sie wirklich nicht bis drei zählen. Louis grinste grimmig. »Klar. Du wirst dir einen anderen suchen müssen. Aber ich gebe dir einen guten Rat - laß dich nicht mehr mit so einem Verbrecher ein.« Er tauschte einen Blick mit Roland und raunte ihm zu: »Sie weiß zwar von Meinhardts Missetaten, war aber nicht beteiligt. Sie hat verhindert, daß ihr Meister uns auf der Stelle mit dem Hackebeil tötete. Sie hat uns das Leben gerettet. Ich meine, wir sollten sie laufenlassen.« Roland nickte. »Sie hat mich und Elisabeth befreit - wenn auch
nicht ganz uneigennützig.« Er warf einen Blick zu Hildegard, die auf dem Lager hockte, verständnislos starrte und gar nicht daran dachte, ihre Blößen zu bedecken. Louis und Pierre fesselten Meinhardt. Einer der Polizisten tauchte auf. »Alles in Ordnung«, sagte er stolz. »Wir haben die Kerle überrascht. Es gab nur einen Verletzten. Haha ...« Es klang, als setzte er zu einem Lachen an. Doch dann folgte ein feuchtes »Hahatschiii!« Und jetzt erkannte Roland im Halbdunkel, daß es der Unglückswurm von Nieser war. »Mann, auf dich hätten wir verzichten sollen«, sagte Roland mit mühsam unterdrücktem Zorn. »Deine Nieserei hätte uns fast das Leben gekostet.« Der Ordnungshüter blickte zerknirscht drein. Doch seine Miene hellte sich auf, als er an Roland vorbeipeilte und die nackte Frau erblickte. »Das ist aber ein praller Räuber«, sagte er mit funkelnden Augen. »Kümmer dich um den Abtransport der Kerle und zieh die beiden Männer am zweiten Zugang zur Höhle zurück«, sagte Roland. »Und glotz nicht, als hättest du noch nie eine Dame gesehen.« Er ärgerte sich immer noch über den Nieser. Der Polizist mußte seinen Blick von Hildegard förmlich losreißen. Er antwortete mit etwas, das wie »Jawollhatschi« klang. Roland blickte zu Hildegard, die immer noch dasaß und verständnislos blickte, als hätte sie alles nur geträumt. »Zieh dich an«, sagte Roland. »Du könntest dich erkälten, und wozu das führt, hast du ja gehört.« * »Eigentlich könnten wir recht zufrieden sein«, sagte Louis, als sie am nächsten Abend in Hohenwarth eintrafen. »Wieso nur eigentlich?« fragte Pierre verwundert. »Wir haben
König Artus' Auftrag erledigt und die Räuber geschnappt, die rings um den Schwarzriegel ihr Unwesen trieben.« »Gewiß«, erwiderte Louis. »Doch wir konnten nicht den Schmuck wiederbeschaffen, den Meinhardts Räuber der Königin raubten. Verdammtes Pech, daß einer der Räuber seinem Anführer die Klunker klaute und damit auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ginevra wird recht sauer sein, wenn wir mit leeren Händen kommen.« »Ein kleiner Schönheitsfehler«, gab Pierre zu. Er blickte zu Ritter Roland, der auf dem Ritt ziemlich schweigsam gewesen war. »Aber Roland hat weitere Taten zu seinem Ruhm vollbracht. Er hat Barnabas, den Schrecken vom Rhein besiegt und mit bloßen Händen einen Löwen bezwungen. Ein weiterer Schritt zum Ritter der Tafelrunde.« Roland lächelte leicht. Die Polizisten und die anderen Helfer aus Kötzting hatten da ein Märchen in die Welt gesetzt. Roland dachte an die Todesangst, die er im Löwenkäfig ausgestanden hatte, an seine Hilflosigkeit und Verzweiflung. Sicher, es war für ihn alles gut ausgegangen, doch als bravouröse Ruhmestat wollte er dieses Abenteuer nicht ganz gelten lassen. »Ich hatte einfach Glück«, bekannte er. »Das Glück des Tüchtigen«, brummte Louis. »Teufel, da hat Volker vom Hohentwiel wieder einen prächtigen Stoff für eine Ballade.« Roland lächelte. Er nahm sich vor, seinem Freund Volker, dem berühmten Minnesänger, zu erzählen, wie sich alles tatsächlich abgespielt hatte. Er würde ihn bitten, auf eine Ballade über dieses Abenteuer zu verzichten. Es machte sich nicht gut, wenn bekannt wurde, daß der ruhmreiche Ritter Roland auf Elisabeth, diese schone Katze, hereingefallen war wie ein verliebter Jüngling. Dann war er von Räubern betäubt und zweimal gefangengenommen worden. Ein Räuberliebchen hatte ihm geholfen, und dann war er schließlich voller Angst im Löwenkäfig gelandet. Statt sich in Todesverachtung tollkühn der Raubkatze
entgegenzuwerfen, hatte er in seiner Verzweiflung den größten Hüpfer seines Lebens gemacht. Es war besser, über dieses Abenteuer den Mantel des Schweigens zu hüllen. »Mann, habe ich Durst«, sagte Louis, als sie die Pferde vor Sebastians Herberge und Schenke zügelten. »Mir tun alle Knochen weh«, bemerkte Pierre beim Absitzen. Ritter Roland dachte an die beiden Annas. »Da weiß ich ein vortreffliches Rezept: Ein Bad bei Anna mit anschließender Massage.« Er zwinkerte den Knappen vergnügt zu. Er dachte amüsiert an die Gesichter seiner Knappen, wenn sie Anna der Gewaltigen ausgeliefert sein würden. Roland versetzte die Knappen mit schwärmenden Worten über Annas Schönheit und ihre zarten sanften Händchen in Begeisterung und spendierte ihnen dann den Preis für die Behandlung. Nach einem schnellen Bier im Wirtshaus begaben sich Louis und Pierre voller Vorfreude zu Annas Badehaus. Anna, die Hübsche empfing sie, und ihre Wangen glühten, als die Knappen Grüße von Roland ausrichteten, der ein wenig später kommen wollte. Louis war als erster an der Reihe. Er grinste wie ein Faun, als er frisch gebadet, aber wie erschlagen nach Annas Massage das Bad verließ. »Die zarte Dame läßt bitten«, sagte er und zwinkerte Pierre zu. »Wahrlich, ein Vergnügen, das du so schnell nicht vergessen wirst.« Eine Stunde später gesellte sich ein recht verstörter und zorniger Pierre zu Louis, der in der Schenke zechte. »Du hättest mich warnen sollen!« beschwerte er sich. »Mensch, ich dachte, dieses Riesenweib verbiegt mir die Figur.« Er schüttelte sich. »Ich war heilfroh, als sie mich in Ruhe ließ.« Erschöpft sank er auf einen Stuhl. »Wo ist eigentlich Roland?« Louis grinste. »Bestimmt nicht bei Anna. Der lacht sich bestimmt
einen Ast, weil er uns reingelegt hat. Ah, da kommt er ja. Sieh nur wie er grinst.« Er senkte die Stimme. »Wir sagen einfach, wir wären bei der jungen Bademaus gewesen. Da wird er sich ärgern.« Und so schwärmten die Knappen Roland vor, wie vortrefflich und mit zarter Hand sie von der schönen Anna massiert worden seien. Lauernd betrachteten sie Roland, dessen Augen blitzten und der strahlender Laune war. Roland genoß es, wie die beiden sich bemühten, ihn nach Strich und Faden zu beschwindeln. Er sagte nicht, daß er die Wahrheit wußte. Sie konnten nicht bei Anna der Hübschen gewesen sein. Denn da war er gewesen, während Anna die Gewaltige seine Knappen durchgewalkt hatte.
ENDE
»Bald haben wir es geschafft«, sagte Edmar und ließ die Peitsche knallen. Der Frachtwagen rumpelte die Steigung hinauf in den Bergpaß. »Heute abend feiere ich Wiedersehen mit der heißen Gerlinde. Hei, das wird ein Fest der Freude.« - Mitten im nächsten Satz stockte Edmar plötzlich. Ein Pfeil hatte ihn mitten in die Brust getroffen. Blutige Schleier wallten plötzlich vor seinen Augen. »Wir wissen genau, was ihr befördert!« rief eine rauhe Stimme. »Los, Jungs, holen wir uns die Waffen!«
Verrat! dachte Edmar noch. Dann wurde es still um ihn ... Liebe Leser, holen Sie sich diesen Ritter-Roland-Roman Band 24. Unser Spitzenautor Joachim Honnef weiß, auf was es bei einem Abenteuer-Roman ankommt, und er wird Sie bestimmt nicht enttäuschen. DM 1,60