Bastei
Western-Hit Band 655 Atemberaubend und außergewöhnlich packend!
Ein Mann aus Eisen
Der erregende Western um ...
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Bastei
Western-Hit Band 655 Atemberaubend und außergewöhnlich packend!
Ein Mann aus Eisen
Der erregende Western um einen besessenen Marshal.
Von John Grey
Gegen Mittag ritten sie in Bloomfield ein. Es waren vier Männer. Sie trugen ihre Revolver in tiefgeschnallten Halftern. Der Staub von vielen Meilen bedeckte ihre Kleidung. Neben dem Bankgebäude zügelten sie ihre Pferde. Als sie aus den Sätteln glitten, beobachtete sie nur ein alter Mann, der im Schatten des Saloonvorbaus gegenüber in einem Stuhl aus Strohgeflecht saß. Die Bank war klein. Es gab nur zwei Clerks. Und jetzt, in der Mittagszeit, war außer ihnen niemand im Raum. Die Fremden hatten plötzlich ihre Halstücher vor das Gesicht gezogen. Sie sprachen kein Wort, blickten sich um und fächerten im Schalterraum blitzschnell auseinander. Für eine Sekunde war es still. Dann sprang einer der Clerks hinter seinem Pult hoch. »Überfall!« schrie er. »Ein Überfall!« Er warf sich herum und griff nach der Schrotflinte, die hinter ihm an einem Schrank lehnte. Mit fliegenden Händen riß er sie hoch. Von der Hüfte eines Maskierten zuckte eine Stichflamme,
die das Zwielicht im Schalterraum wie eine Feuerklinge durchschnitt. Der Clerk wurde herumgewirbelt wie eine willenlose Gliederpuppe und warf haltsuchend beide Arme in die Luft. Brennend durchraste ihn der Schmerz.
Er konnte nicht schreien. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Seine Augen weiteten sich. Ein dumpfes Gurgeln kam über seine Lippen. Kraftlos brach er über seinem Pult zusammen und lag dann regungslos auf den rauhen Dielen. Aus einem kleinen Loch im Rücken strömte Blut. Der zweite Clerk fuhr von seinem Platz hoch und wurde augenblicklich steif wie ein Brett, als der Revolver in der Hand des Mörders herumschwang. »Nein«, flüsterte der Clerk. In seinen Augen spiegelte sich nichts als nackte Angst. Auf seiner Stirn perlte Schweiß, doch er fröstelte. »Nein, nicht schießen, bitte. Ich versuche ja gar nicht... Ich...« »Halt dein Maul! Beeilt euch!« sagte der Maskierte. Die beiden anderen stürmten augenblicklich los. Sie schwangen sich geschmeidig über die Schaltertheke. Einer trug eine helle Ledertasche bei sich. Die Männer liefen an den Schreibpulten der Clerks entlang, rissen die Schubladen auf, brachen eine Kassette auf und füllten alles Geld, das sie fanden, in die Tasche. »Der Safe!« rief einer der Männer. »Dort steht der Safe!« »Keine Zeit!« Der Maskierte winkte ungeduldig mit dem Revolver. »Verschwinden wir!« Dann machte er schon einen Satz auf den Clerk zu und riß den Revolver hoch. Der Mann zog instinktiv den Kopf ein. Mehr konnte er nicht tun, dann traf ihn der stählerne Lauf der Waffe bereits an der Stirn. Sein Schrei erstarb. Stöhnend sackte er in sich zusammen und stürzte neben einen Drehschemel. Die Banditen kamen hinter den Schaltern hervor und warfen dem Mann mit dem Revolver die Tasche mit dem Geld zu. »Und jetzt weg, aber schnell!« sagte der Maskierte. Sie rannten zur Tür. ***
Der alte Mann auf dem Saloonvorbau hörte den Schuß im Halbschlaf. Er blickte einige Sekunden sinnend zur Bank hinüber, richtete sich schwerfällig auf und schlurfte zur Schwingtür des Saloons. Aus dem Schatten des Bankvorbaus war der vierte Bandit getreten. Er hielt seinen Revolver in der Faust. Der Hammer war gespannt. Ein kaltes Lächeln spielte um die schmalen Lippen des Mannes. Er sprach leise, mit sanfter Stimme, aber in seinen Augen lag die Kälte von Eis. »Setz dich wieder, alter Mann.« Da schwangen jäh die Türflügel des Saloons auf. Der Bandit riß den Revolver herum. Er kam nicht mehr zum Schuß. Eine tödliche Kugel bohrte sich in seinen Körper, noch ehe er ganz begriffen hatte. Langsam fiel er nach vorne und stürzte kopfüber vom Gehsteig. Reglos blieb er im Staub liegen. Der Mann im Türrahmen des Saloons war groß, starkknochig und muskulös. Seine Augen waren grau und erinnerten an geschliffene Kiesel. Er hieß Raid Uvalde. Auf dem Hemd trug er den silbernen Stern eines US Marshals. »Hast du den Schuß vorhin gehört?« Der Marshal blickte den Alten fragend an und schob den Colt zurück in die Halfter. »In der Bank!« rief der alte Mann aufgeregt mit zitternder Stimme. »Es sind Fremde gekommen! Sie sind in der Bank!« Der Marshal sagte kein Wort mehr. Er verließ den Saloonvorbau und bewegte sich quer über die Main Street. Sein Schritt war fest. Die rechte Faust hing über der tiefgeschnallten Halfter am rechten Oberschenkel, in der ein langläufiger Peacemaker Colt steckte. Sein Gesicht war starr, wie aus Holz geschnitzt. Er erreichte den toten Banditen und beugte sich über ihn. Als er sich wieder aufrichtete, flog die Tür der Bank krachend auf.
Die Fremden stürmten heraus. Sie hatten ihre Halstücher wieder von den Gesichtern gerissen und rannten zu den Pferden. Sie hielten ihre Waffen in den Fäusten, und sie würden nicht zögern zu schießen, das war gewiß. Raid Uvalde stand am Rand der glühendheißen Main Street und sah sie kommen. »Stehenbleiben!« Er riß den Revolver aus der Halfter und warf sich in den Staub. Eine Kugel bohrte sich keine Handbreit von seinem Kopf entfernt in den Sand. »Keine Bewegung!« rief er. »Hände hoch« Menschen erschienen an den Türen der Häuser. Einige Männer hatten Waffen bei sich. Sie sahen die Fremden und begannen zu schießen. Die Banditen hatten ihre Pferde erreicht. Der Mann mit der hellen Ledertasche schwang sich in den Sattel. Kugeln strichen sengendheiß an ihm vorbei. Er bohrte seinem Pferd die Sporen in die Weichen. Mit grellem Wiehern schoß das Pferd nach vorn und galoppierte auf den Stadtrand zu. Die beiden anderen Banditen kamen nicht mehr in die Sättel. Das Pferd des einen brach von einer Kugel im Kopf getroffen zusammen, als der Mann gerade aufsteigen wollte. Er stürzte mit dem Tier in den Sand. Der Marshal hatte sich jetzt wieder erhoben. Noch tränten und schmerzten seine Augen. Doch er hob den Colt und schoß. Der fliehende Bandit schien im Sattel zusammenzuzucken. Aber genau konnte Uvalde das nicht erkennen, denn der Bandit ritt schnell, hatte den Stadtrand bereits erreicht und sprengte im vollen Galopp nach Osten. Das sah der Marshal bereits nicht mehr. Er hatte sich schon auf einen der zurückgebliebenen Banditen gestürzt und schlug ihm den Revolver über den Schädel. Der letzte Mann hastete geduckt und ständig schießend über den Gehsteig, um sich hinter einem Kistenstapel in Deckung zu werfen.
Aber er war nicht schnell genug. Mehrere Männer sprangen aus ihren Deckungen und rannten auf den Banditen zu, als er seinen Revolver leergeschossen hatte. Der Bursche heulte verzweifelt auf und schleuderte einem der heranstürmenden Männer den schweren Revolver an den Schädel. Dann packten sie ihn. Sie rissen ihn hoch und schleiften ihn zur Bank zurück, wo der Marshal stand. »Einer ist entkommen!« sagte ein Mann grimmig. »Und einer ist tot«, sagte der Marshal heiser. Er wischte sich mit dem linken Handrücken über die brennenden Augen. In der Tür der Bank erschien taumelnd und noch immer halb betäubt der junge Clerk. Er lehnte sich an den Türrahmen. Verschwommen sah er den Marshal. Tränen rannen über sein Gesicht. Pfeifend atmete er aus den Mundwinkeln. Dann murmelte er stockend: »Sie – sie haben ihn umgebracht. Diese... Mörder...« Die Köpfe der Männer flogen herum. Sie starrten den Clerk fragend an. »Wen haben sie umgebracht?« fragte der Marshal. »Jerry...«, flüsterte der Clerk mit erstickter Stimme. »Sie haben Jerry... erschossen...« »Der Boß hat es getan!« schrie der Bandit, der sich unter den Griffen der Männer wand. »Keiner von uns hat geschossen. Kirk Sheldon hat geschossen. Nur er!« »Das ist der, der geflohen ist, nicht wahr?« fragte der Marshal. Die Männer lachten hämisch. »Dein Boß ist nicht mehr da. Es ist einfach, alles auf ihn zu schieben.« »Aber es ist wahr!« rief der Bandit. »Ich sage die Wahrheit!« Die Männer drängten sich drohend um ihn. »Hängt ihn doch auf, und seinen Kumpan auch!« rief ein Mann aus der Menge. »Hängt die Kerle doch an den Bäumen vor der Stadt auf! Die verdammten Mörder!«
Der Marshal schüttelte den Kopf. Er schob sich den Hut in den Nacken. »Ruhig, Männer, nur ruhig. Die Banditen kommen vor ein ordentliches Gericht und kriegen ihre Strafe.« »Diesen dreckigen Bestien gehört sofort der Strick!« brüllte ein Mann wieder. »Aber nicht durch euch!« entgegnete der Marshal barsch. Seine Augen verengten sich, sein Blick wurde hart. »Ihr bringt die Kerle in mein Office.« Die Männer senkten die Köpfe. Sie hoben den bewußtlosen Banditen neben dem toten Pferd auf und trugen ihn zum Office des US Marshals hinüber. Der zweite Mann sträubte sich nicht mehr. Trotzdem bekam er Schläge in den Rücken und gegen den Kopf. Als er ins Büro geschleift wurde, verlor er das Bewußtsein. Der große breitschultrige Marshal war auf den Bankclerk zugetreten. Er legte dem jungen Mann die Rechte schwer auf die Schulter. »Sobald Jerry beim Coroner liegt, schließt du die Bank für heute zu.« Der Clerk nickte. Seine Augen glänzten feucht. Er schluckte schwer und sagte nichts. Der Marshal betrat den Schalterraum der Bank und fand den toten Clerk. Er ballte in Aufwallung eines bitteren Gefühls die Hände zu Fäusten, wandte sich abrupt ab und verließ das Gebäude. Draußen war es heiß, doch Uvalde atmete die trockene Luft gierig ein. Er hatte das Gefühl, nach dem Anblick des toten jungen Mannes erst einen Panzer abstreifen zu müssen, der sich beklemmend um ihn gelegt hatte. Mit großen Schritten ging er zu seinem Office hinüber. Die Bürger waren inzwischen wieder verschwunden. Der Deputy Marshal hatte die Banditen in die Gemeinschaftszelle gesperrt. Als der Marshal ins Office trat, sah er aus den Augenwinkeln bereits den Sargtischler zur Bank hinübergehen.
US Marshal Raid Uvalde trat an den Kachelofen und nahm die rußige Kanne von der kalten Kochplatte. Der Kaffee darin war kühl. Der Marshal schenkte sich einen Becher voll und trank bedächtig. Sein Deputy kam aus dem Zellentrakt und hängte die Schlüssel an einen Wandhaken. »Die Kerle heißen Vance Custer und Hank Carter. Ich glaube, wir haben Steckbriefe von ihnen.« »Sollte mich nicht wundern.« Raid Uvalde ging zum Gewehrschrank und nahm seine Winchester 73 heraus. Er lud sie sorgfältig auf und wandte sich um. »Ich werde dem Anführer der Banditen folgen. Er heißt Kirk Sheldon, hat einer der Kerle gesagt. Außerdem glaube ich, daß ich ihn angeschossen habe. Nun, ich denke, ich werde ihn kriegen.« »Aber...« »Er hat das Geld.« Der US Marshal rückte den Colt zurecht. »Er ist der wichtigste Mann der Bande. Ich gehe vorher zum Richter und mache dort meine Aussage. Die Gerichtsverhandlung gegen die beiden wird auf alle Fälle stattfinden, ob ich hier bin oder nicht. Wenn ich diesen Sheldon vorher bekomme, wird es drei Angeklagte geben.« »Was wird in der Anklage stehen?« Der Deputy ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder. »Raubmord.« Der US Marshal öffnete die Tür. »Das heißt, die Banditen kommen an den Galgen?« »In den meisten Fällen ist das so. Ja, ich glaube schon.« Raid Uvalde verließ das Office und ging zum Haus des Richters hinüber. Vor dem Haus des Leichenbeschauers sah er den schwarzgestrichenen morschen Karren des Sargtischlers stehen. Die Main Street war leer. Und nicht nur die brennende Hitze des Mittags trieb die Leute in die Häuser. Das Wissen, daß ein Mord geschehen war, lastete auf den Menschen der Stadt, und die Nähe des Todes ließ sie im Entsetzen verharren.
Der US Marshal Raid Uvalde verließ wenig später auf seinem Pferd die Stadt nach Osten, um dem geflohenen Banditen zu folgen. Nichts hielt ihn auf. *** Die Dämmerung lag wie ein hauchdünner Flor über dem Land, und die Wölbung des Himmels brannte so rot wie geschmiedetes Kupfer, als der Reiter die einsame Farm nicht weit von der Overlandstraße zum Missouri River erreichte. Der Mann war hager, sein unrasiertes Gesicht wirkte eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Der Mann schwankte im Sattel. Er lenkte sein Pferd auf den Farmhof. Hinter einem Fenster brannte Licht. Mißtrauisch ließ der Reiter seine Blicke über den Hof schweifen. Dann glitt er schwerfällig aus dem Sattel. Er stürzte beinahe, weil seine Beine zu versagen schienen. Keuchend stützte er sich am Sattelhorn seines Pferdes. Dann fischte er mit der Rechten seinen Revolver aus der Halfter. Schlaff hing sein linker Arm herab. Mit unsicheren Schritten ging der Mann auf das Farmhaus zu. In diesem Moment öffnete sich die Tür des Hauses. Ein vierschrötiger Mann erschien auf der Schwelle. Er hielt eine doppelläufige Schrotflinte in der Rechten. Die Mündungen zeigten zu Boden. »Das Gewehr weg!« sagte der Fremde. »Wirf sofort das Gewehr weg!« Der Farmer sah den Revolver in der Faust des Fremden. Und er sah, daß der Mann verwundet war und böse wie ein reißender Wolf. »Sicher Mister. Nur ruhig, schießen Sie nicht!« sagte er und warf die Flinte in den Hof. »Ich will einen Verband«, sagte der Fremde. »Ich bin Kirk Sheldon. Ich habe heute mittag in Bloomfield einen Mann erschossen. Daran kannst du sehen, daß ich es verdammt ernst
meine. Es kommt mir auf einen mehr oder weniger nicht an. Also sei vernünftig und mach mir einen Verband.« Der vierschrötige Mann starrte den anderen abschätzend an. Der Bandit sah schlimm aus. Er mußte viel Blut verloren haben, und die Schmerzen der Wunde schienen ihn schier zu zerreißen. Aber das hatte ihm nichts von seiner Gefährlichkeit genommen, und er war noch immer fähig, den Abzug seines Revolvers durchzuziehen und zu treffen, was er wollte. »Kommen Sie rein, Mister«, murmelte der Farmer. Er wandte sich um. Der Bandit folgte ihm. Er lehnte sich kurz an den Türrahmen. Schweiß rann in dichten Bahnen über sein Gesicht. Er überwand eine leichte Schwäche und betrat dann den geräumigen Wohnraum des Hauses. An der Kochstelle stand eine Frau. Der Farmer ging rasch zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Bleib nur ruhig, Linda. Dieser Mann ist verwundet und will einen Verband. Ich werde ihm einen machen, sonst erschießt er uns.« Die Augen der Frau weiteten sich. »Werden Sie verfolgt?« fragte sie. »Ich weiß es nicht.« Sheldon sank auf einen Stuhl. »Das ist auch unwichtig, verstehen Sie, Madam? Wichtig ist der Verband.« »Wenn Sie verfolgt werden, kriegen wir Schwierigkeiten, Mister«, sagte die Frau. »Wir kriegen Schwierigkeiten mit dem Gesetz.« »Nicht, wenn Sie sagen, daß ich Sie gezwungen habe. Und außerdem ist es mir völlig gleichgültig, ob Sie Schwierigkeiten kriegen!« Kirk Sheldon richtete plötzlich seinen Revolver auf den Kopf der Frau. »Einen Verband will ich. Sie werden mir die Wunde reinigen und verbinden, Madam. Es ist ein Durchschuß im linken Oberarm. Außerdem werden Sie mir einen Bissen Fleisch und einen Becher Kaffee herstellen!« Der Farmer nickte seiner Frau zu. Sie zögerte noch, ging dann aber schnell zu einem Schrank und holte Verbandszeug
heraus. Als sie an den Banditen herantrat, preßte dieser ihr augenblicklich den Revolver in die Seite. »Damit weder Sie noch Ihr Mann auf dumme Gedanken kommen, Madam«, sagte Sheldon. »Was auch geschieht, ich werde immer dazu kommen, den Abzug durchzuziehen.« »Keine Sorge, Mann«, sagte der Farmer mühsam beherrscht. Dann goß er Kaffee in einen Becher und holte mit einer Gabel ein großes Steak aus der Pfanne auf der Kochstelle. »Ein Zufall, Mister«, sagte er. »Wir wollten gerade essen.« Kirk Sheldon antwortete nicht. Er preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, um nicht zu schreien vor Schmerz. Ein fressendes Feuer schien mit einemmal in seinem Körper zu lodern. Die Frau hatte den linken Hemdsärmel zerrissen und reinigte mit reinem Alkohol die Wunde. Vor Sheldons Augen drehte sich für einen Moment alles. Er kämpfte mit sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Dann ließ das Brennen plötzlich nach. Es blutete statt dessen wieder ein wenig. In seinen Adern war ein heißes Pochen und Hämmern. »Das ist keine gefährliche Wunde, Mister«, sagte die Frau. »Wenn die Kugel nicht gefettet war, ist das Loch in einer Woche zu, und Sie spüren nichts mehr davon.« »Und wenn sie gefettet war?« »Dann sind Sie in einer Woche tot«, erwiderte sie lakonisch. »Oder es dauert etwas länger, wenn Sie zäh sind. Dann bekommen Sie nämlich Blutvergiftung.« Sie legte einen festen Verband um den Oberarm. Kirk Sheldon wartete danach, bis sie zu ihrem Mann zurückgegangen war. Ohne die beiden Menschen aus den Augen zu lassen, griff Sheldon nach dem Kaffeebecher und trank einen großen Schluck. Dann nahm er das Steak in die Linke. Es war heiß, und er verbrannte sich die Finger, hielt es aber fest und biß gierig hinein. Er schlang das Fleisch beinahe unzerkaut hinunter und spülte dann mit Kaffee nach. »Warum haben Sie in Bloomfield einen Mann erschossen?«
fragte der Farmer in das Schweigen hinein, nur um überhaupt etwas zu sagen. »Warum interessiert Sie das?« fragte Sheldon kauend. Die Frau faßte ihren Mann am rechten Arm und blickte ihn von der Seite an. »Wir halten uns aus allem raus, Geoff, hörst du? Wir wollen nichts wissen und halten uns raus.« »Sie können es ruhig wissen.« Der Bandit wischte sich mit dem linken Handrücken Fettröpfchen aus den Bartstoppeln am Kinn. »Der Mann hatte Geld, das ich haben wollte. Außerdem wollte er mit einer Schrotflinte auf mich schießen.« »Das verstehe ich nicht.« Der Farmer schüttelte den kantigen Schädel. »Das ist doch ganz einfach.« Sheldon wirkte nach dem Essen und dem heißen Kaffee kräftiger und nicht mehr so ausgelaugt und erschöpft wie am Anfang. »Der Bursche war einer der Clerks in der Bank.« »Sie haben... die Bank überfallen?« »Sicher.« Kirk Sheldon verlangte mehr Kaffee. Der Farmer kam langsam mit der Kanne zum Tisch, schenkte den Becher noch einmal voll und zog sich wieder zur Kochstelle zurück. »Die Tasche am Sattel?« fragte der Farmer. Die Augen des Banditen verengten sich augenblicklich. Seine Blicke wurden stechend und mißtrauisch. »Versuch ja nicht, mir etwas abzunehmen, Farmer. Du würdest es nicht schaffen. Das Geld habe ich, und ich erschieße jeden, der meinem Pferd zu nahe kommt.« »Wir haben auch unser Konto auf der Bank in Bloomfield«, sagte der Farmer dumpf. »Aber ich hatte bis vor wenigen Stunden keinen einzigen Cent, während du sogar ein Konto hattest. Beruhige dich nur, Farmer. Da war noch ein Safe in der Bank. Wir hatten keine Zeit, ihn aufzumachen. Dein Geld ist also sicher noch da. Und wenn nicht...« Er zuckte mit den Schultern. »Die Welt ist hart.« »Sie hatten Komplicen?«
»Freunde hatte ich, keine Komplicen.« Sheldon nickte bitter. »Entweder sie sitzen im Jail, oder sie sind schon tot. Ich glaube, einer ist tot.« »Schade, daß es Sie nicht erwischt hat«, brach es aus der Frau heraus. Kirk Sheldon richtete sich auf. Der nachdenkliche Ausdruck in seinem Gesicht war wie weggewischt. Seine Züge wirkten steinern. »Sagen Sie das besser nicht noch einmal, Madam. Kommen Sie, Farmer. Ich brauche ein frisches Pferd.« »Aber keines von unseren Tieren«, sagte der vierschrötige Mann heftig. »Welche Tiere sonst?« fuhr Sheldon den anderen an. Dann hob er wieder seinen Colt. »Ich habe nichts zu verlieren, Farmer«, sagte er langsam. »Du kannst dir ausrechnen, wieviel mir dein Leben wert ist. Für mich hat nur ein einziges Leben im Augenblick einen Wert, nämlich mein eigenes!« »Du dreckiger Mörder!« schrie die Frau und wollte sich auf den Banditen stürzen. Kirk Sheldon richtete den Revolver auf sie, während ihr Mann sie festhielt. Der Bandit lächelte kalt, und seine Lippen waren so schmal wie ein Strich. »Kugeln machen keine Unterschiede zwischen Mann und Frau, Madam.« »Schwein!« sagte der Farmer. »Du Schwein.« »Gehen wir in den Stall, Farmer.« Der Bandit bewegte sich rückwärts zur Tür. »Und versuch gar nicht erst, mich reinzulegen. Ich verstehe etwas von Pferden. Und Sie, Madam, verhalten sich ruhig, solange bis ich weg bin. Wenn Sie noch eine Waffe im Haus haben, lassen Sie sie dort, wo sie ist. Denken Sie an Ihren Mann.« Sie antwortete nicht. Mit schweren Schritten folgte der Farmer dem Banditen. Draußen wurde es rasch dunkel. Die Sonne verglühte am Tiefpunkt des Horizonts. Das Schattenmeer des Abends wurde zur Nacht.
»Holen Sie ein gutes Pferd aus dem Stall!« befahl Kirk Sheldon. Er blieb neben seinem abgetriebenen Tier stehen und betrachtete für einen Moment nachdenklich die helle Ledertasche. Der Farmer schritt zum Stall hinüber. Sheldon bückte sich und begann mit der Linken, den Sattelgurt zu lösen. Bei jeder Bewegung schossen Stiche durch seinen Körper, und die Wunde schien zu brennen. Aber Sheldon zwang sich dazu, den Schmerz zu unterdrücken. Der Farmer kam jetzt aus dem Stall zurück. Er führte einen dunkelbraunen Wallach mit sich. Der Bandit musterte das Tier scharf, es wirkte kräftig und ausdauernd. Befriedigt nickte er. »Leg dem Gaul meinen Sattel auf. Und rühre ja nicht die Tasche dabei an.« Schweigend folgte der vierschrötige Mann dem Befehl. Sheldon klopfte seinem Pferd noch einmal auf den Hals. »Mein Tier ist gut. Wenn Sie es pflegen, ist es bald wieder in Ordnung.« Kirk Sheldon trieb den Farmer einige Yard von den Pferden fort, ehe er den Colt rasch in die Halfter gleiten ließ, mit der Rechten zum Sattelhorn langte und in den Sattel stieg. In dieser Sekunde, als Kirk Sheldon all seine Kräfte nur auf das Besteigen des Pferdes konzentriert hatte, griff der Farmer ihn unvermittelt an. Mit einem Wutschrei warf er sich nach vorn. Kirk Sheldon stand schon im Steigbügel und wäre gefallen, wenn er jetzt das Sattelhorn losgelassen hätte. Er riß instinktiv den linken Fuß hoch und stieß ihn nach hinten. Dem Stiefelabsatz mit dem nadelscharfen Sporn konnte der Farmer nicht mehr ausweichen. Das Spornrad zerfetzte sein Hemd und riß seine Brust auf. Dann tänzelte das Pferd scheuend zur Seite. Sheldon verlor das Gleichgewicht und stürzte jetzt doch zu Boden. Er rollte durch den Staub und konnte sich einen Schmerzensschrei nicht
verkneifen, als sein linker Arm geprellt wurde. Aber er federte augenblicklich hoch. Seine Rechte zuckte zum Colt. Der Farmer taumelte und röchelte. Er hatte beide Hände über der Brust verkrallt. Blut rann zwischen den klobigen Fingern hindurch. Der Riß am Oberkörper war tief und gewiß so lang wie eine Männerhand. Wäre das Pferd nicht zur Seite getänzelt, hätte sich der Sporn durch den kräftigen Stoß Sheldons noch tiefer in die Brust des Mannes gegraben und ihn vielleicht sogar getötet. Jetzt schwankte der Farmer. Kirk Sheldon schob den Colt zurück. »Du hinterhältiges Miststück, du!« keuchte er. »Da siehst du, wie weit du gekommen bist.« Sheldon drehte sich um und hastete zu dem Pferd. Er schwang sich in den Sattel, prüfte den sicheren Sitz der Geldtasche und trieb das Pferd an. Ohne sich weiter um den verletzten Farmer zu kümmern, ritt er in die Nacht hinaus, erreichte die Overlandstraße und sprengte nach Osten. Die Farm versank hinter ihm in der Nacht. Um ihn herum war bald nichts als die dunkle Ebene, in der das Büffelgras wogte wie ein endloses Meer. Der Hufschlag des Pferdes verhallte in der Weite. *** Die Gambling Hall von Ponca, Nebraska, war schwach besetzt. Es war früh am Tag, noch nicht mal Mittag. Gelangweilt polierte der Keeper hinter der messingglitzernden Theke dickwandige Whiskygläser. Der Mann an dem mit grünem Samt bezogenen Spieltisch in der Mitte der Spielhalle lehnte sich auf seinem Platz zurück. Er war groß und schlank, hatte breite Schultern und wirkte sehnig wie ein Puma. Der Mann war gekleidet wie ein Dandy. Der Prince-Albert-Rock aus dunkelgrauem feinem Tuch schien
maßgeschneidert, ebenso die dezent gestreifte Hose. Der weiße Stetson, den er auf dem Kopf trug, hatte sicherlich hundert Dollar gekostet, wenn nicht mehr, und an der rechten Hand steckte ein Siegelring aus schwerem Gold. Das Hemd des Mannes war aus Chinaseide und die Schleife am Kragen aus rotem Samt. Um die Hüften trug er einen breiten, mit zahlreichen Verzierungen versehenen Patronengurt, der am rechten Oberschenkel eine tief ausgeschnittene Halfter hielt, in der ein vernickelter 45er Colt steckte, dessen Griffschalen aus Elfenbein waren. Das Gesicht des Mannes war schmal und wirkte asketisch. Ein dünner Schnurrbart bedeckte seine Oberlippe. »Whisky, Dobby!« rief er zur Theke hinüber. Seine Stimme klang dunkel und angenehm. »Sofort, Mr. Flannagan.« Der Keeper stellte ein dickwandiges Kristallglas auf ein Tablett und eine Flasche mit bestem, rubinrot blinkendem Bourbon Straight. Eilig trug er beides zu dem Spieltisch hinüber. Ohne den Blick von den Karten zu wenden, schenkte der Spieler sich Whisky ein. Seine schlanken, fast knochigen Finger umspannten das Glas. Er führte es an die Lippen und trank einen Schluck. Dann hob er den Kopf und blickte seine beiden Mitspieler an. »Wollen Sie aufdecken, Gentlemen?« Sein schmales Gesicht blieb ausdruckslos. In seinen Augen war nicht die kleinste Empfindung zu lesen. Die beiden anderen Männer am Tisch zögerten. Sie waren gut gekleidet, aber längst nicht so elegant wie der Gambler. »Das ist eine Gewissensfrage, Mr. Flannagan«, sagte einer der Männer. »Ich habe fünftausend Dollar gesetzt. Wer verliert gern fünftausend Dollar?« »Vielleicht verlieren Sie gar nicht.« Buck Flannagan, der Spieler, lächelte unbestimmt, »Decken wir auf«, sagte der dritte mürrisch. Flannagan
lächelte immer noch. Doch seine Züge wirkten jetzt seltsam starr. Er nickte nur, und es schien, als würden sich die Sehnen unter dem gutgeschnittenen Prince-Albert-Rock spannen. Der Sprecher deckte sein Blatt auf. Er hatte einen Royal Flush, und ein triumphierendes Grinsen glitt über sein Gesicht. »Hat jemand mehr?« Der andere Mitspieler wurde blaß. Er deckte seine Karten auf. Es war das schlechteste Blatt, das Flannagan je gesehen hatte. Dennoch sagte er noch nichts. Langsam deckte er seine Karten auf. Es waren, vier Könige und eine Herz-Dame. Flannagan lächelte jetzt nicht mehr. Und der Verlierer des Spiels beugte sich erstaunt vor. Seine Augen weiteten sich. »Aber...«, sagte er. »Das sind doch...« »Es sind fünf Könige im Spiel, Carry, Sie sehen ganz richtig.« Die Stimme des Spielers klang plötzlich klirrend. »Können Sie das vielleicht erklären, Mr. Rush?« Der Angesprochene rührte sich nicht. Sein triumphierendes Grinsen fror ein. »Wie soll ich das erklären?« sagte er rauh. »Erklären Sie doch, woher Sie den fünften König haben.« »Bestimmt nicht aus Ihrem Ärmel, Rush«, erwiderte Flannagan kühl. »Was?« Herb Carry blickte den Gambler groß an. »Was sagen Sie da?« »Haben Sie es denn nicht gemerkt?« Flannagans Hände sanken wie unbeabsichtigt von der Tischplatte. Die Rechte näherte sich dem Revolver. »Er spielt seit fast zwei Stunden falsch, der ehrenwerte Mr. Rush.« »Nehmen Sie das zurück, Flannagan!« Rush fuhr von seinem Stuhl auf. Gleichzeitig aber wuchs der Spieler von seinem Platz hoch. Die Männer standen sich gegenüber, keine anderthalb Yard voneinander entfernt, und starrten sich über die Tischplatte hinweg an. Aber eine Mauer aus Feindschaft und Haß war plötzlich zwischen ihnen, und nichts konnte sie niederreißen.
»Nehmen Sie das sofort zurück!« wiederholte der hagere Mann. »Ich habe noch nie die Wahrheit widerrufen, Rush«, sagte Flannagan kalt. »Sie sind doch nur wütend, weil Ihre Rechnung nicht aufgegangen ist«, entgegnete der Betrüger. »Hier soll man wohl als ehrlicher Mann ausgenommen werden wie eine Weihnachtsgans. Sie sind es doch, der falschspielt, um den Gästen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dafür werden Sie ja bezahlt. Und weil es nicht geklappt hat, wollen Sie alles auf mich schieben.« »Wenn ich falschspielte, Rush, würden Sie es garantiert nicht merken. Ich ließe mich bestimmt nicht erwischen. Bei Ihnen aber habe ich viermal gesehen, daß Sie Karten aus dem Ärmel gezogen und welche hineingesteckt haben. Und dreimal haben Sie Karten gezinkt.« Ohne den anderen aus den Augen zu lassen, griff der Gambler zu den Karten auf dem Tisch, tastete mit den Fingern über die Ränder und sortierte die gezinkten Blätter aus. »Sehen Sie sich die Ecken an, Mr. Carry. Er hat Kerben mit den Fingernägeln hineingemacht. Man sieht sie auf den ersten Blick gar nicht. Pech, Rush, ich verstehe etwas vom Pokern. Wenn Sie das Geld sofort zurückzahlen, das Sie erschwindelt haben, und dann auf der Stelle verschwinden, ist die Sache erledigt. Wenn Sie das nicht wollen, lasse ich den Marshal holen. Der wird Ihnen die Ärmel hochkrempeln.« »Meinen Sie, wie? Eine Unverschämtheit ist das!« Entrüstet wandte Rush sich ab und wollte zur Tür gehen. »Das ist ja die reinste Räuberhöhle, dieser Spielsaloon. Ich als harmloser Gast...« »Stehenbleiben, Rush!« rief Buck Flannagan scharf. »Erst wird abgerechnet. Gib das Geld raus, du dreckiger Betrüger, dann kannst du verschwinden.«
Der Mann blieb stehen. Für einen Moment rührte er sich nicht von der Stelle. Dann wirbelte er jäh herum und riß einen kurzläufigen Wells Fargo Colt aus einer Schulterhalfter. Flannagans Rechte zuckte zum Revolver. Beide Schüsse krachten zur gleichen Zeit. Dennoch war die Kugel des Spielers schneller. Flannagan krümmte sich leicht zusammen, während er von der Hüfte aus schoß. Die Detonationen erfüllten dröhnend den Spielsaal. Sengend heiß wie ein Peitschenhieb strich die Kugel des anderen am Hals Flannagans vorbei. Als sie sich in eine stuckverzierte Wand bohrte und ein mehr als handtellergroßes Loch in den Putz riß, brach Gordon Rush zusammen. Er lebte noch einige Sekunden lang und wälzte sich stöhnend über den Teppich des Spielsaals. Dann lag er still. Der Keeper hastete eilig herbei. Er war blaß wie eine frisch gekalkte Wand. »Hol den Marshal, Dobby.« Buck Flannagan schob den vernickelten Colt zurück in die Halfter. Er wirkte nach außen hin ganz ruhig. Mit sparsamen Bewegungen schob er eine schmale schwarze Zigarre zwischen die Lippen und riß ein Zündholz an, während der Keeper wortlos aus dem Raum eilte. »War er – war er wirklich ein Falschspieler?« fragte Herb Carry leise. »Warten Sie, bis der Marshal kommt.« Flannagan rauchte schweigend weiter. »Aber – aber man hat doch gar nichts gemerkt, und...« »Ich habe es sofort gemerkt.« Buck Flannagan schüttelte mitleidig den Kopf. »Der Kerl war ein jämmerlicher Spieler. Sie müssen Ihren Partnern genauer auf die Finger sehen, Carry, oder Sie sollten nie mehr eine Gambling Hall betreten, sonst sind Sie bald ein bitterarmer Mann.« Der Spieler griff nach seinem Glas, das noch immer halbgefüllt auf dem Tisch stand, und trank es aus. Penetrant stinkend hing auch jetzt noch der Pulverdampf im Raum. Auf
dem Teppich der Spielhalle bildete sich neben dem Toten ein dunkler Fleck. Schweigend ließ sich Herb Carry wieder am Spieltisch nieder und stützte den Kopf in beide Hände. Für einen Moment blieb es still im Raum. Nach einigen Minuten kam der Keeper mit dem Marshal zurück. Der Beamte war ein untersetzter, stiernackiger Mann mit rotem Gesicht und kleinen runden Augen. Er kam grußlos auf Buck Flannagan zu, ging um den Toten herum und warf kaum einen Blick auf ihn. Er schnaufte nur grimmig: »Der Tag fängt gut an, Flannagan.« »Finden Sie, Marshal?« »Ja. Sie haben Ihren dritten Mann innerhalb von zwei Wochen erschossen, Flannagan.« Der Marshal stemmte die Fäuste in die Hüften. »Bravo! Ich hoffe, auf den zehnten geben Sie mir eine Flasche Whisky aus.« »Ich bin nicht so gefühllos, wie Sie denken, Marshal.« Der Beamte bückte sich jetzt über den toten Mann. »Notwehr, nicht wahr?« Der Marshal deutete auf den kurzläufigen Colt in der verkrallten Rechten des Toten. »Es sieht so aus, als wäre der Notwehrparagraph nur wegen Ihnen erfunden worden.« »Zuviel der Ehre, Marshal. Ich habe versucht, alles friedlich zu regeln, das können Sie mir glauben. Der Bursche hat falschgespielt und wollte nicht zurückzahlen. Er hat nicht nur zuerst seinen Colt gezogen, sondern auch zuerst geschossen – aber nicht getroffen. Möglicherweise bedauern Sie das.« »Falschspieler.« Der Marshal nickte grimmig, ohne auf die Worte des Spielers einzugehen. »Warum kommen die Falschspieler immer zu Ihnen, Flannagan?« »Streifen Sie ihm die Ärmel hoch.« Flannagan zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder an den Tisch. Der Beamte zog eine Pik acht und zwei Asse aus einer Gummiklemme am linken Handgelenk des Toten. Schwerfällig richtete er sich auf.
»Laß den Burschen in mein Office schaffen, Dobby«, murmelte er dumpf. »Du wirst einen neuen Teppich brauchen, Dobby.« Er kam jetzt schleppend zum Tisch und stemmte beide Fäuste auf die Platte. »Du wirst auch einen neuen Gambler brauchen, Dobby.« »Wie meinen Sie das?« Flannagan lehnte sich zurück. »Ich weise Sie aus.« Der Beamte zog eine Stange Kautabak aus der Tasche und biß ein daumenstarkes Stück ab. »Ob Notwehr oder nicht; so geht es nicht weiter. Sie werden die Stadt verlassen, Flannagan.« »Aber es war Notwehr«, sagte der Spieler. »Ich habe gegen kein Gesetz verstoßen.« »Eben, Flannagan. Sie erschießen einen Mann nach dem anderen, und ich kann Ihnen nichts anhaben. Das schafft Unruhe. Ponca soll aber eine ruhige Stadt bleiben. Ich werde Sie deshalb zum Hafen begleiten. Dort liegt der Raddampfer aus Vermillion, der gegen Mittag abfährt. Sie werden mitfahren.« »Begründung?« »Gefährdung des Stadtfriedens.« »Ha.« Der Spieler lachte auf. Das Gesicht des Marshals blieb ausdruckslos. Buck Flannagan begriff. Er drückte seine dünne Zigarre in einem Aschenbecher aus und erhob sich. Schweigend hockte er sich neben den Toten, zog ihm die Brieftasche aus dem Jackett und nahm das Geld heraus. Er zählte es, reichte Herb Carry mehrere tausend Dollar und steckte den Rest selbst ein. »Sie sind froh, daß Sie mich loswerden, wie?« grinste er den Marshal an. »Hol meine Sachen, Dobby.« Flannagan schenkte sich sein Glas noch einmal voll und leerte es mit einem Schluck. »Ich fühle mich wie neugeboren.« Der Beamte lächelte befriedigt. »Sind Sie mir böse, Flannagan?«
»Witzbold.« Der Spieler erhob sich, als der Salooner eine leichte Reisetasche brachte, an der eine Winchester vom Kaliber 73 festgeschnallt war. »Es tut mir leid, Mr. Flannagan.« Der Keeper reichte dem Spieler die Tasche. »Die Leute kamen gern her, um zu pokern, seit Sie hier waren.« »Du wirst einen anderen finden, Dobby. – Good bye, Mr. Carry. Und passen Sie in Zukunft besser auf.« Der Mann nickte nervös und vermied es, einen Blick auf den Toten zu werfen. Stumm schaute er dem hochgewachsenen, sehnigen Spieler nach, der jetzt mit dem Marshal die Spielhalle verließ. Buck Flannagan blieb auf dem Stepwalk stehen und blinzelte in die grellen Sonnenstrahlen. Schweigend beobachtete er die breite Main Street. Der Marshal stieß ihn an. »Kommen Sie, Flannagan. Das Schiff soll nicht ohne Sie abfahren.« In diesem Moment traten zwei Männer aus einem nahen Hofeingang und kamen auf den Marshal und den Spieler zu. Sie waren groß und breitschultrig. Ihre Gesichter wirkten kantig und starr. »Haben Sie ihn verhaftet, Marshal?« fragte einer heiser. »Nein.« Der Beamte musterte den anderen kühl. »Ihr Freund hat falschgespielt, Carlton. Außerdem hat er zuerst geschossen.« »So wird es also zurechtgedreht. Sie wollen ihn laufenlassen, diesen verdammten Mörder?« schrie der andere und ballte die Fäuste. »Ich habe ihn aus Ponca ausgewiesen. Außerdem drehe ich nichts zurecht, Hill. Und jetzt gehen Sie uns aus dem Weg, wir haben es eilig.« Der Marshal setzte sich in Bewegung. »Halt!« fauchte der Mann, den der Beamte Carlton genannt hatte. »Das könnte dem Kerl so passen: erst einen Mann
ermorden und dann verschwinden. Und der Blechstern hilft ihm noch dabei.« »Passen Sie auf, was Sie sagen, Carlton«, sagte der Marshal. »Sie halten sich raus!« schrie der andere. »Das geht Sie gar nichts an, Sternschlepper. Der Kerl hat unseren Freund erschossen, dieser Halunke. – Du heißt Flannagan, nicht wahr?« »Das ist mein Name.« Der Spieler wirkte ruhig und schien abzuwarten. »Und du hast Gordon erschossen, Gordon Rush.« »Er hatte ein paar Karten im Ärmel. Außerdem versuchte er, Karten zu zinken. Er war nicht sehr geschickt dabei«, erwiderte Flannagan abweisend. »Du Schwein!« schrie Carlton mit rotem Gesicht. »Du lügst, du verdammtes Schwein! Gordon war unser Freund.« »Dann haben Sie keinen sehr guten Umgang, Mister«, gab Flannagan zurück. Der stämmige Marshal drängte sich jetzt neben ihn. »Macht, daß ihr wegkommt, verdammt noch mal!« »Sie sollen sich raushalten!« sagte Carlton. »Jack, sieh dir den Kerl an. Er sieht aus wie ein Dandy, und er ist ein Killer, ein dreckiger Mörder! Mörder!« brüllte er Buck Flannagan an. »Er sieht aus, als ging es ihm besser als uns.« Jack Hill hieß der andere, und er stampfte auf Buck Flannagan zu. »Es gefällt mir nicht, wenn es Mördern bessergeht als anständigen Männern.« Buck Flannagan sprach kein Wort. Er sah, daß er nicht so einfach von hier wegkam und riß seine Reisetasche jäh hoch. Die daran festgeschnallte Winchester stach dem Kerl entgegen. Der Lauf traf ihn am Hals. Gurgelnd blieb er stehen und lief blau an. Buck Flannagan setzte sich in Bewegung. Er ließ die Tasche fallen und schmetterte dem Mann seine rechte Faust gegen die Stirn. Es steckte geballte Kraft dahinter, und Jack Hill hatte das Gefühl, ihm würde der Kopf vom
Rumpf gerissen. Ächzend warf er die Arme hoch und kippte nach hinten um. Krachend fiel er auf die Stepwalkdielen. Von der Seite griff Carlton den Spieler an. »Du Dreckstück!« brüllte er. Buck Flannagan wirbelte herum und riß sein rechtes Knie hoch. Er zog den Kopf ein. Ein Schlag des anderen raste an ihm vorbei, dann grub sich das Knie des Spielers in den Leib des Angreifers. Carlton krümmte sich zusammen und wurde grün im Gesicht. Ein knallharter Schlag gegen den linken Kinnwinkel riß ihn hoch. Er röchelte und bekam dann schon einen Hieb ins Gesicht, der ihn wie ein Huftritt traf. Blut tropfte aus seiner Nase. Er taumelte und fiel schließlich in den Staub. Der Spieler zog seinen Prince-Albert-Rock gerade und nahm seine Tasche wieder auf. »Gehen wir, Marshal.« »Halt!« sagte da der Kerl, den Flannagan zuerst niedergeschlagen hatte. »Bleib stehen, du Hund.« Schwankend kam der Mann auf die Beine und griff zum Revolver. Flannagan duckte sich leicht, schlug den Rockschoß zurück und hatte dann schon den Colt in der Faust. Im selben Moment sprang der Marshal auf Jack Hill zu und hieb ihm den Revolver über den Schädel. Keuchend wandte er sich um. »Stecken Sie den Colt ein, und kommen Sie, Flannagan. In Ponca wird niemand mehr erschossen. Da sehen Sie, wie richtig es ist, daß ich Sie ausweise. Solange Sie hier sind, gibt es nichts als Ärger. Diese beiden Kerle sind mit Gordon Rush in die Stadt gekommen, um Vieh aufzukaufen. Als Dobby vorhin zu mir kam und mir sagte, daß Sie Rush erschossen hätten, waren die beiden in meinem Office, um nach einer Ranch zu fragen. Sie haben alles mit angehört.« Buck Flannagan tupfte sich mit einem blütenweißen Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. »Ich habe keine Angst vor diesen Männern.« »Aber ich. Ich habe Angst um den Frieden in der Stadt.«
Die Männer schritten die Main Street hinunter und bogen dann in eine Seitenstraße ein, die zum Hafen führte. Hoch stand die Sonne am Himmel, bald war es Mittag. Sie erreichten die hölzernen Hafenanleger der Stadt am Ufer des Missouri. Schwerfällig schleppten sich die Wellen des mächtigen Stroms durch ihr Bett und schlugen mit dumpfem Plätschern an die Holzrümpfe der Frachtschiffe. Wagen fuhren hin und her, muskulöse Mulatten in zerfetzter Kleidung schleppten zentnerschwere Kisten über schmale, schwankende Gangways. Am größten Anleger hatte ein über siebzig Yard langer Raddampfer festgemacht. Auf seinem Bug glitzerte der Name »River Queen« in Goldbuchstaben. An der Reling lehnten bereits weit über hundert Passagiere, die mit dem Schiff flußabwärts fahren würden. Über eine breite Gangway betraten der Spieler und der Beamte die »River Queen«. Neben dem Aufgang zur Steuerbrücke stand der Kapitän des Schiffes, ein untersetzter Mann mit dunkelbraunem Vollbart. Er beobachtete bedächtig das Treiben im Hafen und sog an einer kalten Maiskolbenpfeife. Der Marshal trat auf ihn zu. »Howdie, Gregg.« »Oh! Hallo, Duff.« Der Kapitän nahm die Pfeife nicht aus dem Mund. Er schüttelte dem Beamten die Hand. »Du läßt dich nicht oft am Hafen sehen, Duff.« »Die Stadt wird größer. Ich habe immer weniger Zeit, Gregg. Hör zu: Dieser Gambler wird mit dir fahren, Gregg. Er sieht nicht so aus, aber er ist ein Höllensohn. Nimm ihn mit bis mindestens nach Omaha, und wenn er Ärger macht, wirf ihn in den Missouri.« »Glauben Sie dem Marshal kein Wort, Mister.« Buck Flannagan schob sich den Hut weit in den Nacken. »Gibt es einen Spielsaloon auf dem Kasten?«
»Das ist kein Kasten, sondern die Königin des Missouri, Mann«, brummte der bärtige Mann unwillig. »Es gibt kein besseres Schiff auf dem ganzen Missouri. Außerdem brauchen Sie zuerst ein Ticket, Mister.« »Flannagan heiße ich, Buck Flannagan. Ich werde eine Kabine in der ersten Klasse mieten.« »Das kostet bis Omaha fünfhundert Dollar, Mr. Flannagan. Und sagen Sie nie wieder, die ›River Queen‹ sei ein Kasten.« »Ich verspreche es Ihnen. Außerdem fahre ich nicht nach Omaha. Der Marshal will mich zwar aus Ponca raushaben, aber wohin ich fahre, geht nur mich etwas an. – Wo bekomme ich ein Ticket?« »Beim Zahlmeister. Sie finden sein Office auf dem Zwischendeck. Von da aus geht es auch zu den Kabinen der ersten Klasse. In fünf Minuten legen wir ab.« »So long, Marshal.« Buck Flannagan tippte sich an den Hutrand und nickte dem Beamten zu. »Auf Nimmerwiedersehen, Flannagan«, sagte der Beamte. »Ich werde mit durchgeladener Winchester auf dem Anleger warten, bis der Dampfer abfährt. Wenn Sie versuchen sollten, die ›River Queen‹ zu verlassen, schieße ich.« »Ich glaube sogar, das meinen Sie ernst.« Der Spieler grinste freudlos und ging mit federnden Schritten davon. Auf dem Vorderdeck hatten mehrere Dutzend Menschen ihre Decken ausgebreitet. Es gab kaum noch einen freien Fleck. Auf einer primitiven Holzbank vorn am Bug saß ein schwarzgekleideter Methodisten-Prediger. Er hatte einen Samowar neben sich stehen und bereitete sich in aller Seelenruhe Tee, während um ihn herum die noch an Bord kommenden Passagiere Gepäck schleppten und stapelten, aufgeregt hin und her liefen, schrien und zum Ufer winkten. »Was hat der Mann getan, daß du ihn ausweist?« Der Kapitän begleitete den Marshal bis zur Gangway. »Ich mag keine Halunken an Bord.«
»Genaugenommen hat er sich völlig korrekt verhalten.« Der Beamte nahm sich den Hut ab und wischte das Schweißband trocken. »Er ist sehr schnell mit seinem vernickelten Schießeisen und wirkt auf Gauner anziehend wie ein Magnet. Seit er in Ponca auftauchte, wimmelte es plötzlich von Falschspielern und Revolverhelden, die sich alle mit ihm anlegten. Well, er hat stets in Notwehr geschossen. Aber ich will, daß gar nicht geschossen wird bei mir in Ponca. Deshalb muß er gehen.« Der Kapitän nickte verstehend. »Dann wird es hier an Bord kaum Ärger mit ihm geben.« »Ich wünsch' dir jedenfalls viel Glück. Wann kommst du wieder in Ponca durch?« »In drei Monaten, wenn alles gutgeht. Laß dich dann wieder sehen, Duff.« »Sicher, Gregg.« Der Marshal verließ das Schiff. Schwitzende ebenholzfarbene Neger begannen die Verankerungen der Gangway zu lösen und das Schiff zum Ablegen fertigzumachen. Die Rauchwolken, die aus den beiden Schloten des Schiffes stiegen, wurden größer und verdichteten sich. Zwischen den starken Schaufelbrettern des riesigen Rades am Heck des Dampfers gurgelte dumpf der Fluß. Als die Maschine im Rumpf zu arbeiten begann, vibrierte der Leib der »River Queen« leise wie ein schlafender Riese, der zum Leben erwachte. An der Reling standen nun fast alle Passagiere und winkten zum Hafen und zur Stadt hinüber. Eine Schar schreiender, johlender Kinder bestaunte die Abfahrt des großen Raddampfers. In den Lärm der vielen Stimmen klang jetzt das Lied der Dampforgel. Leiernd und verstimmt hallten die Töne über die Köpfe der Menschen und verklangen über dem gewaltigen Strom. Schrill kreischte die Dampfpfeife. Dann begann das Schaufelrad sich zu drehen. ***
Ein Mann watete durch das flache Uferbett des Missouri. Er durchbrach eine Mauer aus Schilf, scheuchte einige Enten auf und stürzte dann ins Wasser. Keuchend kam er wieder hoch und rang nach Atem. Er hielt eine helle Ledertasche in der Rechten und klammerte die Hand eisern um den Griff. Schwankend torkelte er tiefer ins Wasser hinein. Gehetzt warf er den Kopf herum, als er Hufschlag hörte. Er sackte mit den Stiefelabsätzen tief in den Schlamm ein, warf sich nach vorn und versuchte zu schwimmen. Sein linker Arm versagte. Sein Gesicht war gezeichnet von Verzweiflung und Erschöpfung. Es war eingefallen und mit Bartstoppeln bedeckt. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Mit fliegenden Fingern riß er sich den Hosengurt ab und band sich damit die Tasche um den Hals. Dann schwamm er. Er lag auf dem Rücken, ruderte wie wild mit dem rechten Arm und mit seinen Beinen, ging unter, kam wieder an die Wasseroberfläche, schluckte Wasser, spuckte aus und röchelte. Er wurde schwächer, aber er gab nicht auf. Es war Abend, und die Dunkelheit lag schon wie ein dichtmaschiges Netz über dem Fluß. Im Westen verglühte der Sonnenball wie ein Ring von Feuer. Die langen Schatten des Uferdickichts nahmen dem letzten Tageslicht die Kraft. Stampfend und dröhnend glitt eine riesige dunkle Masse durch den Abend heran, ein Raddampfer. Rauschend drehte sich das Schaufelrad und wühlte den Strom auf, klatschend tauchten die Schaufelbretter in den Fluß. Dumpf gurgelten die Wellen des Missouri ans Ufer und bewegten sich heftiger, als der breite Bug des Dampfers sie durchpflügte. Der Schwimmer sah das Schiff, er ruderte heftig mit dem rechten Arm. Das Gewicht der Tasche zog ihn immer wieder unter Wasser. Am Ufer tauchte ein Reiter auf. Mehrere Schüsse krachten. Kugeln peitschten Fontänen aus dem Wasser.
Der Schwimmer wurde vom Rumpf des Dampfers gerammt. Stechend durchzuckte ihn Schmerz. Er schrie. Aber das hörte niemand. Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen. Er schnappte nach Luft und sah plötzlich das Gerüst des sich wild drehenden Schaufelrades vor sich auftauchen. Dann packte ihn schon der Sog des Rades. Der Mann griff blitzschnell zu, obwohl die Schmerzen des gewaltigen Stoßes ihn schier auseinanderrissen. Seine rechte Hand umkrallte das rostige Gestänge des Radgerüstes. Das Schiff riß ihn mit, und der mächtige Ruck kugelte ihm fast den Arm aus. Er biß die Zähne zusammen, sammelte noch einmal alle Energien und zog sich am Schaufelradgerüst in die Höhe. Nur wenige Zoll von seinem Kopf entfernt rauschten die Schaufeln des Rades vorbei. Ein Fehltritt, ein Sturz, ein falscher Handgriff – und das Rad würde ihn erschlagen, würde seine Knochen zertrümmern und ihn unter Wasser drücken. Wieder blitzten Schüsse vom Ufer auf. Auf dem Schiff liefen einige Männer mit Laternen über das Deck und hasteten an der Reling entlang. Der fliehende Mann turnte am Gestänge des Schaufelrades hoch. Er erreichte das Deck. Noch immer peitschten Schüsse. Keiner traf. Kugeln schlugen klatschend gegen die Rumpfwand und sirrten pfeifend als Querschläger in das Dunkel hinaus, wenn sie gegen das Gestänge des Schaufelrades prallten. Der fliehende Mann hetzte an der Reling entlang. Die Nacht rettete ihn. Der Schein der Kerosinlaternen, mit denen ein halbes Dutzend Männer über das Schiff rannten und jeden Winkel absuchten, reichte nicht weit. Da hielt das Schaufelrad jäh an. Das Stampfen der Maschine wurde schwächer, plötzlich war das Gurgeln und Plätschern des Wassers unnatürlich laut. Die Rufe der Männer hallten weit über den Strom. Der Flüchtling preßte sich fest gegen eine Kabinenwand und
eilte, als er sich sicher fühlte, einen Decksaufgang hinauf. Er stolperte und stürzte lang auf die Stufen. Er raffte sich auf, rang nach Atem und torkelte weiter, ausgelaugt, erfüllt von Schmerzen und dem Zusammenbruch nahe. Der Reiter am Ufer trieb sein Pferd ins Wasser. Aus dem Dickicht brach jetzt ein zweiter Reiter. Er rief dem ersten etwas zu, der antwortete, dann trieb auch der zweite sein Tier in den Fluß. Sie ritten auf das Schiff zu. Ein bärtiger Mann mit einer Laterne beugte sich jetzt über die Reling. Verschlafen standen einige Passagiere hinter ihm und beobachteten neugierig die Reiter. Ein muskulöser Neger mit einer Schrotflinte stellte sich neben den Kapitän. »Halt, wer da?« rief der bärtige Mann. »US Marshal Raid Uvalde aus Bloomfield!« klang es zurück. »Sie haben einen Verbrecher an Bord. Er ist gerade durch den Fluß geschwommen und am Gerüst des Schaufelrades hochgeklettert.« »Wollen Sie an Bord?« Der Kapitän winkte einen Decksmann herbei und rief nach einer Strickleiter. »Wenn Sie einverstanden sind, ja.« Eine Strickleiter polterte über die Reling. Der US Marshal zog seine Winchester aus dem Scabbard, warf seinem Begleiter die Zügel des Pferdes zu und griff nach der Strickleiter. Er zog sich daran hoch, suchte mit den Füßen Halt und reichte seine Winchester dem Kapitän hoch, ehe er nachkletterte. »Wie heißt die nächste Anlegestelle?« fragte er keuchend. »Dakota City«, erwiderte der Kapitän. »Bring mein Pferd nach Dakota City!« rief der Beamte seinem Begleiter zu. »Und warte dort auf mich, hörst du?« Der Mann im Wasser nickte und zog die Pferde herum. Er trieb sie ans Ufer zurück. Währenddessen begann sich das Schaufelrad des Dampfers wieder zu drehen, erst langsam, dann stärker. Das Stampfen und Dröhnen der Maschine wurde kräftiger. Schwerfällig setzte sich die »River Queen« wieder in
Bewegung. Ein Lotse ging jetzt nach vorn an den Bug und maß mit einem beschwerten Faden die Tiefe der Fahrrinne. In regelmäßigen Abständen rief er dem Steuermann auf der Brücke Anweisungen zu. Der Kapitän wartete, bis der Decksmann die Strickleiter wieder eingerollt hatte und reichte dann dem Marshal die Hand. Matt blinkte der silberne Stern im Kreis, den der große, hagere Beamte auf dem Hemd trug. »Danke.« Raid Uvalde lächelte schmal. »Ich hätte am Ufer bis zur nächsten Anlegestelle reiten müssen, wenn Sie mich nicht an Bord gelassen hätten.« »Normalerweise mache ich das auch nicht. Aber ich habe nicht gern Verbrecher an Bord. Was ist das für ein Mann?« »Ein Bankräuber und ein Mörder, Kapitän.« »Gregg Raymond ist mein Name, Marshal. Wir haben schon gemerkt, daß jemand an Bord geklettert ist. Meine Leute suchen nach ihm, seit wir die Schüsse gehört haben und einen Kerl im Wasser sahen, der plötzlich verschwunden war. Aber es ist dunkel. Der Bursche hat eine gute Chance, sich zu verkriechen.« Der Kapitän schritt mit dem Beamten vom Vorderdeck zu den Kabinen hinüber und ließ die neugierigen Passagiere zurück, die unruhig zusammenstanden und über das, was sie gerade gehört hatten, aufgeregt redeten. »Die Leute werden nervös.« Der Kapitän blickte den Beamten von der Seite an. »Machen Sie nur nicht die Passagiere verrückt.« »Keine Angst. Wenn mir Ihre Leute beim Suchen helfen, wird es sicher nicht lange dauern, bis wir den Kerl haben. SO viele Möglichkeiten für ihn, sich zu verstecken, gibt es schließlich auch nicht auf einem Schiff.« »Ich schicke Ihnen drei meiner Männer mit Laternen. Und sehen Sie zu, daß es keine Schießerei gibt, Marshal.«
Raid Uvalde nickte. »Schon in Ordnung, Raymond. Aber der Mann ist gefährlich. Er hat einen jungen Mann bei einem Banküberfall in Bloomfield erschossen. Außerdem hat er die Beute bei sich.« »Daß nur keinem der Passagiere etwas passiert«, sagte der Kapitän besorgt. »Das könnte mich meinen Job kosten.« Er wandte sich ab und ging davon. Raid Uvalde blieb zurück. Er lauschte dem Dröhnen der Maschine, dem Rauschen des Schaufelrades und dem leisen Nachtwind, der über den Strom strich. Silbern durchwebte das Licht des Mondes die Nacht. Es wurde still auf dem Vorderdeck. Die Passagiere schienen sich schon beruhigt zu haben. Die Müdigkeit war stärker als die Neugier. *** Buck Flannagan schob sich den Hut in den Nacken und balancierte eine schwarze Zigarre zwischen den schmalen Lippen von einem Mundwinkel zum anderen. Schweigend legte er die Geldscheine vor sich auf dem Tisch zu einem Bündel zusammen. »Ich gebe Ihnen jederzeit Revanche, Gentlemen.« Flannagan lächelte unter seinem Schnurrbart hervor. Die drei Männer, die mit ihm am Tisch saßen, machten mürrische Gesichter. »Das wollen wir aber auch hoffen, Mr. Flannagan«, sagte einer der Männer. Der Spieler schob das Geld in die Tasche und winkte nach einem Kellner. »Bringen Sie jedem der Gentlemen eine Flasche besten Bourbon Whisky auf meine Rechnung.« Flannagan erhob sich und blätterte zwanzig Dollar auf den Tisch. »Schlafen Sie gut, Gentlemen.« Er wandte sich ab und bewegte sich mit federnden Schritten durch die Reihen der Spieltische zum Ausgang. Ein breitschultriger, elegant gekleideter Mann, der an einem Tisch neben der Tür saß, stand auf und trat ihm in den Weg.
»Haben Sie Feuer, Flannagan?« Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Der Spieler riß ein Zündholz am Daumennagel an und wartete, bis das Ende der Zigarette des anderen aufglühte und die Flamme sich knisternd in den Tabak fraß. »Du vergißt hoffentlich nicht, deine Gebühr zu bezahlen, Flannagan«, sagte der breitschultrige Mann. Er blies den Rauch der Zigarette aus den Mundwinkeln. »Gebühr?« »Yeah, zehn Prozent deiner Einnahmen. Das ist ein verdammt günstiger Satz, Flannagan, das kannst du mir glauben.« Buck Flannagan grinste jetzt kalt. »Leg dich ins Bett und schlaf deinen Bausch aus, Bruder. Du kannst nicht gesund sein.« »Ich meine es ernst.« In den Augen des anderen lag jetzt ein warnender Ausdruck. »Jeder Gambler, der in diesem Saal gewinnt, muß zehn Prozent davon an die Saalleitung zahlen. Das bin ich. Der Eigner der ›River Queen‹ hat mich dazu angestellt.« »Mach dich nicht lächerlich. In diesen Saloon kann jeder, der mit diesem Schiff reist, kommen und spielen. Jeder kann gewinnen. Ich hätte ebensogut verlieren können. Aber ich habe gewonnen, und ich bin nicht auf diesem Schiff angestellt. Ich habe keinen Tisch gemietet und bin niemandem Rechenschaft schuldig. Wenn du das nicht begreifst, spreche ich morgen mit dem Kapitän.« »Du irrst dich, Flannagan.« Der andere faßte ihn am Aufschlag des Prince-Albert-Rockes. »Ich werde dir zeigen, daß du dich irrst. Hier zahlt jeder.« »Ich habe gesehen, daß nur die angestellten Spieler bezahlt haben. Und jetzt laß los!« sagte der Gambler. Der andere bleckte höhnisch sein gelbes Gebiß. Dann holte er blitzschnell aus.
Buck Flannagan war schneller. Seine Rechte bewegte sich gleitend zur Halfter. Sekundenbruchteile später bohrte sich die Mündung seiner Waffe in die Seite des anderen. »Loslassen!« wiederholte er scharf. Der andere wurde blaß. Sein Grinsen fror ein. Er sah das eisige Glitzern in den schmalen Augen Flannagans und ließ die Fäuste sinken. »So – so habe ich es doch nicht gemeint, Flannagan. Bitte – nehmen Sie den Revolver weg.« »Ich weiß genau, was du gemeint hast, Bruder.« Buck Flannagan schob die Waffe in die Halfter zurück. »Du hast gedacht, du könntest mich überrumpeln, weil ich neu an Bord bin. Aber ich steige in Dakota City schon wieder aus, und das ist dein Glück, Bruder. Sonst würdest du mich noch kennenlernen.« Flannagan verließ die Spielhalle. Er trat hinaus auf das Mittelstück und schlenderte langsam die Gangway entlang. Die Nachtluft war kühl. Der Spieler sog sie tief in seine Lungen und fröstelte leicht. Er lehnte sich einmal kurz über die Reling, warf einen Blick in das schäumende Wasser am Schaufelrad und lauschte den Rufen des Lotsen. Dann ging er hinunter zum Erster-Klasse-Deck und schritt zu den Kabinen. Er stieß seine Kajütentür auf und trat ein. Es war dunkel im Raum. Das Vibrieren und Stampfen der Maschine im Rumpf der »River Queen« war auch hier noch zu spüren. Buck Flannagan wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und tastete sich zum Tisch. Hier stand eine Petroleumlampe. Der Spieler zündete den Docht an. Hell floß das Licht durch den kleinen Raum. Als Flannagan sich vom Tisch abwandte, erstarrte er. Reglos blieb er stehen. Auf dem schmalen Bett an der Längsseite des Raumes hockte ein Mann. Er war völlig durchnäßt, wirkte dreckig und abgehetzt und schien am Ende seiner Kraft. In seinem eingefallenen Gesicht lagen die panische Verzweiflung und die Bösartigkeit eines in die Enge getriebenen Tieres. Um seinen
linken Oberarm wand sich ein schmutziger Verband. Neben sich hatte er eine helle Ledertasche stehen. In der rechten Faust aber hielt der Mann einen großen, feucht glänzenden Revolver. »Nur keine falsche Bewegung, und nur keinen Laut!« sagte er. »Ich schieße sofort, das kannst du mir glauben, Mister. Schnall deinen Revolver ab.« Buck Flannagan musterte den anderen abschätzend. »Du bist durch den Fluß geschwommen. Deine Munition ist naß. Ich glaube nicht, daß die Knarre noch schießt.« »Probier es besser nicht aus.« Der Fremde spannte knackend den Hammer des Colts. »Wenn du schießt, hört man den Knall und faßt dich sofort. Ich habe gesehen, daß einige Männer auf dem Schiff nach irgend etwas suchen, wahrscheinlich nach dir. Ich weiß zwar nicht, um was es geht, aber deinetwegen hat vorhin sicher das Schiff gehalten.« »Nicht wegen mir, aber wegen einem Bluthund, der hinter mir her ist. Doch du wirst dich nicht daran freuen können, wenn man mich fängt. Denn wenn ich schieße, bist du tot.« Flannagan nickte gleichmütig. Mit der Linken öffnete er die Gürtelschnalle und ließ den Waffengurt zu Boden poltern. Mit den Füßen schob er ihn zur Seite. »Was hat das alles zu bedeuten, Mann?« »Hast du vorhin die Schüsse nicht gehört?« »Doch. Das Schiff hielt an, und ein Mann stieg an Bord. Dann rannten einige Leute mit Lampen hin und her. Sie suchen jetzt noch. Wie bist du auf die ›River Queen‹ gekommen, Mann?« »Ich bin am Gerüst des Rades hochgeklettert. Fast hätten die verdammten Schaufelbretter mich erwischt.« Der Fremde atmete schwer. Plötzlich schwankte er. Schwäche schien ihn unvermittelt zu übermannen. Der Revolver sackte herab. Der Mann stöhnte leise. Buck Flannagan machte einen Satz auf ihn zu und packte nach der
Waffe. Der andere wehrte sich verzweifelt. Doch er hatte kaum noch Kraft. Der Spieler entwand ihm den Revolver und schlug ihm die flache Rechte ins Gesicht. Er fiel nach hinten in die Kissen und blieb nach Atem ringend liegen, die Augen halb geschlossen, am ganzen Körper zitternd vor Schwäche und nervlicher Anspannung. »Wie heißt du?« fragte Flannagan hart. »Sheldon«, flüsterte der Fremde leise. »Kirk Sheldon...« Dann verlor er das Bewußtsein. Buck Flannagan stieß einen Fluch aus. Er streifte sich den Prince-Albert-Rock ab und lockerte seine Kragenschleife. Dann verriegelte er die Tür und zog dem Fremden das durchnäßte Hemd aus. Mit spitzen Fingern löste er schließlich den Verband des Mannes. Die Wunde mußte bereits einmal zugeheilt und später wieder aufgebrochen sein. Flannagan überlegte nur kurz. Dann holte er eine Flasche Whisky aus seiner Tasche und schüttelte die scharfe Flüssigkeit über die Wunde. Er riß eines seiner Hemden in Streifen und schlang den Stoff als Verband um den Arm. Zum Schluß flößte er den Rest des Whiskys dem Verletzten ein. Nach einigen Schlucken schlug Kirk Sheldon die Augen wieder auf und starrte den Spieler einen Moment fragend und mißtrauisch an. Er atmete schwer. Sein Puls raste. Er fühlte sich noch immer in Gefahr, er hatte Angst und wollte sich aufbäumen. Ihm fehlte die Kraft. Flannagan brauchte nur eine Hand, um ihn festzuhalten. Erschöpft sank der Mann wieder zurück. »Weswegen verfolgt man dich, Sheldon?« »Wegen Bankraub«, stöhnte Sheldon schwach. »Und... Mord...« Flannagan erhob sich und bewegte sich unruhig in der Kabine auf und ab. Er war sich nicht schlüssig, was er jetzt tun
sollte. Jäh wandte er sich um: »Wer ist hinter dir her? Was ist das für ein Mann, wegen dem die ›River Queen‹ angehalten hat, so daß er an Bord steigen konnte?« »Ein US Marshal aus Bloomfield. Er verfolgt mich seit zehn Tagen, seit dem Überfall. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, es geht ihm mehr um das Geld als um mich. Irgendwo hat er einen Helfer aufgegabelt, der mich in einer alten Weidehütte entdeckt hat. Die beiden haben mich in den letzten Tagen und Nächten gehetzt, bis ich fertig war. Wäre das Schiff nicht plötzlich auf dem Fluß vorbeigekommen, wäre ich jetzt tot; entweder die beiden hätten mich erwischt, oder ich wäre im Fluß untergegangen und ertrunken.« Buck Flannagan setzte sich auf einen Stuhl und musterte den anderen schweigend. In den Augen des Banditen war plötzlich wieder ein nervöses Flackern. Angst prägte sich in das eingefallene, unrasierte Gesicht. Seine Blicke flogen durch den Raum. Er suchte seine Waffe und sah sie auf einer Kommode liegen. »Wirst du mich ausliefern?« fragte er mit brüchiger Stimme. »Du – du willst mich dem Kapitän übergeben, nicht wahr? Damit der verfluchte Bluthund von einem Marshal mich zum Galgen schleppen kann, wie?« Die Hände Sheldons krallten sich in das Bettzeug, das vom Flußwasser und vom Schmutz an den Kleidern des Banditen bereits fleckig war. »Ruhig, Sheldon, ruhig.« Buck Flannagan beugte sich vor und schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie jemanden verraten, der sich nicht wehren konnte. Dabei ist es mir egal, was du getan hast, Sheldon. Ich habe nichts damit zu tun und will auch nichts damit zu tun haben. Das ist eine Sache für Männer vom blanken Orden. Ich habe kein Interesse daran, mich in irgend etwas einzumischen und vielleicht gar einem US Marshal zu helfen. Ich will nur meine Ruhe. In Dakota City gehe ich von Bord der ›River Queen‹. Das ist in spätestens zwölf Stunden der Fall. Was dann aus dir wird, ist mir
ebenfalls egal, damit wir uns richtig verstehen. Ich helfe dir genausowenig, wie ich einem Marshal helfe.« »Ich verstehe schon, Mister.« »Ich heiße Buck Flannagan und bin Spieler.« »Ich dachte es mir.« Kirk Sheldon ließ den Kopf zurücksinken und starrte an die grobgemaserte Holzdecke. Flannagan nickte. Er zündete sich eine neue Zigarre an. »Willst du rauchen?« »Ich rauche nicht.« Sheldon schloß die Augen. Sein Atem ging rasselnd. »Von mir aus kannst du schlafen, solange du willst.« Flannagan sog an seiner Zigarre und erhob sich. Er drehte den Docht der Petroleumlampe kleiner. Es wurde dunkler in der Kajüte. Der Spieler bewegte sich langsam zum Fenster. Er starrte hinaus auf den dunklen Strom, während Kirk Sheldon auf dem Bett von der Müdigkeit übermannt wurde und einschlief. Die geräuschvollen Atemzüge des Verletzten erfüllten den Raum und klangen laut in der Stille. Mit rhythmischem, kraftvollem Stampfen arbeitete im Leib der »River Queen« die Maschine und trieb das Schiff in rascher Fahrt durch die Nacht. *** Die Morgendämmerung lag grau wie ein Bahrtuch über dem Fluß. Die Luft war kühl und feucht. Die Geräusche des Stroms gingen im dichten Nebel unter. Das dumpfe Hämmern der Maschine klang noch immer in gleichförmiger Monotonie aus dem Schiffsleib. Buck Flannagan hatte die letzten Stunden der Nacht auf zwei Stühlen verbracht. Als er erwachte, spürte er jeden einzelnen Knochen in seinem Körper. Wie er sich auch bewegte, Pfeilstiche und brennendes Pochen durchzuckten ihn jedesmal. Schwerfällig schritt er durch die Kabine und trat an
den Spiegel. Er schüttete Wasser aus einem Tonkrug und wusch sich flüchtig. Dann rasierte er sich, rückte seine Kragenschleife gerade und streifte den Prince-Albert-Rock wieder über. Als er sich umwandte, sah er, daß sich Kirk Sheldon von seinem Lager aufgerichtet hatte. Der Mann wirkte nicht mehr so erschöpft wie in der Nacht, aber ausgelaugt und abgemagert, gezeichnet von den Schmerzen der Wunde und vom Blutverlust war er noch immer. Sein Gesicht war hager und stoppelbärtig, und es war bleich wie ein Laken, so daß er wirkte wie sein eigenes Gespenst. Er griff nach seinem zerschlissenen, verdreckten und aufgeschrammten, zerschnittenen Hemd und zog es an. Dann erhob er sich und holte seinen Revolver von der Kommode. Mit zitternden Fingern wechselte er die Patronen in den Kammern aus. Er konnte seine linke Hand kaum dabei verwenden, die Schmerzen, im Arm waren noch zu groß. »Ich werde jetzt etwas essen gehen, Sheldon.« Flannagan trat auf den Banditen zu und schaute sich den Verband an. Dann betastete er vorsichtig den Oberarm. »Du hast gutes Heilfleisch, Sheldon. Andere Männer wären schon tot. Hör zu, Fellow: Du bleibst in der Kabine, bis ich wiederkomme. Laß dich nur nicht draußen sehen.« Wieder flammte Mißtrauen in den Augen des Banditen auf. »Du willst mich ausliefern. Du gehst den Kapitän holen oder den Marshal?« »Unsinn.« Flannagan stülpte sich den Stetson auf. »Das hätte ich auch in der Nacht tun können, wenn ich gewollt hätte.« »Ich – ich habe Geld bei mir, viel Geld. Ich zahle dir fünftausend Dollar, wenn du mich nicht verrätst und mir hilfst, daß ich heil von Bord komme.« Kirk Sheldon faßte Flannagan flehend an der Schulter. Der Spieler schob die Hand weg. »Ich brauche kein Geld, Sheldon. Du siehst die Sache falsch. Wenn ich dich verraten,
wenn ich den Marshal holen wollte, dann würde ich es tun, und wenn du mir hunderttausend Dollar bieten würdest. Aber ich will nicht. Deshalb will ich auch kein Geld von dir. Und nun das zweite: Ich helfe dir nicht, von Bord zu kommen. Ich helfe niemandem. Ich bin nur mir selbst verpflichtet, keinem anderen. Deshalb verrate ich dich nicht, weil ich nicht glaube, daß das richtig wäre, deshalb helfe ich dir aber auch nicht bei der Flucht. Dem Marshal helfe ich ja auch nicht. Ich geh' jetzt essen.« »Das hört sich einfach an!« sagte Sheldon. »Es ist einfach.« Buck Flannagan ging zur Tür, öffnete sie und trat hinaus. Der Nebel umgab ihn wie eine zähe, graue Masse. Die Luft legte sich schwer auf die Bronchien. Buck Flannagan erreichte den Speiseraum erster Klasse. Er trat ein. Der kleine Saal war noch schwach besetzt, denn es war früh am Tag, und erst mit dem Sonnenaufgang würden die meisten Passagiere aufstehen. Der Spieler bestellte sich Kaffee und gebratene Eier mit Speck. Als der Kellner ihm die Mahlzeit brachte, fragte er: »Wird immer noch gesucht?« Der Mann schenkte Flannagan Kaffee ein und nickte dann. »Well, Sir, der US Marshal sucht noch immer, obwohl er schon in der Nacht die ›River Queen‹ so durchsucht hat, daß er inzwischen jede Schraube kennen müßte. Er will sich auch noch dieses Deck vornehmen, obwohl der Kapitän ihm gesagt hat, daß das Unsinn sei. Wahrscheinlich ist der Kerl, der gestern nacht am Gerüst des Rades an Bord geklettert ist, längst wieder abgesprungen. Ich denke mir, daß er nicht mehr auf dem Schiff ist. Sonst wäre er gefunden worden.« »So wird es sicher sein.« Buck Flannagan begann zu essen. Nachdenklich blickte er vor sich hin. Er trank zwei Tassen Kaffee und erhob sich danach. Er schlenderte zu der Theke, hinter der ein schmächtiger Keeper stand.
»Ich gehe in einigen Stunden von Bord. Kann ich ein paar Brote bekommen?« »Selbstverständlich, Sir«, nickte der Keeper geschäftig. »Ich habe kaltes Fleisch, und...« »Das reicht. Belegen Sie vier Scheiben Brot damit und packen Sie sie ein.« Flannagan schob sich erneut eine Zigarre zwischen die schmalen Lippen. Er legte ein Zehndollarstück auf die Theke. Der Keeper beeilte sich und schob dem Spieler wenig später das Päckchen mit den belegten Broten zu. Flannagan nickte nur und wandte sich ab. Er trat hinaus auf den Kabinengang. Die Nebelschwaden lösten sich jetzt nach und nach auf. Ein müder Windhauch schien sie zu zerteilen. – Die »River Queen« fuhr jetzt mit halber Kraft. Noch immer rief der Lotse am Bug seine Anweisungen zum Steuerhaus hinauf. Flannagan sah die roten und gelben Positionslaternen. Als er an die Reling trat, hörte er harte Schritte auf den starken Planken des Decks von der Treppe her, die vom Vorderdeck heraufführte. Flannagan drehte sich rasch um und bewegte sich eilig den Gang an den Kabinen entlang. Hinter ihm tauchten jetzt drei Männer auf. Einer hatte eine Kerosinlaterne bei sich. Die beiden anderen trugen Gewehre. Ein großer, breitschultriger Mann mit kantigem Gesicht war dabei. Auf seinem Hemd heftete das Abzeichen des US Marshals. Flannagan konnte es nicht sehen, weil er sich nicht umdrehte, aber er ahnte es. Als er um die Ecke des Ganges schritt, gefror ihm schier das Blut in den Adern: Seine Kabinentür stand offen, und Kirk Sheldon lehnte an der Reling. Er starrte in den nebelverhangenen Fluß, anscheinend überlegend, wie er fliehen konnte. Die Schritte der Verfolger kamen näher und wurden lauter. Flannagan hatte für einen Moment das Gefühl, am Boden festgewachsen zu sein. Mit Gewalt riß er sich los. Er rannte, dann winkte er dem Banditen zu. Und ohne es zu wollen, half
er ihm doch. Kirk Sheldon warf den Kopf herum. Er sah den Spieler und dessen heftige Handbewegungen. Er begriff erst nicht, um was es ging. Und dann war es fast zu spät. Raid Uvalde, der US Marshal, und seine beiden Begleiter, kamen um die Ecke im Gang. Und sie sahen Kirk Sheldon sofort. Für einen Moment verhielten sie überrascht im Schritt. Das war Sheldons Chance: Der Bandit warf sich mit einem wilden Fluch herum und hastete in die Kabine Flannagans zurück... Er riß seinen Revolver aus der Halfter und feuerte einmal. »Da ist er!« rief der US Marshal. »Da läuft er, dieser Hund! Hinterher!« Dann rannten die drei Männer schon. Und Buck Flannagan stand vor ihnen im Gang. Er sah durch die offene Kajütentür, daß Kirk Sheldon das Fenster der Kabine aufriß und gedankenschnell hindurchglitt. Wenig später war gedämpft ein Aufschlag auf dem Wasser zu hören. Der Bandit mußte vom Decksgang aus in den Fluß gesprungen sein, und das Deck war gewiß vierzehn Yard über der Wasseroberfläche. Als Flannagan die Verfolger des Banditen dicht hinter sich hörte, lehnte er sich plötzlich an die Außenwand einer Kabine und schob den rechten Fuß vor. Ein Decksmann der »River Queen« stolperte und stürzte krachend zu Boden. Raid Uvalde, der Marshal, konnte seinen Lauf nicht mehr stoppen. Er fiel über den gestürzten Mann, federte augenblicklich wieder hoch und warf sich zu dem Spieler herum. »Festhalten, den Kerl!« sagte er scharf. »Wir reden noch miteinander, Mister, soviel ist sicher.« Dann drang er auch schon in die Kabine Flannagans ein, stürmte zum offenen Fenster und feuerte in den nebelverhangenen Fluß. Die Schüsse bellten mit dumpfem Krachen durch den Nebel. Feuerzungen leckten gierig durch den Dämmer des erwachenden Tages. Geschosse pflügten das Wasser auf. Sie zersiebten den Strom und richteten doch nichts aus. Der Bandit
Kirk Sheldon blieb verschwunden. Der Marshal erkannte das und wußte, daß er diese Runde verloren hatte. Er wandte sich fluchend ab. Mit weiten Schritten verließ er die Kabine und stampfte auf den Spieler zu. Den Revolver behielt er in der Faust. Sein Gesicht war verzerrt vor Wut, seine Augen glühten vor Zorn. Die beiden Decksleute des Schiffes näherten sich ebenfalls drohend. »Ist das Ihre Kabine, Mann?« fragte der Marshal, sich mühsam beherrschend. Flannagan nickte wortlos. Der Beamte riß ihm das Päckchen aus den Händen und öffnete es. Ein wildes Lachen kam über seine Lippen. »Belegte Brote, aha! Damit wollten Sie den Kerl wohl füttern, wie? Er muß hungrig weiterfliehen, der verdammte Mörder. Er hat in Ihrer Kabine übernachtet?« »Als ich aus dem Spielsaloon kam, war er da. Er hat bei mir geschlafen.« Der Beamte lachte wieder grimmig. »Und wo ist das Geld, he? Ich will wissen, wo das Geld ist, hören Sie.« »Ich habe nichts gesehen«, erwiderte der Spieler ruhig. »Das können Sie einem Dümmeren erzählen, Mister. Sie wissen genau, wo die Beute ist, und Sie haben genau gewußt, daß der Kerl in Ihrer Kabine war. Er hat Sie nicht überrascht. Wahrscheinlich haben Sie sich sogar auf diesem Schiff mit ihm verabredet. Womöglich sollte Sheldon schon in Ponca an Bord gehen, und nur weil ich ihn aufgescheucht und gejagt habe, war er gezwungen, die ›River Queen‹ in der Nacht anzuschwimmen.« »Sie haben eine lebhafte Phantasie, Marshal.« »Dreckskerl!« schrie der Beamte und schlug blitzschnell zu. Seine Linke traf den Spieler im Gesicht. Ein heißes Brennen blieb auf der rechten Wange des Mannes zurück. Die Augen Flannagans waren für einen Moment wie geschliffener Granit. Seine Lippen preßten sich zu seinem Strich zusammen. Dann schlug er mit beiden Fäusten zurück.
Der Marshal taumelte gegen die Reling. Seine Unterlippe platzte auf. Keuchend tupfte er sich Blut von den Mundwinkeln. »Das wagst du nicht noch einmal«, sagte der Beamte haßerfüllt. »Du bist ein Komplice dieses Halunken. Du gehörst zu seiner Bande. Warum sonst hast du ihn bei dir übernachten lassen? Warum sonst hast du ihm Proviant besorgt? Warum sonst hast du ihm bei der Flucht geholfen? Wie heißt du?« »Buck Flannagan.« Der Spieler atmete schwer. »Wenn Sie mich das nächstemal schlagen, Marshal, werde ich Sie erschießen.« Seine Stimme klirrte vor Kälte. »Das werden wir schon sehen. Du bist verhaftet, Flannagan. Gib deine Waffe ab.« »Weswegen verhaften Sie mich, Marshal?« »Im Augenblick wegen Beihilfe zur Flucht eines Mörders, später wirst du vielleicht noch wegen Mittäterschaft an dem Bankraub in Bloomfield angeklagt.« »Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich war noch nie in Bloomfield.« »Das spielt keine Rolle. Du kannst auch zur Bande Sheldons gehören, ohne bei den Überfällen dabeizusein. – Deine Waffe!« »Meinen Revolver, Marshal, müssen Sie sich schon holen. Ich gebe ihn nicht freiwillig.« Buck Flannagan schlug den rechten Rockschoß zurück. Seine Hand schwebte wie eine gespreizte Kralle über dem Elfenbeinkolben. Der Spieler warf den beiden Decksleuten warnende Blicke zu. Sie wichen zurück. »Ich halte meinen Revolver in der Hand, Flannagan. Du kannst noch so schnell sein, ich brauche nur abzudrücken.« »Kaum. Der Revolver ist leer, Marshal. Sie haben alle sechs Patronen nach Sheldon abgefeuert.« Flannagan bluffte. Er hatte nicht gezählt, wie oft der Beamte geschossen hatte. Aber Uvalde wurde unsicher. Er senkte den
Colt. Einen Atemhauch später hielt Flannagan seinen vernickelten Peacemaker in der Faust. Raid Uvalde atmete scharf aus. Er hatte begriffen, daß der andere ihn überrumpelt hatte. Dann nickte er grimmig. »Gut, Flannagan. Du kannst in deiner Kabine bleiben, bis wir Dakota City erreicht haben. Den Revolver kannst du im Augenblick behalten. Aber in Dakota City gehst du ins Jail, und wenn eine Armee von Marshals dich zusammenschießen müßte.« Buck Flannagan wandte sich wortlos ab und ging zu seiner Kabine. »Und vor das Fenster lasse ich ebenfalls eine Wache stellen!« rief der Beamte hinter ihm her. Buck Flannagan schloß seine Kabinentür und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Nachdenklich starrte er einen Moment zu Boden. Als er den Wachtposten vor dem Fenster aufziehen sah, sprang er auf und schloß das Fenster. Die Gedanken in seinem Kopf flogen, und seine Nerven vibrierten. Äußerlich wirkte er ganz ruhig, wie am Spieltisch. Doch das war eine Maske. Denn er wußte genau, was auf ihn zukam: In Dakota City würde man ihn einsperren. Er würde wochenlang im Jail sitzen, dann würde man ihn wahrscheinlich nach Bloomfield bringen, oder dahin, wo gegen die Bande Kirk Sheldons der Prozeß stattfinden würde. Man würde ihm kein Wort glauben und ihn für einige Jahre in ein Arbeitslager stecken. Alles paßte viel zu gut ins Bild: Er nahm einen Banditen auf, lieferte ihn nicht dem Gesetz aus, obwohl er wußte, daß ein US Marshal fieberhaft nach dem Mann suchte. Er verband die Wunde des Burschen und kaufte ihm schließlich sogar Proviant für die weitere Flucht; denn die belegten Brote hatte Flannagan wirklich für den ausgehungerten Kirk Sheldon besorgt. Außerdem war er ein weitbekannter Spieler und Revolvermann. Er verkaufte sich und seinen schnellen Colt zwar nie für
Geld, aber er hatte viele Männer getötet: Falschspieler, die in rauchigen Spielhöllen versucht hatten, das Glück zu beeinflussen, und Revolverschwinger, die den Nervenkitzel gesucht hatten, den Colt schneller zu ziehen, als der bekannte Flannagan. – Buck Flannagan atmete schwer. Sein Name war bekannt, aber sein Ruf war schlecht. Ein Mann, der schnell und sicher schoß, und der auch tötete, war nirgends gern gesehen, auch wenn er stets in Notwehr handelte. Es würde jedem Richter leichtfallen, ihn zum Banditen abzustempeln. Flannagan setzte sich auf die Kante des Bettes. Und während er noch überlegte, fiel sein Blick plötzlich auf die helle Ledertasche. Sie gehörte ihm nicht. Sie stand zwischen Nachttisch und Kommode, und er erinnerte sich, sie bei Sheldon gesehen zu haben. Er bückte sich, zog sie heran und öffnete sie. Wieder durchzuckte ihn ein Schreck. Sein Blick fiel auf einen Haufen Geldscheine und Dollarmünzen. Die Scheine waren feucht. Flannagan griff in die Tasche. Er schüttelte ungläubig den Kopf und wühlte in dem Geld. In der Tasche lagen gewiß zwanzigtausend Dollar, wenn nicht gar mehr. Für einen Moment saß Flannagan wie erschlagen da. Dann verschloß er die Tasche mit fliegenden Fingern und stützte den Kopf in beide Hände. Aus! dachte er. Alles aus. Wenn der Marshal die Tasche findet, bin ich erledigt. Er wird sagen, daß mir Sheldon das Geld zum Verstecken hiergelassen hat und geflohen ist, um von der Beute abzulenken. Er wird sagen, daß ich – wenn vielleicht nicht der Komplice – so zumindest ein Freund der Banditen bin; denn er haßt mich, weil ich ihn bei seiner Verfolgung auf Sheldon aufgehalten habe. Er darf es nicht finden, dachte Buck Flannagan. Niemand darf die Beute finden. Ich muß weg, und das Geld auch. Sonst kann ich mir selbst eine Kugel in den Kopf schießen.
Er erhob sich und bewegte sich unruhig in der Kabine auf und ab. Und nach und nach wurde er ruhiger. Draußen tagte es. Die Nebel verschwanden. Die Sonne ging auf. Golden lag der Glanz des Herbstes über dem Land und dem gewaltigen Fluß. Ohne Halt glitt die »River Queen« weiter den Missouri abwärts. In wenigen Stunden würde sie Dakota City erreichen und dort anlegen. *** Es war gegen Mittag, als das Schiff Dakota, City erreichte und dem breiten Anleger des Hafens zusteuerte. Menschenmassen am Ufer beobachteten winkend und aufgeregt schwatzend den großen Raddampfer. Auf dem Vorderdeck drängten sich die Passagiere, die von Bord wollten. Buck Flannagan hörte in seiner Kabine, wie das Schaufelrad plötzlich stillstand und die Maschine zu arbeiten aufhörte. Er horte die Befehlsrufe der Männer, die die Anlegetaue an Land warfen, und er hörte die Geräusche, die beim Ausschwingen der Gangway entstehen. Flannagan erhob sich und ging zum Fenster. Er öffnete es. Sofort näherte sich die Wache: ein Decksmann des Schiffes, ein großer, muskulöser Bursche. Er richtete seine Winchester auf Flannagan. »Bleib nur drinnen, Mister«, sagte er. »Hier kommt keiner raus.« »Ich will gar nicht raus.« Flannagan lächelte freundlich. »Nein?« Der andere zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Nein.« Flannagan grinste noch breiter. »Ich will dir etwas zeigen, Mann, was sehr wichtig ist. Den Marshal interessiert es sicher auch. Und wenn du es als erster weißt und es ihm sagst, bekommst du vielleicht sogar eine Belohnung.« »Belohnung?« Der andere musterte den Spieler noch immer mißtrauisch.
»Yeah. Ich habe nämlich die Beute in meiner Kabine gefunden. Der geflohene Bandit muß sie vergessen haben.« »Wirklich?« Der andere schien nicht überzeugt. »Sicher. Eine Ledertasche voller Geld.« Der Mann zögerte. Dann überwog die Neugier. Er kam näher und warf einen Blick durch das Fenster ins Innere der Kajüte. Im selben Moment packte Buck Flannagan blitzschnell zu, krallte beide Fäuste wie Riesenklammern in den Hemdkragen des Mannes und zerrte ihn über die Fensterbank halb in die Kabine. Der Mann gurgelte erschrocken und ließ das Gewehr fallen. Und dann ging alles so rasend schnell, daß es vorbei war, ehe er es ganz begriffen hatte: Der Spieler ließ ihn los, riß seinen Revolver heraus und schlug dem Burschen den Lauf über den Schädel, ehe er schreien oder sich wehren konnte. Mit heiserem Stöhnen sackte er außerhalb der Kabine zu Boden und blieb besinnungslos liegen. Buck Flannagan nahm seine Reisetasche und schritt auf der anderen Seite des Erster-KlasseDecks davon, während vor seiner Kabinentür noch immer nichts ahnend ein zweiter Wachtposten stand. Buck Flannagan erreichte das unterste Deck über mehrere Treppen, ohne daß ihn jemand sah. Noch immer herrschte am Vorderdeck und an der Gangway, die an Land führte, heftiges Gedränge. Niemand achtete auf den elegant gekleideten schlanken Mann, der mit federnden Schritten auf die andere Seite des Schiffes ging und sich an der Reling entlangbewegte. Auf dem Missouri, nicht weit von der »River Queen«, schwammen einige kleine Fischerboote. Flannagan blickte sich suchend um. Er sah in einer Ecke, nicht weit von der Reling, eine Strickleiter liegen, befestigte sie rasch und warf sie über Bord. Dann winkte er einem der Fischer: »Ho, Mister! Können Sie mich an Land bringen?« Der zerschlissen gekleidete Mann ruderte näher an die »River Queen« heran. Mißtrauisch musterte er den Spieler.
»Warum steigen Sie nicht vorn aus?« »Ich habe Ärger mit dem Kapitän.« Flannagan griff in die Tasche und zog zwei blinkende Double-Eagle-Stücke heraus. »Vierzig Dollar, Mister. Das ist der Preis, den ich zahle. So leicht verdienen Sie nie wieder soviel Geld.« Der Fischer schien zu überlegen. Dann nickte er. Flannagan schwang sich über die Reling und kletterte die Strickleiter hinunter. Er warf sein Gepäck in das Boot und sprang selbst hinein. »Und jetzt nichts wie weg, Mister«, sagte er. »Am besten, Sie fahren ein Stück weiter flußabwärts und setzen mich dann an Land. »Und das Geld?« Flannagan warf dem Mann die Geldstücke zu. Der Fischer legte sich in die Riemen und ruderte kräftig und zügig. Das Boot glitt rasch an dem Raddampfer vorbei. Etwa hundert Yard unterhalb der Landestelle, zwischen dichtem Schilf und Gesträuch, ging Buck Flannagan an Land. Mit großen Schritten eilte er auf die Stadt zu. *** Buck Flannagan hastete zum Hafen. Von hier aus führte eine gepflasterte Gasse hinauf in die auf einem Hügel über dem Fluß liegende Stadt. Dakota City bestand nur aus wenigen Straßen. Die meisten Häuser waren aus Holz gebaut. Flannagan verharrte kurz und blickte sich um. Da sah er plötzlich den Marshal keine vierzig Yard vor sich stehen. Er schien auf etwas zu warten. Flannagan drehte sich um. Raid Uvalde entdeckte ihn im selben Moment. »He! Bleiben Sie stehen!« Die harte Stimme hallte dem Spieler nach. Er blickte nicht zurück, er stürmte einfach los. Das war seine einzige Chance. Mit weiten Sätzen rannte er auf einen Hofeingang zu.
»Halt!« überschlug sich die Stimme hinter ihm. Der US Marshal begann zu laufen. Ein Schuß krachte. Die Detonation brach sich an den Wänden der Gebäude. Eine Kugel bohrte sich in eine Hauswand. Einige Menschen auf den Stepwalks blieben stehen, starrten neugierig auf die beiden Männer oder zogen sich hastig in Deckungen zurück. Von der »River Queen« her schrillte die Dampfpfeife. Der Kapitän hatte den Spieler laufen gesehen. Einige Decksleute drängten sich auf seinen Befehl durch die Menge der Passagiere und rannten dem Marshal nach, um ihm zu helfen. Buck Flannagan hetzte durch einen schmalen Hofeingang, erreichte einen schmutzigen Hinterhof und durchquerte ihn. Sein Atem ging heftig. Er stürmte auf einen halbhohen Holzzaun zu, stützte sich mit der Linken auf und schwang sich hinüber. Die Bretter waren morsch und gaben nach. Krachend und splitternd brach der Zaun in sich zusammen. Buck Flannagan stürzte zwischen einen Kistenstapel und fühlte für einen Moment brennenden Schmerz in seinem linken Handgelenk. Fluchend richtete er sich zwischen den geborstenen Trümmern des Zauns auf. Ein Fenster des Hauses, zu dem der Hof gehörte, schwang auf. Ein unrasierter Mann erschien und begann kreischend zu zetern. Buck Flannagan packte seine beiden Taschen fester und rannte weiter. Raid Uvalde tauchte jetzt auf dem Hof auf. Er sah den Spieler laufen und feuerte. Glühendheiß umstrichen die Kugeln Flannagan. Eine zupfte den Spieler am Jackett. Dann erreichte er eine schmale Seitengasse und war den Blicken des Marshals entzogen. Der Beamte durchquerte seinerseits den Hof, setzte mit mächtigem Sprung über die Zauntrümmer hinweg und folgte dem Spieler mit rotgeschwitztem Gesicht. Nicht weit hinter ihm eilten die Decksleute der »River Queen«. »Schwärmt aus!« schrie Uvalde, während er lief. »Wir
müssen einen Kreis um die Stadt legen. Er darf nicht entkommen. Ich habe die Tasche bei ihm erkannt, in der Sheldon die Beute hatte.« Dann verschwand er in der Seitengasse, in die Flannagan geflohen war. *** Der Spieler verhielt im Schatten eines alten Hauses. Er rang nach Atem, in seinen Schläfen hämmerte das Blut, als wenn es seinen Schädel zersprengen wollte. Salzig schmeckte Flannagan Schweißtropfen auf seinen Lippen. Er wandte sich um. Von seinen Verfolgern war nichts zu sehen. Er schien sie abgehängt zu haben. Keuchend stieß er sich von der Hauswand ab und bewegte sich mit unsicheren Schritten weiter. Die Luft vor seinen Augen flirrte. Je höher die Sonne stieg, um so heißer wurde es. Und bald war es Mittag, dann würde der Himmel brennen und die Sonne am Zenit stehen wie eine weißglühende Metallkugel. Wieder blieb Flannagan stehen. Er tastete zum Colt in der Halfter, blickte sich wieder um und sah plötzlich das Schild eines Mietstalles. Er überlegte nicht lange und folgte dem Hinweis. Sekunden später erreichte er den Stall. Das Tor stand offen. Er trat ein. Im Raum herrschte Zwielicht. Ein schwerer, muffiger Geruch schlug ihm wie eine wabernde heiße Masse entgegen. Er blinzelte verstört, bewegte sich einige Schritte durch den Stall zu den Boxen der Pferde hin. Unter seinen Stiefeln knisterte Stroh. Es war kein Mensch zu sehen. Buck Flannagan lauschte einen Moment in die brütende Stille. Doch er war allein, und es war gut, daß er allein war. Er durfte keine Zeit verlieren, nicht eine Minute, keine Sekunde. Er ließ die Taschen fallen und eilte zur ersten Box. Ein brauner Wallach stand darin. Er wirkte ausgeruht und kräftig.
Buck Flannagan sah Satteldecke und Sattel auf der Boxwand liegen. Mit fliegenden Händen legte er dem Tier beides auf, zurrte den Sattelgurt fest und zog dem Pferd das Zaumzeug über den Kopf. Er klopfte dem nervös werdenden Tier beruhigend auf den Hals und führte es aus der Box. In diesem Moment tauchte ein Schatten vor ihm auf. Buck Flannagan blieb wie angewurzelt stehen. Der Mann war leise herangekommen. Flannagan hatte ihn nicht bemerkt, während er das Tier gesattelt hatte. Der Mann war groß und breitschultrig, er wirkte schwer und wuchtig wie ein Büffel. Sein Gesicht war kantig und grobschlächtig. In der Rechten hielt er eine abgesägte Schrotflinte. Flannagan atmete pfeifend aus. Er wich dem Blick des anderen nicht aus, doch er dachte gleichzeitig fieberhaft daran, wie er den Mann aus dem Weg schaffen konnte. Er mußte weg, und das schnell. »Ein Pferdedieb«, sagte der andere plötzlich. Er hatte eine unangenehme, kratzende Stimme. Um seine Mundwinkel kroch ein triumphierendes Grinsen. »Ich habe dich erwischt, du Pferdedieb. Pferdediebe werden gehenkt.« »Wer sagt, daß ich das Tier stehlen will?« Der Spieler bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Ich bin hereingekommen, und es war niemand hier. Ich bezahle das Pferd; ich zahle sogar hundert Dollar. Das ist ein Preis für zwei erstklassige Pferde, verstehst du?« Der andere schien die Worte gar nicht zu hören. »Heb die Hände hoch, du Pferdedieb!« sagte er. »Du kommst hier einfach rein und willst eines meiner besten Tiere stehlen, am hellen Tag.« »Hören Sie doch zu, Mann!« Buck Flannagan machte einen Schritt auf den anderen zu. Sofort wanderten die Mündungen der Schrotflinte ein Stück höher und zeigten direkt auf die Brust des Spielers. »Ich kaufe das Pferd. Ich zahle den
doppelten Preis.« »Ich verkaufe keine Pferde an Fremde.« Der grobschlächtige Mann grinste wieder. »Außerdem war ein US Marshal hier und hat mir gesagt, daß er mich ins Jail steckt, wenn ich an einen Fremden ein Pferd verkaufe. Wenn ich den Fremden dagegen fangen würde, hat der Mann gesagt, bekäme ich eine Belohnung. Tausend Dollar. Und eine Beschreibung hat der Marshal mir gegeben. Sie paßt auf dich, Pferdedieb. Für mich bist du ein verdammter Pferdedieb, weil du mit einem meiner Tiere verschwinden wolltest, ohne zu bezahlen.« Flannagan schluckte einen heftigen Fluch hinunter. »Tausend Dollar Belohnung, sagst du?« fragte er. Seine Blicke glitten über den Mann hinweg zum Tor. Jeden Moment konnte einer seiner Verfolger auftauchen. Dann war er verloren. Er starrte den Mann eindringlich an. »Ich zahle zweitausend Dollar!« schrie er zornig. »Zweitausend Dollar für den Gaul. Nimm die Flinte weg, Mann!« »Ich bin nicht bestechlich.« Der Mietstallbesitzer grinste noch immer kalt und böse. »Ich bin ein gesetzestreuer Bürger.« Buck Flannagan ließ resigniert die Schultern sinken und wandte sich halb ab. Er bückte sich zum Sattelgurt, und es sah so aus, als würde er sich geschlagen geben und das Pferd wieder absatteln, um es zurückzuführen. Der Stallmann beobachtete den Spieler einen Moment, dann ließ er befriedigt die Flinte sinken. »Sehr vernünftig, Mister«, sagte er dumpf. »Ich werde den Marshal rufen und dich abliefern.« Buck Flannagan antwortete nicht. Er schnellte unvermittelt wie eine Sprungfeder auseinander und warf sich auf den grobschlächtigen Mann. In seiner geschmeidigen, sehnigen Gestalt steckte geballte Kraft. Und er war schnell, viel schneller als der andere. Der Stallmann bekam seine Flinte nicht mehr hoch. Und er konnte
gar nicht mehr reagieren. Er gurgelte nur heiser, das war alles. Seine Augen weiteten sich. Buck Flannagan riß seinen linken Fuß hoch. Die Stiefelspitze traf gegen den rechten Unterarm des Stallmanns. Der riß den Mund auf und wollte schreien. Ein schmetternder Schlag gegen den Hals ließ ihn verstummen. Der Schmerz, der seine Handgelenke durchzuckte, war so groß, daß er das Gewehr fallen ließ. Dann stürzte er schon selbst, von knallharten Hieben getroffen. Er wälzte sich über den Boden. Der Spieler setzte nach, bückte sich, riß den benommenen Mann hoch, schlug ihm die Rechte abermals ins Gesicht, trieb ihn mit mächtigen Fausthieben gegen eine Boxwand, zog seinen Revolver und schlug mit dem Lauf zu. Der Stallmann brach stöhnend zusammen. Buck Flannagan wirbelte herum, hob seine Taschen auf, hängte sie ans Sattelhorn und schwang sich auf den Wallach. Er drückte dem Tier die Absätze in die Weichen und sprengte auch schon, geduckt im Sattel liegend, aus dem Mietstall. In voller Karriere jagte er aus der Seitenstraße, in der der Stall lag, heraus und lenkte das Tier im donnernden Galopp durch die Main Street zum Ortsausgang. Er blickte weder rechts noch links. Er dachte an nichts, als an seine Flucht. Er wollte fort, nichts weiter. Raid Uvalde tauchte aus einem Hofeingang auf. Er stieß einen Fluch aus und hob seinen Colt. Der Spieler hörte den Schrei des Beamten, wandte sich halb im Sattel um, zog seinen vernickelten Revolver und feuerte, ehe der Marshal zum Schuß kam. Belfernd brüllte die Waffe auf. Zwei Geschosse zwangen den Beamten in Deckung. »Haltet ihn fest!« schrie der Marshal. Dann schoß er.
Seine Kugeln trafen nicht. Sie strichen heiß an Flannagan vorbei, der sich flach auf den Pferdehals geworfen hatte und sein Tier zu größtem Tempo antrieb. Vor ihm tauchten jetzt zwei Leute von der »River Queen« auf, die mit dem US Marshal die Stadt durchsuchten. Buck Flannagan jagte das widerstrebende Pferd weiter geradeaus. Die Männer liefen ihm in den Weg. Sie wollten ihn aufhalten. Einer hob sein Gewehr. Der Spieler feuerte augenblicklich. Der Mann wurde herumgerissen. Er ließ seine Waffe fallen und stürzte schreiend in den Staub. Auf seiner rechten Schulter erschien ein dunkler Fleck, der sich rasch vergrößerte. Der andere zögerte. Er schrie. Dann war es für ihn schon zu spät. Die breite, muskulöse Brust des Wallachs rammte ihn, ehe er ausweichen konnte. Es steckte gewaltige Kraft hinter diesem Stoß. Der Mann verlor seine Waffe und wurde kraftlos wie ein leerer Sack durch die Luft geschleudert. Er fiel betäubt zu Boden. Dann trafen ihn schon die trommelnden Hufe des grell wiehernden Pferdes. Die Augen des Tieres quollen schier aus den Höhlen. Es wollte zur Seite ausbrechen. Mit eiserner Faust zwang Buck Flannagan dem Tier seinen Willen auf. Der Verfolger lag jetzt bewußtlos am Boden. Der Spieler aber war längst vorbei und schaute nicht zurück. Er sprengte in einer Staubwolke weiter. Sein Weg war jetzt frei. Er hatte es geschafft. Die Flüche hinter ihm verhallten. Das Echo der Schüsse, die ihn nicht trafen, rollte über die Ebene. Er ritt an den Häusern am Ortsrand von Dakota City vorbei, ließ die Stadt hinter sich und galoppierte nach Westen, in die weite, endlose Ebene hinein. Mit einem bitteren Fluch auf den Lippen starrte der US Marshal Raid Uvalde ihm nach. Er wandte seinen Blick nicht, so lange, bis seine Augen brannten und zu tränen begannen. Als er den Reiter nicht mehr sehen konnte, wandte er sich abrupt ab, schob mit hölzerner Bewegung den Colt in die
Halfter und bewegte sich mit schweren Schritten die Straße hinunter. Und die Sonne des Mittags brannte auf ihm wie ein Glutstrahl der Hölle. *** Es war eine Woche später, als sich ein Reiter Bloomfield näherte. Es war Abend, als er kam. Die Schatten waren lang. Kühl strich der Wind von Norden über die Prärie. Die Sonne stand am Himmel wie ein gewaltiger Rubin. Flammend überzog ihr Schein das Land und verlieh dem Gesicht des Mannes die Farbe gebrannten Tons. Es war die Zeit, da der Schmied der Stadt das Tor seiner Werkstatt schloß. Das Klingen seines Hammers auf dem Amboß verstummte. Der Blasebalg stand still, die Flammen in der Esse sanken in sich zusammen. Am Brunnen des Ortes standen noch einige Frauen mit Wäschezubern. Sie wrangen die letzten Wäschestücke aus, standen noch einige Minuten beisammen und redeten, ehe sie zu ihren Häusern gingen. Die Sonne sank schnell. Die Dämmerung verdichtete sich. Es kam die Nacht. Jetzt ritt der Fremde in Bloomfield ein. Er hatte so lange in einem dichten Gehölz nicht weit von der Stadt gewartet. Langsam lenkte er sein Tier durch die leere Main Street. Ein Hund jaulte aus einem Hinterhof und bellte dann wütend, als er die leisen Hufgeräusche des Pferdes hörte. Der Fremde zügelte sein Tier am Saloon. Er stieg steifbeinig aus dem Sattel. Schweigend stand er einen Moment da und lauschte den blechernen Klängen eines Orchestrions, die aus dem Schankraum nach draußen hallten. Er hörte die Stimmen von Männern und das Klirren von Gläsern und Flaschen. Jemand lachte rauh. Der Fremde schlang die Zügel seines Pferdes locker um den
Querholm vor dem Vorbau des Saloons. Es standen noch mehr Tiere hier. Der Mann bewegte sich an ihnen vorbei und musterte sie prüfend. Als er zu einem dunklen Hengst trat, geriet er für einen Moment in den trüben Lichtschein einer Vorbaulaterne. Geblendet wandte er den Kopf. Der Mann war Kirk Sheldon. Er wirkte hager, knochig, abgemagert und böse wie ein Steppenwolf. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gefressen. Die Strapazen der vergangenen Wochen hatten ihn gezeichnet. Er trug neue Kleidung. Er hatte sie auf einer Farm gestohlen, ebenso auch das Pferd. Seine Wunde machte ihm kaum noch Schwierigkeiten. Nachdem er nach dem Sprung von der »River Queen« den Missouri noch einmal durchschwommen hatte, war er an einen Pelzjäger geraten, der nicht viel gefragt hatte. Er hatte ihn mit Proviant versorgt und ihm eine grüne, abscheulich stinkende und höllisch brennende Salbe auf den linken Oberarm gestrichen. Alle zwei Stunden war diese Prozedur wiederholt worden. Jedesmal hatte Kirk Sheldon gedacht, vor Schmerzen verrückt werden zu müssen. Er hatte es dem Pelzjäger gesagt. Aber dieser hatte nur mit den Schultern gezuckt und nicht geantwortet. Am anderen Tag aber waren die Schmerzen weg gewesen. Die Wunde war verschorft, die leichte Entzündung, die sich ins Fleisch gefressen hatte, war verschwunden gewesen. Kirk Sheldon hatte sich vom Lager des Jägers aus zu Fuß durchgeschlagen, bis er am Rande der Missouri-Wälder zu der Farm gestoßen war, auf der er das Pferd gestohlen hatte. Und in jeder Sekunde seiner Flucht hatte er an nichts anderes gedacht als an die Beute, die er in der Hast in der Kabine des Spielers liegengelassen hatte. Einundzwanzigtausend Dollar waren es. Kirk Sheldon hatte das Geld einigemal gezählt. Und er wollte es wiederhaben, nichts anderes war sein Ziel. Sheldon blickte sich noch einmal um. Der Wind von Norden
schien noch kühler zu werden. Der Bandit fröstelte leicht. Die Main Street von Bloomfield war noch immer leer. Nur aus den Fenstern des Saloons drang noch Licht. Sonst war es überall dunkel. Kirk Sheldon setzte sich in Bewegung. Unter seinen Stiefeln knirschte leise der grobkörnige Sand der Straße. Der Bandit schritt langsam an den dunklen Häusern vorbei. Das blasse Mondlicht spiegelte sich im Glas der Fensterscheiben. Sheldon erreichte das Office des US Marshals. Es gab keinen Town Marshal in Bloomfield, der US Marshal Raid Uvalde hatte statt dessen mehrere Deputies, die sich um die Stadt kümmerten. An das Office war das Jail angebaut. Kirk Sheldon verhielt wieder im Schritt. Alles war still in dem finsteren Gebäude. Der Bandit umrundete es schließlich geräuschlos und brauchte nicht lange zu suchen, bis er die vergitterten Fenster des Zellenanbaus fand. Er lauschte an der Wand, bis er schließlich die schweren Atemzüge von schlafenden Männern hörte. Einer schnarchte ab und zu leise. Kirk Sheldon kannte das Geräusch. Es kam von Hank Carter, seinem Kumpan. Er grinste jetzt schmal. Dann bückte er sich, hob ein Lehmklümpchen auf und warf es durch das Fenster in die dunkle Zelle. Er hörte es fallen und wartete ab. Das Schnarchen setzte aus. Sheldon atmete schwer. »Hank! Vance!« Er flüsterte es und sagte nichts mehr. Plötzlich erschien ein Gesicht hinter den Gittern und blickte nach draußen. Es war hohlwangig und scharf geschnitten. Es gehörte Vance Custer. »Ich bin hier, Kirk.« Sheldon reichte die Hand zum Fenster hoch und drückte dem Kumpan die Rechte. »Das wurde verdammt Zeit!« sagte der andere. »Was war denn los, Mann? Wo bist du so lange geblieben, he?« »Fällt dir nichts Besseres ein, als zu meckern?« sagte Sheldon ärgerlich. »Ich konnte nicht eher kommen, zum Teufel. Ich habe immer noch ein Loch im Arm.« Er schluckte
den Zorn hinunter. »Wie viele Männer bewachen euch?« »Einer. Er liegt im Office und schläft.« »Ihr werdet ihn in den Zellentrakt locken. Währenddessen kann ich ins Office gehen und ihn überrumpeln.« »All right, Kirk.« Der andere nickte. Er befeuchtete mit der Zungenspitze die rissigen Lippen. »Verdammt gut, daß du da bist. Sorry, daß ich eben so geredet habe. Aber wenn man hier im Jail sitzt und auf den Galgen wartet...« Sheldon nickte nur. Er wartete, bis er plötzlich stöhnende Geräusche aus der Zelle hörte. Dann lief er wieder zur Vorderseite des Gebäudes. *** Der Deputy Marshal Ian Fury schreckte aus dem Schlaf, als er das durchdringende Wimmern aus den Zellen hörte. Er lag zurückgelehnt auf dem Schreibtischstuhl im Office und hatte die Beine lang ausgestreckt. Verschlafen und mit steifen Gliedern richtete er sich auf. Die Müdigkeit in ihm lähmte seine Reaktionen. Er tastete fluchend nach der Petroleumlampe und entzündete sie. Das Licht blendete ihn. Es dauerte einige lange Sekunden, bis seine Augen sich daran gewöhnt hatten. Mit bleiernen Bewegungen schritt er dann zum Zellentrakt. Er öffnete die schwere Bohlentür und schlurfte an den Gittern entlang. Vor der Gemeinschaftszelle blieb er stehen. Vance Custer lag am Boden und wand sich stöhnend hin und her. Hank Carter stand hilflos daneben. Als er den Beamten sah, rannte er zum Gitter und schrie ihn an: »Tun Sie was, Mann! Er stirbt. Sehen Sie nicht, daß er krank ist und stirbt?« Der Beamte stutzte. Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Wieso ist er krank? Was hat er denn? Er war doch noch beim Abendessen ganz gesund, und...« »Aber er ist nicht mehr gesund«, sagte Carter. »Es fing ganz
plötzlich an. Er hatte auf einmal Schmerzen, und die wurden immer schlimmer. Vielleicht haben die Hunde im Speisehaus uns Gift ins Essen getan, weil alle in der Stadt wollen, daß wir sterben. Vielleicht bin ich auch vergiftet und spüre es nur noch nicht.« Er krümmte sich plötzlich zusammen. Sein Gesicht verzerrte sich. Wortlos taumelte er und stürzte zu Boden. Er röchelte heiser. Der Deputy stellte erschrocken die Lampe auf den Boden und stürmte entsetzt aus dem Zellentrakt. »Ein Doc«, murmelte er aufgeregt vor sich hin. Und er war noch immer viel zu verschlafen, als daß er das Spiel hätte durchschauen können. »Ich muß sofort einen Doc holen, und... Mein Gott, was können die Kerle bloß haben? Wenn nur nicht tatsächlich Gift im Essen war. Dann – dann – Herrgott...« Er stülpte sich den Hut auf und wollte zur Tür. Da entdeckte er die dunkle Gestalt neben einem Regal. Und das Blut in seinen Adern schien zu Eis zu gefrieren. Der Mann im Schatten grinste jetzt breit und höhnisch. Sein kräftiges Gebiß wirkte wie ein aufgefächertes Kartenblatt im Dunkeln. Und alles schien so unwirklich für Ian Fury, wie ein böser Traum. Der Deputy konnte sich für einen Moment nicht rühren. Er konnte nicht denken, sein Kopf war leer und vom Hämmern des Blutes erfüllt. Er fühlte nur, wie sich seine Haut über dem Rücken zusammenzog. Die plötzliche Stille lastete wie ein Tonnengewicht auf ihm. Da näherte sich der Fremde schon. Kirk Sheldon ging langsam auf den jungen Marshal zu. Und seine Augen glitzerten so kalt wie Eiskristalle. Jetzt bewegte sich der Deputy. Er griff zum Revolver. Und er war langsam, so jämmerlich langsam. Da schlug Sheldon schon zu. Die rechte Faust Sheldons mit dem schweren Colt bewegte sich blitzschnell. Der Deputy Ian Fury bekam den gewaltigen Hieb gegen den Schädel und sackte kraftlos in sich zusammen.
Für einige Sekunden lag er betäubt am Boden, dann bäumte er sich noch einmal auf. Der Bandit schlug kaltblütig zum zweitenmal zu. Diesmal verlor der Deputy das Bewußtsein. Kirk Sheldon nahm die Zellenschlüssel von einem Wandhaken und bewegte sich an dem jungen Mann vorbei in den Jailtrakt. »Ihr könnt aufhören zu stöhnen. Es ist vorbei.« Sheldon grinste dünn. Er probierte die Schlüssel, bis einer endlich paßte und die Gittertür aufschwang. »Kommt raus. Ihr habt dem Blechstern einen ganz schönen. Schreck eingejagt. Er wollte tatsächlich den Doc aus dem Bett werfen und sogar den Koch vom Speisehaus, weil er dachte, der hätte euch vergiften wollen.« »Den Floh hatte ich ihm ins Ohr gesetzt. Die Leute in diesem Nest hassen uns und würden uns gern umbringen, und das alles wegen dem Bankclerk, den du erschossen hast, Kirk. Deshalb hat der Grünschnabel die Erklärung sofort geschluckt.« Carter ging mit großen Schritten vor den anderen her ins Office. Er durchsuchte Schränke und Kommoden, bis er die Waffengurte fand. Er warf Custer seinen zu und schnallte sich den eigenen um. »In drei Tagen hätte der Prozeß stattgefunden«, sagte Custer. »Der Tischler zimmert aber jetzt schon am Galgen, weil das Urteil bereits seit drei Wochen feststeht: Tod durch Erhängen. So geht das hier. Der Prozeß wäre nur eine Farce gewesen.« »Der Galgen wurde umsonst gebaut. Kommt jetzt.« Sheldon öffnete die Tür und blickte hinaus, ehe er den beiden anderen winkte. Dann verließen sie das Office und schritten eilig, aber ohne auffällige Hast die Straße hinunter zum Saloon. Hier standen noch immer zahlreiche Pferde nebeneinander. Vance Custer und Hank Carter bestiegen nach kurzem Suchen zwei fremde Pferde. Kirk Sheldon schwang sich auf das Tier, mit dem er gekommen war. Sie nahmen die Pferde herum und
ritten schweigend im langsamen Trab aus der Stadt. Niemand bemerkte sie, niemandem fiel etwas auf. Als sie die Ortsgrenze von Bloomfield hinter sich gelassen hatten, wandte Carter den Kopf. »Es ist ein gutes Gefühl, wieder in Freiheit zu sein. – Man merkt gar nicht, daß du verwundet bist, Kirk.« »Ein Pelzjäger am Missouri hat mich mit einer Salbe behandelt, die sicher aus Pferdemist und Spiritus hergestellt war. Aber sie hat geholfen.« Die Männer verstummten wieder und ritten wortlos nebeneinander her. Nach einer Weile begann einer wieder zu sprechen: »Well.« Vance Custer befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. Er blickte starr nach vorn. »Wir reiten jetzt, um das Geld zu holen, nicht wahr, Kirk? Wir holen jetzt das Geld und verschwinden aus dieser Gegend?« »Yeah.« Kirk Sheldon wurde ernst. »So ist es. Wir holen das Geld.« »Wieviel ist es?« fragte Carter aufgeregt. »Wieviel, Kirk?« »Einundzwanzigtausend Dollar und ein paar Cent mehr. Das macht siebentausend für jeden von uns«, murmelte Sheldon. »Siebentausend! Verdammt, siebentausend Dollar. Und wo liegt das Geld, Kirk?« Custers Augen glänzten plötzlich seltsam. Er schien die Wochen im Gefängnis und das zermürbende Warten auf den Galgen bereits vergessen zu haben. »Ich weiß es nicht.« Sheldon zuckte mit den Schultern. »Das werden wir erst noch herausfinden müssen.« »Was soll das heißen, Kirk?« Die Stimme Carters wurde mit einemmal scharf und heftig. »Was willst du damit sagen? Du bist als einziger davongekommen, als wir die Bank in diesem Nest ausgeräumt haben. Du hast das Geld mitgenommen. Also hast du es auch noch. Versuch also nicht, uns reinzulegen. Wo ist es? Ich warne dich, Kirk, ich habe nicht wochenlang im Jail gesessen, um jetzt betrogen zu werden, und Vance denkt da
nicht anders.« »Aber ich habe die Beute nicht.« Sheldon schüttelte erregt den Kopf. »Verdammt, wann habe ich euch schon mal betrogen, he?« »Bis jetzt noch nie, Kirk«, sagte Vance Custer grimmig. »Versuch es auch erst gar nicht.« »Warum sollte ich das tun? Ich habe wirklich keinen Cent von der Beute, ich habe das Geld auch nicht versteckt. Aber ich weiß, wer es hat.« »Wer?« »Ein Spieler. Ich habe die Tasche in seiner Kabine auf einem Raddampfer stehengelassen, der den Missouri abwärts fuhr.« »Wie bist du dahingekommen?« fragte Carter mißtrauisch. »Das ist eine lange Geschichte. Ich werde sie euch genau erzählen. Auf jeden Fall ist eines sicher: Der Spieler hat das Geld. Er muß in Dakota City von Bord gegangen sein, so hatte er es jedenfalls vor. Das ist das einzige, was ich weiß. Aber ich wette, der verfluchte US Marshal aus Bloomfield jagt ihn auch, weil er mir bei der Flucht geholfen hat. Es kommt also darauf an, daß wir den Gambler vor dem Marshal bekommen. Dann kriegen wir unser Geld, unsere Beute.« »Eine tolle Geschichte. Und wer soll dir das alles glauben?« fragte Custer skeptisch. »Ihr, zum Teufel!« schnauzte Sheldon jetzt barsch. Er schlug mit der Faust auf das Sattelhorn. »Ich will das Geld genauso wie ihr haben. Glaubt ihr, ich hätte euch aus dem Jail geholt, wenn ich euch betrügen würde? Das wäre doch verrückt gewesen, wo euch der Henker doch schon bald erledigt hätte. Wir müssen das Geld zusammen suchen. Dieser Spieler ist wahrscheinlich ein bekannter Mann am Missouri. Er sah aus wie ein Revolvermann und muß ziemlich viel Geld haben. Wir werden ihn sicher finden. Er heißt Buck Flannagan. Und ich werde euch jetzt erzählen, wie es zu alledem gekommen ist.
Während ihr euch im Jail den Hintern warmgehalten habt, bin ich durch eine Hölle gegangen. Daß ich noch lebe, ist ein Wunder. Ich habe es nicht nötig, mich von euch einen Betrüger schimpfen zu lassen.« Er zog sich den Hut fester in die Stirn und blickte starr vor sich hin in die Dunkelheit. »Hört zu«, sagte er… *** US Marshal Raid Uvalde verließ das Office der Western Union Telegraph in Laurel. Mit schweren Schritten ging er über die Straße, wich einem zweispännigen Kastenwagen aus und betrat dann einen Saloon. Schleppend bewegte er sich durch den schlechtbesetzten Schankraum, in dem es schwül war und stickig, obwohl draußen in den Ebenen der Wind schon kühler wurde und das Ende des Hochsommers abzusehen war. Uvalde lehnte sich an die Theke. Ein müde aussehender Keeper schlurfte heran und schob ein dickwandiges Glas und eine bauchige Whiskyflasche zum Marshal hinüber. Raid Uvalde warf eine Dollarmünze auf die Theke und schenkte sich den rötlichen Bourbon ins Glas. Schweigend trank er. Der scharfe Alkohol rann wie Feuer durch seine Kehle. Bitter starrte er vor sich hin. Er verfolgte den Spieler Buck Flannagan seit einer Woche, seit er ihm in Dakota City entkommen war. Aber Buck Flannagan war bis jetzt schneller gewesen und hatte es verstanden, seine Spur immer wieder zu verwischen. Doch Raid Uvalde hatte sich festgebissen. Er wollte das Geld, die Beute der Banditen, an Kirk Sheldon hatte er kaum noch Interesse. Und der Spieler hatte das Geld. »Ich krieg' dich«, flüsterte Uvalde leise vor sich hin. Und der Keeper in seiner Nähe warf ihm einen verwirrten Blick zu und fragte dann: »Ist etwas, Sir?«
»Wie?« Uvalde warf den Kopf hoch. Dann schüttelte er ihn. »Unsinn«, sagte er und schenkte sich Whisky nach. Auf dem Stepwalk waren jetzt hastige Schritte zu hören. Die Schwingarme der Tür flogen auf, und ein etwa fünfzehnjähriger Junge mit einer Mütze auf dem Kopf, deren Schild den Aufdruck der Western Union trug, kam herein. Er blickte, sich kurz um und rannte dann auf die Theke zu. »Marshal Uvalde!« »Yeah.« Der breitschultrige Mann wandte sich um. »Ein Telegramm für Sie, Marshal, aus Bloomfield.« Der Botenjunge reichte dem Beamten das Papier. Raid Uvalde fingerte eine Nickelmünze aus der Tasche und drückte sie dem Boy in die Hand. Er warf einen Blick auf das Telegramm und zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen. Der Marshal wußte jetzt, daß er nicht mehr allein nach Buck Flannagan suchen würde. Der dritte Mann, der in Bloomfield die Banditen aus dem Jail geholt hatte, wie es in dem Telegramm stand, konnte nur Kirk Sheldon gewesen sein. Niemand sonst hätte ein Interesse an den beiden Halunken gehabt. Und diese drei Banditen würden alles daransetzen, ihre Beute zurückzubekommen. Der Marshal wußte, daß er sich würde beeilen müssen. Ich muß den Kerl haben, dachte Uvalde. Ich muß ihn haben, bevor die anderen ihn finden. – Raid Uvalde war sich jetzt nicht mehr sicher, ob Buck Flannagan wirklich zu den Banditen gehörte. Auf dem Schiff, vor einer Woche, hatte er es geglaubt. Inzwischen aber zweifelte er daran. – Egal, wie es ist, dachte Uvalde. Er hat das Geld, ob er zu der Bande gehört, oder nicht. Nur die Beute ist wichtig. Der Marshal wandte sich wortlos ab, zerknüllte das Telegramm, schob es in die Hosentasche und verließ mit weiten Schritten den Schankraum. Er trat hinaus in den Spätnachmittag.
Das Licht der Herbstsonne hing wie eine goldene Kugel am Horizont. Nur einen Moment lang stand Raid Uvalde nachdenklich auf dem Saloonvorbau. Dann ging er zu seinem Pferd, das am Querholm vor dem Gebäude stand, löste die Zügel und schwang sich in den Sattel. Wenig später verließ er nach Südwesten die Stadt. *** Buck Flannagan ritt durch die Main Street von Wayne und lenkte sein Pferd zum Livery Stable. Der Spieler glitt steifbeinig aus dem Sattel. Er trug einen neuen schwarzen Prince-Albert-Rock. Mit hölzern wirkenden Schritten führte er sein Tier in den Stall und übergab es dem Stallmann. »Abreiben, striegeln, Wasser und Futter, wie gewöhnlich.« »Sicher, Mr. Flannagan.« Der Stallmann klopfte dem Pferd auf den Hals. Der Spieler drückte dem jungen Burschen eine Dollarmünze in die Hand. »Danke, Sir!« Flannagan drehte sich um und verließ den Stall. Er schlenderte die Stepwalks entlang, schob sich eine Zigarre zwischen die schmalen Lippen und beobachtete die Menschen, die geschäftig hin und her eilten. Wagen rollten durch die Straße. Einige hielten am Store, andere an der Schmiede. Vor dem Gebäude der Wells Fargo Company stand eine schwere Concord-Kutsche. Der Driver, ein stiernackiger schwarzbärtiger Mann, stieg soeben auf den Bock und schwang die lange Bullpeitsche. Der geflochtene Rohhautriemen knallte in der Luft wie ein Büchsenschuß. Die Pferde im Gespann setzten sich in Bewegung. Sekunden später raste die Kutsche in voller Fahrt aus der Stadt und verschwand in einer Wolke aus feinem, wogendem Staub in der Ebene. Flannagan blickte ihr nach, während er rauchte. Er schritt
weiter und betrat schließlich die Gambling Hall Golden Circus. Sie hieß Circus, weil die Halle, in der gespielt wurde, rund wie eine Arena war. Das Gold aber, das jedem Einkehrenden auf schreiend bunten Plakaten verheißen wurde, floß meistens in die Taschen des Besitzers, nicht in die der Gäste. Buck Flannagan warf einen Blick über den Raum, der mit echten Orientteppichen ausgelegt war. An den Fenstern befanden sich Vorhänge aus teurem, schwerem purpurrotem Samt. An der Decke hingen Kristalleuchter. Alles wirkte sehr wertvoll und vornehm. Flannagan zweifelte aber daran, daß sich dieser Aufwand in Wayne lohnte. Die Stadt war klein, und die Bürger gewiß nicht reich. »Hallo, Mr. Flannagan!« Die Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. Er wandte den Kopf und sah einen kleinen, kugelrunden Mann heranwatscheln. Der Mann schien ständig zu schwitzen, auch wenn es nicht heiß war. Er war so fett, daß er wahrscheinlich nicht einmal seine eigenen Füße sehen konnte. Er hieß Charley Goodins und war der Besitzer der Spielhalle. Flannagan tippte sich an den Hut. »Howdie, Mr. Goodins.« Der andere strahlte ihn an. »Sie werden es nicht glauben, Mr. Flannagan, ich habe einen Tisch für Sie. Einer meiner Spieler ist abgereist. Der Tisch ist frei. Wollen Sie ihn mieten?« »Bedingungen?« Der Spieler übersah das freundliche Grinsen des anderen. Er wußte, daß der Mann ein eiskalter Geschäftemacher war. »Well, fünfzig Dollar Miete pro Woche und dreißig Prozent Ihrer Gewinne.« »Das ist ein verdammt hoher Preis für dieses Nest.« Buck Flannagan schob die Hände in die Taschen und schlenderte durch den Saal. »Vielleicht gewinne ich nicht mal die fünfzig Dollar in der Woche, um die Miete zahlen zu können.«
»Sie unterschätzen Wayne, Mr. Flannagan« Der Dicke folgte ihm. »Es wird viel hier gespielt, und die Einsätze sind nicht niedrig. Von den benachbarten Ranches kommen die Cowboys und lassen viel Geld hier. Sie hätten in den letzten Tagen, die Sie hier in Wayne waren, einmal herkommen und sich umsehen sollen, Mr. Flannagan.« »Ich durfte ja nicht, Mr. Goodins. Sie hatten mir untersagt, hier zu spielen«, bemerkte Flannagan kühl. »Und ich hatte keine Lust, mich mit Ihren Rausschmeißern herumzuprügeln.« Der Dicke verzog beinahe traurig das Gesicht. »Aber das müssen Sie doch verstehen, Mr. Flannagan. Sie sind Berufsspieler. Hätte ich dabei zusehen sollen, wie Sie mir das Geschäft verderben? Es wäre Ihnen nicht schwergefallen, meine Gäste auszunehmen. Aber was hätte ich davon gehabt? Keinen lumpigen Cent hätte ich von Ihrem Gewinn gesehen, während meine Berufsspieler alle hohe Prozente zahlen müssen.« Er zog ein Taschentuch aus dem Jackett und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Außerdem habe ich Ihnen nur das Spielen hier untersagt, nicht aber das Betreten der Bar. Sie hätten sich also in aller Ruhe umsehen können.« »Was hätte ich in einer Spielhalle, in der ich keine Karten in die Hand nehmen darf, tun sollen, Mr. Goodins?« Buck Flannagan zuckte mit den Schultern. Er blickte sich noch einmal skeptisch um und grinste dann schmal. »All right, Mr. Goodins. Ich schlage ein und nehme einen Tisch. – Welcher ist es?« »Ein hervorragender Tisch, Mr. Flannagan. Er steht neben der Tür. Sehen Sie?« Charley Goodins grinste jetzt noch breiter. »Ein ausgezeichneter Entschluß von Ihnen, Mr. Flannagan, sich diesen Tisch zu mieten. Sie werden es nicht bereuen.« »Warten wir ab. Wenn der Tisch in einer Woche kein Geschäft für mich ist, kündige ich die Abmachung und verlasse Wayne.« Buck Flannagan machte noch ein skeptisches
Gesicht. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden nach einer Woche noch hiersein und sehr lange in Wayne bleiben, Mr. Flannagan«, grinste der Dicke. »Sie werden sich wundern, was hier für Geschäfte zu machen sind. Kommen Sie an die Theke, Mr. Flannagan. Wir müssen unsere Abmachung begießen.« Buck Flannagan folgte dem Mann an die Bar und ließ sich Whisky einschenken. »Auf eine lange und gute Zusammenarbeit, Mr. Flannagan«, sagte Charley Goodins. Er hob sein Glas. »Das glaube ich nicht!« rief eine metallisch klirrende Stimme durch den Raum. Dann kam von der Tür her ein Mann heran. Er war groß, breitschultrig und starkknochig. Sein Gesicht war kantig und starr wie eine Holzmaske. Nur in seinen Augen lag ein triumphierendes Glitzern. In der Hand des Mannes lag ein langläufiger Peacemaker Colt. Er richtete sich auf den Spieler. »Pech, Flannagan. Es war zwar verdammt schwierig, Sie zu finden, Sie haben Ihre Spuren immer sehr geschickt verwischt. Aber jetzt habe ich es geschafft. Sie konnten mir eben nicht ewig davonlaufen. Ihr Beruf hat mir aber viel umständliches Suchen in den vielen Städten erspart, durch die Sie geritten sind. Ich brauchte nur immer durch die Spielhallen und Saloons zu gehen und nach Ihnen zu fragen. Die Keeper erinnerten sich fast immer an Sie. Deshalb habe ich Sie gefunden.« Raid Uvalde verzog keine Miene, während er sprach. Der Spieler hatte den Kopf herumgerissen, faßte sich aber sofort und blickte jetzt ruhig und abwartend auf den Marshal. »Ich gratuliere«, sagte er nur. »Wer sind Sie, Mann? Was wollen Sie? Wie sind Sie überhaupt hereingekommen und was fällt Ihnen ein? Ich werde Sie aus der Stadt jagen lassen!« schrie Goodins mit knallrotem Gesicht.
»Das glauben Sie selbst nicht und ich auch nicht, Mister. Ich bin US Marshal Uvalde aus Bloomfield. Und ich verhafte Sie, Buck Flannagan, wegen Beihilfe zur Flucht eines Mörders. Weitere Punkte werden Sie unter Umständen in Ihrer Anklageschrift finden.« Buck Flannagan antwortete nicht. Er bewegte sich unvermittelt so schnell und so gleitend wie eine Schlange. Seine Rechte raste zum Revolver. Und er war so schnell, wie nie zuvor in seinem Leben. Dennoch war er zu langsam. Orangerot stach ihm ein Mündungsblitz entgegen. Brüllender Donner erfüllte den Raum. Dicht neben dem Spieler fraß sich ein 45er Geschoß in das feinpolierte Mahagoniholz der Theke und riß ein großes Loch. Stinkend breitete sich Pulverrauch in der Spielhalle aus. Buck Flannagan wurde steif wie ein Brett. Charley Goodins hatte sich kreischend zu Boden geworfen und stemmte sich jetzt keuchend und am ganzen Körper zitternd wieder hoch. Aus geweiteten Augen starrte er den Beamten an. »Sind Sie – sind Sie wahnsinnig?« »Das Loch in der Theke wird Ihnen sicher Mr. Flannagan bezahlen, Sir. Er verdient mehr als ein einfacher US Marshal. Und wenn er nicht zum Revolver gegriffen hätte, hätte ich nicht geschossen.« Uvalde grinste jetzt. »Ich habe dazugelernt, Flannagan. Beim letztenmal waren Sie schneller. Jetzt habe ich gewonnen. Ich werde Ihnen keine Zeit lassen, Ihren Revolver zu ziehen. Diesmal habe ich Sie, und ich habe damit auch das Geld.« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Marshal«, preßte Flannagan grimmig zwischen den dünnen Lippen hervor. »Es wird Ihnen schon noch einfallen, Flannagan. Heben Sie die Hände hoch und schnallen Sie mit der Linken den Gürtel ab.« Der Spieler zögerte kurz. Dann nickte er. Seine Rechte kroch langsam in die Hohe. Vorsichtig tastete er mit der
Linken zur Gürtelschnalle. Er öffnete sie. »Werfen Sie den Gürtel zu mir herüber, Flannagan!« befahl der Marshal. »Wie Sie wollen«, murmelte Flannagan. Und dann warf er den Gürtel. Aber er tat es nicht so, wie der Beamte es erwartet hatte, sondern er schleuderte den Gürtel jäh und kraftvoll nach vorn. Und dann ging alles rasend schnell. Am Gürtel hing die Revolverhalfter mit dem Colt darin. Die Waffe war über zwei Pfund schwer, und der Gürtel war aus starkem Leder; in den Schlaufen steckten Patronen, die Schnalle war aus geschmiedetem Stahl: Es war ein Geschoß, was auf den Marshal zuflog, auch wenn es nicht so aussah. Und der Gürtel flog so schnell, daß Uvalde nicht mehr ausweichen konnte. Er zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern. Dann traf ihn schon die Gürtelschnalle an der Stirn und riß ihm die Haut auf. Stechend durchraste ihn ein Schmerzgefühl für wenige Sekunden. Der Revolver flog ihm an den Hals. Der Mann wich zurück, rang nach Atem und taumelte leicht. Er fühlte bleierne Schwere in sich und riß die Augen weit auf. Aber da war Buck Flannagan schon heran und schmetterte ihm die Rechte gegen die blutende Stirn. Der Marshal fiel auf den Rücken. Aber er hielt seinen Colt eisern fest. Und er kämpfte mit den Schleiern der Bewußtlosigkeit. »Stehenbleiben!« preßte er zwischen den blutleeren Lippen hervor. »Ich... schieße...« Buck Flannagan grinste böse. »Schieß doch, Marshal. Dann erfährst du nie, wo das Geld ist. Ich lasse mich nicht festnehmen, wie ein dreckiger Bandit.« Raid Uvalde sah den anderen heranstampfen. Er sah die schwingenden Fäuste und hatte keine Chance. Und deshalb schoß er wirklich. Die Kugel grub sich vor den Füßen Buck Flannagans in den Teppich, keine zwei Zoll von den Stiefelspitzen entfernt. Der
Spieler blieb stehen. Schwerfällig raffte der Beamte sich auf und ließ den anderen nicht mehr aus den Augen. »Versuch es nicht noch einmal, Flannagan.« Der Spieler musterte ihn eine Zeitlang prüfend. »Ich glaube tatsächlich, daß du das tun würdest«, bemerkte er dann. »Aber – aber Mr. Flannagan. Der Spieltisch – Sie haben ihn gemietet und...« Der Spieler wandte den Kopf und blickte Charley Goodins bedauernd an. »Tut mir leid, Mr. Goodins. Daraus wird wohl nichts. Sie werden sich nach einem anderen Spieler umsehen müssen.« »Komm, Flannagan.« Der Marshal winkte ungeduldig mit dem Revolver. »Und sag mir, wo du das Geld hast.« »Das möchtest du wissen, Blechstern, wie?« Der Spieler lachte zornig und verfluchte sich innerlich selbst. »Yeah, das will ich wissen.« Buck Flannagan blickte den anderen einen Moment nachdenklich an. Dann sagte er: »Ich bringe dich zu dem Geld, Marshal. Es ist versteckt. Ich will es nicht haben, denn es kommt von Banditen und bringt kein Glück. Wenn du nicht auf dem Schiff verrückt gespielt hättest, hätte ich es dir sofort gegeben, nachdem ich es gefunden hatte. Aber du wolltest mich unbedingt einsperren, und wenn du das Geld bei mir gefunden hättest, wäre es aus mit mir gewesen. – Well, Marshal, du kriegst das Geld. Aber du mußt mich dafür laufenlassen.« »Ich lasse mir keine Bedingungen stellen«, sagte Raid Uvalde. »Dann kriegst du auch das Geld nicht.« Das Gesicht des Spielers wurde wieder starr. »Wir werden noch darüber reden, Flannagan. Aber dann wirst du nicht mehr so aufgeblasen und großspurig sein. Sobald die Formalitäten erledigt sind, werde ich dich nach Bloomfield transportieren und vor Gericht stellen. Übrigens sind die beiden
Gefangenen aus dem Jail entflohen. Das heißt, du wirst vielleicht der einzige Angeklagte sein. Die Stimmung in Bloomfield ist schlecht. Man haßt die Mörder. Es könnte sein, daß du die Strafen für die anderen mittragen mußt. Es ist also wirklich besser, wenn du redest. Damit erleichterst du deine Lage. Also?« »Sie wollen mich verhaften, Marshal.« Buck Flannagan schien nicht gehört zu haben, was der Beamte gesagt hatte. Uvalde verzog grimmig sein Gesicht und nickte. »Genau das wollte ich. Vorwärts, Spieler. Dich koche ich auch noch weich.« Wortlos setzte Buck Flannagan sich in Bewegung. *** Aus dem Kamin der halbverfallenen Weidehütte stieg eine dünne Rauchfahne. Ein Reiter kam von Westen und stieg vor der Hütte ab. Er führte sein Pferd in ein nahes Gehölz und kehrte zurück zu dem verrotteten Balkenhaus. Er trat ein. »Du kommst richtig zum Essen, Hank.« Kirk Sheldon drehte sich von der primitiven, aus Feldsteinen gebauten Kochstelle um. »Vance hat heute früh einen Hasen geschossen. Und ich hatte noch Kaffeebohnen in meiner Satteltasche. Das wird ein feines Essen werden!« »Hast du was erfahren?« Vance Custer erhob sich von seiner Holzpritsche und gähnte geräuschvoll. Mit müden Bewegungen kam er zum Tisch. »Ich habe einen Trader auf dem Weg getroffen. Er fuhr zum Missouri runter und hat einiges erzählt.« Carter ließ sich nieder. Er nahm den Hut ab und wischte das Schweißband trocken. »Dieser Spieler muß wirklich sehr bekannt sein. Viele Leute haben seinen Namen schon einmal gehört. Er stand auch oft in Zeitungen. Immer ging es um Schießereien. Well, der Trader wußte auch sofort Bescheid. Er sagte mir, daß ein US
Marshal einen Spieler namens Flannagan festgenommen habe, der Trader meinte, es müsse der bekannte Spieler Buck Flannagan sein. Er hat ihn gesehen.« »Was?« Vance Custer beugte sich vor. Kirk Sheldon kam von der Kochstelle zum Tisch. »Sag das noch einmal!« »Hast du mich nicht verstanden? Vor drei Tagen ist ein Spieler namens Flannagan festgenommen worden. Der Trader hat selbst gesehen, wie er abgeführt wurde.« »Wo?« Kirk Sheldon stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das Fleisch verbrennt«, sagte Hank Carter. »Ich habe Hunger. Mir ist im Augenblick das Fleisch wichtiger als der verdammte Gambler.« Sheldon ging zur Kochstelle zurück und nahm die rußige Pfanne herunter. Er brachte sie zum Tisch. »Nun rede schon.« »In Wayne war es«, sagte Carter. Er zog sein Messer und spießte ein Stück Fleisch aus der Pfanne auf. Genießerisch sog er den Bratenduft in sich auf und blies auf das dampfende Fleisch, um es abzukühlen. »Wayne liegt keine zwanzig Meilen von hier.« Sheldon hockte sich jetzt auch an den Tisch und fischte sich ein Stück Fleisch aus der Pfanne. »Der Braten ist schlecht gewürzt.« Carter wischte sich mit dem Handrücken Fett aus den Mundwinkeln und vom Kinn. »Erwartest du ein Hundert-Dollar-Menü?« fragte Sheldon. Custer nickte grimmig. »Sei lieber froh, überhaupt einen Bissen zwischen die Zähne zu bekommen.« »Der Trader sagte außerdem, daß der Marshal den Spieler nach Bloomfield bringen will, um ihm den Prozeß zu machen.« »Wann?« »Das wußte der Trader nicht. Aber sicher bald.« Sheldon nickte nachdenklich. Er kaute schweigend, holte sich ein zweites Stück Fleisch aus der Pfanne und blickte dann Vance Custer an. »Du reitest sofort nach Wayne und hörst dich dort um, verstanden? Wir brauchen diesen Spieler. Er wird das
Geld bestimmt versteckt haben. Wenn er es aber bei der Verhaftung noch bei sich hatte, hat es jetzt der Marshal. Das müssen wir genau wissen. Gegen Abend kannst du zurück sein, Vance.« Custer nickte. Er wartete, bis der Kaffee heiß war, trank einen großen Becher und erhob sich dann. Wenig später ritt er davon. Die beiden anderen Banditen blieben zurück und warteten. Das war das einzige, was sie tun konnten. In Gedanken versunken saßen sie auf ihren Plätzen und sprachen nicht, kein Wort. *** Als die Männer über die flachen Hügel ritten, war es Mittag. Ein milder Herbstwind strich durch das hohe Gras, zupfte das rotbraune Laub der Bäume und Sträucher von den Zweigen und trieb einige Tumbleweedkugeln vor sich her. Die Männer hielten auf der Hügelkuppe kurz an. Ihre Blicke glitten über das Land links und rechts der Overlandstraße. Sie beobachteten die Gebäude der kleinen Pferdewechselstation der Wells Fargo Company. »Das sieht nicht sehr groß aus. Wahrscheinlich gibt es keine Angestellten auf der Station. Sicher wohnt nur die Familie des Stationers dort.« Kirk Sheldon lüftete den Colt in der Halfter leicht an. Er wirkte jetzt wieder kräftig und sehnig wie ein Wolf. Die Armwunde war völlig verheilt, er trug keinen Verband mehr. »Es dürfte nicht allzu schwer sein.« »Hoffentlich hast du recht«, sagte Vance Custer nervös. »Sicher habe ich recht. Wir warten dort, bis die Kutsche aus Wayne kommt, nehmen Flannagan und verschwinden mit ihm. Dann werden wir uns das Geld holen. Ganz einfach. Reiten wir.« Sheldon trieb sein Pferd an. Die beiden anderen folgten. Sie ritten im raschen Trab den Hügel hinunter auf die Station zu. Dort blieb alles ruhig. Die Station bestand aus vier Gebäuden; es waren zwei
Ställe, eine Scheune und das Wohnhaus. Neben einem der Ställe befand sich ein Korral, in dem vier Pferde weideten. Die Reiter erreichten den Hof des Anwesens, als die Sonne im Zenit stand. Die Banditen zügelten ihre Tiere neben dem Brunnen in der Mitte des Hofes. Sie stiegen ab. Noch immer blieb alles ruhig. Als die Männer ihre Pferde zur Tränke führten, öffnete sich die Tür des Wohnhauses. Der graubärtige Stationer trat heraus. Er tippte sich an den Hutrand und grinste freundlich. »Howdie, Gentlemen! Sie wollen hier rasten, nicht wahr? Kommen Sie rein, das Essen ist gerade fertig.« Sheldon nickte wortlos. Er blickte Carter an. Vance Custer blieb bei den Pferden zurück. Sheldon und Carter gingen zum Haus. Der Stationer war inzwischen wieder im Aufenthaltsraum des Gebäudes verschwunden. Die beiden Banditen traten nun auch ein. An einem der Tische saßen eine Frau im mittleren Alter und ein junger Mann von höchstens zweiundzwanzig Jahren. Der graubärtige Stationer trug Teller und Besteck zu einem anderen Tisch. »Setzen Sie sich nur, Gentlemen. Meine Frau bringt Ihnen gleich Essen. – Mein Name ist Drover. Mir gehört diese Station.« Kirk Sheldon nickte grüßend zu der Frau und dem Jungen hinüber. Er stellte sich aber nicht vor, sondern fragte: »Kommt bald eine Kutsche? Wir erwarten einen Bekannten.« »Sicher, Mister. In einer Stunde etwa wird eine Stage aus Wayne durchkommen. Das Wechselgespann steht schon draußen im Korral.« Die Frau des Stationers war jetzt in der Küche verschwunden und kam wenig später mit einem Tablett wieder, auf dem dampfende Steaks lagen. Von draußen trat nun Vance Custer herein. Er grüßte kurz und setzte sich dann zu seinen Kumpanen.
Die Banditen aßen schweigend und lehnten sich danach zurück. Sie schenkten sich Kaffee ein und warteten, bis die Frau des Stationers das Geschirr vom Tisch geräumt hatte. »Wie wollen Sie mit Ihrem Bekannten weiterkommen?« fragte der graubärtige Stationer jetzt. »Er kommt doch mit der Stage und hat kein Pferd.« »Darüber wollte ich gerade mit Ihnen reden.« Kirk Sheldon erhob sich von seinem Platz. Custer und Carter blieben sitzen. Doch ihre Haltung wirkte jetzt lauernd und angespannt. Sheldon hakte die Daumen hinter den breiten Revolvergurt. Er näherte sich langsam dem Stationer. »Verkaufen Sie auch Pferde, Mr. Drover?« »Leider nein, Sir.« Der Graubart schüttelte den Kopf. »Die Pferde hier gehören alle Wells Fargo. Ich darf kein Tier verkaufen.« »Aber wir werden ein viertes Pferd brauchen.« Kirk Sheldon runzelte die Stirn. »Was sollen wir tun, Mr. Drover? Sie müssen uns eines verkaufen. Wir zahlen auch gut.« »Es geht nicht, Sir. Ich sagte es schon. Ich darf es nicht.« »Das sollten Sie sich aber gründlich überlegen, Drover.« Kirk Sheldon zog mit flüssiger Bewegung seinen Revolver. »Es könnte Ihr Leben davon abhängen.« Vance Custer und Hank Carter sprangen von ihren Plätzen auf und rissen die Waffen aus den Halftern. Die Frau schrie auf und schlug, erschrocken über sich selbst, die rechte Hand auf den Mund. Sie wurde blaß wie eine Kalkwand. Ihr Sohn fuhr von seinem Platz hoch. »Banditen«, sagte er. »Dad, das sind Banditen.« »Halt den Mund. Junge!« Hank Carter durchquerte den Aufenthaltsraum der Station mit weiten Schritten und trieb den jungen Burschen hinter seinem Tisch hervor. »An die Theke mit euch!« befahl Sheldon eisig. »Vance, geh raus, und sieh nach, ob die Kutsche schon kommt.« »Aber – aber was soll das denn?« Der Stationer schüttelte
verwirrt den Kopf. Seine Stimme klang gepreßt. Er hatte die Fäuste geballt und legte jetzt den linken Arm um seine Frau. »Nur ruhig, Sarah, nur ruhig«, sagte er leise. »Was wollen Sie hier? Was wollen sie von uns?« schrie Bill Drover, der Sohn des Stationers. Hektische rote Flecken bedeckten sein Gesicht, in seinen Augen stand der Zorn wie ein kaltes Feuer. »Hier ist nichts zu holen, ihr verdammten Halunken.« Hank Carter sprang auf ihn zu. »Was sagst du da?« schrie er. »Du beleidigst uns? Reiß dein Maul nicht so weit auf, sonst stopfe ich es dir, daß du dein Leben lang daran denkst.« Bill Drover reckte trotzig sein Kinn vor, obwohl der Bandit ihm seinen Revolver in den Magen preßte. »Ich sage, was ich will.« Carter schlug wortlos zu. Er stieß den Colt vor. Bill Drover röchelte und krümmte sich mit weit aufgerissenen Augen zusammen, als der wuchtige Hieb ihn im Leib traf. Pfeifend drang der Atem aus seinen Mundwinkeln. Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn. Er zitterte vor Schmerzen am ganzen Körper und würgte, als wenn er sich würde übergeben müssen. Der Bandit lachte böse und riß sein Knie hoch. Der Junge bekam einen heftigen Stoß gegen die Brust, der ihn aufrichtete und gegen die Theke torkeln ließ. Hier stützte er sich, nach Atem ringend, auf. In seinen Augen brannte Haß. »Du Hund«, sagte er heiser. »Du dreckiger Hund.« »Noch nicht genug?« Carter streckte die geballte linke Faust vor. »Lassen Sie meinen Jungen in Ruhe«, sagte der Stationer. Er drängte sich auf Carter zu, ohne auf Kirk Sheldon zu achten. »Rühren Sie meinen Sohn nur ja nicht an. Er hat Ihnen nichts getan. Was sind Sie nur für Menschen, daß Sie einen jungen Burschen so brutal zusammenschlagen!« »Halt den Mund, Alter. Setz dich mit deiner Frau und dem Bengel hinter die Theke. Wenn ihr euch ruhig verhaltet,
passiert euch gar nichts. Wir warten auf die Kutsche. Das ist alles. Wenn ihr nicht vernünftig sein solltet, wird es in einigen Stunden ein paar Gräber auf dieser Station geben.« Vance Custer kam von draußen wieder herein. Er schloß die Tür und angelte sich eine Flasche Whisky hinter der Theke hervor. »Draußen ist nichts zu sehen, Kirk. Aber der Stationer sagte ja auch, es würde noch eine Stunde dauern!« »Hör auf zu trinken!« schrie Sheldon den Kumpan an. »Wir müssen nüchtern sein. Wer weiß, wie viele Bewacher der verfluchte Marshal bei sich und dem Gambler hat.« Vance Custer fühlte den scharfen Blick des anderen brennend auf sich ruhen. Es steckte Kraft in diesem Blick, mehr Kraft, als Vance Custer hatte. Er senkte den Kopf und stellte die Flasche auf die Theke zurück. »Schon gut, Kirk«, brummte er mürrisch. »Und jetzt setzt euch hinter die Theke!« befahl Sheldon den Drovers. »Was wollen Sie von der Kutsche?« fragte Sam Drover. Er hielt seine Frau noch immer fest im Arm. Sie weinte lautlos vor sich hin. »In der Kutsche liegt nichts Wertvolles«, redete der Stationer weiter. »Irrtum«, lachte Carter. »Einundzwanzigtausend Dollar!« »In dieser Kutsche? Unmöglich.« Drover schüttelte den Kopf. »Das ist eine ganz normale Stage mit Fahrgästen. Keinen Cent werdet ihr finden.« »Das Geld muß ja nicht unbedingt in der Stage liegen. Alter. Wir warten wirklich auf einen Mann, wie Kirk es vorhin gesagt hat. Dieser Mann weiß, wo wir einundzwanzigtausend Dollar herbekommen.« Sam Drover schwieg. Er senkt den Kopf. Sein Sohn hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet und die Schmerzen überwunden. »Ihr Banditen werdet die Kutsche nicht überfallen«, sagte er. »Der Kutscher wird merken, wenn er die Stage heranlenkt,
daß hier alles anders ist, als sonst. Und er wird nicht halten, sondern weiterfahren. Oder er wird sofort schießen und euch alle zur Hölle jagen.« Hank Carter machte einen Schritt auf den jungen Mann zu. Seine Rechte verkrallte sich im Hemdkragen Bill Drovers. Er zerrte den Jungen heran und packte ihn so fest, daß Bill Drover die Luft wegblieb. »Lassen Sie meinen Jungen los!« schrie Sam Drover. »Lassen Sie sofort meinen Jungen los, Sie...!« »Stehenbleiben, Alter!« sagte Vance Custer. Er trat neben den Stationer und seine Frau. Er grinste breit und gemein, während er den schweren Revolver um den Zeigefinger wirbeln ließ. »Laß meinen Freund in Ruhe, Alter«, sagte er schleppend. »Er tut, was er will, weil wir jetzt hier bestimmen. Du hast dein verdammtes Maul zu halten, hörst du? Hast du mich verstanden?« Kirk Sheldon wandte sich ab und ging zu einem der Fenster. Schweigend blickte er hinaus. »Schluß jetzt«, sagte er dann. »Wir sind nicht hier, um uns zu prügeln. Laßt die Leute in Ruhe. Sie sind für uns völlig uninteressant. – Hör zu, Drover: Wenn die Stage kommt, wirst du dich so verhalten, wie immer. Wenn du dem Driver oder einem anderen in der Kutsche auch nur das kleinste Zeichen gibst, ist deine Frau tot, und dein Sohn auch.« Schwer atmend blickte der graubärtige Stationer den Banditen an. Verachtung und Haß standen in den Augen des Alten. Wortlos ging er zu seinem Sohn hinüber und führte ihn zu einem Stuhl. Hier ließ der junge Mann sich nieder. Sein Gesicht war bleich und verzerrt. Sam Drover wandte sich um. »Wer sich einem Jungen so gegenüber verhält, der niemandem etwas getan hat, ist ein Schwein, Mister. Und das sage ich, so lange wie ich will. Und wenn Sie mich dafür umbringen.« »Wir bringen Sie nicht um.« Kirk Sheldon ließ sich jetzt an
einem Tisch nieder. »Ihr Sohn war etwas vorlaut. Mein Freund Hank hat nicht die besten Nerven. Er reagiert eben etwas hart. Ihr Sohn hätte ihm ja keinen Anlaß dazu zu geben brauchen.« »Mein Bill ist ein guter Junge, Mister, ein verdammt guter Junge, tausendmal besser, als dieser Lump, der ihn so geschlagen hat.« Der graubärtige Stationer nickte grimmig und schwieg jetzt. Er drehte sich um, ging zu seiner Frau und seinem Sohn und ließ sich zwischen beiden nieder. Es herrschte gespannte Ruhe im Raum. Und die Drovers wünschten sich nichts so sehr, als daß die Zeit schneller verstreichen und die Kutsche kommen würde. Dasselbe wünschten sich die drei Banditen, wenn auch aus anderen Gründen. *** »Die Kutsche kommt.« Vance Custer wandte sich vom Fenster um. Er zog den Colt aus der Halfter und blickte abwartend zu Kirk Sheldon hinüber. Der Bandit erhob sich und sah aus dem Fenster. In weniger als einer halben Meile Entfernung lag die Staubwolke auf der Overlandstraße. Die Stage näherte sich in rascher Fahrt. »Hoffentlich sitzt Flannagan wirklich in dieser Kutsche«, sagte Hank Carter. Er kam jetzt auch näher. »Hoffentlich hast du in Wayne das Richtige gehört. Wenn man dir ein Märchen auf die Nase gebunden hat, sitzen wir prächtig in der Klemme.« »Warum sollte ich etwas Falsches gehört haben?« begehrte Custer wütend auf. »Man kannte mich ja nicht. Warum also hätte man mich belügen sollen? Im Gegenteil, in ganz Wayne wurde von Flannagan gesprochen, und davon, daß der Marshal ihn heute nach Bloomfield transportieren will. Heute, Hank, heute, an diesem Tag. Und heute fährt nur die eine Kutsche in
Richtung Bloomfield. Er muß also in dieser Stage sein.« »Und wenn der Sternschlepper es sich anders überlegt hat?« murrte Carter nervös. »Wenn er erst morgen fährt?« »Halt dein Maul, verdammt noch mal.« Kirk Sheldon schob Carter zur Seite. »Wenn du dir in die Hosen machst, dann geh doch. – Komm her, Stationer!« Sam Drover erhob sich schwerfällig. »Bleib, Dad«, flüsterte sein Sohn. »Geh nicht hin, bleib hier.« Sam Drover zuckte nur schweigend mit den Schultern und ging zu den Banditen, die jetzt nicht weit von der Tür standen. »Paß auf, Stationer, draußen kommt die Kutsche.« Kirk Sheldon hielt jetzt auch wieder seine Waffe in der Faust. »Wie spielt sich der Gespannwechsel ab?« Sam Drover blickte den Banditen nicht an, während er sprach: »Nun, ich gehe raus, hole das Gespann aus dem Korral und führe es zum Wagen. Bill schirrt das alte Gespann aus und führt es in den Stall, während ich neu anspanne.« »Bill wird die Pferde nicht ausspannen.« Kirk Sheldon lauschte nach draußen. Er konnte jetzt das Donnern der Pferdehufe schon hören. »Du wirst heute alles allein machen, Drover«, befahl Sheldon. »Laß dir meinetwegen vom Kutscher helfen. Dein Boy bleibt hier. Er und deine Frau, Drover, garantieren uns dafür, daß du keinen Unsinn machst. Bei der kleinsten Unvorsichtigkeit, Drover, werden deine Frau und dein Sohn sterben. Daran solltest du jede Sekunde denken, und jedes Wort, das du mit dem Kutscher sprichst, solltest du sorgfältig abwägen, damit du nichts Falsches sagst.« »Und wann – wann kommt ihr, und...« »Das möchtest du wissen, wie?« sagte Hank Carter. Kirk Sheldon winkte ab. »Das wird eine Überraschung, Drover. Einstweilen hältst du dich genau an das, was ich dir gesagt habe. Verstanden?« »Sicher, Mister.«
Sam Drover ging zur Tür. Auf einen Wink von Sheldon bewegte sich Vance Custer zu Sarah und Bill Drover hinüber, um sie zu bewachen. »Los jetzt, Drover, raus!« sagte Sheldon. Der Stationer öffnete die Tür und trat auf den Hof. Die goldene Herbstsonne des Mittags verlieh seiner Haut die Farbe von gegerbtem Leder. Mit schweren Schritten bewegte sich der Graubart zum Korral hinüber. Die Kutsche hatte die Station schon fast erreicht. Die schwere Concord Stage bog jetzt auf die Abzweigung von der Overlandstraße ein und fuhr Sekunden später auf den Hof des Anwesens, umgeben von einer Woge von wirbelndem Staub, der unter den rasenden Rädern und den trommelnden Pferdehufen aufstob. Der Driver auf dem Bock war untersetzt, wirkte massig und hockte wie ein Derwisch auf dem Wagen. Er stemmte sich nun in die Zügel, und die schwere Stage schleuderte ein wenig, als sie hielt und die Hinterräder noch einmal knarrend durchdrehten. Dann stand das Gespann mit zitternden Flanken und staubbedeckt still. Die Concordkutsche schwankte noch leicht. »Howdie, Sam!« lachte der Driver heiser. Er spuckte gewiß ein Pfund Staub aus und wischte sich die sandverklebte Schweißschicht vom Gesicht. Ächzend richtete er sich auf dem Bock auf und stieg über das rechte Vorderrad ab. »Wo ist Bill? Ich sehe ihn nirgends.« Der Stationer fühlte Schweiß auf seiner Stirn perlen. Er befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen und wich dem Blick des anderen aus. »Bill, yeah«, murmelte er unsicher. »Bill – Bill liegt im Bett. Er ist gestern vom Heuboden gefallen und hat sich wohl einen Fuß gebrochen.« »Das tut mir verdammt leid, Sam. Grüß den Boy von mir. Well, dann helfe ich dir heute.« Der Driver begann, die
Geschirriemen der Pferde zu lösen, während der Stationer den Korral öffnete. Aus der Kutsche stieg jetzt ein großer, starkknochiger Mann mit einem silbernen Stern im Kreis auf dem dunklen Flanellhemd. Er streckte die steifen Glieder und blickte sich forschend auf dem Hof um. Außer dem Stationer war niemand zu sehen. Der Marshal Raid Uvalde wandte sich wieder zum Kutschenschlag um. »Komm schon raus, Flannagan. Wir werden einen Schluck Kaffee nehmen.« Er wartete, bis der hagere Spieler den Wagen verlassen hatte. Buck Flannagan sah übernächtigt aus. Sein eleganter PrinceAlbert-Rock war staubig und hatte einige Flecke und Risse. Das Gesicht des Gamblers wirkte knochig und hatte eine ungesunde, gelbliche Farbe. »Komm, Flannagan. Wir gehen zum Haus.« Der Marshal schob den Spieler vor sich her. Buck Flannagan leistete keinen Widerstand. Am Korral blieb Sam Drover wie angewachsen stehen, als er die Männer zum Stationshaus gehen sah. Er fühlte in sich den Zwang, zu schreien, den Beamten zu warnen. – Nein! wollte er schreien. Geht nicht zum Haus! Dort sind Banditen! Aber er schwieg. Er brachte keinen Ton über seine blutleeren Lippen. Denn er dachte an seine Frau Sarah und an Bill, seinen Sohn. *** »Er kommt zum Haus, Mensch, Kirk, der Blechstern kommt mit dem Spieler zum Haus!« sagte Hank Carter aufgeregt. »Wir brauchen nichts weiter zu tun, als zu warten. So ein Glück, so ein großes Glück. – Du hattest recht, Vance. Der Marshal transportiert den Spieler mit dieser Kutsche. Da
draußen kommen beide über den Hof.« Schritte waren im Staub des Hofes zu hören. Dann schwang die nur angelehnte Tür knarrend ins Innere. Ein großer, drohend wirkender Schattenriß fiel auf die ausgetretenen Dielen des Aufenthaltraumes. »Rein mit dir, Flannagan«, sagte eine dunkle Stimme. »Und versuch nur nicht, davonzulaufen.« Dann betrat ein Mann den Raum. Es war Buck Flannagan, der Spieler. Er ließ seine Blicke über die Theke, über Tische und Stühle gleiten und sah nach wenigen Schritten im Hintergrund des Raumes Sarah und Bill Drover sitzen, bleich und verängstigt. Aus großen Augen starrten sie zur Tür. Und neben ihnen stand ein Mann mit einem Revolver. Flannagan blieb abrupt stehen. Der Marshal fluchte. »Geh weiter!« sagte er. »Warum bleibst du stehen?« Dann sah auch er die Familie des Stationers. Und er erschrak. Er wollte sich herumwerfen. Ich muß etwas tun, dachte er. Und er griff zum Colt. Aber es war bereits zu spät. Die Falle schnappte zu. Kirk Sheldon warf sich mit aller Kraft gegen die Tür. Sie schwang herum und traf den Marshal an der linken Schulter so hart, daß er aus dem Gleichgewicht gerissen wurde, die Waffe fallen ließ und gegen einen Tisch taumelte. Die Tür fiel ins Schloß, im gleichen Moment sprangen Kirk Sheldon und Hank Carter auf ihn zu. Raid Uvalde stieß instinktiv die Fäuste nach vorn und traf Carter knallhart gegen die Brust. Der Bandit stieß einen gurgelnden Laut aus, wurde grün im Gesicht und krümmte sich zusammen. Sheldon aber hieb dem Marshal mit seinem Revolver blitzschnell auf die heranrasende linke Faust. Raid Uvalde wollte nicht schreien. Doch jetzt heulte er schrill auf. Er konnte nicht anders, denn der Schmerz war schier unerträglich. Er hatte das Gefühl, sämtliche Finger seiner linken Hand seien zerschmettert. Sein starres, kantiges Gesicht verzerrte sich. Die Linke fiel schlaff herab. Seine
Schwäche dauerte nur eine Sekunde, aber ehe Uvalde sich mit der Rechten gegen weitere Schläge wehren konnte, traf der Revolver des Banditen ihn schon am Schädel und warf ihn zu Boden. Der Marshal riß im Fallen einen Tisch um und lag dann bewegungslos auf den Dielen. Ein hartes, triumphierendes Lächeln spielte um die Lippen des Banditen. »Gehetzt hat er mich, dieser Dreckskerl, gehetzt bis aufs Blut hat er mich. Fast wäre ich umgekommen. Und jetzt liegt er vor mir.« Sheldon wandte sich um und richtete seinen Revolver auf den Spieler. Buck Flannagan hatte die Hände erhoben. Er stand schweigend und abwartend da. »Hast du mich schon vergessen, Flannagan?« Kirk Sheldon trat näher. »Ich habe dich in keiner Sekunde vergessen, seit ich das Schiff verlassen habe.« »Wie hätte ich dich vergessen sollen?« erwiderte Flannagan rauh. »Mit dir fing mein Pech an. Nur durch dich bin ich verhaftet, gehetzt und ins Jail gesteckt worden. Deinetwegen werde ich nach Bloomfield gebracht, wo mir der verrückte Sternschlepper den Prozeß machen wird.« »Er wird nicht.« Sheldon gab Vance Custer einen Wink. »Hol den Kutscher und den Stationer rein, Vance.« Der Bandit wandte sich wieder Buck Flannagan zu. »Du wirst nicht nach Bloomfield fahren, Flannagan. Du kannst uns dankbar dafür sein, daß wir dich befreit haben.« »Yeah, so sieht es wohl aus.« Der Spieler ging mit schleppenden Schritten zu einem Stuhl und ließ sich nieder. »Aber allein aus besonders edlen Gründen habt ihr es sicher nicht getan, oder?« »Als ich von dem Raddampfer fliehen mußte, ließ ich in deiner Kabine etwas stehen, Flannagan«, sagte Kirk Sheldon. »Ah ja, das Geld, die Beute.« Flannagan nickte. Sein Blick wurde jetzt lauernd. Seine Augen verengten sich. In seinem
Kopf wirbelten die Gedanken. Er schwieg einen Moment und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Dann sagte er: »Du willst das Geld zurückhaben, nicht wahr?« »Erraten.« Sheldon grinste Hank Carter zu. »Hörst du, Hank? Er ist gar nicht so übel, wie? Er versucht überhaupt nicht, uns zu betrügen.« »Yeah, für einen Kartenhai ist er gar nicht so übel«, nickte Carter. »Warum sollte ich euch betrügen?« Flannagan fingerte in seinen Taschen herum und brachte eine verbogene schwarze Zigarre zum Vorschein, die er zwischen die Lippen schob. »Was soll ich mit dem Geld? Es ist nicht so viel, daß sich ein Streit zwischen mir und euch für mich lohnen würde. Ich besitze mehr Geld. Der Beruf eines Spielers scheint einträglicher zu sein als der eines Bankräubers.« »Halt dein Maul!« fauchte Carter. »Ich lasse mich nicht beschimpfen, nicht von einem verdammten Kartenhai!« »Laß ihn reden, Hank.« Kirk Sheldon winkte unwillig ab. »Was gibt es viel zu reden? Ich bringe euch zum Versteck des Geldes.« »Du hast es also versteckt?« »Sicher. Glaubst du, ich schleppe ständig über zwanzigtausend Dollar in einer Ledertasche mit mir herum? – Du wirst es übrigens nicht glauben: Der Marshal wollte haargenau dasselbe von mir wissen.« »Du willst uns also nicht reinlegen, du bringst uns zum Versteck des Geldes?« fragte Sheldon noch einmal. In seiner Stimme schwang eine dumpfe Warnung mit. »All right, Flannagan. Dann sind wir uns einig. Es ist gut, daß du keine Schwierigkeiten machst. Dann reiten wir am besten gleich los. – Vance, geh in den Stall, mach unsere Pferde fertig und sattele auch eines für Flannagan. – Hank, warst du es nicht, der gesagt hat, ich würde euch betrügen wollen und das Geld für mich allein behalten?«
Sheldons Stimme klang plötzlich klirrend wie brechender Stahl. »Macht keine Dummheiten, wenn wir wegreiten. Laßt es euch nur nicht einfallen, hinter uns herzuschießen. Die Stage kann weiterfahren, sobald wir hinter den Hügeln verschwunden sind. Aber du wirst deine Route weiterfahren, wie immer, Driver. Du wirst nicht etwa umdrehen und nach Wayne zurückfahren. Dann würdest du nämlich nicht mehr lange leben. Um den Marshal solltet ihr euch auch kümmern, wenn wir weg sind. Wenn er aufwacht, wird er Kopfschmerzen haben. Und sagt ihm, er hätte verloren.« Kirk Sheldon schob seinen Revolver in die Halfter und nickte Buck Flannagan zu. »Vorwärts, Spieler. Du hast mir auf dem Schiff geholfen, als es mir saudreckig ging und der Bluthund von einem Marshal mir schon fast im Genick saß. Das werde ich nicht so schnell vergessen. Du warst wirklich anständig.« Der Spieler sagte nichts darauf. Er verließ das Haus. Als er an der Kutsche vorbeikam, beugte er sich hinein und holte seinen Waffengurt mit dem vernickelten Colt in der Halfter heraus. Die Banditen schwiegen, als er ihn umschnallte, und erhoben keine Einwände. Und Buck Flannagan dachte innerlich befriedigt, daß sie ihm bereits vertrauten. Er hatte Sheldon geholfen und erklärte sich jetzt sofort bereit, ihnen das Geldversteck zu zeigen; das zeigte ihnen, daß er nicht ihr Gegner war, und sie glaubten deshalb, von ihm nichts befürchten zu müssen. Das machte ihn sicher. Und als er mit Sheldons Banditen dann vom Hof der Station nach Osten ritt, ohne sich noch einmal umzublicken, schien es so, als sei er einer von ihnen. *** Raid Uvalde stöhnte durchdringend. Sein Oberkörper bäumte sich auf. Er riß die Augen weit auf und sank dann
wieder zurück. Die heftige Bewegung verursachte ein rasendes Hämmern in seinem Schädel, das in Form von brennenden Schmerzen auf seinen ganzen Körper übergriff. Glühende Nadeln schienen unter seiner Haut zu liegen. Der US Marshal bewegte sich einige lange Sekunden nicht, bis die Schmerzen abgeklungen waren. Als er die Augen wieder öffnete, sah er einen Mann vor sich stehen. Der Mann hatte einen grauen Vollbart, ein faltenzerfurchtes Gesicht und dunkle Augen, in denen stumme Fragen standen. Er bückte sich jetzt, hockte sich neben den Beamten und ließ sich von dem anderen Mann, der plötzlich hinter ihm stand, einen Becher mit Kaffee reichen. »Trinken Sie nur, Marshal. Das wird Ihnen guttun.« Der Beamte fühlte, wie ihm der Becher an die Lippen gesetzt wurde. Dann schluckte er auch schon. Die Flüssigkeit war nur lauwarm, doch dem Marshal kam sie glühend heiß vor. Aber sie tat ihm gut. Er merkte es bald. Sein Blick wurde klarer. Er erkannte den Stationer und den Kutscher vor sich, als er die Augen wieder öffnete. »Nur ruhig, Marshal.« Der Graubart Sam Drover stellte den Becher zur Seite. Er nahm sich die linke Hand des Beamten und betastete vorsichtig die Finger. Sie waren geschwollen und röteten sich an den Gelenken. »Die Finger scheinen angebrochen zu sein.« Der Stationer erhob sich. Er eilte zu einem Wandschrank hinüber und kam wenig später mit Verbandsstoff zurück. Er legte Uvalde eine feste Bandage an die linke Hand und grinste dann grimmig. »Ihr Kopf hält sicher noch manchen Schlag aus, Marshal. Mit Ihrer Hand aber werden Sie sich noch eine Zeitlang herumplagen müssen.« Von seiner linken Hand ging ein taubes Ziehen aus. Sie war wie gelähmt, und wenn er versuchte, sie zu bewegen, raste ein Schmerz durch seinen Körper, der ihn bis ins Mark erschütterte.
Sam Drover brachte dem Marshal heißen Kaffee. Der Kutscher schenkte sich auch einen Becher voll und trank gierig. »Was werden Sie jetzt tun, Marshal?« Der Stage Driver beugte sich ein Stück auf seinem Platz vor und musterte den Marshal forschend. »Ich verfolge die Halunken.« Der Beamte trank seinen Becher leer. Der Kopfschmerz hatte nachgelassen in den wenigen Minuten. »Ich setze mich auf ihre Spur. Sie wollen die Beute aus dem Versteck holen. Der Spieler führt sie. Ich werde ihnen folgen. Keiner von ihnen wird etwas von der Beute haben, an dem Geld klebt Blut, und ich werde dafür sorgen, daß nicht ein Cent davon in die Hände von Kirk Sheldons Gaunern fällt.« »Und der Spieler?« fragte der Driver. »Er ist nicht besser.« Der Marshal richtete sich schwerfällig von seinem Platz auf und bewegte sich steifbeinig zur Theke. Er sah hier eine Whiskyflasche stehen, entkorkte sie und nahm einen großen Schluck. »Sie werden mit Ihrer Hand nicht weit kommen, Marshal.« Drover trat neben den Beamten. »Ein Mann mit nur einer gesunden Hand ist nur ein halber Mann. Und wenn Sie nicht achtgeben, heilt Ihre Linke nicht aus. Dann wären Sie erledigt, Marshal.« »Trotzdem.« Der Beamte schüttelte den Kopf. »Ich hole mir die Sheldon-Bande.« »Mit dem Spieler sind das vier Männer, Marshal. Und jeder von denen wird mit seinem Colt umgehen können. Sie haben gar keine Chance«, warf der Driver vom Tisch aus ein. Raid Uvalde achtete nicht auf die Worte. Er hob seinen Hut vom Boden auf und blickte den Stationer an. »Kann ich ein Pferd haben?« »Eigentlich nicht.« Drover schüttelte den Kopf. »Die Tiere gehören Wells Fargo und dürfen nicht verkauft und nicht
verliehen werden. Und ich möchte Ihnen auch gar keins geben, weil ich Sie nicht in den Tod rennen lassen will. Aber ich schätze, Sie würden sogar zu Fuß losgehen.« »Richtig, Stationer.« »Hölle noch mal.« Sam Drover schlug mit beiden Fäusten auf die Theke. »Dann gehen Sie in Gottes Namen. Nehmen Sie sich ein Pferd und reiten Sie. Aber denken Sie daran, daß Ihnen niemand ein Grab schaufeln wird. Wenn Sie sterben, werden Sie allein sein, Marshal, verdammt allein.« Raid Uvalde nickte sinnend. Er tippte sich auf den silbernen Stern und grinste verbissen. Dann verließ er das Stationsgebäude. Bill Drover sah ihm vom Fenster aus über den Hof gehen, mit schweren Schritten, aber fest entschlossen. Er preßte seine Lippen zu einem Strich zusammen, ballte die Fäuste und wandte sich abrupt um. »Ich reite mit ihm, Dad.« Sam Drover hob irritiert den Kopf und blickte seinen Sohn fragend an. »Was sagst du da?« »Ich reite mit dem Marshal, Dad. Ich helfe ihm und jage mit ihm die verdammten Banditen in die Hölle.« »Du bist wohl verrückt geworden, wie?« Sam Drover sah das vor Aufregung rote Gesicht seines Sohnes, und er sah den verzehrenden Haß in den Augen des jungen Mannes. »Der Marshal braucht Hilfe«, sagte Bill Drover. »Aber nicht von dir.« Der untersetzte Stage Driver erhob sich jetzt von seinem Platz und stellte sich neben den graubärtigen Stationer. »Du wirst gefälligst auf deinen Vater hören, Bill.« »Ich habe noch eine Rechnung zu begleichen!« schrie Bill Drover. »Ich lasse mich nicht davon abhalten.« Er drängte sich jetzt vorbei und hastete zur Tür. Der Kutscher sprang ihm nach, packte ihn an der linken Schulter und riß ihn herum. »Sorry, Boy«, murmelte er. »Es tut mir leid, aber vielleicht wirst du vernünftig, wenn du
ausgeschlafen hast.« Dann schmetterte schon ein gewaltiger Fausthieb gegen den linken Kinnwinkel Bill Drovers. Der junge Mann riß die Augen weit auf, stieß einen gurgelnden Laut aus und brach wortlos zusammen. Der untersetzte Kutscher wandte sich um und rieb sich über die Faustknöchel. Bedauernd blickte er den Stationer an. »Tut mir wirklich leid, Sam. Aber der Junge wäre mit guten Worten nicht zur Vernunft gebracht worden. Wenn er aufwacht und der Marshal weg ist, wird es sicher leichter sein.« »Schon gut. Was du getan hast, war schon richtig.« Der Stationer nickte bitter und ging zu seiner Frau. Er setzte sich neben sie, nahm ihre Hand und drückte sie fest. Von draußen hallte jetzt Hufschlag herein. Der US Marshal Raid Uvalde verließ die Station und folgte der Spur der Banditen. *** Am Abend erreichten sie das Bergland. Die Sonne stand schon tief und färbte sich rot. Die Schatten waren lang. Die Pferde waren müde, aber die Männer ritten weiter. Nach über einer Stunde war die Sonne fast gesunken, und die Männer erreichten ein kleines Plateau. Hier zügelten sie ihre Pferde und stiegen ab. Die Nacht lag schon über der Bergkette, die die Ebene wie ein gewaltiger natürlicher Wall durchschnitt. Die Männer suchten am Rande des Plateaus zwischen dem verkrüppelten Gestrüpp, das hier überall zwischen den Steinen wucherte, nach trockenen Reisern. Wenig später brannte ein kleines Feuer. »Ist es noch weit bis zum Versteck?« Kirk Sheldon durchbrach als erster das Schweigen. Buck Flannagan hob den Kopf. Er hatte den Hut tief in die Stirn gezogen, so daß sein Gesicht im Schatten lag.
»Nicht sehr weit.« Der Spieler schöpfte sich Kaffee aus dem rußigen Kessel, der am Dreibein über den Flammen hing. »Morgen gegen Mittag erreichen wir es. Es ist ein gutes Versteck. Das Geld war sicher da. Ich hoffe, wenn ich es euch gezeigt habe, haltet ihr euch an die Vereinbarungen und laßt mich laufen.« »Warum sollten wir das nicht tun?« Kirk Sheldon nagte an einem trockenen steinharten Stück Maisbrot. »Wir haben nichts von dir zu befürchten, Flannagan. Du wirst selbst vom Gesetz gejagt, obwohl du gar nichts weiter gemacht hast. Du hättest nichts davon, uns zu verraten, weil du dich damit selbst ausliefern würdest. Außerdem hast du mir geholfen, und jetzt hilfst du uns wieder. Warum solltest du also plötzlich gegen uns sein?« »Eben, warum sollte ich das?« Flannagan grinste starr und trank. »Wohin werdet ihr gehen, wenn ihr das Geld habt?« »Wir bleiben in Nebraska. Wir gehen in den Süden des Staates.« Carter drehte sich mit seinem letzten Tabak eine dünne Zigarre. »Und du?« »Ich werde über den Missouri gehen, nach Iowa. Sicher ist sicher.« »Wir werden heute nacht eine Wache aufstellen. Vance, du wirst die erste Wache übernehmen.« Kirk Sheldon schüttelte den Rest seines Kaffees ins Feuer. Es zischte leise. Der Bandit entrollte seine Decke und legte sich auf den steinigen Boden. »Ich bin müde«, maulte Vance Custer. »Wenn wir verfolgt werden und der verdammte Marshal uns in der Nacht einholt, kannst du verdammt lange schlafen, weil er uns dann nämlich töten wird!« sagte Sheldon böse. »Du hältst die erste Wache, klar? Und dann bist du dran, Flannagan.« »In Ordnung, Sheldon.« Buck Flannagan legte sich jetzt auch nieder. Er schob sich den Hut ins Genick und zog die Satteldecke über sich. Wenig
später war es still auf dem Bergplateau. *** Gegen Mitternacht schob Buck Flannagan seine Decke zur Seite und erhob sich langsam. Er hörte die ruhigen Atemzüge von Sheldon und Carter. Das Feuer war längst aus. Vance Custer saß auf einem Stein in der Nähe und rauchte. Der Spieler tastete zum Colt in der Halfter. Er preßte sich den Hut fest in die Stirn und ließ die Decke fallen. Buck Flannagan ging auf Vance Custer zu. Der Bandit hörte die Schritte des Spielers und wandte den Kopf. Er grinste schmal. »Ich wollte dich gerade wecken. Du bist an der Reihe.« »Ich habe eine Uhr in mir«, sagte Flannagan. »Ich wache immer von selbst auf, wenn es Zeit ist.« »Bist jetzt war alles ruhig.« Vance Custer richtete sich auf. »Bis jetzt, ja.« Flannagan nickte, dann zog er plötzlich den Colt. Das silberne Mondlicht brach sich auf dem vernickelten Stahl. Vance Custer wurde steif wie ein Brett. »Bist du verrückt? Was soll das, Mann?« »Hast du wirklich gedacht, ich gebe euch das Geld? Ich bin doch nicht verrückt. Das Geld habt ihr geraubt. Ich werde es dem geben, dem es gehört, nicht euch. Ich bin kein Bandit, Custer!« sagte Flannagan. »Ich bin kein Engel, aber ich war nie ein Bandit und werde nie einer sein.« Vance Custer wich einen Schritt zurück. Er schien erst nicht zu begreifen, was der andere da sagte. Dann schrie er laut auf: »Du dreckiges Schwein! Du verfluchter Verräter. Fahr zur Hölle, du Mistkerl!« Und er zog seinen Colt. Im selben Moment fuhr ihm mit einem Donnerschlag der Tod entgegen und riß ihn von den Beinen. Er stürzte lang auf den Rücken und rührte sich nicht mehr. Die Feuerzunge vor der Mündung erlosch. Stinkend
breitete sich Pulverrauch in der kühlen Nachtluft auf. Die beiden anderen Banditen fuhren hellwach in die Höhe. Und sie reagierten schnell; denn sie waren erfahrene Wölfe und mit allen Wassern gewaschen. Kirk Sheldon feuerte zuerst. Dann lag er schon flach am Boden und schoß zum zweitenmal, während auch die Waffe Hank Carters krachte. Buck Flannagan machte einen gewaltigen Satz zurück, stolperte, fiel auf den Rücken und rollte sich herum. Das war sein Glück. Die Kugeln Sheldons strichen heiß an seinem Kopf vorbei, prallten gegen den Fels, schlugen krachend Funken und zischten jaulend als Querschläger in die Nacht hinaus. »Bist du wahnsinnig, Flannagan? Bist du total wahnsinnig?« schrie Kirk Sheldon. Buck Flannagan aber antwortete nicht. Sein Gesicht war schweißüberströmt und vor Anstrengung verzerrt. Er wälzte sich hinter einen yardhohen Felsblock, wartete, bis sein Atem sich beruhigt hatte und sprang auf. Nach zwei, drei raschen Sätzen war er von der Nacht verschluckt. Kirk Sheldon sprang fluchend auf. Mit großen Sprüngen setzte er über das Plateau. »Flannagan!« schrie er. Hundertfach hallte der Name von den Bergwänden zurück. Das Echo klang wie ein ratterndes Tremolo. »Flannagan, Flannagan, Flannagan...«, klang es. »Hör auf zu schreien!« sagte Carter. »Mensch, Kirk, hör bloß auf zu schreien. Das macht einen ja verrückt. Schon die Schüsse. Es hört sich an, als wenn Kanonen hier schießen würden. Und jetzt dieses Schreien!« »Mach dir nur nicht in die Hose!« sagte Sheldon wild. »Denk an das Geld, verdammt noch mal. Dieser dreckige Betrüger, dieser verfluchte Hund! Wir befreien ihn, und er tut wer weiß wie scheinheilig. Dabei hat er es selbst auf das Geld abgesehen. – Ist Vance tot?« Carter kroch zu der Gestalt Custers hinüber. »Yeah.« Sheldon zerquetschte einen Fluch zwischen den schmalen
Lippen. Er blickte sich wieder um. »Und er kann überall sein, dieser verdammte Kartenhai. Er kann hier überall stecken. Die Nacht deckt ihn, und er kann ganz in unserer Nähe sein.« »Er wird uns ermorden«, sagte Hank Carter. »Yeah, er wird uns auch noch töten. Und wir können nichts tun, gar nichts. Weil wir ihn nicht sehen können und nicht wissen, wann er wieder zuschlägt.« »Und das Geld?« schrie Carter wild. »Das Geld kriegen wir auch nicht. Das war eine ganz verfluchte Idee, die Bank in Bloomfield zu überfallen. Stan hat in dem dreckigen Kaff dran glauben müssen. Jetzt ist Vance tot, der US Marshal ist noch immer hinter uns her, und jetzt kommt noch dieser Spieler dazu, der uns nach Strich und Faden betrogen hat. – Wo ist jetzt das Geld? Es war doch deine Idee, der Überfall in Bloomfield, Kirk. Jetzt sag mir, woher wir unsere Beute bekommen?« »Wir kriegen das Geld!« sagte Sheldon. »Wir kriegen es schon. Es liegt hier ganz in der Nähe. Wir werden es schon finden. Und wenn es Tag ist, ist unsere Chance gegen Flannagan gut, ja, sie ist sogar größer als seine Chance, uns zu töten. Wir müssen nur die Nacht überstehen, dann haben wir schon halb gewonnen. Der Spieler wird uns nicht um unsere Beute bringen.« »Wir finden sie nicht, Kirk. Niemals. Wir laufen nur in die Falle dieses Kartenhais. Er wird uns töten, und du weißt das. Wir haben nur noch eine Chance, wenn wir sofort verschwinden, Kirk.« »Bist du verrückt?« Sheldon schüttelte heftig den Kopf. »Wir bleiben, wir kämpfen es aus und suchen unsere Beute. So und nicht anders wird es gemacht.« Sie schwiegen. Und sie starrten in die mit Blicken nicht zu durchdringende Dunkelheit, bis ihre Augen brannten und zu tränen begannen vor Anstrengung. Aber es blieb alles still. Und das war es, was an ihren Nerven zerrte: Die Stille, die
gottverdammte Stille. Irgendwo in der Dunkelheit und irgendwo in dieser Stille war der Gegner; unsichtbar und schnell. Aber er kam nicht. Und so kämpften die Banditen zuerst gegen sich selbst, gegen ihre innere Unruhe, gegen ihre heimliche Angst und gegen die Müdigkeit. So hockten sie nebeneinander an dem kalten Feuer. Und sie hielten die Waffen in den Fäusten, obwohl sie ihnen zentnerschwer schienen. Über den Bergen ging die Sonne auf. Sie stieg wie eine vollreife Orange am Horizont empor, umwoben von blassen Nebelfetzen, die sich unter ihren brennenden Strahlen auflösten. Der Himmel war wolkenlos und spannte sich wie eine gewaltige Decke über dem Land. Die Banditen richteten sich neben der kalten Feuerstelle auf. Sie waren übernächtigt und spürten jeden einzelnen Knochen. Ihre Bewegungen wirkten hölzern. Ein taubes Ziehen erfüllte ihre Gelenke. Mit steifen Fingern entfachten sie ein Feuer und kochten Kaffee. Aber sie bewegten sich – unsicher und fühlten sich ständig beobachtet. Sie blickten sich häufig um. Ihre Gesichter waren vom fehlenden Schlaf gezeichnet und mürrisch. In ihren Augen lag eine innerliche leise nagende Furcht. Sie schütteten den heißen Kaffee in sich hinein, sattelten ihre Pferde und schritten auf den schmalen Pfad zu, der von dem Plateau aus höher in die Berge hineinführte. Jetzt sprach Kirk Sheldon plötzlich. Er wandte den Kopf. »Wir ziehen jetzt bis zum Mittag weiter. Dann fangen wir an zu suchen. Flannagan kann das Geld nicht überall versteckt haben. Das Gelände muß geeignet dafür sein. Also kann es sich nur um Felsspalten oder Höhlen handeln. Es dürfte nicht allzuschwer sein, die Beute zu finden.« »Das glaube ich nicht.« Die Stimme Hank Carters klang rostig. »Ich glaube nicht, daß es so einfach ist, das Geld zu finden. Wir kennen uns hier überhaupt nicht aus. Felsspalten gibt es Hunderte hier, und Höhlen sicher Dutzende. Wenn wir
die alle durchsuchen wollten, wären wir in einem Jahr noch nicht fertig. Aber wir werden in einem Jahr nicht mehr hiersein, weil der Spieler auch noch da ist, und dafür sorgen wird, daß wir weder die Beute finden, noch sehr lange leben.« »Hör auf, davon zu reden.« Kirk Sheldon blickte nach vorn. Er schwang sich jetzt in den Sattel. »Aber er geht nicht weg, wenn wir über ihn schweigen«, sagte Hank Carter aufgeregt. »Er ist hier, und wir wissen nicht, wo. Vielleicht hat er im Laufe der Nacht die Beute längst geholt. Er ist der einzige, der das Versteck kennt.« »Wenn, wenn, vielleicht, vielleicht.« Kirk Sheldon starrte den anderen wütend ah. »Wenn du nicht so eine verfluchte Angst hättest, wäre alles leichter.« *** Die Sonne stieg höher, aber der Wind von den Berghängen war kühl und nahm den Sonnenstrahlen viel von ihrer Kraft. Schroff, grau und abweisend reckten sich die in Kaskaden aufsteigenden Felswände in den blauen Herbsthimmel. Die Hufe der Pferde klapperten auf dem Felspfad. Zusammengesunken saßen Sheldon und Carter in den Sätteln. Sie waren erschöpft. Der fehlende Schlaf und die ständige Furcht vor dem unsichtbaren Gegner zermürbten sie. Sie schwankten in den Sätteln. Nicht weit von einer Geröllhalde hielten sie an und stiegen ab. Sie konnten sich vor Übermüdung kaum noch auf den Beinen halten. Ihre Bewegungen waren schwerfällig, und sie selbst hatten das Gefühl, ihre Glieder wären mit Blei gefüllt. »Wo kann das Geld sein, Hank?« Kirk Sheldon nahm seine Feldflasche vom Sattel und fingerte ungeschickt den Korken heraus. Er setzte die Flasche an die Lippen und trank gierig. »Das ist mir jetzt egal, Kirk.« Hank Carter hielt sich am Sattelhorn seines Pferdes fest. Er wischte sich mit fahriger
Handbewegung über das eingefallene Gesicht, das mit einer Maske aus Schweiß und grauem Steinstaub bedeckt war. »Es ist mir wirklich scheißegal, Kirk.« Carter ging schwankend zu einem Steinblock hinüber und setzte sich darauf. »Ich habe keine Lust mehr, Kirk. Ich bin müde, ich brauche Ruhe, und ich will schlafen. Aber ich kann nicht schlafen, weil dieser Spieler irgendwo in den Felsen ist und nur darauf wartet, daß wir schlappmachen. So geht es aber nicht mehr weiter, Kirk. Drehen wir um. Wie sollen wir das Geld finden, wenn wir zu erschöpft sind, uns überhaupt auf den Beinen zu halten?« »Wer sagt denn, daß wir so erschöpft sind?« fragte Sheldon grimmig. »Du bist ein jämmerlicher Schwächling, Hank. Wenn dir ein paar Stunden Schlaf fehlen, klappst du schon zusammen. Dazu kommt deine Feigheit, die Angst vor diesem Spieler. Wo ist er denn, Buck Flannagan? Ich sehe ihn nicht, und er hat seit der Nacht nichts mehr von sich hören lassen. Vielleicht ist er gar nicht mehr da. Aber du jammerst hier herum wie ein altes Waschweib. Ich frage mich wirklich, wieso wir es drei Jahre miteinander ausgehalten haben, Hank Carter. Wahrscheinlich ist mir deine Feigheit nicht so aufgefallen, als Vance und Stan noch da waren. Aber jetzt sind wir beide allein. Und jetzt wirst du dich zusammennehmen, sonst schlage ich dich zusammen, daß du dich entschuldigst, geboren worden zu sein.« »Dann komm doch her, verdammt noch mal!« schrie Carter. »Ich habe es doch nicht nötig, mich ständig von dir beschimpfen zu lassen. Du willst ja nur deine eigene Angst damit verbergen, daß du mich laufend anschreist. Aber wenn du glaubst, daß du so stark bist, dann komm doch her, dann schlag doch zu. Dann wirst du schon sehen, wie feige ich bin und wie schwach!« Kirk Sheldon atmete schwer. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die Ungewißheit darüber, was Buck Flannagan vorhatte, machte ihn reizbar und jähzornig
gegenüber seinem Kumpan. Er ballte die Fäuste und stampfte auf den anderen zu. »Dann steh doch auf, du Großmaul!« keuchte er. Hank Carter fuhr von seinem Platz in die Höhe und hob die Fäuste. Sein Gesicht war rot und verzerrt. »Du verdammter Idiot! Dir verdanken wir doch alles. Das Ganze hast du uns doch eingebrockt. Der Überfall in Bloomfield war der Anfang. Alles war deine Idee. Und jetzt spielst du dich auf. Dabei mußten Stan und Vance sterben, und es war deine Schuld.« »Das sag jetzt noch einmal!« sagte Sheldon. Er war plötzlich rasend vor Wut, er wußte selbst nicht, warum. Er fühlte in sich einen Stau von wilden Gefühlen, die mit Macht aus ihm herausdrängten. Und Hank Carter ging es nicht anders. Er schlug als erster zu, ohne ein weiteres Wort. Seine Fäuste trafen Kirk Sheldon blitzschnell im Gesicht. Sie rissen dem Banditen fast den Kopf vom Rumpf. Er stolperte zurück, fiel beinahe, warf beide Arme schützend vor das Gesicht und wehrte mehrere heftige Schläge Carters ab. Dann hatte er die Betäubung der ersten Treffer überwunden und griff an. Sein rechter Fuß flog unvermittelt hoch und traf den Kumpan im Magen. Carter kreischte. Sein Gesicht lief grün an, seine Augen weiteten sich. Er krümmte sich zusammen und wurde durch die Wucht des Trittes gut zwei Yard zurückgeschleudert. Er stürzte nieder und kam ächzend auf die Beine. Da stürmte Kirk Sheldon schon heran. Hank Carter sah den Schatten. Er duckte sich und rammte den kantigen Schädel nach vorn. Sheldons Hiebe trafen nicht. Aber er fühlte sich plötzlich hochgehoben. Der Rammstoß preßte alle Luft aus seinem Körper. Dann fiel er krachend auf den Rücken, und Hank Carter warf sich mit einem triumphierenden Wutschrei auf ihn.
»Wer ist der Feigling? Wer ist der Schwächling?« keuchte Carter. Seine klobigen Finger schlossen sich wie eine Klammer um Sheldons Hals. Sheldon rang nach Atem. Die Luft wurde ihm knapp. Er wehrte sich heftig und hatte mit einemmal wahnsinnige Todesangst in sich. Die Furcht, daß sein Kumpan ihn in seinem blinden Zorn wirklich umbringen würde, verlieh ihm gewaltige Kräfte. Er riß beide Beine an den Leib und traf mit den Knien Carter in den Unterleib. Der Mann heulte schrill auf. Sein Griff lockerte sich. Sheldon entwand sich ihm, schlug ihm ins Gesicht und kam keuchend hoch. Er schwankte leicht. Als Carter aufstehen wollte, bekam er einen Tritt gegen die linke Schulter und fiel wieder auf den Fels. Sheldon drehte sich keuchend um, torkelte zu seinem Pferd und trank wieder aus seiner Feldflasche. Er fühlte die Sinnlosigkeit seines Tuns. Und Hank Carter ging es nicht viel anders. Er lag flach auf dem harten Gestein und atmete geräuschvoll. Nach einigen Minuten erhob er sich wortlos, stülpte seinen Hut auf und ging zu seinem Pferd. »Wir sind Idioten«, sagte Kirk Sheldon jetzt. Er blickte den Kumpan dabei nicht an. »Wir sind verdammte Idioten. Dieser Flannagan will uns kaputtmachen. Er will uns zermürben, bis wir uns gegenseitig erschlagen. Und beinahe hätte er es schon geschafft. Wir dürfen nicht mehr die Nerven verlieren, Hank. Wir müssen jetzt zusammenhalten, sonst arbeiten wir dem verfluchten Spieler in die Hände. Es ist wie am Pokertisch, Hank, genauso. Er ist ein Spieler, und er arbeitet mit den Methoden eines Spielers. Er blufft, er reizt, und er spielt mit unseren Nerven. Und am Ende gewinnt der, der die besseren Nerven hatte, der die Ruhe behalten hat.« »Ich halte das nicht durch, Kirk.« Hank Carter schüttelte verzweifelt den Kopf. Und zu den Schmerzen der Erschöpfung
kamen nun auch die Schmerzen der Schläge, die sie sich gegenseitig versetzt hatten. »Ich kann das nicht durchstehen. Ich kenne mich mit den Methoden des Kerls nicht aus. Ich bin ein schlechter Pokerspieler, Kirk.« »Es ist ein Spiel um Leben und Tod, Hank. Flannagan hat denselben Einsatz gemacht wie wir.« Kirk Sheldon blickte starr gegen eine schroffe Felswand, die wie eine Mauer vor ihm aufwuchs. »Wer sagt, daß wir nicht gewinnen?« »Ich.« Die Stimme klang scharf wie brechendes Kristall. Sie traf Kirk Sheldon wie ein Gewehrschuß. Und Hank Carter stand steif wie ein Brett neben seinem Pferd, starrte aus geweiteten Augen zu der Geröllhalde hinüber, hob seine rechte Hand und murmelte irgend etwas. Aber er brachte kein klares Wort heraus. Kirk Sheldon warf den Kopf herum. Und er sah Buck Flannagan neben der Geröllhalde stehen, groß, schlank und sehnig, breitbeinig wie am Boden verwurzelt. Seine Lippen waren dünn wie aus Erz gegossen, ein hartes Lächeln umspielte sie. Kirk Sheldon schrie, obwohl er es nicht wollte. »Nein!« schrie er. »Flannagan, schieß nicht!« Und er konnte sich für einen Moment nicht rühren. Seine Glieder waren wie gelähmt. Das steinerne Gesicht des Spielers mit dem starren Lächeln darin kam ihm vor wie das Gesicht des Todes. Buck Flannagan lehnte an einem mannshohen Felsblock. Seine rechte Hand hatte den Kolben des vernickelten Peacemaker Colt in der Halfter umklammert. »Ihr könnt in diesem Spiel nicht gewinnen, Sheldon«, sagte der Spieler leise. »Weil ich die Bedingungen mache. Und ihr könnt nur dagegen verstoßen. Selbst wenn ihr euch den Bedingungen anpaßt, seid ihr verloren.« »Warum – warum schießt du dann nicht und machst allem ein Ende?« schrie Hank Carter.
»Weil ich will, daß ihr euch ergebt, damit ich euch dem Marshal ausliefern kann. Ich will nicht mein Leben lang vom Gesetz gehetzt werden. Der Marshal hat mich zum Banditen abgestempelt. Well, ich kann ihm nur das Gegenteil beweisen, wenn ich euch und das Geld ausliefere. Das werde ich tun. Aber ich will euch lebend ausliefern. Es liegt bei euch, ob ich das kann.« »Er will uns ausliefern.« Kirk Sheldon sagte es tonlos. »Wir sollen uns ergeben«, fuhr er fort. Und mit jeder Sekunde wuchs die innere Sicherheit plötzlich wieder. Die Ungewißheit war zu Ende. Buck Flannagan war da. Und der erste Schreck war vorbei. Kirk Sheldon lachte sogar kreischend. Nur Hank Carter rührte sich noch immer nicht. »Du bist wohl verrückt?« schrie Sheldon. Dann griff er zur Waffe. Der Spieler war schneller. Aber Sheldon warf sich im selben Moment, da sein Revolver hochschwang, zur Seite, fiel auf den Fels, feuerte, rollte sich herum und lag einen Sekundenbruchteil später in Deckung in einer tiefen Einbuchtung im felsigen Boden. Flannagans Schuß ging fehl. Die Detonation brach sich brüllend an den Hängen der Bergkette und schallte vielfach zurück. Dann sprang der Spieler hinter den Felsblock, an dem er lehnte, und lachte heiser, als die Kugeln Sheldons wirkungslos vorbeistrichen und ab und zu knirschend über das Gestein schleiften, so daß tiefe Furchen zurückblieben. Sheldon fluchte wütend. Sein Schießen verstummte plötzlich. Buck Flannagan schob blitzschnell seinen Revolver aus der Deckung und schoß zwei-, dreimal. Hank Carter gurgelte dumpf. Er hatte bis jetzt neben seinem Pferd gestanden. Nun aber hatte er einen Sprung auf die Deckung des Kumpans zugemacht. Die Kugel Flannagans traf ihn im vollen Lauf. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, taumelte und brach dann
zusammen. Aus seinen Mundwinkeln rannen dünne Blutfäden. Kirk Sheldon schrie und brüllte wie verrückt. Schließlich erstickten seine Flüche, und es wurde still. Leise sang der Wind um die schroffen Kanten des Gesteins. *** Es war Mittag. Trotz des kühlen Windes war es heiß zwischen den Felsen. Das graue Gestein staute die Wärme der Sonne auf und strahlte sie wider. Der Wind trieb manchmal dünne Schleier des grauen Gesteinsstaubes von den Händen. Unruhig standen die Pferde der Banditen auf dem schmalen Bergpfad. Sie wagten nicht, sich zu rühren. Das Krachen der Schüsse hatte sie nervös gemacht, und jetzt hatten sie Angst. Nicht weit von ihnen lag in verrenkter Haltung der tote Hank Carter. Fliegen schwirrten über ihm. Die Männer in ihren Deckungen schwitzten. Sie konnten sich nicht rühren. Das kleinste Geräusch würde den jeweils anderen sofort zum Feuern veranlassen. Ihre Glieder wurden steif, je länger sie in ihren Haltungen verharrten. Ihre Sinne waren überreizt. Sie glaubten manchmal, Geräusche zu hören, obwohl es keine gab. Sie belauerten sich, und sie hielten eisern durch, wie es nur zwei Männer tun können, für die es um Leben und Tod geht. Oh, es war ein höllisch hartes Spiel, das härteste für Buck Flannagan, den Gambler, und das schlimmste für Kirk Sheldon, den Banditen, der bis jetzt durchgehalten hatte, der aber kaum eine Chance gegen einen Mann wie Flannagan hatte. Kirk Sheldon sah die Sonne am Zenit stehen. Er hatte Durst, so wahnsinnigen Durst. Seine Kehle war wie eine heiße Ofenplatte, seine Mundhöhle war trocken wie die Wüste von Texas und brannte, als wäre sie entzündet. Seine Zunge wurde schwer, der Gaumen war wie gelähmt. Sheldon röchelte manchmal schon beim Atmen. Das Blut in seinen Adern raste
und hämmerte. Sein Kopf war von einem dröhnenden Brausen erfüllt, und er wußte, daß er einen Sonnenstich bekommen würde, wenn er noch lange hier lag. Aber was sonst sollte er tun? »Wie geht es dir, Sheldon?« klang plötzlich die Stimme des Spielers wieder auf. »Ich hoffe, es geht dir gut, Sheldon. So ganz ohne Wasser und ohne Schatten. Du bist schon ein harter Bursche, Sheldon. Ich habe übrigens eine Feldflasche mit feinem, klarem Wasser. Das tut gut, wenn man lange auf einem Fleck stehen und sich von der Sonne verbrennen lassen muß.« Sheldon zitterte. Er hörte die Worte des anderen, und er spürte seinen Durst noch stärker. »Schwein!« krächzte er. Seine Stimme klang so brüchig wie bröckelnder Schiefer. »Du... Schwein!« »Ich hoffe auch, deine Munition reicht aus. Ich habe genug Munition. – Wie konntest du nur glauben, Sheldon, ich würde mit dir gemeinsame Sache machen? Dann wäre ich ja für jeden ein Bandit gewesen. Mein Name hätte bald auf hundert Steckbriefen gestanden.« Sheldon antwortete nicht. Er hob den Revolver und feuerte. Die Kugel prallte gegen den Felsblock, hinter dem Flannagan sich verbarg. Das Geschoß grub eine Schramme ins Gestein und prallte ab. Dröhnend brach sich die Detonation an den Berghängen. Buck Flannagan lachte hohl, und Kirk Sheldon schrie vor hilfloser Wut einen Fluch. Dann versagte seine Stimme. Er sah den ätzenden Pulverdampf von der Waffenmündung aufsteigen, fühlte, wie er auf seinen Lippen brannte, und der Durst war mit einemmal schlimmer und heftiger als zuvor. »Na, Sheldon, hast du getroffen?« lachte der Spieler kalt. »Du hast doch nicht etwa danebengeschossen? Es war schon eine Meisterleistung, den großen Felsen zu treffen.« »Halt dein Maul!« brüllte Kirk Sheldon zurück. Tränen stiegen plötzlich heiß in seine Augen. »Halt dein verdammtes
Maul!« Dann schluchzte er und ließ sein Gesicht auf den Fels sinken. Für einen Moment war er nicht fähig, den schweren Revolver zu halten, so zitterte er, so stark war mit einemmal die Erschöpfung in ihm. Dann riß er sich zusammen. Er stützte sich auf und schob sich rückwärts auf den schräg abfallenden Hang hinter der Mulde zu, in der er lag. Er verbiß sich allen Schmerz und kämpfte gegen seine Schwäche an. Er versuchte, seine Gedanken nur auf die Möglichkeit zu konzentrieren, diesen Kampf zu gewinnen, und auf sonst nichts. Er versuchte, für einen Moment den Gegner und den möglichen Tod zu vergessen. Als Kirk Sheldon sich schon halb aus der Mulde geschoben hatte, krachte plötzlich ein Schuß von Flannagans Deckung her. Sheldon schrie auf. Die Kugel fuhr wie ein Peitschenhieb über sein linkes Bein und riß ihm die Ferse auf. Brüllend krümmte Sheldon sich zusammen und warf sich verzweifelt zurück in die Mulde. Das Geschoß hatte das Leder des Stiefels zerfetzt und einen fingertiefen Riß an der Ferse hinterlassen. Der Knochen war angesplittert. Blut quoll aus der Wunde und netzte den steinigen Boden. Und der Schmerz war so gewaltig, daß Kirk Sheldon mit sich kämpfen mußte, um nicht das Bewußtsein zu verlieren. »Du bist doch nicht etwa verletzt, Sheldon?« rief Flannagan. Der Bandit antwortete nicht. Er riß sich sein Halstuch ab. Mit dem Messer schlitzte er den linken Stiefel auf, streifte ihn ab und schlang dann das Halstuch um die Wunde. Aber der brennende Schmerz ließ nicht nach. Er schien sich im Gegenteil noch zu verstärken. Und die Blutung hörte auch nicht auf. Das Halstuch war nach wenigen Sekunden getränkt mit Blut. Sheldon zog sich sein Hemd aus, riß es in Streifen und schlang auch diese noch um den Fuß. Aus seinen Augen strömten jetzt Tränen, und sein Mund war ein dünner Strich.
Sein Gesicht wirkte verkniffen, und er hätte pausenlos geschrien, wenn er nicht dem anderen dadurch seine Schwäche gezeigt hätte. Ich muß weg, dachte Kirk Sheldon. Ich muß weg von hier. Die Stoffstreifen, die er um den linken Fuß geschlungen hatte, waren bereits wieder blutgetränkt. Und Kirk Sheldon wurde schwächer. Dennoch schob er sich wieder auf den Rand der Mulde zu, um den Hang hinunterzuklettern. Wieder brüllte ein Schuß. Eine Kugel schlug nicht weit von Sheldon in den Boden und schleuderte ihm eine Woge Steinsplitter ins Gesicht. Er schloß instinktiv die Augen und zog den Kopf ein. »Willst mich vielleicht verlassen, Sheldon?« rief Buck Flannagan mit vor Hohn triefender Stimme. »Es wäre doch wirklich schade, wenn wir schon auseinandergehen würden, wo wir uns doch so gut verstehen, nicht wahr, Sheldon, hahaha!« Er lachte scharf und klirrend. Und Kirk Sheldon fluchte in hilfloser Verzweiflung und Angst. Er sah den Tod plötzlich wieder vor sich, und er wußte, daß er jetzt nicht mehr die Kraft aufbringen würde, einen Fluchtversuch zu machen, »Du kannst nicht aus diesem Spiel aussteigen, Sheldon!« rief Buck Flannagan jetzt wieder. »In diesem Spiel mußt du mitmachen, bis zum Ende. Hier wird dir nichts geschenkt, und passen kannst du nicht. – Ich habe Zeit, Sheldon, ich hoffe, du hast genauso lange Zeit. Ich kann noch morgen früh hier stehen, noch morgen abend und auch übermorgen noch, wenn es sein muß. Du wirst das wohl kaum schaffen. Entweder die Müdigkeit wirft dich um, oder du verblutest, Sheldon.« Sei ruhig, wollte Sheldon schreien. Sei, zum Teufel noch mal, ruhig! Aber er bekam kein Wort heraus. Denn es schien, als läge eine Schlinge um seinen Hals, die sich mehr und mehr zusammenzog. Ich muß wach bleiben, hämmerte es in ihm. Ich darf nicht aufgeben. Ich darf nicht einschlafen, darf nicht schwach
werden. Ich muß hart bleiben und durchhalten, solange wie es nur geht. Und er hörte auf zu denken, denn er durfte nicht grübeln, weil er dann schon früher zusammenbrechen würde. Er hatte keine Gnade zu erwarten, weder von dem Spieler, noch von dem Gesetz; denn er war ein Bandit, ein Outlaw, ein Ausgestoßener. Für ihn gab es nur den Tod, etwas anderes hatte die Welt für ihn nicht vorgesehen. Und wieder klang das klirrende Lachen des Spielers Buck Flannagan auf. Er konnte keine Rücksichten nehmen, denn ihm ging es um sich selbst, um sein Leben und um seinen Ruf. Er war kein Verbrecher, auch wenn er es zuweilen mit dem Gesetz nicht genaunahm. Aber er wurde als Bandit angesehen und wollte sich rehabilitieren, mit allen Mitteln. Deshalb konnte er es sich nicht leisten, Kirk Sheldon laufenzulassen. Es war ein höllisch hartes Spiel. *** Ein schepperndes Geräusch klang durch die Stille. Metall schlug auf Fels. Hohl klapperten Hufeisen. Ein Reiter kam den schmalen Pfad herauf. Er ritt langsam. Sein Pferd schnaubte. Es war Nachmittag. Die Sonne sank bereits am Horizont nach Westen dem Abend zu. Golden hing ihr herbstlicher Glanz über den Bergen. Der Wind hatte nachgelassen. Wieder war das scheppernde Geräusch zu hören. Unterhalb der Stelle, an der sich die beiden Männer gegenüberlagen, tauchte jetzt ein Schatten auf. Dann bog der Reiter um eine Felsecke. Der Mann im Sattel war groß und starkknochig. Aber er strahlte trotz allem Energie aus. Er trug um die linke Hand einen Verband, und an der Stirn hatte er eine verschorfte Platzwunde. Es war der US Marshal Raid Uvalde. Er war, seit er die Station verlassen hatte, pausenlos geritten, ohne Rücksicht auf sich selbst. Er war den Spuren der Reiter gefolgt,
auch in die Berge hinein. Kurz vor Mittag hatte er den toten Vance Custer und die beiden Pferde gefunden, die Sheldon und Carter am Morgen zurückgelassen hatten. Von da an hatte er gewußt, daß innerhalb der Bande etwas Schwerwiegendes vorgefallen war, auch wenn er sich nicht erklären konnte, was. Aber er war den Spuren weiter gefolgt. Und jetzt war er da. Und Kirk Sheldon hatte mit einemmal auch einen Gegner im Rücken. Raid Uvalde sah die beiden Pferde vor sich auf dem Weg, und er sah den Toten. Er riß sofort sein Tier zurück. Mit schrillem Wiehern bäumte es sich auf. Er taumelte und stürzte beinahe den Abhang hinab. Der Marshal warf sich nach vorn auf den Pferdehals, zwang das Tier auf den Weg zurück und brachte es zur Ruhe. Seine Rechte zuckte zum Colt in der Halfter. »Er liegt in der Mulde, keine zwanzig Yard vor Ihnen, Marshal!« schrie Buck Flannagan. Im selben Moment wälzte sich Kirk Sheldon in seiner Deckung herum. Seine Augen weiteten sich, als er den Beamten erkannte. Er war verloren, das wußte er. Aber er wollte trotzdem weiterkämpfen, so lange, bis er nicht mehr konnte. Der Schmerz in seinem linken Fuß war plötzlich vergessen. Er bäumte sich auf, kam auf die Beine, konnte aber links nicht auftreten und schwankte. Er fühlte die Schwäche, die jäh seinen Körper durchzuckte. Vor seinen Augen begannen grellfarbene Punkte zu tanzen. Verschwommen sah er den Marshal. Und dann feuerte er. Der Rückschlag des Revolvers riß ihm schier die Waffe aus der Faust. Er spannte abermals den Hammer und drückte wieder ab. Brüllend hallten die Detonationen in den stillen Bergen. Die Geschosse trafen nicht. Hinter seiner Deckung sprang jetzt Buck Flannagan hervor, riß seinen Colt hoch und schoß.
Seine Kugel grub sich von hinten in die linke Schulter des Banditen und stieß ihn nach vorn. Im gleichen Moment bellte der Revolver des Marshals auf. Der Schuß traf Kirk Sheldon in die Brust. Er fiel längelang nieder. Die Waffe entglitt seiner Faust. Er lebte noch und gurgelte etwas. Dann rollte er, unfähig sich zu halten, über den Rand des schrägen Abhangs und rutschte den nackten Fels hinunter, noch ehe Flannagan oder Uvalde ihn erreichen und festhalten konnten. Geröll löste sich und schlug auf den Mann. Der Körper des Banditen rollte immer schneller. Er überschlug sich mehrmals und prallte schließlich am Grund des Abhangs auf. In verzerrter Haltung blieb der Mann liegen. Und Flannagan und der Marshal sahen vom Pfad aus, daß er tot war. Kirk Sheldon, der letzte der Banditen, lebte nicht mehr. Sie schwiegen einen langen Moment, die beiden Männer. Schwer atmend standen sie nebeneinander. Und plötzlich schienen sie beide zur gleichen Zeit das gleiche zu denken. Sie blickten sich unvermittelt an. Dann schwangen die Revolver hoch. Die dunkle Mündung von Flannagans vernickeltem Colt richtete sich auf den US Marshal, und der Spieler sah den Revolver von Uvalde drohend auf sich zeigen. »Wirf die Waffe weg, Flannagan«, sagte der Beamte dumpf. Sein Daumen legte sich auf den Revolverhahn. »Wirf sie sofort weg.« Der Spieler lächelte schmal. »Nimm den Daumen vom Hammer, Uvalde. Mit welchem Recht verlangst du, daß ich die Waffe wegwerfe? Ich kann von dir dasselbe verlangen.« »Und wenn ich abdrücke?« »Keine Sorge, Marshal, dann reicht für mich die Zeit immer noch aus, auch abzudrücken. Du kommst also nicht davon. Wir können nur eines tun, Marshal Uvalde: Wir legen beide unsere Waffen gleichzeitig auf den Boden und sprechen dann miteinander.«
Der Marshal zögerte. »Ich lasse mich nicht reinlegen, Spieler.« »Wer will dich reinlegen? Du hast die toten Banditen gefunden, Uvalde, nicht wahr?« Buck Flannagan hielt seine Waffe noch immer direkt auf die Brust des Marshals gerichtet. »Daran siehst du, daß ich mit den Kerlen nichts gemein habe. Ich habe sie getötet.« »Um die Beute allein zu behalten, wie?« sagte Uvalde. »Ich bin dir nur dazwischengekommen, was?« »Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich das einfacher haben können!« donnerte Flannagan wild. Sein Gesicht lief rot an. »Ich hätte auch sofort mit dem Geld Nebraska verlassen können, so einfach wäre das gewesen. Ich habe es nicht getan; ich hätte dir die Beute sofort gegeben, Marshal, wenn du nicht ständig so mißtrauisch und unverschämt gewesen wärst. Du hättest mir damals auf dem Schiff kein Wort geglaubt, und wenn du ehrlich bist, mußt du zugeben, daß das auch heute noch so ist: Du glaubst mir nicht. Aber jetzt habe ich einen Beweis, daß ich nichts mit Sheldons Bande zu tun hatte: Ich habe die Banditen erschossen. Ich habe Vance Custer getötet, und ich habe Hank Carter getötet. Und jetzt habe ich zusammen mit dir Kirk Sheldon getötet. Das dürfte wohl beweisen, daß ich nicht zu der Bande gehöre.« »Nicht ganz, Flannagan.« Raid Uvalde schüttelte den Kopf. »Das beweist nicht viel. Es reicht nicht, um mich zu überzeugen.« Buck Flannagan senkte den Kopf. »Yeah«, flüsterte er, »das Geld. Du willst die Beute Sheldons, nicht wahr? Das ist es, was du meinst. Die Toten genügen dir nicht, aber die Beute...« »So ist es, Flannagan. Und beeil dich, ich werde ungeduldig.« »Ich auch, Marshal. Mein Zeigefinger ist nicht weniger empfindlich, als der deine. Ich drücke ab, auch auf das Risiko hin, zum Schluß noch selbst getötet zu werden. Und jetzt hör
mir zu, Marshal. Ich will freien Abzug. Ich will nicht mehr verfolgt werden. Niemand soll mir mehr nachsagen, ich sei ein Bandit. Dafür gebe ich dir die Beute, Marshal. Ich hätte es längst getan, wenn du vernünftig mit mir geredet hättest.« »Ich werde es mir überlegen, Flannagan.« »Da gibt es nichts zu überlegen. Ich will eine klare Antwort, Marshal, und zwar hier und jetzt auf der Stelle.« »Ich lasse mich nicht erpressen«, sagte der Beamte. »Und ich lasse mich nicht auf ein Spiel ein, in dem du die Trümpfe für dich behältst.« »Woher weiß ich, daß du dein Versprechen hältst, mir das Geld zeigst und dann auch wirklich verschwindest? Du könntest versuchen, mir die Beute wieder abzunehmen«, sagte der Marshal. Flannagan lachte scharf auf. »Ich hätte dich aus dem Sattel schießen können, als du herangeritten kamst. Ich hatte dich genau im Visier, großer Marshal. Das wäre einfacher gewesen. Aber was hätte es für einen Sinn gehabt? Keinen. Ich will nichts als meine Ruhe. Das Geld gehört der Bank in Bloomfield, die soll es auch wiederhaben. Aber ich lasse mich nicht als Banditen einsperren, deshalb ist meine Freiheit der Preis für die Beute.« Der Beamte musterte den anderen scharf. »Warum hast du auf die Halunken geschossen?« »Ich wußte, daß du uns verfolgen würdest, Uvalde. Ich wollte dir die Arbeit abnehmen, auch wenn du mir nicht glaubst. – Was ist mit deiner linken Hand los?« »Die Finger sind wahrscheinlich gebrochen.« Der Beamte verzog das Gesicht. Er nagte einen Moment lang sinnend auf der Unterlippen. Dann stieß er unvermittelt den Revolver in die Halfter zurück. Er atmete schwer. »So, Flannagan. Jetzt bist du dran, dein Versprechen zu halten.« Der Spieler nickte. »Steig auf dein Pferd, Marshal, und reite
mir nach.« Flannagan wandte sich ab und ging zu den Pferden zurück, die sich während der Schießerei hart gegen eine Felswand gedrängt hatten. Er klopfte dem Tier Sheldons beruhigend auf den Hals und schwang sich in den Sattel. Ohne sich umzublicken, lenkte er es auf dem schmalen Felspfad weiter. Und Raid Uvalde folgte ihm. Gegen Abend erreichten sie einen flach nach unten abfallenden Hang, der mit Gras dicht bewachsen war. Er grenzte an einen Kiefernwald. Am Waldrand zügelte Flannagan sein Pferd und stieg ab. Er drehte sich zu dem US Marshal um und beobachtete jede seiner Bewegungen mit mißtrauischen, lauernden Blicken. »Sind wir da, Flannagan?« fragte der Beamte. Seine Stimme klang plötzlich belegt. »Yeah.« Buck Flannagan ging langsam zum Pferd des Marshals und nahm den Feldspaten vom Sattelhorn. »Wo liegt das Geld?« Ein seltsames Glitzern lag auf einmal in den Augen des Beamten. Der Spieler sah es, spürte ein ungutes Gefühl in sich, schwieg aber dennoch. Er ging zum Waldrand und blieb neben einer mächtigen Posteiche stehen, die die Fichten alle überragte. Neben dem Stamm setzte er den Spaten an. Als er ein metallisches Klicken hinter sich hörte, wandte er den Kopf und verharrte in seiner gebückten Stellung. Raid Uvalde, der US Marshal, stand breitbeinig neben seinem Pferd und hielt den Revolver in der Faust. Die Waffe zielte auf den Spieler. Ein häßliches Grinsen lag mit einemmal im Gesicht des Marshals. »Da liegt also das Geld, am Fuß der Eiche. Gut, Flannagan, das wollte ich wissen. Ausgraben kann ich es allein. Damit hast du deine Aufgabe erfüllt. Tritt zur Seite.« »Was meinst du damit, Marshal?« »Was ich meine? Hahaha!« Er lachte kalt. »Ich brauche dich nicht mehr, Flannagan. Was ich wollte, war das Geld. Ich weiß jetzt, wo es liegt. Damit bist du fertig.«
»Deshalb willst du mich erschießen, Marshal?« fragte der Spieler. »Deshalb nicht.« Der Beamte trat einen Schritt näher. »Es geht ganz einfach darum, daß ich nicht mehr nach Bloomfield zurückreiten werde.« »Sondern?« »Die Jagd, Flannagan, diese höllische Jagd auf Sheldon und seine Kumpane war hart, sehr hart. Ich habe mir dabei überlegt, ob sich das alles am Ende für mich lohnt. Es war das erstemal, seit ich den Stern angesteckt habe, daß ich solche Gedanken hatte. Das allein ist ein Zeichen dafür, daß es höchste Zeit ist, Schluß zu machen. Und ich glaube außerdem, daß es höchste Zeit war, daß ich mir Gedanken gemacht habe.« »Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen, Marshal?« »Ich hetze mich ab, riskiere Kopf und Kragen für andere. Die Leute danken es einem nicht, sie halten das alles für selbstverständlich, und wenn man einmal nicht mehr kann, wenn es so weit ist, daß man den Revolver nicht mehr schnell genug aus der Halfter kriegt, wenn man den Stern ablegen muß, dann scheren sie sich einen Dreck um einen, dann kann man sich entweder selbst eine Kugel durch den Kopf schießen, oder darauf warten, daß man verreckt.« Er schüttelte bitter den Kopf. »In der Ledertasche Sheldons stecken über zwanzigtausend Dollar. Ich habe gerechnet, daß ich für diese Summe über siebzehn Jahre arbeiten müßte. Und ich setze für ganze hundert Dollar im Monat täglich mein Leben aufs Spiel? Da stimmt doch etwas nicht, Flannagan.« »Du vergißt, daß Sheldon und seine Bande tot sind«, warf Flannagan gepreßt ein. »Nein, ich vergesse das nicht. Aber Sheldon war ein Bandit. Wenn ich mir seine Beute nehme und damit verschwinde, wird mich niemand so verfolgen, wie er verfolgt wurde, niemand wird mich jagen. Alle werden denken, ich wäre verschollen,
von Banditen umgebracht. Es wird keine Steckbriefe von mir geben. Das ist der Unterschied zwischen mir und Sheldon. Der einzige, der meine Pläne kennt, bist du, Flannagan, und du wirst von hier nicht mehr fortgehen. Ich werde dich neben der Eiche eingraben.« »Ein schöner Platz für ein Grab.« Buck Flannagan stand noch immer gebückt und hatte mit beiden Fäusten den Feldspaten umklammert. Die Fingerknöchel traten weißlich unter der Haut hervor, und das war das einzige Zeichen der inneren Unruhe, die sich des Mannes bemächtigte. »Und was willst du tun mit dem Geld, Marshal?« Der Spieler grinste schmal. »Wenn du mir nicht alles selbst gesagt hättest, würde ich kein Wort glauben.« »Noch vor drei Wochen, Flannagan, hätte ich jedem ins Gesicht geschlagen, der mir gesagt hätte, ich würde auf die Idee kommen, das Gesetz wegen der Beute eines toten Banditen zu vergessen. Heute ist das anders. So schnell kann man sich ändern.« »Du bist auf dem falschen Weg, Marshal«, sagte der Spieler dumpf. »Als du angefangen hast, nachzudenken, hast du einen schweren Fehler gemacht. Du hast vergessen, daß du eine ehrliche Arbeit tust, während Sheldon und seine Kumpane Verbrecher waren. Du bist unzufrieden mit dir selbst und deinem Job. Das ist ein Gefühl, das wieder vergeht. Es kommt für jeden irgendwann der Zeitpunkt, an dem einem alles zum Hals heraushängt. Und was du sagst, Uvalde, kann ich sogar verstehen, obwohl ich nie besonders gute Beziehungen zum Gesetz hatte. Wenn man sein Leben lang nichts anderes getan hat, als hinter Banditen herzurennen, dann will man irgendwann Schluß machen und anders leben.
Aber wenn du denkst, du könntest mit dem blutigen Geld Sheldons eine Zukunft aufbauen, hast du dich getäuscht. Wenn du das Geld jetzt nimmst, begehst du einen Fehler, den du nicht mehr rückgängig machen kannst. Denn dann bist du selbst ein Outlaw, ein Gesetzloser. Und wenn du glaubst, du wärest sicher, wenn du mich, den einzigen Zeugen, tötest, hast du dich auch getäuscht. Egal, wohin du gehst, egal, was für einen Namen du annimmst, irgendwann wird einer kommen, der dich von früher kennt. Oder der Stationer, dieser alte Drover auf der Poststation: Er hat dich gesehen. Er weiß, daß du uns gefolgt bist. Dein Pferd trägt sogar den Wells-Fargo-Brand. Drover wird dich also suchen, wenn du nicht zurückkommst. Vielleicht alarmiert er den Marshal von Wayne, bei dem du gewohnt hast in den letzten Tagen. Der wird mit Sicherheit mit einem Aufgebot kommen und nach dir suchen. Er wird drei toten Banditen finden. Und auch deine Spur wird er finden. Da du nicht mehr in Bloomfield auftauchst und das Geld aus dem Bankraub auch verschwunden bleibt, wird sich jeder ausrechnen können, was hier geschehen ist. Dann bist du ein Gehetzter, Marshal Uvalde. So einfach, wie du denkst, ist das alles nicht. Das ist es eben, was du vergessen hast: Sheldon war ein Bandit, der keine Rücksichten zu nehmen brauchte. Du aber willst als normaler Bürger weiterleben. Und das kann nicht klappen.« »Sei still!« Der Beamte fuhr den anderen an. »Du redest nur, um deinen Hals zu retten. Es ist Unsinn, was du sagst. Und ich habe meinen Entschluß gefaßt. Es war schwer genug. Aber jetzt ändere ich ihn nicht mehr. Ich werde das Geld nehmen, nach Kanada gehen und unter anderem Namen dort so leben, wie ich es nach den vielen Jahren als Marshal verdient habe. Alles ist gut überlegt.« Der Beamte hob den Revolver noch ein Stück an. »Also, geh schon zur Seite, die ganze Rederei hat
keinen Zweck. Ich verstehe auch nicht, wieso ausgerechnet ein Spieler mir so einen Vortrag hält. Du hast vor der eigenen Tür bestimmt genug zu kehren.« »Vielleicht.« Flannagan nickte. »Das hindert mich nicht, dir einen guten Rat zu geben. Ich war nie ein Bandit, aber man rutscht leicht ab in diesem Land. Das Aufstehen jedoch ist verdammt schwer. Ein Mann, der den Stern des Gesetzes trägt, sollte charakterfester sein.« »Das war ich mehr als zehn Jahre lang. Und was hat es mir eingebracht?« schrie Uvalde mit rotem Gesicht. »Fußtritte, wenn ich Fehler gemacht habe. Und ein müdes Schulterklopfen, wenn ich einen Erfolg hatte. Seit ich aus Bloomfield fortritt, allein, ohne die Hilfe der Bürger, um deren Geld es ging, habe ich an nichts anderes gedacht. Jetzt gibt es nichts mehr zu bedenken.« Er wollte noch mehr sagen. Aber er kam nicht weiter. Buck Flannagan schnellte aus seiner gebückten Haltung jäh in die Höhe und riß den Feldspaten hoch. Das Spatenblatt hatte im Boden gesteckt. Und jetzt flogen lockere Erdkrumen durch die Luft. Ehe der Beamte schießen konnte, trafen sie ihn im Gesicht und blendeten ihn. Er schrie, torkelte rückwärts und schoß. Seine Kugeln schlugen prasselnd ins Unterholz des Waldes und fetzten Rinde von den Bäumen. Sonst traf der Marshal nichts. Und als er wieder sehen konnte, stand schon Buck Flannagan bei ihm, trat ihm mit dem rechten Fuß die Waffe aus der Faust und schlug ihm dann mit aller Kraft ins Gesicht. Der Marshal stürzte gurgelnd auf den Rücken. Blut rann aus seiner Nase, betäubt wälzte er sich herum. »Bleib liegen, Uvalde.« Buck Flannagan stampfte auf ihn zu, bückte sich und riß ihm den silbernen Stern vom Hemd. Er warf ihn im hohen Bogen auf die Hangwiese und schlug dem Marshal ins Gesicht. Raid Uvalde fiel lang nieder und blieb sekundenlang wie tot liegen.
Der Spieler kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er wandte sich um, nahm den Feldspaten und begann zu graben. Es wurde kühl; denn die Sonne sank. Aber Buck Flannagan schwitzte bald. Er trug die Rasendecke ab und grub ein gut zwei Fuß tiefes Loch in den festen, mit Steinen reichlich durchsetzten Boden. Dann stieß er auf die Ledertasche. Er scharrte die Erde darüber weg und hob sie aus der Grube. Keuchend wischte er sich den Schweiß vom Gesicht. Als er sich umwandte, hockte Raid Uvalde am Boden. Er tupfte sich das Blut vom Gesicht und wich den Blicken des Spielers aus. Er war blaß, und er wirkte zerbrochen. Buck Flannagan empfand so etwas wie Mitleid. Raid Uvalde hatte sich einmal im Leben vergessen, und er war gescheitert. Das würde ihn auch zukünftig prägen. Er würde noch einmal von vorn anfangen müssen. Buck Flannagan hängte die Tasche an das Sattelhorn seines Tieres. Die Dämmerung schwebte bereits wie ein dünner Schleier von den Gipfeln der Berge herab. Der Spieler stieg in den Sattel. »Ich nehme dein Pferd mit, Uvalde.« Er sprach mit rostiger Stimme. Der Mann am Boden wandte den Kopf. »Ich lasse dein Pferd und deine Waffen am Fuß der Berge stehen. Du kannst zu Fuß hinterherkommen. Ich will nur verhindern, daß du mich verfolgst. Und wenn du Pferd und Waffen wiederhast, Uvalde, dann setz dich in den Sattel und reite so weit du kannst. Steig erst wieder vom Pferd, wenn du Nebraska verlassen hast. Ich werde die toten Banditen und das Geld zurück nach Bloomfield bringen. Ich werde sagen, daß du im Kampf von den Banditen erschossen wurdest. Man wird dich in Bloomfield als Helden im Gedächtnis behalten; denn im Grunde warst du ein guter Marshal und ein anständiger Kerl, deshalb wird von mir niemand etwas von dem erfahren, was sich hier abgespielt hat. So long, Uvalde.«
Der Spieler zog sein Pferd herum und nahm das Tier des ehemaligen Marshals mit. Er ritt in die einbrechende Nacht und wurde eins mit der Dunkelheit. Zurück blieb ein gebrochener Mann, der seine Zeit brauchte, um sich damit abzufinden, daß er in seinem eigenen Spiel zu hoch gesetzt und verloren hatte. Wie hatte Flannagan gesagt? »Man rutscht leicht ab in diesem Land. Das Aufstehen nach dem Fall jedoch ist verdammt schwer.« Buck Flannagan suchte währenddessen in der Dunkelheit die toten Banditen. Er schnürte sie auf ihre Pferde und nahm sie mit. Dann ritt er, obwohl er müde war und die Erschöpfung der letzten Tage in seinem Körper nagte. Er ritt ohne Aufenthalt. Am Fuße der Berge hobbelte er das Pferd Uvaldes an. Dann tauchte er im weiten Land unter. Der Hufschlag der Pferde verklang. Nur der Wind von den Hängen der Bergkette sang leise durch die Ebene. *** Buck Flannagan erreichte nach zwei Tagen Bloomfield und erzählte dort seine Geschichte. Er berichtete, daß der US Marshal Raid Uvalde im Kampf getötet worden sei, daß er durch Zufall habe eingreifen und die Banditen besiegen können. Man glaubte ihm; denn er brachte das Geld mit. Die Bürger gaben ihm eine Belohnung von dreitausend Dollar, und Flannagan wäre kein Spieler gewesen, wenn er das Geld nicht genommen hätte. In der Nacht darauf jedoch verlor er die gesamten dreitausend Dollar in einer einzigen Stunde im Saloon von Bloomfield beim pokern. Am nächsten Morgen schon verließ er die Stadt und ritt zurück an den Missouri, um wie bisher in den feinen Hafenstädten am Fluß seinem Geschäft nachzugehen. Bloomfield und alles, was damit zusammenhing, hatte ihm kein Glück gebracht.
Von Raid Uvalde wurde nie wieder etwas gehört. Er ging unter im Heer der Namenlosen, die den weiten Westen Amerikas überfluteten. Vielleicht war er Siedler, vielleicht Goldsucher, vielleicht Cowboy oder auch Schwellenleger der Union Pacific Railroad geworden. Das wußte niemand – und es fragte auch niemand. ENDE